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Globus.
XXVIH Band.
Globhus.
Illu ſtrirte
Zeitſchrift für Länder- und Völkerkunde
mit
besonderer Berücksichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern
herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Ahtundzwanzigfter Band.
Sraunfhweig,
Drud und Verlag von Friedrid Vieweg und Sohn.
1875.
Die mittlere Höhe Europas 47,
Deutjdland. Bevölkerung Berlins 352
Bevölferung von Hannover LI Wor:
geſchichtliches aus dem Poſenſchen; von
A. Kohn 12, 213, SHollandsgänger;
von F. Boppe 202, Die höchſte Kunft:
Mrabe Deutſchlands 335 Seecreiſen
deutſcher Schifje im Jahre 1873. 208,
Defterreih. Am Rordgeftade der Adria
L1Z 209, 25 Germaniſche Wohn:
fite und Baudentmäler in Nicderöfter:
rei; von N Mestorf 200 Ulte
Begräbnißftätte in Böhmen Are—
tins in Böhmen 160. Die hohe Tatra
228, Pahlbauten im Neufiedler See
150. Das Deutihthum in der chema—
ligen Militärgrenze 78, Bulgaren im
Banat 207, Im Siebenbirger Gold:
lande 119, Mömijche Ueberrefte in
Siebenbürgen 129,
Schweiz St. Gotthard-Tunnel 144,
Rufſiſchte Aſien. Neue Eintheilung
deſelben Eſenbahnprojecte in
Trans 6. Die Schiffbarma—
dung des al Oruslaufes und des
Jani-Darja 174. Der Ganal zur Be:
wäjlerung der Sungerfteppe 319, Karl
von Neumann’s Erpebition nad) ben
Bäreninjeln vor der ſibiriſchen Küſte
48, 55. 74, Die Dlenelerpebition von
Gzelfanowäfi und Müller 236,
Aſiatiſche Türkei. Die Bedeutung der
Länder am Euphrat und Tigris für den
Berlehr; von A. v. Triebel 138. 151
Hungeränoth in Armenien 48, Orien:
talijhe Peft bei den Wontefitarabern 48,
Gyperwein 192, Wlterthümer auf Ey: |
Inhaltsverzeichniß.
guropa.
Dänemark. Die prähiftorifchen Alter:
ihilmer des nordijchen Muſeums in Kopen⸗
hagen; von Dr. Dafjenlamp 24 SL
Todtenbäume in Yütland 256, Bulca:
niſche Thätigfeit auf Island 16. R. Bur:
ton in Ysland 175,
Slandinavien. Streifzüge im füdlichen
Norwegen; von Dr. David Brauns
2 los US
Holland. in Beſuch auf der Injel Urt
in der Zuyderſe 2 42. Hollande:
gänger; von 5. Poppe Zul
Großbritannien, Vollsmenge der gro:
hen Städte IL Das Manr 2:3 Aus:
grabungen in Cißbury Kamp 26
Frankreich. Preisaufgaben der Pariſer
Eingewöhnungsgejelliajt 190,
Bortugal, Kleinftadtiſches Leben
Italien. Eine neue Korallenbant bei
Sicitien 160, Die Bäume im ficiliani-
ſchen Boltsglauben 332,
Aſien.
pern Beſihungen der Osmanen in
Arabien 32, Die Einfünjte Mellas aus
der Wallfahrt 157,
Arabien. Hadhramaut
VBerfien. Allerlei Zuftände im Weide
des Shah von Perjien DL, Fellech
und Tihob BL
Turtiſche Chanate. Die Zuftände in
DOftturfeftan 1423, GCholand 239, Die
ruſſiſche wiſſenſchaftliche Erpedition nad)
Hifiar 14. 286,
Oftindien. Die Pariahfafte der ſtora—
gars an der Malabartüfte 59, Ein Be-
ſuch auf den Nifobarifhen Injeln; von
F. U von Roepstorfi 185, Die
engliihen Himalayabefizungen;- von
402254
ı Rufland.
Türfei. Zur Schilderung des Waldes
in der europäiſchen Türfei; von F.Ka—
nig Bertovitſch's bulgariſche
Vollslieder W Donau-Bulgarien
Die Umgegend von Solonili A Lan—
desverjammlung auf Krela 8, Die
Zeitung „Bajfiret® EU
Rumänien. on der unlern Donau
153, Rumäniides 2:6. Geographiiche
Gejellihaft in Bulareſt
Kleinruſſiſche hiſtoriſche Ge:
dichte 12L Vorgeſchichtliches aus dem
Bofenihen und anderen Gegenden des
flaviſchen Oſten Europas; von A.Rohn
213. Die deutihen Goloniften aus Süd:
rußland 142 Die Petersburger Bevöl:
ferung im Sabre 1869. 305 Die Wolle;
poeſie der Yappländer 334, Die Sare:
len des Gouvernementt Olonez T
Peter von Uslar und die faufafifhen
Forihungen 108,
Emil Schlagintweit 231.218, Schor
nung der Glephanten auf Ceylon 15,
Ehinefeneinwanderung LG, Zeitungen LE
Ausfuhr von Three 16. Neligiöfe Ver:
eine in Yadno 32 Verjhiedenes 2
Wittwenverbrennungen 64. Strafcolonie
auf den Andamanen 96, Wberglauben
in Galcutta 160; in Yadıo 238. Die
Boldfelder im jüdöftligen Wynand 7A.
Die Weddas auf Geylon 356, Gejdichte
der Anfiedelungen auf den Nifobaren 270,
Hinterindien. Eine Hof: und Staats:
verfammlung beim König von Birma
79. Europäiſche Wiſſenſchaft in Siam
27 Milluho-Maklai’s Forſchun—
gen auf der Halbinjel Malatfa 158,
>
VI
China nebft Vajallenftaaten #.
Garnier’s Schilderungen aus Yünnan
32. 49, 276. 293, 537. 352. 369, Die
milden Liffu an der Grenze von Yünnan
und Tibet 199. Ein ungariiher Sprach⸗
forjcher in der Mongolei; von H. Bam:
bery 220. 230 Ein Belud des Gra—
bes des Eonfucius und des heiligen Ber:
ges Tai 262,281, Schilderungen inner-
afiatiiher YZuflände; von U. Kohn
(die Zanguten; die mohammedaniſche
Die Zähmung des afrifaniidhen Elephanten
148, Reue Opfer Afrikas (Dates, Kraft)
113.
14,
Azoriihe Inſeln. Wuswanderung 32,
Marofto. Hiftoriiche Denkmäler 237
Algier. Playfair über den Diebel
Yurös 387.
Sahara. Ihre Ueberfluthung 191, Drei
Monate in der Libyjcden Wifle 336,
Der Name Amerita 112,
Dar Bıligengen Voltszählung auf
Neufundland DE. Cine Erpedition gegen
die Branntweinhändler im amerilaniſchen
Nordweilen M
Vereinigte Staaten. Gijenbahnmono:
pole 1& Zur Staliſtil der Zeitungs:
preffe 68, Zeitungsftil 80, Gejhwore:
nengeridhte 30, Advocatenftil IX Kirch—
liche Blätter 112 Gaushaltsfoften der
Präfidenten 158, inwanderung 240,
Waller's flatifiicher Atlas 238. Hecli-
matifation europdiſcher Singvögel 336.
Wifenbahnen in 1874. 336,
Zuftände in den ſpaniſchen Republifen
Amerilas 366,
Guatemala. Höhere Mädchenſchulen
Goftarica, Kaffeebau
Darien. Kautidut 32
Ecuador. Wlterthümer 204,
Peru. Deutjhe Gymnaſiallehrer in Peru
111. Salpeterausfuhr 111. Ein Beitrag
zur Beuriheilung des Khehuaftammes in
Peru und Bolivia; von E, v. Boed
265, 301, Beruanijche Alterthümer 310.
328, Metalllager am Loa⸗Fluſſe
U. Hume + 1& WPoflbampferverbindung
zwiſchen Reuſüdwales, Neufeeland und
San Francisco 5, Schnelle Fahrt von
England nad Melbourne 271 Xeid)-
hard: Spuren 287,
Revolution in Norbweil:Ehina) 268, 2334,
290 314, Die Mongolen ; von U. Kohn
344, 360, 378, Bom faiferlien Hofe 14,
Die Blattern und der Durchgang ber
Venus 16, Eine deutjche Frau bei einem
chineſiſchen Frühftüd 29, Bon der Ins
ſel Formofa 30, Zur Charakteriftit der
Ehinejen 24, Berſchlagene Palau-Infur
laner auf Formoja 192, Quellen des
Brahmaputra 192, Ausbrliche desiägrem-
denhafies 206, Einiges Über Peling
Afrika.
Oſtafrika. Zeile 157. Der Seyhid von
Sanfibar 96, Auf dem Markt von
Berbera 122,
u ce Dr. Güßfeldt's Nüdlehr
Innerafrila Aus Georg Schwein:
furth's NReilen 257, 273, 208. 308,
324, Bom Albert Nyanza 387. Stan:
Nordamerika.
Dr. Hayden's und Langford's Erpedi⸗
tion nad den Felſengebirgen
Indianerangriff auf Dr. Hayden's Ber:
mejlungscorps 2ZL
Californien. Three und Kaffecbau
32, Wobhlftand 47, Die künftlice
Lachs zucht am Mc, Cloud 22. Werth
von San Francisco 24 Präpifto:
rijche Steinfadhen von den Santa—
BarbarasInfeln 304, Borarlager
320. Ghinefeneinwanderung in San
Francisco 336, Witerthimer aus
Utah und Californien 857. Das füb-
öftlide Californien 383,
Nittel- und Südamerika.
Chile. Stiggen aus Chile; von G. Thiele
205, 218, 232, 251, 818, Handelsver-
fehr 112. Sternwarte zu Santiago 111,
Brafilien. Wettlauf zwiſchen Hirſch und
Schildfröte am Amazonenſtrom 11.
Handelsentwidelung 43. Auswärtige
Staatsjguld 80, WBollszählung 26,
Dampfſchifffahrt auf dem Amazonenftrom
111. Geognoſtiſche Harte des Yandes
111. 255. Anbau der Jule in der Pro:
vinz Rio de Janeiro 111. Die Commiſ⸗
fion zur Unterfuhung der Nebenflüffe
Kuftralien und die Südſee.
Victoria. Wusfuhr 15 Waldanpilan-
jung und Kangeruhs 64. Minenftatiftit
255, Statiftijces 335. Schentung an
die Univerjität Welbourne 384.
Neufüdmwales. Coot's Statue 14. Canni- |
und deſſen Umgebung 223. Sosnomslt's
Reife 272, 368,
Japan. Geſchichten aus Alt:Japan 117,
158, Blattern 32, Handel 224, Zul:
canismus 240,
Oftafiatiihe ‚Bewäfler. Der „Ehal:
lenger* auf der Fahrt von den Philip:
pinen nah Yapan 58, 783. Tiefleemej-
fungen des „Challenger“ 30, Bon den
Philippinen 159, Die „Hertha" in den
oſtaflatiſchen Gewählern 349.
ley's Erforfchung des Victoria Niyanza
373,
Südafrifa. Young's neue Erpebition
nad dem Miafia-Sre T. Aus E.
Mohr's Reife nad den Sataraften des
Sambei & G. Fritſch über die Dva-
Herero 245, Bevollerung der Kapcolonie
u2
Madagastar. Mullens’ Reije 46,
Delaware.
Georgia.
fenofee 308,
Illinois.
cago 62
Jowa. Schwarzlunft 207, Gommu:
nisnus 36
Youijiana. Anbau der Jute LI2,
Nemyorf, Einwanderung BbL
Wisconsin. Bevölkerung der Städte
320,
Merico. Budget 32, Nebellion 240.
Eijenbahneröffnung 256,
Cuba. Der Aujflond 144,
Plirfihernte 144.
Lage des Yandes 304. Dfe-
Die Adventiſten in Chis
des Umazonenftroms 255, Die Indianer:
dörfer am Tapajoz 255 Die Colonien
der Provinz Rio Grande do Sul 255
Bevölferung der Provinzen Boyaz und
Umazonas 271, mdianerdörjer DIL
Zahl der Deutihen in Braiilien 27ZL
Dlivenbäume in Rio Grande do Sul
Eolonie St. Thomas de Papandura
Uruguay. Revolution Zu
Argentina. Heuſch Die Ran
aueles:Indianer 2 yo uL
Die deutiche Prefe Zi Eifenbahnen
304. Wildwanderung 320,
balismus 64. 79, Ein Zeitungsredac⸗
teur 112
Queensland. Majern 352,
Weftauftralien. I. Forreft 64 Wllu:
vialgold, Perlmuſcheln, Eiſenbahn, Teles
oraphen 255. Wilchereibetrieb mit Ktulis
Shdauftralien, Denlmal für Me. Kine
lay 15. Kurze Notizen; Ueberlandtele-
graph 255. Ueberfall von Zelegraphen:
beamtendurdfSchwarze 271. Die Lale Eyre
Erploring Party 308. 334 Die Eolonie
Südauftralien am Schluſſe des Jahres
1874. 316, Ernft Giles' neuefle Reifen
in Wuftralien 342,
Die Inſeln des Stillen Oceans;
Prof. Dr. 8. Meinide 160,
Deutjche Entdeckungen am Südpol 127.
Deutihe Polarerpedition 208, Die
zweite deutſche Nordpolarfahrt in den
Jahren 1869 bis 1870 220,
Neufeeland, Frauenraub bei den Maori
16. Grabventmal eines Maorifönigs
80, Telegraph nah Meufeeland 27L
Majern 271,
Neuguinea. Reiſen dorthin 15, Dr. Al:
bertis 15, Neuguinea und die Auftralier
2.
Louijiade-Ardipel, Siebenzehn Jahre
unter auftraliichen Wilden 124,
Verfchlagene Palau-Inſulaner auf For:
mofa
Bon den Norfolt:\njeln 29,
Die Polargegenden.
Die Nordenitjöld'jhe Erpedition nad No—
mwaja-Semlja und in den Buſen des
Ienifley 208. 272, 347. Ein Tagebud)
von Barent gefunden 304,
vu
Fidfhi. Die Malern 77, 271, 319
Huldigung 852,
Martejas. Der Martejas:Acdhipel 177.
193, 4L
Hamwai. Die „Wrcona” im Hafen von
Honolulu 64. Der Ausſatz auf den
Sandwihsinjeln L4L Naturwiſſenſchaft-
liche Gefellichaft in Honolulu 08 Tr
nender Sand von Kaui 304, Überglau:
| _ben 952,
' Die Robinfon-ErujoerInjel 62,
|
Von der engliihen Norbpolerpedition 224,
Die Rordjahrt der „Pandora“ 351.
Dermifdte Mittheilungen.
AUberglauben, Sagen u. j. w.
Däumling in der Völferfunde 10, Wett:
lauf zwiſchen Hirſch und Schildkröte am
Amazonenftrom IL Zur Ethnologie und
Geſchichte des Aberglaubens; von Dr. d.
Brunnhofer ZL 86. 154. 18 186
Eine Verordnung des großen Kurfürſten
gegen den Überglauben 143° Die Bäume
im fialianiiden Boltsglauben; von Frei⸗
heren von Reinsberg-Ditringsjeld
332, Wbergläubijches aus Galcutta 160,
Lackno 288, Honolulu 352,
Präbiforijhes, Funde von Alter—
thümern :c. (j. unter den beireffenden
Ländern).
Aus Pojen 12 213, dem jlavischen Often
Europas 213, Niederöfterreicdh 200, Böh:
men 208, NReufiedler See 160, Galizien
384, in Kopenhagen 364, 331, Jütland 256,
England 256, Eypern 304, Californien
304. 357, Utah 3657, Ecuador 304, Peru
310. 328.
Europa,
Iftrien.
—————— in Trieft #
Mathhaus in PBola 210,
Zempel der Roma und des Auguſtus in
Pola 211,
Das römiſche Amphitheater in Bola 212,
Pope der montenegriniigen Golonie in
Peroi 226,
Bäuerin von Dignano 226,
Berſchiedenes.
Müller’s losmiſche Phyſil in vierter Auf⸗
lage 22.33. Tiefjeemefiungen des „Chal ⸗
lenaer" Ein Sandwörterbud des
biblifchen Wltertfums 101. Das Hohe
Lied Ealomonis in der Zigeunerſprache
112 Einnahmen der Kulis in den bris
tiſchen Befiyungen 128 Größte Schnel:
ligteit eines Eijenbabhnzuges 144, „Jour-
nal des Muſeum Godefftoy" 149, Das
Einhorn der Bibel 158. Die Verbreir
tung des Morraipiels 15% Ueber bie
Urfache der Eiszeit 170. Das erfte Ma—
nati in Europa 175, Die Banlulnuk 176,
Preisaufgaben der Parifer Eingemwöh-
nungsgejelliaft 190, Bollsetymologien
191, Gin neuer Wfrifareijender 207,
Seereiſen beutjcher Schiffe im Jahre 1873.
208, Meuer Proceh im Gewinn des Gol⸗
des 254,
Bllufrafionen.
Slabiſche ‘Bauern in der Kirche von Dig:
nano 227,
#roatien.
Um Abhange des Gavranic 228,
Balle grande di Sercica 228,
Bon den Höhen hinter Buccari 229.
Das Schloß von Buccari 229,
Siebenbürgen.
Altes Thor in Klaufenburg LIE,
Unſicht
Die Goldgruben des Cſetalhe in Sieben:
bürgen 116,
Romiſche Wachsſchreiblafel
Romiſches Mauſoleum aus Trajan's Zeit,
in eine Ktirche verwandelt. In Demſus
bei Hazeg 130,
Rumänifche Kirche in Jeylfalva LAL
bon Zoroczto in Siebenbürgen |
| Dom Bühertiiche.
Die Infeln des Stillen Oceans; von Prof.
Dr. 8. Meinide 160, Neue englijche
Reifewerte 240 Die zmeite deutſche
Nordpolarfahrt in den Jahren 1869 und
1870. 220, Brei Monate in der Liby:
ſchen Wüfte 336,
Biographiihes, Perjonalienic.
Wlbertis 15, Andreas 15, Karl Andree
289. 305. 321. Burton 175. Lebens:
bild des englifhen Forſchers Charles
Tyrwhitt Drafe 166 Forreſt 62,
Giles 342, Gühfeld 12. A. Hume +
15, Walther ſtraft F 21 Cepfomali 334.
Marlo Kraljewitih 207, €. Mohr 6,
Mullens 46. Dates + 14, Peſchel F
176, Schweinfurt 144, Der Seyyid
von Sanfibar, ©. Smith 240, ©o$-
| nomili 272, 3698. Stanley 373, P.
| von Uslar 108, Young 47,
Sälof- Vayda Hunyad in Siebenbürgen
132,
Thurm aus der Römerzeit im Stralihale
bei dazeg 132.
Burg Rolg in Siebenbürgen 133,
Aus den polnifhen Ländern.
Die beiden Bronzeſtierchen im Muſeum zu
Pofen 214.
Grab bei Dänica in der Gegend von Plod
216,
Türfei.
Troglodytendorf am Lom 146,
Eingewanderte Tſcherleſſen in Bulgarien
147.
Eichen am Erni:®r 162,
Landſchaft bei Banja 164,
Baumrindenhütte auf dem SKopaond 166.
VIII
Afien.
China,
Anſicht von Talan
Wilde aus der Umgegend von Talan,
Tichepen und Muong po 35.
Ein Pay-Wilder in innen 36,
Ein Tichendu Wilder 37,
Das Dorf Ban-ku in Yünnan 50,
Ankunft im Thale des Yang⸗tſe-liang GL
Familie von Wilden 52
Wilde aus der Umgegend von Talan 53,
Bafthof an der Strake von Zong-tihuen
nad) Mong-tu 54.
Ultar einer inefiihen Pagode 277.
RBlia, Frau und Mann 278,
Man:tje-Tnpen 279,
Ausfiht auf den Kinstigastiang auf dem
Wege nad) Ta-li 230,
Um Galgen, auf der Strafe nad) Ta-li 293,
Beobachtungsſtation der Mohammedaner
aA.
Mohammedanifcher Priefter in Ta-lı AM.
Life, Dann und frau 204
Waarentransport in Yünnan 295,
Ein Dorf der Pa:y 296,
Wilder Dann von Ban-fon-han 340,
Wilde Frau von Bansfon-han 34L,
Manctie, Frau und Mann ZiL
Min-fia-Typen 342,
Eirfan-Typen in Hant-tichustje 354
Befeſtigte Dörfer auf den Höhen 354,
Miau-tje von Ta-twang 355,
Schlucht des Hwang-tiang auf der Strabe
nad Yau:wa-tang 356,
Befeftigte Wohnung des Biihojs von Yin:
nan zu Long⸗li SI
Schulgebäude der Miſſion in Yunnan zu
Tſcheng⸗ fong· jchang DL
Der Yangstie-tiang unterhalb Kmweistihau:
fu 872
Hinterindien.
Karen. Mann 338,
Karen. Frau 339,
Japan.
Begegnung Genjaburo’s mit den beiden
Fta:MRädchen LIE.
Der Geiſt von Salura
Afrika.
Der Süden,
Strafe in Durban Z
Auf der Wanderung I
Berg-Damara 246.
Herero, Frau und Mann 246.
Buſchmännertypen (Rupfertafel. JuS. 310).
Innerafrifa,
Dorf der Niam:niam 258,
Getreidejpeicher und Hunde der Niam-niam
269.
Wennepai und Lawolula ſpielen auf der
Mandoline 260,
Eine von Sfurrur's Frauen 26L
Ein Bahnli (Niam:niam:Ehef) 262,
Munja, König der Monbuttu 274,
Das Monbuttupaar Netolu und Bunfa 275,
Ubdres:Sammat bringt einen Alfa herbei
308,
Der Alla Niewus 809,
Täglihe Lagerfcene während der Niam—
niant:-Gampagne 325,
Babudur:-Sflavin 326,
Hütten der Kredi
Nordamerika.
Vereinigte Staaten.
Die Mitglieder der Erpedition Dr. Haydens’
und Yangford' 5 nach den feljengebirgen
—E
Ogden Kanon 67,
Mammuthquellen S
Becken der Mammuthquellen 69,
Die Freiheilsmüthe 70.
Die Erpedition unterwegs EL
Beförderung des Gepäds 33,
Bannacds im Wigwam SL
| Diet und feine Familie W
Wohnung eines Pionier 85,
Im Zelte 97,
Nüdtehr von der Jagd 98,
Glen in den Feljengebirgen 99,
Der Berg Hayden LON.
Pfeilipigen von Weuerftein und bfidian,
gefunden am großen Saljiee in Utah
und am Borar:See in Californien 358,
Hieroglyphen auf Granit am Yuba⸗Fluſſe
in Galifornien 350
Sübamerifa.
Neugranada.
Goldwäſche im Caucathale
Peru.
Monolith- Portal bei Tiahuanaco ILL,
Monoliih: Portal von Ziahnanaco 312
Weinende Gottheit. Detail vom Monolith:
Portal 313,
| Details vom MonolithBortal 213.
Details vom Monolith:-Portal 14.
Kopf von Tiahuanaco 314,
Peruaniſche Alterthümer: „Uymara-Sta-
luette“. Sphinxartige Statue vom Titi-
caca-See, Belleideier Torjo vom Titi-
cacasSer. Peruaniſche Geſichtsvaſe. Ge—
genſtände aus der Begräbnißſtaälte von
Pahacamüc. Steinernes Götenbild,
Thönernes Waflergefäh. Üladgedrüdter
Pinguin aus dem Guano von Guanape
323 bis 330,
Von dem Stillen Dcean.
Martejas:-Inieln.
Eingeborene an der Bay von Taio-Hae,
Nufu:Hiva 178,
Bay von TaioHae 179,
Hütten auf den Marfejas 180,
Kopf eines ingeborenen von Hiva:Da.
Bein einer Eingeborenen von Rulu-⸗Hiva.
Hand der Königin Waeld. Hand eines
Eingeborenen der Martejas 181,
Gingeborene der Marleſas bei einem Gögen:
bilde 194,
Der König von Waitahu und jeine Frau
oa oder Baum der Königin auf Nulu—
Diva 197,
Krieger, Arau und Greis auf den Marfe:
fas 242,
Unthropophagen 241
Nicht entzifferte Inſchrift einer Inſel des
Polynefiigen Archipels
Verfhiedenes.
Miülter's losmiſche Phyfit: Meeresftrömun:
gen 24.
Miler's fosmiihe Phyſit:
und Mondfarie 39 u. 40,
Die Mondlarte 40,
Ein Handwörterbud des bibliſchen Witer:
Sonnenjleden
thums: Moabitiſche Aftarte, nach einer
Zeichnung Duisburg's. Baaltis, nad
Yayard. Aſſyriſche Ijtar. Dentzettel L
Dentzettel II. 102 u. 103,
Der Garmel 104,
„Journal des Mufeum Godeffroh“: Tät:
tomwirte Aörpertbeile der Eingeborenen
auf der Injel Ponaps 150.
Karte des Victoria -Nipanza- Sees nad)
Stanley 376,
Porträts.
Eduard Mohr Gi.
Karl Andree
vr
N
——
AT
Se
. Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie,
In
Berbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Karl Andree.
Braunſchweig
—— —
Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern.
Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Nummern 50 Bf.
Monatlid) 4 Nummern. 1 8 7 5.
Am Nordgeſtade der Adria.
I
In Trieft. — Die Tichitfcherei.
Die Hafenpläge an der Norbofllüfte des Adriatifchen
Meeres werden regelmäßig von Dampfern und jomit von
den allgemeinen Verlehre berührt, aber das Innere wird
nur felten von Freuden beſucht; daſſelbe ift, mach allgemein
europäifchen Begriffen, mehr ober weniger halbwild und
hat mandjerlei barbarifchen Anſtrich. Allerdings find
Straßenzüige vorhanden und bie öfterreichifche Negierung forgt
nad) Kräften fir bie Sicherheit derfelben, aber auf irgend
welche Bequeimlicjleit darf ein Reifender nod) viel weniger
rechnen als ſelbſt in den Provinzen dev Türfe, Won den
größeren Ortſchaften abgefehen findet ev weder Karawanjerais
noch Gafthäufer; mit dem Fortlommen ift es ſchlecht beftellt
und wer die nöthigen Lebensmittel nicht bei jich führt, kann
leicht empfindlicien Mangel leiden, Bon landfchaftlichen
Reizen ift in biefen flavifchen Einöden nichts zu finden, fie
* find traurig und eintönig, häufig wächſt auf weiten Streden
nicht einmal ein Grashalm. Im diefer traurigen Negion
wohnen Bölferftänme, welche dem Ethnographen ein nicht
geringes Intereffe darbieten, und deren Sitten und Gebräuche
eigenthlimlich und nicht felten durchaus patriarchaliſch find.
Dean bezeichnet Trieft als „Königin der nördlichen Adria*
und es bilbet in ber That einen wichtigen Gentralpunft flir das
gefammte Verlehrsleben. Geographiſch und politisch genommen
gehört es nicht zur Halbinfel Iftrien, e8 hat auf dem Yand»
tage, der zu Parenzo abgehalten wird, feine Vertretung, fondern
ſchictt ſeine Abgeordneten nad; Wien in den Reichstag. So—
©lobus XXVIII. Nr. 1.
wohl von der Höhe des Karftes aus wie vom Meer her ge
fehen macht diefe Seeftadt einen angenehmen und großartigen
Eindruck; an den Halden und auf den Hügeln ſchimmern
ftattliche Yandhänfer, die Arfenale, Schiffowerfte und Speicher
haben im ihrer Geſammtheit etwas Imponivendes; im Hafen
liegt Schiff an Schiff, nady Sliden hin ſchließen Capo d’Iftria
und Pirano den Trieftiner Golf. Die Stadt, Tergefte, ift,
wie wir ſchon im einem frühern Aufſatze bemertten, jehr alt,
hat aber aus der Vorzeit nur einige wenige Ruinen aufzus
weifen. Die alten Viertel der innern Stadt find eng und
düfter, aber fie gewähren eben deshalb Scyug gegen die grim—
migen Stürme der Bora; dem neuen Stadttheile mit den
Prachtbauten gegenitber bilden fie einen ſchroffen Gegenfag.
In den Strafen herrjdjt ein ungemein lebendiges Trei-
ben gejchäftiger Yeute und mande Handeldangelegenheiten
werden unter freiem Himmel abgemacht. Jedenfalls erfreut
ſich Trieft einer vortrefflichen Weltlage; es Hat den ganzen
Drient vor ſich und ift für das öſterreichiſche und deutſche
Hinterland eine Eingangs und, Ausgangspforte für die
levantinifchen Gegenden, mit weldyen es durch die Dampfer
des Triefter Lloyd in lebhafter Verbindung fteht. Uchrigens
ift das Peben dort ſehr Foftfpielig; Wohnungen, Yebensmittel,
Bier find thewer. Trieft ift ganz und gar eine Kanfmannd-
ftadt, in welcher fich Handelsleute aus vielen von einander
entfernten Gegenden zufammenfinden; auf Tritt und Schritt
fällt Einem jübjlavishes und levantiniſches Gepräge auf,
1
2 Am Nordgeftade der Adria, T.
%
aber drei verfcjiedene nationale Elemente herrſchen vor: Ita:
tiener, Deutſch Oeſterreicher und Slaven. Ter Italiener
geberdet ſich mit einem gewiſſen Hochmuth und bildet ſich ein
die herrſchende Claſſe vorzuſtellen; er betrachtet Trieſt als
eine italieniſche Stadt, in welcher allerdings ſeine Sprache
vorwaliet. Der Oeſterreicher dagegen weiß, daß die Stadt
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lichleiten vor, die ſich nicht hold find und fein inneres Ver—
ſtaudniß fir einander haben. In nähere Berithrung fonımen
fie nur durch das Geſchäft. Eine homogene Geſellſchaft ift
nicht vorhanden; die Einwohner find nach Nationalitäten und
dann auch nad, Kaften mehr oder weniger von einander ge:
ſchieden. Die zahlreichen Griechen, Albaneſen und die fü
diſche Kolonie bleiben gleichfalls zumeift auf ſich beichränft.
feinen Kaiſer untertfan ift und wahrt nad; Sräften das
deutfche Element; der Slave endlid betont, daß die Stabt
ringdum von ſlaviſchem Gebiet umgeben ift und daß bie Ita=
liener wie bie Deutſchen nur von auswärts her angejicdelte
Zufömmlinge feicn.
Hier liegt eine Zerklüftung in verschiedene Voltsthlint-
San⸗Giuſto⸗ Kirche in Triejt.
Bon geiftiger Regſamkeit ift wenig zu verfpliren, deſto mehr
von übertriebenen Luxus, in welchem die Frauen und Töch—
ter reicher Kaufleute ſich gefallen. Sie entfalten großen
Prumt im Theater; Abends acht Uhr kann man fie auch auf
‚ dem Corfo ſich betrachten ; diejer hat aber gegen halb zehn Uhr
ein Ende; dafür find bis Mitternacht die Bierhäuſer mit
Säften überflillt,
Am Nordgeftade der Adria. 1. 3
Auf die Beichreibung dev verfdjiedenen Gebäude, die in
jeden Reiſehandbuche verzeichnet find, gehen wir micht ein
und begnügen uns mit einigen Notizen. Die San-Giuftos
Kirche ift aus Beftandtheilen gebaut worden, die ind fünfte
und jechste Jahrhundert hinaufreichen und im vierzehnten zu
einem Ganzen vereinigt wurden; der Glockenthurm ift theil⸗
weiſe aus ben Trümmern eines alten römifchen Tempels er:
baut worden. In der Nähe liegt das AltertHlimermufeum
mit dem Denfmale Windelmann’s, der am 9. Juni 1768
im Wlbergo grande ermordet wurde, und auf der Terrafle vor
der Kirche befindet fi, mit einer Steinplatte bededt, das
Grab Fouchs's, welcher Polizeiminifter deserften Napoleon war
und zum Herzog von Otranto erhoben wurde. Von dem Caftell
aus, wo einft das römiſche Kapitolium ftand, ift die Ausficht
überaus lohnenb.
Lohnend ift aber auch ein Wandelgang am frühen Mor:
gen in den Strafen und auf den Plägen, Dann kommen
die Bauern vom Karſt zur Stadt mit ihren Karren, vor
welche fie graue Ochſen gefpannt Haben. Die Frauen aus
Servola erkennt man jofort am ihrer Kopfbedeckung, der wei-
Ben Petfchta; der Mod ift von ſchwarzer Farbe, der Hemds-
ärmel untadelhaft weiß. Diefe Frauen handeln vorzugs-
weile mit Geflligel. Bald lommen viele auf Efeln reitende
ſlaviſche Bäuerinnen aus der Umgegend zu Markie, fie brin-
gen frifches Weigenbrot, das in den Dörfern fir die Stadt
gebaden wird, und ganze Ladungen duftiger Blumenfträuße
in Körben, in denen Eisftüde Liegen, bamit die Kinder ber
Flora in dem warmen Klima fic, friſch erhalten. Die weiße
Petſchta ſticht vortheilhaft ab gegen das gebräunte Antlig
biefer Bäuerinnen, welche ſich äußerfter Sauberkeit befleigigen.
Da kommen audy die Tſchitſchi mit ihren fangen,
miedrigen Karren. Diefe eigenthümlichen Yente haben im
nördlichen Iftrien die Tſchit ſcherei oder den Tſchitſchen—
Boden inne, einen Landſtrich zwiſchen Pingutente, Planif,
Mune und Slavnif. Der Name fol angeblich daher rühren,
daß fie in ihrer Sprache fehr Häufig das tfchi gebrauchen;
Andere erzählen Folgendes: Zwei Tichitfcht, bie einander
nie zubor gefehen hatten, begegneten fich und jeder begrüßte
den andern als Tfchitſchia, d. h. Vetter. So redet in Un:
garn ein junger Magyar einen ältern als Bekſchi, Oheim,
an, wie in Andalufien Tio und Tia, Oheim und Muhme,
auf die erften beften angewendet wird, benen man begegnet.
Die, welche mit der Herkunft der Tſchitſchi nichts anzufangen
wußten, gaben fie aus flr — Ablömmlinge der Stythen !
Und doc; ift diefelbe Mar genug. Vor zweihundert Jahren
Play der Börje in Zrieft.
rebeten diefe Leute noch Rumäniſch, das auch heute in Ser
jane und amı Fuße des Monte Maggiore veritanden wird.
Der Slave ift im Allgemeinen ſchweigſam und zurüds
haltend, der Tichitfche dagegen verräth feine walachiſche Her-
funft durch Pebhaftigfeit und daß er gern ſchwatzt. Er hat
feine nationale Sprache durch lange fortgefegten, unabläffigen
Verkehr mit den Slaven fallen laffen, jedoch einige Broden -
beibehalten. Wenn ihn aber ein Zigeuner walachiſch ame:
bet, ſchümt er ſich deflelben und thut als verstehe er nichts
davon. Etwas befonders Charakteriftifches ift in feiner Phy—
fiognomie nicht zu finden; insgemein ift die Stirn niedrig
und flach, die Augen find ſchwarz und glänzend, die Barden:
fnodjen fichen ſtark hervor, bei den Frauen findet man Häus
fig eine aufgeftiilpte Naſe.
Die Frau hat fein angenehmes Yoos; fie muß bem
1*
4 Am Nordgeftade der Adria. 1.
Mann, als ihrem Heren und Gebieter, unbedingt gehordhen,
ift fein Haus: und Laftihier und wird ſchon in früher Ins
gend mit Laſten und ſchweren Arbeiten überblirbet. Unſere
Zlluſtration zeigt wie fie ſich kleidet; der Mod reicht bie
etwa auf bie Knie; die Strümpfe find von grober Wolle,
die Füße ſtelen in Opanten, den Kopf bededt eine Kaputze;
um bie plunpen Hüften wird ein Gürtel gejchlungen, ber
auch wohl mit diden Metalllnöpfen befegt ift.
Der Tſchitſche erhält feinen Unterricht und Leine Erzie-
hung, kümmert ſich aud) nicht um geftern ober morgen und
dabei ift er zufrieden. Er verfertigt Faßdauben oder ift
Kohlenbrenner. Mit dem Aderbau weiß er nicht viel anzu:
fangen, denn feine mageren Felder liegen am Karft, und auf
denfelben gedeihen weder Wein nod) Delbaum. Gein Haus-
vieh befteht in Schafen, welche fich auf der fpärlichen Weide
dürftig ernähren. Der Mann macht es ſich leidlich bequem
und bürbet, wie ſchon gejagt, alle ſchwere Arbeit ber Frau
auf. Selten ober nie verzieht fich ihr Mund zu einem Lä—
Slaviſche Bäuerinnen aus Serbola.
cheln; fieift ſchweigſam und ergeben ; ben Fremden, welchem
fie begegnet, ſpricht fie um ein Almoſen an. Was fie zur Stadt
bringt muß verlauft werden, gleicviel um ‚melden Preis,
denn fie könnte bie ſchwere Laft, meldye jie von der Höhe
binabgetragen hat, nicht wieder hinaufſchleppen.
Yu Trieft läßt der Herr Tſchitſche es fic wohl fein;
dort beluftigt er fic), ſchwatzt, trinkt und fingt in der Schänle.
Seine Frau bleibt draußen unter freiem Himmel und be
wacht den Karren. Wenn ber Mann mit Demand von ihr
ſpricht, verfehlt er nie beizufügen: „Meine Frau, mit Ihrer
Erlaubniß zu fagen!* Bei guter Laune bringt er ihr wohl
aud ein halbgefiilites Weinglas; fie nimmt baflelbe und
trinkt ohne auch nur eine Miene zu verziehen,
Der Tſchitſche wohnt in einem überaus armfeligen
Dorfe. Am liebſten hält er ſich unter freiem Himmel auf,
wie die wandernden Zigeuner. Er gilt für nicht gefährlich,
doch thut man wohl, ihm nicht allzuſehr zu trauen, ſondern
auf der Hut zu fein. Mit der Moral nimmt er es nicht
fireng und in Bezug auf das Eigenthum Anderer hat er feine
eigenen Begriffe, Deswegen haben in ben Gtäbten bie
Am Nordgeftade der Adria. 1. 5
Schutzleute ein wachſames Auge auf ihn; auf dem platten
Yande weiß ohnehin jeder, wie er ihnen gegemüber ſich zu
verhalten hat.
Mune gilt für die Hauptfladt der Tſchitſcherei. Der
dortige Pfarrer, ein fchr würdiger Dann, hat ſich bemüht,
den Kindern Unterricht zu ertheilen und diefe Halbbarbaren
fo viel als möglich zu eivilifiren, Er wohnt im Obergeſchoß
feines Hauſes und hat dort auch feine Hühner; zu ebener
Erde würden fie bald aus jeinem Befige verſchwunden fein.
Der Tſchitſche belennt ſich zur vömifchen Kirche, ift fehr
abergläubifcd; aber nicht fanatiſch.
Die vorftehenden Schilderungen find zumeift der Dar-
ftellung Yriarte's entlehnt, wir wollen aber enwähnen, dag
die Bewohner des iftifchen Küſtenlandes ganz vortrefflich
von Dr. Guido Stade („Drfterreichifche Revue“ 1867)
dargeftellt worden find. Herr Stade ift Geolog und hat
das ganze iftrifche Gebiet mehrmals forgfältig durchforſcht.
Er ficht eines Tages auf einem der breiteren, fahlen, mit
Eine Tſchitſchifamilie.
Kaltſcherben und Heinen Trichtern überfäeten, lauggezogenen
Nummulitenkaltricen, — ber füdweftlichen Tſchitſcherei. Nur
im Frühling hat dieſes weiße Steinfeld einen etwas
frifchern, — Farbenton von wilrzigen Kräutern, bie
zwiſchen Kallſcherben üppig hervorfpriegen. Darm ift es
auch ſtärler belebt von weidenden Schafherden und von in
Schmutzigweiß und Braun gekleideten Hirten, die nicht auf⸗
hören in — weinerlichen Tremolando die einförnige
Weiſe des Liedes nom Sraljewitic Marlo zu fingen, der gewiß
ein berühmter Schafdieb war, wie fie und ihre flanmmver:
wandten Brüder, die Morlaten Dalmatien, Im Hoch—
fommer und Herbft flimmert der ganze Kallboden unter ben
fengenden Strahlen der Sonne in einem die Augen drilden-
den, graulichen Weiß. Nur hin und wieder unterbricht eine
Gruppe von niederftämmigen, aber breit wie ein Schirm
befronten, baumartigen Wachholderſträuchen und ganz ver«
einzelt eine Gruppe alter fnorriger Eichen die öde Kahlheit
der Laudſchaft. Unter diefen vereinzelten Zeugen einer früs
hern, fräftigen und Itppigen Walbvegetation fammelt ſich das
ſparſame Leben. Unter dem Schutze bes breitfronigen
Wachholderſtrauches fteht dicht gedrängt im Kreife herum, die
Köpfe zu Boden gefenft, eine Meine Schafherde; nicht weit
6 Aus Eduard Mohr’s Reife nach den Stataraften des Sambefi.
davon ein Heiner Öirtenbub in weiße und braune Schafwolle | die Männer ziehen das Nichtsthun vor und rauchen Tabad,
gekleidet wie jeine Herde; er vertreibt fich die Zeit damit, | Im einiger Entfernung gewahren wir eine Karawane von
feiner Zwirala ewig diefelben einförmigen Tonfolgen zu ent: | Weaulthieren, die mit Holzlohlen beladen und begleitet find
loden. Der Schatten der Meinen Baumgruppe birgt eine | von mit Aexten bewaffneten Männern und, fat den Maul
größere Schafherde. Diefe wird bewacht von großen weiß: | thieren gleich, mit Holz, Yaub oder Grummet beladenen frauen,
zottigen Hunden und einigen Tfjitichenweibern und Män-⸗ | weldye dabei noch die Spindel drehen oder ftriden. Sie
nern, deren Tracht zum farblojen Tone der Gegend ftimmt. | ziehen auf dem fteilen Wege von ber Gebirgäftufe des Orliak
Die Weiber find theils damit beichäftigt, die Schafe zu mels | nach dem Dorfe und bringen die Walbbeute herab, welde
fen, theils drehen fie Wolfäden mit ihrer einfadyen Spindel; | fie im Trieft verkaufen wollen.
Aus Eduard Mohr’s Reife nad) den Kataraften des Sambefi *).
Sm Natal:-Lande
Mit wahrem Genuffe haben wir diefes Werk durchgelefen. | aus praftijhen Mann, der in ſchwierigen Lagen ſich zu hel—
Herr Mohr ift ein überaus frischer Kernmenſch, vol Ans» | fen weiß und dem eine Hanpteigenjchaft, welcher der Reiſende
dauer und Energie; er hat einen freien Blid und eine feine | in Afrifa fo dringend bedarf, nicht fehlt, — die Geduld. Er
Gabe der Beobachtung. Dabei bethätigt er ſich als durch- | verftcht es vortrefflich, mit holländiſchen Bauern, Kaffern,
Eduard Mohr,
Hottentoten und Buſchmännern umzugehen und fie fir feine | gemeilener Weife behandelt. Mohr macht feinen Anſpruch
Zwede zu verwenden; fie folgen ihm gern, weil er fie in an- darauf, ein ftreng willenichaftlicher Reiſender zu fein; er ftellt
ſich als einen Touriſten hin, der treu fchildert was er gefehen
*) Nach ten Microrisfällen des Zambefi, von Eruard | umd erlebt hat; aber am einer tüchtigen Vorbildung hat es
Mobre Mit vielen Illuſtrationen in Holzſchnitt und Ghremolitho: ihm feineswegs gefehlt, feine Breiten» und Yängenbeftim-
grapbie. einer Karte ver Meiferoute, nebſt einem aftronomifiben und ie fei i
commerciellen Anhange ». Yeipyig 1875. Arrtinand Hirt und Sohn, wungen ſowie feine hypſomettiſcen — ——
2 Binde. Wir geben, im Einverſtändniſſe mit den ‚Herren Ver— Beweis, daf er mit den Inſtrumenten umzugehen weiß.
legern, zwei Jllußrationen und das Porträt E. Mobr's, Sein Bud) hat auch wiſſenſchaftlichen Werth und dabei den
Aus Eduard Mohr's Reife nah den Stataralten des Sambeſi.
Borzug, daß Herr Mohr einen guten Stil fchreibt, den Leſer
in fortwährender Aufmerlſamleit erhält und daß aud an
humoriftiichen Schilderungen fein Mangel ift. Vortrefflich
find die Schilderungen der verfdjiedenen Begetationsformen ;
der Verfaſſer ift wir möchten fagen ein Yandjdaftsmaler, der
frifche Farben aufzutragen weiß.
Eduard Mohr, von Haus aus Scemann, hat feine Vor⸗
bildung auf der Steuermannoſchule in Bremen erhalten. Er
befuhr alle Oceane, war auf einem Walfifcyjäger in der
Behringsftraße, hat auf den Südſeeinſeln unter Palmen ges
weilt; keunt Arrafan und die ganze Tftküfte des Benga«
lichen Meerbufens genau, und hatte ſchon viel gejchen und
erlebt als er, in voller Kraft, 1866 feine erfte Reiſe im
Südoſtafrila antrat, weldyes feitdem das Yand feiner Borliche
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geblieben iſt. Im Jahr 1867 war er auf feiner Wanderung
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nad) Norden Hin bis iiber 20° ©. hinausgefommen in das
Gebiet ded vielgenannten Häuptlings Mofilefage, welchem
alle Matcbeleftänme gehorchten, Er lernte die Eigenthitm:
fichfeiten und die Yebensweife dieſes VBolfes genau fennen ;
er wandte der geographifchen Bodenbildung und ihren Gegen—
fägen ſeine Aufmerkſamleit zu und war ein gewaltiger Nim-—
rod vor dem Herrn. Es verftcht id), daß einen foldyen die
Tierwelt auf das Yebhaftefte intereffirte, ev hatte Kämpfe
beftanden mit dem Yöwen und dem ſchwarzen Nashorn, dem
GElephanten, dem Büffel und dem Hippopotamus und von
den Antilopenarten, flir welche die von ihm befuchten Yand:
fireden gleidyjam elaſſiſcher Boden find, wird ſchwerlich eine
einzige fein, die nicht von feinen Kugeln getroffen worden
wäre.
Im December 1868 fuhr ev von Europa aus zunächſt
— —
Straße in Durban.
nad dem Borgebirge dev Guten Hoffnung; es war diesmal
fein Borfag bis zu den Waflerfällen des Sambeſi vorzu:
dringen und er hat das Unternehmen trog aller Hindernifle
durchgeführt. Diefe Kataraften, welche durch Yivingitone
befanmt wurden, find nun ſchon von mehreren Keifenden
beſucht und bejchrieben worden; wir gehen deshalb auf eine
Schilderung derſelben nicht eim und verweilen auf Mohr's
ſehr auſchauliche Darftellungen im zweiten Bande feines
Werles. Uns intereffirt hier viel mehr feine Wanderung
von der Küifte des Natallandes durd) den Dranje-freiftaat,
die Trandvaal-KRepublif, an und über den Yimpopo nad) |
Schoſchong und Inyati.
Den Ausgangspunlt der Reiſe, welche Mohr mit den
befannten afritaniſchen Ochſenkarren unternahm, bildete die
Hafenftadt Durban an der Küſtk von Natal, wo er zu
Sandebene, die frliher Meeresboden war, zwifchen bewaldeten
Hügeln, die man ala Berea bezeichnet, und mit dichtem Buſche
bewachſenen Sauddlinen, die ſich gen Oſt bis art den Indie
ſchen Ocean erftreden; die rollende Brandung defjelben wird
in den Straßen der Stadt deutlid) vernommen. Der Hafen
hat die Geſtalt eines durchgeſchnittenen Flaſcheulürbiſſes; der
enge Hals bildet die Einfahrt. Die Zahl der Bewohner,
welche im Verlaufe der legten Dahre angewachſen ift, betrug
etwa 8000 Köpfe. Sie hatten einige Banfen und Kirchen,
und zwei leidlid; gute Gaſthöfe; die Straßen find noch uns
gepflaftert und jehr breit, damit der landesübliche Berkehr
mit den Ochfenwagen feine Schwierigleiten findet; diefe nicht
felten mit 14 Thieren befpannten Fahrzeuge haben beim
Wenden großen Naum nöthig, Die Seitenwege find mit
Brettern belegt oder mit rothen Ziegelfteinen gepflaftert. Vor
Anfang Februars 1869 landete. Diefelbe licgt auf einer | den Häuferm ftehen aus Bombay eingeführte Seringabäume,
8 Aus Eduard Mohr's Reife nah den Kataraften des Sambeſi.
die Iilafarbige Blüthen haben und angenehmen Scjatten
ſpenden.
Durban iſt als Haudelsſtadt von Belang; fie vermittelt
die Waareneinfuhr fir die Colonie Natal, einen Theil des
Oranje⸗ Freiſtaates, der Transvaal-Kepublit, des Zulu—
gebietes und der weite und ſüdweſtlich liegenden Kafferländer
und ift flir diefe Gegenden zugleich, Ausfuhrhafen. Natal
felbft liefert Zuder; dazu fommen Häute, Wolle, Elfenbein,
Straußfedern, Arrowroot, Kaffee und Südfriihte. Man ift
überrafcht, in diefer Stadt des Natallandes die Waarenläden
mit allen europäifchen Yurusartifeln wohl veriehen zu finden.
Die Yage der Stadt ift hübſch; die Häufer find faft alle mit
einer luftigen Veranda verjehen, welche Schutz und Schatten
gegen die dort ſchon intenfiven tropischen Sonnenftrahlen
—
— —
— == — — —
geben. Mohr iſt entzlit von Durban und entwirft folgende
Schilderung, die wir als Probe feines Stiles geben.
„Zu Spazierritten benugt man die fühlen Stunden des
frühen Morgens oder die Zeit um Sonnenuntergang.
Berlender Thau bedeckt Bufc und Flur und entlodt ber
üppigen Pflanzenwelt aromatische Wohlgerliche. Weft:
wärts leuchtet das Meer im Mondſchein; auf einer Verca-
höhe jtehend ſieht man oflwärts in endlofer Linie den weißen
Saum der Brandung. Unter und ruhen die Häufer der
Stadt, in deren Straßen der Verkehr nun erlifcht; im feier-
lich glühender Abendfarbe treten die gigantifchen Formen der
weſtwärts liegenden Berge auf, Immer dunkler wird es im
Thale, matter der Pichtjchimmer auf den Höhen und der
lodende Auf der Abendvögel ift verftummt. Der jternbefäcte
Wii
Auf der Wanderung.
Nachthimmel über ums tritt feine Herrſchaft am und. gieft |
\ Zerriffenheit der englifch-proteftantifchen Kirche unangenehm
feinen Yichtfchimmer aus über die träumeriſche Landſchafi.“
„Wie in allen warnen Ländern ſteht man mit Tages-
anbrud) auf, nimmt den Kaffee, nachher ein Bad im Haus
oder in der Bay. In den Frrühftunden fommen die Ein«
geborenen zur Stadt und bringen Gemüfe und friſche Stid-
frlichte zum Markte. Die von Bombay als Arbeitsfräfte
eingeführten indischen Kulis haben ſich faft ganz des Fiſch—
handels bemächtigt; die Bay) und das nahe Meer liefern eine
Anzahl herrlicher Fiſche; in den Schladhthäufern, deren Ber
figer zumeift Europäer find, bietet man Ochſen und Hammel:
fleiſch feil. Das eigentliche Gefchäft eröffnet um neun Uhr |
früh; gegen Mittag tritt im Verlehr eine bemerfbare Ruhe
ein, gegen fünf Uhr Abends find die meiften Geſchäfte ge-
ſchloſſen. Die Bewohner find gegen Fremde gaftfrei und
freundlich, aber es macht ſich ein entſchiedener Mangel an
Geſelligleit fühlbar, Beſonders kann der nach diefer Colonie
fommende Deutſche nicht umhin, durch die beflagenswerthe
berührt zu werden. Da find Presbpterianer, Holländiſch—
Reformirte, Methodiften, Baptiften, Anglicaner ıc., die alle
ihre Façon felig zu werden für die allein richtige halten;
“daher denn ewige Kirchliche Zäntereien.“
Der 30. Gr. ©. durchſchneidet die Colonie in der Mitte;
durch 29° DO. v. Gr. wind diefelbe in eine öftliche und weſtliche
Hälfte getheilt. Seitdem der Bezirk Alfredia hinzugefommen
ift, bildet der Umtamfuna an der jlidlichen Küste die Grenze;
im Norden ijt es die Tugela unter 29°10° S. Diefe iſt
der bei Weiten mächtigfte Strom bes Landes. Die Länge
der Kuſtenlinie beträgt etwa 150 Seemeilen (A— 1 beuts
hen); die ſudweſtliche und nordweſtliche Grenze wird durch
die mächtigen Baftioneg der Drafensberge gebildet, das
Nandgebirge des oftwärts abbredhenden großen afrilaniſchen
Blateaus ; durch den Neenans: Pak (5400 Fuß) und den
Aus Eduard Mohr's Reife nah den Katarakten des Sambeli. 9
De⸗Beers⸗Paß (5647 Fuß) führen die Berbindungslinien, ;
durch welche der Verkehr ſelbſt mit den ſchwerfälligen Ochſen⸗
magen möglich; wird und bie weftwärts liegenden
Bauernrepublifen einen Theil ihrer Vroducte nad) Durban
zur Verfhiffung bringen können. Die höchſten Spigen ber
Khalambas oder Dralensberge erreichen in den Machadhe,
Champagne oder Giants Gaftlehöhen wohl 10,000 Fuß.
Alle Heineren Ströme und Bäche, welde den fruchtbaren,
wafjerreichen Staat Natal, diefen Garten von ganz Sud—
oftafrila, durchziehen, laufen im der Richtung von Nord⸗
weit nad) Südoft, kommen ohne Ausnahme von dem hohen
Randgebirge und erreichen den Indiſchen Ocean. Wo bie
Drakensberge in der Nähe von Woodhoufe Kop einen eins
ſpringenden Wintel bilden, ftürgt die Tugela in einem beie
nahe directen alle 2000 Fuß herab, wie denn überhaupt
prachtvolle Wafferfälle in Natal zu den gewöhnlichen Erſchei⸗
nungen gehören. Der Durchmeſſer der Colonie von Oſt
nach Weſt beträgt an der breiteſten Stelle 120 Seemeilen.
„Kaum dürfte auf dem weiten Erdenrund ein Land
zu finden fein, weldes auf fo engem Raum eine
ſolche Fülle landfhaftliher Reize und verſchiede—
ner Klimate vereinigt.*
Bon den Khalambas bis zur Ser fällt das Yand in drei
Stufen ab, wodurch die Bodenbildung in vier unregelmäßige
Terraffen getheilt wird. Die höchſte derfelben ſenkt ſich von
den Dratensbergen bis innerhalb 50 bis 55 Miles der Küſte
zu und hat eine durchjchnittliche Höhe von 4000 Fuß; die
mittlere mag 20 Miles Breite und 2000 Fuß Höhe über
dem Meere haben.
Auf diefer Eentralterrafie liegt, in 1005 Fuß Höhe, die
Hauptftabt Pieter Marigburg. Die untere Terrafie,
etwa 800 Fuß hoch, hat eine mittlere Breite von 15 Miles;
von ihr aus Überficht man den eigentlich tropifchen Diftrict,
das „Litoral* mit feinen Kaffeeplantagen, Zuderfeldern,
Drangen:, Pifang- und Ananasgärten, ine dort vor:
fommende wilde Dattelpalme erreicht keine beträchtliche Stamm
höhe. Wenn in Natal, das doch 6° ſüdlich vom Wendekreife
liegt, dennoch fubtropifche Pflanzenformen gedeihen, fo erflärt
ſich diefe Erfcheinung aus dem warmen von Norden kommen«
den Mabagasfarftrom, ber die Küften befpiilt und in
Bezug auf Temperatur und Klima das Land um einige
Wärmegrade ben Tropen näher rüdt. Im den Monaten
Mai bis Auguft hat man — 4000 und 5000 Fuß
Höhe bei Nacht Fröfle und Eisbildung. Cigentliche Wälder
hochſtammiger Bäume fehlen, aber es mangelt dod) nicht am
werthvollen Holzarten. ine Eigenthümlichfeit von ganz
Sudoſtafrila, auch inNatal, find die mit furchtbaren Dornen
verfehenen Mimofengebüfche, welche von den Bauern als
Haat· Doorns, Kameel:Doorns und Wachtsen-bitje-Doorns
bezeichnet werden und dem Wanderer und Jäger entjegliche
Schwierigkeiten bereiten lönnen.
Löwe und Elephant find aus den Grenzen Natals ſchon
lange verſchwunden, aber Meinere Antilopen findet man in
allen einfamen Didungen, und in fteinigen Einöden den Klip-
ipringer (Oreotragus Saltatrix); Leopard und Panther find
noch jehr verbreitet und richten unter den Schafherben furdht:
bare Verwüftungen au. Auch jet noch kommen die großen
Pradtantilopen vor, z. B. das Eland (Boselaphus Oreas);
das ſchöne hirſchartige Kudu mit den herrlichen, fpiralförmig
gervundenen Hörnern (Strepsiceros Capensis), der Nied-
boct (Eliotragus) und verſchiedene andere. Der Strauß
fehlt in Natal. Das Leben der Imfecten und Kerbthiere
entfaltet fi in wunderbarer Mannigfaltigkeit und Pracht;
wahre Landplagen aber find die Termiten und „das greulichite
Geſchöpf der Infectenmwelt“ ift in Natal die im den Gebliſchen
bes Küftengebietes vorlommende Blutwanze, welche von den
Globus XXVIN. Ar. 1.
Coloniſten als Tiet bezeichnet wird. Kein Pferd, fein Rind
wird von biefer Peſt verſchont. Das Inſect ift kaum fo
groß wie ber Kopf einer Stednadel; es beißt ſich in die Haut
des Thieres feſt, faugt ſich voll Blut und hängt dann wie
ein blaugraner Ead, oft von der doppelten Größe einer ftar-
fen Erbſe, am Yeibe des geplagten Thieres, wo es allemal
die am meijten gejchligten Stellen zu treffen weiß. Häufig
fieht man Rinder, denen von den Blutwanzen die Ohren halb
abgefreflen wurden ; aud) werden wohl die Augen zerftört und
es tritt völlige Blindheit ein.
Schr zahlreich find die Schlangen und bie meiften Ars
ten jind giftig. Sehr geflirchtet iſt eine Cobra, welche in
einer ſchwarzen und grauen Varietät auftritt und eine Länge
von 8 Fuß erreicht. Diefe „Mhamba“* ift überaus mu—
thig und gewandt; Reiter, welche ſich ihr zufällig näherten,
find von ihr über eine Meile weit gejagt worden. Sie ift
eine Nachtſchlange, doc; fieht man fie während der Negen«
monate aud) häufig genug bei Tage; fie kriecht in den fon
nigen Stunden aus ihren Löchern heraus um fich zu wärmen
und liegt aufgerollt im Graſe. Noch zahlreicher komut bie
Puffadder vor, bie aber unbeholfener und langfamer ift. „Am
Mangwe fand einer meiner Matebelebegleiter eine foldhe; fie
‚wurde beim Kopfe aufgehangen und gehalten, ich fpigte ein
Stäbchen von der Größe eines Schwefelholzes zu, tauchte die
Spige deſſelben in Tabadsjaudje und ſtach in die Schlange
hinein. Binnen 80 Secunden war fie unter furdjtbaren
Zudungen verenbdet.“
Mohr ſchildert den Kafferſtamm der einft viel genannten
Zulus, die im Norden ‚der Golonie, jenfeits der Tugela,
ihre Wohnfige haben und die an Wechfelu fo reiche Geſchichte
derjelben. :
In Durban rüftete ex den unentbehrlichen, ſchwerfälligen
Ochjenwagen in zwedmäßigfter Weife aus. Ich habe, jagt
er, immer gefunden, daß zwijchen ihm und feinem Erfinder,
dem holländiſchen Boer, eine abſolute Achnlichkeit befteht;
wie dieſer ift er plump, maſſiv, geſchmadlos, aber kernfeft
und zähe. Er gewährt vollfommen Schu gegen den Regen
des Himmels, den Thau der Nacht und die oft falten Stürme
ber Hochebenen. Im obern Theile hängt ein Holzrahmen,
der negartig mit Riemen aus rohen Ochjenhäuten überfpannt
ift; hierauf ruhet die Matrage. Der Wanderer hat fo ein
trodenes und gejchligtes Bett, Den beiden Seiten im Ju—
nern entlang find zahlreiche Tajchen aus Feder oder Segel:
tuch angebracht, die ſich als äuferft praftifc erweijen; fie
enthalten unzählige Gegenftände, welche jeden Augenblick auf
der Wanderung gebraucht werden: Schießbedarf, Fernrohr,
Bücher, Tabak, Reibhölzer, Pfeife, Toilettengegenftände,
Becher, Feldflaſchen, Arzueien, Mittel gegen Schlangenbiß,
Schiffszwieback x. Mohr kaufte zwei vollftändige neue
Fuhrwerle, welche ſich auf einer 450 deutjche Meilen lan«
gen Reife ausgezeichnet bewährten; fie fofteten ihn 210 Pf. St.,
alfo etwa 1400 Thlr. Nun war die Ausrüftung zu be
forgen: Kleider, Waffen, Blei, Pulver, Patronen, Zund—
hüten, Teller, Töpfe, Bratpfanne, Löffel, Meſſer, Gabeln,
Arzneien, Bücher, aſtronomiſche Inftrumente, Barometer,
Thermometer, Hünftlicher Horizont und chemiſche Säuren.
Sodann Handelsartifel für die im Innern wohnenden
Kafferſtämme: wollene Deden, bunten Kattun, venetianifche
Glasperlen, fupferne und mefjingene Ringe, Dazu nod)
Lebensmittel: Kaffee, Thee, Zuder, Mehl, Eifig, Del,
getrocknetes Gemüfe, Liebig'ſchen Fleifchertract, getrodnetes
Obſt, Salz, engliſche Pickels, Cayenne» und ſchwarzen
Pfeffer, Saucen, Sirychnin um wilde Thiere, beſonders
Hyänen, zu vergiften; Capwein, Genöver, Cognac und noch
Mancherlei.
Nach langer ſchwerer Wahl war eudlich Mohr im Bes
2
10 Däumling in der Böllerkunde.
fige zweier Gefpanne von zuſammen 28 Stud Ochſen und
3 Refervethieren.. Am 8. März; 1869 Nadmittags ſetz⸗
ten die Wagen fi) in Bewegung nad) Marigburg. „Es
war num Alles bereit, den Kampf mit ber Wildniß und
ihren Mübpfeligkeiten aufzunehmen ; voran flatterte von jedem
Wagen herab die deutſche Fahne.“
In der Nähe von Durban, an der Straße nad) Maritz
burg, liegt inmitten von Drangen- und Oleandergebliſchen
die Heine Ortſchaft Pine Town; um die Häufer herum
hat man die von Auftvalien eingeführten Gummibäume
angepflanzt, welche für viele Yandichaftsbilder Natald und
bes Trandvaals jhon fo harakteriftiic; geworden find. Une
weit von Pine Town liegt Neu⸗Deutſchland, eine von
unferen Landsleuten bewohnte Ortfchaft; diefe Nieders
lafjung ift 1848 von einem Herrn Bergtheil gegrlindet wor
den und hat es durch Fleiß und Ausdauer zu einem gewiffen
Wohlſtande gebracht; fie verforgt Durban und die dort im
Hafen anternden Schiffe mit Klichengemüſen. Die Heine
Gemeinde hat ihren eigenen evangelijchen Pfarrer, Herrn
Poſſelt. „Als ich gegen den Schluß des Jahres 1870 von
meinem großen Marſche aus dem weiten Innern glüdlid
zurlicfehrte, hörte ich hier im der Heinen Kirche von ihm
eine Dankespredigt für die gegen unfere Erz» und Erbfeinde
auf Frankreichs Boden erfochtenen Siege. Der beutfche
Geſang der Heinen Gemeinde wogte in reinen Tönen frieb-
lich zur Höhe empor; der Küfter braufte mit der Orgel die
Begleitung dazu, und dies urdeutſche Bild auf Afrifas Bo-
ben ergriff mich mächtig und entflammte meine germaniſch-
patriotijchen Gefühle.“
Wir verlaffen fir jegt Herrn Mohr, ben wir jedoch
gelegentlicd; auf feiner Reiſe nach dem Innern wieder begeg-
nen werben. Unſere Illuſtration zeigt, im welcher Weiſe er
auf der Strede zwifchen dem Mangwe und dem Tati einher:
zog umb in welcher Weife fi eine Karawane von Ochſen⸗
farren im jenen Ginöden bewegt. Auf dem Bilde fehlen
auch die Strauße nicht, welche der Meifende gezähmt hatte,
und die ihm auf einer Wanderung von manchen Hundert
Meilen treu begleitet haben.
Däumling in der Bölferfunde.
Zudem Heinen aber ſehr tüchtigen reife von franzöfischen
Gelehrten, welche in der „Revue Gritique* , „Revue Geltie
que“ und „Romania* ihre Arbeiten niederlegen, gehört aud)
Gaſton Bari, welcher foeben ein vorzliglices Werken
veröffentlichte, das den etwas frappivenden Titel trägt: „Le
petit poucet et la Grande ourse (Paris, Librairie A.
Franck 1375)." Was hat der Meine Däumling des Mär:
hend mit dem Sternbilde des Großen Bären zu thun?
Während, nad) Gaſton Paris, die ſemitiſchen, meiſt in
großen Ebenen unter Mar feuchtendem Himmel wohnenden
Bölfer der Kunde des Hinmels ſich jchon frühzeitig zuwand⸗
ten und die Sterne felbft verehrten, beachteten die Arier, bevs
giger Gegenden und rauberer Klimate Kinder, mehr bie
gewaltigen Zudungen der irdiichen Natur; fie verehrten die
Geifter, welche im Sturmmwinde daherraſten, oder die ben
Dig und Donnerfeil auf die Erbe ſaudten. — Die fünf
großen Planeten, die den Alten befannt waren, bildeten zus
fanmen mit Mond und Sonne die heilige Heptade der Ba-
bylonier, eine Combination, die noch in unjeren fieben Wochen:
tagen und theilweife ihren Benennungen erhalten ift. Aller
dings find die aſſyriſchen Götter in ihrer Verwandlung, beim
Durchgange durd; das Griechiſche und Römiſche und ber
doppelten Verwäflerung durch dieſe, nicht mehr zu erlennen,
dod) vegieren wenigftens noch fünf lateiniſche Götter die
romanijchen Wochentage, während im Norden die germa—
nifchen Götter die Namen der Tage beherrfchen. Die alten
Indoeuropäer fümmerten fich wenig um die Planeten, ſchei-
nen auch faum Namen für diejelben befeilen zu haben und
borgten daher aus öftlichen Quellen, Sie fahen die Sterne
lieber als Bilder am und gaben ihnen in diefer Beziehung
Namen, welche fie vom irdischen Dingen hernahmen, Manche
diefer Benennungen eriftiren heute noch im überraſchender
Uebereinftinmmung bei räumlich und ſprachlich fehr weit von
einander getrennten Völkern, ald Zeugnifie eines ehemaligen
Beiſammenlebens derfelben. Am auffallenditen iſt diefes
aber bei der Benennung des Sternbildes des Großen Bä-
ren ber Fall.
Profeſſor May Miller hat die Hypothefe aufgeftellt, daß
ber Name des Großen Bären aus einem linguiftifchen Miß—
verftändniß entftand (Leetures on the Science of Lan-
guage II). Das Sansfritwort riksha, glänzend, von einer
Wurzel ark flammend, welche „glänzend fein“ oder „gläns
zend machen“ bedeutet, wurde auf die Sterne, die Glänzenden,
Übertragen und wurde jo der Name des Bären, „fo genannt,*
fagt Müller, „entweder von feinen glänzenden Augen ober
von feinem brillanten funfelnden Pelze.“ Wir müffen ges
ftehen, daß wir diefer geiftreichen Hypotheſe nicht recht zu
folgen vermögen; auf uns madıt das nordifche Thier einen
mehr düftern als glänzenden Eindrud, jo daß hier das lucus
a non lucendo wirklich am Plage erſcheint. Nach Müller
haben wir aber Sanskrit ark, glänzend fein, und griedjifch
Arktos, Bär, als Eines zu betrad)ten, Sternbild und Thier,
und „jo beruht der Name der arktiichen Region auf dem Miß:
verftändniffe eines vor Taufenden von Jahren in Central
afien gebildeten Wortes.*
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(4 \
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* “7
Der Müllerjchen Hypotheſe fteht num wefentlich entgegen,
daß die indoeuropäiſchen Völker, zum großen Theile wenig«
ftens, das betreffende Sternbild gar nicht ala Bär bezeich«
neten, ſoudern ganz anders benannten. Zur Zeit als die
Odyſſee niedergefchrieben wurde, hieß der Große Bär bei ben
Hellenen ãuccke, der vierräderige Wagen; fo und nicht au—
ders benennen ihm auch die meiften europäifcyen Nationen im
Bolfsmunde noch jegt. Die Sterne «By 5 bezeichnen die
vier Räder und e&n entweder die Deichjel ober die Laſtthiere,
gleichviel ob Ochſen oder Pierde, weldye den Wagen ziehen.
Jakob Grimm zeigt bereits im feiner deutſchen Mythologie,
baf weder in ben germanifchen, flavifchen, lettifchen oder finni«
ſchen Sprachen ein Ausdrud vorhanden ift, welcher auf die
Bezeichnung „Bär“ für die auffallende Sterngruppe hindeutet.
Und alle diefe Völker waren doch mit dem Bären, der in ihren
Märchen eine große Rolle fpielt, in der Urzeit wohl vertraut,
Wettlauf zwiſchen Hirih und Scildfröte am Aınazonenftrome, 11
Ueber dem Sterne &, welcher ben Mittelpunkt im Bären» | ftatt im einer Wiege ruht, und auch Däumling wird in feis
ſchwanz oder der Wagenbeichjel einnimmt, fteht noch ein fehr | nes Vaters Schuh gewiegt.
Heiner Stern, welcher im Bollsmunde als der Kuticher an« | Nach Gafton Paris gehört Däumling ausſchließlich den
gejehen wird umd bei den Franzoſen Poftillon, Cavalier, bei | germanifchen und flavischen Böltern an. Weder in Italien
uns Deutjhen Neiterlein, Fuhrmann, Knecht, auch | nod, in Spanien läßt fid) eine Spur von der Geſchichte aufe
Dümele oder Dümke (bei den Nieberbeutfchen) und beiden | finden, nicht einmal der Name; wenn er unter Walachen,
Wallonen Poͤcd heißt. Griechen und Albanefen vorlommt, fo ift diefes nad) unferm
Im diefem Meinen Reiterlein — jegt kommt der Ueber- | Gewährsmanne flaviichen Einflüffen zuzuſchreiben. Auch
gang vom Großen Bären zum Däumling — erfennt mum nimmit Gaſton Paris an, daß ber wallonifche Name Pöcd
Gaften Paris den Meinen Luftigen Burſchen im Märchen | Towie eine ——————— aus dem Deutſchen ſtammen.
wieder. Das walloniſche Poͤch, ein Aequivalent für Poucet, Ta nun der Däumling ausſchließlich den Germanen und
ein Derivativ von pollex, iſt das Analogon von Däumling, | Slaven gehört, „jo empfing er, nach Gaſton Paris, feine
Dumele oder englifdh Thumbkin. Seftalt in einer Epoche, als diefe beiden Völfer noch zuſam-⸗
i P . le i i —
Um dieſen Himmelswagen und ſeinen Fuhrmann haben —5— en beſondere Gruppe ber inboruro
fi) nun viele Legenden gruppirt. Nach einer berfelben &8 lient ei FREE: i
R ? | gt ein großer Reiz darin unfere Ammenmärchen mit
—— —— am ehe drei Bf 2 feinen | der Mythologie = Mh und mi Urfprung —
Wagen. As fie nicht ziehen wollten ſchrie er: „Vorwärts zurüdzuführen, weldhe noch vor der gefchriebenen Gefchichte
in Teufel Namen!“ Darauf verſchwand er von der Erde liegen; aber mit dieſem Beftreben find aud) große Gefahren
und num ift er der Wagenführer am Himmel. Cine andere | yerpmden und wie leich geräth man dabei auf Abwege!
Gefechte ergäit, wir in echter Autfeherbas Paradies mitalen | Yu dem vorliegenden Falle fein Die Identität des Fimm-
feinen Freuden ee —* 38 te, wenn er nur fein, | ůſchen Fuhrmanns mit dem winzigen Helden des Volls—
Yebtag ei rg an * * Rt ihn am | märdens einzig auf der Thatfache zu beruhen, daß beide mit
Himmel des achts den Wagen fhren; bie Mitternacht demſelben Namen benannt werden: Pöce, Poucet, Däumling,
fteigt fein Wagen aufwärts, dann geht er nieder und in der | piimefe u. ſ. w. Doch ſolche Bezeichnungen fcheinen mehr
— —— MAR zes —— genereller als individueller Natur zu fein. Jedes kleine We-
höre, aaa Bi rg ei Me — genden | fenfann man als Daumenlang, Tommeling, Tom Thumb ıc.
heißt ber Große Bike her nen SEN aan on | bezeichnen. In Rußland ift er als Maltschik-paltschik
nimmt, er r 6 Buhrwer ‚m er —— a ang befannt, als der „eine Fingerlang“; paltschik iſt ein
& Himmel fuhr; —— er als ber a es Gottes Diminutiv von palets, Finger. Paltfcjif entfteht aus dem
hor angefehen worden, J m im Der Fer Zeit ger zufällig abgeſchnittenen Finger feines Vaters. Wegen bier
nommen und St, —— * artin 5 arl dem Gror | Fer Berichiedenheit meint Gafton Paris, daß die urfprlingliche
Ken (2) zugetheilt wurde (Rarlvagn in Schweden). Bedeutung des ruſſiſchen Wortes palets und des polnifchen
Die echten Volksmärchen vom Däumling ſtimmen alle | palec „Daumen“ geweſen fei und erft jpäter die Bedeutung
barin überein, daß feine Geburt eine nicht matürliche, eime | „Singer“ angenommen habe, Auch macht er auf die Achn«
außergewöhnliche war. Er ift das echte oder adoptirte Kind | lichteit von pollex und palets aufmerffam. Im fünften Bande
eines Paares, welches ſich lange nad) einem Finde jehnte | von Afanaſiew's ruſſiſchen Vollsmärchen finden wir drei
und überaus glüdlich war, als endlich, noch ber Heime win: | Verfionem der Däumlinggefchichte. In der erften und drit-
zige Burfche anfam. Wie die meiften Meinen oder budeligen | ten ftammt der luſtige Burſch vom feinen finger feiner
Leute ift er aber lebhaft und äußerft gejcheit; er lenkt fon | Mutter, die ihn ſich beim Kohlſchneiden abſchnitt, in der drits
früh feines Vaters Pferde, denen er ins Ohr gefegt wird. | tem vom Finger des Vaters, dem diefer verliert, während er
Auch daß er von einem Ochſen oder einer Kuh mit dem Fut- | eine Planke in Splitter zerhadt.
ter verfchlungen wird kehrt im faft allen Varianten des Dlär- Jedenfalls hat Gafton Paris einen belangreichen Beitrag
cheus wieder, auch ift er diebiſch und beshalb mit Hermes | zur vergleichenden Märchengeſchichte geliefert, für dem wir
verglichen worden, der am feinem Geburtstage die Rinder | ihm dankbar fein müſſen, gleichviel ob wir mit ihm anneh—
des Apollo ftahl; es eriftirt eine althellemifche Bafe, auf wel» | men, daß der Meiter am Wagen des Großen Bären und der
cher der Meine Hermes abgebildet ift, wie er in einem Schuh | Däunling der Vollsſage ein und daffelbe feien.
Wettlauf zwiſchen Hirfch und Schildkröte am Amazonenftrome.
Daß die Thierfabeln in der alten Welt nicht felten über» | ſich das Landvoll von dem Wettlaufe zwifchen dem Igel und
rafchende Aehnlichkeiten aufweifen, ift befannt; eben jo wiflen | dem Hafen, bei welchem ber legtere durch die Lift des erftern
wir, daß diefelben nit emtlehmt fondern Erzeugniffe der | befiegt wurde. Durch Dr. Schröders allbefannte Erzählung,
Spontaneität find. Die Rolle, welche der Coyote namentlic) | welche den richtigen Ton ganz vortrefilic getroffen hat, ift
bei den indianischen Stämmen Nordweitamerifas fpielt, erin« | der Wettloop des Swinegeld und des Hafen allgemein be—
nert vielfach am unfern Reinele Fuchs, aber auch Süb- | kannt geworden. Heath hat, fo viel wir abnehmen können,
amerika hat feine Thierfabeln. Es ift ein Berdienft des | von diefem Wettlaufe nichts gewußt; er fand jedoch auf der
Profefiors Heath, auf feinen Wanderungen im Gebiete des | ganzen Strede von Para an der Mündung des Amazonas
Amazonenftromes biefem intereflanten Gegenftande ganz | bis nad; Tabatinga an ber peruanifchen Grenze eine Thier-
befondere Aufmerlſamleit gewidmet zu haben. fabel bei den Indianern verbreitet, die mahezu buchſtäblich mit
In Niederfachjen, namentlich, im Lüneburgifchen, erzählt | jener nieberfächfiichen Ubereinftimmt, nur daß andere Thiere
2*
12
auftreten. Die Moral ift diefelbe: blinder Eifer ſchadet;
wohlbedachte Schlauheit führt befler zum Zwed ald unlibers
legtes Stürmen,
Eine im Gebiete bes Amazonas fehr häufig vorkommende
fleine Schildfröte, die von dem Portugiefen Jabuti, von
den Indianern als Tauti bezeichnet wird, hat kurze Beine,
bewegt ſich nur langſam; fie hält fic) gern verborgen und ift
harmlos, in der Threrfabel tritt fie aber als fehr ſchlau und
rachflichtig auf, dabei hat fie Humor und eine ſcharfe Zunge.
Eines Tages begegnet der Jabuti ein Hirſch. Sie ſpricht
ihn am und fagt: „Nun, Hirfch, was fuchft du denm hier?“
Er antwortet: „Ich fuche mir etwas zu eſſen, aber, Schild»
fröte, wohin gehft denn du?" -
„D, ich gehe auc ein bischen herum und fuche Waſſer,
denn ic, bin durftig.“
„Bis warın gebenkft du denn an das Waffer zu lommen?“
„Die kommt dir zu einer folchen frage?“
„Wie? Nun, weil du fo kurze Beine haft.*
„Das trifft zu, aber ich kann doch ſchneller laufen als
du mit deinen langen Beinen.“
„Nun, da lönnten wir ja mal einen Wettlauf ver
anftalten.“
„oft mir ganz recht,“ fagte die Schildkröte; „wann wol⸗
len wir laufen ?*
„Gleich morgen.“
„Um weldye Tageszeit?"
„In aller Frühe,“
„Eng, eng“ (ja, ja), fagte die Scildfröte. Sie ging
num in den Wald und rief alle ihre Freunde und VBerwand-
ten zufammen und fagte: „Paßt auf, wir wollen den Hirſch
ums Leben bringen.“
„Wie willft du das denn anfangen?“ fragten fie.
„Ei, ich ſprach zum Hirfhe: Wir wollen einen Wett-
lauf halten und fehen, wer von und am fchnellften laufen
kann. Nun gedenfe ich ihm zu überliften. Ihe müßt am
Rande ded Campo (offenen Feldes) im Wald euch aufftellen,
eine nicht weit von der andern, mäßt euch aber babei ganz
ftill verhalten. Wenn nun morgen der Wettlauf ftattfindet,
fo wird der Hirſch auf freiem Felde laufen, ich aber bleibe
ruhig an meiner Stelle. Wenn er num nad) mir ruft und
Borgefhichtliches aus dem Poſenſchen.
an euch vorbeigelaufen ift, fo antwortet ihm, aber nicht eher
als bis ihr ihm voraus feib.*
Am andern Morgen ging ber Hirfc zur Schildkröte und
fagte: „Können wir jet laufen?“
„Sa, aber warte ein Meilen, ich will in ben Wald
gehen und dort laufen.“
„Du furzbeiniger, Heiner Kerl wit im Walde laufen?“
Die Jabuti fagte, daß es ihr auf dem Campo nicht mög—
lich fei; fie wäre nur an Laufen im Walde gewöhnt. Der
Hirſch war damit zufrieden; bie Schildkröte ging im bem
Wald und fagte: „Wenn ic) an meiner Stelle bin, fo werde
ich mit einem Heinen Stabe Nopfen; dann weißt du, daf ic)
bereit bin.“
Als nun die Schildkröte diefes Zeichen gab, lachte ber
Hirſch und ſetzte fich ganz gemächlich in Gang, denn Yaufen
hielt er für Uberflüſſig. Die Jabuti blieb ruhig an ihrem
Plage. Als der Hirfch ein — vorwärts gegangen war,
drehete er ſich um und rief: „U’i yauti!“ Zu feinem
nicht geringen Erftaunen antwortete die Schildfröte vor ihm:
„Ui yaffu.“ „Gut,“ dachte der Hirich, „die Jabuti fommt
doc) raſch vorwärts,“ und num fing er am ſchnell zu laufen.
Als er fih dann umbrehete und wieber vief, antwortete bie
Scilbfröte; fie war ihm wieder voraus, „Wie das nur lom⸗
men mag,“ ſprach er zu fich felbit; „ich muß doc; Längft der
Schildkröte voraus fein!“ Er rief noch einmal und vor ihm
rief die Schildkröte auch jegt wieder „U'i yaffu!*
Nun wurde er ungeduldig, lief was er lonnte und meinte
doc; endlich der Schildfröte voraus zu fein; aber auch jegt
hörte er wieder die Antwort Wi haſſu, und jo ging es immer
fort bis er müde war, mit dem Kopfe gegen einen Baum
rannte und todt zur Erbe fill, Die Scildfröte, welche ihm
zunächſt war, rief ihn an, belam aber feine Antwort, Nun
ging fie aus dem Wald auf dat Campo und fah, daß ber
Hirſch todt da lag. Alle Schildkröten waren fehr erfreut
über diefen Sieg.
Eine andere Thierfabel erzählt den Wettlauf zwifchen
einem Hirſch und dem Carapato, einem Inſect. Ye der
Lauf beginnt, hängt ſich diefes an den Schwanz des Hirſches
und antwortet wenn biefer ruft. Der Hirſch aber rannte fo
fange bis er todt war.
Vorgeſchichtliches aus dem Poſenſchen.
A. K. Vor mehr ald einem Jahre erichien in ber
„Neuen Freien Preſſe“ ein „Dr. W. G.“ unterzeichneter
Feuilletonartifel, in welchem ber Berfafjer die Provinz Por
jen als einen Landſtrich ſchilderte, der durch nichts reize und
weder geologifche noch auch vorhiftorifche Denkmäler in
feinem Schoße berge.
Für mich wurde der Artifel die Veranlaffung, meine
AufmerHamteit auf die Alterthlimer ber Provinz Poſen zu
lenfen umd forgfam Alles zu fammeln, was auf die graue
Vorzeit meines engern Heimathslandes Bezug hat. Cine
Folge hiervon war, daß ich mid) aud nad) denjenigen ums»
ſchaute, welche durch Arbeiten in der von mir genommenen
Richtung einen Namen erworben haben und zu denen vor
allen der Director bes Pofener Friedrich. Wilhelm-Gym-
nafiums, Herr Dr. Schw 3 gehört.
Ich will es Herrn Dr. W. G. nicht verargen, daß ihm
bie ſeit Jahren bei Inowrazlam entdeckten Salzlager, bie
hänfigen Bernſteinfunde, die Braunkohlen - und Gypslager
unſerer Provinz, die breiten Flußthäler, in denen jetzt kleine
Bäche dahinfließen, die ſandige nicht bedeutende Waſſerſcheide
zwiſchen Brahe und Netze nichts Über die geologiſche VBer-
gangenheit der Provinz Pofen ſagten; man kann fonjt recht
gelehrt fein und doc die Sprache eines Salz: und Gyps-
lagers, eines breiten Flußbettes, eines verfteinerten Seeigels
in einem Süßwafferfee nicht verftehen und ein Hühnengrab
für einen großen Maufwurfshügel halten, oder dem Chro-
niften Dfugosz glauben, „daß es im Polen Gegenden giebt,
in welchen Töpfe in der Erde wachſen.“ Fiir uns find
folche Sadjen nicht ſtumm, wie aud) ein Scherben, ber tief
aus der Erde herausgegraben, ein Stiid bearbeiteten Feuer⸗
fteins, ein alter Bronzering eine fehr beredte Sprache reden.
Der eben citirte Sag Diugosz’s beweiſt, daß man ſchon vor
vielen Yahrhunderten wußte, daß hier Urnen in der Erde
ftehen; man hat mur ihre Bedeutung nicht verftanden und
deshalb mögen recht viele folde Denkmäler der grauen Vor⸗
zeit vernichtet worden fein. Das Intereſſe für diefe Funde
Vorgeſchichtliches aus dem Pofenjchen. 13
wurde erft jpät wach und deshalb find bis jegt verhältniß-
mäßig wenig . chichtliche Begräbnißpläge genau unters
fucht und wenig Schäge aus ihnen heransgegraben worden.
Trogdem man ſich bei uns jo fpät am diefe Arbeit gemacht,
hat man ſchon eine recht refpectable Summe von Arbeit
geleiftet und Herr Dr, Schwarz allein hat ſchon nahezu
—5* vorhiſtoriſche Friedhöfe unterſucht und beſchrieben.
Die Funde aber mehren ſich, man beginnt auch ſyſtematiſcher
zu ſuchen, und hin und wieder begegnen wir ihren Beſchrei—
bungen ſchon in den hiefigen Zeitjchriften, weldye bis vor
nicht zu langer Zeit ſolche Gegenſtände ignorirt haben.
Ic werde von Zeit zu Zeit, wenn die verehrte Redaction
mir ein wenig Raum hierzu gewähren will, über neue Funde
berichten.
Für Heute möchte ich die Yefer mit einem foldhen neuen
— ic möchte nicht gern jagen „feltenen“ — Funde befannt
machen, den man in biefen Tagen ganz in der Nähe ber
herrichaftlihen Wirthichaftsgebäude von Gorzyce, Kreis
Pleſchen, gemacht hat.
Man bemerkte ſeit einiger Zeit auf dem Sandhligel beim
Borwerfe Gorzyce, von dem der Wind immer mehr Sand
hinweggeführt hatte, Ränder von Töpfen und man begann
Nachgrabungen zu machen. Das Nefultat ift, daß man
38 theils bejcädigte, theils wohlerhaltene Geſchirre aus
Lehm zu Tage förderte. Unter biefen 38 Stliden befinden
ſich einige Urnen, welche faft ganz mit nicht verbrannten
Knochenreſten gefüllt find. Diefe Urnen find groß, fehr
ausgebaucht und die größte iſt ſehr ftark gebrannt; der Hals
einer kleinern ift fünfmal in gleichmäßigen Abftänden ein-
gebogen. Außer dieſen Urnen, welche ohne Glaſur find,
fand man nod) verſchiedene glafirte Urnen und zierlich gears
beitete Thränenfännchen, welche auf roheren Unterfägen ſtan—
den. Die Dedel der Urnen zeichnen ſich durch gefchmad-
volle, belicate Arbeit aus und beweifen überhaupt, daf die
BVerfertiger ein feines Gefühl fir Ornamentit befaßen,
Eines der Geſchirre hat ganz die Geftalt einer Code, die
fich nad) oben verjüngt, wo eine ausgezeichnet genau gears
beitete quabratifche Deffnung ift. iele der gefundenen
Gegenftände haben die Form von Gläſern, Vaſen und Kan—
nen; einige Urnen waren fogar mit Henkel verſehen, wäh-
rend andere ohne folche waren. Trotz der Berjchiedenheit
herrſcht doch eime gewiſſe Gleichförmigkeit unter den aus:
gegrabenen Urnen und bemerkenswert ift, dag nur in einem
Grabe Bafen gefunden worden find,
Befonders merkwurdig ift ein Grab, deffen Anfertigung
beweift, daß die Urbewohner der Provinz Pofen, die in dem
Hügel bei Gorzyce ruhen, ſchon auf einer vorgerüdten Stufe
der Givilifation ftehen mußten, da fie ihren Dahingeſchie—
denen noch nach) dem Tode eine gewiſſe Anhänglichkeit, vielleicht
auch Adıtung bewieſen.
Das Grab, vom welchem ich hier ſpreche, bildet ein Läng-
liches Viereck, in der Richtung von Nord nad; Sid. Die
Tiefe beträgt "/,, die Länge 11/, und die Breite 1 Meter.
Der Boden dieſes Grabes war mit platten, abfichtlich zu
biefem Zwecke bearbeiteten Steinen ausgelegt. Die Längen:
feiten bilden große, platt gehauene, tief in den Boden ein-
gelafiene Steine, während die Breitenwände aus kleineren
Steinftüden zufammengejegt waren. Die in dem Grabe
befindlichen Thränenbehälter tragen alle Spuren der größten
Aufmerkfamkeit und Geſchicklichleit des Meifters, der fie ans
gefertigt hat, an ſich. Leider ift feines dieſer Geſchirre gang
aus bem Grabe herandgefchafft worben; fie waren fo dicht
an einander gepreht, daß fie beim Herausnchmen in Stüde
zerfielen. ahrſcheinlich waren fie alle durch den Drud,
der auf fie beim Beiſetzen der legten Stlde gelibt wurbe,
—— Es iſt Har, daß in einem Stamme, der feine
odten in diefer Weife beftattete, die Liebe zur Familie ſchon
tief eingewurzelt gewejen fein muß; dieſe Behauptung wiirde
auch dann noch nicht erjchüittert werden, wem wir annähs
men, daß das hier näher bejchriebene Grab die Familien
gruft eines Furſten oder eines Reichen gewefen ift, denn es
fteht ja unbeftreitbar feft, daß ſowohl Gefittung und Bil
dung als auch ihre Gegenfäge von oben nach unten drin⸗
gen, vom Individuum zur Menge gelangen. Das Gegen-
teil ift unbeweisbar.
In dem anderen Gräbern ftanden bie ausgegrabenen
Sefchirre unmittelbar auf dem Sande, waren aber ohne
Ausnahme mit Steinplatten bebedt. Im einigen Gräbern
waren bie Geſchirre mit Steinen umgeben.
An der Siboftjeite diefes vorgejchichtlichen Friedhofes
traf man beim Nachgraben auf Erde, welde Spuren von
Feuer an fid) trug. Diefe Stelle liegt jedoch außerhalb des
Friedhofes und zeichnet fich durch eine ſehr forgfältig herge—
richtete Lage von Steinen aus, die gleichjam einen Herd
bilden, auf dem augenfcheinlich die Feichen verbrannt wurden.
Einige Schritte weiter befindet ſich eine zweite Einrichtung
diefer Art.
Die hier befprocene alterthümliche Begräbnißſtätte ges
hört augenſcheinlich ſchon einer ziemlich vorgerüdten Periode
an. Zwar wurden in ihrer Nähe verſchiedene Steingeräthe
aufgefunden, aber man fand in den Urnen felbft einen bron»
jenen Ohrring, einige gefchmolzene Stüdchen blauen Glaſes
und etwas geſchmolzenes Silber. Gin verroftetes Mefler,
das viel Aehnlichteit mit jet gebrauchten Mefjern hat und
in geringer Tiefe unter der Oberfläche lag, dürfte, als nicht
ben in der Erbe ruhenden Geſchlechtern gehörend, zurild-
zuweiſen fein.
Im Allgemeinen gehört wohl der bei Gorzyce entdeckte
Friedhof in die Kategorie der ihm ähnlichen, in Weftenropa
entdeeften. Da fein Schädel gefunden wurde, ift ein Schluß
auf die Nace, der die Urnen und Gräber angehören, unntög:
lich, und ebenfo unmöglich ift es zu beftinmen, welcher
Bolloſtamm im ihnen ruht. Diefe Bemerkung muß id)
meinen Landsleuten machen, die geneigt find in Gräbern
und Urnen, wie die hier beſprochenen, ihre directen Vor—
fahren zu fuchen, während doch mur bas Eine gewiß ift,
daß fie den Vorbefigern ber Gegend angehören, Ob biefe
Mongoloiden oder Arier waren, kann aus dem bis jegt zu
Tage geförderten Nachlaſſe nicht gefolgert werden; mod)
unberechtigter aber dürfte ein Schluß auf die Nationalität
derjenigen fein, beren Spuren wir bis jegt unter ber
Dberfläce der Provinz Pofen gefunden. Halten wir bei
Beiprechung folder Funde nur das feit, daß es ung nicht
zufteht den jest graſſirenden Natiomalitätenftreit in die
Wiſſenſchaft hineinzutragen, mit den BVerbienften um die
Cultur desjenigen zu prahlen, deſſen Gebeinrefte in einer
relativ jchönen Urne aus gewöhnlichen Lehm liegen; jchreien
wir nur micht gleich: „Das war unfer Vorfahr, ein Pole!*
Es war ein, und gegenüber, gewiß noch recht tief ftehenber
— Menſch. Suchen wir vor allen Dingen’ erft nad) Spuren
der Entwidelung des menſchlichen Geiftes, und laffen wir
den Hader um die Stammesangehörigkeit auf ſich beruhen,
da ihn ohnedies die fortjchreitende Civilifation anders, als
wir es vielleicht benfen und wünſchen, entſcheiden wird,
14 Aus allen Erdtheilen.
Aus allen Erdtheilen.
Eine Erpedition der ann nad Hiffar in Eentral:
a
Eine ſolche wird in ber zu Taſchkend erfcheinenden
„Zurfeftanifchen Zeitung“ als nahe bevorftehend angekündigt.
Hiſſar ift ein Heines Chanat, das in einer gewiffen Abhän-
gigfeit von Buchara fteht; es liegt füblich von Samarkand,
füböftlih von Buchara. Wir willen von dieſem Lande we:
nig', doch bat Fedtſchenko „einige Nachrichten über daſſelbe
mitgetheilt; daſſelbe ift gebirgig, ſchwer zugünglich und noch
von feinem ruſſiſchen Reiſenden betreten worden. Wir lefen
bie Andeutung, daß die Erpebition auch die übrigen Heinen
Chanate jener Region: Derwas, Schigman, Kutab und aud)
das Gebiet Wachan befuchen werde, alfo Gegenden am obern
Orus, über welche feit längerer Zeit zwilchen den Regierun:
gen von London und St. Petersburg fo viel hin und ber
verhandelt worben if. Die Leitung ift Herren Mayeff,
Herausgeber der „Turfeftanifchen Zeitung“, anvertraut; ihm
Ihliehen fih am der Aftronom Schwark und die Herren
Bektihurin, Matuſoff und Weinberg. Sie werben Samar:
fand zu ihrem Ausgangspunkte nehmen, über den Tachtu⸗
Karadih-Pak in das Chanat Scheri Sebs und nad) Karſchi
geben und mit dem Emir von Buchara eine Zuſammenkunft
haben. Nach Hiſſar hinein führt die Strafe über den Kelte:
Minar- und den Tſchartſchack Pak; insbeſondere foll ber
Surdab erforfcht werben, ein Hauptzufluß des obern Orus,
Die Rivalität der beiden Großmächte hat der Willenfchaft
Ichon manche Bereicherung gebracht und auch diefe Erpebi-
tion wird nicht unfruchtbar verlaufen.
Wieder ein Opfer Afrikas,
Frank Dates, Mitglied der Londoner geographiſchen
Geſellſchaft, unternahm feit dem Frühjahr 1873 Wanderum:
gen in Sübdoftafrifa, namentlich zu naturwiſſenſchaftlichen
Zweden; er beſchäftigte ſich insbefondere mit der Fauna.
Nachdem er einige Zeit fich im Norden des Limpopo unter den
Matebele aufgehalten, trat er feine Reife nach den Victoria:
Bafferfällen des Sambefi an; er war aber nicht fo vorjid):
tig wie Eduard Mohr, der bei Eintritt der Regenzeit unter:
wegs umlehrte und an den Mangwe zurüdging, fondern
ging in ber ungeſunden Yahbreszeit vorwärts, Ca gelang
ihm auch, bis an die Katarakten vorzudringen und mmmittel-
bar fühlte er ſich auf der Rüdreife vom Sambefi auch noch
nicht frank; aber bald nachher wurde er vom Fieber ergriffen
und am 5. Februar ift er im einem Kraal bei den Makala-
las geftorben. Gin englifcher Arzt, Dr. Bradſhaw, ber an
Ort und Stelle war, konnte das Berhängniß nicht abwenden.
Die naturwifjenihaftlihen Sammlungen und die Tagebücher
find durch den Miffionär Madenzie, der in Schoſchong bei
ben Bamangtwato feine Station bat, gut verwahrt worden
und unterwegs nach Europa, Dates hatte vor 1872 wiſſen
ſchaftliche Reifen in Nord- und Gentralamerifa unternom:
men; er ift nur 35 Jahre alt geworben.
Aus Ebine,
Nach dem Tode des Kaiſers beforgte man den Ausbruch
von Unruhen und war auf den Ausbruch von Rebellionen
gefaßt ; es ſcheint jedoch als ob die Dinge bis auf Weiteres
einen glatten Verlauf nehmen, wenigſtens war im April die
Ruhe ungeftört. Die beiden Kaiferinnen-Mütter vertragen ſich
gut mit einander, führen die Megierung über ein paar hun—
dert Millionen Menſchen und der vierjährige Knabe bat als
Küang fü, das ift fein Mame, ben kaiſerlichen Thron be:
ftiegen. Die Aftrologen hatten den 25. Februar als ben Glück
verheifienden Tag bezeichnet und für diefen war die allge;
meine Landestrauer um dem verftorbenen Sohn des Himmels
unterbrochen.
Bemerlenswerth ift der Streit in welchen die Kaiſe—
tinnenRegentinnen mit den Palaſteunuchen gerathen find;
die Zahl derfelben beträgt nicht weniger ala etwa fünf:
taufend. Während der Krifis mach dem Ableben des Kai-
ſers hatten fie fich durch unerträgliche Anmaßungen itberaus
läftig gemacht und ſich in ungehöriger Weile in vielerlei
Dinge eingemiſcht. Sie fpähen alles Mögliche and, haben
Zutritt zu ben Kaiſerinnen und zu dem Frauengemäcern und
üben auch im gewöhnlichen Verlaufe der Dinge einen wicht
geringen Einfluß. Der verftorbene Kaiſer Teng tſchi war
ein unerfahrener Jingling und nad) feinem Tode loderte fich
die Zucht unter den Eunuchen in bebenflicher Weile. Daran
haben die Kaiferinnen Anftoß genommen und ihrem Miß—
vergnügen in der amtlichen Pelinger Zeitung Ausdruck ges
geben; mehrere Fahnenführer find fchimpflich ihres Ranges
entfleibet worden und ein ftrenges Decret ift gegen die Zucht:
fofigkeit gerichtet. Es heißt in demfelben unter anderen :
Gewiſſe Eunuchen waren fo Fed, fich Schlecht zu betragen
und ihre Pflichten zu mißachten; in einigen Fällen find fie
fo weit gegangen, ſich Befugniffe angumafen, auf welche fie
gar fein Anrecht haben; fie Tiefen ſich mit Balaftbeamten in
allerlei Ränke ein. Ihre böfen Umtriebe, bei welchen fie
ihren eigenen Vortheil im Auge hatten, find im höchſten
Grade verabſcheuungswürdig. Die am ſchwerſten bei ſoichen
Miffetbaten beteiligten, nämlich die Obereunuchen Ticheng
te
i amd Meng tiheng fi, mebft dem Eunuchen, welcher
ben amtlichen Knopf trägt, find hiermit ihrer Aemter eutfeit
und werben an ben Amur geichafft, wo fie ben Soldaten als
Sklaven überantwortet werden. Sie find und bleiben von
jebem fünftigen eneralparbon ausgeſchloſſen. Pier au—
dere (derem Namen aufgeführt werben) erbalten die jchärffte
Art der Baſtonnade und follen als Grasſchneider in den
faiferlichen Fagdgehägen beichäftigt werben. Die Beamten des
faiferlichen Haushaltes werden alle Berfonen in ftrenge Unter:
fuchung nehmen, welche im Verdachte ftchen mit Eunuchen
in rechtöwidrigem Einvernehmen geftanden zu haben, Ein
Ginftlingswefen auf Koften der Gerechtigkeit foll und darf
nicht ftattfinden.*
In den norbweftlichen Gegenden des Reiches erhält die
Mandarinenarmee fortwährend Verſtärkungen. Die Pelinger
Regierung glaubt noch immer Oftturfeftan wieder erobern
und ben Emir Jakub Beg befiegen zu können. Man meinte
in Peling, baf fie im Spätfrübling den Kampf gegen ben
mohammedaniſchen Herricher eröffnen werde. Won engliicher
Seite ift bekanntlich der Emir, mit welchem Foriuth den ber
fannten Bertrag abgefchlofien hat, als Landesherrſcher aner:
fannt worden und Jakub läßt Münzen mit dem Wappen des
osmanischen Sultans prägen. Durd die Ermordung Mar:
garys und den Ueberfall der Erpedition des Oberften Browne
durch chineſiſche Soldaten ift die Spannung noch größer
geworben.
Auſtralien.
Am 27. October 1874 waren 146 Jahre verfloſſen, feit
Gapitän Eoof in dem Heinen Flecken Morton in NMorfibire
geboren wurde. An diefem Tage fand in Randwick, einer
vier Miles von Sydney entfernten Vorftabt an der Botanh
Dan, die feierliche Enthüllung der wohlgelungenen Statue
Aus allen Erdtheilen.
ftatt, welche Patrioten der Colonie Neufüdwales diefem gro:
ben Manne zu Ehren aus Pyrmont Quaderſtein hatten an:
fertigen laſſen. Der Name des Künſtlers ift Walter M’Gill.
Die Statue mißt vom Piedeſtal bis zur Krone achtzehn Fuß,
die Figur felbft aber ift acht Fuß hoch. ook, entblößten
Hauptes, nimmt die Stellung eines commandirenden Capi—
tänd ein, ihm zu Füßen liegt ein Anker, die linke Hand rubt
auf einem zum Theil mit dem Union Jad bededten Globus
und bie rechte hält ein Teleſtop. Der Blid ift nad dem
Bunkte der Botany Bay gewendet, wo der große Weltum-
jegler im April 1770 landete,
— Am 14. November 1874 legte in Gawlertowu, bem
fogenannten Athen der Eolonie Südauftralien und 26 Miles
nördlich von Adelaide gelegen, der weftauftraliiche Forſcher
John Forreft den Grundſtein zu eimem öffentlichen Dent:
mal, welches dafelbit zu Ehren des am 31. December 1872
verftorbenen Reifenden Me Kinlay errichtet werben ſoll.
Daflelbe wird aus einem hoben Obelisk beftehen, deffen vier
Seiten pyramidaliſch nach oben verlaufen. Die Sammlung
bat bis jegt eine Summe von ungefähr 500 Pf. St. ergeben.
Mc Kinlay bat große Verdienſte. Seine berühmtefte Reife
ift die, welche er im Auguft 1861 mit jehs Mann Begleitung,
jweinndbawanzig Pferden, vier Kameelen und Munbvorräthen
auf zwölf Monate, zur Aufjuhung von Burke und Wille,
unternahm. Er erreichte den Golf von Garpentaria, wo er
vergeblich den Melbonrnedampfer „Victoria erwartet hatte,
und fchlug fih dann unter unjäglichen Mühſeligkeiten, wie
fie je ein Neifender erfahren, nach den angefiedelten Diftric-
ten der Colonie Queensland durd. Im Jahre 1865 wurde
er von der füdauftralifchen Regierung zum Führer einer Ger
fellfchaft ernannt, welche Adam Bay an ber Nordfüfte, zum
Amede einer dort amzulegenden jungen Colonie, näher er;
forfchen follte. Von der Fluth erreicht, flüchtete er fich mit
den Seinigen auf eine Anhöhe, wo ein Pferb nach dem an—
derm gefchlachtet und gegeflen ward, bis ſich das Wafler fo
weit verlaufen, daß er den Alligatorfluß erreichen fonnte.
Mit einem aus Pferbehäuten gebildeten Boote fuhr man
denfelben herunter und gelangte endlich wieder in Adam Bay ar.
— In England wie in Auſtralien wächft die Neigung, den
öftlichen Theil von Neuguinea für eine britifche Befigung
zu erflären. Seit den Mittheilungen, welde Capitän Mo:
reöby über feine Entdeckungen und bie guten Häfen an ber
Süboftfeite gegeben , beichäftigt man ſich viel mit diefen Ge: |.
genden. Ein Miffionär, Macfarlane, bat jüngft Bort Mo-
reöbn befucht und fchreibt (von Gap PMork), daß er dort
Alles in befter Ordnung gefunden babe. Leider babe jeboch
der Capitän eines Schiffes im höchſt frevelhafter Weife und
ohne jede Veranlaffung auf die Eingeborenen Feuer gegeben.
Bir baben bier aljo wieder die alte Geſchichte, die ſich ſtets
wiederholt; hinterher wird dann Alles den Barbaren“ zur
Laft gelegt, die fich ja nicht verantworten können. Fort
Moresby ift eim herrlicher Hafen, aber zur Niederlaſſung für
Europäer nicht geeignet, weil er eine durchaus fteinige, ums
fruchtbare Umgegend hat. In der Nähe von Fairfar Har:
bour Hat ein Geonnoft Gold gefunden. Das Land im
Hintergrunde der Miffionsftation ift durchaus baumlos und
neun Monate ohne Regen. Mule Island eignet ſich beffer
für die Anlage einer Miffion ; daffelbe liegt an der Mün—
bung eines Stromes der aus der Stanleykette kommt und
ſcheint geſund zu fein.
Dr. Aibertig, der umermiübliche italieniſche Natur:
foricher, war zu Anfang März am Cap Mork, von wo er
wieder nach Neuguinea wollte, von Aule Island aus ge:
dachte er in die Stanleyfette einzudringen.
Ueber das tragifhe Ende U. Hume’s liegen jet
nähere Nachrichten vor. Seine Begleiter waren O' Hea und
2. Thompfon. Der Lestere, welcher allein mit dem Leben
davon fam, hatte fich zu Magendie am Barwon ben anderen
angeichloffen. Sie brachen mit drei Sattel: und fünf Pad: '
15
pferben auf, überſchritten die Flüſſe Moonie, Warrego,
Paroo und Bulloo, aber e3 gelang ihnen nicht bis zum
Wilſonfluſſe vorzudringen. Vom Graham's Ereef and zogen
fie drei Tage lang durch eine waflerlofe Einöde, Sie mwoll-
ten damı zum Graham’s Creek zuriid und Thompfon wurde
voransgeichidt, um Waller aufzuſuchen. Er fand auch ein
Waſſerloch, war aber fo ſchwach, daß er kaum am baffelbe
gelangen konnte; er fiel vom Pferde und rollte in daſſelbe
hinein, Das war am fünften Tage nachdem er feine Ge:
fährten verlaffen. Er füllte feine Flache um dieſelbe feinen
Gefährten zu bringen, aber fein Pferd war nicht vom Waſſer
fortzubringen. Er verfuchte dann zu Fuße weiter zu geben,
mußte aber zum Pferde zurüd. Er blieb Nachts liegen, ftieg
aber Morgens in den Sattel. Num aber peinigte ihn der Hun—
ger ; ſeit fünf Tagen hatte er nichts als ſogenanntes Schweind:
unfraut genoffen. Um Abend fand er weiter abwärts am
Creek die Padpferde feiner Gefährten und dann gelang «8
ihm die Bolizeiftation Mocatunga zu erreichen, wo er fchlief.
Von dort machte er ſich mit brei Weißen und einem Schwar:
sen, ber fi anf die Spuren verftand, auf den Wen; fie
fanden D’Hea’8 Pferd, das in Folge von Durft und An:
ftrengungen gefallen war; bald nachher aud das Pferd
Hume's, welches dieſer erichoffen hatte, offenbar um das Blut
zu trinken. Eine Heine Strede weit davon lag Hume's Leiche.
Die Ausfuhr der Eolonie Victoria bat im Jahr
1874 fi auf 15,441,109 Pf. St. geftellt, 199,655 Pf St.
mehr als im Vorjahre. — Von der Handelöbewegung Süd:
auftralien® im Jahre 1874 entfallen auf die Einfuhren
3,973,455 Pf. St.; davon famen auf Großbritannien 2,589,166
und aus ben britiihen Colonien 1,224,116, auf fremde
Staaten nur 160,173, Die Ausfuhren betrugen 3,868,276,
ungefähr 400,000 weniger ald im Fahre vorher, obwohl bie
BWollernte ſtärler geweſen war; dagegen war bie Ausfuhr
von Brotftoffen um etwa eine halbe Million ſchwächer. Im
laufenden Jahre find 866,000 Acres mit Weizen beftellt.
Schonung ber Elephanten auf Eeylon.
Der Gouverneur diefer Colonie bat ein firenges Gebot
erlaffen, demzufolge auf der Inſel bis auf Weiteres feine
Elephanten mehr geichoffen werben bürfen. Die Jagdlieb—⸗
baber find befliffen gewelen, unter diefen überaus nühlichen
Thieren namentlich während ber letstverfloffenen Jahre fo
arge Verwüftungen anzurichten, daß jest ſchon Mangel an
benfelben eingetreten ift. Der Elephant ift ald Arbeits—
thier namentlich auf Ceylon ganz unſchätzbar und er zeigt
bei feinen Befchäftigungen eine große Intelligenz. Dan ver:
wendet ihn bei öffentlichen Arbeiten gern zum Steinefchlep-
pen, namentlich aud beim Brüdenban; er bringt gewaltige
Maflen an Ort und Stelle, legt fie genau bortbin, wo fie
am Plate find, und das thut er fo gut wie ein gejchidter
Maurer, rüber konnte man gut abgerigtete in erforber:
licher Menge haben; manche Privatleute bielten ſich Elephan—
ten, um fie an die Regierung zu vermiethen, und ein Glei—
ches geſchah mit denen, welche in ben buddhiſtiſchen Tempeln
zunächſt zum Zwecke religiöier Proceſſionen gehalten wurden.
Jetzt aber hält es fchwer, fich gut abgerichtete Arbeitäthiere
zu verfchaffen. Vor einer längern Neibe von Jahren war es
im Jutereſſe des Aderbaues und der Dämme bei den Be:
wäfferungscanälen allerdings nöthig, die übergroße Zahl diefer
gewaltigen Thiere zu vermindern; ſeitdem fie aber fo eifrig
verfolgt werden, benehmen fie fid) mit äußerfter Vorficht und
haften ſich weit entfernt von den Wohnörtern, weil fie wiſſen,
daß in denjelben Schüigen wohnen. Es wird nun einige Zeit
verfließen, ehe man wieder die hinlängliche Anzahl von
Arbeitsthieren zur Verfiigung haben wird.
* * %
— Dr. Andreas wird auf Koſten ber geographiſchen
Geſellſchaft in Hamburg eine Erpedition nah Südper—
16 Aus allen Erdtheilen.
fien unternehmen. Die Reife geht von Bombay über Bender
Abbas nach Buſchir (Bender Abufchebr), und das von dort
ans zu bereifende Gebiet ift im Norden von der Lanbjtrafie
zwiſchen Buſchir und Schiras und Schiras- Kerman, im Sü—
den vom Perſiſchen Meerbuſen begrenzt. Dr. Audreas iſt
ſehr bewandert in der Alterthumskunde Perſiens und bat in
Bezug auf Landesfunde und Geichichte eingehende Studien
gemacht.
— Die vulcaniihe Thätigkeit auf Island iſt
während bes verfloflenen Winters überans beftig geweſen.
Ju einem Bericht aus den eriten Tagen ded April ſchreibt
ein Bewohner von Bardardal: Wir haben ganz entletliche
Zeiten überftanden! Zuerſt wurden wir von Erdbeben
heimgelucht, die in mancen Fällen großen Schaden anrich—
teten, und dann famen bie Eruptionen mit ihrem Aſchenregen.
Die Dyngiufjäll ſpeien noch umabläifig Feuer und wir ſehen
jeden Tag wie die Rauchſäule bis in unermeßliche Höbe
emporjteigt. Die Eruptionen breiten fich in der Wildniß
immer weiter aus und man fann Sagen, daß die ganze
Region der Myvatnberge eine einzige Feuermaſſe
bildet. Weitwinde waren vorberrichend und baben die
Aſche über die öftlichen Firths bingetrieben, wo dielelbe nun
eine weite Fläche bededt. Am 29. März war der Nichen:
regen jo ftarf, daß er die ganzen öſtlichen Abhänge überdedte,
insbelondere Jökuldal, wo fie bie zu 6 Zoll hoch liegt. An
dieſem Tage war der Himmel Har, die Sonne jchien, aber
die Leute dort haben pechrabenihwarze Dunfelbeit. Quellen
find durch die Aiche verftopft worden, Bäche almedämmt und
alle Berggewäfler, die doch im öftlichen Island ſonſt, wo wir
weder Öleticher noch Moränen finden, kryſtallklar find, haben
num durch die vulcaniſche Miche verichlammttes Waffer, Die
Bauern find mit ihrem Vieh aus den mit Aſche bebedten
Gegenden fortgezogen und ſuchen anderwärts Weide, es fteht
aber ſehr dahin, ob fie folhe finden. Die gegenwärtigen Ernp-
tionen find für Island offenbar ein großes Unglüd.
— Die rufftiche Regierung bat den Bau einer Eiſen—
bahn von Tiflis in Georgien (bis wohin der Schienen:
weg vom Hafen Poti am Schwarzen Meere bereits feit läu—
gerer Zeit vollendet und im Betrieb ift) nad Baku am
Kaspiichen Meere genehmigt. Auch ſoll eine Bahn von
Tiflis bis nad Diulfa am Araris, das an ber perfiichen
Grenze liegt, unverweilt in Angriff genommen werben.
— In einem von Markham verfaßten Blaubuch über
Indien wird darauf aufmerkiam gemacht, daß bie Einwan—
derung von Chineſen mehr und mehr zunimmt. Diefe
fommen ohne Frauen, nehmen ein Weib im Lande uud da-
durch wird die Zahl der Miſchlinge, Hindu-Chineſen, ver:
mehrt. Diefe Mifchlinge find förperkräftiger ald die Hindus. —
Im Fahre 1373 hatte Britiih Indien, Britiſch Birma and:
aejchloffen, 30,477 Schulen, in welchen die Kinder bebürftiger
Leute umentgeltlichen Unterricht erhielten. Die Zahl der
Mitteljchulen betaug 2506 mit nur 144,538 Schülern; dazu
famen noch 20 in Britifh Birma mit 1630 Schülern. Die
Zahl der höheren Pebranftalten betrug 40; dazu kamen noch
mebicinijche und techniſche Schulen und 1400 Schulen für
Mädchen, deren etwa 30,000 Unterricht erhielten; es giebt
auch einige Seminare, in welchen Lehrerinnen für Mädchen:
ſchulen gebildet werden. — Die Geſammtzahl der zum Chri—⸗
ftenthume fich befeimenden Eingeborenen auf dem indiſchen
Feſtlande wird, nach forgfältiger Zählung, von Marfham auf
318,363 angegeben, wozu dann noch etwa 30,000 auf Geylon
fommen. Die Zahl der Miffionäre, welche dem Bekehrungs—
wert oblienen, ftellt fich auf etwa 600.
— Im Jahre 1873 erſchienen in Indien, Britiich Birma
mtitgerechnet, nicht weniger alö 473 Zeitungen und Zeit:
ihriften, wovon 355 in den verichiedenen Landesſprachen,
151 in Englisch und 67 zweiſprachige. Nimmt man durch—
fchmittlich 700 Abonnenten auf jede und die Zahl der Lefer
auf zwei Millionen oder höchſtens das Doppelte an, fo blei⸗—
ben doch immer noch 188,000,000 Menfchen in Indien, die
fein Zeitungsblatt zu ſehen befommen.
— Ueber die Eiſenbahnmonopole in Nord:
amerifa werden fortwährend Klagen erhoben. „Sie find
ſchon eben fo mächtig wie die Bundesregierung." Die Penn:
inlvaniabahn befist oder controlirt eine Bahnſtrecke von
ungefähr 10,000 Miles, Sie reicht, unter derielben Ver .
waltung, von Neuyork, Philadelphia, Baltimore und Waibing-
ton nach Chicago, St. Lonid, Omaba, Leavenworth, Mem—
phis, Lonisville, Vicksburg, Neuorleans und vielen anderen
Städten in Weften und Sidweften. Um ihre Bebeutung
zu ermeffen, braucht man nur einen Bli auf die Karte zu
werfen.
— Bu Wellington anf Neufecland hatte im Fe—
bruar 1875 das Gericht über nachſtehenden Fall zu entſchei—
den. Klägerin war ein. junges Maorimädchen von etwa
15 Jahren; der Berklagte cin Mann von 40 Jahren. Die:
fer forderte das Mädchen als feine Frau; daſſelbe fei ihm
von den Verwandten verſprochen worden, war aber nicht um
Ya oder Nein gefragt worden. Als fie fich dann geweigert
ihm als Frau zu folgen, hatte er fie an den Haaren vor:
wärts gezogen. Der Mann geitand zu, daß er diefe Gewalt
that begangen babe, machte aber zu feiner Rechtfertigung
geltend, daf er nach Maoribrauch dazu volllommen Hecht
gehabt habe, Der engliiche Richter entichied: „Kein Mann
darf ein Mädchen gegen deſſen Willen zur Ehe zwingen und
Bellagter hat 1 Pfund Sterling Strafe zu erlegen.“ Diele
verwerfliche Neuerung fand bei den anmwelenden Maori keinen
Beifall.
— Die Blattern und der Durchgang der Venus
in China. Es bat fich getroffen, daß Teng tichi, ber ver:
ftorbene Kaifer von China, am 9. December erfranfte; fo:
fort brachten die Hofaftrologen die Blattern in Verbindung
mit jenem Phänomen am Himmel. Der Monarch war nicht
geimpft worden, denn fein Arzt hätte es wagen dürfen, einen
Schmitt in das geheiligte Fleiſch des Himmelsiobnes zu ma—
hen. In dem Erlaffe, in welchem bie beiden Kaiferinnen
Mutter und Gemahlin) die Erkrankung anzeigen, fprechen fie
aus, daß fie über diejelbe ‚hoch erfreut“ fein. Das wird
und Europäer Wunder nehmen, aber nach chineſiſchen Begrif⸗
fen find die Blattern ein ‚Geſchenk des Himmels", das man
wo nicht mit reudigfeit, doch wenigſtens mit Gleichmuth
binnehmen müfle Die japaniiche Regierung fahte bie
Sache anders auf, fie führte die Zwangsimpfung im ganzen
Reiche ein.
Vom 10, Juni an wohne ich in Leipzig und
bitte ich alle für mich und den Globus bestimm-
ten Sendungen nicht mehr nach Dresden, son-
dern nach Leipzig, Weststrasse 84.1., zu adres-
siren. Karl Andree,
Inhalt: Am Norbgeftade der Adria. ‚I. Mit vier Abbildungen.) — Aus Eduard Mohr" s Reiſe nach den Kata⸗
raften des Sambeſi. Im Natal-Lande. (Mit drei Abbildungen.) — Däumling in der Völkerkunde. (Mit einer Abbil-
dung.) — Wettlauf zwiſchen Hirſch und Schildkröte am Amazonenjtrome. —
Vorgeſchichtliches aus dem Poſenſchen. —
Aus allen Erdtbeilen : Eine Erpedition der Rufen nach Hiffar in Centralafien. — Wieder ein Opfer Afrikas. — Aus
China. — Auſtralien. — Schonung der Elepbanten auf Geylon. — Berfchiedenes. — (Schlufi der Nedaction 15. Juni 1875.)
Herausgegeben von Karl Andree in Leipgig. — Für bie Redaction verantwortlich: H. Bieweg in Braunſchweig.
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunfchweig.
Band XXVIII.“
Mit befonderer Berüchfichtigung
>
We
der Inthropologie und Ethnologie.
In
Verbindung mit Fahmannern und Künftlern herausgegeben von
Karl Andree.
—
Braunſchweig
Dährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlich 4 Rummern.
Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Nummern 50 Pf.
1875.
Am Nordgeftade der Adria,
11.
Barenzo. — Miramar.
In einem frühern Auffag wurde hervorgehoben, baf man
Pilino als eine Charakterftadt des iftrifchen Binnenlandes
betrachten fann; man legt jebody die Strede bis zur weit
lichen Küfte mit einem ber landesüblichen Karren in etwa
vier Stunden zurück. Diefe Gefährte jehen allerdings nichts
weniger als hübſch aus, paſſen aber recht gut flir die ganz
abjcheulichen Wege.
Bon Pifino aus, das auf einer Hochebene liegt, zieht die
Straße aufwärts durch mehrere Meine Thäler, im welchen |
vorz ife Aderbau getrieben wird. Der Grund und Bo-
den ijt in eine große Menge Heiner Aecker getheilt; größere
Grundbeſitzer laſſen ihre Felder auf Halbpacht bearbeiten.
Das Trachten des Bauern ift darauf gerichtet, einen wenn
auch nod jo kleinen Fleck Erbe zu erwerben und benjelben
allmälig durch einige Ruthen zu vergrößern. Mit Vorliche
bauet er Sorgho, Gurten, Melonen und zweierlei Art Wei-
zen; bie eine, la golta candida, ift weiß; bie andere wird
al$ Frumento commune bezeichnet. Das Mehl von der
erftern wird im ben Städten verfauft, wohin bie Yanbleute
auch fehr jhmadhaftes Weizenbrot bringen.
Die größeren Meiereien find alle nad; einem gleihmäßi«
gen Plane gebaut, von welchem ein Bauernhaus in Sbandati
(Band XXVII, ©. 373) eine getreue Vorftellung giebt. Die
Wagen werden von Ochſen gezogen. Cinen nicht unan«
genehmen Anblid gewähren die manchmal recht hübſchen Mäb-
®lobus XXVII, Mr. 2.
chen, welche zahlreiche Puterherden auf die Weide treiben; bie
mit vothem Band geflochtenen Zöpfe, welche unter einem
—5 weißen Kopftuch herabhängen, ſtehen ihnen ſehr
hübſch.
Weiterhin wird der Boden wieder unfruchtbar. Einzelne
Meiereien liegen in ziemlicher Entfernung von einander und
die Felder innerhalb derfelben grenzen fic) durch niedrige Steins
lagen ab. Uber der Ernteertrag ift jo fpärlich, daß man ſich
unwillturlich fragt, weshalb die Leute Fleiß auf einen jo
unbankbaren Boden verwenden. Bon eigentlihen Wohlftande
fann hier feine Mebe fein, aber die Frauen und Mädchen
haben doc als Schmud dicke Korallenhalsbänder und manche
hängen auf eine Schnur gereihete Maria-Therefia-Thaler um.
Von Shandati aus fällt das Gelände raſch ab und man
hat von der Anhöhe einen prächtigen Blid auf das Meer,
die Stabt Parenzo, den von Schiffen belebten Hafen, die
beiden Slodenthürme und die Eilandflippe St. Nicolo, welche
fid) aus der Werne wie ein vor Unter liegendes Schiff aus:
nimmt. Guido Stache fhreibt: „Das alte Barentium,
welches einigen aus Candia eingewanderten Familien feine
Wiedergeburt verdanken foll, ift ein freundliches, reinliches,
wohlgepflaftertes Städtchen von einem gewiflen ehrwilrdigen
und nobeln Anftriche., Im feinem von vielen Heinen Infeln
eſchützten, tiefen und fichern Hafen herrſcht ftets ein reges
Geben und Treiben. Die ehrwürdige, zwölfhundert Jahr alte
8
13
ſchöne Kathedrale ift als älteftes chriftliches Baudentmal eine
der fehenswertheften Merkwürdigkeiten Iſtriens.“
Aud; Yriarte hat mit Borliebe in Parenzo einige Zeit
verweilt. Die allerdings nur Meine Stadt ift nicht ohne
einige Bedeutung. Dort tagt der iſtriſche Yandtag, aud) ift
bier der Beichofefig. Diefer heute fo ruhig umd friedlich dar
liegende Ort hat eine fehr unruhige Geſchichte hinter ſich und
manche ſchwere Zeiten erlebt. Die Bewohner leben in Wohl:
ftand umd find nun feinen ftürmifchen Wechjelfällen mehr
—
———
Am Nordgeſtade der Adria. TI.
ausgefegt; fie bauen ungejtört Mais, Wein, Weizen und
Gemüfe und treiben einen einträglichen Handel mit Brenn«
holz nach Venedig und Chioggia. Sie belaften mit diefem
Drennftoffe große Feluclen, welche in ber Yagunenftadt manch⸗
mal einen großen Theil des Gindecca-Canals gleichfam bededen,
Sodann wird ein bedeutendes Geſchäft mit vortrefflichen
Bruchfteinen gemacht, welche die Umgegend liefert.
Parenzo fann als eine venetianiſche Stadt bezeichnet wer ⸗
den, weldye auf dem Grund und Boden einer alten römiſchen
— me
Dom in Parenzo.
Colonie fid) erhob. Man kann noch jegt die beiden Epochen
deutlich unterfcheiden, denm jebe hat ihren eigenthlimlichen
Charakter. Die innere Stadt war befeftigt, die Ringmauer
mit Thürmen flanfirt. Die Piazza dei Signori nimmt fic
ganz und gar venetianisch aus; die Heinen Paläfte haben
buzantinifche, auf zierlichen Säulen ruhende Balcone, überall
ift der Lowe des heiligen Marcus zu ſehen umd gern weilt
ber Dlid auf dem hübſchen und zierlichen Springbrunnen aus
dem fünfzehmten umd fechszehnten Jahrhundert. Die zahl:
.
reihen Denkmäler aus dev Nömerzeit find dermaßen befchäs
digt umd vermlftet, daß fie für den Alterthumsforſcher kaum
noch ein Interefje darbieten. Das ift dagegen im höchſten
Grade der Fall mit der Kathedrale ſchon deshalb, weil die-
felbe, troß der Zerftörung einzelner Theile und offenbarer
Reftaurationen, und die Bafilifen der früheten Zeit Har ver:
anfchaulidt. Die Erbauung des Domes füllt in die Zeit
zwifchen 524 und 543, alfo in die Epoche, da ber oſtgothiſche
König Theodoric die iſtriſchen Bisthlimer gründete, Die
Am Nordgeitade der Adria. I. 19
Kirche hat drei Schiffe, vor diefen ein Atrium und vor dies
fem ein Vaptiſterium mit dem Taufbecken. Unſere Illuſtra⸗
tion veranfchaulicht diefen Theil mit den dort aufgehäuften
Ruinen. Die Wände find einft mit Moſailen bekleidet ge-
wefen, von welchen nur wenige Vruchftüce bis auf ung ges
fommen find. E
Die drei Schiffe find durch Säulen aus koſtbarem grie-
chiſchen Marmor getheilt; in dem Winkel des einen Schiffes
befindet fich ein mit Bretterverſchlag bedecktes unterirdiſches
Gewölbe, in weldem man, 1,20 Meter unter der gegen«
märtigen Oberfläche, ſehr ſchöne Mofaiten erkeunt. Der
Hauptaltar ift in feinen unteren Theilen mit foftbarem Mars
mor, mit Mofaifen, Perlnuttereinlagen und orientalischen
Forphyx bekleidet und mit riefen, Fiichen, Algen und Mus
ſcheln verziert. Im oberen Theile ftellt eine Mofait den
heiligen Euphrafius und feinen Sohn vor, fodann den Archi-
diaconus Claudius und Engel und Heilige, weldje ſich um
eine Maria gruppiven. Aus der Kirche fonmt man im ein
Martyeium, eine Urt von Katalomben, die aber nicht tief
find und theilweife vom Meerwafler unterwaſchen werben.
Ules Material, weldhes man zur Erbauung des Domes vers
wandt hat, bejteht aus Trlimmern vömifcher Monumente,
Spuren der Reftaurirung find überall fichtbar;-die erfte fällt
ins zehnte, die zweite ins dreizehnte Jahrhundert, Dann
folgten nod) einige andere, bis 1764 ber Biſchof Negri das
fojtbare Tabernafel bloßlegte, deſſen Bau in das Jahr 534
fällt. -
Der Plan der alten Stadt ift nicht mehr erfenntlich nach⸗
zuweifen, aber manche Punkte fann man mit Sicherheit be—
ftimmen. So ijt der Pla Marfori, das alte Forum Mars
tis, auf welchem ein Tempel des Mars und bes Neptun ſtan⸗
den. Bom alten Theater kann man noch das Halbrund
erkennen und wenn man bei ruhigem Wetter und bei Ebbe
zeit auf der Yandipige San Pietro fteht, erblidt man in dem
Haren Waſſer enorme Mauerfundamente, Anler und ange
roftete Eifenringe, Ueberbleibjel des alten Hafens mit feiner
Mole und den Haid.
Wir fagten ſchon, daß vor der Küfte von Parenzo manche
Heine Inſeln liegen. Cine derfelben, San Nicolo, erreicht
der Nuderer in einer Viertelftunde, Dort ftand ein jegt in
St. Katharinenllippe zwijchen Parenzo und Faſana.
Ruinen liegendes Benedictinerklofter; ber noch erhaltene Thurm
dient den Sciffern als Landmarle. Am Yandungsplage
enthält - eine große venetianifche Injchrift, über welcher der
Löwe des heiligen Marcus prangt, eine ftrenge Warnung.
Diefes Edict des Procuratord Alefjandro Zeno, welchem bie
Obhut der Gefundheitspflege übertragen war, bejagt, daß
kin Schiff, gleichviel ob bewaffnet ober nicht, anlegen dürfe,
wenn es nicht mit einem Gefundheitscertificate verfehen ſei.
Eine derartige Borfiht war völlig am Plage. Die Zeit:
bücher melden, daß die große Peſt von 1360 in Parenzo
grauenhafte Verwüſtungen anrichtete und die Einwohnerzahl
beträchtlich verminderte. Die Stadt fam nad) und nad) wie⸗
derempor, aber nachdem bie Peft von 1580 ausgetobt, zählte
man nur noch 700 Bewohner, Bald nachher, im Jahre
1600, fand fie fich wieder ein und als fie verſchwunden war,
hatte Barenzo faum 300 Einwohner, welche dann allefanımt
flüchteten, als die Seuche noch einmal von Oberitalien her
tindrang. Die ganze Stadt war zum Leichenader geworben
und volle 37 Yahre hindurd) ifl fie weder von einem Schif⸗
fahr für die Geſundheit mehr vorhanden zu fein fchien, holten
die Benetianer Griechen aus Kandia, Dalmatiner und andere
Slaven, aud) Albanefen, denen fie Grunbftücde verliehen. Die
Anzahl der Bewohner betrug aber nad) Ablauf des Yahr«
hunderts faum zweitaufend.
*
Schon lange vor dem tragischen Schidjale, von welchem
Erzherzog Marimilian von Seflerreich in Merico betroffen
wurde, bildete das von ihm erbauete u Miramar
einen Anziehungspunft für die meiften fremden, welche
Trieft befuchten. Man erreicht dieſes prächtige, im feiner
Urt einzige Schloß binnen ein paar Stunden. Auf einer weis
ten Strede ift die Straße fehr ftaubig ; zu beiden Seiten ders
felben liegen Magazine, Bauhöfe und andere derartige An—
ftalten, wie man fie bei großen Hafenftäbten anzutreffen
pflegt. Weiterhin wird die Gegend weniger traurig, man
gelangt in eine Art von Landſchaft umd fieht auf der rech—
ten Seite der Straße nur dann und wann eine Schänf«
fer noch von anderen Leuten befucht worden. Als feine Ge- | wirthfchaft; zur Linken, tief unten, brandet das Meer. Man
8 *
20 Am Nordgetade der Adria, II.
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Schloß Dliramar.
Am Nordgeitade der Adria. U.
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22
fährt durd) San Bartholo, das eine Art von Vorſtadt Triefts
bilbet, und bald nachher erblidt man aus der Ferne das
Schloß, weldyes ſich auf einer in den Golf hinausvagenden
Felſenſpitze erhebt.
Diefen Punkt hatte Marimilian auserforen, um fich ein
reizendes Heim zu gründen, Als er in Folge des unglins
ftigen Verlaufes der Feldzüge in Italien nicht mehr Vices
tönig der Yombarbei war, zog er ſich nach Trieft zurlid.
Es war im diefem Erzherzoge, einem vielfeitig gebildeten
Manne, der von poetischen Gefühlen durchdrungen war,
ein hohes Streben und ein gewaltiger Drang nad) Thätige
keit. Auf politifchen Gebiete vermochte er denfelben nicht
—— aber etwas ſchaffen wollte er, und ſo entſtand
iramar. Er verwandelte wilde, fteile Felſen in reizende
Gärten und bauete das Schloß über dem Meere. Viele
ſchuttelten den Kopf als er die Ausführung des von ihm
entworfenen Planes in Angriff nahm, und Andere wollten
wifjen, daß das Gebäude, in Hinbli auf die zu befiegenden
Schwierigkeiten, eine Ruine bleiben werde. Aber Marimilian
hatte die Genugtäuung, fein Werk herrlich hinauszuführen.
Ein Feljenabhang fiel bis ind Meer ab, die gewaltigen
Dlöde lagen von oben bis an den Strand wie cyllopifches
Getrummer umher; oben wuchfen Delbäume Oberhalb
läuft die Eifenbahn, welche von Trieft nad) Nabrefina führt
und bie Hafenftadt einerfeits mit Italien, andererfeitd mit
Wien verbindet. Bon dort herab hat man einen Blid auf das
Schloß, deſſen Bauart unfere Illuſtration veranſchaulicht.
Mit richtigem Verſtändniß ſind die geraden Linien vielfach
unterbrochen worden. Das Schloß ragt hoch über das Meer
empor und wenn man auf den breiten Balconen ſteht oder
auf den Terraſſen umherwandelt glaubt man über der Adria
zu ſchweben. Nach allen Richtungen Hin iſt die Ausſicht
wunderbar ſchön. Da liegt Trieſt am Fuße des Karſtes
mit feiner Bucht, mit den Häfen Muggia, Pirano und ber
nad) Often hin ziehenden iſtriſchen Küfte. In der Richtung
gegen Venedig hin ift freies Meer, zur Rechten verſchwindei
die Küſte Friauls am fernen Horizonte. Ya, diefes Schloß
war in ber That wilrdig, die Heimftätte eines hochbegabten,
poetijch angelegten fünften zu fein, eines ftrebfamen Geiftes
mit reicher Phantafie, ber mit großartigen Gedanfen fi
teug. Uber die Einbildungsfraft und das Trachten air
hohen Dingen war mächtiger in ihm als die ruhige Proja
des erwägenden Berftandes, Er hatte einen ritterlichen Ans
ftrih, und ein Zug zum Abenteuerlichen war diefem blaus
Äugigen Träumer, dem Nachfommen Kaifer Karl’s des
Flinften, nidjt fremd,
Zu den oberen Gemächern gelangt man durch eine weite,
von Grund aus auffteigende Halle. Zu beiden Seiten der
Treppenflucht ftehen alte Ritterrüftungen, Trophäen und
Baffenfchränte; einen befondern Schmud bilden die Hirſch—
ger Das Arbeitszimmer ift eine Nahahmung im Gro⸗
n besjenigen, welches Marimilian auf der „Novara“ inne |
Müller's kosmische Phyſik in vierter Auflage. L
gehabt hat. Unfere Iluftration veranſchaulicht, in wie ans
Iprechender Weife daſſelbe ausgefchmlict ift; die Bibliothef ent-
hält die Claſſiler aller Völter von Homer bis auf unfere Zeit.
An der einen Wand hängt eine mit allegorifchen Figus
ven umgebene Karte vom Reiche Kaiſer Karl’s des Fünften,
in welchem befanntlich die Sonne nicht unterging. Welchen
Träumereien und Phantafien mag der Erzherzog ſich hinge-
geben haben, wenn er biefelbe betrachtete, und man weiß
daß er oftmals ftundenlang ſich von ihrem Anblicke nicht
hat trennen mögen. Als der böfe Geift aus Paris ihm als
Verſucher nahete und ihm Glanz und Macht auf der ans
dern Erbhälfte vorfpiegelte, fand er ein vorbereitetes Gemüth.
In dem von Gold erglängenden Thronfaale befindet ſich ein
Porträt Marimilian’s in voller Geftalt, mit dem Scepter
in der Hand und mit dem Kaifermantel angethan.
Der Garten ift dem Felſen abgemonnen worden; man
hat große Gefteinsmaffen hinwegfprengen und fruchtbares
Erdreich hinaufſchaffen müſſen. Nun wandelt man in weis
ten, wohl unterhaltenen Baumgängen, gelangt durch Tunnels
zu fühlen Grotten, findet fchattige Nuhebänte, fieht hübfche
Statuen und das Alles zufanmen genommen mit den archi⸗
teltoniſch beredjneten Rampen giebt dem Ganzen einen zus
gleich ländlichen und monumentalen Anſtrich. Die Boben-
geftaltung ift fehr uneben und man hat deshalb viele Trep-
pen und mehr oder weniger fanfte Abhänge angebracht.
Die Begetation ift eine ſchon vorzugsweiſe fübliche, aber
neben der Cypreſſe ift die californishe Sequoia giganten
—** worden und neben dieſer die Chamaerops ex-
celsa. Rechts vom Schloſſe, hoc über dem Meere, ſteht
einfam ein Landhaus; dort verweilte im völliger Abgeſchie—
denheit die umglüdliche Kaiferin Charlotte drei Monate
lang, nadjdem die traurige Kataftrophe von Queretaro zu
ihrer Kunde gelangt war.
Der Heine Hafen von Miramar ift eine vom Borgebirge
gebildete Bucht, zu welcher Treppen hinabführen. Er bildete die
„Darfena“, in welcher die Yacht und andere Fahrzeuge des Erz:
herzogs vor Unfer lagen. Jetzt ſchaukelt ſich dort die Dampfs
ſchaluppe des Grafen Brandi, deſſen Schloß in ber Nähe liegt.
Dort oben auf dem Felfen war kein Waffer und ohne diefes
Lebenselement an einen Fräftigen und gefunden Pflanzenwuchs
nicht zu denten, Dan hat jich geholfen, indem man vermittelft
zweckmäßig angelegter Maſchinenwerle Waſſer aus der Refa,
welche unmeit von Trieft mündet, auf die Höhe emporhebt.
Bevor man von Miramar fcheidet, unterläßt man nicht
einen Blick in das Meine „Mufeum“ zu werfen, in welchem
Alles an den —— Erzherzog erinnert; dort ſieht
man feine Kleider, feine Waffen, fein Scepter; die Samıms
lungen, welche er auf feinen weiten Reifen veranftaltet hat
und die mandes Werthvolle enthalten, viele Photographien,
ägyptifhe Sculpturen und mandje Witerthiimer aus dem
Lande der Azteken, in welchem das Leben biefes hochſinnigen
Habsburgers einen fo tragiichen Abſchluß gefunden hat.
Müller's kosmiſche Phyſik in vierter Auflage *).
Bor etwa zwei Jahren beſprachen wir an biefer Stelle
bie dritte Auflage des vorliegenden ausgezeichneten Wertes
*) Lehrbuch ker fosmiihen Phyſit von Dr. Job, Müller, Pro-
feffor zu Freiburg im Breisgau, Erganzungeband zu fämmtlihen
Auflagen von Muͤller⸗Pouillet's Lehrbuch der Phyſil. Mit 431 in
ten Tert eingetrudten Holgitihen und 25 dem Terte beigelegten,
I.
|
und ſchon liegt e8 in eimer meuen vor, bie wiederum Zeugs
niß ablegt von dem regen Eifer, weldjen der Berfajfer feiner
fomie einem Atlas von 46 zum Theil in Farbendtuck ausgeführten
Tafeln. Vierte, umgearbeitete und vermehrte Auflage. Braunfchweig,
Ftiedtich Bieweg und Sohn 1875. Preis mit Atlas 24 Mart.
Müller's kosmische Phnfit in vierter Auflage. 1. 23
Arbeit zuwendet. allen aud) keine großartigen Entdeckun -
gen in den Zeitraum, der zwifchen der britten und vierten
Auflage liegt, fo haben doch verfchiedene Abſchnitte eine ein
gehendere Behandlung erfahren,
Selbſt der ftabilere aſtronomiſche Theil der kosmischen
Ponfit hat nad) diefer Richtung Hin einige Bereicherungen
gewonnen, wie 3. B. die Paragraphen, welche von den Son⸗
nenfleden, der Arendrehung der Sonne, dem Venusdurch ⸗
gang u. ſ. w. handeln. Der ganze Abſchnitt von den Ko—
meten mußte untgearbeitet werden. An die Stelle ber Pla-
netenerfcheinungen und Finſterniſſe, welche in der britten
Auflage als bevorftehend betrachtet wurden, unterdeijen aber
vorübergegangen find, traten diejenigen, welche ſich in ben
Jahren 1875, 1876 und 1877 ereignen werben.
So ift das ſchöne Wert, eine Zierde der beutichen Lehr⸗
büdyer nach Inhalt wie Ausftattung, Überall auf dem Lau—
fenden und erfüllt im auögezeichneter Weife feinen Amer,
die wichtigften Lehren der Aftronomie und Meteorolo-
ie derart zufammenzufaflen, daß dadurch dem gebildeten
— ein möglichſt Mares und lebendiges Bild dieſer Disci-
plinen vorgeführt und ihm das Eindringen in die Special
fudien erleichtert wird.
Muller's losmiſche Phyſil zerfällt, den Hauptabtgeilun:
der Phyſit entiprechend, in vier Bücher, deren erſtes die
hd reinen der Himmelsförper und ihre mecha⸗
niſche Erflärung behandelt, während ſich das zweite mit den
fosnrifcen und atmoſphäriſchen Lichtericheinungen, das dritte
mit den calorischen Erſcheinungen auf der Erdoberfläche und
in der Atmoſphäre, das vierte endlich mit den eleftrifchen
und magnetifchen Erfcheinungen auf der Erdoberfläche be:
ſchaftigt.
Lor allen ähnlichen Werfen zeichnet ſich Muller's Phnfit
aber durch den reichen Schmud guter Abbildungen aus, die
Übrigens micht bloß Decoration An, fonbern zur Erleichtes
rung ded Unterrichts dienen. Und da ber einfache ſchwarze
Holzſchnitt nicht mehr genügt, um verwidelte Berhältniffe
Har zu machen, fo ift der Farbendruck hier im ausgedehn ⸗
ten Maße bienftbar gemacht worden und zwar jener, welchen
die Buchdruderprefle liefert. Es ift eine Errungenfchaft der
neuern Zeit, daß wir bunte Karten und Illuſtrationen aller
Art jegt mitten in den geſetzten Tert gi druden vermögen,
wie denn auch die heute mitgetheilte Karte der Meeress
frömuugen (Tafel 40 des Muller'ſchen Atlas) in vier
Farben auf der Buchdruderprefie hergeftellt ift.
Indem wir erflären, fiir die Conturen, wie fie das Land
auf diefer Karte zeigt, micht Überall einftehen zu fünnen,
benutzen wir dieſe Gelegenheit, um zu zeigen, in wie Hlarer
und Überfichtlicher Weife Muller das Gapte von ben Mee-
teöftrömungen behanbelt.
„Die ungleiche Erwärmung der Meeresoberfläche in ver⸗
{diedenen Breiten fann nur einen untergeordneten Einfluß
auf die Girculation der Gewäſſer in den großen Dceanen
ausüben, denm felbft, wenn alle Meere aus reinem Waller
beftänden, würde das fpecififche Gewicht des Waſſers in den
Polarmeeren nur jo wenig größer fein als in den Aequator
rialmeeren, daß bdiefer Unterjchied allein feine bedeutende
Strömung bedingen wiirde, Im der That ift aber das
Meerwafler falzhaltig (im Durchſchnitt enthält das Meer
waſſer nahezu 3 Proc. Salz und zwar 2,7 Proc. Chlor:
natrium) und dieſer Umftand bewirkt, daß der Unterſchied
der fpecififchen Gewichte des Meerwaflers verichiedener Brei
ten noch geringer wird. Der Oberfläche der Wequatorial:
meere wird nämlich durch Berdunſtung mehr Wafler ent:
zogen als ihnen durch Regen und Fluſſe wieder zugeflihrt
wird, das Meerwafler wird in folge davon falzhaltiger und
der Wirkung der hohen Temperatur entgegen fpecifiich ſchwe⸗
rer, In den Polarmeeren dagegen wird ber Einfluß der
niedrigern Temperatur dadurch zum Theil neutralifirt, daß
man bier mit weniger falzhaltigem Waſſer zu thun hat,
indem dem Meeren weit nichr Waſſer durch Regen und
Fluſſe zugeführt wird, als fie durch Berdunftung verlieren.
Dom Hequator bis zu den mittleren Breitegrabden nimmt
das fpecififche Gewicht des Waflers an der Oberfläche der
Meere nur um 0,005 zu; unter dem 66. Grabe nördlicher
und zwifchen dem 50. und 55. Grabe füblicher Breite hat
das Meerwafler im Atlantifchen Ocean feine größte Dichtig-
teit. Ueber diefe Grenze hinaus nimmt fein jpecifisches
Gewicht wieber ab.
Weit kräftiger als diefe geringen Unterſchiede des ſpeci—
fiſchen Gewichts wirlen die Winde bewegend auf die Über-
fläche ber Meere ein, indem fie namentlid, auf die Wellen-
berge einen Drud ausiben und biefelben in der Richtung
der Winde forttreiben. Die furdhtbaren Berheerungen,
weldye die Sturmfluthen anrichten, zeigen zur Genüge,
mit welcher Gewalt Wind und Sturm auf die Oberfläche
der Meere einzuwirken vermögen. Unter mittleren und höhe
ren Breitegraden ift aber die Windrichtung zu wechlelud, als
daß fie beftändige Meeresftrömungen erzeugen könnte.
Nur in Gegenden, wo Jahr aus Jahr ein mahezu die gleiche
Windrichtung herricht, wie dies, wie wir bald fehen werden,
in der Region der Pafſate der Fall ift, werden die regel—
mäßigen Yuftitrömungen aud) regelmäßige Meeresitrömuns
gen hervorrufen können.
Auf diefe Weiſe entftehen die auf der Karte leicht zu vers '
folgenden Driftftrömungen, welche in ber Tropenzone
der großen Dceane das Waller auf der Oberfläche der Meere
in der Richtung von Oft mad, Weft fortführen.
Im Uebrigen dürfte es wohl ſchwer halten, die Meeres—
fröme in genligender Weife theoretisch zu erflären, und zwar
um fo mehr, da die höchſt ungleiche Vertheilung von Waſſer
und Yand und die ungleiche Meerestiefe verjchiedener Gegens
den nur ftörend auf eine regelmäßige Geftaltung der Meeres—
ftröme wirken können. Wir müfjen uns faft ganz auf eine
empirische Kenntniß berjelben bejchränfen und felbft dieſe
ift noch ſehr mangelhaft, da ſich die unterſeeiſchen Strömuns
gen der Beobachtung faft gänzlich, entziehen.
Die warmen Meeresftröme find in der Karte durch
rothe Eurven und ihre Richtung durch Meine Pfeile bezeichnet.
Bon den Infeln des Grünen Borgebirges geht
eine Aequatorialftrömung nad) den Weftindifchen In eln.
Im faft gleicher Nichtung läuft eine andere aus dem Golf
von Guinea gegen die Nordweſtküſte von Süd—
amerika und diefe entlang, um in den Mericanijchen
Meerbufen einzubringen. Hier wird die Temperatur der
Gewäſſer, welche auf dem ganzen Wege von Afrifa nad)
Amerifa den nahezu ſcheitelrechten Strahlen der Sonne aus:
efegt und dadurch ſchon ftark erwärmt waren, nod bi zu
Hat 30° C. gefteigert.
Während nun Nequatorialftrömungen im Süden bes
Mericaniichen Meerbuſens in denfelben eintreten, dringt aus
dem nördlichen Theil deſſelben zwifchen Florida und Cuba
ein mächtiger Strom warmen und flark jalzhaltigen Waflers
hervor. Der Golfftrom folgt zunächft in einiger Entfernung
den nordamerifanijchen Küften, um ſich in der Nähe von
Long Island nad) Often zu wenden.
wiichen Florida und Cuba beträgt feine Breite nur
50 Kilometer (ungefähr 7 deutſche Meilen), beim Cap
Hatteras (DOftipige von Nord-Carolina) ift biefelbe ſchon
auf 120 Kilometer gewachſen, um alsbald eine Breite von
mehr als 1000 Kilometern zu erlangen. An feiner engiten
Stelle beträgt die Tiefe des ftrömenden Waſſers ungefähr
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Ein Beſuch auf der Inſel Urt in der Zuhderſee. L
360, beim Cap Hatteras beträgt fie nur noch 200 Meter,
um im weitern Berlauf der Strömung um jo mehr abzu—
nehmen, je mehr ihre Breite zumimmt.
Bei Florida hat der Golfſtrom eine Geſchwindigkeit
von 7 Kilometer (ungefähr 1 deutſche Meile) in der
Stunde; beim Cap Hatteras beträgt diefelbe nur noch 5 Kilo:
meter, und im weitern Verlauf des immer breiter und weni-
ger tief werdenden Etromes nimmt feine Geſchwindigkeit
auf 3, 2, 1m. f. w. Kilometer in der Stunde ab.
Die Haren Gewäller des Golfsftromes zeichnen jich
durch eine tief blaue Färbung, welche überhaupt den
Meeren der heißen Zone und namentlich, auch dem Indiſchen
Ocean eigen ift, vom dem hellern mehr grünlichen Waſſer
des ihn umgebenden Meerwaflers aus.
Bei feinem Austritt aus dem Mericanifchen Meerbufen
hat der GSolfftrom eine Temperatur von nahezu 30% C.,
weldye die des benachbarten ftromfreien Meeres um 5° über-
trifft. In der Nühe bes Cap Hatteras beträgt feine Tem-
noch 26 bis 27" umd in der Nähe von Neu-Fund—
land find feine Gewäſſer im Winter nod) um 10 bi8 15%,
wärmer als die des benachbarten ſtromfreien Meeres.
Der in der Nähe von Yong Island fich mad Dften
wendende Golfſtrom fpaltet ſich nördlich von den Azoren in
zwei Theile. Der Hauptſtrom jegt feinen Weg nordöftlich
nad den Weftkütften Europas fort, er befpitlt Irland, Eng—
land und Norwegen und ſendet feine Wusläufer bis in die
Polarmeere. Kin anderer Theil des Golfsftroms wendet
fich im Füdlicher Kihtung gegen die Weſttküſten von Afrika,
um ſich endlich mit dem bei den Cap-Verdiſchen Inſeln ent
fiehenden Driftftrom zu vereinigen.
Die dem Golfftrom entfprechende Meeresftrömung des
Stillen Dceand wird von den Japaneſen wegen feiner tief
blauen Färbung der Kuro-Siwo, d. h. der dunfle Strom,
genannt, Er bildet eine Fortfegung der Sübdfee- Drift:
frömung. Durch feine hohe Temperatur, welche die des
angrenzenden Meeres um 5 bis 10% C. übertrifft, mildert
er das Klima der Oftküfte von Nipon, welches in ſchroffem
Gegenfage zu dem rauhen Klima der von falten Meeres-
firömen befpüften Weftlüfte diefer Inſel fteht.
Nachdem der Kuro-Siwo Japan verlaffen hat, theilt er
fich im zwei Arme, deren fchmächerer zwiſchen Kamtſchatka
und ben Aleuten gegen die Behringäftraße vordringt, während
der ftärfere ſUdlich von den Aleuten vorbeiftrömend die Wefts
25
füfte von Anterifa erreicht und endlich in den Acquatorial-
ftrom einmilndet.
Außer den im Vorhergehenden genannten findet man
noch andere hier nicht näher zu beſprechende warme Meeres:
ftrömungen verzeichnet. Während diefe das im Tropen
gürtel erwärmte Waller höheren Breiten zuflihren, ftrömt
in anderen Gegenden das weniger falzhaltige und deshalb
feichtere Wafler aus dem Polarregionen dem Aequator zu
(kalte Meeresftröme). Dieſe falten Meeresftrömungen
find durch blaue Curven bezeichnet, Ein folcher Polar:
ftrom theilt fi in der Nähe der Südſpitze Amerikas in
zwei Ströme, beren einer unter dem Namen dee Humbolbt-
ftromes der Weftfüfte von Südamerika folgt, während ber
andere um das Gap Horn umbiegt und ſich zum heil
gegen die Sibfpige von Afrifa wendet.
An den peruanifchen Küften beträgt die Temperatur
des Humboldtftromes 15,50 C., während die Temperatur
ber jtromfreien Meere jener Gegenden 28° E. beträgt. Der
Humboldtftrom übt daher auf das Klima von Chile und
Peru einen wohlthätig abfühlenden Einfluß aus, während
Brafilien, an defien Geftaden eim füblicher Ausläufer der
atlantifchen Hequatorialftrömung entlang fließt, zu den heiße ·
jten Ländern der Erde gehört.
Da wo die Kitfte Südamerifas am weiteften nad) Wer
ften vorfpringt, wendet fi der Humboldtſtrom größtentheils
nad) Welten und feine unter dem Einfluß der Tropenfonne
mehr und mehr erwärmten Gewäſſer gehen endlich in die
allgemeine Aequatorialftrömung über; ein Heiner Theil der
Humbolbtftrömung geht jedoch längs der KHüfte weiter und
läßt ſich bis in den Golf von Panama verfolgen.
Im Atlantifchen Ocean dringt ein Strom falten,
oft eisführenden Waflers aus der Davisftrage und längs
den Oftfüften von Grönland nad) Süden und drängt ſich
zwifchen die amerifanifchen Küften und den Golfſtrom ein,
Diefer kalte Polarftrom ift es vorzugsweife, welcher die
Temperatur der Ofttüften von Nordamerika herabdrückt.
So jehen wir denn, wie die Oftfüften von Norbamerifa
und die Weftküften von Südamerika durch kalte Meeres:
ftröme abgefühlt werden, während umgefehrt die Temperatur
der Woeftküften von Nordamerifa und der Oftfüften von
Südamerika durd) warme Meereöftrömungen über die mitt
lere Temperatur der entjprechenden Breitegrade erwärmt ift.
Die Grenze des Treibeifes iſt auf der Karte durch
vevvevt bezeichnet.“
Ein Beſuch auf der Inſel Urk in der Zuyderſee.
M. Die Holländer find mit preisiwärdiger Ausdauer
bemüht, dem Ocean, der an ihren Geſtaden jo arge Ber:
wüftungen angerichtet und während des Mittelalters mehr
al& einmal weite Yandftreden unter Waſſer gefegt hat, wie:
ber feften Boden abzugewinnen. Sie deichen ein, was irgend
einzudeichen ift, aber während dieje Heineren Arbeiten unab-
läflig ihren Fortgang nehmen, haben fie auch großartige
Werke in Angriff genommen und glücklich ausgeführt. Die
Zweifel, ob das Haarlemer Meer troden zu legen fei,
haben im Jahre 1853 ihr Ende gefunden; das Haarlemer
Meer ift trodener Boden geworben.
Durdy den günftigen Erfolg ermuthigt, hat man vor
Globus XXVIII. Nr. 2,
einigen Jahren einen nod viel großartigern Plan gefaft.
Es handelt ſich darum, auch die Zuyder ſee wenigftens
zum großen Theile wieder im feſtes Yand zu verwandeln.
Man hat forgjältige Unterfuchungen amgeftellt und diefe find
günftig ausgefallen; man ift überzeugt, daß ficd dort dem
Meer „eine ganze Provinz“ abgewinnen läßt. Freilich erſt
nad) langjähriger Arbeit und mit vielen Koſten, aber der
Vortheil wird groß fein und die Holländer könnten auf ein
ſolches Werk noch viel ftolzer fein als auf die Trodenlegung
des Haarlemer Meeres,
Man jcheint in den Niederlanden ben ernften Willen zu
haben, das Niefenwerk in Angriff zu nehmen, Daflelbe
4
26 Ein Beſuch auf der Inſel Urt in der Zuhderſee. L
wird in der Configuration der Yandfcajt eine völlige Um—
wandelung bewirken; von der See bleiben nur noch einzelne
Streden und mehrere Infeln werden dem Feſtland ange
fcjlofien werden. Zu diefen gehört auch das Heine Eiland
Urt (fprid) Wert), weldyes im nördlichen Theile der Zuyder—
jee, im Süden der Provinz Friesland, im Weften von
Overyſſel liegt.
Dann wird die Eigenthümlichkeit diefes von Wogen ums
rauſchten Fleckes Erde verſchwunden fein. Auf diefen ein
fanen Eilanden herrſcht recht eigentlich) das Stillleben; ſel⸗
ten verliert ſich ein Neijender dorthin, und dech find fic eines
Befuches werth. Man findet auf ihnen, und namentlicd)
auch anf Urk, mande Eigenthümlidyfeiten, die anderwärts
längſt verſchwunden find.
Seit Jahrhunderten lämpfte dieſe Handvoll Erde mit
dem fie umgebenden Element und wenn fie and) nur felten
unbejchädigt aus ſolchem Kampf hervorging, jo zeigt fie
fi) dem Reiſenden, der von Yenmer nach Amfterdam fährt,
doch noch ftets als einen grünen Hügel und gewährt durd)
ihre hohe Yage, durch ihre Ihurmfpigen und niedrigen
Fiſcherhuütten einen nicht umangenehinen Anblid. Daß indeß
das Meer feinen reichlichen Tribut erhalten hat, erhellt dar:
‚aus, daß die Schiffer eine Stelle mitten in der See, zwiſchen
Urt und Schodland, den „Urfer Kirchhof“ neuen.
Die Commifjion jür Trodenlegung der Zunderfee war
lange wicht jchlüffig, ob fie Urt mit aufnchmen oder an dej-
fen Strand vorbeigehen jollte. Gelingt jene Riefenarbeit,
fo ift es mit Arts Eigenthitmlichleiten vorbei, es mag auf«
genommen oder ausgefchlofien werden.
Die Infel läßt fi) von Enkhuygen aus in wenigen
Stunden erreichen und die Fahrt ift bei nicht zu ruhiger
See von großem Intereſſe. Urt hat eine längliche Form
und erſtredt id) in etwa ſtündiger Auedehnung von
SW, nad) N-D. Der ſchmaie nordöftliche Streifen Yan:
des, welchen die Infulaner den „Schweif“ (Staart) nennen
und der fait +, des Ganzen umfaßt, fteht zur Fluthzeit
oft unter Waſſer und dient dann dem diebiſchen Seehunden,
welche die Nege unterfuchen, als unfichern Aufenthaltsort.
Durch diefen „Schweif“ läuft ein Sandrüden, der in
den gewaltigen Eturmfluthen vom November 1775 und
Noveniber 1776, als die Injel nur ehr mangelhaft gegen
die Angriffe der Zee gefchligt war, entftanden fein fol. -
Der höhere (füdweftliche) Theil erhebt ſich etwa 10 Die:
ter über den Meeresfpiegel und hier befinden ſich alle Woh—
nungen und fonftigen Gebäude, Diefe liegen ohne jeglichen
lan wire durd) einander gewürfelt; faum findet man zwei
Häufer gerade neben einander ftehen, jo dag man faft eines
ührers bedarf, ſich durch dieſes Labyrinth hindurchzuwinden.
Die Zwiſchenräume ſind mit Gras bewachſen und jo gleicht
das Dörfchen einer Weide, in die man hier und da ein
Haus gejtellt hat, Dieſes ift fait ausnahmslos einflödig
und theils aus Stein, theils aus Holz gebaut. Bor einigen
Hänfern findet man eine Pappel oder eine Weide, um Wind
und Hitze etwas zu dämpfen,
Tie beiden Kirchen — die der Neformirten und die
einer chriftlichen Secte — ftehen in ſchweſterlicher Eintracht
nahe bei einander, im Scjatten des Yenchtthurms. Letzterer
iſt unſchwer zu bejteigen und, wie alle Leuchtthürme, mehr
praltiſch als jchön. Mit unbewafinctem Auge erbliden wir
Enthuyzen und die friefische Hüfte und das ruhig wogende
Meer giebt ein unvergeßliches Bild. Das Drehfener vier
ter Größe ift bei Marem Wetter in Enkhuyhzen fictbar.
Diefes Licht dient nicht nur den Schiffern, ſondern — aud)
den Hagen. Die Bögel fliegen des Nachts gern dem Lichte
zu; jie ftoßen mit Gewalt gegen die dide Kuppel uud fallen
dann todt oder betäubt nad hüben und drüben, wo jie von
den zahlreich verfanmelten Naubthieren mit Haut und
Haaren verichlungen werden. Es find meiftens Yerdjen,
Krammmetsvögel und Staare, weldye als Opfer fallen. In
einer Nacht fing der Wärter einft 147 Stüd folder Vögel.
Die Kirchen find äußerft einfach. Betreten wir jene der
Reformirten, jo erbliden wir in erfter Stelle ein volftändig
aufgetafeltes Schiffchen, weldyes vom Zuge bewegt an der
Dede hin» und herſchwankt und und an die Aberſtandene und
zu erwartende Seekrantheit erinnert. An beiden Seiten der
Kanzel hängt ein Brett, welches die Namen der früheren
Prediger trägt. Jetzt hat die Heine Gemeinde feinen Seel—
forger; aber allmonatlid) kommt vom Feſtlande ein Geift-
licher herüber, um Gottesdienſt zu halten. Solcher gleicht
ganz einer häuslichen Andacht und die Kirchlichteit wird
hier im vollfien Sinn des Worts mit der Muttermilch eins
gefogen.
Die legten Glockenſchläge find verhallt; der Prediger
hat die Kirche betreten. Yangfam folgt ihm die Gemeinde:
Männer und Frauen in ihrer infularifchen Tracht. Jene
tragen eine ſehr weite blaue Fade mit großen, oft filbernen
Knöpfen; filberne Schnallen auf den niedrigen Schuhen
und echte Thaler an den weiten ſchwarzen Bumphofen vollen:
den den Luxus. Die Beine fteden im ſchwarzwollenen
Strlmpfen; eine blauwollene runde Mige bededt das
Haupt und um den Hals hängt cin rothes Tuch.
Auch die Franen find der irdiſchen Pracht nicht gram,
wenn auch in etwas verfchiedener Weife wie die Dlänner.
Sie Meiden fich vorzugsweiſe ſchwarz und umſſchlingen den
tief fichtbaren Hals mit einem weißen Tuche, das durch zwei
filberne Nadeln mit großen Köpfen feitgehalten wird. Die
holländischen Ohreifen findet man hier nicht.
Berjchiedene Mütter haben während ber Predigt ihre
Säuglinge auf dem Schoße. Werden fie unruhig, b legt
die Mutter fie ohne Weiteres an die Bruft; wenn fie fhläf-
rig find, wird baldigft aus Mantel oder Tud) ein Bettchen
imprevifirt.
Wer von den Kirchengüngern ſich nad) frischer Luft ſehnt,
geht ruhig hinaus und fommt gegen den Schluß der Predigt
wieder, da er ja dod) einmal den Zuſammenhang verloren
hat. Andere legen ſich in ihrer vollen Yänge auf die Bank,
theil® auf den Niden, theil® auf den Bauch und ftligen
mit beiden Händen den Kopf. Weder Prediger noch Zu—
hörer lafjen ſich durch lautes Schnarchen ftören.
Aber 8 giebt auch andädhtigere Zuhörer, wie jene Mut»
ter, die ihren Paulus auf dem Schoß hat und ihm in ihrer
Spradje den Tert ded Predigers vom verlorenen Sohn ers
Härt: Daor was er en zieker man, die twie zuuns
adde. De jüngste van die beye junges zee tuugen
zien toate: Toate, gief mie mien part van’t geld
en good, dat men toekomt. Jen zien toate gaf em
zien part. Toe ging ie eene, ien zammelte alles by
enkanjer; ien toe ging ie op raeze non en vremd
laand; ien toe brogt ie daor alles deur wat ie adde ete.
(Luc. 15, 11 ff.)
Wenige Schritte dem Meere näher liegt die allgemeine
Vegräbnißftätte und zwar dem Meere fo nahe, daß fie fait
von den Wellen berührt wird.
Den Urfern, die ihre Todten mit kindlicher Ehrfurcht
verehrten, ift dies eine heilige Stätte." Verunglüdt einer der
Ihrigen, fo ruhen fie micht eher, als bis fie die Leiche aufs
gefunden haben und am Tage deö Begräbniſſes fehlt gewiß
fein Fiſcher, um dem verunglüdten Gefährten die letzte Ehre
zu erweifen. Die verwitterten Grabſteine, die ſich auf dem
einfachen Kirchhofe zwifchen dem hohen Graſe verbergen und
fo laut das Memento mori verkünden, fie liefern den Ber
| weis, daß das wüthende Element eine nicht geringe Zahl
Berlovitjch’s bulgarische Volkslieder. 27
Schlachtopfer fich wählte und daß manche Wittwe und Waife
den liebenden Verforger verlor.
In einer verlaffenen Ede det ein einfacher Sandftein
bie angetriebene Peiche eines Filchers, der „mit 25 anderen
zwiſchen Blieland und Terſchelling“ jämmerlich ertrunken
it. An einer andern Stelle heißt ed: „Hier ruhen zwei
Männer einer Frau; beide fanden ihren Tod in den Wel-
fen.“ Solcher Infchriften zeigt der Hiefige Kirchhof in trans
rigen Ueberfluß.
Diefer ernfte Eindrud wird oft durch Reimereien geftört.
So lafen wir auf einem alten Steine, deſſen Inſchrift
nur mit Mühe zu entziffern war (im fast wörtlicher Ueber
frgung) :
Hier liegt die theure Fran,
Ein Prachtjuwel der rauen;
Sottieligkeit und Tugend
War ar ihr zu beichauen.
Ein anderer Stein, der einen Arzt (geft. 1827) dedt,
ſpricht ziemlich, ironiſch:
Vielen balf er in ber Noth,
Biele brachte er auch zum Tod.
Bern man aber erfährt, daß befagter Arzt aud) Feichene
träger war, dann wird bie Jronie in Wegfall fonımen und
nur die lindliche Poeſie zurückbleiben.
Am Sonnabend Abend liegen alle Schiffer mit ihren
150 Schuiten in und am Hafen und feiner geht wieder von |
dannen, bis die zwölfte Stunde den Sonntag vom Montag
getrennt hat. Mag der Wind nod) fo günftig, das Wetter
noch jo umheildrogend fein, die Fischer werfen erſt dann,
* aber aud) dann ihre Taue los, fobald ihr „Admiral“, einer
der am meiften erfahrenen Fiſcher, die Infel verläßt Wenn
er die Segel aufhifjen darf, dann folgen alle anderen ohne
Furcht. Denn es herrfcht unter ihnen der unerſchütterliche
Haube an ein Fatum. Niemand, fagt ber Urler, ftirbt vor
feiner Zeit. Darum fürchtet er auch feine Gefahr; er fegelt,
wenn jeinem Nächten ein Unglück begegnet ift, mitten in
die wüthende Brandung hinein.
Wo fo viele Selbftaufopferung, da ift gewiß auch viel
edler Muth und wahre Menſchenliebe.
Es war in dem heftigen Sturm am 17. December 1873,
ald das Hamburger Schiff Urania auf das Norderneier Riff
gerieth. Zwölf Menfchenleben befanden ſich in drohender
Gefahr. Schon längere Zeit war ein Urker Fiſcherboot
vergeblich, bemüht, fich durch die raſende Brandung hindurd)-
zuarbeiten, um dem bereits finfenden Schiffe Hilfe zu brin:
gen — leider vergebens. in jugendlicher Fiſcher gab die
Rettung auf und rief feinen Gameraden zu: Kehrt! Gott
erbarme ſich der armen Menſchen! Wir haben unfere Pflicht
vor Gott gethan !
Da ſtürzte ein waderer Urfer aufgeregt nad) vorn, ballte
die Fauſt und donnerte dem Andern zu: Vor Gott un-
fere Pflicht gethan ? — Nein, zum Teufel, nody nicht! Bor:
wärts! Wir wollen alle achtzehn hierbleiben oder alle retten!
So geſchah es! Nach wiederholter Anftrengung aller
Kräfte, die faft das Menſchliche Üiberjtieg, wurden die zwölf
Schiffbrüchigen gerettet. Die holländifche Regierung hat
diefe edle That in würdiger Weife anerlannt.
Die geiftige Bildung fteht hier eben nicht auf einer ganz
niebderigen Stufe, wenn and der Schulunterricht ſich nur
auf die einfachiten Elementarkenntniſſe erftredt. Im Wins
ter, wenn man fich nicht mit Striden und Berbefiern ber
Nege bejchäftigt, geben ſich Viele dem Leſen hin; ferner hat
man eine „criftliche* Bewahr:, Nähs und Strickſchule und
aud) nod) ein Yocal, in dem die „chriftlichen“ Sitnglinge am
Sonntag Nachmittag fid in ihrem extremen Chriſtenthum
fortbilden. Sodann fommen doch aud) die Männer in Folge
ihres Berufes vielfad, mit Feftländern in Verbindung und
holen fich dort einen gewiſſen Schliff.
Anders ift es mit den frauen, von denen viele bie
Spanne Erde, auf der fie geboren find, nie verlaffen haben.
Nod) vor wenigen Jahren gab es hier 75jährige, weldye die
„Außenwelt“ nie gejchaut hatten, Kommen fie einmal nad)
dem Feftlande, fo ftaunen fie alles Unbefannte mit großen
Augen an und es mag mancher Infulanerin dort ergangen
fein, wie jener Frau von Borkum, die, als fie zum erſten
Dial eine Windmühle erblickte, ftaunend ausrief: O wat
'n grote Haspel! Die Heimath geht ihnen, gleich allen
Infulanern, über alles und wenn Berhältniffe fie im die
weitere Welt fegen, jo jtellt ſich recht bald eim nicht zu
dämpfendes Heimweh ein, Eine junge Frau, die in Anfter»
dam als Dienftmagd ſich aufgehalten hatte, bemerkte: Dort
feien die Häufer und Yäden freilich viel hübfcher, dahingegen
aber die Straßen aud) arg ſchmutzig.
Verkovitſch's bulgarifche Volkslieder *).
Ein bosnifcher Serbe, Verkovitſch, der in Seres mit
alten Münzen und Medaillen handelt, war ſeit langer Zeit
von der firen Idee behaftet, daß die Slaven der Türkei die
birecten Nadjlommen der alten Urbewohner Macedoniens
und Thraciens feien, und um Belege für diefe feine Anficht
beizubringen ſcheut ex weder Arbeit noch Koften. In feinem
Auftrage fammelten verfchiedene Yeute, denen er feinen En-
!hufiosmus einzupflanzgen verftand, die Geſänge und Märs
den im jenen Theilen der Baltanhalbinfel und der Ertrag,
anfangs dürftig, begann allmälig immer veicher zu fließen
und den eifrigen Sammer für feine Muhe zu lohnen. So
fonnte Verkovitſch im Jahre 1867 im „Bulletin de l’Ecole
frangaise d’Athönes* eine Anzahl Yieder veröffentlichen,
*) Les chants populaires bulgares. Rapports sur une mis-
sion littöraire en Mackdoine, Par Auguste Dozon, Paris, Im-
primerie nationale. 1874.
welche den Beweis liefern follten, daß auf Orpheus beziige
lidje Traditionen noch in Thracien heimiſch feien. Von die:
fen Gefängen erfchien unter dem Titel Chants du Rhodope
eine ausführliche Analyfe und endlid) wurden die Original:
terte im fechöten Bande der „Archives des missions scien-
tifiques* in Paris veröffentlicht. Unterdeſſen wuchſen die
„Entdetungen* Verkovitſch's immer mehr an, immer wichtige
res und gehaltvolleres Material wurde zu Tage gefördert.
Nicht nur wurde hierdurd) das bisher dunkle Yeben von Or
pheus aufgehellt, auch auf das Leben Alerander's des Großen
fielen Streiflichter, ja die Ankunft der Slaven in Europa
ift darin befungen, Natürlich machte eine ſolche Entdedung
Uuffehen und der franzöfifche Unterrichtsminifter hielt es für
gerathen, den Dingen im Intereſſe der Wiſſenſchaſt näher
auf die Spur zu gehen. So wurde Herr Augufte Dozon,
Kanzler beim franzöfifchen Gemeralconfulat in Belgrad und
Autor des Werles „Poesies populaires serbes“, damit
4*
28 Verkovitſch's bulgarische Volkslieder.
beauftragt, die ganze Sammlung zu unterfuchen und fein
Gutachten dariiber abzugeben, das num aud in dem ange
zeigten Werte vorliegt.
Verlovitſch fcheint der Meinung zu fein, daß nicht nur
die alten Macedonier und Thracier mit Einfluß von Or-
pheus und Wlerander dem Großen Slaven, fondern baf
auch diefe Slaven „die einzigen Träger der Civilifation wa—
ren, die man bisher fälſchlich den Hellenen zuſchrieb.“ Wie
Berkovitfch fi, hier mit feinem flavifchen Stammesbrubder
Liebelt abfinden wird, vermögen wir nicht zu fagen, nur fo
viel ift ficher, da diefer Tjcheche zu Prag 1868 eine Schrift:
„Die Abftammung der Slaven“, herausgab („als Hilfsmittel
zur leichtern Exlernung der griechiſchen Sprache“), im welcher
nadjgewiefen wird, daß die Slaven gar feine Slaven,
fondern unmittelbare Nadfommen der alten Hel—
lenen jeien! Was find num Fallmerayer's Anſichten gegen:
über diefen beiden? Gewiß, er ift böje mit den Neuhellenen
umgegangen und hat mandjmal über das Ziel hinausgefchoffen,
aber er lommt doch noch lange nicht zur Giräfophobie von Bers
fovitfch, dem die alten Griechen „turanifche Wilde* find!
Nachdem Verkovitſch fid, von der „Wahrheit“ feiner Ans
fichten überzeugt hatte, begann ex weitern Stoff zur Unter
ftügung derfelben zu fammeln und lam im den Befig von
177 Sebichten, die zufanmen etwa 85,000 Berfe haben und
als „die Bedas der die Baltanhalbinfel bewohnenden Slaven
gelten lönnen“. Hauptfammler dieſer Schäge war ein gewif-
fer Jovan Ekonomow, der jedoch; auf Verkovitſch's Zureden
den mehr jlavifch Mingenden Zunamen Gologanow ans
nahm. Pängere Zeit Schulmeifter in Kruſchewo gab Jovan
auf Berkovitich's Wunſch feinen Poften auf und errichtete
eine Heine Schänfe, in der die wandernden Mlinnefänger, die
„Kirabſchis“ und „Bomaken“, verkehrten. Bon ihnen
fammelte Jovan feine Schäge, wenn aud) nicht ohne große
Schwierigleiten.
Die Gedichte nun, welche ſich auf Orpheus beziehen
ſollen, ſprechen von einer Art Halbgott, einem Könige oder
Heros mit Namen Orfen, Ourfen, Fren, Frenouché
oder Forlen. Seine Mutter iſt eine Inda oder Nymphe,
feine Tante der Morgenſtern. Er kann nad) Belieben Flu—
gel an feine Schultern ſetzen und mit deren Hulfe ſich in die
höchften Himmelshöhen erheben, wo er nad} göttlichen Wunſche
feinen Aufenthalt nehmen muß. Sein Hauptattribut ift
eine magifche Flöte, mittelft deren Kraft er nicht nur folche
Wunder wie Orpheus und Amphion vollbringt, fondern mit
deren Hülfe er auch alle jchädlichen Ungeheuer bezaubert oder
vertilgt. Die folgende Analyfe wird einen Begriff von der
Natur der Gedichte geben. \
Ein Priefter des Gottes Koleda tritt in eine dieſem Gotte
geheiligte Höhle ein; in der Hand hält er ein firahlendes
Bud) und eine goldene Flöte; er will dem Gotte einen Vogel
opfern, Da findet er in der Grotte einen fchlafenden Halb-
gott, der in einen goldenen Mantel gehüllt ift und eine gol—
dene Flöte in der Hand Hält. Der Priefter weckt ben
‚Schlummernden auf und will ihn mit Feuer verbrennen;
aber der Heros beginnt auf feiner magischen Flöte zu fpielen
und der Priefter fällt leblos auf die Erbe nieder. Nun tritt
eine Nymphe ein, welche den Flötenſpieler auffordert fein
Spiel zur unterbrechen. Sobald dann die Mufif aufhört fteht
der Priefter wieder lebend auf und der Eindringling erzählt
ihm feine Geſchichte; „Ich lebe im Himmel und diene dort
Gott. Da ich mic, im eine junge Prinzeffin verliebte, fo
flieg ich von meiner Höhe herab um fie zu heirathen. Als
ich, aber vor ihrem Palaſt anlangte fand ich fie nicht und ich
bitte Dich, den Gott Koleda zu fragen wohin fie geflohen ift.*
Nun bringt der Priefter Opfer umd Gebete dar und Koleda
antwortet, daß die Prinzefjin im Hinmel ſei, wohin Orfen
fliegen muß, wenn er fie heirathen will. Orfen vergießt
einige Thränen, fehrt in den Himmel zurlid und wird auf
Erden nicht mehr gefehen.
Auch das Andenken an Alerander den Großen ift in
Macedonien nicht ganz ausgeftorben, und ganz ficher, bemerkt
Dozon, haben die Sammler des Herrn Verlovilſch einige
Traditionen aufgefunden, die ſich auf diefen Herrſcher bezies
hen. Eine derfelben erzählt, wie der Vater des jungen det.
ſandr“ ein wundervolles Pferb mit einem Ochjentopf bejaß;
viele Könige und Fürften verfuchten e8 zu befteigen — allein
vergeblich. Endlich ſprang der junge detfandr fühn ihm auf
den Rliden, fette ſich dort feit „wie ein Vogel auf fein Neft“
und zähmte es fofort. Als Lekſandr ein Mann geworden ritt
er mit dem Pferde durd) viele Yänder und lam bis an bas
Reich Indien. Vergeblich verfuchte der indiſche König ihm
zu widerſtehen; Lelſandr ritt mitten im feine Armee hinein
und vernichtete fie; freilich wurde das Roß babei zu Tode
verwundet, allein che es ftarb rettete es feinen Reiter noch
aus. der Gefahr. Dies ift eine Erzählung mit hiftorifchen
Anklängen, allein andere Gedichte hüllen ſich in ein mıytho=
logiſches Dunkel. Unter dem Einfluffe claſſiſcher Tradition
wird Alerander ald der Sohn eines Draden bargeftellt, zu
dem jich feine Mutter — hatte, als ſie vor den Drohun⸗
gen ihres finderlofen Mannes, des Königs Feleſina, erſchrak.
Außer den Geſchichten von Orfen und Alerander ift Ber:
tovitſch jo glüdlich gewefen eine Anzahl Lieder zu entdecken,
die nad) feiner Anſicht die heifle Frage von der Ankunft
der Slaven in Europa behandeln. Was bisher ange:
nommen wurde und was byzantinifche Geſchichtſchreiber von
den Einfällen der barbarifchen Slaven im ſechöten Jahr-
—— berichteten, beruhte nur auf griechiſcher Falſchheit und
iferſucht. Die Bulgaren und Serben und andere Süd⸗
flaven waren urfprünglic, Eingeborene Indiens, in ihren
gegenwärtigen Wehnfigen befinden fie fi aber ſchon mins
deftens 2000 Jahre; in ihren Liedern und Geſchichten haben
fie Traditionen aufbewahrt, welche helles Licht auf ihren frü—
hern Aufenthalt in Indien werfen und fogar den Wanders
zug erfennen laffen, auf dem fie von Ajien nad) Europa
famen. Aus der kurzen Analyfe, welche Dozon von einigen
dieſer Geſänge giebt, erfehen wir, daß einzelne Nationen
zu volkreich wurden und deshalb ihre Jugend ausſchickten oder
wenigſtens „die Leute, welche unter hundert Jahr alt waren“,
damit fie fic) eine neue Heimath fuchen follten. Das alles
geſchah auf göttlichen Befehl und das Commando über die
Ausziehenden führte der Sohn des regierenden Königs. Aber
ber Ort, vom dem bie Auswanderung ausgeht, bie durch—
zogenen Gegenden, das Yand, in welchen fie fich niederliegen,
nachdem fie die wilden Ureinwohner vertilgt — das alles
wird in jo vagen Ausorliden gejchildert, daß wir es Verlo—
vitſch überlaffen müſſen, darin Indien u. ſ. w. zu erfennen.
Für den hiftorifchen Kritiker erſcheinen die Angaben dieſer
Lieder werthlos.
Wenn nun aud) die hiftoriichen Lieder uns als Belege
deſſen, was fie beweilen follen, wenig anmuthen, jo muß
Herr Verlkovitſch von den mythologiichen Traditionen fei-
ner Sammlungen fih um fo mehr befriedigt fühlen, denn
in mehreren berfelben werden in der unzweideutigften Weife
göttliche ober übernatiirliche Wejen erwähnt, deren Eriftenz
bisher unbelannt oder zweifelhaft war. Wir gehen auf eine
der merkwürdigen Compofitionen ein, welde nicht weniger
als 2464 Berje enthält und die den Uvjprung der Kunft
des Leſens und Schreibens erörtert, eine Kunſt, für melde
die gewöhnlichen Bulgaren von heute feine allzugroße Bor»
liebe zeigen, Der nicht weniger als dreihundert Jahre alte
König Ticheta heivathet die junge Voellana, bleibt aber ohme
Leibederben. Da verliebt fic die Sonne in die junge Kö—
Aus allen Erdtheilen. ’ 29
wigin und beredet fie, daß fie ſich einem trügerifchen Flügel
anvertraut, um ſich in die Hallen der Sonne emporzufcwins
gen. Nachdem jie hier lange genug geweilt, fteigt fie wieder
zur Erbe herab und bejcenft Tſcheta mit einem Sohne Na—
mens Sada. Als diefer Prinz erft drei Jahre alt war führte
” er bereits eine Schaar Unterthanen feines Vaters in fremde
Länder. Nach einiger Zeit bewirbt er fid) um eine Frau,
und eine Nymphe, weldye in den Himmel gefchiet war, um
bier Leſen und Schreiben zu lernen, wünſcht die Seinige zu
werden. Keinenfals ift fie aber ſehr ungeduldig, denn nad)»
dem fie jchon ein Jahr lang im Himmel gelernt, ift fie erſt
bis zum Buchſtaben R gefommen, Erſt wenn fie beim &
angelangt ift wird ihr geftattet ihrem Wunfche nadyzulommen,
bis dahin muß Saba ſich ald Funggefell gedulden. Endlich
erscheint der glüdliche Moment, die Nymphe fteigt, mit zwei
goldenen Tafeln verfehen, vom Himmel hernieder und lehrt
Saba in der furzen Zeit eines Monats Leſen und Schreiben.
Der Prinz ſchreibt nun feinen Vater einen Brief, in welchem
er dieſen zu feiner Hochzeit einladet; da aber der alte Herr
weber leſen noch fchreiben kann, jo ertheilt auch ihm bie
Nymphe Unterricht. Nun endet alles glücklich.
Aus dem mitgetheilten Analyjen wird man das Wefen
diefer Dichtungen genügend erfennen. Wie fteht es aber
mit ihrer Echtheit? Es liegt auf der Hand, daß fie einen
der wichtigften Beiträge zur vergleichenden Mythologie bil»
den, die in ben legten Jahren ans Tageslicht traten, wenn
fie echt find; andererfeits aber find fie, wenn micht echt ober
nur verarbeitet, höchſt ſchädlich und künnen im diefem Kalle
nicht genug verbammt werden. Dozon, weldyer die Original:
terte gejehen hat, fpricht von ihnen in etwas wegwerfenber
oder fpöttifcher Weife, ohme aber felbft zu eimer entſchiedenen
Veeinungsabgabe zu kommen. Daß aber Verlovitſch und
fein Agent, Gologanow, alias Ekonomow, bona fide gehan-
delt Haben, glaubt Dozon verficjern zu können, Er befchreibt
den erftern als einen ehrenhaften Enthufiaften, den bie Ver—
folgung feiner Lieblingsidee viel Geld gefoftet hat, und den
letztern als cinen „furchtjamen Mann von milden, jympa-
thiſchem Charakter, ohme jeglichen dichteriſchen Enthufins-
mus“, — einen fo einfachen Dienfchen, daß es rein unmbg⸗
lic, für feine Gaben geweſen fei, die ungeheuere Maſſe von
Gedichten zu fälfchen, die er gefammelt haben will. Uber
trogdem giebt er wieder zu, daß, wie ſchon früher politifche
Erwägungen zu literarifchen Fülſchungen führten, diefes aud)
bei den Yiebern vom Rhodopegebirge der Fall geweſen fein
fünne. Im Ganzen aber fcheint fein Urtheil günftig für bie
Edjtheit der Gedichte zu fein, obgleich er mit Verlovitſch in
der Ybentificirung von Orfen und Orpheus, oder dem indis
ſchen Exodus der Bulgaren nicht übereinftimmt.
Dedenfalls wird es gut fein nur mit der größten Vor:
ſicht, ja mit Mißtrauen die Entdeckungen Berlovitſch's auf
zunehmen. Daß viele Vollslieder und Geſchichten in den
macedonifchen Bergen nmlaufen, hat er nachgewieſen, und
Vieles, was fein Agent Jovan Efonomow aufgeichrieben hat,
ift gewiß echt; anderes aber ift zu verbächtig. Augenſcheinlich
find viele Gedichte umgemodelt und mit vorgefaßten Ideen
in Einflang gebradjt worden, Dozon's Bericht wurde ſchon
1872 gejchrieben; auf dem Titel fteht die Jahreszahl 1873
und auf dem Umjclage gar 1874. „Im diefem Uugen-
blide,* fchreibt Dozom vor jegt drei Jahren, „läßt Verfos
vitſch prädjtig und auf feine often den erften Band druden,
weldyer 7000 Zeilen umfaßt, die mit einer franzöfiichen
Ueberjegung von einem Tſchechen verfehen find. Diefer Band
fol Ende des Herbftes (1872) erſcheinen.“ Dieſer erfte
Band ift aber noch gar micht erſchienen.
Der hauptſächlichſte Vorwurf, welden man den Liedern
machen kann, ift der, daß fie zu viel bemeifen wollen. Ueber
die Götter, welche die alten Slaven verehrten, ift ſehr wenig
befannt und trogdem tüchtige böhmiſche, vuffifche und andere
Forſcher die ſlaviſche Mythologie bearbeiteten, ift diefelbe
noch feineswegs in allen Stliden über Zweifel erhaben. In
Gefängen und Gebräucen giebt es allerdings manche An-
haltepunfte, aus denen auf die alten Götter geſchloſſen wer⸗
den fan, namentlic in den um Weihnachten gejungenen
Koljadki, deren Namen in jehr verfciedener Art erklärt
worden ift. Die meiften flavifchen Sprachforjcher fehen darin
eine Anpafjung der römifchen Kalendae, ein Wort, welches
über Byzanz zu den Slaven eingeführt wurde; einige Sagen:
forſcher aber haben es auf einen Gott Koleda zurüdflihren
wollen, obgleich ſich jo gut wie gar nichts von deſſen Dafein
im ſlaviſchen Pantheon fagen läßt. In dem von Verkovitſch
mitgetheilten Liedern aber ſpielt der Gott Koleda eine große
Rolle und genau wird befchrieben, wie die Priefter ihm in Höh-
len Bögel opfern. Czernybog, der ſchwarze Bott, welcher von
alten jlavifchen Mythologiften (auch von unferm Helmonb)
als böjes Princip angenommen wird, im Gegenfag zum Bier
lobog, dem weißen Gott, figurirt in dieſen bulgariichen Ges
fängen. Indeß mit Recht wird diefer Gott von dem neueren
Diythologen geleuguet. Am verdächtigſten aber erfcjeinen in
diefen bulgariſchen Geſängen gewifje der Hindumpthologie
angehörige Namen, Verlovitſch ift ein Schüler Rakovaty's,
der annimmt, daß die Slaven direct aus Indien kamen —
da muß die Eriftenz von Hindugöttern in flavifchen Ländern
ficher auffallen. Da fommen zwei Trimurtis vor: Brahme,
Ura und Survina, und Koleda, Surina und Biſchnu Boga,
was nad) Dozon allerdings mit Viſchnu nichts zu thun haben,
fondern viöny (höher) bedeuten fol. Wir erlauben und da ans
derer Unficht zu fein Wenn wir Bifchnu in der einen,
Brahme in ber andern Dreieinigfeit und Survina oder Su:
tina oder Surva (die Sonne, vergl. Surya) in beiden finden,
fo muſſen wir doch entſchieden an die Hindugötter benfen,
deren Berfnüpfung mit Bulgarien gewiffen für die Abftam-
mung ihres Volks aus Indien begeifterten Männern amt
Ballan nicht unlieb erfcheinen wird. Dozon hat den Gefang,
in welchem Viſchnu Boga vorfommt, volljtändig überſetzt und
theilweife im Original wiedergegeben, Hiernach waren bie
Götter Koleda umd Surina gerade dabei, die fündige Welt
zu zerftören, als Viſchnu Boga dazwiſchen trat und fie rettete,
wobei er in feine Incarnation eimwilligte, als ber fterbliche
Sohn einer goldenen Mutter geboren zu werben, Wer bier
fes Stud gelefen hat, der wird bie erwarteten bulgarifchen
Lieder des Herrn Verkovitſch nur mit dem allergrößten Miß—
trauen in die Hände nehmen,
Aus allen Erdtheilen.
Eine deutfche Frau bei einem chineſiſchen Frübftüd.
Bekanntlich find in den eröffneten chineſiſchen Hafenplägen
au manche deutiche Kaufleute angefiebelt und ein fehr |
beträchtlicher Theil der Schifffahrt an den Kilften des Bin:
menreiches der Mitte wird durch deutfche Fahrzeuge vermit:
telt. Der ſehr wichtige Theehandel war früher völlig in ben
Händen englifcher Kaufleute, nach und nach find aber auch
30 Aus allen Erdtheilen.
dentiche Häufer mit ihmen in erfolgreichen Wettbewerb ne:
treten.
Einen wichtigen „TIheebafen* bildet gegenwärtig die große
Hafenftadt Fu tihön fu in der Provinz Fokien. Diefer Blas
bat etwa 800,000 Einwohner, eine zablveiche, auf Booten lebende
Bevölkerung mit eingerechnet. Die Factoreien der fremden
Kaufleute liegen an der Mündung des Fluffes Min; von
ben etwa 200 Ausländer find etwa die Hälfte Engländer,
die übrigen Deutiche, Amerilaner, Vortugiefen und Parfıs.
Die großen chineſiſchen Kauflente find allmälig mit den
europäiichen nicht bloß commerciell, jondern auch geiellichafts
lich in nähere Berübrung gelommen, boch weniger mit den
Engländer, welchen eine gewiffe Biegſamleit mangelt, als
mit den Deutſchen. Wie diefe geiellichaftlichen Beziehungen
beichaffen find, erfchen wir aus einem Familienbriefe, der
und zur Benutzung itberlaffen worden ift. Die erfte dentiche
Frau, welche zu Fu tichäu fu in chinesischen Kreiſen fich be-
wegte, ift eine Dame aus dem Rheinlande. Der im Briefe
erwähnte Mr. Allum ift ein reicher chinefischer Kaufmann.
Fu tihen fu, 20. Februar 1875,
Wir waren bei Mr. Allum zum „Tiffin® (Frübftid).
Es war ein Hauptſpaß, und ich freue mich ſehr, daß ich
dort geweſen bin. Außer meiner Wenigkeit befanden ſich noch
drei engliiche Damen dabei. Als wir binfamen, empfing
uns der „Theemann“ (Mr. Allum), der ganz in blauen Atlas
gekleidet war, führte uns in das Empfangsjimmer, welches
fehr hübſch mit Blumen und einem Teppich ausgeſchmückt
war, und überreichte uns cine Taſſe Thee. Dann zeigte er
ung alle anderen Zimmer nnd wir durften feine Frau
aufiuhen. Die Herren mußten natürlich im Vorzimmer
bleiben, da es nicht anftändig für eine Chinefin ift, andere
Herren zu empfangen.
Unfer Theemann bat nur eine Frau, was bier ein jel-
tener Fall fein fol. Sie war jehr erfreut, uns zu jeben,
was und die Meine Tochter des Doctor St. fagte, welche
Chineſiſch verfteht und Iprechen kann. Die Frau war pracht⸗
voll gekleidet, trug ein Diadem von Gold mit Perlen durch—
Ichlungen, gewiß zehn Armbänder, ein blaues kurzes Atlas—
Neid und Schube mit Goldperlen geſtickt. Sie zeigte uns
ihre Kammer (die Bettdeden waren alle von Atlas) und alle
ihre Schmudjachen, zwei große Kaften voll; jedes Armband
foftete über 100 Dollard. Sie war wunderhübich geſchminkt,
ganz weiß, nur die Baden rotb, und hatte prachtvolles Haar,
Fran St. Ind fie ein, ihre auch einmal einen Beſuch zu ma—
chen; ihr Töchterchen mußte natürlich für fie Sprechen. Dar-
auf antwortete Frau Allum, fie wolle gern kommen, aber fie
dürfe feine Herren ſehen.
Dann gingen wir in das Nebenhaus zu dem Com:
pagnon Allum’s, der auch ein reicher Theemann ift, und
fahen fchredlicherweife — vier Frauen, Diefes Ungebener
hatte vier Frauen, und es war tro& der vier Frauen nicht
jo rein und ordentlich bier als bei Mr. Allum, der nur
eine Frau beiigt. Jede von dem vieren wohnt allein in
einem Zimmer; die erfte Frau bat natürlich das bejte Ge—
mach, die jchönften Kleider und die meiften Schmudjacen.
Sie famen gleich, eine mach der andern, mit ihren Klei—
dern, umd ich kann wohl fagen, diefe waren prächtig: von
Atlas mit Gold, Silber und Seide geftidt, für jeden Tag
ein anderes und vielleicht noch zehn mehr.
Dann holte uns Dr. Alum ab und führte uns in fein
Hand zurück zum Frübftid. Es war ein langer Tiſch
gedeckt, ein hübſches Tifchtuch darauf, mit Blumen audge-
ſchmückt. Die Pläge waren belegt und ich hatte die Ehre,
neben Der. Allum und feinem älteften Sohne zu ſitzen. Es
waren außer und vier Damen noch ſechszehn Herren; Bru—
der W. uatürlich auch unter ihnen. Servietten befamen wir
nicht, aber jeder von uns erbielt fein eigenes Näpfchen, wäh—
rend fe jonft immer alle zufammen aus einer Schüffel eſſen.
Wir befamen gewiß zwanzig verschiedene Suppen und muß:
ten tüchtig zulangen. Die Speifen waren durchaus chineſiſch
zubereitet, mit Knoblauch und vielen Zwiebeln, und ich würde
gewiß nichts davon gegeflen haben, wenn nicht Dr. Allum
fo nabe bei mir'geieflen und fein Heiner Sohn mich jo iharf
beobachtet hätte, Jedes Mal, wenn ber Diener mir ein ans
beres Näpfchen brachte, fragte er mich: „Yon like it, Mrs.
H.?* und ich war deshalb genötbigt, etwas zu effen. Sobald
er aber jeine Augen wegwandte, winkte ich einen Chineſen,
mir das Näpfchen fortzunehmen. Die Diener freuten fich
darüber fehr, da fie es dann felbjt verzehren konnten.
Der, Allum lieh ſehr ftarfe Getränke, felbitveritändlich
chineſiſche, berumreichen und war ſehr eritaunt, daß ich Die
ichönen Getränfe ſowie auch den Champagner nicht trinken
wollte. „You no like i Champaign, Mrs. H., what will
you have?* Darauf bat id ihn um. etwas Bier, und
Bruder W. ſagte mir nachher, die Herren wären mir ſehr
dankbar geweien; denn wenn fie die ſchweren chineftichen
Getrünke — es foll ganz ftarfer, feiner Branntwein fein —
zu fi genommen hätten, wären fie ficher gleich tipsy ge:
worden. Wir waren über drei Stunden bei Tiiche und bat-
ten dabei ſchöne oder vielmehr fchredliche Tafelmnfit: zwei
Chineſinnen, die eine ſpielte die Harfe, aber furchtbar, die
andere ſaug dazu noch entleglicher. Ein Chineſe machte aller:
lei Kunſtſtücke und ſprach Chineſiſch dazu.
Die Frau Allum's durfte natürlich nicht im Eßzimmer
ericheinen, weil Herren in demfelben waren, und wir gingen
nachher wieder zu ihr, um ihr Lebewohl zu jagen. Einige
Herren durften mit ung gehen, da Ver. Allum es erlaubt
hatte; die frau war darüber jo fehr erftanmt, daß fie ſich
immer umdrehte und ihnen die Hand nicht geben wollte. Sie
befühlte meine Sammtjade und fragte mich etwas, was ich
natürlich nicht verftand, Wie mein Gatte nachher meinte,
babe fie ficher erfahren wollen, wie theuer diejelbe jei. Daun
überreichte fie une chinefiiche Auderlachen, und num wurben
wir in dag Speifezimmer zuritdgeführt.
Bruder W, war ſehr frob, daß ich ihm in unſerm Haufe
vorher Suppe und Fleisch vorgejeht hatte, da er das chine⸗
ſiſche Eſſen nicht hatte genießen können; er hatte die fchönen
Speifen alle fo weit wie möglich in jein Tafchentuch geſteckt
und mit nach Haufe gebracht.
Das Tiffin war für die Engländer ein großes Ereignif,
da der Theemann nie vorher ein Frühſtück für Engländer,
gefchweige denn fir Damen, gegeben batte.
Bon der Infel Formofa.
Diefes große Eiland, welches durd die Straße von Fo—
kien vom ſüdchineſiſchen Feftlande geichieden wird, iſt feit dem
bekannten Flottenzuge der Japaner häufig genannt worden
und verbient in mehr als einer Hinficht unjere Aufmerfiam:
feit. Es liegt dem Blumenreiche der Mitte jo nahe und iſt
doch erſt im Jahre 1430 dur Zufall von den Chineſen ent:
dedt worden; eines ihrer Fahrzeuge litt am der Küfte Schiff:
bruch. Aber diefe Entdedung hatte Feine Folgen und Ans
fiedelungen wurden nicht gegründet. Etwa zweihundert Jahre
ipäter, 1620, verfuchten die Japaner einige Niederlaffungen
zu gründen, gaben jedoch diejelben bald wieder auf, und dann
erſchienen 1634 die Holländer, welche neun Jahre fpäter Fort
Zelandia baneten. Bald nachher, 1644, unterworfen die
Mandſchu zunächſt den Norden Chinas; der Süden leiftete
ihmen einige Zeit tapfern Widerjtand, unterlag jedoch, und
einer feiner Häuptlinge, Tſcheng tſcheng kong, fchiffte nach
Formofa hinüber; er erftärmte Fort Zelandia, vertrieb die
Holländer und war Alleinherricher. Sein weniger kluger
Sohn Ticheng fing miſchte fh in die Händel auf dem Feſt—
lande, ftarb bald, und fein Sohn und Nachfolger, Ticheng ko
ſchnang, lich feine Anfprüche auf den chineſiſchen Thron fal-
len, unterwarf fih den Mandſchu umd jo wurde feit 1682
die Inſel als Zubehör des Reiches betrachtet.
Aus allen
Man nimmt an, dab Formofa etwa fünf Millionen
Einwohner zäble, wovon etwa drei Millionen Chineſen und
Miichlinge derjelben jeien. Dieje wohnen an der Weſtküſte
und tbeilweife auch im Innern; der ganze öftliche Theil ift
im Befige der Ureingeborenen, der Scheng fan, d. b. mil:
den Wilden, wie die Chinefen fagen. Als Wilde kann man
fie allerdings bezeichnen; fie zerfallen in eine große Menge
von Stämmen, ermorden Alle, die an ihren Küſten Ichiff-
brüchig werben, und manche find bis heute Cannibalen ge
blieben. Gegen die Chineſen begen fie erblichen tiefen Haß,
weil 1430 eine Anzabl ibrer Borfabren von benfelben anf
verrätberifche Weile ermordet worden find. Es ijt den Chi:
nefen erft allmälig gelungen, die Wilden ins Innere zurück
indrängen, aber nur an der Weſtſeite, welche von der öftli-
chen durch eine hohe Gebirgskette geichieden ift; dieſe sicht
ich von Norden nach Süden durch das ganze Eiland und
erreicht eine Höhe bie zu 12,000 Fuß.
Wir haben namentlich feit der Erpedition der Japaner
md durch den Engländer Hart, welcher Oberzolldirector der
eröffneten Häfen and auf Formoſa ift, manches Nähere über
diefe „Wilden“ erfahren. Ihre Hütten find einfach, aber mit
Schiefer gededt, welchen fie im Gebirge brechen; die Thür:
Öffnung befindet fich aM einer Ede der Borderieite, iſt nur
zwei Fuß breit, drei Fuß hoch und führt in einen Raum,
der aleichfall® fo niedrig ift, dak man darin micht aufrecht
ſtehen kann. An den Wänden hängen Bogen, Pfeile und
Spimgewebe, neben den Köpfen von Thieren, die auf der
Jagd erlegt worden find. Tag und Nacht, Winter und Som:
mer, wird ein Herbfeuer unterhalten, deffen Rauch durch die
Spalten im Dach abziebt. Die Hinterſeite der Hütte lehnt
fich an eine Bergwand. Man ſchläft auf Matten und die
Luft in diefen Hütten ift rein, was befanntlich in den Woh—
mungen der Chineſen nicht der Fall if. Bor jeder Hütte
befindet fid ein auf Pfählen ftchender Schuppen, der als
Getreideipeicher dient und jo eingerichtet ift, dab die Hatten
nicht hinzu können.
Links von ber Thür ſteht eine lange Bambusftange, an
welcher Federn, Bänder und die Haarzöpfe erichlagener Chi:
nejen befeftigt find; man kann die geiellichaftlihe Stellung
eines Mannes nad der Menge dieſes „Schmudes an der
Stange* beurtbeilen. Sehr wertbvoll für die Wilden find
ibre Hunde, die eine vortrefflihe Spürnaſe haben; fie find
durnfelfarbig, ſehr dicht bebaart und ftruppig. Ale ſonſtige
Haustbiere werben Haben und Hübner gehalten. Meffer und
Gabeln find begreiflicherweife unbekannt, aber auch die chine-
ſiſchen Efiftäbchen nicht in Gebrauch gefommen, man ißt die
auf Blättern liegenden Speifen mit den Fingern. Als Ger
tränf dient Waffer, in welchem jühe Kartoffeln abgekocht wor:
den find; Wildpret, namentlich Fleiſch vom Eber, ift Lieb
lingsipeile. Ein grobes Brot wird aus Hirfe bereitet; aus
diefer gewinnen fie auch cin geijtiges Getränk, welches jedoch
für jeden Europäer einen widerwärtigen Geſchmack bat; Apfel:
finen, Bananen und Ananas find in Fülle vorbanden.
Eine Zeitrechnung baben diefe Wilden nicht. Die Män—
ner find mwohlgeftaltet,.fchr musfelkräftig, die Frauen durch—
gängig viel hübſcher und von befierm Wuchs als die Chine—
finnen; fie fanen übrigens Betel und das entftellt fie. Wenn
ein Wilder es auf eine Schöne abgejeben hat, bringt er ihr
einige Tage hintereinander Serenaden und fingt jo gräßlich
und räbrend wie er irgend vermag. Sie geht, wen fie ihm
gewogen ift, and der Hütte, giebt ihm das Jawort und am
Rermählungstage wirb im Hauſe der Brant für Verwandte
umd Freunde ein Schmaus veranftaltet, bei welchem fie den
Vorfig führt. Sie figt angetban mit einem Gewande, das
mit filbernen und goldenen Spiten verziert ift; als Haar:
ſchmud dienen Kränze von Dotters und Ningelblumen, die
überall in Menge wachen. Der junge Ehemann bleibt bei
den Eltern feiner raw, denen er als Stüte dient. Die
Wilden ſehen es deshalb nern, viele Töchter zu haben; die
Erdtheilen. 31
Todten werden in aufrechter Stellung begraben, mit Erde
überfchiittet; Ipäterbin ſammelt man die Gebeine, die in Ur:
nen aufberwahrt werden.
ö Das bier Geſagte bezieht ſich namentlich auf die Berg:
bewohner. Der Küſte entlang wohnen Filcher, welche dem
Opinmgenuffe fröhnen, im ſehr ſchmutzigen Dörfern,
2 *% 9
— Wieder ein Opfer Afrikas, Walter Kraft aus
Sargand in ber Schweiz ift dem gefährlichen Klima von
Sanfıbar erlegen. Der „Toggenburger Bote* vom ‘2. Juni
meldet, dab der rüftige Mann im der Blüthe der Jahre ge:
ftorben ſei. Er hatte früher mehrere Jahre im Driente, na:
mentlich in Syrien, gelebt, fich bie Sitten und Sprachen der
Drientalen angeeignet und beſaß neben Harem Berftande und
euergiſchem Charakter einen Fräftigen, abgebärteten Körper,
Mehr als ein Anderer fchien er baber geeignet, die Lücke
auszufüllen, welche der Tod Richard Brenner’ im Betriebe
des Geſchäftes gelaffen, welches von Gewerbtreibenden der
Gantone St. Gallen und Appenzell in Sanfıbar gegründet
tworben war.
— Die Bolfsmenge in den großen Städten
von England, Schottland und Irland it fir bie
Mitte des Jahres 1875 im folgender Weife angenommen
worden. Die Berechnung nimmt an, daß der Zuwachs in
derſelben Weile ftattgefunden babe wie in dem Jahrzehnt
von 1861 bie 1871,
SONDOR 2 2.0.0 0er 3,445,160,
Hasgow . » 2 2... 534,564.
Liverpool . » 2» 2 2 2. 516,068,
Mancelter. » » 2 2 2. 356,626
Salfırd . 2» 2 2 2.2. 135,720,
Meanchefter mit Salford . . 492,846
Birmingbam . » » » 366,825,
DREEn: 4.5: 5: 520 80 314,666,
ME oe 285,118,
Sheffeb . . 2. 22... 267,831 ’
Edinburgh. - - 2... 211,636
ENDE 3 196,186,
Bradford . » > 2 2... 168,305.
Neweaftle upon Tyne. . . 137,668.
Sull>:: ara ee te 133,932.
Bortsmontb - » » » . 122,632,
Brighton . » 2 2 2.0. 111,089,
Beicher 2 2 2 200 109,330,
Simerlmd . : 2.2... 106,248.
Mottingbam . » 2 2.2. 2,251.
DOlbbaım 22220. 87,437.
Rem . .» . 0... 82,842,
Wolverhampton . .» » -» 71,718.
— Felled und Tſchob find zwei wichtige Dinge in
Perſien. Das erftere Inftrument ift ein derber etwa 5 bis
6 Fuß langer Stod, am welchem in der Mitte zwei laufende
Knoten angebracht ind; das zweite ift ein Bündel zäher
aber biegfamer Ruthen. Vornehme Leute führen anf ihren
Umzügen und Reifen diefe beiden Werkzeuge mit ſich und
ftellen fie vor ihrer Wohnung zur Schau aus. Mit einem
armen Sünder, der gezlichtigt werden joll, verführt man in
folgender Weile. Man legt ibn platt auf den Rüden, bie
Beine werden in die Höhe gezogen und die File mit ben Kno—
ten umſchnürt, fo daß die Sohle wagerccht liegt. Zwei „Boll:
ftredter* ziehen dann Ruthen aus dem Bündel und zäblen
dent Delinguenten die zugemeffene Anzahl Streiche auf. Er
mag nachher ſehen wie er fich zu Hauſe fchleppt. Man bat
dem Schab Nasreddin nach der Rückehr von feiner euro:
päifchen Reife angerathen, dieſe barbariſche Art ber Züch⸗
tigumg abzuſchaffen, er bat ſich aber darauf nicht eingelaffen,
weil fte einmal hergebracht und für Perſien ſehr pafiend ſei.
— Die Azoriſchen Inſeln verlieren ſeit einiger Zeit
32 Aus allen Erdtheilen.
einen nicht unbeträchtlichen Theil ihrer Vemwohner. Diefe
jind dem Heerbienit abhold und ſeitdem bie portugieſiſche Re—
gierung die allgemeine Wehrpflicht eingeführt hat, nimmt die,
Auswanderung, insbefondere nach Braſilien, im bedenk
licher Weife zu; es findet in der That eine Entvölkerung
ftatt, und wenn diefelbe nur einige wenige Jahre im dem
bisherigen Verhältniß fortdanert, werben höchſtens einige
tauſend Menſchen auf den Ichönen Habichtsinfeln zuritdbleiben.
— Au Ladno in Indien baben die Hindus einen
religißjen Verein gegründet, der fih Urya DharmaSubba
nennt. Dem Vrogramme gemäß ift es ein Hauptzweck bes
Vereins, dafür zu forgen, daß die heiligen Bücher der Hindu-
religion in weiten Kreiſen fleißig gelejen und durch Erläu—
terungen dem Berjtändniffe des Volles näher gebracht wer-
ben. Auch wird derſelbe eine religiöſe Zeitichrift heraus—
geben und der Vollserziehung Fürſorge widmen. Gleichzeitig
warnt die politifche Heitung in Lackno die Hindus vor dem
Sonntagsichulen der europäiichen Miffionäre, weil ſie in
denjelben dem uralten Glauben der Väter abwendig gemacht
wirden. Bemerkenswerth ift, daft auch die Mobammedaner
in Lackno einen Verein, den Anjuman in Islam, gegrüns
det haben, der aus feiner Caſſe Neifeprediger befoldet ; diele
treten in jener Gegend überall dort auf, wo die chriftlichen
Miljionäre fich einfinden, und befimpfen die Lehren derielben.
Hindus fowohl wie Mohammedaner baben ſchon feit länge:
rer Zeit die Dffenfive gegen die Sendboten aus dem Abend-
land ergriffen,
— Die Ausfuhr von Thee aus Britiſch-Indien.
Die erften Verſuche mit dem Anbau der Theeftaude find 1837
in Oberaffam angeftellt worden; berjelbe nahm zuerſt einen
langjamen Fortgang, breitete fich aber dann raſch aus, jo
daß in den Vorbergen des Himalaya die Theegärten fchon
einen beträchtlihen Raum einnehmen; jo in Kaſchar, Silber,
bei Dardichiling, in Kangra und auch in Aſſam. Aus einem
von der bengalischen Handelskammer veröffentlichten Berichte
erjehen wir, in welchem Verhältniffe die Theeausfuhr des
Hafens Caleutta fich gefteigert bat, Diefelbe betrug:
BA. ee ir Pi. St.
1865 . MA 5
1866 . 2606
1867 . 633,076 5
1868 60, 5
169.22.» . 106,978 ,
1870 1,083502 ,
7 1355358
5 — 1,538,527 ,
WER nes 1692,69 5
Der in Ealcutta verichiffte Thee gebt zum größten Theile
nach England, in Meinen Ouantitäten auch nach Auftralien
und Amerifa. Wie viel vom Himalaya aus nach Central:
alien verfandt wird, willen wir gegenwärtig nicht, wohl aber,
dab den Engländern viel daran liegt, fich die turkeſtaniſchen
Märkte zu eröffnen und wo möglich den chineftichen Thee zu
verdrängen.
— Die Befisungen der Osmanen in Nrabien.
Ein türkiſcher Oberft, Hadicht Raſchid Ben, hat cine Gefchichte
von Jemen und Sana druden laffen, im welchem die Feld:
züge der Türken in Arabien ſeit 1871 ausführlich dargeftellt
worden find. Die „Allgemeine Zeitung“ beipricht das Bud),
und wir fejen, daß der Krieg im Jannar 1871 begamm: im
April 1873 war dam Yemen völlig erobert und die unter:
Inbalt: Am Nordgeftade der Adria. IT. (Mit vier Abbildungen.) —
Auflage, I. (Mit einer Karte.) —
worfenen Länder bilden nun das Vilajet Memen mit der
Hauptftadt Sfana. Ueber die Bevölkerung der verſchiedenen
Landestheile giebt der Oberft folgende Ziffern, die natürlich
mar als anmäbernd zutreffend betrachtet werben künnen:
Iemen nd Mir . 2 2 2 202. 2,252,150 Seelen
Sadramalt 22 2 2 22a 1,550,000
Oman und Maslt . 2. 2... 1850000 5
Bahrein, Katif, Ahſa, Derajah, aljo
das Nedſh . 2,3500 „
Hidichas, Ancze, Tehama von Hidſchas,
Belad i Kaffam, Dſchebel Schamar 3,250, 5
Im Ganzen . . 10,762,150 Seelen.
— Kautſchul auf der Landenge von Darien.
Die Nachfrage nach dieſem lebhaft begehrten Erzengniffe der
tropiſchen Wälder fteigert ſich immer höher und es it des—
halb von Belang, wenn Streden in Angriff genommen wer:
den, welche bisher unbenugt blieben. Das geichieht gegen-
wärtig von Seiten ded Staates Panama im Gebiete der
Darienindianer, welche allerdings Miene machen, fich
der Ausbeutung ihrer Wälder zu widerſetzen. In denfelben
wachlen Kautichufbäume, welche zum Genus Caftilloa ger
bören. Der columbiiche Congreß will nun eine Abtheilung
Truppen dorthin fenden,"um die Arbeiter gegen Angriffe der
Indianer zu ſchützen. Im Mai hatten die Kautſchukhändler
in Panama etwa 300 Waldarbeiter auf dem Darienfluffe
nach Chucunaque geſchickt, wo eine Station errichtet wurde.
Von diefer and ſollen dann die Wälder an den Flüſſen
Chucurti und Chuguangne in Angriff genommen werben
und man bofft auf reichen Ertrag. Gleichzeitig iſt Fürſorge
getroffen worden, daß das Abzapfen der Milch vorfichtig ge-
ichehe, bamit die Bäume nicht zu Grunde gerichtet werben.
In Bezug auf das letztere haben die braiilianifchen Serin—
gueiros ſich grofie Vorwürfe zu machen.
— Merico bat für 1875 ein Ansgabebubdget von
24,949,775 Dollars, Davon entfallen auf das Kriegs:
minifterium nicht weniger als 10,691,967, für Rechtspflege
und öffentlichen Unterricht nur 912,859 Dollars, Für Werke
öffentlichen Nutzens follen 5,496,858 Dollars verwandt werben.
— Man wird bald fragen: Was liefert Californien
nicht? Mit dem Theebau hat man bereit? den Anfang
gemacht und nun ift in Santa Clara County auch Kaffee
gepflanzt worden; ob mit Erfolg, wird fidh nad) einigen Jah—
ren berausitellen.
— Die Blattern find zu Anfang des laufenden Jah—
res in Tokio (jonit Jeddo) und auch in Jokohama aufgetrer
ten, doch blieben die Europäer von der Krankheit verichont.
Die unteren Elaffen der japanischen Bevölkerung glaubten ein
ficheres Mittel gegen Anftetung gefunden zu haben, Die Ver—
ehrung des Gottes Nio war feit einiger Zeit in Abgang
aefommen, man bat nun aber feine Statue wieder hervor:
gefucht und wer zwilchen den Beinen derfelben hindurch
feiccht, befommt die Pocken nicht. Man meint fich im manche
Gegenden Europas verjetst, wenn man in einem Bericht aus
Japan lieft: Jetzt kommen die Leute zu Tauſenden and
der Umgegend und ſchwärmen wie Ameiſen um den Tempel:
bügel; der Strom der friehenden Gläubigen nimmt
jegt ununterbrochen feinen Fortgang." Die Gläubigen, welche
nach Echternah im Luxemburgiſchen wallfabrten, kriechen
nicht, jondern Springen ; auf je zweimaliges Hüpfen nad) vor:
wärts machen jie einen Sprung rüdmwärts.
Müller's losmiſche Phyſik in vierter
Ein Beſuch auf der Inſel Urt im der Zuyderſee. I. — Verkovitſch's bulgarifche
Vollslieder. — Aus allen Erbtbeilen: Eine deutiche Frau bei einem chinefiihen Frübftüd. — Bon der Infel Formofa. —
Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 33. Juni 1875.)
Serausgegeben von Karl Anbree in Leipzig. — Für die Redaktion verantwortlib: H. Bieweg in Braunfchweig.
Drud und Verlag von Friedrich VBieweg und Sohn in Braunſchweig.
Hierzu eine Beilage: Literarifher Anzeiger Mr. 5.
Band XXVIII.
Er
Mit befonderer Berüchfichtigung d
In
E Bi
er Anthropologie und Ethnologie.
Verbindung mit Fahmännern und Hünftlern herausgegeben von
Karl Andree.
Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid) 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Bf.
1875.
%. Garnier’3 Schilderungen aus Yünnan.
Die fogenannten hinterindiſchen oder indochineſiſchen
Staaten find in unferen Tagen von immer größerer Wichtig:
feit getworden. Sie empfinden fowohl politiſch wie commers
ciell mehr und mehr Einflüffe von Seiten der enropäifcden
Seemächte und theilen dieſes Schickſal mit China und Ja—
pan. Der ganze ferne Orient wird mehr und mehr vom
Abendland abhängig.
Ein Blid * die Karte veranſchaulicht die Weltſtellung
dieſer Laänder. Birma war eine Zeitlang das mächtigſie
unter den hinterindifchen Reichen; ihm gehörte ein großer
Theil des Geftadelandes auf der Dftjeite des Bengaliſchen
Meerbufens und durd; Eroberung war es in den Befig von
Pegu getommen, während es gleichzeitig feine Herrichaft nad)
Norden hin, bis an die Grenze Chinas, über die Slönige
der Schan: (Thai) Böller behauptete. Aber durd; mehr
malige Kriege, in welche es mit den Engländern verwidelt
wurde, hat e8 jo ſchwere Einbuße am Gebiet erlitten, daß es
zu einer Macht dritten Ranges herabgefunten ift. Es ver—
lor alle Landſchaften am Bengalifchen Golf, mufte jpäter-
hin auch Pegu abtreten, die Miindung des Nrawaddy mit
der wichtigen Handelsſtadt Ranguhn ift britifches Gebiet,
und der König welcher zu Mandelay Hof hält, ift auf das
Binnenland beſchräntt. Nur mit Widerftreben fügt er ſich
den Zwange der Umſtände und eben jegt, im Juni 1875,
ift der englische Bevollmächtigte Forſyth bei ihm erfchienen,
um ihn zu gutem Berhalten zu ermahnen und ein mit Frac—
tur gejchriebenes Ultimatum zu ftellen. Im einem Kriege
@lobus XXVIN. Nr. 3.
J.
mit England würde er nothwendig unterliegen. Wir wol⸗
len beiläufig bemerfen, daß man im Caleutta ſchon vor etwa
drei ober vier Fahren die Eventualität vorausfah, Birma
zu annectiven; man wirbe es gewiß ungern thun, doch bleibt
unter Umftänden möglicherweife nichts anders übrig.
Birma wird in der Richtung von Norden nach Süden
vom Irawaddy durchſtrömt; diefer ift unter allen Hinter
indischen Fluſſen derjenige, welcher die bequemfte Fahrbahn
bis in die Nähe der chineſiſchen Grenze darbietet. Sein
Strombett ift ohne alle Hinderniffe, und den Endpunkt der
Schiffbarleit bildet dad im unferen Tagen fo oft genannte
Bhamo Während die ſüdweſtlichen Provinzen Chinas fich
ber Ruhe erfreueten, bildete ed einen wichtigen Stapelplatz
für den Karawanenhandel zwifchen beiden Yändern, und bie
Engländer wiſſen die Bedeutung dieſes Handelsemporiums
vollfommen zu würdigen. Sie nöthigten ben ig von
Birma, die Schifffahrt auf dem JIrawaddy frei zu geben, und
erzwangen ſich die Erlaubniß, in Bhamo einen Bevollmächtigten
zu unterhalten. So lange in Ninnan der Krieg gegen bie
Mohammebaner dauerte, war der Berfehr auf der alten Han«
delsſtraße jo gut wie völlig unterbrodyen, feitbem aber die
Panthes (Panthays) vermittelft franzöfischer Beihilfe durch die
Mandarinenarmee miedergeworfen find und die Grenzgebiete
fid) wieder Teiblicher Ordnung erfreuen, hindert nichts, den
alten Karawanenweg von Mlinnan nad) dem Jrawaddy zu
benugen und über Ranguhn die dyinefifchen Erzeugniſſe in
den Welthandel zu bringen.
b
34
Es war die Aufgabe der von uns im „Globus“ geidjil-
derten Expedition ded Oberften Browne fid) von der gegen«
wärtigen Yage der Dinge in jenen Örenzgegenden zu über-
zeugen. Der König von Birma hat ihr ficherlich viele
Hinderniffe in den Weg gelegt, ift mit den chinefifchen Gene:
ralen in verdächtige Verbindungen getreten und wenn aud)
nicht unmittelbar Schuld an der Ermordung Margary's, fo
hat er doch offenbar ein doppeltes, ſchlechtes Spiel gefpielt.
Man will ihn nun zur Verantwortung ziehen; jedenfalls
hat er feine Yage den Engländern gegenüber weſentlich ver:
fchlimmert und gewiß wird man ihn fühlen laffen, daß er
der ſchwächere ift.
Die Franzofen ihrerfeits find fon feit nun zweihumdert
Jahren bemitht gewefen, im fernen Orient eine wichtige Rolle
F. Garnier’ Schilderungen aus Yünnan. I.
zu fpielen. Ihre Negierungen, gleichviel welcher Art fie fein
mochten, jchreiben fic das Privilegium zu, im ganzen Oriente
Beichüger der römifchen Kirche zu fein und an diefer Dlarime
wird auch heute feftgehalten. Sie verfolgen aber aud) und
eben jet eifriger als je Handelszwede. Die Engländer
eröffneten fid) den Jrawaddy; flugs brach Napoleon der
Dritte 1863 einen Krieg mit dem Kaifer von Annam vom
Zaune und nahm diefem das Miündungsgebiet des Melong
(des fogenannten Fluſſes von Kambodicha) nebſt der Hafen«
ftadt Saigong ab, Mit nicht geringem Scjarfblid ermit⸗
telten die ranzofen, daß vom Buſen von Tongfing aus
eine fahrbare Waſſerſtraße nach Munan hinein führe, die
weit bequemer und fürzer ift als jene des Iramaddy. Sie
haben dem annamitischen Kaiſer mehrere Verträge aufgezwuns
Unſicht von Talan.
gen, welche ihnen freie Verfügung über mehrere Hafenplätze
geſtatten, in denen fie Conſuln und Garniſonen unterhalten,
Sie find mit den Mandarinen in Munan im beſten Eins
vernehmen, denn fie waren es, welche denjelben Wahlen
und Sriegabedarf zur Belämpfung der Banthays lieferten.
Der Strom, weldyer einen Zugang in das jildweftliche China
möglich macht, it der Songfa und die Franzofen treiben
auf demjelben bereits lebhaften Handel. Der König von
Annam it von ihnen durchaus abhängig geworden und
Widerwärtigfeiten, weldye den Engländern in Birma fo viel
zu ſchaffen machen, haben fie ihrerſeits nicht zu beforgen.
Bevor man die Vortheile kannte, welde der Songfa
darbietet, lag dem Franzoſen daran, zu erforjchen ob der
Melong, der uneigentlich jogenannte Strom von Kambodſcha,
als Wafferftraße in ähnlicher Weihe zu benugen fei wie der |
Irawaddy. Zu diefem Zwede wurde die Erpedition La—
| gree’® ausgeräftet, welche 1866 ihre Fahrt von Saigong
aus antrat. Es ergab ih, daf der Miefong feine große
Stromabder für regelmäßigen Scifffahrtsbetrieb bilde, Wir
haben in einer Keihe von Bänden des „Globus“ nad) und
mac) diefe im hohem Grad intereflante Neife gejchildert,
durch welche über bisher wenig befannte Yandftriche helles
Licht verbreitet worden iſt. Nach etwa achtzehn Monaten
finden wir die Expedition in der Nähe der chineſiſchen Grenze
nördlich; von 23. Grade, aber fie erreichte diefelbe erſt nach
manchen widerwärtigen Verzögerungen.
In jener Grenzregion liegen viele Heine von Scans
ftänmen bewohnte Gebiete, deren jedes feinen einheimifchen
Herricher hat. Diefe jogenannten Könige ftehen zumeift in
Bajallenverhältnig gleichzeitig zu China und zu Birma, jene
F. Garnier’ Schilderungen aus Yiünnan. J. 35
weiter nach Weiten hin find von Siam abhängig. Als bie
Erpedition mad) längerm Aufenthalte (dem wir feiner Zeit
geihildert) Muong Pong verlaffen lonnte, nahm Alles an-
fange einen glatten Verlauf, Nach und nach machten fid)
chineſiſche Einflüſſe bemerklich, man fah induftriellen Betrieb
und Holzfägereien lieferten Bretter in großer Menge. Das
war mod) im nördlichen Laos, Im der Umgegend find die
Dors fehr geſchidt im Waffenſchmieden und liefern auch
gute Mefler, ohne Blafebalg oder Ambos,
Bei Ban Kien trafen die Reifenden einen Greis, der
ein Wanberleben führte und von ben Pandesbewohnern als
Seloh bezeichnet wurde, d. h. als ein „Mann der vieles
weiß“. Er zog als Arzt umher, verfaufte Mebiein, war
überall gern gejehen, nahın feine Bezahlung fondern begnligte
ſich init Obdad) und Koft. Er war aus Ava und von dort
bis Dan Kien etwa drei Jahr unterwegs geweſen.
Sehr freundlich war die Aufnahme beim Könige von
Muong Pong. Er äußerte unverhohlen, daf er ſich in die
Abhängigkeit von Birma nur mit äußerfteon Widerwillen
füge und viel lieber mit Europäern in engerm Verlehr fichen
Wilde aus der Umgegend von Talan, Tihepen und Muong po.
möchte. Ueberhanpt find die Birmanen wegen ihrer Erpreſ⸗
fungen und ihres Hocmuthes überall bei ben Yaos verhaft.
Die Yaos, namentlich, die nördlichen Tharſtämme, wären ohne
jenen Drud leicht flir eine höhere Civilifation zu gewinnen,
In den größeren Plägen wird allemal am fünften Tag
ein Markt abgehalten und auf jenem in Muong Pong ging
es ſeht lebhaft her. Eine Menge von Schänf« und Speife-
buden find im Freien aufgeichlagen; bie „wilden“ Khos,
welche auf dem platten Yand in großer Menge wohnen, brin-
gen Baumwolle, Rohfeide, Wachs, Eiſen, Blei, Antimonium,
Betelblätter und Arefanüffe aus dem Gebirge; Melonen,
Klirbiffe, mancherlei Obſtarten, Zwiebeln, Piment, Pichter,
Taback, Indigo, Eier, Fiſche, Schweins- und Buffelfleiſch.
Dan ſieht, daß die „wilden“ Khos eine Menge nüglicher
Waaren auf den Markt liefern, auf welchem dann auch eng
liſche Baumwollenzeuge feilgeboten werden und wo Salz hät:
fig die Stelle des Kleingeldes erfegt. Europäiſche Waaren
find ferner: Spiegel, Kämme, Waagen und Nühnadeln,
Fat Jedermann Äpricht im jener Grenzgegend ſchon ben
Yünnandialelt des Chinefifchen,
5*
36
In Kieng Hong hatten ſich aus der durch Fehden beun-
ruhigten Umgegend viele Flüchtlinge eingefunden, die mım
ohne Obdady waren, auch foldje aus dem Bolfe der Thai
Neua, welche ſich nicht tättowiren und das Haar lang tragen.
Auch mit „neuen Wilden“ famen die Reifenden in Berüh:
rung, namentlich mit Lolos und Yo Jeus. Beide ſprechen
eine vom Ghinefiichen durchaus verſchiedene Spradje; die
erfteren gelten für janft umd friedlich, gefinnt, die zweiten für
gute Schlgen und — kecke Straßenräuber. Oberhalb Xieng
Hong find fortwährend große Barlen und Flöße in Thätig-
keit, um dem Verlehr zwiſchen beiden Ufern des Mekong zu
F. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan. I.
vermitteln, und die Erpebition nahm hier Abfchieb von bem
Strome.
Vegetation und Aderbau gewannen nun allmälig einen
andern Anſtrich; an die Stelle der Reisfelder traten Mais-
üdter, die hinefifche Neſſel, aus welcher das Grastuch bereitet
wird, wuchs wild, Gemüfebau wurde von den Yandleuten
mit großer Sorgfalt betrieben, ebenfo die Obftbaumzucht.
Die Fremden wurden freundlich empfangen-und gegen Zah-
fung mit Nahrungsmitteln reichlich verforgt. Die Bevöl«
ferung biefer Gegend an der Grenze bildet einen Mittels
ſchlag wiſchen dem dinefischen und dem Thai-Typus, und
Ein Pay: Wilder in Yünnan.
diefer Mitteltypus giebt und ſicherlich eine genaue Borftellung
von der alten Bevölferung Yunnans, die einft zumeift aus
Thais beftand. Auch die Hausthiere wurden forgfältiger ge-
pflegt, Pferde, Nindvieh und Schweine waren ftart und wohl
genährt, aud) fah man dann und wann einige Maulthiere,
die weiter nad; Süden hin nicht vorfommen.
Tichu tfchiai, wo die Hühnerzucht man fann jagen in
Blürhe ftand, war das erfte Dorf, welches einen durchaus
chineſiſchen Anftrid) hatte. An den Thirpfoften las man
mit mächtig großen Schriftzeichen, was der Hausbefiger zu
verfaufen hatte; die Sprache der Yaos wurde nicht mehr ver»
ftanden; die Europäer befanden ſich alfo im Blumenreiche
der Mitte, in China! Aber weit und breit war das platte
Land verwüſtet und beide Theile, Mohammedaner wie Man-
darinen, hatten im gleich entfeglicher Weife gehauft.
Nach einer überaus beichwerlichen Reiſe von achtzehn
Monaten erreichte die Expedition die erfte himefiiche
Stadt, Semao. Sie langte dort in einem „wahrhaft
erbärmlichen Zuftand“ an, abgeriffen, ohne Schuhe, und als
Wurdezeichen dienten verſchoſſene und abgeſchabte Epaulettes!
Die Reifenden wußten wohl, daß fie bei einem Volle, das jo
viel auf äußere Form giebt wie die Chinefen, für den Augen—
F. Garnier's Schilderungen aus Yunnan. I
blid eine Mägliche Rolle fpielen wilden. Die Yeute hatten
von den Europäern die wunderlichſten Vorſtellungen. Ein
Miltärmandarin drängte fich, alle Regeln der Etikette außer
Adıt laffend, an den Commandeur Fagree heran und wollte
demfelben von Hinten den Hut vom Kopfe nehmen. Zu
keiner Entjchuldigung wußte er weiter nichts zu fagen als:
„Ich möchte doch gern das dritte Auge fehen, welches die
Europäer am Hinterfopf haben und mit dem fie die im der
Erde verborgenen Schäge entdecken !“ j
Uehrigens war der Empfang ganz anftändig. Ein Man«
darin mit blauem Knopfe bradjte von Seiten des Gouver-
nentöSeichenke: Reis, Salz,
Hihner und Schweinsfleifch.
Die Reifenden ftaffirten fid)
am andern Tage jo gut her⸗
aus alsihre Mittel erlaubten
und machten, von ihren ber
mafineien Annamiten ges
folgt, dem Gouverneur einen
Danlbeſuch. Ueberall in der
Stadt fanden fie Spuren der
von den Mohammedanern
angerichteten Verwuſtung;
viele Häufer waren niederge
braun, andere lagen halb
in TräAmmern. Eofnaten
zogen anf und ab, die Pas
gern waren in Gafernen
verwandelt; überall lagen die
von den Vanthahs zertrüm:
merten Gögenbilber umher.
Ter Empfang beim Gouver⸗
nee ließ nichts zu wunſchen
übrig; der Mandarin er:
Härte, daß man die Ankunft
der Männer aus dem Abend-
lande ſchon vor länger als
einen halben Jahre erwartet
habe. Die Fortfegung der
Reife werde übrigens mit
großen Hinderniſſen und Be ·
ſchwerlichteiten verbunden
fein; man werde von Krant:
kiten, Straßenräubern und
Gefindel aller Art nicht ver:
ſchont bleiben. Diefe Schil⸗
derung war allerdings nicht
im mindeſten übertrieben,
dem weit und breit war die
Gegend in ber ärgiten Ber
wirrung. Kaum vier Tage
reifen von Semao entfernt
waren feit Wochen häufige
Gefechte vorgefallen. Dort
im üblichen Ylnman küm⸗
merten auch die Feinde dev Mohammebaner fic, fo viel wie
gar nicht um die Faiferliche Negierung. Leute aus dem
Lande ſelbſt Hatten fid zu Mandarinen aufgeworfen und man
ließ fie gewähren. Diefe ganze Gegend ift erft zu Anfang |
des laufenden Jahrhunderts von Peking abhängig geworben, |
behauptet aber eine gewiſſe Eelbftändigfeit und wacht eifer⸗
füchtig über ihre Municipalfreiheiten. Die Stadt Ho mit:
ihen kann als eine Art von Republit betrachtet werden;
das Boll wählt die Beamten felbft. Lange Zeit hat die
faiferliche Regierung ihnen fein Unterftligung gegen die Mo— |
hammedaner gewähren fünnen umd fie haben fich felber ihrer
——
Fr.
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gr
Ne
a —
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f £) ..
g |
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nd
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——
Ein Zichendu: Wilder.
37
Haut wehren mitffen. So erklärt fich, daß fie ein ſtark aus-
geprägtes Selbſtgeflihl haben.
Die Expedition ließ ſich micht abſchreden, trogbem Rui
tjeu — fo werden bie Banthays von ben Chineſen bezeich-
net — ganz in ber Nähe der Stadt umherfchwärmten. Der
Gouverneur ftellte willig zwanzig Träger und der Zug blieb
unbeläftigt. Im jener Gegend find die fehr ergiebigen Salz⸗
werfe von Mo he, um welche zwifchen beiden Theilen mauche
erbitterte Kämpfe geführt worden find. Weiter nach Norden
bin fieht man auf einer Strede viele Theegärten, die eine
vortreffliche Waare liefern; daun wird die Gegend rauh und
fteinig bis in die Nähe von
Zong fuang, das im einer
mit Dörfern gleichjam ber
füeten, ungemein fruchtbaren
Ebene liegt. In diefer „wer
fung des Oſtens“ lagen
Zaufende von Soldaten, die
eben jetzt keinen Angriff von
Seiten bes Feindes zu be—
fürchten hatten und ein luſti⸗
ges Leben führten. Gie
zogen zur Parade mit Fah—
nen aus, bor jedem Offizier
gingen Spielleute und Kranz ·
träger und die Zamtams
hatten gar feine Rute, Alles
zog ohne Ordnung bunt
durch einander; häufig blies
ben ganze Gruppen fichen,
rauchten Tabad und tranfen
vor einer Schänfe.
In Talan, wo bie
Bergabhänge vortrefflich ans
gebaut find und mo tropifche
Pflanzen ſich mit denen der
gemäßigten Klimate begeg-
nen, waren die Reiſenden
hodyerfreut, unfere Kartof-
fel zu finden; mach lang
entbehrtem Genuſſe war fie
ihnen viel lieber als Apfel:
jinen und Mango; auch
Aepfel, Birnen, Walnüffe
und füße SKaftanien waren
auf dem Markte. In Ta:
lan ftellte fid) ein Mandarin
vor, ber jüngft von Peling
gelonimen war und ber ih:
nen allerlei Nachrichten über
europäische Vorgänge mit:
theilte; ſeit einem Jahre
hatten die Reifenden feine
Nachrichten mehr aus ber
Heimath.
In Talan ift die Bevölkerung nicht etwa gleichförmig.
Dort leben viele „Wilde*, welche von den Chinefen als Ho
hi bezeichnet werden. Sie tragen ſich etwa wie die Khas
thos, die wir in früheren Auffägen geſchildert haben, find aber
hübfcher und kräftiger gebaut. Ihr Gef nähert ſich unferen
europäiſchen an, die Augenbrauen liegen horizontal, das
Auge ift ſchwarz, die Hautfarbe fpielt eiwas ind Kupferige.
Die Frauen diefer „Wilden“ find kräftige Geftalten und neh-
men fi) ungemein vortHeilhaft neben den ſchwächlichen Chine-
finnen aus, Die Honhi kämpften auf Seite der Ehinefen; fie
find ausgezeichnete Bogenfchligen umd haben vergiftete Pfeile.
Ih
38
Talan liegt etwa 1500 Meter hod) und jegt im Decem⸗
ber wurde das Wetter kalt; es regnete oft. DI der Ume
gegend wird Gold gegraben; Jedermann fann fein Glück
verfuchen, der Ertrag ift aber nicht bedeutend; auch Silber
wird in Heinen Quantitäten gefunden. Der Faden einer
Spinne, welche wir nicht näher bezeichnet finden und die in
den Buſchwaldungen im großer Menge vorkommt, wird
gefanmelt und nad) der Stabt Ylnnan geſchickt, wo man
ihn zu Zeug verwebt.
ie chineſiſche Negierung hat den Anbau des Mohns
fireng verboten; nichtsdeſtoweniger fahen die Reiſenden als
fie einen Gebirgsrlicen überſchritten, ganze Felder mit dem»
felben beftellt. Die Yandbewohner find fehr gemifcht und
haben im Allgemeinen wenig vom chineſiſchen Typus; bie
„Wilden* überwiegen und fie find fleißige Yeute, welche ſich
vortrefflih auf den Aderbau verftchen; fein fruchtbares
Fledchen Erde laſſen fie unbenugt, Der Berkehr in jener
Gegend war fehr lebhaft; auf der Strafe zogen ganze Salz.
farawanen ; als Laftthiere dienen Efel und Maulthiere; an:
dere find beladen mit Del, Neis, Branntwein, Papier,
Fahence und Arefanitfien, und jeder Zug war von Golda-
ten begleitet. In Yunnan treiben alle Mandarinen Handel.
In Yuen fiang wurden die Neifenden mit einer Urt
von Pomp empfangen; denn die Mandarinen in Amtoklei—
bung zogen ihnen bis vor die Stadt entgegen und etiwa zwei-
Müller’s kosmische Phyſil in vierter Auflage. H.
hundert Soldaten waren in der Reihe aufgeftellt, die Muſik
fpielte und die Kanonen donnerten. Yuen fang war noch
vor einhundert Jahren eine Stadt ber Thai (Yaod) und
hieß Muong tſchung. In der Umgegend wohnt der Stamm
der Pay, melde einen Zweig der großen Thaifamilie bil-
|
den umd gen Often hin, nach der Grenze von Tong fing zu,
ein fat unabhängiges Gemeinweſen bilden. Die Chinefen
\ zählen dort ald „Wilde* auf: die Ho nhi, Kha to,
Tſchanſtſu, Pula, Yope, Yolos; die Mundarten diefer
Stämme weichen nur wenig von einander ab und gehören
demjelben Sprachſtamme au. Die Spradye der Yolos hat
Verwandtſchaft mit jener der Etäunmng, welche ald Man tſe
befannt find und im nördlichen Ylnnan wohnen.
In Yin ngan erlebte Garnier ein widerwärtiges Aben-
teuer. Als er in den Straßen umberging, folgte ihm eine
lärmende Menge. Man fdrie ihn Kula an; mit diefem
Worte wird im nördlichen Indo-China jeder Fremde aus
dem Weſten bezeichnet. Die Gaffenbuben wurden immer
fredjer und verfolgten ihn bis im feine Wohnung. Ein
aufdringlicher Pöbelhaufe verlangte, der Fremde jolle auf
die Straße kommen und fic zeigen; fie wollten fich ihn
recht genau betrachten; fie wlihlten in feinen Tafchen herum,
verlangten, daß er fihnen zeige, wie er eſſe und dergleichen
Nichtswurdigleiten mehr. Er mußte ſich ihrer endlich dadurch
erwehren, daß er blinde Revolverſchüſſe in die Luft fenerte.
Miüller’s kosmiſche Phyſik in vierter Auflage.
II.
Sonnenfleden. — Zodiacallicht. — Darſtellungen der Mondoberfläche.
Es ſind vier große Abtheilungen, in welche das angezeigte
Wert zerfällt. Die erſte behandelt die Bewegungserſchei—
nungen der Himmtelsförper und ihre mechaniſche Erklärung; |
die zweite die kosmiſchen und atmolphärifchen Yichterichei-
nungen; die dritte die calorifchen Erſcheinungen auf der Erd⸗
oberfläche und in der Atmoſphäre; die vierte endlich die
elektrifchen und magnetifchen Erſcheinungen auf der Erdober—
Wir wollen hier aus dem zweiten Buche, welches bie
fosmifchen und atmosphärischen Yichterfcheinungen behandelt,
einige Mittheilungen geben, da das Licht der Himmelslörper
und feine Verbreitung im Weltvaume gerade neuerdings
Gegenftand interefjanter Beobachtungen geweien if. Müller
beginnt hier mit der Schilderung der Sonnenfleden ſchließt
daran, was wir fiber die phyſiſche Beichaffenheit der Sonne
wiffen und geht dann zu der Sonnenatmofphäre mit den
merfwirdigen Protuberanzen Über, die im einer Reihe höchſt
effectvoller Farbendrucktafeln dargeſtellt werben.
Bei genauerer Betrachtung der Sonnenfleden erfennt
man, daß ber bunfle Kern derfelben gleichjam mit einem Halb»
ſchatten umgeben ift, welcher ben Namen der Penumbra führt.
Die Contouren des Kerns fowohl wie ber Benumbra find
unregelmäßig geftaltet und meift liegen mehrere Kerne in
einer gemeinfchaftlicen Benumbra. Die Kerne find übri—
gens keineswegs ganz dunkel, fie erſcheinen nur fo in folge
des Gontrafled. Zöllner hat durch photonetrifche Unter
fuhungen gefunden, daß ein Kernfleck doc immer nod)
400,000mal fo viel Licht ausftrahlt als eine gleich große
Fläche des Vollmondes.
Durd) ein jarbiges Sonnenglas kann man natürlich die
wahre Farbe der Sonnenflefen nicht fehen; um diefe zu
erkennen, erzeugte Bufolt mittelft eines fechsfügigen ferne
rohres ein Sonnenbild auf weißem Papier oder auf einer
Scheibe von feinem Ögps, welde auf eine Spiegelplatte war
gegofien worden. Die Sonnenſcheibe felbft erſchien nun farb:
108, aber durchweg hellviolett gefprentelt. Die Flecken
beftanden aus dunfelvioletten Kernen, welche mit einem präd)-
tig gelben Hofe umgeben waren.
Die erwähnte Sprenkelung (Öranulation) macht
den Eindrud, als wäre die Sonnenoberfläche mit glänzenden
Neiskörnern bededt. In dem Hof der Flecken macht diefe
Granulation den Eindrud, ald wären (nad) Nasmyth’s
Vergleich) leuchtende Weidemblätter ausgeftreut, Bis:
weilen ift das Innere der Flecken mit einem vofenrothen
Schleier durchzogen.
In der Nähe der Flecken zeigen ſich häufig Stellen, welche
heller find als der übrige Theil der Sonnenſcheibe und welche
man Sonnenfadeln nennt.
Wilſon hat zuerft die Beobachtung gemacht, daß bie
Penumbra der Sonnenfleden beim ortriden gegen ben weft
lichen Sonnenrand auf der Oſtſeite des Flede raſcher ver-
ſchwindet, daß hier der Kern fchärfer begrenzt erſcheint als
auf der Weftfeite. Auf diefe Erfcheinung gründet Herfchel
die folgende, auc, von Arago vertretene Hypotheſe über die
Gonftitution der Sonne.
Der eigentliche Kern der Sonne fei eine dunkele Kugel,
welche ringsum von einer Gasatmofphäre umgeben ift. In
diefer Atmoſphäre ſchweben nun zwei wolfenartige Schich—
ten, von denen die äußere, ſtark leuchtende, bie Photoſphäre
genannt wird. Die innere Woltenfchicht dagegen ift entweder
Müller’s kosmiſche Phyfit in vierter Auflage. II. 39
mur ſchwach leuchtend ober vielleicht auch nur durch die äußere | derſelben liegenden Theile der Atmofphäre abgekühlt werden,
erleuchtet. | weil ihnen ein Theil der Wärmeftrahlen, welche der glühende
Es bleibt num noch übrig, das Wilſon'ſche Phänomen,
weldes die Aufftellung der Hypotheje vom dunflen Sonnen- |
lern veranlaft hat,
auch nadı der An:
nahme eines glü-
henden Sonnentör-
pers zu erflären.
Schon Galiläi er:
Härte die Sonnen»
fleden fr Wolfen,
welche in der gasför ·
nigen Atmofphäre
der Sonne ſchwe⸗
ben umd als dunfele
Fleden auf dem
glängendenSonnen-
körper erſcheinen.
Er jagt: „Wenn
die Erde ein ſelbſt⸗
leucitender Körper
wäre, jo wiirde fie,
von fern gen
diefelben
mu darbieten
————— Je
nachdem die eine
oder bie andere Ge-
gend ſich hinter ei-
ner Wolle befünde
würde man bald an
der einen, bald an
' Körper der Sonne ihnen zufendet, durch die Wolfen entzogen
Diefe Abkühlung wird um fo bedeutender fein, je
dichter und größer
die Wolfe it, und
dabei erheblicher fr
diejenigen Punkte,
welche nahe über der
Wolfe liegen als für
bie höheren. Eine
Folge davon muß
fein, daß die Wolfe
mit beſchleunigter
Geſchwindigkeit von
oben her anwächſt
und fälter wird.
Ihre Temperatur
finft unter die GLii:
hige, fie wird un
durchſichtig und bil-
bet den Kern ei-
nes Sonnenfledens,
Aber aud) noch in
beträchtlicher Höhe
über diefer Wolfe
findet Temperatur:
erniedrigung ftatt;
find hier irgendwo
durch die Tiefe ber
ſchon herrſchenden
Temperatur oder
durch das ZJufanıs
der andern Stelle ber ſcheinbaren Erdſcheibe Fleden wahr | mentreffen zweier Yuftftröme die Dämpfe ihren Gonben-
nehmen; dabei wirde die größere oder geringere Undurch—
fichtigleit der Wolfen eine größere oder geringere Schwächuug
des Erblichtes herbeiführen. Zu gemiflen Zeiten würde es
wenig Flecken geben, zu
anderen wärbe eine große
Zahl ſichtbar fein; einige
würden fich zufammen
sieben, andere dagegen
ſich weiter ausdehnen
u. J. w.*
Galiläi’s Anſicht
über das Weſen der Son⸗
nenfleden bedarf nur
einiger Mobificationen,
um das Wiljon "che
änomen vollftändiger
und ungezwungener zu
erklären als es durch die
Herſchel⸗ Arago' ice
Hypotheſe vom dunklen
Sonnentörper geſchieht.
Kirchhoff giebt dieſe
Ellarung in folgender
Beife:
„In der Atmojphäre
der Sonne müfjen ähn-
liche Vorgänge ftattfins
ſationspunkte nahe gebracht, fo wird diefe Temperaturerniedri-
gung die Bildung einer zweiten Wolfe bewirken, die weniger
dicht ift als jene, weil in der Höhe der geringern Temperatur
wegen die Dichte der vor-
handenen Dämpfe Flei-
ner ift al& in der Tiefe,
und die, theilweife durch
fichtig, den Halbſchatten
bildet, wenn fie eine hin
reichende Ausdehnung
gewonnen hat.
Dene beiden Wolfen
ſchichten spielen bei der
Theorie der Sonnen:
fleden, die id} vertheidige,
diejelbe Rolle wie die bei:
den Oeffnungen der wol
figen Atmojphäre und
der Photoſphäre bei der
jenigen, weldye id) au
greife. Denft man fid)
die beiden Wolfen von
denfelben Dimenfionen
und an benielben Orten
als die beiden Oeffnun—
gen, fo erklärt fich das
Wilſon'ſche Phäno
den wie in der unſerigen; locale Temperaturermiedrigungen | men nach beiden Theorien in genau gleicher Weife,* Uebri—
müffen dort wie bier die Veranlaffung zur Bildung von | gene iſt noch zu bemerken, daß das Wilfon'fche Phän:
Vollen geben; nur werben die Sonnenmwolfen ihrer dyemis | men Feinedwegs bei allen Sonnenfleden auftritt.
ſchen Beichaffenheit nad) von den unferigen verfchieden fein, Nah Zöllner find die Sonnenfleden ungehenere
Wenn eine Wolle dort ſich gebildet hat, jo werden alle über | Zdyladenmaffen, welche auf der feurigflüfjigen Sonnen:
40 Müller’s kosmiſche Phyſil in vierter Auflage. II.
oberfläche ſchwimmen. In den über der Schladenmafie
befindlichen Teilen der Sonnenatmofphäre müſſen ſich aber
wegen ber geringern Strahlung an diefer Stelle wollenartige
Condenſationeproducte bilden, durch welche hindurch bie
Scyladeninfel ald Kernfled erfcheint, während die Wolten-
wände die Benumbra bilden.
Ueber das Zodiacallicht, welches bisher gewöhnlich, mit
der Atmofphäre der Sonne in Verbindung gebracht wurde,
Läpt fih Miller folgendermaßen vernehmen.
Um die Zeit der Frühlings: Tag und Nachtgleiche erfcheint
manchmal an fternhellen Abenden, wenn bie legte Spur der
Dämmerumg verſchwunden ift, am weftlichen Horizonte ein
ſchwacher Lichtftreifen, meift noch matter als das Yicht der
Milchftraße, welcher die Form einer chief auf dem Horizont
ftehenden Pyramide hat.
Die Bafis diefes unten breiter werdenden Lichtlegels er:
fcheint ungefähr da, wo die Sonne untergegangen ift; die
Are deſſelben ift gegen die Stelle hin gerichtet, an welcher
Die Mondfarte.
fid) eben die ſchon untergegangene Sonne befindet; fie fällt
faft ganz mit der Ebene des Sonnenäquators zuſammen, der
ganze Streifen fällt alfo am Himmel nahezu in den Thiers
treis, da die Ebene des Sonnenäquators nur einen Winfel
von 79 mit der Ebene der Efliptit macht; daher der Name
BZodiacallidt.
In unferen Gegenden bildet in der genannten Jahreszeit
die Are des Yichtfegels des Abends einen Winfel von unge
fähr 64° mit dem Horizont,
Am öftlichen Himmel erſcheint auch zuweilen das Zodiacal ⸗
licht und zwar Morgens vor Sonnenaufgang zur Zeit des
Herbſtäquinoctiums, aber doch nie fo lichtſtark wie zur Zeit
des Fruͤhlingsäquinoctiums am Abendhimmel.
Aufder füblihen Hemiſphäre ift die Zeit des Herbft-
äquinoctiums die glinftigfte Periode zur Beobachtung des
Bodiacallidites am Abendhimmel.
Während bei uns die Spike des Zodiacallichtes let
nad) Suden gerichtet ift, erfcheint auf der ſüdlichen Erbhälfte
Müller’s kosmiihe Phyſik in vierter Auflage. IL 41
die Lichtpyramide des Zodiacallichtes mad) Norden geneigt,
fo daß am Abendhimmel der Scheitel des Lichtlegels rechts
von der Bafis erfcheint, welche das Zodiacallicht darfiellt,
wie ed nad einer Zeichnung von Ludwig Beder am
11. October 1858 zu Melbourne in Auftralien beobadjtet
wurde, Leber dem Gipfel des Zodiacallichtes erblickte man
an jenem Abend in ber Nähe der Mondjichel Venus und
Antares, während in einiger Entfernung nad) Norden hin
der Donatiffche Komet ftand, welcher: am 11. October zu
Melbourne zum erften Dale fichtbar war.
Was die Erklärung des Zodiacallichtes betrifit, jo find
bis jegt zweierlei Meinungen darüber aufgeftellt worden ;
nach Mairan's Erklärung ift das Zodiacallicht die Almo—
ipbäre der Sonne, welche entweder jelbftleuchtend ift oder von
der Soune erleuchtet wird; diefe Atmofphäre ift wegen des
ſchnellen Umſchwungs der Sonne fo jtart abgeplattet, daß fie
als ein in der Richtung des Sonnenäquators liegender Streifen
eriheint. Aus den Gefegen der Gravitation läßt ſich aber
darthun, daß eine etwaige Sonnenatmofphäre ſich nicht bis
zur Mercursbahn erſtrecken kann. Weit wahrſcheinlicher ift
dagegen die andere Anficht, nad) weldyer die Erſcheinung des
Zodiacallichtes einem um die Sonne herumliegenden
Nebelringe zuzuſchreiben ift.
Auch mit dem Norblicht hat man das Zodiacallicht in
Zufammenhang bringen wollen, wenigftens deutet darauf hin,
daß fein Spectrum aus einer einzigen hellen Yinie beficht,
welde mit einer hellen Yinie des Nordlichtipectrums zufam:
menfällt,
Ganz vortrefflich ift auch, was Müller über die Dar-
fellungen der Mondoberfläche fagt, wobei die ſchönen Ab-
bildungen des Atlas, darunter ein photographifches Bild, ihn
wejentlid, unterftigen,
Schon Baliläi hat es verfucht, eine bildliche Darftellung
der Mondoberfläcye zu geben; feine im „Nuntius sidereus“
publicixten Mondbilder von ungefähr 7 Centimetern Durch-
mefjer find aber ebenfo wie die Scheiner' ſchen noch höchſt
unvolllommen. Die erfte einigermaßen brauchbare Mond—
arte brachte Hevel im Jahre 1643 zu Stande und ver:
öffentlichte fie nebft 40 Phafenzeihnungen in feiner Sele—
nographie. Hevel's Mondlarte blieb länger als 100
Jahre die befte. Erſt Tob. Mayer in Göttingen gab eine
feine aber höchſt forgfältig nad) wirklichen Meſſungen ge
zeichnete Mondlarte heraus, weldje wieder bis auf die neueren
Zeiten die beite blieb. In feinen ſelenographiſchen
Fragmenten (1791) gab Schröter zahlreiche Daritel-
lungen einzelner Partien der Mondoberfläche, bei deren Auf-
nahme er aber nicht objectiv genug verfuhr, wodurch ber
Werth derfelben wejentlic, beeinträchtigt wurde.
Im Jahre 1824 erſchienen vier Blätter einer von Lohr—
mann nad) richtigen Principien aufgenommenen und gezeich«
neten Mondfarte, welche aber erft ein Neuntel der ganzen
uns fihtbaren Monboberfläche darftellten. Das Werk blieb
umollendet. Im Jahre 1838 erfchien eine höchft werth:
volle Lohrmann' ſche Generalfarte bes Mondes,
Im Jahre 1830 begannen Beer und Mädler eine
nach Lohr mann's Plan, aber ausſchließlich auf eigene Beob:
ahtungen gegründete Mondkarte anzufertigen, welche im Jahre
1836 invier Blättern unter dem Titel „Mappa selenogra-
phica* erfchien und das vollendetſte ift, was bis jetzt in dieſer
Beziehung geleiftet wurde. Der Durchmeſſer diefer die feins
ften Details zeigenden Mondkarte beträgt 3 Fuß.
Bortreffliche im größerm Mafftab ausgeflihrte Karten
einzelner Mondlandſchaften hat aud) Julius Schmidt in
Athen veröffentlicht.
Die große Mondlarte von Beer und Mäbdler zu Grunde
legend, hat Eonfervator Didert in Bonn ein 18 Fuß im
Globus XXVIN. Nr, 3,
Durchmeſſer haltendes Relief der uns fichtbaren Mondhälfte
ausgeführt, Auf einer Hohlkugel von Holz find 116 gegofs
jene Gypsplatten von je 15 Grad Yänge und 15 Grad
Breite genau an einander gefligt, auf deren Oberfläche bie
— Gebirgspartien in erhabener Arbeit dargeſtellt
ſind. Die horizontalen Dimenſionen der Gebirge ſind in
soomoo, die Höhen aber in dreifachem Maßſtab, alſo in
/avowoo der natürlichen Größe, aufgetragen. Diefes Relief,
welches feiner Zeit im verſchiedenen Städten Deutjchlands
gezeigt wurde, giebt eine überrafcend lebhafte Anſchauung
dev Mondoberfläcde, — Einzelne Partien diefes Reliefs,
3. B. Eopernicus, Tycho, Plato u. f. w., mit ihren nächſten
Umgebungen werden für ſich verfauft und geben ein treffliches
Bild der Kraterbildung auf dem Monde, Es wäre ſehr zu
wiinfcen, daß Reliefs der ganzen fichtbaren Mondhälfte in
kleinerm Maßftabe, etwa 2 bis 3 Fuß im Durchmeſſer,
angefertigt und in den Handel gebracht wlirden.
Ein neues vortreffliches Mittel zur getreuen Darftellung
ber Mondoberfläche Liefert die Photographie. Bereits im
Jahre 1857 ftellte Warren de la Aue eine Reihe aus—
gezeichneter Mondphotographien her, von denen unter anderen
eine Collection von 12 alerliebften Phafenbildern durch
Smith, Bed und Bed in London veröffentlicht wurben.
Obgleich in diefen Heinen Bildern der Durchmeſſer des Mon—
des nur 4'/, Centimeter beträgt, jo find doch einzelne Krater
und Ringgebirge mit überraſchender Schärfe und Deutlichkeit
erfennubar. Bon wiffenichaftlichem Werthe können aber nur
Er Phafenbilder diefer Art fein, deven Warren de la
we gleichfalls mehrere ausgeführt hat, von denen nur zu
wlinſchen wäre, daß fie durch den Buchhandel leichter zugäng«
lid) zu wilrben,
ine ganz ausgezeichnete Photographie des Mondes ift
diejenige, welche Rut herfurd in Neuyorf am 6. März 1865
drei Tage nad; dem erften Viertel aufnahm, Der Mond
erjcheint in diefem Bilde in einem Durchmeſſer von 53 Centi⸗
meter; in ausgezeichneter Schärfe zeigt es die Ninggebirge
in der Nähe der Yichtgrenge, fo namentlich Plato, Ärchi—
medes, Ariftippus und Autolyfus, Eratofthenes,
Copernicus, Ptolemäus, Alphons, Tycho und Andere.
Der Durchmeſſer des Plato ift auf dieſem Bilde 15
Millimeter, der des Archimedes ift 12, der des Coper—
nicus ift 14 Millimeter lang. Der innere Flächenraum
des Plato ift mod) ganz dunkel, während das ihn umfafjende
Ninggebirge, namentlich aber der innere öftliche Abfall defiel-
ben, hell erleuchtet if. Copernicus liegt noch größten:
teils im Schatten, nur ein Theil bes innern öftlichen Ab»
hanges ift hell erleuchtet, weniger hell find einige Partien
der weſtlichen Wallhälfte. Jenſeits der Lichtgrenze find nod)
vielfach, einzelne Lichtpunkte und Pichtftreifen jichtbar.
Bon bdiefem fchönen Mondbilde hat Photograph Bollen-
weider in Berneine etwas verkleinerte ſehr gelungene photos
graphifche Kopie gemacht (Monddurchmeſſer 39 Gentineer),
deren Berlag die Dalp'ſche Buchhandlung (Schmid) in
Bern übernommen hat.
Um eine Mondlandfhaft aus photographiſchen Abbil-
dungen genau fennen zu lernen, find mehrere bei verſchie—
dener Beleuchtung aufgenommene Bilder derfelben nothwendig.
Aſtronomiſche Photographien können nur mit Hülfe
eines großen parallaftifch aufgeftellten und durch ein gleich
fürmig gehendes Uhrwerk gebrehten Fernrohrs gemacht were
den. Schraubt man von einem ſolchen Inſtrument das Dcus
far ab, jo erhält man im Brennpunkt des achromatiſchen
Objectivs ein Monbblild, deffen Durchmefler ungefähr Y/j20
bon der Brennweite bes Objectivs ift, welches aljo nahezu
1%, Zoll Durchmeſſer hat, wenn die Brennweite des Objec-
tivs 14 Fuß beträgt. Ein gewöhnliches achromatiſches Ob:
6
42 Ein Beſuch auf der Infel Urt in der Zuyderſee. II.
jectiv giebt feine ganz fcharfe photographifche Bilder. Ruther- | Monbdfarte von Beer und Mäbdler vergleicht, jo mug man
furd berechnete fein Objectiv fo, daß es ohne Berüdfich- | ftaumen über die Genauigkeit, mit welder diefe Karte alle
tigung der optiſch wirffamften Strahlen —“ —— Details der Mondoberfläche wiedergiebt.
Brennweite für die verſchiede nen cheuniſch wirtſauen Strahlen | Mit Hilfe vom Mondphotographien wird man vieleicht
hatte. Der Durchmeſſer diefes Objectivs betrug 117/, Zoll, | pereinft auch entfcheiben —* ob auf der Mondoberfläche
feine Brennweite 14 u. — .. | wirflid) gegemvärtig noch Berändernngen vor ſich gehen.
Mit Hülfe eines ſolchen Objectivs wird nun zumächft ein | Seftere Beobachtungen, nad) welchen noch thätige Bulcane
negatives Collodium-Ölasbild vom ungefähr 1'/: ZoUl | quf dem Donde vortommen follen, fcheinen auf Täufhhungen
Durchmefler —— aber ſo feine — — zu beruhen. ;
daß es eine namhafte Vergrößerung verträgt. — Ein ’ i
— Driginal wird mur als Objeet in einen Apparat |. ehrmann, Beer und Mäbler verfihern niemals eine
ein nei N) :eg im wirkliche Veränderung auf dev Mondfcheibe beobachtet zu has
geſetzt, welcher nad) dem Principe der Laterna magica in b Im Drtober 1868 aber Shmidti
mögticht optifcjer Bollfommenheit conftruirt if. Bon | Be, Im Dciober aber madıte Schmidt in Athen
Sonnenlicht oder von eleftrifchem Licht beleuchtet wird das | Die Wahrnehmung, daß der früher deutlich als ein ſehr tiefer
Meine negative DMondbild mit 10- dis l4maliger linearer | Krater wahrnehmbare Einns im mare serenitatis dieſe
Vergrößerung auf eine photographiſch präparirte Glasplatte Kratergeſtalt gegenwärtig nicht mehr zeigt.
projieirt, auf welcher auf biefe Weiſe eim großes pofitives Wir haben nur einzelne Abfchnitte des ungemein veich-
Bild erzeugt wird. — Von biefem großen pofitiven Glasbild | haltigen und fejlelnden Wertes bier behandeln fönnen, em⸗
wird nun zumächft wieder eime gleich große negative Copie | pfehlen es aber nochmals dringend jenen, welche fid mit ber
hergeftellt, welche daun im der gewöhnlichen Beil dient, um | kosmischen Phyſit befchäftigen. Der hohe Werth des Buches
pofitive Copien auf Bapier zu machen. ift allgemein anerfaunt und braucht nicht noch befonders von
Wenn man die Rutherfurd'ſche Photographie mit der | und betomt zu werden.
Ein Beſuch auf der Infel Urk in der Zuyderfee.
II.
Der Aberglaube wuchert hier in üppiger Weife; ber ſich durch weiße Hautfarbe, durch große, dunfelblaue Augen
Urter glaubt an Heren, Spuk, Vorgeſichte x. Die Imfel | mit langen Wimpern und hübjch gebogenen Brauen vor
ſoll nicht weniger als 82 Zauberinnen beherbergen, über | theilhaft aus, während der übrige Körper etwas Plumpes
die eine SGjährige rau als Königin regiert, Diefe ver» | und Männliches Hat,
dankt ſolche zweifelhafte Würde dem — Aſthma, weldyes fie Aber man findet hier auch viele entftellte Geſichter, da
bei Nacht oft zwingt, das Bett zu verlaffen umd Iehnend | eine krankhafte Oxthodorie ſich bis zum Aeußerſten gegen bie
über die Unterthür frifche Luft zu schöpfen. Einführung der Jenner'ſchen Erfindung geftemmt hat. Noch
Der Urfer ift freigebig, ehrlich und treuherzig und der | im Dahre 1844 wüthete die Podenepidemie fo heftig, daß
wäre fein richtiger Imfulaner, der des Nachts die Thir | mur wenige davon verſchont blieben und jegt noch viele bie
ſchlöſſe oder auch nur riegele, aus Furcht beftohlen zu werden, | unauslöfchlichen Spuren jener Krankheit im Gefichte tragen.
Um Wirte und Kaffeehäufer kümmert ſich unfer Urker Sonſt iſt der Geſundheitszuſtand ein ſehr befriedigender.
wenig; man behauptet ſogar, daß der Branntwein hier fein Trotz ihres ſchweren Berufes erreichen doc) viele Inſulaner
Volloͤgetränk fei. Wir haben feinen Grund, diejes zu be: | ein hohes Alter, Rheumatismus und Katarrh ſind die
zweifeln, wiſſen aber, daß verſchiedene fühe Liqueure mit gros herrſchenden Krankheiten, während befonders bie Kinder, in
fen Oxantitäten noch füßern Kuchens hier viele befondere | Folge der fteten Fiſchnahrung, an Eingeweidewürmern leiden.
freunde finden. In dem Hötel: Het Urker wapen (ein | Wechſelſieber fommen nur felten vor. i
Kabliau auf einer Schüffel) fann man nad) dem Aushänge- Die Zahl der Einwohner beträgt zur Zeit etwa 1400,
{child feine „ftarten Getränke“* haben. Dort heißt es (wört: | vom bemen die der Männer eine unbebeutend größere ift,
lich tiberfeßt): als die der frauen. Das Berhältnig ift etwa wie 100: 95,
; ; In 38 Jahren nahm die Bevölferung um 617 zu; in bies
gene ein Pe fer Zeit wurden 1391 Kinder, 716 Knaben und 675 Mäb-
Kaffee trinfen oder dort Ichlafen, den, geboren, alſo 100: 94,3. Es ftarben 720 ‚Perfonen,
Dann findeft Du bier auch einen Nachtaufentbalt. einige 50 werden die Infel verlaffen haben und im „Aus—
j . — lande“ geſtorben fein. Die Zahl der Heirathen war im bier
Selten ober ie verheirathet ſich der Urler mit einem ſer Periode 270, ftellt ſich alfo zu den Geburten wie 1: 5,15.
„ausländifcen“ Mädden. Daher fommt es, daß bie Infur | Op ſich darunter uneheliche befinden, ift uns unbefannt ger
laner, ſowohl äußerlich wie innerlic,, einander jo jehr gleichen, | pfieben, aber eine gerichtliche Eheſcheidung lam in jener
daß ihr Körperbau und ihre Geſichtszuge, bie Farbe der | Zeit nicht vor. Aus dem allen ergiebt fidh, daß die Bevöl«
Haare und der Augen die gemeinjame Abftanmung fo laut | ferung hier raſch zunimmt umd fid von 1638 bis 1852
bezeugen. Nur felten laſſen Fremde ſich hier nieder, um das Adhtfache vermehrt hat.
Im Allgemeinen ift der Urker fräftig und wohlgebaut, Dahingegen find bie Eriftenzmittel nicht gleichmäßig vor⸗
hat breite Schultern und Hiften, blondes Haar und blaue | geichritten. 1750 hatte man 46 Schuiten, jet etwa 150.
Augen. Unter den Frauen trifft man viele, die auf bedingte | Die See ift der Urler Element, die Fiſche find ihr Ruhm,
Schönheit Anſpruch machen lönnen. Befonders zeichnen fie | ihre „Gloria“. Im Februar fangen fie in der Nordſee
Karl v. Neumannn’s Expedition nad) den Bäreninfeln vor der fibirifchen Küuſte.
große und Meine Schollen, während bie Heinften Fahrzeuge
dann Jagd auf Küftenhäringe, auf Kabliau und Schellfiſche
machen. Im Borfommer beginnt der Fang der Anfchovis,
die auf ber Infel geföpft, gefalzen und verpadt werben, wäh«
vend man im Nachſommer wieberum der kleinen Scholle
und der Zunge nachſtellt. Im Herbft und Frühling fängt
man Schellfiſche mit Angeln.
Die älteren Leute nimmt man nicht mit an Bord, aber
auch diefe und die frauen fiſchen gern am Strande, wodurch
fie durch den Ertrag für Küftenhäringe eine nicht zu ver-
achtende Beifteuer in bie Famitiencafte liefem. Es giebt
bier zwei Schifföwerfte, jede groß genug, um baranf fünf
Schiffe zugleich zu falfatern; fünf Segelmacereien und
einige andere Einrichtungen für die Schifffahrt.
So verdient der Urler Fiſcher mit waderm Eiſer und
froher Aufriedenheit fein Brot. Er hat bei feinen befchei«
denen Anfprüchen fein veichliches Ausfommen. Im Yahre
1873 fädelte ein folcher für Scellfiiche und Anfchovis
3000 fl. holl. ein. Das ift freilich Bruttoverbienft, denn
bei den beträchtlichen Ausgaben für einen oder zwei Knechte,
für Segel und Nee, für den Unterhalt des Schiffes ftellt
fi) die Nettoeinnahme bedeutend niedriger. Trotzdem ift die
Einnahme doch eine gute und wenn nach ben fogenannten
„hohen Feſten“. Dftern, ha ver und nad) bem erjten
Abendmahl nad; Oftern, die
Rampen, Bloffiel u. ſ. w. die Infel heimſuchen, um ihre
Forderungen einzucaffiren, dann kommen fie gewiß nicht
vergebens. Später hält died allerdings etwas ſchwerer.
N
I
|
|
ufleute von Enkhungen,
Die Nahrung befteht faft nur aus Fiſch, Brot und eini- |
gen Gemüfen; einen Fleiſcher ſucht man Hier vergebens ;
43
dahingegen giebt es faft ein Dugend Bäder, deren Waare,
ſchwarz oder weiß, ſehr ſchmachaft ift.
Der Biehftand befteht aus etwa 100 mageren Scha—
fen, 40 ziemlich guten Kühen und 4 alten Pferden. Unter
Anführung des Stier fommen die Kühe des Abends von
der Weide und lagern fic fiir die Nacht gegen Wind und
Wetter zwifchen den Häufern, woburd oft Arme und Beine
der Iufulaner in Gefahr gerathen.
Bei Tage weidet das Vieh auf dem fogenannten Berg,
einem ausgebehnten und hochgelegenen Stüd Weidelandes.
Hier findet man einen ziemlich, tiefen Brunnen, wie es
deren viele giebt; fehlt trogbem das Waller, fo muß ſolches
durch Schiffe von Feſtlande geholt werden.
Früher gab e8 viele Hunde, doch hat die Steuer fie
jegt auf vier vermindert. Einer derfelben, ein Meines ſchwar—
zes Tier, führt feinen blinden Herrn — ben Yusrufer
Tymen — durch den Ferweg der Häufer nad) den. verjcjie-
benften Stellen feines Amts und am Sonntag zur Kirche.
Auch an Kaninchen ſoll e8 in jener Zeit, als die Infel
nod; Sandboben hatte, nicht gefehlt haben; in dem jegigen
harten Lehmboden witrden fie vergebliche Anftengungen zum
Höhlenbau gemadjt haben.
Die einzigen wilden Vierfüßler find Natten und Mäufe,
bie in zahlreicher Vertretung die Nachtruhe bedeutend ftören.
Außer den Hühnern findet man Sperlinge, Staare
und Lerchen. Dies find die einzigen Vögel, die hier britten.
Kibitze, Schnepfen, Wafferläufer (Totanus), Droffeln, Mö—
ven ſowie Bergenten (Anas tadorna) beſuchen auf ihren
Zügen die Infel wohl, britten aber nicht dafelbft.
Die Flora ift eine bürftige und bietet nichts Bemerlens⸗
werthes.
Karl v. Neumann’3 Erpedition nad) den Bäreninfeln vor der fibiri-
fhen Küſte.
Am 5. Februar 1870 verließen wir mit fünf Narten
und von zwei Kofaden begleitet Niſchni Kolymst, um
ein großes Wagniß zu unternehmen; dad war wenigjtens die
Meinung der Bewohner, Die Bäreninjeln find bei ihnen
als Aufenthaltsort böfer Geijter verfchrien ; man erzählte und
gar erſchredliche Dinge von ſpurlos verſchwundenen Dägern,
bon furchtbaren bärtigen Männern, von ber Wilbheit und
Bosheit der dortigen Bären, die viel mehr Zähne hätten als
der gewöhnliche Bär, und nur mit Mühe konnten wir das
nöthige Angefpann mit ben Führern dazu auftreiben. Die
Sage von den gegen Norden im Meere oder auf unbefannten
Infelm lebenden bärtigen Rieſen *) ift am ganzen Ge-
Nade von der Mündung der Jana bis zur Kolyma allgemein
verbreitet, Muffen wie Eingeborene, Chriften und Heiden
Idwören auf die Eriftenz der Bartmenſchen (Borodatyje).
Die Tſchultſchen allein, bei denen ich ähnlichen Unfinn nie
vernonimen habe, machen eine rühmliche Ausnahme. Anderer:
feits Tiegt e8 nahe, einzelne wunderbare Erzählungen und
*) Zwei ihm perfönlich mitgetbeilte Erzählungen alter eute, die
folde fabelhafte Spufgeftalten felber gefehen "haben wollen, theilt
bier Dr. Neumann ausführlich mit; es hantelt ſich um bärtige
Riefen, die große Bäume umreißen, Thiere mit Haut und Haar
werichlingen u. f. w.
J.
|
|
Berichte, wie die Phantafiegebilbe Andrejew's, weldje einft
fo viel Aufſehen erregten und ſelbſt Wrangel zum Auffnchen
ber fabelhaften Feſtung auf der dritten Büreninſel verleiteten,
anf ſolche weitverbreitete Märchen zurückzufühhren. Unſere
Kofaden und Führer aber, von folden Erzählungen eins
Be Reh auf die Abhaltung eines eigenen, den
eufel befchwörenden Gottesbienftes und nahmen, als
beftes Mittel — bie von demſelben drohenden Gefahren,
eine Menge Weihrauch mit.
Ein wichtigeres Hindernig, als ber von uns mit großer
Mühe befümpfte Aberglaube, konnte indeß der durch Fiſch—
armuth des Jahres 1869 verurfachte Mangel an Nahrungs-
mitteln werben. So enorm der Preis für die Fiſche auch
geftiegen war, jo bemühte ich mich doch wenigftend für die
Hunde einen reichlichen Borrath zu erlangen und fandte den
jelben auf Narten nach Bolſchoje Tſchuchotſchje voraus, von
wo id) meine Fahrt nad) dem Eismeer anzutreten beabfidy-
tigte. Fur den Fall eines längern, durch ſchlechtes Wetter
herbeigeführten Aufenthalts auf dem Meere war unſere ganze
Hoffnung auf die Bärenjagd gerichtet, denn Seehunde wer-
dem zu ber Zeit noch nicht gejagt, die Bären aber find wegen
des Winterfchlafs nicht allzugefährlich. Zu weientlicher Ber
ruhigung gereichte e8 und, daß auch Kotelnikow, der fiir ben
6*
44 Karl dv. Neumann’s Erpebition nach den Bäreninjeln vor der fibirischen Hüfte. 1.
beiten Schligen im ganzen Lande gilt und mandjes Dutzend
ſchwarzer fowohl als weißer Bären ſchon erlegt hat, fich
unferer Erpedition wieder anſchloß. Um jo weniger fonnten
wir ung auf die übrige Neifegefellichaft verlaffen, von der
noch Keiner je auf dem Meere gewejen war oder einen leben-
digen Bären zu Geficht befommen hatte. Ihre Unerfahrens
heit verzögerte in der Folge auch ſehr unfere Reife, der beſte
Hunbelenfer auf dem Lande taugt oft gar nichts auf dem zu«
gefrorenen Meere.
Unfer Weg führte zuerft am dem dicht bei dem Städtchen
beginnenden, zu beiden Ufern des Fluſſes gelegenen Saimtas
vorüber, nad} dem 40 Werft von Nifchnij-Kolymat entfern-
ten Dorfe Koretowo. Unter dem Namen „Saimka“*, ber
im übrigen Sibirien fo viel wie eine Heine Farm oder cin
Lufthaus bedeutet, verfieht man hier die erfte befte Hütte, bie
von den Fiſchfüngern zum Aufenthalt während der Fangzeit
benutzt wird. An geeigneten Stellen gejellen ſich zu einer
folhen Saimfa bald andere hinzu und es entftehen fo all»
mälig Heine Dörfer, deren e8 am Ufer der Kolyma, bis
Maloje Tichuchotichje hinab, eine ziemliche Anzahl giebt.
Koretomwo liegt an der Einmündung des gleichnamigen Fluſ⸗
jes in die Kolyma, zu beiden Seiten derfelben ; auf dem rech—
ten Ufer wohnen größtentheils Jukagiren, auf dem linfen
befindet fi die Saimla Kotelnikow's, die ſich vor den
Übrigen Hlitten durch ein freundlicheres Ausfehen auszeichnet
und fchon mehr einer echten ſibiriſchen Saimla ähnlid) fieht.
EinigeNotigen über diefe hervorragende Kofadenfamilie
werden bier vielleicht von Intereffe fein. Vor ungefähr 200
Jahren wanderten Kotelnilow's Vorfahren aus dem wo—
logdaſchen Gouvernement nach Sibirien aus und dienten ans
fangs als Kofaden in Kamtſchatta, dann in Giſchiga. Als
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ein Theil der Kofaden
aus Giſchiga an die Kolyma fibergefiedelt wurde, befand ſich
unferes Gefährten Großvater unter benfelben. Deſſen Sohn
Simeon, durd außerordentliche Körperkraft befannt, erwarb
ſich bald den Ruf des beften Jügers im Yande. Zur Zeit
der Wrangel’fchen Expedition war er der ungertrennliche Ge—
fährte Matiuſchlin's, ausgezeichnet durch feltene Kaltblütigfeit
und perfönliche Tapferfeit. Er war auc) der Erfte, der in
Handelsverfehr mit den Tſchultſchen trat und mehrere
Mal ihr Gebiet bereifte; er war es aud), der den Verſuch
machte, im Norden des folymfcen Kreifes Pferde- und Vieh:
zucht zu betreiben, Die Erfahrung lehrte ihn, an pafjenden
Orten Thierfallen zu ftellen und bald gelangte er zu einem
verhältwigmäßig bedeutenden Wohlftande, Grund genug, um
bei den abergläubifchen Einwohnern den Ruf eines Zau—
berer® zu erwerben. Die umfinnigften Gerichte wurden
über ihn verbreitet: der Teufel in Höchfleigener Perfon follte
ihm die beften Stellen zum Fallenlegen und fogar den Platz
für feine Saimfa angewiejen haben. Ein vor berfelben ſie—
hender, vertrodneter Yärchenbaum, von dem aus dieſe Platz-
anweifung ftattgefunden haben fol, wirb noch immer nur
mit Furcht betrachtet, die Nachbaren befrenzigen ſich, wenn
fie daran vorbeifomnien und betreten das Haus nicht ohne
eine fchugbringende Portion Weihrauch in der Taſche. Wie
überhaupt von jedem, ber ſich hier im irgend einer Weiſe
hervorthut und mehr ald Andere zu Wege bringt, heißt es
von Simeon Kotelnifow: „er war im Einverſtändniß (näm—
lid) mit dem Teufel), umd der Iwan iſt's auch.“ Als
demjelben Eimeon aber, jchon im hohem Alter, das Gllid
den Rücken wendete und er verarimte, da war man Überzengt,
daß er, nad) Einweihung feines Sohnes und feiner Enkelin
in den geheimmißvollen Umgang, für fic, das verfluchte Thun
bereut und ſich vor dem herannahenden Ende zu Gott ger
wandt habe. Diefe Enfelin, ein allerliebftes Mädchen, mit
viel Berftand begabt und im Vejen und Schreiben unterrichtet,
wird doch ſchwerlich je einen Mann befommen: „Sie ift mit
bem Teufel befreundet,” jagen die Burſchen nicht ohne
Bedauern, „iwer fteht ung dafür, daß fie nicht zum Schorn-
fteine hinausfährt und vom vertrodneten Baum herab bie
Waldteufel zum Schmauſe ladet? Gott mit ihr!“ Ale
Thatſache kann ich noch hinzufügen, daß alte Leute und bei
unferer Ausreife ans Niſchnij-Kolymsk wohl das jchönfte
Wetter prophezeieten, aber nur für den Fall, daß wir dem
Kotelnilow in Koretowo feinen Beſuch abtatteten, ſonſt wür—
den alle beim obenermwähnten Gottesdienft abgehaltenen Gere
monien ihre Kraft verlieren.
Um unferen Begleitern den Glauben au ſolche Märchen
zu benehmen, fuhren wir gerade ins Kotelnifow'jde Haus,
aber da famen wir gut au! Wie zum Trotze für unfer
Unterfangen brach am folgenden Tage ein heftiger Schnee
fturm los, fo dag wir nur mit Mühe das 50 Werft abwärts
gelegene Pocho dok erreichen konnten; an Weiterreifen war
gar nicht zu denfen, das Barometer fiel auf 1'/,”, wogegen
das Thermometer um ganze 12°R. ftieg; plöglich ſchlug der
Wind um und Alles deutete auf ein noch furchtbareres Umwetter.
Daſſelbe ließ dem auch nicht lange auf ſich warten und wir
mußten einen ganzen Tag in Pochodsk verbleiben und uns
noch glüdlic jchägen, daß unfere Behaufung den Windftößen
widerftand. Und dazu nun das alberne Gerede unferer Yeute,
daß unfer Beſuch bei Kotelnifow das Unglüd heraufbeſchwo—
ven habe und wir nun Alle zu Grumde gehen würden! Trotz
des fortdauernden Schneegejtöbers entſchloß id; mid) am fol-
genden Tage die Neije fortzufegen und mit Hülfe des Com
pafjes erreichten wir am Abende das 60 Werft entfernte
Maloje Tfchuchotfchje, mußten dort aber, da der Schnee fo
dicht fiel, daß man buchitäblich den nüchſten Hundeſchweif
nicht vor fich jehen konnte, doch wieder unfreiwillige Raſt hal-
ten und bas Ende des Unwetters abwarten.
Maloje Tſchuchotſchje liegt an der Stelle, wo die
Kolyma ins Eismeer mündet, Die Breite derjelben beträgt
hier ungefähr 6 Werft; das linke Ufer ift flach, während
am rechten hohe Felfen fich befinden; das Waſſer erhält
im Sommer beim geringften Nordwind einen fo jalzigen
Geſchmack, dag es ungenichbar wird. In der Mitte des
Fluſſes liegt eine ſchmale, beinahe 15 Werft lange Infel,
„Kamenni-Oftrow* (Steininfel), die fid) durc Häufige
Felseinſtlirze einen traurigen Ruf erworben hat. Die nördliche
Spite der Inſel ift überaus fifchreich, aber es geht hier fel-
ten ohne Unglüd ab. Die Hoffnung, die Bäreninfeln oder
gar das nur 100 Werft nördlicher gelegene große Tichuktfchen:
vorgebivge zu erreichen, mußten wir für diefes Mal gänzlich)
aufgeben; um aber bei der nächften Excurfion alle Zeit auf
die Unterfuchung dev Inſeln verwenden zu können, entſchloß
ich mich, troß des ſchlechten Wetters Kamenni-Oftrow und
bie weiter drüben befindlichen Baranowyje-Kammi(Scaf-
felfen) zu befuchen.
Die Ueberfahrt zur Steininfel nahm wieber einen ganzen
Tag in Anſpruch. Schon glaubten wir die Infel von Men—
ſchen verlaffen zu finden, als plöglich dicht vor uns einige
Funken aus dem Scheee anfflogen: wir waren, ohne es zu
willen, auf das Dad) eines verfchlitteten Hauſes gerathen,
in welchem eine von Scneefturm überrafchte Fiſcherfamilie
mit ihren Hunden eine Zuflucht gefucht hatte. Nach einer
guten Stunde erft gelang es ums, einen Eingang in bad Haus
durch dem Schuee zu graben. Wir fanden Menſchen und
Hunde halb verhungert, mit Gier fielen fie über die ihnen
von und dargebotenen Nahrungsmittel her. Zudem befan-
den fie ſich in großer Sorge um zwei junge Burſche, welche,
von Hunger getrieben, am Morgen aufgebrochen waren, um
an der Norbfpige der Inſel Fiſche zu fangen. Wie leicht
tonnten diefelben bei dem furdjtbaren Unwetter umgelommen
Karl dv. Neumann’s Erpedition nach den Bäreninfeln vor der fibirifchen Hüfte. I.
45
umd unter Schnee und Eis begraben fein! Bald ließ es raurgin und verweilte fünf Tage bei uns; obwohl das Ther-
dem Bater feine Ruhe mehr, er ſtürzte hinaus, deren Spur
zu verfolgen und fehrte, o rende, mad) einer Stunde mit
den Berlorengeglaubten und einer Beute von zehn fibiriichen
Lechſen zu den Seinen glüdlic zurid. Der Jubel war
groß, aber wie lange hielt die Aushülfe vor! Die Menſchen
hätten vielleicht eine ganze Woche lang von den Fiſchen leben
fönnen, allein die Hunde mußten ja auch ihren Antheil daran
haben, dba reichte diefer mit Lebensgefahr erbeutete Vorrath
vieleicht für zwei Tage aus, dann ging die Sorge von Neuem
an. Bateroder Sohn wagten fic wieder auf den Fiſchfaug
hinaus, um vielleicht dieſes Mal nicht wieberzufehren; unter
einer Eisfcholle zermalmt, oder, wovor Gott einen Jeden
behüten möge, unter dem Schuee begraben und eines qual⸗
vollen Hungertodes geftorben, deckt der Frühling erft den
vermoderten Leichnam des Berunglüdten auf. Ich muß hier
nochmals wiederholen, daß die Hunde oft eine große Yaft für
die Bewohner diefes Yandes find; weit leichter haben e#
im dieſer Beziehung die Tſchultſchen mit ihren Renthieren
ober die mit ihrem Vieh in einer und berfelben Jurte haufen«
den Jaluten.
Unterdeffen tobte der Sturm immer heftiger, an ein Weiter:
fommen nad) Sudjarino war nidyt mehr zu denfen, wir muß—
ten auf der Infel befferes Wetter abwarten. Am 10. legte
fi, endlich, der Wind ein wenig und wir befchloffen, unſern
Weg fortzufegen. Mit großer Mühe kamen wir über den
2 Werft breiten, gewöhnlic „Kamennaja (fteinige) Ko—
Iyma* genannten Nebenarm des Fluffes zwifchen der Juſel
und dem Öftlichen Ufer. Letzteres erreichten wir zwifchen
Sucharino und Kabaticytowe. Hier aber wuchs die Macht
des Sturmes nun immer heftiger an und nad) wenigen
Werſien waren unfere Hunde, die zum erften Male ſelbſt
gegen den Wind nicht mehr von der Stelle wollten (mit bem
Binde, der ihnen den Schnee ins Fell jagt, ift den Hunden
die Fahrt noch ſchwerer), jo ermattet, daß wir aud) den Be—
ſuch der Baranowye Kamni aufgaben und ung zur Umfehr
entſchließen mußten. Mit Mühe und Noth nur erreichten
wir das menfchenleere Kabatſchlowo. 15 Werft weiter
nad, Süden, faft ımter 69° m. Br., befindet ſich eine
pafiend Walbesgrenze (Krai lessow) benannte Ortfchaft;
bier endet der Yärchenmwald, nörblich findet ſich noch Cembra-
nana und die Sandweide, bie an der Kolyma entlang bie
zum Eismeer gebeihen, in ber Tumdra fehlt auch diefer ärm—
lide Baumſchmuck. Die Waldesgrenze *) erſteckt ſich nach
Diten fehr regelmäßig im einer Yinie bis zu 170° öſtl. V.
Dann biegt fie plöglic, gegen Süden und erreicht 66, ja
fogar 65° u. Br. Am nämlichen Tage erreichten wir mod)
Koretowo und am 12, Niſchnij-Kolymsl, wo zu unferer
Ueberrafchung die ganze Zeit über faltes, aber fchönes, wind-
filles Wetter geherrfcht hatte. Uebrigens hat Wrangel be—
reits die auffallende Verichiedenheit der Witterung auf der
nur SO Werft langen Strecke von Kolymst nach Pocodst
bemerlt, ich habe fie ebenfalls öfter erfahren.
Am 14. Februar langte auch Baron Dlaydell, nad) glück-
lich vollbrachten Streifzligen, wohlbehalten in Niſchni-Ko—
Igmst an; er hatte die Kenthiertichuftichen, die ihr Lager
anı Anadyr und im Gebiete der beiden Anin aufgefchlagen
hatten, befucht, um Zributangelegenheiten mit denfelben zu
regeln, Einige Tage fpäter befudjte uns unfer Freund Am—
*) Die Grenze des Hochwaldes giebt Wramgel nicht ganz richtig
an; der Anadyr it waldlos, wur bin und wieder zeigt fich, einer
grünen Infel gleich, auf umabfehbarer Waſſerfläche eine Meine Gruppe
von Bappeln; die Urfache ver Walbloſigkeit if meiner Meinung nach
weniger in der nörklicen Lage des Anatpr als in der vor dem vor:
— falten Oſtwinde unbeſchühten Richtung feines Yaufes
iu ſuchen.
mometer in unſerm Quartier nicht fiber 6 bis 80 des Tages
ſtieg und Nachts das Waſſer gefror, Flagte unfer Gaft doch
beſtändig über große Hige. Amraurgin bedauert überhaupt
aufrichtig die armen Stadtbewohner, die im engen Häufern
leben müſſen. Einſt hatte ihm die Luft Überfommen,
St. Petersburg zu befuchen, er machte ſich auch ter Ir
den Weg, kam aber mur bis Jakutsk; dieſe lebloſe Stadt
erſchien ihm jo übervölfert und geräuſchvoll, daf er die weis
tere Reife aufgab, und, mit größtem Abſcheu vor dem Städte
leben, ſchleunigſt in feine Tundra zurädjlüchtete.
Bald nad) des Häuptling Abreife trafen die Kaufleute
wieder ein und das Städtchen lebte, nad) einjähriger Todten-
ftille, auf kurze Zeit wieder auf. Sowohl die Steigerung
der Fiſchpreiſe als namentlich die Nachricht, daß dieſes Mal
in Folge unferer Reife eine größere Anzahl von Borgebirgs:
tichultſchen ſich nad Aninjet begeben wollten, brachte eine
größere Thätigkeit unter ben Kaufleuten hervor. Alles beeilte
fi, die nöthigen Vorräthe wie auch Hunde und Narten ſich
zu verfchaffen und bald ftiegen die Preife hierflir zu außer-
orbentlicher Höhe, z. B. ein Hundegeſpann mit Narte, jonft
mit 30 Rubeln bezahlt, war num nicht unter 60 Rubel zu
haben. Die beften waren natürlich flir uns vorbehalten, 8
für Maydell und 5 flie mid).
Unfere Erpedition ging nad) Schluß des Jahrmarkts
ganz aus einander, Mein Ziel ift dem Lefer bereits befannt ;
der Chirurgus Antomwitfd, befand fi), wie oben erwähnt,
in Sresdny- Kolymat, um dort die Ankunft der Zugvögel
abzuwarten, der Topograph Abanasjew wollte mit den zurlick⸗
fehrenden Yamuten das Diuellgebiet des Fluſſes Omolon ers
forjchen bis zur Stelle, wo diefer Fluß die frühere Gifchigar
ftraße durchſchneidet (Über diefe Reiſe hat Abanasjew jpäter
einen jehr interefjanten Bericht erjtattet), Wrangel aber beab-
fichtigte, weiter gegen Often, mindeftens bis zum Jalanſchen
Borgebirge, vorzudringen, um über verſchiedene Dinge an
Ort und Stelle perfönlich Einficht zu gewinnen und auf
einige Fragen des Altademikers Bär, namentlich auch bezüg-
lid) des, wie die Eingeborenen verfiherten, von Jalan deut:
lid) ſichtbaren Wrangel»-Landes beſtimmte Auskunft ertheilen
zu fünnen.
Gegen Ende März, wo and) Amraurgin mit feinen Leu—
ten daſelbſt ſich einfinden wollte, begaben wir uns nad)
Aninstaja Kriepofta Ich wollte den Ort nod)
einmal aftronomifch beftimmen und meine früheren Beobach—
tungen verificiren, ſodann aber aud) meine Tſchultſchenfreunde,
wit denen ich in rauhem Yande fo lange gelebt und von
denen id; fo viele Freundlichteit erfahren hatte, wiederſehen.
Auf der Fahrt dahin erfuhr id) auch die Wahrheit eines
folymjdren Sprücworts, weldyes lautet: „Sein Reifender
pafjirt ohne Bad den Heinen YUnin.“ Bisher war id) die—
ſem Scyidjal glüdlich entvonnen, aber dieſes Mal mußte ich
aud) daran glauben. Die obere Eisrinde nämlich, die durch
Zufrieren des heraustretenden Waſſers gebildet wird, barft plötz⸗
lic) unter uns und ich fiel mitfammt meinem Begleiter
Kotelnitow ind Waller; wir hatten nun, nach einem eistalten
Bade, die Aunehmlichfeit, in einer Temperatur von — 300 R.
bie durchnäßten Sleider und Wäſche wechſeln zu müſſen.
Der Menſch gewöhnt ſich eben an Alles und fo famen auch
wir ohne irgend welche Nachwirlungen glüdlich davon.
Die Kaufleute trafen erft einige Tage nad) uns in der
Kriepofta ein und wir verwandten die Zwiſchenzeit all-
feitig mit großem Nugen. Mir gelang es, eine ganze Reihe
von aſtronomiſchen Beobachtungen zu bewerfitelligen, während
Maypdell die ganze Umgegend jowie die bereits eingetroffenen
Tſchultſchen in ihrer Nationaltracht photographiſch aufnahm
und, nad) den Berichten der von denfelben erwählten Aelteften
46 Aus allen Erdtheilen.
und anderer eingeborener Jahrmarktsbeſucher, den Verſuch
einer Tſchultſchenzuhlung machte. Das Refultat diefer Bolks⸗
zählung fonnte natürlich nur ein approrimatives fein, ba
nicht alle Tjchuftichenlager aufgeſucht und in bie Berechnung
gezogen waren. ebenfalls ift die wahre Bevölterungäziffer
weit größer als die von Maybell zemen, und Fleiner
als die von Kaufleuten und Koſaden angegebene. Mit
Hülfe der Ortsvorftände wird eine ziemlich genaue Zählung
nicht allzuſchwer zu bewirlen fein. Ich flattete noch vor
Beginn des Jahrmarkts den mir belannten Tſchultſchen Ber
ſuche ab und wurbe ütberall auf das Freundlichſte aufgenom»
men, Meine Bemühungen aber, von ihrer Vergangenheit,
ihren Sitten und Gebräuden, ihrem Glauben und Aber
glauben etwas zu erfahren, blieben wieder ganz erfolglos.
Sie ſcheinen wirklich felber nichts von ihrer Herkunft zu
wiſſen und find nicht einmal im Stande, den Sinn einiger
fonderbaren Gebräuche zu erflären. So war es mir zum
,
Beifpiel auf unferer Reife aufgefallen, daß jedesmal beim
Aufbruche alle abgenagten Knochen forgfältig aufgelefen und
verbrannt wurden, ja es war bei Holgmangel vorgelommen,
daß fie ihr Fleiſch roh verzehrten, um nur für biefes Autodafo
das nöthige Brennmaterial zu erfparen. Aber vergeblidy
forſchten wir nad; einer Erklärung dieſes Gebrauchs, feine
andere Antwort konnten wir auf alle unfere Fragen erhalten,
als die: „Woher follen wir e8 wiflen? Unſere Vorfahren
thaten fo und fie werden wohl gewußt haben, warum.“
Ebenſo energiſch verharren die Tſchuktſchenweiber bei einem
andern abergläubifchen Gebrauch: fie thun nie Renthierfleifch
in einen und denſelben Keſſel mit Vögeln, und bei Günſen
fehen fie ſich wohl vor, daß bie Federn verbrannt oder ins
Waffer geworfen werben: „Es könnten fonft wohl die
Thiere ihrer frühern Freiheit fi) erinnern und ſich aus
dem Staube machen!“ Ueberhaupt find auch dort die Wei-
ber fanatiſcher als die Männer,
Aus allen Erdtheilen.
Bon der Infel Madagaskar.
Auf diefem großen oſtafrikaniſchen Eifande vollzieht fich
ganz allmälig eine Umwandelung zum Beflern, die unferer
Theilmabme würdig if. Die Inſel war ſchon dem großen
venetianiſchen Reifenden Marco Polo befannt, wurde 1605
von ben Portugiefen befucht und als Juſel des heiligen Lau—
rentius bezeichnet; die Araber haben mit der Nordlüſte feit
vielen Jahrhunderten in Verkehr geftanden. Die Franzofen
erhoben jeltiamerweile fchon 1642 Anfpruch auf den Befik
der ganzen Juſel, weil diejelbe von „Wilden“ bewohnt fei;
fie mußten ſich aber damit begnügen, an verfchiedenen Kitften-
punkten Handelsfactoreien und and; Forts anzulegen, von
denen viele nach und nach wieber verlaflen wurden, fo daß fie
anf der großen Infel jelbit heute gar feinen Punkt befiten,
wohl aber mehrere Heine Inſeln vor der Küfte, 3. B. Sainte
Marie mit einem fichern Zufluchtähafen an der Oftkitfte, und
Noffi be, wo fie Kaffee banen, an der Norbmeitküfte,
Mit den Engländern ift der König bes berrfchenden
Volksftammes, der Howas, welche die Centralprovinz Emirene
inne haben, im Jahre 1814 in nähere Berührung gefommen;
fie lieferten ihm Schießgewehre und Grercirmeifter; 1820
erichienen die Mifftonäre. Wir gehen bier auf die inneren
Kämpfe und die Ehriftenverfolgungen nicht ein und bemerken
mer, daß Seit 1862 Neligionsfreibeit gewäbrleiftet ift, auch die
Handelsverhältniffe mit dem Auslande geregelt worben find,
Ueber die geographifchen Werbältniffe hat vor einigen
Jahren Grandidier in einem vortrefflichen Werke gute
Auskunft gegeben. Die inneren Zuſtände des Volkes find
von Ellis eingehend gefchildert worden; jest eben lieferte
Joſeph Mullens manche wertiwolle Beiträge über die gegen:
wöärtige Lage der Inſel, auch giebt er nähere Nachrichten
über die vulcamischen Verhältnifie. Wir willen nun, daß
insbejondere der centrale Theil Madagaskars gewaltige vul-
caniſche Erichiltterungen erfahren habe. Die Antarat: Berge,
welche fih am Südweſtrande der Hochebene von Emirene
Imerina) erheben und von der Hanptftadt Antananarivo aus
fihtbar find, nehmen eine Fläche von etwa 600 Geviertmiles
ein. Die fünf centralen Bits, welche übrigens feinen erfenn:
baren Krater zeigen, erreichen eine Meeresböhe von 3000 bis
0 Fuß. Im der Nähe des Itaſyſees, etwa 25 Miles jen-
feit diefes nicht mehr tbätigen vulcanifhen Gentrums, ift
eine andere vulcaniſche Region, in welcher man Krater neben
Krater ficht; Mullens und fein Gefährte Billans haben nicht
weniger als 40 derjelben in ihrer Karte verzeichnet und mad)
Norden hin liegen wahrjcheinlich noch viele andere. Etwa 50
Miles weiter nach Süden bin findet man wieder drei Grup:
pen von Vulcanen und die Reiſenden zählten dort nicht weni—
ger als an 100 erlofchene Krater. Diefer vulcanifhe Gürtel
fest ſich nach Norden hin fort und fteht offenbar in Verbin:
dung mit den vulcaniichen Piks, welche die Infeln Noffi be,
Mayotta, Anjuan (Johanna) ꝛc. bilden. Gegenwärtig ift
Großkomoro das große Ventil, wo gewaltige Eruptionen ſehr
häufig find; mögficherweife findet aud eine Verbindung mit
den Bulcanen auf Mauritius und Reunion ftatt.
In neuerer Zeit ift mehrfach die Anficht aufgeftellt wor:
den, daß Madagaskar einft einen Theil des unter bem Meere
verſchwundenen Eontinentes gebildet habe, der bis zur malayi-
chen Halbinfel ſich erftredt habe, und von welchem die Sey-
hellen, Rodriguez, Mauritins noch Ueberbleibfel feien.
Mullens nimmt an, daß die Malgaſchen alle zu einer
lei Race gehören; er beftreitet Crawford's Behauptung, der
zufolge die überwiegende Mehrzahl derfelben afrikanischen
Urſprungs feien, Er theilt fie in die drei Stammgruppen
der Betſimaſarakas, der Sakalaven und der Hovas,
Die Bervohnerzahl habe man früher viel zu hoch veranfchlagt
(— gewöhnlich auf etwa vier bis fünf Millionen Seelen —);
fie überfteige dritthalb Millionen nicht. Mullens, wir meis
nen etwas jehr gewagt, behauptet, fie ſeien eim malayifches
Volt mit malayifchen Sitten und Gebräuchen; manche hätten
malayiiche Mugen und alle fpraden bis anf den heutigen
Tag in malayiicher Zunge. Das ift viel zu viel gefagt. Die
Ethnographie hat auf Madagastar noch eine ſchwierige Auf:
gabe zu löſen. Der jett fo oft genannte Bartle Frere fand
eine überaus große Aehnlichkeit zwiſchen ben Malgafchen und
den — Japanern!: &8 fehlt nur noch, daß der entſetzliche, ab-
ipurige Londoner Hude Clarke Aehnlichkeit zwifchen ihnen und
den vordhaldäifchen Afkadiern, eventuell auch mit den Etrus⸗
fern oder Tſchuktſchen entbedt !
Ellis war bis 1865 auf Madagaskar, wo er mit Mif-
fionsangelegenbeiten vielfach beichäftigt war. Die alte Köni-
gim hielt ftreng am Glanben ihrer Worväter, als aber die
gegenwärtige Herricherin Ranavalona den Thron beftieg, wur-
den die früber üblichen heidniſchen Ceremonien nicht weiter
befolgt, ſondern man ftellte zur rechten Hand der Monarchin
eine Bibel auf. Im Februar 1866 empfing fie unter großen
Aus allen Erdtheilen. 47
Feierlichkeiten die Taufe und am 8. September 1369 find
dann, auf ihren allerhöchſten Befehl, alle Götterbilder den
Flammen überantwortet worden. Schade, daß fie nicht in un:
fere ethnographiſchen Mufeen kamen, wo fie gewiß feinen
Schaden für das Seelenbeil der Europäer angerichtet haben
würden. Dem Beiipiel der Königin leifteten auch bie Privat:
inhaber von polen Folge. Die vor 70 Jahren von den
Miſſionären ausgeſtreute Saat war endlich reif. Es giebt
faum irgendwo ein Seitenftüd zu einer foldhen religiöfen
Ummwälzung. Jede nad Europa gelangende Hunde bradite
Ueberrafhungen und in Folge davon floffen die Beiträge für
die Miſſion ſehr reichlih. Ellis allein fammelte 7000 Pf. St.
In den bisher erjchienenen Werken über Madagaskar
findet man eine Abbildung des Königlichen Palaftes zu An:
tenanarivo; derfelbe bildet ein hohes hölzernes Gebäude mit
mehreren Stodwerlen und ſpitzem Giebeldach. est iſt an
die Stelle deffelben ein großer Palaft getreten, um welchen
fich eine auf fteinernen Bfeilern rubende Veranda ziebt, und
auch Thürme und Baftionen find angebracht worden. Da:
mit ift eine Eigentbümlichkeit verſchwunden, welche der Re:
fidenz einen gewiſſen Charakter gab. Die Kirche in Ampa:
mararinana ift ganz europäiich, hat einen Glodenthurm und
Frenfter von farbigem Glaſe; die Kirche der Königin neben
dem Palafte bat den fogenannten engliichen Stil und in ber
Umgegend hat man Villen gebauet, welchen bie Schweizer:
bäufer zum Vorbilde dienten. Uebrigens haben die Milfio-
nen unler einander viel Zank und Haber gehabt; denn es
find zwei dort am der Arbeit gewelen und jeme der englifchen
Hochkirche hat nicht nachgelaſſen, bit fie allen Widerreben
zum Trotz einen Biſchof einfesen Fonnte.
Doung's neue Erpebition nach dem Riaſſa-⸗See.
Bereits im Jahre 1867 bat der engliihe Marineoffizier
E D. Doung den Niaſſa-See in Oſtafrika im einem zerleg—
baren eifernen Boote befahren und einige Aufnahmen an
beflen Dftküfte gemacht. Damals handelte es fi darum,
Racrichten über das Schidjal Livingftone’s einzuziehen, ber,
nach Ausſage feiner entronmenen Begleiter, ermordet fein
foflte. Young's Nachforihungen brachten jedoch die Lügen
der Johannaleute and Tagesliht und weil es damals dar:
anf ankam, möglichft ſchnelle Nachrichten nach England zu
übermitteln, jo fonnte an eine forgfältigere Aufnahme des
Niaſſa-Sees nicht gedacht werden. Dieles foll nun nachge:
belt und gleichzeitig damit ber Zweck verfolgt werben, ben
bort befonders jtart blühenden Sfavenbandel brach zu legen.
Auf Anregung des Reverend Dr. Stewart ift in Poplar bei
London ein Heiner zerlegbarer eiferner Dampfer gebaut und
ala — nad) dem Tobesorte Livingftone's — genannt wor:
den. Die einzelnen Stüde bes Dampfers, der 50 Fuß lang,
10 Fuß breit ift und 15 Tons faht, wiegen nicht mehr als je
1 Gentner. Vierhundert Träger find erforderlich, um ihn längs
den Kataralten des Schire (des Abfluffes des Niaſſa-Sees)
ju transportiren. Commandant der neuen Erpebition ift
abermals €, D. NMoung.
Die mittlere Höhe Europas.
Ein Schüler Oscar Peſchel's, Dr. Guſtav Leipoldt in
Dresden, bat auf die Anregung feines Lehrers bin es unter:
nommen, die mittlere Höhe unferes Erdtheiles neu zu be
rechnen. Bisher galt allgemein dir von Humboldt 1843 be;
rechmete mittlere Höhe von 205 Meter, welche für richtig an:
genommen wurde. Nachdem bereitd einige Zweifel laut
geworben, machte Reipoldt fich am eine gründliche Nenberech-
tung, ein ungemein mühevolles Werk, das nur mit der zähe:
fen Ausdauer und Geduld durchzuführen war. Man er:
ſchridt förmlich vor der Maſſe der einzelnen Zahlen, die hier
zu bewältigen und in Verbindung zu bringen waren.
Das Ergebniß der mühevollen Arbeit nun ift in der
’
140 Seiten umfaffenden Schrift: Ueber bie mittlere Höhe
Europas von Dr. Guſtav Leipoldt, Plauen 1874, nieder:
nelegt und lautet einfach: Europa befitt eine mittlere Höhe
von 296,8 Meter oder M Meter mehr als Humboldt ihm zu:
erfannte, Auf die einzelnen berechneten Gebiete vertbeilt fich
die mittlere Höhe folgendermaßen :
a 27 — 1299,09 mittlere Höhe
Iberiſche Halbinfel TE. .
Ballanbalbiniel. - . +» » 5795. r
Defterrih . » . 2...» 51798 „ :
Apenniniiche Halbinfel 3172 . —
Skandinavien. 4281
Frankreich »--.. 3938 „ R
Rumänien. 222.2. . 223 „ —
Großbritannien . » » 177 , .
Deutſches Rih .... 2130 „5 —
Rußland...... 167,1 R Mi
Belgien . 2.2... 1634 „ z
Dänemark ohne Jsland. 352 5 "
Niederlande ohne die De:
preffion -. .» 2...» 9,6
Arbeit verwandt, fein Ergebnif von 300 Meter als ein ver:
trauendwürdiges zu betrachten, ald ein der Wahrheit ſich nach
Möglichkeit mäherndes. Es bleibt nur zu wünſchen, daß der
Verfaffer es unternehmen möge, auch für die übrigen Con-
tinente bie mittlere Höhe zu berechnen, wenngleich bier bei
dem ungleich mangelbaftern Material die Ergebuiffe weit
weniger genau ausfallen dürften.
Der Wohlſtand Ealiforniens.
Bon demjelben entwirft die deutſche „Galifornia-Staats-
zeitung" folgende Schilderung:
„Die Minen geben einen reichen Ertrag, und wenn auch
die Speculanten ſchwer unter der gegenwärtigen Panik lei-
ben, jo find die Mengen von Gold und Silber, die unfere
Minen in den Berkehr bringen, außerordentlich bedeutend.
Wenn eine einzige Mine per Monat über zwei Millionen
liefert, fo ift es natürlich, da unfere Münze Tag und Nacht
beichäftigt ift uud mehr liefert als je zuvor.
Der raſche Aufſchwung unferer Ouedjilberberg:
werte ift dem Wohlftande unferes Landes und dem Berg:
bau auferordentlich förderlich gewelen. Eine ganze Anzahl
neuer Queckſilberminen find in biefem Jahre in Betrieb ne:
fegt worden. Das Onedjilbermonopol ift Dadurch gebrochen
und der Preis des Onedfilbers von 1 Dollar 75 Gents
auf 80 Gents gefallen.
Unfer Staat ift nach außen nichts ſchuldig, während
unfere Ausfuhr fortwährend eine bedeutende ift und unfere
Wollenproduction allein auf 11 Millionen geſchätzt wird.
In keinem Lande der Welt findet fich fo viel Unternehmungs:
geift unter den großen Capitaliften, im deren Händen fid in
den legten Jahren coloffale Summen angebäuft, wie in Cali:
fornien. Unfere Gelbprinzen verwenden ungeheure Summen
für die Berfchönerung von San Francisco, Ganz dajjelbe
finden wir im anderen heilen des Staates. ine ganze
Anzahl Heiner Bahnen werden durch den Unternehmungsgeift
einzelner Leute gebaut. Senator Jones baut eben einen gan-
zen Minendiftrict in Panamint. Er hat die Minen gekauft,
bant Mühlen, eine Stadt, eine Eiſenbahn nach der Küjte,
einen Hafen in Monica, kurz er verwendet Millionen auf
ein Unternehmen, welches einem ganzen Theil unjeres Staa-
tes eine andere Geftalt geben wird.
Was überhaupt eben im Süden unſeres Staates ſowohl
von der Southern Pacific wie von einzelnen Privatgefell:
ichaften gefeiftet wird, übertrifft Alles, was man jelbit früher
in Illinois geſehen. Ganz daffelbe gilt von unſeren Bay:
48
Gountied, die fich nach allen Richtungen mit einem wahren
Net von Eijenbahnen überziehen. Welche Capitalien durch
alle diefe Unternebmungen unter das Rolf gebracht werden,
läßt ſich kaum aumähernd berechnen.
Noch größer ift der Aufſchwung, den unſer Ader: und
Obftban im den legten zwei Jahren genommen, mit durch
die rafche Entwidelung unferer Verkehrswege. Die Herftel:
1
J
Aus allen Erdtheilen.
länger als ſonſt im Stalle zu halten; dabei gingen alle Heu:
und Störnervorräthe verloren. „Weberdies nimmt bie
Fruchtbarkeit des Bodens von Jahr zu Jahr ab,
deum die gänzliche Entwaldung des Landes hat einer:
ſeits auf die Bewäflerung des Bodens nacıtheilig gewirkt,
andererleits die Bewohner gezwungen, den Viehdünger als
Brennſtoff zu benutzen, alfo den Feldern die nöthige Befruch:
fung eine Canal: und Bewäflerungsiyftems hält in |
\ auch Kleinafien immer mehr unfruchtbar machen, jo daß es,
vielen Counties gleichen Schritt mit dem Bau der Eiſenbah—
nen, und die Zeit ift nabe, wo eine regelmäßige Bewäſſerung
und eine rationelle Bodenbehandlung den Landbau allen Ge—
fahren der Trodenheit entrüdt.
Wir fteben erſt am Anfang der Entwidelung unjerer
überreichen Hülfsauellen, wenn wir aber damit jo vajch vor:
wöärtsichreiten wie im den leßten zwei Jahren, jo wird es
wohl bald kaum ein Product geben, welches unjer Staat
nicht im irgend eimem feiner Counties producirte. Unſere
Baummwollen: und Tabadproduction ift in raſchem Zunech
men begriffen, unfer ganzer Süden verwandelt ſich in einen
Garten, wo tropiiche Früchte neben Wein, Oliven, Objt und
Getreide gebeiben, unfere Obſteultur liefert unter dem Alden:
prozeß Producte, denen ein unbegrenzter Abſatz gefichert ift,
kurz unfer Staat geht einem Aufſchwunge entgenen, dem ſich
nur wenige Staaten der Welt an die Seite ftellen können.“
Die Handeldentwidelung Brafiliens.
Brafilien bat, den übrigen Staaten Amerikas gegenüber,
den großen Vorzug, eine Monarchie zu jein und von Präſi—
dentenwahlen nebſt obligatem Zubehör verfchont zu bleiben.
Die Ruhe wird felten geftört, die Ordnung aufrecht erhalten
und das Land kommt, vieler Mängel ungeachtet, im ntate-
rieller Beziehung vorwärts. Die nachjtchenden Ziffern be-
weilen, in welcher Weile der Handel zugenommen bat.
An den fünf Jahren 1846 bis 1851, ale die Einfuhr
von Sklaven ihren höchſten Stand erreicht batte, betrug die
Handelsbewegung mit dem Anslande 11,004,580 Bf. St.; fie
war in den fünf Jahren 1866 bis 1871 neftienen anf 34,198,201
und ftellte fich filr 1873 auf 37,103,672 Bf. St. Der fünf
Jahre lang andauernde Krieg mit Baragnay (jeit 1865) wirkte
allerdings nachtheilig ein, aber trogbem nahm der Handels:
verkehr zu. Als Kater Dom Vedro der Zweite 1831 durch
die Entjanungsacte feines Vaters zum Throne gelangte, be:
trug die Staatseinmahme 1,117,152 Pf. St.; 1810, im erften
Jahre feiner Majoremnität, 1,631,075. Sie war 1871 geftie-
gen auf 9,773,655 und 1872 auf nahezu 11 Millionen.
Die Ausfuhr von Kaffee betrug 1841 nur 74,29,680
Kilogramm, 1871 fchon 225,834,4858, Baumwolle 1860 nur
9,854,952 R., 1872 aber 83,543,3387. Yuder 65,387,051 in
1861 und 1872 jchon 126,526,730. — Tabad in derielben
Zeit ftien von 4,608,987 auf 12,535,162 Kilogramm, Die
Ausfuhr von Kautſchuk war 1861 noch ganz unbedeutend,
betrug aber 1373 ſchon 5,067,725 8. im Gelbwertbe von
1,048,4841 Pf. St.
*5* x
— Während Kleinafien durch die Hungersnoth fo
|
entieglich gelitten bat und noch leidet, droht gegemmärtig eine |
folche auch in Armenien. Ein Berichterftatter der „Allge- |
meinen Zeitung* fchreibt‘, daß der ungewöhnlich lange Win-
tung zu entzieben." Es find dies dieſelben Urfachen , welche
wenn wicht euergiſch eingegriffen wird, am Ende unbewohn:
bar werben wird.
— Auf der Juſel Kreta iſt in der Mitte des Juni:
monates eine Pandesverfammlung abgehalten worden.
Unter den Abgeordneten befand ſich auch ein Nude, zum
großen Mißvergnügen der türkiſchen und chriſtlichen Abge—
orbneten; fie behaupteten, daß in der Verfaſſung der Inſel
für einen ſolchen kein Pla feit Der türkiiche Statthalter
erflärte jeboc, es ſei Plaß für den sracliten und was dem
Einen recht, jei auch dem Audern billig.
— Henihreden in Argentinien. Darüber ſagt
Herr Auguſt Kahl in der Märzuummer ber „La: Plata:
Monateichrift" Folgendes:
„Eine Plage des Landwirths find die Heuſchrecken
(Acridium paranense, Burm.). An Zwiſchenräumen von 5
bis 7 Jahren erbeben fih im Frühjahr aus den Wildniffen
des Chaco unermeßliche Züge diejes Juſectes. Der Land—
bewohner, durch lange Jahre des Anblids entwöhnt, weih
nicht, was er aus der Farbe und Form rauchähulicher Wol—
ker machen Toll, Die Wolfe wird immer dichter, bis jie von
einem Horizont zum andern veicht und bald wird es ihm
nur allzuflar, was fie bedeutet. Der Tag verdunkelt fich,
umfouft werden an der Grenze der Felder Feuer ange:
zündet, Tücher geſchwenkt; die Sonne iſt im Untergeben
begriffen, und der Milliarden zählende Schwarm fest fich,
Meilen und Meilen weit den Boden bedeckend. Am andern
Morgen erhebt er fich, um weiter zu wandern, aber die grüne
Farbe ift mit ihm verichwunden. Getreide, Gemilſe, das
‘ Laub der Bäume, ja zuweilen deren Rinde — alles abgenagt,
die Arbeit des Jahres ift verloren. Nene Schwärme, bald
größere, bald kleinere, folgen dem erften. Nach einem Mo—
nat giebt das Inſect die Wanderungen auf, um feine Eier au
legen. Man zerftört diefe, wo man fie findet, allein bie
Streden unbewobnten Landes find zn groß, um dieſes mit
Erfolg thun zu können. Die neue Brut (Saltona) kriecht
bald aus den Eiern und überzieht in geichloffenen Colonnen
die Saatfelder. Es giebt fein Hinderniß für diefe Milliar:
den Thiere, fie friechen über alles hinweg und hindurch, fie
durchſchwimmen die Flüſſe uud löſchen das Feuer mit ihren
Leibern. Eine ſolche Colonne ift zuweilen Meilen lang und
10 bis 12 Cuadras breit. Da fie langlam kriechen, jo geben
fie dem Landwirtbe Zeit, fie durd von Pferden gezogene
eiſerne Walzen zu zerguetichen. Wenn die junge Brut ihre
Flügel erhält, wartet die gelammte Colonne, bis alle ihre
Mitglieder mit diefem Apparat verfchen find, um dann zu:
ſammen anfzufliegen. Auch Führer, gewöhnlich ein erwach⸗
jenes Eremplar mit Flügeln, will man bei dem Mariche der
jungen Brut bemerkt haben.*
— Aus Bagdad wird berichtet, daß die orientali-
Ihe Peſt ih im Maimonat über das ganze Gebiet der
Montefilaraber verbreitet babe und daß Taufende von
ter die Bewohner gezwungen babe, ihr Vieh einen Monat Menſchen derjelben erlegen find.
» Imbalt: %. Garnier's Schilderungen aus Rinnan. I. (Mit vier Abbildungen) — Müller’s kosmiiche Phyſik
in vierter Auflage. II. (Mit drei Abbildungen) —
Ein Beiuch anf der Juſel Urk im der Yumderfee. IM. (Schiuf.) —
Karl v. Neumann’ Erpedition nad den Bäreninfeln vor der fibiriichen Küfte, I. — Aus allen Erdtbeilen: Von der
Juſel Madagaskar. — Poung’s Reiſe nach dem Nyaſſa-See. — Die mittlere Höhe Europas. — Der Wohlſtand Gali:
forniens. — Die Handelsentwidelung Brafiliens. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 2, Juli 1875.)
Herausgegeben von Karl Andree in Leipzig. — Für bie Redaction verantwortlib: H. Vieweg in Braunſchweig.
Drud und Verlag von Briebrid Bieweg und Sohn in Braunſchweig.
Hierzu eine Beilage: Literarifher Anzeiger Nr. 6.
Arefmeo»- u‘
*
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Etknologie.
An
Berbindung mit Fahmännern und Künſtlern herausgegeben von
Karl Andree
Braun ſchweig
Zahrüuch 2 Bände, Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Mark, Einzelne Nummern 50 Pf.
5.
187
F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan.
Unſere Leſer erinnern ſich, daß Garnier während ſeines
Aufenthaltes in Yin ngae von einem Pöbelhaufen angegriffen
und ſchwer befeidigt wurde, Er echielt indeß Genugthuung,
denn als er am andern Toge die Stadt verlafjen hatte, wurde
er don zwei Meitern überholt; fie meldeten von Seiten des
Obermandarinen, daß der Miflethäter, welcher mit Steinen
nad dem Europäer geworfen habe, in den Halsblod geſperrt
worden ſei und dag man ihm dann ſoeben den Kopf abge
ſchlagen habe!
ie Stadt Tſchepin am dem gleichnamigen See hatte
durch die Unruhen nicht gelitten, Die Strafen find mit
Marmor gepflaftert und werden ſauber gehalten; die Wilden
verfchiedener Stämme, namentlich die Pay und Yolo, machen
einen recht vortheilhaften Eindruck; außerdem leben dort nod)
Pula, Wilde von Heiner Statur und ftarf gedunkelter Hauts
farbe. Der Verkehr auf den Markte war lebhaft; Garnier
fah Eifen, weldyes aus Gruben in der Nähe gewonnen wird,
Töpfergefchirr, zum Theil fehr zierlich, in großer Menge,
Schwefel, There, Salz, Baumwolle und Reis. Am 16, De:
cember, ald die Erpedition von Tong hay aufbrach, hatte fie
den ganzen Tag Schneegeftöber, das Gelände ftieg immer
mehr an, aber bald waren die Reifenden von ihrem nädhften
Ziele nicht mehr weit entfernt; fie erblichten aus der Ferne die
Mauern von Yunnan und wurden vor ihrem Einzuge von
einem Fleinen Mandarinen begrüßt, der ihnen einen Brief in
franzöfifcher Sprache einhändigte; derfelbe war von einem ber
Mifjionäre, melde in jener Stadt feit langer Zeit eine Sta⸗
Globus XXVNI. Ne. 4,
II.
tion haben. Es war eine große Menfchenmenge zufammen:
geftröntt, um fich die Europäer zu betrachten, welche erft durch
die jüdweftliche VBorftabt und aus biefer in die Hauptſtraße
geleitet wurben, die einen ſehr vortheilhaften Anblick darbot
mit ben vielen, reich verfehenen Waarenläden und den vielen
bunten Schildern und Fahnen. Man wies ihnen als Woh-
nung ein großed Regierungsgebäude (Yamen) an, das aller-
dings theilweife in Trümmern lag; vor der Berwüftung wa-
ten in bemjelben die Examina fitr die Studenten abgehalten
worden, welche ſich um das Baccalaureat bewarben, Bor
einigen Monaten war von Peling aus Befehl gefommen,
einen Theil wieder in guten Stand zu jegen.
Die beiden franzöfifchen Diiffionäre Protteau und Fe⸗
nowil gingen natürlich ihren Yandsleuten im jeder Beziehung
an bie Hand und gaben ihmen die befte Ausfunft; der Obers
mandarin zeigte ſich jehr gefällig, ſchidte Lebensmittel und
ftellte eine Polizeiwache. In der Stadt wohnen viele Mo-
hammebaner, denen man nichts anhaben kann, weil fie ſich
rubig verhalten. Die Zahl der Chriſten giebt Garnier auf
ungefähr einhundert an umd er meint, daß bei ber Gleich ·
gliltigfeit der Chinefen gegen religiöfe Dogmen dieſelbe ſich
wohl auch nicht vermehren werde; frliher, vor den Ausbruche
der Unruhen, follen fie etwa achthundert Köpfe gezählt haben.
Die Zahl der Einwohner betrug, als Garnier zu Ende
des Jahres 1867 dort war, höchftens 50,000; fie muß ſich
aber, bie ausgedehnten Vorſtädte mit eingerechnet, vor dem
Krieg wohl auf das Bierfache belaufen haben, Die Feſtungs ·
7
F. Garnier's Schilderungen aus Nünman. IT.
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F. Garnier’3 Schilderungen aus Yünnan. LI. 51
werke find ausgedehnt; der Boden, auf welchem die Stadt
erbaut wurbe, fällt fanft bie zum See ab; nad) Norden hin
erheben fich einige Hügel und die Umgegend ift forgfältig an:
gebaut. Für den Handelöverfehr hat Yunnan eine entjchjies
dene Bedeutung; es bildet einen Mittelpunkt, in weldem von
weit und breit Maflen wertvoller Erzeugniſſe aufgeftapelt
werden. Die Provinz ift nameutlich reich an Metallen, ins⸗
befondere an Kupfer, welches aus mehr als vierzig Gruben
gewonnen und hier vaffinirt wird. Im Jahr 1850 betrug
dad Kupfer, welches den Antheil für die laiferliche Regierung
bildete und nad) Peling abgeliefert werden mußte, ungefähr
6,000,000 Kilogramm. Der Silberertrag ift minder bes
dentend, jährlich etwa 40,000 Kilogramm, die aus den Gru—
ben von Yo ma und Mien hoa ti gewonnen werden; was
man an Gold gewinnt, ift kaum der Rede werth; Zinn wird
nur aus einer einzigen Grube gewonnen, dagegen ift die För-
derung von Blei und Zink nicht unbeträchtlich; den Bedarf
an Eiſen dedt die Provinz felber.
Das Kupfer von Mnnan ift für die Faiferliche Regie:
rung von größten Belang, weil fie deflelben zur Herſtellung
ihrer Scheibemitnge, ber Sapelen, nothwendig bedarf und für
diefe ift die Nachfrage in dem von ein paar hundert Millio—
nen bewohnten Reiche unbeſchränkt. Deswegen ſchießt fie
auch den Grubenbefigern beträdjtlihe Summen vor um bie.
Anabente zu fteigern. Uebrigens hat and Munan feit dem
Jahr 1661 eine Munzſtätie, in welder ganz ungeheuere
Quantitäten Sapeken fabricirt worden find. Solch ein
Geldſtlick befteht aus 54 Theilen Kupfer, 42,75 Zink und
3,25 Blei. Vor dem Kriege mit den Mohammedanern lies
ferte Yunnan jährlich mehr als 100,000,000 Sapelen,
von denen nad) amtliher Schägung 1200 auf ein Tal,
d. h. eine Unze Silber, famen; die Sapeke wiegt 41/, Gramm,
Seit dem Kriege hat fich die Production vermindert und der
Zufag von Zink ift beträchtliche geworben ; al& Garnier dort
war ftand der Cours niedrig: 1800 Sapefen für den Tal.
Die Induftrie liefert einen eigenthlintlichen Stoff, der
als Sammet des dftlihen Meeres bezeichnet wird:
Tong bay tuan tfe. Derfelbe ift did und man verwendet
zum Gewebe den Faden weldyen die ſchon früher erwähnte
Waldſpinnne Liefert; er ift insgemein ſchwarz, nimmt aber
auch; andere Farben an. Diefer Sammet von Nlnnan ift
in ganz China berühmt; man verfertigt dort auch ſehr hübſche
Teppiche, Deden umd Filzarbeiten. Auf den Markt Fommıt
aud; Opium , das in der Provinz felbft bereitet wird, Salz,
Eher, Zinnober, Seide, Moſchus, allerlei Droguen und Ars
uter, Taback. Sodann Pelz und Wollentuche aus
, englifche Baumwollenwaaren und rohe Baumwolle
aus Birma,
Die Ebene von Yunnan liefert Getreide in Menge, Obft
verfchjiedener Art, insbefondere Soraho, Weizen und Hafer,
Flachs und Tabad; an Obftarten Kirſchen, Pfirfiche,
Bimen, Nuſſe, Kaftanien ; den Viehſtand bilden Schafe, Zies
gen, Rindvich und Büffel.
Seitdem der Anbau des Mohnes eine große Auss
dehnung gewonnen hat, Liefert Plinnan nur noch wenig
Wachs, das einft eine wichtige Haudelswaare bildete. Die
Bienen, fo fagen die Eingeborenen, hatten eine kranfhafte
Vorliebe fiir den Mohn und gingen nicht mehr auf andere
Blumen; binnen zwei oder drei Jahren waren fie dann alle
geftorben.
—— —
Unlunft im Thale des
Yangtichang.
Der Munan-See hat feinen Abflug zum Yangtſekiang
vermittelft eines Waſſerlaufes, der bei der Stadt Kuen yang
tichen das Becken verläßt.
Es ift ſchon weiter oben bemerkt worden, daß die Erpe-
dition fich in einem Häglichen, abgeriſſenen Zuftande befand;
vor allen Dingen war es nöthig, anfländige Kleidung zu
beichaffen. Sie befand ſich in einem eiviliſirten Yande, mußte
ſich freigebig zeigen gegen die vielen Beamten und Diener,
welche der Obermandarin ‚ihr zur Verfligung geftellt hatte,
und fie hatte noch eine weite Meije vor ſich. Der Miffionär
Fenouil wußte Nath. Ma ta jen, Mohanımedaner und Ge
neral bei den faiferlichen Truppen, war erfreut den Euro—⸗
päern die Summe von 700 Taels vorzuidießen und vers
langte nicht einmal Nüdzahlung. „Wenn Ihr aber auf
einer ſolchen befteht, jo fehicht mir von Schanghai aus euro-
phiſche Waffen für das Geld.“ Somit war eine große Ber-
legenheit bejeitigt und die Neifenden konnten fid) und ihre
Begleiter anftändig fleiden.
Nun aber fragte ſich, wie und ob fie weiter nad) Tali
| wlirden gelangen fünnen. Diefe Stadt ift in geographiſcher
7*
52
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F. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan. II
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Familie von Wilden.
F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan. IL 53
wie commercieller Beziehung von entjchiedener Widhtigleit;
Liegt zwifchen dem Blauen Fluß und dem Melong und
bildet den Schlüffel der Straße die aus Birma nad) dem
Innern Chinas führt. Aber der divecte Weg war nicht offen,
dort hatten Überall die Mohammedaner die Oberhand. And)
hier wußte der eben genannte Miffionär guten Rath; er
machte jeine Yandsleute auf den Yao papa aufmerkfam,
Diefer alte Mann war das geiftige Oberhaupt dev Moham⸗
medaner in der Stadt Munan und ftand im großem Anjes
ben auch bei der chineſiſchen Regierung, weil dieje den Be—
weis Kiefern wollte, daß fie gegen die Befeuner des Islam
als ſolche keine feindfelige Geſinnung hege, fondern die Mo-
hammedaner nur befämpfe, wenn diefelben als Rebellen gegen
den Kaifer ſich auflehuten,
Der Lao papa hatte in jüngeren Jahren weite Reifen
— und war namentlich im Indiſchen Archipelagus auch
7
vi mit Europäern in Verlihrung gelommen; und fo
erklärt ſich, daß er die befchränften Anfichten feiner Lands—
leute nicht theilte. Seine Yieblingsbefchäftigung war Aſtro
nomie ımd der Miffionär that ihm zu willen, daf einer der
—
Reiſenden ſich ganz ausgezeichnet auf die Himmelslunde ver⸗
ſtehe. Damit war die Bahn gebrochen. Der Yao papa
unterhielt fid) mit Garnier über die Entfernung der Planeten
und der Firfterne, über Sonnen» und Mondfinfternifje und
Kometen. Bei einer feierlichen Zuſammenkunft äußerte
Garnier feine Hochachtung Über die Keuntniſſe des wilrdigen
Mannes, der dann ein präctiges Fernrohr herbeiholte, das
er einft in Singapore gefauft hatte. Leider lonnte es von
ihm micht benuht werden, weil er mit dem Mechanismus,
namentlich mit der Schraube, nicht wnzugehen wußte, Als
daun Garnier Alles raſch in Ordnung bradjte und der Yao
papa ſich deſſelben bedienen komme, war die freude groß.
Aus Dankbarkeit erbot er ſich, allen Einfluß anfzubieten,
um den Europäern die Neife nad) Tali zu ermöglichen. Zu
diefeom Zwecke ſchrieb er einen langen Brief an feine vebel-
liſchen Slaubensgenoffen, welchen er den Zweck auseinander
fette, weshalb die Männer aus dem fernen Abendlande nad)
China gelommen ſeien; aus Yiebe zur Wiſſenſchaft, insbefons
dere zur Mitronomie, hätten fie große Beſchwerden ertragen,
der Ungunſt der Witterung Trog geboten und fid) weder vor
DS —— —
Wilde aus der Umgegend von Talan,
wilden Thieren Strafenräubern gefiirchtet.
mit Herz ift aufrichtig, ihre Redhtichaffen
heit unterliegt feinem Zweifel, ihr Betragen ift artig, ihre
Sitten find anftändig. Ich fordere nun alle Mohammeda—
alle Chineſen auf, nicht minder auch alle Barbaren,
„sch bin
Gegenden bewohnen, diefe Franzoſen frei und un—
gehindert reifen zu laflen und ihnen feinerlei Hinderniß im
den Weg zu legen.“ Das war ein blindiger Empfehlungs—
brief und aud) der Bicefänig von Yhünnan ftellte einen Fu
pay aus, das heißt einen Geleitäbrich für die Strecke über
Tong tichuen, Tſchao tong, den Blauen Strom bis Schanghai.
Ein chriftlicher Untermandarin mit kupfernent Knopfe jollte
die Reifenden als ihrer bis Tong iſchuen begleiten.
Am 8. Januar 1868 verlieh die Expedition Munan,
wo fie zwei Wochen lang hatte Naft halten fünnen, Cie
am 10. Januar Über eine weite, vortrefjlid, angebanete
Ebene, welche durch ein ausgedehntes Canalſyſtem reichlich
beiväfiert wurde; nach allen Richtungen hin lagen theils
Dörfer theils große Meierhöfe, auf den Wiefen weidete Sieh
und das Ganze erinnerte lebhaft an eine europäiſche Land—
ſchaft. Weiterhin wurde die Gegend hiigelig, wurde von
vielen Schluchten durchzogen und die weit von einander ent:
fernten Dörfer lagen hier zumeift in Trlimmern; die Pan:
thays hatten fürdjterlich gehauft und die Chinefen zitterten
vor ihnen. Am 12, Januar führte der Weg im eine tiefe
Schlucht, welche das Bett des Yi tang ho bildet; diefer fällt
unweit von Tong tidjuen in den Blauen Strom, Die Be:
völlerung diefer Gegend ift nur fpärlich; der chineſiſche Typus
verſchwindet ſaſt ganz bei ihr und die Phyfiognomie der Yeute
zeigt deutlich, dag hier ftarfe Blutvermiſchung ftattgefunden
hat. Die Hänfer find aus geftampfter Erde ausgeführt;
auf den Feldern, tiber welche ein falter Wind hinwegfegt,
bauet man nur Hafer und Kartoffeln; Geſträuche findet man
(ediglich in den Heinen Schluchten und Bodenvertiefungen.
Die Neifenden hatten nun eine beträchtliche Höhe erreicht;
zu ihrer Linken erhob ſich ein mächtiger Berg, deſſen Gipfel
mit Schuee bededt war und deſſen Höhe Garnier auf etwa
4000 Dieter ſchätzt. Das Plateau war nach allen Rich—
tungen hin von breiten und tiefen Spalten durchriſſen, welche
wie Manerwälle jäh abfielen und den Zug nach Nordoften
bin hatten, Unſere IAlluſtration zeigt den Charakter diefer
Scjluchten auf der Strafe von Tong iſchuen nach Mong ku.
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54 F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan. I.
In diefe Abgründe mußte man Hinabfteigen. Im den
Frühlingemonaten dienen fie dem Regen- und Schneewaſſer
als Abzugebeiten. Aber felbft im diefen Einöden liegen
Städte, bie einen beträchtlichen Verlehr haben, fo hier der
Marltflecken Tay phu, wo alle Waarenläden reich ausftaffirt
waren, denn das chinefifche Neujahr war nahe. Cine über-
aus buntfchedige Volldmenge war aus dem Gebirge herab»
gefonmen um infäufe zu machen; ber Gafthof war zu
Ehren der Europäer mit Flaggen geſchmüdt und die Herberge
ließ nichts zu wunſchen übrig.
Tay phu liegt am einem Bache, der ſich nach und mach
zum Fluſſe von Tong tſchuen erweitert. Auf diefen lag
Gaſthof an der Strafe von Tong tichuen nad Mong tu.
eine große Barke bereit, auf mweldyer die Europäer den Alu |
raſch hinabtrieben, während ihr Sepäd auf dem bejchwerlichen
Landwege befördert wurde. Das Wafler war ſeicht und hatte
viele Stromfchnellen, aber der flache Boden der VBarfe, die
mit tüchtigen Ruderern bemannt war, lam trogdem ohne
Fahrzeug hatte zur beiden Seiten hohe, röthlice Welfen-
wänbe, bie völlig fahl waren und auf denen gar nichts
wuchs, nicht einmal ein Grashalm. Dazu war der Him-
mel impertinent far und die Sonne brannte in die Schluch—
ten hinein; dann und wann Fam ein heftiger Windſtoß aud
Hinbernifje vorwärts in dieſer abſcheulichen Gegend. Das ; Eitbweft und pfifj unheimlich durch die Schluchten. Im wei-
“
Karl v. Neumann’s Erpedition nad den Bäreninjeln vor der ſibiriſchen Hüfte. II.
ter Entfernung von einander lagen einige armſelige Fiſcher—
hütten.
Nach achtjtündiger Fahrt famen die Reifenden in einen
Eeitencanal, welcher einen Theil des Fluſſes nad) Tong tfchuen
leitet. Nun treten bie Felswände zurück, bilden einen weiten
Kreis und im ber weiten Ebene wächſt Getreide. Bald ka—
men aud die Mauern von Tong iſchuen in Sicht, wo die
55
Europäer bei einbrechender Dunkelheit einzogen. Im einer
Pagode war ſchon eine Wohnung für fie hergerichtet und von
Seiten der Behörden war Befehl an das Bolf ergangen, bie
Fremden nicht zu ftören,
Mir verlaflen fie hier, um fie auf ihrer fpätern Wan:
ing zu begleiten und wollen nur bemerken, dag Commans
deur Yagree in Tong tſchuen geftorben tft,
Karl v. Neumann’3 Erpedition nad) den Bären-Inſeln vor der fibiri-
fhen Küſte.
Bon ihrer Vergangenheit haben die Tjchuktichen, wie
ſchon bemerkt, gar feine Kenntniß überlommen, obwohl nod)
vor Kurzem, wie fie verfichern, ihre Vorfahren gewußt hät:
ten, wo fie hergefommen feien. Selbft von fo allgemein
verbreiteten Ueberlieferungen, wie von der Sintfluth, ift ihnen
nichts befannt, nur über bie beiden wichtigften Weltereig-
niffe, die Schöpfung ber Erbe und des Menſchen, habe ich
bei ihnen zwei eigenthlimliche Sagen —
Die eine auf die Entſtehung der Renthiertſchultſchen ber
zügliche lautet folgendermaßen: Im Anfange wurden mit
einem Schlage alle Völker erſchaffen, Tſchultſchen, Julagiren,
Tſchuwanzen, Tunguſen, Korialen, Yamuten, Ruffen u. ſ. w.,
und in verſchiedenen Gegenden hatten ſie ihre Wohnungen.
Dieſe Völler bekriegten einander und führten ein fündliches
Leben. Dadurch erweckten fie Gottes Zorn und derſelbe
ließ einen furchtbaren Sturm los, der fie nad) allen Welt:
gegenden verwehte; am weitgften flogen die Ruſſen. In
Folge diefes Sturms trennten ſich auch die Inſeln vom eft-
lande ab und es entſtand die Bucht von Koliutſchin. Bei
dieſem Sturme gingen nun auch alle Boote verloren und
nene fonnten, da auch die Wälder zerftört waren, nicht ver-
fertigt werden. In Folge deſſen mußten bie Tſchuktſchen
bie eehunbsiagb aufgeben, es brach bald eine Hungersnot
unter ihnen aus und fie fingen an ſich allmälig zu zerſtreuen.
Gott aber erbarnıte ſich ihrer und gab ihnen das Renthier.
So entftanden die Menthiertfchuktichen. Der andere Theil
diefes Bolls aber, dem die hohen Felſen des Schelagstij:
Mys vor dem Sturme Schu gewährten, bereute erſt viel
fpäter fein fündhaftes Leben und blieb deshalb ohne Nen-
tiere. Dann aber erbarmte Gott fic auch feiner und lehrte
ihn aus Fiſchbein und Walroßhäuten Heine Boote (Bajdary)
verfertigen und die Seehundsjagd betreiben. Doch fünnen
die anfäffigen Tſchuktſchen, da fie zu ihren Kleidern der
Renthierfelle beditrfen, ohme ihre glüdlicheren Stammes ⸗
genofjen nicht eriftiren und Gott hat die Nenthiertfchuftichen
bei weitem lieber.
Die andere unter den anfäfjigen Tſchuktſchen verbreitete
Erzählung lautet höchſt einfah: Im Unfange wurde ein
Menſchenpaar erichaffen; von dieſem ftammen alle Bölfer
ab, die ſich je nad) Neigungen und Fähigkeiten verfcjiedenartig
beichäftigen. Das ift Alles und man fommt bei diefer Le—
gende wohl auf den Gedanken, daß fie erft nad) Einführung
des Chriſtenthums und mit diefem fich unter den Angesali
feftgefegt habe. Die erfte Pegende hat mir der heidnifche
Aigimroth mitgetheilt. Die heidnifchen Tſchultſchen ver:
ehrtem nur einen guten, auf der Sonne wohnenden Gheift,
ver Dualismus eines Ormuz und Ahriman war ihnen
ganz fremd, Ich will leineswegs behaupten, daß diefe reli-
aiöfen Anſchauungen tſchuktſchiſche Driginafproducte feien,
fie mögen ihnen cbenfowohl von einem andern, vielleicht
inzwiſchen untergegangenen Bolfe überlommen fein, aber fo
viel fann id) behaupten, daß dies Überhaupt Alles ift was
die Tſchultſchen darliber wiffen *); fie hatten feinen Grund
uns etwas zu verheimlichen umd mehr wird wohl Niemand
in Erfahrung bringen,
Die Erwartung auf einen befebten Jahrmarkt ging in
der That in Erfüllung, allein von den Vorgebirgstichuft«
ſchen hatten fich gegen 60 eingefunden, was übrigens bie
abergläubifche Furcht vor denfelben nicht verminderte. Der
Umfag war ungleid, bedeutender ald im Vorjahre, der Ta:
bad wurde fo ſchnell abgefegt, daß er gegen Ende des Marfts
wicht mehr aufzutreiben war und viele Eingeborene ihr theu—
red Velzwerl wieder mit mac Haufe nehmen mußten. Gre-
ditirt wird den Ruſſen micht mehr umd nicht ohme Grund,
nachdem vor 20 Jahren ein jakutskiſcher Kaufmann dem
reichen Borgebirgstichuftichen Chotto, welcher ihm eine bedeu⸗
tende Partie Pelzwert crebitirt hatte, feine Berpflichtungen
nicht einhalten wollte, Chotto mußte feinen Schuldner vers
Hagen, er gewann aud), freilicd, etwas fpät, den Proceß,
aber feitdem haben die Tſchuktſchen ihr Vertrauen zu den
ruſſiſchen Kaufleuten verloren. Dies gilt Übrigens nur von
den Tſchuktſchen, welche ſich fo volllommen frei erhalten;
die anderen eingeborenen Stämme, Tungufen, Jakuten, La—
muten, handeln auf Credit umd gerathen dadurch im immer
größere Abhängigkeit. Da es hierbei ohne Berlufte nicht
abgeht, jo erhöhen die Kaufleute legteren gegenliber allmälig
ihre Preife, den Tſchultſchen aber, die ihnen ſtets gute Pelz-
waare faſt aus der erften Hand bringen, geben fie ver—
hältnigmäßig billiger ab. Durch befondere Neblichkeit
zeichnen fid) aber auch die Lamuten aus, die einen unbe
fchränften Credit genießen. Es herrfcht bei ihnen nicht
allein die löbliche Sitte, daß der Sohn die Schulden des
verfiorbenen Vaters berichtigt, fondern, wenn feine Mittel
nicht ausreichen, fommt der ganze Stamm felber dafür auf.
Derfelbe ift daher bei den Kaufleuten ſehr beliebt. Der
Yahrmarkt von 1870 war nicht minder befebt als der vorig-
jährige, daffelbe bunte Gemiſch von Volkertrachten und Ger
ſichtern, diefelben Waaren und Handelsgefchäfte, diefelben
Spiele, Tänze und Wettrennen.
Am Morgen nad) dem Schluffe des Jahrmarlis nahm
ich Abjchied von meinen tichuftfchifchen Freunden, Wer
weiß, ob ich je wieder diejen guten, unverdorbenen Menſchen⸗
findern begegue, ob ich nod) einmal in meinem Yeben in
*, Die von Schifhmarew im Jabre 1821 aufgegeichneten Legen⸗
den find den Tſchultſchen fattiſch unbelannt,
56 Karl dv. Neumann’s Erpedition nach den Bäreninſeln vor der fibirifchen Küfte. TI.
leichter Narte über jene enblofe, öde Tundra bahinfliege und
umter der zottigen Felldecke, fei e8 im räucherigen Pologe
oder gar im bloßen Schnee, die von langer Fahrt fteif ge
wordenen Glieder ruhe! So lebet denn wohl, ihr rauhen
Söhne des rauhen Nordens, die ihr, unbefannt mit allen
Reizen höherer Cultur, eure Freiheit Über Alles fchäget und
außerhalb eurer eifigen Heimath fein Erdenglüd euch vors
ftellen fönnt. Glücklich feid ihr in eurer Naivetät und Uns
wiflenheit, weit glüdlicher als die von allen Feinheiten des
civilifirten Lebens angeledten Culturmenſchen, die, ewig un:
zufrieden mit dem, was ihmen geboten, ewig nad) Neuem
langend, endlid) von der traurigen Erkenntniß der Leere ihrer
Beftrebungen und unerfüllten Hoffnungen niedergedrlickt aus
dem irdiſchen Jammerthale fcheiden. Ihr feid glüdlich in
eurer Anſpruchsloſigkeit, zufrieden mit Allem, laßt ihr es euch
an den fargen Gaben eurer Heimath genligen, habt ihr
eure Freude an dem einzigen Reichthum, der ſich euch bietet,
den Nenthierherden, befriedigt euch felbft der mit Yebens-
gefahr verbundene Fifcherwerb auf dem Meere. Bom Eis—
meere bis zu dem mit ewigem Schnee bededten Gebirgen,
von der Kolyma bis zum Großen Ocean führt ihr mit
euren Herden ein patriarchalifches Nomadenleben. Frei lebt
ihr in euren geräumigen Zelten und zufrieden. Wohl habt
ihr eich einjt wild und graufam erwiefen gegen die eindrins
genden Koſacken-Eroberer, welche euch Freiheit und Unab-
hängigkeit rauben wollten, aber gaftfreundlicd und milde
waret ihr gegen uns friedliche Neifende, die wir nur Freund⸗
ſchaft und Gpesbienfte von euch beanfpruchten. Ueberſchrei⸗
tet je wieder ein Reiſender, ſei es ein Mann der Willen«
ſchaft, ein einfacher Touriſt oder ein Jäger, die Grenzen
eures Gebietes, fo laſſet ihm die Aufnahme angedeihen, die
wir bei eud) fanden, und Gott wird es eud) lohnen, er wird
euch in eurem Vorhaben beiftehen und das ungerechtfertigte
Mißtrauen eurer abergläubifchen Nachbaren in Freundſchaft
und Achtung verwandeln. Yebet wohl!
Bon der Kriepofta mußte ich zunächſt wieber nach Niſch-
nij-Kolymst zurück; ic; machte den Weg, nur einmal die
Hunde wechielnd, in 24 Stunden. Die Geſchwindigleit und
Ausdauer der Hunde ift eine ganz enorme; fo legte vor einigen
Jahren ein Kaufmann aus Jakuték (M. Baramygin) dieſe
260 Werft (— 37 Meilen) lange Strede, ohne zu wechfeln,
in 16 Stunden zurlie, Kotelnitow fungierte dabei als Kajur
und kann die Fahrt, deren er ſich ald einer Heldenthat rührt,
nicht vergefien. Am 12. April feierten wir ein durch die
Anweſenheit der Kaufleute ziemlich belebtes Dfterfeft. Am
Tage darauf gegen Mittag trat ich auf die Nachricht, daß
die beitellten Narten in Pochodel bereit ftänden, meine zweite
diesmal glüdlicyere Expedition nad den Bäreninjeln an.
Noch am nämlichen Tage erreichte ich Koretowo, folgenden
Tags Pohodst. Dajelbft fand ich zwei befannte Kaufleute
vor, ©. Eolowjew und N. Tchichaticher, welche bereits zu
wiederholten Dlalen von Nußloje Uftje (ruſſiſche Min:
dung), welches an der Indigirla liegt, Über das Eismeer
um Aninſchen Jahrmarkt ſich begeben hatten, Diefelben
efanden ſich mit einigen 30 waarenbeladenen Narten auf
dem Ruckwege nach Haufe, und wir bejchlofien, da unjer
Weg einige Tagereifen weit zufammenfiel, gemeinſchaftlich zu
reifen. Herr Solowjew wollte mic, fogar zur Eisbärjagd
auf die erfte Inſel begleiten. Am 14. trafen wir in Ma—
loje Tſchuchot ſche ein, wo meine erſte Reife fo unglüd:
lid) endete. Hier fängt das Eismeer an; das Ufer hat
bi zum Kreſtowskij⸗Mys (Kreuzvorgebirge) eine fait
genau nördliche Nichtung, von da biegt es aber nad) Weften
aus. Auf halbem Wege ungefähr befindet ſich das Große
Tihuftfhenvorgebirge (Bolfcoje Tſchuchotſchje), eine
Halbinfel bildend von ungefähr 6 Werft Yänge und 1'/,
Werft Breite. Mean rechnet 110 Werft Entfernung von
Klein: bis Großtſchuchotſchje. Wir brauchten bei widrigem
Binde — das Eismeer begrüßte und wieder mit einem hef-
tigen Schneefturm — einen ganzen Tag für diefe Strede;
es gilt, da bei den faft beftändigen Schneegeftöbern das Bor—
gebirge nur felten fichtbar ift, für ein großes Glüd, ſich in
diefer Gegend nicht zu verirren. Es muß hier bemerkt wer
den, daß die Uferbewohner mit dem Gebrauch des Compaſſes
gänzlich unbefannt find und bei ihren Fahrten auf dem Eis-
meere ſich Iediglid) nad) den vom herrfcenden Nordwinde
gebildeten Schneewellen (Saftrugi) orientiren. Oft find
die alten Saftrugi durch friichgefallene Schneemaſſen ver«
dedt, dann wird die friſche Kruſte mit einem Meſſer oder
audy einfach mit der Hand entfernt und die darunter liegende
Schneewelle giebt die Richtung wieder an. Bewunderns⸗
werth ift dabei die Kunſt der Kajuren, die eingefchlagene
Richtung feftzuhalten,
Bei Bolſchoje Tſchuchotſche ſah ich zum erften Male
einen freien Eisbären; berfelbe fam ziemlich nahe an unfer
Lager heran, ließ fid) aber dann durch das Gebell von faft
300 Hunden verſcheuchen, unjere Bemühungen ihn einzus
holen waren vergeblich. Uebrigens waren aud) gar feine
erfahrenen Däger unter und; Kotelnikow, der einzige tüchtige
Jagdlundige unter den Bewohnern der Kolyma, war diejes
Mal leider nicht mit, da (er begleitete Baron Maydell),
und von meinen Venten hatte noch feiner einen Eisbären .
geſehen.
Das Schneegeſtöber nahm indeſſen immer mehr zu und
die Bewohner von Rußloje Uſtje riethen mir dringend ab,
bei foldyem Wetter mid) weiter hinauszuwagen. Ih ließ
mich aber nicht zurlichhalten, den Curs hatte ich im Voraus
berechnet und auf die Nichtigleit dev Wrangelichen Karte
durfte ich mich, nach meinen bisherigen Erfahrungen, wohl
verlaffen. Ich umfuhr nun das ganze Borgebirge, welches
aus ſchwarzem Thonſchiefer beiteht, Hin und wieder mit
Eisſchollen untermifcht, Durch dieje im Frühjahr und Herbft
antreibenden Schollen verändert ſich alljährlic, die äußere
Form defjelben, wovon man ſich leicht überzeugen kann,
wenn man die jegige Geftalt mit der von Kosmin im Jahre
1823 abgezeichneten vergleicht, Dem ganzen Ufer entlang,
von Maloje-Tſchuchotſche ab, trifft man Tauſende verfchie-
dener, mach einer ordentlichen Sebeltheorie aufgeftellter Thiers
fallen, die fogenannten Pafty, in denen ſich hauptſächlich
blaue Eisfüchje, zuweilen aber auch Bären fangen,
Um zu den etwa 60 Werſt nördlich vom Vorgebirge
entfernten Fluſſe Agafonowka zu gelangen, braudjten wir
in Folge der ungünftigen Witterung einen ganzen Tag; wir
fanden dafelbjt eine Powarnia, die uns einigen Schutz gegen
den Scneefturm bot, In der Mitte zwifchen dem Großen
Tſchuchotſche und der Agafonowfa geben Wrangel und Kos—
min einen recht bedeutenden Sce an, derſelbe eriftirt aber
nicht mehr. In dem vierziger Jahren durchbrach der Ser
fein ſchmales öftliches Ufer und flog ins Meer, die Durch—
bruchsftelle, welche früher einen natürlichen Damm gegen
das Dieer bildete, wird jetzt „das durchlöcerte Ufer“ genannt;
fie ift von der nämlichen Formation wie das Große Vor:
gebirge, in der Nähe find mehrere Mammuthzähne gefunden
worden.
Von der Mundung der Agafonowta aus foll man die
erfte der Bäreninfeln, die jogenannte Kreuzinfel, bei Marem
Wetter erfennen fünnen, id) fonnte mic davon leider micht
überzeugen. Deine Reifegefährten (als Bewohner der Rußs
koje Uſtſe Inditjirfchtichift genannt) beſchloſſen hier zu raſten,
und and, Solowjew beſaß nicht den Muth, feinen Jagdplan
auszuführen; jo mußte ich mic, mit meinen Leuten allein
auf den Weg machen.
Karl v. Neumann’s Erpedition nad) den
Un 18. April 1872 um 110Uhr Morgens betrat ich
das Eismeer. Boran läßt man eine leichter beladene Narte
gehen, die den anderen zum Wegweiſer dient und zugleich
zu gelegentlidyer Bärenjagd benugt werden fan. Ich fuhr
mit einem jungen Koſacken Namens Swan Edjtulew,
welcher eines der beiten Gefpanne an der Kolyma befigt und
felber, wie ich mich öfters Überzeugen fonnte mit Mecht, für
einen der fühnften und gewandteften Kajuren gilt, Nach
zweiſtündiger Fahrt paſſirten wir glücklich die erfte Ciswand
(aufgetbürmte Eisſchollen, Toros), vier Werft wei:
ter eine zweite, die gegen 4 Faden (24 Fuß) hoch war,
glüdlicherweife aber einen Durdigang aufwies, So ging
die Fahrt im Ganzen ohne große Schwierigkeiten von Stat-
ten und gewann fogar durch die Eiswälle, da diefelben doch
ein wenig Schuß gegen den Eturm gewährten, einigermaßen
an Annehmlichleit. Indeſſen begann es zu dämmern und
meiner Berechnung nad; mußten wir die bie erjte Inſel
vom Feſtlande trennenden 40 Werft beinahe zurücdgelegt
haben, noch war aber von einer foldyen weit und breit feine
Spur zu erbliden: meine Leute wurden allmälig Immer
unruhiger und mir jelbft, ich geftche es unverhohlen, war
nicht ganz wohl zu Muthe. Nocd 5 Werft fuhren wir in
der eingejchlagenen Richtung weiter; da endlich, als fic) ge- |
vade der Sturm ein wenig legte, gewahrten wir zur allge:
meinen Freude, faum 2 Werjt vor uns, das erſehnte Ziel.
Wir richteten num unfere Fahrt nad) einer au der nordweſt—
tichen Spige der Infel befindlichen Heinen Bucht, wo nad)
Wrangel eine Menge Treibholz ſich finden follte, und wirt
lid war and) jet eine beträchtliche Menge dieſes foftbaren
Materials vorhanden und wir brauchten unſeren eigenen,
für den Nothfall mitgenommenen Vorrat nicht zu ſchmälern.
Diefe erfte Inſel ift die größte des ganzen Urchipels.
Sie wird von zwei ziemlic, bedeutenden Bergen beherricht
und am Siüdende von einem Keinen Fluſſe durchzogen; ic)
babe den Lauf diejes letztern ungefähr 2 Werft ftromanfs
wärts verfolgt und auffallender Weile eine Menge tobter
Fiſche von der Gattung der fibirifchen Lachſe an beiden
Ufern liegen ſehen; fie müffen jidy, beim Hinaufſchwimmen
in dem engen Flächen, gegenfeitig aus dem Wafler gedrängt
haben. Im Norden und Djften der Inſel erheben jid)
hohe und fteile Felfenufer, ich entdeckte dort zahlreiche Bären,
Eisfuchs- und NRenthierlager und überall die Spuren von
Mäuſen; ſchon Wrangel erflärt diefe Thierchen flir die
uriprlinglichen Bervohner der Infel. Die Vegetation beſchränkt
ſich ansichlieglid auf Moos, Hin und wieder ein wenig dür—
red Gras, nur auf der ſechsten Inſel fand ich zu meiner
Ueberrajchung Blaubeeren.
Ein kurzer Hiftorifcher Nüdblid auf die Entdedung
der Bäreninſeln wird nicht ohne Intereſſe fein.
Die erfte Nachricht von deren Eriftenz erhielt man durch
den jalutsliſchen Kofaden Michailo Sladucdin, welcher
im Jahre 1644 Niſchni Kolymek und Oſtrog gründete und
von den wilden Tjchuftichen erfuhr, daß gegeniiber der Kolyma—
mündung eine Inſel fich befinde. Sladuchin nahm au, daß die-
felbe eine Fortfegung von Nowaja Senulja jei, uud widmete, |
feinerjeits mit Erforſchung des — fpäter als Anadyr er:
kannten — Fluſſes Bogitichi beichäftigt, den Erzählungen |
der Tſchuktſchen ebenſowenig Aufmerlſamkeit wie feine
Gameraden und Nachfolger Kolmojorow, Uſſow und der ber |
rühmtefte aller ruffiihen Seefahrer, Semen Deſchnew, die
fich ſämmtlich nach DOften wandten. Im Jahre 1648 um-
fuhr Deſchnew das Oſt- und Tſchultſchenvorgebirge und
entdefte die Mündung des Anadyr; ihm gebührt Folglich,
bie Ehre, die geographiſche Streitfrage von der Trennung
Aliens und Amerifas gelöft zu haben. Das neidiſche Sid»
fal, welches der neuen Welt den Namen ihres Entdeders
Globus XXVIII. Nr. 4.
Büreninfeln vor der ſibiriſchen Küfte. II. 57
Columbus mißgännte, es entzog auch dem befcheibenen Kos
jaden den Preis feiner mithevoll errungenen Lorbeeren;
80 Jahre fpäter belegte der Düne Behring die ruffifchere
ſeits längft entdedte Strafe mit feinem Namen. 1678
auf einer Fahrt von der Yena nad) der Kolyma begriffen,
machte ein gewiſſer Nodion Deichailow feine Reifegefährten
Nitifon Malygin und Jacob Wiatfa auf eine der Kolyma-
mindung gegenüber liegende Inſel aufmerkſam; darauf
theilte Wiatka den Anderen mit, daß bei einer frühern
Fahrt über diefes Meer drei feiner Fahrzeuge an jener In«
ſel geitrandet jeien und jeine Leute diefelbe befucht, dajelbft
aber, außer Spuren unbefannter Thiere, nichts weiter ge—
funden hätten.
Yange Zeit hiernach erfuhr man nichts Neues von den
Inſeln, erſt 1727 erzählten die Yäger Iwan Walegin und
Sopfin dem Bojarenjohne Fedor Amoſſow, daß fie eine
Tagereife vom Fluſſe Tſchuchotſcha eine Inſel beſucht und
alte Jurten auf derjelben gefehen hätten, Sofort beſchloß
Amoſſow die Infel zu unterſuchen, er machte ſich aud)
wirflid, am 3. November 1724 von Niſchni Kolymsk aus
auf den Weg, fchrte aber ſchon am 23. defielben Monats
wieder zurück und theilte, über die Schwierigkeiten des Wer
ges Magend und als Grund feiner vafchen Umkehr Futter«
mangel angebend, tiber das gefuchte Land unr mit, daß er
alte Yurten auf demielben bemerkt habe, aber nicht wiſſe,
wer deren Bewohner gervefen und was aus legteren gewor⸗
den ſei.
Am 3. Auguſt 1740 erblickte der Lieutenant Dmitri
Loptew von feinem Schiffe aus die erfte oder Kreuz—
insel und benannte fie den Heiligen des Tages zu Ehren
„St. Antoniusinfel“, ev unterfudjte fie aber nicht näher und
gab auch feine Beichreibung; Schalaurom, deffen Schiff
im Jahre 1761 hier von Eisſchollen eingejchloffen wurde,
war der Erfte, der einige dieſer Infeln auf der Karte be:
zeichnete. Endlich im Dahre 1763 fandte der General
gouverneur Tſchitſcherin, auf Vorſchlag des durd) feine Be—
Ichreibung des füdöftlichen Sibiviens befannten Oberſten
Pleinänew, den Geodäſie-Sergeanten Andrejew nad) jener
Infelgruppe. Ueber den jabelhaften Bericht diefes Menſchen
mich hier weiter auszulaflen, halte ich, nad den zahlreichen
darüber veröffentlichten Scyriften und Documenten (nament:
lid) nad) der legten Bearbeitung diefer Frage durch den
Atademiker Bär), für überflüſſig, auf einige feiner Phantafies
producte werbe id) bei Beichreibung der dritten und fechsten
Inſel noch zurlidfommen. Ein Bericht Über eine lange unbes
lannt gebliebene zweite Expedition Andrejew's im Jahre 1764
it im Journal des hydrographifcen Departements (Jahrgang
1852) zu lefen; Bär bezweifelt übrigens ftarf den zweiten
Befuc der Infeln Seiten Andrejew’s. Im den Jahren
1769, 1770 und 1771 wurden weitere Erpeditionen von
den Geodäſiſten Yeontjew, Lyſſow und Puſchkarew
umternommen, denen wir bie erſte ausführliche Karte der
Inſeln verdauken; ihre aſtronomiſchen Beftimmungen find
freilich nicht ſehr zuverläffig. Uebrigens herrſchte in jener
Zeit noch allgemein die Meinung vor, daß das amerikaniſche
Feſtland ſich an der Kolymamlindung vorüber ziehe. Die 1787
ausgeräiftete großartige Billing ’sche Erpedition kam gar
‚ nicht bis zu den Bäreninfeln, erſt 1810 wurde die erfte derfelben
wieder von Hedenftröm beſucht; der legte wiſſenſchaftliche
Befucher vor mir war Wrangel, welcher wiederholt ſich
dort aufhielt, die Infelgruppe mit großer Treue beſchrieb
und ſehr richtig ihre Breite und Länge beftimmte, auch die
zweite bis dahin unbekannt gebliebene Inſel entdeckte. In
den fünfziger Dahren verlebte der Kaufmann Tſchicha Tſchew,
von der Indigirka fommend, einige Tage auf der Inſel,
die Winterszeit vereitelte aber feine Beınlihungen, Mammuth-
8
58
zähne aufzufinden. Aus Kolymat ift feit Wrangel Niemand
mehr hierher gelangt.
Ich nehme num meine Keifebejchreibung wieder auf.
Am 19, April gelang es mir auf der von Wrangel
gewählten Stelle einige magnetiſche Beobachtungen anzu ⸗
ſtellen und die geographiſche Lage der Kreuzinſel zu be—
ſtimmen. Ic umfuhr die ganze Inſel und überzeugte mich
von ber Richtigkeit der Wrangel'ſchen Harte, fammelte einige
Stucke verſchiedener Felsarten und begab mic; um 4 Uhr
Nachmittags weiter zu den anderen Infeln. Der Schnee:
fturm legte fid) ein wenig und nad) fünf Stunden gewahrten
wir zwei im Meridian vor uns liegende Infeln, nad, Wrans
gel die dritte und vierte, von der Heinen zweiten war aber noch
nichts zu erbliden ; erſt eine Stunde fpäter, nachdem ic, be»
hufs Auffuchung eines pafjenden Nachtlagers meine Yeute nach
dem nördlichen Ende der dritten Inſel vorausgefandt hatte,
entdedte ich Nro. II., umgeben von großen Eiswällen. Aus
roßen Steinblöden gebildet, zieht diefelbe ſich, bei einer
reite von etwa 250 Faden, gegen Werſt hin. Nadje
dem ic) auch diefe Inſel umfahren hatte, wandte ich mid)
zur Mro. III. und fand dort bald den von Wrangel befchrie»
benen Keller, aber nichts darin und die Balfen ganz ver»
fault, von Menſchenlnochen, die Wrangel in der Nähe ge-
fehen haben will, ebenfalls feine Spur.
Den Aufenthalt auf diefer Infel werde id in meinem
Leben nicht vergeffen. Der Sturm wurde gegen Mitternacht
wieder heftiger und ich war froh, für mic und Schkulew
eine gefhügte Stelle zu finden, wo wir ein feuer anzündeten,
den Theeleſſel aufftellten und der Ankunft der Übrigen Leute,
welche alle Lebensmittel mit fich führten, fehnfüchtig entgegen:
fahen. Bald fiedete das Waſſer im Keffel, aber von meinen
Yeuten und dem Thee war immer mod) nichts zu fehen. Wir
wurden ſchon ganz unruhig, da famen endlich, aber nicht vom
Meere jondern vom fübweftlichen Ufer aus, vier Narten auf
uns zu. Schon tonnten wir, da der Wind auf und zumehte,
einzelne Stimmen vernehmen, als plötzlich Alles hinter einem
Meinen Felsvorfprunge verſchwand und nicht wieder zum Vor:
fchein fam. Vergebens warteten wir noch längere Seit, ver»
gebens ging mein Kajur aus nad) ihnen zu fuchen, die Nar—
ten, unſere Leute umd unſer Thee blieben verſchwunden. Cs
blieb ung nichts übrig als endlich, unfererfeits uns wieder auf
den Weg zu machen. Da id) mid) ſchon früher von der Uns
möglichfeit überzeugt hatte, das von riefigen, 10 Faden hohen
Eiswänden umgebene Nordende der Infel zu umfahren, fo
mußten wir, um an die Oftfeite zu gelangen, das nur 2 Wert
breite Innere derfelben durchſchneiden. Die Infel erhebt ſich
—— — — — — — ——
Der „Challenger“ auf der Fahrt von den Philippinen nach Japan. J.
nur wenig Über dem Mege, aber die Ufer find ſteil und es
toftete und einige Mühe die Narten hinaufzubringen. Auf
dem öftlichen Ufer angelommen, konnten wir von unferen
Reiſegeführten wiederum weit und breit nichts entbeden.
Während wir fo von einem hervorragenden Punkte aus ver-
geblich auslugten, wurden die Hunde mit einem Male uns
ruhig und plöglicy ftand, wie aus der Erde gewacjen, ein
gewaltiger Eisbär vor uns, der nicht minder erfchroden war
über die unvermuthete Begegnung als wir felber. Die Hunde
griffen ihm wüthend an und bald bildeten wir alle zufammen:
Venfchen, Hunde und Eisbär, einen einzigen wirren Knäuel.
Weder Buchſe noch Yanze Tonnten raſch genug losgebunden
werden und fo gelang es dem Bären, ſich endlich lodzumachen
und, von ben Hunden verfolgt, dem fteilen Meeresufer que
zueilen. Wir hinterdrein, pfeilfchnell den Abhang hinunter,
aber bald mit der Narte umgeworfen, ftürzten wir ungefähr
10 Fuß tief Hals über Kopf aufs Eis. Kaum erholte ic
mid) ein wenig von meiner Betäubung als Iwan Schkulew
mir unterthänigft rapportirte, daß erftens der Bär, wenn auch
auf drei Füßen, glucklich das Weite gefucht habe; zweitens
daß einer von unferen Hunden ftarf verlegt jet; und drittens,
was das Schlimmſte war, daß eine Schlittenfohle zerbrochen
und unbrauchbar geworden ſei. Welch eine Yage! 300
Werft von jeglicher menſchlicher Niederlaffung entfernt, ohne
Lebensmittel und Futter auf einer wüjten Infel im Eismeer,
der Möglichkeit zum Weiterlommen beraubt und ohne Auss
ficht, von unferen verſchwundenen Cameraden aufgefucht zu
werben. Glücklicherweiſe fand Iwan unter dem ——
ein zur Schlittenſohle taugliches Stück Holz und ſchleunigſt
machten wir uns an die Arbeit; daß ich auch meinerſeits nur
auf unſere Rettung bedacht war, daß alle Luſt zu wiſſenſchaft⸗
lichen Beobachtungen mir in unferer verzweifelten Yage ver
gangen war, das wird mir Niemand zum Vorwurf machen
wollen. Genießbares fonnten wir beim beften Willen unter
unferen Effecten nicht auffinden, außer etwa 11, Pfund
Stearinlicyte, die aber der nagende Hunger felber ums nicht
appetitlic) erfcheinen ließ. Zehn Stunden beinahe arbeiteten
wir an der Wiederherftellung der Schlittenkufe und ed war
gegen Mittag des folgenden Tages geworden, als wir endlich
versuchen lonnten unſern Wen fortzufegen. Zu unferer
nicht geringen Freude erwies der ausgebeſſerte Schlitten fich
wieder ganz brauchbar und bald entdedten wir aud) auf dem
Eife die kaum noch bemertbaren Spuren der verſchwundenen
Narten, die, wie wir richtig vermuthet hatten, zur vierten
Infel führten.
Der „Challenger* auf der Fahrt von den Philippinen nad) Japan.
I.
In der Humboldt:Bai an der Nordlüfte Neuguinea.
Wir haben diefes Schiff auf feinen Fahrten im Judi—
ſchen Ardjipelagus begleitet und daſſelbe bei den Philippinen
verlafien *). Seitdem find Berichte von ihm aus Moto»
hama vom 11. April eingelaufen,
Der „Challenger“ verließ Zamboangan am 5. Februar;
er fteuerte durch die Strafe zwiſchen Mindanao und Ba-
) „Mobus“ XXVII, S. 73. 89. 382.
filan. Die Küfte dev erftern Inſel ift fteil und rauh, theil-
weiſe aber auch gut angebaut; Bafilan ift flacher, weniger
malerifch und ſcheint zum großen Theil mit Urwald bededt
u fein,
: Es war die Abficht des „Challenger“, womöglich den gerar
den Cours nad) den Carolinen und den Tabronen zu nehmen,
unglinftiger Winde wegen ſchlug er aber jenen nad; der Küfte
von Neu:Guinea ein. Dort befuchte er zumädft die
Die Pariahlafte der Koragars an der Malabarküfte.
Humpboldt-Bai umb fpäterhin bie Admiralty-Inſeln, bie von
Schouten 1666 entdeckt worden find und fpäterhin mehrfach
befucht wurden. Dort verfuchte er eine Landung zu bewerl⸗
ftelligen und erlebte eine Menge höchft intereffanter Begebens
heiten. Intereffant ift, daß vom „Challenger“ ermittelt wurde,
daß das auf den Karten verzeichnete Carterets Riff gar
nicht vorhanden ift. Am 21. Februar trieb das Schiff nad)
Süden und war bald darauf vor dem Delta des großen Fluſ⸗
fes Ambermo, der in den Charles-LFouiss Bergen ent»
fpringt. Diefe prächtige Gebirgsfette erhebt ſich bis zu
16,000 Fuß hoch und fällt im Often ber Geelvint-Bai in die
See ab. Im diefer war jehr viel Treibholz und der Nature
forfcher des „Challenger“ fammelte von feinem Boote aus
mehr als 50 Species von Samenkörnern und Kapſeln, die
offenbar aus bedeutender Entfernung auf dem Fluſſe herab:
getrieben waren.
An der Dftfeite der Humboldt-Bai wurde Anter ges
worfen in 19 Faden Wafler. Sofort kam eine Anzahl von
Kähnen der Eingeborenen in Sicht, die ſich aber nicht bewe—
gen ließen näher zu fommen. Am andern Morgen jedoch
waren nicht weniger als 80 Kähne beifanmen, jeder 15 bie
20 Fuß lang und mit 4 bis 6 Veuten bemannt; Weiber und
Kinder waren nicht ſichtbar. Für Mlelanefier hatten diefe
Leute ein recht gutes Ausfehen und malerisc genug nahmen
fie ſich aus. Die Nafe ift ziemlich flach und durch ein
Zierrath entftellt, das aus einem ſymmetriſchen Paar von
Eberzähnen befteht, die an ihren Wurzeln zufammen bes
feftigt und dann durch den Nafenfnorpel gehängt find; das
Ende fteht aufwärts oder nieberwärts je nad) bem Geſchmacke
des Inhabers. Die Augen find dunkel, ber Mund iſt breit,
die Lippen find jeher voll, die Zähne aber faft alle zerſtört
durch ewiges Betellauen. Die Ohren find breit und ftehen
weit vor, die Obrläppchen langgezogen durch die ſchweren
Ringe von Perlmutterfchalen und Eberzähnen, weldye ihnen
als Schmud dienen. Das Haar ift fraus und did, aber
nicht wollig und wirb in ber Form eimer großen runden
Perrüce getragen. Insgemein wird es durch Kalt, vothe
Farbe und Oder gebleicht oder geröthet, Faſt alle Männer
tragen 6 bis 8 weiße Federn im Haar und aud) einen Strauß
von Scharlachrothen Hibiscusblumen. Sie waren nur ſchwach
59
tättowirt, aber das Geſicht war häufig mit ſchwarzer oder
vother Farbe eingerieben. Die Schmuckſachen abgerechnet
gingen fie abfolut unbefleidet. Die Haut war im Schatten
dunfelbraun, aber wenn warmes Sonnenlicht auf fie fiel,
erichien fie in einem fchönen Rothbraun,
Ale Eingeborenen waren wohlbewaffnet mit Pfeil und
Bogen; die Nohrpfeile find 5 bis 6 Fuß lang. In jedem
Kahne bemerfte man 3 bis 4 fehr forgfältig gearbeitete
Steinbeile von verſchiedenen Muftern; diefe Beile waren
an Stielen von hartem Holze fehr geſchickt befeftigt. Ber
merlenswerth ift, daß diefelben genau benen glei»
hen, welde in Dänemark gefunden worden find.
Die Humboldt- Bai ift im Jahre 1827 von Dumont
d’Urville entdedt und benannt worden; fie wurde fpäter,
1848, von dem holländischen Dampfer Etna beſucht. Immer:
halb der Bai liegt eine Meine Gruppe von Infeln, welche
vor dem Sudweſtwind Schuß gewähren. Der „Challenger“
traf dort mehr ald 100 Kähne beifammen, die eine fehr
malerische Procejfion um das Schiff herum aufführten.
Eins der Dörfer beftand aus etwa 20 bis 30 Hätten.
Einige derfelben ftanden auf dem Feſtlande unter Bäumen,
die meisten aber waren Pfahlbauten, Die Blateforme der»
felben fteht durd; einen Plantenweg auf Pfählen mit dem
Feſtlande in Verbindung, dieſer Bohlengang aber fan nad)
Belieben entfernt werden. Die Hiitten haben die Geftalt
von Dienenkörben, manche find aber auch fegelförmig zuge—
ſpitzt und werden in der Mitte durch einen etwa 20 Fuß
hohen ftarken Pfahl geftügt. Die Leute des „Challenger“
unterhielten einen lebhaften Verkehr mit den Cingeborenen
und taufchten Waffen ein, Steingeräthe und allerlei Schmuck⸗
ſachen gegen Eifen, auf welches die Wilden den höchſten Werth
legten. Auffallend erſchien, daß fein Eingeborener zu bewe⸗
gen war, irgend ein Nahrungsmittel der weißen Leute aud)
nur zu berühren. Jedenfalls waren fie ſehr mißtrauifc und
es ift Mar, daf fie vor kürzerer oder längerer Zeit mit Guro-
päern von den Moluffen in Berührung gelommen waren
und daß diefe bei ihnen Menſchenraub getrieben hatten.
Uebrigens können fie mit Europäern feinen häufigen Berfchr
gehabt haben, denn man bemerkte nur einige wenige Glas»
torallen an den Armringen.
Die Pariahfafte der Koragars an der Malabarküfte,
Ungefähr Mitte Wegs zwiſchen Bombay und Cap Co—
morin liegt das fübliche Canara, die nördlichfte unter den
Provinzen der Präſidentſchaft Madras an der Weitfüfte Ins
diens. Vielleicht findet man nirgends eine größere Mannig-
faltigfeit von Kaftenclaffen und Nationalitäten als gerade
auf diefer Strede der Malabarküfte. Sie wird befucht von
Handelöfahrzeugen aus dem Berfiichen Meerbufen, aus dem
Arabifchen Golf, aus den oftafritanifchen Häfen und felbft-
verfländlich auch aus allen Seeplägen der Hüfte jelbft. Bemer«
fen&werth ift, daß eine der dravidiſchen Sprachen nur allein
in Südcanara gefproden wird und zwar von höchſtens
150,000 Menſchen: es ift das Tulu, welches wahrſchein-
lich bevor ein Jahrhundert abgelaufen ift ausgeftorben fein
wird. Dort gilt das Altiya-Sandana-Geſeth, d. h. der
Brauch, daß nur die Töchter, niemals die Söhne erben.
Die ei Stadt diefes Diftriets ift Mangalore,
wo Walhoufe als Givilbeamter in häufige Berührung mit
den Eingeborenen fam („Journal des Londoner anthro-
pologifchen Inftituts* April 1875, ©. 369 ff). Am meis
den intereffirten ihm die Koragars, ein Volfstrlimmer,
das nur höchftens einige hundert Köpfe zählt und eine Sklaven»
fafte bildet. Eigenthümlich für diefelbe erfcheint, daß bie
Frauen einen Schurz aus geflochtenen Zweigen und grünen
Blättern als KHleidungsfiic über dem Hintertheil des Kör—
pers tragen. Im früheren Zeiten war es beiden Geſchlech ⸗
tern ftreng geboten, nur ſolche Schürzen als SKleibungsftlide
anzulegen, heute aber wird die alte Sitte nur noch von ben
Frauen befolgt, und was früher ein Zeichen der Erniedrigung
war, gilt ihnen jest als eine liebe Gewohnheit. Die Blatt»
ſchürzen find heute volllommen überflüffig, denn fie wer»
den über den anderen Kleidern getragen.
Es fieht komisch aus, wenn eine Anzahl Koragarfrauen
auf ber Straße im ihrer wunderlichen Tracht fich einher:
bewegt. Die Leute find fehr ruhig und harmlos, Hein und
ſchlank gewachſen, die Männer felten über 5 Fuß 6 Zoll
engl. hoch, die Haut ift ſchwarz, die Lippen find di, die
8*
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Nafe it breit und flach und das Haar rauf und ftruppig.
Ihre Hauptbeichäftigung befteht im Korbflechten, und die
Arbeit mliſſen fie für ihre Herren verrichten. Sie leben
außerhalb der Dörfer in der Nähe derfelben, aber fein Ko—
ragar darf im einem ans Thon oder Erdſchlamm aufgeführ:
ten Haufe wohnen; er muß ſich mit einer Hütte aus Zwei—
gen und Blättern begnügen, und eine ſolche wird KHoppus
genannt. leid) vielen anderen wilden Stämmen Indiens
zeichnen ſich die Koragars durch unbedingte Zuverläffigkeit und
Wahrheitsliebe aus, das Wort eines Koragar ift fprüchwörtlich
und wird jelbft von den Hindus, die befanntlich jo gern
lügen, als unbedingt wahr angenommen.
Durd) eine Regierungsacte ift die Sklaverei in Indien
1843 aufgehoben worden, nichtödeftoweniger giebt es nad)
heute eine große Anzahl von Sklavenkaſten, deren Yage
gegen früher ſich allerdings verbeflert hat, die aber von ihren
Gebietern in unbebingter Unabhängigfeit ſtehen. Belanntlich
find die vier höheren Claſſen der Hindus aus Körpertheilen
des Gottes Drama entfprungen, fpäter entjtanden die Anu—
lomafaften aus dem geſchlechtlichen Berlehr zwifchen Bra—
manen und Kſchatriyas mit rauen aus Kaften, die aus
ihnen entftanden waren, Der Ausdruck Anuloma bedeutet
ſchlanles, — Haar und dieſes charalteriſirt alle—
mal Leute ariſcher Abkunft. Nach jenen ſechs Kaſten ent-
ſtanden abermals ſechs andere, die Bradilga, die in umge:
fehrter Ordnung von Bramanen und Kſchatriyas eutftanden.
Die dritte unter ihnen war die Dſchandalakaſte, die
Bramininnen zu Müttern und Eutras zu Vätern hat, Alle
diefe Kajten haben ihre befonderen Benennungen und befol-
gen ftrenge Regeln und Borfchriften.
Die Dicjandalas oder Sklaven waren abermals in
15 Glaffen getheilt. Keine von diefen durfte im die andere
heivathen und dieſe Negel wird nod) heute ftreng beobachtet.
Die beiden niedrigften der 15 Glajien find die SHapata
oder Yunipenträger und die Kotta oder die blatt:
tragenden Koragars. So lautet der Bericht bramani-
ſcher Werke; es ift aber wahrſcheinlich, daß diefe niedrigſten
Stlaventaften abjtammten von der Urbevölferung, welche
durch die ariichen Eroberer aus dem Norben von ihrem Bo—
den verdrängt wurde. Der Kampf mag Jahrhunderte ger
dauert haben; allmälig mußten die Uxeingeborenen theils in
die Gebirge und Wälder flüchten, theils wurden fie zu Stla
ben gemacht.
Die Bergletten und die großen Waldftriche im füdlichen
Indien werden von halbwilden Stämmen bewohnt, weldyen
einjt die fruchtbaren offenen Ebenen gehörten, und fie find
die Erbauer jener megalithijchen Grabmäler geweſen, weldye
wir weit und breit über das nun angebauete Flachland zer:
ftreut finden. Es ift ausgemacht, daß nod) im 15. Jahr—
hundert ein eingeborenes Bolt, die Kurumbas, einen gros
Ben Bolfabund im Süden bildeten. Dieſe find nun fait
gänzlid, verſchwunden und nur noch wenige von ihnen übrig
geblieben in den wildeften Gegenden der weſtlichen Berge
tegionen.
Alle diefe Racen werden von ihren Hindugebietern mit
unausfprechlicher Verachtung angefehen und gelten für durch—
aus unrein. Diefes Gefühl ſcheint aus den Zeiten herzu—
jtanımen, als die nun veradjtete Nace noch mächtig erichten
und die Hind mehr oder weniger von ihnen abhängig wa«
ten; one Zweifel haben die Fehden lange gedauert.
Eigenthümlich ift, daß dieſe verachteten Kaſten eine
Menge von Rechten und Privilegien bewahrt haben, an
denen fie ftreng feſthalten. An gewijlen Tagen können
fie die Tempel der Hindus betreten, während zu jeder
andern Zeit ihnen das unbedingt verwehrt it. Auch haben
Die Pariahtafte der Koragars an der Malabarküfte,
an denen die Hindus ſich betheiligen, weil jie ſonſt Unglück
für fich befürchten. Zu gewiffen Zeiten im Jahre halten
fie ein großes Feſt ab, das man den römischen Saturnalien
vergleichen kaun. Dann ift die gegemfeitige Stellung der
Sklaven und Gebieter umgekehrt und die erfteren laſſen es ſich
nicht nehmen, die legteren mit Spott, Hohn und Schimpf
gleichfam zu überſchütten, ja, fie drohen fogar alle und jede
Urbeit einzuftellen, wenn ihre Privilegien ihnen nicht aus—
drüidlich beftätigt werden. Das geſchieht und man erfucht
fie demüthig, doch ja ihre Arbeiten fortzuſetzen.
In die Verachtung, in welder fie von den Hindus ger.
halten werden, miſcht ſich bei diefen eine abenteuerliche Furcht
Dean glaubt, da fie geheime Zanberfräfte befigen, daß
fie hexen können und Einfluß auf die alten bös willigen Urs
götter haben, in deren Macht es ftcht, Gutes oder Uebeles
zu befcheeren, Wenn einer Pramanenmutter ein feines
Kind erfvankt, jo ruft fie ein Koragarweib, giebt denfelben
Del, Reis und Hupfermlinzen und legt ihr das Kind in die
Arme, weil jie font Unglück für ſich befürchtet. Die Pariah—
frau, welche man zu anderen Zeiten nicht berlihren würde,
giebt num dem Kinde die Vruft, legt ihm ihre eiſernen Arm⸗
bänder an, und wenn das Kind ein Knabe ift, nennt es
denfelben Koragar, wenn ein Mädchen, Korabıla. Nach
einiger Zeit wird es der Mutter zurlickgegeben, und dieſe
glaubt nun, daß ihrem Sprößling eine lange Yebenszeit ber
ſcheert ſei. werner wenn cin Mann gefährlid krank ift
oder längere Zeit Unglitd achabt hat, fo jchüttet er Del in
ein irdenes Gefäß und verrichtet vor demfelben die Andacht
wie vor dem Familiengott, blickt mit feinem Geſichte in das
Gefüß, damit dafjelbe ſich im Dele wiederjpiegele, und wirft
dann etwas Haar vom Haupt und Schnigel von Nägeln
der Zehen in die Mafle; daun wird das Del der Koragar-
frau gebracht und durch diefe werden die feindlichen Gott⸗
heiten unjchäblid gemacht.
Ueber die Koragars giebt es cine alte örtliche Ueber—
lieferung. Als Yoba Diraya um 1550 v. Chr. König in
Nordcanara war, fam von dem Ghatsgebirge ein Krieger,
Namens Hawaſchicka, mit einem Heerhaufen herunter, wel—
cher völlig ans Dichandalas oder Sklavenkaſten beftand, be
fegte die Gegend und richte flidlic bis Mangalore vor,
dann bradjen unter ihnen die Blattern aus. Sie wurden
außerdem ſchwer beläftigt durd) die gelben Ameifen und des:
halb zog Hawaſchida nach Panieſchwach, das etwa drei deutſche
Meilen füdlicher liegt, Cine örtliche Herrſchaft gehörte
dem Angara Bama, Sohn Mira Bama’s, der gemeinſchaft-
lich mit feinem Neffen regierte. Angara Bama trieb den
Feind in die Wälder, wo derjelbe fo ſchwer litt, daß alle
Krieger einwilligten Sklaven zu werden. Sie wurden danıt
unter den Bramanen vertheilt, welche ihnen beftinmmte Ars
beiten anwieſen. Einige mußten das Feld beforgen und das
Vich hüten, Anderen wurden andere Yaften aufgebürdet und
diefe Arbeiten müſſen fie bis zum heutigen Tage verrichten.
Die Koragard aber, welche unter Hawafcida im höchſten
Unfehen ftanden, wurden emtkleidet und bis au die Meeres—
füfte getrieben, um dort getödtet zu werden. Sie ſchämten
ſich ſehr, daß fie nadt gehen mußten, fommelten die Blätter
des Niclibuſches und flochten ſich daraus Heine Schürzen,
mit denen jie ben Vorderleib bededten. Darüber empfanden
die, von welchen fie hingerichtet werben follten, Mitleid und
ließen fie gehen. Sie wurden aber dazu verurtheilt, bie
Niedrigſten unter den Niedrigften zu fein umd nicht eine an«
dere Kleidung zu tragen als Blätter.
Diefer Ueberlicferung liegt offenbar irgend etwas That
ſächliches zu Grunde, was aber, fünnen wir nicht näher
ermitteln. Noch heute werden die Koragars mit ſolchem
fie manche Geremonien und gefjellichaftlichen Gebräuche, ) Haß von den Hindus beiradjtet, daß eine Abtheilung ders
Die Pariahtafte der Koragars an der Matabartüfte,
jelben, die Antir oder Topfkoragars, unabläffig am
Naden einen irdenen Topf tragen müflen; in diefen müſſen
jie fpeien, denn fie find fo Uberaus unrein, daß es ihnen
wrbeten iſt, die Erde mit ihrem Speichel zu bejubeln.
Tie Koragars haben, wie ſchon bemerkt, fid der Skla—
verei nur unter gewiſſen Bedingungen unterworfen und fich
dadurch einige Rechte bewahrt. Es wurde befohlen, daß
fie auf immer und ewig Sklaven fein follten. Sie durften
täglich nur einmal etwas effen und nie Speife flie den näch—
ften Tag in Befig haben. Jeder Sklave wurde feinem Ges
bieter unter folgenden Formeln eingehändigt, die noch in
unjeren Tagen befolgt worden find. Der Stave wurde
gewaſchen, mußte ſich mit Tel jalben und ein neues Ge—
wand anthun. Sein fünftiger Gebieter nahm eine Metall:
chuſſel, füllte diefelbe mit Waſſer und ließ eine Goldinlinze
hineinfallen, die der Sklav am ſich nahm, nachdem er das
Vater getrunfen hatte. Dann ergriff er etwas Erbe vom
Grund und Boden des künftigen Gebieters und warf diefelbe
auf die Stelle, wo er ſich eine Hütte bauen wollte, Diefe
murde ihm mebft allen darauf ftchenden Bäumen Übergeben.
Bei Üebertragung von Yand wurde der Sklav gleichfalls
unt verfauft; er konnte aber auch befonders losgeſchlagen
werden. Manchuial wurde er einen Tempel gejdjenft, um
der Goltheit zu dienen. Das geſchah öffentlich, inden fein
Herr zum Tempel hinantrat, etwas Erde, die ev vor dent
beiligen Gebäude aufgenommen hatte, dem Sklaven in den
Nund ftekte, erklärte, daß er auf alle feine Rechte verzichte
und diejelbe der Gottheit übertvage. Außerdem war genau
ausgemacht — denn die Hindu haben cine gewiſſe Yeiden«
Ihaft, auch Meine Angelegenheiten zu reguliren — wie viel
Speiſe er Sklav erhalten folle, und welche Geſchenle man
ihm bei Feſttagen zu verabfolgen habe oder was er jeiners
feits dem Herrn schenken ſolle. Bei Verheirathung der
Sklaven warfen Braut und Bräutigam ſich vor dem Gebie—
ter nieder und erhielten deſſen Einwilligung nebſt eiment
Geſchenl von Geld und Reis. Nach der Heirat famen fie
abermals vor den Herrn, der ihnen Arekantiſſe gab und etwas
Del auf den Kopf der Braut goß. Wenn der Herr farb,
mufte der Hauptjklave ſich ſofort Kopfhaar und Schnauz-
bart abſcheeren.
Es gab eine Liſte von Vergehen, flir welche der Herr
den Sklaven beftrafen durfte. Unter diefelben gehört Zau—
berei oder wenn einer böfe Geifter gegen einen Andern aus:
fandte. Die ſchwerſten Strafen beftanden in Brandmarfen
and Auspeitjchen. Ueber Yeben und Tod hatte der Herr
fein Recht, und wenn er dem Sklaven nicht das vorgeſchrie—
dent Duantum Nahrung lberreichte oder ſchwerere Strafen
verhängte, konnte derſelbe ſich bei den Behörden beklagen.
Gleich allen Sklavenkaſten und niederen Racen verehren
die Koragars Mara Ama, die Göttin der Blattern. Sie
ift die entjeglichjte Forur der Barwati, Siwa’s Weib, in Ca—
nara aber die populärite Göttin. Sie wird unter den
widerwärtigften Formen dargeftellt, und die Opfer find
immer blutig. Im ihrem Tempel werden Ziegen, Büffel,
Schweine und Hühner geſchlachtet, der Kopf diefer Opfer:
!hiere muß allemal auf einen Scylag vom Numpfe getrennt
werden durch einen Afati, d. h. einen Mann aus den
Stlavenftämmen, die in den Ghatögebirgen wohnen. Die
Koragars gleich allen übrigen Sflavenfaften gelten für aus«
geftogen und dürfen ſich feinen Bramanentempel nähern.
Sie haben aber nichtsdeftoweniger einige Hindufefte ange:
nommen, namentlich; jene von Krifchna's Geburtstag und den
Dſchaudi. Wei dem legtern müſſen die einleitenden Gebete
"7".
61
von einer Jungfrau gefprocdjen werden, bei den erftern wird
viel geſchmauſt und getrunfen. Sie figen dann didyt neben
einander und wenn ein Reiskorn zufällig oder nicht zufällig
auf die Schüffel des Nachbars fällt, hören Alle mit Eſſen
auf; der Schuldige muß eine Strafe zahlen und wird aus:
geflogen, denn felbft diefe Niedrigften aller Stämme
bilden noch Kaſten unter ſich und als Strafe flür
manche Bergehen haben fie die Ausftoßung aus ber Kafte,
3. B. für Verführung eines Mäddyens oder einer Wittwe,
für geſchlechtlichen Verkehr mit rauen aus einer niedrigern
Kafte, endlich für Eſſen im Haufe von Peuten niedrigerer
Kaſte. Bei den Koragars gilt es fiir einen Schimpf, bie
Hütte einer einzelnen Frau nach Sonnenuntergang zu betre⸗
ten. Der Ausgeftogene kann fid) den Eintritt im die Kafte
wieder verichaffen, wenn er eine Strafe zahlt oder für die
Gemeinde ein Feſtmahl veranftaltet. In einigen Fällen
baut man jieben Heine Hütten am Ufer eines Fluſſes, ftedt
diefelben in Brand und der Straffälige muß Über die brens
menden Stäbe und die Ajche hinüberlaufen.
Die Hauptverehrung der Koragars wie aller Landleute
wird den örtlichen Dämonen gezollt, den böfen Geiftern und
Kobolden. Sie werden als Buddhas bezeichnet und ſchwär—
men im Vegionen weit und breit über das Yand umher.
Bald iſt einer, bald ift ein anderer populär bein Volle; der
befondere Buddha der Koragars heißt Kadu, und hat un:
ter einem Kaſach-Kana-Baume feinen Sig. Unter denfelben
legt man Bananenblätter und einen Haufen gefochten Neifes,
der mit Curcuma gelb gefärbt wird; der ältefte Mann fpricht
die Gebete. Solche Götterverchrung findet in den Mona—
ten Mai, Juli und Dxtober ftatt.
Heiraten werden bei den Koragars am Sonntage voll:
zogen, bei anderen Stlavenfaften am Montag. Braut und
Bräutigam nehmen ein kaltes Bad, ſetzen ſich auf eine Matte
vor dem Haufe der erfteren und neben ihmen liegt auf einem
Blatt eine Hand vol Reis. Ein alter Mann, der den Bor:
fig führt, nimmt einige Neisförner umd wirt fie dent Braut:
paar auf den Kopf, welchem Beispiel die übrigen Anwefen:
den folgen, erft die männlichen und dann die weibliden.
Der Bräutigam Überreicht feiner jungen Frau zwei Silbers
müngen und muß dann der Gemeinde ſechemal einen Schmaus
geben. Eheſcheidung ift mit Vewiligung der Gemeinde er:
laubt und erfolgt oft aus Umverträglichkeit; die Frau kann
wieder heirathen, auch die Wittwe. Der Dann fann eine
zweite und dritte Frau haben, die alle bei ihm wohnen.
Eine Wöchnerin gilt am ſechsten Tage wieder für rein und
dann befommt das Kind feinen Namen. Der Mutter giebt
man Reis und Gemüfe und einige gefpaltene Cocosnüffe;
die untere Hälfte gehört der Mutter und die obere dem
Manne. Todte Sklaven werden verbrannt mit Ausnahme
der an den Wlattern geftorbenen, Nach dem Begräbnifie
werden vier Kuchen gefochten Reiſes auf das Grab gelegt,
wahrſcheinlich ald Speife für die Seele des Abgeſchiedenen.
Bemerkenswerth ift, daß unter, allen SHaventaften allein
die Koragard das Fleiſch der Aligatoren genießen, hinz
gegen haben fie ein großes Borurtheil gegen vierbeinige
Thiere, todte oder lebendige, ja Alles was vier Beine hat,
ift ihmen widerwärtig, z. B. ein Stuhl, ein Tifch u. ſ. w.
Da jie alle als Kulis arbeiten, fo wird ihr fomifcher Wider⸗
wille oftmals läſtig. Walhouſe bemerft, daß während der
drei letzten Jahre, die er in Mangalore verlebte, die Zahl
der blättertragenden Frauen ſich allmälig vermindert habe.
Er ift der Anſicht, daß die Sitte nach einigen Generationen
wohl vollftändig verſchwinden werde,
62 Aus allen Erbtheilen.
Aus allen Erdtheilen.
I. Forreft in Weftauftralien.
John Forreft, der bekannte auftralifche Reiſende, hat in
der Londoner Geographiſchen Geſellſchaft einen ſehr Haren
Vortrag Über die Wanderung gehalten, welche er in der weit:
lichen Hälfte Auſtraliens von der Championbai an der Weft-
füfte bis zum Ueberlandtelegraphen unternommen hatte in
einer Strede, die in gerader Linie etwa 1400 Miles lang ift,
mit dem Umweg gerechnet aber 2000 Miles. Er war mod)
nicht weit ind Innere eingebrungen, als er an die Spinifer-
wüſte gelangte, welche er in einer Ausdehnung von etwa
500 Miles durchzog. So weit das Auge reicht, glaubt man
aus der Ferne Felder reifen Korns zu fehen, aber in Wahr:
heit erblidt man nur das Gras ober den Stengel, welder
aus den Büſcheln des Spinifer bervorragt. Diefes ift das
fogenannte Stahelihweingras, Festuca irritans. Die
Wanderung durch daſſelbe ift außerordentlich beſchwerlich,
namentlich für die Pferde, die an den Beinen befchädigt wer:
den. Das Vieh frißt diefes Gras nicht, denn es ift völlig
dürr und obne jeden Nabrungsitoff.
Dreimal wurde Forreft von den Eingeborenen angegriffen.
Diele glichen in körperlicher Erfcheinung wie in ihren Gewohn—
heiten und Gebräuchen ben anderen Schwarzen des innern
Auftralien. Sie gehen völlig unbelleidet und fchlafen zwiſchen
zwei Feuern, nicht in einer Hiltte, außer wenn bas Wetter
ſehr naß iſt. Dann fteden fie einige Pfähle in die Erde und
bewerfen fie mit Zweigen nnd Gras. Es ift bemerkenswerth,
daf fie in der ſchlimmſten Spiniferwüſte in nicht geringer
Zahl angetroffen werden, Daraus jollte man ſchließen, daß,
weil Eingeborene dort find, auch Waller zu finden fein müßte,
Dem ift aber nicht fo, denn ein Auftralier wäſcht fich nicht
und kocht auch micht mit Wafler, er gebraucht bafjelbe nur
zum Trinken. Eine Heine Aushöhlung im Felſen, die etwa
20 bis 100 Gallonen faßt, genügt auf längere Zeit für eine
Anzahl diefer Schwarzen. Sie deden ein foldhes Waſſerloch
forgfältig zu, damit feine Verdunſtung ftattfinden könne. Ein
enropäticher Reifender, der Pferde oder Kameele bei fich bat,
würde freilich faum einen Tag genug an einem ſolchen naffen
Vorrath haben.
Die Eingeborenen geben fehr häufig weit weg von jeber
Waſſerſtelle und fie lönnen es, weil fie ſich ihren Trunk aus
den Wurzeln einer Art Eucalyptus (Mallee Scrub) bereiten.
Sie heben die Wurzel aus, zerbrechen diefelbe in Stüde von
etwa einem Fuß Länge, ftellen fie jenfrecht bin und danı
fließt die in denfelben enthaltene Flüffigkeit in eine Art von
Napf oder Schüffel. Der Reifende traf unterwegs große
Haufen diefer Wurzeln und fie find ein ſchlimmes Anzeichen,
—— wo man fie findet, iſt ſicherlich außerſter Mangel an
aſſer.
Ein beträchtlicher Theil der Gegend von der Weſtküſte
bis an die Waſſerſcheide des Murchiſon iſt als Viehweide
ausgezeichnet. Auch ſind bereits Squatter dorthin gezogen.
Aber wenn man die Waſſerſcheide bis zu 128% öſtl. ©. durch
zogen bat, wird das Land wieder unbrauchbar, denn bier ift
dieje ausgedehnte Gegend nichts weiter als eine leicht wellen:
fürmige Spiniferwüfte und dad vorwaltende Geftein tertiärer
rotber Müftenfanditern.
Bon 123° öſtl. 8, bis zur Telegrapbenlinie findet man
an manden Stellen prächtigen Graswuchs und dort haben
auch bereits Sitdauftrafier fich angeficdelt. Das Refultat von
Forreſt's Wanderung ift, daß nun die weitliche Seite Auſtra—
liens von Oſten nadı Welten durch das Centrum dem 26,
Breitegrade entlang befannt geworden ift und daß wir uns
über das Innere des Continentes in Klarheit befinden. Es
handelt fich jet noch darum, einen verhältnigmäßig geringen
Theil im nordweitlichen Winkel von Noberch zum Victoria
River zu erforichen und das wird über furz oder lang auch
geichehen, Dort handelt es fich darum mehrere hübſche Flüffe
zu unterſuchen, namentlich den Fritray und den Glenelg.
Indien
In Trivallore im füblichen Indien haben fich die
heiligen Affen, denen kein Menſch etwas zu Leide thun
darf, im höchst bedenflicher Weile vermehrt und ihre Zudring⸗
lichkeit ift überaus läſtig. Wenn bie Bewohner Speile genie
Gen wollen, jo müſſen fie große Körbe über den Kopf ſtülpen,
ſonſt raffen ihre Tangichwänzigen Gäfte ihnen die Biffen vor
dem Munde weg. Die Bewohner haben jih nun in ihrer
gropen Noth an die britiiche Behörde gewandt, die eigentlich
feine Macht oder Gewalt über die heiligen Thiere bat, aber
doch gebeten wird, biefelben einzufangen, nach irgend einem
Wald in ferner Gegend zu Schaffen und dort loszulaffen. —
Die Landichaft Gonda war im December durch wilde Thiere
dermaßen unficher, daß die Bauern fich micht auf ihre Felder
wagten; einige Dörfer find völlig verlaffen worben, weil die
Tiger fich regelmäßig ihre Beute raubten.
Auf den Theeplantagen in den Nilgherris follen von
num am chinefifche Arbeiter befchäftigt werben. — Im Gonda—
verhbezirfe gedeiht der Manilatabad jehr gut und bie
Bauern erhalten jetzt Anweiſung zur richtigen Behandlung
ber Blätter,
In Madras find eine Anzahl Mädchen und Frauen
aus der Kafte der Barbiere in die Hebammenſchule getres
ten; auch einige Frauen ans höheren Kaften haben fich unter:
richten laffen, dieje witrden aber um feinen Preis der Welt
einer Frau von geringerer Kaſte Hebammendienfte verrichten.
In Calcutta ift ein Drama veröffentlicht worden. Daf:
felbe führt den Titel Rudrapala und ift eine Nachahmung
von Shaleſpeare's Macbeth. Die Heren find durch drei An-
beterinnen der ſcheußlich blutigen Göttin Kali erfegt. Ein
anderes Drama, Gopi Tihend, gefällt in&befondere den
Parſis zu Bombay, weil nicht bloß eine laufende Locomotive
—— auch ein Dampfer mit rauchendem Schornſtein vor:
ommt.
Die Robinfon-Erufoe-Infel.
Vor Kurzem machte machftehende Notiz die Runde durch
die Zeitungen: „Eine beutiche Colonie von etwa 70 Seelen
bevölkert feit 1872 Nobinfon Erufoe'3 Inſel im füblichen
Stillen Ocean. Es fanden ſich dort große Herden von Zie—
gen, 30 halbwilde Verde, etwa 60 Efel und eine Anzahl
anderer Hausthiere vor, Die Anfiedler brachten Kühe,
Schweine, Hühner, Aderbangerätbichaften, Heine Boote und
Ungelgeräthe mit, und befinden ſich nah Umſtänden wohl.
Es muß einen eigentbiimlichen Reiz gewähren, in einem
deutichen Haufe au Ort und Stelle die abenteuerlihen Er-
lebniffe des ehemaligen Gebieters der Juſel in der Erinne:
rung vorüberziehen zu laſſen.“
Mit Bezug hierauf bemerken die „Balparaifo Deutichen
Nachrichten” Folgendes: „Die Robinfon-Erufoe-Fnfel (Juan
Fernandez) liegt befamntlich nur 1%, Tagereifen per Dampf:
boot von diefer Küſte. Diejenigen Lefer, die dieſelbe befucht
baben, willen aus eigener Anſchauung, was aud jo bier
aller Welt befaunt, daß an obiger ſchönen Erzäblung kein
wahres Wort ift. Zwar beftand einmal ein folder Coloni⸗
fationsplan, aber er wurde zu Waſſer. Gegenwärtig beichränft
Aus allen Erdtheilen.
fich die Bevölkerung der Inſel auf eine Anzahl fpanifcher
reſp. chilenifcher Frilcher und auf eine Anzahl von Ziegen,
welche die Befucher meiftens jchießen möchten, obne zur Aus—
führung ibres Vorhabens zu kommen. Es gehört ſchon eine
eingefleilchte Nimrodnatur dazu, um ſich den Anftrengungen,
welche mit ber Gewinnung eines Zidleins verbunden find,
and eigener Wahl zu unterziehen.“
Zur Statiftif der norbamerikanifchen Zeitungspreffe.
Die fiebente Auflage, Jahrgang 1875, des amerifani-
Ihen Zeitungs: WMdreß:Kalenders iſt erichienen. Sie
entbält in überaus iberfichtlicher Anorbrung eine Aufzählung
jämmtlicher in den Vereinigten/Staaten, den Territorien, ber
Dominion von Canada und Neufundland ericheinenden Zei:
tungen und periobilchen Zeitichrifter. Es werben demnach
in den genannten Ländern 774 Zeitungen täglich, 100 drei:
mal wöchentlich, 121 zweimal wöchentlich, 6287 wöchentlich,
% zweiwöcentlich, 108 halbmonatlid, 850 monatlich, 10
zweimo natlich und 71 vierteljährlich veröffentlicht — zuſam⸗
men 8348, ein Zuwachs von 564 über die Zahl der im Vor:
jabre (1874), von 1057 über bie Zahl ber im Jahre 1873, von
1426 über die Zahl der im Jahre 1872 und von 1910 über
die Zahl der im Jahre 1871 erichienenen Zeitungen.
Bon den 7736 in ben Vereinigten Staaten ericheinenden
Zeitungen und Zeitichriften (134 werden in den Territorien,
464 in der Dominion von Canada und 14 in Neufundland
publicirt, zufammen alfo, wie oben angegeben, 8348) werben
695 wöchentlich, 77 dreimal wöchentlich, 104 zweimal wöchent:
lich, 5858 wöchentlich, 24 zweiwöchentlich, 106 halbmonatlich,
798 monatlich, 8 zweimonatlich, 67 vierteljährlich veröffentlicht.
Der Staat Neuyork ſteht obenan mit 1096; dann folgt Penn:
folvanien mit 707, Illinois mit 612, Obio mit 537.
Abgeieben von den Wochen: und Sonntagsblättern der
täglichen Zeitungen erfcheinen in den Vereinigten Staaten
333 deutſche Zeitungen und Zeitichriften, in Ontario in der
Dominion von Canada deren 9, davon 8 wöchentlich und 1
monatlich, zufammen alfo 347. An der Spise fteht Penn—
folvanien mit 59, davon 10 tägliche; dann folgt Neuyork mit
51, davon 14 tägliche; Obio mit 40, davon 7 tägliche; Illi—
nois mit 28, davon 7 tägliche; Wisconfin mit 27, davon 5
tägliche; Menjerfey mit 19, davon 2 tägliche; Miffouri mit
18, davon 6 tägliche; Jowa mit 17, davon 1 tägliche; In—
biana mit 15, davon 4 tägliche; alifornien mit 8, davon 2
tägliche; Minnefota 8, jämmtlich wöchentlich; Teras 7, da:
von 1 tägliche; Maryland und Michigan je 6, davon reip. 2
und 3 tägliche ; Kentudy 4, davon 2 tägliche; Kanſas, Lonifiana,
Maſſachuſetts, Connecticut, Nebraska, Tenneſſee, Virginia je
2, davon je 1 tägliches in Kanfas und Louifiana und deren
2in Virginia; und je eines in Mrlanfas, Delaware, Diftrict
Columbia, Georgia, Nevada, Dregon, Siübdcarolina, Weit:
virginia, Colorado und bem Territorium Dafota, bavon nur
ein tägliches in Waſhington, D. E., die übrigen fämmtlich
wöchentlich.
Es erfcheinen je fünf tägliche deutſche Zeitungen in ber
Stadt Neuyork, in St. Louis, Milwaufie; je 4 im Phila-
delphia und Buffalo; je 3 in Chicago, Detroit, Cincinnati,
Eleveland und Pittäburg; je 2 in San Francisco, Peoria
(Minis), Evansville (Jowa), Indianapolis, Baltimore, Ne:
wart, Broollhu, Albany, Rochefter, Allentown (Pennſylva⸗
wien), Richmond (Virginia), je 1 in Waſhington, D. E. Belle:
ville, Oninch, Davenport, Leavenworth, Neuorleans, Kanſas
City, Toledo und Reading. — Im franzöfiicher Sprache er:
kheinen in den Vereinigten Staaten 26, in den britiichen
Beligungen 32 Zeitungen und Zeitichriften, davon in Loui—
fiona 12, im Maffachufetts 3, in Neuyork 5, in California
2, und je 1 im Illinois, Minneſota, Rhode-Island und Ver:
mont, Bon den in dem britiichen Beſitzungen veröffentlichten
frangöfiichen Zeitungen und Heitichriften werden 29 im Di:
63
ftriet Ouebec und je 1 in den Diftrieten Manitoba, Neu:
Brunswid und Ontario publicirt. Täglich ericheinen fran—
zöſiſche Zeitungen: 1 in San Francisco, 1 in Neuorleans, 2
in Neuyorf, 1 Ottawa (Diftrict Ontario), 7 im Diftrict One:
bec, von dem letzteren 4 in Montreal und 3 in Quebec. —
In flandinaviicher Sprache erfcheinen in den Bereinigten
Staaten 36 Zeitungen und Zeitichriften, davon 10 in Illinois
(davon 6 in Chicago), 5 in Neuyork (davon 4 in der Stadt
Nenyork), 3 in Minnejota, je 2 in California, Nebraska und
Wisconſin, je 1 in Jowa und Utah. Davon find 2 tägliche,
bie eine in Chicago, die andere in Neuyork ericheinend. —
In Spanischer Sprache erſcheinen 23 Zeitungen, davon 11 in
der Stadt Neudorf, ſämmtlich wöchentlich, halbmonatlich und
monatlich; 7 in Neumerico, davon eine tägliche in Santa re;
3 in California uud je 1 in Texas und Colorado. — In
holländifcher Sprache ericheinen 8 Zeitungen, davon 6 im
Michigan und 2 in Jowa, fänmtlich Wochenblätter. — In
italienifcher Spradye zwei Wochenblätter, eines in San Fran:
cisco und das andere in Philadelphia; 5 im walliſiſcher
Sprache, davon im Staate Neuyork 3 und zwar I in Rem—
fen und 2 in Utica; in Pennſylvania 2, eines in Pittsburg
und das andere in Seranton. — Die Böhmen haben vier
Organe, ſämmtlich Wochenblätter, und zwar je 1 in Jowa
Eity, Omaha, Cleveland und Nacine (Wisconſin). — Die
Portugieſen find durch eine Monatsichrift, die in der Stadt
Neuyhork erfcheint, vertreten; und die Volen durch zwei Wo:
henblätter, von denen das eine in Chicago, das andere in
Detroit erfcheint.
Die Adventiften in Chicago.
Wir fafen vor einiger Zeit die Angabe, daß die Anzahl
der chriftlichen Kirchen und Secten in Nordamerika die an-
fehnliche Zahl von 127 erreicht habe. Eine diefer Secten,
die Mbventiften, fehnt mit wahrer Jubrunft den „Unter:
gang der Welt“ herbei, um deſto rascher „felig” zu werden.
Ihre Vorfteher erhalten Offenbarungen, auf welde bin fie
den Tag des Weltunterganges propbezeien. Leider treffen
diefe Vorberfagungen niemals ein, wie folgender Bericht aus
Chicago zeigt.
Wie feit diefe Meine Secte an die Erfüllung der Pro—
phezeiung ihres geiftigen Leulers Thurmann geglaubt hatte,
mach welcher am Abend des 10. April „die Welt“ untergehen
und das taufendjährige Meffiasreich beginnen follte, das zeigt
am beutlichften die Niedergefchlagenbeit und Verzweiflung,
welche ihrer fich bemächtigte, nachdem diefe Weiffagung ſich
als haltlos erwielen hatte. Das Hauptbeer der Gläubigen
hatte fich an jenem Abend nad der „Swen Halle“ in Chicago
zurückgezogen und blieb dafelbjt unbehelligt. Lange Tafeln
waren zuſammengerückt und auf dieſen war das vermeintliche
legte Liebesmahl fervirt worden, beftehend aus Hammelfleiich,
Oft, Rothwein und ungeläuertem Brot. Am obern Ende
der Halle war ein eigenthümliches Sopha anfgeftellt, mit
Immergrün und anderen Wlattpflanzen umgeben, und auf
diefem improvifirten Throne ſaß der Prophet Elder Thur-
manı. In der Halle waren etwa 150 Verfonen, darunter
viele Kinder, zugegen, die Männer fahen zur Linken, die
Weiber zur Rechten Thurmann's.
Innerhalb des von den Tafeln eingefchloffenen leeren
Raumes waren Waſchbecken und Handtücher für die Fuß—
waſchung aufgeftellt und diefe ging zuerſt vor ſich, dann ſetzte
man fich zum Speifen nieder. Immer näher aber rüdte der Zei:
ger gegen Mitternacht vor, doch keinerlei Anzeichen von dem
bevorftebenden Ereigniffe machten fich bemerklich. Bange
Zweifel, ängſtliche Ungewißheit Iprachen von den Gefichtern
ber Harrenden und felbjt Thurmann begann bedenklich unruhig
zu werden. Als Mitternacht herangenaht war, ftand er auf
und hielt eine Rede an feine Herde, welche er um Bergebung
bat, daß er fie ohne feinen Willen getüuſcht hätte, Er ver-
möchte diefen Vorwurf indeß wicht zu ertragen und mähme
64 Aus allen Erdtheilen.
daher Abſchied von ihnen. Nun folgte eine ſehr ſeltſam auf—
geregte Scene.
Weiber rangen in bittern Grimme die Hände, ſtarke
Männer vergruben ihr Angeſicht rathlos, verzweifelt in die
Hände. Der fchroffe Ucbergang von verzückter Freude zu
ſchrecklicher Enttäufchung wirkte betäubend und lähmend. Die
Armen batten feit langer Zeit ibre Gedanken ausſchließlich
auf diefen Tag gerichtet, mit aller Iubrunft ſich auf das Er-
eigniß, das er ihnen bringen follte, vorbereitet, und nun war
ihnen der Boden unter den Fühen weggeriffen, jeder Halt
genommen. Thurmann ſprach noch ein Gebet und den Segen
über die Berfammlung, dann fchien er in dumpfes Sinbriten
zu verfinfen, um ihn aber meinte und ſchluchzte Alles und
das Opferfeft war gründlich geftört. Viele der Getäuſchten
batten nun aber ſehr materielle Gründe, die fie das Fehl:
ichlagen ihrer Hoffnungen bejammern Tießen; fie hatten im
der feſten Zuverſicht auf den bevorftebenden Weltunter:
gang ihre ganze Habe verschenkt, ja jelbft ihre Wohnung auf:
gegeben, und jetzt wußten fie nicht, wo fie mit Weib und
Kind ihr Haupt binlegen follten. Gin alter, weißbaariger
Mann Namens Miller, der fein über 6000 Dollar wertbes
Grundſtlick abaetreten batte, bat einen Bruder, der nur feine
Möbel wengegeben hatte, um Erlaubniß, wenigſtens in feinem
Hauſe auf dem Fußboden zu ſchlafen. Dazwiſchen ſchrien die
Kinder, Säuglinge wimmerten, die Weiber wehllagten, end:
lich trennte man ſich im äußerſt gedrüdter Stimmung und
Jeder ſuchte fich ein Obdach aus, wo er es eben finden konnte,
mit Schreden des Elendes gedenkend, das die nächſten Tage
bringen mußten.
“« * x
— Der deutihe Kriegsdampfer „Nrcona* im
Hafen von Honolulu. Die „California Staatözgeitung*
entbält folgenden Bericht: Am Montag, den 10. Mai, um
12 Uhr Mittags, empfing der König von Hawaii im Yolani
Balaft den ftellvertretenden Conful des Kaifers von Dentich:
faud, Herrn J. E. Glade, und den Baron von Reibnit,
Commandanten des deutichen Kriegsſchiffes „Arcona*, wel:
der den König anredete wie folgt: „Majeftät! Mein or:
babener Sonverän, der Kailer Wilhelm, hat mich mach Ho—
noluln gefandt, um das Intereſſe zu zeigen, welches er an
dem Fortichritt und der Wohlfahrt der Staaten Eurer Ma-
jeftät nimmt, in denen fo viele feiner Untertbanen eine nene
Heimatb gefunden haben und ſich aller jener Bortheile er:
freuen, welde die weile Regierung Eurer Majeftät den Aus—
ländern in demfelben Grade wie den Eingeborenen bietet.
Die gute Aufnahme, welche die „Nrcona" von Seiten der
Negierung Eurer Majeftät gefunden bat, bat einen tiefen
Eindrud auf mich gemacht, und ich bin glüdlich, Diele Ge:
legenheit zu haben, um Eurer Majeftät meinen aufrichtigen
Dank auszudrücken.“ — Der König eriwiederte hierauf wie
folgt: „Baron von Reibnig! Es macht mir fehr große Freude,
Sie, fowie die Offiziere des ſchönen Schiffes, weldes Sie |
commanbiren, beute bier bewilllommnen zu können, da bie
„Arcona" das erfte Kriegsſchiff unter der Flagge des deut: |
ſchen Neiches ift, welches mein Land beſucht bat, Ich gebe
Ihnen die feſte Verficherung, daß die Untertbanen Ihres
Somveräns fich ſtets jeden Vortbeiles erfreuen jollen, welche
den Eingeborenen dieſes Staates gewährt wird, und daß
feine Leute auf diefen Infeln willkommener geheißen werben
als die Deutichen, deren Anduftrie und Unternebmungsgeift
fo viel zu der Prosperität jedes Landes beitragen, in welchem
fie wohnen, und es macht mir großes Vergnügen, zu hören,
daß Ihr Souverän, der Kaiſer Wilhelm, Sie hierher geſchickt
bat, um das Jutereſſe zu zeigen, welches er an dem Fort:
ſchritt und der Wohlfahrt meines Staates nimmt,“
— Der Unban des Kaffees in Cofta rien it fchon
fo beträchtlich geworden, daß die jüngſte Ernte nahezu 200,000
Gentner geliefert hat, im Geldwerth von etwa ſechs Millio-
nen Thaler. Der Kafferbaum ift in diefer Republik zuerft
vor nun etwa 25 Jahren von einem bentichen Kaufmann,
Herrn Eduard Wallerftein, eingeführt worden, und ger
deiht vortrefflich. Ein Gleiches ift in Guatemala der Fall,
von wo alljährlich gröfiere Onantitäten im den Handel ge-
langen.
— Im anftraliihen Bictoria find viele Grund—
befiger jo verftändig, große Flächen mit Waldbäumen zu be-
pflanzen. — Die Zahl der Kängeruhs wird durch die
Jäger beträchtlich vermindert, aber von einer Ausrottung
diefer Thiere kaun auf lange Zeit hinaus noch feine Rede
fein. Bei einer in der Nähe von Port Lincoln veranftalteten
Jagd wurden auf der Station Uly mehr als 200 geſchoſſen,
während etwa 600 unbehelligt blieben und entlamen. — Ju
Neufüdwales kommen noch immer Fülle von Canniba—
lismus zur Anzeige, So berichtet die „Townsville Times“
Folgendes über den Mord eines Anſiedlers Namens Conn
und deffen Fran: Die Eingeborenen hatten Hrn. Conn über:
fallen und niedergeworfen. Sie bolten bierauf feine Frau
berbei, um der Ermordung ihres Mannes beizuwohnen,
Diefem wurde anf einem Baumſtumpf ein Bein am Knöchel
und an dem Knie abgehadt, Die Frau riß fich los und
rannte nad) dem Haufe zurück, wo fie eine Schrotflinte er-
griff und auf die Wilden feuern wollte. Die Flinte ver:
lagte. Sie tannte hierauf nach der Nachbarfarm zu und
wurde dabei mit einem Speer im Rücken getroffen, wobei
die Schwarzen bie Flinte auf ihrem Kopfe zerichlugen. Sie
ſchnitten ihr hierauf die Eingeweide aus und nabmen fic mit.
Die zur Verfolgung ansgefandten Truppen überraſchten die
Mörder, die eben über die That ein Feſt angerichtet hatten
umd die mitgenommenen Körperteile verzebrten. Sie hatten
Boote in Bereitichaft, um nach dem Feſte nach Hinchinbroof
Island überzuſetzen. Nach ihrem Aufammtentreffen mit den
Truppen hatten fie feine irdiſchen Boote mehr nöthig.
— WVittwenverbrennungen fommen in Judien
vereinzelt immer noch; vor, fo im vorigen December in der
Umgegend von Ladıo, wo eine Frau nicht davon abzubrir:
gen war, ihrem Mann in den Tod zu folgen. Sie nahm
ein Bad, ſchmückte fich bräntlich und wurde von ihren Wer:
wandten im Feftlichem Auge zum Scheiterhanfen geleitet, der
dann von Hindus niederer Kaſte in Brand geſteckt wurde,
Holz ift in jener Gegend tbener und felten, man hatte des:
halb zumeist andere brennbare Stoffe verwandt, welche um
die Frau herum aufgebäuft waren. Sie legte ihren Kopf
in den Schooß des Todten und dann wurde der Scheiter:
haufen mit Strob überfchüitter. Der Neffe des Reritorbenen
\ reichte der Satti eine brennende Fackel und im Nu ftand
Alles in Flammen. Man war mit der größten Heimlichkeit
zu Werke gegangen und als die Bolizei anlangte, fand fie
nur noch einen Wichenbanfen. Etwa 30 Perſonen, darunter
die Verwandten der Wittwe, find verhaftet worden und wer
den vor Gericht geftellt.
Inhalt: F. Garnier’s Scilderungen aus innan. II. Mit Fünf Mbbildingen.) — Karl v. Neumann’
Expedition nach den Bäreninfeln vor der ſibiriſchen Küſte. II. —
Der „Gballenger* auf der Fahrt von den Philippinen
nach Japan. I. — Die Pariahlaſte der Koragars an der Malabarfüfte. — Aus allen Erbtheilen: J. Forreſt in Wet:
auftralien. — Indien. — Die Robinſon-Cruſoe-Inſel. — Zur Statiftif der nordamerifaniichen Zeitungspreſſe. — Die
Adventiften in Chicago. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 10. Juli 1875.)
Herausgegeben von Karl Andree im Leipzig. — Für bie Redaction verantwortlich: H. Bieweg in Braunſchweig.
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunfchneig.
Dierzu eine Beilage: Literarifcher Anzeiger Nr. 7.
?
Band x XXVIN.
Mit befonderer Serichicktigung ı der in und Ethnologie.
In
Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Karl Undree,
Braun ſchweig
Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlich 4 Nummern.
Preis pro Bande 12 Marf. Einzelne Rummern 5 50 0 P
1875.
Dr. Hayden’s und Langford’3 Erpedition nach den Felfengebirgen.
Bir haben im vorigen Bande des „Globus“ (S. 289,
305, 321 ff.) die Erforſchung der Geyferregion am obern
Nellowftone und des Firehole dargeftellt. Als die Nachricht
von diefer „Wunderregion“ im Often der Vereinigten Staa«
ten befannt wurde, beſchloß die Regierung eine geologische
Miffion nad) dem in fo vieler Beziehung hochintereffanten
Gebiete abzufenden und fie hätte feinen tüchtigern und eifri-
gern Forſcher finden fünnen als Dr. Hayden, der feine
erfte Expedition im Fruhſommer des Jahres 1871 vor-
trefflich ausgerüftet antrat *),
Diefelbe verlieh am 1. Juni die Stadt Ogden im Terris
torium Utah. Am 4. zog fie durch den Ogden-Cañon,
eine malerifhe Schlucht, deren fteil emporragende Wände
eine Höhe von 1500 bis 2000 Fuß haben, Auch widmete
fie dem Thale des Snake: (Schlangen) River eine befondere
Aufmerkfamkeit und zog dann über Kort Hall nach Fort
Ellis. Bon dort aus gelangte fie am dritten Tage an
den Gardinerfluß; hier traten ſchon heiße Quellen auf.
Ganz nahe dem Strome quollen einige in kreisrunden Beden
hervor, die einen Durchmeffer von 6 bis 10 Fuß und eine
+) Mitglieder der Expedition waren die Herren Stepbenfon,
weldyer die Oberverwaltung führte; der Zeichner Elliot; der Stati—
fifer, Entomolog und Agronom Vroftſſer Cyrus Thomas; ber
Topograpb Schönborn mit einem Gehuͤlfen; ber Mieteorolog Be az
man; der Botaniker Allan; ber Mineraloa Beale; der Arıt Dr.
Zurnbull; ber Zeolog Gamington; ber Seeretar Yogart mit
vier Gebülfen, und der Malır Doran.
Globus XXVIII. Nr. 5
L
Tiefe von 2 bis 4 Fuß zeigten. An denfelben hatte fic eine
große Menge Sranter gelagert, die in Zelten lebten und
mit Begeifterung von den Wirfungen des Bades erzählten.
Als die Reifenden etwa eine Meile weiter gezogen war
ren, bot ſich ihnen ein wunderbares Echaufpiel dar, das den
Forfchern des vorigen Jahres völlig entgangen war, Vor
ihnen erhob ſich eim hoher, weißer Berg, der einem unge
heuern gefrorenen Wafjerfall gli. Es waren bie
Quellen, die heute als Mammuthquellen bezeichnet
werden, Arm Fuße des Berges, der etwa 200 Fuß empor:
tagte * aus Kallablagerung beſtand, ſchlugen ſie ihr La—
ger au
Dieſer Bau der Natur gehört offenbar zu den inter⸗
eſſanteſten auf unſerm Erdballe. Das Ganze beſteht aus
einem Syften an einander gelagerter Terraſſen, welche den
Stufen einer ungeheuern Treppe gleichen. Auf jeder der—
felben finden fich halbzirkelförmige \ Bein, deren Rand eine
Höhe von einigen Zol bis zu 6 Fuß hat. Diefe Ränder
find fo pradhtvofl mit Gewinden und Anszadungen verziert,
daß der Beichauer erftaunt fie betrachtet. Die Färbung ift
überall fchmeeweiß umd im diefelbe mifchen jich in Abſtufun—
gen fcharlachrothe, grüne und gelbe Töne jo prächtig und
glänzend wie nur unfere ſchönſten Anilinfarben, Diefe Halbs
beten haben verſchiedene Größen, von einigen Zoll bis zu
6 und 8 Fuß, die Tiefe beträgt von 2 Zoll bis 2 Fuß.
Da das Waſſer oben von dem Berge herabläuft, fo zieht
es aus einem Beden in das andere, wird lälter, je tiefer es
9
Dr. Hayden’s und Langford's Erpedition nach den Feljengebirgen. +1.
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Dr. Hayden's und Langford's Erpedition nad den Felſengebirgen. L 67
tommt, und wer badet, fann ſich die ihm zufagenbe Tempe—
ratur wählen,
Dben auf bem Berge befindet ſich eine flache Terraſſe
von 150 bi 200 Schritt weit und auch fie enthält mehr
oder weniger ähnliche Becken, welche gegenwärtig die thätig«
ſten von allen find. Das größte liegt am äußern Rande
der Terraſſe und hat einen Durchtneſſer von 25 zu 40 Fuß.
Das Wafler ift volllommen Mar und man fieht bis auf den
Boden herab. Die Wände find mit einem Schmucke beflei-
det, welcher den Korallen gleicht und im fehr mannigfaltiger
Beife Hübfc gefärbt ift von reinem Weiß bie zu einen
Seh, Der blaue Himmel fpiegelt ſich in diefem
aren Becken, das dadurch eine Azurfarbe annimmt. Es
wäre der Kunſt unmöglich diefe Erſcheinung wiederzugeben.
Die Quellen haben einen
oder mehrere Mittelpunfte
des Aufmwallens und mandje
fteigen etwa 4 Zoll über
die Oberfläche empor. Das
Waſſer läuft an den Hügel:
abhängen hinunter unb wird
überall aufgefaßt in Ganä-
len, in denen es raſch in bie
Beden hinab fließt. Ueber⸗
all (agert es mehr ober we=
niger Kalkbeftandtheile ab,
die alle möglichen Formen
annahmen. Unterhalb vie-
ler Beden und am Rande
derfelben jieht man Stalat- ;
titen von jeber Größe, welche
durch die Über den Rand
herabfallenden Waflertropfen
gebildet werden. Viele die:
jez Stalattiten haben wahr
haft pradjtvolle Decoratio-
nen. Zeichnung und Bhoto:
raphie fönnen eine Vor—
ung von dieſen Terraflen
geben, aber immerhin nur
eine unvollftändige, weil der
fo reiche Gegenſatz aller die⸗
fer glänzenden Farbennllan⸗
cen fehlt, melde dem Auge
einen wahrhaft bezaubernden
Anblick bieten.
Ueber der obern Terraſſe
liegt ein merfmürbiger 150
Fuß hoher Kegel, der an ber
Bafis 120 Fuß breit ift,
Seiner Geftalt wegen wurde
er ald Freiheitsmüge bes
zeichnet. Er ift offenbar Trümmer eines erlofchenen Geyfers;
das Waſſer wurde wahrjcheinlic ohne irgend weldye Unter:
brechung mit ftarter Gewalt emporgeichleubert. Dieſer Geyſer
erhob feinen Krater, fo lange der Drud des Waſſers es
geftattete, dann ſchloß er ſich allmälig ſelbſt bei feinem Gipfel
und erlofch. Heute giebt er auch micht einen einzigen Trop⸗
fen Waſſer mehr. Die Kalkniederſchläge haben ſich um ein—
ander gelegt etwa wie Yagen von Stroh, mit denen man ein
Dad bildet. Am Nordweftrande der Hauptterraſſe ziehen
ſich Länglihe Dümme von 50 bis zu 150 Schritt Yänge hin,
in einer Höhe von 6 bis 10 Fuß. An ihrer Bafis haben
fie 10 bis 15 Fuß. Bon einem Ende der Terrafle zum
andern läuft oben ein 6 bis 12 Zoll breiter Spalt, aus
welchen manchmal im beträchtlicher Menge Dampf empor⸗
Ogden Canon.
ſteigt. Man hört, wie das Waſſer unten kocht ähnlich wie
in einem Keſſel. Das Innere ift, fo weit man es verfol-
gen kann, mit einer ftarfen Lage emaillirten Porcellans
garnirt und am manden Stellen mit prächtigen Schwefel:
fryftallen beffeidet, welche der Dampf niedergeſchlagen hat,
Neben der obern Terraffe, die in Wirklichkeit nur ein
alter Kraterrand ift, findet man eime große Anzahl länglich-
runder erftorbener Geyfer; einige find zerbrochen, fo daß
fie gewiſſermaßen eine Art vom Höhlen bilden, im welchen
die wilden Thiere einen Schlupfwintel finden. Dr. Hayden
ging im eine biefer Höhlen und fand in derfelben Baums
zmweige und Knochen, welche durch Thiere dorthin getragen
worden find; ganze Wolfen von Fledermäuſen ftiegen em»
| por, als fie fich beunruhigt fühlten. Einige dieſer Höhlen
find nad) oben hin offen und
han kann bequem die bers
fchtedenen Ablagerungen ver⸗
folgen, auf anderen ftehen
Fichten von 80 bis 100
Jahren.
Die oberen Abtheilungen
dieſes Berges haben täus
ſchende Aehnlichkeit mit den
Ruinen eines Dorfes, deſ⸗
ſen Häuſer in Verfall find.
Mit größter Bequewſlichleit
fanın man bie verſchiedenen
Niedericyläge betrachten un:
gefähr fo wie die Dahres«
ringe an einem Baume. Auf
ber mittlern Terraſſe, wo
gegenwärtig die Hauptquellen
in großer Thätigleit find,
liegen mächtige Fichten unter
6 bis 8 Fuß hohem Waſſer.
Diefe gewaltigen Bäume
wurden offenbar erſt in nn»
feren Tagen umgeftürzt. Die
Quellen find Bielfach anges
füllt mit fleinen Fäſerchen,
unter denen Dr. Billings
die Arten Palmella und Os
enllera ermittelte. In den
Heinen Ninnfalen, welche
and den fiedenden Diuellen
ablaufen, findet man eine
roße Dienge von einer Sub:
Ran, die faſerig und ſeiden⸗
weich ift und gewiſſermaßen
ber feinften Rafehmirwoße
gleicht. Sie vibrirt bei
ber leichteften Bervegung des
Waſſers und fcheint gleichfalls vegetabilischer Natur zu fein.
Bei Er Waſſer nehmen diefe jeidenartigen Maſſen einen
Niederfchlag von Kalt an; die vegetabilifchen Fäſerchen ver-
ſchwinden und es bleibt nur eine faferige, ſchwammige Maſſe,
die einer feinen, fehr weißen Koralle ähnelt.
Wenn man die Quellen biefer Region in Bezug auf
ihre chemifchen Beftandtheile claffificiren will, fo zerfallen
fie in ſolche, in denen der Kalk, und in andere, in benen Siler
bormwaltet. In Bezug auf die Schönheit der Formen geben
bie Kallquellen die herrlichiten architeltoniſchen Mufter und
nehmen die merfwirdigften Formen an. Die Landfchaft in
diefer Geyſergegend ift über alle Beſchreibung ſchön. Sie
liegt etwa 1000 Fuß liber dem Boden des Nellowftone und
man hat von diefer Höhe eine ungeheuer weite Ausſicht.
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Tr. Hapden's ımd Langford's Erpedition nach den Felſengebirgen. J.
DMammutbhanellen.
Dr. Hayden’s und Langford’s Erpedition nach den Fyelfengebirgen. J. 69
Nach Norden fieht man einen Theil des Zinnobergebirges,
während auf der andern Seite fid) Höhen emporthlicmen,
bie mit gigantifchen Mauern den Horizont ſchließen. An
den Abhängen der Schluchten find Bafaltfäulen in einer fo
wunderbaren Ordnung und Regelmäßigkeit aufgeftellt, wie
jeme im der Fingalsgrotie auf Staff. Thurmförmig fteigt
dort Berg Evertd empor, Seine Abhänge find mit Fichten:
wald beftanden, fein Gipfel beſteht aus Baſaltfragmenten.
Die Erpedition konnte nicht länger verweilen, fie zog am
„hurm“ vorbei am Cingange des großen Canon und an
den beiden Waflerfällen des Mellowftone, die nad) Hayden
einen viel großartigern Eindrud machen als felbft der Nia-
garafall.
Hayden verfolgte dann im Allgemeinen bie Route, welche
im Dahre vorher Leutenant Doane eingefchlagen hatte und
die in unſeren früheren Mitteilungen gefchildert worden ift.
Beten der Mammuthquellen.
Im Dahre 1872 beroilligte der nordamerilaniſche Congreß
eine nicht unbeträchtliche Summe zur Fortfegung der jyors
ſchungen und fo fonnte diesmal Hayden zwei Abtheilungen
bilden. Iecde derfelben beftand aus einem Geologen, einem
Topographen, einem Aſtronomen, einem Meteorologen und
einer Anzahl jüngerer wiſſenſchaftlich gebildeter Yente. Die
eine Partie unter Dr. Hayden nahm ihren Ansgangspuntt
auch diesmal von Fort Ellis, unterfuchte genauer den
Nationalpark und bie Region bes Gallatin. Die zweite
brach, von Fort Hall auf, drang im die Felſengebirge ein und
ihr gelang es einen Berg zu erflimmen, den man für ums
erfteigbar gehalten hatte und welder den Namen Mount
Hayden erhielt. Wir werden im folgenden Aufſatze dieſe
legtere Erpebition ımter Langford's Yeitung näher ſchildern.
Langford war bereits Mitglied der Erpebition von 1870
und 1871 gewefen. Ex bemerkt, daß er auf beiden Wanbers
zügen faum die Hälfte der wunderbaren Erſcheinungen und
Naturſpiele jener Gegend gefehen habe, in Hauptrefultat
70 Tr, Hayden's und Langford's Expedition nach den Felſengebirgen. L
ber Forſchung Hayden’s aus dem Jahre 1871, gleichſam ; Wanderung an. Hayden mollte die Region im Giden bes
ein herrliches Siegeszeichen, war die Entbefung der Mam- | Nellowftone, namentlich, die Gegend am Snake River unter:
muthquellen; Langford feinerfeits hoffte noch andere Wuns | firchen, über welchen noch fo viele Fabeln umliefen. Er be»
der zu entdeden und deswegen trat er mit Eifer feine neue | fahlalfo Capitän Stephenfon von Süden her in ben National»
Die Fteiheitsmütze.
parf einzubringen, während er felber die Koute des vorigen , Der Snakefluß durchzieht im ber That ſchlängelnd dieſe Ge—
Jahres einfclug. Weide Gruppen follten fid) dann im 2 nad dem Großen Ocean hin und läuft Hunderte von
Seyjerbeden des Firehole wieder zuſammenfinden. eilen entlang der Sette der Tetonsgebirge, welche
Diefe ſüdliche Noute, fo ſchreibt Pangford, hatte file mich | eine mächtige Örenzicheide in diefem Theile von Nordamerika
einen großen Reiz, deun fie war noch fo gut wie unbefannt. | bilden.
Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens. 71
Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens.
Von Dr, Hermann Brunnhofer in Aarau—
Zweite Abtheilung *).
Wer die Wirkſamleit des Aberglaubens in ber unendlichen
fälle feiner Erjcheinungsformen durd) alle Zeiten und Zonen
hindurch verfolgt, wird ſich zwar geftchen mlffen, daß wir
ohme fein Daſein die lieblichjten und erhabenften Schöpfun«
der Kunſt: Kalidafa's Safumtala eben fo wenig als
—28 Sommernadhtstraum, und des Aeſchylus' Pro⸗
methens eben jo wenig ald Dante's Divina Commedia und
Geethes Fauſt befäßen, von den Meifterwerten der Mufit
und aller anderen Kunftgattungen zu geſchweigen. — ber
der Befig diefer unftgenüffe, die bis anhin denn doch nur
einem fehr befcheidenen Kreiſe zugänglich; gewefen find, wird
auf der andern Seite im dem Mugen des die Weltgefchichte
fühlend Betrachtenden wieder Uberſchwer aufgewogen durch
den Berluft von mindeftens hundert Millionen gewaltjam
oder Minftlich gebrochener Menſchenherzen, welche dem Uber:
glauben zum Opfer gefallen find. Und jo Hoch ſich aud)
unſere Wiſſenſchaft und Philofophie entwicelt haben, fo feiten
Boden die Geiftesfreiheit ſchon errungen, fo tief ſich das Ver—
ftändniß der großen Yebensfragen fogar ſchon in die unterften
Schichten der abendländifchen Menfchheit hineingebohrt hat,
jo ſchwingt gleichwohl haarfträubender Aberglaube feine Gei—
hel über große, vornehmlich) fich gebildet wähnende Kreiſe der
europäifchen und amerifanifchen Geſellſchaft noch bis zu Dies
fer Stunde mit nicht weniger bespotifcher Willfür , als dies
P 7 einer Zeit im der Culturgeſchichte der Fall gewe⸗
en i
Nod bis zu dieſer Stunde fpielt die weiße Frau an
den Höfen der großen Culturvöller Europas diejelbe Rolle,
wie vor Jahrhunderten. Und wie fonderbar: gerade die
nordamerifanifche Union, das „gepriefene Land der freieſten
Geiftesentwidelung“ (11), ift das Land des gröbften Aber:
glanbens, der finjtern Geiſtesnacht, des frechſten Religions»
betruge! In Bofton und Neuyorf giebt es öffentliche, von
den bedeutendften Zeitungen ausgefchriebene Geiftercitirungs-
büreaus, durch deren Vermittlung man jeden Augenblick mit
feinen verftorbenen Verwandten in brieflichen Verfehr treten
lann. Und die Vielweiberei der Mormonen, ftütt fie ſich
nicht auf die Ausgeburt der tolljten Bibelfälſcherei? Wenn
dad am grünen Holz eines jungen „Freiſtaates“ geſchieht,
da fhlägt in und das Gewiſſen der Menjchheit, wir werden
für einen Augenblid irre in unferm Glauben au die ewige
Vervoltommmungsfähigfeit **) unferes Geſchlechts, an der
Macht der Bildung, an dem Übel der menſchlichen ‚Seele
und entfegt erheben wir die angfterprehte Frage: Was ift
denn ſchuld am diefem die Völler ſeit Jahrtaufenden zerflei-
Ihenden Unheil? Woher ftammt denn diefer Heerwurm am
Yebensbaume der Menfchheit? Welches ift denn die Quelle
ded Aberglaubens?
Die Quelle bes Aberglaubens ift einestheils die gläu-
bige Phantafie des Volles, welches ſich die Naturerfcheinungen
in Borftellungsbilder verwandelt, dann aber auch der
ſchlauberechnende Berftand des herrſchſüchtigen
Prieftertgume.
*) Bergleihe Globus“ XXVII, &. 125. 136. 152.
**) An diefe glaubt doch fein Ethnolog. 4.
Verfegen wir uns einen Augenblick im die Urzeit des
Menſchengeſchlechts. Wir haben uns daffelbe, nad) den
neueften Unterfuchungen tiber vorgefchichtliche Zuftände, als
unter Ähnlichen, nur noch inferioreren Berhältnifien lebend
zu denten, wie die Papuas auf Neuguinea oder die Schwar:
zen auf Neuholland, Den Urzuftand dev Menſchheit ber
zeichnet wie beim Kinde die Oberherrſchaft der Phantafie.
Die Erzeugniffe diefer Phantafie liegen ung vor in den
Heldengedidhten, Märchen, Sagen, Yegenden, Schwäulen,
Kinderliedern, Zauberfprüichen, Sitten, Bräuchen und mans
nigfachen Einrichtungen der Völter.
Es laſſen ſich drei große Hauptperioden unterfcheiden,
in welchen fich die Naturvölfer ihre Glaubensformen, ihre
Religionen, geichaffen haben. Dieſe Perioden folgen jedoch
nicht mit derjelben Umveränderlichfeit auf einander, wie der
Neujahrsmorgen der Sylveſternacht. Es ift mit den Ent»
widelungsperioben der Bolfögeifter wie mit ben Perioden,
deren ſich die Geologie bedient, um die Anfeinanderfolge ver
ſchiedener Geſteinsſchichten zu erflären. Man fanın nicht
immer fagen: hier hört die eine Schicht auf und da beginnt
nun bie andere. Wie die Natur in allen ihren Geftaltungen
nicht jchroffe Uebergänge licht, fo kennt auch die Geiſies ·
entwidelung der Menſchheit nur allmälig in einander ver»
fliegende, nicht urplöglid; aus dem Nichts entfprungene
Bildungsepochen. Es tritt fogar häufig der Wall ein, daß
bei diefem Volke eine Entwidelungsperiode raſcher verläuft
als bei jenem, hier ſämmtliche Perioden wunderbar regelmäßig
auf einander folgen, dort wieder der ganze Strom der Ents
widelung auf der Hälfte des zurüdgelegten Weges erſtarrt.
Immer jedoch; gehen die Entwidelungsformen früherer ‘Per
tioden in den fpäteren nicht verloren, fondern bleiben häufig
in urwlichſiger Rohheit neben den Entwidelungsformen
jpäterer Perioden fortbeftehen und verfchmelzen dann häufig
it denfelben zu einer ſelbſt für das gelibte Auge des Fach»
forfchers faum mehr entwirrbaren Nagelfluhmaſſe.
Wie die Fiſche nicht untergingen, als die Amphibien
famen, und die Affen nicht verſchwanden, als der Menfc ins
Dafein trat, jo jehen wir auch in den Perioden ber höchſten
Geiſtesbildung jehr oft die roheften Grundformen des geiftis
gen Yebens wiederkehren. Nicht felten treffen wir dann neben
dem erhabenften Ideencultus dem niedrigſten Gögendienft,
Diefe drei Entwidelungsperioden des Aberglaubens find
nun im möglichfter Kürze darzuftellen,
In der älteften ‘Periode, die ſich am zutreffenditen als die
elementare bezeichnen läßt, ift von Göttern und göttlichen
Weſen nod feine Rede. Da finden wir den Menjchen weit
entfernt, fittliche Begriffe zu Idealen finnlicher Anfchauung
zu geftalten. Da dämmert auch nod) feine Ahnung ber in
ihm fchlummernden Seelenkräſte. Da hat er fein Auge nod)
nicht in die Tiefen feines Geiftes verſentt. Da ift es noch
vol aufgeſchlagen iiber die wechjelvollen Erſcheinungen ber
Außenwelt. Sein Vlid haftet noch an der Oberfläche des
Dafeins, Seine Wahrnehmung wird von dem Stillleben
der Natur umd dem geheimen Spiel ihrer Kräfte noch weit
weniger angefochten ald von dem gewaltigen Kämpfen ber
72 Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Gedichte des Aberglaubens.
Elemente und den kraftvollen Wirkungen, die von Firma»
mente zu und herniederftrömen. Der Erdboden hat fr das
Intereſſe des Urmenſchen gleichjam noch gar fein Dafein, all
fein Wahrnehmungsvermögen ift noch der Betrachtung der
am Himmel ſich vollzichenden Vorgänge verpfändet. Ein
indifcher Hirt fpricht diefe Empfindung ein Jahrtauſend vor
Chriſtus im einem Liede ded Atharvaveda (X, 8, 16) modı
fehr naiv aus:
Das Land, wo uns die Sonn’ aufgeht und wo fie wieder
untergebt,
Das halt ich für das höchſte Gut und über diefes geht
mir nicht.
Sommenfchein und Regen, Maienthau und Herbſtnebel,
Frühlingsgewitter und Winterftürme, das find und bleiben
die großen Angelpunfte für jene Menſchen. Wenn
die Sonne mit ihren erwärmenden Strahlen die Trauben:
und Korngelände unferer europäifchen Hügelwelt zu lange
meibet, dann find Mißernten und der finanzielle Ruin ganzer
Thallandſchaften unfer Theil. Wenn die Regengüffe Central⸗
afrifas das große Becken nicht überfüllen, welches dem Nil
fpeift, fo kann ber heilige Strom nicht genligend austreten
und in Folge dejlen bricht Unfruchtbarkeit, Theuerung, Hun-
geränoth, Peftilenz und Aufruhr aus über ganz Aegyptenland
und feine Priefterweisheit vermag den Yauf der Natur zu
ändern. Der Nomade Hocafiens geht mit Roß und ind
zu Grunde, wenn der befruchtende Maithau nicht zur rechten
Zeit feine gräfertreibende Macht entfaltet. Und vergißt der
Herbithimmel des Felfengebirges einmal, feine Schleuſen zu
Schließen, jo fchwenmt der Miffiffippi Haus und Hof mit
Mann und Maus zu Taufenden hinweg. Und der Föhn,
ber tüdifche Sohn der Alpen, kann er nicht Über Nacht uns
fere Gletſcher jchmelzen und unſere lachenden Alpenthäler in
traurige Steinwüjten verwandeln? Die Cultur fan diefe
Uebel nur mildern, niemals aber wird es ihr gelingen, fie
aus der Welt zu fchaffen. Iſt es da noch ein Wunder,
wenn der Naturmenjch, der feine anderen als Nahrungs:
forgen hat, ſich zunächft aus Furcht, fpäter dann vielleicht
aud; aus Dankbarkeit zur Verehrung diefer fein Schidjal
fo gänzlich beftimmenden Naturmäcte hingetrieben fühlt?
So ericheint denn im ber Urzeit die Phantafie des Menfchen
noch vollauf damit befchäftigt, in den Gewitterphänomenen
und den mit ihnen aufs Engjte verfnlipften Gejtirnen: in
Sonne, Mond und Sternen, die bald übelwollenden, bald
etwa auch gütigen Mächte zu erbliden, welche bald die Schuld
feines Unglüds, bald das Verdienſt feines Glückes tragen.
Wollte fid) mun der Naturmenſch diefe Mächte unter
irgend einer Form vorftellen, blieb ihm da noch etwas ans
deres übrig, als in denfelben Abbilder derjenigen Gegenftände
und Wefen zu fchauen, von welden er auf Erden umgeben
war? Da ift denn num die Sonne bald ein goldenes Ei,
bald auch ein goldener Becher, bald ein Auge, bald ein flam-
mendes Rad. Der Mond ift ein filberner Kahn, eine Kuh,
aber aud) ein Haſe. Der Sturmwind ift bald eim heu—
lender Hund, bald ein Wolf, bald auch ein Jüäger, der fein
Jagdgeſchrei hören läßt. Die Wolle aber gilt bald als ein
Stein, ein ungeheuerer Felsblock, ein Berg, bald wieder als
ein ad, ein Balg, ein Schlauch, ein Fell. Ein Fell läßt
aber auf ein Thier fchließen, dem es angehört. Und fo fin«
den wir denn die Wolfe bald als zottige Ziege, bald als
grauen Ejel, bald als rothe Milchluh. Ebenſo floß aus der
Anſchauung der von der Sonne vergoldeten, oder vom Blig
umrankten, oder von Winden ausgefächerten Wolte das Bild
einer Blume, eines Strauches, eines Baumes oder aud) eines
Waldes, Aus der Wolfe heraus zudt aber der Blitz und
brüllt der Donner. Da mußte der flammende Blitz der
weiße Hauer eines wlithenden Ebers, ber rothe Kamm eines
hellauffrähenden Hahnes, die gelben Fänge des pfeiljchnell
durch die Yüfte dahinſchießenden Adlers fein. Wenn der
Blig vernichtend hermieberfuhr, erblidte man in demfelben bald
einen Keil, den Donnerteil, bald einen Hammer, eine Axt,
einen Pfeil oder eine Lanze, welche von einem in der ſchwar⸗
zen Wetterwolfe haufenden Weſen heruntergeſchleudert wurden.
Oder man fah das unbekannte Wefen ein Schwert zücken
oder eine Schlinge werfen, einen Faden, ein Seil, eine Kette
herunterlaffen. Nach der Farbe des Bliges mußte man ſich
dann ganz folgerichtig alle diefe Segenftände, welche man im
Blitz zu erkennen glaubte, bald als voth, bald als gelb, bald
als blau, bald als weiß vorftellen. So konnte man ſich denn
auch nur Bilanzen und Bäume, weldye rothe oder gelbe, blaue
oder weiße Blüithen trugen, oder aber rothes Holz ober rothen
Saft hatten, oder deren Blätter nad) ber Form des Donner:
feil$ dreiedig oder ſcharf eingeferbt waren, als in den himm⸗
liſchen Gärten wachſend vorftellen,
Da galt denn der Blitz bald als ein im Gewitter gelb
aufbllihendes Farrnkraut mit rothem Safte, bald als gelbe
Yotosblume, bald als weigblühende Hafelftaude, Der Donner
aber, der aus der Gewitterwolke hervorbricht, galt bald als
das Muhen des Wollenrindes, bald als Föwengebrüll, bald
ald das Gewieher eines Roffes, bald als das Gefchrei des
Woltenefeld; bald aber auch alf das Krächzen eines Raben,
als das Krähen des rothlammigen Blighahnes, als der Ruf
des Kriegshorns oder der Schlachttrompete; bald aber aud)
ganz einfach) — und das war wohl mit die ältefte Auffaf»
jung — als ein Poltern mit Steinen, als ein Kegelſchieben.
Wenn aber der Zahnfchmerz die Kinnlade durchzudte, wenn
das Fieber die Glieder jchlittelte oder fonft eine Krankheit den
Leib des Menſchen zerwühlte — das fam dann von Wilr«
mern, von Käfern, von allerhand Unthieren, die im Menfchen
ihr Wefen trieben. Wenn der Schmerz ſich legt, fo fagen
wir noch, ganz im Sinne der Urzeit, er verfurre, wir faf-
ſen den Schmerz als eine vorüberfummende Hummel auf.
Aehnlich ſchon der alte Inder vor drei Yahrtaufenden. Ein
Zauberſpruch des Atharvaveda (VI, 25) fpiegelt diefe Auf:
faſſung noch deutlich wieder:
Die Fünfundfünfzig, die fih mir im Naden tummeln bin
und ber,
Sie mögen bingehn allzumal, al& wie ein Hummelnſchwarm
verjurrt.
Die Sicbenumditebzig, die fich mir im Balfe tummeln bin
und ber,
Sie mögen bingebn allanıal, gleichwie ein Hummeluſchwarm
verjurtt.
Die Neunundneunzig, die fih in den Schultern tummeln
bin und ber,
Sie mögen bingehn allzumal, gleichwie ein Hummelnſchwarm
verſurrt.
Es wäre ein Irrthum, anzunehmen, daß bie älteſte Urzeit
über diefe einfachen Vorftellungen hinausgegangen jei, indem
fie diejelben innerlich verfmüpft hätte. Ebenſowenig verband
die älteſte Anfchauung mit diefen Bildern auch nur die lei—
jefte Spur fittlicher Vorſtellungen. Diefes war erft das
Werk der zweiten ‘Periode, welche aber Jahrtauſende fpäter
eintrat, zwar auch nicht plöglich, fondern ganz allmälig.
Diefe zweite Periode läßt fid) ala die combinirende
oder al& diejenige Periode bezeichnen, welche die in ber erften
Periode gejchaffenen Einzelbilder dichteriſch und künſtleriſch
unter fic, verfnüpft. In diefer Periode, welche gewöhnlich
ihren Glanz mit der inzwifchen erwachten Kunſt der Vichs
zucht und des Aderbaues entwidelt, entftehen die erften dürf«
Der „Challenger“ auf der Fahrt von den Philippinen nach Japan. II.
tigen Borftellungen von den Göttern als fittliden
Mächten und es beginnt der Mythus.
Für das vorgerüictere Bewußtſein genitgt die Yanze, das
Schwert, der Hammer nicht mehr als Bild des Blitzes. Das
Brillen des Nindes oder des Löwen, das Wiehern des Roſ⸗
fes, das Krähen des Hahns, das Schmettern der Trompete
reichen der Phantafie nicht mehr aus, für diefelbe Bilder bes
Donners zu fein. Wenn man im Donner ein Gewieher
wahrzunehmen glaubte, fo konnte das nun nur mod) davon
herrühren, daß das Donnerroß einen lauten Freudenſchrei
darüber ausſtieß, daß ein waderer Held, eine über das Maß
der Sterblicden hinaus gewaltige Macht in Menſchengeſtalt
es zügelte. Das flammende Schwert, das er zlidte, die
Yanze, der Pfeil,der Hammer, der Dreizad, die er herabs
fchleuderte, mußten nun aud ein Ziel haben und welches
andere konnte das fein, als der Feind, der da trachtete, den
Menſchen die Sonne, den Urquell alles Glücks und Heile,
in dem finftern Woltenberge zu verfteden, oder die Wolfen:
fühe zu fehlen, von welchen Fruchtbarkeit und Gedeihen für
Menschen und Vieh abhing? Der Dümon, weldyer den
Menſchen die Sonne raubte, indem er diefelbe entweder in
der Sturmmwolfe des Sommers oder im den Nebeln des Wine
ters verbarg, mußte ſchon frühzeitig auch als der Feind des
Lichtes in höherm Sinne erfcheinen, als Widerfacher alles
deſſen, was ber Sterbliche im feiner Hülfsloſigleit ſich als
winfhenswerth dachte. Umgekehrt mußte fich jener unbe
kannte Walter des Lichtes und ber von ihm ausgehenden
Därme mit ihren fegensreichen Wirkungen in Feld und Wald
und Sehöfte bald zu einem lieben Freunde von liberivdifcher
Gewalt und Gute verwandeln, befreiete er doch den Menfchen
73
von ber flarrenden Winterkälte und erlöfte ihn von den Alles
umfettenden Nebelhorden ; gab er doch dem in büfterer Winter '
ſchwermuth dahinbrütenden Sterblicdyen den Frühling und die
Alles zu neuen Yeben erwedende Sonne zurüd. Wenn da
der Gewitterherr in gewaltigen Kampfe mit den Sonnen»
bieb, wer der Bater der Fruchtbarkeit mit den Räuber der
Wolfenfüge ftritt, wenn er da die Bliglanze auf den Dämon
ber Finfterniß ſchwang, da fonnte er flir den Menfchen der
Urzeit auch einfach eine Keule, eine Nuthe oder einen Stab
führen. Konnte dann aber diefe Ruthe, diefer Stab ein
anderer fein als der einer Haſelſtaude, eines Kreuzdorns,
eines Vogelbeerſchaftes, die als elementare Vertreter des
Blitzes ſich in der Anſchauung bereits vorfanden? Wenn
der Wirbelwind, wie es noch unſere alltägliche Sprache in
urwlichſiger Einfachheit wiedergiebt, wenn dev Wirbehwind
eine Windsbraut war, mußte da nicht die Borftellung ent:
ftehen, der Jäger, den man ſich mit einer Koppel Hunde im
Sturmwind einherbraufend dachte, auf dem im Donner laut
aufwiehernden Bligfhimmel veitend — der wilde Jäger
führe feine Braut heim? Wenn am Himmel droben die
Steintugeln hin und her rollten, durfte man ſich da nicht die
Weſen, welche doch die Kugeln ſchieben mußten, als Tegel:
ſchiebend vorſtellen? Und wenn dazwiſchen das Gold und
Silber des Blitzebers funlelte, der Meth der Wolkenziege
herniederträufelte, mußte ſich da nicht in der Phautaſie eines
dichteriſch angelegten Menſchen, der dieſe Einzelbilder in einen
innern Zuſammenhang brachte, die Vorſtellung von einem
himmliſchen Schmauſe und Zechgelage mit goldenem Tafel»
geräth entwickeln?
Der „Challenger* auf der Fahrt von den Philippinen nad) Japan.
IL.
Dei den Anthropophagen
Bon der Humboldi-Bai ftenerte der „Challenger* nach
den Admiralty» Iufeln. Vorher wurden bei dem Dorfe
Unyra Pfahlbauten befucht, die ſehr hübfc angelegt waren.
Man wollte anfangs den Weißen nicht geftatten das Dorf |
zu befuchen, hatte aber nichts dagegen, daß fie daſſelbe aus |
der Ferne beobachteten.
Am 3. März wurde Admiralty-Eiland erreicht.
Better war regneriſch und der Himmel ſehr bebedt. Der
Anker wurde in 18 Faden anögeworfen in der Nares-Bai.
Bald nachher erfchien eine Anzahl hübſcher Kühne, 30 bis
40 Fuß lang, jeder mit einer Bemannung von 10 bis 16
Leuten. Diefe Nachen waren doppelt jo groß wie jene in
ber Humboldt-Bai, aus einem einzigen Baumſtamme gear
beitet, ſeht ſymmetriſch gebildet und im der That ein Kunſt⸗
wer, zu deſſen Herftellung viel Mühe und Geduld erforder
lich geweſen ift. Die Eingeborenen find melaneſiſche Par
puad; da aber die Admiralty-Inſeln dem weftlichen Theil
einer Kette von Infeln bilden, zu benen die Öruppen von
Neu-Hannover, Neu: Irland und Neu-Britannien gehören, fo
ift es wahrſcheinlich, 4 dieſe Papuas mehr Aehnlichkeit mit
den Bewohnern dieſer Eilandgruppen haben als mit denen
Neu · Guineas. Uebrigens gleichen fie im Allgemeinen den
Bewohnern der Humboldt: Bai: fie haben diejelbe Statur,
das Haar ift ſchwarz umd gefräufelt. Sie tragen e8 furz,
Globus XXVIII. Nr. 5.
Das
der Admiralitätsinjeln.
fürben es felten und gehen ganz und gar nadt, mit Aus—
nahme eines ſehr jchmalen Lendenſchurzes; ftatt des leptern
teagen viele nur die Hälfte einer Eierlaurimuſchel. Ein
Lieblingsichumd ift eine 3 bis 4 Zoll breite Platte von Perl-
mutter, die vor der Stirn getragen wird und oft ein ganz
zierliches Mufter bildet. Eine ähnliche nur größere Platte
tragen fie als Schmud auf der Vruft, die Nafenzier befteht
aus fangen Knochen, die von einem Querſtück herabhängen,
welches durch den Naſenknorpel gezogen wird. Die Ringe
am Oberarm find aus Muſcheln gebildet.
Bemerlenswerth erfcheint, daß die Waffen und Gheräthe
der Admiralty⸗ Inſulaner volfkindig verfcieden find von de»
nen der Papuas der Humboldt:-Bai; auf den Admiralty—
Infeln tennt man feine Bogen. Deder Nachen war
bewaffnet mit langen Speeren; die Spige war von Obfidian.
Sie werfen diefe Waffen nıit großer Kraft und Genauigkeit
und faflen diefelben dicht unter der Speerfpige an. Auch
haben fie lange, ſcharfe Meffer oder Doldye von Obfidian,
welche im einer Scheide aus geflochtenem Graſe ſtecken. Dieje
wird am linfen Oberarın getragen. Faſt Jedermann trägt
über der Schulter eine Heine hübſche eiferne Art mit einem
gebogenen Stiele aus hartem Holz.
Der Handelsverlehr zwifchen den Eingeborenen und dem
„Challenger“ geftaltete ſich lebhaft. Einige der erfteren wag-
10
74
ten ſich an Bord, blieben aber jehr ſchüchtern. Dieſe Leute
find ofienbar dann und wann von Handelsleuten aus den
Doluffen befucht worden, denn fie hatten cine größere Menge
Berlmntterjchalen in Pädden gefammelt und wußten den
Werth der Waaren recht gut zu ſchätzen. Alle Weißen hat:
ten ſich der Borficht wegen mit Revolvern bewaffnet, die
Eingeborenen aber zeigten ihr Vertrauen dadurch, daß fie
nicht bewaffnet erſchienen; man muß jedoch große Vorficht
beobadjten, da das Hleinfte Mißverftändnig mit den Ein»
geborenen Streit erzeugen fan. Auch die Frauen wurden
allmälig dreifter und famen aus den Hlitten hervor. Hübſch
waren fie allerdings nicht, die meiften Leicht mit blauen Yi-
nien tättowirt umd bei manchen war die Büfte mit ſyſtema
tisch angebrachten rund ausgefchnittenen Narben geichmitdt,
Dieſe verurjacht man dadurch, daß man den betveifenden Fleck
mit einem glühend heißen Steine brennt. Sie trugen nur
einen Lendenſchurz von Gras oder Palmblättern, der vorn
und hinten herabhing.
In den Hutten findet man mancherlei Küchengeräthe,
auch einige Fetiſche in Geftalt von Thierfchädeln, die mit
allerlei farben bemalt find. Die großen Näpfe haben manch ⸗
mal einen Durchmeſſer von 2 bis 3 Fuß und find aus einem
Blode ſchweren, harten Rothholzes hevausgearbeitet und jehr
elegant geformt, namentlich find die Hentel ſehr hübſch und
zierlich, manche hat man fiber und über an der Außenfcite
mit Scjnigereien verfehen. Auch die großen Thongefäße und
Kochtöpfe zeigen hübſche Zeichnungen.
Das Dorf ift mit einem Pfahlzaun umgeben. Die Wege
zwifchen den verfchiedenen Hütten find forgfältig mit Korallen:
fand beſtreut und zwiſchen den einzelnen Wohnungen erheben
ſich Dracänen, die Schatten gewähren. Ueberall find junge
Gocosbänme gepflanzt und jorgfältig mit Dornen umzogen,
damit die Schweine ihnen feinen Schaden zufügen können.
Karl v. Neumann's Erpedition nach den Bäreninſeln vor der fibirijchen Hüfte. TIT.
Diefe Infulaner find intelligent genug aber ſehr unruhig,
fie lärmen und fchreien dem fremden dermaßen in das Ohr,
daß es umerträglidh wird. Im Handel und Wandel find fie
ehrlich und aufrichtig und unterfcheiben ſich dadurch vortheil=
hajt von ihren Nachbarn in der Humboldt-Bai,
Eins befonders fiel den Europäern auf; fie fahen nir—
gends Spuren von Gräbern und nachdem fie ermittelt hatten,
welches der Ausdruck für Tod fei, erfundigten fie fi, was
man mit den Abgeſchiedenen anfange. Die Wilden find
außerordentliche Pantomimiften, und wenn num gefragt wurde,
was mit ben Yeibern der Seftorbenen geichehen fei, gaben fie
ganz unzweidentig zu verftehen, daß fie dieſelben in Stücke
gehadt, gelocht und verzehrt hatten. In jedem Dorf
ift eine befondere Hlitte für den öffentlichen Gebrauch. In
derjelben werden bie Fiſchnetze aufbewahrt, auch ficht man in
ihr eine große Anzahl Schädel von Menſchen, Schweinen,
Scildfröten, außerdem dide Büfcel von Menfchenhaaren
und derartige „Zierrathen“, Die Thlirpfoften eines biefer
Hänfer auf BulcanEiland jind fehr forgfältig gefchnigt. Ju
diefen Häufern werben die Menſchenknochen ganz ohne Unter:
ſchied mit denen von geichlachteten Thieren durch einander
geworfen.
Einem ber Offiziere madjten die Eingeborenen fehr deut⸗
lid) vor, wie fie den Menſchenleib zerſchneiden, kochen und
verzehren. Als man ihmen durch Zeichen die Trage vor—
legte, ob fie die weißen Männer wohl verzehren ober
ob fie licher einander auffreſſen möchten, deuteten fie an, daß
fie das eine wie das andere mit dem größten Vergnügen thun
wlirden, aber feltfam genug, als man fie fragte, ob fie einen
Hund verzehren würden, äußerten fie den größten Abjcheu.
Merfwürdig ift ferner, daß diefe Infulaner weder den Ge-
brand) des Tabads noch der Spirituofen lennen.
Karl v. Neumann's Grpedition nad) den Bäreninfeln vor der
fibirifchen Küſte.
111.
Nach zweiltlindiger Fahrt erreichten wir die Infel und fan» | zeugen, perſönlich das nördliche Ufer zu befichtigen. Andrejew
den dort umfere Leute im tiefften Schlafe heiliger Unſchuld
in einer Meinen Bucht, wo fie mit vollfonmener Seelenruhe
ihren Bolog aufgeftellt hatten, wohlbehalten auf. Ich wedte
die Schläfer eben nicht allzuzart aus ihrer Sorglofigfeit auf,
konnte aber meinen Ernſt faum bewahren, als auf das Vor-
halten ihres fatalen Ungehorfams mir die dumme Antwort
zu Theil wurde : da fie mich nicht gleich am der verabrebeten
Stelle gefunden, feien fie hierher gefommen und hätten be—
ſchloſſen ruhig zu warten; fie wlßten ja, daß ic; nirgends
anders bleiben fonnte und Über furz ober lang ſchon wieber
zu ihnen ftoßen würde! Was follte ich mit ſolchen Yeuten
anfangen, id) regalirte fie mit einigen wohlverdienten Ehren»
titeln und fegte mich daun zu einer fingalen Mahlzeit nieder.
Aufder vierten Infel erheben ſich zwei längliche Berge;
in der Bucht war viel Treibholz vorhanden. Obwohl ic)
im Boraus an der Eriftenz der von Andrejew befchriebenen,
angeblid; auf einem Otyriadyſch, einem aus bem Meere
unweit des Ufers hervorragenden Felfen, befindlichen Feſtung
gegründete Zweifel hegte, fo fonnte id) - nicht umhin, um
mich von den Phantafiegebilden dieſes
eifenden zu übers | ich die flinfte Inſel, deren weftliches, auf ber
liefert befanntlic, eine für feine rege Einbildungefraft zeus
gende, detaillirte Beſchreibung dieſes fünftlichen Feſtungobaues,
deſſen Yänge er auf 4'/,, deſſen Breite auf 3 Faden angiebt,
und ſchließt fein betveffendes Phantafieproduct mit folgenden
Borten: „Man muß geftchen, daß diefer Bau auf einer jo
hohen und engen Steinbanf nur mit Aufwand großer Mühe
kann errichtet worden fein; die Ruſſen haben ihn nicht errich⸗
tet, wer es aber gethan, das ift nicht zu erfahren.“ Und in
der That wird ſchwerlich Jemand etwas darüber in Erfah-
rung bringen, bemmesift Alles reine Erfindung, die ganze
mweitläufige Erzählung von Anfang bis zu Ende erlogen.
Ürangel fuchte lange vergeblich nad) jenem Otyriadyſch und
meinte endlich, derjelbe befinde fich von Eioſchollen bededt
unter Waffer. Es giebt überhaupt keinen weichen Stein auf
dem ganzen nörblichen Ufer, die niedrige Infel befteht ganz
aus hartem Granit und Dammerde. Auf der Südfpige der-
felben fand ich mehrere Mammuthknochen und Zähne,
von denen ich aber, da fie ſtark eingefroren waren, nur Meine
Stlide abhauen konnte. Noch am nämlichen m.
angel’
Karl v. Neumann's Erpedition nad den Bäreninfeln vor der fibirifchen Küſte. TIL
ſchen Karte meiner Anficht mach falſch verzeichnetes Ufer ich
abnahm, und dann begaben wir uns Abends auf die legte und
zweifellos intereffantefte Infel diefer Gruppe, die wir, bei | in den Händen eines Kofaden.
günftiger Witterung, auf dem glattgefrorenen Meere bald
erreichten und wo ich, zur Erholung der ermatteten Hunde,
einen ganzen Tag zu raften beſchloß.
Die ſechſte oder Vierfäuleninfel, von Wrangel
nad) den vier weithin fidtbaren, granitnen (?) Felſenſäulen
fo benannt, ift Heiner als die Kreuz⸗ (erfte) und die vierte
Infel, größer als die drei UÜbrigen; fie hat die Geftalt einer
auf dem Waſſer figenden Ente und kann als doppelt ange
fehen werden, wenn der niedrige Iſthmus, welcher den Kopf
diefer fteinernen Ente mit dem Rumpfe verbindet, vom Waf-
jer überfluthet wird. Die geologiſche Formation des Kopfes,
dunfeler Schiefer mit Quarzadern, ift gänzlich verſchieden von
der det Rumpfes, die hauptſächlich aus Gneis und Granit (?)
befteht. Beſonders intereffant war mir der Kopf diefer In-
jel; es befinden ſich dort eine Menge Bärenlager in einer
Entfernung von 80 zu 80 Schritten und der ganze, gegen
10 Faden hohe und etwa 5 Werft im Umfange breite Felſen ift
riuge mit Millionen von Bogelneftern belebt. Die kleinen
Nefterbewohner, Pleetrophanus nivalis, welche bereits durch
fröhliches Zwitichern den herannahenden Frühling begrlißten,
find cchte Rinder des Nordens, fie fiedeln ſich im Eismeer
felber an; überall finden fie es leicht zu Heiß und während
der Zugzeit begeben fie ſich nur wenig weiter nad) Süden.
Tas Wetter begünftigte mich bier fchr, die Luft war unge⸗
mein ar, der Himmel wolfenlos; id) konnte in Folge deſſen
gut die Breite der Juſel beſtimmen und beftieg dann, mit
einem aunögezeichneten Frauenhofer verjehen, ben Berg, um
die Gegend genauer in Angenjchein zu nehmen. Es fehlten
gerade m 3 Tage an 107 Jahren, daß auf derfelben Stelle
Andrejew ftand und Folgendes nieberzufchreiben geruhte:
„Und wir beftiegen den Gipfel des Berges und blidten und
nah allen Seiten um. Gen Mittag gewahrt man dem
Golewenit· Stein, der unferer Meinung nad) nichts anderes
fein lann als der Kowym'ſche Stein; links im öſtlicher Ric)
tung, faum erfennbar, zeigt ſich in der Ferne ein blauer oder
ſchwarzer Flecken: ob das eine offene Stelle im Meere oder
Land iſt lann ich Leider micht mit Beftimmtheit angeben.“ Nun,
ich hielt meine Umſchau beim klarſten Wetter miteinem trefflichen
dretzölligen Fernrohr und fah ſehr deutlich: im Süden das
ganze Ufer von Sudyarino bis zum Tſchaunſchen Bufen, im
Hintergrumde die von Wrangel erwähnten weißen Berge; im
Beten dieübrigen Infeln und das Ufer vom Großen Tjcyuktjchen«
vorgebirge biß zum Serenzcap; im Norden breitete fich ber
Horizomt frei im weiter Ferne vor und aus ohne jegliche
Spur einer offenen Meeresftelle, hin und wieder von unge
heuren Mafien von Eiswänden unterbrochen; im Often eben-
falls die endlofe, mit dem fchneeigen Leichentuche bededte
Fläche des Eismeers mit ihren Eiswällen. Das Mleinfte
Stüddjen Yand hätte, bei der wunderbar reinen Yuft und
auf der weiten lichten Ebene, mir nicht entgehen lönnen, es
war aber bein beften Willen feine Spur einer noch fo klei—
nen Inſel zu entdeden. Andrejew hat eben wieder einmal
munter gelogen und Petermanu in feiner befannten teefflichen
Zeitſchrift hätte es ſich füglich erfparen können, Wrangel,
den man den gewiſſenhafteſten Forſchern aller Zeiten zuzählen
darf, deswegen zu tadeln, weil er den Andrejew'fchen Schwin⸗
deleien nicht durchweg blindlings folgte,
Ich kehrte nun, während einige meiner Leute, und zwar
einer derjelben mit meiner Büchje bewaflnet, Värenlagern
nachſpürten, zu meinen magnetischen Beobachtungen zurlid.
Kaum Hatte ich mich aber umter den Polog begeben und mein
Inftrument aufgeftellt als der Ruf erſcholl: „Ein Bär,
Herr!“ Raſch ſprang ich auf und füchte mach einer Flinte,
75
| e8 waren aber, der Beobachtung wegen, alle eifernen Sachen
aus dem Zelte entfernt worden, nur ein Stugen befand fich
Ic) ftürgte waffenlos aus
dem Zelte und fah meine Leute in großer Angft und Beſilir—
zung. Der flintenbewaffnete Hojad legte fein Gewehr eben
‚ auf den Bären au, aber id) jah gleich, daß er ihn verjehlen
würbe; der Maun war fo in Angft, da der Etugen in fei-
nen Händen hin und her ſchwankte wie ein Fernrohr auf
dem Dede eines Schiffes im Sturm. Der Bär riidte unter:
deſſen, ohne der angebundenen Humbde zu achten, mit großer
Gemtithöruhe heran, da, auf eine Entfernung von 30 Schritt,
ſchoß der Koſack ab und — natlirlic) weit iiber das Thier hine
weg. Einen Augenblick ſtutzte der Bär und unterdeſſen fand
ich glüclicherweife einen Revolver und ein Meſſer auf und
konnte mit letzterm bie Hunde losbinden; gleichzeitig befahl
ich, den Leuten, die Stangen und Yanzen (fogenannte Balnıen,
eine Urt fpiegartiger Meſſer, die auf einer Stange befeftigt
find), welche zum Aufftellen des Zeltes beuutzt werden, zur
Hand zu nehmen. Anfangs griffen die Hunde tapfer an,
bald aber wurde ihnen die Sache doch zu ungentüthlicd, und
fie fanden es gerathener, fic hinter meine Perſon ſchutzſuchend
zu verkriechen. Meine Leute verloren ebenfalls den Kopf.
Ich meinerfeits Hatte freilich) im früheren Zeiten ſchon mans
chen Strauß mit den ſchwarzen Bären ausgefochten, bod)
waren mir die Manieren des weißen noch völlig fremd und
in der That zeigten bdiefelben ſich ziemlich verſchieden von
denen Michail Fwanowitſch's (fo bezeichnet der Vollsmund
ben ſchwarzen Bären, ber Eisbär wird Michail Jegorowitſch
genannt). Letzterer wibmet feine ganze Anfmerkfanteit den
Hunden, wenn biefe, zur Jagd dreffirt, ih tapfer zu Yeibe
gehen, und ift alsdann fiir den Däger nicht gefährlich; find
aber die Hunde auf den Kampf mit ihm micht dreffirt, jo
bejchäftigt er ſich nur mit den Menſchen und ift dabei um
fo gefährlicher, als er den ſchwarzen an Kraft übertrifft. So
geſchah es auch jegt: nicht fobald hatte ev wahrgenommen,
daß die Hunde ihm feinen Schaden anthun würden, als er
ſich mit der größten Ruhe gegen mich wendete. Meine Yage
war fritifch: entweder mußte ich mich entichließen, die Flucht
zu ergreifen und dann hing alles von der Schnelligkeit mei—
ner Füße ab, wobei es leicht gefchehen konnte, daß der Bär
mich dennoch und dazu von hinten wehrlos erwifchte oder id)
mußte mein Heil im Revolver ſuchen. Ich wählte letzteres.
Auf 20 Schritt ungefähr driidte ich ab, die Kugel traf in
den Hals und fnurrend erhob ſich Miſchta auf die Hinter
füge. Noch dreimal ſchoß ich meine Waffe ab und zog mid)
dann einige Schritte langjam zuriid, Da reichte mir der
zum Gefolge gehörige Bauer Jakob Schlarin von hinten
eine Lanze zu und gleichzeitig griff von dem übrigen nunmehr
auch losgebundenen Hunden einer den Bären fed an, Ins
zwifchen war das withende Thier dicht an mid) herangefommen
und ic) konnte nich einer perfönlichen Auseinanderfegung mit
ihm nicht entziehen, Noch zwei Sugeln fandte ich auf mei—
nen Öeguer ab und fie verfehlten ihr Ziel cben jo wenig
wie ihre Vorgänger; wie ſich nachträglich erwies, hatten alle
meine Schlifje gut getroffen, Michail Jegorowitſch war tödt-
lid, verwundet und am Ende feiner Kräfte und ſank auf mei-
nen erften Panzenftoß zu Boden; er verendete auf der Stelle.
Die feigen Hunde fielen nun wäthend über ben gefallenen
Feind her und meine Memmen von Leuten drängten ſich
ebenfalls glückwünſchend heran. Beim Auswerden fanden
wir im Magen des Thieres eine noch ganz friiche Robbe.
Id) bemerte hier noch, daß die Hunde gefrorenes Bärenfleiſch
jehe gern efien, warn dagegen rlipren fie e8 nicht an; man
tann mit dem Fleiſche eines erwachſenen Bären ein Dutzend
Hunde eine ganze Woche lang füttern.
Am folgenden Tage erfticg ich nochmals den Berg, um
10*
76 Karl v. Neumann’s Erpedition nad den Bäreninfeln vor der fibirifchen Küſte. III.
meine magnetifchen Beobachtungen zu wieberholen, und bes |
fuchte dann die auf der füböftlichen Seite der Infel befindlichen
fteinernen Säulen; betreffs letzterer Tann ich nur auf die
Beſchreibung Wrangel's verweifen, weldyer diefes eigenthüm—
liche Naturgebilb ebenfo genau wie treffend geſchildert hat.
Die größte Säule hat, nady feiner Angabe, eine Höhe von
48 Fuß und einen Umfang (an der Bafis) von 91 Fuß,
nad) oben zu wird fie jchmäler; die eine Säule fteht verein-
zelt auf der öftlichen Spige der Infel, die anderen drei, die
wohl einft zu einem einzigen großen Felſen gehörten, bilden
eine Gruppe für fi. Nach diefen Säulen gab Wrangel
biefer ſecheten Infel den befannten Namen, während die erjte
mit dem Namen Kreuzinſel bezeichnet wurde. Die ganze
Gruppe aber belegte der Oberft Plenisnew im Jahre 1763
nach den vielen Bärenſpuren, die ſich auf derjelben finden,
mit dem Namen der Büreninfeln.
Nachmittags am 22. Aprii verlieh id) die BVierfäulens
infel, um im gerader Yinie auf das große Baranowy- Bors
gebirge oder, wie die Eingeborenen fagen, den Baranoiy-Stein
loszufahren. Nadjdem wir ungefähr 60 Werft zurlidgelegt
hatten, ließ id) halten und Thee lochen. Es giebt in diefen
Breiten zu diefer Yahreszeit, wo die Sonne nur auf ein paar
Stunden vom Horizont verſchwindet, fait feine Nacht; wir
blieben bis zum Aufgang der Sonne hier und hatten den
wunderſchönen Anblid einer Yuftjpiegelung Während
im Often der Bodenumriß beftändig feine Form wechſelte,
zeigte ſich unferen überrafchten Bliden in der Yuft ganz deut:
lic; die ſchon weit entfernte Bierfänleninfel und fo täufchend
ähnlich, daß ein Unlundiger glauben mußte fie wirklich vor
fid) zu haben. Die ganze Erſcheinung dauerte ungefähr
10 Minuten und es muß nach meiner Berechnung das
Pieſchtſchany · oder vieleicht Schelagsfi-Borgebirge gewefen
fein. Bald nachdem wir und auf den Weg gemacht hatten,
begeguteten wir wieder einem Eisbären und dieſes Mal erleg—
ten wir ihn gemeinfchaftlid, nach kräftigem Wibderftande ;
meine Leute wetteiferten mit den Hunden, ihre geftrige Feig—
heit vergeflen zu machen; einer meiner Leute erhielt eine
leichte Schramme und ein Hund wurde ſchwer verwundet.
Während des gegen zwei Stunden dauernden Ausweidens
bes erbeuteten Thieres ſchlug das Wetter plöglic um; heu—
lend erhob fid, der Sturm umd das Schneegeſtöber fing fein
altes Spiel wieder an. Die bis jetzt deutlich fichtbaren
DVaranoroy: Felfen verſchwanden unferen Bliden und obendrein
verſperrte uns ein hoher umd langer Eiswall den Weg; das
Hinliberfchaffen der Schlitten und Hunde über die ungeheueren
Eisblöcle nahm ganze ſechs Stunden in Anſpruch. Endlich
waren twir glüclidh hinliber und hatten, jo viel man bei dem
ftarten Schneeſturm wahrnehmen fonnte, eine ziemlich glatte
Fläche vor une. Als wir Über diefelbe ungefähr 15 Werft
weit raſch dahingeglitten waren, gelangten wir an eine große
Spalte, die wir nicht ohne bedeutende Gefahr paffixten, Am
25. Härte fid) das Wetter wieder auf und id) fonnte noch
einige Beobachtungen anftellen,
Tas große Baranomwy-Borgebirge beficht aus zwei
faft parallel ſich erhebenden Felſen, aus der Ferne gejchen
hat es die Geftalt eines flachen Berges, auf weldem ein nie»
driges Zelt aufgeftellt zu fein fcheint. Der weftliche von
dieſen Felsbergen beftcht aus weißen Granit, der öftliche dar
gegen ans ſchwarz-blauent Schiefer. Auf dem erften Berge
nimmt man verfdjiedene ans ifolirten Granitblöden gebildete
Seftalten wahr, wie ſich dergleichen Uberall amı Eismeer, wo
das Ufer aus Granit beftcht, vorfinden; diefelben werden,
gleich) den oben erwähnten Säulen der festen Bäreninfel,
mit dem Namen Kelury bezeichnet. Mit ein wenig han:
tajie lann man umter diefen Kelury des Baranoımy + Bor«
gebirges die Formen einer Schloßruine, einer figenden Frau,
eines veitenden Ritters mit einem Helm auf bem Kopf u. ſ. w.
erbliden.
Ich beftieg die Höhe des Berges um mod) einem Blick
auf das Eismeer zu werfen und ergögte mid, lange Zeit an
diefer wilden und im ihrer Art fchönen Yandfdaft. Der
Sturm hatte ſich gelegt, alle Spalten hatte der Froſt ge:
ſchloſſen und vor meinen Augen dehnte fich eine unüberſeh ⸗
bare glatte Fläche aus, in ihrer Einförmigleit nur unter:
brochen von büfteren Felſen, über welche ungeheuere Eieblöde
ihre weithin glänzenden Spigen emporheben. Nirgends eine
Spur von Menfchen, die Natur jelbft ſcheint ihre ſchöpfe
riſche Kraft Hier eingeblißt zu haben, nur während ber Furzen
Sommerperiode wird diefe öde Wüfte von Kenthiecherden
umd einzelnen Zügen von Gänfen belebt, Wehmuth und
Traurigfeit erwedt der Anblid des Eismerrs umwillfitclich
im der Secle des Beſchauers; meine Gedanken ſchweiften weit:
hin nad) den blühenden Gejtaden des Mittelmeeres, die ich
vor zehn Jahren befucht hatte: dort überall reiches Yeben,
hier — das Neid) des Todes.
Am folgenden Tage begab ich mich zu dem Meinen Bar
ranowi⸗Felſen; beide Borgebirge verdanken ihren Namen den
hier in Menge vorfommenden wilden Schafen; zwifchen bei-
den befindet fich der fogenaunte Otpriadyſch, deſſen Höhe
1822 von Wrangel gemefjen und auf 30 Fuß angegeben
wurde. Dabei verfuhr Wrangel mit Rüdjicht darauf, daf
das Ufer des Eismeers fid) allmälig heben könnte und um
künftigen Forſchern einen ſichern Maßſtab zu bieten, mit
großer Genauigleit. Ich folgte feinem Beifpiel und erhielt,
jowohl durch trigomometrifche wie auch durch ganz einfache
vermittelft einer Schnur vorgenommene Meffungen, das inter:
effante Reſultat, daß der Otpriadyſch gegemwärtig gerade
38"/, Fuß hod) ift. Man darf daraus ſchließen, daß ent:
weder das Meer vom Ufer zuritdgetreten ift, ober daß
legteres an dieſer Stelle ſich gehoben hat; liber diefe Erfchei-
nung habe ich aus den Mitiheilungen der Seefahrer des voris
gen wie unferes Jahrhunderts beachtenswerthe Notizen gefam-
melt, deren Bearbeitung ich mir flir eine andere Gelegenheit
vorbehalte. Am folgenden Tage erreichten wir Sudarino
am rechten Ufer der Solyma. Zehn Werft nördlich davon
erhebt ſich ein alter hölzerner Leuchtthurm, welchen Dmitrij
Laptew im Jahre 1739, um kühnen Seefahrern den Ein-
gaug in die Kolyma zu weilen, erbaute; diefer Zeuge des
unternehmenden adhtzehmten Jahrhunderts hat ſich leider ſchon
ein wenig auf die Seite gelegt, wird aber wohl noch längere
Zeit, zum rühmlichen Andenken feines Erbauers, dem Zahne
der Zeit widerfichen. Sechs Werft oberhalb Sucharino
fieht man die Trümmer eines ziemlich großen Haufes, vom
Volle ale Caferne des Schalaurow bezeichnet ; hier ſoll diefer
fühne Daun in den Jahren 1761 bis 1762 den Winter
verbracht haben.
Die Ueberfahrt von Meinen Baranowy hatte die Hunde
völlig ermüdet, da das Eismeer und zum Abfchiede noch mit
einem feiner unerquidlichiten Reize: dem „Roffol*, trac
tirte. Mit dem Namen Rofiol (eine in Rußland fehr be:
liebte Salatmiſchung) bezeichnet man hier das ausgewitterte
oder ausgefrorene Meerſalz, welches, das Eis bededend, das
Fortlommen fehe erfchwert. Die Hunde bekommen davon
ſchlimme Füße, von den Schlittenfufen wird die diinne Eis—
frufte, „der Wojd“, abgerieben (boudams- woidatj heißt
die Schlittenfufen mit Wafjer begieen), Bei großen {röften
bildet fich am dem Hufen eime glatte Eisfrufte, was eben fo
ſehr zu ihrer Erhaltung wie zum leichten Fortgleiten der
Schlitten beiträgt.
Aus Sucharino begaben wir ums durch Kabatſchlowo
und die oben erwähnte Grenze des Hochwaldes nad) Bododet
Von den Fidſchi-Inſeln. 77
und Koretowo, an allen biefen Orten gelang e8 mir Beob-
achtungen zu machen,
Am 29. April, nachdem fon Tags zuvor Thauwetter
eingetreten war, langten wir in Niſchnij-Kolyms!k wieder
an, von ben Einwohnern als Yeute empfangen, an deren
Wiederfommen man verzweifelt hatte. Meine Expedition
hatte diefes Mal ihren Zwed völlig erreicht: ich habe die
Beobachtungen, welche vor fünfzig, hundert und mehr Jahren
Wrangel, Billing, Yaptew und Schalaurow angeftellt, au
den nämlichen Stellen wiederholt und verificirt; ic hoffe,
daß die von mir erzielten Ergebniſſe für die Wiſſenſchaft nicht
ganz ohne Nugen fein werden, und im ſolchem Kalle wird die
Erinnerung an alle Überftandenen Drangfale und Gefahren
mir lieb und werth bleiben.
Bon den Fidſchi-Inſeln.
Heimſuchung durd die Majern.
Die Fidſchi-Juſeln find belauntlich durch die Maſern
ſchwer heinigeſucht worden und den Berichten aus Levula
aus der legten Hälfte des April zufolge find mehr als 20,000
Menjchen in wenigen Wochen der verderblichen Seuche er»
legen.
Belanntlich hat König Kalobau, nachdem er fein Meich
an die Engländer abgetreten, zu Ende des vorigen Jahres
Syduey in Neuſüdwales befucht und dort eine ehrenvolle
Aufnahme gefunden. Wir haben feinen Aufenthalt dafelbft
ausführlid, gejchildert („Slobrs* Band XXVIL, ©. 222).
As Kalobau mit dem Dampfer Dido, begleitet von zweien
feiner. Söhne und zahlreichem Gefolge, in Sydney eintraf,
wütheten dort die Mafern und die fämmtlichen Fidſchi -In—
ſulaner wurden, allerdings nur leicht, von der Krankheit
ergriffen.
Der König lam mit feinem Gefolge am 15. Januar
nach Yevufa, der gegenwärtigen Hauptſtadt ber Fidjchi-Infeln,
zurüd. Niemand ſchien noch an der Krankheit zu leiden,
aber es war jedenfalls ein Fehler, die Regierung nicht zu
benadjrichtigen, daß Kranke an Bord gewefen feien. Co
jand dann ungehinderte Berbindung zwifchen dem Dampfer
und den Penten vom Yande ftatt. Viele Perfonen lamen
. Bord und die Reifenden wurden ohne jeden Anjtand ges
ndet.
Kalobau begab jich nach feinem Yandfige, wo fein Brus
der Ratu ‚Savanaca, ein höchſt intelligenter Mann, ihn
empfing. Dort befand ſich auch Ratu Abel, fein ältefter
Sohn, und feine Gemahlin Lydia. Die Freude über bie
Küdkehr des Königs war groß, von allen Seiten bradıte
man Schweine, Hühner, Wäljchhühner, Enten, Fifche, Ges
milſe und Früchte, und dann fand das fur die Fidfcht-Infus
laner fo charalteriſtiſche Meti Meli ftatt, ein fröhliches
Feſt, wobei viel getanzt und gefungen wird, Zwei Tage
fpäter begab ſich Kakobau dann mach feiner Kefidenz in
Bau und auch dort war alles munter und froh.
Aber faum war eine Woche vergangen, als von allen
Seiten her Jammer und Wehllagen ſich erhoben, Hunderte
und aber Hunderte von Yeuten nach allen Richtungen Hin
waren von der Seuche ergriffen, von der man bis dahin auf
dem Archipel auch nicht das Gheringfte gewußt hatte. Zuerft
wurden die Häuptlinge von ber Krankheit heimgefucht und
fie ftarben einer nad) dem andern dahin. Bon jenen Tage
an ift diejes Vanug Yevu eigentlich nur ein großes Yeichen-
hans gewejen, die Yeute find hinweg geftorben, wie liegen.
Als die Krankheit fich mehr und mehr verbreitete, wurden
alle Segenmittel getroffen um dem Fortgang zu hemmen,
aber alles war vergeblich. Die öffentlichen Gebäude wur:
den in Spitäler verwandelt und waren bald mit Kranken
und Sterbenden überfüllt, In Levula wurde bie alte wes—
leyauiſche Capelle als Kranlenhaus benugt, in Totuna das
Polizeigebäude. Die Colonialregierung und die anweſenden
Aerzte waren unermüdlich, der Krankheit Einhalt zu thun,
aber fie waren nicht im Stande zu helfen, denn die Einge—
borenen wurden von dem fcredlichen Wahn ergriffen, daß
jest, da die Bapalagi (d. h die Engländer) im Befite
ihres Yandes feien, fie nun darnach trachteten, die Inſu—
laner auszutilgen. Es war vielfady unmöglid) den Wahn
zu zerftreuen, daß man den König eigens zu dem Swede
u Sydney geſchafft habe, um dort das verderbliche Gift
zu holen und mit bemfelben das ganze Bolf dem Untergange
zu weihen. Kranle Männer und Frauen fahen einander
ruhig ins Geficht, überzeugt, daß ein umerbittliches Schid-
fal über fie fommen werde und fie ſprachen ruhig: Ich
werde num fterben, und dann fegten fie ſich nieder und
verendeten. Wer einem Fidſchimann fagte, er ſehe Fränflid)
aus, war ficher, daf der Mann nad) furzer Zeit dem Tode
verfallen fein werde,
Abergläubifche Furcht fpielte bei diefem Janmer eine
große Rolle. Hier ein Beifpiel. Sechs gefunde Männer
befuchten eine Pflanzung auf Biti Levu und fpradyen mit
einem dort arbeitenden Dann aus Tonga (den Freundidafts-
infeln). Diefer äußerte‘, daß alle auf der Pflanzung bejchäf-
tigten Fidſchianer Sa Mate wären, d. h. fterbensfranf.
Er fagte aber auch den Sechſen: „Ihr fehet frank ang.“
Sofort wurden dieſe von einem Schauder ergriffen. Sie
zogen ſich im eime Hütte zurüc, zwei waren am andern
Morgen todt, zwei andere am dritten Tage, und am Abend
des legten war feiner von den Sechfen mehr übrig!
Schlimm genug, daß den Yenten mit ärztlicher Hilfe
gar nicht beizulommen war. Sobald die Mafern erſchienen
wurde dem Kranken gerathen ruhig in feiner Wohnung zu
bleiben, Kälte und Regen zu vermeiden und unbedingt Fein
Bad zu nehmen; aber auf diefen Rath hörten fie nie, fon-
dern fie liefen in der falten Yuft umher und fprangen in
den nächften Fluß, um das Fieber los zu werden, ler:
dings wurden fie daffelbe los — durch den Tod,
Unter den Geftorbenen find die angefchenften Häupt-
linge, welche die Abtretungsurlunde unterzeichnet haben, auch
der ſchon erwähnte Sa Wenata, der ſich ftets als einen
treuen Freund der Weißen erwiefen hatte. Er war ein
Mann von klarem Berftande und Eingeborene wie Anfiedler
bedauern fein Hinſcheiden. Er ftarb mit großem Gleichmuth,
ohne irgend einen Seufzer oder cine Wehllage. Weiße
Männer haben ihn zu Grabe getragen und die Eingeborenen
liber demfelben eine mächtige Pyramide aufgehäuft. Seit—
dem find noch fünf andere der angejehenften Hänptlinge
der Seuche erlegen. Die Juſel Ualao ijt eine der Heinften
in der Gruppe; hier find Über 600 Menſchen zur Erbe bes
78
ftattet worden und noch jegt (am 28. April) fommen Todes- |
fälle vor. Auch find die Weißen nicht verfchont geblieben,
namentlic, viele Kinder von den Mafern ergriffen worden.
Die Sterblichkeit blieb aber nicht auf diefe Anfel ber
ſchränkt, fondern hat ſich mit entjeglicher Schnelligkeit über
alle anderen Eilande verbreitet. Im Gebirge auf Biti Levu
und Banpa Levu find ganze Stämme dahingerafit worden,
Auf den Windwarbinfeln ift die Sterblicjfeit groß und wenn
die Seuche ausgewüthet haben wird, find gewiß zwei Drittel |
der Eingeborenen erlegen. Bis in die dritte Aprilwoche be= |
lief fic) die Zahl der Todten auf mindeſtens 20,000,
Unglüdlicher Weife ift die Krankheit im die ſchlechteſte
Jahreszeit gefallen. König Kafobau fam im Januar von
Sydney zur, zu Anfang der fogenannten Orcanzeit, der
ſchlimmſten im ganzen Jahre. Sie reicht vom Januar bis
März und ift gerade in biefem Jahre ungewöhnlich ftreng
geweſen. Gleich zu Anfang zog ein firchterliches Sturm
gewitter über die Infeln dahin und der Regen ftrömte Tage:
lang ununterbrochen aus den Wolfen herab. Bon da an |
bis zu Ende März haben die Eilande auch nicht einen ein« |
zigen fchönen Tag gejehen, und bie älteften Einwohner cre
flären, daß fie einer fo entfeglichen Dahreszeit ſich nicht
erinnern. Gewiß ift, daß feit nun 16 Jahren fein ſolches
Wetter erlebt wurde, und daſſelbe ift für die franfen Leute
entſetzlich verhängnigvoll geworden.
Zu Ende April nahmen die Dinge einen glinftigern
Verlauf. Die Pflanzer und Anfiedler fonnten wieder an
ihre Arbeit gehen, die Seuche hatte nachgelaffen, und man
hoffte, daß fie nad) Eintritt des beffern Wetters endlich er»
löfchen werde,
Wir wollen hier einige Bemerkungen über bie wirth-
fchaftlichen Berhäftniffe ber Fidſchi-Inſeln beifügen. Der
AZuderbau ift nod) in feinen Anfängen, aber feine andere
Region der Erbe ift glnftiger fiir die Erzeugung bes wich:
tigen Products. Sobald Gapitalien in Menge herbeiftrömen,
werden die FidichirInfeln für den Zuckerbau mindeftens fo
beträchtlic, werden wie Weitindien. Manche Infeln, z. B. Biti
Levu und Banıa Yevu, haben einen größere Flächeninhalt
ald Mauritius und als die größten Zudereilande auf den
Antillen. Der Anbau von Baumwolle auf Sca Island ift
Aus allen Erdtheilen.
wegen der niedrigen Vreiſe während der drei legten Jahre
zurücgegangen, dafür aber gewinnt der Maisban eine
große Ausdehnung. Der Mais findet im Nenfeeland und
Nencaledonien ſiets willige Abnehmer und der Ertrag ift jo
reich, daß der Ader 30 bis TO Buſchels ausgiebt und man
erntet in 14 Monaten dreimal. Gegenwärtig wird dieſer
' Zweig des Aderbaues noch ſehr primitiv mit der Hade betrie⸗
ben, doc; find neuerdings Pflüge, Pferde und Ochſen einges
führt worden. Auch die Cocosnüfle find von großer Bedeu⸗
tung für die Inſeln. Man pflanzt in jedem Jahre eine
große Menge von Cocospalmen, die freilich vier bis ſechs
Jahr gebrauchen, ehe fie Früchte geben. Auf den Ader Yand
entfallen durchſchnittlich BO Bäume, Kaffeepflanzungen find
gleichfalls angelegt worden.
Was den fogenaunten Arbeitömarft anbetrifft, fo
nehmen die Dinge gegenwärtig einen glatten Verlauf und
von Menjchendiebitahl ift feine Rede mehr, Biele der auf
anderen Züidfeeinfeln angenommenen Arbeiter find nad) Ablauf
ihres Contractes in ihre Heimath zurüdgeichidt worden, an:
dere bleiben, namentlich auf den noch vorhandenen Baum—
wollenpfantagen. Diefe Kulis befinden ſich fehr wohl. Ihre
' Arbeit iſt nicht allzubeſchwerlich und fie haben Nahrung im
Ueberfluß: Gamaras, jühe Kartoffeln, Yams, Bananen,
Brotfruchte, Fiſche fo viel fie mögen, dann aud) halten fie
Hühner und Schweine, während auf den neuen Hebriden und
der Salomonsgruppe eine ſolche Fülle von Nahrungsmitteln
nicht vorhanden iſt. So fommt es, daß die Kulis wohl«
enährt und wohlauf find umd gern und gut arbeiten.
erhvürdiger Weife Haben diefe fremden Kulis nicht
von den Mafern gelitten, wahrſcheinlich deshalb, weil
fie von ihren europätichen Arbeitgebern unter ſtrenger Auf:
ſicht gehalten wurden.
Insgemein wird die weiße Bevölferung des Fidſchi—
Archipelagus auf 2000 Köpfe geihägt. Einem Correſpon ⸗
denten der „Times“ zufolge ift diefe Zahl zu hoch gegriffen,
derfelbe nimmt ale Marimum 1200 an. Kbenfo ift er der
Meinung, daß die bisherige Annahme von 150,000 Seelen
für die eingeborene Bevölferung Übertrieben fei. Er ſchätzt
dieſelbe auf höchſtens 80,000 bis 90,000, von denen jegt,
nachdem die Seuche fo arg gewüthet hat, 60,000 bis 70,000
am Yeben fein werden.
Aus allen Erdtheilen.
Das Deutfhrhum in der ehemaligen Militärgrenze.
Man ſchreibt aus Neuiag: Seit einiger Zeit vollzieht
fih unter unſeren Mugen faft unbemerkt uud doch ſehr |
beadhtenswerth eine Art Völkerwanderung im Kleinen. Seit
Einführung der neuen Öbrenzorganifation hörten die joge:
nannten Örenzgemeinden auf, geſetzliche Verbindlichkeit zu
haben und die Grenzfamilien können die bisher beftandene
Hans: und Giltergemeinichaft anfbeben und das bisher ge
meinschaftliche Gut unter einander theilen. Dadurch wird
aber der Grundbeſitz zeriplittert, jo daft derfelbe bei der be: |
kannten Arbeitsunluſt des Terbiichen Stammes nicht mehr
genügt, feine Eigenthümer zu ernähren. Es finden daher
majienbafte Answanderungen von ſyrmiſchen Örenzerfantilien
in das Fürſtenthum Serbien ftatt und umgefchrt wandern |
aus der Bacska und aus dem Banate Deutſche nach Syrmien
ſeiner deutichen Mitbitrger repräfentirt werden wird, und
in das Grenzgebiet ein, wo die Grenzverpflichtungen nur och
formell beſtehen. Täglich ziehen Karawanen folcher deutlicher
; Einwanderer über die Donau, wo fie in den Grenzdörfern
ſich eine nene Heimftätte bereiten. Dort finden fie nicht allein
den fruchtbariten, ſondern aud den wohlfeiliten Boden, da
die auswanderungsluſtigen Serben ihren Grundbeſitz fait um
jeden Preis verlaufen. Während in der Baesla guter Grund
nicht umter 500 Gulden per Joch zu haben ift, iſt chen fo
guter Aderboden in Syrmien mm 20 Gulden zu kaufen, es
ift daher wahricheinlich,, daß die deutichen Anjiedelungen ſich
ralch vermehren werden, und daß der größte Theil des
ı Grundbelites Ichon in wenig Jabren von ſlaviſchen
in dentiche Hände übergegangen fein wird, wie dies
in der Bacska factiſch der Fall iſt. Wie fehr aber das deutiche
Element im Allgemeinen raſch an Zahl zunimmt, davon haben
wir bei uns und im mächiter Nähe überraſchende Beweiſe.
So ift alle Ansficht vorhanden, daß Neuſatz anf dem nächiten
Reichstage zum erften Male fett feinem Beſtehen von einem
ebenio haben dic Deutichen in Groß Beeslerel, einem noch vor
Aus allen Erbtheilen. 79
lurzer Zeit als urſerbiſch betrachteten Orte, alle Hoffnung,
— einen Deutſchen als ihren Vertreter in den Reichstag
zu bringen. Selbſt in Vancſova vermehrt ſich der junge
Nachwuchs der Dentichen viel bedeutender als jener der Ser:
ben, jo daß man mit Gewißheit darauf rechnen fan, daß in
längftens 10 Jabren ſchon die Deutichen daſelbſt in der Ma—
jorität ſein werden. _
Eine Hof: und Staatöverfammlung beim König von
Birma,
Dieier Monarch, welcher gegenwärtig in höchſt unlieb—
ſamer Weile viel von fich reden macht, lebt für gewöhnlich
in der innern Burg feiner Hauptſtadt Mandelay. In dieler
Feſtung bält er eine ftarke Leibwache. Das äußere und qrö:
here Fort wird von den Staatsminiitern und deren Beamten
bewohnt. Außerdent balten ſich dort viele Kauflente und Be:
ſucher auf. Der König ift Sehr kurzſichtig und trägt ſtets
Brillen. Bei einem Derbar acht es höchſt einfach zu und
bei Weitem nicht mit ſolchem Bomp wie am den inbilchen
Höfen. Die Halle ift ſehr geräumig, mit hübſchem Schnitz
werk verliehen und ſehr nett verziert. Dem Eingang aegen-
über jteht auf einer Emporbühne ein goldener Seffel und zur
Seite deffelben befindet fich eine Heine vergoldete Thür. Wenn
man die fremden Gefandten ihre Stellung eingenommen ha:
ben — denn Niemand darf eintreten, nachdem fich der König
ichon in der Halle befindet — danı wird die vergoldete Thür
oeöfftet und der Koönig fett ſich auf den goldenen Thronſeſſel,
verbengt fich aber nicht und grünt auch Niemand. Die an:
weienden Birmanen kriechen anf allen Vieren ſobald der Kö—
mig eintritt. Dieler wirft dann einen Blid über die ganze
Halle und redet diejenigen an, mit denen er zu ſprechen
winicht. Mach der Unterhaltung erbebt er fich, grüßt Nie:
mand umd gebt durch diefelbe Thür ab, durch welche er ge:
fommen. Daum erheben fich auch die Anweſenden und der
Derbar bat ein Ende.
Cannibalismus gegen die Mifchlinge in Auftralien.
Vor einigen Tagen erhielten wir eine Zufchrift aus einer
Stadt im Niederſchleſiſchen. Der Briefiteler bemerkte, daß
ein vor ſechszehn Jahren nach Nuftrafien ausgewanderter
Laudsmann auf Beſuch zurüchgekehrt ſei und viel Intereflan:
tes zu erzählen wiſſe. Man halte ibn im Kreiſe feiner alten
Freunde für einen wahrheitslichenden, zuverläffigen Mann,
aber Manches, was er berichte, ericheine doch auffallend;
. 8. daf die Producte der Vermilchung weißer Mäner mit
ihwarzen Frauen von den Eingeborenen getödtet und ver:
iveift würden. Dan eriuche den „Globus“, darüber feine
Meinung zu äußern.
Bir geben gern einige Notizen. Mit dem, was der jett
in der alten Heimath befindliche Auſtralier feinen Fremden
erzählte, hat es feine volle Nichtigkeit; zum Beweiſe geben
wir, von anderen Gewährsmännern abgejeben, eine Zulchrift,
welche T. A. Murray unterm 20. April 1867 an die Anthro—
pologiiche Geſellſchaft zu London gerichtet bat. Sie fteht in
Band VI, 1868, ©. 53 des Journals diefer Gefellichaft.
„Die älteren Schwarzen in den füdlichen Diftricten von
Neufüdwales und wahrſcheinlich überall in der Colonie ha:
ben bis vor nicht gar langer Zeit alle Miſchlingskna—
ben getödtet, fobald diefelben das Alter der Mannbarfeit
erreichten. Im Jahre 1859 batte ich als Beamter Veran—
laſſung, einen merkwürdigen Fall am Murrumbidge River
im Connty Moren zu unterfuchen. Die Schwarzen batten
fih in der Nähe verfammelt und hielten ihre Gorroberis.
Ich bemerkte unter ihnen mebrere Miſchlingsknaben. Dann
zogen fie fich in das einige Meilen entfernte graue Hügel:
land zurüd. Als fie nach einigen Tagen zurüdfamen, war
von dieſen Miſchlingen feine Spur mehr au jchen.
Ein Hirt fagte bei mir eidlich ans, dab er die verbrannten
Leiber derjelben gejeben habe und zwar in einer Umfriedi—
gung, welche die verlammelten Stämme aus Zroeigen um
ihren letzten Lagerplatz geflochten hatten. Dort ſah er elf
brennende Feuer und im jedem einen Menichen. Ich ritt
noch denſelben Abend an Ort und Stelle, um zu fehen, ob
einer oder der andere Miſchling verichont worden fei, ich
fonnte aber keinen einzigen auffinden. Dann fragte ich meh—
rere Schwarze, die ich fannte, was aus jenen geworben fet,
aber feiner wollte Antwort geben.
Am nächſten Tage ritt ich mit einer Anzahl von Polizei:
fenten wieder an Ort und Stelle, um zu unterluchen, wie
und wo der Mord ftattgefunden hätte. Wir fanden eine
vieredige Umfriedigung, welche ganz rob aus Jweigen ge
flochten war, und innerhalb derjelben elf Aichenbaufen. Jeder
derielben entbielt Nette von menſchlichen Knochen. Ich gab
mir alle Mühe, die Sache zu verfolgen, konnte aber feinen
Beweis herbeiſchaffen. Die Schwarzen waren inzwiichen fort:
gezogen und erſt nach etwa zwei Jahren kamen fie wieder
aus dem Gebirge ins Unterland zuriüd.
Diefer Gebrauch, die Milchlinge zu ermorden, erflärt es,
dab man jo felten dergleichen in der Colonie antrifft. Einige
wenige ficht man in der Station der Anfichler, wo fie ald
Perdefnechte oder Schafhiiter verwandt werben, aber ich
habe noch nie einen erwachſenen Miſchling unter den Ein:
geborenen geichen, wohl aber mehrfah Miſchlingsweiber.
Ich forichte nach, weshalb die Schwarzen diefe Knaben ums
Leben bringen, konnte aber weiter nichts ermitteln, als daß
fie Furcht baben, jie möchten als Männer allzu großen Ein:
fluß ausüben.
Veurray berichtet noch Folgendes: Ich babe die Einge:
borenen durchſchnittlich als gutberzige und fanftmüthige Men:
fchen kennen gelernt und jchr oft haben fie den Weißen werth:
volle Dienſte geleiftet, aber ich weiß auch, daß ein Sohn ſei—
nen Bater erichlagen hat, und man nahm diefe Thatiache als
einen Beweis für die Wildheit des Gemüthes der Auftralier.
Die Sache aber verhält fich folgendermaßen: Der auftralifche
Sohn „ſchmilzt keicht in Sorgen“, und wenn er gebrüdten
Semitbes ift, wird er aufgeregt und begebt das, was wir
für Verbrechen halten. Wenn ein angeſehener Mann vom
Feinde erſchlagen wird, fo iſt im ganzen Stamme der Jam:
mer, die Ermiedrigung und Bein ganz anferordentlich und
eben fo groß der Triumph und Jubel des Feindes. Bier in
dem betreffenden Falle war es Biluti der Vater, cin hoch
bejahrter Mann. Er war ftets ein großer Krieger gewejen
und mancher Feind von feiner Hand gefallen. Yet in einer
Fehde hatten die Gegner ibm den Tod gefchworen und einige
Male war er nur mit genauer Noth entkommen. Sein Sohn
Dimuti war ftets ſehr aufmerfiam und freundlich gegen den
alten Mann gewelen und Selber ein hervorragender Krieger
im Stamme. Als nun die Schwähe des Vaters täglich zu:
nahm, war der Sohn in großer Unrube, aber er wollte dem
Feinde den Triumph nicht gönnen, den tapfern Krieger ge
tödtet zu haben, und erichlug ihn deshalb felber. Er wollte
nicht, daß er im die Hände der Feinde fil. Der Stamm
aber übte Wicdervergeltung aus: anf Dimmti wurde eine
große Hebjagd veranftaltet und er wurde gefangen und von
ſämmtlichen Leuten des Stammes geſpeert.“
Bon den Norfolkinfeln.
Derfelbe Dampfer Dido, welcher gegen Ende vorigen Jah:
res den König Kakoban von den Fidichi:Infeln nach Sydney
brachte, ift auch auf der Norfolkinfel gelandet, anf welcher fich
befanntlih die Nachkommen der Meuterer befinden, welche
im Jahre 1739 mit dem Schiffe Bounty nach Tahiti fegelten.
Mehrere derielben nahmen dort Frauen, fuhren mit benfelben
nach den Pitcairninseln, verbrannten die „Bounty“ und blie:
ben viele Jahre auf jenem Eilande, ohne daß man etwas
weiter von ifmen gehört hätte, Allmälig, da ihre Zahl an:
wuchs, wurde ihnen die Pitcairninfel zu Mein und man fie:
delte fie im Jahr 1856 nach der Norfolfinfel über, die früher
80
eine Sträflingsmiederlaffung war. Dort ließen ſie fich 340
Köpfe ftarf nieder, nur einige Wenige blieben auf Pitcairn
zurüd,
Eine merkwürdige Verſon auf den Norfolkinſeln ift der
Caplan Nobbs, angeblih Sohn eines Marquis und einer
Baroneffe. Nac einer romantiſchen Laufbahn in den jüd-
amerifantichen Kriegen ging er 1828 nach Pitcairn, wo er als
Lehrer wirkte. Etwa 25 Jahr fpäter machte er einen Beſuch
in England und wurde vom Londoner Bilchof zum Geiſt—
lichen geweiht. Er iſt jeht 73 Jahr alt. Die Anfiedelung
- der Inſulaner liegt an der Sydneybai. Manche Hütten find
ganz folide gebaut. Die Anſiedler treiben fait ausichliehlich
Ackerbau und Walfiichfang, aber es ift kein Aufſchwung unter
dieſen Leuten und fie beftellen ihre Felder ſehr nachläffig,
während der Walfiſchfang bei ihnen zu einer förmlichen Leiden⸗
ichaft geworden ift. Sie veritehen fich auf denfelben ganz
vortrefflich, aber der Leviathan der Tiefe erfcheint nur ſehr
unregelmäßig an der Hüfte und oft fangen fie viele Monate
auch nicht einen einzigen. Die Hautfarbe dentet auf die ſtarke
Miſchung mit tabitifchem Binte hin. ine Anzahl der In—
fnlaner fam an Bord der „Dido“, um dem Gottesdienfte beir
zuwohnen. Wenn man fie fieht, erinnert man fich immer an
ihre Großeltern. Einige Frauen find recht hübſch, nantent:
fich jene der Familie des Herrn Nobbe, Ihr Benehmen ift
äußerſt einfach und anfprechend, aber im Ganzen läßt fich
nicht in Abrede ftellen ba fie träge Menfchen find und von
Fortichritt bei ihnen keine Mede ift.
Grabtentmal eines Maorikönigs in Reufeeland.
Der ‚Melbourne Argus“ meldet darüber Folgendes: In
Melbourne iſt ſoeben ein Grabdenlmal fiir den 1849 in Dtafi
beerdigten Maorifönig Rauparaha vollendet. Daflelbe be:
fteht ans einem Marmorobelist, der auf einer Bafaltgrund-
lage ſteht und oben die Bildfäule des Geftorbenen und darunter
eine Inschrift trägt. Diele ift in der Maoriiprache und ent:
hält, anfer Angabe des Geburts⸗ und Todestages, folgende
Ruhmesmeldung: „Er tödtete den Stamm Kapitit, ging dann
über den Te Waiponnau und töbtete alled Volk, und zu
Ehren diefes Helden brachten die Familie und feine Freunde
DO Pf. St. zuſammen und festen dieſes Denkmal.“ Die Büſte
ift von Herrn Gilbert angefertigt und ftellt den Rauparaha
in Lebensgröße in einem Gewande von Hundefell dar, mit
tättowirtem Geficht, Obrringen aus Greenftein, den Federn
feines Ranges und Rubmeszeichen, die fein Haar ſchmücken.
Zieffeemeffungen bes „Challenger“.
Zwiſchen Mindanao und den Admiralitäts:Infeln wurde
an fieben Stationen eine Reihenfolge von Beobachtungen und
Meflungen veranftaltet. Die größte Tiefe auf diefer Linie,
2500 Faden, liegt zwilchen der Molukken-Paſſage und den
Bellew:infeln. Die durchichnittliche Temperatur der Meeres:
oberfläche auf der erwähnten Strede war 52,50%. Die Tem:
peraturlothungen jcheinen anzudeuten, daß ein großer Theil
des weitlihen Pacific nicht in durdans freier Verbindung
|
mit ber Südſee ſteht, denn das Waſſer finft raſch bis zu
34,50 F. in einer Tiefe von 1500 Faden und behält diefe |
Temperatur auch in beträchtlicheren Tiefen. — Auf der Strede
Inbalt: Dr. Hayden's und Langford's Erpebition nach den Frelfengebirgen. 1.
Zur Erhnologie und Geichichte des Aberglaubens. Von Dr. H
Der „Challenger“
|
anf der Fahrt von den Philippinen nad Japan, II.
Aus allen Exdtheilen.
zwiſchen den Admiralitäts-Inſeln bis Japan, 2250 Seemeilen,
wurde die größte Tiefe, 4575 Faden, am 23. März gefun:
den. Dies ift die beträchtlichfte mit Sicherheit ermittelte
Tiefe, mit Ausnahme zweier Yothungen der „Tuscarora* vor
der Dftküfte von Japan, welche refp. 4643 und 4655 Faden
‚ergaben.
* * x
— Die türkiſche Zeitung „Balliret* weiß, daß St. Pe—
tersburg eine deutjche Handelsſtadt ſei. Das Dentiche Reid)
greife immer mehr um ſich und trachte jet dahin, Bremen
und Hamburg zu deutichen Seeſtädten zu machen. „Balli-
ret* will diefe intereflanten Nachrichten in der „Dldice
ı Mein Zatang*, d. b. „Allgemeinen Zeitung“, gelejen haben.
— In der Stadt Guatemala iſt auf Staatsfoften
eine höhere Unterrichtsanftalt fir Mädchen gegründet wor:
den — bie erfte in Centralamerifa.
— Die auswärtige Staatsjhuld Brafiliens betrug
zu Ende Januars 19,981,200 Bf. St., die innere 257,672,700
Milreis.
— Es iſt unter Umſtünden mit den Geſchworenen—
gerichten eine bedenkliche Sache. In den Vereinigten Staa—
ten gilt als Regel, daß die ſchwar zen Geſchworeuen wenn
irgend möglich einen angeklagten Neger freiſprechen und bie
Mormonen in Utah befolgen dafjelbe Suftem. Der Mor:
moncnältefte Thomas Ricks hatte einen gewilfen E. D. Skeen
ums Leben gebracht; diefer war ein Nichtmormone. Der
Mord war fonnenflar erwielen, aber die Geſchworenen,
fünmtlich Mormoren, erflärten den Angeflagten für unschuldig.
— Der Stil mander amerifanischer Zeitungen läßt an
Derbheit kaum etwas zu wünfchen übrig und es jcheint als
ob die dortigen Herren Publiciften über einen reichen Bor:
ratb von Complimenten verfügen. Hier eine Probe aus dem
Illinois Volksfreund“, der Über die Zuftände in dem „Deucker:
neft Elkhard“ fich äußert wie folgt: „Wenn im Dummbach—
Elkharb ein Faß Bier feinen Einzug hält, dann geräth dar:
über das ganze Wafferfimpelögelichter des Dorfes im einen
förmlichen temporären Wahnfinn. Wahrbaftig die erfte dent:
ſche Bombe zur Zeit des deutſch-franzöſiſchen Serieges Tann
beim Einbonnern in die Mauern von Bari unter den Ein:
wohnern jener Stadt feine größere Beftürzung hervorgerufen
haben als nenlich die Ankunft von zwei Fäßchen Bier, bie
ſich ein gemüthlicher Deutſcher zur Abhaltung eines Familien:
feftes aus Lincoln hatte ſchiden laffen, unter den Waflerboto:
fuden Elfharde, Am Bahnhof, der gewöhnlich von einer
Rotte tabadsfauender ungewaichener Lümmel mit dumm
bdreinglogenden wäflerigen Fiſchaugen umlagert ift, batte fich,
als die ſchreclliche Mähr von dem zwei Fäffel Vernunft: oder
Givilifationstinetur befannt wurde, die halbe Brut des Mucker⸗
neftes eingefunden, um ihren verfchnapsten Herzen in Geftalt
von Donnerfliichen Gottes gegen den edlen Gerftenfaft Luft
zu machen. Des Mbends bielt man fogar unter den Aufpis
cien der dortigen Temperenzloge eine Entrüftungsverfamm:
fung ab. Elkhard ift durch das Muderpad ganz auf den
Hund gefommen, die Geichäftsbäufer fteben dorten Teer,
weil die im der Umgegend wohnenden vernünftigen Bauern
lieber zehn Meilen weiter nad) Lincoln fahren als ſich nad)
u Vorichriften diefer Ellharder Waſſerochſen behandeln zu
laffen.*
(Mit fünf Abbildungen.) —
ermann Brunnbofer in Aarau. Zweite Abtbeilung. —
Schluß.) — Karl v. Neumann's Erpedition
nach den Bäreninjeln vor der ſibiriſchen Küſte. II. (Schluß.) — Von den Fidſchi-Inſeln. Heimſuchung durch die Mafern, —
Uns allen Erdtbeilen: Das Deutichthum in ber ehemaligen Militärgrenze. — Eine Hof: und Staatsverfammlung beim
König von Birma. — Cannibalismus gegen die Milchlinge in Auftralien. — Bon den Norfoltinjeln. — Grabdenkmal eines
Maoritönigs i in Neufeeland. — Tiefjeemeflungen des „Challenger*. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction W. Juli 1875.)
Serautgegeben von Karl Anbree in Leipzig. — Für bie Redaction verantwortlih: H. Biemweg in Braunfdgweig.
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Gohbn in Braunſchweig.
Die u in J
od - L
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
In
Verbindung mit Fadhmännern und Künſtlern herausgegeben von
Karl Andree,
Braunfhweig
Yährlih 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monallich 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Marl, Einzelne Nummern 50 Pf.
1875.
Dr. Hayden’s und Langford’s Erpedition nad) den Felfengebirgen.
IL
Langford's Expedition follte am 12. Yuli 1872 auf-
bredien, und in aller frühe begann man die Paftihiere zu
beladen. Dazu gehört große Geſchicklichleit, aber feine Leute
verftanden ſich vortrefflic auf ihr Geſchäft. Um 10 Uhr
Morgens war Alles bereit; jedes Mitglied der Erpedition
titt einen ftarfen Gaul, und ald wir von Fort Hall in
- das bemaldete Thal hineinritten, muß unfer Zug ſich recht
malerifc, ausgenommen haben. Anfangs famen wir durch
eine fandige, waſſerloſe Wüfte und um Mittag war bie
Hide geradezu erdrüdend. Ein prächtiger Hund Stephenfon’s
verendete vor Durſt und Erſchöpfung. Ich erinnere mic)
—* jemals mehr Durft empfunden zu haben als an jenem
7 fragte fi, num, ob wir den Yauf des Snale verfol-
gen ober etwa im gerader Linie nach Norden hin bis zum
Hentyfluſſe vorbringen ſollten.
zu letzterin entſchloſſen, als ein befannter Trapper, Beaver
Did, der vom Norden herfam, uns mittheilte, daß wir
dort feine Furth finden wilden und nad) diefem guten Mathe
Ihlugen wir uns im ber Richtung nad) dem Suale hin.
Am 15. waren wir am Lac du Marché. Diefer Theil des
Schlangenflufles wurde bereits im Winter von 1853 auf
1854 durd; Lieutenant Mullen näher erforjcht. Der foge:
nannte See war damals eim Hibfches Wafferbeden von 12
bis 14 Miles Yänge, heute bildet er lediglich eine fandige
Vertiefung in der Prärie. Die alten „Montagnarbs*
legten großen Werth auf dieſes Waflerbeden, und wenn ihre
Globus XXVIII. Nr. 6.
Wir waren eigentlich, {hen
BVorräthe napper wurden, pflegten fie in ber Regel eine
Wanderung nad) dem Marché zu unternehmen. Sie wuß-
ten, daß fie dort gewöhnlich eine Anzahl von Trappers fan-
ben, von denen fie allerlei nothwendige Gegenftände eintaus
{chen fonnten, Uebrigens ift das Verſchwinden eines Wafler-
beckens bemerfenswerth; die unterirdifchen Gewäſſer, welche
einft die Prärie in einen See verwanbelten, haben den
legtern nun wicber troden baliegen laſſen.
In diefen Einöden war ein luftiges, munteres Yeben.
Nie zuvor waren 27 Reiter und 25 Yaftthiere durch diefelbe
gezogen. Bor uns erhoben ſich die ſchimmernden Gipfel
der Tetons. Diefe gewaltigen mit ewwigem Schnee beded-
ten Berge haben als weithin fichtbare Landmarken gedient
allen Forſchungsreiſenden von den Tagen, da Lewis und
Glarf den Weg nad) dem Stillen Ocean fanden durch eine
Menge von Gebirgspäffen und durch unzählige Yabyrinthe,
an denen im Jahre 1811 auch Hunt mit feiner Heinen
Truppe vorliber zog, die dem Hungertob nahe war, Er lam
aus den inneren Bighornbergen und es gelang ihm bis in
das zu. Britifh-Columbien zu gelangen, Auch für
Capitän Bonneville bildeten fie eine Landmarke und er hat
in diefer Gegend nicht felten in den Wigwams befreundeter
Stämme, Bannaks und Schofhonis, übernachtet. In
fpäteren Tagen haben die Golbjäger diefe Gegend nad)
allen Richtungen durchſtreift. Jetzt fah ich fie näher als
je zuvor, und wenn die Morgenfonne auf fie fiel, glichen
fie täufchend gigantifchen Kryſtallen. Ich betrachtete mit be—
1
braun
II.
*
Felſeng ebirgen.
Erpedition nad den
8
Dr. Hahden's und Langford'
82
|
Dr. Handen’s umd Langford’s Erpedition nad den Felſengebirgen. II.
fonderm Imtereffe den höchſten Gipfel der drei Berge', feine
fteil abfallenden und von Felſen ftarrenden Wände und er-
wog, ob es mir möglich jein werde, denfelben zu erklimmen.
Die Umriſſe diefes Berges aus der Ferne gefehen, wo wir
ftanden, zeigten fo viele concave Partien und fo viel jähe
Abfälle, dag es mir fchien als würde unfer Unternehmen
iehlichlagen müffen. Und doc), wenn id) bedachte, welchen
Ruf es mir bringen würde, wenn id; der Erſte war, ber
dieſe Jungfrau beftieg, fo konnte id) das Verlangen, das
Wagniß zu unternehmen, nicht zurüddrängen. Beaver Did
fagte uns, ſchon mehrfach fei es verfucht worden, den Grand
Teton zu befteigen aber allemal vergeblich. Auch die In—
dianer, bemerkte er, hielten ihn für unbedingt unzugänglid).
Hunt hat ihnen den Namen der Monts Pilotes ger
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83
geben, weil fie ald Landmarken dienen, aber weit früher has
fie von den franzöfifchen Pelzhändlern den Namen der
Tetons erhalten, weil fie Aehnlichkeit mit der Geftalt einer
Frauenbruſt haben, allerdings nur aus weiter Entfernung,
denn wenn man ihnen näher fommt, fo zeigen fie fcharfe
und winfelige Umriffe. Hayden hat fie jogar mit Haifiich-
zähnen verglichen und im vieler Beziehung trifft das zu.
Id; meinerfeitS möchte fie lieber als die drei Titanen be-
zeichnen, damit witrde man fie am beften gelennzeichnet haben.
Wir famen an den Heuryfluß und lagerten uns an zwei
großen Hligeln, deren eigenthiimliche Geftaltung unfere Auf-
merkfamfeit erregte. Sie fahen äußerlich aus wie Vajalt,
waren aber jo weich und fo zerreiblich wie Kallſtein. Einige
von uns unterfuchten diefes merkwürdige Terrain näher.
Beförderung des Gepäcks.
Sie fanden in einer Höhe von 150 Fuß einen enormen Kra
ter, eine gähmende Offnung von 300 Fuß tief. Hier war
offenbar ein erlofcener Bulcan, und ein Bruch am Nande
des Krraters in der Richtung mach unferm Yager hin zeigte
den alten auf, welchen einjt die Yava genommen hatte,
Unfer Geolog erflärte die Ihatjache, daß das Geſtein Aehn—
lichteit mit Sandftein habe, aus dem Umftande, daß die Lava
unter Waſſer herabgeftrömt ſei und daß fich auf dieſe Weife
ein vulcaniſcher Sandftein gebildet habe, Diefe Erſcheinung
ift Außerft ſelten. Wir fliegen durch einen Spalt von etwa
45 Grad hinab in den Krater, in welchem Wachholderbliſche
und Gras wuchſen.
Nachdem wir ihm fo im Innern gefehen, wo ev mit feis
nen Erofionen, Spalten und überhaupt den vielen Unvegelmä- |
| S chwarzfüßen ähnliche Zeichnungen geſehen. Dieſe Black
Bigfeiten feiner Wände einen cigenthilmlichen Anblid darbot,
fticgen wir wieder mac außen zurlid. An dem Abhange
des Higeld nimmt die Yava manche phantaftiiche Geſtalten
an, Sie bildet 3. B. Oefen mit hohen Schornſteinen, die
Thürme, Slodenthürme, Bogen umd dergleichen mehr, Vom
Nande hat man eine anferordentlich weite Ausſicht. Unter
den Felſen, weldye auf der Baſis des Bulcans eigenthümliche
Seftaltungen bildeten, war einer, den wir Schloß Kenilworth
nannten, weil er mit diefer berühmten Ruine Aehnlichkeit hat,
In dem einen Theile deffelben fanden wir Inschriften,
die noch nicht ſehr alt feim lounten. Sie jteflten eine
Buffeljagd dar, Begegnung mit Bären, Todtung von Dir
ſchen; ſodann Zeichnungen von Kranichen, Jäger zu Pierde
und zu Fuß, Alles deutlich noch erfennbar. Ich habe oft
mals auf den Mänteln von Elen- und von Büffelhaut bei den
19
Tr. Hahden's und Langford's Erpedition nad) den Felſengebirgen. IT.
urvaibigg m Eppumug
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ON YANIEUHERS
Ay
Dr. Hayden’s und Langford’s Frpedition nad den Felſengebirgen. II, 85
feet haben mehr ala andere Indianer die Neigung, allerlei | indianifche Frau und feine Kinder bei fi. Diefer Die ift
Begebenheiten durch Zeichnungen zu firiren; wahrjcheinfich | wirklich in feiner Art ein Charaftermenfch. Denn fo lange
rühren auch diefe Feljeninichriften von ihnen her. er bei uns war, bewies er Eigenfchaften, wie fie einen volls—
Beaver Did war uns fehr anhänglich. Er hatte fein | thlimlichen Romandjarafter zieren würden. Bon Geburt ift
Zelt neben unferm Yagerplag aufgefclagen und hatte feine | er Engländer, Als er 21 Jahre zählte wurde er Trapper,
FR —
Dee]
—
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Dil und feine Familie,
Er fenmt alle zugänglichen Theile der Felſengebirge, hat viel ſich mit allem nöthigen Bedarf zu verforgen. Er hilft ung,
mit Indianern verkehrt und mandjes von ihren Sitten und | wenn wir Fluſſe durchwaten, Gebirgspäſſe Uberſteigen und
Gebräuchen angenommen. Zweimal in jedem Jahre geht | Collifionen mit feindlichen Stämmen vermeiden muſſen.
er in chvilifirte Gegenden, um Pelzwert zu verlaufen und | Seine Kinder ftchen mit allen Mitgliedern der Erpedition
— —
Wohnung eines Pioniers.
auf dem beften Fuße. Seine Frau ift eine fanfte Creatur, | durcdwateten. Die Ufer find fehr fteil und die Strömung
deren größter Ehrgeiz darin zu beftchen fcheint, ihrem Herrn | ift ungemein raſch. Wir mußten deshalb große Fürſorge
und Gebieter dienjtwillig und — ſein. treffen, damit unfere Padpferde von derſelben nicht fortge
Unter Did’s Leitung zogen wir im Thale des Henryflufs | riffen wirden. Im diefem Fluſſe wimmelte es gleichſam
fes hinauf, dem wir, allerdings nicht ohne Zchwierigfeiten, | von jenem großen Lachsforellen, die man in allen Strömen
86
findet, welche in den Großen Ocean münden. Wir fingen
dergleichen die drei Pfund fchwer waren, Un Geftalt und
überhaupt ihrem ganzen Ausfehen nad) gleichen dieje Fiſche
unferen gewöhnlichen Bachforellen, aber fie haben feine rothen
fondern braune Flecken. Das Fleiſch hat eine ſchöne Lachs-
farbe und ſchmeckt ungemein delicat.
Unter unferen Pferden hatten wir aud) ein Meines, gelb-
liches Cayufepony, das allerdings ſehr geduldig durch den
Fluß ſchwamm, hinterher aber die tollften Capriolen machte.
Diefe fogenannten Cayufepferde find fehr bösartig, ſchwer
zu bändigen und mod) ſchwerer zu reiten. Am merlwürdig-
ften ift bei ihnen der Hammelſprung; fie machen alle vier
Deine fteif und fpringen dann hoch im die Luft. Der Stoß
ift fo heftig, daß mach zwei oder drei Malen der Reiter den
Sattel nicht mehr halten kann, falls er nicht ſehr erfahren
und ficher ift. Das Thier ficht Überhaupt unangenehm aus;
die Ohren hängen ſchlaff nach Hinten hinab, die Augen has
Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Geſchichte des Mberglaubens. IT.
zubringen, weder durch gute Behandlung noch mit Peitjche
und Sporen, welche alle gar nichts nutzen.
Bei unferm Yager wuchſen in großer Menge Camas
und Pamphmwurzeln, Nahrungsmittel, bie von den Ins
dianern fehr gefchägt werden und die auch wir pe genofjen.
File manche diefer Jagdnomaden erfegt der Camas gleich
zeitig das Mehl und die Kartoffel und man findet ihn ge»
rade in den unfruchtbarften und ödeften Gegenden in großer
Menge. Er ift eine runde Wurzel von ziwiebelartiger Ge—
ftalt, der Gefchmad ift mild, er ift fehr reich an Stärfe-
mehl und auferordentlic, fättigend. Die Indianer verftehen
dieſe Knollen vortrefflic; zuzubereiten. Sie höhlen ein 6 Fuß
breites Loch im die Erde und machen eim Feuer in demjelben.
Steichzeitig erhigen fie Steinplatten, welche als Dedel dienen
follen. Wenn alles bereit ift, fchlitten fie die Knollen im
| das erfte Loch, bedecken daſſelbe mit Nafen und legen fiber
diefes die heißen Steine. Der Yamph ift eine längliche
ben einen bösartigen Ansdrud, ſehr häufig fteht Schaum | Knolle und Heiner ald der Camas, auch nicht fo nahrhaft
vor dem Maule und das Pony knirſcht immer mit den
Zähnen auf dem Zügel. Es giebt ſich alle mögliche Mühe
dem Weiter zu zeigen, wie gern es ihn los fein möchte.
Dieſe fchlechten Eigenſchaften find nicht aus ihm herans-
|
|
und wird roh gegeflen. Mit diefen Wurzeln lann ein Mann
fid) wenigftens das Leben hinhalten und häufig haben die
Stämme den ganzen Winter fiber nichts anderes zu verzeh-
ren als diefe Knollen.
Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens.
Bon Dr, Hermann Brunnbofer in Aarau.
Wenn Nachts der Mond leuchtete und die Sterne ſchim—
merten, wenn in der elementaren Periode der Mond als Kahn
und die Sterne als Lichter aufgefaßt worden waren, mußte
ſich da nicht, wenn der Himmel als Aufenthalt der Seligen
galt, die Borftellung bilden, die frommen Seelen jegelten auf
dem Mondlahn ins Jenſeits hinitber oder wanbdelten, die
Lichter im ber Hand, durch die finftere Nadjt in die Heimath
der Unendlichkeit ?
Im ähnlicher Weife haben wir uns die Entjtehung aller
anderen Mythen zu denfen, alle haben ſich in diefer Periode
der dichterifchen Combination gebildet.
Allein die Vorftellung konnte hierbei nicht ftehen bleiben.
Im Laufe der Jahrtauſende hatte man natürlich ganz ver-
gefien, daß die Geftalten, die Thiere, die Pflanzen, die Geräth-
ſchaften, die Pebensweife, die Charaftereigenthlimlichkeiten, die
man den Göttern zufcjrieb, nur den irdiſchen, den menjch
lichen Verhältniſſen nad)gebildet worden waren. Die Vorzeit
betrachtete es als eine augenfällige Thatfache, da der Ges
wittergott während des Gewitters die himmliſchen Wolfene
fühe mit feiner bligenden Haſelruthe ftrich und daß dann
darauf hin die Wolfenfühe ihre Fruchtbarleit und Gedeihen
ſpendende Milch, den Negen, ftrömen liegen. Nun galt
aber der Blig aud) als gelbblüihender Kreuzdorn oder als mit
rothen Beeren bequafteter Bogelbeerftab — in jedem Falle
that man Hug daran, wenn man feine eigenen Kühe eben⸗
falls mit Ruthen diefer Sträucher fchlug, man war dann
fiher, von feinen Kühen wohl ebenfo reichliche Milch zu
erzielen, als die Himmelsbewohner von ihren Wolfenküihen.
Wenn nun fir den Hirten der Urzeit die Milch den
Werth und die Bedeutung des Unſchätzbaren und Verehrungs-
würdigen hatte, wie dies nod) im Veda der Fall ift, fo mußte
aus derfelben Anfchauung heraus, welche in der Hafelitande,
I.
im Kreuzdorn, im VBogelbeerbaum ober im dionyſiſchen Narther-
ftabe den mild und honigjpendenden Blig verfürpert ſah,
natürlich auch der Glaube fließen, Ruthen folder Sträudyer
befäßen die geheime Kraft, Schäge zu entdeden oder zu vers
ſchaffen. Der als Hafelruthe, als Kreuzdorngerte oder Bogel-
beerftab oder Nartherftengel gedachte Blig öffnete ja gleich—
fan den vom Milchgold jtrogenden Woltenberg: eine Ruthe
von einem dieſer Sträucher mußte deshalb zur Wünſchel—
ruthe werden, welche nicht allein als Brunnenſchmeder die
unterirdifchen Quellen anzuzeigen, ſondern jeden Schatz zu
heben, jeden Wunſch zu erfüllen im Stande war,
Wenn der Sewittergott mit feinem funkelrothen Blig-
faden von dem Dämon der finftern Wolfe Beſitz ergriff,
denſelben fefielte und erwirgte und auf dieje Weife die Wolfen«
fühe oder das Sonnenriud vor Schaden bewahrte, fo verftand
es fi) von felbft, daß man auch von Erben mittelft eines
rothen Fadens Befig nahm, an ſich fejfelte, einmweihete und
vor Schaden bewahrte. Deshalb war der rothe Faden
bei den Germanen das dem Örenzgott heilige
Rechtsſymbol der Befignahme. Als ſolches zieht er
ſich noch bis zu diefer Stunde durch alles Tau: und Segel:
werk der britijchen flotte und ift darliber feit Goethes Wahl«
verwandtjchaften zu einer europäifchen Zeitungs und Salon«
phrafe geworden. Deshalb and) wurde der indifchen Braut
ein rothwollener Faden als Hodzeitsjhnur um
den Hals gehängt. Ebenſo wurde den in bie eleufinifchen
Myſterien Eingeweihten eine rothwollene Schnur umgelegt.
Um ſich vor Berlegungen und Hautausfclägen zu fchligen,
wand ſich die indifche Braut an einem mittelft Yad roth⸗
gefärbten Faden ein aus einer Honigpflanze beftehendes Amu-
let um den Meinen finger. Uebereinſtimmend mit dieſem
Brauch iftder deutfche, dem Vieh rothe Bänder um den Hals,
Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Gejchichte des Aberglaubens., TI. 87
um die Hörner und um den Schwanz zu binden, um daſſelbe
vor allem Schaden zu bewahren.
Umgetehrt kann aber auch, mad; anderer Borftellung,
weldye die alten Bilder nur noch in difterm Lichte erblidt,
der vothe Faden als unheilbringend aufgefaßt werden. In
einem indischen Krähenorakel heißt es deshalb: Ergreift
der Nabe einen vothen Faden, fest er ſich damit auf das
Dad) eines Hauſes und giebt er einen Ton von fid), fo wird
das Haus abbrennen. Deutliher als in diefem indiſchen
Aberglaubensfage könnte fid) der Rabe als der mit feinem
Krädyzen den Donner und mit dem rothen Faden im Schnas
bel als der den Blitz darftellende Vogel nicht zu erfennen
geben.
Während des Gewitter hörte man deu furdjibaren Schall
der Donmertrompete, oder der Donnerpaufe, oder den ſchrillen
Schrei einer Pfeife. Man nahm wahr, wie nad) dem Ge—
töfe der Donner: und Bligmufit die Dämonen der finfteren
Wetterwolfen auseinanderftoben und verſchwanden, weil das
Gewitter überhaupt zu Ende ging und ber Himmel fid) wies
der aufheiterte, Da galt es denm, bei herannahendem Ge—
witter unter Trompeten» und Paulenſchall auszuziehen oder
die Soden zu läuten. Dann mußten ja die böjen Gewitter:
weſen, die unheilvollen Geiſter der ſchwarzen Wetterwolten,
ſchreckerfüllt entweichen.
Diefer Brauch ift uralt. Die Brahmanen vertrieben und
ſchädigten ihre Feinde vermittelft des Getöſes, welches fie
durch das Schlagen der Mahlſteine bewirkten, durch
deren Reibung der Saft der heiligen Somapflanze ges
wonnen wurde. Sie begründeten diefen Opferbraud) mit
der Legende, daß Manu, der heilige Stammvater des Menſchen⸗
geſchlechts, einen Stier gehabt, deſſen Schnauben und Brul—
len die Unholde und Kobolde aufgerieben habe, Die Stimme
dieſes Stieres ging bei deilen Opferung auf die Manavi,
die Gemahlin des Manu, über und nad) deren Opferung in
das Opfergeräthe, aus welchem fie mun nicht mehr heraus:
jubringen war,
Nach indifcher Sage befünftigte Buddha's Apoftel die
Stürme des Waſſerdrachen in Kaſchmir durch Kloftergeläute,
lange bevor es chriſtliche Kirchengloclen gab. Und üibereins
ſtimmend wandten auch die Zauberer der Griechen und Rö—
mer das Erzgetöfe zur Abwehr und Vertreibung böfer
Geifter an. In Cholerazeiten verbrennen die Leute in Mans
dalay, der Hanptftadt des Königreichs Birma in Hinter
indien, Popanze im Hofe des Tempels. Die Birmanen
beobadhten danı die Sacyamintonfti genannte Geremonie,
indem fie unmittelbar nad; dem Abfeuern der Abendlanone
in jedem Haufe einen furdjtbaren Yärm durch Stampfen und
Trommeln erheben und bamit für eine oder zwei Stunden
fortfahren, um die böfen Geifter zu verfcheuchen. Auf feiner
andern Grundlage beruht ber norddeutſche Brauch der Polter-
abendjcherze. Auch diefe beftehen hauptſächlich darin, daß
an der Thür der Braut am Hochzeitsabend Töpfe und der
gleichen zerichlagen werden, offenbar urjprünglid) aud) nur
zu dem Swede, um die böfen Geijler zu vertreiben.
Im Gewitterfampfe dachte man fid) den in der ftod-
finftern Regenwolke wirleuden Gott oder Helden als mit
einem ſchwarzen Fell oder einem unfichtbarmachenden Helme
bededt. Das war die Tarnlappe. Wollte ſich der Menſch
unfichtbar machen, jo brauchte er ſich nur eine Tarnlappe
zu verſchaffen und deiien war Rath. Denn wenn bie Hafels
ſtaude mit ihren weißen Blüthen oder die Roſe oder der
rothblühende Kreuzdorn ober der VBogelbeerbaum mit
feinen rothglänzenden Früchten für den Denfchen der Urzeit
Repräfentanten der zauberkräftigen Bligruthe geweſen waren,
fo mußte es ja auch mit ihrer Hülfe möglic fein, ſich in
den Befig der Tarnhaut zu bringen oder ſich rundweg un
fichtbar zu madjen,
In Deutſchland gilt das Farrnkraut als ganz befon-
ders kräftig zu diefem Zwecke. Rainfarren (Tanacetum)
in der Johannismitternacht gefammelt, macht den, der ihn
bei fid) trägt, unfichtbar. In Böhmen heißt es: Sieht man
in der St. Kiliansnacht glühendes Farrnkraut und fledt es
zu ſich, fo wird man unfichtbar. Bei den Griechen und Ro:
mern hatten verjciedene vothblühende Pflanzen unſichtbar—
macende Zauberfraft. Bald war es die Hagerofe, bald die
Päonie, bald aber auch, die Blume Aglaoptotis, „die herr⸗
lid) Glänzende*, welche namentlid) zur Herbeirufuug der
Sötter verwendet wurde, Sie wird von einigen fir die Roſe
gehalten. Sie fpielt eine Hauptrolle in einem altägyptifcyen
Zauberſpruch, der etwa im flinften Jahrhundert nad) Chriftus
aufgezeichnet worden ift und hier als ein Muſterbeiſpiel dies
nen mag flr die ſchon oben hervorgehobene Thatſache, daf
fid) die Zauberftiliftif aller Zonen gleich bleibt.
Der Spruch lautet nach Profeffor Parthey's Ueberſetzung
wörtlid):
„Bewährtes Mittel zum Unfichtbarmaden.
Großes Wert,’
‚Nimm das Auge eines Affen oder eines Erichlagenen
und reib’ es zuſammen mit Liliendl, dann das Kraut Nalao-
photis, reib' es von rechts nad) links und jprich den folgen-
den (rein kauderwelſchen) Sprud) dazu: anok anup anok
ueirphre anok osotsorou uier anok peusire penta set tako,
erhebe dich, unterirdischer Dämon, io erbeth io phorbeth
io pakerbeth io apompso. Wenm ich, der umd der, euch
befeble, daß ihr mir gehorcht. Wenn du unfichtbar werden
willſt, ſo jalbe dir das Geſicht allein, nach der Vorſchrift,
und da wirt unſichtbar fein, jo lange Zeit du willit. Wenn
dur aber wieder ericheinen willſt, jo geh’ von Abend gegen
Morgen und ſprich diefes Wort und du wirft offenbar und
fichtbar fein allen Menſchen, das Wort aber ift marmarioth
marmariphange, machet mich, den und ben, fichtbar allen
Menfchen am heutigen Tage, gleich gleich, ſchnell ſchuell! So,
num bleib’ mir aber gewogen!“
Wenn fid) die elementare Periode den Körperfchmerz
und die Seelenlranlheit als böfe, im Yeib haufende, die Ger
fundheit magende Weſen im Thiergeftalt vorgeftellt hatte,
wenn ber Wurm, der im Zahn oder im Gehirn feine Boss
heit ausließ, zugleich mit dem Wurm, 'der Schlange, dem
Käfer Übereinftimmte, der als Blig- und Donnergeift in
der finftern Wetterwolte drohte, jo mußte der Kraukheits—
fäfer wohl aud) auf diefelbe Weife und mit den nämlichen
Dlitteln vertrieben werden fünnen, wie der zerſtörende Blitz—
und Donnerfäfer. Wenn die Sonne mit ihren durcdrine
genden Strahlen die finfteren Tüten der dämoniſchen Wetter:
wolfenhummel vereitelte, jo mußte fie aud) die Kraft haben,
die den Kropf bewohnende Hunmmel zu vertreiben. In dies
fem Sinne wird fie denn auch in einem Zauberfprud)e des
Atharvaveda (VI, 83) angefleht.
Aus diefem Vorftellungsfreife heraus ift unter allen Böl«
fern die Geifterbannung und Tenfelsaustreibung, mit
einem Worte: der Erorcismus, hervorgewadhfen, der feine
büifteren Schlagſchatten noch bis in unſere Gegenwart hineins
wirft. Denn die römische Kirche hat diefen Fetiſchismus
in aller Form fogar wieder in ihr Glaubensfnftem aufge:
nommen,
Es fonnte jedoch bei geiftig weniger entwidelungsfähigen
Racen nicht auableiben, daß die unzählige Menge von For—
men, Gegenftänden und Wefen, welche fic die Phantaſie im
Yaufe der Yahrtaufende zu irdiſchen Vertretern der am Him-—
mel ſich vollziehenden Vorgänge zurecht geſchaffen hatte, mit
der Zeit nicht cbenfo verwirrend auf die Vorſtellungskraft
88
eimwirfte, als es ung geiftig doch unendlich weit vorgerlidteren
heutzutage ſchon unmöglich wird, uns in der bunten Termis
nologie der philofophiichen Enfieme gegenfeitig verſtändlich
zu werden. Steine, Pflanzen und Thiere in winmelnder
Maſſe und in zahllofen Wechſelbeziehungen galten als Bers
förperungen der Wolfe, des Bliges und Donners, des
Himmels, der Sonne, ded Mondes und der Sterne. Die
geheimen Kräfte, welde man diefen Gegenftänden und
Weſen zufchrieb, infofern fie dem bezüglichen Naturerſchei⸗
nungen eigen waren, mußten ſchließlich der Phantafie des
inferioren Naturmenſchen vollauf genügen, um jic aus ben-
jelben, ohne Beziehung auf die den Symbolen zu Grunde
liegenden Naturerfceinungen, auch die räthjelhaftejten Vor—
gänge im Menſchenleben zu erklären, Er bedurfte nur bier
jer Gegenftände, wm ſich mit deren Wunderkrüften alles
Winfchenswerthe zu verſchaffen oder fid) wenigftens vor Uns
heil zu bewahren. Aber leicht mochte jede Ahnung von dem
ehemaligen Zufammenhange der roth: oder gelbblühenden
Wunderpflanze mit dem voth: und gelbfunfelnden Blitze oder
mit der Sonne verloren gehen, Der rothe Stein mochte
feine Beziehung mehr auf den rothen Blitz- und Donnerftein
durchſchimmern laffen und des Käfers Geſurr nicht länger
als das Ziſchen des Bliges empfunden werben. Hörte aber
die Phantafie einmal auf, diefen Zufammenhang wenigftens
nod) zu ahnen, begann fie, den Gegenftänden und Wefen,
welche für den alten Glauben die Naturerfcheinungen veprü-
fentirten, felbftändige, von den Naturerfcheinungen uns
abhängige Wunderkräfte beizulegen, fo fonnte nur die
ausichweifendfte Verwirrung in den Vorſtellungen von den
das Nafurs und Menfchenleben regelnden Kräften und Wefen
eintreten. Und dieſe Verwirrung ſchlug bei den geiftig unters
geordneten Bölferracen ſchon urzeitlic, früh in das Syſtem
der Zauberei aus, wie wir baffelbe bei den Mongolen als
Schamanenthum, bei den Negern als Fetiſchismus und bei
David Brauns: Streifzüge
im fübdfichen Norwegen. IV.
ben Infulanern der Südſee als die Religion des Tabu trefe
fen. Die Zauberei, die Magie, ber Fetiſchismus oder wie
man nun den Glauben an bie jelbftändige Wunderfraft der
von ihren Urbeziehungen zu den Naturerfcheinungen losgelöften
Gegenftände und Wejen nennen will, der Fetifhisnus
ift nit diellvreligion, fonbern die urzeitlich frühe
Verkommenheit der Urreligion.
Dei den geiftig vegfameren und im folge deſſen auch
entwidelungsfähigeren Racen blieb zwar diefe Verwirrung
in dem religiöfen Vorftelungen auch nicht aus und die Spu«
ten derfelben ziehen ſich durch die Neligionen der gebildetiten
Völker des Alterthums und der Neuzeit noch deutlich wahr«
nehmbar hindurd). Aber diefe nothwendige Berwirrung ges
langte nicht zum erdrüdenden Uebergewicht. Denn die Phan-
tafie diefer Naturvöller, aus melden fic im Laufe der Zeit
die eigentlichen Gulturvölter entwideln follten, war frühzeitig
und auf die Dauer befchäftigt, die Geftalten, in welchen man
ſich die Naturvorgänge urſprünglich vorgeftellt hatte, mehr
und mehr mit dem Schmelz menſchlicher Individualität aus-
zuſchmlicken.
So roh nun auch dieſe Geſtalten in der Urzeit waren
und fein mußten, fo lag im ihnen doch ſchon der ungerſtör⸗
bare Keim individueller Entwidelungsfähigfei. So wie die
Bölter geiftig höher ftiegen, rückten ihnen, wiewohl den Men:
fchen völlig unbewußt, allmälig auch die Götter nad), ohne
daß jeboch die früheren, roheren Borftelungen von den Göt⸗
tern neben den fpäteren, ſchöneren, völig eingingen. Die
Kunft trägt dann nicht amı wenigften dazu bei, die Göfter
dem mienſchlichen Vorftellungstreife näher zu bringen. So
entwidelt ſich almälig ein Syftem bes Vielgötterthums,
wie es die Bölfer der kaulaſiſchen Race und unter diefen vor=
züglich die Indogermanen, insbefondere aber die Inder, Grie—
* und Germanen, zur höchſten Volllommenheit ausgebildet
haben.
Streifzüge im ſüdlichen Norwegen.
Von Dr. David Brauns.
IV.
In Sätersdalen.
Am 11. Auguſt brachen wir mit zwei Saumpferden
und deren Führern, ſowie mit einem der Jagd kundigen
Wegweiſer von Valle auf, um durch das Gebirge die Weit:
füfte zu erreichen. Die Tour ward mit Befteigung des
Sparvar-Knuten eröffnet, eines nahezu 4400 Fuß hohen
Gneisblodes von dreheunder Form, fat einer aufrecht ftehen-
den Walze mit rundem Sopfe glei. Die im Sütersdal |
nun auch ſchon faft verflingende, nur wenige Geſchichten
vom Haugafolf, von den Berggeiftern und Kobolden,
bewahrende Sage umſchwebt noch das Haupt jenes eime
halbe Tagereife von Balle entfernten Bergriefen und nennt
ihn den Traumberg; er foll den jungen Burſchen und
fchlafen legen.
Der Weg zu dem Knuten war anfangs fehr fteil vom
Thale hinauf an einigen Gehöften vorbei, dann minder fteil
durch moorige Thäler und Schluchten. Hier fanden wir
|
Schneehlihner (Ryper) von ber fchon genannten Urt der
Moorichneehühner oder Skooryper und Alpenhafen (Lepus
variabilis L.); die Vegetation änderte ſich ftufenweife, in:
dem wir von dem etwa 1200 Fuß hoch belegenen Haupt:
thale nod) über 1500 Fuß in der Waldregion, dann an
1000 Fuß in der Zwergwaldzone und endlich in der baum—
lofen Zone uns bewegten. Die legtere weiſt bier ſchon in
' größeren Mengen das Kenthiermoos auf; auch fanden wir
Wermuth, Enzian und andere Alpenkräuter bis zu beträcht:
lichen Höhen hinauf, Die Moltebaer bewies ihre große
Schmiegjamfeit am die nordiſchen Klimate, indem fie ſich
vom Blüthenftande bis zur Fruchtreife gleichzeitig je nad)
Mädchen im Traum ihre Zukunft offenbaren, wenn fie in | Höhe und Sonnenmenge vorfand.
der Johannisnacht oder Sommerſonnwendnacht auf ihm ſich
|
}
'
Die großartig-wilden nordifchen Gebirge find äußerft
wenig belebt, ja öbe, was natitrlid) ihren bewältigenden Eins
drud beträchtlich erhöht. Oft ſah man in den wildzerrifr
jenen Hochthälchen fein lebendes Weſen. Selbft Raubvögel
find im Innern des Landes felten; früher, als holländiſche
David Brauns: Streifzüge im füdlihen Norwegen. IV, 89
und deutſche Faltenfänger Hierher zogen und in Geffift und
Höhlen — die Tradition bezeichnet diefe als Höhlen „deuts
her Räuber — ei ſuchten, da muß dies anders ge-
welen fein. Jetzt ift durch Ausſetzen von Schußgeld dieſen
Feinden der niglichen wilden Hühner bedeutend Abbruch
gethan, wogegen die Flichſe und zeitweilig die Wölfe, welche
der Bolldmeinung zufolge aus Rußland herüber wandern,
ihnen immer mod) vielfach und erfolgreich nachitellen. Nur
den Thurmfalfen, Falco tinnuncoulus L., jahen wir wieder«
holt an ben fteilen Felswänden. Bon Meineren Vögeln
hielt ſich nur noch der Steinfhmäger (Saxicola oenantheL.),
deſſen melancholifcher Yaut gut zu der Umgebung pafte; bie
Flußregenpfeifer (Aegialites curonieus Bes.) und bie
Schwimmdögel blieben an den tiefer liegenden Seen zurlid.
Selbft der Froſch (Rana temporaria L.) wird hier in der
Höhe von etwa 4000 Fuß feltener, obſchon feine Brut
immer noch wejentlich zur Ernährung ber zahlreichen Fo—
zellen beiträgt, zu welcher außerdem die Larven ber vielen
und läftigen Mücken ein bedeutendes Contingent ftellen.
Die rothbauchige Eidechfe, Lacerta (Zootoca) crocea W.,
bie ich auf dem Gebirge nahe dem Byglandfiord noch gefun-
den, vermißte ich hier. Ameifen famen ziemlic, hoch, Kan«
fer, Spinnen, Schmetterlinge bis oben hin vor; unter letzte⸗
ren fielen am meiften die hellblauen Pycänen auf.
Haft überall Liegen rundliche Blöde fremden Gefteins
auf den Felſen auf, oft in folder Zahl, daf die anftehende
Felsart nur mit Mühe ermittelt werben kann. Das eigent-
fiche Gebirge ift weftlih von Valle und im der Umgebung
des Svarvar⸗Knuten durchgehends Gneis, während aus röth-
lich gelörntem Granite die meiften jener aufliegenden Blöcke
beftehen. Diefe liegen oft lofe auf den höchſten Gipfeln, fo
daß es ſchwierig erfcheint, ihren Transport zu erflären.
Die Trilmmerwälle, die faft im allen Seitenthälern hodj
hinauf und ambererfeits bis ins Hauptthal hinunter
reichen, fowie die Rundhöderform vieler Felſen machen bie
Annahme früherer Gletſcher mindeftens höchſt wahrſcheinlich.
In der That können diefe nicht jo ſehr auffallen, da nur
einen Grad nördlicher und feine 1000 Fuß höher jett
nod) colofjale Gletſcher ſich finden.
Die Fernfiht vom Svarvar-⸗Knuten reicht bei Harer
Luft weit mach dem durch feine Naturfchönheiten berühmten
Diftricte von Telemarken und bis nad dem Hardanger:
Lande. Die trlibe Luft, die ſich gerade bei unſerer Abreiſe
einzuftellen anfing, ließ und die Formen der Berge — runde
liche, doch maleriſch wechjelnde Konturen — nur oberflüchlich
erfennen,
Bon da wandten wir ums einer größern, von Balle aus
beſchidten Sennerniederlaffung zu, welche weftwärts an einem
Hochfee, dem Urdvil-Vand, lag, einem der vielen Beden,
welche ihr Waſſer bei Hylleſtad im die Otteren,Elo ſchicken.
Wir erreichten diefelbe ſehr ermlibet gegen Abend. Mit den
Entbehrungen des Sennerlebens wohl vertraut, waren wir
hier doch in hohem Grade unangenehm überrajcht durch das
Bild von Schmutz und Mangel an allem, ſelbſt dem primi-
tivften, Comfort, das fid uns darbot. Nicht daß es hier
öde umb leer gewefen wäre; im Gegentheil, Herden von
Bieh und wohl an 30 Menfchen waren in wenigen und unzu⸗
reichenden Behältern fo zufammengepferdht, daß der Schmug
eine und mod; neue Höhe erreichte. Das Gras mar von
dem Boden rings um die Gebäude verfhwunden, das Heu
jpärlich, jo dag wir den Lurus frischen Heues für unfer Ya:
ger entbehren mußten. Das Brennholz beſtaud ausſchließ⸗
lid) aus Zwergbirfen und Wachholdern, da der Uxbvil-See
fchon über der Region der hochwachſenden Waldbäume liegt.
Obgleich, bie Milch und friſch gefangene (Forellen uns noch
genügend nährten, fo war doch die Unreinlichkeit zu groß, um
Globus XXVIIL Nr. 6,
irgend ein Gefühl des Behagens auflommen zu laffen.
Ohne die Bäder im Ser, den die Sonne etwas gewärmt,
wäre e8 noch übeler beftellt geweſen.
Der folgende Tag war einem Streifzuge gewidmet, ber
uns in das nämliche Quartier zurlickbrachte. Menthiere, die
hier fich mitunter zeigen, fanden wir indeſſen nicht; nur bes
wiefen einzelne Fährten, fowie aud) der ftete Genoß bes
Nenthieres, der Lemming (Myodes lemmus L.), daß wir
uns in der That auf dem Gebiete bes wilden Nenthiers,
wenn auch ficher am deſſen Südgrenzge, befanden, Gelbft:
verftändlic, konnte es ſich Hier nur um wilde Renthiere
handeln, da die Criftenz des zahmen Nenthieres mit ber
des lappiſchen Volksſtammes eng verinipft ift, und eine
Renthiercultur durch Indogermanen und deren Mifchlinge
nie gelibt worden ift*). Der Bär wurde, wie überall, auch
hier und angezeigt; eine frifche Fährte fahen wir ganz nahe
am Urbvit-Band. Zum erften Mal kamen uns hier bie
eigentlichen Fjeld-Ryper, die Alpenſchneehlhner (Lago-
pus alpinus Nilss.), vor,
Wenn auch die Jagdergebniſſe unbedeutend waren, fo
brachte uns die Wanderung auf dem Riuven-Fjeld,
defjen höchſter Punkt 4700 Fuß hoc) über dem Meere liegt
und auf dem wir uns felten unter 4000 Fuß hoch befanden,
mehrfach, auf ewigen Schnee, der jedoch in zu vereingelten
und Heinen Partien vorfam, als daß Gletſcherbildung ftatts
finden fünnte. Die Felsmaſſen waren noch wilder, als bie«
lang, die Wafferfälle noch mächtiger und auf dem röthlichen
Granit, der hier den Grundſtock des Gebirges bildet, nod)
ma I
Am folgenden Tage, einem Sonntage, weigerte fich unfer
jagdlundiger Begleiter, ein Haugeaner, zu reifen, und wir
mußten und ohne Wegweifer behelfen. Nach einigen Debat«
ten brachten wir fo viel Klarheit in die Nachrichten Über das
fehr mangelhaft bekannte weftliche Gebiet, daß wir die Noth—
wenbdigfeit erfannten, von dem nach den Specialfarten prafs
tifabel erfchienenen directen Wege abzugehen. Ortſchaften,
das heit Gehöfte', welche dort “ran waren, beftanben
nur noch als leere Gebäude ohne ohner; von ſchlechtem
Wetter überrafcht, hätten wir dort mit unferen knappen Bor«
räthen eine tlende Eriftenz zuführen gehabt. Wir mußten uns
entjchließen, einer langen Seenfette meift ohne alle Wege
über fehr befchwerliches Terrain nad Suden zu folgen, bie
wir auf den neuen, von Hylleftad aus durch Probft Blom’s
Bemühungen nad) dem nächſtgelegenen weftlichen Thale,
Siredal, abgeftetten Weg gelangten. Zunöchſt jah es
freilich, auch dort troſtlos genug aus; nachdem wir einen hal
ben Tag leidlich verbracht und uns bei einigen ſchmutzigen
Süteren mit Mildy erquidt hatten, brad, ein Sturm mit
Negen los, ber das MWeiterfommen fehr erſchwerte. Die
Pferbefügrer aus Balle wußten ebenfowenig Beſcheid, als
wir felber, und wir hätten aufs Gerathewohl weiter mar-
ſchiren müfjen, hätten auch), wie wir fpäter fanden, nur ver-
laſſene Sennhltten noch angetroffen, wenn uns nicht zwei
Hirten begegnet wären, und den Weg nad) ihrem etwas ab-
legenen Stöl — fo heißen die Heineren Sennhütten —
gezeigt und im ihrem ſehr befchränften, vom Winde burd)-
fegten und fehr räucherigen, aber doc, mit Heu verjehenen
Häuschen ein Unterfommen gewährt hätten. Da fchliefen
wir zu Sechs eng an einander gedrängt, die Pferde gingen
im wilden Wetter mit ben Kühen und Schafen grafen. Die
beiden Hirten föften fi während eines Theils der Nacht
auf ber Bärenwache ab; wie dies im der Regel ber Wall,
fam der Bär nicht.
*) Nur auf dem Fällefjeld und bei Röldal in Hardanger hat man vor
etwa zwei Decennien Verfuche mit ber Haltung gahmer Renthierherben
gemacht, die jedoch nach wenigen Jahren wieder aufgegeben wurden.
12
0 David Brauns: Streifzüge
Der Weg ward am andern Tage immer jchlechter, fo
daß wir trotz des ziemlich guten Weiters froh waren, big
zu einer nahe der SirerElv belegenen, ihrem Flußgebiete
angehörenden Heinen Niederlaffung, Sulestard, zu gelan-
en. An den glatten Felshängen, die wir paffirten, lernte
ich die norwegijchen Pferde erjt nach Geblihr ſchätzen. Ein—
mal verlor fich dev Weg auf eine glatte, ſchräge Felswand;
alle Verfuche, oberhalb oder unterhalb durchzubrechen, waren
vergebens. Die Pferde aber benupgten eine feine Schicht-
fpalte, um ohne Zaudern und ohne Störung hinüber zu
fommen; jeder Fehltritt hätte jie fopfüber im dem tief unten
fid, auöbreitenden See geſtürzt und auf deſſen Klippen zer⸗
ſchellen laſſen. Auch die Führer bewährten ſich, und am
beften gerade der, vor dem man und als „den größten Bans
biten in Sätersdalen“ gewarnt hatte Er hie Björn
Knudſön; trog feines für einen Norweger auffallenden
Leichtſinnes, der ihm jeme Nachrede verichafft Haben modhte,
fanden wir in ihm einen gutmlthigen, ja bald uns aubhüng-
lichen Burfchen.
In Suleskard verfucdhten wir vergebens einen Wegs
weifer zur miethen, da der einzige zur Verfiigung ſtehende
junge Mann einen Gemeindearmen, einen alten Krüppel,
der ſich nur kriechend auf allen Vieren fortbewegen konnte,
zu Pferde zum nächſten Hofe des Sprengeld mehr als 4 Stuns
ben weit bringen mußte, defjen Befigern feine Verpflegung
für die nächjten Wochen oblag. Diefer Arme, der uns mit
einigem Stolze erzählte, feine Eltern hätten den Gaard er-
baut, in welchem wir ihn trafen, ſchien freilich fein Schid-
fal nicht gerade ſehr hart zu finden; welcher Urt es aber
war, konnten wir nicht ohne Schaudern und ausmalen: er
ward auf die angegebene Weife Jahr aus Yahr ein in
guter und ſchlechter Jahreszeit von Hof zu Hof gejagt, um
das farge Brot Aller zu theilen, das man ihm unverdroffen
in jener herlömmlichen Weife gab, ohne daß er oder irgend
Demand eine Idee von einer andern Möglichkeit hatte.
Nach einer zweifelhaften Nachtruhe auf dem mit wenig
Heu bededten Boden des Wohnzimmers brachen wir früh
Morgens nad) Ramme oder Naderamme auf, einer nicht
weit entfernten zweiten Niederlaffung in einem Seitenthale
der Eire-Eiv nahe dem Sire-BVand; beide Niederlaffungen,
Euleöfard und Ramme, find die nörblichften im Thale, die
noch bewohnt werden und unſchwer lich fic erkennen, daß
auch fie dem nahen Untergange geweiht find. Nicht nur die
drei bis vier Gaarde, aus denen jede derjelben beftand, zeigten
unlengbare Spuren des Verfalls — die Stabuure waren
ohne Vretterbefleibung, ihre Balken verrottet, die Wohn:
häufer nothdlirftig geflidt, die Ställe noch nothdürftiger —,
fondern auch die Wege waren im troftlofeften Zuftande,
Um zu einem der Gaarde in Ramme zu gelangen, in wel»
chem wir endlich einen Wegweifer fanden, mußten wir einen
langen Sumpf und mehrere Bäche durchwaten.
Von num an zog ſich der Weg, den wir ohne Führer nie
weiter gefunden hätten, über ein wildes Gebirge hin bis zum
Sire-Vand, den wir im einem dort vorgefundenen Boote
(Prahm) kreuzten — die Pferde mußten ſchwimmen — und
dann, durch ein Yabyrinth von Hochthälern mit wilden klei⸗
nen Seen, und zwifchen tief eingejchnittenen elsgellüften,
auf die Höhe des Gebirgoſtodes, auf die Barde-Heya,
von welcher wir die tiefe Spalte des Yyfefiords und Lyſe—
dals erblidten,
Auf diefer — wohl an 4000 Fuß hohen — Waſſerſcheide
angelangt, waren wir felbft nad) den bisherigen Erlebniſſen
von den Gebirgsmaſſen frappirt, die ſich hier anthürm—
ten, Ein ſolches Bild der Verwüſtung war uns nod) nicht
vor Augen gelommen. Hatten wir immer ſchon nach tradis
tionellen Schreclensbildern gefucht, mit denen wir die wilden
im füdfichen Norwegen. IV.
Yandichaften verglichen, jo wußten wir jet nichts Beſſeres
heranzuzichen, ald Dante's Hölle, um diefe Gegend ange
mefjen zu bevölfern, Die Gneismaſſen fielen faft jenfrecht
ab, die Hänge, allgemein für die fleifften in diefem Theile
Norwegens gehalten, lagen voll von abgeftürzten Blöcken.
Selten fand fich eine grünbewachſene Thalſpalte, fat Alles
öde und ſchwarz wie verbrannt. Weiter hinaus liberfah das
Auge, joweit es reichte, eine plateauartige Granitwüfte, im
welche der tiefe Spalt des Lyſefiords ſich ſcharf eingeſchnitten
eigte, ohne daß von der feinen Grund ausfüllenden Waſſer—
äche etwas fichtbar gewejen wäre. Die Granitmaſſen mit
ihren fahlen runden Formen erhöhten nod) den ſchauerlichen
Eindrud, ebenfo wie die vom fcharfen Winde uns entgegen«
gefegten Nebel und die dunfelen Regenwollen, welche von ber
Seeſeite heranjagten. Endlos ſchien ſich die Felſenwliſte fort«
zufegen; die See ſelbſt blieb hinter den Gebirgsmaſſen verftedt.
Der Pfad ward immer fchlechter; mehrmals fuchten die
Führer vergebens nad) einer Stelle, auf welder die Pferde
von der höchſten Felſenſtufe in eins der Thälchen Due
tet werden fonnten. Endlich gelang «8; indem die Pferde
nach einander, vom Einen am Kopfe, vom Andern am
Schwanze erfaßt, hinabbeförbert wurden, kamen wir liber
Trümmerhaufen an einen öden Bergſee, an welchem wir
den faum erkennbaren Pfad wiederfanden. Anfangs nod)
fahl, dann mit üppigerm Graswuchſe und Zwergwald vers
fehen, führte unfer Weg durch enge Hochthäler, oft ganz von
fleinen Seen erfillit, bis ein Felsſturz den Pferden das
Weitergehen unmöglich machte. Willig beluden ſich un—
ſere Begleiter mit dem Gepäck und kletterten mühſam
über die ſcharfen coloſſalen Gefteinstriimmter fort, während
bie Pferde, nur mit einer Feſſel um die Vorderfüße, grafen
gingen, bis ihre Herren des Weges zurücdtommen wilrden.
Zum Ölüde begegnete und ein Bauer aus Lyſe, der
gewohnt war, ſchwere Yaften von der Küfte nad) dem Sires
dal zu Schaffen, und wir erlangten gegen mäßige Bezahlung
feine Beihülfe, die uns nöthiger war, als wir dachten. Denn
jegt erſt kam das ſchwerſte Terrainhinderniß. Der Weg,
der eine kurze Strecke ohne fonderliche Beſchwerde fortgegane
gen war, fiel nun, bald nachdem die obere Waldbaumgrenze
überfchritten war, jäh an einem riefenhaften felsfturze, der
Ynjebreffa, mehr als dritthalbtaufend Fuß in das
Thal hinab. Wie auf einer Treppe mußten wir von Blod
zu Block hinabklettern, eine höchſt beichwerliche Arbeit, Wir
Ale gebrauchten etwa doppelt jo viel Zeit, ald der Mann
aus Lyſe trog feiner ſchwereren Laſt. Wir malten uns uns
willfürtid, das traurige Schidſal aus, welches die Kolonien
im nördlichen Siredal fofort bedrohte, falls diefer Mann
erlrankte oder auswanderte; denn der Weg, den wir gefom-
men, war ber einzige, ber von der Küſte nad) dort in Ges
braud; war, und nur dem ſtärlſten und geübteften Yaftträger
war es möglich, die Nahrungsmittel, Roggen und Gerfte,
mad; dort zu ſchaffen.
An der Lyſe-Elv ging die Reife bequem abwärts
nad) dem Orte Lyſe, wo wir in einem Gaardo Aufnahme
fanden und der ums fehr mothwendigen Ruhe zu pfle—
gen anfingen, als uns eine jonderbare Erſcheinung aufs
ſchreclte, die wir im Dänmerlichte kaum zu enträthjeln
wußten, aber nad) dem Anbrennen eines Streichhölzchens,
weldjes die Geftalt nad) langem Suchen in Brand fegte,
als einen völlig nadten Bauersmann erfannten, der uns
ganz unbefangen nad; unferm fernen Begehren fragte.
Dies zerftörte num zwar unſere Hoffnung, bier jchon einen
merlbaren Grad von Cultur anzutreffen, doc) gingen Nacht
und Morgen trog der unausbleiblichen ſechsbeinigen Peini—
ger fo leidlich vorüber; geſtürlt durd) den Genuß erlegter
Schnechlihner, fowie einiger Eier, die eine angenehme Ab-
Allerlei Zuftände im Reiche des Schah von Perſien. I.
wechjelung gegen bie fortwährend genoffene Milch gewährten,
en wir mit unferen Sätersdalern bis an das äuferfte
be des Fiord, wo wir und am 16. Mittags in einem
Heinen Segelboote einſchifften, da der entlegene Lyſefiord
nicht von Dampfichiffen befahren wird.
Das Thal ift ſehr ſchön und hat troß aller Wildheit
manche gefällige Punkte, Der Fluß felbft führt Perlmuſcheln
(Baphia oder Margaritana margaritifera, Retz.) und ift
reich, an Lade. Im Berbindung mit den Seitenbädhen,
welche zum Theil in müchtigen Staubfällen nieberftärzen,
ift er ftark genug, um das Wafler des Fiords am deſſen
obernt Ende zu entjalgen. Auch noch weithin, bis da, wo
der ſchmale Yofefiord ſich aus dem breitern Zweige des
Stavanger Fiords, aus dem Hölefiord, abzweigt, ift das
Waſſer brafig. Bis oben hin findet ſich jedoch Seetang
und eine ziemlihe Menge von Uferfchneden (Littorina
littorea L.), zu denen ſich bald zahllofe Miesmufceln
(Mytilus edulis L.), rothe Geefterne (Asteracanthion
rubens 1.) und GSeeeicheln (Balanus) gefellen. Der Fiord
ift von fteilen, hohen Gneisklippen mit Staubbäcen einge»
faßt und trog der Taucher und Kormorane, die den hinaufs
ziehenden Fiſchen machftellen, fehr öde, Nur wenige Gaarbe
hängen an den Felſen ober liegen unten am Ufer im troft«
lofer Verlaſſenheit.
Die Nacht brad) herein, ehe wir den maffigen Glimmer-
91
ſchieferfelſen von Foßan, den Grenzpunlt des Lyſe- und
Hole⸗Fiords, erreichten. Wir fuhren indeſſen auf jchauteln-
ben Wogen in bie bitterfalte, fternenhelle Nacht hinein,
welche dem ſtürmiſchen Tage gefolgt war. Dafitr hatten
wir den Anblid eines pradjtvollen Nordlichtes. Bekannt:
|
lich unterfcheiden ſich die Nordlichter höherer Breiten von
denen, die wir gelegentlich in Deutjchland zu fehen bes
kommen, durd das Vorherrichen der hellen Strahlenbüſchel,
die, wie ich mic bei der ungewöhnlich langen Dauer
diefes Nordlichtes lberzeugte, concentriſch von einem Punkte
des Meridiand ausgehen, im welchen zu der betreffenden Zeit
fid) die Sonme befindet. Einen Einfluß auf die Magnet
nadel konute ich in dem ſchwankenden Boote nicht beobachten.
Ein Zwifchenfall gab auf diefer Fahrt den Beweis von
der großen Fähigleit der Norweger, Kälte zu ertragen.
Björn Knudſön, der der Verſuchung nicht widerstehen konnte,
Stavanger zu fehen und als Steuermann auf dem Boote
mitfuhr, ftärzte beim Landen am einem Gaard, auf einer
Meinen Infel, in welchem wir bald nach Mitternacht einige
Erfriſchungen einnahmen und uns durchwärmten, bis an
die Bruft im die See, wechfelte aber nicht einmal feine Klei—
der, noch trocknete er biefelben, und blieb augenſcheinlich von
dem Vorfalle ganz unberührt. Bei dem meift conträren
Winde gelangten wir erft am folgenden Morgen bei Sonnen:
aufgang in der Baage an, dem Hafen von Stavanger,
Allerlei Zuftände im Reihe des Schaf von Perſien.
Teheran, die Hauptftadt Perfiens, hat ſchon viele Ele—
mente europäifcher Cultur im fi, aufgenommen, Wenn man
von Ispahan her gen Norden durch Berfien reift, dann
treten deutlich die Veränderungen hervor, welche nad) und
nach die Sitten, Gewohnheiten und die Tradıt der Bevölle—
rung erlitten haben. Wenigftens gilt dies von den höheren
Claſſen; aber auch die niederen Vollsſchichten flihlen sich in
einigen Gegenden weniger gedräidt, da fie nicht mehr von
der Willfür und dem Drude der Beamten, Soldaten und
Stewererheber zu leiden haben. Die Soldaten dürfen es
nicht mehr wagen, in die Käufer und die Felder einzubringen
und Alles, was ihnen gefällt, ohne zu bezahlen, zu nehmen.
Eine Frau tritt im diefem Theile des Reiches ficherer und
fefter auf, als ein Dann in den von der Hauptftadt entferit
gelegenen Provinzen. Den Beweis liefern folgende That
ſachen. Auf einer Reife von Jopahan nad; Schiras war ic)
Augenzeuge , daß zwei fräftige Männer zu Boden geworfen
und gepeitfcht wurden, weil fie deu Soldaten feine Yebens-
mittel geliefert hatten. Während fie fo unbarmherzig miß—
handelt wurden, jammerten fie und riefen in einem fort:
„Aman, Aman, Dekhil Dekhil!“ Ebenſo habe ich
geſehen, daß die Soldaten von den Aeckern fortnahmen, was
ſie und ihre Pferde gebrauchten, ihre Taſchen und ihre
Säcke füllten und auf die Beſitzer losprügelten, als dieſe
den Mund zu öffnen wagten, und gegen den Naub Wider
ſpruch erhoben.
In Teheran und deſſen nächfter Umgegend ſcheuen ſich
dagegen die Soldaten und ebenfo auch die Beamten, irgend
etwas zu rauben. Es ereignete ſich einmal, daß ein Offi—
zier niedern Ranges in trunfenem Zuftande in einen Gar:
ten eintrat, und in die ben rauen vorbehaltenen Wohn⸗
räume drang; der Haushere war wicht anweſend. Ohne
Bedenfen ergriff die Frau einen ſtarlen Knittel und vertrieb
L
den Eindringling, welcher von einer Stelle zur andern floh.
Sie verfolgte ihm, mit dem Suittel in der Bu auch noch
außerhalb des Gartens, und würde auf den Ungllicklichen
losgeſchlagen haben, wenn nicht Soldaten und Nachbaren
fi) ins Mittel gelegt hätten. Ich fand mid, veranlaft,
gegen meine Begleiter die Unficht auszufpreden, daß, wenn
man in den übrigen Theilen des Reichs Leben und Eigen:
thum im gleicher Weile vertheidigen würde, Perfien viel glück—
licher wäre als es ift. „Aber,“ wurde mir geantwortet,
„dort dürfen die Soldaten alles thun, was ihnen beliebt.“
Es eriftirt feine Behörde, bei welcher das Volk feine Bes
ſchwerden anbringen kann und Gehör zu finden hoffen darf,
aber ſelbſt, wenn feine Klage zur Beftrafung der Soldaten
führt, fo fteht zu flicdhten, daß dieſe Rache nehmen und dem
Ankläger großes Leid zufügen; im Teheran und deſſen Um:
gegend ift ed anders. Hier wird Diseiplin geübt und die
Soldaten durfen dem Volk nichts Unrechtes thun.
Die Folge der Mäglicen Zuftände ift, daß Noth und
Elend unter der Yandbevöfferung herrfchen ; umd dies ift ſelbſt
in der Umgegend von Teheran dev Fall. Denn da, wo die
Soldaten, die dat Volk verflucht, ihren Einzug halten, haben
die Bewohner umendlidy viel zu leiden. Während deren
Raubſucht in der fchärfften Weife zu brandmarlen ift, follten
wir aber auch andererſeits nicht vergeflen, daß die reine
Noth jene Fente zu Verbrechen gleichiam zwingt. Sie er:
halten für den Monat vier Körans (d. h. etwa 1", Thlr.)
Sold, und auferdem foll ihnen noch jährlich ein Zuſchuß
von 7 Tomans (d. h. circa 22 The, 1 Toman—10 Se
rang — 3)/, Thle.) gezahlt werden. Der Sold wird wohl
regelmäßig entrichtet, dev Zuichuß aber an manchen Orten bis
auf die Hälfte verringert, ehe er in die Hände des Soldaten
fommt. Der arme Menſch ift ſchon zufrieden, wer er von
den fieben Tomans vier erhält. Der Zufchuß wird bei Bes
12%
92
ginm des Winters gezahlt, um den Soldaten in den Stand
zu fegen, ſich einige warme Kleidung zu verfchaffen. Er muß
daher lediglich von feinem geringen monatlichen Solde zehn
Monate hindurch ſich ernähren.
Im früheren Zeiten unterfchieden fih die Armenier
von den Perſern durch ihre Kleidung. Sie trugen kleinere
Hute und ſchoren ihre Bärte; jet haben alle höheren und
felbſt auch ſchon die mittleren Claſſen die armeniſche Klei-—
dung angenommen. Einige von ihnen ſcheeren den Bart;
mitunter tragen fie ſchon Beinfleider und Hemden nad} euro⸗
päifchem Schnitt. Auch Halstlicher und Eravatten fieht man.
Der Schah hat eine halb europäiſche Halb armenifche
Kleidung gewählt. Niemals legt er feine Stiefel ab, Fir
diefe hat er nämlich feit feinem Beſuch in Europa eine große
Borliebe gewonnen, Man erzählt, daß er früher häufig
an Erkältungen und Huften litt; er fragte weshalb die Euros
päer bavon frei feien, worauf ihm die Antwort ertheilt wor«
den fei, er ziehe ſich dadurch Erkältungen zu, daß er mit
nicht genligend fefter Fußbekleidung auf feuchtem Boden
gehe. Seitdem lege er die Stiefel niemals ab, fogar in
das Bett nehme er fie mit, feine Frauen follen fie ihm in-
deſſen, wenn er jchläft, abziehen,
Die weiten „Patjama* werben von Niemand mehr ges
tragen, der bei Hofe Dienft zu thun hat. Un ihre Stelle
find Veinfleider nad) europaiſchem Schnitt getreten; nur
find fie an den Knien weiter und überhaupt länger, jo daß
man ohne Umbequemlichteit niederlnien und beten, aud)
nad) der üblichen Gewohnheit mit übereinandergefhlagenen
Beinen figen kann. Selbſt die niedrige Dienerfchaft wählt
gern eine neue Tracht, welche ein Gemifc von europäifcher,
armenifcher und perfischer Kleidung iſt.
Borurtheile und Claſſenunterſchiede, welche in früheren
Zeiten eine fo große Bedeutung hatten, find bei Vielen ver»
Die künftliche Lachszucht am Mc Eloud in Californien.
ſchwunden, und Mufelmänner und Kaſirs efien ohne Beben-
fen von demfelben Gericht.
Die Miffionäre und ihre Fremde freuen fi, bag das
Evangelium in der Hauptftabt Perfiens geprebigt wird, und
daß es amerifanifchen Miffionären gelungen ift, ein paar
Mufelmänner zu belehren,
Der amerifanifche Miffionär bervohnt während der heißen
Monate ein etwa zwei Meilen von Teheran entfernt Tiegen-
des Landhaus. Ich wohnte einem Gottesdienft bei und der
Katechift eiferte im feiner Predigt lebhaft gegen Mohammed
und defien Lehre. Während der Rede fürdhtete ic immer
einen Angriff von Seiten einiger fanatischer Mufelmänner ;
ich hatte dazır um fo mehr Grund, als der „Sottesdienft“
am hellen Tage gefeiert wurde, der Zutritt Jedem gejtattet
war, umd fi in der VBerfammlung mehrere Dufelmänner
| befanden, eine Schutzwache aber ganz fehlte.
Obgleich die perſiſche Regierung die Freiheit des Glau—
bens nicht ausdrüclich anerfannt hat’, fo drückt fie doch die
Augen zu, wenn aud) von den Miffionären die Yandesreligion
— wird. Aber wie wird ſich die auf dreiſte Art her—
ausgeforderte perfiiche Priefterfchaft verhalten ?
Auch in Tebris haben die Amerilaner eine Miffionsftation,
und wie fie behaupten einige Anhänger Mohammed's befehrt,
aber feine Perfer fondern Araber.
Eine Sitte, von welcher ſich die Perfer ſchwer zu tren-
nen fcheinen, ift die Gewohnheit, ftundenlang in hodender
—— den Knien zu ſitzen. Stühle benutzt man
nicht. n Europäern allein werben dergleichen zur Ber
nutzung angeboten.
Die Veränderungen, deren ich erwähnt habe, verfprechen
ein gutes Reſultat für Perſien. Europäifche Cultur, Kunft
und Sitte haben wenigftens auf einzelne Perfer tiefen Ein-
drud gemacht. Das Uebergewicht der militärifchen Kraft
hat man aus eigener Erfahrung fennen gelernt.
Die künſtliche Lachszucht am Me Cloud in Galifornien.
Die künftliche Filchzuct gewinnt immer größere Aus
dehnung; jo hat unter anderen auch Amerifa wieder zivei
neue Anftalten gegrlindet, um im denfelben Lachſe zu zlichten.
Die eine, am Penobscot in Maine, foll die fülteren nördlichen
Ströme, die zweite am Me Cloud in Californien die füdlichen
Fluſſe mit jungen Lachſen verforgen. Seit zwei Jahren
hat die Zucht begonnen und das Reſultat ift ein glinfliges
geweſen.
Der Me Cloud iſt ein Nebenfluß des Pit, welcher in den
Sacramento fällt; er führt ein eisfaltes, wunderbar Mares
und reines Wafler aus den Scjneefeldern des Schaftage-
birged. Sein oberer Theil bildet dem beliebteften Laichplatz
bes Yachies.
Die Station liegt etwa 5 Meilen (deutfche) von Reading,
dem jegigen Vereinigungspunfte der Dregons und California«
Eifenbahn umd etwa eine Meile oberhalb der Mündung des
Me Cloud in den Pit. Der gewählte Pla eignet fic ber
fonders fir den Lachsfang, zugleich aber ift er vielleicht ber
lieblichſte und ſchönſte in ganz Californien. Der Fluß, wel
cher eine Breite von etwa 200 Fuß hat, bildet hier eine nas
titrliche Barre, von weldyer er in rafcher Strömung im bie
unter ihr liegende Vertiefung fällt. Diefe Beichaffenheit
hat man ſich zu Nuge gemacht. Auf der Barre wurde aller
dings mit großen Mühen und Anftrengung eine Verzäunung
aus Weiden errichtet, welche die den Fluß hinauffteigenden
Lachſe verhindert, zu ihren oberhalb gelegenen belichten Laich—
plägen zu gelangen,
Das Etabliffement befteht aus einem feften Wohnhaufe
und einem großen Zelt, in welchen legtern die Fiſchlkäſten
und die fonftigen Geräthichaften aufbewahrt werben,
Da die Erfahrung gelehrt hat, daß auch das klarſte Fluß⸗
waſſer noch nicht vein genug ift, um einen fichern Erfolg zu
gewähren, es der Filtration vielmehr bedarf, um insbefondere
die Fungus zurücdzuhalten, welde auf den Eiern ſich fonft
anfegen und das Auskriechen dev jungen Lachſe verhindern,
fo wird das Waffer filtriert. Zur diefem Zwede find Reſer—
voire angelegt. Das Waffer wird durch ein Schöpfrad,
welches der Fluß felbft treibt, gehoben und nachdem es drei
Filter paffirt hat, in die Reſervoire geleitet, won welden es
dann im regelmäßigem Zufluß in die Zuchtfäften gelangt.
Diefe find aus Tannenholz — 16 Fuß lang, 8 Fuß breit und
7 Zoll hoch — gefertigt. Im Innern find fie mit einer Mafle
von Asphalt und Kohlentheer belleidet, welche verhindert, daß
in den Holzkäften ſich der Fungus bildet. In jedem Sucht»
faften find fieben Körbe — 2 Fuß lang, 11 Zoll breit und
6 Zoll tief — aufgehängt. Da jeder derfelben fr 30,000
Eier ausreicht, fo kann das Etabliffement im einem Jahre
acht Millionen junge Lachſe züchten. Unter der Leitung des
Die künſtliche Lachszucht am Me Cloud in Galifornien. 93
mit der Verwaltung betrauten Directord Stone find zehn
Mann überhaupt beichäftigt geweſen; auferbem aber haben
die Indianer arg. Hilfe geleiftet. Der Monat Auguft
ift die Zeit, wo ber * in Tauſenden zu den Laichplatzen
auffteigt. Cine große Menge hat man hinauf kommen laf»
fen, dann aber die Verzäunung gefchloffen, welche zu über:
fpringen ungeachtet aller Bemühungen nur einigen wenigen
gelingt. Die bei Weiten größere Hälfte fällt abgemattet
und erſchöpft im die Tiefe zurlid und kann im dem ruhigen
Waſſer leicht gefangen werden. Im der Regel beginnt der
Fang in früher Morgenftunde und wird bis jpät Abends
fortgefegt. Die Indianer, welche die Arbeit willig unters
flügen, verfammeln fid) dann um ein Feuer und find ver-
gnügt wie die Kinder, denn fänmtliche Fische, welche man
gefangen hat, find ihmen zugefichert und werben ihnen über
liefert ſobald die Befruchtung ausgeführt ift.
Am nächften Tage werden die Fiſche aus den Körben
genommen. Auch der ftärffte und fräftigfte Yachs verhält
ſich ruhig, wenn man ihn mit ber einen Hand an dem
Schwanze faßt und bie andere Hand unter feinen Kopf legt.
Das Weibchen, welches leicht an dem feinen Kopf und dem
ſtärlern Bauche zu erlennen ift, wird zwiſchen die Beine ges
nommen, durch eim Leichtes Streichen mit ben Händen der
Rogen herausgedrüct und biefer in einem waſſerleeren Ges
fäß aufgefangen. Jedes Weibchen liefert etwa 3000 Eier.
Nun wird ein Männchen ergriffen, deſſen Milch, welche eine
ſchleimige Maffe bildet, in das mit dem Rogen geflillie Ge—
füß gebrüüct, und dann etwa eine Minute lang vorſichtig
umgerührt. Hierauf wirb der Same im ein mit Waſſer
gefülltes Bedlen gebracht, in welchem er dreiviertel Stunden
unberührt ftehen bleibt.
ie gift jegt vollzogen. Der Rogen wird
mit Borficht aus der Milch herausgeſchöpft. Während bei
der wilden (matltrlichen) —— faum von tauſend
Eiern ein Ei, alfo von jedem Weibchen nur etwa drei
Eier zur Entwidelung kommen, und ein befferes Refultat
aud) dann nicht eintreten wird, wenn die Befruchtung in flies
fendem Wafler oder in einem mit Waffer gefüllten Gefäß
geſchieht, jo wird auf die oben befchriebene Weife dagegen
erreicht, dag man von 1000 Eiern auf 950 junge Lachfe mit
ißheit rechnet,
Die Indianer fehen der Operation mit dem lebhafteften
Intereffe zu, denn wenn die Befruchtung gefchehen ift, wer:
den ihnen die Fiſche ohme Ausnahme überliefert, welche fie
zum größten Theil trocknen, um ihren Wintervorrath zu
deden. Darin, dag man ihnen das gegebene Wort hält und
die Fiſche ſämmtlich überläßt, ift der alleinige Grund zu
fuchen, daß fie die Fifcherei überhaupt in dem von ihnen vor⸗
zugsweife geſchätzten Fiſchwaſſer geftatten.
Die befruchteten Eier erfordern eine fehr forgfältige und
wmausgefegte Beachtung. Nach drei Tagen zeigt ſich in den
einzelnen Eiern ein Meines dunkles Pünktchen, welches als
der eigentliche Tebensteim angefehen wird und in dem Mittel-
punkte des Eies liegt. Die Über dem Dotter liegende Hlille
dehnt ſich nun allmälig. Sowohl des Morgens als des
Abends wird jeder Korb aufgenommen umd die Eier werden
einer jorgfältigen Prüfung unterworfen. Diejenigen Eier,
welche blaß oder weiß ausfehen, find tobt ober im Softerben
begriffen und werben mit einer Heinen Zange entfernt, weil
fie die Eier, mit demen fie in VBerligrung fommen, gefährden.
Das Herausfuchen und Fortnehmen der verborbenen Eier
erfordert große Sorgfalt und Gewandtheit; die Sadıe muß
nämlich ſchnell beendet werden, weil helles Tageslicht von den
Eiern möglichft fernzuhalten ift um nicht zu ſchaden; einige
Indianer haben indeß eine fo große Fertigleit erlangt, daß
fie mit einem Blidk ihres ſcharfen Auges jedes todte oder
abfterbenbe Ei fofort erkennen und es mit geübter Hand augen-
blicklich befeitigen.
Nach zwanzig Tagen treten an jedem einzelnen Ei zwei
glänzend fchwarze Punkte hervor; es werben dies die Augen
des Lachſes. — deutlicher zeigt ſich nun das Leben.
Nach ſechs Wochen durchbricht der junge Lachs ſeine Hülle
und erſcheint als Fiſch mit ſchmalen Floſſen und Schwänz ⸗
hen; ungefähr einen halben Zoll lang bildet er eine halb⸗
ducchfichtige Maffe. Er ſchwärmt anfcheinend willenlos auf
dem Wafjer. Noch ift er ein ganz Hillflofes Wefen, weldyes
fir ich nicht forgen kann, allein ba er nur bie äußere Hülle
abgelegt hat, fo ift ihm umter feinem Heinen Körper ber Dot-
ter geblieben, aus welchem er die nöthige Nahrung noch
wochenlang entnimmt. Anfänglic, find die Thierchen faft
ganz bewegungslos; von Tag zu Tag werben fie aber im
ihren Bewegungen lebhafter. Sie beginnen den Mangel an
hinlänglihem Schug zu fühlen und von dem eingeborenen
Inſtinct geleitet, fuchen fie die Winfel und Eden des Korbes
auf, um dor etwaigen Feinden ſich zu verbergen. Nach drei
Monaten ift der Borrath, welchen bie Mutter Natur auf ben
Lebensweg mitgab, aufgezehrt; das Fiſchchen, jegt etwa ein
und einen halben Zoll lang, ift nun aber aud) im Stande,
felbftändig ſich fortzuhelfen. Wenn es ihm gelingt, feinen
unendlich vielen Feinden zu entgehen, dann fehrt der voll-
ftändig ausgewachfene Yadys nad) drei Dahren in den Fluß
zurüd, welcher ihm das Leben gab, Er folgt dem ihm ein-
gepflanzten Inftinct.
Die Station am Mc Cloud hat nur die Aufgabe, bie
Eier bis zu dem Stadium zu führen, daß fie an andere Orte
verjendet werden können, Sobald bie Eier zwanzig Tage
fang in den Körben gewefen find umd die Augenpuntte ſich
erkennen laſſen, dann können fie in die weiteften Entfernuns
en verfchict werden; während des Transports wird freilich
ihre Entwidelung verzögert, Die Verfendung gefchicht in
Käften von etwa 2 Fuß Länge, 2 Fuß Breite und 1 Fuß
Tiefe. Sie werden forgfam mit Waffermoos ausgefüllt,
welches man an den etwa 2 Meilen entfernten Quellen des
Sacramento fammelt. Zuerſt macht man eine Yage von
Moos, auf welche dann eine Schicht Eier ausgebreitet wird,
dann folgt wieder eine Tage Moos und fo weiter bis ber
Kaften bejegt if. Die Mitte wird durch ein dünnes Brett
chen geteilt, wm den Drud ber oberhalb liegenden Maffe zu
vermindern. Zwei folder Käſten, deren jeder 75,000 auf:
nehmen kann, werden in einem Kaſten vereinigt, welcher jo
groß ift, daß alle Seiten drei Zoll mit Heu ausgeflillt wer-
ben können. Diefe Berpadung ift nöthig, um eine möglichſt
gleichmäßige Temperatur fir die Eier zu erhalten und zu
ſtarle Erſchütterungen zu vermeiden. Ein Behältniß zur
Aufnahme von Eis iſt außerdem auf dem Kaſten befeſtigt.
Der Transport geſchieht unter Aufſicht eines ſachlundigen
Mannes, welcher fie ſtets mit großer Aufmerkſamleit zu bes
handeln hat. Unmittelbar wenn fie an ihrem Beftimmungs-
ort anfangen, werden fie in Körbe gebracht, welche denen
ähnlich, find, aus welchen fie entnommen wurden.
Es ift wunderbar, daß diefe zarten Wefen den weiten
und langdauernden Transport ertragen und in einem Wafler
fich entwiceln, welches von demjenigen vielleicht ganz verſchie⸗
den ift, im welchem fie bisher gehalten wurden; im großen
Ganzen kommen fie indejfen doch zur Entwidelung.
Im Jahre 1873 verfandte die Station überhaupt nur
ein und eine halbe Million, im Jahre 1874 aber mehr als
fünf Millionen befruchtete Eier. Davon erhielten: Bangor
100, Wincheſter (Maſſ.) 200, Providence (R. 3.) 100,
Rocheſter (N. 9.) 500, Mariette (Pa.) 300, Niled (Mich)
150, Newhope (Pa.) 150, Newcafile (Can.) 25, George
town (Golor.) 250, St. Paul (Din) 150, Aınmofa (Jowa)
94
300, Salt Lale (Utah) 150, Clarkſton (Mich.) 150, Ran—⸗
dolph 25, Lynchburg (Ba.) 50, Rodford Ill. 50, Neufee-
land 25 Tauſend.
Um die Eier zu befchaffen, wurden in runder Summe
5000 Lachſe gefangen, von welchen die eine Hälfte Männs
chen waren; ber Berluft diefer allerdings großen Zahl Fiſche
ift fein Grund, ein Bedauern auszuſprechen; es ift nämlich
als wahr anzunehmen, daß ber Ladys mit der Abgabe feines
Samens aud) feine Lebensaufgabe erfüllt hat. Er verliert
dann die Schuppen, befommt eim dunkles trübes Ausfchen
und geht in ben MWaflerfällen unter, bie er einft mit feiner
ganzen Kraft zu überwinden fuchte. Kaum Einer von Hun⸗
dert gelangt wieber zur See.
Die Station am Me Cloud hat die aufgewandten Koften
vollftändig gededt, wenn das Tauſend befruchteter Eier zum
Werthe von 1 Pi. St. beredjnet wird, während früher bas
Taufend in Canada 40 mal fo theuer bezahlt werden mußte,
Der Congreß hat, wenn auch erſt nad) längerm Zögern,
eine neue Bewilligung gemacht und es fteht zu erwarten,
daß die fünftliche Zucht der Fiſche fortgefegt und zum Segen
bes Volls gereichen wird, welches jegt vielfach dem Genuß
der beliebten Speife entjagen muß; es bleibt aber. immer
nothtwendig, daß Mafregeln getroffen werben, welche die Er—
haltung der Fische Überhaupt ermöglicyen, dahin ift befonders
Aus allen Erdtheilen.
u rechnen, daß micht die jchäblichen Abflüffe der Städte, die
liefftände der hemifchen Fabrilen und andere fchädliche Sub-
fangen den Flüſſen zugeführt werben.
Die bei der Sache beteiligt gewefenen Männer verdienen
alle Anertennung; aber auch die Indianer find fehr werth⸗
volle Gehülfen gewefen. Sie waren früher der unbändigite
und wildefte aller Stämme, jelbft die Modocs nicht audge-
nommen, haben den Weißen gegenüber jede Abtretung von
Territorium verweigert und alle Coloniften mit Gewalt oder
durch Drohungen abgewiefen. Als der Bau der Station
begonnen, fandten fie eine Deputation mit ber Meldung, daß
man wieber abzichen möge, wenn man ben Frieden bewahren
wolle, allein es gelang ihr Bertranen zu gewinnen. Man
hat das gegebene Verſprechen gehalten und ihnen mehr Fiſche,
als fie jemals felbft gefangen hätten, geliefert. Sie find jetzt
vollſtändig beruhigt und unterfiligen bie Arbeit, bei welcher
20 Männer umd ebenfoviel Frauen regelmäßige Beſchäfti-
gung genommen und gefunden haben, Sie verehren ben
Yeiter der Unternehmung und nennen ihn den Geſandten des
„großen Vaters“. In ihrem eignen unmittelbaren Interefie
liegt die Erhaltung der Station, jo daß man ihnen die Bes
wahrung der Gebäude und Seräthichaften mit Sicherheit hat
anvertrauen können und anvertraut hat, bis der Betrieb von
Neuem beginnt.
Aus allen Erdtheilen.
Zur Eharafteriftit der Ebinefen.
Je mehr fich unfere Verbindungen mit dem großen chi:
nefischen Reiche entwideln, deſto willlommener erfcheinen alle
Mittheilungen, welche uns einen Einblid in die Eigentbim-
lichkeiten jeiner zahlreichen Bewohner zn geben vermögen.
In diefer Hinficht finden fih in den Schriften des Abbe Ar—
mand David, welder von 1862 bis 1873 in Peking lebte
und von dort aus eine Reihe von Reifen in die Mongolei
binein unternahm, einige treffenbe Beobachtungen.
Ein charalteriſtiſcher Zug des Chineſen ift deffen Geduld,
Rube und Ausdauer. So behandelt er alle feine Thiere mit
großer Schonung, fogar mit einer gewiſſen Liebe. Nie wird
er gegen fie beftig, nie läßt er fich zum Schlagen und Stoßen
hinreißen; andererſeits find aber eben in Folge der freund:
lichen Behandlung feine Laft und Zugthiere ftets willig und
folgfam, nie eigenſinnig und ftörriih. Ein Zuruf geniat.
Seiner unermüdlichen Geduld gelingt es ferner, faft alle
Vögel, ſelbſt Naubvögel, zu zäbmen umd ihre Zuneigung zu
gewinnen. In Peking begegnet man oft Leuten, welche auf
einem Stödcen Vögel mit ſich führen. Nach Belieben ver:
laſſen diefe ihren Sig und erbeben fich in die Lüfte; die Au—
bänglichfeit führt fie immer zu ihrem Herrn zurück, welden
—— aus einer größern Menſchenmenge herauszufinden
wiffen.
Für Vögel bat der Chineſe überhaupt eine befondere Bor:
liche, Nur ungern tödtet er fie. Kleine Vögel werden nicht
gegeflen; man hält fie nur zum Vergnügen. Nicht felten kau—
fen wohlhabende Leute ganze Käfiche voll, lediglich um den
Thierchen die Freiheit zu Tchenten.
Der Ghinefe verrichtet feine Arbeit ohne viel Reden, in
der Regel ohne ein Wort zu ſprechen. Alles geichieht nach
altbergebrachter Weile und fefter Regel. Jeder beforgt fein
Geſchäft, ohme fih um den Andern zu befünmern und ohne
her ihm führt, auf ein bevorftehendes Hinderniß, 3. B. eine
entgegenkonmenbe Herde oder Karawane, aufmerkſam zu
machen, jo würde ihm diefer faum Gehör fchenfen; um der:
artige Dinge hat ein vornehmer Herr ſich wicht zu bekümmeru.
Nubig, mit niedergeichlagenen Augen, fett der Chineſe feinen
Mari jo lange fort, bis er fih dem Hinderniß unmittelbar
gegemüberficht. Iſt dieles etwa dadurch herbeigeführt, daß
man einander nicht genügend ausgewichen ift, fo beichuldigt
Einer den Andern, die Regel nicht beachtet zu haben. Es ift
nicht gerathen, fich einzumifchen oder gar an der Befeitigung
des Hinderniffes fich zu betheiligen, man würde dadurch nur
in den Augen der Chinejen verlieren. Die Sache findet,
wenn auch erft nach einiger Verzögerung, ohnedies ihre Er:
ledigung.
Ungeachtet die Ehinefen ſich Kunftfertigleiten aller Art
und zwar im einem bewunderungswerthen Grade angeeignet
und aud) eine ungeheure Maſſe von Willen anschäuft haben,
fo haben fie doch für Naturwilfenichaften feinen Sinn
gezeigt. Sie find 3. B. mie dazu gelangt Herbarien anzu—
legen. Bon der Flora ihres Landes oder irgend einer Gegend
baben fie daher auch fein Verſtändniß. Jedenfalls bat bier:
bei der Umftand mitgewirkt, daß die Flora überhaupt und
befonder& in der Umgegend von Peking überaus arm ift.
Wild wachlende Pflanzen giebt es dort fo gut wie gar nicht ;
jedes Winkelchen, jede Ede der weiten Ebene wird zu Cultur:
pflanzen beuutzt. Der Fleiß und die Sorgfalt, mit welcher
der Chineſe den Boden bejtellt und bebandelt, läßt Feine an-
dere Pflanze auflommen. Sogenannte verunfrautete Felder
giebt es dort nicht.
Alle Geſchafte von irgend einer Bedeutung werden aus;
nahmslos durch Unterhändler vermittelt, welche nach der Wich-
tigkeit der Sache ihre feftitchende Vergütung erhalten; auch
werden alle Berbeirathungen durch Mittelsperſonen zu Stande
gebracht. Auf directen Abſchluß eines Geſchäfts läßt ſich Nie-
von der Einmilchung eines Dritten Notiz zu nehmen. Sollte | mand ein und dem beftebenden Brauche muß ſich auch der
ſich etwa ein Europäer veranlaßt fühlen, den Ghbinejen, wel: | Ausländer fügen.
Aus allen Erdtheilen, 9
Die Arbeiterbevölferung it im Allgemeinen arm und ibr
Lohn jchr gering. Der Verdienſt eines Gefchäfts bleibt der
Hauptiahe nad) ftets den befigsenden Claſſen. So gehören
. B. die Sänften, Karren und Zugthiere nicht den Führern,
fondern find ausnahmlos Eigenthum der Gafthausbefißer.
Die Führer find nur gemietbete Leute, welche für ihre Arbeit
gering bezablt werden, während jenen der ganze Betrag, wel:
chen der Reifende für die Benutzung zu leiften bat, verbleibt.
Für Schaufpiele haben die Chineſen eine befondere Vor:
liebe. Theater finden fich daher in jeder größern Stabt,
Ueberall find fie in gleicher Weile gebant. In dem Theater:
gebäude felbft giebt es feinen Zuſchauerraum; nur fir die
Schauspieler und Muſiler wird der nötbige Platz eingerichtet.
Das Bublicum grappirt ſich um die Bühne fo aut es eben
acht. Alle Stüde werden mit lautem Geſchrei und Ichhaften
Geftienlationen aufgeführt; von dem Inhalt felbft aber it
wenig au verjtchen. Die Frauenrollen werben ftet3 von Män—
nern gefpielt.
So ſehr fih die Frauen, wenigſtens bie der höheren
Claſſen, der Außenwelt entziehen, jo befuchen fie dod gern
das Theater, Vielfach ſieht man fie, in der Negel in Grup:
ven, aber ſtets das Geſicht verfchleiert, dort verfammelt, und
oft in febhafter Unterhaltung begriffen.
Für Muftk in unferm Sinne haben die Ehinefen wenig
oder gar kein Verftändniß. Zwar wirb viel muſicirt, aber es
fehlt die Harmonie, die Muſik ift immer einförmig und voll
von Miftönen. Für einen Europäer ift fie geradezu uner—
träglich.
In Folge der übergroßen Bevölkerung des Landes haben
die Chineſen eine überwältigende Expanſionskraft. So find
fie ſchon tief in die Mongolei eingedrungen, haben dort, oft
gegen den Widerfpruch der Mongolen und felbit unter bluti—
gen Kämpfen, umfangreiche Flächen culturfähigen Bodens
in Beichfag genommen und in ertragreiche Aecker umgewan—
det. Die Mongolen werdenimmer mehr zurüdae:
drängt. Nur wenige von ihnen können fich entichließen,
das Leben als Hirten aufzugeben und fich dem allerdings
mübevollern Aderbau zuzuwenden. Die Erträge ibrer Her:
ben reichen aber oftmald zur Ernährung nicht aus und jo
werden fie durch die Noth geswungen, um nur dad nöthige
Getreide und die fonftigen Lebensbedürfniffe, unter denen
Three eine bedeutende Rolle fpielt, zu erhalten, den fleißigen
und tbätigen Chineſen ein Stüd ihrer Weideflähen nach dem
andern zu überlaffen. In der Regel find dies die befjeren,
fruchtbareren Grundſtücke, in deren Nähe ſich auch das erfor:
derliche Wafler findet. Die Mugen Chineſen wiſſen biefe fehr
wohl herauszufinden, jo daß den Mongolen die uncultivir-
baren Bergabbänge und die weiten wafferlofen Sandebenen
verbleiben. Während dic Bevölkerung diefer im allmäligen
Abnchmen begriffen ift, wächſt dort die Zahl der Chineſen.
David iſt fiberzengt, daß fie ſchließlich die einzigen Beſitzer
des gefammten culturfähigen Bodens werden — cin Erfolg,
welchen fie dann hauptjächlich ihrem lei, ihrer Ausdauer
und Genügſamleit, zum guten Theil aber auch ihrer Schlau:
heit und Gewandtbeit zu verdanken haben.
Die Infel Neuguinea und die Auftralier.
H.G. In den auftraliichen Colomien wird jetzt ftarf agi-
tirt, Nengninen, welches, auf der großen Wajlerftraße nad
Indien und China gelegen, ſchon darum für Auftralien eine
beiondere Wichtigfeit hat, unter englifche Hoheit au bringen.
Man denftdabei an die „Anfrechterbaltung, Beſchützung und
Conlolidirung der afiatiichen und auftralifchen Befitungen
Grofbritanniens" und will verbindern, daß irgend eine ans
dere Großmacht, namentlich Rußland oder auch Deutichland,
von der Intel Beſitz ergreife und einen Keil in die englifchen
Golonien einfchiebe.
Nenguinea ift die größte Inſel Auſtraliens, ift erheblich
größer ala Java und reicher ala Ceyſon. Ohne Zweifel bil
dete es vor Zeiten mit Norbauftralien, von welchem es jetzt
nur durch die ſchmale Torresſtraße geichieden ift, einen inte:
grirenden Beftandtheil. Dies deuten die geringe Tiefe dieler
Waſſerſtraße, die gleiche Fauna und Flora und die geologi-
fche Structur der getrennten Küften an. Ja, Alfred Wallace
bat in feinem berühmten Werke „der Malayhiſche Archipel“,
überhaupt, mit Hülfe chronologiſcher Thatlachen, den Nachweis
geführt, daß der auftralsmalayifche Archipel — Celebes, die
Moluffen‘, Neuguinea, die Salomonsinfeln u. |. w. umfaſ—
fend — einjt mit Australien im unmittelbarem Yufammen-
hange geftanden habe,
Der Flächeninhalt der Infel wird anf 250,000 big 275,000
engliſche Onadratmeilen angelegt, und die vielfach gezahnte
Küfte mißt eine Länge von ungefähr 5000 englifchen Meilen.
Die Baien und Häfen find zahlreich und die Gebirgsfetten,
welche die Juſel durchftreichen, erheben fich zum Theil über
die Schneelinie hinaus,
Die Bevölkerung wird approrimativ auf 5.(?) Millionen
Seelen gefhätt uud die Bewohner find, nach den neueften
Erfahrungen, keineswegs alle fo wild und graufam wie bie See:
fahrer — wohl in ihrem eigenen Handelsintereffe — fie ſonſt
zu ſchildern pflegen. Ein jet in Ballarat, Colonie Victoria,
lebender Engländer, welcher zwei Jahre lang in Neuguinea
für ein Haus in Sybney im Sandelbolzgefchäfte engagirt
war, verfichert, daß die Eingeborenen, wenn freundlich be-
bandelt, das Vertrauen volllommen rechtfertigen, welches man
in ſie fett,
Bis jet ift Neuguinea freilich meiftentbeils noch eine
terra incognita, allein jeber nachfolgende Berfuch, die Kitten
zu erforfchen, hat doch immer neue Beweiſe von dem Reich
thum feiner vegetabiliichen und mineralifchen Schäge geliefert.
Zur einheimilchen Vegetation zäblen vortreffliche Nutzhölzer,
wie Ebenholz und Sandelholz und werthvolle Färbehölzer.
Dan findet ferner den Campherbaum, die Sagopalme, den
Kokosbaum, das Zuderrobr, verſchiedene Varietäten von Ba:
nanen, den Brotfruchtbaum, die wilde Muskatuuß, Mais,
Neis u. ſ. w. Die fruchtbaren Abhänge der Berge eignen
fich für den Anbau von Baumwolle, Kaffee, Zimmet und
überbanpt flir alle Arten Gewürze. Während anf den Über
nen tropiiche Vegetation gebeibt, dürften fich in den Schluchten
ber Bergfetten die Producte der gemäßigten Zone mit Erfolg
cultiviren laffen, An ben Meeresküften kommen Perlen und
Schildpatt in Menge vor, und Sapphire, Rubine und andere
Edelſteine find ebenfalls aufgefunden worden. Auch unter:
liegt es wohl taum einem Zweifel, daß die goldhaltigen
Erdichichten‘, welche den Continent Auftralien zwiſchen 140
und 150 Grab öftl. v. Gr. von Süd mach Nord durch—
sichen, auch Neuguinea durchftreichen. „ Bringen doch die Ein:
geborenen von Zeit zu Zeit Goldftiide aus dem Innern der
Inſel nach den Küften, um dagegen auf den gelegentlich an:
legenden Handelsſchiffen allerlei Waaren einzutauſchen. Auch
von den Holländern, welhe an der Nordweitküfte Anſiede—
lungsverfuhe — aber mit jehr geringem Erfolge — gemacht,
ift es betannt, daß fie dort Gold und Silber erhielten. Die
Holländer haben awar feit ungefähr dreißig Jahren die Nie-
berfaffung wieber aufgegeben, follen jedoch noch heute die
Inſel bis zu 141 Grab öftl. v. Gr. ald ihre Beſitzthum be-
anfpricchen. Diefe Linie wirde Neuguinea fo ziemlich halbiren.
Ein Land, welches folche Anzichung ausübt und das von
einem thätigen, energifchen Handelsvolle nur durch eine Schmale
Waſſerſtraße getrennt wird, lann wicht mehr lange in Jſoli⸗
rung bleiben, Es ift freilich wahr, daß bis jetzt nur ein un—
bedeutender Verkehr zwilchen beiden Landen befteht, allein eine
Henderung zum Beſſern ſcheint denn doch fchon Pla zu
greifen. Die Perl: und Tripangfilchereien in der Torres,
ftraße, welche gegenwärtig in großem Umfange betrieben
werden, haben im diefer Beziehung das Jhrige gethan. Und
follte die Northern: Territory: Anfiedelung am Port Dar:
wir, troß all ihres bisherigen Mißgeſchides, zum Gedeihen
96 Aus allen Erdtheilen.
gelangen, und follte die weitere Ausbreitung ber Anficdelum:
gen in Queensland nach der Nordküfte zu andauern, fo wird
und muß ohne Frage der Verkehr mit Neuguinea bald erheb:
lich wachſen.
Bor zwölf Jahren trat in Sydney, Colonie Nenſüdwales,
unter Leitung des hervorragenden Barlamentsmitgliedes Rev.
Dr. Lang, eine Gefellichaft ins Leben, welche die Coloniſation
von Neuguinen bezwedte. Zahlreiche Abentenrer aus allen Co—
lonien Anitralieng ſchloſſen ſich an und hinreichende Geldmittel
wurden gezeichnet, Da wurde aber der Gefellichaft amtlich er:
öffnet, daß fie ohne die bejondere Sanction der englifchen Regie:
rung feine engliiche Eolonie gründen noch irgend welche Juris:
diction ausüben könnte. Und der damalige Colontalminifter,
Herr Parkes in Sydney, gab dazu bie Erflärung ab, daß auch
feine beſtehende engliiche Colonie das Necht habe, eine jubor-
dinirte oder Tochtercolonie ins Dafein zu rufen. Ans diefem
Grunde fiel damals das von vielen Auſtraliern beginftigte
Project vorläufig zu Boden.
Im Jahre 1869 bielt Dr. Lang in der Royal Society
of Sydney einen längern Vortrag über Nenguinen und deffen
beſondere Eigenichaften für britiiche Coloniſation. Diefe Vor:
lefung ward gedrudt und fand allgemeinen Beifall. Der
Vorichlag ging dahin, unbekümmert um britifche Hobeit, auf
eigene Kauft eine Anfiedelung zu gründen. Eine Geſellſchaft
in diefem Sinne bildete fih. Ein Schoner wurde angelauft
und achtzig wohl geeignete Berlonen begaben fich darauf nach
Nengninea. Allein nicht nur das Schiff erwies fi als
ſeeuntüchtig, Tondern aud der Capitän war ein unfähiger
und unwürdiger Menſch. Das Fahrzeug gerieth nicht weit
von der Kilfte der Inſel auf ein Riff. Der elende Eapitän
nahm mit einigen feiner Mannichaft das befte Boot und ret:
tete fich auf das mahe liegende Fand, wo er indeß von ben
Eingeborenen erichlagen warb, und von den achtzig Baflagic-
ren Fam mehr als die Hälfte ums Leben. So endete auch
der zweite Verfuch der Coloniſation erfolglos.
Aber verschiedene Umftände lichen das Project immer
wieder von Neuem auftauchen. Zunächſt war es die von
Gapitän Moresby des engliſchen Kriegsſchiffes Baſilisk ge:
machte Entbedung eines vorzüglichen Hafens an der Sidoft:
küfte von Neuguinen, Sowie deffen günftige Schilderung von
Land und Leuten.
Es war zu Anfang Mai diefes Jahres, alt in London
eine Deputation dem britiichen Colonialminifter Lord Car—
narvon ihre Mufwartung machte, um demjelben die Annecti—
rung und Golonifirung von Neuguinea warın zu empfehlen.
Der Minifter zeigte fich keineswegs abgeneigt , hielt aber da⸗
für, daß die auftraliiche Colonie fih zuvor in allgemeinerer
und zugleich beftimmterer Weife als bisher geicheben zu Gun—
jten des Vortrages ausſprechen müßte.
Mertwürdig genng traf die Kabeldepeſche mit voritchen:
der Nachricht aus London zu einer Zeit in Sydney ein, wo
gerade die Neugninea-Frage die öffentliche Aufmerkſamkeit
wieder ungewöhnlich bejebäftigte. Der fehr reiche Engländer
William Macleay, feit zwanzig Jahren cin ftändiges Mitglied
der Yegislative Aſſembly der Colonie Neufüdwales, hatte
nämlich die politifche Arena genen das Feld der willenichaft:
lihen Forſchung quittirt und war mit der Ausrüſtung einer
Erpedition auf eigene Koften ſchon fo ziemlich fertig, welche
die Erforfchung des ausgedehnten, aber völlig unbekannten
Delta anf der weitlichen Seite des Golf of Papua bezweckte.
2 Inbalt:
Macleny ift ein tüchtiger Naturkundiger und beabfichtigt, Die
Führung feiner Gefellfchaft felber zu übernehmen, doch wer-
den ihn auch Männer begleiten, welche in den einzelnen Fach:
wifienfchaften befonders bewandert find. Keine Geldopfer
find geipart worden. So ift ein Heines, Hachgebantes Dampf:
boot mit hervorragendem Schutze gegen etwaige Angriffe der
Eingeborenen beigegeben, um damit auf den Flüffen, die, wie
man vermutbet, an biejer Küfte minden werden, ins Junere
zu gelangen. Wir wünfchen glüdlichen Erfolg!!
Mag dies vielleicht auch nicht die Art der öffentlichen
Kundgebung fein, welche ber britiſche Eolonialminifter zu
ſehen wünſcht, fo beweift fie doch auf alle Fälle, daß man im
Auſtralien die hohe Wichtigkeit der Neuguinea⸗Frage individuell
zu würdigen verfteht *).
* * .
— Die braſilianiſche Regierung läßt eine genaue Rolls:
zählung vornehmen und das Generaldirectorinm der Star
tiftif veröffentlicht mach und nach die Liſten. Demgemäß
zählt Stadt Rio Janeiro 271,972 Seelen; davon find
Freie 226,033 und von biefen 84,279 Nichtbrafilianer.
Provinz Rio grande do Morte + 392,982
— | ı 7, . 720,094
oe Ma 2 re nen 344,291
Espirito San...» . - 82,187
* Santa Catharina...» » 159,802
=» Bm 20 ra 126,722
“eo Mate ßrofio. ». » 2.2. + 60,417,
— Auf der Inſel Nenfundland bat die Regierung
am Schluffe des Jahres 1874 eine Volkszählung vornehmen
laffen, deren Ergebniß ſoeben veröffentlicht ift. Die Bewoh:
nerzahl ftellte fich auf 161,356 Köpfe gegen 146,586 im Jahre
1569, alfo eine Zunahme von 14,850, welche man aber nicht
etwa der Einwanderung verdankt, denn diefe ift Schwach und
obendrein wandert alljährlidy eine Anzahl von Neufundlän-
dern nach Canada und den Vereinigten Staaten and. Die
Katboliten zählen 64,018, die Hochkirchlichen 59,057, die wes⸗
leyaniſchen Methodiften 35,099, die Presbyterianer 1454, fo
dab die Nichtpapiftifchen mit etwa 32,000 Köpfen in ber
Mehrheit find,
— In der Strafcolonie zu Port Blair auf den Au—
damanen befinden fich gegenwärtig 910 verheirathete Depor-
tirte; die Verwaltung fieht es gern, daß die Sträflinge ſich
verebelichen, namentlich mit Frauen, die einer ähnlichen Kafte
angehören. Verbrecher, welche fieben Jahre lang fi aut
aufgeführt haben, dürfen ihre Familie aus Indien kommen
laſſen.
— ‚Der Seyyid von Sanſibar.“ Als dieſer oft-
afrikaniſche Potentat nach England kam, bezeichneten die Lon⸗
doner Blätter ihn als Sultan. Dieſe Bezeichnuug kommt
demſelben nicht zu; er iſt Seyyid. Sfy iſt die Abkürzung
von Sjayydy ober Sſeydy, d. 6. Herr. In Tunis giebt
man, wie Heinrich von Maltan hervorbebt, den vollftändi-
gen Titel der Großen ben angefchenen Leuten, während bie
weniger Bornehmen ihm in der abgefürzten Form führen.
*) Die Auftralier würden Anſiedelungen nur in ber ...
Hälfte gründen Können, denn auf bie weſtliche, bis 1400, machen ber
tanntlih ſchon feit Tanger Zeit die Holländer Anſpruch; fie betrach ⸗
ten diefelbe ala ihren Befig.
Dr. Hayden’s und Laugford's Erpedition nach den Felfengebirgen. IT. (Mit fünf Abbildungen.) —
Zur Ethnologie und Gefchichte des Aberglanbens. Bon Dr. Hermann Brunnhofer in Aarau. I, (Schluß.) — Streif-
slige im füdfichen Norwegen. Von Dr. David Braune, IV. In Sätersdalen. — Allerlei Inftände im Neiche des Schab
von Berfien. I. — Die fünftlihe Lachszucht am Me Cloud in Californien. — Aus allen Erbtheilen:
Zur Charakteriftif
der Ehinefen. — Die Infel Neuguinen und die Anftralier. — Verschiedenes. — (Schluß der Redaction 27. Juli 1875.)
Herausgegeben von Karl Andree in Leipzig. — Bür die Redaction verantwortlich: H. Vieweg in Braunſchweig.
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn In Braunfchweig.
Ss
Mit befonderer Werüchfichtigung der Anthropologie und Gthnologie.
In
Berbindung mit Fachmannern und Rünftlern herausgegeben von
Karl Andree.
R Jährlich 2 Bände, Jeder Band enthält 24 Nummern, Monatlid 4 Nummern. - j
Braun ſchweig Preis pro Band 12 Darf, Einzelne Nummern 50 Bf. 1 8 7 5.
Dr. Hayden's und Langford's Erpedition nad) den Felſengebirgen.
IM.
Endlid; waren wir im Beden der Tetons angelangt, | Schnee bedeckt find und unbedingt Teinen Uebergang geftatten.
das uns gleich einer Dafe in einer Wüftenei erſchien. Daf- | Dort wachſen Camas und Yamph in großer Menge, und in
felbe ift auf drei Seiten von Bergtetten umgeben, die mit | den niederen Theilen den Wafferläufen entlang find viele
—
WERT
Im Zelte,
Globus XXVIII. Nr. 7. 13
Dr. Hayden’s und Langford's Erpebition nad) den Feljengebirgen. TIL.
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Dr. Hayden's und Langford’3 Erpedition nad den Felſengebirgen. UI.
weite Streden mit faftigen Beeren bededt. Ich machte mit
Stephenfon einen Ausflug, um das Gebirge näher in —
ſchein zu nehmen, und wir überzeugten und, daß eine
fteigung deflelben ganz ungeheure Schwierigfeiten —
würde. Wir waren aber entſchloſſen, denſelben um jeden
Preis Trog zu bieten. Auf unſerer Rucktehr zum Lager
lud und Beaver Did zu einem Biberbraten ein. Cr hatte
denfelben nad) Urt der Gebirgsleute zubereitet, d. h. das
ganze Thier auf das Feuer gefegt.und erft, nachdem biefes |
volftändig gar war, ausgeweidet. Ich muß gejtehen, daß
diejer Biber einen faftigen, pradjtvollen Geſchnad hatte und
dag ich diefes Gericht mit dem größten Appetit verzehrte.
Zwei unſerer Leute hatten während unſerer Abweſenheit eine
große Fichte umgehauen, dabei war aber unſere 2 Art
—
99
verloren gegangen und 40 Fuß tief ins Waſſer gefallen.
Wir waren dadurch in große Berlegenheit gerathen und es
mußte alles aufgeboten werden, um diefen eifernen Schatz
aus den Fluthen zu retten.
Am 28. Juli früh 10 Uhr war unfere Partie, vierzehn
an ber Zahl, verfammelt und wir fhlugen zuerft ein provi⸗
forifches Lager auf; dann erftiegen die Herren Adams und
Togar eine Hochebene, die etwa 3000 Fuß oberhalb unferes
Yagers fich befand. Bon dort aus konnten fie bie Haupt«
richtung beftimmen, die zu nehmen war, um bis an die Ba:
fiß des großen Tetons zu gelangen. Diefer Spipberg ge:
währt einen überaus majeftätifchen Anblid und iberragt
mindeftens hundert niedrigere Gipfel ringgumher. Seine
em — Winde waren an manchen Stellen mit
len in den Felſengebirgen.
Schnee bededt umd fein grauer Gipfel war von flodigen
Bolten umzogen. Er ift in feiner ſtolzen Einſamleit garz
entſchieden der König des Gebirges weit und breit, Am
andern Morgen um 3"/, Uhr zeigte ber Thermometer 119 5.
über Null und wir von bereit unfern Aufftieg zu beginnen,
Während ber erften paar Meilen mußten wir fiber eine |
| daran verzweifelten, die 5000 Fuß, melde wir bis zum
Menge umgeftürzter Bäume binwegllettern, dann am fteilen
Wänden hin, bis wir eine Höhe von 9000 Fuß erreicht
hatten. So weit gen Norden hin der Blid reichte, erhob
fi) ein Spigberg, eine Gebirgstette hinter der andern: es
war eim umenbliches Panorama, das von den funfelnben
Sonnenftrahlen bejchienen eine ungeheure Welt von Kryſtall⸗
maffen zu bilden fchien. Unter und zogen fic weit und breit
Bir fahen tiefe Felfenfpalten, hin und |
Schneefelder hin.
voieder Frichtenwälder und Waflerfälle ohne Zahl. Der Bos |
den bes Schneefelbes, welches wir Überfchreiten mußten, war
fehr ungleich und wellenförmig. Der Schnee lag mindeſtens
250 Fuß hoch und ſchien fo feft wie ber Granit zu fein, wel:
chen er Überlagerte, Wir konnten uns inmitten einer Polar
region glauben: alles rings um und weit und breit war
Schnee, Geſtein, Eis, alles eine ungaſtliche Wüſtenei.
Zwei umferer Gefährten waren fo abgemattet, daß fie
Gipfel noch zurückzulegen hatten, bewältigen zu können; fie
blieben aljo zurlid. Unter ungeheuren Schwierigkeiten und
Anftrengungen, beren Einzelheiten wir nicht befonders ſchil⸗
dern wollen, gelang es bis zu einer Höhe zu gelangen, die
nur noch 600 Fuß niebriger war als ber Gipfel. Aber
dieſe Heine Strecke bot die größten Schwierigleiten bei ber
ganzen Erfteigung dar. Das Eis bildete nad) vorn über«
rar Abhänge unter einem Winkel von 70%. Der
Gipfel lag gerade oberhalb deffelben und es blieben jegt nur
13*
100
nod) 200 Fuß zu erllimmen. Die Wanderer machten Treppens
einfcjnitte in eine überhängende Schueemafle und es ge
ihnen um 3 Uhr Nachmittags nad) zehmitündiger Anftren-
gung den höchſten Punkt des Grand Teton zu erreichen.
Ihre Freude war groß. Sie konnten fi Jagen, daß fie
die erften weißen Männer gewefen feien, weldye auf diefen
Gipfel ihren Fuß gefegt hatten,
Bom Thale aus gejehen fcheinen die verſchiedenen Gip-
Dr. Hapyden’s und Langford’s Erpebition nad) den Feljengebirgen. TIL.
fel des Grand Teton eine gleiche Höhe zu haben, dort oben
aber zeigt es ſich, daß der Unterfchieb ein ſehr beträchtlicher
war. Der hödhfte Gipfel ift durch Erofionen von den ans
deren Pils gefchieden und hat eine umegelmäßige Oberfläche
von 30 bis 40 Fuß. Er ift frei von Schnee und Eis,
weil der Wind beide ſtets hinweg fegt. Trog der Sonnen:
ftrahlen, die aus blauem Himmel famen, mußten die Wan-
derer ſich doch in ihre Mäntel Hüllen und die Luft war fo
Der Berg Hayden.
diinn, daß das Athmen Beſchwerde verurfachte. Oberhalb
des Schneegüirtel®, den fie in fo gefahrvoller Weife über:
fchritten, fanden fie mitten zwifchen ben Felstrümmern frische
Spuren von Ibex americanus, einem Steinbod, dem einzigen
Thier, das fähig it, diefe hohen Gipfel zu erflimmen, Ueber-
all, wo der Boden frei von Schnee lag, fproßten Meine,
lieblich duftende Blumen hervor. Oben auf einem ber be
nacbarten Berge fanden die Neifenden eine freisrunde Stein-
ummwallung von etwa 6 Fuß Durchmeſſer. Sie war offen:
'
bar einft von Indianern errichtet worden, um Schug gegen
ben Wind zur erhalten. Mlöglicyerweife ift fie ſchon hundert
Jahre alt. Für die Reifenden war diefe Entdedung übers
raſchend, denn hier lag der Beweis vor, daf Indianer, bie
doch fonft ſich ſo wenig wißbegierig zeigen, doch einmal bie
Sefahren des Bergfteigens nicht geachtet hatten, um den
höchſten Punkt der Gegend zu erreichen. Das Panorama
vom Gipfel des großen Teton war colofial. Gebirgäfette
nad) Gebirgskette und Thal nad, Thal zogen ſich weit ber
Ein Hanbmwörterbuch des biblischen Mlterthums,
den Yellowſtone-See hinaus, die Thäler unten ſchienen eine
weite fläche zu bilden. Der Abftieg ging gut von Statten;
in fo beträchtlicher Höhe ift der Zwiſchenraum zwifchen dem
Untergange der Sonne und der Nacht ſehr furz, aber nad)
einer Wanderung von 11/, Stunden gelang ed den Berg:
fleigern wieder im Lager einzutreffen. Die Höhe des Teton
ift 13,762 Fuß — 4085 Meter.
Beaver Did und Medare hatten inzwifchen einen Paß
über die Hauptlette des Gebirges ausfindig zu machen ges
ſucht. Als foldyen empfahlen fie uns dem Yauf des Mill
River, von wo man ohne große Anftrengung in das Beden
des Firehole gelangen lann. Während Did diefen Weg
ausfindig machte, war inmitten eines Fichtendickichts uns in
fehr umwilltommener Weife ein mächtiger Bär begegnet. An
Ausweihen war gar nicht zu denken, aber die Yage im
hohen Grabe gefährlich, dem wer einen Bären nur auſchießt
und nicht auf der Stelle töbtet, wird gewiß in feinen Armen
erdrüdt. Did, ein erfahrener Gebirgemann, erwartete den
Meifter Martin bis auf ein paar Schritte, gab Feuer und
die Kugel drang durch den Ruckenwirbel Did war gerettet. In
dieſen Wäldern ift auch noch das Elen (Moose) häufig, ebenfo
der prächtige amerifanifche Wapitihirſch, hier Ell genannt.
Did hatte in diefer Gegend feine Biberfallen geftellt. In einer
berjelben hatte ein gefangener fid) das Bein in der Falle um:
und abgedreht, was Übrigens fehr häufig geſchieht. Ein Bad)
war von den Bauwerken ber Biber derartig gefperrt, daß das
Waſſer nur an einigen Stellen durchfließen fonnte, Wer
nie zuvor Viberbauten gefehen hat, if erftaunt, daß dieſe
fleinen Thiere jo mächtige Bäume zu fällen vermögen. Die
Betriebfamteit und mecanifche Geſchicklichleit dieſes Ihieres
ift geradezu wunderbar. Am obern Pellowftone ficht man
an manchen Punkten Dümme, die aus canadifchen Bappelu
aufgeführt worden find und zwar fo regelmäßig, als ob fie
nad) dem Yoih gearbeitet worden wären. In diefer Gegend
trifft man damm und wann auf eine Pionierwohnung, einen
Rand. Im einer derfelben lebte von Fiſchſang und Jagd
ein Engländer, Namens Sawetelle, glüdlid) und zufrieden.
Ohne weitere Schwierigkeiten gelangten die Neifenden
in das unferen Leſern ſchon befannte Beden des Firehole,
wo fie aber auf Schritt und Tritt auf neue Wunder ftichen.
101
Sie geftehen, daß es ihnen ein unheimliches Gefühl verur:
fachte, dieſes ewige Pfeifen der Meinen Genfer zu hören, die
Dampfwolten emporfteigen zu fehen, die Sclammpulcane
zu beobachten und fiber eine leicht zerbrechliche Exbrinde hin⸗
zugehen, unter der möglicherweiſe Gefahr verborgen fein
fonnte. Aber ein großer Reiz liegt allerdings in der Be—
trachtung diefer Naturwunder. Auffallend war es den Reis
jenden, daß fie am einem voripringenden Felſen plöglich
ellenlange Buchſtaben eingemeigelt jahen. Sie lafen „Bill
Hamilton“, Diefer Name ift weit und breit in dem Felſen—
gebirge befannt. Bill Hamilton ift ein alter Trapper, der
mit den Imbianern, namentlich mit den Ponnuds und
Schoſchonis, vortrefflich umzugehen weiß. Jetzt hatte Dr.
Hayden ihn in Dienft genommen und am andern Tage fand
die ganze willenfchaftliche Miſſion ſich zuſammen. Dan
beichloß, den Gipfel des großen Teton fortan als Mount
Hayden zu bezeichnen, An dem folgenden Tage durdyzog bie
Partie den obern Theil des Fireholebelens und beobachtete
noch einmal die Eruptionen der verfchiebenen Genfer. Merk«
wilrbig war, daß die Niefin, die zwei Jahr vorher ungemein
thätig geweſen war, jegt längere Zeit vollftändig ruhig blieb,
dann aber mit einem furdjtbaren Setöfe plötzlich hervorbrad).
Auf dieſe erfte Eruption folgte dann eine zweite noch viel
flärfere, die ungemein lange anhielt. Oben auf ber bewal«
deten Kette, weldye das Thal des Firehole von dem des
Yellowftone ſcheidet, begegneten den Neifenden zwei Gold+
jäger. Sie fanden dort oben auch eine große Anzahl von
Schwefelquellen und einige Schlammvulcane. Merlwurdig
erfchien ihnen, daß einer von den legteren, der 1870 in forts
währender Thätigfeit ſich befand, jest fo gut wie verſchwun—
den war und ſich durchaus ftill verhielt. Durch Wald:
geftrlipp und kahle Flächen zogen fie an dem ruhig dahin:
ftrömenden Yellowftone dahin. Weder im Fluſſe noch in
der Landſchaft deutete etwas darauf hin, daß die SKataralte
in der Nähe fein, aber bald nachher drang das merlwürdige
Geräuſch an ihre Ohr gleich der Brandung des Oceaus.
Und jo hatten fie nun diefen lächelnden, heiten, hübſchen
und ammuthigen Sataraft des Pelloroflone erreicht, an dem
fie ihr Yager aufſchlugen.
Ein Handwörterbud des biblifhen Alterthums.
Die Ehaldäer. — Aftarte und ihre Darftellungen. — Amulete. — Jüdische Denkzettel. — Der Berg Carmel.
Bon dem bereits früher angezeigten („Globus“ XXVIL,
S.7) Bibellerifon *) find jegt zwei weitere Lieferungen er—
fchienen , weldye in vollem Maße das günftige Urtheil beftä:
tigen, weldjes wir bereits über die erſte Yieferung füllten.
Das Handwörterbud) hat jo vielfache Berührungen mit der
Bölterkunde, Eulturgefhichte und Alterthumss
wiſſenſchaft, daß es auch Ethnologen und Geographen ein
außerordentlich willfommenes Hilfsmittel bei ihren Studien
fein wird. Wie oft haben wir nicht Gelegenheit, vergleichend
*) Hanbmörterbuch des biblifchen Alterthums für gebildete Bibel-
lefer. Herausgegeben unter Mitwirkung von Dr. ©. Baur, Dr.
Beofchlag, Dr. Fr. Deligfh, Dr. Ebers, Dr. Heräberg, Dr. Kampe
baufen, Dr. Kleinert, Dr. Diüblau, Dr. Schlottmann, Dr. Schrader,
Dr. Schürer u. A, von Dr. Eduard Riehm. Mit vielen Illuſtra—
tionen, Plänen und Karten. Bielefeld und Peipgig. Verlag von
Belhagen und Klafing 1875.
auf die Bibel zurüczugehen als einer der älteften und reich—
ften Quellenſchriften auch auf den in Rede ftehenden Gebie—
ten und wie ſchwer iſt es hier ohme Führer gleich ſich zurecht
zu finden. In Form und Darftellung, in Inhalt und Auss
ſchmlckung gleich, meifterhaft ift uns aber das angezeigte Werk
ein folder Führer und namentlich möchten wir die von Prof.
Eberhard Schrader herrührenden Artikel als geradezu mufters
gültig hervorheben. Wir wüßten z. B. nicht wie unter anderen
„Afſyrien“ in Inapper Form beffer behandelt werden Fönnte,
als gerade hier. Anſchließend daran erläutert derjelbe Autor
die Bezeichnung Chaldäer, iiber welche bekanntlich verfchies
dene verwirrende Anfichten herrichen.
„Shaldäer heißen feit Aufrichtung des neubabylonifchen
Neiches unter Nabopolaffar und Nebucadnegar die Bewohner
Babyloniens und die Angehörigen des babylonifchen Neiches,
‚ und ber Berfaffer des Buchs Daniel redet von einem „Reiche
102
ber Chaldäer“, wie andererfeits Babylonien geradezu als „Yand
der Chaldäer* bezeichnet wird. Mit diefem altteftamentlichen
Spradjgebrauche ftinnmen fowohl der Grieche Strabo, weldyer
die von den Chaldäern bewohnte Yandihaft VBabylonien an
die Araber und das Perſiſche Meer grenzen läßt, als auch
die Monumente, welche „die Chaldäer“ einerſeits den (weft:
lichen) Syrern gegenliberſtellen, audererſeits ihr Land (füdlich)
„bis ans Meer“ reichen laſſen. Mit dem mit den Kurden
und Karduchen verwandten armenischen Bergvolfe der Chal
däer, welche nach Strabo früher Chalyber hiefen, haben die
babylonifchen nichts zu thun. Während die armeniſchen
Chaldäer arifchen, alfo indogermanifchen Urfprungs, find die
babylonischen, wie ihre Yiteraturproducte an die Hand geben,
Semiten. Dabei ift zu bemerken, daß der Name der Kaldi,
d. i. der Chaldäer, in den Juſchriften fid) bis 900 rückwärts
verfolgen läßt. Es leidet aber feinen Zweifel, daß er weit
älter ift und insbeſondere Bezeichnung der in Sud-Sinear,
d. i. in der balylonifchen Landſchaft im engern Einne, woher
nenden Semiten war, während die ältere Bevölkerung diefer
Gegenden den Namen Accad, Accadier, führte. Wenn in
der fpäteren Zeit, ſchon im Buche Daniel, dann auch bei Cur—
tius und wiederum bei Strabo und Diodor mit dem Namen
Chaldäer bald eine einzelne Claſſe babyloniſcher Weifen, bald
die ganze Selehrienfafte Babyloniens bezeidinet wird, fo ift
diefes eine lediglich mißbräudjliche, auf den Umſtand, daß
Babylon» Chaldäa der Ei der Aftronomie und Aftrologie
des Orients war, gegründete Beſchränkung des Begriffes des
Namens, welde in thatfäcjlichen Berhältnifien des alten Bas
bylon zur Zeit des Beftandes des chaldaiſchen Neiches feinen
Grund hat. Daffelbe gilt von der durch Hieronymus aufe
gebrachten Bezeichnung der aramäiſchen Sprache (weſtlichen
Zweiges), im welcher einige Abfchnitte der Bucher Daniel
und Cara gejchrieben find, als der „haldäifchen* Sprache.
Die Chaldäer Vabyloniens ſprachen niemals aramdiſch.“
Auch von Prof. Schlottmann in Halle finden wir
einige anfpredjende und von tiefer Gelehrſamkeit zeugende Ar-
titel. Er nimmt an, daß Aftarte und Aſchera eine und
diefelbe Göttin jeien, während dieſes befanntlich von vielen
anderen Gelehrten, darunter Movers, geleugnet wird. Wie
Baal iſt Aftarte eine vichförmige Gottheit und wird daher
von den Alten bald als Hera, oder Artemis, oder Athene,
bald als Aphrodite, mitunter aud) als Selene bezeichnet.
Auch, die legtere Auffaflung, die als Mondgöttin, war richtig,
nur daß darin freilich eben fo wenig ihr ganzes Wefen ers
ſchöpft wurde, als das des Baal darin, Sonnengott zu fein.
Vielmehr ift es die Naturgottheit im weiteften Sinne, die als
Baal das active, zeugende, als Ajtarte das receptive, empfan⸗
gende, gebärende Princip ift und als mannweibliche Gottheit
wieder in Eind zufammengefaßt wird. Chen das Berhältniß
jener beiden Principien aber wurde wahrſcheinlich ſchon mit
den Anfängen des Heidenthums in dem des Mondes zur
Sonne angefhaut, Der Anblid ihrer geheimmißvollen Be:
wegung und Einwirkung auf das Naturleben hatte für jene
Geſchlechter etwas zur Anbetung Verlodendes. Als Monde
göttin wurde fie nad) Deremias befonders von abgöttifchen
Weibern verehrt, Sie wurde als ſolche gehörnt vorgeftellt,
wie Philo von Byblos erwähnt und wie die Abbildungen auf
Münzen zeigen. Daher ihr Name Aſchteroth karnaim (— die
Aftarte mit den beiden Hörnern). Da die ihr zu Ehren fo
benannte Stadt Aſtaroth ſchon zur Zeit Abraham's vorfommt
(1. Mof. 14, 5), ergiebt fich das hohe Alterthum diefer Ans
ſchauung. Daneben war ihr der Morgenftern (die Venus)
geweiht. Und fo ift denn überhaupt wahrſcheinlich, daß der
Sterns, inäbefondere der Planetencultus, ſchon im höchſten
Altertum mit dem des Baal und der Aftarte verbunden war. |
Der Name der Aftarte findet fi als Iſtar auf affyrifchen,
Ein Handwörterbuch des biblischen Alterthums.
als Athtar auf himjaritifchen Denkmälern. Bei den PBhö-
niziern lautete der Name Afchtart, im Alten Teftament Aſch-
toreth. Die Wurzel ift die im Semitifchen weitverbreitete
aſchar. Der Name der Göttin bedeutet wahrfcheinlic „Ver:
einigung*, mit Beziehung fowohl auf die Zeugung als auf
die das ganze Weltall zufammenbindende Macht.
Was die bildliche Darftellung der Aftarte in Menfchen:
geftalt betrifft, ſo giebt darüber das Alte Teftament feine
Auskunft. Jedenfalls prägte ſich aber die doppelte Seite
des Weſens der Göttin auch in den alten cananitiſchen Götzen⸗
bildern aus. Die Seite der Wolluft ftellte fich in dem nad:
ten Gögenbilde dar, das die Griechen von den Phönigiern
befonders auf Cypern empfingen und in ihrer Aphrodite idea-
lifivten. Die entſprechenden Götzenbilder im Yande Canaan
felbft waren wohl von berjelben Plumpheit und obfcönen
Nohheit, wie fie in dem neuerlich gefundenen moabitifchen
Thonfiguren wahrhaft widerwärtig und entgegentritt *). Wir
Woabitiiche Aftarte, nad
einer Jeihnung Duisberg's,
Baaltis, nad) Yayard,
geben hierbei nur den Kopf einer folhen Figur, deren Ori—
ginal ſich jest in Berlin befindet, Auf dem Stirnbande
trägt fie die Worte E] 'ummath, wahrſcheinlich einer der vier
len Namen der oberften cananitifchen Göttin, welcher „Gottheit
der Bereinigung“ bedeuten ann (ZDMG. XXVI, 416). Dar:
unter ftehe zur Bergleihung das Bild des entjprechenden afly-
rischen Typus, der Baaltis oder Beltis. — Die andere ernfte
und ftrenge Geftalt der Aftarte, welche die Griechen als Hera,
Artemis und Athene auffagten, ift in Aſſyrien die Iftar, von
der wir eine Abbildung geben. Der Yöne, auf dem fie fteht,
bezeichnet die wilden von ihr gebändigten Mächte der Natur.
Ganz analog der aſſhyriſchen Abbildung findet ſich diefelbe
‘Anäth mit beigefügtem Namen auf einer phönigifchen Münze,
von der wir eine Zeichnung geben, Auch bier wie bort
hat fie ihren Stern neben ſich; außerdem das Henfelfrenz.
Sie figt auf einem Löwen. Wir entnehmen bie Zeichnung
aus Vogus melanges d’archöologie p. 47. Die Riüds
feite ftellt den Baal vor,
Das Tragen von Amuleten geht noch heute durch die
ganze civilifirte und uncivilifirte Welt. Bei unferen Sol:
daten hat man im legten Kriege noch zahlreiche geichriebene
und gedruckte Amulete gefunden, die — in Lederlapſeln
getragen wurden. Nameutlich wurde in Bayern ein ganz
ergiebiger Handel mit ſolchen ſtich- und Fugelfeft machenden
Amuleten getrieben. Als Mungo Part vom Gambia nad)
dem Niger aufbrach, beſchäftigte er fid, damit feinen Negern
) Mir müffen aufrichtig gefteben, daß wir verwundert find noch
Brof. Schlottmann vie Echtheit dieſet moabitiſchen Figur anneb-
men zu feben! Mach dem, was Ganneau daruber veröffentlicht bat,
‚ glauben wir wenigſtens nicht mehr an tie Echtbeit ber jegt in Berlin
\ befinplichen Schapira'ichen Funte aus dem Oftjorbanlande. u.
Fin Handmwörterbuc des bibliichen Alterthums.
Grigris, Amulete, zu jchreiben, welche in Peberfapfeln an
Kopf und Bruft getragen wırrden — und fo überall. Auch
dem biblifhen Alterthum
find diefe Amulete nicht
fremd, fie haben ſich erhal:
ten bei den orthodoren Ju⸗
den bis heute und kommen
in der Luther'ſchen Bibel
überfegung als „Denk⸗
zettel“* vor, Profeſſor De—
litzſch belehrt uns über dies
jelben folgendermaßen. Der
fein Morgen» und Abend»
gebet verrichtende Israelit
windet erft um den linfen
Arm, dann um den Kopf
einen Riemen, welche beide
durch die Schlinge am Bos
den einer Lederkapſel gezo⸗
gen find, fo daß die eine
Yederfapfel gegenüber dem
I Herzen, die andere unterhalb
Re des Kopfhaares zwifchen den
Augenbrauen anzuliegen
fommt; die am Kopfe be-
feftigte iſt vierzöllig nnd
enthält auf vier Pergament-
ftreifen die Geſetzesſtellen 2. Mof. 13, 1 bie 10. 11 bis 16.
5. Moſ. 6, 4 bis 9. 11, 13 bis 21, die am linken Arm
nad dem Herzen hin befeftigte enthält im ihrem ungetheilten
Hohlraum eben dieje vier Sejegesftellen auf nur einem Pers
gamentblatt. Dieſe Behälter nebit ihren Riemen heißen als
Gebetsapparat Tefillin. Die Sitte gründet fih auf 2. Mof.
13, 9. 16. 5. Mof. 6, 8. 11. 18, indem das dort geiftig
Gemeinte nad) Analogie des Zuzuthe (Schaufäden-) Gebots
in finnliche Wirklichkeit umgefetst wurde, und giebt fic für eine
urmoſaiſche Ueberlieferung aus, obwohl es nicht möglich ift,
den Bejtand diefer Sitte weiter als bis in das legte vorchriſt
liche Jahrhundert zurliczuverfolgen. Als ein Stüd ftolzer
ſich ſelbſt jchauftellender Frömmigkeit wird Matth. 23, 5 an
den Pharifüern gerügt, daß fie ihre Dentzettel breit machen,
103
d. h. Tefillinfapfeln von ungewöhnlichem Umfang tragen.
Das dort gebrauchte griechiſche Wort phylakteria bezeichnet
die Tefillin als Schuemittel, denn man trug fie auch außer:
halb der Gebetszeiten ald Kamsen. Luther hätte aud) „Dent»
riemen“ überjegen fönnen, aber jofern man unter den „Denk⸗
zetteln“ die befchriebenen Bergamentröllhen nebft ihren
Behältern verfteht, ift „Dentzettel* bezeichnender als „Dent-
riemen“; denn die Hauptſache an den Tefillin find nid)t die
Riemen, fondern die „Käufer“, d. i. Kapſeln. Der Riemen
der Kopftefilla wird hinten jo zufammengefnotet, daß dieſe
je nad) der Größe des Kopfes feftjigt; die Enden des Nies
mens werden über die Schultern geſchlagen, jo daß fie auf
\ Ay e .
Dentzettel I.
Dentzetiel II.
die Bruft herabhangen. Der ganze Apparat trägt den Stem-
pel des Gottesnamens Scaddaj (dev Allmächtige): die Kap-
ſel der Kopfstefilla hat an einer Seite ein vierzadiges, an
ber andern eim dreizackiges Schin, der Knoten der Kopf—
tefilla ift jo gefchlungen, daß man von allen Seiten aus die
Form des Daleth herausfindet, und der Knoten der Hand-
tefilla endet in einem Heinen Knoten, der die Form eines
J nachahmt. Anfertigung und Gebrauch der Tefillin find
im Talmub und im dem ritwaliftifchen Werfen mit mikrolo—
giſcher Peinlichfeit geregelt. Man küht fie beim An- und
Ablegen. Gott felbft trägt nad) talmudiſcher Vorſtellung
Tefillins.
Um auch eine Probe der geographiſchen Artikel des Hand⸗
worterbuchs zu geben, fligen wir ſchließlich bei was über den
Berg Carmel gejagt iſt.
Der Carmel war einft die Südgrenze des Stammgebiets
Aſſer gegen Manaffe hin und im Welten dem Gebiet Sebu⸗
104
lons vorgelagert, jpäter zu Galiläa, zur Zeit des Joſephus
aber zum tyriſchen Gebiet gehörig; er trägt mit Recht feinen
Namen (— Baumgarten). Denn nod) heute ift er ein jchör
ner mit Fichten und Steinerchen reichbewalbeter, unten auch
im Schmuck der Oele, Wallnuß- und Yorbeerbäume prangen«
ber Berg, mit grasreichen Triften umd in den unteren Thei-
len mit berrlidyen Kräutern und Blumen mannigjaltigfter
Art geſchmückt. So gilt er denn auch bei den Dichtern und
Propheten des Alten Bundes als em Bild der Schönheit.
Er hängt mit dem norbweftlichen Theil des Hitgellandes
Allerlei Zuſtände im Reiche des Schah von Perſien. 11.
von Samaria durch eine Kette niedriger Hügel zufammen,
weldye bie Ebene Yesreel von der Ebene Saron ſcheidet, und
über weldye die Hanptitrafe von Damastus her aus jener
Ebene nad Aegypten zu führt. 2°/, Stunden lang erftredt er
fich in der Richtung von Südoſten nad; Nordweſten, indem
er zufegt 3 Meilen füdlich von Acco als Borgebirge ins
Meer vorfpringt. Zu Hiftorischer Bedeutung ift der Berg
durch den Propheten Elias gelangt, weldyer Jchova darauf
einen Altar errichtet hat, ben Altar, auf welchen das Brand-
opfer geopfert worben, das vom euer des Heren verzehrt
Der Garmel.
wurde (1. Kön. 18, 32 ff.), mas zur Hinfchlachtung einer
großen Anzahl von Baalsprieftern geführt hat. Auf dem
nordweſtlichen Ende bes Carmel oder dem prächtigen, wenig:
ftens 500 Fuß über das Meer emporragenden Borgebirge
defjelben (die Höhe des höchſten Punktes des Bergs, in der
Nähe des Orts Esfia, wird zu 1800 Fuß angegeben) ftcht
das berühmte dem Elias gewidmete Carmeliterflofter, in wel⸗
chem das höchſt aromatische Carmeliterwaſſer bereitet wird.
In der Kirche dieſes Kloſters wird hinter dem Altar „die
Grotte des Elias“ gezeigt. Eine andere Eliasgrotte befindet
fich am Fuße des Berge, in der Nähe des Meeres, wie denn
überhaupt eine große Menge von Höhlen an den Abhängen
fich finden. Die Ausficht, weld;e man von der Terraffe des
Klofterd aus nach dem nordwärts hinziehenden Geſtade gegen
Alla hin genießt, ift eine großartige. — Auch ber Prophet
Elifa hat ſich auf dem Carmel aufgehalten, wo ihn die Su—
namitin aufſuchte (2. Kön. 2, 25. 4, 25), In heibnifcher
Zeit war der Garmel der Sit; eines Orakels geweſen. Nach
Sueton hat Beapafian anf dem Berg Opfer dargebracht,
wobei ihm die Priefter prophezeiet haben, daß er Kaifer wer:
den wiirde. Nach Tacitus ward hier die Gottheit ohne Wild
und Tempel, mit einem bloßen Altar als Heiligthum, verehrt.
Allerlei Zuftände im Neiche des Schah von PBerfien. :
II.
Betrug und Beftehung find tief bei den Perfern ein-
gewurzelt, und hierin liegt der eigentliche "Grumd, weshalb
fein nützliches Unternehmen gelingt. Es ift ein Slaubend-
artifel, dag Petrügen, Yiigen und Beftechen erlaubt, ja ein
verdienftvolles Werk ſei. Deder Diener lehnt cinen regel
mäßigen Lohn ab, und zieht die Gelegenheit vor, feinen
Herrn täglicd um zehn oder mehr Koͤrans zu betrügen.
Selbſt einen Yohn von 30 Koͤrans monatlich wird er zurüid-
weifen, wenn er die Möglichkeit zum Betrügen behält. Seht
das nicht art, dann bittet er um einen Badſchiſch (Gefchenf),
und er ift ärgerlich, falls man ihm fold ein Trinfgeld ver
weigert, Wenn man auf der Straße Jemanden anredet,
etwa nach den Wege fragt, jo will er für feine Antwort
bezahlt fein. ch lann verfichern, daß dies ohne Ausnahme
der Fall ift; hier ein Beifpiel: Ein Hauptmann erhält den
Auftrag, in einem beftimmten Bezirf eine Compagnie Sol:
daten auszuheben. Der Eintritt in ben Dienft ſoll angeb⸗
lich ein freiwilliger fein, Der Dann beginnt nun fein Ges
Allerlei Zuftände im Reiche des Schah von Perfien. II. 105
Ihäft damit, daß er die Kaufleute, Händler und andere
wohlhabende Leute zufammenruft. Er fordert fie im Namen
des Schaf auf, ald Soldaten Dienft zu nehmen. Sie eh»
nen felbjtverftändlich den Eintritt ab, worauf ihnen der Haupt:
mann ertwiedert: „Zehn Tomans miüffen für jeden Solda—
ten gezahlt werben, welcher wünſcht von dem Dienft frei zu
bleiben. Jeder gebe daher die zehm Tomans oder ich muß
alle im die Lifte eintragen.“
Sie zahlen das Gelb und er giebt fie frei.
Hierauf läßt er die weniger Bemittelten vorfordern, und
erpreßt in gleicher Weife von jedem fünf Tomans. Go
wird das Geſchäft fortgefegt, umb endet erft, wenn er von
Jedem, der geben Tann, wenigftens einige ſtͤrans erhalten
hat. Das arme Volt, weldes nicht zahlen kann, wird ger
zwungen in ben Dienft zu treten. Aus ihm allein wird die
Compagnie gebildet. Der Capitän hat feine Tafchen gefüllt
und ehrt zurlic. Der Major feines Regimentes fragt ihn
privatim, wie viel Geld er gemacht habe. Der Gapitän
ſchwört bei allem, was heilig ift, das Bolf in dem Diftrict
fei ganz arm und die Soldaten feien freiwillig eingetreten.
Der Major lacht und fagt ihm mit ernfter Miene, daß auch
er einft Capitän gewejen fer und eine Compagnie ausge:
hoben habe, fomit wiſſe wie gewinnreich das Gefchäft fei.
Mit einem Wort , er glaubt ber Berficherung des Capitäns
nicht, und bedroht ihn mit allem Möglichen, wenn er nicht
die Wahrheit fage. Der Capitän, welcher nicht die volle
Wahrheit geftehen mag, antwortet: „Ich Habe im Ganzen
50 Tomand mitgebracht.“ Durch dieſes Zugeſtändniß ift
der Major in keiner Weiſe befriedigt; er wird heftig und
ſchwört, daß er, wenn ihm nicht wenigftens 200 Tomans
ald der ihm geblihrende Antheil gezahlt werden, den Capitän
fefihalten werde. Der Schluß ift: er befommt feine 200
Tomans und der Gapitän ift froh, mit diefem geringen
Opfer die Sache erledigt zu Haben. Nun läßt der Oberft
den Major rufen. Nachdem bie üblichen Artigfeiten und
Schmeicheleien ausgetaufcht find, fragt der Oberft den Ma—
jor, wie viel er von dem Capitän, mweldyer die Compagnie
auögehoben, erhalten habe? Der Major erwidert mit betrüb-
tem Geſicht, es fei bei dem Geſchäft nicht viel gewonnen
worden. Cs habe ihm ſchon große Schwierigleit gemacht,
von dem Capitän 20 Tomans zu erhalten, Der alte Oberft
wird verftimmt. Gr ift auch einft Gapitän genden, und
hat eine Compagnie ausgehoben. Er läßt den Kapitän kom⸗
men und befragt ihn. Da es fich um fein eigenes Intereffe
handelt, jo fagt diefer zum erflen Male in feinem Leben die
Bahrheit: „Ic habe dem Major 200 Tomand gegeben,“
Der Major und der Capitän werden confrontirt; der Major
verbleibt bei feiner Behauptung und ſchilt den Capitän einen
Lugner. Die beiden Offiziere gerathen in einen leichten
Streit, im welchem jeder dem Andern der Pige bejchulbigt.
Der Oberft, welcher aus „eigener Erfahrung weiß, daß e#
unmöglich ift die Wahrheit zu ermitteln, erflärt ſchließlich,
daß, wenn ber Major 50 Tomans zahle, die Sache abgemadht fei.
Aus Hochachtung gegen den Oberften zieht diefer 50 Tomans
aus feiner Taſche hervor, di®er ſchon vorher in Vorausſicht
defien, was fommen werde, zu fich geftedt hatte. Hiermit
aber ift die Angelegenheit J. nicht zu Ende. Oberſt
muß den General, der General den Höchſtcrommandirenden
befriedigen. Bei jeder Verhandlung wird gelogen, geſchwo⸗
ven und geſcholten. Immer wenn ein Capitän eine Com»
pagnie auszuheben hat, wird im gleicher Weife dafjelbe Stüd
übgefpielt. Stets behält der Capitän mehr als der Major,
biefer mehr als der Oberft und fo weiter fort, man muß
aber in Betracht ziehen, daß der Gapitän nur ein Dial Ge«
winn macht, während die höheren Offiziere bei jeder von den
Globus KXVIN. Nr. 7.
ihnen untergeordneten Dffizieren ausgeführten Aushebung
ihren Antheil befommen.
Nicht bloß auf einzelne Theile der Verwaltung, aud)
nicht auf einzelne Erwerbszweige ift der Betrug und die Be—
ſtechung befchränft. All und Seder hat zu leiden aber Jeder
* den Andern. Hier nur eine Thatſache. Der Arme—
nier Schangir Chan ſtand als General im Dienſt und in
der Gunſt des Schah. Ihm wurde die Verwaltung des
Arſenals anvertraut. Er war ein thatfräftiger Mann und
machte den Vorſchlag, Maſchinen aufzuftellen, eine Spinner
rei, eine Buchdruckerei und ähnliche Werke einzurichten. Der
Schah gab feine Zuftimmung. Die Mafdinen und Wert:
zeuge wurden in Europa beftellt, ein großes Fabrikgebäude
im euvopäifchen Stil errichtet, die Mafchinen aufgeftellt und
die Arbeit beginnt. Obgleich die Gegenftände, welche die
Vabrif lieferte, von geringer Beichaffenheit waren, jo beredj-
neten ſich die Productiondfoften doch doppelt fo hoch, als der
Preis, für welden man fie aus Europa beziehen konnte,
Der Grund war: Alle ohne Ausnahme von dem höchſten
Beamten bis zu dem unterften Arbeiter hinab betrogen den
Schah. Es ift nicht möthig anzugeben, im weldyer Weife
der Betrug anögeführt wurde, es genligt mitzutheilen, daß
der Schah als er einen Einblid in die Dinge bekam, fehr
zornig wurde. Er befahl, die Mafchinen in einem dem
Staate gehörigen Gebäude aufzuftellen und die Vorräthe
dorthin zu ſchaffen. Die Leute aber, welde mit diefem Ge—
ſchüft beauftragt waren, hatten von dem Maſchinenweſen
nicht die allergeringfte Kenntniß. Sie verftanden es nicht
die Maſchinen auseinanderzunehmen. Dan zerichlug fie
einfach mit einem ſchweren Hammer und brachte fie in
Stüden zur Stadt. Der General, welcher das Arjenal uns
ter feiner Verwaltung gehabt hatte, wurde nun feines Dien-
ftes entlaffen. Der Schah befahl weiter, daß derſelbe die
fänmtlichen Koften und den ganzen Werth der zerftörten
Maſchinen und aller Geräthichaften, welche angeſchafft wor»
den wären, erfegen, ihm aber das gefammte Material belaj-
fen werben folle. Der Unglückliche verkauft jet diefes als
altes Eifen. Die Summe, welche er zahlen fol, ift enorm.
Fur die Spinnmaſchinen allein beträgt fie gegen eine halbe
Million Thaler, Die Bucdruderpreffe ift nicht zerſtört
worben.
Bon jest ab foll ohne die ausdrückliche Genehmigung des
Schah nichts mehr für das Arfenal angelauft werden, und
diefe Genehmigung wird nur fir das abſolut Nothwendige
und dann aud) nur mad) genauefter Prüfung ertheilt.
Diefelben Schwierigkeiten, die der Schah bei der Ver—
waltung bes Arfenals gefunden hat, ftellen ſich ihm auch bei
der Beſchaffung der Kcibun für die Soldaten entgegen.
Der Intendant betrligt den Staat dadurch, daß er Stoffe
geringerer Gilte anlauft, aber den Preis für werthVolleres
Material in Rechnung bringt, Alle feine Beamten laſſen
ſich von den Kaufleuten, mit denen fie in Handel treten,
Commiffionsgebühren zahlen; dev Thorwächter verlangt ein
Gejchent, ehe er das Thor öffnet, ebenſo der Diener , che
er den Kaufmann bei feinem Heren einführt, überhaupt muß
jeder, welcher irgend bei den Berhandlungen, wenn aud)
nur in ganz untergeorbneter Weife, mitzuwirlen hat, etwas
verdienen, ſoll das Geſchäft Überhaupt zum Abſchluß lommen.
Dei Ausführung bdeffelben ſucht nun wiederum der Tud)-
händler, der Zufcneider, der Kleidermacher ıc. feinen Schnitt
zu machen — immer auf Koften des Staats; der arme Sol
dat dagegen belommt kaum das Nöthigfte und Alles was
er erhält von geringer Beſchaffenheit. Häufig muß er ftatt
neuer Uniformen alte abgetragene nehmen.
Es ift daher fein Wunder, wenn der Menſch, welcher zu
14
106
ſchlecht gelohnt und zu ſchlecht gefleidet wird, vaubt und
ſtiehlt. Er thut es, weil er muß, und tut es, wo er irgend
Gelegenheit findet. Immer gefchieht es auf Koften der Land:
David Brauns: Streifzüge im füdlihen Nortvegen, V.
bevölferung, die unter diefem Drud furchtbar leidet. Deſſen
—— iſt es erſichtlich, daß ſich die Zuftände allmälig
ern.
Streifzüge im ſüdlichen Norwegen.
Von Dr. David Brauns,
Yn Stavanger.
Stavanger ift eine wohlhabende Handelöftadt von
15,000 bi8 20,000 Einwohnern, weit ältern Datums
als Chriftianfand; fie muß ſchon im elften Jahrhundert
eriftirt und einige Bedeutung gehabt haben. Sie liegt auf
einem weit nad) Weiten ſich dehmenden abgeflachten Bor:
fprunge der Küfte zwifchen niedrigen Holmen. Das Ger
ftein, auf dem fie ruht, ift fast durchweg ein fchöner grimer
Chloritfchiefer, der von ſchwarzem Glimmerſchiefer und Gneis
umgrenzt iſt. Die Meeresproducte find faft die nänmlichen,
wie in Chriſtianſand; doch überwogen Hier noch mehr bie
dorfchartigen Fiſche. Neben den ſchon genannten ift nament ⸗
lid) der Sei (Gadus virens L.) zu nennen, der am ber
ganzen Weftfüfte eine große Rolle ſpielt. Die Brut diefes
wie anderer Fifche derfelben Familie ift unter dem Namen
Mort ein beliebtes Nahrungsmittel der Nermeren; fie wird
bis in den Hafen in großer Zahl gefangen. Neben dem
Lachs conftatirten wir hier die Seeforelle oder Sö-örret
(Trutta trutta L.), welche Heiner ift, aber ganz die Lebens-
gewohnheiteır des Lachjes zu theilen ſcheint. Die Aufter ift
nicht felten; von fonftigen Seeproducten fiel mir die islän-
difche Benusmufchel auf (Cyprina islandica L.), die übri-
gens, da fie vom hohen Norden bis zur Oftjee reicht, gerade
an der norwegifchen Weftüfte den Mittelpunkt ihrer Ber:
breitung zu haben ſcheint. Sonftige Muſchelarten, Aftar:
ten u. f. w, haben ſchon wegen ihrer geringern Größe
feine praftifche Bedeutung.
Die Witterungsverhältnifie find in Stavanger benen un-
ferer Nordfeeküiften analog, während fie öſtlich fich denen des
baltifchen Bedens nähern. Der Seewind, der in Stavan-
ger Negen bringt, ift im Sätersdal oft ſchon vegenfrei. Im
Zufanmenhange damit ficht, daß. die öftlicheren Gegenden
öfter fchon einen tiefern Farbenhauch zeigen, die Weftfüfte
dagegen vorwiegend Töne von geringer Intenfität hat, Die
Lichter find oft eigenthumlich ſchwefelgelb, was den diabo-
liſchen Charakter wilder Felspartien noch erhöht, die Schat-
ten hellgran, die Ferne ift matt; die Yocaltöne, das faftige
Grün des Rafens, dev bunte Anftrid) der Häuſer, die ſchwärz⸗
lichen Helfen, die dunfelgrline See, erfcheinen in der Nähe
um fo greller und unvermittelt. Fir Manche fcheint hierin
ein befonderer Reiz zu liegen; doch möchte ich denſelben
mehr der Neuheit zufchreiben, als diefen Farbenmangel wahr:
haft ſchön nennen.
Der Golfftrom berührt Stavanger weit weniger als das
nörblichere Bergen. Die Ebbe und Fluth ift mur fehr ger
ring; viele Einwohner behaupteten, fie fei hier wie dies im
Ehriftianfand im der That der Fall, gleich, Null, doch bewei«
fen die Strömungen zwiſchen den Holmen der Außenlüſte,
daß fie jedenfalls micht ganz fehlt. .
Die Stadt Stavanger, welche Rhederei, Fiſchfang, Han-
bel nad) dem Süden u. f. m. treibt, hat eine der wenigen
alten Steinkirchen in Norwegen, bie mwohlerhaltene Dom:
27 Schon im Jahre 1128 wurde der Bau derſelben
durch den Biſchof Reinald, einen Engländer, im edelſten
engliſch⸗romaniſchen Stile — in der Weiſe von Wincheſter,
Stoneleigh — mit engliſchen Werlleuten begonnen und dem
Sanet Svithun, der 837 bis 862 in Wincheſter Biſchof
war, geweiht. Nach den Urkunden ſcheint der Bau 1175
vollendet gewefen zu fein; in dieſem Jahre fand eine neue
Schenkung durch den König Magnus Erlingsfön ftatt, die
dem Anfceine nad) die Parteiftelung des Bisthums gegen
die „Birkenbeine* entſchied. Wenigftens fehen wir aud)
nad) der Erhebung bes König Sperre, des Birkenbeinfönige,
bem es gelang, eine neue Diynaftie zu gründen, die Stadt
und Kirche Stavanger mehrmald — 1205 und 1207 —
als Schauplag erfolgreicher Ueberfälle der „Bagler“, der
Krummftäbler oder Biihöflichen, gegen Verwandte bes
Kong Sperre. Im Jahre 1250 beftätigte jedoch König
Halon Halonsjön, der Alte genannt, bie Schenfung an ben
ihm befreundeten Biſchof Astells, Belanntlich bahnte die
längere Regierung diefes Königs vuhigere Zuftände in
Norwegen an. Im Jahre 1272 wurde indefien die Stadt
und Kirche von Stavanger von einem großen Brande heim:
gefucht, und ift in den Jahren 1272 bis 1290 ein Theil
des Domes ganz neu und zwar im gothifchem Stile aufs
geführt, nachdem 1275 und 1287 durch Ablaßverſprechun-
gen u. ſ. w. die erforderlichen Gheldfpenben eingetrieben waren.
Der ältere Theil, der weftliche, ift jedoch) immer noch der größere,
Die Gegend um die Kirche und um den an der Vaage
befegenen Martt — mit verziertem Brunnen — it die
freundlichfte der Stadt, mit Oartenanlagen, theilweife mit
großen ſchönen Bäumen verfehen; am Marlte ſah ich einige
maffive Häufer, während deren Mehrzahl nad) norwegifcher
Art aus Holz mit Bretterverſchalung aufgeführt ift.
Als zweite Merkwürdigkeit der Stabt nahen wir Herrn
Hanfon’s Anſtalt file Lünftliche Fiſchzucht in Augenſchein.
Obwohl aus rohen Steinen erbaut, bietet das Wohnhaus
body im Innern das nämliche Bild der Behaglichkeit bar,
das man im Norden für ein Monopol ber Holzhäufer an—
zufehen pflegt. Allerdings ward diejer comfortable Eindrud
ſehr durch die fchönen gefchnigten Möbel, meift aus ber
Nenaiffancezeit und in gutem Gefchmade, und durch andere
Alterthlimer und Dierfwürdigfeiten des Yandes, die hier auf-
geftellt waren, erhöht. Die Fildgüchtungsanftalt ift mufterhaft.
Das reinfte, kälteſte Bergwafler flieht durch die Brutfäften,
in denen der Laich ſich entwidelt, über reinen Sand dahin;
bie Ernährung der lachsartigen Fiſche gefchieht von Anfang
an mittelft gelochten und fein gehadten Fleiſches; Herr Han⸗
fon wiberlegte ausdrüdlich die Angabe mandjer Fifchzlichter,
David Brauns: Streifzüge im füdlichen Norwegen. V.
daß die Forelle in früheſter Jugend ſich nicht Minftlich er—
nähren lafje oder doch ausſchließlich der Infectennahrung be»
dikrfe. Die Teiche waren ſehr einfach angelegt, mit einzel
nen Baflerpflanzen, deren Blätter Schatten geben — Nym-
phäen, Nuphar, Froſchbiß — beftanden und der Reinlichkeit
halber mit Filtterungabrettern, einige Fuß unter der Wafler-
oberflähe, verfehen, damit man etwa zu ftart angehäufte
Kefte von Fleiſch bequem entfernen kann. Im diefen Tei—
chen erlangt die Bachforelle in vier Jahren ein Gewicht
von 8 bis 9 Mark norwegifch ober über 4 Pfund, Ver—
fuchöweife zuchtet Here Hanfon Baftarde vom Salmling
(Salmo alpinus L.) und der Badhforelle, welche befonbers
ſchwachaft find, ſich nicht fortpflanzen — unter 300 Stüd
fand man ein fortpflanzungsfähiges — und in vier Jahren
ein Gewicht von 12 Mark oder 6 Pfund erreichen. Die
norwegische Regierung unterftügt Herrn Hanfon, der dage⸗
gen jedem Norweger feine Refultate mitzutheilen und In.
leitung zu geben hat; doc) ift, fo wltnfchendwerth dies immer»
hin bei ber jegt ſchon merkbaren Abnahme der Suüßwaſſerfiſche
wäre, noch fein wirklich —— Reſultat im Großen
erzielt worden. Herr Hanſon beklagte ebenſo, und gewiß
mit Recht, daß feine umfaſſenden, auf wiſſenſchaftlicher Baſis
beruhenden Berfuche der Aufterzlüchtung , für welche ſich die
Südweftküfte Norwegens feiner Anficht nach vorzüglich eig ·
net, noch keinen Anflang gefunden hätten.
In dem behaglichen Gafıkaufe der Jomfrue Jesperſen
erholten wir uns raſch von den Strapazen der Reife. Dies
ſes Haus wird faft ausfchlieglicd, von deutfchen Handlungs:
reifenden befucht, die fich überall comfortabel einzurichten
wiſſen. Sie bilden hauptjäcjlid, die Vertreter des deutjchen
Elementes in Norwegen, und wir conftatirten mit großer
Genugthuung, daß die waderen und gebildeten Männer,
bie wir dort fennen lernten, fich der Aufgabe, ihr Vaterland
in würbiger und Achtung gebietender Weife zu repräfens
tiren, wohl bewußt waren.
Bei ſchönſtem Wetter am 20. Auguft verliefen wir Sta«
vanger wieder, und fuhren mit einem Segelboote Über den
Fiord nad) Tou, wo eine itberrafchend ſchöne Landichaft an
einem größern, ziemlich dicht am Meere liegenden Bergſee
ſich dem Blide bot.
Die Sefteumg auf Fortdauer des guten Wetters ging
diesmal nicht in Erfüllung. Am Abend zeigten fid) drohende
Bolten über der See, umd in der Nacht wüthete ein Ges
witter. Am Morgen konnten wir und noch auf das Dampf:
fchiff begeben, weldyes von Stavanger aus die Hauptfiorde
befährt, und bei Tou anhält, allein nach Vefichtigung der
norböftlichen Fiorde war es ung kaum möglich Nachmittags
in Sande im Fiord gleidyen Namens zu landen.
Der Sturm dauerte fort, als wir der Suledals-Elv
entlang dem Suledals:Band zufuhren, prachtvolle
Waſſerfülle des mächtigen Stroms zu unferen Füßen, wäh—
vend ebenfo impofante Sturzbäce beiderfeits von den Felſen
herunterbrauften. Trotz der wildromantifchen form der
Berge war das Thal etwas offener, als bie, welde wir bie-
her gejehen. Am See waren wir genöthigt, auf einem Hei-
nen Ruderboote weiter zu fahren, das uns unter ſtrömendem
Regen auf den ftürmifc bewegten Wellen fehr unangenehm
ſchaulelte umd sicht felten mit dem Wafler des Sees in un-
willfoımmene Berlihrung brachte.
Die Dunlelheit brach herein, und noch immer erſchien
die Stelle nicht, an welcher das Gehöft eines Storthing-
mannes, Kolbenthveit, liegen follte, die einzige Möglichkeit,
aus der Erftarrung durch Kälte und Näſſe und aus ber
unbehaglichen Situation in bem Boote, das ſich gleic) "ber
Mehrzahl feines Gleichen als led erwies, herauszufommen,
107
Endlich gelangten wir unter das Dad) des Boothaufes
am Geſtade des Sees und fahen über ums das ftattliche
Gehöft, aber im tiefer Dunkelheit. Der Herr beffelben fei
verreift, die Frau jeboch zu Haufe, hatten uns die Bootsleute
gefagt ; immerhin geſchah es nicht ohne Beforgniß, als wir
eintraten und um Obdach baten, Wllein die norwegiſche
Gaftfreiheit bewährte ſich auch hier. Ein prafjelndes Feuer,
ein Lammbraten, ein Glas Toddy — heißes Waffer mit
Cognac — und, was wir vor Allem fchägten, ein behag-
liches und ausnahmsweiſe einmal genügend langes Eultur-
bett vereinten fich, uns alle Strapazen vergeffen zu machen.
Die ringsumber raufchenden Wafferfälle wedten uns
frih am andern Morgen und wir nahmen von ber freund-
lichen Wirthin Abfchied, deren Mann als Commiſſär des
Storthing beim Fiſchfange im hohen Norden fungirte, übri—
gend dem Bernehmen nach ſtets bereit war, Reiſende gegen
geringe Vergütung zu beherbergen. Wir waren hier wieder
anz im Gebirge. Die vereingelten Gehöfte am See haben
Ha feine Berbindung, als über das Waller. Um weiter
zu kommen, mußten wir, was am Abend vorher ganz un:
möglich, gewefen wäre, auf dem freiern Theile des Suledals:
Band, der noch ſtürmiſch bewegt war, flinf Stunden lang
zwifchen den fteilen Uferjelfen hinfahren, fonnten am Ende
der Fahrt erft auf den andern Morgen Padpferbe bekommen
und hatten alsdann, mach Ueberfteigung eines feitlichen Paſ⸗
fes, der und wieder einmal in die baumlofe Negion hinauf
führte, den — Übrigens in den Suledals-See abjtrömenden —
Rölldals-Band vor ums. ine fernere ziemlich lange
Bootsfahrt und ein beſchwerlicher Marſch über angefchwollene
Bäche und Wildwaffer brachte uns endlich unter das gaft-
liche Dach des Pensmandes Juve zu Rölldal, das uns vor
bem enblofen Regenwetter Schu gewährte.
Die Leute im Stavanger-Amte, deſſen Grenze wir erft
am Rolldal⸗See erreichten, waren im Ganzen willig und
gutmüthig, doch — wie ich ſchon andeutete — weit weniger
aufgeweckt, ala bie Sätersdaler, auch wohl weniger treuherzig.
Ihr Eigennutz zeigte fich, vielleicht theilweife in Folge der
Nähe der Touriſtenſtraße, im Meinlicherer , fchärferer Weiſe.
Der, allerdings läftigen, gefeglichen Verpflichtung, Poftpferbe
zu der geringen Tare zu ftellen, fuchten fid) die Styösfafler
durch Vorwände und Üigen zu entziehen und durch Privat:
ablommen höhere Preife zu erpreſſen, ein Verfahren, das
in Sätersdal nie verfucht wurde. Während dort die Mäd—
chen mit Stolz erzählten, daß fie die zahlreich umberftreifen«
ben Auftäufer von Frauenhaaren abgewiefen hätten, waren
hier die Bauerntöchter ohne Weiteres bereit, ihre blonden
Zöpfe gegen Bezahlung herzugeben, und enttäufcht,, wenn
wir, obgleich „Deutjche*, uns doch mit diefem Handel nicht
befaflen wollten.
Die Tracht ift der des nördlich angrengenden Harbanger-
ra ähnlich), jedoch einfacher und minder reich. Die
ieder find dunkel, ohne Zierrath, die Hauben fliegen,
übrigens in ganz Meidfamer Weife, fi) dem Kopfe an; bie
Männer Haben dunkele Jacken und Hofen gewöhnlichen
Schnittes. In Rölldal fahen wir zuerſt die voten mit
Schnüren verfehenen Mieder, den reichen Silberſchmuck, die
umfangreichen Hauben des Bergenhuus- Amtes ; die Männer:
tracht blieb im Wefentlichen bie nämliche. Obgleich Übrigens
im Bergenhuns-Amte und namentlich auch ſchon in deſſen
füblichen Theile, dem Hardangerlande, das nationale
Element ſich etwas hebt, der Wohlftand, 3. B. der Vichftaud,
größer ift, fo ift doch ebenfo wie in Gegenden nächſt Sta-
vanger bie Bildung ber Gefictsziige weniger edel, als im
Innenlande, und manche Individuen laflen eine Beimiſchung
finnischen Blutes nicht fir unwahrſcheinlich halten.
14*
108
Peter v. Uslar und Die
Um 20. Juni diefes Jahres iſt auf feinem Familiengute
Kurowo im Gouvernement Twer ein Mann geflorben, der
um die Erforfchung der Sprachen des Kaufafus ſich hohe
Berdienfte erworben hat. Peter von Uslar hat es neben
Anton Sciefner verftanden Klarheit in das Gewirr der
Sprachen jenes Gebietes zu bringen, und aud) der Ethnograph
wird ihm ftets daflir dankbar fein, da am Kanfafus gerade
die Sprache noch der befte Führer im dortigen Bölfergewirr
iſt. Auf Grund eines Auffages in der Wiſſenſchaftlichen
Beilage der „Leipziger Zeitung“ vom 19, October 1873 ger
ben wir die nachftehenden Mittheilungen über Uslar und die
faufafischen Forſchungen.
Seit den durd) die Reifen Güldenſlädt's und Klaproth's
im Kaufafus befannt gewordenen Wörterſammlungen bortie
ger Sprachen war lange nichts fir die faufafifche Sprach-
ſorſchung gejchehen, als in den Yahren 1843 bis 1845
G. Rofen feine hochverdienſtlichen Arbeiten über die Sprache
der Lazen (11. November 1843), Dffeten (1. October 1844),
Mingrelen, Suanen und Abchaſen (31. Januar 1845) der
Berliner Alademie vorlegte, welche diefelben in ihre Abhand-
lungen aufnahm. Sie gaben Bopp PVeranlaffung zu ver
ſchiedenen Heineren Berichten in den Yahrgängen 1843 bie
1846 der Momatsberichte der Alademie, jowie zu einer grös
fern Abhandlung „über das Georgifche in fpradverwandt-
Ichaftlicdyer Beziehung“, in der es ihm gelang, die Vermit—
telung der vier erftgenannten Sprachen mit den indogermas
nischen Sprachen nachzuweiſen. Es war ihm leider damals
Sjögren's „ofletifche Spradjlehre“, durch welche Roſen's Ar-
beit weit überholt wird, noch nicht zugänglih. Wr das
Abchaſiſche Hatte ſchon Guldenſtädt die Verwandtſchaft mit
dem Tjcherteffischen angenommen, und Roſen ſchloß ſich die ·
fer Meinung an. Sein Aufenthalt an Ort und Stelle war
indeß ein zu kurzer, aud) konnte er fich, wie es fcheint, nur
vermittelt des Türkifchen mit den Eingeborenen verjtändis
gen, es entgingen ihm daher manche wefentliche Eigenthlim:
lichkeiten ihrer Sprache. — Der Erfte, welcher für cin Glied
der fogenannten wizdfhegifchen ober khiſtiſchen Sprachen des
kaufafiichen Berglandes, Dagheſtans, eine genaue ſprachliche
Aualyfe lieferte, war Anton Sciefner (geb. 18. Juli 1818
in Reval). Schon in den Bulletins der Petersburger Ala-
demie vom Duni 1854 hatte er „eine kurze Charalteriſtil
der Thuſch⸗Sprache“ erſcheinen laffen, welder 1856 jein
„Verſuch über die Thufcd Sprache oder die khiſtiſche Mund»
art in Thuſchetien“ folgte, eine ungemein mithfelige, mit der
fauberften Sorgjamteit gefertigte Arbeit, die aus dem Rohen
herausgearbeitet als Mufter für alle folgenden Arbeiten auf
diefem Gebiete gedient hat. Das Material dazu warb dem
Verfaſſer theils durch die handfchriftlichen Aufzeichnungen
eines geborenen Thufchen, des Geiftlihen Hiob Ziskarow,
welchen Brofjet von feiner faufafifchen Reife mitgebracht
hatte, theils durch mündlichen Verkehr mit dem jlingern Brur
der deffelben, Georg Zislarow, der an der geiftlichen Ala-
demie in Petersburg ftudirte, leider aber bald ſtarb. Das
Thuſch ergab ſich hiernad) als eine ungemein rauhe, vocal«
arıne, aber confonantenreiche Sprache. Neun Ziſchlaute und
acht Kchllaute find ihr eigen, und der heijere Kehlhauch h
findet fich außerdem noch vielfach in Verbindung mit vorher:
gehenden Confonanten, ja fogar mit folgendem 1 in fo inni-
ger Verbindung, dag Schiefner daflir ein eigenes Zeichen !
hat erfinden müfjen. Die Declination der Nomina ift über j
Peter v. Uslar und die laukaſiſchen Forſchungen.
kaukaſiſchen Forſchungen.
aus reich an Caſusformen, deren es vierzehn giebt. Das
Geſchlecht eines Nomens kann in der Regel nur durch die
damit verbundenen Wörter erkannt werben, welche ihre Ber
ziehung dazu durch eine Veränderung ihres eigenen Anlauts
und zwar in mehrfacher Weiſe ausdrüden. — Im Jahre
1862 erfchienen zwei fernere Arbeiten Schiefner's über das
Awariſche (gelefen 5. September 1862) und ber bie Sprache
ber den (gelejen 12. December 1862). Das Material zu
der erſtern verdankte er zunächſt dem damals bei dem Etatt-
halter Kaufafiens angeftellten Hofrath Adolph Berger (jetst
Berge genannt), welcher während feines mehrjährigen Aufent-
haltes in Translaufafien fid) mit Eifer dem Studium der
Geſchichte und Ethuographie jener Gegenden hingegeben hatte
und ihm einen felbftverfaßten kurzen Entwurf J einer awa⸗
riſchen Sprachlehre, ein ruſſiſch- awariſches Wörterblichlein
und verſchiedene Sprachproben, darunter namentlich drei ins
Awariſche Uberſetzte Koran-Suren (Sure 1, 88 und 99) und
zwei Thierfabeln zur Dispofition ftellte. Diefe Leberfegungen
ftanımten aus Chanfug, dem Mittelpunkt awariſcher Zunge,
und waren von dem greifen Lehrer Schamil’s, Latſchinilau,
entweder jelbft verfaßt oder doch revidirt worden. Dieſes
Material ging Schiefner teils mit Berger felbft durch,
theild mit einigen im Gefolge des Kaiſers dienenden awa-
rifchen Junkern, die ihm noch manche weitere banfenswerthe
Zuthat lieferten. Die Arbeit über die Sprache der Üben
beruht Hauptfählich auf den Sammlungen reſp. dem hand»
fchriftlichen Nachlaß des Lehrers an der Kreisſchule zu Nucha,
Georg Beihanow (F 1859), der theils eine Sammlung udie
ſcher Lieder veranftaltete, ſowie mehrere Ueberfegungen ins
Udifche verfaßte, theils ein die Buchſtaben A bis O umfaf-
fendes ruſſiſch⸗ udiſches Wörterbuch ſowie Declinations- und
Conjugations « Paradigmen zufammengeftelt hatte. Dazu
traten noch verſchiedene Hilfsmittel, ein fchon von Sjögren
während feines Aufenthalts in Tiflis (1835) mit Hilfe eines
im geiftlichen Seminar befindlichen Uden angelegtes Woca:
bular, ein Verzeichnig von 325 ubiichen Wörtern, welches
im Jahre 1852 die faufafifche Abtheilung der geographifchen
Gefelfchaft von dem damaligen Exarchen von Georgien, Ifie
dor, erhalten hatte, eine Berification des Beſhanow'ſchen
Materials, welche Hofrath Berger im Herbft 1861 auf einer
Neife zu den Uden angeftellt hatte, endlich die Sammlungen
des Friedensrichters M. Kovalensfy, der fid) in den Jahren
1853 bis 1854 in mündlichem und brieflichem Verlehr mit
G. Beſhanow fpeciell mit Erforfchung des Udischen befchäf-
tigt hatte; doch gelang es Schiefner nicht, felbft einen ein-
geborenen Uden zu Rathe zu ziehen und von ihm die ubifchen
Yaute unmittelbar geſprochen zu hören,
Alles bis dahin durch Erforfchung an Dirt und Stelle
Gewonnene wird nun aber an Reichhaltigleit und Flille wie
an forgfamer Aufzeichnung und Verarbeitung des Materials
weit ibertroffen durch die Arbeiten des Barons Peter von
Uslar, Und das von bemfelben Gieleiftete ift im der That,
befonders aud) in Anbetracht der Berhältniffe des hochverdien⸗
ten Mannes, außerordentlich, zu nennen, Baron Uslar war
nämlich fowohl ein hochſtehender Militär als ein ausgezeich-
neter Sprachforicher, eine Vereinigung von Eigenſchaften,
bie im Ganzen denn doc jehr zu den Seltenheiten gehört.
Geboren am 2. September 1816 auf dem väterlichen Gute
Kurowo unweit Wyſhnij Wolotſchol im Gouvernement Twer
und zwar als Abtömmling des ſächſiſchen Zweiges ber ur⸗
Peter v. Uslar und die faufafifchen Forſchungen.
fprünglich hannoverfhen Familie (fein Großvater trat im
Jahre 1765 in ruffifche Dienfte), madjte er feine Gymnaſial⸗
ftudien in St. Petersburg in dem 1823 dafelbft geftifteten
und damals unter der Feitung des braven und tlchfigen Di⸗
rectors Schneider ftehenden dritten Gymnaſiums durch, begab
fi) aber nad) Abfolvirung derfelben (1883) nicht auf bie
Univerfität, fondern trat in ben Militärdienft, zunüchſt in die
Militäringenieurfhule und 1834 in die Militärakademie
des Generalftabs über; er war zulegt Generalmajor von
der Suite des Kaiſers. Im den Jahren 1847 bis 1853 lie-
ferte er militärifch-ftatiftifche Befchreibungen der Gouwernements
Twer 1847 (in Gemeinjchaft mit dem Stabscapitän Mün-
fter), Wologba 1851, Eriwan 1853, welche, um mit den
Worten der „Nordiſchen Preſſe* Nr. 75 vom 2. April 1873
zu reden (vom wo biefe und einige der folgenden Angaben
hier entlehnt find), „einzig in ihrer Urt daſtehen“. Darnadı
mit der ethmographifchen Befchreibung des Kaulaſus beauf-
tragt, hielt er es flir die erfte Pflicht feines neuen Berufes,
fich eine möglichft genaue Kenntniß der Sprachen der ver-
fchiedenen Böller des Kaufafus und namentlich Dagheftans
zu verſchaffen. Er ertannte gar bald, daß in biefen Spra-
en ſowohl lautliche als grammatiſche Eigenthümlichleiten
ganz befonberer Art vorhanden feien. Um die Laute gehörig
zu unterſcheiden und richtig aufzufaffen genligte es nicht, mit
an das Ruſſiſche, Deutfde, Franzbſiſche und Englifche ge
wöhnten Ohren hinzuhorchen, da in dieſen Gebirgsjprachen
Lautniiancen vorhanden find, welche ein europäifches Ohr
nicht mehr unterjcheiden kann. Im Folge deſſen fuchte er
die Ohren der Eingeborenen felbft zu diefem Zwecke zu ber
nutzen; diefe mußten entſcheiden, welche Nitance eines gewiſ⸗
fen Yautes in einem beftimmten falle vorläge. Er entwarf
ine Art Mufterkarte, indem er für jeden Laut ein befonders
häufig vorlommendes Wort auswählte und diefes immer zum
Vergleich heranzog, wenn berfelbe ober ein ähnlicher Yaut
vorfam, & B. für die verfchiebenen e⸗Laute im Abchafifchen,
ach der Speicher, Aca die Vogellirſche, & der Boden, aca
die Laus, ac ber Ochfe, ala der Apfel. Seine Stellung
gab ihm zu diefen feinen Unterfuchungen die trefflichfte Ges
legenheit. Er verkehrte mit ben Eingeborenen ber verſchie—
denen Gegenden Dagheftand einfach im der Weife, daß er
biefelben nad) feinem Wohnfig Temir-Chan-Schura (an der
Dftfeite des Kaulaſus, nahe dem Kaspifchen Meere) fommen
ließ und dort mit ihnen vom Morgen bis zum Abend unauss
geſetzt arbeitete. Seitdem feine glüdliche Ehe nach nur
1'/zjähriger Dauer durch den Tod getrennt ward, fannte er
eben nur noch den Genuß, den die Arbeit gewährt, Er aus
tographirte alle feine Entwürfe und ließ fie dann lithogra-
phiſch, obſchon in nur fehr geringer Anzahl von Eremplaren,
abziehen. Und welchen Umfang haben diefelben! Seine
Arbeit über das Abchaſiſche (1862) umfaßt 302 lithogra⸗
phirte Ouartſeiten. „Demnächft wandte er ſich dem Tſchet⸗
fchenzifchen zu, welche Arbeit 416 Quartjeiten umfaßt, dann
dem Amarifchen, worliber er 1866 einen Quartband von
699 Seiten niederſchrieb — dem Kafi-umükifchen, welches
er die Pal-Spracdye nennt, und über das ein Quartbaud von
597 Seiten vorliegt —, dann den akufha » haibakifchen
Mundarten, von denen er die Kilrkifinifche ober Hürlan⸗
Mundart befonder® in einem Quartbande von 670 Sei:
ten behandelte, worauf er an die Sprache der Kürie
nen ging, welcher er im Jahre 1872 einen Ouartband
von 850 Seiten widmete. Zuletzt hatte er ſich das Ta-
bejferanifche zum Gegenftande feiner Unterfuchungen ge:
wählt.“ Alle diefe Arbeiten fandte er zur Beurtheilung an
die Peteröburger Alademie ein, welche auch bereits 1864
die beiden Arbeiten über das Abchaſiſche und das Tſchet-
fchenzifche mit einem Demidow'ſchen Preife krönte, und ihn
109
1868 an Schleicher's Stelle zum Correfpondenten für Lin-
guiftil ernannte,
Uber freilich — Alexander hat feinen Homer gefun-
den! — fo trefflich dieſe Uslar'ſchen Arbeiten auch find, fie
witrben der gelehrten Welt faft gänzlich, unbefannt geblieben
fein, denn fie find fänmtlid; in ruſſiſcher Sprache geſchrieben,
wenn ſie nicht in Anton Schiefner einen Interpreten erſten
Ranges gefunden hätten. Je ſeltener es ſich trifft, daß ſich
zwei Gelehrte ſo vollſtändig in die Hände arbeiten, um ſo
daulbarer müfen wir es begrüßen, daß der Fall hier in fo
ausgezeichneter Weife vorliegt. Wie es Schiefner's Abhand⸗
lung über das Thuſch vornehmlich war, welche Uslar zu
feinen Studien Überhaupt veranlaßte, fo hat Schiefner num
wiederum feinerfeits, im Auftrage der Peteröburger Akademie,
die berfelben vorgelegten Uslar'ſchen Arbeiten jedesmal durch
eingehende Berichte refp. fpecielle —— und Verwer⸗
thung des in ihnen enthaltenen Stoffes der Wiſſenſchaft all»
—— zugänglich gemacht. So erſchienen von ihm in den
Memoiren der Alademie folgende Abhandlungen in Quarto:
im Jahre 1863 „Ausführlicher Bericht über des Generals
Baron Peter von Uslar Abchaſiſche Studien“, VIII u.61 ©,
im Jahre 1864 „Tſchetſchenziſche Studien“, VIII u. 716,
im Jahre 1866 „Kafitumitifche Studien“, VIII u.136 ©,
im Jahre 1871 „Hlrkanifche Studien“, IV u. 200 S., im
Jahre 1872 „Uwarifche Stubien“, VIII u. 180 S., und eine
Abhandlung , über das „Kürinifche*. Außer Pautlehre,
Flexionslehre und Syntax enthalten alle diefe Arbeiten fowohl
Terte mit Ueberfegung als überaus reichhaltige Wörtervere
zeichnifle, welche möglichft viel ethnographiſch oder mythologifc)
Intereffantes mittheilen, fo daß namentlich in ihnen eine reiche
Fundgrube für die laulaſiſche Ethnographie vorliegt, Noch
ift die Zeit für eine vergleichende Bearbeitung diefer Spra-
chen felbft nicht recht gefommen, denn noch immer wird neues
Material maffenhaft zu Tage gefördert und muß zunächſt erft
eben am und fir fich bewältigt werden. Diefelben find daher
einjtweilen im ihrem gegenfeitigen Zufammenhange jowohl,
wie viel hierfür auch bereit8 geleiftet ift, wie vor Allem in
irer Stellung zu den Übrigen Sprachen der Welt jo ziems
Lich noch ein ungelöftes Räthſel, da fie eben bis jet zu feis
ner derfelben irgendwie fich im ein verwandtichaftliches Vers
hältniß bringen laſſen.
Abgefehen von der rein ſprachlichen Bedeutung dieſer
Forſchungen Uslar's haben diefelben im Uebrigen auch ſchon
einige literarsgeichichtlich höchſt intereflante Erfcheinungen, in
Geſtalt von Aufzeichnungen aus dem Bolldmunde insbefons
dere, zu Tage gefördert. Und zwar wird alles bisher ſchon
hierliber Befanntgeworbene durch die von Schiefer in Tert
und deutfcher Ueberfegung uns zugänglich, gemachten Awa—
rifchen Terte (Petersburg 1873, Lu. 113 ©.) an allgemeiner
Bedeutſamkeit weit übertroffen.
Es enthalten diefelben vollsthümliche Märchen und Er—
zählungen, denen ein ungemein hohes Intereſſe beimohnt.
Zum Theil ift ihr Tert bereits 1867 in Temir-Chan-Schurä
in der von Baron Uslar für das Awarifche angewandten
Schrift gebrudt worden; die übrigen Stüde ftammen aus
handfchriftlicher Ouelle, theild ebenfalls von Baron Uslar,
theild von dem bereits oben als Hofrath Berger erwähnten
jegigen Wirklichen Staatsrath Berge. Auch eine ruſſiſche
Ueberfegung derſelben ift ftüchweife in Temir-Chan-Scura
1867 bis 1868 reſp. in Tiflis 1869 erjchienen. Hier
finden wir denn num bei weitem mehr Zufammenhang mit
der Übrigen Welt, als man bei der fo völlig abgeſchloſſenen
Spracheigenthumlichteit diefes Vollsſtammes hätte annehmen
fönnen. Und zwar werden wir hier- geradezu mitten hinein
in bie fonftige orientalifche Märdene und Zanberwelt ver-
feßt, obſchon dieſelbe allerdings theilweife doc; auch wieder
110 Aus allen Erdiheilen.
ein fehr fremdartiges Gepräge trägt. Schiefner hat es da- mußte er indeß davon abftehen, hat -aber baflir an Stelle
her auch, um allen denen, welche bie Forſchungen über das | defien, wegen der überaus mertwürdigen Uebereinftimmung
Stoffliche der Märchen intereffiren, zu dienen, fiir zweck- mit verſchiedenen Zügen der awarifchen Texte, ein inbifches
mäßig gehalten, den auf dieſem Gebiete ausgezeichnet orien- | in bem tibetiichen Kandjur übergegangenes ausführliches
tirten Forſcher Dr. Reinh. Köhler in Weimar zu einer | Märchen mitgetheilt, die Geſchichte nämlıd, „von dem Sohne
Überfichtlichen Zufammenftelung ber entſprechenden Paral- | des Pantjchala-Sönigs und der Tochter des Kinnara-Königs*
lelen zu den einzelnen Märchen aufzufordern, und enthalten | (S.XXVI bis XLV), welcher er dann auch noch die tibetiiche
die Seiten IV bis XXVI des Vorworts die darauf bezlige | Faſſung des Kuga-Dicdjätala anreiht (S. XLVI bis L),
lichen trefflichen Bemerkungen deffelben. Es war anfänglich | weil diefelbe eine weit ältere Geftalt hat, als bie im Jahre
Schiefner's Abficht, aus den ruffifchen und ungarifcen | 1871 durch Steele im englifcher Ueberfegung veröffentlichte
Märchenſammlungen, welche Dr. Köhler weniger zugänglich | finghalefifche Berfion.
find, Ergänzungen dazu beizubringen; aus Mangel an Zeit
Aus allen Erdtheilen.
N J f Als Nomadenvolf kennen die Ranqueles den Grund:
Die — Fe — der argentiniſchen beſitz nicht in unſern Sinne. Der Grund, worauf ſich eine
Familie angeſiedelt hat, wird allerdings als der ihrige reſpec⸗
Dieſe Raubnomaden find die gefährlichſten Feinde der tirt, aber nur fo fange, wie fie ihm ſelbſt hält oder bewohnt.
AUrgentiner. Sie unternehmen nicht felten weite Streifzüge, | Sobald der Befiter fortzieht, ift Jeder berechtigt, ihn einzu:
plündern und rauben Vieh. Dr. Taiber, welcher fie genan | nehmen und zum rechtmäßigen Befiser zu werben. Zuweilen
kennt, bat im der vortrefflichen „La: Plata: Monatsichrift“ | vertaufchen fie ihr Anrecht auf die Dcenpation eines guten
nachitehende Schilderung entworfen. Weidelandes gegen Anrecht auf andered Land ober gegen
Drei Kaziten, Mariano, Ramon und Baigorrita, | Rinder oder SHaven. Solche Transaction ift aber felten,
tbeilen die Regierung unter ſich Mariano wird von Allen da fir Alle vollauf Weidegrumd vorhanden ift.
als der Erfte anerkannt; er erbte die Häuptlingswürbe bed | Auch das Eigenthumsrecht auf Schlachtvich, Nindvich
ganzen Stammes, ala ältefter Solm feines Vaters Paine. | und Stuten ift wicht fo abfolut, wie das im der civilifirtem
Außer durch Ererbung kaun die Herrichaft auch durch Ab: ; Welt. Ein Armer hat das Recht, von feinem reichern Nach:
danfung des Kaziken zu Gunften feines älteften Sohnes | bar ein Stüd Vieh ober eine Stute zu fordern, gegen die
auf diejen übertragen werben, wie es bei dem Kazilen Na: | Verpflichtung der Aurilderftattung bei der nächſten Yuvafion
mon, deſſen Water noch lebt, der Fall ift. oder Tributzuertbeilung. Der Reiche, der foldhe Forderung
Die Gewalt des Häuptlings de3 Stammes ber Ran: | zurüdweiien wollte, wiirde fich bei dem ganzen Stamm ver:
aueles ift beichränft; er lann nichts von Bedeutung für | haft machen,
den Stamm ohne die Zuzichung fümmtlicher Unterhänptlinge Abfolntes Eigentbum find nur die Sklaven, die perfön-
und überhaupt aller derjenigen Glieder des Stammes thun, | lichen Effecten und bie Pferde (Stuten werden nicht ge-
die ſich durch ihre Erfahrung, Kühnheit oder Lift audzeich- | ritten, fondern nur ald Zucht: und Schlachtvieh betrachtet),
nen. Tagelang berathen dieje dann, bis fich der Wille der | und nach der Zahl diefer wird der eigentliche Reichthum
Mehrzahl ausgeſprochen bat. Die Kaziten haben nichts An- abgeſchätzt. Wer viele SHaven bat, fann viel Mais—
deres zu thun, al& diefen auszuführen. Mariano ift indeffen | bau treiben und befigt zudem immer ein geſuchtes
ſchlau genng, durch volitifche Manöver ſowie durch Beredt: | Tauſchobject. Wer viele Pferde hat, fann eben jo
jamfeit die Indianer für feinen Willen zu gewinnen; Ra; | viele Krieger zu einem Naubzug gegen die Chri-
mon ſowohl wie Baigorrita ordnen fih ihm unter. Die | ften beritten machen, und ſichert fih dadurch den
Hanpttbemata folder Berathungen bilden die Beziehungen | größten Antheil an der Beute.
der Rangueles zu den ſüdlicheren Indianern, der Wechſel Die Indianer lieben ein verwickeltes Ceremonielk.
der Weidepläße, die Bündniſſe gegen die Ehriften und die | Ein fremder wird mit der größten Etiquette empfangen ;
damit zufammenhängenden Juvafionen, die Abſchließung von | ift er gar ein Regiernngsabgefandter, von dem man Tribut
Frieden mit den Chriſten umd die Abichägung des von diefen | erwartet, fo wollen die Ceremonien gar kein Ende nehmen.
zu zahlenden Tributes. Manfilla mußte einmal dreibundert Indianern mach ber
In die Streitigleiten oder Streitfragen über perfönliche | Reihe die Hände ſchütteln und fie Fräftig umarmen , weldes
Beleidigung oder Eigenthum bat fich der Kazike nicht zu | eine furchtbare Strapaze gewelen fein fol, Man fchidte ibm
miſchen. Die Beteiligten wählen entweder Schiedsrichter, | während der letzten Viertelſtunde vier verſchiedene Geſandt—
welche die Frage fofort ſchlichten, oder fie fuchen ſich perſön- ſchaften entgegen, welche die Indianer parlamento nennen.
lich Recht zu verſchaffen. Beſtiehlt ein Indianer den andern, | Sobald eine diefer Gefandtichaften fihtbar wird, muß mar
fo ift dieſes mit feiner Schande verknüpft, fondern der Thä- | derfelben in geſtreckter Carriöre entgegen reiten, auch die Ge—
ter wird wohl fogar öffentlich wegen feiner Geſchicklichkeit fandten laſſen ihren Thieren die Zügel fchiehen, und, auf
gelobt. Der Beftohlene jucht dem Diebe dann das geftohlene | Panzenlänge zufanmengefommen, haben beide Parteien ihre
Gut wieder zurüdzufteblen, und mimmt matirlich bei | Pferde plöglich zu ſetzen. Der Abgefandte bat nun drei oder
diefer Gelegenheit Alles mit, was er irgend erreichen fann. | vier Fragen zu than: Wie geht e8 Dir? Wie geht es Dei-
Selbft die Kazilen find vor den Dieben nicht ficher. nem Vater und Deiner Mutter? Wie gebt es Deinen Beglei-
Eine Mordthat wird nur als perfönlihes Uebel | tem? Sind Dir keine Pferde geftohlen worben?
angefchen, welches das Gemeinwohl nicht berührt, und nur | Dem Talente des Abgefandten wird es überlafien, aus die:
von der Familie des Betroffenen zu rächen ift. Der India— | fen Fragen eine Unzabl zu machen, obme den Sim der
ner ift inde wicht rachlüchtig und vergißt bald die Beleidigung. | Worte zu wechfeln. So variirt er die erite Frage: „Wie
Aus allen Erdtheilen.
geht e8 Dir?" im: „Wie ift Deine Befundheit ?" „Wie Icbft
Du?" „Was machft Du?" Stundenlang dauert es, ehe eine
ſolche Botſchaft ausgerichtet ift, und je überrafchender die nene
Redewendung ift, um fo größern Applaus erutet der Nedner
von feinen Genofien. Der Indianer applaudirt mit
einem gellenden Ahl wobei er fih auf den Mund
Elopft, welches Verfahren, wenn es von einigen hundert
Individuen zur gleichen Zeit gebt wird, einen fteinerwei:
enden Effect machen foll.
Bon Krankheiten find die Indianer jo ziemlich frei,
Sie curiren ſich mit einfachen Hausmitteln, in denen faltes
Waſſer eine Hauptrolle ſpielt Nur die Blattern ſetzen
ihnen böfe zu; ſowie diefe Seuche ausbricht, wird der Ort
gewöhnlich von dem Stamme verlaffen, Sie laffen die Kran-
fen allein zurüd mit einem für viele Tage reichenden Bor:
rath von Waffer und Lebensmitteln; fehr ſelten kommt daher
ein von ber Seuche Befallener mit dem eben davon. —
Die Schwindſucht ift unter den Wilden volllommen unbe:
fannt; Dr. Macias, welcher lange unter ihnen lebte, ſchreibt
dieſes dem Genuß des Stutenfleiiches zu. Bei Neugeburten
werden Mutter und Kind in den nächſten Minuten nach ber
Geburt in der Lagune gebadet, fei e8 im Winter oder Som:
mer, und gedeihen vortrefflich dabei.
Der Eharafter ber Indianer ift, vorzüglich gegen alles
Fremde, mißtramisch und ſchweigſam, wenn auch ohne activen
Haß. Es ift merkwürdig, wie wenig auf dem Wege der
Miffion für diefe Wilden getban worden iſt. Sie haſſen
weder bie Ehriften, noch haben fie eine übertricbene oder fana-
tische Anhänglichleit an ihre eigenen Glaubensmeinungen und
Gebränce. Die katholischen Landesgeiftlichen wagen fich fel-
ten über die Grenze hinaus; und geichieht es einmal in
Begleitung einer guten militärifchen Escorte, fo taufen fie
Alles rechts und links, was ihnen in den Weg kommt — ohne
von dem Geiſte der Religion den Bekehrten auch nur ein
Titelhen zu übermacen.
Der Indianer ift gegen feine Frauen gewöhnlich gütig,
und feine Kinder liebt er wohl noch mehr als feine Pferde.
Nur gegen Fremde ift er oft bintgierig und graufam, wohl
weil er von Kindesbeinen an gewohnt ift, im ihnen feine
Todtfeinde zu erbliden. Er weiß, daß viele Argentiner "auf
die vollfommene Wusrottung feines Stammes finnen, Unb
doch hat die Anfiedlung der Stämme von Coliqueo bewiefen,
wie leicht fie der Cultur zugänglich zu machen find,
Fir den weißen Neifenden durch ibr Territorium ift
die Gefahr nicht gering; da ihre Sklaven ſämmtlich
Weiße find und diefe fir fie einen hoben Tauſchwerth
baben, fo liegt es ſehr nahe, daß fie durchpaffirende weiße
Individuen als Sklaven zurüdbehalten. Diefe Furcht hat
bielang die Reiſenden verfchencht, und ihr Land gehört baher
noch zu ben unbelannteften. Selbft unter ben argentinischen
Grenzbewohmern find die unmöglichften Gerichte im Umlauf;
bald wird die Wildheit und Graufamkeit der Indianer, bald
ihre Milde und Güte hervorgehoben. Der Gaucho betrachtet
die „tierra adentro“ wie ein jagenbaftes Land, wo Mil
und Honig fleuft — und von feinen Gefichtspunfte mag er
wohl jo ganz Unrecht nicht haben: ein zügelloſes Leben,
ohne geregelte Arbeit, wo ein Malhenr (fo nennt der Gaucho
es, wenn er irgend Jemandem einen Meſſerſtich verjegt hat)
feine Spuren auf feine Fährte zieht, wo er Frauen, auch
gewöhnlih Brauntwein vollauf, und dann, das Non plus
ultra feiner Exiſtenz, einen gelegentlichen Raubzug, haben
fann, voinft ihm bei den Indianern. Es iſt deshalb bei ben
Gauchos Brauch, wenn fie aus irgend einer Urfache die Ju—
ftig au fürchten baben, zu den Indianern zu flüchten. Im
Allgemeinen find fie bintgieriger, graufamer und eigenmüßiger
als diefe, aber dennoch werben fie gut empfangen, einestheild
aus Gaftfreundichaft, anderntheild weil fie den Indianern
als Führer in die civilifirten Diftricte werthvolle Genoſſen
bei ihren Raubzügen find. Es find nur wenige Fälle be
111
fannt, daß diefe flüchtigen Gauchos gemordet oder ala Skla—
ven zurüdbehalten wurden. Häufig nehmen fie mehrere
Frauen unter dem Stamme, befommen Familie und ver:
ſchaffen ſich ein gewiſſes Anſehen. Auch die Händler, die,
mit den Bedürfnifſen der Judiauer verſehen, zum Austanfch
die Tolderias beſuchen, Anden, außer einer gelegentlichen
Ausplünderung, fein Hinderniß — und jomit kann die Ge:
fahr auch für Forichungsreifende nicht gar fo bedeutend fein.
Nur muß man andere Zwecke vorſchützen; der Wilde ift
mißtrauiſch, und in jeder Erforichung feines Landes wirbe
er nur den Zwed der Fremden fehen, ſich das Land an-
zueignen!
Aus Südamerika.
Deutfche Gymmnafiallehrer in Peru. Einem Be:
richte der Kölniſchen Zeitung“ zufolge find dort vor mehre:
ren Monaten neue deutſche Lehrer für die Neorganifirung
und Leitung des Gymnaſialweſens eingetroffen, Nachdem fie
fi) mit der ſpaniſchen Sprache vertraut gemacht hatten, wur:
den fie je nach den Unterrichtsgegenftänden in drei Gruppen
gegliedert. Jede erhielt einen Vertreter der alten, einen jol-
hen der neueren Sprachen und einen fiir Mathematik. Jeder
Gruppe ift ein Landesgymnaftum zur Wirkſamkeit überwiefen,
Dr. Arens aus Bonn leitet das Gymnaſium in Piura;
Dr. Terbrügger aus Dresden das zu Puno am Titicace:
fee; Dr. Löffler aus Worbis jenes zu Cuzco.
— Die Sternwarte zu Santiago de Chile fteht jett
in unmittelbarer telegraphiicher Verbindung mit jener au
Cordova in Argentinien. — Die brafilianifche Regierung
bat den norbamerifanischen Profeffor Hartt beauftragt, eine
geognoftifche Karte des Kaiferreiches zu entwerfen. Derſelbe
fol zumächft feine Unterfuchungen der Kititenftrede zwiſchen
Rio de Janeiro und der Mündung des Amazonas fortfegen,
fodann die Provinzen San Paulo und Santa Catharina er:
forfchen, im der letztern insbeſondere das Kohlenbeden bes
Tubarao. Auch ben Koblenbeden in der Provinz Rio grande
bo Sul wird er feine beiondere Aufmerkiamkeit zuwenden.
Hier find jüngft,bei Pebras- Brancas ergiebige Kohlenfelder
loffen worden.
— Die argentinifche Regierung widmet der Coloni:
fation gegenwärtig große Fürforge, während fie die Beför—
derung der Einwanderung feinesivegs vernacläffigt. Sie ift
bemüht, tilchtige Mderbauerfamilien aus Deutichland und
Norditalien ind Land zu zieben, und hat 50,000 Dollars
angewiefen fir die Ueberfiedelung folcher, welche bei Concor:
dia an der oftargentinifchen Bahn eine Niederlaffung grin-
den follen. Mehrere Provinzen haben zu ähnlichen Zwecken
Ländereien und Geldmittel berwilligt, und zu Itapua am
obern PBarana nimmt die Anfiedelung ibren Fortgang. Der
glänzende Erfolg, welchen die Kolonien in der Provinz; Santa
Fé feit nun etwa zehn Jahren baben, zeigt was geleiftet
werden kann, wenn beider Eolonifation mit Umficht zu Werte
gegangen wird. Dort haben die 13,000 Anfiedler (Schweizer,
Basken und Norditaliener) 130,000 Ader Landes unter An—
bau und ihre diesjährige Weizenernte ftellt ſich auf den Geld:
werth von 370,000 Pf. St., ihr gefammtes Eigenthum ift auf
1,850,000 Bf. St. abgeichägt worben.
— Die Berfuche, welche in der Provinz Rio de Janeiro
mit dem Anbau des Jute von bem Engländer Steele ge:
macht worden find, haben den beiten Erfolg gehabt und
wahrfcheinfich wird mach einigen Jahren Brafilien Jute zur
Ausfuhr bringen,
— Die Dampfihifffahrtscompagnie bes Amazo—
nenftromes bat gegenwärtig nicht weniger ald 18 Linien
im Betrieb; ihre Fahrzeuge laufen in etwa 50 Häfen an
und legen in jedem Monate 22,000 bis 23,000 Miles zurück
— Im April 1875 find and peruanifchen- Häfen 833,358
GentnerSalpeter ausgeführt worden, Davon entfallen auf
112
Jquique, Junin und Molle 534,754 Gentner, der Reft kommt
auf Piſagua.
— Chile ift befanmtlich unter den fildamerikanifchen Re-
publifen derjenige Staat, welcher ſich biäher andauernder
Ruhe erfreut bat. Der Präſident bekleidet fein Amt ſechs
Jahre lang und fann auf diefelbe Zeitdauer wieder gewäblt
werben. Sübelraffelnde Oberften oder Generäle, die auf Re:
volutionsmachen ausgeben, fehlen, und im Wolfe zeigt fich
feine Neigung zu Aufftänden. Deshalb gedeiht der Wohl-
ftand und der Handelsverfehr nimmt feinen ungeftörten
Fortgang. Im Fahre 1874 ftellte ſich die Einfuhr anf 88%%,,
die Ausfuhr auf 36%, Millionen Dollars, die Handelsbe—
wequng alfo auf etwa 75,000,000. Bei der Einfuhr fteht Eng-
fand voran, mit 17,251,450 Dollars, Frankreich folgt mit
7,121,611, im dritter Pinie ftcht Deutfchland mit 3,720,818,
in vierter Morbamerifa mit 2,150,454, Bei der Ausfuhr
war England mit 22,259,7380 Dollars betheiligt, daſſelbe
nimmt aljo etwa zwei Drittel der chileniſchen Exporte, Peru
aber 6,016,418, wovon ein beträchtlicher Theil auf Mebt ent:
fällt. In den chileniſchen Handelstabellen werben Gold und
Papiergeld unter den Ausfuhren mit aufgeführt (2,072,987
Dollars in 1874); diefe abgerechnet entfallen auf den Erport
von Mineralien 16,506,436, auf jenen von Weizen und
Mehl 17,671,2386 Dollars (zu 921/, Cents). Der Aderban
gewinnt eine immer größere Ausdehnung.
*« * x
— Das Hohe Lied Salomonis ift von einem Herrn
%. Pincherle in die Zigeunerſprache überfetst worden. Der
Titel lantet in Rommany: Ghilengheri Ghilia Salomuneskero
an J. Römani Teip. Die Ueberjegung fteht dem italieni-
fchen Zerte gegenüber.
— Die Bollsmenge der Stabt Hannover beträgt
gegenwärtig etwa 130,000 Köpfe; im Jahre 1823 zählte man,
die Stabt Linden inbegriffen, erft 27,517; aber 1867 war fie
bereit? auf 87,014 angewachſen und die Zählung von 1873
ergab 123,216 Seelen.
— Die Eapcolonie in Südafrika hat, der im März
veranstalteten Zählung aufolge, 720,000 Einwohner, feit 1865
eine Zunahme von 24 Procent. Im jener Zahl find das
Bafutofand und das fogenannte Kafraria Proper nicht mit
inbegriffen.
— In den Vereinigten Staaten von Nordamerika er:
fcheinen gegenwärtig nicht weniger als 400 Firdhliche Blät-
ter! Bon diefen entfallen auf die Methodiften 47, die Be:
fenner der vaticamifchen Religion 41, die Baptiften 35, Pres—
byterianer 29, Episcopaten 21, Qutberaner 14, deutſchen Ne
formirten 14, Juden 9, Congregationafiften 8.
— Der Anbau der Jute in Louiſiana ift gelungen.
Ein Herr Lefranc in Neuorleang hat eine gute Ernte ge
halten und von berfelben im Monat Juni 19 Ballen als
Probe an Fabrilanten nach St. Lonis und Neuhyork gefchidt.
Seine Jutefelder liegen in der Pariſh-Plaque-Mine; feine
Entfoferungsmafchine arbeitet vortrefflich. Die Pflanze ift
in dem feuchten fruchtbaren Boden bis zu 10 Fuß hoch ge:
worben und hat auf den Acre eine Tonne Waare geliefert.
Der Abfall wird von ben PBapierfabritanten benußt.
— Der Name Amerika. Daf über diefen und feine
Abſtammung noch geftritten werben konnte, feit Humboldt in
feinen kritifchen Unterfuhungen II, S. 320 nachgewieſen, wie
Aus allen Erdtheilen.
ihm Walzenmüller (Fiylacomylus) zuerſt gebraucht und von
Amerigo Bespucci hernahm, erſcheint kaum glaublich, And
boch fommt jest der befannte Geolog Jules Marcon im
Atlantic Monthly daranf zurüd; ihm paßt die Mbleitung
von dem deutſchen Worte Amalrich (italienifirt Amerigo)
nicht, denn es wäre boch wirflich Schade, wen die Nene Welt
von einem Dentichen nach einem deutſchen Eigennamen be-
nannt worden wäre. — Woher ſtammt aber der Name?
Nun, einfach von den Americ-Bergen, wo die Carcas-India—
ner noch jegt Soldminen ausbeuten. Diele Carcas find aber
die Nachkommen der Garcai, welche Columbus in feinem
Briefe erwähnt, die aufzufuchen er nach Beragua am Fuße
der Americ-Berge vordrang. Dies Jules Marcou's Aus:
einanberfehung, welche wir nur al® Euriofum bier anführen.
— Advocatenſtil in Nordamerifa. Gegen dem,
wie die Nankees rühmten, „erften Kanzelredner der Welt”
H. W. Becher ift in Brooflyn ein Proceß geführt worden,
der mehr als einhundert Tage gedauert hat. Der fronme
Raftor der congregationaliftiichen Plymontbgemeinde lebte im
Ehebruch mit der Frau feines Gollegen Tilton, geftanb den
Febltritt zu, lengnete ihn nachher ab und fo kam der Scandal
vor Gericht. Die Geichworenen konnten ſich über ein Schul:
dig nicht einigen. Doc das ift für und gleichgliltig; wir
wollen nur am einem Beilpiel zeigen, in welder Weiſe einer
der Vertheidiger Becher’ mit dem Ankläger Tilton um—
Iprang, ohne daß von Seiten der Richter Einſprache dagegen
erhoben wurde. Das Lericon zarter Ausdrücke würde an
Saft verlieren, wenn wir e8 überſetzen wollten; es möge
daber im Pankeeoriginal folgen. Advocat Porter bedachte
den Prediger Tilton mit folgenden Complimenten: Adul-
terer; libeler; villain; beggar; traitor; defrauder; snake;
mendicant; assassin; maligner; liar; bastard; deceiver ;
seducer; free-lover; debauchee; liar ad infinitum; per-
jurer ad infinitum; conspirator ad infinitum; black-mai -
ler ad infinitum; pretended cuckold; double-tongued per-
jured liar; best on earth; sham man; base; malicious;
foul; licentious; adulterous; laseivious; lustful; treache-
rous; impudent; fouland infamous; selfish; heartless and
depraved; short-sighted and shallow; addieted to Iying
ad” deception; unholy; wieked libeler; treacherons and
perjured accuser; of a hollow and theatric nature; man
of vindictive malice; forger and fabrieator; deliberate
and cunning perjurer; elippery and unreliable; his ma-
lignity, his cupidity, his revenge; suborned his wife; me-
ditated murder; his unserupulous craft; his fiendish ma-
lice; in the lowest depths of degradation; cuckold hus-
band; plumes himself on his cunning; with the cunning
subtlety and malice of # fiend; his stratagems, his frauds,
and his conspiracy; his half-drunken brain; his stilted
display; of terrible power of hate; his self-glorifying and
swaggering strain; writes for dressparade; nobody can
trust him etc.
— Der Rebacteur einer in der auftralifchen Colonie
Neuſüdwales erfcheinenden Zeitung, welcher nadı langer Thä—
tigfeit von feinen Leſern Abichied nimmt, rühmt fich bei die:
fer Gelegenheit, daß er niemald geworden ift „horsewhipped,
revolvered, knifed, kicked, licked, briecked, pommeled,
or cursed for anything he has said, written, done, or left
undone as an editor, and in ceasing to be one he is
filled with melancholy sadness.*
Inhalt: Dr. Hayden’s und Langford's Erpedition nach den Felfengebirgen. IM. (Mit vier Abbildungen.) —
Ein Handwörterbuc des biblifchen Alterthums. (Mit adıt Abbildungen.) — Allerlei Zuftände im Reiche des Schah von
Berfien. I. (Schluß) — Streifzüge im füblihen Norwegen. Bon Dr. David Braund. V. Ju Stavanger. — Beter
v. Uslar und die kaulaſiſchen Forihungen. —
Aus allen Erbtheilen: Die Ranqueles:Indianer im Süden der argentini-
ſchen Pampas. — Aus Südamerifa. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 31. Juli 1875.)
Herausgegeben von Karl Andree im Leippig. — Bür die Rebaction verantwortlich: H. Vieweg in Braunfchweig.
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig.
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Band XXvI.
Mit beſonderer Berüchfichtigung der Inthropologie und Ethnologie.
In
Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Karl Andree
Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlih 4 Rummern.
Bra unſchweig
— — — — — — — —
Im Siebenbürger Goldlande.
Bei den Siebenblirger Sachſen heißt ihr ſchönes Yand
das Yand der Fülle, der Kraft, mit dem Gürtel der Stars
paten, voll glänzender Saaten, voll Gold und Rebenfaft.
Es ift auch ein reich) geſegnetes Yand, ein weiter Garten mit
Ale reich verfehen, was man ſich in einer Haus und Staats:
wirthihaft wünſchen mag. Bortrefflicer Wein fir den
Hausgebraud) fowie filr den feinften Gaumen, Die Kofel-
weine und ein Glas Roſchamaler aus den bijchöflichen
Beingarten in Karlsburg mit feinem reizenden Bouquet
werden jedem Deffert Ehre machen. Melonen, Kirſchen
und namentlich die Zwetichen von einem Aroma wie es
letzteren Frlichten felten eigen ift. Auch der Freund vortreff-
licher Zugemüfe wird fi) zufrieden geben; weiße Bohnen
und die Heinen grünen Fiſolen gedeihen nirgends fcmads
bafter, Der Borſzeler, vielleicht der befte Sauerbrunnen
der Welt, hat die gute Eigenfchaft die flarfen und fonft nicht
wäjlerbaren ſiebenbürgiſchen Weine zu einem vortrefflichen
durftlöfchenden Getränfe zu machen. Welche Menge von
Heilquellen! Ohne viel Komfort, woflie jeder gemlithlic
felber forgen mag; fehr primitiv, aber tüchtig im Charakter
und Wirkung. An der jodhaltigen Schwefelquelle von Baj-
fen wurde jeder angefehene fremde in der Regel, ftatt der
an anderen Badeorten herlömmlichen muſikaliſchen Begrüs
hung, am erften Abend durch Anznden der entjtrömenden
Gafe über dem Becken der Quelle geehrt. In neueſter Zeit
ſoll diefee Spaß zu einem größern Brand an der Quelle
und großer Schädigung derjelben geführt haben. Aus faft
zweihundert Quellen im Lande fließt Salz und fammelt ſich
verſchwenderiſch im den großen Salzteichen von Salzburg,
Globus XXVIII. Nr, 8.
wo man aufrechtftehend badet und in dem ſchweren Element
auch der Schwimmunkundige ſich über dem Wafler erhält, ohne
unterzugehen, während anderwärts in meilenlangen natür«
lichen Magazinen das weiße Lebenselixir fr unvordenfliche
Zeiten aufgelagert vuht, Da giebt es große Eifenlager,
und auch noch Gold, freilich nicht im der Hille und Fülle
wie in Auftralien oder Galifornien: das gelbe Metall im
Naturzuftand ift ſehr felten geworden in Europa. Auf den
Hutweiden treibt fich eine dem Lande eigenthlimliche Race
Heiner ausdauernder Vferde herum. Ueber ber fetten Milch
der Büffelfühe wird die bejcheidene Nindermilcd in den
Hintergrund gebräugt; nur von ſüßer Butter weiß man
wenig im Lande; man fieht faft nur außgelaffene Butter
und die blitthemweige Büffelbutter empfiehlt ſich weder durch
Farbe nod) durch Aroma.
Soll ich noch von dem wohlgenährten Geflügel fprechen ?
oder von dem Embonpoint der Schweine, in fühler Eichel -
maft und bei reichlichem Wafler von Finnen und Trichinen
unbeläftigt ? oder vom Schwarzwild und vom Bären, bie
zwar nicht dem Landwirth, aber dem Sportsöman ein jeltenes
Vergnügen gewähren ?
Doch von dieſen vielen guten Dingen foll nicht weiter
die Rebe fein, ich will heute mur vom Golde bes Landes
erzählen, das das golbreichfte Europas ift, wenn aud) das
edle Metall nur noch wenig dort gewaſchen wird, wie in
der neuen Welt, fondern mühfam aus dem Geftein gewon-
nen werden muß. Zalathna, Berespataf, Offenbanya find
bie berühmteften Bergbauftätten Siebenbürgens; fie liegen
im Clidweften, füblich von Kolosvar, welches wir Deutſchen
15
114
Klaufenburg nennen, zwifchen den Flüſſen Aranyos und
Maros.
Klanfenburg an der Heinen Szamos hat nur wenig
deutſche Einwohner ; es ift eine magyhariſch⸗wallachiſche Stadt
von eiwa 26,000 Seelen, der Sig der magyariſchen In—
telligenz in Siebenbürgen, fo weit eine ſolche vorhanden,
Schon von fern fündigt es fich ftattlich am durd) feine hohen
Türme, welche zum Theil den mittelalterlicen Charakter
bewahrt haben, Die Hauptftraße, welche viele ftattliche Ge»
Im Siebenbürger Goldlande.
bäude zieren, ift breit und der Platz, in deffen Mitte die
fatholijche Kirche fteht, präfentirt ſich großjtädtiich. Ihrer
Architektur wie ihrer Einrichtung nad) find die alten Ge—
bäude Klauſenburgs echt deutſch. Das fiel ſchon dem Eng:
länder Boner auf. Die eifernen enftergitter, die Balcone,
die Geländer, die Dachrinnen — alles trägt unverkennbar
einen eigenthümlichen Stempel, überall zeigt ſich das Geſchich
und die fundige Hand des dbeutfchen Wertmanns. Die er-
ften Anfiedler, die Erbauer, waren offenbar wohlhabende
Altea Thor in Klauſeuburg. Nach einer Photographie.
deutfche Bürger, wie auch bie Chronifen bezeugen. Allein
gerade der Wohlftand lodte den Feind herbei, der trog der
ftarfen thurmbefegten Mauer zu wiederholten Malen eins
brach, die Stadt plünderte und die Einwohner im die Ge—
fangenfchaft abführte. Die Türken haben mehr als einmal
Stlaufenburg geplündert und das leidende Element war ber
deutſche Bürger, welcher unterging. Der Magyar rikdte
aus ber benachbarten Ebene ein und fegte fich in das warnıe
Neſt, das er doch nicht gebaut hatte, umd gegen Ende des
17. Dahrhunderts war Klauſenburg feine deutſche Stadt
mehr, wenn e8 auch noch deren Phyfiognomie trägt.
Bon hier aus unternahm ich meinen Ausflug in das
Siebenblirger Erzgebirge, in jene® geologiſch fo intereflante
Gebiet, weldyes von I. von Nichthofen, Guido Stadıe,
Bernhard Cotta und Anderen wiſſenſchaftlich erforſcht wurde,
wo die gleich Orgelpfeifen aneinandergereihten Bajaltfäulen
der hohen Detunata („der VBerdonnerten“) das Auge des
Geologen erfreuen. Der Weg führt nad) Süden. Ju
Im Siebenbürger Baum
115
Thorda treffen wir auf eine neue Örabftätte deutjchen Bolts« | reichen Schunhelden bedeckt, welche durch die vielen roh ge⸗
thums; der Name Thorenburg zeigt noch an, daß hier einft
Deutjche wohnten, Dept ift der Ort ganz magpariid. ‚Hier
find die berühmten Salzwerfe, und Saumroffe mit Salz be
laden geben der Gegend ein maleriſches Anfehen, erinnern
an frühere Vertehröverhältniffe in den Alpen Wir find
jegt im Thale des Aranyos, des Soldfluffes, und ihm nad
arbeiteten Stollen aus dem Innern zu Tage geförbert wer⸗
ben. Auch die Schmelzöfen find im primitioften Zuftande
und Zubalfain verfuhr jedenfalld in der Wearbeitung der
Metalle fo wie heute die Leute von Toroczko. Ein neben
einem Bache errichteter Schuppen bedeckt den Schmelzofen,
der aus Vehm und Steinen erbaut ift; auf der einen Seite
Welten zu folgend gelangen wir zunädjft in eine eifenveiche | find große Blaſebälge, fiber denfelben ein großes Loch, i
Gegend nach dem maleriſch gelegenen, von einer alten Ruine
überragten Toroc zlo.
Die ganze Gegend iſt reich an Eiſenerz, welches 60
bis 70 Procent gediegenes Metall enthält. Die Bergwerks
arbeiten werben von ben Bauern betrieben, welche davon
allerdings gar nichts verjtchen.
welchem das Feuer bremmt, und auf der entgegengefeten
Seite der „Abſtich“, dem das gefchmolzene Metall entflicht.
It die Maſſe gar, fo wird fie audgelaffen und in ein zum
Theil mit Holzlohlen gefülltes Loch geleitet. Hier wird die
langjam erfaltete Maffe mit Hämmern zu einem compacten
Die Berge find mit zahl» | Ganzen verarbeitet und dann fchlagen zwei Männer, jeder
Anficyt von Toroczko in Siebenbürgen. Nach einer Photographie.
mit einer geroöhnlichen Holzart bewaffnet, fo lange auf den | vor den Nömern die Agathyrfen, ein Volt unbeſtimmter
großen Klumpen Dis derſelbe im zwei Stüde getheilt ifl.
Die Arbeit erfordert natürlich viel Zeit und Mühe, allein
cẽ ware ganz mußlos cin zweddienliceres Berfahren vor:
zuſchlagen, da die Leute doc) ihren alten Weg gehen. Uns
gefähr fo wie die — von Toroczfo bringen die von
Edweinfurth „ Im Herzen Afritas“ beſchriebenen Wölfer
iht Eiſen aus. E iſt hier wie da dieſelbe urſprliugliche
Stufe der Verarbeitung.
Weiter weſtlich von Toroczlo beginnt bad Goldland;
Offenbanya, Topanfalva, Veredpatat, Zalathna find feine
Vittelpunfte. Wer hat zuerft hier Gold geſucht? Gewöhn—
lich nimmt man an, die Römer hätten hier die Bergbaue
eröffnet, aber auf Herodot und andere Tiuellen hin ſowie
durch archdologiſche Funde geftiigt nimmt man an, daß ſchon
ethuographiſcher Stellung, und die Geten den fiebenblirgie
ſchen Goldbergbau eröffneten. Im Centrum dieſes Golb-
diſtricts liegt der fchon erwähnte berühmte Bafaltberg
Detunata guala, welcher durch regelmäßige Gäufen-
| bildung ſich unftreitig den ſchönſten ähnlichen Erſcheinungen
in Wefteuropa an die Seite ftellt. Das Geflein aus dem
die Säulen beftehen wurde im flüffigen, lavaartigen Zur
ſtande emporgetrieben und bildete beim Erfalten regelmäßige
viers, ſechs · und achtſeitige Bafaltfäulen. Auf einer Seite
bes Felſenbergs haben diefe Säulen eine hlübſch abgerundete
Form angenommen und Hier ift der Fuß ber Wand mit
einer Trümmerhalde herabgejtärzter Säulenfragmente be-
beit; von dem bomnerartigen See, welches durch das
häufige Herabtiirgen der Trümmer hervorgebracht wurde und
15*
116
Im Siedenbürger Goldlande.
von feiner an ber Weftfeite ganz fahlen Beſchaffenheit er: | holen. Die Stollen ſind meiſt ſehr niedrig und ſchwer zu⸗
hielt der Berg feinen wallachiſchen Namen, in wortgetrener
Ueberjegung: die nadte Verdonnerte.
Ale Höhen ringsherum find voll von Löchern, im wel«
den auf eine höchſt primitive Weile nad) Gold gefucht wird,
Ein Dorf, Bucfum, hat hundert und zwölf folder Naubs
bauftollen, die in den Berg führen; eim andered® Dorf, |
Korna, hat deren ſechzig. In der Nähe von Berespataf
haben die Abhänge durch die zahlreichen Halden das Aus-
fehen von Ameifenhaufen und wie auf foldyen wimmelt es
daranf von Arbeitern. Da die Leute hier über feine Capi⸗
talien verfügen, jo können fie weiter nichts thun, als in ber
möglichft einfachen Art Gänge und Löcher im gerader Yinie
ins Geftein treiben und das goldhaltige Material herauds
Innern zu Tage gefördert, fo wird es imeben fo viele Theile,
als Steinhaufen find, getheilt und Jeder nimmt feinen Theil
oder verfauft ihn einem Andern. Wurde der Bau fhite-
matifch unter ber Yeitung eines tüchtigen Bergmanns betrie-
ben, fo lönnte er ungleich größere Ausbeute liefern.
So aber ift es der Anblid eines Raubbaues, welden die
aus goldhaltigem Gefteine zufammengefegten vom Gipfel
bis zur Sohle nadten Hlgel darbieten; Uber und Über jind
fie mit mächtigen Halden bebedt, auf deren Fläche ſich regel:
{08 erfreute, dunfle Punkte, die Stollenmunblöcher, ſcharf
abheben. Bor allem andern lenken aber die felfigen Ab:
hänge des Kirnik oder der Gfetatye mit ihren weißen Dal:
den die Aufmerkſamkeit auf fich, welche geradezu maulwurf
artig durchmwühft find und jene berlihmten römischen Tages
baue umſchließen, welche von der Großartigleit des römischen
Die Goldgruben der Cjetatye in Siebenbürgen.
gängig, fallen auch oft, da fie nicht geftligt werden, ein.
Dieſes fortwährende Miniren hat das Ansjchen des Berges
ganz verändert, man ficht nichts als eine Menge Scyutts
halden und hier und da eine rohe Arbeiterhüitte dazwiſchen.
Es ift eine harte Arbeit im diefen niedrigen Stollen, da fid)
die Bergleute nur geblidt darin bewegen fünnen.
Viele diefer Werte — wenn man den Ausdrud „Werke*
hier gebrauchen darf — werden von einer Gefellichaft be—
arbeitet ; ed vereinigen ſich nämlich Mehrere, um mit ihren
Gefammtmitteln die Arbeit zu führen. So fann man an
den Stollenmitndungen oft vier, ſechs, adıt oder mehr Stein»
haufen liegen fchen und jeder repräfentirt einen Teilnehmer
an der Geſellſchaft. Iſt das goldhaltige Geftein aus dem
Nach einer Photographie.
Bergbaues noch heute ein fo beredtes Zeugniß ablegen.
Dean muß dieſe Tagebaue, die ſogenannte Cſetatye mare
und mife (große und Meine Burg), gefehen haben, um ſich
einen Begriff von den außerordentlicen Goldmengen bilden
zu fönnen, welche die Römer allein an biefem Orte, auf
dem Gipfel des Kirnik, gewannen, Gfetatye mare nennen
die Wallachen einen großen Hohlraum deffelben, welcher mehr
als 100 Fuß tief feines Inhalts beraubt it, Cfetatye mike
einen mit erſterm durch einen Stollen in Verbindung ſtehen-
den Meinern, im welchem ſich die fpiralfürmig von der
Felſenſpitze in die Tiefe hinabfithrenden Stollen großentheils
erhalten haben. Gier wurden jene berühmten Wachstafeln
aufgefunden, welde einen fo willtommenen Beitrag zur
roðmiſchen Culturgeſchichte lieferten, denn heute noch werden
|
jene Stollen von walladyifchen Bergleuten ausgebeutet.
Geſchichten aus Alt-Japan. 1. 117
Pferde mit Körben auf dem Rücken werden von Frauen
oder Kindern herbeigeführt, um die golbhaltigen Gefteins-
fplitter in die feinen Pocmühlen zu führen, deren Veres—
pataf allein 800 zählt. Schon auf den Höhen überraſcht
das tauſendfache Geflapper diefer primitiven Werke, welche
in amphitheatralifcher Anordnung alle zufammen von einigen
Teichen ihr Betriebswaſſer empfangen und durchweg ein traus
riges Bild der hier angewandten Aufbercitungsmethode bieten.
1
Berespatat (deutfch: Goldbach) zühlt über 3000 Ein«
wohner und macht von den Bergen aus gejehen durd) viele
neue Gebäude einen freundlichen Cindrud, In feinen
Strafen werben wir durch zahlreiche in die Gebäude ein-
gemauerte römiſche Infchriften an die einft hier befindlich
gewefene Auraria, an Alburnum majus erinnert, welchen
Namen die Colonie wahrfcheinlich im Gegenfage zu bem
Alburnum minus genannten Abrudbbanya führte,
Geſchichten aus Alt-Japan.
Alt» und Neu-Japan. — Das Etamädchen und der Hatamoto.
A. B. Mitford, Herausgeber des äußerft intereffanten
Buchs: „Tales of Old Japan“*“, war als Secretär der
britifchen Geſandtſchaft längere Zeit bei den Japanern, eige
nete ſich die Sprache diefes merfwürdigen Volles des öfte
lichen Afiens an, orientirte ſich in feiner reichen Yiteratur,
fam in feiner diplomatifchen Stellung mit faft allen Claſſen
der Eingeborenen in Berührung und lernte auf mandjen
Ausflügen und Reifen Yand und Yeute aus eigener Un:
ſchauung lennen.
Bor allen Dingen ſammelte er mit vielem Fleiße und
guter Auswahl mehrere von Japauern verfaßte Schriften,
die er fo trem und buchftäblich wie es der verichiedene Geiſt
der beiden Sprachen zuließ, ins Englifche überjegte und dann
unter dem obigen Titel herausgab. Nach diefer englifchen
Ueberfegung nun hat der verdiente Neſtor der deutſchen Reiſen⸗
den und Bremer Bibliothefar J. G. Kohl eine deutſche
Ansgabe *) veranftaltet, die noch dadurch befondern Werth
erhält, daß fie mit einer gediegenen Einleitung verfehen ift
und durd; Beihülfe gebovener Japaner bei der Leberfegung,
ſoweit jie bie Scjreibweife japanischer Namen betraf, einen
hohen Grad von Genauigkeit erhielt,
Einige der in diefem Buche mitgetheilten Schriften ent
halten Berichte iiber Begebenheiten ältern und neuern Das
ſo eigenthümlichen und fo ſchnell verſchwindenden Civili—
tums: Bollstraditionen, Erzählungen von berlihmten Män—
nern und Helden, Schilderungen japaniſcher Gebräuche
und Sitten, Märchen und Kindergeſchichten, die Mitford
theils aus ſeltenen japaniſchen Handſchriften, theils aus
ſehr populären und zahlreich im Lande verbreiteten, außer
Japan aber unbefannten Blichelchen jchöpfte. Da der Schaus
plag diefer Geſchichten und die in ihnen auftretenden Per-
ſonen ſehr verſchieden ift, da einige ſich mit den einfachen
Bauern und Birgerslenten, andere mit den hochfahrenden
Adeligen und Ariftofraten des Reichs, einige mit den Liebes—
arıgelegenheiten der Frauen oder mit den Heldenthaten und
Nachelibungen der Männer, andere mit den Einfällen und
Bhantafiefpielen der Kinder befchäftigen, fo erhält man in
dem Buche ein ziemlid) vollftändiges von den Japanern
jelbft entworfenes Gemälde des ganzen Volkes und ber Zu-
ftände, Dent: umd Yebensweife feiner verjchiedenen Claſſen
und Stände,
*) Sefchichten aus Alt:Japan von A. B. Mitfort. Aus dem
Gmalifchen überfegt von I... Kohl. Zwei Binde. Leipfig, Bers
fag ven Ar. Wilb. Grunow 1875. Die Verlagsbantlung, melde
bereits zahlreiche gediegene Werke (4.8. Wenjufow über bie ruſſiſch⸗
aftatifchen Grenzlaude) ins Deutfche uberfegen ließ, erwirbt ſich durch
bie vorliegende Ausgabe cin neues Bertienft.
Heutigen Tages giebt e feinen Anlaß mehr zur Geheim⸗
haltung in Japan wie früher. Der Roi fansant (der
Mikado) ift aus feiner Yethargie erwacht, hat feinen Maire
du palais (den Taikun) bei Seite geſchoben und eine vers
ftändliche Regierung, weldye eine Beleuchtung von aufen
nicht zu fitechten braucht, ift das Reſultat gewejen. Da die
alten Annalen und Urkunden des Reichs hinreichende Be—
weismittel für die Yegitimität der Obergewalt des Milado
liefern, jo ift Geheimnißkrämerei nicht mehr nöthig. Der
Forſchung chen nun alle Wege und Thore offen, und obgleich
ihr noch Bieles zu thun übrig bleibt, jo ift doch manche
werthvolle Kenntniß erlangt worden, von der man auch in
Europa gewiß gern etwas vernehmen wird.
Die in fegter Zeit durchgeführte Revolution in Japan
hat ſowohl politifche als auch fociale Wandlungen zu Wege
gebracht. Und wenn zu den Aenderungen und Foriſchritten,
die ſchon gemadjt worden find, nun auch Eifenbahnen und
Telegraphentinien das Yand durchtreuzen und die entlegen-
ſten Punkte des Reichs unter einander in Verbindung fegen,
dann wird wohl der alte Japaner, jo wie wir ihn vor elf
funzen Jahren fanden und wie er bis dahin feit Jahrhunder⸗
ten gewejen war, bald ganz von der Schaubühne abtreten.
Zur Beleuchtung und dyaraftervollen Schilderung einer
fation fchien dem Herausgeber nichts geeigneter als die Ueber—
fegung und Mitheilung einiger der interejjanteften nationalen
Legenden, Hiftorien, Sagen und Märchen der Japaner und
einiger anderer verwandter Proben ihrer Literatur, in denen
diefelben ſich felbft porträticen.
Eigenthümliche Einblide gewährt die Geſchichte „des
Etamädcden und des Hatamoto*. Die fogenannten _
Eta find die Pariahs von Japan, die Hatamoto dagegen
Edelleute. Und wie in Europa Gott Amor zuweilen, auf
Standesunterfchiede feine Rückſicht nehmend, zwifchen Gra—
fen, Rittern und ſchönen Zigeunerinnen Berbindungen ans
jpinnt, welche dann zu allerlei romantifchen Conflicten füh-
ren, jo gejchah dies aud) in Japan einft zwifchen Genfa—
buro, einem vornehmen Hatamoto, und dem veradhteten,
aber reizend jhönen Etamäddhen OKojo, einer japani-
ſchen Preciofa, deren Liebſchaft in diefer Geſchichte gefchildert
wird. Die bei einer zufälligen Begegnung plöglih in
Genfaburo und O Kojo auflodernde Yeidenfchaft, die ge-
heimen Zufammenkünfte der Beiden, ihre treue Yiebe, welche
alle fie bedrohenden Gefahren nicht berückſichtigt und bis in
den Tod dauert, dies Alles ift in diefer japanischen Yiebes-
gefchichte ungefähr jo wie bei Shafefpeare'8 Romeo und
118 David Brauns: Streifzüge im jüdlichen Norwegen. VI.
Julie dargeftellt. Nur das Ende ift in Japan noch viel | lien und ihrer freunde. Die ganze Geſchichte wird in dem
tragifcher als bei uns im Europa. Denn wer in Japan Buche einfach, und gut erzählt. Beſonders lebhaft ausgeführt
fid) in eine jo arge Mesalliance einläßt, zieht, wenn diefe | ift die Darftellung der Scene, in welcher der vornchme Edel-
ans Tageslicht und vor Gericht kommt, nicht nur fic) und | mann dem fchlichternen und beſcheidenen Etamädchen auf
feiner Geliebten, fondern auch feinem ganzen Geſchlechte ſtürmiſche Weile feine Liebe erklärt.
und allen feinen Helferähelfern Schande und Berderben zu. Ueber die Etas felbft giebt uns Mitford folgende Erläu—
Und fo endigt denm auch unfer Noman nad) dem Genuffe | terungen. Cie find die Pariahs von Japan, deren An—
eines verftohlenen Yiebesglüdes mit völligem Untergange der | wejenheit das Haus felbft des ärmften und niedrigften Ja—
beiden Helden, des Hatamoto und ded Etamädchen, ihrer Fami-⸗ | paner& befledt. Ihre Beichäftigung befteht in Abſchlachten
—— * — —
— N - Dre |
Begegnung Genſaburo's mit den beiden Eta-Mädchen.
der Thiere und in der Verarbeitung des Ledero. Auch
miliſſen fie die Verbrecher bewachen und andere erniedrigende
Dienfte verrichten.
wie in einigen Yändbern Europas das Amt des Henlers erb+
lid) geworden war, im ganzen Yande mit Fluch beladen
wurden. Cine andere llebertieferung verfichert, daf fie die
Dian hat ſehr abweichende Berichte über die Entftehung | Nachtommen der mongolifchen Eroberer feien, welche Kublai
und Geſchichte diefer Menſchenclaſſe. Das Wahrſchein- Chan bei feinen Einfällen in Japan hinterlafien habe,
lichſte ift, daß zur Zeit, als der Buddhismus, defjen Grund» | Eine Schilderung der gefelligen Berhältnifie Japans würde
jäge verbieten, irgend etwas Vebendiges zu tüdten, in Japan | unvollftändig fein ohne eine Kunde der Etas, und die mit:
eingeführt wurde, diejenigen, weldye vom Schlachten der | getheilte Geſchichte malt fehr deutlich) die Stellung aus,
Thiere lebten und deren blutiges Gewerbe in ihren Familien, melde fie einnehmen.
Streifzüge im ſüdlichen Norwegen.
Von Dr. David Brauns.
VI.
Im Hardangerlande und in Bergen.
Auf der Waſſerſcheide, die zum Rölldals-Vand führte, | der ſchöneren Alpenſeen. Freilich ift der Charalter der Al-
fahen wir die Gletſcher des Hardangerlandee. Die | pen umd der ſtandinaviſchen Berge ein ſehr verfchiedener und
Gegend um den See nimmt ſchon an der großartigen Sce- | macht eine Bergleihung mißlich. Im Ganzen mögen die
nerie der Harbangerberge Antheil und erinnert am einige | erfteren durch Fühnere Formen und durch größere Abwechſe-
David Brauns: Streifzüge im füdlichen Norwegen. VI.
{ung in der Natur den Vorzug verdienen; gewiß aber hat
Norwegen vermöge feiner imponirenden einfachen Großartig⸗
feit, durch jahe Contrafte in den Umriffen der Berge und
durch den jo malerifchen außerordentlichen Reichtum an
Wafler jeine eigenen Reize.
Die größere abfolute Höhe der Berge und die etwas
nördlichere Page laſſen hier aud) das wilde Renthier ſchon
in möchtigeren Nudeln auftreten; doch ift die Jagd auf dies
Thier immer ungewiffen Erfolges, da baffelbe weite Wans
derungen unternimmt, deren Richtung von der des Windes
— fie ziehen diefem entgegen — abhängt und daher ſich jel-
ten berechnen läßt. Ich war ſchon am 24. Auguft genöthigt, die
Reife nach Bergen anzutreten, während mein Reiſegefährte
zurücblieb, um von hier aus einen Jagdausflug in die Fjelle
zu unternehmen.
Von Rölldal, wo auch die befchwerliche Bergſtraße von
Telemarlen und weiterher von Chriftiania — über Haufe
(id — einmündet, gelangt man nad) Norden erft auf die
eigentliche Waſſerſcheide des Harbangerlandes; von bort
hinab fommt man in das Gebiet der nad) Bergen hin offes
nen, vielfach, zerfchligten Fiorde, weldye durch hohe, zum
Theil Gletſcher führende Berge getvennt find, Der Weg
geht über Glimmerfchiefer und Chloritjchiefer, fteigt bis in
ve baumloſe Zone, zieht fi dann an Schluchten voll
ewigen Schnees vorüber und fällt, nachdem man endlich
wieder eine wirkliche brauchbare Poftftraße erreicht hat, an
grünen Weideplägen mit maleriſchen Niederlaffungen vorbei
in ein tiefes Flußthal hinab, das von zadigen Schieferfelfen
eingefaßt und von einem mächtigen Strome in impofanten
Gatcaden durchrauſcht ift. Faſt bedrohlich ftlirzen die Wafler-
fälle der ebenfall® mächtigen Seitendäche auf den Wanderer
zu, vor Allem der berühmte Laate-Foß, ein doppelter Fall,
dm gegenliber ein dritter ſich befindet, fo daf Thal und
Strafe in ewigem Staubregen liegen. Später öffnet ſich
das Thal; ein lieblicher Wiefengrund, der von Grönsdal,
zeigt ſich, und endlich, nach ferneren Stromichnellen und
Felſenengen, der breitere Hillesdals-WVand, von welchem
man eine nahe Ausficht hat auf Burbraeen, den berühm:
teften der Ausläufer des coloſſalen Eismeeres des Folges
fond, Diefer Niefengleticher, 10 bis 11 geographiiche
Meilen lang und faft halb jo breit, hängt wie eine weite
Kappe über dem hohen Field, das faft den ganzen Zwiſchen-
raum zwilchen dem Thal, im dem ich mic befand, nebſt
dem Fiord, in den es mundet, und andererjeits dem offnern
Theile des Hardangerfiords ausfült. Die höchſten Theile
des Folgefond liegen unter ewigem Schnee faft 5400 Fuß
body, die durchſchnittliche Höhe des Hochplateaus mag auch
noch etwa 5000 Fuß betragen; die tiefften Zipfel reichen aber
in eine Meereshöhe von nur 900 bis 1000 Fuß herunter,
Burbracen liegt 3. B. nur 660 Fuß höher, als der auf
300 Fuß Meereshöhe befindliche See in der Nähe. Unter
allen Gletfchern des Bergenhunss Amtes übertrifft nur ber
— nördlich vom Sognefiord, den Folgefond an
röße.
Vom Hillesdalſee, der mit einem Poſtboote über:
fahren wird, führt ein kurzer Weg nach Odde, dem End—
punfte des tief nad; Sitden eindringenden Fiordes, der das
Hillesdal und feine Gewäſſer aufnimmt. Bon hier brachte
mic nach mehrtägiger Fahrt durch die Fiorde von Hardan—
ger das Dampfſchiff nach Bergen.
Diefe Stadt hat eine ungewöhnlic, ſchöne Yage und
unterfcheidet ſich dadurch ſehr von den Küftenplägen, die ich
bisher gejehen. Die Berge treten in’der Höhe von 3000 Fuß
bis hart an die Stadt, ſchroff abfallend und tief von Tha—
lern mit Bergfeen und cascadenreihen Waflerläufen durch—
Mitten. Gmeis, Glimmerfchiefer und Chloritſchiefer find .
119
auch hier die herrfchenden Geſteine. Der Chloritfchiefer
wird in der Stadt als Bauftein, der Glimmerſchieſer dort
und noch mehr auf dem Yande zu mannigfachen Zwecken — zu
Dacdbedetung und zum Behange von Häufern, zu Canals
dedplatten und Prellfteinen ſowie zu Wepfteinen — verwandt.
Die Vegetation der ganzen Gagend, namentlich aber des
ringsum imalerifch von Anhöhen umſäumten und gegen die
Winde geſchutzten Hafenbedens, ift überaus reih. Alle un—
jere Waldbäume, die meilten unjerer Obftbäume gedeihen
gut, ja, fie erreichen eine beträchtliche Größe. Gartencultur,
und in gewiſſem Grade der Yandbau, blühen hier. Dies
hängt mit dem für die Breite von mehr ald 60% ungewöhns
lich milden Klima zufammen, das freilich auch ſehr viel
Regen bringt, deffen Menge hier ſprüchwörtlich ift. Nicht
nur der Solfftron, fondern auch der ſüdweſtliche Luftſtrom
nehmen ihre Richtung befonders auf Bergen, Drontheim
und die nächſt mörblichen Küſtenſtrecken. Der Winter ift
in Bergen fo milde, daß eine Schneebahn zu den Seltens
heiten gehört, und das Seewafler gefriert bis in die inner
fien Fiorde nicht. Noch bei Stavanger ward mir erzählt,
daß die legten Euden der Fiorde zufrören; der Chrifliania-
Fiord ift befanntlich allwinterlid, weithin mit Eis bededt.
Die eisfreie Küfte veicht übrigens weit über die Grenzen
des Drontheimer Stiftes, ja bis in die Finnmark, fo daß
ein Plan der fchwediichen Regierung vorliegt, durch eine
Eijenbahn Nordichweden mit einen der eisfreien norwegis
ſchen Häfen zu verbinden — ein flir beide Länder höchſt
fegensreiches Unternehmen.
Sowohl die Seeproducte, im MWefentlichen die nämlichen
wie in Stavanger, als die in Norwegen wild vorfommenden
Yandthiere find in guten Exemplaren ſämmtlich im Muſeum
zu Bergen aufgejtellt, das man neuerdings in ein geräus
miges und fchönes, eigens dazu erbautes, maſſives Gebäude
verlegt hat, Der wichtigſte Theil der dort aufgeftellten
Sammlungen ift jedoch der ethnologiſche, welder vom
Steinzeitalter durch die Bronzeperiode und Gifenzeit his
durch bis ing Mittelalter und felbit in die Neuzeit zahlreiche
inländische Funde nebſt ausländifchen Parallelen umfaßt.
Namentlid) werden hier gejchnigte Theile von alten Holz—
firchen aufbewahrt, die, wie id; bemerkte, Schon äußerſt jelten
geworden find, Bon dem originellften Beilpiele, der noch
erhaltenen Borgund⸗Kirche im Sognedal, find hier Abbils-
dungen umd Modelle. Die Fragmente von Thüren und
Fenſtern, die ich im Muſeum fah, Ichnen fich ftreng an bie
byzantiniſche Kunſt an; die fpäteren Erzeugniffe beftätigen
das, was ich tiber die Kuntthätigfeit der Sätersdaler be
merkte. Wenn auch jchöne Renaiffancefchnigereien den Eins
flug der Mode und des Eulturfortichrittes auf die zugängs
licyeren Theile des Yandes befunden, fo geht doc) jene Nach—
ahmung des Alterthlimlicen immer daneben her.
Die Stadt Bergen verdankt ihre Blüthe zum großen
Theile den Hanfeaten, deren Einfluß hier lebendig fort»
wirt. Die Tydske Bro — der deutſche Kai — beiteht in
der alten Weiſe fort; die Häufer, mit ihren dem Kai zuge:
kehrten Giebeln, find neu verkleidet und reparirt, aber tm
Innern noch die alten Hanfeatenhäufer mit den darin auf:
gehängten Schiffsmodellen und ausgeftopften Walthieren
und, was wichtiger, mit ben aus ber alten Zeit datirenden
GContoblichern. Auch die Bevölferung zeigt eine ftarfe Bei—
mifchung, namentlich von Deutichen, aber aud) von Hollän-
dern, und die Miſchung ift ohne Frage eine glückliche, denn
die Bergenfer find der intelligentefte, regſamſte und lebhafteſte,
die übrige Maſſe vielfach geiftig beiruchtende Theil der Be:
völferung Norwegens, natürlicher Weife vielfach unbelicht,
als „halbe Deutjche“ verſchrien, aber ihre Ucherlegenheit
behauptend. Der Geſichtsausdruck noch mehr als die Züge
120
befunden bie nähere Stammesverwandtſchaft mit den füdlichen
Germane
n.
In Folge davon blüht nicht nur der Handel Bergens,
theilweife zum Schaden anderer Gegenden Norwegens, fons
dern es herrſcht aud) ein gewiffer Lurus, eine Freude an
Vebensgenüffen, an guten und jchön gelegenen Häufern und
Villen, ein Sinn fir Kunft und Wiſſenſchaft, den man fonft
in Norwegen nicht fo verbreitet findet. -Cinen auffallenden
Contraſt bietet ſchon Stavanger, wo das Miſſionsweſen alles
Uebrige in einer Weife Uberwuchert, welche die Spottluft ber
doc, keineswegs einer freien Kirchenrichtung angehörenden
Bergenfer vielfach, anregt.
Bon Gebäuden, deren es hier nicht wenige maffive und
gut gebaute giebt, hebe ich hervor die aus grünem Chlorit-
ſchieſer erbaute mehrfach, ſchlecht reftaurirte gothifche Donts
firche; dann die ſpätgothiſche Marienlirche, die Kirche der
Hanfenten, einſtmals Schauplatz eines Kampfes derſelben
mit dem Gowerneur Waltendorf, der einen Thurm an der
Brüde gegen fie befeftigte und armirte. Diefer Walfen-
dorf'ſche Thurm blickt noch jet dräuend den deutjchen Kai
entlang und erwedt den Norwegern angenehme Neminijcens
zen. In der Nähe des Hafens, der von allerhand Schiffen
wimmelt, zeigt man ferner den Thurn, wo auf einem Balle
Chriſtian IL. die Divele zuerft jah, und auf dem Markte
die leider ſehr gefchmadlofe Statue des Bürgers Chriftie,
eines der Haupturheber der norwegiſchen Verfaſſung von
1814, weldye befanntlich gleichzeitig mit der Trennung von
Dünemart ins Leben trat,
Diefe Berfaffung ift von fo vielen Seiten Gegenſtand
größter Verehrung geworben, daß es ſich der Mühe verlohnt,
ihre Einflüffe näher ins Auge zu fallen.
Nicht im Abrede zu ftellen ift, daß die Verfaſſung Nor
wegens einen freien, nationalen Sinn athmet. Zugleich ift
fie die reinſte Berförperung des demofratijhen Principes,
die es bis jegt im Wirklichkeit giebt. Allein fo ſchön und
richtig dies Princip ift, fo wenig halten in der Praxis die
beredten Vobeserhebungen Stich, die namentlich der fonft fo
verbienftvolle Forſcher umd Kenner des Nordens, Theodor
Mugge, der Befreiung Norwegens von jeglichem Adelseins
fluſſe zoll. Auch das fehlen einer einflußreichen Crecutiv-
gewalt hat feine bedenklichen Seiten. Ja, wenn die Bürger
Norwegens wirflid) das Stadium der Entwidelung erreicht
hätten, daß ihre Majorität ein intelligentes Regiment führ
ren fünnte — dann wäre Norwegen ein glüdliches Land.
Dem ift aber keineswegs fo. Die Bauern, deren Mehrzahl
die Yeitung des Staates überantwortet it, ſtehen durchaus
nicht auf der Höhe der Zeit. Während man, ſei es aus
Eitelfeit, fei es im Schlendrian, eine Heerverfaſſung geichaffen
hat, die weder reell noch formell irgend einen Nugen bringt
und nichts ift, als eine Carricatur der centraleuropäifchen
Militärverhältniffe — wie dies auch gerade Mligge im ziweis
ten Bande feiner „Skizzen aus dem Norden“ aufs Schla—
gendfte darthut —, geichieht für die Wege, für Poſtweſen,
für Forfteultur, lauter Dinge, die gerade in diefem Yanbe
am nöthigiten wären, fo gut wie gar nichts, für Bolfsunter:
richt immer noch herzlich wenig. Wege werden fajt nur da
gebaut, wo die Touriftenftraße fich hinzieht; dort geht man
zur Anlage von Eifenbahuen über, ehe man bie nothwendig-
ften Gebirgspfade auch nur nothdlürftig hergerichtet hat,
Die Bedurfniſſe der entlegenen Nieberlaffungen fonmıen bei
der Engherzigkeit, mit welcher die Bauernmajorität über die
Staatsfonds beichlicht, gar nicht zur Geltung; daß dorthin
gewandte Summen wieder dazu dienen wlirden, die Steuer
fraft des ganzen Yandes zu erhöhen, biefer Fundamentalſatz
ift gänzlich unbeachtet. Was die Poftverbindung betrifft, fo
möchte deren Dualität aus der Thatſache zu erjehen jein,
David Brauns: Streifzüge im füdlichen Norwegen. VI.
daß man auf den frequenteften Routen nächſt ben größeren
Städten, ja im dieſen felbft, noch ganz alte Zeitungen eifrig
durchſtudirt. Die Bergenfer auf dem Dampfſchiffe im Hars
dangerfiord bejchäftigten ſich theilweife fehr emfig mit folchen
von 8 bis 14 Tagen Alter, und neuere waren nicht vor—
handen, Im Sütersdal, wo das einer Privatgefellfchaft
angehörende Dampfihiff im Sommer dreimal wöcentlicd)
geht, geht gleichwohl die Poft Jahr aus Jahr ein nur ein:
mal die Woche! Auch der Volksunterricht befchränft fich
häufig auf die Formalien ſowie auf Religion und das nor⸗
wegiſche Berfaflungs- und Geſetzbuch; gemeinnügige Kennt:
niffe, weldye zur Hebung von Aderbau und Viehzucht dienen
fünnten, kommen wenig oder gar nicht ins Spiel,
Daher wird denn auch öfonomifch ſchädlichen Maßregeln,
dem verderblichen Ausrotten der Wälder, dem unrationellen
Betriebe der Häringfifcherei und der dabei ftattfindenden Ver:
geudung am Arbeitäfraft nicht entgegen getreten; ja, ed er-
hebt fid, faum eine Stimme wider diefelben! Daß man zu
pofitiven Verſuchen, etwa der Einführung einer umfaflen-
dern Schafzucht an ber dazu vielleicht ebenjo gut, wie Schott:
land , geeigneten Südweftlüfte, oder der Verbefferung der
Fabrikation der Producte dev Sennereiwirthicaft, überginge,
dazu ift noch weniger Ausſicht. Selbft da, wo die Regie—
tung guten Willen zeigt, wie in dev Filchzlichtungsfrage und
in den ſchwachen Anfängen einer Anlage von Staatswal:
dungen, fehlt es an Energie und demnach aud) an Erfolg.
Das Refultat ift denn aud) das, daß die Bevölkerung,
obwohl nur 1,700,000 Einwohner auf 5800 Duadratmet-
len betragend, auf eine ziemlich, ftarfe Auswanderung anges
wiefen ift. Wie der Berfall fid) in den einzelnen Füllen
geſtaltet, ſahen wir im Siredal; unbedingt find die dortigen
Zuftände nicht vereinzelt! Die Bemühungen des Storthings
und feiner Parteien, auch der Jaabel'ſchen Partei der Bauern⸗
conmuniſten, find zu ausschließlich auf Formfachen gerichtet,
und dieje reichen nun einmal, wie die norwegische Berfaffung
felber beweift, nicht für das ganze Dafein eines Bolkes und
Staates aus.
Faſſen wir alle jene einzelnen Reſultate unparteiifch zırs
fanmen, fo fommen wir doc) zu einem etwas andern Ne:
fultate, als dem ber norwegischen Patrioten: daß alles Heil
von der Selbjtändigleit, alles Berderben von Dänemark
gefommen fei. Wir brauchen einem unferer erſten deutſchen
Selehrten, Leopold von Bud, der in ben letzten Jahren der
dänifchen Herrichaft das Yand bereifte und eine ber beflen
Neifebefchreibungen deffelben verfaßt hat, nicht ohne Weiteres
der Befangenheit zu befchuldigen, wenn er die dänische Re—
gierung eine „stets fanfte und wohlthätige* nennt und ihre
eulturbringenden Einflüffe auch auf arme und mißachtete
Gegenden wiederholt hervorhebt. Selbit die Hebung der
Finanzlage nach dem Kriege kommt ohme alle Trage zum
großen Theile auf die günftigeren Zeiten, auf den langen,
wohlthätigen Frieden, der jeit 1815 mod) fortdauert, und
wern fid) auch gewiß nicht Alles ebenjo günftig geftaltet
hätte, falls die dänische Herrſchaft fortbejtanden, fo fan es
doc) immerhin fraglich erſcheinen, ob nicht Norwegen bei
dem engern Zufanımengehören des Staates und dem daraus
hervorgehenden regern Berfehre viel mehr Bortheil im Giror
Ben und Ganzen gehabt hätte. Aehnliches gilt natürlicher
Weiſe von der Idee der ffandinaviichen Union, deren Geg—
ner, die particulariftifchen Norweger, wie mir fcheint, jehr
im Unrecht find!
Daß die Verfaffung Norwegens, bei den ihr vorhin zu⸗
erfannten Pichtfeiten, auch' nach manchen Ridjtungen heilfant
wirkt, das bin ich gewiß nicht gewillt in Abrede zu ftellen.
Freilich überfchägt man, was die Unbahnung von patrio-
tiſcher Gefinnung, von Adıtung fir Geſetz und Recht, von
Kleinruſſiſche hiſtoriſche Gedichte.
Anbahnung einer geſitteten Lebensweiſe anlangt, ſehr leicht
die Wirkung eines Blattes Papier. Der äußere Zwang
3 B., der den Detailverfauf der Spirituofen durch hohe Ber
ftenerung befchränft und vom Sonnabend bis Dlontag ganz |
aufhebt, hat natürlich wieder eine Lüfternheit des gemeinen
Mannes zur Folge und verleitet jelbft Keichere und Beamte
leicht zur Nichtachtung und Umgehung des allzu läftigen
121
| Gefeges, und es möchte abzuwarten fein, ob die gute Wir⸗
| fung folder Präventivmaßregeln ſich auf die Dauer Hält.
Ich ſchließe mit dieſen funzen Bemerkungen über bie
politifchen Zuflände Norwegens, da Bergen der legte Ort
ift, an welchem mir länger zu verweilen vergöunt war. Am
28. Auguſt dort abgereift, jah ich bereits am 30. die jütifche
Küfte und fehrte damit in das eigentliche Cultureuropa zurlid.
Kleinruffifhe Hiftorifhe Gedidte *).
Die epifchen Gefänge und Volkslieder der verfchiedenen
Bölter Rußlands find in der legten Zeit mit preiswürdigem
Fleiße gefammelt worden und auch wir haben im „Globus“
wiederholt auf einige hervorragende Arbeiten diejer Art hin
gemiefen. Aber meift wandte man ſich dem Nordoften zu,
juchte unter den Großruſſen, während Kleinrußland (Wols
hynien, Podolien, die Ufraine) erft in der neueften Zeit auf
biefem Gebiete die Aufmerkjamfeit erwedte. Wllerbinge
waren von Yocalforfchern wie Nutfchento und Kuliſch dort
fon Märchen und Lieder gefammelt worden, doch fehlt
immer noch eine kritiſche Verarbeitung. Für die gefchicht-
lihen Lieder liegt fie indeſſen jet hier in ausgezeichneter
Weiſe vor und wenn das ganze Werk wie der vorliegende
Band ausgeführt wird, jo kann es als eine vorzliglicde Er—
ſcheinung gepriefen werben.
Als Ausgangspunkt nehmen die Herausgeber die poli-
tifche Gefchichte des fübruffiichen Volls und zwar die Bil-
dung ber Druſchinas oder Militärgefellichaften. Diefe,
denen Prinzen aus Ruril's Geblüt vorftanden, beherrſchten
bie Gejchide Siübrußlands bis zum Cinfalle der Tataren;
und auch fpäter unter ben Nachfolgern des Litauers Gedimin
behielten fie ihren Einfluß bis zur Bereinigung Polens und
Litauens in der Mitte des 16. Jahrhunderts. So hervor:
ragend, fagen die Herausgeber, ift die Stellung diefer Ger
ſeliſchaften und ihrer fürftlichen Wlihrer im poetifchen Gier
dächtniffe des Volles, jo gering find die Einflüffe anderer
foeialer Berbände und Einrichtungen auf dafielbe, daß die
Gedichte aus jener Periode als die des Drufchina- oder fürft-
lichen Zeitalters bezeichnet werden müſſen. Dann folgt die
Periode, im welcher die obere Schicht der Geſellſchaft von
der niedern ſich trennte, ein polonifirender Proceh,
während die Tatarenmadıt nad) dem Erſcheinen ber Turken
am Schwarzen Meer aufs Neue ihre Haupt zu heben be-
ginnt. Dann entjpringt aus dem Schooße bes Volles felbft
das Koſackenthum, weldes feinen Stempel jenen Gedich—
ten aufdrüdt, die die zweite Abtheilung des Bandes bilden.
Daran follen ſich die Gedichte der „Haidamalen- Zeit“
fchliegen, welche den Kampf des Volts gegen die polnifchen
Adligen und ihre jüdifchen Agenten befingen; die Nepräfen:
tanten des Volls in diefem Streit heißen in der Ufraine
Haidamalen oder Briganten. Daran ſchließen fich die Lie
der ber „Recruten» und Yeibeigenenzeit* und endlich
„Lieder der Freiheit“, welche der legten Epoche ange:
hören und feit Aufhebung ber Leibeigenſchaft entftanden find.
Der erfte Theil beginnt mit einer Anzahl Meiner Ges
fänge, welche gewöhnlich aus hiſtoriſchen Sammlungen forts
bleiben, da fie müthifcjereligiöfen Inhalts find. Solcher
*) Istoritscheskaja pjesni malorusskago naroıa, (—OHiſtoriſche
Gedichte des Heinruffiicen Volles. Mit Anmerkungen berausgegeben
von BU. Antonomwirfd und M. Dragemanow. Grfter Band. Kiew
1874.) -
&obus XXVIII. Nr. 8.
Art find z. B. die zur Weihnachtszeit gefungenen Koljadti,
die ihrerfeit® wieder als heibnifche Ueberlebfel angefehen wer-
den müflen. Im einigem finden die Herausgeber Spuren
eines Heroencultus, wie 3. B. im der Gefdjichte vom feide-
nen Zelte, in weldem an goldener Tafel ein fürftlicher
Jungling fügt, zu dem feine getreuen Mannen fommen und
ihn bitten fie ins Land der Ungläubigen zu ſenden, wo fie
‚ ihre bligenden Schwerter und faufenden Pfeile in Thätig-
keit jegen wollen. -
Auf Seite 73 bis 327 finden wir die Lieder der Ko—
fadenzeit, welde vom Streite gegen Türken und Tataren
erzählen. Die meiften entftanden augenfheinfic im 16. und
17. Dahrhundert. Das Material, aus dem fie geformt
wurden, war jedoch entjchieben älter und einige der Lieber
mögen bis in die Zeit der erften Tatareneinfälle zurückrei⸗
chen. Wir hören im ihmen die lagen der Gefangenen im
fernen Yande und das Jammern ber in ber alten Heimath
Zurüdgebliebenen. Wir fehen ben Feind bei Nacht herein-
brechen, ben zerftörten häuslichen Herd, die verwüſteten Fel—⸗
ber, den traurigen Marſch der fortgeführten Gefangenen,
bie Graufamteiten, welche diefe in der Sklaverei oder an
Bord einer tlirfifchen Galeere ertragen miffen, bis der Tod
als willtommener Erlöfer allen Yeiden ein Ende bereitet.
Die meiften diefer Gedichte find trüb und melandolifch,
wenn auch hier und ba ein hellerer Lichtftrahl darin zu ent
deden ift, 3. B. wenn ein Mädchen mit Hilfe ihres Gelieb-
ten der Gefangenſchaft entflicht.
Um einen befjern Begriff von dem Weſen biefer Gedichte
zu geben, wollen wir eine Analyfe mittheilen. Ueber bie
Ebene zieht ein Trupp Gefangener, unter ihnen tranrig drei
Töchter eines Dorfgeiftlihen. „Ad ihr meine golbnen
Locken,“ ruft die eine, welche mit dem Stride ans Pferd
ihres Peinigers gefejlelt ift, „nicht länger wird mein Mütter
den euch ordnen und bewundern." — „D ihr meine Heinen
weißen Füße,“ fagt die zweite, welche hinter einem Wagen
hergeſchleppt wird, „micht länger werden die Hände meiner
Mutter euch wachen. Bom rauhen Sande bes Wege mwer-
det ihr zerſchunden, Blut bezeichnet eure Spur.“ Und bie
britte, welche wegen ihrer befondern Schönheit in einem ver⸗
dedten Wagen von ihren Räubern mitgefchleppt wird, jams
mert folgendermaßen: „Ach, Augen, ihr meine ſchwarzen
Augen! Ueber die weite Ebene ziehen wir dahin, doch ihr
jehet nicht das Yicht des Tages.“
In einem andern Gefange heißt es, baf beim Dorfe das
Korn üppig gedeiht. Dort ſichelt ein Mädchen und bindet
Heine Garben. mmt ein Kofad herangeritten, figt auf
einem fohljhwarzen Koffe und jagt: „Hör’ auf, o Mädchen,
zu ficheln das Korn, zu binden Fleine Garben.“ Auf zum
Hligel reitet der Kofad, liegt dort nieder und beginnt zu
fchlafen und feim gutes Roß es fchreitet auf und nieder,
Kommt die Maid und jchlägt mit jcharfem Grafe den Kor
16
122
aden ins Geſicht. „Stehe auf, Kofad, vom Sclummer
* erhebe Dich. Nicht mehr kannſt Dein Roß Du ſehen,
Turten und Tataren trieben fort es.“ Da antwortet ber
Koſack: „Ihnen bin ich wohlbefannt, fie wagen nicht mic)
anzurühren. Ift mein Pferd verloren, hol’ id) mir ein an
deres. Sollteft aber, Mädchen, Dir verloren gehen — dann
bleibt feine andere Liebe für mic, übrig.“
In einem dritten Gefange ſchreibt ein Koſack rührende
Briefe an feine Eltern, daß fie ihn aus der Gefangenschaft
lostaufen follen. Als aber der Vater hört, daß es ihn vier
Paar Ochſen often fol, da weigert er ſich Et und
auch die Mutter jagt nein, als fie hört der Preis fei vier
Paar Kühe nebft den Kälbern. Da wendet der verzweifelte
Gefangene ſich am feine Geliebte. Sie erllärt ſogleich, daß
fie lieber alles verlieren will, was fie befigt, ald daß er noch
länger in der Gefangenſchaft ſchmachten folle. Ihr gelingt
es den Kofaden zu befreien.
Unter den am meiften befannten Öefangenfchaftsgefängen
diefer Sammlung ift einer, von bem mehrere Varianten vor-
handen find, welcher bie Flucht dreier Ruſſen aus der Ge—
malt der Ungläubigen ſchildert. Die Varianten gehen
namentlich, beim Schluſſe der Geſchichte auseinander. Stets
ift es aber die Stabt Aſow und die Steppe der Ufraine, in
welcher die vielleicht ins ſechszehnte Jahrhundert zur:
reichende Geſchichte ſpielt, die alſo im Auszuge lautet:
Es iſt fein Nebel, der ſich bei der Stadt Aſow erhebt;
nein, e8 find drei Brüder, welche der Sklaverei entfliehen.
Zwei von ihnen find beritten, ber dritte läuft zu Fuß.
An den weißen edigen Steinen, die zwiſchen den grauen
Dornen liegen, verwundet er feine Füße und breite Blut-
fpuren bezeichnen feinen Weg. „Haltet an eure Roſſe, ihr
meine Brüder; nehmt mid, mit hinten auf, damit ich chriſt⸗
liche Städte erreiche, damit ic, Vater und Mutter wieder
ſehe.“ So ruft er; Thränen ftürzen aus feinen Augen, er
hält die Steigbligel. Da antwortet der ältere Bruder:
„Wenn wir auf did) warten, oder dich aufnehmen, dann
fommt und ber Verfolger nahe, er wird und mit Wunden
überfäen und zurüc im die Gefangenihaft jchleppen.“ —
„Wollt ihr nicht auf mich warten und mich nicht mit
nehmen — nun, dann zieht eure blanfen Schwerter und
haut mir den Kopf von den Schultern. Dann begrabt mei
nen Peib auf der Steppe, damit weder ein Vogel noch ein
Thier mic; zur Beute haben.“ — Da antwortet der jüngere
Bruder: „Noch niemals hat man davon gehört, daß ein
Bruder fein Schwert mit Bruberblut beflede!“ — „Wollt
ihr, meine Brüder, mich nicht erfchlagen, dann brecht wenig.
ftens Zweige in den Schluchten von den Dornbäumen, und
Auf dem Markte zu Berbera,
werft fie auf ben Weg, damit ich Zeichen habe.“ Das thut
auch ber jüngere Bruder, jo lange fie durch baumreiche Ges
gend reiten; aber in ber bene hört der Baumwuchs auf
und er Fann feine Zweige mehr abreißen. „Yaf uns raften,
mein Bruder,“ beginnt er num, „bis unfer Bruder heran-
fommt.* — „Wenn wir raften, mein Bruder, bis unfer Bru⸗
der heranlommt, fo werden wir nimmer ber türkifdhen Ge—
fangenfchaft im Aſow entrinnen.“
Traurig reiten die Brüder weiter; der jlingere reift
Fetzen von feinen Kleidern und freut fie auf den Be . Die
fieht der jüngfte und er findet feinen Weg durch die Steppe.
Er wähnt aber feine Brüber feien todt und beginnt ihr
Scidfal zu belagen: „DO Herr, mein Gott, wenn id; nur
wüßte ob meine Brüder erfclagen oder wieder im bie
Geſangenſchaft geführt find. Wenn fie erfchlagen find
will ich ihre Leichen fuchen und fie begraben, damit fie den
Thieren nicht zum Opfer fallen.“ — Er fommt zu einem
Heinen Hügel, legt das Haupt auf die Erde und weint bitter»
lich. Die blaubefhwingten Adler fonımen herangeflogen,
ſuchen feine dunklen Locken zu faſſen, feine Mugen auszu—
baden: „Wartet noch ein wenig, ihr böfen Gäfte! Wartet
bis des jungen Kofaden Seele dem Körper entflohen. Dann
freßt die Augen unter den VBrauen weg, reißt ihm das
Fleiſch von den Knochen.“ Der SKofad ftirbt, nieder auf
feinen Körper ſchweben die blauen Adler, die grauen Wölfe
ſammeln ſich auf der weiten Steppe; fie zerreißen feinen
Körper, zerftreuen die Gebeine. Sein Vater, feine Mutter
weint um den Kofaden. Doc; der blaufittige Kudut fliegt
heran, fegt fic auf die Erbe neben das Todtenhaupt und
Magt: „Ein Kopf, ber Kopf eines jungen Kofaden! Nicht
mehr liebkoſend wird er geftreichelt; Raubvögel und Raub⸗
thiere vollen ihn umher !*
Die beiden älteren Brüber aber reiten und reiten. Als
jie ben chriſtlichen Städten nahe fommen, da fällt es centner«
ſchwer auf ihre Seele. „Wenn wir zu Haufe fommen, was
follen wir unferen Eltern jagen, wo der jüngfte geblie-
ben?* — Wir antworten — jagt ber ältere — daß wir
verſchiedenen Herren dienten, Als wir nächtlicherweile flohen,
ſuchten wir vergeblich ihn zu weden. So waren wir ger
zwungen ihm in der Gefangenfchaft zu laflen.“ — „Nicht
fo,* jagt derjüngere, „denn wenn wir Bater uud Mutter bes
lügen fällt Fluch auf unſer Haupt.“
In der Ebene von Samara reiten bie Brüder dahin.
Am Samarafluffe fchlafen fie, ihre Roffe grafen neben ihnen.
Da ftürzt der heidniſche Feind über fie her und haut fie in
Stüde. Die Köpfe werben auf dem feindlichen Säbeln
davongetragen, ihre Gebeine in der Steppe zerftreut.
Auf dem Martte zu Berbera.
Jemail, der Chedive von Wegypten, gründet im der
That ein großes ägyptiſches Reich. Darfur ift von ihm
abhängig geworben; wir lefen, daß ber Sultan von Wabai
mit ihm freumdfchaftliche Verbindungen anknüpfen und fein
Land den fremden und dem Handel eröffnen werde: das
Yand zu beiden Seiten des Nil bis zu den großen Yequas
torialfeen ift thatſächlich von Aegypten abhängig. Die Hüs
fen an ber Weftfüfte des Rothen Meeres find in ägyptiſchem
Befig ; durch Maffaua wird der Handel von Abeſſinien con-
trolirt und die nördlichen Landſchaften diefes Wethiopiens
find dem Chedive unterthan. Bon entchiedenem Belang
aber bleibt es, daß berfelbe auch den wichtigen Hafen Ber-
—* hat in Beſitz nehmen und dort eine feſte Burg bauen
laſſen.
Wir haben bereits vor einiger Zeit (‚Globus“, Band
XXVI, S. 126: „Berbera im Somalilande, eine ägyptiſche
Befigung“) die eigenthümlichen Verhältniſſe diefer Hafen-
ftadt geſchildert. Sie controlirt den Karawanenverlehr des
gefammten Landes der Somali, und für die aus dem Inr
nern kommenden Waaren bildet fie den Hauptverfchiffungs-
ort. Jetzt eben, Mitte Juli, leſen wir ein Telegramm,
demzufolge aud) der Hafen Zeyla (Sila) von den Aegyp-
Auf dem Markte zu Berbera.
tern beſetzt worden ift und daß der dortige Sultan fid) vom
Chebive abhängig erflärt hat.
Berbera, um auf daffelbe zurlidzufommen, ift ein höchft
intereffanter Punkt, der eine Menge von Eigenthimlichleiten
darbietet. Gegenwärtig ift dort feine Stadt vorhanden , die
Aegypter aber bemühen ſich eine Anzahl feſter Anfiebler da—
hin zu ziehen. Es ift bisher eigentlich nur ein großer zeit«
weiliger Karawanenmarft geweſen. Die nachſtehende
Schilderung entnehmen wir im Wefentlichen einem Reifen
ben, der im Februar mit dem ägnptifchen Paſcha (auf dem
Dampfer Latif) ſich einige Zeit in Berbera aufhielt, als
gerade das Marftleben am lebhafteften war.
Es hatten ſich Leute von allen verfchiedenen Stämmen
des fogenannten öftlichen Horn, dieſes weiten Borfprunges,
den Afrika in die Arabifche See hinein macht, eingefunden,
dann auch Kaufleute aus dem gegenüberliegenden Aden und
anderen Häfen des Rothen Meeres. Der Handel von Bers
bera hat zugenommen, feitden, wie wir in unferm frühern
Auffage hervorhoben, die offene Rhede von Bulhar gefchlofs
fen worden ift. In Berbera tummelten auf dem fandigen
Strande ſich Tanfende bemwaffneter Somali® umher. Leder
hielt im der rechten Hand einen langen Speer und im ber
Linlen einen hübſchen Meinen Schild von Nhinoceroshaut,
durch welche feine Enfieldtugel hindurch dringt. Diefe duntel-
bäntigen Krieger mußten ſich auf zwei Seiten der Yänge
nach aufflellen und waren von einander getrennt durch eine
Hede arabifcher Soldaten. In der Mitte der legteren ftand
der Gouverneur, zur Seite defjelben hatten die arabifchen
Kauflente ihren Plag, auf der andern die Karawanenhänd—⸗
ler der Somali; diefe alle tragen hellfarbige leider von
Eeide und Sammet, aber auch von befcheibnerem Stoffe.
Jeder von ihnen begrüßte den Paſcha als Stellvertreter des
agyptiſchen Chedive, verbeugte ſich vor demſelben, füßte ihm
die Hand und legte dann in echt orientaliſcher Weiſe die
Finger vor die Stirn. Sie alle erkennen nun den Bice⸗
tönig als ihren Herrſcher an und find aljo Untertanen
defelben geworden. Die Spielleute der Ehrenwache trom:
melten und pfiffen, aber der Tom diefer Inftrumente vers
ſchwand unter einen nicht unmufitalifchen Chor von mehr
teren taufend Stimmen der Somalis, welche bann einen
Kriegertang aufführten und während defjelben vielfach, mög:
lichft hoch emporfprangen.
Bor dem großen Zelte des Paſcha hatte fich eine Somali«
garde aufgeftellt und bildete eine doppelte Linie. Der Paſcha
nahm auf einem großen Stuhle Plag, der mit einen pradht-
vollen Teppich bededt war. Dann erſchien der ägyptiſche
Plageommandant, welcher zu gleicher Zeit der in Berbera
befehligende Offizier ift, und aud andere Wurdenträger
nahmen Plag. Die Kaufleute, ſowohl Araber wie Somali,
ſchienen vorher fic über ein Programım geeinigt zu haben
und nahmen ihre Pläge ein mit der Pegelmäßigfeit einer
Compagnie wohlgefchulter Soldaten; die Araber fetten fich
auf Polfter und die Somali fauerten auf der Erde. Dann
wurden gegenfeitige Compfimente ausgewechſelt und draußen
noch einmal mit großer Febhaftigfeit ein Kriegstanz aus
geführt, welcher den Berichterftatter an jenen der Neujeelän-
der erinnerte, nur daß er bier ohne Feuerwaffen ſtattfand.
Nach diefen Geremonien befuchte der Paſcha die Woh—
nung des Gouverneurs, wo ihm als Ehrentrant ein heißer
Aufguß von Zimmt gereicht wurde, ber im Aegypten und
der Türkei bei allen Gelegenheiten flatt des Kaffees vorge-
fegt wird. Sodann machte der hohe Wurdenträger einen
Spaziergang durch die 27 Straßen, aus welden die foge-
nannte Stadt zeitweilig befteht. Die Behaufungen find aus
Matten und Schlamm hergerichtet und fiegen wire und bunt
durch einander, aber außerhalb diefer Straßen ift Raum ge
123
nug für alle möglichen Verhandlungen, namentlic, nad) der
Seefeite hin. Machmittags machten die angefehenften Kauf⸗
leute dem Paſcha einen Beſuch an Bord feines Dampfers
Latif und dort wurde mit ihmen ſowohl über die commıer«
ciellen wie bie politiſchen Angelegenheiten verhandelt, ind«
befondere wurden die gegenfeitigen Verhältniffe der verfcjie-
denen Stämme erörtert und Weifungen fiir das Verhalten
berfelben ertheilt.
Es geht nämlich fehr unruhig zu unter den verfchiedenen
Somaliftämmen, insbefondere liegen die Ra Muſſa, Hamwal
Ahmet und die Juni häufig mit einander in Fehde und hin«
dern die Karawanen und Reifenden, den Geeplag unanges
fochten zu erreichen. Num aber ift Berbera das Haupts
quartier und die Hauptſtadt diefer neuen ägyptifcen Provinz,
und von Seiten der Regierung wird alles aufgeboten, dem
Unfuge zu ftenern und Ordnung zu ſchaffen. Das Somali-
land joll der bisherigen Barbarei entriffen werden und man
wird diefem wilden Volle jo viel Civilifation aufzwingen
als nöthig ift zur Aufrechterhaltung der Ordnung, auch foll
ben Blutfehden nach Möglichkeit gefteuert werden,
Einen Beweis, wie wild die Dinge fein können, felbft uns
ter Umftänden wie die vorher gejchilderten, giebt der Beſuch,
welchen der Paſcha mit den Civilingenteuren den Duellen
der Waflerleitung abftatten wollte, welche 7 Miles weit her
Trinlwaſſer bid nach Berbera ſchaffen wird. Alle nöthigen
Vorbereitungen waren getroffen, Kameele und Pferde ftan-
den bereit, aber plöglic; entftand eine Fehde zwiſchen eini⸗
gen vom Stamme ber Ifa Muffa und anderen von jenen
der Hawal Ahmet. Man brachte einen Mann ins Haupt-
quartier, der am Arme und im der Lunge ſchwer verwundet
war. Man wußte nicht, weshalb der Streit entftanden war.
Die Somalipolizei brachte mehrere Gefangene herbei; dieſe
waren vom Stamme der Ifa Muſſa. Gleichzeitig fam die
Nachricht, daß der lehtere eine große Anzahl Schafe und
Rindvieh fortgetrieben und mehrere Männer ber anderen
Stämme überfallen Hatte.
Unter dieſen Umſtänden ſchien es nicht gerathen, die
Ingenienre nach der Wafferquelle zu ſchicken, der Paſcha
aber vitt mit einer Bededung zu den Iſa Muſſa. Bei die-
fen wurde ermittelt, daß ber ganze Yärm entftanden war in
Folge eines Streites über die Vermiethung von Pferden
und Kameelen. Der Zank hatte zu Lanzenſtichen geführt
und mehrere derfelben waren tödtlich geweien. Die Schul-
digen wurden fofort ergriffen und als Gefangene an Bord
des Dampfers geführt, aber kaum eine Stunde fpäter war
Alles in Kriegsbereitſchaft. Die Ifa Muffe trieben alle
Schafe und alles Rindvieh der anderen Stämme und Kaufleute
fort und es begann ein regelrechter Somalikrieg. Ganz
Berbera war unter Waffen, und auf dem Stranbe öſtlich
von der Stabt waren 20,000 Männer, Knaben und Wei-
ber in einem Handgemenge begriffen.
Nun wurden bie ägyptifchen Truppen aufgerufen und
rüdten zunächſt den Iſa Muſſa entgegen. Diefe hatten
eu Weiſe keine Feuerwaffen und fo fonnten die
egypter bie ftreitenden Parteien auseinander drängen.
Dann ritt auch der Paſcha in vollem Galop in bie Reihen
der Ifa Muſſa Hinein und befahl ihnen ohne Weiteres ihre
Waffen niederzulegen. Sie folgten unbedingt, und einige
30 oder 40 wurden an Bord des „Latif“ gebracht. In der
Stadt felbft fanden manche Einzelgefechte ftatt, die erft auf-
hörten, als die Truppen ſich einfanden. Der Paſcha felber
aber erhielt von einer Fran einen Steinwurf an den Kopf.
Es vergingen einige Stunden, ehe der Streit ein Ende nahm,
unb wer nicht in Oftafrifa gewefen ift, madıt fid) feine Vor⸗
ftellung von dem wilden Gebahren dieſer Leute.
16*
124
Jetzt wurden bie Scheichs ber verfchiebenen Stämme in
das Zelt des Pafcha emtboten, und bort hielt Scharmali,
Sohn des frühern Sultans von Zeyla, ihnen eine ſcharfe
Strafrede. Ihre Speere und Dolche mußten dem ägyp-
tifchen Gouverneur abgeliefert werden und fein Angehöriger
irgend eines Stammes durfte fich bewaffnet der Stadt bis
auf wenige Meilen weit nähern, Die Scheichs waren damit
unzufrieden und fagten, fie wären ja mun der Gnade der
Ha Muſſa preisgegeben, aber der Befehl wurde wiederholt.
Während biefer Zeit erfuhr man, daß die Ifa Muſſa eine
Karawane abfangen wollten, die längft fällig aber nicht an
den Strand gefommen war, um nicht den Iſa Muſſa in
die Hände zu fallen. Jetzt aber wurde biefen von ägyp—
tifcher Seite kundgethan, daß, wenn von ber Saramane
aud nur eine Nadel geftohlen oder ein Menid) verlegt
würde, die vierzig an Bord des Dampfers befindlichen Ges
fangenen ohne Weiteres im Angeſichte des Strandes gehängt
werben follten und daß bie ägyptifchen Truppen im ine
mit den Hawal Ahmet und den Juni jeden Iſa Muffa
nieberfchiegen und ihnen ihre ſämmtlichen Herden forttrei-
ben würden. Diefe Drohung hatte den gewünſchten Erfolg.
Nachmittags Tonnte der Gouverneur von Berbera dem
Paſcha melden, daß die Iſa Muffa ſich unterworfen hätten.
Sie waren erbötig, alles geraubte Vieh zuriczugeben, ihre
Waffen abzuliefern umd fic den ägyptifchen Behörden zu
unterwerfen. Bald nachher fanden fie fich in Gruppen von
Eiebenzehn Jahre unter auftraliichen Wilden.
fünf bis ſechs Mann in der Stadt ein und fomit waren Ruhe
und trieben wieder hergeftellt. ,
Die Stämme in ber Umgegendb von Berbera find uns
bündig wild und friegerifd) und machen ſich aus ihrem eige>
nen Leben fo wenig als aus dem anderer. Die Meiften
von ihnen mähren fich nur von Mitch und Fleiſch und ger
nießen felten Brot oder auch nur Waſſer. Wenn die ägyp-
tiſche Regierung einmal ftramme Ordnung gejhaffen hat,
dann wird ich ein lebhafter Handelsverkehr entwideln, denn
das innere Land Liefert in Menge Kaffee, Elfenbein und
Indigo, Von Härrär und den uns nod wenig befaunten
Stredfen weiter nad) dem Innern Hin kommen. außerdem
noch andere werthvolle Handelsartifel. Die Somali ſowohl
wie die anderen Stämme befigen zahlreiche Herden von
Schafen und Kühen. Es mag hier bemerft werden, daß
der Handel in den gegenüberliegenden arabifchen Häfen von
Yemen einen großen Aufſchwung gewonnen hat und bie
türkischen und ägyptifchen Dampfer mit denfelben und mit
Berbera einen regelmäßigen Verlehr unterhalten. Die
Stämme, welde das öftliche Horn bewohnen, find zumeift
Mohammedaner, aber nicht ſehr ftreng in ihrem Glauben.
SHavenhandel wird in Berbera und in der Umgegend nicht
mehr getrieben. Die Somali find ohne Feuerwaffen nicht
zu fürchten, wenn fie aber einmal in Befig von ſolchen kämen
und mit denfelben umzugehen wüßten, dann würden jie
allerdings fehr geführliche Feinde werden.
Siebenzehn Jahre unter auftralifhen Wilden.
Aeltere Lefer des „Globus“ werden ſich vielleicht noch
erinnern, daß wir im zweiten Bande unſerer Zeitfchrift,
weldyer im Jahre 1862 erfchien, einen mit Abbildungen be—
gleiteten Auffag unter dem Titel brachten: „Schiffbrud)
bed Dreimaftere Sanct Baul im Louiſiade-Archi—
pel.* Es war eine Schaubergefchichte, ein brutaler Het
wilder Anthropophagie, welchen wir nad) den Aufzeichnungen
des franzöfifchen Schiffsarztes Rochas dort ſchilderten.
Wir glaubten die Sache fei längft vergefien und begraben,
da erhält fie eim merkwürdiges Nachfpiel, wie ber nach—
ftehende aus Auftralien nad) England gefandte Bericht zeigt,
welcher pfychologifc; wie ethnographiic von hohem Intereſſe iſt.
Im Beginn diefes Jahres wurde ein Europäer auf einer
ber Heinen oftauftralifchen Infeln aufgefunden, auf welcher er
17 Yahre lang unter dem dortigen Wilden gelebt hatte.
Der Mann war felbft in dieſer Zeit zum Wilden geworden
und gewöhnt ſich nur ſchwer wieder an die Givilifation,
Der Fall ift infofern bemerkenswerth, ald er aus unmittels
barer Quelle einen Blid in die Lebensgewohnheiten jener
Wilden uns eröffnet, zugleich aber zeigt, welchen Einfluß
ber langjährige Aufenthalt unter diefen auf den in dem
jugendlichen Alter von 12 Yahren unter jene gelangten
Europäer gellbt hat. Auch ift die Art und Weife hoch—
intereffant, wie die urfprlingliche, aber fremb gewordene Welt
bei dem der Welt Zurlicgegebenen wieder auflebt
Am 11. April d. J. anferte der englifche mit Tripang-
fiicherei beſchäftigte Schoner „Yohn Bull“ in ber Nähe der
Heinen Inſel „Night Island* (13° 10’ fhdl. Br. und
143° 35’ öftl. L. v. Gr.) an der Norboftlüfte von Queens
land. Da 08 auf dem Schoner an Waſſer fehlte, fo wur⸗
den einige Voote nad) ber nur etwa eine beutjche Meile
entfernten Inſel gefendet, um ſolches zu holen. Bei diejer
Selegenheit ftieß man auf eine Zahl Eingeborener (Schwar:
zer) und bemerkte zur großen Berwunderung unter ihnen
auch einen Weißen, welcher wie die Schwarzen felbft
ganz unbefleidet war und ſich in feinen Bewegungen, Geber»
den und Manieren von ihnen gar nicht zu unterfcheiden
ſchien. Der Capitän des Sconers, weldyer hiervon Mit:
teilung erhielt, befchloß fofort, den Verſuch zu machen, den
Europäer zu „reiten*. So fandte er dann am nmächften
Tag neun Boote zur Juſel und gab diefen allerlei Waaren
mit, um einen Taufchhandel mit den Eingeborenen einzus
leiten, und womöglich von ihnen die freiwillige Herausgabe
des Gefangenen zur erlangen. Es glüdte, den Europäer
auf ein Boot zu loden. Dan erzeigte ihm Freundlichteiten,
reichte ihm Zwieback und machte ihm dann durd) Zeichen
verftändlich, ob er nicht geneigt fei, die Inſel zu verlaffen
und mit dem Schiff in die Heimath zuriidgufehren. Er gab
feine Zuftimmung. Sofort wurden die Flinten liber bie
Köpfe der Wilden abgefenert. Der Zwed war erreicht; er:
fchredft flohen die Schwarzen und der Europäer war ihrer
Gewalt entrifjen — freilich war auch er in große Augſt und
Furcht gefegt worden; denn er glaubte, daß man ihn tödten
wolle
Den Schligling brachte der Schoner nad) Somerfet, ber
britifchen Unfiedelung auf Cap Dorf, wo er reichlich mit
Kleidung und den fonftigen Bedürfnifien verfehen wurde,
Iutereffant war es das Benehmen des der Civilifation
Wiedergegebenen zu beobachten. Die erften Tage hodte er
„wie ein Bogel* auf einem Bretterzaun und fpähte furdht-
fam und mißteauifc nach allen Seiten aus, Er ſprach fein
Wort es fchien faft, als ob er feine Mutterfprache ver:
lernt habe — indeffen ließ er es durch einige Yaute erkennen,
daß er von Geburt Franzoſe fei,
Siebenzehn Jahre unter auftralifchen Wilden.
Man reichte ihm Schreibmaterial und fofort fchrieb er
in fteifen unregelmäßigen Buchſtaben einige Worte nieber.
Es war nicht möglich diefe Worte zu enträthjeln, als in
dejien auf Cap York der Lieutenant Connor eintraf, gelang
eö diejem Herrn, welcher der franzöfifchen Sprache volltom-
men mächtig war, nicht allein die Worte zu entziffern, fon=
dern auch aus dem Findling bie näheren Mitteilungen
über feine Yebensverhältnifie herauszubringen.
Der Mann Heißt Narciffe Pelletier, und ift der Sohn
von Martin Pelletier, einem Schuhmadjer zu St. Gille in
der Bender. Yu feinem zwöften Jahre war er als Cajüten-
junge an den Bord des nad; Borbeaur gehörigen Schiffes
„St. Paul* gefommen und hatte auf ihm die Reiſe nad
China mitgemaht. Im Jahre 1858 fuhr das Schiff nad)
Auftralien, um dorthin 350 Chinefen zu befördern, erlitt
aber auf der Fahrt Schiffbruch und ftrandete an den Slip
pen der zu den Louiſiaden gehörigen Inſel Roſſel. Der
Gapitän und die Schiffsmannſchaft beſetzten die Boote, um
auf der Hauptinfel zu landen, während die zurlidgelaffenen
Chineſen und mit ihnen auch unfer armer Cajlitenjunge an
den Klippen fortkrochen und zu einer Meinen Infel gelang»
ten. Bei feiner Landung wurden der Capitän und feine
Mannſchaft jofort von den Eingeborenen angegriffen und nad)
einem harten Kampfe, bei welchem ber zweite Offizier, ein
Matroſe und ein Sciffsjunge in dem Händen der Feinde
blieb, gemöthigt, fi zu den Chinefen zurüdzuziehen. Da
der Gapitän Grund hatte, ben Chinefen zu mißtrauen , ihm
aber die Mittel fehlten, diefelben weiter zu befürdern, jo ber
ſchloß er mit feinen Leuten heimlich, zu entfliehen und ben
Weg nad) Yuftralien zu nehmen. Hierbei hoffte er unter»
wegs auf eim europäiſches Schiff zu ftoßen, ober doch zu
einer englifchen Anfiebelung in Auftralien zu gelangen.
Bei dunkler Nacht ging man an die Ausführung des Plans,
Dem Cajlitenjungen hatte man davon feine Mittheilung ge-
macht, da er aber gemerkt hatte, was man beabfichtige, jo
war er der Mannſchaft ftets auf dem Fuße gefolgt, und
fo wurde auch er mitgenommen. Wie lange man auf dem
Waſſer umbergetrieben jei, dariber hat Pelletier feine nähere
Austunft geben fönnen, nur foviel fteht feft, daß alle unend-
Lich zu leiden hatten, Die einzige Nahrung beftand aus
etwas mit Waſſer angefeuchtetem Mehl und den wenigen
Seevögeln, welde man vom Boote aus gelegentlich erlegte
und im Heißhunger roh verzehrte. Zwei oder drei Tage vor
der Ankunft an der Küſte von Auftvalien ging der Vorrath
an Waller aus; als man endlich am das Yand lam —
es war bei Firft Med Rod Point füdlid) Cap Direction,
130 4’ ſudl. Br, 143032’ öftl. L. v. Gr. —, ſuchte man
vor Allem nad; Waſſer. Eudlich wurde eine Heine Waſſer⸗
lache aufgefunden, der geringe Borrath aber von denjenigen,
welche ihm entdeckt hatten, vollftändig verbraucht. Unſer
Gajütenjunge war nicht unter diefen GEllicklichen; feine von
den fcharfen Klippen verwundeten Füße hatten ihm ben
Dienft verfagt, Don Hunger, Durjt und Anftrengungen
ermattet war er umgefunfen. Der Gapitän und feine acht
Leute, welche durch den Trumf geftärkt waren, kehrten zu dem
Boote zurlick und fegten — ohne den Eajlitenjungen —
die Reife fort. Man hat jpäter erfahren, daß fie Neu—
caledorsien erreicht haben. Der Capitän erjtattete auch Be-
richt über ben Berluft des Schiffes, fchilderte die erbuldeten
leiden, erwähnte aber ber Zurlidlaffung des Narcifie Pelle
tier mit feiner Silbe.
Das Schickſal des halbverſchmachteten Cajlitenjungen
hing an einem Faden; er war dem Tode nahe und wurde
nur dadurch gerettet, daß die Eingeborenen die Fußſpuren
der Fremden emtderften umb bei diefer Gelegenheit den hulf⸗
loſen Europäer auffanden. Sie reichten ihm einige Nah:
125
rung (Nüffe) und nahmen ihn, nachdem er ſich erholt, mit
zu ihrem Stamme. Hier hat derjelbe die ganze Zeit, alſo
eine Reihe von 17 Yahren, gelebt, bis er — wie erzählt —
wieber aufgefunden und nad Somerfet gebracht wurde. Vou
hiey aus ift er auf dem Dampfer Brisbane nad) Neufee-
land an ben dortigen frauzöſiſchen Conſul befördert worden.
Narciſſe Pelletier ift ein Heiner unterjegter fräftiger
Menſch. Die Sonne hat feine Haut röthlich braun gefärbt,
beſonders zeigt fein Geſicht den vothbraunen Sonnenbrand.
Er liebt die Heinlichkeit, wie er denn fagt, daß auch feine
ſchwarzen Freunde reinlich feien, während er die Chinefen
verädhtlich: ſchmutzig wie „Schweine“ nennt.
Auf feiner Bruft find zwei wagerechte Streifen etwa
von ber Stärke eines Bleiſtifis fichtbar; der eine reicht von
einer Bruftwarze zur andern, ber zweite ift kürzer und Liegt
unter bem erftern. Auf jeber Seite ber. Bruft und ebenjo
auf dem rechten Oberarm trägt ev außerdem nod) Zeichen,
welche wie mit einem Eifen eingebrannt ſcheinen. Sie find
aber mit Scherben von an ber Küfte aufgefundenen Flaſchen
eingefchnitten, und dadurch fo ſtark hervorgetreten, daß man
die frijhen Wunden wiederholt aufgeriffen hat. Ein folches
Zeichen befteht aus vier kurzen Strichen, um welde ein
Kreisläuft. Diefe Narben dienen — fo fagte Pelletier —
lediglich als Schmud und ift er jelbft Bi biejelben einft
ſtolz geweſen.
Bei ſeinem Auffinden trug er in dem Ohrlappen ein
einen halben Zoll ſtarkes und vier Zoll langes Holzſtäb⸗
chen, während ber Ohrlappen wohl zwei bis drei Zoll hinabs
hing. Mit befonderm Vergnügen theilte er mit, daß bei
einigen Eingeborenen die Ohren bis zu den Schultern rei)
ten. Seine Anfhanungen in biefer Hinſicht haben ſich in»
beffen bald genug geändert; wenigftens erklärte er ſchon
einige Tage mac feiner Ankunft auf dem „Brisbane“: es
fchiene ihm gerathen, den untern Theil feines Ohrlappens
abzuſchneiden, da berjelbe wohl micht „recht“ fei.
Seine Nafe war ebenfalls durchbohrt. In der Deffnung
trug er ein Stüd Perlmutterſchale.
Anfänglich Hatte er fich bei den Wilden ſehr unglüdlich
gefühlt, oft an feinen Vater, feine Mutter und feine Ge:
jcwifter gedacht und fich nach ihnen gefehnt, allmälig aber
habe er ſich in fein Schickſal gefunden und ſchließlich ſich
als einen Genoffen ded Stammes angefehen. Niemals habe
er einen Berſuch zur Flucht gemacht, da es ihm unmöglich
ewejen fei, fich eim Fahrzeug zu verſchaffen. Dft feien
Schiffe an ber Küſte vorlibergefegelt; dann hätten aber bie
Eingeborenen es ihm nicht geftattet, fi den Schiffen zu
nähern, fondern ihn gezwungen, ſich in das innere Yand zu
begeben.
Unaufgeflärt ift es geblieben, weshalb man ihm nicht
auch ben Bliden ber Manuſchaft des Schoners „Yohn Bull“
entzogen hat. '
Wie bemerkt, konnte er zu Anfang fein Wort fprechen,
aber mit bewundernswerther Schnelligkeit hat fi) fpäter
fein Gedächtniß aufgefrifcht. Auch in den erften Tagen fei«
ner Anweſenheit auf dem „Brisbane“ wurde es ihm noch
ſchwer, die Ausbrüde zu finden, aber es war amlifant zu
jehen, wie ein Wort nad) dem andern auflebte. Im kurzer
Zeit ſprach er geläufig Franzöſiſch, ſchien aber in gleichem
Maße die Sprache der Eingeborenen zu vergeflen. Nur
etwa 100 Worte aus deren Sprache waren aus ihm heraus:
zubefommen und wurden von dem Lieutenant Ottley aufs
gezeichnet.
Eine merkwirdige Erfcheimung ift es, daß während er
die Mutterfprache fo gut wie ganz verlernt, die Wertigkeit
zu leſen und felbft zu fchreiben fich bei ihm erhalten hatte,
ungeachtet diefe während 17 Jahren von ihm nicht gelibt
126
worden war. Während der ganzen Zeit hatte er fein Buch
geiehen, noch weniger eine Zeile gefchrieben. Die Schwar-
zen hatten felbftwedend feine Idee von feiner Wertigfeit und
er jelbft hat wohl fchwerlich mehr daran gedacht.
Schon vor feiner Ankunft auf dem „Briebane“ hatte
ſich die Erinnerung dadurch) belebt, daß er die Nanıen auf
Booten und Schiffen anſchauie und verftchen lernte. Seine
Fortſchritie wurden immer ſchnellere. Einen großen Theil
bes Tags verwandte er zum Leſen, indeſſen fcheint es zweifel⸗
haft, ob er, was er las, auch begriff.
Im Allgemeinen zeigte er Berftändnig, andererfeits aber
auch viel Kindlichteit. Alles, was er von Anderen jah,
verjuchte ex augenbliclich nadyzuahmen”
In der Regel war er heiter und fröhlich, aber gelegent:
lich überlam ihn — ohne allen erfennbaren Grund — eine
gewiſſer Ernſt und einetiefe Traurigkeit. Dann jeufzte er ſchwer
umd zeigte ganz die unruhigen Bewegungen und Manieren
eines Wilden.
In der erfien Zeit konnte er nur bis 79 zählen. Bon
dieſer Zahl fprang er unmittelbar zu 100 über (soixante-
dix-neuf — cent), Wie er mittheilte haben die Schwar-
zen für Zahlen feine Namen, fondern nur Zeichen bis Zehn
in der Weife, daß fie verfcjiedene Theile ihres Körpers
berühren.
Ueber den Capitän des „St. Paul“ beflagte er ſich bit-
ter, daß er ihn verlafjen habe, andererjeits ſchien er auch große
Furcht vor ihm zu haben.
Mit befonderer Yiebe ſprach er von feinen Eltern und
feiner ganzen Familie, war aber zugleich davon überzeugt,
daß fie alle, insbefondere auch ſchon fein jängfter Bruder, ges
ftorben feien. Es hatte faft den Anfchein, ald ob ev während
feines Aufenthalts unter den Wilden dad Maß flir die
Zeit verloren habe, wenigftens hielt er ſich für ſehr alt,
ungeachtet er in Wirklichkeit erft 30 Jahre zählte, Er ver:
ſchweigt es nicht, daß er gern bei den Wilden geblieben wäre,
und obgleic, er mit feiner Nüdkehr von bort einverftanden
ift, fo ſcheint er doch im feiner Weife glüdlicher oder zufrie-
dener zu fein.
Der Name des Stammes, welcher ihn aufgenommen
halte, ift Macadama. Derfelbe hat feine befondere Häupt-
linge. Alle erwachjenen Männer haben gleiche Rechte. Er
fagte, daß jie ſtark und fräftig feien, filgte aber unmittelbar
mit einem gewiſſen Stolz hinzu, daß auch er ftark und felbft
ftärter als die Wilden gewefen fei; andererfeits aber ers
fannte er wieberum an, daß wenn er auch ein guter Schwim ⸗
mer und Taucher fei, fie ihm doch darin bei Weitem über-
troffen hätten.
Die Nahrung der Schwarzen befteht hauptſächlich aus
Fifchen, Schildkröten, den Eiern von Schildkröten und Allis
gatoren, Wurzeln und einigen Baumfrüchten. Celten ge»
lingt e8 ihnen, fonft ein Thier zu fangen. Die Haupt:
beihäftigung der Männer ift Fiſchfang, während die Frauen
die Wurzeln fuchen und glüdlic find, wenn fie Honig von
wilden Bienen finden. In der Kunſt des —— haben
fie es nicht weit gebracht. Noch kennen fie feine Netze und
feine Angel. Die größeren Fiſche tödten fie mit der Har ⸗
pune, welche fie aus ihren Booten werfen, die Heineren ftechen
fie mit einem Speer, welder eine dreigetheilte Spike hat.
Ihre Boote arbeiten fie unmittelbar aus dem Baun-
ftamme ſelbſt. Dazu bedienen fie ſich einer Art Meſſer,
Siebenzehn Jahre unter auftraliihen Wilden.
welche fie aus den eifermen Bänden der an die Küfle ge:
worfenen Tonnen anfertigen. Aus dieſen Bänden machen
fie auch die Spigen ihrer Speere und die Hafen ihrer Hars
punen, Narciffe Pelletier rühmte ſich, zwei folder Boote
angefertigt zu haben,
Die Zahl der Frauen fcheint größer ald die der Män—
mer zu fein, wenigftens bat jeber Mann zwei bi® fünf
Frauen in feinem Geſolge. Die Stellung diefer ift eine
fehr untergeordnete. Während man für Mann, Bruder,
Sohn befondere Worte Hat, giebt es für Frau nur ein Wort :
Beycheynumma, welches zugleid Frau, Mutter und
Tochter bedeutet, Flir Ehemann und ebemfowenig für Eher
frau giebt e8 einen Ausdrud, Die Verbindung der Ges
fchlechter ift rein thierifcher Art. Der Stärkere hat das
Recht auf die Frauen. Oft giebt der Befig einer Frau
Beranlaffung zu harten Kämpfen zwifchen den Männern,
aber aud) unter den frauen kommt es zu heftigen Streitig«
feiten um ben Befig eines Mannes, Immer Liegt diefen
Kämpfen Eiferfucht zum runde. Sie erfolgen regelmäßig,
wenn ber Mann einer ber rauen einen entſchiedenen
Vorzug ſchenkt.
Die Männer tragen gar feine Kleidung und nehmen
auch in der Nacht feine Dede irgend einer Art. Die Frauen
beffeiden ſich auch nur mit einem leichten Flechtwerk aus
Daft, weldyer von der Bruft bis etwa an die Knie reicht.
Häufer kennt man nicht, nicht einmal Hütten, Bei
Regenwetter wird Zuflucht unter den Zweigen dev Bäume
oder an einem gefchlisten Play gefucht. Pelletier verficherte,
daß die Leute micht durch Froſt litten, weil fie ftets ihr
Teuer brennend erhalten. Am Bord des Schiffes fühlte er
fid) unbehaglich und Falter Wind war ihm befonders unans
— ie alle Wilden verſtaud er die Kunſt, durch
eiben zweier Hölzer Feuer anzuzlinden.
Die Eingeborenen leben — nad) Pelletier’8 Angabe —
unter ſich jehr frieblih. Niemals hat er gefehen, daß ein
Stammesgenofje den andern töbtete, dagegen kämen Kämpfe
unter den verjchiedenen Stämmen vor. An einen folchen
Kampf Hat er felbft Theil genommen. Der Stamm der
Echaus habe nämlich, einige Männer der Macadamas ge:
töbtet gehabt. Dafür hätten diefe Mache gelibt, die Echaus
in einer regnigten Nacht im Schlaf überfallen und eine grö-
here Anzahl niedergemacht. Er felbft habe zwei Echaus mit
dem Speer getödtet.
Bon einem höhern Weſen haben die Eingeborenen feine
MNee; für Religionsübung auch feine form.
Die Todten werden mit Striden auf den Zweigen eines
Baumes oder eimem rohen Geftell von Holz befeftigt den
Strahlen der Sonne ausgeſetzt und trodnen zu Mumien aus,
Pelletier bezeichnet die Behandlung, welde ihm die Wil
den haben angedeihen lafjen, als eine fehr freundliche, und
er glaubt, dag fie auch gegen alle ibrigen Weißen nicht
anders handeln wilrden. Bor diefen felbit haben fie feine
Furcht, aber defto größere vor ihren Feuerwaffen.
Sie find feine Menfdjenfreffer und Pelletier vermuthet,
daß es alle in diefer Gegend lebenden Stämme nicht find.
(Mogegen jedoch manche andere Erfahrungen ſprechen.)
chließlich erzählt ex, daf er gehört habe, daß noch ein
Weißer lange Jahre auf der Juſel gelebt, aber bei einem
Fiſchzuge ertrunten fei. Gefehen habe ex den Mann nicht,
aud) fünne er die Zeit nicht angeben, wann er geftorben fei.
Aus allen Erdtheilen.
127
Aus allen Erdtheilen.
Deutihe Entdedungen am Sübpof.
Diefe Ueberfchrift führt das Polarbillletin Nro, 111,
welches der in arktiichen wie antarktiichen Dingen gleich un:
ermüdlihe Prof, Petermann ſoeben andgegeben hat und
dem wir nachjtchende intereffante geographiiche Nenigkeit ent:
nehmen. Man wird fich erinnern, daß für die deutſche For—
ſchung am Nordpol Aibert Roſenthal unter allen Freun—
den und Helfern diefer Sache am meiften getban bat, mehr
als Kaifer und Reich; der Kaifer ſpendete für die erſte
deutſche Erpedition 5000 Thlr., für die zweite 2000 Thlr.
(fo viel wir uns erinnern können, denn das Bremer Gomite
bat bis jetzt noch feine Rechnung über die zweite Expedition
abgelegt), aber Albert Rofenthal verausgabte für die For—
ihungen von Dorft, Beſſels, Heuglin mindeftens 31,000 Thlr.
Wie Rofenthal’s Intereſſe und Opfer ſich am Nordpole
von belangreichen Reiultaten, anregend und eingreifend er:
wieſen baben, fo find anch feine Entdedungen am Südpol
feit langer Zeit und unter allen ſeefahrenden Völkern die
erften wieder, die die Erdkunde zu verzeichnen bat. Als
Director der Dentichen Polarſchifffahrtsgeſellſchaft in Han:
burg veranlaßte er die Ausfendung einer von diefer Gefell-
ſchaft ausgerüfteten Expedition, bie fich im ben Jahren 1873
bis 1874 nad dem füdlichen Eismeere begab, von deren
geographifchen Refultaten die geographiihe Welt indeß bis-
ber nicht mehr erfahren hat, als im ber let erfchienenen Lie:
ferung der neuen Ausgabe von A. Stieler’s Hand-Itlas von
Petermann publicirt worden ift. Wir verweilen befonders
auf den Special-Garton der Süd-Shetland- und Süd-Orkney:
Juſeln im Mafiftabe von 1: 10,000,000, jenes Kartenblattes,
anf dem dieje neuen Entdetungen in größerm Maßftabe
verzeichnet find, ala auf dem Hanptblatt,
Das Schiff „Grönfand* der Deutichen Polarichifffahrts:
geiellichaft war unter dem Commando des Capitän Dall:
mann am 22. Juli 1873 von Hamburg aus in See gegan-
gem, durchfuhr den Mord: und Südatlantiſchen Ocean und
drang alsdann jüblich vom Cap Horn ins Eismeer ein.
Bier hatte der engliſche Walfifchfänger Biscoe im Jahre 1832
eine nach ihm benaunte Inſelgruppe entdedt, und dahinter
ein ausgedebntes hohes Land, Graham Land gemanmt,
Dafjelbe war jedoch bisher in allen englifchen Admiralitätd-
und anderen Karten nur durch eine 4 bis 5 Breitengrade
durdlaufende Küftenlinie roh amgedentet geweſen. Capitän
Dallmanıı mit dem deutichen Schiff verbanfen wir dem erften
genauern Aufſchluß über einen Theil diefes ausgedehnten
Lande. Er drang über die Stelle vor, wo nad Biscoe
die Küftenlinie ſich befand, Tief im einen Hafen ein, jetzt
Hamburg-Hafen genannt, entdedte, wo Biscoe zufammen:
bängendes Laub vermuthet hatte, eine 15 bis 18 Seemeilen
breite Strafie (Bismard-Straße), die fich awifchen hohen
Ufern weithin erftredte, fo weit bad Auge reichte, und davor
einen gegen 60 Seemeilen ausgedehnten Archipel von Infeln,
denen der Name Kaifer- Wilhelm: Anfelm beigelegt
wurde. Zwei andere tief einjchneidende Buchten und Inlets
nebſt vielen anderen Iuſeln wurden entdedt und auf der
Karte niedergelegt. Die Details find auf der angeführten
Karte erfichtlich.
Europäifhe Wiſſenſchaft in Siam.
Arthur Schufter, welcher an ber Beobachtung ber
totalen Sonnenfinfterniß in Siam Theil nahm, ſchreibt über
das Intereſſe, welches die Siamefen an europäiſchen Wiſſen—
ſchaften zu zeigen beginnen, folgendermaßen au die englifche
Woöchenſchrift „Nature*: „Auf unferm Wege nach dem Ob:
fervatorium, welches in Bangtelne errichtet war, mußten wir
uns 24 Stunden in Bangkok aufhalten, bis der Dampfer zu
unſerer Weiterbeförberung bereit war. Zufällig fam am bie-
ſem Abend die „Fung-Siamefiiche Gefellichaft" im das Haus,
wo twir und verfammelten, und ich wurde von den Mitalie-
dern erfucht, eine Borlefung über Spectralanalyfe und ihre
Anwendung bei Sommenfinfterniffen zu halten. Herr Mlaba-
fter fungirte als Dolmetſcher. Die Siamefen hörten mit der
größten Aufmerkſamkeit zu und mach den Fragen zu fchlie-
fen, die fie am Schluſſe der Vorlefung am mich richteten,
batten fie die Sache völlig verftanden. Es giebt ein ins
Siameſiſche überſetztes Lehrbuch der Chemie, in bem fie ſchon
über Speetralanalyje gelefen batten. Gegenwärtig iſt Se.
fönigl, Hoheit Tſchau fa Maha Mala, Obeim des Königs,
der Hauptaftronom in Siam. Er zeigte mir die Methode,
wie er die Zeit und Daner der Somuenfinfterniß für Bang-
fof beftimmt hatte.
Am Tage der Sonnenfinfterniß wurden mehrere Tele:
llope, deren eines Herr Janffen dem Könige geliehen, vor
dem Palafte auf der Wiefe aufgeftellt. Die genaue Zeit des
Ein: und Austritts für Banglof war von Herren Mlabafter
und Eapitän Bush beftimmt worden. Als die Totalität nahe
war, hielt der König eine Anrede an die Mitglieder feiner
vollzählig verſammelten Familie und erläuterte ihnen, warum
man Sonnenfinfterniffe beobachte und fo viel Geld für diefen
Zweck ausgebe. Seine Majeftät beobachtete die Corona und
die Protuberangen dur ein Teleſtop, fehrieb eifrig nieder,
was er ſah, und zeichnete eine Skizze der Protuberanzen.
Einem der Bringen hatte er den Auftrag gegeben, eine Photo:
graphie der Corona zu nehmen. So erhielt man zwei Bhoto-
grapbien, welche keineswegs jenen machftanden, die im enro-
puiſchen Objervatorium von Bangtelue bergeftellt waren. Die
Driginalnegative find nach England ala Geſchenk des Königs
an die Royal Society gefandbt worben.
In unferm Lager zeigten die Sinmefen ein großes In—
terefie an der Verfinfterung. Der Eifer, mit welchem der
Erregent durch das Teleſtop ſchaute, comtraftirte in charal⸗
teriftifcher Weije mit der Gleichgültigkeit feines europätichen
Secretärd, welcher während ber Totalität zu Bette ging.
Der König von Siam erflärte uns, daß er fich nicht für
einen Aftronomen ausgebe, und ich war daher fehr erftaunt,
als ich jpäter wahrnahm, daß er während feiner Reife nach
Galcutta Beobachtungen mit dem Sertanten gemacht und bie
Vofition ded Dampfers beftimmt hatte.
Doch erftredt ſich der wiſſenſchaftliche Geſchmack der Sia-
mefen nicht bloß auf Aſtronomie. Wangna, der zweite Kö—
nig, ift ein Mineralog; die Gegend, im welcher er Icht, gicht
ihm vollauf Gelegenheit, feinem Lieblingsftubium nachzu⸗
tommen. Er befist eine große Mineralienfammlinug und
bat eim hübſches chemiſches Laboratorium, in welchem er
Analyfen macht.
Sehen wir num, was die Siamefen alles noch fiir die
Wiſſenſchaft thun wollen.
Der König hat Dr. Gowan damit beauftragt, ein Ob-
fervatorium zu erbauen, in welchem Barometer: und Ther⸗
monteterbeobachtungen gemacht werden follen. Ebenfo follen
Fluth: und Regenmefiungen amgeftellt werben. Bon Eng:
land aus find verſchiedene Teleflope und Spectroffope nach
Siam unterwegs. Im Palaft will man ein chemiſches Las
boratorium errichten. Des Königs Leibgarde wird von Herrn
Mabafter in Aufnahmen des Landes unterrichtet.
Das Alles zeigt, daß die Sinmefen ein großes Intereffe
für die Wiflenichaften begen. Die Leichtigkeit, das Schwier
rige zu überwinden, ftellt ſich mit der großen Liebe zur Sache
128
fchon ein und fo wollen wir hoffen, daß die Siamefen nicht
nur als Dilettanten fich den Wiſſenſchaften bingeben, ſondern
ernft mit denfelben befallen. Viele von ihnen wollen nad)
Europa gehen, um bort zu ftubiren.
Einnahmen ber Kulis in den britifhen Befigungen.
In der Parlamentsverbandlung vom 19. Juli dieſes
Jahres gab der engliiche Colonialminifter Earl Carnarvon
folgende Erklärung über die Lage der Kulis in dem britischen
Befigungen in Folge einer Jnterpellation ab:
Somohl auf den Schiffen wie aud in ben Colonien,
wohin fie geführt werden, genießen die Kulis ganz befondern
Schuss, unter dem fie ſich trefflich befinden. Unter allen Um: |
ftänden fei ihnen freie Rückfahrt geſichert; in vielen Fällen
machten fie indeilen von diefem Mechte keinen Gebrauch, fon:
dern blieben lieber in der neuen Heimath, was ganz erflär-
lich fei. Ju Indien oder China verdienen fie täglih 1 Benny
Inhalt: Im Siebenbürger Goldlande,
(Mit drei Abbildungen.) —
Aus allen Erdtheilen.
bis 2 Pence und feien damit dem Hungertode nahe; im dem
Eolonien verbienen fie dagegen 1 Schilling und darüber.
Wie wohl fich die Kulis bei der Arbeit in den Colonien bes
finden, geht daraus hervor, daß 5. B. im Jahre 1874 2100
Kulis von Britiſch-Guianag nach der Heimath zurüdtehrten
| und 64,000 BF. St. in Gold mitnahmen; 1872 kehrten 92
zurüd und mabmen 24,700 Bf St. mit. Aus Trinidad
fehrten 1872 400 Kulis mit 11,500 Pf. St. heim, 1874 330
mit 10,000 Pf. St. Ueberdied waren 46,000 Bf. St., den
Kulis gehörig, in der Bank niedergelegt. Aus Mauritius
fandten Kulis im Jahr 1872 24,000 Pf. St. nach der Hei:
math; 1873 kehrten 619 heim und nahmen 8500 Pf. St. mit.
In dem Zeitraum von 1860 bis 1871 haben Kulis in Man:
ritin® die gewaltige Summe von 93,400 Pf. St. in Grund—
befis angelegt. — Solchen Thatſachen gegenüber ift das
Geſchrei von Kulimißhandlung wenig am Plate. Uebrigens
gab der Minifter zu, daß einzelne Mißbräuche vorkommen ;
namentlich jei die Behandlung der Kulis auf portugiefiichen
Schiffen nit immer die befte.
Sefchichten aus Alt-Iapan. I. Mit einer
Abbildung.) — Streifzüge im füdlichen Norwegen. Bon Dr. David Brauns. VI (Schluß) — Kleinruſſiſche biftorifche
Gedichte. — Auf dem Markte zu Berbera. —
Siebenzehn Jahre unter auftralifchen Wilden. — Aus allen Erdtheilen:
Deutiche Entdedungen am Sidpol. — Europäifche Wiſſenſchaft in Siam, — Einnahmen der Kſtulis in den britifchen Ber
fitungen. — (Schluß der Rebaction 10. Anguft 1875.)
Srrausgegeben von Karl Anbree in Leipzig. — Bür die Nebaction verantwortlich: H. Vieweg in Braunſchweig.
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunfehweig.
Wir bringen den Lesern des Globus die Trauerkunde von dem am
10. August erfolgten Hinscheiden des hochverdienten Begründers und
Herausgebers dieser Blätter, unseres treuen Freundes
Dr. Karl Theodor Andree.
Er starb in Wildungen, wo er Heilung von längeren Leiden hoffte,
im 67. Lebensjahre.
Den Globus hat er ununterbrochen während seines
vierzehnjährigen Bestehens redigirt bis zur heutigen Nummer, die von
seinem Sterbebette aus abgeschlossen wurde.
Später bringen wir einen ausführlichen Nekrolog.
Braunschweig, den 12. August 1875.
Friedrich Vieweg und Sohn.
De er /a
{ y
Band xXvın OST Nr
Mit befonderer Berüchfichtigung
©
In
der Anthropologie und Ethnolomie.
Verbindung mit Fahmännern und Hünftlern begründet von
Braunschweig
Bir wilfen, daß in den Jahrhunderten vor unferer
Zeitrechnung das zahlreiche Volk der Dafen in Siebenbürgen
wohnte, deſſen Herkunft noch nicht zweifellos erforicht ift,
das aber wahrfcheinlich zum feltifcen Stamm gehörte, Ihr
Neid) erftredte ſich bis am die
untere Donau und das Yand
warb nach ihnen Dafia ger
heißen. Sie drangen fogar
häufig raubend und plüns
bernd Älber den Strom und
ans diefenn Grunde jowie aus
dem frieblihen Haudelsver⸗
fchr, der mit dem fikblichen
Nachbarn beftand, erflärt es
ſich, daß fo viele griechiſche
und altrömiſche Münzen bis
auf dem heutigen Tag in
Siebenbürgen gefunden were
den. Am mächtigften war
das dakifche Reid, am Ende
des erſten Jahrhunderts.
Delebalus, der König deſſel⸗
ben, fchredte eine Zeitlang
fogar das gewaltige Welt
volf der Römer. Da beftieg aber der muthige ftreitbare
Zrajan ben römifchen Kaiferthron; mit großer Heeresmacht,
darunter auch deutſche Schaaren,
fönig und überwand ihm im zwei
Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlih 4 Nummern. 1875
Preis pro Band 12 Mark, Einzelne Nummern 50 Pf. ⸗
Römiſche Ueberreſte in Siebenbürgen.
Karl Andree.
Romiſche Wachoſchreibtafel.
eldzligen alſo, daß De⸗ demſelben.
wurde nun eine Provinz des großen Römerreichs (106 n.
Chr.) und der Name der Dafen verſchwindet aus der Ge—
ſchichte. Noch ftehen aber im Muntſcheler Gebirge in der
Nähe des Hazeger Thales, in raufer faft undurchdringlicher
Wildniß auf Hohen Berg—
fpigen und an jähen Abhäns
gen gewaltige Burgtriiummer,
dakifcher Hände Werk, und
faft alljährlich geben gehein
nigvolle Hiigelgräber, ja
felbft die Furchen des Aders
unter der Urbeit des Pflugs ’
bronzene Streitärte, Speer:
jpigen, Meſſer, Eicheln und
mannicfaches anderes Ge:
räth and Tageslicht, deijen
Anfertigung und Gebrauch,
den Dafen zugejchrieben wird,
Die Römer bemächtig:
ten fich des eroberten Yandes
und riefen zahlreiche Anficbs
ler aus ihrem ganzen Reiche
in daflelbe, auf daß römiſche
Bildung die Barbaren zähme.
Auch germaniſche Stämme wurden jpäter auf dem eroberten
Boden augefiedelt. Roömiſche Beamte verwalteten das Yand,
og er gegen den Dafen- | römiſches Kriegsvolk befchligte es, römiſches Gefegt galt in
Die neuen Herren, bie eifrig die Schäße des
febalus verzweifelnd ſich jelbjt das Yeben mahın. Dalien Landes, Salz und Metalle, gewannen — 280 Pfund reis
@lobus XXVIll, Wr. 9,
17
13 Römijche Ueberreite in Siebenbürgen.
nes Gold floß wöchentlic, im die faiferliche Schagfammer —,
Iegten viele neue Pflanzftädte an und verbanden fie durch
ftarfe Sunftftraßen, deren Spuren man noch findet. Die
Hauptftadt war Ulpia Trajana, an der Stelle der daliſchen
Königftadt Zarmizegetkufa, im Hazeger Thal, wo jebt das
arme wallachiſche Dorf Grediſchtje liegt (diefer Name ift
harter römischer Knechtſchaft. Kaiſer Aurelian endlich
räumte das von allen Seiten durd; Barbaren bedrohte Yand
(um Jahre 274), führte die Nömer, die Truppen ſowohl als
die Provinzialen, hinweg und jiebelte fie am rechten Donau⸗
ufer im obern Möjien an, das von num an den Namen
Dalia führte. Die römische Bevölkerung und römiſche Bil
dung im alten Dafien hörte völlig auf; nur Trümmer
ſlaviſch und bedeutet Burg). Weit verbreitete Trlimmer von
bemooften Mauern und Gewölben, Heberrefte von Tempeln
und Amphitheatern, Spuren von Wafferleitungen, zahlreiche
Infchriftfteine und Bildfäufen fprechen noch jeßt von dem
alten Glanz ber Hauptftadt.
Yänger als anberthalbhundert Yahre blieb Dalien in
—
18 Trajau's Zeit im eine Kirche verwandelt,
blieben zurlld und nicht einmal ein römiſcher Städtenamen
hat ſich im Bollamunde erhalten. (Teutſch, Geſchichte der
Siebenbürger Sachſen I, 5.)
Der fitweitlihe Winkel des Yandes, welcher die mei
ften römifchen Ruinen birgt, und zumal das Thal des Steel,
ift reich an ihnen,
Und neben bie Ueberrefte aus der Römerzeit ftellen ſich
Nömifche Ueberrefte in Siebenbürgen.
gerade in diefem Winkel Siebenbürgens Nuinen aus dem
Mittelalter, die gleichfalls für die Geſchichte des Landes von
hoher Bedeutung find. Im einem ber Geitenthäler der
Maros erhebt fid) auf ſteilem Kaltjeljen die maleriſche Burg,
weldye nad) dem berühmten Hunyadi benannt ift, zwar
arg zerfallen und vom euer befchädigt, aber noch immer
von großartigen Verhältniffen und immponirend durch die
gewaltigen mächtigen Formen. Am Fuße des Felſens, auf
dem die Burg fteht, vereinigen fich zwei Fluſſe, und im be:
deutender Höhe führte einft eine Iuftige Brüde von dem
fteilen Rande nad) dem Eingange zu diefem föniglichen
Sitze. Jetzt ift von alledem nichts mehr vorhanden, als die
Balfen der Zugbrüde unmittelbar vor dem Eingange. Nun
durchfdreitet man große Hofräume und langgedbehnte Gänge,
151
die zu Gemächern mit hohen Bogenfenftern führen, unter
benen das Waſſer in der Tiefe bahinraufcht; man ſchleudert
nad) der nun zerfallenen entweihten Capelle und befichtigt
die großartigen Keller, die einft reiche Vorräthe würzigen
Siebenbürger Weines bargen. Bon der breiten löniguͤchen
Terrafle ſchaut man hinaus weit über die Ebene und je
länger der Blick felbft Über den Ort und bie Landſchaft
fchweift, defto trüiber werben die Gefühle. Es find hier jo
viel Reſte einftiger Pracht und Herrlichkeit, daß es peinlich
iſt, wie das alles ohne Schug und Schirm gelaffen und
ohne die geringfte Fürforge den wilden Naturgewalten preis«
gegeben wird, die an Allem fchonungslos, unausgefegt und
erbarmungslos ihre zerftörende Kraft audliben.
In der Nacht des 12. April 1854 brach hier in einem
— — ⸗
Rumänische Kirche in Zeylfalva (Thurm auf römiſcher Grundlage).
der Thürme Feuer aus und madjte, mit erjchredender
Schnelligkeit ſich ausbreitend, das ſchöne Schloß zu bem,
was es jet ift, zu einer troftlos öden Stätte. Da und
dort wurde eim Nothdach errichtet um den Regen einiger
maßen von den Gemächern im Innern abzuhalten; aufer-
dem iſt aber nichts geſchehen. Es befindet ſich hier ein
prachtvoller gewölbter Kitterfaal mit ſteinernen Säulen fei-
ner ganzen Yänge nad), der im Jahre 1452 erbaut wurde.
Feuchtigkeit und Schnee dringen durch die Fenſter ein und
der von oben herabfidernde Regen lodert das Geflige der
Steine. Stid auf Stüuck föft ſich und fällt ab. Wahrlich,
es ift ein Jammer, aber auch eine Schande iftes, daß dem fo
fein fann. Wird dem nicht abgeholfen, fo ftlrzt das Ganze
zufammmen. Dank dem teuer, welches in manchen Gemächern
die Kallſchichten des Bewurfs loslöfte, famen Figuren und
Landfchaften zu Tage, mit denen unfprünglich die Wände
bemalt waren. Aber auch fir die Erhaltung diefer interefr
fanten Werke geſchieht nichts und jo ericheint Vayda Hunyad
als eine troftlofe Nuine, die ihren gänzlichen Verfall ent»
gegengeht. Hier kann man beobachten, wie ein ftolzer Bau
gänzlich zu Grunde geht und hier wird uns Mar, wie aus
einem fröhlichen, einft mit aller Pracht ausgeitatteten Site
ein fahles, ödes Gemäuer werden fann, am dem nichts mehr
übrig ift als der nadte Stein. Ein anderes gleichfalls in
Nuinen liegendes Schloß diefer Gegend ift das berühmte
Deva im Marosthale.
Südlid) von Deva führt die Eifenbahn an dem alten
Thurm von Zeykfalva vorliber, der, römischen Urſprungs,
in einen wallachiſchen Kirchturm verwandelt wurde. Ebenfo
verhält es fich mit dem Kirchthurm von Voldogfalva am
17*
132
Eingange der reichen Hazeger Ebene, Etwas weiter nad)
Dften, im GSeitenthal von Demfus, ift gleichfalls ein alt
römisches Maufoleum aus Trajau's Zeit in eine chriftliche
Auch das erwähnte Zarmige:
Kirche umgefchaffen worden.
— — —
Schloß Vayda Hunyad in Sieb
cultivirte Hazeger Thal. Um ihm aufzuhelfen ließ die Re—
gierung eine Zweigeifenbahn hier bauen, hauptjächlich in der
Abfiht um dem wirflic großartigen Steinfohlenreichthum
der Gegend Abfag zu verſchaffen. Ihr Hauptfundort iſt
— —
enbürgen.
Romiſche Ueberreſte in Eiebenbürgen.
gethufa lag in diefer Gegend, das eiferne Thor, den Eingang
des Yandes von Welten her, überwachen.
Da, wo einjt all dieſe römische Herrlichkeit ſich brüfiete,
fehen wir heute das wohl bevölferte, aber arme und ſchlecht
Nach einer Photographie.
Petrofeng. Diefe Eifenbahn wird hoffentlich wieder Yeben
in das einft fo reiche Land bringen und die altın Römer:
ruimen werben dann nicht mehr in die traurige Hazeger
Ebene, fondern in ein reiches Inbuftrieland hinein fchauen.
——
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4 — —
Thurm aus der Römerzeit im Stralthale bei Hazeg. (Südweſtl. Siebenbürgen.)
As römische Alterthümer von ber allergrößten Selten-
heit gelten die Wachsfchreibtafeln, welche im Klauſenburger
Mufeum aufbewahrt werben. Im Jahre 1855 fließen die
Bergleute in den Kirnilminen bei Berespataf auf einen alten
Schacht, der feit Jahrhunderten verlafien und zugefchlittet
war. Das legte lebende Weſen, welches hier unten gear
beitet hatte, war ein röntifcher Soldat gewejen. Von jener
Zeit an bis zu dem Tage, an weldyem der Schacht von
Neuem geöffnet wurde, war alles genau fo geblieben, wie es
der leiste Arbeiter hier verlaffen. Bei feinem Cintritte in
den Schacht entdedie der moderne Bergmann, während er
. beim Scheine des Grubenlichts den Ort durchfuchte, Meine
Geſchichten aus Alt-⸗Japan. TI. 133
auf dem Boden —— Holztäfelhen. Wie ſich herausſtellte plare folder Triptychen find bisher aufgefunden worden;
waren fie unzweifelhaft das Notizbuch des römischen Berg: | 1. Protofoll betreffend die Auflöfung eines Yeichenvereins im
bauauffchers, der fie hier entweder verloren oder vergefiem | Jahre der Stadt 919 (167 n. Chr.) Diefe Urkunde befin«
hatte. Diefe Triptycha (aus det fi, im Nationalınufeum
drei Täfelen beftchende in Pefl. 2. Vertrag über
Notizbitcher) werben von den Berfauf eines Sklaven
Charles Boner auf folgende (142 n. Ehr.), aufbewahrt zu
Weife befchrieben. Die drei Dlafendorf in Siebenbitrgen.
Theile waren durch Spal - 3. Verkaufsurkunde tiber
tung eines Stüdes Tannen: ein fechsjähriges Mädchen
holz von etwa zwei Zoll (1389 n. Chr). Im Belt,
Stürte gebildet; die Ober—⸗ 4, Schuldſchein über 60 De-
fläche eines jeden Theils nare vom Jahre 162 n. Chr.
war nicht geglättet, bamit fie In Peſt. 5. Urkunde den
beim Zufammenfügen genau Verkauf eines Hausantheils
wieder auf den Spaitfläcen betreffend vom Jahre 159
zufammenpaßte. Dann n. Chr. In Peft. 6, Ein
wurde jedes Täfelhen auf in griechiſcher Sprache ver-
der Innenfläche ein wenig faßter Schuldichein, welcher
ausgehöhlt, fo daß rings» jedoch, dem römiſchen Geſetze
herum ein Rand blieb, ge entſpricht. In Karlaburg.
ade wie bei einer gewöhns 7. Schuldſchein liber ;140
lichen Scyiefertafel. Diefer Denare vom Jahre 162 m.
Rand diente zum Schutze Chr. 8. Bertrag über eine
der auf der Imucnfläche be- Arbeit vom Dahre 164
findlichen Schrift. Die in: n. Chr. 9. Bertragsfchrift
nere Fläche wurde nümlich vom Jahre 131 n.Chr. Die
mit einer dünnen Schicht legteren drei in Klauſen⸗
überzogen, die aus Wachs burg.
und Harz gemifcht war, auf Da diefe Tafeln von
welche dann mit einen Grif⸗ der Atmoſphäre abgefchlofien
fel (Stylus) die Notizen ges tief im Innern des Ber:
fchrieben wurden. Die drei ges lagen hat ſich das Holz
Zäfelhen, nad) moderner berfelben gut erhalten. Gleich
Anſchauung Blätter des Bu- nach ihrer Auffindung wur-
den fie von einem jüdischen
ches, wurden durch eime
Schnur ober einen Riemen, Hänbler erworben, der mit
der durch ein am ande a T eaflaunlicher Gefchidlichteit
jedes Täfelchens angebrach- Burg Koltz in Siebenbürgen, Nach einer Photographie. nnd Genauigkeit Nachah—
tes Loch gezogen wurde, zus mungen davon machte und
ſammengeheftet und bildeten fo ein geſchloſſenes Buch.
Bon aufen war das Ganze hübſch geglättet, jo daß es wie
eins unſerer gebundenen Bücher ausjah. Folgende Exem-—
ein echtes und ein unechtes Triptychum dem britiichen Mu—
ſeum zum Berfauf anbot. Die Fälfchung wurde aber glüd:
licherweife erlannt.
Geſchichten aus Alt-Japan.
11.
Fuchs: und Dachsgefchichten. — Der Geift von Sakura. — Das Schwärzen der Zähne,
Reid find die Mittheilungen des Werkes über den ] heimliche Thiere betrachtet ; aber da die Dachſe audy einen
Überglauben in Japan. Sagen, Fuchſe und Dachſe | Play im Feenlande haben, ift ganz neu. Die Infel Schilolu,
werden mit abergläubifcher Ehrfurcht und Scheu betrachtet. | die ſüdlichſte der großen japanifchen Juſeln, ſcheint derjenige
Dean glaubt, daß fie menſchliche Geftalt annehmen können, | Theil des Reichs zu fein, in welchem dem Dachſe die größte
um die Pete zu beheren, Indeſſen arbeiten fie, wie bie ! Verehrung gezollt wird. Beim Herannahen der Dümme-
Feen im unſeren europäifcen Erzählungen, fowohl flr gute | rung legt ſich der Dachs am einem einfamen Ort auf bie
wie fir böje Zwecke. Wer ihnen einen wichtigen Dienft | Yauer und wartet auf die Wanderer, welche von der Duntel-
leiſtet, verichafft fi im ihnen mächtige Bundesgenoſſen. heit lberfallen werben ; fo wie einer erfcheint, holt das Thier
Uber wehe dem, der ihnen Schaden zufügt! — er und die | tief Athen, bläht feinen Bauch auf und trommelt ſehr Leife
Seinigen werben jedenfalls baflir leiden müflen. Ueber bie | darauf mit feiner geballten Pfote, wodurd; er fo bezaubernde
ganze Welt, ſcheint es, werden Sagen und Füchſe als un- Töne hervorbringt, daß der Wanderer nicht widerſtehen
134
fann, dem lange zu folgen, welcher irrlichtergleich ſich ent:
fernt und dann wieder wie er ſelbſt vorwärts fchreitet , bis
er ihm ins Verderben gelodt hat. Die Yiebe ift jedoch der
mächtigfte Hebel, welden die Kage, der Fuchs und der
Dachs alle gleich oft in Bewegung jegen, um den Menfchen
in Schaden zu bringen. Kein Deutjcher erfann eine Waſſer⸗
nire, die einnchmender gewejen wäre, ald die ſchönen Yung:
frauen, von denen der Ritter der japaniſchen Romanzen ans
gefallen wird: „Der wahre Held erkennt das Ungeheuer und
erjchlägt es; der jchwächere Sterblice giebt nad) und unter-
fiegt.“
Die japanischen Gefchichtenbiicher find voll von Erzäh—
lungen über die Streiche diefer Gejchöpfe, welche wie unfere
„Weiße Frau* felbft in den Annalen alter Adelsfomilien
eine Rolle fpielen.
Als Typus einer Geiftergefchichte wollen wir die Ana—
Infe der Erzählung geben, weldje das Geſpenſt von Sa»
Gedichten aus Alt»Japan, IT.
fura betitelt ift. Sie wirft ein helles Licht auf die ehrlichen,
fleißigen aber oft bedrüdten Bauern und ihr Berhältniß zu
den großen Yandeigenthlimern. Ein Mitglied der vornehmen,
reichen Hottafamilie, Namens Kotfuts no Suts Mafas
nobu, Herr des Schloſſes Sakura, drüdte feine Pächter
durch harte Frohnden und bradite fie dadurd) im die größte
Armuth, jo daß fie ſich endlich auflehnten und beſchloſſen
ihre lagen vor den Taikun zu bringen. An ihre Spite
trat der Bauer Sogoro, weldyer die von den Borftehern
von 1535 Dörfern unterzeichnete Bittſchrift auf offener
Straße dem Herrſcher Überreichte. Der harte Schloßherr
Kotfuls no Sute wurde dadurd) gezwungen fein Verfahren
gegen die Bauern zu ändern. .
Natürlic, entbrannte er nun im Rachſucht gegen ben
Bauern Sogoro, den er ergreifen und fammt Frau und
Kindern am Kreuze fterbem lieg. Sogoro ertrug ald Mär
tyrer die furchtbare, ungerechte Strafe mit dem größten
Der Geiſt von Safıra.
Heldenmuth. Nach feinem Tode aber erſchien er ſammt
den Geinigen dem Tyrannen als nächtlicher Quälgeiſt.
Hierüber gerieth Kotfuts in ſolche Angft und Berzweiflung,
daß er endlich von Neue zerknirſcht dem Geifte jeines Bauern
Sogoro Abbitte leiftete. Die Gefpenfterplage nahm nun
allerdings ab, aber ein anderes Unglüd ftürmte auf Kotfute
ein. Er töbtete im Ötreite einen Edelmann des Taifun,
mußte als Hochverräther flichen und wurde zum Berlufte
feiner Siter verurtheilt. Im feiner Herzensangft und als
er erfannt, daß er num die gerechte Strafe für die Hinrich—
tung Sogoro’s erleide, wandte er ſich an das firdjliche Ober-
haupt, den Mitado, mit der Bitte Sogoro zum Yandesheiligen
zu erflären. Dies gefhah und Kotjuls errichtete feinem
Bauer einen Tempel, zu dem alle Yeibeigenen zu wallfahr«
ten begannen. Nach diefer großartigen Sühne wurde Kot
futs no Sufö wieder zu Önaden angenommen und in den
Genuß feiner Güter eingefegt. Dieſe Erzählung, die nicht
ohne ſocialiſtiſchen Beigeſchmack ift, gehört zu dem belieb-
tejten in Japan,
Sehr zahlreic find die wertvollen Commentare Mite
ford's in dem Buche, die Überall den meifterhaften Sad):
fenner verrathen, So giebt er nad) jeltenen Manuſkripten
Mittheilungen über die Gebräuche bei der Geburt; er er-
läutert mit großer Genauigkeit das Harafir oder Baudj-
aufjchligen und weiht und in die Toilettengeheinmiffe der
japanifchen Schönen ein. Intereſſant ift, was er über das
Schwärzen der Zähne fagt.
In den oberen Claſſen ſchwärzen die jungen Damen
ihre Zähne gewöhnlid) bevor jie ihres Waters Haus ver-
laffen und in das ihres Gatten eintreten, und fie vervoll-
ftändigen diefen Act durch das Wegrafiren ihrer Augenbrauen
unmittelbar mad) der Hochzeit oder dody jedenfalls nicht
fpäter als bei Gelegenheit ihrer erſten Schwangerſchaft.
Der Urfprung diefes Gebrauches ift dunfel. Zum Bes
F. Nd. v. Roepftorff: Fin Beſuch auf den Nilobariichen Inieln.
weife, daß er ſchon vor dem elften Fahrhundert n. Chr. ©, !
eriftirte, citirt ein merkwürdiges Buch, betitelt „Tejo Saffi“,
oder die vermifchten Schriften des „Tejo*, das Tagebuch der
Muraſali Scikibu, In den Tagebücern diefer Dame fteht
geichrieben, daß fie am letzten Abend des fünften Jahres der
Periode „Kanto* (1008 n. Chr. G.), um ihre Toilette flir
den Neujahrstag zu machen, ſich in ihr Privatcabinet zuriids
zog und die Mängel ihrer perjönlichen Erſcheinung aus
beſſerte, indem fie ihre Zähne ſchwärzte und auch jonft ihe
Aeußeres ſchmüucte.
Auch der Kaiſer und die Edelleute ſeines Hofes haben |
die Gewohnheit, ſich die Zähne zu fchmärzen; doch ftirbt bei
ihmen diefelbe allmälig aus. Man jagt daß fie in Schwung
gebracht fei durch einen gewiſſen Hanafono Ariſchito, der
den Rang eines Sa Daijin oder „Minifters zur Yinfen“
hatte, im Anfange des zwölften Jahrhunderts, unter der
Negierung des Kaifers Toba. Diefer Minifter, ein Mann
von ſehr raffinirtem Geſchmack und von großer Sinnlichkeit,
rupfte fich die Augenbrauen aus, vafirte feinen Bart,
fchwärzte feine Zähne, puderte fein Geſicht weiß und ſchminkte
feine Yippen roth in der Abjicht, ſich einer Frau möglichſt
ähnlich zu machen, In der Mitte des zwölften Jahrhunderts
ſchwärzten ſich alle Edelleute des Hofes, wenn fie im den
Krieg zogen, die Zähne, und feit diefer Zeit wurde es alle
gemein Sitte am Hofe Die Anhänger der Häupter der
Hojo-Dynaftie ſchwärzten ſich auch die Zähne als ein Em
blem der Treue. Und das wurde die „ Odamara-Mode*
genannt, nach der Reſidenzſtadt jener Familie. So wurde
endlich eine Sitte, die zuerſt aus der Liebe zum Vergnügen
135
hervorgegangen war, zuletzt als das Zeichen eines guten umd
treuen Geifte® genommen. Die Mode des Zähnejchwärzens legt
ihren Anhängern feine geringe Unbequemlichfeiten auf, denn
die Farbe muß jeden Tag, oder doc; jeden zweiten Tag er«
neuert werden. Go fonderbar und abftogend die Sache
Einem zuerft erfcheint, jo lernt es das Auge doch bald, ohne
Abſcheu auf ein gut geichwärztes und glänzend polirtes Ge—
biß zu blicken. Uber wenn die Farbe ſich abnutzt und in
ein ftumpfes Grau mit ſchwarzen Strichen verwandelt,
dann wird der Mund allerdings jehr häßlih. Mitford
theilt aud) ein Recept zum Zähnejchwärzen mit, weldyes ihm
von einem fehr fajhionablen Ghemiter und Droguiften in
Jeddo geliefert wurde, wir geben es wieder, falls bei und
Jemand es probiren will.
„Nimm drei Pinten Waſſer, wärme es und giehe eine
halbe Tafje Wein dazır. Yege in diefe Miſchung eine Quan—
tität vothglühendes Eiſen. Laß es flinf oder ſechs Tage
ftehen, wonach jid) oben auf der Miſchung eine Haut ober
ein Schaum bilden wird, der abgenommen und im einer
Theetaffe neben ein Feuer gefegt werden muß. Wenn die
Subſtanz warın ift, müſſen pulverifirte Galläpfel und Eifen-
feile hinzugethan und das Ganze wieder gewärmt werben.
Die lüffigkeit wird dann mit einem weichen WFeberpinfel
auf bie Zähne geftrichen, und nod) etwas gepulverte Gall:
äpfel und Eifenfeile hinzugefligt, und wenn man dies einige
Male wiederholt hat, wird die gewlinjchte Farbe bdafein.*
Es ift alfo weiter nichts ald Tinte, die hier zum Schwär:
zen verwendet wird.
Ein Beſuch auf den Nikobarifhen Inſeln.
Von F. Ad. von Rocpftorff *).
Die Infelgruppe der Nifobaren befteht aus acht größeren
und einigen kleineren Iuſeln. Sie liegen im Bengalifchen
Meerbufen zwiſchen 9" 15° und 7045* M., 9315" und
93°57' D,, ziehen fi) im einer Linie von Südſüdoſt nad
Nordnordiweit und bilden das VBermittelungsglied zwiſchen
dem Andamanifchen und Malayifchen Archipelagus. Das |
Klima ift durchaus tropiich, die Temperatur durchaus gleich
mäßig, im Durchſchnitt 28° C. Die Regenhöhe jteigt über |
100 Zoll. Zu Zeiten füllt ein ſehr heftiger ſtarler Regen,
welcher mitunter monatelang andauert, indeſſen fommen in |
den einzelnen Jahren Abweichungen vor.
Die Injeln zerfallen nad) ihrer Yage in zwei verſchiedene
Gruppen, welche im Mittelpunfte ſich berühren.
ganzen Ausdehnung läßt fic ihr vulcaniſcher Urſprung er-
fennen, welcher mehr oder weniger deutliche Spuren feiner
Thätigfeit zurüdgelaflen hat, je nachdem die Erhebungen in
früherer oder jpäterer Zeit geſchehen find.
geführtes Erdreich Sumpfebenen gebildet, auf weldyen im un«
mittelbarer Nähe des Meeres Mangrovebäume wuchern, wäh-
rend auf dem über die Waflerlinie fich erhebenden Boden
ber Pandanus auftritt.
Mit mehr oder wenigeren Unterbrechungen hat das Meer
rund um. die Infeln einen Korallengürtel gebildet, deſſen Vor—
fprünge ſich weit in das Waſſer hineinerftreden.
*) Geographical Magazine. Februat 1875.
In ihrer |
Un verjchiedenen Stellen hat ein von den Bergen herab» |
|
Groß-Nikobar, Klein-Nikobar und Katſchall haben hrau—
nen Korallenboden; die übrigen Injeln find dagegen mit
einem —— aus verſchiedenen Subſtanzen beſte
henden Erdreich bedect, welches einſt den tiefen Meeresgrund
bildete. In demſelben finden ſich viele Heine Muſcheln und an—
dere Gbegenftände, welche deſſen Urſprung deutlich erlennen laſſen.
Der braune Korallenboden und die von den Bergen herab-
geſchwemmte Erde findet jich von Norden ab bis in ber Nähe
des Hafens Nankowwry. Die ibrigen Infeln, welche den Ha-
fen umgeben, beftehen aus einer andern Formation, indem
auf dem vulcanifchen Untergrund ein fetter Yehm lagert. Hier
‚ wäcjit auf meiten Ebenen ein hohes Gras, in der Nähe des
Meeres aber: findet ſich häufig ein wildes Dididht,
Die Übrigen, der ſüdlichen Gruppe angehörigen Infeln,
zu denen auch Katſchall gerechnet werden muß, find voll-
Ständig und zwar mit einem miebrigen Geſtrüppwalde bededt.
Auf dem von der See gebildeten Boden wächſt die Cocos—
palme; fie bildet den werthvolliten Schat der Bewohner.
Das Innere der die ſüdliche Gruppe bildenden Juſeln
ift noch völlig unbelannt; ſchwerlich ift jemals cin Europäer
dorthin gelangt. Der dichte Wald, mit denen fie bededt find,
befteht aus hohen Bäumen, unter denen ftachelige Kriech—
und Schlingpflanzen wuchern. Kein Strahl Yicht dringt
durch das dichte Yaubdach, und wegen Mangels an Licht fann
feine Blume auftommen. Prachtvoll ift der Blid auf den
mächtigen Urwald, aber das Wohnen in feiner Nähe bringt
der Geſundheit Gefahr.
136
Im Jahre 1869 wurde die Gruppe von ber Regierung
Indiens in Vefig genommen und. die neue Erwerbung zu
einer Strafeolonie beftimmt, welche mit der großen Straf-
eolonie zu Port Blair auf den Andamanen verbunden wurde.
Man ſchickte eine Abtheilung von Sipahis aus Madras,
200 Berurtheilte und eine Mafle Baumaterialien. Der
Transport wurde in dem Hafen Nancowry (ſprich Nan—
taury) gelandet. Im Jahre 1874, alfo nad; fünf Jahren,
zeigte die Kolonie ſchon ein fehr freundliches Aeußere. Man
hat diefelbe auf der Nordjeite des Hafens angelegt. Schon
find zwei Gebäude von Holz für die Verurtheilten und ein
Krankenhaus vollendet und auch die Fundamente zu ben
Wohnungen der Offiziere und der Soldaten gelegt. Der
Wald in der Umgebung ift niedergehauen und der Anbau
von Baumwolle hat begonnen. Die Örasflächen, welche kei—
nen Nugen brachten und der Geſundheit jchädlih waren,
find umgepflügt und in Gemitfegärten umgefchaffen, in denen
ſchon die Roſe blüht. Ebenſo hat man in ber Nähe der
Anfiedelung die Mangrovebäume entfernt, die ſumpfige Nie-
derung entwäflert und mit Cocospalmen bepflanzt. in
Hauptgrund, weshalb die neue Unternehmung mehr Aus—
ſicht auf einen glücklichern Erfolg als frühere Verſuche ver-
ſpricht, ift darin zu finden, daß jegt den Coloniſten gute
Wohnung und gefunde Koft gewährt wird. Da bie neue
Golonie mit Port Blair, wofelbft, wie bemerkt, ſchon eine
Station feit langer Zeit errichtet ift, in enger Verbindung
fteht, fo lann von dort jeglicher Bedarf beſchafft werden.
Die Cocosnüffe, welche die Colonie gebraucht, werben
von den Eingeborenen geliefert. Die Zahl diefer legteren
ift nicht groß. Sieleben etwa in der Weife wie die urfprüng»
lichen Bewohner der Pfahlbauten in den Schweizer Seen.
Sie find ein ftattlicer, kräftiger Menſchenſchlag. Ihre Stirn
ift niedrig und die Badenfnochen treten ftark hervor. in
ausgewachſener Dann hat etwa die Größe von 5 Fuß 6 bis
9 Zoll. Sie find vollitändig verſchieden von den Malayen
und Birmanen und vielleicht mit den Bergbewohnern von
Formoſa verwandt. Doch das bleibt noch näher zu ermits
teln, inäbefondere auch in fpradjlicher Hinficht. Ihre Wohn-
ftätten haben fie auf Korallenboden errichtet und zwar an
folchen Stellen, wo der Sorallengüirtel eine Lucke hat; die
Zugänge dur, die Korallenriffe find durch Pfähle marlirt.
Die Wohnungen alfo ſtehen auf Pfählenz find rund und
haben eine fuppelartige Bedachung. Die Meercsfluthen fpit-
len die Abfälle des Haushalts fort. Die Bauten find gut
ausgeführt und werden fehr fauber gehalten. In einem
Bau leben mehrere Familien, welche in ber Negel mit ein-
ander verwandt find und bilden im gewiſſer Hinficht eine
gemeinfchaftliche Wirthſchaft. Die Arbeiten find unter Alle
vertheilt. Der Flur iſt getheilt; an feiner Seite liegen
einige Kammern und die Yagerftätten, im welchen man Mat-
ten zur Bededung und feine Holzftüde zur Unterlage für
den Kopf findet. Un den Wänden find die Speere und Ru⸗
der aufgehängt. Im langen Reihen werben die Kinnbaden-
fnocdyen von Schweinen ſymmetriſch geordnet, ebenfo die
Löffel und andere den Bewohnern werthvolle Sachen auf:
geftellt.
Den Eingang bildet eine Definung, durch welche man
unmittelbar auf den Flur gelangt. Ihr gegenüber liegt der
Kochplatz; um ihm haben die älteren frauen ihren Aufent-
halt. Diefer Raum, wie überhaupt das Ganze, wird fehr
fauber gehalten. Große Töpfe ftehen am Feuer, im denen
das Pandanusbrot bereitet wird; dieſes umd Fische find das
Hauptnahrungsmittel, Die Zubereitung des Pandanuäbrots
(Xarome) ift eine mühjame und ſchwere Arbeit, die ledig:
lid) den Frauen obliegt. Einige Fuß unter dem Flur find
Abichläge für Geflügel und für Schweine aufgehängt. Die
F. M. v. Roepftorff: Ein Beſuch auf den Nilobariſchen Inſeln.
IFrauen haben feine anſprechende Gefichtszlige und tragen
das Haar kurz abgefchnitten. Ihre Kleidung befteht aus
einem furzen, nur einige Fuß langen Hemde von blauer
Farbe. Die Männer tragen ihr Haar lang umd ihre ganze
Kleidung befteht aus einem Streifen Zeug, welches fie um
ihre Hüften ſchlingen und zwifchen den Beinen durchziehen ;
der Streifen Zeug hängt wie ein Schwanz an ihrem Rüden.
Diefe Sitte hatten fie fchon im Jahre 1647, denn der
Schwede Keoping, welcher damals bei den Infeln Anter warf,
erzählt, daß er Dienfchen mit Katzenſchwänzen dort geſehen
habe. Linns hat diefe Angabe für wahr gehalten; in der
Entfernung gefehen hat die Sache allerdings das Ausjchen
eines Scwanzes,
Die Eingeborenen find fehr abergläubifc und ihre Woh-
nungen find mit allerlei Atten von Figuren und Bildern
angeflillt. Auf einigen diefer Bilder ift die Sonne und der
Mond in der Weife dargeftellt, als ob fie auf die Erde hinab-
bliden. Bögel ſchweben über den Hütten, in denen Menſchen
tanzen. Auf dem Boden find die Geftalten von Schweinen
und Hühnern fichtbar und im Waſſer fpielende Fiſche. Eines
diefer intereffanten Bilder ift im legten Jahre nad, Stod:
holm gejendet worden.
Der Sonne und dem Monde wird eine abergläubifche
Gewalt zugefcjrieben. Ihnen bringt man durch Priefter
er dar. Diefe bilden eine befondere Kaſte, behaupten,
daß fich ihre Kraft von Vater auf Sohn vererbe und ver«
ſichern, daß fie Geifter fehen könnten, die von den Eingebo-
renen jelbft jehr gefürchtet werden. Dies ift befonders hin-
fichtlich der „Manes* der Fall. Wenn ſich der Glaube
verbreitet, daß ein Drt von einem böfen Geiſt heimgeſucht
werde, dann baut man einen Nachen, zerbricht jedes Geräth
im ganzen Haufe und wirft es unter Klagen und Heulen
in das unten fliegende Waffer. Hierauf treffen die Priefter
ihre Vorbereitungen, um den Ort von dem böfen Geifte zu
befreien. Nach einem Kampfe wird der Feind bejiegt erflärt
und in den zu feiner Fortſchaffuug angefertigten Nachen ger
bracht. Diefer wird nun durch ein anderes Fahrzeug eine
Strede weit in das Meer hinausgezogen, dann freigegeben
und mit ihm ift auch der böfe Geiſt verfchwunden, Wo der
Nachen landet, dort nimmt der Geiſt feinen nenen Wohnſitz.
Zwifchen der Ortfchaft, welde fih von dem böfen Feinde
befreit hat umd derjenigen, weldye ihn nun erhält, entjteht
dann Feindſchaft, und in der Negel entipinnt fid) daraus eine
Fehde. Derartige Kämpfe haben indefien wenig Bedeutung,
Die Männer bededten ihren Kopf mit gut gepolfterten Hüten
und die Waffen beftehen nur aus langen Stangen, die man
mit Schweineblut angefeuchtet und mit Sand beftreut hat. In
jeder Ortſchaft hält man diefe Gegenftände in Bereitichaft.
Wenn ein Kampf möthig erjcheint, beruft der beleidigte Theil
feine Verwandten und freunde, die Vorbereitungen werden
getroffen, und insbefondere die Schiffe hergerichtet, feſt ge»
baute Fahrzeuge mit Heinen Querhölgern, einem vorfpringen-
den Bug und auf der rechten Seite einem Ausleger. Van
befeftigt mehrere diefer Nachen an einander uud auf ihnen
fährt die mit den Kampfftangen ausgerüiftete junge Mann—
ſchaft geräufchlos in dunfler Nacht zu der feindlichen Ort«
ſchaft. Ein furchtbares Schreien ertönt; die aus ihrem
Schlaf erwedten Männer treten dem Feinde entgegen. Un«
ter Berlickſichtigung der Länge der Stangen ftellen fic die
Gegner auf einem freien Plag einander gegenüber und ein
regelrechter Kampf beginnt, Da die Köpfe durd) gut gepolfterte
Hüte geſchützt bleiben, fo find einige leichte Beulen das eins
zig ſichtbare Reſultat. Hat der Kampf einige Zeit gedauert
und haben die Männer der angegriffenen Ortſchaft ihre
Strafe empfangen, dann treten die Frauen, mit Schwertern
in ber Hand, zwiſchen die Kämpfenden und treunen fie von
F. Ad. dv. Roepitorff: Ein Beſuch auf den Nitobariichen Inſeln.
einander. Der Streit ift nun beigelegt. Ein Feſt wirb
gefeiert, welches regelmäßig längere Zeit dauert und mit einer
allgemeinen Betrunfenheit endet.
An jedem Abend fieht man längs der Hüfte Yichter; es
ift dies ein Zeichen, daß die Männer zum Fiſchfang hinause
gefahren find. Zwei derſelben befinden fich in jedem Nachen,
der eine rudert möglichſt ohme Geräuſch, während der zweite
auf dem Bug fteht. In der linken Hand hält er einen bren⸗
nenden Docht, den man aus einem einzigen trodenen Blatt
der Cocospalme mit befonderer Kunft zu bereiten verfteht,
und in der rechten Hand flihrt er einen Speer.
Die Mufcjeln, welche die See bei der Fluth ausfplilt, wer-
ben von den Frauen zur Zeit der Ebbe aufgefammelt, um als
Speiſe benußt zu werden; dagegen wird Tripang nicht genoſſen.
Benn Jemand ftirbt, jo verfammelt ſich die ganze Ber
wandtſchaft. Der Todte wird forgfältig bekleidet und unter
Wehllagen in der Nähe feiner Ortſchaft beerdigt. Die Kam:
mer, welche er bewohnt hatte, wird erbrochen; alles, was ihm
gehörte, fortgeräumt umd draußen zerſtört. Man hält es
nicht für recht, aus dem Nachlajje eines Verwandten ſich Ge—
genjtände anzueignen, Nur die Boote, die Baumſtämme
und die Wohnungen madjen hiervon eine Ausnahme. Mit -
unter werben aber aud) die Boote geöffnet, die vorgefundenen
Sperre gejpalten und alles, was dem Berftorbenen gehörte,
wie ein Monument auf feinem Grabe zufammengetragen.
Alle Blutsverwandten, aud) die entfernteren, trauern zwei
Monate lang. Die Trauer befteht darin, daß jede Art von
Freude und Genuß gemieden wird. Kein Tanz und fein
Geſang ift in der Urtichaft, welcher der Todte angehörte,
erlaubt, fein Schwein wird geſchlachtet, fein Branntwein ge-
trunfen und die nächften Berwandten enthalten ſich jogar des
Tabackrauchens. Nach Ablauf der zwei Monate verfammeln
ſich die Zurücgebliebenen nochmals an dem Grabe und öff-
nen dafjelbe. Die nächte weibliche Verwandte, entweder die
Frau oder die Mutter, erfaßt den Kopf des Todten und entfernt
das Fleiſch und alles — der Hirnſchale. Der Körper
wird dann auf immer der Erde Ubergeben, aber das Andenken
an den Todten erhält ſich unter den Seinigen noch lange Jahre.
Viele Eingeborene kennen Muſik und fingen recht gut.
Ihre Inftrumente verfertigen fie aus ausgehöhltem Bambus-
rohr und begleiten einander beim Spielen. Ihr Tanz ift ein
Rundtanz, welden man innerhalb der fuppelartig bebedten
Bohnftätten aufjührt. Dean legt die Arme iiber den Rliden
des Nadjbars, fo daß die Hand auf der entgegengefegten
Schulter deflelben ruht und fo eim Ring gebildet wird.
Fin Dann leitet den Tanz und bei einer monotonen Mufik
wendet man ſich bald auf die rechte, bald auf die linfe Seite,
jenachdem der Yeiter das Zeichen giebt.
Im Allgemeinen find die Nitobaren ein friedliches und
gutgeartetes Bolt und Diebftahl ift unbelannt. Wer diefe
Injelbewohner nur gelegentlich, und oberflächlich beachtet,
möchte fie flir die trägften Menſchen halten; im Wirklichkeit
aber jind fie es. nicht. Sie find vielmehr arbeitfam und
was jie maden vollenden fie mit großer Sorgfalt. Ganz
hübſche Gärten haben jie mitten im Walde angelegt; mit
Fleiß bauen jie ihre Wohnungen und ihre Schiffe. In ihren
Arbeiten findet fic mehr Feinheit und Zierlichkeit, ald es bei
den Eingeborenen Indiens der Fall ift, dagegen find fie jehr
langjamı bei ihrer Arbeit.
Die rauen ftehen in hoher Achtung. Tie Männer
find jehr eiferjlichtig und dies ift eine bedeutfame Eigenthüms
lichteit, wodurch ſich die Nitobaren auszeichnen. Während
im Often überhaupt die Frau Sklavin und veradhtet wird,
ift dies hier nicht der Gall. Man begegnet der Mutter, ber
Frau und der Scwefter immer mit Achtung,
Glodue XXVII. Nr. 4.
137
Bon der frühern Religion, wenn ſolche vorhanden gewe
fen iſt, haben ſich nur einige Andentungen erhalten. Der
Sonne und dem Monde legt man übernatlirliche Kräfte bei;
man glaubt an ein Peben nad) dem Tode und Alle haben
Furcht vor dem legtern. Die Priefter find geriebene Betrür
ger und bedienen ſich mitunter auch der Baudjrebnerei.
Da das Klima erfchlaffend wirkt, jo bedürfen und haben
die Nitobaren Anregungsmittel, Sie kauen Betel,
Das Kuſſen ift unbelannt. Erwachſene Leute berühren
einander die Lippen nicht.
Aus dem Saft der Cocospalme verfertigen fie ein berau-
ſchendes Getränf, welches genoffen wird, wenn Arraf fehlt.
Geiftige Getränfe Lieben fie über alles Maß und es kommt
vor, daß eine ganze Ortſchaft betrunken ift.
Diefes Bolt, welches viele gute Eigenfchaften befigt, ift
im fchnellen Abfterben begriffen; das töbtende Gift:
„der Arrak“, wird ihnen als Tauſchwaare für Cocosnüfie
durch den Handel zugeführt, welcher unter Berüdſichtigung
der geringen Einwohnerzahl als ein lebhafter erfcheint.
Che die Regierung Indiens von den Infeln Befig ge-
nommen hatte, war häufiger ein Gerlicht verbreitet, daß die
Nifobaren Fremde gemordet und Schiffe beraubt hätten.
Es mag aud) etwas davon wahr fein, aber andererfeits wird
nicht gejagt, ob und welches Unrecht ihmen zugefügt wurde,
ehe fie zur Vergeltung jcritten. Es ift anzunehmen, daß
in jedem einzelnen alle das Unrecht nicht von ihnen aus-
gegangen ift. Die Dänen haben es verſucht, dieſe Mifftände
zu befeitigen, freilich vergebens, wie fie überhaupt im ihrer
Colonifation niemals glüdliche Erfolge erreicht haben.
Die Nifobaren lernen fremde Sprachen mit Yeichtigfeit.
Die bejahrten Yeute fprechen Bortugiefifch, die Männer mitt-
lern Alters Englifch, junge Männer Birmaniſch und die Kin—
der Hindoftanifh — Alle aber Malayiſch. Hieran kann
man erfennen, im weſſen Händen der Handel während der
fetten ſechszig Jahre geweſen ift und in welcher Weife der ·
ſelbe gewechſelt hat.
Die Sprache der Nifobaren zerfällt in mehrere Dialekte;
fie ift fehr reich an Kehllauten und ſchwer zu ſprechen; der
Bau ift einfach und mit den Sprachen, bie auf den näher
gelegenen Infeln und Yändern geſprochen werben ſcheint fie
feine Aehnlichfeit zu haben. Selbftverftändlid, haben fremde
Wörter Aufnahme gefunden, befonders für die Dinge, die
erſt neu eingeführt worden find, im Allgemeinen aber ift die
Sprache frei von fremden Elementen.
Im Innern von Groß« und Klein-Milobar fol cin eine
heimischer Stamm wohnen, ben Roepftorff für identifd mit
den „Chowra⸗Leuten“ hält. Es fcheint, daß diefer Stanım
icon jeßhaft war, che eine fremde Vevölferung in größerer
Zahl anlangte und ihn zurliddrängte. Die Leute werden Scho—
baengs genannt und reden eine andere Sprache als die
übrigen Infulaner. Alle diefe Angaben miffen indeflen mit
Vorſicht aufgenommen werden, denn fein Europäer ift jemals
bei ihmen gewejen und Alles, was man von ihnen weiß,
grlindet fid) auf Mittheilungen eines jungen Mannes, den
Roepftorff jah und welcher nad) der Angabe der Nifobaren
jenem Stamme angehört. Er foll ald ein Kind gefangen
worden fein. Augenfällig war er von den Yeuten, unter
denen er feitdem gelebt hat, zu unterfcheiden; „er war von
mongoliſcher Abſtammung“*“ (— womit freilich nichts gejagt
iſt —).
Die Scobaengs find Heine Negritos; wahricheinlich wa-
ren jie die Ureinwohner und wurden von dem fruchtbaren.
Boden, auf welchem die Cocospalme wächſt, vertrieben. Nur
auf der Meinen Inſel Schaura haben fie fic erhalten. Sie
verfertigen Töpfe, welche die Infelbewohner von ihren beziehen.
18
135
Arthur v. Triebel: Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Zigris für den Verkehr. 1.
Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Tigris für den Verkehr.
Bon Arthur von Triebel *).
Die großen Zroillingsftröme Euphrat und Tigris, deren
Bedeutſamleit und Weltftellung wir im Folgenden darzu—
legen verfuchen werden, waren trog ber reichen hifforifchen
Keminifcenzen, die fi an ihre Namen Initpfen, noch bis
vor nicht langer Zeit in vielfacher Beziehung äußerſt un«
vollftändig befannt. Erſt in der neuern und neueften Zeit
hat zumäcft der feit Erfindung der neuen Berfehrömittel
nad) allen Seiten ſich erweiternde Handel dazu beigetragen,
die Kenntniß der Ströme und der von ihnen gebildeten alten
Bölterftraße zu erweitern. Ohne auf die geographifche Funde
der beiden Ströme und ihre wechjelnde Geftaltung näher
einzugehen, möchten folgende allgemeine Angaben am
Plage fein.
Euphrat und Tigris entjpringen auf bem Hochgebirge
von Armenien.
Die Ströme laufen im Allgemeinen mit einander pa-
rallel und ſchließen das weite nad) Süden hin ſich immer
mehr verengende Land el Dſchezireh oder Mefopotamien ein.
Nachdem dann die beiden Flüſſe im bedeutender Strom-
entwid: ein Gebiet von mehr ald 1200 Ouadratmeilen
mit ihrem Waſſerſchatze verfehen haben, vereinigen fie ſich
bei Kurnah (Korna) und fliegen unter dem Namen Schat ⸗
el- Arab gegen Sübdoften zum Perfifchen Golf. Die Yänder-
ebiete der Zwillingöftröme, das Yand „Sinear*, von den
Öriedhen Baßviovia genannt, und bas nördlich von Baby
ton gelegene Mefopotamien find nach den Ueberlieferungen
bes Alten Teftamentes Knotenpunkte der älteften Cultur ge-
wejen. Aus biefen Ländern zogen Welteroberer aus, hier
wurden Weltreiche gegritnbet, hier auch war der Mittelpunkt
des älteften Welthandeld und Weltverkehrs.
„Wandernde Nomadenftämme, dem Yauf der Ströme
folgend, hatten in dem fruchtbaren Stromgebiete des Euphrat
und Tigris fchon in der Urzeit in weiten Nomadenlagern
ſich concentrirt, aus denen die großen, ganze Völler ums
faflenden Städte entftanden find, eine Erfcheinung, die ſich
auch in der folge bis auf die Zeit des Mittelalters bei ben
Völterftrömungen in diefen Gegenden wiederholt, wo auf
einem verhältnigmäßig feinen Raume die größten und
blühendften Städte entftanden find und nad) ihrer Ber
ftörung ſchnell durch andere von ebenfo großem Umfange
und von gleich großer Bevölferung erfegt wurden.“
(Ritter X.) Gerade diefe Concentration einer großen Bes
völferumngsmafle mußte namentlich auf die Entftehung und
Ausbildung des Handels · und Bölferverfehrs von günftigem
Einfluſſe fein.
Dazu fommt noch, daß Babylonien von Yändern und
Bölfern umgeben war, deren Cultur ebenfalls in hoher
Blüthe ftand, und die eine Fülle von Natur- und Kunfte
erzeugniflen befaßen. Die hiftorifchen Ucberlieferungen aus
*, Der nachſtehende Muffag bat dem Generalfeltmarfchall Grafen
von Moltke zur Weurtbeilung vorgelegen und bat ſich derſelbe
fehr günftig darüber geäußert. Graf Moltle, welcher die Länder
am Euphtat und Tigris befanntlich aus eigener Anſchauung fennt,
ſchrieb darüber das bochintereffante und im feiner Darftellung viele
fach claſſiſche Wert: „Briefe uber Zuſtände und Begebenheiten in
der Türkei aus den Jabten 1855 bis 1859.” Berlin 1845. @s
erſchien anonpm.
I.
ber älteften Zeit bis etwa zum fiebenten Jahrhundert v. Chr.
find freilich theils legendenhaft, theils äußerſt unvollſtändeg,
aber ſelbſt die Bruchſtücke, welche der Scharfſinn neuer Ge—
lehrten erforſcht und im richtigen —— gedeutet
hat, — uns Kunde von dem Wohlſtand und Reichthum,
der Cultur⸗ und Gewerbsthätigleit dieſer Lünder. Auf den
Anbau und die Amelioration des Bodens wurde beſonders
in Babylon ſchon in früher Zeit die größte Sorgfalt ver—
wandt. Die beiden Flüſſe, weiche für diefe Gegend diejelbe
Bedeutung haben, wie ber Nil fr Aegypten, erhielten in
diefer Beziehung eine durchaus zweckmäßige Verwendung.
Die im Frühlinge periodifc, eintretenden Ueberſchwemmun-
gen der Ströme, namentlich bes reißenden Tigris, deſſen
verheerende Fluthen dem Uder die Fruchterde entflihrten und bie
Ebene in ein Sumpf- und Wafferland verwandelten, wurden
durch Dümme und Canäle geregelt, welche zugleich die Be—
wäflerung und Befruchtung der höher gelegenen Gegenden
beforgte. Diefes Alinftliche Bewäſſerungsſyſtem begünftigte
nicht nur den Anbau, ſondern beförderte auch Schifffahrt
und Handel im höchſten Grade,
Aber nicht nur, daß die Zwillingsftröme wie eine be-
lebende Ader inmitten der Wiften erfchienen, fie bildeten
auch bereits in den früheften Zeiten die „große Furth vom
Orient zum Occident“, die von der Natur ſelbſt geebnete
Bahn zwifchen dem indischen Dften und dem europätichen
Weiten. Die babylonifchen Städte waren in alter Zeit
wie zum Theil noch heute Stapelpläge für den gefammten
ajiatifchen Handel. Aus Mittel und Hinterafien, ſelbſt
aus bem füblichen Arabien und dem öftlichen Afrifa trafen
hier die Karawanenſtraßen zufammen, und ebenjo verlie-
fen von der andern Geite in ben Euphrat: und ZTigris-
ländern die vom Mittelländifcen Meere, Aegypten und
Kleinafien auslaufenden Handel» und He .—
Die fremden Händler, die ſich in ber Hauptftabt Aſſyriens
aufhielten, waren nad) denn Ausfpruche des Propheten Nar
hum jo zahlreich, wie Heuſchreckenſchwärme, Babylon glich,
einem TQummelplage von Fremdlingen aller Völker und
Länder.
Ueber den eigentlichen maritimen Verlehr beſitzen wir
nur ſpärliche Nachrichten. Jedoch iſt es wahrſcheinlich, daß
die chaldäifchen Bewohner Babyloniens Seehandel betrieben
und zur See mit Indien in directer Berbindung geftanden
haben. Daß menigftens zur Zeit des Nebucabnezar der
überfeetfche Berfchr ſich im Zuftande hoher Blüthe befunden,
ift nad) den Refultaten der heutigen Gejcdichtsforfchung ganz
außer Zweifel. „Die politifchen Zuftände jener Zeit,“ fagt
Laſſen (Indische Alterthumskunde V, 599), „machen es glaub:
lich, dag Babylon während der Negierung Nebucadnezar's
und feiner Nacjfolger der Mittelpunkt des indiſchen See
handels wurde, und daß von ihm aus die indiſchen Waaren
theils nad) den Stapelplägen am Mittelländifchen Meere,
theil® nordwärts nad den oberen Lündern des Euphrat-
und Tigriägebietes befördert wurden.“
Tie Blüte und Herrlichfeit des babylonijchen Reiches
fnüpft fic überhaupt an die glorreiche 44jährige Regierung
Nebucadnezar's (606 bis 563). Schon drei Jahrhunderte
vor Alerander's des Großen Zeit hatte diefer hochbegabte
Arthur v. Triedel: Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Tigris für den Berlehr. I.
König den Plan gefaßt und zum Theil aud) in Ausführung
gebracht , dem Weltverfehre die Bahn durdy feine Euphrat=
ftaaten zu eröffnen. Hier aber fanden ihm die arabifchen
Numer und ihre Stammesgenofjen, die Phönizier, entge-
gen, in deren Händen ſich damals faft der ganze Welthandel
concentrirte. Die Unterwerfung der fyrifchen Küfte und
die Eroberung von Tyrus (574) hatte daher wohl feinen
andern Zwed, als die der Verwirklichung feines Planes fo
gefährliche Rivalität jener mächtigen arabifchen Handelsleute
zu bredjen. Auch hatte er feinen Blick bereits auf die Er—
oberung der großen Concurrenzlinie der Euphratftraße gerich⸗
tet. Denn nur zu wahrſcheinlich iſt es, daß er auf dem
Zuge gegen Aegypten aud; Idumäa (Jeremias 49) nur
deswegen bedrohte, um durch die Unterwerfung befielben bie
Schifffahrt auf dem Arabifchen Meerbufen zu beherrichen.
Alle dieſe Pläne hatten das eine Ziel, den Weltverfehr über
haupt und fpeciell den Handel auf dem Flußbette des Eur
phrat beziehungsweile des Tigris nad) Babylon und weiter
— Über Thapjacus, Thadmor, Damascus — nad) dem
Mitteländifchen Meere hinzulenken.
Nach der Eroberung des aſſyriſch-babyloniſchen Reiches
durch Cyrus ſank bie Blüithe ber Städte am Euphrat und
Tigris von ihrer Höhe herab, Die Perſer waren fein
handeltreibendes und weder früher noch heute ein feefahrens
des Bolt; fie begnügten ſich mit dem Verbrauche deſſen,
was die Inbuftrie und der Handel anderer Völker auf den
Markt brachte. Ja fie waren foweit entfernt, den großen
Plan eines Nebucadnezar zu wlirdigen, daß fie durd Er
rag Ta Duerdämmen, die fie zur Sicherung vor ſeind⸗
lichen Ginfälen im Euphrat und Tigris errichteten, die
Flußſchifffahrt vollſtändig zerſtörten.
dem Genius Alexander des Großen war es vor—⸗
behalten, die politiſche und mercantile Weltſtellung der Eur
phrat- und Zigrisländer im ihrer ganzen Bedeutſamleit zu
erfennen. Im Befige des ganzen weftlichen Aſiens hatte
diefer „größte Herrſcher des Alterthums mit dem ganzen
Feuereiſer feiner Seele die Ihee erfaßt, „das Euphratland
zum Berbindungsgliede in dem Weltorganismus zwiſchen
Trient und Decident zu erheben.“ Als er im Jahre
324 v. Chr. auf feiner Fabıt zur Heerichau nad) Opis bie
Fluſſe aufwärts fegelte, gab er daher auch fofort den Befehl,
die von dem Perfern gegen Angriffe von außen errichteten
Dümme mieberzureißen und dadurch die Hemmnifle der
Euphratichifffahrt zu entfernen. Er hatte feinen Feind von
der Serjeite her zu beflicchten wie die Perfer; ftand er doch
damals auf den Gipfel der Macht, der mächtigfte Furſt
feiner Zeit, dem auf feiner Rüdtehr nad) Babylon die Ge:
jandtichaften aus allen Theilen ber Welt huldigend entgegen:
famen. Den neuen Seeweg nad) Indien hatte er bereits
entdeckt, im Weften hatte er an ben Mundungen des Nils
den großen Stapelplag für den Weiten Europas gegründet;
was lag aljo näher, als in Babylonien, dem Centrum feiner
Veltmonardjie, auch den Weltverkehr zwifchen Often und
Weiten neu zu beleben und mit Yändern des Morgen» und
Abendlandes im lebendige Wechjelverbindung zu bringen ?
Und großartig wie feine Pläne war die Thätigfeit, mit der
er dieſelben zu verwirklichen fuchte. Auf ben Werften von
Cypern und Phönizien ließ er Schiffe bauen, die dann, theil«
weiſe wieder zerlegt, auf dem Landwege nadı Thapjacus
transportirt wurden und von da ben Euphrat abwärts fuh—
ren, um ſich mit der dort bereits anfernden Flotte feines
Sciffecommandanten Near; zu verbinden. Aber aud) das
ut noch nicht zufrieden hatte er in Babylonien jelbft, wo
das Bauholz jelten war, fogar die Cypreſſen der heiligen
Haine nicht geichont, um das vorhandene Schiffsmaterial zu
vermehren. Seeleute und Handwerter wurden felbft mit
139
bebeutenden Gieldopfern am den Küften Syriens und Phönis
ziens angemworben und nad) der Stadt Babylon übergefiebelt,
die er durch dem Weltverlehr zu derfelben Höhe materiellen
Gedeihens zu erheben gedachte, welche die Metropolen jener
Küftenländer jo lange behauptet hatten. Die Grofartig-
feit feiner Entwürfe bekundet nach diefer Seite auch der
Dau eined Hafenbaffins bei Babylon von fo gewaltiger
Dimenfion, daß er 1000 große Seeſchiffe zu faſſen vermochte.
Dieje gewaltigen Rüftungen waren damals zunächſt der Er—
oberung und richnng des zu diefer Zeit noch wenig bes
fannten Urabiens beftimmt, deſſen Völlerſchaften gleichfalls
in den großen Weltverfehr der Euphrat- und Tigrisländer
gezogen werden ſollten. Der Cilicier Hieron erhielt ben
Auftrag, die ganze Halbinfel zu umfahren und eine Einfahrt
in den Arabiſchen Golf zu entbeden. Im diefem Auftrage,
der offenbar zum Zwecke hatte, die ig oe einer marie
timen Verbindung mit dem ägyptiſchen Alerandria zu con-
ftatiren, verräth ſich auf das Deutlichfte der große Gedanle
des Könige, Babylon und das ſchon oft genannte Fluß-
gebiet zum Centrum eines großartigen Verkehrs zwiſchen
Indien und Alexandria, dem großen — des Weftens,
zu machen. Die Nachricht des Hieron, welcher nad) einer
längern Fahrt im flidlicher Richtung nicht weiter vorzubrins
gen gewagt, daß die arabiſche Halbinfel nicht viel geringer
fei als die indifche, fpornte den König zu noch größeren Ans
firengungen an. Während daher in Babylon ber Hafen-
und Schiffsbau rafilos weiter befürbert wurde, begab fich der
König nad) dem umtern Laufe des Euphrat, um perjünlich
die Deicharbeiten am Palacopas zu beſichtigen. Diejer Ca-
nal, der den Zwed hatte, das im Frühjahr umd gegen das
—— ſich anſtauende Waſſer im bie weſtlich ge—
legenen Seen und Sumpfe zu leiten, mußte bei normalem
Waſſerſtande jedesmal wieder zugebämmt werden, bamit
nicht ein zu ſtarker Abfluß die Schiffbarkeit des Fluſſes be-
drohe. Um das Schließen des Eanals, welches wegen bes
fofen und ſchlammigen Bodens eine ungeheure Arbeit erfor-
berte, zu erleichtern, ließ er einen bei biefer Gele it von
ihm entbedtten jelfigen Uferrand durchſtechen und fo die Waſſer
des Euphrat durch einen neuen Canal in das Bett des Palaco:
pas leiten, deſſen Deffmung und Sperrung num mit leichter
Mühebewirkt werben konnte. Aber alle Pläne des großen Man-
nes follten einen jähen Abſchluß erhalten. Ein Sumpffieber,
das ihm bei diefer Gelegenheit ergriff, veranlaßte ihn, nad)
Babylon zurückzukehren, wo er bald darauf ftarb.
Iſt num aber auch das Weltreich wie es Alerander ans
geftrebt haben mochte, durch feinen frühen Tod vereitelt
worben, fo war doch der Eroberungszug bes macedoniſchen
Heeres nad) dem Orient der on einer neuen Zeit.
Nicht nur die politiichen und religiöſen Verhältniffe ber
Bölter wurden umgewandelt, der Kreis bes gefammten
Wiſſens erweiterte fich, die Welt öffnete fich, nad) dem Aus—
fpruche eines alten Hiftorifers, der Kenutniß des Dienfchen-
geſchlechtes. Namentlic haben die Gründung oder Exrwei-
terung der Städte am Cuphrat und Tigris die Völfer-
verbindung vermittelt und zur fiegreichen Entfaltung
hellenifcher Cultur mächtig beigetragen. Denn dieſe Städte,
an den Mindungen der Ströme oder am wichtigen Leber
gangspunften gelegen, waren nicht nur im militärifcher
Hinſicht von Bedeutung, jondern haben aud) im fpäterer
Zeit nicht wenig zur Förderung und Belebung des Welt:
verlehrs beigetragen,
Die größte Lündermafle des griechiſch-macedoniſchen
Weltreihs fiel Seleufus Nitator anheim; fein Reich um—
faßte die geſammten afiatifchen Yänder. Die Gegenden
am Euphrat und Tigris hatten während der dem Tode
Alerander's folgenden Kämpfe feiner Nachfolger entſetzlich
15*
140
gelitten. Erſt ſeit Seleufus in der Schlacht bei Ipfus
(301 v. Chr.) jeine Nivalen völlig vernichtet hatte, kehrten
auch Ruhe und Glüd an den Tigris zurüd. Die Seleu-
eiben hatten glei, Alerander die hohe Wichtigkeit des Eu:
phrat» und Tigristhales erkannt, und waren gleich ihm für
Städtegründung, Ganalifation des Flußgebiets und Welt
verfehr bemüht. Cinige diejer neu entftandenen Städte find
für den Berlehr des Dftend und Nordens auch nod) in jpü«
teren Dahrhunderten von hoher Bedeutung. So war naments
lich Seleucia in Mefopotamien als wichtiger Mittelpunkt
für den Handel lange Zeit einer ber blühenditen Orte.
Hierher brachten die Armenier den Euphrat und Tigris
hinab ihre Waaren, bis hierher konnten auch die Schiffe
auf dem Tigris gelangen ; hier liefen die Karawanenftraßen
aus Perfien und Arabien zufanmen, und die zahlreichen ins
diſchen Waaren, welche die reichen und luxuriöſen Städte
Kleinaſiens und Syriens bedurften, wurden hier auf den
Markt gebracht. Im Seleucia, bemerkt der Geograph
Strabo, ſammelten ſich jpäter während der Ohnmacht der
igrifchen Herrſcher alle Ueberbleibfel der früheren griechiſchen
Niederlafiungen am Euphrat und Tigris, jo daß die Stadt
faft in eben dem Grunde zunahm, als die Macht der ſyri—
ſchen Dynaftie harabfanf, Die Stadt verlor erit den Glanz,
den fie unter den Seleuciden erhalten, als in ihrer unmittel»
baren Nähe das von den Parthern gegründete Kteſiphon
zur Reſidenz der Saſſanidendynaſtie erhoben wurde. Seit:
dem Antiohus III. die Weſthälfte feines Beſitzthums an die
Römer verloren hatte, wurde das Euphratland der Mittels
punkt des auch innerlich mehr und mehr zerfallenden Rei—
ches. Trotzdem aber auch die griechiſchen Anfiedelungen und
griechifcher Geift ein Abjterben der Vebensthätigfeit nad)
Kräften verhinderten, jo mußte dennoch die Verrottung der
bort einreißenden orientaliichen Wirthichaft, die Zerwürf⸗
niffe der Herrfcherfamilie, die Willlür der Miniftergewalt
auf die Dauer von nachtheiligſtem Einfluffe fein; und längft
icon waren biefe Länder, noch dazu auf der einen Seite
von Parthern und Armeniern, auf der andern von Arabern,
Juden und fyrifchen Empörern vielfad) bedrängt, in voll-
ftändige Ohnmacht verfunfen, als die Römer über den Taus
rus fliegen und num auch den Euphrat, den biöherigen
Grenzſtrom zwifchen ihrer Herrſchaft umd dem parthifchen
Reiche, zu überſchreiten gedachten. Wir übergehen die
Feldzuge des Yucullus, Pontpejus und Crafjus und bemer:
fen nur, daß die lediglich auf Eroberung gerichteten Unter
nehmungen der Römer feine bleibenden Refultate herbei
führten, und daß der Euphrat auch für längere Folge die
Grenze des Römerreichs im Dften verblieb. Am obern
und theilweife am mittlern Yaufe des Euphrat entjtanden
jet und in fpäterer Zeit Heinere Herrſchaften, deren locale
Intereſſen immer mehr und mehr im die Politif der beiden
Nacdjbarreiche der Nömer und Parther verwidelt wurden,
die fich beide (mit den armenifchen Königen) die Reſte des
ſyriſch⸗ ſeleucidiſchen Reiches einverleibt hatten. Bor Allem
mußte Armenien, diejes mächtige, das mejopotamifche Flach-
land dominivende Hochgebirgsland, mit den wenigen Paß-
eingängen und den Hauptquellftrömen von größtem Einfluß
auf bie Machtſtellung der rivalifirenden Mächte fein, daher
auch dieſes Yand durd alle folgenden Yahrhunderte der
große Tummelplatz oder „die zu erftürmende Völterburg“
zwifchen Weltherrichaft im Dften und Welten war und
verblieb.
Dreimal noch ift es unternehmungsluftigen römiſchen
Kaifern gelungen, ſich, wenn auch ohme nachhaltige folgen,
in den Befig der mefopotamifchen Yandfchaften zu jegen.
Zuerft find hier die glänzenden Feldzlige des Ulpius Tra—
Arthur dv. Triebel: Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Tigris für den Verlehr. I.
janus (115 bis 117 nach Chr.) zu erwähnen. Die Erfolge
diefes Kaifers in Armenien und gegen die Parther erſchienen
fo großartig, daß der Senat eine Münze mit der Umichrift
druden lief: Armenia et Mesopotamia in potestatem
P. R. redactae. leid) Alerander wollte er Babylon er:
obern, die parthifche Königsftadt ftürgen umd das Indiſche
Meer in den Bereich feiner Unternehmungen ziehen. Ob
er aber gleichwohl die Bedeutung diefer Gegenden als die
große Bölfer: und Vertehröftrage zwiſchen Often und Weiten
erfannt, mag mehr als zweifelhaft erjcheinen. Und wenn
dies der all, war es denn möglich, dag das Euphrat= und
Zigristhal, felbft bei dauernder Befegung, als Anner eines
Reiches, deffen politischer Schwerpunft im fernen Weiten lag,
zu einer jelbftändigen und gedeihlichen Entwidelung gelangte?
Die Träume des Kaifers gingen nicht in Erfüllung. Wäh—
rend er noch auf feinem Schiffe mit der Befichtigung der
Waſſerbauten und Flußmündungen beicäftigt war, brachen
bereits hinter jeinem Nüden die Völker und Städte gegen
in in Empörungen aus. Aſſhrien mußte wieder unter»
worfen werden und ſelbſt Seleucia, die Königin der Städte
im Euphratthale, wurde erobert und in Aſche verwandelt.
Wir fehen alfo, daf unter jolchen Verhältniffen an eine
Behauptung diefer Yandftriche nicht gedacht werben fonnte.
Hadrian, der Nachfolger Trajan's, der auf dem Klidzuge
ftarb, ſah fich genöthigt, die Eroberungen feines Vorgängers
aufzugeben und den Euphrat wieber als Grenze des römi«
fchen Reiches anzuerlennen. Ebenſo erfolglos war der
Feldzug, welchen der Kaiſer Septimius Severus im Jahre
200 n. Chr. nach diefen Yändern unternahm. Das einzige
Reſultat war muplofe Zerftörung ohne bleibenden Erfolg.
Unter den folgenden immerwährenden Wirren in ben Euphrats
ländern führte das Aufblühen der Saffanidendymaftie den
Sturz des im ſich bereits ganz zerriffenen, vielfach geſpal ·
tenen parthiichen Reiches herbei. Mit Ardeſchir Babelan,
dem Sohne Safjan's (226 nm. Chr.), beginnt für das
Euphratland eine neue Yera; aus den Trümmern von Se-
leucia und Ktefiphon hebt ſich ihre Doppelftadt mit erneu⸗
tem Glanze empor. Im ihmen erfteht den Römern ein
energifcher und gefährlicher Gegner, der bei beiferer mili-
täriicher Organifation jenen leicht alle ihre afiatiichen Be—
figungen hätte entreißen fönmen. Der Kaiſer Balerian
wurde nur durch die Tapferkeit des Odenathus, des Königs
von Palmyra, aus harter Gefangenſchaft des Königs Sapor
befreit. Leider war die Blüthe, welche Odenathus, der die
Neuperjer aus Meſopotamien vertrieb, aud) über die Euphrat-
und Tigrisländer brachte, nur von kurzer Dauer. Der
plötzliche Sturz der palmyreniſchen Königin Zenobia, der
Gemahlin des Odenathus, durch Aurelian mußte bei der
Bedeutung von Palmyra auc die Nachbarländer in Mit-
leidenichaft ziehen. Palmyra war damals der Gentralpunft
des Wanrenverkehrs zwiſchen Indien und den griechiſch—
römischen Yändern des Weſtens. Große Transporte der
foftbarjten Waaren gingen von den Cuphratmlndungen
über Palmıyra nad) Alerandria und Byzanz und bereicherten
Kaufleute und Unterhändler. Diefe Blüthe zerfiel, wie bemerkt,
mit dem Sturze Palmyras, und die am Euphrat entftan-
benen Handelshäuſer ließen fich feitdem in Alerandria nieder,
Die folgenden römiſchen Kaifer bemühten ſich zwar, den
Verkehr über die behaupteten mejopotamifchen Städte zu leie
ten, aber der Beftand der Oftgrenzen des römischen Reiches
war zu wenig gefichert, als daß dieſe Bemlihungen hätten
von Erfolg fein fünnen. Der legte größere Feldzug des
Kaifers Julianus (Apoftata) endigte, wie alle Berfuche dies
fer Art, mit Niederlage und der vollftändigften Schwächung
der römischen Herrjchaft.
Der Ausjas auf den Sandwichsinſeln.
141
Der Ausſatz auf den Sandwichsinſeln *).
Auch die Sandwihsinfeln find die Heimftätte der
furditbaren Seuche: des Ausjages, gleichzeitig aber erfah-
ren wir auch, daß die dortige Negierung — beſonders jeit
dem Jahre 1873 — bie energifchiten Schritte gethan hat,
um nicht allein die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern,
fondern auch womöglich biefelbe vollftändig zu befeitigen.
Jeder welcher ertvankt wird ohme Unterjchied, er ſei Hod)
oder Niedrig, fofort aus der Heimath entfernt und auf eine
ifolirte Injel Namens Molokai übergeführt, dort für
ihn aber mit wohlwollender Theilnahme gejorgt.
Nachdem feftgeftellt worden war, daß ber Ausſatz eine
unheilbare und in dem dortigen Klima eine anftedende
Krankheit fei, ertheilte im Jahre 1865 der geſetzgebende
Körper zu Hawai die Zuftimmung, daß Seitens ber Sanitäts«
behörde auf jener Infel eine Krantenflation errichtet werde.
Die geſchehene Wahl ift als eine fehr glückliche zu bezeichnen.
Mtolofai it eine einfame Inſel, deren Felſenufer mehr
tere Tauſend Fuß fteil zum Meere abjallen. Nur ein en:
ger jehmaler Pfad führt auf die Anhöhen, jo daß ſchon
die Felſenufer eine volftändige Schugmaner bilden. Die
Infel ſelbſt ift reich an Schluchten und umfangreichen Bla-
teaus. Eins biefer legteren — Kalawao —, Meile
von dem Hafenplag Kalaupapa entfernt und etwa 2000 Fuß
über dem Meeresjpiegel gelegen, zeichnet ſich durch reine ge
ſunde und angenehme fühle Luft aus. Hier hat man bie
eigentliche Kranlenftation gegrlindet. Sie befteht aus einem
Dutzend niedriger Holzhäufer auf einer mäßig anfteigenden
und dem freien Luftwechſel zugänglicer Anhöhe. Cine hohe
Mauer umſchließt das ganze Etablifjement. Mit großen
Koften hat man einen fließenden Bad) der Anftalt zugeführt,
auch Baumpflanzungen und Parkanlagen gemacht, welche
den Kranfen in nädhfter Zeit ſchon einen fühlen ſchattigen
Play in Ausſicht ftellen.
Im Innern diefes abgegrenzten Raumes befinden ſich
die Adminiftrationsgebäude, die Wohnung des Vorſtehers
und die Apothele, welche ein von der Krankheit befallener
Engländer verficht und auf ber alle Medicamente auch fir
andere Krankheiten zu erhalten find. Im deren Nähe liegt
der Wohnfig des Gouverneurs der Infel. In Kalamao
find beinahe ſämmtliche Kranke ſtationirt. Sie gehören
faft ausſchließlich der niedern und ärmern Vollsclaſſe an,
doch ſtellen auch die höheren und felbit bie höchſten Claſſen
ihr Gontingent. So weilen dort die Coufine der ver
wittiweten Königin Emma: Prinzeffin Kaeo, ferner eine
hochgeftellte Dame, Mrs. Napela, in ihren Heinen, aller-
dings mit allem Comfort ausgeftatteten Häuschen.
Der Ueberführung der Kranken jtellten ſich anfänglid)
bie allergrößten Schwierigkeiten entgegen. Es liegt im ber
Natur der Sache, daß die Erkrankten jo lange es möglich
bie Exfranfung verheimlichen, um nicht von den Ihrigen
getrennt, für ihr ganzes Leben von der Heimath verbannt
und auf der einfamen Inſel dem gewiſſen Tode geweiht zu
werden. Selbft die Einwohner, fei es aus Mitleid, fei es
aus angeborener Ghutmüthigfeit oder auc aus Apathie,
unterftüsten dieſe Berfuche und vereitelten dadurch die Maße
tegeln der Regierung. Erſt ale die Krankheit immer grö-
Bere Dimenfionen gewann, als man erkannte, da Niemand
von der Anſteckung befreit bliebe, und als jelbft Ausländer,
*) Na Isabella Bird: Six Months among the palm groves,
eoral reefs and volcanoes of the Sandwich islands. London 1874.
da fie fi) dem Umgange und der Berührung mit den Eins
geborenen nicht ganz entziehen lonnten, ergriffen wurden —
da machte fic eine lebhafte Neaction geltend; alle die Er«
krankten, welche fic bisher den Augen der Medicinalbehörs
ben zu entziehen gewußt hatten, wurben ermittelt und ver-
fielen dem traurigen aber unvermeidlichen Geſchick der
ewigen Verbannung nad) der Infel. Dies geſchah befonders
im Jahre 1873. Zu dieſer Zeit gab auch ein hochgeftellter,
allgemein geadjteter und verdienter Mann ein eclatantes
Beifpiel der Unterwerfung unter das Gefeg und der eigenen
Selbftopferung — der Admiral Bill Bagsdall, welcher ala
Mitglied des gefeßgebenden Körpers durch Geift, Schärfe
und Beredtfamfeit fich ausgezeichnet hatte und in den ange»
nehmften Pebensverhältniffen und Kreifen fich bewegte. Aus
eigenem Entſchluß, obgleich fic eben erſt die Anzeichen der
Krankheit bei ihm gezeigt hatten und ihm fomit die Möglich
feit gegeben war, jic mod; lange Zeit den Augen ber
Sanitätsbehörde zu entziehen, meldete er feine Erkrankung
und ſchiffte fid) nach Molokai, gleichzeitig mit 40 Yeidens:
geführten, zur ewigen Berbannung ein, Seine Mit-
bürger ſahen ihn mit tiefer Rührung fcheiden, feine Freunde
gaben ihm bis zum Sandungsplag das Geleite, und wäh-
rend einige weinten und Magten, fuchten andere durch
Freundlichteiten aller Art fid) und ihm die Stunde des
Scheidens zu erleichtern. Er felbft blieb ruhig und gefaßt
und erklärte der verſammelten Menge, daß er * über ſein
Geſchick tröſten milſſe, daß aber die Maßregel ber Regie—
rung eine gerechte und nothwendige ſei. Auf der Inſel
angelommen, hat er den Erwartungen, welche ſich ſeine
Freunde gemacht hatten, volllommen entſprochen. Mit ſei—
ner ganzen Kraft unterftügt er die dortige Verwaltung, er-
freut ſich nicht allein des Zutrauens des Gorvernems, fondern
aud) der Yiebe der Yeidendgefährten, und indem er fich mit
einigen Zwanzigen zu einem Comits vereinigt hat, ſucht er auf
jede Weife das harte Geſchick feiner Genofjen zu erleichtern.
Vom Jahre 1865 bis zum April 1874 find nad) Mo—
lofat 1145 Kranle Übergeflührt worden, von denen mehr
als ein Drittel geftorben, fo daß nur nod 703 — darunter
22 Kinder — übrig find. Die Sterblichkeit ift ganz um-
gewöhnlich groß; es fommt vor, ba im einer Schr der
Tod 20 hinrafft.
Die Nahrung, weldye den Kranken gereicht wird, ift
vorzüiglicd, und wird — ungeachtet die Zufuhr häufig durch
Hlimatifche Berhältniſſe unterbrochen wird — doch regelmäßig
und in genlgender Menge gewährt. Für jeden Kran—
fen werben täglich brei Pfund „Poi*, d. h. eine auf den
Sandwicsinfeln ſehr beliebte Knolle (Arum esculentum),
und annähernd ein Pfund friſchen Fleiſches verabreicht,
wofiir auch wohl 1!/, Pfund Reis, 1/, Pfund Zuder und
1, Pfund Fiſch (Ladys) jubftituirt werden. Außerdem ges
währt die Regierung Kleidung und die nöthige Seife, die
Beſchaffung aller übrigen Annehmlichkeiten aber ift Sache
der Kranken felbit; eim von der Regierung eingerichteter
Laden bietet inde Gelegenheit zu dergleichen Cinfäufen ;
es muß auch anerfannt werden, dag von Freunden umd
Gönnern den Kranken reichliche Gaben zu Theil werden,
welche durch die Hand des freumblichen Pater Damiens
ihnen zugehen. Auf der Infel find zwei Kirchen für Ka—
tholifen und eine Meine Gapelle für Proteftanten errichtet,
außerdem erhalten die Kinder von einem Yehrer Unterricht
in ihrer Mutterſprache.
142
Die Feiden, welche die Kranken befonders in dem höheren
Stadien der Krankheit zu erdulden haben, wollen wir
unferen Leſern nicht fchildern, dagegen können wir nicht
unterlaffen zu erwähnen, daß wenn aud) in den Zligen eins
zelner Kranken ein tiefer Ernft und ein Schatten Melandjolie
ſich ausprägt, im Allgemeinen doc; eine gewifje Apathie vor=
herricht, in einzelnen Fällen fogar auch noch Eitelfeit und
Gefallſucht — (dev Menſch bleibt unter allen Zonen und
Berhältniffen berfelbe) — Play finden und Frauen mit
BVergnligen ſich pugen und befrüngen.
Es ift anzuerkennen, daß ungeachtet ihrer unzureichenden
Mittel, die Regierung der Anftalt eine befondere Fürforge
zumendet, und überhaupt gern geneigt ift, Mängeln abzu-
helfen, zu denen beſonders ber zu zählen ift, daß die Kranken⸗
räume — wenigjtens nad) dem Begriffen der Europäer —
zu eng und ungenügend find, und daß eim beſonderer Arzt
zur Heilung anderer Krankheiten ftationirt if. Der König
Kalafana fchentt dem Etablifiement bie lebhaftefte Theil
nahme und hat im vorigen Jahre in Begleitung der Könis
gin Kapiolani und zweier Mitglieder der Medicinalbehörbe
dort einen Beſuch gemacht. Man war auf der Infel von
der bevorftehenden Ankunft des Königs unterrichtet. Bei
feinem intreffen wurde er mit Freudenrufen und mit
Mufit empfangen, welche von einigen Kranken ſelbſt aus
geführt wurbe. Der König richtete einige freundliche Worte
an die in großer Zahl Berfammelten — wohl 300 —, er:
Härte, daß er mit ſchwerem Herzen das Geſetz vollzogen,
wodurch fie gezwungen würden, ſich von ihrer Heimath zu
trennen, daß aber die öffentliche Wohlfahrt dafjelbe abfolut
notwendig gemacht habe, er ſelbſt jedoch nichts verabfäumen
werde, um ihnen das harte Geſchick zu erleichtern. Man
glaubt allgemein, daß die Eigenthümlichteit der Krankheit
das Gefühl abftumpfe und eine vollftändige Gleichgültigfeit
egen das ganze Leben erzeuge, indeſſen das Gegentheil zeigte
in diefem Falle. it Rührung wurden die Worte des
Königs aufgenommen; Viele vergofien Tränen, bei Allen
war eine lebhafte Theilmahme unverkennbar, In ung felbft
— fo erzählt Iabella Bird — rief einerfeits der Ausdruck
ber {Freude und bie muntere Mufit, mit welcher ber König
empfangen wurde, andererſeits aber ber Anbli der Unglüd-
lichen eine eigenthümliche Miſchung von Gefühlen der
Theilnahme und des Bedauerns hervor; wir fühlten und
zu ihmen hingezogen, zugleich aber aud) durch den Gedanten,
daß die leifefte Berlihrung verhängnigvoll jein könne, von
ihnen wieder abgeftoßen. Einige beruhigende Worte des
Arztes befeitigten indeß eine zu große Zurlidhaltung und
zu große Beforgnifie. Auf alle unfere Fragen erhielten wir
fofort Mare beftimmte Antworten. Unter ben Unglitdlichen
befand ſich auch ein alter Belannter, früher Mitglied des
Aus allen Erdtheilen.
gejeßgebenden Körpers. Als wir ihm unſere Freude aud-
ſprachen, ihm wiederzufehen, antwortete er: „leider in einem
Grabe.“ Er gehört zu den Notabeln der Colonie und führt
die Aufficht über deren Vorräthe.
Mit lebhaften Imterefie und einer gewiffen Neugier
fahen die Bewohner umferer Ausſchiffung zu, und folgten
in angemefjener Entfernung unferen Schritten,
Der König nahm von allen Einrichtungen eingehende
Kenntniß, befuchte auch das Hospital felbft, bei deſſen
Kefihtigung wir Alle zu dem tiefften Ernſt geſtimmt wur ·
den. Der einzige Troft, welcher uns blieb, war, daß wir
alle beftrebt ſeien, ſoweit menſchliche Kraft reicht, das Unglüc
zu mildern. Im diefer Hinficht nimmt aber ein Mann die
erfte Stelle ein, deffen Hochherzigkeit wahre Verehrung,
Dankbarkeit und allgemeine Anertennung verdient. Es ift
dies der Pater Damiens, ein belgiſcher Geiftlicher. Aus
hriftlicher Liebe hat er feine geachtete Stellung aufgegeben,
feine Zukunft fowie überhaupt fein ganzes Leben geopfert,
ſich freiwillig unter die Unglüdlicden verbannt und fic den
Märtyrern, unter denen die katholiſche Religion fo viele
hingebende Männer zählt, eimgereiht, lediglich, um feinen
Nebenmenfchen den Troft der Religion zu ſpenden.
Jedenfalls klingen diefe neuejten Nachrichten über bie
Behandlung der Ausfägigen auf den Sandwichsinſeln tröft-
licher als jene, die der öſterreichiſche Arzt I. Bechtinger
in feinem Werke über die Sandwichsinfeln (Wien 1869,
©. 65 ff.) mittheilt ; danach war die Sorge für die Kran-
fen zur Zeit feines Aufenthalts eine fehr geringe.
Fr diejenigen, welche fich für die Ausbreitung biefer
fchredlichen Krankheit intereffiren, wollen wir noch beifügen,
was T. T. Cooper in feinem Werfe Travels of a pioneer
of commerce nad) Angaben des Biſchofs Chauvenu Über die
—— des Ausſatzes in der chineſiſchen Provinz Yin-
nan fagt.
Die Krankheit hat danach immer größere Ausdehnung
in dieſer Provinz genommen, fo dag man ſich auch dort zu
den ftrengften Maßregeln hat entichliegen müſſen. Den
Kranlen wird es = geftattet, eine Stadt oder ein Dorf
zu betreten, oder auch nur auf einer befuchten Landſtraße zu
verfehren; fie müffen fich vielmehr von allen Menſchen mögs
lichſt fern Halten, Zu ihrer Aufnahme hat man mehrere
ifolirt gelegene Stationen errichter, zu denen alle Kranlen
fofort gefendet werden, weil man ber feften Ueberzeugung
ift, daß die Krankheit anftedend (contagious) fei.
Uebrigens glauben die Chinefen, daß die Krankheit erft
mit bem Erſcheinen der Europäer aufgetreten fei, eine Mei—
nung, welche Cooper nicht für begründet hält, von welcher
ervielmehr vermuthet, daß fie von den Mandarinen aus Haß
gegen die fremden verbreitet fei.
Aus allen Erdtheilen.
Die deutfchen Eolonijten in Südrußland.
Durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im
ruſſiſchen Reiche, welche auch die deutichen Eoloniften im Sü—
den deilelben betrifft, ift die Anfmerkiamkeit wieder auf dieſe
im Anfang des Jahrhunderts ansgewanderten Schwaben ger
lenft worden, von denen viele unzufrieden mit der Neuerung
Rußland den Rüden zu kehren beginnen. Ein Berichteritats
ter der „Nllgemeinen Zeitung“, welcher vor Kurzem die Co:
lonien beiuchte, Ichreibt über diefelben folgendermaßen: „Im
Zuſammenhang mit den Nenerungen auf militäriichem Ge:
biete wird nun auch — dies ift unverkennbar — von rulji-
cher Seite mehr ala bisher darauf gedrungen, dab die ruf:
ſiſche Sprache allmälig als Lebrgegenftand in die Schulen,
auch die Volksichulen der deutichen Colonien, aufgenommen
werde. Für den Gebrauch des täglichen Lebens in Handel
und Wandel verftcht zwar die heranwachlende Generation bie
ruſſiſche Sprache leidlih. Auch kann der Eolonift, der viel
Verkehr mit der Stadt hat, das Gewöhnlichite im ruſſiſcher
Schrift leſen. Geläufiger ruſſiſch Ichreiben lernte auch bisher
Aus allen Erdtheilen.
derjenige, der ſich ala Schreiber für dad Amt eines „Schul-
sen“ ober „Gebietsvorſtehers“ („Oberjchulgen*) vorbereitete,
wiewobl auch einem foldhen der Gedanfenansdrud in ruffis
cher Sprache fchwer fallen mochte. In der gehobenern
deutihen Schule zu Odeſſa, welche zunüchſt Privatunterneh-
mung ift, ſitzen deutſch und ruffiich rebende Kinder auf einer
Schulbank. Ich wohnte einer Stunde lateinischen Unterrichts
bei ; die deutfchrebenden Knaben Hatten die mir wohl befannte
Elementargrammatil von Kühner vor fich, die jungen Nuffen
den ruffiichen Hühner, und fo unterrichtete ber Lehrer, wel⸗
cher der ruffiichen und der deutfchen Sprache gleich mächtig
ift, alle miteinander.
Ob in dem Dorfichulen der Colonien aber ſich die ge—
nauere und eigentlich grammatiſche Kenntniß der ruſſiſchen
Sprache fo ſchnell einbürgern wird, das iſt im mehr als einer
Hinficht eine Frage der Zeit. Auf den Dörfern wird näms
fich die Sommerſchule“ vom 1, April bis 1. October nur
von den Kindern beiucht, die man nicht nothwendig au dem
Feldgeſchäften braucht; bloß der Beſuch der „Winterjchule*
ift eim eigentlich regelmäßiger. Dies erinnert nun zwar einen
deutfchen Schulmann fehr an — vergangene Zeiten. Indeß
fteht das Durchſchnittsmaß der Kenntniffe bei den Kindern
diefer Dorfihnlen doch nicht gar an auffallend hinter dem
zurüd, was ein gewöhnlicher deuticher Volksſchüler ſich als
Schulſack“ erwirbt. Trieb nad felbftändiger Fortbildung
traf ich bei nicht wenigen Coloniften ſehr ſtark entwidelt. Ich
lernte dort einen Manu fennen, der ſich in fehr gereiftem
Alter — und er ift dazu noch ein Schmied — als völliger
Autodidakt eine recht hübjche Fertigkeit im Spielen des Har-
moninms angeeignet hat. Den Winter über leſen die Goloni-
ften vor Allem die Bibel, made nehmen populär gehaltene
Erflärungen dazu. Auch andere Bücher, wie z. B. Schloſſer's
Weltgefchichte, trifft man in nicht wenigen Eoloniftenhäufern.
Den Eindrud, daß man es mit Leuten zu thun bat, die auf
feiner niedrigen Bildunasitufe ftehen, macht aud der Um—
ftand, dafı als Umgangsiprahe ein Idiom dient, das von
der deutſchen Schriftiprache viel weniger abweicht ala z. 8.
unier Schwäbilchee. Ja, man darf jagen, daf die gebildete:
ren unter den Coloniften fat Meindeutich ſprechen, ohne daß
dies geichraubt heransfüime, So fand ich es wenigſtens in
den Colomien, die mir näber befannt geworden, doch hörte
ich, daß in Beflarabien, in der Umgegend von Sarata, noch
der ſchwäbiſche Dialekt in feiner ganzen Eigenthimlichkeit,
namentlich bei der ältern Generation, der berrfchende fei
Einzelne ruſſiſche Wörter, die daun mehr oder weniger ger-
manifirt find, baben ſich in den Sprachvorrath der Coloniften
immerhin eingelchlichen; doch ift die Sprache des gemöhnfi:
chen Lebens nicht von fern eine Miſchmaſch wie in Nord:
amerifa. Als charakteriftiich it mir aufgefallen, daß die
Goloniften unfereinen nicht einen „Deutichen“, fondern einen
„Deutichländer* nemien.”
Eine Verordnung des großen Kurfürften gegen den
Aberglauben.
Wie feit die Weitfalen an dem heidniſchen Glauben ihrer
Vorfahren bielten, dafür jpricht der Umftand, daf noch im
Fahre 1669, acht Jahrhunderte nah Einführung des Chri—
ftentbums in Weitfalen, fih der große Kurfürft veranlaßt
fab, eine Verordnung an die Geiftlichkeit der Grafſchaft
Mark zu erlaffen, in welcher er diefelbe auffordert, den in
dem Volke verbreiteten heidniſchen Aberglauben auszurotten.
„Demnach,“ beift es in diefem für die Culturgefchichte inter:
eſſanten Actenſtücke, „wir in Erfahrung fommen, daß an etli—
chen Orten Unferer Grafichaft von der Mark viele abergläu-
biiche und böle Dinge annod im Schwange geben; als daf
auf Mattbiäabend Blätter ins Wafler gelegt; auf Petri Tag
der Söllvogel ausgetrieben; gewiſſe franfe Lente durch An—
blafen von Erbſchmieden gebeutet: Schweinshaare in® Feuer
gelegt; am Nenjahrstage die Bäume gebunden; Johannis—
143
Fraut ober Donnerlauh auf Johannistag in bie Wände ge—
ſtedt; Geifter verwiefen; Dfterfener angezündet und babei
allerlei Gefänge mit Mißbrauch des Namens Gottes gefun-
gen, auch viel Muthwille getrieben ; bei Einlegung bed Flach:
fes ins Waffer zugleich Brot, Butter und Schmalz und der
gleichen eingebunden und mit eingeleget; Johauniskränze oder
Kronen angebangen; Opfer gebeten; die Vehseichen gebüget;
Erbbrunnen gegen gewifle Krankheiten gebraucet; auf Mai-
tag das Vieh gequidet und die Duidruthe an die Thitren
unb Heden des Hofes ausgeftedet; auf drei Feiertage gefeg:
net; das Haar gegen gewiſſe SKrankheiten abgefchnitten und
mit Feuer verbrannt; item bei Leichen das Reehſtroh ver:
bramnt und das Todtengebot zulest an einen hohlen Baum
gebracht werde; wie auch auf gewiſſe Tage das Vogelſchießen
gehalten und andere dergleichen unterfchiedliche fo recht beib-
nilche, als fonft abergläubiiche und gottlofe Dinge verübet
werben, die bereit$ guten Theil® von Und mehrmals ver:
boten worden find; und Wir denn ſolche und dergleichen
abergläubiiche verbotene Sachen bei Unferen Untertbanen obne
Unterſchied der Religion ganz und gar abgeftellet, darüber
feftgehalten und die Verbrecher zur gebührenden Strafe ger
zogen willen wollen, al3 ergebet Unfer gnädigfter und zugleich
ernfter Befehl hiermit an Euch ıc.*
Manche diefer Gebräuche find heute abgefommen ; bie
meiften eriftiren aber troß der Verordnung des großen Fur:
fürften in Weftfalen beim Landvolle noch immer.
Die Zuftände in Oftturkeftan,
wie fie ſich in der legten Zeit entwidelt haben, ſchildert 9.
Bambery in einem Schreiben an dad „Geographical Maga:
zine* folgendermaßen: Wolf wie Agmee beginnen mit der
Regierung des Emird unzufrieden zu werden. Er fett fein
ganzes Vertrauen auf die Tunganen, mit denen er fih in
nähere Beziehungen einließ, indem er mehrere Tunganen-
mädchen hbeirathete. Da er feiner Armee nicht mehr trauen
fan, fo fürchtet er auch die Ruſſen, deren Näberrüden ihn
mehr und mehr beunrubigt. Zu feiner perfönlichen Sicher:
beit hat er zwei Jaſchkurgans (fteinerne Forts) bei Kafchgar
und Chotan errichtet. Much über die Bewegungen des Emird
Jakub Chan im Dften feines Reiches gegen China find wir
durch ruſſiſche Spione unterrichtet. Die Tunganen werden
unter feiner Oberberrfchaft von Leuten ans ihrem eigenen-
Stamme regiert. In Manaſſi und Urumtſi berrichte Ende
vorigen Jahres vollftändiger Frieden und alle Verbindungen
mit den Ehinefen waren gänzlich abgefchnitten. Doc foll
fih die Bevölkerung in einer höchſt tranrigen Lage befinden,
da die Armee von Kaſchgar fie ausfangt. — Zurfan ber
findet fich in den Händen eines höhern Offiziers, des Sarten
Törüma, und ift von 500 Mann befest. Eine gleiche An:
zahl ſteht in Tochtaſun, während ber Paß über die Dabin:
berge zwiſchen Urumtfi und Turfan von 200 Mann bewacht
wird. Die Tunganen haben wieberhoft die Umgegend der
zuletzt genannten Städte ansgeplündert und das Vieh der
dort nomadifivenden Kalmüden weggetrieben; auch gegen die
in Sufara und Schicho ftationirten chinefiichen Truppen ba
ben fie Erpebitionen unternommen. Eine regelmäßige Armee
bilden die Tunganen übrigens nicht und ihre Bewaffnung
ift höchft primitiver Art: Speere und Luntenflinten, Ihre
Abgaben müſſen die Tunganen in Silber, ſtets beim Beginne
dei Jahres, an Jakub Chan entrichten, Da ihre Lage cine
höchſt gedrüdte ift, fo wollen viele auswandern nach Kuldicha
(alfo auf ruſſiſches Gebiet) und nach Kaſchgar.
Die Zähmung des afrifanifhen Elephanten.
Ueber dickes intereffante Thema bat ih A Baftian,
anläßlich des Petermann'ſchen Vorichlags, indifche Elephau—
ten bei der deutichen afrikanischen Erpedition zu verwenden,
in der Berliner geograpbifchen Geſellſchaft folgendermaßen
144
ausgelaffen: Daß der afrifanifche Elephant im Alterthum
gezähmt worden fei, kann troß der vielfach geäußerten Ein:
wände feinem Zweifel unterliegen, es fcheint indeß zugleich
feftzuftehen,, daß dies nicht aus der Initiative der afrika:
nischen Menſchen hervorging, Sondern aftatischem Einfluß au
danken ift. Alerander hatte zuerſt bei Arbela, dann in Ju⸗
dien Elephanten zu bekämpfen, und er ſowohl wie ſpäter die
Seleuciden und Antiochus brachten aus Indien Elephanten
zurück, die, wie das übrige Neich, unter die Generäle ver:
theilt wurden. Als aber den Btolemäern bei den ausbrechen:
den Zwiftigfeiten die aſiatiſche Duelle abgeſchnitten war,
fandten fie Forfcher an den obern Nil hinauf und errichteten
an der Küſte (mo noch das Elephas Promontorium oder
Rassel-Fil verblieb) Stationen zum Fang, aud unter ben
Elephantophagen genannten Stämmen und auf dem Nil bien:
ten die Elephantegoi bezeichneten Boote zum Transport
(unter Bhiladelphos). Damit mögen auch die aus jener Zeit
in Abeifinien verbliebenen Spuren in Bezichung fteben, und
dort fpricht noch Marmol von Abrichtung der Elephanten.
Da die afrikanischen Elephanten in der Schlacht bei
Rapbia den Angriff der afiatifchen micht ertrugen (unter
Ptolemäos Philopator), jcheint man fie ſpäter wieber auf:
gegeben zu haben, doc wird fich die Kenntniß ihrer Züh—
mung vorher ſchon zu den Carthagern verbreitet haben, bie
in den Kriegen gegen Epirus Elephanten verwandten ftatt
der Streitwwagen, die auf ihren Feldzügen gegen Gelon, Hie—
ron und fonft in Sicilien ericheinen, und die im ihren
Mauern große Elephantenftälle baneten. Hasdrubal wurde
inady Appian) auf Elephantenjanden geichidt, wie fich (nach
Blutarh) Pompejus init folden in Numidien beiuftigte und
Plinius der Elepbanten in Mauritanien erwähnt. Juba
ließ bei der Annäherung Cäſar's Elephanten noch kurz vor
der Schlacht bei Thapios einfangen, doch brachten fie durch
ihre Wildheit, weil noch nicht genügend abgerichtet, feine
eigerren Reiben in Unordnung Auf numidiſchen Münzen
findet fich der afrifanifche Elephant, an den großen Ohren
fenntlich, während der (gleich dem Rhinoceros) Ebu genannte
Elephant auf den thebanischen Bildern aus der Zeit Thut-
moſis III. (unter einer mit Aſſyrien lämpfenden Dynäaſtie)
auf Alien deutet, im feiner eigenen Form ſowohl wie in der
feines Führers, und jene röthliche Farbe zeigt, mit der die
weiten Elephanten in den fie heilig haltenden Ländern bar-
getellt werden. Unter den Hierogluphen der Ptolomäerzeit
findet fich ein gerittener Elephant. Beachtenswerth ift, daß
bei einigen Geremonien am Hofe des Königs von Dahomeh
früher ein Holzelephant herumgefülhrt wurde, aber im Uebri-
gen ift der Elephant in Afrifa nur als Jagdthier befannt.
** x
— Der Aufftand auf Cuba zieht fich nun weit ins
fechste Jahr bimeim und es ift allen Anftrengungen der Spa:
nier nicht gelungen, ihn niederzuſchlagen. Der größte Theil
der weißen Creolen begünftigt insgeheim denfelben, hütet fich
jeboch, thätig einzugreifen, und der größte Theil der Inſur—
genten bejteht nun ſchon feit längerer Zeit aus entlaufenen
Negerſtlaven. Die Kriegführung beſteht vielfach nur in Ver:
wüſtung der Plantagen, offene Gefechte oder Schlachten fom:
men nur jelten vor. Diefer Charakter des Aufſtandes hat
nach und nach in die cubaniſchen Verhältniffe ein neues Ele:
ment gebracht.
Nus allen Erbtheifen,
hat, noch längere Zeit im derfelben Weile fortdanern, dann
kann es zutreffen, daß auf Cuba die Dinge eine ähnliche
Wendung nehmen wie zu Ende des vorigen Jahrhunderts
auf St. Domingo. Je mehr unter den Aufſtändiſchen das
weiße Element vom ſchwarzen überwogen wird, um fo grö-
fer ift die Gefahr, daß die Sklaven den Verfud) machen, ſich
mit Unterjtiigung ihrer bewaffneten Stammesgenoffen gewalt:
fanı zu emaneipiren. Die fpanifche Regierung hat wiederholt
eine Emancipation in Ausficht gejtellt, denft aber nicht an
eine Verwirklichung derfelben. Ein ftarfes Viertel der Ber
völferung Cubas befteht aus farbigen Sklaven, ein anderes
aus Mulatten und freigelaffenen Negern und die territorias
fen Verhältniffe des Eilandes begünstigen eine Trennung in
eine weiße wejtliche und Bjtliche Schwarze Hälfte.
— Die größte bis jest befannte Schnelligkeit
bat ein Eilenbabnzug auf der Linie Jerſey-Trenton — im
Staate Neuyerfey in Nordamerila — erreicht. Die Entfer:
mung zwiſchen beiden Städten beträgt 92 Kilometer und iſt
in 59 Minuten durch den Zug, welcher die Zeitungen täglich
au befördern bat, durchfahren. Die Schnelligkeit überfteigt
93 Kilometer per Stunde. In Newark war cine Minute
Aufenthalt und eine Heine Verzögerung war zu Neubrauns
ſchweig. Bon diefem Orte ab fuhr man während drei Minuten
mit einer Schnelligkeit von 137 Kilometer per Stunde.
— Georg Schweinfurth bat von der Variſer geogra-
phiichen Gefellichaft für feine Reifen in Junerafrika die gol:
dene Mebaille erhalten,
— St.:Gotthard: Tunnel. Am 1. Juli d. J. war
man bei der Bohrung diefes Tunnels von Goefchenen aus
2217 Meter, von Mirolo aus 1976 Meter, zufammen 4193
Meter, vorgedrungen. Es bleihgn noch 10,720 Meter zu bob:
rer, ebe eine Vereinigung ber beiden Stollen ftattfinden kann.
— Am 27. Juni 1875 tft in Gegenwart des Fürſten
von Rumänien in Buchäreft eine geographiiche Geſell—
Ichaft eröffnet worden, bie in eine mathematiſch-aſtro—
nomijche, phyſikaliſche, geologische, ethnologiſche und archäolo-
giſche Section zerfällt, Wir wünſchen ihr fröhliches Gedei—
hen — ein weites Forfchungsgebiet liegt am der untern Do-
nau vor ihr offen und der gute Wille it fchon etwas wertb,
wo bie Kräfte noch nicht ausreichen.
— Die Pfirfihernte in Delaware bat im laufen:
den Fahre die ungeheure Menge von 3,000,000 Körben er:
geben. Davon verfandte Middletown etwa 600,000, Mount
Pleaſant 500,000, Dover 400,000 Körbe. Auf der Queen:
Anne: und Keut-⸗County-⸗Bahn find 700,000 Körbe befördert
worben.
— Habhramant, weldes uns durd A, v. Wrede's
Reife und jpäter durd die Erkundigungen W. Munzinger's
näher befannt wurde, ift nach Berichten aus Konſtantinopel
gegenwärtig in vier ſich feindlich gegenüberjtehende Diftricte
getheilt. Der Hafen Makalla wird von einem Abkömmling
der Familie Küifadi gehalten, der feine Renten aus den Hafen:
abgaben bezieht. Die Städte Kutni und Schibam im Innern
und der Hafen Schir find den vier Söhnen Omar untertban,
bie zur Rajutifamilie und Nomanlitenfecte gehören. Einer
berfelben, Sali, befindet fi) gegenwärtig in Haiderabad, In—
dien. Ein Theil der Heinen Staaten im Innern ift im
Beſitz der Temini:Bedninen und ber Neft des Landes gehört
einem Sultan ans der Familie Kütbeiri. Der letztere ſoll
Bern die Wirren, wie das allen Anschein | der „legitime‘ Herrſcher Hadhramants fein.
Inhalt: Römiſche Ueberrefte in Siebenbürgen. (Mit ſechs Abbildungen.) — Geſchichten aus Alt-Japan. IT, (Mit
einer Abbildung.) — Ein Beſuch auf den Nikobariſchen Inſeln. Von F. Ad. v. Noepftorff. —
Von Arthur v. Triebel. J. —
Länder am Euphrat und Tigris für den Verkehr.
Die Bedeutung der
Der Ausjag auf den Sandwiches:
inſeln. — Aus allen Erdtheilen: Die deutichen Coloniften in Südrußland. — Eine Verordnung des großen Kurfürſten
genen den Aberglauben. — Die Zuftände in Dftturkeitan. — Die Zähmung des afrifanijchen Elephanten. — Berichiede:
ned. — (Schluß der Redaction 14. Muguft 1875.)
Zur die Redactien veraummertlib: H. Vieweg in Braunfbmeig.
Druck und Berlag von Frietrih Bieweg und Sohn in Braunſchweig.
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
In
—E—
Verbindung mit Fachmännern und Künſtlern begründet von
Karl Andree.
Braunſchweig er San
Jährlih 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlihd 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Markt, Einzelne Nummern 50 Pf.
1875.
— — = —
Donau-Bulgarien.
Auf fein großes, von uns oft erwähntes und nad) Ge—
bühr gewürbigtes Werk über Serbien hat der unermüdliche
F. Kanig, den wir zu den gejchägten Mitarbeitern des
„Slobus* zählen, ein neues Prachtwerk folgen laſſen, die
Frucht fnfzehmjähriger mühevoller und aufreibender Rei»
fen Nicht weniger als fünfzehnmal hat er den Balfan
überjchritten und die fo vieler Nachhilfe bedürftige Geogra—
phie dieſes gewaltigen Gebirgäzuges in einer Weiſe aufgeflärt,
die zum höchſten Dante gegen den tüchtigen Forſcher ung ver ⸗
pflichtet. Geradezu erftaunt find wir über die Menge defien,
mas hier zu leiften war und auch geleiftet wurde. Auf weite
Streden hin befommt die Karte durd) Kanitz ein neues An-
fehen, es ift eine Veränderung — im fleinen Maßftabe —,
wie wir fie font nur bei der Karte Afrikas zu jchen befom«
men: lüffe werden ausgemerzt, neue eingezeichnet. Städte
mit ftarter Bevölkerung finden ihren Play auf bisher leeren
Stellen und andere, die überhaupt nicht eriftiven, auf den
Karten aber ſich breit machen, verjchwinden von benfelben.
Wie „Serbien“ theilt Kanig fein Werk im zwei Bücher
ein. 1. Staat und Geſellſchaft, 2. Neifeftudien. Er ent
wirft, von den vorgefchichtlichen Ueberreſten ausgehend, Inapp
und gewandt eim fehr Überſichtliches Bild der Geſchichte der
Bulgaren bis auf die nationalen Beftrebungen der Gegen—
wart herab; ſchließt daran ein mannigfaltiges Gapitel Über
*) Donau-Bulgarien unb der Balfan. Hiftorifchegeograpbiiche
etbnograpbifche Reiſeſtudien aus den Jahren 1860 bis 1875. (riler
Band. Mit 20 Illuſtratlonen im Terte, 10 Tafeln, einem Gebirgs ⸗
profil und einer Karte, Bon F. Kanih. Leipzig. Hermann Fries.
1875.
Globus XXVIII. M. 10.
die Ethnologie, in dem namentlich der Aberglauben reich be
dacht ift, zeigt uns bie politifchen Rechte des Volts, feine
Stellung zu den Türken und charalteriſirt jcharf die Mip-
regierung derfelben. Der bulgarische Kicchenftreit gegen die
bedrlichenden Griechen aus dem Fanar wird in fehr gründ«
licher, den Bulgaren freundlicdyer Weife behandelt und dann
die ausjichtslofe fatholifche Propaganda unter den Bulgaren
abgethan.
Die Reifeftubien, welche der erfte Band bringt, befchrän«
fen fich auf das Gebiet zwiſchen Niichava, Donau, Yom und
Timof, alfo den nordweitlicen, an Serbien grenzenden Win-
fel Bulgariens. Bier tritt mamentlic, die Archäologie in ihr
Necht, auf deren Gebiete der Berfafler umfaſſende Studien
machte. Aber auch intereffante Böllerbilder erhalten wir, das
ethnographiſche Eapitel wird hier im Detail ausgemalt. Ka-
nig erzählt:
Das Yomthal iſt jehr fruchtbar und hat eine weit dich:
tere Bevölferung als man nad) v. Scheda's Karte annehmen
möchte. Celbft die wenigen dort angegebenen Orte liegen
aber nicht an der richtigen Stelle, fondern größtenteils an
dem Smordenfluß, der ebenfowenig eriftirt, als die beiden
Städte Pirsnif und Drinovag, welche in Stieler's Dandatlas
und anderen Orten am Lomfluſſe bisher figurirten. Bom
Nitolapak abwärts ‚bis zur Donauftadt Lom begegnete ic)
einer einzigen Stadt.
So gejegnet der Boden des Yomgebietes ift, fehlte es ihm
doch feit Jahrhunderten an den nothwendigen Bedingungen
zur Entwidelung von Gewerbe- und Handelsthätigfeit und
zur glüdlichen Verwertung feiner reichen Naturfchäge. Er
19
146
wurde durch fortwährende Kämpfe entvölfert und erſt in die-
ſem Jahrhundert durd; romaniſche Einwanderer vom jenjei«
tigen Donauufer theilweife wieder etwas ſtärler befiedelt.
Da letztere aber in ihren Bedlirfniffen und Lebensanfor⸗
derungen immer noch auf primitivfter Stufe jtehen, wird es
für das nordweftiiche Bulgarien einer nad) ganz anderen
Principien vorgehenden Verwaltung beditrfen, um bie fir
das Aufblähen von Städten nothwendigen, im Keime wohl
vorhandenen Elemente zur vollen Entfaltung zu bringen.
War es alfo dem vereiwigten Conful v. Hahn vorbehalten,
dor wenigen Jahren das ganz ungefannte albanefifche Städt:
chen Kruſchewo (mit etwa 3000 Einwohnern) in die Karte
Tonau = Bulgarien.
einzutragen, jo fiel mir die entgegengefegte Aufgabe zu, außer
der Stadt „Yönebol* am Timof auch die Städte „Pirsnil“
und „Drinovag* am Lom unnachſichtlich aus der Harte zu
ftreichen; denn von allen diefen drei Städten eriftirt nur die
legtere in Geſtalt eines Kleinen Dorfes von 80 Käufern,
An feiner Stelle mochte einft wohl, einer vorhandenen Gaftell-
ruine nach zu urtheilen, eine römische und höchft wahrichein:
lich, von den Byzantinern veftaurirte, jpäter altbulgarifche
Stadt gejtanden haben, die nad) älteren Schriftjtellern aud)
der Gig eines Biſchofs war. Heute hat Drinovag aber nicht
einntal eine eigene Kirche. Es ift zum mahen, hart am der
Straße liegenden großen Dorfe Tſchorlevo eingepfarrt, wel-
—
Troglodytendorf am Lom. Aus Kanitz' Donau-Bulgarien“.
ches auch ein Blockhaus beſitzt und das die Zwiſchenpoſt- Zeit ihrer Anwefenheit ihre Niederlaſſungen durch deren all—
ſtation zwiſchen Tſchupren und der Stadt Lom Palanka
bildet.
Bon Tſchorlevo bis zur Donau begegnet man hart am
Yomflufle dem bunteften Völlergewirre. Bulgaren, Roma»
nen, Tataren und Tſcherkeſſen wohnen hier in oft nur 20
Minuten von einander entfernten Dörfern. Die Tataren
haben ihre aus der Krim herübergebrachte Tracht bereits
größtentheil® abgelegt und dafllr das bulgariſche National:
coftim, die Tſchubara (Schaffellmüge), das weiße, faltige,
geitidte Hemd und Opintfchen (eine Art Sandalen) als Fuß⸗
befleidung eingetaufcht. Sie fprechen bereits vielfach das
Bulgarifche, find bei der flavifchen Bevöllerung ziemlich be:
liebt und haben im Hinblicke auf die verhältuigmäßig furze
gemein gerühmten Fleiß zu ziemlich erheblichem Wohl
ftand gebracht. Befondere Sorgfalt wenden jie auf ihre
Schulen.
Wie weit die auf beiden Lomufern angefiedelten Tſcher-
teffen in der Gultivirung der großen bulgarifchen Terraffe
fi) bewähren werden, dies muß die Folge lehren. Im Bes
ginne hatten fie ſich durch ihr herriſches Auftreten, durch
iheen Hang zur Widerfeglichteit, zu Raub und Dicbftahl
ſowohl bei den Türfen als bei der tatariſch-romaniſch-bulga⸗—
rifchen Yandbevölferung fehr verhaßt gemacht. Seit dem
Jahre 1864 ift jedoch cin allmäliger Umſchwung zum Beſ—
fern eingetreten. Die Noth zwang die Helden des Kaufajus
ſich zur Feldarbeit zu bequemen. Ich jah Shon im Nahre
Tonau=Bulgarien,
1870 fogar einzelne tſcherleſſiſche Frauen an derjelben ſich
betheiligen. Nur an der großen Vorliebe für fremde Pferde
hält der Tſcherleſſe feſt. Er rivalifirt in diefer Beziehung
mit den nomadifirenden Zigeunern umd Hunderte blißen ftets
in der Widdiner Feſte den unbezwinglicyen Hang, fic auf Koften
ihrer Nachbarn beritten zu machen. Schwer trifft den Tſcher⸗
leſſen jelbft die geringfte Freiheitsſtraſe. Bei fortgeſetzter
unnachſichtiger Strenge durfte er fi) alfo auch bezllglich
fremder Vierfüßler zu mehr occidentafen Rechtsbegriffen be
quemen.
In dem Dorfe Bafilovce begegnete ich den im Jahre
1861 auf ruſſiſche Verfprechungen hin nad) der Krim aus-
147
gewanderten, im Jahre 1862 aber vollfommen enttäuscht
zurüdgefehrten Bulgaren. Sie fanden ihre verlaffenen Dör—
fer von den an ihrer Stelle colonifirten Tataren bereits bes
jegt und es blieb ihnen nichts librig, als ſich, fo gut es ihre
Mittel erlaubten, neue Wohnftätten zu bauen. Diefe fehen
wohl ſchlimm genug aus und jegen ein wejteuropäifche® Auge
in nicht geringe Berwunderung. Ich jah hier leibhaft bie
von Owen Stanley ausführlic, befchriebenen, von den Mens
fchen der Bronzezeit bewohnten „Penpits“ zu Anglefea in
nur wenig veränderter Öeftalt vor mir. Zur Hälfte in der
Erde eingegrabert, mit einem auf chief gegen einander geftell
ten Baumftänmen aus Erde gejtampften Dadje und riefigen
Eingewanderte Ticherkeffen in Bulgarien. Ans Kanitz' „Donan:Bıtlgarien*.
aus Rohr geflochtenen Rauchfängen machen fie den Eindrud |
wahrer Troglodytenwohnungen.
Hält man aber diefes Beifpiel primitivfter Bauweiſe den
architeltoniſch fortgefchrittenen Werfen entgegen, welche ein
und dajielbe Boll in den Städten ausführt und bewohnt, |
fo ergiebt ſich wohl für den Archäologen und Culturhiſtoriker
die Mahnung, bei der Beurtheilung, Claffificirung und Scheis
dung der vorhiftorifchen Nefte jehr vorfichtig zu fein, Denn
wir finden hier die Angehörigen eines Volkes, welches die
verfchiedenften Handwerfe mit Meifterichaft betreibt, welches
den bewunderungswertheften Filigranſchmuch, ausgezeichnete
Töpferarbeiten und Webereien erzeugt, in Wohnungen, ähn«
lic) jenen der Kaffern, melde befanntlic, in allen Künſten
auf fehr niedriger Stufe ftehen,
Ueber die Tfcherteffenanfiedelungen giebt uns Kanig in
dem Kapitel „der Kaulaſus am Ballan“ nähere Austunft
und diefe Flingt keineswegs günftig, wie folgendes Bild dar:
thun wird,
Nur ein jchriller Mißton, der noch heute ungeſchwächt in
meiner Erinnerung nachflingt, ftörte mich im reinen Genuſſe
des wunderbar fchönen Naturbildes. Es waren die in fort-
laufender Kette rechts und kinfs von Wege zwiſchen Baus
partien oder auf niederen Hligeln, in Öruppen von 2, 3 bis
zu 20 zerftreuten friſchen Tſcherleſſengräber. Statt Blumens
ſchmucks mit Bachlieſeln oder Felsblöden umrandet erzählen
fie laut von der Mifore des großen Tſcherkeſſenzuges, ber
fürz zuvor bie neue Straße bededte. Mar könnte fie am
bezeichnendften „Sräberftrage* nennen.
iy*
148
Gleich entfeglic wie das Elend der bedauernswerthen
Einwanderer geftaltete ſich das traurige Loos der armen Buls
garen, zu deren Ueberfchichtung fie herangezogen worden wa-
ren. Noch hatten fie ſich von den durch die Tatarencolonis
fation im Jahre 1861 ihnen auferlegten Opfern nicht erholt
und abermals zwang man fie, aud) diefen neuen Ankömms
fingen Häufer zu bauen, deren Koften von künftigen Steuern
abgerechnet werden follten. Die Abgaben wurden aber vor
wie nad) eingehoben und hiermit nicht genug mußten bie
Bulgaren nach dem Grundfage: „Aller Boden ift des Sul»
tans!“ zu einer neuen Abtretung ihres beften Grundbeſitzes
an die Tfcherkefien ohme jede Entſchädigung ſich verftehen.
Ic) ſehe hier den von europäifchen Nechtöbegriffen erfüll-
ten Leſer zweifeln und doch find diefe angeführten Thatfachen
volltommen wahr und fern von jeder Uebertreibung!
Jenſeits des Baltand betrat ich) Crvenibreg nahe bei Bela
Belanka, das erfte der Ticherkeffendörfer. Später fah ich die
nenen Anfiebelungen zu Niſch, dann zu Mramor an der bul-
garifchen Marava; ferner die nach glorreicden Sultanen
benannten Colonien Medfchiedich, Osmanich, Mahmudieh
und andere, In der Mehrzahl diefer Anfiedelungen waren,
als ic im Jahre 1864 durch diefelben kam, die im langen
Reihen ſich binziehenden Familienhöfe noch nicht vollendet.
Die Einwanderer bewohnten einftweilen die Häufer von Bul—
garen, welche man rücjichtslos gezwungen hatte ſich ein be—
liebiges Obdach zu fuchen.
Hier fand id) die Refte der ftark zufammengeichmolzenen
tfcherkeffischen Juneh (Familiengemeinſchaften), nur jelten
noch 7 bis 12 Stöpfe ſtark, in oft wahrhaft herjzerreißender
Lage. 20 Para (5 Neufreuzer) und !, Dfa (1 Pfund)
Mais per Kopf täglich find felbft in dem gefegneten Bul—
garien zur Befriedigung der nothwendigſten Bedlirfniffe nicht
ausreichend, ſolch großes Opfer dies auch für den Staat,
oder richtiger fir die bulgariſchen Rajah fein mochte, da diefe
Eubvention neben voller Steuerfreiheit den Einwanderern auf
drei Jahre zugefichert worden war.
Oft fah ic) auf dem nadten, vom Nachtthau befeuchteten
Lehmboden der arımfeligen Behaufungen, umhüllt vom quals
menden Rauche des fchwer in Brand zu jegenden grilnen
Holzes, drei und mehrere Krane verfcjiedenen Alters und
Geſchlechts, mit Geſunden bunt durd einander gewürfelt,
im furchtbarſten Fieberparoxismus unreiſes Obft oder ſchwe⸗
„Journal des Muſeum Godeffroy“.
res trodenes Maisbrot mit wahrem „Fieberhunger“ ver—
ſchlingend.
Hier zu helfen Uberſtieg die Kraft des Einzelnen! Um—
drängt von den Unglüdlichen, die oft in mir dem von der
Regierung längft verſprochenen Halim (Arzt) zu erbliden
—— gab ie, was ich nur immer entbehren fonnte. Mic)
und meine Leute vergefiend leerte ich in Osmanieh den
Chininvorrath, meiner Heinen Reifeapothefe, um doch wenig:
ftens für einige Stunden die Leiden der am meiften vom Fie⸗
ber Ergriffenen zu mildern.
Die Unmöglichkeit, ſich mit ihren Nachbarn, den Bulga-
ven, Zataren oder felbft den türliſchen Beamten anders als
durch einige wenige des Türfifchen kundige Häuptlinge (Beys)
zu verftändigen, erhöhte noch die ſchlimme Lage der Ein:
wanberer,
Mitten in diefe potenzirte Häufung menfchlichen Elends
trat neben der bewundernswerthen felbftbewußten Haltung
der Männer ein Zauber verflärend hinein, die vielgerlihmte,
mandmal geradezu blendende Schönheit der tſcherkeſſiſchen
Frauen.
Mer feine traumhaft gedachten oder vielleicht nach antifen
Borbildern geſchaffenen Ideale claffifcher Frauenſchönheit ver-
wirflicht ſehen, lernen und begreifen will, weshalb der Sultan,
die Shane und türkischen Großen mit allen Mitteln darnad)
fireben , ihre Harems mit den Wunderblüthen des Kaulafus
zu fhmiüden, wandere in den Balkan. Er thue es jedoch)
bald, denn unter dem Drucke herber Noth und ungewohnter
Arbeit wird der Abel der Erjcheinung mit der nothwendig
fid) mindernden Pilege der Phyfis raſch ausgeftorben fein.
Allein nicht mehr als Obdalisten, jondern nur als recht⸗
mäßig angetraute Frauen follen die, nebenbei bemerkt, ein
wenig boshaften, eiferfüchtigen und in ihrer Mache zum Aeur
Berften bereiten Schönen des Kaukaſus an der Donau fünf-
tig heimgeführt werden. Ein ſultaniſcher Ferman verlün—
dete, daß fie mit dem Betreten des großherrlichen Bodens
aufgehört hätten eine Waare zu fein. Co viel id) bemerfen
konnte, ſchienen jedoch weder die Eltern noch der weibliche, in
phantaſtiſch wuchernden vornehmen Zukunftegelliſten erzo⸗
gene Nachwuchs von des Sultans Beſchränkung ihrer ſub—
jeetiven Freiheit erbaut zu ſein und auch dieſer Ferman
— welcher eigentlich doch nur zur Schonung engliſcher Phi⸗
lanthropie und Prüderie erlaſſen worden war — zählte zu den
vielen todtgeborenen.
„Journal des Muſeum Godeffroy“.
Es ift erfreulich zu fehen, wie Hamburg im Verlaufe
weniger Jahre zu einem geographifchen Centrum in Deutſch-
land geworben ift, das mehr und mehr erfreuliche Aussichten
für die Zukunft entwidelt. Seine überfeeifcen Berbinduns
gen, die beide Erdhälften umfpannen, der großartige Hanbdel,
dem zu Liebe feine Söhne in den fernften Hafenplägen ans
gejeflen find, wo fie ehrenvoll den deutfchen Namen vertreten,
endlid die nautifchen Beziehungen diejer erſten Handelsftadt
des Gontinents mußten ſchon das Intereſſe an geogra-
phifchen Forſchungen erweden. In der That war diefes
auch vorhanden, nur fehlte der Brennpunkt , im welden die
verfchiedenen Strahlen ſich zu gedeihlichem Wirken vereini-
gen konnten. Dazu bedurfte es des Anfioßes und da dieſer
. verdanft Hamburg vor Allem der Energie
Friederichſen's, der, aus der tüchtigen Gothaer Schule
hervorgegangen, mit feltenem Eifer fi) ans Werk machte,
Zunädhit gründete er eine große Land und Seekartenhandlung,
mit welcher ein Verlagsgeſchäft vereinigt wurde, in weldyem
trog der kurzen Zeit feines Beftehens bereits mehrere werth»
volle Driginalfarten und tüchtige geographifce Werte er-
ſchienen (Wicbel: Die Infel Kephalonia; Yeng: Fluth und
Ebbe des Meeres; Laudesdorf: Die Sefundheitszuftände in
verschiedenen Hafenplägen; Rümfer: Publicationen der Ham:
burger Sternwarte ꝛc.). Friederichſen ift auch der eigentliche
Gründer der Hamburger geographiichen Gejellichaft, bie
trog ihrer Jugend — fie ift erſt ins dritte Vebensjahr eins
getreten — bereits den zweiten Rang unter den geographi-
ſchen Vereinen Deutſchlands einnimmt, gleich neben Berlin
genannt zu werden verbient, und fiber verhältnigmäßig bedeus
tende Mittel gebietet, fo dag fie ſchon Forſcher (Dr. An:
„Journal des Mufeum Godefftoy*.
149
drea® ging auf ihre Koften nadı Südperfien um dort Auss Dan findet in ihnen das ganze Yahr liber Eier; wie viel
—— zu unternehmen) ausrüftet und umfangreiche
ahresberichte mit werthvollen Abhandlungen veröffentlicht.
Friederichſen endlich fegte auch mit großer Gewandtheit den
glänzenden Empfang der öfterreichiichen Norbpolfahrer in
Scene, bei dem die ganze große Stadt betheiligt war.
Einen wichtigen Kern: und Anhaltepunkt für die Wort:
entwidelung der Lünder und Bölfertunde in Hamburg bot
vor Allem auch das Mufeum Godeffroy, weldjes wir be:
reitd wiederholt im „Slobus* befpradjyen und in dem ebenſo
eifrig die Ethnographie wie die Naturwijjenichaften gepflegt
werden, ein rühmliches Zeugniß fürden regen wiſſenſchaftlichen
Sinn des Herrn C. Godeffron. Des Sonrnal dieſes Mu⸗
ſeums iſt nach Inhalt wie Ausftattung eine Perle unter
den wiſſenſchaftlichen Publicationen aller Läuder und die
Kedaction, die abermals im Friederichſen's Händen ruht,
thut alles um dieſes werthvolle Werk noch mehr zu heben,
Daflir fpricht das vorliegende achte Heft *), mit dem mir
und jegt näher befchäftigen wollen.
Eröffnet wird daſſelbe mit einer ausführlichen Mono:
graphie Über die Ornithologie der Valau-Inſeln in ber
Sübdfee von dem belannten Bremer Naturforſcher Otto Finſch,
dem das Material zu dieſer ſchönen Arbeit aus dem Mu—
jeum Godeffroy zur Verfügung gejtellt wurde. Während
nur zwei weit liber die Südſee verbreitete Flatterſdugethiere
(Pteropus Kerandreni und Emballonura fuliginosa)
auf den Palau⸗ (Pelew⸗) Infeln vortommen, finden wir dort
eine verhältnigmäßig reiche Avifauna, denn Finſch zählt 30
jichere und 8 unfichere Standvögel auf, die aud) als Bruts
vögel gelten dlrfen, zu denen ſich dann mod) 18 Arten
Zugvögel gejellen, die nur auf ihren Frühjahrs- und Herbft-
wanderungen die Palaus berühren. Unter den Stand»
vögeln gehören 13 Arten der Gruppe als eigenthlimlicd an
und zwar eime fanzartige Eule, Noctua podargina, ein
Zugenmelter, Caprimulgus phalaena, zwei Meliphagiben,
Zosterops Semperi und Z. Finschi, ein Würger, Rectes
tenebrosus, eine Champephagibe, Volvocivora monacha,
zwei Fliegenſchnepper, Myiagra erythrops und Rhipidura
lepida, eine Sylvie, Psumathia Annae, zwei Tauben, Ptili-
nopus pelewensis und Phlegoenas canifrons, ein Scharr:
huhn, Megapodius senex. Psamathia ift jogar ein eigenes
nur den Palaus angehöriges Geſchlecht. Hinſichtlich des
allgemeinen (Charakters der Bogelwelt Palaus läßt ſich
— wie dies durch die geographifce Yage erläutert wird —
ein vorwiegend indo-malayijches Gepräge erkennen ; nament⸗
lich Formen, bie von Siüdindien fiber die Sundainfeln nad)
den weftlichen Bolynefien reichen, fommen vor. - Beachtend«
werth ift der gänzliche Mangel von Papageien und Fringils«
liden. Der Ruf des Palaufauzes (Noctua podargina)
gilt den Inſulanern als unheilverfündend, wie bei ung, und
göttliche Verehrung wird im Diftrict Ratmau auf Babelt-
haup dem Kadam (Dysporus sula), in Engtaſſar dem
Puffinus dichrons, auf Peleliu dem Nachtreiher (Nyeti-
corax wmanillensis) gezolt. Nur wenige Bögel (Carpo-
phaga oceanica und Puffinus dichrous) und das wilde
Huhn werden von dem Eingeborenen gegeflen, vor Allem
aber werden die Eier von Megapodius senex geſchätzt,
welcher wie die Übrigen Scharrhühner feine Eier nicht jelbft
bebrütet, fondern diefelben im gemeinſchaftlich zufammen-
geiharrten Sandhügeln niederlegt , wo fie von der Sonnen:
wärme gezeitigt werden. Solche künftliche Bruthügel haben
oft einen Umfang von über 100 Fuß und 10 Fuß Höhe,
*) „Zourmal des Muſeum Godefftey?. Geograpbifche, eihnogra ·
phiſche und maturwiffenibaftliche Mittheilungen. Heft VI. Mit
12 Holzfhnitten und 18 Zafeln, 140 Seiten gr. 4. Hamburg.
£ Frieberichfen u. Gomp. 1875.
ein Weibchen fegt, läßt ſich nicht ficher fejtftellen, da viele
Weibchen gemeinſchaftlich cine ſolche Brutſtätte benutzen.
Die Eingeborenen berauben die Hligel ihres Inhalts, wobei
fie indefien, um den Vogel nicht auszurotten, ſyſtematiſch
und mit Verftändnig vorgehen. Die fünf zu der Arbeit
von Finſch gehörigen Tafeln mit Abbildungen der den Palau
eigenthitmlichen Vögel gehören zu den ſchönſten Erzeug—
niſſen des Farbendrucks.
Weitere ſich hieran anſchließende naturwiſſenſchaftliche
Abhandlungen find (in engliſcher Sprache) von dem am
7. März d. I. verftorbenen John Edward Gray über einen
Deiphinthäbel (Feresa attenuata), über neue Nadtidyneden
ber Eitdfee von Dr. R. Bergh in Sopenhagen; Über die
Flora Uueenslands nad) den von Frau Amalie Dietrid) ges
fanmelten Pflanzen von Dr. Chr. Yuerflen, und über die
Geologie der Palaus jowie die Bafalte der Inſel Ponaps
von Dr, Arthur Wichmann.
Bon hervorragenden Intereffe für uns find die wid):
tigen ethnographiichen Nachrichten 9. Hubary’s (eines
fürzlic von langjährigen Reifen aus der Slidfee zurückge—
fehrten Polen) Über die Inſel Bonape (Puynipet).
Die Eingeborenen Ponapés waren noch unlängit das,
was man ſich bei und unter einem naiven, gaftfreundlichen
Sitdfee » Infulaner vorjtellt. Seit der Auffindung diefer
Infelgruppe durch Admiral Lutle 1828 aber, innerhalb
eines Zeitraumes aljo von beinahe 50 Jahren, unterlagen
die Eingeborenen einerfeits den gewaltigen Einflüffen hierher
verſchlagener Seeleute, andererjeits dem Eifer amerilaniſcher
Mifjionäre. Die erften auf Ponaps angefiedelten Weißen
waren defertirte Seeleute, welche ſich der Hoffnung hingaben,
dort ein Yeben flißer Träume führen zu fönnen. Als ihre
vermeintliche göttliche Natur ſich ſchon mach Verlauf kurzer
Zeit als eine gang menſchliche und obendrein fehr unvoll:
fommene entpuppte, da wurden fie den Eingeborenen eine
unliebfame Yaft. Cine Zeit lang, fo lange die Anzahl der
Fremdlinge eine begrenzte war, hielten die einzelnen Häupt⸗
linge es fr eine Chrenfache, einen eigenen Weißen, einen
fogenannten zahmen Dausweißen, zu haben, als die
Anzahl derfelben aber wuchs, da hörte die Rarität auf und
an deren Stelle trat ein um die Gunſt der Eingeborenen
coneurrivender Kampf unter den Fremdlingen. Yegtere fin
gen an ſich gegenfeitig aus dem Wege zu ſchaffen und lehr—
ten damit die Eingeborenen, allen Europäern von vornherein
mit vorgefaßter Meinung zu begegnen. Die Einſchleppung
der ſchwarzen Blattern im Jahre 1854 durch das engliſche
Barkſchiff „Delta*, welche circa dreiviertel der gefammten
Bevölkerung dahinraffte, mußte im Uebrigen zur Vorficht
mahnen.
Ponaps zerfällt in politifcher Hinfiht im fünf von ein-
ander unabhängige Diftricte: Dzjoloits (Jetoits), Nott
(Nutt), Ou, Matabanim und Roan Kitti, welch letzerer wie:
der im das eigentliche Kitti und in Wana getheilt wird.
Jeder von ihnen hatte vor circa zwanzig Jahren eine Ans
zahl größerer Häuptlinge, um weldye fid) das Volk ſchaarte.
Die beſchränkten Plagverhättnifle fejelten den Infulaner
an fein Haus, und ber Ueberfluß an Brotfrucht und Yams
machte ihm das Yeben leicht und zufrieden. Sein Reichthum
beftand in Matten, Faſern, Name, einem Canoe und einem
ſchönen Haufe; jeine Pflichten als Unterthan hießen ihn,
feinem unmittelbaren Häuptling dienftbar zu fein und ihm
von Zeit zu Zeit etwas Nahrung zu bringen. Als Gegens
leiftung empfing er den Grund und Boden für feine Pflan«
zungen und durfte an dem Thum nud Treiben des Häupt⸗
lings Theil nehmen. Die potitiihen Verhältniſſe im Innern
des Diftricts offenbarten ſich in fortdauernden seiten, in
150
dem eine jede Tributzahlung eine® Häuptlings an einen
andern höher geftellten als eine eftivität begangen wurbe,
Der oberfte Häuptling madjte ein Mal im Jahre die Runde
bei allen feinen Unterhäuptlingen, und diefe thaten wieder
desgleichen bei ihren Untergebenen, wo fie liberal gaſtlich
und feſtlich empfangen wurden. Die Borbereitungen und
Teilnahme an diefen Freftivitäten füllten die Hauptzeit des
Lebens der Cingeborenen aus. Kriege, welche dann und
warn um bie Erhaltung des eroberten Anſehens geflihrt
wurden, waren mehr Geſchrei als Lebensgefährliche Unter:
nehmen. Althergebrachte Sitten galten als Geſetze.
Stehlen kannte man nicht, da es nichts zu ftehlen gab.
Das Lügen untereinander war nutzlos und wurde nur als
eine natürliche Waffe gegen Fremde gebraucht. Die Eltern
fiebten und Lieben noch heute ihre Kinder in ihrer Urt leiden:
—
— FR
—
——
— —
se
——
3
—
Ponaps famen, wurden fie wie jeder andere Fremdling gaſt⸗
lid) und neugierig aufgenommen. Ueberall tolerant, ließ man
fie gewähren, beanspruchte aber gleichzeitig, daß bie Sitten
und Gebräuche des Yandes Beachtung fünden, Die Erfolge ber
Miffion waren langfam, und erſt durd) Ausbeutung der
zwiſchen dem verfchiedenen Diftricten entjtandenen Uneinig-
keiten gelang es ihr ſchließlich feften Fuß zu fallen, die ein«
ftige Ordnung im Sinne ihrer Aufgabe zu modeln und
circa 200 bis 300 neue Mitglieder der chriftlichen Kirche
einzuverleiben.
Die heutigen Eingeborenen von Ponaps find, wie bier
jenigen aller anderen Snfeln der Carolinen, von mehr oder
minder brauner Hautfarbe, von unterjegtem Körperbau,
feinem typiſchen Gefichtsausdrud und ſchwarzem glatten
Haupthaar, ohne Bartwuchs. Das Haupthaar wird heute
„Journal des Mufeum Gobeffroy”.
fchaftlich und die Männer ehrten ihre Frauen hoch. hen
wurden erft dann gefcloflen, wenn das Mädchen das
Pubertätsalter erreicht hatte und tättowirt worden war,
Ehebruch wurbe oft mit dem Tode beftraft.
Unter Beobachtung vorftehender Hauptfittengejee betete
der Inſulauer die Geifter feiner tapferen Borfahren an und
erflehte ihren Schuß; für ihn war feine Welt vollfonmen,
und nicht verlangend nad) des Fremden Glüch, verſuchte
auch er Niemandem fein Gluck aufzubrängen. Scharffinnig,
wie alle Siüdfce-Infulaner, erfannten fie ſehr raſch, was
von den Sitten und Gebräuchen der fremden flir fie ulltzlich
und für ihre Yebensweife paſſend ſchien; jede Neuerung aber,
welche ihr Yeben nicht augenſcheinlich verbeflerte, ließ fie
unberlihrt.
Als vor zwanzig Jahren amerikaniſche Miffionäre nach
meiftens abgejchnitten getragen. Befondere Sorgfalt auf
das Ordnen ber Haare wird nicht verwandt, wohl aber
reichlih Del hineingefhmiert. Die Frauen fchneiden die
Haare dicht Über der Schulter ab. Nur die Mitglieder der
geheimen heidnifchen Religionsgeſellſchaft ‚Dziamarou“
tragen langes Haar, welches wenn einer der Brüder ver»
ftorben an den Spigen mit Feuer abgefengt wird,
Die Form der Schädel ift bald kurz, bald lang, woraus
fic) mit Beftimmtheit auf eine Mifchlingsrace fliegen läßt.
Aus den in den Ruinen von Nanmatal von Kubary aufs
gefundenen vier Schüdeldecken glaubt diefer Reifende anneh—
men zu dürfen, daß die Urbewohner Langſchädler waren.
Bon ihren Nachbaren unterfcheiden fich die heutigen Ein-
geborenen a durch die Art des Tättowirens,
was fir alle Infeln unter dem Aequator als Hauptunter⸗
Arthur v. Triebel: Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Tigris für den Verkehr. II.
ſcheidungsmerlmal betrachtet werden muß. Zu näherer An—
ihauung der Bonape-Tättowirung mögen die nebenftehenden
Abbildungen dienen. Das fehr regelmäßig und geſchmack⸗
voll ausgeführte Tättowiren der beiden Arme, wie es im der
Zeichnung angegeben, ift nur BonapssInfulanern, und zwar
beiderlei Geſchlechts ohne befondere Abzeichen eigenthlimlich.
Auf Ponaps millſſen alle Frauen jeden Ranges in ge-
wiffem Alter die jchmerzliche Operation des Tättowirens an
fi) vornehmen laffen. Ein Mädchen, welches noch nicht
tättowirt ift, wird als unntindig angefehen und darf noch
nicht heivathen, ja es haftet eimem im richtigen Alter noch
nicht tättowirten Frauenzimmer fogar ein gewiſſer Makel
an. Schon im vierten oder fünften Jahre erhalten die
Mädchen den erjten Strich um bie Hüften herum; nad)
Verlauf von circa flinf Jahren werden dann die ſchwarzen
Felder von oberhalb des Knies bis zu den Knöcheln auf
beiden Seiten aufgetragen und ausgeflillt und gleichzeitig
die untere Seite det Bauches in Angriff genommen. Wenn
wieder einige Zeit verftrichen, jo fommmt die innere Seite der
Hüfte und der Schenkel, fpäter die äußere Seite und zulett
die Decoration der Arme an die Reihe, welche ſich im fru—
heren Zeiten auf den ganzen Arım von der Schulter bis
zur Hand erjtredt haben fol.
Das Ausführen der Tättowirung ift eine Kunft und
wird fowohl anf Vonaps als auf Palau durch befonders
eingeübte und gut bezahlte Frauen betrieben,
Die Manipulation bleibt fi) auf allen Infeln fo zient-
lid; gleich, wenn auch das dazu benugte Werkzeug und die
Farbe verfchieden find, Das auf Ponapé übliche Inſtru—
ment zum Tättowiren gleicht einem Kamm oder einer Ga-
bel und befteht aus Dornen einer wild wachſenden Citrusart,
welche zierlic) aneinander gebunden und mittelft Brotfrucht:
faft erft an den Schaft gefittet und dann befeftigt wird.
As Schwärze dient der Ruß einer Flamme, in weldyer eine
Driafan genannte Nuß verbrannt worden ift. Die Künfts
lerin beginnt ihre Arbeit mit Auftragung der Zeichnung
vermittelft eines in die in Wafler aufgelöfte Schwärze ge-
tauchten Cocosblattnerved, Zuerſt werden gewöhnlich nur
die Umriſſe gezeichnet umd hernad) die Gabel mit einer Art
151
Holzhammer in die Haut gefchlagen und damit die Schwärze
in die nicht durchftochene, fondern gänzlich zerrifiene Haut
eingetrieben. Nach forgfältigem Abwaſchen werden die Um:
riſſe unterfucht, ob fie gleichmäßig ſchwarz find; wenn nicht,
fo werden die ungefärbt gebligbenen Stellen nachgetragen.
Darauf folgt die detaillirte Ausführung meift aus freier
Hand. Die Operation ift fhmerzhaft und langweilig und
häufig von heftigem Fieber begleitet, das in einzelnen Fäl—
len den Tod nad; fich zieht. Die Tättowirung eines Armes
auf Ponaps wird nicht in einem Tage fertig; gewöhnlich
fchwellen die Arme und die Achſeldrüſen an und unter hef—
tiger Entzlindung dringt die Schwärze in die Haut ein
und verurfacht ſchon in der erſten Nacht ein fürmliches Aufs
quellen der Zeichnung. Am dritten Tage trodnet biefelbe
ein und am fünften Tage löft ſich der Schorf ſchuppenweiſe
ab. Die ganze Zeichnung bildet alsdann eine erhabene,
glänzende, tief blauſchwarze Narbe, welche noch lange em-
pfindlich bleibt,
Fortwährend ift das Muſeum Godeffroy thätig, Neues
zu befchaffen und mamentlich unſere Kunde der Südfee zu
erweitern. Während Kubary heimfehrte, befinden fich arte
dere Reifende der Anftalt noch in voller Thätigfeit. E, Dä—
mel, ein tüchtiger Zoolog, bereift Queensland und fandte
von dort vor Kurzem höchſt werthvolle Sammlungen, dar—
unter allein 40,000 präparirte Imfecten. Wuch von dem
merfwilrdigen Fiſche Ceratodus Forsteri hat Dümel ein
Eremplar eingeſandt. A. Garrett hat die Paumotu-
Infeln befucht und war Ende 1874 nad) Taiti gegangen;
feine Sammlungen ermöglichen die Zufammenftellung einer
Mollustenfauna derSitdfee, welche im nächſten Jahre
im Journal des Mufeums veröffentlicht werden fol. End»
Lich ift im April d. 9. der Zoolog Franz Hübner aus
Nauen nad; der Südfee, zunächſt den Samoainfeln abge
gangen, von wo er die Tangagruppe, Neu- Irland und Neus
Guinea befuchen fol. Er ift ſpeciell auf Zoologie ange:
wieſen, fol aber auch ethnographiſche Forſchungen machen
und hat als Begleiter fünf Samoaner, welche ſchon Kubary
fehr gute Dienfte feifteten.
Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Tigris für den Verkehr.
Von Arthur von Zriebel,
II.
Lange Zeit waren die Zwillingsſtröme beſonders durch
den um das Cap der guten Hoffnung entdedten Seeweg in
den Hintergrund getreten, als im neuerer Zeit ihre Bedeu«
tung als Bölferfiraße aufs Neue betont wurde, Blicken wir
auf die Verhältniſſe des heutigen Verkehrs zwifchen dem
Oriente und Oceidente, jo ift hier vor Allem bie Verbin-
dung zwijchen England und feinen oftindiichen Befigungen
ins Auge zu fallen. Denn die von England befahrene
Strede hat eine gleichmäßige Bebeutung für alle europäijchen
Staaten.
Der Berfehr mit Bombay und Galcutta, den bebeutend-
Men Handelsftäbten im ganzen Often, wurde bisher faft
ausſchließlich auf dem beiden Wegen um das Cap der gus
ten Hoffnung und auf ber Suezlinie unterhalten. Wenn
num auch feit ber Grlindung der englifchen und franzöfifchen
Ueberlandpoften, feit der Eröffnung des Suezcanals, feit
der Durchſtechung des Mont Cenis und der Eröffnung ber
Eifenbahn von Ancona nad) Brindifi die Wechfelverbin-
dung zwifchen Afien und Europa bedeutend erleichtert wurbe,
fo it bie Entfernung noch groß genug, um bei dem ftets
wachfenden Perfonenverkehr und Waarenhandel den auf Ab-
firzung der genannten Strede zielenden Unternehmungen
Ausficht zu bieten. Cine Menge neuer Dampferlinien
namentlid) aud) an der fübaftatifchen Küſte find im legten
Jahrzehnt projectirt und ausgeführt worden, fo daf man
gegenwärtig bereit® von Singapur über Bombay und Ka—
ratſchi (dem Grenzplatze des nordweftlichen Vorderindiens)
nad, Basra am Scyateel-Arab gelangen kann. Schon hat
auch durch Anlegung von großartigen Telegraphenlinien
durch den größten Theil des Euphrat- und Tigrisgebietes
—
152
dieſe alte Bermittelungsſtraße einen geringen Theil ihrer
alten Bebeutung wiedergewonnen. Freilich ift die eben er—
wähnte Route zwiſchen Karatſchi und Basra burd) den
Perſiſchen Golf flr den Perfonen- und Waarenverlehr mit
dem Welten bis zu diefem Augenblide noch eine Art von
Sadgafje geblieben. Dennoch aber möchte fie beftimmt fein,
der Straße durch den Arabifchen Meerbufen in Zukunft den
Rang abzulaufen. Denn auch nad) Vollendung des Sur:
canald, nad) dem Ausbau und der Bervollftändigung der
indischen Eiſenbahnen bis an die weſtlichen Grenzen bes
englijchen Indiens muß und wird ber riefenhafte Berlehr
noch weitere Berkitrzungen der Verbindung mit Indien ers
fireben. Nicht nur aus mercantilen, ſondern aud) aus poli-
tifchen Örlinden war man daher in England darauf bedacht,
eine Dampfverbindung zwifcen dem Meittelmeere und dem
Perſiſchen Golfe herzuftelen. Die Bemühungen des Colo—
nels Cheoney, dem wir das vollftändigfte und zuverläſſigſte
hydographifche Werk über den untern Euphrat und einen
Theil des Tigris verdanken, find in legter Zeit der end»
lichen Ausführung nahe gerüdt. Es unterliegt jet wohl
feinem Zweifel mehr, daß neben der Flußſchifffahrt, deren
Möglichkeit wir nod) beſprechen werden, eine möglichft voll»
ftändige Eifenbahnlinie in naher Zufunft hergeftellt wird.
Bereits vor vielen Jahren ift die Strede von Yälen-
derum (im äußerften nordweitlichen Winfel des Mittelmeers)
über das Hochland von nördlichen Syrien bis nad) Aleppo
von englijchen Ingenieuren vermeflen und feftgeftellt wor⸗
den, daß die ſcheinbar ſchwierigſte Stelle des Baues, die
Verbindungsftrede des Mittelmeeres mit dem Cuphrat,
feine befonderen Hindernifie darbieten würde. Die feitdem
genauer firirte Eifenbahnronte wiirde, ohne im Cuphrat-
und Tigristhale befonderen Schwierigkeiten zu begegnen, von
Dſchaber (Dſchaibar) am Euphrat nad Seleucia gehen, von
da zunächit durch Dampjboote auf dem Euphrat mit Bag-
dad und Basra in Berbindung geſetzt und endlich nad
Kurnah fortgefegt werden. Welche Vorteile die Ausfüh-
zung dieſes Projectes dem Perfonenverfehre gewähren würbe,
acht aus der von Sachkennern aufgeftellten Berechnung
hervor, daß durch die genannte Straße in Verbindung mit
der levantiniſchen Dampferlinie von Trieft einerſeits und
den Paderbooten zwifchen Basra und Bombay andererfeits
die Poft von England in 15 Tagen, der Hälfte der. Zeit
auf der Yinie über Suez, nad) Calcutta gelangen könnte,
Vor legterer Route würde der künftige Ueberlandiweg um fo
mehr den Vorzug erlangen, als, abgeſehen von der zwifchen-
liegenden längern den Tranſit beichleunigenden Eifenbahn:
ftrede, auch die Fahrt durch das Rothe Meer um 1200
Seemeilen länger ift, als jene durd) den Perſiſchen Golf,
die Smwifchenftationen eingerechnet, und von Basra nadı
Bombay fünf Tage weniger erfordert, als die Fahrt liber
Aden. Außerdem kommen hierbei die Schwierigfeiten und
Gefahren in Betracht, welche die Schifffahrt auf dem Ro—
then Meere behindern, Zunächſt ſchon ift die Einfahrt
durch die Straße von Bab-el-Dandeb zu beiden Seiten der
Infel Perim mit mancherlei Hinderniffen verfnüpft, und es
bedarf einer genauen Kenntniß des Meeresbodens, um dem
vielfach, drohenden Unheile zu entgehen. Dazu fommt
endlic), daß im Nothen Meere, das zwiſchen fteile Küften
eingefchlofien, mit Klippen befäet und voller Strömungen
ift, die pünttliche Ankunft oft durch Monfuns erfchwert wird,
während zu anderen Zeiten die jengenden Sonnenftraßlen
(demen 3. B. Maflaua den Ruhm, der heißeſte Ort der
Erde zu fein, verdankt) bie jechstägige Tour zwifchen Aden
und Suez zu einer von Europäern nicht allein, ſondern jo:
gar von * und Indiern gefürchteten macht. Aus
dem Geſagten ergiebt ſich zunächſt, welchen immenſen Bor:
Arthur v. Triebel: Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Tigris für den Verlehr. II.
theil in Hambelöpolitifcher Beziehung bie genannte Pinie
fpeciell für England befigt. Die Euphratronte wird aber
für den gefammten Weften dann ihre volle Bedeutung er-
langen, wenn einft die Yinie über Wien und Peft vollendet,
d. h. wenn SKonftantinopel durd) einen Schienenweg mit
ber Donau verbunden und eine Bahn durd das türfifche
Gebiet Kleinafiens an den Golf von Basra geführt fein
wird, Dann hat der Weg nad) dem Drient wieder feine
alte Richtung Über Brüffel, Frankfurt und Nürnberg ein:
genommen, von wo die Hanptpoftroute nach Wien, durch
Ungarn und die Donau hinab zur Hauptftadt am Bosporus
führt — der natürliche Weg, den auch die Kreuzfahrer zu⸗
erft einfchlugen. So mwilrde man eine Hauptader des
Weltwerlehrs nad) langen Zwifchenräumen und häufig wed-
jelnder Richtung in die Bahnen zurlicklenken, von denen fie
durd) die Entdedung des Seeweges um das Cap der guten
Hoffnung abgezogen worden war, und fo dem dort begon-
nenen Kreislauf vollenden fehen.
Der Ausbau einer Dampflinie im Euphrat- und Tigris-
thale würde aud) fiir eine bequemere und birectere Ver—
bindung mit dem ben wefteuropäifchen Yändern faft ganz ent-
ructen perfifchen Gebiete von hoher Wichtigkeit fein. Die
Ausgangs: und Endpunkte des ruffifch-tlirfifchen umd zum
Theil auch des europäifchen Berkehrs mit Perſien find
einerfeits Trapezunt am jüdöftlichen Geftade des Schwarzen
Meeres und andererjeits Tiflis im ruſſiſchen Kaufafuslande.
Aus politifhen und mercantilen Gründen ift Rußland ſchon
feit längerer Zeit bemüht, auch von dem genannten Ende
die Commumication zur Verbindung mit Perfien zu erleich⸗
tern umd zu beleben. Es war daher vorauszufehen, daß bei
nicht rechtzeitiger wirlſamer Concurrenz von türkifcer Seite
der perfifche Verkehr fich nad) Rußland hinüberziehen würde.
Die türkische Regierung hat die Veftrebungen Rußlands
gie erfannt und daher jchon vor längerer Zeit der von
lters her beftehenden, aber ſchwierigen Route von Trape⸗
zumt nach Erzerum ihre ganze Aufmerffamfeit zugewendet.
Diefe chedem von framgöfiichen Ingenieuren begonnene
Hauptitrafe, Trapezunt-Erzerum:Tabrie, wurde wieder aufs
enommen und mit Aufbietung aller Kräfte zu Ende ger
—* „Wer ſieht nun nicht, welche Erleichterung des weit-
enropäifchen Berlehrs mit Perfien, der ſich jegt allein über
ZTrapezunt bewegt, durch die vollendete Euphratbahn verſchafft
werben fönnte? Denn wenn es ber türfifchen Regierung
gelungen ift, die Route Über Erzerum zu vollenden, jo wird
es gewiß auch den betheiligten chriſtlich europäifchen Völfern
elingen, trog aller Schwierigkeiten vom uphrat-Tigris
Thale eine praftifable und geficherte Verbindungslinie mit
jener Straße über das armenifche Gebirge zu leiten. Es—
wilrde fid) dann eine merkwürdige Analogie zwifchen den
Verkehrswegen der nörblidyen und füdlichen Seite des Eu—
phrat⸗ und ZTigrigebietes geftalten. Denn wie bier das
durd) ———— zu eröffnende Flußgebiet als
Straße zwijchen dem Oriente und Decidente die Suezlinie
an Kürze bei weiten übertrifft, jo vwolirde auch dort eine
ſchon vorhandene Verbindung im der genannten Weife durch
Schnelligkeit und geringere Entfernung überboten werden.
Auch dort nämlich befteht bereits, wie bemerft, eine Berr
bindung zwiſchen Trapezunt, der bisherigen Station des
Handelsverfehrs, und dem weftlihen Europa. Franzöſiſche,
ruſſiſche, türkifche und öfterreichiiche Dampfichiffe unterhalten
eine regelmäßige Communication zwiſchen Trapezunt und
Konftantinopel und dem bedeutenderen Zwiſchenſtationen
auf der Nordflifte Kleinaſiens. Aber ein Blick auf die
Karte genügt, um ſich zu überzeugen, daß durd) die Euphrat-
linie an diefem Ende ein ähnlicher Vorſprung gewonnen
würde, wie auf der füdlichen Seite.
Arthur v. Eriebel: Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Zigris für den Verkehr. II.
Was bie Pedeutung des Euphratfyftems ale Wafler-
ſtraße des Verlehrs betrifft, fo ſpringt diefe bei genauer Bes
trachtung der geographifcen Berhältnifie des Stromes fofort
in die Yugen. „Das eigenthlimlicye VBerhältniß feiner Strom»
wendungen,“ fagt Ritter, Bd. X., „von feinen Urquellen, fo
nahe am Wan-⸗See und Pontus, mit der abwärts Samoſat
entjchiedenen Neigung zum fo benachbarten Mittelmeere wie
feiner nachherigen Abwendung zum Perſiſch-Indiſchen, hat
ihn von Anfang an zu dem wahren hydrographiſchen Vers
mittelungsgliede des Decidents und Drients geftempelt.
Deshalb jeine große Bedeutung für den Verlehr zwijchen
Europa und Imdien, nicht bloß für Volitif und Handel ber
neueften Zeit, wodurd die Aufmerkjamfeit der Gegenwart
durch die Dampfichiffiahrtserpedition allerdings noch erhöht
ward, jondern für alle Zeiten.” Die ungehinderte Schiffbars
feit des Stromes von der Stadt Birdſchick und weiter hins
auf von Samofat abwärts ift gegenwärtig außer Zweifel
geftellt. Hier tritt der Euphrat zuerft aus der engen Um—
gebung der fteilen Bergmwände heraus und bleibt von da ab
bis zu feiner Mündung im einer mehr oder weniger ausge:
breiteten Ebene. i
Unter den Männern, weldye das Stromfyften des Eus
phrat zum Zwecke der Dampfichifffahrt durchforſcht, ift vor
Allem der bereit6 erwähnte Colonel Chesney zu nennen.
Die vom ihm mit umfäglicher Mühe unternommenen LUnter«
fuhungen und Erforſchungen gaben die Veranlaffung zu
der in den Jahren 1835 und 1837 unternommenen großen
Euphraterpedition, wodurd die ganze Beichiffung bes Eu—
phrat abwärts von Birdſchick, und des Tigris abwärts von
Moful bis zum Perfiichen Solfe glücllich durchgeführt wurde,
Ernftliche Hinderniffe finden ſich hiernach an- feiner Stelle
des bezeichneten Yaufes, und die Hemmungen dev Schifffahrt,
welche (3. B. auf der Strede zwiſchen der Infel el No und
el Kain) der feichte Waſſerſiand herbeiführt, beftehen nur
während ber furzen Dauer der vier Wintermonate und füns
nen außerdem durch Flachbau der Schiffe mit Leichtigkeit
überwunden werben. Schwieriger find allerdings die Fahr-
ten zwifchen dem unterften Yaufe des Scat-el-Arab und
dem Perfiichen Golf. Drei große Sandbarren find zu über:
winden, ehe man aus dem Meerbufen in das Fahrmaffer
des tiefen, freien Stromes gelangt. Nur gejchidte Piloten
verſtehen es, die Schiffe ohme Gefahr im die rechte Fluß ⸗
mündung und in die Canäle hinüberzuleiten. ber alle
biefe Hinderniffe haben die Engländer nicht abgehalten, von
Indien aus den Lebhafteften Schifffahrtöverlehr mit dem
Deltalande, namentlid) Basra, zu unterhalten. Still umd
raſtlos durchfurchen fie mit ihren Dampfern die Fluthen des
Perfiichen Golfes, und englifcher Einfluß und engliſches
Wort find hier — zum Gewinne der Civilifation — alle,
gewaltig geworden, Wie die Bedeutung des Euphratgebietes,
jo haben fie auch die Weltftellung feiner maritimen Wort
fegung des Perfifchen Golfes in ihrem vollen Werthe er:
dannt. Sie wifjen eben, daß mit ber factifchen Beherrſchung
des genannten Waflerfyftems zunächſt die mercantile Ber
berrichung Vorderaſiens verbunden und fir die Zukunft auch
bie Möglichkeit dargeboten ift, in ihrem Sinne eine politische
Umgeftaltung der dortigen Verhältniſſe herbeizuführen.
Wenden wir unfern Blick abermals nach Norden, ſo teitt
an und die Frage heran, ob nicht der Euphrat von Birds
ihit und Samofat norbwärts ſchiffbar fei, oder wenigftens
durch Ansbangerung und Regulierung auch bort jo weit als
möglich ald Waſſerſtraße benugt werden künne,
Die Keuntniß der dortigen Gegend verdanken wir faft
ausichlieglid; dem jegigen General-Feldmarſchall von Moltte,
der belanntlich in den dreißiger Jahren ald Juſtructeur der
osmanischen Armee die Feldzlige der Turken unter Hafis
Olebus XXVIII. Re. 10.
153
Paſcha gegen die aufftändifchen Kurden und gegen Mehe—-
med Alt von Aegypten begleitete. Das Verdieuſt Moltte's
und Mühlbach’, feines Begleiters, ift befonders die durch
die erfte fühne Beichifjung von Palu am Murad abwärts
bis zum Verein mit dem Frat (dem weftlichen Arm des
Euphrat) erlangte Kunde fiber die dortigen Strommers
hältniffe. Zuerſt vielleicht unter den Wefteuropäern feit
der römischen Zeit erreichte erjterer die Höhe der Waſſer—
ſcheide zwiſchen Euphrat und Tigeis im obern Gebiete und
verfchaffte und von dorther die fichere Hunde, daß der Eu—
phrat, den er von diefem Punkte in geringer Entfernung
vorüberſchießen fah, bereits in diefem Laufe wenn auch nur
mit Flößen als Waſſerſtraße benugt werden lönne. Die
große Bedeutung diefer „hydrographiſchen Konfiguration“
wurde auch von Hafis Paſcha erfannt und wenigſtens der
Verſuch gemadjt, den Euphrat von da an ſchiffbar zu machen,
Schon die Holzvorräthe, der reiche Kornſegen, der in den
Gegenden des mittleren Murad gewonnen wird, machten
und machen es, nadydem der Euphrat feit Dahrtaufenden
von den Anwohnern unbenutzt geblieben ift, höchſt wünſcheus⸗
werth, denfelben bis in die mejopotamiiche Fläche hinab als
Transportftrom benugen zu fünnen, Wenn auch nicht auf:
wärts mit größeren Schiffen, fo witrde es doch immerhin
möglicd) fein (befonders an den Stellen, wo die Yandpafjage
ſchwierig ift), auf den landesüblichen SKellets (Flößen auf
ledernen Schläuchen) die Fahrt flukabwärts zu machen.
Molike unternahm es auf dringendes Bitten des Paſchas,
den Berſuch zu machen, ob es ausführbar fei, den Euphr
auf der genannten Strecke und weiter abwärts für milt-
tärifche Zwede als Fahrftraße zu benutzen. Die Beſchrei—
bung der Fahrt auf dem Murad und auf dem nad, Einfluß
des Frat vereinigten Strome, welche ihn unter vielen Ges
fahren durch die enge vom Taurus gebildete Felsſpalte führte,
entrollt uns ein lebendiges Bild von den Schwierigleiten
der Schifffahrt auf dieſer Strede, ſchließt aber bennod) die
Möglichkeit nicht aus, durch Sprengung der verengenden
Felsblöde ein freieres Flufbett zu gewinnen. Nicht jo glitds
Lid, war freilich eine zweite Befahrung der nämlichen Strede,
bie jpäter bei hohem Waflerftande gemacht wurde, um zu
unterfuchen, ob bei Wafferfülle der Strom zum Transporte
von Kriegsbedürfniſſen aus Armenien nad) Mefopotamien
benugt werden könnte. Bei diefer Probe zeigte es ſich aller»
dings, daß es unmöglich fei, bei der gegenwärtigen Be—
ichaffenheit des Flußbettes die wilde Waflergewalt des anges
ſchwollenen Stromes zu befiegen. Nicht minder wahrſcheinlich
möchte es ſcheinen, daß auch die legten Stromfchnellen bei
Gerger, wo der Euphrat aus den Gipfeln des Taurus
heraustritt, durch die heutigen Mittel der Technik zu befei-
tigen find.
Ziehen wir die Summe der bis jegt gewonnenen
Kenntniß auf diefem Gebiete, jo ergiebt fich, daß die
Sciffbarfeit des Euphrat, des bei weitem wichtigjten der
Doppeliitöme, von Samoſat (bis wohin die englifche
Dampferflotte hinauffuhr) bis zur Mündung des Schat-el-
Arab außer Zweifel fteht, daß der Fluß ferner mit der Er—
gänzungslinie des Tigris den an ihm geftellten Erwartungen
nad) allen Seiten entipricht. Möchten die auf diefe Gegen:
den gerichteten Wünſche in naher Zulunft in Erfüllung
gehen. Den größten Segen, würden die Uferländer der
Ströme jelbft aus dem vermehrten Verlehre gewinnen,
Was aus diefem Gebiete gemacht werden lünnte, zeigen die
auch heute noch nicht ganz ausgelöfchten Spuren der frühern
Blüthe, Trlimmmerhägel, Mauerrefte, großartige Dämme,
Brüden und andere Zeugen vergangener Größe ziehen bort
Schritt fir Schritt des Wanderers Aufmerlſamleit auf ſich
und liefern den Beweis flir den chemaligen Reichthum des
20
154
Landes. Bertrodnete Flußbette ziehen fich durch unbebauete
Wiüfteneien hin, wo einft die aus beiden Fluſſen abgeleiteten
fünftlichen Waflerarme die Landichaften befrudjteten, und
herrliche Gärten die Ufer bedeckten. Ya ber geihte Theil
jenes Landes ift in Einöde verwandelt und der Tummelplag
räuberifcher Bebuinen geworden‘, das noch ein Ulerander ber
Große zum Mittelpunfte feines Weltreiches machen wollte.
Die Wiederbelebung des Handels und Verlehrs zwifchen
der Flußmlindung und dem Mittelmeere würde vor Allem
aud) die Sicjerftellung des Eigenthums zur Folge haben.
Nicht mur gegen offene Räuberhorden, fondern felbft gegen
die dort refidirenben tlirlifchen Beamten. Gouvernement,
Juſtiz und Polizei befinden ſich dort im Zuftande der tief
ſten Corruption. Beruht auch nur die Hälfte von dem,
was kundige Zengen über die türkiſche Berwaltung und ihre
amtlichen Bertreter ber Euphrat» und Tigrisländer berichten,
auf Wahrheit, fo find die dortigen Zuftände himmelſchreiend
und nad) enropäifchen Begriffen geradezu unerträglich, Es
Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens. II.
bedarf wohl faum des Nachweifes, daß ber frifche Hauch
einer lebendigen Verkehrsſtrömung auch nach diefer Seite
den wohlthätigften Einfluß ausüben müßte,
Daß endlich der Berkehrsweg vom Berfifchen Golfe
bis zum Meere fir das zunächſt betheiligte England und
für feine Stellung dem vordringenden Rußland gegenüber
von ftrategicher Wichtigkeit ift, läßt ſich ebenfalls unſchwer
nadjweifen. Bildet doch gerade in den jesigen Tagen bie
Beſorgniß der Engländer über das gewaltige Auwachſen
ber ruffiichen Macht in Afien das Hauptgefpräh. Je nach
dem politifchen Standpunft des Beurtheilers gehen die
Meinungen natürlic) weit auseinander. So viel aber fann
man heute fchon mit voller Gewißheit behaupten, daß die
Dampfverbindung am Euphrat, ſei es zu Wafler, fei es zu
Lande, welche Oftindien enger als je an England knüpfie,
letzteres in den Stand fegen wiirde, den politifchen und
commereiellen Wettfampf mit Rußland in Afien mit mehr
Erfolg als jemals aufzunehmen,
Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens.
Von Dr. Hermann Brunnhofer in Narau.
I.
Es harrt nun nur noch die dritte Periode der Entftehung
des Aberglaubens ihrer Darftellung, Es ift diefes die ſpe—
eulative Periode,
In den zwei erften Perioden faßte die Phantaſie die Er:
ſcheinungen des Naturlebens bald in der Form lebloſer Gegen:
ftände, bald in ber Form befebter Weſen auf. Sie hatte
jedoch feine erg © daß fie ſelbſt es geweſen war, welche
diefe Bilder und Geftalten geichaffen hatt. Der Glaube
war von dev Wirklichkeit der Götter und der ihnen verlies
henen Wundergaben felfenfeft überzeugt. In ber erften Per
riode hatte die Phantafid noch vollauf damit zu thun gehabt,
für jeden Vorgang in der Natur entfprechende Vorſtellungen
zu jchaffen, indem fie in Steinen, Pflanzen und Thieren
lebendige Abbilder der himmlischen Vorgänge erfannte. In
der zweiten Periode verknüpften dann die Dichter und Künſt⸗
ler der Urzeit die zufammenhangslofen Einzelbilder der erften
Periode zu Scenerten des Himmelslebens und die Nachahmung
deſſelben flihrte zu einer unabjehbaren Reihe von Gebräuchen,
die zum Theil, wenn auch völlig unverftanden, noch mitten
in unfer Gulturleben hereinragen.
In demfelben Maße, in welchem die Menſchen fittlicher
wurden, verfittlichten ſich aud) ihre Götter. Diefe wirkten
dann aber ihrerfeits wieder ald Ideale auf die Menfchen
uch. Denn Alles, was der Menſch ſchafft und fpricht
und denkt, wirft ſtets wieder, mit umerbittlicher Nothwendigs
feit, auf feinen Urheber beſtimmend und erziehend ein. Noch
jest jagt der Schweizerbauer, wenn er im Sommer den Him⸗
mel mit Schäfcen bededt fieht: „Wenn de lieb Gott, wenn
dv’ Engel ſchöchlet (die getrodneten Grasſchwaden auf der
Wiefe zu Heuhaufen fchichten), fo mueß de Bur au ſchöchle.“
Aus diefer Anſchauungsweiſe heraus handelte auch ber
große König Afoka, der im zweiten Jahrhundert vor Chriftus
feine ſegensreiche Herrfchaft über ganz Hindoftan ausgedehnt
hatte, Er ritt einft, der Sage nach, mit feinem Öefolge
durch ein Bergthal und erblidte ein mit einer Eifenmauer
ungebenes Gebäude. Auf feine frage mad) der Bedeutung
biefes Gebäudes erhielt der König von feiner Begleitung
folgende Antwort: „Diefes ift der Ort, wo Jama, der
Höllenfönig, die Sünder für ihre Verbrechen ftraft.“ Dar
auf wurde der König nachdenklich und ſprach: „Der König
der böjen Geifter bedarf zur Auslibung feines Amtes einen
Strafort für die Böen, Sollte nicht auch ich, der ich diefe
Menschen nod zu ihren Lebzeiten beherrſche, einen Strafort
für die Schuldigen gebrauchen?* Darauf gab der König
Befehl, ein Zuchthaus zu bauen, welches in Allem dem höl-
lifchen nachgebildet war und Vorrichtungen jeder Art enthielt,
die Berbrecher ſchon auf Erden mit den ausgejuchteften Höllen«
qualen zu martern. In demfelben Sinne follte der Tempel
zu Serufalem das Abbild des Weltalls fein und der Hohe:
priefter auch in feinem Aeußern der Stellvertreter Jehovah's
auf Erden. Ihm follte der Saum des Yeibrods, den er
anthat, fo oft er ins Allerheiligfte ging, mit goldenen Glöd-
den und Öranatäpfeln gefchmüdt fein, „jo daß ein goldenes
Glodlein fei und darnad) ein Granatapfel und abermals eine
goldene Schelle und wieder ein Granatapfel rumd um den
Saum feines Oberlleides.“ Joſephus, der Geſchichtsſchreiber
ber Zeritörung Jeruſalems durch die Römer, faßt der prieſter—
lichen Ueberlieferung gemäß die Granatäpfel und Schel—
len als Symbole von Blig und Donner auf, In die—
fer Weife der bewußten Nahahmung der Himmelsverhält:
niffe fuchte man das Peben hienieden dem Yeben „dort oben“
anzupafien.
In der dritten Periode fommt num nod) der grlibelnde
Priefterverftand, welcher ſich bemüht, die geiftigen Schöpfun-
gen der beiden vorhergehenden Perioden mit dem inzwifchen
gewonnenen Sittlichteitsbewußtfein in Einklang zu bringen.
Diefes ift häufig ſchwierig. Denn ber Gott des Mythus ift
ja nur das Abbild des in der Urzeit durchaus nicht fittlichen
Menfchen. Der Gott des Mythus ift nur allzuoft ein Gott
des Zorns, der Rachſucht, der Hinterlift, des Eigennutzes,
der Begier. Kronos frißt feine eigenen Kinder, Zeus läßt
den größten Wohlthäter dev Menfchheit, den Prometheus, an
Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Gefdichte des Aberglaubens. III.
den Kaukaſus ſchmieden und einen Geier feine Peber haden,
weil Prometheus den Menſchen das feuer vom Himmel
herunter gebracht Hat — und derfelbe Zeus buhlt mit feinen
eigenen Töchtern. Der wilde Jäger läßt feine eigene Braut,
die Windebraut, Jahr aus Jahr ein immer wieder von fei«
nen Hunden zerfleifchen und Odin muß es ſich in der Edda
von Yoli ins Geſicht hinein vorwerfen laflen, er fei nur ein
vermummter Zauberer, ber nach jchlechter Kerle Art die Diens
ſchen betrüge.
Solche Züge im Leben der Götter ließen ſich fchlechter-
dings nicht mit der Sittlichkeit vereinbaren. Da man nun
aber einmal an die Götter unerjhütterlic glaubte, da
man ſich diejelben als Wächter über Recht und Unrecht vor-
zuftellen genöthigt war, fo fuchte man ſich nad) und nach zu
überzeugen, es müfle der für das gewöhnliche Menjchenbewußt-
fein fittenwidrigen Handlung ein tieferer Sinn zu Grunde
liegen und diefer Sinn konnte natürlich nur dem grübelnden
Priefterverftande ergründbar fein. Wer des Berftändniffes
deffelben theilhaftig werben will, muß ſich alfo an den Prie—
fter wenden. Der fann in feine Geheimlehre mit entfprechen-
dem Geheimdienſt aufnehmen, wen er will und flir dazu voll
dig hält, Die Entftehung der eleufinifchen Myſterien giebt
uns eim anſchauliches Bild von dem Grüblertfum, wie es
fid) namentlich bei den Eulturvölfern aus der Speculation
über den Gehalt der Phantafiefhöpfungen der elementaren
und der combinirenben Periode des Geiſteslebens entwidelt Hat.
Nach griehifcher Sage raubte Pluto, der Gott ber Unter:
welt, die Skoferpine, die Tochter der Erbmutter Ceres. Als
nun die Mutter ſich zu Tode trauern wollte, fühlte Zeus,
der König der Götter, Erbarmen mit feiner Schwefter Teres
und befahl deshalb feinem Bruder Pluto, der Ceres ihre
Tochter zurückzugeben. Pluto willigte ein unter der Bedin-
gung, daß Proferpina die eine Hälfte des Jahres, nämlich
im Winter, bei ihm im der Unterwelt, und die andere Hälfte,
nämlic) im Sommer, auf der Oberwelt zubringen wolle.
Für das Volk hatte diefe Sage feinen andern Sinn, als daß
fi) die Getreideſaat und der Pflanzenwuchs, das ewig junge
Mädchen Proferpina, ein halbes Jahr lang unter dem Bo-
ben verborgen halte, worliber dann Geves, die Mutter Erbe,
weldye ihre Tochter: die Saat und das Flurengrün, nicht
mehr ſehe, ein halbes Jahr lang tranere, weil eben der Wins
ter über der Erde kahl und brad) liegt und das Bild tief-
gefühlter Trauer darbietet. Wenn dann die Saat im Frühe
ling wieber heroorkeime, wenn Proferpina aus ber Unterwelt
wieder an die Oberfläche herauffteige, da fafle dann Geres
wieder Troft und laſſe den Menſchen wieder Gras und Frucht
gedeihen,
Diefe Deutung mochte wohl dem Bolfsbewußtfein genit«
gen. Diefes fand, wie es Schiller in der „Klage der Ceres“
nachempfindet, in Geres’ Kummer einen Anhaltspunft für
die eigene Trauer liber die Berödung der Erde im Winter,
fowie in Geres’ Freude Über das Wiederſehen ihrer Tochter
Proferpina einen Anhaltspunkt für die felbftempfundene Luft
an ber Wiederkehr des Saatengründ im Frühling. Dem
tiefer Denlenden, und das war für die Vorzeit zunächſt der
Priefter, konnte diefe Deutung der Ceres- und Projerpina-
Sage nicht genügen. Dem grübelnden Priefter mußten
Zweifel auffteigen über bie Sittlichfeit von Göttern, welche
folcher Thaten fähig waren, wie Pinto, Die Tochter feiner
eigenen Schweſter raubte er; die Göttin Ceres, feine Schwefter,
löfte fi dann in Thränen auf. Das konnte ja nicht götts
lich fein, fo wenig ald wenn Zeus zu Gunften feiner Schwefter
Geres erft mad) einem halben Jahr einfchritt. Das Alles
fonnte dem tiefer Dentenden nicht behagen. Ein tieferer
Gedanke mußte der Sage zu Grunde liegen. Die Proferpina
war nach der Ausfage der eleufinifchen Priefter das Sinnbild
*
155
der Menfchenfeele. Sie hatte auf bunter Wiefe Blumen
gepflüdt und war darüber vom Gotte ber Unterwelt geraubt
worden, Das hieß nun: Die Seele des Sterblichen findet
Gefallen an der irdiſchen Luft und finft in Siinde, Darüber
verfällt fie natlirlich dem Reiche der Finſterniß, der Unter
welt. Allein bie gnadenvolle Fürbitte der Göttin Ceres,
die wie eine Mutter für die Sterblichen forgt, bewegt Zeus,
den himmlifchen Vater, die Seele bes Sterblichen, nachdem
fie ihre Schuld in der Hölle geflignt, wieder auffteigen zu
lofien zu den Regionen des Lichtes und der ewigen Selig:
feit. Cine ſolche Yehre mußte für denjenigen, welcher ſich
von dem hergebradhten Glauben am die Götter nicht mehr
befriebigt fühlte, beftridend fein und die Anziehungsfraft die»
fer Lehre mußte ſich noch fteigern, wenn dieſelbe den Einzus
weihenden in einer reichen Aufeinanderfolge von glänzenden
Proceffionen, prachtvollen Schauftellungen und feierlichen
Gelübden, welche zufanımen die alte Sage veranfchaulichten,
vor die Seele geführt wurde,
* * 9
Wenn nun der Prieſter ſolcherweiſe den innerſten Kern
der Lehre von den Göttern verſtand, wenn er mit den Göt—
tern offenbar auf vertrauten Fuße lebte, fo mußte er aud)
im Stande fein, von ihnen zu erfahren, was fie über jeden
Einzelnen verhängt hatten. Allein umſonſt ift der Tod.
Auch der Priefter muß gelebt haben: nur eine reiche Spende
vermag die Thür des Geheimmifjes zu öffnen. Um bie Gott-
heit, die ja nur das höhere Ebenbild des Priefters ift, ſich
geneigt zu machen, braucht der Priefter ein Opfer und bie-
fes hat natürlich der Rathbegehrende und Schutflehende zu
liefern. Da haben wir das Drakel, die Weiffagung.
Der Priefter kennt die altüberlieferten Gebete und Opfer«
bräuche. Es verftcht ſich, der Priefter und fein Schligling
find in Folge richtig ausgefprochener Gebete und correct dar⸗
brachter Opfer häufig im Befig und Genuß der erbetenen
ben gelangt. Nun wird aber in einer Anrufung begreif-
licherweife der Name des angerufenen Gottes die Hauptrolle
fpielen, für den Gläubigen wird er an und für ſich ſchon
wunderkräftige Wirkung ausüben. Denn Name und Wefen
find für den bildumgslojen Naturmenſchen nod) eins und daſ⸗
jelbe. Der angerufene Name kann nun aber im Yaufe der
Zeit feine urfpritngliche Form verlieren, denn die Gebete
werben nur mitndlid, fortgepflanzt und unterliegen den Laut⸗
veränderungen, wie fie mehr oder weniger gefepmäig alle
Spracdentwidelung kennzeichnen. Trotz ber veränderten Form
wird aber der Name, wenn angerufen, fortfahren, Wunder
zu wirten. So fommt es denn, daß in alterthümlichen Ge—
beten häufig das umverftändlichite Kauderwelſch dem finn-
lofeften Galimatia begegnet. So fommen-z. B. in einer
indifchen Gebetsformel an den heiligen Kama, der als irdi—
jcher Vertreter des Sonmengottes Biſchnu gilt, faft unmittel-
bar hinter einander folgende Yaute vor, welchen befondere
Zauberkraft zugefchrieben wird: hrim, frim, bhrim, vrim,
lrim, rim, dſchrim, Laim, ſaim, ſtſchem, tjem, vam, vim,
rum, raim, raum, rach, frim, im, Hchraum. Diefe Laute
haben an und fir fid; feine höhere Bedeutung, als wenn wir
im Deutfchen an Gebete die Laute: ſchrum fehrum Hängen
wollten. Solcher Zauberformelm giebt es in der indiſchen
Literatur eine Legion und die Tibetaner, welche alle ihre
Bücherweisheit den Indern verdanlen, befigen in ihrer meh:
rere Hundert Foliobände umfafjenden Sammlung heiliger
Schriften, im Kandſchur und Tandſchur, nod) zweiundzwanzig
Toliobände folder Gebets- und Zauberformeln. Unglaubs
lid) reich an ſolchem pofitiven Unfinn müſſen neben ben
Aegyptern auch die Chaldäer gewejen fein: der Talmud und
die Übrigen Geiſteswerle ber Juden im den nächſten Jahr:
20*
156
hunderten nach Chriftus ftrogen förmlich davon und noch in
den Zauberblichern der Neuzeit ſpult die chaldäijche Zauber-
formelfabrMation. Auf ihrer Wanderung von Dften nad
Weſten ſchwollen die orientalichen Zauberformeln in Folge
der Einfchiebung immer neuer Götternamen bei immer wies
der anderen Bölfern fchlieglich zu wahrhaft babylomifchen
Sprachproben an. So enthält folgende Beſchwörung des
Geiſtes Aziel im dem zur Neformationszeit erſchienenen
Zauberbuche: „Doctor Fauſt's Höllenzwang* nicht weniger
als ſechs erkennbare Sprachen in einzelnen Wörtern vertres
ten, nämlich) Chaldäiſch, Indifch, Verſiſch, Griechiſch, Patei-
nifch, Deutih: „Balla, Baphiara, Magoth, Phaebe, Baphia,
Duiam, Bagoth, Honefche, Ami, Nezoth, Adomater, Raphael,
Emanuel, Chriftus, Tetragrammaton, Rabi, Agra, Jod,
Bav, Komm, Komm, Komm.“
So lange ſich ſolche Anrufungen Gottes noch auf irgend
welche in irgend einer Sprache verftändliche Wörter zurlid-
fügren laffen, Liegt denfelben noch eine Spur von Sinn zu
Grunde. Allein Sehr häufig beſteht die Zauberformel aus
rein phantaftifchen Wörtern, die jeder Eriftenz in irgend einer
Sprache entbehren, wie denn in griecdhiich-ägnptifchen Geifter:
beſchwörungen ganze Reihen bald dirgendfad wiederholter,
bald abenteuerlic, unter einander gepaarter Diphthonge her—
geplappert werden muſſen. Soldier Formeln bedient man
ſich noch gegenwärtig im Deutſchland häufiger ald angenons-
men zu werben pflegt. Folgende Beſchwörungsformel, in
welcher hauptfächlich die Anrufung der Dreieinigfeit von Wir»
fung fein muß, gilt in den preußifchen Oftfeeprovingen wider
das Nafenbluten. Cie lautet: „Aber, Wabel, Fabel; in
Chriſti Garten ftehen drei Roſen rothe; die eine für das
Gute, die andere fiir das Blut, die dritte flir den Engel Gas
. briel. Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des
heiligen Geiftes. Amen.“ Schließlich bedarf es dann wei—
ter nichts mehr, als daß man jede beliebig audgehedte Be-
ſchwörungsformel im Namen irgend eines Gottes ausſpreche,
um biefelbe zauberkräftig zu machen. In chriſtlichen Lün⸗
dern hält man zu diefem Zwedte die heilige Dreieinigkeit für
ganz befonders probat. Da fchent fic dann der Abergläu-
biſche nicht mehr, das für ihn Verehrungswlirdigfte mit Flu—
fen zu treten, das file ihm fonft Heiligfte in den Schmug
der alltäglichften Selbſtſucht herunterzureißen und gälte es
auch nur eine Warze zu vertreiben. Am Ende nimmt man
ſich aber nicht einmal mehr die Mühe, die Beihwörungs-
formel herzufagen, den Namen Gottes ausjufpredhen. Man
hängt fich ganz einfach, den Namen des anzurufenden Gottes,
auf ein Papierfchnigel oder Täfelchen geichrichen, um den
Hals. Das hat dann biefelbe Wirkung wie das Anrufen.
Die Stelle des Namens Gottes fann auch fein Bildniß oder
eines feiner Symbole vertreten: da haben wir die Amulete
und Talismane.
Wenn nun ſchießlich der grübelnde Priefterverftand liber
die Form des Dreizads als der alten Blitzwaffe des Gewitter:
gottes ober des dem Dreizack repräfentirenden Gabeljweiges
der Hafelruthe, des Kreuzdorns oder des Bogelbeerftrauches
nadjjinnt, fo glaubt er am Ende im Dreieck gar noch das
Geheimniß dev Dreieinigkeit zu fchauen und zwar längft vor
dem Dafein des Chriſtenthums. Da leiftet dann die Zeich-
nung des Dreieds diefelben Dienfte, wie die Unrufung
der Dreieinigfeit und das ſchon im brahmanifchen und bud—
bhiftischen Religionsſyſtem. Hier beginnt dann bie Zeichen:
denterei, die Wahrjagerei aus der Hand, aus dem Schulter:
blatt, aus den Peberfleden der Opferthiere. Mit der Bers
ehrung des Dreiecks beginnt zugleich, auch die Verehrung der
Dreizahl umd ans diefer entwidelt fid) die ganze Zahlen:
mpftif, der mathematische Aberglaube, die Kabbala. Aus
der Verbindung derjelben mit der Aftronomie entiteht dann
Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens. III.
ſchließlich noch der Planeten: und Kometenglaube, furzum
die Aftrologie und aus deren Zerfall gar noch die Karten
fchlägerei und der Kalenderaberglaube,
Doch nicht allein die Grübelei über die urfprlngliche
Bedeutung der Gegenftände und Formen, unter melden
ſich die elementare und die combinivende Periode die Natur:
erfcheinungen vorgeftellt hatten, führte zu einem enblofen Wirr ⸗
ſal phantaftifcher Aberglaubensjäge: auch die Düftelet über
die Urbedeutung heiliger Namen verjchaffte zu allen Zeiten
einer Legion von volfsthimlichen Sprachbeuteleien Eingang
und dieſe verfehlten dann ihrerſeits wieder nicht, entweder
neue Sagen ins Dafein zu rufen oder ſchon vorhandenen
Sagen neue Züge zu leihen. Je älter die Sprache wurde,
je mehr ſich ihre vollen Formen allmälig abichliffen, je weis
ter ſich nad) und nad) die Lautgeſtalt der Ableitungsgebilde
von derjenigen ihrer Wurzelwörter entfernte, je mehr alsdann
die Erinnerung an ben urfprünglicen Zufammenhang der
Ableitungsformen mit ihren Wurzeln verblafte, deſto leb⸗
hafter mußte der Trieb erwachjen, hinter die Geheimniſſe der
Wörter, insbefondere dev Namen, zu gelangen und die echt
menfchliche Feidenfchaft, diefen Trieb zu befriedigen, gab, bei
ber völligen Unzulänglichkeit des dem Naturmenjchen zu Ges
bote ftchenden Wiflensmaterials, bei allen Bölfern Veran:
lafjung zu ganzen SHeerfchaaren von Sagen, Märdıen,
Scwänten und Wahnmeinungen. Co fanden bie Griechen
in dem alten Getwittergott Kronos einen Chronos, eimen
Gott der Zeit, heraus und man glaubte ſich hierin um fo
weniger zu irren, als die Poefie mit der Sage von dei Kro⸗
nos Berjchlingen der eigenen Kinder infofern ganz überein—
ſtimmt, als auch fie von dem zerftörenden Zahne der Zeit
fpricht , welche ftets neue Gebilde ins Dafein ruft, um die:
felben nad) kurzer Dauer wieder ins Grab finfen zu laffen.
Auf diefelbe Weife verwandelte fich der altgriechiſche Hirten«
gott Pan, urſprünglich Pavan, der „Ernährer“ und „Be
—— unter dem Einfluſſe der halbgelehrten Sprachklügelei
ſchon frühzeitig zu einem Gott des Ban, d. h. des Alls. Der
poffierliche Ziegenfüßler mußte es erleben, ber Allgott der
BWeltweifen zu werden und mit feinem mißdeuteten Namen
bie Bodsjprünge der Grlibler zu heiligen. Der Stolz der
Nibelungen dagegen, der edle Siegfried, verfam umter dem
Einfluffe mundartlicher Ausſprache in Bayern zumädft zu
einem Sifrid, dann zu einem Seifried und endlich gar noch
zu einem gemeinen „Seufritz“, der fid) als Schweinehirt in
ber Sage zur feinem Urbild im Heldenliede ungefähr ähnlich
verhält, wie ein Zigeuner zu einem Brahmanen.
In die eigenthlmlichfte Sage, in welche die Mifdeutung
nicht mehr verftandener Wörter verjegen kann, ift aber doch
die hriftliche Kirche mit dem Namen Jehovah gerathen. Die
Juden hielten es nämlich frühzeitig und halten es bis auf
diefen Tag fiir eine Todjünde, den hebräiich vierbuchftabigen
Namen Gottes, das Tetragrammaton, auszufprechen. In—
folge deffen ging die Kunde von ber ehemaligen, wahren
Lautgeltung deſſelben verloren, die Chriften glaubten ihn aber
und glauben ihn noch Jehovah lejen zu müſſen. Als nun
bie wiſſenſchaftliche Bibelforfchung ſich in menerer Zeit auch
wieder um bie urſprüngliche Ausſprache des Tetragrammıas
tons bemühte, fand es fid), daß diefelbe nicht Jehovah,
fondern, wie die Samaritaner jest noch ausſprechen, einft
Jahve gelautet haben müſſe. Die Chriftenheit hat demnach
zwei Yahrtaufende lang einen Gott angerufen, der bezüglich
feines Namens jeder wiſſenſchaftlich begründeten Eriftenz-
berechtigung ermangelt und, als jpracdhgrüblerifches Phantom,
der puren Einbildung fein Dafein verbantt.
Nun Herrfcht jeboc während irgend einer Entwidelungss
periode des Menfchengeiftes eine Richtung der Bhantafer
thätigfeit niemals dergeftalt vor, daß fie die Wirlſamleit aller
Aus allen Erdtheilen.
anderen, ſelbſt der emgegengeiehten, völlig lahm zu legen im
Stande wäre. Wie das Meer und die Luft in ihren Tiefen
oft von ganz anderen Strömungen wogen, als an der Ober-
fläche und im der Höhe, fo ringen auch in der Menſchenbruſt
die widerſpruchsvollſten Triebe um den Vorrang. Aber Hoch—
finn und Kleinlichleit, Männerftolz und Mädchenbemuth,
Forſchungsdrang und Glaubenoſeligleit, die heftigften Gegen-
füge des Gedanken und Geflihlslebens, belämpfen ſich micht
allein unabläffig im Bufen jedes Einzelnen, fondern bilden
auch die bald rajcher, bald langfamer tätigen Hebel , welche
in ewigem Umſchwung bald das Vorwiegen ber einen, bald
wieder der andern Richtung im Geiftesleben der Völler be-
wirken. Und fo finden wir denn ſchon frlüßzeitig neben dem
fühnen Gedantenflug des Weltweifen auch die buchitaben-
gläubige Denkträgheit der Armen im Geiſte. Und ber
Priefter, deſſen Schlauheit ſich biefe Doppelnatur des Menſchen⸗
geißes nicht entgehen läßt, weiß dann mit mephiftophelifchen
eberredungsfünften den gutmitthigen Gottesverehrer nur
allinleicht von der Bermworfenheit der ebferen und der Uns
betungswitrbigfeit ber niedrigeren Geiflesfräfte zu liberzeugen.
Da entbrennt dann zwiſchen Denffreiheit und Priefterherrfchaft
der Kampf zwiſchen Wiffen und Glauben, in welchem der
Priefter mit dem Kanzler im Goethes Fauft die Natur für
fündhaft und den Geift für teuflifch erklärt. Ueber dem
Grabe der Denffreiheit thürmt fic) dann häufig die Drachen»
pagobe der Geiſtesknechtſchaft, des Berfolgungseifers und bes
Blutdurfte.
Wenn bie oft tollen Ausgeburten der volfsthlimlichen
Sprachflügelei doc; noch die Tugend des Wiffensburftes zum
vernünftigen Hintergrunde hatten, jo entftanden dagegen bie
abergläubifche Vorftellung und Andachtsübung, bie nachfol-
= geichilbert wird, aus verfnähertem Buchſtabenglauben.
& find giftige Nachtſchatten, hervorgewachfen aus der peſt⸗
ſchwangern Modergruft der Denfträgheit, in welche ber
157
Klumpfuß verbummungsfroher Snttenträger bie bilblichen
Ausdrüce dichterifcher Begeifterung geftofen hat.
Schon die Urzeit des indiſchen Denkens hatte den Kreis:
lauf alles Dafeins mit dem Rollen eines Rades verglichen.
So munterte denn aud Buddha mit der bildlichen Mah-
nung, das Rab des guten Geſetzes zu drehen, die Menfchheit
zur unermüdlichen Arbeit an der Selbftvervollfommmung auf.
Die gebildeten Völler Sidafiens haben auch diejes ſchöne
Bild nie anders als eben bildlich verftanden, Nicht fo die
rohen Horden Tibets, die Nachlommen der Hunnen der Völfer-
wanberung, welchen indiſche Miffionäre gegen das achte Jahr ·
hundert unferer Zeitrechnung bie ftillbejeligende Lehre ber
geiftigen Gelbftbefreiung und des Wohlwollens für alle Mer
fen brachten. Diefe Horden verftanden fich ſchlecht auf dich:
terifch ſchöne Bilder und nahmen Buddha's Mahnung beim
Wort, indem fie die berihmten Gebetscylinber —
Dieſes ſind bald größere, bald kleinere Metallröhren, die
außen mit auf Papier oder Leinwand geſchriebenen Gebeten
unitlebt find, Dieſe Metallröhren find an Eiſenſtangen,
die in Pfannen ruhen, aufgeſtellt. Da nun die Stangen
unten ausgebogen find, fo kann ber Gebetseylinder vermittelft
eines an bemfelben befeftigten Strides mit großer Geſchwin—
digkeit umgedreht werben. Der Tibetaner glaubt, er werde
ebenfo oft der fünbentilgenden Kraft der Gebete theilhaftia,
als der Cylinder feine Achſenbewegung macht, Natitclic)
wird der Cylinder meiftene von Hand gedreht. Es giebt
jedoch auch fürmliche Wind- und Waffermühlen, welche eine
und biefelbe Formel, die zu diefem Zwede in Petersburg
gedrudt wurde, hundert Millionen Mal enthalten und alfo
durch zehnmalige Umdrehung fo viel Heil bewirken, ald wenn
die Formel taufend Millionen Mal gefprochen worden wäre.
Millionen ſolcher Gebetschlinder und Gebetsmühlen drehen
fi) Tag und Nacht für das Seelenheil des erlöfungsbedürf-
tigen Tibetaners,
Aus allen Erdtheilen.
Beila.
Der Sultan hat dem Khedive von Aegypten einen Fer—
man überfandt,*durch welchen ber Vicefönig mit dem Hafen
Zeila belehnt und zugleich ermächtigt wird, fich von ben be-
nachbarten Territorien mach Velichen zu annectiren, wogegen
er dem Sultan, außer dem bisherigen Tribut, noch eine
Summe von 15,000 türfifchen Liren jährlich zu zahlen bat,
während ber Hafen von Zeila bisher dem türkischen Staats—
ſchatze nur 800 Lire einbrachte,
Die Stadt Zeila Tiegt unter 11010° nördl. Br. und
43° öftl. 8. v, Gr, am Golf von Aden, etwa 3 Seemeilen
füblich von der Tadfchurra-Bay, auf einer Heinen Halbinfel,
die zur Zeit ftarker Fluth nur durch einen ſehr fchmalen
Rüden mit dem flachen Feſtlande der Somalafüfte verbun:
den ift, bat etwa 5000 Einwohner, wovon die Mehrzahl
Gudoburſi⸗Somala, dann Eiffa-Somala, dann angefiedelte
Araber, dann einige Haberanel-Somala und endlich einige
Danakil. Obgleich in Afrika, an der Südgrenze von Abel:
finien gelegen, galt Zeila immer fir eine Dependenz von
Jemen, umd der jeweilige Ortöchef erhielt von dem türkiſchen
Gonvernenr von Moca die Belchnung gegen einen jäbr-
lichen Tribut von 3000 Therefientbalern. Diefes Verbält-
niß wurde aber unterbrochen als ber Vicefönig von Negupten,
Mehemed Ali Palha, zu Anfang des gegenwärtigen Jahr:
hunderts die Küftenftädte von Jemen befette; der Chef von
Beila zahlte den Aegyptern nichts. Als aber Mehemeb Ati
Vaſcha im Jahre 1840 Jemen räumte und die Osmanen
wieder Hobeida und Mocha bejegten, wurde das Vaſallen—
verhältniß Zeilas wiederhergeitellt. Ein Kaufmann in Mocha
wurde mit Zeila beichnt, und zahlte von jegt an 800 Lire
an ben türkiſchen Statthalter von Hobeiba, wogegen er im
Zeila einen Gouverneur mit dem Titel „Emir" anftellte,
Die Erpreffungen diefes Emirs führten aber fehr bald eine
völlige Verddung bes Hafens herbei, da ſowohl Schiffe als
Karawanen den Ort vermieden und fich nach dem weiter
oftwärts belegenen Hafen Berbera zogen. Später, gegen bad
Jahr 1848, warb ein in Aden etablirter Somala-Kaufnann,
Schen Markah, Chef von Zeila; da er englifcher Untertban
war, führten feine Schiffe engliſche Flagge, und der Ort
nahm ſeitdem bedeutend zu.
Die Stapelprobucte von Zeila find Kaffee und Gummi;
anferdem erzeugt das Land Zibeth, Elfenbein, Wolle,
Manna, Krapp, Alos, Anis, Luf (ein Harz, woraus die
Araber Siegellat machen) und eine Art Maftirz, Muſchahkar
genannt,
Die Einkünfte Mekkas aus der Wallfahrt.
In dieſem Jahre fand bie 1232, Wallfahrt nah Mekka
und Medina ftatt, und es ftrömten etwa 150,000 Menfchen
and allen Theilen der mohammedaniſchen Welt nach ben
heiligen Stätten. Unter dieſen Pilgern befanden fich ſowohl
158
Unterthanen des Kaifers von China, als auch des Sultans
von Maroflo, Bürger aus Aſtrachan am ſtaspiſchen Meere,
als auch von der JIuſel Borneo, feingebildete Araber und
Türken aus Konftantinopel, die fich mir durch ihren Fez von
ihren cheiftlichen Mitbürgern unterjcheiden und dabei oft ein
elegantes Franzöſiſch und Engliſch ſprechen, als auch Moham⸗
medaner aus Dahome in Afrika. Das größte Contingent zu
dieſer Pilgerichaar ſtellte vor allem Arabien ſelbſt, dann
kamen Syrien, Aegypten, Kleinaſien, die Barbareskenſtaaten,
das engliſch⸗oſtindiſche Reich, Perſien, Ceutralaſien und China
und die Indiſchen Inſeln. Vergleicht man dieſe Pilgerſchaa—
ren mit denen ber früheren Jahrhunderte, jo wird man ſo—
gleich ertennen, daß fie im Abnehmen beariffen find. Nichts:
deftoweniger find die Wallfahrten noch immer fehr zahlreich,
und man ficht in Dichiddah, der Hafenftabt Meklas, häufig
Pilger fanden, die fterbensfrant dort anfangen und feinen
andern Wunſch mehr baben, als nur noch den ſchwarzen
Stein in der Kaaba Kiffen, eine Schale Waller aus dem
Brummen Semſen trinfen und daun findenfrei im bie
Dſchenneh“ (Paradies) eingehen zu können. Natürlich, daf
mit diefen vielen Tauſenden von Pilgern auch Hundert:
taufende von Maria-Tberefien-Thalern nad; Mekla ftrömen
und fo den Wohlftand diefer heiligen Stadt, deren Bewoh—
ner meiſtens nur von den Pilgern leben, bedeutend vermehs
ren. Dan rechnet, daß die Pilger im Durchſchnitt täglich
fünf Maria-Therefien-Thaler brauchen, und da jeder Pilger
gewöhnlich volle vierzchn Tage in Mella bleibt, fo ergiebt
fich fiir fämmtliche 150,000 Bilger eine Auslage von über
sehn Millionen Thaler. Rechnet mar noch die frommen
Stiftungen dazu, deren Neinerträgniß wieder in die Taſchen
ber Mekkaner flieht, fo kann man mit Beftimmtheit annch-
men, daß der Jslam jährlich zwölf Millionen in
Therefien-Thalern nad Mekka ſchickt.
Hausbaltskoften der amerifanifchen Präfidenten.
Die Nordamerikaner pflegen und Europäern gegenüber
gern auf die hohen Civilliſten unferer Herrfcher hinzumeifen,
und denen gegenüber den geringen Gehalt hervorzubeben, wel:
chen der Präfident der Vereinigten Staaten beziebt. Er über:
teifft allerbings nicht eine europäifche Minifterbefoldung, er—
ſcheint aber in einem ganz andern Lichte, wenn man alle
übrigen Beziige des Präfidenten hinzurechnet. Dann aller:
dings verfchwindet die „republifaniiche Einfachheit‘. Daß
in der letzten Zeit die Haushaltsloſten des Präfidenten fich
ungebübrlich gefteigert haben, erſehen wir jegt aus einer
Zufammenftellung des Neuyorfer „Sun“,
Taylor: Fillmore’s Präfidentichaft (Whig) for
ftete jährlich durchichnittlih . . » » - - 34,066 Doll.
Pierce's Bräfidentihaft (Dem.) foftete jährlich
durchichrittlich. > 2 22 22a 41,9
Buchanan's Präfidentichaft Dem.) foftete jähr:
lich durchichnittlich . > > 2 2 2 20. 46,575,
Lincoln’s Präfidentichaft Rep.) koſtete jährlich
ducchichnittlih .» » 222 52195 „
Grant's erfte Präfidentichaft (Mep.) koſtete
— —— 104,762 „
rant's zweite Vräfidentichaft (Mep.) koſtete
jährlich —S— Felt Ren) r ® . 119,29 ,
Danach begann alfo die Aera der Verschwendung mit
Grant's Amtsantritte, Taylor, Fillmore, Pierce, Buchanan
und Lincoln traten in die Fußſtapfen ibrer Vorgänger und
lebten einfach und beicheiden. Lincoln machte den Krieg
durch und beftritt alle die auferordentlichen Anforderungen,
die damals an ihm geftellt wurden, ohne die öffentlichen
Ausgaben für feine Perſon oder feinen Haushalt zu ver-
mehren. Er gab nicht zu, daß unter falichen Vorwänden
Geld ans dem Staatsichag gezogen und zu perjönlichen
Zweden verwendet werde, Früher war es Sitte, bei einem
Aus allen Erdtheilen.
Adminiſtrationswechſel 20,000 Dollars für Neumöblirumg
des Weißen Haufes anszuwerfen; oft erreichte die bezügliche
Summe noch nicht einmal diejen Betrag, Als Grant and
Ruder fam, wurden für diefen Zweck 25,000 Dollars ber
willigt, außerdem find feitdem alljährlich noch 10,000 bis
15,000 Dollars ertra angewiefen worden. Früher gab es
keinen Fond für zufällige Ausgaben für den Bräjidentichafte:
haushalt, Bucanan wurden zuerft 600 Dollars jährlich be-
willigt, unter Lincoln ftieg diefe Summe auf 1000 und
200 Dollars. Grant hat es glücklich auf 6000 Dollars jährlich
gebracht, was gleichbedentend mit einer Erhöhung feines Ser
halts um dieſen Betrag ift. — Die Koften für Heizung bes
Weißen Haufes betengen in früheren Jabren 1800 Dollars
jährlich. Während des Krieges wurde die Bewilligung, in Folge
höherer Holz und Kohlenpreife, auf 2400 Dollars erhöht.
Siüdlich vom Weißen Haufe befindet fi, innerhalb der Ein:
zänmung, ein Heiner unſcheinbarer Wieſenplatz, auf dem mil
ded Gras wächſt und der augenicheinlich ganz verwahrloft
ift. Des Prüfidenten Leibknappe Babeod erhält für die
Inftandhaltung dieſes grünen Fleckes 10,000 Dollars jährlich
Das Gewächshaus Foftet jährlid 10,000 Dollars, Dabei
bat das Weiße Haus die Beleuchtung vollftändig frei.
Das Einhorn der Bibel.
Im „Globus* Band IT, S. 375 haben wir zuſammen—
geftellt, was fih auf das Einhorn als Fabeltbier bezog und
gezeigt, wie ber Afrikareiſende Baikie den Glauben daran in
vielen afrikanischen ändern nachwies und daß, wie bei uns
im Altertum, noch jett in China und der Mongolei die
Ueberzeugung von deſſen Exiſtenz herrſcht. So weit dad
„Neem“ der Bibel, welches Luther mit „Einborn* überfegt,
in Betracht kommt, bat Superintendent U. Merenstn,
welcher lange in Südafrika lebte, die Frage wieder aufge:
nommen, und wie wir glauben, richtig gelbſt im feiner ver:
bienftvollen Heinen Schrift „Beiträge zur Kenntniß Süd⸗
afrifas" (Berlin, Wiegandt und Grieben 1875), welche überall
da, wo der Berfaffer aus eigener Anſchauung urtbeilt, höchſt
wertbvoll ift, während mande ethnologiſche Speculationen
deffelben und der unbaltbare Abichnitt über Opbir auf eine
lange Abwejenheit des Verfaffers aus dem Bereiche der Ne
fultate wiffenichaftlicher Forichung hindeuten. Das Einhorn
betreffend jagt Merenäty:
Was und zunächſt ſtutzig und bebenklich machen muß,
an ein wirkliches Einhorn zu denken, ift der Umſtand, daß
ein folches Thier nirgends eriftirt. Wenn e& ein Iebendiges
Thier auf Erden gäbe mit einem einzigen, jedenfalls doch
eigentbitnich geformten Home in der Mitte der Stirn, jo
wäre bei dem jehigen Weltverlebr doch faum zu erwarten,
daß micht einmal Fell oder Schädel oder Horn bier oder da
follte zum Verkauf gebracht oder von einem Neifenden follte
gefehen worden fein. Sehr wahrfcheinlich alfo ift das Ein-
born der Sage in Wirklichkeit nirgends vorhanden. Aber
wenn es auch eriftirte, aus der Stelle 5. Moſ. 38, 17 geht
unwiderleglich hervor, da der Reem der Bibel zwei Hör—
ner gebabt hat, aljo fein Einhorn war. Joſeph's Herrlich:
feit wird ba geprieſen ald die Herrlichkeit eines erftgeborenen
Ochſen und feine Hörner wie die Hörner des Neem. So
fteht Har da; die Ueberſetzung ift umanfechtbar, und fchon
Büchner jagt auf Grund diefer Stelle, da man beim Neem
an ein eigentliches Einhorn nicht denken könne. Die Be:
ſchreibung, welche die Fabel vom Einhorn giebt, ftimmt auch
nicht mit der Beichreibung des Neem, die wir in der Schrift
finden. Das Einborn follte einfam und allein fich balten
und felten zu finden fein. Im Palm 22, 22 wird der Neem
beſchrieben al& in Herden vorfommend und Seh, 34, 6 bis 7
wird er zugleich mit Ochſen, Schafen und Widdern ala Gegen:
ftand des über Edam bereinbrechenden Gerichte, als ein dort
häufig vorfommendes Thier erwähnt.
Am ſchlagendſten gegen die Annahme, dab der Neem
Aus allen Erdtheilen.
das Einhorn der Sage fei, ſcheint uns aber folgender Um:
ftand zu fprechen. Das Einhorn wird ſtets als pferdeühnlich
geichildert, es wird mit Pferbeleib und Pferdekopf abgebildet;
der Neem der Bibel wird aber überall in confequenter Parallele
zum jahmen Stiere ausgeführt, fowie Hiob den Onager ober
wilden Efel in Parallele zum Pferde erwähnt. Joſeph ift
wie ein erftgeborner Ode, feine Hörner find wie die Hör:
ner des Neem“ heißt es in der angeführten Stelle bes
Denteronomium.
Dieje Zufammenftellung des Reem mit dem Rinde fpricht
auch gegen die von Manchen vertretene Aunahme, daß ber:
felbe der Orur der Alten fei, welcher aller Wahrjcheinlich-
feit nach identiich ift mit der in Südafrika vorfommenden
Säbelantilope, der Antilope leukoryx. Wie foll Hiob dazu
fommen gerade davon zu fprechen, den Oryr zum Pflügen
zn zähmen, da derfelbe doch, wenn auch gezäbmt, zu dieſer
Arbeit ſehr wenig tauglich jein würde? nticheidend gegen
die Meinung, der Reem ſei irgend welche Antilope, ift aber
beſouders der Umſtand, daß wie jeder Kenner der Natur
der Antilopen beftätigen wird, unter allen Untilopen keine
einzige ift, auf welche bie Veichreibung der Schrift von der
Stärke, Wildbeit und Gefährlichkeit des Reem paffen würde.
Andere (Bulgata) haben beim Einhorn an das Rhino—
ceros gedacht, aber auch auf dieſes Thier paßt die in ber
Schrift enthaltene Beichreibung des Reem durchaus nicht,
Das Nhinoceros ift plump und unförmlid, „Libanon und
Sirion büpfen wie junge Rhinoceroffe," welch unpafiend
Bild wäre dies! Außerdem fpricht gegen die Annahme,
ber Neem jei das Nhinoceros, daß nach unferer Ausführung
das fragliche Thier dem Rinde ähnlich war.
Wenn wir nun fragen: Was war der Neem? Auf
welches Thier paßt denn die Beichreibung, welche die Bibel
von demfelben giebt? fo werden wir und zunächſt unter
der afrifanifhen Thierwelt umfchen und den Reem da
fuchen müſſen. Es ift ja befanmt, daß Paläftina in ber
ältejten Zeit von denfelben Thieren, die ſich in Afrika finden,
bevölkert war. Wir finden in jener Zeit dort den Strauß
und den Hippopotamus, als ſpecifiſch afrifanifche Thiere.
So werben wir alfo wohl auch den Neem im der mannich—
faltigen Thierwelt Afrikas juchen können. Wir finden ihn
auch da umferer Meinung nach in dem furchtbaren afrika:
niihen Büffel, dem Bos Caffer, jedenfall® einem der
wildeſten, unbändigften und gefährlichiten Thiere der Erde,
Die Eigenfchaften des afrikaniſchen Büffels find genau
die, welche die Schrift dem Reem beilegt. Der Büffel ift
eim Bild der Kraft, der Furchtbarkeit, des niederwerfenden
Ungeftüms, Noch heute legen afrikaniſche Herricher ihren
blutdürftigften und unbezwingbarften Negimentern ben Na—
men des Büffels bei.
In der Bibel wird des Büffel in den heiligen
Schriften zuletzt durch Jeſaias im achten Jahrhundert
v. Chr. Erwähnung getban. Die griechiiche Uecberiegung,
welche den Namen „Septuaginta* trägt, ſtammt aber ihren
älteiten Beftandtbeilen nad aus dem dritten Jahrhundert
v. Ehr., ıft alfo etwa 500 Jahre nach Jeſaias entjtanden.
Es kann uns nicht befremben, wenn während dieſer Zeit:
dauer der Büffel in Paläftina vollftäindig ausgerottet und
in dem überenltivirten Wegypten jchon längft verſchwunden
war. Mit der Kenntniß des Thieres aber war die Beben:
tung feines Namens nach und nad verichwunden.
Die Verbreitung des Morra-Spiels.
Wenn wir auf die frühefte Entwidelung der Zählkunſt
bliden und fehen, wie ein Stamm mach dem andern bei ber
Bildung jeiner Zahlwörter von der niedrigften Stufe, dem
Zählen an den Fingern, ausgegangen ift, jo finden wir ein
gewiſſes ethmographiiches Intereffe an den Spielen, welche
zur Erlernung diejer früheften Zählkunft dienen. Das nen:
feeländiiche Spiel „Ti* befteht nach der Beſchreibung im einem
159
Zählen an den Fingern: einer der Spieler ruft eine Zahl
und hat fofort dem richtigen Finger zu berühren, während
in dem famoanifchen Spiel ein Spieler eine Anzahl Finger
in die Höhe hält, worauf fein Gegner fofort bafjelbe thun
muß oder einen Point verliert. Dies können einheimische
polijneſiſche Spiele fein oder fie fönmen auch unferen eigenen
Kinderfpielen entlehmt fein. In der englischen Kinberftube,
jo belehrt und Edward Tylor in feinen „Anfängen der Eul-
tur*, lernt das Kind fagen, wie viel Finger die Amme in
die Höhe hält, und die feftitchende Formel biefes Spieles
lantet: „Buck, Buck, how many horns do I hold up“ (mie
viel Hörner halte ich in die Höhe)? Strutt erwähnt ein
Spiel, bei dem Einer Finger in bie Höhe hält und die An:
deren dieſelbe Anzahl aufzuheben verfuchen. Auf den Stra-
ber können wir Heine Schuffnaben das Ratheſpiel ſpielen
fehen, wo Einer Hinter den Rüden des Audern tritt und
einige Finger in die Höhe hält und der Andere rathen muß
wie viele, Es ift intereffant, die weite Verbreitung und
fange Erhaltung diefer Beluftigungen in der Geichichte zu
beobachten, wenn wir den folgenden Sat and dem „Petronius
Urbiter* leſen, der zur Zeit des Mero geichrieben wurde:
Trimalchio küßte, um nicht durch den Berluft erfchüittert zu
erfcheinen, den Knaben und forderte ihn anf, anf feinen
Rüden zu fteigen. Ohne Verzug Homm der Knabe rittlings
binauf und ichlug ihm mit der Hand auf die Schultern, in:
dem er babei lachte und rief: Bucca, bucea, quot sunt hie #*
Die einfachen Zablipiele, welche mit den Fingern gejpielt
werben, darf man nicht mit dem Additionsſpiel verwechſeln,
in dent jeder Spieler eine Hand ausſtreckt und die Summe
aller hingehaltenen Finger gerufen werben muß, wo dann
der erfolgreiche Zähler einen Point gewinnt; thatfächlich ruft
Jeder die Geſammtſumme, ehe er die Hand feines Gegners
ficht, fo daß die Kunft hauptſächlich im dem breiften Rathen
befteht. Diefes Spiel gewährt endlofe Unterhaltung in China,
wo es „Is ofy:mofy“ heißt, und in Südeuropa, wo es in
Italien „morra“ und in Frankreich ald „mourre“ be:
kannt ift. Ein fo eigenthümliches Spiel dürfte kaum zwei:
mal in Europa und Afien erfunden worden fein, aber e# iſt
ſchwer zu fagen, ob es die Chineſen von dem Weiten lern⸗
ten oder ob es zu der beträchtlichen Reihe von geſchickten
Erfindungen gehört, welche Europa von China entlehnt hat.
Die alten Aegypter pflegten, wie ihre Sculpturen zeigen,
eine Art Fingerfpiel zu fpielen, und die Römer batten ihr
Fingerfunkeln, micare digitis, weldes die Schlächter mit
ihren Kunden um Fleiſchſtücke zu ſpielen pflegten. Es ift
nicht Mar, ob died Morras oder andere Spiele waren.
*» + »*
— Bon den Philippinen. Im „Globus* Bd. XXVII,
S. 362 war mitgetbeilt worden, daß ber „Challenger“ die
Nachricht von der Throubefteigung Alfons’ NIT. nad) den
Philippinen gebracht habe und daß diefelbe dort gleichgültig
aufgenommen worden fei. Mit Nüdficht hierauf wird uns
gütigft der Vrivatbrief eines in Manila wohnenden Deut:
ſchen vom Jannar diefes Jahres mitgetbeilt, im welchem cs
heißt: „Uns brachte bier zuerſt das deutſche Kriegsſchiff
Ariadne“ die Nachricht, daß Spanien wieder das Glüd
cines Königs, Alfons XII. babe, die jedoch erſt mach dem
Eintreffen des Poſtſteamers amtlich belaunt gemacht wurde.
Alle, Fremde und Spanier, waren von biejer Nachricht aufs
Höchfte überraſcht, letztere, wenigſtens bie meiften, nicht ge—
rade angenehm, da die Spanier hier entweder Republikaner
oder Carliſten ſind. Alle Blätter, die vorher eifrige Repu⸗
blifaner geweſen, wurden plötzlich noch eifrigere Royaliſten
und bemuhten ſich, die guten Eigeuſchaften recht herauszu—
ſtreichen und neue dazu zu erfinden. Zu Ehren Don Al-
fonfo’8 XII, rey de Espaha, wurde für Sonnabend, Sonntag
und Montag Jüumination anbefohlen und am Sonntag fand
große Parade ftatt, bei ber viel Pulver vergeubet wurbe.*
160
— Kretiné (Trotteln) inBöhmen Das „Aerztliche
Gorreipondenzblatt* (Organ bed Vereins deuticher Aerzte in
Prag) enthält einen Artikel über die Verbreitung des Kretir
nismus in Böhmen von Prof. Dr. Klebs. Durch den
amtlichen Bericht von 1873 find in Böhmen 998 Kretins,
cine Zahl, die fi zur Bewohnerzahl verhält wie 1 zu 5116.
Verhältuißmäßig die meijten findet man im den Bezirken:
Bolitichla, Senftenberg, Leitomiſchl, Landskron, Trautenau,
Königgrätz, Tepl, Plan und Hohenelbe. Unter den zablrei-
ben Theorien über die Urfache des Kretinismus giebt Prof.
Klebs derjenigen von Saint:Layr den Vorzug, der den Grund
der Erfranfung weder in der Race noch in der Beſchäfti—
aung, dem Elende, der hohen Lage, dem Lande, fondern einzig
und allein im Quellwaſſer ſucht.
— Eine neue Korallenbant bei Sicilien. Im
Monat Juni entbedten die Fiſcher von Sciacca eine neue
Korallenbanf, welche nicht weniger als zwei Kilometer lang
ift und durch auferorbentlichen Reichtbum an Edellorallen
fich auszeichnet. Sobald diefe Stunde verlautete, machten ſich
40 Barken von Torre del Greco bei Neapel auf, um Theil
an der Ausbeutung des menen Fundes zu nehmen. Die
Fiſcher von Torre del Greco find als tüchtige Korallenfiicher
befannt, ſcheuen fie doch jelbft die weite Fahrt nach der afrila-
niſchen Hüfte wicht um bier zu fiſchen. Die Sicilianer aber,
welche fich in ihrem Erwerb beeinträchtigt ſahen, ftellten ihre
Boote in Schlahtordnung auf und es wäre auch zu einer
Seeſchlacht zwiſchen beiden Theilen gefommen, wenn das
Negierungeichiff „Arcimedes* nicht eingegriffen und Frieden
geftiftet hätte. Jetzt find 600 Barken auf der neuen Bank
mit der Korallenfiicherei bejchäftigt. Der erfte Monat ergab
einen Ertrag von 500,000 Lire. P
— Pfahlbauten im Nenfiedler See. Am ſüd—
lichen Ufer des Neufiedler Sees ift das Bett des Sees auf
einem weiten Gebiete ganz andgetrodnet und wird nach und
nach angebaut, Etwa 500 Schritte vom ceinftigen Ufer bes
Sees entfernt lagen Thierknochen und Steinbeile an der
Oberfläche am Boden number. In tieferen Furchen, wie die
Egge fie zog, durchdringen organische Reſte den Boden, aber
künftliche Erzeugniffe kommen darin nicht vor. Sämmtliche
Fundorte weilen darauf bin, daß wir hier eine Anſiedlung
aus dem Steinzeitalter vor uns haben. Unter den irdenen Ge—
fühen finden fich — obgleich manche aufder Drebicheibe gemacht
und geglättet find — viele fehr rohe und die charakteriftiichen
Nägeleindrüde jowie die ald Verzierung angewendeten, mit:
telft einer Knochennadel durchitochenen runden Löcher find noch
deutlich bemerkbar. In gutem Zuftande wurden einige Hei:
nere, ans mit Quarzſand vermengtem Lehm angefertigte Ges
fäße aefunden. In der Sammlung des Grafen Bela Szechenyi
befinden ih an 30 meiftens vollftändig erhaltene Serpentin:
ürte, deren Größe zwilchen 1%, und 5 Zoll wechſelte. Die
Steinbänmer find nicht fo häufig; nur ein Eremplar ift voll
jtändig erhalten, die übrigen find theils der Länge, theils
der Breite nach zerbrocdhen. Am häufigsten ift die Geftalt
des breiten Herzens, die im fitdlichen Defterreich ſehr häufig
ift und im der Engelbofer'ichen Sammlung viele Vertreter
bat. Bon den Steinwerkzeugen tft noch ein Gbetreidemörfer
und ein Sitftein zu erwähnen. ‚
— ‚Fiſchwürmer“ und Aberglauben in Calcutta.
In den legten Wochen des Juni berrichte unter den Einge—
Aus allen Erdtheilen.
borenen der Hauptitadt Oftindiend ein förmlicher paniſcher
Schreden; die Fiſche, welde die tägliche Nahrung der Ars
men bilben, bieß es, feien fo von Würmern erfüllt, daß man
fie nicht eſſen könne. Sofort wußte man auch den Grund
biefer außerordentliche Erſcheinuug anzugeben. Die Göttin
der Blattern, fo hieß es nämlich, wollte fürzlich den Hoogbly
paffiren, der Bootsmann aber, am welchen fie fich wandte,
weigerte ſich, fie fiberzufeßen, und die Göttin war daher ge:
zwungen, über das Waller hinwegzuſchreiten. Ihre nadten
Füße famen dabei mit verichiedenen Fiſchen in Berübrung,
die von ihr angeftedt wurden und nun, als eine Folge der
Anitekung, die Würmerplage auf die übrigen Fiſche des
Stromes übertrugen. — Die Gefundheitsbehörde von Cal—
cutta, welche ſich mit der Sache zu befaflen hatte, hat nun
einen Bericht darüber veröffentliht. Sie unterfuchte alle
Fiſche, welche mit der oftbengaliihen Eiſenbahn anlangten,
fowie die auf dem Markte verkauften, und fand fie alle ae
fund und zur Nahrung geeignet. Allerdings fanden fih Wür:
mer in ber Leber und den Eingeweiben, doch dieſes ift feine
feltene Eriheinung und diefe Wilrmer find keineswegs der
Geſundheit nachtheilig. In Goalundo, einem Hauptficher:
plate, fand der unterſuchende Beamte jedoch eine Anzahl
jchlecht ausſehender File, welche von Dr. Lewis mifrofto:
piſch unterfucht wurden. Sie waren ftart mit Cyſten und
Würmern erfüllt, mehr als dieſes fonft der Fall ift, jedoch
in nicht geſundheitsgefährlicher Weile. Diele Fiſche — die
Species ift in dem Berichte an die „Times*, dem wir folg—
ten, nicht genannt — haben Aulaß zu dem Gerücht gegeben,
welches uns um deßwillen von Intereſſe erfcheint, weil der
Volksaberglauben der Hindu ſofort die „Göttin der Blattern“
damit in Verbindung brachte.
Vom Büdertifche.
Die Infeln des Etillen Deeans. ine geographiiche Mo—
nograpbie von Prof. Dr. Karl Meinide. Erſter Theil.
Melanefien und Neufeeland. Leipzig. Frohberg 1870.
Seit langer Zeit ſchon find wir gewohnt geweien, Prof.
Meinide in Dresden, von dem auch unſer „Globus“ ſchätz-
barc Beiträge veröffentlicht hat, als eine der erjten Autori-
täten zu betrachten in allen auf Auftralien und die Sidfee
beziialichen Fragen. Er hat deren Studium fich zur Lebenss
anfgabe gemacht, mit einem wahren Bienenfleiß fichtend alles
zuſammengetragen, was auf jene hochinterejfante Region uns
ſeres Planeten fich bezieht, und bietet nun die Früchte feiner
Studien in einem ftattlichen, faft „400 Seiten umfaſſenden
Bande dar, dem ein weiterer folgen ſoll, welcher Polynefien
behandelt. Es ftedt mühevolle, redliche Arbeit in diefem
Werke, das durch große Sorgfalt fid) auszeichnet und nament⸗
lich durch die Verüdfichtigung der oft verwirrten Entdeckungs
gefchichte fowie durch die Aufhellung der vielfach zweifel—
haften Nomenclatur der Inſeln zu einem trefflichen Nadı-
fchlagebuche geworden ift. Nach einer allgemeinen Einleitung
über die Juſeln des Stillen Deeans und ihre Bewohner
folgen die Abſchnitte Über Neuguinea, Neubritannien, die
Salomonen, Königin-Charlotte-Juſeln, die Neuen Hebriden
und Nencaledonien. Nenfeeland macht den Beſchluß. Für
Alle, welche ipecielleres Intereffe an den angeführten Aufel:
gruppen haben, ift das Werf geradezu unentbehrlich.
Inhalt: Donaw Bulgarien. (Mit zwei Mbbildungen) — „Ionrnal des Muſeum Gobeffroy“. Mit drei Abbil:
dungen.) — Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Tigris für den Verkehr, Von Arthur v. Triebel 1. (Schlufi.)
— Zur Ethnologie und Gefchichte des Mberglaubens. Von Dr. Hermann Brunnbofer in Aarau. III. —
Ans allen
Grotbeilen: Zeile. — Die Einkünfte Mektas aus der Wallfahrt. — Hausbaltstoften der amerifanifchen Präfidenten. —
Das Einhorn der Bibel. — Die Verbreitung des Morra-Spiels. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 20, Auguſt 1575.)
Für die Mebaction verantwortlib: H. Vieweg in Vraunfchweig.
Drud und Verlag von Friedrich Vleweg und Sohn in Braunfchweig.
Band XXVIII.
In
Verbindung mit Fahmännern und Künftlern begründet von
Karl Andree.
Yährlid) 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlih 4 Nummern.
Braunſchweig
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Pf. *
1875.
— —
Zur Schilderung des Waldes in der europäiſchen Türkei.
Von F. Kanitz.
Die einleitenden Worte, welche jüngſt Freiherr von Berg
ſeiner intereſſanten Schilderung „Aus dem Nhodopegebirge*
(„Stlobus* Bd, 27, Nro. 20) vorausfandte, enthalten einen
gegen v. Hahn, Yejean,v. Hochſtett er und audy gegen mich
gerichteten Vorwurf, den ich für meine Perfon um fo wenis
er unerwiedert laſſen möchte, als er von fo hochgeachteter
ite fommıt. Nach des geehrten Freiherrn Anficht enthalten
unjere Arbeiten „viel Intereffantes und Werthuolles“; aber
„ded Waldes, diefes fo ungemein wichtigen Factors im
Haushalte der Natur, ift nirgends oder doch nur ober»
flächlich gedacht“. Gewiß ein jchwerer Vorwurf, erfchiene
er gerechtfertigt.
Was meine leider allzufrüih verblichenen Freunde v. Hahn
und Yejean und meine noch lebende Wenigkeit betrifft, glaube
ich ferner file uns beanspruchen zu dlirfen, wicht in die Reihe
jener geftellt zu werden, „welche nur die Thäler und Haupt:
ftraßen bereifen, aus den Mittheilungen der Cingeborenen
ſchöpfen, das Waldesdunfel aber und unzugängliche Ges
birge ſcheuten“s — Beditrfte es einer Mechtfertigung nad)
diefer Richtung, fo genügt wohl ein Blick auf das meinem
„Donau-Bulgarien und der Balkan“ beigegebene Kärtchen.
Es zeigt 17 rothe Punkte, am welchen ich die bieher wenig
gelannte Balfanfette auf oft 2000 Meter hohen Päſſen
trog „umwirthjamer Wege, mangelnder Unterkunft und
Näuberromantit* fiebzehnmale — wie Niemand vor
mir — überjchritten hatte.
Sie geftatten mir num wohl an berjelben Stelle in
Globus XXVIII. Ne. 11.
Ihrem gefchägten ‚Globus“ dem Leſer und Freiherrn v. Berg
auch Beweife zu liefern, welche Aufmerkfamfeit ic) bereits
vor langen Jahren dem Walde auf meinen Reifen zugewen—
det, wie hoch ic) ſchon damals deſſen culturellen Einfluß
und volfswirthicaftlichen Werth zu würdigen wußte und
wie ich, ohme des „forftlichen* Auges mid) rühmen zu dür—
fen, bereits vor einem Decennium über die Zuftände bes
Waldes im europäifchen Oſten Ausſprüche niederſchrieb,
welche mit den von Zeiten de hochgeehrten Fachmannes
dv. Derg jüngft im „Globus“ abgegebenen auffallend über-
einftimmen.
Mehr als in dem die niedere weftbulgarifche Donau:
terrafie behandelnden I. Bande meines „Donau » Bulgarien
und der Balfan*, wo ic, forftliche Berhältnifie nur (auf
©. 188, 193, 205, 206, 216, 238 u. |. w.) flüchtig ftreis
fen fonnte, werde ich im dejfen II. umd III. Bande bie
Balkanwälder zu fchildern haben, auf welche die Pforte
oft ihre fernen Gläubiger als auf einen noch jungfräulich
unberühtten Schag hinzuweiſen liebt. Im Grunde werde
ic, aber aud) dort mur mit geringen localen Variationen
wiederholen mäflen, was ich bereits in meinem „Serbien“
im Jahre 1868 äußerte, Denn hier wie dort ſchwindet der
Wald unter des Menſchen Vandalismus, hier wie dort find
die tönenden Gefege nur da, um nicht beachtet zu werden,
hier und dort thut dringende Abhilfe ſchleunigſt Noth!
Diefer in Serbien und in der europäifchen Türkei ziem«
lid) analogen Berhältnifje wegen wird es mir wohl erlaubt
21
162 F. Kanitz: Zur Schilderung des
fein, mit einigen Stellen ans meinem Werke „Serbien“ zu
erhärten, daß mindeftens meine Darftellung ofteuropätfcher
Waldverhältniffe e8 nicht war, welche diefe in optimiſtiſchem
Lichte erſcheinen ließ und das Urtheil „irre führte‘. Meine
einfchlägigen Bemerkungen find in den Reifeaufzeichnungen
(S. 1bi8 454) im Capitel „Geographie“ (S.455 bis 476)
und im Capitel „Landwirthſchaft“ (Seite (575 bis 607)
enthalten. Ueberall hätte Freiherr v. Verg bei „jorgfäl-
tiger“ Pectüre finden Können, wie fehr mid) die traurige Ber»
nachläffigung und Verwilftung des Waldes mit größter Bes
forgniß erfüllten, wie id) überall die Anfnerkfamfeit der
Waldes in der europäischen Türkei.
Regierungsorgane auf diefen wunden Punkt der National
wirthichaft lenkte. Auf S.601 f. ſchrieb id:
„Die Wälder Serbiens gehörten einft, was Urfraft
und Dichtigfeit betrifft, zu den reichten Europas. Noch vor
einem Jahrhunderte glich das Fand, nad) den Schilderungen
der Reiſenden, einem einzigen großen Forſte. Im den legten
Jahrzehuten ift aber berfelbe bedeutend gelichtet worden.
Nachdem der Wald während der tirkifchen Epoche den natür—
lichen Schutzwall zwiſchen der chriſtlichen Yandbevölferung,
die fich in die Berge zurlichgegogen hatte, und ihren türkifchen,
die Städte und das Flachland bewohnenden Drängern ge:
Eichen am Erni:®r,
|
bildet hatte, wurde ihm nach beendetem Freiheitskampfe leider
förmlich der Krieg erflärt. Wir fprechen hier nicht von
den Waldeompleren, welche allmälig audgerobet und in
Aderland verwandelt wurden. Sie find an Umfang ver-
hältnigmäßig Hein gegen die Größe jener Verwüſtungen,
welche der Unverſtand dem Schliger — und in Serbien darf
man im Hinblide auf deſſen Borftenviehzucht wohl fagen
dent Nährer — der Bevölferung zufligte. Betrachtet man biefe
fortgefegten täglichen Angriffe auf den ſerbiſchen Wald, jo
darf man ſich nicht wundern, daß Serbien, früher ein fo
waldreiches Yand, jchon jetzt Gegenden befigt, in welden bes
reits Holzmangel herrjcht oder doch im mächfter Zeit zu bes
fürditen ſteht. Im manden Diftricten machen ſich aber
auch bereits die nachtheiligen Folgen der Waldverwüftung |
in anderer Weife fühlbar. So im Kragujevacer Sreife,
deſſen Bäche, 3. B. die Yepenica, durch ihre Hochwaſſer un:
endlichen Schaden im Frühjahre anrichten, während fie im
Sommer beinahe gänzlich verfiegen.
„Die ferbifche Regierung fühlte denn auch ſchon vor läns
gerer Zeit, dag vom Staate etwas Ausreichendes geichehen
müffe, follte das Land nicht in wenigen Decennien in eine
baumloje Dede verwandelt werden, Seit deu von Fuürſt
Milos im Jahre 1839 erlaflenen erjten Forſtſchutzgeſttze iſt
die ferbifche Geſetzſammlung (Sbornik zakona i uredba etc.)
bis herab auf die meuefte Zeit reich an Verordnungen,
welche den .foftematifchen Berheerungen des Waldes eine
Grenze jegen ſollen. Ein großer Theil aller Forſte wurde
als Staatseigenthum erllärt, das ſtaatliche Oberauffichts-
F. Kanitz: Zur Schilderung des Waldes in der europäiſchen Türlei.
recht zum Schutze aller übrigen im Befige der Gemeinden
und Privaten verbleibenden Waldungen beanfprucht und die
Leitumg des geſammten Forſtweſens dem Finanzminiſterium
übertragen. Als Grundſatz wurde durch verſchiedene im
Laufe der Yahre erfolgte ergänzende Verordnungen ausge
fprochen, daß mur dort, wo Ueberfluß an Wald und Man—
gel an Aderboben vorhanden, eine partielle Rodung des
Gemeindewaldes im Einvernehmen der Gemeinde mit ber
Staatsbehörde zuläffig fei, daß aber in Diftrieten, wo feine
oder nur unzureichende Waldungen beftänden, neue Anlagen
entjtehen müßten. Andererſeits wurde jedem Serben das
Hecht zuerlannt, bei genigenbem Waldbeftande das für feinen
Hansbedarf nöthige Brenn, Ban: und Werkholz in den
Staatöforften oder in den Waldungen feiner Gemeinde fäl-
fen zu dürfen. Schiffsbauholz folte nım mit befonderer Bes
willigung des Minifteriums und Senates gefchlagen werben
dürfen. Eichen und Buchen follten im Allgemeinen wegen
der Schweinezucht nicht gefällt werden, fo lange fie ertrags-
fähig, kräftig, und fo lange abgeftorbene Bäume oder Raffs
und Leſeholz vorhanden feien, Neben ber Beholzung wurde
aud) das Eichelungsfervitut für alle Staats: und Gemeindeforſte
eingeführt, und zwar micht nur für alle Gemeindegenoffen
einer walbbefigenden Commune allein, fondern gegen Entridj-
tung einer Kleinen Abgabe auch für jene Commumnen , welche
feine eigenen Waldungen befigen follten. Diefe Verordnun⸗
gen, zum großen Theile ſchon im Jahre 1839 erlaffen, hätten,
den Berhältniffen des Landes entfprechend, vollkommen zum
Schutze der jerbifchen Wälder ausgereicht, hätte der Staat bie
Ueberwachung ihrer Ausführung unmittelbar einem wohl:
geſchulten Forſtperſonale anvertrauen fönnen. Wo follte
man aber ein ſolches hernchmen und wenn es vorhanden,
wie bezahlen, da die in ihren Rechten auf den Walb bes
ihräntten Gemeinden gegen jebe neue Auflage zu dieſem
mede opponirt hätten, der Staatöfädel aber durch bie
ganifation zahlreicher anderer Einrichtungen ſehr in Ans
ſpruch genommen war. Vielleicht glaubte man auch damit
genug gethan zu haben, dag man die Natalnits, Kreis- und
Berirfvorflände, für die genaue Handhabung der neuen
Forftgefege verantwortlich machte, während man die ums
mittelbare forftpolizeiliche Aufficht über ſämmtliche Staats:
und Gemeinbewaldungen den Ortövorftänden (Kmeten) ans
vertraute,
„Die letztere Mafregel allein mußte ſchon, wie die Folge:
zeit lehrte, da® ganze Forſtgeſetz illuforifch machen. Die
Kmeten (Ortsrichter), welche in erfter Linie die Staats; und
Gemeindewaldungen gegen Forſtfrebel fchligen follten, waren
ja eben Bauern, welche mit allen übrigen Gemeindegliedern,
ja, wenn wir geringe Ausnahmen zugeftehen, mit bem ge:
fammten Bauernthum von Polen, Tyrol u. ſ. w. diefelben
Anfihten und Vorurtheile Über Nuten und Schaden der
Wälder theilten. Trotz der erwähnten Verordnungen fteigerte
fi) die Verheerung der ferbifchen Forſte im fo bedrohlicher
Ausdehnung, daß Fürft Michail fie in feiner Eröffnungs-
rede der Skuptſchina vom Jahre 1864 zum Gegenftande ein«
dringlicher Ermahnungen machte. Im Jahre 1864 fanc«
tionirte die folgende Nationalverfammlung die Grundzlige
eines vom Minifter Cukiſch eingebrachten Forftgefeges, Auf
der St. Miolsla⸗Sluptſchina (October 1867) erfolgte deſſen
Schlußredaction, nicht ohne harte Kämpfe im der fonft ge»
fügigen Berſammlung und nicht ohme den Verſuch, den Einfluß
ber Regierung auf die Gebahrung in den Gemeindeforften
nach Diöglichteit zu beſchränken. Schon im feiner gegen:
wärtigen Faſſung bürfte das neue Geſetz, wenn es nur eifrig
— wlirde, das werthvollſte Object bes ſerbiſchen
ationalreichthums vor dem gänzlichen Ruin bewahren.
„Das meue Geſetz erflärt alle jene zufammenhängenden
163
dichten Waldeomplere ald Staatseigenthum, auf welche die
Gemeinden ober Privaten nicht zweifelioſe Beſitztitel mad}:
zuweiſen vermögen. Die an — Staatsforſte grenzenden
Gemeinden ſollen jedoch das Maſtungs- und Weiberecht,
ferner das Schlagrecht von Bau- und Brennholz fir den
eigenen Bedarf gegen eine geringe Tape und gegen die ums
entgeltliche Leiſtung jener Arbeiten erhalten, welche zur Er-
haltung diefer Forſte erforderlich erfcheinen werden. Die
Ertheilung der Conceffion zur Ausbeute der Staatswaldun:
gen im großen Maßſtabe, zur Pottafchenbrennerei u. f. w.
behielt fid) das Minifterium dev Finanzen im Einvernehmen
mit dem Senate und mit der Genehmigung des Fürſten
vor. Das neue Gefeg verfpricht auch die Benugung des
Waldes für die Ziegenzucht zu regeln, und ftellt die Aufftellung
eigener Forſtorgane zur Ueberwachung der Forſtpolizei in
Ausſicht. Ein erfter Anfang in diefer Richtung ift durch
die Bepflanzung der meiten fandigen Ufer der Morava im
Potjcharevacer Kreiſe, in der Ausdehnung von 10,000 Tage:
werten, mit Weiden und Afazien, ferner im Gebiete der
fürftlichen Pulverfabrit von Stzagare bei Stebernica ge-
macht worden. Um bdiefem Etabliſſement eine gleiche unge
ſchmälerte Wafferkraft zu erhalten, hatten fich die Minifter
des Kriegs, der Finanzen und des Innern zur Beaufjic)-
tigung der dortigen Waldgebiete durch 25 ausgebiente Unter:
offiziere entjchloffen. Sie ftehen unter dem Capitän des Bezirkes
und haben bereits das ſchöne Refultat erzielt, daß die Forſte
nicht nur geſchont, fondern dag von zehn Gemeinden
23,000 Dffa Eicheln gepflanzt wurden. Hoffentlich were
den auch andere Bezirke diefem vielverſprechenden Beifpiele
folgen, weldjes unter unmittelbarer Yeitung des Herrn Forſt⸗
jeeretäird Stoilovitſch ſich vollzog.
„Wie ſchon oft bemerkt, fehlt es in Serbien an einer
auf genauen geobätifchen Operationen beruhenden Landes-
vermeffung und ebenſo an eimem Satafter. Für das
Areal der Staatöforfte und Gemeindewaldungen giebt es
gar feine, jelbft nicht eine approrimative Berechnung. Man
ift über deren Umfang, Gattung, Zuftand und Werth kaum
im Allgemeinen unterrichtet. Indem ich bezüglich meiner
eigenen Beobachtungen in diefer Richtung auf das erfte Ca—
pitel des zweiten Theiles meines Wertes „Serbien® (5455
bis 476) verweife, fei hier num bemerkt, daß die Eichen» und
Buchenforſte im Centrum Serbiens, dann in den Gebirgen
am Pet, am rechten Ibarufer und an der Drina bezuglich
Dichtigkeit und Größe des Areals die hervorragendften find.
Nadelholz in größeren Waldcompleren trifft man nur in
einzelnen Diftricten des Utjchicaer, Catater und Krufevacer
Kreifes,
„Die Schätze, welche in ben nod) immer fehr bedeutenden
Waldgebirgen Serbiens ruhen, blieben bisher, abgefehen von
ihrer Berwerthung fir die Borſtenviehzucht und den eigents
lichen innern Haushalt des Yandes, beinahe gänzlich, unbe-
mußt. Erſt im ben legten Jahren fuchte man den Holz:
reihthum der Nabelwälder in der Nähe Utſchicas durch
Flögung auszubeuten. Die Verpachtung der großen Mai«
daupefer Eichenforfte erfolgte gleichzeitig mit der Ueberlaſſung
feiner Minen an die nunmehr aufgelöfte franzöſiſche Gejels
haft. Der Staat hatte jedoch nur Nachtheile aus diefer
Unternehmung und trat wieder in das volle Eigenthumd-
recht diefer Domänen. Mit glüdlidyerm Erfolge wurde mit
ber Ausfuhr von Faßdauben aus ben Savekreiſen begonnen.
Die ferbifchen Forſte bieten einer foliden Speculation ein
höchft lohnendes Gebiet. Wie in dem benachbarten Bosnien,
Croatien und in der Taiferlichen Militärgrenze könnte man
auch bort durch die Ausfuhr von Waldproducten in Stäm—
men und im verarbeiteten Zuſtande: ald Bau+ und Brenn
holz, Brettern, Ballen, Faßdauben und Reifftöden, Wagen⸗
21*
164 F. Kanitz: Zur Schilderung des Waldes in der europäischen Türlei.
achjen, Radnaben, Eichen: und Eſchenſtangen, Schiffsrippen ıc. | Hatte ich vorstehend die VBerhältniffe der ferbifchen Wald-
Serbien bedeutende Summen zuführen, während gegenwärtig | wirthichaft in großen Zügen gejchildert, fo darf id) aber zu
troß feines Waldreichthums große Beträge flir bearbeitete | deren Ergänzung auf zahlreiche Detailjchilderungen in mei—
Hölzer aller Art aus demfelben ins Ausland wandern !* nem Werke „Serbien“ hinweiſen, weldye diefen durch auf
J
Lanudſchaft bei Banja.
dem Terrain, in Berg und Thal, gemachten Erfahrungen | herrn v. Berg Überzeugen, daß ich für forſtliche Verhältniſſe
gewiffermaßen locale Farbe geben. Bon vielen hier nur | jtets ein warmes Interefie empfand. Schon auf meinen
einige Auszüge. Ich hoffe, fie werden dem Lefer des | erften Kreuz- und Ouerzligen durch Serbiens Often (1860)
„Slobus“ einiges Interefie abgewinnen und ihn wie Frei- bemerkte ih (S. 17): „Bis auf einzelne ſchöne Eichen—
F. Kanitz: Zur Schilderung des Waldes in der europätjchen Türkei.
ftänme erlag auch im diefer Gegend ber Wald der cultiviren-
den Art des Menſchen.“ — ©. 49: „Der fette Wald-
boden, welcher den Glimmerſchiefer des Crnis®r bis abwärts
zu feinen Ausläufern gegen Buforovica überdeckt, giebt
einer herrlichen Baummwegetation veichlihe Nahrung. Ich
ſah zahlreiche mächtige Bucenftämme mit Kronen von
feltener Schönheit. Doch audy hier begegnete ich wie
allenthalben in auffallender Menge den raftlofen Feinden
des jungen Waldnachwuchſes, der alles benagenden Ziege
und dem den Boden aufwäühlenden und lodernden Schweine.“
©. 215 f.: „Vor unferm Paubzelte brannte ein „leben:
des“ Teuer, das unfere Schatten in riefiger Berlänge-
rung auf den weiten Wiefenplan binwarf. Ein Theil un:
ferer Escorte hatte deſſen Schürung übernommen, Nicht
etwa Weite und Gezweige nährten daſſelbe — ſolch ein
Feuer würde einem Serben wenig Freude gewähren —,
ganze Baumſtämme loderten in lichten Flammen weithin
leuchtend bis zum frühen Morgen empor,
Baunrindenbütte anf dem Kopaond.
Siege zu verhelfen. Norwegen aber, deſſen Bauernjtand nicht
weniger einflußreich und zugleich nicht minder vorurtheils⸗
voll als der ferbifche ift, giebt mach dem Ausſpruche des ſäch—
ſiſchen Forftmannes Baron v. Berg ein lehrreiches Beispiel,
in welcher Weife in das Hergebradhte tiefeingreifende und
ſpeciell foritliche Verbefferungen eingeflhrt werden müſſen.“
S. 218: „Immer hielt der Weg die füd-Tüd -öftliche
Richtung ein. Die Paſſage felbft wurde mit jedem Schritte
nad) vorwärts ſchwieriger. Wir vertieften uns in einen
Urwald, deflen Boden die verwefenden Stämme vieler ge:
fallener Baumgenerationen bededten. Bald wurde es uns
möglich, zu Pferde Über die ſich mehrenben Hiuderniſſe hin—
wegzufegen. Wir folgten dem Beispiele unferer Escorte, ſaßen
ab, führten die Thiere am Zügel und ſuchten ung kletternd
und fpringend über die mächtigen, ihre vermorſchenden Rieſen⸗
arıne und drohend entgegenftredenden Holzmumien Bahn
zu bredien. Viele Bäume fanden wir hier, ihrer ſchützenden
Nindenhiille beraubt , einem vorzeitigen Verderben preisge⸗
165
„Selten fah ich ſolchen Waldreichthum, ſelten aber auch
ſolche Waldverderbung, wie in Serbien. Wohl dreißig junge
Stämme wurden unferm Bivouac geopfert. Dieſelbe
Ihonungslofe Mißachtung des Waldes hat den einft fchat-
tigen Süden Frankreichs, die beriifinte Provence, das früher
baumveiche, gefegnete Arragonien, ja ben größten Theil Spa⸗
niens und den uns viel nähern öfterreichifchen Karſt in
Wüfteneien verwandelt. Soll der von Gott gefchaffene
Schliger aller menfhlihen Wohlfahrt, der fchon gegenwär«
tig an vielen Stellen arg gelidjtete Wald, nicht auch in Ser ⸗
bien unvettbar für künftige einfichtigere Generationen ver»
„nichtet werben, fo ift es höchfte Zeit, diefem Gegeuftande die
ernfteite Aufmerkſamleit zu widnen,
„Eben in derartigen, außerhalb des großen Weltverfehrs
liegenden Yändern ift es die Pflicht einer vorforglichen Re:
gierung, auf eine wohlfeile Popularität verzichtend, d
Belehrung, weiſe Geſetze und ſtrenge Durchführung derjelben
unabweisbaren Forderungen bes Gefammtftaatswohl zum
2x 22 ——
—
ich die Häuſer größtentheils mit Baumrinde gebedt.
Außer den von diefer Uebung zeugenden Stämmen verfin-
dete auch wicht die geringfte Andeutung, daß die Majeftät
unferes Urwaldes durch menſchliches Treiben geſtört worden
wäre, Da war fein Yaut zu hören und jelbft die befieberten
Sänger ſchienen diefe durch unheimliche Dede das Gemilth
beengende Waldhekatombe den heiferen Klagerufen ber Rar
ben und Dohlen überlaffen zu haben.“
©. 276: „Der Rtanj ift ein Yängenberg. Sein
ſüdweſtlicher Fuß befteht aus Graumade und Graumaden:
ſchiefer, der im feiner Schichtung, je weiter zur Spige, ſich
immer mehr aufrichtet, Hieranf folgt Kalfftein. Man kann
die einzelnen Schichten auf der ganzen Länge des Berges
verfolgen. Die Nordoftfeite zeigt ſchroffe Abfälle und Wände
in plöglich emporfteigenden gewundenen Schichten, jo daß
man die gewaltfame Emporhebung an der Siboftfeite, wo
der Syenitporphyr liegt, deutlicd; wahrnehmen fann. Ein
prädhtiger Fichte nwald, der einzige im ganzen öftlichen
geben. Im diefem ärmften Theile Serbiens werden näm- | Serbien, zieht auf biefer Seite bi zum Gipfel hinan.“
166
Lebensbild des englifchen Forſchers Charles Tyrwhitt Drate.
Lebensbild des englifhen Forſchers Charles Tyrwhitt Drafe.
Es ift jet gerabe ein Jahr her, daß einer der tlichtig-
ften engliſchen Keifenden, der auch als Zoolog rühmlich bes
fannte Charles Tyrwhitt Drake, in Ausübung des von
ihm erwählten Berufes geftorben ift; aber noch hat, fo viel
mir befannt geworden, feine der deutſchen geographiſchen
Beitfchriften ein Lebensbild von ihm gebradjt, fo lehrreich
dies auc fein wlirbe, weil es zeigt, wie ein firebfamer und
beharrlicher Geift felbft ungünftige Verhältniffe zu feinem
Vorteile wenden und mit geringen Mitteln Borzügliches
leiften fan. Ich bin mit Drafe fo vielfach, in Berührung
gefommen und habe gleich Allen, die wit ihm zu thun hatten,
feine ausgezeichneten Eigenfchaften fo ſehr fchägen gelernt,
daß ic; mich für verpflichtet halte, der erwähnten Berfäums
niß abzuhelfen fo gut ic, fann.
Charles Drake (geb. am 2. Januar 1846 zu Amere-
ham als jüngfter Sohn des Oberften William Tyrwhitt
Drake) war Neifender und Forfcher von Jugend auf. Mit
einen vedenhaft erfcheinenden, aber gleichwohl für das rauhe
europäifche Klima jehr empfindlichen Körper begabt, fühlte
er ſich ſchon frühzeitig (1866) veranlaßt, wärmere Gegenden
aufzufuchen; nur zur milderern Jahreszeit kehrte er öfters
zu einem Befuche im feine Heimath zurüd. Um feine Zeit
möglichft niglich anzuwenden, befchäftigte er fich auf feinen
Neifen mit zoologifhen und geographifchen Unterfuchungen
und erwarb fid) auf diefe Weife einen reihen Schatz von
Erfahrungen. Der Schauplatz feiner erften Forſchungen
war das nordweftlide Afrika; fpäter trat er als frei-
williges Mitglied bei der Erpedition zur Vermeſſung der
Sinaihalbinfel (Sinai Ordnance Survey) ein, wurde jedod)
durch einen heftigen Anfall von Dysenterie verhindert, fich
thätig an den Arbeiten derjelben zu betheiligen. Kurz dar—
nad) unternahm er aber mit Profeflor Palmer jene ausgezeich-
nete Recognofeirung der Wüſte EL Tih — des Schau—
platzes der vierzigjährigen Wanderungen der Israeliten vor
ihrer Befigergreifung von Paläftina —, welcher wir bie
ſchöne durdy den Paleftine Erploration Fund veröffent-
lichte Karte diejes fo wichtigen und intereffanten Gebietes
verdanfen. Es waren feine Scwierigfeiten gewöhnlicher
Art, mit welchen die fühnen Neifenden im biefer Wüſte zu
kämpfen hatten. Cie legten die ganze weite Reife zu Fuße
zurliet und mußten ſich auch fonft auf das Nothdürftigfte
einfchränfen, weil die Mitnahme der anderweitig nöthig ge»
wejenen Reit» und Yajtthiere die Koften ber Expeditionen im
dem jo wafjerarmen Yande ins Goloffale gefteigert haben
würde, wenn überhaupt die Erforfchung defjelben ohne Aufe
gabe derartigen Comforts möglich gewefen wäre, Drate er-
zählte mir jelbft, daß er und Profeffor Palmer, nadjdem fie
ihre gewiß micht leichte Tagesarbeit vollendet hatten, auch
nod) ihre eigenen Diener fpielen mußten, weil die Erſparniß
aller liberflüffigen Perfonen von großer Wichtigkeit für
Durchführung der ſchwierigen Aufgabe erfchien; unter an«
deren war aud) die Kchenarbeit unter beide Herren ver
theilt, und wenn Mr. Drake die Zubereitung der allerdings
einfachen Mahlzeiten übernommen hatte, fielen dem hierin
weniger erfahrenen Profeflor Palmer das Aufwaſchen der Teller
und ähnliche Verrichtungen zu.
Auf ſolche Weife erlernte Drake die Kunft, fid) in allen
Lagen des Yebens auch mit den befcheidenften Mitteln zu—
rechtzuſinden, und eignete ſich babei gleichzeitig eine große
Fertigkeit im Gebrauch der arabiſchen Spradye fowie Ge—
ſchick im Umgange mit den halbwilden Bewohnern des Yan-
des an, beides Eigenfchaften, die ihm fpäter bei feiner
Thätigleit ald Mitarbeiter der Paläftina-Bermeffungs-Erper
dition fehr zu ftatten kamen.
Als Drafe ſich mad) Paläftina wandte, hatte Gapitän
Wilfon, im Auftrag des Paleftine Exploration Fund, bereits
feine Aufnahme von Jerufalem im Mafftabe von 1:5000
und fein Nivellement von Jafa nach dem Todten Meere
vollendet, desgleichen Lieutenant S. Anderfon feine Recog-
nofeirung des nörblichen Paläftina, und Capitän R. W.
Stewart hatte eben das Commando der im Jahre 1871
geplanten Vermeſſung des ganzen heiligen Yandes begonnen.
Drale's erfte Unternehmungen in Paläftina waren eine
Durchforſchung der fogenannten Hamah nad Imfcrift-
fteinen (Winter 1870) und eine Reife mit dem berühmten
afrifanifchen Forſcher Capitän R. Burton nad) den vulca«
nifchen Gebieten im DOften von Damaskus fowie
nad) den „Alah“ oder Hodhlanden von Syrien. Hier—
auf ſchloß er fich als freiwilliger Teilnehmer an die
Paläftina-Bermeffung an. Kur danach erkrankte der
Leiter der Erpedition, Capitän Stewart, jo bebenflich, daß er
ſich raſch nad) England einſchiffen mußte, um nicht durch län—
gern Aufenthalt im Yande feine Gejundheit aufs Aeußerfte
zu gefährden, Drake übernahm an feiner Stelle die Fuh—
rung der Expeditionen und alle Verantwortung, die mit
einer jo fchwierigen Stellung verbunden ift, in weldyer er
als Givilift eine Anzahl von erfahrenen Unteroffizieren des
Ingenieurcorps zu commanbiren hatte, und bemwahrte fo
das wichtige Unternehmen vor dem fonft unvermeiblichen
Scheitern oder wenigftens vor einem großen Mißerfolge.
Sechs Monate lang —* er unter den ſchwierigſten Ber-
hältniffen die klaum erft begonnenen Arbeiten weiter, zu einer
Zeit, da weder Europäer noch Eingeborene an die Thätig«
feit umter fremden Berhältniffen gewöhnt waren, und im
hindernißreichen Hligellande; er förderte das Wert mit
foviel Umſicht, Sachlenntniß, Tact und Geſchick, daß er dem
zu Kapitän Stewart’ Nachfolger ernannten Lieutenant
Claude R. Conder vom königlichen Ingenienrcorps Alles
in beftem Zuftend übergeben fonnte. Er hatte während
diejer Zeit als Leiter des Ganzen und als Führer und Dols
metjcher zugleich thätig fein müſſen und hat den folibeften
Grund für die fpäteren Einzelmeſſungen gelegt, indem er
ſogleich nach feinem Antritt eine Bafis zu meſſen begann und,
im Anſchluß an Wilfon’s Aufnahme von Jeruſalem, die Trian-
gulationen norbwärts bis zur Ebene von Esdrillon fortgeſetzt
hatte, wo eine zweite Baſis gemeflen werben follte. 560
engliſche Quadratmeilen waren bereits vollftändig vermefien
und die Erpeditionsmitglieder gerade mit Ausarbeitung der
Ergebniffe in Nablus (dem alten Sichem) befchäftigt, als Yiente-
nant Conder eintraf, defien ſtets bereiter Gefälligfeit ich
einen großen Theil der näheren Angaben über diefen Theil
der Thätigfeit Drale's verbante.
Drake hatte inzwifchen jo warmen Antheil an den Ar
beiten der Expedition genommen, daß er ſich auch jegt nicht
von derjelben trennte, wennſchon er fpäterhim feiner Sefund-
heit wegen ſich einige Male Erholung in Damastus oder
in feiner Heimath gönnen mußte. Seine Hauptthätigfeit
beftand, ſoweit fie nicht durch perſönlichen Antheil an der
Vermeſſung in Anfprud genommen war, in der Feſtſtellung
der Namen aller in die Karte einzutragenden Oriſchaften,
Ruinen, Berge und Täler, Fluſſe, Brunnen u. ſ. w, welche
in einem Yande wie Paläftina ganz befonders wichtig ift.
Lebensbild des engliichen Forſchers Charles Tyrwhitt Drake.
Um jeden Irrthum hierbei auszuſchließen wurde zuerſt für
jedes Meßtifchblatt der zu entwerfeuden Karte eine Namens
lifte in alphabetifher Ordnung entworfen nad) der überein
flimmenden Ausfage von mindeftens drei Eingeborenen aus
der Nachbarſchaft, welche die Expedition zu diefem Zwecke
überall hinzubegleiten hatten. Diefe Namen wurden an
Ort und Stelle nad) einer beftimmten Schreibweife in Eng-
liſch aufgezeichnet und am Abend defielben Tages in Gegen:
wart der Eingeborenen wieder vorgelefen, verglichen und fo
fange berichtigt, bis diefe Leute volllommen mit der Auss
ſprache zufrieden waren ; darnad) fand die Aufzeichnung im
arabijchen Buchſtaben und wenn möthig eine nodmalige
Prüfung derfelben ftatt. Die Anzahl der auf diefe Weife
feftgeftellten Namen ift ſehr groß; fie übertrifft die Zahl der
bisher aus Büchern oder Karten befannten um fieben bis
adıt Mal; auf dem Blatte Jeruſalem befinden ſich allein
über 1600 Namen, und im Durchſchnitt auf jeder deutfchen
Quadratmeile gegen 50, was bei einem fo ſchwach bevöl-
terten Yande gewiß beträchtlich genaunt zu werben verdient.
Der Pibelforfcher wird künftighin im diefen zuverläffigen
Namensverzeichniffen ein unſchätzbares Hulfsmittel zur Hand
haben, um die Yage von untergegangenen, im Yaufe der
Yahrhunderte faſt ſpurlos verſchwundenen Dertlichteiten wier
der ausfindig zu machen, deren Namen die arabijche Sprache
mit bewunderungswlirdiger Treue faſt ausnahmslos in
irgend welcher Dertlichteit feftgehalten hat.
Drake begleitete die Erpedition auch bei ihren ſchwierig⸗
fien Unternehmungen, zu denen vorzugsweife die Bermeflung
des Jordauthales im Frühjahr 1874 gerechnet werden muß.
Schon öfters hatte er fic durch Nichtachtung aller Fährlic-
feiten Srankheitsanfälle zugezogen und namentlic, wurde er
wicht felten von feinem aſthmatiſchen Leiden heimgefucht.
Er erholte ſich indefien immer wieder, nad) mehrmwöcentlicher
Arbeit im untern Jordanthal jedoch warf ihn das damals,
gegen Ende der Regenzeit, befonders ſchlimme Klima diefes
Zieflandes nebſt der größten Anzahl der Erpebitionsmit:
glieder in ganz gefährlicher Weife nieder, und nur der aufs
opfernden Thätigkeit des englifchen Miffionsarztes Dr. Chap ·
lin in Jerufalem war es zu danfen, daß alle Befallenen
für diesmal mod) gerettet wurden. Drafe hatte ſchwerer ge-
litten als die anderen, doc; ließ er ſich nicht zurlichalten,
der Expedition aufs Neue zu folgen, als fie nad) dem oberen
Theil des Jordanthales aufbrach. Er fam nad) Bollendung
diefes Theils der Vermeſſung fräntelnd zurüd nad) Yeru«
faleın, fühlte ſich aber trogdem im Stande, die Vertretung
des Pieutenants Conder zur Ubernehmen, der in Geſchäften der
Erpedition nad) England reifen mußte. Bald indeſſen er-
griff ihn das Fieber von Neuem, und diesmal in einer
mehr typhoiden Form. Wochenlang lag der Aeruiſte, unter
Dr. Chaplin's treuer Pflege, ohme Befinnung auf feinem
Bette im Mediterranean Bötel in Jeruſalem, deflen Bes
figer, Herr Hornftein, ihn aufs Freundlichſte bei ſich aufnahın,
ohne Ruckſicht auf die Nachtheile, welche dies für den Bes
ſuch feines Haufes zur Folge haben konnte,
Bei meiner Abreife von Derufalem Mitte Juni 1874
war ed mir nicht vergönnt, noch Abſchied von dem franfen
Freunde zu nehmen, mit dem ich nicht nur in biefer Stadt,
fondern auch in ben Quartieren der Expeditionen zu Haifa
und Nazareth fowie in ihren „Camps* bei Mar Saba und
im Jordantheile jo vielfach; im angenehmften und lehrreich-
ften Verkehre geftanden hatte; ich follte ihn Überhaupt nicht
wiederjehen, denn als ich Ende deſſelben Monats nad) einer
Landreife über Damaslus bei Beirut wieder an die Küſte
fa, fand id) bereits die Nachricht von feinem Tode vor!
Drafe wußte, daß ihm nur ein verhältnigmäßig kurzes
Leben beſchieden fein würde, und er nugte deshalb feine Zeit
167
auf das Sorgfältigfte aus um nicht ganz ohne Erfolg ge»
lebt zu haben. Leider feheint er bei diefem edlen Streben
die Sorge für feine ohnehin ſchon ſchwache Gefundheit nicht
genug im Auge gehabt zu haben, jo daß eben dieſer Eifer
nicht unweſentlich beigetragen haben mag, fein Yeben zu ver»
fürzen, Für feine zahlreichen Freunde und Verehrer ift es
ein fchlechter Troft, daß fie fagen können, er habe feinen
erreicht und feinen Namen unvergänglid; eingetragen
in die Geſchichte der Erforfchungen unſeres Erbballs und
insbefonbere des gelobten Yandes, Er war ein durchaus
edler Charakter, von einer Reinheit, die man felten findet,
und voll treuer Hingebung für feine freunde. Dabei beſaß
er eine Gefchidlichkeit des Benehmens umd zeigte fid) überall
voll fo zarter Ruckſſicht, daß fein Camerad Lieutenant Con—
der von ihm jagen durfte, Drake habe, fo lange er mit ihm
und anderen Mitgliedern der Expedition, aljo mit Yeuten
von ber verſchiedenſten Anlage und Befähigung, in jo engen
Verlehre lebte, wie derartige Reifen es mit ſich bringen, mie
Beranlafjung zu irgend welder Streitigfeit gegeben und
ſtets bei allen in beftem Yeumund geftanden. Den Arabern,
mit denen er während der Bermeflung faft ununterbrochen
zu thun hatte, imponirte er nicht mur durch feine hohe
männlich ſchöne Geftalt und durch feine genaue Kenntniß
ihrer Sprache, fondern ganz befonders auch durch feine
firenge Gerechtigleitsliebe, feinen unbefcholtenen Zinn
und eine Feſtigleit, welche nie von dem einmal Geſagten
und als richtig Erkannten abwich; überall, wo er bei ihnen
— hinterließ er ein warmes Andenlen, und wo ich ſeine
ouren nach ihm kreuzte, im Lande Moab oder auf der alten
Felſenburg Kaufab el Hana (dem Belvoir der Kreuzfahrer),
ſprachen Beduinen und Fellachen noch mit Yiebe und Ber
wunderung von ihm, und ließen mic) erlennen, wie viel Gu⸗
tes auch unter fogenannten Wilden ein vortrefjlicer Meufch
durch feine bloße Anweſenheit wirken kann, und wie jehr
dies hilft, den Weg zu bahnen für diejenigen, welche nad
ihm mit denjelben Yeuten zu ſchaffen haben.
Drake's fehnliher Wunfc war, nad) Beendigung der
Bermeſſung von PValäftina, von welcher er fid) nun einmal
nicht trennen wollte, feine reihen Erfahrungen über diefes
Land in einem befondern Buche veröffentlichen zu fünnen.
Doch der Tod hat ihm unerbittlich hinweggerafft, eine fait
unerfegliche Yide im die Neihen der waderen Bermefler
Paläftinas reigend, Indeſſen war es Drake zu feinem Trofte
noch vor feinem Hinfcheiden vergönnt geweſen, zu ſehen,
daß die Arbeiten, an denen er jo lebhaftes Intereſſe nahm,
durch Vermehrung dev Kräfte in einer viel ſchnellern Weiſe
zu Ende fommen werden, ald man das früher fiir möglich
hielt; deun während man ganz im Anfang nur 60 engliſche
Quadratmeilen im Monat vermeflen hatte, jtieg ſpäterhin
diefe Zahl auf Hundert und hauptſüchlich durch Conder's
verbefferte Anordnungen bei größerer Uebung der Mann—
ſchaften auf 150 und 180 Quadratmeilen im Monat, bis
fpäter, als nad) Zuziehung eines weitern Gehülfen die Ges
fellfchaft immer im zwei Parteien gleichzeitig arbeiten konnte,
diefe Zahl ſich fogar auf 280 Duabratmeilen monatlic)
erhob. Ueber dreiviertel der Arbeit ift gethan und im Soms
mer 1876 fol das ganze große Werk vollendet fein. Die
Veröffentlichung der Karten wird dann fofort beginnen.
Biographiſche Notizen.
Charles Tyrwhitt Drafe, geboren am 2. Januar 1846
zu Amersham.
1866 und 1867 (beide Winter) Reifen und ornithologifche
Sammlungen in Marofto (Tanger, Tetuan, Mozagan,
Mogador); die ornithologiſchen Ergebniffe find niedergelegt
168
im „Ibis“ 1867, €. 421 ff. md 1869, © 147 ff.
(Notes on the Birds of Marocco).
1868 bis 1869 Reiſe in Aegypten und den Nil aufwärts
fowie auf der Sinai⸗Halbinſel.
1869 Reife mit Prof, E. H. Palmer durch die Wüſte
el Tih und im alten Edom und Moab; Rüclehr durd)
Baläftina, Syrien, Griechenland und die Turlei. Ergeb»
niffe: The Desert of the Tih and the Country of
Moab (Palestine Exploration Fund, January 1871,
New Series Nro 1) mit einer ausgezeichneten Starte und
vielen Illuſtrationen nad Stkigen von Drale.
Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens. IV.
1870 Reife nad) der Hamah, und mit Capitän R. Burton
in einigen faft unbefannten Gegenden Syriens, letztere
veröffentlicht in „Unexplored Syria“ by Burton
and Drake.
1871 bis 1874 Bermeffung des weftlidien Paläü-
ftina im Auftrage des Palestine Exploration Fund.
Hierliber fiehe zahlreiche Auffäge von Drafe in dem
„Quarterly Statements“ diefer Geſellſchaft, ſowie ber
Brofhüre „Modern Jerusalem* by Charles
Tyrwhitt Drake, London 1875,
1374, 23, Juni, Drale’s Tod zu Jeruſalem.
Zur Ethnologie und Geſchichte des Aderglaubens,
Von Dr, Hermann Brunnhofer in Aarau.
IV,
Der Uberglaube, der in diefer dritten Periode ber Geiftes-
entwidelung entfpringt, kann jeinen Urfprung aus dem Pfuhl
der Umvernunft und des bewußten Betruges faum mehr ver:
hüllen. Im diefer Periode tritt Schon die Blafirtheit zu Tage.
Im Geflihl der eigenen Ohnmacht wagt es der Abergläubifche
nicht mehr, an die Macht der alten Götter zu glauben und
ben Ydeencultus hält er fir Thorheit. Da lommen dann
bie wunderbaren Sträfte der elementaren Verförperungen ber
Naturvorgänge: die Wünfchelruthe, der rothe Faden, bie
Zarnfappe, die Gewitterglode, ganz gelegen. Dan braucht
nicht mehr an die Götter der alten Religion zu glauben und
fann gleihwohl jeden Segen der alten Religion immer nod)
vollauf genießen. Die Vünfcefruthe verſchafft noch jeben
Genuß, der rothe Faden heilt noch jede Wunde, die Glocke
vertreibt noch jedes Gewitter. Und was das Bequemfte ift:
man hat ſich num gar michts mehr dabei zu denfen. Da
ilt dann die Ueberzeugung, welche jene Here in Goethes
Fauft vertritt:
„Die bobe Kraft
Der Riffenichaft,
Der ganzen Welt verborgen,
Wird dem geichenkt,
Der gar wicht denkt,
Er bat fie ohne Sorgen.“
Einmal auf diefem Standpunkt angelangt, vermag dann
der Menſch einen dämoniſchen Egoismus zu entfalten. Da
ſcheut er dann vor feinem Unfinn mehr zurüd, um, fofte es
der Ehre feiner Vernunft was es wolle, die Erreichung fei-
ner Wunſche vorauszuerfahren und feine Zwecke gleichſam
im Namen des Scidjals durchzuſetzen. Da lieſt dann Wal⸗
fenftein die Erfüllung feiner Zukunftspläne in den Sternen,
da erprobt dann ein Robespierre fein Glüd an den Ent:
fcheidungen der Kartenjchlägerin Yenormand, da vertraut
dann ein Napoleon das Gelingen feiner Staatsftreice dem
2. December, da richtet dann der reiche Amerikaner fein Yes
ben nad) den Beſtimmungen des tifchklopfenden Geiftes ein,
Die Wohlfahrt und das Yeben von ganzen Familien, von
Gemeinden und ganzen Ctaaten hängt dann häufig am
Strohhalm des abentenerlichiten Zufalls. Und wenn dann
erſt ber Priefter gar noch erflärt, fein Gebet und fein Opfer
übten eine zwingende Macht auf die Geiſter aus, fo daf
fie dem Opfernden jeden Wunfc gewähren müßten, wenn
nur anders fein Gebet oder Opfer in der vorfchriftsgemäßen
Weiſe verrichtet werde; wenn er dann ſchließlich verfichert,
mar brauche die Gebetformel, mit welcher man fonft zu den
Göttern lebte, nicht einmal auszufprechen oder ale Amulet
bei fid) zu tragen, man braudye diefelbe nur bei ſich zu ben=
fen, man gelange dann gleichwohl jofort in den Genuß aller
der Wirkungen, die man ſich fonft nur von lebenslänglicher
Frömmigkeit und malellofem Tugendwandel verfpradj: dann
wahrlid) feiert die Selbftfucht in der Form des abgefeimteften
Prieftertrugs den höchſten Triumph der Menfchenveradjtung.
Ein Andachtsbuch brahmanifcher Sectiver enthält folgendes
Mufterbeifpiel des eminenteften Brieftertruges:
„Unter allen frommen Öebeten, ſeien fie nun an Sciva,
Biſchnu oder andere Götter gerichtet, fommt dem Namagebet
die Höchfte Wirlſamkeit zu. Die anderen Gebete müſſen mehr
als zchn Millionen Mal gemurmelt werden, dieſer ſechs⸗
filbige Ramafprud) aber ift wirffam ohne alle Anftrengung
{ion durch einmaliges Hermurmeln). Er vernichtet jede
noch jo große Fluth von Sünden und ift der befte aller
Sprüche. Sünden, die man aus Noth gethan, mögen fie
num vierzehn Tage, einen Monat, zwei Monate oder fon
ein Jahr alt fein, nimmt er gänzlich mit fich fort. Taufend
Brahmanenmorde, wiffertlic oder unwiſſentlich begangen,
und zehntaufend Golddiebſtähle, Trumtenheiten, Vergehen an
der Frau des Lehrers, hunderttaufend Pillionen Vergehen,
die durch Feinere Sünden entftanden find, — durch das Aus-
ſprechen des Ramaſpruches werden fie alle vernichtet. Ges
fpenfter, unfelige Geiſter, Alpe, Kobolde und Unholde laufen
weit weg vor feiner Gewalt. Wenn ein Schriftgelehrter
durch Nehmen von Gold und Juwelen ſich verfündigt hat,
das Murmeln des Ramaſpruches vernichtet alabald dieſe
Sünde. Ja fogar wenn ſich Einer am feiner eigenen Mut:
ter vergangen, jo vernichtet das Ausſprechen des Rama—
ſpruches auch diefe Sünde. Sünden, die man ſogar durch
reiche Gaben an die Prieſter im Werthe eines Haufens Gold
von der Schwere des eigenen Körpers nicht flihnen kann,
vernichtet er ſchnell. Die Sünden aller drei Ultersftufen,
tiefeingewurzelte Sünden, all das vergeht gänzlich durch blo-
bes Gedenken an Rama's Spruch. Selbft vorbedachten
Mord an Bater, Mutter, Schweſter, Kindern, Freunden und
Lehrern vernichtet man gänzlich durch einfaches Aueſprechen
des Ramaſpruches. In allen Nöthen braucht man nur die-
fen Ramaſpruch die Ehre anzuthun, fo jchwindet jede Furcht
Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Gefchichte des Mberglaubens. TV,
und Angft vor Unglück. Wenn man Rama vet anfleht,
fo zeigt er fich fchmell gewogen und gewährt dann langes
Veben, Herrichaft und endlich die ewige Seligkeit. Wer den
Ramaſpruch betet, der wird erlöſt, der wird erlöft.*
„Bequemer fann man es ja nicht haben,“ bemerkt Al—
brecht Weber, der Herausgeber diefes Ramagebetes, „und
erflärt ſich hieraus des indischen Bolfes moralische Berfunten«
heit und Energielofigfeit. Wo es dem Sünder fo leicht ges
macht wird, Vergebung, ja Vernichtung feiner Schandthaten,
und wären fie noc fo frevelhaft, zu erreichen, da lann von
fittlichem Halt eigentlich gar nicht mehr die Rebe fein. Und
wenn das indische Volk trog alles Wahnwiges feiner fana-
tischen Sectirer und Muder ſchließlich denn doch noch immer
einen veichen Fond fittlicher Kraft in ſich trägt, fo ift dies
ner der unverwüftlichen Güte feiner geiftigen Begabung und
Natur zuzuschreiben. Haben doch auch wir, ihre alten
Standesbräder, während des Berlaufes unferer Gefchichte,
insbefondere im Mittelalter, aber auch bis in die jüngfte Neu:
zeit hinein, allerlei Phafen durchzumachen gehabt, von denen
fi) der Freund der Humanität mit Schauder abwendet.“
Richt allein in Indien, ſoudern eben überall unter der Sonne,
ift Wahrheit und Menſchlichkeit feit den älteften Zeiten häu—
fig genug der Selbftfucht der Priefter zum Opfer geworben,
Es gab einmal eine Zeit und fie ift noch feine hundert Jahre
hinter und, wo man alle Religion mit Stumpf und Stiel
für die Ausgeburt raffinirten Priefterteuges erllürte und dar⸗
über das Kind mit dem Bade verfchüttete. Dann famı durch
die Nomantifer eine Zeit, wo man bie abjurdeften Priefters
phantafien als legte Trümmer einer untergegangenen Urs
weisheit pries und darliber der Vernunft der lebendigen Ge—
genwart fpottete. Heutzutage ift man fi, in Folge der
Erfenntniß des Urfprungs der Götter, der Einfeitig-
feit beider Standpunkte bewußt und braucht deshalb felbft
nicht einmal mehr auch nur zu fragen: Hat Vrieftertrug
in ausgebehntem Maße jemals ftattgefunden? Dem wer
bezweifelt denn heute noch bie culturhiftorifche Thatfache, da
die Humanität nicht durch die Priefter, fondern tro & berfel:
ben fortgefchritten it? Man denfe doch nur an die pfeudo-
iſidoriſchen Deeretalen zu Anfang des neunten Jahrhunderts,
an Tegel’8 Ablaßkrämerei im ſechezehnten und dann gar nod)
an die Beidjlüffe des vaticanifchen Concils im neunzehnten
Jahrhundert betreffend die unbefleckte Empfängnig Mariä
und die Unfehlbarfeit des Papſtes! Schon dieſe Beifpiele
dürften genügen, um an deren hiftorifchen Folgen den Be—
weis zu führen, wie ber Prieftertrug von jeher zum Ziel
hatte, den Fortſchritt der Intelligenz und der Gumanität in
Strömen Menſchenblutes zu erſticen. Darum eben füllt
das Datum, am welchem die Unfehlbarkeit des Papſtes pro-
clamirt wurde, zuſammen mit demjenigen ber Kriegserklä—
rung, welde Fraukreich, das Bollwerk des römifc -fatho:
lichen Aberglaubens, an Deutſchland, den Hort des Brote:
ftantismus und der Denkfreiheit, richtete. Wer ſich aber in
feiner Heimath orientiven will, wendet feinen Blid gem in
die Fremde, um am derem Geſchichte einen unträglichen
Compaß zu gewinnen. Und weil die moderne Neligiond-
forſchung nur allzugeneigt ift, dem Aberglauben bewußtefter
nn — —
Mache womöglich noch den Urſprung aus unbewußteſter Kinder⸗
unſchuld nachzuweiſen, jo folge hier ein Heiner Ueberblick über
die Geſchichte des Prieſtertrugs in der alten und neuen Welt.
Das Catapatha » Brahmana ift eine der älteften heiligen
Schriften der arijdhen Inder. Es enthält hauptfäcjlich bie
Grübeleien der Priefter über den Sinn und die Bedeutung
der Opferbrüuche und ftammt fpäteftens aus dem achten
Iahrhundert vor Chriftus. In diefem theologischen Profa-
der dieſes
‚ Ichließt:
werfe wird unter Anderm auch dargeftellt, wie das Menſchen-
bei jeder Huldigung vor und nad) dem Gebete Näuchertverf,
opfer zunäcjit in das Opfer eines Roſſes, dann eines Rin-
Blebus XXVIM. Mr. 11.
ſchreibung ja weiter feinen Zwed hätte,
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des, dann eines Schafes, dann einer Ziege und ſchließlich in
das eines Meis- oder Gerftenfuchens Überging, im welchem
man fich die fünf Opferthiere als in feinen Beftandtheilen
vorhanden dadjte. Man könnte verfucht fein, die Abſchaf—
fung der Menſchen- und Thieropfer der humanifirenden
Thätigleit der Priefter zuzuſchreiben. Diefes ift jedoch nicht
entfernt der all! Im Gegentheil: das Bolt hat die blu:
tigen Opfer abgefchafft, das Prieftertfum aber diefelben aufe
recht zu erhalten geſucht. Denn das Catapatha-Brahmana
weift alle Erfagopfer für die Barbarei der Thier- und
Menſchenopfer, als: goldene oder irdene Thierföpfe, zurlic,
als Abfchmwädcungen des wahren Opfers; man folle nur ims
mer bie fünf Thiere (worunter auch dev Menfc, inbegriffen
wird) nehmen, fobald man es irgend vermöge. Einen Eins
blick in das ohnehin berüchtigte Betrugsſyſtem ichon der alt»
römischen Priefter gewährt folgende Erzählung des Plutarch
im Leben Numa’s. Yupiter verlangte in einer Unterredung
mit Numa, das Sühnopfer folle beftehen aus Köpfen. Da
fragte Numa rafdj: „Aus Zwiebellöpfen?“ Jupiter aber
antwortete: „Aus Menfcenföpfen!“ DaraufNuma: „Etiva
aus Haaren?“ Jupiter dagegen: „Aus lebendigen —“,
was Numa raſch durch „Sarbellen!* ergängte; und dadurch
wurde Jupiter zufriedengeftellt. Wenn man bedenft, daß
Jupiter nur der ibealifirte Oberpriefter des römiſchen Staa—
tes war, fo begreift man leicht, warum er fo zähe an ber
Forderung von Menfchenopfern feithielt. Ganz libereins
ftimmend lautet der Bericht aus dem alten Aztefenreiche,
Als Cortez fein fürchterliches Blutbad in Cholula angerichtet
hatte, begab fi; der König Montezuma zum Tempel Huitzi—
lopochtli’s, brachte arte Dienfchenopfer und befragte den Gott.
Diefer fprad) ihm Muth ein und verficherte ihn, daß es den
Cholulanern nur darum fo ſchlecht ergangen ſei, weil fie fo
Läffig in den Menfchenopfern wären. Welche Molle der
Prieftertrug bei den alten Juden fpielte, lehrt die in ihrer
Urt einzig daftehende Gefchichtsfälfcherei, wie fie die moderne
Bibelforfchung den hiftorifhen Büchern des Alten Teftaments
nachgewiefen hat. Doc) auch den Juden des Talmud ift
der „Fromme Betrug“ nicht abhanden gelommen. In dem
tabbaliſtiſchen Bude Raſiel aus dem zweiten Jahrhundert
nach Chriftus kommt unter Anderm folgende Stelle vor:
„Der Engel Metatron ſprach zu Rabbi Iamael: Rabbi,
ic, will Dir das Maß des hochgelobten Gottes fagen: feine
Fußfohlen find die ganze Welt. Die Höhe feiner Fußſohlen
find 30,000 Meilen. Bon feinen Fußfohlen bis an feine
Ferſen find 10 Millionen und 500,000 Meilen. Bon fei-
nen Ferſen bis zu feinen Knieſcheiben find 199 Millionen
Meilen“ und fo fort bis zum Hauptwirbel „des hodhgelobten
Gottes“ in einer faft unendlichen Zahlenreihe, deren Ab»
Das Buch führt
dann aber fort: „Rabbi Jsmael und Nabbi Aliba haben
gefagt: Wir find Vürgen in diefer Sadje, daß ein Jeder,
ber das Maß des hochgelobten Gottes kennt, ein Sohn der
zufiinftigen Welt fein wird.“ Aehnlich Klingt die geiftes:
verwandte Verſicherung eined mohammebanifchen Prieſters,
der in der türkiſch a Einleitung zu einem berühmten
mohammedanifchen Gebete erklärt: „Wenn einer, der fo
viele Eiinden begangen hätte, daß ihre Wucht fiebentaufend-
mal größer wäre als bie des Weltberges Kaf, dieſes Gebet
lieft, fo vergiebt ihm Allah feine fänmtlichen Sünden. Jeder,
ebet lieſt oder leſen läßt oder bei ſich führt, ber
wird vor allen Gefchöpfen ins Paradies fommen.“ Und
ein bubdhiftiicher Priefter Chinas verfichert von einer Yob-
preifung Buddha's, an weldye fic ein Gebet um Scligkeit
„Diefes Gebet hat große Wunberfraft: es fann
jede Sünde tilgen, alles Gute verewwigen. Berbrennt man
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fo ift es noch wirffamer. Wer jeden Tag aljo betet, ber
wird gewiß ein Seliger, und wer Andere dieſes Gebet lehrt,
deffen wartet herrliche Vergeltung“ in Glaubens und
Seiftesverwandter dieſes chineſiſchen Pfaffen emtwictelte im
Siam vor wenigen Jahren nod) berechnetere Pfiffigfeit. Ein
buddhiſtiſcher Priefter gab nämlich im Norden diefes Yandes
vor, eine Offenbarung gehabt zu haben, daß die Beichte ftrens
ger einzuführen fei und forderte das Volk auf, einen Baum
nieberzuhauen, worauf ſich feine Sendung beftätigen werde.
Man fand demm auch wirlic im Innern des bezeidneten
Baumes eine Schachtel mit einer Kolle, die gleichfalle die
Beichte anbefahl. Doc; gelang es den Behörden, den Prieſter
zu dem Seftändniffe zu bringen, daß er felbft dies Document
vor mehreren Jahren dort verborgen und gewartet habe, bis
der Baum herangewachſen fei.
Schließlich wird dann der Priefter jo frech, daß er die
Kunft, das Volk zu betrligen, zum eingeftandenen Syſtem
erhebt und dichterifch verherrlicht. So ftellt ung der indische
Priefter Dandin im fechsten Jahrhundert nad) Chriftus in
feinem Roman Dagakumaratfdjarita oder die „Abenteuer der
zehn Prinzen“ die Lehre dar, da Muth und Tapferkeit in
allen Gefahren den Erfolg fichern, nur müffe man eben fiber
den albernen Aberglauben der Menge erhaben fein, ihn da:
gegen zum eigenen Vortheil auszubenten wiffen. (Weber)
Auch, das Nadicalmittel, deffen ſich das Priefterihum
aller Religionen zu allen Zeiten bedient hat, um die Bölfer
mit dem Hinweis auf das felige Leben im Denfeits zu um
fo größerer Gefügigkeit gegen die Stellvertreter Gottes im
Diesfeits zu bewegen, ift uns nicht unbefannt. Buddhiſtiſche
Bücher Ichren: „Buddha kann alle Wefen retten; nur feis
nen Menfchen, dem der Glaube fehlt.“ Und auf gewiffen
bedructen Zettelchen, mit welchen die Gebeine der heiligen
drei Könige zu Köln beftrichen wurden, las man: „Diefe
Zettel heilen von Gichtbeſchwerden, fallender Sucht und jähem
Tode — durch einen feiten Glauben." Und nad) Auf-
zählung der Wunderfräfte irgend eines mufelmännifchen Ger
betes heißt es bei den Türken allemal: „aber fefter Glaube
ift nothwendig.* Doch ſchon ein priefterlicher Hymmus
bes Nigveda lobpreift zwei Jahrtauſende vor unferer Zeit»
rechnung die Wunderfräfte des Glaubens und ſchließt mit
der Strophe:
„Wir flehn um Glauben Morgens früh,
Wir flehn um Glauben Mittags dann:
Und bei der Sonne Untergang
Erbitten wir uns Glaubenskraft.“
Bei einem vafchen Ueberblick über die bis hierher darge
Ueber die Urfadhe der Eiszeit.
ftellten Berhältniffe ergeben ſich nun zum Schluffe folgende
Sefichtöpunfte.
Aller Aberglaube hat feinen Urfprung in dem einem jeden
Menſchen eingepflanzten Triebe, ſich auf biefe oder jene Weife
die wunderbaren Näthfel des Dafeind zu erflären. Ein djis
neſiſcher Weltweifer fagt zwar: „Ic fan nicht einmal wifs
fen, was hinter der nüchſten Mauer vorgeht; wie follte ic)
da das unermeßliche Weltall durchſchauen?“ Uber cs ift
nun einmal dem menfchlichen Geifte die Sehnſucht einge
pflanzt,, ſich hinauszuſchwingen an die äußerften Enden des
Weltalls, und das Dafein, wie es ja jo wünſchenswerth
wäre, ausjclieglic aus unferer Geiftestraft heranszugeftalten.
Das ift hohe Poefie. Denn diefe Sehnſucht entfpringt der
erhabenen Weltanficht, aus welcher heraus Schiller feinen
Wallenftein fagen läßt: „Es ift der Geift, der feinen Kör-
per baut.“ Aber wenn diefe Poejie ein Singvögelein if,
weldyes ung die entzüdendften Melodien vortrillert, fo ift fie
aud) eine Nachteule, deren unheimliches Geſchrei uns mit
Entfegen erfüllt. Die zarteften Regungen eines feingeftimm-
ten Gemiths finden im Aberglauben ebenfowohl ihren ent=
fprechenden Ausdrud, als die grauenvollen Ausbrüche vie
hiſcher Barbarei. Die tieffte Weisheit und der empörendfte
Unfinn, der überfpanntefte Hochmuth und die friechendfte
Teigheit wohnen in dem alterögrauen Babelthurme des Aber:
glaubens nachbarlich beifammen. Der Aberglaube ift eine
Elſter: halb weiß und halb ſchwarz. Zur Hälfte gehört
er ber Region des Lichtes und ber Freude, zur größern Hälfte
aber ber Region der Finſterniß und des Greuels. Der Aber:
glaube ift ebem zum größten Theil die Poefie der ungez»
gelten Phantafie Er kennt entweder feine Scranfen,
wie fie die Naturgeſetze der Sehkraft unferes Geiftes und die
Sittengefege der Freiheit des menſchlichen Willens entgegen»
ftellen; oder aber, wenn ex fie fennt, fo wähnt er ſich fähig
und berechtigt, diefe Schranke zu feinem Bortheil niederzureißen.
Er ift eben immer nur der dienfibare Geiſt des bald plump
wie ein Dorfthier einhertrottenden, bald mit raffinirter Fuchs⸗
Lift ſich einfchmeichelnden Egoismus. Er kennt eben immer
nur fein liebes Selbft und die Unerfättlichleit feiner Genuß:
gier. Der Begriff des Mitgefühls, des Familienglücks, des
Gemeinwohls, der vaterländifchen Interefien, der Wilrbe der
Menſchheit, die Anerlennung der individuellen Freiheit und
des Selbftbeftimmungsrechtes der Anderen find ihm fremd,
Er erblidt im Univerfum nur den Spielball feiner launen⸗
haften Witnfche, deren Befriedigung er and) das Allerheiligfte
aufopfert. Bedeutſam genug war dem nordifchen Germanen
die Walfüve Heidr, die Perfonification der Geldgier und der
Zaubertunft zugleich. Durd) Heidr fam bas Böfe in die Welt,
Ueber die Urfade der Eiszeit.
K. Mad) dem zahlreichen Unterfuchungen, weldje gegen:
wärtig vorliegen, Tann es nicht wohl einem Zweifel mehr
unterliegen, daß es in der Vergangenheit unferer Erde eine
Epodje gab, welche für gewifle Theile der Erdoberfläche ein
weit fülteres Klima brachte als wir gegenwärtig dort beob»
achten. Diefe fogenannte Eiszeit, deren Spuren ſich auf-
wärts bis faft zum Schluffe des Tertiär verfolgen lafien,
ift Gegenftand auferorbentlich zahlreicher Studien geweſen,
eineötheild indem man verfuchte die Ausdehnung derjelben
Uber die heutigen Continente und Infeln feftzuftellen, dann
indem man nach der Urſache forſchte, welche dieſe unzweifele
haft jehr lange dauernde Temperaturdepreifion hervorrief.
Was zunächft die frühere räumliche Ausdehnung der Per:
eifung anbelangt, fo bringt faft jeder Tag darüber neue
Beobachtungen. Erratiſche Blöde und Moränen, Streifuns
gen, Gabelungen und Abjchleifungen der Felſen find es be
launtlich, welche die frühere Anweſenheit und Wirkung des
Eifes verrathen. Was Europa betrifft, fo hat fic ergeben,
daß in der Glacialzeit die Schweiz ganz vergletichert war,
etwa wie es heute mit Grönland der Fall ift, daß von den
Ueber die Urfache der Eiszeit.
Bogefen , den Pyrenäen und den ſchottiſchen Gebirgen unge
heure Gletſcher tief in die Thäler herabftarrten und
daß ungefähr gleichzeitig mächtige Eisberge von den
ffandinavifchen Sebirgen jene erratifchen Blöde in die nord»
enropätfche Tiefebene trugen, welche heute noch dafelbft ruhen.
Nach den Unterfuchungen von Simony und GUmbel war
das Etſchthal in der Eiszeit mit ungeheuren Gletſchern bes
det. Ein ungeheurer Gletſcher füllte bei Meran die ganze
Breite diefes weiten Thales aus, Fuchs hat die frühere
Ausdehnung dieſes Gletſchers genau unterfucht.
„An der fogenannten „ZEN“, jener Thalenge, an welcher
das mittlere Etjchthal beginnt, drängte er ſich zwiſchen ber
Zieljpige und dem von der füblichen Thalwand vorjpringen-
den „Roßbichl“ hindurch und theilweife Über denfelben hin
weg, wodurch er ihm die noch jegt jchon von Weitem auf
fallende merkwürdige abgerundete Form aufprägte und zahl:
reiche treffliche Schliffe zurlickließ.
Jenſeits der TöN breitete ſich der Gletſcher wieder aus,
fo weit es das Thal geftattete. An beiden Thalabhängen
läßt fih an den Felsſchliffen und den darin eingegrabenen
Furchen die Richtung feiner Bewegung als eine wefteöftliche
beftimmen. Auch mächtige Moränen hat er hier zurlid=
gelaflen, welche oberhalb des Schloſſes Tyrol hoch an der
Muttipige hinaufreihen, und auf der andern Seite, am
Marlingerberge, oberhalb des Schloffes Forſt, an gefchligter
Stelle ſich in gleicher Höhe erhalten haben,
Der Küchelberg, der auf einer Strede von einer halben
Stunde Weges allein die Thäler der Etſch und Pafler fcheis
det, ſetzte dem großen Gletſcher in feinem Fortſchreiten ein
Hinderniß entgegen; allein der Gletſcher ſchob ſich über den
etwa 800 Fuß hohen Hügel hinweg, rumdete, glättete und
polirte denfelben auf feiner ganzen Oberfläche im ber auss
gezeichnetften Weiſe und ſenlte ſich jenfeits in das Pafferthal
himab, welches er quer durchſchnitt. Hinter dem Pafleier
Thore der Stadt Meran und hinter der Zenoburg zeigen bie
Ritzen in den Gletjcherichliffen, daß der Etſchgletſcher ſich
hierher erftredte und noch im derjelben Richtung ſich fort:
bewegte. Erſt als er auf der Dftfeite des Paſſerthales an
die colofjalen Wände des Iffinger und feiner Borberge ans
ftieß, war feinem Vorbringen im diefer Richtung ein Ziel
efegt.“
. Nicht minder war Kärnthen, beſonders der mittlere
Theil des Landes, nad) den Forjchungen von Hans Höfer
einft vergleiſchert. Diefer fleifige Beobachter gelangt zu
dem Kefultate, daß um die Zeit der erften Glacialbildungen
der Schweiz eim einziger Riefengletfcher ganz Mittelfärnthen
einnahm und eine Mächtigleit von mindeftens 2000 Fuß
befaß. Durch Abſchmelzen diefes und anderer Gletſcher bil-
dete fid) das fogenannte Fluthdiluvium, welches die Klagen:
furt-Bleiburger Ebene bildet und Bos taurus, Ibex Ceben-
narum und Rhinoceros thichorhinus führt. Es ift we:
niger frudjtbar wie das Erraticum, welches ſich bis zu Höhen
von 4000 Fuß Hinanzicht und häufig den Grund jo hoher
Aeder bildet. Es ift mit geößter Wahrfcheinlichleit anzus
nehmen, daß die Endmoränen von Raibl, im Möl- und
Malnig- Thale der zweiten Glacialperiode ber Schweiz ent«
fpredien. Das itungögebiet derfelben war weitaus
beſchranlter als das ber erften Eiszeit. Zur Zeit der erften
Kärnthner Hacialerfheinungen erlaubte übrigens das Klima
nod reiches animalifches und vegetabilifches Leben. Prof.
Höfer glaubt, daß es zur Erklärung der großartigen Ber:
gletfcherung Kürnthens genilgt, eine Temperaturabnahme von
faum 3° R. anzunehmen.
Bei der ungeheuern Ausdehnung der mittelenropäifchen
Gletſcher in der Eiszeit kann man ahnen, welch' colofjale
Eismafjen auf den norwegifchen Gebirgen lagerten und dort
171
als Gletſcher in die Thäler Hingen, auch wenn man nicht
durch die erratifchen Blöde darauf gewiefen wilrde. Menn
aber nad) dem Borgange von Peſchel umd Anderen A. Hel⸗
land fogar die Entftehung der norwegifchen Fjorde auf die
Thätigteit von Gletſchern zurlickführt und glaubt, da dies
felben Gletſcher gleidgeitig durch Zuflihrung von Detrit-
mafjen die ganze Norbfee in merklichem Maße feichter gemacht
hätten, fo find wir hier ſchon bei jenen überfchwenglichen An-
ſchauuugen angelangt, welche das Verhältniß zwiſchen Urſache
und Wirkung leicht außer Mugen laſſen. Heim und Kje—
ruf haben zudem machgewiefen, daß es mit ber thal- und
fiordbildenden Wirkung der vorzeitigen Gletſcher gute Wege
hat. Auch Pfaff hat gezeigt, zu welchen Abfurditäten es
führt, wen man die Gletſcher Thäler aushobeln läßt.
Begeben wir und von Europa nad, Nordamerifa, fo fin
den wir auch hier Zeichen ehemaliger gewaltiger Gletſcher.
Blade hat in den hohen Regionen der californifchen
Sierra Nevada, zwiſchen 36 und 38° nördl. Br., alfo unter
den Parallelfreifen der füblichften Spigen Europas, in einer
Erſtreckung von Hunderten von Meilen, die deutlichften
Spuren von Öletjherwirkungen erfannt. Die Granitmaſſen,
welche dort den Haupttheil des Geſteins bilden, erſcheinen wie
gebobelt, gefurcht und geftreift, und zwar im Allgemeinen in
ber Richtung der Thäler Hin; auch Moränen fehlen nicht.
Den Wirkungen nad) zu urtheilen, ſcheint die Ausdehnung
der Gletſcher am bebeutendften auf der weftlichen Seite des
Gebirges gewefen zu fein. Sollte ſich dies beftätigen, fo
wäre hierdurch der Beweis geliefert, da damals, wie nod)
heute, die meteorischen Waſſer reichlicher auf der oceanifchen
wie auf der continentalen Seite waren,
Noch großartigere Gletſcherwirkungen will Agaffiz im
öftlichen Theile Nordamerikas wahrgenommen haben. „Im
Jahre 1848," berichtet er, „betrat ich das Feſtland von Ame⸗
rifa, und bei meiner erften Promenade, wenige Stunden nad):
dem der Dampfer, mit dem ic) gelommen, in Halifar ans
gelegt hatte, fand ich auf allen Hügeln die mir jo befannten‘
Gletſcherſpuren. Ich gewann die Ueberzeugung, daf in
gewifien Perioden das Klima der ganzen Erde eine bedeus
tende Beränberung erlitten habe." — „Meine Unterfuchungen
find von anderen Geologen fortgejet worden und haben diefe
zu benfelben Ergebniffen geführt. Ich bin zu dem Refultate
gefommen, daß ganz Nordamerika bis zu 36, vielleicht fogar
bis zu 32° nördl. Br., alfo bis Charlejtone in Sitdcarolina,
einft von Eismaflen bededt war. Zu Columbia in Sud⸗
carolina habe ich unzweifelhaft Spuren von Einwirkungen
geſehen, eben jo am dem Ufern bes Ohio und in den weſt⸗
lichen Staaten, und der Augenſchein zwingt mich zu ber Er-
flärung, daß der nordamerilaniſche Eontinent bis zu diefen
Breiten einft ein fo kaltes Klima beſaß, daß hier eben foldhe
Gletſcher entftehen konnten, wie man heute im Grönland
findet. Hier befinden wir und indeß vor einer großen
Schwierigleit, welche man als ſehr wichtigen Einwurf diefer
Berallgemeinerung entgegengefeßt hat. Es giebt nämlich in die⸗
ſem Theile Ameritas feine Höhen, von welchen die Gletjcher
herabfteigen konnten, feine Bergketten, auf welchen fid) das
Eis anhäufen und ſchließlich bis zu niedrigeren Breiten vor»
rüden lonnte.“
„Wie wäre es möglich, daß ein Gletſcher ſich auf einer
ebenen Fläche vorwärts bewegen könnte? Obgleich wir nir-
gendiwo in den Alpen einen Stetfcer finden, der ſich Horis
zontal fortbewegte, fo treffen wir denmoch auf der horizontalen
Oberfläche des Staates Neupork längs der Scen und allent-
halben im Welten jo übereinftimmende Zeichen, bie auf die
Bewegung früherer Gletſcher deuten, daß ſelbſt der am ſchwie⸗
tigften zu überzeugende Beobachter geftehen muß, es haben
fid) Hier einft Gletſcher auf horizontaler Ebene bewegt.
22%
172
Uebrigens hat ein däniſcher Naturforſcher ähnliche Gletſcher
unlängft in Grönland entdedt. Wan wird mir allerdings
einwerfen: Welche Kraft bewegte denn den Gletſcher vor-
wärts? Man weiß, daß die Temperatur ſich mit der geos
graphifchen Breite verändert, daß fie niedriger im Norden
und höher im Süden ift; ferner ift befannt, daß die atmo-
ſphariſche Feuchtigkeit häufiger im Norden als in füblichen
Gegenden in Geftalt von Schnee aus der Luft fällt. Diefe
Umftände zwingen ung zur Erflärung der Erſcheinung. Der
aus den Wolfen herabgefallene Schnee wird zunächſt in Eis
umgewandelt und unter der angezeigten Einwirkung beginnt
diejes fich zu bewegen, aber nicht gegen Norden hin, was der
Vewegungsurjace entgegen fein wilrde, fonbern gegen Süden.
Man muß die Öletfcher als meteorologifche Phänomene ana-
log den Meeresftrömungen betradjten, welche ſich in der Rich—
tung bewegen, nach welcher hin ſich die Ausgleichung der
Temperatur vollzieht, aljo von Norden nad Süden Man
tann noch die Frage nad) der Mächtigkeit der ehemaligen
Gletſchermaſſen aufwerfen. Beobachtungen, welche id; vor
wenigen Jahren im Staate Maine angeftellt, überzeugten mic),
daß im diefer Gegend die früheren Gletſcher 2000 Meter
Dide beſeſſen; heute bin ich von dem Vorhandenfein von
Schneeſeldern auf unferm Continente überzeugt, deren Mäch—
tigfeit 4000 bis 4300 Meter erreicht. Die Umbildung
joldyer Schneemaffen in Eis, der von dieſem legterm felbjt
ausgelibte Drud und das ungleiche Eindringen von Waſſer in
diefe Maſſe genligten, um die von Norden nach Süden fort:
jchreitende Bewegung zu erzeugen. löge nun diefe Erflär
rung richtig fein oder nicht, jedenfalls fteht die Thatſache feft,
daß wir auf dem ganzen amerifanifchen Gontinente unzwei-
felhafte Spuren von Gletſcherwirlungen vor uns haben.
Wir erbliden polixte Felsmafien von den arktijchen Regionen
bis zum 32, Breitengrade, wir finden die Abſchabungen in der
Richtung von Norben nady Süden, und, was noch augenfälliger
fpricht, wir finden ungeheure Mengen von erratiichen Blöden
über die ganze Oberfläche des Continents zerftrent, die wir
bezüglich ihres Urſprungs auf Felsmaſſen zurldjlhren lön⸗
nen, die ſich noch hoch im Norden befinden, Alle diefe Thats
ſachen beweijen, daß die Bewegung in der Richtung von Norden
nad) Süden ftattfand, und ferner find fie bezüglich der Tem:
peraturverhältnifie der Erde hinreichend, um unfern Schluß
zu rechtfertigen, daß ungeheure Gletſcher ſich über ganz Nord»
amerifa bis zu der vorhin angegebenen geographifchen Breite
ausdehnten.“
Die angegebenen Beweiſe der amerilaniſchen Eiszeit wa—
ren file Agaffiz fo ausreichend, da, als er wenige Jahre
vor feinem Tode nad) Brafilien ging, er and) dort unzweifels
hafte Anzeichen früherer Gletfcher zu erfennen glaubte. „Auf
der Reife von Rio Janeiro,“ jagte er, „bis in die Nähe von
Pernambuco habe id) überall diefelben Thatfachen gefunden,
und als id) das Thal des Amazonenftromes befuchte, konnte
ich feftftellen, daß daflelbe chemald von einem ungeheuern
Gletſcher bededt war, der, von den Anden herabfteigend, bie
zu den Küften des Atlantifchen Oceans reichte. Ich bin
überzeugt, daß die Detritusmaflen, welche heute das Ama-
zonenthal bilden, durch das Eis zerbrödelt und über das
ganze Terrain ausgeſtreut worden find, genau jo wie ber
thonige Schutt des Rheinthales urſprunglich aus den Alpen
ftammt und von den aus den Gletſchern kommenden Wafjer-
maſſen weggeſchwemmt wurde. Der Unterſchied beftcht nur
darin, daß das Amazonenthal gänzlich von Gletſchern ſelbſt
bedeft war. Die Felsoberflächen zeigen freilich) nirgend die
befannten Bolirungen, weil die allenthalben den Wirlungen
einer tropifchen Sonne und der warmen Regengüffe aus
gefegten Felſen längft bis zu großer Tiefe zerfegt find.
Dennod; zeigen fie im Allgemeinen den Charakter, welchen
Ueber die Urſache der Eiszeit.
wir überall finden, wo die abrundende Wirlung der Öletfcher
aufgetreten ift. Auch Moränen find vorhanden. Wie ber
merkt hatte ich aus der allgemeinen Natur des Amazonen-
thales, felbft bei dem Fehlen jedes directen Beweiſes, auf bie
ehemalige Vergletſcherung gefchloffen. In einem Vortrage,
ben ich E Para hielt, wies ich baranf hin, daß man bei
Sierra Spuren einer Endmoräne finden müffe, ohne daß ich
bis dahin diefe Localität befucht hatte Als ich mehrere
Wochen fpäter Sierra befuchte, fand ich hier in der That
Refte, welche vollftändig denjenigen gleichen, die man im der
unmittelbaren Nachbarſchaft der Alpen antrifft.“
Das Endergebniß der Unterfuhungen von Agaffiz ift,
bag in Brafilien, in Regionen, wo heute die tropifche Sonne
ihre glühendften Strahlen herniederfendbet, einft ein Eisfeld
ſich ausdehnte, das vom Thale des Amazonenftromes bis zum
Altantifchen Ocean reichte „und vieleicht das Meer in fol
her Ausdehnung bebedte, daß man in ähnlichem Sinne wic
heute bei den Polarregionen fich fragen darf, ob damals
tropfbar flüffiges Waſſer unter dem Aequator vorhanden war.“
Das find im der That merhwürdige Ergebniffe; aber die
Frage ift, ob die Wahrnehmungen von Agaffiz aud) rich—
tig gedeutet wurden. Gerade bei Gletſcherſpuren ift Vorficht
und faltes Blut fehr am Platze. Haben wir doch gejehen,
daß Hoofer in Marollo ganz unzweifelhafte Anzeichen einer
ehemaligen fehr intenfiven Eiszeit gefunden hat, während
RK. von Fritfh und Rein else Rutſchflächen und
Schuttlegel von Bergſtürzen fanden, wo Hooker Gletſcher⸗
ſchliffe und Morünen ſah. Nun, die Wahrnehmungen von
Agaffiz haben von anderer Seite auch abweichende Deu-
tungen erfahren. Die Beobachter von Santiago finden rein
eruptive Bildungen, wo Agaſſiz ſcharf marlirte Moränen
ſah, und was das Amazonenthal anbelangt, jo hat im Jahre
1872 Hart im American Journal of Seience and Arte
Unterfuchungen veröffentlicht, wonad; die ehemalige Bereifung
deſſelben ſehr problematifch erfcheint. Hiernach kann man
ſich wohl berechtigt halten, die Spuren der chemaligen Eis—
zeit im verfchiedenen anderen tropiſchen Gegenden einer
wohlverdienten Bergeſſenheit anheimzugeben. Bis jegt wiſſen
wir nur mit Sicherheit, daß in gewiflen gemäßigten Breiten
eine oder fogar mehrere Perioden größerer Kälte vorge-
fommen find, und es entfteht die Frage, auf welche Urſachen
diefe merfwürdige anomale Erfcheinung zurüdzuführen fein
dürfte. An Hypotheſen in diefer Beziehung hat es nicht gefehlt.
Hier können nur die hauptfächlichiten lurz berlihrt werden,
Zumädyft glaubte man, und biefe Annahme war uns
weifelhaft am naheliegendften, in der Glacialgeit habe die
nme weniger Wärme ausgeftrahlt. Wenn man annimmt,
daf die Würmeftrahlung der Eonne zu verſchiedenen Zeiten
eine fehr ungleiche, bald beträchtlich größere bald geringere
als die heutige ift, jo wäre diefelbe Hypotheſe ſcheinbar auch
für die Erflärung der ehemaligen größern Wärme ber polas
ren Gegenden zu verwerthen. Nach allem was wir heute
über die Entftehungsgefchichte von Sonne und Erbe wiflen,
find wir zu der Annahme gezwungen, daß das leuchtende
Tagesgeſtirn in der Borzeit mehr Dre oder doch minde⸗
ſtens ebenſoviel Wärme wie heute ausgeſtrahlt habe. Fur
eine Eiszeit fände ſich alſo hier feine Urſache. Beiläufig
bemerkt, freilich auch nicht zur Erflärung des tropifchen Keli⸗
mas der arktifchen Gegenden in ber Tertiärzeit. Denn
wenn wir fir damals aud eine genügende Sonnenwärme
annchmen, um während die Sonne über dem Horizonte ift
die Fortentwickelung von Magnolien, Platanen und Sequoien
auf Grönland oder Spigbergen zu geftatten, jo mlißte doch
die Abkühlung während der arltiſchen Nacht bedeutend genug
werden, um die Temperatur tief unter den Eispunft herab:
zubringen. Unter 70% nördl, oder ſudl. Breite geht die
Ueber die Urfache der Eiszeit.
Sonne zwei Monate lang, unter 75° mehr als drei Monate
hindurch, unter 80% über vier Donate lang nicht auf. Die
Luft und der Erdboden im jenen Breiten jtrahlen während
deſſen ununterbrochen gegen den falten Weltraum Wärme
aus, ohme Erſatz dafür zu erhalten. Das Refultat ift, wie
befannt, eine ſehr niedrige Temperatur der betreffenden Re»
gionen. Gerade diefer Umftand, weit weniger der Mangel
einer intenfiven Wärme in der furzen Sommerzeit, ift et,
wodurch das Gedeihen des Baumwuchſes in den arktifchen
Gegenden unmöglic; gemacht wird. Middendorf fand im
Taimirlande Anfangs Auguft die Aufttemperatur + 16° E.,
tiefer am Boden fogar + 24° C. Das entjpricht unge:
fähr dem Maximum der Luftwärme, welche mar im Som:
mer im mittlern Deutjchland beobachtet. Nichtsdeſtoweniger
gehören die Regionen des Taimirlandes zu dem veröbdetften
und fchredlichften auf dem ganzen Erdballe. Wenn der
kurze Sommer ſich dort einftellt, jo ſchießen wunderbar
ſchnell an den fonnigen Abhängen einzelne Moofe und Blüm-
chen auf, gleich als eilten fie zum Blühen zu gelangen, ehe der
lange Winter wieder anbricht. Denkt man ſich in jenen Ge—
genden die Sonmenwärme während bes Sommers auf das
Doppelte gefteigert (wodurch freilich gleichzeitig weite Streden
der heißen Zone, die heute ein üAppiges animaliſches und
vegetabiliſches Leben zeigen, in traurige, verbrannte Wuſte
verwandelt wirden), jo würde die Summe der empfangenen
Wärme doc, nicht genligen, um während der langen Winter:
zeit die Lufttemperatur auf derjenigen Höhe zu erhalten,
welche nothwendig ift um den Baumwuchs vor dem Erfrie-
ren zu bewahren. Wollte man aber auch die innere Erb»
wärme zu Hllfe rufen und annehmen, diefe wäre im ber
damaligen Zeit nahe der Erdoberfläche weit bedeutender ges
weſen, als heute, fo wiirde auch diefe nicht aushelfen fünnen.
Denn wenn die Erdwärme während der langen Polarnadht
in Höhen von 20 bis 40 Fuß Über dem Erdboden bedeutend
genug fein fol, um Pflanzen vor dem völligen Erfrieren
zu jchügen, fo müßte fie dicht unter dem Boden gewiß jo
bedeutend fein, daß die Ernährungsbebingungen des vege-
tabilifhen Lebens geftört würden. Bei diefer Gelegenheit
fol nebenbei darauf aufmerkſam gemadjt werben, daß bie
hente bei den Geologen fo beliebte Annahme des vorwiegens
den Einflufies der Bodenwärme auf die Oberfläche ber Erde
und das Klima in früheren geologischen Perioden vollftän-
dig haltlos ift. In diefer Beziehung laffen die mathenas
tijchen Unterſuchungen Thomſon's, welche ſich auf bie
bewundernswürdigen Arbeiten Fourier's gründen, feinem
Zweifel Raum. Die Abhandlung Thomfon’s über die
fäculare Abkühlung der Erde erſchien 1862 in den „Trand-
actions ber föniglichen Geſellſchaft zu Edinburgh“, in deutfcher
Uebertragung findet fie ſich in der Ucberfegung von Thom»
fon und Zait’8 Handbuch der theoretifchen Phnfik *).
Wer diefe Arbeit gehörig witrdigt, muß dem BVerfaffer
vollfommen beiftimmen, wenn er der inıtern Erdwärme felbft
in den früheften Perioden jeden Einfluß auf das Klima ab-
fpricht. Höchſtens nur während ber erften 10,000 Jahre
nad; dem Beginne der Erftarrung fan die Oberfläche nad)
Thomfon durd; die ans dem Innern zugeleitete Wärme
mertlich beeinflußt geweſen fein. Im den erften drei oder
vier Millionen Jahren würde fich in den oberften Schichten
des Bodens allerdings eine etwas höhere Temperatur fühl
bar gemacht haben, aber am Ende diefes Zeitraums betrug
die Zunahme in dem von Thomfon betradjteten Falle höch-
ſtens nur 0,19 per Fuß und müßte dann im Verlauf von
weiteren 96 Millionen Jahren auf 0,02° per Fuß abnehmen,
—
Sohn. I. Band, 2, Theil, S. 434 ff.
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N
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) Braunschweig 1874. Werlag von Friebrih Bieweg und |
173
Um den Schwierigkeiten, welche in der Annahme einer
früher beträchtlic) geringern Sonnenwärme Liegen, zu entgehen,
hat Prof. Mohr angenommen, daß in der Epoche der Eis:
zeit die Erde ſich viel weiter von der Sonne entfernt befun-
den habe, ald gegenwärtig. Im der Entfernung des Plane:
ten Mars würde die Erde noch nicht die Hälfte der gegen-
wärtigen Sonnenwärme erhalten und wie biefer Hanet
ſicherlich Eiszonen erhalten, welche ſich bis zu 55% Breite
erftredten. Aber es ift nicht wahrſcheinlich, daß die Erde
zur Glacialzeit eine weſentlich größere Entfernung als gegen-
tärtig befaß. Uebrigend müßte nad) der Mohr'ſchen Hypo»
thefe die Bereifung der Erde vor der tertiären Epodje noch
größer gewejen fein, wovon nichts befannt ift.
Der Franzofe Adhémar hat bekanntlich zur Erflärung
der Fißgeit auf die 21,000jährige Umſchwungsdauer der
Apſidenlinie hingewiefen und in den dadurch erzeugten Ber—
hältniffen eine Urſache der Glacialerſcheinungen erbliden
wollen, doc, hat jeine Hypotheſe vor einer ftrengen Kritil
feinen Beſtand. Plaufibler ift die befannte Theorie von
Schmid, und was von Pefchel und Anderen dagegen vor
gebracht worden, ift unerheblich. Mber die unzweifelhaft
ftattfindende Wafferverfegung ruft aller Wahrſcheinlichleit
nad) feinen ftabilen Gleichgewichtszuſtand hervor und funmirt
fid) deshalb nicht im Laufe der Zeit. James Croll
meinte bie Kälteperioben durch Beränderungen der Exdercen-
tricität in langen Zeiträumen erflären zu lönnen. Er kommt
babei auf Zeiträume von vielen hunderttaufend Jahren und
verlegt die letzte Eiszeit in die Jahre 240,000 bis 80,000
v. Chr. Wenn man die Funde von Kunſiproducten aus der
Eiszeit betrachtet, jo lann man Aiefer Berechnung in feinem
Fall beiftimmen.
Lyell fcheint der Erfte gewefen zu fein, der die Urſachen
der Gletſcherperioden in rein tellurifchen Zufländen, im der
Bertheilung des Starten und Flüſſigen auf der Erdober—
fläche ſuchte. Man glaubte anfangs, daß die von dem bes
rühmten englifchen Geologen angegebenen Urſachen zu localer
Natur feien, um als Grund fo allgemeiner und bedeutender
ZTemperaturveränderungen angefehen werden zu können.
Nach und nad) haben ſich jeboch die Meinungen ber Lyell'ſchen
Hhpothefe günftiger geftaltet, bejonders feit Ejcher von
der Finth im Jahre 1852 zuerft die Anficht ausſprach, daß
eine allgemeine Ueberſchwemmung der Sahara in der poft«
tertiiren Periode bie colofjalen Dimenfionen, welche bie
Alpengleticher damals befeflen, leicht erfläre. Ein Suüdwind,
welcher unter den damaligen Berhältnifien von der Sahara
her, mit Feuchtigkeit beladen, die Alpen erreichte, mufte
hier in der Höhe ungeheure Schneemaffen entladen, fo daß
biefer Wind, während er heute die Schneemaffen vermindert,
fie damals fortwährend vermehrte, Neuerdings ift indeß
die Eſcher'ſche Theorie von Dove imfofern als unhaltbar
nachgewiefen worden, als ein der Sahara entftanımender
Sudwind nicht ſowohl die Schweiz als vielmehr Border:
afien treffen wird, Dort, in den Armenifchen Hochgebirgen,
hat man demnach die Wirkungen einer vormaligen Ueber
ſchwemmung der Sahara zu ſuchen.
Im Allgemeinen werben bedeutende Himatifche Aenderuns
gen größerer Theile der Erdoberfläche nur durch beträchtliche
Umwandlungen in der Bertheilung des Starren und Flüfr
figen möglidy fein. Im einzelnen Fällen aber fünnen ver-
hältnigmäßig u Mobdificationen in der gegenmärtigen
Configuration der Hüften ſehr bedeutende klimatiſche Revolu-
tionen hervorrufen. So wlirde z. B. eine Ablentung des
Solfftromes von ben enropäifchen Küften die größten Ber
änderungen im Klima Weft- und Nordwefteuropas bedingen.
Die Temperaturgegenfäge, welche diefe ungeheure Warın«
waflerleitung zwifchen ber europäifchen und norbamerifas
174
nifchen Kuſte bedingt, fprechen ſich am deutlichſten in der
folgenden Zufammenftellung der mittleren Monatstenpera-
turen zweier Stationen, in Labrador und Norwegen, ans.
Rain (Labrador) Bergen (Norwegen)
670 10 n. B. cn.
Januar 2... — 13,88. —130 R.
Februar — 12,7 + 21
7 Er — 10,9 + 25
April or er. — 09 + 5,5
2 —— + 19 + 86
Semi — — — - + 47 + 10,9
Misere + 81 + 12,6
Auguft. +... + 84 + 119
September . - - +» + 58 + 9,9
Detobr 2... + 08 4 74
November . . — 24 + 38
December. 2... — 11,3 + 238
Größter Unterfchied 29,2 11,3
Um aus diefen Temperaturangaben den wirklichen Ein
fluß des warmen Golfftrommafers im Gegenfage zu dem
polaren Eisftrömungen, welche längs der Yabradorfüfte nach
Süden ziehen, herauslefen zu können, muß man die den ber
Rajn in Labrador. Le
Januar +... - — 5 R +12 N,
Februar 2. « — 86 + 79
Mi - es. 2... — 69 — 02
Upil 22220. — 19,0 _ 74
SE een — 19,8 — 12,8
mi... :0.0. — 21,0 — 15,6
Sl... — 16,3 — 108
Auguft »- ee. — 86 — 43
September » .. + « — 23 + 83
Dchber 2. 1... + 30 + 99
November .... - + 52 + 18,2
December -».... — 07 + 147
treffenden Baralleltreifen von 57 und 601/59 Breite ent-
fprechenden Normaltemperaturen in Betracht ziehen. Belannt-
lic hat Dove ſolche Normaltemperaturen für die einzelnen
Parallelfreife empirisch abgeleitet; aber ftatt der von ihm
Aus allen Erdtheilen.
gefundenen Werthe fann man befler die Temperaturen bes
nugen, welde Mach mathematifch für die verſchiedenen
Paralleltreife abgeleitet hat, unter der —— daß
die Temperatur zur Zeit der Aequinoctien unter bem Aequa-
tor nad) Humboldt 22° N, beträgt. Die vorfichende zweite
Tabelle enthält die Unterfchiede zwiſchen Rechnung und Wirl—
lichkeit.
Man erficht ans diefer Tafel, wie ungemein unglnftig
Nain gegen Bergen geftellt ift, indem ununterbrocen bie
wahre Temperatur unter der normalen bleibt. Die höhere
Wärme, welde die Tafel für October und November ergiebt,
ift größtentheils nur fcheinbar, indem bei der Berechnung
dos Maximum der Wärme für den Monat Juni angenom-
men wurde, während es wegen der geringern Ausftrahlung
faft zwei Monate fpäter fällt, genau fo wie auch die größte
Tageswärme nicht auf 12 Uhr Mittags, fondern etwa zwei
Stunden fpäter eintritt. Wie man ferner fteht, macht ſich
ber Einfluß des Golfftromes flir Bergen in den Winters
monaten durch eine ftarfe Erhöhung der Lufttemperatur gel-
tend, während in Folge der geographifchen Lage die Sommer-
wärme ebenjo beträcjtlich heruntergedrlickt wird, trogbem fie
indeß nod) immer im Monattmittel des Juli auf 12,69 R.
fteigt. Umgekehrt ift es mit Nain, hier werden in folge
der nordpoluren Strömung fänmtliche Mitteltemperaturen
herabgedrüdt, im Auguſt bis zu + 8,4 R. im Januar
bis zu — 13,80 R. Der Erfolg hiervon liegt auf der
Hand. Die Sonne an und fiir ſich witrde, felbft wenn fie
bedeutend mehr Wärme ausftrahlte, ald dies gegenwärtig
der Fall ift, nicht leicht fir die Herbft- und Wintermonate
ein Klima unter 60° nördl. Br. hervorrufen lönnen, wie
es Bergen befigt, deffen Yage in diefer Hinficht etwa dem
Parallelfreife der Alpen entipricht. Solche Mitteltempera-
turen find in jener Gegend mur möglich, wenn auch wäh—
rend der langen Polarnächte, wo die bei Tage empfangene
Wärme vafd) in den falten Weltraum ausftrahft, ununter—
brochen neue Wärme zugeführt wird. Im diefer Nothwendig-
feit liegt bie direcle Berurtheilung aller Tosmifchen Hypo-
thefen zur Erllärung ber ehemaligen größern Wärme in den
arktifchen Gegenden. Umgelehrt würde aber auch eine um
die Hälfte geringere Sonnenwärme nicht im Stande fein,
die Mitteltemperaturen fir Labrador fo herabzubräiden, wie
fie in vorftegender Tafel herabgedrückt erfcheinen. Dies be—
weift, daß die Sonne auch direct mit der Erzeugung eis—
zeitlicher Zuftände (derem ſich Yabrador heute noch erfreut)
nichts zu thun hat, daß vielmehr die Bertheilung des Star:
ven und Flüſſigen und die dadurch bedingte Richtung
der falten Meeresftrömungen in erfter Linie als wirtfam
gedacht werben muß. Hierin haben wir bie Haupturfache
der mitteleuropäiſchen Eiszeit zu fehen und was in ber Ber-
gangenheit gejchehen ift, kann ſich im entfernter Zukunft
wiederholen.
Aus allen Erdtheilen.
Die Shiffbarmahung des alten Oxuslaufes und des
Iani-Darja durch die Nuffen.
Der unermüblihe Foriher Sewerzow hat foeben in
den Annalen der ruſſiſchen geographiichen Geſellſchaft die höchſt
wichtigen Ergebniffe der neueſten wiſſenſchaftlichen Forſchun—
gen in den Steppen am Wralfee veröffentlicht. Eine Erpe
dition wurde im verfloffenen Jahre befonders zu dem Zwede
entfandt, um auszufundichaften, ob das vielbeiprochene alte
Bett des Orns (Amu Darja) fich wieder mit Waſſer füllen
laſſen föune, jo daf der Amm oder werigftens ein Theil
beffelben in das Kaspiſche Meer geleitet werden fünnte. Es
war zumächft die Höhe der heutigen Mündung in den Aral:
fee und der alten in das Kaspiſche Meer zu beftimmen.
Frühere, flüchtig ausgeführte Mefiungen hatten nur einen
Unterfchieb von 170 Fuß zwiſchen beiden conftatirt. Diefer
Aus allen Erbtheilen.
Unterfchied erfchien aber zu gering, um den ganzen majeftäti-
ſchen Strom auf eine Strede von über 100 deutichen Meilen
abzuleiten. Als man aber durch neue forgfältige Beftim:
mungen fand, daß die thatfächliche Höhendifferenz zwiſchen
den beiden Mündungen 243 Fuß betrug und daß, vom oro-
araphiichen Geſichtspunlte aus, feinerlei Schwierigkeiten vor:
tagen, um den Bau eines Canals im alten Orusbette zu
bindern, da fahte man frifchen Muth. Die Wichtigkeit diefer
Thatfache wurde noch dadurch erhöht, daß man erfuhr, daß
noch bis zum Jahre 1858 der alte Lauf des Amu fließendes
Waſſer von Ehiwa bis zum See von Sari-ſtamiſch an der
weftlichen Grenze des colonifirten Theilet des Chanates be:
ſaß. Da jedoch von der Expedition im Jahre 1874 der Theil
des alten Oxusbettes, welcher zwilchen dem Sari-Kamiſch
und Jgdi gelegen ift, wicht erforicht werden fonnte, jo war
man immer noch im Unklaren darüber, ob das alte Bett noch
tief genug war, um das große Werk der Bewäfferung mit
Erfolg zu unternehmen.
Es wurde daher, um fich Sicherheit hierüber zu ver:
haften, im laufenden Sommer eine Expedition ausgefandt,
welche am 20. Juni Jadi erreichte. Diefer Brummen Liegt
genau öftlich von Krasnomwodst (40% nörbl. Br. und 700 öſtl.
8, v. Ferro). Weiter drang die Erpebition über Balla Iſchem
nach Dekſch vor (aljo norböftlih am Laufe des alten Orus
bin). Die bier eingezogenen Erkundigungen lauten günftig
für das Project, den alten Oxuslauf wieder mit Waffer zu
füllen.
Eine zweite wichtige ruſſiſche Parallelforſchung betrifft
den Unterlauf des Syr:Darja, des alten Jarartes. Auch
diefer gabelt ſich, wie der Amu, weit oberhalb feiner Mün—
dung in den Aralſee und entfendet einen ſüdlichen, jegt troden
liegenden Arm, den Jani Darja, von Perowsl ans, der
weit näher der Oxus⸗ (Amu-) Mündung fich in den Aralſee
ergoß, als der heutige Lauf des Jaxartes (Sur). Könnte
num der Jani Darja wieder ſchiffbar gemacht werden, fo
würden die Mündungen beider Ströme, des Amu und Syr,
mabe bei einander liegen und beide mächtige ſchiffbare
Bulsadern Turkeſtans ließen fih mit einander ver:
nüpfen Nah Sewerzow bietet diefes ganze Unternehmen
aber feine allyugroße Schwierigkeit. Das ganze alte Jani—
Darja:Bett ift noch fo tief, daß nur ein kurzer Canal von
dem noch laufenden Theil des Fluſſes gegraben zu werden
braucht, um das alte Bett wieder mit Wafler zu filllen und
Ichiffbar zu machen. Seen und Brunnen find im alten Jani-
Darja-Bette in Menge vorhanden und würden die Aufgabe
erleichtern. Haben doch felbft vor etwa 0 Jahren die in
diefer Gegend nomadifirenden Karakalpals einen Theil des
alten Flußlaufes mit Wafler gefüllt, indem fie, obme jebe
Beibülfe von Ingenienren, einen See bineinleiteten und bie
Umgegend zu Eulturland geftalteten.
Der neue Canal foll nach Sewerzow ben Syr bei den
Manli-Tugan:Bergen, nabe bei Perowsk, verlaffen und nad
werigen Stunden fchon auf das alte Jani-Darja-Bett tref:
fen; im letztern ſelbſt find einige aus früherer Zeit herrüh—
rende Dämme zu entfernen. Da wo bas alte Bett des Sur
fich dem Aralſee nähert, joll e8 mit dem Delta des Amu in
Verbindung gebracht werden. Der Syr wird dann ein Ne:
benfluß des letztern, der Jaxartes mündet in ben Orus und
aus zwei Flußgebieten wird eines, Oberſt Jwanow, ber
Commandeur der Ruffen in Chiwa, befchäftigt fich ſtark mit
der Ausführung beider Pläne, die mach ihrer Bollenbung
eine unnnterbrodene Dampfichifffahrt zwiſchen
dem Innern des europäifhen Rußland und dem
Herzen Aſiens geftatten werben.
Eapitän Richard Burton in Island.
Richard Burton, der Afrifa und Brafilien, Paraguay
und Syrien bereift bat, wandte jett feinen Schritt nach Is—
land; von act Sadverftändigen begleitet machte er fich die
175
Erforfchung der feit Beginn unſeres Jahrhunderts brach lie:
genden Schwefelminen in Norbisland zur Aufgabe und
Mitte Auguſt war er bereits, nachdem fein Vorhaben mit
Erfolg nefrönt war, nad Edinburg zurückgekehrt.
Am 5. Juli fegelte er im Dampfer Fifeihire mit feinen
Begleitern ab. Am letzten Tage ihrer Heife fanden fie die
See weit und breit mit Bimsſtein bededt, welcher von den
verheerenden vulcaniſchen Ausbrüchen auf Jsland herrührte.
Bei Hufſavik Mordküfte unter 60% nördl. Br.) war das ganze
Ufer buchftäbfich mit fauftgroßen Bimsfteinftiiden bebedt, die
ſämmtlich der legten Eruption ihr Dafein verdanlten. Huſa—
vit liegt noch 42 engl. Meilen von den Schwefelminen ent:
fernt; es beftcht aus wenigen Heinen Hütten, die von Filchern
bewobnt find, welche ganz von dem Agenten oder Factor des
Plate: abhängig find, der ihmen alles Nöthige im Tauich-
bandel überläßt. Burton fand den Hafen ausgezeichnet, er
machte Lothungen und entwarf eine Karte deſſelben. Wich—
tig für den Zwed der Erpebition war, daß es an Arbeits:
fräften — ausgenommen zur Zeit der Henernte — bei Hu:
favif nicht mangelte; eine Schwierigkeit, die Schwefelminen
nen zu eröffnen, eriftirt nicht.
Da in Huſavil die zum Reifen nöthigen Ponies nicht
aufzutreiben waren, fo zog Burton im „Fifeſhire“ nach dem
etwas weſtlicher gelegenen Hafen Afreyri. In diefer „nor:
diſchen Hanptftadt" fand Burton beim Gonvernenr qute Auf:
nahme und Förderung feiner Zwede und machte einen Aus—
flug nach dem Myvatı-Sce, wo das nene Hauptauartier der
Schwefelminens Geſellſchaft errichtet werden fol. Nachdem
die nöthigen Aufnahmen der Schwefelminen gemacht waren,
befuchte Burton den füdlichen Focus des lebten großen Aus:
bruchs; das Feuer in der aufgeriffenen Erbipalte war inbel;
fen ſchon erloichen.
Am 23, Juni fand bei Hufavik ein heftiger Schnee:
fturm ftatt, der zehn Tage anhielt. Kurz darauf traf dort
ein Engländer Namens Watt ein, welcher über das weite
wüſte Gletſcherplateau des Vatna-Mölull und dann quer durch
die Inſel bis Huſavik geritten war.
Auf der neuerdings von Malte-Brun im Bulletin der
Barifer geographiſchen Gefellichaft herausgegebenen Karte,
welche den Stand der Forſchung über unfere ganze Erde zeigt,
ift ein Theil des nördlichen Innern von Island als noch
unerforfcht bezeichnet. Die neue Expedition Burton’ wird
Manches zur Aufflärung beitragen.
Der erfte Manati in Europa,
Dem beriiimten Londoner zoologischen Garten ift es vor:
behalten geblieben, den erften Manati zu beherbergen und
zwar einen Manatas americanus, welcher Anfangs Anguft
mit dem Schiffe ‚Blenheim“ von Demerara (Britifch Guyang)
anlangte. F. Budland, der bekannte Zoolog, fehreibt über
biefes Thier: „Ich erinnere mich nicht jemals ein intereffan:
teres Geſchöpf geſehen zu haben und es ift anfangs fchwer
zu beftimmen, zu welcher Claſſe es eigentlich gehört. Es ift
ein Waſſerthier und ficht man den Kopf aus dem Wafler
ragen, fo erinnert diefer an ein zwiſchen Schwein und Maul:
wurf ftehendes Thier. Der Körper endigt in einen langen
Schwanz von der Form eines Damenfächers ; mit ihm ſchwimmt
es durch Auf: und Abwärtsbewegung wie ein Delphin, nicht
durch feitliche Bewegungen wie ein Fiſch. Der Manati ger
bört zur Claffe der Sirenia, aber man kann auf den erften
Bid nicht jagen ob er ein Didhäuter oder ein Fiſchſäuger
(Eetaceet ift; ich glaube er hat von beiden etwas. Man
nehme ein Schwein, ftrede ihm die Hinterfühe aus und breite
fie zu einem flahen Schwanze wie ein Biberfhwanz aus,
verwanble die Vorderfüße in Ruderfüße, wie bei den Schild:
fröten, ſchneide ihm bie Ohren ab, ftelle röhrenförmige Nafen-
löcher wie bei ben Seehunben ber, verfleinere die Augen auf
ein Viertel — und der Manati ift fertig In Demerara
wird er Seeſchwein genannt. Seine Augenlider find höchſi
176
eigenthümlich; fie beftchen aus Ringen, wie die belannten
Kautichufeinge, eine Eigenthümlichkeit, welche der Manati mit
dem haarigen Rhinoceros theilt. Die Augen felbft find ſehr
klein und von düfter-blauer Farbe.
Der Manati befindet fich fehr wohl in London, verzehrt
Salat und andere faftige Vegetabilien und ift fo zahm, daß
er feinem Wärter aus der Hand frift wie ein Schaf. Das
Eremplar ift etwa halb ausgewachſen; alte Thiere erreichen
in Amerika eine Länge von 14 bis 16 Fuß und ein Gewicht
von 1500 Pfund, Der Londoner ift 7 Fuß 2 Zoll lang und
wiegt 4 Eentner. Die ſudamerilaniſchen Indianer jagen den
Manati mit Harpunen und verschren febr gern fein Fleiſch,
das gebraten wie Schweinefleiih ſchmeckt. Sein Gefchrei
gleicht dem Brüllen des Ochlen. Die Eingeborenen ſchauen
den Manati wie ein übernatürliches Thier an, weil er feine
ungen fängt wie eine Mutter ihr Kind. Intereſſaut ift es
zu beobachten mit welcher außerordentlichen Ruhe dieſes Thier
man lann nicht ſagen ſchwimmt, ſondern durch das Waſſer
gleitet. Seine Haut ift mit zweierlei Art Haar bedeckt, mit
borftigem und Naumigem. Die Oberlippe ift did und gefpal-
tem umd innen mit Borſten befetst, welche als Aequivalente
des Fiſchbeins dienen, das im Rachen des Walfiichs ftcht.
Noch häufig im Drinocco und Amazonas find fie in Eayenne
faft ausgeftorben, während früher ihr Fleiſch dort mit 3 Gro—
ſchen das Pfund verkauft wurde.“ Verwandte Arten leben
in Afrika und den indiſchen und auſtraliſchen Mecren.
—
Die Bankulnuß.
Der Chemiler B. Corenwinder hat eine Broſchüre über
die Banlulnuß publicirt, im welcher er die Meinung aus—
fpricht,, daß das aus derfelben zu gewinnende Def für die
Indufteie, die Prefrüdftände aber als Dünger für die Land—
wirtbichaft mit Vortheil verwendet werben können. Der
Bankulbaum (Aleurites triloba) fommt auf den Molafken,
Geylon und dem angrenzenden Infeln im drei verfchiedenen
Species vor, findet ſich aber außerdem noch häufig in Cochin⸗
china, Neucaledonien, Taiti und deren Umgegend. Zur Zeit
der Reife fallen die Nüſſe von felbft zu Boden. Sie haben
einen inner Kern mit einer äußern ſehr harten Holzfchale.
Der term enthält 60 bis 62 Procent Del und etwa 23 Brocent
ftidftoffbaltine Subſtanz. — Auch die Rüdftände hat man
analyſirt. Sie waren nicht ganz frei von Holzſchale, ergaben
fi aber reich an ftidftoffhaltigen und phosphoriſchen Sub:
ftanzen. Ganz frei von der Holzſchale berechnet fich der Stid:
ftoffgehalt auf 9, der Phosphorgehalt auf 4 Procent die
Maſſe ift daher ein werthvoller Dinger.
Das Bankulöl wirkt als Burgativ, Als Brenuöl wird
es vielfach verwendet und dem Riübfamenöf vorgezogen;
auch als Schmieröl ift es wegen feiner trodenen Beſchaffen.
heit verwendbar, da es ſich längere Zeit flüſſig erhält.
Corenwinder glaubt nicht, daß die Nüffe in ihrer natikr-
lichen Belchaffenbeit zur Einfuhr nach Europa geeignet feien,
da mur ein Drittel dem eigentlichen Kern, die übrigen zwei
Drittel aber die Schale bilden, Diefe mußte daher zuvor ent-
fernt werben. Wegen der Härte derfelben ift die Operation
mit Schwierigkeit verfnüpft; Coremmwinder ift indef der An—
fit, daf es der Mechanik leicht fein werde, eine einfache
Inbalt:
Aus allen Erdtheilen.
aus wenigen Meſſern bejtchende Mafchine zu conjtruiren,
um bie Schale zu zerbrechen und ben Kern freizulegen. Ge—
länge dies, woran nicht zu zweifeln, fo würde der Kern ein
werthvoller Hanbelsartikel für Europa werben Fünnen.
*» * x
— Die Goldfelder im füdöftlihen Wunaad (fir:
dien) werden von W. King im letten Berichte über die geo—
logiſche Landesaufnahme Indiens fehr guünſtig beurtbeilt,
wenn auch fein Californien oder Auſtralien für vermögens—
loſe Abenteurer ſich dort eröffuet. Schon ſeit den älteſten
Zeiten wird dort von den Eingeborenen die Goldwüäſcherei
betrieben, indeflen ift die Ausbeute auf dieſem Wege nur
gering, deun vier Annas — 50 Pfennige — gelten ſchon als
ein guter Tagesgewinn, und die Eingeborenen geben daher
Tieber im die beffer lohnenden Kaffecplantagen auf Arbeit,
wo fie fünf Annas täglich erbalten. Grofe Goldklumpen
find noch mie gefunden worden. Dagenen find die Duarzriffe
reich an Gold, und wenn fie mit Mafchinen gebörig ausge:
beutet werben, fo wird Wynaad immer unter bie ergichigen
Golddiſtricte gerechnet werden müſſen. Durchſchnittsverſuche
haben 7 Queutchen Gold auf die Tonne (20 Ceutuer) Quarz
ergeben.
Dr. Dcar Peſchel +.
Deutſchland hat einen feiner namhaftejter Geographen
und die Leipziger Hochſchule eine ihrer beften Kräfte verloren.
Ans Peipzig trifft nämlich die Tranerbotichaft ein, daß daſelbſt
Dr. Oscar Peſchel, königl. fühl, Geheimer Hofrath und
ordentlicher Profeſſor an der Univerfität, nach lüngerm Peiden
am 31, Auguft verichieden ift.
Dscar Ferdinand Peſchel war am 17. März 1526
au Dresden geboren und hat alfo nicht das fünfzigfte Lebens:
jabr erreicht. So kurz aber feine irdiſche Laufbahn bemeflen
war, jo reich war der Inhalt feines dem Dienfte der Willen:
ſchaft gewibmeten Lebend und fo nachhaltig werben die Spu—
ren bleiben, die fein hochbegabter Geift auf feinem fpeciellen
Forfchungsgebiete, der Länder: und Völkerkunde, zurückgelaſſen.
Uriprünglich Jurift ward Peſchel im Jahre 1848 nach Ab—
folvirung feine Eramens in die Nedaction der „Augsburger
Allgemeinen Zeitung“ berufen, welcher er ſechs Jahre hindurch
angehörte. Darauf übernahm er nah Dr. Wiedemann's Tod
die Nedaction des „Ausland“, welche Zeitfchrift er falt zwei
Jahrzehnte leitete. "Am diefer Zeit erſchienen feine bedeutend:
ften biftorifch-geograpbiichen Werke, unter anderen die „Be:
fchichte des Zeitalters der Entdeckungen“, „Geſchichte der Erd:
kunde bis auf A. von Humboldt und K. Nitter" und „Nee
Probleme der vergleichenden Erdkunde‘, Sein neneftes wäh—
rend feines Wirkens in Leipzig erfchienenes Werk ift Die
„Völferfunde*, welche fich einer befonders lehhaften Theil:
nahme zu erfreuen hatte. Seinen Schriften verbanfte er raſch
auf einander folgende Berufungen nah Münden, Graz und
Leipzig. Er entichied ſich für letztere Hochſchule, am welcher
er beinahe bis zum legten Augeublicke feines Lebens mit voll:
kommener Friſche des Beiftes feines Lehramtes waltete,
Auch ſeine liebenswürdigen Charaftereigenfchaften fihern ibm
bei feinen zahlreichen Freunden und Verehrern ein unver
güngliches Andenken.
Zur Schilderung des Waldes in der enropäilchen Türkei. Bon F. Kanitz. (Mit drei Abbildungen.) —
Lebensbild des engliſchen Forſchers Charles Tyrwbitt Drafe. — Zur Ethnologie und Gefchichte des Aberglaubens, Bon
Dr. Hermann Brunnbofer in Yarau. IV. — Ueber die Urſache der Eiszeit, — Aus allen Erdtheilen: Die Schiffbar:
machung des alten Druslaufes und des Jani-Darja durch die Rufen. — Capitän Nichard Burton in Island. — Der
erfte Manati in Europa, — Die Bankulnuf. — Dr. Dscar Peſchel }. — Verſchiedenes — (Schluß der Nedaction
2, September 1875.)
Für die Redactien verantwortlib: H. Vieweg in Braunſchweig.
Drud und Berlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunfchmweig.
8
Ss
—
Mit beſonderer Berüchfichtigung d
Anthropologie und Ethnoloaie.
In
Verbindung mit Fahmännern und KHünftlern begründet von
Karl Andree.
Braunſchweig
JDahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Nummern,
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Rummern 50 Bf.
1875.
Wir machen unseren Lesern die Mittheilung, dass die Redaction des „Globus“
von Nro. 13 an von
Herrn Dr. Richard Kiepert
Berlin, 8. W. Lindenstrasse 13, 11 Tr.
übernommen wird.
Friedrich Vieweg und Sohn.
Der Markeſas-Archipel.
Der Marfefas- Archipel erftredt fid von 7%50'
bis zu 10931’ jüdl. Br. und von 138039' bis zu 140% 46’
weitl. L. Bei einer längern Fahrt im Polyneſiſchen Archi—
pel in den Jahren 1872 bis 1874 ftattete der franzöfiiche
Dampfer Baudremil auch den Dlarkefas-Infeln einen Bes
ſuch ab. Am 1. Mai 1872 bei Sonnenuntergang verfuchte
man, Yand zu erbliden, aber die Nacht, welche in jenen
Vreitegraden plöglich hereinbricht, vereitelte jede Anftrengung.
Nach Berlauf einiger Stunden wurde badbordwärts ein Feuer
fignalifirt, welches nicht, wie man anfänglich glaubte, einem
brennenden Schiffe feine Entſtehung verdankte, fondern im
Dften der Juſel Hiva-Oa mächtig aufloderte und wahr-
ſcheinlich durch die Umvorfichtigfeit eines Kanaken verurfacht
worden war, Der „Vaudreuil“* richtete feinen Cours nad)
biefem eigenthüntlichen Yeuchtthurme und bei Tagedanbrud)
lam die Südfüfte der Inſel Ua-Uka in Sicht. Die hohen
‚Berge der Nachbarinfel Nuku-Hiva oder aud) Noufa-
Hwa (auch die Marchand-Inſel genannt), die Hauptinjel
bes Marfefas-Arcchipels, zeichneten ſich am Horizonte ab, be—
fonder& das pittoresfe Cap Martin (Tifapo, wie es bie
Globus XXVII. Nr. 12.
‚die erften Zeiten der franzöfischen Beſitznahme.
-
Eingeborenen nenmen), welches die Südoſtſpitze von Nufı-
Hiva bildet, während die Südküfte durch bizarı geformte
Felſen eingefaßt ift, die jid) hier und da am Strande erheben
und von denen einer genau eine Coloflalftatue der das Jeſus
find haltenden Jungfrau bildet. Die „Scildwarhen“, zwei
ifolirte mächtigs Felſen, bilden das Thor zu der Bay von
Taio-Hae und dem Hafen Anna Maria, und zwifchen ihnen
hindurch dampfte das Schiff mit gevefften Segeln.
Der düftere Tuhiva, welcher ſich amı Strande hinzicht
und die Küfte in zwei ungleiche Hälften theilt, trägt auf fei-
nem Ricden die Ruinen des fort Collet als Erinnerung an
Das Dorf
folgt öſtlich von dieſem Fort dem Ufer des Meeres und dehnt
ſich dann ziemlich weit in das benachbarte Thal aus.
Die ganze Infel ift ungefähr 10 Meilen breit und 17
Meilen lang und etwa von 2000 Menſchen bewohnt, wäh-
rend die Bevölkerung im Jahre 1804 nod aus 18,000
Köpfen beſtand. Trunkſucht und Kriege, welche die Bes
wohner ununterbrochen unter ſich führten, haben dieſe Reduc—
tion zu Stande gebracht.
23
Der Markefas- Archipel.
Eingeborine an der Bay von Taio:-Hae, Nuku Hiva.
Der Marleſas-Archipel.
In Taio-Hae wohnt der franzöfiiche „Refident*,
Derfelbe ift dem Befehlshaber der oceauiſchen Nicderlaffun:
gen untergeordnet und hat biefem Rechenſchaft über feine
Verwaltung zu geben. Gr erhebt die Hafengebühren mit
50 France für jedes Schiff und wacht Über die Handhabung
der Hafenpoligei. Mit diefer ift, unter Führung eines Hafen«
capitäus, eine Heine Abtheilung von Genéedarmen betraut,
welche indeß bei Berhaftung von Deferteuren faſt flets die
Hülfe der Cingeborenen in Anſpruch nehmen muß, welche
eine Prämie von 50 Francs für jede Gefangennehmung
erhalten. Das Schiff, dem der Verhaftete angehört, muß
diefe Summe zuriderftatten. Findet indeh die Verhaftung
erft nach Abfahrt des betreffenden Schiffes ftatt, jo trägt das
Sonvernement jene Ausgabe und ſchickt die Gefangenen nad)
179
Tahiti, um zu verhindern, daß die Inſel durch Land-
ftreicher bevölfert werde. Der Nefident verficht zugleich das
Anıt eined Friedensrichters und libergiebt nur in befonders
jchweren Fällen die Verbrecher den franzöſiſchen Gerichts—
behörden von Papeete. Mit Ausnahme einiger durch bie
Eigenthlimlichteit der Eingeborenen bedingten Abweichungen
| ftehen die Localgefege in Uebereinftimmung mit denen des
Mutterlandes,
Das fleine Gensdarmeriecorps reicht volljtändig aus,
um die Ordnung in Taio-Hae aufrecht zu erhalten, da hier
die Eingeborenen daran gewöhnt find, mit den Franzoſen zu
leben und ſich den polizeilichen Maßregeln zu fügen.
Auf den Übrigen Infeln handhaben die Häuptlinge die
oberfte Gewalt,
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Bay von Taio-Hae.
Allein die Thäler find bewohnt und nur höchſt felten
ſiedeln fich die Eingeborenen am Ufer des Meeres an. Die
häufigen Beſuche des Ardipels Seitens der zum Pacific
geſchwader gehörenden Kriegeſchiffe ſowie der tahitifchen Fahr⸗
Jeuge Üben einen ſehr vortheilhaften Einfluß auf den beweg—
üchen Geiſt der eingeborenen Bevöllerung.
Nachdem der „Vaudreuil* Anker geworfen,“ fo erzählt der
Schiffefühnrich M. A. Pailhes, „beeilten wir und das Yand
zu erreichen, was infoferm nicht ganz ohne Schwierigfeiten
zu bewerfftelligen war, als die geringe Meerestiefe den Boo-
ten nicht geftattete, bis zum Ufer zu gelangen, Mit auf-
geſchurzten Beinfleidern wateten wir durch das Waffer unter
dem Zuſammenlaufe der Eingeborenen, von denen einige
Weiber zu unſerm Ergögen mit größtem Ernſte die Maul»
trommel fpielten, Ich bewunderte die fonderbare Idee des
Händlers, welcher gerade diefes Inftrument auf die Juſeln
brachte.
Unter Führung des Marineſchreibers M., welcher in der
Nähe des Ufers in der alten englifchen Kirche von Tajo-Hae
wohnt und der gefommmen war, uns zu begrüßen, ſchlugen
wir den baumbepflangten, am Strande ſich hinzichenden Weg
ein, da es zumächjt unfere Wbficht war, im dem nicht fernen
Bache ein Bad zu nehmen. Die Häufer des Dorfes liegen
an beiden Seiten diefes Weges, und unter ihnen befinden jich
auch einige Magazine, deren Cigenthimer fat ohme Aus—
nahme fremde, vorzugsweife Amerikaner, find. Einige dies
fer Fäden find recht gut aſſortirt und die Käufer, welche fid)
eihfinden, haben ais Zugabe zu den Waaren das Recht, eine
23 *
Archipel.
Der Marlkeſa
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Der Marleſas-Archipel.
Pfeife zu rauchen, die auf dem Komptoir, zum Gebrauche fer-
tig, ſteis bereit ftcht. Die Eingeborenen erwangeln niemals,
von dieſem echte Gebrauch zu machen und das Inftrument
troß feiner mehr als zweifelhaften Keinlichleit zum Muude
zu führen.
Nahe an dem Punkte, wo der Weg das Ufer verläßt, um
in das Thal einzubiegen, machte unſer Füh-
ver und auf cinen Baum von wahrhaft
colofjalen Dimenfionen aufmerlſam, einen
glänzenden Beweis der lippigen Vegetation,
Es iſt dies ein Aoa-Baum (feus indica,
Baniane). Sein Stam mwird durch verſchie⸗
dene in einander gefchlungene Schäfte ge
bildet und hat einen Umfang von beinahe
dreißig Meter, welcher fich bis zu einer Höhe
von dreizehn Meter nicht verringert. Dann
theilt fid) der Stamm im etwa ein Dutzend
gewaltiger horizontaler Weite, weldye einen
Raum beſchatten, der Hundert Meter im
Durchſchnitt Hält. Wir madıten einige Mi—
nuten Halt, um die erfrichende Stühle zu
genieken, welche dic Zweige fpendeten, Co
lange der Aoa = Baum noch jung ift, nennen
ihn die Eingeborenen Hiapo.
Einen andern durch feine Größe auf:
fallenden Baum findet man in Taio Hae
in dem Garten der „Schweſtern des heiligen Joſeph von
Clunyꝰ.
Nach kurzer Raſt ſetzten wir unfere Wanderung fort und
bogen in das Thal von Baitu ein, welches fi, vor uns |
Nach Sitte des Yandes traten wir ohme Umſtände
öffnete,
Kopf eines Fingeborenen von
iva: Da. bepflanzte Anhöhe.
Diva:
181
in die Hütten der Eingeborenen, an denen wir vorüber kamen.
Die Bauart derfelben ift ſehr einfach. Bier Pfähle, welche
fidy über einen Fußboden von platten Steinen, Paepac ge:
nannt, erheben, bilden die Gdpfeiler und erhalten an den
äußerfion Enden einen Einſchnitt, um die geglätteten dünnen
Koloshölzer zu tragen, weldye das Gerippe des Daches her-
ftellen, und zwar fo, daß der hintere Theil
der Hiitte höher ift als der vordere. Quer
Über die Pfähle und die Koloshölzer wer:
den andere Balfen von leichten Holze gelegt
und durch Edynlire ans Kofosfafern mit
dem Hauptgebälf verbunden, Der Zwiſchen⸗
raum wird durch dicht an einander gelegte
Bambuöftäbe ausgefüllt, welche indeß, was
bei der amı Tage herrſchenden Hige noth:
wendig ift, die Girculation der Yuft geftat-
ten. Zum eigentlichen Deden des Daches
verwendet man dann Koloeblätter, welche
an Ruthen befeftigt und nach Art der Zie—
gel über einander gelegt werden. Das Dad)
Ipringt etwas vor und fchligt fo die Zeiten
der Hlitte volljländig vor Regen.
Bir drangen weiter in das Thal vor
und erreichten eine Meine, mit Baumwolle
Hier fragte uns unfer Führer, ob wir
Chineſen zu fehen wünschten, indem er hinzufitgte, daß
folche ſich an dem Orte niedergelaffen hätten, um die vor
und liegende Baumwollenpflanzung zu cultiviren.
Die Wohnungen der Kinder des himmliſchen Reiches
unterſcheiden fid ſchon in ihrem Aeußern vortheilhaft von den
Bein einer Gingeborenen von
Nulu⸗Hiva.
Hütten der Eingeborenen. Das Innere enthält ein ziemlich
großes Gemach, weldyes die ganze Breite der Façade eins
nimmt und von welchem aus man in bie Heineren, mit Mat-
ten behängten Zimmer tritt. Einige Sleidungsftüde der
Frauen erregten unfere Aufmerffanfeit und wir hörten, daß
die fremden eine Art Bund gefchloffen hätten, deren Haupt
ein Chineſe fei, welcher zugleich, die Stelle eines Kochs bei
dem Refidenten befleide. Diefelben haben die Abficht, mit
Hand der Königin Waelö.
Hand eines Eingeborenen der Martelas.
den ihnen zu Gebote ftchenden Mitteln eine große Niederlage
zu errichten und einen aus ihrer Mitte abzuſchiden, um in
San Francisco Waaren zu kaufen und Handelsverbindungen
anzufnüpfen.
Wir wurden mit großer Freundlichkeit von einem Chi
nefen empfangen, welcher etwas Engliſch ſprach und der mit
einer großen Brille auf der Nafe einen wahrhaft komiſchen
Eindrud machte, In einer Ede des Hauptgemaches brannte
182
auf einem Altar eine Yampe, während diefer Altar ſelbſt
fowie die benachbarten Wände durd) verfdjiedenfarbige, mit
ſeltſamen Zeichen bemalte Papiere bebeft waren. Der be:
brillte Chinefe erflärte uns, daß dieje Papiere ein ihren Gotte
dargebrachtes Opfer würen,“ ° £
Nach diefem Beſuche führte die Geſellſchaft ihren Ent
ſchluß ans umd nahm im einem der von dem Bache gebildeten
Baſſins ein Bad. Beim Verlaffen des Waſſers wurden fie
von ihrem Führer aufgefordert, ſich ſchleunigſt anzufleiden,
um nicht von den Nono geftochen zu werden. Der Nono
ift eine fehr Heine Eintagsfliege, welde, wie man glaubt, in
Nut Hiva und dem benachbarten Ua-Pou nicht ihre Heimath
hat, jondern durch Schiffe eingeführt wurde. Ihr Stich
verurſacht Beulen, weldye ſich, wenn fie gefragt werden, in
ſchmerzhafte und ſchwer zu heilende Wunden verwandeln.
Sat das Inſect ſich vollgefogen,, fo glänzt fein durchſichtiger
Yeib, wenn man ihn gegen das Yicht hält, wie ein Rubin,
Im Uebrigen kommt auf den Darfejas kein ſchädliches Thier
vor außer dem Tauſendfuße, welcher ſich in allen Dächern
der Hütten aufhält, felten aber den Menſchen gefährlid, wird,
Nach genommenen Bade fchrte man am Bord zurlid
umd zwar wiederum in der Weife, daß man das Waller
durchwatete. Ein Molo, welder aus eingeranımten Kofos:
ftämmen mit übergelegten Planken gebaut wird, ſoll in Zus
kunft diefe Umbequemlichleit befeitigen.
Auf dem Schiffe hatten ſich inzwiſchen einige Eingeborene
eingefunden, um Früchte zu verfaufen. Einer derfelben, ein
Dann von wahrhaft athletijchem Körperbau, ſprach etwas
Franzöfish. Auf Befragen erflärte er, daß er gelommeh
fei, Kofosnüffe, Bananen und Bataten zu verfaufen und daß
feine Hütte nicht weit ab von dem Strande liege. „Wenn
Tu,“ jo fügte er Hinzu, „heute Abend kommen willit, jo
werde ic; Dich mit renden empfangen und auch vor Dir
tanzen."
Pailhes nahm mit einigen feiner Freunde die Einladung
Paumea’s, jo nannte ſich der Mann, an, und jcildert den
abgeftatteten Beſuch alfo:
„Nad) dem Diner erwartete uns Paumea mit feinen
Söhnen, zwei prächtigen und gewandten Burjchen, auf feiner
Pirogue am Ausſchiffungsplatze. Bald hatten wir das Yand
erreicht, und mun trugen uns die Drei auf ihren ftarfen
Schultern über den vom Meere aufgerweichten Sand. Dann
ſchlugen wir den ſchon befannten Weg ein. Die Strahlen
des Mondes fielen filberhell durd) die dichtbelaubten, gewal⸗
tigen Bäume und in ihrem Scheine erglänzten die graciöfen
febderbufchartigen Wipfel der Kofospalmen. in Schwarm
von Eingeborenen beiderlei Geſchlechts umftand die Kaufläden
des Dorfes, von Zeit zu Zeit zeigten ſich Yichter im bem
Thale und die Hunde beilten wüthend bei unferer Anlunft.
Die Wohnung Paumea's ift groß und ganz erträglich,
Die Vorderfeite des Haufes ift nicht geihloffen, eine Eins
richtung, welche wir auch im Uebrigen häufig vorfanden, An
der Hinterwand siegen der Yänge nad) und eiwa 1 Meter
und 20 Gentimeter von einander entfernt zwei Baumflämme,
zwifchen denen Matten ausgebreitet ſind. Auf dieſe Weiſe
wird eins der unbeguemften Betten hergeftellt, welches man
fo benugt, daß man den Kopf auf den einen, die Knielehlen
aber auf den andern Stamm ftügt.
Bei unferm Gaftfreunde hatte ſich eine große Geſellſchaft
eingefunden, auch der Mut oi von Taio:-Hae, ein Verwandter
Paumea’s, war anmejend und ſchien nicht wenig ftolz auf die
Gorporalstreflen zu fein, die er trug. Mit großer Geſchwin ⸗
digfeit entlebigten fich unfere Führer ihrer civilifirten Klei—⸗
dung und blieben nur mit dem Pareu angethan, einem Std
Zeugs, weldes um die Hüften gefchlungen wird und wie ein
Frauenrodk Über die Beine herabfällt. Alle die Eingeborenen
Der Marleſas-Archipel.
find wunderbar gut gebaut, fo daß fie einem Bildhauer als
Modelle dienen fönnten. Der Zuftand der Nadtheit, in wel:
chem fie ſich befanden, gab mir Gelegenheit, die complicirten
Tättowirungen zu betrachten, mit denen ihr Körper gleich:
fan wie mit einem Stleidungsftüde bededt ift. Bei einigen
derfelben beſteht diefe Tättorwirung aus fo viel Kreiſen, Cur—
ven und Zidzadlinien, daß fie einer Rüſtung nicht unähnlic,
it. Früher war die Tättowirung einfacher und beftand nur
aus zu Rhomben zufanmengeftellten Yinien, während gegen-
wärtig häufig das Geſicht durch breite horizontal laufende
Etreifen in verfciedene Theile getheilt wird. Sogar die Augen-
Lider, das Innere der Ohren, die Yippen und zuweilen auch
das Zahnfleiſch find tättowirt, Die frauen find, mit wes
nigen Ausnahmen, nur wenig, mandje aud) gar nit tätto-
wirt, Bei den erfteren laufen parallel feine Linien hori-
zontal über die Yippen bis zur Mundöffnung, ein Schmud,
der etwas Anmuthiges hat, da er dem Wunde den Ausdrud
des Schmollens verleiht.
Es giebt Kanalen, die aus dem Tättowiren ein Geſchäft
machen. Die Operation wird mittelft eines gezähnten Mei—
Fels vollzogen, der mit einem Stiele verfehen ift und auf
weldyen man mit einem Heinen hölzernen Hammer ſchlägt.
Die Spigen des Inftrumentes werden in eine bläuliche Flüſ—
figfeit getaucht, deren Hanptbeftandtheil der Ruß tft, welchen
man bei Verbrennung der Nikffe von Aleurites tribola ge=
winnt, Drei bis vier Perfonen miffen den zu Zättowiren«
den halten, da der Schmerz der Operation nad) einiger Zeit
jo unerträglic) wird, daß man gezwungen ift, dieſelbe zu
unterbredyen. Bis jegt konnte die Sitte des Tättowirens
durch die Miſſionäre nicht befeitigt werden, fie vermögen die
Kinder nicht mehr davon zurüdzuhalten, wenn der Augenblick
gekommen ift, wo fie mit diefem Zeichen der Mannbarfeit
geſchmückt werden follen.
Man bereitete jest die Abendmahlzeit, welche durch die
Lebensmittel, die Baumen vom Borde des „Vaudreuil“ mit-
gebracht hatte, eine fehr reichliche wurde. Das Hauptgericht
der Eingeborenen ift die Popoi, eine gelbliche, aus dem
Früchten des Mei, Vrotbaumes (artocarpus incisa), zur
bereitete Schüiffel. Der Gefdnad derfelben ift im friſchen
Zuftande ſüßlich, wird aber fäugrlih, wenn fie eine Zeit
hindurch aufbewahrt worden if. Die Früchte werden einem
andauernden Feuer ausgejegt, worauf man die gejchwärzte
Rinde und dem harten Kern entfernt und nur das gelbliche,
fade ſchmecdende Fleiſch zuritdbehält, welches dann in einem
hölzernen Troge mittelft einer Keule von Stein oder Holz
vollftändig zerqueticht wird. Die fo gewonnene Maſſe wird
in runde, ein Meter tiefe Löcher eingegraben, deren Seiten
man vorher mit den breiten Blättern der Banane belcgt,
um bie Einwirkung der Sonnenftrahlen vollftändig abzu-
halten. Iſt die Grube gefüllt, jo bedeckt man fie mit
Erde und Steinen. Die jo eingegrabene Popoi Hält ſich
fehr gut und man entnimmt von ihr die jedesmal zu den
Mahlzeiten erforderliche Quantität, indem man folde auf
eine hölzerne Schüſſel bringt und mit etwas Waſſer durch—
Inetet. Letzteres Gefchäft beforgte die Gattin Paumen’s
mit ihren Händen,
Die den Boden bedeckende Matte dient zugleich als Tiſch.
Man lud uns ein an der Mahlzeit Theil zu nehmen, wir
aber lehnten mit der Entfchuldigung ab, daß wir ſchon ger
fpeift hätten, während der eigentliche Grund diefer Ablehnung
darin beftand, daß wir fahen, wie Paumea's Frau die Vopoi
zubereitete.
Die Eingeborenen fetten ſich num nieder und fangten mit
den Händen zu, während ihnen Kofosnüffe als Trinfgefähe
dienten. Die Kanaten eflen mit großer Gier und verjchlin-
gen bedeutende Portionen, da die fat durchgängig vegeta«
Won der ımtern Donan,
bilifchen Speifen nur wenig Nahrungsftoff enthalten, Im
Uebrigen fpielen die Fiſche eine wichtige Rolle, befonders der
Haua, eine Species bes Rochens (devil fish), und ber Hai,
welcher am Eingange der Bay häufig vorfommt und mittelſt
Angeln oder Harpunen gefangen wird. Wird die Angel
benugt, fo verfieht man das Sopfende des Angelhakens mit
zwei freuzweife befeftigten eifernen Armen, um zu verhindern,
daß der Hai die Linie durchbeiße. Das Fleiſch wird genoffen
nachdem man e8 etwa vierzehn Tage lang hat faulen laffen.
Nach Beendigung der Mahlzeit wurden die Pfeifen an:
gezindet, welche von Mund zu Mund gingen. ine der
Frauen aber entfernte fid), um einige Freundinnen aus ber
183
Nachbarſchaft zu Holen, da man uns das Edjaufpiel eines
— geben wollte.
n zwei Reihen geordnet führten die Tänzer mit großem
Geſchick verfchiedene Bas aus. Dabei begleiteten fie fi) mit
einem rhythmiſchen Geſange, der nad) dem Tacte durd) Zus
fammenfchlagen der Hände unterftügt wurde. Der Tanz
ward, obgleich eigenthlimlicher Art, bald monoton, und wir
verabfcdhiedeten uns deshalb von Paumen, trogdem und ders
felbe dringend zum Bleiben auffordert. Der ältere Sohn
deffelben begleitete uns bis zum Ausgange des Dorfes. Die
Yäden waren bereits gefchloffen und umgeben von tiefer Stille
erreichten wir unfer Boot.“
Bon der untern Donau.
Fallmerayer's farbenreiche Schilderungen der pontifchen
Sübdfüften in ber Nähe von Trapezunt, welche neuerdings
der „Globus* im Auszuge brachte, erregten im Schreiber
biefer Zeilen eine wahre Sehnſucht nach jenen glücklichen
Geſtaden. Zugleich erinnerten fie mich recht lebhaft an
meinen eigenen mehr als einjährigen Aufenthalt im Nord»
weiten des Pontus Eurinus,
Freilich bilden die einförmigen Ebenen an den Donaus
mündungen im vieler Beziehung dem geraden Gegenſatz zu
jenen lieblichen Küftenftrichen. Wenn dort das Meer an
grünumranften Felfenhängen brandet, die, mit Feigenbäumen,
BWeinftöden, Enprefien bedeckt, an die Infel der Nymphe
Kalypfo erinnern; fo rollt hier der Iſter im trägen Laufe
feine gelben Wogen durd) weite, baumloſe Niederungen, in:
dem er jchilfige Infeln bildet, die, oft mit zwölf bis fünfzehn
Fuß hohem Köhricht bewachſen, ein Paradies der Kibitze,
Enten und Wafjerhühner bilden. Befondern Eindruck jchei-
nen auf den Tyroler Archäologen die „pontifchen Lufte“ ges
macht zu haben. Ich will zwar nicht behaupten, daß nicht
aud) an der untern Donau an lauen Sommerabenden — zit
mal nad, einem Gewitter — die Luft recht feucht und mild
wehen kann; für gewöhnlich aber find die rumänischen
Sumpflüfte — zumal in der warmen Jahreszeit — „nit
gar ſchön“. Die austroduenden Siimpfe verpeften mit ihrem
Schlammgeruche die Atmofphäre, fo daß von den dort ans
fäffigen Wefteuropäern wohl kaum zehn Procent fi) rühmen
können, der Malaria ihren Tribut durch hartnädige Wedhjel-
fieber nicht entrichtet zu haben. Im Uebrigen ift das Klima
durch die benachbarten Steppen Nußlands ftark beeinflußt:
lange, ftrenge Winter, lange, übermäßig heiße Sommer.
Bir zählten eine Auguſtwoche hiudurch Nadymittags 2 Uhr
310 R. im Schatten.
Die Uebergangsjahreszeiten ſchrumpfen auf ein Mini—
mum zuſammen. Saum iſt der Schnee verſchwunden, fo
blühen bereits die Obftbäume in den Hausgärten von Galaz;
bald ſchießt auch der Mais in Stengel, und kurze Zeit dar—
auf ift die Luft vom jeinen Dufte der Weinblitthe durch:
drungen. Die Yuft liegt jo ſchwer und dicht auf der Nie:
derung, daß man ihren Drack gewiſſermaßen fühlt. Nun
beginnt auch der Bratifchfee im Nordoſten der Stadt
Galaz — eigentlich, ein Sumpf von circa 2 Meilen Yänge,
der mit der Mlindung des Pruth im Verbindung fteht —
unter dem Cinfluffe der zunehmenden Hige fich von Ufer
zurüdzuziehen und feinen ſchlammigen Boden in der Breite
von wenigjten® einer Biertelmeile zu zeigen, zum großen
Migbehagen aller weſteuropäiſchen Geruchsorgane. Myria—
den von Sumpfmiden erhöhen die Annehmlichteit gerade
nicht; und ein unglaublich intenfiver Froſchchor erfegt den
Geſang ber pontifchen Nachtigallen.
Die Fruchtbarleit des — Bodens, in wels
chem ſich meilenmweit weder Sand noch Steine finden, ift
indeffen eine ganz außerordentliche. Weizen und Mais ges
deihen in Uppiger Fillle, das heißt: wo fie angebauet wers
den, was feineswegs überall der Fall ift, da weite Streden
als nadte Steppe, nur mit einer kurzen Diftelart Hier und
dort befleidet, unangebaut daliegen. Die Traube gedeihet
in befonderer Größe und Süßigkeit; häufig findet fic die
herrliche Malagatraube mit langen ovalen Beeren. Das
daraus bereitete Getränk ift jedoch nur mittelmäßig und eige
net fit) — wohl in Folge der ungeſchickten Behandlung —
nicht zum Erport. Die beſten Sorten dürften mit dem
ſchweizeriſchen Landweine verglichen werden können, bie
ſchlechten (vom Yandvolfe genofjenen) ſchmecken gallebitter
oder effigfauer; fehr erflärlic, für den, welcher die Kelterungs>
procedur mit angefehen hat. Die in einen groben Sad ge-
ftopften und im diefem auf ein ſchräg gejtelltes Brett gelegten
Trauben fah ic; mehrfach von den nadten Füßen eines
Landbewohners jo lange ftampfen und ftreichen, bis aud)
ber fette Tropfen des edlen Saftes in Geftalt einer gelben
Brühe zwifchen den Zehen des Winzers hindurchgeronnen
und in ein darunter geftelltes Gefäß gefloffen war. Die
Melone ſucht ihred Gleichen. Schr beliebt ift die Arbuſe
oder Wafjermelone mit bald gelblichem, bald röthlichem
Fleiſche, welche die Dicke eines ftarfen Kürbiſſes erreicht und .
für einen bis zwei Piafter (2 bis 4 Sgr.) zu haben ift.
Galaz ift der wichtigfte Handelsplag des öftlichen Ru—
mäniens. Die Stadt zählt nad) den Angaben dort anfäfli-
ger deutſcher Kaufleute über 60,000 Einwohner (nicht
30,000, wie im manden geographiichen Handbüchern zu
lejen ift). Sie erftredt fid) am nördlichen Donauufer von
ber weſtlichen Mundung des Pruth faſt eine Viertelmeile
ftromaufwärte. Bon Vefeftigungen (wie ältere Karten jie
angeben) ift feine Mebe. Nur während des legten ruſſiſch-
türfifchen Sriege® wurden Seitens der Nuffen die Zugänge
zur obern Stadt vorlibergehend verpallifadirt. Der untere,
unmittelbar am Strome belegene Stadttheil beftcht großen:
theil® aus Setreibefpeichern, Kaffechäufern in halb türkischen,
halb rumänischen Stile (d. h. mit Nargileh und Tſchibut,
fchwarzem Kaffee und moldawiſcher Dolcheſſe, in Zucker
eingefochten Früchten zur Berbefferung des fchlechten Trint»
waflers), Waarenlagern und den Gefchäftslocalen der Ges
treidehändler. Der obere Stadtteil, auf welligen Boden:
154
anfchwellungen etwa 50 Fuß Über dem Spiegel des Stro
mes belegen, befteht großentheild aus den niedrigen, mit
Schindeln oder Schilf gebedten Wohnungen der eingeborenen
Moldawen, ein wirres Durcheinander unregelmäßiger, un—
gepflafterter Güßchen bildend, die, ftellenweife von tiefen Erd»
fpalten und Waflerrifien durchzogen, hier und dort von
Alazien und Hollunderbäfchen eingefagt und von ſchmutzigen,
zigeumerhaften Kindern belebt, einen recht uncultivirten, aber
malerifchen Eindrud madjen. In den breiteren, ebenfalls
ungepflafterten Straßen liegen die meiften nur ein Erd—
geſchoß enthaltenden, doc) redjt geräumigen, aus Bad:
fteinen hergeftellten Häufer der griechifchen und wejteuro«
pätfchen Kaufleute und Handelsconfuln, meiftend mit ge-
Nro, 2 hält man an Ort und Stelle für Maffenpeft-
gräber aus dem vorigen Jahrhundert. Nro. 1 birfte viel
ältern Urfprungs fein und vielleicht in die Zeiten der alten
Dacier zurüddatirt werden mlffen. Doch lafjen wir dies
einftweilen auf fich beruhen und begnügen uns bamit, auf
diefen interefianten Punkt hingewieſen zu haben.
Etwa eine Meile nördlich von Galaz trifft man auf die
Reſte einer alten Kömerftraße, noch heute vom Volle
„der Trajan“ genannt, welche vom Sereth kommend faſt
parallel mit der Donau nad) dem Pruth und höchſt wahr:
ſcheinlich nod weiter bis an die äußerjten Grenzen des alten
Daciens zieht. Sie präfentirt fid) als eine wenig mehr
denn 3 Fuß hohe, etwa 30 Fuß breite, mit Erde und Kräu—
tern überzogene, über die Fläche ununterbrochen dahinziehende
Erhöhung, auf welder noch jest neben dem breitern Fahr—
wege ein etwas erhöheter Seitenweg für Fußgänger deutlich
unterfchieden werden fan. Nach Entfernung der Pflanzen:
derfe kommt eine Art zerbrödelten Pflafters zum Vorſchein.
Andere Reſte aus dem Alterthume habe ich in der untern Wol-
dau nur an der Serethullndung in der Nähe bes Dörfchens
Gergina ausfindig machen fönnen, wo ſich auf einem Hügel
plateau, mit Erde und Pflanzenwuchs bedeft, die Triimmer
eines römischen Gaftells befinden, während am Fuße des
Hügels noch deutlich die Umriſſe einer Stadt zu fehen find,
Ein dort aufgefundener Mlünzentopf, drei Inschriften und
zwei Statuetten find in Neigebaur’s „Dacien“ befchrichen.
Galaz verdankt feine Bedeutung als Handelsftadt vor:
zugsweife den fremden Kanfleuten, welche mit ſcharfem Blicke
bald die glinftige Yage des Plages erfannten umd Nuten
darand zur ziehen wußten. Exportirt wird Mais und Weis
zen; importirt werden allerlei Manufacturwaaren, deren
viele (3. B. Möbel) von Wien ftromabwärts fommen. Der
Getreidehandel hatte früher mit einem großen Hinderniß zu
fümpfen, welches die Galazer Kaufmannſchaft oft zur Ber
zweiflung bradjte. Es war dies die Schlammbarre der
Sulinamlindung, weldje oft nicht mehr ald 8 Fuß Wafler
aufzumweifen hatte, während der circa 1000 Schritte breite
Strom bei Galaz eine Tiefe bis zu TO Fuß erreicht. Mei—
ftens mußte daher oberhalb der Zulina ein Theil der Ge—
treideladungen auf Leichterſchiffe gebracht und unterhalb
wieder eingeladen werden, was enorme Verluſte an Zeit
und Geld herbeiführte. Es hat Zeiten gegeben, in welchen
ber Tagelohn der in dem „Riffpivatennefte* Sulina an—
fäffigen Yaftträger ſich auf zwei, ja fogar drei Dermelif oder
türrfifche Thaler (a 1 The. 8 Sr.) ftellte. Zwar war die
Von der untern Donau.
‚ räumigen Hausgärten verfehen, in denen Trauben und Melo-
nen reifen,
Auf der Norbfeite geht die Stadt ohne beftimmte Grenze
in die fteppenartige Ebene Über, an deren öftlichem und
weftlichem Rande (dort nad) dem Bratiſchſee, hier nach dem
etwa eine halbe deutſche Meile entfernten Sereth) Wein—
berge ſich Hinziehen. Aus der fahlen Fläche im Norden
ragen zahlreiche Tum ul i hervor, welche zu unterfuchen wohl
der Mühe werth fein bürfte. Diejelben fcheinen verfcjiebes
nen Urfprungs zu fein. Nach ihren durchaus verſchieden ⸗
artigen Profilen klann man deutlich zwei Arten unterfcheiden,
deren erfte fich mehr der Geftalt des abgeftumpften Kegels
nähert, während die andere einen Kugelabſchnitt bildet:
2,
— —a
— ———
taiſ. ruſſiſche Regierung durch frühere Verträge verpflichtet,
die Sulina flir die größten Segelſchiffe fahrbar zu erhalten;
auch fehlte es nicht am Mahnungen Seitens der Galazer
Conſulate. Man fagte: al — that aber nichts. Auf
wiederholte Erinnerungen lautete endlich der Beſcheid: Ein
großer Dampfbagger fei bereits unterwegs, Doch vergingen
noch Monate, bevor derfelbe eintraf. Endlich erſchien er,
begann die Arbeit und — zerbrach. Die Reparatur konnte
wiederum einige Monate in Anfpruch nehmen. Galaz war
eben eine zu gefährliche Comcurrentin Odeſſas!
Seit dem Parifer Frieden von 1856 find nun die Ver—
hältniffe andere geworden. Die Donaumlindungen find von
Rußland getrennt und mit Rumänien vereinigt worden.
Es wurde fofort Hand ans Werk gelegt: die Sulina erhielt
ein tiefes, gerades Bett; die Barre verſchwand. Omer
Paſcha commandirte in eigener Perfon die Feſtfahrt ftrom-
abwärts und präfidirte dem unvermeidlichen Feſtmahle. Die
Kaufmannsbruſt athmete auf; und es läßt fich fürderhin das
Ziel, um deflenwillen allein ein Ausländer nad) Numänien
kommt (nämlich möglichst ſchnell reich zu werden), leichter
erreichen.
Bon Weftenropäern habe ich in Galaz fennen gelernt:
einige Engländer, Holländer und Franzoſen, mehrere Yta-
liener, zahlreiche Deutſche (etwa 40). Die legteren waren
theils Kaufleute, theild Handwerker und hielten als prote-
ftantifche Gemeinde zufammen. Alle Handwerker lebten in
guten Berhältniffen und waren von den Moldawen fehr ge-
achtet ; mehrere befaßen eigene Häufer und bezogen bedeutende
Einnahmen aus der Miethe. Der wohlhabendite unter Allen
war ein Brauer aus Rheinheffen , weldjer mit großen Er—
folge die Wein trinfenden Rumänen zum Biere befehrte und
ein flattliches Bermögen erwarb. Der Gewinn der Kauf⸗
leute war beträdjtlid. Es gab — umd giebt ohne Zweifel
auch jegt — Häufer, die wöchentlid, ein großes Schiff be
frachteten, bisweilen fogar zwei. Daß der Reingewinn jehr
bedeutend fein muß, läßt fi) aus dem hohen Werthe der
Yadungen abnehmen, deren eine z. B., als fie im Schwarzen
Meere zu Grunde ging, von der betreffenden Berficjerungss
gejellichaft mit 4000 Pfund entfcädigt wurde. in ges
wandter Schiffsmakler, mit welchem ich perſönlich befannt
war, verdiente durch bloße „Courtage“ in einem Monat
1100 Eilberrubel. So ſchöpfen die unternehmenden Fremd»
linge das Wett von der Brühe.
Zürfen und Bulgaren waren nur in vereinzelten Erem-
plaren vorhanden, defto zahlreicher waren Armenier und
Bon der untern Donau,
Griechen. Gegen legtere fchienen die Abendländer — auch
unfere deutichen Landsleute — eine unliberwwindliche Abnei-
gung zu empfinden. Was man von Ruſſen gewahr wurde,
gehörte meiftens der arbeitenden Glafje an. Zimmerleute
aus dem benachbarten Befarabien fanden lohnende Beichäfs
tigung. Juden und Zigeuner find außerdem felbftverftändlic.
Aus der Mifhung diefer Bölferfchaften gingen oft eigen:
thümlicye Berhältnifje hervor. So gehörten 3. B. die fünf
Dienftboten der Familie, unter deren Dadje Schreiber diefer
Zeilen lebte, vier verſchiedenen Nationen an: Kinderfrau und
Stubenmäbdjen waren Deutſche aus Lübeck und Wien, der
Bediente war ein Moldawe, der Hausfnect ein Nuffe, die
Köchin eine Magyarin. Zum Zwede der nothwendigen
Verftändigung bildete fic, im Laufe weniger Wochen ein
beſonderes Fdiom, eine Art Jingus franca, bie jedenfalls
nur innerhalb diefes Haufes geſprochen und verftanden
wurde. Hier verfland fie aber auch Jedermann, felbft bie
Heineren Kinder, Der Gentleman und Gelehrte des Dienft:
perjonal® war der Moldawe Bandalafti. Er konnte rechnen,
lejen und recht gut ſchreiben, verftand auch etwas Italienisch,
worauf er nicht wenig ſtolz war, wie alle Rumänen in glei«
der Lage, weldje vor der vornehmern Schweiterfprache ihrer
lingua rustiea einen gewaltigen Reſpect haben. Uebrigens
befaß der junge Burſche eine Umficht und Gewandtheit, wie
mar fie dem Moldo-W lachen gewöhnlid, abſpricht.
Der Landbewohner erſchien mir ftets recht melancholiſch
und ſchwerfüllig. Die Leibeigenfchaft ift zwar aufgehoben,
Bas aber Yahrhunderte am Charakter eines Volles geflins
digt haben, das vermögen wenige Yahrzehnte nicht wieder
gutzumadjen. Der Bauer zeigt viel Unterwürſigkeit, doch
nichts von Tücke, fondern große Gutmlithigleit, Diefe
Bahrnehmung drängt ſich jedem unbefangenen Fremden auf.
Jeder Heine Befiger, deſſen zwiſchen Maisfeldern verfiedter
Weinberg von und einer ftnndenlangen Infpection gewlir⸗
digt wurde, empfing ung, die Cammfellimige demllihig in
der Hand, mit ehrerbietigem: Dominul! (Herr), über
ließ fobann feine herrlichen Trauben vertrauensvoll unferer
Diseretion und fam gewöhnlich nicht früher wieder zum
Vorſchein, als bis er von ums aufgejucht wurde, um ben
üblichen Entgelt in Geftalt eines halben öfterreichifchen
Zwanzigerd in Empfang zu nehmen, was ſtets in freund.
licher und dankbarer Weife geſchah. Es ift durchaus nicht
jelten, daß Yanbleute dem umherſtreifenden Fremden ihre
Arbufen und Trauben unentgeltlich anbieten und ftandhaft
jede Bezahlung ablehnen. Naubanfälle, von denen ic, er-
hlen hörte, waren meiftens von Zigeunern verlibt, nie von
umäönen, Die legteren find zur Verübung böfer Thaten
u gutherzig. Doc) erfcheint der Numäne Überhaupt zur
reifung einer Initiative wenig fähig, was gewiß auch
der langjährigen Ummlndigfeit zuzuschreiben ift. Es fehlt
ihm an Temperament und Kraft.
Zum Soldaten dürfte faum ein Bolt fich fchlechter eig-
nen. Ich ſah fpäter einmal auf öfterreichifchen Grund und
Boden eine bunt zufammengemwitrfelte Corporalfchaft Hebuns
gen im Bajonettfechten anftellen — ein belehrendes Schaufpiel.
Commandirende war ein bonnerwetternder, zähne⸗
fletfchender, augenrollender Ungar. Unter der Mannſchaft
waren ein paar Polen und Croaten, ein Jude und drei Wa»
laden. Wohl felten mag man Gelegenheit haben, die na-
tionalen Unterſchiede jo handgreiflich hervortreten zu fehen,
wie bei biefem Dutzend Menſchen in friegerifcher Bewegung.
Während die Polen, wie aus Erz gegofien, in fefter Parade
den eingebildeten Feind zu erwarten und benjelben beim
Ausfall ebenfowohl mit dem elaftifch vorwärts geſchnellten
Bajonett wie mit ihren wlthenden Bliden zu durchbohren
fhienen , entlud fich über die Häupter der armen Numänen
Globus XXVIN. Nr. 12.
185
ein magyariſches Donnerwetter bem andern. Sie mad).
ten ihre Sache aber auch, gar zu ſchlecht. Die Bewegungen
der lnochigen aber fleifchlofen Gliedmaßen waren ſchwer—
fällig und ungefchidt; ihre Paraden ſchief und frumm ; ihre
Ausfälle ſchwach und lahm, ja mehrere Male fanfen
ihnen die Spigen ber Gewehre zu Boden. Sie ſchienen den
beften Willen zu haben; doch was fonnten fie bafltr, daß
ihuen alles kriegerifche Feuer abging? Dem fühnen Fluge
der polnifcheungarifchen Phantafie vermochten fie micht zu
folgen und blieben hübſch auf dem Boden der |pießblirger-
lichen Wirklichkeit als nüchterne, friedliche Leute.
Unziehend zugleich, und deprimirend wirkte auf mich ftets
der Anblid ber moldawiſchen Bauern, welche das Getreide
der Bojaren zur Stabt brachten. Die Ankunft einer folchen
Karawane, die oft aus fünfzig und mehr Meinen, theils mit
Ochſen, theils mit Büffeln befpannten Wagen beftand,
wurde ſchon vom fern durch eine ungeheure Staubfäule und
den ohrenzerreißenden, fchrillen Geſang der ungefchmierten
Achſen angekindigt. Nad Ablieferung ihres Getreides ſah
man bie Fuhrleute, diefe Nachkommen römischer Coloniften
(oft mit ganz dunkelbraunen, claffifch gefchnittenen Geſich—
tern, unter denen ich Übrigens bin und wieder auch blonde
von mehr rundlicher Form bemerkte, welche gothifches Blut
vermuthen laffen), entweder draußen vor der Stadt oder auf
einem Plage bei den Magazinen ihr Abendeffen bereiten.
Daffelbe befteht aus Maismehl, worin auch bie Schalen ber
findlich find, und das feine andere Zuthat ald Salz keunt.
Das Mehl wird in ein Leinentuch gefchlittet, in dem mit
Waſſer geflillten Kochgefchirr dem Feuer ausgefegt und er
Scheint, wenn es gargelocht ift, von feiner Hülle befreit, in
Geftalt eines rundlichen Puddings. Diefer führt den Na—
men Mamaliga (Mais heißt „Popofchoi“) und gilt als
rumãniſches Nationalgericht. Gewöhnlich hatten fie das
Gericht auf ein Brett gefchlittet, zogen ihre Taſchenmeſſer
aus dem breiten Ledergüirtel, ber bas Über den Hofen getras
ene grobe Hemde zufammenhielt, und ſchnitten fich ihre
Gortionen herunter. Auf ihre Lederbifien an Sonn» und
Veiertagen läßt fi aus den Vorräthen der rumänifchen
Landwirthehäufer („Ban“) ein Schluß ziehen, in deren mehs
teren, wenn wir, um bon ber Jagd auszuruhen, einfehrten,
nichts anderes zu haben war als ‚ein fat ungenießbarer
Kaſe und ein fteinhartes, ringförmiges Gebäd, das wir in
dem vorhandenen bittern oder fauren „Weine“ erweichen
mußten, um es genießen zu lönnen. Dagegen läßt es ſich
in ben Heinen Städten bes Landes (4. B. Berlat, Roman,
Balau) ganz erträglich leben. Ein gut gebratenes Huhn
und eine Flaſche guten Weines fanden wir überall. An bie
Schlafſtellen mußte man fich freilich erft gewöhnen, ba bie-
felben nur aus einem hölzernen, mit Deden belegten
„Divan* beftanden. Cine mir neue, landesübliche Delica-
tefje bildet (neben der ſchon erwähnten Dolcheſſe) dick einge:
fochter „äggptijcher* Traubenfyrup, Rachat genannt. Der-
jelbe befteht aus länglichen, bald gelblihweißen, bald röth«
lichen Wiürfeln einer gallertartigen Subſtanz von fehr
angenehmen Gefchmade.
+ Der rumänische Landbewohner hat auf mich ftets den
Eindrud der Melancholie und Hoffnungslofigkeit gemacht.
Er fchien mir am feinem eigenen Können zu verzweifeln.
Es fiel mir auf, fo oft die beiden Worte: nu schti (fo
flingt es wenigftens) (lat. mescio) „ic weiß nicht“ und
nu jiste (lat. non est) „es ift nicht“ zu hören Man
fonmte ziemlich ficher fein, auf fünf ſehr verftändlice Fra—⸗
gen vier Mal diefe Untwort zu erhalten. Und wahrlid:
die ganze untere Donaugegend fieht aus wie ein großes
Nuschti oder Nujiste. Nu jiste ruft und die halb in ber
Erde verſteckte Lehmhütte entgegen; nu schti antwortet mit
21
156
tnarreuder Stimme der Büffel, der feine fehr zahlreichen
Mufeftunden in einer Wafferpfüge, bis auf Hörner und
Nafe im Schlanme, verlebt. Nu jiste ſchreit der fette, aber
fo oft gar nicht angebanete Boden; nu schti rauſchen die
gelblichen Wellen des verfumpften Sees am kahlen Geſtade.
Ob unter dem Hohenzollerfürften die Verhältniffe für bie
Einheimischen ſich beſſern werden? Denn die Fremden
hatten ſich bisher wohl micht zu beflagen, da eigentlic) nur
flie fie der natitrliche Neichthum des Yandes eriftirte,
Was ich von der Bildung der Bojaren, ihrer Pebens-
weife und ihrem Charakter gewahr geworden bin, ift nur
geeignet, die Wahrnehmungen Anderer zu betätigen. In
einem Jaſſyer Erziehungsinſtitute, das ein unternehmender
Berliner Ertabadshändler unterhielt, fand ich 14 fehr junge
Bojarenſöhne. Sie zahlten pro Kopf 200 Ducaten und
wurden troß ihres zarten Alters im fehr vielen Dingen um«
terrichtet. Die Hauptfache war und blieb aber das Parliren
in allen möglichen Zungen, worin man fie auf originelle
Weiſe dreffirte. So wurde 4. B. in diefem Semefter der
geographifche Unterricht in italienifcher, der mathematische
in Frangöfifcher, der gefchichtliche in englischer Sprache er-
theilt. Im nãchſten Semeſter wechfelten die Rollen derger
ftalt, daß die Hiftorie franzöſiſch, die Mathematit italie-
nisch, die Geographie engliſch abgehandelt wurde u. ſ. w.
Außerdem wurde auch, jo viel ich mich erinnere, Lateiniſch,
Deutich und Ruſſiſch gelehrt. Daß durch ſolche Experi-
mente nur höchſt oberſlächliche Culturproducte, die aller
Grümdlichkeit entbehren, zu Tage gefördert werben können,
wird mir jeder Schulmann einräumen. Aber die Jungen
lernten ohne Schüuchternheit parliven, und — die Eltern
waren zufrieden. Der Berliner wußte, was für Rumä—
nien paßt. Franzöſiſche Hauslehrer und Gomvernanten
finden fich in vielen Wamilien. in Bojar Überraſchte und
eines Tages freudeftrahlend mit der Nachricht, daß er feine
Gouvernante mit feinem Hauslehrer verheirathet hätte, und
daß er beabfichtige, „de fonder une colonie frangaise*.
In wirthfchaftlicher Beziehung hat man die rumäniſchen
Edlen mit den polnifchen verglichen. Vielleicht mit Recht.
Ein Bojar, der fein Getreide an ein mir befanntes Haus
verfaufte umd flir einen der beglitertften gehalten wurde,
war von allen baren Mitteln zuweilen jo emtblößt, daß er
bei feinen Fahrten nad) der Stadt am Schlagbaume den
Zoll wicht zu entrichten vermodjte., Wie fid) „die jungen
Yente im Sefchäft“ erzählten, wußte das der Zolleinnehmer
Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Gejchichte des Aberglaubens. V.
jehr wohl und lieh jedes Mal die elegante Equipage, ohne
fie weiter zu behelligen, pafjiren. Auf dem Rüdwege frci-
lich, wenn der gnäbige Herr ein paar Säckchen mit Ducaten
und Jermeliks als Zahlung für feinen Weizen und Mais
bei ſich führte, pflegte dann atıs dem Wagenſchlage eine
größere Minze als Anerkennung feines beſcheidenen Betra«
gend dem Beamten am den Kopf zu fliegen. So erzählte
man wenigftend; und ich vermag das Geſchichtchen nicht fir
ganz unglaublic, zu halten, da ich zumeilen Augenzeuge war,
mit welcher Yeichtigleit das Geld durch die Vojarenfinger
glitt. So ift mir eine eigenthümliche Auction erinnerlich,
welche eine von Galaz abziehende Familie mit ihren Utenfilien
veranftaltete. Die Käufer waren meiftens Bojaren. Ein Auc-
tionator ſchien bei folchen Gentlemen Uberflliſſig. Seine Func-
tionen übernahmen zwei Hausfreunde, welche, mit einem Preis»
courant der meiftens aus Wiener Möbeln beftehenden Kauf-
objecte verjehen, in ben mit Herren fat überfüllten Zimmern
umberfpazierten und die am fie gerichteten Anfragen beant-
worteten. Die von einem landesfundigen Manne angefeg-
ten Preiſe üiberftiegen ben Einfaufspreis durchſchnittlich um
25 Procent, Indeſſen fleigerte man bei manchen fehr
wilnfchen&werth befundenen Gegenftänden in geheimer Des
rathung mit der Hausfrau diefen Preis nod) bedeutend, Die
Familie galt für fajhionable, konnte alfo nur faſhionable
Sachen befigen; hier mußte man alfo zugreifen. So widelte
ſich das Geſchäft recht glatt ab, und es wurde ein bebeuten«
des Plus erzielt. Unter den Gegenftänden, welche geradezu
lächerliche Preiſe erreichten, befand fid, ein etwa 10 Zoll
hoher hölgerner Cigarrenhalter von runder Form und mit
einem Dugend Klappen verſehen, welche durd; einen Drud
wie ſich öffnende feine Thüren zum Aufſpringen gebracht
wurden, um die auf ihrer innern Seite befeftigten Cigarren
zu präfentiren, worauf die Klappen vermittelft eines zweiten
Drudes wieder geichloflen werden konnten. Diefes harmloſe
Spielzeug, welches zwei öfterreichifche Gulden getoftet hatte,
wanderte, allgemein bewundert, von Hand zu Hand. Man
drehte und drückte an dem einfachen Mechanismus, fand das
Ding „joli, ravissant“ umd ben geforderten Preis von
anderthalb Ducaten über die Maßen gering. Der glückliche
Käufer hatte Mühe, fein Eigenthumsrecht zur Geltung zu
bringen. Daß man faft das Bierfache des eigentlichen
Werthes bezahlt hatte, [dien Niemand in der ganzen Gejell-
ſchaft zu ahnen.
Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens.
Von Dr, Hermann Brunnhofer in Aarau.
Der Uberglaube ber Urzeit beruhte auf unbewußter Uns
wiſſenheit, der Aberglaube des Bildungsmenſchen entjpringt
der bewußten Verachtung alles Wiſſens. Deshalb weicht
der Aberglaube, der aus mangelhafter Keuntniß der Natur
gefege hervorging, dem Bordringen wiſſenſchaftlicher Erkennt:
niß, während der gelchrte Aberglaube: die Aitrologie, der
Somnambulismus, das Tiſchrücken und Geiftercitiren, aller
Wiſſenſchaft hohnlacht und nur vor der Philofophie zittert.
Napoleon I, und Napoleon II. waren mathematifh und
naturwiſſenſchaftlich hochgebilbet, gleichwohl ftafen fie bie
V.
über die Ohren im Aberglauben der Tagewählerei. Dage—
gen waren diefe eingefleifchten Egoiſten lebenslängliche Ber:
ächter aller Philofophie. Der alte Napoleon ließ fich von
der Lenormand die Karten ſchlagen, dagegen peinigte ihn eine
ſolche Wuth gegen die deutiche Philofophie, daß er 1806 die
Univerfitätsftabt Halle an allen vier Eden wollte anzünden
laſſen. Vor dem Aberglauben fchligt weder der Glaube an
Gott, noch der alleinige Beſitz wiſſenſchaftlicher Kenntnifie.
Denn diefe allein fegen der Zigellofigkeit der Phantafie noch
feine unliberwindlichen Schranken. Knorr von Rofenroth
Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Gefchichte des Aberglaubens. V.
(F 1688) dichtete das herrliche, von echt poetifchem Geiſte
durchwebte Kirchenlied: „Morgenglanz der Ewigfeit* und
gab das Fabbaliftiice Wert Sohar aus dem 13. Jahrhundert
nad, Chriftus mit gläubigen Erläuterungen heraus. Der
berühinte —— Carpzow (geb. 1595, geſt. 1666) hatte
die Bibel 53 Mal durchgeleſen und nachgewieſenermaßen,
meiſt in ſächſiſchen Hexenproceſſen, 20,000 Todesurtheile
gefällt. Newton entdeckte das Weltgeſetz der Schwere und
ſchrieb eine altweiberhafte Auslegung der Prophezeiungen
Daniel’8 und der Offenbarung Johannis. Erſt die Vers
fnipfung der wifjenfchaftlichen Kenntniffe zu einer Geſammt⸗
überficht über das Weltgange, erft die Ueberzeugung von der
Unwanbelbarkeit der das All nad) Raum und Zeit durch—
dringenden Naturgefeke, erft die Hochachtung vor dem großen
een des Wahren, Guten und Schönen, mit einem Wort:
erft der denfthätige, zum ausſchließlichen Yebensprincip ger
worbene Humanismus, erft die in Fleiſch und Blut Über
gegangene Philofophie erlöft uns von der Macht der unge:
zügelten Phantafie, von dev Naferei der Selbftjucht, vom
Bampyr des Aberglaubens.
Wenn num aber im Geifteslehen bes Weibes die Phan-
tafiethätigkeit vormwiegt, jo ergiebt ſich der culturgeſchichtlich
begründete Schluß, daß das Weib die Hauptftlige des Aber:
glaubens war, ift und bleiben wird. Die Menſchheit wird
ſich deshalb fo lange nicht des geiftlichen Despotismus er-
wehren können, jo lange fie it deſſen Hauptträger, bie
unterthänigen Berehrerinnen der geiftigen Schwarzfünfiler,
durch Errichtung tüchtiger Tächterbildungsanftalten für alle
Stände in die Möglicjleit verfegt haben wird, —— die
Fortfchrittöbeftrebungen der Männer ein richtiges Urtheil zu
verjchaffen. Es läßt fich eben nicht leugnen, daß die Er-
ziehung der Jugend ſich bis heute vorzugeweife in den Hän⸗
den abergläubifcher, wenn auch häufig in anderer Beziehung
noch fo vorzüglicyer Mütter und Ammen befunden hat. Man
huldigte eben bis jet faft allerorts dem Wahne, das echt
Weibliche im Frauengemüth leide Schaben, wenn ſchon bas
Mädchen mit höheren Kenntniffen ausgerüftet werde und
mit einer Bildung ins Yeben hinaustrete, welde fonft nur
der Mann ſich zu erwerben pflegt. Wem aber heutzutage
noch nicht die Augen aufgehen über die echte Wahrheit, daß
bie Grenzmarlen ber Unwiſſenheit und der Charakterſchwäche
hart aneinanbderftoßen, der betradite die traurige Yage des
gejellichaftlichen Lebens in Frankreich, wo ſich der Jeſuitis⸗
mus bereits die Hälfte der Müdchenerzichungsanftalten unters
worfen hat und mit Hilfe der Frauen dann jene Unfummen
des Peterspfennigs herausfchlägt, mit deren Macht hinterher
die Männer vergeblich ringen. Doch nicht allein in Frank:
reich, fondern fo weit es geiftliche Charlatane giebt, hat ſich
bis jetzt die Frauenwelt als die ſicherſte Stüte der Prieſter ⸗
herrichaft erwiefen, Deshalb find alle unfere Bemühungen,
und und bie Rechte des Staates gegen die unter dem Ded-
mantel der Religion verfuchten Uebergriffe des Prieſterthums
zu vertheidigen, von Anfang bis zu Ende fruchtlos, jo lange
wir nicht dafür jorgen, daß das Prieſterthum durch die Frauen:
welt nicht wieder verdirbt, was wir ſchon durchgefegt zu har
ben glaubten. Die Sicherftellung unferer liberalen Errun⸗
genſchaften hängt doch ſchließlich von ber Einſicht und Cha:
ralterſtärle derjenigen Generationen ab, welde nad) uns
tommen werden und auf unferen Schultern weiter bauen fol
len. Ihre Erziehung legt doch aber zumächft in den Hän⸗
ben ber Mütter, von welchen es in den meiften Fällen ab-
hängt, ob der Sohn ober die Tochter auf religiödegeiftigen
Gebiet freifinnig oder clerical ausſchlägt. Die Mutter lann
ein Mufter häuslicher Tugenden fein und doch ihr Yeben lang
niemals über die befchränftefte Yebensanficht, iiber den ver-
toftetften Aberglauben hinausfommen. Und davon wird bad)
157
wohl etwas, wenn nicht eben alles, auf die Kinder und
war zunächſt wieder auf die Töchter übergehen, und das um
b nothiwendiger, je häufiger dev Vater vor lauter Gefchäfts-
drang die ganze Erziehung ber Mutter üÜberlaffen muß. Je
größer dann in den Kindern die Pietät gegen die fonft vor-
treffliche Mutter, defto fchwerer werden fie ſpäter die erften
Yugendeindrüde verwinden. Halten dann aud) die Fiberalen
Freiheitsreden vom Fels bis zum Meer, ändern aber das
bisherige Syftem der weiblichen Erziehung nicht, jo predigen
fie im der Wille und laffen den Schwarzen feiner Arbeit
froh werden. Während fie draußen auf dev Nebnerbühne
gegen die Jefuiten, Ultramontanen und Orthodoren eifern,
jchleicht fi der Fromme Duntelmann in ihren Familienkreis
und vereinigt denſelben zu einem Gebet flir den Sieg der
Kirche und des Aberglaubens.
Der Aberglaube ift zwar die Poeſie des Yebens, wenige
ftens des bisherigen, aber der Menfchheit ift die Poeſie theuer
zu ftehen gelommen. Die Haffendften Wunden, an welchen
die Menfchheit gelitten hat und noch leidet, find ihr vom
AUberglauben gefchlagen worden, Denn, wie Leopold Sche-
fer jagt:
„An ihren Göttern farben alle Völker
Und fterben noch daran.“
Lieblicheres und den Hauch der reinften Menschlichkeit
Athmenderes lann es ja nicht geben, als bie Findliche Vers
ehrung erquidender Wüjtenquellen und- Harfliegender Gewäj-
fer, wie fie uns namentlich in der Religion Zoroajter's fo
ergreifend anſpricht. Die anmuthigften Gebilde der dichte:
riſchen gr bie Niren, Najaden und Nymphen,
die Sirenen und Tritonen, ja die ſchaumgeborene Göttin ber
Schönheit felbft, die holdlädyelnde Aphrodite, find der Menſch-
heit au diefer Verehrung erwachſen. Aber daneben ftarren
uns die Millionen entgegen, welche, der Hexerei bezichtigt,
der weltalten und weltverbreiteten Waflerprobe erlegen find
oder ſich freiwillig dem fündentilgenden und feligfeitipenden-
den Fluthengrabe des Ganges überliefert haben — der zahl
loſen Kinder und Kranken, welche von ihren eigenen Müttern
und Anverwandten an dem heiligen Strome ausgefegt wor—
den find, gar nicht zu erwähnen. Und was vermöchte und
mehr zu rühren und zu erheben, als die Unbetung prächtiger
Blumen und himmelanftrebender Baumriefen, wie fie uns
aus der indiſchen, griechiſchen und germanischen Religion fo
reizvoll entgegentritt. Der deutjche Heide richtete jich zu Zei-
ten der Berzagtheit an ber Zuverficht auf die unverfiegbare
Keimfraft dev Welteſche Mggdrafil empor und wir nod)
feiern die Dubelfefte unferer Kinderfreude unter dem Weih-
nachtsbaume, unter bem Baume, der, wie es das Volkslied
fo tiefinnig empfindet, nicht nur zur Sommerszeit grünt,
fondern auch im fchneefalten Winter. Dem Inder erwachte
fein Welterlöfer Buddha unter dem Feigenbaum der Erkennt:
niß zur Paradiefeswonne der Nirvanaweisheit und Brahına’s
heilige Dreieinigfeit entfproßte einer Yotosblume. Denken
wir num aber an den Unfinn, ben Betrug und all das Elend,
welches die Menfchheit in Form des Wilnfchelruthenwahns,
des Alraunenunfugs, des Mifteldienftes, dev mit Menfcen-
opfern verbundenen Hainverehrung dev Germanen, dann
aber auch ganz befonders in Form des medicinifchen Aber-
glaubens an die Heilkraft gewifler Wunderpflangen heim—
gefucht hat, da wandelt und ein Grauen au. Selbſt die
Geſchichte der Kunft, diefe Balſamluſte jenfeits des großen
Deeand der bisherigen Luge, genannt Culturgefdjichte, ver
mag uns nicht völlig über den Schmerz zu tröften, welchen
ber fteinalte Jammer der Menfchheit einem Jeden eimflößt,
ber die Wohlfahrt der Völker nicht nach ber Anzahl raufchen-
der Eriumphzlige und prunkender Schauftellungen, fondern
24*
188
nad) dem Grade bemißt, in welchem die Menſchenherzen im
Preife fleigen. Denn biefelbe Seelenfraft, welche uns ben
olympischen Zeus von Phidias fhentte, ſchuf auch das Gögen-
bild des Huigilopochtli, welchem Millionen bluteten. Dem—
felben Vermögen, welchem wir die Symphonien Beethoven’s
verdanken, entiprangen auch die Grabgeſünge, unter welchen
die Brahmanen Tanfende und aber Taufende indijcher Witt«
wen ſich lebendig verbrennen ließen, und Goethe's Lieber ent»
floffen derſelben Quelle, wie die Zauberformeln der ägyptis
fchen Priefter oder die Bannfläce römiſcher Päpfte. Diefe
Duelle ift bie Phantafie, welche, wenn von der Vernunft
gezligelt, als eine gutige Fee die herrlichſten Gaben der Kunſt
fpendet und die Wiſſenſchaft mit der Löſung der fchwierigften
Forſchungsräthſel beglüdt, aber auch gleich, ſowie man ihr
die Zügel ſchießen läßt, als fchlangenhaarige Furie mord-
luſtig umherſchnaubt. Die Phantafie ift jene Feuersmacht,
von welcher Schiller in „der ode“ fingt, daß fie, wern vom
Menfchen bezühmt und bewacht, ber wohlthätigften Leiſtungen
fähig fei. Aber diefes Feuer Hat im der biäherigen Welt
geichichte weit mehr als Brandfadel des Wahns, denn als
Yeuchte der Geiftesfreiheit gedient. Nun erlöfchen allgemach
die Irrlichter des Aberglaubens vor der Götterbämmerung
der Wiffenfchaft, aber mit ihnen allerdings auch manches
hellblinkende Sternlein der Poeſie. Zaghafte Gemüther bes
fürchten darüber den Cinfturz des Himmels, unbefangene
Seifter bauen darauf ihre Erwartung einer menfchenwür-
digern, alle Claſſen der Gejellichaft mit gleichem Wohlwollen
bedenfenden Zukunft. Den Schwarzkünſtlern am Geiftes+
leben der Völker, voran den Herolden der römifchen Unfehl—
barkeit, erfcheint zwar fein Mittel zu verworfen, welches die
Menfchheit in ihren jahrtaufendelangen Winterfchlaf zurlid-
zuverſetzen verspricht. Allein die Ritter vom Geifte, denen
vor Allem aus die geiftige Unabhängigkeit ber Völler am
Herzen liegt, werben fich endlich ber Tangebemäntelten Wahrheit
bewußt, daß auch die ftermgefchmlicktefte Nacht des Aber-
Miklucho-Maklai's Forſchungen auf der Halbinjel Malafta.
glaubens noch nie umd nirgends der Menſchheit zum Heile
gediehen ift. Selbft die großen Machthaber der Menjchheit,
welche fonft früher nur allzuhäufig aud) die großen Menfd)-
heitsbetrüger zu fein pflegten, werben heutzutage wieber, wie
im vorigen Jahrhundert, zu Ideenverfechtern, welche nichts
Höheres kennen, als bas Geiftesvafallenthum der Völker zu
brechen. Und thäten fie es nicht, jo huldigen jett ſchon
viele Millionen, welche die bisherige Gefchichte der Menſch-
heit mit Scham erfüllt, dem fiamefifchen Sprichwort: „Die
Sonne wartet nicht auf uns.“ Jetzt erft erwacht in ber
Menfchheit das Bewußtſein ihrer Geifteswilrde und das
Siegesberouftfein der Humanität. Zwar lebten ſchon bie
alten Perfer des Glaubens, daß felbft Ahriman, der dunfle,
dereinft moch im Lichte zergehen werde. Aber uns erft ver-
tieft ſich dieſer ehemals vorausfegungslofe Glaube an der
Hand des Studiums der Weltgefchichte zu der wilfenfchafts
lichen Ueberzgengung, daß fich die Menſchheit durch die
zerfegendften Geiftesfrifen hindurch doch immer wieder zu
höheren Entwidelungsftufen emporarbeitet. Dieje Geiſtes-
frifen werden auch der Zukunft nicht erſpart bleiben. Denn
bie alten Formen des Glaubens ftürzen überall an ihren
inneren Wiberfprüichen in ſich zuſammen, bedrohen uns aber
noch im ihren letzten Zucdungen mit neuen Neligionskriegen.
Die Schatten, welche diefe vorausiwerfen, laſſen die Riefen-
lämpfe der abendländischen Geſellſchaft ſchon deutlich, erahnen.
Wer jedoch Vertrauen hegt zu der unverwäftlichen Wieder
geburtsfähigkeit der Menſchennatur, blidt ruhigen Auges der
Bildung neuer Berhältniffe entgegen. Was unjere heidmifchen
Vorfahren im Goethe's ideentiefer „Walpurgisnadt* vom
Allvater, das erhoffen auch wir vom Geifte der Menfchheit:
„Die Flamme reinigt fih vom Rauch,
Sp reinig’ unfern Glauben!
Und raubt man und den alten Brauch,
Dein Licht, wer Tann es ranben?“
Miklucho-Maklai's Forſchungen auf der Halbinjel Malafta.
R. K. Der unferen Leſern wohlbefannte ruſſiſche Natur«
forfher Mifluho-Mallai hat im Fruhjahre 1875 feine
Reifen und Studien, welde ihm mehrere Jahre lang in der
oftafiatifchen Infelwelt und befonders in Neuguinea feftge:
halten haben, zu einem vorläufigen Abfchluffe gebracht und
gedenlt zunächft auf einige Zeit nad) Rußland zurliczufehren,
um feine reichen Sammlungen zu ordnen und zu bearbeiten,
wozu ihm die allezeit Hilfbereite ruffische geographiſche Ge:
ſellſchaft eine pecumtäre Unterftigung gewährt hat. Sein
Forſchungsgebiet hat er damit noch keineswegs aufgegeben;
er denft vielmehr nach Yahr und Tag dorthin zurczufehren
und feine Studien dort wieder aufzunehmen, welche ihn,
von Siden nad) Norden vorjchreitend, von Infel zu Inſel
führen und erſt, wie er hofft, in dem ruſſiſchen Beſitzungen
am Stillen Ocean ihr Ende finden follen.
Ueber feine legten Unternehmungen auf der Halbinfel
Malafta liegen jegt eine Anzahl Briefe (gedrudt im britten
Heft der diesjährigen „Jewſeſtija der faif. ruſſ. geogr. Ger
3 vor, aus welchen wir das Intereſſanteſte hier
e
Villlucho· Mallai, Zoologe von Fach und Schüler Ernſt
Häckel's in Jena, hatte, wie befannt, fein Hauptaugenmerl
auf den Stamm der Papuͤas gerichtet, den er bei feinem
zweimaligen Befuche Neuguineas, auf den Philippinen und
fonft gründlich hatte kennen lernen. Um fo mehr mußte cs
fein Intereffe erregen, daß der Stamm der Semang auf
der Südfpige Malaffas von Bielen fir papuaſiſch gehalten
wurde, Die Literatur giebt Aber ihre Boltsthlimlichkeit
feinen Aufſchluß, vielmehr die widerfprechendften Anfichten
und beweift damit nur, daß die Frage wegen jenes Volkes
noch eine offene ift. Denn während Crawfurd und Lo—
gan daſſelbe geradezu ald einen Negerſtamm von geringer
Körpergröße bezeichnen, fagt Waitz in feiner trefflichen Ans
thropologie der Naturvölter (V, 1, ©. 87), daß „die Se—⸗
mang weder als Negritos, noch als verwilderte Malaien,
fondern als eine befondere Race zu betrachten find*, und
Nemwbold (Political and statistical account of the
British settlements in the Straits of Malacca 1839,
p- 377), daß fie fid) von den Jalung äußerlich faft gar
nicht unterfcheiden, nachdem er auf S. 370 behauptet hat,
daß die Orang-benua oder Jakung ſich ihrerfeits von dem
Malaien nicht unterfcheiden.
Miklucho-Maklai beſchloß demnach, diefes interejfante
Bolt aufzuſuchen, und da ein eingehendes Studium ihrer
Sitten, ihrer Sprache u. f. w. Jahre oder wenigftens Mor
nate erfordert haben wilrde, der Trage wegen ihres Urſprungs
Miklucho-Maklai's Forfhungen auf der Halbinjel Malakka.
wenigſtens nad) ihrer wichtigfien Seite, der rein zoologifchen
oder anthropologifchen, näher zu treten. Bom 6. December
1874 batirt er jeinen erften Brief aus Malalfa, fpeciell
aus Johor-Baru, der Refidenz eines unabhängigen Flr-
ften, deſſen Neich der Inſel von Singapore gegenüber auf
dem Feſtlande liegt. Er fchreibt: „Unannehmlicjkeiten
verfchiedener Art, die leinheit und Dunkelheit der Zimmer,
Zugwind, ein ſchmutziger Tiſch und namentlich der beftän-
dige Lärm umd das Geſpräch der Feute machten für mich den
Aufenthalt im jener großen, vollreichen Caſerne, genannt
„Hötel de lEurope“ in Singapore, ganz unerträglich, jenem
Gafthaufe, in welchem iminbeftens für ein paar Stunden bie
bunte, geſchwätzige Schaar von Europäern Halt macht,
welche nad) Yapan, China, den Philippinen, den nieberlän-
difchen Colonien und Auſtralien unterwegs ift oder aus
allen diefen Yündern nad) Europa zurlicklehrt. Ich fiedelte
alfo nad) Johor iber, um mid) auf meinen Ausflug in das
Innere vorzubereiten und mid) mit Fand und Leuten etwas
vertraut zu machen, Der dortige Maharadicha nahm mic)
äuferfi freundlich auf, und ich erhole mich in feinem bequem,
aber einfach eingerichteten Haufe von dem -Geräufch und
dem Gewühl der Europäerſchaaren in den Miethscafernen
von Batavia und Singapore.
Der Maharadſcha ift ein merfwirdiger Mann, welcher
mit der Beobachtung alter Sitten und dem Wunfche, feinen
Lande zu nügen, Verftändnig und aufrichtige Werthſchätzung
europätfcher Ideen und Neuerungen verbindet, Er mar
ſchon ein Mal in England und denft im nächſten Jahre
wieder nad) Europa zu reifen und alle großen Städte bort
zu befuchen. Er wußte von meiner Abjicht, mit den Ber
wohnern feines Landes Belanntſchaft zu machen, und ver-
ſprach mir feine Unterftügung. Cine Hauptſchwierigkeit ift
die Verpflegung der Gepädträger, deren ich, fo wenig Sa⸗
hen ich auch auf ſolche Wanderungen mitzunehmen pflege,
doch 6 bis 7 brauche, da die Wege im Walde theils jehr
ihmal find, theils 4 fehlen, und darum der einzelne
Mann nur eine geringe Laſt tragen fan. Es ift geradezu
unmöglich, ben Keisvorrath für die Leute auch nur auf 2
bis 3 Wochen mit fic zu führen, und bei ben Semang
oder Orang⸗ utang (d. i. Waldmenfchen) findet man feinen
Neid. Letztere aber als Träger anftatt der Malaien zu
engagiren, widerrieth ber Maharadiche, obwohl fie mehr an
das Waldleben gewöhnt find und gerade eine Abtheilung
von ihnen fich im ihren Pirogen auf den nächſten Flüſſen,
dem SungiMalai und dem Sungi-Stobe, herumtrieb.
Denn jelbft fein ftrengfter Befehl und die Verheigung einer
guten Belohnung meinerfeits, meinte er, würden mic) nicht
bavor fchligen können, daß eines ſchönen Tages oder wäh:
rend einer Schönen Nacht bie Orang-utang, falls ihnen etiwas
nicht behagt, oder fie einfach feine Luſt mehr haben weiter
zu gehen, gang im Stillen ihre Laften abwerfen und im
Didicht verfchwinden, ohne daß fie Jemand dafür zur
Rechenſchaft gehen fönnte. Da id mum nicht Luft habe,
mich ſolchem Abenteuer auszufegen, fo denke ich mich ohne
» befondern Keifeplan auf den Weg zu machen, ohne die Abr
ficht, bis zu diefem oder jenem Punkte vorzudringen, fonbern
je nad) Umftänden herumzuziehen und babei möglichft viele
Dewohner der Berge und Wälder zu fehen, welde hier in
Johor verſchiedene Namen haben, wie Orang-utang
(d. i. Waldmenſchen), Drang-bukat (d. i. Bergmenfchen),
Drang-liar (b. i. wilde Leute), Orang-raijet (d. i. Ein-
heimiſche) Orang-jatung (Name von unbetanntem Ur⸗
fprung und Bedeutung) u. f. w.*
So brad; denn unfer Reiſender auf, war nicht, wie er
vorgehabt hatte, drei, fondern faſt fieben Wochen unterwegs,
hatte aber, als er am 2. Februar 1875 mad Yohor-Baru
189
zurüdtehrte, ſehr interefjante wenn auch nicht abſchließende
Refultate erzielt. Doch lafjen wir ihn darüber felber erzähs
fen (Brief aus Johor-Barı vom 3. Februar).
„Die Reife war mithfeliger, als ich dachte. Ich hatte fie
begonnen ohne das Ende ter Regenzeit abzuwarten, jo daß
ich vielfach überſchwemmten Wald paffiren mußte und das Waſ⸗
fer mir oftmals bis über die Hliften reichte. Um Johor von
Weſten nad; Often, von der Mündung bes Fluffes Muar bie
zu der des Indan zu burchfreugen, brauchte ich 30 Tage,
obwohl ich einen bedeutenden Theil der Reife in der Piroge
zurücklegen fonnte, und wenn ic) zu Fuße wanderte, häufig
10 bis 11 Stunden unterwegs war. Aber ber dichte Wald,
durch welchen wir uns oft mit dem Beile einen Weg bahnen
mußten, die Siimpfe, die vielen Bäche und Flüſſe, über
welche wir im aller Eile Briten ſchlagen, d. h. einen ober
ein paar Bäume werfen ober Fähren zimmern mußten, das
Errichten von Hütten fiir das Nachtlager, alles dies ver
zögerte die Reiſe ſehr. Vom Indau fehrte ich im weiteren
20 Tagen nad) Yohor-Barı zurlick. Meinen Zwed erreichte
ich; denn ich traf an vielen Orten mit ben Orangentang
zufammen und verfehrte oft mit diefem intereffanten Volke,
welchem es nicht befchieden ift, fein urjprlingliches Bagar
bundenleben noch lange weiter zu führen. Bei ihrer gerin-
gen ‚Anzahl, bei der ftetig vorrlidenden malaiifhen und
chineſiſchen Colonifation und bei der entfchiedenen Abneigung
der Orang-utang, ihre Yebensweife zu ändern, werden fie
entweder völlig untergehen ober fic mit den Malaien ver:
mischen, ohne eine Spur zu hinterlaffen.
Das hauptfähhlichfte und fiir mich zum Theil unerwar-
tete Refultat der Reife beftcht in der auf beftimmten
Thatfachen begründeten Ueberzeugung, daß man
unter ber immerhin ſtarkgemiſchten Orang-utang»
Bevölkerung don Johor noch Spuren einer
Mifhung mit einem andern, nit malaiifchen (fehr
wahrſcheinlich papuafifhen) Stamme finden fann.“
Ausflihrlichere Mittheilungen aus feinen Tageblichern,
bie zudem ohne Stiggen von Typen der Eingeborenen ſchwer
verftändlich fein wlirden, verſchiebt der Reiſende bis nach
feiner Rückkehr nad) Europa.
Indeſſen fchüittelte ihm das kalte Fieber, die matitrliche
Folge ber johor'ſchen Reiſe, und fo folgte er willig einer
Einladung des englifchen Gouverneurs von Singapore, bes
Sir U. Clare, ihn auf feiner Dampfyacht „Pluto“ nad)
Bangfof, ber fiamefifchen Hauptftadt, zu begleiten; denn er
hoffte durch die Seeluft auch das Fieber los zu werden.
Am 11. Februar fuhren fie von Singapore ab und kehrten
am 4. März dorthin zurüd. Die neun Tage Aufenthalt
in Bangfot genügten, die Stabt und ihre Bewohner ober:
flächlich kennen zu lernen und ein naturwillenfchaftlicyes
Object von großem Intereffe zu erhalten. Cr ſuchte mäns
lich dort einen jungen Elephanten zu laufen, um fein Ger
hirn zu ftudiren, welches noch ungenügend befaunt ift und
ihn in Hinficht auf vergleichende Anatomie fehr intereffirte,
In Bangkok bejigt aber nur der König Elephanten; und
der Naturforfcher wollte ſchon auf die Erfüllung feines
Wunſches verzichten, als ihm ein Minifterialbeamter auf
Befehl bes jungen Königs, der von feinem Verlangen und
feinen Studien gehört hatte, eröffnete, daß er bei ber näd)«
ften großen königlichen Jagd, welche alljährlid, in der Nähe
ber frühern Hauptftadt Ajudhja ftattfindet, Befehl ertheilen
witrde, von den erbeuteten Elephanten einen jungen für ben
ruſſiſchen Gelehrten zu referviren. „Sobald ich nur hier in
Singapore oder in Java, wohin ich noch zu gehen beabfid;-
tige — ſchreibt er am 7. April 1875 —, Zeit finde, will id}
über die Zufendung meines Elephanten Beſtimmungen treffen
und an die Unterfuchung feines Gehirns gehen.
190
Nad) Singapore zurlickgelehrt, brachte ich einige Tage
bei dem ruſſiſchen Biceconful, Herrn Wampoa, zu, deſſen
Gaſtfreundſchaft, dejien intereffanter Garten, Haus und in
gaftronomischer Hinficht merlwürdige Küche vielen ruſſiſchen
Marineoffizieren, welche Singapore bejucht haben, bekannt
find, und deffen Name faft im jeder Beichreibung dieſer
Stadt erwähnt wird, Leider gefellte ſich zu dem, Fieber,
weldyes id) aus Siam wieder mitgebradjt hatte, ein franfes
Bein und zwang mich, die beabfichtigte Reife nach Pahang
(nördlid) von Johor an der Oftkifte Malakkas) aufzufchieben.
Die Wälder von Johor haben nämlich einen jo großen
Ueberfluß an Blutigeln, daß unfere Füge, die meinigen und
die meiner Yeute, beftändig von ihren Biffen bluteten, Yet»
tere mit ihren nackten Beinen fonnten fid), fo oft fie einen
Biß fühlten, die Thiere abftreifen; ic) aber, der nicht Luſt
und Zeit hatte oft ſiehen zu bleiben umd die Schuhe auszu⸗
ziehen, fand allabendlic,, wenn wir zum Uebernadhten Halt
machten, an meinen Beinen etwa ein Dugend feftgefaugter,
bluterfüllter Blutige. Außerdem wurde ich noch zweimal
Aus allen
Preisaufgaben der Pariſer Eingewöhnungsgefellichaft.
Die Soeicts d’acelimatation zu Baris, welche eine äußerft
rege Thätigkeit entwidelt und welcher wir in Deutichland
nichts Aehnliches an die Seite zu jtellen haben, veröffentlicht
focben einen neuen Bericht: Extraits des Statuts et Regle-
ments, Prix fondes par la société et encore a döcerner.
Wir erfchen barans, daß diefe Eingewöhnungsgejelfchaft über
große Mittel verfügt, denn die ansgeworfenen, noch zu er:
langenben Preife ftellen eine ſehr anſehnliche Summe dar,
Biele diefer Preisaufgaben mögen ohne praktiſche Wirkung
bleiben, viele aber verdienen gelöft zu werden, um unſere
Hausthierwelt und Culturpflanzen mit neuen Errungenicaf-
ten zu bereichern. 1000 Francs find ausgelegt für die Ein:
führung und Gingewöhnung der ſchönen Efelracen des
Morgenlandes und eine eben jo hohe Summe wird dem:
jenigen zugefichert, welchem es gelingt, eines der jebraarti-
gen Pferde, den Equus Hemionus oder den Dau (Equus
Burchelli), fo zu acclimatifiren, daß fie in der Laudwirth—
ſchaft oder als Zugthiere vor Equipagen Verwendung finden
önnen. Für Kreuzungen berfelben Zchras mit Pferde oder
Eſelsſtuten ift der gleich hohe Preis ansgefegt. 1500 Francs
erhält derjenige, welcher zwölf im Frankreich gezüchtete und
eingewöhnte Alpakas oder Llamas vorführt. Mehr dem
Sport wird durch die Eingewöhnung der Wapitibirihe
(Cervus canadensis) und des Ariftoteleshirfches (Cervus
Aristotelis) gedient, von denen die Züchtung von zwölf Erem:
plaren in Parks oder Forften verlangt wird (Preis 1500
Francd), Auch für die Einführung der Moluffen:, Aris: und
Schweinshirſche find Preiſe angelegt, desgleichen Preiſe im
Betrage von 500 bit 1500 Frames für Eingewöhnung der
Gazelle, der Nilgau- und Cauna-Autilope (Boselaphus
oreas). Um ben Biber wieder zu verbreiten, find 500 Fraucs
ausgeſetzt demjenigen, der nachweiſt, daß er vier Individuen
im Freien züchtete. Für Einführung des großen Kängu—
rus, welches einen delicaten Braten liefert, zahlt die Gejelt:
ſchaft 1000 Fraucs, für Eingewöhnung des Heinen 500 Fraucs.
Verlangt wird die Vorführung von zehn im Freien gezlich-
teten Eremplaren.
Zahlreicher find die Vögel, deren Eingewöhnung ver-
langt wird, umd zumächft ift ein Preis von 500 Franken
demjenigen bewilligt, welcher jtatt der theuren Ameileneier
Aus allen Erdtheilen.
bon einer andern Beftie (dem Schmerze und der Wunde
nach zu urtheilen, wahrſcheinlich eine Art Stolopenber) ger
biffen, wonad) der Fuß Stark anſchwoll. Und Nachts beläftig-
ten trog der Strümpfe Hunderte von Mücken unfere Füße,
Dazu noch beftändig naſſe Fußbefleidung, welche Tage lang
nicht von meinem Yeibe kam, und man wird ſich nicht wun—
dern, daß meine Füße anſchwollen und fehr fchmerzten,
namentlic, die maleoli des vechten Fußes, weicher, wie ic)
bemerkt habe, bei Fußwanderungen befonders den verjdjicde-
nen Zufälligkeiten ausgefegt iſt. Einige Ruhetage im
Johor⸗ Baru vor meiner Reiſe nad) Siam beſeitigten die
Geſchwulſte, aber die Hitze und das Herumwandern in
Bangkok liegen die Wunden wieder aufbrechen, und nun
muß ic) fchon fünf Tage das Zimmer hüten und darf den
Sopha nicht verlaffen. Ich habe wieder langweiligen Stuben-
arreft, um meine ethnologiscen Bemerkungen über die
Maklailuſte in Neuguinea und andere Auszüge aus meinen
Notizbücern im deutſcher Sprache weiter zu dictiven.“
Erdtheilen.
eine nene billige aus Larven oder Nymphen beftebende Nah—
rung zur Aufzucht der Faſanen und Rebhühner ausfindig
macht *. Bon Vögeln, die eingeführt werden follen und zwar
fo, daß fie im Freien ausdauern, werden verlangt der Ser
eretär oder Schlangenadler, das Perlhuhn, das nordamerifd-
niſche Haubenrebhuhn (Tetrao eupido), die große Trappe, ber
heilige Ibis. Für die Züchtung einer Race Haushühner, die
bejtändig Eier im Gewichte von 75 Grammen das Stid
legt, find 500 Franken als Preis bewilligt. Auch die Züch—
tung des Straufies zur Gewinnung der Federn fteht auf der
Preislijte.
Bon Amphibien wird nur die Einführung bed amerifa-
niihen Ochſeufro ſches (Rana mugiens) verlangt. Dieſer
Froſch erreicht ein Gewicht von einem halben Pfunde, feine Hin:
terbeine find allein 10 Zoll lang und ein geſuchter Lederbifien,
zumal in der Faftenzeit. Der Einführung neuer Fiſcharten
in die Flüſſe und Bäche Frankreichs, der immer noch nicht
genügend gelöften Frage nach der künftlichen Erzeugung der
Auſtern widmet die Geſellſchaft gleiche Thätigkeit, ebenſo
die Eingewöhnung neuer Scidenraupen. 1000 Fraucs
erhält derjenige, welcher cin neues wachserzeugendes Inſect
mit Erfolg acclimatifirt, je 00 Francs find ausgeſetzt für
Einführung der äghptiſchen Biene (Apis fasciata) und einer
ſtachelloſen Biene.
Für folgende einzuführende Bilanzen find Preife aus:
geichrieben: Rhamnus utilis (liefert Ehineftich-Grün), Boeh-
meria tenacissima (Ramié), die japaniſche Eiche (als Seiden:
raupenfutter), die nordamerikaniſche Hidory:Nuß (Carya alba,
das Holz zu leichten Wagen verwendbar), bie Batate (Dios-
eorea Batatas), das Bambusrobr, der Eucalyptus.
) Es fei geftattet, hier auf ben Fang der @intagsfliege bins
zuweilen, ber zu biefem Zwedce alljährlih im großartiger Weile an
ber ger, zumelft in ber KHaabener Gegend, fattfindet. Die Tage
vom 12. bis 14. Auguſt, Abends D bis 12 Uhr, find bie regel
mäßig wiederlehtende Banggeit., Man züntet große Feuer an und
legt dancben weiße Tücher, auf welche die vom Feuerſchein angelod ⸗
ten Ephemeren gleih Schneefloden nieberfalen. In Körbe verpadt
dienen bie Fintagejliegen dann ald Butter für Infectenfreffente Vögel.
Im laufenden Jahre nahmen einzelne Hänger bis zu 40 Gulden für
vertaufte Gintagefliegen ein, Nicht nur an der ger, fontern auch
am zahlreichen kleinen, im diefelbe fallenden Bächen wird der Fang
ſchwunghaft betrieben.
Aus allen Erbtheilen.
Die Heberflutbung der Sabara.
„So! Alſo die Sabara ſoll unter Wafler geſetzt werden,
Es ift doch eine große Zeit, in der wir leben. Erft baut
Leſſeps den Suezcanal, dann werben Frankreich und England
durch einen umnterfceilchen Tunnel verbunden, die Landenge
von Darien wird gewiß auch noch durchſtochen und ſchließlich
macht man aus einem Theile der Sahara ein Vinnenmeer.“
In diefer Weile hört man die von England ausachenden
Pläne zur Ueberfluthung der weitlichen Sahara beipreden.
Mebr al? ein Meeting iſt bort abgebalten worden um dar—
über zu verbandeln, wie Norbweitafrifa „dem Handel und
der Civilifation" zu eröffnen jei; eine nordweſtafrikaniſche
Expedition ift bereit fich einzuichiffen und die Vorarbeiten zu
unternehmen. Der Lord Mayor und der Golonialminifter
Garnarvon find im Mitleidvenfchaft gezogen worden,’ der
Stlavenhandel erhält durch das neue Saharameer feinen
Todesſtoß, das Chriſtenthum findet Ausbreitung in Central:
afrika, der Handel nimmt einen ungeabnten Aufſchwung —
frz es wird eine wunderſchöne Sache.
Hören wir die Planſchmiede. Da, wo Cap Diebi genen:
über den Ganariihen Inseln in den Atlantiſchen Ocean bin:
einragt, wird das tiefer liegende Binnenland der Sahara
vom Meere nur durch eine ſchmale Sandichranfe getrennt,
die, fo jagten Ingenieure aus, mit der größten Leichtigkeit
burchftochen werden kann. Iſt dieſes geicheben, jo ergiehen
fich die Fluthen des Atlantiihen Oceans über die tiefer ge—
legene Wüfte und ein bis Timbuktu reichender See ift fertig,
auf dem unſere Hanbeläfchiffe bis zu der merfwürdigen Stadt
am Niger gelangen fünnen, die bisher nur von wenigen En—
ropdiern erreicht wurde. Bis die erften Aufnahmen nemacht
worden find, ift es fchwer über die Nusführbarfeit des Unter:
nehmend — woran man in England mur bier und dba zwei—
felt — ein Urtbeil zn fällen. Jedenfalls müſſen die Wiliten-
bewobner bei Zeiten gewarnt und von dem bereinbrechenden
Waſſerſchwall unterrichtet werben, damit fie nicht plötzlich
fammt ihren Herden ertrinken, auch wird man wohl jo groß:
müthig fein ihnen Entſchädigung für die überflutheten Gründe
zu gewähren. Doc das find Nebenſachen, wenn jegt jchon,
wie einer der Sprecher behauptete, jährlich für 3 Millionen
Pf. St. englifche Waaren „im Königreihe Sudan" Abſatz
finden, weldies „20 Mill. Einwohner bat”. Debt ziehen
Karawanen monatelang den ſchredlichen waflerlofen Pfad da-
bin; 2000 engliiche Meilen ranben unfruchtbaren Landes müſ⸗
fen durchwandert werden; ein töbtliches Klima und feind-
liche Menichen find zu palfiren, ebe die Güter fern im In—
nern Mirifas auf den Markt gelangen.
Dat das Waſſer des Atlantiichen Oceaus auch wirklich
in die Sahara ablänft, gründet jih — nach der Meinung
der Blanichmiede — darauf, daf der fonenaunte „Leib der
Wüſte“ (EI Diuf) eine große Depreffion unter dem Meeres:
fpiegel bildet. Möglich ift diefes ſchon, aber wir baben dar:
über feine Gewißheit, da der eigentliche El Diuf genannte
Theil der Sahara bisher von feinem europäiſchen Reiſenden
befucht wurde — die Routen von Caills, Vincent, Panet und
andere liegen abſeit. Daß im Diuf grofie Saljlager vor:
fommen, die anf einen ehemaligen Meeresboden hindeuten,
iſt ficher.
„Wenn die Mündung des Beltafluffes bei Cap Djebi von
Sand befreit werden fan, dann werden die Wogen des At-
lantiſchen Oceans in ibr früheres Bett ftrömen und jo wird
eine directe Verbindung zwilchen dem Innern von Nord:
weitafrifa und unſeren Häfen bergeitellt werden und der Hatt:
del wird fich verzehnfachen. Der große afrikanische Continent
wird allen mwohltbätigen Einflüſſen eröffnet werden, feine
Hülfsquellen werden entwidelt und die Grenel des Sklaven:
handels aus feiner Geſchichte verſchwinden.“
Leicht bei einauder wohnen die Gedanken! Wir wun—
dern uns nur, daß nicht auch gleich von Retourbillets nach
und von Timbnktu die Rede ift und daß Actien zur Etabli—
191
| rung eines Hoteld dort anögegeben werben, welches nad)
| Gaillö oder Barth trefflich bemammt werden könnte. Oder
aber es Tiefe fich dort eine Wintergefundheitsitation für Bruft-
kranke errichten. „Wenn das Binnenmeer und der Ganal
nicht praftiich ausführbar find,“ lieh fich eine Stimme gegen
den Colonialminifter Lord Carnarvon vernehmen, „dann mu
eine Strafe nadı Timbuktu gebaut werben." Warum nicht
licher gleich eine Cap: Dijebi-Timbuftu-Eifenbahbn? Das Hingt
doch und geht noch über die Oroya-Bahn in Pers. Wenn
die Mauren und Tunaregs der Wüſte etwa fich ſchwierig er:
weilen und, ihrer alten Sitte fröbnend, die Fremden
morben follten, wie Mayor Paing und Fräulein Tinns ermor—
det worden, fo hat man ja Paſcha Baker in England in petto,
der von feinen Nilerfahrungen dort ausruht und Kriege
ä la Bari führen kann. Hei! Wie würde es den edlen
Elephantenjäger freuen, wenn er wieder einmal feine Kugel
anf ben nadten Leibern der Eingeborenen „Hatichen" hören
könnte, wie ihm dieſes bei Gondoforo fo viel Freude ver:
urfachte!
Lord Carnarvon war fo geicheidt der „Flutheompagnie*
alles Gute zu wünſchen; im Uebrigen, meinte er, käme es
zunächſt barauf an fich genanere Informationen zu verschaffen,
Springt bei den Umterfuhungen für die Wiſſenſchaft etwas
berans, um fo beffer. Wir haben nichts bawider wenn die
Fluthcompagnie wirklich flott wird und wenn Kaufleute wie
Miffionäre, die von ihr viel erwarten, im diefer oder einer
andern Welt ihren Lohn davon haben.
Volfsetymologien. .
Das fchlüpfrige Feld der Etymologie, das in fo nad:
ahmungswürdiger Weife von unferen Keltomanen Obermäller
und Niede und Jacobi bebaut wird, die mit ihren Waffer:
dörfern und Waflerftädten den Globus überihwenmen,
wird vom Volle im nicht minder ergötlicher Weile angebaut.
Und zwar ſcheint die Neigung allen Völkern innezuwohnen,
Ortsnamen, deren Verſtändniß ihnen verloren ift, fich zurecht⸗
anlegen und au deuten.
So erzäblt man eine Geſchichte, wie ein brandenburgi:
ſcher Fürſt eine Feſtung baute und dabei fah, wie einer der
Arbeiter ein Mädchen lüßte. Auf die Frage, was er da
mache, antwortete der Mann: Ich küſſe Trin und daber
bat Küſtrin feinen Namen. Das iſt deutſche Erfindung
die den ſlaviſchen Namen Koſtrzyn ſich auf dieſe Weiſe mund!
gerecht machte. Die Bewohner von Bbhmiſch-Kamnmitz,
heute Deutliche, kennen die urſprüngliche Bedeutung ihres vom
ilavifhen Worte Kamen, Stein, abgeleiteten Ortsnamens
nicht mehr und leiten ihn gar von „Ka’ Müß’*, Feine Mütze,
ab, weil der erfte Knabe, welcher durch den nen erbauten Ort
lief, feine Mitte auf hatte! Uebrigens ift diefe Deutung
nicht viel fchlechter al jene von Altona, welches mit „allzu
nah" (bei Hamburg) erläutert wird.
Diefen Beilpielen können wir ſolche aus weit entlegenen
Ländern beiflinen, welche Tylor (Anfänge der Enftur I, 39)
anführt und die gleich naiv wie jene deutlichen Etymologien
find. So behaupten die Fibetaner, der See Chomoriri
babe feinen Namen von einer Frau (ehomo), die von einem
Naf, auf dent fie ritt, hineingefchleppt worden fei und in ihrer
Angſt riri gerufen habe, Die Araber fagen, die Gründer der
Stadt Senmar bätten am Flußufer eine ſchöne Frau mit
Zähnen geleben, die gleich Feuer glitzerten und darnad) den
Ort Sinnar, d. i. Feuerzahn, genannt. Die englilche Local:
ſage endlich berichtet, daß die Römer, als fie die Stelle in
Sicht befonmmen hätten, wo jeßt Ereter liegt, entziidt aus:
aerufen hätten: „Eece terra“ und fo babe die Stadt ihren
Namen befommen.’
Es ift überall diefelbe Gefchichte. Der menichliche Geift
ift nur Einer.
192
Verſchlagene Palau: Infulaner auf Formofa.
r. a. Im neueſten engliichen Confulatsberichte von der
Infel Formofa findet fich folgende Angabe: „Eines Tages trie-
ben 16 kupferfarbene, höchft erichöpfte Leute, welche in drei
mit Anslegern versehenen Catamarans ſaßen, in den Hafen
von Kilung Nordſpitze von Formoſa). Mit Hilfe eines Wo:
cabulars in Cheynes’ „Sailing Directions from New South
Wales to China“ und durch Zeichen fand man heraus, bafı
die Männer Pelew-Inſulaner waren, die von ihren Fiſch—
gründen weggetrieben nach einer Fahrt von ſechszig Tagen,
während welcher fie bauptlädlich von Fiſchen lebten, nach
Formofa gelangt waren. Sie find 1600 Miles mit einer
Strömung gereift, welche auf die Nordipite Formofas trifft
und dann ſich nach Japan wendet, Man jandte fie nach
Hongfong, von wo fie mittelft Schiff in ihre Heimath über:
geführt wurden.”
Falls es fih um echte Palau-Inſulauer handelt ift die:
fer Fall in hohem Grade intereffant, da von der Verſchlagung
berfelben nach den Philippinen wohl oft die Rede war, aber
ein fo weites nörbliches Abtreiben, wie nach Formoia, bisher
nicht befaunt geworben ift. Semper („Die Palau-Inſeln im
Stillen Ocean“, Leipzig 1973, S. 357) bezweifelt übrigens,
dafs die früher mach den Philippinen verichlagenen Mikronefier
von den Palau-Inſeln ftammten, Sondern nimmt am, daft die
Garolinen ihre Heimath gewelen fein. Die Nachrichten über
die älteren Verichlagungen (Ende des 17. und Anfang des
18. Jahrh.) finden fih anfammengeftellt in: „Allerhand fo
Ichr: als geiftreiche Brief’, Schriften und Neisbeichreibungen,
welde von den Miffionariis der Gefellichaft Jeſu aus beiden
Indien ſeit 1642 bis 1726 jetzt zum erſten mal, theils aus
bandichriftlichen Urkunden, iheils aus den Lettres edifiantes
verdeutfcht und zufammengetragen worden von Joſeph Stöd:
lein und Peter Probſt.“ Augsburg, Grätz und Wien, 4
Bde. Fol. 1728 bis 1748. — Ferner find fie nach den Lettres
edifiantes T, NV. abgebrudt in E. Sprengel: „Beiträge
zur Völker und Länderkunde“, Theil 10, Leipzig 1789,
* oo %
— Das Haupt der afrikaniſchen Expedition, Dr.
Güßfeldt, iſt nach Berlin zurickgekehrt. Die auf der
Beobachtungsſtation von Chinchoxo noch weilenden Mitalie:
der, Lieutenant v. Hattorf, welcher zugleich mit Dr. Güßfeldt
hinübergegangen war, Dr, med. Falkenſtein, der die admini—
ſtrative Leitung der Station führte, Major v. Mechow, der
bie Ausbildung der angeworbenen einbeimiichen Truppen
übernehmen follte, Dr. Peſchuel-Loeſche und Herr Lindner,
werden voransfichtlich nach Abwidelung der ſchwebenden Ge:
Ichäfte und Heimfendung der gemietbeten Neger unverzüglich
die Rückreiſe nah Europa antreten. Die Expedition bes
Dr. Güßzfeldt. welcher wegen der an der Loangofüfte ungün-
ftigen tlimatiſchen und politiſchen Verbältniffe von dem Vor-
dringen in das Junere Afrikas Abitand nehmen mußte, hat
auf wiffenfchaftlichen Gebiete ſehr erfreuliche Refultate anf:
zuweilen. Die der Expedition zugänglichen Gebiete, die Kit-
ftenlänber Kabinda, Tſchiluango und Loango, die Landichaf:
ten Mayombe und Pangela, find ausgiebig erforſcht. Neben
einer fehr bedeutenden Anzahl von Ortöbeftimmimngen hat die
Feftitellung größerer Flüſſe, namentlich des Quillu, der an Größe
unjerm Rheine faum etwas nachgicht, des Nyanga und des Luifa
Aus allen Erdtheilen.
Lug ftattgefunden und find eine Menge meteorologifcher und
anderer phnfifaliicher Beobachtungen mit größter Sorgfalt zum
Beiten der Willenfchaft vorgenommen. Bon bleibendem Werthe
find die vorn den Erpeditionsmitgliedern mit großem Fleiße
angelenten Sammlungen von Naturkörpern und Präparaten,
deren Verarbeitung die Gelehrten noch lange in Anfpruch
nehmen wird, Schr erfreulich it, daß die meiften Gegen—
ftände in gutem Zuftande angelangt find, während erfahrungs:
mäßig Tonft von in den Tropen angelegten Sammlungen ein
großer Bruchtbeil durh Fäulniß, Inſectenfraß, Zerbrechen
der Gläfer ꝛc. zu Grunde gebt. Diele wiſſenſchaftlichen Er:
gebniſſe fihern der Erpebition, trotzdem es derſelben nicht
vergönnt geweien ift, neue Gebiete zu erichliehen, einen ehren⸗
den Plat in der Gefchichte der Erforſchungsreiſen.
— Cyperwein bat bei ung immer einen guten Namen;
wie es jetst mit feiner Production ftcht, darüber ſchreibt der
fürzlich verftorbene Dresdner Ingenieur Julius Seiff in
feinen eben erichienenen „Reifen in der afiatifchen Türkei*
(Leipzig, Hinrichd 1875) Nachftehbendes: „E3 werben vier
verjchiedene Sorten Wein auf der Juſel erzeugt, die unter
den Namen: vin rouge, vin noir, Commandarie und Muscat
im den Handel kommen, Jede diefer vier Sorten wird auf
einem befondern Boden gewonnen und befchäftigen fich mit
der Eultur und Fabrikation derjelben namentlich die Dörfer
Kelläki, Klonäri, Eptagonia, Sanita, Praftio, Vicla und
Akapan, ſämmtlich in den vier zu Limaſol gehörigen Ber;
waltungsbezirken gelegen. Im Durchſchnitt werben jährlich
circa 80,000 Barilö Venetiens, oder 4,000,000 Deca türkiſch
an Wein gewonnen und jwar 7000 Barils Vin rouge , 68,000
bi 70,000 Vin noir und 5000 Commandarie. — Der Ger
fammtmwerth diejes Weines beträgt ungefähr 4,175,000 Bialter
oder rund eine Million France, wobei das Baril Comman-
darie mit 100 Biaftern, Vin noir mit 50 Piaftern und Vin
rouge mit 25 Piaſtern per Baril bezahlt wird. An der
Production find ungefähr 3000 Weinbauern betbeiligt, fo daß
durchſchnittlich auf jeden derſelben höchſtens 1400 Piaſter oder
310 Franc kommen. Allein von diefer Summe find noch
bie nicht unbedeutenden Steuern fowie die fonftigen Unfoften
und Verlufte in Abzug zu bringen. Es nimmt 3. B. die
Regierung für das Recht der Fabrikation des Commandarie
10 Piaſter; 10 Procent des Werthes liegt als Ausfuhrzoll
darauf und 8 Piaſter foftet der Trandport zur Kitite, jo daß
dem Weinbauer, nad) Abzug der übrigen unvermeidlichen
Berlufte, höchſteus 56 Piaſter pro Baril verbleiben. Ju gleir
cher Weile reducirt fich fein Gewinn an Vin noir auf 25
Piaſter und an Vin rouge auf höchſtens 5 Piafter pro Baril.
Muscat, der feinfte und ſüßeſte Wein, wird nur in geringer
Menge in den Dörfern Omodos und Kilani erzeugt. —
Yung baben die Enperweine einen unangenehmen Beige:
ichmad, von den verpichten Schläuchen berrübrend, in denen
fie anfänglich aufbewahrt werden, mit der Zeit verliert ſich
diefer jedoch und find aladann die beſſeren Sorten ſehr wohl:
ſchmeckend.
— Der Pater Desgodins, welcher in Tibet als Miſſio—
när fungirt, hat der Geographiſchen Geſellſchaft zu Paris eine
Schrift zugehen laffen, im welcher er feine Anfichten über die
Geographie von Tibet auseinanderfegt. Hiernach hat ber
Bramapıtra feine Quellen im Weften von Tibet und zwar
in der Provinz Hiars. Diefelben feien von denen des Sed-
letich durch eine Bergfette getrennt.
Inhalt: Der Markefas-Archipel. I. (Mit ficben Abbildungen.) — Bon der untern Donan. (Mit zwei Abbil.
dungen.) — Zur Ethnologie und Gefchichte des Aberglaubens. Von Hermann Brunnhofer in Aarau. V. (Schluß) —
Miklucho-Maklai's Forihungen auf der Halbinfel Malaffa. — Aus allen Erdtheilen: Preisaufgaben der Barifer Ein-
gewöhnungsgefellihaft. — Die Meberfinthbung der Sahara, — Vollsetymologie. — Verfchlagene Palau-Inſulauer auf
Formofa. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 10. September 1875.)
Für die Rebartion verantwortlich: H. Vieweg in Vtaunſchweig.
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vtaunſchweig.
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit yahmännern und Künſtlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern, WMonatlih 4 Rummern.
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Pf.
1875.
Die geehrten Mitarbeiter und Correspondenten des „Globus* ersuchen wir,
Zusendungen, welche für die Redaction bestimmt sind, von jetzt an nicht mehr an
uns, sondern an «den Redacteur des Globus
Herrn Dr. Richard Kiepert
Berlin, 8. W. Lindenstrasse 13, IH IT.
zu richten.
Braunschweig, September 1875.
Friedrich Vieweg und Sohn.
Der Markeſas-Archipel.
II.
Am Morgen nad) dem Befuche, welchen man bei Pau—
mea abgejtattet hatte, fam der „Nautilus“ mit der Poſt an.
Die Boftverbindung mit den Markeſas wird von San
Francisco aus bewerfftelligt und zwar durch Goitetten,
welche auf dem Wege nach Tahiti und zurlid bei Taio Hae
anlegen und mit außerordentlicher Sejchwindigfeit fahren.
Die Kriegsfchiffe verproviantiren ſich in Taio-Hae ger
wöhnlich mit Ochjen, indem dad Gouvernement eine Herde
folder Thiere befigt. Diejelben weiden frei im Gebirge
und es wird jebesinal bie erforderliche Unzahl geholt, Der
Hammel ift jelten in Nufu-Hiwa, während auf der benadı-
barten Infel Has Pu die Miffion eine beträchtliche Herde
Globus XXVIII. Nt. 13,
befigt. Ein Walſiſchboot unter dem Befehle des Mutoi von
Taio-Hae holt von dort die verlangte Zahl, gewöhnlich etwa
ein Dutzend.
Der Martefas-Archipel kann im Augenblide Feine große
Bedeutung beanfpruchen. Als die Frauzoſen von den Inſeln
Beſitz nahmen, erhielten die ſudöſtliche und nordweſtliche
Gruppe derfeiben jede einen befondern Befehlshaber und es
wurden in Waitahu und Taio Hae verfchiedene gemeinnitgige
Arbeiten begonnen. Am 8. Juni 1850 wurde der Archipel
zu einem Deportationsorte fiir politische Verbrecher beftinmt,
während ihm fowohl rlcfichtlich der Ausdehnung wie der
geographifcen Yage und der Fruchtbarkeit die unerläßlichen
25
Der Marleſas-Archibel.
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Eingeborene der Markeſas bei einem Götzenbilde.
Der Markeſas-Archipel.
Bedingungen zu einem wichtigen Marine» oder Handels:
ttablifjement fehlen. Das ganze eben und der ganze Ver:
fehr ift auf Taio-Hae beſchrünkt, wo amerikanische und eng-
liſche Kaufleute Heine Handelshäufer gegründet haben.
Die Einwohnerzahl von Taio-Hae ift micht ſehr groß
und muß, nad) den vielen und verfallenen Hütten in den jetzt
einfamen Thälern zu fchliegen, einen bedeutenden Rückgang
erfahren haben. Auch haben die Eingeborenen in folge ber
Berührung mit den Europäern und des Einfluffes, den die
Miffionäre üben, einen großen Theil ihrer alten Sitten auf:
ben,
die Bevölkerung des ganzen Archipels kann, wie ſchon
gejagt, anf etwa 12,000 Seelen veranfchlagt werben, von
denen 6000 auf Hiwa-Oa, 2700 auf Nuku⸗Hiwa, 1220
auf Ua-Pu, 1000 auf Fatu-Hiwa, 630 auf Tauata
und 450 auf Ua⸗Uka fallen.
Die große Humgersnoth, welche vor etwa funfzig Jahren
die Markejas heimfuchte und eine große Zahl von Krank:
heiten im Gefolge hatte, trug dazu bei, die Zahl der Bewoh—
ner zu verringern. Die Greife erinnern ſich noch jet mit
Screen jener Zeit, wo man ſich aus Noth gegenfeitig ver
zehrte.
Der Reſident in Taio-Hae beſitzt eine große Sammlung
von Waffen, Kriegsanzügen und ſonſtigen Geräthen der Ein—
geborenen. Das bemerkenswertheſte Stüd dieſer Sammlung
it ein roh aus Holz gefchnigtes Bild des Gottes Titi,
welcher bei dem noch heibnifchen Theile der Bevölkerung des
Archipels in großem Anfehen ftcht. Das Bild ftellt einen
monftröfen Menſchen mit ungeheuern Augen und einem fehr
großen Munde dar, deſſen Beine gekrümmt find und beffen
Arme fic dem Körper eng anſchmiegen. Daneben enthält
das Mufeum noch einige andere Nachahmungen biefes Götzen⸗
bildes, die aus einem rothen Steine von großer Härte ge—
ſchnitten und nur einige Centimeter lang find, und außerdem
verfchiedene Halsbänder von Meerichweinzähnen fowie Perl-
mutterangeln von etwa einem Gentimeter Länge Diefe
Sammlung ift um fo werthvoller als es kaum gelingen dürfte,
eine gleiche zufammenzubringen.
Seit der Ankunft der Europäer ben nämlich die Ein-
geborerren ihre einheimifche Induftrie nicht mehr. Sie zie-
hen jetst ein Feuergewehr den alten Wurfgeſchoſſen vor und
ihre großen Pirogen find durd) Boote verdrängt worben,
welche entweder in Taio- Hae gebaut werden ober die fie ſich
von ‚den Walfifchjägern verfchaffen, welche die Infel bes
Was die Geſchichte des Archipels betrifft, jo find in diefer
Beziehung folgende Daten bemerfendwerth.
Als im Jahre 1842 der Contreadmiral Petit-Thonars
von den Markejas Befig nahm, wurde in Frankreich bie
allgemeine Aufmerkfomteit auf dieſe Infeln gelenft, die durch
eine Bevölferung bewohnt waren, welche noch in feiner Weife
die Sitten der fie befuchenden Seefahrer angenommen hatte,
während die übrigen Infelgruppen des Stillen Oceans, wie
die Geſellſchafts- und die Sandwidyinfeln, ſchon längft auf
dem Wege der Civilifation raſch vorwärts gegangen waren.
Der Anblick der Eingeborenen, welcher dem, der diefelben
nicht näher lannte, Furcht einflößte, die Schweigfamfeit ders
felben, die wenigen Hülfsquellen, welche die Infeln boten,
waren der Grund, daß diefelben jo lange unbeachtet geblieben
waren. Nur einzelne amerifanifche Walfifchjäger, welche
Brennholz und Waſſer einnehmen wollten, beſuchten bie
Markefas und die Capitäns berfelben wußten nur wenig
Auskunft zu geben. Dazu fam noch, daß Streitigfeiten,
welche durch das Betragen der Schiffer zwifchen diefen und
— — — — 000. — — — —
195
Indeß konnte ſich Alvaro Mendana de Neira, als
er die ſüdöſtlichen Juſeln des Archipels entdeckte und am
21. Juli 1595 auf der Inſel Tauata, welche er Santa
Ehriftina nannte, landete und in dem von ihm la Madre
de Dios genannten Hafen (Waitahu) verweilte, bamals nur
lobend über die Haltung der Bevölferung ausfprechen.
Die Markefas geriethen dann in Bergefienheit bis Cool
im Jahre 1774 fie aufs Neue entdeckte und in der Bay) von
Waitahu Anfer warf. Auch er fprad; ſich nur Lobend über
die Eingeborenen aus, fo daß die Infeln eine der wenigen
Stellen wurden, wo er feine Anwefenheit nicht mit Blut be
zeichnet hat.
Im Yahre 1791 entdeckte der amerifaniiche Gapitän
welcher das Boftoner Schiff „Hope* flihrte,
die Infeln der nordweftlichen Gruppe und — ihnen Namen.
Ihm folgte bald der Franzoſe Etienne Marchand, Com:
mandant ber Marſeiller Brigg „Solide“, welche durch das
Handelshaus Baur ausgerüftet wurde, um an der nordweſt⸗
lichen Küfte Ameritas Pelzwaaren einzunehmen.
Marchand verkehrte mit den Bewohnern Wateos, das er
Bon⸗Aceueil nannte, und ergriff am 22. Juni 1791 im Nas
men Frankreichs Befig von diefer Infel fowie von einer grö-
Bern, die er im Norden fand,
Im Monat März 1792 traf Lieutenant Hergeft, Be—
fehlhaber des „Däbalus*, welcher den Auftrag hatte, der
englifchen Expedition unter Vancouver Provifionen zuzu⸗
führen, in Waitahu eim umd kehrte im Februar 1793 im die
Bay von Taio-Hae zurück.
Einige Monate fpäter erfchien auch die amerikanische
Flagge vor diefen Infeln, indem Capitän Noberts mit dem
Handelsfciffe „Defferfon“ mehrere Monate hindurch in dem
Hafen von Waitahır verweilte.
Ingraham und Marchand, ſodann Hergeft und fpäter
Roberts gaben den Infeln verfchiedene Namen. Glhcklicher⸗
weife find diefelben aber von den Eingeborenen ebenfalls be:
nannt worden, wenn auch noch einige Verwirrung bezüglich
ihrer Bezeichnung und der Orthographie der Namen herricht.
Bald ward der Markefad-Archipel häufiger von Schiffen
beſucht. Im Juni 1797 fam der „Duff“ an, welder auf
Koften der Miffionsgefelichaft zu Yondon ausgerüftet wor«
den war, um proteftantifche Miffionäre nach den verſchiede-
nen Infelgruppen Oceaniens zu befördern. Das Schiff lief
in den Hafen von Waitahu ein und ließ dort William Pas-
cal Eroof als Geiftlichen zurlid. Ein von einem Handele-
fchiffe defertirter Italiener, welcher kurz nach der Abfahrt des
„Duff“ fich auf der Infel niederließ, wiegelte die Eingebo-
renen gegen dieſen Miffionär auf. Mit Hülfe eines Ge
wehres und der erforderlichen Munition, die er mit fich führte,
erlangte er großen Einfluß bei den Häuptlingen und veran-
laßte diefelben, um fein eigenes Anſehen zu vermehren, zu
einem blutigen Kampfe mit den Bewohnern von Hiwa-Oa
und einem die Infel Tauata bewohnenden Volksſtamme.
Eroof entrann den Tode nur dadurch, daß cr an Borb
eines Heinen Schiffes, ber „Betfey“, floh. Nach mehreren
Verſuchen, fi) auf Da-Pu und Nuku-Hiwa niederzulaffen,
begab er ſich nach Sydney, wo er frieblic, lebte. Ein fpäter
von ihm unternommener Verſuch, nad) den Marleſas zurüd-
zufehren, mißlang ebenfalls.
Im Iahre 1804 verweilte der vuffiiche Seefahrer Kru—
fenftern längere Zeit mit feinen beiden Schiffen „Nabeshba“
und „Neva* in Nuku-Hiwa, wo er einen Engländer und
einen Franzoſen fand, bie mit einander in erbittertfter Feind⸗
ſchaft lebten,
Im Jahre 1813 kam der amerikanische Commodore Da-
den Eingeborenen entftanden, weſentlich dazu beitrugen, den | wid Porter mit feinen beiden Schiffen „Eifer“ und „Effer
ſchlechten Ruf der letzteren zu vergrößern.
junior“ nach Taio⸗Hae, und zugleich mit den Prifen, die er,
25 *
196 Der Marleſas-Archipel.
während er im Sidimeere freuzte, den Engländern abgenom- | Freuden, daß Wawanuha, Häuptling von Portua (?), ein
men hatte. Der Play ſchien ihm geeignet zur Anlage eines | Freund der Europäer ift und daß er ſich zu Unſerer Ge:
Arfenals und er nahm deshalb im Namen der Bereinigten | nugthuung ftets befceiden und wohlwollend gehalten hat.
Staaten Befig von Nuku-Hiwa. Der Congreß verfolgte | In Folge deſſen empfehlen Wir ihn der Fürforge aller Schif-
diefe Befigergreifung nicht und Porter verließ deshalb Taio- | fer, welche hier in voller Sicherheit verweilen können.
Hae anı 13. December wieder, eine ſchwache Beſatzung zurlick Gegeben zu Port: Charles (Taio-Hae), Inſel Nulu—
lafiend. In Folge von Streitigfeiten mit den englifhen | Hiwa, anı 23. Juli 1835.
Gefangenen und ben Eingeborenen mußten indeß die Ameri- Charles, Baron de Thierry.
faner ihre Niederlaflung wieber aufgeben. Im Namen des Könige.
Im Jahre 1835 fam ein Franzoſe, Baron Thierry, . Ed. Fergus, Oberft und Adjutant.*
in Nufu-Hiwa an und erflärte fich zum Könige der Juſel. Endlich im Fahre 1842 nahm der Gontreadmiral Per
In den Händen eines jungen Wilden, Wawannha, ließ er | titsThouars im Namen Frankreichs die Infeln in Beſitz.
folgendes eigenthlimliche Schriftſtück, welches ſpäter durch Bon hier an begann eine neue Aera für die Markeſas.
Sapitän Iacquinot gefunden wurde. Bon Taio-Hae fegelte der „Vaudreuil“ mach ber
„Wir, Charles, Baron de Thierry, oberfter Herr von | Nachbarinſel Ua-Pu, deren Berge, durch bizarr geformte
Neuſeeland und König der Inſel Nuku-Hiwa, bezeugen mit Pics gekröut, von Taio-Hae aus geſehen einer Reihe von
Ei
A
Der König von Waitahn und feine Frau.
Glockenthürmen gleichen. Man warf auf einige Stun« Auf der Infel Ua⸗Uka, welde darauf befucht wurde,
ben in der Bay von Aneu Anker. Hier ftellte ſich ein pros | contraftirt ebenfo wie in Taio-Hae ein in reichem Grin prans
teftantifcher Beamter, wahrſcheinlich ein einfacher Sandwic; | gendes Thal mit den fahlen und ſchwarzen Felſen, die baj-
infulaner, ein, um feine Berfonalfteuer an den Refidenten | felbe einfließen. In der Nähe des Strandes erheben fich
zu zahlen, der ſich an Bord befand. inmitten einer Art von Pflanzung einige wohlgebaute und
Die Hanptniederlaffung der katholiſchen Deiffionäre | von einer Steinmaner umzogene Hütten. Cine derfelben
ift an der Bay von Hafahau, die an der öftlichen Spige | ward beſucht. Die Ankömmlinge wurden von einem alten
der Inſel liegt, In Aneu nämlich ift die Rhede nicht befons | Ameritaner empfangen, wahrjcheinlic, einem Deferteur eines
ders amd es befinden fich dafelbit weder Wohnungen noch | Walfiichbootes, weldyer beinahe ebenfo tättowirt war wie die
Brot: noch Kolosbäume. Einige Sträucher, welche den Yauf | Eingeborenen. Er wohnt hier länger als zwanzig Jahre.
eines Meinen Baches bezeichnen, bilden die ganze Vegetation. | Mit Erftaunen vernahm mar, daß er feine Mutterfprache nid;t
Nicht weit entfernt, mehr weftlich, befindet fich die Bay | im Geringften verlernt habe,
von Hafahetau, am welcher bie Miffionäre eine Kapelle Bon Uarllfa jegelte der „Baubreuil" nad Hiwa-Da,
gebaut haben. Hier oder in ber Nachbarbay Haafuti war | der größten und meift bevöfferten Infel des Archipels. Man
es, wo Mardyand am 22. Juni 1791 im Namen frank» | anferte in der an ber Weſtſpitze gelegenen Bay Hanga—
reichs von der nordweſtlichen Gruppe der Marlkeſas ⸗ Inſeln menu, welche durch große, thurmähnlice Felſen in zwei
Defig ergriff. Hälften gefdjieden wird. Auf der Spige diefer Felſen ger
Der Markeſas-Archipel.
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wahrte man einige Wohnungen. Die Stämme, welche die
Umgegend der Bay bewohnen, waren augenblicklich im Kriege
mit einander,
Einige Kanaken ftiegen von dem Felſen mit großer Ges
fchmeidigfeit nieder, während Boote und Pirogen die Häupts
linge der feindlichen Stämme an Bord des „VBaudreuil* brad)-
ten. Der Commandant hielt eine ernfte Anſprache an dies
felben, die von dem Mutoi von TaioHae als amtlichen
Dolmetjcher überfegt wurde. Schließlich verföhnten ſich die
Feinde und nahmen mit Freuden einige Sefchenfe entgegen,
die ihnen der Commandant im Namen der franzöſiſchen Re—
gierung machte.
Unterdeſſen befuchten einige Eingeborene in Begleitung
ihrer Frauen das Schiff, Die jüngeren Frauen find recht
hübjch, fie find graciös gewachfen und ihre Haltung ift ficher
und feſt, während die fichtbare Neigung zum Didwerden
durchaus nichts Störendes hat. Der Hals fügt ſich anmuthig
an die Schultern, die Bruſt ift nicht zu ſtark und ihre Taille,
wenn auch ein wenig die, macht feinen unangenchmen Eins
drud, Sie find gewohnt, mit Europäern zu verkehren, da
die Bay häufig von Walfifchjägern befucht wird. Ihre Bor:
Tiebe für den Tabad ift wahrhaft unglaublid. Die meiften
Frauen färben dem Körper gelb mit Efa-moa, deren Haupt«
beftandtheile Kolosöl und die Wurzel einer Curcumaart bil«
den. Die Mafje hat den Zwed die Mosfitos abzuhalten
und die Haut hell und gefchmeibig zu machen,
Die Bewohner des Archipels haben von den Europäern
gelernt, aus den Blüthenlelchen der Kolospalme Branntwein
zu brennen; fie betrinfen ſich oft, und ihre Wuth fennt dann
feine Grenzen. ;
Einige von der Mannſchaft des „Vaudreuil“ begaben
fid) ans Yand und fanden dort einen Leichnam, welcher nad)
der Sitte der Eingeborenen unter einem auf vier Pfählen
Die wilden Liſſu an der Grenze von Yunnan und Tibet,
ruhenden Dache ausgeftellt war. Das Einbalfamiven der
Veihen, Hakapahaä genannt, welches gewöhnlich die Wei—
ber beforgen, befteht darin, daß der Körper mit Kofosöl ein-
gerieben wird, wonach man benfelben (Tupapato) auf eine
große Platte legt, die Arme auf eine horizontale Stange ge
ftügt. Nach einigen Tagen läuft eine eitrige Flüffigfeit aus
dem Körper, auf dem die Würmer umberfrichen. Die Wei:
ber, welche ſich diefer ſchredlichen Arbeit unterziehen, können
fid) nicht die Hände wafchen, um zu effen; fie lafjen jic an
der Seite der Yeiche nieder und mandje tauchen fogar ihre
Popoi in die Fluſſigkeit, welche derſelben entquillt. Der
furchtbare Geruch, weldyer entfteht, hindert die Eingeborenen
nicht, ihre Beſchäftigungen vorzunehmen; man lacht, ſchwatzt
und ißt gang nad) Gewohnheit. Faſt immer find diejeni-
gen, welche mit dem Hafapahai zu thun haben, frank oder
fterben bald.
Die Eingeborenen der Marleſas find alle fehr gleichgitl-
tig gegen den Eintritt des Todes, voraufgefegt, daß derſelbe
auf natürlichem Wege durch eine Kranfheit erfolgt, aber fie
fürdjten den gewaltjamen Tod, namentlih den Tod im
Kriege, letztern wahricheinlich, weil fie ſich durch denfelben
entehrt glauben,
Iſt ein Eingeborener fehr frank, fo fertigt man vor ſei—
nen Augen feinen Sarg an, welcher einer Piroge ähnlich
fieht. Tritt Genefung ein, jo wird der Sarg bis zu einer
andern Gelegenheit aufbewahrt, jedenfalls bleibt er fit die
Perfon beſtimmt, fir welche ex gemacht worben ift.
Aus der Bay Hanamenn auslaufend umfegelte der
„Yaudreuil* das öftlihe Cap von Hiwa-Oa, um in Wais
tahu Anker zu werfen. Diefer öftliche Theil der Inſel,
Henua ataha, das heit wüſtes Yand genannt, enthält die
höchſten Berge von Hiwa-Oa.
Die wilden Liffu an der Grenze von Yünnan und Tibet.
Im Äußerften Nordweften der Provinz Munan, welche
unfere Leſer aus Garnier's Schilderungen ſchon theilweije
haben fennen lernen, aber viel weiter nad) dem innern Hoch—
afien hinein, als je eine englifche oder franzöfifche wiflens
ſchaftliche Expedition gelangt iſt, haben ſich ſeit Jahren fran-
zöfifche Miffionäre niedergelaffen und fuchen dort ihrer Religion
Anhänger zu gewinnen, auch wohl ab und zu ber Länder⸗
und Völkerkunde einen Heinen Beitrag zu fpenden, wie na-
mentlic, der Abbs Desgodins. Es iſt das an jener merk:
wilrdigen Stelle, wo auf einem Naume von faum zwölf
Meilen Breite drei der riefigften Ströme Aſiens in paralleler
Nordfüdrichtung ihre Betten Taufende von Fußen in den har-
ten Fels gewühlt haben, um dann wenige Breitengrade id»
licher ganz verfciedene Wege einzuſchlagen und fid) in drei
verſchiedene Meere zu ergiegen: es find von Weiten nad)
Oſten gehend der Lu-tſe-kiang oder Lu-kiang, ber als
Salwen in den Bengalifchen Meerbufen fällt, dann der
Yanstfan-fiang, ber weiter unten den befanntern Namen
Mekhong führt und dem Meere von Siam tributär if,
und endlich als der öftlichfte und gewaltigfie der Jang-tſe—
fiang, der nad) Often umbiegend das ganze eigentliche China
durchſtrömt und mit den feit undenklichen Zeiten mitgeführten
Er und Schlammmaſſen das Gelbe Meer auszufüllen ſich
trebt.
An dem mittelften diefer Ströme, dem Yan-tfan-fiang,
liegt etwa unter 28° nördl. Br, auf dem rechten Ufer die
Station Tſe-ku und etwa adıt Tagereifen nördlicher, unter
29%, auf dem finfen Ufer und in 2375 Meter Höhe Yer—
talo, ſchon jenfeits der Grenzen Münnans und damit des
eigentlichen Chinas. Die Umgegend ift reich an edlen Mes
tallen ; an vielen Stellen findet man Gold, in Yetſcha Sit:
ber und Quedjilber, in Hui-long Kupfer u. ſ. w. ber
wenn dies Gebiet auch officiell zu Yünnan gerednet wird,
fo ift es doch von wirklicher Unterthänigfeit weit entfernt,
wie aus folgendem Berichte des Abbe Desgodins in Pers
falo hervorgeht. (Bulletin de la societ# de geographie.
Juillet 1875.)
Im Jahre 1871 war der Mukwa, d. h. der eingeborene
Häuptling, von Ye⸗tſche durch die Buddhaprieſter von Hong · pu
ermordet worden und um ihm zu rächen rief feine familie
2000 wilde Yıllu, die unter ihrer Botmäßigleit ftanden, her-
bei. Bon Sitden, von den Ufern des Yurkiang und Lan—
tfansfiang, ftrömten diefelben herbei auf Tſe⸗ku los; aber zum
größten Erſtaunen Aller bezeigten fie vor den dortigen Miſſio—
nären Biet und Dubernard den tiefiten Hefpect und
erlaubten fid) auf dem ganzen Gebiete der Miffion weder
Gewaltthätigfeiten nod; Plünderungen, von denen fie font
ſehr große Bas find — denn fie fannten den geredjten
und wohlthätigen Sinn der Miffionäre. Auf dem andern
rechten Ufer des Stromes aber, weldyes jenen Lamas ge-
Die wilden Liffu an der Grenze von Yünnan und Tibet.
hörte, plünberten fie die Dörfer, zUndeten fie am, trieben das
Bich fort und fchleppten viele Menfchen in die Gefangen:
ſchaft. Die Miffionäre brauchten ihren Einfluß, um einige
der letzteren loszubitten — und die Folge davon war, daß,
als die beutebeladenen Liſſu in ihre Berge heimgekehrt waren,
die geflüchteten Dorfbewohner vom rechten Ufer herliberfamen
und die Franzofen inftändigft baten, ihre Macht zu Gunften
ihrer weggeführten Verwandten zu benugen. Da nun aud)
ben Europäern daran lag, neuen Einfällen der Wilden vor:
zubeugen, bei denen die Miſſion vielleicht nicht fo glimpflich
weggefommen fein wilrbe, die Stimmung derſelben zu erfor
[chen und fie zu beruhigen, fo wurde auch wirklich Pater
Dubernard mit 5 bis 6 Vegleitern, weldje die Liſſus ſchon
kannten, als Vermittler abgejendet. Am zweiten Tage der
anfangs nad) Norbweften gerichteten Reife Überfchritt er die
Wafferfcheide zwifchen Melhong und Salwen, die zugleid) bie
Grenze zwifchen Ylnnan und dem Lande der Yustfe oder
Anong bildet, welche unter dem vom chineſiſchen Beamten
in Wesfi abhängigen Yama von Tſcha⸗mu-tong ftehen. Sie
bewohnen ein herrliches, Uppig fruchtbares Yand — aber
die ſchönen anbanfähigen Thäler dienen nur Nomaden zum
Aufenthalte, welche dort nichts treiben ald die Jagd auf An-
tilopen, Hiriche, Bären, Moſchushirſche, dreifarbige Füchſe,
fliegende Eichhörnchen u. f. w.
Folgenden Tages ging es nun bergab durch die Dörfer
der Lu⸗tſe, denen der den Miffionären freundlich gefinnte Lama
befohlen hatte, den Fremden gut aufzunchmen. Ueberall
fand er darum dem am vorigen Tage noch fo verwachjenen
Pfad durch dem Tſchre-pei (das Waldmeſſer) gereinigt; am
Eingange jedes Dorfes wurde er von dem Beffet oder
Schulzen empfangen und mit Früchten und Wild befchenft.
Am fünften Tage erreicjte er endlich den Lu-kiang beim Dorje
Giörffe, das in der fruchtbarften Gegend gelegen nur von
Feldern des Bergreifes umgeben war, welcher nicht fo beftän-
dige Bewäflerung verlangt wie der djinefifche.
Nun ging e8 am linken Ufer des Lusfiang hinab, bis
nad) drei weiteren Tagemärfchen das Gebiet ber Liſſu, welche
ftets die Lu⸗tſe und ihren Lama bedrohen, erreicht war. Aber
feine Zwecke jegte Dubernard nicht durch; fein Empfang war
zwar ber befte, dem er fich wünſchen konnte, und die Liſſu
verfprachen ihm auch, von weiteren Einfällen abzuftehen ;
aber bei ihrem Wantelmuth glaubte er ihren Worten nur
geringes Gewicht beimeflen zu dürfen, und da fie auch die
Gefangenen nur auf Bedingungen hin, die der Miffionär
nicht eingehen fonnte, freigeben wollten, war feine Sendung
als gefcheitert anzufehen.
nterejfant ift aber was er fonft vom jenem wilden Stamme
zu berichten weiß.
Ihre Unterthänigfeit unter China ift zum Theile mehr
ſcheinbar als wirklich); fie ift bei dem am Linken Ufer bes
Yanstfan-tiang (Mekhong) haufenden Liſſu eine vollftändigere,
weil diefelben den chineſiſchen Mandarinen und den eingebo-
renen Moffohäuptlingen näher haufen, auch nicht im com—
pacter Mafle zufammenfigen: fie zahlen letzteren ziemlich
regelmäßig Tribut und leiften, wie die Übrige chineſiſche,
tibetanifche und Moffobevölferung Frohn- und Sriegsdienfte.
Die Liſſu des rechten Ufers dagegen find viel ſchwieriger zu
behandeln, wollen von Tribut nichts wiffen, fondern bringen
ihren Häuptlingen nur Geſchenle, welche diefe mit Feſſen
erwiedern müflen. Zu Frohmdienften dürfte man fie faum
heranziehen fönnen; aber zur Theilmahme an Kriegen treibt
fie ihr wilder Sinn und ihre Bentegier von felbft, wie denn
and) einige hundert Mann von ihnen als Freiwillige gegen
die Panthes in Yinnan zu Felde gezogen find.
Bas die Liſſu am Pusfiang anlangt, fo ftehen fie unter
den Mulwa von Yertfche, der bei ihmen alljährlic, durch
199
einen Beamten einen unbebeutenden Tribut einfammeln läßt:
das ift ihr ganzes Unterthanenverhältniß zu China. Fir
ihre inneren Angelegenheiten haben fie Häuptlinge, welche fie
ſich entweder felbft wählen, oder die ihnen der Diufwa fchidt, "
und der nimmt dazu ftets die unruhigſten Köpfe, um fie da-
durch fiir fich zu gewinnen. Diefe Bolitif Hatte ihre Fruchte
getragen: bie Liſſu verſchonten das dhinefifche Gebiet mit
ihren Einfällen und das Land genoß einen ungewohnten
Frieden; denn fie liebten und fürdjteten den Mulwa zu gleie
der Zeit, und als er ermordet worden war, ließen fie
ſich nicht zweimal bitten, feinen Tod zu rächen.
Am Lan-tfang-kiang find ihre alle 20 bis 30 Jahre mit
traditioneller Regelmäßigleit wiederkehrenden Einfälle jehr
gefürchtet. Aber nie unternehmen fie diefelben, ohne zuvor
den dinefischen oder Mofiomandarinen, den fie angreifen
wollen, zu benachrichtigen und zwar mittelft eines Mufe,
wie es die Chinefen, oder Tſching-tſchram, wie es bie
Tibetaner nennen. Es ift das eine mit dem Meffer ein-
geferbte Ruthe, an welcher beftimmte Gegenſtände befeftigt
find, 3. B. eine jeder, eim angebranntes Stüd Holz, ein
Heiner Fiſch u. ſ. w. Der Ucberbringer muß die Sterben
und Gegenftände erflären. Exftere bedeuten z. B. die Hun—
derte oder Taufende von anridenden Sriegern; eine Feder,
daß fie mit der Schnelligkeit eines Bogels fommen, ein anges
branntes Stud Holz, daß fie alles auf ihrem Wege ver-
brennen, ein Fiſch, daß fie Jedermann ins Wafler werfen were
den u. ſ. f. Dieſe fymbolifche Sprache, welde bei allen
wilden Stämmen jener Gegend fehr verbreitet ift — im ders
felben Weife übermitteln die Häuptlinge ihre Befchle an ihre
Untergebenen —, erinnert lebhaft an jene Votfchaft , welche
die Stythen dem in ihr Pand einbredenden Berferfönige
Darius fandten (nämlich eine Maus, einen Vogel und ein
Bündel Pfeile, mit der Bedeutung, daß, wenn er, Darius,
nicht wie eine Maus unter die Erbe friechen ober wie ein
Bogel fich in die Lufte zu erheben vermöchte, ihm ihre Pfeile
ſchon erreichen würden).
Die Kriegserflärungen ber Liſſu haben fehr häufig gar
feinen befondern Grund und meift jagen fie, bie Zeit ſeĩ nun
gefommen, das Hoch ihrer Herren abzufchlitteln, gleichviel ob
diefelben gerecht oder ungerecht find. Namentlich bedrohen
fie ftets We-fi, wo man nur mit Schreden daran denkt, wie
viel frauen und Kinder fie ſchon geraubt und in bie weite
Ferne verfauft haben. Trotz alledem giebt es in den Bes
richten der officiellen Welt keine Liſſu mehr; kein Mandarin
fpricht diefen Namen aus und der Hof in Peking glaubt,
daß ſchon vor Jahren der letzte diefes Stammes von den
chineſiſchen Truppen vernichtet worden fei — denn fo hatten
die Manbarinen nach Peling gemeldet. Wenn dieſe aber jet
von ben Yiffu reden wollen, nennen fie diefelben Banyi (ver:
dorben aus Ba-yül), ein Name, welcher vielmehr einen meh—
vere Tagereifen weiter weftlich und jenfeits des Yustje-fiang
wohnenden Lu⸗tſe⸗Stamm bezeichnet, der mit den chineſiſchen
Behörden nichts zu ſchaffen hat und biefelben mie in Unge—
legenheiten bringen kann,
Es find 40 bis 50 Jahre her feit der Empörung, welche
zu jener diplomatischen Fiction den Anlaß gab: es war die
ſchrecklichſte von allen und viele Leute entſinnen fich dort noch
der entfeglichen VBerwüftungen an den Ufern des Yanstjang-
tiang. Bon Nestiche bis Wesfi lagen alle Ortfchaften in
Trümmern und die ausgefandten chinefifchen Truppen waren
ftets aufs Haupt gefchlagen worden, bis die Reihe auch an
bie Liſſu kam, diefelben befiegt und im ihre Berge zuriid-
geworfen worben waren und fie ihre Rädelsführer ausliefern
mußten. Damals jchrieben die Mandarinen im Hochgefühle
ihred Sieges nad) Yünnan hin, daß von den Barbaren, die
einft We⸗ſi bebrängt hätten, feiner mehr übrig geblieben fei.
200
Diefelben haben ſich aber nichtsdeftoweniger, Dank dem legten
1871 ermordeten Mufva von Pestiche, trefflich erholt, ver:
mehrt und ftehen jet Fräftiger als zuvor ba.
Als Räuber bei allen Nachbaren gefürchtet beftehlen doch
die Liſſu fich unter einander nur äußerft felten, weil ihre
Häuptlinge dies mit firengen Strafen ahnden; wie biefelben
denn auch einen gewiflen Corpsgeift unter ihren Untergebenen
aufrecht zu erhalten verftchen, weldyer ihren Raubzügen treff-
lich zu Statten kommt. Auf diefen Zügen, die fo recht ihrem
unruhigen Charakter und ihrer Beutegier behagen und wo fie
ihre Kraft, Sefchidlichfeit und Ausdauer im Zurlicklegen von
Degen, die fein anderer Sterblicher machen laun, üben, fühs
ren fie nie Borräthe mit ſich — wo fie hinlommen, verſchaf-
fen fie ſich ihren Yebensunterhalt durch Diebſtahl oder Gewalt.
Sie haben auf der Jagd nichts bei ſich als eine Armbruft
mit vergifteten Pfeilen und einen langen Säbel, den fie fehr
gejchict führen; im Kriege fommt noch ein aus ſpaniſchem
Rohr geflochtener Schild dazu.
So wild und unbändig fie find, werden fie doch treue
Fremde deffen, der iht Zutrauen gewonnen hat, Sie leben
meift dorjweife inmitten ihrer Anpflanzungen, treiben fid)
aber viel in den Bergen auf der Jagd herum. Außer den
Aeckern in der Nähe ihrer Dörfer beftellen fie auch zeitweilig
draußen in den Bergen eim durch Feuer vom Holze gereis
nigtes Stüd Yand, das fie verlaffen, fobald feine Kräfte
erſchöpft find oder fobald dort ein Familienmitglied geftor-
ben ift.
Ihre Wohnungen find nur elende mit Gras bebdedie
Hütten, deren Fußböden und Wände aus ſchlecht geflodytenem
Banıbus beftehen, durch den der Wind hindurchpfeift.
Ihre Kleidung, wenigftens die der Männer, gleicht im
Schuitt der chineſiſchen und beftcht aus eigen gewebten Hanf.
Nicht felten ficht man einzelne Yeute mit prächtigen Seiden⸗
J. Mestorf: Germaniſche Wohnfige und Baudenkmäler in Niederöfterreich.
gewändern angetan, die fie auf ihren Raubzügen in China
geftohlen haben. Aber fie fchäten dergleichen Koftbarteiten
nicht höher als ihre rohen Hanfkleider und tragen dem theuern
Stoff ebenfo auf der Jagd oder beim Feldbau wie an Feſt—
tagen. Das eigenthümlichfte Stüd der Frauentracht ift die
Kopjbededung, eine Kappe mit Obhrenklappen und ganz mit
Kaurimuſcheln bededt.
Die Kriegsgefangenen find Sklaven, ohne daß ihr Loos
ein ſonderlich hartes wäre. Denn der Sklave wird wie ein
Familienmitglied betrachtet, lebt unter demfelben Dache, ift
diejelbe Speife, lurz theilt mit der Familie Arbeit, Yeid und
Freude. Gefällt er feinem Herrn nicht mehr, fo wird er
für Vieh weiter verfauft; heivathet dev Sohn des Haufes und
hat nicht genligend Vich, um feine Frau zu bezahlen, fo dient
wiederum er an Zahlungsftatt. Die Frau hat feinen Wil
len, fondern wird einfach; verkauft; gefällt fie ihrem Manne,
jo hat fie es gut; kann er fie nicht leiden oder entftchen
Zwiſtigleiten, wird ſie zwar nicht mißhandelt, aber ohne
Weiteres weiter verlauft. Die Liſſu haben Polygamie, aber
nicht, wie andere tibetanische Stämme, Polyandrie.
Ihre Religion ift der Fetiſchismus; fie glauben an böje
Geifter, welche an Quellen, auf Felſen und in Wäldern hau-
fen und fehr gefürchtet find. Um fie zu vertreiben haben fie
Zauberer, weldye Yoofe werfen und die Trommel ſchlagen,
wobei einem aus gegohrenen Getreide bereiteten Getränfe
ſtart zugefprodyen wird. Um Yamas und Buddhas, Gögen-
bilder und Tempel kümmern fie ſich gar nicht. Trinten und
Plündern, das find ihre Hauptieibentljaften.
Befonders bei den Liſſu vom Yu-Fiang findet fich ſehr viel
Gold, jo dag ihre Conrantinlinze in Meinen Goldkigelchen
beſteht. Diefelben werden mittelft der chineſiſchen Wage
gewogen und felbft die Kinder verfichen diefelbe vortrefjlic)
zu handhaben.
Germanifche Wohnfite und Baudenkmäler in Niederöfterreid.
Bon J. Mestorf.
Die unter obigem Titel Fürzlich veröffentlichte Heine
Schrift des durd; frühere archäologiſche Forſchungen befanns
ten Dr. Math. Mud in Wien beweift wieder einmal,
welcher Augen fir die vorgefchichtliche Alterthumslunde bare
aus erwächlt, wenn ein begrenztes Terrain vor einem ſach—
fundigen, ſcharfen Auge abgefucht wird. Herr Much wählte
zu feinen Unterfuchungen das Gebiet, weldyes von der Dos
nau, der March, der ara und dem Kamp umfloflen iſt,
wahrhaft claffifchhen Boden, auf dem der Menſch fchon mit
' Händen desjenigen, der ihnen Rede abzuloden weiß, zu foft:
roh behauenen Steinwaffen den Elephanten jagte, und nad):
dem er die verfchiedenen Gulturftadien durchlaufen, vor mehr
als anderthalb Jahrtaufend bereits zu einer Kraft und In—
telligenz ſich entwidelt hatte, welche ſelbſt den erſten Kriegs—
heeren der Welt Achtung einflößten. Die von dem Berfafler
unterfuchten und befchriebenen Wohnpläge liegen an den Ufern
der Donau und March und find ſowohl hinſichtlich ihres
örtlichen als ihres archäologiſchen Charakters der Art, daß
fie zu dem älteften hiſtoriſchen Nachrichten über jene Gegen:
den in Beziehung treten. Man hatte die in dem Boden
lagernde Hinterlaffenicaft der alten Bewohner bisher ums
beachtet gelafien, weil man nicht bedadhte, daß einige ver—
roftete Cijenftüde, Topfſcherben und Knochen unter den
baren Documenten werben fünmen. Dies aber hat Herr
Much trefflich verfianden, indem er micht nur die Blüither
zeit diefer altgermanifchen Wohnfige mit Zahlen feftitellt,
fondern auch die Bewohner mit Namen nennt. In die
Markomannen- und Quadenkriege führt er uns nämlich bei
der Edjilderung der von ihm durchſorſchten Yocalitäten und
da wendet er auf die Donanufer ein Wort des Tacitus
bezüglich der Rheinufer an, „weil hier wie dort die Stätten
ruhmreicher Bergangenheit ſich erhalten haben, viefige Waffen:
pläge, beven Umfang noch heute Maßſtab giebt für jene
Volksmaſſen und derem Kriegshorden und ein Zeugniß für
ihren gewaltigen a
Wir können den Verfaffer nicht auf allen feinen Wan—
derungen begleiten, noch weniger die Correctheit feiner Bes
obadytungen controliven und begnügen und, legtere voraus:
gefest, in wenigen Zligen eine der großartigften Ouaden=
feftungen zu zeichnen, bei deren Schilderung er jelbft mit
Vorliebe verweilt: diejenige von Stillfried an der Marc).
Der Name paßt ſcheinbar ſchlecht zu dem Wilde, welches
nicht weniger als „ftillfriedlichen* Charakters ift, allein der
Berfaffer hat eine andere Auslegung fr denfelben. Still,
I. Mestorf: Germaniſche Wohnfite
oder Stil, Stiel, faßt er auf in der Bedeutung von
Pfahl; fried als abgekürzt von eingefriedigt. Da hät:
ten wir einen durch Pfähle eingefriedigten Raum —
eine Pfahlburg *) Das Terrain derfelben bildet eine bie
March faft berüihrende Ede des von dem untern Maunhardts—
viertel auslaufenden gewellten Hügellandes, welche, am
Fluſſe durch 20 bis 25 Fuß hohe, faft ſenkrechte Löswände
begrenzt, im Norden und Süden durch Seitenthäler ifolirt,
nur im Weſten mittelft eines fait ebenen Nüdens mit der
Hochfläche des innern Hügellandes zufammenhängt, aber
auch an biefer Seite durch einen noch heute bedeutenden
Wald abgefchloffen if. Die fteilen Ränder des fo begrenz⸗
ten Terrain beherrichen nicht nur die March, ſondern die
ganze gegen Often und Süden vorlagernde Ebene. Der
größte Theil diefes 27 Hectaren meffenden Areals ift von
Wällen umgeben, bie bis zu 12 Meter Höhe anfteigen.
Die landeinwärt® gerichtete Weitfeite ift außerdem durch
einen 300 Meter langen, 35 Meter breiten und 10 Meter
tiefen Graben geſichert. Die Wälle beftehen aus Lös; der
größere ift eim fogenannter Brandwall, defjen Cons
ftruction Mar zu Tage liegt. Innerhalb der Wälle liegen
zwei „Zumuli* und ein „thurmartiges Erdwerlk“. Bier
Thore feinen urſprünglich in diefe Feſtung geführt zu ha-
ben, die, 400 Oluadratmeter auf eine Familie vom je fünf
Perfonen gerechnet, 2000 Einwohner gefaßt haben würde,
in Kriegäzeiten aber wohl ein zehnfach größeres Heer, weil
zur Bertheidigung des großen Wertes Taufende von Krie—
gern erforderlich waren.
Gegenwärtig ift die Oftfeite des Terrains mit Wein
gärten und Feldern bededt. Die Welthälfte, auf der eine
einſame Kirche liegt, bildet eine trodene Weide, die in folge
heftiger Regengüffe tiefe Einriſſe zeigt, und an den Wänden
diefer tiefen Riſſe war es, wo Herr Much die erften irde—
nen Scherben, Kuochen, Wandbewurfftücde, Aichenlager u. ſ. w.
entdedte. Wo man innerhalb der Wälle den Spaten in
den Boden fenft, fördert man ähnliche Dinge ans Yicht.
Unter den Fundftüden find befonders Hervorzuheben: ein
eiſernes, zweifchneidiges Schwert (vom Typus der Schwer»
ter des Nydamer Moorfundes), ein elfenbeinerer Kamm
(ebenfalls den Känmen aus den großen ſchleswigſchen und
dänifchen Moorjunden gleichend), Fragmente von Thon-
gejäßen und zwei römiſche Silbermüngen, eine von Probus,
eine andere von Fauſtina d. 9.
Zeigten ſchon dieſe Fundftüce in das zweite und britte
Bahrhundert nad) Chriſtus zuriid, fo fand der Berfafjer daflir
weitern Belag in einem längs des Über: das ganze Terrain
führenden Weges zu Tage tretenden weißlichen Gefteine, in
welchen er Mörtel erfannte und zwar einen Mörtel von
derſelben Beichaffenheit, wie derjenige am Triunphbogen des
nur fieben Stunden Weges entfernten Carmuntum, jener
berühmten Römerftadt, welde 374 von den Quaden zer:
fiört ward. Auch römiſche Ziegel jand Herr Much und
zwar mit demfelben Fabrikzeichen, welches er früher an Zie—
geln aus dem römiſchen Winterlager vor Carnuntum ent
det hatte. Aus dieſen und anderen Erjcheinungen ſchließt
nun Herr Much, daß innerhalb der Wälle einft ein römiſches
Eaftell geftanden habe. Da fragt es ſich, wann daffelbe
*) In Ortonamen beteutet „Arieb” allerdings Umbegung, Ge—
bene, wie noch beute im bayeriſchen Dialef, Daß aber in ter
Silbe Still? unſer Stiel (mittelhochteutſch Mil — nbr. Stiel)
entbalten und biejes in ter Bereutung Pfahl gebraucht fein Toll,
if ſeht unwahrſcheinlich. Bielleicht kann ter Name „ftilles Ge—
böft“ bedeuten oder „Gehöft des Stilo* (Perfonenname, deſſen
Diminutiv „Stilifo*, motern „Stilfe* it). Doch find dies beites
nur Bermutbungen, weldhe durch eine abweichende urkundliche Jorm
tes Namens umgeftoßen werten fönnen. Zepter finb uns aber nicht
zur Hand. (Nah einer Mittheilung des Prof. Dr. E. Kubn.)
Globus XXVIIL Mr. 13.
und Baudenkmäler in Niederöfterreich. 201
erbaut worden, Zwei Berſuche der Römer nördlich der
Donau feften Fuß zu fallen, find hiftorifch befannt, der eine
unter Marcus Aurelins, der andere unter Valentinianus,
Da nun die Fundftüde und unter biefen vorzugsweife die
gefundene Münze der Fauſtina, Gemahlin des Marcus
Aurelius, auf eine frühere Zeit weifen, jo nimmt Herr Much
an, da das Gaftell während der Markomannentriege 166
bis 180 n. Chr. errichtet worden fe. Es ſcheint indeſſen
nicht lange beftanden zu haben, da die beiden Tumuli, welche
fid) über den Trümmern des Gemäuers erheben, erft nad)
der Zerſtörung deffelben errichtet fein künnen — vielleicht
zum Gedächtniß des Abzuges der Feinde.
Der Drt Stillfried war von hoher ſtrategiſcher Bedeutung.
Fir die Nömer war ber Befig diefes Bollwerkes, von wo
aus die Germanen zu jeder Stunde bei Tag und bei Nacht
vor den Thoren ded prächtigen Carnuntum erfcheinen fonnten,
von größter Wichtigkeit, um jo miehr, da eine Waſſer—
ftraße die Communication zwifchen beiden Punkten erfeichterte.
Nicht minder lag andererjeits den Quaden daran, ben feſten
Plag in der Nähe des großen römifchen Yagers zu behaupten,
von wo aus alle Triegerijchen Unternehmungen nördlid) der
Donau ausgingen und ohne welchen fie jedem plöglichen
Ueberfalle jchuglos ausgefegt waren, Daß die Quaden
überhaupt darauf bedacht waren, die Flußthäler in ihrer Ge:
walt zu haben, geht nad) Much daraus hervor, daß ſowohl
der obere Theil des Waagthales als das Marchufer durd) ein
Syftem von Feitungswerken gejchligt waren, welche zum Theil
derfelben Zeit angehören wie Stillfried. Daß das an lept-
genannten Orte aufgeführte römische Caſtell indeffen nur
furzge Zeit beflanden, liege ſich aud) aus der hiſtoriſch
befannten Thatſache Pe daß die Römer ſchon unter
Marcus Aurelius und Commodus die im Quadenlande er
richteten Feſtungen ſelbſt zu ſchleifen ſich gemüßigt ſahen.
Die Anlage und Zerſtörung eines römiſchen Caſtells
und die Errichtung zweier Tumuli Über den Trümmern deje
felben bilden indefjen nur Epifoden in der Gefchichte des
großen Waffenplages. Um über feinen Urſprung Weiteres
zu erfahren, grub Herr Much tiefer in den Boden und da
ergab es ſich — wir faſſen die Hauptrefultate kurz zuſam⸗
men —, da die urſprüngliche Unlage bis in bie vorhiftor
riſche Blüthezeit des unfern gelegenen Marktes Hallftatt
zurlidreichen dürfte. Erſt fpäter, vermuthlic während der
Nömerlviege, fcheint eine ſtürmiſche Zeit ber den Ort ein:
gebrodyen zu fein. Coloffale Aſchenſchichten mit eingebetteten
Wandbewurfſtücken, Kohlen, Scherben u. |. w. zeugen von
gewaltſamer Zerftörung und furchtbaren Bränden. Die
obere Schicht bietet dahingegen ein rubigeres Bild. Die aus
Flechtwerk mit Lehmanwurf beftchenden Wohnhäufer ſcheinen
ſtattlicheren Holzbauten gewichen zu fein, feine Ajchenhaufen
jeugen von verheerenden Feuersbrunſten. Diefe beiden
Schichten find fo ſcharf getrennt, daß es am einigen Stellen
ſcheint als habe fid Über der untern eine Grasmarbe gebil-
det bevor cine neue Befiedelung flattgefunden. Unter den
Thongefäßen aus der untern Schicht find einige dem Hall
ftatter Typen und gewifjen niederöſterreichiſchen Grabgefäßen
derjelben Zeit auffallend ähnlich; diejenigen der obern
Schicht find zwar beffer gebrannt, allein Formen und Drs
namente weniger gejchmadvoll und mannigfaltig.
Bemerkenöwerth ift ein Ercurs des Berfaflers tiber die
auch zu Gtilfvied gefundenen fogenannten Webftuhle
gewidhte, vierjeitige, coniſche Thongebilde, mad) oben ge:
locht zum Durchziehen einer Schuur. Er kennt ſolche von
52 bis 2170 Grammes Gewicht und bezweifelt ihre aus:
ichliegliche Anwendung am Webftuhl. Nach Wantel’s Ber
obachtung fehlen fie im öftlichen Europa. Ich habe diefe
Gewichte früher von Italien bis an die Nord» und Dftfee
26
202
verfolgt. Die mir befannten nördlichften Funde find aus
Holjtein. Zwei, von 794 und 805 Gramm, in Dithmar+
ſchen gefunden, werden in der hamburgifchen Alterthümer-
fammlung bewahrt, ein drittes aus dem Kirchſpiel Ahrensböl
(öftliches Holftein) ift in den Händen eines Privatſammlers.
Als auffällig ift feiner zu erwähnen, daß Herr Much
aus der untern und zwar ungeftörten Schicht, derſelben,
in weldjer er die beiden römischen Silberbenare fand, auch
ein Gefäß von rothem Thon in Pöwengeftalt zu Tage
förderte und zwar nad) der Abbildung jenen bekannten Ge—
fäßen durchaus gleichend, weldye and) in Holftein und im
ffandinavijchen Norden vorkommen und als Kicchengefäße
(Yavatorien) des elften bis dreizehuten Jahrhunderts betrach-
tet werden.
In der oben Schicht, welche Maſſen zum Theil bear:
beiteter Thierknochen enthielt, die noch einer grlindlichen
Unterſuchung harren, wurde auch eine alte Schmiedewerlſtätte
aufgededt. Allein auch in der untern Schicht fand Herr
Much Anhaltepumfte genug um den Ausspruch zu vechtfers
tigen, daß die alte „Quadenfeſtung“ eine handele und ges
werbetreibende Stadt geweien. Bon der Ausübung legte:
rer zeugt zum Beifpiel eine entdedte Töpferwerfftatt, und die
Alterthuunsforfcung hat zur Beglaubigung der Tradition,
daß römifche Händler das Yand der Germanen durchzogen
und Känfer für ihre Waaren fuchten, zahlreiche Beläge ge-
liefert, Daß Stillfried ein uralter Handelsplag geweſen, ließe
fid) auch daraus folgern, daß es in der Nähe einer alt
berühmten Bernfteinhandelsftrage lag, von welcher auch
Hallftatt und Carnuntum berührt wurden. Endlich müſſen
wir dem Verfaſſer auch darin beiftimmen, daß Stillfrieb
hinſichtlich feiner örtlichen Lage lebhaft an die Beſchreibung
Eäfar's von der Feſtung der Aduatuker erinnert.
In dem zweiten Abfchnitte feiner höchſt anziehenden
Schrift beſchäftigt ih) Dr. Much mit anderen Bauwerken,
in welchen er vorchriftliche Eultusftätten erblidt. Er unter-
fcheidet fie ald Stein und Erdbauten. Yestere, der Zahl
nad) vorherrichend, beftehen in Ringwällen, Hügeln und
ftumpfen Pyramiden, einfady oder combinirt; letzteres fo zu
verftehen, daß Hilgel oder Pyramide aus einem biswei«
Franz Poppe: Hollandsgänger.
erhebt, oder daß ein zweifacher oder gar dreifacher Ningwall
einen Hügel und eine Pyramide umfchließt. Der Sotte-
mund unterfdjeidet fie ala Yees und Hausberge. Der Yee-
berg ift ein Erdhügel, der Hausberg von Ningwällen ein:
geſchloſſen, fomit dem nordiſchen „Hof“ zu vergleichen.
Von 60 folden niederöfterreichifchen Erdbauten liegen
die meiften nördlich der Donau und zwar am dichteſten an
der alten Grenze zwifchen den Germanen» und Römerfigen.
Einige diefer Hügel umfchliegen Grabftätten, was indeflen
ihre Bedeutung als Cultusort nicht aufhebt. Daß fie als
foldye aufzufafjen feien, geht nady Herrn Much's Anficht
aud) daraus hervor, daß auf mehreren noch, heutigen Tages
eine Kirche liegt, die bei Einführung der chriſtlichen Yehre
auf der Stätte des heibnifchen Heiligthums erbaut worden
fein dürfte. Auch pflegen die Haus und Peeberge häufig
in der Nähe Heiner Städte und Dörfer zu liegen und bil-
den in der Kegel Gemeindeeigenthum. Bor Kurzem noch lag
die Gemeinde Geifelberg mit ihrer ehemaligen Gutsherrichaft
in Streit um den Befig ihres großartigen Hausberges. Sie
behauptete ihr uraltes Recht und führt das Bild des Berges
in ihrem Siegel inige diefer Hausberge find von impo-
fanter Höhe. Derjenige von Stromegg nimmt mit feinem
Ringwall einen Flädyenraum von 12,000 Quadratmeter
ein, Der Hügel ift 12, die Pyramide 4,75 Meter hod).
Wo Hügel und Pyramide innerhalb einer Umwallung liegen,
pflegt erfterer legtgenannte immer an Höhe zu überragen.
Bon den abgeftuften Hügeln denft Herr Much, daß nur die
Priefter den Gipfel betreten durften, während das Volk auf
den Stufen ringsum lagerte. Er erinnert an den Brief
Gregor's des Großen an den Abt Melittus, in dem er ge
ftattet, das Bolt möge rumd um die Kirchen , die einft
Tempel waren, fid) lagern in Zelten aus Baunzweigen und
in gewohnter Weife Tiere ſchlachten und verzehren, aber
unter der Anrufung Gottes,
Als Hauptergebnig der Much ſchen Ausgrabungen wäre
zumächft zu betrachten, daß eine an den Ufern der Marc
jeßhafte germanifche Bevölterung Erbaner von Brandwällen
gewefen und daß fie im zweiten und dritten, ja vielleicht gar
im vierten Jahrhundert nad) Chriftus am der Donau nod)
len mehrboppelten und ftufenartig anfteigenden Ringwall ſich | Mal oder Srabhligel errichteten.
Hollandsgänger.
Ein Bild aus dem Vollsleben von Franz Poppe.
Aus den Geeſt⸗ und, Heidediſtrieten des nordweſtlichen
Deutſchlands finden alljährlid) nicht unbedeutende Wande-
rungen der Yandbewohner nad) den angrenzenden fruchtbaren
Marſchländern, namentlid nad) Holland, ftatt. Diefe
Wanderungen find von der Natur geboten, fo gut wie die
der Zugvögel. Denn in den fruchtbaren, üppigen Marſch—
ländern längs der Hüfte der Nordſee fehlt es zur Zeit der
Ernte und auch jonft an Arbeitern, die daher gefucht find
umd gut bezahlt werden. In den Heidegegenden dagegen
tritt mac der Beftellung der Roggen: und Buchweizenäder
eine Zeit ein, die weniger rbeitsfräfte erfordert; daher
eilen viele rüftige Männer und Dünglinge aus der Ärmern
Schicht der Yandbevölferung, angelodt durd) den höhern Ars
beitslohn, hinweg nach dem reichen Holland. Auf dieje
Weife ift eine Völlerwanderung im Kleinen und mit ihr eine
Wanderbevölferung centflanden,
Seit uraller Zeit, feit Jahrhunderten, ift im nordweſt ⸗
lien Deutſchland das ſogenaunte Hollandsgehen Gebraud).
Man nennt die wandernden Arbeiter Hollandbsgänger,
furzweg Holländer, auch Frieslandsgänger, kurzweg
riefen, weil viele derfelben nad) Friesland, dem nörd—
lichen Theile Hollande, wandern.
Aus dem Oldenburgiſchen ftellen befonders das
Miünfterland, der ſUdliche Theil des Herzogthums, fer-
ner die Wildeshaufer und Delmenhorfter Geeft, ganz
befonders aud) die Kirchgemeinde Wardenburg und Ums
gegend ein bedeutendes Kontingent zu diefen wandermden
Yandleuten.
Man möchte fie mit den Zugvögeln vergleichen, denn
in Schaaren ziehen fie fort, in Schaaren fehren fie wieder;
nur fällt bei ihnen der Abſchied von der Heimath im den
Fruͤhling, die Heimkehr in diefelbe in den Herbft. Wie die
Franz Boppe:
Heimlehr der Zugvögel von Yung und Alt, jo wird aud) die
der Hollandögänger mit Jubel und Freude von den Ihrigen
begrüßt. Früher wurden fie, wenn fie ſchaareuweiſe wieder
in ihre Heimathdörfer einzogen, von Freunden und Nach—
barn mit Freudenſchliſſen bewillfommt.
Obgleich urſprunglich die ländlichen Arbeiten, wie Gras—
und Getreidemähen, die Veranlafjung zum Hollandögehen
gaben, jo fanden ſich doch nad und nach aud) andere loh—
nende Arbeiten für die Hollandegänger, als Härings- und
Walfiſchfang, Canals, Deid)- und andere Wafferbauarbeiten,
namentlich aber Torfgräberei und Studaturarbeit, denen ſich
nun viele Arbeiter ausjchlieglid, widmeten, So entftanden
drei Hauptabihelluugen von Holländern, die Girasmäher,
die Torfarbeiter und die Studaturarbeiter oder
„Studadoors“.
Wie groß die Anzahl diefer Wanderbevölterung ift, läßt
fid) nicht genau angeben ; im Oldenburgiſchen mag fie fid)
auf nahezu Taufend belaufen.
Die Grasmäher ziehen nad) den fruchtbarften Gegen
ben Frieslands und Hollande, um den Knechten der reichen
Mynheers beim Einheimfen des Heues und Getreides,
das der Boden in Fülle hervorbringt, behülflich zu fein.
Sobald fie ihre dürjtigen Roggen- und Budweizenäder be
ſtellt haben, brechen fie auf zur Wanderung, den Frauen und
Kindern die Übrige Arbeit des Sommers überlafjend. Schon
vor der in dem September oder October fallenden Buchwei—
zen: und SKartoffelernte fönnen fie zurücgefchrt fein und bei
derfelben Hilfe leiften.
Dei der Abreife vereinigen fie ſich zu Meinen Trupps
und nehmen ſich gemeinfcaftlid) einen Wagen, dem fie mit
Seufen und Nahrungsmitteln, namentlid) Borräthen von
Speck und Schinken, bepaden. Andere nehmen die Senfe
auf die Schulter, hängen ſich die Neifeflafche, den mit Brot
und Sped gefüllten FFreßſack* um und machen die Reife
zu Fuß. Gegenwärtig wird indeß vom dem meiften die Eifen-
bahn benutzt. Frülher follen fie wie die Zigeuner ihre bes
ſtimmten Wanberftriche und Plätze fir die Nadıtftationen
gehabt haben. Da fie die ganze Keife aufs Sparjamfte ein-
richten, jo Übernachten fie jelten in einem Wirthshaufe, fons
dern in der Regel unter freiem Himmel, im Schutze eines
Waldes oder eines einzelnen Baumes, Im Oldenburgifchen
giebt es fogar eine Eiche, die von diefem Unftande den Na—
men „Frieſeneiche“ erhalten hat; es ift ein mundervoller
Baum, der einzig in feiner Art dafteht in dem herrlichen
Buchenhaine des Stühe, nicht weit von der Stadt Delmen-
orjt.
e Dat ein Hollandsgänger einmal einen günftigen Diftrict
und einen Bauern gefunden, jo lehrt er im der Hegel dahin
zurüd. Verliert ex aber feine alte Kundſchaft, fo zieht er
von Gehöft zu Gehöft, bis er Unterkommen und Arbeit
findet. In Holland wird nicht im Tagelohn gearbeitet, wie
man ſich ausdrüdt, fondern im Accord, d. h. ein Stüd
Land wird den Arbeitern zum Abmähen fir eine beſtimmte
Summe zubedungen. Zwei bis drei Arbeiter übernehmen
gewöhnlid, eine Fläche gemeinfam. Iſt diefe eben, frei von
Maulwirfshligeln, ift das Gras jaftig, nicht hart und mit
Schiff durchwachſen, fo machen fie ein gutes Geſchäft. Hat
aber ein durrer Frühling die Gräſer ſtruppig gemadit, ger
räth die Senfe häufig in Maulwurféhügel, fo iſt die Arbeit
jcdwieriger, andauernder und daher weniger lohuend. _
Meiftens ſchon im Auguft fchren die Grasmäher, mit
60 bis 80 blanfen holländifchen Gulden in der Tafche,
wieder im ihre Heimathdörfer zurlic. Fran und Kind haben
ſchon lange auf fie gewartet und ſich auf die Meinen Ge:
jchente gefreut, die der Bater ihnen aus Holland mitbringt
und unter denen für die Frau ficherlidy ein Pfund kräftigen
Hollandsgänger. 203
Javathees nicht fehlt. Noch willfonnmener fir den Winter
find aber der Frau die hübſchen Erſparniſſe. Einer der
Gulden wandert auch gewöhnlich, in die kirchliche Armen:
bitchfe, und für ſolche Opfergabe fpricht der Herr Paſtor am
nädften Sonntage in ber Kirche ein Danfgebet fiir die
glüdlice Heimkehr des Hollandsgängert,
Die Torfgräber find in der Kegel Heuerleute, die ſich
den Miethzins in Holland zu verdienen ſuchen. Im Früh:
linge, fobald die Witterung es erlaubt, reifen fie ab, mit
einer großen Quantität Sped und vielen Eiern als Pro;
viant verfehen. Der daheim gebliebenen Frau liegt es nun
ob, den ganzen Heinen Ader zu beftellen und obendrein den
Bauern die im Heuercontract bedungenen Arbeiten zu leiften,
Hat fie nebenbei Heine Kinder, wohl gar einen Säugling
zu pflegen und zu warten, fo ift ihr gewiß eine ebenfo ſchwie⸗
rige, wenn nicht ſchwierigere Aufgabe zugefallen, als dem
fernen Manne. Die ehelicdyen Bande werben durch folche
Berhältniſſe cher gefeftigt als gelodert; die Yicbe wird ges
fräftigt und lebendig erhalten durch das Abſchiednehmen für
eine lange, arbeitsſchwere Trenmungsgzeit, durd) die von Zeit
zu Zeit einlaufenden fchriftlichen Lebenszeichen, die gewechſelt
werden, und endlich durch die Freude des Wiederſehens, des
fen Tag lange vorher berechnet und erjehnt war,
Zehn bis zwölf Wochen dauert die Arbeit der Torfgrär
ber und ihre Arbeitspläge find hauptſächlich Hogeveen und
Dedemsvart in der Proving Overyffel und am Stad6=
canal und bei der Smilde in der Provinz Drenthe, Die
Moore, auf denen gearbeitet wird, liegen in der Regel eine
Meile und daritber vom nächften Kirchdorfe entfernt. Auf
den über die Moore vertheilten Arbeitsplägen (Blaafen) ar
beiten die Torigräber in größeren und Mleineren Gruppen;
acht bis zchn Mann eigen ein Ploeg, zwei bis drei Dann
ein Spann.
In der Nähe dev Arbeitspläge fichen die Hütten der
Torfgräber, in denen fie zu mehreren campiven. Es find
ärmlice Wohnungen, dieſe Hlitten. Die Wände berfelben
beftehen meiftens aus aufgefchichtetem Torf, das Dad; aus
lofe aufgelegten Ziegeln. Im der Mitte des Names brennt
Tag und Nacht ein Torffeuer. Die Lagerftätten befinden
fid) unmittelbar auf dem Moorgrunde, der nur mit einer
Unterlage von Reifig, lofem Torf oder Saud bededt ift.
Die Arbeiter liegen auf Stroh, als Mopftiffen dient ein
Seilfiffen von Stroh oder gar das Reiſebündel, als Ober
bett eine gemeinfante leinene oder wollene, oft nur aus guor
ben Kaffceſäcken zufammengenähte Dede,
Da foldre Wohnungen und Yagerftätten naß, zugig und
kalt jein müfien, jo werden die Arbeiter hänfig von Krank—
heitem heimgeſucht, mantentlic, vom falten Fieber, Kolik,
Lungenentzündung, Rheumatismus und dergleichen. Traurig
ift die Yage cines foldyen erkrankten Arbeiters, fern von der
Heimath, in elender Torfhütte. Schon Juſtus Möfer
Hagt: „Die Torfgräber werden mit funfzig Jahren alt
und von vieler Arbeit kümmerlich, dieweil fie ſich bei einer
elenden Koſt und einem ſchlechten Lager fo geizig angreifen,
daß fie es nicht aushalten“ *).
Um fo höher find die Verdienfte zu ſchätzen, welche ſich
die von der innen Miffion ausgefandten Reifeprediger
um die äußere Lage der Arbeiter erworben haben durch
Vorftellungen bei den Arbeitgebern, vor Allem aber durch
Grlindung einer Krankencaſſe und eines Krankenhau—
ſes am Stadecanal.
Ebenfo groß wie die Gefahren fr die förperliche find
die Gefahren fr die fittliche Geſundheit der Arbeiter, und
mit Recht klagt Juſtus Möfer, „daß die Hollande:
*) Dsnabr, Geſchichte, Br, I, ©. 110,
26 *
204 Franz Poppe
gänger im ihrem Betragen und in der Spradje gern dem
Holländer nachahnien und durch die Ausflucht nach Holland
leicht eim zügelloſes und vohes Weſen annehmen.“ Die
Beenbefiger huldigen dem crafleften Materialismus, und es
foll unter anderm Thatſache fein, daß die Hälfte berfelben
wie auch dev Arbeiter an den Folgen dev Trunffucht fterben,
Fur die Thätigfeit der Neifeprediger eröffnet ſich hier mithin
ein weites bisher vernadjläffigtes Feld.
Intereſſant und ergreifend ift die von einen Reifepredis
ger mitgetheilte Schilderung von dem Begräbniß eines plög-
lic) verftorbenen Torfgräbers, das er auf Wunſch der Arbei—
ter leitete, „Nachmittags 1 Uhr,“ berichtete er, „verfam:
melten ſich circa 200 Torfgräber an der Hlitte, Der Sarg
wurde in die Mitte vor die Hlitte geftellt, daranf eine Furze
Andacht mit Geſaug und Gebet gehalten. Dann trugen
ſechs Cameraden des Verſtorbenen die Leiche Über die Dich:
brüde nad) dem an dem ambern Ufer aufgeftellten Wagen.
Der Zug ordnete ſich Hinter demjelben umd nun ging c#
faft °, Stunden weit über die Torffelder nach dem Kirch—
hof, der Neifeprediger in der Mitte des Zuger, vorjagend
und vorfingend: „Jeſus meine Zuverficht“ und „Wer
weiß, wie nahe mir mein Ende” Beide langen Gefänge
hatten wir zu Ende gefungen, al® wir auf dem Kirchhof
anlamen. Es war ein ergreifended Bild; hinter dem ein—
fachen Bretterfarge diefer Veichenzug von 200 Torfgräbern
in blauen Kitteln, Jaden oder Yeinwandröden, ihr Geſang
weithin fallend und überall Haufen von Holländern zur
Seite ftchend, die fo etwas nod) nicht gefehen hatten. Wir
fenften die Peiche ein mit der Feier, wie wir es in Deutſch-
land zu thum gewohnt find, unter Gefang und Gebet und
gingen — in Gottes Haus, wo der Reiſeprediger nun
noch eine Leichenpredigt über das ernſt mahnende Wort
Marc. 13, 35 bis 37 hielt.“
Gunſtiger als die Yage der Torfgräber, die überhaupt
von den Hollandsgängern am wenigften beneidenewerth find,
gejtaltet fid) die der Studaturarbeiter. Das Kirch—
jpiel Wardenburg, ſüdlich von Oldenburg gelegen, ftellt
ein großes Contingent zu dieſer Claſſe der Hollandsgänger,
weniger die Kirchſpiele Hatten und Großenfneten, am we:
nigften Ganderkeſen, Huntlofen und Dötlingen,
Holland wird den „Studaboore* zur zweiten Heimath.
Von Anfang April bis in den December, alfo den größten
Theil des Jahres, find fie dort. Ihre Anzahl beläuft ſich
in Frießsland und Groningen auf 200; ebenfo viel mögen
in Amfterbam fein und micht weniger in den anderen größer
ven Städten. War der Vater ein Studadoor, jo werden
es in der Megel auch die Söhne. Zu den Meiftern unter
ihnen, die faft alle deutſcher Herkunft find, ftehen fie daher
in einem engen Berhältnig. Mancher hat Hein angefangen,
ſich aber durch Fleiß, Geſchicklichteit und Nechtichaffenheit
jo emporgeſchwungen, daß er jegt an 50 bis 100 Arbeiter
und darüber beicäftigt. Einige fogenannte kleine Meifter
haben ihren feſten Wohnfig noch im Ofldenburgifchen und
gehen nur im Sommer mit ihren Gejellen nach Holland.
Bon 4 oder 5 Uhr Morgens bis 9 ober 10 Uhr Abends
wird gearbeitet. Gin Tagewerf von 8 Stunden wird mit
ı Al bis 1Fl. 30 Ets. bezahlt. Im Sommer werben
oft 14 Tagewerle in einer Woche gemacht. In einem Mo—
nate lann ein Arbeiter wohl 20 Gulden reinen Verdienſt
haben, macht in 8 Monaten 160 Gulden.
: Dollandsgänger.
Der Meifter, Bas genannt, fendet feine Gefellen von
ber Stadt, in der er wohnt, nad) allen Arbeitsplägen der
Umgegend, wo Nachfrage entfteht. Daher find die Arbeiter
Über die Provinzen vertheilt, von Leuwarden aus fiber (Fries:
land, von Zwolle aus tiber Oderyſſel u. ſ. w. Auch in den
Städten liegen fie in Gruppen von 4 bis 10 Mann zer:
ſtreut. Cie wiflen nicht einmal genau, wo ihre Landéleute
in Koft und Pogis find. Die Arbeiter auf dem Lande kom:
men Sonntags in der Regel zur Stadt, find fie aber zu
weit von derfelben entfernt, fo doch wenigſtens vier bis ſechs
Mal während der ganzen Arbeittperiode,
In Leuwarden haben fie ihr beſtimmtes Abfleigequar-
tier im Hauſe „Majoli in der Heereuſtrant“. Auch in an
deren Städten haben fie ihre beſſimmten Herbergen, m denen
eigens Heine Zimmer mit Schlafftellen vinge an den Wün«
den eingerichtet find,
Ihre Pebensweife ift im Ganzen mäßig und einfad).
Durch fortgefegtes Arbeiten im vornehmen Häufern haben
fie ſich eim befcheidenes und feineres Benehmen angeeignet
als die Grasmäher und Torfgräber. Dem Trunfe dürfen
fie fi) wicht ergeben, weil die Meifter ihren Kunden nur
folide Leute in die Häuſer fenden. Bei der holländischen
Bevölkerung erfreuen fie fich des beften Rufes, intbefondere
der Ehrlichkeit, jo dag man ihmen gefroft das ganze Haus
anvertrant auch dann, wenn die Hereichaft verreift iſt.
Unter den Bewohnern eines Dorfes erfennt man gleich
die Hollandegänger an ihrer propern Erfcheinung, überhaupt
an allen ihren Manieren. Durch den wiederholten Verlehr
mit den reichen Mynheers find fie in&befondere au Reinlich—
feit und Ordnung, die Nationaltugenden der Holländer, ge:
wöhnt. Auch erfennt man fie leicht daran, daß fie fid) gern
holländijcher Ausdrücke bedienen.
Mag auch das Hollandegehen im Abuchmen begriffen
fein, fo ift es doch immer noch bedeutend genug, unfere Aufs
merkfanfeit und unfer Intereſſe in Anfpruch zu nehmen, um
die voltswirthſchaftlichen Bortheile und Nachtheile deſſelben
abzwoigen. Die größten Nadıtheile, die das Hollandsgehen
im Gefolge hat, find namentlich folgende: Er flört das
Familienleben und erſchwert die Erzichung ber Kinder ; fo:
dann bürdet es der zurlidbleibenden Frau eine zu große
Arbeitslaſt auf und endlich ift es micht ohne Gefahr für die
leibliche und geiftige Geſundheit der Arbeiter.
Die Vortheile diefer Erwerbsart beftchen darin, daß fie
ein ſicheres und reichlicheres Brot gewährt, als die Eultur der
Heide und des Moores, vor Allem als der höchſt unſichere
Buchweizenbau, daß es ferner manchem jungen und jpar-
famen Manne fein Fortlommen erleichtert, ihm auch eine
gewifle äußere Politur verleiht und ſchließlich und haupt:
ſächlich, daß es eine nicht unbedeutende Summe Geldes ins
Land bringt.
Schon vor reichlich vierzig Jahren war ein Kenner des
oldenburgiichen Yandes und Volkes, Koli, dee Anficht, im
Ganzen möge das Hollandsgehen mehr fchaden als mügen,
und daher fei einem jeden, ber hinlänglich Erwerb im Yande
finden lönne, der alte Rath zu geben: „Bleibe im Lande
und nähre dich vedlidy!“
Allein fo lange die Cultur unferer großen Heide: und
Moorjlächen nicht rationeller betrieben wird, läßt ſich ſchwer⸗
lid) ein Erfag bieten und nach wie vor wird das Holland:
gehen als eine Nothwendigfeit fortdauern,
Georg Thiele: Stizzen aus Chile.
205
Skizzen aus Chile.
Von Dr. med. Georg Thiele.
II1.*)
Ban de Azücar. — Carrizalillo — Ya Florida. — Las Animas.
Wie ſchon in der vorhergehenden Skizze bemerlt worden,
ift Chañaral der Mittelpunkt ciner großen Anzahl von Hei
nen Mincnplägen, die hier in der Wuſte zerftrent liegen.
Außer den erwähnten find noch zu nennen: Pueblo hundido,
la Ola, wo der Borar bereitet wird, Gaballo muerto und
eine Menge anderer. Der größte aller diefer Orte ift Salado
mit etwa 1000 Seelen. Dan fährt dahin von Canaral
mit der Eifenbahn in drei Stunden. Salabo liegt im Thale
des gleicdynamigen Fluffes, der bei diefem Orte noch Waffer
enthölt, welches aber falzig, mithin unverwendbar ift. Weiter
oben liegt Pueblo hundido, ebenfalls im Flußthale, mit reich—
lichent aber fchledytem Suüßwaſſer, gleichfalls ohne Vegetation.
Ganz hoch, auf einer großen Hochebene, 11,000 Fuß über
dem Deere, liegt la Ola in der Cordillera, wo dat Klima
bereits jo rauh ift, daß mu während dev Sommermonate
gearbeitet wird, Auch herrſcht dort fehr die Puna, eine
eigenthlämliche Krankheit, die nur im hochgelegenen Plägen in
der Gordillera vorfonmmt. Ich habe in Chanaral mehrere
Krante in Behandlung gehabt, die deswegen die Minen vers
laſſen hatten. Weiter nach SAden und wicder tiefer fommt
dan eine feine Dafe, mo felbft Fruchte gedeihen, Finca de
Chararal, und etwas füdlicdher Tres PBuntas, eine alt
berlihmte Silbermine. Hier füngt- bereit8 das Gebiet von
Gopiaps an.
Nach Carrizalillo führt von Chaxaral ein divecter Weg.
Ich bin indeß ftets Über Pan de Azücar geritten, weil
man bier unterwegs ausruhen kann. Pan de Azücar liegt
wie Chaũaral an der Mündung eines ausgetrodneten Fluf⸗-
fes und etwa 3 bis 4 Neitftunden nördlicher als Chanaral
an der Hüfte. So lange der Weg fiber die Bucht von
Chadaral führt, ift derfelbe gut, dann aber wird er entſetzlich
uneben, fteinig und gewunden, immer zwiſchen ber See zur
Linken und hohen Felſen zur Rechten hinfligrend, Der Ort
liegt fehr verſtedt an einer fleinen Bucht, vor deven Eingang
ein hoher, zuderhutartiger Fels Liegt, der weithin fichtbar ift
und von dem der Ort den Namen (— Brod Zuder, Zuder«
hut) Hat. Der Ort hat etwa 400 Einwohner, die von zwei
Etabliffentents leben, nämlich dev Mine von Carrizalillo, die
hier ihre Erze verfchifft, und von einem Schmelzwert, zu dem
einige Minen gehören,
Der Weg von hier nach Carrizalillo ift ausgezeichnet
und fo langſam anfleigend, daß man es gar nicht merft. Er
beträgt indeß beinahe fieben beutfche Meilen und diefe in der
ſchattenloſen Wüfte (— wie hier die Sonnenftrahlen bei dem
ewig wolfenlofen Himmel brennen, ahnt man in Deutjchland
faum —) in etwa füuf Stunden abzureiten ift eine Strapaze,
an die man ſich gewöhnen muß. Uebrigens ift der Comfort
des Reitens hier mehr ausgebildet als in Deutſchland. Bor
allen Dingen find die Pferde befier; fie find viel lenkſamer
und gebuldiger; Bäumen oder Schenen und dergleichen find
unbefannte Dinge. Dabei haben fie einen viel fanfteren
Tritt; auch der Sattel ift bequemer und weicher. Ferner
ift die Manta cin ehr bequemes Kleidungsſtlick beim Reiten.
) S. I. und IE. in Br, 26 biefer Zeitfchrift, ©. 106 u. 124.
Es ift dies eine Dede wie unſere Neifededen, uur Hat fie in
der Mitte einen Schlig, durch den man den Kopf ſtedt.
Bruſt und Rüden find auf diefe Weife vortrefflich geſchützt,
während man die Arme frei behält. Zum Schutze gegen
den Staub hat man ganz leichte, gegen die Kälte didere
Dantas. -
Der Weg führt and) hier im Flußthal aufwärts. Die
erfte Station ift Cinchique, wo es einen Teich mit Süß:
waſſer giebt, das indeß nur von den Maufthieren genoffen,
vom ariftofratifchen Pferde dagegen verjchmäht wird. Da—
her ift hier eine große Station für die Maulthiere errichtet,
welche die großen zweiräderigen Wagen ziehen, auf denen
hier aller Verkehr geichicht. Es leben etwa 400 Maulthiere
und 20 Menjchen hier. Die vielen Thiere machen, daß dies
der fliegenreichfte Ort ift, den ich je gefchen. Maulthiere
find beſcheidener im ihren Auſprüchen an Futter und ertragen
längere Strapagen viel beſſer als Pferde, Eie werben daher
hier in der Wiifte fait ausſchließlich gebraucht, auch zum Reis
ten — nur der Gaballero ift zu Pferde —, doch find dieſe
Thiere beim Reiten unglaublich ftörrig.
Bon Cindjique veitet man in einer Stunde bis Bombo.
Auch hier ift Waſſer, fogar ein Meiner Bad, an deſſen Ufer
beinahe mannshohes Gras wächſt — ein fonderbarer Anblichk
in der fonft ganz gelben Wuſte. Die Minengeſellſchaft Hat
hier ein Erzichlemmereiwerk und eine Waſſermaſchine crrid).
tet; mittelft letterer wird das Wafler des Baches, das falzig
ift, deſtillirt und in Trinfwaifer verwandelt. — Kurz hinter
Vombo verläßt der Weg das Flußthal, man reitet querfelds
ein Über einige teile Hligelreihen weg und fommt dann auf
ein großes Hochplateau, in deſſen Mitte, weithin fichtbar,
der Hitgel von Sarrizalillo ſich erhebt. Hier zeigen fid)
die Pierde, willend, daß nun das Ende naht, gewöhns
lid) aufgeregt, und die legte Strede wird meift in einem Lane
gen Galopp zurlicgelegt, felbft den Hügel hinauf, was einem
chilenischen Pferde ganz gleichgültig ift.
Sp wie man um bie legte Windung herum ift, findet
man ſich plöglic) in das lebhafteſte Treiben und Arbeiten
verfegt. Die Mine befcäftigt etwa 500 Arbeiter, zu denen
noch etwa 300 Weiber und Kinder fommen, Diefelbe ift
anßerordentlich ergiebig und ba fie fehon feit 1859 mit fort-
währendem Sid bearbeitet wird, fo mögen die Befiger untere
deffen wohl zu Milionären geworden fein. Dabei ift e6
merhvitrdig, daß außer diefer Mine in der Umgebung mir
aends Kupfer gefunden wird. Bon Garrizafillo felbft ift
fonft gar nichts zu erwähnen. Cs find drei Hänfer da; in
dem einen wohnt der Adminiſtrator, im zweiten einige Unters
beamte, im dritten bauft eine Dampfmaschine. Die 800 Mis
neros mit Weib und Kind leben fo zu jagen in einem gro—
fen Steinhaufen, d. h. in Heinen Hätten aus Steinen, nicht
gemauert, fondern bloß aufgeſchüttet und geſchichtet und mit
einem Strohdach verfehen. Fenſter giebt es nicht, aber eine
Deffnung, die als Thlir benugt wird. Nicht die Noth iſt
es, was diefe Leute fo einfach leben läßt; fie verdienen viel
Geld, geben es aber mit noch größerer Schnelligkeit weg.
Carrizalillo Liegt ziemlich hoch und hat man hier cine
206
ganz gute Ausficht anf die Gordillera, die indeß durchaus
nichts landſchaftlich Hervorragendes barbietet. inc Reihe
faft ganz regelmäßiger rother fegelförmiger Hligel bildet den
Vordergrumd; hinter derfelben kommt eine Reihe höherer und
fo fort, bis endlich die mit ewigem Schnee bededten Gipfel
den Horizont abſchließen.
Die Silbermine Florida wird von Chañaral aus
nad) einer troftlos langweiligen Fahrt von etwa 14 Leguas
(9 deutichen Meiten) erreicht. Die Sandfrufte, mit der man
bei einer foldyen Fahrt bedeckt wird, benimmt Einem wirklich
faft das menſchliche Anfehen. Florida hat eine ganz ähn-
liche Yage wie Garrizalilo, nur liegt die Anfiedelung im
Thale und die verfcjiedenen Minen auf Hügeln. Die Hän:
fer beftchen weit aus Pfählen, die durch Yeinwanddeden ver»
bunden find, alſo das höhere Zelt! Was librigens bie
Silbererploration am ber Florida betrifft, fo geht augen
blicklich nur die Andacollo gut. Dem Erachten Sadjver-
ftändiger mad ift hier Silber genug vorhanden und wird
Aus allen Erdtheilen.
zum Borfchein fommen. Leider fiel die Entdedung der
Florida in eine Zeit, wo das Geld anfing fnapp zu werden
und ſich Alles von Specnlationen zurliczog. Die Befiger
in der Florida find meift Chariaraliner, Leute mit wicht viel
Geld und wenig Credit, die die Minen wicht fo bearbeiten
laſſen fönnen, wie es nöthig wäre. Wenn diefelben erſt
tief genug gearbeitet fein werden, wird gewiß ein großer
Silberreichthum ſich erſchließen.
Las Animas iſt die älteſte der Anſiedelungen in ber
Nähe von Chanaral. Die Eifenbahn führt in drei Stuns
den hin, mit einem guten Pferde erreicht man es jedoch in
21/, Stunden. Der Ort fieht etwas beffer aus, als die
Übrigen Minenpläge, und namentlich die größeren Minen,
wie Fortunata und Poderofa, haben hübjche und große
Wohnhäufer. Die Compañia de Minas y Fundacion hat
hier ihre Minen, adyt an der Zahl. Die größte und gegeit-
wärtig einzig gute ift die Fortunata mit einem deutfchen
Adminiftrator.
Aus allen Erdtheilen.
Ausbrũche des Fremdenhaffes in China.
In China Scheint es am allen Eden und Enden gegen
bie Fremden zu gähren, umd es ift nicht geradezu unwahr⸗
Iheinlih, daß England binnen Kurzem in einen Krieg mit
bem Reiche der Mitte verwideht werden wird. Faſt jede Poſt
bringt die Nachricht von einem oder dem andern Angriffe,
welchem Europäer Seitens der Eingeboreuen ausgeſeht ge:
weien find. Unfere Leſer erinnern fich des traurigen Endes,
welches einer der begabteften und lichenswürbigften engliſchen
Gonjularbeamten, Mr. Margary, an den Grenzen Ninnans
gefunden hat. Der engliiche Sejandte in China, Mr. Wade,
ftößt nun bei dem darauf bezilglichen Unterhandlungen auf
den äußerten paffiven Widerftand der Behörden, fo daß er
Ihon um Zufendung von Schiffen und Soldaten gebeten
bat, und anbererfeits hat Sir D. Forſyth bei feinen
Unterbandlungen, welche er mit Birma wegen des Durchzuges
englifcher Truppen zu führen hatte, entichieden fein Süd
gehabt und nur erreicht, daß der birmanische Herrſcher, der
wegen jo mancher Annexion den Briten nicht hold iſt, fich
eng an China angefchloffen und ſich als Vaſall des Kaiſers
in Peling erflärt hat. Nun meldet die „North China Daily
News“, daß fich die Beamten in Miinnan wegen der dro:
benden engliſchen Invaſion in gewaltiger Aufregung befinden
und Maſſenaushebungen vornehmen. Der Gouverneur will
micht einmal geftatten, daß die Unterſuchung wegen der Er:
mordung Margary's an Ort und Stelle gefchehe, und hat
an den Kaiſer ein Memoir gerichtet, worin er erklärt, die
Grenze gegen Engländer und alle fonftigen Barbaren, die
dieſelbe bedrohen follten, vertheidigen zu wollen und zu können.
Ein anderer Ercch fand in unmittelbarer Nähe von Be:
fing ftatt; die Berliner „Nationalzeitung* berichtet dariiber.
„Baron v. Möllendorf von der deutſchen Sefandtichaft und vier
' Herren von ber engliſchen Geſandtſchaft machten am Sonnabend,
‚den 19, Juni, einen Ausflug ans Peling mach dem Pei-hwa—
ſchan (Hundertblumenberg, im Weften der Hanptftadt gelegen).
Sie famen Abends (?) im Tempel an, fanden aber alle Wohn:
räume befegt bis auf ein Zimmter, da eine große Anzahl Chi:
nefen zur Feier eines Feſtes fich eingefunden hatte, Sie
logirten fich in dem ihnen angewielenen Heinen Zimmer ein
und unterhielten fich im Laufe des Abends mit ben Leuten
auf das Allerbefte. Morgens 6 Uhr wurden fie durch einen
Hagel von Steinen aus dem Schlafe gewedt, der fo heftig
wurde, daß Dad und Wände ihm nicht zu widerftehen ver:
mochten. Bald waren fie dem vollen Feuer der Angreifen—
den ausgeſetzt. Ans diefer äußerft Fritiichen Lage fuchten fie
ſich dadurch zu retten, daß fie gleichzeitig ihr Nevolver über
die Köpfe des verfammelten Pöbels weg abfeuerten. Dies
wirkte; der Haufe wich erichredt zurüd und die Bedrohten
hatten Zeit zu eutflichen, doch trugen fie alle mehr oder min:
ber fchwere Verlegungen davon. Sie erreichten Peking Sonn-
tag (?) Abende 10 Uhr, und es ericheint ganz unzweifelhaft,
daß nur ihre Nevolver ihnen das Leben retteten.*
Und focben wird aus Schanghai telegraphirt, daß Mir.
Henderſon, der Oberingenieur beim Zollamt, der Leuchtthurm⸗
wärter und ibre chinefiichen Bedienſteten bei dem Vorgebirge
von Schanstung von chinefiichen Yandleuten angegriffen und
mißhandelt worben feier. Der Angriff foll von einem Mans:
darinen Li⸗hu, den Henderſon befuchte, angeftiftet worden fein.
„Man wird es hier nachgerade müde,” heit es weiter, „Diefe
Ausbrüce des Fremdenhaſſes von den Cingeborenen mit
Langmnth hinzunehmen. Die öffentlihe Meinung drängt zu
energifchen Schritten und die Megierung wird ibrem Drude
folgen müffen, die nöthigen Mahregeln ergreifen, um den
Chineſen den nöthigen Reſpect vor den „fremden Tenfeln*
einzuflößen.”
Was den oben genannten Berg Pei-hwa-ſchan ans
langt, fo ift derielbe durch mehrere Beſuche von Europäern
und durch feine reiche Flora ſſein Name „Hundertbiumenberg*
deutet darauf), aber erft ganz vor Kurzem befannt geworden,
Denn noch heute wird man denſelben auf Feiner Karte finden.
Dr. Bretichneider, der Arzt der ruſſiſchen Geſandiſchaft in
Veling, war der erfte, welcher ihn beftieg und beichrieb, Er
liegt etwa 3 bis 4 Tagereifen weſtlich von Peking (nicht
eine einzige, wie man aus bem obigen Berichte ſchließen Lönnte),
und, rings von tiefen Thalſenkungen umgeben, fteigt er bie
3000 Fub Meereshöhe an, Sein Gipfel ift 3000 Schritt fang
und 200 breit und trägt ein altes, der Verngottheit geweihtes
Klofter. Herrlich ift die Ansficht von oben anf die umlier
genden bewaldeten Berge und die ferne, in Dunſt gebüllte |
Ebene von Peking. Aber das Anzichenbfte am bem Berge
ift feine herrliche Flora. Dr. Bretfchneider war im Mai
oben, wo bie Vegetation fich eben nur zu entfalten begann
und einzelne Pläge noch mit Schnee bebedt waren. Troßr
dem fammelte er ein halbes Hundert blühender Pflanzen, unter
denen Dr. Hance, der engliiche Conſul in Bamıpu bei Can:
Aus allen Erdtheilen.
ton, acht ganz neue Species entdedte, namentlich eine neue,
berrliche Primel, die unferen Gärten zur Bierde gereichen
würde. Ein Botaniker von Fach, meint Dr, Bretſchneider,
welcher dort in ber Zeit vom Mai bis September verweilen
würde, könnte Hunderte von neuen Pflanzen finden, und
die umliegenden Berge, die man unschwer erreichen fan,
böten ein jeder feine eigene, intereffante Flora dar,
Ein neuer Afritareiſender.
Bei dem geographiſchen Congreß, welcher in der erſten
Hälfte Auguſt zu Paris abgehalten wurde, war es Sitte, daß
einzelne Reilende vor den Nachmittags ftattfindenden allge:
meinen Sigungen „eonförences“ abhielten, d. b. einem aus
Herren, Damen und Schulfindern gemiſchten Publicum ihre
Erlebniffe und Ergebniffe vortrugen und ihren Weg durch
ferne Länder an riefigen Wandfarten vordemonftrirten. So
iprach am 4. Auguft Dr, G. Nachtigal, vom lebhafteſten
Beifalle begrüßt und während feines ganzen Vortrages davon
begleitet, und der Herausgeber diefes Blattes ftand wäh:
rend deffen vor einer mächtigen Wandkarte Norbafrifas und
wies mit einem Stode auf die berührten Orte und zuriid:
gelegten Straßen. Zahlreiche Referenten fremder Blätter, be:
mübten fich dabei, das Gehörte zu Papier zu bringen; einer
von ihnen, der des großen Journals ‚L'Indépendance Belge*,
muß fich wohl erkundigt haben, wer der Mann dort oben
auf der Tribüne fei, und er erhielt die Antwort: „Mr.
Kiepert.* Und damit war letzterer in Belgien zu einem Afrifa-
reifenden erften Ranges avancirt. Denn ein paar Tage jpä-
ter war in Nr. 220 jenes Blattes wörtlich zu leſen;
„Internationaler Congreß der geographiſchen Wiſſenſchaf⸗
ten. Der vierte Sitzungstag bot ein lebhaftes Intereſſe dar.
Mr. Kippert, der energiſche und muthige Reiſende, bat auf
einer eigens dazu gezeichneten Karte feine Zubörer von Fezzan
nach Bornu, von da nach Baghirmi und Wadai, von Wadai
nach Dar⸗For und jchliehlich nach Aegypten geführt u. |. w.”
Alfo von Dr. Nahtigal, von dem doch feit Anfang
diefes Jahres faft wöchentlich in allen Zeitungen zu leſen
war, von feinem Empfange und feinen Vorträgen in Kairo,
Rom, Berlin und anderen Städten braucht Jemand, der
einem Blatte erften Ranges iiber geographiiche Dinge Bericht
erjtattet, nichts zu willen!
Bulgaren im Banat.
Das ſüdliche Ungarn überhanpt und das Banat insbe:
jondere bietet ein buntes ethnographiſches Bild dar. Eine
von ben vielen dieſe fruchtbare Landſchaft bewohnenden Völfer:
fractionen find auch die Bulgaren, deren Mutteritamm
jenfeits der Donau im Balkan feinen Sitz hat. Die Bor-
fahren der Bulgaren im Banat famen gegen das Jahr 1700
aus ibrer Heimath in die Meine Walladhei, und im Jahre
1736 fiedelten von dort 4000 bis 5000 Familien in das Ba-
mat über. Anfangs lebten fie zerftrent, indeh heute wohnen
fie ziemlich compact. Ihr bedeutendſter Ort iſt Winga. Als
fie diefen Ort befiebelten lim Jahre 17:4), befamen fie ihre
Privilegien, kraft derer fie in Winga ihren eigenen Magi:
ftrat, ihr eigenes jus gladii hatten. Das währte fo bis in
Bach's Zeiten, dann aber famen fie unter das Sireisamt und
nun gehören fie zum Gomitat. Die Zahl der Bulgaren im
Barat beläuft fich auf über 20,000, die auf die beiden Co—
mitate Temeſch und Torontal vertbeilt find, wo fie außer
dem jchon erwähnten Winga noch folgende Ortichaften be-
wohnen: Beihenomwo, Bolgar, Telej, Modoſch, Ka:
raf, Udwornof, Breſchtſcha, Baratſchhas, Rewe—
meſch, Jsgor, Gjurgjewo und Jwanowo,. Die beiden
legtgenannten Ortichaften find erſt in dem letzten Jahren an
der Temeich, nahe der Stadt Pautſchowa in der ehemali:
gen Militärgrenze, von den älteren Golonien aus angelegt
worden. Diele Bulgaren find fehr ehrliche Leute, man findet
207
in den Comitatögefängniffen faum alle zehn Jahre einen
Bulgaren. Ihre Kinder ſchicken fie fleißig im die Schule,
und der Vater, der dies unterlaffen würde, würde nicht für
achtungswerth gelten; ein Waiſenkind wird fogleich feinem
Vormund weggenommen, fo wie man bemerkt, daß er micht
dafiir forgt, daß das Kind die Schule regelmäßig befucht,
was übrigens äußerjt felten vorkommt. Unter 100 Bulgaren
findet man faum 2 bis 3, die des Lefens unkundig wären.
Sie find Bekenner der römiſch-katholiſchen Kirche und ſehr
religiös, Alle Iprechen Serbiſch. Sie find gaftfreundlich wie
alle Sitdilaven und befonders lieben fie den Fremden, der
ihnen viel zu erzählen weiß. Ihre Arbeitfamkeit und ihr Fleiß
find fo groß, daß fie darin felbft mit den Deutfchen wett:
eifern, die fie ringsum umgeben. Daſſelbe gilt von ibrer
Reinlichkeit und Ordnungsliebe. In der Bewirtbichaftung
der Aecker kann es ihnen Niemand gleichthun, außerdem be:
treiben fie aber auch die Viehzucht, den Weinbau, und die
alten Leute unter ihnen beichäftigen fich mit grofier Vorliebe
mit der Bienenzucht. Belonders anziehend ift das Ausſehen
eines bulgarischen Weingarten®, nicht einen Grashalm ver:
mag mar da zu ſchauen. Sie haben ihre eigene Nationaltracht.
Marko Kraljewitic.
Herr Major Milovan Kuclowitſch in Gray ſchreibt ung Fol⸗
gendes: „Im Artikel Am Nordgeitade der Adria, Band
XXVIII des, Globus“, Seite 5, linke Spalte, dritte Zeile von
unten, befindet fich die irrige Anficht ansgefprochen, daß Marko
Kraljewitich wahrſcheinlich cin berühmter Schafdich war.
Marfo Kraljewitich war der Sohn des Serbenkönigs Vu—
daſchin. Nach der unglüdtichen Schlacht am Amfelfelde (Kof-
fovo Volje) 1359, welche das ſerbiſche Kaiſerthum zertrümmerte,
führte Marko Kraljewitſch einen mehrjährigen beidenmü:
tbigen Partheigängerfrieg gegen die Türken, bis er jelbft
1392 in der Schlacht bei Rivini das Leben verlor. Er ift
der nationale Held der Südflaven geworden. Seine Helden:
thaten werben von den Grenzen Steiermark bis zum Schwar-
zen Meere in jeder Hütte gefungen. Der Beiname Kralje—
witfch bedeutet „Löniglicher Kronprinz“, jowie in Rußland
Gefarewifch den kaiſerlichen Kronprinzen bedeutet,“
Schwarzfunft in Iowa.
Es find ungefähr drei Jahre ber, als fich zu Wolcot in
Jowa die Anſicht verbreitete, man könne durch Schwarzkunſt
Berbrecher aufipiiren. Seitdem wurde eine förmlihe Schule
der natürlihen Magie errichtet. Die erfte Belegenbeit,
die Güte diefer „Wilfenfchaft“ au erproben, fand ſich im
März 1872.
Einem Herrn Harry Knack waren auf geheimnißvolle
Weile fünfzig Dollard abhanden gefommen. Seine Frau
wandte fi an die „Wiffenden‘. Diefelben begannen ihr
Wert und nachdem fie vergeblich verfucht hatten, den Namen
des unbekannten Diebes ans den Conftellationen der Blanc;
ten und durch miſtiſche Operationen mit Steinen und Kräu—
tern zu erforfchen, probirten fie es mit Metall und Bapier.
Man beforgte einen großen Hansfchlüffel und ein altes Bud,
Zwei Studenten der Magie bielten den erftern ſenkrecht in
die Luft und balancirten das Bud) auf feiner Spige, wäh:
renb der Lehrer der Magie, welcher den Zauber leitete, mit
lauter Stimme verfündigte, es würden der Reihe nach alle
Namen der Nachbarn aufgerufen werden und derjenige, bei
defien Namen das Buch fallen würde, fei der Dieb,
Die Procebur begann, Aller Herzen fchlugen hörbar. Eine
Menge Berfonen waren bereits genannt, ohne daß dad Buch
fich rührte; Raum aber ericholl der Name des Jacob Barker,
eines bis dahin für refpectabel gehaltenen Mannes, jo fchlug
das Buch mit großer Gewalt zum Boben nieder, Alle erichra:
fen, nur die Zauberer nicht. Herr Barker war nicht auwe—
fend, wurde aber bald von dem Ergebnif in Keuntniß geieht,
208
als die Knack's mit Entichiedenheit ihr Geld von ihm zurüd:
verlangten.
Der Beichuldigte stellte das Vergehen mit Entrüftung in Ab⸗
rede. Aber, ob er cs nun begangen hatte oder nicht, gleichviel!
die Öffentliche Meinung war einmal gegen ihm eingenom—
men und ibm blieb nichts übrig, als fortzugiehen oder wegen
Verleumdung Hagbar zu werden. Er wählte das Letztere.
Die Sache Fam zur gerichtlichen Verhandlung. Die Methode
der Magier ward genau befchrieben. Barker wurde einem
ftrengen Kreuzverhör unterworfen. Obwohl er bierbei, durd
die ragen des gegneriſchen Advocaten confus gemacht, man:
cherlei gleichgültige Dinge zugeben mußte, die ihn nicht gerade
im Lichte eines Engels ericheinen ließen, jo wurde doch in
Bezug auf das Beweistbena nidts erbracht, was den Glau—
ben an jeine Schuld hätte befräftigen fünnen. Nichtsdeſto—
weniger erflärten die Beichworenen ſich für die Vertbeidigung,
welche alle Reſultate der Zauberei adoptirt hatte, und bie
Verleumdungsflage ward abgewieſen.
„Diefe Hinterwäldfer verdienten in den finfteriten Zeiten
des Mlittelalters, zur Heit der Gottesurtbeile und Hexenpro—
ceffe gelebt zu haben!" möchte da Mancher ausrufen. Aber
gemach! Auch in den aufgeflärten Städten des Oſtens wer:
den Verdicte abgegeben, die logiſch eben jo wenig zu recht:
fertigen find, Wir erinnern nur an den Fürzlich eingebrach-
ten Wahripruch einer Nenyorker Jury, die einen geweſenen
Barfeeper von der Anklage entband, trogdem er ängeftanden
batte, feinem Opfer das einzige noch übrige Auge aus dem
Kopfe geichlagen zu haben.
Vor allen Dingen aber laſſe man fich durch einzelne un:
finnige Urtbeile von Gefchworenen „nicht gegen das Anftitut
im Ganzen einnehmen.
* * %*
— Deutſche Bolar-Erpedition. Wie jetzt beſtimmt
iſt, tritt die Reichscommiſſion, welche über die Frage
der Ausſendung einer Polar⸗Expedition auf Koſten bes
Deutſchen Reiches berathen ſoll, am 4. Detober dieſes
Jahres in Berlin zuſammen.
— Die Nordenſtjöld'ſche Expedition nach No—
waja-Semlja ſcheint ohne Unfall begonnen zu haben. Nor:
wegiſche Eismeerfahrer haben Nordenſtjöld am 7. Auguft unter
711/30 nördlicher Breite und 65 öftlicher Ränge im Weften von
Nowaja-Semlja getroffen und am Bord Alles wohl gefunden.
— Scereifen deutiher Schiffe im Jahre 1873,
Das faiferliche ftatiftiiche Amt veröffentlicht im dem kürzlich
herausgegebenen XIII. Bande der „Statiftif des Deutichen
Reiches“ unter anderen Angaben über die Seereijen deutſcher
Schiffe im Jahre 1873, welche von um jo größerm Interefle
find, als fie den Umfang der Betheiligung der deutſchen
Flagge am dem Verkehr nad außerdeutſchen Ländern näher
erfeben lafien. Aus der betreffenden Ueberſicht ergiebt ſich,
da England und die auswärtigen Häfen der Oſtſee bei Wei:
tem am häufigſten das Reifeziel deuticher Schiffe find, daß
demnächft Norwegen und die dibrigen Kilften der Norbiee
folgen, dann die Dftküfte Nordameritas und die Ditküfte
Sidamerifas, Weftindien mit Mexico, die Oſtküſten Afiens,
die atlantilche Küſte Frankreichs, Spaniens und Portugals,
die Weſtküſte Amerikas, der Welten des Mittelmeeres, die
Südküfte Aſiens mit den Indiſchen Inſeln, endlich das weit:
liche Afrika, der Dften des Mittelmeeres und die Iufeln im
Aus allen Erdtheilen.
Stillen Meere. Im Ganzen haben im Jahre 1873 18,134
deutiche Seefchiffe mit einer Labungsfähigkeit von 5,203,920
Regifter-Tons ihre Reifen nach fremden Häfen bez. Küften:
ftreden gerichtet, und zwar nadı Norwegen und Rußland am
Weißen Meere und Eismeere 1383 Schiffe von 132,102
Reg. :Tong, außerdeutſchen Häfen an der Oſtſee 5052 Schiffe
von 642,758 Neg.-Tons, außerdeutſchen Häfen an der Nord:
fee, mit Ausſchluß der britiichen, 1355 Schiffe von 305,029
Reg.:Tons, Großbritannien und Irland 5443 Schiffe von
1,512,967 Reg.-Tons, den übrigen europäiſchen Häfen am
Atlantiſchen Meere 531 Schiffe von 301,515 NReg.:Tons, Hü:
fen am der weftlichen Hälfte des Mittelländiſchen Meeres 204
Schiffe von 82,577, Reg.-Tong, ben übrigen Häfen bes Mittel:
ländikhen Meeres, einſchließlich derjenigen am Schwarzen
Meere, 103 Schiffe von 34,425 Reg. Tous, der Oſtküſte Nord-
amerifas am nördlichen Theil des Atlantiſchen Meeres 939
Schiffe von 830,052 Reg. Tons, den Häfen am Meerbufen
von Merico und dem Caraibifchen Meere, einfchlichlich der
weftindiichen, 624 Schiffe von 374,090 Reg. Tons, der Dit:
füfte Südamerilas am ſüdlichen Theile des Atlantiichen Mee—
red 845 Schiffe von 395,435 Neg.:Tons, den Häfen an der
Weftküfte Amerikas 861 Schiffe von 220,178 Reg. Zons, den
Häfen Ufrifas, ausichließlic der Häfen am Mittelländiſchen
Meere, 166 Schiffe von 39,151 Reg.:Tond, den Häfen ber
Südküfte Aſiens, einſchließlich der Indiſchen Iuſeln, 291
Schiffe von 142,514 Reg. Tons, den Häfen der Oſtküſte
Aliens 544 Schiffe von 185,650 Neg.-Tond, Anftralien
mit den Jufeln im Stillen Meere 85 Schiffe von 36,940 Reg.
Fond. Fr die übrigen 63 Schiffe von 5512 Reg.:Tons
ift das Biel der Neife nicht näher angegeben. Auf grönlän-
difche Fiſcherei gingen 6 deutſche Schiffe von 921 Neg.-Tong,
auf Häringsfang 31 von 1910 Reg.:Tons aus. — Die
durchſchnittliche Größe der Schiffe ift für nordamerikaniſche
Fahrten bei weiten die höchſte (390 Reg.-Tons), dann für
die Weftküfte Amerikas (610 Reg.:Tons) und für Weftindien
(600 Reg⸗Tons), Frankreich und Spanien (563 Reg.-Tons),
Südafien (498 Reg.-Tons), filr die Dftküfte Südamerikas
(471 Reg.-Tons) und die Inſeln des Stillen Meeres (432
Reg.Tons). Erheblich Heiner find die Schiffe, die an der
Oſtküſte Aſiens (431 Neg.-Tous), im Often des Mittelmeeres
(331 Reg.Tous), im Weiten des Mittelmeeres (281 Reg.
Tons), Großbritannien und Irland (273 Neg.-Tons), Afrila
(235 Reg.-Tons), in der Nordfee (225 Neg.-Tons) und in
der Oſtſee (127 Reg.-Tons) verkehren; endlich befuchen die
Heinften Schiffe (05 Reg.:Tons) Norwegen und das nördliche
Rußland. Die Fahrzeuge, die den Häringsfang betreiben,
befigen durchichnittlih nur etwa 60 Reg.Tons Raumgehalt.
— In Honolulu bat ſich unter dem Vorſitze des Kö—
nigs Kalalau eine naturwiſſenſchaftliche und mikroſtopiſche
Geſellſchaft gebildet. — Der Krater auf der Spitze des
Mauma Loa ift jeit Januar 1873 noch immer in Thätigkeit.
— Alte Begräbnißftätte In Böhmen ift im St,
Jvausthale beim Dorfe Hoftin am „Hradiſchte“, gegenüber
von Tetjn, eine alte Begräbnißftätte aufgefunden, die einen
Raum von 40 Joch einnimmt und aus drei Wällen bejteht.
In dem erften befinden fih gewölbte Defen zum Ber:
brennen der Leichen, in den übrigen Aiceftätten nur
Schichten von Leichenaſche. Man fand Aſchenkrüge der älte
ften Form und Geräthe aus Knochen. Dan glaubt, daß
diefe Begräbnißftätte noch aus den Zeiten der Bojer berrührt.
Inbalt: Der Markefas-Archipel. U. (Mit drei Abbildungen) — Die wilden Liffu an der Grenze von Rinnan
und Tibet. — Germaniſche Wohnfise und Baudenkmäler in Nieberöfterreih. Bon I. Mestorf. — Hollandögänger. Ein
Bild aus dem Volfsleben von Franz Poppe. — Skizzen aus Chile. Bon Dr. med. Georg Thiele. IH. — Aus allen
Erdtheilen⸗ Ausbrüce des Fremdenbaffes in China. — Ein neuer Afrikareifender. — Bulgaren im Banat. — Marko Sral:
jewitih. — Schwarzfunft in Jowa. — Berfchiedenes. — (Schluß der Redaction 10. September 1875.)
Redacieut: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Pindenftrafe 13, IN Tr.
Drud une Verlag von Friedrich VBieweg und Sohn in Vraunſchweig.
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit yahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunſchweig
—
Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlich 4 Rummern. 1 8 7 5
Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Rummern 50 Pf. *
Am Nordgeftade der Adria.
Pola, das alte und das neue.
Wir verließen unfern Führer Yriarte in Miramare,
nachdem wir mit ihm Trieft, Capo v’Ijtria, Pifino im Ins
nern der Iſtriſchen Halbinſel und Parenzo in der Mitte
ihrer Weſilliſte befucht hatten. Bon legterm Orte aus be-
gab er fid) in vier Stunden zur See nad) der Stadt, welche
unter allen in Iſtrien mit dem antifen Namen auch die
Spuren einftiger Römerherrichaft am treueften bewahrt hat,
nad) Pola. Wenngleich erſt jpät in der Geſchichte erwähnt,
war es doch ſicherlich eine der älteften Niederlaffwigen an
jener Küſte, worauf ſchon die von Plinins, Strabo und an—
deren alten Schriftftelleen erzählte Sage deutet, daß eine
Schaar lolchiſcher Männer auf der Verfolgung Medea's
bierher gelangt feien und den Ort angelegt hätten. Sein
trefflicher Hafen wurde die Beranlaffung, daß Kaifer Augus
ftus hier eine Colonie — Pietas Julia — anlegte, dieſelbe
zur Slottenftation erhob und mit prächtigen, öffentlichen Ge—
bäuden ſchmiückte. Dadurch wurde es nächſt Trieft zur bedeu-
tendften Stadt Iſtriens ohne aber ſpäter eine befondere Rolle
in der Gefchichte zu fpielen. Bon hier fegelte Belifar im
Jahre 544 nad) Ravenna hinliber, um ben Oftgothen unter
Totilas das ſchon einmal gewonnene und verlorene Italien
wieder zu entreißen. Seit dem Jahre 991 fegten fich dann
die Venetianer an diefen Küſten feft, welche 1148 Pola
definitiv unterwarfen. In den Kämpfen der beiden Riva-
len Venedig und Genua hatte die Stadt ſchwer zu leiden
Globus XXVIII. Nr. 14.
und wurde 1379 fo arg zerftört, daß fie feitdem als halbe
Ruine nur fortvegetirte, bis der Verluſt Beuedigs und die
Verlegung der öſterreichiſchen Kriegsmarineverwaltung nad)
Pola der Stadt neues Yeben einhauchte.
Wenden wir zumäcjft unfere Schritte nach dem Rath«
hausplage, dem Brennpunkte des gefammten Lebens, jo ſte—
hen wir auf claffiichem Boden, dem Korum der Augufteis
jchen Golonie. Die eine ganze Seite des Plages nimmt
das Nathhaus ein, mit feinen Arcaden und feinen Balcon
ein hübſches Mufter des venetianifchen Stiles. Uxrfprüng-
lich ftand hier ein römifcher Tempel, der Diana geweiht,
von weldyem aber nur die Ruckwand erhalten ift. In deſſen
Nefte baute man im 15. Jahrhundert mit vielem Geichide
ben „Balazzo dei Signori“ hinein, wo der venetianische
Statthalter, der den Titel eines „Grafen von Pola“ führte,
refibirte. 1581 wurde bann das verfallene Gebäude leider
nicht ganz ftilgerecht reſtaurirt.
Auch die den Pla umgebenden Häufer mit ihren Säulen;
balconen, hohen Kaminen und Rundbogen find ganz im
venetianifchen Geſchmacke; in ihren Erdgeſchoſſen haben ſich
Kaffeehäufer aufgethan, welche ihre Tiſche nad) italienischer
Mode vor den Thüren zu ftehen haben, und in und vor
denen ſich Abends die italieniſche Männerwelt mehr zum
Scwagen und Rauchen, als zum Berzehren verfammelt.
Wenige Schritte durch die der Rathhansfagade parallel
27
219
laufende Safe bringen uns zu bem zierlichſten der erhaltenen
Römermerfe, dem ber Stadt Rom und dem vergötter—
ten Auguſtus geweihten Tempel, einem faft unverfehrten
Porticus von ſechs torinthifchen Säulen, hinter weldjem die
Gella eine Heine Alterthimerfannmlung umſchließt. Das
Ganze ift nur 8";/, Meter hoch und 15°/, Meter breit,
aber von fo trefflichen Verhältniſſen und von fo ſchöner
Ausführung, daß es feit Palladio's Zeiten mit Vorliebe
von bem italienischen Bautünſtlern ftubirt wurde. eine
Erhaltung dankte es dem Umftande, daf es während der
Epoche berRenaiffance ald Öetreidefpeicher verwendet wurde;
die metallenen Buchſtaben der feine Beſtimmung ausfpres
enden Inſchrift gingen freilich im Yaufe der Zeiten ver-
foren: nur aus den Yöcern der Nägel oder Klammern,
Am Nordgeftade der Adria,
welche diefelben einft feflhielten, vermag ber Archäologe heute
ihren Wortlaut zu entziffern.
Bon Rathhansplage führt eine gerade Strafe nad) der
Porta aurata: cinem zierliden, antifen, veichverzierten,
dreibogigen Thore im Forinthifchen Stile, von der hier einft
anfäffigen Familie der Sergier erridjtet; umveit davon er:
feunt man an der halbfreisförmigen Einſenkung im Hligel
die Stelle bes alten Theaters: von feinen En ers
bauten die Benetianer im fiebenzchnten Jahrhundert an der
Stelle des römifchen Gapitols ein Caftell, das Kaiſer Franz
wieder herjtellen ließ. Auch die vier pradjtvollen Marmor
fäulen am Hodjaltar der Kirche della Salute in Venedig
follen aus diefem Theater ftammen. Das Gaftell liegt im
Dften der Stadt, und der Weg zu ihm flthrt durch die
Rathhaus im Pola.
Porta Gemina, ein um 150 n. Chr. erbautes Stadtthor,
welches erft 1545 durch Ausgrabungen freigelegt wurde,
ebenfo wie das Gerculesthor (Porta Erculea), an wel
chem man tod) neben dem Schlußſtein den gewaltigen Kopf |
und die Keule des mamengebenden Gottes erblidt. Zwiſchen
diefen drei Thoren zieht fich die antife Stadtmauer hin,
bucd) vielfache mittelalterliche Anbauten häufig verdedt, aber
in ihrem Yaufe noch deutlich erkennbar.
Bon jenen oben erwähnten Tempeln aus führt eine
Straße nach Norden zu erft durch zwei Reihen venetianifcher
Häufer des 15., 16. und 17. Iahrhunderts, dann durch
elende Hütten, endlid) durd, Gärten. Nachdem man darauf
eine fleine, nen entftandene Militärſtadt von Baraden,
Pulvermagazinen, Caſernen und dergleichen durchſchritten,
fteht man vor dem großartigften römijchen Bauwerke Polas,
der Arena, die ſchon vom Meere aus den Blid des an-
fommenden Reifenden gefefielt hat. Weder fo groß, wie
das Coloſſeum in Nom (jie ift 24 Meter hoch, migt 105
Dieter im Durchmeffer and faßte gegen 15,000 Menſcheu),
nod) jo wohlerhalten, wie das Amphitheater in Verona
— das ganze Innere mit allen feinen Stufen wurde her:
ausgebrochen und in die venetianiſchen Paläfte verbaut —,
feffelt fie doc) durch ihre eleganten Formen, die ſich je nach
der Stellung des Betrachtenden vom Meeeresfpiegel ober
dem Horizonte ſcharf abheben,
Noch im 14. Jahrhundert war das um 150 n. Chr.
erbaute Amphitheater ziemlich unverlegt, weil firenge Befehle
des Patriarchen von Aquileja die Berfdjleppung von Steis
men verboten. Statt der auf einander eindringenden Glas
diatoren oder der ſich belämpfenden Schiffe — denn die Arena
Am Nordgeitade der Adria.
ging unter Waffer zu fegen, um Seekämpfe aufzuführen —
übten ſich Tempelritter, die unmeit davon ein Kloſter be—
faßen, Hier im Tournier, und bis 1425 fanden regelmäßige
Feſte mit Lanzenwerfen und Sceinfämpfen fat, Dann
aber fanf Pola in Trümmer, und kein Berbot konnte mehr
die armen Weberlebenden hindern, Marmorftufen und Diva«
derfteine nach Venedig zu verhandeln. —
Pola war eine Zeit lang, wie ſchon erwähnt, mur ein
211
Name, kein Ort mehr. Sechsmal war im 18. Jahrhundert
an biefen Geftaden die Peft ausgebrochen und Hatte fait die
legten Einwohner hinmeggenommen. Gicht man von dem
Urfenal und allem, was mit der öfterreichifchen Marine zu-
fanımenhängt, ab, fo ift die Stadt, melde im Jahre 1869
indgefammt etwa 10,500 Seelen zählte, noch heute umbedeus
tend gegenüber dem, was fie im Alterthume war.
Schon im Jahre 1849 wurde von der Negierung cine
Tempel der Noma und des Auguſtus in Pola.
Commiſſion eingefegt, welche an der Küſte Iſtriens einen
geeigneten Plag für ein Srearfenol auswählen follte und
feitdem ihre Berichte einfandte. Kine Zeit lang ſchien cs,
als follte das ohnehin reich gefeguete Trieſt auch dieſe wich-
tige Grundung in ſich aufuchmen, bis 1856 an der Bucht
von Pola der Grundſtein zu dem heutigen Arſenale ge
legt wurde, deſſen Borzlige vor anderen ähnlichen Unftalten
darin beftehen follen, daß «8 nach einem einheitlichen, wohl⸗
durchdachten Plane und gleichſam aus einem Guſſe errichtet
wurde, während jene mur eine Auhäufung einzelner Bauten
find, fo wie fie das Bedürfniß und die Umftände aufzufüh-
ven geboten.
Im Hintergeunde der Bai liegt das Arſenal, ringsum
geichligt von etwa ſechszehn auf den Höhen des Feſtlandes,
den Borgebirgen und den vorliegenden Inſeln erbaufen
Forts. Es befteht aus zwei Theilen, deren einer am Ujer
in drei parallelen Reihen fänumtliche durch ein dichtes Kifen-
bahnneg verbundenen Magazine und Werfftätten umfaßt,
während ber andere auf der Heinen vorgelagerten Klippe
degli Dlivi die Werfte, Sägemühlen und Trodendods in
Zr
212 Am Nordgeftade der Adria.
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Das römische Amphitheater in Pola.
Vorgefchichtliches aus dem Poſenſchen und anderen Gegenden des ſlaviſchen Often Europas. 213
fi) begreift. 1500 Menschen find bier beichäftigt, dar- bepflanzte Straße bergauf in das deutſche militärifche Vier-
unter eine Anzahl rauen beim Bedienen der Nähemafchinen, | tel, auf einen öffentlichen Spaziergang, der auf drei Geiten
welche die Segel fertigen. Die übrigen find nur zum Mei | von veinlichen, regelmäßigen, aber langweiligen, gleichſam
nern Theile freie Arbeiter, Schmiede, welche aus Deutſch- | uniformirten —— den Wohnungen der öſterreichiſchen
land, und Zimmerleute, welche von Venedig herüberlommen. Offiziere und Beamten, umgeben iſt. Welch ſcharfer Segen«
Im Uebrigen ergiebt die jährliche Confeription in den Kits | fag zu der italienischen Stadt dort unten, die ihren Mittelr
ftenländern 200 bis 300 Schiffsbauhandwerfer von Beruf, | punkt auf dem Nathhausplage hat! Hier oben Alles nen
von denen etwa nur die Hälfte zur See gefchit wird, | und frifch, unten die Nefte vergangener Yahrtaufende; oben
während man die anderen den beiden Handiverfercompag: | die deutfche Einfachheit, Ordnung und Sauberkeit; unten
nien in Pola überweift. Dort arbeiten fie während ihrer | die anziehende, graciöfe italienifche Umordnung und ber
ganzen Dienftzeit in ihrem Handwerfe weiter, wofür fie | Schmuß; oben einjadye Toiletten, blonde Haare, rothe Backen
aufer dem Matrofenfolde noch einen Arbeitslohn von 15 | und geſetztes Betragen der Frauen, unten überladener Putz,
bis 35 Kreuzer täglich erhalten. ſchwarzhaarige, bleiche, lebendige Weiber; oben trinkt man
Nur zwei Eingänge zum Urfenal giebt es, und diefe | Vier, unten Wein! Hier oben könnte man ſich mac) Deutſch-
find ftreng bewacht; vom Handelhafen wird ber feinige land verfegt glauben; unten, wenn nicht gerade ein öfter
durch eine ſchwimmende Schranke getrennt, umd gegen die | reihifcher Seemann zum Hafen eilt ober ein flavifcher
Yandfeite fchließt eine hohe Mauer jedes Spähen von Unbe- Bauer zu Markte fommt, nad) einer lombardiſchen Stadt.
rufenen ab. Yängs diefer Mauer führt eine lange baum:
Borgefhichtliches aus dem Pofenfhen und anderen Gegenden des
ſlaviſchen Often Europas.
Nach jlaviichen Quellen mitgetheilt von Albin Kohn.
Wir wollen der Miffenfchaft wegen der Wiſſenſchaft dienen und fie nicht
zur Dienftmagd politifcher Leidenſchaften berabwirbigen.
Ic habe in Nro. 1 diefes Bandes des „Globus“ Gele» doch daraus, daß der Welten die Sprache des Oftens und
genheit genommen, dem enilletonfchreiber der „Neuen freien | im Folge deflen auch feine Arbeiten und Errungenfdjaften
Preffe*, Herrn Dr. W. G., das Irrthümliche feiner einft | auf dem Gebiete der Archäologie nicht lennt, feine Schuld
aufgeftellten Behauptung, daß die Provinz Pojen feine Prä- | für den Oſten herleiten. Daß aber gearbeitet wird, daflir
biftorie habe, Mar zu machen. Schon aus dem, was ich in | legen bie „Wiadomosci Archeologiezne* (Archäo—
jenem kurzen Artifel gefagt habe, geht zur Genüge hervor, logiſche Nachrichten, 2 Thle., Warfchau, bei S. Orgelbrand's
daf auch das Poſenſche eine Vorgeſchichte hat, wen es auch Söhnen) Zeugniß ab, weiche neulich exit herausgegebeu wor:
nicht hinreicht, um diefe Vorgeſchichte als eine ebem fo glän« | den find. Ich erwähne älterer Arbeiten diefer Art für jett
zende darzuftellen, wie es die von Frankreich, Belgien, Enge | nicht, weil ich den Leſer erſt durch eine Reihe von Artikeln
land und Skandinavien ift. Dr. Friedrich Nagel hat im | mit dem befannt machen will, was die „Wiadomosci Ar-
feiner „Borgefchichte des europäijchen Menjchen* ahnungsvoll | cheologiezne* Neues und Intereffantes enthalten. Id) hoffe
angedeutet, da auch der Often Europas nicht zu den troft- | fibrigen durch diefe Arbeit eine ſehr empfindliche Lücke un—
lofen Gegenden gehört, welche feine Borgeſchichte haben, | feres archäologiſchen Willens zu füllen und außerdem aud)
wenngleich er den jegigen Bewohnern, obwohl gewiß ganz | den Männern gerecht zu werden, welche am der Vorgeſchichte
unfreiwillig, einen ſchweren Vorwurf gemacht hat, daß es ihres Baterlandes arbeiten und es verdienen, in weiten Srei-
ihnen „an Regfamfeit, Opferwilligfeit und Einſicht“ mans | fen gelannt zu fein. Ich werde mid) bei diefen Arbeiten
gelt. Ich bin fiher, daß Dr. Nagel germ bereit fein wird, nicht ſyſtematiſch am die „Wiadomosei* halten, um nicht
diefen Vorwurf zu widerrufen, wenn er den Neichthum von | Beichreibungen von Kunden geben zu miflen, welche dem in
arhjäologäifchen Materiale fehen wird, welchen die Achäos | anderen Gegenden Europas vollfommen ähnlich find, ſondern
logen des Oſtens zufammengebracht haben. Der Hauptgrund | werde vor allen Dingen feltene Funde beſprechen und durch
dafür, daß bis jetzt die im Oſten und ftricte in den ſlaviſchen Iluftrationen erläutern.
Yändern angefammelten Schäge dem Weften unbelannt find, Im Mufenm zu Pofen befindet ſich ein Paar Stiere,
liegt wohl zunächſt darin, daß die polnischen und ruffifchen | fiber welche die „Windomosei Archeologiezne* folgende
Forscher die Reſultate ihrer Arbeiten und wiflenfchaftlichen | Auslaſſung enthalten:
Veftrebungen ihren Yandsleuten in ihren nationalen Spra« Das Mufeum der Freunde der Wiſſenſchaften in Pofen
hen mitgeteilt haben, weldye dem Weiten faſt ganz unbekannt | befist im der Bronzeabtheilung gegen 400 Gegenſtände,
find. Wer die archäologischen Muſeen in Wilna, Warfchau | weldye zum Theil großpolnifchen Ausgrabungen entſtammen *).
und Pofen gefehen, weldyes legtere dem polniichen Vereine | Die in den weitlichen Gegenden des Yandes gefundenen Sas
der Wiſſenſchaften gehört und vom Gomjervator Herrn H. | diem unterfcheiden fi) von den in den öſtlichen gefundenen
Feldmanomwsti forgfam geordnet worden ift, wer ſich durch größere Mannigfaltigfeit ihrer Beftimmung, durch grö-
außerdem mit der einfchläglichen Yiteratur befannt gemacht | ————
at, r . O *) Here Feldmanoweli, deſſen ich ſchon oben anerfennend ers
Ye en hr puacfteben, daß, rede der r Den Europas wähnt babe, hat alle diefe Gegenftände fehr ſyſtematiſch geetdnet, fo
Bezug auf Archäologie noch eine terra Incognita iſt, daß fie aleſchſam ein Bild der Entwicdelung und des Fortſchritice
wie Dr. Kagel fagt, dies nicht feine Schuld it. Man kann bieten.
214
BVorgeichichtliches aus dem Pofenjchen und anderen Gegenden des flavischen Often Europas.
here Feinheit der Arbeit, und unter ihnen überwiegt die Zahl | für Anthropologie, Ethnologie und Urgefcichte* (Dahrgang
der Segenftände, welche als Schmud für Frauen gedient ha-
ben, folche, die zum Scmude fiir Männer beftimmt waren;
auch ift eine verhältwigmäßig große Anzahl von Handwerls-
zeugen, welche zu Arbeiten, wie zum Fiſchfange, zum Nähen,
zur Bearbeitung von Fellen beftimmt waren, vorhanden.
Es find dies fichtlich Schon bebeutendere Anfänge eines anfäf-
figen Yebens. Die Größe der am redjten Weichjelufer ge
fundenen Gegenſtände zeigt deutlich, daß fie ausſchließlich für
Männer beftimmt eo find; die vielen Nadeln und ähnliche
Sadjen, welche in Großpolen gefunden worden find, mit ihren
verfchiedenartig verzierten Köpfchen, konnten nur Eigenthum
der Frauen fein. Die Frau nahm hier alfo eine höhere
Stelle ein als in Podlachien und bei den Ruthenen. Von
drei bei und gefundenen Schwertern gehören zwei Großpolen
an; der Soldat war alfo (?) hier bejier bewaffnet umd die
Macht mad aufen größer. Gin vor mehreren Jahren bei
Kaliſch ausgegrabener Becher, welcher heute die aud) in an«
derer Hinficht reiche Sammlung des Herrn Podezaszyusti
ſchmückt, beweift durd) die Harmonie der Yinien und den Ty—
pus der Verzierungen, daß er das Werk eines Mannes ift,
der in der Nähe Roms, wenn nicht gar in diefer Welthaupt-
ſtadt jelbft gewohnt hat *). Hieraus Tann man wiederum auf
die ‘weitläufigen Hans
deisverhältnife mit der
römischen Welt jdhlier
ken. Im Pofener Mur
ſeum befindet fich auch
ein römischer Priapus,
weldyer in Großpolen
gefunden worden iſt.
Wie and jet noch jo
hat uns auch im jener
Zeit die weſiliche Kivi-
liation das Erhabenfte
wie das Gemeinſte, das
fie hervorgebracht, ge:
boten, und wie damals jo
find wir auch heute für
die Wahl verantwort-
lid). Rirgends wurden
fo viele Nadeln wie hier gefunden: die häukliche Thätigleit
war alfo geehrt und verbreitet. Bor nicht langer Zeit find
in der Gegend von Buk zwei brongene Etatuetten, ein Paar
Ochſen oder Wiejente, ausgegraben worden, weldye einft
vermittelft eines Joches an den Köpfen und durd) einen Stab
an den Hüften verbunden waren, dabei aber amı Halſe gleich—
fan doppelte Ninge hatten. Wir wagen es noch nicht, die:
fen Fund der vorhifteriichen Periode zuzuſchreiben; follte er
(wie es wahrſcheinlich ift) diefer angehören, jo wäre er das
ültefte Dentmal des Aderbaues im Yande.
Ueber diefe Dechschen, welche wohl zu den feltenflen un:
den gehören, die überhaupt bis jegt gemadjt worden find,
finde ich in den „Verhandlungen der Berliner Geſellſchaft
*) @8 frei bierzu bemerlt, daß vom den eiwa 60 Etäblenamen,
die der alte Alerandriner Ptolemäus im freien ®ermanien fennt, bis
ſetzt webl mur wenige richtig gedeutet werten find, darunter aber
gerade Galifta — tem beutigen Kaliſch. Dem griechiſchen Geograpben
lagen zur Gonftruction feiner Karten und der dazu gebörigen Orte
fbaftsverzeichniffe unzwelfelhaft Neifejourmale römischer Tifigiere vor,
mie jener beiden publicani, welche zu Nero’s Reiten den Auntort des
Bernfteins auffuden mwellten und wirklich vie Oftſet, das Mare
Suchieum, erreichten, oter von Bernfteinfaufleuten, melde öfter tie
Meife von ver Donau zum heutigen Samland zurüdleaten. Huf
jener Hanteleſtraße war Kaliſch eine Station — fein Wunder alfe,
wenn Dort gefundene Kunſtgegenſtände römiſche Anklänge zeigen.
Red.
Die beiden Bronzeſtierchen im Muſeum zu Polen.
1873) Folgendes:
„Bei Bythien (Kreis Samter, Provinz Pofen), zwiſchen
den Dörfern Witlowice und Siagzin, find hart an einen: gro-
Ben Steine, welcher behufs Sprengung abgegraben worden,
in einer Tiefe von 21/, bis 3 Fuß zwei Meine, durch ein
Joch verbundene Stiere von reinem Kupfer und daneben ſechs
Gelte verfchiedener Größe gefunden worden. (Die Figuren
find 0,13 Meter lang und 0,10 Meter body; der größte
Celt ift 0,17 Meter lang und 0,04 Meter breit, der kleinſie
0,10 Meter lang und 004 Meter breit.) Die Jochſtange
ift von den Arbeitern, welche den Fund gemacht, zerbrochen
worden. Das betreffende Yand war bis vor Kurzem Walbland.
Wie bei fo vielen Bronzefunden ift alſo ganz zufällig
ein wahrſcheinlich abfichtlih unter den Stein verborgenes
und fpäter vergefjenes Werthftüd zum Vorſchein gekommen.
Die Yänge der Hörner umd die große Spannung berfelben
deutet entſchieden auf jidliche Vorbilder. So weit befannt
hat es nie jo langhörniges Nindvieh bei unferm Landvolle
gegeben; man fieht es noch jet micht eher, als bis man nad)
Mähren, Ungarn oder Italien fommt. Die fpiten Köpfe
laffen den Gedanken an Anerochjen nicht zu. Dazu das
charalteriſtiſche Zoch, die Halsbänder, möglicherweife eine an
der Seite des Bauches
des einen Stieres her«
vortretende Zeichnung,
lauter uns und unſe
ren Vorfahren fremde
Motive.“
Herr Profeffor Dr.
Schwartz, Director
des Friedrich Wilhelm
Gymnaſiums, der, wie
er mir fchreibt, den
Erwerb der Stiere für
das Pofener Muſeum
vermittelt hat, bemerkt,
daß ſich am Schwanz:
ende Yöcher befinden,
gleichfam als ob dort
eine Stange hineinge-
ftedt werden follte. Auf mid) madjten die beiden Stierchen
den Eindruck, als ob fie einft als Schmuckſachen die primitive
Etagore eines reichen Yandmannes qeziert hätten, wie heute
chinefifche Püppchen in unferen Prunfjpinden aufgeftellt find.
Bir müfjen es wohl Herrn Dr, W, G. und der „Neuen
Freien Preffe* verzeihen, daß fie Vhantafien in die Welt
ſenden, denn wir fünnen von ihnen nicht Gründlichleit und
mühevofles Studium , welche zu archäologischen Forſchungen
nothwendig find, verlangen. Aber wundern muß man ſich
über Fachſchriftſteller, wenn fie wie Klemm in feinem
„Handbuch der germaniſchen Alterthumstunde* (S. 13)
Vehauptungen aufftellen, welche fie nicht zu rechtfertigen
vermögen und durd welche fie der Willenfchaft mehr
ſchaden als nilgen. So behauptet Klemm a. a O., daß
in vorhiftorifchen Zeiten am reiten Weichjelufer Menſchen
gelebt haben, welche weder eine Hlitte zu erbauen noch einen
Topf zu machen verftanden und die ungefähr wie Dachſe
oder Büren in einem unterirdiichen Bau gelebt haben. Dies
fer Behauptung gegenüber dürfte es an der Zeit fein, That-
fachen zu veröffentlichen, welche das directe Gegentheil bewei-
fen. Sie rühren von einem unermübdlichen Forſcher, dem
Herrn Balerian von Przyborowéki, Profeffor der War-
ſchauer Univerfität, her umd betreffen feine im Jahre 1870
bei Plod und im Jahre 1871 bei Natielst am Fluſſe Wlra
gemadjten Entdetungen. Herr von Przyborowsli erzählt
Vorgefhichtlihes aus dem Poſenſchen umd anderen Gegenden des ſlaviſchen Often Europas,
darüber in den „ Wiadomosci Archeologiezne* (I, S. 43u. ff.)
endes
„Das Ziel des erſten Ausfluges waren die vorhiſtoriſchen
Begräbnißplägevon®raböwfa, Dsnica und Boromiczfa,
welche Ortjchaften ganz in der Nähe von Plod amı rechten
Ufer der Weichfel liegen und dem General Bontemps gehören.
Wenn man am rechten Weichjelufer entlang aus Plod nad)
Wyszogrod geht, fo bemerft man glei, hinter der Stadt am
Fluſſe die Schenfe Graböswfa. Rechts haben wir die Weich:
jel, deren jenfeitiges Ufer mit Kiefermwaldung geſchmüct ift,
und lints eine Hligelreihe, welche ſich im nicht großer Ent:
fernung vom Fluſſe bis Wyszogrod hinzieht. Der fandige
Streifen Landes, welcher fich zwiſchen dem Fluſſe und ber
Hügelveihe befindet und mit Dörfern und jegt nicht großen
Wäldern bededt ift, ift cine wahre archäologische Fundgrube.
Das aufmerkfame Auge bemerkt hier faſt bei jedem Schritte
Spuren der prähiftorifchen Vergangenheit im zerbrödelten
Urnenſcherben, Brongeftliddyen, bearbeiteten Feuerſteinen und
unverbrannten menſchlichen Knochen. Diefes beweift, daß
wir liber Wohnfige vorhiftorifcher Bewohner dahinfchreiten,
deren Spuren felbjt für diejenigen nicht gleichgültig find,
welche ſich nicht mit ſpecifiſch Hiftorifchen Studien befallen,
Zwiſchen der Schenle Graböwfa und dem nahen Dorfe
Dsnica erheben ſich zahlreiche ſandige Hligel, welche durd)
eine reiche Begetation von Wachholderſträuchen vor den Win-
den geichligt find. Wo fein Wacholder den Flugſand bes
ſchützt hat, hat der Wind denfelben hinweggeweht und die
vorhiftorifchen Gräber, welche Töpfe, die mit Aſche umd uns
verbrannten Kunochen gefällt find, enthalten und größere oder
Neinere Aushöhlungen des Bodens bilden, aufgededt ; heute
find dieſe Feflelartigen Bodenaushöhlungen nur noch mit
Trümmern bedet. So find viele Gräber vernichtet worden
und für die Wiffenfchaft verloren gegangen, denn die übrig
gebliebenen Trümmer Häven nicht Alles auf, was wir willen
möchten. Die Grabſtätte reicht ftellenweife bis nahe am den
Fluß. Die reigende Fluth der ihre Ufer überſchwemmenden
Weichſel vernichtet felbft ſolche Gräber, welche hoch liegen,
da fie immer mehr von Ufer mit ſich ſchwemmt und die in
ihm enthaltenen Urnen ausipült. Hier künnte man aufs
Leichteſte unbefchädigte Urnen erhalten, wenn ſich irgend Je—
mand um ihre Erhaltung bemlihen würde, dem felbit beim
vorfichtigften Graben Tann man fie nicht mit der Geſchicklich-
feit und Sorgfalt herausbefommmen, wie diefes das Waller
thut, welches fie allmälig herausiplilt. Nach größeren Ueber:
ſchwemmungen kann man im hohen Ufer halbaufgededte Ur—
nen jehen, weldje aus dem Sande herausbliden. Gewöhunlich
werden fie von der Hand irgend eines Borübergehenden vernich⸗
tet, der in ihmen Gold oder wenigftens Silber zu finden hofft.
Trog diefer ungünftigen Umftände, welche jchon Jahr-
hunderte am ber langjamen Vernichtung des Begräbnißplages
bei Graboͤwla arbeiten, fann man doc) noch mandjes unbe:
rührte Grab finden. Ich habe ihrer einige aufgegraben und
gefunden, daß die Urnen auf diefem Begräbnißplage größten:
teils im Sande, ohne Schuß aus Steinen, liegen. Sie find
mit einem nicht großen Dedel aus gebranntem Thon bededt,
und es ftehen gewöhnlich neben jeder cine oder zwei Schiffele
den. Gegenwärtig find fie mit einer fo dlinnen Erdſchicht
bedeckt, daß man häufig ſchon, nachdem man den Flugſand
weggefchartt hat, den Rand der Urnen fieht. In Graböwfa
habe ich nur ein Grab geöffnet, das fich in mehrfacher Hin:
ficht von anderen unterfcheibet; es geichah diefes am 26, Juli
1870. Ich führte damals die Ausgrabung mit dem Herrn
Peter Debowsti aus Yode (dem Sohn des Berliner Archäologen)
und Ofedi aus Miszewfo aus. So viel mir befannt, hat
vor mir Niemand, weber in Graboͤwla nod in Dsnica,
archäologische Ausgrabungen veranftalter, was ich ausbritdlich
215
zu bemerken genöthigt bin, um die ein Jahr fpäter in dem
Zeitungen veröffentlichten falfchen-Angaben zu berichtigen.
Folgendes ift das Nähere über das ungewöhnlichere Grab,
As ich mit einem Stabe in der Tiefe von 1 Fuß auf
einen Stein ftieß, liegen wir die Erde abgraben und fanden
Feldſteine. Es waren ihrer 30, weldye in conifcher Form
aufeinandergelegt und durch nichts verbunden waren, Nach—
dem diefe Steine weggeräumt, zeigte ſich ein ungeheurer fla-
cher thönerner Dedel, weldyer, wie die fpäter vorgenommene
Meffung ergab, 53 Centimeter im Durchmeſſer hatte. Diejer
Deckel bededte eine Urne und eine neben ihr ftehende Kanne;
aber er war durd) die Yalt, bie auf ihm gedrückt hatte, im
viele Stüde zerfprungen. Die Urne war 31 Gentimeter
hoch, ihre Oeffnung betrug 215 Millimeter und die größte
Breite in der Mitte ebenfalls 31 Gentimeter. Die Höhe
des Käunchens betrug 130 Millimeter. In der Urne fand
ich außer Aſche und unverbrannten Kuochenreſten nichts.
Der Boden, auf welchem die Urne ftand, befand fich gegen
zwei Ellen unter der Oberfläche der Erde.
Wenn wir die Sandbbilnen von Grabowla verlaffen, fonmmen
wir nad) Osnica, einem Bauerndorfe, welches gegen drei Werſt
von Plod hart am Weichſelufer liegt. Die Häufer diefes Dor-
fes liegen zerſtreut auf den die Weichfel begleitenden Höhen,
welche mit Schluchten und Bächen abwechſeln, die aus den der
Weichſel parallelen Höhen entjpringen. Diefe Schluchten zei⸗
gen ftellenweife Spuren gewaltfamer Beränderungen der Ober:
fläche, denn man kann im Grunde ungeheuere wagerecht liegende
Baumſtämme fehen, welche aus den Seitenwänden heraus;
ragen, Diefe Stämme liegen gegen 20 Ruß unter der Ober:
fläche und es miliſſen lange Zeiträume vergangen fein, bis
fich eine fo mächtige, Erdſchicht über ihnen ablagerte. Wenn
man diefe Stämme aufdeden könnte, jo wiirde man wohl
einige ſtumme Zeugen aus ber Zeit jener gewaltfamen Nevos
lution entdeden. Die während des Hochwaſſers ungezligelte
Weichſel ſpült aud) hier wie bei Grabörwfa das Ufer hinweg
und bringt mit Knochenreſten gefüllte Urnen zu Tage, in
denen manchmal Metallſtlicke gefunden werden. Gier fanden
fid) vor einigen Jahren in einer auf diefe Weife bloßgelegten
Urne Schmuckſachen aus Silber, welche eine Bäuerin in Plock
verkauft hat. Wie die Bewohner von Osnica fagen, find
die Urnen hier in derfelben Weife wie in Grabͤwka vergra- _
ben. Aber auch) hier entdeckte ich ein weniger gewöhnliches
Grab, welches aud) deshalb eine nähere Beſchreibung verdient,
Als ich am 25. Juli 1870 Osnica befuchte, bemerkte id)
im Dorfe felbjt, unmittelbar vor den Gebäuden eines Wir:
tes, einen länglichen, mit Rafen bederften Hügel, der etwa
15 bis 20 Schritte lang und einige Schritte breit war. An
einem Ende diefes Hügels ragte die ſcharfe ante eines Steis
nes aus der Erde hervor, welche über eine halbe Elle lang
war. Aus dem an diefer Stelle aufgehobenen Boden einer
Urne, auf den die fogenannten Pfeile Perun’s erhaben
aufgedrüikt waren (fiehe a im der Mbbildung auf folgen
der Seite), fonnte man fchliegen, daß der Stein nicht
zufällig hierhergefommen if. Saum hatte ich hier zu gra—
ben begonnen, da fah ich auch ſchon einen zweiten Stein,
welcher mit dem erften einen rechten Winfel bildete, und es
zeigte ic, daß wir zwei Wände aus ziemlich großen, ans
ſcheinend gefpaltenen Steinen und im rechten Winfel auf:
geführt vor uns hatten. Kaum einen Fuß unter ber Ober:
fläche bemerften wir zwifchen diefen Wänden die Kanten von
Urnen. Nachdem wir die Urmen und die fie bedeckende Erde
herausgeſchafft hatten, zeigte es ſich, daß wir ein länglid)
vieredfiges Grab vor uns hatten, das aus ziemlich, großen
Steinen, die auf die Kante geftellt waren, gemacht und mit
Urnen angefüllt war, Die Länge des Grabes betrug 2°/,
Ellen, die Breite 2 Ellen und die Höhe der Steine von Bo:
216
den des Grabes bis zur obern Kante 1'/, Ellen. Diefes
Grab liegt an der Oftfeite des Hügels. Die Nordfeite des
Grabes ift wohl ſchon aufgegraben geweſen und die Steine,
nad) Angabe der von mir beim Graben befchäftigten Arbeiter,
vor einigen Jahren von einem Bauer zu Schwellenunterlagen
bei einem von ihm aufgeführten Gebäude bemugt worden.
In der Wand der Nordfeite fand ich nur noch einen kleinern
auf die Kante geftellten Stein... Auf der Oftfeite, wo das
Grab noch mehr aus dem Hiigel heransragte, fand ic; ſchon
feine Spur einer Wand. Tiefes Familiengrab war wahr:
ſcheinlich mit einem Steine bedeckt, aber diefer wurde, da er
auf den Wänden und gewiß auch auf der Oberſläche des
Grabhügels (Kurgan's) lag, zuerft von der Stelle hinweg>
genommen, Es iſt auch leicht möglich, daß der Hügel ſelbſt
anfangs bedeutend höher und das Grab mit aufgejchlitteter
Erde bededft geweſen ift; denn während vieler Jahrhunderte
konnte der Wind die aufgeſchüttete Erde hinwegwehen ud
die Oberfläche des Grabes entblößen, wie ja, nad) der Auſicht
einiger ſtaudinaviſcher Archäologen, die fteinernen Gräber,
welche fich heute an der Oberflädje befindet, einft mit Erde
*
Vorgeſchichtliches aus dem Poſenſchen und anderen Gegenden des ſlaviſchen Oſten Europas.
bedeckt geweſen fein follen. Im Grabe in Osuica ift heute
nur noch die fibliche und weſtliche Wand, welche von der
Außenfeite durch kleinere Steine geftügt find, unberührt.
Der Boden unter den Urnen war wit flachen, gefpaltenen
Steinen ausgelegt.
In diefem Srabe befanden fich fieben Urnen mittlerer
Größe und fo dicht an einander geſtellt, daf fich die Seiten
der Gefüße berlihrten. Deshalb mögen fie wohl aud) ſchon
bein Hineinftellen zerbrochen worden fein, in Folge deſſen
ich denn aud, beim Aufgraben nicht eine ganze, fondern alle
dermaßen befchädigt gefunden habe, da immer cin Scherben
Über den Sprung bes anderen reichte, Im einige Urnen war ber
Thondedel hineingedrückt. Beiſätze habe ich in dieſem Grabe
nicht gefunden, was wohl dem Mangel an Kaum zugefchries
ben werden muß. Die hier gefundenen Urnen find jehr forg-
fältig gearbeitet und zeigen zwei Formen, nämlich Urnen mit
im Bogen gefriimmten Wänden und breiter Oeffnung, und
foldje, deren Wände in Scylangenlinien gekrümmt find, fo
daß ihre größte Breite mit der halben Höhe des Gefäßes
zufammenfällt, während ihr Hals fehr verengt it. Die Höhe
Grab bei Dsnica in der Gegend von Plod,
der Urnen ift ungefähr gleich; die Urne mit den fchlangen- |
linig geformten Seiten ift gegen 29 Ceutimeter hoch, ihre
Dehnung beträgt 165 Millimeter und ihr größter Umfang
28 Gentimeter. Alle fieben Urnen waren bis an den Hand
mit Aſche und unverbrannten Knochenreſten gefüllt; außer
dem ift nichts im ihnen gefunden worden.
rab fichert der Segend von Dlesnica eine hohe Stufe in der
eihe der bis jegt entdedten vorhiftorifchen Anfiedelungen,
denn Gräber diefer Urt zeugen von einer gewiſſen Adıtun
für die Nefte der Verftorbenen, mithin fie einen yiemtih
hohen Grad von Geſittung; fie können einft zu Entdedungen
führen, weldje in ethnographiſcher Rückſicht nicht gleichgliltig
find. Sieben Urnen befanden fi in Osnica, ſieben
enthielt auch das Steingrab bei Bitoba in der Nähe von
Subicz, das Herr Karnlowoli aus Oleszno geöffnet hat;
die in den Jahrblichern des medlenburgifchen archäologijchen
Berxeind bejchriebenen enthalten ebenfallt je fieben Urnen.
Im Allgemeinen herrſcht in mehr als einer Rückſicht zwiſchen
den mectlenburgifchen und unferen Gräbern eine fichtbare Uchn-
Diefes Familien» |
In Osnica verdient noch eim eigenthümlicher alter Herd,
welcher im hohen Ufer hart am der Weichſel endet worden
ift, eine befondere Aufmerkfanieit, denn er beftcht aus zwei
Lagen Lehm, derem jebe zwei Zoll die ift, und ein Biered
bildet, das 2 Ellen lang und 1, Ellen breit ift und deſſen
Ränder 5 Zoll hoch find. Kigentlich ift dies eine ganze
Schicht von dünnen Lehmfceiben, welche auf einander liegen ;
zu beiden Seiten des Herdes ift der Boden ſchwarz und fett,
fichtlich mit Aſche und Kohlen überſättigt. Die Scherben-
ſtüdchen, welche ich hier gefunden habe, lann ich nicht fikr
| einen binlänglichen Beweis dafür halten, daß dies der Herd
lichteit, welches man wohl durch die Gleichheit des flavifchen |
Stammes, welder beide Gegenden bewohnt hat, erllären fönnte, |
war, auf dem die Verſtorbenen verbranut worden find, weil
ich in den wenn auch alterthüimlichen Scherben feine Grauit⸗
törnchen gefunden habe, welche das ſicherſte Zeichen dafür
find, daß die Töpfe vorhiftorifchen Zeiten angehören. Andere,
die nad) mir diefen Herd befichtigt haben, waren geneigter,
ihn einer vorhifterischen Periode zuzufchreiben. Yie ⸗
ſcheidung dieſer Angelegenheit überlaſſe ich bewanderteren Ar-
chäologen.
Die dritte archäologische Station in der Gegend von Plod
ift das Dorf Vorowiczla, das mit Dsnica grenzt. Der Weg
Vorgeſchichtliches aus dem Poſenſchen und anderen Gegenden des flavifchen Oſten Europas,
von Borowiczfa am bie Weichſel führt über eine unbedeutende
fandige Erhöhung, welche die Bewohner die „Kamionka“
(die Steinerne) nennen; wahrſcheinlich wegen ber vielen
Steine, welche auf ihr liegen. Die zerftreut umberliegenden
Studchen von Urmen beweifen, daß dieſe Erhöhung ein vor
hiftorifcher Begräbnißplag ift. Während meiner Anmwejen-
heit in Vorowiczla war der größte Theil des Hligels mit
Getreide beftellt und deshalb konnte man nur an einer Seite
des Weges Nachforfchungen anftellen. Als ich meinen Stod
in den lodern Boden ftedte, traf ich im der Tiefe eines, manch⸗
mal auch nur eines halben Fußes auf Steine. Nach Ab»
räumung ber obern Erdſchicht zeigte es fi, daß die Steine
dicht an einander geftellt find und einen Kreis bilden, deſſen
Durchmeſſer 6 Fuß beträgt. Im der Mitte des Kreiſes
lagen größere, mäher der Peripherie kleinere Steine. Unter
einem jolchen Pflafter habe ich Urmen gefunden, die mit
flachen thönernen Stürgen zugebedt waren, und neben ben
Urnen fand ic; gewöhnlich Schalen, welche unferen jegt noch
gebräuchlichen Taſſen ähnlich find. Der über den Boden
geführte Pflug ftieß an die Steine, in Folge deffen diefe die
Urnen, welche fie ſchltzen follten, drlidten und zerbrödelten,
fo daß man feine einzige ganz hervorbringen fonnte, Die
bier auögegrabenen Urnen waren jehr primitiv gearbeitet,
größtentheild von grauer Farbe und ſchwach gebrannt.
So hätten wir in Graböwfa, das 1!/, Werft, Osnica,
das 3 Werft, und Borowiczka, da8 gegen 4 Werft von Plod
entfernt ift, geichjem eine ununterbrodjene Kette vorhiftorifcher
Begräbnißpläge am rechten Weichjelufer. Diefe Kette reicht
aber weiter, denn aud) bei Bielin, bas eine Meile von Plod
entfernt an ber Weichjel liegt, finden fich, wie man mir mit
theilt, Urnen. Ich bin fogar überzeugt, daß ſich diefe Dent-
mäler der Vergangenheit längs der Weichſel bis Warſchau
und noch weiter hinziehen, obgleidy ich nur aus früheren
Unterfuhungen etwas über Tafchomin weiß und Targöwko
bei Warfchau während meiner eigenen Ausflüge kennen gelernt
babe. Daſſelbe wird wohl auch vom linken Weichſelufer
gefagt werben können, wenn es unterfucht werden wird, wie
man es auch von anderen Flüffen behaupten fan. Ic) werde
dieje Behauptung fpäter durch eine kurze Beſchreibung meis
ner Ausgrabungen am Fluſſe Wera unterftügen.*
Im
Herrn von Pryyborowsti mittheilen, welche ſich auf die eben
befchriebenen Gräber beziehen, und behalte mir meine eigenen
bejcheibenen Aeußerungen fir die Zukunft vor.
Herr von Przyborowoli meint, daß die vielen Begräbniß-
pläge ben Beweis liefern, daß das Land ſchon im vorhifto-
riſchen Zeiten bedeutend bevölkert gewejen ift, da auch gewiß
überall, wo man einen Begräbnißplag findet, eine Anfieber
lung eriftirt hat. Bis jest find nun zwar nod) verhältniß:
mäßig wenig folder Begräbnigpläge befannt, aber es dürfte
fi), nad) der Anficht des genannten Archäologen, heraus:
ſtellen, daß jebes jegt eriftirende Dorf auch feinen vorhifto-
riſchen Degräbnißplag befitt.
„Aber,“ fährt Herr von Prayborowsti fort, „diejes eine
Kefultat der Forschungen nach der prähiftoriichen Bevölfe-
rung befriedigt die Forderungen der Wiſſenſchaft nicht,
denn fie will nicht allein wiflen, ob hier fefte Anfiedelungen
ber vorhiftorifchen Bewohner geweſen find, fondern fie will
auch das Leben und die Bildungsftufe der prähiftorifchen Aus
tochthonen und ihr anthropologifches Verhältniß zu ben bes
nachbarten Böllern lennen lernen. Auf diefe Fragen werden
wir aber erft dann eine die Wiffenfchaft befriedigende Antwort
geben fünnen, wenn uns die Djcower Höhlen Zeugniffe über
den Menſchen ber Eisperiobe liefern werben und wenn es
uns endlich gelingen wird, die urjprlinglichen Pfahlbauanſie⸗
delungen zu entdeden, wie fie jchon in der Schweiz, in Frant:
Blobus XXVIII. Nr. 14,
olgenden werde ic; noch einige Bemerkungen des’
217
reich, Irland und in Deutſchland entdeckt find. Gegenftände
wie die von mir auf den Begräbnißplägen gefundenen heben
noch nicht den Schleier vom ganzen Bilde des vorhiftorifchen
Volles, denn nicht Alles begleitete den Menſchen ins Grab,
was ihn im Leben umgab. Erſt die Gegenftände, welche
von den Pfahlbantenbewohnern übrig geblieben find, werden
diefes Bild einft vervollftändigen und uns den Menfchen,
von dem wir gar feine gefchriebenen Zeugnifle haben, gleich—
ſam ganz vor Augen führen. Für jet müffen wir uns mit
dem emfigen Verzeichnen beffen begnügen, was uns bie auf
der Oberfläche der Erbe liegenden vorhiftorifchen Gräber
bieten.
Bor Allen verdient bie Urt des Begrabens der Todten
unfere Aufmerffamteit. Ich habe einige Gräber aus Gras
boͤwta, Dsnica und Borowiczta befchrieben; andere werde ich
fpäter befchreiben. Es herrſcht hier eine große Berfchiedens
heit, und esift fchwer zu entſcheiden, ob fie verſchiedenen Zei«
ten und Menſchen oder einem Unterjchiede im Reichthum
und der focialen Stellung des Berftorbenen zuzuſchreiben
if. Auch in anderen Ländern hat man eine große Bers
ſchiedenheit im Bau der Gräber bemerkt; bis jegt hat man
40 verjciebene Gattungen von vorhiſtoriſchen Gräbern feft-
eftellt. Doc; glaube ich nicht, daß die bei und gefundene
Berfchiedenbeit auch auf eine Berfchiedenheit der Stämme
oder Bölter hinbeute; fie kann eher ihren Urfprung in der
Verſchiedenheit der Zeitalter Haben. Das ſyſtematiſche Elaf-
fificiren der Gräber nad; ihrem Bau und als Folge hiervon
das Zuerlennen berfelben an verfchiedene Bölfer, Stämme
und Epochen war vor zwanzig Jahren eine ſehr beliebte Die»
thode. Heute hat die vergleichende Ethnographie die Arcjäos
logen von der Sucht des Syſtematiſirens geheilt, denm fie
hat beiviefen, daß die Formen der menfchlicen Schöpfungen
in den verſchiedenſten Zonen des Erdballs und in den ver
fchiedenften Epodjen einander fehr nahe ftehen, denn der
Menſch lernt von der Natur und nicht von einem andern
Volke, wenigſtens fo lange nicht, wie er ſich anderen Völlern
nicht durd) einem gewiſſen Grab der Givilifation nähert und
nicht lernt, von ihrer höhern Bildung Nugen zu ziehen. Wie
der Patagonier heute noch genau eine folche Pfeilfpige aus
Feuerſtein macht, wie fie vor vielen Jahrhunderten an ber
Weichſel gemacht worden find, fo fann auch die Form des
Grabes an der Weichfel diefelbe wie in Skandinavien fein,
wenngleich, es ein anderes Volt an der Weichſel und ein an⸗
beres in Slandinavien erbaut hat. Aus der Art und Weife,
wie die Tobten begraben wurden, fünnen wir ohne andere
Thatſachen nur einen Schluß ziehen und zwar einen Schluß
auf den Grad ber Gefittung der Menſchen, welche das Grab
gemacht haben. De mehr Sorgfalt wir in der Erhaltung
der Ueberreſte der Verftorbenen finden, um fo ſicherer ift
auch der Schluß, daß bei dieſem Volke die Zuneigung zur
Familie ftark entwidelt und in eben dem Maße auch milde
Sitte verbreitet war.“
Schon hier will ic, conftatiren, daß es, meiner Anficht
nad), irrthümlich ift, von den bis jegt gefundenen Begräbniß-
plägen auf die Dichtigfeit der vorhiftorischen Bevöllerung
überhaupt und ber auf flavifchem Boden im Beſondern zu
ſchließen. So viel mir befannt, find bis jetzt noch immer
Begräbnißpläge an Flüſſen, ehemaligen Wafferläufen und
an Seen, bie heute oft theilweife ober ganz verfumpft, aber
noch ganz gut al$ ehemalige offene Waflerbeden zu erfennen
find, gefunden worden, während ein foldyer Fund in größerer
Entfernung von Wafferläufen und offenen oder vertorften
Waſſerbecken wohl zu den größten Seltenheiten gehört. Wenn
wir von dem, was jegt geſchieht, auf das, was im vorhiftos
riſchen Zeiten geſchehen, jchliegen dürfen, fo würden wir jagen,
dag der Menſch wohl feit feinem erften Erſcheinen auf der
3
218
Erbe die Nähe des Waſſers gefucht hat, aus bem er mit
nicht allzugroßer Mühe und ohne ſchweren Kampf Nahrungs:
mittel holen konnte, während er ſolche in großer Entfernung
vom Wafjer nur mit großer Mühe und mittelft ſchwerer
Arbeit erringen konnte. Aehnlich verführt ja der Menſch
noch heute., Gehen wir mach Nordafien und wir finden bort
an den Flüſſen und Seen viele, oft jehr bedeutende Anſie—
delungen, während man in.geringer Entfernung, vom Waſſer
faft feine Spur von, Menden, wenigftens feine irgend
nennenswerthe Anfiebelung findet. Diefes bezieht ſich ſowohl
auf den Ruſſen, der jegt in Sibirien hauſt, ald aud) auf die
halbwilden Stänme, welche er beerbt,
Angenommen, es verſchwände plöglich jede Geſchichte
Nordaſiens und der Menſch filirbe plöglidy aus, angenommen
auch, es läme nad, Dahrhunderten oder Jahrtauſenden ein
Ardyäologe, welcher die Gräber am Ob, Jeniſey und der
Vena fowie an den Nebenflüfjen entdeckt, fo glaube ich, daß
er einen fehr falfchen Schluß von der Menge ber Gräber
auf die prähiftoriiche. Anzahl der Bewohner ziehen würde,
wenn er, wie Herr von Pragborowsti, jagen wiirde, daß das
Land dicht bevölfert geweſen ift, denn wir wiſſen, daf jest
anf die Uuadratmeile in Nordafien laum 13 Menſchen
fommen.
Wie in. diefer Beziehung, mag es auch wohl mit der Na:
Georg Thiele: Skizzen aus Chile.
tionafität der Urbewohner Europas und vorzliglic) des Oſtens
diefes Erdtheils feine Bewandtniß haben. Der Ankömmling
hat viel vom fchon Anwefenden geerbt, diefer hat von jenem
viel gelernt. Ich brauche, um biefes zu beweifen, nur auf
den Yateiner hinzuweifen, der den Etrusfer verichlang und
beerbte, auf den Pongobarden und Normanen, der Mc in
hiſtoriſchen Zeiten mit dem Yateiner vermifchte, in ihm zwar
aufs aber nicht unterging und dermaßen mit ihm verfchmolzen
ift, daß es kaum mehr feftzuftellen fein dürfte, welches Blut
in dem einen ober bem andern Stamme das Uebergewicht
hat. Daffelbe Berhältniß findet, wenn auch in fehr beichränften
Mafftabe, in Nordaſien ftatt und wenn fich auch hier der
Anldumling nicht oder fehr felten mit dem Urbewohner ver:
miſcht, fo nimmt doch der eine vom andern jo mand)es in
feine Gebräuche, ja fogar in feine Sprache auf, was ihm
jräthrer nicht angehörte und völlig fremd geweſen ift.
Suchen wir vor Allem nad den Menjdyen; zur Bes
ründung des Beweiſes Über cine vorhiftorifche Nationalität
it mehr nöthig als einige Scherben, etwas Ajche, mit Knochen:
reſten vermifcht, umd einige rohe, im Kreiſe oder Wierede
ftehende Steine. Der Uebergang von den Diongoloiden zum
Arier in Europa war wohl fo unmerflich, daß faum zu hofe
fen ift, je eimen Zeitpunkt zu finden, im welchem ber erjie
verſchwunden und der zweite erfchienen ift.
Skizzen auß Chile Er
Ton Dr. med. Georg Thiele.
IV. .
Schilderung Ehiles in chorographiicher Beziehung.
Das ganze Land zerfällt in drei in vielen Punkten und
ſehr weſentlich verfchiedene Theile, einen nördlichen, einen
mittlern und einen jüdlichen. Der legtere ift vom mittlern
Theil getrennt durch das Land der Araucaner, cin nod)
ſeht umbefanntes Gebirgsland von unregelmäßigem Charat-
ter, das von einem unabhängigen und jehr friegerijchen
Indianerſtamme bewohnt wird. Der Berlehr dieſes ſüd—
lichen Theiles mit dem übrigen Lande geſchieht ausſchließ
lich zur See. Es iſt dies der commerciell und induſtriell
unwichtigſte Theil des Landes, ausgezeichnet durch die colojs
fale Regenmenge, die hier Jahr aus Jahr ein fällt, und
durch die deutjchen Colonien, die hier jehr floriren, fo da
dieſe der tomamgebende Theil der Bevölferung in Yaldivia
und Puerta Montt find.
Die Grenzlinie zwifchen Nord» und Mittelchile kann
man durch Guejta de Chacabuco legen, wo die gewaltigen,
nad; allen Richtungen ausftrahlenden Gebirgszüge, weldye
fi) um den Cerro de Aconcagua (6834 Meter hoch),
den zweithöchften Berg der ganzen Gorbillera, gruppiven, der
regelmäßigen Gliederung des mittlern Theils ein Ende madıt.
Diefer Theil des Yandes, der die Provinz Aconcagua
umfaßt, ift ein Hochgebirgsland mit gewaltigen Bergen und
ſchmalen, ſcharf eingejchnittenen Thälern. Bon bier nad)
Norden nehmen die Berge allmälig an Höhe ab und bie
Thäler und Hochebenen werden breiter, fo daß man in der
Eopiapiner Gegend recht ausgebreitete Ebenen und außer
der der Gordillera central zugehörigen Kette feinen Berg
von erheblicher Breite hat. Je weiter man nad) Norden
fommt, defto fpärlicher wird ferner die Negemmenge, die im
Winter fällt, bis man nordlich von Serena in die abfolut
regenlofe Zone fommt. Auch in diefan ganzen nörb»
lichen Theil kann man nod) drei Abtheilungen unterfcheiben.
Die erfte ift die Provinz Aconcagua mit noch reichlichem
Winterregen. Die ſchmalen Thäler diefer Provinz, die im
Winter von wafjerreichen Flüſſen durchſtrömt werden, find
dafer jehr fruchtbar umd haben meiſt ein fehr angenehmes
Klima. Auf die Thäler fommt aber nur eine VBodenfläche
von 523 Quadratlilometer, die übrigen 13,627 find um:
eultivirbar und geben höchſtens etwas Gebirgsweide. Es
erhellt daraus, welch gewaltiges Gebirgsland dies ift. Auch
Minen giebt e8 hier eine große Menge, doch überwiegt noch
die Aderbaninduftrie.
Der zweite Strich umfaßt den füblichen Theil der Pror
vinz Coguimbo, wo der Regen ſchon anfängt fpärlicher
zu werben. Obgleich hier bereits viel mehr ebenes Land
it, beträgt der Dürre wegen der aderbaufähige Theil nicht
über 823 Quadratfilometer unter einer Bodenſläche von
etwa 32,000 Uuabratfilometer. Bereits überwiegt bier
die Mineninduftrie die Uderbauinduftrie, die als hauptjäch-
lichſtes Product Früchte liefert.
Der dritte Theil der nördlichen Region. ift num das
Laud, deſſen Charakter bereits oben bei der Beichreibung von
Chaũaral geſchildert worden iſt. Es ift eine abjolut regen-
und baumlofe Wüfte. Gacteen und einige ähnliche Pilan-
zen gedeihen hier auf den Bergen und in der Ebene, eben:
falls hin und wieder Salzpflanzen. Diefe Region beginnt
Georg Thiele: Skizzen aus Chile.
nördlih von Serena, der Hauptitadt der Provinz Co»
quimbo, und dient fait ausſchließlich dem Bergbau, der ins
deſſen fo ergiebig ift, daß drei Viertel der ganzen Ausfuhr
Chiles in Bergbauproducten befteht. In dieſer Gegend leben
etwa 100,000 Menfcen, zu deren Unterhalt Mehl,
Fleiſch u. f. w. pom Süden eingeführt wird, Zwei Flüſſe
eriftiven bier, die im ihrem obern Yaufe wailerhaltig find, ber
Huasco und der Copiapö; an deren Ufern wird Ackerbau
getrieben. Diefe beiden Dafen find Heim und bilden zufammen
eine Fläche von nur 70 Quadratfilometer, haben aber gu⸗
ten Boden und find deshalb bei der Milde des Klimas jehr
fruchtbar , jo daß in Copiaps zwei Haziendas fic befinden,
deren jährliche Einkünfte auf 13,000 chilenifche Thaler ges
ihägt werben.
Ich habe diefer Schilderung des Nordens nur beizufügen,
daß (mit Ausnahme von Aconcagua) die Bevölkerung eine
wenig ftabile it. Die Maſſe derfelben bilden Veute, die
aus den füdlichen Provinzen fommen, um hier Geld zu ver»
dienen, d. h. der unternehmumgeluftige und thätigere Theil
ber beſſeren Claſſen. Dies und der Umftand, daß fo viele
Europäer hier leben, macht die beſſere Geſellſchaft hier für
den Europäer geniefbarer, al® die im Süden, mit Aus
nahıne atürlid von Santiago und Balparaifo. Jedem,
der beide Theile des Yandes kennt, wird fich die Bemerkung
anfdrängen, daß im Norden die Leute beſſer erzogen, gebils
deter und vorurtheilsfreier find als im Süden. Diejer
Unterfchied erftredt fid, bis in die arbeitenden Claſſen hin—
ein. In dem Heinen Net Chanaral habe ich viel mehr
Leute aus den unteren Clafjen gefunden, die fchreiben und
ar: konnten, als in der verhältnigmäßig großen Stadt
alca.
Das mittlere Chile (das eigentliche Chile; in ber
Atacama fagten die Yeute, wenn fie von eimer Reife nad)
Santiago ſprachen: Me voy a Chile, ic) reife nach Chile)
ift charalteriſirt durch die eigentliche Teilung der Bodens
fläche in drei dem Meere parallele Striche, den der Central-
cordillera, den der großen Hochebene und den des Küſten⸗
gebirged. Die Bevölkerung, Industrie, Verkehr u. ſ. w.
concentriren ſich natlirlich auf der großen Hochebene. Auch
in longitudinaler Richtung ift diefes Yand im zwei weſentlich
von einander verschiedene Abtheilungen geſchieden, deren
Grenze ſich in jene öde Fläche hinter Molina legen läßt,
Der nördliche Theil umfaßt die Provinzen Santiago, Col-
chagua und Curico fowie Balparaifo und zerfällt der eigent«
lich bebanbare und wirklich bebaute Theil des Landes in die
drei großen matirlidy geichiebenen Thäler von Santiago
(Rio Maipo mit feinem Nebenfluſſe R. Mapocho), Ranca-
gua (R. Kapel), San Fernando (N. Tinguiririca) und Cu—
rich (R. Mataquito), die in ummittelbarer Flucht auf eins
ander folgen.
Das füblich von Molina gelegene Yand liegt nun erftend
erheblid; tiefer; während die Berge von der Santiaquiner
Eordillera eine Höhe von Uber 5000, ja 6000 Meter haben,
zählt der einzige höhere Berg der Talquiner Cordillera nicht
ganz 4000. Die Höhe von Santiago beträgt 569 Meter
über dem Meere, die von Talca 85. Zweitens erreicht die
Ebene hier die doppelte umd dreifache Breitenausbehnung
der nördlichen Ebene. Etwa von Yinares bi8 San Carlos
wird die Ebene am breiteften fein. Dies führt naturgemäß
zu einem britten Merkmal: während nämlich im Norden
die Flüffe einen Furzen, faft gerade von Oft nad, Weit, von
der Gordillera zum Meere gerichteten Lauf haben, treten
hier im Süden verzweigte Flußgebiete auf. Als ein Bei—
fpiel für die Geftaltung der Bodenfläche führe ich an, daß
bie beiden Fluſſe Cauquenes und Purapel, welde im
Küftengebirge entjpringen, ihren Abflug nicht zum Meere
219
nehmen, jondern öſtlich nach der Hochebene Hin, wo fie zur
dem am wetlichen Rande der Ebene gelegenen Poncomilla
und mit diefem erft nördlich zum Maule abfliegen, bevor
ihre Waffer im Bette des legtern Fluſſes dom Oft nad)
Weſt ind Meer ſich ergießen. Die Flüſſe find aber nicht
bloß länger und gewundener, fie find auch viel waſſerreicher.
Im nördlichen Theile führen die Flüſſe nur im Winter
Waſſer, oder bilden mur Heine Bäche. Das Waſſer, wel-
ches fie führen, wird ihnen, fobald fie aus der Gordillera
austreten, zur Bewäflerung der Felder abgezapft. Hier im
Süden führen die Flüffe auch im Sommer Waffer, derart,
daß der Maule bis dicht bei Talca für Kühne ſchiffbar ift
und auf dem Bio Bio Heine Dampfboote bis 25 deutſche
Meilen ftromauf fahren. Diefer Waſſerreichthum findet
darin feine Erklärung, daß im Süden eine viel größere
Regenmenge fällt als im Norden. Wir haben in Talca
aud) zuweilen, aber nicht häufig umd nicht ſtark, auch im
Sommer Regen, was in Santiago nicht vortommt. Auch
die Begetation nimmt hier ſchon einen etwas andern Cha-
takter an: die Palmen verſchwinden, dafiir erſcheinen Pflan-
zen, die man im Norden nur in Gärten ſieht, namentlich
Nadelhölzer, Arancarien und Pirien.
Aus allen den legtangeführten Umftänden follte man
ſchließen, daß dieſer fübliche Theil bewölferter, cultiwirter fei
und der Aderbau eine größere Entfaltung erfahren habe.
Dod; das ift nicht fo. Der Boden des nördlichen Theils
ift wohl beſſer als der des füblichen, und der Mangel an
Waſſer ift dort zum Theil durch forgfältige Canalifation
ausgegliden. Später wird indeß troßdem der Süden den
Norden im Aderbau überflügeln, Vorläufig liegt die Sache
aber anders. Alle Cultur und Givilifation ift von Valpa—
taifo und Santiago ausgegangen und davon ift denn bis
jegt wenig in den Süden gebrungen, der’eine einigermaßen
abgetrennte Eriftenz hat. Zur Zeit der Incas, vor der Erober
rung, fand diefes Reich am Maule feine Grenze, und auch
die Spanier machten wohl vorläufig am Maule Halt, fo daß die
Eultivirung diefes Yandftriches viel jlingern Datums ift, als
die der Santiago am nächften liegenden Provinzen. Bei
ber Eroberung wurde num das ganze Fand in großen Por:
tionen unter bie verjchiedenen betheiligten Edelleute und
Dffiziere vertheilt. Daher rührt mod) jegt im nördlichen
Theile das Ueberwiegen des großen Grundbefiges , während
in den Provinzen ſüdlich vom Maule und in Talca der
Grundbeſitz viel vertheilter ift. Wenn nun auch im civili>
firten Gegenden die Parcellivung des Bodens in Heine Theile
und unter Heine Befiger anerfanntermaßen der Modus ift,
bei dem das Yand am meiften ausgenugt, am beiten bebaut
wird, fo liegt die Sache in einem Yande wie dieſes umge«
fehrt. Der große Grundherr lann Capitalien anſchaffen,
um Acerbaumaſchinen, ausländiiche Aderbauer u. ſ. w. ans
zuftellen, und auf mannichfaltige andere Weife feinem Grund»
befige aufhelfen, was der Andere nicht kann. Diefes Ueber»
wiegen des großen Grundbeſitzes hat ferner dazu geführt,
daf Alles was von Staatswegen die Nepräjentanten in der
Deputirtenverfammlung bejcloffen haben, nur dem nörd—
lichen Theile zu gut gefommen ift. Charakteriſtiſch dafür
ift, daß die Eifenbahn bei Curico ihr Ende findet. Unter
allen diefen Umftänden ift es nicht zu verwundern, daß
diefe füdliche Hälfte Mittelchiles in vielfacher Hinficht der
nördlichen, obgleid) fie die von der Natur mehr begüinftigte iſt,
nachlteht.
Im nördlichen Theile abforbiven Santiago und Valpa—
raifo Alles und es hat ſich dort feine größere Stadt bilden
fönnen, wird ſich auch feine bilden. Hier im Süden dagegen
giebt e8 num wieder Stübte von mehr Bedeutung , bie wie:
der Meine Centren für ſich bilden und um fo unabhängiger
23*+
220
von Balparaifo find, als hier wieder Häfen eriftiren, die
ſich allerdings noch in fehr vernadjläffigtem Zuftande befin-
den, fo daß fie noch nicht mit Balparaifo concurriren können.
Diefes ſudliche Land zerfällt naturgemäß im einzelne
Theile, nad) den Flußgebieten, zu denen es gehört, es
find drei: der Maule, der Itata, der Bio Bio. Letzterer
ift der füblichfte, an dem das Nraucanerland beginnt. Am
Bio Bio hat ſchon die regelmäßige Gliederung des Landes
aufgehört, fo daß am feinem Unterlauf, nahe am Meere,
ſich ſchon eine große Strede ebenen Landes finde. Für
fein Gebiet ift das Centrum Concepcion, nahe am Meere,
eine Stadt von etwa ber Größe Taleas. Der Unterlauf
ift fruchtbar und bebaut, der Oberlauf ift noch ziemlich, uns
bevölfert und einigermaßen noch Indianereinfällen ausgefegt.
Der Hafen für diefen Theil des Landes iſt nicht Concepcion,
fondern Talcahuana, das dicht dabei it. Nördlich vom
Bio Bio fließt der Itata, in defien Oberlauf die Provincia
de Nuble liegt, mit der Hauptftadt Chillen, etwas Heiner
als Talca. Diefe Partie hat feinen eigenen Hafen, fondern
muß ihre Producte über Talcafuana und Koms (didjt
dabei) verichiffen, wohin der Transport fehr beſchwerlich ift.
Neuerdings ift eine Eiſenbahn zwiſchen Chillan und Talcas
huana vollendet, die aber bis jegt wohl mehr verunglüdte
als glüdlic, ans Ziel gelangte Bahnzüge zu vegiftriven ge»
habt hat.
Der dritte Theil ift das Flußgebiet des Maule, bas
rößte und wichtigfte, und das Centrum dieſes Landes ift
fca. Es umfaßt die Provinzen: 1, Talca, am rechten
Ufer des Maule; 2, Linares, am linken Ufer, Hochebenenan⸗
theil; 3. Cauquenes, am linfen Ufer, Küftengebirgsantheil.
Diefer Landſtrich enthält vom ganzen Chile verhältnigmäßig
das meifte anbaufähige Yand, weil die Ebene hier am breis
teften ift und der Waſſerreichthum ebenfalls groß. Nament:
lich gilt das von dem Lande am linken Ufer. Die beiden
Provinzen waren früher unter dem Namen Maule zu Einer
Hermann Bamberg: Ein ungarifher Sprachforſcher in der Mongolei.
vereinigt; davon waren etwas über Zweidrittheile des gan«
zen Gebietes aderbaufähiges Land — ein fehr günftiges Ber-
hältniß flir ein Gebirgsland wie Chile. Ueberhaupt ift das
linfe Ufer des Maule einer der fchönften und fruchtbarften
Landftriche, die es giebt, und wohl der befte Theil Chiles.
Auf dem linken Ufer find nur drei Meine Städte von
etwa 4000 bis 6000 Eimmohnern, Yinares, noch weiter
füdlic, el Parral, und, weſtlich in einer Schlucht des Rio de
Cauquenes im Küftengebirge, die Stadt Canquenes, berühmt
durch ihre Weine. Auf der rechten Seite liegt außer Talca
feine Stadt. Das ganze Gebiet des Maule mag etwa
17,000 Duabrattilometer mit 150,000 Menſchen umfaſſen.
Diefes Land hat feinen eigenen Hafen in Conftitucion, das
der Provinz Cauquenes angehört und am Ausfluſſe des
Maule liegt. Ein großer Bortheil liegt darin, daß der Verkehr
mit Conftitucion zu Wafler (auf dem Maule) möglic) ift.
Für das Linke Ufer ift Yoncomilla der Flußhafen, für das rechte
Perales am Rio Claro, etwa drei Leguas von Talca. Vor:
läufig hat dieſe ganze Paſſage fiber Conftitucion nod) ihre
ſchwachen Seiten. Erſtlich ift die Flußſchifffahrt noch mit-
unter fehr umftändlich ; fie ift indeß das ganze Jahr Hin«
durch möglih. Das Schlimmfte ift, daß in Conftitucion
nur Schiffe von mäßigem Tonnengehalt einlaufen können,
d. h. meiftens nur Küftenfahrer und feine transatlantifchen
Schiffe. Eine große Barre liegt vor dem Hafen, die zu—⸗
weilen den Berlehr für einige Zeit gänzlich fperrt. ine
unendliche Wohlthat für diefen ganzen Yandestheil wäre es,
wenn die Barre canalifirt würde, fo daß aud) transatlantifche
Schiffe einlaufen könnten und die Schifffahrt ſtets möglich
wäre, Geſchehen wird das mit der Zeit, aber vorläufig ift
es noch nicht ernftlich in Angriff genommen. ine Eifen-
bahn von Eurics über Talca, Linares, el Parral, San
Carlos nad Chillan ift im Ban (October 1874) und wirb
* etwa zwei Jahren im ihrer ganzen Ausdehnung vollendet
ein.
Ein ungarifher Sprachforſcher in der Mongolei.
Bon Hermann Bambery.
Wenn Ungarn im Folge feiner culturellen Stellung
zum Öefammtgebäude der Wiſſenſchaft bis jegt nur wenig
beizutragen vermochte, fo ift es andererſeits mur ſchwer in
Abrede zu ftellen, daß auf dem Gebiete der Sprachforſchung
und Ethnographie, für welches die Magyaren in Folge ihres
Urfprunges ein fpecielles Jutereſſe Haben, von ihmen doch ſchon
Mandjes geleitet worden ift. Es ei hiermit namentlic) das
der finnifcugrifhen und turfostatarishen; Sprach · und
Völferftudien berührt. Der Uralreijende Reguli war ber
Erfte, dem wir genaue Keuntniſſe über die Vojulen verdan⸗
fen. 4. Cjomö de Kördfi hat die befte tibetamifche
Grammatit und das befte Wörterbuch gefchrieben. ine
vefpectable Anzahl fibirifcher Mundarten find der Aufmerk-
jamfeit magyarifcher Gelehrten gewürdigt worden; und
während man ſich eimerfeits mit dem finmifchsugrifchen
Spradjftanm eingehend befchäftigt, wird andererfeits auch
den turko⸗tatariſchen und mongoliſchen Sprachen gebührende
Rechnung getragen,
einen angehenden Sprachforſcher, Herrn Gabriel von Bü»
liut, behufs Erlernung der mongolifhen Sprache und
Sammlung mongolifcer Fiteraturftlide nad) der Mongolei
zu entfenden, Herr v. Bäliut war allerdings eine für dies
ſes Borhaben ganz paffende Perſönlichleit. Ein Seller
von Geburt und ein urwüchjiges Spradhtalent, der ſchon auf
der Peſther Univerfität mit einer erftaunlichen Yeichtigleit eine
Anzahl Mundarten des Oftens und Weſtens erlernte, ja in
benjelben fogar eine Sprachfertigkeit erlangte, ging er
erft nad) Kazan, wo er fich mehrere Donate aufhielt. Bon
ba begab er ſich nach Aſtrachan unter die Kalmliden, lernte
gut Falmücdiich, und öftlich vorwärts dringend, gelangte er
nad) Urga Khuren, befanntermaßen der Hauptfig des Mon⸗
golenvolfes, wo er an der Duelle der dialeltiſchen Eigen⸗
heiten der Chalfa- und Tihahar-Stämme ſchöpfte. Nach
dem was Schmid und KRowalewski Uber das Mongolifche
geichrieben haben, läßt fid) von Herrn Bäliut mehr Dialet-
m N ' tifches erwarten. Nach feinen bisherigen Andeutungen ift
So beſchloß die ungarifche Afademie der Wiſſenſchaften, % *
die heutige Ausſprache der Mongolen von den Angaben der
Hermann Bambery: Ein ungarischer Spradforfcher in der Mongolei. 221
erwähnten Gelehrten bedeutend verfchieden; ja er meint,
Europa kenne bis jegt nur die Schriftfprache der Mongolen,
während der Vollsdialelt lautlich ein ganz anderer ift.
Mit diefen Einzelheiten fowie auch mit den Wahrneh-
nungen des Herrn Bäliut Hinfichtlic der Mandſchuſprache
wollen wir ben Yejer des „Globus“ nicht langweilen; auf
was wir bie jpecielle Aufmerkſamleit hinlenten wollen, ift
hauptſächlich ein kurzer Reiſebericht des magyarifchen
Borfchers, welcher jo manche interefjante Züge aus dem Le—
ben dieſer Nomaben enthält, und von weldjem wir bad
Interefjantefte nach dem bis jegt im „Foldraßgi Közlö-
monyel“ nur ungariſch Erfchienenen hier im „Globus“ mit:
teilen.
Nachdem Herr Bäliut mit ziemlicher Ausführlichkeit von
feiner Reife über Rußland und Sibirien nach Khuren bes
richtet, die mongolifchen Städte, Priefter, Sitten und Febens-
weifen befchrieben hat, kommt er zum intereffanteften Theile
feines Berichtes; es ift dies die umftändlihe Schilderung
der Heirath, der Gebräuche bei Todesfeierlichleiten und eine
furze Ueberficht über die verbreitetften religiöfen Anfichten,
welche Partien wir wiedergeben. Den Grundftein ber Ger
ſellſchaft bildet die familie; ich will deshalb mit der Art
ihrer Begründung bei den Mongolen, aljo mit der Beſchrei⸗
bung der Heirath, beginnen.
Bei den Mongolen erwählen dem Yünglinge, welcher
das fünfundzwanzigfte Lebensalter noch nicht erreicht hat,
die Eltern eine Gattin, und nur nachdem er das erwähnte
Alter überfchritten, Tann er ſich diefelbe nad) eigenem Be—
lieben ſuchen. Der Maun wird ſchon im fiebenzehnten
Lebensjahre als heirathefähig betrachtet, während das Mäbd-
- ſchon im funfjehnten Jahre verehelicht zu werben pflegt.
Wollen die mongolischen Eltern dem noch unter ihrer Bor«
mundichaft ftehenden Sohn verheirathen, fo betrauen fie
einen ihrer Freunde damit, daß er für ihren Sohn um die
Hand des von ihnen erwählten Mädchens bei defien Eltern
werbe. Langt num diefer Freier im Haufe bes Mädchens
an, und wird nad) feinem Begehren gefragt, jo pflegt er
folgendermaßen zu antworten: „Ich komme, um zu erfah:
ren, ob ſich hier ber Edelſtein befinde, welchen ich für bem
Sohn von N. N, ſuche?“ Sind nun die Eltern geneigt
das Mädchen hinzugeben, jo antworten fie: „Der von
Ihnen gefuchte Edelftein, die verlangte Perle, ift hier, fie
fteht Ihnen zur Verfügung.“ Sonft aber fagen fie: „Der
von Ihnen gefuchte Edelftein, bie verlangte Perle, ift fern
von hier.“ Im erfterm Falle befpricht ber Freier mit den
Eitern des Mädchens, warın der Vater des Junglings zur
Anſchau oder behufs näherer Unterhandlung vorſprechen
könnte, und kehrt ſodann zu feinen Abjendern, den Eitern
des Junglings, zurlid, welde nad) diefer Freudennachricht
den Freier mit Milhbranntwein bewirthen. Geht nun ber
Vater des Yünglings zur Brautfchau, fo mimmt er bie
Dfeime des Sohnes, väter» und mitterlicherfeits, ſowie aud)
deſſen genauefte Freunde mit fi, und nachdem er ſich mit
einem ganzen gefchlachteten Schafe, mehreren Krügen
Branntwein und einem Khadak, d. i. mit einem zum Ehren»
gefchenfe dienenden Stüd Seide, verfehen, begiebt er ſich
ins Haus bes Mädchens. Nachdem er erwähnten Vorrath
den Eltern deſſelben übergeben hat, befragt er biefelben, wie
viel Bieh und Geld nöthig fein wird, um ben Preis für das
Mädchen zu bezahlen. Wird bie Unterhandlung zwifchen
bemittelten Leuten gepflogen, fo beftimmt der Vater des
Mädchens folgenden Preis: neunzig Stuck vierjährige Pferde,
neunzig Stüd vierjährige Schafe und eben jo viel vierjäh-
tige Kameele. Die Anzahl der Ochſen, Kühe und bes zu
egenden Baargeldes itberläßt der Brautvater dem Belieben
des Audern, welch legterer, wenn er vermögend ift, funfhun⸗
dert Lanige (gleich taufend Silberrubel oder achtzehnhundert
Gulden) anbietet. Hierauf wird die Unterhandlung mit der
| Beltimmung bejchloffen, daß beide ihre Priefter darüber zu
Rathe ziehen werben, ob die Jahre der zu vereinenden Hälfs
ten eine glüdliche Ehe verfprächen, d. h. ob die Jahre der
einen Hälfte rücjichtlic ihrer geraden oder ungeraden Ans
zahl mit denen der andern Hälfte harmoniſch übereinftimmen;
fo wie daß die Priefter ben Tag der Uebergabe der Mitgift
und dem der Hochzeit feftfegen mögen. Jeder ber beiden
Väter begiebt ſich hierauf zu feinem der Aftrologie humdigen
Priefter, und dieſe finden aud) für dem Fall einen Ausweg,
wenn die Anzahl der Jahre wirklich die Heirath verhindern
Tollte,
Der Bater des Ylinglings Übergiebt an dem von feinem
Priefter feftgefegten Tage die Mitgift, wobei er ankündigt,
daß fein Priefter die Hochzeit für biefen oder jenen Tag
beftinmmt habe, welcher gewöhnlich mit ber Beftimmung des
Priefters von Seiten des Mädchens zufammenfält.
Nun begiebt ſich der Bater des Fünglings nach Haufe,
um in Gemeinſchaft mit feiner Gattin die Vorkehrungen zur
Hochzeit zu treffen, läßt viel Schaffleifch, ſtarken und ſchwachen
Branntwein bereiten und ladet feine gefanımte Verwandtichaft
und Belanntfchaft zum Feſte. Am feftgefegten Tage begeben
ſich die Eitern des Jünglings ſammt allen Gäften, die be
reiteten Speifen mit ſich führend, Männer und Frauen, auf
Pferden zur Braut. Bei dieſem Zuge ift der Bräutigam
mit einer vollftändigen Yusrüftung von Pfeilen bewaffnet.
Nahe beim Haufe des Mädchens angelangt, ſcheidet der
Freier vom Zuge aus und vorauseilend verkündet er bort,
daß der Bräutigam fammt dem Hochzeitsgäſten im Anzuge
fei. Nachdem Hierauf der Vater, die Mutter, der ältere und
jüngere Bruder das Mädchen in einem andern Haufe
d. h. Hltte untergebracht, begrüßen die Eltern des Mädchens
die Hochzeitsgäfte des Bräutigams mit folgenden Worten:
„oft die Stirn des Hochzeitsoberhauptes wohlauf und heiter?“
(Mongoliſch: Rhorimen torö, Rhode magnö mende
amor?) Der Bater des Ylinglings und ber freier erwiedern
diefe Begrüßung folgendermaßen: „It das große Meer
des Waffers, die Freubenmutter, gefund und wohlauf?*
(Mongoliſch: Ussus ikhe dals, törlön ikhe khadom
engkhe amgholong ?) Nach diefer gegenfeitigen Begrüßung
wartet der Bräutigam dem Hoczeitögäften der Braut mit
Schnupftaback auf, dann beginnt mit den von beiden Seiten
bereiteten Speifen umb Getränfen das Mahl, bei welchem
gefungen, gegeigt ober die Laute gefpielt wird fowie es auch
nicht an beglüdwlinfcenden Trinfſprlichen fehlt.
Beim Saftmahle nehmen die Hochzeitsgüſte der Braut
zur linken Seite im rlidwärtigen Theile des Zeltes Plag,
während bie des Bräutigams ben rildwärtigen Theil rechts
einnehmen.
Wenn zu Ende des Gaftmahles die Zeit der Abführung
ber Braut gefommen, und die Priefter beider Parteien das
Gebet: „Bogin khisigeg delgerülkhe* (Tugend und
Glud verbreitend) verrichtet, wird diefe unter den Beglüd:
wlinſchungen: „Nass, bojin urtubol (da8 Alter und bie
Tugend feien lange) atscheghan tanikh ugs öngüre bol
(Deiner Nachtommen feien unzählbar viele) abgeführt, und
indem fie in dem vom Feuerplatze linls liegenden Raume
untergebradjt wird, verabreicht man ihr das hintere Seiten:
ſtuck vom Schafe (es wird dies bei den Mongolen für das
befte gehalten) und bewirthet fie mit Milhwein und Kumiß.
Nach Beendigung des Mahles theilt eine mit der Braut in
gleichem Alter ftehende Berfon, Mann oder Frau, ihr das
Haar, durch welchen Act fie zur Frau gemacht wird. (Mon⸗
golifh: Khoner boljhana.) Sodann wird der Braut
von ber Perſon, weldye ihr das Haar getheilt, vor ber
222
Statue Buddha's vor dem Feuerherde und im Beifein ihres
Baterd, ihrer Mutter und des ältern Bruders des Bräuti—
gams gratulirt, indem fie diefelbe auf den Saum ihres aus—
gebreiteten Kaftans niederfnien läßt und ihren Kopf nieder:
beugt. Während dieſes Ceremoniells halten der Vater, die
Mutter und der ältere Bruder begllickwünſchende Reden, oder
falls diefe es micht können, ſpricht ftatt ihrer ein anderer
guter Redner,
Sodann umhüllen zwei ftattliche rauen aus ber Fa—
mifie der Braut ben Kopf der leptern mit einem vothen
Kleide, und fie beweinend und umarmend, wollen fie dieſelbe
gleichſam nicht entlaffen, bevor nicht von Seiten des Bräur
tigams zwei zuverläffige Männer herangeiprengt kommen,
von denen der eine, fid) vom Pferde herabneigend, die Braut
ergreift umd, fie im Sattel vor ſich haltend, davoneilt, wäh.
rend der andere das Pferd des erftern mit Beitichenhieben
antreibt. Die Eltern des Mädchens jprengen Mild, hinter
ihm ber, und bleiben zu Haufe. Die Perjon, welche ber
Braut das Haar getheilt, galoppirt, das vollftändig gejattelte
Pferd der Braut mit ſich führend, derjelben nad), worauf
ſich die ganze Geſellſchaft in Bewegung ſetzt. Ganz zuletzt
reitet der Bräutigam, mit einem vollſtändigen Pfeilvorrath
ausgerliftet, und langt als der legte an. Im Haufe des
jungen Gatten wird die Braut vom Pferde gehoben. Man
will fie in das neu aufgefchlagene Zelt führen; fie aber
fträubt fich durchaus daffelbe zu betreten, ftemmt den Fuß
an die Thür und klammert ſich an das Hauptfeil der Hittte,
Inde werden Brautbett umd Brautausftattung gebradjt;
man zindet Feuer an, führt die Braut hinein, und es wird
vor das Bett ein Vorhang gezogen. Nachdem noch im ber»
felben Hütte die Hochzeitsgäſte bewirthet worden, fehrt flir
diefen Tag alles heim, wobei jeder beim Verabſchieden auf
den untern Kaftanfaum der Braut einen Stein zu legen
pflegt. Die Perfon, melde der Braut das Haar getheilt,
bleibt drei Tage bei ihre zum Kämmen und An- und Aus:
Heiben.
Die Hochzeitögäfte des Bräutigams werden im Haufe
feines Vaters bewirthet. Am Ende des Mahles ladet fie
legterer auf den dritten Tag wieder, am welchem nämlich, die
Säfte der Braut, mit Speife und Trank in reichlichem
Maße verfehen, aufs Neue erfcheinen. Ber ihrer Antunft am
dritten Tage richten die Gäfte an die Braut folgende Worte:
„ot der Stein auf dem Orte, wohin er gelegt wurde,
ſchwer?“ (Mongoliſch: Tscholökha tetsen ghadz aran
khünde bejnoo?) Worauf fie folgendermaßen zu antwors
ten pflegt: „Der Ort, nach welchem Jemand ftrebt, ift fo,
wie die fertige Speiſe.“ (Mongolifh): Dzondson ghad-
zar bolschon eds.) Nach Beendigung auch diefes Mahles
geht alles nach Haus, felbft die Perfon, die das Haar ge:
theilt, welch legtere aber von der jungen Frau lebenslang
Schwefter genannt und als ſolche geehrt wird.
Bei den Mongolen wird die Frau, wenn fie feine Kin-
der gebiert, ins Elternhaus zurlickgeſchickt, in weldyen Falle
fie ihr Mitgebrachtes zurückerhält, während der Mann den
Kaufpreis nicht zuriihfordern lann. Wenn fic aber die Eher
leute gegenfeitig lieben, wird die unfruchtbare Frau nicht zu+
—— ſondern der Mann nimmt ſich mit ihrer Einwilli⸗
gung eine zweite Frau, welche in Beziehung auf die erſte
„Heine Frau“ genannt wird. Verläßt hingegen die Frau
den Mann, fo erhält diefer alles, was er als Kaufpreis ge
geben, zurüd, jo wie auch fie ihr Mitgebrachtes befommt.
Entftehen zwifchen den Eheleuten Zwiftigfeiten, jo wird die
Frau, felbft wenn fie Kinder hat, ins Elternhaus zurüd-
Hermann Vambery: Ein ungariſcher Sprachforicher in der Mongolei.
geichidt. In ſolchem Falle erhält fie außer ihrer Ausftat-
tung noch den auf die Kinder entjalenden Theil des Ber
mögens an Vieh, wie auch die Hütte, in welcher fie dem
Manne zugeführt wurde. Cine ſolche Verſtoßene kann jo-
dann mit jeden beliebigen Deanne leben. Der Mann aber
heirathet eine „Heine Gattin“, und nimmt, falls diefe finder:
(08 ift, die Kinder aus der erften Ehe zu ſich. Stirbt der
Gatte, fo fucht der Schwiegervater, wenn er der Schwieger-
tochter zugethan ift, einen andern Gemahl; ift dies nicht
der Fall, fo wird fie zu ihren Eltern zurlicgefchidt.
Bei Gelegenheit der Geburt der Kinder herrſchen bei
den Mongolen folgende Bräuche. Das Zelt, in welchem
ein Sind geboren wurde, darf während dreier Tage von
feinem, der nicht Angehöriger it, betreten werden. Bei der
Geburt pflegt immer eine gute freundin Hilfe zu leiten
und dem nengeborenen Finde eine Wiege und ein Widel-
band zu ſpenden. Das Kind wird nicht gleid mad) der
Geburt gewaſchen, fondern erft mad) einigen Tagen, wenn
der Nabel, weicher mit einer dinnen Darmfaite zugebunden
wird, bereits verwachſen iſt. Zur feierlichen Waſchung
wird ein Lama, d. i. Prieſter, gerufen, welcher in das zum
Bade beſtimmte Waſſer eine Arznei ſchuttet, wobei er Gebete
verrichtet und zum Segen hinginfpudt, In dem derart ger
weihten Wafler wird num das Kind gebadet, welchem, wenn
es ein Knabe ift, der Priefter einen Namen giebt; ift es
aber ein Mädchen, fo erhält es einen ſolchen von der frau,
weldye die Wiege geſpendet. Auf diefe feierliche Waſchung
folgt jodann ein Mahl, welches aus einem ganzen Schafe,
chineſiſchem Badwert, Obft und Branntwein zu beftehen
pflegt. Die Frau, welche bei der Geburt behilflich geweſen,
erhält alsdann zur Auszeichnung den Hintertheil des Schafes,
wie auch einen großen, neuen Khadal von der Wöchnerin.
Nach diefem Mahle kann fodann jeder die Wödnerin bes
fuchen, wobei man berfelben Geſchenke, beftehend aus Hirte,
There und Khadak, zu machen pflegt. Die Frage, ob das
neugeborene Kind ein Knabe oder Mädchen fei, wird bildlich
folgender Weife geftelt: „Iſt das von Dir geborene Kind
eine ichhörnchenfell » Näherin oder ein Hirſchjäger ?“
(Mongoliid): Gharson tschin bologha dsojkhe jumo,
bogha namnakhu jumo?) Hierauf antwortet die Mutter,
wenn es ein Knabe ift: „Er ſchleppt eine goldene Schlinge.“
(Mongoliſch: Altan orgha tschirkhe juma.) Iſt es aber
ein Mädchen, jo jagt fie: „Sie füdelt die Nabel ein.“
(Mongolifd): Dzü sülkhe juma.) Diefe uralten Redens-
arten weifen hinlänglich auf die gewöhnliche Beichäftigung
ber beiden Gefchlechter hin, da jede Art Näherei der *
zukommt, die Jagd und Biehzucht aber dem Manne. Das
neugeborene mongoliſche Kind pflegt während einundzwanzig
Tagen, wo die Frau zu Haufe verweilen muß, drei⸗ bis vier-
mal gewajchen zu werden, und zwar im folgender Ordnung.
Nach Verlauf der eriten fieben Tage wird das Kind mit
falzigem Schwarztheewafler, nach abermals ficben Tagen mit
Salzwafler, am Ende der britten fieben Tage mit Milch—
waſſer und endlich mit Muttermilch, gewafchen, mit welchen
Waſchungen ſich der Mongole fürs ganze Leben begnügt.
Der Nugen diefer Wafchungen fol, wie die Mongolen ans
geben, darin beftehen, daß fie das Kind vor Vlattern und
Hautausichlägen [hügen. Die Unvermögenden fäugen ihre
Kinder felbft bis zum dritten oder vierten Jahre. Die
Reichen pflegen ſehr häufig die Kinder ihren Untergebenen
behufs Erziehung zu übergeben, wobei fie denfelben zugleich
eine qute Melktuh fchenken, mit deren Milch fie das Kind
mittelſt eines Ochſenhornes tränten,
Aus allen Erdtheilen.
223
Aus allen Erdtheilen.
Einiges über Peking und beffen Umgebung.
(Nach Armand TDarit,)
Wie in allen alten Städten Chinas, fo find and in Peking
die Strafien ſehr fchlecht und faum mit einem Gefährt zu
paſſiren. Obgleich mit großen Steinen gepflaitert, jo werden
fie doch fo jehr vernadhläffigt, daß tiefe Löcher jedes Fuhr—
werk in Gefahr bringen. Man ziebt es daher vor, auf Maul-
efelm zu reiten oder fich in einer Sänfte, welde von Men:
ſchen oder auch von Mauleſeln getragen wird, fortichaffen zu
laſſen. Letzteres geſchieht regelmäßig bei einer Reiſe von
Peking nach Tſchang-kia-ton, da es unmöglich ijt, über die
in der Strafe lagernden Stein: und Kieſelhaufen mit einem
Räderfuhrwerk hinwegzulommen. Kameele werden allein von
den Mongolen und zwar nur innerhalb der Grenzen ihres
Landes benugt.
Die Thore von Peking find des Nadıts über geſchloſſen.
Unter denjelven bat ſich eine größere Zahl von Kleinhändlern
etablirt, welche faft ausſchließlich Neifentenfilien feilbieten.
Es find gewöhnlich ganz arine Leute, welche die North zu
diefem Geſchäfte getrichen hat. Selbft im Sommer tft ihr
Berdienft gering; im Winter aber haben fie große Noth zu
leiden, Hilfe gewähren ihnen, wie überhaupt allen armen
und obdachlofen Leuten, die Ki-maostiens, d. h. Herbergen,
in deren genen ſehr geringe Vergittung Betten, mit Hühner:
federn gejtopft, gegeben werben.
Die Breife der Lebensmittel find ſehr billig, fo daß auch
der Arme, wenn er auch oft jchwer zu leiden hat, doch ſelten
Hungers ftirbt. Dazu lommt, da in Zeiten der Noth die
Regierung und vielfach auch wohlhabende Leute Speiſen —
in der Negel gelochten warmen Hirjebrei — vertheilen lafjen.
Die Armen in Peking follen cine befondere Genoſſenſchaft
mit Vorftehern und geordneter Verwaltung bilden.
Deffentliche Aufzüge find in Peking, wie überhaupt in
China, ſehr belicht; fie finden immer mit befonderm Bomp
bei Beerdigungen und bei Berheiratbungen ftatt. Stets wird
die Braut im feierlicher Weile ihrem künftigen Gatten zu:
geführt. Die geſchloſſene Sänfte, in welcher die junge Dame
getragen wird, wird ftets von Muſik begleitet. Nie hat ihr
Gbegatte zuvor Gelegenheit gefunden, fie näher keunen zu
lernten; faum ihre Öefichtszüge bat er geſehen. Nicht allein,
daß fait alle Frauen — die wohlhabenden ohne Ausnahme —
ſich ſehr Hark ſchminken, jondern fie lichen es auch, den Kopf
mit einem Schleier, ‚in der Megel von weißer, rotber oder
blaner Farbe, dicht zu verhüllen.
Das Klima in Peking zeigt eine außerordentliche Negel-
mäßsigkeit. Im Sommer berricht eine anhaltende, nur durch
beftige Winde unterbrochene Trodenbeit, Am Frübiahr und
Herbit ift das Wetter ſtets Mar und bel. Man zählt nur
0 Negentage. Regelmäßig Ende Juli beginnt es zu regnen.
Die Winde find oft fo heftig, daß dichter Staub aufgewir—
belt und durch ihn die Sonne verdunfelt wird; dies ift be
ſonders bei Nordwind der Fall. In Peking pflegt man zu
lagen: Der Winter bringt Nord-, das Frühjahr Oft:, der
Sommer Sid: und der Herbit Weſtwind, und im Allgemei:
nen it dies richtig. Plötzliche Temperaturveränderungen find
felten. Einem langen Sommer folgt regelmäßig ein langer,
aber milder Winter, Froſtwetter fommt mit dem November,
aber erft im December gefrieren die Gewäſſer. Im Dlärz
löft fih das Eis. Die Wärme fteigt im Sommer auf 40°,
die Kälte fällt jelten bis zu — 18°, ſchwanlt vielmehr zwi-
ſchen —8 und — 12,.
Die Ebene, in der Peling liegt, erſtreckt ſich im Dften
und Süden in eine unabſehbare Ferne; im Weiten und Nor-
dem ift fie durch eine Berglette begrenzt, an deren Ausläufer
die Sommerreſidenz des Kailers eng⸗-ming-ynen liegt.
Ginförmigkeit ift der vorherrichende Charakter; jo weit
das Auge reicht, findet es nirgends einen angenehmen Halte:
puntt; fein Wald, Feine Hede, kein Buſch, felten ein Baum
erfreut den Blid, Städte und Dörfer giebt es zwar in
Menge, fie bieten aber kein freundliches Bild; es find immer
Gruppen Heiner niedriger Gebäude, welche jelten mehr als
ein Stodwerf baben und cher den Namen von Hiltten als
von Hünfern verdienen. Einzeln liegende Wohnungen giebt
es nicht. Sie würden den Dieben eine zu günftige Gelegen—
heit zum Stehlen bieten. 2
Bäume und Laubholz ficht man nur in der Nähe der
Wohnungen und der Begräbnißplätze. Sie beftehen regel:
mäßig ans den wenigen Arten von Rüſter, Trauerweide
und Bappel. Die einzigen Fruchtbäume find Birnen, Aepfel
und Aprikofen; feltener wird der Weinftod gefunden, wel-
den man im Winter mit Erde bededen muß.
Nach dem Negen im Monat Juli ſproßt mit Ueppigkeit
das Getreide, und die ganze Ebene ift mit Culturpflanzen
bededt. Vorzugsweile werden Weizen, Reis, Gerjte, Mais,
mehrere Arten Hirfe, Buchweizen, Erbien, Bohnen, ſüße
Kartoffeln, Senf, Rieinus, Baumwolle und Mohn (Opium)
gebaut. Die einzige Futterpflanze ift die gemeine Luzerne.
Als Gemitje zieht man: Kohl, Zwiebel, Rübſamen, Spinat,
Beterfilie, Möhren, Lattich, Nadies, Kerbel, Beifuß und
einige Suppenfränter. Außerdem bemugt man die Wurzeln
und Knollen zweier in den Siümpfen wachlenden Bilanzen.
In der weiten Ebene kommt es vor, daf der Keijende
einer wunderbaren Erſcheinung benegnet. Gegen bie Sonne
gewendet glaubt er am Horizont Gewähler zu bemerken, in
denen fi) Bäume und Dörfer ſpiegeln. Je mehr er fich
aber dem Orte nähert, defto weiter entfernen fich die Bilder
und ſchließlich verihwinden fie ganz. Alles war nur opti-
ſche Täufchung, die jelbft Vögel anlodt.
Die Berge, welde die Ebene im Welten und Norden
begrenzen, find nur von mäßiger Höhe und ganz entwaldet,
Oft find ſie in einen leichten, blauen Nebel gehüllt, welcher
ſich in den Wolfen verliert. Sie führen Kohlen, deren Ab—
bau jeit undenflichen Zeiten ſchon betrieben wird *). Die
nächiten Minen liegen nur wenige Meilen von Beling entfernt.
Die Kohle ift ſehr hart, aber ſchwer entzündbar. Auch eine
Oelquelle findet fih zu Tichaistang, etiwa 8 bis 10 deutliche
Meilen’ von Being. Die Qualität ift gut; wegen der fchlech-
ton Wege kommt indeh nur wenig zu Marlte. j
Die Benugung der Kohle in der Stadt hat David zu
einer intereffanten Beobachtung Gelegenheit gegeben. Ihm
war es aufgefallen, daß fich das Terrain der Stadt über das
der Ebene erbebe. Wie er mun glaubt, ift die Erböhung
bauptjächlich das Ergebniß der angehänften Nice von ver:
brauchten Kohlen, die um fo größere Nidjtände zuridlaffen,
weil man fie, behufs befferen Brennens, mit Lehm miſcht. Der
Strafenboden umterfcheidet fich auch von dem der Ebene,
Aermere Lente durchwühlen den Strafenjtaub, um Heine
Steinchen zu ſuchen, welche zur Anfertigung des Porcellans
verwendet werden. In der Ebene findet man fie nicht.
=) Weber die chinefifchen Koblen und Soblenfelter, wohl bie
reichten der Etde, werben wir binnen Surem durch Baron von
Richthofen bie zuverläffiaften Auftlärungen erhalten. Er hat faft
alle Kohlenfelver Chinas auf feinen mehrjährigen Reifen berührt,
und feine Sammlung von KHanpflüden iſt ſicher die vollftänkiafte,
welche eriftirt. Der erfte Theil feines auf vier Bänke berechneten
Reifewwerfes foll noch in dieſem Jahre erfcheinen.
224
Bon der englifhen Rorbpolerpedition.
Am Sonntag den 29. Auguſt kehrte die „Valorous*,
welche die beiden Erpeditionsichiffe nach Grönland begleitet
hatte, nah Plymouth zurück, und ſchon am folgenden
Diendtag hielt der bekannte englifhe Geograph Elements
R. Markham vor der geographiichen Section ber zu Briftol
tagenben „British association for the advancement of seien-
ces* einen Vortrag über ben bisherigen Verlauf der Erpes
bition. Danach waren die beiden Erpeditionsichiffe „Alert“
und „Discovery“ nach einer langen ſtürmiſchen Weberfahrt
am 6, Juli in Godhavn am Sübende der Infel Disco ans
gelangt, wo die „Valorond“ ſchon zwei Tage lag. Das Ein:
ihiffen von Esfimohunden, das Hinüberfchaffen von Kohlen
und Proviant von der ‚Valorous“ auf die beiden anderen
Fahrzeuge und wiſſenſchaftliche Arbeiten verichiedener Art
nahmen zchn Tage in Anspruch, worauf die Reife nach Nor:
den fortgefegt wurde. Am Abend des 17. Juli wurden bie
beiden Schiffe zum fetten Male geleben, wie fie mitten zwi—
fchen Eisbergen im Waigat, dem Meeresarme zwilchen Disco
und dem Fejtlande, ihren Weg nach dem Pole hin nahmen.
Die letzten zuſammen verlebten Stunden werben folgender:
maßen beichrieben: .
Donnerstag den 15. Juli Nachmittags 4 Uhr 45 Minu-
ten verließ die Expedition Godhaun, die „Discovery“ von
der „Alert* bugfirt, die „WBalorous* hinterdrein. Die „Krähen:
nefter“ waren am ihrem Plate und die Boote lagen nicht
mehr auf ihren Schlitten, wie bei ber Ueberfahrt über den
Atlantiſchen Ocean, jondern waren alle in die Höhe gewun⸗
den. Die Oberfläche der Disco-Bay war wie ein Spiegel
und über und über mit riefigen Eisbergen von der phan-
taftifchften Geſtalt bebedt, während im Norden die Bafalt-
felfen der Südküfte von Disco fih erhoben, bie auf kohlen-
haltigen, gelben Sandjteinen ber Miocenperiode lagern. Um
Mitternacht fuhr die „Alert“ an der dem Lande zugelehrten
Seite eined prachtvollen, blendend weißen Eisberges bin, von
deſſen Spite eine ganze Wolke von Möven anfflog. Auf ber
andern Seite gipfelte der Berg in einer Spige von 200 Fuß
Höhe und unter derfelben Hatte er einen mächtigen Thor:
bogen, deſſen innere Seiten tiefblau waren, während ber
Himmel dahinter hochroth und golden leuchtete. Während
wir noch dies prachtvolle Schanfpiel bewunderten, fam durch
das Eisthor hindurch die „Valorous* in Sicht und hob ſich
mit ihrem dunkeln Rumpfe und den ſchlanken Maften vom
Himmel ab. Eine Stunde fpäter lag dichter Nebel um uns,
der erſt gegen Morgen verichwand und einer ruhigen See
und einem wolfenlofen Himmel Platz machte. Links erſchie—⸗
nen die hohen Bafaltfelfen von Disco und das mit Eisbergen
erfüllte Waigat, geradeaus die hohen Berge ber Nourfoal:
Halbinfel und rechts die Gneisklippen von Arve Prins Island.
Um 4 Ubr des nächiten Morgens follte die „Valorons*
im Waigat auf Disco landen, um nach Kohlen zu graben,
und die Entdefungsichiffe zwei Stunden fpäter aufbrechen.
Yet mußten alſo die Nordpolfahrer von den letzten ihrer
Landsleute Abichied nehmen. Um 1 Uhr Nachmittags anferte
die „Walorous* an den fohlenführenden Klippen anf Disco;
von ihrer Höhe hatte man eine prächtige Ausſicht auf den
die Eisberge entſendenden Toſſulatel-Gletſcher brüben auf
dem Feſtlande, und zwiſchen den ſchwimmenden Eiscoloffen
erſchienen hin und wieder die beiden Schiffe, wie ſie unter
vollen Segeln das Waigat auf feiner Nordſeite hinunter:
Inhalt: Am Nordgeftade der Adria. IT. (Mit drei Abbildungen.) —
Aus allen Erdtheilen.
fuhren. Um 5 Uhr Nachmittags bißte die „Balorons* auf
allen drei Maften das Signal: „Lebt wohl! Gute Heim:
lehr!“ auf, das lange unbeachtet blieb, biß endlich die Antwort
„Dante fhön" auf der „Discovern“ erichien. Eben follten fie
hinter einem Vorgebirge von Disco verſchwinden, ald wir
um 6%, Uhr noch ein wechlelweifes Signalifiren zwilchen
beiden bemerften; dann ſank plöglich ein dichter Nebel auf
das Wafler und verbarg fie unferen Bliden. Das war das
Lebte, was man von der arltifhen Erpedition gejehen hat.
Der Bandel Japans.
Nach dem officiellen japanifchen Blatte „Sozei Rio“ be:
trug im Jahre 1874 der auswärtige Handel der ſechs er:
öffneten Häfen Jokohama, Kobe, Dfaka, Nagafati, Hakodade
und Niigato 17,954,166 Pen Gold oder etwa 74 Millionen
Mark. Zwei Drittel der Ausfuhren fanben über Jolohama
ftatt. Dagegen wurden Waaren im Wertbe von 21,650,497
Den als eingegangen declarirt, welche fomit die Ausfuhren
beträchtlich übertreffen. Unter den Ausfuhren figuriren zu:
nächſt Thee, dann Seide und Grains von Seidenranpen,
Kupfer, Sepia. Eingeführt wurden Leinwand zu Hemden,
Kattune, Muffeline, verarbeitetes Eifen, Zuder. Mehr als
für 7 Millionen Den Ausfuhren gingen nad Amerika,
für 9%, Millionen nach Ebina, für 3,200,000 nach England,
für 2,700,000 nad Frankreich, für 647,000 nad Italien.
Der Reft nach anderen Ländern. Was die Einfuhren
betrifft, fo entfallen 10 Millionen Den auf England, 8,200,000
auf China, 1,600,000 auf Frankreich, 1 Million auf die Ver:
einigten Staaten, 680,000 auf Deutſchland, 22,000 auf In—
dien und 177,000 auf andere Länder,
* # %
— Das afiatifhe Rußland fol eine neue abmini-
ftrative Eintheilung erhalten, mit deren Feftftellung eine beim
Minifterium des Innern in St. Petersburg niedergeſetzte
Specialcommiffion befchäftigt ft. Man beabfichtigt, die ruffi-
fchen Befigungen im zwei Haupttheile zu gliedern, deren
Grenzlinie ſich aber nicht von Norden nad Siden, fondern
im Wefentlichen von Weften nah Oſten erftreden fol. Die
erfte Gruppe würbe die Gouvernements Orenburg, fa,
Tobolst, Tomst, Jenijeist, Irkutsl und Jaluték umfaſſen,
während die zweite Gruppe aus brei Generalgouvernements
beftehen wirde, von denen das erfte bie Steppenländer im
Sidweften mit dem Centralfit in Omsk, das zweite Turfe:
ftan mit den Bezirken am Syr- und AmuDarja, Samar:
fand und Tien-Schian, Eentralfig Tafchlend, das dritte,
gänzlich davon abgetrennte, die Länder am Amur, Centralfit
Blagowelchtichhenst, umfaſſen würde. Als Princip einer der:
artigen Abgrenzung läßt fich micht leicht ein anderes erfen:
nen, als daf die Gebiete der erften Gruppe älterer Befis,
zu regelmäßiger Verwaltung geeignet, die Länder der zwei:
ten Gruppe neuer Erwerb mit noch nicht ganz geficherten
Grenzen und darım mehr auf militärifche Verwaltung ans
gewieſen find.
— Nach amtlichen Abfhägungen beträgt ber Werth ber
Stadt San Francisco, wie fie fteht und liegt, mit dem
Grund und Boden, allen Baulichkeiten, Mobilien und baa-
rem Gelde, in dieſem Jahre 267,483,769 Dollars (gegen
261,079,093 im Borjahre). E3 entfallen davon auf Grund
und Boden 126,350,235 D., auf Immobilien 42,558,165 D.,
Mobilien M,761,841 D. und baares Gelb 7,814,208 D.
Vorgelchichtliches ans dem Poſeuſchen und
anderen Gegenden des flavifchen Dften Europas. Nach ſlaviſchen Onellen mitgetheilt von Albin Kohn. Mit zwei Abbil⸗
dungen.) — Skizzen aus Chile. Von Dr. meb. Georg Thiele. IV. — Ein ungarischer Sprachforſcher in der Mongolei.
Bon Hermann Bambery. I. — Aus allen Erdtheilen: Einiges über Peking und deifen Umgebung. — Bon der englis
jchen Norbpolerpebition. — Der Handel Japans. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 26. September 1875.)
Nedarteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftraße 13, III Tr.
Drud und Verlag von Friedrich Bieweg und Sohn in Braunſchweig.
Hierzu eine Beilage: Literarifcher Anzeiger Mr. 8.
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und thnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit yahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Nihard Kiepert.
Vraunſchweig
Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Nummern,
Preis pro Band 12 Mark, Einzelne Nummern 50 Bf.
1875.
Am Nordgeftade der Adria.
IV.
Versi. — Digtano. —
Etwa 7', Kilometer oder eine deutfche Meile in gera-
ber Linie nördlid) von Pola — flir den Wanderer iſt der
Weg etwas länger, weil er den tief int Yand einſchueidenden
Bufen von Pola ungehen mug — liegt hart am Strande
Fajana, ein armer, umbedeutender italienifcher Ort, der
aber, wie jaft alle feine Nachbardörfer längs dieſer Küſte,
einen guten Anfergrund und einige (feluden und „Trabacoli*
zum Transporte von Holz und Steinen bejigt. Dorthin
gelangt mar auf einem der Heinen Yloyddampfer ; dann
aber muß man zu Fuße gehen oder ein Reilthier benugen,
um Peroi zu erreichen, das 3 Kilometer nördlich von Fa
ſaua abfeits vom Meere liegt. Der ſchlechte, fteinige ‘Pfad
iſt auf dem dilrren, unfruchſbaren Felsboden faum zu erten:
nen; von Pflauzenwuchs ift wenig zu fehen, und von den
mit loſe gefcichteten Steinmauern umgebenen Aderfeldern
iſt die dlirftige Ernte an Horn und Mais ſchon eingeheimft;
aber die ftrahlende Sonne, das blaue Meer und der Marc
Horizont diefer Geſtade lafjen den Cindrud des Tobdten,
Traurigen im Wanderer sicht aufkommen und rufen im ihnn
flets wieder die Gedanken an das nahe Italien wach.
Bald ſteht man vor den erften Häuſern von Peroi, das
zum Diftricete von Dignano gehört und von Montenrgrinern
und ſchismatiſchen Griechen bewohnt wird. 1645 ließ der
Toge Giovanni Pezzaro von den Boche di Lattaro und
aus Montenegro eine Anzahl Familien kommen, um diefen
Blebus XXVIII. Nr, 15.
Der Golf von Buccari.
von der Peft entvölferten Landſtrich wieder zu bebauen.
Urſprünglich follten fie ſich in Salvore am Buſen von Trieft
niederlaffen, aber Peroi behagte ihnen beffer, da hier bie
Natur in der That an die Schwarzen Berge erinnert. Ge—
gen die Belehrungsſucht der Franzisfaner fchiigte fie die
egierung; fie hatten ihren Popen mitgebradjt, bauten ſich
eine Kirche und bilden noch heute in einer Stärfe von 400
bis 500 Seelen eine ſchismatiſche Inſel inmitten einer ganı
römifch:tatholifchen Bevöllerung. Auch in ihrem Aeußern gleis
chen fie noch ganz ihren Yandöleuten drunten im Süden; ftolz
im Benehmen, ſchlank und kräftia, dunfelhaarig, von and:
nehmender Reinlichteit, Gaftfreundfchaft und Wohlthätigfeit,
An harte Arbeit gewöhnt, Fönnen fie vom Ertrage ihrer
Felder bequem feben ; alle ihre Nachbaru übertreffen fie an
Sittlichkeit und Neligiofität ebenfo fehr, wie an Schönheit
der Kleidung und Glite der Yeibesnahrung. Die Stiche
bietet von außen nichts, im Innern wenig Außergemöhn-
liches. Schlecht nur wollen die fteifen Heiligen der reich
vergoldeten Ilonoſtaſis (fo heißt im griechifchen Kirchen die
bildergefchmitdte Scheidewand zwifchen dem Allerheiligiten
und dem übrigen Theile des Tempels) zu der modernen ſpa—
nischen Wand, welche die Sacriſteithür verbirgt, umd zu
der Commode a la Louis XV, paſſen, die die Stelle eines
Altard vertritt. Davor celebrirt der junge, blafle, magere
Pope, defien Bild wir geben, von Kindern in grellfarbigen
2)
226
Sewändern unterftügt. Sein langer, ſchwarzer Bart wallt
auf die Bruft und die Dalmatifa (Meßgewand) aus groß:
geblumtem, perfischem Stoffe herab, umd giebt feinem Ant»
Lig nur noch mehr dad Ausfehen eines Kieberfranfen.
Die Yeute von Peroi find, wie gefagt, ſehr religiös und
beobachten die Faften ftreng; an den großen Feſttagen füh-
ren jie Nationaltänze und Nationalfpiele auf; aber ihre
Nationaltradjt haben fie aufgegeben: nur im der Kopf
bededung und dem Bartfchnitte unterjcheiden fie jich von den
anderen Süd⸗Iſtrianern. Die Brautwerbung findet bei
ihnen am legten Sonntag vor Weihnachten ftatt: an dies
fem Tage begiebt ſich der (freier umeingeladen in das Eltern:
haus feiner Erwählten und bittet um ein Abendeſſen. Wird
er gut aufgenommen, fo kehrt er eine Woche ſpäter wieder,
bringt aber das Abendeſſen felber mit, und gefällt er auch
diefes Mal, jo erfcheint er zum dritten Mal in Gefellichaft
feiner Eltern und des Popen und bringt den Ring und ein
paar Schafe. Nachdem diefe verzehrt find, wird der Tag
der Hochzeit beftimmt, und es beginnen die überaus umftänd-
lichen Vorbereitungen dazu, an denen fid) das ganze Dorf,
Am Nordgeftade der Adria,
deffen Einwohner natürlich alle mit einander verwandt find,
betheiligt.
Fünf Kilometer Weges in öſtlicher Richtung, alfo land-
einwärts, bringen uns über ein cbenfo fteiniges und un-
frudjtbares Gebiet, wie vorher zwiſchen Faſana und Peroi,
nad Dignano. Es ift gerade große Meſſe, und wir tre
ten im die mächtige, weißgetündhte, noch aus venetianijcher
Zeit ftammende Kirche. Die das Hauptichifi erflillende
Menge zeigt feine bunten Farben, fondern erjcheint ebenfo
ſchwarz, wie die Gläubigen in unferm Norden. Alle
Frauen tragen ſchwarzwollene Kapuzen, wie die franzöfifchen
Bäuerinnen; aud) die Männer haben nichts Auffälliges in
igrer Tracht. In den Seitenſchiffen figen, fnien, liegen auf
den Stufen der Altäre flaviſche Yandleute aus der Nachbar:
ſchaft, etwa 30 an Zahl, von jedem Alter und Geſchlechte
und in allen möglichen Kleidern. Ganz vorn befindet ſich
ein arınes, franles Weib, die ihr Knabe in einem elenden
Wägelchen im die Kirche gezogen hat. Handförbe und Yebens-
mittel liegen zu dem Füßen der Andächtigen, die ebenfo ge
Heidet find, wie die Leute von Pifino (ſ. „Globus“ XXVIL,
Bope der montenegriniichen Colonie in Peroi.
©. 373), nur mit einigen Abweichungen in der Farbe der
Kappen und dem goldenen Filigranſchmucke. Verläßt die
Menge die Kirche, jo falten die Frauen ihre Schleier zu: |
fammen und tragen fie über dem Arme; unter der dunlel»
gefleideten Schaar leudyten dann die grünen Kappen der
aufgebotenen Bränte hervor, wie Smaragden in der Sonne.
Dignano lebt nur vom Aderbau und der Ausfuhr von
etwas Brennholz; man baut Oliven, Gerſte und ein wenig |
Wein; was man fonft zum Yeben braucht, wird von Trieft
oder von Ralien her eingeführt. Doc; macht der reinliche, |
freundliche Ort weit mehr einen ftädtifchen und wohlhäbigen
Eindrud, als die meiften großen Gentren im Innern des Yandes.
Vor den Thüren figen hübjche Mädchen mit filbernen Filigran-
nadeln im Haare, im dunkelen, vorn mit gebaufchten weißen
Til befegten Miedern, beladen mit Ketten und Schmud,
fo wie fie unfere Abbildung zeigt.
Wir verlaſſen hier unfern Führer Yriarte, um ihm jpäs
ter vieleicht im Quarnero, in Dalmatien und Montenegro
wieder zu begegnen und folgen einem andern mad) dem am
tiefften einichneidenden Meeresarme des nahen Fiumaner
Golfer, um and) die Natur diefer Kiüſten kennen zu lernen,
Bänerin von Dignano.
lungen betrachtet haben. Es ift fein geringerer, als der
Erzherzog Yudwig Salvator von Toscana, dem die
Yündertunde eine Reihe trefjlicher Monographien und wir
die nun folgenden vier charakteriftifchen Yandichaftsbilder ver-
danlen. Seit einer Neihe von Jahren durchjegelt der Erz
herzog, ein Meifter des Zeichenftifts und ein warmer Na-
turfreund, die verfchiedenften Theile des Mittelmeeres, deſſen
Küftenländer eine Geſchichte aufzuweiſen haben, wie feine
anderen auf Erden, fteigt hier und da ans Yand, zeichnet,
ftudirt — und legt bald darauf die Frucht feiner Fahrten
in fürfilich ausgeftatteten Bänden feinen Freunden und im
liberaler Weife auch den geographiichen Gefellichaften vor.
So folgte auf zwei mächtige Foliobände, die in Wort und
Bild die Balearen behandelten, ein dünnes Duobezheftchen
mit Beduten aus Tunis; Yarnafa auf Cypern hat ſei—
nen Griffel gereizt, dann der Meerbufen von Arta, an
deffen Mündung bei Actium einft die Schidjale der halben
befannten Erde fich entjchieden; die Kaimenen, jene vul«
canifchen Infeldyen im meerbededten Krater von Santorin,
zulegt die Syrten und Tripolis, Zu diefer ftattlichen
Reihe von in Tert und Abbildungen — diefe find gleidyfam
nachdem wir bisher meift ihre Bewohner und derem Auſiede | Facſimiles, da fie meift nad) den Originalzeichnungen auf
Am Nordgeftade der Adria. 227
—— 111
\
\r/
laviſche Bauern im der Kirche von Dignano.
&
=
77700
228 Am Nordgeftade der Adria.
Holz photographirt und dann fofort gejchnitten werden — kunft Herbeifügren. Bon der Abtretung Fiumes und des
gleich werthvollen Schriften gehört auch das 1871 erjchier croatiſchen Küſtenlandes an die ungarische Monarchie datirt
nene: „Der Golf von Buccari»PortoRs Bil- | der Beginn diefer neuen Aera. In wenigen Monaten (— der
der und Skizzen.“ Berfafier fchreibt im
Nicht weniger ala 53 — = — — — März 1871 —) wer:
Bilder, 14 Pläne und —— den bereils die wich⸗
2 Karten zieren die — — | tigften Spitzen mit
118 Seiten Text, die : —— Leuchtthurmen beſetzt
einen der lleinſten, = fein und zwei Bahnen
aber nicht unbebeu- vonNorden und Often
tendften Winfel Des
fterreich® in eingehen-
der, liebevoller Weiſe
ſchildern. Bis in die
neueſte Zeit war der
ſchöne Golf von Fiume
mit der Bucht von
Buccari vernadjläf:
figt, faſt vergefien.
Niemand dachte dbar-
an, was er den Rö—
mern geweſen; die
Verſuche Karls VI.
und Napoleon’s 1.,
ihn zu heben, gingen
mit ihren Urhebern
u Grunde. „Kein
euchtihurm wies den
Seefahrern den Weg
zu diefer großen und
weiten Rhede, umd
feine Eifenbahn lei⸗
tete hierher den Han⸗
del des in commer⸗
cieller Hinſicht brach 2 r Buccari » Porto
liegenden Hinterlan ⸗ Re Sie iſt fo zu
des. Erft das Ber Am Abbange des Gavranic. jagen der Hafen, den
ftreben der Ungarn, die Natur jelbft im
fid) bis an das Meer auszudehnen und diefes für die Wohl- | Grunde der breiten Rhede angelegt hat. Durch drei Mündungen
fahrt eines größern Yandes unentbehrliche Element zu ge | fan man aus dem offenen Meer in den Golf von Fiume
winnen, folte für den Golf von Fiume eine glüdlichere Zu: | und aus diefem in jenen von Burccari gelangen; wenn man
ber (— erftere von
Trieft und Yaibad),
leistere von Agram,
beide jet längft er⸗
öffnet —) die Pros
ducte der durchſchnit⸗
tenen Gebiete dem
Solje von Fiume zus
führen. eine gün-
ftige Yage eröffnet ihm
überdies die Ausficht,
ſich binnen kurzer Zeit
zum Stapelplag des
dalmatinifchen Han-
dels mit den Übrigen
Theilen der auftro-
ungariſchen Monar:
chie aufzuſchwingen.
Unter allen Punk⸗
ten des Fiumaner Bu⸗
ſens giebt es aber
feinen wichtigern, wie
die tiefe von Bergen
eingefaßte Bucht von
en
Balle grande di Sereica.
fi) aber vor dem Eingang diefes letztern befindet, vermag
das Auge durch feine jener Mindungen das offene Meer zu
entdeden, jo reiht ſich couliffenartig Berg an Berg, Inſel
an Infel, um diefen herrlichen Golf zu umglirten. Und fo
groß ift die Täuſchung einer völligen Abgeſchloſſenheit des
Golfes, daß man ſich am windftillen Sommertagen, wenn
\sOOQYIE
Am Nordgeftade der Adria. 229
die Wogen fchlummern, viel eher auf ben Gewäſſern eines
Landſees, denn auf dem Meere zu befinden wähnt,“
Bon unferen Illuſtrationen zeigen drei die ganze wilde
und doch fo anziehende Natur diefes aus Fels und Meer
zufammengefegten Winkels: den Berg Gavranic, ber ſich
füdlid) von der Einfahrt in den Golf über Porto Nö er:
Bon den Höhen hinter Buccari.
hebt, die ihm gegemüberliegende Bucht Balle grande di
Geröica und einen Ueberblick über den ganzen Bufen von
den Höhen hinter Buccari, welches im norbweftlichen
Winkel deffelben gelegen if. Die Stadt ift faft in Form
eines Dreiecks gebaut und zieht fich in biintem Durdjeinauder
don Treppen, Felsblöden und engen Gäfchen einen Hügel
Das Schloß von Buccari.
hinauf. Die Häufer find meijt von riefigen Schornfteinen | Gebäuden ift vor allen das Schloß, eine Grlindung ber
überragt, ihre Bauart ift einfach, faft roh; denn häufig ift | Familie Frangipani, zu nennen, das die Buccaraner Ca⸗
ie Befiger auch zugleich, ihr Exbauer gewefen. Unter den | ſerma nennen, weil es eine Zeit lang und auch jegt noch
230
dann und warn Militär im feinen öden Zimmern aufnimmt.
Hermann Bamberg: Ein ungarischer Sprachforicher in der Mongolei.
der Yandfeite aus mahnt dagegen das Schloß noch vollfom-
Es iſt ein ftattlicher, unregelmäßiger Baur, der aber vom | men an jene alter&grauen Zeiten, denen es feine Entftehung
Meere aus, wo man feine unanfchnlichite Seite erblidt, wie
ein einfaches Haus am Ende der Ortfchaft erſcheint. Bon
verbanft,“
Gin ungarifher Sprachforſcher in der Mongolei.
Von Hermann Vambery.
Bei Sterbefällen und Begräbniffen herrſchen bei den
Mongolen folgende Sitten.
Bei ſchweren Krankheiten nimmt der Diongole zu einem
Arzte feine Zuflucht. Fruchtet aber die Arznei nicht, fo
läßt er einen andern Priefter zu ſich rufen und durch ihn
Gebete verrichten, da ein arzneifundiger Yama, wenn ein an-
derer vorhanden ift, für Niemanden zu beten pflegt. Bringt
auch das Gebet feine Heilung, fo wird abermals ein Prie-
fter gerufen, welcher dem Kranlen folgende Troftrede zu hal
ten pflegt: „Nachdem Du num bis jet hienieden geweilt
haft, ift Deine irdiſche Lanſbahn befchloffen, und Du wechſelſt
das Leben. Fur Dich ift mun alles, was auf dieſer Welt
Dir lieb und theuer war, wie Dein theueres Weib, Deine lie-
ben Kinder, Vieh, Gold, Silber, Bruder und Schweſter
werthlo® geworden; was für Dich num wahren Werth beſitzt,
ift der Priefter und die drei Kleinode: Buddha, die Religions:
wiflenfchaft und das Prieftertfum. Bete, unjerer eingebent,
inniglid); nichts von diefer Welt fol Dich dauern; fiehe, im
wonnevollen Yande Dewadfin wartet Deiner, Die feine Rechte
reichend und feine Yinfe am Nabel haltend, mit vor Freude
ſtrahlendem Geſichte, der lichtumfloſſene Abid und fpricht:
Komme!“ Der Kranke nimmt ſodann, wenn er noch
ſprechen lam, von feiner Frau, ſeinen Kindern und Ges
ſchwiſtern mit folgenden Worten Abſchied: „Ich kann ferner-
bin nicht mehr hienieden unter Euch verweilen, der Tob
hat meinem Yeben eine Grenze gefegt, meine Zulunft ift
herangenaht, meine Vergangenheit ift abgelaufen, gebt mir
Mitch und frische, gelbe Butter.“ Nachdem er davon ges
noffen, fährt er in feinem Abſchiede fort: „Ic habe auf-
gehört, von nun an mit Euch zu effen und zu trinken, Euch
überlaffe ich mein Yebensgliid, meine Zukunft aber übers
antworte id) dem Lama, dem Burlhan und den drei Kleino—
den.“ Nach diefen Worten richtet der Kranke auf feinem
Yager den Blid nach Weften; die ihm Umgebenden zinden
vor der Statue des Burkhan eine Lampe und Räucherwerl
an, währenddem der Kranke vertieft in den Belchrungen
des Yama und betend, mit dem rechten Daumen das Yod)
feines rechten Ohres zuftopft, mit dem Mittelfinger aber das
‚rechte Naſenloch zuhält, die linfe Hand auf das Hüftbein
legt, und fo, die Füße zufammenziehend, ftirbt. Dabei
winjcht der Lama dem Geifte des Verblichenen mit folgen-
den Worten Süd und Segen: „So ſchwinge denn alfo
die Geigel der Vergebung, befteige das Roß der Tugend,
fattle es mit dem Sattel des reinen Gewiſſens, lege ihm an
die Zügel des Segens, und eile in das umendliche Neid, der
Geiſter (Saghovod).“
Der Berftorbene bleibt hierauf drei Tage in berfelben
Hütte, für die Familie wird eine andere Hütte aufgefchlagen,
in welcher das Bolt die finnlofen und eben darum recht ers
greifenden ſechs Silben: „om mani padme hum* herfagt,
II.
und wo alich der Priefter drei Tage hindurch Religions:
bücher und GHlaubensartifel ftudirt. Der Priefter fchreibt
die genannten fechs Silben mit tibetanifchen Buchſtaben auf
Papier oder Yeinwand, welches Schriftitüd Manyi oder
Manya genannt wird und das mittelft eines dünnen Sta—
bes auf den Giebel der Todtenhlitte geftedt wird. Der das
Geremoniel verrichtende Priefter geht jobann fir die Leiche
einen Begrübnißplatz erbitten, und zwar pflegt derſelbe für
vornehme Leute auf der Spige eines Derges, für alle ande-
ren aber an deſſen Abhange ausgefucjt zu werden. Dieſes
Erbitten, welches auch Platznehmen genannt wird, befteht
barin, daß der Priefter auf dem betreffenden Plage mit gel-
bem Zwirne ein Stüd Erde ausmißt, um welches er jodann
mit einem Horne einen Kreis zieht und in deffen Mitte er
die priefterliche Opferſchale, Oſchin genannt, hinftellt.
Die Erben des Verblichenen legen auf diefen Plag: neun
Bündel Räudyerferzen, neun Schalen, neun Khadale, neun
Schafe, neun Pferde, cbenfo viele Kameele und Rindvich,
ferner neun Bündel Nadeln, welche Gegenftände der Priefter,
welcher den Platz erwählt hat, erhält, der, nachdem er bie
Gegenftände in Empfang genommen , an deren Stelle neun
irdene Bomben und ein Eleines, mit verfchiedenen Erz—
ſtücken gefülltes Weihwaſſer-Krügchen hinfest.
Sodann wird die Leiche im ein großes, weißes Peinwand-
ſtück gehiillt und auf ein Kameel gelegt, welches von zwei
nahen Berwandten des Verftorbenen, 3. B. vom älteften
Sohne und einem der Brüder, geführt wird, Die Befanns
ten und der Priefter eilen indeß auf den Begräbnißplatz
voraus, ſchlagen dafelbft ein Magkham (eine pyramiden-
förmige 49 auf, zünden Feuer an, und machen ſich an
die Bereitung von Epeifen, währenddem fie immerfort die
erwähnten fech® Silben ausrufen, und der Priefter Gebete
verrichtet. Nachdem Speife und Trank zubereitet, eſſen und
trinken fie, brechen dann die Hütte ab und gehen nad) Harfe,
Die ſodann angelangte Yeiche legen die zwei Fuhrer des Ka-
meeles auf den bezeichneten Plag nieder, und pflanzen das
mit ſich gebrachte Mani auf einen blinnen Pfahl auf. Mad)
den Führern des Kameeles kehrt auch der Prieſter zurüd,
wo er jodann die erfteren mit Weihwafjer, in weldies Saf-
ran und Zucker gethan wird, Arfian genannt, wäſcht, mit
Näucherwverk räuchert, um fie gleichſam von etwaiger Peft
zu reinigen. Nachdem er nun jedem noch eine Schale Milch
verabreicht hat, beſcheult er fie mit einem großen Seiden
thadal.
Ein todtes Kind, welches noch nicht gehen lonnte, ſtecken
die Mongolen ganz einfach in einen Sack und ſetzen es auf
einem befahrenen Wege aus. Auf gleiche Weiſe verfahren
fie mit Kindern, die zwar ſchon gehen founten, aber das
fiebente Febensjahr noch nicht erreicht, mit dem Unterſchiede
jedoch, daß fie ſolche auf einen weniger frequenten Weg
Hermann Bambery: Ein ungariſcher Sprachforſcher in der Mongolei.
niederlegen,. In den Sad thuen fie zum Kinde verſchiedene
Obſtarten, Knieknochen vom Schafe, die Schweiffpige eines
Schafes und eine Meine Schale. Die hier befchriebene Art
des Begräbniffes ift die, wie fie vorfchriftgemäß fein fol;
jedoch wird, wo fein Lama fid) in der Nähe befindet, bei
einem Todesfalle gewöhnlid; von der Familie das Zelt ab»
gebrochen und die Yeiche unberührt zurlidgelaffen. Ja bei
graffirender Krankheit wartet man beim Kranken gar nicht
den Tod ab, fondern flicht das Zelt, unbekümmert, ob Bater
oder Mutter, Gemahl oder Gattin hulflos zurüdbleibt,
Betradjten wir nun flüchtig die religiöfen Anſchauungen
des mongolifchen Boltes, „Es liegt nicht in meiner Abſicht,“
fagt Bäliut, „hier die Ölaubensbetenntniffe des Buddhismus
darzulegen, da hierzu ein forgfältigered Stubium von Nö—
then geweſen wäre, al$ ic) darauf verwenden konnte, ich will
vielmehr hier nur im Allgemeinen von der veligiöfen An—
ſchauung des mongoliſchen Bolfes das mittheilen, was ich
gelegentlich, wahrgenommen.“ Der Unterricht, den der Mon—
gole im Allgemeinen genieft, ift ein ſehr geringer, wie dies
bei eimem Wandervolfe, vorzüglich aber in einem alten
Klima, auch nicht anders möglich it. Beim Karalhum,
ichwarzen oder gewöhnlichen Dienfchen, befteht der Unterricht
darin, dak der Water, Yama oder Bruder das Kind ein we:
nig jchreiben und lefen lehrt. Bon der Religion weiß jeder
Mongole nur die vier Glaubensartifel, welche die Eltern
dem Finde mittheilen. Fernern Unterricht in der Keligion
erhalten fie von den Yamas, die hier und da die Hütte zu
befuchen pflegen; doch bejtcht derfelbe durchaus nicht aus
einem ſyſtematiſchen Unterrichte, da felbft der Lama mit fei-
nem Religionsfyfteme in den meiften Fällen nicht im Kla—
ven ift. Unter folden Umftänden ift es micht zu verwun—
dern, daß das mongolifche Volk felbft von den primitivſten
religiöfen Begriffen nur jehr wenig im Kopfe hat. So hat
Niemand einen Haren Begriff von dem Königsfohne Buddha,
weldyer gewöhnlich „sigemuni burkhan baksi sakia-
muni*, d. h. göttlicher Lehrer, genannt wird. In der
allgemeinen Spradje entſpricht das Wort „burkhan“ unferm
Worte „Gott“ ; indeß aber verfteht der Mongole darunter
durchaus nicht das, was der Chrift unter dem Worte „Sott*
begreift. Bon einem allmächtigen Schöpfer oder einer Schöpfung
fpricht der Mongole nie. Die „Burkhanen“ find nad) der
Anficht der Mongolen die mächtigjten Geifter, welche einft
in menfchlicer Geftalt auf der Erde lebten, oder zur Beför-
derung des Heil ber in der „Welt des Kreislaufes“, „ort-
schilong* genannt, febenden Wefen leben werden, Der
Glaube an die Seelenwanberung ift allgemein, daher man
auch das Wohl aller Lebenden befördern muß, nicht nur das
der Menſchen, fondern auch der Thiere, da deren Seele von
ber menfchlichen durchaus nicht verfchieden ift. Die Seele
des Menſchen ift nach ihnen durchaus feine neu entftandene,
fondern nur die abermalige Erſcheinung der Geifter und
Seelen früherer Menſchen und Thiere. Die Seele des gu—
ten Menſchen verjlingt fid) in einem andern Menfchen zu
dem Bwede, die Lebenden zum Seile zu führen, die Seele
des ſchlechten aber wird darum in einem Thiere aufs Neue
geboren, damit fie die im ihrer frühern menschlichen Geftalt
begangenen Sünden bliße.
Auf diefem Principe beruht der Transmigrationsglaube
vom tibetanifchen „Dals Yama“, d. h. dem „meeresgrofen
Priefter*, wie and) vom Oberpriefter der Mongolei, dem
Khureni⸗ gegen⸗ khutulu (dem glanzumftrahlten Würdenträ-
ger), nad) welchem Glauben in den erwähnten zwei Ober»
prieftern immer eine und diefelbe burkhanifche Seele thront,
d. h. daß beim Abfterben derjelben zum Wohle der Menſch—
heit ihre Seelen nicht die Welt verlaflen, fondern nur die
äuferliche Hülle wechfeln, indem erftere jogleidy in einen ans
231
dern menschlichen Körper wandern, welder im Momente
des Todes geboren wird. So vernahm ich, daß vor flinf
Jahren ein fehr junger, etwa 20 bis 24 Jahre alter hures
niſcher Khutuku farb, deifen Seele in ein im Augenblide
feines Sterben geborenes tibetaniſches Kind überging. Den
wiebergebovenen Khutut wollen fie in diefem Kinde dadurch
erfennen, daß an eben dem Körpertheile des Knaben eben
ein foldyes Zeichen aufgefunden wird, wie es die khureniſche
FPriefterichaft dem Khutuku auf irgend einen Körpertheil beim
Sterben aufgedrüct hat. Nachdem nun die fhurenifche Geift-
lichkeit die Sterbezeit des Khutulu, wie auch das geheime Zeis
hen plinftlic, und genau aufgezeichnet, wurde eine Geſandt
ſchaft von höheren, verläßlichen Brieftern nad) Tibet geſchickt.
Die vor fünf Jahren ansgefchidte Geſandtſchaft fand num auch
in der That den Khutuku wieder, welchen fie als filnfjähriges
Kind ſammt den Eltern zu Ende des Frühlings diefes Jahres
nach Khuren bringen und wo man den unjculdigen Kna—
ben unter dem tobenden Jubel des Bolfes auf den Thron
des Khutuku jegen wird, welchen er aber eben jo unſchuldig
wieder verläßt, da ihm jegliche Gelegenheit zur Entfaltung
und Entwidelung der Natur benommen wird, und jeder
menſchliche Trieb in ihm gewaltfam unterbrüdt wird. Denn
was fann wohl aus einem Kinde werden, dem außer Speife
nnd Tranf alles, alles entzogen wird, dem jeder gefellige
Berlehr, mit Ausnahme der Eltern und Yamas, verſchloſſen
it und bleibt ? ?
Außer den genannten hohen Geiſtlichen giebt es bei den
Mongolen nod; andere wiedergeborene Briefter, welche immer
die Oberhäupter irgend einer Srieftergenoffenfchaft find. Zu
folhen werden gewöhnlic, diejenigen Söhne der Chane ges
wählt, denen feine große weltliche Macht in Ausjicht fteht.
Es muß alfo natlirlic immer ein früher verftorbener, ges
lehrter und berühmter Vorfteher einer Prieftergenoffenfchaft
in der Familie des Chans zur Wiedergeburt gelangen, und
wird ſodann dem fürſtlichen Sohne der Glaube an diefe
Wiedergeburt derart eingeprägt, daß derfelbe mit ihm groß:
wächft und mit feinem Bewußtſein innig verfchmilzt. Aus
dem Glauben an die Seelenwanderung folgt aud), daß es
bei den Mongolen als große Sünde gilt, Thiere zu fchlagen
oder zu töbten. Der Yama darf überhaupt gar fein Thier,
ja nicht einmal gewiſſe ihn mofeftirende Inſecten tödten.
Es gehörte zu den Nebenbefchäftigungen meines geiftlichen
Vehrers, während des Unterrichtes den erwifchten zahlreichen
Flöhen, welche die Mongolen mehr als Yäufe verabichenen,
einen Laufpaß zu ertheilen und fie wieder in Freiheit zu
fegen. Die Yaten töbten wohl Thiere, verrichten aber für
deren Seelen ein inbrünftiges Gebet, daß 3. B. die Geis
fter die Seele des armen Schafes nicht mehr auf die Welt
verfegen, fondern zu fic, nehmen mögen. Als größtes Ber
gehen betrachten fie die Fiſcherei, da ein ſolches Thier zu
tödten, welchem der Menjc jo wenig Sorgfalt zuwendet,
und das, im einem ganz andern Elemente lebend, für den
Menſchen ganz und gar unfchädlich ift, die größte Gewiſſen—
loſigleit ift.
Wer bereits Beſchreibungen von der Mongolei gelefen
hat, begegnete ſchon ficherlid) der Schilderung der ald „Obo“
befannten, zumeift auf Bergen, im der Nähe von Straßen
gelegenen Steinhaufen. Diefer Gebrauch der Aufführung
von Steinhaufen ift noch ein Ueberbleibfel der alten Nature
oder Schamanen:Religion. rider hatte zur Aufführung
eines foldien Steinbaufens der Schamane den Plat ausges
ſucht, und es fiel die Wahl darum auf Berges- ober
Hitgelsfpigen , weil fie glaubten, daß die Schuggeifter des
Ortes, zu deren Ehre diefe errichtet wurden, auf einem
erhabenen Orte wohnen. In der Nähe von Straßen wurs
dem fie aber darum aufgeführt, damit auch Keifende in der
232
Page feien, Steine, Yumpen und Haare von der Mähne bes
Pferdes hinzuzufügen, wodurd; auch fie des Schutzes biefer
Geifter theilhaftig werden. Bor der Annahme des Bubdhis-
mus brachten die Einwohner der betreffenden Ortichaft zu
einer beftimmten za im Jahre bei diefen „Obos*, als
den Tempeln der Geifter, feierliche Opfer dar. Diefes be
ftand darin, daß ein Thier, gewöhnlich ein Ochſe, Widder
'oder eine Ziege getödtet wurde, von deren Fleiſche man ein
Mahl bereitete, jodann das Herz und die Haare des Thieres
Georg Thiele: Skizzen aus Chile.
in Stüden um den „Obo* herumhängte und endlich den
legtern mit Hautſtreifen umzog. Ta gegenwärtig aber
nad) den Gefegen des Buddhismus das Tödten der Thiere
eine Sünde ift, fo ift wohl die Aufführung von Steinhaus
fen noch gebräuchlich, das Opfern jedoch ift unterfagt, und
tommt aud) nicht mehr vor. Heute wirft einfad) jeder Vor—
überzichende einige Steine: darauf, der Yama hingegen pflegt
mit tibetanifchen Buchſtaben auf Papier oder Leinwand ge«
ſchriebene Gebete dort zu laffen.
Skizzen auß Chile.
Von Dr. med. Georg Thiele.
Bon Valparaifo nach Santiago.
Balparaifo, eine nicht ebem vorzugsweiſe anziehende
Stadt, liegt am Hintergrumde einer faft viereckigen Bucht,
deren breiter Eingang nad) Norboften fieht. Der Hafen ift
daher bei Nordſtürmen eim recht gefährlicher Ort für die
Schiffe und es geht dabei mie ohme das eine oder andere
Unglüd ab ). Der Verkehr mit den Schiffen vom Yande
aus und das Laden ift dann unmöglich. Vom jeemännifchen
Standpunfte aus ift alfo Balparaifo ein recht ſchlechter Ha—
fen. Sehr angenehm für den Neifenden ift es aber, daß
er ehr tief ift, die Schiffe alfo dem Ufer recht nahe liegen,
und man feinen langen Weg braucht, um aufs Schiff zu
gelangen.
Das Ufer ift wie überall am der ganzen Weftfüfte öde
und, etwa 50 Fuß vom Wafler entfernt, fo fteil anfteigend,
dag man nur zu Fuß hinauffommen lann. Die Stadt zer
fällt in zwei Theile, einen langen, ſchmalen, zwiſchen —
und der erſten Higelveihe ſich hinſtredenden, und einen zwei⸗
ten, der auf ber erften Hügelreihe und in den Schluchten
zwiſchen derfelben hineingebaut ift. Die untere Stadt bildet
den Sefchäftstheil. Hier befinden fich alle öffentlichen Ges
bäude, die Comptoirs, bie Läden, die Hotels, die Waaren⸗
häufer u. ſ. w. Diefer Theil gleicht ganz einer europätfchen
Stadt. Die Häufer find alle mehrftödig, von europäifchen Stil,
und zwar einfach, doch durchgängig von recht hübfcher Bauart.
Mandye Gebäude find in der That recht geſchmackvoll. Was
Plafterung, Trottoir, Straßenreinigung und Beleuchtung
anlangt, jo Übertrifft dies, wenigftens im größern Theil
der untern Stadt, das, was man in einer großen Zahl euro⸗
päifcher größerer Städte findet. Cine Pferdeeifenbahn ver:
bindet das Südreftende, wo der Yandungsplag ift, mit dem
Nordoftende, wo die Eifenbahnflation ſich befindet. Im der
*) Ein folches bar ſich ganz kürzlich, am Montag, ten 24. Mai
1875, in beieutenbem Umfange zugetragen. Das Ummetter hatte ſich
am Montag durch eine gelinde, aber beſtandig aus dem Morten
webente Brife angezeigt; gegen 2 Uhr Nachts wuchs der Wind zum
Eturm, der währen des ganzen Montags ohne Unterbrechung ars
dauerte und pwiſchen 2 und 4 Uhr Nachmittags feinen Höbepunft
erreichte. Der flete Begleiter des Mordwindes, tüchtiger Regen, bielt
während ber ganzen Zeit an. In Kolge ber nordweſtlichen Richtung
des Sturmes war der ganze Hafen in ein fdräumentes Mogenmeer
verwandelt. das viele fer geforbert bat, Es ertranfen gegen 50
Menſchen; völlig unter gingen acht Schiſſe, darunter die dhilenifche
Rriegscorwette „Wemeralda”, und eine noch größere Anzahl von Fahr⸗
geugen wurden mehr oder weniger eruftlich bavarirt. Ned,
übrigen Stadt find der Cerre de Concepeion und noch zwei
andere im der Mitte gelegene die Wohnpläge der reicheren
Bewohner Balparaifos. Hier finden fich recht hübfche Wohns
häufer und einige größere Gärten. Die übrigen Theile der.
Stadt find von der ärmern Bevölferung bewohnt und gleichen
ganz den anderen chileniſchen Städten.
Bon der See aus betrachtet fieht VBalparaifo ganz mas
ferifch aus. Rechts hat man eine Heine Yandzunge mit eini⸗
gen Forts und einem Wachtthurm; Links, wetter im Hinter:
grunde, liegt Vina dei Mar, im eine fehr niebliche grüne
Vegetation eingehillt; geradeaus die untere Stadt, recht
weiß und jauber in der hellen Sonne glänzend; gerade im
Mittelpunkte das Gebäude der Intendencia mit den Zoll
gebäuden und dem vieredigen Yandungsplag. Darliber erhe:
ben ſich die Hügel, deren mittelfte mit jchönen und großen
Gebäuden und einigen prachtvollen Gärten bededt find.
Darüber erfcheint eine zweite höhere Reihe, die aus einer
rothen Erde befteht, welche im Sommer ftellenmweife mit Grin
bedeckt ift. Links fieht man in der Gntjernung größere
Berge, die ſchon dem Küftengebirge angehören und eine lange
Zeit des Jahres mit Schnee bebedt find. Kommt man dann
in bie Stadt felbft, fo findet man außer einer recht reinlichen,
faubern Stadt nichts Beſonderes; man hat nicht einmal
einen Spaziergang. Die Plaza, die fonft überall als Pror
menabe dient, ift Hein und hat nur zwei Öffentliche Gebäude,
das Theater, das ziemlich niedrig, und eine Kirche, die im
fehr einfachem Stil erbaut ift.
Was die commercielle Bedeutung von Balparaifo anlangt,
fo ift daffelbe befanmtlich nicht nur für das ganze Yand Chile,
das im der That cultivirtefte in Südamerifa, jondern audı
für die ganze Weftfüfte das Hauptdepot für den europäifchen
Verkehr. Die Einwohnerzahl beträgt 80,000 bis 90,000,
Das Bemerkenswerthefte ift das Vorherrſchen der Ausländer
in Balparaifo, hauptſächlich Engländer und Deutſche, die
natlrlich dem Ort eine europäifche, von den Übrigen jlid«
amerifanifcen Städten gänzlich verſchiedene Phyfiognomie
eben.
x Wenden wir ung nun zur Neife von Balparaifo nad)
Santiago, fo ift zunächſt zu bemerfen, daß der alte Weg
dahin über Caſa blanca in das Thal von Melipilla,
eine Ansbuchtung der großen Hochebene des mittlern Chile,
führte, welches Thal, in der Richtung von Südoft nad; Nord-
weit ſich erftvedend, der Küfte ſehr nahe kommt. Aus dieſem
Georg Thiele: Stiggen aus Chile.
Thal fommt man dann jüdlic von Santiago auf die Hoch—
ebene und von da ohne Schwierigkeit nad) Santiago. Wie
ein Blid auf die Karte zeigt ift diefer Weg ein bedeutender
Umweg, allein mit Ausnahme einer nicht ſehr hohen Kette
der SKüftencordillera bei Caſa blanca hat man feinerlei
Berge zu pafjiren, und andere Terrainfchwierigkeiten eriftiren
ebenfowenig.
Als man aber die Eifenbahn bauete, entſchied man ſich
für einen andern Weg, von dem im „Chile iluſtrado* zu
lefen ſteht, daß er für fürzer und weniger koſtſpielig erachtet
worben fei, ald der von Melipilla, eine Behauptung, welche
bei ben enormen Terrainfchwierigfeiten, die diefer Weg bietet,
unbegreiflich erfheint. Im dieſem Yanbe wird jedoch, noch
häufiger als in Europa, die öffentliche Wohlfahrt den Inter
eſſen befonbers einflußreicher Perſonen nachgefegt, wenigſtens
ift dies gejchehen im Jahre 1852, wo die Bahn gebaut wurde.
Da das Thal von Quillota die werthvollſten Yändereien
vieler Santiaguiner und Balparaifiner enthält, auch jehr
viele induftrielle Unternehmungen bort gegründet find, fo
wurde die Eifenbahn über Quillota geführt. Heute iſt bie
Sache anders. Damals erftredte ſich die Cultur über Quil—
lota hinaus (dem feine Nahbarfchaft mit Balparaifo zu gut
fan, über welches ſämmtliche Cultur Chiles ihren Eingang
genommen hat) höchſtens bis Santiago. Heute ift Melipilla
ein landwirthſchaftlich viel bedeutenderer Ort als Quillota,
weil das Thal viel größer und wafferreicher ift und auch im
unmittelbaren Zufammenhang mit dem übrigen aderbau«
fähigen Areal Chiles ſteht. Da mun bie jegige Eifenbahn
nad) Santiago nur ein Geleiſe hat, welches dem Bertehr
durchaus nicht mehr genügt und die Anlegung eines neuen
Seleifes auf der alten Strede ber Erbauung einer neuen
Eiſenbahn gleichtommen würde, fo denkt man jegt vernlinf-
figerweife daran, das neue Geleis über Melipilla zu legen.
Was die jegige Eiſenbahn betrifft, fo ift in manden
Dingen nicht zu Magen. Die Courierzlige fahren eben fo
ſchnell wie bei uns, die Wagen find bequem , die Preife bil-
lg, die Fahrt fehr pittoresf. Ueber die Güterbeförderung
wird aber jehr geflagt und mit ber Sicherheit ded Betriebs
ift es ſehr ſchlimm beftellt. Ich glaube nicht, daß es in
Europa eine Bahn giebt, auf welcher fo viel Unglück paſſirt
wie auf diefer; mertwürdigerweiſe ift der Menfchenverluft
dabei ſehr unbedeutend oder gleich, Null. Ich war in einer
Woche zweimal von Santiago aus in Balparaifo; als id)
das erfte Mal zurlidfuhr, blieben wir, eines verunglüdten
Zuges wegen, fünf Stunden in Tiltil liegen, einem ſchau—
tigen Ort, der bloß aus Eifenbahnftation und einigen Schilf-
hütten befteht. Bon Lebensmitteln war natürlic, feine Spur,
ebenfowenig von Getränfen, höchſtens Sumpfwafler. Das
zweite Mal wollte ic) mit bem 10.Uhr-⸗Zug fahren, wählte
aber fchließlich doch den 8⸗Uhr-Zug und das zu meinem
Side; denn der erftere Zug hatte wieder in ungefähr ber-
jelben Gegend nicht 5, fondern 16 Stunden bis zum andern
Morgen zu warten, bis die Bahn wieber hergeflellt war.
Gewöhnlic verläßt man Balparaifo mit dem Convierzug
um 8 Uhr, um etwa um 1 Uhr in Santiago anzufommen,
Die Bahn fährt zuerft am Rande der Bucht von Balparaifo
nad) Norden weiter, bei zwei Heinen Orten, Bina del Mar
und Salto, haltend; beide befigen viele Gärten und Land⸗
häufer, die reichen Balparaifinern gehören. Im Sommer
wohnen viele Balparaifiner hier; auch geht man Sonntags
hierher, um fich zu amäfiren. Hinter diefen Orten lenkt
man dann ins Gebirge ein umd führt in einer engen und
gewundenen Schlucht lange Zeit aufwärts. Die Berge find
war bewachſen, fehen aber dabei dürr und wüſtenhaft aus.
Kud ihre Vegetation hat einen todten Anftrich ; nur einzelne
Palmengruppen bringen etwas Leben hinein. Im Grunde
Globus XXVIII. Nr, 15.
233
befindet ſich ein Flußbett, das, fo oft ich auch dort gefahren
bin, nie einen Tropfen Wafler enthielt, im Winter jedod)
ohne Zweifel ein reigender Strom iſt.
Gegen 91/, Uhr erreicht man das Thal von Fimade
und Quillota. Das ift ein langes und gewundenes, aber
recht fchmales Thal, welches hier mitten im Gebirge zu Geis
ten des Fluſſes Aconcagua liegt. Bon Norboft nadı Stid-
weft ſich erfivedend ift es mach beiden Richtungen völlig ab⸗
eſchloſſen, nur der Fluß bricht ſich durch tiefe Schluchten
ea Bahn weiter. Das Thal ift ſehr freundlich und man
begreift, daß es der Lieblingsplag vieler Yeute geworben ift.
In feinem untern Theile bieten die Berge nichts Befonderes,
im nördlichen umgeben es jchroff auffteigende Segel von
einer der Schneefoppe ähnlichen Formation und fügen fo das
Großartige zum Lieblichen. Chile liegt bereits in der ſub⸗
tropifchen Zone; biefes Thal erfreut ſich jedoch einer fehr
gefchügten - und eines ſehr gleichmäßigen Klimas, jo daß
hier in ber That Früchte zur Reife tommen, die fonft nur
in Peru, das heißt dem Aequator 100 Meilen näher, gedeis
hen. Dies ift vor allen Dingen die Cherimoya (Anora
Cherimolia), eine Frucht, die von Bielen fitr die vorziig-
Lichte der Welt erflärt wird. Sie hat die Größe und Form
eines recht tüchtigen Apfels und eine grüne Schafe, die man
mit dem Meſſer abjchält. Darunter kommt ein gelbröth—
licher Brei zum Vorſchein, der von einer Anzahl ſchwarzer
erbfengroßer Samentörner durchſetzt if. Diefer Brei ift
nun das Eßbare und ift fehr ſüß, jüßer als irgend eine Frucht,
bie ic) kenne, mit einem leichten Aroma von Erdbeeren und
einem ganz ſchwachen Harzigen Beigef—hmad. Außerdem
wachfen da Luckmas (Iucuma mammosa?), mit Stacheln
befegte Birnen von ziemlich, fadem Geſchmack, jehr ſchöne
Drangen u. f. w.
Der erfte Ort im dieſem Thale ift Lim ache, beftchend
in einer über einen > Raum zerftreuten Mafje von
Villas, induftriellen Etabliffements x. Im Sommer leben
hier viele Leute wie bei uns in den Bädern und klimatiſchen
Eurorten. Quillota liegt nicht weit vom Nordende bes
Thales und fol nad) dem „Ehile iluftrado“ 10,000 Eins
wohner haben, was jedoch als jehr übertrieben erſcheint. Der
Ort fieht von der Eifenbahn aus fehr einfach, aus. Bon
Quillota aus fteigt die Bahn, in ſehr frummen Curven an
die fteil abfallende Wand der Berge angellebt, das Flußthal
weiter hinauf, — eine ängftliche Fahrt für furchtſame Ges
mither. Wenn man auf der Thalfeite zum Fenſier hinaus:
ficht, ficht man gar feinen Bahndamm mehr, fo ſchmal ift
er hier; die Kante des Waggons ſchwebt an einzelnen Stel-
len fon tiber dem Abhange. Zuweilen fieht man unter
dem Waggon Stüden Erde hervorkonmen und den Abhang
hinunterrollen. So kommt man allmälig gegen 11 Uhr
nad) Flaillai, für die Conrierzüge die letzte Station vor
Santiago. Bon MHaillat ab wendet fid) die Bahn nad) San-
tiago füdöftlidh, während fie bis hierher norböftlich ‚geht.
In ber gleichen Richtung weiter geht von hier eine Zweig:
bahn nad) San Felipe, der Hauptſtadt der Provinz Acon⸗
cagua, von wo aus man jegt eine Eifenbahn über den Paß
von Uspallata nad; Buenos Ayres bauen will. Bon
Llaillai weg geht es in eine wilde Fels- und Bergmaffe von
Hochgebirgocharalter hinein, Tunnel nad) Tunnel; der Glanz⸗
punkt ift die Puento de los Maguis, eine zierliche
Pfeilerbrüde über eine emorm tiefe und fteile Schlucht. Das
Intereffantefte ift, daß dieſe Brüde den Theil einer Curve
ausmacht, d. h. die Brüde ift krumm, befdjreibt einen hori=
zontalen Bogen, — bie erfte Brlice von der Art, bie id) in
meinem eben gejehen. Endlich minder die Bahn in einen
Heinen Zipfel der Hochebene von Santiago; doch fährt man
von hier nod) eine Stunde. Diefer Theil ift wenig bevölfert
30
234
und ſchlecht bebaut. Allmälig aber wird die Ebene breiter
und es zeigen ſich überall ſchöne große Gärten. Endlich
werden bie bie Oftfeite des Thales begrenzenden Berge der
—
Emil Schlagintweit: Die englifhen Himalaya-Beſitzungen.
Cordillera central ſichtbar und man fährt in bie Vorftadt
von Santiago ein; doch vergeht nod) !/, Stunde, che man
bis zum Bahnhof gelangt.
Die englifhen Himalaya-Befigungen.
Bon Emil Schlagintweit,
I
Durch) feine Befigungen im Himalaya ift England von
feinem oftindifchen Reiche aus unmittelbar Nachbar von
China geworden. Die Erwerbung diefer Landſchaften beginnt
im mittlern Himalaya 1816 mit Kamaon; 1835 wird
wmittelft Kaufes von Sikkim im öftlihen Himalaya Fuß
gefaßt; die glüidlice Beendigung des Silhkrieges machte
1346 Kaſchmir zum gefügigen Vafallen und eröffnete ben
Engländern den Weiten diejes mächtigen Gebirges. Hatte
die Erwerbung von ſtamaon und Sikfim zunächſt den Zweck,
Nepal, das fich einer einheitlichen und verhältnigmäßig
geordneten thatfräftigen Negierung erfreut, von Kaſchmit
und Bhutan zu trennen durch Einfchiebung engliſchen Gebie—
tes zwiſchen diefe Staaten, jo wird doch durd) die Feſtſetzuug
der Europäer im Gebirge der Verwaltung Britifhe Indiens
eine neue Richtung gegeben. Waren die Ebenen Hindoftans
vor Dahrtaufenden durch einen Strom ariſcher Einwanderer
der hohen Cultur gugefligrt worden, welcher fie ſich ſchon in
einer Zeit erfreuten, im welcher ihre Stammesbrüder in
Deutſchland ihr Leben noch in Höhlen und auf Pfahlbauten
tümmerlich frifteten, fo wurde der Himalaya mit feinen aue-
gebehnten Gulturfläcen , feinem gefunden, der Körperconfti«
tution der Europäer höchſt zuträglichen Klima, obwohl er
noch nicht das Ziel einer europäiſchen Maffeneinwanderung
wurde, das Feld, auf welchem Unternehmungsgeift der Res
gierung wie Privaten bie größten wiſſenſchaftlichen Erfolge
erzielte, welche die engliſche Verwaltung in Oftindien auf-
zuweifen hat. Wo fonft dichtes Geftrüpp ober die ärmliche
Hütte eines Eingeborenen ftand, erheben ſich jetzt volfreiche
Städte (Dardihiling, Simla, Kangra), meilenweit
reiht ſich in beglinitigten Yagen Billa an Villa,
Nicht geringer ift die ſtrategiſche und handelspolitiſche
Bedeutung des Gebirges. Im Verbindung mit den nördlich
fi anjchliegenden Bergfetten des Karaforum und Kun—
Lün *) bildet die Gebirgsregion im Norden von Hindoftan,
*) Wie ungemein feicht fh Fehler und Irrthümer in ber Geo—
grapbie feifegen, beweiſt biefer Name Künslün, beſſet Kwen—
fun. Auf allen Karten der Gbinefen, ben einzigen, welche darin
competent find und fein können, bezeichnet dieſer Name nichte weiter
als cin bobes Gebirge over einen Bergſtock unweit ber Quellen dee
Hwang ⸗ ho, etwas nörtlih von tem Zufammenjluffe bes Naptichitus
ulansmuren mit em Mursuffu over obern Zangstiesliang,
einer Stelle, welde als weſtlichſter Punkt des ruſſiſchen Reiſenden
Priewalsti neuerdings Bedtutung für innerafiatifche Geogta⸗
phie erlangt bat, Wenn man nun feit nicht langer Zeit, um einen
Geſammtnamen verlegen, tie nördliche Parallelkette des Karaforum
(76 bis 800 öfl. %. von Greenwich) Künzlin genannt bat, fo
bat Dies genau diefelbe Berechtigung, als wenn man ven Balkan
Arsrat, die Porenäen Pintus nennen wollte, Daß Einzelne no
weiter gegangen find und, den falichen Namen Künslün mit bem echten
verbinbend, durch ganz Innerafien eine mächtige Gebirgsfette unter 35%
nördl. Br, ſich bindurdhzieben laffen, bat vollends feine Berechtigung.
Die Pantiten des Golonel Montgomerie baben jüngit jene Stelle
überfhritten und nur leichte Terrainanſchwellungen, aber keine Hoch ⸗
gebirge dafelbit gefunden. Rev.
bie jegt unter bem Namen Hochaſien zufanmengefaßt zu
werden pflegt, mit feinem Areal von 3,13 Mill. Quadrat:
filometer (56,500 Duabratmeilen) eine fefte natürliche Schutz ⸗
wehr gegen jeden Angriff von Gentralafien her; die Schwie⸗
rigfeiten der Ueberfteigung mit einer Armee werben nahezu
unüberwindlich, wenn dem Himalaya dereinft eine jeiner Aus⸗
dehnung und Anbaufähigfeit entjpredjende Zahl von Bewoh—
nern zugeführt ift. Dem Handel ift im weftlichen Himalaya
bereitd eine neue Bahn wiedergewonnen; der Berkehr mit
Kaſchgar und Oftturfeftan, der jahrzehntelang ganz
barniederlag, verfligt Über verbejferte Wege und ift der Be—
drüdungen überhoben, welche fonft den Gewinn der Händler
verzehrten. Im mittlern und öftlichen Gebirge weigern die
Örenzftaaten und China Kaufleuten und Reiſenden indifcher,
gelhweige denn europäifcher Abkunft freien Durchzug durch
ibet nach, den reichen Uferländern ded Dang-tjesfiang; aber
Indien rüftet ſich, diefe Yänder mit feinen Waaren zu ver-
fehen, ſobald eim glüdlicher Umftand das Durdizugsland
eröffnet. Bis zum Kamme der Grenzpäſſe find Saumpfade
angelegt, wo der Neifende bisher nur mit Yebensgefahr ent⸗
fang ziehen fonnte; Greuzbehörden werden auf einjamen,
ſchwierigen Poften unterhalten, welche Nachrichten einziehen
und dem Grenzverkehr jeglichen Vorſchub leiften.
Die Nachrichten über die engliſchen Mafregeln zur Auf:
ſchließung des Himalaya und zur Ausnugung feiner natürs
lichen Hülfsquellen, ſowie die Ergebniffe der 1872 durch-
geführten erften Volkszählung find aus den indiſchen, auf
dem Gontinente felbft im öffentlichen Bibliothelen feltenen
Berwaltungsberichten noch nicht in unfere geographiſchen Lehr ·
bücher gedrungen; fie follen hier landſchaftlich geordnet vor⸗
geführt werden als ein Beitrag zur Kunde Oftindiens, wie
fid) feine Orenzländer in der Zeit der Eifenbahnen und Te«
legraphen unter den Anftvengungen der engliſchen Regierung
geltalteten, welche bemüht ift, orientalische Migwirthichaft
durch gefunde europäische Berwaltungsgrumdfäge zu erſetzen.
Die Darftellung geht von Often nach Welten und umfaßt
die Landjhaften: 1. Duars; 2. Dardſchiling; 3. die Tarai;
4. Kamaon und Garwhal; 5. Simla, die Sommerrefidenz
bes — — 6. den Pandſchab · Himalaya (Kan⸗
gra, Spiti, Lahol); 7. Kaſchmir.
1. Die Duars.
Die Duars (Dooar, and; Doar, verderbt aus Sanskrit
dhwära, Thor, Zugang), in dem amtlichen Berichten „die
Striche unter dem Öebirge der Berwaltungsbezivte Kutſch
Behar (Dichatpaiguri) in Bengalen und Goalpara in Affam“,
find die dicht bewaldeten Vorberge des Himalaya mit dem
an ihrem Fuße an 10 Kilometer weit ausbreitenden
Gerölllager, das von dichten Unterholz beftanden ift, ftellen-
weile von Hodywald überragt, Sie werden durch Kämme,
die ſich von der Hanptfette des Himalaya im füdlicher Rich—
Emil Schlagintweit: Die engliihen Himalaya =Befigungen.
tung herabjenfen, in Lüngsthäler gefchteden, die vom tief eins
hnittenen Flüffen a an find, Man zählt 18 folcher
ängsthäler oder Duars; 11 zwiſchen Tiſta und Santos
bilden die weftlichen, bie übrigen bis zu 91%/,° öſtl. L. v. Gr.
die öftlichen Duars; die daran öſtlich ſich anfchliegenden wur⸗
den den Oberhäuptern ihrer Bewohner (ben Radſchas von
Tauong, Tſchar, Nau :c.) unter Verabreichung eines Heinen
Yahresgehaltes unter der Bedingung belaſſen, ihre Unter:
tbanen von Angriffen auf die Coloniften der Ebene abzu:
halten. Die Grenze der öftlichen Duars wurde ummittelbar
nad) dem Sriege mit Bhutan (1866) vermeflen, 139 Kilo
meter lang befunden und mit 47 Grenzfteinen vermarft;
für die weftlichen Duars erkannte Bhutan erft 1872 an,
daß die Grenze nicht am Fuße, fondern auf dem Kamme ber
erſten Hügelreihe entlang laufe. — Die Kammhöhen liefern
nur Holz und Weidegang; bei der Erwerbung der Duars
waren diefe Nutungen fo vorherrfcend, daß im den weite
lichen Duars nur 121 Quabratfilometer in Cultur genoms
men waren. Die Erwartung, daß ihre ausgedehnten Län⸗
dereien flir den Abflug der anfchwellenden Millionen der
Bengalbevölferung dienen würden, hat ſich volllommen beredjs
figt erwiefen; große flächen find jegt mit Taback angebaut,
der bisher nur Ausfuhrgegenftand des ſüdlichen Indien war,
Große Pflege ließ die Kegierung den Waldungen angebeihen;
europätfche Fichten find mit Erfolg gepflanzt, ebenfo bie
werthvollen inbijchen Baumarten bes Teak und indifchen
Gummi (heus elastica).
Ueber Areal und Bevölterung giebt der Boltszählungs-
bericht für 1872 folgende Auffchlüfle:
Areal: öftliche Duard 4820 Quadratkilometer (87
Quadratmeilen); weſtliche Duars 4867 Duabratlilometer
(88 Quadratmeilen).
Häuſerzahl: 6888 bezw. 14,196; Einwohnerzahl:
37,047 bezw. 90,680, im Ganzen 127,727; fomit beträgt
bie Dichtigkeit 8,3 bezw, 18,7 auf den Quadratkilometer
oder 426 bezw. 1030 auf die Duadratmeile, Die Bevöl-
ferung hat unter ber englifchen Verwaltung bereits Zuzug
aus der Ebene erhalten; denn auf bemfelben Naume, auf
welchem 1864 29,133 Menſchen nad; Häuſerſchätzungen
gezählt wurden, ergab der Cenſus von 1869 54,177.
Eine genaue Zählung nad) Religion und Nationalität
liegt nur fir den Bezirt Bara (Bura, Bagja) im ben weft:
lichen Duars vor (12,564 Einwohner); es fanden fid) 9350
Radſchbanſi (Hindus der Religion nad); 2512 Meticd,
Diangars (d. i. Gebirgsbewohner) und andere Aboriginer
(Berehrer der Geifter und Naturerſcheinungen), 605 Mo—
hammedaner, 67 Bhutanefen (Bubbhiften).
Die Radſchbanſi find zahlreich) im ber vorgelagerten
Ebene und bilden nach Oberft Dalton, dem genauen Ken»
ner der Bölfer Bengalens, fammt Met ſch und anderen Gebirgs-
bewohnern einen Zweig des volfreihen Kotſch Stammes,
deren Führer Hadſcha um 1500 n. Chr. im diefem Theile
Bengalens ein mächtiges Königreich, gegrlindet hatte. Ihr
Aeußeres zeigt „ein flaches, faſt vierecliges Geſicht; dunkle
fchief ftehende Augen, das Haar ſchwarz und gerade, nur bei
Einigen gefräufelt ; Nafe flach und kurz ; Wangenbein ftarf vor«
ſtehend; Barthaar fehlt faft gänzlich; Stirn niedrig; Körper:
farbe vorherrſchend dunkel. Da ihre Verwandten, bie Kat⸗
ihari, Metſch und Garo, gelb oder leicht braum, ihre
Nachbaren im Dften, Weften und Norden noch heller find,
fo müffen fie ihre dunklere Hautfarbe durch Vermiſchung mit
füdlichen Stämmen erhalten haben, Sie paſſen nicht zu den
Böltern Affams, fie find umähnfic dem indo » chineſiſchen
Volteftamme, und ich betrachte fie deswegen als Glied bes
dravidiichen Volkes; fie find wohl ein Zweig der großen
255
Bhuiha-(Buinhar-)Familie, die auch von Anderen ala
Urbewo hner des heutigen Behar angefehen werden, und be
wohnten einft die Gangesebenen, bis die Sonnens und Monds
dynaſtien der arifchen Indier in Behar (etwa um 1400 v. Chr.)
bie Königreihe Magadha und Methila gründeten.“ Ihre
Sprache ift eim Dialeft des Bengali; ihre religiöfen Ge—
bräuche weichen vielfac, von dem orthodoren Muſter ab und
bewahren viele Reſte alter, abergläubiſcher Vorſtellungen.
Die Radſchbanſis find ſeßhaft und fleigige Aderwirthe; No—
maden und dem Raubbau ergeben durch Abbrennen von
Waldımgen find dagegen die Metjch; fie Lieben, verſchieden
von den Radſchbauſis, beraufchende Genußmittel und follen
im Aeußern Aehnlichleiten mit den Bölfern von Nordbirma
zeigen. Fieberluft fcheint ihr Lebenselement, denn am lieb⸗
ften halten fie fich in den fumpfigen Nicberungen des Tarai
auf, die den Fuß des Gebirges begleiten,
Die wichtigfte Aufgabe der —— Berwaltung iſt
Aufrechthaltung der Sicherheit gegen Einfälle der Bhuta—
nefen. Bhutan hatte von alter Zeit her an den Stellen,
wo die Fluſſe aus dem Gebirge treten, Befeftigungen ange-
legt; 1779 lehnte Lord Haflinge die Uebernahme biejer
Befeftigungen ab, um den jungen Befig Bengalens nicht
aud) noch gegen fampfluftige Gebirgsbewohner vertheidigen
zu müſſen. die Befignahme von ganz Affam (1838)
machte es winfchenswerth, die öftlich des Sankos-Fluſſes
ſich erftredenden 11 Duars zu gewinnen; fie wurden 1841
gegen eine Yahresrente von 20,000 Mark gelauft. Weft«
lid) des Santos wurde 1842 Ambari Talafata gegen
eine Jahreörente von 4000 Mark erworben, um die Ufer
lanbichaften der Tifta und den Zugang nah Sikfim zu
fihern. Bis 1856 blieben bie Beziehungen zu Bhutan
befriebigenb; von da an rüftete die Regierung Räuberbanden
aus, welche Menfcen und Eigenthum aus britifchem Gebiet
fortführten. Seit Februar 1860 ftellte die oſtindiſche Re—
gierung die Auszahlung der Jahresrenten ein; Bhutan riftete
und bie gröbliche Berlegung des Gefandtichaftsredhtes am
engliichen Geſandten Aſhley Eden führte zur Broclamation
vom 12, November 1864, durch welche die Aunerion ſümmt—⸗
licher Duars zwiſchen Zifta und Sankos-Fluß, ſowie im
Oſten der Grenzfeftungen von Dalingfota, Paſakha und
Dewangiri auögefprocden wurde, was ber Frieden vom
11. November 1866 gegen Bezahlung einer Jahresrente von
100,000 Mark „unter Wohlverhalten“ fir alle Zeiten ge-
nehmigte. Zur Aufrechthaltung des Friedens ift das 38.
eingeborene Infanterieregiment (circa 600 Dann) nad)
Baxa Dewa (in 731 Meter Erhebung Über dem Meere
auf einer Anhöhe itber dem Raidak⸗Fluſſe) verlegt und die
Polizeimannfchaft, die fonft als Civilinftitut organifirt ift,
mit Geitengewehr und Feuerwaffe ausgeftattet. Wie noth ⸗
wendig diefer Schuß ift, zeigte das Yahr 1872; als damals
die Grenze wegen der Züchtigung der Luſchai von Militär
entblößt werben mußte, forderten die Bhutanefen von eng—
liſchen Unterthanen an der Grenze Abgaben und ihre Regie»
rung erhob allerlei Schwierigkeiten, bis bie Grenzangelegen⸗
heiten wieder georbnet werden konnten. Noch erlibrigt bie
Eröffnung der früher ſtark benupten Handeloſtraße durd)
Bhutan nad Tibet. Im Bertrag vom 25. April 1774
hat Oftindien Bhutanefen den zollfreien Verkehr mit den
Märkten des nördlichen Bengalen eingeräumt; aber nicht
elang es unter der erbärmlichen Verwaltung und der Hab-
—* der Großen, Indien den Zugang nach Bhutan zu ver—
ſchaffen; felbft der Bhutia, mit regem Handelsgeiſt ausgeftat-
tet, betheiligt fich lieber außer Yandes an Geſchäften, um ſich
feines Gewinnes nicht beraubt zu fehen.
30 *
236
Die Dleneb-Erpedition von Czekanowski und Müller.
Die Dlenef-Erpedition von Czekanowski und Müller.
Die kaiſerlich ruffifche Geographiſche Geſellſchaft hat
unlängft ihren Jahresbericht pro 1874 publicirt. Ihre
Tätigkeit iſt danach eine erfolgreiche gewefen; ein weſent⸗
licher Antheil daran gebührt der Faiferlichen Megierung,
welche die Zwede der Geſeilſchaft ftets in liberalfter Weife
durch Gelbunterftügungen fördert und von welcher in&bejon-
bere die ocalbehörben und durch biefe wieder die Einwohner
angewieſen werden, ben Erpebitionen der Gefelljchaft mög:
lichſte Unterfiigung zu gewähren.
Nachdem wir früher eingehendere Mittheilungen über
bie Keifen des Zoologen Milludo-Mallai, auch Einzel-
nes von ber umfangreidien AmusDarja-Erpedition des
Yahres 1874 gebracht haben, wenden wir und heute zur
einer Erforfchungsreife, welche im Auftrage der Gefellichaft
in den faft unbefannten Norboften Sibiriend, in das Fluß:
gebiet der Olena (Olenel), gerichtet geweſen ift (vergl.
„Slobus* XXVII, ©. 192 und 255), Zweck der Erpe-
dition war befonbers, ben Lauf jenes Fluſſes feftzuftellen, und
2 womöglich bis zu feiner Mündung bis in das nördliche
ismeer zu verfolgen.
Die Aufgabe ift gelöft. Der Danf bdaflir geblihrt ber
Energie der Herren Czekanowski und Müller fowie
ihrer Reifebegleiter, welche treu bei ihnen ausharıten. Dr.
Ezefanowsti war fllr die ſchwierige Expedition der geeigs
nete Mann, Lüngere Zeit am Bailalſee internirt, widmete
er ſich ir wiſſenſchaftlichen Studien (zu großem
Bedauernift das von ihm gefammelte Material während des
Aufftandes der Polen verloren worden), unternahm dann im
Auftrage der ruffischen Geographiſchen Geſellſchaft mehrere
Reifen in verfchiedene Theile Sibiriens, vollendete die geo-
logische Erforjchung des Gouverneinents Irtust und hatte im
Jahre 1873 bie Expedition zur Erforfchung der Niſhnaya
Zungusfa (d. i. die untere Tungusfa) von Kirensl an der
Lena aus geleitet, wobei zum eriten Male durch aftrono»
mifche und topographifche Aufnahmen der Yauf bes Fluſſes
feftgeftellt worben if. Ihm, als einer anerkannt wiſſen-⸗
ſchaftlichen Capacität, war die Flihrung der Expedition an
vertraut, welche beftand aus dem Aftronomen Müller und
den Herren Kſenfhopolsti und Nachwalnych, die mit
ihren Sammlungen naturwiſſenſchaftlicher Objecte und den
bon ihnen gefertigten Aufnahmen ſchon 1878 zurlicklehrten.
Ezekanowsht und Miller unternahmen nun allein die Er:
forfchung der Dlena, eine Aufgabe, deren Schwierigfeiten
bie der Expedition von 1873 bei weitem üüberftiegen haben.
Nachdem man ſechs Wochen zur Beichaffung der nöthigen
Bedlirfniſſe aufgewendet hatte, wurde die Reife am 16. (29.)
Februar 1874 von Ferbodotfchon an der Niſhnaya Tuns
gusfa angetreten. Zur Begleitung hatten die Reiſenden mır
einen Kofaden und einige Tungufen, welchen legteren die
150 zur Reife erforderlichen Nenthiere gehörten. Wegen
bes tiefen Schnees ging das Borrüden nur langjam von
Statten. Häufig mußten ledige Kenthiere erft den Schnee
fefttreten, um ben Menſchen und ben beladenen Thieren die
Möglichkeit des Durchlommens zu eröffnen; vielfach mußte
Raſt gemacht werden, um der Expedition die nöthige Erho—
fung zu gewähren und es ihr zu ermöglichen, die erlittenen
Schäden an den Schlitten audzubeilern. Anfänglich folgte
man der Nifhnaya Tungusta; von da ab aber, wo fie ihren
nördlichen Yauf in einem fcharfen Knick nach Weſten wendet,
einen Nebenfluffe derfelben, dem Kopofit, im faft nördlicher
Richtung bis zu feiner Duelle. Mehrmals überjchritt man
nun die Wafjerfcheide zwiſchen Lena und Tungusla d. h. Ye:
niffe. Als man zur Wawa hinabftieg, an deren Quellen
das DOfterfeft gefeiert wurde, fam man im das Gebiet des
Wilui und damit in das der Lena; fehrte baranf in das bes
Jeniſſei zurüd, indem man zum Zuru gelangte; und fcließ-
lich wieder bei der Ueberfteigung des maffiven, wenig geglie-
berten und im Allgemeinen fteilen Gebirges Anaon in den
Bereich; des Wilui. Hier erreichte man zunächſt den See
Sirungna. Bisher hatte man feine Menfchen gefehen ;
mit Zuperficht hoffte man hier, ſolche zu treffen. Die Hoff-
nung wurde getäufcht. Wohl fand man Spuren ihrer fril-
hern Anweſenheit: Lagerftellen, Speicher , Fifchfanggeräth-
ſchaften, trodene umd grüne Rindenſtücke (die Tungufen
efen den feinen Splint) aber feine Menfchen. Bon der
bisher faſt nördlichen Richtung wandte man ſich mehr weit-
lich (WN-W.), um an den See Jakongna zu gelangen,
an welchem nad) den Mittheilungen der Bewohner der Niſh⸗
naya Tunguska ſich ftets Eingeborene aufhalten follten.
Unterwegs überfchritt man den Wilui an feinem Oberlauf,
derſelbe hatte dort fchon eine Breite von 177 Fuß. Hier
war man, weil einige Leute in Folge des blendenden Schnees
von einer Augenentziindung befallen waren, zu einer dreis
tägigen Raft gezwungen. Als ber See Utitit (65° 57'
nördl. Br.) erreicht war, wurde ein weiterer Aufenthalt von
vier Tagen nothwendig, weil fid) ein mächtiges Schneege-
ftöber erhoben hatte und bie Müdlehr der Leute, welche zur
Auffuchung der Eingeborenen abgefandt waren, abgewartet
werben mußte. Auch fie hatten feine Menfchen gefunden.
Einzelne Hütten (Balagane), in denen Eisſchollen die Fenfter-
fcheiben vertreten, und einige verwehte Schlittenfpuren gar
ben unzweifelhafte Kunde von ihrer frühern Anweſenheit
während des Winters. Die BVerlegenheit war jet groß.
Gzefanowäti hatte mit Sicjerheit darauf gerechnet, daß in
Gemäßheit der Befehle des Generalgouverneurd von Dft-
fibirien die Cingeborenen von der bevorftehenden Ankunft
der Erpedition in Kenntniß gefegt und zur Hulfsleiſtung
aufgefordert worden feien und ſolche leiften würden; allein
unter den gegebenen Umftänden mußte man annehmen, da
die Eingeborenen ohne Keuntniß geblieben feien. Seit dem
Berlaffen der Niſhnaya Tungusfa, d. h. feit zwei Monaten,
hatte man feine Menſchen zu Geficht belommen. Man bes
hielt alfo die nordweftliche Richtung bei umd gelangte zu
den Seen Nalongna, aber auch hier wurben feine Men-
ſchen gefunden. Man war vollftändig rathlos, wo man
ben Olenek, von welchem keine Karte eriftirte, fuchen follte.
Czekanowsti ſandte deshalb einen der die Erpedition beglei-
tenden Tungufen, Namens Golje Kaplin, mit dem Auf-
trage ab, wenn möglich den Olenek oder wenigftens einen
Menſchen aufzufinden. Kaplin war ein zuverläffiger Menſch,
verftand ſich wohl zu orientiren, hatte im Jahre zuvor
(1873) die Berfammlung der Tungufen an ber Mündung
des Ilimpei im die Tunguska befudht und dort einige,
wenn auch nur dürftige Nachrichten über die Gegend zwi:
fchen der Tunguska und dem Olenel erhalten. Schon nad)
24 Stunden fehrte er mit dev Nachricht zurück, daß er den
gefuchten Strom gefunden zu haben meine. Gern ſchenkte
man ihm Glauben.
Nach dem Abkommen, welches mit den den Zug beglei»
tenden Tunguſen getroffen worden war, hatten fie feine
Verpflichtung zur weitern Stellung der Reuthiere, indem
man gehofft hatte, hier von den Eingeborenen andere Thiere
Die Olenet:Erpedition von Czekanowski und Müller. 237
zu erhalten. Jetzt war ihre fernere Dienftleiftung unent-
behrlich, wen nicht die ganze Expedition fcheitern follte.
Als diefe in Anfpruch genommen wurde, erflärten bie beiben
braven Zungufen Peter Golje Kaplin und Beter
Uwotſchan Kaplin, Letzterer fogar ohme weitere Mehr-
forderung, fich bereit, bet der Expedition zu bleiben und nad)
Kräften diefelbe zu umnterftügen *). Das Opfer, welches fie
brachten, war nicht gering. Sie mußten ſtets 80 brauch⸗
bare Thiere bereit halten umb zu diefem Zweck — theils um bie
franfen und mlden zu erfegen, theils um diefe die tiefe
Schneebede für die beladenen Thiere fefttreten zu laſſen —
mindeftens 150 Std mit ſich führen. Niemals haben ſich
diefe beiden Leute das Geringfte zu Schulden kommen laſſen,
waren ſtets willig und unverdroſſen, und behandelten aud)
das Gepäd mit befonberer Sorgfalt.
Nachdem man nun eine niedrige Waſſerſcheide Überfchrit-
ten hatte, gelangte man an einen ziemlich ftarfen, nad) N.=D,
fliegenden Fluß. Da man diefen für den Olenek hielt,
folgte man feinem Laufe bis zum 28. April (11. Mai),
am welchen Tage, weil die Renthiere zu kalben anfingen,
Halt gemacht werden mußte. Ein Lager (unter 66% 261/,'
nördl. Br.) wurde errichtet. Fünf Wochen brachte man hier
zu, um das Aufgehen des Eifes auf dem Fluſſe abzuwarten.
Die Zeit wurde benugt, um ein ſtarles Boot 2. zimmern,
auf welchem man ben Olenek bis zu feiner Mündung in
das Eismeer hinabzuſchwimmen gedachte,
Am 7. (20.) Juni ſchien endlich der Fluß ſchiffbar zu
fein und man begann die Fahrt. Es zeigte fid) aber bald,
daß der Fluß noch zu fehr angejchwollen war, um eine ru⸗
hige und fichere Fahrt zu 'geftatten. Nachdem man etwa
10 Werft zurlicgelegt hatte, legte man an, umam Ufer Halt
zu machen und dort das Fallen bes Fluſſes abzuwarten.
Das erfte, was man bei der Landung fand, war — eine
Hütte, aus welcher, durch die Menfchenftimmen dazu ver-
anlaft , ein alter Tungufe heraustrat. Sofort wurde ihm
von allen Seiten die Frage zugerufen: „Wo befinden wir
und? Am Dienet?* — „Nein,“ Tautete bie Antwort,
„nicht am Dlenel, fondern am Monyero, der in die Cha
tanga mündet, während der Dlenet weiter nad) Nordoften
fließt." Auf längeres Zureden erklärte ſich der 9jährige
Greis bereit, die Expedition nach ber nüchſten Stelle bes
Dienel zu führen. Man verweilte hier zwei Tage. Die
Padjattel wurden wieder in Ordnung gebradjt, das jet
nutzloſe Boot aufgegeben, umd nachdem Czelanowski mög-
fichft genaue Nachrichten über den Lauf des Olenel und des
Monyero von dem alten Tungufen eingezogen hatte, ber
Weg wieder zu Lande angetreten. Man z0g nad) D. und
R-D., überfchritt die Waflerfcheide, und fam den 26, Juni
(9. Juli) an den wirklichen Olenel und zwar an dem Punkt, an
welchem die Tom ba in denfelben mlindet (670 18’). 17 Tage
hatte ber durch tägliche Regengliſſe beſchwerte Marfch ges
dauert. Die erfte Arbeit, weldye vorgenommen wurde, war
das Zufammenfügen eines Floffes, denm flir den Bau eines
Bootes fehlte es an Zeit, weil man eilen und die furze
Sommerzeit benugen mußte, um den Olenek hinabzufahren.
Gzefanowsti fandte von hier! den erften umd legten Bericht
nad) Peterdburg und begann Ende Yuli die Fahrt, im ber
Hoffnung, an den Ufern des Olenel jegt, als während der
Zeit, in welcher die Günſe maufern, Eingeborene zu finden.
Die Krummungen des Fluffes, jeichte Stellen und Sand-
bänfe erſchwerten ein vafches Fortlommen. Alle Augenblide
ſaß das Boot feft und konnte mitunter nur durd) YAusgra-
ben einer Rinne flott gemacht werben. Anfangs traf man
*) Für tiefes Verhalten haben fle von ber Laiferlich ruſſiſchen
Geograpbifchen Geſellſchaft als Belohnung zwei prächtige Gallatafr
tane zum Gefchent erhalten,
gar feine Einwohner, fpäter einzelne Familien, die im weis
ten Entfernungen, oft mehr als 100 Werft von einander
lebten.
Sie waren fehr mißtrauifch gegen die Reiſenden und
verweigerten ihre Hulfe, ein Beweis daflir, daß fie Seitens
der Behörden von der Ankunft der Expedition nicht in
Kenntniß geſetzt worden waren. Ws nun ſchließlich ein
widriger Wind eintrat und die Neifenden zwang, au Land
zu gehen und das Herbftlager aufzufchlagen, was am 15,
(28.) September unter 70% 281/, nördl. Br. in ber Nähe
bed Standortes einer Nomadenfamilie geſchah, fandte Eze=
tanowäti die ihm von dem Generalgouverneur eingehändig-
ten offenen Befehle an die Vorſteher des Bezirks (Uluß),
damit die Eingeborenen Anweiſung erhielten, der Erpedition
ihre Unterftügung zu gewähren. Da er inbeffen wenig
Hoffnung hatte, daß die Befehle ihren Beftimmungsort je
erreichen wurden, jo benutzte er eine ſich ihm darbietende
Gelegenheit , ſechs Humbdeichlitten zu erwerben. Dieſe wur:
den mit dem möthigen Inftrumenten, Lebensmitteln und
Neifeutenfilien bepadt und — während das übrige Gepäd
bei den Tungufen im Lager zuritdgelaffen wurde — machte
er am 30. September (13. Oct.) mit Herrn Müller fid
auf den Weg und Beide wanderten zu Fuß am Olenel hinab.
Am fiebenten Tage diefer Fußreiſe follte ihnen eine nicht
erwartete große Freude zu Theil werben.
Jene an den Vorſteher bes Bezirks abgefandten Befehle
waren nämlich in die Hände eines Herrn Rjäſchetnikow
gelangt, welcher früher während der Erpebition des Baron
Mapydell in das Land der Tſchuktſchen ein Pilet in Ko—
liymst commandirt hatte, jet aber an ber Lena lebte, von
wo aus er nach Weiten bis zur Anebara und dem Po—
pigai Handel trieb. Aus Reſpeet vor der faiferlih ruf-
ſiſchen Geographifchen Geſellſchaft und als früherer Theil
nehmer einer wiſſenſchaftlichen Expedition fand er ſich vers
anlaft, felbftthätig einzutreten, und bies um fo mehr, ale
er wußte, daß zur Zeit fein Mitglied der Behörde an dem
fonftigen Stationsort anwefend fei, denn es war gerade
die Zeit, wo die Borräthe für den Winter befchafft und die
Fallen für die Pelzthiere aufgeftellt werben mußten. Ohne
Zögern fuchte er den Uelteften der Jakuten, Beter Atſch—
kafſow Chatygin, welcher bei Siltach an der Lena lebte,
auf und beftimmte diefen, ohne erft die Behörden in Ans
ſpruch zu nehmen, der Erpedition zur Hülfe zu eilen.
Atſchtaſſow, ein wohlhabender Mann und im Befig zahl-
reicher Wenthiere, machte ſich mit ben nöthigen Thieren
fofort auf den Weg, und erreichte Cyelanowäti und Müller
am fiebenten Tage ihrer Fußtour. Bon nun waren diefe aller
Sorgen ledig. Der Jakute und feine Begleiter Übernahmen
alle Mühen, welche es koftet, die Tundra in fpäter Yahres-
zeit zu durchziehen. Unter deren Beiftand gelang es denn
aud) der Erpebition, am 20. October (3. Nov.) die Mitn«
bung des Dlenel zu erreichen.
Von dort begab man ſich mad, Siktach an ber Lena.
Atſchlaſſow lehnte jede Belohnung ab, und, um hinter feis
nem Beifpiel nicht zuriidzubleiben, übernahmen die Mitglie-
der der in Siktach gerade verfammelten Behörde ohne jede
Berglitung den Transport der Erpedition bi an bie Grenze
ihres Bezirls. Ueber Werdojanst, wo ſich ber Kreis—
hauptmann wegen ber nicht geleifteten Hllfe vielmals ent-
jchuldigte, erreichten die beiden verdienten Reifenden am 9.
(22.) December Balutst und am 5. (18.) Januar 1875
Irkutst.
Die Refultate der ausgeführten Erpedition laflen fid)
kurz im Folgendem zuſammenfaſſen.
1. Gzelanowsfi hat vom Beginn der Reife an bis zu
dem Punfte, an weldem ihn Atſchkaſſow erreichte, eine
238
Rontenaufnahme angefertigt. Diefe Zeichnung, bie gefam-
melten Reifenotizen und die zahlreich eingezogenen Erlundi⸗
gungen enthalten alle Elemente zur Herftellung einer voll-
Ränbigen Karte des durchreiften Gebietes.
2. Müller beſtimmte die geographifche —* und Höhe
von 48 Punkten und führte 24 barometrifche Nivellements
aus. Außerdem hat er 3. vielfache Beobachtungen über ben
magnetifchen Pol gemacht, und, was von befonderm wiſſen ⸗
fchaftlichen Intereffe ift, gefunden, daß der fibirifche Pol
größter magnetifcher Intenfität nicht, wie es nad Gauß'
Theorie der Fall fein follte, in 719 nördl. Br und
1370 öftl. 2. von Ferro, fondern etwa 64 bis 65" nördl. Br. |
und 1300 öftl. L., d. h. um 79 füblicher und ebenfoviel Grad |
weftlicher, als nad, Gauß, liegt.
4. Die von Miller innerhalb je 24 Stunden dreimal,
an Ruhetagen ftündlid) vorgenommenen Beobachtungen er-
gaben, daß im der Zeit von Ende Februar bis Mitte Yuli
das Marimum der Temperatur 2892’ C. (umd zwar unter |
651/026" nördl. Br), das Minimum — 45° E, (unter |
61!/, nördl. Br.) betrug. Schneller Temperaturwechſel
zeigte ſich häufig.
5. Die nördliche Berbreitungsgrenze ber verfchiebenen
Baumarten war überſchritten worden. Zuerſt verſchwand
Aus allen Erdtheilen.
die Silberpappel (60° 50’ nördl. Br.), dann die Weißtanne,
demnächft die Prunella vulgaris (etwa 63°). Die Ejdhe,
die Erle, die Birke ftiegen bis 66° nördl. Br., dort aber
nur noch als Strauch, hinauf.
6. Soweit der tiefe Schnee Zeit umd Gelegenheit zu
ologifhen Unterfuchungen geftattete, waren ſolche von
zefanomwäti vorgenommen worden. Bon ber Tungusfa
bis zum Lager am Monyero fand er auf allen fd} ien
Stellen ſtets Trappgefteine, weiterhin filurifchen Boden,
durch welchen fich der Trapp gewaltfam Bahn gebrochen,
theils ſich iiber bie Oberfläche ergoffen Hatte, theils auch in
Adern duchgebrungen war. Weiterhin zeigte ſich ſiluriſcher
Mergel und dann Kohlenformation.
Zum Schluß bemerken wir, daß, wie neuere Nachrichten
melden, Czelanowsli den urjprünglich abgelehnten ehren—
vollen Auftrag der kaiſerlich ruffishen Geographijcen Ge—
fellfchaft, zur Ergänzung feiner Arbeiten im Jahre 1875
eine neue Forſchungsreiſe in das nördliche Sibirien anzu—
treten, angenommen hat, auf welcher ihn freilich Herr Müller,
welcher augenblidlich die Seitens der Gefelljhaft für 1875
in Sibirien angeordneten Nivellements ausführt, nicht bee
gleitet. Wir durfen hoffen, über die Nefultate diefer Er«
pebition binnen Kurzem weitere Nachrichten zu erhalten.
Aus allen Erdtheilen.
Die Umgegend von Saloniti.
Nicht viel Über eine Meile nörblich von Salonifi, dag von
den Slaven Solun, von ben Türken Selanik genannt wird,
nimmt ſchon das Territorium der Bulgaren feinen Anfang.
Die nächiten Dörfer in nordweftlicher Richtung find Dudular
und Araplij. Dieſe zwei Ortichaften ſowie alle anderen im
Thale de untern Wardar machten auf Herrn Jlitſch, einen
ferbijchen Offizier, der fich längere Zeit in der Umgegend von
Saloniki aufbielt und deſſen Neijefchilderungen die Skizze
entnommen ift, einen eigenthümlichen Eindrud. In denfelben
und beinahe in allen übrigen in jenem Landftriche, aufer
unmittelbar an der Slilfte, wo bie Griechen ſeßhaft find, woh—
nen Bulgaren. Diefelben erkennt man fogleich an ihrer
Sprache und ihrer Tracht, blauen Hofen, wollenen Jacken und
dem rothen Fes mit dem ſchwarzen Tuche auf dem Haupte.
Yu Salonifi ficht man fie gewöhnlich mit einigen ärmlichen
Pferden durch die Stadt reiten, fie bringen Obft oder Gemüſe
auf den Markt und ihre Frauen fchreiten neben den Pferden.
Ihre Dörfer haben ein düſteres Ansehen: fo zu fagen nicht
ein einziger grüner Baum belebt die aus Schlehdorn verfer:
tigten Umzäunungen ihrer mit Stroh bebedten Hütten. Und
im Allgemeinen fcheint das ganze äußere Ausfehen biefer
Natur und diefer Leute den Stempel des äuferften Elends
und eines mühſeligen Lebens an fich zu tragen. Wohl ſieht
man ar der Küſte bier und da einige grünende Eypreffen-
bäume, unter denen der Wanderer in der Sommerhige gern
ausrubt, doch weiter von der Küfte verſchwinden fie gänzlich
und der Blick fchweift über gelbe Wiefen ober über die mit
Geſtrilpp bewachlenen Anhöhen des Gebirges Chortatic.
Auf dem Wege nach Araplij begegnete der Reifende einer
großen Karawane befabener Kameele. In jener Gegend bes
dient man ſich ihrer ziemlich oft.
As der Reilende mit feinen Begleitern in der Nähe des
Dorfes Alibadihalar an eine Quelle kam, fand er bei
berjelben bulgariiche Hirten, die eine Menge Ochſen aus dem
Dorfe hierher zur Träne getrieben hatten. Die Hirten ers
mahnten den Reifenden, das Waffer aus der Quelle laugſam
zu teinfen, da baffelbe voll Bintegel wäre. Er ſah nur einige
derfelben am Grunde der Quelle und er wehrte es nicht,
daß feine Pferde mit diefem Waffer ihren Durft löſchten.
Doch ſchon am Abende begann den Pferden Blut aus dem
Munde zu rinnen und dies danerte fünf Tage bindurd. So
lange plagte man fi), bi8 man den Mund der Pferde gänz-
lich von jenen kleinen Blutſaugern geläubert hatte, Mit Ver:
wunberung fragte ber Reifende bie Hirten, wie es füme, daß
fie und ihre Schſen feinen Blutegel binunterfhlürften; fie
antworteten ihm, daß fie fich fchon daran gewöhnt hätten.
Diefe Duelle ift 500 bis 600 Meter von Alihadſchalar
entfernt.
Wie alle Neifenden beklagt fich auch Herr Ilitſch über
die türkiihen Straßen und die türliſchen Gaſthäuſer. Nach
mühſeligem Marfchiren bei fengender Hise und dichtent Staube
muß man fih am Abend mit einer Zwiebel, einem Stitd
Ichimmeligen Brote und einem Biffen alten Käſes begnügen.
Die Nacht bringt man im Sommer fo zu wie es eben geht,
hinter der Mauer eines balbverfallenen Han’s, liegend auf
feiner Strohmatte, bededt mit der Pferdedecke und den Sat:
tel unter dem Kopfe. Doch vergift man das am Morgen
fehr leicht, wenn man nur nicht des Nachts aufftehen mußte,
um einen verirrten hungerigen Eſel wegzutreiben, der ermattet
fih an die Füße des müden Wanderers anlehnt, "um aus-
zuruhen.
Der Reiſende hatte bei ſich die Karte des Drin- und
Wardarthales, die Prof. Kiepert in Berlin nad) den Angar
ben des öfterreichifchen Confuls v. Hahn ausgearbeitet hat.
Er rühmt die Brauchbarkeit diefer Karte und wirft ihr nur
einige unbedeutende Mängel vor.
(Die Umgegend von Salonifi gehört noch bente zu den
unbefannteften Theilen Europas: wir willen in vielen Land:
ftrichen Afrilas oder Inneraſiens beffer Veſcheid, als in diefer
durch ihre einstige Blüthe und ihre geichichtlichen Erinnerungen
bochberühmten Gegend. Kaum daß wir einige dürftige Nach
richten über die beiben einft von griechiichen Pflanzftäbten
dicht bededten weitlichften Halbinjeln des Chalcidice, Kaſſandra
und Longos, befigen, von dem Innern ganz zu ſchweigen.
Aus allen Erbtheilen,
Noch mehr terra incognita ift das Land weiter im Norden
zwiſchen Wardar und Karafır, den alten Arios und Strymon.
Dort gab e8, wie Herobot erzählt, zu König Xerres’ Beiten
fablbauern, die im Prafias-See hanften; dort wurden reiche
überbergwerfe betrieben, die dem macedonifchen Könige
täglich ein Talent (1200 Thlr.) abwarfen; bort gab es einen
Stein, der ım Feuer brannte (Steintohlen). Von alle bem
bat die Neuzeit noch nichts wieber aufgefunden. Es wirb
mit eine Hauptaufgabe ber eben neu errichteten bentichen
archäologifchen Schule zu Athen fein, diefen Gebieten ihre
Aufmerkfamkeit zuguwenden und zu ihrer Erforfchung nach
Kräften beizutragen. Es find dort noch ungehobene Schäge
mancherlei Art zu finden; kam doch erft unlängft in Wimaly,
faft vor den Thoren Salonifis, eine mächtige griechiſche Ju-
fchrift zu Tage, welche die interefjanteften Aufſchlüſſe über
Ereigniffe der altrömifchen wie der byzantiniſchen Epoche
gleichzeitig lieferte, Red.)
Kleinftäbtiihes Leben in Portugal.
Mr. 3. Latouche hat Fürzlich in London „Reifen in
Portugal" veröffentlicht, denen wir folgende intereffante
Schilderung aus diefem wenig gefannten Lande entnehmen.
Er erzählt:
Die größeren Landftäbte haben ganze Straßen voller
Herrenhäufer, in denen Jahr aus Jahr ein Familien fort
vegetiren, welche gerade Geld genug haben, um obne Arbeit
leben zu lönnen. Solches Leben koſtet aber nur wenig. Ein
großes Hans mit einem Kohlgarten babinter, mit weißge-
tiluchten Wänden, teppichlofen Fußböden, einem Dutzend höl⸗
zerner Stühle und ein oder zwei Brettertifchen: das ift Alles,
Kein Herb, fein Ofen weder im Wohns noch im Schlaf:
zimmer, feine Vorhänge am den Fenftern, keine Tiſchtücher,
feine Bilder an den Wänden, feine Spiegel, kein Tifch, der
in bunter Unordnung Bücher, Zeitungen, Zeitfchriften und
Handarbeiten trägt, keine Blumenvafe, fein Porcellan, feine
Uhr, keine Bronze, — nichts, nicht3 von dem hundert Heinen
Sächelchen, welde bei und den Geſchmad reip. das Fehlen
beffelben bei dem Hausbefiger documentiren und unferen
Wohnungen ihren individuellen Charakter und ihren Neiz
verleihen. Das Fehlen aller diefer Dinge kennzeichnet die
äuferft traurigen Behaufungen der Mittelclaſſe in Portugal.
Als Belhäftigungen der Frauen wäre nur Nähen, Plaudern,
Meffchören und ftundenlanged Aus-dem-Fenſter-Gucken zu
nennen. Bon dem kurzen Kirchgange abgefehen, zeigt fich die
vortugiefiihe Fran faft nie auf der Strafe. Die Männer
bummeln zwiſchen den Verkaufsläden herum, rauden zahl:
loſe Papiereigarretten und halten in der Mittagshitze ihre
Siefte. Scheint die Somme, fo ftehen fie gruppenweiſe an
den Straßeneden, mit anfgefpannten Sonnenſchirmen in der
Hand; im Winter hängen fie jich einen Shwal um die Schul:
tern, der genau jo dreiedig zufammengelent ift wie ihn uns
fere Damen tragen. So will es die Mode, und fie wird
beibehalten, fo viel auch die Spanier ihre Nachbaren deshalb
verfpotten. In diefen Städten giebt es nie eine Neuigkeit —
und ſieht man einmal zwei Männer in eifriger Unterhaltung
anfcheinend über einen Gegenftand von immenfer Wichtig:
feit begriffen, und gelingt es Einem, dem Gegenftand des
Geipräches zu erhorchen, fo ift es ſicher, daß das, was den
Einen zur Verzweiflung brachte oder ihn in Begeifterung
verfegtte, weiter nichts war, als daß der Preis eines Pfun-
des Tabad um ein paar Pfenuige geftiegen ober gefallen ift.
Sie haben nicht einmal Moden, über welche fie nachdenken
önnten; denn Jung und Mit Meidet ſich ganz gleich, nur
daß die jungen Männer furchtbar enge Schuhe tragen, welche
ihnen ihre Spaziergänge und Wanderungen fehr unbequem
machen müſſen. Indeſſen haben die jungen Männer noch
eine wichtigere Beſchäftigung als die ift, enge Stiefel zu tra—
gen, nämlich die zahmfte Form der Liebe in der ganzen Welt
auszuüben. Das geſchieht mit fo viel Anftandegefühl und
239
in fo platonifcher Weile, daß felbft die ftrengfte Gonvernante
nichts dawider haben könnte. Denn ‚die jungen Herren be
weiſen ihre Zuneigung nur dadurch, daß fie vor dem Haufe
der Angebeteten ſich aufpflanzen, während dieſe beifällie aus
bem Fenfter ſchauen. Und damit hat die Sache ein Ende,
Chokand.
Im vorigen Bande des ‚Globus“ S. 191 war der Chan
von Ehofand als Finanzkünftler geichildert worden, d. h. als
der babgierigfte, graufamfte Tyrann, den man fich denfen
fann, Mebrmals hatte fich das nequälte und geichundene
Volk gegen Chudojar-Chan erhoben, aber ftet3 war es ihm
mit Hillfe feiner europäiſch einerercirten Soldaten gelungen,
diefe Empörungen nieberzumwerfen. Auf die fürchterlichite
Weiſe wurden dann die Näbdelsführer beftraft, ganze Fami-
lien vor den Augen des Tyrannen erläuft, den Vornehmiten
vor den Balaftpforten die Köpfe abgefchnitten. Dies dauerte
fo lange bis der Chan feine Söldner nicht mehr bezahlen
fonnte; und al3 diefe im Juli von ihm abfielen, brach der
Aufruhr unter Abdurrhaman Awtobatſchi los. Der Chan
floh mit feinem Harem in die ruffiiche Geſandtſchaft und um:
ter deren Schutze anf ruſſiſches Gebiet nach Chodichend. Aber
damit hatten die Chokander nicht genug; fie brachen in die
ruffiichen Befigungen ein, um die dortige Bevöllerung auf:
zuwiegeln. Wiederum fah fih Nufland genöthigt, zu den
Waffen zu greifen. Die feindliche Hanptabtheilung in einer
Stärke von 5000 Mann wurbe gefchlagen, der Sturm auf
Chodſchend abgewehrt und dann zum Angriff übergegangen.
Augenbliclich befindet fih der Generalgouvernenr von Zur:
keftan, von Kaufmann, fchon auf dem Mariche gegen Chor
fand felbft.
Trefflich find übrigens die Bemerkungen, mit denen ber
Golos“ diefe Nachrichten begleitet (Nat.:Ztg. 1875, Nr. 418):
„Beigen übrigens nicht alle diefe Nachrichten, wie leicht die
Ruhe in den an unſere Befigungen grenzenden Chanaten ge:
ftört wird und wie fchwer es bei allem guten Willen ift,
fich ein filr alle Mat von einer angreifenden Politik im Orient
loszufagen, deren Nothwendigkeit man in England fo gut
begreift, ſobald es fih um Oſtindien handelt, und die fich in
der Sprache einiger Parlamentsredner mit einem Schlage in
„unaufhaltfame Eroberungsiuft“ verwandelt, fobald auf die
ruffifchen centralafiatifchen Beſitzungen bie Rede kommt? Jede
Erregung in den Chanaten fpiegelt fih mehr oder weniger
einflufrreich auch im unferen Befisungen ab. Kanu man
faltblütiger Zuſchauer folcher Unordnungen bleiben und mit
Chanen Geremonien machen, die nicht im Stande find, die
Ruhe in ihren Ländern aufrecht zu erhalten und bie recht:
mäßige Erfüllung der mit ihnen um gemeinfamer Bortheile
willen geichloffenen Verträge fiherzuftellen? Es fcheint uns,
daß es am der Zeit ift, zum Nusen der Chofander und
Kaſchgarer jelbft mit der vermeintlichen Unabhängigkeit beider
ein Ende zu machen, da diejelbe in Wirklichkeit eine Duelle
unaufhörliher Wirren und Erhebungen ift. Diele Chanate
find von der Natur ſehr reich ausgeftattet, und es wiirde
fowohl der eingeborenen Bevölkerung ald and ber ganzen
gebildeten Welt unzweifelhaften Nuten bringen, wenn biefe
Gegenden europätfcher Cultur erichloflen würden.“
Uruguay.
Ueber die gegenwärtigen Buftände in diefem fübamerifa-
nifchen Staate fchreibt die „Allgemeine Deutſche Zeitung für
Brafilien* in Nro. 56 vom 17. Juli 1875: i
Das in ewigen politifchen Convulſionen befindliche Laub
liegt im Augenblid fo darnieder, daß an einem Auflommen
ohne fremde Einmiſchung ſehr zu zweifeln ift.
Es ift ein Sammer, die jebigen Verhältniſſe eines Lan—
des anzufehen, welches durch feine Lage und feine überaus
günftigen Bodenwverhältniſſe berufen it, eine hervorragende
Stellung unter den ſüdamerikaniſchen Staaten einzunehmen,
240
Die gegenwärtige Regierung bed Don Petro Varclla, |
durch einen Gerwaltftreich gegen bie vorherige unter Ellanri
and Ruder gelangt, hat gleich nach ihrer Inſtallirung au:
nächft eine Anzahl von Gegnern deportirt und auf einem
elenden Segelfahrzeuge nach Havana geſchickt. Auf ihrer Reife
hatten diefe Ansgewiefenen zunächſt bie Hoffnung, in Brafi:
lien an Land gelangen zu können, mußten indef bis nach
Euba fortfegeln. Dort angelangt, wehrte man ihnen die
Ausſchiffung und nad) den in den legten Tagen angelangten
Telegrammen find Schiff und Ausgewieſene in Charlefton
angelangt. Mittlerweile fanden eine Anzahl von Pronun:
ciamientos gegen die Regierung Varella ftatt, welche fämmt-
lich geicheitert find. Es fcheint nur eine fähige leitende Kraft
zu fehlen, um das jetige Gouvernement zu ftürzen.
Die finanziellen Schwierigfeiten des Landes veranlaßten
die Regierung Varella's zu den tollföpfigften Maßregeln uud
diefe haben zum Bruche der geachtetften Banfen und Handelss
geichäfte beigetragen. Neue Emijfionen von Papiergeld find
das Rettungsmittel, welches die Regierung verjucht ; das
Vertrauen ift indeß bis auf Null gefallen, Gold ift nur mit
96 Procent Agio zu haben. Ein Verſuch, auf die Börfe zu
driüden, brachte hervor, daß die überwiegende Zahl der Makler
ſich ftreichen ließ. Alle Mittel, um dem derretirten Zwangs:
cours für das Papiergeld effectiv zu machen, Icheiterten und
der Handelsftand trat denfelben mit einem Compromiß gegen
über, welcher die Negieruug zu Verzweiflungsichritten treibt.
Gegen die Unterzeichner des „Kompromiffes* wurden neue
Gewaltmafregeln gebraucht: Gefängniß und Geldftrafen,
Alles ohne Erfolg. Die Negierungsblätter und unter ben-
felben die „Zribuna” (von Montevideo) verlangen energijche
Maßregeln gegen die Unterzeichner, 3. B. die Beſchlagnahme
aller Güter derjelben. Daffelbe Blatt jagt, „in Kürze werde
es nöthig fein todtzufchlagen, um zu leben” (matar para
vivir). Alle Material: und Zeugwaarenhändler erhielten eine
Ordre der Regierung, bad Papiergeld für den ausgebrüdten
Goldwerth in Zahlung zu nehmen, bei Strafe der Verhaf—
tung. An der Börfe werden Eransactionen in Gold ver:
boten und ift daffelbe nur mit 96 Procent privatim zu haben.
Eine Anzahl von Handelshäufern ſchließen ihre Geſchäfte und
liquidiren.
* * 2
— Mr, George Smith, über deſſen Entdeckungen und
Schriften auf dem Gebiete der Keilinſchriften wir mehrfach,
äuletst in Bd. XXVII, S. 172 ausführlich, berichtet haben,
bat vom Vorftande des britifchen Mufeums den Auftrag er:
balten, feine Ausgrabungen in Ninive wieder aufzunehmen,
und gedenkt im October nach dem Orient abzureifen. Sein
neueftes Werk über den ‚Chaldäiſchen Bericht von der Sint:
fluth* befindet ſich unter der Preſſe und wird nächitens erfcheinen.
— Aus Japan kommt die Nachricht, daf eine mächtige
Sandbant ſich plötzlich vom Meeresboden bei Kaſuska erbob
und der gegen 50 Fuß tiefe Hafen von Mito im einer ein:
zigen Nacht ſich anfüllte, fo daf die Oberfläche des Sandes
etwa 3 Meter böber liegt als der frübere Meeresſpiegel.
17 Schiffe lagen gerade im Hafen, welche insgefammt enter:
ten und im Sande begraben wurden. Wahricheinlich hat
eines der am jenen Kitften häufigen Erdbeben diefes Phäno—
men erjengt.
— Die Einwanderungsausweife von allen Häfen
der Vereinigten Staaten weilen für das mit dem 30.
Aus allen Erbtheilen.
Juni 1875 abgelaufene Verwaltungsjahr eine Geſammtzahl
von 227,277 Einwanderern auf, gegen das Vorjahr eine Ab:
tabme von 85,962 Seelen. 139,880 waren männlichen, 87,497
weiblichen Geſchlechts. Davon famen aus Deutſchland 47,760,
Irland 37,955, England 40,098, Canada 18,654, China
16,438, Frankreich 8315, Rußland 7982, Schottland 7309,
Defterreich 6352, Norwegen 6098, Schweden 5573, Jtalien
3570, Neu-Schottland 2874, Dänemark 2636, der Schweiz
1894, New Braunfchweig 1505, den Azoren 1176, Cuba 1134,
Huftrafien 1097, Polen 948, Ungarn 776, Portugal 763,
Belgien 608, Spanien 570 und Wales 449. Nur die Eins
wanderung aus China hat zugenommen, faft alle anderen
genannten Länder ftellten in den Vorjahren ein größeres
Contingent. Die Haupturfache diefer Abnahme liegt in dem
Mangel an Beihäftigung und der Verringerung der Löhne
in den Vereinigten Staaten. So bat zum Beijpiel der Lohn
der Feldarbeiter gegen 1869 um 22 Procent abgenommen
und beträgt jetzt nur mehr 12 Doll. 40 C. per Monat eins
ichliehfich der Koft. Am niebrigften find die Löhne in den
Süpdftaaten. (Mat.:$tg.)
— Ron demnäcft ericheinenden engliſchen Reife:
werten find namentlich hervorzuheben: Dr. Bellew, deſſen
Werk tiber Balutſchiſtan, Afghaniſtan und Berfien (From the
Indus to the Tigris) wir umlängft lobend erwähnten, fchil-
dert unter dem Titel: „Kashmir and Kashghar“ die Ge—
fandtfchaftsreile von Sir D. Forſyth zu dem Beherrſcher von
Oſtturkeſtan (1873 bis 1874). Dr. Anderfon, Director des
Judiſchen Muſeums und Profeffor der vergleichenden Ana:
tomie in Galcntta, beichreibt als Angenzeuge die beiden engli-
fchen Erpeditionen nach Weſt-Munan, die des Major Sta-
den und des Oberften Horace Brown, welche beide wenig
mehr erreichten, ala eben die Grenze des chinefifchen Reiches
zu überfchreiten. Der Earl of Dunraven erzählt unter
dem Titel: „The Great Divide* feine Erlebniffe von 1874
in dem unſeren Lefern wohlvertrauten Gebiete des obern
Nellowftone; während der befannte Nordpolfahrer James
Lamont über die Entvedungs: und Fagdfahrten, welche er
in den Jahren 1858, 1859, 1869, 1870 und 1871 im nörb-
lichen Eismeere ausführte, in „Spitzbergen aud Novaya
Zemlya, with the adjacent Seas“ berichten wird. Bon be
fonderm Intereſſe für den Ethnologen verfpricht ein Bud
zu werden, weldes den Paſtor W. W. Gill zum Verfaffer
bat und eine Vorrede von Brofeffor Mar Müller bringt:
‚Mythenund Gefänge des ſüdlichen Stillen Oceans.“ Gil,
der lange Jahre auf den Infeln jenes Meeres zugebracht hat,
ſammelte diefelben and dem Munde ber Eingeborenen und
verwendete viele Miübe auf eine Vergleichung der verichiede-
nen vorhandenen Verfionen. Generalarst Gordon, welcher
foeben Birma befuchte, arbeitet an einem Bericht iiber den
Handel, die Zoologie, Botanik, Ethnologie u. ſ. w. diefes für
engliiche Intereffen jett jo wichtigen Landes.
— In den beiden mericaniichen Staaten Mihoacan
und Guanajato treiben revolutionäre Banden ihr Unweſen
mit Sengen, Bremen und Plündern, wie fie jüngft den Ort
Acatringan völlig zerftört haben. Die Regierung bat noch
immer feine energilchen Mafregeln getroffen, um jenem Trei-
ben, unter weldhem namentlich) die Bewohner von Michoacan
ſchwer leiden, ein Ende zu machen, und ihre wenigen
Truppen, die gegen die Rebellen im Felde fteben, fcheinen
die Kampfweiſe derfelben adoptirt zu haben, indem fie die
Randerien von San Juanito einäfcherten.
Inhalt: Am Nordgeftade der Adria. IV. (Mit fieben Abbildungen.) (Schluß) — Ein ungarischer Sprachforſcher in
der Mongolei. Von Hermanı Bambery. I. (Schluß) — Skizzen ans Chile. Bon Dr. med. Georg Thiele V. —
englifchen Himalaya-Befigungen. Bon Emil Schlagintweit.
Die
I. — Die Dienet-Erpedition von Czekanowski und Mül:
ler. — Aus allen Erdtheilen: Die Umgegend von Saloniti. — Kleinſtädtiſches Leben in Bortugal. — Chokand. —
Uruguay. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 24. Scptember 1875.)
Medarteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lintenftrafe 13, II Tr.
Truf und Verlag von Friedrich Vitweg und Sohn in Braunſchweig.
*
N
Band XXVM.
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künſtlern herausgegeben von
Dr. Ridhard Kiepert.
Braunſchweig
Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern, Monatlih 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Rummern 50 Bf.
1875.
Der Markeſas-Archipel.
IT.
Der Hafen von Waitahı liegt am ber Weſtkliſte von
Tanata und in der Nähe deſſelben bemerkt man die Ruinen
des Forts, welches nad) der Beſitznahme der Infel, am 1. Mai
1842, erbaut wurde. Bei Ankunft de8 „Vaudreuil“
tar gerade ein amerikanischer Walfifchjäger befchäftigt, Waſ⸗
fer einzunehmen. Die ganze an der Bay wohnende Bevöl-
ferung jand fid) ein,
Gewöhnlich gehen die Eingeborenen faft ganz nadt, nur
mit dem Hami, einem Sthick baumwollenen Zeuges, ober
mit der Tapa befleidet, welde um die Yenden gejchlagen,
zwifchen den Beinen durchgezogen und hinten mittelft einer
Schleife mit fliegenden Enden befeftigt wird. Die Tapa
wird von den Eingeborenen aus der Rinde gewiſſer Bäume
gefertigt, indem man diefe mit einem Holzhammer bearbeitet.
Am ſchönſten wird fie auf der Infel Futuna bergeftellt,
wo man es verfteht, derfelben vecht geſchmackvolle Mufter zu
geben. In diefem Zuftande wird fie Sipoi genannt. Bei
Ankunft des „Baudreuil* Hatte die Benölferung ihre Feft:
fleider angelegt und zwar nicht diejenigen, welche fie ſelbſt
derfertigt,, fondern theils europäische Stüde, die fie ſich bei
irgend einer Gelegenheit zu verſchaffen gewußt hatte, teils
die leichte Tracht von Tahiti.
Die Marfefaner haben, wie alle Eingeborenen Poly:
nefiens, fchlichtes Haar, welches fie mit einem Stoffbande
in der Weife zufammenfaflen, daß auf jeder Seite des Kopfes
eine Wulft oder eine Art Meinen Horns gebildet wird. Die
Stirn ift frei und die ſchwarzen Augen find ſehr ausdrudd-
vol. Die Männer find regelmäßiger gebaut wie die Frauen
Globus XXVII, Nr. 18.
und ihre Züge find marfirter. Hat man fid) erft am die
Tättoroirung gewöhnt, fo fieht man unter biefem bizarren
Scmude oft ſehr ſchöne Leute.
Faſt alle rafiren den Körper und einen Theil des Kopfes.
Auf den Infeln des Archipels, mo das Raſirmeſſer noch un:
befannt ift, bedient man ſich zu diefer Operation eines aus
Haifiſchzähnen gefertigten mefjerartigen Inftrumentes ober
einer Glasſcherbe. Die Greife laflen den Bart wachſen,
meiftens aus Speculation, da das weiße Barthaar zum An—
fertigen von Schmud fehr theuer verkauft wird. Jouan,
der mehrere Jahre hindurch das Amt eines Nefidenten befleis
dete, kannte einen alten Franzoſen, der von einem Häupt⸗
linge nur feines weißen Bartes wegen unterhalten wurde.
Manche der Eingeborenen flechten die Haare an einer
Seite des Kopfes und durchziehen fie mit den Zähnen des
Meerfchweins oder mit Glasperlen, ein Zeichen, daß fie
irgend einen Act der Rache auszuführen oder einen Feind zu
töbten haben. Die Berpflichtung zur Nache ift erblich, gleicht
aljo gemau der corfiicen Vendetta.
Im Allgemeinen bleibt der Kopf ohme jede Bedeckung,
zuweilen jedoch wird ein hornartiger, aus Blättern bergeftell»
ter Kopfpug getragen.
Als Pailhes das Haus der katholiſchen Miffion erreichte,
wurden in demfelben geiſtliche Lieder im der Spradje der
Eingeborenen gelungen. Es fand gerade die Vertheilung
der Preife in der von dem franzöfiichen Miffionär geleiteten
Schule ftatt.
In den Hütten der Eingeborenen, in die man ohne bes
81
242
fondere Einladung eintreten kann, befindet ſich nur ein fehr
geringes Mobiliar. Ar der Dee hängen große, mit Tapa
überzogene Bündel, welche die Feſttleider enthalten, Körbe
mit den aus Hahnenfedern angefertigten Diademen, Lampen,
hergeftellt aus den Nüflen der Alenrites tribola und als
Docht mit den Rippen von Kolosblättern verjchen, Fiſcherei ⸗
geräthe, Waffen, Holzgefähe verſchiedener Größe, Beile, Fla—
{chen und andere europäifche Utenfilien.
Die Eingeborenen, welche die Gegend von Tashufı
Der Marleſas-Archipel.
auf der Infel Hiwma-Da bewohnen, find ſehr Händelfüchtig,
namentlich dann, wenn der Kolosbranntwein oder die Spis
rituoſen, die fie ſich von den Kliftenfahrern oder Walfiid)-
jägern faufen, ihren Einfluß üben.
In Taio-Hae, wohin der „Vaudreuil“ zurüdtchrte,
fah man einen Bogel, den die Eingeborenen Upe (Serresius
galeatus) nennen und welder den weftlichen Theil von
Nuku-Hiwa bewohnt Er gehört zu den Tauben, hat die
Größe eines Meinen Huhns und ein grünliches Gefieder und
94
i
Er,
Sirieger, Frau und Greis auf den Markeſas.
wird zubereitet fin einen Leckerbiſſen gehalten. Im Innern
der Infel befindet ſich eine hier und da mit fleinen Seen
verfehene Hochebene.
Dort trifft man eine große Menge von Ziegen, Ab—
fönmlinge derjenigen Thiere, welche Porter im Jahre 1813
auf Nuku-Hiwa zurüdlieh. Ste haben fid reichlich vers
mehrt, Dank dem furdjtbaren Berbote des Tapır oder Tabır,
mit dem ihre Tödtung belegt wurde,
Die Königin der Infel bewohnt eine gut eingeric)-
tete Hlitte im Weften ber Bay, umgeben von pradjtvollen
Bäumen. Sie ift eine Frau von mittlerm Alter und von
anmuthigem und gefälligem Aeußern. Ihre rechte Hand
iſt ein Meiſterwerl der Tättowirung. Ihr Name it Wactö,
fie ift die Wittwe von Te-Moana, der im Dahre 1853
zum Chriftentfume überging, und felbft eine fanatiſche An-
hängertn ber fatholiichen Kirche. Ihr wird ein Theil der
Venſion ausbezahlt, die ihrem Gatten von der franzöſiſchen
Regierung ausgeworfen worden war. In feiner Jugend
Der Marleſas-Archipel.
war Te⸗Moana fehr wild und fah fich eines Tages in
Folge eines gegen ihn ausgebrochenen Aufſtandes genöthigt,
Zuflucht auf einem englifchen Schiffe zu fuchen, das ihn
nach London brachte, fiebte es jpäter nicht, von diefer
Reife zu fprechen, während beren er mandje eines Häuptlings
nicht wilrdige Behandlung erfahren mußte. Hatte man ihn
doch ſogar im Yondon flir Geld fehen laſſen.
Das Klima der Markefas-Infeln gilt, obgleich, e8 warm
und feucht ift, für fehr gefund. Der Wechſel zwifchen der
trodenen Dahreszeit und ber Regenzeit ift nicht immer be
ftimmt begrenzt. Es regnet gewöhnlich; in den Monaten
Mai, Ium und Juli, während im November und December
die Vegetation durch große Dürre zurückgehalten wird. Im
manchen Jahren erreicht die Trodenheit einen foldyen Grad,
daß die Bäche wafferleer werden und die Frilchte nicht zur
Keife gelangen. Dann tritt Hungersnoth ein, wenn bie
Eingeborenen nicht bei Zeiten für große Vorräthe von Popoi
gejorgt haben.
Die Martefaner find ziemlich, ſchweigſam, und wenn fie
ſprechen, fo geſchieht ſolches in einen tiefen Bafje und indem
243
fie die einzelnen Silben ihrer Sprache ſcharf betonen. Auch
die Frauen und Kinder haben verhältnigmäßig fehr kräftige
Stimmen. Die Sprache felbft ift einer der unausgebildetſten
Dialekte Bolynefiens, fie enthält viele k und eine große Menge
von Nafjaltönen. Auf der füdöftlichen Infelgruppe ift fie
weniger hart, da hier an die Stelle des k das n tritt und
das fcharf afpirirte h dburd) ein f erfegt wird. Selbft unter
den Stämmen ein und derfelben Juſel herrſcht bezüglich ber
Sprache Verſchiedenheit.
Ueber die großen Feſte, welche die Eingeborenen bei be—
ſtimmten Gelegenheiten feiern, hat Jouan in feinen Diemoi«
ren Mittheilungen gemacht.
Es iſt nicht zu verwundern, daß in einem fo warmen
Klima die Bewohner zur Trägheit neigen und zwar um jo
mehr, als die Natur Alles thut, um ihnen die Sorge fllr
ihren Unterhalt zu erfparen. Nur der Reiz des Berguligens
und zumeilen bie Cigenliebe ift geeignet, dieſe ſchweigſamen
Menſchen aus ihrer Mpathie aufzurltteln. Oft bejchäftigt
fi, ein Stamm drei bis vier Jahre hindurch mit den Bors
bereitungen zu einem Feſte, welches aus Anlaß des Todes
Bi — —
Tre —
Anthropophagen.
eines Häuptliugs, oder der erſten Tättowirung eines Yüng-
lings von hohem Nange, oder der Einweihung irgend eines
vollendeten Werkes, wie z. B. einer Piroge, eines Haufes,
gefeiert werden fol.
Der alte Gebrauch, „den Keflelhaten aufzuhängen“, wird
genau beobachtet und man begeht bei diefer Gelegenheit ein
deft, eine Koika, zu welchem die befreundeten Stänmme
geladen werden. Im Dfen gebratene Schweine, Banianen
und Fiſche werden vorher zubereitet umd am Vorabend mit
großer zFeierlichleit und unter wilden Geheul auf den öffent:
lichen Pla gebracht. Der Tag des Feſtes ſelbſt wird durch
die Weifen des Stammes beftimmt, gewöhnlich füllt er in
die Zeit, wo der Mond im erften Viertel fteht. Die Nacht
hindurch jchläft man wenig. Die kräftigen Männer ver«
weilen, indem fie fingen und Kava genießen, in den am
Plage liegenden Hätten, während die anderen fowie die
Frauen und Kinder ihre Anzüge herrichten. Die Kinder
befonders fpielen eine große Rolle bei ber Koila. Tage,
ja oft Momate vorher reibt man fie mit dem Safte geiler
Pflanzen ein, um ihre Haut zu bleichen, dann badet und
wäjcht man fie umd hierauf Heidet man jie an. Einige wer
den in mehr als hundert Meter Tapa eingewidelt, während
der Kopf mit einem Diaden von Turteltauben« oder Papa-
geienfedern uud daritber mit einer vollftändigen Müge von
weißen Barthaaren geſchulickt wird. Die Rucſeite des
Kopfes wird mit einem Stück Tapa in der Weiſe verhüllt,
daß eine Art Cocarde in der Preite eines Meters entfteht.
Bei Tagesanbrud; ertönen die Trommeln auf dem öffent
lichen Plage und ihr Yärmen wird mit einem furchtbaren
Geheul begleitet. Die Geladenen finden fich nun auf dem
‘Plage ein, die rauen fegen ſich auf die Paepae (die Platt:
formen, auf denen die Hütten ftehen), während die Männer
einen Kreis bilden, um unter Trommelbegleitung die Thaten
und die Bindniffe des Stammes zu befingen. Dabei ſchlagen
fie die Hünde an einander oder auf die Yenden, oft jo hei:
tig, daß Blutstropfen durch die Haut dringen. Dieſe Ge—
fänge und Gefliculationen eigen das Ulaula, Der Sefang
bejteht in einer monotonen Recitation, zuweilen durch Geheul
unterbrocdyen. Nimmt man dazu das wilde Ausjchen ber
BVetheiligten, von denen manche am Gürtel mit Heinen Stei-
81”
244
nen gefüllte Menfchenfchädel tragen, ſowie bie ſchreckliche
Mufit, jo ift es begreiflich, daß der civilifirte Zuſchauer eine
Gäuſehaut befommen fann, wie es ben erſten Sciffern
erging, welche die Infel befuchten.
Im dieſem Augenblicke langen die Kinder an, jebes von
einem Manne getragen umd begleitet von jungen Mädchen,
weldye in ihren Händen die Zipfel de8 Tapa-Gewandes hal-
ten, mit dem fie befleibet find. Neue Matten werden auf
ben Boden ausgebreitet und auf diefe werden die armen
Kleinen gefegt, welche im ihrer dichten Umbiillung bide
Schweißtropfen vergiefen und die Arme wie Caftagnetten-
fchläger ausftredten, ein Vergleich, der um fo mehr zutrifft, ale
an den Fingern Heime Bitjchel von Federn und weißen Bart:
haaren befeftigt find,
Im einiger Entfernung, auf einer beſonders dazu her
gerichteten Erhöhung, haben ſich die Muſiler niedergelaſſen,
meiftens Greife, welche ohne irgend welchen Tact in ein aus
einer großen Muſchel gefertigtes Horn ftoßen. An der Seite
berfelben befinden fich junge Yente, die Löwen bes Feſtes,
welche das Privilegium haben, die fie umgebenden Frauen
zum Laden zu bringen, Sie heißen Navenade, was ſich
durch das ſpaniſche Gracioso am beften liberfegen läßt.
Ihre Bekleidung ift beinahe
diefelbe wie die der Kinder
und auch bei ihnen werden
die Einreibungen mit Kolos⸗
öl nicht gefpart. Zuweilen
führen unbekleidete Frauen
Tänze auf. Es macht einen
widrigen Eindrud, häßliche,
nur mit einem von ber Ma—
gengegend bis unter ben
Nabel reichenden Gürtel aus
Tapa befleidete Matronen in
der Weife tanzen zu fehen,
daß fie mit geſchloſſenen
Knien in regelmäßigen Zwi⸗
ſcheuräumen fpringen.
Diefes ift der öffentliche
Theil der Koifa, deſſen An-
blif, wenn man das Er:
ſcheinen ber verſchiedenen
Stämme unter dem ſchatti—
gen Dadje der gewaltigen Bäume, die impofante Tracht ber
Männer umd die Eleganz der Frauen zufammenfaßt, viel
Anziehendes hat, was nur durch das wilde Geſchrei der
Feiernden abgeſchwächt wird. Alles geht jo ernfthaft her,
daß man faum glauben follte, bie Betheiligten fünden Ver—
gnügen an dem, was fie feit Monaten vorbereitet hatten.
Auf einer Seite des Plages ift eine Art von Altar errich-—
tet, welcher mit Laubwerk und rohgearbeiteten Statuen ger
fchmüdt ift, von denen die eine einen fipenden Mann, bie
andere eine riefige Eidechſe darftelt. An diefem Altare wer:
den oft die Schädel der getödteten Feinde niedergelegt,
Nach einigen religiöfen Ceremonien verfiindet ein Herold
den Berfammelten, daß die Koifa zu Ehren biefes oder jenen
Stammes, dieſes oder jenes Hänptlings abgehalten werde,
welcher Schweine, Popoi u. ſ. w. befige, Darauf findet die
Vertheilung der Speifen unter die Gelabenen ftatt, während
biejewigen, welche das Feſt geben, nicht eflen und an dem—
felben überhaupt nicht THeil zu nehmen ſcheinen. Die Säfte
nehmen dasjenige, was fie nicht verzehren, mit nad; Haufe.
Nach diefer Bertheilung beginnen die Gefänge und das
Heulen in verftärktem Maße aufs Neue und währen bis
gegen 1 Uhr Nachmittags, um welche Zeit man, wie ger
wöhnlid), Sieſta hält. Nach gepflogener Ruhe nimmt das
17
“
Er?
— * N: ——
Nicht entzifferte Inſchrift einer Inſel des polyneſiſchen Archipels.
Der Marleſas-Archipel.
Feſt ſeinen weitern Berlauf und dauert ſo gewöhnlich drei
Tage und drei Nächte hindurch. Der Kaba und überhaupt
bie geiftigen Getränfe, wenn man fi) beren verichaffen
fonnte, werben nicht gefehont, ſo daß ſchließlich die Orgie eine
vollftändige wird,
Während der Dauer der Koila ift es micht geftattet, ge«
gen die Theiluehmer irgend einen Act der Feindſeligleit aus-
zuführen. Geſchähe ſolches dennoch, jo würde der veligiöfe
Zwed der feier micht erreicht werden, Zuweilen wird übrie
gend dieſes Verbot nicht geachtet, wie im Jahre 1856, wo
ein biutiger Krieg auf der Juſel Ua-Uta die Folge war.
Auf den Snfeln, wo fich der abenbländifche Einfluß noch nicht
geltenb gemad)t hat, find mit der Koifa im gewiſſen Fällen
Menſchenopfer verbunden, an deren Stelle auf Nuku-
Himwa die Opfer von Meerfhildfröten, Hunden und Schweis
nen getreten find.
Die Eingeborenen lieben, außer bei ſolchen Feſten, weber
Demonftrationen noch das Geſpräch. Hat man fie mit
„Kaohal“ (Guten Tag) begrligt und ift nian gefragt wors
den, woher und wohin, fo hat die — ———
ihr Ende erreicht, Anfangs find fie wie alle Wilden miß-
trauiſch, diefes Miftrauen aber ſchwindet zufehends, fobald
fie diejenigen, von benen fie
befucht werden, genauer ken⸗
nen gelernt haben. Sie find
fehr gaftfrei und fanft, aber
— um biefen Ausdrud zu ges
brauchen — negativ, umb
man darf bei ihnen nicht die
Gefühle civilifirter Böller
fuchen. Liebe, Freundſchaft,
Sinn fir Familienbande,
furz alle Regungen des Her:
zens und der Seele find bei
ihmen nicht zu finden. Der
Tod des Vaters betrlibt den
Sohn durdjaus nicht, die
Mutter jieht gleichgültig ihr
Kind fterben, welches vom
Augenblide der Geburt an
fremden Händen überlaffen
bleibt. Nur phyſiſche Noth
vermag die Einzelnen zu
berbinden und zu gemeinfamem Handeln zu bewegen.
Kaum fühlt ſich eine rau guter Hoffnung, fo befchäftigt
fie ſich auch ſchon mit der Frage, wer ihr Sind adoptiren
fol. Selten nämlich werben die Kinder von den Eltern
erzogen, wie denn Überhaupt eine Familie nad} abendländifchen
Begriffen nicht eriftirt. Es if diefe Sitte wahrjcheinlich
aus dem Bedlirfniffe entfprungen, Verbindungen mit anderen
Familien und anderen Stäumen zu fehließen, um ſchwierige
Streitigleiten innerhalb der Berwandtſchaft leichter beilegen
zu können. Außer den Aboptionen neugeborener Kinder
finden foldye auch’ zwifchen Leuten jeden Alters und jeden
Geſchlechtes ftatt. Nichts ift gewöhnlicher, als daß ein Kind
ſich Vater oder Großvater eines Greifes nennt. Die Neffen
werden als wirkliche oder aboptirte Kinder bes Ontels oder
der Tante angefehen. Die Bezeichnungen zwifchen den Bettern
find diefelben wie zwifchen den Brüdern, Der Mann nennt
feine Schwägerin Behine (rau, Gattin) und zwar in
Folge einer alten Sitte, welche ihm in Abweſenheit feiner
eigenen Frau Rechte auf diefelbe einräumt,
Die Freundſchaft wird dadurch gewichtiger und ſtürker,
baß die freunde ihre Namen austaufchen. Der gewöhnliche
Fremd, Ehoa, hat nur ein Recht auf einfache Zuvorfom:
menheiten, während man demjenigen, mit welchem man den
G. Fritſch über die Ova-herero.
Namen getaufcht hat, dem Ikoa (auf den ſuüdweſtlichen In—
fein: Inoa), michts abſchlagen lann. Diefer Gebraud)
bient dazu, um ſich Protectionen, Bündniffe im Stiege,
Schuß auf der Reife x. zu ſichern.
Die Ehe beruht auf einem einfachen Uebereinfommen
zwifchen Dann und Frau und man trennt ſich, wie man ſich
verbunden hat.
Die Geburt eines Kindes ift von feiner Ceremonie be
gleitet. Sobald das Neugeborene das Licht der Welt erblidt,
wird es in kaltem Wafler gebabet, während man die Mutter
eine Schale durch Heiße Siefelfteine erwärmter Popoi eſſen
läßt. Auch für das Sind bildet die Popoi fortan das ein
zige Nahrungsmittel, weshalb es ſchon ſehr früh entwöhnt
wird, An feinem Orte der Erbe dirften die Kinder gllid:
licher fein als hier, da fie unbedingt treiben lünnen, was fie
wollen, weshalb man fie auch felten weinen hört.
Die Polygamie kommt wenig vor, nur einige Häupt«
linge haben mehrere Frauen, während man jehr häufig Weis
ber findet, bie mit zwei Männern in vollfter Eintracht leben.
Dean hat die Marfefaner oft der Graufamteit beſchuldigt
und mand)e Borfälle ſchienen diefen Borwurf zu rechtfertigen.
Aber, betradjtet man die Umftände genauer, jo muß man
zugeben, daß fie im den meiften Fällen nur ein Wieder:
245
vergeltungsrecht übten. Wie viele Eingeborene z. B. wur—
den durch Walfifchjäger gewaltfam entführt, deren Mann:
ſchaft nicht vollzählig war, wie oft wurden die Verträge
muthrwillig gebrochen, die von den Seefahrern mit ihnen ges
ſchloſſen wurden!
In Taio-Hae, wo die Franzoſen ſeit 1842 ſeſten Fuß
gefaßt haben, haben ſich die Sitten der Eingeborenen bedeu⸗
tend geändert, fo daß fie die umgänglicyften und beften Men—
ſchen geworden find. An den Orten freilich, wo die Schiffe
nicht häufig verkehren, find fie mißtrauiſcher und wilder ger
blieben, fo daß nıan vor ihnen auf der Hut fein muß.
Auch die Menfchenopfer und der Cannibalismus find
auf Nuku-Hiwa verſchwunden, während fie auf den übri—
gen Infeln, wenn auch nur im vereinzelten Fällen, noch fort-
beftehen. Bier verzehrt man indeß bie wenig zahlreichen
Gefangenen und die erlegten Feinde auch mur mehr, um
eine gewijfe Bravour zu beweifen, als wie aus Lieb:
haberei. Dieſes erklären die Eingeborenen felbft und viele
derfelben verwahren ſich nachbridlid; gegen den Borwurf,
jemals an ſolchen Weiten Theil genommen zu haben. Der
böfe Ruf, in ben fie gerathen find, beruht zum großen Theil
auf den Verleumdungen, welche die Bewohner der einen Ins
fel gegen die der andern ſchleudern.
©. Fritſch über die Ovasherero.
Seitdem wir unferen Lefern bie legte Probe aus Gu—
ſtav Fritſch's claſſiſchem Werke über die Eingeborenen
Sübdafritas (Breslau 1872, Ferdinand Hirt), vorlegten,
hat fich daffelbe bei der Parlfer geographiichen Ausitellung
im verflofienen Sommer gerechte Anerkennung erworben und
ift in der vierten — der ethnographifchen — Abtheilung mit
einem erflen Preife geehrt worden. Die Preisvertheiler als
Ganzes haben Dancherlei prämiirt, wofür einzelne unter ihnen
die Verantwortlichleit ablehnen dürften — galt dod bie
Stimme der Türkei oder Portugals oder Norwegens genau
fo viel, wie die Deutfchlands, Englands oder Rußlands! —,
aber die ſe Belohnung ift eine wohlverbiente. Denn jened
Bud) hat in ein Völfergewirre, das vordem vielfach mifver-
ftanden wurde, Klarheit und Ordnung gebracht und zwar
noch in der legten Stunde, che ber immer ſtärker werdende
Strom europäifcher Einwanderer bie letzten Reſte jener dem
baldigen Untergange geweihten Boltsftämme hinwegführen
wird, Im Wort und Bild hat Fritſch die verfchiedenen
Zweige des KHaffern- und des Hottentotenvolfes nad) ihrer |.
phyſiſchen Befchaffenheit, ihrem Außern und ihrer Yebens-
weiſe dargeftellt, um dem Anthropologen der Jetztzeit oder
fpäterer Eooden, wenn jene Völker ſchon zu dem ausgeftor
benen gehören, ihr Conterfei zu bewahren, weldes weiter
verwendbar ift zur Förderung der Erlenntniß über Ent:
ftehung und Entwidelung des menſchlichen Geſchlechtes über:
pt.
Den nordweftlichften Zweig der großen fldafrifanifchen
Abantus (oder Kaffern:) Familie bildet ein Bolt, welches
in der Gapcolonie Bieh-Damara heißt, ſich felbft aber
Dvasherero, d. i. das fröhliche Volt, nennt. Durch Hins
zufligung des Wortes „Vich“ wird es von den Berg-Da-
mara unterſchieden, die ihm urjprnglich ftammfrend wa—
ren. Diefe letzteren nennen ſich felbft mit dem Hottentotens
wort Hau⸗koin (tedjte Menſchen) und ſprechen auch einen
dem Rama (Zweig der Hottentotenſprache) zugehörigen
Dialekt, waren aber nad, Fritſch's Anficht urfprünglich wer
der Hottentoten noch Herero,
Möglicherweife tünnen die Berg: Damara überhaupt
feinen ÄAnſpruch auf nationale Originalität erheben. Indem
die Strömungen der fübafrifanifchen Stämme im Often der
MWüfte Kalahari ſudwärts gingen, im Norden berfelben
weitlic, vom Süden her durd) die von den Europäern ver—
anlafte Stauung wieder nordwärts, fo bildeten die Grenz—
biftricte des Kalahari, als Centrum dieſes Völkerwirbels,
eine Art Aſyl für Flüchtlinge aller Arten von Stämmen,
die nicht, wie die Buſchmänner, in der Wüfte jelbft zu leben
vermochten. Auch mit legteren konnten Bermifchungen nicht
fehlen, und es entjtand fo jener eigenthlimliche ſchwankende
Habitus, wie ihn die Berg: Damara zeigen.
So ift Fritſch's Erflärung; andere Anfichten wie bie
Anderfon’s, welcher fie für die Ureimwohner des Yandes
hält, oder Dofaphat Hahn’, der fie für Neger erklärt,
fcheinen geringere Beachtung zu verdienen.
Unfer Holzſtich (S.246) ift mad) Fritſch gerade durd) den
Mangel eines beftinmten Charakters gekennzeichnet : es läßt
ſich darliber mehr Negatives als Pofitives jagen. Ebenſo—
wenig ald ed Dvasherero find, können fie als Hottentoten
oder Bufcdmänner angefehen werden. Stellt man dagegen
farbiges Gefindel aus Gegenden zufammen, wo die Nefte
ber genannten Racen der Bevölkerung beigemijcht find, alfo
aus der Gapcolonie oder den Boer⸗Freiſtaaten, jo erhält
man ganz ähnliche Bilder.
Die Berg-Damara find ein Volk von fehr ſchwankender,
meift unvortheilhafter Leibesgeftalt, Durchſchnitisgröße unter
dem Mittel, von dunkler, ebenfalls fehr variirender, durch
Schmutz entjtellter Hautfarbe. Ihre Gefichtözlige ähneln
bald diefem, bald jenem Stamme. Ihre einzige Beſchäfti—
gung fcheint der Vichdiebftahl zu fein, den fie von ihren
felfigen, unzugänglicen Schlupfwinkeln aus mit großem Er«
folge betreiben.
246
Die echten Damara im Often der Walfifch-Bay find
ben eben gejchilderten fehr unähnlich; von hohem Wuchſe,
dabei ſchlank umd ebenmäßig, aber an Kraft mittelmäßig
ftarfen Europäern nicht gewachjen. Die Haare werden lang
getragen und im ihrer Neigung, fich zu einzelnen verfilzten
Strähnen zu ordnen, durch Hineinfchmieren von Fett und
Ddererde (wie bei den Somali, Galla und Bedja Nord:
afrifas) beglinftigt, fo daß fie um den Kopf einem dichten,
frangenartigen Behang bilden.
ie Frauen find Heiner, unbedeutender, meift von vollen,
gerundeten, oft plumpen Formen. Die befler entwidelte
Nafe, die hohe Kopfform, die weniger mafjive Kieferpartie
und die nur mäßig aufgeworfenen Lippen nähern die Herero
dem faufafifchen Typus mehr an, als die meiften anderen
Südafrifaner. Doc, ift der ganze Geſichtsausdruck ftumpf
und indolent. Die dunfelen Augen find von angenehmen
Ausjehen, die Badenlnochen treten nur mäßig hervor, das
Kinn ift marfirt ohne auffallend zugefpigt zu fein, der Mund
iſt Igroß.
Nicht ſchlechter begabt, als die Ubrigen A-bantu, ſtehen
G. Fritſch über die Opa-herero.
fie doch allen an Thatkraft und Zuverläffigfeit nach, und
bas haben gerade bie Männer am meiften erfahren, welche
die größte Vorliebe fir dies Volt hegten, wie Anderfon, der
es von der Tyrannei der Namaqua befreite, aber, in einem
Kampfe mit denjelben verwundet, hülflos von feinen Schlig«
Lingen liegen gelaffen wurbe, bis ihm fein freund Green
rettete, oder wie die beiden Hahn, welche lange als Miſ—
fiomäre unter den Herero lebten, aber ſchließlich doch am ihnen
verzweifelten. Es ift nicht fo ſehr Vosheit, als ihre Neigung
zur Fröhlichkeit, die ſich ſchon im ihrem Namen ausfpridht,
und ihre Schlaffheit, welche fie treulos und unzuverläjfig
macht. Leicht beleidigt und aufgebracht, find fie auch Leicht
verföhnt. Die Kindesllebe fol nad) 3. Hahn fo entwidelt
bei ihnen fein, daß ſich Eltern beim Verlufte ihrer Kinder
felbft tödten, eine um fo auffallendere Erſcheinung, als der
Sclbfimord unter allen A-bantu zu den allergrößten Selten»
heiten gehört, Derfelbe Autor ſchreibt ihnen befonderes
mechaniſches und Sprachtalent, aber wenig Ortsfinn, eine
jolide und haushälteriſche Yebensweife, aber Hang zur Yüge
und Sinnlichkeit zu, Eitelfeit rechnet er zwar nicht zu ihren
Berg: Damara.
Fehlern, aber fie find, ihrem Putze nad) zu urtheilen, der:
felben doch eben fo unterthan, wie alle ihre Stammesgenoffen.
Die Männer tragen um die Yenden einen Fellſchurz von
unregelmäßiger Geftalt, weldyer durch einen fonderbaren
Sürtel gehalten wird. Derfelbe befteht aus feinen, Tünft:
lich, geflochtenen Riemchen von endlofer Yänge, die ſich immer
wieder durch) einander fchlingen, bis das Ganze einen dicken
Wulſt bildet. Nur bei ſchlechtem Wetter bedient ſich der
Herero eines Fellmantels zum Schutze des fonft nadten
Oberförpers. Um die bloßen Beine ſchlingt er unterhalb
der Knie Schnüre, die mit langen Gehängen von Öilasforal-
len :c. verziert find. Der Hauptpug der Wohlhabenderen
befteht jebod) in einer langen, vom Naden her über den
Rüden bis auf die Kniefehlen herabhängenden Schnur von
Elfenbeinfugeln, deren Größe vom der einer Heinen Nuß bis
zu der eincd mäßigen Billardballes allmälig wächſt. Auch
Schnüre mit feinen eifernen oder fupfernen Kugeln dienen
ben Männern als Hald- und Oberarmbänder.
An der Frauentracht ift das Merlwürdigſte die eigen
tbümliche, auf unferer Abbildung dargeftellte nationale
Herero, Fran und Mann.
wöhnlid; aufgerollten Yeder verfehen, das dann als dider
Wulſt über dem Geficht liegt, während es aufgelöft wie ein
Schleier herabhänge, Im Naden hängt ein Geflecht von
Lederſtreifen, die mit Blechſtüdchen, Glaslorallen u. ſ. w.
verziert find, bis zur Taille herab, während zwei oder drei
lange, fteife Ohren, offenbar eine Nachahmung irgend wel:
cher Thierart, ſenlrecht nad) oben ſich erheben. Die Reir
cheren tragen dazu ein Mieder, weldes ganz aus anein:
ander gefügten Neihen runder, in der Mitte durchbohrter
Stüdden von Straußeneierſchalen beſteht. Ein Fellſchurz
um die Yenden und ein lederner Karoß um die Schultern
vollenden das Goftüm der Herero⸗Frauen.
Die Bewaffnung der Herero weicht von derjenigen
der übrigen A-bantu fehr ab und deutet auf ihre geringe
Streitbarteit. Bogen und (ſchwach vergiftete) Pfeile, die die
friegerifchen Zulu verachten, fowie den plumpen, oft ganz aus
Eiſen beftehenden Speer handhaben fie mit geringer Ger
ſchiclichteit; beſſer ſchon die Wurfleule. Schilde fcheinen
fie nicht zu führen. Ihre Geräthe beicränten fid) auf
Melfeimer und Schüiffeln, einige rohe, irdene Töpfe, Kala-
Haube, eine ftarfe Yederfappe, vorn mit einem weichen, ge | baflen, hölzerne Yöffel und als Wafjerbehälter zurechtgemachte
Eine Erpedition gegen die Branntweinhändler im amerikanischen Nordweſten.
Straußeneier. Den Tabad rauchen jie aus der in Slid-
afrifa gewöhnlichen Wafferpfeife, die aus einem Antilopen+
horn mit eingefligter furzer Thonpfeife gefertigt ift. Ihre
Hütten find halbkugelfürmig und beftehen aus einer Anzahl
im Kreife eingepflangter nad) der Mitte herumtergebogener
und zufammengebundener Stöde, deren Zwiſchenräume mit
Geſtrüpp und daraufgefchmiertem Lehm oder Kuhmiſt aus-
gefüllt werden.
Viehzucht ift die wichtigfte Beichäftigung diefes Volfes,
gegen welche der Aderbau fehr zurücktritt. An ihrem Vich
hängen fie mit ſchwärmeriſcher Yiebe ; ihr Geſpräch und ihre
Gedanken find faft ftets bei ihren lieben Ochſen. Wie es
die Fürſorge für diefelben erheiſcht, fo wechſeln fie ihren
Standort. Das Familienhaupt, welches einen freien Weide—
plag zuerft befegt, wird dadurch Herr Über das Wafler,
und Spütertommmende bedürfen zur Niederlafiung feiner Er
laubniß.
In der Familie ift Polygamie Sitte, wenn auch viele
armen Männer ſich mit einer Frau begnügen. Daneben
findet jich aber auch Polyandrie, „ Omapanga“ genannt,
was eine Art der Werbrüderung deſſelben Geſchlechtes be—
zeichnet. Sind Männer in biefem Berhältniffe zu einander,
fo haben fie ihre Frauen gemeinfam; handelt es fich um
Weiber, jo bedeutet Omapanga, daß fie gewohnheitägemäß
und mit Wifien und Willen ihrer Eltern Unzucht mit eins
ander treiben,
Das Schwanfende und Imdolente im Charakter der Her
rero ift der Grund, daß fie nicht, wie die Kofa und Zulu,
ein gemeinfames Oberhaupt haben. Ihre Häuptlinge haben
meift nur eine Heine Schaar unter fich, deren Unterthänig-
feit noch dazu eine ſehr mißliche ift. Gewinnt ein anderer
Häuptling an Anfehen, jo ftrömen dieſem die Leute in
Menge zu. Darum auch das geringe Hinneigen der Macht:
haber zum Deſpotismus. Alle Strafen, die das Herfommen
vorſchreibt, trefien nur das Vermögen des Schuldigen: felbft
Hererei wird nicht mit dem Tode beftraft. Aber bei ihrer
geringen Machtfiille halten die Häuptlinge fehr auf Wirde
und äußere Etikette, wie fic dies z. B. in den Ceremonien
beim Empfange von renden zeigt, welche geduldig außer
halb der Umzäunung des Ortes zu warten haben, bis ihre
Anwefenheit gemeldet und vom Häuptling die Erlaubniß
zum Eintritt ertheilt ift. Er empfängt dann den Beſuch
feierlich in feiner Hütte und reicht ihm zur Bewillfonmmung
eine Scyüffel mit ſaurer Milch, von welcher der Gaſt trot
der Kruſte von Schmug anf derfelben tapfer zulangen muß.
Die einzelnen Familien, „Eyanda*, d. i. Herkunft, ge:
nannt, find durch ceremonielle Aeußerlichkeiten kaſtenartig
247
von einander geſchieden. Diejelben bezeichnen ſich als „die
Berwandten der Eonne*, des „Regens“, des „Baumes“ ꝛtc.
und haben befondere ihnen heilige Pflanzen als Embleme,
Die Eyanda erbt von der Mutter auf die Kinder. Jene
Aeußerlichteiten beftehen z. B. in dem Verbot, diefes oder
jenes Thier zu effen, in beftimmten Berhaltungsmaßregeln
bei Naturerſcheinungen, in der Berehrung gewiſſer, irgend»
wie ausgezeichneter Stüden Vieh u. f. w., und ſcheinen dazu
zu dienen, das Andenfen an die Zufammengehörigfeit aufs
recht zu erhalten.
Die Herero verehren die Ahnen, umter denen zuwei⸗
len einer befondere Achtung genicht, und glauben, daß bie»
felben, Mo⸗luru geheißen, ihnen ſchaden oder nügen lönnten.
Um fie ſich günftig zu ftimmen, bringt der Familienvater
reſp. der Häuptling ihnen Opfer, wobei amuletgeichmitdte
Stödcen von dem der betreffenden Eyanda heiligen Baume
die Ahnen repräſentiren. Doch ift dies nur ein finnlicher
Anhalt, um die Gedanken auf die unfichtbaren Mo-kuru zu
richten, fein Fetiſch- oder Götzendienſt.
Eine große Bedeutung bejigen, weil die Erzeugung des
Feuers durch Neiben trodener Hölzer liberaus mühſam it,
die Feuerſtellen und namentlic, die vor der Hütte des Häupt-
lings. Die Pflege der letzteren ift der Tochter deſſelben an-
vertraut; ihr Erlöfchen würde als ein großes Unglüd bes
trachtet werden. Wechjelt man den Wohnplas, jo hat die
Häuptlingstochter das Feuer nad) der neuen Stelle überzus
führen; und der Vater giebt dem Sohne, welcher ſich eine
eigene Familie gründet, ebenfalls von dem Feuer feiner
Hütte einen Brand für die nee Herdftelle mit.
Was fonft von ihrer Verehrung eines Baumes, den
fie „Urvater“ nennen, von ihrem Glauben an Geiſtererſchei⸗
nungen in Thiergeftalt, an Hererei und Amulete u. |. w.
berichtet wird, zeigt, daß hier wie bei den anderen Stämmen
die religiöfen Anſchauungen nirgends confequent durchdacht
find, fondern dag äußere abergläubifde Gebräude
den eigentlichen Kern ihrer fogenannten Re—
ligion bilden,
Es würde hier zu weit führen, die große Menge von
Einzelheiten über ihre Sitten und Gebräuche bei der Geburt,
dem Mannbarwerden, der Verheirathung und dem Tode,
welche Fritich gefammelt hat und im objectiofter Weife be-
leuchtet und erflärt, mitzutheilen. Wir fünnen nur unfere
Lofer, welche ſich Hierfür intereffiven, immer wieder von
Neuen bitten, das Originalwerl zur Hand zu nehmen, das
nicht minder anziehend und beiehrend ift, wie die rühmlichſt
befannten Schriften von Heuglin, Schweinfurth, Rohlfs oder
Mohr.
Eine Erpedition gegen die Branntweinhändler im amerifanifhen Nordweften.
r. a. Der Regierung von Canada ift fürzlich ein Be—
richt übergeben worden, welcher den einfachen Titel Expe-
dition of the north-west mounted police trägt,
Es handelt ſich um einen Fleinen Kriegszug, den der Oberfts
lientenant French zur Ausrottung der Whrsfyhändfer unter
nahm, die unter den Indianern im „großen einfamen
Lande“ fich niedergelaffen hatten, dort zum Untergange der
Rothhaute das Ihrige beitrugen, Schändlichteiten aller Art
vollführten und gefchütst durch die weite Entfernung von Ger
fe und Recht ein völlig unabhängiges Dafein führten. Die
canadifche Regierung, welcher Lord Dufferin — befannt
durch feine Nordpolarreife in der Yacht Foam *) — vorftcht,
hat durch die Entfendung'diefer Erpedition in preiswiirdiger
Weife den Anfang damit gemacht, Ruhe und Ordnung in
einem Landſtriche herzuftellen, dem alle Schreden des Indianers
frieges drohten. Die Sadje, um die es fic handelt, ift fol
ende,
i Im Jahre 1873 wurde eine beträchtliche Anzahl friebli-
Bericht über eine Neife nach
+, Briefe aus hoben Vreitegraten,
Braunschweig. Friedrich
Jeland, Ian Mayen und Epigbergen.
Viemeg und Sobn. 1880.
248
cher Aifiniboine- Indianer von amerifanifchen Schnapshändlern
ermordet. Sie hatten ihr verheerendes Gift, den Pandes-
gefetsen zuwider, ſchon längere Zeit, unerreicht vom Arme ber
Gerechtigkeit, am die Nothhäute verkauft, fich zu Herren des
Yandes aufgeworfen und am Bow» und Belly-Kiver be
feftigte Stationen angelegt , vom denen aus fie die Affiniboi-
nes und die Schwarzfuß-Indianer brandfchagten. Völlerei,
Unordnung, Mord, Tobtichlag waren die Folgen der Brannt-
weinvertheilung, hier wie fiberall in Nordamerif.. Da
beſchloß die camadifche Regierung, diefen Dingen ein Ende
zu machen und betraute den Oberftlieutenant French mit der
Ausrlftung einer Expedition, die aus völlig militäriſch dis-
ciplinirten berittenen Boliziften beftand. Sowohl in Toronto
als im Fort Barry (Manitoba) wurde die Truppe ein—
geübt und dann vom Winipegfee aus gegen Welten vor-
geſchoben. Die Truppe, dreifundert Dann ftarf, war mit
zwei leichten Kanonen verfehen und führte einen bedeutenden,
farawanenartigen Train mit, der ans Ochſenwagen, Schlacht ·
vich, fandwirthfchaftlichen Geräthen , Mähemofthinen ıc. be
ftand, da ein Theil der Mannfchaften dauernd angefiedelt
werden follte und daher mit Allem verfehen fein mußte, was
zur Grlmdung einer Nieberlaffung im fernen Welten gehörte,
Auf dem Marſche nahın der Train oft eine Yänge von 3 bis 4
englifchen Meilen ein.
Der erſte Theil des gegen Welten, auf die Felſengebirge
zu, gerichteten Marjches führte Über befanntes, von der enge
lich » amerifanifchen Grenzcommiffion aufgenommenes Ter⸗
rain mit reichlihem Graswuchs, in dem ed an Nahrung für
das Vieh nicht fehlte. Bei Fa Roche Percé am obern
Laufe des Souris« oder Mouſe-River (befannt durch
Palliſer's Neife 1857) wandten fie ſich nördlich im wenig
befanntes Gebiet, wo oft die Nahrung für die Zugthiere
fehlte, furchtbare Gewitter die Märſche unterbradjen und auf
weite Streden erft Wege für die Karawanen gebahnt werben
mußten. Zuweilen erjcienen Indianer und Mifchlinge im
Lager, um von der großen Macht der bewafineten Brannt«
weinhändler und der Stärke ihrer Forts zu berichten. Man
marfchirte den ganzen Juli und Auguſt und traf am 11.
September am Zuſammenfluß des Bow- und des Belly-
River ein. Beide Ströme entfpringen am Felſengebirge,
vereinigen ſich bei 112% weftl. %. v. Gr. und bilden den Süd-
Saskatſchewan. Drei verlaffene Blodhäufer deuteten darauf
hin, daß bier die Schnapshändler ihr Quartier aufgejchlagen
hatten; fie felbft waren verſchwunden und nur die leeren
Woistyfäffer deuteten ihre ſchündliche Thätigfeit an.
Die Jahreszeit war jest ſchon weit vorgerlidt; im ver
floffenen Jahre war hier bereit8 am 20. September Schnee
gefallen und eine Entfernung von faft 1000 englifchen Meis
len trennte die Expedition von den Niederlaffungen am Red—
River. Kleine Abtheilungen wurden ausgefandt, um den
obern Yauf der beiden Fluſſe zu erforfchen, um Büffel zu
jagen, die num in colofjalen Herden von vielen Taufenden
fildwärts wanderten, und um eine Verbindung mit Fort
Emil Schlagintweit: Die engliſchen Himalaya-Befigungen.
Benton im Montana am Miffouri zu eröffnen. Bom leg-
tern Orte bezog man Borräthe, die in dem neu errichteten
Fort am der Bereinigung des Bomw- und des Belly-River
aufgeftapelt wurden. Eine Abtheilung der Erpebition unter
Lieutenant Macleod blieb hier zur, um die Wiederaufnahme
des Branntweinhandels zu verhindern, während das Gros
am 22. September ſich zur Heimkehr anſchickte.
Bereitö lag auf den Bergen der Schnee und um ben
Weg abzufürgen war es nothwendig, eine weite Strede zu
durchwandern, wo wenig (Futter zu finden war und Prürie-
feuer ihren verheerenden Einfluß geltend gemacht hatten.
Gleich nad) dem Aufbruch hatte die Expedition den impofan«
ten Anblif einer füdwärts wandernden Biffelherde von
70,000 bis 80,000 Stüd; dann aber ſchien alles Leben zu
erftarren und das „große einjame Yand“ mit allen feinen
Binterfchreden trat vor den Heimziehenden auf. Die Kälte
wurde im November fo ftreng, daß es ſchwer wurde, vor-
wärts zu fommen und das Bieh am Yeben zu erhalten. Im
November noch wırde Manitoba wieder erreicht.
Was die zuridgebliebene Abtheilung unter Lieutenant
Macleod betrifft, jo erbaute dieſelbe ein Fort und eröffnete
friedliche Beziehungen zu den Schwarzfuß- Indianern, eine
Anzahl der entflohenen Schnapshändler ein und ftellte Ruhe,
Ordnung und Vertrauen in einem Diftrict her, wo bislang
Trunfenheit, Mord und Raub an der Tagesordnung waren,
Die Indianerhäuptlinge felbft zeigten ſich ungemein danfbar
für den Wechfel dev Dinge; fie konnten nicht genug Schauder⸗
geſchichten von den Branntweinhändlern erzählen, die ihnen
ihre Pferde und Weiber genommen und die jungen Yeute
zum Trunf verführt hatten. „rüber,“ jo brüdte ſich ein
Häuptling aus, „kroch der rothe Dann auf der Erde, jett
kann er wieder frei umd aufrecht gehen.“ Macleod ſchildert
dieſe Indianer als friedfertig, intelligent und ber Anfiedelung
von Weißen in ihrem Gebiete nicht abgeneigt.
Diefer Zug weit gegen Weften durch die Wildniß zu dem
ausgefprochenen Zweck, Ruhe und Ordnung in einem ver
lafienen Gebiete herzuſtellen, gefchiet und mit Erfolg durch⸗
geführt, ift ein Beweis dafiir, was mit gutem Willen erreicht
werden fann, ein vollftändiger Gegenfag zu dem in ben Ber:
einigten Staaten eingeführten Verfahren, wo die Indianer-
kriege erſt beendigt fein werben, wenn die Rothhäute gänzlich
verfchwunden find. Auf den bisher erreichten Reſultaten
fußend beginnt die canadiſche Regierung mit der Befiedelung
des Weſtens und der Anlage zahlreicher neuer Forts. Im
Fort Pelly (am Affiniboine) ift ein Gouverneur für den
Weiten ernannt worden; die Expeditionen eines Pallifer,
Milton, Cheadle und Burton beginnen Früchte zu tragen,
und wie jegt Manitoba am Red: River organifirt ift, fo wer⸗
ben aud) die fruchtbaren, noch wüft liegenden Laudſchaften
am Saslatſchewan einer gedeihlichen Zukunft entgegengehen,
zumal wenn fie erft von der nördlichen Bahn durchfchnitten
werben, die dereinft vom Fort Garry nad) Britiſch Columbia
führen foll,
Die englifhen Himalaya-Befigungen.
Von Emil Schlagintweit.
2, Dardſchiling oder Britiſch-Siklim.
Der 16. Diftrict der Präfidentfhaft Bengalen ift aus
Sebietötheilen des nördlich) anftoßenden Gebirgsftaates Sif-
fim gebildet. 1817 übernahm die Oftindifche Compagnie
das Protectorat über Sitfim, um zu verhindern, daß es von
Nepal ſich angeeignet wilde; am 1. iyebruar 1835 überlich
der Radſcha den Engländern in den Umgebungen des Haupt»
Emil Schlagintweit: Die englichen Himalaya = Befigungen.
orted Dardſchiling ein mit ber Spige gegen Bengalen gerich-
tetes dreiediges Std Landes von rund 1200 Quadratlilo⸗
meter zur Anlage einer Gefundheitsftation, und dieje bewil-
ligten dem Fürſten daflir eine Jahresrente anfangs von
6000, dann von 12,000 Marl. Dadurch, daß die oft»
indische Regierung die Sklaverei abſchaffte und den Sklaven-
handel verbot, welcher in allen Nachbarländern noch heute
fleißige Bürger plöglich der Gefangenfchaft ausſetzt, zogen
ſich maſſenhaft Anfiedler in das nenerworbene Gebiet; bei
der Uebernahme des Yandes zählte ed faum 100, 1849 bereits
über 40,000 Einwohner, während jegt mehr ald das Dop-
pelte auf derfelben Fläche wohnen. Der Aufſchwung, den
die neue Colonie nahm, erregte die Eiferfucht des frühen
Fuürſten umd feiner Räthez die Auswanderung wurde bes
ſchränkt und Goloniften auf englifchem Gebiete gewaltſam
entführt. Bertragsmäßig follte Siffim die Geraubten nicht
bloß herausgeben, fondern auch die Thäter betrafen; die
Dinweifung auf diefe Beſtimmung beantwortete der Radſcha
mit dem Borfchlag, die gemachten Sklaven gegen indiſche
Unterthanen auszutaufchen, und er glaubte 1849 diefe For⸗
derung endlich dadurch erreichen zu können, daß er ben ber
fannten englifchen Naturforſcher Hoofer mit feiner Beglei-
tung troß der vorhergegangenen Zuſichtrung freien Geleites
feftnahm und nur gegen Bewilligung feiner alten und einiger
neuen Forderungen freigeben wollte, Die Herausgabe wurbe
durch eine militäriiche Expedition erzwungen, die Jahresrente
eingezogen und das engliiche Gebiet im Welten erweitert, fo
daß es von num an nicht mehr nur mit einer Spige, fon-
dern breit mit bem Tieflande zufammenhängt. Eine größere
Machtentfaltung wurde zehn Jahre fpäter nöthig, um die Ber
wohner Siffims endlich, von Einfällen und vom Wegführen
englifcher Unterthanen abzubringen. An der Epige von
2600 Mann drang Oberft Gawler bis zur Hauptftadt
Tumlong vor, legte die Wälle nieder, und der Radſcha ſah
ſich am 28. März 1861 zu einem aus 23 Artileln beftes
henden Handels- und Allianzvertrag genöthigt, welcher aud)
eine neue Örenzregulivung vornahm; jeither wurde die Ruhe
nicht mehr geftört.
Entfprechend ber Bodengeftaltung und den Unterſchieden
in Klima, Producten umd Bevölterung ift der Diftrict in
zwei Polizeibezirte (Thana) eingetheilt: die Tarai oder die
jumpfige Niederung am Fuße des Gebirges und das Ge—
birgsland (Hill territory). Folgende Ziffern ergab der
Genfus von 1872: Areal: 3194 Quadratkilometer (55,8
Quadratmeilen), und zwar Hill Territory 2485 Quadratlilo⸗
meter, Tarai 709. Zahl der Häufer: 7753 bezw. 11,111;
Einwohnerzahl: 46,727 bezw. 47,985, zufammen 94,712;
der Religion nad) treffen auf 100 Einwohner im Hill Terri-
tory 63,3 Hindus, 2,2 Mohammedaner, 2,9 Buddhiften,
1,2- Chriften, 31,4 Bhuten, d. i. Geifterverehrer (Aborigis
ner), während in der Tarai 84,8 Hindus, 10,9 Mohammes
daner und 4,3 Aboriginer gezählt wurden.
Das Gebirgeland wird von einer Maffe von Gebirgs—
zlgen ausgefitllt, die fich von den hohen Schneebergen in ber
füdlichen Hauptfette des Himalaya, insbefondere dem mäd)-
tigen Gebirgeftod ded 8579 Meter hohen Kantſchin—
tſchinga, herabziehen; diefe Gebirgäglige erreichen auf bri»
tifchem Gebiete mod; Höhen von 3000 bis 3750 Meter und
find bis zur Höhe von 3500 Meter noch mit Wald befleidet.
Nadte Abhänge find felten, obgleich fie meift fteil find; flache
Thäler und größere Ebenen fehlen. Ausläufer gehen ab»
wechjelnd von jeder Kette ab; die Nebenzweige von der Oft
feite eines Höhenzuges freuzen ſich an ihren Enden mit denen
von ber Weftfeite eines andern, und fo entſtehen querlaus
jende Thäler, die hinfichtlich ihrer Lage, Temperatur und
Feuchtigkeit viele Verſchiedenheiten darbieten. Hanptfluß ift
Globus XXVIII. Nr. 16,
249
bie Tifta; ihre nördlichen Ouellflüffe find die Gletſcherbäche
vom 5667 Dieter hohen Gebirgsftod Bhomtjo; in Sitkim
vereinigen ſich mit ihr im größeren oder Meineren Winfeln
zahlreiche zwifchen den Ausläufern des Gebirges entfprin-
gende wafjerreiche Bergftröme, die ſich ihr Bett tief einge
ſchnitten haben.
Das Klima wird vor Allem durch den warmen bunft-
gefhwängerten ſüdlichen Luftſtrom beftimmt, dev andauernd
von Dia bis October weht umd in dem übrigen Monaten als
Strömung der feuchten Atmofphäre vorherrſcht. Diefer
„Seewind“ legt die Hauptmafje feiner Feuchtigleit auf
dem Rüden ber Sintfchallette nieder, welche im Süden
der Station Dardſchiling bis zur Höhe von 2620 Meter
auffteigt; er hat von hier an nördlich 120 bis 160 Kilo-
meter Alpen zu beftreichen,, ehe er die ganze Waldfläche bes
feuchtet hat, die ſich bis Tibet hinzieht, und der Wind wird
beöwegen um jo teodener, je näher er dem Hauptlamme des
Himalaya fommt. Bon großer Bedeutung fir das Klima
ift fobann die Dauer und Kraft der Bodenausftrahlung.
Legen der ftändigen Bewölkung des Himmels und der flar-
ten vom Boden auffteigenden Nebel, wodurd) bei der ſchlangen⸗
fürmigen Geftalt der Flußbetten niedere Luftftrömungen den
ganzen Tag von den Haupt» und Seitenthälern heraufiteigen,
it die Sonne in der Regenzeit felten fidhtbar; im Sommer
find fternendelle Nächte faft unbefannt und nur im December
und Januar die Kegel. Unter diefen Einflüffen ift die mitt:
lere Yahrestemperatur niedriger als in gleichen Höhen der
weltlichen Himalayas Provinzen; fie beträgt in der Station
Dardidiling (2184 Meter über dem Meere) 12,40 E,
(= Veran, nad) Anderen 13,19 E.) und die durchſchnittliche
Regenmenge 328 Gentimeter im Jahre; Schnee bleibt im
Winter nirgends liegen,
Der Diftriet ift nach den gründlichen geologifchen Auf
nahmen der legten Jahre gerabezu arm an werthvollen Mi-
neralien. Die vorfommende Steintohle ift ſehr ſchlecht,
der Graphit arm an SKohlentheilen; einige Eiſenſchmelzen
find bei Silhbar; Kupfergänge wurden an mehr als einem
Dugend von Dertlicjkeiten aufgefunden, aber die Lager find
wenig mächtig und bringen der Regierung jährlich nur 700
Mark an Pacht; lohmender vwerfprechen die Kalfgruben zu
werden; an Baumaterial liefert dagegen der Diftrict nur
Sanpfteine von zweifelhafter Dauerhaftigfeit. Dafür wurde
der Diftrict gelungene Berfuchsftation für die Anpflanzung
von Thee, der Teal- und Chincdonabäume, der Ipecacuang,
Brechwurzel, und anderer wichtiger Gewächfe, die bisher im
Himalaya noch feinen Standort hatten.
Die Humusſchicht, aus Sand und Schiefer gemifcht, ift
meift loder und förnig und wechfelt zwiſchen 15 bis 45
Gentimeter Tiefe; fie ift überaus ertragreich und leicht zu
bearbeiten. Die Eingeborenen bauten nur Gerealien; Reis
reift noch bei 1200 Meter, Kartoffeln (von den Engländern
eingeführt) bei 2000 Meter, für Weizen feinen 1675 Meter
die oberfte Grenze zu bilden. Die Eingeborenen führten ein
Nomadenleben, nahmen zwei oder vier Ernten von einer
durch Abbrennen gerodeten Stelle, dann wandten fie ſich ans
deren Stellen zu und überliehen das feld wieder ber natlir—
lichen Beſtockung mit Geftrippe, Die erften Anfiedler be»
fchränften fich darauf, die Umgebungen von Dardſchiling mit
Billen nad) englifchem Muſter zu bededen; feit aber 1841
der erjte Theeftrauch gepflanzt und 1846 das erjte Pfund
Thee in den Handel gebracht ift, änderte fic das Ausſehen
des Yandes. Jetzt wird jedem den Anbau lohnenden Fled—
chen Fand nachgefpürt und feine Rodung vollzogen. Das
Eigenthum an * und Boden ſteht nach indiſchem Rechte
der Krone zu; anfangs wurde den Coloniſten Land gegen
Erbzins überlaſſen, deſſen Höhe mit jedem Bewerber verein⸗
32
250
bart wurde; unterm 7. Mat 1859 wurde öffentliche Ber-
fteigerung gegen Erbzins vorgefchrieben, und nur vorüber
gehend wurde zum alten Syſtem übergegangen. Anfangs
fehlte es beim Güterverfauf am Borficht hinſichtlich der Feit-
ftellung der Grenzen; wiederholt wurde als ödes Land ver-
kauft, was nur zeitweife brach lag und bereits feinen Herrn
gefunden hatte; 1860 war dies die Folge vieler Proceſſe
und einer berechtigten, jetzt befeitigten Unzufriedenheit unter
den Eingeborenen. Der Aufwurfpreis für 1 Hectare ift zu
25 Mark feſtgeſetzt, wird aber für beffere Lagen in ben Aucs
tionen bedeutend Überfchritten ; die Nodung foftet 400 Marl
und die ganze Ausgabe einer Thecanlage, bis fie eine Ernte
abwirft, wird per Hectare zu 1500 Marf veranicdjlagt. Hör
ben von 600 bis 1800 Meter fagen der Theeftaube am
meiften zu; fie gedeiht aber noch bei 2100 Meter, Cine
Hectare trägt im Mittel 6250 Theeftauden — die Zwifchen-
räume wechſeln von 1,2 bis 1,5 Dieter —, im vierten Jahre
ift die Staude ertragsfähig. Der Ertrag Hat fich unter
bejleren Bewirthichaftungsarten von 137 (1869) auf 242
(1872) Kilo vom Hectar gefteigert. Die Theecultur erfor-
dert viele Arbeiter, die Ernte wird auch nicht auf einmal,
ſondern in durchſchnittlich 20maligem Abpflüden der Blätter
erhalten. 1872 waren bei den Gulturen beichäftigt 43 Eu:
ropäer, 9493 Eingeborene (größtentheils Murmi und Nepa-
leſen), darunter 202 als Auffeher. Der Arbeitslohn ift bes
deutenb höher als für gewöhnliche Tagearbeit und wechſelt
nad) dem fhertigfeiten des Arbeiters zwiſchen 10 bis 16
Mark im Monat. Ueberaus hoch find die Gehalte der euro-
päifchen Gefchäftsführer; hatten ältere Ausweife Gehalte von
400 bis 800 Mark im Monat angegeben, jo rechtfertigt der
Gouverneur von Bengalen den Antrag, bie Beamtenbefol-
dungen aufzubefjern mit dem Hinweis, „daß der Leiter einer
Actientheepflanzung im gefunden und angenehmen Klima
von Dardiciling beſſer bezahlt ift als die Diftrictsbeamten,
die Über Millionen von Menfchen gebieten“ und 2332 Mart
im Monat beziehen. 1860 waren 3765 Hectaren zu Thee⸗
pflanzungen erworben und rund 2100 angebaut; 1872 was
ten 22,000 Hectaren hierzu verfauft und 7978 angelegt;
das Erträgniß an Thee war damals 23,500, 1872 1,2 Mil
lionen Kilo Thee; in ber legten Saifon (1874) aber ſchon
1,8 Millionen Kilo, Die beftehenden Uctiengefellfchaften
— meift aus Beamten und Penfioniften zufammengefegt —
erzielen Dividenden bis zu 8 Procent, ihre Actien werben
an der Calcutta-Börfe mit ſchönen Prämien gehandelt. Die
Trodenvorrichtungen und die Bearbeitung der Ernte find
noch) nicht vollfommen ; die Pflanzer find aber eifrig in Ber-
beiferungen und Annäherung ihrer Waare an das befte cine
fiiche Fabrikat.
Die Kaffeeculturen mußten aufgelaffen werden; hier
fir ift das füdliche JIundien der richtige Standort. Im Ber-
fuchsftadium befindet fi noch die Ipecacuana- Pflanzung
bei Dardſchiling, dagegen haben die Verſuche mit Chin»
honabäumen die Probe beftanden, Ende 1874 waren
3, Milionen diefer Bäume, meift von der das rothe
Chinin gebenden Suceirubrafpecies *), gepflanzt und geben
ſchon jo viel Ertrag wie Abfälle, daß es möglich wurbe, den
Eingeborenen diefes wichtige Arzneimittel zu Spottpreifen
abzulajlen. Die Waldungen, die 81,000 Hectaren bebeden,
find mit Erfolg um Teafbäume und europäifche Nabelholz«
arten bereichert worden.
Die Bevölferung ſcheidet fi) nad) dem Cenſus von 1872
in 419 Europäer, 1 Amerifaner, 136 eingeborene Chriften,
25,781 Nepalefen ; den höheren Hindutaften gehören 10,028
*) Siebe eine Abbildung biefer Pflanze in Ob. XXV biefer Zeite j
fhrift, ©. 242.
Emil Schlagintweit: Die englifchen Himalaya» Befigungen.
an (1002 Brahmanen, 8972 Radichputen), landwirthichafts
liche Arbeiter und Diener giebt es 11,570, Handwerfer und
Hanbelsleute 5129, Mohammebaner 6248, halbhinduifirte
Aboriginer 24,829, Aboriginer 14,088. Unter ben Aboriginers
ſtämmen find ethnographiſch am intereflanteften die Lept—
ſchas (3952); fie find Sikkim eigenthlimlich und werden von
allen Forſchern wie nach ihrer eigenen Tradition als die erften
Bewohner und einftigen Herren des Landes betrachtet. Ihr
Aeußeres *), ihre Sprache und Sitten weifen auf tibetifchen
Ursprung hin. Sie find Mein, aber gedrungen von Wuchs: 1,42
Meter ift der Durchſchnitt der Größe. Das Geſicht ift flach,
die Stirn niedrig, Nafenfattel wie bei Tibetern flach und
tief, jo daß er im Profil über die Wölbung des Auges ſehr
wenig hervortrit. Große Sorgfalt verwenden fie auf ihr
Üppiges Haar, Männer und rauen flechten es; von Chas
rafter find fie fehr gutmüthig und wahrheitsliebend, ala Ges
tränf lieben fie einen aus Hirſe bereiteten beraufchenden Trant.
Ueberaus gewandt find fie in Führung des Kugdi (Kug-gri),
dem Worte und der Sadje nadj ein gefeiimmtes Deffer n der
Form eines kurzen Säbels, mit weldem fie bie bieten
Bambusrohre abhauen und aus ihnen in unglaublic, kurzer
Zeit eine wohnbare Hütte Herftellen.
Die einzigen Dörfer im — Sinne des Wortes
find außer dem Hauptorte Dardſchiling die Huttenreihen filr
bie Arbeiter in dem verſchiedenen Theepflanzungen, einige
Handeldorte im füdlichen Theile des Diftrictes, wie Khar—
fiang (Kurſeong, 1477 Meter über dem Meere), wo zur
Zeit noch der Telegraph endet, und einige berühmte Tempels
orte im Norden, darunter insbefondere Pemiongtſchi
(1996 Meter hoch), einft der Sig der Sikfimregierung, jegt
das größte bubbhiftifche Hlofter im Bezirle. Im Uebrigen
wohnt die Bevölkerung neben ihren Adergründen in weit
aus einander liegenden Holz» und Bambushütten, die wie die
wenigen Dörfer der fchädlichen Dünfte wegen über, nicht
in den Thälern , auf den Anhöhen ftehen. Dardſchiling
(der Name ift tibetaniſch und bedeutet „weit verbreitetes
Meditationseiland“) Liegt auf dem Norbrüden des Sintfchal«
feitenfammes der Hauptfette; fein Weichbild umfaßt fünf
Quadrattilometer und der Ort erinnert im feiner Anlage an
meiften an Obermais oberhalb Meran: die Häufer liegen
zerfireut zwifchen Gärten und find entftanden, wo gerade
Ausficht, eine Quelle oder hübfche Feljen- und Baumgruppen
die Anlage begüinftigten. Zuſammenhängendere Häuferreihen
finden ſich nur im Mittelpunkte im dem Umgebungen ber
Kirche und des Amtsgebäudes des oberften Givilbeamten.
Der Höhenunterfchied zwiſchen dem niederften und höchſten
Haus (dem Obfervatorium in 2183 Meter Höhe) beträgt
rund 100 Meter. Der Ort (Station genannt) liegt, dei
Krümmungen ded Weges nad) gemeilen, 78 Kilometer vom
Fuße des Himalaya entfernt und ift Sig der oberften Civil:
verwaltung des Bezirks und ihrer Organe, Garnifon für
eine Bergbatterie, ein Detachement europäifcher Infanterie
und Neconvalefcentendepot für erkrankte Krieger, deren durch:
fchmittlich 150 untergebracht find, endlich Sig einer fehr
na evangelifchen Miſſion. Als Gefundheitsftation wird
der Ort noch eine größere Bedeutung erlangen als bisher,
denn nad) neueren ftatiftischen Erhebungen weist Dardiciling
unter ben zahlreichen Gefunbheitsftationen DOftindiens die
geringfte Sterblichkeit auf — nur 2,4 Procent im Ganzen
und 12 Procent der Spitallranken —; catarrhalifche Ent:
zUndungen fowie Cholera, welche 1875 im mittleren Hima—
‚ laya in Simla fo viele Opfer forderten, find hier noch nie
‚ aufgetreten. Zur Unterbringung der Reconvalefcenten find
*) Vergl. bie Abbildung eines Leptſcha aus Siffim in Band XXV,
©, 244,
Georg Thiele: Skizzen aus Chile.
in 2150 Meter Höhe fiinf große Gebäude aufgeführt, beren
jedes 250 Dann faßt, dann ein Familienhaus fir Soldaten«
frauen und Kinder ſowie ein wohleingerichtetes Srantenhaus,
Die ortsanwejende Bevölterung beträgt durchſchnittlich 3157
Verfonen; ihre Zahl fteigt aber im Sommer um viele Hun-
derte und im diefer Zeit entiwidelt fih ein Badeleben in
enropäifchem Sinne, belebt durch Feſtlichleiten und Eins
ladungen zu Ehren der ammefenden hohen Würbenträger.
Die dort erfcheinende Zeitung, „Darjiling News“, erhebt ſich
dann über die Bedeutung eines Pocalblattes, Gafthöfe und
Penfionen find zahlreich ; ſchon feit 1863 fehlt es auch nicht
an einem Fremdenführer, verfaßt von Hauptmann Hathorn;
über fo Hohe Preife, wie wir fie in Simla kennen lernen,
wird noch nicht geflagt. Die Befucher find meift europäifche
Beamte und Kaufleute aus Bengalen, insbejordere Calcutta
und den Gangesftädten.
Gegenwärtig beanfprucht die Neife nad Dardſchiling
von Galcutta 3 bis 4 Tage, Man fährt auf der Galcutta>
Eiſenbahn bis zur Station Sahibgandfc am Ganges und
jegt nad) Karagola über diefen mächtigen Fluß auf großen
Fähren. Hier beginnt die „Sanges- und Dardiciling-Weg*
genannte Kunſtſtraße; mit Ausnahme des Mahanadbi find
fämmtliche Flußübergänge überbrüdt; der alte Reitweg ift
in der Ebene fir Wagen, im Gebirge für Karren fahrbar
bergeftellt, wird hier aber bei dem ſtarken atmofphärifchen
Niederfchlage ungeachtet zahlreicher Bruftwehren durch Erd⸗
rutſche oft bejchädigt und zeitweife ungangbar gemadjt. Ver:
ihieden von den Alpen zieht der Weg nicht in den Thälern
empor, fondern kreuzt die Ausläufer des Gebirgsfammes,
fo daß die Reife ftets bergauf bergab geht; es geichieht dies
weniger der vielen Flußwindungen wegen als ber ungejunben
Ausdünftungen von den Thalſohlen. Eine andere viel für:
zere Richtung wird dem Verkehr gegeben, wenn die Bengal-
Nord⸗ Bahn vollendet ift, welche von Calcutta gerade nördlich
zieht umd über Bogra, Rangpur, Dſchalpaiguri bis Titalja
am Fuße des Himalaya fortgefegt wird; dann wird Dard-
251
ſchiling von Calcutta im zwei Tagen erreicht werden fünnen.
Während der Hungersnoth in Behar find die Erdarbeiten
auf diefer Bahn nahezu vollendet worden.
Der Perfonens wie Wagenverkehr zwifchen Britiſch-Sil⸗
fim und den großen Handelöplägen am Ganges ift noch fehr
unbedeutend ; nad Auffcreibungen an einer Zählftelle nahe
dem Ganges verkehrten auf der Kunſiſtraße nach bem Ge—
birge nur 20,519 Perfonen und 1,5 Millionen Kilo Waa—
ren. Cine jprungweife Zunahme wäre zu erwarten, wenn
es gelänge, engliſchen Kaufleuten nad) Tibet Zugang zu vers
ſchaffen. Der directe Weg von der Bay von Bengafen nad)
Lhafſa, der Hauptftadt Tibets, und von dort weiter nad)
dem fldweftlichen China geht über Dardſchiling; die Ueber
ſchreitung des Gebirges macht ſchon jest, wo jenfeits der
englifchen Grenze nichts für Befeitigung von Verlkehrs—
ftörungen gethan wird, verhältnigmäßig wenig Scywierig-
feiten und ift durchgehends für Yaftthiere benugbar, was
anderwärt® nicht immer der Fall ift. Allein die chineſiſchen
Behörden geftatten Europäern unter feiner Bedingung den
Eintritt, und Nepal, iiber deflen Gebiet der Weg ftellenmeife
zieht, nährt nicht nur, um den beftehenden Zuftand aufrecht
zu erhalten, diefe Eiferfucht, fondern belegt die Händler mit
hohem Durchgangszoll. Die oftindifche Regierung hat oft
in der legten Zeit neue Anftrengungen gemadjt, um biefe
Hinderniffe zu befeitigen; fie ftieß aber auf den alten
Widerſpruch und zu einem Umfchlag ift flir die mächfte Zeit
feine Ausfiht. Dardſchiling bleibt fomit vorerft noch auf
Ausnugung feiner Mimatologifchen Berhältniffe für eine rich.
üige Auswahl mugbringender Handelsgewächſe angewiefen.
ar es unter der Verwaltung feines ehemaligen orienta-
lichen Befigers als eine armfelige, von Wilden bewohnte
romantische Gebirgsgegend befannt, fo hat es fid) unter einer
umfichtigen europäifchen Regierung unter Aufwendung nam ⸗
haften Grivoteapitalee den Ruf eines fruchtbaren, fleißig
bebauten Guktwrftriches erworben, reich an alpinen Natur«
ſchönheiten und fegensvoll als klimatiſcher Curort.
Stizzen aus Chile
x Bon Dr, med, Georg Thiele.
’ v1.
Santiago, — Bon Ehimbarongo bis Talca.
Santiago liegt anf einer großen Hochebene, die gegen
Norden geſchloſſen iſt, gegen Süden durd) einen engen Durd)-
gang mit dem Thale von Raucagua zufammenhängt und
bier auch eine Communication mit dem Thale von Melipilla
hat, Es ift beiderfeits von hohen Bergen eingefchloffen, von
denen die öftlichen einen großen Theil des Jahres mit Schnee
bebedt find.
Die Stadt felbft hat etwa 125,000 Einwohner und
entbehrt durchaus nicht hübſcher Partien und fchöner Gebäube,
auch hat fie, vielleicht die einzige Stadt Südamerifas, die
ſich diefen Lurus erlaubt, Vergnügungsorte, Parts :c. in
ihrer Umgebung. Im Großen und Ganzen macht fie jedoch
auf den, der von Südamerika nur die Hafenpläge geſehen
hat, einen frembdartigen, eben ganz fübamerifanifchen Eindrud,
und auch den in Balparaifo lebenden Europäern, die mits
unter jahrelang nicht Über Quillota hinaustommen, kommt
Santiago, wenn fie es zum erften Male fehen, höchſt — jpa-
nifch vor.
Die Stadt zerfällt in drei Theile: einen nördlichen, am
rechten Ufer des Mapocho, einen mittlern, zwijchen Ma-
pocho und Alameda, und einen füblichen, auf der Sudſeite
der Alameda. Alameda und Mapocho laufen einander pas
rallel von Oft nad) Welt. Der füdliche Stadttheil ift der
ausgedehntefte und bewölfertfte, bietet aber gar nichts der
Erwähnung Wertes dar; der nördliche ift nur Vorſtadt;
ber mittlere Theil ift der wichtigfte und alfo nicht bloß in
topographijcher Hinficht das Centrum der Stadt, Der Ma—
pocho hat ein fehr breites Flußbett, das aber im Sommer
gänzlich waſſerlos ift, da ihm fein weniges Waſſer faft alles
oberhalb zur Bewäflerung der Felder entzogen wird, Im
Winter und Frühjahr dagegen ift er häufig fehr waſſerreich
und reifend, fo daß er die Stadt zu wiederholten Malen
32”
J
252
verheert hat. Er ift daher, fo weit er die Stadt durchzieht,
auf der Südfeite mit Mauern eingehegt. Es führen über
denjelben drei Brliden, davon die mittlere von Stein denen
ähnlich ift, wie fie ſich in vielen altdeutfchen Städten finden,
mit Nifchen, welche Heiligenbilder enthalten. Bon der Mitte
derfelben hat man eine herrliche Ausficht auf die Corbillera.
Oeſtlich und weſtlich von diefer führen noch zwei hölzerne
Britden über den Fluß, von denen aber nur die eine ftabil
ift, d. h. aud) bei Hochwaſſer ftehen bleibt.
Die Alameda — ein unvermeiblicher Beftandtheil im
jeder ſpaniſchen Stadt — zeichnet fih in Santiago durch
ungewöhnliche Breite und Länge aus; die legtere reicht nahe
am ®/, einer deutſchen Meile. Sie befteht aus vier Reihen
Pappeln, die ganz fo arrangirt find wie „die Linden“ in
Berlin, In der Mitte befindet ſich ein breiter Weg flir die
Fußgänger, beiderſeits zwei fchmale Fahrwege, in denen hier
die Seleife der Pferdeeifenbahn laufen, dann zwei breite Fahr⸗
wege und ſchließlich die Trottoirs. Im obern öftlichen Theile
der Alameda finden fid dann noch einige Nondels mit Blu:
men :c, eingeftreut, ſowie Standbilder hauptſächlich der Hel-
den aus dem Umabhängigfeitöfriege. Die weftliche Hälfte der
Alameda ift jehr vernadjläffigt und die Gebäude, die fie hier
umgeben, zum Theil erbärmlich. Der öftliche Theil ift jedod)
gut gepflegt und man findet hier ſchöne Häufer, aber feine
Berfaufsläden, fondern mit wenigen Ausnahmen nur Privat»
gebäude. Zu den Ausnahmen gehört das Univerfitäts»
gebäude, das ſehr gefchmadvoll im neuern Stil aufgeführt
ift, ſowie didjt dabei das Hospital San Yuan be Dios,
von außen eben fo jämmerlich wie von innen. Handel und
Wandel beſchränken fich auf zwei Straßen, die Calle Ahu—
mada und Calle del Eftado, bie von der Alameda in
der Gegend der legtgemannten beiden Gebäude nad, dem Ma-
pocho führen. Beide führen dann über die Plaza, etwa
in der Mitte zwoifchen Alameda und Mapocho. Die Plaza
ift ein vierediger Plag mit einem Brummen in der Dlitte,
der von recht hübſchen Blumenanlagen umgeben ift. Die
Oſtſeite fchließt das Portal Mac Clure, ein liberdedter
Bogen; die Gebäude, die den Hintergrund beffelben bilden,
find ziemlich einfach. Die Südfeite bildet das Portal Fer—
nandez Conda, deſſen Hintergrund ein höchſt impofantes
und geichmadvolles Gebäude, das Grand Hotel de Santiago,
ausmacht. Im der Mitte des Portals ift eim Eingang in
die Paſaje Bülnes; dies find zwei ſich freugende überdeckte
Bazare (wie die „Paſſage“* im Berlin), weldje ſich zwifchen
dem ganzen Biertel, das die vier vechtwintelig ſich ſchneiden⸗
den Straßen Calle dei Ejtado, Ahumadu, de Hucrfanos und
de la Compana bilden, hinziehen und von jeder biefer Stra-
fen einen Eingang haben. Bei gutem Wetter ift die Plaza,
bei ſchlechtem die Pafaje der Hauptipaziergang der Santias
giner. Die Nordfeite der Plaza bilden die Intendencia (die
Kegierungsgebäube) und ein Privatgebäube, beide ziemlid)
einfach; die Slidfeite die Kathedrale und der erzbiſchöfliche
Palaft. Die Kathedrale ift außerordentlich einfach und er»
mangelt ſelbſt der Thlirme, die bei einem Erdbeben eingeftürzt
find, der erzbifchöfliche Palaft dagegen ift ein fchönes und
impofantes Gebäude.
Etwas nördlich von ber Plaza de Armas liegt die Plaza
de abaftos, ein Meiner Plag mit dem Mercado publico,
der überdeckten Markthalle, einem großen, biübjchen und be»
quem angelegten Gebäude. Oeſtlich von der Plaza de Armas
biegt ein Meiner Plag, die Plazuela de Compania, in
deren Mitte die Kirche ftand, die im jener berlihinten Feueré⸗
brunft von 1859 mit dem größten Theile der darin befind-
lichen Menſchen, meift Weibern, verbrannte. Heute fteht ein
Denfmal an der Stelle der Kirche. Sonftige intereifante
Gebäude befigt Santiago außer einigen recht gefchmadvollen
—
Georg Thiele: Stizzen aus Chile.
Privathäufern wenig; das einzige noch erwähnenswerthe ift
der alte Regierungspalaft, der heute ale Münze dient. Dies
ift ein ganz altes Gebäude, noch im Jeſuitenſtil, aber groß
und maffiv und macht in einem Yande, wo monumentale
Bauwerke jo felten find, einen guten Eindruck. Charat:
teriftifch fiir die frithere Zeit der ewig ſich wieberholenden
Nevolutionen ift, dag man dem Palaft gegenüber eine große
Gaferne gebaut hat.
Der ee de Santa Lucia ift eim ſehr fteil aufitei-
gender ifolirter Fels, noch im Wefttheil der Stadt gelegen,
gar nicht weit von der Plaza de Armas, Zur Spanierzeit
ftand ein Gaftell darauf, das aber nach dem Unabhängigfeits-
kriege gefchleift wide. Jetzt hat man ihn im einen Ber
guügungsort verwandelt und mit großen Koften Pflanzungen
und Wege angelegt, die mit der Zeit recht hübſch zu werden
verfprechen. Vorläufig hat man von dem Hlgel eine pradht-
volle Ausficht auf die Stadt und das ganze Thal.
Eine weitere Promenade ift der Parque de Coufino,
weit draußen vor der Stadt, an ihrem Südende gelegen.
Er ift eine Schentung des Mannes, deſſen Namen er führt
und vorläufig noch im Entftehen begriffen, wird aber eben:
falls mit der Zeit eine hübſche und weitläufige Promenade
werben,
Am DOftende der Stadt, micht weit von der Eiſenbahn,
findet fic ferner der botanifche Garten, Klein aber hübſch.
Das ift fo ziemlich) der einzige Play in Santiago, wo man
Schatten und dichte und große Bäume findet; zur Sommers:
zeit ift er daher auch ſtets fehr beſucht. Nebenan wird gegen
wärtig (October 1874) das Gebäude für die Induſtrieaus-
ftellung gebaut. — Außerdem macht man zumeilen Ausflüge
nad; dem zwei Leguas entfernten Badeorte Apoquindo.
Es ift aber herzlich langweilig da und außer einem Hotel
mit fehr hohen Preifen, einer Kirche und einigen Bäumen
nichts zu ſehen.
Was der Stadt ihren jpecifiich fildamerifanifchen Charaf:
ter giebt, ift die Bauart der Häufer, die zum größten Theile
einjtödig find, aber eine enorm lange front haben und in
vierediger form erbaut find, in der Mitte einen großen vier:
eigen freien Play, Patio genannt, Die größeren Häufer
haben dann hinter dem erften noch einen zweiten Patio, zu-
weilen auch einen dritten. Das ift chileniſche Bauart, in
Montevideo war fie ſchon etwas anders, Die Patios und
zwar ftetö die hinteren find zum Theil in Meine Gärten ver-
wandelt. Man kann fic, vorftellen, welch ungeheuern Raum
die Stadt bei diefer Bauart einnimmt; vom Cerro de Santa
Lucia aus erfceint fie wie ein großer Garten, in den eine
Menge Häufer hineingebaut find. Schatten ift indeß in
diefen Gärten nicht zu viel zu finden. Die Häufer find
dabei meift von außen fehr einfac und häufig farbig ange:
malt, die Fenſter Mein und ſpärlich; über jeder Thür ift eine
große Fahnenſtange angebracht. Die Straßen erhalten durd)
das Alles einen eigenthimlichen lebloſen Anftrich, find auch
ziemlich unbelebt im Verhältniß zu anderen Großſtädten, —
dabei die vielen Reiter, alle der untern Claſſe angehörige
Leute in der „Manta“ (Reitmantel). Dies Alles bringt
den von Valparaiſo verfchiebenen Eindrud zumege.
Im Uebrigen ift die Stadt jauber; Straßenpflafter,
Trottoirs, Beleudjtung (Gas) find gut, namentlich in den um
die Plaza de Armas ſich gruppirenden Straßen, in benen
die quten Familien wohnen. Pferbeeifenbahn und Omnibus,
recht gute und billige Drofchlen find die Communicationsmuittel,
Das Leben hier ift ſehr theuer. Eine Familie fann auf an-
ſtändigem Fuß nicht qut unter 4000 Pejos (a 4,35 Darf)
jährlich leben und bei nur einigermaßen erhöheten Anjprü-
dien kommt man ganz gewiß auf 5000. Dazu regiert hier
der Borschmheitstenfel. Damit die weiblichen Mitglieder
Georg Thiele: Skizzen aus Chile.
beftändig in feidenen Kleidern und franzdfifchen Schmuchkſachen
paradiren können, um Equipage zu halten und im Sons
mer aufs Yand oder ind Seebad gehen zu fünnen — bie drei
Dinge, die hier zum high life gehören —, legen fid) bie
Leute beträchtliche Entbehrungen in anderer Hinficht auf und
leben das ganze Jahr hindurch von Bohnen.
* he *
Zwiſchen Santiago und dem filbwärts davon gelege—
nen Ehimbarongo (unter 34?/,° jüdl. Br.) giebt es ein Stüid
Wald zu pafliren, das injofern fein Urwald mehr ift, als
die Bänme viel zu Hein und entfchieden jpäterer Anpflan-
zung find. Nichtsdeftoweniger ift diefer Wald fo dicht, daß
man taum hindurchtommt. Es ift Alles Yaubholz, Yäume,
die vom Boden an belaubt und von allerhand Kletten und
Schlingpflanzen durchſchlungen find. Das Ganze bietet für
Einen, der an beutjchen Wald gewöhnt ift, einen ganz
ſonderbaren Anblid. Bei Chimbarongo fah ic) ein Gefährt,
das hier im Süden fehr häufig ift, einen Ochfen-Omnibus,
Gehen darf hier im Süden Niemand. Cine Kutſche, um
die Leute von den Eiſenbahnſtationen ins heimathliche Dorf
zu fahren, ift für diefelben zu Eoftipielig, alfo Odyjen-Oms
nibus! Das Ganze fieht genau wie eim zweiräderiger
Badelarren aus. Inwendig find Stühle hingeftellt, auf
denen die Leute Plag nehmen. Der in Chimbarongo war
ſchon ein veredelter Omnibus: grünangeftrichen, am der
Thür eine Gardine, und die Ochſen gingen im ſcharfen
Schritt. Sie find aber häufig fehr viel einfacher. Zwei
bis drei Bretter auf einem Baumſtamm befeftigt, der als
Achſe dient und durch zwei Muhlſteine geftect wird, die die
Räder vorftellen; dann mit Hülfe von Neifern und Steden
eine Yeinwanddede darüber gefpannt, dies iſt das einfachſte
Gefährt, wegen feines gräßlichen Quietſchens vom VBolkswitz
Chanihito (Ferkelchen) getauft umd unter diefem Namen
allgemein bekannt.
Hinter Chimbarongo dehnt fich die Ebene allmälig aus;
die Gordillera central zur Linken, die Cordillera de la cofta
zur Rechten treten immer mehr zurlid. Die nächte Stadt,
die man erreicht, ift folglich ſchon größer. Dies ift Curich,
Hauptftadt ber gleichnamigen Brovinz und bis jet (Sep⸗
tember 1874) Endpunft der Cifenbahn. Bon hier geht es
mit der Kutſche weiter, für die ich Schon in Santiago Billets
genommen. Da Gurico noch feine Droſchlen bejigt und
ein Gaballero unmöglic in einem Chanihito nad) der Stadt
fahren fann, fo wartete die Kutjche am Bahnhof, um uns
vorläufig zum Hötel de (a Paz zu bringen, wo wir über—
nachteten. Das Hötel war für hiefige Zuftände recht gut.
Im Uebrigen läßt ſich von Curicé nicht viel jagen. Es
ift ein ftilles Yandftädcen von etwa 6000 Einwohnern, für
hiefige Begriffe recht fauber gebaut und gut gepflaftert. Des
Abends bejuchten wir das Theater, da zufällig eine Truppe
hier war. Lin großes Gebäude hatte man mit allerdings
ſehr einfachen Mitteln zu einem ganz pallenden Theater
umgewandelt. Der Beſuch war zahlreich, und was bie
Eleganz der Damen betrifft, Seidentleider, Schmud ꝛc., fo
war dies unbedingt mehr, als man in einem beutjchen Hof:
operntheater zu jehen befommt, wenn man die geringe Uns
zahl der Beſucherinnen berücjichtigt. Gegeben wurde ein
hochtragiſches Schauerſtlick: „Die Söhne Eduard's“, das
den befannten Stoff aus der engliſchen Geſchichte behandelt.
Tas Spiel war herzlich ſchlecht und flirchterlich outrirt.
Richard III, hatte einen entjeglichen Budel und die Köni-
gun fluchte wie ein betrunkener Matroſe, wofür fie den uns
getheilten Beifall aller Zuſchauer erntete,
Als wir am andern Morgen aufbrachen, fanden wir die
Tour nicht fo ſchlimm, als man fie uns in Santiago ges
253
ſchildert Hatte. Die Wagen find gut und fallen nur durch
ihre enorm hohen Räder auf, ein Umftand, der feinen guten
Grund hat. Gefahren wird nur im Galopp, fo daß man
eben fo ſchnell forttommt wie ein Reiter; der Weg ift Über:
all eben und breit und gut gehalten; er hat nur einen Uebel⸗
ftand, den ich gleich erwähnen werde. In der Negenzeit
ift er allerdings ftellenweife ſehr fothig und im Hochſommer
riffig und fehr ftaubig. Allein diesmal war er im Großen
und Ganzen fehr gut. Die Hauptichwierigfeit jedoch bieten
die Flüſſe. Diefe find im Sommer nidyts weiter als kleine
Bäche oder liegen auch ganz troden; nach heftigen Regen-
güffen und im Fruhjahr, wenn der Schnee ſchmilzt, find es
aber colofiale Ströme, die mit einem fehr ftarten Gefälle
dahinbraufen. Jeder Fluß nun fließt in einer jehr breiten
und fteil abfallenden Schlucht, die er bei Hochwaſſer voll»
ftändig erfüllt. Auch die winzigften Bäche erfordern daher
enorme Brüden, oder vielmehr würden fie erfordern, denn
an den Koften derfelben ift bisher jeder Vorſchlag, die Wege
zu beffern, gefcheitert. Jetzt endlich, wo die Eifenbahn er:
baut wird, miffen natürlich alle diefe Schluchten überbrückt
werden. VBorläufig aber muß die Kutſche nod Schluchten
und Fluß durchfahren.
Unmittelbar hinter Curics fommt man durch einen gut
bebauten Landſtrich; die Straße ähnelt unferen Chauffeen,
nur daß fie viel breiter if. Nacdem man dann drei bis
vier Bäche zum Vorgeſchmack paffirt hat, fommt man an
einen der libelberäichtigtiten life, den Lontus, der die
Grenze zwifchen der Provinz Talca und Euricö bildet.
Er fließt im Grunde einer fehr tiefen Schlucht, in mehrere
fleine Bäche zertheilt, und man braud)t lange Zeit, bis man
am jenfeitigen Rande der Schlucht wieder heraustommt,
Bir fanden ihn niedrig; wenn er hoch ift, müffen die Paſſa—
giere an einer Stelle, wo die Schlucht eingeengt ift, auf
einer Art aus Seilen geflochtener Hängebrüde hinitber-
gehen. Wie man dann den Wagen hinliberbefördert , ift
mir unflar.
Bald gelangt man nad; Molina, einem Heinen Ort
von ungefähr 1200 Einwohnern, und hier wird zum erften
Mal umgejpannt. Hinter Molina wurden wir bis zum
nächſten Umfpannungsort verhältniginäßig wenig mit Flülſ⸗
fen gequält. Das Yand wird allmälig öder, und der Ort,
wo wir umfpannten, war nur durch einige Meine Schilfhüt
ten bezeichnet. Gleich darauf paffirten wir den Rio Claro
mit vieler Mühe. Der Fluß ift ſehr fteinig und die Räder
fuhren immer zwifchen den Steinen feit, fo daß wir dreimal
umfehren mußten und erjt zum vierten Male mit großer
Mühe durchkamen.
Zwiſchen Rio Claro und Talca liegt ein Landſtrich
von ſehr ödem Auoſehen. Ich glaube nicht, daß der Boden
hier unfruchtbar ift, denn das für die Eifenbahnbämme auf-
geworfene Yand fah bei dem leichten Regen ſchwarz wie
Sartenerde aus; es mangelt wohl nur an Waller, Diefe
Fläche liegt bedeutend höher als das übrige Yand, fo daf
man fie nicht vom Fluſſe aus bewäſſern kann. Es ift eine
platte fläche, mit einem kümmerlichen Grasteppid; bewach—
fen und einem Baum, der etwas liber Manneshöhe erreicht
und im Abftänden von 20 Fuß von einander bie ganze
Ebene, jo weit dad Auge reicht, überzieht. Ein Weg eriftirt
hier nicht, man fährt eben im den alten Geleifen weiter;
doch ift der Boden etwas elaſtiſch, ſo daß man ſchuell vor—
wärts kommt. Die Kuſtencordillera iſt jo weit entfernt,
daß man fie nicht mehr ſieht. Noch einmal werben die
Pferde gewechſelt, und hinter dieſer Station lommt man
dann wieder in bebautes Land. Talca liegt ſehr tief
(85 Meter body), und in diefer großen Senfung ber Ebene
ſammeln fich eine Menge Heinever Fluſſe, die zum Gebiete
254
des Maule gehören, des obgleich mur zweitgrößten, doc
wichtigften Strome Chiles, in den auch der Rio Claro
fließt. Sowie man den Rio Pengua paffirt, hat die Ges
gend ein ganz anderes Ausfehen: selber und Dörfer wech—
jeln in fteter Folge. Am baumlofen Horizont fieht man
Aus allen
Meuer Proceh im Gewinn bed Goldes,
Die bisherige Methode, dem goldhaltigen Quarz das
Gold zu entnehmen, erforderte ſtets Wafler. Der Quarz
wurde im Waſſer geftampft und lief, im Waller aufactöft,
über die Vlankers und Onetfilberrinnen, welche den Bold:
ftaub, der feiner als Mehl iſt, auffangen und fejthalten,
Duedfilber verliert im Waſſer einen beträchtlichen Theil fei-
trodenem Wege berzuftellen und hat gegenwärtig in der
Nähe von Forbestomwn eine Mühle von der Capacität von
10 Tonnen Quarz per Tag im Gange, im welcher er feit
Monaten auf trodenem Wege den dortigen Quarz, ber jeit
Jahren in den anderen Müblen dajelbft erprobt ift, ver:
arbeitet. Er bat fait in jedem Falle 50 Procent mehr Bold
gewonnen ald es auf naſſem Wege möglich if. Sein Ber:
fahren beſteht darin, dab er den Quarz troden jerjtampft,
worauf er ihm im ein ſich drehendes Faß bringt, worin er fich
Goldwäſche im Caucathale.
Aus allen Erdtheilen.
lints eine Gruppe Pappeln, die ein Meines Städtchen, Na—
mens Pelario, bezeichnen. Die Straße wird nun immer
breiter, und endlich fommt man gar nicht mehr aus den
Häuferreihen heraus und befindet ſich bald darauf in ber
Vorſtadt Talcas.
Erdtheilen.
ner Gold anziehenden Kraft, und die Folge davon ift, daß
mehr als die Hälfte des im Quarz enthaltenen Goldes unter
dem jehigen naffen Proceß verloren acht, und daß der auf-
gehäufte, durdy die Mühle gegangene Quarzſtaub nicht felten
nach Jahr und Tag bei einer zweiten Bearbeitung durch die
Mühle mehr Goldertrag liefert ala das erfte Mal.
Almann B. Paul, ein erfahrener Quarzminer, bat feit
Jahren ſich mit dem Problem beichäftigt, eine Reduction anf
felbft zu feinerm Bulver verarbeitet. Hierauf kommt dieſes
Duarzpulver in ein anderes Faß, welches genügend Ducd:
ſilber enthält, daß der Quarz ein Brei wird, Dieles Faß
wird burd die Mafchinerie wiederum in rafche drehende Be:
wegung verjeht, und bie Friction erhitzt die ganze Maſſe, wo—
durch die Anziehungskraft des Duedjilberd erhöht wird.
Außerdem entiteht ein elektrifcher Umlauf, welcher ebenfalls
dem Proceß der Antalgamation behilflich ift, während er ordi⸗
näre Metalle abſtößt. Aus dielem zweiten Faß wird die
Aus allen Erdtheilen.
Maffe herausgenommen und in einem Bade zum erſten Mal
in Contact mit Waffer gebracht, wo alle Unreinlichkeiten ent:
fernt und das Amalgam durchgewalchen wird, worauf in der
bisher üblichen Weile das Dnedjilber in der Retorte ver:
dampft wird und das Gold zurücbleibt. Der nene Prozeß
fol mur etwa 11, Dollar per Tonne mehr koften als die
bisherige Art und Weife,
Aus Brafilien.
Die mit den Vorarbeiten zur Aufnahme einer geolo:
giſchen Karte vom Kaiferreich beauftragte Commiſſion ift am
10, Juli diefes Jahres nach der Provinz Pernambuco abge:
reift, um mit ihren Arbeiten zu beginnen. Diefelbe beſteht
aus folgenden Herren: Profeffor Hartt, Chef; Dr. Elias
Jordao, Adjutant des Chefs; Dr. Francisco de Paula Frei-
tad, Practicant, und Marc Ferrez, Photograph. Zur Com:
milfion gehören ferner die Geologen Nathbun und Derby,
die fich augenblidlich noch in Nordamerika befinden.
— Die mit Unterfuhung der Nebenflüffe des Amazonen:
ſtromes betrante Commiſſion bat auf dem Urubn Sciff-
brud) gelitten. Ein Windſtoß erfaßte dad Segel des Bootes,
in dem fich diefelbe befand, und ſtürzte cd um. Sümmtliche
Infaffen fielen ind Wafler; da aber glücklicherweiſe alle gute
Schwimmer waren, fo gelang es ihnen, ſich zu retten. Die
Juſtrumente jedoch gingen ſämmtlich verloren, welcher Um:
ftand die Rucklehr der Commiffion nach Manaos nöthig machte,
— Bon den am Tapajoz gelegenen, von Gapızinermön:
den geleiteten Indianerbörfern wird berichtet, daß, feit Diele
in lebhaften Verkehr mit der hriftlichen Bevölkerung der
Umgegend getreten find, Neid, Zwietracht, Habſucht und an—
dere Lafter bei ben Indianern fich in erfchredendem Maße
eingeniftet haben, und daß biefe infolge deſſen einer völligen
Eorruption entgegen gehen.
— Dem Relatorium des Aderbauminifterd entnehmen
wir folgende ftatiftiichen Notizen über die Colonien der Pro-
vinz Rio Grande do Sul:
Die Eolonie S. Feliciano bat 35 von 84 Verfonen
bewohnte Eoloniepläge. Die Bevölkerung befteht ang 81 Fran-
zofen und 3 Schweizern, die ihre Producte nur unter großen
Schwierigleiten nad bem 38 Kilometer entfernten Camaquum
abjegen können. Da die Coloniften auf ihrem Wege dahin
über den Fluß Subtil müffen, fo hat ber Präfident dort
eine Fähre anlegen laflen.
Die Eolonie Santa Cruz ift von 7500 Seelen be:
wohnt ; fie führte im Jahre 1874 für 520 Contos (k 1500 Mark)
ans nnd nur fir 350 Contos ein.
Die Negierungscolonie Santa Maria de Soledad®
zählt jest 2034 Einwohner, worunter 750 Deutſche. Aus:
geführt wurde 1874 fir 81 Contos und eingeführt filr
40 Contos. Die Niederlaffung hat eine gute Verbindung
mit ber Stadt S. Leopoldo, außerdem werden die Eoloniften
binnen Kurzem ihre Producte auf dem Cahyfluffe fortichaffen
föunen. Im Bau begriffen find 6 Capellen. Augenblicklich
eriftiren 2 Regierungds und 4 Privatſchulen.
Die Colonie S. Ungelo zählt 1862 Einwohner, wors
unter 1030 Deutſche und 832 Brafiliener. Die Colonie er-
portirte während des gleichen Zeitraums für 66 Contos und
importirte für 41 Contos. Auf der Colomie befinden ſich
ein katholiſches und zwei proteftantiiche Bethäuſer.
Neu Petropolis ift von 1284 Verfonen bewohnt, unter
denen ſich 1015 Proteſtanten befinden.
Monte: Alverne ift von 561 Seelen bewohnt, wor:
unter 72 Defterreiher und 15 Holländer. Ausgeführt wur:
de für 87 und eingeführt fir 33 Contos.
Die Meine, aber an fruchtbaren Ländereien reiche Colo-
nie Conde d'Eu zählt nur 74 Einwohner; es herricht dort
noch empfindlicher Mangel an Berbindungswegen.
(Allgemeine Deutiche Zeitung für Brafilien.)
255
Aus Auftralien und der Südfee,
H.G. Nach den amtlichen Mirenftatiftifen lieferten die
Goldfelder der auftraliichen Colonie Victoria im Jahre
1874 einen Ertrag von 1,105,115 Ungen Gold, gegen 1,162,492,
1,218,094 und 1,290,844 in ben drei Vorjahren, Während
fich im Jahre 1866 die Zahl ber Digger noch auf 73,577
belief, war fie im Jahre 1873 auf 52,057 und im Jahre 1874
auf 46,512 gefunfen. Darunter befanden fich 12,056 Chine⸗
fen, welche meiſtentheils im Alluvium beichäftigt waren. Das
Areal des goldhaltigen Bodens, welches bearbeitet wurde,
umfaßte 1063 engliihe Duadratmeilen und die gefammten
Minengeräthichaften hatten einen Werth von 2,078,936 Bf. St.
An Silber wurden 11,906 Unzen gewonnen, welche bis
auf 760 Unzen ans dem in der Minze geichmolzenen Golde
ftammen.
Aus der Colonie Südauftralien wird und unter bem
Datum des 16, Juli gemeldet: 1) daß auf Beſchluß des
Parlaments im nachſten Jahre eine Volkszählung ftattfinden
tolle; 2) dab im Parlamente der Antrag auf Zahlung von
Diäten an die Mitglieder mit großer Majorität verworfen
worben; 3) daf im Adelaide mit nächftem October eine zweite
deutſche Zeitung, unter der Redaction ded Dr. Hübbe, eines
Hamburgers, erfcheinen werbe,
‚ —InBeftauftralien ift in der Nähe vonRochurne,
Nicol Bay, Alluvialgotd entdeit worden; ferner wird gemel:
det, daß im der letzten Saifon dreibundert Tonnen Berl:
mufcheln (ber Preis ſchwankt zwiſchen 250 und 230 Bf, St.)
erportirt worben, und dab eine Eifenbahn von Fremantle
über Perth nach Guildford, eine Entfernung von ungefähr
sweiundzwanzig engliichen Meilen, projectirt werde,
— Endlich wird nun auch die Eolonie Weftauftralien
in das auftralifche Telegraphennetz gezogen werden und diefelbe
demzufolge mit allen Erdtheilen in telegraphifche Verbindung
treten. Die Regierungen von Weft: und Südauftralien laffen
nämlich jest, mit parlamentariiher Bewilligung, an der
Meeresfüfte entlang bis an die refp. Grenze, welche fo ziem:
lich genau durch Port Eucla gebildet wird, einen Telegraphen
sieben. In Sübauftralien ift der Regierungsfeldmeffer R.
R. Kunden mit der Feftftellung der Linie beichäftigt und
bürfte die Arbeit wohl zwei Jahre in Anſpruch nehmen.
Die Errichtung auf der erften Strede von Port Augufta bis
Fowler's Bay, über Franklin Harbour, Coffin's Bay, Venus
Bay und Streaf Bay, eine Länge von 540 Miles, ift bereits
gegen 18 Pf. St. 16 Sh. pro Mile in Verdung gegeben,
d. b. die Regierung liefert die Pfähle, den Draht und die
Iſolatoren, während der Contrahent das Material an Ort
und Stelle zu Ihaffen und aufzuftellen hat. Much die weit:
auftralifche Regierung bat auf ihrer Seite die Arbeiten be:
reits vergeben. Dort follen höfgerne Bfähle zur Verwendung
kommen.
— Die Colonien Nen:Siüd-Wales, und Neu-See—
land haben mit den Rhedern John Elder in Glasgow und
John Macgregor in Leith einen Contract abgeichloffen , nach
welchem letztere für den Zeitraum von acht Jahren die Poit:
bampferverbindung zwiſchen diefen Colonien und San Frau⸗
cisco gegen Zahlung einer jährlichen Summe von 89,950 Doll,
übernehmen. Die Fahrten find fo regulirt, daf der Poft-
dampfer jedes Mal von Otago Meu-Seeland) aus auf San
Francisco läuft, dagegen zurück direct auf Sydney, und foll
auf beiden Touren in Ktandaon (Fidichi-Infeln) und in Ho:
nolulu (Sandwic:Infeln) angelegt werden, Bon und nad
Kandaon foll diejenige ber beiden Colonien, wohin der Volt:
dampfer auf ber betreffenden Fahrt nicht gebt, durch einen
befondern Nebendampfer bedient werden. Die Dampfboote,
fünf an der Zahl, mitffen wenigftens 2500 Tonnen vegiftrirt
fein und elf Knoten in der Stunde zuritdlegen. Im näch—
ften November follen die Fahrten ihren Anfang nehmen.
Auf der großen auftralifchen Ueberland-Tele-
graphenlinie find jest von Port Darwin ab jüdlich bis
256 _
Tennant's Ereef, 619 Miles, der zerftörenden weißen Amei—
fen wegen eiferne Pfoften, anftatt der ursprünglichen hölzer—
nen, eingefeßt und follen bis in die Nähe von Barrow’s
Greef, 766 Miles, fortgeführt werben.
— Auf der Telegraphenftation Alice Springs,
937 Miles füblich von Port Darwin, unterhält die füd-
auftralifche Regierung eine Herde Schafe von über MOO Stüd
und wird von hier aus das Perfonal auf den Telegrapben-
ftationen de3 Innern von Auftralien mit Schlachtvich ver:
forgt.
Rumanifdes.
Die Wälder in Rumänien nehmen ein Fünftel des
geſammten Areals der vereinigten Fürſtenthümer ein, d. i. 2
Diillionen Hectaren. Im Gebirge ift noch der Urwald zu
Haufe, der unberührt geblieben ift. Er beſteht beinahe nur
aus Fichten, Föhren und Buchen. Leider find jedoch die
rumäniichen Waldungen fich felbit überlaflen, die rationelle
Waldeultur trat dort nody nicht in ihre Rechte ein. Troß ber
guten Onalität des rumäniſchen Holzes ift der Holzimport
ein bedeutender; an demfelben betheiligt ſich im erfter Linie
die Bulowina. Auch das Bauholz wird zum größern Theil
importirt, Bretter beziebt man jogar aus Tirol und Steier-
marf,
Wein: und Obftban in Rumänien. m den leiten
Jahren bemerft man in Rumänien eine ftetige Vermehrung
der Weingärten. E3 werben jetzt jährlich 300: bis 900,000
Hectoliter Wein producirt. Im Allgemeinen ift feine Qua:
lität gering, doch erzeugen die Hilgellandichaften am Saume
der Karpathen einen ziemlich auten und baltbaren Wein. Zu
ben beiten Weinforten gebören die aus Dragofhani, Rotne,
Dijal:Mare und Obobeihti.
Die Pflege der Obſtbäume macht bingenen feine Fort:
fchritte. Im Allgemeinen läßt ſich von der Obftcultur jagen:
wenig und ziemlich ſchlecht. Am meiften werden die Plan:
men+gepflegt, aus denen man die Zujla, einen untergeord-
neten Branntwein, bereitet.
Der rumäniſche Handel. Das Verhältniß zwilchen
dem Import und Export fanıt wegen des großartigen Schmug—
gels, ber Überall an den Grenzen Numäniens florirt, trot:
dem der Staat ein ganzes Heer von Beamten zur Inter:
drückung deflelben unterhält, nur ammäbernd durch Zahlen
ausgebriidt werden. Im Mittel beläuft fich die Ausfuhr auf
a Dill. Frances (rumärifch Leu), die Einfuhr auf 160 Mill.
Frances, jo daß der Werth der eritern die letztere mit 40 Mill.
Franc überfteigt. Unter den Ausfuhrproducten nimmt das
Getreide, und bier wieder der Weizen, von dem im guten
Jahren fiir 140 bis 150 Mill. Francs ausgeführt wird, die
erfte Stelle ein. Doch eben diejes Umftandes wegen ift die
GErportzahl großen Schwankungen unterworfen, da fie haupt:
fählih vom Ausfall der Ernte abhängt. Weiter werden noch
ausgeführt Reps, Gemüfe, Branntwein, Mehl, Lein, Vieh
MNinder, Schafe, Schweine), Wolle (nah Dejterreih und
Frankreich), Thierhäute, Talg, Schweinefett, Pöckelfleiſch,
rohe Seide, Stein: und Meerſalz, robes und rafinirtes Ber
troleum (in die Türkei). Ueber das Meer werden Producte
für 125 Mill. Fraues ausgeführt, auf Oeſterreich entfallen
40 und auf die Türkei 35 Mill. Frances. Eingeführt werden:
Holz, Kerzen, Caviar, Häringe, Obit, Del, Tabad, Droguen,
Spirituofen, Weine (die einbeimiichen find im Allgemeinen
Aus allen Erbtheilen.
von geringer Onalität), Zuder, Käſe, Farben, Wachs, Colo—
nialwaaren, Metalle, Kohle, Leber und Yederwaaren, feidene,
wollene und baummollene Stoffe, Samen, Kautichuf, fertige
Kleider, verichiedene Modewaaren, Bücher und Papier,
Meöbelwaaren, Wagen, Lehrmittel, Maſchinen, Töpferwaaren,
Glas und Vorcellan. An der Einfuhr betbeiligt fich Oeſter—
reich mehr als alle übrigen Staaten zulammengenommen.
Aus England werden Wollwaaren, Eifen, Koble und Colonial:
waaren eingeführt; aus Frankreich Zucker, Wein, Seiden:
waaren, feine Wollitoffe, Möbel und Modewaaren; aus der
Levante Obit; aus Rußland Leder- und Metallivaaren; aus
Holland Zuder und Häringe; aus Deutichlaud Ei ſenwaaren,
Luxusſachen, Parfüms, Baummwoll- und Wollwaaren und
Maſchinen.
Sowohl der Ein» als auch der Ausfuhrhandel liegt nicht
in rumäniſchen, ſondern größtentheils in fremden Händen.
Der Unternehmungstrieb iſt bei den Rumänen ſchwaäch ent:
widelt und wo dieſer fehlt, da kann von feinem Handel die
Rede fein.
* * «*
— Auf der diesjährigen Briſtoler Verſammlung der
Britiſh Aſſociation“ beſchäftigte ſich die Abtheilung für
Anthropologie beſonders mit den primitiven und zuerſt
aus Centralafien eingewanderten Völkern Indiens. Zu ihnen
gehören die Weddas in Ceylon, welche Mr, Hartiborne
zum Theil nach eigener Anſchauung beichrieb, Sie zerfallen
nach ibm im die beiden Claſſen der Dichengel- und der Dorf:
Wedda. Erftere leben in den großen Wäldern des Oſtens
der Inſel ohne Wohnftätten und ohne ein Suitem von Ader-
bau. Ihre geistige Anffafiungsgabe, ihre Gedächtnißkraft ift
faft gar micht entwickelt; fie können nicht zählen, haben nicht
einmal Zablwörter und find jeglicher Religion bar. Wahr:
ſcheinlich find fie der einzige wilde Stamm, weldyer eine
ariſche Sprache ſpricht.
— Umfaſſende Ausgrabungen ſind kürzlich von Oberſt
Lane For in Cißbury Camp, nördlich von Worthing in
Suffer, einem den Archäologen durch des Oberſten frübere
Unterfuchungen wohlbefannten Plate, vorgenommen worben.
Es wurden fo zahlreiche bearbeitete Feuerfteine von For—
men, die zwiſchen den paläo- und neolitbiichen Typen fich be-
wegen, dort gefunden, daß man zu der Anſicht meigte, daß ſich
daſelbſt eine Werfftatt von Fenerfteingeräthen befunden babe.
Es find dort einft Schachte durch den feiten Kalkitein getrie-
ben und Gänge längs eines Lagers von Feuerſtein ausge:
höhlt worden, um das Rohmaterial zu erhalten. Der nächſte
Zweck der Nachforſchungen, bei weldhen das Skelet einer
ten britischen Dame gefunden wurde, war feitzuftellen, ob
jene Schachte oder die Verfchanzung von Cißbury Camp
älter feien, und es hat ſich berausgeftellt, daß die Schachte
bei weitem früher angelegt wurden.
— Bei den im Hügel Borum-Eſhöi in Jütland
vorgenommenen Ausgrabungen bat Prof, Engelbardt zu
Anfang September ſchon die dritte, in einem ansgehöblten
Eichenſtamme begrabene Leiche gefunden. Der Sarg fol
uneröffnet an das altnordiihe Mufeum in Kopenbagen ge:
fendet werden.
— In Merico ift im Laufe des Juli dieſes Jahres
die Bahn von Vera Eruz nad) Jalapa dem Verlehr über:
geben worden,
j Inbalt: Der Markefas:Nrchipel, 111. (Mit drei Abbildungen.) (Schluß) — ©. Fritich fiber die Dva-berero'
(Mit zwei Abbildungen.) — Eine Erpedition gegen die Branntweinhändler im anterifaniichen Nordweſten. — Die enali:
ſchen Himalaya-Befisungen. Von Emil Schlagintweit. IL —
— Uns allen Erdtbeilen: Neuer Brocch im Gewinn des Goldes. (Mit einer Abbildung.) —
Skizzen aus Chile, Bon Dr. med, Georg Thiele. VI.
Mus Brofilien. — Aus
Auftralien und der Südſee. — Rumäniſches. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 10, October 1875.)
Redacteur: De. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lintenfirafbe 13, IN Tr.
Trud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sobn in Braunſchweig.
Mit befonderer Berüchfichtigung
FR
m]
der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Rihard Kiepert.
Braunf chweig
Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlich 4 Nummern.
" Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Pf.
1875.
Aus Georg Schweinfurth’3 Reifen in Innerafrika.
vır®).
Mit Abd⸗es-Sammal nah Eiden. —
Weiler, Aderbau, Bierbrauerei der Niam:niam. —
Ihre Hundezucht und Menſchen⸗
frefferei. — Ihre Liebe zur Mufil und zu ihren frauen. — Die Fürften des Landes. — Der „Blattfrefier“. — Em neues
Stromgebiet.
In ben unten angeführten früheren Aufſätzen über
Schweinfurth’s epochemacjenden Wanderungen „im Herzen
von Afrita“ Haben wir nad) einander unferen Yefern die
Negerftämme der Schilluf, Nuchr, Dinfa, Bongo und Mittu
vorgeführt. Wir fahren heute im diefen ethnographifchen
Schilderungen fort, indem wir wegen aller übrigen Reife:
umftände und Reifeerlebniffe nochmals auf des Forſchers Ori⸗
gimalwert (Im Herzen von Afrifa. 2 Bde. YVeipzig
1874. F. A. Brodhaus) verweifen als eine der angiehend:
ften, wiflenfchaftlich bedeutenditen Reifebejchreibungen der leg»
ten Jahre, die wohl auf lange Zeit hin für das bejuchte Ge—
biet die Haupt, wenn nicht die einzige Quelle bleiben wird.
Als Schweinfurth von feiner Nundtour durch das Yand
der Mittu, welche den December 1869 und einen Theil
des Januar 1870 in Anſpruch genommen hatte, zurücklehrte,
blieben ihm nur 14 Tage Zeit, um alle feine Yorbereitungen
für die Reife nad) dem erſehnten Lande der cannibalifchen
Niam:niam zu treffen, die unter dem Schuge des fühnften
aller dortigen Stlavenhändler, des inzwiſchen verftorbenen
Abd»es-Sammat, vor ſich gehen follte. Unter allen war
*) Bergl. „Globus“ XXVI, ©. 273, 289 u. 305, und XXVII,
©. 81, 97 m. 113, fowie die gu Bd. XXIIl gehörige Karte der
Schweinfutth'ſchen Reilen,
Blohbus XXVIII. Ne. 17.
er am weiteften gegen Süden vorgedrungen und hatte ſchon
zu wiederholten Malen den großen weſtwärts ftrömenden
Fluß im Monbuttulande überjchritten; als er nun dem Reis
fenden 30 bis 40 auferlefene Träger aus dem Bongovolfe
lieferte, ihm und feine Leute acht Monate lang aufs Vortreff:
lichſte verpflegte und allen feinen Wilnjchen wegen etwaiger
Nebenereurfionen ftets willfahrte, durfte diefer wohl befennen,
daß noch nie ein europäischer Korfchungsreifender in Innerafrifa
über ähnliche Bortheile wie er verfligt. Dem günftigen Schich—
fal, daß er in Gegenden, wo es keine anderen Transportmittel
als die Köpfe der Eingeborenen giebt, fiber 30 Träger allein
für. bie Fortſchaffung der naturhiſtoriſchen Sammlungen bes
faß, danfen bie europäifchen Mufeen ihre Bereicherung,
und Alles das that jener fühne Abenteurer nicht um Lohn,
oder auf Befehl der äghptiſchen Negierung , jondern Lediglich,
aus perfönlicher Zuneigung und um die Tugend der Gaſt—⸗
freundichaft im ihrem edelften Sinne zu entfalten.
Am 29. Januar 1870 brach Schweinfurth zu feiner
benfwürbigen Reife von der Seriba Sfabbi (6'/," nördl, Br.)
im Bongolande auf, Da fich dem Abd = cd> Sanımat'jchen
Zuge nod) eine Compagnie des Großhändlers Ghattas
von etwa 500 Trägern und 120 Bewaffneten angeſchloſſen
hatte, jowährte es biß zum Mittag, che die im Günſemarſche
einherziehende Kolonne jo weit abgerlict war, daß unjer Reis
33
— —
258 Aus Georg Echweinfurth’s Reifen in Innerafrika.
fender felbft aufbrechen fonnte. Ein Schaf war am Palli-
ſadenthor der Seriba gefcjlacjtet worden und beim Ausziehen
fenfte der Fahnenträger der bewaffneten Abtheilung feine
Fahne itber das Opfer, daß fie mit einem Zipfel in das Blut
tauchte, wobei die Ublichen Gebetsformeln gemurmelt wurben.
„So ift diefe rothe Fahne des Islam in der That eine Blut:
fahne, und blutig umd biutdlirftig find die Sprliche, die aus
weißem Zeug auf diefelbe geftidt werden,“
Nachdem man vier Tage im genau füdlicher Richtung
fortgezogen war, überfcritt man am fünften den Ibba, den
Oberlauf des wohlbefannten Tondj, und betrat damit das
Gebiet des erften Niamniam-Häuptlings Nganje. Doch foftete
es mod; einen anftrengenden Marſch durch eine Grasvege—
tation von folder Ueppigfeit, wie fie unfer Botaniker an
feiner zweiten Stelle gefchen, ehe er das Dorf des Häupt-
lings erreichte. Die Hütten *) find rund und mit einem
weit vorfpringenden Kegeldach verfehen, welches hier von
auffälliger Höhe und Spigigfeit erfcheint, wohl um den
Negen abzuhalten und den Rauch beffer abzuleiten. Schon
von Weiten erfennt man die „Mbanga“ eines Flirften an
den vielen Schilden, welche an Bäumen und Pfählen auf
gehangen find; dameben hält eine Kriegerſchaar Tag und
Nacht Wache, um fofort zur Hand zu fein, wenn Ueberfälle,
Handftreiche zur Ermordung des Fürſten ober dergleichen
vorfommen follten, oder ſich plöglic, eine Elephantenherde in
der Nähe zeigen follte, Im legterm Falle müfjen die nöthi—
gen Signale gegeben werden, um alle Männer ſchleunigſt zu
verfammeln; denn die Jagd auf jene nlglichen Thiere ıft
N hi
1 I) } Mar.
IB ange > 7
Dorf der Niam:niam.
„ein Staatsgeſchäft erften Nanges, wobei es ſich um den
Erwerb von vielen Gentnern Elfenbein handelt und aud)
gelegentlich an taufend Gentner Fleiſch erbeutet werden
fönnen.*“
Leder Niamniam-Weiler — Städte oder Dörfer fennt
diejes Voll nicht — hat neben den Hütten zum Wohnen und
Kochen und denen zum Schlafen zahlreiche Setreidefpei-
der, wie fie unfere Bilder zeigen. Man darf daraus aber
nicht ſchließen, daß diefer Stamm ein vornehmlich aderbau«
treibender fei; denn nur die Weiber bebauen das Feld, eine
bei der großen, faft unerfchöpflichen Fruchtbarleit des Yandes
nicht fonderlich ſchwere Mühe, während die Männer lediglich
der Jagd obliegen, Gebaut wird außer etwas Mais befon-
ders Eleufineforn (Eleusine eoracana), aus weldem man
ein Setränt zu bereiten verficht, das wirklich gegenliber dem
\ „gejäuerten Kleiſter*“ des abyifinifchen Tocuffo und der ägyp:
tiſchen Bufa den Namen „Bier“ verdient. Daffelbe ift
völlig Mar, rorhbraun gefärbt, aus richtig gemalztem Korne
bereitet und von angenehmer Bitterfeit, weldye durch die dunkle
Schale des Korus erzeugt wird, die andererfeits dem Mehle
und der davon bereiteten Polenta einen fehr widerwärtigen
Beigeſchmad ertheilt. Die Niammiam find dermaßen dem
Biergenuſſe ergeben, daß von den drei Kornſpeichern, die
*) Ueber die Niamsniam, ihr Meußeres, ibre Cultur und ibre
Menfhbenfreiferei bat Dr. Shweinfurtb felbit im XXIII. Bande
biefer Zeitfihrift S. 1, 25 und 39 ausführlib und unter Beigabe
von Abbildungen ihres Gefichtstupus und ihrer Warten berichtet.
Wir bitten unfere Lofer, jemer teefflicen Arbeit, melde durch unfere
beutigen Illuſtrationen mehrfach erläutert wird, nochmals ibre Auf:
mertſamteit gu witmen.
Aus Georg Schweinfurth's Reifen in Innerafrila. 259
durchſchnittlich auf jedes Wohnhaus kommen, nur zwei fir
das zum Speifen erforderliche Korn beftimmt find, der dritte
aber ganz mit ſolchem im gemalztem Zuftande angefüllt ift.
Bon allen Hausthieren ziehen fie außer Hühnern nur
Hunde, von einer fpigähnlichen, fehr zur Fettbildung nei»
genden Race, mit kurzen, glatten Haaren, großen, ftet8 auf:
gerichteten Ohren, lurzem, dlirrem, nach Urt ber Ferkel auf-
gerolltem Schwanz, von ledergelber Farbe und fpiger Schnauze.
Man hängt ihnen aus Holz gefchnittene Gtoden um den
Hals, angeblich zu dem Zwecke, daß fie ſich nicht im Grafe
der Steppe verlaufen. Dies wäre ein großer Verluft fir
ihre Beliger, welche nichts fo fehr lieben als Hundefleifch,
belanntlich der erfte Schritt zur Unthropophagie, welchem
aber die Niamsniam längjt den zweiten und alle fibrigen |
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beſitzt. Ihr Lieblingsinftrument ift ein Mittelding zwiſchen
Harfe und Mandoline, mit aluſtiſch richtig gebautem Re—
fonanzboden, wie Bogenfehnen frei ausgefpannten Saiten,
die aus feinen VBaftfäden und Giraffenihwanzhaaren fabri- |
cirt find, und funftvoll gefhnigtem Halsende, wie es unfer
drittes Bild zeigt. Ein murmelndes, näfelndes, weinerliches
Recitativ begleitet das ewige Einerlei der Accorde, aus wel—
dem fich kaum eine beftimmte Melodie heraushören läßt,
defien Genuß ſich aber ein richtiger Niameniam ftundens,
ja tagelang, ohne zu ermitben, ja ohne felbft trog feiner jon«
ftigen Gefräßigteit nad) Speife und Trank zu verlangen,
überlaffen fann. „Arm im Arm fah ich nicht ſelten freunde
fi) diefem ftillvergnligten Genuſſe der Kunſt hingeben, unter
beftändigem Sclittelm ihres Kopfes dem Schwirren der
Saiten folgend. Die Mufit erfreut ihr Gemüth und bei den
Betreidefpeicher und Hunde der
' haben folgen laſſen. Schweinfurth hat in dem oben ange»
führten Auffage einige Beifpiele dieſer fchanerlicen Sitte
| mitgetheilt, die zwar von manchen Individuen verabjcheut
| wird, aber doch bei der Mehrzahl gang und gäbe ift, follte
fie fich auch mie auf den Gebrauch von Menſchenfett befchrän«
ten, das umfer Reifender felbft lange genug im feiner Yampe
hat brennen müflen! Mertwuürdig ift es, daß ein Volk, das
fi) mit den Zähnen feiner verfpeiften Opfer fchmitdt, im
Kriege Feinde jeden Alters und im Frieden einzeln ftehende
verftorbene Landsleute auffrißt, ja fich nad) der Angabe der
Shartumer Kaufleute nicht fchenen fol, Leichen auszuſcharren
und die halbverfaulten Ueberrefte zum zweiten Male in jeis
nem Vaude zu begraben, daß ein ſolches barbarifches
Bolf eine große Vorliebe für die ideale Kunſt der Mufit
Niamsmiam.
| feintönenden Klängen ihrer Mandoline mögen aud) die ſei—
I neren Saiten ihres ‚Innern zuweilen in Schwingung ge-
rathen.*
Eine zweite Lichtſeite im Charakter der Niam-niam iſt
ihre große Liebe zu ihren Frauen.
Gelegenheit, viele derfelben in der Seriba des Sfirrur,
bie etwa ?:,° ſüdlich von dem oben erwähnten Weiler Nganje's
liegt, kennen zu lernen. Diefer Sfurrur, von flrſtlichem
Geblüte, war früher Soldat in Abdees Sammat's Dieniten
gewefen, wie viele andere Niamniam-Krieger, die alddann bie
fefteften Stügen feiner Macht abgaben, und war von ihm
zum ftellvertretenden Häuptling über ein 700 Quadratmeilen
großes, wohlbevölfertes Gebiet eingelegt worden, nachdem der
feligere Herricher getödtet, weil er dem Eifenbeinhandel des
Kenuſiers feindlich eutgegengetreten war, In der „Dibanga“
33 +
Schweinfurth hatte '
260 Aus Georg Schweinfurth’s Reifen in Innerafrika.
Wennepai und Yawolufa fpielen auf der Mandoline,
Aus Georg Schweinfurth's Reifen in Irmerafrifa.
dieſes Sfurrur weilte unfer Neifender oft und mit vielem
Vergnügen, weil er dort ftets etwas Neues zur Erweiterung
feiner Landeskenntniß entdedte. Stets fand er dort am Hofe
des Bicchäuptlings eine größere Anzahl von Cingeborenen
verfammelt und aud) an Frauen fehlte es nicht; denn Sfurs
rur befaß einen großen Harem und eine Menge dienender
SHavinnen. Die Stellung der Frauen bei den Niam⸗niam
ift eine bedeutend andere als bei den meiften heidniſchen
Negervöltern Afrilas. Während die Frauen der Bongo und
Mittu gegen den Fremden zutraulich, ja zubringlich find, ift
das Nianıeniam Weib zuriidhaltend, vermeidet die Begeg—
nung mit dem Fremden und macht entweder, um ihm zu
vermeiden , große Umwege, ober läßt ihn mit abgewanbtem
Geficht vorüberziehen. Es mag das in der großen Eiferfucht
der Männer ihren Grund
haben, welche an ihren Weis
bern mit einer Liebe häns
261
erhalten aber oftmals einen Theil de8 von den Sklaven—
händler dafiir gezahlten Preifes.
An äußeren Abzeichen, abgejehen von dem Vorrechte, das
Haupt mit Thierfellen bededen zu dürfen, fehlt es den Für⸗
ften, die einzig und allein an ihrer folgen und herausfor-
dernden Haltung beim Gchen und ihrem wilrdevollen Bes
nchmen zu erfennen find. Um jo unerklärlicher ift es, daß
fie die von ihnen gefällten Todesurtheile eigenhändig voll-
zichen, ja mitunter in förmliche Raferei verfallen, dem erften
Veften unter ber Menge eine Schlinge um ben Hals werfen
und ihm mit dem hafigen Trumbaſch (dev Häuptling auf
©. 262 hält dieſes Säbelmeffer in der Hand) den Todes—
fteeich in den Naden verfegen. Manche freilich behaupten,
daß fie diefe Wuthanfälle nur Ban, um dem Volke ihre
dacht itber Peben und Tod
fo recht ad oculos zu bes
monftriren,
gen, welche unter Bölfern
auf ähnlicher Stufe des
Naturzuftandes geradezu beis
ſpiellos erſcheint. Um ein
in Sefangenfchaft gerathenes
Weib zu befreien, wendet
der Mann alle jeine Kräfte
auf, und im Kampf mit
den Nubiern eröffnen ſich
dem letztern auf diefem Wege
ſtets die ergiebigften Eifen-
beinguellen. Wer fih in
den Befig von weiblichen
Geifeln zu ſetzen verfteht,
wird im Kriege von dieſem
Volle jedes Zugeftändniß zu
erzwingen vermögen.
Trog dieſer charakteri«
ftifchen Eiferfucht fiel es
Schweinfurth nicht ſchwer,
den Befehl von Sſurrur aus:
zuwirten, daß einige feiner
Frauen ihm behufs Zeich—⸗
nung figen follten. Dabei
wurde aud) das nebenftchende
Portrait genommen,
Die fouveränen Fürften
der Niameniam, Bjäüng
genannt, deren es im gan ⸗
zen Yande 35 von fehr ver
ſchiedenartiger Machtfülle
geben ſoll, haben den Ober:
bejehl im Kriege, an dem
fie aber merfwirdiger Weife
nicht perſönlich Theil neh⸗
men. Statt jelbft in die Schlacht zu gehen, warten jie
bei ihrer Mbanga den Ausgang des Gefechtes ab, um
fhlimmftenfals mit ihren Weibern und Scägen ſich in
Sumpf oder Steppe zu verbergen. An Steuern kommt
ihnen außer dem geſammten erbeuteten Elfenbein die Hälfte
des erlegten Wildes zu, Im den weftlichften Theilen bes
Niam⸗ niam⸗ Landes (wir wiſſen feit Kurzem durd) die von
Dr. G. Nachtigal eingezogenen Erkundigungen, daß die
Niom-niam oder Sandeh ſich von bem Striche an, wo
Schweinfurth ihre Wohnfige durchzog, noch über 9 Breiten:
grade ober gegen 140 beutfche Meilen weit gegen Welten
erſtreden), im Heften alfo, wo auf Koften unterdriidter Völ⸗
ter der Sflavenhanbel mit Darfur blüht, müflen die Eltern
ihre Abgaben in Geftalt ihrer Söhne und Töchter entrichten,
Eine von Sfurrur’& Frauen.
Nach dem Tode eines
Furſten folgt ihm fein Erſt⸗
geborener, während deſſen
Brüder unter bem Titel
„Bähnki“ mit dem Befehl
Über einzelne Diftricte bes
lehnt werden. Schr häufig
erfennen aber die Bähn-
fiß die Oberherrſchaft des
Diäng nicht an und erklä—
ven ſich für unabhängig,
und die Folge davon find
die zahllofen Fehden, Ueber—
fälle und Hinterhalte, welche
das ganze Land in einen
großen Kriegsſchauplatz vers
wandeln.
Beim weitern Bordrins
gen gegen Gliden, wobei
Schweinfurth, ohne es frei:
lid im jenem Augenblicke
zu willen, die Waſſerſcheide
des Nu überſchritt, näherte
man fich dem Gebiete Kö⸗
nig Uando's, welcher einft
den Chartumern befreuudet,
durch ihre unllugen Plün-
dereien jaufgebradjt worden
war und nun ihnen den Uns
tergang drohte, Raſch ent
ſchloſſen lieh ſich Abd-es⸗
Sammat die Revolver des
Weißen und wagte ſich ba«
mit, nur von einer Fleinen
Leibwache umgeben, in das
feindliche Yager. Sein fedes Auftreten imponirte bort,
\ und die Niam⸗niam Uando's benahmen ſich zunächſt äuferft
freundlich: große Trinfgelage feierten die Verſöhnung und
der König felbft ftattete dem Reiſenden einen Beſuch ab,
wobei dieſer und feine Leute ihn noch mehr einſchlichter⸗
tem und ihm feine feindliche Haltung und feine Knaus
ferei mit Yebensmitteln vorwarfen. Das wirkte; bald dar-
auf bradıten Diener eine Anzahl großer Zöpfe mit ab»
ſcheulich ftinkendem Inhalte angejhleppt: es war ein an+
gebramntes, räucheriges Nagout von Kaldaunen eines zwei
hundertjährigen Elephanten, fehr zähe und mit fehr viel
Hautgoät,. Nicht nur Schweinfurth, fondern felbft die Nubier
wiefen dies Pradhiftiid niamnianiſcher Kochkunſt zurid,
aber nur um fo mehr befeftigte er dadurch die Anficht, welche
%
262 Ein Beſuch des Grabes des Confucius und des heiligen Verges Zai.
ſich die Wilden über fein Boranifiren zurechtgemacht hatten.
Er blieb ftundenlang allein im Walde, riß überall Zweige
und Blüthen ab, kehrte oft
mit zufriedenen, heiterm Ge:
fichte von feinen Ausflügen
zurück, wies das treffliche
Elephantenfleiich von ſich: er
mußte alfo ein Vegetarianer
reinſten Waſſers fein, der
feinem Hunger nad, Grin:
futter im den prächtigen Wäl-
dern des Niam:niam-Landes
Genüge thun konnte, wäh:
rend fein Heimathland gewiß
fein einziges Blatt, feinen
Baum und feinen Straud)
hervorbringt! Und fo er:
hielt er denn den Spignamen
„Mbarif-päh“, d. i. Yaub«
freffer, der ihm bei allen ſei⸗
nen weiteren Reiſen geblie-
ben ift.
Wie ſchon bemerkt, iiber:
ſchritt Schweinfurth bei die
fer letztern Wanderung die
ſudweſtliche Waflerfcheide des
Nil, was ihm nicht mit ei:
nem Schlage, jondern nur
langjan und almälig klar
wurde. Ein ganz neuer Ve—
getationstypnd trat nun auf,
dem noch fein Reiſender im
Nilgebiete begegnet war, maf+
fige Didichte von Panda»
nus, die ihm der erſte ficht:
bare Fingerzeig flir das Ber
treten eines neuen Stroms
gebieted und ein ungweifel:
hafter Hinweis auf die Flora
der afrikanischen Weitküfte
waren. ben dahin *) deu⸗
tete das Vorkommen von
Schimpanfeihädeln auf
*, Eine vollftintige Zuſam⸗
menflellung aller Wegiebungen,
melde Schmweinfurtb zwiſchen dem
Niamsniam: und Monbuttulande
einerfeits und der meRafrifanir
Ein Bähnki Miam-niam-Chef).
den Pfählen, die zum Aufhängen ber Jagd- und Kriegs-
trophäen dienen umd bei feinem Weiler der Niam-niam fehlen
(vergl. das Bild ©. 258).
Zur Gewißheit wurde diefe
Anficht aber erft, als er bei
weiterm Bordringen den Fluß
Uelle überjchritt, welcher weft»
wurts ftrömt und eine Waſſer ·
maffe hinabwälzt, die nach
Schweinfurth’8 Anſicht feinem
andern Fluſſe als dem Ober⸗
laufe des in ben Tſadſee
mündenden Schari angehö-
ren fann,
Neuerdings find nun aber
Dr. Nachtigal's Forfhuns
gen und Erfundigungen im
Süden von Wadai und Darfur
befannt geworden (Zeitfchrift
der GSefelljchaft flir Erdkunde
zu Berlin, Bd. X, Tafel 2)
und dieſe ſetzen genau unter
derjelben Breite, wie Schweins
furth feinen Melle, den müchti-
gen, an Flußpferden und Kro⸗
fodilen reichen und den Schari
an Wajlermafle itbertref-
jenden Bahar Kuta an,
der nach Weften in das Pand
der Fellata ſtrömen fol. Da⸗
nach, wäre es alfo nicht ganz
unmdglich, dag Schweinfurth
im Quellgebiete nicht des
Schari, fondern eines der gro-
gen wmeftafrifanifchen Fluſſe
Monate eifrigften Sammelns
und Stubirendzugebradjt hätte.
Ob dies aber der Ogowe, ober
der Congo ift, oder welcher
fonft, diefe Frage kann bei uns
ſerm heutigen Standpunkte
der Kenntniß von Innerafrila
Niemand eutſcheiden.
ſchen Kuſte andererfeits fand, ſiebe
in: „Der gegenwärtige Stand der
deutichen Erpedltion im äquator
tialen Weſtafrila 11." „Olobus*
Br. XXVI ©. 346,
Gin Beſuch des Grabes des Gonfucius und des heiligen Berges Tai.
Die Provinz Schan-tung ift file die Chineſen unge:
führ dat, was Paläftina für die chriſtlichen Wölfer und für
die Iraeliten ift. Bier ift Confucius geboren und bes
graben, und von bier aus hat ſich feine Lehre über das
übrige China verbreitet. Das Grab des Lonfucius und
den nahe gelegenen heiligen Berg Tat befucht zu haben, ge⸗
hört denn auch fur vornehme Chinefen zum guten Ton,
und im dem entlegenften Gegenden Chinas begegnet man
Reiſenden, deren Ziel jene Derilicdhfeiten find.
I.
Nachſtehender Neifebericht ift den Briefen eines jungen
Medienburgers an feinen Bater, den Herrn C. W. Stuhl»
mann, langjährigem Mitarbeiter bes „Globus“, entnom:
men, Herr Stuhlmann jr. ift feit längerer Zeit Beamter der
chineſiſchen Seczölle, und er machte die Reife in Geſellſchaft
des Dr. 9. Fritſche, Vorftand des kaiſerlich ruſſiſchen
Obfervatoriums in Peling.
Reife eine größere Anzahl geographifcher, magnetifcher und
Dr. Fritfche hat auf biefer
bppfometrifcher Veftimmungen gemacht und hieriiber auch
Ein Beſuch des Grabes des Confucius und des heiligen Berges Tai.
in dem von der faiferlich ruffischen Alademie der Wiflen-
haften zu Peteröburg herausgegebenen Repertorium filr
Meteorologie berichte, Dr. Fritſche erwähnt denn aud)
dort feines Begleiterd und bemerkt, daß derfelbe ihm durch
feine Kenntniß der chineſiſchen Spradye und durch feinen
angenehmen Charakter das Reifen fehr erleichtert habe.
Laſſen wir nun den Reifenden felbft reden.
Im Auguft 1871 kam Herr Dr. Fritſche aus Peling
nad) dem Hafenort Tſchi-fu, und da er die Abficht hatte,
das Innere der Provinz Schan-tung zu beſuchen, und dieſes
auch feit länger mein Wunſch war, jo einigten wir uns,
die Reife gemeinfchaftlic zu machen. Folgendes wurde feft-
geftellt. Unſer erſtes Ziel follte Tfirnansfu, die Haupt:
ftadt von Schan-tung, fein, welches in weftfüdweftlicher Ridy
tung etwa 1200 Li oder 75 deutiche Meilen von Tſchi⸗fu
liegt. Bon dort wollten wir nad) Kit-fu gehen, wo ſich
das Grab des Confucius befindet und das 390 Yi oder 23
deutjche Meilen ſudlich von Zfienansfu gelegen if. Bon
hier aus follte ein Abftecdyer zum heiligen Berge Tai ger
macht werden. Dann wollte mein Reifegefährte nördlich),
quer durchs Yard, nach Being gehen, ich aber auf einer füd>
lichern Route zurlid nach Tſchi⸗fu.
Zwei Veförderungsweifen ftanden uns zur Auswahl.
Entweder konnten wir uns der von den Chinefen gewöhnlic)
als Weifewagen benugten zweiräderigen Karren bedienen,
oder aud) der fogenannten Schautzus. Diejes find große,
unferen ehemaligen Portechaiſen ähmelnde Sänften, welche
ftatt von Menſchen von zwei Maulthieren getragen werden,
und der größern Bequemlichleit wegen eutſchieden wir uns
für fie. Um jpäteren Steeitigleiten vorzubeugen, wurde
mit dem Maulthierverleiher ein fchriftlicher Contract abge»
ſchloſſen, der jenen verpflichtete, mic) durch feine Thiere und
Leute im Laufe von ſechs Wochen nad) dem gedachten Dert:
lichkeiten und nach Tſchi⸗-fu zurüdbringen zu laffen, gegen
eine Zahlung von 50 Dollars. Für den Transport ber
Anftrumente des Dr. Fritſche wurde dann nod) extra ein
ſtarles Maulthier gemiethet und ebenfo für unfere Diener
zwei Reitefel.
Vom jhönften Wetter beglinftigt, traten wir am 31. Aus
guft unfere Reife an. Bald lagen die Berge, welche Tjchirfu
nad) Süden umfränzen, hinter und und wir zogen abwech—
felnd durch fruchtbare, aufs Sorgfältigfte angebaute Thäler
und rauhe Hochlande auf der wohlunterhaltenen Heerftraße
fort. Gegen Mittag kamen die neuerlichſt zuweilen aud)
von Europäern beſuchten Scweielquellen am Fuße der
Airfhanstang-fFelfen in Sicht, und nun gelangten wir
allgemad; in ein mit großen Granitbroden liberfäetes Hod)-
land, deſſen zahlreiche Thäler und Schluchten überall Bäche
und Uuellen durdyraufchten und deſſen dürftige und ſpora—
bijhe Bewaldung fat nur aus Cypreſſen beftand.
Nachdem wir etwa 7 deutfche Meilen zurlidgelegt, nah»
men wir Nachtquartier im Wirthahaufe eines Heinen Dorfes,
Diefes glidy denen aller Meinen hiejigen Ortfchaften, das
heißt, es beftand aus einem von halboffenen und ganz offe-
nen Baraden umgebenen Hof, worin es die Säfte ſich nad)
Gefallen bequem machen mögen. Da mein Diener bereits
gute Erfahrungen in ber europäifchen Kochtunſt befaß, jo
hatten wir aus ben mitgebradhten Borräthen ein vorzügliches
Abendefjen, und demnach fühlten wir uns, troß des jchlech-
ten Obdachs, ganz gemlithlic.
Da ich in den Hötelräumen mehreren Scorpionen und
Ratten begegnet war, ſchlug ich mein Nachtlager in der
Sänfte auf. Kaum hatte ic) das gethan, als unter Rufen
und Geſchrei und Schellengeflingel eine Karawane von etwa
50 Maulthieren ihren Einzug in den Hofraum hielt, welche
Waaren nad) Tſchi-fu bringen wollte. Trog des Yärmens
263
ber, Treiber und des Echreiens ihrer Thiere fchlief ich jedoch
bald ein, machdem ich vorher noch meine Schlafjtelle gegen
unmwilltommenen Beſuch durd) eine Barricade von Baum—
wollballen gefichert hatte,
Am Morgen erwacend fand ic; mid; naf und kalt. Es
regnete ftart, und die Sänſte hatte ein Ve. Ich ſuchte
meinen Gefährten auf, und wir gingen zu unferen Beglei-
tern, welche uns fagten, daß jo lange der Regen andauere,
wir nicht weiter reifen könnten. Inzwiſchen verwandelte
das Regnen fic in ein Gießen und unfer Hof in einen
See, aus dem bald nur noch einzelne Reihen hoher Steine
hervorragten. Die Dächer der Baraden wurden von Mi—
nute zu Minute undichter und aud die Wände begannen
den Regen durchzulaſſen, denn obgleich es im norböftlichen
China ſchöne Bruchfteine im Ueberfluß giebt, find alle klei—
neren Privatbaulichteiten aus ungebrannten Yehmiegeln
aufgeführt. welche Regen und Winterfroft bald zu Ruinen
werden laffen. Da ich nun nicht Neigung fpürte, mich
während der Nacht durch zufammenftürzendes Dachwerk er-
ſchlagen zu laſſen, fo kroch ic), als es Vettgangszeit gewor-
ben, wieder in meinen Schautzli, nachdem ic) ihn zuvor auf
die noch am höchſten aus dem Waffer ragenden Steine hatte
fegen laffen. Yange nod) hielten mid, das Plätfchern des
Regens, die lagen der Treiber und die Unruhe ihrer Thiere,
denen das Waſſer theilweife bereits bis unter den Baud)
ftand, wach.
Am mäcften Morgen hatte das Regnen aufgehört und
bald wurde aud; der Himmel Har. Raſch wurden unfere
Thiere bepadt, und faft den ganzen Vormittag zogen wir
an ben Ufern eines durch dem geftrigen Regen ungemein
reigend gewordenen Gebirgäwaflers hin. Die bald hligelige,
bald bergige Landſchaft zeigte fi am vielen Stellen mit
aufs Sorgfältigfte gehegtem, in ſchnurgeraden Linien ger
pflanztem Nadelholz beftanden, und Höhen und Päſſe waren
vielfahh von Thürmen gekrönt, oder durch Mauern mit
Schießſcharten gejperrt, die größtentheils während der Kämpfe
mit den Rebellen errichtet worden find, Wir trafen auch
mehrere Gebäude, ja ein ganzes Dorf an, das durch die
legten Regengüffe zur vollftändigen Ruine geworden war.
Am nädjten ittage gelangten wir in die große
Ebene, welche ſich zwifchen dem Bufen von Pestichi-li und
den von Weft nad) Dft ftreichenden Gebirgen ausbreitet und
die zu den fruchtbarften und dichtbevölfertiten Diftricten des
nördlichen Chinas gehört. Die Yanditraße, auf der wir
fortzogen, war jo vortrefflich, wie eine unferer großen Chauf-
jeen, und bald famen die Tempel und Mauern von Hwangs
bien in Sidit.
Auf den erften Anblid hat eine große oder größere ine:
fiiche Stadt etwas jeher Maleriſches. Die riefigen Thore,
gekrönt mit zierlichen Heinen Tempeln, bie vielftödigen Pa-
goden mit ihren Dächern von buntfarbigen Porcellanziegeln,
die alten Monumente, weldye, unferen Triumphbogen ähnlich),
in die Straßen oder den öffentlichen Plägen vorgebaut find,
die offenen Berkaufsläden, welche ſämmtlich mit viefigen
Wahrzeichen und Firmenſchildern von allen nur möglichen
Formen und Farben gejchmidt find, diefes Alles präfentirt
ſich ſeltſam und erregt die Neugier. Bald wird man aber
deſſen gewohnt und felbft überdrüſſig, denn alle chineſiſchen
Städte ähneln fid), ala hätte nicht bloß ein und daſſelbe
Zeitalter, fondern auch ein und derfelbe Meiſter fie gebaut.
Weiterziehend hatten wir vielfach, Gelegenheit eine von
mie in Schanghai bereits gejehene, in Tſchi-fu und
Hongkong aber nicht übliche Beförderangmweife von Men—
ſchen und Waaren zu beobadjten. Es ift die durch Schieb-
farren, welche fid) von denen, die bei uns im Gebrauch jind,
durch ein vier Fuß im Durdjmefjer haltendes Rad unter:
264
ſcheiden. Seitwärts diefes Nades befinden ſich zwei Bretter,
auf welche die Paſſagiere ſich fegen oder die liter beſeſtigt
werden. Reiſende Kaufleute laſſen ſich jo mit ihren Waa—
ten von Ort zu Ort farren, frauen mit ihren Kindern zu
entfernten Befuchen und unbemittelte Studenten legen dar:
auf ihre Reife zum Eramen nach Beling zurlid, Sind der
Paflagiere mehrere oder ift fonjt die Befradjtung ſchwer, fo
wird vorn ein zweiter Mann, aud) wohl ein einer Gfel
vorgejpannt. Die Menschen, weldye das Karren beforgen,
find durchweg ſtämmige Gefellen und nur mit dem Noth:
wendigften befleidet. Dennoch troffen fie von Schweiß, und
ich glaube, daß auf der Erde faum cine auftvengendere Ars
beit als die ihrige verrichtet wird.
Allenthalben war man mit dem Einbringen der zweiten
Ernte, hauptfächlic, Hirfe, Bohnen und Erbſen, beſchäftigt.
Mehrfach ließ ich mich im längere Geſprüche ein und fand
immer, daß die Leute fich höflicher und beſcheidener bezeigten,
ald das meiflens Seitens unferer norddeutfchen Yandarbeiter
der Fall if. Angebettelt oder fonft beläſtigt wurden wir
von Niemand, obſchon Jedermann ſichtlich erftaunt war uns
zu jehen und auch dariiber, daß ich ihre Sprache verftand.
Die, mit denen ich redete, boten mehrfach mir ihre Pfeifen
zum Rauchen an, aud) von ihrem Getränk und ihren Speifen.
Früh am 3. September erreichten wir die große Stadt
Lai⸗-tſchau-fu, berühmt wegen der in der Uimgegend wachjen-
den herrlichen Weintranben, die bis Tſchi-fu und weiter ver
führt werden, und ihrer Fabrilen in Geifenftein, Aus diefem,
der in der Nähe gebrochen wird und bald grau, bald röth—
lich gefärbt ift, werben, oft mit ſehr geſchicter Benugung
der in die Steinmaffe eingefprengten dunkleren Flecke und
Adern, zahllofe Heine Zierrathen, IThierfiguren, Theetöpfe,
Kaften, Becher und ſelbſt Flöten gefchnigt und gedrechſelt,
und zwar Manches recht geſchmadvoll. Wie alle chine—
fiichen Städte ift auch diefe befeftigt und der breite Stadt:
graben, der ganz mit blühendem Yotus überzogen war, ger
währte ein herrliches faft tropifches Bild. Wir paffirten
eine neue, ſchöne, aus einem einzigen fehr weitgejpannten
Bogen beftehende Brücde und weiter ein altes, ungewöhnlich
toßartiges Thor. Die Stadt felber bietet jedoch wenig
ejonderes, objchon fie vielleicht wohlhabender ift und auch
reinlicher gehalten wird, auch ein beſſeres Straßenpflafter
hat, al8 die meiften großen hiefigen Stäbte.
Unfer Nachtquartier nahmen wir in Sin-ho, das an
einem jegt faft waflerlofen, verfallenen, großen Ganale liegt,
über welchen eine mehr alt vierhundert Fuß lange Brüde führt.
Ueberhaupt find im meuerer Zeit manche der großen Waflerr
firaßen aufs Weuferfte vernacjläffigt, wie es denn auch
außer Frage ſteht, daß China, feit es ſich den Europäern
und dem europäifchen Handel hat öffnen müſſen, weder in
der allgemeinen Cultur noch an Wohlftand fortgefchritten
ft. Die nä acht brachten wir in Honsting zu, wo
fid, inmitten der Stadt, anf einem fteilen Hügel, ein ſchon
von Weitem in die Augen fallender taviftiicher Tempel bes
findet. Die Taviften find eine durch ganz China weit
verbreitete veligiöfe Secte, fo eine Art Spiritualiften. Ahr
Gründer war Yaostzii, eim Zeitgenofle von Gonfucius,
und ihre Priefter ruhmen fich eines tiefern Berftändniffes
der Maturfräfte und behaupten eine befondere Gewalt
über die böfen und guten Geiſter zu befigen, ſolche rufen
und bannen zu können.
Ein alter freundlicher Priefter führte mich im Tempel
umber und hinderte auch nicht, daß ich von ſelbigem eine
Zeichnung machte. Faſt alle chineſiſchen Tempel find nad)
einem Baufyften errichtet. Sie beftchen immer aus eiment
Complex von Gebäuden, die, ähmlic, wie unfere öfter, ein
gegen ihre Umgebung abgefchlofienes Ganzes bilden. Der
Ein Beſuch des Grabes des Gonfucius umd des heiligen Berges Tai.
gewaltige aus mächtigen Quadern errichtete Unterbau des
Tempels in Hon-ting hat eine Höhe von etwa ſechszig
und eine Yünge und Breite von mehr als breihundert Fuß.
Am ſechsten September paffixten wir Weishien, eine
größere Fabrifftadt, in der namentlich die Schanstung-Seiden:
ftoffe befonders gut verfertigt werden, Im Wirthshaufe, das
verhältnißmäßig comfortable war, fpeisten wir aus der
Küche des Wirth: mit Eiern abgequirlte Hammelfleifchbrühe
und gebadene Fiſche. Da man uns erzählt hatte, daß ſich
in der Stadt ein befonders fehenswerther Tempel befinde,
beſchloſſen wir ihu aufzufuden. Wir waren aber faum
einige hundert Schritte gegangen, als uns eine folde Waffe
von Neugierigen umbrängte, daß mein Begleiter feine Yuft
mehr hatte weiter zu gehen, und fo fehrten wir in das nahe
am Thor gelegene Wirthshaus zurüd. In diefem Theile
Chinas find Europäer noch eine ſehr feltene Erſcheinung.
Am Abend des neunten Septembers erreidjten wir die
Provinzialhauptftabt Tfi-nansfu und fanden in ber Bor:
ftadt ein Bam gutes Quartier. Am andern Morgen ließen
wir uns in Sänften zu einem amerifanifchen Diethodiften-
miffionär tragen, deſſen Adreſſe man uns in Tichisfr ge
geben. Es war Sonntag, und wir fanden unfern Freund,
der feit zwei Dahren hier am Plage arbeitet, bereits in
chineſiſcher Prieftertracht und in fabbathlicer Stimmung.
Indeflen nahm er uns doch freumdlic; auf und lud uns
auch zum Frühftüd ein, das wir jedoch, da nadı chineſiſcher
Sitte alle Schüffeln die penetranteften Ktnoblauchsdlifte ath:
meten, dankend ablehnten. Nachdem wir uns noch kurz
über die Schenswürdigfeiten der Stadt informirt, nahmen
wir herzlichen Abſchied.
Die vorhin verſchloſſenen Läden waren jetzt ſämmtlich
geöffnet. In ununterbrochener Reihe laufen dieſelben zur
Seite der Hauptftraßen hin, die verſchiedenartigſten Gegen:
ftände, nicht ohne Geſchick drapirt, zur Schau ftellend. Ich
jah darunter englifche Woll- und Baummollenftoffe, Stahl:
und Eiſenwaaren, dagegen von deutſchen Erzeugniſſen nur
Zundhölzer. Ueberall herrſchte ein lebhafter Verkehr, und
unſere Träger hatten oft Mihe, uns durch das dichte
Menſchengewuhl hindurch zu tragen. Zwiſchen den Haupts
ftraßen ſchlängeln und winden ſich zahllofe enge Gäßchen,
mit denen verglicen die des berüchtigten Hamburger
Sängeviertels gerade, breit und fauber zu nennen find,
Wieder in unferm Wirthshaufe angelangt, ließen wir uns
gebadene Fiſche und herrliche Pfirfice und Weintrauben
gutjchmeden, und dann traten wir in unferen Sänften eine
neue Nundreife an.
Zunüchſt befuchten wir die Hauptmofchee der hier
zahlreichen Mohammedaner. Es ift dies ein großes Ge-
bäude im chineſiſchen Tempelftil, das inwendig weiter feinen
Schmud zeigt, als daß die Säulen und Wände von oben
bis unten in arabifchen Schriftzeichen mit Sprüden des
Koran bededt find. Ein Mann, welcher der Küfter fein
mochte, begrüßte uns und redete und Arabiſch an. Auf
Chinefifch erwiderte ich, daß ich ihn nicht verftände und bat
ihn, mit mir in diefer Sprache zu reden. Er erftaunte ficht:
lich und noch mehr, als ic, ihm fagte, daß wir feine Mo-
hanmedaner, fondern Chriften wären, Er fragte danu, ob wir
Kaufleute oder Mifjionäre feien, und als ich beides verneinte,
wunderte er fi) aufs Neue, ſchien aber auch zu zweifeln,
als ich nunmehr verfuchte, ihm Über ben Zwed unferer Reife
aufzuflären. Als endlich mein Begleiter ihn mit einer Mlei«
nen ruffifchen Silbermünze befchenfte, lannte feine Ergebeu—⸗
heit faum Örenzen. .
Ein langer Marfc quer durch die Stadt bradjte und
danı zu einem ganzen Compler von Tempeln, ähnlich zu—
fammen ans und ineinander gebaut, wie man es in man-
E. dv. Boed: Ein Beitrag zur Beurteilung des ſthechuaſtammes in Peru und Bolivia.
chen unferer alten Biſchofsſtädte mit lirchlichen und geift-
lichen Gebäuden jieht. Ju einem rings umſchloſſenen fried
bofartigen Hof zeigte fich in der Mitte ein großes, hübſch
verziertes, fteinernes Balfin, welches ein Flußarm durchſtrömte
und aus dem in gleichmäßigen Abſtänden mehrere Meine
Springbrunnen in die Höhe ſchoſſen. ine Menge gut
gelleideter Chinefen vertrieben ſich in der kühlen Oertlichteit
die Zeit mit Rauchen und Kartenfpielen ober hörten eimem
Märchenerzähler zu. Unfere Untunft erregte allgemeines
Aurffehen, und als ich unvorfichtiger Weife meine Fähigkeit,
Chinefifch reden zu können, hatte merten laffen, waren wir
bald von einem dichten Schwarm neugieriger Frager um—
drängt. Auch Hier wollte man nicht glauben, daß wir zu
wiſſenſchaftlichen Zweden reiften, was nämlich ſich gar nicht
mit der Philofophie der vornehmen Claſſen Chinas, die
jedes Idealismus bar find und deren Wünfche und Beftres
bungen nur auf materiellen Febensgenuß, namentlich) auf
vieles und fettes Eſſen gerichtet find, zufammenveimen läßt.
Auf dem Nücwege zum Wirthshaus fahen wir nod)
eine Miffionsanftalt, deren Arbeiter franzöfifche und
ſpaniſche Franzisfener find. Ihrer Erzählung nad) haben
fie bereits Biele befehrt, was id) jedoch ganz und gar be—
var Das chriſtliche Dogma paßt für die chineſiſchen
bensauſchauungen wicht, und das der Katholiken noch we—
265
niger als dasjenige der Proteſtanten. Einen Gott, der aus
freiem Willen ſich ſelber zum Beſten der Menſchheit kreuzigen
läßt: das geht jedem Chineſen über alle Kraft des Glaudene,
Nach eingenommenem Mittagsmahl erhielten wir einen
ſeltſamen Beſuch. Ein Mann mit ftarfem Badenbart und
fremdländifcher Kleidung trat bei uns in Begleitung jenes
Mannes ein, mit dem wir im der Mofchee geredet. Auch
er ſprach uns Arabiſch am und verwunderte ſich auch ent⸗
fchieden, als wir ihn nicht verftanden. Dr. Fritſche vers
fudjte es num mit Ruſſiſch, allein vergeblich, und fo mußten
wir wieder zum Chineſiſchen unfere Zuflucht nehmen, wovon
jebod) der Äyremde nur wenige Worte verftand, Der mitge:
fommene Küfter mußte aud) nicht viel, da wiederum deſſen
Kenntnig des Arabiſchen eine höchſt kümmerliche war. Ends
lid, brachten wir heraus, daß unjer Gaft ein Buchare fei,
der ſchon länger in China reiſte und jegt nach Schanghai
wollte. Er fragte uns, ob wir Velenner des Islam wären
und aud) er verwunberte ſich jehr, als wir ſolches vernein«
ten. Was eigentlich der Zweck feiner Reifen, blieb uns
bunkel, doc, ſchien es uns fpäter, daß er in mohammebani=
ſcher Miſſion macen möge. China wird zur Zeit von
religiöfen Gefchäftsleuten aller Art durchſtreift, unterwühlt
und in Unruhe gebracht. Den meiften Erfolg follen noch
die Mohammedaner haben.
Ein Beitrag zur Beurtheilung des Khechuaſtammes in Peru und Bolivia.
Als nad) der Entdedung des transatlantiichen Feitlandes
im 15. Jahrhundert fic, dem eroberungsluftigen Europa ein
weites Feld geöffnet, fanden die lühn und raſtlos vordringens
den GEntdeder dafelbft zwei Völferftämme vor, weldye in Ans
betracht der höhern Bildung und des geordneten Staatswefens
nicht wohl ald Wilde angejehen werden fonnten: nämlich bie
Aztefen in Merico und bie Unterthanen der Incas in Peru,
Während im nördlichen Theile Amerifas die eingeborenen,
auf miederer Culturſtufe ſich befindenden Jägerſtämme vor
ben Fortjchritten der Weißen immer weiter nad) den unwirth—
lichen aber wildreichen Jagdgründen im Weften zuriicdwicen
und der angelſächſiſchen Race ihre ſchönes, fruchtbares Yand
überließen, hatten die romanischen Eroberer in den beiden
obgenannten Eulturreichen nicht wur den materiellen Wider
ftand ihrer Bewohner, die mit Recht ſich den Eindringlingen
widerjeten, zu überwinden, ſondern fie mußten vor Allem
ſich bemühen, die feftgewurzelten religiöfen Einrichtungen und
politifchen Iuftitutionen umzugeftalten und die patriotifchen
Erinnerungen ihrer nationalen Größe und Bedeutung aus
dem Gedächtniſſe der Unterjochten zu verwifchen, ba fie nur
zu wohl erfaunten, welch bedeutenden Einfluß die von Gene:
ration zu Generation vererbten Traditionen von früherer
nationaler Selbftändigfeit auf die mit voher Gewalt und
Graufamfeit niedergehaltenen Bolfsftämme üben mußten. Zu
unterfuchen, welche Urfachen dazu beitrugen, die Durchführung
diefer Pläne in Mexico zu erleichtern, liegt außerhalb unferer
Abſicht, aber der bemerkenswerthe Umftand, dag eine Aus:
rottung des Nationalgefühls und ber Nationalfpracye im
Imcareiche bis jet noch nicht gelungen, diirfte wohl als Be—
weis fiir die Pebenskräftigkeit und zähe Standhaftigleit einer
Globus XXVIII. Nr. 17.
Von E, von Boed in Cochabamba.
Nation gelten, welche den umftlirgenden Beitrebungen ber
Eroberer durch Jahrhunderte einen unüberwindlichen paffiven
Widerſtand leiftete und dadurch VBeranlaffung gab, daß bie
weltfundigen Sendboten Loyola's den weiſen Entſchluß faß-
ten, ihre Vehren und ihr Benehmen fo viel ald möglid, der
Dentweife diefes Volkes anzupaffen, feiner Sprache ſich zu
bemächtigen und durch biefelbe den Lehren bes Chriftenthums
leichtern Eingang zu verichaffen. Wenn es nun einerfeits ein
unbeftrittened Verdienft diefes Ordens ift, den grammatifas
Lifchen Bau der Sprache erforscht und die Schönheiten berfel«
ben begriffen zu haben, jo ift andererfeits nicht abzuleugnen,
daß fein religiöjer Eifer viel dazu beigetragen hat, die Origis»
nalität und Reinheit der Sprache zu entitellen, indem die Miſ—
fionäre ſich Mühe gaben, alle ſolche Worte und Rebeweifen
daraus zu entfernen, welche im irgend einer Weife auf bie
urfpräinglichen veligiöfen Ideen und Anfchauungen der Nation
Bezug hatten, und baflir andere unterzuſchieben, die den
chriſtlichen Lehrbegriffen angemeſſen waren, woflie wir im
Yaufe diefer Abhandlung mehrere Beweife beizubringen ges
benfen.
Sprache. Die Spradje der Indier, welche in der Ger
gend von Guzco oder Cozco wohnend zuerſt ſich dem Scepter
der Inca unterwarfen, heißt „Khechua“, welches Wort eigent-
lic, „gemäßigtes Klima“ bedeutet im Gegenfage zu „Puna“,
„faltes Klima“, und jenen Namen führten die um Cuzeo
angefiebelten Stämme. Cuzeo war der Schauplag der größ-
ten Pracht und Herrlichkeit des Incareiches, aber auch Zeuge
feines traurigen Unterganges, als bie legten der Incafpröß-
linge unter den Scwertftreichen der fpanifchen Genfer vers
bluteten und jelbft zarte Frauen umd Kinder diefer Familie
34
>
266
graufam hingefchladhtet wınden (Ende des 18. Jahrh.). Diefe
Stadt und Provinz ift es auch heute noch, wo die Khechua
am reinften und beiten geiprochen wird, während in den ſild⸗
lichen Provinzen Perus und befonders in Bolivia die Sprache
fo jehr mit ſpaniſchen Elementen vermifcht ift, daß die reine
Khechua in jenen Gegenden gar nicht mehr veritanden wird.
Die Bildungsftufe der Khechua-Indier zu Zeiten der Incas
dürfte vielleicht nicht mit Unrecht mit der Civilifation der
heroifchen Periode des alten Hellas verglidien werden, in
welcher die Könige und Fürften in großer Einfachheit lebten
und literarifcye Beftrebungen ſowie jede Art von Schulbildung
faft unbefannt waren, woher es auch fam, daß die Sprache zu
jener Zeit nie ſymboliſch in Schrift und Zeichen verkörpert
wurde, weil fie im Munde des Volfes lebte und ihre literas
rischen Erzeugniſſe, 3. B. Gefege, religiöfe und heitere Volfe-
weifen, von Mund zu Mund fic) fortpflanzten. Wie die Tha—
ten ber alten Heroen durch die von Stadt zu Stadt wandernden
Rhapfoden befungen wurden, fo gab es aud) im Incareiche
Dichter und Sänger, derem Lieder von Geſchlecht zu Geſchlecht
ſich fortpflanzten, ohne daß fie je ſchriſtlich aufgezeichnet wors
den wären. Bis jetzt ift es von allen Gefchichtsfchreibern als
Thatſache anerfannt, daß die peruaniſchen Indier zur Zeit
der Incas weder Buchſtaben noch Zeichenſchrift gelaunt und
angewendet haben. Unentſchieden ift bis jet mod) die Frage,
ob die fogenannte Knotenſchrift oder Khipus bloß zur
Aufzeichnung numerifcher Daten diente oder wirflid, ein Erſatz
für Buchſtaben und Zeichenfchriit war. Prescott in ſei—
ner Geſchichte der Eroberung von Peru (I, 4) ift der Anſicht,
daß diefe Knotenſchulre eine Art numerifcher Zeichen für
gewiſſe Ereigniſſe, gefegliche Beſtimmungen u. |. w. feien,
eine Anficht, welcher auch mein verftorbener Freund Tſchudi
in der Borrede zu feiner Khechua-Grammatit ſich anſchließt.
Jedenfalls ift aber mit dem Aussterben der mit diefer Aufs
zeichnungsweije betrauten Beamten, der fogenannten Khippuca-
wayof, das Berftändniß diefer Schriftweife fir die Nachwelt
gänzlich verloren gegangen *).
Dagegen aber findet man am verſchiedenen Plägen in
Peru eine Menge großer und Kleiner Steine bededit mit einer
Art Hierogigphen oder Zeichenfchrift, von deren Urjprung
die Geſchichte feine Erwähnung thut. Unweit Arequipa
in einem Gebirgszuge, genannt „Ya Coldera“, finden fid)
rechts und lints auf dem Wege nadı Bitos Hunderte von
Steinen, auf denen ſolche Zeichen eingegraben. Rivero und
Tſchudi in den „Antiqguedades Peruanas*“, Marfham und ans
dere Reifende erwähnen diefer Thatjache, und ich ſelbſt Habe diefe
Stelle im Jahre 1861 befucht. Die Steine gehören meiſt
zur devoniſchen Formation und einige derfelben find fonor
wie Klingjtein, die darauf gezeichneten Figuren find meiſtens
Sonnen, zadige Blige, Schlangen, rohe Umriſſe von Men⸗
ſchen und Thiergeftalten, Eidechſen, Hirſchgeweihe und ver:
ſchiedene unſymmetriſche und nicht zu entziffernde Ger
bilde. Der italienische Gelehrte Dr. Antonio Raimondi,
welcher feit einer langen Reihe von Jahren ſich mit dem
*) Man vergleiche hiermit, was K. Ritter (Aſien IV, ©.
505) nach dyinefischen Quellen von ven Sifan im noͤrdlichen Tibet
ſiehe Seite 268) berichtet: „Diefe Sifan koͤnnen weder leſen
noch ſchreiben; machen fie aber unter ſich einen Vertrag, fo bin-
ten fie Stride an Holzitüde mit fo viel gefchlungenen Kno—
ten, als bie Zahl ker getroffenen Webereinfunft beträgt. Diefe
autifsaftarifche Knotenſchrift, Kiel eng bei den Gbinefen genannt,
d. b. gelnotete Strike, wird auch ten Tufan überhaupt beigelegt,
und ebenfalls ten Ghinefen der älteften Zeit, als dieſe noch
nicht efwärts bis zum Meere fortgerüdt waren, fontern noch ihre
Sige nur in Honan und Schenfi hatten. Das Document jener
Knotenſchrift ift den Sifan ber beiligfte Conttact.“ Ob dieſe
alteſte Schriftart Gentralafiens fib noch heute bei ten Eifan finder,
darüber berichten leidet Prfcdhewalsti, der dieſelben zulept befuchte,
nichte, Ner.
E. v. Boeck: Ein Beitrag zur Beurtheilung des Khehuaftammes in Peru und Bolivia.
Studium der peruanischen Naturgejcichte und Ethnologie
bejchäftigt, befuchte auf meine Anregung diefen Ort im Jahre
1864 und war anfangs unjchläffig Über das wahrfcheinliche
Alter diefer Zeichen, bis er jpäter in fehr alten und vorbem
nie geöffneten Ghrabmälern ganz genau diejelben Figuren auf
großen Steinen eingegraben fand und dadurch der Anficht
fi) anſchloß, daß diefe Zeichenjchrift einer der Incadynaftie
vorhergehenden Periode angehören dürfte, wie fo manche ardhi«
teftoniiche Dentmäler auf der Infel Titicaca und ber Halb-
infel von Tiahuanaco.
Dem Philologen bietet das Studium biefer Sprad)e gro:
Bes Intereſſe, da eine foldye Symmetrie der Conftruction,
ein fo großer Reichthum am Formen und eine fo ſchmieg-
ſame Fleribilität, fei e8 für Wortableitung, fei es für Bildung
rg Begriffe nur in wenigen lebenden Spradjen angetrof:
en wird.
So lange die Frage Über die ethnologiſche Abftammung
der amerilaniſchen Urvölker wiſſenſchaftlich ungelöft bleibt,
wäre es Berwegenheit, ſich in Hypotheſen zu ergehen, wel
dem der bis jest befannten Sprachftämme die in Amerila
gejprochenen Zungen angehören, jedoch läßt eine tiefer ein«
gehende Vergleihung des Baues der Khechua mit anderen
befannten Spradjen entfernte Analogien mit indogermanifchen
Sprachformen entdeden, eine Behauptung , die nur mit gro
ger Vorſicht ausgefprochen werden darf, um nicht etwa eine
Schlußfolgerung auf verwandtſchaftliche Abftammung oder
Entwidelung darauf begründen zu wollen.
Spradjvergleicdende Bemerkungen; Eigenthüns
lidjteiten der Khechua.
Der Mangel eines beftimmten und unbeftinmten Arti—
fels, analog dem Yatein, erzeugte die Nothwendigkeit für die
verſchiedenen Wortfälle eine —“ mit Endbuchſtaben
oder Endſilben zu ſchaffen; und ſo finden wir außer Genitiv,
Dativ und Accuſativ einen Ablativ oder, wie Tſchudi ihn
nennt, einen Ylativ, der durch Anhängung jener Redetheile
ebildet werden kann, welche in anderen Sprachen Präpo-
fitionen heißen, hier aber richtiger Poftpofitionen genannt
werden follten.
Aehnlich der englifchen Sprache kennt die Khechua auch
feine grammatikaliſchen Gejdjlechter der Hauptwörter, wenn
fie nicht lebende Weſen bezeidinen, ja das Fürwort der drit«
ten Perſon ift nur eines für beide Gefchlechter.
Die Mehrzahl der Hauptwörter kann auf ſechs verſchie⸗
dene Weifen gebildet werden und ſcheint eine ſolche Mannig-
faltigfeit zu beweifen, daß die Indier ſcharf zwiſchen den
verſchiedenen Begriffen unterfcieben, die wir uns in ber
Mehrzahl verlörpert denken. It die Mehrheit durch ein
Zahlwort ausgedrüdt, jo bleibt die Pluralpartifel „cuna“
ganz weg. Zuſammengehörige Dinge und Begriffe haben
eine befondere Michrzahlbildung.
Analog der griechiſchen und der araucanifchen Sprache findet
fid) die Dualformation durch Vorfegung einer Doppelpartitel,
Aus einem concreten Hauptworte kann ein abftractes
gebildet werben durch Anhängung des Infinitives cay „fein“,
analog mit der deutjchen Ableitungsfilbe „heit“, 3. B. runa
„Menſch“*, runacay „Menfchheit“, d. h. Menſch fein.
Analog mit vielen indogermaniſchen Sprachen ift der
Gebrauch des Infinitives als Hauptwort, 3. B. rimay, das
Sprechen, die Sprache, mieuy, das Eſſen, die Speife.
Die Zufammenfegung der Hauptwörter ift ganz ähnlich
wie im Deutjchen und Englischen, indem ftets der beftimmende
ober Sonderbegriff dem allgemeinen vorgejegt wird, während
in den romanischen Sprachen die entgegengeſetzte Wortftellung
angewendet wird, 3. B. Handthlir: huasi punen, puerta
de casa. Todtenhaus aya-huasi.
€. v. Boed: Ein Beitrag zur Beurtheilung des Khehuaftammes in Peru und Bolivia.
Unferem deutſchen Worte „macher*, „meiſter“* zur Bezeich-
nung von Berufsarten, Handwerken, Gefchäften, Aemtern ıc.
entipricht ganz genau das Wort camayok (von der Wurzel
cama, machen, fchaffen, ordnen), pir&acamayok, Maurer:
meifter, khippucamayok, Beamter der Knotenſchrift.
Werfen wir noch einen Blid auf die mannigfaltigen ab—
ftracten Begriffe, woflir ſich reine Khechuaworte vorfinden,
fo künnen wir uns Überzeugen, daß die Nation an fchönen
Ideen keineswegs arm war, 3. B. k'apacay, Artigkeit, na-
paeunaeuy, Begrüßung, Compliment, huaylluy, Zärtlichkeit,
munay Liebe. Ebenſo reich iſt die Sprache an bezeichnenden
Worten für Haß, Abſcheu, Schrecken u. ſ. w.
Die Ausbildung des Zahlenſyſtems nach dem Decimal-
princip ift gleichfalls ein Beweis fir den höhern Cultur-
ſtandpunlt diefer Nation im Vergleich zu anderen, denen daſ—
felbe unbefannt geblieben. Die Zahlen von 10 bis 20 wer:
den aus der Grundzahl 10, chunca, und der entipredjenden
Ordnungszahl gebildet, 3. B. 11 chunca hukniyok, 10 ber
erfte; bie Zehner aus der Grundzahl mit chunca, 5. B. iscay-
chunca, zwei Zehner (20).
Die Fürwörter theilen ſich in zwei Claſſen, ſolche, die
allein ſtehen, wozu die perfönlichen, anzeigenden und fragen:
den gehören, und im ſolche, bie dem Worte ftets angehängt
werben, wozu bie befiganzeigenden und das Fürwort „jelbft“
gehört. Die befiganzeigenden Flrwörter, welche zum Theil
zur Beugung der Zeitwörter gebraucht werden, können
mancherlei Modificationen erleiden, und ift ihre Anwendung
für den Fremden etwas ſchwierig.
Die complicirte Beugung der Zeitwörter, wie fie in den
alten und zum Theil aud) in den neueren Khechuagramma-—
tifen vorfommt, dürfte wohl größtentheils das Wert von Ber»
fafjern fein, welche alle lateiniſchen Ausdrudsformen in
Khechua wiedergeben wollten; daflir jpricht aud) die That
fache, daß die Heutige Volksſprache die Conjugation fehr ver:
einfacht hat und manche Zeitformen gar nicht mehr darin in
Anwendung fommen. Gewöhnlich wird im erzähfenden
Stil die dem Parfait defint entſprechende Aorifizeit gewählt
und häufig fogar das Präfens ftatt des Futurs in Anwen
dung gebracht. Ein befonderer Reichthum der Sprache liegt
in den Participien, von denen wir ein Präfens, Präteritum
und Futurım vorfinden, 3. B. munak, der Liebende, mu-
naspa, der geliebt wird oder geliebt worden iſt, munana, der
geliebt werden wird, außerdem beſitzt die Sprache zwei Gerun ·
Dialformen: munaypak, um zu lieben, munaspa, durch oder
beim Lieben, das jogenannte Supinum ift gleid) dem Par—
ticip des Präſens. Die Subjunctiv- und Optativformen
bringen angenehme Abwechſelung in die Nebeweife und erin-
nern häufig an griechiſche Sagconftructionen,, 3. B. tacay-
man, id) möchte ſchlagen, rurrorue, Um eine Probe der
Anwendung des Subjunctiv zu geben, citiren wir folgende
Stelle aus einer von Avendano veröffentlichten Predigt, die
uns zugleich ein Beifpiel der eigenthlimlichen Comparativform
giebt. Der Redner jagt, daß alle Menſchen, Weiße, Indier
und Neger von Einem Elternpaare abftammen und fährt dann
fort: Huküinenna huküincunamantapas ashuan yurak
captinea (wörtlich: die einen vor dem andern mehr weiß
daß fie find) chayca intimanta haman (fo fommt das von
der Sonne).
Die Attributivbeiwörter oder Adjectiva werben ohne Auss
nahme ihrem Hauptworte vorgefegt, ganz wie im Deutſchen
und Englifchen. Eine unerfchöpfliche Quelle zur Bildung
neuer Wörter oder zur Umgeftaltung, Beichränfung oder Ers
weiterung des Sinnes von Haupt umd Zeitwörtern bilden
267
bie zahlreichen Partikeln, die bald eingejchaltet, bald dem
Worte angehängt werden, theils einzeln, theils mehrere zu«
gleich im beftimmter Reihenfolge. Der einfache Buchſtabe
„3“ dem Subject angehängt bedeutet „man fagt daß*,
> 2. huh huaynas mana alli eousayniok: „Man erzählt,
daß ein junger Dann, der ein ſchlechtes Leben führte,“
Als Hauptgrundfag fowohl für die Wortfolge als für
bie Sagordmung gilt die Regel, daß der regierte Redetheil
oder Sag ſtets dem regierenden voranftehen muß, ſomit jebe
Rede mit den Nebenfägen beginnen und mit dem Hauptſatze
ſchließen muß; 3. B. id) habe den Mann begegnet als id)
bon Euzco fam. Nöca Cozcomanta hamuk chay runacta
tineurcani, Nur in der Poefie find Ausnahmen von diefer
Regel erlaubt.
Bollsharafter, Der niedere Bildungezuftand ber
jegt lebenden Indier berechtigt ung feineswegs zu dem Schluffe,
daß die Borfahren einer fo tief ftehenden Nation niemals
auf höherer Culturftufe fich befunden haben fünnen; ober es
müßte uns aud) erlaubt fein im Hinblid auf die jegt lebens
den arabifchen Naubs und Hirtenftämme Nordafrifas in Abs
rede zu ftellen, daß die glorreiche Hera der Ommajaden umd
Abafjiden eine Fabel fei und niemals eriftirt habe
Die grenzenlofe Selbſtſucht der Spanischen Eroberer heifchte
ur Rechtfertigung der vielen graufamen Mafregeln, womit
he biefe Stämme zu unterdrüden fuchten, daß die Nation der
Indier in den Augen des jpanifchen Mutterlandes und ganz
Europas als ein in bie größten Later und tieffte fittliche
Erniedrigung verfunfenes Bolt dargeftellt wurde, obgleich die
feit Jahrhunderten beftehenden weiſen Staatseinrichtungen,
die trefflichen Geſetze über Aderbau, Bewäſſerung, Abga-
ben u. j. w. und das Vorhandenfein großartiger ardjitefto-
nifher Monumente mit derartigen übertrieben ungünftigen
Schilderungen einen ſchwer zu erflärenden Widerſpruch bil»
deten.
Jede Nation unterliegt denſelben pfychologiicen Geſetzen
wie die Einzelwefen, aus denen fie befteht, und find bei der
Heranbildung und Erziehung eines Volfes diefelben richtigen
Principien einer gefunden Bädagogik zu beobachten, wie bei
der Heranbildung des jungen Menſchen. Zu engherzige
Einſchränkung, fortgejegte verächtliche Behandlung, ungerechte
und willfürliche Beſtrafung, Erdrüdung des edlen Selbft-
gejühles dienen dazu, dem Kinde alle jene Yafter und Fehler
anzuerziehen, die wir am ihm vielleicht mit Unvedjt voraus«
fegen und zu befämpfen wähnen. Cine ſolche verkehrte Er—
ziehungsweife beobachteten die ſpaniſchen Eroberer und befol«
gen noch heutzutage die republifanifchen Negierungen, welche
die Indier als ummindig vor dem Gehege erklären und fie
gewiffermaßen als eine zum Dienen geborene, weit unter ihnen
ftchende Menſchenclaſſe betrachten, deren Arbeitse und Err
werböfraft auszubeuten das einzige Beftreben der Regierenden
bildet. In Folge dieſer schlechten Behandlung wurde ber
Imdier falſch, Heimtüiciich, verjchlagen und arbeitsſcheu. Die
chriſtliche Religion hatte ihm feinen tiefen Gefühlsglauben
genommen und nur Unverftändliches bafiiv gegeben. Er,
einft der Herr diefer Yänder, ift nun der mißhandelte und
verachtete Paria, faft gänzlich vechtlos dem Weißen gegens
liber, den ex haft, aber deſſen Macht ex fürchtet.
Auf meinen häufigen Reifen und bei meinem längern Aufe
enthalte auf den Yande habe ich hinreichend Gelegenheit gehabt,
die machtheiligen Charakterfeiten des Indiers lennen zu lers
nen, aber auch nicht ſelten mic; überzeugt, daß, wenn man
diefe Nation richtig behandelt, fie zu Beſſerm herangezogen
werden Fünnte,
34*
268
Albin Kohn: Schilderungen innerafiatiicher Zuftände.
Schilderungen innerafiatifher Zuftände,
Bon Albin Kohn.
Zwei Erbtheile find es vornehmlich, Afienund Afrika,
welche heute die Aufmerkjamkeit Aller auf ſich lenlen, weil
beide fo fehr viel Neues, Unbelanntes, ja theilweife Unges
ahntes bieten. Hervorragend jedod) dürfte man das Intereſſe
nennen, welches Aſien beanſprucht, da es nicht bloß ein
wiflenjchaftliches und commercielles, das vorerft nur nod) zu
Forſchungen im Innern Afrilas anreizt, ſondern zugleich
ein eminent politiſches und eulturhiſtoriſches iſt. Denn nicht
genug, daß das Innere Aſiens in den letzten Jahren der
Schauplatz tiefgreifender politiſcher Ereigniſſe geweſen iſt,
fo können wir auch, ohne gerade Propheten zu fein, mit
aller Wahrfcheinlichfeit vorherfagen, daß dort in nicht ferner
Aufunft Ereignifie ftattfinden werden, deren Tragweite heute
ar nicht, auch nicht annähernd, zu berechnen iſt. Und dad)
ift diefer Erdtheil, im den alle Forſcher die Wiege der Civili-
fation der Menjdjheit verfegen, in feinem Innern noch faſt
eben fo unbefaunt wie das Innere Afrikas, jo zwar, daß
auch dort moch ebenfo gut wie im letztern neue, bis jet
wenigften® ganz ober faft ganz unbelannte Bollsſtämme zu
entdeden find.
Unferm Jahrhunderte war es vorbehalten, der Willens
Schaft Yänder und Erdtheile zu erfchliegen, wie ſich defjen
nicht viele andere Zeitalter rlihmen können. Man beguiigt
ſich, feit unfer großer Humboldt die Bahn gebrodyen hat,
nicht mehr damit, die von den Fluthen des Oceans befpül-
ten Küften der verſchiedenen Erdtheile kennen zu lernen und
mit ben fie bewohnenden Volksſtämmen Verbindungen anzu:
inllpfen; nein, man dringt fühn in Wälder und Wiften
ein und beftrebt ſich nicht allein fie lennen zu lernen, ſon—
dern wendet alle Mittel an, um fie in den Kreis unferer
Civilifation hineinzuziehen, fie an deren Vortheilen theil«
nehmen zu laffen, Zu ſolchen Forſchungen gehört, wie ich
diefes in meinem bei Otto Spamer erfcheinenden Werte
(Sibirien und das Amurgebiet, von Albin Kohn
und Richard Andree, Thl. I, ©. 240) hervorgehoben
habe, Muth, Ausdauer, beifpiellofe Aufopferung und Selbſt⸗
verleugnung, und deshalb kann die Menſchheit den Männern,
welche ſich ihnen freudig unterziehen, nicht genug dankbar
fein. Sie find die Apoftel und Märtyrer ber Wiſſenſchaft!
Außer Deutfchen und Engländern, die fid) fchon ſeit
längerer Zeit in hervorragender Weife in dieſer Beziehung
ausgezeichnet haben, beteiligen ſich im meuerer Zeit auch
Ruffen an den großen Entdedungen der Neuzeit, und wir
verdanfen ihnen Aufichlüie tiber Gegenden, welche feit
Marco Polo fein Europäer geſehen ar und von denen
wir häufig nicht mehr als Fabeln, nicht jelten aber auch
gar nichts willen.
Bon Jahr zu Dahr tauchen in jenen geheimmißvollen
Gegenden Immer: und Oftafiens, welche durch hohe Gebirge»
fetten und fandige Wüften von uns gejchieden find und ſich
in einer Entfernung von nahezu eintaufend Meilen von
und befinden, neue or auf, von denen wir bis dahin
feine Ahnung hatten, und die felbft in bedeutend größerer
Nähe noch vor wenigen Jahren vollfommen unbefannt waren.
Wie lange ift e8 her, daß „ Oftturfeftan*, von dem
jest fo oft in Zeitungen gefprochen wird, durch englische und
ruſſiſche Forſcher in feinem weſtlichen Theile uns erſchloſſen
I.
worben ift? Wer hat einen Begriff von dem ungeheuren
Fandftriche, welcher zwifchen den centralafiatiichen Gebirgen
und der großen djinefifchen Mauer liegt ? Und doc) gehört
auch jene Gegend dem Menſchen, ift von der Natur für ihn
geſchaffen, auf daß er im ihr aubeite, ſchaffe, fich feines Da ·
jeind erfreue und zum Wohle bes ganzen Geſchlechtes wirke.
Es find befondere Ruffen, welde uns in jene unbelann-
ten, geheimnißvollen Gegenden führen, und ihnen ift dies
leichter als anderen Nationen, da die Grenzen des ruffifchen
Reiches in den legten Jahrzehnten mehr und mehr gegen
jene Gebiete vorgefchoben worden find, und Rußland felbft
das größte Intereffe daran hat, Land und Leute jo gemau
wie möglid) kennen zu lernen. In meuerer Zeit hat ſich
um die Ericliefung jener fernen Gegenden Stabscapitän
Prichewalski verdient gemacht, deſſen Mittheilungen ich
in den folgenden Schilderungen benugen werde. Die erfte
diefer Schilderungen ift eine ethnographiſche, welde
uns mit einem in den legten Jahrhunderten faft vericholle-
nen Bolkoſtamme befannt macht, die zweite ift eine focial-
politifche, welche uns ein jchredenerregendes Bild von
dem focialen und politischen Zuftänden des himmlischen Rei:
+ dies macht, defien Herrſcher fich jtolz „den Bruder der Sonne,
ben Onfel des Mondes, den Beſchützer ſämmtlicher Sterne
und den König des Himmels, den Bogdo-Chan nennt“,
1. Die Tanguten.
In den hochqelegenen Gebieten weftlic von der chine⸗
fifhen Provinz Kan-fır lebt ein Volkeſtamm, defien Namen
wohl fo mandyer Europäer das erfte Mal hören mag; «8
ift das der Stamm der Tanguten, von den Ghinejen
Sifan genannt *), welder, obgleich die Gegend, in der er
hauſt, gewöhnlich zur Mongolei gerechnet wird, von ben Ber
wohnern des eben genannten Landes in Sprache, Sitten,
Gebräuchen, Lebensweiſe, Charakter und Körperbau grund⸗
verſchieden iſt. Wir wollen uns mit Prſchewalski dieſes
Bolt näher betrachten.
In der eben bezeichneten Gegend, im Baffin des Sees
Kutku-Nor (des Blauen Sees der Mongolen), welchen bie
Tanguten Zort-Gumbum und die Chinefen Zin⸗Chai
(das Blaue Meer) nennen, bemerft der Reifende ſchon aus
der Ferne Schwarze Zelte, welche er in der Nähe als die
Wohnungen menſchlicher Welen erkennt. Dieſe Zelte ber
ftehen aus vier in die Erde geftedten Stangen, welche mit
grobem und faft wie ein Sieb durchfcheinendem Tuche aus
*) Si⸗fan, d. i. Fremdlinge des Weſtens“, fann feiner Zur
fammenfegung gemäß natürlih alle weſtlichen Barbaren bebeuten,
menn 8 auch anfänglich mur diejenigen am Kulu-Nor in fib bes
arift, welche den ersten chinefifchen Bewohnern des heutigen China
in den Provingen Schen⸗ſi und Kansfu genau im Welten wohnten.
Später wurbe der Name fürmärts ausgedehnt, und wenn beute von
Eifan gefprodien wird, jo verfteht man darunter meift nur bie „Bar:
baren” an und innerhalb der nortwerlicen Grenzen ber Provinz
Eyestihwan.
Tangus (Ritters Aften IV, S. 182) if bie mongolifche Vers
brebung des Namens ber Tangebiang, eines urſprünglich tibes
tanifihen, dann wohl mit Turlſtaͤmmen vermiſchten Volles, das einit
eine glängente politifhe Rolle in Inneraften geipielt bat, pwiſchen
200 und 1200 n, Gbr. ein ſelbſtändiges Reich ausmachte und erſt
1227 beim vierten Anfturme Tſchingis⸗Chant unterlag, Meb,
Albin Kohn: Schilderungen innerafiatiicher Zuftände.
Yalhaaren überbedt find. Diefe Tuchdecken find mittelft
Schleifen und Pflöden am Boden befeftigt. Im faft wage
rechten Dache diefer Zelte ift eine Definung gelaffen, deren
Breite ungefähr !, Dieter, deren Länge gegen !/, Meter
beträgt und die als Schornftein dient. Unter dieſer Deff-
nung wird nämlich ein beftändiges euer unterhalten, das
ebenjo zur Erwärmung bes Wohnraums, ald auch zur Zus
bereitung der ärmliden Nahrung der Bewohner dient. Die
Deffnung wird für die Nacht und wenn Regen broht ger
ſchloſſen. Dem Eingange gegenüber fteht, wie in den Jur⸗
ten der Mongolen, eine Urt Altar mit verſchiedenen Heiligen»
bildern (Burchany), welche wahrſcheinlich die Aufgabe haben,
die neben ihnen auf dem bloßen Erdboden liegende geringe
Habe der Bewohner zu bewachen und zu bejchligen. An
den Seitenwänben befindet ſich die Yagerftätte der Bewoh—⸗
ner, die einfach aus hingeftreuten Baumzweigen, welde hin
und wieder mit halbverfaulten Filzdecken bedect find, befteht
und dem auf ihr Yiegendan kaum vor ber Bodennäſſe jchligt.
Es ift gewiß, daß im Bau des Hamfters, ber mit dem Tan—⸗
guten das Land bewohnt, mehr Drdnung, Comfort und
Reinlichfeit herricht, als im Zelte des Tanguten.
Nur in dem waldreicen Theile von Kansfu fieht ber
Reijende häufig ftatt der ſchwarzen Zelte hölzerne Häuschen,
welche ſtark an die Bauten der ärmeren Rufen in Sibirien
erinnern. Diefe Häuschen (Fanfa), welche hauptſächlich da
errichtet werden, wo die Tanguten mit Chinefen vermifcht
leben, werden aus rohen Baumftämmen erbaut, die ohne
jeglichen Berband auf einander gelegt werden. An eine Bear⸗
beitung diefer Baumſtämme wird nicht erft gedacht. Die
etwaigen Spalten, welche infolge der Unebenheiten und
Krümmungen des Baumateriald entftehen, werden mit Lehm
verklebt und das ebenfalls aus Baumſtämmen gefertigte ebene
Dad) mit Erde bedeckt. Ein Holzfugboden wäre Yurus
und deshalb wird ein folder auch nicht erft gemadt. Der
Fanſabewohner ſchläft wie der Zeltbemohner auf einer elen-
den Streu aus Zweigen. Immerhin bietet jedoch eine Fanſa
weit mehr Bequemlicdjkeiten als ein Zelt; zum Mindeften
ſchützt die erfte ihren Bewohner gegen Wind, Regen und
grimmige Kälte, vor welchen bie durchſichtige Zeltdecke den
Menschen nicht zu behüten vermag.
In diefen der Schatra des Zigeuners Ähnlichen Wohnun-
gen lebt ein Menſch, deſſen Aeußeres dem des Zigeuners ſehr
ähnelt. Er ift von mittlerer Größe, breitchulterig und fräfs
tig gebaut, hat ſchwarzes Haar, ſchwarze Brauen und einen
eben ſolchen ſiarlen Bart und ſchwarze, gewöhnlich große
Augen, deren Schnitt nichts Mongolifches hat. Die Naje
ift gerade, eine Adler- oder aud, Stülpnafe gehört jedoch
nicht zu den Seltenheiten. Die Lippen find did und oft
aufgeworfen. Die Badenknochen ftehen zwar häufig hervor,
doch nie fo ſcharf und im die Augen fallend wie bei ben
Mongolen, und das Geficht ift im Allgemeinen länglich und
nicht flach, der Kopf rund und die Zähne, wie auch bei den
Nordafiaten, ausgezeichnet weiß. Die Hant- und Gefichte:
farbe ift dunfel. Die Frauen ber Tanguten find, wie dies
ja fo ziemlich überall der Fall ift, etwas ſchwächer gebaut
und ihr dunkler Teint ift etwas matt, Während das Haar
des Schnauz · , Baden- und Knebelbartes bei den Mongolen
und Chinefen fehr ſchwach ift, hat der Tangute einen fräf-
tigen Boll- und Schnauzbart, den er jedoch immer rafixt.
Ebenfo rafirt er auch fein Kopfhaar, läßt aber im Ghenide
ein Buſchel jtehen, aus dem eine Flechte gemacht wird. Doc
bie Lamas der Tanguten barbiren, wie ihre geiftigen Con«
fratres bei den Mongolen, den ganzen Kopf.
Die Frauen der Tanguten tragen langes Haar, das fie
ſcheiteln und an den Seiten des Kopfes flechten. Die Flech—
ten find nicht dic, baflir aber trägt jede Frau ihrer an jeder
|
269
Seite des Kopfes fünfzehn bis zwanzig. Die eleganteren
Zangutinnen flechten Glasperlen, feidene Bänder und ber
leichen ins Haar, was jedoch nicht hindert, die auf dem
pfe herrfchende Unreinlichkeit und das Ungeziefer zu ſehen.
Außer diefem Haarſchmucke bedienen ſich die Tangutinnen
auch noch chinefifchen Röthels, um fich zu ſchminken, und
biefen Röthel erfegen fie im Sommer durch Erdbeeren. Doc)
hat Pricdewalsti das Schminken nur in der Provinz Ran-fu
bemerkt; die Weiber in der Gegend bes Rutu-Kor und
Zaidam *) bedienen fich feiner Mittel, um ihre Hautfarbe
zu verunftalten und ſich jelbft unenntlich zu machen.
Diefe Schilderung paßt jedoch nur auf die Tanguten,
welche Kansfu bewohnen. Die Stämme, welche in der Nies
derung des Kulu⸗Nor, im öftlihen Theile von Zaidam und
in der Duellengegend des Gelben Fluſſes Haufen und „ Chara⸗
Zanguten*,d. 5. ſchwarze Tanguten, heißen, zeichnen ſich
durch bedeutendere Körpergröße und dunklere Hautfarbe aus,
Wie dur) feine phyſiſchen Eigenfchaften, ebenſo unters
fcheidet fi) der Tangute auch durch feine geiftigen und be
ſonders durd) feinen Charalter von dem Mongolen. Letz ⸗
terer iſt bekanntlich feig und ohne Energie, während der
Tangute einen für einen Aſiaten nicht unerheblichen Grad
von Muth und Energie befigt, Eigenſchaften, welche bei den
Chara-Tanguten in Raubluft ausarten. Auch in Bezug
auf Intelligenz überragt der Tangute den Mongolen, den
ic, and eigener Anſchauung zu den am wenigften intelligen-
ten Racen zähle, welche ic; gefehen und mit denen ic) ver»
fehrt habe. Beſonders liberragt der Tangute aus der Ge
gend von KHuku-Nor und Zaidam ben Mongolen an geiftiger
Befähigung. Daflir aber fteht nach Prſchewalsli der Tangute
in Bezug auf Gaftfreundfchaft miedriger als der Mongole,
ben ich jelbft wiederum als nicht eben ſehr gaſtfreundlich ken ⸗
nen gelernt habe. Möglich, dag meine Erfahrungen, welche
id) im diefer Beziehung unter den Buriaten, einem mongo-
liſchen Voltsftamme, gemacht habe, nicht ganz auf den Mon«
olen in der Wüfte paffen ; immerhin dlirfte aber der Unter
ich nicht zu bedeutend fein, und dann ftände der Tangute
in Bezug auf Gaſtfreundſchaft auf der möglichft niedrigen
Stufe. Dazu ift der Tangute jehr liſtig und befigt eine
leidenfchaftliche Vorliebe für den Handel. Den Heinften
Dienft läßt er ſich bezahlen und er fucht bei jeder Gelegenheit,
felbft von feinem Stammgenoffen, den möglichſt hohen Preis
für feine Dienftleiftung oder Waare zu erhalten.
Einen hervorragenden Charakterzug des Tanguten bilbet
fein unbegrenzte Mißtrauen gegen fremde und hierin unters
fcheidet er fich nicht eben vortheilhaft von anderen halbwilden
Bolksſtämmen Nord« und Centralaſiens. Während Tataren,
Buriaten, Tungufen und Jakuten, mit denen ic) in Sibirien
in Berührung gelommen bin, ja fogar ftolge Tſcherkeſſen
und Tſchetſchenzen gern Aufſchluß über Alles gaben, worlber
ich fie fragte, und gern fahen, wenn id; mir verfchiedene Worte
ihrer Sprache notirte, fich fogar herzlich freuten, wenn id}
„‚Ipäter das Uufgefchriebene mit fehlerlofem Accente las, ja
fogar nichts dagegen hatten, daß ic an ihnen Schäbelmef-
fungen vornahm, mußte ſich Prihewalsti ungemein in Acht
nehmen und jeden Schein, daß er Notizen fammele, forge
fältig vermeiden, denn diefes würbe ihm für immer die Mög-
lichkeit, irgend eine Beobachtung zu machen, geraubt haben.
Ein ſolches Vorgehen wirbe mit Bligesichnelle unter ſämmt⸗
lichen Tanguten befannt geworden fein und dann hätte ber
Neifende gewiß nichts mehr gefehen und gehört. Diefes
) Zaibam ift eine ausgedehnte, fumpfige, von Prichemalsfi
durchkreugte Hochebene fühwehlih von dem auf allen Karten zu
findenden KukusNor, melde fih nach Angabe der Eingeborenen gegen
Nortweften bis zu dem Lob-Nor, em Sammelbecken faſt aller
Gewãaſſet Ofturfeflans, erſtreden foll, Ned,
270
beifpiellofe Mißtrauen ift aud) Urſache, warum die linguiftif
Ausbeute Prichemalsti's verhältnigmäßig gering ausgefallen ift.
Trog dieſer Mängel feines Charakters fcheint ber Tau—
gute im Umgange einen gewiſſen Grad von Eleganz zu beob-
achten, denn er bewillfommmet ben fremden mit horizontal
vor ſich geftredten Händen und dem Hufe: „Alfa temm,“
d. h. Willlommen, Herr! Das Wort „Alta“ bedeutet fogar
fo viel wie unfer „gnädiger Herr“! Nicht genug am biefer
Bewilllommnungsformel muß ber fremde, der die Velannt-
ſchaft eines Tanguten macht, beſonders wenn er eine Perfon
bon einiger Bedeutung ift, ein Gefchent annehmen, das in
feidenem Stoffe beftcht. Der Werth diefes Geſchenkes wird
nad, dem Range ber befchenften Berfon und der Zuneigung
bes Geſchenlgebers bemeſſen. Das Beſchenlen der Gäfte,
felbft befannter Perſonen, ift tangutifche Sitte,
Bei den Tanguten ift die Monogamie Grundſatz, jedod)
Aus allen Erdtheilen.
verfahren fie hierbei nad) dem Beifpiele der jüdifchen Pa-
triarchen: fie halten ſich fo viele Concubinen, als fie eben
wollen, was jedoch keineswegs die Eiferfucht der eigentlichen
Ehefrau zu erweden jcheint. Im Gegentheile mag dieſe
ufrieden fein, wenn ihre Gemahl ihr eine weitere Rivalin
in die Hlitte oder ins Zelt denn dadurch kommt ihr
felbft eine frifche Kraft zu Hülfe, weil ja den Tanguten
frauen alle häusliche Arbeit obliegt. Bemerkenswerth ift
übrigens, daß bei den Tanguten der Frauenraub erlaubt ift,
der jedoch mit der geheimen Zuflimmung der Geraubten aus—
geführt wird. Die geraubte Frau gehört dem Räuber, der
jedod) verpflichtet ift, ihrem vorigen Manne ein, häufig be»
deutendes, Abftandögeld zu zahlen. Die Frauen find, und
diefes ift hier hervorzuheben, im häuslichen Leben gleichbe-
rechtigt mit den Männern, was bekanntlich bei anderen afiar
tifchen Bölfern und Stämmen nicht der Fall ift.
Aus allen Erdtheilen.
Geſchichte der Anfiedelungen auf ben Milobaren.
Im Jahre 1711 landeten zwei Jeſuiten auf den Inſeln,
um die Bevölkerung zu befehren. Nacd einem Aufenthalt
von zwei und einem balben Fahre wurden fie getübtet. Die
einzigen Nachrichten über fie finden ſich in wenigen Briefen,
die noch erhalten find.
Im Jahre 1754 gründeten die Dänen ihre erfte Nicder:
laffung. Soldaten und Waffen wurden in hinlänglicher Zahl
dorthin gebracht, aber man hatte wicht für gejunde Wohnun—
gen und gefunde Ernährung geſorgt. Nach Verlauf von
einigen Jahren hatten Trunkſucht, Mangel an tüchtigen Offi-
zieren und Streitigkeiten mit ben Eingeborenen dem ganzen
Verſuch der Coloniation ein Ende gemacht.
Im Fahre 1768 begannen Herrubuter eine Belch-
rung der Eingeborenen. Sie erhielten zwar einige, aber nur
geringe Unterſtützung von der dänischen Regierung; nur mit
Mihe konnten fie fich halten. Fieber und ungeſunde Nah:
rung brachten ihnen viele Leiden. Nachdem der Tod die
größere Zahl binmweggerafft hatte, wurde die Milfion im
Jahre 1787 aufgehoben. Die Belehrer ftarben fo raich hin⸗
weg, daß fie nicht einmal Zeit achabt hatten, die Sprade
der Eingeborenen zu erlernen. Während der Anweſenheit
der Herrnhuter war die Öfterreichiiche Fregatte „Joſeph
und Maria Therefia* angekommen und hatte von dem Hafen
Nancorwry Beſitz genommen; da aber die Kolonie, welche man
zu gründen angefangen hatte, dem Untergange nabe war,
fo jandten die Miffionäre die Coloniften nach Tranquebar.
Während der Jahre 1737 bis 1807 bielt die däni—
fche Regierung eine Befagung auf den Juſeln. Von 1807
bis 1814 batten die Engländer, die damals mit Dänemark
Krieg führten, die Infeln in Befis genommen; 1814 wur:
den diefe an Dänemark zuriidgegeben, aber erft im Auguſt
1831 wurde eine nene Colonifation begonnen.
Der Mann, welchen die Nufgabe anvertraut wurde, war
Nofen, ein hoher dänischer Beamter evangeliſchen Glaubens.
Er hatte Kraft und Energie und widmete fich mit Eifer ſei—
nem Werke Widerwärtigfeiten und Unglücksfälle ftellten
fich feinem Streben entgegen. Fieber veruriachten viel Leiden
und häufig fehlten aute und gelunde Nahrungsmittel. Ohne
Zweifel würde er dennoch jein Ziel erreicht haben, wenn er
bei den Offizieren in Trauquebar gleichen Eifer und eine
gleiche Ausdauer gefunden hätte. Im November 1834 wurde
er zurückgerufen. Nod bis 1837 vegetirte die Anfiedelung
fort. Im Jahre 1845 machte Dänemark nochmals den Ber:
fuch, die Inſel zu colonifiren, allein da die Sache nicht in
die geeigneten Hände gefommen war, mißglüdte der Verſuch
vollftändie. Die „Balathen*, welche auf ihrer Reiſe um die
Welt bei der Colonie landete, ließ dort einige Offiziere zurüd,
aber Leben und Geld waren umſonſt aufgewendet.
Die Bemerkung möge bier eingelchoben werden, daß auf
der „Galathea* auch Dr. Rink fich befand und wir ibm
eine gute Beichreibung der geologiichen Beſchaffenheit der
Inſeln verdanken. Er ift derfelbe Däne, welcher nähere Nach—
richten über die Bevöllerung von Grönland gefammelt bat.
Im Jahre 1848 gab Dänemark die Befigungen gänzlich auf.
Die Nitobaren hatten keinen europäiſchen Herrn mehr.
Wir fommen nun zu dem neneften Verfuch der Engländer.
Bei einer Unternehmung wie bie Cofonifation der Nikobariſchen
Infeln ift, muß mit befonderer Sorgfalt und mit ftrengem
Ernft geprüft werden, ob ſich ein günftiges Refultat erwarten
läßt. Den nen Untommenden droht vor Allem das Ichredliche
Sumpfficber, welches bei den früheren Verſuchen viele Opfer
gefordert hat. Das Geſchick aller früheren Coloniften war
Tod und Verzweiflung und alle Niederlaffungen, die gegrün-
det wurden, haben aufgegeben werden müflen. Dies hat die
Vergangenheit vollftändig bewieſen; deffenungenchtet it hierin
noch nicht der Grund zu finden, daß die jett verjuchte Unter:
nehmung ebenfalls ohne glildlichen Erfolg bleiben müſſe.
Bei den früberen Verfuchen fehlten die nöthigen Bedürfniſſe;
für gefunde Wohnungen war nicht geforgt und die Zahl der
Coloniſten eine zu geringe, insbefondere aber mangelte eine
genitgende Verbindung mit dem Mutterlande, In den eriten
Jahren der Anfichelung war audy die Sterblichkeit auf den
Andamanifchen Inſeln jehr groß, jetzt ift Port Blair der Ort,
welcher zur Berftellung der Gefundbeit vorzugsweiſe gewählt
wird. So wird es auch mit den Nifobariichen Juſeln wer:
den, wenn die Entwäfferung volftändig ausgeführt, das Land
um die Anfiebelung eultivirt und die Sumpfluft befeitigt ift.
Dampfichiffe unterhalten eine regelmäßige Verbindung.
Alle Bedürfniffe werden von der Regierung in ausreichen:
dem Maße gewährt und find von guter Beſchaffenheit.
Gelingt es ber Regierung, die Heine Strafcolonte fo ein:
zurichten, daß der Aufenthalt der Geſundheit unschädlich ift,
dann werden Aubauer aus Penang nicht fehlen. Die nene
Unfiedelung wird gebeiben und emmporlommen, da die Inſeln
an der großen Handelsftraße liegen, welche der Bengaliſche
Meerbufen bildet. Auf dieſem Gewäffer berrichen zu Heiten
Aus allen Erdtheilen.
furchtbare Stürme. Es giebt aber dort feinen andern Hafen,
in weldem die Schiffe Schub fuchen und finden könnten, als
Nancomwrn. Gegen alle Winde ift diejer Hafen gefichert,
welcher ſowohl von Oſten al3 von Welten einen leichten Ju:
gang bat. Ohne große Schwierigfeiten können Dods ange:
legt werben, da hinreichend tiefes Waller an geſchützten Orten
füch findet, Die Kokosnuß giebt den Anftedlern Gelegenheit,
einen einträglichen Handel zu beginnen, aber im weitern
Berlauf der Zeit werben Baumwolle und Gewürze die Haupt:
bandelsartitel werden. Efbare Vogelnefter, welche von den
Ehinefen zu hoben Breifen gekauft werden, werden ſchon jett
mit Vortheil verwertbet. Guano, der in den unter der Über:
fläche gelegenen Höhlen von Katichall gefunden wird, lann
jur Düngung der Ländereien mit großem Nuten verwendet
werden. Die Baummwollpflanze gedeiht, fie ſcheiut von beſſerer
Dmalität zu fein als die indilche. Bergreis, deſſen Anbau im
Jahre 1872 verfucht wurde, lieferte reichlichen Ertrag. Baus
material ift im Weberfluß vorhanden. Es fteht daher mit
Grund zu hoffen, daß im Laufe der Zeit die Nilobariſchen
Infeln eine blühende Eolonie werben.
Aus Brafilien.
Die Provinz Goyaz zählt Mitte 1875 160,305 Ein:
wohner, worunter 149,743 Freie und 10,652 SHaven. Aus
riften giebt e8 19, Aerzte 15, Lehrer 176, Kaufleute 4374,
Aderbauer 13,210 und Handwerler 4340,
— Die Provinz Amazonas zählt 57,610 Einwohner,
mworunter 31,470 männlichen und 26,140 weiblichen Geichlechts.
Weiße giebt es 11,2111 (darunter 2156 Fremde), Mulatten
und Indianer 36,333. Schwarze 1336, Sklaven find in der
Provinz 996.
— Man macht jest in Brafilien Verſuche, die Indianer
an ein fehhaftes Leben zu gewöhnen, und hat bis jet jchon
einigen Erfolg aufzuweiſen, wie folgende Nachrichten aus
der Provinz Parana reip. Amazonas beweiſen.
In 5. Jeronimo, dem Baron von Antonina zugehörig,
leben 147 Indianer, die ſich mit Aderbau beichäftigen. Der
Director diefer Niederlaffung ift der Pater Cruz de Cemittille.
Ein anderer Beiftlicher, Namens Tb. Caftelnuovo, diri-
girt die Niederlaflung von S. Pedro de Alcantara, die von
%5 Indianern (474 Coroados und 403 Cahyguas) bewohnt
wird. Diefelben erzeugten im vorigen Jahre Milho, Reis,
Gummi, Zuder und Bramıtwein im Betrage von 5250
Milreis.
In Baranapanema haben ſich unter der Leitung des
Bater PVieira de Araujo 208 Cayohas- Indiauer angeſiedelt,
die Milbo, Bohnen und Neis pflanzen.
— An Purus und am Rio Negro in Amazonas haben
fich mehrere Indianerftämme niedergelaffen ; die Anſiedelun—
gen ftehen unter der Leitung von Brafilianern, deren Ziel ift,
den Wilden Geſchmack am Aderbau beizubringen.
— Nah dem legten Berichte des Ackerbauminiſters be:
trägt die Zahl der in Brafilien eingewanderten Deutſchen
und ihrer Kinder etiwa 130,000 Seelen. Mau rechnet, daf
die Regierung für Einwanderung überhaupt bisher etwa
60,000 bis 70,000 Contos oder 30 bis 35 Millionen Thaler
aufgewendet hat, worin natürlich auch die für Einwanderer
anderen als deutichen Uriprungs ausgegebenen Summen
mit inbegriffen-Äind. Die Refultate der nicht deutſchen Ein:
mwanderung find jeboch ganz Mäglih: Staliener, Engländer,
Nordamerikaner verliehen die Colonien, zogen in die Städte,
machten ſogar theilweife Nevolten, jo daß bie Negierung mit:
unter frob war, wenn fie diefe unrubigen Elemente mit
neuem Koſtenaufwande wieder los werben konnte, Die zanl-
reich eingewanderten Vortugiefen ziehen ſich mit geringen
Ausnahmen in die Städte, wo fie, wie die Jtaliener in den
2a: Plata-Staaten,, vorzüglich dem Kleinhandel obliegen, bei
ihrer Sparfamkeit bald ein Vermögen erwerben und damit
meiftend in ihr Mutterland zurückkehren. Es trägt dies
271
allerdings zur Hebung von Handel und Wandel bei, aber
es ift nicht das, was Brafilien beſonders für feine weiten
Stroden unbebauten Landes braucht, eine aderbantreibende
Bevölkerung, wie fie namentlich Deutichland und die Schweiz
fiefern. Darum fommt die Regierung immer wieder und wieder
auf die deutſche Einwanderung zurild, ohne fonderlichen Erfolg
dabei zu erzielen. Denn wenn auch die füdlichite Provinz Rio
Grande do Sul, wo eine dentiche Bevölkerung von 80,000
Seelen lebhaften Aderbau und Handel treibt, und vielleicht
nod Santa Catharina für deutſche Einwanderung geeignet
fein mag, fo doch nicht die mehr nach Norden, d. b. dem
Aequator zu gelegenen Theile des Reiches, und es iſt
feineswegs ein egoiftiiches Iutereſſe, was die deutiche Regie:
rung veranlaßt, der Auswanderung dorthin nicht geradezu
Vorſchub zu leiften.
Aus Auftralien und der Sübfee.
H. G. Erſt vor ungefähr achtzehn Monaten wurde die
Station Barrow’3 Creek am Ucberland-Telegrapben,
1207 Miles nördlich von Adelaide in Südanftralien, von den
Eingeborenen meuchlings überfallen und dabei der Telegraphens
inſpector Stapleton und einer feiner Gehülfen getödtet. Eine
übnliche Kataftrophe wird jest von der Station Daly Wa-
tere, 1605 Miles nördlich von Adelaide und 368 Miles
fitdlich von Port Darwin, berichtet. Der dortige Juſpector
E. 9. Johnſton hatte fih mit zweien jeiner Leute Namens
Daer und Richards am 29, Juni diefes Jahres auf vierzig
Miles von der Station entfernt, um nad) weggelaufenem
Vieh zu ſuchen. Sie famen an den Noper: Fluß, fanden
die Eingeborenen ſehr freundlich und lichen fich dadurch ver:
leiten, von der nöthigen Vorficht abzuſehen. Als Johnſton
im Fluſſe badete und die beiden Anderen gleichgültig numbers
wanderten, wurden fie plöglih fberfallen und mit Speeren
beworfen. Johnſton ward im Unterleibe mit einem giftigen
Speere tödtlich verwundet und ftarb am nächften Tage, da:
gegen waren Daer und Ridards, ebenfalld am der Bruft und
Naſe verwundet, im Stande, die Station zu erreichen, wo
fie ihrer Genefung entgegengehen. Die füdauftraliiche Res
gierung hat jofort von Dam Ereef aus, ungefähr hundert
Miles füdlich von Port Darwin, wo Goldfelder find, eine
Anzahl Gendarnen nnd andere Leute, bis an die Zähne be
waffnet, mach dem Roper-Fluſſe abgeihicdt, um die Mörder
aufzufuchen und ein ſchweres Strafgericht über ſie zu halten.
— Auch die Eolonie Neufecland foll jegt in das
große Telegraphenneh unseres Erdballes gezogen werben,
Nachdem frühere Unterhandlungen wieder abgebrochen wer:
den mußten, iſt jet mit der Eaſtern Ertenfion Telegraph
Company in England ein Contract abgeſchloſſen, nach wel:
chem diefe Geſellſchaft die Legung eines Kabels zwilhen Syd⸗
nen und Neufceland binnen zwölf Monaten übernimmt, gegen
Zahlung einer jährlichen Subfidie von 7500 Bf. St. auf den
Zeitraum von zehn Jahren. Davon übernimmt Neufeeland
zwei Drittel und Nenfüdwales ein Drittel. Eine Depefche
von zehn Worten joll 7 Sb. 6 P. koſten.
— Aus Nenfeeland kommt die Nachricht, da in Ma—
tata und an der Oſiküſte entlang die Kinder der Eingebore:
nen in außerordentlicher Menge an den Mafern fterben. Die
Eingeborenen find durch abergläubiiche Vorftellungen wie
paralyfirt. Sie wenden feine Mittel der Heilung an, fon:
dern laffen die Kinder dahinfterben.
— Es ift merhwürdig, daß König Kalobau, nachdem er
die Oberberrichaft der Fidichi-nieln an England abgetreten,
8 fein mußte, welcher die Maſernepidemie nach diefen Infeln
verjchleppte. Er wurde auf der Niüdreife von Sydney, wo
er dem Gouverneur, Sır Hercules Robinſon, einen Beſuch
abgeftattet, von den Mafern, welche zur Zeit in den auftra-
liſchen Golonien herrſchten, befallen. Kam auch Kakobau
mit dem Leben davon, indem er, durch gute Freunde beein:
Hußt, fich dem ärztlichen Anordnungen fügte, jo bat er doch
272
dabei fo gealtert, daß fein Haar weiß geworben. Die Kraul⸗
beit verbreitete ſich berartig unter die Eingeborenen, baf
viele Taufende dem Tode erlagen. Nach den neueften Nach—
richten ſollen mindeftens dreißigtaufend Eingeborene, aljo
ungefähr der vierte Theil der Bevölkerung, weggerafft fein.
Ganze Dörfer und Städte, ja Infeln find faſt ansgeftorben.
Auf der Inſel Ovalaı mit 1500 Eingeborenen ftarben nicht
weniger als 507 oder reichlich 33 Procent. Die Ungft wirfte
ebenfo töbtlich wie die Epidemie. An eine Beerdigung wurbe
häufig nicht mehr gebacht. Ende Juni dieſes Jahres hatten
die Maſern zwar noch nicht gänzlich aufgehört, waren aber
doch im ftarker Abnahme begriffen.
Es ift auffällig, daß gerade Krankheiten, welche fich ſonſt
anderswo recht gut controliren lafjen, die Bolynefier von Zeit
zu Zeit decimirt haben. In biefer Weile find 3. B. die Eins
geborenen der Sandwich⸗Juſeln im Laufe der letzten hundert
Jahre von 400,000 Seelen auf 50,000 gefunfen.
Der zum erften Gouverneur der Fidſchi-Inſeln er
nannte Sir Arthur Gordon begab ſich Mitte Juni diefes
Jahres von Sydney ans an feinen Beftimmungsort. Seine
Ercellenz wird, da noch feine Reſidenz für ihn da ift, auf
dem eigend dazu eingerichteten Kriegsſchiffe „Barraconta”,
welches vor Levuka, Inſel Dvalan, vor Anker liegen joll,
feine Wohnung nehmen.
Die junge Colonie Scheint Schon die Aufmerkſamkeit von
Eapitaliften in England, Eeylon und Mauritius auf ſich zu
ziehen. Im Juni diefes Jahres wurbe von biefer Seite der
Kauf von 70,000 Acres Land abgeichloffen, um theils zu
Plantagen, theild als Weideland verwendet zu werden. Auch
hören wir von einem andern Kaufe von 50,000 Acres Land,
welche mit Schafen und Rindvich beſetzt werden follen.
Der Dampfer „St. Dfuth" hat die Reife von England
nach Melbourne über das Cap der Guten Hoffnung, einfchlieh-
lich einer Verzögerung von breißig Stunden, welche durch
Einnahme von Koblen auf der Infel St. Vincent verurfacht
wurde, in dem Beitraume von 44 Tagen 33 Stunden zurück-
gelegt. Es ift dies eine der kürzeſten Reifen, welche auf
biefer Tour bisher erreicht wurden.
* *% %
— Ein Telegramm aus Hammerfeft berichtet über ben
Ausgang der Nordenfkjöld’ichen Erpedition nach Nomana;
Semlya folgendermaßen: „Die Expedition erreichte am 15.
Auguft die Mündung des Jeniſſei, von wo Nordenſtjold, bes
gleitet von Sundftröm und Stupberg, am 19. Muguft abe
reifte, um zu Lande über Sibirien nah Schweben zurüdzu:
gehen. Die Mitglieder ber Erpedition kamen mit dem
Erpeditionsihiffe „Bröven* beute (26. September) in Han:
merfeft an und führten reiche naturbiftoriiche Sammlungen
mit fi. Wichtige hydrographiſche Arbeiten find ausgeführt.
Alles wohl“
Der ruſſiſche Oberftlieutenant Soſnowski, deſſen
Reiſen in der weſtlichen Mongolei wir unlängft beiprachen
und ber augenblidlich auf einer Reife von Hansfau am
Dang-tie-fiang nach Chami am Oſtende des Thian-fhan und
Sibirien begriffen ift, hat am 30. März auf dem Han-Fluſſe
Schiffbruch gelitten und dabei viel von feinem Gepäd, eine
Anzahl Silberbarren und Waffen eingebüßt. In Han⸗tſchunq⸗
fr, wo er fiber einen Monat verweilte, wurde er von ben
Behörden auf das Freundlichſte aufgenommen und erhielt an
Stelle der verlorenen neue Empfehlungsbriefe an die Beam:
Aus allen Erbiheilen.
ten von Schen-fi und Kan-ſu. Am 20, Mat follte er von
Hantihung-fu zunächſt nach Lan⸗tſchau-fu, der Hauptftadt
von Kanu am Gelben Fluſſe, aufbrechen.
— Die Londoner Zeitung „Daily Telegraph“, welche
zufammen mit bem ‚Newyork Herald" eine Expedition zur
Erforſchung Centralafritas unter Führung des befannten
Stanley ausgeſandt hat, hat von demſelben Nachrichten
unter dem 1. März und 15, Mai biefes Jahres erhalten und
wird biefelben aleichzeitig mit dem Newyorker Blatte publis
ciren. Einftweilen wird nur mitgetbeilt, daß bie Erpebition
in 103 Tagen die Strede von 720 englifchen Meilen bis zum
Victoria Nyanza zurüdgelegt, daß Stanley benlelben bes
fahren, bei einem Kampfe mit dem Stamme der Watura 21
Mann und durch Fieber zwei feiner weißen Gefährten ver:
loren hat. Da von den im jenem vorläufigen Berichte ge:
nannten Namen keiner auf ben Karten Spele's, Bater'd oder
Wakefield's aufzufinden ift, vermuthet man, daß ſich die Er-
pebition längs des bis jegt unbefannten Dftufers des Sees
binbewegte.
— Indianerangriff auf Dr. Hayden’ Vermeſ—
fungscorps. Nahe der Grenzlinie von Colorado, Utah
und Meumerico fand am 14. Auguft ein Gefecht siwifchen
einem Theil von Hayden's Vermeflungspartie und einer
Bande von Sierra Lafalle Utes ftatt, welches 21 Stunden
dauerte. Die Amerilaner famen zwar ohne körperliche Ver
legung davon, verloren aber ihr ſümmtliches Gepäck und ben
größten Theil ihrer Proviſionen.
ie Neuporfer Zeitung „Daily Chronicle“ enthält dar:
über Speciafitäten, datirt Parrott City, 23. Auguſt. Daraus
gebt hervor, daß Mr. James L. Gardner, Geograph und
erſter Aſſiſtent der Hahden-Vermeſſung, vor dem diebiſchen
Charakter der Ute-Indianer gewarnt worden war, weshalb
er feine eigenen Leute mit Mr. Gannet's Partie vereinigte,
Um 14. Auguſt wurden fie bei dem Uebergang über bie
Wüſte ſüdlich gegen Pierra Abajo auf verrätheriſche Weiſe
von einer Partie Indianer, welche ſich für Freunde aus—
gaben, angegriffen. Zwei Leute, Adams und Kelley, welche
ſich in der Nachhut befanden, waren glücklich genug, durch
die erſte Salve der Indianer nicht getödtet zu werden.
Mehrere Geometer, mit Büchſen bewaffnet, hatten 13
Mann und 18 Padthiere zu vertheidigen. Der Platz war
ohne Waſſer und von Felſen von 1000 Fuß Höhe umgeben
und verengte fich ſüblich zu einer engen Schlucht (Canon),
wo die einzige Duelle in ber Wüfte war, und dies ift ber
Pag, wo die Indianer die Partie hatten tübten und das
Gepäck hatten ftehlen wollen.
Bon allen Seiten unterhielten die Indianer den Angriff
big Mitternacht. Unsere Leute fochten, durch das Gebitich
friechend, auf Indianerweife. Die Indianer wurden zurüd—
getrieben und nur ein Maulthier war gefallen. Am nächjten
Morgen wurde das Gefecht fortgefett. Die Amerikaner fuch:
ten andere Auswege, welche aber jedesmal raſch von den
Indianern befegt wurden. Nach längeren Kämpfen forcirten
die Amerikaner ihren Weg die Canon empor.
Die Indianer geriethen zwiſchen zwei Feuer und nadı-
dem mehrere gefallen waren, zogen fie fich feige ind Gebüſch
von wo aus fie ein Feuer unterhielten, Die Vermeſſungs—
partie rückte rafch vorwärts und erreichte eine Onelle, eine
Wohlthat für die fo ſehr angeftrengten Maulthiere. E8 gin—
gen vier Maulthiere, dad Gepäd und die Inſtrumente ver:
foren.
Inbalt: Ans Georg Schweinfurth's Reifen in Iumerafrifa, VII. (Mit fünf Abbildungen) — Ein Befuch des
Grabes des Confucius und des heiligen Berges Tai. — Ein Beitrag zur Benrtheilung des Khechnaftammes in Peru und
Bolivia, Von E. v. Boed in Cochabamba. I. — Schilderungen innerafiatiicher Zuftände Won Albin Kohn. 1. — Aus
allen Erdtheilen: Geichichte der Anfiedelungen auf den Nifobaren. — Aus Brafilien. — Aus Auftralien und der Sidfee. —
Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 16. October 1875.)
Redacteur: Dr. R. Kiepert ın Berlin, ©. W. Lindenftraße 13, III Tr.
Drud und Berlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunfhweig.
Mit befonderer Berüchfichtigung der
Anthropologie und Elhnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern und Künſtlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunſchweig
Jahrlich 2 Bände, Jeder Band enthält 24 Nummern, Monallich 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Mark, Ginzelne Nummern 0 Bf.
1875.
Aus Georg Schweinfurth’3 Reifen in Innerafrika.
VIII.
Andienz bei König Munſa, — Das Volk der Monbuttu.
Nachdem der Melle überfchritten war, befand ſich Schwein»
furth auf MonbuttusSebiet, und mach einem weitern Tage:
marjche nahe bei den Wohnorte König Munſa's, weldyer
ſchon von dem fonderbaren Freuſdling gehört hatte, Noch
größer aber als deffen Neugierde den Weißen zu fchen war
feine Freude, den gelichten Abdes · Sanmat ſchon zum dritten
Male in feinem Lande begreifen zu lönnen. Die Elfenbeins
ausbeute eined ganzen Jahres fonute er nun gegen das ihn
fo werthvolle Kupfer austauſchen. Auch den Kenufier litt
es nicht länger beim Gros des Handelszuges; alle bei Er:
richtung des Lagers zu trefienden Anordnungen überlieh cr
feinen Hauptlenten und eilte felbft mit den vajch zusammen:
gerafiten Geſchenken voraus, um den König zu begrüßen und
ihn vor Allem eine ganze Sammlung großer Kupferſchüſſeln
zu libergeben, welche fortan nicht mehr zum Auftragen von
Speifen, fondern als Tonwerkzeuge gewaltiger Art in den
großen Hallen der Monbuttu-Reſidenz dienen follten. Am
folgenden Tage, den 22. März 1370, wurde and dem Wei:
Ben Audienz ertheilt. Schon frlih Morgens war Abdes—
Sammat wieder aus dem Yager zu feinem föniglichen Freunde
hinübergeeilt; aber e8 wurde Mittag, che er Schweinfurth
benachrichtigen ließ, dag es Zeit ſei zu erfcheinen. Diefer
legte nun den längſt vergeffenen ſchwarzen Tuchrock an und
ſchwerbeſchlagene hohe — um durch die größere
Wucht der Tritte um jo impofanter zu erſcheinen (freilich
Globug XXVIII. Nr. 18.
beftärkten fegtere nur den Glauben dev Monbuttu, daß der
Europäer Bocksfliße beſitze und fie damit verbergen wollte);
hinter ihm drei trugen vier Schwarze Blchfen, Revolver
und Lehnſtuhl und feine Chartumer Diener die für dem Kö—
nig beſtimmten Geſchenke. In feierlichem Zuge ging es
auf die zweitärößte der königlichen Hallen zu, die, am beiden
Giebelſeiten offen, LOO Fuß im der Yänge, 50 in der Breite
und 40 in der Höhe maß, auf einer dreifachen Reihe von
Fichtenſtämmen ruhte, jonft aber ganz aus den Blattichäften
der Weinpalme (Raphia vinifera) errichtet war, Durch
ihre elegante Yeichtigkeit und dabei Widerftandsfähigkeit gegen
die Wuth der tropischen Drcane war fie ein wahrer Triumph
der Baulfunſt, und europätiche Architelten könnten Achnliches
nur erreichen, wenn fie Fiſchbein als Material nähmen.
An dem cinen Ende der Halle jland der königliche Seſſel,
einjtweilen noch leer; denn fein Beſitzer befand ſich im Ha—
vem und ließ fich von feinen Frauen falben, jrijiren und
herausputzen. Unweit des Thrones ließ Schweinfurth feinen
Seſſel aufftellen und wartete, bis nad) etwa einer Stunde
Hörnerflang und Boltsgefchrei etwas Außergewöhnliches ver:
Hindeten, Aber noch war es nicht der Herrſcher, ſondern man
brachte nur feine Schäge an fupfernen Langen und Spießen
ud fehmlicte damit ein raſch aufgeſchlagenes Gerift. Grit
als die Aufitelung der Prunfwaffen vollendet war, erſchien
er ſelbſt. Voran ſchreiten Muſikanten, welche auf colofjalen,
35
274
aus ganzen Elephantenzähnen verfertigten Hörnern blafen
oder roh gehänmerte Öloden aus Eifenbledy Schwingen. Den
Blick gleichgültig vor fich hingerichtet naht ſich der rothbrauue
Monarch, gefolgt von einer Schaar feiner Yieblingsweiber,
in Bug und Haltung wild, romantisch, malerifch. Ohne ben
Fremden eines Blides zu würdigen, wirft er fih auf bie
niedrige Thronbank und betrachtet feine Füße. Da ſaß er,
von dem gejagt wurde, daß er täglich Menſchenſleiſch eſſe,
mit Ringen und Ketten uud anderm fremdartigen Schnude
an Armen und Beir
Aus Georg Schweinfurth's Reifen in Innerafrila.
Dann begannen Productionen der Hofkünftler, ald Horn⸗
bläfer, Spaßmacher und Sänger, und ſchließlich hielt der
König felbft eine halbſtündige Rede, während weldyer der
Keifende Gelegenheit fand, die beigegebene Skizze deſſelben
zu fertigen. Darm verabfchicdete derjelbe ſich, vom Hunger
getrieben, von jenem, welcher bedauerte, jo arm zu fein umd
ihm nichts für feine Geſchenke bietem zu lönnen. Entzitdt
von dieſer Beſcheidenheit bat der Naturforfcher nur um einen
Scimpanfe und ein Guineafchwein (Potamochoerus peri-
cillatus), beides tm
nen, Hals und Bruft —
geziert, einen tiefi-
gen, mit rothen Pa> 7;
pageienfedern dreifach
beſetzten und bebuſch
ten Strohhut auf
dem Haarchignon, an
der Stirn einen gro-
Gen, kupfernen, blanf
polirten Halbnond,
fingerdicle Kupfer
ſläbe in den durch—
bohrten Ohrmuſcheln.
Sein ganzer, ur:
fprüinglid) hellbrau⸗
ner Körper war durch
die landesübliche Ein⸗
reibung mit Farb⸗
holzſchninle roth—
braun geworben;
eben damit war aud)
fein Gewand, ein fein
bearbeitetes Stüd
Feigenrinde, gefärbt,
Diefer Stoff war jo
forgfältig behandelt
worden, daß er ganz
das Ausichen von
ſchwerenn Moire ans
tique erhalten hatte.
In ber Rechten
ſchwang Munja ala
Scepter den fichel-
förmigen Monbuttu:
fübel, hier nur eine
Yuruswaffe aus reis
nem Kupfer, Er
mochte 40 Jahre F
zählen und war von E
ſchlankem, hohem, |
fräftigem Wuchfe, \
wie jeder Monbuttu.
Eine ſaſt lautaſiſche
Naſe und orthogna⸗
thes Profil ſtimm⸗
ten wenig zu den
dick aufgeworfenen Negerlippen, dem wildſinnlichen Feuer
feiner Augen und dem gewaltthätigen, graufamen Zuge um
feinen Mund, Dabei beſaß er eine merkwürdige GSelbft:
beherrfchung und Zurlidhaltung: eine geraume Zeit ließ er
verftreichen, ehe er dem noch stie gefehenen Weißen mit bem
bie auf die Schulterm herabwallenden Haare und der fonder-
baren Tracht eines Blides wilrdigte, und während feine
Weiber Ausrufe des Entzlidens beim Anblide der wirklich
werthuollen Schweinfurth'jchen Geichente nicht unterdrüden
konnten, blieb er ungerührt und faft gleichgültig.
a el nn
Munfa, König der Monbuttu.
— — Monbuttulande häu⸗
N fige Thiere. Der Kö—
f nig verfprad; fie jo-
& "\ fort, aber trog mehr:
fahen Grinnerne
mußte Schweinfurth
ohne die gewünſchten
Thiere feine Rückreiſe
antreten,
Drei Wochen ver
weilte er im dieſem
Yande, während be»
| ven er mehrfad; Aus
dienzen hatte und
täglich) Leute aus dem
Bolle um ſich vers
ſammelte, die ihm
Früchte und Blitthen,
Thierjelle und Tier:
ſchüdel und vor At:
lem Menfchenfchäbel
bradhten, die Ueber:
reſte ihrer Schmaufe-
teien, denn die Mon.
buttu ſind noch ſchlim⸗
miere Menſchenfreſſer
als die Niam-niam.
= Bon 200 Schadeln,
= welche er fo erhielt
| — meift waren es
ſolche von jüdlicher
wohnenden Stämes
men —, lonute er
| nur 40 brauchen; die
>| Übrigen waren, um
Ei das Gehirn herans-
= nehmen zu fünnen,
zerſchlagen.
Das von den
| Monbuttu bewohnte
Gebiet liegt ungefähr
zwifchen 3% und 4°
nördl. Br. und 28°
und 290 öfll, &. v,
Or, iſt aber bei feis
ner Kleinheit fo ſtart
bervohnt (250 Menſchen auf die englifche Quadratmeile), daß
Scweinfurth die Zahl des gefammten Volles auf etwa 1
Milion ſchätzt. Die Monbuttu Haben zwei Oberhäuptlinge,
Degberra im Dften und im umfangreicern Welten Rune,
ben Sohn Zifibo's, welcher 1857 von feinem Bruder, eben
jenem Degberra, erſchlagen wurde und bie dahin das gamze
Volt beherricht hatte. Beiden ftehen ihre Brüder reſp. Söhne
als Unterfönige zur Seite, Eine zwei Tagereifen breite Greng⸗
wildniß trennt ihr Land gegen Norden und Nordweſten von
demjenigen der Niamsniam. Gegen Süden wohnen im
u
Aus Georg Schweinfurth's Reifen in Innerafrifa.
weiten Halbfreife eine Anzahl Bölter von typiſcher Negerrace, |
von den Monbuttu mit dem verädhtlichen, ihre tiefe Cultur⸗
flufe andeutenden Gefammtnamen „Mommwu* bezeichnet. Zu
dieſen Negerm gehört aber nicht das Zwergvolt der „Alta“,
über welches wir demnächft ausführlicher berichten werben.
Das Yand der Monbuttu ift durd) feine herrliche Vegetation
ein irdifches Paradies. Durchſchnittlich 2300 bis 2500 Pa—
rifer Fuß hoch, bietet daffelbe einen beftändigen Wechſel von
tief eingefchnittenen Bäcen und Flüffen und fanft anfteigen-
den Höhen dar. Endloſe Bananenpflanzungen bededen die
Thalgehänge und längs der zahlreichen, ftets waflererfüllten
Bäche und Flüſſe bildet die ſchönſte aller afrilaniſchen Pal—
men, die Oelpalme, ausgedehnte Haine. Das quellenreiche,
einem vollgeſogenen Schwamme gleichende Land iſt ganz mit
— —
——
275
dem jungen und noch immer in Fortbildung begriffenen
Rafeneifenftein bedeckt, welcher fchon im Niam-niam-Gebiete
auftrat und, weit gegen Silben und Welten ſich erftredend,
den größten Theil des centralafrifanifchen Hochlandes ein-
zunehmen fcheint.
Aderbauer fan man die Monbuttu eigentlich nicht nen«
nen, denn fie vefp. ihre Weiber, denen dieſe Beſchaftigung
obliegt, thun nichts, als die Schößlinge der Banaue, ihrer
Hauptnahrung, die Wurzellnollen des Maniok, der Batate,
Dam und Colocaſie in die vom Regen befruchtete Erbe zu
legen, um des reichiten Ertrages ficher zu fein. Angepflanzt
wird, gleichfam als Gartengemitfe in der Nähe der Wohnun:
gen, ber Mais, Sefam, die Erdnuß, das Zuderrohr und na»
mentlich der virginifche Tabad.
Das Monbuttupaar Netoln und Bunfa,
Gewebte Stoffe befigen die von der Außenwelt abge-
fchloffenen Monbuttu nody nicht; der Baft eines Feigen-
baumes (Urostigma kotschyana), deſſen abgefcjälte Rinde
ſich nad) drei Jahren wieder erneuert und der darum bei
jeder Monbuttuhlktte angepflanzt ift, wird zu einem dauer:
haften, wollenartigen Zeuge verarbeitet, wie es auf Munſa's
Porträt den mittlern Theil des königlichen Yeibes einhült.
Außer Hunden und Hühnern ziichten fie fein Vieh; die Jagd
auf Elephanten, Büffel, Wildſchweine und Antilopen, dann
auf den grauen Papagei, Perlhühner, Frankoline und Trap-
pen liefert ihnen die Fleiſchnahrung. Auf ihren Kriegs—
zügen erbeuten fie oft große Mengen von Ziegen; die Fiſche
ihrer Fluſſe vergiften fie mit einem Kraute, das fie anbauen,
und zu allem diefen Ueberfluffe, oder vielmehr troß ihm, freſ⸗
fen fie ſchließlich auch Menſchenfleiſch, den Inbegriff aller
ihrer culinarifchen Senüfle, welchen fie fich namentlich bei
ihren Naubzügen gegen Süden im Yande der „Mommu“
verichaffen. Das Fleiſch der im Kampfe Erſchlagenen wird
auf dem Schlachtfelde vertheilt, dann gebörrt und nad) Haufe
geichleppt; die Gefangenen werben heimgetrieben und fpäter
wie eine Vichherde Stüd fir Stüd abgeſchlachtet; die erbeu-
teten Kinder bilden als beſonders zarte Delicatefien den Aus
theil des Könige. Obwohl Schweinfurth felbft nur zweimal
Gelegenheit fand, Leute beim Herrichten von Menfchenfleifch
zu überraſchen — es wurde während der Anmefenheit der
Fremden alle Dienfchenfrefferei möglichft verheimlicht, weil
man ihre Übneigung dagegen fannte —, fo gaben doch na-
mentlic, jene ſchon erwähnten 200 Schädel, welche man ihn
brachte, das ficherfte Zeugniß für diefe grauenhafte Unfitte
der Monbuttu ab. Und dabei find diefelben eine edlere Race
36 “
276
von Menfchen, im Befite eines gewiflen Nationalftolzet, von
Urtheilöfraft, von mehr Berftand und Vernunft als die mei
ften anderen Afrikaner, zuverläffig als Freunde, von friegeris
ſcher Tüichtigfeit und haben ein wohlgeordnetes Staatswejen!
Der König ift hier mächtiger als bei den Niamsnianı ;
denn aufer dem gefammten Elfenbein, wie dort, erhebt er
Abgaben von den Erträgniffen des Bodens. Stets umgiebt
ihn feine Leibwache und ein Troß von Trabanten; in allen
Diſtrieten und Ortfdyaften hat cr feine Beamten und Bors
ſteher. Bier Hofchargen haben die Aufficht über die Wafe
fen, die Geremonien und Feſte, die Magazine und Speife-
vorräthe, den Harem, während ein fünfter Reichsrath als
Dolmetscher fungirt. Achtzig junge Frauen, welche ebenſoviele
Hütten um den königlichen Palaſt bewohnen, bilden den
beichräuftern Harem, während die älteren und die Frauen feir
nes Vaters, event. auch die eines verftorbenen Bruders, welche
er nad) afrifanifcher Potentatenfitte ala Erbſchaft Überminmt,
eine weit größere Zahl ausmachen und in den nächſtgelegenen
Dörfern haufen. Zu feiner Hofhaltung gehören, wie wir bei
Schilderung der Audienz gejehen, Hornbläjer und Trompeter,
Eunuchen und Spaßmacher, Sänger und Tänzeru. ſ. w. In
F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan.
andere lauter Thierſchwänze, Felle, Zähne, letztere auf lange
Schnüre gereiht, Alles zum Ausfchmiden des Königs bes
ftimmt, wenn er vor feinem Bolfe wilde Tänze zum Beften
giebt; die Ruſtlammern bergen Haufen von Säbelllingen,
Hadmeflern und zufammengefcunürte Pade von je 200 bis
300 Yanzen, im Kriegsfalle zur Vertheilung an die Wann-
ſchaſten beftimmt, Unter vegendichten Dädern ruht der
Borrath an Korn und PBroviant, defien Eintheilung deu Kö—
nig ſelbſt überwacht.
Aus alle dem geht hervor, daß dies Volk einen monar«
chiſch eingerichteten Staat befigt, wie es nur wenige von
gleicher Bedeutung in Innerafrika geben mag, und für den
das halb mythiſche Reich des mächtigen Muatajamwo, deſſen
| Einfluß wahrſcheinlich bis hierher gereicht hat, das Vorbild
der Bercitung der königlichen Mahlzeit, die er ſtets allein, mie |
in Sefellichajt Anderer verzehrt, wechſeln fich feine Frauen ab.
Was erübrig läßt, wird in eine eigene Örube gefcjlittet: es
darf von feinem Andern mehr berührt werben. Für jede fei«
ner Berrichtungen hat er eine eigene Hiitte; für feinen Put
— Garderobe lann man laum jagen — fogar mehrere. Da
enthielt die eine nichts als Hüte und Federſchmuck, eine
abgegeben haben mag.
Bon den Niam-niam umnterfcheiden fic) die Monbuttu
zunächſt durch hellere Hautfarbe , welche der des gemahjlenen
Kaffees gleicht, während die der Niam-niam an die Tafel:
chocolade erinnert, dann durch geringere Muskelfillle, weit
ftärtern Bartwuchs und durch das häufige Bortommen blond»
haariger, ſehr hell gefärbter Individuen, Albinos, deren An-
zahl der Neifende auf etwa 5 Procent der gefammten Bes
völferung ſchätzt. Zu diefen gehörte aud) der auf unjerm
zweiten Bilde dargejtellteBunfa, ein Sohn König Munſa's.
Alle diefe Naceneigenthüntlichkeiten fcheinen auf eine Ver:
wandtjchaft mit der großen Bölfergruppe der Fulbe am Se—
negal hinzudeuten, welche ja nad) eigener Ausfage öftlichen
Urfprungs find,
%. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan.
III.
Wir hatten unfere frauzöſiſchen Reiſenden auf ihrer mu—
thigen, fir die Kenntniß Hinterindiens wie des Sudweſten
Chinas epochemachenden Reiſe in Tung-tfchuansfu vers
laſſen, welches auf dem rechten Ufer des Nangstje-fiang zwi—
ſchen 26% und 27° nördl, Br. und unter 103° öſtl. L. v. Gr.
gelegen iſt. Der Gejundheitszuftand des Commandanten
be Yagröe hatte fich inzifchen durch die Entbehrungen und
Strapazen der Reife und die jortdauernde Erregung des
Geiſtes jo verſchlimmert, daß er den Dberbefehl an Garnier
abtreten mußte. Er hätte feinen beffern, tüchtigern Mann
zur Seite haben lönnen; unter feiner Führung beginnt ein
wahrhaft heroifcher Zug in das Mebellenland, welches das
mals den ganzen Weſten der Provinz Yılinnan umfaßte.
Die dinefifhen Beamten der Stadt gaben ſich natürlid) die
benfbarfte Mühe, von dem gewagten el abzureden;
man kenne nicht die Gefinnung der mohammedaniſchen Me
gierung in Tasli, die Wege dorthin feien von Näuberbanden
bedroht, die Ortſchaften wüft und ausgefogen, die Franzoſen
würden Hungers jterben u. ſ. f. Und als das nichts fruch—
tete, ſtedien fie fich hinter den Vrovicarius, Mr, Fenouil,
welcher in einem langen Briefe feine Landsleute erſuchte,
ſich nicht ſolchen Gefahren auszufegen, jondern fi) am Ans
blicle des Yang-tie-fiang unweit Tung-tichuan genligen zu
lafjen; 15 Tagereifen weiter oben fei es ja immer noch der
jelbe Fluß; was ulltze es aljo, jo weit zu gehen, wenn man
ihn in größerer Nähe fehen lönnte. Diefen zwar gut ges
\
*) &, Eeite 33 und 49 dieſes Vandes.
=
meinten, aber von wenig jo zu fagen geographiſchem Gifte
eingegebenen Rath befolgte nun Garnier freilicy nicht, ließ
ſich vielmehr von feinem kranken Chef einen ſchriftlichen Be—
fehl auöftellen, worin der Hauptwerth der ganzen Reife nach
Weften auf eine etwaige Erreichung des obern Mekhong
(bier Yan-tjang-kiang geheißen, vergl. ©. 198) gelegt wird,
und brach am 30. Januar 1868, nody während der Yufı»
barteiten, Feuerwerle und Weite des chineſiſchen Neujahrs
(25. Yannar), auf. Der ganze Zug beftand aus 4 Euro:
piern, 2 Tagalen und 3 Annamiten, alle gut bewaffnet, in
iemlicher Geſundheit und eutſchloſſenen Muthes; dazu 9
Träger für das möglichft eingefchränfte Gepäck.
Zuerst ging es über eine wohlangebaute Ebene hin;
bald aber begann der fteile Abftieg, von deſſen Höhe man
in dem Meere von Bergen, das den ganzen Horizont erfüllte,
einen tiefen Einſchnitt geblidte: es war das Thal des Yang-
tjesfiang, der hier den Namen Kinsticha-fiang, d. hGold⸗
fandfluß, führt. Nirgends zeigt fidh der dem chineſiſchen
Volke eigenthümliche Geiſt des Coloniſirens und des Han-
delns mehr als bei diefen Handelsftragen im Gebirge, welche
einen gewaltigen Aufwand an Zeit und Geld erforberten,
aber ohne jede Staatsunterftügung von einigen Gemeinden
oder Kaufmannsvereinigungen zu Stande gebradjt wurden
(ſ. die Abbildung diefer Straße auf ©. 54). Um 31. Jar
nuar ſah Garnier in der Ferne zum erften Male dic Waſ—
fer des Blauen Fluſſes, der erfte Europäer feit Marco Polo’s
Zeiten, weldyer ihn jo weit von feiner Mundung berührte.
In jener Nacht jclief er im Flecken Mong-ku, der nur
F. Garnier’: Schilderungen aus Nünnan,
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Altar einer chineſiſchen Pagode,
278
200 Meter über dem Strome liegt. Hier herrſchte wieder
tropifche Vegetation (Bananen, Zuderrohr) und tropiſche
Wärme, während man noch früh Morgens oben auf dem
Plateau empfindlich gefroren hatte. Schon hier begannen
die Schwierigkeiten: fein chineſiſcher Beamter zeigte ſich,
feine neuen Träger waren e haben und Garnier mußte die
alten um bedeutend höhern Yohn für die nädhiten fünf Tages
reifen wieder miethen. Um nach Ta-lı zu gelangen, mußte
man hier die große übliche Ausbiegung des Blauen Fluſſes
—
—
—
F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan.
(zwiſchen 100° und 104° öftl. L. v. Gr.) kreuzen; die erſte
widjtigere Stadt, welche man nördlich, des Kin-tichasfiang
ar war das eben jene fünf Tagereifen entfernte Hwei⸗
istfchan.
Am 1, Februar führte eine ftändige Fähre unfere Rei—
fenden über den 200 Meter breiten Strom; bei 20 Meter
fand Garnier noch feinen Grund, Aber flußab und flußauf
hindern bald Stromfcnellen die Schifffahrt. Mit dem jens
feitigen Ufer betrat er die Provinz Sz'-tſchwanz ebenfo
Ita, Frau und Wann,
fteil ging es num wieder bergauf und nad) 4'/, Stunden
fharfen Steigens lag der Fluß 1200 Meter unter den Rei:
fenden, nur noch ein ſchmales, blaues Band, aber in horis
zontaler Entfernung kaum einen Büdfenfhuß von ihnen
entfernt. Yange Reihen von Saumthieren und Fußgängern
fliegen vom Fluſſe hinauf auf die eiſiglalte Hochebene, wo
die im Thale fo brennende Sonne ihre Kraft verlor. Die
folgenden Tage ging es ftetig bergab und bergauf auf gefahr:
vollen Wegen, die der num fallende Schnee noch halsbredyen-
der machte. Um die Anftrengungen etwas zu verringern,
faufte Garnier drei Pferde; mehr zu thun erlaubte ihm die
in der Gaffe der Expedition eingetretene Ebbe nicht. Sie
mußten eben ihren Geldbeutel mehr ſchonen als ihre Beine,
um nicht den chineſiſchen Behörden mit Borgen allzufehr
zur Yaft zu fallen.
Am 3. Februar wurde der höchſte auf diefer ganzen Keife
erreichte Punkt itberfchritten; das Barometer wies auf mehr
als 3000 Meter, Die Wilden, welche diefe Höhen bewoh-
F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan.
nen, lachten beim Anblic der Fremden; nie waren ihmen fo
ſchnurrige Menſchen vorgelommen.
Endlich eröffnete ſich in der Ferne das Thal von Hwei—
listihau. Trotz des Alles bededenden Schnees war der
Verkehr auf diefer Straße ziemlich bedeutend: alle Augen:
blide tamen Transporte von Salz, Kohlen, Pelzwert, Kupfer,
Farbefloffen und Arzueiwaaren den Franzofen entgegen, wäh—
rend mit Baumwolle und Baummollenftoffen belabene Ka—
rawanen in berjelben Richtung, wie fie, zogen. Hwei⸗li⸗iſchau
beſaß darum auch, troß der immer nod) andauernden Feſt-
lichkeiten zu Ehren des Neujahrs, ganz das Ausſehen eines
lebhaften Haudelsplatzes; fabricirt werden dort alle Gegen:
ftände, welche man beim Reiten, Fahren und Reiſen ge
braucht, außerdem Gefchirre von Kupfer, von welchem Dies
talle Gruben in unmittelbarer Nähe der Stadt eriftiren.
279
Auch bier liegen es ſich bie Behörden angelegen fein,
vor der Fortſetzung der Reife zu warnen. Um nun reinen
Wein über die Zuftände im Yande der mohammebanischen
Rebellen eingefchentt zu erhalten, jandte Garnier einen Vo:
ten mit der lateinisch gefchriebenen Bitte um eine Zufanmens
tunft an dem eingeborenen yrifllihen Pater Lu, welcher
unweit ded Zuſammenfluſſes des Ya⸗lung und Yangstje
wohnte, und am den ihn der Provicar in Tungstichuan em:
pfohlen hatte.
An 7. Februar ging es weiter, nachdem der Aufenthalt
in dem Marftorte benugt worden war, um das Reitzeug zu
ergänzen, Uber trog der größten Aufnterffankeit der Frau—
zofen hatten die verſchmitzten Chinefen es doch verftanden,
alte zerriffene Pferdedecken (deren Tuch ruſſiſches Fabrikat
war) und zerbrochene Gebiſſe ihnen in die Hände zu ſpielen.
Dan: tie: Tupen.
Schon am zweiten Tage ging es bedeutend bergab in wär—
mere Luſtſchichten, welche nicht wenig zur Erholung ber Reis
jenden beitrugen, welche in Dong«pusfo drei Tage rafteten.
Es ift das ein großer Markifleden, 10 Kilometer vom Yang⸗
tfe entfernt und damals, wie die ganze Yinie des Wang-tie,
von ben Kaiſerlichen ſtark befegt, weil die Rebellen kürzlich
einen allerdings verunglidten Borftoß gegen die Provinz
Sy-tjhman gemacht hatten. Won dort aus beſuchten bie
Franzoſen am 10. Februar die 14 Kilometer entfernte Cons
fluenz des Ya⸗lung und Yang⸗tſe zu Pferde. Hier ift der
legtere nicht von jo teilen Felſen wie bei Mongstu einge
ſchloſſen; vielmehr führt ein fanfter Abhaug an fein Ufer
hinab, während der Ya⸗lung durch eine wilde, unzugängliche
Felsoſchlucht brauſt. Beide Ströme hatten damals bei ihrem
Zufammenfluffe eine faft gleiche Waflermenge; aber die Con:
figuration dr Berge läßt doch ſofort den Mang-tje als den
Hauptſtrom erfennen,
Am folgenden Tage eridyien Pater Lu, ein junger,
feiner, aber jchener Mann, und gab keineswegs fehr befrie-
digende Aufjchlüffe Uber den weiten Weg, Die birecte
Strafe nad) Tasliefu war zwar niemals für die Kaufleute
verſperrt gewefen, aber noch immer hatten die Aufftändifchen
Leute mit leeren Händen zurlückgeſchidt. Augenblidlich fei
jedoch die Straße ſehr umficher und von Lebensmitteln ent:
blößt. Zudem erfah Garnier aus den Mlittheilungen bes
jungen Priefters, daß es ihm unmöglich fein witrbe, mit
Vermeidung der Mohammebaner big an den Überlauf des
Mekhong vorzudringen; denn nörblid von jenen ſäßen bie
wilden Man⸗iſe oder bie Liſſu (f. Über dieſe S. 198), welche
feinen Fremden in ihr Yand eindringen ließen. Garnier
280 5. Garnier's Schilderungen aus Nürman.
beſchloß alfo, den Lowen im feiner Höhle aunfzufuchen umd in | Ortes. Am folgenden Tage war Markt; in Menge ftie:
Taslisfi jelbft fich die Erlaubniß zu holen, bis an den Miefhong | gen die wilden Bergbewohner dazu herab und boten reich-
vordringen zu bürfen. lidyen Stoff zum Studium neuer Typen und neuer Tradı-
So ging es denn weiter, erft auf einer Fähre über den | ten. Diefe Gegend ift reich an Mifchbevölferungen: da find
Harlung-fiang, der aus dem fernen Norden lommt, dann | zuerft die Pa⸗y, welche mit den Yaos in Beziehung ftehen
amt linfen, nördlichen Ufer des vielfach; gewundenen und ſich und welche mit den Stämmen der Telu, Tern, Arru,
mehr und mehr einfchneidenden Phang-tfe-ttang hinauf, deffen | Didſchn, Yır-tfe vom Ya-lung bis zum JIrawaddi hin das
Beſchiffung die ſich von Zeit zu Zeit wieberhofenden Riffe Yand inne haben, Andere Stämme von ganz verfchiedener
und Stromfchnellen unmöglich machen. Nur Baumflämme | Herkunft und Sprache feinen fich den Urbewohnern mehr
aus den großen Wäldern um Yirkiang werden auf ihm | zu nähern: es find die I-Tia, auch Pelolo oder weiße
hinabgeflößt und auch diefe zerjchellen mitunter am den | Yolo genannt, welde einen Zopf wie bie Chinefen tragen,
Felſen. und deren Frauen dad Haar im zwei Flechten theilen; dann
Vor Ma— ſſchang beſuchten die Franzoſen Gruben, die | die Heſlolo oder ſchwarzen Yolo, die ſich mit ihren langen
finmittelbar amı Fluſſe liegen und eine ſchlechte Kohle liefern, | Haaren für befler als jene halten; endlich die wildeiten von
welche nur in Geftalt von Koles zu verwenden geht, Der | allen, die Liſſu und Man⸗iſe. Einige diefer Stämme ſchei
Gebrauch dieſes Brenmmateriald erheifcht die Anlage von | nen entſernt mit Tribus des nördlichen Aſſam verwandt zu
Scerufteinen, feit langer Zeit die erſten, welche die Rei- : fein, vielleicht auch mit den indifchen Kol uud den Mon
jenden zu fehen befamen. Die Chriſten des Ortes holten | von Pegu. Die Namen, welche fie von ben Chineſen er:
die Aufönmlinge zu Pferde ein, und in zahlreicher Gaval: | halten, haben nur eine fehr umbeftimmte Bedeutung und
cade zogen fie zufammen durch die einzige, lange Straße des | dinften faum ald Grundlage einer erufthaften Elaſſiſicat ion
Ansicht auf den Kin-tſcha-kiang auf dem Wege nadı Ta-li,
dienen. So bedeutet I Barbar, Frembling, und kia Fa: | Am 16. Februar wurde der Blaue Fluß wieder überjchrit-
milie, Race; und mit Yolo bezeichnen fie fat alle micht | tem und bald auf feinem füdlichen Ufer die Höhe von 2000
chineſiſchen Bölterfchaften ihres Neiches. Diefe Namen wer: | Meter (Masichang liegt nur 300 Meter hoch), die Durch:
den aber von den betreffenden Tribus wie eine blutige Be: | fchmittserhebung der dortigen Hochebene, erreicht. Wie groß
leidigung betrachtet. Die Lolo nennen fich felbit Tu-tia | bier fchom die Unficherheit und die Furcht der Bewohner
Autochthonen, Eingeborene) oder TZfjchin-fi (filtern). Das | war, beweift der Umſtand, daß die Leute eines Meierhojes,
Wild der beiden Ita auf &. 278 zu zeichnen foftete Hru. den ſich die Franzoſen zum Nachtquartier erjchen hatte,
Delaporte große Mühe und UWeberredungstunft, weil die | bei ihrem Nahen flüchtefen. Nur ein altes Weib blieb zu:
Wilden glauben, daß jede Perfon, deren Züge abgenommen | rlid, mit deren Hilfe die Entflohenen beruhigt und zuriid-
werden, töbtlich frank wird, erufen wurden. Nun wollte Hr. de Carnö die Pferde
Ju der Umgegend von Ma-fchang giebt es zahlxeiche füttern und als Krippe einen jener leeren Särge wählen,
Wölfe, welche im Winter, von Hunger getrieben, die Vich- | die fic) in allen chinefiihen Häufern finden und den Be—
böfe heimſuchen. Darum find hier Steinfdloß- und Per: | wohnern im Voraus als werthvollſtes Geſchenl von Freun:
cuffionsgewehre fehr gefucht, während man von Yunten- | den dargebradjt werden. Als aber der Dedel den Bemü—
flinten nichts wiſſen will, da ber Wolf felbige fofort wit: | hingen des Fremden Widerftand leiftete, bat die Hausherrin
tern foll. mit Thränen in den Augen, davon abzujtehen: der Befiger
Neue Träger wurden gemiethet, ebenfo eim zuverläffiger | des Sarges war darin gebettet.
Reiſemarſchall, der jchon den franzöfifchen Prieftern in jener Am folgenden Morgen ging es zuerft durch Fichten-
ii gedient hatte, officielle Beziehungen beſaß uud es | wälber, dann durch ein Dorf der I-fia, deren Häufer, In-
verftahb, mit den Manbarinen ein Wörtchen zu fprechen. | duftrie und Culturen ſchon ſtarken, chineſiſchen Einfluß zeig:
e
)
\
Ein Beſuch des Grabes des Gonfucius und des heiligen Berges Tai.
ten, und am Abend betrat man zuerft mohammedantjches
Territorium. Die Gegend mar ſchwach bemohnt, aber
pittorest. Die Abhänge waren bewaldet umd blühende Rho—
dodendren und Gamelien wiegten fi) über den Schluchten
ber Gießbüche.
Am 19. Februar erreichten bie Reiſenden wieder bie
directe Straße von Hong-pur-fo nad; Tali, von ber fie abs
—— waren, um das weſtlicher gelegene Ma⸗ſchang zu
ſuchen. Sofort war der Weg wieder mit Handelskarawa⸗
nen belebt, welche famen und gingen, und bald darauf er
reichte man das erfte Zollhaus der Mohammedaner, welches
281
im wohlbevölferten Thale des norbwärts zum Pangstfesfiang
fließenden Pe-masho lag. Mit neugierigen Bliden vers
folgten die Soldaten bie ungewohnten Erfcheinungen, richte:
ten aber an fie kein fragendes Wort. Und als im Nacht:
quartier ein untergeordneter Offizier heftig und immer hefs
tiger die Päfle der Frauzoſen forderte, verweigerte fie ihm
Garnier entjchieden, feſt entichlofien, nur mit hohen Wir:
benträgern ber Nebellen zu verkehren und fic von den klei—
nen nicht einfchlichtern zu laſſen. Er jeßte feinen Willen
burch und fonnte am folgenden Morgen unbehelligt feine
Reife weiter nad; Weften fortjegen.
Ein Beſuch des Grabes des Confucius und des heiligen Berges Tai.
I.
Am andern Morgen ftellte Dr. Fritſche feit, daß
Tſi-nan-fu in der Breite von 36% 40,4" und 117% ı'
öftl. v. Or. liegt. Dann zogen wir weiter und vom einen
Hügel warfen wir noch einen NRüdblid auf die Stadt und
erftaunten über ihre gewaltige Größe. In einer völligen
Ebene Tiegend wird Zfirman-fu im Norden von zwei jents
recht auffteigenden hohen Felſen überragt. Weftlich, kaum
eine Meile von und entfernt, floß der jegige Hauptarm des
Hoang-eho, in den Geſchichtobüchern Chinas „die Sorge
des Reichs“ geheißen. Oftmals die Tiefebene durch Ueber
ſchwemmungen verwüſtend, hat er den untern Theil feines
Laufes bald in den Golf von Pe—tſchi⸗li, bald nach Suden
ins Gelbe Meer gewendet und mehrfach ſollen Millionen
Menſchen das Opfer feiner Launen geworben fein. Bor
etwa zehn Jahren durchbrach er die während der Rebellion
vernachläffigten Eindeichungen in ber Nähe von Kaisfung-fu,
der Hauptitadt der Provinz Ho-nan, und ſich nördlich
wendend und dem großen Canal burchjchneidend verband er
fic mit dem Tastfimg-ffluffe und in deſſen unendlich er-
weitertem Bette wälzt er jest die Hauptmaffe feines Waſſers
dem Pe⸗tſchi⸗ li⸗Golfe zu.
Nachdem wir einige Meilen fortgegogen, gelangten wir
wieder in —— In dem Meinen Dorfe Kai-fhan
machten wir Mittag, und hier fand ich einen ganz in Granit
gehauenen Brunnen, deffen Tiefe 150 Fuß beträgt. Im den
Rand des umfaſſenden Gefteins haben die zum Heraufziehen
der Eimer benugten Stride, wohl im Laufe von Jahrtau—
fenden, zolltiefe Rillen eingefchnitten.
Bon Kai⸗ſchan zogen wir auf einer großen, ehemals
prächtigen, jegt aber ftarf verfallenen Heerjtraße weiter und
bald gelangten wir in eine romantiiche Gebirgsgegend:
fchroffe Felspartien, jchäumende Gebirgswafler, ſchattige
Berghänge und fonnige Waldlichtungen und in ben ſorgſam
angebauten Thälern Meine freundlich gebaute und reinlich
gehaltene Dörfer und wohnlich ausfehende Weiler, halb ver
ftedt unter mächtigen bunten Cypreſſen und mit Frllchten
beladenen Obftgärten.
Spät am Abend erreichten wir das Derthen Wanste-
tihen und übernadjteten in dem überaus ärmlichen Wirths-
Haufe. Zum Abendbrot und Fruhſtück genofjen wir außer
Kaffee'nur köſtliche Weintrauben, welche im mädjfter Nähe
gewachſen waren, Mit Sonnenaufgang weiter ziehend,
tamen uns gegen acht Uhr Morgens hohe Berge in Sicht.
Es war bies der Taisfchan, an deſſen Nordfeite wir uns
befanden, und ihn im weitem Bogen umziehend erreichten
wir gegen ein Uhr Nachmittags die an feinem füdlichen
Globus XXVIN. Nr. 18.
-dafjelbe Ziel wie wir hatten.
Fuße liegende Stadt Tairan-fu. Wir legten unfer Ge:
päd in einem Wirthshauſe nieder und mietheten ſofort zwei
Sänften oder vielmehr Stühle, von denen jeder durch zwei
Männer, die ein Referveträger begleitete, getragen wurde.
Auf einem mit colofalen Granitquadern gepflaftertem Wege
gelangten wir raſch an den Fuß des heiligen Berges und
langfam begann jest das Auffteigen.
Der Weg wurde bald fteiler und von Zeit zu Zeit
zeigten fich breite fteinerne Treppenſtufen. Im tten
eines künftlich gepflanzten Eyprefjenhains und an unzähligen
großen und Heinen Tempeln, Monumenten und Bogenthoren
vorbei ging es weiter in die Höhe. Ein hübjcher Waſſer-
fall kam zu Geficht, der aus einem weiten Felsbeclen, wel-
es lunſtlich gefchloffen ift, geſpeiſt wird.
Bald hatten wir jenen Punkt erreicht, wo ber Gage
nad) Confucius bei Befteigung des heiligen Berges wie-
der umgelehrt fein fol, und iſt zum Andenken hieran eim
Meiner Tempel errichtet. Ich verließ jegt den Tragſtuhl
und ging und ftieg den Trägern nad. Etwa eine Stunde
fpäter erreichten wir ein zur Bequemlichkeit der Wallfahrer
errichtetes Theehaus, und nachdem wir uns da etwas erquidt,
weibeten wir unfere Blide an der herrlichen Ausſicht. Tief
unter und, nach Süden zu, lag eine unabfehbare, fonnens
beſchienene Ebene, mit nicht zu zählenden Städten und Dör-
fern, mit vielfarbigen Fruchtfeldern und durchzogen von
hlreichen Flüſſen, Bächen und künftlichen Waſſerſtraßen.
—* der andern Seite zeigte ſich, getrennt durch ein dunf-
les Thal, die höchſte Spige des Berges, zu ber ſich die in
ber Sonne glänzenden Stufen einer granitenen Riefentreppe,
ähnlicd, einer ungeheuren Schlange, in bie Höhe wanden.
Unfere Träger drängten zum Weitergehen, und bald ge
langten wir in das vorhin ſchon gefehene von Klippen und
Höhen umfchloffene Thal, welches dicht mit uralten Eypref«
fen bewachfen ift. Einfam und ftill war es hier, fein Thier,
fein Bogel zeigte ſich, und felbft die zahlreichen frommen
Bettler, die uns bis in die Höhe des Theehauſes mit Ditt-
ängen, Schreien und Jammergeberden begleitet und ver⸗
olgt hatten, waren verſchwunden.
Der Fuß des hödjften Gipfel war nunmehr erreicht,
und nod; fteiler ging es jegt auf der großen Gteintreppe
bergauf. Ganz erichöpft machten wir im eimem zweiten
Theehauſe Station, wo wir zwei Mandarinen trafen, welche
Sie erzählten, daß fie in
Szestichuan, einer im äußerften Weſten Chinas gelegenen
Provinz, zu Haufe ſeien. Später gedachten fie nad; Tſi—
nan⸗fu zu gehen und auch bie nördlichen Seehäfen zu beſuchen.
36
282
Inzwiſchen begann es zu dunkeln. Wir ftiegen wieber
bergauf: Über ums glängte der Scheitel bes Berges im
legten Abendfonnenfchein, unter uns ſchickten bie Thäler ihre
weißen Nebel hinauf, Unfer Weg wurde jegt eine ununter«
brochene folge riefig hoher Treppenftufen, am deren einer
Seite, an fteinernem Pfeiler befeftigt, ſich eine ftarfe eiferne
Kette ununterbrochen in die Höhe zog.
Die Sonne war untergegangen. Ein heftiger Wind ers
bob ſich und Hilllte und in dichte Nebelwollen. Eiſig kalt
wurde es und die Frühe wurden mir fchwer wie Blei. In
die Sänfte mochte ich jedoch mid) nicht ſetzen, weil ic, ben
Trägern in der Dunkelheit nicht traute. Mit Aufbietung
meiner legten Kräfte fchleppte ich mic; bis zu einem Tem⸗
pel, wo wir zu libernachten beſchloſſen. Die Mandarinen
nahmen hier von uns Abſchied, da fie ihr Gepäd und ihre
Borräthe mad, einem noch etwas höher liegenden Punkt
voraudgefandt hatten.
Im einen Meinen rauchgeſchwärzten Anbau fchlugen
wir unfer Nachtquartier auf. Mein Gefährte ſchlief fofert
ein, ich aber wachte noch lange. Der Wind war jet zu
einem Orcan geworben und im gewaltigen Strömen ſchoß
ber Regen nieder.
Am Morgen hatte der Sturm ausgetobt, aber die ganze
Gegend war in Nebel gehlillt. Da keine Ausficht war, daß
das Wetter fich ändern werde und Dr. Fritſche ſich oben«
ein erinnerte, ba der in Talsanefır zurlickgelaſſene Chrono
meter aufgezogen werbe müffe, gab er die weitere Befteigung
des Berges auf, nachdem er mir zuvor Barometer, Thermo:
meter und den Apparat zum Soden des Waffers übergeben
hatte. Nicht ohne Beſorgniß fah ic) ihn dann die fchllipfe
rigen Treppenftufen hinabfteigen und im Nebel verſchwinden.
Ic) fuchte nun meine Belannten von geftern auf und
fand fie unweit des höchften Gipfels in eimem großen tavifti«
fchen Tempel, mit dem Morgenimbiß bejchäftigt. Sie luden
mid) zur Theilnahme ein, und da ich außer einigen Cales
nichts genofien, ließ ich mir den Thee, das Brot und bie
Eier gut ſchmeden. Da keine Ausficht auf Menderung des
Wetters war, machten wir uns gleich nach Beendigung des
Frühftüds an die völlige Befteigung des Berges.
Ein junger Priefter war unfer ihrer. Nachdem wir
eine Biertelftunde geſtiegen, und ich hierbei Gelegenheit ger
habt hatte zu bemerken, daß meine Lederſtiefel für derartige
Ercurfionen eine weitaus ſchlechtere Fußbelleidung als die
Filzſchuhe der Chinefen waren, erreichten wir einen Fleinen
Tempel, im defien Hof die höchſten Felsſpitzen eingefchloflen
find. Dort machte id) die mir aufgetragenen wiſſenſchaft⸗
lichen Notirungen und hat ſich danach für den Tai⸗ſchan
eine Höhe tiber dem Meer von 1545 Metern ergeben.
Hierauf begab ich mich im den Tempel, wo ic; meine Be
gleiter mit Andachtslibungen befchäftigt fand, Diefe beftan-
den in ſtummen Berbengungen, Wendungen und Drehungen
bes Körpers dor dem nichts weniger als ſchönen und ſiarl
derwitterten Gögenbilbern, und das Ganze bot ungefähr ben
—8 Anblick, wie ein in Arbeit beſindliches heilghinnaſtiſches
nftitut,
Nachdem meine Gefährten ihren religiöfen Bebltrfniffen
genligt hatten, begaben wir und nad) jenem Tempel zurüd,
wo wir am Morgen gefrüihftiict hatten. Im dem Hauptſchiff
beffelben wurden jegt eine Menge Wachskerzen angezitndet,
und nun ging es an ein neues Verbeugen, Drehen und
Grimaffiren. Inzwiſchen fchlenderte ic) in den umliegenden,
theils ſchon zu Ruinen gewordenen Baulicjfeiten umher, in
deren Mauern viele große, aus Kupfer getriebene Gedent⸗
tafeln, zum Theil von fanberer Arbeit, eingelaffen find und
zwifchen denen hier und dort auf halb verfunfenen Poftas
menten ganz ähnliche große Steinunen ftehen, wie man fie
Ein Befuch des Grabes des Confucius und des heiligen Berges Zai.
bei uns zur Rococozeit in Gärten und auf Brüdenbaluftra-
ben aufftellte. Nunmehr hörte ich ganz nahe Flötenblafen:
eine jener uralten, höchſt einfachen, aber unendlich melancho⸗
lifchen Melodien, an denen die chineſiſche Muſik fo reich ift.
Die Töne rührten von einem uralten weißhaarigen Priefter
her, der auf einer umgeftürgten, zwifchen Farrenkräutern fat
vergrabenen Säule wie ein Bild der Vergänglichteit ſaß. Un—
bemerkt von ihm brücte ich mich an eine Wand und Laufchte
den Tönen und dachte dabei, wie viele Fußtritte wohl dazu
are haben möchten, die vor mir liegenden granitenen
hürfchwellen fo tief auszutreten. Seit viertaufend Jah-⸗
ven wird biefer Berg in der Gejchichte Chinas als hochheili=
ger Ort genannt,
Meine Mandarinen waren inzwiſchen auch hier fertig
geworben und einer Fam mich zu fuchen, daß wir bie Rück⸗
fehr antreten möchten. Wir festen und im unfere Sefjel
und nunmehr eilten die Träger im Lauf und Sprung mit
uns hinunter, Bald gelangten wir in warmen Sonnens
ſchein und nad einigen Stunden waren wir in Taisan-fu.
Beim Cingange in die Stadt verabſchiedeten fich die
Mandarinen mit vielen Complimenten. Ic, begab mich in
unfere Herberge, wo ic; meinen Begleiter fand, und nachdem
ic) eine tüchtige Mahlzeit im Pfirfichen,, Apfelfinen und
Beintrauben gehalten, die eine Süße, Saftigfeit, Größe
und Aroma bejaßen, wie ich es bis dahin nicht fr möglich
gehalten, fühlte ich mich wieber völlig frifh. Diefe köſt—
lichen Frücte werden an den füdlichen Ausläufern des Tair
ſchan gezogen.
Wir befuchten nod ben inmitten der Stadt auf einem
riefigen Unterbau von Granitquabern gelegenen Tempel,
in welchem fich viele Monumente, theil® aus Holz, theils
aus Sandftein, theild aus Kupfer gearbeitet, befinden, auch
allerlei Bilder, in denen die Menſchen ähnlich jchlanf und
langhändig und ohme Beobachtung aller perjpectivifchen Ge
fege dargeftellt find, wie auf manchen unferer alten Kir)»
lichen Bilder, Dann fegten wir und wieder in umfere
Schantzüs und traten bie Weiterreife an.
Gegen Abend kamen wir in eine große Ebene und nahe
men unfer Nadjtquartier in dem Orte Ta⸗wau-ku. Am
näcjften Morgen paffirten wir auf einer langen gut erhal»
tenen Brüde den Taswausluß. Zu Eonfucius’ Zeiten
bildete biefer die Grenze zwiſchen dem Ländern Tſi und Pu,
welche in der ältern Geſchichte Chinas viel genannt werden.
Es ift ein tiefes und reigendes Gewäſſer und dient jetzt da-
zu, ben großen Canal zu fpeifen. In dunkler Nacht erreich«
tem wir Kitefur, das alte Lu.
Mit dem Wirth der verhältnißmäßig guten Herberge
nahmen wir fogleic, wegen eines Führers für morgen Rüd-
Sprache, und vom fchönften Wetter begüinftigt traten wir am
nädjften Morgen zu Fuß die Wanderung zu ben heiligen
Grabftätten Chinas an.
Dicht vor der Stadt, vergraben in einen Hain von ur
alten Cypreſſen, fteht der Tempel des von Confucius oft
genannten und ald Muſter von Tugend und Weisheit ges
priefenen Herzogs Tſch au. Er lebte etwa 1150 Jahre vor
Chriftus, und fein Bruder, den er durch feinen Einfluß und
feine Talente unterftügte, gründete um 1121 v. Chr. bie
ZTichau- Dynaftie, welche China lange Zeit beherrſcht hat.
Eine Allee von Denttafeln und mächtigen Bäumen führt
auf das Hauptgebäude zu, in welchem die in übermenſchlicher
Größe und im figender Stellung gearbeitete Statue des Her ·
zogs Tſchau ſich zeigt. Sie ift roh aus hartem Holze ger
ſchnitzt und aud) die Bemalung ift äußerft primitiv, jo dag
das Werk, abgefehen von feinem ſehr hohen Alter, fein Inr
tereffe bietet. Rechts und links von diefer Figur fiehen die
Frau und der Sohn des Herzogs von gleicher Beſchaffen-
Ein Beſuch des Grades des Gonfucius und bes Heiligen Berges Tai.
beit. Weiter war im den öden Räumen nichts zu fehen; |
' gelegenen großen Tempel des Confucius. Es iſt diefes ein
und weiterfchreitend gelangten wir an einen Pla, welcher
ben Namen Wönslistang, das heißt „Halle der erkun—
digten Schicklichkeit“, trägt. Hieran müpft ſich folgende
in den Büchern des Confucius erzählte Geſchichte.
ALS der Meifter den Tempel betrat, erlundigte er ſich
aufs Genauefte nad) den dort geübten Ceremonien und Ges
bräucden, Einer ber Prieſter meinte, es fei jonderbar, daf
Jemand, der fortwährend Anderen in dergleichen Unterricht
ertheile, ſich hiernach erlundige. Confucius erwiederte:
„Eine der von mir gelehrten Regeln iſt eben die, über alle
ſolche Angelegenheiten möglichſt genaue Nadjrichten einzus
iehen.* & nüchtern wie diefe, Klingen faft alle chineſiſchen
toralhiftorien und Sentenzen.
Im einem dachloſen, zerfallenen Hintergebäube zeigte
man und noch ein duch Schmug faft unfenntlid, geworde⸗
ned Bildniß des Confucius, welches in Relief aus dem
Stein herausgearbeitet ift und aus Yebzeiten des Meifters
datiren fol. Wir gingen dann weiter nad) dem eine halbe
Meile öftlich gelegenen Grabe des Kaiſers Shau-hau,
welcher um 2500 v. Chr. gelebt haben ſoll. Daflelbe liegt
hinter einem dem Helden zu Ehren errichteten Tempel, in
einem von hohen Mauern umfchloffenen Hof und wird von
gewaltigen Eyprefien überfchattet. Die Chinefen nennen es
den Berg von zehmtaufend Steinen; es bildet auffallenber
Weife eine Pyramide, deren Höhe etwa dreißig Fuß beträgt,
während jede Seite fünfundvierzig Fuß mißt. Die Pyra-
mide fommt in ganz China nicht weiter als Baulicfeit vor.
Zurüdtehrend pafjirten wir ben Begräbnißplatz des
Son⸗Hwumy, des Yieblingsichlilers des Confucius, und feiner
Nachlommen. Unter uralten Bäumen befinden ſich Zaufende,
größtentheild verfunfene und verwitterte Örabfteine; denn
es ift Sitte, daß alle Nachlommen berühmter ober vorneh-
mer Chinefen neben ben Gebeinen ihres Ahnen beftattet
werben, und eim jeder folcher Begräbnißplag bildet ein uns
verlegbares ‚Heiligtum. Ueber Felder und Wiefen erreich-
ten wir dann den großen Baumgang, weldyer zum Grabe
des Confucius führt.
Die Cypreſſe ift der Lieblingebaum ber Chinefen, und
aus diefen und zwar aus Eremplaren, welche bis funfzehn
Buß im Umfange haben, befteht die Alle. In derfelben
befinden ſich verfchiedene maſſive Brüden und mehrere präd)-
tig gejhmüdte, triumphbogenartige Monumente, Endlich
gelangten wir an einen ummauerten Pla, deſſen Pforte
bei unferm Nahen gefchlofien wurde. Obſchon der Durd),
gang fonft frei ift, konnten wir doch die Deffnung erft nadı
langem Handeln und nachdem wir ein Trinfgeld von etwa
15 Sgr. jpendirt, erreichen, und wir wurden jehr ärgerlich,
als ſich das gleiche Gaunerſpiel bei den noch folgenden zwei
Pforten wiederholte. Endlich waren wir am Ziel.
Am Rande eines Cypreſſenwaldes, von mächtigen Bäu«
men überfcyattet, bezeichnet ein etwa vierzig Fuß hoher Erd»
hügel die Begräbnißftätte, und am dbemfelben iſt eine gewals
tige, oben abgerundete Gebächtniftafel aufgerichtet, welche
auf einem von Drachen getragenen Sodel ruht, Das ganze
Denfmal ift höchſt einfach und zeigt nichts von jenen
Schnörkeln, welche gewöhnlic, hinefifchen Kunfterzeugniffen
eigen find, imponirt aber eben dadurch und durch die Größe
feiner Berhältniffe. Nicht weit davon befindet ſich das
Grab des Sohnes des Confucius Li und feines als Philo-
fophen berühmten Enfels Szu⸗Tzu, weldyer der Berfaf-
fer eines der fogenannten vier claſſiſchen Bücher if. Noch
eine Maffe anderer Familiengräber find nahe herum, und
auch noch viele andere Grabfelſen, wie denn überhaupt die
Gegend um Ku-fu dafjelbe für China ift, was die Weit-
minfterabtei fir England.
1}
283
Am Nachmittag befuchten wir den innerhalb ber Stabt
riefiges Gebäude und übertrifft an Pracht und Ausdehnung
weit alle chineſiſchen Baulichteiten, welche ich bisher gefehen
habe, Herrliche aus einem Stüd beftehende Steinfäulen,
auf denen rieſige fich um fich felber windende Drachen in
Relief heransgearbeitet find, und vieredige Pfeiler mit aufs
Sauberfte und Naturwahrfte ausgeführten Oravirungen von
Dlumen und Blättern ſchmücken die Fagade und tragen das
Dad. Im Innern finden ſich die Bildſäulen des Confus
cius und feiner bebeutenderen Schliler, alle figend bargeftellt
und theilweife matlirlic und gut gearbeitet. Auf einem
großen Poftament oder Altar liegen und ftehen eine Menge
gotte&dienftlicher Geräthe, denen zum Theil ein Alter von
2000 Jahren zugefchrieben wird. Selbige find theils von
Silber, theild von Kupfer und Eifen, theils von Porcellan,
Thon, Horn und Elfenbein, und die darauf befindlichen
Figuren und Zeichnungen ähneln zum Berwechjeln denen, bie
man auf den jegigen chinefifchen Kunfterzeugnifien fieht.
Neben dem Haupttempel befinden ſich eine Maſſe Neben«
tempel und Capellen. Einige find den Eltern, andere andes
ren Verwandten des Weifen gewidmet, und in der einen
befinden fic drei im große Marmortafeln gravirte Porträts
von ihm, die ihn ald jungen Mann, im reifen Alter und
als Greis darftellen. Weiterhin find einhundertundzwangzig
Marmortafeln in die Wand eingelaffen, welche Scenen aus
dem Leben des Meifters darftellen und gleid) nad) feinem
Tode verfertigt fein follen,
Noch durdhichritten wir eine wahre Unzahl lirchlicher
Gebänbe, von denen einzelne nur durch Brüden zugänglid,
find. Da wir feinen Zmwed derjelben erkennen konnten,
empfanden wir bald einen verwirrenden und töbtlich ermll⸗
denden Eindrud und ganz erfchöpft langten wir fpät am
Nacymittage wieder im Wirthähaufe an. Kl-fus Lage ift
von Dr. Fritſche, wie folgt, beftimmt: Breite: 35% 36,2;
öftliche Yänge von Greenwich: 117° 0,2,
In Küsfu vefidirt aud) das Haus Confucius, deſſen
Bamilienhaupt kaiſerliche Ehren geniegt und vom großen
Haufen noch Höher geachtet wird, als der Kaiſer felber.
An feinem Hoflager befindet ſich die Elite der chineſiſchen
Philoſophen und Philologen, und gemeinjam mit legteren
ftellt er die neu einzuführenden Schriftzeichen fef. Ob—
ſchon man von folden bereits vierundzwanzigtaufend bejigt,
werben dennoch faſt alljährlic eins oder mehrere neue hinzus
gefelt. Der Palaſt, worin diefer Here mit feiner gelehr-
ten Umgebung hauft, ift ein Conglomerat ungeheurer Bau«
lichteiten, welche wohl an funfzig preußiſche Morgen bededen ;
in das Innere bim ich jeboch nicht eingebrungen. Noch
wurde mir ein Geſchichtchen von dem Herrn erzählt, wor
durch der Erzähler einen Beweis für bie Confucius'ſche
Erbweisheit erbringen wollte, und da es echt chinefifchen
Geift athmet, theile ich es mit.
Der jegige Confucius reifte vor längerer Zeit nad; Per
fing, um ben Kaiſer zu befuchen, was ihm nämlich), zu jeder
Zeit geftattet ift. Beim Eintritt in das kaiſerliche Gemach
wiberfuhr ihm aber die Verdrießlichkeit zu ftolpern und platt
auf die Erbe zum fallen. „Es jcheint,* rief die anweſende
Kaiferin ihm zu, „daß umfere Thürftufen doch Höher find,
als die eurigen,“ — „Das mag fein,“ entgegnete ber Ge
fallene, „aber die meinigen find dauerhafter.“ Man muß
voiffen, daß hohe Thurſchwellen zu haben, ein Privilegium
chineſiſcher Vornehmheit ift, und waren denn auch in dem
vorhin erwähnten Tempel des Confucius biefelben zwei Fuß
hoch und anderthalb Fuß breit. Daß feine Schwelle bauer-
hafter,, durfte der Gefallene deshalb jagen, weil fein Ge—
fchlecht ſchon feit dreitaufend Jahren hochberükmt in China
36*
284 Albin Kohn: Schilderungen
ift, während bie jet regierende Dynaſtie erft vor einigen
hundert Jahren aus dem Dunkel hervortrat,
Am nächften Morgen traten wir die Rüdreife an. Im
innerafiatifcher Zuftände,
Kai⸗ſchan trennte ſich Dr. Fritfche vom mir, um die große
Straße nad) Peking einzufchlagen. Am 30. September er
reichte ich wieber Tichi-fi.
Schilderungen innerafiatifher Zuftände.
Bon Albin Kohn.
u.
Die Tanguten find, wie ihre Nachbarn, die Mongolen
und (im Süden) die Tibetaner, eifrige VBerehrer Buddha’s,
und, wie alle auf niebriger Bildungsftufe ftehende Völter,
unendlich abergläubiſch. Sie glauben an Heren und Wahr
fagerei und vertrödeln, wie manche höher civilifirte Völker,
ihre Zeit mit Proceffionen, denn jeder rechtgläubige Tangute
hält es für feine Pflicht, möglichft oft nad) Yafja zu pilgern,
um dort Buddha und feinen Stelvertretern auf Erden feine
Huldigung und mehr noch fein Opfer barzubringen. Fana—
tifer führen diefe Wallfahrt nad) dem innerafiatifchen Bati-
can alljährlic, ein Mal aus, doc) ift hervorzuheben, daß in
den von Tanguten bewohnten Gebieten weniger Tempel und
Klöfter eriftiven, als in anderen Gegenden, wo der Bubdhas
cult herrſcht. a genießen die Yamas und Higenen
(Möndye) bei den Tanguten diejelbe Verehrung wie bei den
Mongolen und man begegnet ihnen auf Schritt und Tritt.
Sie leben Übrigens, wie andere Sterbliche, größtentheils in
fchwarzen Zelten, und zeichnen ſich vielleicht nur dadurd) vom
gemeinen Manne aus, daß fie ſelbſt nicht an das glauben,
was fie lehren.
Nach Vermikin Herrfcht bei den am Kofjogolfee auf ber
Stibfeite des Sajangebirges wohnenden Urjänden bie
Eitte, ihre Todten nicht zu begraben, und denfelben Gebraud)
findet man auch bei den Tanguten, welche die Leichen ihrer
näcjten Verwandten gleich nad) deren Verſcheiden ohne weis
tere Geremonie in den Wald oder in die Steppe tragen und
fie hier den Geiern und Wölfen überlaffen. Mir ſcheint es,
daß biefer Brauch eine logiſche Folge des Glaubens an die
Seelenwanderung fei, denn biefer Glaube ſetzt doch eine ſchnelle
Vernichtung des alten Leibes voraus, die durch Begraben der
Leiche verzögert wird,
Die Unreinlichleit gehört wohl zu ben Nationaleigen-
{haften der Tanguten; fie herrfcht in Speife und Trank, in
Kleidung und Wohnung und ift grenzenlos. Die Geſchirre,
in denen man die elenden Speifen zurichtet und aus denen
man fie genießt, werben nie gewaſchen. Die hölzernen Schüf-
felchen werden, nachdem ihr Inhalt verzehrt worben ift, aus—
geledt, und dann verwahrt Jeder feines zwiſchen der Kleidung
und dem Körper, wo es von Parafiten wimmelt. Gelbft
nachdem er den blutigen Kampf mit diefen beendet hat, wäſcht
ber Tangute jic nicht die Hände, fondern nimmt ohme Ekel
das zu feiner „Dfiamba“* nöthige Material, fmetet e8 und
verzehrt es, ohme fich einen Augenblid zu befinnen. Ebenſo
wird auch beim Melken verfahren. Die Tangutenfranen
und Mägde wafcen den Thieren nicht die Euter, reinigen
wicht die Milchgefäße und das aus ungegerbtem Schaffelle
gemachte Butterfaß wird nie einer Ausfplilung unterzogen,
Wohl nur zufällig wird der Schmug vom Tanguten ent»
fernt — wenn er von einem heftigen Negen im freien über»
rafcht wird ; ſonſt ift ev waſſerſcheu.
Die Hauptbefhäftigung der Tanguten ift die Viehzucht,
und nur in ben Gegenden, in welchen fie mit Chinefen ver-
mifcht leben, treiben fie ein wenig Aderbau, doc, wird diefer
wie jene mit ber größten Nadjläffigfeit betrieben, denn eine
grenzenloſe Faulheit gehört mit zu den Charaltermerkmalen die⸗
jes Volksſtammes. Stundenlang vermögen Erwachſene wie
Kinder am Herde zu figen, wo fie nichts weiter thun als
Thee trinfen. Da wegen der noch bis vor Kurzem im norb-
öftlichen Theile von China wüthenden Revolution ber Ziegel-
thee im Yande ber Tanguten fehr theuer ift oder war, jo hat
man ein Surrogat geſucht und diejes in den Blitthentöpfchen
einer gelben Zwiebel und eines von Prſchewalsli nicht näher
bezeichneten Graſes gefunden, Diefe Materialien werben
gejammelt und in Donfyr, einer 20 Werft weftnordweftlich
von Sisning-fu, der Hauptftadt von Kan⸗ſu, gelegenen Stadt,
in hierzu beſonders eingerichteten Fabrilen gepreft. Die efel-
hafte Brüge von biefem Fabrilate wird von den Tanguten
unter dem Namen „Dontyrider Thee“* genoffen, jeder Gaft
wird umerbittlich mit diefem Getränke bewirthet.
Eine nothwendige Zugabe zu dieſem Thee bildet bie
„Diamba*, eine Mifchung von Gerftenmehl und Ziegel-
thee, von ber eine Handvoll hineingeworfen, mit ſchmutzigen
Händen zu einem Zeig verarbeitet umd nun genoffen wird.
Bei dem Reichen wird diefem Teige Butter und frifcher Käſe
(Quart), „Zihurma“, hinzugefügt. Fleiſch ift bei Keichen wie
bei Armen eine Seltenheit und man ſchlachtet ungern ein
Schaf oder ein anderes Stüd Vieh, um jein Fleiſch zu ge—
nießen. Wie der Mongole genießt auch der Tangute erft
das Fleiſch feiner Hausthiere mit Appetit, wenn fie gefallen
find; fonft verkauft er fie lieber, um ein Stückchen Silber
zu erhalten umd es aufzubewahren. Zu den Lieblingsſpeiſen
ehört auch ber ‚„Takyr“, d. h. faure und dann getochte
ich, in welcher aljo der Käfeftoff geronnen if. Ehe man
aber dieje Lieblingsfpeife bereitet, wirb die Sahne herab-
geſchöpft und zur Butterbereitung aufbewahrt.
Einfach und unrein, wie Wohnung und Epeife, ift auch
die Kleidung ber Tanguten. Gie ift, je mad) der Jahres⸗
zeit, aus Tuch ober Schaffellen gefertigt. Die Sommer:
fleidvung ber Männer und rauen befteht aus einem grauen
Rode, welder bis ans Knie reicht, aus langen Stiefeln
eigener ober auch chineſiſcher Arbeit und aus einem kleinen
grauen Filzhut mit breiter Srämpe. Hemden und Beins
kleider find derzeit im Yanbe der Tanguten noch nicht Mode;
man behifft ſich ohne diefe Yurusartitel, in Folge deſſen auch
im Winter der Pelz auf bloßem Leibe getragen wird. Nur
ber Reiche trägt unter dem Oberkleide noch ein Kleid aus
blauem, chineſiſchem Baummollenftoffe, was als ungemöhn-
licher Yurus und Eleganz betrachtet wird. Ein Kleid aus
Seide, das bei den Mongolen jo häufig gejehen wird, ift bei
den Tanguten eine ungeheure Seltenheit. Das Kleid wird,
ſowohl im Winter wie im Sommer, nur auf den linfen Arm
gezogen; ber rechte Arm ift immer frei, e8 müßte denn fein,
Albin Kohn: Schilderungen innerafiatiicher Zuftände.
daß der Froſt den Tanguten während einer Reiſe zwingt,
auch den rechten Arm im ben Mermel zu fteden. Die Klei—⸗
dung wird häufig mit Dachsfellen verbrämt, welche aus Tibet
importirt werben; ich habe biefelbe Urt der Verzierung ber
Kleider in ber Buriatenfteppe zwifchen Dajotzk und ber Lena
efunden und glaube, daß fie, wie das Dachefell jelbft, aus
Fibet ftammt. Auch der Ohrring im linlen Ohre fcheint
zu den Tanguten und Mongolen von auswärts importirt
zu fein. Er ift immer groß, von Silber und mit einem
rothen Granat verziert. Zum Staate der Weiber gehört
noch ein breites Handtuch, daS mit weißen, mehr als einen
Zoll breitem Bejage verjehen ift und über die Schulter ges
hängt wird. Diefer Befag wird aus Muſchelſchalen ange
fertigt, die eine von der andern zwei Zoll entfernt. Zur
Bollendung bes Damenputes gehören mod, rothe — wenn
auch falſche — Korallen, welchen Luxus ſich jedoch nur die
reichen tangutifchen Damen erlauben können.
Ich habe ſchon angedeutet, daß die Viehzucht die Haupt-
befchäftigung der Tanguten if. Man hält — von Ziid-
tung in unferm Sinne des Wortes kann ja bei den rohen
Bolfsflänmen nicht die Rede fein — Pferde und Rindvich
in geringer Zahl, Schafe (uicht der Fettſchwanzrace ange»
hörig, welche bei anderen Afiaten fo beliebt ift), vor allen
Dingen aber den Pad (Bos gruniens), Diefes Thier ift
das charakteriftiiche Hausthier der Tanguten und wird in
den Bergen von Alafchan *) im großer Anzahl gezüchtet.
Der Yad braucht Gebirge und reiche Weiden und diefe findet
er in dem Gebirgsgegenden, weldye die Tanguten und zum
Theil auch die Mongolen bewohnen. Ohne große Waller
maffen kann der Yad nicht beftehen, denn er ift nicht waſſer⸗
fchen, wie fein Herr, ſondern badet gern und ift ein audges
zeichneter Schwimmer. Selbſt mit einer Laft von mehreren
Pud ſchwimmt er über reißende Gebirgäftröme.
Diefes Tier ift für den Tanguten das, was fltr den
Wuſtenbewohner das Kameel. Es dient als Keit- umd Yaftthier
und liefert dem Tanguten Fleifh, Haar und Milh. Bei
dem Mangel an ordentlichen Straßen leiftet der Yack als
Reit» und Faftthier dem Tanguten außerordentliche Dienfte.
Mit fiherm Schritte geht er Über ſchmale Fußfteige hinweg,
welche an Abgründen vorbeiführen und höchſtens für dem
Steinbod pafjirbar erfcheinen. Der Mad ift von der Größe
eines gewöhnlichen Nindes, von ſchwarzer ober ſchwarzbunter
Farbe. Weiße Thiere gehören zu den Seltenheiten.
Pricheronlsti wundert fih, daß der Pad, trotzdem er wahre
ſcheinlich ſchon feit Jahrhunderten in Sklaverei lebt, noch
immer viel Wildheit in feinem Charakter bejigt, was er durch
feine ſchnellen und geſchickten Bewegungen und durch feine
Wibderfpänftigleit, welche das Belaften bes Thieres erſchwert,
u welchem folglic, viel Geduld und Gejchid gehört, beweilt.
ns wird dieſer Ueberreft von Wildheit im Charakter des
Dad nicht wundern. Auch die Thiere unterliegen dem Ein-
fluffe der Eivilifation, und die Erfahrung lehrt, daß, je höher
der Zuchter fteht, defto ebler und fanfter auch feine Zuchtungs⸗
producte find. Auch das von unſerm Bauern gezlichtete
Pferd, ja fogar fein Hund find ftörrig, wiberfpänftig und
biffig, dabei aber auch ungelehrig und dumm, während biefe
Thiere, wenn fie aus der Hand eines gebildeten Zuchters
ftammen, fromm, gelenfig und von edlem Charakter find.
Der Abel und die Bildung des Menſchen, ja fein individuel-
ler Charakter werden von ihm auf die von ihm gezlichteten
Hausthiere Übertragen, und deshalb glaube ich, da, wenn
der Yad in unfere Gebirgägegenden, bejonders nad; Sachſen,
) Alaſchan ift das Sand unmittelbar weſtlich von dem unge⸗
—— Bogen, den ber Hwang⸗ho oder Gelbe Fluß nach Süden dee
teibt.
285
verpflangt werden twilrbe, er auch feine wilden Eigenfchaften
im Verlaufe einiger Generationen verlieren wurde.
Herr Prſchewalski bemerkt, daß bei den Tanguten und
Mongolen auch Baflarde von Yad und Rind vorkommen und
daß die Producte diefer Kreuzung fehr gejucht find. Leider
iebt ber genannte Reiſende micht an, ob die Baftarde von
ind und Mad fruchtbar find, Ich Habe zwar felbft Ab⸗
fömmlinge von Yacks gefehen, hatte aber keine Gelegenheit
Pr * ben hier berührten Gegenſtand Aufſchluß zu ver⸗
ſchaffen.
Die Induſtrie der Tanguten reducirt ſich auf ein Mi—
nimum, denn fie beſchrünkt ſich auf das Drechſeln von höl—
ernen Schuſſeln und Schuſſelchen, deren man ſich zur Aufs
wahrung von Butter beim Speifen bedient, und auf das
Spinnen von Yachaaren, Wolle und Aehnlichem, um das zu
Zeltdecken und Kleiderftoffen nöthige Garn zu bereiten, wel
ches die Tanguten nicht jelbft weben, fondern von Chinefen
weben laſſen. Zum Spinnen bedient man ſich eines 1 bis
1?/, Meter langen Rockens und einer Spindel; man fpinnt
nicht allein zu Haufe, fondern auch während des Sehens,
und es haben dieſe Gewohnheit die Tangutenfrauen mit den
Buriatinnen gemein, welche beftändig Darmfaiten zum Nähen
der Pelze und Unty (Fußbekleidung) drehen. Selbft bie zur
volltommenen Ausrüftung eines Tanguten nöthigften Sachen,
der Feuerſtahl und das Heine Mefler, welches er auf dem
Rüden im Gürtel trägt, der Tabacksbeutel und die Kleine
Pfeife, welche an feiner linken Seite hängen, fowie der lange
und ſehr breite Säbel, mit welchem er ſtets bewaffnet it,
flammen von außen und alle biefe Gegenftände werben theuer
bezahlt,
Ich habe ſchon im Eingange gejagt, daß der Tangute
mit bem Mongolen, in deſſen Nähe er lebt, nicht verwandt
if. Diefes beweift nicht nur die Phyfiognomie, ſondern auch
die Sprache, im welcher die Eonjonanten und einfilbigen
Wörter eine hervorragende Rolle ſpielen.
Um dem Leſer felbft die Möglichkeit zu bieten, einen klei⸗
nen Vergleich zwijchen der tangutifhen und mongolifchen
Sprache anzuftellen, füge ich hier die Zahlwörter beider Boltd-
ftämme bei. Sie lauten:
Deutſch. Mongoliſch. Tangutiſch.
eins — — nige — dit
zwei = deojor = ıi
drei = jurba — fm
vier = burba —= bidd
fünf —= taba = m _
fh 5 = fordu — tichod
fieben — bollon — bjum
acht = najma — oͤſchiat
neun = juſſo = rgjiu
zehn = arba — zilu⸗ tamba
elf — arba-nige — ziu⸗chzil
zwolf — arba⸗chojor — ziu⸗ni
wanzig — chorgi = ni ⸗ tſchi⸗ tamba
reißig — lotſchy = ſum⸗ tſchi- tamba
vierzig — butidy — bidopsticdi-tamba
funfzig — tubje = rnop⸗ tſchi⸗ tamba
ſechszig — ſiaret —= tihol-tidhietamba
ſiebenzig — talla = bjumstjhi-tamba
achtzig — maje — bidiat-tichi-tamba
neunig = jars = rgjup-tichistamba
hundert — zu —, rdſchja⸗ tamba
ontſchus
tauſend —= —— rtun · ty achzeil.
Noch auf einen Unterſchied in den Gewohnheiten der bei ·
ben jo nahe bei einander lebenden Vollsſtämme muß ich zum
286
Schluſſe hinweiſen. Die Tanguten bauen immer mehrere
Yurten an einem Orte, fo daß ihre Unfiedelung einem Dorfe
nicht ganz unähnlich ift, während die Diongolen ſich immer
in einiger Entfernung von einander, aljo einzeln, anfiebeln,
und während der Mongole ausfchlieglich die dürre, unfrucht«
bare Wüfte auffucht und die Feuchtigkeit flieht, fucht der Tan-
Er feuchte Orte umd fürchtet bie Wuſte wie feinen größten
nd. Diefe Gewohnheit fpiegelt ſich auch in dem belieb-
teſten Hausthieren der beiden Volfsftämme wieder. Denn
während der Mongole das „Schiff der Wuſte“, das ges»
nügfame Kameel, über Alles liebt und allen anderem
Aus allen
Die ruffifhe wiſſenſchaftliche Expedition nad Hiffar.
Diefe auf Seite 14 dieſes Bandes von und erwähnte
Erpedition ift Mitte Juni auf ruffiiches Gebiet zurüdgekchrt,
nachdem fie während 40 Tagen die Landichaft Hiffar, den
gebirgigen Dften des Chanats Buchara, durchjogen und die
felbe, die noch nie von einem wiſſenſchaftlichen Reiſenden be
treten worden war, erforfcht hat.
Herr P. Lerch giebt in Carl Röttger's „Ruffiicher
Revue“ — einer Zeitſchrift, welche das dankenswerthe Ziel
verfolgt, den Deutfchen die leider fo wenig gefannten und
gewürdigten Arbeiten ruſſiſcher Gelehrten, wenn "auch nur
auszugds und andeutungsweife, zu vermitteln — nach ber
„Zurfeftanifchen Zeitung* einen vorläufigen Bericht darüber,
welcher freilich nur wenigen ober vielleicht Niemandem ganz
Mare Vorftellungen von dem durchreiften Gebiete verichaffen
dürfte, Daſſelbe ift zudem noch auf Feiner eriftirenden
Karte richtig dargeftellt, weil bie biher vorbandenen Nach:
richten äußerst dürftiger und verwirrter Natur waren. 629
n. Chr. betritt der Erfte, der uns Nachrichten binterlaffen
hat, das Land: der buddhiſtiſche Chinefe Hinen-tbjang ; vier:
sig Jahre fpäter dringen die Araber ein, aber auch ihre
Nachrichten, wie die des el-Jagübi und des Ibn-Khordadbeh
aus dem 9. Jahrhundert, find dürftig. Im folgenden Jahr:
hundert fließen die Onellen ſchon reichlicher: es find bie
Werke der beiden einander befreundeten Geographen Is—
tachri und Ihn-Haugul, zu denen der noch nicht veröffent:
lichte Mogadeffi fich gefellt. Endlich im 15. Jahrhundert
durchreift der erfte Europäer die Wefthälfte des fraglichen
Gebietes, Clavijo, der Gefandte Heinrich's II. von Ca—
ftilien an Timur. Dann find es noch perſiſch ober
türkifch abgefaßte Reiferonten und Erfundigungen, welche
neuere Reifenbe, wie Meyenborff, Macartney, Burnes und
N. Chanikow, einjogen — wie man fieht lauter dürftiges,
zerftreutes, ſchwer oder gar nicht zugängliches Material —,
aus dem fich die bisherige Kunde von. Hiffar, dem Berglande
—— Samarkand und Balch (dem alten Bactra), zuſam-—
menfchte,
Se aber dilrfen wir, hoffentlich bald, eine zuverläffige
Karte des bezeichneten Landes erwarten, welche auf vierzehn
von dem Aftronomen Herrn Schwarz beftimmten geographi-
ſchen Pofitionen und ben von den Herren Majew und
Wiſchniewski mit Uhr und Compaß aufgenommenen
Marichronten beruht. Der Weiten bes Landes wurde in
zwei Richtungen, von Norden na Süden (von Karſchi nach
dem Ama) und dann twieder vom Amu nad den nördlichen
Bergen zu, bie es vom ruſſiſchen Serafihangebiete trennen,
burchlrenzt. Huf dem erftern Wege durchzog die Erpebition
den berlibmten Paß des „Eifernen Thores*, jetzt „Ziegen:
baus* von den Ummohnern genannt, von welchem nur ber
Aus allen Erbiheilen.
i Hausthieren vorzieht, ift der Tangute gleichfam mit dem
waflerliebenden Pad verwachſen, ohne ben er kaum eriftwen
könnte,
Die Tanguten haben eine Art automomifcher Verwaltung ;
fie wählen ihre Beamten aus ihrer Mitte. ebenfalls find
fie aber von China abhängig und gehören zum Verwaltungs:
bezirte des Aınban (Gouverneurs) von Kansfu, deſſen Reji-
hr Sirningefu ift. Nach der Eroberung diefer Stadt durch
bie Aufftändifchen wohnte ber Amban längere Zeit in Dſchun⸗
lin, aber im Herbfte des Jahres 1872 fehrte er mit den
| dinefifchen Truppen in feine eigentliche Nefidenz zurld.
Erdtheilen.
hineftiche Pilger und der ſpaniſche Gefandte berichten. Der
erjtere, Hinenstbfang, erzählt, daß die Engſchlucht durch ein
eijenbejchlagenes und mit Gloödchen behängtes Doppelthor
gelperrt fei, wovon der adıt Jahrhunderte ſpüter des Weges
daherziehende Clavijo nichts mehr bemerkte. Beide ftimmen
aber darin überein, daß der Paß eine fefte, faſt uneinnehm:-
bare Pofition und eine merlwürdige Natureriheinung fei.
Dann befuchten die Ruſſen alle nur einigermaßen wich:
tigen Städte im Norden des Landes, wobei namentlich bie
befonders unklare Hydrographie diefes letzten und weſtlichſten
aller rechten Oxuszuflüſſe ins Reine gebracht wurde, nicht
ohne dafı baufällige Brüden und eisfaltes Waller der reißen:
den Bergftröme Leben und Gefumdheit der Erpeditionsmit-
glieder mehrfach geführdet hätten. ;
Es hatte anfangs im Plane gelegen, bis zu dem Punkte
vorzudringen, wo fich zwei Hauptquellarme des Amu, der
füblichere Pandſch und der nörblichere Surchab oder Wachſch,
vereinigen, um denfelben aftronomifch feftzulegen. Wlein
ſchon vorher erkrankten außer zwei Koſacken zwei der rufftichen
Forfcher in Kurganstube am Fieber; einer von ihnen, der
Topograph Wiſchniewski, litt obendrein noch an Rheu—
matismus des Kopfes und der Füße, cine Folge von Er—
kältung, welche er ich theils beim Durchreiten der waller:
reichen Bergflüffe, theils durch die Einwirkung der falten,
Ichneidenden Winde, bie aus den Bergſchluchten ſtrömen,
zugezogen hatte. Diele Einwirkungen find jo ftarf, daß ſelbſt
viele der Eingeborenen trotz der Belzichlafröde, welche fie
den ganzen Sommer hindurch tragen, an Rheumatigmus
leiden. Die Rufen kehrten alfo, ohne jenen wichtigen Punkt
erreicht zu haben, durch den ſüdlichen Theil des Landes Hiffar
über Schehrilebs nah Samarkaud zurid.
Daß ihnen dies nicht gelungen ift, ift um fo mehr zu
bedauern, als im Jahre vorher zwei indiſche Entdedungs⸗
reifende im engliichen Auftrage das nleiche Gebiet erforicht
haben, ohne daß fie beide von einander, noch auch anſchei⸗
nend die Ruffen von ihnen etwas gewußt haben, was zur
Folge gehabt bat, daß ihre Neiferouten fich nicht berühren,
vielmehr immer noch cin wahrſcheinlich nur eine Zagereife
langes, unerforichtes Stüd Landes übrig geblieben ift. Zur
erft ging nämlich ein die englische Erpebition des Oberften
Gordon begleitendber eingeborener Weifender, „Munfbi
Abdul Luthan“, von Kila Pandſcha, dem äußerten weit:
lihen Punkte Gorbon’s (ſ. Globus“ XXVI, S. 281), den
Oxus binab, bis er bei Kila Wamar die Confluenz feiner
beiden Hauptquellftröme, des Pandſch und des Murghab, er-
reichte, wobei er die Hanptorte ber Landichaften Schignan
und Rofchan beitimmte,
Wenige Wochen fpäter erreichte ein anderer Indier, be—
kannt unter bem Namen „Havildar*, d. i. r, von
Süden, von Kabul und den Päſſen des Hindufufch her, dem
Aus allen Erbtheifen.
Mittellauf des Oxus, wurde aber bei dem Verfuche, längs
deflelben nach Kila Wamar und weiter vorzudringen, zwei⸗
mal von den bortigen Meinen Machthabern gehindert, und
mußte, obne des Munhi äufßerften Bunft, von welchem er
übrigens nichts wußte, erreicht zu haben, über Kulab, Kuba:
dian und andere feitbem durch die Ruffen beftimmten Bunkte
nach dem Bamian-Pafie und Indien aurüdkehren.
Dies Jahr endlich haben die Nuffen von Weften her
ein guted Stüd des noch unerforichten Gebietes für die
Kartographie erobert, wiederum ohne von ben eben erwähn⸗
ten beiden Indiern zu wiffen. Doch dienten ihre Aufnahmen
und Beftimmungen dazu, wenigitens den Weg des einen,
des Havildar, feftzulegen. Möge es nicht lange mehr dauern,
daß auch das lehte, Meine, moch übrige Stüd des Oxuslau—
fes ans der bisherigen, es umgebenden Duntelheit hervor:
trete |
Leichardt⸗Spuren.
G. In der Colonie Weſtauſtralien hat man wieder einmal
Hoffnung, Über das Schidfal des längft verichollenen Dr.
Leicharbt und deſſen Forihungserpebition Aufklärung zu ers
balten. Ein gewilfer Mr. Fane, welcher im Champion:Bay-
Diftricte Schafherben zu weiden hat, unternahm im April diefes
Jahres von dort aus einen Ritt von dreihundert engliichen
Meilen nach Often zu, um wo möglich neue Weidepläge auf-
zufuchen. Er ſtieß am Ende feiner Reife auf eine Anzahl
vorn Fingeborenen, mit denen fich freundlich verkehren lich
und die auch etwas mehr Intelligenz befaßen, wie ſonſt bei
ihres Gleichen der Fall ift. Sie erzählten, daß vor langer
Zeit vier Weiße auf Pferden dort eingetroffen feien, ſehr er:
ſchöpft, weil e8 ihmen an Waſſer fehlte. Sie, die Eingebo:
renen, hätten fih aus Furt verborgen gehalten, aber doch
immer aus dem Hmterhalte die fremden beobachtet. Nach—
dem dieſe eine Weile vergeblich nach Waſſer umbergeforicht,
bätten fie fi anfcheinend von einander trennen wollen, und
einer, wahrfcheinfich der Häuptling, wäre daran gegangen,
Die noch übrigen Lebensmittel unter die Vier zu vertheilen,
dabei aber fo aufgeregt geworben, daß er den Meinen Reſt
Mehl muthwillig auf den Sand umbhergeftreut hätte. Dar:
über fei eine Schlägerei entftanden, in ber Zwei — and) ber
Häuptling — erichlagen worden. Diefen hätte man dann um:
ter einen Steinhaufen begraben und ihm allerlei Papiere
mit in® Grab gegeben. Die lebenden Zwei hätten nun ihr
Suchen nah Waſſer fortgeſetzt, aber Feines gefunden und
tmären auch umgelommten,
Mer. Fane war für ben Augenblick nicht im der Lage,
von dem Anerbieten der Eingeborenen, ihn an den Ort zu
führen, wo ber weiße Häuptling begraben liege, Gebrauch zu
machen, und trat den RUdweg an. Allein er wird ſchon in näch⸗
fter Zeit, in der Begleitung eines ihm von der weſtauſtraliſchen
Regierung beigegebenen bewährten Polisiften, zu den Einge—
borenen aurlidtehren und fich den Ort von ihnen zeigen laf-
fen. Mr. Fane hat das vollite Vertrauen im bie Wahrheit
obiger Ausfagen.
Siftorifhe Denkmäler in Marokko.
Bor Kurzem befucte Mr, Trovey Bladmore bie
maroflaniichen Städte Nebät und SIä, beide an der Küſte
des Ullantifchen Oceans etwa unter 34% nördl. Br. gelegen,
und hatte dort und in der Umgegend Gelegenheit, prächtige
Nefte mauriſchen Kunftfleißes zu ſtudiren. Namentlich er-
regte die verlaffene Stadt Schella fein Imtereffe. Diefelbe
liegt nur 2 englifche Meilen lanbeinwärts am Wabi Bu—
Negreg und enthält die Grabftätten der Diymaftie Beni:
Merin, welche vom Beginne des 13. bis in die Mitte bes
16. Jahrhundert? über Maroffo geberricht bat. Noch vor
wenigen Jahren war ed Ehriften bei Zobesftrafe verboten,
fich innerhalb der Mauern diefer Tobtenftabt betreffen zu
laſſen.
287
Oyne ſchützendes Dach und als völlige Ruinen ſtehen jetzt
Maufolenm und Moſchee da; die Höfe find mit großen Bän:
men, mit Geftriipp und Unkraut überwachen und die Riffe
in den Wänden dienen zahllofen Raubvögeln zur Niftftätte,
Aber man erkennt noch die einftige Pracht diefer Gebäude
und vermag auf vielen Denktmälern Dank ihrem trefflichen
Material (weißem Marmor) die von üppigen Schlingpflan-
zen bedecktten Infchriften au erfennen und zu entziffern.
Namentlich eines berfelben wird von den Eingeborenen
und bejonderd dem weiblichen Theile derfelben mit großer
Verehrung betrachtet. Es ift eine in die Wand eingelaffene
Marmortafel, 2%, Fuß hoch und 1, Fuß breit mit einer
Inſchrift in erhabenen Buchftaben, oben und an ben Seiten
mit ſchön gearbeiteten Arabeslen und Schnörkeln verziert.
Auf der einen Seite ift ein 4 Zoll ſtarkes Loch durch bie
Tafel gebohrt worden, woburd eine Anzahl von Buchftaben
und ein Theil der Verzierungen vernichtet wurde. E3 herrſcht
bier die Sitte, daß ſchwangere Frauen zu der Tafel wall-
fahrten, eine Hand in die Oeffnung legen und dabei Gchete
für eine glüdliche Entbindung ſprechen, welche gewöhnlich
ber Erfüllung gewiß find. Dem allgemeinen Glauben nach
liegt ein Sultan mit zwei fehr fruchtbaren Franen unter dent
Steine begraben. Da aber die Mauren in Allem, was ihre
Gefchichte und ihre Denkmäler anlangt, große Unwiffenheit ver
rathen, und nur eine geringe Kenntniß des Nrabifchen dazn
gehörte, um zu erkennen, daß die Tafel nur von einer Ber:
fon zu berichten weiß, fo nahm Mr. Blackmore einen Abllatſch
von dem Denlmale und theilte ihn in London einem Fachgelehr⸗
ten, bem Mr, Rien vom britiihen Deufeum, mit, Nach deſſen
Lefung ift es das Grabmal eines ber mächtigften Fürften
von Maroffo, des Emir el-Mumenin Abu Hakub Yuſſuf,
welcher im den mauriſchen Annalen unter dem Namen
„Schüger des Geſetzes Gottes" und wegen feiner großen
Groberungen auf afritanifhem Boden befannt ift, während
fein Vater Abu Yuſſuf glückliche Feldzüge in Spanien unter:
nommen hat. Ein gleichzeitiger Schriftiteller, der Imam
Abd-el-Halim, erzählt, daß jener Monarch in Tlemfen, das
er acht Fahre lang zu erobern verfucht hatte, von einem jei-
ner Eunuchen am fiebenten Tage bed Monats Dulkadah 706
(1926 umferer Zeitrechnung) ermordet und in Schella begra-
ben worben fei. Die in Schella aufgefundene Grabplatte
und der auf ihr angegebene Todestag, welder mit dem bes
Geſchichtsſchreibers übereinftimmt, beweilen bes letztern
Glaubwürdigkeit. Wie aber das Loch in den Stein gelom—
men und die Sage und der Mberglaube von ihm Beſitz er-
griffen hat, weiß Niemand zu erflären.
Nah „The Athenaeum“ Nro. 2499.)
* * x
— Dberft R. 2. Playfair, engliiher Generalconful
in Algier, berichtete auf der mebrerwähnten Briftoler Gelehr-
tenverfammlung über feinen Beſuch des Didebel Muräs
(latein. Mons Aurasius) im Süden von Conftantine. Nach
jeder Eroberung des Landes diente dieſer mächtige Gebirgs—
od den Einwohnern als Zufluchtsort. Die Sprade der
Gebirgsbewohner ſoll noch voller lateinischen Worte fteden ;
fie bedienen fich bed gewöhnlichen Sonnenjahres an Stelle
des Monbdjahres ihrer mohammedaniſchen Unterjodher und
bezeichnen die Monate fait mit denfelben Namen (b. h. den
römilchen) wie wir. Den 25. December feiern fie unter
dem Namen „Mulid*, d. i. „bie Geburt”, ald Feſt; lauter
Anklänge an die römifche und nachfolgende chriftliche Epoche
Nordweſtafrilas.
Ebendaſelbſt wurde ein Bericht bes Lientenant Chippen—
dall, eines der englifhen Offiziere, melde augenblicklich
unter Oberft Gordon das afrikaniſche Seengebiet an ben
Sildgrenzen der äghptiſchen Herrichaft erforichen, verleien.
Bon Duffels, einer äguptifchen Station gleich oberhalb der
Rataralten des Weißen Nil, brach die Erpedition am 26. Fe
bruar 1875 nah Süden auf, um das Gebiet mit feinen
238
Wafferläufen zu unterfuchen , ebe ein Dampfer auf bem Al-
bert Nyanza vom Stapel gelaffen wurde Ueber Faloro
im Madilande erreichte fie den Nil bei einem Dorfe ber
Kofchi wieder, welches noch drei Tagereilen vom Ser entfernt
ift. So weit das Auge reichte, dehnte fih vor ihr gegen
Sübdmwejten, allo im der Richtung zum See bin, eine flache
Ebene aus, welche dem Häuptlinge des Dorfes zugebörte.
Derfelbe erzäblte dem Engländer, daß der Nil, noch che man
das Seeufer erreicht, fich in zwei Arme tbeilt, die er ala
zwei verſchiedene Ströme anzufeben ſchien. Der eine der
jelben füme von Magungo und gehöre dem aus Baler’s
letztem Feldzuge befannten Kabba Rega, dem Könige von
Unyoro; der andere füme aus „dem Großen See“ ſd. i. U:
bert Nyanza) und biete ſtets offenes Fahrwaſſer zu demiel:
ben. Diefelbe Nachricht von zwei verfchiedenen Flußarmen
ift ſchon früher den Kanflenten der ägyptiſchen Stationen
zugegangen.
Der Albert Nyanza ſcheint demnach an feinem Nord—
ende ein Delta zu haben, durch deſſen verſchiedene Arme der
Weiße Nil nach Norden ſtrömt. Wenn Sir H. Rawlinſon
den zweiten Arm für den Ausfluß des Tanganyikafees (dem
Lukuga) hält und den „Großen See” des Koſchi-Häuptlings
für den Tanganyifa felbft, der weit iiber 100 deutſche Mei:
len füblicher licgt, fo können wir einftweilen den Grund bie:
fer Vermuthung nicht recht anafindig machen.
— Die bobe Tatra in den weftlichen Karpatben hat
in diefem Jahre ſchon im September ein umfafjendes Schnee:
gewand angelegt. Die Bären, denen dadurch ihre Nahrung
verfümmert wurde, ftiegen tiefer herab im die Felder der
„Soralen“ (d. h. der polnischen Bergbewohner) und richteten
auf denfelben großen Schaden an. In Folge beffen wurden
Jagden auf diefelben veranftalte. Der einem Deutſchen,
Herrn Eichhorn, gehörige Sammelpunkt an der Tatra, von
wo ans auch jene Jagden veranftaltet wurden, Bafopane,
war in dem abgelaufenen Sommer von 500 länger oder für:
ser weilenden Gäſten befucht, und foll im nächſten Jahre mit
einer neuen Wafjerheilanftalt bereichert- werden. Die „Tatra:
Geſellſchaft“, welche in den letzten Monaten zu Zakopane und
Krakau Sitzungen abhielt, hat beichloffen, beim galizischen
Landtage darauf anzutragen, dab der Weg von Nowy-Targ
nach Zakopaue zur Landesftraße erflärt und demzufolge in
beſſern Zuſtand verfest, und daß in Zalopane während des
Sommers eine Telegraphenftation errichtet werde. Aus ihren
eigenen Mitteln wird die Geſellſchaft, die ſchon Erkleckliches
für Zugänglihmahung der Tatra gethan hat, zunächſt noch
folgende Arbeiten ausführen: Im Thal der Fünf Teiche,
und zwar am fogenannten Großen Teiche, in der Höhe
von 5400 Fuß nad Kotiſtka's Meffungen, ſoll im näch—
ften Jahre eine Schutzbaude and Granit errichtet werben,
ebenfo eine aus Holz im Mostofathal; bei Zawrat follen
neue Steige im Burzhnowothal angelegt und bie Zufluchts—
bütte beim Meeredauge (Morski oko) fowie der Weg da:
bin ausgebejfert werden. Zum beſſern Schuse ber Gemfe
und des Murmelthieres foll beim ungarifchen Reichetag
ein ähnliches Jagdverbot andgewirft werben wie es der galis
ziſche Landtag bereits beichloffen hat. — Die fortgefegten
ebenjo umfichtigen wie energiichen Bemühungen der Tatra:
oefellichaft werden um jo mehr Anerkennung finden, je mehr
dies großartige Hochgebirge auch außerhalb des Kreiſes feis
ner polnischen und ungarischen Anwohner die verdiente Ber
achtung gewinnt,
Aus allen Erdtheilen.
Wir beungen biefe Gelegenheit, um auf ein Meines, un:
längft erfchienenes Buch aufmerffam zu mahen: Dr. Scher:
ner’8 Tatra-Führer (Breslau 1875. U. Goſohorsky's
Buchhandlung). Im Form einer allerdings häufig zu leb-
baft fchildernden und allzu fubjectiven Reifebeichreibung ge:
balten, ift e8 doch vermöge feines Heinen Formats, feiner
geringen Stärke, der vielen praftiihen Winfe und Rath—
fchläge, welche mit den Reifevorkehrungen beginnen, das ganze
MWerkchen durchziehen und erjt auf der legten Seite enden,
und ber beigegebenen Maren und überfichtlien Koriftla’-
ſchen Karte (mit farbig unterichiebenen Nivenufcichten und
zahlreichen Höbenangaben) jehr geeignet, den Wanderern, deren
alljährlich eine immer größere Zahl diefem Heinen, herrlichen
Alpenlande mit feinen zahlreichen Seen ſich zuwendet, als
rathender und belehrender Begleiter zur Seite zu fteben.
Mit dem Beſuche von Krakau und dem Salzbergwerfe von
Wieliczla beginnend führt es und um das geſammte Gebirge
im reife berum und geleitet uns zu feinen „Meeraugen*
und auf feine bis iiber 8300 Wiener Fuß anfteigenden Berg:
ſpitzen. Unferes Wiffens ift e8 der erfte berartige Führer
und füllt jomit wirklich eine Lilde ans,
— Die deutjche Preſſe in der argentinischen Repu—
blik, in welcher fich etwa 5000 Deutfche befinden, ift folgender-
maßen vertreten: in Buenos:Ayres ericheinen 3 Blätter,
ein „Argentinifch-Dentiches Wochenblatt" und die „Deutjche
La Plata Zeitung“, beide dreimal wöchentlich, und die mor
natlich ericheinende, vortreffliche „La Plata Monatsfchrift ;
wozu noch der in Santa Fe einmal wöchentlic herausgege—
bene „Argentinifche Bote” kommt.
— Aus Walker's „Statiftifchem Atlas der Vereinigten
Staaten” erfieht man, daß in der Waldregion des Territo:
riums Wafhington die jährlihe Regenmenge 60 Zoll und
darüber beträgt. In dem Waldgebiete zwiſchen Minnefota
und Maine variirt der Negenfall zwiſchen 28 und 40 Zoll,
genau diefelbe Deenge, die in den fait baumlofen Prärien
mweitlich von Chicago fällt. Der nörbliche, dicht bewalbete
Theil der Halbinfel von Michigan hat genau fo viel Negen-
fall, wie ber faft baumlofe Süden von Minnefota. Ununter-
brochene Prärien dehnen fih zwiſchen dem Miſſiſſippi und
Alabama aus, und zugleich berrfcht hier der ſtärkfte Megen-
fall im Dften ber Sierra Nevada. Kurz es ergiebt ſich bier:
aus, daf ein Zufammenbang von Wald und Regen nicht fo
ohne Weiteres gefolgert werden darf, Daſſelbe tft der Fall
mit dem Verhältniß zwiſchen Wald und den Sturmcentren.
Denn während die Gegend häufiger Sturmcentren in Rorb-
Michigan, Neuyork und Maine ftark bewaldet ift, iſt der
Sturmbiftriet im öftlichen Nebraska faft baumlos zu nennen.
— Imn der Umgegend von Lackno (Ludnow) erkrankten
zwei Gärtner und ein Knabe unter Symptomen, die denen
der Waſſerſchen ähnelten, nachdem fie Bfirfichen gegeſſen hat⸗
ten. Die Leute erflärten fihh die Sache ſehr einfah: man
batte unter dem Pfirſichbaume einen Hund von Paria be:
erdigt; daher die Erkrankung.
— Der keltifche Dialekt, welcher auf der britischen Juſel
Man fich erhalten hat und ‚Manx“ heißt, befigt eine Liter
ratur von etwa 25 'gedrudten Büchern, einſchließlich Bibel
und Gebetbuh, Balladen und Erzählungen, und wird von
ungefähr einem Drittel der gefammten Inſulaner, deren Zahl
ſich nach dem legten Cenſus auf 54,042 beläuft, geſprochen.
Nur Danr und kein Engliſch verftehen davon 300 Indivi—
buen. *
Inhalt: Aus Georg Schweinfurth’s Reifen in Innerafrika. VIIL (Mit zwei Abbildungen) — F. Garnier’s
Schilderungen aus Rinnan. IM. (Mit vier Abbildungen.) —
Ein Beſuch des Grabes des Confucius und des heiligen
Berge Tai, II. (Schluß) — Schilderungen innerafiatifcher Zuftände, Von Albin Kohn. IT. — Aus allen Erbtbeilen :
Die ruſſiſche wiſſenſchaftliche Erpedition nach Biffar. — Leichardt:Spuren. — Hiftorifche Denkmäler in Maroflo. — Ber:
Ichiedenes. — (Schluß der Redaction 16. October 1875.)
Nedasteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftraße 13, II Tr.
Drud und Verlag von Friedrich Bieweg und Sohn in Braunfchweig.
Band XXvm.
N
se
x
Mit befonderer Berüchfichtigung
Sr hr Ehe;
N 4) Ir
jer Anthropologie und Ethnologte.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Rihard Kiepert.
Braunſchweig
Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Nummern,
Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Rummern 50 Pf.
1875.
Karl Andriee.
Karl Theodor. Andree wurde am 20, October 1808 zu
Braunſchweig geboren, in einer Zeit, als diefe alte Hanſe—
ftadt Hauptort des zum Königreich Weftfalen gehörigen
Dferdepartements war. Der Knabe jah noch die Ausſchrei⸗
tungen der Franzofen in feiner Baterftadt, und die Erinne-
rungen aus diefer früheften Jugendzeit blieben nicht ohne
Einfluß auf feinen ftramm mationalen Charakter, der in
feinem ganzen Thun, in allen feinen Schriften ſich ſcharf
audprägte, Seine Eltern waren im Stande, dem einzigen
Kinde die Erziehung zu geben, welche die frühzeitig hervor:
tretenden Geiſtesanlagen des Sohnes zu ihrer Enmwidelung
verlangten. Schon mit dem vierten Jahre ging er in die
Scyule und mit junfzehn Jahren war er reif zur Univerji-
tät, aber feiner großen Jugend halber mußte er mod) volle
zwei Jahre in Brima ausharren, bis er Dftern 1826, nadh:
dem er die erſte Genfur mit Auszeichnung echalten und die
lateiniſche Abgangsrede gefprodyen, nad} Jena abging. In
einem ganz ungewöhnlichen Maße hatte der biutjunge Muſen⸗
fohn die alten Claſſiler inne; er ſprach ein vortreffliches
Yatein und konnte noch in feinem fpäten Yebensalter halbe
Stüde des Sophofles oder Aeſchylus auswendig, wie er
denn dem Studium der Alten bis an jein Ende treu blieb,
fo daß er nach den anjtrengenden Arbeiten des Tages fie
zur Erholung Abends im Bette las und mit feiner Kennt—
niß derfelben oft Philologen von Fach in Erftaumen jegte,
Die lebendigfte Erinnerung an feine Studentenzeit ijt
ihm bis am fein Vebensende geblieben; ja er lichte es ſich
Globus XXVIII. Nr. 19,
I.
mit Mufenföhnen über ftudentifche Berhältniffe von ehemals
und heute zu unterhalten, mit einem fo vegen Intereſſe, als
ob er ſelbſt noch Student fer. Bei Gelegenheit des 300jäh«
rigen Yubelfeftes der Univerfität Dena hat er feine Studien:
zeit in der „Sartenlaube* (1858) unter dem Titel „Er-
innerumgen eines alten Jenenſers*“ in der anmuthigften
Weife und mit einer Friſche gefchildert, die von feinem nim⸗
mer alternden Gemlithe Zeugniß ablegte. Da erzählt er,
wie ihn fein Vater mit eigenem Gefährt von Braunſchweig
über Könnern und Halle nad) Jena fuhr und ihm den gans
zen langen Weg Woral predigte, was fid) daraus erklärt,
dag Andree damals erſt fiebzehn Jahre alt war. Bewaffnet mit
Jahn's „Deutſchem Volksthum“ — ein Buch, das auf ihn
einen tiefen Eindruck machte, und von den er viele Seiten
in der marfigen Sprache des Alten auswendig wußte —
rüdte er in Jena ein. „Auf nicht weniger als vier Uni—
verfitäten habe ich ftudirt,“ jchrieb er 1358, „deren Veben und
Eigentplimlichleiten kennen gelernt, auf allen gute Dinge
gejehen uud jehr heitere Tage in jugendlicher Luſt verbracht;
id) tenne noch ein halbes dugend andere Hochſchulen, aber
feine ift mir fo lieb gewejen und geblieben ala Jena.“
Unter den Lehrern wirkten vor allen anderen Yuden und Fries
auf ihn ein. Bon Luden's anregenden Vorträgen über bie
deutfche Geſchichte bemerft Andree: „Soldye geweihte Stun:
den vergißt man nie, ihr Ton klingt durch das ganze Yeben
und dad Gemüt bleibt danfbar für den Dann, welcher in
des Yünglings Herz jo edle Antriebe ſlößt.“ Neben Yuden,
837
290
deſſen ganz befonderes Wohlwollen er gewann, hörte er
namentlich Fries.
Zu jener Zeit war gerade die Burſchenſchaft wieder zur
fammengetreten, nachdem fie fi) von den erſten Scylägen
der Demagogenverfolgungen erholt hatte, Andre, ſchon auf
dem Gymnaſium mit Burſchenſchaftern aus feiner Heimath
in Verbindung fichend, ſchloß ſich denfelben an und wurbe
bald ein eifriges Mitglied des engern Kreiſes, ein Schritt,
der für die Geftaltung feiner Febensverhältnifje von entjchies
denem influffe fein follte, denn durch die Verfolgungen
und Unterfuchungen, im welche er ſpäter wegen feiner Theil:
nahme an der Burſchenſchaft gerieth, wurde ihm eine vegel=
mäßige Laufbahn in Staatsdienften abgeſchnitten und er
auf das feld der Publiciftit gedrängt. Schon nach einem
Jahre verließ er Iena, um in Berlin die Koryphäen feis
ner Wiſſenſchaft zu hören, Ritter, Nanfe, Bocdh und
Gans. Auch Raumer's und Hegel’s Vorlefungen,
Schleiermacher's Vorträge über Dialeftif und jene,
welche U. v. Humboldt über phyſiſche Geographie hielt,
hat er bejucht *). Nach anderthalbjährigem Aufenthalte in
Berlin bezog Andree die Göttinger Hochſchule, Heeren's
und Otfried Müller’s wegen, aber das ganze Göttinger
Treiben von damals fagte ihm jo wenig zu, daß er ſchon
nach einem halben Jahre fein geliebtes Jena wieder auffuchte,
Bon den älteren Univerjitätsfreunden wurde ev herzlich be:
willfommnet, von den jüngeren förmlich angeftaunt wegen
eines Wiſſens und einer Beredtjamfeit, die in der Studenten:
welt ganz ungewöhnlid, waren, Damals nahte die Kata—
ftrophe von 1830; bie Borgänge in Fraufreid; nahmen die
allgemeine Aufmerffanteit in Anspruch, aljo auch jene der
Studenten in Jena. Andree hatte ſchon damals politiſche
Studien auf hiftorifher Grundlage getrieben, fid) mit Volks—
wirthſchaft, Völkerrecht und Statiftif bejchäftigt; er war in
der Burschenschaft derjenige, weldjer die Begebenheiten im
Einzelnen wie im Zufammenhange am beften lannte und
am ſicherſten überblicte. Er verftand die für manche nicht
eben klaren Formeln von Budget, Minifterverantiwortlichkeit,
Oppoſition der 221 Mar zu machen. Nad den Aulitagen
war er gewiſſermaßen Profeſſor der Studentenſchaft, denn er
mußte öffentliche Vorträge improvifiren. Dev Stand
des Redners war entweder auf dev Treppe des Burgfellers,
dieſem berühmten Burſchenhauſe, oder der Brunnen auf dem
Markte. Bon dem legtern verkündete Andree den Ausbruch
der Yulirevolution; fein Gönner Yuden hatte ihm den „Gon-
ftitutionnel“ zugeſchickt, welcher die überraſchende Nachricht
brachte. Der Bote war unferm Profeflor auf dem Markte
begegnet. Bon da an erläuterte Andree täglich mit umer-
müdlicher Ausdaner den Fortgang der Ereignijle in Frauk—
reich, und wenn er aufhörte, begleitete ihm die aufmerlſame
Auhörerichaft, die ihren Dank durd) Hurrah und Schwenten
der Miügen äußerte, dorthin, wo der im Augenblick voltsthiim-
lichfte Yehrer ſich mit „Erlanger“ oder „Wöllniger* erquidte.
Mit dem Doctorhut zog Andree im Herbſt 1830 von
Jena fort um fich zum Docenten vorzubereiten. In feiner
*) Als 1869 der Dresdner Verein für Erkfunde eine Feier aus
Anlaß des huntertjäbrigen Jubiläums von Humboldi's Geburt were
anftaltete, hielt Antree die Feſtrede, mober er ſich über die Ane
tegungen, die er als Student von Humbolet empfangen, folgender
maßen auslieh: „Une nun ber Zauber feiner mündlichen Net! Es
war, als ob man den alten Meftor hörte, vom teilen Lippen ja bie
Rede füher denn Honig floßl Wer, gleih mir, das Glück gehabt
bat, Humboldis Vorträge über phyſitaliſche Geographie zu hören,
dem ging ein neues Keben auf, der erbielt Antriebe, die nie erlöfchen
fönnen, Der Vortrag war lebbaft, fpannend, wunderbar ergreifend;
ganz im Gegenſate zu ven feines Freundes Karl Mitter, ber lange
ſam, methodiſch und wenig um bie äftberifche Form befümmert feie
nen Gegenſtand erörterte.”
Karl Andree,
Baterftadt arbeitete er Vorträge aus, die er in Tübingen
zu halten gedachte. Diefen Ort hatte er gewählt, um mit
füddeutfchen Berhältniffen vertrauter zu werden. Vorher
verweilte ex erſt einige Zeit in Leipzig, gab eine Bearbeitung
von Malte-Brun’d und Chodzko's Polen heraus und eröff-
nete damit feine ſchriftſtelleriſche Laufbahn *). Im Tlibin
gen würde ihm die Erlaubniß alademiſche Vorträge zu
haften nicht verweigert worden fein. Allein er umterzeich-
nete einen Proteft gegen die befannten Bundesbeſchlüſſe von
1832 und gerieth in eine ſchiefe Stellung. Der Aufenhalt
in Schwaben war aber für ihm in vieler Beziehung ante
gend und beftimmend, Er gewann Art und Weſen in
Siübddeutfchland Lieb und namentlich Verſtändniß für dem
ſchwäbiſchen Stammescharafter; die Züge ſchwäbiſcher Aus:
wanderer machten damals einen unauslöſchlichen Eindrud
auf ihn und Ienkten feinen Bli auf die neue Welt, wie
er das jpäter in der Vorrebe zu feinem Buche „Amerika“
ausgeſprochen hat.
Damals war Franz Grund in Schwaben; mit ihm
verkehrte Andree täglid) und wurde durch diefen äußerft ge:
wandten Mann in die Eigenthümlichkeiten der politijchen
Verhältnifje Nordamerifas eingeweiht. 25 Jahre fpäter
hat dann der befannte Weltreijende Bayard Taylor aus
Neuyorl in der dortigen „Tribune“ druden laſſen, daß felbft
in den Vereinigten Staaten wohl nur fehr wenige Männer
feien, weldje namentlich auch die politiichen Verhältniffe und
die Parteibezeichnungen bis in die feinften Einzelnheiten Hins
ein jo genau kennen, wie diefer Deutfche, der niemals amerir
fanifchen Boden betreten habe. In Stuttgart lernte Andree
manche hervorragende Mitglieder der wilrttembergijchen
Oppofition kennen; es war damals die Zeit heftiger Wahl-
fümpfe und der Polendurdyzüge. Auch Wolfgang Men-
zel, der damals ein einflußreider Dann war, und Ernft
Mind; gehörten zu feinen Belannten; die Schwächen des
Letztern hat er nie verfannt, aber die Zuvorlommenheit und
Aufmerkfamfeit, welche der vielfach angefeindete Geheime
Hofrath ihm ſtets bewies, glaubte er feinerfeits mit Freund»
lichfeit gegen einen im Grunde freifinnigen, obwohl fans
guinifchen und nicht gerade dyarafterftarten Mann ermie-
dern zu müſſen.
Andree ging nad) Braunfchweig zurüd, warf ſich mit
Eifer auf das Studium amerifanifcer Werte und überſetzte
damald Adilles Murat’s Briefe über die Bereinigten
Staaten und die Darftellung der Grundſätze der republifas
nischen Regierung, wie fie in Amerifa vervollfommnet wor⸗
den ift. Mit Achilles Murat unterhielt ev einen Brief-
wechjel; er ſchickte dieſem Sohne des Königs Joachim deutſche
Bucher nad) Talahafjee und erhielt hingegen Zufchriften
aus den Fichtenmäldern und Palmenhainen jFloridas. Im
einem dieſer Briefe ift die für einen Napoleoniden interej+
fante Aeußerung enthalten, daß Deutſchland vollgikitiges
Anrecht auf die ihm entfremdeten Yande am linken Rheins
ufer habe, Andree hatte feine Begabung für wifjenfchaftliche
Vorträge ſchon früher dargethan, in Brauuſchweig wünjd)-
ten einflußreiche Männer ihm eine Profeffur am der höchſten
Bildungsanftalt des Herzogthumes, dem Collegium Garolis
num, zu verjchaffen, und gewiß wäre ihm und ihr damit
gedient geweſen. Andree hatte inzwiſchen 1834 eine liebens-
wirdige Braut zum Altar geführt und das Ideal der mei»
ften dentichen Gelehrten, eine „Staatsanftellung mit feſtem
Brot“, ftand ihm im Ausficht. Aber — der junge Gelehrte
war Burſchenſchafter geweſen. Bei Friedrich Steger
*) Polen in geographiſcher, geſchichtlicher und culturbiftorifcher
Hinfiht. Nah Malte-Brun und Ehodzto. Mir einer Karte, Leip⸗
sig. Schumann. 1831.
Karl Andrer,
{geftorben 1874 als Rebacteur ber „Europa*, befannt als
Ueberfeger zahlreicher Reiſewerle) waren von der Braun—
ſchweiger Polizei Papiere mit Beſchlag belegt worden, aus
denen hervorging, daß Andree auf der Umiverfität mit Burs
ſchenſchaftern befreundet war, Gin folder Mann erfcdjien
mindeften® compromittirt, wo nicht gar ftaatsgefährlich, bejon-
ders als er von Preußen aus denuncirt wurde. Sein Ans
geber war derſelbe, welcher in der Demagogenunterfuchung
KALFTHAH
⸗—
4
——
Fu
FAR,
a1)
47
{
7,
291
eine wahre Gelebrität erlangte, denn er hat eine außerordents
liche Menge von Leuten, die vollfommen unjchuldig waren,
in Unterſuchuugen verwidelt und zum Theil dadurch um ihr
Lebensgllick gebracht. Diefer Angeber, jegt in Neutort
lebend, war 1848 als Abgeordneter in der Berliner Nas
tionalverfammlung einer der rabiateften Köpfe auf der aller:
äußerften Linten. Damals ſchrieb er aus freien Stüden
an Andree, diefer möge ihm die falſche Anklage verzeihen,
— Karl Andree,
denn der preußische Inquifitor habe ihn in Verzweiflung und
um ben Berftand gebradjt, und fo habe denn er, der Denun:
ciant, um nur nicht länger gequält zu werden, Alles aus«
gefagt, was man nur habe hören wollen. Andree war de—
nuneirt, in Köftvig bei einer Berfanmlung thlvingifcher
Demagogen den Borfig geführt umd hocjverrätherifche Re—
den gehalten zu haben. Nun konnte er freilich mit leichtefter
war Burſchenſchafter gewefen, wie Taufende e$ waren, aber
fonft hat er nie einer geheimen oder überhaupt einer Verbin-
dung, ja im ftricten Sinne niemals irgend einer Partei
angehört und bei feiner fcharf ausgeprägten individuellen
Feftigfeit hat er ficherlich wohl daran gethan, zu fördern,
was ihm recht und gut fchien, im Uebrigen ſich aber feine
volle Unabhängigkeit zu bewahren. Zu jener falfchen Ans
Mühe fein Anderswo beweifen, aber verdächtig blieb er. Er | Mage fam noch eine andere, viel abſcheulichere.
57 *
292
Am 3. Mai 1834 erſchienen plötzlich drei ihm völlig
unbefannte Polen in feiner Wohnung: Oberft Mitulowaty,
ein Galigier Namens Trembeztyund ein dritter, Pawlowätn.
Der Letztere überbrachte eine Dentnlnze mit angeblichen
oder echten Grüßen von Cutter Fergufon in London, und
dankte für die geleifleten Dienfte, welche Andree flüchtigen
Polen auf ihren Durchzügen gewährt habe. Diefe angeb-
lichen Dienfte beftanden darin, daß Andree einige Male
wandernden Polen, die ſich in bebürftigfter Yage befanden,
eine Geldunterftügung hatte zufommen laflen. Daraufhin
begründeten die Drei eine Zumuthung eigener Art; fie wünſch⸗
ten, Andree möge eine Unterfilgungscaffe für polnifche
Reifende verwalten, die dazu erforderlichen Gelder werde man
ihm demmächft zuweilen. Pamwlowäty rühmte ſich, daß er
als Gefangener in Wiätla dem General Srufowiedi, als
einen Berräther an Polens Sache, öffentlicd ins Geſicht
geipien habe. Es fei ihm gelungen aus dem Innern Ruß-
lands nach Yondon zu entfliehen, wo er ſich einen Paß vers
ſchafft habe, der auf den Namen eines Kaufmanns Ordon
auggeftelt fei. Später hat Andree aus vollkommen zuverläfr
figer Quelle erfahren, daß dieſer engliſche Paß dem Paw—
lowäfy, der eigentlich Maitowäty hieß, von einer gewiſſen
ruſſiſchen Sejandtfchaft in Deutſchland ausgeſtellt worden
fei, von welcher er Gelder bezog, und an die er liber alle
Bewegungen ber polnifchen Flüchtlinge Bericht erftattete.
Das ganze Wejen diefes Mannes mißfiel Andree in dem
Maße, daß er die Unterredung mit dem Polen kurz abbradı,
mit der Bemerlung, er lönne fid) um fo weniger auf irgend
welche Verpflichtungen einlaffen, da er übermorgen heirathen
wolle. Mißvergnügt entfernten ſich die Polen, aber nadı
wenigen Tagen fam eine Neclamation aus Berlin, in wels
der Andree angefdjuldigt wurde, ein fehr thätiger Agent ber
polnifchen Auswanderung zu fein und mit revolutionären Ber:
einen in Deutſchland lebhafte Verbindungen zu unterhalten.
Es war fehr human von den braunſchweigiſchen Gerichten,
daß jie den zwiefach Angefchuldigten auf freicm Fuße lichen,
Aber die Unterſuchung währte Jahre lang und erjt 1838
wurde Andree von allen Anjculdigungen durchaus freige:
fprochen. Dener Maitowaty Pawlowsty war ein ruſſiſcher
Spion; gr wurde fpäter von polnischen Emigranten auf der
Grenze des damaligen Freiſtaats Krakau erdolcht. Die Pa—
piere, welche man bei ihm fand, find in Paris veröffentlicht
worden. Bene Demagogenunterfuchung und das Zufanımens
treffen mit dem Polen betradjtete Andree als Slüdsjälle in
feinem Yeben. Seine Abneigung gegen alle geheimen Ber:
bindungen wurde dadurch noch gefteigert, und er jah ſich auf
ſich felbft und feine eigene Kraft verwiefen, da einem, wenn
auch platterdings unſchuldigen, immerhin aber politifd) ver-
dächtigen Manne der Staatsdicnft damals verjchlojfen war.
Freilich wurden ihm die erften Jahre feines Cheftaudes
durch ſolche Umannehmlicjkeiten nicht erleichtert.
Schriftſteller, bearbeitete damals das große geographiice
Wert von Balbi, ging 1837 nad) Yeipgig und hatte ſich
dort eben eine gute Situation errungen, als ihm vom Rhein
her der Ruf kam, die Redaction der „Mainzer Zeitung“
zu Übernehmen, die feither von Männern wie Wegel und
Lehne herausgegeben worden war.
Bon nun am beginnt in Andree's Leben und Wirken
ein neuer Abſchnitt. Es ift feine Periode als politifcher
Dournalift. Er ging im Sommer 1838, nachdem er kurz
vorher feine völlige Freiſprechung erwirkt hatte, nach Mainz.
Dort war der Boden ſchlüpfrig genug. Die ſpecifiſch fatho-
liſche Partei fah den norddeutichen Proteftanten ungern, ber
franzöfelnde Pıberalismus jener Zeit, der auf Thiers ſchwor,
betradjtete den ftrammsdeutfchen Wann aus dem Norden
mit Mißtrauen; der Troß ehemaliger Napoleoniſcher Sol:
Er wurde *
Karl Andree.
daten wollte von dem Deutſchgeſinnten nichts willen. Mit
allen drei Parteien hatte Andree feine Fehden auszumachen
und ſich durchzutämpfen. Das hat er tapfer genug gethan
und in dem langen und manchmal fehr heftigen Streite
nicht einmal eine Niederlage erlitten. Am 15. Auguft 1838,
am Öutenbergs- oder Napoleonstage, mußte er ed mit ans
fehen, daß im ber beutfchen Bundesfeftung von Mainzer
Bürgern Züge veranflaltet wurden zu Ehren des „Kaifers“,
und daß die „Veteranen“, trunfene und nicht trunfene, das
Vive l’Empereur! erfchallen liegen. Bon jenem Tage an
erflärte er der Franzöſelei in der cidevant bonue ville
de Mayence $rieg für immer! Hatte doch ſogar ein höhe«
rer ftädtifcher Beamter einen alten Söldling, der als Yeib-
mameluf Ruftan verfleidet war, hinten auf feinem Wagen
und beim Feftmahl hinter feinem Stuhle ftehen! Ja es
erregte Yubel, daß der Nachäffer des Mamelucken ſich auf
die Thlirfchtwelle des ehemaligen Fouriers gelegt hatte! Ober:
flächlich betradjtet Fönnte ein foldyes Pofjenfpiel nur als
eine Albernheit erfcheinen, von höherm nationalen Geſichts—
punfte erblidte Andree mit Recht darin eine Schmach, die
auch ſchwerlich anderswo möglich gewefen wäre, als in ber
unter dem Krummſtab verknöcherten, nachher von den Fran—
zofen zerftampften und wie Brei zerquirlten, endlich einem
Kleinſtaate zugetheilten Mainzer Bevölterung. Bon Darm-
ftadt her war damals nichts gefchehen, das in Mainz; Sym—
pathien hätte ermweden können; das Gefühl, ehemals, wenn
aud) nur 20 Jahre lang, einem großen Ganzen angehört zu
haben, war noch lebendig , obgleic, diefe Angehörigkeit eine
erniedrigende Fremdherrſchaft in fich ſchloß. Andree hatte
anfangs ſchwere Tage; man überfchättete ihm mit anonymen
Drohbriefen, ftellte ihm in vielen Blättern ald Feind der
rheinischen Rechtsinftitutionen Hin, die Ultrafatholiten be»
nugten diefe Stimmung, jelbft von der Kanzel herab erfuhr
er Angriffe, ohne ſeinerſeits eine Controveröfanzel zur Vers
fügung zu haben ; er war von der Cenſur eingeengt. Aber
er blicb unmwandelbar feit, fam tagtäglid) auf fein Thena
zurück und diefe Ausdauer, weldie ohnehin von fefter Leber»
zeugung eingegeben war, imponirte'am Ende; man fing an
fie zu achten. Allmälig hatte fich ein Kreis von älteren
und jüngeren Männern ihm angefchloffen, und Andree ſich
bereits Teften Boden erworben, ald das Jahr 1840 herein«
brach und ben franzöſiſchen Kriegslärm bradjte. In diejer
Vewegung war unfer Publicift gerade auf dem linfen Rhein:
ufer auf dem redjten Plage und immer friſch auf dem Po—
iten. Bon den leitenden Artikeln, welche er damals täglid)
in die „Mainzer Zeitung“ ſchrieb, gehören mauche zu dem
Beften und Eindringlicjiten, was überhaupt unfere Zeitungs:
prefje aufzuweifen hat. Pectus est quod disertum faeit.
Andree war es, ber Nicolaus Becker's unbeachtetes oder vers
geſſenes Rheinlied in alle Welt verfandte. Ihm lag an
dem bichterifchen Werth oder Unwerth dejielben wenig; ex
hatte mit richtigen Treffer oder Tact heransgefühlt, daß es
als ein wirffamer Hulfsgenoſſe für die gute deutſche Sache
gegenliber frenider Anmaßung Dienfte leiten werde. Und
das ift auch ber Hall gewejen. Die Stimmung in dem
leicht erregbaren Mainz war inzwifchen derart geworden,
dag Nilolaus Beer gerade aus dieſer Stadt einen filber-
nen Ehrenbecher erhielt, und da an dieſer Gabe ſich mandje
beteiligten, die früher Audree's erbitterte Gegner waren,
Vielleicht und hoffentlic, wird eine fünftige Zeit nicht mehr
begreifen fönnen, was es heißt, unter Genfur ſchreiben und
doch dabei ſich nicht verbittern laffen und ein inneres Maß-
halten bewahren, Andree hat hier amı Rhein die große Be:
ftimmung deſſen erfüllt, der das öffentliche Wort führt: er
hat die Menſchen richtig und vaterländiſch empfinden gelehrt,
und wenn heutigen Tages nur noch in verichollenen Per:
F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan.
ſönlichleiten am Rhein eine äffiſche Ausländerei herrſcht,
vielmehr das warmblütige Weſen des Rheinlandes zum
feften Anſchluſſe an die nationale Geſammtheit fich beftinmt
hat, fo gebührt dem unabläffigen Wirlen Andree's ein we:
293
fentliches Berdienft hiervon, wie noch heute rheinifche Patrio-
ten vielfach) bezeugen und im nächſten Artikel noch näher bes
gründet werben foll,
F. Öarnier’s Schilderungen aus Yünnan.
IV.
Raſch ſtieg der Weg aus dem Thale des Pe-ma—ho in
demjenigen eines kleinen, weſtlichen Zufluſſes in die Höhe,
wo Schneefall die Reiſenden überrafchte. Hier und da ſtand
an den Kreuzwegen ein Galgen, an dem ſich traurig ein
Leichnam im Winde fchanfelte, während gegenliber ein riefie
ger Bambus mehrere menfchlice Köpfe trug. In Schaf>
jelle gehüllte Liſſu zeigten fid) ab und zu auf den Berges:
abhängen, den Bogen in der Hand und auf der Suche nach
Biſamthieren. Nach einem langen und beſchwerlichen Marſche
erreichte man das hochgelegene, eleude Dorf Pe-yusti, deſſen
niedrige Hütten mit ſteinbeſchwerten Brettern gededft waren,
die dem fallenden Schnee überall Durchlaß gewährten. Es
war ſchwer, fir die Nacht eine trockene Schlafftelle zu fin-
den. Mm folgenden Tage überſchritt der Zug die nahe an
3000 Meter hohe Wafferfcheide und begann zum Peryens
tſin⸗Fluſſe hinabzufteigen, welcher, wie alle auf biefem
Marſche gefreuzten Fluſſe, zum P)angetfe-fiang fließt, der
etwa 21/, bis 3 beutjche Meilen im Norden diejed Weges
feine fiefeingefhnittene Thalfpalte hat. Als er diefes engere
Flußgebiet auf der jenfeitigen Waſſerſcheide wieder verlieh,
fat) man Herrlich geficderte Amherſtfaſanen auf dem Schnee
ruhig herumſpazieren. Niemand kannte damals die Art und
Jeder war einftweilen der Anſicht, daß man eine neue Vogel
art entdedt habe. Oben auf dem Paß ſtaud ein Kleiner
Am Salgen, auf der Straße nach Ta-tı.
Beobachtungspoſten, welcher willig geftattete, daß ſich die
Fremden an feinem Feuer erwärmen, che fie ſich an den
Abftieg nad) der Etadt Ping-tſchuen-tſchau machten,
Die Ebene, in welcher diefelbe gelegen ift, bot den traurigſten
Anblid der Zerflörung dar; die zahlreichen Dörfer am Fuße
der Berge lagen alle in Edjutt und Telimmer und nur
hier und da hatten die Einwohner begonnen, mit Holz und
Siroh mothdärftig ihre Behauſungen wieder herzuitellen.
Ihr Erftes war jedoch geweſen, jedes Dorf mit einen Erd—
wall zu untgeben und ſpaniſche Reiter zu legen, die fie aus
zugefpigten, jungen Fichtenſtämmen heraeftellt hatten.
Die Stadt Ping:ticuenstfchan, am Ende der Ebene und
am Ufer des Ta-lacho gelegen, war in gleicher Weife zer:
flört; nur ihre Citadelle hatte ſich jchen aus dem Schutte
erhoben und erſchien mit ihrem wafjergefüllten Graben als
Beobadytungsftation der Mohammedaner.
ftarfe Feſtung in einem Yande, wo die Belagerer meiftens
mar fiber grobe Musketen verfügen. Kaum waren die Frem⸗
den im dem beſten Wirthshaufe der Stadt eingefchrt, fo
ericien der Befehlshaber derfelben mit mehreren Offizieren;
Garnier legitimirte fich bei ihnen mit dem Briefe des Lao—
papa (f. oben ©. 53) und gewann durd) einige Geſchenke
ihr ganzes Bertrauen, fo daß fie ihn feine Reife ruhig fort-
jegen ließen.
Ein ftarfer Tagemarſch hinauf auf die Berge und hinab
in das Thal des nächiten Yang-tſe-Zufluſſes brachte bie
Franzoſen nach Piang-kio, dem entjeglic verwüſteten
Wohnorte eines eingeborenen chriſtlichen Prieſters Namens
Fang. Sein Haus war das einzig bewohnbare im ganzen
Orte; eine geräumige Scheune mußte der Heinen Chriften
gemeinde als Verſammlungsort dienen. Die Unterhaltung
294
mit Yang war ſchwierig, weil diefer das Collegium, von Bulo
Pinang ſchon lange hinter ſich und fein Yatein, in welcher
Sprache ſich die Frauzoſen wegen mangelnder Kenntniß des
Shinefiichen jtets mit den einheimischen hriftlichen Geiſtlichen
unterhielten, ziemlich vergeflen hatte.
mochte er in wenigen traurigen
Worten den jammervollen Zur
ftand des Yandes zu Schildern,
das gleichzeitig den Einfällen der
Weißen von ga, der Rothen
von Kiau⸗ya⸗pin und Ma⸗ſchang
und der wilden Bergvölfer, welche
anfangs mit den Mohammeda⸗
nern gemeinfchaftlide Sache ge:
macht hatten, nun aber mit ihnen
im Kampf fagen, audgefegt war.
Schon zum vierten Male mußte er
damals fein Haus wieberherftellen.
Am näcten Tage ftiegen bie
Framofen über das Gebirge hin-
über nach Tustuistfe, wo fie ein
frauzöſiſcher Pater, Dir. Leguil⸗
der, nad) elftägigen, ununter-
brodyenen Wanderungen (dev
längfte Marſch feit ihrer Abreife
von Saigon) gaſtfreundlich em:
pfing und ihnen in feiner beque-
men Wohnung die jo nöthige,
lurze Ruhe und Raſt gewährte.
Im wenigen Worten fegte er den Ankömmlingen die | zahlreichen Gärten und Dörfern beſetzte Ebene.
Mohammedaniſcher Briefter in Ta⸗li.
F. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan.
yusesogen ; aber der Screen, den fie verbreiteten, hielt jeden
usbruch der Unzufriedenheit darnieder. Nur einige Yolo«
Häuptlinge im Gebirge leifteten ihnen Widerftand und zu
‚ ihmen hatte ſich Pater Leguilcher mit feinen Ehriften ſchon
Aber dennoch ver» | mehrmals geflüchtet. Doc ſchien ihm das Empfehlungs-
fchreiben des Lao⸗papa ein ges
nügender Freibrief beim Sultan
von Tarli zu fein und er felbft
beſchloß, die Expedition dorthin
zu begleiten, um für ſich und
feine Gemeinde bei dieſer Gele-
enheit Zugeftändniffe von den
Prebellen zu erlangen. Ein Bote
wurde vorangeſchickt, um das Ent=
pfehlungsſchreiben und die Bitte
um eine Audienz nach der mo—
hammedaniſchen Reſidenz zu
überbringen.
Nach vierundgwanzigftündiger
Raſt giug e8 weiter und am 29.
Februar erblidte man von einer
Paßhöhe zum erflen Male ben
See von Ta⸗li, Del-hai, eine
der herrlichften Ausfihten wäh-
rend ber ganzen Reiſe. Eine
mächtige, jchneebebedte, Gebirgs⸗
fette erhebt ſich im Hintergrunde ;
vor ihr die blauen Waſſer bes
Sees und zwifcen beiden eine mit
Ein fu
Lage der Dinge aus einander. So lange ſchon der mohams , Abftieg bradjte die Expedition am die Ufer des ſchönen Wafler-
mebanifche Aufftand dauerte, hatte er feine Anweſenheit im
Yande möglichft verheimlicht. Die Erprefjungen und Grau—
famfeiten der Rebellen hatten ihnen den allgemeinen Haf
EN) ı u"
fpiegels, deſſen Nordende fie umgehen mußte, um Zasli zu
erreichen. Aber auch hier wieder umgaben bie üppigen Fel—
der und Pflanzungen nichts als gräßlich verwuſtete Orts
Liſſu, Mann und Frau.
ſchaften. Zwei Stunden fpäter ſtand fie vor den Thoren
der Feſtung Diangstwan, welche, am Nordweſteude des Sees,
da wo die Berge dicht am denfelben herantreten, gelegen, den
Weg völlig jperrt. Der Mandarin des Ortes ließ den
fremden melden, daß er fie nicht cher weiter ziehen laſſen
fönnte, als bis die Antwort des Sultans eingetroffen fei;
und fo waren fie gezwungen, in einem Heinen Gafihaufe der =
Vorſtadt einftweilen Unterkunft zu ſuchen. Uebrigens war
die Neugier und Zubringlichteit des Volles bei Weitem micht
fo läftig als im kaiſerlichen Antheil von Mnnan; nur daß
den Franzofen durch Bermittelung der eingeborenen Chriſten
Pater Leguilcher's allerlei beunruhigende Gerlichte über ihre
d. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan.
Zuhmft zu Ohren famen und das Unternehmen Delaporie's,
das herrliche Seepanorama zu zeichnen, lebhaften Argwohn
hervorrief. Dem Allen wurde ein raſches Ende gemacht, ala
am nächſten Tage eine giinftige Antwort von ZTa-li eintraf,
und der Mandarin wegen der durch ihn verſchuldeten Ber:
ſaumniß um Entſchuldigung bat.
Am 2, März ging cd weiter. Ienfeits ber laufe von
Hiang-fwan dehnt ſich eine herrliche Ebene längs bes Weit:
ufers des Sees aus, im deren Mitte Tarlirfu liegt und die
295
im Glen durch einen gleichen Engpaß mit der Vefte Hias
Avan ihren Abſchluß findet. Dieſe beiden Etädte find die
wahren Schlüfjel zu Tarli; werden fie gut verteidigt, fo
kann man fich ber Stadt nur zu Waller nähern. Kine
große, mit Steinplatten belegte Straße flirt ſchuurgerade
auf die Hauptftadt los, Als man, von 10 Soldaten gelei-
tet, auf ihr entlang fich nad) Süden beivegte, drangen von
Neuem beumruhigende Serlichte zu den Ohren der Neifenden:
alle Chriſſen des Paters machten ſich heimlich davon, und
> Pas “-
—— —
Waarentransport in Pünnan.
jelbft auf die Träger mußte man ein wachſames Auge haben,
damit fie nicht davonliefen. Um 31/, Uhr Nadymittags zog
die Erpebition glüdlidy durch das Nordthor in die Stadt ein.
Sofort ſammelte ſich eine unabjehbare Dienfchenmenge und
begleitete fie auf der langen Straße, welche die Stadt von
Norden nad) Süden durchzieht. Im Mittelpunfte der Stadt
erhob fich eruſt umd büfter die zinnengefrönte Burg des Sul⸗
tans; bort traten zwei Mandarinen auf die Fremden zu, um
mit ihnen zu unterhandeln. Den kurzen, dadurch entjtehenden
Aufenthalt benupte ein Soldat, einem der Franzoſen die Müge
vom Kopfe zu reißen, wahrjheinlih, damit der Sultan,
welcher von oben herabſchauen follte, leichter fein Geſicht ſehen
könnte. Ein Fauftfchlag war die Antwort auf den Angriff und
fofort entftand ein unbeicreiblicher Yarm und Aufruhr. Mur die
entichloffene Haltung der Franzofen und ihrer Begleiter und das
Dazwilchentreten jener beiden Mandarinen verhinderte joforti-
ges Blutvergießen, und ohne Zwifchenfall erreichten die Frans
zofen das ihnen angewiefene Quartier am Slidende der Stadt,
hilderungen aus Yiinman.
—
—
=
Sarnier's
>
I.
296
roh 299 Jo ng)
ee
F. Garnier’s Schilderungen aus NYünnan.
Alles ließ ſich zumächft gut an*: ein vornehmer Mandar
rin erfchien als Abgejandter des Sultans, erfundigte ſich
nach Herkunft und Zweck der Fremden, beſprach mit ihnen
das Geremoniel der nachgejuchten Audienz, meldete die Ber
ſtrafung jenes frechen Angreifers, kurz entziidte fie durch
feine Zuvorfommenheit und Liebenswürdigleit. Am folgen»
den Morgen, ald Garnier gerade beſchäftigt war, alle über
den Lan ⸗iſan ⸗ kiang (oben Mekhong) eingezogenen Erkuns
digungen zufammenzuftellen und darauf feinen weitern Reifes
plan zu bauen, wurde Pater Leguilcher zum Sultan geholt.
Erft gegen Mittag kehrte er beftlirgt zurlid: die Stimmung
bei Hofe war umgefchlagen; der Sultan weigerte ſich, die
Franzofen zu empfangen und fandte ihnen ben Befehl, fol
genden Tages fein Reich auf demjelben Wege, auf welchem
fie gefommen, zu verlafien. Kein Zweifel, daß die militä-
rifche Umgebung des Herrſchers, welche den rein wiſſenſchaft⸗
lichen Zweck der Fremden nicht zu verftehen e, in
ihren Reifen, Aufnahmen und Beobachtungen nur auf Er—
oberung des Landes gerichtete Maßnahmen erblict und dem
Sultan —— plötzlichen Sinnesänderung veranlaßt hatte.
Der Befehlshaber der der Expedition beigegebenen Escorte
erhielt die Weifung, diefelbe am folgenden Tage nad) Hiang-
fvan zurädzuführen; durch Geſchente beftimmte ihn Garnier,
noch vor Tagesanbrud; aufzubrechen und den Weg durch bie
Stadt felbft zu vermeiden, um dadurch jedem Zufammenftoß
mit der famatifirten Menge auszuweichen. Um 5 Uhr Mors
gens ſetzte ſich der Zug in Bewegung, Alles in größter Ord⸗
nung und die Gewehre in Bereitichaft. Es ging zum nahen
Südthor hinaus und an der öſtlichen Mauer entlang; faft
ohne Aufenthalt wurden die 32 Kilometer bis Hiang-fman
zurüdgelegt. Denn es lag Garnier daran, diefen Engpaß,
der jedes Entrinnen unmöglich) machen fonnte, im Rüden
zu haben. Als ihm darum der Offizier der Begleitmannſchaft
auf höhern Befehl vor der Fetung warten hieß, lehnte er
biefe — Gaftfreundfchaft des Sultans danfend ab, durdjzog,
ohne auf die Gegenrede zu achten, die gefährliche Stelle und
machte erft jenfeits derjelben Halt. Eine neue Begleitmann-
{haft und zwei beauffichtigende Mandarinen, weldye ihm der
Befehlehaber der Feſtung ftellen follte, wies er ſchroff zurlid
und zog noch am felben Tage, um zu beweifen, baß er ſich
bie freiheit feiner Handlungen bewahrte, bis Maja am
Nordende des Sees. Ja, ald unterwegs Herr Delaporte
eine Goldbarre von 1500 Franken Werth, die Hälfte ihrer
ganzen Baarfcaft, verlor, ließ er umlehren und ſuchen, leis
der ohne Erfolg.
Der Verſuch, fie feitzuhalten und ihnen eine Auffichts-
mannſchaft aufzunöthigen, wiederholte ſich noch einmal bei
der Gitadelle von Kwangstia-ping; aber auch er wurde
zurüdgemwiefen, und fo erreichten fie endlich das hochgelegene
und leicht zu vertheidigende ZTustuistfe, Pater Leguilcher's
Heimath, wo fie zwei Ruhetage machen konnten.
Trog der denkbar unglinftigften Umfiände und ber Haft,
mit weldyer die ganze Reife ausgeführt werden mußte, ift
ed Garnier doch gelurigen, interefjante Nachrichten über Yand
und Leute einzuziehen.
Der Handel des weftlichen Theiles von Rinnan ver
folgte vor dem mohammedaniſchen Aufftande zwei Haupt:
wege, den einen über Teng-yuöstichau und Bhamo am Yra-
waddi nach Birma und einen zweiten nadı Tibet. Nach
Birma wurden Rhabarber, Kupfer, Flintenfteine, Moſchus
und Gold erportirt, und dafür Baumwolle eingeführt. Die
Karawanen brachen von Hiasfvan am Sübende des Sees
von Ta-li auf und brauchten zwei Tage bis Yun-tichang,
@lobus XXVMI. Nr. 19.
297
ſechs bis Tengeyuöstihan und neun bis Mo⸗fu, wo fid eine
von China abhängige Zollftätte der Pa⸗y *) befindet, Sie⸗
ben weitere Tagereifen bradıten fie nad; Bhamo, Birma
erhob von den eingeführten Producten in Ava den Zehnten
in Geld oder Waaren, während China in Mo-fu die Yadung
Baumwolle mit %/,, Tael befteuerte. So ſehr ſich die Mo-
hammebaner auch bemühten, diefe Handelsſtraße offen zu
halten, fo hatten doch die Unſicherheit ihrer Herrſchaft und die
Plüindereien der Kalhyen zur Folge, daß dieſelbe faft gänzlich
verödete, Die Bewohner Yunnans holten nun die Baum
wolle, deren fie beburften, zum größten Theile aus dem Ins
nern Chinas, verfuchten auch, diefelbe in den wärmeren
Theilen ihres Landes ſelbſt anzubauen. So hatte ſich wäh—
rend des Aufſtandes ein neuer Handelsverkehr von Ta-li
nach Sy’etjchwan gebildet, den die Rebellen wohl oder übel
beglinftigen mußten. Geinen Unterthanen hatte der Sultan
von Ta⸗li zwar die Auswanderung verboten und befohlen,
ſich als Zeichen der Unabhängigkeit die Haare wachjen zu
laffen; aber die chinefifchen Kaufleute konnten unbeläftigt
ab und zu gehen und ihren angeftammten Zopf ruhig weiter
tragen. Der Befehlehaber von Pin⸗iſchuen, der erſten mo—
hammedanifchen Stadt, hatte ftrengen Befehl, die Karawa⸗—
nen zu fchligen; und wurden biefelben ausgeplündert, fo
mußten die dem Drte des Leberfalles nächftgelegenen Dörs
fer den Schaden erfegen, und mehr als den Schaden, denn
auch der Mandarin wollte dabei profitiren.
Wie fid) diefe Berhältniffe jet geftaltet haben, nachdem
ber mohammebanifche Aufftand in Strömen Blutes erftidt
worden ift, läßt fich nicht angeben, Der Berfuch der Eng-
länder, daritber ſich Klarheit zu verfchaffen, hatte ja befannt«
lid) einen vollftändigen Mißerfolg und kann leicht zu einem
Kriege mit China führen, ber fpäter ober früher kommen
mu
— Sy⸗tſchwan wird Thee von Pu⸗ðl (Po-örh) und
Salz ausgeführt; von dort holt man Baumwollftoffe, Kurz«
waaren, Porcellan, grobes Steingut, Schirme, Hüte u. h w.
Aus Tibet kommen die bittere Arzneiwurzel Kwang⸗lien, Lein⸗
wand, Hirfchgemweihe, Bären und Fuchspelze, Wachs, Harze,
Nußöl, was alles in Wesfi Steuer zahlt, Dafür erportirt
Nünnan dorthin frei von Steuer Three, Baumwollenzeuge,
Neisbranntwein, Zuder und Kurzwaaren.
Die indufteielle Production Yunnans, welche namentlid)
in Metallen bedeutend war, lag während des Aufftandes
natürlich jehr darnieder. Kupferminen werden befonders zu
Fong-pau, Tartong und Pe-yang betrieben; auch Gold, Sil-
ber, Quedfilber, Eifen, Blei und Zinn werden gefunden, ans
geblich auch Platin; Gold gilt zwölfmal mehr als das gleiche
Gewicht Silber. In Ho-fing wird Bambuspapier, im Thale
von Pien-fio Zuder, in Ho⸗tſchang eiferme Keſſel und Beden
fabrieirt. Die Jagd auf das Mofchusthier ernährt haupt«
fächlic, die Bergbewohner; auch Efelefleifc wird hoch geſchätzt
und in großen Mengen verzehrt.
+) Pa⸗y if der Name eines den Laos verwandten Wolfen, tele
chea durch ganz Dünnan zjerftreut anzutreffen if. Man finder fie for
wohl bier im Weften ber Proving als im Süden, wie aud am Zu⸗
fammenfluß des Yaslung und Dangstfe (fiche S. 279 u. 280). Ihre
Schrift und ihre Gieilifation ſcheinen fie von Tibet erbalten zu ha—
ben, ſonſt aber mit den friedliebenten und fanften Austie, Telu (Te«
long), Didſchu und Arru, welche pwiſchen 27% und 30° noͤrdl. Br.
am obern Irawaddy, Salmen und Melhong figen, in nahen Bezire
bungen zu ſtehen. Ubbe Desgotins, ber genaue Kenner Tibet, ber
fchreibt 5. B. bie ‚Häufer der Zustfe genau fo wie Garnier die ber
Pa⸗y im Süden Yunnans. Bon lepteren geben wir auf ©. 296
eine Anſicht.
298
Aus Georg Schweinfurth’s Reifen in Innerafrifa.
Aus Georg Schweinfurth’3 Reifen in Innerafrifa.
IX.
Das Volk der Monbuttu.
Während den Weibern der wenige Aderbau, die Ernte,
das Verfertigen der Töpfe zufällt, Holzſchnitzerei und Korb⸗
flechterei von beiden Geſchlechtern geübt wird, liegt den Däns
nern, abgejehen von Jagd und Krieg, nur das Schmieden
ob. Alle freie Zeit bringen fie in Mußiggang, mit Tabad:
rauchen, Plaudern und Muficiren zu. Beide Gefchlechter
verfehren mit großer Zwanglofigfeit unter einander. Ya, die
Frauen der Monbuttu find geradezu zudringlich, vorlaut und
ſchamlos; ihre Männer legen auf ihre ehelidye Treue wenig
Werth, wie ſich Schweinfurth täglid) im Yagerleben der Nu—
bier Überzeugen fonnte. Während die Männer bei den Dinfa
fid) mit ihrer Nadtheit als Zeichen der Männlichkeit brüiften
und die Weiber ſich dort mit zwei langen Fellen hinten und
vorn umbüllen, während Bongos und Mittufrauen ſtets
grünes Yaub im Gürtel tragen und die zuchtigen Weiber der
Niamsniam einen Fellſchurz haben, ift es Hier umgefehrt:
bie Monbuttu hüllen ſich vom Knie bis zur Bruft hinauf
in den oben befchriebenen Nindenftoff und ihre Weiber find
faft jeder Bebeddung bar und tragen außer einem handgroßen
Stüd Bananenlaub an der Gürtelſchnur nur, wenn fie aus—
gehen, einen fußbreiten, grobgewebten Streifen Zeuges über
dem Arme, welcen fie ſich beim Nieberfegen quer über den
Schoß legen (f. das Bild der Netolu auf S. 275) und wo-
mit aud) die Mütter ihre Kinder auf dem Rüden befeftigen.
Ihren Männern gegenüber beanfpruchen fie einen hohen
Grad von Selbftändigfeit und Umabhängigfeit. Dies zeigte
fid) namentlid), wenn der Reifende irgend eine Merhvltrdig-
feit zu faufen begehrte; ftets erhielt er von den Männern
zur Antwort: „Frage meine Frau; der gehört es.“
Die Weiber tättowiren ſich Bruft und Rüden mit bands
artigen, nad) den Achſeln laufenden Streifen und bemalen
ſich in den verfchiedenften Muftern den Leib mit Gardenia-
ſaft. Bald wählen fie dazu Sternchen und Kreuze, bald
Blumen und Bienen, bald zebraartige Streifen, bald Tiger
fleden und gejcedte Mufter von unregelmäfiger form, bald
marmorirte Adern und ſchachbrettartige Karrirung u. |. w.
Dei großen Feſtlichteiten fucht die eine frau es der andern
in Erfindungsgabe zuvor zu thum. Zwei Tage hält diefer
Pug vor; alsdann wird er forgfältig abgerieben und durch
einen neuen erjett,
Die Männer beftreichen dagegen den ganzen Leib gleid)-
mäßig mit einer Mifchung aus fett und gepulvertem Roth—
holz. Die Friſur ift bei beiden Geſchlechtern diefelbe: ein
langer, chlindriſcher Chignon, aus den durch ein Rohrgeflecht
gehaltenen Haaren des Scheitelö und Hinterfopfes beftehend,
während die Haare des Vorderfopfes, oft durch fremdes Haar
vermehrt, in diinne Fäden zufanmengebreht und von Schläfe
zu Scläfe quer über die Stirn gelegt werden. Die rauen
fteden in den Chignon Kämme aus Stacheljchweinborften und
Nadeln, während die Männer ihm mit dem federgeſchmückten
Strohhute bedecken (j. das Bild auf S. 275). Die ganze
Mode erftredt ſich alfo auf den Kopfputz; die einzige Ber:
ftümmelung des Körpers befteht — abgefehen von der bei
allen heidnifchen Negervölfern Aequatorialafrikas feit alten
Zeiten —— Beſchneidung — darin, daß ſie die
innere Ohrmuſchel durchlöchern und einen kupfernen Stab
von Cigarrengröße hindurchſtecken.
Der Monbuttukrieger führt, was in Afrika ſelten vor-
fommt, außer Schild und Lanze noch Bogen und Pfeile;
außerdem im Gürtel ficelartige Meſſer oder große Doldye
und fpatelförmige Hackmeſſer, die er ſich felbft mit großer
Kunftfertigkeit ſchmiedet. Die rothe Eifenerde, welche einen
großen Theil JInnerafrikas bededt, liefert dem Monbuttu-
ſchmiede den Rohſtoff in Menge; ein Meißel giebt der Waffe
ihre Contour umd ein Meiner jchmiedeeiferner Hammer
— alle ihre Nachbarn bedienen ſich ftatt deflen eines Stei-
ned — die nöthige Schärfung. Unſere Feilen erjegt ihm
ein feinförniger Sandftein oder eine Öneisplatte, um bie
Lanzenfpigen und Meſſer zu wegen und zu ſchärfen. Außer
den Lanzen- und Pfeilfpigen und den Meflerklingen, deren
Formen eine faum glaubliche Mannigfaltigfeit aufweifen,
verftehen die Monbuttu auch zierliche Eifentetten herzuftellen,
welche zum Schmucke dienen und in Feinheit und ormvoll-
endung mit unferen beften Stahlletten wetteifern können.
Wie groß der Werth ift, den fie dem Kupfer als Prunk⸗
metall beimeſſen, haben wir bereit# früher geſehen; es ift
nicht unwahrſcheinlich, daß dies Erz von den Minen Angolas
und Loangos her den Weg zu ihnen gefunden hat. Sonft
aber fennen fie fein Metall, weder Gold noch Silber, weder
Zinn noch Blei. Doch fließt Schweinfurth aus gewifien
Angaben auf das Vorkommen von Platin in ihrem Lande.
Die große Ausbildung der Schmiedelunſt, welche ihnen
die im jenem Theile Afrilas fonft ganz unbelannten eins
ſchneidigen Meſſer liefert, führte zu einer größern Entwider
lung der Holzfhnigere. Mit den winzigen Schneiden
ihrer Meinen Beile, beffer gefchärften Eifenkeile, fällen fie
durch Taufende von Streichen die riefigen, 6 bit 8 Fuß im
Durchmeſſer haltenden Nubiaceen fo geſchickt, daß die Hieb ·
fläche wie mit einem Meſſer durchgeſchnitten erjcyeint. Das
weiche, riſſeloſe Holz derfelben wird zu Schüſſeln, Schemeln,
Bauten, Booten und Schilden verarbeitet. Die Boote wer-
den aus einem einzigen Stamme hergeftellt und erreichen bie
10 Meter Länge und 1°/, Meter Breite. Die hölzernen
Signalpaufen mit einem nad) oben gerichteten Schallfpalt
fehlen in feinem Monbuttudorfe. Bon der größten Mannig«
faltigfeit find die Schemel, deren ſich nur die Frauen bedic+
nen, und die, wie alle Übrigen Gegenſtände, ſtets aus einem
Blocke gearbeitet find: oben eine freisrunde, ausgehöhlte
Sitzſcheibe, die durd einen zierlich gefchnigten Stiel auf einem
runden oder edigen Fuße ruht. Die Lehnen dazu werden
apart aus Beräftelungen junger Bäume gefertigt und hinter
dem Seſſel aufgeftellt.
In der Töpferei nehmen die Monbuttu mit die erſte
Stelle unter den afrikaniſchen Völlern ein, deren Producte
fonft nur henfellofe Urnen find. Sie übertreffen ihre Nadı-
barn jowohl in der Qualität des Thonsgals in der Form
vollendung ; namentlich auf die Waſſerflaſchen verwenden fie
große Sorgfalt und ftatten fie mit Henfeln oder fymmetrifchen
Eindriden aus, in welche die feflhaltenden Finger zu liegen
fommen, ober machen ihre Oberfläche durch eingerigte Fi—
guren und Linien rauh, damit die Hand nicht abgleite.
Tabadspfeifen haben fie nicht; denn die durchbohrte Rippe
eines Bananenblattes dient ihnen als Rohr, ein zufanımen«
gewideltes, mit Tabad gefültes Blatt ald Kopf. Körbe
Albin Kohn: Schilderungen innerafiatifcher Zuftände.
und Matten werden aus Rotang geflochten; Paften in Trag«
törben auf dem Riten fortgeichafft, da der complicirte Kopf⸗
pug ein Tragen vermittelft des Kopfes nicht zuläßt.
Die größte Kunftjertigkeit bekundet dies Bolt aber im
Häuferbau, namentlic, in der Errichtung der oben geſchil⸗
berten Hallen des König Munfa, welche mit der Ausdehnung
Heiner Bahnhofshallen Yeichtigkeit des Stils und folide Baus
art verbinden. Ihre Wohnhäufer find von geringer Größe,
meift 15 bis 20 Fuß breit und 25 bis 30 Fuß lang, mit
weit vorfpringendem Dache, welches ans Stroh, Gras oder
Rinde befteht und durch eine Filterung von Bananenblättern
wafjerdicht gemacht wird, Die Wände find 5 bis 6 Fuß
hoch, geſchloſſen und aus berjelben frütterung und Rinden-
dede vermittelft feingefpaltenen ſpaniſchen Rohrs zuſammen ⸗
genäht, ganz wie an ber äquatorialen Weftküfte Afrikas.
299
| Diefes Material giebt den Häufern und Hallen eine aufere
ordentliche Widerftandsfähigteit gegen die Gewalt der Elemente.
Eine bequeme Thüröffnung gewährt Licht und Luft den eins
zigen Zutritt und wirb durch ein folides Brett gefchlofen.
Im Innern befinden ſich in der Regel zwei Abtheilungen,
von denen die hintere als Borrathsfanımer dient.
Dörfer und Städte in unſerm Sinne giebt es bei den
Monbuttu nicht; nur Munſa's Refidenz verdient den Namen
eines großen Dorfes. Die Häufer reihen fi, familienweife
als Weiler gruppiert, zu langen, von Delpalmpflanzungen
| unterbrochenen Ketten an einander, den Einſchnitten der
‘ Wafferläufe folgend. Von legteren werden fie durch Bananen:
| gebitfch gejchieden, während nad) der Höhe zu die Bataten«
2. Colocaſiafelder, weldye trodenern Boden erfordern, an-
ſtoßen.
Schilderungen inneraſiatiſcher Zuſtände.
Von Albin Kohn,
IN.
2. Die mohammebanifce Revolution in Nord—
weſt⸗China.
Gegen 1862 draug aus dem fernen Oſten Aſiens die
Kunde nach Europa, daß dort ein furchtbarer Aufſtand aus—
gebrochen fei, der dem Reiche der Mitte den Untergang drohe.
Da im weitern Verlaufe ein Name ertönte, der faft wie
„Jeſus“ Hang, jo Initpften ſchon die Zeloten, welche bie
ganze Menfchheit nach ihrer fyagon ſelig machen möchten, vers
ſchiedene Hoffnungen an diefe Schilderhebung , und ich hatte
jelbft einige Male Gelegenheit zu hören, dag man ſich freute,
wenn die Nachricht fan, daß die Empörer wiederum einen
Sieg errungen, eine Stadt erobert und ihre Bewohner nieder⸗
gemegelt hätten. Es follte dies Alles ad majorem Dei glo-
riam gefhehen fein, und man betrachtete den ganzen Auf-
fand als ein Zeichen, daß fich endlich Gott aufgerafft habe,
um China wegen des in ihm herrfchenden Heidenthums zu
—— für die Verbrechen, welche ſeine Bewohner bislang
angen haben, zu beſtrafen und die ganze Gegend feinem
beiligen Geſetze zu unterwerfen, d. h. zum römischen Katho—
lieismus zu befehren, Ich hörte diefe Anſicht häufig von
römifch-Tatholifchen Prieftern ausſprechen, mit denen ic) in
jener Zeit vielfach, zu verkehren Gelegenheit hatte. Es fcheint
übrigens, daß man ſich nicht allein in Europa, fondern fogar
in dem zumächft interejfirten Himmliſchen Reiche vom Auf:
ftande feinen Maren Begriff zu machen vermochte und daß
ſich überhaupt erft jet der wahre Sadjverhalt, mit ihm aber
auch die Zerrifienheit und innere Fäulniß im fernen Driente
erfennen läßt.
Bon zwei Seiten, von Süd und Welt, zogen fid) dro-
hende Wolfen über dem Blumenreich der Mitte zufammen,
welche die Kegierung von Peking erzittern machten, wenn
fie überhaupt von ber ihr drohenden Gefahr unterrichtet ge=
weien if. Zum mindeften war die Herrfcaft der Mand—
ſchudynaſtie und ihrer Stammgenoſſen bedroht. Es ift
fogar anzunehmen, daß die Regierung in Peking auch, heute
noch nicht vollftändig über die Page der Dinge unterrichtet
ift, zum wenigften nichts Sicheres über die Nevolution im
Süden weiß, wo die fogenannten Taipings die Fahne des
Aufruhrs erhoben hatten. Ueber die Verhältniffe im Nord«
weften bes Meiches hat der ruſſiſche Stabscapitän Prices
walsti fehr eingehende Auffchlüffe veröffentlicht, mit denen
ich die Yefer des „Slobus“, wenn auch nur inhaltlich, bekannt
machen will, ”
Die mohammedanifche Infurrection im nordweſtli
Theile Chinas hatte gleich im Anfange Ausfichten auf Er—
folg im Kampfe wider die mandſchuriſchen Herrfcher. Da
es den Aufftändifchen jedoch an einer einheitlichen, gediegenen
Führung und an einem beftimmten Plan fehlte, fo begnüig-
ten fie fic mit Scheinerfolgen, welche nicht dazu dienen fonn«
ten, die Bevölferung, welche auf der ungeheuern Fläche weft
lic, der chinefifchen Mauer und des obern Theils des Gelben
Fluſſes wohnt und welche von den Ruſſen „Dunganen“,
von den Chinefen „ChojsChoj“ genannt wird, vom dji-
neſiſchen Joche zu befreien. Diefe Bevölferung gehört ber
mohammebanifchen Secte der Sumiten an, zerfällt aber
ihrerfeits in verſchiedene Secten.
Nachdem es den Aufftändifchen gleich im Anfange ges
lungen war, das chineſiſche Joch abzufchüitteln, begnügten fie
ſich mit Meinen Streifzügen, weldye nur die Beraubung ber
friedlichen Bevölferung, nicht aber das Zertrilmmern des
Mandfchurenjocdhes zum Zmwede hatten. Cine natürliche
Folge hiervon war, daß fie häufige Niederlagen erlitten, als
die Chinefen wieder die Offenfive ergriffen, und das mit
Mühe eroberte Terrain allmälig wieder einbüßten. Sie
jegten fich gleich) anfangs in dem Befig ber Städte Sir
ningsfu, Tetung und Su⸗tſchau, deren Eroberung ihnen
jelbft unerwartet fam, über die fie gleichjam verblüfft was
ren, und es fcheint, daß fie, von diefem unerwarteten Erfolge
beraufcht, vergaßen, daß Biel zu thun fei, fo lange nicht
Alles gethan if. Während vieler Jahre hat eine Karte des
Befigftandes der Dunganen (ic; werde mich diefer Bezeich—
nung der Choj⸗Choj ausfchließlich bedienen) und Chinefen
das wunderfamfte Bild, das man ſich in ftaatliher Hinficht
denlen fanın, dargeboten, denn nicht allein, daß die Befiguns
gen beider im langen und ziemlich, breiten Streifen parallel
neben einander liefen, fo waren noch im ben Streifen ber
Dunganen chineſiſche Enclaven und in den chineſiſchen Streis
593%
300
fen Enclaven ber Dunganen, und feine ber ſich befämpfen-
den Parteien ergriff emergijche Mittel, um ben Gegner aus
dem Befige zu verbrängen.
Wenn die Dunganen ben Krieg mit Energie geflihrt
hätten, fo hätten fie unzweifelhaft bebeutende und dauernde
Erfolge errungen, denn ihnen fam nicht allein, wie wir
fehen werben, die bekannte Feigheit und grenzenlofe Demor
ralifation der chineſiſchen Soldaten, fondern aud) bie Zus
neigung der Mohammebaner des eigentlichen Chinas zu
Hitlfe, und auf dieſe konnten fie mit voller Gewißheit zählen.
Diefe Hilfe wäre aber ehr —— denn man
zählt im eigentlichen China bis 4 Millionen Bewohner,
weldye den Glauben des arabifchen Propheten befennen, und
die ſich vor ihren Landéleuten durch eine große Portion
Muth und Energie auszeichnen. Ein —— einheit ⸗
liches Vorgehen hätte, wenn auch nicht die Vernichtung des
Himmlischen Reiches, jo doch gewiß den Fall der Mandſchuren⸗
herrfchaft zur folge gehabt.
Außer diefem begingen die Dunganen noch einen andern
ſehr großen fehler; fie thaten nicht das Mindefte, um bie
uneigung und womöglich aud) ben Beiftand der im ber
üfte haufenden Mongolen, welche erbitterte Feinde ber
chinefischen Herrſchaft find und fie nur mit verbiffenem In:
grimme ertragen, zu gewinnen; im Gegentheile wütheten fie
gleich im Beginne des Aufftandes eben fo gegen die Mongo-
len wie gegen die Chinefen, und brachten hierdurch bie No:
maden gegen ſich auf.
Ale diefe den Erfolg fichernden Bedingungen hätte eine
einheitliche Führung zu würdigen und auszubeuten verftanden,
aber dieje fehlte den Aufftändiichen. In Sining-fu, Sur
tſchau u. ſ. w. waren felbftändige und von einander unab-
hängige Führer. Wenn die Dunganen ungeachtet diefer Zer:
riffenheit e8 im Jahre 1869 dennoch vermodht haben, Ordos
und Ala⸗ſchan trog der am Hwang-ho ftehenden 70,000
Mann zählenden chinefifchen Armee zu erobern und zu vers
wüften, was wäre ihnen nicht gelungen, wenn Plan und
einheitliche Führung dageweſen wären? Im Yahre 1870
fiel Utjafutaj, im darauf folgenden Jahre Kobdo, bie
Hauptpläge der weftlichen Mongolei, und im Jahre 1873
Bulun-tocho j in die Gewalt der Dunganen, die fie rlids
ſichtslos verwüfteten, In dem beiden erftgenannten Städten
befanden ſich jogar anfehntiche chineſiſche Garnifonen, welche
ſich jedoch vor den Empörern verftedten und nicht den ger
ringften Widerftand leifteten.
Wer von den hier aufgezählten Erfolgen auf die Tapfers
feit der Dunganen fliegen wollte, würde einen Trugſchluß
machen. Sie find eben ſolche Feiglinge wie die Chinejen
und nur da bis zur Verwegenheit zudringlich, wo fie wiſſen,
daß fie feinen Widerftand finden. Alle Raubzlige und Kriege
der Dunganen wider die Chinefen bafirten auf der Annahme,
dag — ein Hafe den andern einſchüchtern, ein Fuchs ben
andern liberlifien werbe. Deshalb aud) wurde ber Dungane
ein reißendes Thier, wenn es ihm gelang, einen Sieg zu errin⸗
gen, und der Chinefe vergalt, gegebenen Falls, Gleiches mit
Gleichem. Der Sieg der einen wie ber andern Partei hatte
immer Mord und allgemeinen Raub zur Folge. Der Bes
fiegte mußte über die Klinge fpringen, und deshalb fannte
man im Sriege der Dunganen mit den Chinefen keine Ge-
fangene und feine Begnabigte.
Ein dunganifcher Heerhaufen muß aber thatfächlich eine
wahre Carricatur eines Heeres geweſen fein, gut zum Raus
ben, Morden und — flüchten. Er wurde aus den ver-
fchiedenften Stämmen recrutirt und häufig war die Hälfte
gänzlich unbewaffnet. Die anderen waren theild mit Yanzen
oder Säbeln, theils aber, und zwar in geringer Anzahl, mit
Luntenflinten bewaffnet. Bei jeder Abtheilung befanden ſich
Albin Kohn: Schilderungen innerafiatifcher Zuftände,
Greife, Weiber und Kinder, welche nur auf die Flucht bes
Feindes warteten, um zu rauben, und mit dem Raube unter
bem Schuge der Bewaffneten zu entfliehen, An Difciplin,
bie ja erft aus der Menge ein Heer macht, war nicht zu
denlen.
Das Monſtröſe und Lächerliche der Kriegsführung ber
Dunganen dürfte ein Beifpiel illuftriven. Wir wollen Hierzu
die Belagerung ded Tempels Tſcheib-ſen, wo Prſchewalsti
auf feiner Reife längere Zeit verweilte, wählen.
Diefer Tempel ift von einer quadratifchen Lehmmauer
umgeben, welche gegen fieben Meter hoch ift und deren jebe
Seite eine ungefähre Länge von 40 Klaftern hat. Im ber
Mitte jeder der vier Mauerfeiten wie aud) in den vier Win«
feln befinden ſich Heine Thürmchen, welche eine Beſatzung
von 15 bis 20 Mann beherbergen. Die Mauer ijt mit
einem Bretterdache, das nach innen und außen abfällt, vers
fehen. Außerhalb diefer Befeftigung befinden ſich ringe
herum gegen hundert Hütten (Fanſen), welche ebenfalls von
niederen Lehmmauern umgeben find. Innerhalb diefer Feſte
ift nicht einmal ein Brummen vorhanden und deshalb muß
das Waffer aus einem Bache geholt werben, ber außerhalb
der Befeftigung fließt.
Im Sommer des Jahres 1868 näherten ſich einige
Taufend Dunganen dieſem Plage, um den Tempel zu zer-
ftören. Die Bertheidiger, deren Anzahl ſich auf taufend
Mann belaufen mochte, waren ein Gemiſch von Chinefen,
Mongolen und Tanguten. Bei Annäherung bes Feindes
verließen alle die Fanſen und begaben fid in die Haupt»
befeftigung; die Dunganen bejegten die erfteren ohne Wider-
fand zu finden und begannen auch ſogleich den Sturm der
Hauptfefte. Zrog der elenden Berfafiung, in weldyer ſich
diefe befand, zeigte fie ſich hinreichend widerſtandofähig gegen-
über den Sturmwaffen ber Dunganen, welche einfache Brech⸗
ftangen anwendeten, um eine reiche in die Yehmmwand zu
machen. Kine Folge hiervon war, daß der erfte Sturm
mißlang. Indeſſen war die Zeit zum Theetrinfen heran-
gerüdt und dieſe Beſchäftigung it file jeden Ehinejen fo
wichtig, daß er ihrethalben jelbjt eine faft gewonnene Schlacht
unterbricht. Da die Dunganen in diefer Beziehung den Chi-
nejen vollfommen gleich find, fo eilten auch fie in das ein
Kilometer entfernte Yager zurüd, Die Belagerten, welche
ja ebenfalls ihr Yieblingsgetränf zu fic nehmen wollten,
ftürgten num mit ihren Waflergefäßen zum Thore hinaus
und ſchöpften, Angeſichts des Feindes und ohne vom dieſem
daran verhindert zu werden, fo viel ihnen für den Augenblick
nöthig war, bereiteten hierauf ihr Getränk und fchlärften es
in aller Seelenruhe. Tags darauf wiederholte ſich diefelbe
Scene; man ftlrmte vergebens die Fefte und eilte davon,
als die Zeit hierzu gelommen war, um ben Thee zu bereiten
und zu trinten. Im diefer Weife wurbe das chineſiſche Saras
gofja während voller ſechs Tage angegriffen und vertheibigt.
Diefes muß dem in die oftafiatischen Verhältniſſe nicht
Eingeweiheten ganz unglaublid, erfcheinen; aber wer die uns
endliche moralische Fäulniß, welche in China herrſcht, wie
Stabscapitän Prihewalsti mit eigenen Augen gejehen hat,
der muß fich auch jagen, daß andere Berhältnifie kaum mög-
lic find, Wer aud) würde es glauben, daß die Dunganen,
trog der bittern Feindſchaft, die zwifchen ihnen und den Chi«
nejen herrſchte, mit den letzteren Handelsverbindungen unter»
hielten? Und doch jah man die Dunganen aus Tetung
fleißig die Märkte des Kloſters Simni beſuchen und mit den
dortigen Higenen (Mönchen) die freundſchaftlichſten Bezie ·
hungen unterhalten. In Simni, das nur 60 Kilometer von
Tetung entfernt ift, waren die Dunganen nicht als Räuber
gefürchtet. Daſſelbe Verhältniß fand zwifchen den Dun:
ganen von Zu⸗nau⸗tſchen und dem Chuſchon (Häuptling)
€. dv. Boed: Ein Beitrag zur Beurtheilung des Khechuaftammes in Peru und Bolivia.
von Kulu-⸗Nor, Mursfasfal, ftatt, der ihnen Vieh aus der
Gegend des Sees Kufu-Nor lieferte.
Solche VBerhältniffe können mur in China bereichen, deſ⸗
fen Regierung erft aus dem Traume ober beſſer aus dem
Dufel erwachte, als fie fah, daß ganz Oftturkeftan, das Land
am Tian ⸗tſchan und ber größte Theil der Provinz Kanzfı
verloren war; nun erft bejchloß fie alle Mittel aufzubieten,
um der Revolution das Eindringen ins eigentliche China
unmöglich zu machen. Zu diefem Behufe ſchuf fie eine Ber-
theidigungslinie auf der natlirlichen Grenze, nämlicd, an dem
301
obern Laufe des Fluſſes Hwang-ho, welche fie mit einer
Armee von 70,000 Mann befegte, die ald Garnifon der
Städte Kuku⸗choto, Bautu, Dyn⸗chu, Ning-hiasfu, Lan-
tſchan · fu und anderer verwendet wurde. Außerdem wurden
auch die Beſatzungen der Städte in der Provinz Kansfu,
welche noch nicht im die Gewalt der Dunganen gefallen wa—
ren, verftärtt. Hierbei ließ man es im Anfange bewenden
und es reichte hin, da fic die Dunganen auf einfache Raub:
zige beichränften, welchen bie chineſiſchen Garnifonen, geſchützt
durch) ihre Lehmmauern, ruhig zufcauten.
Ein Beitrag zur Benrtheilung des Khechuaftammes in Bern und Bolivia.
Von E, von Boeck in Cochabamba.
u.
Neligiöfe Anjhauungen und Gebräude der
alten Indier,
Wenn wir und in den Werfen ber Hiftorifer, wie z. B. Press
cott, über bie religiöfen Ideen und beſonders Über den Sonnens
dienft der Inca-Nation unterrichten wollen, fo können wir
und nur ein umbeftimmtes in Dämmerung gehülltes Bild
des religiöfen Glaubens und Fühlens dieſes Soltes ſchaffen
und möglicherweife zu der nicht volllommen richtigen Anſicht
gelangen, als ob die Indier Perus befonders erhabene reli-
giöfe Anfichten gehabt und denfelben in bedeutungss und
finnvollen Geremonien Ausdrud gegeben. Allerdings ift
nicht in Abrebe zu ftellen, daß der Sonnenglauben erhaben
und auf tiefgehende Beobachtungen der Natur gegrlindet ift,
daß die Sonnenfejte im Monate Raymi oder December mit
großer Weierlichleit begangen wurden, aber eben fo ent
ſchieden mlffen wir anerfennen, daß die göttliche Verehrung,
welche einer großen Menge von Naturwejen und Naturkräften
erwiefen wurde, uns an die alten Völker Griechenlands er»
innert, beren Götterwelt Schiller jo meifterhaft befungen,
dag er ums faft vergeffen macht, wie nahe diefer Glau—
ben am Fetiſchdienſt der Afrifaner vorbeiftreift und bei—
nahe in denfelben übergeht.
Diefer Anficht ſcheinen auch die hriftlichen Sendboten
gewejen zu fein, welche in den Inca:Pändern das Evangelium
prebigten, denn fie bemlhten ſich die ſchon vorhandenen relis
giöfen Ideen theil® gänzlich auszurotten, theils zu chriftianis
firen; zu diefem Zwecke fubftitwirten fie den Begriff Dios
für pacharurak und pachacamak, den Weltenſchöpfer ober
Beltenbauer, und erflärten das Wort Gottes im Credo durch
honakpachap caypachap rurak, „des Himmels und
der Erde Mader“. Dem umfafenden Begriff sonch,
Herz, Geift, Seele, wurde das lateiniſche anima untergeſcho⸗
ben; die Priefter oder Huillcas wurden sacerdotes und eine
Menge techniſcher theologifcher Ausdrüde in die Sprache ein«
geführt, für welche ſich feine entjprechenden Worte in ber
jelben fanden.
Unter den Begriff huaka fielen alle Gegenftände, die
durch ihren eigenthüümlichen Urfprung, ihre befondere Form,
ihren Zived u. f. w. eine gewiſſe veligiöfe Achtung verdienten,
fo daß Brescott(I, 3) mit Recht behauptet: daß dieſes Wort
bald einen Tempel, bald eine Grabftätte, bald irgend einen
merholirdigen Naturgegenftand bedeutete; zu ben leßteren gehö⸗
ven Mißgeburten aller Art, Naturphänomene, Quellen, bie
als große Bäche aus den Felſen hervorbrechen, fteile Berg:
wände und beſonders die Hausgötter, bie faft in jeder Hütte
ihre geheiligten Altüre beſaßen.
Faft alle wichtigen Ereigniffe im häuslichen Leben wur:
ben von religiöfen Gerenonien begleitet. Die ſchwangere
Frau riucherte ſich mit Erde aus den Begräbnißplägen, um
ſich und ihre Kinder vor gewiffen Krankheiten zu bewahren.
Beim Eintritt der Knaben in ein bejtimmtes Alter wurbe
der rutuchieu und beim Mannbarwerden der Mädchen der
k'ieuchieu feierlich begangen und dazu gewifle Gebete ge:
ſprochen.
Bor dem Ausjäen ber verſchiedenen Früchte richtete man
an die Götter folgende Worte: Ah huacacnna, huilleacuna
sarayok micuinioyk, cay sarallayta yachacuchipuay
amatak huakllipuancachu. „O ihr Götter und Herren
des Maifes und der Speifen, laffet diefen Mais gedeihen
und behlitet ihn vor Schaden.“
War große Ditrre eingetreten, fo nahm man feine Zu-
flucht zu den Wolfen und dem Meere, der großen Mutter der
Gewäſſer, veranftaltete Feſte zu Ehren der Bäche und Quel-
fen und betete zu ihnen: O Mutter Quelle, Bach oder See,
vertrodne nicht und fpende mir dein Waſſer ohne Aufhören:
Ah pukin mama, cochamama ama chakispa tanispapas
unuykicta cacharimuy. Aehnliche veligiöje Ceremonien
begleiteten die Ernte, den Hausbau und das Brauen des
Maisbiered.
Bor der Reife empfahl ſich der Indier dem Schutze fei-
ner Huacas oder Hausgötter; tranf während derjelben vom
Wafler des Fluſſes, den er zu Überfchreiten hatte, bamit bie
Fluthen ihm nicht fortriffen. Beim Ueberfchreiten ber Berge
wurben auf dem Gipfel Steine aufgehäuft, die Haare aus
dem Augenbrauen ausgezogen oder geflochtenes Stroh aufs
gedreht, um ſich den Schub des Berggottes zu fihern und
glückliche Neife zu haben. Diefer Gebraud) wird felbft heut-
zutage noch beobadjtet und führen bie aufgehäuften Stein-
mafjen wie die Berggipfel den Namen Apadjifta oder Apas
chefta, von den Spaniern häufig corrumpirt in Pacheta, ein
Name, der „Zufanmengetragenes“ bedeutet.
Traf der Indier auf dem Wege eine Schlange oder einen
großen Schmetterling, jo glaubte er fterben zu müflen, wenn
er nicht biefelben tödtete, fein Cocapriemchen darauf ſpuckte
und mit bem linfen Fuße darauf trat.
Auch bei diefer Nation finden wir die jo häufig bemerkte
Thatſache, dag der Menſch gewaltigen Naturfräften gegen-
302
über ſich hülflos fühlend denjelben göttliche Verehrung
erweift. Zum Donner betete man: „Goldener Donner,
gewaltiger Donner und Lärmmacher, komme mit Waflerguß
und Regen.“ Um Hageljchlag abzuwenden wurbe Yärm ges
macht und Salz ins Feuer geworfen. Zur Sonne betete
man: Inti yaya (Vater Sonne), punchaup yaya (Bater
de8 Tages) causachihuay (gieb mir Yeben), An die Erde
richtete der Indier, welcher zum Cocabau nad) den heißen
Gegenden ober Yungas ging, folgendes Gebet: „Pachamama
casikespillatak tiachihuay, huacaychahuay Aputinya,
huaynatinya mallkiyok ollillacta mallkiyta cocayta
yachacuchipuay; mamacoca, hochacoca Amaru macha-
chuay tucullaykipas cuay cuaychik.* — „O Mutter Erbe,
erhalte mich gefund, laß mid, wohnen und beſchütze mic,
große Herrin, jugendliche Herrin! Göttin der Pflanzen, laſſe
meine Coca gedeihen; Mutter Coca, Waldescoca, Amaru
(große Scjlange) machakuay (habe Mitleid mit mir).*
araus geht hervor, daß die große nicht giftige Schlange,
welche Baz:Soldan (Geografie del Peru I, 169) Uritu«
machalay nennt, wahrjceinlic die Boa nurina L., als Göttin
des Waldes galt.
Beim Eintreten einer Mondfinfternig (in Khechna: Killa-
oncoy, Krankheit des Mondes) war es früher und ift es
zum Theil jegt noch Gebrauch unter den Indiern, einen ge:
waltigen Lärm zu machen, wozu eine Art Trommeln gerührt
wurde; um vieles Geſchrei hervorzubringen, wurden die
Weiber geſchlagen, die Hunde und Schafe in bie Ohren ge
Iniffen und dabei folgende Worte gefprochen: „DO, Mutter
Mond, fieh, die Männer ſchlagen ihre Weiber und Hunde,
daß fie fchreien, erbarme did) ihrer.“
Den Träumen und ihrer Auslegung wurde eine große
Bedeutung gegeben: eine Brüde bedeutet Abſchied und Tren—
nung; Fiſche verkünden Betrumfenheit für den folgenden Tag;
Falten und Geier deuten auf Nachtkommenſchaft; Fang von
Vögeln droht mit Angft und Schreden; Holz vom Khenua-
baume verfpricht Reichthum am Kleidern u. f. w.
Berwandt mit beutjchem VBoltsaberglauben ift der Inhalt
folgender Frage des Beichtfpiegels des Defuiten Juan Perez
Boca-negra, aus weldyem wir die meiften der hier erwähn:
ten Gebräuche entnommen: „Wenn dir die Obren flingen,
fagft du, daß Jemand von dir ſpricht? Wenn das rechte
Ohr, fagft dur dann: man spricht Gutes von mir? Wenn
das line: man jpricht Schlechtes von mir?“
Die Gefclechtsliebe fpielt auch hier im Vollsleben eine
nicht unbedeutende Rolle, Liebestränfe und Yiebeszauber find
allgemein befannt und werben von den Zauberern oder Herens
meiftern (umu, cauchuk, uillca) verfertigt und verbreitet;
die berlihmteften Piebeszaubermittel waren die huacankis,
von denen e8 mehrere Arten gab; bald waren es Meine befon=
ders geformte Steindyen (carhuayanchis), bald Pflanzen,
3. ®. die chachacuma oder Stereoxylon resinosum, bald
eigenthämlich zufammengefnüpfte Stride (khessca), die uns
umvillfärlic an die im Mittelalter gebräuchlichen Liebes-
Inoten erinnern.
Wenn zwei Piebende auf ihrem Wege einer Matte,
Schlange ober Kröte begegneten, jo bedeutete es Scheidung
und Trennung. Wenn der Kleine Zaunfönig den Ruf chec-
chec hören läßt, fo fprechen bie Yente von ben beiden Liebens
ben, klingt aber fein Geſang wie chillillilliu, fo ift ihre Liebe
noch ein Geheimniß. Singt der huaychu, eine Art Wurger
(Thamnophilus), zur rechten Seite des Weges, fo hat man
Glud in der Piebe, Unglüd aber, wenn er zur Linken fingt,
Im Allgemeinen hält ber Indier auch jet noch treu an
dem Glauben feiner Väter, hat die chriftlichen mit Gewalt
ihm aufgebrungenen religiöfen Anſchauungen nur höchſt ober-
flächlich ſich angeeignet und legt den Geremonien der fatho-
E. v. Boed: Ein Beitrag zur Beurtheilung des Khechuaſtammes in Peru und Bolivia,
liſchen Kirche wohl meiftens eine ganz andere Bedeutung
unter, als biefelben wirklich haben. Diefer Umftand ſowie
die Vorliebe fiir lärmende eftlichleiten und die unliberwind-
liche Neigung des Indiers zum Trumf erflären zur Genüge,
weshalb in den indianischen Dörfern die katholifchen Kirchen:
fefte mit vieler Pracht begangen werden und weshalb mancher
Indier flr feine Berhältniffe bedeutende Ausgaben macht,
um ſich die Würde des alferez oder Bannerträgers der Kirche
ober eines Heiligen zu verichaffen, woraus ber Clerus ſich
eine ergiebige Erwerbsquelle zu eröffnen verftand. Derartige
Feſte dauern oft Tage und Wochen umd enden meiftens in
ben roheften Trinfgelagen, wovon fat jeder Reifende, der
biefe Gegenden befucht, Augenzeuge fein" Tann,
Daß aber das Andenken am die alte Glorie der Incas
dymaftie und der Schmerz Über deren Untergang noch im
Gedäctniffe Vieler fich lebendig erhalten, daß Überhaupt das
Seelenleben dieſer Nation nicht immer fo ideenarm und ges
fühllos gewefen, wie man im Hinblid auf den gegenwärtigen
ſittlich und geiftig herabgelommenen Zuftand der Indier
anzunehmen beinahe berechtigt ift, umd wie bie fpanifchen
Eroberer und Glaubensboten allgemein glauben zu machen
fi) bemühten, Dagegen fpricht der Inhalt vieler gefühls- und
empfindungsreicher Lieder, die jetzt noch im Munde des Vols
fes leben und aus deren Menge wir nur folgende Elegie auf
den Schatten des Inca unferen Leſern als Mufter vorführen:
Imapuyun hacaypuyun
Yanayaspa huasiycaman,
Yayap Inca huakfninchu
Parapi tucuspa hamun.
Chuillaycu patata purin,
Sonc’oybin llakayaspa,
Hic’un-hic’un hua kachiman
Huakoni paypi yuyaspn.
Llantuyanpis mancharini
Sonc’oypa llantunachus üispa
Maymanpas payhuan purini
Sonc’oyta nac’arichis pa.
(Freie Ueberſetzung.)
In diefem dunkeln Wollenſchleier,
Der ſchwarz die Hütte mir umzieht,
Des Vaters Inca Thräneunfluth
Vielleicht im Regen niederftrömt. —
Wenn die Schwelle er beicreitet,
Zudt das Herz in mir zufammen,
Und TIhränenftröme endlos fließend
Möcht ich weinen, fein gebenfend.
Vor diefem Schatten bebe ich,
Vielleichts ift'S feines Herzens Schatten.
Wo immer mit ihm ich wandle
Bin tief betrübt ich in der Secle,
Diefe leicht hingeworfenen Umwiffe und Schilberungen
des ſprachlichen und veligiöfen Weſens der Khechuas haben
feinen andern Zwed als die Aufmerfjamkeit der gelehrtem
Welt mehr und mehr auf einen Theil Amerikas zu lenken,
ber noch ein unermeßliches Feld für wilienfchaftliche For—
ſchungen bietet. Es möge mir erlaubt fein darauf hinzu—
weifen, daß die amerifantsche Geſchichte, Geologie, Ethnogra⸗
phie und zum großen Theile aud) die Geographie trotz der
bedeutenden Leiltungen Humboldt's und unzähliger Reifender
dennoch jehr wenig gefannt und von wenigen Fachgelehrten
mit ber nöthigen Muße und Grlndlichleit durchforſcht worden
find und daß demnach noch ein ungeheures Feld für wijlen«
ſchaftliche Unterſuchungen aller Art offen geblieben ift. Wäre
es num nicht wänjchenswerth und bei den jegigen Verlehrs—
mitteln fehr leicht ausführbar, daß in Deutſchland fich eine
Sefelljchaft zum Zwede wiſſenſchaftlicher Forſchungen in Ame-
Aus allen Erdtheilen.
rifa bildete und mit diefer Arbeit eine auserlefene Commiffion
tüchtig gebildeter Fachmünner beauftragte, welche die verichies
denen Länder Amerifas vom ehemalig ruffiichen Amerifa an
bie zum Borgebirge „Horn“ gründlich durchzuſtudiren fich
zur Aufgabe jegen müßten. Da diefes Studium ſämmtliche
Zweige des Wiffens umfafjen müßte, fo würden die Nefuls
tate um fo werthvoller ausfallen, je glücklicher die Wahl der
Commifjionäre geweſen und je beffer diefelben filr diefe Auf-
gabe fich vorbereitet Hätten. Imsbefondere wäre zu wlinichen,
daß Gelehrte, die in Oftafien, Japan und China gereift, mit
dem Studium der Sprachen, Anthropologie und Ethnologie
ſich zu bejchäftigen hätten, um auch micht die leifeften Spu—
ten etwaiger Berwandtichaften zwiſchen Oftafien und Weft-
amerika unbeachtet zu laſſen. Der praftiice Nutzen für
Handel, Gewerbe und Heiltunde würde gewiß reichlich die ge-
machten Ausgaben aufwiegen. Indem ich die weitere Aus:
führung diefes Planes Männern von wiſſenſchaftlichem Rufe
und anerkannt politiichem Einfluſſe überlaffen muß, bes
gullge ich mic, in diefen wenigen Worten einem Gedanfen
Ausdrud gegeben zu haben, der vielleicht genügenden Uns
Hang findet, um einer weitern Prüfung und Begründung
unterworfen zu werden.
(— €3 will uns jcheinen, daß die gelehrten Kreiſe Deutſch⸗
lands augenblidlih mit anderen Fragen zu ſehr beichäftigt
find, als daß fie dem oben ausgeiprochenen Gedanken ſchon
jet näher treten lönnten. Daß fie den berührten Gegenſtand
nicht ganz aus dem Auge laffen, beweift die augenblicliche
Auweſenheit Profeffor A. Baftian’3 im Nordweften von
303
Südamerita (Peru, Ecuador, Columbia), wo er Ausgrabun:
gen veranftaltet, archäologische und ethnographiſche Gegen-
ftände erwirbt, ſammelt und forfcht mit einem Eifer und
einer Umficht, wie jie wohl nur diefem reifeerfahrenen Manue,
ber bei den Bewohnern aller fünf Erdtheile trefflichen Ber
ſcheid weiß, zu Bebote fteht. Aber Deutichland bat auf wif-
ſenſchaftlichem Gebiete, abgejehen von der noch offenen Nord:
polarfrage, zunächft die Pflicht, die fo mutbig und zuverfichtlich
begonnene, jest etwas ind Stoden gerathene Erforſchung
Gentralafrilas wenn auch nicht zu Ende, fo doch zu
einem vorläufigen befriedigenden Abichluffe zu führen. Un
ben Amerikanern felbft, zunächſt denen der Vereinigten
Staaten, it es, die Gefchichte, Ethnographie und Geographie
ihres gefammten Continentes zu erforschen, und daß fie Diefe
Aufgabe theilweiſe recht wohl erfaßt haben, daß es ihnen
nicht an Fähigkeit wie an materiellen Mitteln dazu fehlt,
beweilen Dr. Hayden's geologiich:geographiiche Forihungen
in den Feliengebirgen, beweilen Whitney's Aufnahmen im
Californien und Nevada, beweift Hubert Howe Ban-
croft's umfangreiches Werk über die einheimifchen Nacen
der pacifiſchet Staaten Nordamerikas, von welchem ſoeben
der dritte Band, Mythen und Sprachen bebandelnd, erſchie—
nen ift; beweiit das Smithlonian Inftitute, beweift die
unlängit mit 300,000 Dollars andgeftattete wiſſenſchaftliche
Stiftung des reichen Nenyorfer Sonderlings James Le—
nor uf. w. — Einzelne deutiche Gelehrte werben ſich wohl
ftets mit der Kunde Amerikas beichäftigen; eine Geſell—
Ichaft fiir diefen Zwed zu ftiften, ſcheint uns jet nicht an
der Zeit zu feim Red. —)
Aus allen Erdtheilen.
Die Veteröburger Bevölferung im Jahre 1869 im Ver:
gleich mit der Berliner im Jahre 1867.
A.K. Nah Wilſon betrun im Jahre 1869 bie Zahl
derjenigen Perſonen, welche in BVetersburg vom Familien:
baupte ernährt werden, etwas mehr als ein Drittel der gan:
zen Bevölkerung, während fie im Jahre 1867 in Berlin mehr
als die Hälfte betrug. Die Zahl der Dienftboten in Peters:
burg überftieg die in Berlin um 28,000. Berfonen; in Peters—
burg waren überhaupt 104,000 Diener jeglicher Art, während
ihrer in Berlin nur 58,000 waren. Mit Handel und In—
duftrie, mit Fuhrweſen (zum Transportiren von Laften, Laft-
träger, Tagelöhner an der Börſe u. ſ. w., ſchwere und leichte
Fuhrwerle, Eifenbabndiener, Boten bei den Behörben u. ſ. w.)
und mit Speifewirtbichaften beichäftigten fich in Peteräburg
hauptſüchlich dem Arbeiterftande angehörende, während in Ber:
fin ein bedeutend größerer Procentſatz der ganzen Bevölle—
rung in Fabriken und mit Handwerlen beichäftigt war (in
Berlin 33 Procent, in Petersburg nur 28 Proc). In Be:
tersburg war die Zahl der ſich jelbitändig ernährenden Frauen
nicht nur im Verhältniß zur ganzen weiblichen Bevölkerung,
was fchon durch die größere Anzahl verheiratheter Frauen
in Berlin bedingt wäre, fondern auch abfolut und fait in
jeder Branche der Beichäftigung größer. Diefes Uebergewicht
bat feine beiondere Bedeutung in Bezug auf höhere Beichäf:
tigung, fo daß 3. B. in Petersburg gegen 1000 Frauen mehr
als in Berlin ſich mit Erziehung und Unterricht befaßten
(2660 in Petersburg und 1680 in Berlin), während in Ber:
lin in Bezug auf Männer, die ſich mit Erzichen und Unter
richten befaßten, im Vergleiche mit Petersburg das umge—
fehrte Verhältniß ftattfand. In Vetersburg waren auch mehr
Frauen mit Ertheilen ärztlicher Hülfe und mit Siranfenpflege
als in Berlin beichäftigt (2012 gegen 851). Ebenfo befanden
fich in Petersburg auch mehr rauen im Staatsbienfte als
in Berlin (136 gegen 19). Die Zahl der unter der Rubrik
„Wiffenihaft, Literatur und Kunſt“ verzeichneten Frauen
übertog in Veteröburg die Zahl der in Berlin in der glei:
chen Rubrif verzeichneten (971 gegen 485). Indem Wilfon
zur Glaffification der Bevölferung und ihrer Beihäftigung
mach den Alter übergeht, weift er, wie auf eine allgemeine
Thatlache, darauf hin, daß die Zahl der Kinder, welche in
Vetersburg mit Handel befchäftigt find, weit größer als in
Berlin war (10,000 genen 4000), trotzdem die allgemeine
Zahl der Kinder unter 14 Jahren in Peteräburg nur 17
Procent der ganzen Bevölferung betrug, während fie in Ber:
lin 28 Procent ausmachte.
Die Late Eyre Erploring Party.
H.G. Wir haben bereits in Bd, 27 (Nro.2, S.31) des
„Globus“ auf die nach dem Lafe Eyre, Colonie Sidauftra:
fien, ansgefchidte Forfchungserpebition unter der Führung
des Geometers J. W, Lewis aufmerkfam gemacht, Dielelbe
hat ihre Aufgabe beendet und traf Ende Juli wieder in Ade:
laide ein, wo den Mitgliedern am 29. deffelben Monats auf
einem ihnen zu Ehren veranftalteten öffentlichen Banfette ein
ausgezeichneter Empfang zu Theil ward. Das Refultat diefer
Forſchungsreiſe ift im Wefentlichen wie folgt,
Es wurde das große Gebiet erforicht, welches vom ſüd—
lichen Ende des Lake Eyre bis zum 25. Breitengrade reicht
und zwiſchen den öftlichen Lüngengraden 136% und 1349 30°
v. Gr. liegt. Der Lake Eyre, in dem man einen mächtigen
Waſſerſpiegel zu finden wähnte, welchen man mit dem mit
genommenen Boote befahren wollte, erwies fich als ein gro:
ber Moraft, der an den Stellen, die man näher umterfuchte,
in der Tiefe von 1 bis 3 Fuß auf lehmigem Grund ruhte,
304
Seine Länge mift 120, feine Breite meiftend 30 engl. Mei-
fen. Am fchmalften wird er nah Norden, am weiteften nach
der Mitte zu, und im Süden verengert er ji in dem Maße,
daß die legten 20 engl. Meilen faft wie ein befonderer See
ericheinen. Das Landgebiet im Norden und Oſten des Lafe
Eyre war bis dahin völlig unbekannt, und daher wandte
Dir. Lewis diefem Theile feine befondere Aufmerkſamkeit zu.
Der Barcoo oder Cooper's Creek verliert, 7 Miles
unterhalb Lale Kopperamana, in einer großen Salzbuſchebene
fein Bett, läuft hernach wieder weſtnordweſtlich anf eine
Marich zu und milndet daranf in den Lake Eyre. Die Ge:
gend, durch welche fi) der Barcoo auf dieſer Strede ſchläu—
gelt und in der Sandbügel mit Ebenen abwechſeln, war im
Ganzen ziemlich aut bearaft. Died war. weniger der Fall
von Breitengrade 239 50° bis zum füblichen Ende des Sees,
wiewohl auch bier dann und wann ſchön benrafte Ebenen
anftraten und Heine Seen, von denen zwei fogar Süßwafler
enthielten, aufgefunden wurden.
Am nördlichen Ende des Lake Eyre entdedte Mr. Lewis
einen ſehr beträchtlichen Waſſerlauf, zur Zeit troden, welchen
er in nordöſtlicher Nichtung auf 200 Miles verfolgte und
näber erforichte. Die fo pailirte Gegend, in der viel Sand:
hügel, oft mit leiblihem Graswuchs beftanden, vorfamen,
war ihrem Werthe nach jehr verſchieden. Von Wichtigkeit
ift, dab jo ziemlich überall Wafferlöcher und ſelbſt Onellen
eriftirten, im erfteren einige Male ſogar Fiſche. Manche
Streden Landes wurden zu beiden Seiten ber Reiferoute
angetroffen, welche vortreffliche Weiden fir Vichherden abge:
ben werben.
Der der Reifegefellichaft als Sammler beigegebene F. W.
Andrews bemerkte auf dem Bankette im feiner Nede: „In
den Gegenden, welche wir bereift haben, war im den letzten
zwei Jahren fein Regen gefallen; folglich waren Fauna und
Flora jelten und ſchwer aufzufinden. Es ift mir indeh doch
gelungen, manche neue Erempfare mitzubringen.“
Die angetroffenen Gingeborenen zeigten friedliche Ge:
ſinnung.
Georgia.
Der Staat Georgia, ſeit Jahren von der Herrichaft der
Garpetbagger befreit, nimmt einen höchft erfreulichen mate-
riellen Aufihwung Im Jahre 1865 betrug das dortige
ftenerbare Eigentbum 126,634,879 Doll., jest beträgt c#
237,092,000 Doll. ; dafjelbe bat alfo jeit dem Kriege um mehr
als 50 Procent zugenommen. Georgia hat jekt 35 Eiſen—
bahnen mit einer Gejammtlänge von 2300 Meilen. Die
Staateichuld beträgt nur noch 2,000,000 Doll, Und der
Staat hat dabei 3,600,000 Doll. in Baumwoll: und Woll-
Ipinnereien angelegt.
Während viele Baummollipinnereien im Norden jett gar
nicht oder nur die halbe Zeit arbeiten, find die jungen Fa—
brifen diefer Art in Georgia in voller Thätigkeit und arbei-
ten Schon deshalb mit Gewinn, weil fie das Rohmaterial aus
nüchſter Nähe, alſo viel wohlfeiler, beziehen. Danf dem ra:
fchen Aufihwung der Induſtrie in Georgia wird bejonders
Atlanta immer mehr zu einer jchr bedeutenden Gewerböftadt.
Neben dem Baummwollbau kommt jett and) der Getreide:
bau immer mebr in Georgia empor.
Georgia litt im Bürgerfriege außer Virginien vielleicht
Aus allen Erdtheilen.
am meiſten. Kat fich doch in ihm ein Haupttheil bes Krieges,
befonders der Sherman'ſche Feldzug von Chattanooga nach
dem damals dem VBerberben preiägegebenen Atlanta und ber
vereherende Marſch nach der Meerestüfte, abgelpielt. Den-
noch ift Georgia heute wohlhabender als vor dem Kriege,
Diele zauberhafte Wirkung bat daſelbſt die befreite und freie
Arbeit, denn man arbeitet in Georgia wirklich tüchtig.
* * %
— Das Smithſonian Inſtitut in Waſhington hat
eine ſehr intereſſante Sammlung prähiſtoriſcher Steinſachen
von den Santa Barbara-Inſeln ans Californien erhalten.
Dieſelben wurden in Gräbern gefunden und ſollen theilweiſe
auf der Weltausſtellung zu Philadelphia ausgeſtellt werden.
— Wie das norwegische Blatt „Finmarkspoften* mit—
tbeilt, bat Capitän Gunderfen, Führer des Schiffes „Re
gina“, welches am 3. d. M. in Hammerfeft angekommen iſt,
anf Novaja Semlia einen koſtbaren literariichen Fund ge
macht. Auf der Rücdreiſe von der Fiſcherei fegelte Gunderſen
am nörblichften Theil der Infel entlang und fam bei dieſer
Gelegenheit in den Eishafen hinein, wo der Holländer Ba-
rent während bes Winterd 1596/97 feinen Aufenhalt genommen
hatte. Bei einer Unterfuchung der Ruinen fand Gunderfen
ein von Barent geführtes Journal, welches den Zeitraum
vom 1. Juni bis 29. Auguft 1580 zu umfaflen ſcheint. Das
Papier hat fich ſehr qut erhalten, fo daf die Schrift voll:
fommen leferlich ift, die Handichrift dagegen iſt ſehr ſchwer
zu entziffern. Da das Journal einen Abſchnitt aus 1580
enthält, fo muß Barent es von einer frübern Reife mitger
bracht haben; über feinen Aufenthalt im Eishafen dürfte
man wohl nicht erwarten können, Aufzeichnungen darin zu
finden.
— Eine Portion fogenannten „tönenden Sandes*
von der hawaiiſchen Iufel Kaui ift ber californifchen Altar
demie ber Wiſſenſchaften eingefendet und von Mr. J. Blafe
umterfucht worden. Gr fand in dem meift kalligen Körmern
zahlloſe Höhlungen, deren Reſonanz er den Tom zufchreibt,
welcher beim Schütteln des Sandes entiteht. Im feuchten
AZuftande verliert derfelbe diefe Eigenschaft, wahrſcheinlich
weil alsdann die Heinen Höhlungen mit Waſſer angefitllt find.
— Der amerifanifche Conful auf Enpern, General Ces—
nola, deffen Alterthümerſammlung hochberühmt ift, bat fürz-
fich bei Episfopi, dem alten Kurion, an der Sitdfüfte der
Injel ein altes Grab von ungewöhnlicher Größe öffnen lal:
jen und in demfelben einen goldenen Scepter im Gewicht
von ungefähr 5 (!) Kilogramm, ſowie goldene Armbänder
und eine goldene Halskette gefunden. Die Armbänder tragen
Juſchriften, wie es fcheint im kypriſchen Charakteren. D
Fund foll nach Amerika geſchidt werben. (Alla. Zta.)
— Unlängft haben Leute von Cuenca in Ecnador
Huacas“, d. b. Indianergräber, geöffnet und eine beträchtliche
Menge von goldenen, Eupfernen und fteinernen Figuren ge:
funden, auch einige Aexte von gebärtetem Kupfer und einen
mit Hieroglyphen bemalten Schild. Pater Rencorcet in Onito
bat davon gegen 3000 Gegenſtände gefantmelt.
— It der argentinischen Republit wurde im September
die Bahnftrede Mercedes : San Luis eröffnet. Die Bahn nad
Tucuman wird fo gefördert, daß im nächiten März ein Glei—
bes mit ihr gefcheben kaun.
Inbalt: Karl Andree. I. (Mit einer Abbildung.) — F. Garnier’8 Schilderungen aus Munan. IV. Mit
ſechs Abbildungen.) —
Ans Georg Schweinfurth’s Neifen in Annerafrifa.. IX. —
Schilderungen innerafiati-
ſcher Zuftände, ‚Von Albin Kohn. IH. — Ein Beitrag zur Beurtheilung des Khechuaſtammes in Peru und Bolivia, Bon
E von Boed in Cochabamba. II. (Schluß) — Aus allen Erbtbeilen: Die Petersburger Bevölkerung im Jahre 1369
im Vergleich zu der Berliner im Jahre 1867, — Die Lake Eyre Erploring Barty. — Georgia. — Verſchiedenes. — (Schluß
der Redaction 23. October 1875.)
Rebacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenſtraße 13, IM Tr.
Driud und Berlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunfchmeig-
Hierzu eine Beilage: Profpeetus, betreffend Rußland im 19. Jahrhundert von Theodor von Lengenfeldt.
Verlag von Wedekind und Schwieger in Berlin S. W.
Se
Band XXVI.
Mit befonderer Berüchfichtigung ;
Begründet von
der Anthropologie und Ethnologie.
Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern und Künſtlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunſchweig
Jährlih 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Nummern 50 Pf.
1875.
Karl Andree
Einer feiner alten Freunde aus jener Zeit, jet ein ans
geſehener Richter des höchſten deutſchen Gerichtähofes, charak—
teriſirt Andree's patriotiſches Wirken in Mainz folgender:
maßen: „Damals war in meiner lieben rheinischen Heimath
noch ein ziemliches Std franzöfifcer Sympathien lebens
hräftig, in ber ältern Generation verkörpert durch die Bete—
ranen ber napoleonifchen Armeen, in der mittlern und jüngern
Generation genährt durch die fosmopolitifchen Freiheitsideen,
welche in ber Yulirevolution von 1830 ihren Ausbrud ges
funden hatten. Dan rühmte vielfach, Frankreich, weil es
die Grundſätze des Liberalismus in feiner Conftitution for«
mulirt habe, jei berufen, die Völfer, wenn auch im Wege
ber Eroberung, zu beglüden. Man glaubte mit der Preß-
freiheit auf dem Papier, mit einer cobdificieten Conftitution
nad) englifchem oder beſſer nad) franzöfischen Mufter, öffent:
lid mündlichen Gerichtsverfahren :c. fei Alles fiir das
Voltsgliid gewonnen, vergaß aber dabei, daß ein gefundes
freies Staatsweſen ſich nicht nad) der Schablone geftalten
läßt, jondern nur auf Hiftorifcher und nationaler Grundlage
ſich Schritt für Schritt allmälig entwidelt. °
„Andree mit dem gefunden, vorurtheilsfreien Blick, ges
tragen von feinem veichen hiſtoriſchen und volfswirthichaft-
lichen Wiſſen, griff, dieſe Hurzfichtigeit erlennend, alle poli-
tüüchen Fragen von ber richtigen praktiſchen Seite an.! Sein
treues deutſches Herz und jein heller Verftand fagten ihm,
daß das deutſche Volt mit feinem Gemüth und feiner Intelli-
genz einen eigenartigen Weg nationaler Entwidelung zu
gehen habe, daß aus jeiner großen Vergangenheit die lebend:
Globus XXVIII. Nr. 20.
II.
| kräftige Zufunft in Kaifer und Reid) erblühen müfle. Er
tnupfie fein politifches Wirken an gegebene Berhältniffe an.
Unverdroffen griff er, auf die oft Hleinften Keime befjerer
Zuftände feine nationalen Hoffnungen ftügend, nach dem
zunächſt Erreichbaren, indem er auf das große und ferne Ziel,
welches auf dem eingefchlagenen Wege erreicht werben fünne,
in prophetifcher Weife hinwies. Ich erinnere mid) mod)
immer mit Freuden, wie eindringlich er auf die Erweiterung
des Zollvereind zu einem nationalen Bande durch fefte Dr:
ganifation hinwirlte, wie er auf einheitliche Rechtsgeſetz⸗
gebung, einheitliche Ordnung der Preßgefeggebung unter
Sewährung der Preffreiheit, Schöpfung einer deutſchen
Kriegsflotte im der ihm eigenen anziehenden und berebten
Darftellungsweife hinarbeitete. Dabei jtand ihm die glüd«
liche Begabung zur Seite, daß feine maßvolle Ausdrucks-
weile es dem Senfor unmöglich machte, die Publication zu
unterdrüden. Ein großes Berdienft erwarb er ſich "dem
rheiniſchen Zeitungslefer gegenüber namentlic, dadurch, da
er ed verſtand, ihm an der Hand ber Geſchichte Har zu mas
chen, wie die hochgepriefenen Gitter eines verfaffungsmäßigen
Rechtsſtaats, öffentlich-mündliches Gerichtsverfahren, Ges
ſchworenengerichte, echt deutſche Einrichtungen ſeien, welche
und nur in der Zerfahrenheit des deutſchen Staatswejens
während des Auflöfungsprocefles des alten Reichs verloren
gingen. Mit einer ganz befondern Borliebe behandelte er
namentlich die Förderung einer deutſchen Kriegsflotte und
das zu einer Zeit, während Andere an dieſes nationale Ins
ftitut noch lange nicht dachten. Die Artifel, in welchen er
39
306
Karl Andree,
Deutſchlands maritime Macht zu Zeiten der Hanfa fdhils I niffen des Jahres 1870 die Goethe'ſchen Worte im Munde:
berte, gehören zu dem anziehendften, die ich tiber dieſen
Gegenftand gelejen habe.
„Wenn auch anfangs mit feinen Meinungen im ben
Nheinlanden unter der freifinnigen Partei ziemlich ifolixt,
dauerte es doch nur kurze Zeit bis zur Würdigung und Aner:
fennung feiner publiciftiichen Thätigleit. Man lernte ihn bald
verftehen, ihm fchägen, ihm Bertrauen zuwenden. Das
letztere, wohlverdient durch den hohen fittlichen Exruft, mit
dem er feinen Beruf auffagte, erwarb ihm treue Freunde
und Gefinnungsgenoffen, deren Zahl ſich ftetig mehrte. Ein
Beweis feines belangreichen Wirtens war es, daß die Main-
zer Zeitung aus dem engen Bereich eines Yocalblattes in
den Kreis der einflußreichen füddeutichen liberalen Pre:
organe eintrat, daß die Zahl der Leſer von Quartal zu
Quartal ftändig zunahm.
„Was Andree in Mainz begonnen, das hat er in glei⸗
cher Ueberzeugungstreue ald Nebacteur der Oberbeutfchen,
der Kölnifchen und ber Bremer Zeitung mit edler patriotis
ſcher Begeifterung fortgefegt.
„Es war mir oft geradezu unbegreiflich, wie er in
Mainz gearbeitet hat. Der ganze politijche Theil der Main:
zer Zeitung war, abgejchen von hier und da ihm fpärlich
zufommenden Cingelbeiträgen, fein alleiniges Werft. Tag
‘für Tag Yeitartifel, Umgeftaltung der thatſächlichen Mit:
theilungen anderer Blätter; daneben eine zahlreiche Torre
fpondenzthätigfeit fir größere Blätter, als die Augsburger
Allgemeine, die Kölnische Zeitung u. f. w. Und bei alle
dem für das eigene Blatt nur Berfitgung über befchränfte
Mittel und manche ärgerlice Schwierigkeit Seitens des
Verlegers.
„Mit der aufricjtigften Ueberzeugung dürfen wir uns
fagen, daß mein lieber dahingejcjiebener Freund an dem
heute für das deutſche Vaterland Erreichten in politischer
und focialer Beziehung ehrlich und wirkungsvoll mit allen
feinen geiftigen Kräften gearbeitet hat und daß er ſich dabei,
was im öffentlichen Leben jo felten, ein unbefledtes tadellos
reines Gewiflen bewahrt hat, Darum fei auch feinem
öffentlichen Wirken nur ein gelegnetes Andenken geweiht!“ *)
Und biefe ftramm deutſche Gefinnung, er hat fie fich mit
ber gleichen Friſche bewahrt bis an fein Yebensende, davon
geben feine zahlreichen Schriften ben Beweis, in denen
immer und immer wieber der nationale Geſichtspunkt hervors
gehoben wurde. Heute freilich erſcheint diefes faft felbftver-
ftändlic — Andree aber ſchrieb und wirkte in dieſem Sinne
zu einer Zeit, ale das öffentliche Yeben bei uns noch erftarrt
darnieder lag und nationale Gefinnung faft verpönt war,
„Das deutſche Vaterland Über Alles!“ fchrieb er unter fein
1847 in Bremen evfcienenes Porträt. Seinem Deutfchen
fann denn aud) die Wiederaufrichtung von Kaifer und Reich
eine tiefere, innigere Freude und Genugthuung bereitet has
ben, als unferm Andree, der nun den Traum feiner Jugend
verwirklicht ſah, und häufig hatte er bei den großen Ereig-
*) Ganz ähnlich urtheilte Berthold Auerbacd, der ihm von
Tübingen ber eng befreundet war, als er Andtee's Hinſcheiden ver»
nahm: „Wenn ter Wein im Glafe ift, wer denlt da noch der Mühe
des MWeinbauern und ber forgenfchweren Witſerungewechſel? Das
befte Wachethum der Mbeinlante, der neue feſte vaterländifche Geiſt
it von Antree gepflegt, gebegt und gegen die Unbill ter böfen Zeit
und des elenten Kleinftaarentbums gefhügt worden in unabläffiger
Arbeit. Solche Arbeit erfcheint nicht in fihtberen Dentmalen, fie
it eben eingemauert in dem großen Bau. Ich venfe aus Taufenders
lei heraus an jene Neujahrenacht, da Miles ſich in privaten Wüns
ſchen um Mitternacht erging, da erbob ſich Andre, und id böre
noch feine mächtige Stimme, wie er erflärte, daß jegt wieder in
biefer Stunde eine deutſche Jollſchranke falle und ein weiterer Schritt
zur Einheit Deutfchlande gerban fei. Das iſt nur ein Einzelnes —
aber c8 ift chen aus feiner Waterlandafcele,”
„Was in der Jugend man wünſcht, hat man im Alter bie
Hülle,“
Nach vierjähriger ehrenvoller und erfprießlicher Wirt:
ſamleit folgte Andree einem Rufe ald Redacteur am bie zu
Karlsruhe erfcheinende Oberdeutiche Zeitung. Hier bot
fi) feiner Beobadjtung ein intereffantes Feld dar. Die
Augen von ganz Deutichland waren damals auf die zweite
badijche Kammer gerichtet, fie ftand als Vorkämpferin ber
liberalen Sadje da und hatte eine - geringe Zahl hervor=
tagender Männer in ihrer Mitte. Schon war das ganze
Stantöleben in Baden franf, es lagen fo viele Wiederſprüche
nebeneinauder, die Perfünlichteiten ftanden ſich jo ſchroff
gegenüber, es war im der ganzen Gituation fo viel Schiefes
und Halbes, daß Klare, befonnen prüfende Köpfe die Lebers
zeugung gewannen, eine ruhige Entwidelung des Knäuels
fei faft micht denkbar. Die Oberdeutjche Zeitung nahm es
fich, heraus, im ber feinften form unbeftreitbare Wahrheiten
zu fagen; ihre beiden Hedacteure, Giehne und Andree, faßten
die Dinge praftifc, auf und waren flir Illuſionen von Rechts
und Links unzugänglid. Die Oberdeutſche Zeitung ftand
auf dem Boden der Berfaflung, fie verlangte Mafregeln,
durch welche die badiſchen Zuftände conſolidirt werden joll-
ten ; fie gefiel aber weder dem leitenden Miniſter noch der
Oppofition, befonders auch deshalb, weil fie die falfche Stel:
lung der Staatäbiener in den Kammern beleuchtete, mit
ftrenger Yogit Confequenzen zog und das eigentlich birger-
liche Element, nicht einen parlamentarifchen Bureaufratis-
mus, in den Kammern einflußreich fehen wollte. Daß in
der Oberdeutfchen Zeitung die Interejfen der beutfchen Ins
duftrie mit großem Talent und völliger Sachlenntniß vers
treten wurden, ift auch von ihren Gegnern anerkannt wor«
den, Ueberhanpt hat man fpäterhin diefem Blatt, das in
ftaatsmännifchen Kreifen glei) von Anfang am nicht ohne
Gewicht war, um fo mehr Gerechtigkeit widerfahren laſſen,
da die Folgezeit mit ihren Ereigniſſen die Auffafjuug feiner
Redaction ald die richtige erwiejen hat.
Andree fand in Karlsruhe Gelegenheit, das Syftem ber
bamaligen Regierung, wie die Taktit der Oppofition und
des Minifteriums gründlich fennen zu lernen. Er war ber
Erfte, weldyer in einer Reihe von Aufjägen iiber badifche
Verhältniffe in der Kölnifchen Zeitung die Unhaltbarteit
aller diefer Zuftände darlegte. Diefe zu jener Zeit viel
befprochenen und befämpften Artikel, über deren Verfaſſer
mannigfacde Muthmaßungen aufgeftellt wurden, haben, man
kann fagen buchftäblich, ſchon 1843 vorgezeichnet, wohin die
gejchraubten badifchen Verhältniſſe endlich führen wlirden,
und ber Scharfblid bes ruhig erwägenden Publiciften, der
ſich feiner IUufion hingab, hat Recht behalten. Sie hatten
zur Folge, daß Andree 1843 eine Berufung nad) Köln er
hielt, um dort die Stelle eines erften Redacteurs des größ-
ten cheinifchen Blatts zu übernehmen.
Bevor er mad) der rheiniſchen Metropole abreifte, fpielt
eine bemerfenswerthe Epifode in fein Leben hinein. Die
Oberdeutſche Zeitung war Eigenthum des Herrn Morik
von Haber, eines geborenen Karldruhers, ber, nad) lans
ger Abweſenheit in fremden Yanden in feiner Vaterſtadt in
den höchſten Kreiſen mit Auszeichnung und Wohlwollen
empfangen, eine Stellung einnahm, die Manchen nicht ge:
nehm war, weil fie mit verfchiedenen Plänen fich nicht in
Einklang bringen ließ. Nach und mad) zeigte ſich gegen
Herrn von Haber in einzelnen Streifen eine Feindſeligkeit,
die alled Maß und jeden Anftand fberfchritt und den Be:
' weiß lieferte, wie blinder Haß und Intrigne jebes Gefühl
auch der allergewöhnlichften Schicklichleit abhanden fommen
laffen. Dan weiß, zu welder Sataftrophe im Sommer
Karl Andre.
1843 diefe Haber’fche Angelegenheit führte (Demolirung des
Haber’jchen Haufes durch den Pöbel), bei weldyer es übrigens
darauf abgejehen war, im weit höhere Sphären töbtliche
Streiche zu verfegen. Jene Karlsruher Kataftrophe zeigte
auf das Deutlichite, wie anardifc die Dinge waren. Ans
dree war mit Herrn von Haber gut befaunt, aber keineswegs
fpeciell befreundet. Als er diefen Dann gehetzt ſah wie
ein Wild, preißgegeben den demoralifirten Behörden, die der
Meuterei hätten fteuern mlffen, und verlaffen von allen
feinen Freunden, von welden in den Tagen der Noth aud)
nicht einer Hitffreich war, ging Andree zu ihm, erflärte, daß
er ihn für einen auf unmilrdige Weife Gefränften halte und
feinerfeits Alles aufbieten wolle, ihm zu feinem Rechte und
zur Genugthuung zu verhelfen. Und diefes Berfprechen hat
er getreulich und uneigennügig erfüllt. Er Märte das von
Haber’s Gegnern planmäßig getäufchte Bublicam binnen
Kurzem über die wahre Sadjlage auf, wirfte dem ſchwer
Berfolgten ein Aſyl in Mainz aus, machte ihm mit feinen
dortigen Freunden befannt, verfchaffte ihm einen Secundan»
ten und einen tüchtigen Rechtsbeiſtand, half ſchlau angelegte
Pläne vereitelm und vertheidigte ihn in der Preife jo wirf:
fam , daf die Intrigue in ihrer vollen Nadtheit bloßgelegt
und die Verfolger Herrn von Haber die allerbiindigfte Ehren⸗
erflärung geben , ſich jelber aber damit das Zeugniß aus.
ftellen mußten, daß alle ihre Behauptungen auf erfonnener
Unwahrheit beruhten. Bekanntlich wurde ein Hauptwerf-
zeng der Intrigue, ein Herr von Saradjagasliria, von Haber
bei Worms im Zweifampf erſchoſſen. Das war jenes
„Sottesurtheil*, welches die Gegner hervorgerufen hatten *).
An der Spitze bes bedeutendſten rheiniſchen Blattes ſie⸗
hend, mit deffen Eigenthümer, Joſeph Dumont, eng befreuns
det, hätte Andree hier eine fegensreiche Thätigfeit entwideln
können, hätten nicht katholiſche Einflüffe und die unberechen-
bare Cenſur ihm vielfach lahm gelegt, fo daß er bald ſich
wieder von Köln fortjehnte, Bemerkenswerth find bie Bes
ziehungen, welche er in Köln mit den Leitern der flamifchen
Bewegung, mit Confcience, De Laet Vleefchhoumer ıc., ans
Inüpfte, deren Beftrebungen gegenüber dem franzöfifchen
Elemente er eifrig unterftügte, wenn er, der plattdeutfche
Mann, ſich auch nie verhehlte, daß die Flamingen nur eine ge—
deihliche Zukunft im Anſchluſſe am die hochdeutſche Sprache
haben könnten. Verſchiedene Anerbietungen nach Süddeutic-
land zu fommen lehnte Andree ab und folgte 1846 einer
Berufung nad) Bremen, hauptſächlich wohl um den Seehandel
und die trandatlantifchen VBerhältnifie gründlich lennen zu ler:
nen, nachdem er mandjes Jahr am Rhein den induftriellen
paichungen fo ununterbrochene Aufmertfamfeit zugewandt
hatte. Schon damals waren feine Anfichten und Urtheile
bei den Gewerbetreibenden vom nicht geringem Gewicht. In
Bremen hat er feit 1846 die amerifanifchen Angelegenheiten,
den Welthandel und die maritimen Intereffen ins Auge ger
faßt. Die Bremer Zeitung war unter feiner Leitung ein
fo reichhaltiges und jo mufterhaft abgefaßtes Blatt, wie wir
deren in Deutſchland nur wenige haben, Aber Andree
ſcheint am Ende des allerdings fehr aufreibenden Redigirens
gründlich melide geworben zu fein. Nach des Tages Arbeit
verfehrte er in Kreiſen praktifcer Männer, die halben Nächte
wibmete er ben gelehrten Studien, bei denen ihm oft die
aufgehende Sonne überrafchte. Ueberhaupt war er fein
ganzes Yeben lang von einem Fleiße befeelt, der diejenigen,
*) Die damaligen öffentlichen Zuftände in Baden erfcheinen im
Lichte der Haber'ſchen Sache höchſt jammerlich. Die „Verhandlungen
der Straflammer des beffifchen Kreisgerichts zu Alzey vom 8. und
9. März 1844 gegen Morit von Hader, Duell betreffend“ (Franfs
furt a. M., Garl Jügel 1844) find eim intereffanter Beitrag zur
deutſchen Cultur⸗ und Hofgeſchichte der wierziger Jahre,
307
welche fein Schaffen fahen, geradezu in Erftaunen verfegte.
Es ijt erklärlich, daß im einem foldien Manne der Drang
lebendig war, ſich einer zerfplitternden Thätigkeit zu entzie-
hen und mit größeren zufammenhängenden Arbeiten ſich zu
beſchtiftigen. Er war eben daran, feine reichhaltigen geo-
graphiſchen und Hiftorischen Vorarbeiten zu fichten, als die
Februarrevolution ausbrach und auch im deutſchen Morben
die Geuillther fo heftig erregte, daß für einen Publiciſten,
der jo lange Jahre immitten der Politif und der praftiichen
Gewerbs· und Handelsintereffen geftanden Hatte, jene Ruhe
und Muße nicht zu finden war, nach welder er fo lange
ſich gefehnt. Noch einmal wurde er Redacteur und zwar
(1848 bis 1852) im feiner Baterftadt Braunſchweig, wo er
die von Eduard Vieweg begründete „Deutfc)e Reichs- Zeitung”
im durchaus gemäßigten Sinne leitete.
Die deutjche Bewegung erfuhr jenen Rüdjchlag, wel»
den Andree voraus ſah und verflindete, als man Monate
(ang über Grundrechte debattirte, ftatt zu rechter Zeit, ge-
meinſchaftlich mit ben Regierungen, binnen kurzer Frift über
eine beutjche Verfaſſung ſich zu ge was bis Ende Mai
1848 allerdings im Bereiche der Möglichkeit gelegen hatte.
Andree ſchrieb dann, unbetheiligt am aller Politik, fein Buch
über Nordamerifa *. Es hat nach kurzer Zeit die
zweite Auflage erlebt und fo allgemeine Anerlennung gefun:
den, daß alle weiteren Bemerkungen überflüffig wären. Ins
terefjant ift aber, daß bei den vielem Beſprechungen, welche
das ausgezeichnete Buch in Amerika felbft erfuhr, manche
amerilaniſche Kritiler annahmen, der Verfaſſer fei jahrelang
im Yande jelbft gereift und habe dafjelbe beobadjtet. Sie
ftellten die Auffaſſung Andree’s, namentlic fiir englifche
Reifende, als ein Mufter zur Nachahmung hin,
Wenn aud) in dem Bierteljahrhundert, welches feit der
Beröffentlihung dieſes Wertes verfloſſen ift, gar vieles im
den Bereinigten Staaten ſich geändert hat und das Buch
dadurd) theilweife veraltete, jo find doc) viele Capitel def+
jelben auch heute noch geradezu claffiic zu nennen, wohin
mir namentlid) jene gefcjichtlichen Inhalts und den ethno+
graphiſchen Theil rechnen. Das Bud), feinem Freunde
Hermann E, Ludewig in Neuyork gewidmet, der einer der
ausgezeichnetften Kenner der Indianerſprachen war, ift noch
voller Bewunderung für amerifanifche Zuftände, die wäh.
vend der ſchwlllen Neactionsperiobe in Deutjchland das Ideal
fo vieler Patrioten waren. „Es liegt,“ ſchrieb Andre in
der Vorrede, „gegenüber ben wellen und faulen Zuftänden
der Alten Welt umendlic, viel Erhebendes und Tröftliches
im Hinblide auf den Norden Amerikas, wo fich eim neues
Leben in wunderbarer Kraft und Uppiger Friſche entfaltet.“
Seit jener Zeit hat Andree die nordamerifanifchen Verhältniſſe
nicht mehr aus den Augen gelafjen und fie mit einer Sorg—
falt ftudirt, die ihn zum völligen Beherrſcher der geringften
auf das politifche Yeben der Vereinigten Staaten bezüglichen
Einzelheiten machten, jo daß jehr häufig Amerikaner über
die Fulle feiner Kenntniſſe in das größte Erftaunen geries
then , wenn er mit ihnen über ihre Heimath ſprach. Die
Anfichten freilich, welche er 1851 im feinen Buche Uber
Nordamerika entwidelte, erfuhren allgemach und namentlid)
feit dem Blirgerkriege eine gründliche Umwandelung. Er
trat offen auf die Seite der in ihrem Rechte verlegten Std»
ftaaten, die er aus tieffter Ueberzeugung im der deutſchen
Preſſe faft allein vertheidigte, er kennzeichnete im Voraus
den fittlihen Verfall, der in den politiihen und focialen
Verhältniffen der Union ſich anbahnte und dedte die zahl
reichen Krebsſchäden im ftaatlichen, finanziellen und gefell-
*) Morkamerifa in geograpbifchen und geſchichtlichen Umriſſen.
Mir befonderer Derüdichtigung ter Gingeborenen und der inbianie
ſchen Alterthümer. VBraunfhweig. Wertermann 1851. 810 ©.
39*
308 Aus Georg Schweinfurth's Reiſen in Innerafrifa.
ichaftlichen Peben der AUngloamerifaner in zahlreichen Auf> | gabe diefer Zeitfchrift von dem Gedanken aus, daß die viel-
fägen feines „Globus“ unnachſichtig auf. Als eine Fort: | fachen Beziehungen, welche Deutjcland und Amerila ver-
fegung feines Werkes über Amerika ift die Zeitfchrift „Das | Imüipfen, ein befonderes Journal zur gründlichen Erörterung
Weſtland“ zu betrachten, cin „Magazin zur Kunde ameri« | der Berhältniffe der Neuen Welt wohl redjtfertigten. Die
laniſcher Verhältniffe“, welches er 1851 bis 1853 (4 Bände) | Auswanderung, die Geſchichte, die Alterthlimer und Bölter
in Bremen herausgab und im welchem ein wahrer Schat | kunde Amerikas wurden hier in volfsfahliher Darftellung
werthooller Abhandlungen über den ganzen amerifanifchen | erörtert und den Reifen wie den großen politiichen Borgän-
Gontinent niedergelegt if. Andree ging bei der Heraus | gen rege Aufmerffamfeit zugewandt.
Aus Georg Schweinfurth’s Reifen in Innerafrifa.
X Die Alla.
Mit einer Aupfertafel
Schon als Schweinfurt noch in Gefellichaft feiner nu ' größebetragen, ein langer, weißer Bart ihr Geficht ſchmücken,
biichen Gefährten auf dem obern Nil ſüdwärts ſchwamm, | wie das der deutjchen Kobolde. Mit guten Yanzen bewaffr
hatte er häufig den Geſprächen derfelben gelaufcht und mandye | net follten jie den Elcphanten unter den Yeib ſchlüpfen und
mal von einem Zwergvolfe erzählen gehört, das im Süden | ihn durch Stidye in den Bauch leicht tödten; ben Händlern
der Niam:niam wohne, Drei Fuß jollte höchftens ihre Körper | verkauften fie viel Elfenbein, und Scebberdigintu, d. h. Yeute
| =
Abd⸗es ⸗Sammat bringt einen Alla berbei,
mit |pannenlangem Barte, wurden fie genannt. Je weiter | mehr zu überzeugen, ald daß es vereinzelt vorfommenbe pa-
unfer Reifender gegen Süden vordrang, um fo häufiger ftieß | thologifche Erjcheinungen feien, wie fie im Mittelalter und
er auf Männer, welche ihm jene Naturmwunder ald Augens | biß im die meuere Zeit hinein auch am europäifchen Höfen
zeugen beſchrieben, wie diefelben bei den wilden Königen als | vielfach, vorfamen. Schweinfurth gedachte zwar fofort der
Hofnarren gehalten würden, freilich ohme ihn dadurch von | Erzählungen der griecdhiichen Autoren, welche vom Vater
D,
MAG ,
VAETLDPELLPLPELT.
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Aus Georg Schweinfurth's Reifen in Inmerafrita.
Homer an bis auf den der Mugufteifchen Zeit angehörenden
Seographen Etrabon von Meinen, in Innerafrika lebenden
Menſchen oder Pygmäen (d, h. Fauſthohe) zu berichten wif-
fen. Daß aber in ihren vielfach mit fabelhafter Aus—
ſchmliclung verbränten Berichten ein Kern von Wahrheit
liege, daß es wirklich eine ganze Reihe von Vollsſtämmen
gäbe, deren durchſchnittliche Körpergröße weit unter das mitt-
lere Maß der befannten Bewohner von Afrifa heruntergefit,
davon follte er fich erft bei König Munſa durch den Augen-
fein überzeugen.
Er hatte dort ſchon mehrere Tage zugebradjt, ohne die
vielbefprachenen Zwerge zu Geficht befommen zu haben; nur
feine Leute hatten fie gejehen, ohne fie indeß dem Forſcher
vorzuführen, Denn „fie fitechten fich“, hieß es. Da erſcholl
eines Vormittags lauter Jubel durch das Lager; Abd-es-
Sammat hatte die Heinen Peute beim Könige überraſcht und
fchleppte nun trog alles Sträubens ein ſeltſames Männlein
vor das Zelt des Rei⸗ jun
fenden. Daffelbe hodte
auf feiner rechten
Schulter, hielt ängft-
lich feines Trägers
Kopf umllammert und
warf ſcheue Blicke
nach allen Seiten. Es
war nicht leicht und
nur durch raſch her⸗
vorgeframte Geſchenle
zu erreichen, ben llei⸗
nen Beſuch zum Sitzen
zubringen und ihm mit
Hilfe von Munfa’s
Hofdolmetfhh Muth
und Zutrauen einzus
flößen. Was im
Laufe von zwei Stun-
den geichehen fonnte,
das geſchah nun von
Schweinfurth's Seite:
er wurde gemeflen,
porträtixt, gefüttert,
bejchenft und bi® zur
Erjhöpfung ausge⸗
fragt.
Sein Name war
Adimofu und er war
bas Haupt einer Fa⸗
milie, welche durch
Munfa etwa eine halbe Stunde von der Reſidenz entfernt
angefiedelt worden war. Denn diejer, welcher einen Theil
des Volfes, das fich ſelbſt „Alla“ nennt, beherrſchte, liebte
es, die Pracht feiner Hofhaltung durch Kepräfentanten aller
erreichbaren Naturmertwürdigkeiten zu erhöhen.
Acht Namen von Alfa- Stämmen, die im Süden des
Monbuttu⸗Landes, etwa zwifchen 1° und 2% nördl, Br., wol
nen, zählte ihm Adimolu auf, aud) die Nanıen von einigen
ihrer Könige; als aber der Keifende nach den von anderen
Forſchern erfundeten Zwergvölfern Innerafrikas, nad) Ken—
fob und Betfan u. |. mw. fragte, riß dem Befuche die Geduld,
und er fprang auf, zum Zelte hinaus, Aber dort wurde er
durch die ſich drängenden Schaaren der neugierigen Nubier
und Bongoträger aufgehalten und wohl oder übel mußte er
ſich dazu verstehen, einige Waffentänge zum Beften zu geben.
Wie die Monbuttu gefleidet und bewaffnet erregte ex bei feiner
Kleinheit (11, Meter maß er nur), bei feinem großen
Hängebaudy und feinen furzen, dürren Säbelbeinen eine
—
Der Alla
309
grenzenloſe Heiterkeit, als er mit unglaublicher Sprungfraft,
Gewandtheit und Lebhaftigleit des Gefichtsausdruds feine
Tänze aufführte. Reich bejchenft trat er endlich den Rück—
weg an und ſchon folgenden Tages reizte fein Beifpiel feine
Yandeleute, ben Fremden aufzufuchen, der einmal mehrere
Hunderte von Alla-Kriegern zugleich — wenn auch nur
flüchtig — zu fehen jo glüdli war. Munfa fchentte ihm
fogar ein fünfzehnjähriges Individuum dieſer Race, den hier⸗
neben abgebildeten Nſewus, welcher leider auf der Heim⸗
reife in Berber in Folge einer fehrantenlofen Unmäßigleit
bas Zeitliche jegnete, vorher aber dem Reifenden Gelegen«
heit genug bot, feine Eigenthümlichkeiten zu ſtudiren.
Die Alla fcheinen eines jemer Zwerguölfer zu fein, welche,
mit allen Anzeichen einer Urrace ausgeftattet, ſich längs des
Aequatord quer durch Afrika erftreden, und Über welche uns
eine Reihe von Erkundigungen und die Berichte von zwei
Augenzeugen, du Chaillu und A. Baftian, vorliegen *),
daft alle Angaben
ftimmen darin liber«
ein, daß dieſe Völler
nicht eigentliche Zwer⸗
ge ober verfümmerte
Individuen feien, ſou⸗
dern fich nur durch die
im Durchſchnitt ges
ringere Körpergröße
fowie buch einen
vöthlichern ober hel«
lern Ton der Haut⸗
farbe von den ume
wohnenden Stämmen
unterfcheiden. Hierher
gehören die Obongo du
Chaillu's oder Ba-
bongo Baſtian's an
der Weſtluſte; weis
ter landeinwärts die
von Koelle erkundeten
Kentob und Belfan
am großen Libaſee
weit im Süden von
Bagirmi, dann bie
Schweinfurth'ſchen
Alta, weiterhin halb»
wegs zwiſchen dem
obern Wil und ber
Oftfüfte die Verifimo
und nördlich von ih«
nen die Dolo, alles Heingeftaltete Stämme im Norden und
Süden des Aequators, die vom Atlantifchen bis zum Indi—
ſchen Ocean reichen, eine Kette von unfteten und ihrer völligen
Auflöfung entgegengehenden Völferreften von unvolltommenfter
Racenbeſchaffenheit, Reſte einer im Ausfterben begriffenen
Urbepölferung, den Buſchmännern Südafrikas ähnlich. Alle
dieſe Völler ſcheinen racelich zufammenzugehören; G. Fritſch,
welcher die Buſchmänner fo eingehend jtudirte, ſtimmt darin
mit Schweinfurt, dem Kenner der Alkas, überein **).
Nſewus.
*) Eine Zuſammenſtellung derſelben fiche in Schwtinſurth's „Im
Herzen von Afrila Il, S. 142.” und in den „Mittbeilungen aus
3. Beribes’ geographifcher Anftalt“ 1871, ©. 139 |. Ueber Bar
ftian’s Bericht firbe Globus“ XXV, ©. 380, Ueber vie Miani’-
ſchen nach Eutopa gelangten Alta firbe Globus“ XXVI, S. 27.
*) Schweinfurth, Im Herzen von Afrita 11, S. 147. „Fritſch,
tem mir ein muſtergültiges Werk über bie eingeborenen Völfer Sübs
afrifas verdanten, madıte mich zuerft auf die große Aehnlichteit aufs
merlfam, melde meine Aflabilder mit dem Topus ber Buſchmänner
verrietben.*
310
Nach Fritich ift die Durchſchnittogröße der echten Buſch-
männer 1,44 Meter; die beiden Aftas- Individuen, welche
Schweinfurth gemefjen hat, waren 1,235 und 1,34 Meter
hoch und nie hat er einen ſolchen über 1,5 Meter gefehen.
Ihre Farbe, der von ſchwach gebranntem Kaffee gleichend,
ift genau diejenige der Bufdmänner. Ihr Haupthaar ift
ſchwach entwidelt; fie tragen zwar den langen Strohhut ber
Monbuttu, aber auch ihren mächtigen Chignon nadyzuahmen
verbietet ihnen ihre furze, braune Kopfwolle. Bartwuchs
fehlt, wie bei den Buſchmännern, gänzlich, fo daß der Rei—
fende meint, die von den Nubiern ihm gejchilderten, langs
bärtigen Zwerge müßten wohl feine Alfa fein. Die auf
fallendfien Merkmale derfelben find ein verhältnigmäßig
großer Kopf, der ſich auf einem ſchwächlichen und dünnen
Halfe hin umd her wiegt, große Abweichungen in der Schulter:
partie von der gewöhnlichen Bildung anderer Negervölfer,
ein aufjälliges Ueberwiegen. der Yänge des Oberförpers in
Berbindung mit langen Armen, ein mach oben zu plöglid)
und flach verengter Bruſtkorb, deffen untere Apertur fich ber⸗
mäßig erweitert, um einem Hängebauche (dem ſogenannten
„Armoed-Benz“ der Buſchmänner) als Halt zu dienen, wel«
cher ſelbſt beiahrten Individuen das Ausfehen arabifcher und
ägyptifcher Kinder verleiht. Im Folge des letztern Merk:
mals haben faft alle Alfa eine außerordentlich ftarfe, fait
C-förmige Ausfchweifung der hintern Körpercontour. Waft
alle diefe Eigenichaften find nad; Fritſch auch an den Buſch-
männern *) aufs Deutlichfte zu finden. Dazu fommen edig
vorragende Gelenke, plumpe, großicheibige Knie, einwärts
geehrte Füße und ein watichelnder, wadelnder Gang, aber
Hände von einer bewunderungswürdigen Zierlichteit. Die
größte Eigenthümlichteit dieſes Volkes Liegt jedody im Ban
Fritſch, Die Eingeborenen Sübafrifas (aus deſſen Atlas wir,
Dant ter Areunblichkeit des Berlegers, Heren Hirt, unferer Nummer
ein Blatt mit Buſchmaͤnnertypen beilegen Fönnen), &.403, Anm. 2:
„Nachrichten, welde Schweinfurtb von friner Reife in bie Niamr
niam⸗Lander mitbringt, erſcheinen von ganz befonterer Wichtigfeit
für die Frage über nörtliche Verwandte der Buſchmänner. — Eeine
Beschreibungen der Alta ſowie mitgebrachte Porträts derſelben ers
innerten mich fo lebhaft an die Buſchmänner, daß ich gegründete
Hoffnung habe, es fei in benfelben ein newer Heft diefer Ureinwohner
tes fübafrifanifchen Gontinents gefunden.”
*) Meral, über diefelben die von G. Frirſch häufig angegogenen
und gelobten Auffäge von Theophilus Hahn im „Blobus" Br.
XVIII, &. 65, 81, 102, 120, 140 u. 153,
Peruaniſche Alterthümer.
bes Schädels: ein hoher Grad von Prognathie, ſchnauzen ·
artige® Borfpringen der Kiefer, ſchwache Kinnprominenz,
eine breite, fugelähnliche Schädelwölbung und tiefe Einfen-
fung der Nafenbafis. Es find das diefelben Merkmale,
welche die Bufchmänner von den Hottentoten unterjcheiden;
einer ſolchen Uebereinftimmung gegenüber erfcheinen die phy«
ſiognomiſchen Abweichungen der Alfa vom Buſchmannsypus
geringfügig. Die größte ift, daß die Buſchmänner Heine,
zufammengefniffene Augen, die Afta aber große, breitgefpal»
tene und offene befigen, eine Abweichung, welche Schweinfurt
auf den Einfluß der ebensweife und auf Himatifche Urſachen
zurlickzufühhren geneigt ift. Dagegen haben beide Stämme
die auffallend große Ohrmuſchel — ein Körpertheil, welcher
bei der Negerrace im Allgemeinen ſehr zierlid und regel-
mäßig geftaltet ift —, die weit vorragenden Yippen mit fpalt:
artigen, nicht aufgeworfenen Rändern, den wechjelvollen Aus-
drud des Mienenfpiel® gemein,
Die Alta, ein vollendetes Yägervolf, find an Sinnen»
ichärfe, am fchlauer und wohlberechneter Gefchidlichteit und
Deweglichteit den Monbuttu weit Überlegen, aber aud) an
Bosheit und Grauſamkeit. Sie haben eine wahrhaft teuflifche
Erfindungsgabe, Fallen zu ftellen und dem Wilde Schlingen
zu legen, und nichts machte dem jungen Nſewus mehr Vers
gnügen, als Thiere zu quälen, Hunde mit Pfeilen zu ſchie—
nu, f. w.
Ihr einziges Hausthier ift das Huhn und es ift merf-
wiirdig, daß ein Mofait aus Pompeji, welches Schweinfurth
im Nationalmufeum zu Neapel fah, die Pygmäen darftellt,
umgeben von ihren Häuschen und Hüttchen, alles voll Hüh-
ner! So ummwahrfcheinlidy wäre es demnach nicht, daß die
Alten genauere Hunde von dem afrifanifchen Zwergvolle ge-
habt hätten, '
Während die Bufchmänner von allen ihren Nachbarn als
gemeinfchädliche Unholde bitter gehaßt umd verfolgt werben,
fiel den Alta ein befferes Yoos. König Munfa hat fie unter
feine befondere Obhut genommen und verfieht fie, wenigſtens
die in feiner Nähe angefiedelten, mit Speife und Trant (Bier
und Bananenwein), wofür ihm diefe Kochſalz als Tribut
liefern, das im ganzen Gebiete des Bahr-el-Ghaſal und bei
den Niamsniam und Monbuttu nicht vorfommt, und den
bequemeren Monbuttu bei der Jagd die wichtigften Dienfte
leiften. .
Pernanifhe Alterthümer.
Wenn auch nicht abgeſchloſſen, fo fchien doch die perua—
nische Alterthumskunde in ihren wejentlichen Örundzügen ge-
fihert. Both Ondegarbo (1550) bie Rivero und Eiaudi
und Mariano Felipe Paz Soldan, der 1868 jchrieb,
ſtimmten alle Schriftfteller darin überein, daß die alten
Culturreſte, die Meberbleibfel der Prachtbauten, die Gold⸗
und Thongeräthe, die in Peru gefunden werben, Werke der
Incas feien. Die Geſchichte Berus fpielt fi) ab zwiſchen
Manco Capac, dem erften fagenhaften Inca, und dem ler
ten von den Spaniern geftürzten, Atahualpa. Nun kommt
Thomas 9. Hutchinſon, ber befannte weſtafrikaniſche
Reiſende, zulegt britifcher Conful in Callao, und ſucht die
alte Anſchauung über den Haufen zu werfen, indem er zu
beweifen verfucht, die erhaltenen peruanifchen Alterthümer
*
feien vorincaifc) *. Wir wollen es verfuchen -feine An«
fichten im Zufammenhange mit den bisher geltenden vors
zutragen.
Wie ſich gegenwärtig die ſüdamerikaniſchen Indianer in
phyſiognomiſch ſcharf begrenzte Stämme trennen, fo fchieben
ch in früheren Zeiten auch die Pernaner des Gebirges und
der Küfte in beftimmte Racen; aber durd) die immer weiter
ſich ausdehnenden Kriegözlige der Jucas wurden fie allmäli
mit einander verfchmolzen Die Incas befolgten —*
das Syſtem, die Nationalität der beſiegten und unterjochten
*) Two years in Peru; with explorations of its antiquities.
2 Vols, London 1874, und Anthropology of prehistorie Peru im
Journal of the anthropologienl institute, April 1875, ©. 438.
Peruaniſche Alterthümer.
Nationen ganz zu verwiſchen, um ſchneller und ſicherer ihrer
völligen Unterwerfung ſicher zu ſein; ſie hoben daher den
Kern der Stämme aus, um ihn ihren Heeren einzuverleiben,
ſchidten neue Anſiedler in die eroberten Provinzen und führe
ten dort ihre Sprache, ihre Religion ein. Dadurch gingen
almälig die einft jo fcharf getrennten Stämme in einander
über, fo daß fchon bei der Ankunft der erften Spanier, als
das Inca-Reich feing größte Ausdehnung erreicht hatte, die
verjchiedenen Stänme als ſolche nicht mehr exiftirten, und
wir feine Nachrichten darüber hätten, wenn nicht glüdlicher-
weife die alten Gräber mit ihren Schäbeln uns von ber
Bergangenheit erzäßlen würden. 9.9. von Tſchudi hat
fi) während feiner erften Reife in Peru (1838 bis 1842)
ſeht viel Mühe gegeben, über die anthropologiſchen Berhält-
niffe der Urbewohner Perus Maren Aufſchluß zu erhalten;
da aber feine Traditionen dariiber vorhanden find, fo mußte
er ſich am die Ueberrefte halten, die er mühfean aus den älte:
ften Gräbern hervorſcharrte, und die dort gefundenen Schädel
gaben ihm ficherere Thatſachen an, als es Geſchichte und
311
Ueberlieferungen vermocht hätten *). Nach Tſchudi's Unter
ſuchungen war Peru in früheſter Zeit von drei großen iu
ihrer Schädelbilbung fehr verfchiebenen Stämmen bewohnt.
Die heutige Craniologie witrde in der Charafteriftit dieſer
Schädel allerdings eine andere Vezeichnungsweife als die
veraltete, von Tichubi angewandte, gebrauchen, indeffen ift
feine Befchreibung der Schädel immer noch bezeichneud genug,
um die Unterſchiede fcharf erkennen zu laſſen.
Der erfte Stamm nahm bie ganze Küftenregion zwi—
ſchen dem Despoblabo be Tumbez und der ausgedehnten Wüſte
Atacama ein und erftredte fich landeinwärts bis an ben Fuß
ber Cordillere. Die Schädel diefer Race haben bie Form
einer abgeftumpften Pyramide mit nad) oben gerichteter Ba—
fis; ihr gerader Durchmeſſer verhält ſich zum queren wie
1:1, der Camper'ſche Geſichtswinkel beträgt 779, die Neis
gung des Schuppentheild des Hinterhauptbeins zum Horis
zonte ift 820, die Neigung des Stirnbeins zum geraden
Durcdmefler ift 68%. Bon Biefen CS chädeln fommen Barie«
täten und künftliche Deformationen vor, Die verfchiedenen
Monolitb:Bortal bei Tiahuanaco, Dftfeite (reftaurirt), Nah Rivero und Tiehndi.
Abplattungen find indeffen nur Familienauszeichnumgen, denn
in jedem Grabe fommt nur eine Art vor, während zuweilen
faum ein paar Hundert Schritte weiter im einem andern
Grabe anders abgeflachte Schädel ſich finden, Tſchudi nennt
diefe Race den Stamm der Chinas oder Yungas; feine
Sprache war die Yunga. Unvermifcht fonımt biefer Stamm
gegenwärtig nod) in einigen Thälern der Provinz Yauyos
und in mehreren Dörfern der Kuſte vor.
Der zweite Stamm bewohnte das Hochland von Mittel;
peru, beſonders die Departements von Junin und Ayacucho.
Die Schädel haben die Form eines ſchiefen Kegels, deſſen
vordere Fläche bedeutend verlängert ift; fein gerader Durch—
meſſer verhält ſich zum queren wie 1: 1,5; der Camper'ſche
Geſichtswinlel beträgt 69°, die Neigung des Schuppentheils
zum Horizonte 60°, die des Stirnbeins zum geraden Durch⸗
meffer nur 23%, Dieſen im feiner Schäbelbildung fo fehr
ausgezeichneten Stamm nennt Tſchudi Huancas, nad) dem
wilden Bolfe, das das jegige Thal von Yanja bewohnte.
Seine Sprache war bie Chinchayſuo. Auch er kommt noch
unvermijcht im einigen Familien des Departements Junin vor.
Der dritte Stamm bewohnte die ausgedehnte perus
bolivianifche Hochebene, ſüdlich vom Gebirgsknoten von Aſan⸗
garo. Die Schädel bilden ein ziemlic regelmäßiges bogen:
fürmiges Gewölbe, Der gerade Durchmeſſer verhält ſich
zum queren wie 1: 1,3; der Camper' ſche Geſichtswintel mißt
68", die Neigung des Schuppentheils des Hinterhauptbeins
zum Horizonte 55°, bie des Stirnbeins zum geraden Durch—
meſſer 45% Diefer Stamm, der der Uymaras, gab der
Dynaftie der Incas das Dafein, die int Verlaufe von weni:
gen Jahrhunderten alle übrigen Stämme unter ihr Joch
beugte; feine Sprache war die Kechua, in ben fidlicheren
Gegenden die Aymara. In einigen ſudperuaniſchen Der
partementsd (Puno und Cusco) kommt diefer Stamm
noch im feiner urfprünglicen Reinheit vor. Wigenthiim-
*) Ueber bie Urbewohner von Peru. Bon Dr. 3.9. von Tſchudi
in Müller's Archiv für Phyſiolegie 1845, ©. 98 bis 100. — Pe-
ruvian antiquities by Mariano Edward Kivero and Joh James
von Tschudi, Newyork 1859, p. 26—40. EEs iſi dies bie engli—
ſche Ausgabe des großen 1851 zu Wien erfarienenen ſpaniſchen Wer—
fes der genannten Autoren.)
312
lic, ift den Schädeln aller drei Stämme das fogenannte
Os Incae.
Die Bevölferung von Peru hat ſich feit der Eroberung
durch die Spanier auf eine faft unglaubliche Weife vermin:
dert. Wenn man die Befchreibung dev Kriegsheere lieſt,
die den Incas zu Gebote ftanden, wie fie ein Xeres, Go—
morra, Garcilaſo und die übrigen älteren Hiftoriographen
ſchildern, oder wenn man die Ruinen ber Rieſenbauwerke
und die der zahllofen Städte und Dörfer, die fich durch ganz
Peru erftreden, betrachtet, fo begreift man faum, wie es
möglic; war, daß ſich das Yand im Zeitlaufe von drei Yahr:
hunderten fo ſehr entwölferte, Während es zur Zeit der
Eroberung noch ein Leichtes geweſen jein foll, eine Armee
von 300,000 Dann aufzuftellen und noch ein anderes eben
fo großes Reſerveheer zu bilden, lann die heutige peruauifche
Regierung bei aller Auftrengung fauın 10,000 Soldaten
verfammeln, und ganz Peru zählt nur 2'/, Millionen Ein—
wohner.
Wie ſich die Urbewohner von Bern durch die Schädel:
bildung unterfchieden, jo waren fie aud) ſprachlich getrennt,
—
Peruaniſche Alterthümer.
Um Cugeo wurde das Kedua (Quichua) geſprochen, weldyes am
allgemeinften verbreitet war und daher la lengna general vou
den Spaniern genannt wurde. In den Hochländern von
Mittelperu, bei den Huancas, war die Chinchayſuyo gebräudh-
lic); die Indianer der ganzen Kitite, dem Stamme der Chun—
chos angehörend, fpradyen Yunga, die in dem Theile von
Mlittelperu, der jegigen Provinz Yauyos entſprechend, die
Kaului⸗Sprache; die Gebirgsbewohner des nordöftlichen Peru
bis an den Huallaga die Yama (Dialekt der Aymara); die
auf dem Hochlande von Quito die Quitena. Der Kechua⸗
Sprache ift ein glinftigeres Loos zu Theil geworden als den
Spradjen der anderen unterjochten Nationen; fie wird nodj
heute jo allgemein und mit derfelben Neinheit geſprochen
wie zur Inca⸗Zeit, und zwar nicht bloß von armen Inbia-
nern, fondern auch von Abfömmlingen der Spanier aller
Claſſen in der Sierra, Andianifche Ammen und Dienft-
boten wirken hier beftiimmend auf die Sprache der jpanifchen
Abtömmlinge ein, wie diefes ja auch andermwärts der Fall ift.
Wir find nun im Allgemeinen über die verfchiebenen
Stämme orientirt, welche Peru vor der Anfunft der nier
Be EAN TT ) TEBEE
Monolith-Bortal von Tiahuanaco, Weſtſeite (reftaurirt). Nach Rivero und Tſchudi.
bewohnten, und können uns den Alterthilmern zuwenden,
weiche fie binterließen. Belaunt als die größten und be-
wunderungswirbigften Werke find die mächtigen, mit Stei-
nen audgelegten Heeritraßen, welche durch das ganze Neid
von Cuzco nad Quito führten. Diefen mlfjen bie außer⸗
orbentlichen Wafjerleitungen, durch welche traurige Yand-
wüſten und fterile Berge in fruchtbares Yand verwandelt
wurden, an bie Seite geflellt werden. Nicht weniger Ber
wunberung als diefe fllr das allgemeine Befte erbauten
Riefenwerke verdienen die ungeheueren Paläfte, Feftungen
und Tempel, von denen noch großartige Ueberrefte vorhanden
find. Die Mauern biefer Gebäude wurden aus Quader⸗
feinen aufgeführt, die jo fein bearbeitet und mit folder Ge-
nauigfeit auf einander gefltgt find, baf die Verbindungsftelle
gitien je zwei Blöden nicht das Einfchieben eines Bogens
apier geftattet. Diefe Steine waren von fehr beträdjtlicher
Größe; man findet ſolche, die 4 bis 5 Meter lang, 2’,
bis 3 Meter hoch und eben fo breit find; nicht alle waren
vieredig, fie wurben auch polygonifcd, und ſphäriſch zugelchnit-
ten, wie diefes die außerſt interejjanten Nuinen des Palaftes
von Limatambo zeigen. Um fo mehr aber erregen dieſe
Bauten unfere Bewunderung, ald wir willen, baß fie ohne
eiferne Inftrumente errichtet wurden.
Um einen Begriff von diefen Bauten zu geben, haben
wir nad) dem Atlas des Werkes von Nivero und Tſchudi die
merkwürdige Monolithpforte von Tiahuanaco fanmt
ihren Einzelheiten in Holzſchnitt ausführen laflen. Süd-
öftlich von dem Dorf (12,930 Fuß Über dem Meere) erblidt
man die berühmten Ruinen. Nach der irn erhielt es
feinen Namen durch den Inca Yupanqui. Gin Chasqui
oder Fußbote aus Cuzco hatte hier mämlich eine wichtige
Nachricht dem Inca berreicht; erftaunt über die Schnellig»
keit des Voten fagte ihm der Monarch Tia Huanaco! (Halt
an, Huanaco!), indem er auf die Schnelligkeit dieſes Thieres
anfpielte. Natürlich hat dieſe Etymologie nicht mehr Werth
als ähnliche andere, Es find zwei fünftfiche Hügel, auf
demen wir die Nuinen finden. Steigt man den erften, Puma:
punca (Löwenthlir), hinan, fo trifft man große bearbeitete
Steinplatten; je höher man hinaufgelangt, defto zahlreicher
werden fie und find gegen bie Spige hin majjenhaft auf
Peruaniſche Alterthümer. 313
gehäuft und don den verfcjiebenften formen; bafb vieredig,
bald rechteckig, bald Meine, bald große ſehr forgfältig bearbei«
Desaguadero > werben, Auf welche Weife gefhah nun
tete Stüde. Häufig fommen Quadern mit Einſchnitten wie
diefe Fortſchaffung? Es fehlen uns alle Nachweiſe bar:
fiber; wahrſcheinlich fand er auf Walzen ftatt. Aber melde
für Site vor. Außer enorme Menfchen-
biefen find eine Menge mafle und welche Zeit
von einfachen oder beaniprucht bieles Un⸗
doppelten in Stein ges ternehmen. Es erin⸗
hauenen Rinnen da,
lurz eine ungeheuere
Maſſe von vollkom—
men gut gearbeitetem
Material, wie es in
nert dieſes vollftän«
dig an die Fortſchaf⸗
fung der ägyptiſchen
Coloſſe, 3. B. der
Bildſäule Ramſes II,
den Steinbrüchen nad) die wir, von colojla«
einem ganz genau fen Menſchenmaſſen
ausgearbeiteten Plane gezogen, noch in alt:
behauen wird. Die ägyptifchen Abbildun«
rößte Steinplatte, bie gen dargejtellt finden.
ſchudi auf Vuma
pınca maß, hat 744
Gentineter Yänge und
472 Eentim. Breite,
Welche Beſtim⸗
mung mochte wohl
diefes riefenhafte Ma⸗
terial haben? Ohne
irgend pofitive An—
haltepunfte vermuthet
Tichubi, daß es zur
Errichtung eines fehr
großen Opfertempels
hierher gebracht wurde.
Die Steine ſind Gra⸗
nit und im Cerro de
Clapia bei Zepita ge⸗
Noch wmehr ats
das Fortſchaffen die
ſer gewaltigen Steine
ſetzt ums die vollen:
dete technifche Ausfuüh⸗
rung der Steinmetz
arbeit in Erftaunen,
Auf welche Weite fie
ohne Eifen den harten
Granit bearbeiteten,
iſt noch räthielhaft,
am meiſten Wahr ⸗
ſcheinlichleit hat die
Anficht für ſich, daß
die legte Politur der
Steine mit feinem
Steinmehl bewertftel:
brochen, dort behauen ligt wurde. Am mei»
und erſt fpäter nach Meinende Gottheit. Detail vom Monolith-Bortat. ften reißt und aber
Tiahuanaco geſchafft zur Bewunderung hin
worden. Die Entfernung beider Punkte betrug 12 Leguas. | der einheitliche Plan, nach dem day Material behauen wurde.
Auf dem Transporte mußten die Steine Über den Rio Der Architelt, von dem der Entwurf zu dem Gebäude aus:
Details vom Monolith: Portal.
ging, muß ein hodjbegabter Mann gewefen fein. Er hatte
fein Bapier , feinen Bleiftift, feinen Zirkel, um {ine Pläne
mit minutiöfer Genauigkeit auszuarbeiten, vMleicht hat er fie
Globus XXVM. Nr. 20.
nur flüchtig mit Pflangenfäften auf Lamahäute entworfen,
aber bie ganze Gliederung ded Baues bis im bie geringjte
Eingelheit mußte ftets feinem geiftigen Auge vorſchweben;
40
314 Albin Kohn: Schilderungen inneraſiatiſcher Zuftände.
er mußte bie Dimenfionen und Formen der einzelnen Steine | zerfchlagen wurden, Mitten zwifchen beiden Hügeln nun er-
den Arbeitern in den Steinbrlichen felbft angeben, feinen | hebt fic das merlwürdige monolithiſche Portal, Ueber
Gehlilfen nur durch Worte feine Ideen audeinanderjegen, | der sag mager E ift auf der ordern oder Oſtſeite
die ganze Conſtruction Mar machen. in der Mitte des Gefimfes die weinende Gottheit mit
Nach der Tradition wurde der Niefenbau durch die Er- dem Strahlenfopfe;, unter den Strahlen unterſcheidet man
oberung des jegigen vier Schlangen. Auch
bolivianifchen Hoch⸗ in jeber Hand hält die
landes dur Inca F — — — * Figur eine gekrönte
Schlange und neben
dieſein Hauptbilde find
mehrere Reihen fon«
berbar ſchreitender
Geſtalten, theils mit
Menfchens, theils mit
Yupanqui unterbror
den und fpäter micht
niehr fortgefegt. Die
Eultur und Bildung
der Bewohner biefer
Gegenden war zum
mindeſten eben fo hoch Thierlöpfen, ange.
ald die der peruani⸗ Emm 2 bracht, wie unfere
i t iche zei 4
u Details vom Monolith-Portat, Na *
ſenwerk wie das, deſ⸗ ſeite ſind im Ge
ſimfe auf jeder Seite je zwei viereclige Fächer wie Fenſter
eingenteißelt und neben dem Durchgange je ein länglich
vierediges Fach. Das Thor hat in
der Breite 372, in der Höhe 236
Centimeter, jo weit es aus der Erbe
hervorſteht.
In demſelben Stile wie die Sculp⸗
turen am Monolithportal ift auch der
Coloſſalkopf gehalten, den ſchon
Pedro Gieca de Leon erwähnt und
der früher aud) hier bei Tiahuanaco
lag. Er ift 102 Gentimeter lang
und Über ber Stirn 60 Centimeter
breit, Im Jahre 1842 wollte ihn
Präſident Valivian vach La Paz brins
gen laſſen, vermochte ihn aber nur
zwei Leguas weit bis zum Dorfe
Ylocolloco zu fchleppen, wo er, da «8
an den zum Weiterſchaffen nöthigen
Transportmitteln fehlte, liegen blieb.
iv, Tſchudi, Reifen in Sitdamerifa,
V, 287.)
Die ganze Gegend von Tiahua-
naco iſt von umnterirdifhen Gängen
gefrenzt, aus denen die Erbe zum
es bloß Trummer von zerſchlagenent Bau der beiden Hügel Pumapımca
Kochgeſchirr der hei den Bauten be— und Apacana geholt wurde. Diefe
ichäftigten Arbeiter waren, noch wenis Kopf von Tiahuougco. Nach Kivero und unterirdiſchen Baue find großartige,
ger, daß hier eine Töpferei beftand. Tſchudi jetzt theilweiſe verfchlittete Werte,
Vielleicht ſtauden die Scherben in Ver⸗ welche den vorhin erwähnten ober:
bindung mit einem Opferdienſte, bei dem die Opfergefüße | irbifchen ſich ebenblrtig an die Seite ſiellen.
fen Anfänge wir in dem maflenhaft angehäuften Mate
rial anjtaunen, konnte nur durch einen fouveränen Willen,
der rückſichtslos Über ungehenere Men⸗ rn
ſchenkräfte gebietet, ins Leben gerufen
werdet. Wer war der Autokrat?
Oper follten allen Traditionen ent
gegen die Incas die Urheber dieſes
Werles jein? Letzteres jcheint wenig
MWahricheinlichkeit für fich zu haben,
denn die Steinarbeiten von Tiahua:
naco find in einem von dem perua—
nischen gänzlich verſchiedenen Stil
ausgeführt. Die hiftorifche Tradition
giebt uns feine Auskunft. Wir ftehen
in Tiahuanaco auf einem Boden voll
Rüthjel,
Der zweite künftliche Hitgel, Apas
cana (leichtes Gewölt) genannt, ift
länger und höher als jener von Puma⸗
punca. Seine Abhänge find gleich:
falld mut Quadern bededt, die zu
einem Rieſenbau gehörten. Außer—
dem ift der Boden mit Millionen
von gebrannten Topfſcherben übers
fürt. Es ift nicht anzunehmen, daß
Schilderungen innerafiatifher Zuftände,
Bon Albin Kobn.
IV.
Den Werth der hinefischen Armee wird folgende haraks | diefer Leidenſchaft. Ohne Opium kann ſich fein chineſiſcher
teriftiiche Schilderung Mar machen. Militär aud) nur einen Tag behelfen, und man raucht ihn
Lor allen Dingen ift jeder chineſiſche Soldat Opium» | nicht allein in der Caferne und während des Marjches, fon«
4: raucher und aud die Offiziere Huldigen ohne Ausnahme ! dern jogar in dem Augenblide, wo man fi) gegenüber dem
Albin Kohn: Schilderungen innerafintijcher Zuftände.
Feinde befindet. Die Folge hiervon ift Erſchlaffung, phy-
ſiſche und geiftige Abgeftumpftheit und Unfähigkeit, Strapa-
zen zu ertragen. Diejer eine Umftand wiirde dem Untergang
einer Armee nach fich ziehen, wenn eim energiicher Gegner
ihr gegenüber ftände, Doc; ift das Opiumranchen nicht ber
einzige Mangel der chineſiſchen Armee. An Difiiplin und
Uebung ift nicht zu denten; das Ausftellen von Vorpoften,
das Ausfenden von Patrouillen behufs Necognofeirung des
Feindes fennt man nicht, Um Nachricht Über feine Stellung
zu erhalten jendet man Spione aus und nad) deren Auss
jagen richtet man die Operationen ein. Zum Marſche wäh.
rend eines Regens oder fonftigen Unwetters, noch mehr aber
während der Nacht, kaun eim chineſiſcher Soldat nur bei
ZTodesftrafe gezwungen werben. Während des Marſches
reitet übrigens die Infanterie eben fo wie die Cavallerie,
häufig aber wird fie auf Wagen meiter befördert. Fuß.
märjhe find in ber chineſiſchen Armee unerhörte Dinge.
Aud) feine Waffen trägt ber chinefifche Soldat während des
Marſches nicht bei ſich; Flinten und Langen werben auf
Wagen ober Kameele geladen und bejonderd transportirt.
Die Waffen beftehen übrigens in Säbeln, Yuntenflinten ober
englifhen Gewehren alter Conftruetion. Hin und wieber
findet man auch alte englifche oder ruſſiſche Doppelpiftolen,
weldye legteren wahrſcheinlich am Amur erhandelt werden.
Der Marſch eines chineſiſchen Kriegers ift eigentlich nur eine
—
auım iſt eine chineſiſche Heeresabtheilung ins Quartier
elommen, fo zerjtreut fie fid), um bei den —— des
xtes zu ſtehlen und zu rauben. Hühner, Ferlel, Mehl,
Heu u. ſ. w. werden mit Gewalt zuſammengeſchleppt und
man hauſt im eigenen Lande wie im einer eroberten, von
Feinden bewohnten Gegend, Die Offiziere genieen mit den
Soldaten die Frlichte des Raubes, wenn fie auch nicht direct
rauben, Klagen werden nicht angenommen, ja die ruhigen
Bewohner wagen fie nicht laut werben zu laflen und find
froh, wenn fie für ihre Perſon mit heiler Haut davonfommen.
Das Verfahren der djinefifchen Armee während des
Marſches und in den Standquartieren ift den Bewohnern
ſehr wohl befannt umd deshalb brechen auch die Mongolen,
fobald fie erfahren, daß ſich eine Militärabtheilung ihrem
Aule nähert, fogleich ihre Yurten ab, um ſich einige hundert
Kilometer von ihrem früheren Wohnorte niederzulaffen, oder
fie fliehen mit ihren Herden und ihrer Habe in unzugäng-
liche Gebirgsſchluchten.
Eine Folge diefer Art Verproviantirung der Armee ift,
daß diefe ſich beftändig auf dem Marſche befindet. Nachdem
nämlicd; der Ort, wo eine Armeeabtheilung in Garnifon fteht,
und feine Umgegend ausgefogen ift, ziehen Meine Abthei-
lungen in entfernter liegende Gegenden, um zu fouragiren,
wobei fie fic häufig auf mehrere Tagemärfche vom Stand:
quartiere entfernen. Einen Theil des Raubes erhalten die
Offiziere. Doch hiermit begnügen ſich diefe nicht. Vom
Unteroffizier bis hinauf zum Corpscommanbeur denkt jeder
nur daran, wie er die Staatscafje beftehlen und betrügen
fann, und diefes ermöglichen hauptjächlid; Defertionen und
Sterbefälle; für Deferteure und Berftorbene bezieht der Corps:
commandeue noch lange mach ihrem Ausſcheiden aus ber
Armee die vorgejchriebenen Emolumente. Deshalb ift es
auch leicht erflärlic, warum die Defertion in der chineſiſchen
Armee ungemein entwidelt ift, und man fagt, daß die 70,000
Mann ftarfe Armee, welche von der Regierung nad) dem
Hwang-ho gefendet worden ift, thatſächlich faum 30,000
Dann gezählt hat. Im Peking weiß man freilich hiervon
nichts; es wird dorthin nicht berichtet, weil man die Ver-
ontwortlichkeit fürchtet und die Emolumente fir die Fehlen⸗
den jo lange wie möglich beziehen will,
315
Die graufamen Strafen, welche hin und twieder gegen
Marodeure und Fahnenfllichtige angewendet werden, können
ber moraliſchen Verlommenheit der Armee nicht abhelfen,
Denn ein Marodeur todtgeprügelt ift, finden fich gleich
zehm andere, und kaum ift ein Deferteur erhängt, jo wirb
aud) ſchon das Verſchwinden einer ganzen Mafje gemeldet.
Die Strenge bes Gefeges ift gegenüber der allgemeinen Vers
derbniß machtlos.
Charalteriſtiſch ift die unglaubliche Feigheit der Chine-
fen, auf welche, wie ic; mebenbei bemerken will, bie vom
Gouverneur vom Irkutst im Jahre 1868 am den Bailaljee
gejendeten und dort theilweife zur Erbauung des „Weges
ums Meer“ (Krugommorskaja doroga) verwendeten Polen
ihren Aufftands- umd Fluchtverſuch bauten, wie mir von Ber
theiligten erzählt worben if. Der „Natschalnik legionu
wolnych polaköw w Syberyi* (Borgejegte der Yegion
freier Polen in Sibirien) Scharamowitſch hatte, in Erinne-
rung der Siege, welde einige Taufend Engländer
und Franzoſen über große hinefifche Armeen bavongetragen
haben, feinen mit der Weltlage gänzlich unbefannten Gefähr-
ten eingerebet, baß taufend muthige und halbwegs bewaffnete
Polen die ganze chineſiſche Armee vor ſich hertreiben und
bis Peking kommen würden, ohne auf ernftern Widerftand
zu ftoßen. Hätte übrigens ber Herr Natſchalnik, ftatt mit
feiner Wilrde wie ein Kind zu fpielen und in Märfchen und
Eontremärfchen die Zeit zu vergeuden, dem reiten Augen⸗
blif wahrgenommen, ſich der im Hafen von Poſſolsk befind:
lichen beiden Dampfer bemächtigt, auf denen fich 2000 neue
Gewehre und Munition, fiir die Nuffen am Amur beftinmt,
befanden, und ſchnell feinen Marſch nad Kjachta ausgeführt,
wer weiß, ob nicht wenigftens einige hundert Polen ſich mit
ber chineſiſchen Armee hätten meſſen und ihre Kriegätlichtig«
feit und ihren Muth auf die Probe ftellen können.
Die Taktit einer chinefifchen Armee ift fehr einfach; man
rechnet, indem man von ſich auf den Gegner jchließt, auf
deſſen Einſchüchterung. An einen muthigen, gleichzeitigen
Angriff wird nicht gedacht. Die Armee wird in einem gror
Gen Halbfreife aufgeftellt, um ben Feind zu umeingen, und
nun beginnt das Sciefen aus einer Entfernung, welche
häufig die Tragweite der chinefifchen Waffen um das Zehn:
fache Überfteigt. Nach jedem Schuſſe wird ein furdhtbares
Gejchrei erhoben, weldyes die Wirkung des Feuers unterjtügen
fol. Diefe wahrhaft kindiſche Taktif mag gegen einen Feind
chineſiſchen Kaliber ganz gut fein; ein geordnetes, wohl:
diſciplinirtes und muthiges, wenn auch wenig zahlveiches Heer
ift feines Sieges von vornherein gewiß, felbjt wenn es ein
zahllofes chinefisches Heer vor ſich hat.
Wenn man noch bedenkt, daß die Bewegungen der ine:
ſiſchen Armee ungemein langjam find, weil fie immer nur
in Echelons marſchirt, fo wird man ſich auch erflären lönnen,
warum überhaupt die Operationen gegen die Dunganen fo
langjam vorſchritten. Deshalb and) fam das aus 25,000
Mann beftehende Corps, welches die Pelinger Regierung
Anfangs 1872 zur Eroberung von Sining-fu abfendete, erſt
im Juni deffelben Jahres in die Provinz Kan-ſu und bejegte
die Städte Nim⸗bi und Ujam-bu, welche gegen 40 bis 50
Kilometer von Sining entfernt find. Da ſich diefe Helben-
truppe vor allen Dingen daran machte, die Gegend auszu—
plündern, fo hatten auch die Dunganen Zeit, in Sining gegen
70,000 Dann zufanımenzuziehen. Im September famen
endlich die chineſiſchen Truppen vor Sining an, deſſen helden-
mithige Bertheidiger, trog ihrer ungemein numeriſchen Ueber
legenheit, ſich vorfichtig hinter den Befeftigungen verbargen.
Mehr um Lärm und Schreden denn als um Schaden anzu—
richten hatten die Chineſen vier alte europäifche Geſchlitze,
welche von je ſechs Maufthieren gezogen wurden, aus Peking
40 *
316
mitgebracht. Diefe Gefchlige waren, auf daß fie ſchon von
Beitem gefehen wirden, mit rothem Seibenzeuge umwidelt,
und es war Nichtcombattanten bei Todesftrafe verboten, ſich
ihnen zu nahen. Dean hatte old Munition fir diefe Ge—
ſchutze ſowohl Bolltugeln als aud) Öranaten, welche legteren
der Belagerungdarmee — ganz zufällig — einen unge
heuern Dienft erwiefen haben. Während eines Angrifies
fielen nämlid) einige Granaten in bie Stadt, wo fie plagten,
und, trogbem fie feinen Schaden anridteten, die Dunganen
mit Schred erfüllten. Um das Unglüd voll zu machen,
nahmen einige Dunganen eine Oranate, welche nicht geplagt
war, beſchauten fie von allen Seiten mit ber größten Ber«
wunderung und beſchloſſen fie zu entleeren. Zu dieſer Ope⸗
ration verfammelte fid) eine große Menge Neugieriger, da
man aber umvorfichtig zu Werke ging, plagte die Granate
und ihre Splitter verlegten und töbteten viele meugierige
Gaffer. Die Hauptwirlung diefer Granate war jedoch bie
Panik, welche die Erplofion zur deg hatte, und ſie allein
ſicherte den Chineſen den —— inige Tage nach dieſem
Vorfalle drangen fie in einen Theil der Feſtung ein, wäh:
vend die Dunganen ſich ſchon in einer andern Befeftigung
eingefchloffen hatten,
Um diefe Zeit gelangte die Nachricht von ber Bermäh-
fung des Bogdo-Chans cchineſiſchen Kaifers) ins Lager der
Chinefen. Die Operationen gegen ben Feind wurden fofort
eingeftellt; es wurde ein Theater eingerichtet und andere
Feftlichteiten begangen, um das hochwichtige Ereigniß wurdig
zu feiern. Während einer Woche dauerten ohne Unter»
bredjung Theatervorftellungen, Feuerwerle und ähnliche Yuft-
barfeiten, wobei matirlic der größte Theil der Soldaten
und Offiziere betrunfen war, oder vom Opiumrauſche betäubt
dalag. Wenn damals ein emergifcher Führer an der Spike
ber —— geweſen wäre, oder wenn ſich hundert Mu—
thige gefunden und einen Ueberfall gewagt hätten, fo wäre
die chinefifche Armee verloren geweſen. Nidjts von alles
dem gefchah. Die Bertheidiger von Sining hielten ſich
ruhig hinter ihrer Lehmmauer, trogdem fie jehr wohl wuß-
Die Eolonie Südauftralin am Schluffe des Jahres 1874.
ten, daß ihrer im Falle eines Sieges ber Chinefen der Tob
harrte
„Hierin,“ jagt Prſchewalski, „befteht eben die moralifche
Fuulniß bes Oftens, da der bortige Menſch felbft den thierifchen
Inftinet der Selbfterhaltung überwinden fann und fid) überall,
wo er ſich felbft überlaffen ift, als unglaublicher Feigling
zeigt. Endlich geräth diefer Feigling in eine Lage, aus ber
er feinen Ausgang fieht, und dann wird er apathifc und
geht, wie ein umverniinftiges Thier, zur Schladjtbant,“
Nach den oben beſchriebenen Feſtlichleiten begannen die
Chinefen wieder ihre kriegeriſche Thätigkeit und die Stadt
fiel bald ganz in ihre Hände, wonad) ein allgemeines Maſſacre
begann. Augenzeugen erzählten Herrn Prſchewalsli, daß,
nachdem die Chinefen vom Morden der Einzelnen ermlldet
waren, fie ganze Haufen Dunganen, ohne Unterjchied des
Alters und Geſchlechtes, in die Berge trieben und von ber
Höhe in Abgründe ftürzten. So follen gegen zehntaufend
Menfchen ermordet worden fein.
Später eroberten bie Chinefen auch die Städte Senshuan,
Yusfanstfchen und Tetung, wo nur diejenigen Aufftändifchen
Gnade erhielten, welche ſich bereit erflärten, der Lehre Mo—
hammed's zu entfagen und die Lehre Buddha's anzunehmen,
Diele Dunganen wanderten nad) Weften aus, in Gegenden,
wo Mohammedaner wohnen.
Heute ift die inefifche Regierung des mohammedanifchen
Aufftandes am der Weftgrenge des Reiches volltommen Herr
—— und nur Oftturkeftan ſteht ihr drohend gegenilber.
it dieſem bürfte fie, da der unternehmende Emporlömmling
Jakub-Beg an feiner Spike fteht, kein leichtes Spiel haben.
Zum Heile der Menfchheit — fagen wir es nur offen —
wäre es gar nicht zu wünſchen, daß auch hier China fiege,
ba bie Füulniß des chinefischen Volles und feiner Regierung
bie, wenn auch umcivilifirten, fo doc, nicht verfommenen Be:
wohner Oſtturleſtans anſteden würde. Bom Standpunkte
der Civilifation aus wäre es nur zu wlnfchen, dag Rußland
Oſtturkeſtan, wenn auch nicht annectiren, fo doch als Bafallen-
ſtaat feiner Botmäßigfeit unterwerfen möchte.
Die Eolonie Südauftralien am Schluffe des Jahres 1874.
H.G. Die Colonie Südauftralien datirt vom 28. Decem⸗
ber 1836. Im engern Sinne, d. i. wie fie urfprünglich ans
gelegt wurde‘, reicht fie von der füdlichen Meeresfüfte bis
26° füdl. Br. und umfaßt einen Flächenraum von 383,328
englifchen Quadratmeilen oder 245,329,920 Acres Land.
Mit dem fpäter dazu gelommenen „No Man's Fand“ und
dem „Northern Territory* enthält fie 914,730 englifche
Duadratmeilen oder 585,427,200 Acres.
Davon waren bis zum 3, März 1875 erft 5,712,773
Acres in Privatbefig Übergegangen, und darunter befanden
ſich wieder 1,208,303 Acres, welche auf Credit verkauft
waren. ine englifche Ouabratmeile begreift 640 Acres
und 571 Aeres find gleich 905 preußiſchen Morgen.
Die Bevöllerung belief fi) am 31. December 1874
auf 204,883 Seelen, von denen 104,995 dem männlichen
und 99,888 dem weiblichen Geſchlechte angehörten, und hatte
fid) damit um 6808 gegen das Jahr 1878 vermehrt.
Vertheilt man die Aderzahl der eigentlichen Colonie auf
diefe Bevölterung, fo würden 1197 Aeres auf den Kopf
entfallen. Nach fpäteren officiellen Angaben zählte die Co-
lonie am 1. April 1875 überhaupt 205,485 Seelen und
die City of Adelaide, Hauptftadt, 28,015.
Geboren wurden 7696, und zwar 3913 männlichen und
3783 weiblichen Geſchlechts, oder 39,32 pro Tauſend ber
Bevölkerung, gegen 7247 oder 36,92 im Vorjahr. Mit
Tode gingen ab 3434 (1912 männlich und 1522 weiblich),
d. i. 17,28 pro Taufend, gegen 2631 oder 13,08 im Jahre
1873. An den Maſern, welche nicht bloß in Sudauſtra⸗
kien, fondern in den ſämmtlichen Colonien Auftraliens und
auf ben Fidſchi⸗Inſeln epidemieartig auftraten, ftarben 2830
Perſonen. Auch Dysenterie (211), Diphtherie (97) und
Typhus (76) forderten viele Opfer, Es verheiratheten
ſich 3222 Perfonen, und davon waren 228, meiftentheils
in der Colonie geboren, nicht im Stande ihren Namen zu
fchreiben und zu leſen.
Die Eingeborenen, welche nach dem Cenſus vom 2. April
1871 auf 3369 fummirten, zählen gegenwärtig faum noch
3000, Im Jahre 1874 ftarben 104, während nur 59
geboren wurden. Der Yungenkfrankheit, welde unter ihnen
ſehr verbreitet ift, unterliegen immer viele. Ihr völliger
Untergang ift bloß eine Frage der Zeit.
Die Bevölkerung von Südauftralien nimmt, ungleich
ber in den anderen Colonien, nur langfam zu. Die Ein-
wanderung aus Europa wird zwar dadurch jehr erleichtert,
Die Eolonie Südauftralin am Schluffe des Jahres 1874.
daß Perfonen beiderlei Gefchlechts im Mlter von zwölf bie
vierzig Jahren nur 4 Pf. St. an Paflagiergeld fitr die
Reife zu entrichten braudyen, während bie filbauftralifche
Regierung den Neft auf fic nimmt. Ueberdies hat legtere
Agenten, denen ein befonberer Fluß der Rede zu Gebote
fteht, nach England gefchidt, um dort Rumdreifen zu machen
und auf Meetings die Yeute für Auswanderung nad, Süd—
auftralien zu bearbeiten. Allein dies Recept entjpricht doch
nicht den gehegten Erwartungen, und diejenigen, welche ge>
folgt find, erheben nur zu oft, nachdem fie bei ihrer Ankunft
in Yuftralien aus ihren vofigen Träumen erwacht find, die
bitterften Klagen über das, was ihnen vorgejchwindelt wor«
den. Um in einem Klima, wo bas Thermometer bis auf
35 R. im Schatten fteigt, gegen mäßigen Lohn an Eifen-
bahnen zu arbeiten, dazu braucht man nicht nad) Auftralien
audzumanbern.
Nachdem alle Verſuche in Großbritannien, Leute zur
Auswanderung nadı Südauftralien zu bewegen, einen nur
geringen Erfolg gehabt, will man es jegt mit Deutſchland
verfuchen. Das Parlament von Südauftralien wird 2 Mill.
Pf. St. für öffentliche Bauten, namentlid, für Eifenbahnen,
bewilligen und da follen num unfere gefunden und Fräftigen
Urbeiter — denn nur foldye will man — bie Bahnen fer-
tig bauen helfen. Hoffentlich wird die Reichsregierung bie-
fem Treiben fcharf auf die Finger fehen.
Die Einwanderung belief fi) im Jahre 1874 auf 5443
gegen 4548, und die Auswanderung auf 3312 gegen 3172
im Borjahre. Die erftere weift mithin ein Mehr von 2131
auf, Im Folge der Wiederaufnahme ber vorermähnten affi-
ftirten Einwanderung and Europa fonnte ſich in den beiden
legten Jahren die Einwanderung wieder numerifd) über die
Auswanderung heben, während in den fünf voraufgehenden
Iahren dies Berhältnif ein umgelehrtes war.
Die öffentlihe Nevenue der Colonie fteigerte ſich im
Jahre 1874 auf 1,003,005 Pf. St. gegen 937,649 Bf. St.
im Jahre 1873. Aus den Zöllen flofjen 370,439 Bf. St.
gen 362,246 Pf. St., aus dem Verlauf und aus ber
Fente von Kronland 68,071 Pf. St. gegen 70,797 Pf. St,
aus dem Poft» und Telegraphenweien 74,067 Pf. St. gegen
75,080 Bf. St., aus den Eifenbahnen 144,588 Pf. St. gegen
155,354 Pf. St. im Borjahre u. f. w. Dagegen beliefen
ſich die öffentlichen Ausgaben auf 1,051,621 Pf. St, gegen
839,152 Pf. St. im Jahre 1873. Die jährliche Verzin-
fung der öffentlichen Schuld, welche in runder Zahl auf
21/7, Mil. Bf. St. angefchwollen war, gegen 2,174,900Pf. St.
im Jahre 1873, erforderte 136,561 Pf. St. gegen
119,304 Pf. St. im Vorjahre.
Der Import der Colonie im Jahre 1874 bezifferte ſich
auf den Werth von 3,878,455 Pf. St. Davon wurden
zum Betrage von 534,580 Pf. St. rererportirt, fo daf in
der Golonie felbft eine Einfuhr von über 3,538,875 Pf. St.
verblieb oder, auf die Bevölferung repartirt, 16 Pf. St. 6 Cd).
pro Kopf, gegen 3,527,163 Pf. St. im Vorjahre. Die
Hauptartifel des Imports bilden Schnittwaaren, Eiſenwaa-
ren, Schuhzeug, Zuder, Thee, —— und Proviſionen,
Spirituoſen, Biere, Nutzholz und Kohle. Aus Großbritan⸗
nien warb davon im Betrage von 2,019,900 Pf. Et. oder
9 Pf. Et. 19 Sch. 8 P. pro Kopf der Bevölferung einge
führt, gegen 2,121,000 Pf. St. oder 10 Pf. St. 13 Sch.
10 P. im Borjahre.
Der Erport ftellte fi) auf den Werth von 4,439,063 Pf. St.
und entfallen davon 3,868,275 Pj.St.,d.i. 18 Pf. St.19 Sch.
pro Kopf, auf Stapelproducte, gegen 4,285,192 Pf. St.
im Jahre 1873. Zu legteren zählen in erfter Reihe Weizen und
Mehl (erportirt wurde flir 1,212,243 Pf. St. gegen
1,692,738 Pf. St. im Vorjahre), Wolle 1,762,987 Pf. St.
317
gegen 1,617,589 Pf. St.) und Kupfer (693,886 Pf. St.
gegen 768,522 Pf. St.); dann auch Talge (38,512 Pf. St.
gegen 63,711 Pf. ©t.), confervirtes Fleiſch (28,241 Pf. St.
gegen 38,228 Pf. St.), Häute (18,729 Pf. St. gegen
11,962 Pf. St), Wein (17,399 Pf. St. gegen
10,834 Bf. St.) u. ſ. w. .
Dom Regenfalle im fogenannten Winter, ber ſich aber
eher mit unferen rauhen Herbfitagen vergleicyen läßt, hängt
der Ausfall der Ernten ab, Nach forgfältigen meteorologis
ſchen Beobachtungen belief ſich ber durchſchnittliche Regen:
fall in der City of Adelaide von 18339 bis Ende 1874 auf
21,153 Zoll, Das Jahr 1874 war ein ziemlich trodenes
mit nur 17,173 Zoll. Das bisher maffefte Jahr (1851)
tegifteirt 30,653, das trodenfte (1859) nur 14,460 Zoll.
Die eigentliche Regenzeit beginnt mit April und endet mit
September oder October,
Sübdauftralien ift ein Agriculturland, in welchem vors
zugsweife Weizen producirt wird, und war lange Zeit bie
Kornfammer der Übrigen auftralifchen Colonien, in benen
der eigene Bedarf noch nicht erzielt wurde. Dept hat
fid) das imfofern geändert, als wenigftens Victoria und
Tasmanien nicht mehr zu importiren brauchen und auch in
ben anderen Colonien ber Weizenbau in viel größerm Ums
fange betrieben wird, Was außer Weizen an Gerfte
(13,724 Ucres mit 208,373 Buſhels) und an Hafer
(2785 Ueres mit 40,701 Bufhels im Jahre 1874/,,)
gebaut wird, ift nicht von großer Be
Im Jahre 18%4/,;, — die Agrieulturftatiftit fchließt
in Auſtralien mit dem 31. März bes Jahres ab —
waren 839,638 Acres mit Weizen beftellt oder 54,854
Acres mehr ald im Borjahre (vor zehn Jahren waren es
erſt 410,608), und wurde ein Ertrag von 9,862,693 Bu-
fhels, d. i. 113/, pro Were, erzielt, gegen, 6,178,816 und
8,735,912 in ben beiden Vorjahren. Nach Abzug der
nädjften Ausjaat und des eigenen Confums in der Golonie
dürfte ein Ueberſchuß von 7,312,693 Bufhels oder 182,817
Tonnen Mehl flir den Erport verbleiben. ( ig Pfund
Weizen machen einen Bufhel aus, und vierzig (8 rech⸗
net man auf eine Tonne Mehl — 2000 Pfund.) Yeider
hat es mit dem Abfage feine Schwierigkeit, ſofern nicht hohe
Getreidepreiſe in Europa herrfchen, welche den Erport dahin
möglich machen. Gewöhnlich bleibt dem Farmer nur ein
fehr geringer Gewinn übrig. Im Juli 1875 ward ber
Bufhel Weizen, frei nad) Port Adelaide geliefert, mit nur
4 Sc. oder 4 Mark bezahlt und die Tonne Mehl mit
10 Pf. ©t. 5
Der Biehbeftand der Kolonie Hatte fi) am 31. März
1875 wieder erheblicd; vermehrt. Pferde waren 93,122
gegen 86,323, Hornvich 185,542 gegen 174,381, Schafe
6,120,211 gegen 5,617,419, Schweine 78,019 gegen
63,702 und fjebervieh 498,256 gegen 495,175 im Bor
jahre vorhanden.
Mit dem öffentlichen Schulwefen ift es gar ſchlecht bes
ftellt, doc, fängt man endlich an, zumal feitdem der begabte
Dr. Emil Jung aus Berlin zum Schulrath ernannt wor
den, nützliche Neformen vorzunehmen. Der Schulunterricht
foll in Zukunft, nad) einer minifteriellen Vorlage, welche
Ende Juli diefes Jahres im Parlamente berathen wurde,
fäcular, obligatoriſch und für diejenigen Kinder, deren Eltern
nicht in der Yage find, Schulgeld zu zahlen, frei fein. Ein
großer Procentjag der Bevölterung kann weber leſen nod)
ſchreiben.
Die Zahl der öffentlichen Schulen, an denen größten-
theils Pehrer von fehr geringer Befähigung wirken, belief
fi) im Jahre 1874 auf 320 gegen 315 im Borjahre,
mit reſp. 17,426 und 17,222 Sculfindern. Der durdj-
318 Georg Thiele: Skizzen aus Chile.
ſchnittliche monatliche Schulbeſuch ftellte ſich auf reſp. und durch Bewilligungen von Seiten des Parlaments ift
13,774 unb 13,404. es möglich geworden, am fünften April diefes Jahres eine
Durch die Yiberalität patriotifcher Coloniften — der | Univerfität in Adelaide zu eröffnen. Der Anfang der Vor—
Großlaufmann und Squatter Honorable Mr. Thomas El: | Iefungen wurde freilich nur mit elf Studenten gemacht, un
der und Capitän W. W. Hughes, Minenbefiger und Squats | ter denen ſich fieben (!) junge Damen befanden.
‘ter im Adelaide, fchenkten ein Jeder 20,000 Pf. St, —
Stizzen aus Chile
Von Dr, med, Georg Thiele.
vo.
ET
Nächſt Santiago und Balparaifo ift Talca bie gröfite
Stadt des Landes, mit ungefähr 25,000 Einwohnern *),
fteht aber in feiner äußern Erſcheinung hinter den Süften-
ftäbten, in denen die zahlreichen Ausländer einen etwas vers
edelnden Einfluß ausgelibt haben, zurüd. Das wird ſich
jedoch bald ändern, wenn mit Ende 1875 die Eifenbahn,
bie e8 mit Santiago auf der einen und mit Concepcion auf
ber andern Seite verbinden foll, vollendet jein wird. Thea-
ter und Gagfabrif find gleichfalls ſchon im Bau begriffen.
Im Uebrigen hat Talca eine ſehr wohlhabende Umgebung
und nährt ſich von Aderbau und Viehzucht, deren Producte
über den Hafen Conftitucion verſchifft werben.
Zalca ift der natürliche Mittelpunft eines großen und
ſchönen Stlides Yand; fein Einfluß erftredt fid) aber noch
darüber hinaus, bis nad) Chillan, wo man ſchon etwas
in den Rayon von Concepcion lommt, und im Norben
bis Euricö, das fo zu fagen das Ende des Santiaguiner
Gebietes repräfentirt. Talca felbft liegt am weftlichen
Rande der großen Hochebene, jo daß bie erſten Hligel des
Küftengebirged unmittelbar an der Stadt beginnen. Vom
Maule liegt es noch vier Leguas öftlich, aber inmitten
zweier Meiner Waffer, die ihren Abflug zu ihm nehmen, des
Yircai, der etwa eine Legua nördlich von der Stadt bleibt,
und des Eftero Pibuco, der an der Südoflfeite hinflieft.
Ein noch Mleinerer Bach, der Baeza, fließt mitten durch die
Stadt. Die Stelle, an der die Stadt 1742 erbaut ift, ift
eine der tiefften der Hochebene (85 Meter hoch), jo dag man
fid) Über den Wafferreichthum nicht wundern fann. Die
Stadt it von 35 Meinen Canälen durchzogen, die dem Pir
duco entftammen und al® Abzugscanäle dienen. Jedes
Haus ift von einem folden Std (Acequia im Spanifchen)
durchfloſſen, — eine ſehr große Bequemlichkeit!
Die Stadt zerfällt in zwei Theile, einen nördlich von
ber Alameba gelegenen und einen füblichen; der mörbliche
Theil ift nur Vorſtadt. Die Alameda (Allee) ſelbſt läuft
gerade von Weſt nah Oft. Am Weftende ift die Ausficht
durd) die Hügel des Kütftengebirges abgefchloffen, das Dft«
ende gewährt eine jehr ſchöne Ausficht auf die Corbillera.
Die Alameda ift angelegt wie alle derartige Allen in Sid:
amerika; fie ift gut gepflegt, liegt hoch und giebt deshalb
bes Abends einen fehr angenehmen Spaziergang, jelbft wenn
) Bappäus (Handbuch der Grographie und Etatiftif) giebt
ihe nur 15,000 bis 16,000; der Genfus von Gbile vom 19. April
1885 nur 17,900 Ginwohner. Ob fie ſich ſeitdem wirflid um ein
Drittel wermebrt bat, iſt bei dem Meblen authentiſchet Macrichten
nicht zu conftatiren. Nerv,
in der untern Stadt bie Luft drückend iſt. An der Alameda
felbft wohnen nur wenig reichere Yeute. Das Centrum der
Stadt bildet die Plaza de Armas, zugleich ber tieffte
Theil. Diefelbe enthält einen Brunnen in der Mitte, ift
mit Bäumen bepflanzt und giebt fo einen recht hübjchen Spas
ziergang. Dreimal wöchentlich fpielt Hier von 7 bis 8 Uhr
Abends die Mufit des Batallon civico (eine Art Landwehr),
die im der That ſehr gut ift, Übrigens eine Ausnahme in
Chile, das am fchlechter Muſik überreich ift.
Deffentlihe Gebäude von einigermaßen fehenewerthem
Aeußern befigt Talca feine. Selbſt die Kirchen, an denen
es feinen Mangel leibet (Talca ift amerfannt die frömmſte
Stabt Ehiles), find äußerſt einfach. Die Thirme der Igle—
fia de la Matriz haben das allgemeine Schidjal derſel⸗
ben in Chile gehabt, nämlich dag man fie, lediglid; aus
Furcht vor dem Erdbeben, nicht in bie Höhe führte, wie fie
der Anlage der Kirche entiprechen würden. Auch die Häu—
fer find meift fehr einfach: es giebt in ZTalca nur zwölf
zweiftödige Häufer ; dafür find fie gewöhnlich in der Fläche
fehr ausgedehnt. Die Straßen waren bis jegt faſt alle noch
nad) dem alten fildamerifanifchen Syſtem gepflaftert, d. h. es
war nur ein Rinnften da, und diefer befand fid) in der
Mitte der Strafe, derart, daß vom Trottoir an die Straße
fchräg nad; der Dlitte abfällt, eine abfcheuliche Mode, deren
Unzweckmäßigleit Jeder einficht, auch wenn er nicht zur
Negenzeit ſich im füdamerifanifhen Städten aufzuhalten
braucht. Augenblicklich werden jedoch alle belebteren und
von den befferen Claſſen bewohnten Strafen nad) europäis
ſchem Syftem umgebaut, enge a ar mit
Petroleum und ift noch fehr mangelhaft. ie Drofchten
find gut und billig, wie überall in Chile.
Som commerciellen Standpunft aus betrachtet ift Talca
natürlich eine wichtige Stadt. Alles, was es jedoch an
Verlaufsläden und dergleichen befigt, ift auf einer Straße
zufanmengebrängt, ber Calle dei Comercis, und zwar
in der Ausdehnung von ber Plaza de Armas bis zur Plaza
de Abaftos; beide Pläge dienen ebenfalls hauptſächlich als
Bazar. Die Plaza de Abaftos ift der Sammelplag der
kleinen Krämer, wo die Pandleute ihre Einfäufe machen; in
ihrer Mitte befindet fic, die Recova, die Verfaufshalle für
Lebensmittel ꝛc. Der Handel erſtredt fid) natlirlich über
alle Gebiete, und es ift hier in Talca fo ziemlid; Alles zu
haben, was man will, und man iſt mit Gegenftänden des
täglichen Lebens in der That gut verfchen. Charalteriſtiſch
ift es hingegen filr das Yand, daß es hier feine Buchhand-
lung giebt; jelbft Buchbinder eriftiren nit. Mufitalien
Aus allen Erbtheilen.
dagegen kann man an vielen Stellen befommen, ehenfo
Pianos. Möbel find fertig zu haben; außerdem giebt es
bier zwei deutſche Tifchler, die beide vortrefflich arbeiten, ber
eine mit folder Eleganz, daß feine Möbel felbft in Berlin
und Dresden eine voriheilhafte Beurtheilung finden würden.
H äth, Geſchirr, Mehl, Reis, Thee und Alles, was in
diefe Kategorie gehört, liefert uns außer anderen Hanbluns
“gem die Filiale eines großen Geichäftes in Valparaiſo, die
die ganze Weftlüfte mit diefen Artikeln verforgt. Mit Mor
diſtinnen ift Talca reichlich, gefegnet und an Seidenkleidern
und ähnlichen Dingen hat es folden Ueberfluß, wie in
Deutfchland kaum im doppelt fo großen Städten ſich findet,
ebenfo an Goldſachen und Uhren.
Der Erport Talcas befteht hauptfählih in Viehzucht:
producten, in Charqui (gefalzenes und gedörrtes Ochfenfleifch),
Häuten, fett und Weigen. Der Transport diefer Dinge
geichieht auf großen Karawanen von Ochjenwagen bis Per
rales, wo fie auf den Kahn gebracht werben und zu Fluß
nad; Conftitueion gehen, von da mit Segel oder Dampf
nach Valparaiſo. Die Poſt befördert die Paffagiere zur
Sommerzeit in einem Tage von Talca nad) Santiago.
Außerdem führt eine Straße nad) dem Süden (Linares ꝛc.)
ebenfalls mit täglicher Verbindung. ine große Straße
führt von hier über Lircai, Pelarco nad) dem Often, direct
nad; der Cordillera zu, wo ſich die Haupthaziendas der Pro-
vinz befinden. Cine andere geht weſtlich über Pencahue
nad, einigen im Küftengebirge zerftrent liegenden ärmlichen
Orten und nad) Conftitucion.
Das Capitel „geiftiges Leben* nimmt in Talca einen
fehr Heinen Raum ein. Es giebt hier eine Art Gymnaſium,
das fich bis jetzt Hamptfächlich durch die Unordnungen, bie
darin vorgefommen find, ausgezeichnet hat. Ein Theater,
319
ein ganz hübſches Gebäude, ift fertig und einige ganz gute
Borjtellungen habe id) darin gefehen. Nächitens follen wir
eine Schaufpielergefellichaft befommen; bis jegt hatten wir
nur Zarzuela, d.h, Operetten. Ein Club de Talca eriftirt;
das befichtefte feiner Zimmer ift indeß das Billardzimmer.
Das Lefecabinet enthält außer Balparaifiner und Santia-
guiner Zeitungen nichts. Zeitungen erfheinen drei in Talca,
eine davon fogar täglich.
Eine Umgegend nach unferen deutjchen Begriffen giebt
es eigentlich bei Talca nicht, d. h. es giebt wohl eine, man
hat aber feinen Anlaß fie aufzufuchen und etwa dort zu
verweilen. Die Straße nad) dem Süden ift eine große
Strede weit mit Heinen Grundftiden, Gärten und Häufern,
befegt, jo daß man glaubt gar nicht aus der Stadt heraus«
gelommen zu fein. Auch die Straße nad) dem Norden ift
recht hübſch, ba man hier an einer Reihe größerer Hacien«
das vorüber fommt. ine Meine Stadt mit etwa 1000
Einwohnern findet ſich ferner am Dftende Talcas, nody von
ihm getrennt, wird aber demnächſt im baffelbe einverleibt
werben. Die Bewohner find jeboch lauter arme Leute und
ihre Wohnungen Lehmhäuſer. Werner findet fich Hier im
Oſten die Pamıpa, der Ort oder die Wiefe, mo das große
Nationalfeft des 18. September abgehalten wird. In ber
Umgegend befinden fid) noch, Heinere Dörfchen, eingelne grö-
Bere Etabliſſements ꝛc., meiſt im recht hübfche und dichte
Begetation eingehüllt. Aber Sehenswerthes iſt nichts da,
und wer durchaus einmal Landluft genießen will, der fährt
ober reitet irgendwo in das Gebüfc, hinein, it umd trinkt
feine mitgebradhten Lebensmittel, macht ſich jelbjt Muſil und
tanzt dazu oder treibt ein paar Guitarrenfpielerinnen dazu
auf und ehrt bei Sonnenuntergang nad) Talca zuräd.
Das ift ber Verlauf eines Pidnid in Talca !
Aus allen Erdtheilen.
Der Eanal zur Bewafferung der Bungerfteppe.
Die „Turkeftaner Nachrichten“ bringen folgende inter
ante Einzelnbeiten iiber den Beginn der Arbeiten an bie:
ſem Canal: „Nach dem Projecte fol derfelbe mit dem Waſ⸗
fer des Sur: Darja gefüllt werden, einen lichten Durch:
ſchnitt von 400 Quadratfuß haben und in der Secunde 1200
Cubikfuß Waſſer durchlaffen, das eine im Dreifelderiuftene
bewirtbichaftete Fläche von 120,000 Defjätinen, von denen
immer 40,000 befüet fein Fönnen, zu bewällern vermag. Das
Blatt jagt ferner, da die Bewäſſerung der Hungerfteppe
den Bewohnern des Ehodichenter Kreijes ungebeuren Nuten
bringen wird, denn bort ift wegen Waffermangels fehr wenig
Boden, der productiv if. Wie groß das Bedürfniß nach
Bergrößerung der bewäſſerten Flächen fir die Bewohner des
benachbarten Rayons von Ura-Tübinſk ift, erhellt daraus,
dab man dort nicht Erde, ſondern Waller verkauft. Außer—
dem wird auch der Rayon von Dſchiſak von der Bemwälle
rung der Hungerfteppe Nuten ziehen. Als die Bewohner
von Dichifat vom Beginnen der Arbeiten zur Durchleitung
bes Flußarmes hörten, famen fie und baten, daß ihnen er:
laubt werde, alle Arbeiten auf ihre Koften auszuführen ums
ter der Bedingung, daß ihnen das Eigenthumsrecht an bem
bewäflerten Boden ertheilt werde. Wenn wir binzufitgen,
daß in dem an die Hungerfteppe grenzenden Serafſchansker
Kreiſe alle überbaupt der Bewällerung fähigen Stellen cben-
falls ſchon bewäffert find, fo daß nur die Hochebenen („Tichul*)
ohne Wafler jmd, und daß die culturfähige buchariiche Dale
von Jahr zu Jahr mehr verfandet, fo wird man die große
Wichtigkeit der jet begonnenen Canalarbeiten begreifen, welche
120,000 Deßjätinen des Ichönften Bodens, ber jet aus
Waflermangel unfruchtbar daliegt, productiv machen werden.
Die Mafern auf den Fidfhi-Infeln,
Die neueften Nachrichten ans Fibichi über die Mafern:
epidemtie, welche dort jo ungeheure Verheerungen angerich:
tet, lauten wahrhaft ſchredlich. Ein feit fünfundzwanzig
Jahren daſelbſt anſäſſiger Engländer giebt uns folgende Be:
ichreibung:
Es ift zwar der Procentjag der an den Mafern geftorbe-
nen Eingeborenen noch nicht amtlich fejtgeftellt, allein es be—
fteht fein Zweifel darüber, daß in ben vier Monaten, wo die
Epidemie ihre reiche ‚Ernte hielt, mindeſtens vierzigtaufend
der Krankheit erlegen find. Die Bevölkerung bat fih um
ein Drittel vermindert. Wenige ftarben eigentlich au ben
Maſern, die meiften erlagen Krankheiten, welche als ſeeun—
däre Erjcheinungen nachfolgten, wie Dysenterie, Yungencon:
geftionen u. f. w. Dem Mangel an Nahrungsmitteln, ja dem
Hungertode fielen aud) Tauſende zum Opfer. Alle Thätig:
feit, aller Verkehr war eingeftellt. Dan kounte ganze Stäbte
palfiren, ofme irgend einen Eingeborenen auf ben Straßen,
welche bald mit Gras bewachfen waren, anzutreffen. Wenn
man ein Haus oder eine Hütte betrat, jo ſah mar da Män—
ner, Frauen und Kinder alle durch einander liegen, Einige
von der Krankheit befallen, Andere in der Seelenangft, wie
320 Aus allen
der Andere fterbend, Diejenigen, welche noch die Kräfte dazu
hatten, verinchten den Selbftmord, der aber nicht immer ge:
lang. Als die Epibemie ihren Höhegrad erreichte, wurden
vier und fünf Leichen in ein Grab geworfen, manchmal jogar
im Erdboden des Haufe oder wenigften® dicht danchen,
ohne weitere Ceremonie, verſcharrt. Die Begräbniffe wur-
den mit Eile betrieben, und es ift ſehr wahricheinlih, daß
nicht Wenige lebendig ind Grab kamen. In vielen Fällen
ftarb die ganze Familie aus — Mann, Frau und Kinder.
In einem Dorfe waren alle Männer, in einem andern alle
Frauen tobt. „
Die Seeleneindrüde, welde die Epidemie unter den Ein:
geborenen hervorrief, äuferte fich verfchieden. Es darf mıcht
Wunder nehmen, daß Mande ihre Götzen vergebens um
Hülfe anflebten. Einige Stämme im Innern, welche erft
kürzlich das Chriftenthum angenommen batten, hielten dafür,
daß die Krankheit durch ihre neuen Meligionslebrer über .
fie gelommen fei, ſchickten diefe fort und traten wieder zum
Heidenthum über, Mitunter war man auch nahe daran,
grauſame Rache an ihnen au nehmen und fie zu tödten. In
einem Falle begrub man ran und Kind eines Lehrers,
welcher zugleich mit feinem Vater an den Mafern gejtorben
war, lebendig, um dadurch denfelben Einhalt zu thun.
Aber während gar Manche bei ihren Leiden dem alten
Aberglanben wieder zuficlen, fo foll doch auch ein großer
Theil der Eingeborenen fich mit Seelenſtärke ins Unvermeib-
liche gefügt haben und unter bem Einfluffe des Chriftenthums
geftorben fein. (2?)
Unfer Correſpondent ſchließt mit den Worten: Es ift
unmöglich, die Einzelheiten diefer großen Fidichiplage ohne
Sympatbie und Bedauern zu hören und zu fefen, um fo
mehr, als es wohl aufer Frage fteht, daß die Epidemie nie
den intenfiven Grad der Ausbreitung würde gefunden haben,
wenn die Pocalbehörden von vornherein größere Umficht und
Vorficht beobachtet hätten. Es ift aber einmal das Loos ber
Menſchen, immer erft durch Schijalsfchläge belehrt zu werben,
Es ift merkwürdig, daß die Mafernepidemie ibre größte
Verbreitung in ber öftlihen Gruppe des Archipels, alſo in
dem frühern fogenannten Laugebicte, fand, Im Monat Juli
war fie jedoch dort dem Erlöjchen nabe,
. °*: 8
— Borarlager. In Südealifornien ift nach dem
„Scient. Amer.“, und zwar in dem verlaffenen Bette eines
Sees, „Todesthal* genannt, ein erftaunlich großes mehrere
Fuß mächtiges Lager von jehr reinem WBorar entdedt wor:
den. Eine Verbilligerung des Borar würde demfelben eine
fehr vergrößerte Verwendung in der Technik- fihern — leider
iſt zu fürchten, daf obige Nachricht fo amerilaniſch aufge:
pufft ift, wie es ähnlich vor ein paar Jahren mit einem
gleichfalls in Nordamerika gemachten Borarfunde geſchah.
Ueber das angeblich unerſchöpfliche Borarlager in Nevada
entnimmt Gehe's Drognenbericht dem „San Francisco Com⸗
mercial Herald", daß dort Vieles, was man erit fir Borar
gehalten, als aus anderen Salzen, Magnefin ıc. beftchend
gefunden wurde und nicht die Koften des Abbaues lohnt.
Die jährliche Production in jenen Küftenftrichen des Stillen
Oceans wird auf etwa 2000 Tons geſchätzt.
— Wie in den Vereinigten Staaten von Nordamerifa, fo
nimmt auch in der Argentina die Rüdwanderımg von Tag
zu Tag größere Verbältniffe an. An einem einzigen Tage
Inhalt: Karl Undree, II. —
Aus G. Schweinfurth’s Neifen in Innerafrila. X.
Erdtheilen.
haben ſich Fürzlich 1000 Perfonen nad) Europa und 300 bis
400 nad Nio de Janeiro eingelchifft.
— Bevölkerung der Städte in Wisconfin. Nad
der kürzlich in Wisconfin vorgenommenen Staatszählung' bat
Milwaufee 100,798 Einwohner, Ofhloih 16,000, Fond du Lac
15,308, Racine 13,300, 2a Croſſe 11,012, Janesville 10,114,
Madilon 10,098, Watertowi 9524, Green Bay 015, She
boygan 6328, Appleton 6736, Manitowot 6718, Beloit 4602,
Portage City 4336, Vlatteville 4060, Sparta 3745, Beaver
Dam 3455, Berlin 3340, Menafba 3170, Monroi 3250, Fort
Howard 3550, Prärie du Chien 3170, Sparta 2565, Fort
Walhington 2943.
Vom Büchertiſche.
Die zweite deutfche Morbpolarfabrt in den Jahren 1869
und 1870 unter Führung des Capitäns Karl Kol-
dewey. Volksausgabe. Bearbeitet von Dr. M, Linde-
mann und Dr. O. Finſch. Leipzig, F. U Brodhaus
1875. Mit 54 Flluftrationen und 4 arten. (5 Lieferungen
zu 1 Marf.)
Von der ſehr richtigen Anficht ausgehend, daß die officielle
Beſchreibung diefer Nordpolarfahrt wegen ihres Umfangs
und hohen Preijes nur Werigen zugänglich ift, daft aber an
der Ausrüſtung der beiden Schiffe , Germania“ und „Dana“
fich ein jchr großer Theil des deutichen Volles mit Beiträgen
betbeifigte und dadurch gewiffermaßen ein Anrecht auf be—
queme Kenntnifnahme der erlangten Reſultate ſich erwarb,
bat ber rührige Verein fiir die deutſche Nordpolarfahrt in
Bremen eine billige Ausgabe jenes Berichts veranftaltet und
die Bearbeitung berielben zwei Männern anvertraut, deren
Namen auf dem Gebiete der Rolarforichungen einen guten
Klang befigen. Die Namen der Bearbeiter wie der verlegen:
den Firma find die befte Bürgichaft dafür, daß dem Publi-
cum hier nur auserwäblt Gutes geboten wird; wir Können
in ihrem wie im Intereſſe der Sache dem Buche mur die
weitefte Verbreitung wünſchen. Dafjelbe fonnte zu feiner
gelegenern Zeit das Licht erbliden als gerade jest, wo das
Deutsche Reich den hier behandelten Fragen näher zu treten
gewillt fcheint. Denn die in der erjten Hälfte des October
ftattgehabten Verhandlungen der von Reichs wegen berufenen
Nordpolarcommiſſion baben zu dem Beſchluſſe geführt, daß
die Erforfchung der arktifchen Gebiete für alle Zweige ber
Naturkunde von großer Wichtigkeit fei, und daß man zunächſt
fefte Beobachtungsftationen dort oben anlegen millle, von de—
nen ſpäter Vorftöße zu Wafler und zu Yande ihren Ausgang
nehmen könnten. Ws Baſis für diefe Operationen, bie,
wenn möglich, ſchon 1877 ihren Anfang nehmen, und an
denen ſich zu betheiligen die übrigen intereffirten Seejtaaten
aufgefordert werben follen, wurde das Gebiet zwiſchen Oft:
grönland und Weitipisbergen bezeichnet, und die Hauptitation
der Deutjchen wäre im unmittelbaren Aufchluffe an
die Ergebniffe der zweiten deutſchen Nordpols
erpebition anf ber Oſtküſte Grönlands zu errichten, mit
Nebenftationen anf der Anfel Jan Mayen und der Wejtküfte
von Spitbergen. ‚
Ein beſſeres Hilfsmittel, daS deutiche Volk über die
hoffentlich bald auch von feiner Regierung angeftrebten Ziele
zu orientiren ald das vorliegende Werk dürfte ſchwerlich eri-
ftiren: es foll nicht nur das Geſchehene darftellen, es wird
auc für das Kommende wirken,
(Mit einer Kupfertafel und
zwei Abbildungen.) — Peruauiſche Alterthiimer. I. (Mit ſechs Abbildungen.) — Schilderungen innerafiatiiher Zuſtände.
Bon Albin Kohn. IV. (Schluß) — Die Colonie Sidanftralien am Schluſſe des Jahres 1874. —
Skizzen aus Chile.
Von Dr. med, Georg Thiele. VII. — Aus allen Erdtheilen: Der Canal zur Bewäſſerung der Hungerfteppe., — Die
Maſern anf den Fidſchi-Juſeln. — Verſchiedenes. — Vom Büchertiſche. — (Schluf der Redaction 30. October 1875.)
Medacteur: Dr, N. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftraße 13, III Tr.
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig.
Mit befonderer Berüchfichtigung d
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Hünftlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunſchweig is > Tune, dom su
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Bf.
1875.
Karl AnDdree.
II.
Im Herbfte 1851 wandte ſich Andree abermals nad)
Bremen , wo ber Handeläftand das Bedürfniß fühlte, ein
Organ zu ſchaffen, das die Intereffen des deutſchen Sees
handel& vertrat, diefe mit dem innern Lande vermittelm und
in weiteren Seifen ein Berftändniß commercieller Angelegens
heiten verbreiten ſollte. Diefes „Bremer Handeleblatt* wußte
er von Anfang an zu allgemeiner Adıtung und Beachtung
zu bringen; er beurtheilte die gefammiten Dandelsverhältnifie
in ihrem Aufanmenhange jo Har, wußte eim ungeheures
Material jo Überfichtlich zu verarbeiten und lichtvoll zu ſich—
ten, daß es jehr bald als eine Autorität anerfannt wurde,
Auch in der Preffe wurde gefagt, daß durch jenes „Handels:
blatt* das vormalige Zollvereinsblatt von Friedrich Yift in
würdiger Weife erjegt worden fei. Uebrigens jah ſich Un,
dree in diejer neuen Wirffamkeit infofern gelähmt, als der
Bremer Handelsftand, überrafcht vom Beitritt des Steuers
vereind zum Zollverein, ſich nicht klar wurde, welche Stel«
lung für die Hanfeftadt fortan die geeignete fe, Andree
hatte von vornherein erllärt, daß er entſchieden flir die
nationalöfonomifche Einigung von ganz Deutſchland eintre-
ten würde; er hatte feit langen Jahren manche Yanze filr
den Zollverein gebrochen, Andree ließ ſich nicht irre machen
und blieb bei dem, was er für das Richtige erfannte. Als
der Streit zwifchen Oeſterreich und Preußen wegen des
Septembervertrags am bitterften war, ſetzte er auseinander,
auf welche Baſis hin allein eine Berftändigung und Aus:
gleihung möglich fei und gerade auf die von ihm damals
angegebenen Grundlagen hin ift denn auch viele Monate
&lobus XXVIII. Rr. 21.
fpäter die Auegleichung erfolgt und feitdem hat ſich, wie
Undree vorausjagte, Bremens Baunnuollenhandel grokartig
gefteigert. Mit deifelben Beharrlichfeit ſprach Andree feine
Ueberzeugung aus, daß ein Anfchluß Bremens an den Zoll:
verein für beide Theile vortheilgaft fein werde. In Folge
eines Uebereinlommens ließ Andree die Stellung Bremens
zum Zollverein im Handelsblatt unerörtert, aber er war
nicht verpflichtet, den zahlreichen Freunden des Zollvereins
in Bremen den erbetenen Rath vorziienthalten. Daran
nahmen Gegner des Zollvereins Auftoß, fie meinten auf
Andree einzumwirten, wenn fie verlangten, ex folle fortan
den Freunden det Anſchluſſes nicht mit feinem Rathe an
die Hand gehen, und gaben zu verftehen, daß er alsdann bie
Yeitung des „Hanbeläblattes“ nicht werde behalten können.
Diefe im Hinblid auf den Charakter Andree's ſchlecht be:
rechuete Zumuthung hatte feine anderen Folgen, ald daß
Undree erflärte, er lajje nach wie vor feine Freiheit ſich von
Niemand beeinträchtigen, und jo fahen denn die Gegner zu
ihrem eigenen ausdrüdlicd, ausgefprochenen Bedauern fid)
in bie Nothwenbigfeit verſetzt, ihre Drohung zu bewahrheiten.
Damit war Andree's Thätigkeit fir dad „Handelsblatt“ been:
digt; dem ausdrücklich ausgeſprochenen Wunfche, diefelbe
fortzufegen, hat er, wohl mit Necht, nicht entfprechen wollen,
Wir müffen hier einen viel beſprochenen Gegenſtand er:
wähnen, da er zu grundfalſchen Anfichten und Urtheilen
über Andree führte, die nur aus einer ungeniigenden Kennt—
niß der Sachlage hervorgingen. Andree hatte von Zeit zu
Zeit in culturpolitifchen Wuffägen über Amerika in der
41
322
Augsburger Allgemeinen Zeitung auch die fogenannten
Spiritualiften und Syfologiften, Knodings und Rappings
erwähnt und die Syfteme hirmverbrannter Phantafien iiber
die jogenannte Geifterwelt erörtert. Plöglic begann zu
Oftern 1853 in Bremen das fogenannte Table moving
zu graffiren ; auch Andree ſah dafjelbe mit an, und ſchrieb
dann jenen Artikel in der Allgemeinen Zeitung, der fo un:
geheure Bewegung von Palermo bis Lappland, von Sibirien
bis Portugal erregte, Er hatte die Sache ala „Tiſchrücken“
bezeichnet, ſich aber begnügt, die Thatfache und feine Wahr:
nehmungen zu conftatiren, ohme dann weiter jemals eine
Zeile darliber druden zu laffen oder überhaupt der Sache,
weldye von ihm ausdrüdlic „als Stoff für Alademifer
und die Gelehrten des Kladderadatſch“ bezeichnet worden
war, weitere Aufmerkſamkeit zu fchenten. Es ift aljo durch.
aus abſurd, wenn „ein Teutſcher“ in den Heidelberger Jahr⸗
blichern ihn einen „Agitator und Mifjionär* des Tiſchrückens
nannte,
Mit der Aufgabe der Rebaction bes Bremer „Hanbeld«
blattes“ beginnt eine ganz meue Periode im Leben Andree's.
Die bewegte Zeit lag Hinter ihm; er hatte in ihr Deutfch-
land in allen feinen Theilen und auch die Nachbarländer
befucht, aber gerade die Mannichfaltigkeit feines bisherigen
Urbeitens brachte es mit fic), daß diefer Gelehrte bei einer
ohnehin ſcharf ausgeprägten praktifchen Begabung vor Ein«
feitigteit und Berftodung bewahrt blieb und mit Freiem, une
beirrtem Blicke die Dinge anſchaute. ine Concentrirung
feiner Thätigkeit auf eine Wiſſenſchaft begann bei ihm erft,
als er bereits im reifen Mannesalter angelangt war, zu
einer Zeit, wenn Andere ſchon am die Ruhe denfen. Audree
war bald funfzig Jahre alt, als er, den Journaliſten ab:
ſchüttelud, fic) ganz und gar auf die Yänder- und Völkerkunde
warf, die, auf Grundlage feiner reichen hiftorifchen und
wirthichaftlicen Studien, ohnehin fein Lieblingsfad) gewe ⸗
fen war. Faſt ein Bierteljahrhundert lang konnte er noch
jegensreich auf diefem Felde wirten, und es läßt fich dreift
behaupten, daß wenige in Deutfchland mehr als er für bie
Popularifirung der Erdkunde gethan haben, daß es feinem
unermüdlichen Wirken weſentlich mit zu danfen it, wenn
diefelbe heute zu einer. ebenbürtigen Stellung unter den Fadı-
wiſſenſchaften gelangte und ihr die Katheder nicht mehr ver-
ichloffen find. Seine journaliſtiſche Gewandtheit kam ihm
hierbei ungemein zu ftatten; er war fern vom fteifen Pro:
feſſoreuthum wie von feuilletoniftifcher Koketterie, übertrug
nie in feinen Werfen abftracte Ideen auf die Thatjachen,
fondern entnahm den — Dingen ihr Geſetz. Andree
war Meiſter in der ppirung, und viele ſeiner Auffäge
find Kunftwerke eigener Art, Ergebniffe einer in fich gefchlof-
fenen, veicherfüllten und dentmächtigen PBerfönlichkeit, groß
im Blide und überzeugend durch ſchlagende Thatſachen wie
durch Schärfe der Dialektik.
Mit geringen Unterbrechungen wohnte Andre, der zum
Conſul der Republit Chile für Sachſen ermannt war, feit
1854 in Dresden, das er lieb gewann — wenn aud) der
Geift der Bewohner ihm wenig zufagte — und wo bie ge«
rade auf dem Gebiete der Erdkunde fo reichen Schläge der
großen Bibliothek ihm eine willtommene Ausbeute für feine
Studien boten. Er begann damit, eine Reihe auslänbifcher
Werke durch Bearbeitungen auf deutſchen Boben zu ver-
pflanzen, etwa in der Art, wie im verfloflenen Jahrhundert
dies Sprengel, Bertuch, 3. R. Forfter thaten *). An der
*) Wanderungen durch tas Gpinefifche Neid. Bon Huc und
Babet. (Keipgig 1855.) — Wanterungen burd die Mongolei nadı
Tibet. Bon Hue und Gabet. (Leipzig 1855.) — Die afritanifche
Wüfte und das Land der Shwargen am obern Nil. Von D’@sraprac
te Lautute. (Seipgig 1855.) — Die Staaten von Gentralamerifa.
Karl Andre,
Begräindung der „Zeitfchrift für Allgemeine Erdkunde“, die
feit 1853 in Berlin unter Gumprecht's Rebaction erſchien,
hatte er lebhaften Antheil genommen und neben Dove,
Ehrenberg, Kiepert, Nitter, Wappäus und Petermann wurde
fein Name als Herausgeber genannt; er lieferte für diefelbe
zahlreiche kleinere Beiträge ſowie eine längere Abhandlung
über die Torresftrage, Neuguinea und den Luiſiadearchipel,
Gegenden, die damals erft die Aufmerkfamkeit zu erregen be—
gannen und auch heute noch wicht ganz aus ihrer Ber
ſchleierung hervorgetreten find. Immer getren dem geſteckten
Ziele bleibend, geographifches Wiſſen in größeren Kreiſen
zu verbreiten, wurde Andree auch (mit dem brafilianifchen
Keifenden Waldemar Schulg und Sophus Ruge) Gründer
des Vereins für Erdkunde zu Dresden (1863) und deſſen
erfter Präfident. Jahrelang hat er hier ungemein anregend
gewirft — er verftand es eben fo gut zu ſprechen wie zu
ſchreiben — und nicht wenig zu den Aufblühen des Vereins
beigetragen. ine weitere Frucht feiner Studien waren die
„Seographiichen Wanderungen“ (zwei Bände, Dresden
1859), eine Reihe meifterhaft gefchriebener Eſſays, weldye,
meift an brennende Tagesfragen anfuüpfend, auf geogras
phifcher oder ethnologiſcher Grundlage ſolche Stoffe behan—
delten, welche die öffentliche Aufmerkamfeit in Anſpruch nahs
men und ſich auf die Geographie der Cultur und des Ver
lehrs bezogen. Hier entwidelte Andree ſchon in der vom
1, October 1858 datirten Borrede das Programm, welchem
er in feinen fpäteren Arbeiten treu blieb und das er naments
lic) auch, in feinem „Globus“ durchführte. „Wer Völker
charalteriſtilen giebt, muß zugleid, in das politische Gebiet
hinübergreifen. Denn vorzugsweife auch im Staatsleben
tritt die eigenthümliche und oft ſehr ſcharf begrenzte Naturs
anlage und Begabung eines Volls hervor. Die Gegenfäge,
welche wir bei dem verfchicbenen Stammgruppen und Böls«
fern finden, liegen manchmal theilweife in geographiſchen
Bedingungen und Berhältniffen, zumeift aber im Blute
ſelbſt. Eine Staatswiffenfchaft, die erſprießlich wirfen will,
hat das anthropologiscdethniiche Element in den BVölfern
künftig forgfältiger zu beachten, als feither im Allgemeinen
geichehen ift; fie muß eine fichere Grundlage auf dem Boden
der Völkerkunde fuchen und zu individualiſiren verftehen.“
In dem Eſſay „England und die Engländer“ führt er dann
das Thema über die Anlagen und Begabungen der großen
Menſchenſtämme und den Gegenſatz verſchiedener Nationale
haraltere weiter aus, entwidelt er die Ausbreitung und Bor:
züge der germanischen Böllerfamilie. Dem gegenüber ftellt
er — zur Zeit der Höhe Napoleon's III. — das weniger
ſchmeichelhafte Bild „Frankreich und die Franzojen“; er
entwidelt, lange ſchon, bevor Bambery mit feinem ceterum
censeo auftrat, die Beziehungen der Rufen und Engländer
in Inneraſien und giebt uns eine Reihe höchſt anziehender
Bilder aus der Umgeftaltung des Weltverlehrs der Neuzeit:
„Der Canal von Suez in geographifcher, commercieller und
handelöpolitifcher Bedeutung“, „Die Euphratbahn und ihre
Bedeutung“, „Das Erwachen der Südfee*. Das find The:
mata, die heute zu dem abgetretenen gehören, als Andree
aber im Anfange der fünfziger Jahre über fie fchrieb, waren
fie frifch, und er prognofticirte mit wahrem Seherblide vieles
voraus, was jegt nad) Verlauf von zwanzig Jahren ſich als
Von €. G. Eauier. (Leipzig 1856.) — Yucenos Apres und die
argentinifchen Provinzen. Mach ten neueſten Quellen von Karl
Andre, (Keipgig 1858.) — Eüpafrila und Madagadlat gefchildert
durch die neueren Entdeckungereiſenden, namentlich Xioingitone und
Ellis, (Zeipgia 18650.) — Burten’s Reifen nah Medina und Melta
und in das Somalilane nah Härrär, (Keipsig 1861.) — Die Er—
pebitionen Burton’s und Spefe's von Sanflbar bis zum Tanganpila
und Nyanja⸗See. (Keipgia 1861.)
Karl Andrer.
völlig richtig herausgefiellt Hat. Much die „Negerfrage“,
welcher er allzeit rege Aufmerkfamfeit zumandte, wird in
dem Aufſatze über Liberia erörtert, welcher gegen Karl Nit-
ter's humaniftifche Auffaſſung diefer fogenannten Republik
eifert. Andree war, wohl zumeift durd) Nott und Gliddon's
„Types of Mankind“ beeinflußt, ein Anhänger jener ane
thropologifchen Schule, welche in den verfchiedenen Racen
ebenfoviele verfciedene Species des Menſchen jehen, er war
ein Gegner der Einheit unferes Geſchlechts und verharrte
anf dieſem ältern Standpunkt bis zulegt. Diefes auf bie
Neger Übertragenb, ſprach er denſelben höhere Entwidelungs»
fähigfeit ab. In Zufammenhang mit diefen Anſchauungen
vermochte er ſich auch nie mit der Theorie Darwin's zu
befreunden.
Die Grundung des „Globus“, welcher bald eine ger
achtete Stellung unter den geographiſchen Zeitichriften ein ⸗
nehmen jollte, fällt in das Jahr 1861. Das neue Jour—
nal, welches bald an Boden gewann und fpäter auch Nach—
ahmungen hervorrief, erfchten zumädjit im Verlag des Biblio
graphifchen Inftituts in Hildburghaufen, ging aber, während
der Kriegsereignifle des Jahres 1866, im jenen von
Fr. Vieweg & Sohn in Braunſchweig über. Damals mans
gelte es noch ſehr an geographifchen Schiftftelern, die erſt
jest häufiger zu werben beginnen, und fo mufte denn Ans
dree einen großen Theil des Inhalts felbft fchreiben; aber mit
feiner immenfen Arbeitsfraft überwältigte er auch dieſe Auf-
gebe und erft vom Jahre 1863 an fand er in feinem Sohne,
ichard Andree, ber in feine Fußtapfen trat, eine regels
* Hulfe. Für die Leſer des „Globus“ iſt dieſe flüch-
tige Lebensſtizze gefchrieben, wir brauchen ihmen die Zeit
fchrift, welche Andre faft vierzehn Jahre lang mit großer
Hingabe und Liebe, ſtets frifch und mit nie erfaltendem Eifer
redigirte, nicht näher zu charalteriſiren. Er hat fie budj-
fäbli bis an fein Yebensende fortgeführt, denn wenige
Tage vor feinem Tode, während die Hände bereitd zu er
ftarren begannen, machte ev noch Bleiftiftnotigen flir diefelbe
zurecht. Andree ging bei feinem Progranım davon aus,
daß die Mitteilungen in geichmadvoller form und möglichft
mannichfaltig geboten werden müßten; bie geichichtlichen,
gewerblichen und commerciellen Berhältniffe der Gegenwart
wurden von ihm am der Hand der Yänders und Völkerkunde
erläutert und ein befonderes Gewicht auf die Culturanthropo⸗
logie gelegt, die er vortrefflich zu behandeln verſtand. „Diefe
Eulturanthropologie ift recht eigentlich eine Wiſſenſchaft des
Fortſchrittes; fie wirkt im Interefie der wahren Humanität,
der echten Philanthropie, weil fie gegen alle Menfchengrup:
pen, denen fie nur zummthet, was diefelben von Natur aus
leiften können, austheilende Gerechtigkeit übt.“
Wir haben wiederholt in diefer Skizze den unermliblichen
Fleiß und die große Arbeitäfraft Andree's hervorheben Tün-
nen, die er fchon entwidelen mußte, da er fein vermögender
Mann war, Während er, allerdings mit großer Yeichtigfeit
und Schnelligkeit, ſchrieb — feine gleichmäßig ſchön gefchrie-
benen Manuffripte zeigten nur felten Gorrecturen — und
bis fpät in die Nacht hinein die zahlreichen Zeitichriften und
neuen Werke durchftudixte, fand er neben der Herausgabe
des „Globus“ noch Zeit, fein Hauptwerk zu ſchreiben, mit
dem er die lange Reihe feiner Bücher abſchloß. Die Bor«
rede zu feiner „Seographie des Welthandels* *), zur
gleich Widmung an den Bremer Burgermeiſter Dr, Dud:
wig, ift vom September 1861 datirt, und das ftolze, aber
gerechtfertigte Wort Terram mente peragro jhmüdt ben
Titel. Man kann dreift jagen — und die Kritik hat dies
*) Geographie des Welthandel, Mit geihichtlichen Erläuteruns
gen. Zwei Bänte. (Stuttgart 1862 bis 1872.)
323
vollauf beftätigt —, daß Andree mit diefer Geographie des
Welthandels eine durchaus neue Behanblungsweife bes
Gegenftandes eingefchlagen, daß er auf geographifcher Grund»
lage eine Phnfiologie des Welthandels ſchuf. Die gefamms
ten Berhältniffe des Berfehrslebens, ber Gitteraustaufch und
der Handelöbetrieb, ihre Wirkungen auf Länder und Völler
werden im ihren verſchiedenen Berzweigungen und Bewegun«
gen dargeſtellt. Mit der Schilderung der neuen Zeit im
Weltverlehr beginnt der Verfaſſer; er kennzeichnet die Stel-
lung des Kaufmanns innerhalb deffelben, und zählt dann
bie verſchiedenen Urten des Handelsbetriebes auf, wobei
3 B. der „ftumme Handel“ in feiner Ausbreitung über die
ganze Erde verfolgt wird. Der Abfchnitt über das Geld
und die Werthmeſſer zeugt wieder von der großen Belefen-
heit Andree's, dem die Berguidung feiner vollswirthſchaft⸗
lichen und geographifchen Kenntniſſe hierbei glücklich zu ſtat—
ten fan. Die Meflen und Märkte, der Karamanenhandel
in allen feinen Berzweigungen und den verfchiedenen Erb»
theilen, der Welthandel auf dem Ocean — wobei Capitel über
die Gefahren der Seefchifffahrt, den Seeraub, über die Ein«
wirfungen ber Krankheiten auf den Handelsverlehr eingefcho-
ben find —, das Weltmeer und deſſen Theile werden hier
in der ausführlichften und fachtundigften Weife ftets lesbar,
mie troden beſprochen. Mit der Aufführung der geographi-
ſchen Berbreitung der wichtigften Hanbelderzeugniffe und
deren Schilderung fliegt der erfte fait 700 Seiten ftarfe
Band. Der ziveite, faft 1000 Seiten ftark, behandelt dann
bie einzelnen Erdtheile. Mit Recht konnte Undree fagen,
daß er in feiner Literatur einen Anlehnungspunft oder ein
Borbild für fein Werk fand; der ganze Aufbau und die Ber
handlungsweife gehörten ihm. An Gewiffenhaftigfeit und
redlichem Fleiße ließ er es bei der ganz auf Quellenſtudien
beruhenden einftimmig von der Kritik anerkannten Arbeit
nicht fehlen, deren zweite nothwendig gewordene Auflage er
nicht mehr herftellen follte *).
In einer Pebensflizze Andree's, die 1859 in bem von
feinem Freunde Friedrich Steger redigirten Ergänzungs-
Eonverfations:?erikon erichien und die aud) wir flir feine
Yugendgefchichte hier benupten, da fie höchſt wahrſcheinlich
auf eigenen Aufzeichnungen Andree'8 beruht, wird von ihm
gejagt: „Von Charakter brav und uneigennügig, im Lebens
verkehr ſehr ficher und allzeit rejolut, dabei einfach und ans
ſpruchslos, feiner Ueberzeugung und feinen Freunden treu
wie einer, hat ex ſich ſtets nach allen Seiten hin unabhängig
zu halten verftanden und durch feine unermldfiche Thätigfeit
auch eine äußerlich günſtige Stellung zu erringen gewußt.“
Er konnte an feinem Pebensabend auf ein reiches, ſchönes,
wiewohl vielbewegtes Leben zurüdfchauen. Die Gattin war
ihm bereits 1864 vorangegangen, mit feinen drei Kindern
ftand er im innigſten Verlehre und wahre Freude bereitete
es ihm, am Sohne nicht nur den leiblichen Erben, fondern
auc) einen Nachfolger in feiner Wiffenfchaft zu haben. ‚De
*) Statt vieler wollen wir nur ein fremdes Urtheil über dieſes
Wert bier erwähnen, vie Befprebung von H. Gaidoz in ber Revue
eritique (3. juillet 1875); er fagt unter Anberm: La plupart des
glographies commerciales se bornent A decrire l’itat prösent: M.
Andree #largit ce cadre pour y faire entrer l'histeire et l’ethno-
graphie, pour montrer les rapports du commerce avec le génie
et la vie des peuples, avec FPhi-toire de leur industrie: il entre
mömne dans les details linguistiques, par exemple sur ces jargons,
nombreux sur notre globe, qu’on peut appeler apr&s lui les
„langues commerciales“. En un mot, d’un sujet söndralement
traitä avec söcheresse et d'une lecture plus instructive qu’ attra-
yante, M. Andree a su fnie, par le melange de la göographie
commereiale avec l'histoire de ce commerce, avec la vie de la
eivilisation, un ouvrage & la foix scientißque et curieux, Bien
des points touch#s dans cet ouvrage Achappent à notre compe-
tence, mais la methode semble meriter tout &loge,
41*
324
große ftattliche Mann mit dem interefjanten Kopf, der trotz
der echt niederſächſiſchen Ablunft eher ein franzöſiſches Ger
präge zeigte, war fein Pebelang fräftig und gefund geweſen;
das Wort vom gefunden Geifte im gefunden Körper bewahr:
heitete fich bei ihm. Auf diefes körperliche Befinden bauend
und unbefannt mit Krankheit, vernacjläffigte er ein Blajen-
leiden, das bei rechtzeitiger Behandlung wohl nicht tödtlich
verlaufen wäre. Es war bereits zu fpät, als er im Yuli
1875 fid) nad) Bad Wildungen begab, um Heilung ober
Pinderung dort zu fuchen. Am 10. Auguft, Mittags um
1/,12 Ur, hauchte er fein reiches und ſchönes, ganz ber
Wiſſenſchaft und feinem theuren Baterlande gewidmetes Yer
ben in den Armen feines Sohnes aus. Auf dem ftillen
Friedhofe des alten malerifchen Städtchens, auf den Burg
Wildungen und die bewaldeten Berge herabſchauen, ift die
Stätte, wo „ein Herz in Staub zerfällt, das groß und mädı-
tig einft geſchlagen“.
Alle, bie Karl Andree nahe ftanden, beflagen es tief,
daß er nicht dazu fam Crinnerungen aus feinem Yeben
nieberzufchreiben. Bei feinem fo bewegten und vielfeitigen
Leben war er mit einer Reihe der bedeutendften Männer in
innigen Verlehr getreten; und e8 waren merkwürdige Men-
fchen aus allen Ständen, die er in einem faft fiebzigjährigen
Aus Georg Schweinfurth's Reiſen in Innerafrifa.
Leben kennen gelernt, von denen er, ein Meifter im Erzähs
len, ftundenlang feffelnd zu berichten verftand. An einen
Redacteur, zumal jo einflußreicher Journale, wie Andree jie
leitete, trat eine ganz andere Maſſe Sterblicher heran, als
an Menschen, die in anderen Berufszweigen wirken. Seine
wiſſenſchaftlichen Beziehungen reichten liber Land und Meer,
zumal nach Amerifa hin. Er war correfpondirendes Mit—
glied der Ethnological und der Historical Society in
Neuport, ber Sociedad de los amigos de la historia na-
tural del Rio de la Plata zu Buenos Ayres, der f. k. geo-
graphifchen Geſellſchaft zu Wien, der Geſellſchaft für Erd—
kunde zu Berlin, der Tael en letterkundig Genootschap
zu Brüffel; Ehrenmitglied der naturforjchenden Geſellſchaft
Vargasia zu Caracas, der naturforſchenden Geſellſchaft zu
Emden, der öfonomischen Geſellſchaft und des Vereins für
Erdkunde zu Dresden.
Auf der Karte verewigen zwei neuentdeckte Infeln im
hohen Norden feinen Namen: die 1870 von ber Heuglin-
zeigen Erpedition aufgefundene Andree-Infel im Deictow⸗
Sunde der Edge-Injel (Spigbergen) und die von ber öfter-
reichiſchen Nordpolarerpedition 1874 im Auftri-Sunde des
Franz⸗ Joſefs⸗Landes entdedte Andree⸗ Inſel.
Aus Georg Schweinfurth's Reiſen in Innerafrika.
XI.
Die Rüdreife
Am 12, April 1870 trat Schweinfurth ſchweren Herr
zens den Heimweg nad) Norden an: es war ihm wohlbe:
kannt, welche großen Fragen der Erdkunde, diejenigen näm-
lid) nach dem Urfprunge und Laufe des Binus, Ogowe und
Kongo, durch weiteres Vorbringen nad Süden zu löfen
waren, und es ift feine feite Ueberzeugung, daß ein einzelner
Keifender, wenn nicht von allzu Uppiger Leibesbeſchaffenheit,
die gleichbedeutend wäre mit ficherm Aufgefreffenwerbden, un-
angefochten den Melle ſtromabwärts marjchiren und fo die
Räthfel der innerafrifanifchen Hydrographie löſen könnte.
Da lam es ihm freilich hart an, auf halben Wege umzu—
fchren.
Gegen Mittag erft fette fi der Zug in Bewegung;
benn Abd-ed-Sammat hatte dort eine Seriba zu errichten
beichloffen und die Auswahl der bei den Menſchenfreſſern
zurlidzulafienden 28 Dann Bejagung war bei dem ewigen
Remonftriren der Nubier ein ſchweres Stüd Arbeit, Nur
dierAusficht auf veichen Lohn und luſtiges Yeben mit den
zugänglichen Monbuttus-Weibern bewog zulegt die Widerſtre—
benden zum Bleiben. Dann ging es nordwärts. Aber ſchon
nad) wenigen Tagemärichen trafen fie auf die Sriegserflä-
rung des zubor nur ſchlecht verfühnten Niam-niam-Fürſten
Uando (f. oben S. 261); von einen Baumafte hingen ein
Maistolben, eine Hlihnerfeder und ein Pfeil herab. Es ift
diefelbe Weife, deu Krieg zu erflären, wie fie einft bei dem
Stythen und noch jegt bei den Yiffu in Ylinnan (vergl. ©.
199 dieſes Bandes) gebräuchlich ift. Kin Verſuch, das
feindliche Gebiet zu umgehen, jdjeiterte daran, daf die von
einer Concurrenzcompagnie aufgehegten Cingeborenen feine
Kühne zum Ueberfegen über den Kibali, den Oberlauf des
Uelle, ftellen wollten; der Zug von Nubiern und Trägern
mußte umfehren und Feindesland betreten, Mehrere Tage
dauerten die Gefechte mit den A-Banga, in denen bie über:
legenen Feuerwaffen zwar einen leichten Sieg davontrugen,
aber Abd-es-Samımat ſelbſt ſchwer verwundet wurde und
der größere Theil des bei Munſa erworbenen Elfenbeins ver ·
loren ging; als es ihnen jedoch gelang, einige Niam-niam—
Frauen als Geiſeln zu erwiſchen, war die Gefahr vorüber,
und am 1. Mai lagerten fie am Nabambiffo (etwa 4° 50’
nördl. Br.) und erholten ſich von den audgeftandenen Stra-
pazen und erlittenen Wunden. Cine neue Seriba wurde
dort errichtet und der Obhut des Neifenden und der Recon—
valefcenten anvertraut, während Abb-es:Sammat mit feinen
Soldaten wieder umfehrte, um die Niamsniam für ihren
Verrath zu zlichtigen.
Jetzt begann eine Zeit der Hungerleiderei für Schwein»
furth, dem täglid nur ein kleines Hühnchen von Rebhuhn—
größe und ein Fladen von bitterm, hartkleiigem Eleufinebrot
zu Gebote ftand, Wie fich feine Bongoträger durchhalfen,
war ihm ein völliges Nüthfel. Da fam ein alter, großer
Termitenbau ben ———— zu Hulfe: in jeder Nacht,
weldye auf einen ftarfen Regen folgte, belebte er ſich mit
Myriaden fettleibiger geflügelter Termiten, dig mit leichter
Mühe ſcheffelweiſe gefammelt werden konnten, und theils in
ber Pfanne geröftet, theils zu Del gefotten eine fehr er-
wunſchte Aushlllfe bei dem gänzlichen Fettmangel abgaben,
Nicht felten führte fie umfer Neifender mit vohem Korne
gemischt handvollweife zum Munde, ald wären e8 Mandeln.
Endlich aber wurden die Pebensmittel fo knapp, daß er
— zumal Abd:es-Sammat länger als verabredet war auss
blieb, — einen mehrwöcentlicden Ausflug nad Often zum
Berg Baginje und der Quelle des Diur unternahm, welcher
chweinfurth's Reifen in Innerafrifa.
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Aus Georg |
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326
ihm mancherlei Neues zeigte und vor Allem zu ejjen vers
ſchaffte.
Als er am 1. Juni zurücktehrte, Hatte ſich Manches
zum Beſſern gekehrt: Küxbiffe und Mais waren gereift, die
Perlhühner waren in die Gegend gezogen, überall fproßten
wohlfchmedende Pilze aus der Erde, furz der Ueberfluß war
jo groß, daß an mandyen Tagen nur Perlhuhnleber und
Champignons des Reifenden Mahlzeit ausmachten. Bald
fehrte auch Abd⸗es Sammat ziemlich unverrichtefer Sache
zurück, worauf der unterbrochene Marſch weiter nach Norden
fortgejegt und am 24. Juni der Tondj überfchritten wurde.
Hier theilte fich die Karawane: während der größere Theil
der Soldaten und Träger die alte Richtung beibehielt, machte
Schweinfurth im der Gejellichaft des Kenuſiers noch einen
Abſtecher nad) Often zu den Grenzen des Mittu-Landes, der
nöthig war, um die dort aufgejtapelten Eifenbeinvorräthe
zu holen. Dies gab ihm Gelegenheit, über den Stamm und
das Yand der Babudur, denen er ſchon häufig als Skla—
ven im den Seriben begegnet war, Nachrichten einzuzichen.
Died Bolt lebt nur noch in zwei, 60 Meilen von einander
entfernten Enclaven am Nordoſt⸗
rande ded Niam-nianı s Gebietes.
Da ihre Sprache ſich bei ben
Monmon im Süden der Monbuttu
wiederfinden joll — Babudur-Stla-
vinnen fonnten ſich nachgewieſener⸗
maßen mit jemen verfländigen —,
jo ift es wahrſcheinlich, daß fie
von ihren füblichen Berwandten
durch eim öftliches Borrliden der
Niameniam und Monbuttu getrennt
wurden, Die eine Hälfte der Ba-
budur, der Schweinfurth bei dieſem
Ausfluge nahe kam, ift auf ein
Stlick Yandes von faum 16 deut⸗
ſchen Duadratmeilen befcränft und
rings von den Raubzüigen der Char⸗
tumer Händler wie der Niamsniams
dürften bedrängt, weldje dies Ge:
biet wie ihre mit Bich und Korn
gefüllte Borratholammer betradı:
ten. In Folge deffen ift die Volls—
dichtigfeit, aber auch ihre Vertheie
digungsfähigfeit eine auferordente
lich große; die Babuckur find uns
gemein kriegeriſch und hartnädig
und wehren jich, im die Enge getrieben, bis aufs Blut. Da
fie noch obendrein der Menfcenfrefjerei ſtark huldigen, fo bes
gnügen ſich ihre Angreifer gewöhnlich mit der raſch geſam—
melten Beute und laſſen ſich auf feine Verfolgung oder Unter
jochung der Feinde ein.
Die Babuckur find ein Volk von typiicher Negerrace und
jehr dunkler Hautfarbe. Die Sflaven ihres Stammes find
anftellig im Haus und von milden Temperament, ausdauernd
und tlichtig zu jeder Arbeit, aber durchweg von mittlerer
Körpergröße, von ımangenchmer, anusdrudslofer Geſichts—
bildung und von ſolchem Freiheitedrange, der weder durd)
Wohlleben noc durch liebevolle Behandlung zu überwinden
iſt, befeelt, daß fie bei jeder Gelegenheit davonzulaufen ſuchen
und durch Feſſeln und Doch gefichert werden müſſen .
Sobald die Frauen die erfte Jugend Hinter ſich haben,
find fie abſchreckend häßlich, zumal fie ihre ohnehin unregel⸗
*) Das beigegebene Porträt zeigt eine folde Sklavin am ges
flechtenen Keberriemenftride mit dem Häglicben Gefichtsausbrudf der
Gefangenſchaft.
Babudur-Sklaviu.
Aus Georg Schweinfurth's Reifen in Innerafrika.
mäßigen Züge noch Hinftlich verunftalten: alle verheira-
theten Weiber durchſtechen, wie man auf dem Bilde fieht,
nicht nur die Ränder der Ohrmuſchel, fondern auch die Lip⸗
ven, die obere wie die untere, mit einer ganzen Reihe von
Grashalmen, die etwa 1 Zoll lang find. Solder Halme
figen je 20 Stüd in eben jo viel Yöcern an dem genannten
Störpertheilen. Auch die Najenflügel werden, wie von den
Vongo:-Weibern, auf ähnliche Weife tractirt.
Am 29. Juni trennte fi) Schweinfurth von feinem Gaft-
freunde, welcher noch feine Seriben im Mittu-Pande befichen
wollte, und marjchirte in fünf Tagen mit wenigen Begleitern
nad) der Hauptitation Sjabbi, wo er feine in anderthalb
Jahren angehäuften Brieffhaften vorfand umd einige Tage
raftete. Dann brad) er mit frischen Trägern nach Norden
auf, um zu den ihm nachgefchidten, langerfehnten Borräthen
zu gelangen; denn ringsum berefchte wieder der Hunger fo
jehr, daß die Träger während des fünftägigen Marſches nad)
Ghattas' Hauptjeriba buchjtäblic nur von wilden, ausges
grabenen Wurzeln lebten. Als er nad) achtmonatlicher Ab-
wejenheit diefes fein altes Standquartier wieder erreichte,
fand er es in weit größerm Flore
als vorher: große Waldſtrecken was
ten neu ausgerodet, Dörfer umd
Weiler ringsum entjtanden, eine
Menge Bongo zur Anfiedelung ge:
zwungen worden. An 600 Behau«
jungen follten hinzugefommen fein
und aud) innerhalb der Umpfählung
waren immer dichter die Gtrohr
und Bambushütten und die Son-
nendäcer emporgewachien, während
hohe Steohzäune die einzelnen Ge-
höfte von einander ſchieden und nur
wenige Fuß Breite fiir die Gaſſen
übrig ließen. Bei Unfang ber
\ vegenlofen Zeit begann aud) die
JFurcht vor Feuersgefahr unſern
Reiſenden zu quälen. Er ſollte
| nicht umſonſt geflicdhtet haben.
Er hatte den Reſt des Jahres
mit Heineren Ausflligen verbracht,
fi) dann zu einer zweiten Reife ins
Niam:nian-Land gerliftet und ſaß
am 1. December 1870 beim Brief»
fchreiben, als plögli um die
Mittagftunde der Ruf eines Bongo:
„Poddu, pobdu!* (db. h. Feuer) erſcholl. Nur drei Hütten
weit- von ihm ſchlug die gierige Flamme aus der Spitze
eines Kegeldaches empor und der beftändige Nordoft mußte
fie gerade auf feine Behaufung zuführen. An ein Ret—
ten feiner Habfeligfeiten, die über 100 Trägerlaften aus-
machten, war nicht zu denken; raſch ſchleuderte er wenigftens
die Tagebücher in einen Holzfaften umd ließ fie von den
Dienern nad) dem freien Plage der Seriba fdjleppen; aber
bald verjagte dev Brand die Menfcen auch von dort und
erfaßte die ihm nur für Minuten entriffene Beute, die Reife
journale und Notizen faft der ganzen bisherigen Wanderun-
en! Mur eine halbe Stunde dauerte das Wüthen der
Flamme; dann eilten ſchon die Leute mit Krügen vol Waf-
fersherbei, um wenigſtens einen Theil der glimmenden Korn—
vorräthe in den thönernen „Gugas“ zu retten. Aber was
hatte fie in diefer kurzen Zeit alles vernichtet! Ohne Klei⸗—
der, ohne Waffen und Inftrumente, ohne Three und Chinin
ftand Schweinfurt) vor dem Haufen Kohle, in den die Frucht
mehrjähriger Reifen verwandelt war, eine ganze Aus-
rüftung für die zweite projectirte Niamsniam-Keife, viele
Aus Georg Schweinfurth’s Reifen in Innerafrifa.
Sammlungen von ber erjten, namentlich die von Anfecten
und eg a niſſen des afrikanischen Kunſtfleißes, alle
meteorologischen Beobachtungen, darunter an 7000 Barometer:
ablefungen, die Notizen liber 825 Neifetage, alle Körper
meflungen und Bocabularien, alles, alles war in wenigen
Vlinuten unwiederbringlich dahin. Bald darauf lam noch
die Hiobspoſt, daß diejenigen Händler, welche ſich bereits
wieder nach dem Süden aufgemacht hatten, eine vollſtändige,
blutige Niederlage erlitten hätten; und damit war auch die
Ausficht auf die zweite Niam⸗niam-Reiſe ganz abgeſchnitten.
Es ift eines der größten Verdieuſte dieſes energiſchen
Reifenden, daf er, als das Unglüd von allen Seiten fo auf
ihn einftürmte, den Muth nicht verlor, ſondern ſich raſch zu
neuem Handeln entichloß. Es wäre nuglos geweſen, fich
327
neue Kleider, Waffen, Inftrumente, Papier u. ſ. w. von
Aegypten ſchiden zu laffen; denn fie hätten länger ale Jahres;
feift gebraucht, um ihm zu erreichen, und ihr Eintreffen über⸗
haupt war mehr als zweifelhaft. Aber andererſeits lag noch
über cin halbes Jahr vor ihm, ehe er mit den Handelöbarten
bie beabfichtigte Rückreiſe auf dem Nil antreten konnte; und
in den beiden einzigen ihm gebliebenen Koffern fand er drei
holofterifche Barometer, einen Azimuthcompaß, Dinte,
Schreib» und Zeichnenmaterialin. So war doch wenig:
ften® fo viel gerettet, um die Arbeiten wieder aufnehmen zu
lönnen, und tritben Sinnes fing er von Neuem an zu beob»
adıten und zu ſammeln und das Geſehene durch Schrift und
Zeichnung feſtzuhalten. Zunächſt fiedelte er von den miß-
trauiſchen Nubiern über nach Kurjcut-Ali's Seriba jenfeits
Hütten der Kredi.
des Djur, wo er offenen Credit hatte und ſich wenigitens
nen einkleiden konnte. Don bort unternahm er am Nenjahrs-
tage 1871 eine neue Wanderung nach Welten, die ihn Über
30 deutſche Meilen weit in die Gebiete der Golo und Kredj
führte und von ber er troß des Fehlens jeder Uhr eine ges
naue Karte zu entwerfen vermochte, Er zählte nämlich mit
unermlidlicher Geduld feine Schritte, weldye beim wandern:
den Menſchen (wie ſich ein Feder beim Marſchiren auf einer
mit Ruthen» oder Kilometerfteinen verjehenen Chauſſoe leicht
überzeugen kann) ein ſehr zuverläffiges Yängennaß abgeben,
weit conftanter als bei Thieren, z. B. Kameelen, die, wenn
angetrieben, nicht die Zahl, fondern bie Yänge der Schritte
vergrößern. Ye 100 Schritte, die bei ihm je nach Beſchaf⸗
Notizblatte ein Strich gemacht; die zweiten 500 martirte
ein Querſtrich. Dazwifchen trug er die übrigen Bemerkun-
gen über Wegerichtung und Terrain ein. Auf ſolche Weiſe
hat er auf jener legten Wanderung bis zur Meſchera 11/,
Millionen Schritte gezählt.
Bor Allem lernte er dort die Kredj kennen, die in viele
bunt durch einander mwohnende Stämme getheilt find, das
haßlichſte Volt von allen, die er gejehen, und zugleich von
fenheit des Weges zwiſchen 0,6 und 0,7 Meter variiten,
bezeichnete ein Finger, waren 500 voll, jo wurde auf dem
geringerer Intelligenz als alle Nachbarn. Ihr Körper ift
' plump, jchwerfällig, ohne Ebenmaß umd unter Mlittelgröße,
der Haarwuchs dürftig, die Yippen dider zaufgemorfen und
der Mundſpalt breiter, als bei dem Übrigen Negervölfern
jenes Gebietes. Don Farbe find fie fupferroth und heller
als die Bongo und Niamıniam. Die Bauart ihrer Hütten
ift eine ſehr vernadjläffigte; die meiften entbehren volftändig
328
eines Unterbaued und beftchen nur aus dem breiten, fegel-
fürmigen Grasdache, welches über ein forbartiges, reifrock⸗
ähnliches Gerlift gededt ift, fo daß fie an die Hütten ber
Kaffern erinnern. Ingeniöſer find ihre Kornſpeicher, lorb⸗
artige Bauten, die auf Pfählen ruhen und von einem berfels
artigen, großen Korbdache Überdeft werden. Drinnen ruht
anf Pfählen das riefige, thönerne Kornreſervoir, und darunter
befindet ſich eine Derrichtung, wo vier Sklavinnen zugleich
dem Geſchafte des Hornmahlens miittelft Reibfteinen obliegen
fönmen, die jo aufgeftellt find, daß der zerriebene Brei in eine
Peruaniſche Alterthümer.
gemeinfame, in der Mitte befindliche und mit feftem Thon
umfleidete Sammelgrube fließt. —
Adıt Tage dauerte noch der Marſch von Ghattas' Seriba
nach der Mejchera, dem Einfchiffungsplage, von wo Scwein-
furth am 26, Juni 1871 nach Norden abjegelte. Am 21.
Juli erreichte er Chartum, den Endpunft des Telegraphen,
der alsbald bie frohe Kunde feiner Rucklehr nad; Europa
überbradjte, und nad) einer Abwejenheit von 31/, Dahren
betrat er ſchließlich am 2, November in Meſſina wieder euro«
paiſchen Boden.
Peruaniſche Alterthümer.
Die Feſtungen der alten Peruaner geben ebenfalls einen
hohen Begriff von ihrer Baukunſt; fie waren mit Wällen
und Gräben umgeben, die größeren durch die Feſtigleit ihrer
Mauern, die lleineren durch ihre ſchwer zugäugige Yage ges
fchligt. Ihre Zugänge waren meiftens unterirdiſch, auch
ftanden fie mit den Paläften und Tempeln, wenn ſolche in
der Nühe waren, durch geheime Gänge in Berbindung.
Diefe unterirdiichen Gänge find mit vieler Umſicht angelegt,
in der Regel haben fie Meterbreite und find von Mannes—
höhe, dann verengern fie fich plöglich und find an der Seite
mit zadigen Steinen ausgemauert, jo daß man nur von ber
Seite ſich zwiſchen ihnen durchdrängen kaun. Alles war
darauf berechnet, die Schätze aus den Tempeln und Paläſten
nad) den Feſtungen zu wetten und ben Feinden bie Verfol-
gung zu erfchweren. Außer den allmälig verfchwindenden
Ueberreſten der Feſtung von Cuzeo find die bebdeutendften die
von Galcahilares und Huillcahuaman; weniger interefjant
find die des Chimcandyu in Manfiche, bei Trurillo, da fie
nicht aus gefcnittenen Steinen, fondern aus Yuftziegeln
aufgebaut find.
„Aumara-Statuette."
b’Orbigny.
Rad
Die meiften alten Indianerdörfer der Sierra liegen auf
Anhöhen, Hügeln, Bergipigen und ſcharfen Bergrücken, bie
jegt ganz fteril find, da fie der frühern künſtlichen Bewäſſe—
zung entbehren; fie find faſt immer nad) Often gerichtet,
damit die Bewohner ihre Gottheit gleich beim Erſcheinen
am Horizont fehen konnten. Alle größeren Ortſchaften
hatten im Centrum einen vieredigen Plag, wo bie Tänze
angeführt wurden; von diefem laufen immer mehr oder
weniger vegelmäßige Strafen nad} den vier Himmelsgegen»
ben. Die Bauart der Hänfer war ſehr verfchieden, und
man findet neben den Paläften mit 20 bie 25 Fenſter Front
Sphinyartige Statue vom Ziticaca-Ser, Rad, d'Orbignh.
die Heinften und armfeligften Hlitten. Die von den Reifen»
ben geſchilderten thurmartigen Wohnungen der Departements
Junin und Ayacucho erinnern und am bie heute noch von
den SKaufafusbewohnern (3. B. den Swanen) errichteten
Wohnhäuſer, welche jedes eine Feſtung für ſich darjtellen.
Auch in dem peruanifchen Hochlanden deutet alles auf ge»
waltige Kämpfe hin, von demen leider nur wenig befannt
geworden ift. Daß es fich aber um Racenlämpfe hier hans
delte, erſcheint ſehr wahrſcheinlich.
Die alten Peruaner beerdigten häuſig ihre Todten in
den Wohnungen und verließen dann die Hütten — ein weits
Peruaniſche Alterihümer.
verbreiteten Gebrauch, der in der Südſee und bei vielen
Böllern des öftlichen Aſtens uns wieder begegnet. Wie in
den Gräbern wurde dann auch hier cin großer Theil des Ge⸗
räthes mit vergraben, Diefe verlaffenen Hausftätten und
die Gräber find denn aud) die wid:
tigen Fundorte peruaniſcher Alters
thümer, zu denen neuerdings fich
noch die Guanolager geſellt haben,
Bei den verlaſſenen Häufern fin⸗
det man gewöhnlicd) folgende Anorb-
nung: Unter einer etwa 70 Gen»
timeter hohen Schicht Erde befindet
fi, der wohlerhaltene Cadaver, mei«
ftend, aber nicht immer, in figender
Stellung; räumt man eine zweite
eben jo hohe Schicht Schutt weg,
jo ftößt man auf die Haudgeräthe,
als Koch⸗ und Waffertöpfe von Thon,
Gefäße von Flaſchenkürbis, Dagd-
und Fiſchzeug, Waffen ıc Unter
diefer Lage folgt häufig eine dritte,
in der die Gold- und Silbergefäße
und die Hauegögen liegen, Die
Hole find ans Thon, Stein, Holz,
Kupfer oder aud edelen Metallen.
Die erfteren find hohl, flachgedrüdt
Belleideter Zorfo,
- md meiftens mit bemalten Geſichtern; die fteinernen aus
Granit, Porphyr, Sanbdftein; fie find mafjiv und oft meter
hoch. Die goldenen Gögen find immer hohl, aber ohne irgend
eine bemerfbare Spur, wo fie zufanımengelöthet wurden; ihre
Nach d'Orbignyh.
329
Größe iſt verſchieden, es giebt ſolche die Pfund wiegen;
die ſilbernen find dagegen immer mafjiv. Alle dieſe Götzen
haben eine ähnliche Phyfiognomie , einen unverhältnigmäßig
großen Kopf, meiftens aber mit einer eigenthümlichen Kopf⸗
bebedung, eine lange, oft ſtarl ge⸗
bogene Nafe, große, edige Augen
und lange Ohren. Sie find entweder
in anfrechter oder hodender Stellung.
Die Altertgimer, welche in der
Ungebung von Ya Paz gefunden
werben, als im einer von Aymaras
bewohnten Gegend, zeigen einen eigens
thimlichen Charakter, Sie find uns
gleich roher, gleichſam ſchematiſch und
erinnern zum Theil an die primitiv:
jten Holzſchnitzwaaren Nürnbergs,
wie 3. B. die „Aymaraftatuette“,
die wir nach Alcide d’Orbigny
mittheifen, „Es zeigt fich hier,“
bemerkt der verdienftuolle Frauzoſe,
eine vein hieratifche Eculptur; die
Priefter flihrten diefe einfachen Fir
guren maſſenhaft aus und überlie-
ferten fie den halbbarbarifchen Völ—
fern in ben Anden als ein Sym—
bol, deſſen Bedeutung uns wohl
ſtets unbekannt bleiben wird.“ Auch das ſphinxartige Ges
bilde, das wir im Holzſtich reproduciren, gehört mad) dem«
felben Autor diefer rohern Epoche peruaniſcher Alterthlimer
au, wenn fid) aud hier bereits ein Fortſchritt in der Ber
tom Titicaca - See,
Veruaniſche Geſichtsvaſe.
handlung des Geſichtes zeigt. Ebenſo iſt der belleidete Torſo,
an den die Muſter des Gewandes intereſſiren, weſentlich
beſſer gearbeitet.
Globus XXVIII. Nr. 21.
Prächtige, ausdrucksvolle Köpfe finden wir dagegen oft
an den Waſſergefäßen angebracht, welche der Incazeit zuge»
jchrieben werben. Bereits „Ölobus* XXV, ©. 40 haben
42
330
wir eine Anzahl peruaniſcher Gefichtsurnen abgebildet, die
zum Theil Wehnlichfeit mit jenen aus Pommerellen zeigen,
während bie meiften von einem höhern Geſchmacke und einer
größern Kunftfertigteit Zeugniß ablegen, als die europäifchen
Urnentöpfer befaßen. Auch die fchöne Geſichtsvaſe, die wir
heute bringen, beweift, wie vortrefflic bie alten Peruaner zu
mobelliren verstanden, denn das Geſicht ift volllommen lebens:
wahr und erjcheint wie cin Porträt, Alle peruanischen Ge:
Gegenflände aus der Be
Na
utdinjon.
1. Hupferner Meißel. 2. Flöte aus Anoden. 8. Tabadäpfeife.
6. Holzerne Schäfiel
4. Mahlftein mit Yäufer. 5. Terracottafigur.
in Bogelgeftalt.
find in der Regel von rothem ober ſchwarzem, glänzendem
Thone; die für den täglichen Gebrauch in den Häufern
waren von verjchiedener, mäßiger Größe; bie zum Aufbes
wahren des Chichabieres aber jehr voluminös. In einigen
nit Gyps wohl verjcjloffenen hat man Chicha gefunden,
die über 300 Jahre alt und fehr beraufcend war. Auf
ben Gefäßen aus Flaſchenkürbis find in ber Kegel abens
teuerlihe Figuren einge:
fchnitten. Nicht felten were
den große und Heine goldene
Bedjer von getriebener Ar⸗
beit gefunden, an denen eben
fo wenig als an den Gbtzen
eine Löthnaht entdedt wer:
den kann. Unter den Waf-
fen find beſonders die ſtei⸗
nernen Beile bemertens:
werth; fie haben auf dent
diefern Ende eine Rinne, die
in den Stiel gelegt und an
dieſem mit Kiemen befeftigt
wurde, Schmucdgegenftände,
als Ohr», Nafen- und Yip-
penringe, Halöfetten, Na—
dein, Arms und Fußſpan⸗
gen, waren im der Regel aus Gold und mit bunten Mu—
icheln verziert.» Die Scepter der Incas waren fehr Funft-
reich aus Gold gearbeitet, bie der Kazifen aus „Kupfer.
Hölzerne Gefäße oder Nole findet man felten. Es fcheint,
als ob den alten Indianern die Bearbeitung bes Holzes
ſchwerer gewefen fer als die der Metalle und Steine. Die
Peruaner nennen alle in den alten Gräbern gefundenen
Segenftände Huaqueros, von Huaca in Kechua — Grab,
Thönerne: Waflergefäh, 62
Fuß tief unter duano gefunden.
Nah Hutchinſon.
räbnigftätte von Pahacamäc.
Peruaniſche Alterthümer.
ſichtsvaſen dienten als Waſſer- und Trinfgefäße. Man hat
letztere indefien no in den mannigfachften formen gefun-
den. Häufig ftellen fie zufammengelauerte fragenhafte menfch-
liche Figuren dar, umb viele von biefen find ſehr obfcön.
Die meiften haben zwei Deffnungen, eine zum Einfüllen,
die andere zum Ausgießen des Waflers; bei vielen hört man
beim Fullen einen fehr weichen, flötenden Ton von der durch
die andere Defimung entweichenden Luft. Diefe Gefäße
em
£
KR 9
Steinernes Gotzenbild,
62 Fuß tief unter
Guano gefunden,
Rah Hutchinſon.
Die Gräber, die Beifegung der Leichen, deren Behand-
lung nad) Art der Mumien find fchon fo oft geſchildert
worden, daß wir fliglich hier dariiber weggehen können. Das
gegen verdienen die in großer Menge, namentlich in der
Küftenregion, vorhandenen Tumuli unfere Beachtung. Hut⸗
chinſon, dem wir hier folgen wollen, hat ihnen feine be+
fondere Aufmerkſamleit zugewandt und vergleicht fie mit den
j Mounds des Miffiffippi-
— thales. „Unter den lehtzte⸗
ren werden ſolche von 1000
Fuß Umfang und 70 Fuß
Höhe, andere von 2000
Fuß Umfang und 90 Fuß
Höhe erwähnt. Das find
jedoch nur Feine Mounds
egenüber jenen, bie ich bei
ans und zwiſchen
Lima und Callao gemefjen
habe, Die Spige des fünft-
lichen Hligeld von Pacha⸗
camtäc, 200 Fuß über ber
Baſis gelegen, bildet ein
Plateau von zehn Quadrat⸗
ader Größe, während die
Mounds von Pando und
Ocharan bei Weitem die von Squjer aus dem Mifjiffippi-
thale befchriebenen Erdhligel übertreffen. Jener von Pando
ift 108 Fuß hoch, 278 Ellen lang, 96 breit und umfaßt
14,640,000 Gubiffuß Material. Die Verminderung über
diefe Fülle wird noch erhöht, wenn ich hinzuflige, daß ein
fehr großer Theil des Mounds aus lufttrodenen Ziegeln ber
fteht, deren jeder 6 Zoll lang, 4 breit und 21/, die if.
Noch merfwlirdiger erjcheint, daß viele diefer Ziegel die Spur
Wlachgedrüdter Pin:
guin aus dem Guano
von Guanape.
Nah Hutdinjon.
Peruaniſche Alterthümer.
ven menfchlicher Finger tragen. Es war eine großartige
Idee, einen fo ungeheuern Hügel zu errichten.“
Squier bemerft von ben Miſſiſſippi Mouuds, daß viele
in der Form von Kreifen ober Viereden errichtet wurden
und daf diefe Figuren trog ihrer Größe mit mathematifcher
Genauigkeit ausgeführt find. Bei eimem ift jede Eeite ger
nau 1080 Fuß lang. und die eingefchjloffene Fläche beträgt
27 Ader. Einer der Kreiſe hat gerade 700 Fuß Durd)
meſſer; auch die Ellipfen waren äußerft genau conftruirt,
Ein Wert, welches die Meberrefle einer zwei Miles langen
Steinmauer zeigt, bedurfte zu feiner Herftellung eine Dil-
lion Eubiffuß Steine; eim Erdwerk aber über drei Mil-
lionen Cubilfuß Erde.
Hutchinſon weiſt und aber viel großartigere Werke in
Peru nad. Der Erdhligel von Iuliana oder Ocharan bei
Chorillos erhebt ſich 95 Fuß, hat eine mittlere Breite von
155 und eine Fänge von 1284 Fuß. Er wurbe von einem
äußern Wall umgeben, deſſen Seiten 2448 beyw. 2100 Fuß
maßen, der jet aber größtentheils zerftört ift. Die Mif-
fifippi-Mound-Erbauer müflen, wie Squier hervorhebt, etwas
von Geometrie verftanden haben; die Maße der peruanifchen
Mounds find nach Hutchinfon ſtets Multipla von zwölf und
er fieht hierin eine frühe Kenntnig des Zodiecus. Während
aber die Miſſiſſippi ⸗ Mounds, fofern fie Begräbnißflätten wa-
ven, ftets nur ber einem Leichname aufgefchlittet wurden,
find die perwanifchen wahre Friedhöfe mit Taufenden von
Leichen, deren jede ihren befondern Ruheplatz in dem gemein
ſamen Hügel hat.
Nach Hutdinfon find alle diefe Werke vorincaifch und
auch Raimondi *) nimmt dieſes von den Mounds am
Ylullan, bei Caraz und Pumacayan an; diefer frühern Epoche
gehören nad) ihm auch die Ueberreſte des Palaftcs von Dial:
pajo an, welchen die Spanier den Namen Castillo de cala-
veras (Schädelichloß) gegeben haben. Es zeigt vier große
elliptifche Manern, die in der Mitte auf dem höchften Punkte
des Mounds zwei eigenthitmlich geftaltete Häufer einfließen.
Alles Mauerwerk ift vom ungeheneren unbehauenen Stein
blöden aufgeführt, die indeſſen doch eine platte Oberfläche
bilden, da alle Zwiſchenräume und Fugen mit Meinen Stei-
nen ausgefüllt find. Die äußere Mauer hat vier Thüren
von elliptifchen Durchmefler. Am Eingange ift fie vier
Ellen dick; fie bildet hier eine Veftibule, die mit glattber
hauenen Algarobaftämmen gededt ift.
Noch 12,000 Fuß über dem Meere, bei Parärä (b. h. Muhl⸗
ſtein in Aymara), wo faſt beſtändig Schnee liegt, fand Hut-
hinfon Ruinen von Forts. Noch wunderbarer erſcheinen
ung die Befeftigungen von Lipa auf den Höhen von Paja-
candha, norböftlic von Andamayo, und bie dortigen Gräber,
welche Raimondi (S. 182) ſchiidert. Zerftreute, ohne Zur
fammenhang daliegende Steine zogen 1859 hier die Auj-
merhjamfeit der Bewohner an; fie geuben nad) und fanden
Grabfammern von prächtig behauenen Dioritquadern, deren
rößter gegen 4 Meter lang und 3 Meter breit war. Der
) EI Departemento de Ancachs y sus riquezas minerales por
A, Raimondi, publiendo por Enrique Meiggs. Lima 1873.
331
Sandftein, der fic) gut bearbeiten läßt, um fo mehr fällt es
auf, dak man den Diorit aus weiter Ferne hierher holte,
um dad Grab zu bauen. In der Grabfanımer felbft fand
man feinen Körper, wohl aber in Heinen Nifchen eine Ai
je Kinderknochen und goldene Gefäße von vortrefflicher
rbeit. Degt machten ſich Schaggräber daran, ringsum
den Boden zu durchwühlen, und es wurde dabei noch man-
er wertvolle Fund zu Tage gefördert. Ein „Steinfarg*
tam zu Tage, der Schatzgräber hörte etwas darin Happern
und freute ſich bereits auf die Silberbarren, bie er darin
vermuthete, Als er den Dedel öffnete, fand er den „Sarg“
gefüllt mit Tarucahörnern (dem Geweih von Cervus an-
tiensis).
Um ſcharfe Perioden der peruanifchen Archäologie aufs
zuftellen, fehlt es jegt wohl noch an genligenden Örundlagen,
fo viel tüchtige Leute aud) auf diejem Felde gearbeitet haben.
Der Stoff ift noch nicht gehörig gefichtet; darin dürfte Hut-
dinfon Recht haben, daß nicht alles Gefundene auf Ned)
nung der Incas zu fegen if. „Wir wiſſen wenig mehr von
der vorgeſchichtlichen Anthropologie Perus, als daß feine
Einwohner wunderbare Arbeiter waren, fie hatten, fo viel
bekannt, feine gejchriebene Spradje, die Felsinſchriften aus«
genommen, welche jedocd noch micht entziffert find, die
Duipus (Knotenſchrift) aber gehörte den Incas an. Doc)
kannten die vorgejchichtlichen Peruaner bereits den Gebrauch
der Metalle und Yegirungen, fie fabrieirten und färbten
Stoffe, waren gefdjidte Töpfer, wenn ihnen aud) die Dreh:
fcheibe unbefannt war. Bon ihren Waffen kennen wir Keu—
len, Bogen, Pfeile, Schleudern.“
Nach Hutchinſon hat aud) der berühmte Pahacamäc-
Tempel mit den Incas nichts zu thun, desgleihen nicht die
Alterthlimer, welche er im Guano fand und von denen wir
nad) jginem Werte „Two years in Peru“ hier einige ab-
bilden, Bis . einer Tiefe von 35 Fuß wurden unter den
Guano der Chinha-Infeln verfchiedene in Holz geichnigte
Hole aufgefunden; ja in 62 Fuß lagen unter reinem Guano
noch ein Steinbildnig und fteinerne Waflertöpfe. Noch
fünftlerifcher geftaltet find die „königlichen Embleme und
Hausgögen* aus Holz, die ebenfalls in den Guanolagern,
in einer jedoch nicht genau beobadjteten Tiefe, gefunden wur—
den, Auf den Guañapa-Inſeln entdeckte man unter einer
32 Fuß mächtigen Guanoſchicht den Körper eines Pinguin,
der durch die Prefiung der auf ihm lagernden Maſſe zu der
Dide von nur einem halben Zoll zujammengequetict war
und doc) noch, wie die Abbildung zeigt, ſich gut erkennen
ließ. Unter diefem Vogel lag noch ein Stüd Zeug.
Schluſſe, die anf das Alter von Gegenfländen gezogen wer
den fünnen, weldye unter geologiſchen Ablagerungen ausge
graben werden, find immer unſicher und müſſen mit der
größten Vorſicht aufgenommen werden. Wir können bie
Zeit nicht beftimmen, welche zur Unhäufung von 32 oder
62 Fuß Guano nothwendig war; jedenfalls aber vüden die
Funde im Guano in eine fehr frühe Zeit hinauf. Daß man
fehr vorfidhtig bei der Altersbeftimmung folder Dinge fein
muß, ergiebt fic daraus, daß unter den 1872 von Hutdin«
fon bei Ancon aufgefundenen Schädeln und Alterthlimern
ſich auch ein ganzer Maulthierhuf befand, der natürlich, nicht
über die ſpaniſche Zeit hinaufreicht.
42*
332
vd, Reinsberg-Düringsfeld: Die Bäume im ficilianifhen Vollsglauben.
Die Bäume im ficilianifhen Volksglauben.
Von Freiheren von Reinsberg-Düringsfeld,
Während die Pieder und Märchen des ficilianifchen Bolts
zahlreiche Ziige aus heidniſcher Zeit enthalten, ftammen die
Ueberlieferungen, die ſich an Bäume Inüpfen, im Sicilia-
nifchen fait ſämmtlich von chriftlichen Yegenden her. Der
Volfkemund fpricht fogar am häufigften und liebften nur von
folchen Bäumen, melde in unmittelbaren Beziehungen zum
Leben des „Meifters* ftehen, wie Jeſus Chriftus in den
dortigen Sagen genannt wird, und felbft Giuſeppe Pitre in |
Palermo, der unermüdlichite Forſcher und gründlichfte Kenner
der Traditionen, Glaubensmeinungen und Seiftesänßerungen
der Bevöllerung Siciliene, Hagt in einem an den befannten
Profeffor Angelo De Gubernati® in Florenz gerichteten Briefe
über „die ficilianische Vollsbotanik“, daß er in Betreff der
Baumverehrung auf Sicilien beinahe nichts gefunden habe,
was ſich auf vorchriftliche Erinnerungen zurüdführen ließe.
Die beim Bolt im höchften Rufe ftehenden Bäume find
die Palme, der Feigenbaum, der Franzofenholzbaum,
die Tamariéke und ber Delbaum.
Bon der Palme oder parma giebt es viele Legenden.
Unter ihrem Blätterbache fuchte auf der Flucht nach Aegypten
die Heilige Familie Schug und Labung und ihre Zweige ſenk⸗
ten ſich niederwärts, um den am Fuße des Stammes Kur
henden dichtern Schatten zu bereiten. Als Maria, von den
ſchönen Früchten amgelodt, die fie hoch über ſich erblidte,
heimlich den Wunſch ausſprach, nur vier der Datteln zu
haben, um damit ihren vor Durft und Müdigkeit brennenden
Mund zu fühlen, bog die Palme ſich plötzlich fo tief, daß
die Mutter Gottes mit Gemächlichfeit die Früchte pflücken
und verzehren fonnte, Dadurch gerührt, fegmete Jeſus
Chriſtus die Palme und wählte fie zum Heilmittel für die—
jenigen aus, welche dem Tode nahe find, indem er erflärte,
daß er felbft mit Palmenzweigen triumphivend in Jeruſalem
einziehen wolle,
Ihrem hohen und majeftätifchen Wuchje verdankt die
Palme eine Art Vorzug auf dem Gebiet ber Licbespoefie:
fie wird nämlich gern zur Bergleihung bald der Yiebften,
bald des Liebſten angewandt.
Schöne Liebſte mit den blonden Flechten,
Hoch und prachtvoll gleich der ſchönen Palne,
heißt 8 in einem Liede, und in einem andern, welches ganz
die Gluth des Südens ausathmet, fügt fogar die Schöne auf
einer Palme, um Datteln zu pflüden, und ihr Piebhaber
brennt vor Schnfucht, fie herabfteigen zu fehen.
Aus einer fprüchwörtlichen Nedensart geht der fonderbare
Glaube hervor, daß, wer eine Palme pflanzt, nie Früchte
von ihre pflätcht, weil fie erft nach hundert Jahren tragen foll.
Der Delbaum ift gleich der Palme ein Sinnbild des
Friedens und fpielt wie fie am Palmfonntag eine große Rolle.
Die ftatt der Palmen geweihten Delzweige werden „Palmen“
genannt und Dellaub wird an diefem Tage maljenhaft in bie
Städte und Dörfer gebradjt. Die Fiſcher ſchmucken mit ihm
ihre Barlen, die Fuhrleute ihre Sättel und die Landleute
fteden Zweige in ihre befäeten Felder, um diefe zu fchügen
und fruchtbarer zu machen.
Der Franzoſenholzbaum ift Heilig und traurig zu—
gleich, weil fein Holz einft zum Kreuze Chrifti diente,
Am Feigenbaum hat fi Judas gehangen, deshalb
blüht er nie. Eine andere Sage behauptet jedoch, der Baum,
welcher Judas zu diefem Zwed gedient, fei fein iFeigenbaum,
fondern eine Tamariste geweſen und zwar bie tamerix
africana, welde man auf Sicilien vruca neunt. Bor
Chriſti Geburt war fie ein großer, ſchöner Baum und fo
ftart in ihren Aeften, daß Judas Iſcharioth im feiner Ber-
zweiflung, den Meifter verrathen zu haben, fie auffuchte, um
fi an ihr zu erhängen. Bon dem Yugenblide an ward
aber die Tamariske immer niebriger und Heiner, bis fie zu⸗
letzt bloß als häßlicher, mißgeftalteter Strauch wuchs, der
heutiges Tages zu der Vergleichung dient: „Tintu comu la
vruca,* elend wie die Tamariske, die nicht einmal zum Ber:
brennen taugt, fo daß man fprüchwörtlich jagt: „Du bift
wie das Holz der Tamarisfe, das weder Aſche noch Feuer
giebt.“ (Si’ comu lu lignu di la vruca, chi nun fa n&
einniri n& focu.)
Die Seele des Judas iſt dazu verdammt worden, ewig
in der Luft herumzulreiſen und mur, jo oft fie eine Tama«
riöfe ſieht, anhalten zu müflen, um zur Strafe ihren Körper
zu erbliden, der ihr an einem Afte hängend erſcheint.
Manche behaupten jedoch, der Berräther am Meifter
habe fein tranriges Leben weder am Feigenbaum noch an
ber Tamariste, fondern am fogenannten wilden Johannis»
brotbaum (cereis siliquastrum) geendet, der deshalb and)
gewöhnlich, wie in ganz Italien, Judasbaum (arvula di
Giuda oder di Giuden) heißt.
Flie minder bedeutend, wenngleich ebenfalls für heilig,
gelten die Pinie, die Pappel, die Myrthe, der Holluns
ber und einige andere Pflanzen.
Die Pinte fteht in großer Achtung, weil fie nicht nur
den Weihrauch zu den kirchlichen Ceremonien liefert, ſondern
auch an das Yefusfind mahnt. Denn wenn man einen
Pinienzapfen nimmt, die Frucht ausjchält und ben innern
Kern der Nuß ſenlrecht durchichmeibet, jo nimmt man, wenn
man recht hinficht, das Abbild einer Hand wahr, und das
ift die des Jeſuskindes, im Begriff zu jegnen.
Der Grund diefer Erfcheinung beruht jedoch nicht etwa
auf einer Zufälligleit oder einem launenhaften Spiel ber
Natur, fondern hängt wiederum mit einer Legende zufammen.
Als nämlich die heilige Familie auf ihrer Flucht nach Aegyp⸗
ten einen Ort zum Ausruhen fuchte, näherte fie ſich einer
Lupinie, die unweit des Weges ftand. Wie die Tamarisfe
war auch die Lupinie zu jener Zeit mod) ein ſchöner Baum,
der überdies äußerſt wohljchmedende Früdjte tung, Die
Pupinie weigerte fich indefien egoiftifch, die armen Flüchtlinge
unter ihrem Schatten aufzunehmen, und zog ihre breiten
Zweige fo zuſammen und an den Stamm heran, baf bie
Keifenden unbedeckt blieben und trog ihrer Müdigkeit die
fchmerzhafte Wanderung fortfegen mußten. Bald darauf
erblidten fie eine Pinie, unter welche fie fid) begaben, und
diefe breitete ihre fchönen Zweige möglichft weit aus und
verbarg liebevoll das Kind.
Seit jenem Tage genoß die Pinie der Begünftigung,
bie Hand des Chriftusfindleins zu jeigen und immer mehr
zu wachſen, während die Yupinie dazu verdammt wurde, ſich
nicht über eine Spanne hoch von der Erde zu erheben und
fortan fo bittere Früchte zu fragen, wie fie jegt hat.
v. Reinsberg-Düringsfeld: Die Bäume im ſicilianiſchen Vollsglauben.
Die Bappel, wie bie Myrihe, der wilde Delbaum,
der Mänfedorn, die Gänfediftel, das Lungenkraut
und der Boley dienen zur Ausſchmückung der Weihnachts:
frippen und werben ſchon deshalb geſchätzt. Bom Poley
(mentha pulegium, ſicilianiſch puleju) erzählt man nod)
außerdem, daß er in der Chriftnacht gerade um Mitternacht,
wenn bas Jeſuskind zur Welt gefommen, wieber blühe, ohne
gelim zu werden, was in der Johannisnacht wirklich vor«
fommen fol,
Bon ber Myrthe heißt e8 ſpruchwörtlich: Cei nni
voli murtidda p’ apparari li Santi! (mir brauchen
Myrthe, um die Heiligen auszufchmüden!), weil man zum
Schmud der Heinen Altäre und Capellchen der Heiligen die
Zweige von Myrthen und Orangenbäumen verwendet, Aus
den letzteren macht man auch einer alten Gewohnheit gemäß
die großen Feftguirlanden um die Bilder von Maria Himmels
fahrt während der erſten fünfzehn Tage im Auguft, und
um die Bilder Maria's und Joſeph's mwührend der legten
acht Tage vor Weihnachten, in denen die herumziehenden
Dirdelfadpfeifer ihre vier ober fünf Stüde abfpielen.
Dagegen pflegten bis vor wenigen Jahren am Feſte ber
heiligen Rofalia in Palermo die Knaben aus ben Bolks—
claffen zum Zeichen der freude und des Jubels ſich Kopf
und Bruft über und über mit Zweigen vom Hollunder
oder savucu (lateiniſch sambucus nigra) zu ummwinden und
ſich an den Schläfen Schellen oder Heine Glöckchen zu be
feftigen, um mit den Nennpferden zu wetteifern. Noch heu—
tiges Tages prangen an diefem Feſte alle Straßen der Stadt
mit grünem Rohr, woran Abends bunte Papierlämpchen
gehängt werben.
Da man glaubt, daß grünes Rohr bie giftigen Schlan-
gen „bindet“ und töbtet, während man fie mit fnotigen
Stöden vergebens ſchlägt, ohne bies zu erreichen, fo nimmt
man gern einen Gtodf aus grünem Rohr, wenn man im
Sommer durch Felder oder Berge geht. Dürres Rohr
aber wird an bie Grenzen eines Beſitzthums geſteckt, weil
es dieſes avitatu oder unberührbar und heilig machen fol.
Die Eypreffe (ficilianifd) nucipersicn) ift der Haupt-
trauerbaum; nad) ihm folgt die Trauerweide oder arvulu
piancenti, weinender Baum, und die Bappel, deren Holz
in der Gegend von Acireale für geweiht gilt und deshalb
zu Heiligenjtatuen bemugt wird, Mit diefen Bäumen ums
pflanzt man die Kichhöfe im Sieilien, ohne jeboch, wenn
fie vereinzelt ftehen, ihnen eine lible Vorbedentung zuzufchrei-
ben. Auch die Gärten ber Bettelmönchklöſter find mit Cy—
preffen umgeben,
Laut dem Eprlihwort:
Ce’'ö tant ervi all’ orti,
E ce'& la rosamarina pi li morti
(e8 giebt foviel Kräuter für den Garten umd es giebt den
Rosmarin fiir die Todten)
gilt der Rosmarin ebenfalls für eine Trauerpflanze. Im
den BVolfserzählungen ift er ben Feen heilig, weshalb die
in Schlangen verwanbelten Königstöchter vor jeder Verfol—
gung ficher find, fobald fie eine Rosmarinſtaude erreichen
und berühren können. In einem Märchen, welches G. Pitrs
in feiner vortrefflichen Sammlung ficilianifcher Märchen,
Sagen und Erzählungen *), der bejten und reichhaftigiten
Italiens, unter Nr. 37 de8 1. Bandes mittheilt, kommt
fogar eine Königstochter als Nosmarinpflanze zur Welt und
nimmt erft fpäter Menſchengeſtalt an.
*) Fiaba, Novelle e rarconti popolari sieiliam. Palermo 1875.
4 Vol.
333
Nicht minderer Beglinftigung Seitens ber Feen erfreuen
ſich der Nuß- und Fohannisbrotbaum.
Den legtern betrachten die Feen geradezu wie ihr Haus,
in dem fie wohnen, und den Nußbaum Lieben fie ebenfalls
als Aufenthaltsort, befonders des Nachts. In Salaparuta
ift ein mit großen Nußbäumen dicht bewachſener led, der
mit heiliger Scheu betrachtet wird, weil dort die Feen in
Unzahl haufen, und mod; heutiged Tags wagt einige Stun:
den nach dem Ave Maria Niemand dort vorliberzugehen,
aus Furcht, unter einem biefer Bäume behert zu werben.
In Santa Ninfa wird der fogenannte Nußbaum von
Bonaventa wegen gewiſſer Geifter, die fid) in ihm aufhalten
follen, am meiften gemieden, und der Name diejes Baumes,
deffen Bedeutung die Landleute nicht fennen, ift offenbar eine
Erinnerung an den berühmten Nußbaum von Benevento,
das Stelldichein der fditalieniichen Hexen. Da der Baum
für bebert gehalten wird, müſſen um fo mehr auch feine
Fruchte daflir gelten, und namentlich werden einer Nuß mit
drei Kernen die wunderbarſten Kräfte zugeichrieben.
Wer eine ſolche Nuß in der Tafche hat, befigt die Macht,
vor Blig und Donner, vor Beherung und Zauber aller Art
zu fügen, die Entbindung einer Frau zır befchleunigen,
aus Streit und Handgemenge ſtets ſiegreich hervorzugehen,
und wer eine foldye Nuß verzehrt, wird vom Wechſelfieber
befreit.
Allgemein verficert man, ber Nußbaum fei der Gefunb-
heit des Menſchen jchäblich, und vom Yohannisbrotbaum bes
haupten die Bewohner von Borghetto, daß Feder unfehlbar
fterben müffe, der das Unglüd habe, von ihm herabzufallen,
Auch theilen beide Bäume mit dem Maulbeerbaum die
Eigenfcaft, den Blig anzuziehen, und namentlic, in Santa
Ninfa (Provinz Trapani) und in Cianciana (Provinz Gir-
genti) hütet ſich Jeder ängftlich davor, bei einem Gewitter
unter einem dieſer Bäume Schub zu fuchen.
Der Yorbeer ift in ber Ueberlieferung der Gelehrten
wie des Volls den Dichtern heilig, weil dieje in der Vorzeit
zugleich Seher und Weiflager waren, und der Lorbeer urs
ſprünglich die Kraft verlieh, das Berborgene zu ſchauen.
Darum ift er auch das Sinnbild der Zauberkunſt und die
Zauberer pflegen fid) aus feinen Zweigen Kränze um bas
Haupt zu winden und mit feinen Blättern die Kleider und
Gewänder zu ſchmiicken.
Die Tanne dagegen, welche die Botaniker abies pec-
tinata nennen, wird vom Bolfe als Heilmittel für Bezau—
berte oder von Geiſtern Befefjene angefehen und heißt deshalb
arvulu eaccia-diavuli, Teufelvertreibbaum, arvulu cruci-
eruci, Kreuzfrenzbaum, oder arvulu di S. Filippu, St. Phi-
lippsbaum, Eigenthümlich ift der Glaube, daß der Yor-
beer vor Blig und Wetterſchlag ſchützt, und als befonders
heilig wird er in ©. Cataldo (Provinz Caltanifetta) ans
gejehen, wo fi) am 7. December jedes Jahres die Abgeorb-
neten zum Feſt der Madonna, der höchſten Schutheiligen
der Gemeinde, in die Umgegend begeben, um große Aeſte
und Zweige von Porbeerbäumen zu hofen und in mächtigen
Bindeln in die Stadt zu bringen. Dort gehen fie in das
Haus eines der Abgeordneten, fteigen im die oberen Stockwerle
und werfen von ben Balconen aus ihre grlinen Schäge auf
die Yeute hinab , die fid) maffenhaft vor dem Haufe verfams
melt haben und ſich drängen, einen Zweig davon zu erhafchen.
Wem es gelingt, der bindet ſogleich Schleifen, Franſen und
Tledchen von Seide jowie Orangen daran und nimmt mit
dem fo verzierten Aſt in der Hand Theil an der Brocefjion,
welche am Nachmittag ftattfindet und bei welcher die fänmts
lichen jogenannten Hlite oder cappeddi, d. h. Abgeordnete,
Priefter und Vornehme, Zweige ftatt brennender Kerzen
tragen,
334
Ein anderer wunderbarer Baum iſt der Pfirſichbaum,
in welchen mit Kröpfen Behaftete nur in der Dimmelfahrte«
oder Johannisnacht hineinbeigen birfen, um ihr Uebel los |
zu werden, weil die Rinde dieſes Baumes alle ſchlechten
Säfte von Drifenfranfen und Kehlfüchtigen einfaugen foll.
Wenn jedoch der Baum im folge des Biſſes nicht ab»
ſtirbt und vertrodnet, ift feine Geneſung des Kranken zu
erwarten.
Bom Dleander fchnigen die Yandleute vom Aetna Stöde
für die Greife. Deshalb pflegen fie auch dem Alten, der
bei der vollsthümlichen Darjtellung der heiligen Familie am
19. März den heiligen Joſeph vorftellt, einen Dleanderftod
in die Hand zu geben.
Der Beinftod ift den Weinteinfern lieb und werth,
aber zum Schild für Weinfcenten nimmt man hier und da,
wie in Acireale und im anderen Gemeinden am Aetna,
Epheu, an vielen Orten einen Dlivenzweig oder noch häu«
figer einen Yorbeerzweig.
Der wilde Feigenbaum, in Toscana „Vaterunfers
baum“ genannt, heißt auf Sicilien arvulu di pacenza,
Geduldbaum, oder bloß Pacenza, Geduld, und gilt flir das
Symbol der Umtrene der Frau gegen den Dann, weshalb
man von einem betrogenen Ehemanne fagt: er ift pacinziuzu,
Aus allen
Ueber die „Volkspoeſie der Lappländer”
erftattete Here W. J. Niemirowitih:-Dantichenfo der
taiſerl. ruſſ. Geographiſchen Geſellſchaft in ihrer Sigung vom
12, October 1874 Bericht, dem wir Folgendes entnehmen:
„Es bat die Anficht geberricht, daß die Yappländer (ruf:
ſiſch Lopary“) weder Volkslieder, noch Sagen, noch ſonſt
etwas einer Volksliteratur Achnliches, wie andere Völker,
befigen. Dank den Bemühungen des Herrn Dantſchenko hat
es ſich herausgeſtellt, daß die Lappländer eine ihnen eigen:
tbiimliche Volkspoeſie befisen, fich jedoch vor ruſſiſchen Zu:
börern zu fingen jchämen , oder fie wohl gar ſelbſt nicht leu—
nen wollen und ftatt ihrer Ueberſetzungen ruffiicher Lieder
fingen. Die Lappländer haben felbit zugeftanden, daß bei
ihmen jchon Liederfammler aus Schweden und Finnland ge:
weſen find und Vieles aufgeichrichen baben, fie baben dieſen
Sammlern jedoch nur ruſſiſche Lieder vorgefungen; bie or:
tbodoren Beiftlichen aber, welche in bejtändiger Verbindung
mit den Lappländern find, verzeichnen ihre Lieder nicht. Das
erste rein Iappländiiche Lied hat Herr Dantichenfo in Iman—
dra gehört, wo der Lappe Baſilius Moſchnjakow ihm lapp-
ländiiche Worte ing Nuffiiche überfett hat, Immer baben
nur Frauen gefungen, während die Männer ausſchließlich
erzäblten; den alten Weibern wurde vor Allen das Singen
überlaffen. Die Lappländer haben jelbft verfichert, daß jest
nur noch Bafılins Barchatow allein alte Yieder fenne; Andere
kennen ſolche micht mehr, Die alten Lieder ſind, wie die
Pappländer verfichern, bejier al& die neuen, weil Gott Yapp-
land damals mehr liebte. Die Mehrzahl der Sagen behan—
delt die Einfälle der Tſchudjeh, welche mit Schwerter jodh:
ten (bie Lappländer vertheidigten fich mit Bfeilen), und die der
Schiſcheier. Schr intereffant waren die Erzäblungen vom
wunderbaren Kinde 2), welches ein Lappländer ans einer
i) Ueber tiefen Volleſtamm vermweife ich auf Abtheilung 1, Seite 9
meines bei Otto Spamer in Leipzig erfebienenen Buches: „Sibir
rien und bas Amurgebiet” von Albin Kobn und Richard
Anbdree.
2) Man vergleiche dieſe Sage mit dem, wat Dr. 5.8. Schwarg
Aus allen Erdtheilen.
| ober noch deutlicher: dienu d’aviri la Pacenza davanti la
porta! (werth, den Geduldbaum vor der Thür zu haben!).
Diefe Redensart ift befonders am Aetna fehr üblich, wo
die Yandleute aud) das Vorurtheil hegen, daß, wer vor dem
‚ Dohannistag (24. Juni) unter einem Baume ſchläft, lrank
‚ oder behert wird. he man ſich niederlegt, muß man daher
‚ einen Zweig abbredyen, um den Baum „zur Aber zu laſſen“
(sagnari l’arvulu), weil Aderlaf überhaupt im Stande
ift, die ſchlinme Wirkung eines menfchlichen oder Ubermenſch⸗
lichen Wejend zu neutraliſiren. Auch die Wärwölfe (fici«
lianiſch lupi minari, oder lupunärii, mannäri), weldje, wie
das Bolt jpricht, am „Mondübel* leiden, können unfhädlic)
emacht werden, wenn man fie während ihres Zuſtandes mit
irgend einem fpigen Gegenſtand fticht, bis Blut lommt.
Wenn ein Obftbaun längere Zeit nicht trägt, fo geht
in Ueria (Provinz Mefjina) am Charſamstag unmittelbar
nach der Auferstehung Chriſti der Befiger, begleitet von einem
Nachbar, mit einem Beil hinaus, um ihm abzubauen. Beim
erſten Schlag verwendet fich der Nachbar für den Baum und
‚ bittet den Befiger, noch ein Jahr zu warten, che er ihm das
| Leben nehme, und der Beſitzer läßt ab und bewilligt dem
‚ unglüdlichen Baume nod) ein Jahr, in der Hoffnung, ihm
| wieder des Lebens und des Lobes wlirbig werden zu jehen.
Erdtheilen.
Schlucht gebracht bat, und von feiner Aehnlichkeit mit der
Tſchudj. Wenn der Sturm wüthet, jagt der Lappländer, daß
die Tichudj daberbrauft. Die Tſchudj bat ſich in Berges:
ſchluchten geflüchtet und kommt jegt noch oft aus dem Felſen
hervor. Auch die Sage vont Kampfe dreier Helden mit ber
Tſchudi, welche faft immer, felbft in Sagen von mytbiichem
Charakter, eingemifcht wird, iſt nicht ohne Intereſſe; in ihr
ift das Motiv der Verrath, welchen die Frau des Helden
begangen bat und das in den Ueberlieferungen fo vieler Böl:
fer °) vorfommt. Bei den Yappländern findet man auch als
Motiv das „Anthun*, welches vom Tenfel berfommt; auch
bat fich bei ibmen die Tradition erhalten, daß weftlich von
Kola „kranke Lappländer“ wohnen; es ift jedoch unmöglich,
die Bedentung diefer Ueberlieferung zu ermitteln. Nach ört:
lichen Erzählungen bat der Kaiſer Peter die Yappländer jehr
geliebt; er hat ihnen Geſetze über den Fiſchfang gegeben und
dieſe liegen, zur Sicherheit mit Lanzen durcftochen, an ver:
borgenen Drten. Im Allgemeinen konnen jegt nur noch alte
Weiber die altertbiümlichen Geſänge, wie 3. B. von der
Waflerjungfran + mit dem goldenen Kamme und vom che
maligen Gotte, den man jet Teufel nennt Dieſem Gotte
wurden Wentbierhörner 5) geopfert. Während der Annahme
des Ghriftentbums wurde der lebte Haufen folder Opfer:
börner ins Meer geworfen, infolge deſſen ein furchtbarer
Gewitterſturm mit Bligen entſtaud und Bott entflob im einem
Wöllchen auf die Berge. Jetzt bat ſich diefer Gott in vier
Krühen verwandelt und wohnt in ben Bergen.“
Albin Kobn.
in feinem: „Der heutige Volfsglaube und das alte Heitentbum,” ©.
58 über ten goͤttlichen Düngling und was er überhaupt über bie
„wilde Saab" faat.
3) Unter Anteren auch des polnifchen Volfes,
*) Diele Sage bat auch unter den Lithauern geberrfcht, und Adam
Mickiewicz bat fie in feinem Gedichte „Switegianfa” erbalten.
d) Sollte dieſem Brauche micht der bei anteren Möltern berr
fhente Brauch, ten Teufel mit Hörmern gu malen, entſprechen?
ie Aus allen
Die auftralifhe Eolonie Victoria,
Victoria zählte am 31. December 1874 eine Bevöllerung
von 807,756 Seelen und hatte damit im Verlaufe des Jahres
einen Zuwachs von 17,264 erhalten. Am 31. März 1875
ftellte fich die Seclenzabl auf 810,422, wovon 440,140 dem
männlichen und 370,282 den weiblichen Geſchlechte angebör-
ten. Dazı kommen noch au Eingeborenen 1553. Won die:
fen waren 557, d. i. 302 männliche und 255 weibliche, auf
den ſechs Stationen Corranderrt, Lake Hindmarſh, Lake Eon-
dab, Lake Wellington, Framlingbam und Late Eyers, welche
unter ber fpeciellen Gontrole des „Board for the Protection
of the Aborigines“ in Melbourne ftchen, freiwillig angefiedelt.
Es beftehen auf diefen Stationen Schulen für die Kinder,
und die Erwachienen werden mit ländlichen und häuslichen
Arbeiten zweckmäßig beichäftigt. Im biefer Weile ward im
Jahre 1874 ein Ertrag von 2643 Pf. St. Werth erzielt, der
aber für den Unterhalt der Auftalten nicht ausreichte. Das
Fehlende gewährte die Staatscafle.
Die öffentlichen Einnahmen aus dem Finanzjahre vom
30. Juni 1874 bis dahin 1875 fummirten auf 4,132,118
Bf. St., gegen 4,065,123 Pf. St. im Vorjahre. Eingangszölle
lieferten 1,628,284 Pf. St., Acciſe 75,714 Pf. St., Ertrag
„ aus Kronlandverfauf und Reuten 941,875 Pf. St., Eifen-
bahnen 921713 Pf. St, Volt und Telegrapben 198,325
Bf. St. u. 1. w. Dagegen berechneten fich die Ausgaben auf
4,325,277 Bf. St.
Der Zotalerport des Jahres 1874 bemißt den Werth
von 15,441,109 Bf. St., gegen 15,302,454 Pf. St. im Jahre
1873. Dagegen ftellt fich der Import auf 16,953,985 Pf. St.
gegen 16,533,855 Pf. St. j
Die wichtigften Erportartifel der Colonie bilden Wolle
und Gold. Die Wollansfuhr datirt vom Jahre 1537 mit
514 Ballen (a 340 Pfund), ftien im Jahre 1547 auf 30,029,
im Jahre 1857 auf 60,520, im Jahre 186667 (das Wolljahr
zählte jet von Detober zu October) auf 175,216 und im
Jahre 1873/74 auf 265,540 Ballen im Werthe von 6,173,506
Bf. St., den Ballen durchſchnittlich mit 23 Pf. St. 5 Sc.
berechnet. Die erften zehn Donate des Jahres 1874/75 ergo:
ben eine Wollausfubr von 295,705 Ballen; diefelbe wird ſich
aber in den beiden fehlenden Monaten, da die Saifon fo gut
wie vorüber ift, nur noch um ein Geringes erhöhen. — Da-
gegen bat der Golberport in dem Ichten Jahren eine con
finnirliche Abnahme erfahren. Im Jahre 1874 lieferten die
Goldfelder der Colonie einen Ertrag von 1,102,614 Unzen
— die Unze zu 3 Pf. St. 18 Sch. —, gegen 1,249,407 und
1,817,102 in dem beiden Vorjahren.
Am 31, December 1874 waren von dem Areale ber Co:
lonie erft 15,583,028 Acres in Privatbefis übergegangen, das
Uebrige verblieb noch ald Kronland. Davon befanden fich
am 31. März 1875 im Ganzen 1,011,790 Acres unter Gul-
tur oder 46,803 mehr als im Vorjahre. Unter Weizen ſtan—
den 332,935, mit einem Ertrage von 4,850,135 Buſchels (ü 60
Pfund Gewicht) oder 14,6 vom Acre. Mit Hafer waren
114,921 — Ertrag 2,121,612 Buſchels (& 45 Pfund) — und
mit Gerfte nur 29,505 Acres — Ertrag 619,596 Buſchels
{a 40 Bfund) — befäet.
Die Zahl der im Jahre 1874 beförderten Briefe beziffert
ſich auf 15,739,888, die der Zeitungen auf 6,966,918 und die
der Padete auf 1,269,322.
Die durchſchnittliche jährliche Negenmenge in Melbourne
ergiebt für die letzten dreißig Jabre 27,230 Zoll. Die größte
Regenmenge fiel im Jahre 1849 mit 44,250, und die geringjte
im Jahre 1865 mit 15,94 Boll,
Keclimatifation europäifher Singvögel in den Vereinig⸗
ten Staaten,
Die Verfuche mit der Acclimatiſation von enropäilchen
Singvögelm in dem Vereinigten Staaten find bis jetzt nur
Erdtheilen. 335
theifweife neglüdt, doch find die Nefultate ermutbigend genug,
um zu weiteren Experimenten anzulpornen. Am meiften ift
in diefer Beziehung bis jegt in Cincinnati geichehen, wo
Taufende von Dollars für diefen Zwech aufgebradht wurden.
Bon den dort importirten enropäifchen Vögeln hat ſich unter
Anderm die prüchtige Feldlerche, der Buch» oder Edelfinf,
der Zeifig, die Kohlmeife, die auch im Winter bleibt, und
der Inftige Staar gehalten. Manche- andere Arten, die ſich
verflogen haben, mögen im anderen Gegenden der Vereinig—
ten Staaten, wahrfcheinlich etwas nördlicher, eines Tages
wieder zum Vorſchein fommen. Von ben in St. Louis im:
vortirten Vögeln (Buchfinfen, Diftelfinfen, Zeifigen, Hänflin-
gen, Kohlmeifen und Feldiperlingen) find blof die vor vier
Jahren importirten fogenannten Feldipagen, die aber auch in
den Häuſern niften, geblieben, und haben fich ganz aufier-
ordentlich vermehrt. Sie find in der Stadt wie in der Um:
gegend an einzelnen Plätzen, 3. B. im Jackſon Bart, Lafayette
Bark und Arſenal Bart, ſchon ſehr zahlreih. Die itbrigen
importirten Vögel haben ſich nad ihrer Freilaffung etwa
4 bie 6 Wochen im Lafayette Vark gehalten, aber trotzdem
fie paarweiſe zu fehen waren und luſtig fangen, nicht genüftet.
Sie find wahrscheinlich norbwärts gewandert.
Die Experimente follten fortgefegt werden. Sie haben,
von den wirklichen Nefultaten ganz abgefeben, unter Anderm
jetzt ſchon auch dad Gute gehabt, daß die Öffentliche Meinung
ſich mehr al& früher für den Schutz der Vögel, der einbeis
mijchen wie der importirten, geltend macht.
* * %*
— Die höchſte Kunſtſtraße Deutſchlands, abge:
ſehen von den Alpen, wird eine Chauſſee werden, welche von
Hermsdorf unterm Kynaſt im Hirſchberger Thale am Rieſen—⸗
gebirge über den Kamm dieſes legtern nad) St. Peter in
Böhmen erbaut werben fol und zu welcher die Vorarbeiten
auf preußifcher Seite in den leiten Wochen auf Anordnung
bes Handelsminifteriums in Berlin begonnen haben. Bon
Hermsdorf bis Agueſendorf wird bie bereits beſtehende Fahr:
ftrafie als Chauſſee berzuftellen, von letztgenauntem Dorf ans
aber eine vollftändig neue Straße auf den an jener Stelle mehr
als 1300 Meter (etwa 4000 Fuß) fich erhebenden Rieſenkamm
in der Mühe der Peter: und Spindferbaude und von dort
auf öfterreichiicher Seite über die „Sieben Grinde* hinab
bis zu dem durch feine herrliche Lage berühmten und als
Sommeraufenthalt vielbefuchten - Dorfe St. Peter bezw-
Spindelmühl im Efbgrunde zu führen fein, wo bie neue
Chauffee in die von Hobenelbe ber bereits fertig geitellte
Beraftraße einmiünden wird. Das Elbthal wird von ber
Strafe ungefähr in der Höhe von 300 Meter (2400 Fuß)
erreicht werden. Um bie Straße bequem fahrbar zu machen,
foll die Steigung das Verhältniß von 1:13 bis 14 nicht
überfchreiten. Die Baufoften werben natürlich ſehr bedeutend
fein umd im die Hunberttaufende geben; indeſſen darf man
diefelben nicht ſcheuen, da der Localverkehr der beiderfeitigen
Ortichaften ſchon jetzt wenigſtens in der ſommerlichen Ton:
riftenzeit fehr anfehnlich it und raſche Steigerung verfpricht.
Bit jett ift das Niefengebirge noch von Feiner Kunſtſtraßze
überbridt: die nächfte Chauſſee zwiſchen Schlefien und Böh—
men, die vom Hirichberg mach Reichenberg führt, zieht ſich
zwiichen dem Rieſen⸗ und dem Jiergebirge bindurdh. Bier:
bei jei noch erwähnt, daß fich von derielben anf der böhmi-
{chen Seite bei Harrahsdorf eine am der Mummel aufwärts
führende, im Ausbau begriffene Straße abzweigt, welche eben:
falls die Richtung auf das obere Eibtbal bei St. Peter ein-
hält. So wird das ſchöne Niefengebirge, das höchſte Gebirge
Mittel: und Norbdeutichlands, von beiden Seiten bequem zu:
gänglich gemacht.
— Die brafilianische Regierung bat auf den Colonien
der Provinz Rio Grande do Sul Stedlinge von Dliven-
bdumen vertheilen laflen, in der Hoffnung, diefe wichtige
Pflanze daſelbſt mit Leichtigkeit zu acclimatifiren.
356
— Am Ende des Jahres 1874 befanden fich im Gebiete
der Vereinigten Staaten, wie uns Poor's ſtatiſtiſches Eifen-
batmbandbuch lehrt, 75,623 Meilen Eifenbabn im Betriebe,
genen das vorbergebende Jahr eine Zunabme von 1940 Meilen,
die geringite Vermehrung, welche ſeit 1807 ftattgefunden hat.
Die Summe, welde im Gefammt:Eiienbahngeihäft an-
gelegt ift, wird Manchen in Erftaunen ſetzen. Sie beträgt
4,221,763,549 Doll., d. b, etwa das Doppelte der National:
ſchuld. Auf jene Summe find ald Grumdbetriebscapital ein:
gezahlt 1,900,097,456 Doll., während 2,230,756,108 Doll.
Schulden find, welche bauptfählich in Bonds befteben. An
Dividenden wurden im letzten Jahre 66,042,942 Doll. oder
circa 3%, Procent des Grundcapitals, an Zinſen auf die Schulden
etwas Über 5 Brocent im Betrage von 121,523,016 Doll, bezahlt.
— Bis Mitte Juli find im Lanfe des Jahres 1875 ſchon
15,807 GChinejen in San Francisco angelommen, während
die bedeutendſte frühere Einwanderung eines ganzen Jahres
(1872/73) nur 19,368 aufwies.
— Communismus. Die dentiche religiös communiſti—
ſche Colonie der Inſpirationiſten in Amana, 74 Meilen weitlich
von Davenport, Jowa, zählt jetzt auf ihrem 26,000 Acres um:
faſſenden Gebiete 1450 Seelen. Sie iſt ein Ableger der ältern
Eolonie Eben-Ezer bei Buffalo. Die Familien wohnen einzeln
in Meinen Häusern, man ſpeiſt aber (jchr aut) in gemeinfamen
Speiſehäuſern. Die Gemeinschaft als folche ift durch Ader:
‚bau und Gewerbe ſehr wohlhabend geworden; fie beiteht
meift aus Süddeutſchen und hält an der Gütergemeinichaft
unverbrüchlich feit.
Was fie an Tuch fabricirt, wird theils in der Colonie
felbjt, theild an die ummwohnenden Bauern abgeſetzt. Mit
Flanellen, wollenen Handſchuhen und Strümpfen treibt fie
einen einträglichen Handel, und dieſe Fabrikate finden ihren
Weg fogar auf den Neuyorker Markt, Ihr commumiſtiſches
Gepräge erbielt die in Süddeutjchland und der Schweiz ge:
gen Ende des 17. Jabrbunderts aufgetauchte Secte der In—
Ipirationiften erft in Amerika. Sie find Chriſten, glauben
aber zugleih an fortwährende göttliche Inſpiration bevor:
zugter Mitglieder ibrer Secte. Geiftiges Oberhaupt derjelben
ift ein altes Weib (von 0 Jahren), Barbara Heynemann,
welche ſchon feit ihrer Jugend von Bott inipirirt zu fein glaubt.
Vom Büdertifde.
Unter dem Titel:
Drei Monate in der Libyihen Wüfte
liegen uns bie eriten drei Lieferungen eines nenen Werkes von
Gerhard Rohlfs vor (Erfter für ein größeres Publi—
cum beftimmter Theil ber „Erpedition zur Erforſchung der
Libyfchen Wüſte“ in circa 5 Yieferungen, jede mit 4 Tafeln
zum Preife von 3 Mark. Verlag von Theod. Fiſcher, Caffel
1575), welches uns die Erlebniffe der unter der Leitung die:
les berühmten Afrifareifenden unternommenen Erpedition
zur Erforihung eines eventuellen Verbindungsweges von
Aegypten aus nach dem Weſten zu den Daſen der Sabara
reſp. nach Südweſten in das Innere des Erdtheils jchildert.
Daß diefe Erpedition leider in der Hauptſache mur ein nega—
tives Reſultat gehabt, iſt ja längft allgemein befannt. Uner—
fteigliche und endloje Sanddünen von 100 bid 150 Meter
Höhe haben der Kraft der Kameele die Grenze geftedt und
fomit den Entdedern Halt geboten.
Wenn trogdem die Erpedition und deren Schilderung in
Aus allen Erdtheilen.
vielfacher Beziehung hochintereſſant iſt, ſo iſt das um ſo mehr
perſönliches Verdienſt des Verfaſſers. Zunächſt iſt er es
geweſen, der durch ſeinen Namen und durch die vermittelnde
Unterjtütung des Generalconſuls v. Jasmund in Cairo bei
dem Chedive ein ſolches Intereſſe erwedt hat, daß berielbe
zur Ausführung des Unternehmens 4000 Bf. St. bewilliate,
Dieje reiche Dotation ermöglichte die Ausrüstung einer Erpe:
dition, wie fie im gleich vollendeter Weile wohl noch nie vor:
ber dageweſen. Zunächſt betheiligte fi) der Paldontologe
Dr. 8. Zittel, Prof. Jordan, Lehrer der Geodäſie, und
der Botanifer Prof. Aſcherſon, um die wilfenfchaftlichen
Forihungen nad allen Richtungen ficherzuftellen, und wur:
den diefelben noch unterſtützt durch den Vhotographen Re—
mels, welder troß aller Schwierigkeiten anf der Neile eine
große Samımlung der gelungeniten Bilder aus dieſer Willten-
welt mitgebracht bat, von denen eine Auswahl dem Buche
beigegeben find.
Die große Erfahrung, welche der Leiter der Expedition
in Wüſtenmärſchen ſchon beſaß, veranlaßte denlelben, für die
Ansrüftung 500 Eifenblechkaften mitzunehmen zum Trans:
port des Trinkwaſſers für die Menſchen und in zweiter
Linie auch für die Kameele; es baben fich diefelben aufs Befte
bewährt. Die Expedition brach am 7. December 1873 von
Cairo aus auf, ging per Eifenbabn bis Minich und von da,
ver Dampfer nah Sint. Dort wurde die eigentliche Kara:
wane organifirt und am 17. December aufgebrodyen. Zunächſt
wurde in dreisehntägigem Wüſtenmarſche die Oaſe Farafrah
erreicht, nad kurzem Aufenthalte der Weg nah der Oaſe
Dachel angetreten, dielelbe am 7. Januar 1874 erreicht und
dafelbft Standauertier anfgeichlagen. Diefer Vunkt fteht mit
Siut in regem Narawanenverfehr und eignet fich fomit am
beften zur Operationsbafis für die eigentliche weftliche Wüſten⸗
entdedung. Dieſelbe wurde denn auch ſchon am 16. Januar
damit begonnen, daß Jordan mit einer Meinen Erpedition
vorandging, um einige Stapelpläge für Waller und Futter
anzulegen. Diefer war es, der nach einigen Tagemärſchen
Schon am 28, die umüberfteiglichen Sanddinen unter 25% 10‘
nördl. Br. und 27020 öſtl. 8. v. Gr. antraf. Da fich diele
Dinen durch verfuchsweiles Vorbringen zu Fuß auf zwei
Tagemäriche ausgedehut fanden, ihr Ende dort immer noch
unabſehbar erichien und die Kameele wicht einmal auf den
erften diefer Dünenwälle von lofeftem Sande binanfzubringen
waren, mußte, als der Leiter der Erpebition einige Tage
fpäter dafelbft eintraf, der Entichluß gefaßt werden, das weft:
liche Bordringen aufzugeben, und wurde dam eine nordnord⸗
weftliche Richtung parallel den Dünen eingefchlagen, die in
14 Tagen abjoluter Wüftenwanderung nah Sinah (Daſe des
Aupiter Ammon) führte. Die troftlofe Einförmigkeit diefer
Märiche, welche ſelbſt auf die Gemüther jo begabter Men:
ſchen einen unvermeidlich deprimirenden Eindrud gemacht,
empfinden wir bei der Pectüre dieſes Werkes nicht, da der
Berfafler in geſchicktteſter Weile theils die Nefultate der wiffen-
Ichaftlichen Erforſchungen im Gebiete der Geologie und Bo:
tanil einflicht, theils die Leſer unterbält durch Mittheilungen
über die Lebensweiſe und Eigentbiimlichkeit der dortigen
Dojenbewohner und Vergleichungen mit denen der Bewohner
des Niltbales und der Beduinenſtämme zu beiden Seiten dei:
felben. Auch diefer Punkt findet in den beigegebenen Photo:
graphien feine VBerüdjichtigung.
Nach Allem wird das bald vollendete Work ala eine
Zierde der deutichen Reifeliteratur betrachtet werben müffen.
Indhbalt: Karl Andre, IM. (Schluß) — Aus Georg Schweinfurtb's Reifen in Iunerafrifa. XI. (Mit drei
Abbildungen.) (Schluß) — Bernanifche Altertbümer. II. (Mit acht Abbildungen.) (Schluß) — Die Bäume im ſicilianiſchen
Volfsglauben. Bon Freiberen v. Reinsberg-DPüringsfeld. — Ans allen Erdtheilen: Ueber die „Wolläpoefie der Lapp—
länder‘. — Die auftraliiche Colonie Victoria. — Acclimatiſation europäticher Singvögel in den Vereinigten Staaten. — Ver:
ſchiedenes. — Vom Büchertiſche. — (Schluß der Redaction 6, November 1875.)
Netackur: Dr, N, Kiepert ım Berlin, ©. W. Lindenſtraße 13, II Zr,
Drud und Berlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunfchweig.
?
Band XXVIN.
ar
Mit befonderer Berüchfichtiaung
der Anthropologie und Ethnologıe.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunſchweig
*
Beſondere Aufmerlſamleit wandten die franzöſiſchen Rei—
fenden, namentlich Garnier ſelbſt und Dr. Thorel, der Eth—
nographie der durchwanderten Länderſtrecken zu. In der
großen Zahl von Aufſätzen, welche der ‚„Globus“* von feinem
20, Bande an liber diefe epochemachende Entdedungsfahrt
- brachte, ift diefer Wiffenszweig ftets befonders betont umd
durch zahlreiche Racentypen iluftrirt worden. Wir wollen
bier noch eine kurze Ueberficht Über die verſchiedenen Völfer-
ſchaften, mit welchen die Erpebition früher in Berührung
fan, der Schilderung der wilden und Miſchſtämme Yürgans
voranfchiden. Drei Nacen, eine gelbe, eine fchmarze und
eine braune, bewohnen das durchwanderte Gebiet. Die er»
ftere, die mongolifche, ift die verbreitetfte und zerfällt in ſechs
Zweige: ben annamitifchen, welcher den ganzen Often und
Süden von Hinterindien bewohnt, den lambodſchaniſchen im
gleichnamigen Königreiche zwiſchen Franzöſiſch- Cochinchina und
Siam (f. die Topen in Bd. XXII, S. 210), den laotischen im
mittlern Melhongthale (ſ. die Typen in Bd. XXI, S. 34 u.
35), den ſiameſiſchen im Gebiete des Dienamftromes, ben birma—
niſchen in den Thälern des Salwen und Yrawaddi (j. Bd.
XXV, ©. 132) und endlich den chineſiſchen im Reiche der
Mitte. Dem legtern Zweige fcheinen die Haren (Sarjen)
am mittlern Salwen, weldje fid) von jeder Vermiſchung frei
hielten und von denen wir auf S. 338 u. 339 Typen beis
fügen, am nächften zu kommen.
Als diefe VBölterfchaften aus ihren Urfigen in Hochafien,
bon dort, wo die Quellen der Ströme liegen, deren Unter:
lauf fie geute bewohnen, nach Süden vordrangen, ſtießen fie
Globus XXVIII. Nr. 22,
Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Nummern 50 Pf.
1875.
F. Garnier’3 Schilderungen aus Yinnan.
V.
auf Ureinwohner von dunklerer Färbung, die fie entweder
verdrängten oder mit denen fie ſich vermifchten. Dieſe zählt
Dr. Thorel dent orientalifchen oder malayo « polynefiichen
Zweige ber fchwarzen Race zu. Es find lauter vereinzelt
vorkommende Stämme, welche nur die (ziemlich milden) Sit»
ten und zum Theil die Spradye mit einander gemein haben.
Abweichend von anderen Wilden haften fie an der Scholle,
befümpfen ſich gegenfeitig wenig und bebauen das Land,
namentlich auf Bergen und Hügeln, wobei man aber nicht
glauben darf, daß fie durchweg von den einwandernden Laos
und Annamiten dorthin gedrängt worden fein. Vielmehr
find die höher gelegenen Theile Überall von einer diden und
ſehr fruchtbaren Thonlage bededt, deren Ergiebigkeit die des
Alluvialbodens in den Thälern weit übertrifft. Bis zu drei
Malen ernten fie ihren Bergreis, deſſen Anbau fehr geringe
Mühe verurfacht; daneben pflanzen fie etwas Mais, einige
Kürbisarten, Tabak, Baumwolle, was ein Viertel des Jah—
res in Anspruch nimmt. Die übrige Zeit faulenzen fie und
werden dabei did und fett, bis die Vorräthe zu Ende find
und der Mangel fie zwingt, auf die Jagd zu gehen. Den
zahlreichen Hirichen des Landes ftellen ſie dann nach, aber
auch Eidechfen, Kröten und Ratten und den vielen ebaren
Wurzeln, Ihre Civilifation, obwohl auf ziemlich tiefer
Stufe befindlich, ift doch höher als 3. B. die der Aufiralier,
Ihre Sitten, ihre Perfönlichkeit haben nichts Abftogendes. Ihre
Kleidung beichränft ſich im Süden auf einen einfachen Echurz.
Ihre Unwiſſenheit geht jo weit, daß fie ihr Lebensalter nicht
lennen und ohne Hilfe von Steinchen oder dergleichen wicht
43
338
über 10 zu zählen vermögen, trogbem fie feit Jahrhunderten
neben verhältnigmäßig civilifirten VBölfern, wie Annamiten,
Kambodichanern und Yaos, leben. Diefe behandeln fie mit
einem gewiſſen Wohlwollen, namentlich wenn jie ihre Stla-
ven find. Alle diefe Völker haben neben dem gemeinfamen
Namen, weldyen ihnen die civilifirteren Nadjbaren geben:
Mois (annamitifch), Penang (tambodſchaiſch), Chas (lao«
tisch), Lolo (chineſiſch), eine zahllofe Menge von Stanım«
namen, bie noch lange micht alle befannt find, Zu diefen
Bölterfchaften gehören die Wilden von Stung Treng (abge-
bildet Bd. XX, ©. 17), von Muong Lim (Bd. XXVI, ©.
d
J
w-
Karen.
nannten ſchwarzen Polos, wahrſcheinlich die Uxbewohner
Nlinnans, welche Dr. Thorel in zwei Unterabtheilungen zer:
fallen läßt, nämlich Wilde von „oceanijchen Typus“ und
Wilde von „laulaſiſchem Typus“. Diefe verſchiedenen Völ:
fer gruppieren fi) in Südchina derart, daß die Thäler von
Chinefen, Yaos und den von ihnen abftammenden Miſch—
bevölferungen befegt find, auf halber Vergeshöhe neben Chi:
nejen die Wilden von oceaniſchem Typus und oben auf den
Gebirgen bie vom fogenannten faufafiichen Typus haufen.
Von dem oceanifchen Typus geben die beigefügten Porr
teäts eines Mannes und einer Frau von Ban-fon-han im
Eden Ylinnans eine Vorſtellung. Diefer Typus weicht
F. Garnier’s Schilderungen aus Yinnan.
98), von Ta-lan (Bd. XXVIII, ©. 35 und 53) u. f. w.
Noch größer aber als im Yaoslande ift die Mannigfaltigkeit
der wilden Stämme im Siden Chinas, wo ihrer in den
Provinzen Yünnau, Sy:tfcuan und Kwei-tſchau nicht wer
niger als 40 verſchiedene Stämme haufen inmitten von Laos,
Tibetanern, Tonking-Feuten, Mandſchu, Chinefen und felbft
mohammedaniichen Arabern, welche einft von der Pelinger
Regierung herbeigerufen wurden, um jene wilden Bergvölfer
zu unterſochen. Diefe legteren gehören zwei Nacen au:
1. die weißen Polo, mit gelblichem Teint, welche mit den
Laos zufammenhängen, und 2, die bunfler gefärbten, joges
Mann.
von dem im Süden Hinterindiens bedeutend ab, weil hier
im Norden viele Kreuzungen mit den Nachbarvölfern ftatt-
gefunden Haben, weldye den Phyfiognomien etwas Mongo:
liches und dem ganzen Bolfe etwas Civiliſation verlichen.
Sie find ſeßhaft und beftellen das Fand, wie Chinefen und
Laos. Die dritte, braune, Race find die ſchwarzen Folo,
weldye ausjchlieglid; auf den höchſten Partien der Gebirge
Südchinas haufen und den Indogermanen (beffer Ariern)
im ihren Zügen und der Weife, ſich zu Heiden, gleichen fol»
len, weldye legtere von derjenigen der unmvohnenden Indo—
chineſen gänzlich abweicht. Auf den erften Blid, jagt Dr.
Thorel, ift man von ihrer Aehnlichkeit mit den Zigeunern,
F. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan.
welche ja aus Indien ftammen, Uberraſcht. Aber fie unter
ſcheiden fich von denfelben durch ihre Seßhaftigleit und ihren
Aderbau. Sie find groß und ftarf, mit hervortretenden
Formen und Muskeln, von breiten Schultern; ihr Peib ift
nicht vierfchrötig umd durchweg von gleicher Dide wie bei
den meiften Imdochinefen, fondern hat Taille, was mament-
lich den Bewegungen der rauen eine große Geſchmeidigleit
verleiht. Die Gliedmaßen find gut proportionirt, die Beine
gerade, die Waden gut entwicelt; bie Farbe rußbraun, wes
niger ſchwarz, als bei dem Hindus und den unvermifchten
Wilden vom oceanifchen Typus. Der Gefihtsausdrud iſt
339
energifch, aber ohne Wildheit und Härte, dabei ausdrudd-
voller als bei den Mongolen ; die Gefichtszlige treten hervor,
das Profil ift gerade, das Autlitz oval und die Stien ziem⸗
lich hoch, gerade und oben ein wenig zurlicweichend. Häufig
fieht man einen ganz ftattlichen, ſchwarzen Bart, auch an
den Baden, was bei den Mongolen eine große Seltenheit
it. Ihre Augen ftehen horizontal und find gut geöffnet,
aber ftehen etwas eng zufammen; fie liegen tief und find
von ftarken Augenbrauen befchatte. Die Nafe ift weder
groß, nod) an der Wurzel platt, ſondern meift gerade, mits
unter gefrimmt, ohme indefjen der der Europäer vergleichbar
Karen.
zu fein, Die Baden ftehen wenig hervor, der Mund ift
von mittlerer Größe, mit nicht dicken Yippen. Niemals find
die Kinnbaden prognathiich.
Die Frauen diefer Wilden (dies Wort im inne ber
Chineſen gebraucht, welche ja auch die Europäer Barbaren
nennen) find die wohlproportionirteften in ganz Hinter
indien, und ihre Größe, Geftalt und Kraft fteht im richtigen
Berhältniß zu der der Männer; fie find groß, ſtark und von
guter Taille,
Die Energie dieſer Stämme, welche nur auf den höchften |
Theilen der Gebirge zwifchen 2200 und 3500 Meter Höhe
leben und zu denen die Fillu (j. das Bild eines Liſſupaares
oben auf 8.294), die Man⸗tſe (vergl. S.279, wo ficben Man:
Frau.
tſe⸗Köopfe dargeftellt find, fowie die Abbilbung auf S. 341),
die Miaustfe u. |. w. gehören, hat fie den Chineſen furchtbar
gemacht. Obwohl in eine große Zahl einzelner Stämme
zerfallend, die wegen der ſchlechten Berbindungswege unter
einander wenig Berfehr und Beziehungen unterhalten, bilden
fie doch eine einzige große Familie, deren einzelne lieder
ſich auf faft allen hohen Gebirgen des Südens und Weltens
von China finden.
Wenn Thorel im Weitern aus der Kenntniß, melde
diefe Völler im Striden, Melten, Käfebereiten u. |. w. be»
figen, Künſte, die den Chinefen unbefannt find, folgert, daß
diefelben zu anderen Völkern als den Chinefen, wahrjchein-
lich zu oſtindiſchen, Beziehungen gehabt haben, jo uillſſen
43 *
340
diefe Vermuthungen doch erft durch nähere, namentlich ſprach ·
liche Forfcungen größern Halt gewinnen, ehe man berechtigt
ift, diefen Yolo, Man⸗tſe u. |. w. arischen Urſprung zu vins
biciren.
Wir haben ſchließlich die Mifchbevölferungen Sid»
chinas zu betrachten, deren es vielerlei giebt, da in China
das Fehlen eines Adels und das von Kaſtenvorurtheilen den
Kreuzungen verfchiedener Stämme wenig Hinberniffe in den
Weg legt. Während man alfo oft ganz reine Stämme trifft,
wie 3. B. um Hweis⸗li-iſchau (S. 279), kann man eben fo
dir,
Br
)
— —— Pit
— *
„
.
— —
F. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan.
oft, namentlich im den Städten, die Bewohner unmöglich
einer beflimmten Race zuweiſen. Aber neben einer umend«
lichen Menge von Varietäten, die vielfachen Schwankungen
unterworfen find, haben fich auch fefiftehendere Mifchtypen
herausgebildet, wie die Bewohner von Zung-tihuan, bie
Min-kia in der Ebene von Tasli, von benen wir ©. 342
einige Porträts beifligen, die Anwohner des Sees Sche⸗ping
in Sud-Nnnan und die Penti.
Minzkia und Pen-ti-bewohnen zufammen das Oftufer
des früher beſchriebenen Sees von Tarli. Während die le-
= = — *
Wilder Mann von Bau⸗—kfon hau. (Sudgrenze von Yünnan.)
teren aus einer Bermiſchung von Laos mit ſchwarzen Lolos
hervorgingen, wobei das laotiſche Blut Überwiegt, ſiammen
die Min fia von chineſiſchen Anfieblern, welche nad; Grobe
rung des wetlichen Yünnan durch die Generale Chubilais
Chau's (1255) aus der Umgegend von Nan-fing hierher
verpflangt worden find. Dies iſt mach Garnier ihre eigene
Angabe, Nach Dr. Thorel, Garnier's Begleiter, wären es
dagegen Producte einer Kreuzung zwiſchen Yaos und fehwar:
zen Lolos. Gr jagt ausdrüdlid (in F. Garnier, Voyage
d’exploration en Indo-Chine II, p. 329 f.): „Ihre
Civififation ift von der der Chinefen völlig verſchieden und
bietet große Analogien mit der der Laos. Der Eindrud,
welchen man bei ihrem Anblide empfängt, ift der einer gros
fen Aehnlichteit mit den Laos und gewiffen faufafischen
Typen und der einer geringen Analogie mit ben Chinefen.*
Diefen MWiberfpruch vermögen wir wicht zu (fen ober zu
erflören; nur giebt Garnier ebenfalls eine ſtarle Beimiſchung
von laotiſchem und Ureinwohnerblut in den heutigen Min-kia
zu. Er meint, diefelben hätten aber noch mehr von bem
urfprünglichen Chinefenblut bewahrt, al® die Pen-ti, welche
F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan. 341
in der Ebene von Teng⸗tſchwan am Nordende des Sees von
Bei legteren herricht der Brauch, daß ber
Ta⸗li figen.
Bater am Geburtätage feines älteften Sohnes feinen frühern
Namen verliert und nun einfach) „der Vater von N. N.“
beißt. Diefe Sitte foll ſich
auch allmälig bei den Chine⸗
fen einbürgern.
Die Minskia wurden von
den reinen, echten Chinefen
mit Verachtung behandelt, wor⸗
aus eine Feindſeligleit zwiſchen
beiden entitand, welche dem
mohammebanifchen Aufftande
nicht wenig zu Gute Tam.
Anfangs genoffen die Minsfia
von beiden Seiten Neutralität,
bis die Pladereien und Grau:
famleiten ber Rebellen ihnen
die Waffen in die Hand drüd-
ten. Unter einem Häuptling
Tong behaupteten fie lange
Zeit mit Cl das Feld ger
en die Mohammebaner, bis
Tas im Jahre 1866 fiel
und feine Familie mit ber
beifpiellojeften Wuth von den
Siegern vertilgt wurde. Als ©
Garnier die Sie der Min:
fia durchzog, gehorchten fie zit:
teend dem Sultan inTaslisfu.
Weiter öftlic, um Tung⸗
iſchuan⸗ fu und zwiſchen Mafhang und Ngasdarfi, fand
Garnier das Mifchvolf der I-kia (vergl. ©. 280 und die
Abbildung auf S. 278), die bei den Chinefen Per (meiße)
Polo heißen, was aber micht in dem ethnographifchen Sinne
Wilde Frau von Bau-kon-han. (Sitdgrenze von Munan.
Dr. Thorel’s zu nehmen ift. Sie gehören nicht dem gelblich
gefärbten und ben Yaos verwandten Stamme an, den er
„weiße Polo“ nennt, fondern find, wie ſchon bemerft, ein
Mifchvolf,
Sie tragen den chineſiſchen Zopf und Gaben
unter Ihretgleichen das meifte
von chinefiicher Civiliſation
angenommen. Ihre Frauen
fledjten das Saar im zwei
Zöpfe, ummideln den Kopf
mit einem feinen Turban
und tragen, abgefehen von
den Schuhen, das Goftitm der
chinefiichen Bäuerinnen. Die
ta find gute Nderbauer,
von abergläubifchen, furcht-
ſamem Sinne, und ſchämen
fi) ihres Urfprunge. So
wie es angeht, wandeln fie
ſich in Peneti um.
Manrtje traf Garnier
auf den hohen Gebirgen zwir
{chen Mong-ku und Hweislie
tichau, welche dieſem noch
nicht unterworfenen Volke
zahlreiche , unzugänglidye
Schlupfwinkel barbieten. Die
Manstfe in der Nähe von
Hwei-li-tfchau haben feit Kur:
zem angefangen, ſich das
Borderhaupt zu jcheeren. Die
Mbrigen Haare werden auf
dem Scheitel zu einen Knoten gefchlungen, um den ein Stüd
Zeng gewidelt wird. Die Frauen haben die fonderbare
Gewohnheit, ein Feines Körbchen voll Baumwolle, an wel-
em die mit der linfen Hand zu drohende Spindel befeftigt
dirsrh
Man⸗tſe, Frau und Mann.
it, ans Ohr zu hängen, wie man auf S. 279 amt zwei
der dargeftellten Manstje-Söpfe fehen lann. Ihre Religion
ift nicht der Buddhismus; fie haben aber Priefter und eigene
heilige Bilcher.
Huch Liſſu, deren Hauptmaſſe viel weiter wejtlich ſitzt,
fand Garnier auf feinen Wege nadı Tasli: einige Dörfer
unweit Tustwi-tfe zahlten ihnen Tribut, um ihre Herden vor
den Räubereien dieſes unbändigen Dägervolfes zu ſchlitzen.
342
Sifan wohnen öftlich von den’oben erwähnten Mianstje,
auch füdlich vom Yang-tiesfiang, wo fie die Franzoſen bei
Kan⸗tſchu-tſe (j. nächſten Artikel) trafen; fie Yuldigen noch
immer ben zügellofen Sitten, welche ſchon im 13. Jahrhundert
Marco Polo's Unwillen erregten.
Pa 1777) Rose
Erneſt Giles’ neuefte Neifen in Auſtralien.
Die Tibetaner bewahren noch zahlreiche Beziehungen
zu Yinnan, wovon ein Theil einft zu ihrem Reiche gehörte,
Im 9. Jahrhundert war nämlid) das Königreich von Ta⸗li
oder Nanstjchau eine Zeitlang von dem tibetanifchen Reiche
der Tusfan abhängig. Unter jenen Beziehungen find cinige
Min-kia⸗Typen.
religiöfer Art, So liegt etwa 21/, deutſche Meilen füdlich von
Tustuistfe eine Stalaftitengrotte, die auf Chineſiſch Sche-tong
(„Steinhöhle*) heißt, und dorthin kommen zu gewiſſen Zei—
ten des Jahres zahlreiche tibetanifche Pilger, welche die Reife
als Bettler zurüdlegen. Diefe Höhle, aus welder Man
Salpeter geivinnt und in welcher während des mohammeda=
nischen Aufftandes mehr als 100 Familien eine Zuflucht
fanden, ift einer der heiligiten Orte des Landes. Der Eins
gang joll impofant fein und ihr Inneres gleidyt an Höhe
einem Kirchenſchiffe.
Erneſt Giles’ neuefte Neifen in Auftralien.
I. G. Unter den auſtraliſchen Reifenden der Gegenwart
find wohl die hewvorragendften Oberft Warburton, John
Forreſt und Erneft Giles. Wir haben ſchon öfters Ges
legenheit gehabt, über ihre Reifen zu berichten. Heute haben
wir wieder Beranlafjung, uns über eine neue Reife oder
eigentlid, über zwei von Erneſt Giles zu verbreiten.
Zur Einleitung mögen einige Worte über die auftra-
liſchen Squatters oder großen VBiehherdenbefiger dienen. Ge—
ben die fern gelegenen Diftricte der Colonien gute Weide:
vläge ab, fo werden fie fiher von den Squatters mit Bieh
bejagt. Das wilde Gras nährt vortrefflih. Sie erhalten
in Südauftralien — und dieſe Colonie intereffirt uns hier
insbefondere — ein großes Areal auf 14 und 21 Jahre zu
einem geringen Preife in Pacht. Die Weiden find nad)
drei Claſſen bonitirt. Man zahlt für die englifche Quadrat»
meile eine jährliche Nente von 2 Sh. 6 P. bis 1 Pf. St.
(2!/, bis 20 Mark) und hat auferdem von den Herden für
jedes Schaf eine jührliche Abgabe von 2 bis 6 P. (20 bis
60 Pig), umd für jedes Haupt Rindvieh eine ſolche von
1 bis 3 Sh. (1 bis 3 Mark) zu entrichten, Immer ift
aber damit die Bedingung verknüpft, daß, wenn das verpad)-
tete Areal für Agriculturzwede verlangt wird, der Squatter
bei fechömonatlicyer Kündigung weichen muß. So treibt
der Yandbebauer den Squatter vor fich hin in ben wilden
Erneft Giles' neuefte Reifen in Auftralien. -
„Bush“ und diefer muß fic) in weiterer ferne nad) nenen
BWeideplägen umſehen. Der Squatter ift der Pionier, ja
man fann fagen: der fliegende Ulane, welcher das unbe:
fannte Borland erforscht. Die geographiſche Wiſſenſchaft
verdankt ihm viel, jehr viel.
So geſchah es nun wieder, daß zwei veiche fülbauftralifche
Squatters, Mr. Thomas Elder und Price Maurice,
den Erneſt Giles engagirten, um in ihrem Intereſſe einen
großen Block Yand, weldyer ſich von dem fogenannten
Youldeh Sandpill Water — 135 Miles norbnord:
weitlich von Fowler's Bay gelegen — bis zur Höhe des
Late Torrens erftredt, zu bereifen und Nadjricht darüber
zu geben, ob in diefer bis dahin völlig unbekannten Gegend
gute Weidepläge eriftiren.
Giles vollendete diefe Reife Mitte April diefes Jahres.
Sein Bericht concentrirt ſich in Folgenden.
Mit zwei Gefährten machte er fich zu Anfang Mir
1875 von Fowler's Bay aus (32° füdl, Br, und 132038
öftl. L. v. Gr.) auf den Weg. Gr hatte drei Pferde und
zwei Kameele und war gut verprobiantirt und anderweitig
ausgerüftet. in dort ftationirter Gensbarm Namens T. P.
Richards erhielt Erlaubniß, die Reifenden bis zu dem ihm
befannten Youldeh zu führen, und verfchaffte ihnen hier einen
Eingeborenen, welcher ſich Jimmy nannte und den Weg zu
Stellen, wo Wafler zu finden war, weiter zeigte. Man verlieh -
Youldeh am 24. März. Es ging num zunächſt 64 Miles
oftfüdöftlich nadı Pylebung, wie ein von dem Eingeborenen
mit vieler Kunſt im Thonerde angefertigtes Waſſerbaſſin
hieß, und von da 30 Miles in derfelben Richtung nach White»
gin, einem Kleinen Felfen mit wenig Waſſer. Faſt genau
nordöftlich davon und 100 Miles von Pouldeh entfernt
gelangte man zu einer intereffanten Aushöhlung, Wynbring
von Iimmm genannt, in einem mächtigen Granitfelfen, wel
her 50 Fuß hoch war und 3 Acres Yand bebedie.
Ude dieje genannten Orte lagen im bichteften Serub,
und dabei lagerte das tobte Unterholz fo mafjenhaft, daß das
Fortlommen ımit großen Scwierigfeiten verbunden war.
In Wynbring verabicdhiedete ſich der Eingeborene. Er
weigerte fich weiter mitzugehen, weil barliber hinaus die Welt
ein Ende habe, oder, wie er fi) ausdrüdte: „Von hier ab
ift nichts, gar nichts.“ Giles und Genoffen waren aber
anderer Meinung und traten die Weiterreife an, erkannten
jedoch ſehr bald, dag der Eingeborene nicht fo ganz Unrecht
batte, Sie geriethen nämlich in eine ganz erichrerfliche
Dornenmwüfte hinein, wie fie ſchlimmer nicht gedacht werden
laun, und die 220 Miles andauerte. Diejelbe theilte ſich
gewiffermaßen durch einen offenen Strich Land von 30 Miles
Weite in zwei Wüften. Im der weftlichen, die dichter be
wachſen war, und melde Giles die Richard Defert bes
nannte, konnte man fich wenigitens noch ſpärlich Waſſer aus
einigen Löchern in Felſen und in Thonerde verſchaffen. Aber
dies hörte im der Öftlichen, weldje dem Keifenden Roß fo
viel Elend bereitet hatte und die Giles daher Roß Defert
taufte, gänzlich auf.
Tag für Tag hatte man unter bremnender Sonnenhige
mähtige Sandhügel zu Überfchreiten und ſich durch Serub
und Spinifer hindurchzuarbeiten. Die drei Pferde erlagen
bald dem Durfte und den Anftrengungen und ohne die Ka—
meele hätten die Reifenden daſſelbe Schickſal theilen millſſen.
Zu ihrem Glüde fanden fie zur Zeit, als die Waflerfäde
völlig leer geworden, ein Thonloch auf, aus welchem die
Kameele getränft und die Säde wieder angefüllt werden
fonnten, Die Entfernung von Wynbring bis zu diefem Thon-
loche betrug 220 Miles und man war damit aus der Wifte
heraus, Man hatte diefe lange Strede, trog aller Schwie-
rigleiten, doch in acht Tagen zurüdgelegt. Eile that Noth.
343
Das Forttommen wurde jegt leichter. Man berührte
den Rand des Yale Torrens und traf am 14. April bei
Finniß Springs am leberlandtelegraphen ein.
Giles Tann fic nicht rUhmend genug über feine Kamcele
ausfprechen, welche dev Gefellfchaft das Yeben retleten. „Es
find wunderbare Geſchöpfe,“ ſchreibt er, „und ich habe nie
in meinen Leben Gott für irgend etwas inniger gedankt und
gepriefen, al$ gerade für diefe Thiere,*
Weideland wurde natürlich nicht aufgefunden, wie über:
haupt fein Yand, welches irgendwie Gulturzweden bienen
fünnte,
* ” *
Giles kehrte num wieder im die angeſiedelten Diftricte
zurüd, allein fein Forſchungsgeiſt ließ ihm feine Ruhe, Es
befeelt ihn ein Lieblingsgedanfe, der ihm nie verläßt und an
deſſen Ausführung er fein Leben gejegt hat. Es ift dies bie
Bereifung des unbefannten Weftens, welcher fid) zwijchen
den Golonien Cüdauftralien und Wejtauftralien in großer
Breite ausdehnt. Wir wiffen, dag Oberſt Warburton
diefe terra incognita im Jahre 1874 zwar durchkreuzte,
aber hoc) oben amı Dafover River, dem Hungertode nahe,
anlangte. Wir wiflen ferner, daß John Forreft ehr bald
darauf von Weftauftralien aus dieſe geflirdhteten Yänder-
fireden am 26, Breitengrade entlang paſſirte. Beide Rei:
jende wollten eine füdlichere Richtung innehalten; allein die
gewaltigen Schwierigkeiten, weldye fi} vor ihnen aufthlirms
ten, trieben fie höher hinauf. Giles hat ſich nun zur Auf:
gabe geftellt, diefe große Reife in dev Richtung zwifchen 29°
und 30° ſudl. Br. auszuführen.
Erfreulicherweife ift fein Gönner, der öfters erwähnte
Mr. Thomas Elder in Adelaide, ein hochherziger Mann.
Er intereffirt ſich nicht bloß für gute Weidepläge, ſondern,
als wahrer Mäcenas, dient er der Wiſſenſchaft, wie er oft
genug bewiefen (jo fchenkte er an die in Adelaide zu griin-
dende Univerjität 20,000 Pf. St.), mit feinen reichen Schätzen
willig und gern,
Durch die Yiberalität des Mr. Elder ift es unferm Giles
möglich geworben, die große Weftreife anzutreten. Elder hat
die Koſten der vollftändigften Ausrliſtung auf fic genommen.
Giles verließ am 23. Mai diefes Jahres in der Bes
gleitung von Jeſſe Young und T. Tietfins, zwei mit
dem Bujchleben wohl vertrauten Herren, Port Augufta in
320 30* füdl. Br. und 137940’ weit, L. v. Gr. Er führte,
geftägt auf frlihere Erfahrung, nur Kameele mit fich, welche
von zwei Afghanen und einem ſchwarzen Knaben bedient
werben.
Man zog zumäcft mad) Norden bis zum Elizabeth
Greek, welcer auf der Weftfeite des Lale Torrens einmiln-
det, und von da weſtlich nach dem Yale Gairdner, in dei:
fen Nähe ſich genügend Waſſer vorfand. Hinter diefem See
ging es aber los, deun man fiel in die große Dormwälte ein,
welche unfern Giles auf der letzten Neife fo jehr geplagt
hatte, Um dariiber zur Gewißheit zu gelangen, ob beun
dieſe Wuſte überall gleich erbärmlic und werthlos fei, follte
Giles diefelbe zunüchſt mod) einmal bis Youldeh bereifen, nur
dabei eine andere Tour nehmen als früher.
Aber die Wilfte war überall gleich ſchrecklich. Die Rei
fenden hatten es bloß mit hohen Sandhügeln, mit dichtem
Serub und mit ftacheligem Spinifer zu thun, und Wafjer war
außerordentlich jelten und fpärlih. Nur in der Mitte der
MWiüfte ftiegen fie auf einen Felſen, wo es genügend Wafler
für die Sameele gab. Zwei diefer Thiere mußten giftige
Pilanzen gefrefien haben und erkrankten zum Schreden der
Sefellichaft, als man 70 Miles vom legten Waſſer entfernt
war; glüdlicherweife aber curirte fie der Treiber durch
344 "
Medicamente in zwei Tagen, während welcher man ruhen
mußte.
an war froh, endlich Youldeh — in 27 Tagen von
Elizabeth Creel ab — erreicht zu haben. „So eine Sorte
Gegend wlinfcden wir nie wieder zu fehen,* ſchreibt Mr.
Young an Thomas Eider.
Es galt nun, nad) Norden oder Nordweiten zu einen
geeigneten Ort aufzufuchen, wo fic) ein Depöt einrichten ließe,
von welchem aus dann weiter nad) Welten recognofeirt were
den konnte. Mit diefer Aufgabe wurden Young und Tiet⸗
fins in Begleitung des ſchwarzen Knaben betraut und fie
reuffirten über alle Erwartung. Es wurden in der denkbar
ſchönſten Gegend, bebedt mit herrlichem Graswuchſe und
unzähligen Immortellen, zwei Heine Weiher, welche die Um:
gegend drainirten und in demen ſich gutes, trinfbares Waf-
fer befand, emtdedt. Der eine lag 80 Miles nördlid) und
der andere 100 Miles norbnordweftlid) von Youldeh ent:
fernt. Den legtern nannten die Eingeborenen, welche man
dort antraf und die fehr zugänglich waren, Oldabinna.
Giles war Über dieſes glinftige Reſultat nicht wenig erfreut
und beſchloß, ehe ev von da aus weiter vorrlidte, den Mr,
Die
Albin Kohn: Die Mongolen.
Elder von diefem glücklichen Anfang zu benachrichtigen. Dies
geſchah und Briefe, zugleich mit den Sammlungen, weldye
man bisher angelegt hatte, wurden in die zunächſt liegende
Anſiedelung der Colonie Südauftralien zurlickgeſchickt, um
nad) Adelaide befördert zu werden. In der botanifchen
Sammlung, welche ſich bereits im ben Händen des Botas
niferd Dr. v. Mitller in Melbourne befindet, jollen meh:
rere ganz neue Arten enthalten fein.
Giles wollte in den erſten Tagen des Monat Auguft
nad) Westen zu vorrliden. Wir dirfen wohl mit Sicherheit
auf ein Gelingen diefer großen Reife gefaßt fein. Giles,
Noung und Tiettins find ausgezeichnete Buſchleute, wie wes
nige in ber Colonie; ihnen dienen Sfamecle „the mainstays
of explorers* ; und was von befonderer Wichtigkeit ift, nad)
der Menge Regen, welche gerade in diefem Jahre in Siib-
auftralien gefallen ift, läßt fi wohl annehmen, daß and)
biefelben Breitengrade nach Welten zu reichlid damit ver—
fehen fein werden, In den erfien acht Dionaten diefes Jahres
fielen ſchon über 22 Zoll, die größte Menge Regen, welche
feit Gründung der Colonie, mit Ausnahme des Jahres 1851,
beobachtet wurde.
Mongolen
Von Albin Kobn,
In meinen Jugendjahren ſah ich in einer Kloſter⸗
firche ein Bild, das eine Schlacht zwiſchen ke Rit⸗
terp, wenn ich nicht irre waren es Volen, und ein on⸗
golihorde darſtellte, und es hat ſich die Tradition erhalten,
dag die Kirche und das SHofter auf der Stelle ſtehen, auf
welcher die Mongolen befiegt worden find, Es ift dies das
Klofter Paradies, hart au ber Grenze der Mark.
Ich hielt das Bild für eine Schöpfung der Phantafie
des Malers, welcher es fic vielleicht zur Aufgabe geitellt
hatte, eine Hiftorische Thatſache durch den Pinſel zu verewis
gen, dem es ſich jedoch) nicht um diarafteriftifche Treue
der dargeftellten Typen handelte. Die Phyfiognomien
der fümpfenden Mongolen, ihre Bewaffnung, ihre Kleidung,
prägten jic meinem Geifte ein und verlofchen nie wieder,
Als ich im Winter 1866 in der Gegend von Nifchnylldynet
im fernen Oftfibivien, tief in Pelze gehlillt, gen Often fuhr,
da flogen plöglich auf leichtem Schlitten GSeftalten an mir
vorllber, die mir wie die Geifter derer erfchienen, weldye ich
in meiner Jugend im Kampfe mit ftahlbepanzerten europäi-
ſchen Rittern bildlich dargeftellt gefehen hatte. Ich traute
meinen Augen kaum. Ein Schlitten voll diefer Erſcheinun⸗
gen flog hinter dem andern an uns vorliber, und ich konnte
nic nicht enthalten, meinen in Folge der grimmigen Kälte
maulfaulen „Sämfchtichyt* (Fuhrmann) zu fragen, was das
zu bedeuten habe. „Eto Burjaty“ (das find Buriaten)
war die furze Antwort. Der Maler hat alfo ein treues
Bild derer hinterlaffen, welde Dfteuropa verwliſtet haben
und ganz Europa in eine Steppe zu verwandeln gedachten,
in der fie ihre Pferde, Rinder, Fettſchwanzſchafe und Ziegen
hüten und fid) in wilder Unthätigkeit umhertummeln wollten.
Etwas jpäter hatte ich Gelegenheit diefe Buriaten oder, wie
fie hier der fibirifche Muffe aud) verkürzt nennt, „Bratskije“
in ihren Jurten und ihrer Steppe zu belauſchen, viele ihrer
Sitten, Gewohnheiten, Tugenden und Untugenden, ihren
Glauben und Aberglauben fennen zu lernen und mid) zu
überzeugen, daß Rotted’s Prophezeiung, es können aus den
Wihten und Steppen des fernen Aſiens neue Bölferftröme
Europa Überfluthen und feine Civilifation bedrohen, jeglicher
Bajis ermangelt und darum nie in Erfüllung gehen wird.
Id) habe diefem Mongolenſtamme in meinem bei Otto Spas
mer in Yeipzig gedrudten Werke (Sibirien und das Amurs
* von Albin Kohn und Richard Andree, Abthl. I,
. 67 u. f.) einen Nefrolog gewidmet, denn er ift durch ein
unerbittliches Naturgefeg zum Ausiterben verdammt, da er
für unfere Civilifation nicht gefchaffen ift, das Gute, das
in ihr ift, nicht faßt und von ihren Auswüchfen, denen er ſich
mit Leidenſchaftlichteit hingiebt, bahingerafft wird.
Aus ich den Nekrolog der fibirifchen Buriaten ſchrieb,
war ich immer noch der Anficht, daß fie nur Verwandte,
nicht aber leibliche Brüder der Mongolen find, welche
jenſeits der ruſſiſchen Grenze in der Wüfte haufen und ein
Nomabdenleben führen, das jeglicher Civilifation, jedem Fort ·
fchritte des menſchlichen Geiftes widerſtrebt. Es ſcheint,
daß ich mich im dieſer Hinſicht geirrt habe, denn Stabscapi⸗
tän Prſchewalski, der, glüdlicher als ich, die Mongolen in
ihrer eigentlichen Heimath, in der Wilfte, beobachten konnte,
giebt eine Schilderung von ihnen, weldye ganz der meinen
gleicht, trogdem er, wie er fagt, den eigentlichen, urwildhfigen
und unvermifchten Mongolenftamım der „Chaldas“ zu
feinem Bilde figen läßt. Es dürfte dem freunde ethnogras
phiſcher Schilderungen angenehm fein, die nähere Belannt-
ſchaft des echten Mongolen, wie ihn Prſchewalsli beichreibt,
zu machen. Er giebt folgende Schilderung des Chalchas⸗
Mongolen.
Ein breites, flaches Geſicht mit hervorragenden Baden»
fnochen, eine Blattnafe, Heine, ſchmal aufgejchligte Augen,
Albin Kohn: Die Mongolen.
ein ediger Schädel, große, vom Kopfe abftehende Ohren,
ſchwarzes, hartes Haar, das im Barte fehr fparfam wächft,
dunkle, fonnverbrannte Hast, endlich ein gedrungener fernis
ger Körperbau von mäßiger, oft aber aud) mehr als mäßis
ger Größe, — dieſes find die äußeren charalteriſtiſchen Merk-
male jedes Chaldyas.
In anderen Öegenden der Wüfte, fagt Herr Prſchewalski,
haben die Mongolen bei Weiten nicht die Neinheit des Nas
contypus, wie in der Chaldya, bewahrt. Der äußere, fremb-
ländifche Einfluß hat ſich vor allem ſtark im füdöftlichen
Theile der Mongolei geoffenbart, der feit ſehr lange mit
China grenzt. Und wenn das Wanderlchen des Nomaden
ſich ſchwer mit den Culturbedingungen eines anfähfigen Bolfs«
ſtammes vereinigen läßt, jo haben es doch die Chineſen im
Laufe von Dahrhunderten vermocht, auf einem oder dem an-
dern Wege ihren Einfluß auf die wilden Nachbarn in einem
foldyen Grade auszuüben, daß die Mongolen jegt ſchon in
den Gegenden, melde unmittelbar an der großen Mauer
liegen, halb dyinefirt find. Es ift wahr, daß der Mongole,
nit feltenen Ausnahmen, auch dort noch in feiner Filzjurte
wohnt und feine Herde hltet; aber ſowohl durch fein Aeuße⸗
res als auch, und zwar im einem noch höhern Grade, durd)
feinen Charakter unterſcheidet er fich ſchon jehr ſtark von
feinem nördlichen Yandsmanne und ähnelt weit mehr einem
Chinefen. Das rohe, flache Geſicht Hat ſich bei ihm, im
Folge der häufigen ehelichen Verbindungen mit Chinefinnen,
in die vegelmäßigere Phyſiognomie des Chinefen umgewau—
beit, und in feiner Kleidung und häuslichen Einrichtung hält
es der Nomade für Eleganz und Würde, wenn er den chine—
ſiſchen Ton nachahmt. Selbſt der Charakter des Nomaden
ift hier ſehr ftark verändert: ihm lodt durchaus nicht mehr
die wilde Wüfte jo am, wie die dichtbevölferten Städte Chis
nas, in denen er ſchon mit den Bequemlichkeiten und Ber
gulgungen eines civilifirtern Lebens Bekanutſchaft gemacht
hat, Aber indem die Mongolen mit ihrer Bergangenpeit
brechen und ſich im Chinefen umwandeln, nehmen fie von
ihren Nachbarn ausſchließlich die ſchlechten Charaktereigen-
ihaften an, bewahren aber dabei die fchlechten Eigenſchaften
ihres jrühern Lebens. Cie werden ſchließlich Ausgeburten
werden, welche der chineſiſche Einfluß demoralifirt, aber nicht
auf einen höhern Standpunkt erhoben hat.
Wie die Chinefen vafiren auch die Mongolen ihren
Kopf, wobei fie im Genicke foviel Haare ftchen laffen ala
nothwendig find, um ausihnen eine fange Flechte zu machen.
Die Yamas rajiren aber den ganzen Kopf, wozu jowohl fie
als aud) der Yaienmongote ſich chineſiſcher Meſſer bedienen,
nachdem jie vorher das Haar, um es zu erweichen, mit war—
men Waſſer anfeuchten. Bärte und Schnauzbärte tragen
weber Lama noch Yaie; fie wachfen ihnen auch jehr ſchlecht.
Die Sitte, Flechten zu tragen, ift von den Mandſchuren nad)
China verpflanzt worden, als fie gegen die Mitte des ſechs—
zehnten Jahrhunderts das Himmiliſche Neid) eroberten. Seit
diefer Zeit wird die Flechte al ein Zeichen der Unterwürſig—
feit unter die Dynaſtie Da-tſyn betrachtet, und dieſen
Schmuck müſſen alle (?) China unterworfenen Völler tragen,
Die Mongolinnen rafiren ihr Haar nicht, jondern mas
hen aus ihm zwei ‚Flechten, welche fie mit Bändern, Korals
len oder Slasperlen verzieren, und vor zu beiden Seiten
der Bruft tragen. Die verheiratheten Frauen tragen häu—
fig nur eine Flechte und laſſen fie dann hinten herabhängen,
Das Haar belegen fie mit filbernen Blechen und rothen Ro:
tallen, welche bei den Mongolen fehr hoch geichägt werden.
Dei den ärmeren Mongolinnen vertreten Glasperlen bie
echten Korallen; die Bleche aber werden gewöhnlich aus Sil
ber, jelten nur aus Kupfer gefertigt, Ein folder Bug wird
auf dem Obertheil der Stirn gelegt.
Globus XXVIN, Nr. 22.
345
den Obren zwei große filberne Ohrringe, am den Fingern
Ringe und an den Armen Armbänder getragen.
Die Kleidung des Mongolen befteht in einem langen,
fchlafrofähnlichen Rode, der gewöhnlic, aus blauem chiueſi—
ſchen Baummollftoffe gefertigt iſt, chinefifchen Stiefeln und
einen niebrigen Hute, deſſen Krämpe nad) oben gebogen ift.
Hemden und Umnterfleider tragen die Nomaden gewöhnlich
nicht. Im Winter ziehen fie warnte Beinkleider und Schaf-
pelze an, und ben Kopf bebeden fie mit einer warmen
Müge Der Eleganz wegen werden die Sommerlleider
häufig aus chineſiſchem Seidenſtoffe gefertigt. Außerdem
tragen bie Beamten noch Abzeichen ihrer Würde. Sowohl
der Sommerrod als auch der Pelz find immer meittelft
eines Gurtels in der Taille umbunden, an weldem ent-
weder an der Geite oder hinten die flir einen Mongolen
unentbehrlichen Gegenftände, der mit Tabak gefüllte Beus
tel, bie Pfeife und der Feuerſtahl, hängen. Außerdem haben
die Chaldyas immer noch eine Doje mit Schnupftabad zwi—
fchen Leib und Oberrod fteden, denn das Anbieten eimer
Prife gehört zum erften Bewillfommmen des Gaſtes. Der
Hauptjtolz des Nomaden befteht in feinem Neitzeuge, das
oft mit Silber verziert. iſt.
Das Kleid der Frauen ift von einem etwas andern
Schnitte als das der Männer, und fie tragen es ohne Glir—⸗
tel; dafiir haben fie aber einen kurzen Ueberwurf ohne Aer—
mel. Uebrigens ift die Kleidung und die Friſur des Haars
beim fchönen Geſchlechte in dem verichiedenen Theilen ber
Mongolei verſchieden.
Die allgemeine Wohnung des Mongolen ift die Filzjurte,
„Gyr“, welde auch in allen Gegenden der Mongolei ganz
"gleich ift. Dede Jurte ift rund, mit einem conifchen Dadhe,
in weldem ſich eine Deffuung befindet, die gleichzeitig als
Rauchfang und Fenfter dient, Das Gerippe zu diefer Yurte
wird aus Stangen gemacht, welche größtentheils aus ben
waldigen Gegenden von Chalcha geholt werden. Die Stan-
gen werden oben zufammengebunden, dann fo ausgefpreizt,
daß fie einen Kaum von 4 bis 5 Meter Durchmeſſer ums
fchließen, ferner noch mit Yeinen mit einander verbunden und
endlich mit Filz bededt. Nur die Stangen, welche den Eins
gang bilden, werden nicht mit Leinen mit einander verbunden.
An eine derfelben wird eine Thür befeftigt, die gegen einen
Meter hoch und faft eben fo breit ift. Die Höhe der Yurte
beträgt immer gegen 1'/, Meter.
Ueber die Wände und die Thür werben Stangen gelegt,
deren dünne Enden mittelft Schleifen an die Wände befeftigt
werden. Das freie Ende diefer Stangen wird in die Löcher
eines Freisförmig gebogenen Neifes geftedt. Diefer etwa
einen Meter hohe und 11/, Meter im Durchmeſſer haltende
Segel dient als Obertheil der Yurte, d. h. als deren Rand)
fang und Fenſter.
Erſt nachdem das ganze Gerüſt der Jurte aufgeftellt ift,
wird es mit Filzdecken umfleidet, die im Winter verdoppelt
werden. Auch die Thür und der Kamin werden mit Filz:
beten belegt und dann ift die funftlofe Wohnung fertig.
Im Innern und zwar im der Mitte diefer Wohnung befin:
bet jich der Herd; gegenliber ber Thliv werden die Heiligen:
bilder („Burhany“) und neben ihnen die verſchiedenen
Schätze aufgeftellt, Rings um den Herd, auf dem den gan—
zen Tag hindurd) das Feuer micht erlifcht, werden Filzdeden
ansgebreitet, welche zum Sigen und Schlafen dienen. In
ben Jurten der Reichen werden hierzu, Statt Filzdeden, theure
Zeppiche verwendet. Außerdem werden auch die Wände der
Jurte des Reichen, befonders aber der Fitrften, mit Baummoll«
oder Seidenftoffen behängt und in diefen pflegt auch ein Bretter
fußboden zu fein. ir das wenig verinderlice Leben des
Außerdem werben in ; Nomaden ift die Jurte eine durch Nichts zu erſetzende Woh—
44
346
nung. Man Tann fie fchnell auseinander nehmen und in
eine andere Gegend trandportiren, und fie gewährt bei alle
dem Hinlänglichen Schutz gegen Kälte und Unwetter. Wenn
das Feuer auf dem Herde brennt, iftes im Innern der Jurte,
ſelbſt während fehr ftarfer Fröſte, hinlänglic; warn. Flir
die Nacht wird der Kamin mit Filzdecken zugededt und das
Feuer ausgelöſcht. Dann ift zwar in der Jurte feine befonders
hohe Temperatur, aber fie ift immer noch höher als im Sol⸗
datenzelte. Im Sommer fügt die Filzdecke einer ſolchen
Wohnung die Inſaſſen volftändig gegen die Hitze, ja felbft
gegen bie heftigften Regen.
Im gewöhnlichen Yeben der Mongolen fällt dem Reifen:
ben vor allen Dingen ihre unbegrenzte Unreinlichkeit auf.
Während feines ganzen Lebens wälcht der Nomade nicht ein
Mat feinen Körper; ſehr felten, und auch diefes nur auss
nahmsweife, wäſcht fic, einer Hände und Geficht. In Folge
bes beftändigen Schmuges wimmelt die Kleidung der No-
maden von Ungeziefer, das fie, ohne ſich durch die Gegen-
wart eines fremden ftören zu laffen, tödten. Man kann
alle Augenblicde jehen, wie ein Mongole, manchmal auch ein
Beamter oder wohl gar ein angefehener Lama, fein Kleid
oder feinen Pelz umkehrt, die zubringlichen Infecten fängt
und fogleich mit dem Tode beftraft, indem er fie auf feinen
Borbderzähnen zerdrüdt.
Die Unreinlichkeit und der Schmutz, in welden die No:
maden leben, find theilweife von der Scheu vor dem Waſſer
und jeglicher Feuchtigkeit bedingt. Nicht genug, daß der No—
made um feinen Preis durch ein Gewüſſer geht, in dem man
fi) faum den Fuß naß machen kann, er vermeidet auch aufs
Aengſtlichſte feine Yurte in der Nähe eines feuchten Ortes,
3. B. einer Duelle, eines Baches oder Sumpfes, zu erbauen.
Die Feuchtigkeit Ubt auf ihn einen ebenfo verderblichen Eins
fluß aus, wie auf das Kameel, was nur durch die Augewöh-
nung des Organismus an ein trodenes Klima erflärt wer—
ben fan. Der Mongole trinkt auch nie ungefochtes, kaltes
Waſſer, fondern erfegt e8 immer durch ein aus Ziegelthee
gelochtes Getränt. Diefe Waare erhalten die Mongolen
von den Chinefen, umd fie haben ſich fo leidenſchaftlich an
fie gewöhnt, baf ohne biefelbe fein Nomabe, fei es Mann
ober Fran, auch nur einige Tage leben kann. Während des
anzen Tages, vom frühen Morgen bis zum fpäten Abend,
Mehr der Keſſel auf dem Herde, und die ganze Familie trinkt
ohme Unterlaß Thee, und bewirthet damit vor allen Dingen
jeden Gaft.
Die Zubereitung des Thees findet In der efelhafteften
Weife ftatt: das Gefäß, ein gußeiferner Keffel, in welchem
man den Nectar braut, wird mie einer Reinigung unterzogen,
felten nur wird das Innere mit trodenem „Argall*,
d. h. mit Ererementen vom Rinde oder Pferde, ausgerieben.
Zum Kochen wird gewöhnlich; Salzwafler genommen, und
wenn man ſolches nicht hat, wird das gewöhnliche Waſſer
während des Kochens gefalzen, Nun wird der Ziegelthee
mit eimem Meſſer gefrlimelt oder in einer Stampfe zer
ftoßen, und eine Handvoll diefes Pulvers ins kochende Waf:
fer geworfen, dem nod) einige Taſſen Milch zugefetzt wer:
den. Um den Ziegelthee, der hart wie Stein ift, zu erwei—
hen, wird er vor feiner Verwendung während einiger
Minuten auf heißen „Argall“ gelegt, wodurch er weder an
Geſchmack noch an Aroma gewinnt. Num ift er zum Ser—
viren fertig. So zubereitet dient der Thee jedoch nur als
GSetränf, ungefähr wie bei uns der Kaffee oder die Chocos
lade, oder aud) wie ein fühlendes Getränf. Um aus ihm
eine gehaltvollere Nahrung zu machen, ſchuttet der Mongole
in fein Schliffelchen mit Thee eine Handvoll geröfteter Hirſe
und legt, um die Delicateffe vollftändig zu machen, ein Stüd
Butter oder rohen Kurdjulfettes (von der Fetidrüſe, welche
Albin Kohn: Die Mongolen.
das mongolifche Schaf an der Schwanzwurzel entwidelt)
dazu. Diefes wird dem Lefer einen Begriff über das Elel—
hafte der Speifen geben, weldye die Mongolen in unglaub:
licher Menge vertilgen. Im Yaufe des Tages genießen fie
zehn, ja funfzehn Schüſſelchen ſolchen Thees, deren jede den
Inhalt unferes Glaſes hat; dieſes ift jelbit für eine junge
mongolifche Dame etwas ganz Gewöhnlidyes; die erwachlenen
Männer genießen doppelt fo viel. Man ißt und trinkt
Übrigens den ganzen Tag, wenn es jeden beliebt, da bei den
Mongolen feine beſtimmte Zeit für die Mittagstafel jeftge-
fett ift. Hierbei ift noch zu bemerken, daß das Schüffeldyen,
aus dem die Nomaden ihren Thee trinken oder effen, perſön—
liches Eigenthum deſſen ift, ber ſich deffelben bedient, Auch
diejes Gefäß wird mie gewafchen, fondern nach dem Gebrauche
ausgeleft und dann in den Bufen geftedt, wo ganze
Schwärme Umgeziefers Haufen. Die Schliſſelchen dienen auch
häufig zum Prunk, und man findet beim Reichen filberne
von chineſiſcher Arbeit.
Neben dem Thee bildet die Milch in verfchiedener Form
die beftändige Nahrung bes Mongolen; aus ihr werden But-
ter, Schaum, „Arefa* und Kumys bereitet. Schaum wird
aus füßer Milch bereitet, die man über gelindem Feuer focht;
fpäter läßt man fie fich fegen, um fie hierauf, nachdem man
die Sahne abgejcöpft hat, zu trodnen. Um den Gefchmad
zu erhöhen, wird diefem Gebräue häufig geröftete Hirfe hin—
zugelegt. (Diefer „Schaum“ ift wohl das, was die Buria-
ten in der Steppe von Dajogst „Burdjuf* nennen und das
id) an anderen Orten befchrieben habe.) Die „Area“ wird
aus faurer Milch, von welcher die Sahne abgejcöpft wurde,
bereitet und ift etwas dem Quarke Aehnliches. Aus ihr
fabricitt man den „Arell*, eine Art Heiner, trodener Käſe—
ftiddhen. Der Kumys, mongoliſch „Taraſunn“, wird
aus Stuten- oder Schafmild) bereitet, Während des ganzen
Sommers ift er das Hauptbewirtfungsmittel, fo daß die
Mongolen ſich gegenfeitig unaufhörlid, befuchen, um den Ta-
raſunn zu probiren, mit dem man fid) gewöhnlich benebelt.
Alle Nomaden haben Übrigens eine große Borliebe für jpi«
rituöfe Getränfe, obgleich die Truntjucht bei ihnen durchaus
nicht ein fo allgemeines Yafter wie in civilifirten Gegenden
ft. Schnaps erhalten die Mongolen von den Chinejen
in China felbft, wohin fie mit den Slarawanen kommen, oder
auch von chinefischen Srämern, weldye im Sommer durd)
die ganze Mongolei ftreifen, um verfchiedene Waaren gegen
Wolle, elle und Vieh untzutauſcheu. Diefer Handel bringt
den Chinefen großen Gewinn, da fie die Waaren gewöhnlid)
auf Credit geben und bei biefer Gelegenheit ungeheuere ‘Pros
cente fordern, und obendrein die eingetaujchten Gegenftände
zu ſehr niedrigen Preifen berechnen.
Obgleich, wie wir gefehen haben, Thee und Milch wäh.
rend ded ganzen Jahres die Hauptfpeifen der Mongolen bil-
ben, fo haben fie doch, bejonders in Winter, eine wichtige
Beifpeife zu ihnen. Es ift diefes das Hammelfleiſch, cin
befonderer Lederbiſſen jedes Nomaden, jo daß er, wenn er
eine Speife als jehr ſchmackhaft bezeichnen will, jagt: „So
ſchmackhaft wie Hammelfleiih!* Das Schaf wird aber
auch wie das Kamel zu den geheiligten Thieren gezählt.
Uebrigens dienen alle Hausthiere als Embleme dev Würde,
jo daß mit den vom Schafe, Pierde, Kameele hergeleiteten
Eigenfchaftswörtern felbft einzelne Specien von Bflangen
und Thieven bezeichnet werden. So wird beijpieldweile die
Tfuja „Jama-artza“, die Ziegenartze, ber Weis
„Chony-Schuljuſyn“ (etwa Schaf ⸗Korn) genannt. Der
lederfte Theil des Schafes bleibt wohl der „Kurdjut®
(die Fettdrüſe des Schwarzes), Die mongolifcen Schafe
mäften fich, ſcheinbar fogar auf einer ſehr magern Weide,
dermaßen, daß ihr ganzer Yeib mit einer Fetthlille von nahezu
Nordenſtiöld's Erpedition nad) Novaja-Semlja und in den Bufen des Jeniſſeh.
einem Zoll Dide umgeben wird. Je fetter aber das Thier
ift, defto mehr entpricht e& dem Geſchmacke des Mongolen.
Schr bezeichnend ift Übrigens die canmibalifche Art des
Schlachtens der zum eigenen Bedarf beftimmten Schafe.
Die Mongolen ſchlitzen dem Thiere den Bauch auf, fahren
mit der Hand ind Innere, erfaffen das Herz und drücken
es fo lange, bis das Thier verendet. Dom gefchladhteten
Schafe geht Übrigens fein Broden verloren; felbft die Därme
werden verbraudt. Sie werden ausgeleert und ohne vorher
ausgewafchen zu werden mit Blut gefüllt. So werden fie
num gefocht und als Würfte verjpeift. Man muß freilich
einen Mongolenappetit und Mongolennerven befigen, um
dieſe Würfichen zu genießen.
Die Gefräßigfeit des Mongolen ift unglaublid;; er kann
während eines Gelages nicht weniger als 5 Kilo Hammel«
fleifch verzehren. Es finden fid) Gourmands, welche wäh—
rend eines Tages einen genen Hammel mittlerer Größe
verjpeifen! Während einer Keife ift ein Hammelviertel die
gewöhnliche tägliche Portion für einen Menſchen; dabei wird
noch öfonomifc, gelebt. Dafur aber ift der Mongole aud)
im Stande, mehrere Tage ohne jegliche Speife zu leben;
wenn er aber and Effen fommt, dann ift er aud), im wah»
ren Sinne des Wortes, für fieben.
Das Hammelfleiſch wird zum gewöhnlichen Berfpeifen
immer nur gelocht; gebraten wird auf einem Spieße aus
ſchließlich das Bruftftüd, welches ein Yederbiffen der Mon«
golen ift. Wenn die Mongolen während des Winters auf
Reifen find und das Fleiſch hart gefrorem ift, wird es halb
roh genofien. Man fchmeidet zu diefem Behufe immer eine
blinne, halbgelochte Fleiſchſchicht ab umd läßt das Uebrige
meiter fochen. Im alle ber Eile aber legt der Nomade
ein Stüd unter den Sattel des Kameels, auf weldem er
die Reiſe macht, um es gegen ben Froſt terug Von
bier wird nun das Fleiſch während des Marjches Kervor-
gezogen und ohne Rüdjicht auf die an ihm Mebenden Kamel
haare und den Geruch, den es angenommen hat, mit dem
größten Appetite verzehrt. Die Schöpfenbrühe wird vor ben
Nomaden wie Thee getrunken; mandmal wird etwas Hirfe
ober in Nubeln geformter Teig hineingethan. Bor dem Eſſen,
wenn die Schliffelchen jchon gefüllt find, werfen die Lamas
und die Frommen aus der ärmern Volksclaffe Kleine Stüd-
hen als Opfer ins Feuer, oder in Ermangelung des Feuers
auf die Erde. Um von flüffiger Speife ein Opfer zu brins
347°
gen, wird der finger in biefelbe getaucht und dann abge:
fchüttelt, ohne Rückſicht darauf, wohin die Tropfen fliegen,
Die Mongolen nehmen alle ihre Speifen mit den Hänr
den, um fie dem Munde zuzuführen, trogdem jene fr ges
wöhnlic, ſehr ſchmutzig find. Das Fleiſch wird in großen
Stüden in den Mund gebracht, fo viel, als eben in demfel-
ben Plag ift, in ihn genommen und der Reft vor dem Munde
mit einem Meffer abgefchnitten. Die Kunochen werben fo
rein benagt, daß auch fein Fäferchen an ihnen verbleibt, ja
einige werden fogar zerfchlagen, um das Mark herauszu-
betommen. Das Sculterblatt vom Schafe wird, nachdem
das Fleiſch verzehrt ift, immer zerbrochen; es ganz zu Laffen
wird als ſchwere Sünde betradjtet *).
Außer Hammelfleifh, das als bevorzugte Speife betrad;-
tet wird, genießt der Mongole auch Ziegenfleiſch und Pferde»
fleiſch. Seltener als diefes wird Rindfleifch und am feltens
ften Kameelfleiſch gegefien. Die Lamas genießen fein Pferdes
und Kameelfleiſch, aber weder fie noch aud) ihre Landsleute
verachten das Fleiſch gefallener Thiere, befonders wenn fie
etwas fett find. Brot kennen die Mongolen nicht, obgleich
fie die chineſiſche Semmel nicht verachten; mandjmal baden
fie jedod) zu Haufe Fladen und machen Nudeln aus Weizen:
mehl. In der Nähe der fibirifchen Grenze efjen die Mons
golen ſchon Roggenbrot; doc; weiter im Inmern der Mon—
golei kennen fie es nicht umd die Mongolen, denen Capitän
Prichewalsti Zwiebad aus Roggenbrot gegeben, fagten ger
wöhnlich, nachdem fie ihn probirt hatten: „Gin foldyes
Efien hat nichts Angenchmes an ſich; man Mappert bloß mit
ben Zähnen.“
Fiſche und Vögel werben von den Mongolen, mit fehr
wenigen Ausnahmen, nicht gegeilen; fie halten eine folche
Speife für unrein. Ihr Efel geht jo weit, daß einft ein
Fuhrer des Capitäns Pridjewalsti, als diefer auf dem See
Kulu⸗ Nor eine Ente verzehrte, vor Ekel zu bredjen begann.
Derfelbe Mongole ift in unglaublichem Schmuge aufgewach—
fen, aß mit Gleichmuth Fleiſch von gefallenen Thieren und
ungewaſchene Hammeldärme, umd doch fonnte er den Ans
blid, daß ein Europäer eine Ente genoß, nicht ertragen. Das
ift die Macht der Gewohnheit.
*) Ebenfo balten ea bie Bewohner der Mark Brandenburg für
unrecht, die Schalen ber vergehrten Gier gang zu laſſen: tas betrefs
fende Huhn würde ja dann micht mehr legen!
Nordenftiöld’8 Erpedition nah Novaja-Semlja und in den Bufen
des Jeniſſey.
A. K. Der Profeffor Nordenffiöld berichtet in einem
Briefe (abgebrudt im „Journal de St. Peteröbourg*) an
Herrn Oscar Didfon in Gothenburg Folgendes tiber feine
Reife nad) Novaja-Semlja und in den Bufen bes Jeniſſey,
welche er auf der Macht „Proeven“ ausgeführt hat:
„Die Nacht „Proeven“ verließ am 8. Juni 1875 den
Hafen von Tromſoe, remorquirt von einem Kleinen Dampfer;
aber wibrige Winde zwangen uns fogleic, im Sunde zwifchen
Carlſoe und Nennoe Unter zu werfen und wir mußlen hier
fünf Tage verbleiben. Deshalb konnten wir erft am 14.
Juni weiter reifen, um durch die Enge von Fugloe das hohe
Meer zu erreichen. Am 17. umfcifften wir das Nordcap
und fteuerten nun direct auf Novaja-Semlja.
Während des Frühlings und im Anfange des Sommers
it die Weftküfte diefer Doppelinfel bis zu einer gewiſſen
Entfernung vom Lande mit einem Gürtel compacter Eis:
maflen umgeben, im welchem faft nirgends ein Durchgang
eriftirt. Später verfchwindet er jedoc und es bilden ſich,
wie häufig gemachte Erfahrungen beweifen, ziemlich fruh
zwei Paflagen. Diefe Löcher find dann nur mit einer bün-
nen Schicht ſchwimmenden Eifes bededt und fie verbinden
dann gegen Weften den Ocean mit dem offenen Wafler, das
ſich längs der Küfte Hinzieht. ine diefer Paſſagen öffnet
fid) gewöhnlich gegenüber dem „Matotſchkin-Schar“ (dev
Meerenge, melde das „neue Land“ im zwei Infeln theilt),
während fich die andere gewöhnlich auf der Höhe des Cap
44*
348
„Sjewero-GufinnoiMig* (Mord-Gänfe-Cap) öffnet. Die
erftere entfteht im folge der heftigen Strömung, weldje die
Enge durchfließt. Ich wählte die zweite Pafjage, welche wir
am 22, Juni durchjegelten, wobei wir nicht eben mit bedeu—
tenden Schwierigkeiten zu lämpfen hatten, und wir warfen
fieben Tage nad) unferer Abfahrt von Carlſoe an der Küſte
von Novaja-Semlja in einer Heinen, wenig gefchligten Bucht
unmittelbar im Norden des Gänfecaps Anter.
Während der Durchfahrt fondirten wir, jo oft es das
Wetter erlaubte, und ftellten Beobachtungen über das Thiers
leben im Meere, iiber die Temperatur des Waflers in ver-
ſchiedenen Tiefen u. ſ. w. an und hatten dabei Gelegenheit,
uns zu überzeugen, da man im dieſen Gegenden fehr reiche
und für die Naturwiſſenſchaft koftbare Gegenjtände finden
fanıt.
Nachdem wir zwei Tage an der bezeichneten Stelle gele-
gen hatten, lichteten wir wieder die Anfer und ſteuerten gegen
Nord, bei welcher Gelegenheit wir bald hier, bald dort, je
nachdem und dev Ort günftig ſchien, anhielten. Vom 25.
bis 28. Juni verweilten wir im der Kleinen Bucht von
Karmafully, vom 2. bis 6. Yuli in der Bucht Beſi—
miennaja (Namenlofe), vom 7, bis 13, Juli an verſchie—
denen Punkten des Matotjhlin-Schar. Das Meer war
nahezu frei von Eis; wenigftens war dies bis zu dieſem
Punkte der Fall; aber im Norden des Matotjchlin - Schar,
weldjes das Kariſche Meer mit dem zwifchen Novaja-Senlja
und Spigbergen belegenen Theile des Ocean verbindet, zo—
gen ſich Bänte hin, weldye ſich fait bis an die Hüfte erftred«
ten; diefes zwang die Expedition, ihr Project, gegen Norden
die Süfte entlang zu jahren, aufzugeben.
Dagegen war das Eis im dem weftlichen Theile des
Matotichlin-Schar gebrochen und wir glaubten anfangs in
der Richtung nad) Often vordringen zu können. Nachdem
wir im diefer Abſicht bis nad, Tſchiralina gefegelt waren,
unternahm ich von hier aus eine Bootfahrt in das Innere,
um das Eis dort zu unterfuchen. Während derfelben Zeit
beftieg der Docent Yundftroem einen Berg, deſſen Höhe
über 1000 Meter beträgt und von dem aus er die ſchönſte
Fernſicht genof.
Das Refultat unferer Unterfucdjungen war, daß wir con-
jtatirten, daß der öftliche Theil der Meerenge von ununters
brochenem Eiſe bededt ift, weldyes hinreichend did war, um
noch lange dem Einfluffe des Nordpolſommers widerſtehen
zu lönnen. Unter diefen Umftänden glaubte ich nicht warten |
zu dürfen, bis ſich auch hier eine Durchfahrt eröffnete; da
es mir unmöglich ſchien gegen Norden vorzudringen, beſchloß
id) das Glid in einer andern Richtung zu probiren, durch
die Karaſtraße oder durd) die Enge von Jugor in das Kara—
meer zu dringen, indem ic) entweder die Nord: oder die Süd»
füfte der großen Waigatfch-Infel entlang ſchiffte.
Wir verliehen den Matotichlin- Schar am 13. Juli und
gelangten am 25. in die Sfaraenge, nachdem wir vorher amt
14, in der Stodda-Bucht, wo wir ſchöne Berfteinerungen aus
der Yuraformation fanden, Anker geworfen und ebenfo am
16. beim nördlichen Gänfevorgebirge, am 18. beim jitdlichen
Gänfevorgebirge und am 21, beim Koftinny- Schar geantert
hatten,
Die Karaenge (Kariſche Straße) war durch Eis ver-
ſchloſſen und der Wind, weldyer wehete, als wir hier anfa«
men, war zu heftig, als daß wir daran hätten denfen können,
irgendwo Unter zu werfen. Cs herrichte in diefen Gegen⸗
den vom 26. bie 30. Juli ein furdhtbarer Sturm und wir
ſchätzten uns glücklich, an der Südfüfte der Waigatſch- Inſel
eine Zuflucht zu finden.
Am 26. Juli warfen wir gegeniiber dem Grebenyj— |
Vorgebirge Anker. Der Sturm war fo heftig, daß wir erjt
Nordenjtiöld’s Expedition nach Novaja-Semlja und in den Buſen des Jeniffey.
am 30, Juli ein Boot ins Meer lafjen konnten, um auf die
Infel zu gelangen, im deren unmittelbarer Nähe wir uns
befanden. Wir machten auf Waigatſch eine reiche Ernte
von Verfteinerungen der obern Silurſchicht, weldye ein gro=
Ges Interefle für die ſchwediſchen Geologen hatten, da fie
ſehr den Verfteinerungen von Gothland gleichen. Auf der
Waigatic- Infel fanden wir das erjte Mal Sampojeden,
welche beim Anblide unſers Fahrzeuges im ihren hohen,
eigenthümlich geformten und mit 3 bis 4 Renthieren bes
ſpannten Schlitten an die Küſte gefommen waren, Wir
baten die Samojeden, als fie den Wunfch hierzu äußerten,
mit uns an Bord zu fommen und nahmen fie hier fo gajt-
freundlich wie möglich auf.
Während unjers Aufenthaltes auf der Weſtſeite der Juſel
Novaja-Semlja ftudirten wir mit allem Cifer die geolo—
giichen, zoologiſchen, botanischen u. ſ. w. Berhältniffe dieſer
Gegend, und viele unſerer Anhaltspunkte boten dem wiſſen⸗
ſchaftlichen Stabe unſerer Expedition, Gelegenheit, reiche
Materialien zu ſammeln, die vielleicht vollſtändiger find als
diejenigen, welche irgend ein früherer Forſcher geſammelt hat.
Indem wir beffered Wetter abwarteten, verblieben wir
beftändig auf der Südjeite der Waigatſch-Inſel. Der Nord:
oftwind hörte jedoch nicht auf mit großer Heftigfeit zu wehen
und mußte, wie wir vermutheten, große Eismaſſen in den
füdlichen Theil des Karameers treiben, fo daß uns für diefen
Fall wenig Ausſichten verblieben, nod) in diefem Sommer
weiter gegen Often vorzudringen. Ich entſchloß mid, trog-
dem, das Unternehmen zu wagen, und wir verfuchten es am
31. Juli, in die Enge von Jugor einzulaufen. Kaum war
ven wir jedoch am Eingange derjelben, jo entjtand eine Wind:
ftille, welche und wiederum nöthigte, Anker zu werfen. Dies
ſes geſchah nicht weit von der Stelle, wo ſich während der
Sommermonate eine große Anzahl von Kufjen und Samo—
jeden aus Puftofcherst verfanmelt, um zu jagen und zu
fiſchen. Die Norweger haben diefen Ort „die Stadt ber
Samojeden“ benannt.
Am folgenden Tage unterfuchte id) im Boote die Vers
hältniffe der Meerenge und ordnete an, daß uns das Schiff
folge, fobald dies möglidy fein wiirde. Erſt am 2. Auguft
begann es die Reife und gelangte, Dank einer ſchwachen
Briſe und jtarfen Strömung, an das andere Ufer der Meer:
enge, wo ic; mein Zelt aufgeichlagen hatte. Ich begab mid)
ſogleich an Bord und eine ftarfe Strömung trieb uns gegen
das Karameer. Wir pafjirten giüdlich die Enge und bei
unferm Einfaufen ins Karameer fanden wir es volllommen
eiöfret.
Wir ftenerten gegen die Mitte der Halbinfel, welche das
Karameer vom Obigolf ſcheidet und die bei den Samojeden
Jalmal heißt. Der Wind war beftändig ſehr ſchwach, was
unfere Geduld auf eine fehr harte Probe fiellte, aber uns
auch als Yohn hierfür erlaubte, unſere wiſſenſchaftlichen
Unterfuchungen Uber das Yeben im Meere durch Fiſchen mit
dem Schleppuetze fortzufegen, Unjere Nege verſchafften uns
eine unerwartete Fülle der verſchiedenſten Meerthiere, von
denen ich vorzüglich die riefigen Gattungen der Iſopoden,
eine große Menge von Amphipoden, einen großen, ſchönen
Alecto, Ophiceriden von ungewöhnlicher Größe, Ajteriden
von ausgezeichneter Schönheit und Mollusten nenne,
Bei diefer Gelegenheit muß der bemertenswerthe Um⸗
ftand angeführt werden, daß das Waller auf der Oberfläche
des Meeres in diefer Gegend faft ganz füß üt, fo daß es
tödtlich auf diejenigen Thiere wirkt, welde im geſalzenen
Waller in der Tiefe des Oceaus leben. Deshalb ftarben
and) die Thiere, welde wir von Boden des Meeres herauf:
brachten, größtentheils, fobald wir fie in Wafler jegten, das
von der Oberfläche geſchöpft war.
Die „Hertha“ in den oftafiatiichen Gewäſſern.
Wie wir es ſchon an dev Weftfüfte von Novaja-Senlja
gethan, beftimmten wir aud) hier mit Hülfe der Thermo»
meter von Negretti und Zambra, wie auch der Thermometer
von Gafella die Temperatur des Meeres, nicht allein an
feiner Oberfläche, ſondern and) in verſchiedenen Tiefen. Dieſe
Beobachtungen haben uns ſehr intereflante Reſultate gelie—
fert, welche für eine Menge Fragen in Betreff der Richtung
der Meeresftrömungen in diefen Regionen, die bis jegt aus
Mangel anderer Hilfsmittel hauptſächlich nad) der Tempe-
ratur an der Oberfläche des Meeres erklärt werden mußten,
entjcheidend fein werden. Zahlreiche Beobachtungen, welche
id) längs der Weftflifte von Novaja-Senlja, vom Matotſch-
fin: Schar bis an die Meerenge Yugor und von hier um
das Cap Grebenyi bis zu 751/49 nördl. Br. und 82° öſtl. L.,
ferner noch bi® zur Mündung des Jeniſſey gemacht habe,
haben mir unzweifelhafte Beweife dafür geliefert, daß bie
Temperatur der Oberfläche diefes Meeres in Folge des Eins
fluffes der Temperatur der Luft, des benachbarten Eifes und
des hinzuftrömenden füßen und warmen Waflers des Ob
und Jeniſſey fehr oft verändert wird. Die Temperatur bes
Waſſers bis zu einer Tiefe von zehn Faden bleibt faſt ganz con-
ftant zwifchen — 1° und 2° G, (Wenn man eine Flaſche mit
Waſſer, das von der Oberfläche geſchöpft ift, bis zu dieſer
Tiefe hinabläßt, jo gefriert e8 in der Flaſche.) Es eriftiren
aljo in diefen Gegenden feine warmen Strömungen, weldye
Einfluß auf die — — des Waſſers bis zu einer ge—
wiſſen Tiefe haben könnten. Wir haben ſehr häufig mit
Hilfe des ausgezeichneten und zu diefem Behufe vom Pro-
feffor Elmann conftruirten Apparates Meine Quantitäten
Waſſer aus der Tiefe herausgefhafft, und ich bin überzeugt,
dag am Boden des Meeres die im Waſſer aufgelöfte Salz-
menge conftant ift. Ich fonnte dies übrigens nad) meiner
Rüdtehr mit Sicyerheit durch Analyfen des Waſſers feftftellen.
Am 8. Auguft befuchten wir auf einige Stunden bie
Norbweftfüfte der Halbinjel Jalmal, wo wir aftronomifdye
Beftimmungen vornahmen, was wir übrigens ſchon häufig
auf der Weftküfte von Novaja-Semlja und in der Meerenge
Iugor gethan hatten, Wir bemerkten Fußtapfen von Men—
ſchen, von denen einige barfuß gegangen waren, und fahen
audı Spuren eines Schlittens. Am Ufer war aus Renthier-,
Pholen · und anderen Knochen ein Altar errichtet. Auf dies
ſem Knochenhaufen ftanden zwei aus Treibhol; grob aus-
gehauerre Götterbilder, deren Augen und Mund ganz frijc)
mit Blut beftrichen waren. Knochen von Renthieren und
weißen Bären waren an Stöden, die mit Hafen verfehen
waren, aufgehängt. Ganz nahe am Wltare befand ſich ein
Herd, auf dem das Feuer unlängft erlofchen war, und das
neben lag ein Haufen Reuthierknochen; deutliche Anzeichen
eines Opferfeſtes.
349
Nach einigen auf dem Yande verbradjten Stunden jteuer-
ten wir gegen Norden, bis id) au unermeßliche Eisbänte
fam, durch welche nicht hindurch zu fommen war. Es war
dies unter 75030" nördl. Br. und 70% 30° öftl. Y. Ic
fegelte deshalb am Rande des Eiſes im der Richtung
nad Dften und wendete mich endlich gegen das nördliche
Ufer der Ieniffeymündung, wo wir am 15. Anguft unter
Aufhiſſung der ſchwediſchen Flagge Anker warfen. Wir
find alfo an ein Ziel gelangt, welches feit Jahrhunderten
große Handelövölter vergebens angejtrebt haben.
Als wir und dem Hafen näherten fahen wir einen Bär
ren, weldjer an der Küfte in Geſellſchaft einiger Nenthiere
weidete; er verlieh fie jedoch bald, um ſich im einiger Ent:
fernung miederzulegen. Ehe wir noch die Anker geworfen
hatten, landete Dr. Theal in einem Boote, um den Bären
zu fchiegen. Er mäherte ſich ihm friecend, aber der Bär
bemerkte ihm ſogleich und ſtürzte fich auf den Jäger. Gin
Schuß aus einem Remington traf ihn in die Stirn, durch—
drang jedoch nicht den Schädel, fondern ftreifte ihm nur der
Fänge nad) zwifchen den Augen. Da kehrte der Bär um
und ergriff die Flucht, wurde jedoch von einer zweiten Kugel
getroffen, welche ihm die Yunge und den obern Theil des
Herzens durchbohrte.
Ich betrachte diefen Vorfall als eine gute Borbebeutung:
ber Där hat während Yahrtaufenden hier als alleiniger Herr
geherrfcht, jegt ſoll feine Herrſchaft in diefen Regionen enden,
Man wird zahlreiche Schiffe diefe Gegenden befuchen fehen,
weldye den Handel zwiſchen Europa und den unermeflichen
Yandftrichen im Baſſin des Irtyſch, Ob und Jeniſſeh unter—
halten werden.“
Nach dieſem lyriſchen Erguſſe, der wohl durch die ſchönen
Erfolge, welche ein Ergebniß der nillhevollen Expedition
waren, gerechtfertigt erſcheint, giebt Norbenjfiöld Einzelheiten
von feiner Reife über Jeniſſeyek und das europäiſche Ruß-—
land, um zu Lande nach Schweden zurüczufehren, während
ber „Proeven“ nach Norwegen zurädfuhr.
In einem zweiten, vertraulichern Briefe an Herrn Did:
fon fagt er, daß er feine Reife als von auferordentlidyem
Erfolge gekrönt betrachtet, da er in die Miindung des Jeniſ⸗
fey gelangt ift, wohin vor ihm große Erpebitionen, welche
von Holländern, Engländern und Rufen ausgefendet worben
find, nicht gelangen konnten, weil fie nicht die rechte Jahres-
zeit zum Reifen im diefen Gegenden gewählt hatten.
„Ich habe die innige Ueberzeugung,“ ſchließt Herr Nordens
jtiöld, „daß jegt eine Hanbelsftrage geöffnet ift, deren Wichtig«
feit ſich jeder leicht vorftellen fann, wenn er das Terrain
betrachtet, das 'das Baſſin des Ob, Irtyſch, Jeniſſey und
ihrer Nebenflüffe bildet.“
Die „Hertha* in den oftafiatifhen Gewäflern.
Die von dem Hydrographifchen Bureau der faiferlichen
Abniralität zu Berlin unter Dr. von Boguslamwsti’s
Leitung heransgegebenen „Annalen der Hydrographie und
maritimen Meteorologie“ *) haben ſich feit ihrem kurzen
Beftehen (dev laufende Jahrgang ift ihr dritter) bedeutend
gehoben und dem Geographen ſchon umentbehrlic, gemacht.
*) In Gommiffien bei E. S. Mittler und Sohn.
Hefte. Jahrlicher Pranumerationspreis 3 Mart,
Jahrlich 12
BVortrefflih und äußerft banfendwerth ift 3. B. die eben ge—
troffene Einrichtung, größere zufammenhängende Aufnahmen
fremder Marinen den deutichen Yeferm im Karte und Text
vorzuführen, wie in Nro. 13 und 14: die Klein⸗Kei—
Gruppe nad) den Aufnahmen ber königlich italienifchen
Corvette „Vettor Pifani*; in Neo. 15 und 16: die
ausgebehnten Arbeiten Ihrer Britiſchen Majeftät Schiff
„Shearwater“ an den Kuüſten der Infel Sanfibar und
denen des gegemüberliegenden Feſtlandes von der Panganis
350
Bay im Norden bis Nas Kimbidſchi im Süden, beide Ber
fchreibungen von ſchönen, durch U. Welder gezeichneten
Karten begleitet. Zu dieſen fremden Urbeiten gejellen fid)
aber natlirlicher Weife aud) die Leiftungen deutſcher Schiffe,
wie namentlic, die Tieffeeforfchungen der „Gazelle“ im
Atlantifhen Ocean, welche diejenigen des „Challenger“ in
erwänfchter Weife ergänzen, die demnächſt erfcheinende Auf:
nahme ber Kerguelen-Infel im füdlichen Indifchen Ocean
durch dafjelbe Schiff, welches die deutſchen Gelehrten zur
Beobachtung des Venusdurchgangs am 9. December 1874
dorthin gebracht hatte. Bejonders reiche Beiträge zur
Meeres und Kliſtenlunde liefern ſodann die in den oftafia-
tifchen Gewählern ftationirten und ſich dafelbft einander ablö-
fenden Schiffe, wie die „Arcona*, die „Ariadne“, die
„Hertha, Letztere Hatte unter dem Befehle des Corvetten«
capitänd Knorr am 28. October 1874 den Kieler Hafen
verlaffen, um die „Arcona“ auf der oftafiatifchen Station
abzulöfen. Die Reiſe über Madeira, Rio de Janeiro, Cap
der Guten Hoffnung und die Sunbaftraße bis Singapore,
wo fie am 11. März d. 9. eintraf, bot nichts, was hier
hervorzuheben wäre, Während des Aufenthaltes in letzterm
Hafen beſuchte Capitän Knorr am 18. ag © auf Einlas
dung des unabhängigen mohammedaniſchen Maharadichah
von Johor (oder Dſchohor?), deffen Verkehr mit dem rufe
ſiſchen Naturforfher Miklucho-Maklai wir unlängft
(S. 189) gefchildert haben, mit der „Hertha“ diefen vier
Stunden von Singapore gelegenen Hafen am gleichnamigen
Fluſſe, welcher für den deutfchen Handel von zunehmender
Wichligleit geworden ift, und erfreute ſich nicht nur dort
einer jehr zuvorlommenden Aufnahme von Seiten des Sul:
tans, fondern erhielt auch von biefem den Europäern zuge:
thanen Herrfcher einige Tage fpäter einen Gegenbeſuch.
Am 25. März fegte „Hertha“ ihre Reife über den
SulusArhipel und die Philippinen nach Honglong
fort. Unterwegs wurden einige Pläge angelaufen und meh—
tere nicht umwichtige und neue Nachrichten geſammelt, bie
eine weitere Verbreitung wohl verdienen.
Vom 30. März bis zum 3. April hielt ſich „Hertha“
bei Labuan auf, einer Meinen Infel in 5° 16’ nördl. Br.
und 115915’ öftl. ®, an der Norbwetliifte von Borneo,
welche ſich in engliſchem Beſitze befindet, und deren Haupt-
wed darin befteht, als Gefängnigort fir nicht europäifche
erbrecher aus den Colonien von Honglong und Singapore
zu dienen. Un dem Nordende der Infel find Kohlengruben
vorhanden, deren Ausbeute jedoch nad) den 1872 von
der „Nymphe* dort eingezogenen Erkundigungen früher
bebeutender als heutigen Tages gewefen fein Er Fremde
Schiffe können wenigſtens dort nicht ſicher auf Verſorgung
mit Kohlen rechnen, wie „Hertha“ ſelbſt erfuhr; zudem
fehlt es an dem nöthigen Einrichtungen zur Heranfchaffung
und zum Cinnehmen dieſes Feuerungsmaterials. Die
an ber Husgiebigkeit jener Lager entitandenen Zweifel
haben das Wachsthum der Colonie und ihren wirthfchafts
lichen Auffhwung gehemmt; und ohne diefen hat der Ort
feine Bedeutung, weder für dem Verkehr noch auch für die
englische Regierung. Selbft Wafjer und Proviant find in
dem Hafen, welcher natürlich zufolge der bei den Engländern
fo beliebten Dlannigfaltigteit bei Namengebung „Victoria“
heißt, nur in fehr geringen Mengen vorhanden,
Bon Labuan aus fegelte die „Hertha“ durd) die Balä-
bac-Straße in die Sulu · See zwiſchen Borneo und den Philip-
pinen, anferte in dem Hafen von Sandälan und blieb
bort vom 11. bis 14. April, Diefer Hafen liegt an ber
in die Nordofttüfte Borneos einfchneidenden , gleichnamigen
Bucht, welche einige Aehnlichteit mit der von Rio de Janeiro
hat, und bildet eine unter engliſchem Schuß ftehende Nieders
Die „Hertha“ in den oftafiatiichen Gewällern.
laſſung, welde an die Eingeborenen leichte Baumwollen—
ftoffe und Waffen verhandelt, Das Yand felbft gehört dem
Sultan von Sulu, deſſen Anerbieten, ſich unter preußiſchen—
Schutz ftellen zu wollen, im Jahre 1867 fo viel unnöthige
Aufregung verurfachte.
Die Infel Sultı felbft, die Hanptinfel des nad} ihr be-
nannten Ardjipels und Sig des Sultans, der augenblidlid)
mit den Spaniern in Krieg ſich befindet, fonnte wegen der
Blodade der Infel durch das fpanifche Geſchwader nicht be-
ſucht werden, wohl aber die Pangutarang-Öruppe
deſſelben Archipels, niedrige, dicht bewaldete Infeln, von
denen eine, Tubigan, näher umterfucht wurde, um ſich über
das PVorhandenfein von Trinkwaſſer und von einem dort
angegebenen Flügchen Gewißheit zu verfchaffen. Die ſich
auf die ganze Küfte und genligend landeinmwärts erftredende
Unterſuchung ber flachen Koralleninfel, deren Umgebung
abgelothet wurde, ergab die Grundloſigleit jener Nachricht.
Die deutfchen Offiziere fanden dagegen überall bei den von
den Eingebovenen bei Annäherung ber Boote verlaffenen
Hlitten Heine, in die Erde gegrabene Löcher, weldye, als
Eifternen dienend, ihren geringen Borrath an Trinf- (Negen-)
Waſſer enthielten. Da die ganze malahiſche Bevölferung
in das Didicht geflohen war, konnte fein Verkehr mit ihnen
ftattfinden,
Bon dort ging es nach der ſpaniſchen Stadt Ifabela
auf der Inſel Bafilan, welde, an bem füdlicden Ausgange
der Meeresenge zwiſchen Bafilan und Malamavi gelegen,
Sig des Gouverneurs der Infel umd feit dem Sriege gegen
Sulu der füblichfte Stationsort der ſpaniſchen Flotte bei den
Philippinen ift. Ihre Yage an dem welligen Weftabhange der
nur 180 Meter hohen, aber dichtbewaldeten Hligel, deven dunk-
les Grin nur in der Nähe des Ortes hier und ba von hels
leren Lichtungen und gelblichen Kofospalmen unterbrochen
wird, zu beiden Eeiten eines ziemlich jteil abfallenden tiefen
Thaleinichnittes, gewährt ein recht anmuthiges Bid, Das
Flügen Paſanhan ergießt ſich mit buchtartig erweiterter
Mündung aus dem Thale in die Meerenge, derem feichte
Barre aber die Einfahrt verbietet.
Die umgefähr 5000 bis 6000 Seelen betragende ma»
layiſche und chinefifche Bevölferung lebt zwar nur in Bam⸗
bushüitten, welche, ſoweit fie der erftern gehören, der mas
layifchen Sitte gemäß, möglichft nahe dem Wafjer oder auch
in demfelben ftehen, jo daß fie von ber Fluth beſpült und
gereinigt werben; doch verräth die bei den meisten derſelben
bemerfbare größere Sorgfalt des Baues einen gewiſſen Grad
von Wohlſtand.
Die eingefchloffene Lage des Hafens ſchützt ihn zwar
gegen jeden Seegang; da aber auch der Wind abgehalten
wird, jo war für die „Hertha“ der Aufenthalt daſelbſt bei
nur 30° E. im Schatten ein durch die Schwüle ſehr er
ſchlaffender, und fie vertaufchte ihm nach jechstägigem Aufent:
halte gern mit dem auf ber offenern Nhede von Jam
boanga, weldes auf der Sübweftipige der nur halb in
ſpaniſchem Befige befindlichen großen Inſel Mindanao
liegt. Proviant ift dort reichlich zu Haben; dod; bedarf man
zum Schlachten von Hornvieh, ebenſo wie in Iſabela, der
Erlaubniß des Gouvernements. Auch Waſſer ift in jeder
Menge aus den von den Bergen durch die Stadt geleiteten
Flußchen zu erlangen; doc muß es, da es am Tage zum
Wafchen und Baden benutzt wird, des Nachts zwiſchen
Mitternacht und 5 Uhr Morgens geholt werden. Da es
außerdem beſonders mach Negenglifien viele pflanzliche und
erdige Beimengungen enthält, jo it ein Filtern des Waſſers
vor dem Gebrauch jowohl aus gefundheitlichen Rüchkſichten
als aud um die Wafferfaften rein zu halten zu empfehlen.
Bon hier ging es durch die Mindoro-See in das Cen-
Aus allen Erbtbeifen.
351
trum des Philippinen⸗Archipels nad) der Stadt Zebu auf | vorgegangen, bilden einen großen unb wichtigen Bevölferunge«
der gleichnamigen Infel, wo ber erſte Weltumfegler, Fer:
nando Magelhaeus, am 27. April 1521 bald nad) fei«
ner Yandung im Kampfe für den ihm befreundeten Fürſten
von Zebu gegen deſſen Feinde fiel. Auf dem Ende einer ind
Meer vorjpringenden Yandzunge bezeichnet ein weithin ficht:
bares, großes Dental von weißem Stein die Stelle, wo er
fein thatenreiches Yeben beſchloß. (Vgl. „Globus“ XXVII, S.
362, wo der Beſuch des „Challenger* in Zebu gejchildert ift.)
Die Stadt Zebu ift die ältefte der Philippinen und Liegt
auf einer weiten, gut bebauten und durch zahlreiche Anpflans
zumgen geſchmlickten Ebene, am Fuße des fich durch die ganze
Yänge der Infel (120 Seemeilen) hinziehenden Höhenrüdens,
und zwar ungefähr in der Mitte ihrer nordſüdlichen Er—
ftredung und etwas ſüdlich von ihrer breiteften Stelle
(15 Seemeilen), Trog ber hier herrſchenden großen Hige wird
der Aufenthalt im Folge der trodenen Umgebung als recht
gejund gelobt. Die Stadt it Sit eines einen Theil der
ſudlichen Philippinen umfaflenden ſpaniſchen Gouvernements
und zugleic; Marineftationgort.
Die hauptſächlich malayische und chineſiſche Bevölkerung
der fehr ausgedehnten Stadt zählt gegen 30,000 Seelen
(der „Challenger“ giebt ihr 35,000); die Meftigen, aus
Verbindungen der Weißen und Chinefen mit Malayen her:
theil, weıl ſich in ihren Händen der eigentliche Wohlftand
der Infel befindet, während die Kaufhäuſer der Weißen und
Chineſen ihre Chefs im Auslande haben. Die Hltten der
armen und meift vom Fiſchfange lebenden Malayen bilden
am Strande ben weftlichen Theil der Stadt, während hin-
ter denfelben, weiter landeinwärts, wie in den übrigen Rice
tungen, gute Straßen mit maffiven Häufern und Gärten
zahlreicher angetroffen werben. Die Stadt befigt ferner eine
fehr jchöne, geräumige Caferne, mehrere große Pläge, zwei
große, fchöne Kirchen und ein Lazareth. Der am Hafen
gelegene Stadttheil ift hauptfächlic dem Handel gewidmet,
der demjenigen von Ilo-Jlo gleichgeachtet und nur von
dem von Manila übertroffen wird.
Die Ausfuhr befteht hauptiächlih aus Zuder, Flache,
Tabad und dem Gewebe der Ananasfafer ; die Einfuhr er
firedt ſich auf alle Art europäiſcher Artitel, Kohlen und
Reis, An diefem Ort wurden nur vier Deutfche angetrofs
fen, darunter ein Apotheler, wie überhaupt faft alle Apothe-
fer auf den WBhilippinen (und auch in anderen Yändern,
3. B. in Rußland) Deutſche fein follen.
Am 7. Mai verließ „Hertha“ Zebu, trat ber Manila,
wo fie vom 13. bis 17. Mai verweilte, die Weiterreife nad)
Honglong an und ging dort am 27. Mai vor Anker.
Aus allen Erdtheilen.
Die Rordfahrt der „Bandora” und Nachrichten von der
englifhen Morbpolerpebition.
As wir in Nr. 14 unferer Zeitſchrift unferen Lefern die
Nachrichten mittbeilten, welche dad Begleitſchiff „Valorond*
von ber englifchen Norbpolerpebition zurüchbbrachte, nachdem
es diefe am 17, Juli bei der Inſel Disco verlaflen hatte,
glaubten wir von derjelben mindeftens bis zum nächlten
Sommer Abichied nehmen zu müſſen. Der unerwartet frü—
ben Nüdkchr des ebenfalls auf arktifche Entdeckungen aus:
gefandten Schiffes ‚Pandora“ und dem Eifer feines Capi:
täns, Mr. Allen Poung, danken wir es, went wir unſere
Nachrichten bis zum 27. Juli vervollftändigen können und
vor Allem die wichtige Thatſache erfahren, daß die Erpedi:
tion die von allen Schiffen fo gefürchtete Melville-Bay glüd:
lich paſſirt und jenjeit der Carey-Inſeln, fo weit dad Auge
reicht, offenes Meer vor fich hatte.
Wie befannt, hatte Pady Franklin, die Wittive des be:
rühmten Scefahrers, bis zu ihren Tode troß mehrfacher
mißglüdter Verſuche die Hoffnung nicht aufgegeben, Papiere
und andere Neliquien ihres Mannes aufzufinden, und fo
war es ihr noch zuleßt durch die Unterſtützung des vermö—
genden, als arktiſcher Serfahrer bewährten Capitän Allen
Monng und des wohlbelannten Herausgebers des ‚„Newyork
Herald", Mr. James Bennett, gelungen, das Schiff „Pan:
dora® von ber engliſchen Admiralität für ihre Zwecke zu er:
werben. Sie jelbit erlebte das Auslaufen des Schiffes nicht
mehr, aber Gavitän Moung, der in Energie und unermüdli—
dem Intereſſe für das Schidjat Fraullin's ihr würdiger
Nachfolger geworden ift, vollendete die Ausrüſtung und übers
nahm jelbit das Commando der „Bandora*, die am 26. Juni
Portsmonth verlieh. Er fegelte an der weftlichen Küſte Grön-
lands ohne alle Schwierigkeiten die Baffins-Bay hinauf bis
zu den Carey Infeln, auf denen, wie verabredet, die englifche
Norbpolerpedition fiir ibn und er fiir jene Briefe zurüd-
lafien ſollte. Noung fand zwar drei Steinhanfen, wie fie in
jenen Gegenden dazu dienen, die Stelle niedergelegter Briefe
anzuzeigen; zwei davon rührten jedoch von Walfiſchfängern,
einer von der „Nefolute* und „Aififtance* ans dem Jahre
1560 ber. Da er fomit glaubte, daß die Ervedition durch
Nebel oder Sturm verhindert geweſen fein müfle, dort zu
landen, jeßte er feinen Weg nad feinem eigentlichen Ziele,
dem King-Williams-Land, weitwärts dur den Lancafter:
Sund und die Barrow:Strafe fort. Am 25. Auguft am Ein:
gange ber Madftod:Bay ſahen fie die Jacht „Mary“, welche
bier im Jahre 1850 von I. Roß verlaffen wurde, nachdem
fie auf das Ufer gesogen war; fie war in ſehr gutem Zu—
ftande und einige Heine Reparaturen würden nach Moung’s
Anſicht genligen, fie wieder volllommen feetüchtig zu machen.
Einen weit fchlimmern Anblid gewährte dagegen das danchen
ftcehende „Nortbumberland-Honfe*, ein Provianthaus, das
ebenfalls im Jahre 1850 vom „Nortb;Star* (Capitän Sau:
ders) errichtet worden war; es war von Eisbären attaquirt
worden, die auf entſetzliche Weile in den aufgefpeicherten
Vorräthen gehauſt hatten und mit dem, was fie nicht ver:
schren fonnten, ihr Spiel getrieben zu haben ſchienen. Alles
war in der größten Verwirrung durdjeinander geworfen, bie
Zengftoffe, Strümpfe sc. zerzauft und zerriffen; dabei war
Schnee in das Innere gedrungen, der dann im Sommer
geichmolzen war, wm wiederum im Winter zu Eis zu ges
frieren, fo daß fich im Laufe der Fahre eine vier Fuß hobe
Eisſchicht gebildet hatte, die den ganzen Boden bededte.
Houng lieh, was noch brauchbar war, gefalzenes Fleiſch
Mehl und Zucker jowie mehrere Kiften mit Zeug, die, weil
fie mit eifernen Reifen beichlagen waren, der Zerftörung
entgingen, wieder in Orbuung bringen und das Haus ver-
wahren und febte, nachdem von der ganzen Scenerie Photo:
praphien und Skizzen aufgenommen waren, feinen Weg fild:
lich durch die Peel-Straße fort. Mehrfach wurde er hier
von diderm Eife nur vorübergehend aufgehalten, aber am
13. Auguſt fette bei der Roquette-Inſel undurcdringliches
Padeis, das auer über die ganze Straße von Küfte zu Küfte
eine felfenfefte Mafle bildete, dem weitern Vorbringen ein
Biel. Schweren Herzens, nicht mehr weit von dem Punkte,
352
wo er fiher Spuren von Franklin zu finden hoffte, mußte
fih Pong zur Umkehr entſchließen, ald das Eis am 3. Sep:
tember unter dem Einfluffe eines ftarfen Südwindes nach
Norden zu rüden begann; er binterlich auf der Inſel unter
einem Steinbanfen einen Bericht feiner Fahrt und jegelte
auf demſelben Wege, den er gekommen war, wieder heim:
wärts. Auf der Rückkehr unterlieh er es jedoch nicht, noch
einmal die Carey-Inſeln anzulaufen, um fie einer abermali:
gen genanen Prüfung zu unterziehen, und diesmal gelang
es dem Scharfe Auge des Lieutenant Lillinafton, auf der
pie von SouthEaft-Fsland unter einem Steinhaufen eine
Zinnbüchſe zu finden, die die gefuchten Briefe enthielt. Die
an die englische Admiralität gerichtete Depeiche des Capitän
Nares von der „Alert“ lautet folgendermaßen:
ot. Maj. Schiff „Mlert" bei den Carey-Inſeln,
27. Juli 1875,
„Mert” und „Discovery* find um Mitternacht hier an:
gekommen und werden um 6 Uhr Morgens nach dem Smith:
Sund aufbrechen, nachdem ein Depot von Lebensmitteln und
ein Boot zurüdgelaffen find. Wir verliehen Upernavit am
Abend des 22. und die Brown-Inſeln am 23, c. Nachdem
wir das mittlere Eis während einer Windftille palfirt hat:
ten, gelangten wir am 25. uach Cap Port, Die Saifon ift
eine ſehr offene und wir haben alle Ausſicht, eine hohe Breite
zu erreichen. An Bord beider Schiffe iſt Alles wohl.
G. ©. Nares, Capitän der königl. Marine, als
Commandenr der Erpebition."
Weitere Briefe des Capitän Markham beftätigen in glei:
der Weile die außerordentlich günftigen Eisverhältniſſe. So
weit das Auge reiche, jei die Fahrt frei; die Temperatur des
Waſſers fei eine verhältnißmäßig ſehr hohe und bis jett ſei
noch fein Treibeis gefehen, das dider als 12 Zoll wäre;
kurz, die Hoffnungen feien die beten, direct bis zum Mord:
vol vorzudringen.
Wenn nun auch diefe Hoffnung etwas fangwinifch fein
dürfte, fo beftätigen doch allerdings die Erfahrungen Young's,
der Gegenden erreichte, in die vor ihm nur das Schiff Me.
GElintod’8 vorgedrungen ift, ald auch die Nachrichten von der
engliichen Expedition einen außergewöhnlich milden Winter,
und wir haben allen Grund, der hoffentlich glüdlichen Nid:
lehr der legtern mit Spannung entgegenzufeben.
Huldigung auf den Fidfchi-Infeln.
j Der erfte Gouverneur der num engliſchen Colonie des
Fidichi-Archipeld, Sir Arthur Gordon, traf am 25. Juni
dieſes Jahres anf dem Kriegsſchiffe „Bear“, Commodore
Goodenough, von Sydney aus in Levufa, Juſel Ovalau, ein,
wo er von den Europäern ſowohl wie von den Eingebore:
mer mit Auszeichnung empfangen wurde, Und intereffirt
befonders die öffentliche Vorftellung des Erfönigs Kaloban
oder, wie er jetst heißt, des Vuni Valu, welche am 29,-Zuli
ftattfand.
Um Mittag zogen Levuka- und Ban-Eingeborene, ein
Feder eine Gabe Mans) in ihren Händen haltend, im Gänfe
marſche vor dem Gouvernenr vorüber und riefen ibm dabei
ihren ehrfurchtsvollen Gruß: dun woh! dua woh! zu. Den
Schluß des Zuges bildeten zwölf Anserwählte, in weiße
tapa (Baummollzeug) gefleidet und mit Blumengewinden ge-
ſchmiickt, welche drei mächtige Schildkröten bitter fich ber:
Aus allen Erbtheilen.
Haufen aufgeftapelt waren, gelegt. Hierauf erfchien der Vuni
Valu in einfachen Nationalcoftim vor dem Gouverneur, gefolgt
von feinem mata ober Herold, welcher eine Magonamwurzef
trug, das Symbol der Freundfchaft, des Friedens und der
Unterwürfigfeit. Der alte Herr, deffen Haupthaar zwar bie
Maiern, von denen er gleich zu Anfang beimgefucht wor:
den war, völlig aebleicht hatten, ſah doch ſonſt auffällig wohl
aus. Es begleiteten ihn feine beiden Söhne Ratu Abel und
Ratu Joſeph, ſowie eine Anzabl von Häuptlingen. Indem
er ſich dem Gouverneur näherte, legte er die Hand auf die
Nagonawurzel und ſprach mit lauter Stimme: „Dies iſt
unsere Gabe an Dich, Gouverneur; wir find beute froh und
glücklich. Dies ift unfere Gabe an Did, Gouverneur; möge
Fidſchi glücklich ſein!“ Er brach dann ein Stiid von ber
Magona ab und legte es in die Hand des Gouverneurs,
Diefer antwortete mach Fidfchifitte: „Ich nehme es an; möge
Fidſchi glücklich Fein.“
Der Gouverneur Ind hierauf den Vuni Valu mit Be-
gleitung ein, ihm in die Negierungsgebände zu folgen. Nach
einer kurzen Unterhaltung verabjchiedeten fie ih. Der Er:
fönig bielt dann an die Eingeborenen, welche in der Anzahl
von ungefähr fünfhundert verlammelt waren, folgende Anrede:
„Hört mich an, JhrjPeute von gali vuka Levuka und gali
vuka Bau! Der Gouverneur ift angelommen. Ich bin
heute glitcltich, weil ich ihm gefeben habe. Seine Ankunft iſt
zum Wohle von Fidſchi. hr werdet dem Geſetze zu gehor:
chen haben. Geſetz ift ein gutes Ding, es ift Jedermanns
Aufluchtsort. Vor dem Geſetze find Meine und große Leute
gleich. Jeder von Euch ift verautwortlich für das, was er
thut. Geborcht dem Gouverneur, denn er ift der Repräſen—
tant der Königin. Unfere Herrſchaft iſt vorüber, fie ift an
die Königin übergegangen. Ich bin glüdlich, daß der Gou—
verneur bier iſt. Dies find meine Worte an Euch, Ihr Leute
von Bau und Levuka.“ — Damit war der Borgang zu Ende
* * 2
— Das ſtatiſtiſche Büreau berichtet, daß im Monat
Juli d. J. in dem Hafen von Neuyork 9262 Emigrauten
eingetroffen ſind, darnuter 5152 männlichen und 4110 weib:
lichen Geſchlechts. Im Monat Juli 1874 kamen 15,6% Ein—
wanderer an, darunter 8648 männlichen und 6956 weiblichen
Geſchlechts. Dies zeigt einen Ausfall in diefem Jahre von
6672 Perſonen.
— Die Beuölferung Berlins, welche 1675 10,000,
1775 100,000 Seelen ſtark geweſen fein foll, bat fich nad
abermals einem Jahrhundert wiederum auf das Zehnfache
geſteigert. Denn mach amtlichen Aufichreibungen hatte fie
ichon im Monat Auguſt 1875 unter Hinzurechnung der Strom:
und Mititärbevölferung die Ziffer von einer Million über:
ſchritten.
— Aus Goondiwindi in der auſtraliſchen Colonie Queens⸗
fand, einem im Süden an der Grenze von Neuſüdwales ge:
legenen Städtchen, wird berichtet, daß 25 Miles von bort die
Maſernepidemie nunmehr auch unter den Eingeborenen aus:
gebrochen fei und große Verheerungen unter den hülfloſen
Geſchöpfen anrichte.
— Im Hafen von Honolulu bat fih ein Schwarm rother
Fiſche gezeigt, was ftets als Vorzeichen des Todes einer
füniglichen Perſönlichkeit betrachtet wird. König Kalakaua
zogen. Dieſe wurden daum zu den Mans, welche in einen | joll im Folge dieſes Aberglaubens wirklich ernftlich erkrankt fein.
. Inbalt: F. Garnier's Schilderungen aus Minnan. V. (Mit ſechs Abbildungen.) — Erueſt Giles' neueſte Rei:
fen im Auftralien. — Die Mongolen. Bon Albin Kohn. I. — Nordenſtiöld's Expedition nach Novaja-Senlja und
in den Bufen des Jeniſſey. — Die „Hertba* in den oftafiatifchen Gewäflern. — Aus allen Erdtbeilen: Die Nordfahrt
der „Pandora* und Nachrichten von der engliichen Norbpolerpedition. — Huldigung auf den Fidichi-Iufeln. — Verſchiede—
nes. — (Schluß der Redaction 13, November 1375.)
Netackur: Dr. R. Kiepert ın Berlin, ©. W. Lindenſtraße 15, II Tr.
Trud und Verlag von Friedrich Bieweg und Sohn in Braunfihweig.
Band XXVII.
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Audree.
In Berbindung mit Fahmännern und Künſtlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunschweig
Jährlich 2 Bände, Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Nummern.
1875.
Preis pro Band 12 Mark, Einzelne Nummern 50 Pf.
F. Garnier’3 Schilderungen aus Yünnan.
v1
Nach zwei Ruhetagen in Turtutstie, der Station des
Pater Leguilcher, machte fich die franzöſiſche Expedition wie⸗
der auf den Weg, nicht ohne den Pater mitzunehmen, welcher
fid) nad} dem unglüdlichen Ausgange in Tarli feines Yebens
dort nicht mehr ficher fühlte und mit rliärenden Worten von
feiner Chriftengemeinde Abſchied nahm. Am 15. März
befanden fie fich nach raſchem und anftcengendem Marche
wieder auf kaiſerlich chineſiſchem Gebiete; der Widerſtand,
welchen die mohammedanifce Zollwache dem Entweichen des
ihr mohlbefannten Vaters entgegenfegen wollte, wurde mit
Gewalt liberwunden. Folgenden Tages verliehen fie bie
Straße, welche fie früher von Ma⸗ſchang hergeführt hatte
und fchlugen dem geraden Weg nach Hong:pusfo ein, auf
welcjenn fie bald dem Kleinen, aber gerade fehr belebten Fleden
Tichangsfin erreichten. Die Behörden empfingen fie dort
aufs Freundlichſte und wünſchten ihnen Glück zu ihrer Mid:
fehr aus Tasli. Es war gerade Marft, zu dem von allen
Seiten die Bergbewohner herabgeftiegen waren. Das hatte
ein folches buntes Durcheinander hervorgebracht, daß man
eine ganze Scafa verſchieden gefärbter, eigenthlimlicher Men:
ſchen hätte zufammenftellen fünnen, von dem intelligent
breinfchauenden, behenden chineſiſchen Tajchenfpieler an,
welcher einen großen Menſchenhaufen um ſich verfammelte
und mit feinen Späßen und Künſten unterhielt, bis zu den
alten Weibern der Bergbewohner, welche trunken von Brannt:
mein ihre Hanfgewebe zum Kaufe ansboten.
Am folgenden Tage hatten die Franzoſen das gleiche
S chaufpiel im Dorfe Kan⸗tſchu⸗iſe, welches 2500 Meter
Globus XXVIII. Nr. 23.
hoch auf dem andern Abhange des Gebirges liegt: Dort
fpielten neben den Chinefen : und Min-tia Si-fansfsrauen
mit ihren eigenthilmlichen Baretts, die mit filbernen Ketten
und Troddeln verziert find, eine große Rolle, Bon da flie:
gen fie in einem warmen und wohlangebauten Thale nad)
Sen:o:fai hinab, wo der Flirft von Sche⸗lu-li (b. i. die 16 Fa—
milien oder Tribus) vefidirt. So heißt der Yandftrich, deſſen
Mittelpunft die Stadt Ta-yau-hien if. Der eingeborene
Häuptling diefes Hien, Peng-tferyang, hatte bei Beginn des
mohammebanifchen Aufltandes die Großen des Landes zit:
fammenberufen, fie zum Widerftande angefeuert, Soldaten
ausgehoben und die Aufftändifcyen auf Schritt und Tritt
befämpft. Zwei Mal mußte er nad Sz'tſchwan flüchten;
ftet3 aber nahm er den Kampf wieder auf, big der Sul:
tan von Ta-li in einen jtillfchweigenden Waffenſtillſtand
willigte, wodurch fir ihm ber Handelsverlehr mit Sy’
tſchwan fichergeftellt wurde, und andererſeits das Thal
des Pe⸗ma⸗ho vor den Verwäflungen der Mohammedaner
gefhigt war, Peng-tfespang felbft machte den Fremden
feine Aufwartung, weil ihr Beſuch in Tasli als muthvolles
Wageftüd angeſehen wurde, und biefelben obendrein faifer:
liche Puſſe bei ſich führten. Die Häupter der Pandichaft
wollten nun ihre Verdienſte um diefelbe während der Res
bellion belohnt fehen, und da fie den Franzoſen Einfluß
am Hofe zu Peling zutrauten, baten fie biefelben um
glitige Protection. Pengstfe:yang unterfliigte diefe Bitte;
während die einheimischen Chriften gleichfalls Garnier's
Schutz anflehten: man wollte fie zu Beiträgen für Erhal-
4
wurde ihm micht fchwer, fie von dieſer Tare zu befreien.
So jehr fie auch Peng-tferyang um längeres Bermeilen
bat, damit fie ſich perſönlich von feiner trefflichen Verwal:
tung und dem blühenden Zuftande der Stadt Überzeugen
fönnten, fo verließen fie diejelbe doch am folgenden Morgen,
durch zahlreiche Flintenfalven geehrt. Ueber einen Berg
ging es hinliber zum Blauen Fluß, und noch am felben
Yonnnnnnmnnhrt
Am 3. April traf Garnier in Tung⸗tſchuan ein und
beſchloß fofort, den Körper des Enticlafenen nad) fran-
zöſiſchem Grund und Boden zu übertragen. Und das war
bei der Schwere der chineſiſchen Särge, dem Zuſtande der
Straßen und der gebirgigen Beſchaffenheit Münnans feine
leichte Sache. Die chineſiſchen Behörden unterftügten ihn
aber mit Rath und That, wie ſchon vorher den verftorbenen
Commandanten und den bei ihm zuritdgebliebenen Mir. Jou—
beit. Garnier jandte des⸗
halb als Zeichen feines Dan
tes dem chineſiſchen General
einen fleinen Lefaucheur-G a:
rabiner, welcher diejem ſchon
lange ausnchmend gefallen
hatte, wofür der General,
der gegen bie Mohammeba-
ner zu Felde ftand, einige
Tage fpäter einen höflichen
Danfbrief und einen fchönen
Nappen ald Gegengeſchenk
ſchickte, ganz gegen feinen
fonftigen Charakter, der mehr
zum Nehmen als zum Ge:
ben geneigt war und wenige
Donate jpäter der Grund
feiner Abjegung wurde.
Das Grab de Lagrée's
wurde alſo geöffnet, in ein
Kenotaph verwandelt und
mit einer framzöfifchen Inſchrift verjehen, und daun ver
ließ die Expedition am 7. April Tungstfcduan, im Gans
zen 14 Perfonen (5 Europäer, 9 Unnamiten :c.) jlarf, von
denen die Hälfte am Fieber litt und auch der Reſt am
Ende feiner Kräfte fi befand. Es galt zu eilen; denn
die Megenzeit rlidte heran, die fie nicht mehr in den Ber-
gen überrajchen durfte. Um bei Zeiten Sü-tfhau, den
Anfangspunt der Schifffahrt auf dem Yang⸗tſe⸗kiang, zu er:
%. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan.
en Theaters und der Pagoden zwingen! Es | Tage erreichten fie Hong-pu-fo, wo fie von durchziehenden Sol-
‚ daten vage Nachrichten Über die in Tungetichuan Zurlids
|
St:fan:Tupen in Kan⸗tſchu⸗tſe Münnau).
Befeftigte Dörfer auf den Höhen. (Straße nad Lau-wa-tang).
geliebenen einzogen, von denen manche trübe genug lauteten,
aber durch andere bald Yigen geftraft wurden. Trotzdem
beſchleunigte Garnier den Marſch und erhielt in Mong⸗ku
die wirkliche Nachricht vom Tode feines Chefs, des Fregatten-
capitäng Doudart be Lagree. Er war am 12. März
feinem Lebggleiden erlegen.
reihen, ließ Garnier mitunter die erfchöpften Annamiten
auf Tragftühlen vorwärts fchaffen.
Der Weg führte in nördlicher Richtung über ein Platcau,
wo fie einer Karawane von Kaufleuten aus der Provinz
Kiang-fi begegneten, deren Einwohner befanntlich die größ-
ten Reifenden unter den Ghinefen find und die meijten
großen Safthäufer in den Städten und auf den Yandftraßen
unterhalten. | Den von dem Behörden von Zung-tihuan
erlaffenen Befehlen gemäß
mußten alle Mandarinen in
den Markıfleden längs des
Weges in den fremden bie
Sale bes Kaifers und bie
Sefandten eines befreunde:
ten Volles chren. Leider
tonnte aber Garnier ſich nicht
entichließen, dieſer hohen
Stellung gemäß feinen Auf:
zug, fein Coſtüm u. ſ. w.
einzurichten. Wie zuvor mar⸗
ſchirte er zu Fuße, meift
dem großen Zuge weit vor«
aus, da er behufs Herftel«
lung feiner Reifelarte einen
gleichmäßigen Schritt beibe:
halten und alle Blaubereien
und Zerftreuungen vermei«
ben mußte. Incognito und
allein durchzog er die Dörs
fer, ſtets mehr mit Uhr und Compaß beſchäftigt, als mit
den Ausbrücen der Neugier der Einwohner; während fein
Pferd hinten die Ermübdeten trug und nur bei feierlichen
Gelegenheiten von ihm beftiegen wurde. Das führte aber
mandmal zu ergöglicen Bermechjelungen.
So wartete am 8, April der Mandarin des Meinen
Stäbthens Yesticyesfin, ein Offizier mit dem blauen Knopf,
weit vor dem Orte auf die Ankunft des angemeldeten hohen
; F. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan. 355
Gaftes. Bon einer zahlreichen Escorte umgeben harrte er
zur Seite der Straße, während ber Gegenftand feiner Auf-
merkfamfeiten nach feiner Gewohnheit der Karawane weit
voraus geeilt war und froh, der läftigen Geremonien lebig
zu fein, des Weges zu Fuß daher kam. Die Chinefen hielten
ihn fie den Ouartiermadjer und wigelten und lachten weid-
lich über fein bärtiges Geſicht und feinen fonderbaren, halb
enropäifchen, halb chineſtſchen Aufputz. Der aber ging ruhig
weiter und verſchwand bald in den Straßen des Städichens,
während ber Mandarin immer weiter wartete und vergeblich
die Träger und fonftigen Perfonen des inzwiſchen heran:
gelommenen Zuges fragte, wo Nganstashen (fo latıtete Gars
nier's chineſiſcher Name) ſich befände. Endlich kam Pater
Vequilcher , welcher ihn durch Aufklärung des Sadjverhaltes
im bie größte Beftürzung verfegte. Der Mandarin glaubte
natürlich, der mächtige Fremde fei durch fein und feiner
Leute Betragen aufs Tiefſte verlegt, und eilte Hals Über
Kopf zu Garnier, um ihn durch Entfchuldigungen und Ge:
Miau:tie von Ta-fivang.
ſchenle zu verfühnen. Der lachte natürlich herzlich tiber die
ganze Geichichte, umd der erfreute Mandarin begleitete am
andern Morgen die Abreife der Karawane mit lintenfalven,
welche diesmal ihre Adreſſe nicht verfehlten.
Am 9, April wurde auf einer Fähre ber Ngiö-usnan
überfchritten, am 10. wurden bei Dlastfausfu Yager von
Torf und Anthracit paffirt und dann die große, nur
von einigen Hugelletten unterbrocene Ebene von Tfdan-
tuirg betreten. Im Nachtquartier, einem Heinen Dorfe,
harrte cin niederer Mandarin ihrer Ankunft, ber von
Tihan-tung dorthin gefchidt worden war. Dieſe Stabt
ift der politische Hauptort von einer der drei Unterabthei⸗
lungen (Tau) der Provinz Yinnean, vom Zorng-Tau
oder dem öftlichen Tau. Am 11. April hielten bie Fran—
zofen dort ihren Einzug, herzlich von einem Unterbeamten
empfangen, da der Gouverneur des Tau und ber nmädıft
höhere Beamte (Fu) wegen eines Tobesfalles in ihren Far
milien, wie es bei ben chimefifchen Beamten Sitte ift, auf
45*
N. Sarnier’s Schilderungen aus Yünnan.
Schlucht des Hwang-fiang auf der Strafe nach Lau-wa⸗tang.
Alterthümer aus Utah und Galifornien.
längere Zeit ſich von den Gefchäften in das Privatleben
zuräcgezogen Hatten. Beim Tode des Vaters ober ber
Mutter dauert diefe Zurligezogenheit drei Jahre!
Die Neugier und Zudringlichkeit der Menge wurde bier
bald jo läftig, dak fie von dem Beamten eine Wade ſich
ausbaten und das Ankleben einer polizeilicdien Bekanntma—
chung, welche den Zutritt zu ihrem Haufe unterfagte, erwirkten.
Tſchau⸗tung ift, wie alle chineſiſchen Städte von gleidyer
Bedeutung, von einer rechteckigen Mauer mit Baftionen um-
geben. Beträchtliche Vorſtädte fegten nach Norden, Often
und Weften de an den betreffenden Thoren mundenden
Strafen fort. Die Stadt war nie den Mohammedanern
unterworfen, und ihre Einwohner find von einem glühenden
Haſſe gegen jene befeelt. Als ihnen einmal ein Commans
dant, der Anhänger Mohanmed’s war, von dem Faiferlichen
General zugejchiet wurde, jagten fie denfelben trog feiner
Betheuerungen, daß er treu zu Kaiſer und Neid) ftehe, zum
Thore hinaus. Alle diefe Städte von Yünnan haben ein
unabhängiges, felbftändiges Weſen, eine Folge der Blut
mifchung dafelbft mit den Ureinwohnern, Scon die Anna-
len der Mongolendynaftie gedenfen der Leute von Tſchau—⸗
tung, Tung⸗tſchuan und Usting, die damals zu Ende des dreir
zehnten Jahrhunderts ſich jelbft verwaltende Fürſtenthlümer
bildeten, welche jede Gelegenheit benugten, das od) des Vice»
fönigs von Niünnan abzuſchütteln.
In der Umgegend von Tjchaustung leben wilde Stämme,
Namens HwansMiau, „gleichen Urſprungs mit den Miau-
tſe. Die die Stadt umgebende Ebene ijt eine der größten,
welche Garnier im der ganzen Provinz fah, und gut anges
baut, namentlid; mit Mohn zur Opiumbereitung. Sie ift
reich an Torfe und Anthracitlagern, leidet aber Waller
mangel, ba die feinen fie ducchzichenden Bäche zu einer
beftimmten Dahreszeit faft troden daliegen. Die Stadt ift
eine der wichtigften Handelsftationen auf der Route zwiſchen
Yünnan und dem übrigen China. Niefige Transporte roher
Baumwolle, englifcher oder einheimifcer Baummollenzeuge
und von Salz aus Sz'tſchwan kreuzen ſich dort mit den
Metallen (befonderd Zinn und int) von Tung-tichwan,
den Arzneiwaaren aus Weit-Nünnan und Nord» Tibet und
den Neftern bes Infectet Coceus Sinensis, welches Wachs
liefert. Diefes Thier erzeugt ſich auf einer Ligufterart in
den Gebirgen Münnans und Sy-tihwans und wird dann
auf andere geeignete Baumarten in wärmeren Gegenden
verpflanzt, was mit großer Schnelligleit gefchehen muß, das
mit die eben ausgekrochenen Thierchen unterwegs nicht ſter—
ben. Sie werden in großen, mehrfach abgetheilten Körben
transportirt, und ihre Träger legen dabei oft 30 bis 40
BWegftunden hinter einander zurid, um nicht den Yohn ihrer
Mühe einzubligen.
Wenig nördlid, von Tichaustung verläßt man die Ebene
und befindet ſich nach Ueberjchreitung einer niedrigen Hügel⸗
reihe am obern Ende eines engen, gewundenen Thales, das
von allen Seiten von oft fpigen Kallbergen eingeſchloſſen
wird, Zahlreiche Dörfer beleben den Thalgrund; andere
liegen, wie unfer Bild es zeigt, auf den Höhen, von Zinnen«
mauern eingefaßt. Die ganze Gegend ift mad) einander
357
von ben Manstje, den Mohammedanern, den Miaustfe, den
Taiping, den Straßenräubern und den zu ihrem Schutze
abgefandten faiferlihen Truppen geplündert worden. Uber
trogdem und trog ber vielen Ruinen ringsum fcheint die
Devölferung dicht zu fein, und der Verkehr ift lebhaft. Die
Landſchaft wird immer wilder und romantiſcher; die Kalt
felfen der Thalwände geftalten fi) zu weißen Nadeln und
flarren, jo meit der Geſichtskreis reicht, gen Himmel;
hier und da raufchen Wafferfälle herab und rufen auf den
nadten Felswänden etwas Vegetation hervor, die aber mehr
und mehr einen europäifchen Charakter annimmt. So zeige
tem fich 3. B. Kirſch- und Apfelbäume Plötzlich verſchwin—
bet der Bad), deſſen Yauf die Erpedition folgte; das Thal
hat ein Ende, der Horizont erweitert fid: 600 Meter tiefer
öffnet fich ein neues, breites und bewaldetes Thal, zu welchen
eine in den Fels gehanene Treppe im Zidzad teil hinab»
führt. Gier verließen die Neifenden das Blatcan von Nüinnan
und ftiegen in die niedrigeren, warmen Wegionen des Yang—
tjesGhebietes hinab, Am Fuße des jähen Abſtiegs bricht
der Strom wieder jchäumend aus einer tiefen Höhle hervor
und vereinigt fid) bald darauf mit einem großen, von Weiten
fommenden Fluß. Noch am felben Abend erreichten jie
Ta-kwang-hien, ein kleines, romantisch am Fluſſe (dem
es feinen Namen giebt) gelegenes Städtchen, bejien Häufer
ſich oberhalb und unterhalb feiner langen Hauptverkehrs—
ftraße amphitheatraliich am Bergabhange hinziehen. Beim
Mandarinen bes Ortes, der, obwohl Civilbeamter, doch für
feine Berdienfte um Belimpfung der Rebellen den Soldaten:
hut trug, fanden fie die zuvorfommendfte Aufnahme.
Am 17. April ging es weiter, immer nad, Norden an
Fluſſe hinab, bei Kwang-hosfi Über eine ſchwankende, von
ftarten Eiſenletlen getragene Gängebrlide, die erfte diefer
Urt, weldje fie in China Überſchritten.
Miansrtfe bewohnen die Berge zu beiden Seiten. In
großer Höhe über dem Wege fieht man auf den überhän—
genden Felſen ihre trefflich betellten Felder und begreift
nicht, wie der Pflug dorthin gefchafft werden fann,
Bald darauf fällt von Often her ein großer Strom, vicls
leicht die Hauptader des ganzen Flußgebietes, in den Tas
fwang- Fluß; er lommt von Sin-faistfe herab, deſſen Silber-
bleiminen in ganz China berühmt find. Bor dem Kriege
befchäftigten die dortigen Pumpwerke allein 1200 Arbeiter.
Am 20. Aprit langte die Expedition in Yaurwartang ar,
einem Meinen Städtchen mit viel Handel und einer großen
Hängebrüide, wo der Fluß fchiffbar wird und die aus P)lins
nan fommenden Metalle eingejchifft werden. Die leichten
Waaren ziehen den Landweg nad) Süstfcau, dem Yang-
tſe⸗Hafen, vor, weil auf dem Fluſſe ein mehrmaliges Ums
laden erforderlich it. Dort ſchiffte ſich auch unfere Exper
bition in einer großen Barfe ein, welde von den Chineſen
mit geoßer Gefchidlichkeit durch die Stromſchnellen gejtenert
wurde In zwei Stunden gelangten jie jo nach Pusölstu,
wo Garnier mit einigen Begleitern wieder aus Yand fticg,
um einen kurzen Seitenabftecher zu dem apoftolifhen Vicar
von Yünnan zu machen, während die Uebrigen mit dem Ger
päde die Flußreiſe fortfegten.
Alterthümer aus Utah und Ealifornien.
In der erften Iluftration geben wir Abbildungen einer
Anzahl Pfeiljpigen von Fenerftein und Obfidian, welche der
Franzoſe 8. Simonin theils in Utah, theils in Californien
gefunden und dem archäologiſchen Muſeum in St. Germain
en Laye übergeben hat. Als er von Great-Salt-Fale-City
nad, Weften zum Ufer des Salzjees wanderte, ftieß er halbs
358 Alterthümer aus Utah und Galifornien.
wegs anf einen Tumulus, der ihn zur nähern Unterſuchung | worden und wurde ihm don einem Indianeragenten zuvor
anveizte. Als er den Sand wegicdarrte, fand er aud) bald | kommender Weife nach Paris nachgeſchickt. Ein zweites
Pfeilfpigen aus Kieſel, Carneol und Obfidian, calcinirte | Eremplar, ebenfalls mit Reibefeule, 'weldyes fich im Befige
Thierknochenſplitter, Refte von Mufcheln und Meine Ringe | eines Indianerdolmetſchers befand, war dem Eigenthlimer
aus Thon; jerner Stücken von grobem Thongeſchirr, Mühl | um feinen Preis feil, feitdem er gemerkt hatte, daß foldhe
fteinen, Walzen und Neibefeulen aus hartem Sandftein oder | Sadjen Werth beſäßen. Er hat es aber dod) fpäterhin fir
Granit, aber feine Spur von Metall, Die heutigen Ins | theueres Geld an einen Profeſſor des Smithjonian:Infti-
dianer haben weder eine Tradition noch eine Sage, weldye | tution, der auf eine wiſſeuſchaftliche Reife in den Weften
fid) an diefen Hügel Enlipfte, und es ift deshalb wohl mög: | ausgefandt war (wahrjceinlich Herrn P. Schumacher) ver-
lich, daß derjelbe einer frühern Vevöllerung feinen Urfprung ; kauft. Das in Frankreich befindliche Stüd befteht aus
verdankt. Folgenden Tages ließ Cimonin den Tumulus | einem röthlichen, quarzhaltigen Sandfteine, der als Unterlage
von Arbeitern ſyſtematiſcher und gründlicher in Angriff mehe | diente, und einer granitenen Keule, welche auf jenem hin«
men, aber nirgends fand er andere Ueberreſte als bei jeinem | und herbewegt wurde und demfelben eime leicht eingebogene
erften Berſuche. Seine anfänglic, gehegte Bermurhung, daß | Oberfläche gegeben hat. Ein ähnlicher Reibftein ift in den
er es mit einem Örabhügel zu thun habe, fand feine directe | Torfmooren von Abbeville (Departement Somme) gefuns
Beftätigung. den worden und iſt gleichfalls im Befige defjelben Muſeums.
Unter allen von dort fiammenden Öegenftänden des Noch heutigen Tages zerquetſchen die californiſchen Ins
Mufeums nimmt eine Mühle (wenn man fo jagen darf) | dianer die ihnen zur Nahrung dienenden Eicheln in Steins
oder ein Mörfer zum Zerquetſchen des Maiſes deu erften | mörfern; ja fie nehmen ſich oft gar nicht die Mühe einen
Play ein. Er war fchon vor Simonin’s Ankunft gefunden " einzelnen Stein dazu herzurichten, fondern benugen den natür-
“a
Pfeilſpihen von Feuerftein und Obfidian, gefunden am Großen Salzſee in Utah und am Borar-See
in Californien. (Matitrliche Größe.)
lichen Fels, um auf ihm die Früchte zu zerreiben. Letzterer Von jenen Ureinwohnern ſcheint auch eine Grabhöhle
zeigt dann mac) ftetiger Benugung an der betreffenden Stelle | herzurlihren, welde Simonin am füblichen Ufer des Salz-
halbrunde Höhlungen, wie man ſolche häufig längs der | fees, micht allzuweit von jenem Tumulus, befuchte. Ste liegt
Schluchten und Bäche des Yandes antrifft. Ebenſo verfer: | etwa 100 Meter iiber deu Wafferfpiegel und ift ſchwer zu
tigen auch die heutigen Indianer noch ihre Pfeilfpigen aus | finden, weil wilde Pflaumenbäume die Spalte im Geftein
jenem vulcaniſchen Glas, dem ſchwarzen Obfidian, und in | verdeden. Ihre Höhe wechſelt zwiſchen 10 und 20 Meter,
Ermangelung deffelben aus Flaſchenglas oder Eifen; aber | ihre Breite zwiſchen 2 und 3; der Boden iſt erdig, fandig
feine Kunde hat fic unter ihmen erhalten von den Urein« | und ein wenig feucht. Hinten verengt fie ſich zu einem nies
wohnern ihres Yandes, welche die Kieſel- und Obfidvianwafe | drigen Durchſchlupf, der im eine ziemlich geräumige Kammer
fen, die Porphyrmörſer u. ſ. w., die man heute dort in der | führt. Simonin felbft fand nichts mehr darin; ihr Inhalt,
Erde findet, verfertigt und in die Oranitfelfen der Sierra | zwei Stelete, war icon herausgenommen worden, Einer
Nevada jene fonderbaren Zeichen eingegraben haben, von | der beiden Schädel diente im Theater der Salzſeeſtadt bei
welchen unſer zweites Bild eine Borftellung gewährt. Ders | den Hamlet: Aufführungen als Nequifit, wurde aber mit ben
gleichen find neuerdings von einem Mr. Heury de Groot in | andern zuſammen bereitwillig dem Fremden überlaffen und
Freono County an den Felſenwänden eines engen Caions | von diefen dent Parifer Mufeum geſchenkt. Beide find
im großer Anzahl entdeft worden. Diefelben follen mehrere | bradjgcephal; der eine, anſcheinend ältere, rlihrt von einem
Acres Dberfläcye bededen und etwa einen halben Zoll tief | Manne her und hat auf den Sceitel einen Buckel ober
eingegraben fein. Beſonders häufig findet ſich der aud) in | Auswuchs; die Stirn ift ſchmal, der Prognathiemus fehr
unferer Abbildung vorkommende Kreis mit einem Punkte in | ausgeprägt, Zeichen einer tiefftchenden Race,
der Mitte, Eine befonders merholirdige Stelle, wo Borzeit und
Alterthümer aus Utah und Galifornien.
Gegemmart ſich in Herftellung derjelben Waffen aus demfel-
ben Stoffe berühren, befuchte Simonin nörblih von San
Francisco etwa unter dem 39. Breitengrade, Dort liegt
am Tftfuße des Küftengebirges (Coaſt Range) der Clear
Lake, bdefien zwei Arme eine Halbinfel mit dem Borax—
fee umſchließen. Derfelbe bebedit den Boden eines Kraters,
ift etwa 100 Hectaren groß und nur einen Meter tief,
Eine Eruptiomafle von Obfidian trennt ben Borarfee
vom Clear Yale. Den Boden des erjtern bilbet eine Schlamm:
WR: auf welcher die VBorarkruftalle anſchießen, die eine
am Ufer ftehenbe Fabrik ſammeln läßt, trodnet und reinigt
(jährlich circa 500 Tonnen Ausbeute), In diefer Schlamm
ſchicht hat man jene oben abgebildeten Pfeile und Yanzen-
jpigen gefunden, die den Urbewohnern der Gegend zur Er-
legung des grauen Bären gedient haben mögen. Der
Leiter jener Fabrik fchenkte fie dem franzöſiſchen Forſcher.
Und noch heute beuten die Indianer, die auf dem Unfeln
und an ben Ufern des „Klaren Sees“ haufen, wie die friis
beren Anwohner deilelben en Dbfidianbrud) aus, um
ihren Pfeilen die ſchneidig ige zu geben.
Hieropkuphen auf Granit am Duba-Fluffe in Californien.
iſt. Auch auf dem Feſilande find diefe Geſchirre weniger
häufig, als bie Mörfer , ohne Zweifel wegen der Schwierig:
teit ein berartiges Gefäß herzuftellen. Diefelben find übris
gens fo praftifch zum Kochen, daß felbft heutzutage mod) die
Spanier erpicht barauf find, eind zur erhalten, um ihre
flüffigen Speifen darin zu lochen. Auf ftarte Raucher läßt
die aufgefundene Anzahl von Pfeifen (28) fchließen, wenn
man die Gewohnheit ber heutigen Indianer, ſtammweiſe aus
einer Pfeife zu rauchen, aud) jener ausgeftorbenen Bevölle—
rung vindieiren darf. Natürlid konnten nicht alle Fund-
gegenftände aufbewahrt werden, da viele durch die Zeit, durch
die Wirkung der Näfle des dariberliegenden Erdreichs und
ſelbſt trog aller Vorſicht beim Ausgraben zerbrochen waren,
Groß ift die Mannigfaltigkeit der Fiſcherei- und Yagbuten:
filien auf den Infeln; unter anderen fand ſich ein fehr finn-
reich aus Knochen ftatt aus der gewöhnlichen Mufchel ver»
fertigter Angelhalen. Die Gräber lieferten eime reiche
359
Ganz ähnliche Funde, wie hier Simonin, hat ein anderer
von dem Smithfonian-Inftitution ausgefandter Forſcher, der
oben erwähnte Herr Paul Schumacher *), etwas weiter
füdlich gemacht. Derfelbe unterfuchte zulegt die Infelgruppe
an der füdlichen Hüfte Californiens und einen Theil des
Feſtlandes, wo er gleichzeitig mit einer Ingenieurabtheilung
von ber Lieutenaut Wheeler'ſchen Expedition operitte, die damals
unter der Leitung Dr. Yarrow's ftand und das gleiche Ziel
hatte, nämlich die Entdeckung und Aufſuchung prähiftorifcher
Alterthlimer für die demnächſt zu eröfinende Weltansftellung.
Herr Schumacher grub ungefähr 3500 Gfelete aus, von
denen es ihm gelang, 300 unverfehrte Schädel zu erhalten.
Mörfer fand er 127, die in Geſtalt und fogar in der Ars
beit große Verſchiedenheit zeigen ; die einen find glatt, andere
tünſtlich mit Diufcheln verziert, während einige jogar gut
gearbeitete Basreliefs aufweifen. Weiter fanden fih 57
größere und Meinere, durchweg gut geglättete Schalen aus
Serpentinftein, 23 forgfältig gearbeitete Töpfe aus Mag-
nefiaglimmer, ein Küchengeräth, welches auf den Inſeln,
wo auch das Material dazu nicht vorkommt, jelten zu finden
ra
Auswahl von Muſchel- und Perlenfhmud, wenigſtens 80
verfchiedene Sorten und über 25,000 Stüd; ferner fteinerne
Fingerringe, über ein Dugend Pfeifen und halb fo viel Flö—
ten aus Knochen, ein hölgernes Schwert, deſſen Heft reich
mit eingelegter Mufchelarbeit verziert war; viele Frucht
meffer, einige darunter 11 Zoll lang, Speer» und Pfeil:
fpigen ıc., Ganoemodelle aus Stein, mechanische Werkzeuge
aus Stein und Knochen, Knochenſchnitzereien jeder Art und
viele andere höchſt intereflante Gegenftänbe.
Herr Schumacher bereitet fich jegt in San Francisco
v einem Ausflug nad) Oregon vor, um dort ebenfalls
achgrabungen anzuftellen,
*) ©. defien Mrtifel: „Die Erzeugung der Steinwaffen“ im
Globuse Op. XXVIl, S. 248; über „Rjöflenmöbbinge und alte Gra—
ker in Galifornien” Vd. XXVI, S. 365.
360
Albin Kohn: Die Mongolen.
Die Mongolen
Bon Albin Kobn.
II.
Die ausdſchließliche Beihäftigung der Mongolen und die ; Taufchhandel; der Handel nad; außen befchränft ſich auf
einzige Quelle ihres Wohlftandes ift die Viehzucht. Der | Peling und auf die dinefischen Nachbarftädte. Dort bringen
Neicdhthum des Menfchen wird dort nad) ber Anzahl feiner
Biehherde beftimmt. Am meiften werden Schafe gehalten,
dann lommen Pferde und Kameele; Rindvieh und Ziegen
find nur in geringer Zahl vorhanden. Jedoch ift es auch
von den Umftänden abhängig, ob ein Mongole überwiegend
die eine ober die andere Thiergattung hält. Bei den Mon—
golen in der Chalcha werden die beften und meiften Kameele
gehalten; im Gebiete der Zacharen hat man Ueberfluß an
Pferden; in Ala-Schan werden vorziiglic Ziegen gehalten,
während man in Kuku-Nor den Mads vor dem Rinde den
Borzug einräumt,
Die reichte aller Gegenden der Mongolei ift Chalcha,
deren Bewohner im Wohlitande leben. Trogdem vor Sur:
zem eine Vichfeuche unzählige Stücke Vieh dahingerafft hat,
fanıı man doch nod) immer unliberfehbare Herden antreffen,
welche einem Cigenthlimer gehören. Man findet jelten
einen Bewohner der Chalcha, der nicht einige Schafherden
hätte, Ju der Mongolei ſieht man felten ein Schaf ohne
Fettſchwanz; mur im Süden, befonders in Ordos und Ula«
Schan, macht das Fettſchwanzſchaf dem Breitſchwanzſchafe
Plag, während in Kuku-Nor eine Art gehalten wird, die ſich
durch ‚ihre gegen anderthalb Fuß langen, fchraubenförmig
gewundenen Hörner auszeichnet.
Der Nomade, welder feinen ganzen Unterhalt, Speife,
Kleidung und Wohnung, feiner Herde verdankt und mit ihrer
Hülfe nod) hübſches Geld verbient, das theild aus dem Ber-
faufe von Vieh, theils auch aus dem großen für den Trans:
port von Waaren durch die Wüfte zu erlegenden Summen
vereinnahmt wird, widmet feine ganze Aufmerkſamkeit feinen
Hausthieren, während die Sorge fir feine eigene Perfon und
jüür feine Familie eine untergeordnete Rolledpielt. Das Ueber»
ſiedeln auf einen andern Weideplag wird ausſchließlich durd)
den Mugen, den es dem Vieh bringen wird, bemeſſen. Wo
es dieſem wohl ift, d. h. wo es reichlich Futter und Träne
findet, fiedelt fi) der Dlongole an, ohne auf andere Um—
fände Rüdficdt zu nehmen Das ganze Wiſſen des No:
maden hat nur anf jein Vieh Bezug und feine Geduld mit
dieſem iſt bewundernswürdig; das widerfpenftige Kameel
wird in feinen Händen ein unterihäniger Yaftträger und das
halbwilde Zteppenpferd ein gehorfames und ruhiges Reit:
thier. ° Der Nomade liebt feine Thiere und hat Mitleid mit
ihnen. Gr fattelt um feinen Preis ein Kameel oder Pferd
vor einem beftimmmten Alter und er verkauft für feinen Preis
ein Yanım oder ein Kalb, da er es für Sünde hält, fie in
der Jugend zu Schlachten.
Die Juduſtrie fpielt bei den Mongolen eine fehr unter:
geordnete Holle und beichränft ſich auf die Production der:
jenigen Gegenſtände, weldye zum Hausgebraude durchaus
nothwendig find. Man gerbt alſo Yeder, macht Filzdecken,
Zättel, Zäume und Bogen; jelten nur verfertigt man ſich
Meſſer und Feuerſtahl. Alle anderen Segenftände des häuss
lichen Bedarfs fauft der Mongole von den Chinefen und in
jehr geringer Menge von ruſſiſchen Kaufleuten in Kjadıta
und Urga. Bon Bergbau ift bei den Nomaden keine Rede,
Der Binnenhandel in der Mongolei ift jaft ausſchließlich
die Mongolen ihr Vieh fowie Sal, Felle und Wolle zum
Verkauf hin und nehmen Manufacturwaaren als Bezahr
lung an.
Unbegrenzte Faulheit ift ein Hauptcharafterzug des
Nomaden; das ganze Leben dieſes Menſchen vergeht in
Nichtsthun, das durch die Bedingungen des wandernden
Hirtenlebens beglinftigt wird. Die Pflege der Herbe bildet
die einzige Sorge des Mong und diefe nimmt durchaus
nicht feine Zeit im Anſpruch. Pferde und Kameele gehen
ohme jede Aufficht in der Steppe umher und kommen nur
im Sommer, einmal bes Tages, zum Brunnen, um zu teins
ten, Das Hlten der Kühe und Schafe ift eine Obliegenheit
der Frauen oder der herangewachjenen Kinder. Bei den
reichen Mongolen, deren Biehherden nach Taufenden zählen,
werben gemiethete Hirten gehalten, welche ſelbſt arm find
und feine Familie haben. Das Mellen der Herde, das Sanı-
meln der Sahne, Buttern, Kochen und die anderen häuslichen
Arbeiten gehören faft ausſchließlich zu den Pflichten der Haus-
frau. Die Männer thun gewöhnlich nichts und reiten von
Morgens bis Abends von einer Jurte zur andern, um Thee
oder Kumys zu trinfen und mit dem Nachbar zu plaudern,
Die Jagd, welde die Nomaden befanntlich leidenſchaftlich
lieben, dient bis zu einem geroiffen Grade dazu, die Yange-
weile zu vertreiben, Die Mongolen find aber, mit feltenen
Ausnahmen, ſchlechte Schützen und haben feine guten Ge:
wehre. Selbft eine Yuntenflinte findet man felten bei ihnen,
und oft vertreten fie Pfeil und Bogen.
Beim Beginn des Herbftes erleidet das Faulenzerleben
der Diongolen eine Aenderung. Sie fammeln dann ihre
Kameele, nachdem diefe fid) genug umbergetummelt, und
bringen fie nad) Kalgan oder Kulu⸗Choto, um fie dort zum
Transporte zu vermiethen. Im Kalgan nimmt man Thee,
um ihn nad) Kjachta zu transportiren,,in Kuku⸗Choto Pro-
viant flir die chinefiiche Armee in Uljafutaj und Kobdo, Der
dritte, Heinfte, Theil der Kameelherde wird zum Transpor«
tiren von Salz, das ſich auf den Salzfeen der Mongolei
bildet, verwendet; es wird im die dhinefifchen Grenzftäbte
gebradjt. So werben aljo während des Herbftes und Win:
ters ſämmtliche Kameele befchäftigt und bringen ihren Eigen«
tbümern ungeheuern Gewinn. Fu Anfange des April hört
der Transport auf; die abgemagerten Kameele werden wieder
in die Steppe getrieben und ihre Eigenthilmer überlaffen fid)
der Ruhe in gänzlicher Unthätigteit.
Diefe Faulheit zwingt den Mongolen, immer zu reiten
und forgjam jede Bewegung zu Fuß zu vermeiden. Selbſt
auf einige hundert Schritte bemüht ſich der Mongole nicht
zu Fuß, ſondern befteigt gewiß jein Pferd, das deshalb auch
beftändig gefattelt vor der Jurte angebunden fteht. Auch
feine Herde Hiktet der Nomade reitend und während feiner
Reife mit der Karawane fteigt er höchſtens dann vom Ka-
meele, wenn ihm der bittere Froſt hierzu zwingt; aber aud)
dann geht er nur einen, höchſtens zwei Kilometer. Bom be:
ftändigen Reiten find fogar die Beine des Nomaden etwas
gebogen, und er umfaßt den Sattel mit den Schenleln jo
feft, als ob er an ihn angewadjjen wäre. Das wildeſte
Albin Kohn: Die Mongolen.
Steppenpferd richtet gegen einen Neiter, wie der Mongole
ift, nichts aus. Wenn der Nomade auf feinem Renner figt,
ift er thatfächlic in feinem Elemente; er reitet mie Schritt,
felten Trab; er fliegt immer wie der Wind durch die Steppe.
Aber der Mongole kennt und liebt fein Pferd. Ein guter
Kenner oder Paßgänger ift fein größter Stolz und er ver-
fauft ein folches ‘Pferd auch in der größten Noth nicht. Zu
Fuße gehen ift eine Schande bei den Mongolen, ſelbſt wenn
es nur bis zur Jurte des nächſten Nachbars wäre,
Bon der Natur mit einem fräftigen Körper ausgeftattet
und von Jugend auf an Beſchwerden gewöhnt, erfreut ſich
der Diongole einer ausgezeichneten Sefundhet. Ohne auszu⸗
ruhen zicht er mit feinen mit Thee belabenen Kameelen durd)
die Wüfte, trogdem alle Tage eine Kälte von dreißig Grad
herrſcht und ein bejtändiger Nordweftwind weht, der die
Kälte noch fühlbarer macht, Und doc hat der Nomade,
während er von Kalga nad) Kjachta veift, den Wind immer
von vorn und fit bis funfzehn Stunden täglic; auf dem
Kamecle, ohme von ihm herabzufteigen. Mean muß wirklich
aus Eifen fein, um eine folche Reife zu ertragen. Der Mon-
gole macht aber während des Winters die Reiſe einige Male
hin und zurlid, was im Ganzen oft fünftaufend Kilometer
ausmacht. Doch diefer Menſch mit feiner eifernen Geſund⸗
heit wird ein ganz anderer, wenn er zu einer andern Beſchäf⸗
tigung genöthigt wird. Ohne furdytbar zu ermüden fann
er feine zwanzig oder dreißig Kilometer gehen; wenn er auf
feuchtem Boden libernachtet, erfäftet ex ſich, wie ein verzär-
teltes Stadtlind, und er verflucht fein Geſchick, wenn er zwei
oder drei Tage ohne Ziegelthee verbringen muß.
Es ift diejes die Folge der pafliven Gewohnheit. Geiſtige
Energie erwacht nie in ihm, wenn er auf Widerwärtigfeiten
ftößt; er fucht nur nach Mitteln ihnen auszuweichen, nicht
fie zu befümpfen. Hier findet man nicht den elaftifchen,
münnlichen Geift des Europäers, der fähig ift, fi) an Alles
anzupaffen, mit allen Beſchwerden zu lämpfen und fie zu
bejiegen. Nein; vor uns befindet jich der unbewegliche, con:
fervative Charakter des Afiaten, voll Apathie gegen Alles,
wenn er erft durd) Befchwerden bezanbert ift, und fremd jeder
activen Energie.
Eine zweite charafteriftiiche Cigenfchaft des Mongolen
ift die Feigheit, welche ſich unter der Herrſchaft Chinas,
deflen Regierung den friegerischen Geift der Nomaden fyfte:
matifch getöbtet hat, dermaßen entwidelte, daß der heutige
Meongole durchaus feinen Borfahren, welche ſich durch wil—
den Muth ausgezeichnet haben, unähnlicy if. Die unbe
grenzte Feigheit hat ſich in ihrer ganzen Blöße während der
Einfälle der Dunganen gezeigt. Kaum erſcholl der Ruf:
„Ehojschoj!*, da ergriffen fie auch die Flucht und dachten
nicht ein einziges Mal an Widerftand, obgleicd) fie alle Chan-
con des Erfolges im Kampfe mit den Dunganen für fid)
hatten. Die Mongolen fahen ruhig zu, wie die Dunganen
Ordos und Ala-Schan verwüſteten, Uljaſutaj und Kobdo
einnahmen und Chalcha einige Male verheerten. Urga hat
nicht die Tapferkeit der Mongolen, ſondern eine Heine rufs
ſiſche Befagung gerettet, welche die ebenfalls feigen Duns
ganen nicht anzugreifen wagten.
Dem Mongolen ift eine gewiſſe Schärfe des Geiſtes
nicht abzwiprechen, die ſich jedoch nur durch einen hohen
Grad von Ueberlegung, verbunden mit Lift, Falſchheit und
Betrug, kundgiebt. Diefe lepteren Eigenfchaften find aber
hauptjächlich. in den an China grenzenden Gegenden ent
widelt. Unter den reinen Mongolen ift die moralifche Bers
fommenheit hauptſächlich Eigenſchaft der Priefter. Der ger
wöhnliche Mongole, oder, wie er fich felbft nennt, ber „ Charas
hun“, d. i. der fchwarze Menſch, ift dort weder durch die
chineſiſche Nachbarſchaft, mod; durch die lamaitiſche Moral
Globus XXVIII. Nr. 23.
361
verborben und deshalb ift er gut und offenherzig. Doch
auch das Bischen Intelligenz, das dar Mongole befigt, hat
eine fehr eimfeitige Richtung. Er, der Sohn der Wüſte,
findet ſich in ihr felbft in der vergweiflungsvollften Lage zu⸗
recht, jagt jede atmofphärifche Veränderung voraus, findet
das verirrte Kameel oder Pferd, indem er den unbedeutend:
ften Spuren folgt, und entdedt wie durch Inſtinct einen
Brunnen, Wenn man jebod; mit biefem Menfchen über
etwas fpricht, das über feine gewöhnliche Thätigkeit hinaud-
reicht, da hört er mit weit geöffneten Augen zu, läßt ſich
einen und bdenfelben Gegenftand wiederholt erklären, felbft
wenn es ein ganz unbebeutender ift, und man ift jicher, daß
er ihm nicht begriffen hat, trotzdein er das Gegentheil ver-
ſichert. Die Stumpfheit des Mongolen kann einen aus
der Faſſung bringen, und es zeigt fich bei einer foldyen Ger
legeneit, daß man ein Kind vor fich hat, das zwar neu-
gierig, aber dabei unfähig ift, fich ganz gewöhnliche, alltäg-
liche Begriffe anzueignen.
Die Neugierde des Mongolen kennt häufig feine Creme
zen, Wenn der Reifende einer Karawane begegnet, ba fom-
men bie Führer derfelben von allen Seiten an ihn heran,
ja häufig ftürzen fie im vollen Yaufe einige Kilometer herbei,
um ihm nach der üblichen Bewilllommnung: „Mendu!l“
(Willlommen, Herr!) zu fragen, wonach und wohin er reift,
was er mit fich führt, ob er nicht verkäufliche Waare hat,
wo und zu welchen Preife er die Kameele gekauft hat u. ſ. w.
Ein Frager löft den andern ab und alle fommen mit den
gleichen Fragen. Noch Schlimmer iſt's auf den Halteplägen.
Es begegnete Herrn Prſchewalski häufig, daß er, che er
noch feinen Kameelen die Laft abgenommen hatte, von Mon»
golen umringt war, bie feine Sachen begafften, betafteten
und in hellen Haufen in fein Zelt drangen. Nicht bloß die
Waffen, fondern auch ganz gleichgültige Gegenftände, 3. B. feine
Stiefel, Scheere, das Vorhängeſchloß jeines Koffers und
andere Heine Sachen erregten ihre Neugier, und die Gäſte
drangen im ihn, ihnen dieje Sadyen zu ſchenlen. Das Fra—
gen nimmt fein Ende. Jeder Neuhinzugelommene beginnt
mit derfelben Frage und fordert biefelben Aufſchlüſſe, welche
der eben Abgefertigte an den Reifenden geftellt und von ihm
erhalten hat. Die früher Gekommenen erklären den fpäter
Kommenden das Gefehene, jeder ſucht es zu betaften und wo
möglic, auch zu entwenden.
Auffallend ift, daß fi die Mongolen immer nad) ben
Weltgegenden orientiren; fie bedienen fich hierzu nicht der
Worte „Nedjts, Yints“, für die ihre Sprache feinen Ausdrud
hat, fondern fagen, die Sache liegt „öftlich oder weſtlich“
vom Fragenden. Hierbei ift zu bemerken, daß die Nomaden
ihre Vorderjeite als „Sb“ bezeichnen, jo daß bei ihnen Oft
auf der linfen Seite des Horizontes liegt, Alle Entfernums
gen bezeichnen die Mongolen durch die Zeit, welche nöthig
it, um fie veitend, ſowohl auf dem Kamtele als auf dem
Pferde, zurlidzulegen, Wenn man aljo einen Mongolen
nad) der Entfernung dieſes oder jenes Ortes fragt, fo ant-
wortet er: „So umd fo viel Tage mit dem Kameele und fo
und fo viel zu Pferde,“ wozu er jedoch häufig moch hinzus
fügt: „wenn Du fehnell® oder „wenn Du langfam reiten
wirſt.“ Nun ift aber die Schnelligkeit der Thiere an ſich
eine verſchiedene. Im Chalda nimmt man an, daß ein
belaftetes Kameel täglich 40 Kilometer, ein Neitpferd aber
60 bis 70 zuriidlegen Tann, während die Kameele von Kuku—
Nor nur 30 Kilometer täglic; zurüclegen. Ohne Laſt legt
ein Kameel ſtündlich 5 bis 6 Kilometer zurlick.
Die Zeiteinheit des Mongolen ift der Tag; einen klei—
nern Zeittheil, z. B. die Stunde, kennt der Nomade nicht.
In der Mongolei bedient man ſich übrigen® bes in Peling
gedructen chinefischen Kalenders, der ins Mongolifche übers
46
362
fegt it. Man rechnet in Folge deffen nad) Mondbmonaten,
von denen einer 29, die Übrigen 30 Tage haben. In Folge
diejer Zeitrechnung bleibt jährlich eine Woche übrig; man
gleicht den Unterfchied dadurch aus, dag man alle vier Jahre
einen Monat einſchaltet. Man verlegt dieſen Schaltmonat,
nad) der Weifung der Pelinger Aftrologen, auf den Sommer
oder Winter ober auf eine andere von ihnen vorgefcriebene
Jahreszeit. In einem Scaltjahre pflegt in Folge biefer
Einrichtung in der Mongolei (und in China) ein doppelter
Januar, Juni u. ſ. w. zu fein. Der Yahresanfang fällt
auf den erften Tag des „Zagan-far“, bes weißen Mo—
nats. Bon bdiefem Monate ab wird auch der Frühlings-
anfang gerechnet und die Berehrer Buddhas begehen den
weißen Monat als einen einzigen Feiertag. Außerdem
werben noch gefeiert der I., 8. und 15. jedes Monats und
dieſe Feiertage heißen „ Zertgn“.
Zur Bezeichnung größerer Zeiträume bedient man fich
einer zwölfjährigen Periode, im welcher jedes Jahr den Na«
men eines Thieres trägt. So ift das erjte Jahr das Jahr
„Chulugun* (ber Maut), das zweite das Jahr Ukyr
(der Kuh), das dritte das Jahr Bar (bes Tigers), das vierte
das Jahr Tollaj (des Hafen), das fünfte das Jahr Yu
(des Dradjens), das zwölfte das Jahr Gadyaj (des Schweine).
Einen weitern Cyelus bilden 60 Jahre, mit dem man un«
gefähr das bezeichnet, was wir ein Zeitalter oder Jahrhundert
nennen. Wenn man einen 28 Jahre alten Mongolen fragt,
wie alt er ift, fo fagt er, daß mun fein „Hafenjahr* ift,
d. h. daß er nun ſchon zwei volle Perioden (zu 12 Jahren)
lebt und von der dritten das vierte Jahr erreicht hat.
In der ganzen Mongolei herricht eine Sprache, die
jedoch; je nach dem verfchiedenen Gegenden im verjchiedene
Dialekte zerfällt, die fich im Bezug auf Ausſprache oft der»
maßen untericheiden, daß e8 dem Nordmongolen nicht immer
leicht ift, ſich volftändig mit dem Südmongolen zu verftän:
digen. Ja es giebt im einer Gegend Worte, welche in einer
andern unverftändlic find. Ich will des Beifpiels halber
nad Prſchewalski nur einige folder Worte anführen. In
Chalcha heißt die Naht „Schuni*, der Schafbod „Choni“,
der Abend „Udyſchi“, die Theelanne „Schadu*, die
Milch „Su*, der Belz „Dell“; im Ala⸗ſchan heißen die—
felben Gegenftände in der angegebenen Reihenfolge Su,
Choj, Aſchyn, Debyr, Iufu, Dybyll. Außerdem ift
audı das Südmongoliſche weicher als das Nordbmongolifche,
in Folge deſſen im erftern häufig das S des legtern in Ch
und das E in Tſch umgewandelt wird.
Im Allgemeinen ift Prſchewalski der Anficht, daß bie
heutige mongolifche Sprache verdorben und zwar in einigen
Gegenden mit tangutijchen, in anderen mit chineſiſchen Wor-
ten vermifcht ift. Die mongolifche Schrift ift der chineſiſchen
ähnlich; die Mongolen ſchreiben von oben nad) unten und
zwar von linfs mad) rechts, Sie haben auch eine ziemliche
Anzahl gedrudter Bücher, welche fie der Regierung von Per
fing verdanken, die gegen Ende des vorigen Jahrhunderts
durch eine hierzu befonders eingejegte Commifjion viele ine:
ſiſche Werte ins Mongolische überfegen ließ. Es find dieſes
befonders Bücher hiftorifchen, belehrenden und religiöfen Ins
halts. Auch das mongolifhe Recht ift in mongolifcher
Sprache abgefagt und wird in Proceßſachen dem Mandſchu—⸗
gejege gleich geachtet. In Peking und Kalgan find Schulen,
in denen Mongoliſch gelehrt wird. Die Kunſt des Leſens
und Schreibens ift Übrigens in der Mongolei ein Privileg
der Furſten, Ebdelleute und Lamas. Die leteren lernen
auch Tibetanifh. Das gemeine Bolt ift des Leſens und
Schreibens unkundig.
Die Mongolen, ohne Ausnahme des Geſchlechtes, find
ſehr geſprächig. Bei der mit Thee gefilliten Schüflel mit
Albin Kohn: Die Mongolen.
jemanden zu plaudern ift ihnen ein Öauptvergnügen, Eine
Folge davon ift, daß jede Nachricht faſt mit ber Schnelle einer
telegraphifchen Depeche von Drt zu Ort gelangt und die
Kunde von einem Reiſenden bildet ſchnell in allen Winkeln
dev Mongolei, natitrlich mit obligaten Uebertreibungen, das
Tagesgefpräd. Ju der Unterhaltung ift Übrigens der Mon—
gole artig; er nennt felbit Seinesgleichen „Nodor“, Herr,
Das Boltslieb des Mongolen ift immer traurig und fein
Juhalt bezieht ſich gewöhnlich auf die Helbenthaten der Vor—
fahren. Das Lied vom „ſchwarzen Füllen“ (Dagndara)
hört man Überall, Am häufigften wird während der Keife
efungen, doc, hört man auch im der Jurte nicht felten ein
ied erſchallen. Die Weiber fcheinen weniger mujilliebend
u fein als die Männer, denn man hört fie nur jelten ein
iedchen anſtimmen.
Das Loos der Mongolinnen ift nicht beneidenswerth.
Der an fi enge Horizont bes Nomadenlebens verengt ſich
für fie nur nod) mehr. Da die Mongolin völig vom Manne
abhängig ift, verbringt fie ihr ganzes Yeben in der Jurte,
wo fie mit den Kindern und der Hauswirthſchaft befchäftigt
ift. Die freie Zeit benupt fie zum Nähen der Kleider oder
zur Unfertigung eines Putzes, wozu in der ganzen Gegend
von Chalcha chineſiſcher —Sú ù verwendet wird, Dieſe
Handarbeiten der mongoliſchen Frauen ſollen oft ausgezeich—
net ſchön fein, ſowohl in Bezug auf Gejchmad als auf Aus ⸗
führung.
Der Mongole hat nur eine von Geſetze als ſolche an-
erfannte Ehefrau, doch ift es ihm erlaubt, Kebsweiber zu
nehmen, die mit ber Ehefrau gemeinſchaftlich leben und bei
deren Heimführen keine befonderen Ceremonien ftattfinden.
Die eigentliche Frau wird als die Vorgefegte betrachtet und
fie ſchaltet in der Jurte. Die von ihr erzeugten Kinder
haben alle Rechte des Vaters; die Kinder der Kebsweiber
werden als auferehelic, betrachtet und haben fein Recht am
Erbe, doch fann mit Erlaubniß der Behörde ein ſolches Kind
aboptirt werben.
Bei wictigeren Eheſchließungen kommt nur die Geburt
des Mannes in Betracht; die Abftammung ber Frau ift
gleichgultig. Außerdem ift aber auch zu eimer glüdlichen
Ehe durchaus nothwendig, daß ſowohl der Bräutigam als
auch die Braut unter einem glüdlichen Planeten geboren
feien, worliber die Aftrologen zu beftimmen haben. Dft wird
das Nichtzuſammentreffen zweier ſolcher Planeten die Ur:
jache, daß eine geplante Heirat nicht zu Stande fonımt
(vergl. dagegen ©. 221).
Der Bräutigam muß für feine Braut einen „Kalym“,
einen Kaufpreis, geben, der in Vieh und Kleidern, häufig
auch im Geld beiteht und oft beträchtlich ift; die Frau erhält
als Mitgift eine Jurte und was zu ihrer Einrichtung noth:
wendig it. Im Falle einer Beruneinigung zwiſchen Dann
und Frau, auch aus bloßer Gaprice, kann der Mann die
Frau wegjagen; doch auch die Frau hat das Recht, den
Mann, dem fie nicht liebt, zu verlaſſen. Im erften falle
hat der Mann kein Recht, den für die Frau gegebenen Kalym
zurlidzufordern, und behält nur einen Theil der Mitgift; im
zweiten muß die Fra einen Theil des für fie gegebenen
Biehes zurüderftatten. Nach der Eheicheidung ift die Mon:
golin frei und kann einem andern Dlanne ihre Hand ſchen—
fen. Diefe Sitte ift die Duelle vieler Liebesgefchichten, welche
fi) in der ftummen Wlfte ereignen, ohne je als Sujet zu
einem Romane verwendet zu werden.
Was die moralifchen Eigenjchaften der Mongolinnen
betrifft, fo muß man zugeftehen, daß fie gute Mütter und
gute Wirthinnen find; ihre eheliche Treue ift jedoch micht
ohne Makel. Die Unzucht ift hier übrigens allgemein und
geben ſich ihe nicht allein verheiratete Frauen, fondern audı
Albin Kohn: Die Mongolen,
Mädchen Hin. Es ift diefes übrigens in der Mongofei fein
Geheimnig und wird nicht ala Verderbniß betrachtet.
Im häuslichen Leben hat die Frau des Mongolen faft
gleiche Rechte mit ihm; aber in äußeren Ungelegenheiten,
3. B. was das lleberfiedeln an einen andern Ort, das Ber
zahlen einer Schuld, den Anlauf eines Gegenftandes betrifft,
ift des Mannes Wort Geſetz und er fragt die Frau nicht
um ihre Einwilligung. Doch ereignet es ſich auch, daß eine
Mongolin nicht bloß in der Jurte, fondern auch außerhalb
berfelben regiert und den Mann unter bem Pantoffel hält.
Bon Schönheit in unferm Sinne fann bei den Mongo-
linnen nicht die Rede fein. Race, Lebensweile, Klima und
Unveinlicheit bedingen ſchon einen vollftändigen Mangel an
Zartheit der Züge. Doc ereignet es fic hin und wieder,
daß man im der Jurte eines Fürſten ein recht ſchönes Ges
ſicht zu fehen befommt. Die glückliche Befigerin eines fol
hen ausnahmsweiſen Gefichtes wird gewiß von zahlreichen
Anbetern umlagert, denn auch den Nomaden zieht das ſchöne
Geſchlecht an, wenn es wirklid) dieſen Beinamen verdient,
Eine merlwürdige Erjcheinung ift, daß in der Mongolei die
Zahl der Männer die der Frauen bedeutend überwiegt, was
(wohl nur theilweife) von ber Ehelofigkeit der Lamas herrührt.
Der Mongole ift ein guter Familienvater, der feine Kin—
ber innig liebt. Wenn er irgend etwas erhält, das getheilt
werden kann, fo vertheilt er es gewiß gleichmäßig unter bie
ganze Familie, felbft auf die Gefahr hin, daß jedes Mitglied
nur, wie dieſes z. B. bei einem Stückchen Zuder der Fall
ift, ein winziges Brödchen erhält. Die älteren Familien-
lieder genießen eine große Hochachtung; ihr Rath, ja ihr
hl wird immer aufs Pünftlichfte ausgeführt. Der No-
mabe ift ungemein gaftfrei. Man kann dreift in jede Jurte
eintreten umd eines freundlichen Empfanges, einer Bewir-
thung mit Thee ficher fein; für einen guten Befannten findet
der Hauswirth jederzeit einen Schnaps oder Kumys, ja er
ſchlachtet ſogar gern ein Schaf für ihn.
Wenn der Nomade einem Reijenden begegnet, begrüßt er
ihn auch fogleic, mit dem Rufe: „Mendu, Diendurfesbejna !*
„Herr! Herr! fer gefund!* Hierauf wird der Fremde mit
einer Prife Tabad bewirthet und nun folgen die ragen:
„Dallsfesbejna?* „Tasferbejna?* Bift Du, ift Dein
Bieh gefund? Die frage nad) der Gefundheit des Vieh
ftandes ift übrigens beim Diongolen die Hauptſache; er fragt
erjt, wie fich die fetten Schafe, Pferde und Kameele, und
dann wie ſich ihr Befiger befindet. In den verjciebenen
Gegenden des Landes haben zwar bie Bewilllommnungs—
phrafen eine verfchiedene Form; man fragt 3. B. in Orbos
und Aa-Schan: „Amursfe?* (Bift Dir gefund?), in Kulu⸗
Nor ruft man: „Temu!“ (Sei gefund!), das die tangu—
tifche Begrüßungsformel ift; die Bedeutung ift jedod) immer
diefelbe.
In Folge diefer Bewilllommmungsfragen ereignen ſich
häufig, wenn fie am Neulinge gerichtet werden, recht ergötz
liche Scenen. So erzählt Prſchewalski von einem juns
gen ruſſiſchen Offizier, der vor Kurzem erft aus Petersburg
nad Sibirien gefommen und vom dort nach Peling mit
einer Miffion gefendet worden war, folgende Anekdote. Auf
einer mongoliſchen Halteftation, wo die Pferde gewechſelt
werden mußten, famen fogleid, die Mongolen herbei und
fragten ihm aufs Ehrfurchtvollſte, ob ſich fein Vieh wohl be—
finde! Als der den Offizier begleitende Kaſal ihm die Fras
363
gen feiner Gaftfreunde, ob feine Kameele und Schafe fett
find, mitteilte, fchitttelte er verneinend mit dem Kopfe und
ließ den Frageftellern antworten, daß er gar fein Bich habe.
Die Mongolen konnten aber durch nichts überzeugt werden,
daß ein gut ſituirter Mann, der Überdies noch Beamter war,
ohne Schafe, Kühe, Pferde oder Kameele eriftiren könne.
Prſchewalsti wurde felbft fehr häufig aufs Eingehendfte be»
fragt, unter weflen Aufſicht er feine Herden gelaſſen, als
er die weite Reiſe unternahm, wie oft zu Haufe dieſe ober
jene Delicatefle genojfen wird, wie ſchwer bei und ein Kurd⸗
jut ift, wie viel gute Reitpferde und Paßgänger er befigt,
wie groß bie Zahl feiner fetten Kameele ift n. |. w.
In Sidmongolien herrſcht mod) eine andere Eitte; ber
Gaft wird mit einem Gejchenke, das „ Chadat* heißt, nicht
groß ift, die Form eines Handtuches hat und aus Seidenftoff
befteht, bewillfommmet, muß aber ein gleiches Gejchent geben.
Diefe Chadaks, deren Werth Übrigens verjchieben ift, werden
von ben Chinefen gelauft und in Chalcha, wo fie Übrigens
nur felten zu Geſchenklen verwendet werden, ftatt Geldes
benugt.
Kaum ift die Berwilllommnungsceremonie beendet, fo
beginnt auch ſchon die Bewirthung, und es gehört zum quten
Tone, dem Gafte vor allen Dingen eine brennende Pfeife
zu reichen. Beim Weggehen werden gewöhnlich feine Cere—
monien gemacht; man fteht einfad, auf und verläßt die Jurte.
Den Gaft bis an fein vor der Jurte angebundenes Pferd
zu begleiten wird als bejondere Auszeichnung betrachtet, die
gewöhnlich nur den Lamas und Beamten ertviefen wird.
Obgleich kriechende Unterthänigkeit und Despotismus bei
den Deongolen im höchſten Grade entwidelt find, jo daß ber
Wille eines vorgefegten Beamten gewöhnlich Geſetz ift, herrſcht
doch neben diefer ſtlaviſchen Unterwürfigteit eine große reis
heit im Umgange zwijchen den Mongolen und den Beamten,
Wenn ein Mongole einen Beamten erblicdt, fällt er aufs
Knie, um ihn zu bewillfommmnen und ihm feine Unteythänig«
feit zu bezeugen. Doch bald ftcht er auf, jegt ſich neben
ihn, unterhält fich mit ihm und ſchmaucht feine Pfeife. Bon
Jugend auf gewöhnt, fid) durch nichts geniven zu laſſen,
erträgt er nicht lange einen Zwang, fondern folgt jchnell
feinen Gewohnheiten, Wenn der Meifende ein Neuling it,
jo erfcheint ihm diefes als ein wichtiges Zeichen der Freiheits-
liebe des Mongolen; fpäter erſt überzeugt er jich, daß diejes
nur ein Ausbruch der wilden Nomadennatur ift, bie nur freie
Ausübung Findifcher Gewohnheiten verlangt, jonft aber mit
ber größten GMeichgüftigfeit den ſchwerſten Drud des Des
potisums erträgt. Der Beamte, neben welchem jigend der
Mongole eben vertraulich, feine Pfeife geraucht hat, lann ihm,
ohne einen Appell an einen höhern Beamten zu fürdten,
' einige Schafe nehmen, ja jogar ihn prügeln,
Die Käuflichkeit und Beftechlichfeit ift in der Mongolei
wie in China im höchften Grade entwidelt; man lann ſich,
wenn man den Beamten beftochen hat, Alles erlauben; ohne
dieſes geht nichts durch. Die himmelfchreiendften Berbrechen
bleiben unbeftraft, wenn ber Verbrecher den Beamten eine
entfprechende Summe in die Hand drüdt, wogegen bie ger
rechtefte Sache verjpielt wird, wenn man den ichter nicht
befticht. Dieſe Fäulniß herrſcht in der ganzen Verwaltung,
vom „Chojcyn“ (unterften Schreiber) bis hinauf zum ge»
bietenden Fürften.
46 *
364
Hafjentamp: Die prähiftoriichen Alterthümer des nordiſchen Muſeums in Kopenhagen.
Die prähiftorifhen Alterthümer des nordifhen Mufeums in Kopenhagen.
Von Dr, Haſſenkamp.
I. Die Dentmäler aus der Steinzeit und Bronzeperiode.
Unter allen europäifchen Yändern ift das Heine Düne:
mark vielleicht dasjenige, welches am meiften für die Erfor—
hung feiner Alterthliner gethan hat. Während z. B. in
Deutjdjland die einzelnen Regierungen nod) heute den ar»
chäologiſchen Forſchungen ziemlich, fern ftehen und die Privat:
leute aus Mangel an Mitteln meistens nicht mehr thun
fönnen, als für die Confervirung etwaiger Zufallsfunde
Sorge zu tragen, hat in Dänemark der Staat jelbjt den prä«
hiftorifchen Forſchungen ein veges Intereffe entgegengebradit;
alljährlic; bewilligt die Bolfsvertretung bedeutende Summen,
um eine fyftematijche Ausgrabung und Erforfchung des Yans
des zu ermöglichen, und daß diefe Summen im ter richtigen
Weiſe verwandt werden, dafür blirgt jdjon der Umſtand,
daf das Haupt der dänischen Alterthumsforicher, Worjaae,
feither als dänifcher Cultusminifter thätig gewefen ift. Alle
Funde wurden dem Muſeum für nordiſche Alterthümer in
Kopenhagen liberwiefen und jo ein Yuftitut geichaffen, mit
dem, was Reichhaltigfeit der Sammlung, Klarheit und Ueber:
ſichtlichteit der Anordnung angeht, kaum ein auderes derar—
tiges Muſeum wetteifern kann,
Deshalb dürfte es vieleicht nicht unpaſſend fein, bie teie
hen prähiftoriichen Funde jener Sammlung aud) in dieſer
Zeitfchrift furz zu darakterifiven. Zunächſt ift es als eine
Eigenthitmlichteit der däniſchen Funde zu bezeichnen, daß in
ihnen eine genaue Scheidung zwiſchen der Steinperiode, der
Bronze: und Eifenperiode zu Tage tritt, während 3. B. in
Deutjchland Steinwerkzeuge, Bronzefachen und Eifen neben
einander oft in demfelben Grabe gefunden werden, hier aljo
eine derartige Scheidung nicht vorgenommen werden fann,
Der Grund biefer Verſchiedenheit ift wohl hierin zu finden,
dag, während durch Deutichland ſchon früh Handelsleute
hindurdzogen, welche den Handel mit den Sitden und Std»
often vermittelten und Deutjcland mit Culturergeugniffen
diefer Yänder verforgten, in Dänemark derartige Handels:
verbindungen mit dem Süden viel ſpäter auftreten, daß fid)
alſo Hier vielmehr eine einheimifche und darum eigenartige
Cultur entwideln fonnte.
Die älteften Eulturerzeugnifle, welche in dieſem Mufeum
vertreten find, find dem jogenannten Kjiökkenmöddinger,
den Haufen von Klichenabfällen, entnommen, welche, aus weg—
geworjenen Muſchelſchalen, Knochen und Fiſchgräten ſowie
aus Steinwerkzeugen und Topfjcherben gebildet, ſich an der
Ofttüfte von Jutland und auf einigen dänischen Inſeln fine
den. Nur Schalen von eßbaren Mufcheln fommen in jenen
Dümmen vor und zwar ift am häufigften vertreten die eßbare
Aufter, die wegen des geringen Salzgehaltes der Oſtſee heute
nicht mehr in diefem Meere vorkommt. Da nun nicht ans
zunehmen ift, daß die Aufter in damaliger Zeit importiert
wurde, jo muß man vielmehr zu dem Schluſſe kommen, daft
die Oſtſee damals einen weit größern Saljgehalt gehabt
habe wie in der Öegenwart; dies fünnen wir aber nur danıt
fir möglich halten, wenn in damaliger Zeit, als jene Winjchel-
dämme angehäuft wurden, der Occan einen freiern Zutritt
zur Oftfee gehabt hat, wenn alfo die Kiftenbildung des nörd«
lichen Dütlands eine wefentlic andere gewefen war wie in
der gegemwärtigen Zeit. Bon Thierknochen bieten die Klicjen:
abjälle namentlich, den jetzt gänzlid, ausgeftorbenen Urochſen,
ferner den Biber, der läugft aus Dänemark verſchwunden
ift, dann den Hirſch, das Reh und das Wildſchwein dar;
das einzige Hausthier jcheint der Hund gewejen zu fein; die
Vearffnocdyen der Thiere find künſtlich geipalten, ein Beweis,
daß das Mark jchon jenem Bolfe als Yederbifjen galt. Die
Steinwerfzeuge, die ſich in jenen Uufterhaufen vorgefunden
haben, find aus Feuerſtein roh zugehauen, ohne eine Spur
von Ölättung; fie haben verſchiedene Geftalt und dienten
theils als Horte, Meißel und Schaber, theils als Yanzen«
und PBfeiljpigen ; Knochengeräthe wurden ebenfalls gefunden,
namentlich Pfriemen und Ahlen ſowie cin fammartiges Ge«
räth aus demjelben Stoffe.
Daß die Anfänge der Keramit nicht unbelaunt waren,
zeigen die Scherben grober Gefäße, die aus einem ftark mit
Sand vermengten Thone mit der bloßen Hand geformt und
an der Sonne getrocknet zu fein ſcheinen. Doch muß man
daraus nicht ſchließen, daß der Gebrauch des Feuers un«
befannt gewejen ſei, vielmehr weifen große, vom Rauch ge-
ſchwärzte Steine darauf hin, daß fie ald Theile eines Feuer:
herdes dienten.
Etwas jünger als die stjöftenmöddinger | find die Hüften
funde, die zu Bejter-Egesborg in Seeland gemacht
wurden. Hier fand man mafjenhafte Steinwerfzeuge, na
mentlich fogenannte Schaber , die zum Abſchaben der Thier—
häute, zum Trennen des Fleiſches von den Knochen dienten,
ferner Beile, Meſſer und Meißel, und zwar jede Art von
Werkzeugen oft in Hunderten von Eremplaren. Neben ſchön
ausgearbeiteten Stüden finden ſich oft mißlungene und uns
fertige Eremplare fowie zahlreiche Abjälle und Spähne von
Feuerſtein; alles dies liefert den Beweis, daß wir es hier
mit einer Werkfftätte von feuerfteingeräthen zu thum
haben, daß alfo jene Werkzeuge im Lande ſelbſt fabricirt
wurden, Ganz ähnliche Werkjtätten müſſen auch auf den
Heinen Injeln Hejjeld und Anholt im Sattegat geweien
fein; denn auch hier treten, wie die Sammlungen des Mur
ſeums darthun, die Steingeräthe jo maſſenhaft auf.
Wie die Menſchen, welde die Mufcheldämme aufhäuften,
ihre Todten zu bejtatten pflegten, wiſſen wir nicht; denn die
älteften Grabdenlmäler Dänemarks, deren es zwei verſchie—
dene Arten giebt, gehören ſchon einer ſpätern Periode an,
in welcher die Steingeräthe ſorgfältiger und zum Theil ſchon
vollſtändig geglättet find. Die eine Gattung von Grab»
denfmälern jind die ſogenanuten Dettenftuben oder Rieſen—
ftuben, Familiengrablammern, deren Boden mit flachen Steis
nen belegt ift und die ein länglicher, mit einem Steinfreis
umfaßter Eröhügel bedeckt. Verſchieden davon jind die viel
Heineren Dolmen, Grabfammern, weldye von mehreren auf:
recht ftchenden Steinblöden in der Weife umgrenzt werden,
daß der innere Raum eine faſt cylindrifche Sejtalt hat; große
erratifche Blöde bilden die Deden dieſer Grabftätten, die
meiſt nur eine Leiche bergen. Im Junern der Grablammern
fanden ſich nun zahlreiche Meſſer, Dolche, Aexte, Meigel und
elegante Yanzen» und Pjeiljpigen aus Feuerjtein, forgjältig
geglättete Hämmer aus Granit, oft von jehr jchöner Form;
auch entbehte man eirunde Oramitgeräthe, die mit einer rings
Hafſenkamp: Die prähiftorifchen Alterthümer des nordischen Mufeums in Kopenhagen.
herum gehenden Rinne verfehen waren und in denen man
Nesjenter zu erbliden meinte; nad) unjerm Erachten haben
auch diefe Gegenftände als Hämmer gedient, wenigftend be-
figt das Kopenhagener ethnographiſche Muſeum noch einen
Hammer aus Neufeeland, der ganz diefelbe Form aufzumweifen
hat. Gin Theil der Steinfadyen ift abſichtlich zerbrochen,
wahrſcheinlich in Folge eines auch noch heute bei einzelnen
wilden Völkern, z. B. bei den Afgonkin- Indianern, bereichen:
den Uberglaubens, daß jeder Gegenftand eine Seele befigt,
welche bei dem Zerbrechen ins Jenſeits wandert, daß aljo
durch das abſichtliche Bernichten einer Steinart diefelbe in
den Stand geſetzt wird, ihrem Beſitzer ins Denfeits zu fol-
gen. Außerdem finden fich in den Grabkammern Ahlen und
Piriemen aus Knochen und zwar aus Schafknochen, ferner
Perlen aus Bernftein, der während der Diluvialgeit ans Yand
gejchmwenmt wurde. Urnen und Töpfe haben ſich nur we:
nige gefunden und diefe wenigen Exemplare find aus einem
grauen Thone geformt und die eingerigten höchft einfachen
Berzierungen find oft mit weißem Kaliglimmer ausgefilt.
An den Begräbnißflätten feinen zum Theil auch Yeichen-
mahlzeiten gehalten worden zu fein, wenigftens hat man im
Samfingerhügel bei Kallundborg auf Seeland einen
Dolmen gefunden, Über befjen Grablammer eine 3 Fuß
mächtige Schicht von Speifeabfällen entdedt wurde. Hier
fand man neben Kohlenüiberreften Muſchelſchalen und Fiſch—
gräten, nameutlich zahlreiche oft fünftlich zerjpaltene Kno—
dien von Bierfüßern, befonders von Ochſen, dem Schafe,
Schweine und Hunde. Ueberrefte von wilden Thieren zeigten
ſich feltener und es waren eigentlicd nur das Reh und der
Fuchs vertreten — ein Beweis für den Culturfortichritt feit
der Periode der Kjöftenmöddinger, wo nur ein Hausthier,
der Hund, eriftirte; auch Topfſcherben, Knochen: und Stein:
geräthe fanden ſich dajelbit.
Nod) interejjanter war eine Entdedung, die man im einer
Steinlammer zu Borreby machte; hier fand man neben
Werkzeugen aus lintftein, Perlen und Topfſcherben zahl-
reiche menſchliche Knochen, die gleichfalls künſtlich gefpalten
waren, ein Beweis dafür, dag man in damaliger Zeit Leichen
jſchmäuſe jeierte, bei denen den Gannibalismus gehuldigt
wurde.
Ungefähr gleichzeitig ift eine Reihe von Ader- und
ne die größtenteils in Bittland, zum Theil
aber auch auf den Inſeln gemacht wurden, Auch hier fand
man jene forgfältig geglätteten Granithämmer, jene gezahns
ten, als Sägen dienenden Juſtrumente, forgfältig bearbeitete
Flintharpunen und Pfeilfpigen, auf denen bisweilen Berzier
rungen eingerigt find, zahlreiche Yerte und Meffer und dar-
unter eim im feiner Art einziges Eremplar, ein fichelförmiges
Dieffer mit Handhabe, wie es bis jest nod) nie anderswo
gefunden iſt. Namentlich aber find jene Moorjunde für
die Kenntniß der Schmudjachen wichtig; fo entdedte man
im Aggers- Moor bei Lemvig ein graues vierhenfeliges
Thongefäß, welches gegen 1800 Perlen und Schwucgegens
fände enthielt, und im einem Torfimoore im Amte Rau—
ders fand mau beinahe 4000 Bernfteinftüde, die theils roh,
theils ſchon zu Perlen verarbeitet und zum Theil ſchou mit
Berzierungen verfehen waren.
Wie fir alle anderen europälfcyen Yänder, jo bildet auch
für Dänemark die Anwendung der Bronze eine epoche—
machende Veränderung. Zwar verſchwinden die Stein
inftrumente nicht jofort volljtändig; jo wurden z. B. Hämmer
noch lange aus Stein geformt; die ſchueidenden Duftrumente
dagegen wurden nunmehr aus Bronze gegoflen und and) zu
Schutzwaffen, dem Helme und Schilde, fowie zu Schmud-
gegenftänden wurde dieſe Metallmiſchung verwandt; um diefelbe
Zeit jcheint duch das Gold bekannt geworden zu fein, das |
365
theilweife maffiv zu Schmuckſachen, teilweife in dünne Blätt-
den ausgehämmert zur Berzierung von Waffen diente,
Gleichzeitig mit ber Einführung der Metalle ſcheinen aud)
andere Veränderungen vor ſich gegangen zu jein; jo vere
ſchwindet die Veftattung in Steinfammern und ftatt deſſen
tritt im der ältern Bronzeperiode die Beerdigung im Holz—
jürgen (fogenannten Tobtenbäumen) auf, während man in
der jpätern Bronzezeit die Yeichen zu verbrennen pflegte.
Fir jene Epodye find namentlich intereffant die Funde zu
Borum Estöi bei Aarhus, wo man in einem Erdhügel
einen rohen ausgehöhlten Eichenſtamm und in diefem eine
weibliche Leiche entdeckte, deren Kleidung, Dank dem confer:
virenden Moorboden, vollfländig erhalten war. Man fand
nämlid) wollene eng anliegende Kleider, die alſo die Nach—
richt des Tacitus von dem veste non Aluitante sed stricta
et singulos artus exprimente der Germanen betätigen,
ferner zwei fchmale wollene Gitrtel und zwei geflochtene
Haarnege, Bon Bronzegegenftänden fand man im biefem
Grabe eine Hejtnadel, zwei Armringe, Fingerringe und einen
Kopfring, endlidy auch — und dies ift eine merhwitrdige
Zuthat bei einer weiblichen Yeiche — einen Doldy, deflen
Handhabe aus Horn hergeftellt war. Ganz ähnliche Funde *)
madjte man auf dem Treenhöt und Kongshöi bei Banı-
drup in Jutland und bei Bolderslen in Schleswig, indem
man auch hier Yeichen in wollener Tracht entdedte. Auch
die Beigaben waren ähnlich; man fand Bronzejchwerter in
Holzicheiden, die zum Theil ſchön verziert waren, Doldıe,
jene mit Schaftlappen verſehenen Bronzebeile, die man Pal-
ftäbe nennt, fpiralförmige Bronzeringe und Gewandnadeln
aus demjelben Metall. Thongeſäße zeigten ſich nicht, wohl
aber runde Schachteln aus Baumrinde und Holzgefäße,
welche zum Theil fternförmige, durch eingenietete Zinnnägel
hergeftellte Verzierungen aufweifen. Ungefähr in diefelbe
Zeit fallen viele einzelne Waffenfunde aus Yitland und
Seeland; fo entdeckte man namentlic) ſchöne Norte aus Bronze,
bie, über einen Kern von gebranntem Thone ſehr dünn ge»
gofien, zuweilen noch prächtig verziert find und fo eine hohe
Stufe der Gießlunſt repräfentiren; ferner fand man viele
bronzene Yanzen: und Peilipigen, die mitunter mit Rinnen
zur Aufnahme des Giftes (?) verfehen find, auferdem Ges
wanbnabeln und fpivalförınige Ringe, dann Ortbänder von
Schwertern, Glirtelhaten und namentlich große Bronze
fcheiben von etwa 6 Zoll Durchmeſſer, die mit langen Stie-
len und innen mit Snöpfen verfehen find, über deren Ber
ftimmung bis jegt aber nod) nichts Sicheres angegeben wers
den fann.
Während in der ältern Bronzezeit, wie wir oben anges
geben, die Yeichen in Baumfärgen beerdigt wurden, ſcheint
in einer etwas ſpätern Zeit der Yeicenbrand Sitte geworden
zu fein, und zwar wurden anfangs die Knochenüberreſte in
Steinfiften geborgen. Dabei fam es auch oft vor, daß man
Steinfammern aus der Steinzeit ausräumte und zur Aufs
nahme von Knuochenüberreſten herrichtete. Dies ſcheint
3 B. bei einem Grabe zu Maglehbi auf Seeland der Fall
gewejen zu jein, wo man in einem Heinen runden Dolmen
eine Steinfifte mit verbrannten Knochen und daneben ein
Diadem und eine Doldjklinge aus Bronze entdedte, Höchſt
merkwürdig ift aud) der Fund aus Hvidegaard bei Kopen—
hagen; im einer Steinfifte entdefte man eine Thierhaut und
auf diefer eine Menge von gebraunten Menjcentnochen,
welche angenſcheinlich in einen wollenen Mantel eingehlillt
waren, Neben diejen Knochen fand man ein Bronzeſchwert
*) Vergl. tarüber den zufammenfaflenden Artikel von 3. Mes»
borf: ‚Ueber die in Holftein und anderwärte gefundenen Moorleichen“
im „Globus“ XX, ©. 139 ff.
366
in einer Holzfcheide, die mit Leber überzogen war, eine bron⸗
zene Gewandnadel und eine längliche Ledertaſche, welche einen
höchſt fonderbaren Inhalt aufwies: man fand nämlid) darin
einen hölzernen Wihrfel, eine Vogelflaue, einen Nattern-
ſchwanz, eine durchbohrte Schnede, eim Lederbeutelchen mit
Meinen Steinen angefüllt und ähnliche Dinge, Aus diefen
merfwürdigen Beigaben fann man mit Recht fchließen, daß
der Beftattete entweder Arzt ober Zauberer geweſen fei.
Erjt fpäter fcheint man die Knochenliberrefte in Grab»
urnen geborgen zu haben; allgemein war diefe Sitte nie-
mals, wie denn das bänifche Muſeum überhaupt nur ver-
hältnigmäßig wenige Urmen aufzuweifen hat. Die Urnen
haben faft alle diefele Geſtalt; fie find aus grauem, ftarf
mit Sand vermifchtem Thone geformt und meiit ohne be
fondere Berzierungen; nur eine Urne, die zu Robbedale
auf Bornholm gefunden wurde, ift merkwürdig genug, befon-
ders aufgeführt zu werben; fie gleicht einer Art von Bienen-
forb und Hat die Deffnung nicht oben, fondern an der Seite,
fo daß man augenfcjeinlich ficht, daß ber Verfertiger diejes
Gefäß einem runden Haufe mit Dad) und Thür nachbilden
wollte. Stleinere Gefäße mit der Graburne jugleich beizu—
fegen war in Dänemark nicht Sitte. Dagegen fanden ſich
in den Urnen oft Beigaben, Nadeln, Spangen und Schwer:
ter aus Bronze, die bisweilen, fei e8 um Raum zu fparen,
fei es in Folge des ſchon oben berüßrten Aberglaubens, ab«
fichtlicdy umgebogen waren. Auch Miniaturgegenftände aus
Bronze begegnen uns als Tobtenbeigaben, die dann wohl
eine ſymboliſche Bedeutung beſaßen.
Im diefe fpätere Bronzezeit find wegen ihrer feinen Ars
beit md ausgebildeten Ornamentif eine Reihe von Metall:
fachen zu fegen, welche meiftens in den Mooren Yütlands
und Falſters gefunden wurden. Hierher rechne ich zunächſt
jene prachtvollen Bronzevaſen, die mit getriebenen Orna—
menten verjehen und deren einzelne Theile zufammengenietet
find, ein Beweis dafür, daß die Kunft des Löthens damals
noch unbefannt war. Ferner find befonders erwähnenswerth
bie großen Blaſehörner, von denen nicht weniger als zehn
efunden wurden. Cie find etwa 4'/, Fuß lang und ihre
orm ift ungefähr einem römifchen S ähnlich; eine Bronze
fette läuft vom Mundſtücke bis zur Schallöffnung und die
Ringe diefer Kette find meift mit Heinen Bogelgeftalten ver:
ziert; der Zwed jener Hörner war entſchieden Fein anderer,
als der, in der Schlacht das Eignal zu geben. Intereſſant
find auch die Bronzemeffer, welde uns die Weiter:
entwidelung der Ormamentif ſchön charafterifiren; während
in der frühern Zeit ſich nur arabesfenartige Verzierungen
an den Vronzegegenftänden befanden, begegnen uns bei ben
Meflern der jpätern Zeit Bilder von Thieren und Gegen»
ftänden,; namentlich find oft Darftellungen von Schiffen,
Fischen u. f. w. eingrabirt, während bie Handhaben der
Meſſer felbft fehr Häufig in Thierköpfe, namentlich im bie
von Pferden und Echwänen, ausgehen. Auch das menjch-
Aus allen Erdtheilen.
liche Antlig wird in der fpätern Bronzezeit als Ornament
verwandt und zwar namentlich an Obhrgehängen, an Griffen -
von Meſſern und an den Knöpfen von Schmudnadeln; merk:
wirdiger Weife tragen alle diefe Köpfe einen und denjelben
Typus: es find plattgebräicdte Geſichter mit hervortretenden
Kinnbaden und großen, oft noch mit Ningen gezierten Ohren;
vom germanifchen Typus weichen diefe Köpfe entſchieden ab
und fie fcheinen vielmehr auf einen mifrocephalen Boltsftamm
hinzudenten. Ich möchte daher biefe Bronzefachen als im:
portirt bezeichnen ober zum Mindeften annehmen, daß fie,
werm auch von einheimifchen Meiftern, fo doch wenigitens
nad) einem fremden Vorbilde angefertigt wurden.
Denn daß mar wirklich, im Lande Bronzegeräthe anfer
tigte, beweifen andere Funde: man entdedte Borräthe von
Metallarbeiten, zerbrochene Bronzeringe, Schwerter,
Meffer und Sägen, die zum Einſchmelzen beftimmt waren;
anderwärts fand man große Maſſen geſchmolzenen Metalles
und Barren aus Bronze; noch intereffanter find die thöner«
nen Gußformen fir Sägen, Palftäbe, Meſſer und Nadeln,
die im Lande zerjtreut gefunden wurden und uns ben Beweis
liefern, daß wenigftens die gewöhnlichen Geräthe und Schmuds
egenftände im Lande felbft angefertigt wurden. Auch die
vbeitung des Goldes hatte im diefer fpätern Bronzezeit
bedeutende Fortſchritte gemacht; jo befinden fic, im Muſeum
elf goldene Schöpfgefüße, die, alle in einer Bronzevafe ver
borgen, in einem Moore auf Flhnen ausgegraben wurden;
fie haben alle eine zierliche, elegante Form und find zum
Theil reich mit Ormamenten verfehen. Ganz ähnlich war
ber Fund, den man auf der Heinen Infel Munfö machte:
auc bier wurden fechs goldene Schalen, die unter einem
großen Steine verborgen waren, entdedt. Alle diefe Funde
liefern und einen Beweis dafür, daß der Gebrauch diefes
eblen Metalles in damaliger Zeit feineswegs felten war,
Die Knochen- und Beingeräthe finden felbftverftänd:
lich in damaliger Zeit geringere Verwendung; doch enthält
das Muſeum aus diefer Bronzeperiode auch mod) Pfriemen
und Angelhalen aus Knochen und namentlich ift auch ein
Fund aus Viborg intereffant, wo man majlenhafte freuzs
fürmige, oft noch verzierte Knöpfe aus Bein emtdedte; zahl-
reiche Stüde waren noch nicht vollendet, unbearbeitete Seno«
den und Abfälle fanden fid) daneben, jo daß die Vermuthung
nahe liegt, daß wir es hier mit einer prähiftorischen Werts
ftätte für Beingeräthe zu thun Haben.
Endlich müfjen wir nod) erwähnen, daß ſich auch oft in
den Mooren Seelands und Flihnens kuchenähnliche Maffen
vorfanden, ald deren Hauptbeftanbtheil Birfentheer ermittelt
wurde. Was Zwed dieſer Theerluchen geweſen ift, ift frag:
lich; doch haben fie wahrſcheinlich zum Sitten von Thon-
gefäßen gedient; vielleicht wurde aud) ein Yad aus ihnen
bereitet, mit dem Schilde, Ledergegenftände und Achnliches
überftrichen ward.
Aus allen Erdtheilen.
Zuftande in den fpanifchen Nepublifen Amerikas.
Wir baben ſchon oft darauf hingewieſen und es durch
zahlreiche Beiipiele belegt, wie ſehr die ſämmtlichen ſpaniſchen
Republiken Mittel- und Südamerikas mit wenigen Ansnahmen
an ber ihnen fo werthen volitiichen Inftitution der Revolu—
tion feithalten und wie wenig demnach ihre Milchlingsbevölfe-
rung geeignet ift, ſich ſelbſt ober andere zu regieren. Eine kurze
Ueberficht über die Nevolutionen, Pronunciamentos, Rebel:
lionen u. ſ. w. der paar legten Monate dürfte beredter für
jene Anficht iprechen, als lange Auseinanderſetzuugen. Um
im Norden anzufangen, To finden augenblidlih in nicht
weniger als fünf von den etlichen und zwanzig Staaten des
merifaniihen Staatenbundes, Rebelliofen ftatt, näm-
Aus allen
lich in Nucvo Leon, wobei einige intime freunde des Prä—
fidenten der Republil die Hauptrollen fpielen follen, ferner
in Jalisco, Michoacan, Guanajato und Ehiapas. Die Ein:
zelheiten diefer biutigen Prügeleien — man fann fie nicht
anders bezeichnen — intereffiren wenig; es ſei nur bemerkt,
daß die Aufrührer in Chiapas, ebeufo wie die von Nucvo
Leon zu den Liberalen gehörig, von dem Nacbarfreiftaat
Gmatemala ber eingebrochen find und von dort ber Inter:
ftügung erhalten baben ſollen. (Schuldenlaft Mericos bei
9,400,000 Einwohnern 140 Millionen Mark) *).
In dem fonft rubigen und auch finanziell gut geftellten
21, Millionen Mark Schulden bei 600,000 bis 700,000 Eins
wohnen) San Salvador ift im letzten Juni in Folge der
Hebereien der Prieſter ein Ichredlicher Anfrubr vorgefommen.
Die Regierung batte die Verleſung eines den Gelesen feind-
lichen Hirtenbriefes des Biihofs in San Miguel verboten.
Der durch Brandreden der Prieſter anfgehetzte Böbel ftürmte
das Gefängnif, befreite 200 Verbrecher, ermordete faft die
ganze Garnilon und viele angeſehene Bürger und ftedte
fchließlich 16 Häufer in Brand. Glücklicher Weile befand
ſich das engliſche Kriegsſchiff „Fantome* im der Nähe; es
landete feine Marinefoldaten, welche im Vereine mit Re:
oierungstruppen den Aufruhr unterdrückten. Charakteriſtiſch
für denſelben, welcher für über + Millionen Mark materiellen
Schaden angerichtet bat, ift der Umftand, daß man in ben
Taſchen mehrerer gefallenen Rebellen Reiſepäſſe fand, welche
folgendermaßen lauteten:
„Petrus, öffne dem Inhaber die Himmelspforte; derſelbe
ift für die Neligion geftorben.” Die Bälle waren „Georg,
Biſchof von Sa Salvador* unterzeichnet und mit dem Sie—
gel des bifchöflichen Sprengeld von San Salvador verieben,
Wir kommen zum Staatenbunde Columbia, welcher
bei rund 3 Millionen Einwohner 100 Millionen Mark
Schulden hat. Dort haben unlängft Einwohner bes Staa:
te8 Magdalena genen die Bundesregierung ſich empört und
deren Truppen Schlachten zu Waſſer und zu Lande geliefert.
Die erfte Schlacht fand bei Camarones ftatt; die „Seeichlacht” auf
dem Magdalena bei Teneriffa zwifchen einem Negierungeichiff
und einer Infurgentenbande auf den Fahrzengen „Vigilante*
und „Murillo*. Nach den neueſten Nachrichten ſcheint dieler
Kartoffelfrien fein Ende erreicht zu haben. Die gegenwärtige
Landesregierung wird allgemein als eine guteanerfannt und
thut nach Kräften Alles, was die Production des Landes
beben könnte; da aber alle Einkünfte, welche bauptfächlich in
den Zöllen und den Erträgen der zahlreichen Salinen be:
ſtehen, bebufs Dedung der zu zahlenden Zinfen verpfändet
find, fo bat fie wenig Mittel zur Verbefferung der Verwal:
tung und zur Hebung des Landes zu verwenden.
Ecuador it derzeit derjenige Staat, wo die Jeſuiten
die größte Macht entfalten. Diefelben betrachten das Land
als ihre Domäne und wußten es dahin zu bringen, daß ber
Vräſident Garcia Moreno jährlich eine beträchtliche Summe
dem Veteröpfennige zuwandte *), obwohl die Stantsjchulden
bei einer Einwohnerzahl von etwa 1,200,000 Seelen 40 Mil:
lionen Mark betragen und angenblidlich weder Zinſen noch
Amortiiation bezablt werden. Nur mit Widerftreben werden
fih Nenierung und Volk dazu bewegen laffen, den den Frem—
den gegenüber eingenangenen Verpflichtungen nachzulommen.
Als unlängst Moreno wiederum auf fünf Jahre zum Präfiden-
ten erwäblt wurde, nabm bie Gegenpartei — man fann jich
die That ſchwer aus anderen Urſachen erklären — zum poli-
tifchen Morde ihre Zuflucht. Moreno blieb todt; aber fein
* In biefen Summen find nie bie Schulten ter einzelnen Pros
vingen und Städte mit einbegriffen.
*) Suatemala machte es anders, als unlänaft zum Schrecken
der Regierung und Landesvertretung fich drei Jefuitenpatres im Lande
nieberließen. Die erftere fcheute vor Gemaltmaßregeln zurüd, fo
lange ſich jene rubig vechielten; aber letztete beſchloß fofort die Aus«
mweifung der unmillfommenen Gäſte, bemwilligte ihnen jedoch als
Schmerſens⸗ und Zehrgelt für unterwegs 1500 Dollars,
Erdtheilen. 367
Nachfolger Don Luis Antonio Salazar, der natürlich nicht
ans freier Wahl hervorging, tritt in feine Fußſtapfen; Brei:
und Rebefreiheit eriftiren nicht, ausgenommen wenn man die
Tugenden Moreno's und der Jeſuiten rühmt.
Aus Beru (bei 27, Millionen Einwohner 120 Millionen
Marl Schulden, die zum Theil durch die nen aufgefundenen
Guanolager gededt ericheinen) ift von mehreren Aufftänden
zu melden. Der erſte von Mitte Juli hatte feinen Grund,
wie fo häufig, in Hetzereien der Prieſter. Der Anftifter, ein
alter Rebell Namens Arevalo, hatte fich Schon des maritimen
Gndpunftes der ſüdperuaniſchen Eiſenbahn, Mollendo, be-
mächtigt und dort geplündert und fuhr dann per Bahn nach
Arequipa, wo er bei der unrubigen Bevölkerung eines guten
Empfangs ficher zu fein hoffte, als ihn unterwegs eine An-
zahl Voliziften anbielten, feine Bande zeriprengten und ibn
tödteten. Vierzehn Tage fpäterfam es in Arequipa bei einer
Wahl zum Aufruhr; Blut floß und die Rebellen waren,
freilich nur kurze Zeit, im factiichen Beſitze der Macht,
Schließlich begaben fich auch die Indianer von Puno auf den
Kriegspfad, kehrten aber bald auf demfelben um, jo dafi
augenbliklich Peru vollftändiger Ruhe genießt, abaejchen von
den Aufregungen der bevorſtehenden PBräfidentenwahl, bie
jeden Augenblick zu neuen Blutvergießen führen können.
Chile, welches durch feine geordneten finanziellen und
politifchen Verhältniſſe, durd) feine Fortichritte in der Civili-
fation, durch die Verbefferungen auf materiellem uud ideellem
Gebiete fich die allgemeine Achtung erworben hat, hat augen:
blidlich unter einem ausgebreiteten Banbditentbum zu leiden.
PBrächtig berittene und bis an die Hähne bewaffnete Räuber
fuchen einzeln oder in Banden die abgelegenen Haciendas
auf und plündern und morden; felbft in Santiago ift ſchon
ein Raubanfall vorgefommen Im Congreß bat man als
Gegenmittel alles Ernſtes über die Wiedereinführung der
Prigelitrafe verhandelt — natürlich unter Proteſt der Geift-
lichkeit, weld)e das Recht, diefe Strafe zugudictiren, für fich
alfein in Auſpruch nimmt — und im Publicum denlt mar
an Einführung des „Lynchen“.
Aus der Argentina ift mur eine Heine „Unordnung“
in der Provinz Santiago del Eſtero zu melden.
Wenn wir zum Schluffe wegen des jammtervollen Ju:
ftandes von Uruguay anf die ausführliche Notiz auf Seite
239 diefes Bandes verweilen, und bei Baragıay confta-
tiren, daß es wegen günzlicher Erfhöpfung in Folge des
Lopez'ſchen Krieges in völlige Lethargie verfunfen iſt und
feine Revolution mehr zu Stande bringen Tann, weil eben
die Menfchen dazu fehlen, jo haben wir unfern tranrigen
Rundgang durch Spanifch: Amerika beichloflen.
Die Karelen bes Gouvernements Olonei.
Im Gouvernement Dlonez (pr. Money) lebt eim dem
Weſteuropäer wenig belannter, der finuischmongoliichen Race
angehörender Vollsſtamm, der ſich zwar über einen großen
Flächenraum ausbreitet, aber wenig zahlreich it. Es ift dies
der Stamm der Karcelen ober Korelen, über weldye wir im
„Bolos" („Die Stimme") folgende intereffante Notiz finden:
„Im Gonvernement Olonez find ungeheure Flächen von den
Karelen bewohnt, Mebr als die Hälfte dieſes Vollsſtammes
untericheidet fich im häuslichen Leben und in Gewohnheiten
durchaus nicht von den Ruſſen. Hier find beftändig Hunger:
jahre. Wührend mehr alt ſechs Monate des Jahres effen
die Karelen nur Brot, dad mit Stroh und Kiefernrinde ge:
menge ift. Im den Dörfern der Karelen find Kirchen, und
wo feine ift, ift eine Capelle. Hiſtoriſch ftebt feit, daß fie
bereits feit 700 Jahren das Ehriftentbum angenommen baben.
Trogdem haben fie für die Monate keine Bezeichnung. , Sie
nennen die Feiertage nicht nach den heiligen Ereigniffen oder
nad) den Namen der Heiligen, fondern nach irgend einer
wirtbichaftlichen Eigentbiimlichfeit. Während des einen Feier:
tages muß man Eier und Käje im die Kirche bringen, wäh:
368
rend des andern eine Meblipeife aus Roggenmehl, während
eines dritten wiederum müſſen die Pferde vor die Kirche
getrieben werden u. ſ. w. An den Sauptfeiertagen fommen
die Karelen in die Kirche oder Gapelle, „itellen dem Feier—
tage, deſſen Benennung fie nicht fenmen, ein Lichtlein* (db. b.
fie opfern ein Wachslicht von der Länge und Dide eines
Bleiitiftes, das angezündet und am einen Leuchter aellebt
wird) und verlaffen fie bierauf fofort, ohne dem Wottesdienite
beizuwohnen, um fich in der freien Luft, in der Nähe der
Kirche oder Capelle mit dem Kochen von Schöpienfleifch und
dem Verzehren deſſelben zu befallen. Die Knochen werden
immer übers Dach geworfen. Nach der grobfinnlichen Auf:
faffung der Karelen „dient man dem freiertage* durch Kochen
und Ehen bejier als durch Betheiligung am Gebete während
des Gottesdienſtes. Es ericheint wahrhaft unglaublich, daß
während eines fo langen Zeitraumes, während deſſen die
Karelen bekehrt find, nichts für die religiöſe and ökonomiſche
Entwickelung dieſes guten und wenig zahlreichen Vollsſtam—
mes geſchehen iſt ). Man kann nicht jagen, daß die Frage,
die Kunſt des Schreibens und Leſens bei ihnen einzuführen,
nicht erhoben worden jei; aber die Bemühnngen batten eine
falſche Nichtung. Man beganı damit, die liturgiſchen Bücher
in Fareliicher Sprache zu druden; trobdem wollten und wol:
Ten noch jetzt die finniſchen Karelen von diefer Ueberſetzung
nichts wiffen. Diejenigen, welche leſen können, fanfen eine
finniſche Ausgabe. Später, vor ungefähr zehn Jabren, wurde
ein Farelifcheruffiiches Gebetbuch, mach der Ueberſetzung des
Herren Tichonow, hberansgegeben. Bei den Karelen Schul;
bildung in ihrer Sprache einführen und verbreiten zu wollen,
iſt unbedingt Fruchtloje Bemübung. Es wäre binreichend, die
Aufmerkiamfeit, wenn auch nur auf den Landftrich zu len—
fen, welcher ſich zwiſchen den Flüſſen Swir und Kondalakſä
hinzieht, am ruſſiſche induſtrielle Auſiedelungen grenzt und
von Karelen bewohnt iſt. Den Bedingungen des Bodens
und Klimas entiprechend, hat ſich in diefer Gegend eine In—
duſtrie entrwidelt, welche den ärmlichen Aderbau unterſtützt.
Die Bevöllerung dieſes Landftriches lann man in drei Claf:
fen tbeilen: in die Claſſe der Induftriellen, welche ſehr wohl:
habend it: in die der Aderbauer und in cine gemiſchte,
welche beide arm find. Won diefer Bevölferung verjtchen 35
Procent in Folge der Handelsverbindungen, welche mit den
Rufen amterbalten werden, die ruſſiſche Sprache und Fünnen
Ruffiich leſen. Andere 35 Procent, welche die ſehr armen
Karelen des nördlichen Theils des Gonvernements (bes Krei⸗—
fes Kemsk und Powjeney) bewohnen, fommen, um zu jagen,
im die angrenzenden von Rufen bewohnten Gonvernements,
wo fte fich ohne Weiteres ganz gut mit der ruſſiſchen Sprache
vertraut machen. Es bleiben ſonach noch gegen 30 Brocent
Karelen, welche auch halbwegs kurze in ruſſiſcher Sprache
verfaßte Gebete mechaniſch lefen können, Auch unter diejen
findet ſich nicht nur fein einziger Burſche, fondern auch fein
einziges Mädchen, welche nicht gegen zehn ruſſiſche Lieder, weun
*, Wer die rufſiſchen Popen, befonbers die, welde in bie nörd⸗
lichen Gegenten des Landes geſendet werden, kennt, ber wirb nicht
erflaunen, dab fie während vieler hundert Jabre nichts zur Bildung
der armen Karelen beigetragen baben, im Gegentheil wird er ſich
wundern, baf das Volk durch fie nicht demoraliſirt worten iſt. Uns
wiflentere Hlaubensverfünter ala tie alten Poyen find fintet man
höchſtens in Mordafien; «8 find biefes bie Schamanen. Uebrigene
beweiſt obige Gorrefponteng, daß nicht ber chriftliche Glaube allein
Nölfer cieilifirt, ſondern menfhlibe Bildung fie auf eine böbere
Stufe erbebt. A. K.
Aus allen Erdtheilen.
auch mit Radebrechung einiger Worte, andwendig wühten.
Selbſt wenn ſich die Harelen mit einander in ihrem Fdiome
unterhalten, bört man genen OH Procent ruſſiſcher Ausdrücke,
die nur durch den kareliſchen Accent unverständlich werben.
Hierzu fommt noch, daß ſich im der bezeichneten Gegend von
Jahr zu Jahr die Induſtrie (Eifen: und Holzinduftrie) mehr
bebt, was noch mehr zur Verbreitung der ruſſiſchen Sprache
und Schulbildung beiträgt. Die Karelen find alle nüchtern,
arbeitfam und lernbegierig und deshalb würde die Grün—
dung von Schulen allein binreichen, um aus dem Karelen
einen Ruſſen zu machen.“
* * *
— Durch die Zeitungen lief vor Kurzem die Nachricht,
daß Oberftlientenant Sosnowsfi (vergl. ©. 272) jhom von
feiner wiſſenſchaftlichen und commercicllen Reiſe durch China
beim Saiſan-Poſten im Semipalatinsfer Kreiſe wieder ein:
getroffen fei. Das ift falſch; denn wicht er ſelbſt, ſondern
nur ein bon ihm mit Briefen abgelandter Kofatenunteroffizier,
Namens Barlow, ift auf rufftichem Gebiete angelangt. Der:
jelbe wurde in Lan-tichau-fu, der Hauptſtadt der Provinz
Kann und Centrum des Nbabarberbandels, erpedirt und
fegte ganz allein den Weg über Chami, Barkul und Kutichen,
eine Strede von über 300 deutichen Meilen, in 50 Tagen
zurid. Diefe Kühnheit ift um jo bewundernswertber, als
die Gebiete, durch welche die Straße führt, erft kürzlich von
den rebelliichen Dunganen geſäubert und jegt mit dem nicht
um ein Haar befferen kaiſerlichen Truppen erfüllt find, Doch
fand er bei den Behörden überall die beite Aufnahme. Be:
fonders zeichnete ſich darin General Tio-tiung-tan aus, der
mit fonveränen Rechten ausgeitattete Gouverneur von Kai:
fü, Diungarien und Oftturkeftan (fo weit es noch chineſiſch
if), Nach menschlichen Ermeſſen ſcheint demnach Sosnows-
ki's weitere Reife, derentwegen ſchwere Bedenken obwalteten,
gefichert zu fein. Er ift dann der erſte Europäer, welcer
uns über das Dftende des Tian-Ichan (Bimmelsgebirge) be:
richten wird.
— Die Lorbeeren, weldye der „Newport Herald“ anf geo—
arapbifchem Gebiete durch feine Expeditionen in die arktiſchen
Gewäſſer und nach Annerafeifa erntet, laſſen andere ameri-
faniiche Zeitungen nicht ruben. So zeigt ein Blatt an:
Okefenokee. Dieſes große „unbefannte Land“, beitchend
aus Sümpfen, Inſeln, Seen, Flüſſen, die Heimath der Bären,
Hiriche und Alligatoren, der berühmte Zufluchtsort der Semi:
nolen und die Onelle des Suwannee, des berühmten Stro—
mes des Geſanges, wird nüchſtens durch eine mehrmonatliche
theure Erpedition auf Koſten der „Eonftitution" in Atlanta
(Georgia) erforicht werden, mit reichen Reſultaten in Wiſſen—
ſchaft, Poeſie und Abenteuern. Diefes Blatt, monatlich fo
und jo viel Dollars .... jollte in feiner Familie der Ver
einigten Staaten feblen* :c, sc. Uns foll es Wunder neh:
men, ob und welche wiſſenſchaftliche Nefultate die Expedition
aus dem großen, 50 dentjche Meilen von Atlanta entfernten
Sumpfe auf der Örenze von Georgia und Florida mit beim
bringen wird.
— Eine Compagnie von Capitaliften in Melbourne bat
eine öftlich von Champion Bay unter 25°30 Br. gelegene
Anfelgruppe von der weitanitraliichen Regierung in Pacht
genommen, am dort Filchereion und andere Jnduftriesweige
mi Kulis zu betreiben.
Republiken Ameritas. — Die Karelen des Gouvernements Olonez. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 20, No:
vember 1875.)
Medarteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftrafe 13, IN Tr.
Drud.und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig.
Hierzu eine Literarifche Beilage von Ferdinand Hirt und Sohn in Leipzig.
Band XXVIN. | F
r Inthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künſtlern herausgegeben von
Dr. Rihard Kiepert.
Braunſchweig
Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Rummern.
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Pf.
1875.
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%. Garnier's Schilderungen aus Yünnan,
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Auf dem kurzen Wege mad) Long-fi, dem Sige des apo-
ftofifhen Vicars von innan, bewunderten Garnier und
feine Begleiter die vericjiedenartigften romantischen Yand-
Ichaftsfcenerien. Bon den KHaltwänden des Thales ftürzten
ſich zahlreiche Bäche herab und zerftiebten, ehe fie den Boden
erreichten; ftufenweife bauten ſich Feine Hochflächen iiber
einander auf, mit reichen Saaten und lachenden Dörfern
bedecdt. Plöglich endete das Thal mit einer Felswand von
über 100 Meter Höhe, Über welche ein Waflerfall herab-
rauſchte. Im Zickzack ging es fteil bergauf, und oben ange
langt fahen fie mit Freude die franzöſiſche Fahne von dem
Haufe des Biſchofs Ponſot, ihnen zu Ehren, herabwehen.
Freudenfchüffe begrüßten ihr Nahen und brachten ihre Pferde
in Galopp. Wenige Augenblide fpäter jchüttelten fie dem
ehrwürdigen Prälaten, welcher Frankreich noch unter der
Regierung Karl's X. verlajien hatte, die Hand.
Diefe katholiſche Niederlaffung hat, ſowohl was Sidyer:
heit als Berbindungsiwege anlangt, eine günftige Yage und
ift von ſtarlen Ballifaden umgeben, welche im Vereine mit
der Energie und ben europäischen Waffen der Inſaſſen noch
alle Räuberbanden diefer fo ftart von denfelben heimgeſuch⸗
ten Gegend fernhielten. Auch gegen die zahlreichen Bären
und Leoparden der umliegenden Berge find fie von Nugen.
Einige Kilometer öftli von Long-tizliegt auf dem Oft
abfalle einer Hügelreihe und hoch über dem Flußbette des
Hwang-fiang das Seminar und die Schule der Miffion,
welche ziemlich ftart befucht werden, Dort üben ſich die
jungen Priefter, welche von Frankreich aus zur Verftärtung
Globus XXVIII. Nr. 24.
ber Zahl der Miffionäre nachgefandt werden, einige Zeit
lang in dem fo ſchwierigen Gebrauche der hinefifchen Sprache.
Die Dienfte, welche fie der Givilifation dort leiften, follen
ganz achtbare fein; aber Garnier fann doch nicht umhin,
ihnen etwas mehr Energie und Aufmunterung von Daheim
zu wünſchen, damit fie auch der Wiſſenſchaft einige Aufr
merkfamkeit widmen möchten. Und diefer Wunſch iſt voll-
lommen berechtigt; denn jene Priefter figen feit zwei Jahr:
hunderten inmitten einer vollftändigen terra incognita, ohne
bisher auch nur den geringften Anfang gemacht zu haben,
das Dunkel, das über ihrer jegigen Heimath noch ruht, aud)
nur ein wenig zu erhellen,
Wenn der Präfident des diesjährigen internationalen
geographifchen Congreſſes zu Paris, da Nonciöresler
Noury, im feiner Eröffnungsrede dem Miffionär ald einem
ber regften Förderer des geographifchen Wiffens neben dem
Seemann umd dem Gelehrten einen bejondern Plag ein-
räumte und ihn einen Pionier, einen der tapferften Solda-
ten der Civilifation nannte, fo gebührt dem Herren in Pong:fi
— nichts von dieſem obendrein mehr als anfechtbaren
obe
In jener Schulanſtalt, Tſcheng-fong-ſchang genannt, er⸗
hielt Garnier von den Miffionären einen ganz jungen, fürz«
lid; in einer Höhle gefangenen Bären, im welchem ber
befannte Zoologe Abbe David einen Ursus Tibetanus
erfaunte. Derfelbe wurde von den Annamiten der Expedi—
tion jubelnd willlommen geheißen und mit Zärtlichkeiten
überhäuft,. Durch feine Gemanbtfeit und Klugheit unter:
47
F. Sarnier’s Schilderungen aus Nünnan.
rem
Befeſtigte Wohnung des Biſchofs von ünnan zu Long-Fi.
TR
F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan. 371
hielt er die Gefellfchaft während der weitern Reife, erlag
aber in Suez der großen, langandauernden Hige während
der Fahrt durch das Rothe Meer, Insgefammt giebt es
drei verfchiedene Bärenarten in jenen Gebirgen, welche die
Shinefen Chenuhiong, Pau-hiong und Ten-hiong nennen.
Pegtere Art, deren Namen der „Menſch-Bär“ bedeutet, ift
die gefährlichfte; von ihr werden eine Menge der abenteuer:
lichſten Geſchichten erzählt. Der Ten-biong, heißt es,
katın den Gang und die Stimme eines Menſchen nachahmen
und lodt dadurch Wanderer, welche jeinen freundlichen Wors
ten vertrauen, in feine Behanfitng, wo er ihnen ben Garaus
2
m 25. April verließ Garnier mit feinen Begleitern
welcher hier die Grenze zwifchen Ylinnan und Sy' tſchwan
bildet, hinab, wo ihm die Barke erwartete und in 11/, Stuns
ben nach Sing-tang hinabführte. Dort machen Strom«
fchnellen ein Umladen nöthig und haben, eine Bevöllerung
von Laflträgern und Schiffen im Gefolge. ine halbe
Stunde weiter ftromab unterbrad; bie 27/, Kilometer lange
„Stromſchnelle der neun Drachen“ (Kiu-long-tang) wicher«
wm, num aber zum letzten Male, die Fahrt. Am folgenden
Morgen tiefen fie glüdlih im den Mang-tfesfiang ein
und landeten nad) weiteren 3°/, Stunden in Su-tſchau-fu,
welches am Einfluſſe des großen von Tſching⸗tu-fu, Sz'⸗
tſchwans Hauptftabt, herabfommenden Mingstiang liegt und
etwa 150,000 Einwohner zählt. Durch ihre Lage fteht fie
Tſcheng · fong⸗ ſchang und ftieg zum nahen Bwangsfiang, | fowohl mit Nünnan als mit Sy'-tſchwan in dem regflen
Schulgebäude der Miffioen in Münnan zum Ticheng-fong-fhang.
Handelöverfehr, welcher natürlich damals durch den moham-
medanifCen Aufftand ftark gelitten hatte. Der Stillftand
des Bergwerlsbetriebes in Yunnan hatte den Preis bes
Kupfers auf das Doppelte gefteigert, fo daß jet 100 djine-
ſiſche Pfund 18, anftatt wie früher 8 bie 9 Taëel fofteten.
Ebenſo war das Opium von Minnan im Preife geftiegen,
während ber Anbau diefes Giftes obendrein den viel nüg:
lichern des Reiches gefcmälert und auch den Werth biejes
legtern Artikels in die Höhe getrieben hatte.
Trogbem herrſchte aber ein reges Leben und Treiben in
der Stabt, wo gerade eine Menge Offizierdafpiranten zum
Eramen verfammelt waren, welche an den eben angelangten
Barbaren ihr Müthchen zu fühlen fuchten. Solchen Mäns
nern, bie eine fo weite Reife ungefährdet zurüdgelegt hatten
und bis zu dem geflicchteten Eultan in Tarlı vorgebrungen
waren, ihre Verachtung beweifen zu fönnen, das machte das
Herz der jungen Krieger höher ſchwellen. Die VBehörben
hatten fo etwas wohl vorausgejehen und ben Franzoſen einert
grimmigen Thlixhiter beigegeben. Trotzdem verſchaffte fich
einer der Fuühnriche unter irgend einem Vorwande Zutritt
zu der Pagode, melde den fremden als Wohnung diente,
drang in denjenigen Theil, wo Garnier arbeitete, und gab
ſich die größte Mühe, vor den Augen einiger Diener und
chineſiſchen Soldaten, alle Regeln dyinefifchen Anftands mit
Füßen zu treten, um dem Barbaren feine Geringihägung
zu erfennen zu geben. Der aber forderte ihn höflich auf,
fid) davon zu machen: ein höhniſches Lachen war feine Ant
wort, Und als ihn Garnier zur Thür hinausbugfiren
wollte, griff er ihn an. Da aber fprangen zwei von Gar«
nier's Unnamiten hinzu und padten ihn bei der Kehle.
47*
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Stanlen’s
Er ſchäumte vor Wuth, ſtieß tauſend Drohungen aus un
bat ſchließlich um Gnade. Aber Garnier ließ, raſch ent-
ſchloſſen, die Beleidigung ſelbſt zu —5* einige Zuſchauer
eintreten, vor ihren Augen dem Miſſethäter ein Dutzend
kräftiger Ruthenhiebe hinten aufzählen und ihn alabann zum
Tempel hinausbeförbern.
Das machte matitrlich großes Auffehen, und während
bie gie Leute die Beitrafung ſehr milde fanden,
ſchwuren bie Cameraden des Gezuchtigten Rache: drohende
Anfprahen wurden an die Mauern geheftet, worin alle
mutigen Leute aufgefordert wurden, das Ihrige zu thum,
damit die übermüthigen remben nicht lebendig aus ber
Stadt herausfämen. Die Stabtbehörben ließen es dabei ganz
an der Zuvorfommenheit und Hulfsbereitſchaft, welche dies
jenigen in Yilnnan ausgezeichnet hatte, fehlen, jo daß bie
Franzoſen nur auf ihre eigene Kraft angewiefen waren.
Der Angriff ließ nicht lange auf fic warten: als fie fi
am 5. Mai eben mit ben in ber Stabt anwefenden französ
ſiſchen Miffionären zu einem Abſchiedseſſen niedergefegt
hatten, ftürmte ein Vollshaufen heran, pochte an bie Thore
des Tempels und verlangte nach Ngan-ta:yen (Garnier),
an weldyen foeben eine Botſchaft aus Yilnnan angelangt fei.
Unerſchrocken ließ diefer einen der Thorflügel öffnen, trat
hinaus und verurfachte durch feine Frage, wo benn der Bote
fei, ein momentanes Stillſchweigen. Gleich darauf aber
ftürgten ſich 4 ober 5 mit Langen, Stöden, ja jelbft Sitz⸗
bänfen bewaffnete Kerle auf ihn; aber ebenfo raſch wurden
neben ihm einige Bajonnette feiner treuen Annamiten jicht:
bar, bei deren Unblid die Angreifer fofort Kehrt machten.
Aber die Unnamiten fegten hinter ihnen her und ruhten nicht
eher, als bis auch der legte Mann des BVolfshaufens von
der num todtenftillen Straße verjagt war.
Garnier miethete num zwei Diehunfen , eine für die
Offiziere, die andere flir die Mannſchaft und nahm, nachdem
am 8. Mai De Yagree’s Sarg angefommen und an Bord
ebracht worben war, von den Miffionären, namentlich von
—— Reiſegefährten, Pater Leguilcher, den herzlichſten Ab-
ſchied. Von Shetſchau⸗fu an befand er ſich auf befanntem
Gebiete ; big dorthin hatten fchon die Engländer unter Blafi-
fton den Blauen Strom erforfdjt und aufgenommen, Hier
endete alſo bie eigentliche Forſchungsreiſe der muthigen
Franzoſen; Plagen und Mühen hatten ein Ende, und ruhig
und gemäclic, konnten fie fid) von dem Fluſſe bis nad)
Schanghai hinabtragen laſſen, vorliber bei der endlofen Reihe
volfreiher Städte, Fleden und Dörfer, vorüber bei den
zahlreichen Schiffen, welche von fingenden Menſchen den zu
jener Jahreszeit wallerarmen Strom hinaufgezogen wurden.
Unterhalb Sitihau fahen fie zahlreiche Höhlen im
Kalte der Thalwände, welche einft den hier haufenden Mans
tie zu Vegräbnißftätten gebient haben. Ohne Unfall er-
reichten fie Tſchung— fing-fu, ben Mittelpunkt des Han
dels in Sy’tjchman mit einer Einwohnerzahl von 300,000,
oria Nihanza. 373
© fie wiederum von ber Meuge bedro
Sarg des Commandanten De Yagre
Died war um fo beleidigender, als ft
den Todten eine große Achtung an deu Tag ae }
Aber auch Hier griff Garnier fo energiſch ein, rg der eins
gefhüchterte Vollshaufen alsbald von weiteren Demonſtra—
tionen abließ. Der Reichthum diejer günftig gelegenen
Stadt ift fprüchwörtlich; derfelbe lönnte fi) aber, ebenſo
wie ihre Bevölferung, nach Garnier's Anficht vergehnfac
fobald die —— und phyſiſchen Hinderniſſe fg
dem, welche jetzt noch der Ausdehnung bes Di
tehre bis Hierher im Wege ftehen. Denn der
hat zwar unterhalb Tihungsfing-fu Stronfd
Engen, welche der Schifffahrt läftig fallen, abe
nicht deratz find, daß fie den bdirecten Werte
Meerestüfte bis faft au die Grenzen Tibets
machten. 9*
Einen Theil ber bedeutendſten und längften bie
gen ftellt unfer Bild dar; fie liegt werig unterhalb Ste
tihausfu und wurde vom 23. bis 25. Mai — *
Mächtige Felſen von Granit oder Baſalt engen den Strom
von beiden Seiten ein, fo baß feine Breite weniger als
100 Meter beträgt und feine Tiefe bedeutend wächſt. Seine
Geſchwindigleit ift gering; die Treidelpfade an beiden Ufern
hören wegen ber Steilheit derjelben auf. Aber faft beftän«
dig wehende Oftwinde erfegten zu jener Jahrezeit die Men«
fchenkraft und trieben die Dſchunken den Strom hinauf.
Bald fpiegelt dad ruhige Wafler die metalifch glänzenden
Felſen wieder; bald fchäumen die Wogen wild auf und bre-
hen ſich an plöglic auftaudenden Klippen. Mitunter
frönen zierliche Ihürmmchen die fpigen Kaltfelfen, ober es
beleben von Bäumen beſchattete Pagoden die milde, öde Yand-
ſchaft. Ab und zu fallen heftige Bindflähe von den Felſen
aufs Wafler und zwingen die Dihunfen vor Anfer zu gehen.
Denn die Strömung ift zu ſchwach, um gegen conträren
Wind vorwärts zu helfen.
Am Abend des 25. Mai erreichten fie den Beginn der
großen Ebene von Jetſchang, nachdem fie ein ganzes Jahr
in den Bergen zugebracht hatten, Yet wurbe ber Fluß jo
breit, baß fie jelbft dem widrigen Wind zum Segeln bemugen
konnten. Ohne Aufenthalt ging es ftromab, bis am 5. Juni
der Anker vor Han-kau fiel, demjenigen Orte, bis zu wel:
dem die Schifffahrt auf dem Pangstfe freigegeben iſt.
Hier empfing fie der franzöfifche Conful mit offenen Armen.
Obgleich noch mitten in China befindlich, hatten fie doch
nun europäische Bequemlichkeit und europäisches Weſen um
ſich; hier begann die Freude Über die glückliche Rucklehr,
die Begrüßungen feiten® der Landéleute. Ein Heiner, flinfer
Dampfer nahm die Erpedition auf und bradjte fie im zwei
Tagen nah Schanghai. Um 29. Juni 1868 langte fie
in Saigon, weldes fie am 6. Juni 1866 verlaffen hatte,
wieder an.
Stanley’s Erforfhung des Victoria Niyanza.
(Na feinen Briefen im „Daily Telegraph“ vom 15. und 18. October und 15. November 1875.)
Mit einer Karte.
Von Henry M. Stanley, der befanntlic im Auftrage
des Yondoner „Daily Telegraph“ und des „Neroyort Herald“
in Gentralafrifa reift, liegen drei Briefe vom Wictoria-
Niyanza-See (wie er deufelben nad) der Ausſprache der Eins
Stantey's Erfügie
Faber im Gegenſatze zu Spele's „Nyanza*
März, 12. bis 14. April und 15. Mai
ih vor. Das Edjidjal biejer Briefe ift ein
ir em zwei derfelben von einem ſchwarzen
uf awabili« Händ ler mit einer Elfenbeinfarawane vom See
durch die gefährliche Wildniß nach Zanzibar befördert wur⸗
den, während der Oberſt Erneft Yinant de Bellefonde
von Sordon’s ägyptifchem Erpebitionscorps, den Stanley
anza traf, den dritten übernahm. Auf dem Ruckwege
Fr jedod) von den Bari (?) überfallen und mit 36 Ber
enmordet, und die zerriffenen und blutbeflekten Pa—
EDidicht geworfen, wo fie erft fpäter von einen
Sordon'$ zufällig gefunden wurden, Als Haupts
Forſchungen Stanley's zeigt fid), daß der Niyanza
Höhe von 3808 Fuß gegen Spefe's Angabe von
E), deiien Ufer er, mit Ausnahme der Südweſtecke, in
t — Boote befuhr und genau aufnahm, nicht,
Öingftone nach den Ausſagen Eingeborener berichtete,
® fünf Seen beſteht, ſondern daß Speke's Behauptung,
nad) welcher er ein einziges großes Waſſerbeclen bilde, bie
allein richtige fei. ferner entdedte Stanley den gegen 350
engliſche Meilen langen Shimeeyur (Schimiju) Fluß, ber,
unter 5°13° S. entipringend, als größter Zufluß des
Niyanza ſomit die füdlichfte befaunte Hauptquelle des Nils
bildet.
Der erfieBrieffchildert Stanley’ Marfd) von Mpwapwa
in Uſagara, unter 6'/,° ſuüdl. Br. und 36'/,% öſtl. L. v. Gr,
bis wohin die letzten Nachrichten über ihn reichten (ſ. „Glo-
bus® XXVII, ©. 192), nad) dem Niyanza. Mit feinen
drei europäifchen Vegleitern und mehreren hundert Negern,
von denen die Wanguana (Freie von Zanzibar) militärisch
organijirt waren, während die Pagazis (Träger) die Yaften,
darunter das and einander genommene Boot und viele Tauſch⸗
artifel, trugen, drang er unter vielen Neibereien mit den Ein-
geborenen durch Nord-Ugogo vor. Heftige Kegenftitrnte
machten die Wege unpaffirbar, fo daß viele feiner Yeute aus
Krankheit und Ermattung zuriidbleiben mußten. Als er am
letzten Tage des Jahres 1874 die Weftgrenze von Ugogo
erreicht hatte, verlieh er nad) zweitägiger Raſt den alten Weg
nad) Unganyenbe, welchen er jchon 1871 und 1872 zurüd-
gelegt hatte, und fegte den Marjch auf gänzlich unbekannten
Pfaden Über ein faſt ebenes, bewaldetes ‘Plateau nach Norden
fort. Er fand, daß daffelbe ſich 300 engl. Meilen lang
von Muanzır bis zum Niyanza erſtreckt und die Landſchaften
Uyanzi, Unmyanyembe, Uſuluma, Urimi und Iramba und
fomit den ganzen Theil Ceutralafrikas zwischen dem Rufidſchi—
Thal im Süden und dem Niyanza im Norden umfaßt; die
Höhe deſſelben wechjelt zwilchen 3800 Fuß im Oſten bis zu
A500 Fuß im Welten, und an feiner Stelle ergaben die
Aneroiden eine größere Elevation ald 5100 Fuß über dem
Meere. Die Oberfläche diefes Plateaus ift von den fitnfs
monatlichen tropiſchen Regengüſſen tief zerriſſen und zer
Flüftet, der dlinne, mit lofem Sand vermiſchte Alluvialboden
ift fajt ganz fortgefchmenm, fo daß liberall der harte Stein«
boden von Granit, Gneis⸗ und Porphyrfragmenten am der
Oberfläche erfcheint,
Am dritten Tage bdefertirten ſämmtliche gemietheten Wa
gogo⸗Flihrer, der ſchmale Pfad verſchwand unter einem Ya:
byrinth von Glephantene und hinocerosfährten, und nur
mit Hilfe des Gompajles drang die Expedition mühfan
durch ein Dieicht von Alazien und Kiefeneuphorbien vor-
wärts, Waſſer und Yebensmittel gingen aus und am finfe
ten Tage mußte fchlechterdings vor Erſchöpfung Halt ges
macht umd zwanzig der ſtärlſten Leute mach dem 29 engl.
Meilen nordweitlich gelegenen Sung voransgefcidt werben,
um Nahrung zu kaufen. Auch die Jagd war fruchtlos; nur
oria Niyanza,
| zwei junge Löwen wurden gefunden, Als letztes Mittel
| Seite Stanley einen eifernen Koffer mit Waffer übers feuer,
und nahm aus den medicinifchen Borräthen flinf Pfund
Hafergrüige und drei Vlechblichlen Nevalenta Arabica, mwors
aus er einen Brei fochte, mit dem iiber 220 Mann geflittert
wurden. Nach 48 Stunden fehrten feine Boten von Suna
mit Getreide zurlick und an bdemfelben Abend wurde bie
Grenze des Dſchungels erreicht, in dem acht Mann ihr Ende
gefunden hatten.
Am nächften Tage erreichte die Expedition felbft bie Land⸗
ſchaft Suna in Urimi, nad) einem heißen Marfche über
eine breite Ebene, Die dortigen Eingeborenen zeichneten
ſich durdy männliche Schönheit, edle Proportionen und —
gänzliche Nadtheit aus; nur die Weiber, welche Kinder trur
gen, hatten Ziegenfelle um. Dagegen waren alle fehr arg«
wöhnifd und taufchten nur wiberwillig ihre Vebensmittel
egen Tuche und Perlen ein. So erſchöpft waren Stanley’s
eute, daß meitere ſechs Hier ftarben, und Ruhr, Diarrhbe,
Bruſt- und Fußfranfheiten fich bei den Uebrigen einftellten.
Zrogbem durfte, der zweideutigen Haltung der Eingeborenen
wegen, bloß vier Tage geraftet werden; aber nur dadurch,
daß fämmtliche Soldaten Yaften zu tragen übernahmen,
konnte der Marſch durch dag offene und wohlbebaute Urimi
fortgefegt werden. Am 17. Januar wurde Chiwyu (Tichimju)
erreicht und hier farb der junge Engländer Edward Po—
cod, ber ſchon feit Suna in der Hängematte getragen wer:
den mußte, am Typhus. Die beiden mitgenonmenen Pebo-
meter zeigten die vierhundertfte Meile feit Berlafjen der Küifte
an; Stanley befand ſich jegt am Fuße der Wallerfcheide,
von ber ſämmtliche Bäche norb- und norbweftwärts ın den
Niyanza, das große Baſſin des Weißen Nile, fließen, Nod
zwei Tage führte der Marſch durch Urimi; bei Mangara
wurde Kaif Halle, ein alter Begleiter Stanley's auf der
Suche nad) Yivingitone, von den Warımi abgejchnitten und
in Stüde gehauen; es war dies bie erfte feindliche That der
Eingeborenen.
Um 21. Januar erreichte die Erpebition den Bezirk
Ituru in Nord:lleimi und campirte bei dem Dorfe Tin
yata, in einem breiten Thale gelegen, mit 2000 bis 3000
Einwohnern, durd) das der Leewumbu (Liwumbu) weftwärts
fließt, welcher ſämmtliche Heine Ströme vom Süden aufnimmt,
fo daß er felbft im der trodenen Zeit gegen 20 Fuß breit
bleibt. Die Eingeborenen bradjten Milch, Eier und Hühner,
der die Stelle eines Königs vertretende Zauberboctor ſogar
einen fetten Ochſen, woflir Stanley fie doppelt mit Zeugen
und Perlen bezahlte, dabei aber mit Argwohn bemerkte, daß
fie feine in der Sonne zum Trodnen geöffneten Waaren:
ballen mit Begierde betrachteten. Am dritten Tage waren
alle feine Yeute bei ihren verfchiedenen Beſchäftigungen zer»
ftreut, als plöglid) aus den 200 Weilern und Dörfern des
Leewumbu- Thales der Kriegsruf der Waturu: „Hehu,
A Hehu!* (die letzten Silben langgedehnt) Jaut und durch⸗
dringend ertönte. Das von nur dunnem Buſchwerfgehege um:
gebene Lager lag zum Glück auf 50 bis 60 Yarde weit
offenem Terrain; nach Weften erftredte ſich meilenweit eine
breite Wildniß, nad) Norden, Uften und Ziiden war das
ganze Yand von Dörfern und bebauten Feldern mit ba:
zwiſchenliegendem Bujchwert bededt. In kurzer Zeit war
das Yager von unzähligen Waturu-Kriegern in vollem Kriegs-
Heide umringt, mit Bogen, Pfeilen und Speeren bewaffnet,
auf den Köpfen Federn, Zebra⸗ und Öiraffenmähnen. Wäh-
rend Etanlıy feine Begleiter fammelte, Munition austheilte
und durch einen Dolmeticher erfolglos mit den Wilden unter:
handeln lieh, erſchien einer feiner Yente ſchwer verwundet im
Yager und berichtete, daß fein Begleiter, mit dem zufanımen
er Holz im Buſche gefucht hatte, von einem Dutzend Speere
Stanley's Erforih
durchbohrt fei. Zu gleicher Zeit drangen die Waturu vor
und jandten einen Pfeilregen im das Yager, worauf augen:
bliclich 6O mit Snider-Öewehren bewaffnete Wanguanas
Soldaten ald Tivailleurs vorgingen und mit der erjten Salve
die Wilden in die Flucht jagten, während Stanley ſchleunigſt
eine hohe Dornenhede um das Yager und aus den Theilen
des Booted eine fette Zufluchtöftätte bauen ließ. Auf fein
Hornſignal fehrten die Tirailleurs von der Verfolgung zurlid,
nachden fie ben Feinden einen Berluſt von 15 Zodten und
vielen Berwundeten zugefügt. Am folgenden Morgen jedoch
erfchienen die Waturu wieber im verftärkter Anzahl, worauf
Stanley vier Abtheilungen unter erprobten Führern in ver:
ſchicdenen Richtungen durch das Thal fandte mit dem Befehl,
alles Vieh zu nehmen und ſämmtliche Dörfer in Brand zu
fieden. Bald verkinderen Rauchwollen in drei Himmels:
gegenden bid auf acht Meilen Entfernung den Erfolg diefer
Tattit, während die Waturu ic) überall zurlüidjogen. Doch
follte der Sieg nicht billig exrfauft werden, denn eine der
Abtheilungen, die fich zu weit von den anderen entfernt hatte,
wurde von den Wilden umzingelt, und bis auf dem mitge-
gebenen Yäufer niedergemacht. Als die Soldaten am Abend,
mit Vieh und Getreide beladen, ins Yager zurlidfchrten, zeigte
die Namensverlefung einen Verluſt von 21 Mann, gegen den
feindlichen ven 35. Auch am dritten Tage wurde die Zer—
ftörung der verrätherifchen Ortfchaften fortgefegt und erſt am
vierten z0g die Erpedition, mit fech&tägigen Provifionen be—
laden, nordweſtwärts aus dem jegt ftilen und vauchenden
Thale ab.
Nach drei Tagen wurde die Landſchaft Jramba erreicht
und zwiſchen Mgongo Tembo und Mombiti trodenen
Fußes die 40 Meilen breite fogenannte YumamberrisEbene
pafjirt, die, 3775 (?) Fuß Über dem Meere und nur wenige
Fuß Über dem Niyanza gelegen, während ber Maſika oder
Regenzeit zweifelsohne einen großen Seitenarm des letztern
bildet. Nach Durchdringung des weſtwärts gelegenen Walr
des und Dicklichts kam Stanley in dem dichtbevöllerten und
viehreichen Ufufuma an, das fid) im einer Reihe wellen-
förmiger Ebenen, von zerklüfteten Hügelfetten durchzogen,
vor ihm auödehnte. San; allmälig führte die Neigung
durch die Diftricte Mombiti, Ufiha, Mondo, Sengerema und
Marya des Reiches Ufukuma zum Niyanza hinunter, und
am 27. Februar diefes Jahres wurde ber See ſelbſt bei dem
Dorje Kagehyi am Sudoſtuſer im dem Diftricte Uchambi
und Ujufuma erreicht. Als Stanley am Tage nach der An:
tunft über feine Leute Mufterung hielt, fand er, daß von
mehr als 300 Mann, mit denen er die Hüfte verlajlen hatte,
nur noch 2 Europäer und 166 Wanguana Soldaten und
Träger vor ihm ftanden, jo daß er in weniger als vier Mo—
naten durch Krankheiten, Ermattung, Hunger, Defertion und
Krieg gegen 150 Afrikaner und einen Europäer, alfo etwa
die Hälfte, verloren hatte. Der Marſch von 720 Meilen,
zu bem bie Araber neun Monate oder ein Jahr gebraucht hät-
ten, wurde in bloß 103 Tagen, mit Einſchluß der Aufent-
halte, vollendet.
Die beiden anderen Briefe enthalten Stanley's Schil-
derung feiner Rundfahrt auf dem Niyanza-See, der erften
eines Europäerd, denn Spele und Grant fahen nur Meine
Theile feines Ufers, Am 8. März verließ er, nur mit den
nöthigften Inftrumenten verfehen, in dem zufammengefetsten
Segelboote „Lady Alice*, mit einer Maunſchaft von elf
auserlefenen Leuten und einem Führer, fein Yager bei Ka—
FRE Victoria Niyanza.
gehyi, das er unter der Aufficht
Am Südufer nad Often entlang fahrende,
in der Südoftede des Sees eine ungeheuere Bay, die er
Speke-Golf benannte. Derfelbe iſt 25 Meilen breit und
gegen 65 Meilen lang und enthält die Mlindung des oben
erwähnten Shimeeyu⸗Fluſſes, des Hauptzufluſſes des Nhauza.
Es iſt dies derſelbe, den Stanley bereits als — in
Bezirk Ituru traf, und der nach einem Laufe von, ie
len in Ulufuma den Namen ——— ‚un noch
weiteren 100 Meilen ſich mit dem Yumaßıbeii
den und dann als Shimeeyu ſich in den Spe
gießen. Stanley giebt ihm eine Gefanmttlär
bis 370 Meilen und hält ihn file den ſüdlicht
des Nil. Die eine Meile breite Mündung Meg
33° 33’ öftll, & und 2035’ ſudl. Br.; weiter o
er ſich bis auf 400 Yarde. Auch der Nuana-f
flach und fumpfig auslaufende Dftende des Spele-Goſſe,
auf deſſen Südufer die Heinen, von unabhängigen Häupt-
lingen regierten Bezirfe Sinna und Magu liegen. Auf
der Oftfeite des Shimechu erftreden ſich die rauhen, dünn—
bevölferten Hligelfetten von Maganza und Manafu,
das Paradies der Elephantenjäger, während an der Mün—
dung des Nuana die finfteren und ſich abichliegenden Bewoh:
ner von Wiregedi und die ſchlanken, mit langen Meſſern
und Speeren bewaflneten Watutwa leben, deren Sprache
ſich von der der Wajila, ihrer Nadybarn in Mangſu, unters
ſcheidet. Auf der Norbfeite des Golfs liegen die Fahlen
Berge und Flächen von Schafchi, von denen nur ſchmale
Streifen am Ufer Gebitfh und Röhricht tragen. Am Weſt-
ende dagegen erhebt ſich die große, an Vieh und Elfenbein
reiche Infel Uferewe, vom Feſtlande durch die enge Rugeſhi—
Straße getrennt. Die Walerewe, unter ihrem Könige
Lufongeh, bewohnen noch mehrere andere Inſeln, bejiten
viele Canoes und find ein unternehmendes und handel
treibendes Boll. Auf der nördlich von Ulerewe gelegenen,
18 Meilen langen Infel Ukara find die Eingeborenen der
Magie und dem Zauberdienjt ergeben. Stanley fuhr nicht
durch die Rugeſhi-⸗Straße, fondern umfegelte Ukerewe und
näherte ſich wieder dem Feſtlande bei dem 3000 Fuß hohen
Tafelberge Majita, der, auf allen Seiten von niedrigen,
braumen Flächen umgeben, von Spefe irrthümlich Mazita:
Infel benannt wurde. Bon hier an (10 50' fldl.) erftredt
fic) die von tiefen Buchten und Bayen eingeferbte Hüfte des
großen Reiches Ururi bis zu 0°40" fübl. Br. direct mach
Norden. Das im viele Diftricte zerfallene Reich, deren Nar
men Stanley auf feiner Karte angiebt, befteht aus großen,
flachen Ebenen, auf denen zahlreiche Biehherdeu weiden, Uns
ter den vielen in den Ste fallenden Strömen ift der Shirati
ber bedeutendfte.
Nördlich von der tief ins Pand einjchneidenden Kavi«
rondosBan, in die fid) der Gori ergieft, erheben ſich die
über 3000 Fuß hohen Berge des Reiches Ugegeya, des
Eldoradod der Elfenbein: und Stlavenjäger. Die furdt-
ſamen und argwöhnifchen Eingeborenen, die oft von Streif-
zügen ihrer ſüdlichen Nadjbarn, der Waruri, heimgeſucht
werden, erzählten von der wunderbaren Landſchaft Sufa,
15 Tagereijen nach Oſten, wo niedrige Hügel Rauchwollen
und manchmal Feuer ausftogen, Yangjanı fegelte die „Yadı)
Alice* im Schatten des riefigen Goſhi-Berges auf dem
Feſtlande und ber eben fo hohen Ugingo-Inſel zur Linlen
durch die todtenftille, ruhige Straße, die von den Eingebos
renen mit abergläubifcher Furcht betrachtet wird. Weiter
nördlich landete Stanley am zwei Heinen, von üppiger Ve:
getation bededten Bafaltinjeln; auf einer derfelben, davon
Bridge Island benannt, entdedte er eine natürliche Stein
Stanley’s Erforfi
ite und 15 Fuß Höhe, während
Meine Höhle als Aufenthaltsort fir
Nachdem der Aequator paffirt war, wurde
ctoria Riyanza.
unter 34049’ öſtl. L. der öftlichfte Punkt des Niyanza im
der infelreichen und tiefen Nalidimo-Bay erreicht, deren
nadte Bewohner beim Anblid des Bootes entflohen. Bor
b
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Fiſcher diente,
_32 { tl.dlv. —
= Tkunga
— Wwye |
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Utschnuhifge ©
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Der Victoria-Niyanza-See nach Stanley. Maafftab 1 : 2,800,000.
dem ſich hier ergiegenden Ugoweh-Flufſe wurde die „Lady
Alice* von mehreren Flußpferden in die Flucht geichlagen,
———— größere Dorfgruppen als irgendwo anders
fand,
um bei dem Bezirle Mahata, wo Stanley eine dichtere
—* einem verrätheriſchen Angriffe der an Eis
bogen und Stirn mit Meinen Landmuſcheln gejchmidten
Stanley’s Erforfhung des Victoria Niyanza,
Eingeborenen zu entgehen, die mit Speeren, Bogen und
Schleubern bewaffnet am Ufer im Hinterhalt lagen.
Das darauf folgende Baringo zeichnet ſich wieder durch
hohe Hügel, Kegel und Plateaus aus, die nach Often flach
verlaufen. Das ebene, vom Yagama durdhfloffene Unyara
umfaßt die Norboftede des Niyanza, bie, von ben
Infeln C haga und Uſuguru eingejchloffen, einen feparaten
See bildet. Bon den friedlichen Eingeborenen, deren Spradhe
fid) gänzlich von der in Uſukuma, am Südende, unterfcheibet,
erhielt Stanley Lebensmittel und Gemitfe. Jetzt wandte ſich
die „Lady Alice“ weftwärts, um an der Norbfüfte, am den
Ufern des Reiches Ufoga, entlang zu fahren. Auch dieſes
zerfällt im viele Bezirke, zu denen die zahlreichen Infeln am
Ufer gehören, unter denen Uvuma die größte if. In ber
Nähe derfelben wurde das Boot von dreizehn großen Canoes
mit über hundert bewaffneten Sriegern umringt, die unter
denn Vorwande, füße Bataten umtaufchen zu wollen, ſich der
„Lady Alice“ zu bemächtigen fuchten, aber durch Stanley's
große Elephantenbüchfe, die ihmen mehrere Todie und den
Canoes vielen Schaden beibradjte, in die Flucht gejchlagen
wurden. Weiter mweftlich ftellte fich bald eine bemerfbare
Strömung nad) Norden ein und fpäter lief das Boot in ben
breiten, Ujoga von Uganda trennenden Napoleon-Canal,
durch den der Bictoria-Nil, der Ausflug des Niyanza, feinen
Weg nad) Norbweften nimmt. Nah Einnahme aller Segel
ließ Stanley das Boot bis auf eine halbe Meile oberhalb
der ſchon von Spete gefehenen Ripon- Fälle rudern, deren
reißende Stromjchnellen ſich wilbihäumend an den Gneis—
und Hämatitfeljen des Flußbettes brachen. Nach Berlaflen
des Ausfluffes führte die Fahrt weiter nad) Welten an den
unregelmäßigen Ufern des Reiches Uganda entlang, Im
Ukafu landete Stanley und fchidte Boten an den König
Mtefa ab, um ihm die Ankunft eines Europäers zu melden.
Der in diefer Gegend von Spele gejehene Yuajerri- Fluß
(in ber Kiſawahili⸗Sprache wörtlich: „ſtilles Wafler*) hat
feine Eriftenz; doch fand Stanley in ber 12 Meilen breiten
und 8 Meilen langen Murdifon-Bay (nicht Creek) eine
regelmäßige, zwei Stunden lange Fluth und Ebbe während
des Morgens. Nach diefer Bat) wurde die „Fady Alice*
von einer Canoeflotte des Königs geleitet, und am 4. April
flieg Stanley, von 2000 Eingeborenen mit Flintenſalven
und Fahnenſchwentlen begrüßt, bei Uſawara, dem Lager deö
Königs, ans Yand. Satafiro, der Hauptmufungu oder
Beamte von Uganda, führte ihn im fein Quartier und brachte
ihm 16 Ziegen, 10 Ochſen und viele Fruchte und Lebens-
mittel als Geſchenk des Könige.
Am Nacmittage wurde er durch eine SO Fuß breite und
eine halbe Meile lange Straße geführt, die auf beiden Sei⸗—
ten von Trommlern, Pfeifen,» Gomaſchlägern, Fahnen»
trägern und Kriegern, über 3000 an der Zahl, eingefaßt
war. Am Ende berfelben faß der König im Schatten des
Andienzhaufes auf feinem Throne, einem Armſeſſel einheis
mifcher Arbeit, im Halbfreife von einem Hundert feiner gros
Ben Häuptlinge, Kriegsführer, den Söhnen von Provinz-
ftatthaltern und Höflingen umgeben, ſämmtlich in reicher
Fe Tracht, während hinter ihm feine Leibwache von
200 Mann und die königlichen Schild, Speer: und Gewehrs
träger ftanden. Als Stanley ſich näherte, ftand der König
auf, und als beide ſich ſtumm die Hände drlidten, erhob ſich
— betäubender Lärm von Trommeln, Pfeifen und Gewehr⸗
falven.
Mteſa, König von Uganda, Ufoga, Unyoro, Ufui und
Karagwe, einem Reiche von 360 geographifchen Meilen
Fänge und 50 Meilen Breite, mit 2 Mill, Unterthanen,
ift gegen 34 Jahre alt, hoch und ſchlank, aber breitſchulterig,
mit großen Augen und einem angenehmen Geficht voller
Globus XXVIN, Nr. 24.
377
Intelligenz und Milde, mehr einem Araber von Mustat,
als einem Eingeborenen Centralafritas gleih. Seine Ma-
nieren und Geberden find anmuthig, artig und freundlich,
was um fo auffallender ift, als Stanley erſt der vierte Eu:
ropäer war, den er ſah. Spele und Grant fanden ihm im
Iahre 1861 als rohen, eitlen Wilden und Heiden; vor vier
ober fünf Dahren aber ift er mit feiner ganzen Umgebung
zum Islam übergetreten, Mleidet und beträgt ſich arabifch und
bat alle früheren täglichen Blutbäder von Männern und
Weibern und fonftige graufame Strafen abgeſchafft. Stanley
behauptet, ihm einige Dbeen des Chriſtenthums, die zehn
Gebote, Baterunfer u. ſ. w., beigebracht zu haben und fordert
in Mtefa’s Namen mit genauen Inftructionen und den ver—
lodendften Berfprechungen engliſche Miffionäre auf, nad
Uganda, als einem lohnenden Urbeitsfelbe, zu fommen *),
Der König befand fic mit feinem enormen Gefolge feit
vierzehn Tagen in Uſuwara auf der Bogeljagd. Am Tage
nad) Stanley’s Ankunft fand eine große Flottenrevue von
834 Ganoes mit fiber 2500 Kriegern ftatt, die Wettfahrten
und ausgezeichnete Manöver ausführten. Am folgenden Tage
führte der König felbft die flotte die Murdifon-Bay hinauf,
um feinem Gaft feine Geſchicklichteit als Bogeljäger zu zeir
gen; am britten fchofjen bie Truppen nad) der Scheibe und
am vierten marſchirte ber König mit Stanley und allem
Gefolge nad) Ulagalla, der Kibuga oder Hauptftabt feines
Reiches, ab. In der Nähe derfelben erweiterte fich ber Weg
von 20 bis auf 150 Fuß Breite und reichbebautes Land
zeigte fich auf allen Seiten. Die töniglichen Gebäude, hoch
und luftig aus Gras und Rohre gebaut, das Dad; von ftar-
ten Baumſtämmen geftügt und im Innern mit Leinwand
betleidet, Liegen auf einem Hügel, über dem auf hoher Stange
eine große Flagge wehte. Ringsum laufen freisförmig fünf
Reihen Pallifaden mit runden Höfen und eine gegen 200
Fuß breite Straße, von der ſechs oder fieben Wege ftrahlen:
fürmig ausgehen, an denen bie Hütten und Gärten liegen;
die genaue Yage der Stadt ift unter 32°49'45” öſtl. L. und
0° 32’ nördl, Br.
Am vierten Tage nad) Stanley’s Ankunft in Ulagalla
langte ber erwähnte ägyptifche Oberft de Bellefonds an, um
in Gordon's Auftrage einen Handeldvertrag zwiſchen Mteſa
und dem Chedive abzuschließen. Am 17. April verlich Stan-
ley in der „Yaby Alice* vom zehn großen Canoes des Königs
begleitet wieder die Murdifon-Bay und fegte feine Umſchif⸗
fung des Niyanza fort. Bei feinen aftronomifchen Beob-
achtungen fand er, daß Spefe ſich bei faſt allen feinen
Breitenbeftimmungen an der Ugandarslüfte um 14 Meilen
irrt **), An der Weftkitfte, an der er jegt nad; Süden ente
*) Diefer lodenden Aufforkerung wird bie „Ghurb Miſſionarv
Society" um fo cher folgen, ala ibr bereits zu ben Koften biefer
Unternehmung von zwei Anbelannten 3000 refp. 5000 Pf. Et.
jugegangen und von ihr arceptirt worden find.
**) Bergen diefe wie mandhe andere Behauptungen und Angaben
Stanley’s, namentlich gegen die durch Hörenfagen breeinflußten, ers
tlärt ſich Richard Burton (Geographical Magazine, Novembre 1875,
p- 354 und Athenäum Mr. 2509 S. 712) fehr entichieren. Xieuter
nant Gameron hat nämlich eine Anzahl von Spele's Breitenbeftims
mungen an Ort und Stelle geprüft und ben Fehler faft niemals größer
ala eime englifche Meile gefunden. Auch daß Stanlen in 58 Tagen
über 1000 Meilen Seefüfte aufgenommen haben will, erregt ibm
Vebenfen. So weit alfo Spele 1858 und Spele unb Grant 1861
die Süd: und Morblüfte des Sees mittel guter aftronomifcher Beob⸗
achtungen niedergelegt haben, muß fie nach Burton's Anficht auf
unferen Karten in alter unveränterter Form feſtgehalten werten.
Als weiterer Grund zu Zweifeln fommrt binzu, daß die im dem
dritten Briefe (erft am 15. November publicirt) enthaltenen aftıo=
nomlſchen Beſtimmungen Stanley’s häufig mit feiner Karte nicht
flimmen. Trogvem geben wir biefelbe, fe wie fie uns vorliegt, ohne
fie an die früberen Routen und Kartenfliguen eines Speke, Grant,
Baler oder Long angufchliefen und anzupaffen, was mit genügenber
48
378
lang fuhr, erreichte er unter 0016’ nördl. Br. die Mündung
bes bedeutenden Katongo-fsluffes, wo ihn die zehn Canoes
der Waganda verließen, um nad) der 12 Meilen vom Feſt—
lande entfernten Infel Safe, der größten des Sees, hinüber-
zufahren. Acht Meilen weiter ſüdlich fand er den Amionge—
Fluß, aber bei weiten der größte ber Weftfüfte ift der Ka—
gerah, der in Karagwe Kitangule heißt und 40’ fdlic vom
Aequator mlndet. Bis an fein Morbufer reicht Ugunge,
füdlic, fängt Ufongora ar.
An biefem Punkte angelangt fliegen Stanley’s Berichte
plöglic,, denn die Karawane Singoro's, der dieſelben beför-
dern follte, befand ſich bereits unterwegs. Nach einigen nur
angebeuteten jchlimmen Abenteuern, über die und die Namen
auf ber Karte „Schlacht Bucht“ und „Zufluchts -Inſel“
feine nähere Aufklärung geben, jcheint er mit Auslaffung der
Sidweftede des Sees mit feinem Voote quer Über den brei«
ten Niyanza gejegelt und am 5. Mai in fchlechtem Zuſtaude
wieder in feinem Lager bei Kagehyi angelangt zu fein. Hier
fand er, daß Frederick Barker zwölf Tage vorher am
Fieber geftorben war und ihm fomit nur noch ein einziger
Sicherheit etſt geſchehen kann, wenn Stanley’s einzelne Beobachtungss
elemente vorliegen. Nur find nach feinen Berichten der Rartenffigge
einige Namen mehr als fie urfprünglich enthielt, eingefchrieben worden.
Albin Kohn: Die Mongolen.
weißer Begleiter, Francis Pocod, der Bruder des im Chiwyu
begrabenen Edward, blieb, Auch die Erpebition war ber
Auflöfung nahe, denn die Nachricht des Kampfes mit den
Canoes der Wawuma war als Gerücht des völligen Unter
gangs ihres Führers zu ihnen gedrungen.
- Während feiner 5Stägigen Rundfahrt um den See legte
Stanley über 1000 Meilen in der „Lady Alice“ zurüd;
bie größte von ihm gefundene Tiefe ift 275 Fuß, doch Hatte
er noch nicht die Mitte des Sees fondirt; täglich nahm er
er Obfervationen mit bem Seehorigont — zwifchen feinen
ager und Mteſa's Hauptſtadt allein 37 —, mad) welchen
fowie mit den an der Weftfüfte genommenen er die erfte
zuperläffige Karte des Niyanzafees, freilich ohne die Südweſt ⸗
ede, entworfen hat.
Als unmittelbar vor ihm liegende Arbeit giebt er vor
Allem die Vollendung der Seeaufnahme an, um dann, nad)
einem zweiten Beſuche bei Mtefa, direct weſtwärts nach dem
Albert Niyanza zu marfchiren, um uns auch ber diefen und
bann ben Tanganyifa endgültigen Aufſchluß zu geben. Mit
Ungeduld fehen wir dem weiteren Briefen des kühnen Reifen»
ben entgegen und wunſchen von Herzen, daß es ihm vergönnt
fein möge, fein großes Werk zu Ende zu flihren.
Franz Birgham.
Die Mongolen.
Von Albin Kohn.
III.
Im Bezug auf Religion gehört der Mongole dem Bubdhis-
mus an, der feit unvordenllichen Zeiten (wohl von Tibet
aus) zu ihm importirt wurde. Doch herricht neben dem
Yuddhaculte aud) viel Schamaismus, der ja befanntlic, in
Aſien, befonders im Norden, weit verbreitet iſt. Der Buddhis⸗
mus, deſſen höchftes Ideal faule Beſchaulichkeit ift, paßt
ganz zum Grundcharalter bes Mongolen und hat einen furcht»
baren Ascetismus erzeugt, welcher den Nomaden von jebem
Fortſchritte fernhält und ihn anreizt, in nebulöfen und ab ⸗
ftracten Ideen liber die Gottheit und das Leben im Jenſeits
das Ziel des menfchlichen Dafeins zu ſuchen. Diefe Grund»
füge des Buddhismus find von ſchlauen Prieftern als chriſt⸗
liche Sagungen nad; Europa verpflanzt und ihre Auslibung
zu einem Gott wohlgefäligen Thun geftempelt worden,
Wie die römische Kirche hat auch die des Buddha eine
auserwählte Sprache, in weldyer die Correfpondenz mit der
Gottheit ftattfindet; es ift dies die tibetanifche, in welcher in
ber Mongolei der Gottesdienft abgehalten wird, trogdem fie
häufig ſelbſt die Yamas nicht verftehen. Auch die „Heiligen
Bücher“ find im tibetanijcher Sprache verfaßt; ‘viele find
jedod) ins Mongolifche Uberſetzt; doch dürften noch manche
in ber Urfpradje vorhanden fein, da ſich die Zahl der Bände
bes „Hantſchur“, des wichtigſten veligiöfen Buches, auf
108 beläuft. Diefe Maffe von Bänden eines einzigen Wer«
fes jcheint jedod) eine Art Encyklopädie zu fein, denn fie
enthält nicht allein veligiöfe Abhandlungen, fondern auch
hiſtoriſche, mathematifche, aſtronomiſche u. ſ. w. In den
Tempeln wird gewöhnlich dreimal täglich Andacht gehalten,
und zwar Morgens, Mittags und Abende. Zur Andacht
werden die, Öläubigen durch Trompetenfchall, der mittelft
einer großen Meeresmuſchel hervorgebracht wird, eingeladen.
Wenn ſich Zuſchauer und Acteure, Gläubige und Lamas im
Tempel verſammelt haben, fegen ſich die legteren auf ben
Fußboden oder auf Bänke und fingen pfalmodirend Gebete
aus den heiligen Büchern. Bon Zeit zu Zeit wird diefer
monotome Geſang durd) einen lauten Ruf des ältern Yamas,
ben alle Anweſenden wiederholen, unterbroden. Hierauf
wird in beftimmten Momenten getrommelt ober es werben
Metallteller an einander gefchlagen, was ben allgemeinen
Lärm vergrößert. Cine folde Andacht dauert Häufig meh-
rere Stunden, Bei feierlicheren Gelegenheiten erfcheint der
„Kutuchta“, der Oberlama, ber immer, wie ein fatholi-
fcher Bischof, anf einem Throne fit und fic wie diefer von
den unteren Lamas beräuchern läßt. Wenn er im feinem
Oberpriefterftaate dafigt, wendet er fein heiliges Antlig den
Heiligenbildern zu, die er inbrünftig betrachtet, Daß bie
frommen Männer ſelbſt nicht wiffen, was fie von ihrem
Gotte wollen, dafür ift der befte Beweis das lurze Gebet:
„Om mani padme hum,* das feiner von ihnen Herrn
Prſchewalsli zu überfegen vermochte. Und trogdem foll es,
nad) den Verſicherungen der Lamas, der Inbegriff aller
bubbhiftischen Weisheit fein und ift die Infchrift aller Tem⸗
pel *).
Außer den gewöhnlichen Tempeln find noch in den Jur⸗
ten, befonderd wenn jie in größerer Entfernung von jenen
erbaut find, „Dugumen“, d. h. Altäre, errichtet, vor denen
die Gläubigen die vorgefchriebenen Gebete verrichten. Man
findet aber auch auf Höhen und Gebirgszligen große Stein«
haufen, „Obo“, weldye zu Ehren bes Berggeiftes — ber
unferm fchlefifchen Rubezahl verwandt zu fein ſcheint —
aufgefchüttet find. Jeder vorlibergehende Mongole hält es
für feine heilige Pflicht, diefen Obo durch Hinzufügen eines
*) Berl, darüber „Slobus" XXVI, ©. 185.
Albin Kohn: Die Mongolen.
Steines zu vergrößern und außerdem dem Geifte auch noch
fonft ein Opfer, fei es ein Yäppchen ober ein wenig Kameel⸗
haare, zu bringen, Bei größeren Obos werden von ben
Lamas im Sommer Andachten verrichtet und das Bolt ber»
fammelt fi zu benfelben, wie das latholiſche zu den Ab»
läfien. i
Das Haupt der buddhiſtiſchen Hierarchie ift belanntlich ber
Dalai Lama (wörtlid „Oceanpriefter*), der in Lhaſſa
in Tibet feine Reſidenz hat und thatſächlicher Souverän bie
ſes Landes ift, trogdem er bem Bogdo-Chan in Peling alle
drei Yahre einen Heinen Tribut zahlt. Diefer muß Übri⸗
gend, wie die Fürſten Europas während des Mittelalters
dem Papft, feinen geiftlichen Vaſallen in guter Yaune zu
erhalten fuchen, denn ein Wort von ihm würde hinreichen,
fämmtlihe Nomaden zu bewaffnen und aufs Blumenreich
der Mitte zu flitrgen, das kaum im Stande wäre, den fana—
tiichen Nomaden, welde zwifcden dem Himalaya und der
fibirifchen Grenze wohnen, Widerftand zu leiflen. Die
Stimme des Dalai Lama ift Gottes Stimme; auch er ift
unfehlbar, ja er ift fogar unfterblid).
Ihm glei; an Heiligkeit, wenn auch nicht an politischer
Bedeutung, it der „Banztfin-erdeni* und biefem folgt
der „Kutuchta“ inlirga, welchem dann die Kutuchten oder
Higenen in den verfchiedenen Tempeln der Mongolei und in
Beling folgen. Ale dieſe Herren fterben nicht; alle find
irbifche Incarnationen irgend eines Heiligen, und fie wechſeln
bloß den Körper, wie andere Sterbliche einen abgetragenen
Rod wechſeln und mit einem neuen vertaufchen. Ihre Seelen
fuchen, wenn fie den ſchwach gewordeuen Körper verlaflen,
einen jüngern, fahren in diefen hinein, die Yamas finden ihn
dann gewiß wieder und führen ihm im feine Gemächer zurüd,
Natürlic, giebt der junge Dalai Yama, der ermeuerte Ban
tſin · erdeni und Kutuchta, ſich den ihm ängftlich fuchenden
Lamas dadurch zu erkennen, daß er irgend etwas thut, was
er ſchon früher gethan hat. Die Ungläubigen jagen, daß
die Intriguen bes Pekinger Hofes bei dieſem Auffinden bie
größte Rolle fpielen und daß in folge deſſen immer der
junge Hohepriefter in Yamilien, welche feine Bedeutung und
feinen Einfluß befigen, gefucht und gefunden wird.
Der Einfluß der gefammten Priefterfchaft auf die rohen
Nomaden ift grenzenlos. Ihn anzubeten, feinen Segen zu
erhalten, ja nur ben Zipfel feines Rockes zu berlihren ift
das größte Glüd, defien man — jedod) nur für ſchweres
Geld — theilhaftig werden fann. Deshalb aud) find die
Tempel in der Mongolei, befonders aber bie größeren, uns
geheuer reich, denn zu ihnen ftrömen fromme Pilger aus allen
Gegenden der Mongolei, und mit leeren Händen barf feiner
Iommen. Der Hauptſtrom der Pilger geht natürlic) jedoch
Lhaſſa; fie kommen, trog ungeheuerer Schwierigfeiten,
ie fie zu überwinden haben, in großen Karawanen, denn
es ift nicht nur eim Glüch, fondern auc ein beſonderes Ber-
bienft, mac) dem tibetanifchen Rom zu lommen. Der Auf—
ftand der Dunganen hat während eines Zeitraumes von elf
Yahren dieſe Pilgerfahrten unterbrochen, fie haben ſich aber
gleich nach feiner Unterdrückung wieder ernduert, Prſche⸗
walsfi macht eine intereffante Bemerkung über die Fröm«
migfeit der Pilger, Judem er nämlich die Pilgerfahrten
beichreibt und mittheilt, daß fich auch Frauen an biefen Wall:
fahrten betheiligen, fagt er, daß diefe im Allgemeinen went:
ger Frömmigkeit heucheln als die Männer. Es herrſcht alfo
dort, im Vergleiche mit dem, was bei und vorgeht, das ums
gefehrte Verhältnif, da es bei und immer mehr Betfchweftern
als Betbrüder giebt. Diefes kommt wahrfcheinlic daher,
daß die Frauen in der Mongolei die ganze Hauswirthſchaft
verjehen und beshalb wenig Zeit haben, fid) mit religiöfen
agen zu befaflen. Iu_den an China grenzenden Gegenden
ber Mongolei ift jedoch die Frömmigkeit meit geringer als
im Innern der Miifte,
Die Zahl der „Chumarats“ ober Yamas, d. h. ber
Geiftlichen, ift fehr bedeutend. PBrihemwalsti nlaubt, daß
mindeſtens ein Drittel, wenn wicht die Hälfte jünmtlicher
männlicher Mongolen biefem Stande angehören, ber leine
Abgaben zahlt und Feine Pflichten, aber ungeheure Mochte
hat. Es ift gar nicht ſchwer, Lama zu werben. Die Eltern
beftimmen ihren Sohn in früher Jugend fiir diefem Vebens«
beruf, vollziehen am ihm die Tonfur, indem fie ihm dem gan
zen Kopf rafiren und ihn von nun ab roth oder gelb Hei
den. Diefes ift das äußere Zeichen ber hohen Beftinmmug
ihres Sohnes, welder dann in einen Tempel gegeben wird,
wo ihn alte Yantas in der buddhiſtiſchen Theologie umters
richten. Bei einigen Tempeln erften Ranges, wie in Urgä
und Gumbum, find befoudere Schulen, gleihjam Semi-
narien, welche Facultäten nachahmen, errichtet. Nach Been-
digung der Studien auf einer ſolchen Hochſchule wird der
junge Mann etatsmäßiger Lama bei irgend einen Tempel
ober — Arzt.
Um zu höheren Würben zu gelangen hat der Yama ein
beſtimmtes Eramen in der Lehre Buddha's zu beftehen und
fid) den firengen Mönchsregeln zu unterwerfen. Die Lamas
jind in vier Rangſtufen getheilt, welche: Kamba, Gelun,
Gezull und Dandi heifen und ſich durch gewiſſe Abzeichen
in der Kleidung unterſcheiden, auch befondere Functionen
während des Gottesdienſtes verrichten. Der höchſte Rang
ift der ded Kamba oder Kjanba. Er wird direct vom
Kutuchta geweiht und kann felbit die Yamas niedern Ranges
weihen; er hat fomit Biſchofsrechte. Doch auch ber Ku—
tuchta muß alle, auch die niederen Weihen, empfangen, aber
er fteigt weit fchneller hinauf als andere Sterbliche.
Außer den Perfonen, welche gewifle Pflichten im Tempel
und dem mit ihm verbundenen Kloſter zu erfillen haben,
leben in ihm noch viele (oft Hundert, ja taufend) Lamas, die
nichts zu thun haben, al& zu beten. Sie werden ausſchließ⸗
ih von den Opfern der Gläubigen unterhalten. Aber es
giebt auch Lamas, welche nur von ihren Eltern bie oben bes
ſchriebene Weihe erhalten haben, in keiner Schule geweſen
find und weder fchreiben noch lefen fünnen. Sie tragen ihr
rothes Habit, werden „Yama* titulirt und diefer Titel giebt
ihnen ein Recht auf die Achtung.
Alle Lamas find zur Ehelofigkeit verpflichtet. Diefe anor-
male Einrichtung führt zur Immeoralität, die aud unter
den verfchiebenjten formen in der Mongolei in voller Blüthe ift.
Um die Achnlichleit des Buddhismus mit dem Katholis
cismus zu vollenden, hat er auch Monnen, unter weldye
Frauensperfonen in einem beftinmten Alter aufgenommen
werben. Sie erhalten die Weihe, rafiren fic) den Kopf und
miüffen ſich verpflichten, ein fehr ftrenges Leben zu flihren.
Wie die Lamas können aud) fie gelbe Kleider tragen. Solche
Nonnen, welche „Schabganzfa* heißen und ziemlich häufig
getroffen werben, werden unter den alten Wittwen recrutitt.
Die Lamas find eine wahre Peft fiir die Mongolei, da
fie wie wahre Parafiten auf Koften ber Übrigen Benölferung
leben und durch ihren Einfluß das Volt verhindern, aus ber
tiefen Unmiflenheit, im ber es lebt, herauszufommen. Ob-
gleich aber bie religiöfe Ueberzeugung bei ben Mongolen fo
tiefe Wurzeln gefchlagen hat, fo hat fie doch nicht vermodht,
die Entwidelung des Uberglaubens zu verhindern. Der
Mongole träumt auf Schritt und Tritt von verfchiederen
Zeufeln und Herengefchichten. In jeder unglinftigen Naturs
erſcheinung fieht er die Thätigfeit eines böfen Geiftes, in
jeder Krankheit feine Wirkfamkeit. Das tägliche Leben bes
armen Nomaden ift eine Reihe von abergläubifchen Gebräus
den. So z. B. behauptet er, daß man während eines ber
48*
380
wölften Himmels und nad) Sonnenuntergang weder Milch
verfaufen noch auch verfchenten darf, fonft entſteht Biehſterben.
Daſſelbe Unglitt foll ſich ereignen, wenn fid) Demand auf
die Schwelle der Jurte jet. Es ift Sunde, während des
Een auf den Haden zu fügen; in Folge deflen betrifft einen
sin ein Unfall während der Reife. Vor der Reife über
u spredyen ift nicht erlaubt, denn eine Folge hiervon
R vehter oder Schneewehen. Auch der Name des
Daterd md der Dlutter darf nicht genannt werden — e8
ie dies eine jcwere Sünde. Nach der Heilung eines Stlides
Biel; darf während dreier Tage nichts geſchenlt oder verkauft
Doc; diefe und andere VBorurtheile bilden nur einen ge
Kugen Theil des unter den Mongofen herrſchenden Aber:
glaubens; man muß ſich felbft überzeugen, wie weit unter
ihnen das Wahrfagen und Zaubern verbreitet ift. In dieſer
Kunft ben fich nicht bloß die Schamanen und Lamas, fon:
dern ſehr häufig auch gewöhnliche Sterblicye, mit Ausnahme
der Frauen. Das Wahrfagen geichieht gewöhnlich mit Hülfe
lamaitifcher und chineſiſcher Rechenknechte und werden babei
natürlich verfchiedene Beſchwörungsformeln nicht gefpart.
Wenn ſich dem Mongolen ein Std Vieh verirrt, wenn er
feine Pfeife verloren hat, jo eilt er auch glei, zum Wahrs
fager, um zu erfahren, wo er das verirrte Stülck Vieh, die
verlorene Pfeife ſuchen fol. Wenn der Nomade eine Reife
antreten fol, jo läßt er ſich gewiß vorher wahrfagen, und
wenn Ditrre eingetreten ift, fo beruft der ganze „Chofcun“
(Kreis) den Schaman umd giebt ihm ſchweres Geld, auf daß
er nur ja den Himmel zwinge, die nöthige Feuchtigfeit auf
die Erde zu werfen. Wenn der Mongole plöglic Frank
wird, fo fucht er gewiß feinen Arzt auf; er ruft einen Lama,
der die Teufel durch Veen von Ghebeten aus dem filndigen
Feibe vertreiben fol.
Hunderte von Malen überzeugt fi) der Nomabe, daß er
arg betrogen und belogen worben ift, und dennoch wird hier:
durch fein lindiſcher Glaube nicht wantend, Wenn e8 den
Betrliger nur einmal gelingt, das Wichtige , oder etwas, das
als richtig gedeutet werden fann, zu treffen, fo vergift man
alle feine Irrthumer und falfchen VBorherfagungen und fein
Ruhm erklingt von einem Ende der Wüfte zum andern,
Daß Übrigens die Wahrfager ihre Propezeiungen geſchickt
einzurichten, aud) den Befrager vorher über alles, was ihnen
zu wiffen nothwendig it, auszuhorchen verftchen, liegt in der
Natur der Eadje. Uebrigens lügen biefe Yeutchen ſich fo
in ihre Macht, Größe und Wiſſenſchaft hinein, daß fie ſelbſt
innigft an ihre übernatiirliche Kraft und Wiſſenſchaſt glauben.
Ein Begräbniß der Leiche des verstorbenen Mongolen
findet nicht —* fie wird aus der Jurte geworfen den wil—
ben Bierflißern und Naubvögeln zu willfommener Nahrung *).
Die Yamas geben nur für Bezahlung die Himmelsgegend
an, im welde der Kopf zu liegen kommen fol. Nur die
Leichen der Flirften und wichtigeren Yamas werden begraben
oder verbrannt. Im erflen Falle wird auf dem Grabe ein
Steinhligel errichtet. Für die Seelenruhe des Verftorbenen
werben 40 Tage lang für eine beftimmte Bezahlung Gebete
verrichtet. Der Arte, der dieſe Gebete nicht bezahlen lann,
geht natürlich der aus ihnen refultirenden himmlischen Freu—
den und Gnaden verluftig. Fir die Fürften, deren Hinter:
biiebene reiche Geſchenke an verſchiedene Tempel ſenden, wer
den dort zwei oder brei Jahre lang Andachten, welche unferen
Seelenmeſſen entſprechen, abgehalten.
Der von Charakter gute wenn auch aus Religioſität
*) Ebenſo ſchleiſen die Kalmücken zwiſchen Wolga und Don
ihre Tedten am Laſſo in die Steppe und überlaffen fie dort den
Raubthieren. Siche Jahresbericht des Frankfurter Vereine fir Geo—
grapbie und Statiftif. 1875, S. 82.
Albin Kohn: Die Mongolen.
leicht und abergläubifche Mongole wird zum wilden Thiere,
wenn er feinen Leidenſchaften ben Zügel ſchießen läßt. Die»
fes bewies das Verfahren der Mongolen mit den gefangenen
Dunganen, Derfelbe Mongole, der noch geftern fürchtete
ein Sanım zu ſchlachten, weil er es flr eine ſchwere Sünde
betrachtet, ſchnitt heute einigen Dunganen mit ber größten
Ruhe die Köpfe ab, wenn fie in feine Hände fielen, und
ſchonte weder Alter noch Geſchlecht.
Der Buddhismus lehrt bekanntlich die höchſten mora—
lichen Grundfäge, trotzdem hat er aus dem Mongolen eben
fo wenig einen Menſchen gemacht, wie diefes andere foges
nannte geoffenbarte Religionen gethan haben. Cs ift bis
jet feiner gelungen, das Thier aus dem Menſchen zu ver
treiben, weil ihnen die Form über das Wefen geht, Nur
der wahren Givilifation gelingt e8, itberafl den Menſchen zum
Menſchen zu machen, und diefe ift nicht von Offenbarungen
abhängig. Nicht mit dem Kreuze und Weihmedel, nicht mit
Erzählungen über Wunder , welche fi) im Himmel und auf
Erden ereignet haben follen, wird ber Mongole der Menſch-
heit einverleibt, ihm Liebe zur Meinlichleit, Mäßigkeit, zum
Fleiße und zur Menfclichkeit beigebracht werden; ev muß
in eine neue miaterielle, intellectuelle und moralische Welt
verjegt werden, und dann wird es micht erſt diefes oder jenes
Gebetes, in einer beitimmten Anzahl hergeleiert, bebürfen,
um ihn auf die Stufe zu erheben, auf der allein ein menfcjens
würbdiges Dafein möglic; iſt. Ihn aus der Apathie, in ber
er dahinſchwindet, heranszureißen, dazu bedarf es eines mäch-
tigern Hebels, ald irgend einer Glaubensformel, bie alle als
Hauptgrundfag die Gefangennahme des Geiſtes, die Ber—
nichtung bes freien Denkens aufitellen.
Den Schluß des Capiteld des Heren Prichewalsti
Über die Mongolen bildet eine furze hiſtoriſche und politifche
Skizze, der ich Folgendes entnehme,
Die Mongolei wurde gegen Ende des 17. Jahrhunderts
von China unterworfen, deſſen Negierung dem Yande eine
geregelte Verwaltung gegeben hat. Die innere Verwaltung
ift den eingeborenen Fürften überlaſſen, über welche jedoch
von Peling aus eine ftrenge Aufficht geitbt wird, Im Mi:
nifterium der auswärtigen Ungelegenheiten werben alle die
Mongolei betreffenden Sachen eutſchieden; dem Bogdo-Chan
werben die wichtigften zur Entfcheidung vorgelegt. In abe
miniftrativer Beziehung ift die Mongolei in Fürſtenthümer,
„Aimakam?“, und diefe in Sreife, „Chofhunm“ (wörtlid
„Heldzeichen“), geteilt. Somohl die Aimafams wie aud)
bie Chofhuns werden von erblichen Fürſten regiert, welche
Bafallen des Bogdo-Chans find. Sie haben kein Recht,
mit irgend einer auswärtigen Regierung Berbindungen ans
zufnüpfen,
Die Gehlllfen der Fürſten find die „Tozolaftihys
deren Titel ebenfalls erblich ift. Ihre Zahl ift verichieden ;
fie beläuft fid) auf einen bis vier im jedem Kreiſe. Der Fürft
des Choſchun ift zugleid; Konmandirender der Truppen ſei⸗
nes Kreiſes, wozu er wiederum zwei Öchülfen, „ Mepren:
tſchangin“, hat. Mad) ihnen folgen die Regiments:
commanbeure (Zfchalan » tſchangin), die Escadronchefs
(Somunstichangin) u. f. w. er Gommanbeur der be
waffnetenz Macht eines Aimalam ift der „Dzjan ⸗ dzjun“,
immer ein mongoliſcher Furſt. Die Fürften eines Choſchuu
find verpflichtet, ſich alljährlich zu einer Art Landtags—
verfammlung einzufinden, zu deren Vorfigenden einer der
Furſten gewählt wird, den der chineſiſche Kaiſer betätigt.
Diefe Yandtagsverfammlungen, die ſich nur mit inneren An-
gelegenheiten zu befaſſen haben, ftehen unter der Aufficht
eined Gouverneurs der chineſiſchen Grenzprovinzen. Mande
Gegenden der Mongolei haben indeß ſchon eine ganz dines
ſiſche Verwaltung erhalten.
Hafjentamp: Die prähiftorifhen Alterthümer des nordiſchen Mufeums in Kopenhagen.
Die mongoliſchen Fürften find in fechs Rangftufen ge-
teilt. Den Titel erbt nur ber ältefte legitime Sohn nad)
zurlidgelegtem neunzehnten Lebensjahre. Trogdem die Wurde
erblich ift und die meiften Fürften von Dſchengis⸗Chan ab»
zuſtammen behaupten, unterliegen fie ber Beftätigung des
hinefiichen Kaifere. Im Falle feine ehelichen Kinder vors
banben find, lann der Fürft feinen Titel einem feiner außer-
ehelichen Söhne oder einem Verwandten übertragen, mozu
jedoch ebenfalls die Bewilligung des Kaifers nothwendig ift.
Die übrigen Kinder eines Firften werden als gewöhnliche
Edelleute betrachtet. Hierdurdy wird einer Bermehrung ber
Fürften (ihre Zahl beträgt ohmedies zweihundert) vorgebeugt.
Dagegen vermehrt fich die Zahl der Edelleute mit jedem Jahre.
Politiſche Bedeutung haben bie Filrften nicht; fie find
der Pelinger Oberbehörde untergeordnet und beziehen ihren
Gehalt vom Bogdo-Chan, von dem auch ihre Rangerhöhung
abhängt. Um biefe Herren auch durch Familienbande an
Ehina zu Inlipfen werben ihnen häufig chineſiſche Prinzefs
finnen zur Ehe gegeben, Alle drei oder vier Jahre muß
jeder Fürſt im Peking erfcheinen, um dem Kaiſer feine Ehr—
furcht zu beweifen. Bei diefer Gelegenheit überreicht er ihm
in ber Form eines Gefchentes feinen Tribut, der gewöhnlich
in Kameelen und Pferden beſteht. Hierflir erhält er Gegen⸗
gejchente, welche in Silber, Seide, Meidung u. ſ. w. beftehen
und immer weit mehr werth find als bie mitgebrachten. Im
Allgemeinen muß China alljährlich zur Berwaltung der Mon-
golei bebentende Summen zuzahlen, doc wird hierdurch die
Weftgrenge des eigentlichen Chinas vor den Einfällen der
unrubigen Nomaden gefhügt.
Die Bewohnerzahl ber Mongolei wird auf zwei bis drei
Millionen gefhägt. ebenfalls ift fie in feinem Berhält:
niffe zum Flächenraume, den das Land einnimmt. Die no:
madiſche Lebensweiſe, die Ehelofigkeit der großen Anzahl von
Lamas, das ausfchweifende Leben und die aus ihm refulti-
renden geheimen Kraufheiten, ſowie Typhus und Boden, welche
fehr häufig unter den Mongolen graffiren, find hinreichende
Urfachen einer fehr langſanen Vermehrung der Bewohner.
381
Das ganze Bolt ift im vier Stände getheilt; fie heißen
Fürften, Edellente (Tajei), Geiftlichleit und Voll. Die drei
erften Stände haben viele Rechte; ber vierte Stand ift eine
Art halbfreier militärischer Bevölkerung, welche Gemeinde:
und Militärpflichten zu erfüllen hat. Die mongolifchen Ge—
fee find vom der Regierung in Peling zufammengefaßt und
geordnet worden, Nach diefem Geſetzbuche müflen ſich alle
ölrften richten, Nicht fonderlich wichtige Angelegenheiten
werben var! althergebrachtem Brauche entjchieben. Der
mongolifche oder kennt Geldftrafen, Verbannung und Todes-
firafe. Fürs gewöhnliche Bolt ift außerdem durd) Pritgel-
ftrafe geforgt, welde auch fiber degradirte Adelige und
Beamte verhängt wird. Abgaben werden vom Bolte an
bie Fürften gezahlt und fie beftehen ausſchließlich in Bich.
Bei befonderen Gelegenheiten, z. B. bei der Durchreiſe des
Fürften, bei der Berheiratfung eines feiner Kinder m. f. w.,
werden noch außerordentliche Sammlungen veranftaltet. Die
Geiftlichkeit zahlt feine Abgaben und China erhält von den
Einkünften Überhaupt nichts, Die bewaffnete Macht der
Mongolei befteht ausjchlieglich aus Cavallerie; 150 Fami⸗
lien bilden eine Schwabron und jedes Familienglieb ift vom
achtzehnten bis fechözigften Jahre dienftpflichtig, jedod wird
immer von brei männlichen Gliedern der familie eins vom
Militärdienfte befreit. Jeder Krieger muß ſich auf eigene
Koften ausrüften, erhält jeboch bie Baffen, welde in langen
Langen, Säbeln, Bogen und untenflinten beftehen, vom
Staate. Im Ganzen muß die Mongolei 284,000 Mann
ftelen. Die Flrften und ihre Gehlilfen follen häufig Re—
bifionen anftellen; diefe führen jeboch zu nichts, ba fie durch
Beftechungen abgemacht werden. Der faule Mongole befticht
lieber den Beamten, als daß er zum Dienfte geht. Diefes
ift der chineſiſchen Regierung theilweife fehr angenehm, da,
wie die Erfahrung lehrt, im Folge diefer Umgehung des
Militärbienftes der friegerifche Geift der Nomaden volltom:
men findet und fie alfo dem himmlischen Reiche immer
weniger gefährlich, werben.
Die prähiftorifhen Alterthüimer des nordifhen Mufeums in Kopenhagen.
Bon Dr. Haſſenkamp.
I Die Eifenzeit.
Die Verarbeitung des Eifens fcheint ben Dänen erft dann
befannt geworben zu fein, als bie Hanbelsverbindungen mit
dem Süden lebhafter geworden waren, und wir find fo glüds
lich, die Zeit, in welcher das Eifen allgemein zur Anwendung
famı, ungefähr beflimmen zu fönnen; denn während in den
Gräbern, welche nur Brongegeräthe aufweifen, ſich feine Spur
von römijcher Cultur zeigt, treten bei den Funden der Eifen-
zeit oft römifche Statuetten, Gefäße und namentlic)
Münzen auf, und da die älteften in bänifchen Gräbern
gefundenen römiſchen Silberdenare dem Ende des zweiten
nachchriſtlichen Jahrhunderts angehören, jo dürfen wir mit
Recht vermuthen, daß um diefe Zeit das Eifen ſchon allge
meine Berwendung gefunden hatte,
Da benugte man das Eifen zunächſt zu Schwertern,
die ‚fihj auch in der Form von den Schwertern der Bronze
zeit bedeutend unterſcheiden. Denn im Gegenfage zu ben
kurzen Bronzeſchwertern find die der Eifenzeit lang und breit,
bald einfchneidig, bald zweijchneidig und in der fpätern Eifen«
zeit oft damascirt, während die Griffe meift aus Holz, oft
aber aud) aus Silber hergeftellt waren. Ebenſo haben fid)
zahlreiche eiferne Yanzenjpigen gefunden, und zwar find
jelbft die Holzfchäfte diefer Lanzen bisweilen noch erhalten,
fo namentlich) in dem Funde zu Kragehul-Moor auf
Fühnen, wo die Holzichäfte eine eigenthlimliche, aus in eins
ander geflochtenen Schlangen beftehende Verzierung aufwei⸗
fen. Ferner fand man mehrfache Helme, Sporen, Schild-
budel, Mefjer, Herte, Meißel, Sägen und ähnliche
Gegenftände aus bemjelben Metall.
Die Bronze wurde felbftverftändlich immer noch nebenbei
benugt und namentlich bei allen den Gegenftänden, wo es
auf eine feine Ornamentit und größere Zierlichleit anlam.
&o find die Fibeln und Nadeln aus Bronze hergejtellt,
ebenfo die Ringe und Halsbergen; mehrfache Beſchläge
zu Trinkhörnern hat man aus demjelben Metalle gefuns
382
ben; endlich hat das nordiſche Mufeum eine Reihe von ſol⸗
hen Bronzegefäßen, die ſchon aus ber Eifenzeit herrühren
und oft durch ſchöne Ornamentit ausgezeichnet find.
Aber nicht allein durch das Auftreten des Eifens unter:
ſcheidet ſich diefe Periode von ber vorigen; noch andere Stoffe
find zu erwähnen, die damals’ zuerjt in Dänemark verwandt
wurden. So wird das Silber zuerft während ber Eifenzeit
in Dünemarf verarbeitet und es ift dies um fo merholir-
diger, weil die drei unter fi am meiften verwandten (?)
Nationen, bie Yetten, Slaven und Germanen, im Namen bes
Silbers (littauifd) sidübras, altpreußiſch scraplas, ſlaviſch
screbro und gothiſch silubr) übereinftimmen und man ba
ber bermuthen jollte, daß in jener Zeit, als Letten, Slaven
und amem ein Volk bildeten, das Silber ſchon befannt
g je Wir fehen bei der Erwähnung von Silber»
geräthen denjenigen ab, welche deutlich einen fremden
Urfprung zeigen, und führen nur das auf, was auf einen
einheimischen Kunftbetrieb hinweift, Da nennen wir zunächſt
zwei Becher aus Silber, die zu Himlingdie gefunden
find und deutlich einen barbarifchen Urfprung verrathen. Sie
find 5 Zoll hoch und mit breiten Bändern verfehen, die im
Feuer vergoldet find; verziert find fie mit getriebenen Figu—
ven, die ſowohl Thiere als menfchliche Köpfe darftellen, aber
nur bie rohen Anfünge ber Kunſt repräfentiren. Außerdem
fieht man mehrfache Silberbeſchlüge, Ringe und namentlich)
einen intereffanten Silberhelm, der aus einer Geſichtsmasle
und einem Kopfftüde befteht und im Moore Thorsbjerg
in Angeln gefunden wurde. Jedoch ift es immerhin mög-
lich, da diefer Helm gleichfalls durch den Handelöverfehr
nad) dem Norden fanı.
Auch das Glas erfcheint erft während der Eifenzeit in
ben bänifchen Funden, und zwar fcheint biefer Stoff zum
größten Theile nicht in Dänemark verfertigt, ſondern durch
den Handel in das Land gelommen zu fein. Ein Theil
ſcheint indefjen im Land felbft fabricirt zu fein, wenn auch
frembdartige Mufter vorfchwebten. So Hi es namentlich bei
einem zu Himlingdie gefundenen gläfernen Horne und bei
einem ebendafelbft entdecten Pocale wahrſcheinlich, daß beide
im Lande ſelbſt verfertigt wurden.
Ueberhaupt zeigt ſich im der Eiſenzeit eine bedeutend hö—
here Eultur, wie in ber vorhergehenden Periode. Schon
damald hatte man wohlgebaute und volftändig ausgerüftete
Rubderboote; fo befist das norbifche Mufeum das Modell
eines derartigen Bootes, das im Nydam-Moore in Schles:
wig ausgegraben wurde; im bdiefem Canoe befand ſich neben
dem nöthigen Schiffögeräthe noch eine Anzahl von Waffen,
Langen, wertern, Holzbogen, ein Holzlöcher und eine
Reihe von römischen Silbermlinzen, deren ſpäteſte aus dem
Jahre 217 ftammt, fo daß wir hieraus die Zeit ungefähr
beftimmen können.
Intereffant find auch die vielfahen Pferdegefhirre
und Wagengeräthe, die man aus biefer Periode in Däne-
mark aufgefunden hat. So entdedte man im Moore Thors:
bjerg Zügel, Gebiffe, Trenfeftangen, daneben auch Holzs
reden, Haden und ähnliche Ackergeräthſchaften. Der große,
auf Koften des Muſeums ausgegrabene Moorfund von
Bimofe auf Fühnen wies gleichfalls Bruchftüde von Reit
zugeln und von einem Gebiffe auf, auch unbefchlagene Wagens
räder wurden ebendafelbft gefunden. Weiche Yeute pflegte
man mitunter ſammt Pferden und Wagen zu beftatten, und
fo fand man im einer Grablammer bei Söllefted auf Füh-
nen gleichfalls ein prächtig ausgeftattetes Pferdegeräth, Ge
big, Zügel, Schnallen, Nägel und namentlid) ein Mähnen-
joch, das reich, mit Metall ausgelegt ift und mastenähnliche
Berzierungen aufweiſt. Als eine befondere Eigenthlimlid;-
feit der Eiſenzeit muß auch der Umſtand betrachtet werben,
Haffentamp: Die prähiftorichen Alterthühter des nordijhen Mufeums in Stopenhagen.
daß damals zuerft eine eigenthümliche Schrift auftrat, die
nordifchen Runen, weldye der ganzen Bronzeperiode durd)-
aus fremd find, Diefe Runenſchrift geht ziemlich hoch hin-
auf, bis in die römifche Zeit: jo hat ſich bei dem ſchon mehr:
fad erwähnten Funde zu Himlingdie meben vollftändig
römiſchen Gefäßen und Geräthen auch eine bronzene, mit
Silber belegte Gewandnadel gefunden, auf welcher in
Runenfchrift das Wort Harifo eingerigt ift, ein Name, ber
entſchieden auf den Befiger oder Berfertiger der Nadel hin:
weift. Derartige Namen finden wir num öfters auf Erzeug«
nifjen des nordiſchen Kunſthandwerks eingerigt: fo ift auf
einem Golddiademe, welches zu Straarup in Jütlaud
gefunden wurde, der Name Yuthro eingerigt, und auf einer
Scnalle zu einem Schwertriemen, die bei dem großen
Moorfunde zu Bimofe ausgegraben wurde, findet fich gleich.
falls ein Name mit Runen gefchrieben. Yängere Rumens
inſchriften bezeichnen indefien eine fpätere Epoche. In bie
Eifenperiode, wenn auch in eime fpätere Zeit derfelben, fällt
auch die erſte Ausprägung von Münzen im Dänemark,
Diefe älteften Münzen find die goldenen Bracteaten,
bie nur auf einer Seite geprägt und mit Dehren zum Tra«
gen verjehen find, bie alfo mehr als Amulete denn als eigent-
liches Tauſchmittel dienten, Bon diefen Bracteaten muß
man eine doppelte Art unterfcheiden. Die einen find barba-
riſche Nahahmungen römischer Münzen und zwar find die
lateiniſchen Buchftaben ohne Sinn und Berftändnig nach⸗
gebildet; die anderen zeigen einen gewiſſen Fortſchritt; an
die Stelle der verſtändnißlos nachgebildeten lateiniſchen Pets
tern treten Rumeninfchriften und auch das römische Kaifers
bild wird durch Figuren aus der nordiichen Götterfage ver-
drängt.
Fragen wir und nun, wie in ber Eifenzeit Dänemarfs
die Veftattung der Leichen geween if. Man wird ſich er
innen, baß in der älterm Bronzeperiode die Leichen im
ZTodtenbäumen beerdigt wurden, daß dagegen in der jpätern
Zeit der Leichenbrand Ublich ward. In der Eifenzeit halten
fi) Beerdigung und Verbrennung das Gleichgewicht
und je nach ber Gegend war die eine oder andere Beftattungs-
art Üblih. So wurden in Seeland die Yeichen unver
brannt im natrlichen Hligeln geborgen, und fein Steinfreig,
überhaupt kein Merkmal bezeichnet die Grabesſtelle. Den
Zodten wurden zahlreiche Gegenftände theils einheimifcher,
theils römischer Cultur, Gefäße der verfciedenften Art,
Schmudgegenftände, Kämme und Aehnliches, felten aber Waf-
fen und Pferdegefchirr beigegeben. In Jütland wurden
dagegen bie Leichen meiftens verbrannt und bie Knochenliber-
refte in einer Steinfifte aufbewahrt, und zwar liegen die ver⸗
brannten Knochen meift nicht direct in der Kifte, fondern
find zunähft in Graburnen geborgen. Die Urnen, die
das nordiſche Mufeum aus Iittland befigt, find aus röths
lich · grauem Thone und ohme Anwendung der Töpferfcheibe
geformt und ähneln fehr denjenigen Urnen Norddeutſch—
lands, die in ben Steingräbern gefunden find; wie dieſe
haben auch die jütifchen Urnen nur eine Art der Ornas
mentif, die durch Punktirung bewirkte Mäanderlinie;
von ben gejhmadvollen Urnen der oſtdeutſchen Flachgräber,
die auf einen ſlaviſchen Urfprung hinzudeuten fcheinen, unter«
fcheiden ſich diefe jitifchen Urnen auf den erften Blick. Wie
der anders find die Grabfunde der Injel Bornholm be-
ſchaffen; auch Hier herrſchte der Leichenbrand, doc; wurden
die Knochenüberrefte nicht in Urnen geborgen, auch nicht in
Steinfiften gebettet, fondern man warf die Knochen ſammt
den Beigaben ziemlic, unregelmäßig in freisrunde, nicht ſehr
tiefe Gruben. Die Beigaben waren hier ziemlich mannige
fach; neben Schmuckſachen und Werkzeugen wurden hier den
Todten auch Waffen, namentlich abfichtlich gebogene Schwer-
Aus allen Erdtheilen.
ter, Schildbuclel, Sporen und ähnliche Gegenftände mitge-
geben; auch Gefäße finden ſich im diefen Bornholmer Brand-
gruben und zwar meift ein größeres, oft abfichtlich zerfchlagenes
Bronzegefäß und mehrere Hleinere Henkelgefäße und Schalen.
Schon mehrfach, haben wir der Moorfunde von Bi.
mofe, Thorsbjerg und anderer gedacht; dieſelben find fo
umfangreich, daß man unmöglich annehmen fann, bie Gegen⸗
ftände feien nur zufällig in den ehemaligen See gefallen;
man muß vielmehr am eine abfichtliche Verſenkung denen.
Dies wird noch durch andere Umftände beftätigt: man ent«
befte oft große Holzhaden, Taue und Pfähle, mittelft deren
die einzelnen Segenftände Fünftlic in den See niedergerammt
waren. Auch iſt ein Theil der Gegenftände abſichtlich ver»
bogen, namentlich, Schwerter und Schildbudel, die Bronze
gefäße find zerbrochen, fo daß man mit Recht vermuthen
darf, es ſei im jenen Funden eime abſichtlich verjenfte Kriegs-
beute zu erbliden, die den Göttern geweiht war, und deren
einzelne Theile in folge deffen unbrauchbar gemacht wurben,
um fie anderen irdifchen Zweden zu entziehen. Auch Men—
fchen pflegten mitunter in Seen verfenft zu werden und
intereffant ift in diefer Hinficht ein Fund, der zu Haralb-
faer in Ditland gemacht wurde; hier entdeckte man im einem
Moore Hleidungsftüde und Felle, die auf einem weiblichen
Stelete lagen, welches mittelft eines Holzhalens in dem Moore
feftgerammt war. Auch hier fann man annehmen, daß wir
es mit einer den Göttern geweiheten Sriegsgefangenen zu
thun haben; wenn wir inbeffen die Stelle in der Germania
des Tacitus „corpore infames caeno ac palude iniecta
insuper erate mergunt“ vergleichen, fo lönnen wir aud)
eine andere Bermuthung aufftellen und annehmen, daß wir
bie Leiche einer durch Verſenkung beftraften Berbrecherin vor
uns ſehen.
Nocd haben wir de® Spuren einer auswärtigen fremben
Guftur, fo weit fie fi) während der Eifenperiode in Däne-
mark zeigt, nachzugehen: ſchon oben haben wir erwähnt, daß
ber ältern Eiſenzeit zahlreiche Ueberrefte römiſcher Cultur
angehören, welche fich namentlich in den Gräbern von See⸗
land gefunden haben. Da führen wir zuerft jene intereflan«
ten römifchen Glasgefäße aus den Funden von Varpes
lev, Himlingdie und Ballöby an, die um fo intereffanter
find, weil fie eine ganz eigenartige Technik verrathen: bie
einzelnen Figuren — es find meift Früchte und Blumen,
doch wurden aud) zu Thorslunde Gefäße gefunden, welche
383
Glabiatorenfämpfe und Thierjagden barftellten — find näm-
lich in einer eigenthlimlichen veliefartigen Weife aufgemalt,
wie e8 bei den fonft aufgefundenen antifen Glasgemälden
gewöhnlich nicht der Fall if. Daneben ficht man römifche
Bronzegefäße (Schöpftellen, Caſſerolen und andere), welche
bisweilen noch ben Stempel des Fabrilanten aufweifen.
Intereffant find auch die großen Brongeeimer, bie zu
Himlingdie aufgefunden find und um deren Kante eine
Thierjagd eingravirt ift, ferner zwei filberne zu Vallöbh
gefundene Becher, bie gleichfalls mit Thierfiguren geſchmückt
find; an berfelben Stelle fand man aud) Gefäße aus ber
terra sigillata, bie mit Nelieffiguren geſchmückt und mit
einem römiſchen Fabrilſtempel verfehen find. Namentlich
find aber wichtig die römiſchen Bronzeftatuetten, die
man an verjchiedenen Stelen Dänemarks entdeckte; fo ift
zunächft die etwa 10 Zoll hohe Statue eines nadten, ftehen-
den Junglings zu erwähnen, die durch ihre kunſtvolle Arbeit
fofort in die Augen fällt, ferner ein mit der Lanze bewaff-
neter Krieger, eine Bronzehand, die zu einer lebensgroßen
Statue gehörte, und eine wahrfcheinlid dem 3. Jahrhundert
angehörige Benusfigur. Daß auch zahlreiche römische Mins
zen in Dänemark aufgefunden find, haben wir ſchon oben
erwähnt; die älteften gehören dem 2, Yahrh. an und fie
erſtrecken ſich abwärts bie zur Mitte des 4. Yahrh.; fo find
3. B. auf einem Felde bei Brangstrup auf Fühnen 46
römifche Golbmlinzen gefunden, bevem jlingfte aus bem Jahre
351 ſtammt. Mit der Völlerwanderung hört die Handels:
verbindung zwifchen Dänemark und dem Süden auf und erft
wieder im 6. Jahrh. fcheinen neue Beziehungen angelnüpft
worden zu fein; im dieſe Zeit fallen die byzantiniſchen
Goldfolidi, deren Auftreten die fogenannte mittlere Eiſen⸗
zeit charafterifirt; mit dem 8. Jahrh. finden zahlreiche ara-
bifche und kufifche Münzen in Dänemark Eingang und
gleichzeitig fcheint eine Maſſe frembartigen Silber»
Ihmuds nach dem Norben eingeführt worden zu fein; fo
entbedte man in Beftervedfted auf Ytland, in Seierby
auf Seeland, in Baalfe auf Falfter und in mancherlei
anderen Orten zahlreiche, entjchieden auswärtige Schmud-
fachen, die in Berbindung mit arabifchen MUnzen des 9. und
10. Yahrh. gefunden wurden. Damald waren aber Däne⸗
marls Bewohner ſchon im den Kreis der Hiftoriichen Völler
eingetreten und es gehört daher die Charakteriftif diefer ſpä—
teren Funde nicht mehr im den Bereich unferer Stige.
Aus allen Erdtheilen.
Das füdöftlihe Californien.
Seit 1870 läßt die Regierung der Vereinigten Staaten
durch eine Anzahl von Expeditionen die im Gebiet der Felfen-
gebirge liegenden, noch wenig ftndirten Territorien unter
Leitung des Lientenant Geo, M. Wheeler erforfchen.
Rachdem im vorigen Jahre Utah, Colorado, New-Merico und
Arizona befucht worden waren, wurde 1875 das ſüdliche
Californien vorgenommen, Darüber bringt jeht die „Los
Angeles Poft" aus der Feder von Dr. Loew, ber zur
Wherler:Erpebition gehört, Mittbeilungen, welche den furcht:
baren Gontraft zwilchen dem gelegneten Küftenftrih und den
endlofen Wüſteneien des californifchen Hochlandes in ein
fo grelles Licht jtellen, daß man an ihrer Wahrheit zweifeln
lönnte, wenn fie nicht eben das Reſultat ber ſorgfältigſten
wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen wären.
Am 20. Juni trat Lieutenant Bergland's Abtheilung,
in der ſich außer dem Dr. Loew noch der Triangulator
Thompfon, ber Topograpb Birne und der Meteorolog
G. Haljon befanden, ihre Entdedungsreife von Los An:
geled aus an umb Fehrte am 3. October wieder dorthin zurück.
Die von ihr eingefchlagene Route war mit wenigen Worten
folgende: Bon Los Angeles Über den Cayonpaß nach dem
Mohave River, deffen Lauf fie bid zu dem Punkte folgte,
wo er in der Wüſte plöglich ſpurlos verſchwindet; von dort
nach Jvanpab, einem unbedentenden Minenpläschen an der
Grenze von Nevada, dann nach Cottonwood Island, einer
6 Meilen langen Inſel im Colorado: Fluffe, die von ben
Bayute-Indianern bewohnt wird. Dem Laufe bes Colorado
bis nach Galville, einer verlaffenen Mormonenanfiebelung
im nörblichen Arizona, folgend gelangten fie über die Berge
an den Rio Virgin; von hier nad Arizona und in bie
minenreichen Hualapais Mountains. hr nächſtes Ziel war
Fort Mohave, das weitere die Umgebung von Fort Yuma
384
am Rio Colorado und in ber fühöftlichften Ede von Ealir
fornien, von wo fie, eine direct weſtliche Richtung einjchlagend,
nadı dem Dry Lake gelangten, dem Bett eines großen Binnen:
fees, deffen Boden 0 Fuß unter dem Meereäipiegel gelegen
und mit Muſcheln aller Art bebedt ift; von Dry Lafe über
den San-Gorgonio-Paß nah San Bernardino, von San
Bernardino zurüd nach Los Angeles.
In unserm ganzen großen Nordamerika, jagt Dr. Loew,
giebt es kaum einen andern Landſtrich, der weniger erforicht
und befannt wäre, wie die Südoſtecke von Californien, und
die unendlichen Schwierigkeiten, welche fich dort auf Schritt
und Tritt den Reiſenden entgegenftellen, laflen uns noch
jegt in vieler Beziehung über den wahren Charakter beffels
ben in Zweifel. Es ift eine Wüfte im weiteften Sinme des
Wortes, in welcher das Thal des Mohaves und Colorado:
Fluſſes die einzigen grünen Dafen find. Die unerträgliche
Hite, die im Sommer nicht felten auf 125% F. und barüber
fteigt, die gewaltigen Sandftürme, welche in ihrem Charakter
allein dem Samum der Sahara vergleichbar find, der anfer:
ordentliche Waffermangel, die kahlen, in gewillen Abftänden
von einander ſich erbebenden Bergzüge, kurz das ganze Ge:
präge dieſes Landftriches , das nebenbei ein Fünftel des ge
fammten Californien ausmacht, ruft dem Neifenden das Bild
der großen afrifaniichen Wüfte vor fein geiftiges Auge.
Welch’ ein wunderbarer Gegenfag zu ben blühenden Fluren
des Los:Angeles:Thales, von dem er kaum mehr als 100
Meilen entfernt iſt!
Kein lebendes Wefen, als höchftens eine Eidechſe oder
eine Anzahl gefchäftiger Ameifen weit und breit zu erbliden,
fein grüner Strand, feine buntfarbige Blume unterbricht die
Einförmigkeit des Bodens. Und doc ift auch das Pflanzen-
reich hier vertreten wie das Thierreich, wenn gleich nicht
weriger armfelig, denn ein paar blüthen- und blätterlofe
Stengel find Alles, was wir bavon erblidten. Aber das
Mineralreich liefert der Wiſſenſchaft eine reiche Ausbeute,
und die intereffanteften Sammlungen, namentlih von vul⸗
canischen Gefteinen, haben ihren Weg von Hier aus mac
Waſhington gefunden.
Auf ihren Märfchen beftändig der Gluth einer unbarn-
berzig fengenden Sonne ausgeſetzt, mußte die Abtheilung
des Lieutenant Bergland durchſchnittlich 30 bis 40 Meilen
täglich zurüdlegen, um zu den Quellen zu gelangen, bie fie
nur dann richt zu verfehlen ficher fein konnte, wenn fie ge
wiffenhaft den Indianerpfaden folgte. Und wenn fie es ge:
fuuden hatte zeigte es fich häufig ſalzig oder bitter.
Die wenigen einigermaßen befiedelbaren Dafen werden
von Indianern bewohnt, und zwar haben die drei bedeuten:
deren Stämme der Pajutes, Eheinehucvis und Mohaves fih
in dem Thale des Golorabo-Fluffes niebergelaffen ; ans der
Sprade biefer ſowie aus derjenigen von vier anderen Stäm-
men ift es dem Dr, Loew gelungen, ein VBocabularium von
400 Wörtern zufammenzuftellen.
Die Late Wyre-Erpebition,
welche wir in Mro. 19. diefer Zeitichrift beſprachen, beglei:
tete der Naturſorſcher 5. W. Andrews. Wir verdanfen
ibm folgende Heine Mittbeilungen. „Im Warburton⸗Fluſſe
ober, wie man gewöhnlicher jagt, im Salt Greek, nörblid
vom Lake Eyre, entdedten wir bei einer plötlichen Biegung,
welche dieſer Wafferlauf macht, indem er feine nordweſtliche
Aus allen Erbtheilen.
Richtung verläßt, eine teichartige Ausbreitung im Umfange
von vierhundert Dardd. Die Tiefe konnten wir nicht er:
mitteln, da es uns an dem dazu nötigen Werkzeugen fehlte.
Wir nannten dieſen Heinen Teich „the Fiſh-hole“, weil er
und zu einer Zeit, wo wir großen Mangel an Lebensmitteln
batten, mit den fchönften Fiſchen reichlich verforgte. Derſelbe
wird offenbar durch Duellen gefpeift, denn fein Waſſer war
frifch und weich, während es an anderen Stellen des Fluf-
ſes, wo noch welches vorhanden war, einen falzigen Ge—
fchmad hatte. Die vielen Lagerpläge der Eingeborenen,
welche bier gefunden wurden, beuten darauf bin, daß ber
Teich ein permanenter if. Die Intheriihe Miffionsftation
am Late Kopperamanna (hat feine Erfolge aufzuweiſen)
macht auch ihrem Aeußern nach feinen günftigen Eindrud,
Man ſieht nichts weiter als eine alte Hütte und eine Palli-
faben-Einhegung in einer bürftigen Gegend. Nur in ber
Ferne bemerkt man etliche Bäume, fonft nichts weiter als
Heine grafige Stellen. Der See liegt dort gewöhnlich troden,
wie in ben letzten ficben Monaten wieder der Fall geweſen
war. Zum Trinken ift das Waffer nicht tauglich, da es
ſehr Ichäbliche Eigenſchaften beſitzt. Der Lake Berrigundi
repräfentirt ein imponirendes Waflerbett mit niedrigen Bän-
men, welche feinen Rand befegen, und mit einer Hügelkette
im dintergrunde. Die Eingeborenen hegen eine abergläu—
bifche Verehrung gegen diefen Ort und jehen die Anwefen-
beit vom Weifen in beffen Nähe als eine Entweihung an.
Bor zwei Jahren wurbe hier der Auficher eines „Run“,
welcher ſich hingewagt hatte, ermordet; und es ift immer
mit Gefahr verbunden, die Gegend zu betreten. Wir bielten
daher fcharfe Wache, um und gegen etwaige Angriffe der
Eingeborenen zu ſchützen. Auch diefer See, wie überbaupt
alle Gewäffer, welche wir bereiften, war dem Austrocknen
nahe. Der freiöförmige Late Mulyinburrina, nicht weit
vom Late Madinlay, ift beträchtlich Heiner als der Lake
Perrigundi, bat aber fonft eine ganz "ähnliche Lage. Enten,
Schwäne und andere Waflervögel gab es in Menge, und
sahlreiche Lager der Eingeborenen,, welche faft ausſchließlich
vom Fiſchfang lebten, umgaben den See. Die Myriaden
von Mosquitos machten den Aufenthalt bier keineswegs
angenehm.“
* * %
— Pr. Lepkowski, Profeſſor der Krakauer (Jagello—
niſchen) Univerfität, iſt vom Cultusminiſter zum General:
conſervator fämmtlicher vorhiſtoriſchen Denfmäler
Galiziens ernaunt worden.
— Ein reicher Auſtralier, Mr. Samuel Wilſon, in der
Colonie Victoria hat au die Univerſität Melbourne ein
Geſchent von 30,000 Bf. St. gemacht.
— Am 2oa-Fluffe, der Südgrenze von Bern, find be-
deutende Lager von Gold, Silber und Kupfer (von letsterm
Metalle auch in Billaque bei Tacna) gefunden worden ; ebenjo
Anzeichen, welche beweifen, daß felbige ſchon von dem erften
Spaniern auögebeutet worben find.
— In den Wäldern des Rio Negro (brafifianifche Pro-
vinz Parangh ift unter dem Namen „St. Thomas de Bapan-
dura® eine Niederlaffung gegründet worben, um dadurch
vielleicht die fich dort herumtreibenden 3000 bis 4000 Bugres⸗
Indianer zur Anfiedelung und zu einer geregelten Lebens
weife zu bewegen.
IE BEER ER LESSAHINSE DEE DIES PAR LEE
Inhalt: F. Garnier's Schilderungen aus Pünnan. VII. (Mit drei Abbildungen.) (Schluß) — Stanley’s
Erforfchung des Victoria Niyanza. (Mit einer Karte) — Die Mongolen. Bon Albin Kohn. II. Schluß.) — Die prä:
biftorifchen Alterthümer des nordiſchen Mufenms in Kopenhagen. Bon Dr. Hafſenkamp. II. (Schluf.) — Aus allen
Erdtbeilen: Das jüdöftliche Californien. — Die Lale-Eyre-Erpedition. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 27. No-
vember 1875.)
Medacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftraße 13, II Tr.
Drud und Verlag von Friedrich Bieweg und Sobn in Braunſchweig.
Hierzu eine Beilage: Literarifher Anzeiger Mr. 9.
Band XXIX.
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnolonie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunſchweig
Jaährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatli 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Mark, Einzelne Nummern 50 Pf.
1876.
— —⸗
Die Wüſte Atacama
Unter allen ſUdamerikaniſchen Staaten hat Bolivien weit
aus die unglinftigfte geographifche Yage: während alle ande»
ren mehr oder minder große Kiüftenftreden mit mehr oder
minder trefflichen Häfen in ihrem Bejige haben und felbft
das jest entwöllerte und verwüſtete Paraguay tief drinnen
im Binnenlande ſich eines großen, ſchiffbaren Stromes er-
freut, welcher in der Zukunft fein gutes Theil zur Hebung
des unglüdlicen Landes beitragen wird, iſt Bolivien faft
von jedem Berfehr mit der Außenwelt wie. abgejchlojien.
Dort, wohin feine Ströme fließen, nach Norden, Often umd
Südoften, ift es durch breite, nur von Indianern betvohnte
Wildniſſe und Planos von den nächſten, aber immer noch weit
entfernten Handelsplätzen gefchieden, und jene Ströme tragen
feine Schiffe, entweder weil Riffe und Felsbänle, wie im
Madeira, einem der mächtigiten Zufliiife des Rio das Ama—
zonas, denjelben unüberrwinbliche Hinderniſſe entgenenftellen,
oder weil die Indolenz der Anwohner fich noch niemals ern ſt
Lid; um ihre Schiffbarfeit gefümmert hat, wie dies bis vor
Kurzem mit den nad, Südoſten laufenden Zuflüſſen des
Paranä, dem Bermejo, Pilcomayo und Otuquis der Fall
geweſen if. Und wie dem Yande die VBerbindungsiwege mit
dem Atlantifchen Ocean fehlen, fo auch die mit dem Paci-
ſiſchen. Nur ein kurzes Stüd von deſſen Küfte nennt es
fein, ohne einen einzigen gepflegten Hafen obendrein und
außer durd; einen hohen Gebirgswall noch durch einen breis
ten entſetzlich öden und waflerlofen Wüſtenſtrich von dem am
beiten bevölferten und probuctivften Theile der Republik ge-
ſchieden. Daß diefe unglinftigen natlürlichen Bedingungen
Globus XXIX. Mr. 1.
von größter Bedeutung flir den materiellen und fittlichen
Zuftand der Bewohner gewejen find, ift leicht begreiflid-
Dalence, der erfte Statiftifer Boliviens, beginnt den Abe
ſchnitt über den öffentlichen Unterricht in feiner Statiftif der
Republif mit dem bezeichnenden Worten: „Ich befenne frei,
daß mir bei der Redaction dieſes Paragraphen die Feder
aus der Hand fällt, weil er in unzweifelhafter Meife dem
——— Fortſchritt darthut, den wir feit der Erlangung
unferer Unabhängigkeit in der Aneignung menſchlicher Kennt
niffe gemacht haben.“ (Wappäus’ Handbuch der Geographie
und Statijtif I. 3. Abth. ©. 706.)
Die Kunſt des Leſens ift wenig verbreitet, alfo auch die
Scwiftitellerei und die Journaliftif, während die Poeſie allein
in Blüthe ftehen fol, ein Verhältniß, welches her ciwilifirten
Völkern das umgelehrte zu fein pflegt. Der Ha ' ji aus
bedeutend, die Ausbentung der reichen Metallfdyage gegen
frliher fehr gefunfen. Während unter den wenigen Gemers
ben, weldje betrieben werden, die früher fehr bedeutende
Wollene und Baummvollemveberei in Abnahme begriffen ift,
fcheint die Zahl derjenigen, welche Branntewein und Chicha
bereiten und ausſchenken, in fteter Zunahme begriffen zu fein;
und während das fruchtbare Yand eine Menge für den Welte
handel wichtiger Artifel, wie Kaffee, Zuder, Cacao, Baum⸗
wolle, erzeugen fönnte, muß e8 im Gegentheil nod Nahrungs»
mittel importiren und fann nichts als das in jenen Yändern
fo beliebte Reizmittel der Coca ausführen.
Es fehlte aber, namentlich im dem legten Jahren, nicht
an Vorſchlügen und Projecten, um die Republit mit der
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Die Wüfte Atacama. 3
Außenwelt in Berbindung zu bringen, ihre ungehobenen
Reichthumer auf diefe Weife dem Weltverkehre zuzuführen
und das ftodende Yeben dort in Bewegung zu jegen. Cine
Geſellſchaft bildete fich, um die Steamffineden des Madeira
mittelft einer Eifenbahn zu umgehen und dadurch eine fegen:
bringende Handelsjirage nach Brafilien, nad) dem Amazonens
ſtrom, zu ſchaffen. Die Ingenieure Keller: Feuzinger haben
die Vorarbeiten zu dieſem leider noch wicht im Angriff ges
nommenen Bau andgeführt; ber „Globus“* hat im jeinem
25. und 26. Bande ausführlich von ihnen berichtet.
Ebenfo giebt «8 eine Gejellfchaft zur Befahrung des Rio
Bermejo, deren erfter Dampfer gegen Ende des Jahres 1873
lüdlich diefen Fluß 720 engliſche Meilen bis Esquina
Sun: hinauffuhr und fo deifen Braudjbarfeit als Wafler-
ſtraße endgliltig feftftellte; während im Juni 1874 der Nord:
(pr. Mechiljones). Hatten ihm ſchon beim Yanden die zahl-
reichen Vorrichtungen zum Deftilliven und Trinlbarmachen
des Seewaſſers auf einen ber größten Mängel dieſes Gebie⸗
tes aufmertſam gemacht, fo gab ihm dieſer furze Ritt einen
noch viel deutlichern Begriff von deflen Dürre und Unweg ⸗
famteit. Echon nad) zweiftlindigem Marfche verlangten feine
Gefährten nad; Ruhe, weil der entſetzlich fteinige, abjchüfjige
Weg ihnen fo arg zugefegt hatte. Wie der ganze Yandftrich
nichts als Sand bietet, aber fein Waller, keine Bäume, feine
Wege, fo beftchen aud die — Unſiedelungen nur aus
Holzhäufern. Wie unfer Bild zeigt, ift Mejillones, damals
ein Dorf von 200 Einwohnern, ein keineswegs verlodenber
*) Dal. The Geogeaphival Mogazine I, 1874, S. 17 u. 305.
amerifaner Commander Cilley ein Gleiches für den Rio
Otuquis nachwies *). Ob feitdem biefe wichtige AUngelegen-
— weitere Schritte nad) vorwärts gemacht hat, iſt uns nicht
annt. a
Endlich Hat man auch im den legten Jahren daran ger
dacht, der Republik Bolivien nad; Weiten zum Stillen Ocean
hin einen Verkehrsoweg zu fchaffen; mit den Vorarbeiten zu
diefem letztern, welche der frangöftfche Ingenieur A. Brefjon
machte, follen ſich bie nachfolgenden Zeilen beſchäftigen.
Im März 1870 begab derfelbe ſich nach Eiibamıcrita,
unähft als Mitglied einer halb wiſſenſchaftlichen halb
ee Commiſſion, welche die Guanolager und Metall:
ichäge des bofivianifcen Kuſtenlandes unterfuchen follte.
Nach vierzigtägiger Heife landete er in Cobija und ritt
von dort längs der Hüfte nach dem unfernen Mejillones
Changos-Yudianer mit Baljas⸗Flößen.
Aufenthalt; ja es hatte trog der „hunneras“ (Guanolager)
in der Nähe fiir jene Commiffion jo wenig Anziehendes,
daß dieſelbe ſich ſchon nad) 24 Stunden wieder mit dem
gerade anlegenden Dampfer nach Balparaifo davon machte
und Mr. Brefjon mit fieben Kiſten voll Neagentien und
Inftrumenten allein zurückließ, mittelft deren ex den Guano
und die Mineralien der Umgegend nad) Herzensluft unters
fuchen konnte, Aber der gezwungene Aufenthalt dort erwwedte
in ihm die Ueberzeugung, daß Mejillones fein ganz verlo-
rener Boften fei, vielmehr, wenn die Sache richtig angegriffen
wird, ſich mit der Zeit zu einem blühenden — —————
entwicleln könne.
Weſtlich von dem Dorfe zieht ſich der Abfall des 800 Meter
hohen Morro de Mejillones weit nach Norden in den Ocean hin:
1?
4
ein und bildet fo einen herrlichen, von feinem Felſen, feinem
Riffe gefährdeten Bufen, deſſen Oberfläche ftets ruhig und
faft unbemegt if. Yangfam rollen die niedrigen Wogen
an den fandigen Mufchelftrand; der Höhenunterjchied zwiſchen
Ebbe und Fluth beträgt kaum 1 bis 1!/, Meter, Nie ſtürmt
oder donnert ed, während in der heißen Jahreszeit fortwäh-
rendes Wetterleuchten die Nacht erhellt. Bei Tage ftrahlt
der Himmel in ewigem Blau: ſeit Menſchengedenken fiel
nur einziges Mal Kegen; es war im Mai 1848, Dabei
hat ber ein beneidenwerthes Klima: die Beobachtungen,
welche Breflon zwei Jahre lang anftellte, ergaben als Mittel
der Tagestemperatur im Fruhling 25,7%, im Sommer 27,6°,
im Herbſt 25,8% und im Winter 25,2%, alfo ein Schwanlen
von nur 2°, während bie entfprecjenden Durchichnitte ber
r*7 2
1
Die Wüfte Atacama.
Nadıttemperatur 16,4", 15,9", 16,1° und 14,8% betragen,
jo daß man allerdings innerhalb 24 Stunden einen zwei
maligen Würmennterfchied von 10 bis 119 burdjmachen
fan. i
An diefer Bay ſichen die niedrigen, meift einſtöckigen
Holzhäufer von Meiillones, deren beffere, in ihre Theile ger⸗
legt, von Balparatjo oder den Vereinigten Staaten her eins
geführt wurden und dem Baron de Kiviere ihre Aufftellung
verbanfen. Diefer Franzoſe foll ſich um den Ort wohl
verdient gemacht haben; er war es, der zuerft die Öuanolager
der Umgegend ausbentete, eine Holzmole zur Aus- und Eins
ſchiffung der Paflagiere und Gitter errichtete, das Zollhaus
und die Wohnungen der Beamten baute, Natürlich fehlt
auch hier eine Meerwaſſerdeſtillation nicht; ihr Product war
Atacamenos und Aymaras.
das erfte der bofivianifchen Induſtrie, welches Breſſon zu |
fehen befan, das erfie, welches der Ort fabrieiren muß,
wenn er überhaupt beftehen will.
Nachdem er feine chemischen Unterſuchungen des Guano
und feine Nachforſchungen nad; Metallen möglichſt raſch
beendet hatte, veifte auch er nad) Balparaijo, feinen bavon-
gegangenen Gollegen nad. Der Dampfer legte häufig an,
mitunter dreimal des Tages, ſtets bei einjamen, elenden
Bäfen. Intereffant aber war ihm bie Yandung bei Papoſo,
einem kleinen Dörfchen in der nördlichften chileniſchen Pros
vinz Atacama, weil er dort die Befannticaft der Changos
(ipr. Tichangos) machte, eines mertwurdigen Neftes der alten
Bevölterung des Yandes. Diefer den Araufanern verwandte
Stamm bewohnt die Käfte des Stillen Oceans von Caldera
im Süden bis Mejillones, etwa 5 Vreitengrade, zählt aber
faum noch 250 bis 300 Iudividuen, weldye zumeift ihre
Mutterfprache, das Arauco, mit dem Spanifchen vertaufcht
haben, Sie find, von einigen Bergwerlsarbeitern abgefehen,
Fiſcher, die ſich bei, oft brakiſchem, Waffer eine Hütte aus
vier Walfifchrippen — foldye bietet der Strand in Menge —
und Sechundsfellen oder alten Segeln zujammenfliden.
Drinnen bildet die ganze Ansftattung ein Sclaud) aus
Robbenfell zum Aufbewahren des Trinfvaflere. Zum Fiſch-
fange jahren fie auf Balfas; c& find das zwei neben eins
ander befeftigte, aufgeblafene Sechundsfelle, deren Spigen
wie bei Schnabelſchuhen nach oben gerichtet find, Auf den
die beiden Schläuche verbindenden Querleiſten liegt ein drit-
te8 Fell, und darauf figend oder hodend wagt ſich ber
Change weit in das Meer hinein. Einſt war diefer Stamm
den Zueas von Peru unterthan, und aus jener Zeit ſtammt
Die Wülte Atacama. 5
ihre Gewohnheit, Coca zu fauen, welche fie ſich gegen ger
trodnete Fiſche im den Städten des innern Yandes eintaus
hen. Sie ſchreiben dem Kauen der Gocablätter bie
Eigenſchaft zu, die Kräfte des Menſchen auch ohme Zuflih⸗
zung von Speife zu erhalten, oder richtiger wohl, die Nerven
zu reizen und anzufpannen. In der That vermögen bie
Indianer, wie die Soldaten und Maulthiertreiber, ohne
Nahrung zu ſich zu nehmen, lang andauernde Marſche in dem
heigen Triebfande zurlichzulegen, wenn ihnen nur das Priem-
hen im Munde nicht fehlt. Im regelmäßigen Zwifchen-
räumen legen fie die getrodneten Gocablätter in die linle
flache Hand, feuchten fie mit der Zunge an, thun mit einem
Stäbchen ein Stüd Kalf oder Ylıpta (alfalifcher Teig aus
der Aſche des Quinoa-Cactus) darauf, um eine in den
Blättern enthaltene Säure zu neutralijiren, rollen das Ganze
zu einer Kugel zufammen und ſchieben es vergnügt in den
Mund. Fir den nicht von Yugend auf daran gewöhnten
Europäer hat dies Kauen jedoch unangenehme Folgen.
Den Changos find die nördlich von ihnen figenden
Atacamenos, ebenfalls gering an Zahl, wahrſcheinlich ver—
wandt, infofern als beide zur araufanifchen Race gehören,
wenn auch die wenigen Worte aus beiden Sprachen, welche
Breffon zu ſammeln vermochte, durchaus nichts Achnliches .
zu befigen fcheinen. Das färffte Indianervolf iu Bolivia
ift das der Aymara, welche fih am reinfien in der Gegend
des Titicaca · Sees und auf dem wetlichen Theile der Hodhe
ebene erhalten haben. d'Orbigny fchägt ihre Anzahl auf
etwa eine viertel Million, die ihrer Miſchlinge (Dreftigen)
Vaqueand und Arriero,
auf 130,000. Breſſon findet dies Volk fehr häßlich; nie
fah er ein anziehendes Geſicht, nie eine annuthige Gewan—
dung. Das Hauptftiid derfelben ift die Montera, ein Hut
von ber Form eines Biuntentelches, deffen Rand etwa 2 Fuß
mißt, Dazu fommt eine Anzahl Röde von ſchwarzer ober
dunfelblauer Farbe und im verfchiebener Anzahl je mad; dem
Alter und den Bermögensumftänden des Befigers; ein
Wamms vom felben Stoff und ein Halstuch, deſſen Enden
auf der Bruji von einer Spange zufanımengehalten werden.
Beide Geſchlechter flechten das Haar in eine Menge von
Strähnen, welche einzelm ober zu einem Zopfe zufammens
gebunden auf den Naden herabhängen.
In Balparaifo hatte Breffon wenig Erfolg; er erhielt
dort michts, als feine Entlaffung, und erft nad) mehrmonat-
licher Pauſe konnte er nad) Mejillones zurückkehren, um Vor-
Studien für eine die Wüfte Atacama durchichneidende Eiſen⸗
bahn zu machen. Am 25. März 1870 hatte Don Hofe
Diaz Gana, der geſchickteſte und berühmteſte aller „Catea-
dores“ ober Erzſucher, der in Dienften bes oben erwähnten
Baron de Riviere ftand, reiche Gilberadern in der Wie
entdedt, welche jofort ganze Ströme von Unternehmungss
luftigen herbeilodten. Hunderte von Expeditionen machten
ſich aus Chile und Bolivien auf, Taufende von Conceſſions-
bewerbungen liefen ein, mächtige Geldeompagnien bildeten ſich,
und man beſchloß, die Erzlagerftätte in der Wüfte mit der
Kuſte durch einen Schienemveg zu verbinden.
Sana, welchem diefer Glüdsfall zu verdanfen war, ift
der König aller Cateadores, die ebenſo unerfchrodene Reiſende
als erfahrene Bergleute find. Auf einem Maulthier reitet
6 Die Wüfte Atacama.
der Cateador ohme Führer, nur mit einigen frugalen Yebens:
mitteln und etwas Wafler verjehen, im die Wifte hinein,
Sein ganzes Handwerkäzeug befteht in einer Heinen Bade,
einer Stahlzange, einem Endchen Yicht und einem Yöthrohr,
Ihn leitet fo zu fagen ein inftinctives Ahnen, oder beſſer die
zahlloje Maſſe feiner früheren Beobachtungen und Erfah:
rungen; das allgemeine Ausjehen der Gegend, ihre beftändige
Farbe oder zufällige Färbung, bie
bradas, jener abjchüj-
figen Schluchten,
welde die Wülfte
durchziehen, die Art
der Felstrummer und
vor allen das Bor⸗
fommen von Schwer»
ſpath, deflen Spur
er beiler, wie ber
gelehrtefte Minera-
loge verfolgt, Aber
trog feinem durch⸗
dringenden Auge,
feiner unermüdlichen
Geduld und Aus:
dauer wird der
Cateador häufig ger
täufcht und hat ſol⸗
dien Fund, wie deren
einer Dir. Breffon
in die Utacama zu⸗
vüdrief, oft mehr
dem glüdlicdhen Zu⸗
falle als feiner Ge—
ſchidlichleit zu ver:
danlen.
Nachdem Breſſon
die ganze Küſte, jo
weit ſie zu Bolivia
gehört, unterſucht
hatte, lam er zu dem
Schluſſe, daß Mejil
lones der beſte Aus—
gangspunlt fur die
zu erbauende Eiſen—
bahn ſei. Sein an⸗
derer der fünf Lan⸗
dungspunkte auf jes
ner Steede konnte
fih an Sicherheit
des Anferplages und
an Seräumigfeit des
mit Häufern zu bes
bauenden Terrain ==
mit Mejillones mes * A —
fen. Obendrein hatte
die Auffindung jener
Silberadern den Platz ſchon ſehr achoben: die Häuferzahl
hatte ſich fofort verdoppelt und die Bevölferungszahl war
auf 2000 angewachjen, Um nun die Wültenreife mit Er:
folg zu unternehmen , galt es einen geeigneten Baqueano
zu finden, Nichts ift ſchwieriger, als in der Wüſte beſtimmte
Richtungen einzuhalten, weil ſich durch die Wirkung der
heftigen Winde unabläffig ihre Oberfläche verändert. Tritt
heftiger Sudwind ein, jo färbt ſich der Horizont gelblic)
roth; die Sonne wird verhüllt; von den Spigen der Dilnen
erheben ſich gelbe Sandwollen. leid) darauf werden ganze
Wogen von Sand und Kies die Süidabhänge aller Ter-
lm 4
E17}
D
8
Beſchaffenheit der Que | dem
er Wüſtencactus.
rainerhöhungen emporgetrieben und fallen auf dem ent
gegengefegten Abhange in Cascaden herab, wobei fie ein
ziſchendes Gerauſch hervorbringen, wie ber Dampf beim Entwei»
chen aus einem Yocomotivfeflel. Hat fid der Wind gelegt,
jo hat ſich die ganze Landſchaft vollftändig verändert; wo
| früher ein niebriger Hügel ſich erhob, ragt nun ein fegel-
förmiger Berg empor. Nur ein Menjch kann ſich in
Labyrinth neuer Bodenerhebungen zurechtfinden, der
Vaqueano; von ihm
hängt das Schichſal
der Saramanenzlige
ab. Er beflihlt und
beriecht nicht nur den
Erdboden, nein, er
fojtet ihn auch, um
ſich zurecht zu finden.
Natürlid, läßt er ſich
au durch den
Stand der Sonne,
beziehungsweife der
Sterne leiten, na—
mentlihh des Gen-
tauren, der Magel⸗
laniſchen Wolfen,
des Orion, worin
die Indianer den
Laſſo eines jagen«
den Gottes erbliden,
und vor allen durch
das fühlidhe Kreuz,
weldyes allen Böls
fern der füblichen
Hemifphäre wie eine
Uhr zur Beitein
theilung und Oriens
tirung dient. Dabei
it er fühn und
tapfer, ehrlich und
rechtſchaffen, lalt⸗
blutig und geſchickt,
verſteht ſich trefflich
auf die Behandlung
von Krankheiten und
Wunden, forgt na»
mentlid für die
Laſtthiere mit großer
Umſicht und begnügt
ſich bei ſolch anfiren-
gendem Yeben mit
wenigen Biſſen und
einigen Schluden
: " : ar: ! Waſſers.
re Ta Eine faft ebenfo
wichtige Perfjönlid)
feit wieder Baqueano
ift der Arriero, welcher dem langen Zuge der mit Yebens-
mitteln, Waſſer und Gepäck beladenen Maulthiere voraus-
reitet und namentlich für ihr Geſchirr zu forgen hat. Der
Packſattel befteht aus mehreren Hammelfellen, melde mit
einem großen Vederriemen feftgefchnallt werden. Jedes Thier
trägt 2 bis 3 Waffertönuchen, welche 35 bis 45 Liter halten,
oder eine entſprechende Laſt Pebendmittel. Diefe find in
Säde von ungegerbtem Yeder (petacas) gehüllt, welche mit
Laſſos, jenen gedrehten Yederriemen, am Saumfattel feft-
gebunden werden. Auch die Menfchen fatteln dort zu Lande
ihre Thiere mit Fellen, auf welche der Recado, ein Holz
B. Denede: Die neuvorpommerfchen Hüften.
gerüft, zu liegen fommt. An legterm hängen zwei riefige
hölzerne Steigbügel und hinten der Yaflo, den aber der in
feinem Gebrauch ungeübte Eurgpäer beſſer durd) Halfter
7
erſetzt, welche außer allerhand Kleinigkeiten einen Revolver
und eine Flaſche voll Kaffee und Cognac zur gelegentlichen
Stärkung bergen.
Die neuvorpommerſchen Küften.
Bon B, Denede in Barth.
Dit einer Karte.
Wo nicht Steillüften, wie auf Rügen, einen fihern Damm
und Wall gegen die Angriffe der falzigen Fluth bilden, fon-
dern wo weicher Moorboden und fandiges Gelände viele Mei—
len weit nur wenige Fuß hoch über dem Meeresipiegel ſich
erheben, da nagt die gierige Fluth unabläſſig am Ufer und
fordert alle Thatkraft und Berechnung der Strandbewohner
heraus, um nur dem status quo aufrecht zu erhalten. Der
felbe wird indeffen durch Ereigniffe, wie die befannte Sturnt=
fluth vom 13, November 1872, ernftlic gefährdet. Durch
ſolche gewaltfamen Sturmläufe, unternommen, um durch
Ueberrafchung das zu erobern, was durch jahrelanges heims
liches Wühlen, Nagen, Spitlen nicht erreicht werden fonnte,
fol die alte erbarmungslofe Feindin, die See, bereits in
vorgefchichtlicher Zeit die Niederungen hinter dem Dark und
dem Zingſt in Befig genommen und fo den Saaler, Boot:
fteber und Barther Bodden nebft der Grabow gebildet haben.
Ic verweife behufs der Drientirung auf die beigegebene
Karte (S. 8).
Der mit Hligeln und ftattlichen Waldungen bededte Bo—
ben der Halbinfel Dark befigt gegenwärtig noch die größte
Widerftandsfähigkeit.. Nur die Ränder des Bierecks find
zeitweifen Ueberfluthungen ausgeſetzt. Anders verhält es ſich
mit der faft gänzlich flachen Infel Zingft. Diefelbe wurde,
wie auch auf unferer Karte durch Schattirung angedeutet ift,
während der großen Novemberfluth gänzlid) unter Waller
geſetzt. Die Dünen der ganzen Süftenjtrede wurden hinweg:
geſchwemmt; nur die große, etwa 40 Fuß hohe Düne Kien-
ort hielt Stand, ſowie auch die hodhgelegene Kirche von Pre—
. rom (in Oft-Prerow) vom Waſſer nur befplilt wurde. Alle
übrigen menfchlichen Behaufungen der Infel: der Flecken
Zingft mit etwa 1500 Seelen, das Fiſcherdorf Straminte,
der Weiler Pramort, die der Stadt Straljund gehörigen
Pachthöfe, Alles ftand bis zum Dadje der meiftens ein
ftödigen Häufer im Waſſer, doch nicht im ruhig fliehen:
den, fondern inmitten wild brandender Meereswogen, die mit
einem Drude die Fenſter in die Stuben hineinwarfen , mit
einem Schlage die fteinerne Füllung aus dem Holzfachwerle
der Scheumen und Wohnhäufer ftürzten.
Außerdem hatten die niedriger gelegenen Theile des Dar:
ßes viel zu leiden. So das Dorf Weft-Brerow, welches am
ſchwerſten heinrgefucht wirrde, und wo auch mehrere Menjchen
das Leben verloren; ferner die Umgegend bes Leuchtthurmes
auf Darfer-Ort. An diefer ausgeſetzten weit hervorragens
den Yandjpite jcheint das furchtbare Naturereigniß im bejon-
der& überwältigender Geftalt aufgetreten zu fein. Die Wafjer-
mafle, welde, vom Orcane getrieben, gegen die Küſte ſich
warf, brachte grbbebenartige Erfcheinungen hervor, Der 135
Fuß Hohe Leuchtthurm nebſt dem angebauten maffiven Wohn-
haufe begann zu wanlen. Drei Männer vermochten mit
Yufbietung aller Kraft eine Thür nidyt zu öffnen, da das
umgebende Gebälk aus dem rechten Winkel gewichen war,
und eine von dem beherzten Thurmwärter von einem Feuſter
I.
aus unternommene Lothung ergab ein Abweichen der Thurm ⸗
wände um mehrere Grade. — ferner wurde der Vordarß
mit dem Dorfe Ahrenshoop gänzlich überfchwenmt, während
das höher gelegene medlenburgifche Fiſchland — zum großen
Güde für die bedrängten Ahrenshooper — mit Ausnahme
ber Dörfer Alten» und Neuenhagen, welde vom Binnenwaſſer
her etwas zu leiden hatten, faft gänzlich verfchont blieb, Da:
gegen war die fchmale, — Bass im Sliden des
Fiſchlandes verſchwunden, und man fheint anfangs gezwei-
felt zu haben, ob das Meer feine Eroberung wieder heraus:
eben, oder ob es diefelbe, wie 1305 mit dem flblichften
heile der Halbinfel Möndgut auf Rügen geſchehen, flie
immer behalten werde. Nach dem Ausſpruche eines body
geftellten Sadyerftändigen würden in biefem alle die das
hinter belegenen Küften bet jedem Hochwaſſer der größten
Gefahr ausgefegt geweſen fein.
Die ſüdlichen Geſtade der vier zufammenhängenden Meer:
bujen wurden von der großen Fluth nicht verſchont. In
ber Bartheniederung drang biefelbe eine halbe Meile weit
lanbeimvärts bis zu den Dörfern Divig und Frauendorf
vor. Noch einige Monate fpäter ſah man einige coloffale
Erdſchollen, 5 bis 6 Cubifmeter groß, in der Nühe des
Dorfes Planitz, ein Undenten, welches die See zurüchgelaſſen.
Die Etadt Barth war in eine Halbinfel verwandelt, nur
durch einen ſchmalen Zugang im Often mit dem Feſtlande
verbunden. Die Vorſtädte ftanden größtentheils 4 bis 5 Fuß
tief im Waſſer.
Eine höchſt empfindliche Folge der großen Ueberfluthung
war die Vermifchung des Trinfwaffers mit Seewaſſer. Biel
ſchwerer noch war die VBerfandung vieler Aeder und Wiefen,
ſowie die faft gänzliche Vernichtung des Viehſtandes zu ertra-
gen. Doch wurde durch Abſchöpfen das Brunnenwafler all»
mälig wieder geniegbar, und das verlorene Vieh, der ver-
borbene Ader wurden aus den Unterftügungsfummen erfegt.
Daß viele Wald» und Obftbäume abftarben, welche längere
Zeit mit dem Salzwaſſer in Verligrung gelommen waren,
ſchien von geringerer Bedeutung. ine länger nadjwirtende
und darum ſchlimmere Folge war bie eingetretene Entmus
thigung aller Inſel ⸗ und Halbinfelbewohner, deren viele ſich
ſchon mit dem Gedanken vertraut zu machen fuchten, ihre
dem Untergange gemweihete Heimath verlaffen zu müflen.
Zahlreiche wohlhabende Scyiffer lberfiedelten von Prerow
und Zingft nad) Barth) und halfen Diiethen und Yebensmittel-
preife fteigern. .
Es mußte etwas gefchehen — das fah Iedermann —,
um die gefährdeten Borlande nachdrücklich zu ſchützen und in
bewohnbarem Zuftande zu erhalten, und es find auch ſowohl
von der königlich preußifchen wie von ber großherzoglich
medlenburgifchen Regierung Mafregeln ergriffen worden,
welche Ausſicht auf guten Erfolg verfpredien. Auch die
Stadt Barth ift felbftändig vorgegangen und hat das Ihrige
gethan, um zukünftigen Eventualitäten vorzubeugen.
8 B. Denede: Die neuborpommerfchen Hüften.
Aehnliche Naturereignifle hatten, wie ſchon erwähnt, bes
reits zu verfchiedenen Malen diefe Kiften heimgeſucht. Uns
zweifelhaft iſt es, daß die Juſel Zingft mod; vor einigen
hundert Jahren eine öftliche Verlängerung des Darfes war
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etwas weiß, im verhältnißmäßig fpäter Zeit ftattgefunden,
daflir ſpricht die topographifche Merkwitrbigfeit, daß die Kirche
der anfehnlicyen Ortſchaft P.lerow, von nur wenigen Häus
fern umgeben, anf dem öftlichen Ufer des Prerower Stromes
liegt, während der Hanpttheil des Fledens das weltliche
Ujer einnimmt, Die hereinbrediende See muß die Kirche
und durd; eine große Fluth, weldye den Durchbruch bei Pre
row, jegt Prerower Strom genannt, bildete, aus ihrem Zu—
fammenhange mit dem Darf gelöft wurde. Daß diefe Ka—
taftrophe, von weldyer übrigens hier zu Yande Niemand mehr
Neu. errichteter Aunssendeich,
EEE Am 13. Nor 18 YR überschwenmtes hanıt,
— Alte Dünen;
Dammfarten
von dem Orte getrennt haben; ſonſt wäre bei dem praltiſchen
Sinne unferer Strandbervohner diefe Abfonderlichfeit uner-
flärbar. — Außerdem zeigt die Infel Zingft noch Spuren
früherer Durchbrüche, welche jedoch mad) der Seefeite hin
(vergl. die Karte) wieder geichloflen worden find,
Solcher Durchbrüche, d. h. foldyer tiefen Lucken im der
Albin Kohn: Die franzöfiiche Venuserpedition auf St. Paul. 9
Küfte, welche das Meer während der Novemberfluth vor
drei Fahren geriſſen hatte, und die, dem Prerower Strome
ähnlich, felbft nach dem Zuriidtreten des Waſſers fahrbare
Ganäle bildeten, weldye die See mit dem Vinnengewäfler
verbanden, fanden ſich meines Willens auf preußifchen Ges
biete zwei (bei Oft-Prerom und bei Ahrenshoop), auf medlen-
burgiichem Territorium fitdlid) von Wuftrow drei. Die
Übrigen als „Durcjbrüche* bezeichneten Stellen enthielten
nad) der Fluth fein Waffer mehr und boten mehr oder wer
niger den Anblit der auf dev gefammten flachen Küften:
ftrede hinweggeſpülten, früher etwa 10 Fuß hohen und nun
faft gar nicht mehr über den Meeresfpiegel hervorragenden
Dünen dar. Die erfte Aufgabe des Küftenfchuges war c#,
diefe Durchbrüche zu fchließen. Dies geſchah durch Verſen—
fung von Faſchinen, mit Steinen beſchwert, auf welcher
Unterlage ein dünenartiger Sandwall mit breiter Bafis auf-
gethürmt wurde, defien Kamm man mit einem doppelten
Flechtwerle (einem fogenannten Fangzaune) verfah, dazu
bejtimmt, den von der See angeſchwemmten und vom Winde
am Ufer Hinanfgetriebenen Sand feftzuhalten und jo zur
Erhöhung und Berftärkung des Bollwerks beizutragen; bie
innere Seite wurde mit Strandhafer bepflanzt. Derartige
Fangzäune wurden überall anfgeftellt, wo die Dinen ver:
ſchwunden waren; und ſchon jegt find ganz nennenswerthe
Anfänge einer Dünenbildung bemertbar. ’
Eine zweite, noch durcchgreifendere Küftenfchugmaßregel
beitand in der Errichtung eines großartigen, mit Hafen be-
Hleideten Erdwalles (des jogenannten Außendeiches), der pa-
vallel mit den Dünen in einiger Entfernung hinter denfelben
(auf der Karte durch eine punktivte Linie bezeichnet) die ganze
Fänge der Inſel Zingft durchzieht, und an welchen mehrere
hundert Arbeiter aus der Dart, Sclefien und Pofen den
ganzen Sommer 1873 hindurch arbeiteten. Der alte Außen—
deich erreichte (forwie der die Schugwehr gegen den Bodden
bildende „Binnendeich") eine Höhe von kaum 5 Fuß, wäh:
rend das neue Erdwerk bei einer Bafis von 30 Fuß Breite
12 Fuß hoch fich erhebt. Zum Abſchluß gelangte diefes
Werk durch die im November 1874 erfolgte Schließung des
Vrerower Stromes, welcer mithin aufgehört hat, als Strom
au eriftiren, und in eine Bucht verwandelt worden ift, wie
denn auch die bisherige Infel Zingft nunmehr als Halbinfel
*
bezeichnet werden muß. — Der Widerſtand, welchen die
ſtarle Strömung den Arbeiten entgegenſetzte, war ſchwer zu
überwinden. Vier Fuß ſtarke, mit Granitblöcken beſchwerte
Faſchinen, die man in der Mitte verjenfte, wurden hinweg»
geriſſen; man jah ſich genöthigt, die Arbeit an den Seiten
zu beginnen. Gegenwärtig ftcht das ftattliche Werk vollendet
da, faft 100 Meter lang, 4 Meter hoch, an feinem mörd-
lichen Fuße vom einem breiten Gürtel gewaltiger Granit
blöde eingefagt, zur großen Beruhigung aller Gemüther,
da bei jedem Hochwaſſer zunächſt vom Strome her Gefahr
drohete,
Eine dritte Maßregel befteht tu dev Anlage einiger hun⸗
dert „Bühnen“, welche fich von öftlichften VBorjprunge der
Infel Zingft bis in die Gegend des Fleckens Zingft an der
Küfte entlang ziehen. Sie beftehen aus Pfahlreihen, welche
im vechten Winkel zur Hüfte ins Meer hinausgeführt und
zwifchen weldyen Reifig und Dovngebüfc, befeftigt worben
find, dazu beftimmt, dem angeſchwemmten Sand feitzuhalten
und auf diefe Weife ein Wachen des Yandes herbeizuführen.
Bloße Pfahlreihen exiftirten ſchon feit Fahren, dod) entſpra—
hen fie ihrem Zwede keineswegs. Die Hüfte nahm trogden
an manchen Stellen ab, muß Überhaupt ſchon feit geraumer
Zeit in der Abnahme begriffen geweſen fein, da zahlreiche
Wurzelftöde ertruntener Bäume unweit des Uferrandes ficht-
bar find. Da diefe Bäume nur auf feltem Boden über
dem Wafferfpiegel gewachſen fein können, fo ift man gezwuns
gen, eine größere nördliche Ausdehnung des Yandes in frü-
herer Zeit anzunehmen, womit die heutigen Beobachtungen
liber das Zurlichveichen der Kliſte durchaus übereinftimmen.
Es ift mithin ſchwer verſtündlich, wie noch neuerdings ein
Beſucher des Eilandes (in zwar jehr gelehrter, doch wenig
ſachgemäßer Weife) den Zingft „ein Product der jüngften
Periode der Erdgefchichte* nennen und von „Sandalluvio:
nen* (durch welche die Inſel entitanden fein follte) ſprechen
fonnte, da doc die ganze Kuſtenformation nicht auf
Zunahme durch Neubildungen, fondern vielmehr auf ftetige,
wenn auch langjame Abnahme hinweiſt. Die jehr ähn-
lichen Berhäftnifje der flacheren Theile der Infel Rügen,
welche ſelbſt noch im Hiftorifcher Zeit eine mehr abgerundete,
weniger zerfreſſene Maſſe bildete als jegt, bieten cine über-
zeugende Parallele.
Die franzöſiſche Venusexpedition auf St. Paul.
Bon Albin Kohn.
Fern von uns im füdlidyen Ocean, faft in der Mitte
zwifchen dem Vorgebirge der Guten Hoffnung und Auftralien,
liegen einige Infeln, welche felbft auf guten Karten nur als
fleine Pünktchen verzeichnet jind. Sie find als Amfterdam
md St. Paul befannt und von den Seefahrern gefitrchtet
und gemieden; denn wenn auf dem ganzen, endlojen Ocean
Ruhe, vielleicht gar eine gefürchtete Windftille herrſcht, tobt
an den ungaftlichen Geſtaden diefer Eilande der Sturm und
Wafferberge ftürzen ſich auf die fteilen Küften, als ob fie die
Heinen Infeln verfchlingen wollten. So mandyes gute Schiff
ift, wie vor ungefähr fünf Jahren die „Megära“ mit
800 Paffagieren an Bord, hier untergegangen, und wohl
wenigen war es, tie biefen Reifenden, vergönnt, nad) län«
Globus XXIX. Mr. 1.
germ Aufenthalte auf dem wüften Felſen die Heimath wie:
der zu fehen. Wenn man eine Specialfarte diefer Felfen-
neſter, befonders der Injel St. Paul, betrachtet , jo glaubt
man ein Bild des jogenannten „Kopernikusmeers“ auf dem
Monde vor fich zu haben, und es wird auch dem Laien in
der Geologie Har, daß er auf das Bild eines Kraters jchane,
deſſen Pava und Schaden Suppen und Spigen von 200
bis 300 Meter Höhe aufgethürmt haben.
Hier hat wohl Taufende von Jahren ein withender
Kampf zwifchen Feuer und Waſſer geherricht, das gewiß nach
und nach den Sieg davontragen wird. Dem immer von
Neuem ftirmt es gegen die Schöpfung des Feuers an, ja
es ift ſogar ſchon im dem Herd deijelben, in den Krater felbft,
‚2
10
eingedrungen und hat es ausgelöſcht, um forthin am ber
vollftänbigen Zerftörung der Schöpfung Pluto's zu arbeiten
und fie im der Tiefe ded Meeres zu begraben.
Diefes Felfeneiland, das nur von patagonifchen Fettgänfen
(Aptenodytes patagonica), verwilderten Ziegen, Katzen
and mit diefen in größter Harmonie lebenden Ratten bewohnt
wird und im Anfange der vierziger Jahre vom polniſchen
Einigranten Adam Dlieroslansti, dem Bruder des befannten
polnischen, badiſchen und jicilifchen Erdictators Ludwig Mic-
roslamsti, für die franzöfifche Regierung in Befig genommen
wurde, bie es aber bald aufgegeben hat, weil e8 überhaupt
unbewohnbar ift, hatte die franzöfifche Akademie der Wiſſen—
fchaften für das Jahr 1874 als vierte Station zur Beob-
achtung des Durchganges der Venus durch die Sonne aus-
erfehen und an die Spitze der dahingefendeten Expedition den
Commandanten Mouchez geftellt. Zwei von diefen Erpe-
ditionen hatten die Beftimmung, das feltene Ereigniß auf
ber nördlichen Halbkugel, und zwar in Peking und Motohama,
zu beobachten, während zwei andere auf der füblichen Halb-
fugel in Campbell und St. Paul ftationirt waren. Au—
erden waren jedoch noch zwei Hülfsmiſſionen entfendet,
von denen die eine in Numea, die andere in Cochinchina ſta—
tionirt war. Die Afademie der Wifjenfchaften hatte zwar
fchon im dem für Frankreich jo verhängnigvollen Jahre
1370 eine Commiſſion eingejegt, welche unterjuchen jollte,
in wie weit ſich Frankreich an dem bevorftehenden wiſſenſchaft⸗
lichen Wettlampfe der civilifirten Völlker betheiligen ſoll; trotz⸗
dem müſſen wir zugeftchen, daß die wiſſenſchaftliche Expe—
dition überhaupt nur Dank der Energie des im Jahre 1873
zum Präfidenten der Commiffion ernannten, in der Wiflen-
ſchaft cine Hervorragende Stelle einnehmenden Secretärs
der Akademie, Herrn Dumas, zu Stande gelommen ift.
Lange vor der Abfahrt bereiteten ſich die Mitglieder der
für St. Paul beftimmten Erpebition für die ihrer harrenden
Aufgabe vor. Da befonders die Photographie bei ber Beob-
adjtung der Erſcheinung eine wichtige Rolle fpielen follte,
welche jie auch, wie ja jet ſchon befannt, glüclich gelöft hat,
fo wurde der berlihmte Phyſiler Fizeau, deſſen Name mit
der Erfindung der Daguerreotypie innigft verfmüpft ift, beauf-
tragt, die nad) St. Paul gefendeten Mitglieder der Expedition
im die Scheimmißfe der Photographie einzumeihen und fie mit
dem Gebrauche dev eutſprechenden Inftrumente vertrat zu
machen. Die Expedition bejtand, außer dem ſchon genann—
ten Mouchez, aus dem Herren Turquet, Cazin, Velain,
de l'Islte und dem Schiffearzte Dr. Rochefort.
Die einfane, nahezu 1000 Meilen von jedem Continente
entfernte Inſel, weldye, wie ſchon gejagt, ein wulcanischer
Kegel mit eingefallenem Krater ift, erhebt fich gegen 230
Meter über die Oberfläche des Meeres und ift gänzlich, ums
ſruchtbar. Cutblößt von jeder Spur frudjtbaren Erdreiches
und ohme jegliche Quelle fügen Waſſers ift diefer Felſen
für Menſchen unbewohnbar und nur zum Aufenthalte für
Pholen und zum Brutplag verſchiedener Meeresvögel geeignet,
Sie wird auch nur von Fiſchern von den Neunion« In:
feln befucht, weldye anf dem nadten Felſen ihre Beute, den
Kabljan (Stodfiid), jalzen und trodnen.
Die Stlieme find an dem Geſtade diefer Felfeninfel immer
ſehr häufig; befonders häufig aber find fie im Juni, um die
Zeit der Tag⸗ und Nachtgleiche, und um diefe Zeit war es
eben, daß die Expedition auf St. Baul landen follte. Cs
giebt auch fturmfreie Tage; fie find aber jehr jelten und auch
danı verhindert ein dichter Nebel, der beftändig von dem
Eilande auffteigt, die Fernficht. In keiner Gegend der Erde
find, nad) der Berficerung des Herrn Mouchez, die Stürme
jo gewaltig wie an der Hüfte von St. Paul. Die Wellen
des Meeres erheben ſich zu einer im anderen Gegenden un—
Albin Kohn: Die franzöſiſche Venuserpedition auf St. Paul.
befannten Höhe und umkreifen die ganze Infel, welche zu
Hein ift, um einem Schiffe Scyug gegen die wüthenden Wo-
gen zu gewähren. Mad) den von Mouchez vor feiner Ab-
reife beim Director ber meteorologifchen Station in Yondon,
Heren R. Scott, und fpäter bei den Fiſchern der Inſel
Reunion eingezogenen Erfundigungen durfte er nur geringe
Hoffnungen auf ein günftiges Nefultat fir die ihm über:
tragene Miffion haben, denn er erfuhr, daß der Himmel von
April bis November, während weldyer Zeit der Wind von
Suͤdpole weht, jtets mit Wolfen bedeckt ift, während wiederum
in den Sommermonaten, trogdem dann ein warmer Wind
vom Wequator fommt, der ganze Felſen in dichten Nebel
gehillt iſt. Im Ganzen hatte die Erpebition nur auf 8 bis
10 heitere Tage unter 100 Tagen zu redjnen ; und, wie ſich
Herr Moudyez fpäter felbjt zu Überzeugen Gelegenheit hatte,
man erhält diefe Summe nur, wenn man einzelne ſchöne
Stunden vieler Tage zufammenzählt.
Gegen Ende Juli 1874 reife Herr Mouchez mit jeinen
Begleitern von Paris ab und ſchiffte ſich und jeine Inſtru—
mente am 2. Auguft auf dem Padetboote „Amazone“,
welches durch den Suezcanal nach China fteuerte, ein. Am
14. Auguſt fam bie Expedition nad) Aden, wo fie die „Ama:
zone“ verließ, um mit ihrem Gepäd auf den „Dupleir“
überzufiedeln, der fie am 30. Auguft nad, St. Denis auf
der Infel Reunion bradjte. Hier lag das Transporiſchiff
„la Dives*, welches der Marineminifter fir die Dauer
der Expedition unter die Befehle des Herrn Mouchez geftellt
hatte, und auf welchem derjelbe jchon einen Theil der für die
Expedition beflinmten Ausräftung vorfand. Das Schiff
war zur Reife nach St. Paul bereit, doch hielt e8 Herr
Mouchez fir nöthig, noch einige Tage mit der Abreife von
St, Denis zu zögern, um die Chronometer zu reguliven, ber
ſtimmte aber als Tag der Abreife den 8. September. Die
Fiſcher, welche alljährlicy nad) St. Paul kommen, und der
Capitän der „Dives* riethen zwar, die Abreife der Expe—
dition um einen Monat zu verzögern, da nad) ihren Ver—
ficherungen es unmöglich fein würde, in diefer Jahreszeit auf
der Inſel zu landen und das bedeutende Material ohne
Schaden auszuſchiffen; aber eine foldye Verzögerung ſchien
Herrn Mouchez für die Vorbereitungen zur ae
ſchüdlich und deshalb beſchloß er an feiner Dispofition nicht
zu ändern. Die „Dives“ lichtete am feftgejegten Tage die
Anker, nahm in St. Maurice die Kiften, im welchen fich die
Inftrumente befanden, vom „Dupleir* an Bord und verlich
am 9. September St. Maurice, um direct nach Et. Vaul
zu ſteuern. Die Reife bis dahin dauerte Funfzehn Tage und
verlief bei gutem Wetter. Noch ald das Schiff gegen 20
Meilen von der Infel entfernt war, hegte Herr Mouchez
die Hoffnung, daß es ihm vergönnt fein würde, an einem
der dort jo feltenen ſchönen Tage zu landen; da machte ſich
der ftörende Einfluß, welchen die feinen, ifolirt im Oceane
liegenden Infeln auf die fie umgebende Yuft ausliben, geltend,
und gab ſich am 22, September in einem heftigen Windftoße
fund. Es begann ein ununterbrochener Hagel und Regen,
dichter Nebel verhilllte den Horizont, das Meer ging hod)
und man war genöthigt, das Schiff zu wenden, weil man
fürdhtete, auf die Infel geworfen zu werden, ohne fie zu jchen.
Gegen Mittag erlaubte ein heiterer Augenblid, St. Baul im
Nebel zu fehen, und Herr Mouchez ließ auf den Ankerplatz
zufteuern, gegen welchen übrigens das Schiff vom Winde
und ben hochgehenden Wogen mit großer Gewalt getrieben
wurde. Gegen Sonnenuntergang wurde die Nordipige der
Inſel umſchifft und einige Augenblide fpäter in einer Ent-
fernung von 400 Meter von der jchroffen Küfte, wo das
Meer den Krater durchbrochen hat, der Anler fallen gelaffen.
Die Infel, welche für lange der Aufenthaltsort der Erpedi-
Richard Andree: Rüdjchläge aus der Givilijation, 11
tion zu werden beftinmt war, bot einen unbefchreiblich düſtern
und wilden Anblid. Es war faft Nadjt geworden; bie fteile,
ſchwarze Hüfte ragte Über das Schiff empor und war ihrers
feits von ſchroffen Bergkuppen überragt, deren ſcharfe Spigen
die mit ungeheurer Schnelligkeit Über fie und Über das Schiff
dahinfliegenden Wolfen zerriffen. Der Wind, von Hagel
und Regen begleitet, ftärzte in heftigen Stößen in bas vom
Krater gebildete Baffin und erhob hier Waſſerſäulen von
15 bis 20 Meter Höhe, welche ſich wie Wajlerhofen drehten.
Im erften Augenblide waren die Beobachter verſucht zu glau—
ben, daß fie einen waſſerſpeienden Krater vor fich haben,
Die „Dives“ beugte ſich unter den Windjtößen, fiel bald
auf die eine, bald auf die andere Seite und zerrte an ihrem
Anker, trogdem das Meer wegen der Nähe der Küuſte ziemlid)
ruhig war. Aber man fah ungeheuere Wogen wenige Kabel
längen vom Schiffe ſchäumen und am Horizonte bemerkte
man riefige Sturgwellen; jo beſchränlt war der Raum, wo
das Schiff einen zweifelhaften Schutz gefunden hatte.
Auf der dem Schiffe entgegengefegten Seite des Kraters
bemerfte man bie verjchwonmenen Umriſſe zerftörter Hlits
ten, von denen das Dad) heruntergeriffen war, und am Ufer
lagen zahlreiche Trlinmmer von Schiffen, welche hier geftrans
det find. Wahrlich feine angenehme Vorbedeutung für die
Erpedition. In der Mitte des engen Canal, welcher ins
Baljin führt, lag das ungehenere Gerippe der englifchen
Fregatte „Megära“ fait ganz auf dem Trochnen. Vom
Binde und Meere zerbrödelt lag e8 da, umgeben von Trüims
mern, am denen ſich die Wogen des Meeres wie an einem
Haufen von Felſen brachen. Das Schiff hatte feit drei oder
vier Jahren allen Stürmen Widerftand geleiftet und follte
erjt untergehen während eines Sturmes, welcher auch flir die
Erpedition gefahrdrohend geweien ift. Der phantafiereichite
Künftler wäre nicht im Stande gewejen, das Bild der Zer-
ſtörung, weldyes fid) den Bliden der Reifenden darbot, zu
erſinnen.
Nach einer Nacht voll Bangigkeit, während welcher ſich
Herr Mouchez Über die Gejahren und Schwierigleiten der
Lage Redyenjchaft geben konnte, ging er ſogleich, als der Tag
anbrach, ans Land. Zwiſchen zwei Wellen gelangte er über
das das Kraterbaſſin abjperrende Felſenriff und betrat den
Boden auf der Nordſeite der Hüfte, in der Nähe dev Ruinen
der Hütten. Der erhabene Anblid des Baffins erregte Ers
ftaunen und Bewunderung; der Neifende befand ſich auf dem
x
Boden eines freisrunden Abgrundes, deflen Durchmeſſer 1000
Meter beträgt umd deſſen ſenkrechte Wände eine Höhe von
300 Meter haben. Diefe Wand ohne Stridlleiter zu erklin-
men ift eine Unmöglichteit,
Die einzige Ebene, auf welcher die Errichtung eines Ob«
fervatoriums möglich war, ift ein mit Gerölle beſäeter Plap;
er ift die Spur des Weges, den das Meer genommen, um
in den Krater zu dringen, und es war immer noch ziweifel:
haft, ob auch diefe Ebene nicht während eines Sturmes von
den Wogen überfluthet werben würde.
Herr Mouchez ſah fich die größeren Hütten an, um bie:
jenige zu finden, welche mit ber geringften Mühe veparirt
werden fönnte. Als er ſich einer berfelben näherte, hörte er
zu feinem Erftaunen ein feltfantes und verwirrtes Geräuſch
und plöglic; fah er fid im der Nähe der Thür von einer
Herde Ziegen, wilder Katzen, Ratten und Mäufe überfallen,
welche aus ihr herandftiirgten und mad) allen Richtungen
flogen. Hieraus ſchloß er, daß dies die am beften erhaltene
Hütte fei, und ohne weiter zu fuchen machte er ſich daran,
fie von den Unfauberfeiten, welche fich in ihr befanden, zu
reinigen, um aus ihr die Hauptwohnung aller Mitglieder der
Erpebition zu machen.
Die 800 Sciffbrüdigen der „Megära“ haben ſolche
Hütten in jeder Biegung des Felfens erbaut und im Augen-
blicke ihrer allem Anſcheine nach plöglichen Abreife haben fie
eine große Menge von Gegenftänden zurüdlafien milſſen,
welche num in allen Richtungen zerſtreut umherliegen. Das
ganze Terrain ift mit Tönnden, gefüllten Kiften, Maften,
Rollen, Seilen, Kücengeräthen, diverfen Möbeln u. |. w.
bedeckt. Der Anblid diefer Gegenftände, weldye beredte Zeu-
gen eines großen Unglüds find, erfüllte die Mitglieder der
Erpebition mit Mitleid; trotzdem freuten fie fi, fo uner:
wartet viele zum Comfort nöthige Gegenflänbe vorzufinden,
weldje immer noch, trotzdem jie durch ein dreijähriges Liegen
in freier Luft befchädigt waren, eimen bedeutenden Werth
hatten. Herr Mouchez fand ſogar in einer Kiſte, welche in
einer Hütte ftand, einige hundert Bände der vorzüglichſten
englifchen, franzöfifchen und deutſchen Philofophen des 18. Jahr:
hunderts, theologifche Werke, das canonifche Recht in Groß⸗
folio und andere, Seit vielen Jahren fcheinen die Ratten
ausschließlich diefe Bibliothek befucht zu Haben, weldye faum
für Stodfifchfänger, oder Seeleute, die hier Schiffbruch ge
litten haben, beſtimmt geweſen ift,
Rüdfhläge aus der Givilifation,
on Richard Andree,
Iener Schulmeifter, der ſelbſtbewußt das Wort ausfprad):
"Geben Sie mir einen jungen Wilden, und mit Hllfe
unferer Pädagogit verwandte ich ihm im einen durchaus
civilifirten Menſchen“ ift nur der Vertreter dev weitverbrei-
teten Unficht, dag es einzig der Erziehung und günftiger
Umgebung bebirfe, um aus Naturmenfchen Culturmenſchen
zu geftalten. Und fo, wie man Individuen umwandeln zu
fönnen glaubt, jo auch ganze Bölterjchaften auf pädago-
giſchem Wege, wobei man von einem abftracten Menſchen
ausgeht, der nicht eriftirt und den Grundſatz „Eines ſchickt
ſich nicht für Ale“ außer Acht läßt. Unfere Eivilifation
paßt fr uns, aber übertragen auf andere Racen hat fie
gewöhnlich Karricaturen zur Folge; das Kaiſerreich Son
louque's ift ein Zerrbild, fo gut wie die Republik Liberia,
wie bie Majeftäten Bomare und Kamehamen. Cs ift nicht
erſt nöthig, hier, um mit Guftine zu reden, die Tunche des
Moslowiters abzufragen, um den Tataren zu finden, die
Sache liegt offentundig zu Tage und Feine Beichönigung
der Piendophilanthropen vermag darüber hinwegzuhelfen.
Die angeftellten Givilifationserperimente halten auf die
Dauer nicht vor, wenigftens dann nicht, wenn die europäische
Schablone auf andere Racen übertragen werden fol, Wie
die Vebenäbedingungen der großen Völferftämme und ihre
phyſiſchen Merkmale verſchiedene find, jo auch ihre geiftigen
Anlagen, und dieſe entwideln ſich in eigenthümlicher Art,
laſſen ſich nicht gewaltiam in den Givilifationsftad prefien,
.2*
12
am wenigften plöhlich, wenn wir auch eine allmälige ms
wandlung unter veränderten Bebingungen und Einflüffen
teineswegs leugnen. Doch wird das Reſultat, infolge vors
handener natürlicher Anlagen, ftets ein anderes Eulturprobuct
fein, als wir Europäer nad) jahrtaufendelanger Arbeit es
lieferten.
Es fpricht ſich diefes deutlid, im Verhalten ber Iudivi⸗
duen aus, welche gleichſam mittelft Dampf in unfere Sphäre
hineingepreßt wurden. Man nahm einen Naturmenfchen
aus dem Nefte wie einen jungen Papagei und lehrte ihn
ſprechen, wie wir jprechen, man fleibete ihn wie wir, freute
ſich darliber, wenn er die filberne Gabel in die Yinfe und
das Mefler in die rechte Hand nahm, eine Beethoven’iche
Sonate fimperte und äuferlicd den Gentleman herausbiß.
Schaute man aber den Dingen tiefer auf den Grund, fo
trat der Schwindel zu Tage Wir wollen feinen großen
Werth auf das Thun und Treiben des halbeivilifirten Schahd
von Perfien an den europäifcen Höfen legen, deſſen Zim—
mer jedesmal, nachdem fie von der Majeftät benutzt waren,
einer grlindlichen Erneuerung beburften, aber das Leben
eines feiner conftitutionellen Brüder in der Südſee fordert
ſchon cher zu Betrachtungen in unferm Sinne auf.
Die Sandwichs-Inſulaner find nun durch amerifanifche
Miffionäre, jo fagen diefe wenigftens, völlig civilifirt, damit
aber auch auf den Ausſterbeetat gejegt worden. Sie ſpre—
hen bald alle Englifch und ſtolziren in europäiſchen Kleidern,
lernen leſen und ſchreiben. „Saum aber fommen fie nad)
Haufe, jo wird fchnell alles ausgezogen und auf einen Haus
fen geworfen, um frei und nackt ſich's fo viel wie möglich
bequem zu machen und von bem erlittenen Zwang gehörig |
auszuſchnaufen. Selbſt der (verftorbene) König Kame—
hamea V., der fich doc, die Welt etwas angeſehen umd als
Prinz eine europäifche Erziehung genoffen hat, ift froh, wenn
er fid) den Augen der Weißen entziehen lann, um im feinem
Tivoli, einer bequemen großen Strohhlitte, dreiviertel Stun«
den von Honolulu entfernt, ungefchoren und im beneidens:
werthen Negligse feine Sanaten- Mahlzeit zu genießen, fo
daß man glauben könnte Jemanden zu fehen, der fich eben
die Schwimmhoſen anzog, um zu baden“ *).
Die Gefchichte von dem Feuerläuder Jemmy But:
ton, weldje Fitzroy und Darwin berichten"*), ift ein höchſt
lehrreiches Beifpiel für den Rückſchlag aus der Civilifation.
Jemmy, der nebſt zwei Yandsleuten in England erzogen
|
worden war, hatte jich äußerlich ganz englifirt, jprad) und |
fchrieb Englisch, war Überhaupt ein gebilbeter Jüngling.
Mit dem „Beagle* kam er im December 1832 nad) feiner
fenerländifchen Heimath zuriick umd wurde hier von feinen
Yandöleuten erkannt, die ihn einluden bei ihnen zu bleiben.
Jemm verftand nur noch wenig von ihrer Sprache und, fo
fagt Darwin, ſchämte ſich außerdem feiner Landsleute von
Herzen. Aber er blieb im Yande, trotzdem er alle Vortheile
der enropäifchen Cultur hatte fchägen gelernt und wurde
wieder zum Feuerländer, zu einem echten Mitgliede jenes
durd; die Ungunſt phyſilaliſcher Verhältniife fo tief auf der
Scala der Menjchheit ftehenden Stammes, daß Darwin in
ihnen faum „Mitmenjchen und Bewohner derjelben Erde“ zu
erfennen vermag,
Gewöhnlich ſchließen die Geſchichten von fogenannten
Givilifirten, welche wieder in die Wildniß gingen, mit den
Worten: Man hat nie wieder etwas von ihm gehört. Ich
finde aber doch; einen Abſchluß fir Demmmy Buttons Ge—
fchichte. Parker Snow, der 1855 in den Ganälen des feuer:
*) Bechtinget, Ein Jaht auf den Sandwicht-Inſeln. Wien 1889.
©. 108.
++) Gharles Darwin’s Naturwiſſenſchaftlicht Reifen. Deutſch von
Dieffenbach I, 224.
Nidard Andree: Rückſchläge aus der Givilifation.
landes freuzte, hat Jemmy Button im Beagle-Canal wieder
angetroffen *). Demmm fam zu Boot auf Snow's Schiff.
„Der Mann, den id) vor mir fah, war cin rohee, zottiges,
abſchredend ausſehendes Wefen und in jeder Beziehung gleich
feinen Brüdern. Und dod) ift diefe felbe arme Greatur ein
Yieblingsgöge in ber engliſchen Heimath gewejen, wurde dem
Könige vorgeftellt und als ein vollendeter Menjd nad)
Feuerland zurlickgeſchickt. Ich konnte mich bei feinem Ans
blie vor Erftaunen faum erholen, während er im gebrodhes
nem Englifch mic, vergnügt begrüßte. Jedenfalls war es
bewundernswilrdig genug, daß er überhaupt nod) einige Kennt ·
niß des Englischen befaß, doc) hatte er gerade bie Wörter
behalten, welche eine ſchlechte Bedeutung haben. Der Ans
blick verfcyiedener Dinge an Bord rief aber wieder Wörter
in ihm wach, und allmälig konnte er das, was er wollte,
bezeichnen und feiner wunderbaren Reife zu den weißen Men⸗
fchen Erwähnung thun.“ Als er Frau Snow fah, wurbe
Jenumy Button galant und fagte: „Ah! Inglis ladies vary
pretty — vary pretty!* Auch erinnerte ex fid) feines frühern
Erziehers, Dr. Wilfon, und des Capitäng Figroy. Yenınıy
hatte zwei Weiber und kehrte vergnügt wieder in fein elendes
Fewerländerleben zurüd, Noch jchlagender ift das folgende
Beiſpiel.
Ein weſtauſtraliſcher Auſiedler nahm, wie Augu—
ſtus Oldfield, ein vortrefflicher Kenner der weſtauſtraliſchen
Schwarzen, berichtet **), ein nur wenige Tage altes ſchwarzes
Mädchen, defien Mutter getöbtet worden war, im feine
Familie auf, erzog es mit feinen eignen Kindern und in der
nämlichen Weife wie diefe. Ma hielt die Kleine fern von
allem und jedem Verkehr mit den Schwarzen und allem
Anfcheine nach machte fie in dev Erziehung vortreffliche Fort-
ſchritte. Als das Mädchen herangewadjfen war, fand man
fein ganzes Weſen und Betragen geradezu mufterhaft und
gab fic der Hoffnung Hin, durch diefes Mädchen einen
wohlthätigen Einfluß auf die Schwarzen ausüben zu lönnen.
Am Ende brach jedoch der Inftinet nach einem wilden Yes
ben umwiderftehlic, hervor. Eines ſchönen Tages warf die
mufterhafte Jungfrau alle Kleider fort und entlief mit einem
ſchwarzen Yiebhaber in die Wälder, trotzdem fie mit einem
Engländer verheiratet war, mit dem fie anfangs aud) ganz
glücklich gelebt Hatte. Der weiße Gatte fegte den Flüchtlingen
nach, holte fie auc) ein, wirrde aber auf Antrieb der Frau
von dem Entflihrer erniordet.
Klaproth erzählt verſchiedene Beifpiele, wie Tſcher—
feifen, die man ſchon völlig ruſſificirt glaubte, wieder in ihre
Berge zurüdeilten, alles Ruſſiſche abftreiften und ganz wieder
nad) Art der Väter lebten.
Der Oberft Jomael Ataſchuka, Ritter des Georgeordens,
welcher viele Dahre in Petersburg gelebt hatte, Ruſſiſch und
Franzöſiſch ſprach, lebte zwar in Georgiewst an der Kuma,
hielt ſich aber jeine Frau in einem Dorfe der Kabardah und
ließ feinen Sohn dort ganz tjcherkejfiich erziehen. Temir
Bulak Ataſchuka wurde im feiner früheften Jugend nach
St. Petersburg gefchidt, dort im Bergcadettencorps erzogen,
diente in einem Dragonerregimente bi® zum Hauptmann
und fehrte im fein Vaterland zurücd one ein Wort von feie
ner Mutterſprache zu wiſſen. Und doc, vergaß er feine
ganze Erziehung, lebte mit den Tſcherleſſen als Tſcherkeß
und hat niemals es zugeben wollen, daß feine beiden Söhne
in Rußland erzogen werben follten ***).
Ban der Stell, Gomvernem am Gap der Guten
Hoffnung im vorigen Jahrhundert, ließ einen jungen Hottens
*) Transact. Ethnol, Soc, I, 265. (1861.)
**) Transact. Ethnol. Sor. II, 223,
+, v. Klaptoth, Meile in ten Raufafus und nach Geotgien.
Halle und Berlin 1812. 1, 572.
Die Miffionsanftalten für Eingeborene in Südauſtralien.
totten von frühefter Kindheit an ganz auf europäifche Weife
in der Capſtadt erziehen, Er emtwidelte ſich vortrefflich,
lernte mehrere Sprachen und wurde im amtlicher Eigenſchaft
nad Judien geſchickt, wo er ſich recht brauchbar zeigte.
Zurüdgetehrt nad) der Capſtadt traf er mit mehreren feiner
Verwandten zujammen und nun wurde die urfprlingliche
Natur wieder jo lebhaft im ihm wach, daß er den europäifchen
Fug abwarf und ſich einen Karoß umbing. So trat er vor
den Gouverneur Ban der Stell hin und überreichte ihm in
einem Padet feine europäifchen leider. „Ich entjage diefen
Kleidern auf immer, ic) bin entjchloffen in den Sitten, den
Sebräucen und der Religion meiner Vorfahren zu leben
umd zu fterben, Nur bitte ich um die einzige Gnade, daß
Ihr mir das Halsband und den Hirfchfänger als Andenken
laft.* Sprach's und war für immer verſchwunden *).
Tſchudi **) erzählt eine ganz ähnliche Geſchichte von
einem Botofudenfuaben, der in Bahia eine jehr jorge
fältige Erziehung in einer dortigen Familie genoß, und nad)
dem er die vorbereitenden Schulen zur Zufriedenheit jeiner
Lehrer abfolvirt hatte, an der Umiverfität als Hörer der
Medicin immatriculirt wurde. Mit Glück vollendete er hier
feine Studien und erhielt den Grad eines Doctors ber Me:
dicin. Nachdem diejer botofudifche Doctor medicinae, ber
übrigens durch ftete Melancholie ſich auszeichnete, einige
Monate jelbjtändig in Bahia practicirt hatte, verſchwand er
plöglich aus diefer Stadt, Mehrere Jahre fpäter erhielten
feine Pflegeeltern die verbürgte Nachricht, daß er wieder in
die Wälder zurliclgetehrt fer, und nachdem er mit feinen
13
Kleidern die leiste Spur von Givilifatton abgejtreift hatte,
nun mit Bogen und Pfeil den Kriegern feiner Nation folge,
Was ift aus Richard Brenner's einſt vielgerlihimten
Djilo, dem Gallaknaben, geworden, der in Merjeburg eine
gute Erziehung genoß und feine Entwidelungsjahre in einem
deutſchen Haufe durchmachte? Die warıne, überaus lobende
Schilderung , die Dr. Brenner von ihm entwarf *), ift lei»
der zu Schanden geworden. Bjilo ift zuricdgelehrt und
hat, wie die neueften Nacjrichten befagen, die Eivilifation
wieder abgeftreift.
Es ift dies eine Neihe wohlverblirgter Beiſpiele aus
Amerika, Auftralien, Afrifa, deren merkwürdige Ueberein—
ftimmung uns ficher zu denken giebt. Entrückt dem gefell- ,
fchaftlichen Zwange Europas, zeigt felbft der Europäer uns
zweifelhaft Neigung in Naturzuftände zurüczuverjallen, wie
das Beifpiel vieler Matrojen in ber Stidfe Ichrt, welche,
von ihren Fahrzeugen davon laufend, ein Yeben unter den
Infulanern und nad, deren Weife unferer Civilifation vor:
zogen. Die umvermittelte Uebertragung der legtern auf den
Naturmenfchen führt zu keinem Ziele; unter den Zwang
dev Weißen fanın wohl eine Zeitlang diefelbe äußerlich auf:
recht erhalten werden, Überläßt man aber Naturvölfer wie
Individuen bderfelben fich ſelbſt, jo tritt dev Rückſchlag ein.
Eine Entwidelungsfähigteit der Betreffenden leugnen wir bamit
feineswegs; wir find nur der Anficht, daß dieje im eigens
artiger Weife erfolgen muſſe und micht ſich durch künſtliche
Pfropfung herftellen laſſe.
Die Miſſionsanſtalten für Eingeborene in Südauſtralien.
Mitgetheilt von einem alten Auſtralier.
H.G. Die Zahl der Eingeborenen in den angefiedel-
ten Diftricten der Colonie Sidauftralien, welche fid) nad
dem Genfus von Jahre 1861 ‚nod) auf 5046 Köpfe belief,
war mad} der Volkszählung vom 2. April 1571 (die nächſte
wird erft im April 1876 ftattfinden) auf 3372 gefunfen,
und gehörten davon 1833 dem männliden und 1559 dem
weiblichen Gefchlechte an. Nur 259 derfelben waren bei
den Goloniften in Dienft getreten, die Uebrigen ſchweiften
nad) wie vor in der Wildniß umher.
Die Eingeborenen ftehen unter dem befondern Schuße
der Regierung („Aboriginal Department“). An verschiedenen
Orten der Golonie find fogenannte Native-Depots errichtet,
und die Beamten, welche darüber zu verfügen haben, heißen
„Subprotectors of Aborigines*. Die Eingebovenen werden
— regelmäßig am Geburtstage der Königin, aber auch zu
anderen Zeiten — mit Kleidung und wollenen Deren ver—
forgt, erhalten die ihnen nöthigen Werkzeuge und auch Fchend«
mittel, wenn fie daran Mangel leiden, und empfangen ärzts
liche Behandlung und Medicamente, jo weit dies bei ihrem
wandernden Yeben in der Wildniß angeht. Für diefe Zwecke
bewilligte das füdauftralifche Parlament im Jahre 1874
wieder die Summe von 3750 Bf. ©t.
Die Eolonie zählt drei Miffionsanftalten für Eingeborene,
weldye von Privaten geftiftet find und durch Subferiptionen,
fo weit es nöthig ift, unterhalten werden. Außerdem hat
*) Nocon’s Reife nach Matagasfar, Deutſch von Georg Forkter.
Berlin 1792. ©. 12.
**) Meifen durch Sütamerika II, 286.
die Regierung ein anliegendes Areal von angemefjenem Um—
fange —* Aderbau und Weiden geichenft und das Parla-
ment bewilligt in dev Negel alljährlich eine Geldſubſidie.
Die ältefte und noch jet befuchtefte Anftalt diefer Art
iſt die Poonindie, an der weltlichen Hüfte des Spencer Gulf.
Man wählte dieſe Ortslage, um die dort verſammelten Eins
geborenen von ihren in den angefiedelten Diftvieten umbers
ftreichenden Stammesgenoffen zu ifoliren. Sie wurde im
Jahre 1850 von dem Ardyidiaconus Mr. Hale gegründet,
welcher ein dortiges Schäfereianwefen mit 5000 Schafen an-
kaufte und fich mit fünf verheirateten Paaren und einen
einzelnen Manne — e8 waren dies lauter Eingeborene von
der damaligen „Government School for Natives“ in Ade—
laide — dahin begab. Die Regierung liberwies diejer An—
ftalt, außer einem Jahrgelde von 300 Pf. St., eine foge-
nannte Rejerve, wie ſolche bei der urſprünglichen Vermeſſung
der Colonie überall für Eingeborene, um ſich darauf anzu:
fiedeln, ausgelegt wurden, ohne daß diefe je davon Gebrauch
machten. Auch die „Society for the propagation of the
Gospel“ gab die Mittel fiir den Ankauf von weiteren 160
Heres Yand ber.
Eine Capelle ward erbaut und ein regelmäßiger Unter
vicht fir Frauen und Kinder eröffnet, ine Schule für
Eingeborene im Port « Lincoln » Diftviete, weldye der deutſche
Mifjionär Schürmann dort feit einiger Zeit geleitet hatte,
ward mit dev Poonindie-Miſſion verſchmolzen. Im Uebri—
*) ‚Globus“ XVIII, S. 161.
14 Die Mifjionsanftalten für Eingeborene in Südauftralien.
gen verrichteten nur Cingeborene, mit Ausnahme einiger
gelibten Hände, welche amleiteten, ſämmiliche Arbeiten auf
der Farm und der Schäferei.
Im Jahre 1856 verlieh der vortrefflice Hale die Miſ—
jion, um als Biſchof der englifchen Kirche nach Perth, der
Hauptitadt von Weftauftralien, überzufiedeln, Seine Schöp-
fung gerieth num in Berfall, die Zahl der Eingeborenen
nahm merklich ab und das Parlament zog zulegt das Dahr:
geld zurüd. Die Station wurde zwar nicht verlajfen, viel-
mehr dauerten die Arbeiten darauf behufs ihrer Ausnutzung
fort; allein der Zwed, die Eingeborenen zu civilifiren, fiel
doc) weg.
Erft vor ungefähr zehn Jahren, als der Lordbiſchof von
Adelaide, Dr. Auguftus Short, mit noch zwei anderen
Coloniften, denen die Belehrung der Eingeborenen befonders
am Herzen lag, zu Curatoren der Poonindie-Miſſion ernannt
wurden, ward die Anftalt ihrem urjprünglichen Zwecke wies
der überliefert. Man traf dabei die Anordnung, daß bie
Eingeborenen, anfer Yebensunterhalt, noch Zahlung für ihre
Yeiftungen erhielten.
Die Anftalt fteht jest unter der Leitung bes Reverend
R. W. Holden und macht angeblich gute Fortſchritte. Die
Tages: und Abendidjulen follen, nach der Berfichernng der
Guratoren, befriedigende Nefultate aufweifen, Und die Eins
geboveuen lernen nicht bloß niglich arbeiten, ſondern fie wer:
den auch in der Muſik und dem Gefange unterrichtet, wie
Überhaupt in denjenigen Arten von Vergnügungen, welche
unter den Weißen beliebt find. So fpielten fie kürzlich mit
den Primanern der St. Peters Collegiate School in Ade—
laide eine Cricket-⸗Partie mit vieler Fertigkeit.
Die Zahl der in Poonindie befindlichen Cingeborenen
belief fid) Ende Juni 1875 auf 75 oder 13 weniger als
im Vorjahre, d. i. 35 Erwachſene, 28 Schullinder und 12
Säuglinge, Ihr gutes Betragen wird rühmend hervorgehoben.
Eine zweite Miffionsanftalt exiftirt am Point Maclay,
an der Oftfeite des Yafe Alerandrina, in welchen ſich befaunts
lid; der Murray-Fluß vor feiner Mündung in den Ocean
ausbreitet. Sie ift die Stiftung der „Aborigines Friend's
Aſſociation* und ſteht unter deren befonderem Schutze. Die
Yeitung liegt feit Dahren dem Reverend George Taplin
ob, einem würdigen alten Herrn, welcher großen Eifer flir
das Werk an den Tag legt.
Die Affociation erhielt im Jahre 1874 vom Parlamente
eine Unterftügung von 500 Pf. St., welche, zuſammen mit
frehvilligen Subferiptionen und dem Ertrage aus der großen
Farın der Anftalt, die jährliche Revenue bildeten.
Gar manche der Eingeborenen, welche hier erzogen wer
den, follen ihre wilde Yebensart aufgegeben haben und auf
Scäfereien und armen Anftellung ſuchen. Mr. Taplin
rühmt im feinem öffentlichen Berichte von März diefes Jah:
res das gute Betragen auf der Miffion. Es wohnten dort
zur Zeit vierzehn Familien in eigenen Heinen Häufern und
die Sculfinder und jungen Leute waren im Schulgebäude
untergebracht.
Die dritte und jüngfte Anftalt führt den Namen „Boor:
fooyanna Miffion* und liegt am Boint Beasce auf der
Wejtfüfte von Yorke Peninſula. Sie ijt die Stiftung der
„orte Peninfula Aborigines Friend's Affociation“ und fteht
unter der vortrefflichen Yeitung des Reverend W. J. Kühn
und defien Frau und Tochter Selina, Herr Kühn gehört
ber mährifchen Brlidergemeinde an und war frliher-auf einer
von diefer abhängigen Miffionsanftalt im fogenannten Yafes
Diftricte in Far North ftationirt, welche aber, weil dort feine
entipredjenden Erfolge erzielt wurden, wieder — ward,
Hier in Voorfooyanna hat ſich ein günftigerer Wirkungskreis
für ihn aufgethan,
Im Jahre 1872 brad) auf diefer Anftalt eine bösartige
Epidemie (Lungenkrankheit) aus und Biele ftarben. Dies
hatte zur folge, daß die Eingeborenen ein Vorurtheil gegen
diefe Miſſion gewannen, das aber wieder überwunden tt.
Die durchſchnittliche Zahl der Eingeborenen, welche ſich dort
aufhält, beträgt jet 45, und die fämmtlichen Arbeiten mit
Einfluß der häuslichen, weldye die Mädchen beforgen, wer-
den von ihnen ausgeführt. Die Kegierung ſchenlte der An:
ftalt in dieſem Jahre wieber ein beträchtliches Stüd Yand,
Jemand, der die Miffion vor wenigen Monaten befuchte,
giebt uns folgenden Bericht:
„IH war erftaunt Über die vorzügliche Einrichtung und
Blüthe diefer Anftalt. Die Eingeborenen zeigten während
des Gottesdienſtes große Audacht und ihr Geſang war erhe-
bend. Ich ließ mir die Schulhefte vorlegen, weldye Fleiß
und Sorgfalt verriethen, und geftehe, daß manche Handjchrift
ganz wohl einen Vergleich mit der im den füdauftratischen
Burgerſchulen aushält. Daß der unwiſſende Wilde ſich hier
der Sphäre der intelligenten Civilifation nähere, darüber mag
ber Sfeptifer fein Haupt bedenklich ſchütteln, aber dennoch
bleibt es Thatfache, daß die Boorfooyanna-Miffion nicht bloß
Erfolg verfpricht, fondern daß der Erfolg vor Augen liegt.
Frau Kühn, welche überhaupt große Berdienfie um die An-
ftalt hat, ſcheint im der Arzueilunde wohl bewwandert zu fein,
denn an dem Tage, wo ich dort war, kamen Cingeborene
aus einer Entfernung von 14 Miles gewandert, um ſich
Mebicamente — der eine gegen Dysenterie und der andere
gegen Mafern — verabreichen zu laſſen. Sie verficherten,
daß fie ſchon früher von Frau Kühn geheilt ſeien.“
Der Protector of Aborigines, welcher die Anftalt im
März diefes Jahres befuchte, berichtet: „Ich fand im den
Häuschen der Eingeborenen, von denen jegt mehrere fertig
find, eine außerordentliche Reinlichkeit. Sie fcheinen diefen
Comfort, gegenüber dem erbärmlichen Yeben im Wurley, recht
wohl zu würdigen.“
Bon hohem Intereffe war eine Hochzeit im „High Life“,
welche zu Anfang bdiefes Jahres auf der Miffionsanftalt ge—
feiert ward und deren Schilderung wir unferen Leſern nicht
vorenthalten wollen.
Prinz John, der Sohn und anerfannte Erbe von Ton,
dem Könige der Morfe-Peninfula-Eingeborenen, war Willens,
feine farbige Braut zum Altare zu führen. Schon deu Tag
zuvor wurben die königlichen Eltern in einem Cinfpänner,
wobei der hohe Bräutigam den Kutſcher fpielte, herbeigeholt.
Sie befanden ſich etliche Miles davon im königlichen Wurley
und hatten eben ein Känguruh verjpeift und rauchten zum
Dejert die liebe „backie (Tabak) pipe“. Auf der Miſſion
angelangt repartirten ſich die Majeftäten und logirten daun
bie Nacht über im Hotel „Zum freien Himmel“,
et Einige Notizen über die hohen Herrſchaften dürfen nicht
ehlen.
König Tom iſt ſchon an Jahren vorgerüdtt und ziemlich
ergraut. Zu feinen Unausſprechlichen, die jedod offenbar
viel zu enge waren, hatte er ein geftreiftes Muſter gewählt.
Defto beſſer aber paßte ihm fein Nor, welcher die wohl:
geformten Berhältnifle feines Körpers in vortheilgafter Weile
hervortreten ließ. Darüber trug er ein wollenes Hemd,
erimean shirt, von tadellofer Reinheit. Schuhe incommıos
dirten feine breiten, flachen Füße weiter nicht, und die große
Zehe legte offenes Zeugniß von ihren vielen thätigen Dien-
ften im „Kampfe ums Dafein“ ab. Ein Diadem oder fon-
ftige Infignien königlicher Abftammung zierten ihn ebenfalls
nicht, an deren Stelle machte ſich aber ein Fräftiger Wuchs
gefräufelten Haares bemerkbar, weldyes, zum Zeichen abfo-
Iuter freiheit, ein fehr verwildertes Ausjchen hatte.
Die ſchweigſame Königin ift ein ſchönes Eremplar ihrer
Die Miffionsanttalten für Eingeborene in Südauftralien. 15
Race, von mehr ald mittlerer Größe. Sie bewies, daf bie
verbreitete Meinung: die lubras (trauen) der Eingeborenen
feien die Sclaven ihrer Männer, grundfalfd jei, denn als
ihe hoher Gemahl ihr befahl, eine Heine Strede weit zu
gehen umd einen Auftrag auszurichten, erflärte fie ihm rund⸗
weg, er möge felber gehen, und fiehe da! der Autolrat ges
horchte. Ein alter Mifanthrop hat fid einmal dahin geüus
hert, daß fo etwas eines ber ficherften Zeichen der Civili—
fation und der Veredelung des weiblichen Geſchlechtes fei.
Die Braut war eine Ehre ihres Stammes und der Lieb—
ling auf der Miffionsanftalt, wo fie mehr denn ſechs Jahre
verlebt hatte. Sie fonnte leſen und ſchreiben.
Der Bräutigam war von mittlerer Figur und repräfen-
tirte eine edle Species de8 Genus „homo“ vom zweiten
Sohne Noah's, nur daß fein Blut merklich heller floß.
Eine intereffante Scene fand am Hodjzeitstage um neun
Uhr Morgens ftatt, als König Tom mit Frau Gemahlin
den Palaft infpieirten, welcher eben fertig geworden war und
dein jungen kronprinzlichen Paare zur Reſidenz dienen follte.
Die oblonge Form deffelben maß, bei entſprechender Höhe,
378 Zoll in der Länge und 168 Zoll in der Tiefe. Beim
Eintritt ins Innere gewahrte man genau in ber Mitte
— nad) echt englifcher Sitte — den Speifetifch; über dem
Kantine fiel der Sims, mit Schmud- und Nippfadyen reich:
Lich, beſetzt, auf, zu dejien beiden Seiten wieder Regale an-
gebracht waren, auf denen ſich Küchengeräthe und ähnliche
UÜtenfilien präfentirten. Cine ſchöne eiferne zweiſchläfrige
Bettjtelle, ein Waſchtiſch mit Spiegel und verfciedene Site
bildeten das übrige Material. Nachdem der königliche Vater
ſich all diefe Dinge gehörig angegudt und namentlich die
Mefjer und Gabeln mit befonderer Aufmerkfamteit geprüft
hatte, vief er verwundert aus: „All same as white fel-
low!“ (Ganz wie bei weiße Yeute!) Und bald darauf
trug ex feinem innern Wunfche Rechnung und äußerte: „Me
like one house too!“ (Sch auch fold; Haus möchte haben!)
Das Intereſſe unferer Leſer wird fic erhöhen, wenn fie
erfahren, daß der Prinz John, unter der ardjiteftonifchen
Leitung des Herrn Kühn, felber ber Banmeifter feines Hau-
ſes war und daß er ſich die ganze innere Einrichtung deilel-
ben aus Erſparniſſen, welche er während feines Aufenthaltes
auf der Anftalt gemacht, angejchafft hatte. Und dabei ver
blieb ihm immerhin noch eine hübſche Bilanz, um damit
gelegentliche Bedürfniſſe zu beftreiten,
Kurz vor Beginn der kirchlichen Einfegnung wurde bie
Königin ins Miffionshaus gerufen und ihr ein neues Kleid
angethan, mit ſchöner Schleife vor der Bruft, was die Be-
wunderung und den Beifall ihres Gemahls in hohem Grade
wachrief. Cie aber ſchwieg.
Der Morgen war außerordentlich fchön und auf der
Miffion ging's gar lebendig her. Töpfe, Pfannen und an-
deres Geſchirr kürrte unter den fchnellen Griffen der übers
gludlichen ſchwarzen Mägde, und Pfeifen und Gefang be:
gleiteten die Arbeit. Um elf Uhr zeigte das Schulzimmer
eine außerordentliche Ummandelung. Site waren hufeifen-
fürmig für die Zuſchauer aufgefiellt. Die Königin nahm
zur Rechten des Pultes Play, und der König, welcher die
Braut führte, lich fich, nachdem ex diefelbe der Fürſorge von
drei Brautjungfern anvertraut hatte, ebenfalls dort nieder,
Zur Linken des Pultes ſaß Frau Kühn mit ihrer Tochter
und im ihrer Nähe fah man eime Anzahl junger Mädchen
(Eingeborene), deren jedes ein Bouquet frifch gepflidter Biu-
men in der Hand hielt. Dafjelbe bemerkte man an Knaben
auf der entgegengefegten Seite,
Die Trauung beforgte Herr Kühn, unter der Aſſiſtenz
des Reverend R. G. Bayley von der Independentengemeinde.
Der Bräutigam fprad; mit Marer, voller Stimme und in
gewwinnender Weife, während die Braut die Controle fiber
ihre Geflihle vollftändig verlor und bitterlic; weinte. Frau
Kühn trat ihr zur Seite, erfaßte ihren Arm und flößte ihr
wieder Muth ein.
Als die Trauung beendigt und die Gratulationen vor—
über waren, Überreichten die Mädchen, geführt von Fräulein
Selina Kühn, der Prinzeſſin die Blumenfträuße, während
die Knaben die ihrigen dem Prinzen darbradıten.
Es wurden dann felbftverftändlic, Erfrifchungen in Menge
angeboten und aud) reichlich Gebrauch davon gemacht. Hier—
auf fuhr die Hodhzeitsgefellichaft nach der Victoria-Bay, wo
ein Boot ihrer wartete, amd beſchloß jo die Freuden des
Tages. —
Der Verſuch anf diefen Mifftonen, die Eingeborenen an
ſeßhafte Thätigleit zu gewöhnen, lann am und filr fich nur
den volljten Beifall finden, und Ehre den Männern, welche
mit ihren Frauen in die Wildniß wandern, um fich biefer
Aufgabe zu unterziehen. Aber es iſt eben weiter nichts als
Verſuch. Die auftralifchen Wilden find der Givilifation |
nicht zugänglich) und wenn fie in dieſelbe treten, fo bleiben fie /
immer nur unmlindige Kinder, die ſtets controlirt fein wol-
len, So lange ein tüchtiger Dann an der Spike folder
Anftalten fteht, werden ſich ſchon Eingeborene einfinden, aber
die Mehrzahl wird nicht fonrimen, wenigftend nicht lange
bleiben, fondern wieder fortſtreichen, jobald ihnen gewiſſe
Wunſche befriedigt find. Zu einer felbftändigen Schhaftig-
feit, zu einem Handeln mit Verſtand und Umficht im Ber-
fehe mit den Weißen werden fie nie hevangebildbet werben,
Und indem fie bleiben wollen, ja müffen, was fie find: ein
herumftreichendes faules Bolt, das nur arbeiten will, fo lange
der Magen knurrt, ift ihre Untergang gewiß. Ihr Yand,
welches ihr Dagdgebiet war, wird ihnen von den einwandern«
den Weißen genommen, das Wild wird verjagt und Noth-
zuftände vefultiren daran für fie Der Genuß von Tabad
und Spirituofen, welche fie leidenfchaftlid, lieben, wirkt aufs
Schädlichfte auf fie. Allerlei Krankheiten werben von den
Weißen auf fie übertragen, nameutlich auch böje gefchlecdt-
liche, die fie hinvaffen oder verfiechen, und, um dies noch an«
zuführen, die Fruchtbarkeit der Frauen nimmt unter diefen
veränderten Derhältniffen merflid) ab. In Tasmanien find
die Eingeborenen ſchon gänzlich ausgeftorben, in den ange
fiebelten Diftricten der Golonien auf dem auftraliichen Con—
tinente nehmen fie im auffälliger Progreffion von Lahr zu
Jahr ab, in glei, vapider Weife auf Neufeeland, und die
Fidſchi⸗Inſeln haben ebenfalls einen fehr raſchen Anfang dar
mit gemacht. Was ung die Miffionäre Über ihre erzielten
Erfolge mitteilen, find oft nur die frommen Wünfche, welche
ſie hegen.
16 Aus allen Erdtheilen.
Aus allen Erdtheilen.
Die Macleay’ihe Erpedition nah Neu-Guinea.
F. B. Diefelbe verlich Sydney mit großem Eclat im
vergangenen Mai auf dem Schiffe „Chevert“, kehrte aber im
Detober dieſes Jahres gänzlich desorganifirt dorthin zurlid.
Der „Sonth Auftralia Regifter" bringt folgende intereſſante
Ginzelnbeiten über die Erpedition: Am 30, Auguſt wurde
am Nordufer der Torres:Straße ein großer Ichiffbarer Fluß
entbet und Barter River getauft. Seine Mündung war
andertbalb engliſche Meilen breit und feine Tiefe ſtellenweiſe
bis 12 Faden. Die von großen Bänmen bededten Ufer
waren flach, ſumpfig und ungelund Das Schiff fuhr 13
Meilen den Fluß hinauf und anferte bei Sonnenuntergang ;
während der Nacht wurde, der Eingeborenen wegen, ftrenge
Wade gehalten. Am Morgen landeten die Erforſcher an
den 20 Fuß hohen Ufern von BVfeifenthon, wo jie Fuhtapfen
von GEingeborenen fanden und Rauch in der Entfernung
faben; auch Spuren von Wildſchweinen waren häufig. Hier
war der Fluß eine halbe Meile breit und von 5 bis H Faden
tief; die Lage war unter 8938 ſüdl. Breite und 141050
öftl. Länge, Da es nicht gerathen jchien, mit dem „Chevert“
weiterzufahren, ſetzte die Meine Dampflaund „Ellerngowan*,
die durch bewealiche Drahtnetze vor Wurfgeichoffen geſchützt
war, die Fahrt weitere 31 Meilen den Fluß hinauf fort,
Herrliche Scenerie zeigte ſich auf beiden Seiten; ſchöne
Gruppen Bambusrohrs und Niefenfarren mit Blüthen von
30 bis 35 Fuß Fänge und ſchwarzen Rückenrippen wechielten
mit offenen Stellen tropiſcher Waldlandichaft in Schatti-
rungen aller Farben. Ein Canoe mit einem einzelnen Ein-
geborenen zeigte fich, der aber, fobald er die Fremden er-
blickte, unter das dichte Buſchwerk des Ufers ſchoß und ver-
ichwand. Viele Nebenflüffe und Seitenarme wurden paſſirt.
An dem Yufammenfluß mit einem andern großen Stromte,
44 Meilen von der Mindung, wurde zum zweiten Male
gelandet und viele Pflanzen: und Erbproben gefammelt; bie
Bambusbänme hatten bier vier Zoll im Durchmeſſer. Auch
wurde friiches Waſſer gefunden, indem dasjenige im Fluſſe
noch immer brakiſch war. Die Ufer faben herrlich aus; den
Kokos ähnliche Balmen wuchien 40 bis 60 Fuß body dicht
am Rande des Waffers, auch zeigten fich die hoben Stämme
und das blanc Yaub des Eucalyptus globulus überall. Von
bier wurde cin Heined Boot einen Seitenfluß binaufgefchidt,
das nadı einer Fahrt von 12 Meilen eine gegen ſechs Aeres
große Anpflanzung entdedte, die von ſtarkem Gehege umgeben
war und Fame, ZIuderrohr und Tabadspflanzen enthielt.
Aber nirgends waren Gingeborene zu chen. Die „Ellen:
gowan" erreichte im Ganzen eine Entfernung von 91 Meilen
von der Mündung nnd befand jich in Wahrheit im Innern
einer Terra incognita, Der Strom wurde viel enger und
das Wafler ganz ſüß. An diefer Stelle angelangt wurbe
wieder eine Entdedungstonr and Land gemacht. Paradies:
vögel zeigten ſich im großer Anzabl, und wurden drei der-
ſelben geſchoſſen. Eine große Schlange der Boa-constrictor-
Species von 151, Fuß Länge wurde getödtet und beim
Deffuen ein großes männliches Känguruh im Innern ge:
funden. Kopf und Schwanz derfelben wurden abgelchnitten
und zum Dampfer mit zurückgenommen. Vorgefundene
Spuren von gelpaltenen Klauen berrübrend waren offenbar
zu groß für wilde Schweine und wurden für diejenigen von
Buffeln gebalten, obgleich feine der leßteren gefeben wurden.
Zwei riefige Vögel flogen m mit großem Lärm vorüber; fie
mußten mindeſtens 16 bis 18 Fuß zwiſchen dem ans:
gebreiteten Flügelſpitzen meſſen. Sie hatten bunfelbraune
Körper mit weißer Bruft, langem und geradem Schnabel
uud langem Hald, Die nad ihren aefenerten Kugeln batten
anfcheinend Feine Wirkung, obgleich fie unzweifelhaft trafen.
An einem Baume, drei Fuß im Durchmeſſer, wurde cite
große Menge geſchmack- und gerudlojen, aber brennbaren
Harzes gefunden. Nachdem zum Beweis der Entdedung
eine Photographie der Königin Victoria im die Ninde eines
Riefenbaumes eingefiigt worden war, wurde die Rüdfahrt
angetreten und die Mündung am 8. September wieder erreicht.
Der oben erwähnten Page nach ſcheint dieſer Fluß derſelbe
zu fein, der ſchon von dem enalilchen SKriensihirfe „Alu“
entdectt amd mach deinjelben benannt wurde, jedenfalld war
diefes aber die erfte Befabrung befjelben durch Europäer.
Die Fauna des Kaſpiſchen Meeres.
Dscar Grimm bat in von Siebold's nnd Kölliker's Zeit:
ſchrift einen Bericht über feine Unterſuchung der Fauna des
Kaspiſchen Meeres mitgetheilt, welcher böchit wichtige neue
Thatlachen enthält, die auch in geographilcher Beziehung von
Bedentung find, da fie einen Schluß anf die Bildung diefes
Meeres zulaſſen. Er brachte zwei Monate in Balu an der
Weſtküſte und einen Monat auf einem Dampfer zu, der mad)
Grasnowodst hinüberfuhr, die Balkanbai befuchte und dann
über Enfeli und Lenkoran nach Bakı zurückkehrte. Während
diefer Fabrten wurbe tüchtig mit dem Schleppnetze bis zu
einer Tiefe von 150 Faden gearbeitet und cine große Aus:
beute an Meeresthieren erbalten. Wir erwähnen 6 neue
Fiſche (Gobius und Benthophilus), 20 Arten Mollusten,
darunter 4 Cardium:, 4 Adacna- und 3 Dreyffena-Arten ;
35 Gruftaceen, namentlich colofiale Formen von Gammariden
und Würmer. Die öſtliche, an die fandigen Steppen gren«
zende Hüfte war fait frei von Meeresthieren, wad Grimm
dem fortwährend ins Meer gewehten Sande zufchreibt. Da-
gegen war die Wejtküfte, wo bis 517 Faden gelothet wurden,
ungemein reich au tbieriichem Leben. Auf einen Zug des
Scharrnetzes in 108 Faden Tiefe wurden in der Nähe Bakus
350 Eremplare Gammariden, 150 Stiid Idothea entomon,
50 coloffale Mysis, 6 Exemplare Fiſche und zahlreiche Mol-
lusken erbentet.
Im Ganzen wurden 120 Arten gefunden, darumter nicht
weniger als achtzig neue, bisher in der Wiſſenſchaft un—
bekannte, und es ift mit Sicherbeit anzunehmen, daß bei
fortgeſeztem Arbeiten mit dem Scharrnehe, namentlich im
größeren Tiefen, noch viele neue Arten entdedt werben. Die
bereits bekannten Meertbiere zerfallen in zwei Claſſen:
1. folche, die von noch eriftirenden oder ſchon ausgeftorbenen
Arten abjtammen oder mur jchr wenig von folchen Arten abs
weichen, die in benachbarten, Meeren leben; 2. ſolche, die mit
Arten anderer Meere identiſch find. Die letzteren find befon-
ders ausdauernde und zählebige Species, wie Sabellides octo-
eirrhata, Mysis relicta und Idothea eutomon, Es ergiebt
fich die Berwandtichaft der Fauna des Kaspifchen Meeres
mit den Faunen des Schwarzen Meers und Aralſees, jowie
bes nördlichen Eismeers. Die mit dem letztern ijt näher als
mit dem Schwarzen Meere, denn Phoca, Coregonus leueich-
thys und andere wicht im Schwarzen Meere eriftirende For:
men find dem nördlichen Occan und Kaspiſchen Meere ges
meinfam.
Inhalt: Die Wüfte Macama. 1. (Mit fünf Abbildungen.) — B. Denecke, Die nenvorpommericen Küſten. 1. Mit eine einer
Starte.) — Die franzöfiiche Venuserpedition auf St. Paul.
Bon Albin Kohn. I, — Rüdſchläge aus der Givilijation. Bon
RAndree. — H.G. DieMilfionsanftalten für Eingeborene in Südauftralien. — Aus allen Erdtbeilen: Die Macleay'-
ſche Erpedition nach Neu-Guinea. — Die Fauna des Kalpiichen Meeres.
(Schluß der Redaction 11. December 1875).
— — — — — — — — — —
Medacteut: Dr. R. Kiepert in Berlin,
W. Eintenftrafe 13, 11 Tr.
Drud und Verlag von Friedrich — und Sohn in Braunſchweig.
Hierbei ein Proſpect, betreffend Werke von Albert Nichter im Verlage von Fr. Brandſtetter in Leipzig.
fu —
a
Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree. J
In Verbindung mit Fachmännern und Künſtlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunſchweig
Dahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlih 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Dart. Einzelne Nummern 50 Pf.
Die Wüſte Atacama
11.
Was den Reifenden in Sidamerifa jelbft anlangt, fo ift, | vend der größten Hite zu raften, die Sprunggelenfe bes Thies
wie befannt, der wichtigſte Beſtandtheil feines Anzuges der
Poncho, ein vierediges Stüd im lebhaften Karben geitreiften
Zeuges, in der Mitte mit einem Loche, durch weldyes man
den Kopf ftedt. Es giebt fie vom ganz gewöhnlichen wolle:
nen an, die zum Theil deutſche Nachahmung find, bis zu den |
theuerften von Guanacohaar oder Vigognewolle, weldye 150 |
Troß und Gepäd behindert, brach er in der Mitte des Jahres
bis 500 Franken foften. Im rohen Zuftande find diejelben
hell: oder dunkelbraun; die Frauen, welche fie weben, haben
aber auch eine Menge von geheimen Mitteln, fie mit Streis
fen im den leuchtendften Farben zu verfehen. Jeder Keifende
führt zwei Ponchos mit fich, einen dünnen und einen zweiten
von dider, warmer Wolle; denn, wie wir oben geichen haben,
ift der Wärmeunterfchied zwiſchen Tag und Nacht ein fehr
bedeutender, und während letterer ſtrahlt die Erde jo viel
Wärme gegen den Himmel aus, da die Temperatur zumei:
len unter den Gefrierpunft finfen lann.
Hohe Keiterftiefel von gelbem Yeder und ein Strohhut
dervollftändigen die Tracht der Einheimischen, zu welcher Eu—
ropäer noch ein kurzes Wamns und eine leinene Wefte hinzu:
fügen. Die Einheimifchen tragen viefige Sporen von Eifen
oder Silber, deren Näddyen 6 bie 10 Gentimeter Durdymeljer
haben. Breſſon zog die europäifcdyen Sporen vor, ebenjo
ftatt des alljeitig empfohlenen Maulthieres ein gutes chiles
nifches Pferd, das bei gleicher Genügſamleit und Sicherheit
bedeutend größere Schnelligkeit befigt. Co legte er auf dem
feinigen z. B. in 47 Stunden 200 Meilen in der Wüſte
zurlick, wobei er nur die Borficht gebraudjte, zwei Mal wäh.
Globus XXIX. Nr. 2,
tes mit Cognac und filh Morgens beim Aufbruche feine
Hufe mit Fett einzureiben,. Zu einer ſolchen Leitung wäre
ein Maulthier unfähig.
So gut beritten, ausgerüftet und nur von wenigen Peus
ten begleitet, meift nur von feinem Gehülfen Belte und ſei—
nem trefflichen Baqueano Almendar, von feinem großen
1871 zu feinen Wüftenmärfchen auf.
Die Wirte Atacama beginnt im Süden am Rio Copiapo
unter 27020" jüdl. Br. und reicht gegen Norden bis an den
Rio Yon, der unter 211/40 in den Stillen Ocean mitndet,
bejigt alfo eine nordfüdliche Ausdehnung von ſechs Breite
graden und dabei eine mittlere Breite von 1 bie 17/,%, Die
fer große Raum ift noch wenig erforfcht; im Winter 185°,,,
hat unjer Yandsmann Dr, Philippi ihm im Auftrage der
chileniſchen Negierung, welde damals Anfprüce auf alles
Gebiet ſudlich vom 23. Breitengrade erhob, durdykreuzt und
namentlich den am Fuße der Gordillera gelegenen Theil ung
beſſer als zuvor befannt gemacht. Seitdem ſcheint aber
nichts für feine nähere Keuntniß gefchehen zu fein; denn
Breſſon klagt über die ſchlechten Karten, weldye er durch feine
Arbeiten ſehr verbefjert zu haben behauptet. In dieſem
Raume ftoßen die Örenzen der vier Republiken Veru, Bor
livia, Argentina und Chile zufammen; der zweiten eignet
jedod) der größte Theil der Wüfte. Zwei Drittheile derjelben
beftehen aus Sand und Fleinen edigen Steinen, welche ihren
Urfprung der mechaniſchen Zerftörung der Felſen verdanten;
3
18 Die Wüſte Atacama.
das letzte Drittheil, Arenales geheißen, iſt mit einer Miſchung
aus Sand und zahlloſen Meermuſcheln bededt. Letzterer
Unftand ebenſo wie die Sodaſalzlager an den tieſſten Stellen
der MWiifte beweifen, daß diefelbe einft vom leere bebedt
war, deſſen Wogen den Fuß der Anden bejplilten.
Bei näherem Studium unterfcheidet man fünf auf einan⸗
der folgende und ungleich, ftarfe Hebungen des Yandes, wie
nod 1824 eine jehr mertliche Hebung der chileniſchen Kliften
ftattgefunden Hat, Infolge deſſen befteht die Wüſte aus
einer Reihe fandiger Hodjebenen, welche durch immer höher
und höher anfteigende, ſelſige Hligelreihen von einander ges
fchieden find und folgendermaßen benannt werden:
2, bie Corbdilleradela Cofta, Borphychligel von etwa 1100
Meter Höhe, welche der zweiten Hochebene als Halt dienen;
3. die Gordillera Central, fteinige Berge, 1525 bis
Abhang nad) dem Innern von Volivia bin fanft geneigt if.
Tiefe Configuration erflärt fofort den Umftand, daß das
Yand nad; Oſten hin eine Menge wafferreicher Ströme ent»
jendet, während die Atacanıa diefelben entbehrt umd zu ewi⸗
ger Trodenheit verdammt ift.
Nur eim einziger Fluß durchſchneidet den bolivianiſchen
Antheil der Wüfte, der Rio Loa, welcher die Örenze gegen
Peru bildet und an feinen Ufern die größte Dafe, Calama,
befigt *). Dort ift fein Waſſer noch teinfbar, während es
weiter ftromab fo von ſchwefel- und falpeterfauren Salzen
+) Vergl. über die mewerbings am feinen Ufern gefuntenen
Mineralfbäge „Globus" Be. XXVIII.
1. die |
‚ Euefta, an das Meer anftogend, 350 bis 400 Meter had; |
1560 Meter hoch, öftlich von welchen ſich die dritte Hoch⸗
ebene erftredt, die durchſchnittlich 2745 Meter Höhe hat.
Der Boden ber legtern iſt mit edigen Porphyrbroden bes
dedi, welche fich aud) noch weiter hin an den Abhängen der
Gordillera Real finden, deren mittlere Erhebung 4500
bis 4600 Meter erreicht. Ihr Vorkommen in fo bedeuten»
der Höhe hat man bis jet micht erklären können. Dieje
legte, vierte Kette begrenzt die Atacama-Wüſte im Dften
mit ihren unzähligen, ſchneebedeckten Gipfeln, zwiſchen denen
ſich hier und da ein rauchender Bulcan erhebt, wie derjenige
von Atacama, der Yincancau, Toconado, Illascar, Ylullas
yacı u. |. w. Nie zeigt aber diefe Slette jene ausgeprägten
Spigen und jchroffen Nadeln, wie man fie in dem Alpen
und Porenäen fieht, ale Gipfel find vielmehr abgerundet
oder coniſch umd von regelmäßiger Form. Nach der Wüſte
zu fallen die Cordilleren fehr fteil ab, während der öftliche
Der Rio Poa in der Schlucht von Chiuchiu.
geſchwängert ift, daß nur die Maulthiere es trinken können,
und auch biefe nur in Meinen Mengen, Geht man von Ga;
lama firomauf, jo gelangt man nad) einem Wuſtenmarſche
von 7°/, deutſchen Meilen zue Quebrada von Chiudiu,
dem „arten der Wüfte*, dem einzigen Plage in der. That,
wo ſich eine verhältnigmäßig reichliche Vegetation findet,
Bäume, felbft angebaute Hülfenfrlichte. Chiuchiu ſelbſt ift
noch der wohnlichſte Ort im der ganzen Wuſte; befchreiben
braucht man ihm sicht, weil er und überhaupt ale Drte in
der Atacama genau fo ausihauen wie Mejilloned. Die
Heinen Oaſen, welche ihr Daſein ſchwachen Rinnfalen bra—
tiſchen Waſſers verdanken, haben eine viel armfeligere Veger
‚ tation, einen Meinen Strand) (Atriplex deserticola) und
Die Wüfte Atacama. 19
einige Kräuter, die jo Mein und winzig find, daf man fie
weder als Brennmaterial nod zum Yüttern der Maulthiere
benugen fann.
In einer diefer Dafen am nördliden Ende eines faft
15 Meilen langen Salzfumpfes liegt die Hauptftabt der
amerifanifchen Sahara, San Pedro de Atacama, 2665
Meter hoch. Die Häufer insgefammt, das des Präfecten
nicht ausgenommen, beftehen aus Lehm und find weitläufig
gebaut, Atacama ift eigentlid) fein zufammenhängender Ort,
fondern eine häufig von Wüftenfand und Kies unterbrochene
Reihe von Häufern und Gärten; nur in der unmittelbaren
Nähe der Plaza am norböftlichen Ende des Ortes giebt es
regelmäßige Straßen. Am Horizont erheben ſich die Cor—
dilleren, unter denen ber Bolcan de Atacama bervorragt.
An ihrem Fuße in einer Entfernung von etwa 12 deutſchen
Meilen entjpringt das Bächlein, welches den Bewohnern
Trinfwafler liefert umd einigen Pflanzenwuchs hervorruft,
welcher das Halten einiger Maulthiers, Yamas und Bigogne-
herden erlaubt. Erjtere werden zum Waarentransport von
Cobija nad) den argentinifcden Provinzen Salta und Yujuy
Cateador im fein Zelt trat und ihm im Geſpräche auf eine
von ihm emtbedte Schlucht in der mächften Gebirgélette auf:
merffam machte, welche geeignet wäre, um bie projectirte
Eifenbahn hindurcchzufiihren. Das war dem Franzoſen eine
willfommene Nachricht, und am nächſten Morgen um fünf
Uhr ſaßen beide im Sattel, Breffon in ber Abficht, am felben
Abende, fpäteftens am folgenden Morgen zurlidzufehren und
darum nur mit einer Büchſe Gardinen, zwei Schifftzwie-
baden und einer Flaſche verdunnten Kaffees verfehen. Nach
ſechsſt ündigem Ritte befanden fie fid) am Eingang ber Que—
brada von Naguayan, wo fie Abſchied von einander nahmen:
der Cateador ritt zur Hüfte zuriid, während Breſſon die
Richtung nach dem befprochenen Paſſe zu einfchlug. Den
ganzen Tag behielt er fie bei und befand fich Abends acht
Uhr inmitten einer weiten von Höhen umgebenen Sandebene;
er erfannte wohl die von dem Mericaner bejchriebene Gegend,
aber nad) einigen ſcharfen Saloppen zwang ihn die Dunkel»
beit und der Hunger zum Haltmachen. Raſch war das
Pferd abgejattelt, die wenigen Nahrungsmittel verzehrt und
bald darauf fchlief der Reiſende, in feinen dien Poncho ge:
verwendet, welcher dem Haupterwerbszweig der Einwohner
bildet. Bon San Pedro de Atacama, früher Atacama Alta
genannt, führt eine jener berühmten Incaftraßen nad) Co—
piapo im Chile, aber nicht ein mit Steinen ausgelegter Heer:
weg, wie er Cuzco mit Quito verband, fondern nur ein Pfad
von 1!/,; Meter Breite, welcher von Steinen und Sand
gereinigt und nicht etwa mit Mücficht auf die fpärlichen
Wafferpläge oder die größte Wegfamfeit und geringfte Stei>
gung angelegt worden war, fondern einzig mad) dem Grund ·
fate, eine fchnurgerade Verbindung — Längs die⸗
ſes „Camino del Inca“ findet man in der Nähe der Cor—
dilleren jene Apadecta genannten Steinhaufen, welche kürzlich
in diefer Zeitfchrift (Bd. XXVII, ©. 199) von Ridard
Andree ausführlic, beleuchtet worden find,
Breſſon folte nicht lange darauf warten, die Gefahren
ber Wuſte lennen zu lernen, Gegen Ende des Jahres 1871
war er mit topographifchen Arbeiten in demjenigen Theile
der Atacama beichäftigt, welcher „Yaguna Seca“ (Trodener
See) heißt und etwa 8 beutfche Meilen nordöftlic, von Me—
jillones liegt, als ein ihm ſchon befannter mericanifcher
7.
Platz und Kirche in San Pedro de Atacama.
s
twickelt, den Sattel unter dem Kopfe. In der Nacht wehte
ein ſcharſer Süidoftwind, der ihm vor Froſt fo zittern machte,
baf er ſchon bei Tagesanbruch wieder zu Pferde ſaß. Aber
als er feine Spur vom geftrigen Tage fuchte, zeigte es fich,
daß fie der Nachtwind verweht hatte, und zu feinem größ—
ten Schreck war aud) der mitgenommene Compaß verloren,
Suden und langes Ueberlegen war bei fold, kritifcher
Lage nicht angebracht; er ſetzte aljo fein Pferb in Galopp .
und durchſuchte ben ganzen Tag Quebradas, Engpäjle,
Schluchten und Hügel, Aber nirgends bie geringfte Spur,
bie ihn auf den richtigen Weg hätte bringen lönnen; nad)
allen Seiten hin ftets diefelbe einförmige und abwechſelungs—
fofe Wüfte! Zu Ende ging der Tag, der nichts gefördert,
nur bie Kräfte des Thieres erſchöpft hatte. Mit brennender
Kehle — der Hunger quälte ihm nicht jehr — legte er ſich
ge. zweiten Dale auf den Wuſtenboder nieder. Am britten
age endlich fand er gegen Abend eine deutliche Spur von
zahlreichen Faftthieren, auch fo viel Mift, um ſich in der
darauf folgenden falten Nacht ein Feuer anzumachen. Das
Pferd, deſſen Kräfte ſchon bedenklich abgenommen hatten,
9.
20 Die Wüfte Atacama.
fchmiegte ſich eng am den fchlafenden Reiter, der, umt die
Spur nicht wieder zu verlieren, ſich quer über dieſelbe gelegt
hatte. Am mächften Morgen folgte er ihr langjam und
mühjelig, das erſchöpfte Pferd am Zügel führend, in der
Richtung, die nach feiner Anficht zur Küfte führte. Die
Mittagshige brachte im Verein mit der Ermüdung ſchon
Hallucinationen hervor; er glaubte Keiter, baumbeſchattete
Häufer, Seen und Fluſſe zu fehen, er fing an zu taumeln
und mußte wieder fein Pferd befteigen, das im langjamen
Schritte die ſcharf und deutlich, ausgetretene Spur verfolgte,
die des Verzweifelnden einzige Hoffnung war. Nachmittags
ſtießen fie auf ein Maulthierjlelet, neben dem nod) ein Waſſer—
fäßchen und ein Sad Gerfte lag. Aber das erftere war
leer und den Inhalt des zweiten wollte das verburftende Thier
nidjt berlihren.
In der Nacht werte es feinen Herrn durch leiſes Wichern
Er an
und ruckartige Bewegungen, fo daß diefer ſchon feinen treuen
Gefährten durd) den Tod zu verlieren glaubte und damit die
Möglichkeit der Rettung. Aber bei näherm Zufehen waren
ed nur Aeußerungen feiner Furcht. Nings im Kreiſe faßen
nämlid; in einer Entfernung von etwa 200 Schritt eine
Menge von Condors mit funfelnden Augen, welche durch
ihren Imftinet zu dem bemmächft fallenden Laſtthier geführt
werden. Gin paar Revolverjchüifie ſcheuchten fie auf, aber
bald darauf ließen fie ſich etwas weiterhin wieder nieder und
bildeten nun nur einen weitern Kreis, deilen für fie jo ans
ziehender Mittelpuult Roß und Neiter blieben, Breſſon
durchwachte den Reſt der Nacht, den Nevolver in der Hand
und fein treues Pferd fireichelnd und beruhigend. Bei Tages-
grauen vitt er weiter, während die unheimlichen Vögel ver-
ſchwanden.
Ein Tambo in den Cordilleren.
Reiter auf fic) zufommen, Er war ſchon geneigt, diejelben
* wieder für Ausgeburten feiner Phantaſie zu halten; aber ala
fie näher famen, erfannte er in ihnen Einheimiſche auf ſtar—
fen, argentinifchen Maulthieren. Sein eigenes Pierd ſetzte
ſich ohne Hilfe der Sporen in jehnellere Bewegung und eine
halbe Stunde fpäter begrüßte er feinen Baqueano Almendar,
welcher, um das Scidjal feines Herrn bejorgt, ſich aufge—
macht hatte, ihn zu fuchen, und war gerettet.
“ *
Breffon kam fchließlich durch feine Reifen und Aufnah-
men zu der Ueberzeugung, daß durch die Atacama ganz gut
ein Schyienenftrang gelegt werben lönnte, der aber, um recht
nüglich zu fein, wontöglic bis auf die Hochebene Bolivias,
bis nach Sucre und Ya Paz verlängert werden mlßte. Die
Ausjührbarkeit diefes Planes hing davon ab, ob ſich im der
Nähe des Minendiftrivtes Caracoles, bis wohn die Bahn
zunächſt flihven follte, ein Paß fünde, in weldyem bie Andens
fette überfchritten werden lonnte. Es waren alfo aud) dort
Terrainftudien nöthig, fir welde San Pedro de Atacama
der natlirliche Ausgangspuntt war. Nachdem er ſich dort
mit guten Maulihieren, hinlänglichen Yebensmitteln und
einem zuverläffigen Arriero verjehen, eilte er in ſtarlen Mär-
ichen dem Fuße der Gordillera Real zu und erreichte ohne
allzuviel Anftrengung auf einem vielfach gewundenen Wege
die Höhe von 3887 Dieter, wo ein Anflug von Vegetation
und Heine Bäche ſich zeigten. Im diefer Höhe fand er auch
Die Wüfte Atacama. 21
in Granit and Porphyr einen Paß, welcher feinen Wünſchen
entſprach und jegt im Winter felbft (es war Ende Auguft
und erft Ende September beginnt in jenen Gegenden ber
Fhling) practicabel war. In demelben lag ein „Tambo“,
eines jener Zufluchtähäufer für Neifende, die mod) ans ber
Incazeit ftammen. Dort ſchlug, er fir die Nacht fein Yager
auf und durchitreifte, den Garabiner im Arme, die Schluch—
ten, um barometriſch ihre Höhe zu beftimmen. Als er heim:
kehrte, hatte er Gelrgenheit, die Wirkung der Trodenheit der
Luft zu beobadjten: feine Nägel, Haupt und Barthaare zer
brachen bei der geringjten Berührung, die Haut der Yippen
fprang auf, das herausfliegende Blut trodnete fofort, das
Holz an feinen Inſtrumenten warf ſich und felbft bie Hufe
einiger Maulthiere riſſen auf.
Am folgenden Morgen ging es früh weiter; aber bald
mußte Breflon den Eifer feines Arriero zügeln, weil ſich in
Folge der rafchen Gangart bei einigen der Thiere Anzeichen
von „soroehe* ober „puna* (Bergkranfheit) bemerkbar
machten. Diefelbe hatte, ald man die Minen der Atacama
abzubanen anfing, fo viele Opfer unter dem Faftthieren ge—
fordert, daß die Quebradas mit Cabavern und Efeleten von
Pferden und Maulthieren wie befüet waren. Diele Krank—
heit, welche man allgemein der Verdünnung der Luft und
Abnahme des Luſtdruds zufchreibt, ruührt von einer Entzie⸗
hung des Sanerftofjes aus dem Wlute her; ihre Symptome
find bei Menſchen und Thieren ziemlich gleich: der Puls *
geht fchneller, Störungen bes Gehirns und der Nexven tre—
ten ein, man fühlt Zittern, Schlagen der Kopfpulsader, «
Hämorrhagien, Gfel vor Speifen, aber brennenden Durft,
die Zunge ift troden, das Gehen fällt Einem ſchwer und
man hat Schmerzen in den Hüften und Knien.
Unjer Reifender fühlte nur leichte Athmungsbeſchwerden
Ein Hacendado und fein Malordomus.
und ftieg, nachdem er den Paß ftudirt hatte, froh in ein be
waldetes Thal hinab, wo er in einem elenden Rancho jagen:
ber Indianer gaftfrenndliche Aufnahme fand. Einer berjel-
ben führte fie weiter nach Oſten, wo fie nad zwei Tagen
die Hacienda bes Don Manuel SS... aufnahm. Dieſe
Hacienden find große Yandgüter, oft ausgedehnter als ganze
franzöfifche Arrondiffenients, aber nur zum Meinen Theil
angebaut: Ihr Eigenthlimer, der Hacendabo, ift ein
wahrer Feudalherr mit richterlichen Rechten liber feine Yeute,
der feine Befigung nur ab und zu, meift zur Erutezeit, ber
fucht und alddann das emropäifcye Coſtiüm, das er im ber
Hauptftabt trägt, mit dem lamdesüblichen (Hut von Stroh
oder Bigognefilz, furze Weite, Poncho, Kanonenftiefel und
große filberne —— vertauſcht. Sein Roß iſt mit Fellen
geſattelt, welche ſchwerfällige, hölzerne, mit Silbernägeln bes
fchlagene Steigbligel tragen; der gefladytene Zaum iſt mit
Eilberringen verziert und von gleichen Metall ift der Sattel-
tnopf, das Stirnftiid und das Gebiß. Die Schönheit des
Pferdes entfpricht natürlich feinem Schmucke. Während der
Hacendado in ber Refidenz fic aufhält, vertritt ihm ein Ver-
walter, meift ein unwiſſender, am alten Scylendrian hängen«
der Menſch, welcher von neuen Erfindungen in ber Yand-
wirthſchaft nichts willen will. Ihm ift der Majorbomus
untergeoröget, berjenige Beamte, welcher bie ländlichen Ur-
22
beiten beanffichtigt, mit braunen, fonnenverbranntem und
energiſchem Geſicht. Es ift alfo genau die gleiche Rangfolge,
wie bei uns: Gutsherr, Infpector, Meier,
Um Aullagas-See (3700 Meter hoch), in welchen ber
Rihard Andree: Neugranabinifche Alterthümer.
Titicaca⸗See durch den Desaguadero jeine Gewäſſer ergießt,
beſchloß Breſſon feine Tour im Hochgebirge und fehrte dann
in den Minenbifteiet der Wüfte Atacama zurüd,
Neugranadinifhe Alterthümer.
Von Richard Andree.
Die füdamerifanifhe Nepublit, welche wir gewöhnlich
noch als Neu⸗Granada bezeichnen, erhielt im Sabre 1861,
als Mosquera Präfident war, die Bezeichnung Los Eſtados
Unidos de Colombia und wird daher ſchlechtweg Colum ⸗
bia genannt. Im ihr finden wir mannigfache Spuren ver-
ſchiedener Culturepochen, nicht nur Alterthümer aus der
Zeit der vielgenannten Chibchas oder Muyscas. Schon in
der früßeften Periode der Cultur, deren Sig das Thal des
1.
obern Magbalenaftroms ift, im Diftriete von Timana, treffen
wir auf Steinbauten und Goldarbeiten, über deren Urheber
ein jo ausgezeichneter Kenner füdamerifanifcher Alterthiimer
wie William Bollaert *) durchaus nichts zu fagen weiß.
Die Dentmäler von Timana beftehen aus Steinftatuen,
Dpfertafeln mit Darftellungen von Sonne und Mond,
Steinplatten, auf denen Thierzeichen eingemeigelt find und
bie mit dem Kalender des jüngern Volls in Neu-Granada,
Irdene Gefäße aus Gräbern bei Turbaco.
mit bem der Chibchas, Verwandtſchaft zeigen. Aus derfelben
„zimanäperiobe* ftammen wohl aud) die fteinernen
Thiergeftalten von Neyba (gleichfalls am obern Magdalenen-
fteome), welche Pumas, Jaguare, Affen, Guanacos, Fröſche
darſtellen. Velasco, den Bollaert citirt, Bemerft im
Geräthichaften aus Gräbern bei -Turbaco.
feiner „Hiftoria de Quito“, dag „das alte Volf in bie
fem Theile des Laudes die Helfen mit Hieroglyphen, Thier-
*) Antiquarian, Ethnological and other researches in New-
Granada etc. London, Trübner 1860.
Richard Andree: Neugranadinijche Alterthümer. 23
figuren, Blumen und Zeichen, bie wie Ziffern ausjahen,
bededtte.“ Aber wie gejagt, liber das Bolt, welches diefe von
Bollaert „vorchibchaiſch“‘“ genannten Werke ſchuf, wiſſen
= nichts. Wbbildungen bringt das angezeigte Wert auf
el 41.
Das Volt, welches die Spanier auf der Hochebene von
Bogota antrafen, gehört einer fpätern Periode an. Die
Bezeichnung Cundinamarca oder Cumdirumarca für das
hier beftehende Reich ift eime fpätere und irrthümlich von
Herrera (lib. VII, dec. 5) eingeführte. Es ift ein zufammens
geſetztes Quichuawort, von cuntur — Condor und marca
— Land, alfo „Fand des Condor“; bei den Eingeborenen hieß
es Theuſaquillo. Wie das Volk ſich felbft nannte, ift uns
befannt. Die Bezeichnung Chibchas, die von den Spaniern her»
rührt, wurde der Hauptgottheit Chibchacum entlehnt ; daneben
gilt der Name Muyscas, was einfach Denfchen oder Bolt
bedeutet. Die frlühefte Tradition der Chibchas berichtet,
daß der Mond der Satellit der Erde und Bogota von einem
barbarischen Stamme bevölfert war. Da fam von Dften
her ein weißer alter Mann mit langem Bart, der hieß Bo-
chiea (aud; Nemquetaba und Tuba), der fammelte das Bolt.
Bochica hatte ein Weib; doc als fie ihm ungehorfam war,
verwandelte er fie in den Mond. Ehe er felbft verfchwand,
fegte er zwei Häuptlinge ober Verwalter ein; einen Zipa
für die bürgerlichen und einen Zaque für die geiſtlichen Ber
hältniffe. Aehnlich benannte Häuptlinge vegierten das Yand
bis zur Unfunft der Spanier *).
(8 die Spanier (1533) erſchienen, ſollen acht Millionen
Indianer das Fand bevöltert haben, während jegt feine drei
Millionen Menſchen, die Ablömmlinge der Spanier ein:
begriffen, dort leben. Die Tempel der Chibchas, in denen
die Sonne verehrt wurde, waren große Gebäude aus Stein;
das Volk balfamirte die Leichen der Häuptlinge und begrub
mit ihnen zahlreiche Goldgegenftände, die jegt ald Tunjos
befannt find, Weihegaben, die durch Guß hergeftellt wurden
unb vielleicht Darftellungen Bochicas find. Gold wurde
auf dem Wege des Handels bezogen und dafür Cal; aus:
getauscht. Humboldt hat noch ſolche Steinfalzgräber bei
Zipaquira befucht. Neben den Golbarbeiten waren befons
ders Gefäße und Bildniffe aus Thon häufig, Von ber
plaftifchen Hunftfertigleit des Volles zeugt unter anderen ein
in Granit gearbeiteter Menſchenkopf, deſſen Abbildung Hums
boldt in feinen Monuments mitgetheilt hat und ber mehr
fünftleriichen Gefchmad verräth, als die gewöhnlichen anderen
amerifanifchen Sculpturen. Auch aus den alten Kalendern,
die uns erhalten find, ift die Cultur der Chibchas erfichtlich.
Diefelben hatten ein priefterliches, ein bürgerliches und ein
landwirthicjaftliches Jahr von je fiebenunddreißig, zwanzig
und zwölf bis dreizehn Monaten. Einſchaltungen bradjten
diefelben immer wieder miteinander in Uebereinftimmung
und orbneten ben Gyelus der Feſte. Humboldt hat bie
Einzelheiten, wie diefe Einſchaltungen und bie verſchie—
denen Zeiteintheilungen angeordnet waren, genau dargelegt.
Die Kalender find in harten Stein eingemeigelt von penta:
onaler Form und zeigen namentlich die Sinnbilder bes
Froiches und der Schlange. Der Froſch gilt ſymboliſch für
Waſſer und Regen, wie Bollaert angiebt**); er hieß in der
*) Näheres bei Müller, Amerikanische Urreligionen. Bafel
1855. ©. 423.
++) Memoirs reml befor the unthropologienl Society of London.
Vol. IL 125. (London 1866.)
Chibchaſprache ata. Ata bedeutet ald Zahlwort aud) Eins
und wird figuvativ durch einen ins Waſſer fpringenden
Froſch dargeftellt. Wir kommen weiter unten J dieſe
Kalender zurüüd.
Zu Tunja (nördlid) von Bogota) find neuerdings alte
Ruinen von Steingebäuden aus der früheften Chibchazeit
entdeckt worden, die vier bis fünf Ellen lange Steinpfeiler
aufweifen, Dreigehn folder Pfeiler find in einem Kreiſe
von fünfzig Ellen Umfang aufgeftelt; in ihrer Nähe findet
man noch die Ueberrefte von neunundzwanzig anderen Pfei-
lern und in einem dichten Forſte nahe dabei auch die alte
Werkftätte, indem dort noch zahlveiche angefangene Wert:
ſtücke liegen. E. Uricoechea, welcher 1854 zu Berlin ein
Memoire über die neugranadinifcen Alterthlimer in ſpaniſcher
Sprache veröffentlichte, jagt von den Chibchas: „Meteor
gleich verſchwand diefe Nation. Sie ging denfelben Weg,
wie viele andere eingeborene Bölker Amerikas, fie ward mit
dem Schwerte ausgerottet, fie erlag dem chriftlichen Fanatis—
mus und dem fpanifchen Golddurſte. Ihre Civilifation iſt
für uns verloren — verloren ihre Sprache, das Volk ver
ſchwunden.“
So bleiben uns außer ſpaniſchen Berichten nur die Alter—
thlimer erhalten, welche und noch einen Begriff von ber
Cultur des untergegangenen Boltes geben fünnen. In ums
jeren Mufeen befinden ſich nur wenige; eine Anzahl fans
melte in neuerer Zeit der franzöſiſche Reiſende Dr. Saf—
fray, deſſen Beſuch Neu-Granadas ins Jahr 1869 fällt *),
Dei Turbaco, nahe Cartagena, bei dem durch die be:
fannten, von Humboldt geſchilderten Schlammpuleane berühm
ter Orte fand Saffray eine reiche Sammlung Chibdja=
alterthümer bei dem dortigen Geiftlihen. Sie ſtammien
aus Gräbern und beftanden theils aus irdenen Vaſen, von
verfchiedenen Formen (auch „Geſichtsurnen“) und in Thier-
geftalten, theild aus Goldornamenten, wie die Priefter fie
trugen. Hier bei Turbaco (indianiſch Yurmaco) ftand der
Tempel der Bulcane, weldyer dem Cemi oder dem Geifte
der Öenefung geweiht war. Seine zwölf Priefter trugen als
Standeszeihen einen großen Goldgürtel und ein Diadem
aus demfelben Dietalle, in der Nafe ein fichelförmiges Gold»
srnament umd am Halſe eine runde Platte, auf weldyer der
Froſch dargeftellt war, Dem Gotte der Genefung war der
Tempel darum geweiht, weil hier die Kranfen Scylamm-
bäder an den Bulcanen gebrauchten. Die erwähnten Gold:
— befinden ſich in der Sammlung des Geiſtlichen von
urbaco. Saffray erwähnt darunter den Goldgürtel, wel⸗
cher ſo fein und regelmäßig gearbeitet iſt, als wäre er auf
einem Stredwerle hergeſtelltz die Platte mit dem Froſche
hat vier Zoll Durchmeſſer, auch die Sichel für die Nafe ift
vorhanden und dazır eine Art Ecepter, mit becherförmiger
Erweiterung am Knopfe, aus der zwei Bögel herausſchauen.
Die Ihongefäße diefer Indianer, berichtet Saffray, waren
mit gemalten Figuren geſchmückt und mit einem fat unzer-
ftörbaren Firniß überzogen. Ihre Goldarbeiten beftanden
aus einer Yegirung von Gold und Kupfer (Tumbago),
welche fie jelbft Guanin nannten. Oviedo bemerkt: „Ihre
foftbaren Bajen, aus den Früchten der Higuera geformt und
mit goldenen Henleln verjehen, find fo ſchön, daß fie gleich
zum Gebraud, des Königs dienen könnten.“
*) Le Tour du Monde. Lirraison 605 M Danach viele
Schilterungen im 22., 23., 24. und 26. Bande tiefer Zeitſchrift.
24 B. Denede:
Die neuvorpommerjchen Küſten.
Die neudorpommerjden Küften.
Bon B. Denede in Barth.
II.
Wie weit die behufs des Kuſtenſchutzes ergriffenen Maß—
regeln zum Ziele führen werden, kann vielleicht ſchon in
einigen Jahren ſichtbar hervortreten *). Thatſache iſt, daß
ſeit der Schließung des Prerower Stromes bereits eine ſchnell
zunchmende Berfandung der Preromwer Bucht bemerlbar wird,
da die ftarte —— vom Laude her, welche den ange—
ſchwemmten Sand ins Meer zurücführte, aufgehört hat, daß
aljo ein Wachſen des Yandes zwifchen Darger-Ort und Pres
vom erwartet werden fanı, Der Leuchtthurmwärter (weldyen
der Peer ſich als einen wohlunterrichteten, ruhigen Mann
von ſcharfer Beobachtungegabe und langjähriger Erfahrung
vorzuftellen hat) fagte mir, er hoffe die Zeit noch zu erleben,
in welcher man von Darfer-Ort nad; Prerow in gerader
Linie werde fahren oder gehen fünnen. — Sonderbar fünnte
es erfcheinen, daß, während die Bucht verfandet, die davor
liegende Barre abnimmt. Diefe verdankte jedoch ihren
—— dem Zuſammentreffen des Prerower Stromes und
der Meereswellen. Da nun der erfte ber beiden Factoren
zu wirfen aufgehört hat, fo wird ber Sand der Barre bei
Darfer-Ort von der vorherrichenden Meeresftrömung im bie
Bucht hineingetrieben und dort abgelagert.
Schwerer zu erflären ift das Auwachſen des Yandes auf
der Weftfeite des Leuchtthurmes. An diefer Hüfte haben
bereits feit Jahren vorfchriftsmäßige tägliche Yothungen ftatt-
gefunden, die nur bei ftärmifchen Wetter ausgeſetzt wurden.
Jahrelang war das Reſultat derſelben mit geringen Schwan:
kungen daſſelbe geblieben, bis plötzlich zur höchſten Ueber«
raſchung der Beamten feit dem November 1874 — alfo jeit
dem Verſchluſſe des Prerower Stromes — bie Waſſertiefe
merlwurdig ſchnell abnahm. Im November in einer Ent⸗
fernung von 1000 Mietern vor der Küſte noch 30 Fuß be—
tragend, war diefelbe bis zum JAuli diefes Jahres — alfo
in adıt Monaten — auf 12 Fu reducirt worden, ein höchſt
merfwirdiges Factum, weldjes nur die im die Gcheimnifie
der Strömungen Eingeweiheten zu erklären vermögen,
Es wird aus dem bisher Geſagten einleuchten, daß fehr
Vieles gefchehen ift, um den Zingſt jowie den öſtlichen Theil
des Darßes gegen die Angriffe der See ficerzuftellen und
diefe Schutzwehren der dahinter belegenen Küſten zu confers
viren. Auch die Stadt Barth bat Taufende aufgewendet,
um duch langgeſiredte ſtattliche Erdwälle ihre nördliche Front
n Ob biefelben fib bewähren, müſſen große Stürme zeigen.
Während des am 14. Tetober d. I. aus öſtlicher Richtung webens
ten Sturmes haben zwar bie Buhnen an ber Zinafter Küſie ſich
erprobt; denn nach amtlich angefellten Grmittelungen find ivon
1838 Buhnen nur 2 zgerftört; bie übrigen fine erhalten und zum
Theil wirflich verfander hätten alfo ihrem Zweckt entſprochen). Bon
30,000 Pfäblen find nur 78 Stud duch tie Wogen berausgerifien
worden, Dagegen bat ſich ber Berfchluß des Durchbrudes im Sü—
den tes Fiſchlandes ala unzulänglich erwiefen; er it am 14. Deto—
ber binweggefhwenmme; Oftfee und Botden haben ſich vereinigt und
tas Fiſchland von ter Verbindung mit Nibnig abgeſchnuten. —
Die Haltbarkeit des neuen Aubendeiches auf Zingft wird neuerdings
ftark angesweifelt, da die Mäufe mährend tes legten Sommers bie
Auffhättungen an vielen Etellen burbwühlt haben. — Alle dieſe
Vortommniffe zeigen zur Genüge, daß neh mehr gethan werten
muß, wm bie neuvorpommerfchen und mecflenburgifhen Borlante
und tur fie das Binnenland nachtrücklicer su ſchühen. Aber was
thun? — Die Zingfter Bauten haben bereits circa 80,000 Thaler
gefoftet, und — Gementwälle wiürten Millionen verfhlingen.
unangreifbar zu machen. Den ſchwächſten Theil der Ans
griffslinie, welche das Borland dem Meere barbietet, bildet
ohne Zweifel noch der Bordar mit Ahrenshoop und die
mecklenburgifche Küfte von *2* bei Dierhagen. Be—
ſonders mißlich erſcheint die Situation bei Ahrenshoop. —
Wenn irgendivo fo hat hier die Küfte jAhnell abgenommen ;
überall find die ſchan erwähnten Baumreſte ſichtbat. Inter⸗
eſſaut war es mir, im Uferfande den faft zu Stein verhär-
teten mächtigen Wurzelftod eines Eibenbaumes oder Tarus
zu finden, der früher im dem deutſchen Wäldern heimiſch
war, gegenwärtig aber jaft gar nicht mehr angetroffen wird.
Das Dorf Ahrenshoop liegt in nächjter Nähe des Mee—
tes, nur durch Dünen von demfelben getrennt. Während
der Novemberfluth verſchwanden diefe Diinen mehrere hun—
dert Schritte weit gänzlid) und die ganze Bevölferung floh
auf das benachbarte fteil anfteigende medienburgijche Ufer.
Einen wirklichen Durchbruch fand ich nur an einer Stelle;
doch iſt derſelbe deſto gründlicher. Noch gegenwärtig zieht
er in Geftalt einer tiefen, ſandigen Ninne, etwa 20 Meter
breit, mitten durch die Ortfchaft, ein trübfeliges memento
mori fir die armen Bewohner. Der Verſchluß, der nur
aus einer künſtlichen Dune mit Fangzaun befteht, ift wenig
geeignet, das abhanden gefommene Gefühl der Eicjerheit
wieder zu eriveden, zumal da die See während der November:
fluth jechs Meter Yandes annectirt und nicht wieder heraus:
gegeben hat, jo daß die alte Feindin abermals einen tüchtigen
Sprung näher geritdt ift. Auch find bis jet durchaus Feine
Erdwälle (wie auf Zingft) vorhanden. Nur ein „Binnen:
beich“ ift als Schutzwehr gegen den Bodden aufgeführt wor:
den. Doch trägt diefer nur dazu bei, die Einwohner noch
mehr zu beumruhigen, da im Falle eines Hereinbruches der
Se, wie die Ahrenshooper jagen, nad) der Boddenfeite hin
dem Waſſer der Abflug verfperrt fe. „In fünf Minuten
ift dann das ‚ganze Yod) voll; ie ſchnelle Flucht ift unmöglid)
und wir müſſen alle ertrinfen.* — ben jo wenig wie der
Vordarß hat die medlenburgifche Yandenge im Silden des
Fiſchlandes Erdwerle und Buhnen aufzuweifen: nur die
Durcbrüche find gejchloffen und die hinweggeſchwemmten
Dunen fo viel wie möglid erneuert worden. Ob dieſe Vor:
Echrungen die Waſſerprobe beſtehen können, muß die Seit
lehren. Möchte nie eine Zeit fommen, in weldyer Dark
und Fiſchlaud auf unferen Starten als Injeln figuriven.
*
* *
Ueber die Bodenverhältniſſe des öſtlichen Zingſtes jagt
ein Yandesfundiger: „Auf einem Saudboden von ſierilſter
Beſchaffenheit hat ſich eine 4 bis 6 Zoll ftarte moorartige
Begetationsdede gebildet, die, mit Salz imprägnirt und mit
Torfmoofen, Haidefräutern und Geftrüpp überzogen, erft
durd anhaltende Arbeit für geregelten Wirthicaftebetrich ge-
wonnen ift, Was auf den weiten Haidefläcen dem Getveides
bau dient, find vereinzelte Stücke Yandes, die nur durd) ans
geftrengte Cultur für den Anbau von Gerealien nutzbar
gemacht worden. ine Specialität iſt der Anbau der Ci—
orienwurzel.“
Dafjelbe gilt auch von einem großen Theile der übrigen
Vorlande bis in die Gegend des Dorfes Tierhagen. Cine
Ausnahme bildet das Fiſchland, weldyes mit feinem ſchweren
B. Denede: Die neuvorpommerſchen Hüften.
Lehmboden als einzig im feiner Art bafteht. Much haben
einzelne Theile des mit fehöner Kiefernwaldung dicht bedeck⸗
ten Darßes recht ftattliche Eichen und Buchen aufzuweiſen,
ein Zeichen, daß auch hier befierer Boben vorhanden ift.
Die fumpfigen Niederungen find meiſtens mit Erlen ber
wachſen.
Es iſt der Mühe werth, in ſchönen Sommertagen auch
diefe für dem Fremdenverlehr, der an ihnen vorliber nach
Rügen fluthet, fo entlegenen Küftenftriche einmal aufzufuchen.
ae können fie fi) an malerischen Effecten weder mit
tubbenfammer noch mit Arkona meſſen, dod fehlen ihnen
keineswegs die landſchaftlichen Reize. Unter den alten
Eichen des „Freeſenbruchs“ bei Zingft, mit dem Blide auf
das blaue Meer, träumt ſich's wunderfchön, wenn die nahe
Brandung ihr monotones Lied dazu raufcht; und ber freund
der Waldeinfamfeit, der bie liberflillten Badeorte flieht und
es borzieht, mit einigen Dutzend genügfamer Familien die
primitiven Babevorrichtungen von Zingft und Prerom zu
benugen, findet den tiefften Waldfrieden in den Wäldern des
Darfes, wo der Fiſchadler ungeftört horjtet, der Edelfalle
geräufchlo® durch die Baummipfel neben dem ftillen grlinen
Waldwege gleitet, und nicht felten fogar noch ein Sechszehn⸗
ender in ber Lichtung äfend umberfpazier. Dem Freunde
von Wafferpartien aber ift reichliche Gelegenheit geboten, auf
einem kleinen Dampfer von Barth nad) Zingft und Prerow
Abenteuer zur See zu erleben, wenn er es nicht vorzieht,
einem tüchtigen Fährboote fich anzuvertrauen, wie fie aud)
die Verbindung zwifchen Bootftede und Wied, Ribnig und
Wuſtrow vermitteln, und ſich bei einer fteifen Brije aus
Oſten von den Sprigwellen ein wenig abkühlen zu laſſen.
Das Intereffantefte indeffen, das diefe Vorlande dem
Freuiden zu bieten haben, wirb ftets der Kampf des Men-
ſchen mit dem Deere fein, — auch ein Kampf ums Da-+
fein. Und in diefem Falle um fein ärmliches Dafein. —
Wer durch die theils jandigen, theil® mit einer leichten Gras:
narbe bededten Dorfftrafen von Zingft und Prerom wan-
dert, findet zwiſchen ben anſpruchsloſeren, meiftens mit Schilf
gebeten, mit Theeranftrich verfehenen Fiſcherhlitten und
altweftphälifchen Bauerhäufern, die unter einem Strohdache
Bohnräume, Ställe und Scheunen zufammenfaflen, der land-
hausartigen Gebäude genug, bie, von Schwarzpappeln, Eichen
und Weiden beſchattet, aus ihren blanfen Spiegelicheiben
fo gemitthlich und zugleich etwas ariftofratifch auf die Blumen-
ae vor der Thlie herabfchauen und auf bedeutenden
ohlftand fliegen laſſen. Die Novemberfluth erträntte
nicht nur die Schweine bürftiger Fifcherfamilien und ſchwemmte
ihren ärmlichen Hausrath hinweg: fie jpielte auch mit zahl:
reichen eleganten Nußbaummöbeln und bradjte Pianinos
nenefter Conftruction zum Schwimmen, Diefen Wohlitand
verdanken Zingft und Prerow nicht dem magern Boden, ber
fie trägt, ſondern dem oft jo feindlichen Meere.
So oft ic, dieſe Gegenden befuchte, wurde in meiner
Erinnerung ein im „Chlobus* (Band IX, Jahrgang 1866)
abgebrudter Auffag lebendig, der, von einem medlenburgifchen
Particulariften gejchrieben, mit der äußerften Geringſchätzung
von den benachbarten preußiſchen Verhältniſſen redete, welche
in feiner Schilderung dem medlenburgiichen Fiſchlande zur
Folie dienen mußten. Endlich beſchloß ic), ſelbſt zu fehen,
um urtheilen zu können.
Der Eindrud, welden im Juli diefes Jahres das Fiſch—
land auf mic, machte, war allerdings, obgleich ic) vorbereitet
war, ein — Ich hatte den ſandigen, menfchen-
leeren Küftenftrih vom Leuchtthurme an durchwatet und
Globus XXIX. Ar. 2,
25
ftieg aus dem niedrig zwifchen Sand und fumpfigen Wiefen
belegenen, nichts weniger als ftattlichen Ahrenshoop auf das
hügelige Lehmplateau des Fifchlandes hinauf, das mir, wie
jenem begeifterten Lobredner, als ein mecklenburgiſches Eldo⸗
rado erfcheinen mußte. Dort Sand, Kiefern und Erlen—
gebifch, menjchenleere Einöde und endlich die, wenn aud)
fauberen, doch dlrftigen Hätten eines Stranddorfes; hier
— mie durch eine Couliffenverwandlung — lippige Korn⸗
felder, umfangreiche Bauerhöfe, von jhönen Obftgärten um:
geben und von mannshohen Maxern aus Feldfteinen gegen
die Fahrftrage abgeſchloſſen. Zwiſchen riefigen Bäumen,
welche die Dächer der alten ſchönen Höfe befchatten — ein
herrliches Bild für ein Molerauge! — ſchimmern die blaue
Fluth ded Boddens und die fernen blänlichen Umriſſe ber
Höhenzlige und Wälder des Feſtlandes hindurch, während
nad) Welten über wogende Kornfelber hin das Auge auf dem
fernen Horizont des großen Waſſers, wo in weiter Ferne
einzelne Segel gejpenftergleich vorüberhufchen, vergebens einen
Ruhepunlt fucht.
So ziehen fic) die beiben Dörfer Alten» und Neuenhagen
ziemlich dreiviertel Meile weit hinab und hinauf am Bodden
hin, im handgreiflichen, aber ſehr begreiflichen Gegenfate zur
benachbarten preußiſchen Einöde, — An Neuenhagen ſchlie—
Ben ſich in faft ununterbrochener Folge bis in die Nähe von
Wuſtrow die gemiüthlichen, fauberen Ruheſitze emeritirter
Schiffer mit Obft- und Blumengärten und Flaggenſtangen,
benen in Zingft und Prerow zum Verwechſeln ähnlich, wie
überhaupt die Bevölferung, wenn auch politifch getrennt, in
ihren Anſchauungen und ihrem Charakter auf merkwürdige
Weiſe übereinftimmt. — Wuftrom, der Hauptort bes Fiſch-
landes — darin muß id) dem Mecklenburger beiftimmen —
ift ein Unieum. Seine neue Kirche wiirde vielen Heinen
Städten Ehre machen; und bie beiden Gafthäufer (eigentlich
„Krüge“) des Ortes mit ihren ftattlichen Fronten und ums
fangreichen Seitengebänden dürften leicht Gegenftänbe bes
Neides flir manchen Gaftwirth in einer Mittelſtadt werben.
Auch Hier finden jich große Bauerhöfe, untermiſcht mit com«
fortablen Privatwohnungen bemittelter Seeleute; und vor
dem Orte am Parmin erhebt ſich in einem fchattigen Parte
eine Billa im größten Yandhausftile, wie fie kaum anjehn-
licher an den villenreichen Geftaben bes Genfer Sees zu
finden fein dürfte. y
Soweit er alfo das Fifchland lobt und erhebt, gebe ich
bem erwähnten medlenburgifchen Patrioten R Diefer
Wohlſtand ift gewiflermaßen mit Händen zu greifen. Doch
fann ich es micht billigen, daß der Herr der dürftigen Ver—
hältnifie des Vordarßes als eines Mafftabes zur Beurthei-
lung der materiellen Yage der preufifchen Borlande überhaupt
(alfo auch ber Ortfchaften Zingft und Prerom) ſich zu bes
dienen liebt. Gegen diefen Maßftab muß id) proteftiren. —
Daß auch auf mecklenburgiſchem Boden in Sand und Sumpf
weder Mandeln noch Apfeljinen wachen, zeigt zur Genlige
die medlenburgifche Wüfte zwiſchen Wuſtrow und Dierhagen,
wo weder Baum noch Straud) wachſen will, und bie am
bradigen Boddenwaſſer ſich hinziehenden fogenannten Wiefen
ein grobes, ſaftloſes Product liefern, welches mur für das
einheimische Vieh genießbar if. Diefe Strede ift ein wlir-
diges Seitenſtück zur preußifchen Wüfte bei Ahrenshoop.
Weizenboden im Lande Barth jedoch mit feinen reichen
Gütern und wohlhabenden Bauerdörfern braucht einen Bers
gleich mit dem mecklenburgiſchen Fiſchlande auch nicht zu
ſcheuen.
26
Albin Kohn: Die franzöfifche Venuserpedition auf St. Paul.
Die franzöfifhe Venuserpedition auf St. Paul.
Bon Albin Kohn,
Ein Hauptübelftand ift, wie ſchon oben angedeutet, daß
ſich auf der Infel feine einzige Quelle mit trintbarem Wafler
befindet, während auf ihr eine große Anzahl warmer Quellen
emporfprubelt, Einige diefer Quellen haben jo heißes Waf-
fer, daß man Hummern, deren man unzählige in der Nähe
der Infel fifcht, im ihm fieden fan. In der Nähe ber
Wohnungen ift der Boden in der Tiefe von wenigen Centis
metern heiß und die Naturforjcher der Erpedition haben in
ber Tiefe von 1,50 bis 2 Meter eine Wärme von 200° E.
gefunden. Im Falle der Expedition Brennmaterial gemans
gelt hätte, wäre fie alfo nicht in große Berlegenheit gerathen.
Dean bemerkt übrigens auf der ganzen Inſel nur eine
ſehr ärmliche Vegetation, Die größte Pflanze bildet eine Art
Yaubfarren, das Blechnum australe, einige Gräſer, unter
ihnen auch unfer befanntes Wollgras (Holcus lanatus),
und verjchiedene Mooſe. Im den Spalten und Riffen,
welche ſich im Laufe der Zeiten unter dem Einfluffe der tor
benden Elemente gebildet haben, haben ſich Spongien eins
geniftet, welche vertorft find, und eben auf diefen Torfmafjen
wuchert das Wollgras und neben ihm eine Gattung Rispen-
gras (Poa Novarae) und andere. In den verfchiebenen
Höhlen, an denen das vulcauiſche Geſtein reich ift, haben fid)
Moofe angefiedelt, deren Sporen wohl von den Stürmen
hierher getragen wurden. Die Hauptpflanzen ber Felſen⸗
infel, die Yaubfarren, find faum im Stande, ben zahlreichen
Fettgänfen, welche auf der Infel brüten und, fo lange fie ſich
auf dem Yande befinden, durchaus micht menſchenſcheu find,
weil fie eben nicht im Stande find vor ihm zu fliehen, einie
gen Schutz zu verleihen. Wie Herr Bölain jagt, wurden
diefe Thiere früher dort fehr häufig ihres Felles wegen ex:
legt, da es — wahrfcheinlich fo weit es den Bauch betrifft,
der mit feinen feibenartigen Federn bebedt ift — als Pelze
werk gefucht war. Als die „Dives* bei St. Paul anlangte,
waren eben die Fettgänfe mit dem Ausbräten ihrer Eier be-
fchäftigt, und es ift nur zu bewundern, daß diefe Thiere trotz
ihrer außerorbentlichen Unbehülflichkeit die höchften Punlte
der Hüfte zum Niften aufjuchen, welche fie alle Tage mit der
größten Mühe erklimmen miffen und wo fie den Angriffen
der Kaubvögel fo fehr ausgejegt find, welche auf den benad)-
barten Felſenlämmen ihre Horſte haben,
Während Herr Mouchez mit dem Ausladen der Effecten
befchäftigt war, erhob ſich wieber ein heftiger Sturm, der
Hagel und Scnechloden brachte; das Meer ging ziemlich
hoch und die Boote lonuten nicht ohne Gefahr über die Barre
fahren. Plötzlich riß ein Windftoß die „Dives* vom Unter
und trieb das Schiff von der Inſel; doch gelang es einen
zweiten Anker zu werfen, Das Schiff wiberftand dem Sturme
und alle mit dem Ausladen befchäftigten Perfonen fehrten
am zweiten Abend, wie am erſten, auf dafjelbe zurlich; nur
einer, von der Seekrankheit ergriffen, zog es vor, im einer
ber aufgeräumten Hlitten zuridzubleiben.
Um folgenden Tage entftand wiederum ein heftiger Sturnt,
infolge defien jede Communication mit der Infel unmöglid)
war, Der Himmel war bedeckt, der Regen fiel ohne Unter
laß und das Getöfe, welches die ſich am der ſchroffen Helfen:
füfte brechenden Wellen verurfachten, war fo groß, daß man
fein eigenes Wort nicht hören lonnte. Das Meer war be-
I
det von Schaum, das Schiff war beftänbig bewegt und
zerrte am Anker. Es war dies ein langer Tag ber Bejorg-
niß und der gezwungenen Unthätigfeit. Abends wurde der
Sicherheit wegen eim zweiter Anker mit 120 Meter Kette
ausgeworfen, da der Bewegungsapparat des Schiffes nicht
zum MWiberftande gegen bie tobenden Wogen verwendet wer⸗
ben konnte.
Her Mo glaubte, daß der Sturm endlid den höch⸗
ften Grab erreicht hätte und ſich nun legen werde; doch er
hatte ſich geirrt. Am Morgen nad) einer in Bangigfeit
verbrachten Nacht fam ein Windftoß, infolge deilen eine
Anlerlette riß; eine Biertelftunde darauf zerriß auch die zweite.
Die „Dives“, die fomit drei Anfer verloren hatte, wurde vom
Orean ergriffen und ins Meer hinausgettieben. Man hatte
bald die Infel aus den Augen verloren und war genöthigt,
das Schiff zu wenden, um mit der hochgehenden See zu
treiben. Die langen Ketten hingen am Bordertheile bes
Schiffes und es bedurfte einer jechsftindigen, ſchweren Ars
beit mit Vorrichtungen, welche die Kraft der Winden ver-
dreifacdhten, um die Setten aus dem Meere an Bord zu
bringen. | '
Während dreier Tage wüthete der Sturm umd Herr
Mouchez verlor bereits die Hoffnung, den Durchgang ber
Venus aufSt. Paul beobachten zu können, in weldem alle
er die Beobachtung auf der Südoftfpige von Auftralien vors
nehmen wollte; doch wollte er dieſes nur im äußerften Falle
thun. Er kämpfte hartnädig gegen die empörten Elemente,
denn er fühlte, daß von feiner Standhaftigfeit und Ausdauer
der Erfolg der ihm übertragenen Miffion abhing. Diefe
Ausdauer wurde auch herrlich belohnt.
Schon am 28. September legte fi ber Sturm ein wes
nig und Herr Mouchez lie die Maſchine Heizen, um zu las
diren. Indem er von der geringften Aenderung des Wetters
Nuten zu ziehen wußte, gelang «8 ihm, trogbem ihm am
30, eine Belle das Stahlfeil am Steuerrade zerfprengte, am
1. October gegen 9 Uhr Morgens nad) einem breitägigen
Laviren die Imfel wieder zur fehen und bem legten Anker,
den die „Dives* Hatte, dort fallen zu laffen, von wo fie vor
acht Tagen vom Sturme hinweggeriffen worden war. Kaum
war ber Anter ins Meer gelaffen, da erfchien auch ſchon ber
auf der Infel zurückgelaſſene Reifegefährte, welcher im höch⸗
ften Grade bewegt und erfremt war, das verloren geglaubte
Schiff und deſſen Paflagiere wieder zu fehen.
Ein glüdlicher, volltommen unerwarteter Zufall wollte,
daß nad) diefem furdjtbaren Sturme, der ſelbſt das Gerippe
ber „Megära* mit im die Tiefen des Meeres geriffen hatte,
die Einfahrt in den Krater paffirbar war. Deshalb auch
wurden wenige Minuten nad) der Ankunft alle Boote von
ber „Dives“ insg Meer gelaffen, mit Kiften, Kaften und
Gepäd beladen umd in der im Voraus beftinmten Orbnung
and Land erpebirt. Während des ganzen Tages wurde mit
fieberhafter Thätigleit gearbeitet; man fannte den Werth
jeder Minute und deshalb legte jeder Hand ans Werl, Man
fuhr ans Yand und zurück mit folder Eile, daß bis zu Sonnen-
untergang faft alle 2: m mit ben Inftrumenten und ande»
ren Öegenftänden am Yande waren, wo fie, wie es cben ber
Zufall brachte, aufgeftapelt lagen, Nach dieſer mlhevollen
Albin Kohn: Die franzöſiſche Venuserpedition auf St. Paul. 27
Arbeit fchliefen die Reifenden das erfte Mal in der auf ber
Inſel improvifirten Hütte, mit dem beruhigenden Bewußt ·
fein, daß fie an diefem Tage dem ſchwierigſien und gefahr:
vollſten Theil ihrer Aufgabe vollbracht hatten, die noch am
Abende des vorigen Tages dem Scheitern nahe war, Sept
gg Sa Erfolg der Erpedition nur noch vom Wetter des
9. Decembers ab.
- Die „Dives“ war zwar am folgenden Tage wieder ge-
zwungen, ihren Anlerplatz zu verlaffen und ſich von der Infel
zu entfernen, doch kehrte fie bald zuritd, fo daf der Reſt ber
mitgebrachten nothiwendigen Sachen trog des ſchlechten Wet:
ters ans Land gejchafft werben fonnte. Nachdem dieſes ge
ſchehen, fendete Herr Mouchez das Schiff auf die Inſel
Reunion mit der Weifung, im December wieder zu kommen
und die Mitglieber der Erpedition abzuholen. Diefe machten
fi) nun vor allen Dingen an die Ausbefferung ihrer Hlts
ten, an die Aufftellung ihres Apparates zur Deftillation des
Bralwaſſers, um aus ihm trinkbares Waſſer zu bereiten, an
das Aufftellen eines Ofens u. f. w. Plögliche Winbftöße,
welche von ben Höhen herabftürmten, riffen die Dächer von
ben Hütten, zerftreuten die Tritmmer und zwangen bie auf
der Yufel Gebliebeuen ihre Arbeit immer wieder von Neuem
zu beginnen. Hierzu Fam noch ber beftändige Hagel und
Regen. Uber feiner der Mitarbeiter des Herrn Mouchez
verlor den Muth und die Energie. Bald hatten die impro«
vifirten Arbeiter die nöthige Erfahrung gefammelt und nadı
einigen Tagen hatten fie die Freude, ihre Ausbauer vom
Erfolge gekrönt zu fehen. Die Hütten wurden fertig und
trogten hinfort dem Sturme, Hagel und Regen. Bald fan-
den ſich aber auch in ihnen Ratten, Mäufe und verwilderte
Kagen ein, welde zum Staunen ber Mitglieder ber Erper
bition in der größten Harmonie mit einander lebten und
gemeinſchaftlich Jagd auf Eier und jegt auch auf die Vor—
räthe der Menſchen machten.
Nachdem für das Unterfommen geforgt war, madjten fi)
bie Herren an ihre eigentliche Arbeit. Die Naturforjcher
unterfuchten die Flora und Fauna ber Infel, analyfirten das
Geftein und das Waffer und machten Präparate, um fie mit
nad; Europa zu bringen, oder machten fic mit den optifdyen
Inftrumenten vertraut, weldye fie am 9. December benutzen
follten. Außerdem wurde ein Obfervatorium erbaut. Im
Allgemeinen befferte ſich jedoch das Wetter nicht und man
fah ſehr felten ben blauen Himmel im Wafjer des Kraters
wiederſpiegeln. Wie alle hohen und ifolirten Inſeln hinder ·
ten audy die Felſen von St, Paul die Wolfen am Fluge und
zwangen fie fid) anzufammeln. Uber diefe Infel hat noch
eine fir den Aftronomen im höchften Grade bedauernswerthe
Eigenfchaft. Die zahlreichen warmen Quellen, welche das
Baffin umgeben, entwideln beftändig eine große Maſſe
Dampf, welcher wie aus einem Keflel emporfteigt und ſich
zu Nebel verdichtet, fobald er mit dem falten Winde von Sit
den in Berührung kommt Die Octoberftiiene zerftreuen
zwar diefe Nebel ziemlich fchnell, aber während der Winbdftille
im Sommer bilden fie einem dichten Schleier, welcher bie
Ausficht aufden Krater beftändig verfchließt und ben Himmel
felbft dann noch zu fehen ‚verhindert, wenn ringsum bas
ſchönſte Wetter herrjcht und einige hundert Meter von ber
Infel ſich die Sonne im Meere fpiegelt.
Diefe Umftände waren für den 9. December unglüd:
verheißend. Nur bie eine Hoffnung hielt den Muth bes
Herrn Mouchez und feiner Begleiter aufrecht, daß ſich der
Haube der Fifcher an den glüdlichen Einfluß des Mondes
bewahrheiten wiirde. Diefelben behaupten nämlich, daß wäh-
rend des Neumondes immer, wenn auch mur flir furze Zeit,
ſchönes Wetter eintrete, und Here Mouchez hatte zweimal
Gelegenheit fich davon zu überzeugen, daß die VBorherfagun:
gen jener Leute zutrafen. Der 9. December fiel aber gerade
auf den Tag des Neumondes. Am 17. November wurben
außerdem bie Mitglieder ber Expedition durch Nachrichten
aus Europa erfreut; die Schifferbarke ‚ Fernand“ von der
Inſel Röunion brachte ihnen Briefe aus Franfreih. Se
mehr fich jedoch ber verhängnißvolle Tag näherte, befto mehr
ſchwanden die Ausſichten auf ein Gelingen. Das Wetter
ſchien ſich verfchlechtern zu wollen, denn das Barometer be»
gann vom 6, December an zu finfen und am 8. December
fiel der Regen in Strömen; das Meer ging fo gewaltig hoch,
daß es eine Fiſcherbarke, welche an ber Inſel Unter geworfen
hatte, von biefem losriß. Sie verſchwand im ber fFerne.
Trogbem Herr Mouchez am Gelingen ber ihm geftellten
Aufgabe zweifelte, that er Alles, um vom einen etwaigen
glnftigen Augenblicke Nugen ziehen zu lönnen. Gegen Mitter-
nacht beendete er feine Vorbereitungen zur Aufnahme, denn
bie 250 Daguerreotypplatten, weldye er mitgenommen hatte,
konnten erft im legten Moment polirt und empfindlich ge-
macht werben.
Schon glaubte Herr Mouchez, daß die Wetterregel feiner
malgafchifchen Fiſcher diesmal täufchen werde, dba fprang
gegen drei Uhr Morgens der Wind plöglicd; von Nordoſt
nad; Nordweft um, was eine bedeutende Beſſerung bes Wet⸗
ters im Gefolge hatte. Es hörte auf zu regnen; ber dunfle
Schleier, welcher den Himmel verbedte, zerriß; bie großen
Maſſen von Nebel und die niedrigen Wolfen wurben bon
einer ftarfen Brife zerftreut, flogen ber den Zenith der
Beobachter, und diefes erlaubte den letzteren den blauen Him⸗
mel zu fehen. Auch das Barometer begann ein wenig zu
fteigen. Mit Sonnenaufgang eilten Alle an die Inſtru-
mente, bie letzten Vorbereitungen waren ſchnell beendet und
um 6'/, Uhr, d. i. eine halbe Stunde vor Beginn des Durch:
ganges, war jeder auf feinem Poften, bereit feine Aufgabe
zu erfüllen,
Here Mouchez war am achtzölligen, Herr Turquet amt
jechszölligen Inftrumente, Herr Völain, der mit dem Ge—
brauche optifcher Inſtrumente fehr vertraut ift, hatte eine
feine aftronomifche Lumette von brei Zoll; er hatte ſich auf
dem höchſten Punkte der Inſel placirt. Die Herren Cazin
und Rochefort mit ihren Gehülfen waren beim photographifchen
Apparate,
Bei Beginn des Durdiganges bemerkte man die Erfcheis
nung noch zwifchen zwei Wolfen; je weiter jedoch die Venus
auf der Sonnenſcheibe vorrlidte, defto feltener wurden bie
Wolfen und nad) ungefähr einer Biertelftunde, als die Hälfte
des Planeten noch außerhalb der Sonne war, waren aud) bie
Wolfen verjchwunden, der Himmel durchſichtig und die Bilder
erjchienen in der größten Reinheit. Here Mouchez bemerkte
plöglich die ganze Scheibe der Venus, umgeben von einem
blaffen Lichte, das im der Nähe der Sonne glänzender war
als auf dem anferhalb Liegenden Bogenabſchnitte des Plas
neten,
Der Himmel war indeß fo rein und Mar geworben, baf
Herr Mouchez Über diefe auf St. Paul ungewöhnliche Er«
ſcheinung erjtaunte, aber auch fürchtete, daß jeden Augenblid
Wolfen, Regen, Nebel und Sturm wiederlommen könnten,
Doch hielt das ſchöne Wetter bis elf Uhr an, fo daß ber
Durchgang unter den glinftigften Umftänden beobachtet wer-
ben konnte. Doch von da an begannen ſich wieder am Hims
mel Wolfen zu ſammeln, was die Aufnahme ber vierten
Durdgangsphafe erſchwerte. Gegen Mittag konnte kaum
noch der Durchgang der Sonne durch den Meridian, behufs
genauer Beſtimmung der Zeit des Durdigangs der Venus,
aufgenommen werden. Die Sonne war ſchon faum. mehr
fihtbar und wenige Minuten darauf ſturzte aud) ſchon der
Regen in Strömen hernieder und Nebel und Sturm gewan ⸗
4*
28 Zur Stulifrage.
nen wieder die Oberherrſchaft. Der Sturm der vorigen
Nacht ſchien fich nur gelegt zu haben, um frifche Kräfte zu
fammeln, oder um ber Erpedition die nöthigen fünf Stunden
zu ihren Beobachtungen zu gönnen. Er begann hierauf, um
wiederum 36 Stunden zur toben.
Die „Dive“ war am 8. December nad) St. Paul
zurädgefehrt und anterte gegen 400 Meter vom Obferva-
torium. Der Capitän des Schiffes, Herr Duperrs, fein
Stab und die Schiffsmannſchaft waren die einzigen Zeugen
des Herganges; fie hatten dem Berlaufe mit Bangigteit zıt-
gefehen. Als die Beobachtung beendet war, hißte die „Dis
ves“ die Flagge Frankreichs auf und verfündete den Erfolg
der franzöfifchen Erpebition auf St. Paul mit fünf Kanonen«
ſchuſſen.
Nach der glücklichen Löſung der Hauptaufgabe verſuchte
es Herr Mouchez noch, genau die geographiſche Lage der
Felſeninſel zu beſtimmen, was ihm jedoch nicht gelang, trotz ⸗
dem er gerade deshalb noch einen ganzen Monat auf ihr ver—
blieb. Der Neumond im Januar brachte feine glinſtige
Uenderung des Wetters hervor, ſondern machte die Wetter
prophezeiungen der Kabljaufiicher zu Schanden. Doch bradjte
biefer einmonatliche Aufenthalt der Wiflenfhaft einen andern
Nutzen, denn er wurde zur Unterfuchung der InfelAmfter-
dam verwendet, wohin Herr Mouchez die anderen Mitglieder
der Erpedition ſendete. Wenngleid) diefe Herren mehrere
Tage in der Örotte verteilen mußten, welche fie fich auf der
Amſterdaminſel zum Aufenthalte erwählt hatten, da dichter
Nebel jede Ercurfion unmöglich machte, fo haben fie doch
manchen wichtigen Aufſchluß über diefes immerhin wenig
befannte Eiland mitgebracht. So fanden fie dafelbft einen
Straud) (Phyliea arborea), welcher fonft nur von Triftan
d’Acunha befannt ift, eine für die Pflangengeographie höchſt
werthuolle Thatjache. :
Am 4. Januar 1875 ſchifften ſich endlich die Mitglieder
der Expedition ein, um St. Paul zu verlaflen, wo fie zum
Andenfen an ihre Thätigfeit aus großen Felfenftüden ein
Dentmal in Form einer Pyramide errichteten, welche eine
Höhe von 9 und einen Umfang von 24 Meter hat. Sie
wird nad abermals hundert Jahren eine Expedition zur
Beobachtung des Durchganges der Venus durch die Sonne
zu gleicher Ausdauer und gleicher Tätigkeit ermuntern, welche
die franzöſiſche Erpedition unfers Jahrhunderts unter der
Leitung Mouchez' zum glüclichen Ziele geleitet haben.
Zur Sulifrage
Lima, im Juli 1875.
Bei Gelegenheit ber Ausbeute der neu entdedten Guano⸗
lager im Süden von Peru ift auch die Kulifrage wieder an-
geregt worden.
In Europa wird aus philanthropifcher Abficht häufig
fehr viel gefehlt gegen das Intereſſe fänmtlicher bei dere
gleichen Fragen Betheiligten und größtentheild aus Mangel
an Kenntnig der Verhältniffe, welche um fie richtig beurthei-
Ien zu fönnen, nicht nur an Ort und Stelle ftudirt werden,
fondern auch mit analogen an anderen Punkten verglichen
werben mliflen.
In Californien tritt die Chinefenfrage aus einem
Stabium im das andere, Herbeigewlnſcht, gefucht, bewill-
fommmet, gebraudjt und für nützlich erfannt, find die Kulis
dort jet Gegenftand der Anfeindung feitens berer, welche
ſich des bequemen Mittels, der Striles, zur Erreichung ihrer
Abſichten durch jene beraubt fehen. Petitionen über Petir
tionen mit vielen Tauſend Unterfchriften bededt (eine der—
jelben zählte 22,211) verlangen vom Congreß eine Beendi-
gung ber Einwanderung von Chinefen, d.h. eine Verdrängung
derfelben vom Arbeitsmarkte, weil fie zu — billig arbeiten.
Man follte glauben, jo etwas fei nur in Amerifa mög:
lich; aber auch in anderen Welttheilen treten ähnliche Sym⸗
ptome auf.
In Auftralien wehrt ſich die Arbeiterclaffe wenigſtens
ebenfo energisch gegen die Concurrenz der eingewanderten
Kulis, wie in San Francisco. Der — eines
Minenſtrikes bei Bictoria durch Annahme von Chineſen
feitens der Bergwerkseigenthlimer wurden fogar Barricaden
entgegengejeßt — und bie Preisverderber mußten weichen,
ar erfichtlich ift ans ſolchen Vorgängen, die ſich hun—
bertfältig wiederholen, daß die Kulis felbft da, wo weiße
Arbeitskräfte vorhanden find, wohlfeiler und gewinnbringen+
ber zu verwenden find, als erftere; aber ihre Verwendung
findet Hinderniffe am Widerftand der Weißen, die ohne
Rüdficht auf das Wohl des Ganzen gewaltfam auf Erhöhung
der Löhne, Herabfegung der Arbeitszeit und leichtere Erlan—
‘ gung von Genußmitteln dringen.
Das mehr oder weniger leicht erzwungene Nachgeben
ber Arbeitgeber führt dann auf bie abichitffige Bahn, auf
ber fein Halten mehr ift, bis zu dem Punkte, auf welchen
die Calamität in den Vereinigten Staaten heute gelangt ift,
und die in Europa auch Unheil genug angerichtet hat. Die
Arbeitslöhne waren und find eben zu hoch! Wie aber, wenn
ſich billigere fänden ? Wohl finden ſich deren. Die Chine-
fen, weldye ſich bei ſehr nlidhternem Leben glüdlic fchägen
wirden, in ihrem Baterlande die Hälfte des im anderen
Yündern gezahlten Lohnes zu verbienen, weil fie nicht bes
Aufwandes bedürfen, dem ein weißer Arbeiter beanſprucht,
wandern gern aus, wenn ihnen die Möglichkeit geboten wird,
mehr ala da wo fie geboren find zu erwerben.
- Die an vielen Stellen des Himmlifchen Reiches herr
fchende Uebervölkerung, welche fogar unter gewiſſen Umftäns
den den Kindermord ungeftraft hingehen läßt, zwingt die
ärmeren Bewohner zur höchſten Entwidelung ihres Scarf-
finne, um fi) das tägliche Brot, das bischen Keis, zu er
obern und fo das Dafein zu friften. Bon Kind auf an
ftetige Beichäftigung gewöhnt, genügſam im höchſten Grade,
aber doch ihrer traurigen Situation bewußt, find die Chiner
fen, namentlich die ber weitern Umgegend von Macao,
gern bereit, den heimathlichen Boden oder den Quadratmeter
Waſſer, auf dem fie wohnen, zu verlaflen und nad) Ländern,
deren Himatifche Verhältniſſe und Producte denen ihrer Im»
gebung gleich oder ähnlich find, in Maſſen auszumandern,
um da mehr zu erwerben als zu Haufe.
Daß fie in Gegenden, wo fchon weiße Arbeiterclaffen ı
niederer Stufen eriftiren, großen Bedrängniſſen, ja fogar
Berfolgungen entgegengehen, die ſich erft nad) und nach ent«
wideln und drohender werden, wiffen fie freilich nicht. Das
weiße Proletariat, on zeitweiſes Terrorifiren nach oben ge
wöhnt, wendet daſſelbe Princip auch nad) nnten an, wenn
es feine Forderungen bedroht ficht.
Mögen fic die Berhältniffe in folchen Ländern, wie die
erwähnten, auch gejtalten wie fie wollen, feinenfalls hat die
Einwanderung ber Kulis die Productionsfähigfeit vermindert,
It jene aber dort wenigftens wünjchenswerth für größere
Zur Kulifrage. 29
Entwidelung der natürlichen Hülfsquellen, fo ift fie nothe
wendig, unumgänglich nothwendig fllr bie Yänder, in welchen
feine einheimijche Bevölferung eriftirt, die darauf angewiefen
ift, ihren Unterhalt durch Arbeit zu verdienen.
Diefes ift namentlich im wärmern Amerika der fall,
Bevöllerung für ſich allein liefert micht immer Arbeiter,
Faſt in gang Sübamerifa ift nördlic des Wendekreiſes
(mern wir von einigen Stämmen Bolivias und Perus
abjehen) auch nicht ein einziger Indianerſtamm vorhanden,
den man zum Arbeiten hätte brauchbar machen können; fie
find und bleiben Wald» und Fifchernomaden, In den Tropen«
zonen biefes Erdtheils reichen dreizehu Bananenbäume, deren
Früchte in ben verfchiedenen Monaten reifen, hin, um einen
Indianer mit feiner Familie zu ernähren; der Wald Liefert
ihm das Haus, und der Erlös zweier Arbeitstage im Monat
Glasperlen zum Schmuck und ausländische Lurusartifel.
Warum fol er mehr arbeiten, wenn es gar noch unter feinen
Nachbarn für erniedrigend gehalten wird, um Lohn einem
Weißen zu Helfen? Glucklich mögen fie fein, den Begriff
von Arbeit nicht zu kennen, und in ihrer Unfähigkeit, ben
Eindrud des Beiſpiels anderer in fid) aufzunehmen; aber
brauchbar find und werben fie nicht; cher gehen fie unter,
Ya hierzu bebarf es bei vielen nicht einmal der Nöthigung
zu leichter Defchäftigung. Bei mehreren friedlichen Horden
der Norbwefttüfte Amerikas reichte das Einführen fogenann-
ter zwedmäßiger Kleidung und Schlafens unter wollenen
Deden hin, um Siechthum heworzurufen, Kein Verlehr
mit weißer Bevölferung, feine Blattern, fein Feuerwaſſer,
feine Syphilis war nöthig — der leiſe Hauch der Civilifa-
tion genligte, fie langfam, aber unabwendbar Hinfterben zu
machen. Und diefe Stämme waren fchon feßhaft; der Ins
dianer ber Prärie, der Savana würde diefes Stadium erfl
noch durchlaufen müffen; bei diefen beginnt dad Einrliden
in den Ausfterbeetat daher um wenigftens eine Generas
tion früher.
Einheimifche Arbeitsfräfte waren und find alfo nicht vor:
handen und nicht zu bilden aus den dortigen Elementen.
Der Neger wurde herangezogen; die SHaverei trat auf,
berem heutige Auffaffung bis vor kaum Hundert Jahren noch)
nicht vorhanden geweſen. Selbft in England, das der ärgfte
und erbarmungslofefte Sklavenhändler war, traten anfangs
nur bie wohlwollenden Männer einzig gegen die Gräuel,
die bei der Berfchiffung vorfamen, auf; die Aufhebung er
folgte, und bie erwarteten wohlthätigen Refultate blieben nicht
allein aus, fonbern kehrten fich in das Gegentheil um. Die
Eolonien wurden ruiniert und die Neger befinden ſich wo
möglich noch ſchlechter. Die Infeln und Küftenländer des
Golfs von Merico liefern die traurigften Beweiſe Hierfltr.
Der freie Neger arbeitet nicht cher, als bis er fic dazu ger
zwungen fieht in einer nicht mehr zu umgebenden Weiſe,
und fich ſelbſt Uberlaſſen vergißt er ſogar alles, was man
ihm gelehrt hat. Das Zurückgehen der Republit Yiberia
ift ein fehlagender Beleg hierfir, Zum. Unheilanrichten
bleibt er aber befähigt (Haiti, Sädftaaten der Norbamerifa-
nifchen Union sc.), wogegen feine Berwendbarfeit zu freier
Arbeit unter den Tropen täglich abnimmt, Der freie Neger
bleibt eben, jo viel es irgend angeht, Aftifaner und wird es
unter Umftänden immer mehr. Ueber Racenanlage und bie
verjchiedene Begabung zum Arbeiten ift der Ausipruch aller
derjenigen, die Gelegenheit hatten, ein vorurtheilfreies Urtheil
durch eigene Beobachtungen im verſchiedenen Welttheilen fid)
zu bilden, von dem fehr richtigen W. L. Diftant’s („Slobus*
XXV, 379) nicht abweichend. Unter den vier Nacen ift der
Neger nur als Save zu gebrauchen, und der Chinefe, als
freier, aber contractlich gebundener Arbeiter; die anderen beis
den Racen liefern mit geringen Ausnahmen fein nittzliches
Material. Die einzige Hitlfe befteht aljo in dem Heran—
ziehen von Kulis nach den Gegenden, wo Weiße nicht arbeis
ten lönnen; und die Erfahrung zeigt, daß beide Theile dars
aus Bortheil ziehen. Der Chinefe hat großen Erwerbsfinn,
gebeiht in Berührung und im Verkehr mit dem Europäer
und denkt, wie biefer an die baldmöglichſte Rückkehr *).
Die Anwendung des bisher Geſagten ergiebt fpeciell für
den fübamerifanifchen Continent ein Refultat, das ſich in der
Praxis ſchon volfländig und N bewährt hat, und das
von deutjchen Beobachtern (den Offizieren von S. M. Schiff
Augufta) durchaus beftätigt wird. „Die Colonie Britifd)
Guyana, diedurd; die Abjchaffung des Sklavenhandels dem
Untergange nahe war, ift durch Einführung von Kulis als
Arbeiter wieder aufgeblüht und hat eine große Zuhunft vor
fih. Das auf diefe Weife entftandene Verhältniß hat ſich
für beide Theile als gewinnbringend bewährt. Das Yoos
dieſer Leute hat ſich unter der Protection des Staates fehr
erträglic; geftaltet. Sie find gut untergebracht und haben
einen verhältmigmäßig geringen Arbeitsdienft. Viele Hun—
dert haben aber im folge der Weife, wie die Protection gegen
bad berechtigte Intereſſe der Befiger gelibt wurde, Guyana
mit großen Geldfummen verlafjen.“
n Brafilien wird baffelbe ftattfinden; denn wie foll
fid) die Eultivirung und Bevölkerung der reichgefegneten
nörblichen Provinzen diefes Kaiſerreichs weiter ausführen
laſſen, wenn das Sklaventhum erlifht? Cs ift nicht abzu«
jehen, durch wen die Ürbeitsleiftungen der Neger, fobald bie
Feſſel der Yeibeigenfchaft von ihnen genommıen, erjegt werden
wird, und wie befannt, werben jet feine Sklaven mehr ges
boren. Erfahrungsmäßig arbeitet der freie Schwarze nicht
freiwillig, und er braucht nicht zu arbeiten, da er in jenen
Ländern überall feinen Febensunterhalt ohne Arbeit findet.
Europäifche Einwanderer thun feine Stlavenarbeit fir An«
dere, und außerdem ift ihnen das Klima verderblich; alſo
erjcheint bie Huliiberfiedelung das geeignetfte Mitte. Bes
treffende Berhandlungen find Hierzu auch fchon angeknüpft.
Und fo, wie hier und dort, auch in Peru.
Auch da ift der Boden reich gefegnet, aber das Klima
wegen der Nähe ber Anden ein bei weiten befieret, als in
Drafilien, Aud) da ift er nicht allein ergiebig genug, alle
feine Finder zu ernähren, fondern er befigt noch Naturreich-
thumer in unendlicher Menge, welche nur auf Hände warten,
um nugbar gemacht zu werden; und emropäifche Einwandes
rung, die wegen großer Entfernung ſehr ſpärlich fich zeigt,
verſchwindet im dem großen Yande aus ber Reihe derer, die
fle Geld dauernde mechaniſche Hulfe leiften, indem ſich die
Immigranten fehr bald felbft unabhängig machen, oder weil
die Privatleute, welche fie aus Nordamerifa ober Europa
kommen ließen, vorziehen, fie raſch anders und beffer denn
als Handarbeiter zu befchäftigen.
Wie aber nun die chinefifche zur bremmnendften Frage
gewordene Einwanderung von Kulis einrichten und in
Fluß halten?
Ein Chinefe, der nur fo viel befigt, um feine Ueberfahrt
nad) Callao, San Francisco oder Melbourne zu zahlen,
*) Im Bericht über den internationalen Congreß ter geographiſchen
MWiftenfchaften zu Paris ſagt Ar. v. Hellwalb: Immer mebr
brach fi bei ter Mebrbeit die Erkenntniß Bahn, daß ter Europäer
zur Verrichtung ſchwerer Arbeit in ten Tropen ungeeignet fei und
bödhftens mit feinem materiellen und geiftigen Kapital fih an ber
Kolonifationsarbeit betheiligen fönm. Hindu und Gbinefen —
dies ward fo zjiemlib allgemein anerfaunt — find bie zur Goloni⸗
fation ber Trepenländer geeignetſten Racen. Mit diefer Erklenntniß
dünft ums ein wichtiger Schritt im der Auffafſung des arfammten
Golonialwesens geſchehen und dieſes mannbafte Aueſprechen einer
gegen tie herlömmliche Phrafe anlämpfenden Wahrheit wird ein
bleibenbes Werbienft des Pariſer Gongrefles bilten.
(Das Ausland 1875. Nr. 38, S. 752.)
30 Zur Kulifrage.
braucht ben vaterländifchen Boden nicht zu verlaffen; aber
Hunberttaufende, um nicht zu jagen Millionen, löütnen an
einem Tage nur von dem Verdienſte des verflofienen leben
oder hungern; und tritt num gar eine Calamität, wie Miß-
ernteetwa, ein, fo ftirbt ein bedeutender Procentfag im Elend,
und dad menſchliche Unglüd präfentirt ſich in grauenvollfter
Weife, und im Binnenlande noch entjeglicher, als in den
Küftenftädten, wo durch maritimen Verkehr mehr Mittel für
Milbthätigkeit vorhanden find. Namentlich folde Jahre
begünftigten anfangs die Maffenauswanderung ſehr.
Seitens der Regierungen der Staaten, weldye der Kulis
beburften, konnte und kann fir die Förderung ber chineſiſchen
Einwanderung jedoch direct weniger geſchehen, als für bie
bon Europäern oder Nordamerifanern, wie z. B. ermäßigte
oder Foftenfreie Paflage, um dem Preis der legtern nad; und
nad; abverdienen zu laſſen; alle ſolche Mittel find den Chi-
nejen gegenüber nicht anwendbar ; denn als Oftafiaten ift
ihnen ein gegebene® Berfprechen auch nicht allzuheilig, und
im falle einer Ortöveränderung ift faum bie Identität einer
Perfon nachzuweiſen, indem die Aehnlichkeit unter Indivi«
buen von annähernd gleichem Alter umb gleicher Statur zu
groß ift. Fur einen entlaufenen John Chinaman finden ſich
an einem andern Punkte ftet viele, von denen Niemand
fagen faun, ob einer von ihmen der entlaufene ift, jo daß
für die Negierungsbeamten keine Möglichkeit vorhanden ift,
die Koften der ausgelegten Ueberfahrt wieder einzutreiben.
Anders bei Weißen. in folder aus einem Staate mit
einigermaßen geordneter Verwaltung fann fid heutzutage
faum irgendwo auf die Dauer verleugnen ober verbergen.
Es gehört dazu ſchon der brafilianifche Urwald, das Innere
Afritas oder das öde Binnenland Auftraliens; anßerdem
fann man überall feiner habhaft werden; bei zwanzig Chi⸗—
nefen wird man aber ſtets irren, Außerdem find uns chine ⸗
ſiſche Sprache und Namen durchaus fremb und noch unzu—⸗
gänglid). j
Die Beihaffung von Kulis nad) Peru muß daher Privat-
leuten überlaffen bleiben, und hieraus ergiebt fid) ſehr Vieles,
tiber das mit großem Umrecht von Theoretifern der Stab ger
brochen worden ift.
Der peruanifdye Gruudbeſitzer bedarf für die Cultur feis
nes Landes Jahr aus Yahr ein fo ziemlich derfelben Menge
von Arbeitern. Der äuferft fruchtbare Boden vergilt unter
einem durch die Humboldt-Strömung und hohe Berge ges
mäßigten Klima mit großer Dankbarkeit alle aufgewanbte
Mühe, und die verhältnißmüßig fehr ſchwache Bevölterung
liefert deshalb aus ihren unteren Schichten nur wenige
Fohnarbeiter. Der Geringfte hat genug, um feines Dafeins
froh zu werben, und mit Recht kann man fagen, baf jeder,
der etwa dort wie überhaupt in Sildamerila, Hungers ges
ftorben ift, Gold in der Taſche gehabt hat; denn mur im
menfchenleeren Gegenden fann fi) das ereignen, und in
folche treibt der Forſchungsgeiſt nur Nepräfentanten ber
höhern Stände. Ein Armer betritt nicht aus eigenem Ans
triebe ihm fo fern liegende Regionen.
Arbeitermangel machte ſich ſchon feit vielen Jahren zum
rößten Nachtheile des Yandes im hohen Grade geltend,
Dazu haben die Eiſenbahnbauten in Peru bie Taglöhner,
welche etwa gegen hohen Lohn noch aufzutreiben geweſen
waren und zu welden aud; Chile ein großes Contingent
geftellt hat, angezogen. Die Reis⸗, Zuder- und Baunt-
wollencultur lann ſich alfo nur auf die Ehinefen, die flir
ländliche Arbeiten ganz geeignet find, aber für Berg: und
Eifenbahnbau keine himreichenden Kräfte befigen, ftügen.
Die Großgrundbefiger traten alfo zufammen und errich—
teten in Macao jelbft Bermittelungsbureaur. Dort verdin-
gen ſich die Chinefen für einige Jahre, um ihre Ueberfahrt
throp,
zu on und für etliche weitere gegen den lanbesüblichen
Tage Hierbei darf nicht überſehen werden, daß bie
Schiffe von Callao aus in Ballaft nach China gehen müf-
fen, weil die Einrichtung für Hunderte von Paſſagieren feine
Waarenladung zuläßt. Große Bequemlichkeiten find freilich
nicht zu ſchaffen; wer aber wohlhabende, freie Kulis in Lima
hat wohnen und fchlafen fehen, betrachtet ein ſolches Schiffe-
innere boch mit anderen Augen, als ein abftracter Philan-
Während ber Ueberfahrt find die Kulis im Anfang
meift unter ſich im Hader; es finden fich viele ftreitflichtige,
und ihr Mißmuth wird noch durch die Reiſe bebeutend vers
mehrt. Die nöthigen Sicjerheitsmaßregeln, die während
ber ganzen Paflage genau inne gehalten werden müffen, tra
gen auch in der erften Zeit nicht dazu bei, ihren Aerger zu
vermindern. Die anfänglicien Selbftanflagen verwandeln
ſich bald in Vorwilrfe gegen die Gefährten; Unruhe entfteht
und fann nur durch energifches Dazwifchentreten der Mann⸗
fchaft befeitigt werden. Die oftafiatifche Wildheit aber macht
fi, obwohl feine Gegenftände, die als Waffen dienen könn⸗
ten, in ihrem Bereiche find, doch geltend, und bie anfäng-
lichen Streitigkeiten, bie ſich in Fauſtlämpfe, Enwlirgen und
Beißen anfgelöft hatten, werden fpäter erbitterter, wo dann
Schritte gethan werben müffen, unter denen auch Unfchulbige
mit zu leiden haben. Matürlic, wird dadurd das Verhält-
niß zwifchen der Mannſchaft des Schiffes und den Kulis
ein immer gefpannteres; eim bivectes Verſtändniß mit ben
Unrugeftiftern ift unmöglich, weil fein Theil des andern
Sprache verfteht, und fo fleigert ſich die gegenfeitige Anti-
pathie. Wer aber glaubt, daß es Capitäne gäbe, welche nur
aus übler Yaume oder aus Neigung die armen Kulis an
Bord peinigten, fann bloß aus den Scyauerfcenen der Ro-
mane und Piratengefchichten es gelernt haben. Schon die
eigene Sicherheit bed Lebens am Yande, nachdem die Chine-
fen e8 betreten haben, zwingt die Mannſchaft möglichſt alles
zu vermeiben, was ihnen die blutige Vergeltung eines Kuli
bringen könnte, en eim ſolcher feine Rache verber-
gen, um fie im günftigen Augenblide auszuführen. Man hört
aber in Gallao und Yima, wo doch fehr viele Ehinefen unter
ber Bevölferung find, faum von einem Mordanfall durd)
einen biefer auf Seeleute, die auf Kuliſchiffen fahren. Wohl
aber vreignet es ſich nicht felten, daß ein gelber Chinaman
einen Capitän anhält, ihn begrüßt und in gebrochenem Spar
niſch erzählt, er habe die Fahrt mit ihm gemacht ıc., aber
ſehr oft Halb verftimmt geht, weil ihm der Capitän nur ant:
worten fann, daß es wohl möglich fei; daß er ſich aber nicht
mehr beftimmt erinnere u, f.f.
Eine Milderung des ſtrengen Syftems an Bord eintrer
ten zu laffen, nachdem ſich Zeichen einer ſchnellen Beruhigung
eingeftellt, ift im höchſten Grade gefährlich. Diefe ift fehr
häufig der Borbote eines Orcans. Schon mehrere Capitäne
haben mit den Ihrigen das größere Maß von freiheit, wel-
des fie ihren Kulis an Bord zugeftanden, nachdem dieſelben
ſich anfcheinend vertragen hatten, durch ihr Leben bezahlen
muſſen, ohne daß aber deshalb nur einer von jenen feinem
Berderben entronnen wäre. Todesftrafe fchredt weder den
Betroffenen noch feine Gefährten. Sie glauben fofort wie-
ber lebend in ihr Land zurildverfegt zu werben, wenn ihnen
in fremder Erde das Dafein genommen ift.
Es bleibt alfo nichts übrig, als am Tage der Einſchiffung
ſchon ein fo ſtrammes Regiment einzuführen, das nur in
höchft geringfügigem Grade Modificationen geftattet. Nur
in ber eifernen Confequenz des Feſthaltens an dem, was
für nothwendig erfannt war zur Erreichung bes vorgeftedten
Ziels, liegen die Bedingungen des Gelingens. Natirlicher
Deife liegt es im Intereſſe des Capitäns, feine Chineſen
Aus allen Erdtheilen. 31
in mögfichft großer Anzahl und in möglichſt guter Geſund⸗
heit landen zu laffen; denm das große Kifico, das er gegen
fi felbft und feine Auftraggeber als Mitbetheiligter Über»
nommen bat, fchließt ſchon aus, dag er feinen Berbienft
durch unnöthige Graufamleit und ſchlechte Behandlung der
Anvertrauten fchmälere. Hierbei ift nur der Standpunkt
des Gewinns ind Auge gefaßt worden; der der Menſchlich—
feit, welchen man in Europa immer als Hauptgrund philan«
thropifcher Veftrebungen anfilhrt und der in fo unberechtig ⸗
ter Weife von dort immer hingeftellt wird als nicht eriftivend
bei denen, bie viel mit Menfchen niedriger Stellung, aus-
ſchließlich als Gebieter, zu verlehren haben, ift hier, nament-
lich im fpanifchen Südamerila, ein mindeftens eben jo hoher
als dort, wo durch faft tägliche Berührung mit der großen
Mifere des Pauperismus das Mitleid ſich abftumpft, aber
nur, um ſich mac) fernen Gegenden hinzumenden, von denen
einfeitige Berichte das zu Haufe bei Seite geſetzte Gefühl
wieder zum Durchbruc)e bringen. Es ift eben derſelbe Fall,
wie bei den chriftlichen Miffionen, wo auch der biblifche
Balken und Splitter. zuc Anwendung fommt.
Aus allen Erdtheilen.
Ermordung des Commodore James Graham Goodenougb.
- R. 6. Man wird fich erinnern, daß vor zwei ober drei
Jahren der melanefilhe Biſchof Vatte ſon, ald er die Heine
Inſel Nulapı in der Santa⸗Cruz-Gruppe befuchen wollte,
bei feiner Landung von den Eingeborenen, in deren Cauoe
er ſich vertrauensvoll hatte and Land fegen laſſen, meuch—
leriſcher Weife getöbtet wurde. Der Grund ift mie aufgeflärt
worden. Wahrſcheinlich war Blutrache dabei im Spiele,
indem die Infulaner für ein beſonderes Unrecht, welches
räuberifche Schiffe (kidnapping) an ihrem Volke begangen
hatten, Race nehmen wollten.
Ein gleiches Schidjal hat nun den Commodore Goo be:
nough des britifchen Kriegsſchiffes Pearl, welcher die in
Sydney ftationirte ottille commanbdirte, betroffen.
Die „Pearl“ verließ Mitte Juni 1875 Sydney, um
den zum erften Gouverneur der Fidſchi-Inſeln ernannten
Sir Arthur Gordon an feinen Beftimmungsort zu bringen.
Bon da begab ſich der Commodore auf eine Rundreiſe in
der Südfee, um genauere ſteuntniß der Infelbewohner zu
gervinnen und freundliche Verbindungen mit ihmen anzu—
nüpfen und zu befördern. Er fand überall wohlwollendes
Entgegentommen, bi er am 12, Anguft nah Santa Cruz
fam, ber größten unter ben fünfzehn Juſeln des gleichnamti-
gen Archipels. Als der Commodore hier landete, war eine
beträchtliche Anzahl Eingeborener am Strande verfanmelt,
welche eine freundliche Gefinnung erheuchelten, Geſchenle an:
nahmen und fich in Taufhhandel einliehen. Daraufhin be:
fuchte der Commodore mit einigen Offizieren und Matrofen
ein in unmittelbarer Nähe liegendes Dorf. Man batte, um
Mißtrauen zu vermeiden, ſämmtliche Waffen im Boote lie:
gen lajlen. Da plötzlich traf ein Pfeil den Commodore in
der linken Seite und ein zweiter am Kopfe, und außer ihm
wurden noch fünf Matrofen verwundet. Erſt ald man die
Boote erreichte und nun ſcharf geichoffen wide, wobei zwei
Eingeborene fielen, ergriffen diefe die Flucht. Nachdem das
Kriegsſchiff das Dorf eingeäſchert hatte, nahm es einen ſild⸗
lichen Cours, um die Verwundeten in ein kühleres Klima
zu bringen. Allein der Commodore ftarb am %. Auguſt;
am Tage zuvor der Scemann Edward Rayner und am
Tage nachher der Seemann Frederick Smale.
Am 24. Auguft fand das Begräbniß der Gefallenen in
Sydney ftatt; es war bad ehrenvollſte und glänzendſte,
welches Auftralien je gefehen batte,
Der Commodore, einer ber tüchtigften höheren Marine:
offiziere, ftarb in dem jugendlichen Alter von 44 Jahren.
Im hinefichen Kriege ward er wegen feiner Bravonr beim
Angriffe auf Canton zum Commander ernannt. Nicht
minder auögezeichnet war er ald Menſch. Er war ein echter
englifcher Gentleman und erfreute fi) der höchſten Achtung
in allen Kreifen der Geſellſchaft. Für die Südſee Inſulaner
zeigte er eine befondere Theilnahme ‚und gerade er war es,
welcher den ſchändlichen Menichenranb, der in ben letzten
Jahren fir Fidſchi und Queensland in ber Südfee betrieben
wurde, mit aller Energie und Strenge unterbrüdte Er
binterläßt eine Wittwe und zwei Knaben. Die Nomiralität
in London fchidte, im befondern Auftrage der Königin, an
biefe am 27. Anguft eine Beileibsdepeiche, und in Sydney
—— man, dem Commodore ein öffentliches Denkmal
zu ſetzen.
** 4
— Der König von Siam, ein Freund der Aſtronomie
und verwandter Wiffenfchaften, bat die Herausgabe einer
kurzen Encyclopädie feines Meiches angeordnet, zu welcher
er ſelbſt die Vorrede fchreiben will. Es foll darin die Ge—
ſchichte, Geographie, Literatur, Verfaffung u. |. w. von Siam
abgehandelt werden; von befonderm Intereſſe werben Bocar
bularien einiger wenig befannten Dialekte von der öftlichen
Grenze bes Landes fein.
— Mit der Bitte um Veröffentlichung gebt uns folgende
Notiz zu, welcher der „Blobus* um fo williger feine Spal:
ten öffnet, als er felbft auf bildliche Darftellungen ans frem-
den Ländern und aus ihrem Bolls: und Thierleben großen
Werth legt und darin ein micht zu unterſchätzendes Moment
zur Verbreitung richtiger Anjchauungen ficht.
„Die von dem verjtorbenen Thier: und Laudſchaftsmaler
Robert Kretfchmer binterlaflenen vielen hundert Aquarell:
und Bleiftiftzeihnungen gehören nuftreitig au den beiten
Leiftungen ber deutichen Kunft auf oben bezeichneten Bebieten.
N. Kretſchmer bat eine lange Reihe von Wanderjahren, wäh—
rend deren er faft alle Länder Europas, das Nilthal in
Hegypten, die Steppen und Hochgebirge Abeſſiniens perföns
lich lennen lernte, redlich dazu bemust, ſeine Sti her
mit einer wahren Ueberfülle des foftbarjten Materiald zu
verjehen. Daffelbe findet fich in drei ftarfen Mappen in groß
Folio niedergelegt, von denen das zoologiſche, die Sänge-
thiere, Vögel, Amphibien und Fiſche betreffende feinem Inhalte
nad Blatt für Blatt von Profeffor Robert Hartmann
in Berlin genau fatafogifirt worden ift. Dieſe zum Theil in
beftechender Farbenpracht größtentheils nad lebenden
Eremplaren bargeftellten Thiere überraſchen durch ihre
ungemeine Naturtreue, durch die Anmuth ber ſtets glücklich
aufgefaßten Stellung, durch die Schönheit, die Zartheit der
Detailausführung. Diefe zoologiihe Sammlung ift wohl
werth, in irgend einer größern Staatsfammlung dem wiſſen⸗
ſchaftlichen Publicum zugängig gemacht zu werben.
„Die herrlichen Landicaftöfcenerien aus einigen der
Ihönften Theile Afrikas, die Vegetationsbilder aus der abef-
finifhen Tropenwelt, die Borträts und Gruppen äthiopifcher,
äghptiſcher und türkifcher Eingeborener, welche der geniale
32 Aus allen
Künftler binterlaffen, würden jede öffentliche Sammlung eines
jeden Landes zieren.
„sntereffenten fteht das Verzeichniß dieſer
Aauarellen und Bleiftiftzeihnungen zu ſammenge—
ftellt von Prof. R. Hartmann in Berlin unentgelt-
lich zu Dienften, und wollen fich diefelben zu diefem Behuft
an die Erpedition der „Jluftrirten Zeitung“, an Seren Otto
Spamer in Leipzig oder an die Wittwe, Frau Erneitine
Kretſchmer, Infelftraße Nr. 14 in Leipzig, wenben.*
„Der Ankanf diefer umvergleichlichen Hinterlaſſenſchaft,
welche zugleich das einzige Erbtbeil einer trauernden Wittwe
und mehrerer noch umverforgter Kinder bildet,“ jo enbigt
Profeffor R. Hartmann in Berlin feine empfehlende Einfeis
tung zu dem erfchienenen Kataloge, „kann kunſtſinnigen Bes
börden und privaten Kunftmäcenen nicht dringend genug
anempfohlen werden.“
— Waldverwüſtung in der argentinifchen Re:
publif, Weber die wie im der ganzen Welt fo auch in
der Argentina graffirende Waldverwüſtung ſchreibt Ang. Kahl
in der oft von und erwähnten „La Plata Monatsjchrift* :
„Banmlos darf man die Pampa (am Rio Segundo, füdlich
von Cordoba) nicht nennen; vereinzelte Talas (Celtis)
und Quebrachos in Abitänden von 100 bis 20 Schritten
bebeten fait das ganze Gebiet. Diefe Spuren einftiger Ber
waldung Ichwinden indeß mehr und mehr; die Vampa—
brände im Berein mit ben Eingeborenen, welche feine Für:
forge fennen und immer nur füllen, obne für Nachwuchs zu
forgen, werben auch diefe bald vernichten. Ja, bei diefem
Syftem wird es überhaupt eine Frage, ob die Wälder in
ber Provinz noch ein paar Menfchenalter andauern,
Der mütlichfte allee Bäume am Rio Segundo, der Al—
garrobo (Prosopis duleis), ift zugleich der am meiften vor:
fommende; in einer Entfernung von 1 bis 2 Meilen vom
Rio Segundo bildet er allein ausgedehnte Waldungen, bie
fi) viele Meilen weit hinziehen. Seine dem Johannisbrot
ähnliche und ähnlich ſchmeckende Frucht, deren der Baum
eine große Menge liefert, gewährt dem Menfcen eine ange:
nehme Nahrung, fei fie roh oder gemahlen als Brot (Patay)
zubereitet genofjen. Auch weiß der Eingeborene aus derfel-
ben ein angenehmes, beranfcendes Getränt (Mlojo) ſowie
Syrup herzuftellen, Für die Viehzucht ift der Baum von
großem Werth; die Frucht wird von den Thieren außer:
ordentlich gern gefreflen und macht fie in kurzer Friſt fett.
Außerdem ift das Holz des Baumes für Bauzwede koſtbar;
es ift zäh und hart wie Eifen und fault nur äußerſt lang:
ſam. Um fo mehr ift es zu bedauern, daß ein fo nützlicher
Baum nicht achegt wird; anftatt für feine weitere Verbrei—
tung Sorge zu tragen, wird er von den Eingeborenen uns
barmberzig niedergehanen, um zu — Srenerbolz bemutzt zu
werben.“
— Die füdanftraliihe Regierung will verfuchen,
aus Deutichland einen Strom der Auswanderung nad
ihrem Lande, wo man namentlich für zu erbauenbe Eijen-
bahnen Arbeiter braucht, ins Leben zu rufen, nachbem der
Verfuch, in Großbritannien durch dahin geſchictte fogenannte
„Lecturers*, welche den Leuten parabiefiiche Schilderungen
über Südanftralien entwarfen, mehr oder weniger Fiasco
gemacht, anf alle fälle den gebegten Erwartungen nicht ent-
fprochen hat. Belagte Regierung hat, zur Rorbereitung dar:
Erdtheilen.
auf, eine Broſchüre: „Anleitung für Answanderer nach Ade-
laide, Südauftralien, Adelaide 1874" anfertigen laflen, welche in
Dentichland gratis vertheilt werden ſoll. Uns liegt ein Eremplar
vor, auf fehr gebuldigem Papiere gebrudt. Darin ftehen
gar manche Dinge zu leſen, die man eben glauben muß, um
fie fiir wahr zu halten, Wir könnten einen langen Aufſatz
darüber und dagegen fehreiben, wollen uns aber für heute
damit begnügen, die Preife fiir Lebensmittel au berühren,
welche in Mdelaide „Tämmtlich billiger fein jollen als in
Dentichland.“ Zu dem Ende geben wir die Preife wie fte
wirklich im Juli dieſes Jahres in Adelaide gezablt wur:
ben, und da mag Iman Selber vergleichen. Gin Brot (zwei
Pfund) koſtete 3 Sgr., ein Pfund Mehl 1%, Spr., Rinb-
3%, bis 6%, Sur., Hammel: 21, bis 5 Ser, Kalb- 5 bis
6%, Sar., Schweinfleilh 6 bis 6%, Spr., Schinfen 12 Sar.,
Speck 10 Sgr., ein Huhn 20 Sar., eine Gans 1 Thaler 20
Sar. bis 2 Thlr, ein Puter 2 Thlr. bis 3 Thlr. 10 Ser.,
ein Paar Tauben 15 Spr., Butter 15 bis 181%, Sar., Käſe
10 Sar., ein Dutend Eier 15 Sur, ein Quart Mild 3%,
bis 5 Sgr., 14 Pfund Kartoffeln 10 Sgr. u. ſ. w. Wenn
man diefe Preife mit denen in Dentichland vergleicht, fo be:
greift man nicht, wie diejelben ſämmtlich billiger fein follen.
Gemüſe und Früchte (werm man etwa Weintrauben aus:
nimmt) find erheblich theurer als in Deutfchland,
— Lientenant Cameron, welcher von der Londoner
geographiichen Gejellfchaft 1873 ansgefendet wurde, um Li:
vingftone aufzufuchen und ihm Hülfe zu bringen, bat gfüd-
lich den afrikaniſchen Kontinent von Often nach Welten burdh-
meflen und im November 1875 bie portugiefifchen Befigungen
an der Küfte des Atlantiſchen Oceans erreicht. Am 21. Fe—
bruar 1874 fangte er am Tanganhikaſee fait auf berfelben
Ronte, wie vor ihm Stanley an; durch eine Anzahl Breiten:
und Höhenbeftimmungen legte er feinen Weg fo gut als mög-
Lich feſt. Bor Udſchidſchi Vanbte er die noch daſelbſt befind-
lichen Tageblicher und Karten Livingftone'® nach England
und führte dann vom 18, März bis zum 9. Mat 1874 eine
vollftändige Aufnahme der fildlichen Hälfte des Rieſenſees
aus, wobei er am 3, Mai den Lukuga, den Ausfluß bes
Tanganyika nach Weften, vermutblich zum Congo hin, ent-
deckte. Siebenzehn Tage fpäter fuhr er denſelben hinab nach
Weiten und entſchwand jo auf länger ald 1%, Jahr ben
Biden der Welt. Schon wurden Beforgniffe um das Schie:
fal des kühnen, tüchtigen Reifenden laut, als am 16. Decem⸗
ber 1875 folgende Depeſche von dem emalifchen Conſul Hop:
fins in Loanda beim Muswärtigen Amte in London ein-
traf: „Sientenant Cameron, R. N., Livingftone Eaft Coaſt
Gentral African Expedition, langte am 19. Movember in
Loanda an. Kam in Benguela berans. Alles wohl." Haft
aleichzeitig erbielt Sir Henry Rawlinſon von dem Reifenden
das Telegramm: „Alles gut abgelaufen; wurde durch wibrige
Umftände gezwungen, die Congoronte zu verlaffen, habe aber
Waſſerläufe zwiſchen Jambefi und Congo verfolgt.”
Ein Blid auf die Karte zeigt, da Cameron auf diefem
Wege Gebiete durchwandert bat, von denen und zwar nicht
jede Kunde fehlt, welche aber theils nur erkundet, theils von
nur werig gebildeten oder wenig berichtenden Neifenden, wie
den Pombeiros, Grasa, 2. Magyar betreten wurden, fo daß
wir näheren Nachrichten mit Spannung entgegenfeben dürfen.
Inbalt: Die Wüſte Atacama. II. (Mit vier Abbildungen.) — Richard Andree: Nengranadiniiche Alterthümer I. (Mit
zwei Mbbildungen.) — B.
Denede Die neuvorpommerſchen Küften. IT. (Schluf.) — Die franzöfiihe VBenuserpebition auf
St. Paul. Ron Albin Kohn. I. (Schluß) — Zur Kulifrage. I. — Aus allen Erdtheilen: Die Ermordung des Commodore
James Graham Goodenough. — Verſchiedenes. (Schluß der Nedaction 18, December 1875.)
Nedarteur: Dr, R. Kiepert in Berlin, &, W. Lintenftraße 13, IN Tr.
Druf und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig.
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Begründet von Karl Andree.
In Berbindung mit Fachmännern und Fünftlern herausgegeben ‚von
Mit befonderer Berüchfichtigun
Dr. Ridard
Braunſchweig
Preis pro Band 12
Die Wünſte
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Jahrlich 2 Bände, Jeder Band enthält 24 Rummern. Monatlid 4 Rummern.
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r Anthropologie und Ethnolonie.
Kiepert.
Mark, Einzelne Rummern 50 Pf.
1876.
Atacama.
III.
Der officielle Name des Silberminenbezirls iſt Cara—
coles, d. i. Schnecken, jo genannt nach den zahlreichen Am—
moniten und Belemniten, welche ſich in dem die foftbaren
Adern einſchließenden Gefteine finden. Der Ort, welcher
fi) bald im Mittelpunfte der Minen bildete und ſchon eine
wahre Stadt geworben ift, heißt la Placilla. Garacoles
befteht in einer 350 biß 600 Meter hohen Berggruppe in-
mitten einer großen, fandbigen Hochebene. Es find röthlich-
gelbe, vegetationslofe Kegel (cerros) und Ketten (serranias)
von Porphyr, deren allgemeine Richtung eine norbfübliche
mit geringer Abweichung gegen Often if. Die Ubhänge
der Gerros find fteil; eine Menge von Unebradas durch⸗
ziehen das Ganze nad) allen Richtungen, fchneiden ſich und
berzweigen ſich zu einem verwidelten Netz von Schluchten
und Sclünden. Die größten derfelben führen zu Gruppen
von Minen, wie die Quebrada de fa Placilla zur Mine
Defeada, welche mehr als ein Viertel der ganzen Eilber-
andbeute liefert.
Das Klima ift hier ebenfo troden und gefund wie im der
Wüfte, nur Dank der größern Höhe und der häufigen, von
ben Cordilleren kommenden kalten Winde weit weniger heiß.
Legtere haben ftets biefelbe Richtung und werben deshalb
von einzelnen Minen bei der Kondenfation bes verlorenen
Dampfes benugt.
As Brefion Caracoles im Juli 1870 zum erften Male
befuchte, ſtand dort nur eine Hütte von lofe auf einander ges
ſchichteten Steinen, ein Zelt des Entdeders Don Joſé und
fein eigenes. Bon 1871 datiren die erften Anfänge einer
Globus XXIX. Mr. 3.
Ortſchaft; jegt gab es ſchon mehrere folder Steinhütten, bei
denen alte Teppiche oder Segeltuch die Stelle des Daches
vertraten, welches in jenem faft vegenlofen Gebiete nicht for
lider zu fein braucht. Die Mehrzahl der Einwohner lebte
jedoch unter Zelten vom jeberlei Geftalt und Größe, welche
höchſt unregelmäßig hier und da aufgefchlagen waren. Das
Ganze bot einen erbärmlichen Anblid dar. Zu Anfang des
Jahres 1872 hatte la Placilla jchon fein heutiges Ausfehen
angenommen und zählte eine Bevölferung von 1500 Seelen.
Ueberall erhoben ſich Häufer, matlirlic von Holz wie die in
Mejillones, doch aud) einige von galvanifirtem Eiſenblech.
Die Quebrada felbft gab den Straßenzug und die Bauflucht
der Gebäude an. Auch ließ die bolivianifche Regierung für
ben Unterpräfecten, feine Beamten und einiges Militär ein
Unterlommen errichten.
1873 gründeten ſchon Hanblungshäufer aus den Kuſlen⸗
ſtädten, namentlich von Balparaifo, in dem Minenorte Zweig-⸗
geſchäfte; Gaſthäuſer entſtanden, deren eines ſogar einen
Theaters und Ballſaal flir 150 bis 200 Perſonen beſaß,
Biürgerfteige wurden gelegt und die Gasbeleuchtung vertraten
die Yaternen, welche jeder Hausbefiger allnächtlich an feine
Thir hängen mußte. Noch beftanden die Gebäude nach wie
bor aus Holz und Blech.
Bei Breſſon's letztem Beſuche im Jahre 1874 war la
Placilla bereits eine Meine Stadt von 2300 Einwohnern,
mit ordentlichen Wohnhäufern, regelrechten ſich rechtwinklig
fchmeidenden Straßen, wie das in Städten fpanifchen Urs
fprungs Sitte if, Ein vierediger Play nimmt die Mitte
5
34
Hl ai! |
—
*
I J J
——
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m
Die Wüfte Atacama.
La Blacilla im Jahre 1873,
Die Wüſte Atacama. 35
bes Ortes ein; am ihm befindet jich die Unterpräfechtr und
daneben eine Heine Kirche, deren Erbauung aus freiwilligen
Beiträgen zu Stande fam. Kurzum, im einem Zeitraum
von vier Jahren hat ſich Hier mitten im der Wllfte eine Heine,
aber gut bevölferte und wohlhabende Stadt entwidelt; bort
zu leben wlirde gar nicht jo unerträglich fein, wenn erft die
oben befprodjene Eiſenbahn vollendet wäre,
Außer diefem Städtchen befigt aber Caracoles noch meh-
tere hier und da zerjireute Dörfer, deren eines, das am Ein—
ange der Tuebrada de la Placilla liegt, Magazine der
Sn commercial de Caracoles und ſogar ein chileniſches
Conſulat enthält.
Die metallpaltigen Yagerungen von Caracoles beftehen
in mächtigen, zufammenhängenden Adern und enthalten nur
eine Heine Zahl von Mine:
ralien, die ſich metallurgiſch
leicht behandeln laſſen und
von einer derartigen cher
miſchen Zufammenfegung
find, da in dem gereinigten
Erze der Procentſatz des
Silbers den aller anderen
Metalle bei Weiten über—
wiegt. In dem ganzen
Diftriet, welcher bei 5
deutichen Meilen Yänge eine
Breite von durchſchnittlich
2 Meilen hat, find nicht
weniger ald 40,200 Gru⸗
benconceifionen ausgegeben
worden, von denen jreilic,
aus verfchiedenen Grlinden,
unter denen der Mangel
von guten Berkehräwegen
einer der größten ift, nur
400 bis 500 wirflid, aut
genugt werden, Gin Tau⸗
ſend ift ſchon einmal bear
beitet, aber vorläufig wier
ber aufgegeben worden, und
weitere zwei Taufend wers
den von den Staatäbehörden
als eriftivend anerkannt,
weil fie die vom Geſetze
vorgefchriebenen Schadjte
befigen. Natürlich werden
augenblicllich nur die amı
geſetzte Welle. Das zu Tage beförderte Erz wirb auf bie
„Cancha“, einen mit Steinplatten belegten Hof am Aus-
gange des Stollens, gejchlittet, wo Arbeiter unter fteter Auf:
ficht eines Majordomus die wertvollen Stüde von ben un—
bemmgbaren ſcheiden. Erſtere werden im vier verſchiedene
Claſſen gefondert und mittelft ſchwerer Hämmer in nußgroße
Stüce geſchlagen. Bis 1872 beſaßen nur bie beiden Vlinen
Defeada und Merceditas Stampfmafcinen, welche durd) ein
Söpelmerk getrieben wurden, während jet ſchon in den be=
deutenderen Minen Dampfmafchinen amerilaniſchen ober
englifden Ursprungs arbeiten. Infolge deſſen ift micht nur
bie Ausbeute geftiegen, fondern es find auch die Föhne her:
untergegangen, ud während 1870 und 1871 ein barretero
(Bergmann) monatlic, 240 Reichdmarf, ein canchero (Zer⸗
fleinerer ber Ürze) 160
zer, Eee und ein carrelonero
(Gouhrmann) 260 erhielt,
fo zahlt man ihnen jetzt
nur reſp. 160, 120 und
240 Reichsmark. Dazu
muß man aber noch bie
Nahrung und täglid uns
gefähr acht Liter Erinf-
waſſer rechnen, welche
jeder Arbeiter erhält, und
welche die Koſten pro Kopf
and Monat um etwa 100
bis 125 Mark erhöhen.
Natirlicherweife ift das
einzige Ausfuhrsobject von
Caracoles Silber» und
mitunter auch Kupfererz.
Man hat auch ſchon an
Ort und Stelle ſowie im,
der Nähe die Erze zu ver
arbeiten begonnen, wie in
Garacoles, Galama und
Chiuchiu; aber die Schwie⸗
tigleiten, Erze und Sohle
zu transporiiren, fowie der
hohe Preis des Waſſers und
die großen Pöhne werden
diefe Unternehmungen wohl
faum zur Cutwidelung
fommen laſſen. Solche
Etabliffenrents können nur
in den Küftenftäbten gebei«
hen, wo man Kohle und
leichteften zu bearbeitenden
Minen und diejenigen, wel-
che la Plaeilla am näcjten
liegen, abgebaut, Ihre Erze müſſen mindeſtens 50 bis 60
Mark Silber (a 230 Gramm im Werthe von 40,4 Reicht:
mart) ergeben, weil fie fonft wicht den theuern Transport an
die Küſte ertragen könnten,
Trog aller diefer Hinberniffe beträgt heute die momatliche
Ausbeute der gefammten Minen mehr als 23,000 Kilo:
gramm feinen Silbers. Anfangs war ber Abbau ein fehr
urmwüchfiger: man höhlte in der Richtung der Ader einen
Gang aus, welden man mit rohen Stufen verſah, dann
einen ziveiten damit parallelen mit rechtwinkligen Abzwei⸗
gungen, fo daß immer vierfantige Pfeiler ftehen blieben, denen
man mit Hulfe des Pulvers zu Leibe ging. Auf den Rüden
don Menfchen wurde das gewonnene Erz zu Tage geichafft;
Bohlen-mit Kerben dienten als Leitern, Noch zu Ende bed |
Jahres 1372 beſaßen nur vier Minen einen ſenkrechten
Schacht und mur zwei eine von Maulthieren in Bewegung
Bergmann in Garacoles.
Arbeitöträfte leicht und
billig zur Haud hat,
Ter Handel von und mac dem Bergwertabifteict ıft
ſchon ziemlich bedeutend; importirt werden namentlich Ma—
ſchinen und Dafchinentheile, Steintohlen, Trinkwaſſer, Gerfte,
gepreßtes Heu, Nahrungsmittel, Getränke, Kleidungsſtüide,
Zelt: und Hausgeräth, und zwar gefchieht der Transport
von der Küſte her im Wagen, welche bei ber Rucklehr Erze
mitnehmen. Nur Trinfwaffer findet ſich in größerer Nähe:
es wird aus einer Entfernung von 5 bis 6 deutjchen Meilen
von Maulthieren entweder in feinen Tönnchen herbeigefchleppt
oder in Waſſerwagen herbeigezogen. Man hat es in zwei
Dualitäten ; die erfte loftete vor zmei Jahren 1 Mark pro
3 Liter, jet halb fo viel, während die zweite Sorte viel
billiger ift, aber brakifch jchmedt und felbft etwas Magrıefia
und fchwefeljaures Salz enthält. Diefe Waſſerzufuhr wirb
von drei Concurrenzgeſellſchaften beforgt.
Die Kohlen für die Dampfmaſchinen werden aus Chile
5*
36 Die Wüfte Atacama.
oder jelbft aus England bezogen, Doc ift das gewöhnlichſte
Feuerungsmaterial die „lena“, eine Miſchung aus Holz und
trodenem Cactus (quisco), welch legterer aus einer Entfer-
nung von 10 bis 12 deutſchen Meilen hergeholt werben muß.
Denn nur dort, in ben Bergen von Atacama und in den
Altos de Pingo-Pingo und de Puquios findet man bdenfelben
in genügender Menge, einzeln ober in Gebüfchen, und oft
5 bis 6 Meter hoch (f. die Abbildung auf S. 6). Er iſt fo
troden, daß ein Fußtritt genligt, ihm abzubredyen; ben
Wüftenwanderern leiſtet er oft die größten Dienfte, aber
er findet fich nur auf 700 bis 800 Meter hohen Felehöhen.
Das Heu und die Gerſte — Hafer kennen die füdameri«
laniſchen Pierde und Maulthiere nicht — fommen aus Chile
und der Ürgentina; aus ber letztern Nepublif auch das
Schlachtvieh, welches einen langen, mühjeligen Weg aus
feiner Heimath durch die öftlichen Provinzen Bolivias, über
die Anden und die Wüſte zurlidzulegen hat und meift in
abgetriebenem Zuftande am feinen Beſtimmungsorte anlangt.
Mafdinen und Werkzeuge werden aus England und den
Bereinigten Staaten, Manufacturwaaren, Lebensmittel,
Weine und Liqueure aus Europa, Hülfenfrlichte, Obft, Ge:
flügel, Eier und Mehl aus Chile und Peru bezogen.
Die Unternehmer dieſer Transporte mitjfen mit großen
Kofien mitten in ber Wuſte Vorrathähäufer mit Yebend:
mitteln und Wafler unterhalten für die Wagenzüge, welche
in einer Anzahl von 15 bis 60 Karren unter Beitung eines
„Capataz* die Fahrt unternehmen. Cinige Karren mit
epreßtem Heu folgen gewöhnlich dem Zuge, um im Noth«
Falle einem iberlafteten Gefährt einen Theil der Ladung
abzunehmen, In Folge des Sandes und des mitunter fteis
len Anftiegs können dieſe mit vier Thieren befpannten Wa—
gen bein Hinauffahren nur 735 bis 825 Kilogramm, beim
Hinabfahren dagegen 900 bis 1150 laden. Erſieres dauert
vier bis ſechs, letzieres drei bis filuf Tage, Fiir die Stra-
pozen, welche die Thiere während biefer Fahrt erdulden,
fprechen am deutlichſten die zahllofen Stelete, welche an dem
Wege liegen. 1872 koftete der Transport eines ſpaniſchen
Tentners Waare (zu 46 Kilogramm) von Mejillones nad)
— — ———
—— —— *
Eiſenbahnzug in der Wilfte Atacama.
Caracoles 32 Mark, von Antofagafta nad) Caracoles 20
Mark, in umgelchrter Richtung halb fo viel, Jetzt find bie
Preife wohl etwas niedriger, aber doc noch immer fehr
hoch, wenn mar bedenkt, daß es dreimal fo viel foftet, einen
Gegenftand von der Kuſte mach dem 18 deutſche Mei:
len entfernten Caracoles, als mittelft Dampfſchiffes nach
Europa zu ſchiclen. Etwa 650 Wagen und 4000 Mauf-
thiere vermitteln diefen Verlehr durch die Witte. Diele
dur) ein paar Focomotiven und Eifenbahnwagen zu erfegen
war Breſſon's Beftreben; aber die Ausführung feines Pla«
nes ftieß auf mehr Hinderniffe, als feine oben geſchilderten
Vorarbeiten dazu. Die Negierung ging nicht auf Baron
de Riviere'$ Vorſchläge ein, fondern ertheilte einem Andern
die Genehmigung zum Eifenbahnbau, welche bald wieder auf:
gehoben werben mußte, weil deflen Project unausführbar war.
Dann wurde eine andere Geſellſchaft conceffionirt, welche
Antofagafta ald Unsgangspuntt gewählt hatte: nach Verlauf
von zwei und einem halben Jahre waren erft 10 Kilometer
biefer Bahn vollendet, und 1875 fah ſich die Geſellſchaft
am Ende ihres baaren Geldes und mußte ſämmtliche Ars
beiten einftelen und alle Ingenieure entlajfen. Trotz dieſer
Miperfolge hofft Breſſon doch an die baldige Verwirklichung
feines Lieblingsgebantend ; und daß bdiefelbe in der That dem
Lande von unberechenbarem Nugen fein wide, haben wir
uns in der Einleitung darzulegen bemüht, und es beweifen
dies in specie bie focben angeführten Einzelheiten fiber die
Transportverhältniffe in der Mlifte,
Rihard Andree: Neugranadinische Alterthümer. 37
Neugranadinijhe Alterthbümer.
Bon Richard Andree,
Heredia, der Gründer Cartagenas, ſchildert eine alte
Begräbnißftätte im Thale des Rio Zönu (Sinu, Staat
Bolivar), die durch große Sorgfalt ihrer Anlage und Reich—
tum der in den Gräbern enthaltenen Gegenftände ſich
auszeichnet. Er drang bis zum Sige des Kazilen Finzemi
vor, wo er ben Tempel ausrauben ließ; hier fand er 24
hölzerne mit Goldblech bededtte Götenbilder, zwifchen denen,
je zu zwei und zwei, Matten ausgejpannt waren, in welche
die Gläubigen ihre Opfergaben niederlegten. Ringsum waren
die Bäume mit goldenen Gloden behüngt. Gin Knabe
verrieth den Spaniern auch die Begräbnißftätte, die von
uralten Geibabäumen befchattet war, melde die Eroberer
nieberfchlugen. Die Erdhitgel, die nahe bei einander lagen,
waren bald conifch, bald rechtedig geformt. Starb ein In:
diarer, fo grub man ein Loch in die Exde, welches groß ges
nug war, um die Peiche aufzunehmen, der man außerdem
Waffen, Koftbarkeiten, Krüge voll Chicha, Maislolben,
Mühffteine und, war es die eines Häuptlings, felbft Stlas
ven und Frauen mitgab. Ueber dem Ganzen errichtete man
alsdann den Tumulus. Unter den Gegenftänden, die num
hier am Zenu gefunden wurden, bemertt man namentlid)
Thiergeftalten aller Art. Im ganz neuer Zeit ift dort aud)
ein geſchnitztes Std Holz gefunden worden, auf dem Tänze
und Spiele in meifterhafter Ausführung dargeftelt find.
Die altindianifchen Grabhügel in Neu-Granada find jest
unter dem Namen Guacas befannt, wohl nad) den zahle
reichen Hügeln im Guncathale des Staates Antioquia.
Neben den ſchon erwähnten Thon» und Goldſachen find ber
ſonders aud) die Funde von Interefle, welche und Auffchlüffe
über das Arbeitsverfahren der Indianer geben. Im All:
gemeinen und ſchon von Alters her ift in Neu-Granada
der Glaube verbreitet, daß die Indianer einen Pflanzenfaft
1 Nalenring. 2 Bruftverzierung. 3 Haarzange. + Stichel. 5 Zweck unbefannt. 6 und 7 Ringe, 3 Berlen.
9 Schuurrbart.
kannten, mit deifen Hlilje fie das Gold jo geſchmeidig wie
Wachs machen fonnten, denn nur jo erklärt ſich das Bolf
heute die feinen Goldarbeiten. Bei Buritica fand man
die Defen und metallurgifchen Werkzeuge der Indianer; fie
verftanden zu löthen, wußten Yegiwungen herzuftellen und
benugten Stichel, die noch erhalten find, bei ihren Arbeiten.
Der Chronilenſchreiber Cieza de Yeon, ein durchaus glaube
wärbdiger Mann, erzählt und, daß fie fic der Wagen und
Gewichte bebienten, um ihr Gold zu ſchätzen. Sein Zweifel
fann gegen diefe Angabe auflommen, wenn wir bedenfen,
daß die Wage auch bei den alten Peruanern im Gebrauch
war. Das Floß, weldies 1525 Bartolomeo Nutz, der
Pilot Pizarros, an ber peruanifchen Hüfte antraf, hatte
Segel aus Baumwolle, und die Kaufleute an Bord führten
Bagen bei fid, um das Gold zu wiegen, gegen weldjes fie
ihre Waaren an Bord austaufchten.
In Antioquia giebt es Leute, die ſich ſpeciell mit ber
Durchſuchung der alten Grabhligel beichäftigen und fchon
nach wenigen Schlägen mit der Hade in die Erde an der
Beichaffenheit des Grabes wilfen, ob daſſelbe Alterthitmer
enthält oder nicht. In den einfacheren Gräbern ruht der
Körper, umgeben von plump geftalteten Urnen, im Hinter:
grunde einer runden Yushöhlung von etwa zwei Meter
Durchmeſſer und 3 bis 4 Meter Tiefe, In diefen Gräbern
findet man felten Koftbarfeiten. Die Erde, aus welder
diefe Höhlung gebildet ift, beficht aus einer andern Art, als
bie umgebende. Iſt der beigejegte Indianer eine wichtige
Perfönlichkeit, ein Häuptling oder dergleichen gewefen, fo
zweigt ſich von dem eigentlichen Grabe eine kurze Gallerie
ab, die nad) einer oder mehreren anderen Grablamm ern führt.
Die Gräber von diefer Art find es, weldye die ſchönen Ba:
jen und Werthgegenftände bergen.
38
Richard Andree: Neugranadinische Alterthümer.
Irdene Gefäße and Grabhügeln bei Antioguia,
Dig
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ne £
Nihard Andree: Neugranadiniiche Alterthümer.
Gräberfunde bei Antioquia.
1 Lanzenipise. 2 und 3 Porphyrbeile. 4 Kiſtchen aus Serpentin. 5 Durchbohrter Smaragd.
Hohle Vaſe ohne Deffunng. Sötenbild, Gürtel.
= Goldene Geräthe aus dem Tempel von Sogamona.
39
6 Wirbel aus Borphyr,
40 Riherd Andree: Neugranadiniiche Alterthümer.
Saffray veranftaltete in der Umgegendb Antioquias ver«
ſchiedene Ausgrabungen, wobei er zwei Yanzenfpigen aus
behauenem, aber nicht polirtem Feuerſtein, Wirtel aus Por:
phyr, eine Büchfe aus hartem Serpentin, die, wie der Dedel
mit einfachen Reliefornamenten verziert war, Porphirärte
und einige durchbohrte, abgerundete und unvollkommen polirte
Smaragde fand. Bei verſchiedenen indianifchen Völlern
war der Smaragd cin heiliger Stein. Im Thale von
Manta (Peru) ftand ein Tempel, in dem man einen Sma-
ragd verehrte, ber fo groß wie ein Straußenei gewefen fein
fol. An chriſtliche Kirchenbereicherung anflingend und den
überall gleihartigen Ton der Priefter kennzeichnend ift fol-
gende Geſchichte. Die Priefter erzählten den Gläubigen,
daß diefer wunderbare Stein die Mutter aller anderen Sma—
ragde jei, und daß diefe Mutter ihre Kinder außerordentlich
liebe ; man fönne ihr feine größere freude bereiten, als wein
man ihr ihre Kinder bringe, damit fie mit ihnen zuſammen
wohne. Auf diefe Weife häuften fie eine colofjale Menge
der edlen Steine an, welche den Spaniern in die Hände
fielen. Diefe aber zerichlugen die großen Steine, um ſich
über ihre Tmalität zu verfihern. Die Emaragdgöttin aber
entfloh, feit man ihren Tempel beraubt hatte. Im Neu—
Granada eriftirte jedoch die Smaragdverehrung nicht. Doch
ſchrieb man diefem edlen Steine eine himmlische Abkunft zu,
von der die Chibchatradition Folgendes erzählt, Als Nem-
quetaba, der weiße Mann mit dem langen Barte, nad) Bo»
gota den Feldbau und die erften Elemente der Civilifation
brachte und dann wieder verſchwand, heirathete eine feiner
Töchter die Sonne. Aus diefer Ehe entftand ein wunderbar
fchöner Smaragd, Die Smaragdgruben Neu-Cranadas
wurden bislang nicht ausgebeutet; erſt feit dem 1. April
1875 hat die Regierung die Benutzung berjelben freiges
geben *). Die bebeutendften fiegen bei Mufo, unfern von
den Quellen des Rio Sogamoya, der in den Magdalena
fält. Bon dort ftammt auch dev 18 Ungen wiegende Sma—
vagd des Madrider Mufeums,
Schon das bisher Mitgetheilte genügt, um die Cultur
der Chibchas zu fennzeichnen; fie ftanden neben den Meri-
fanern und Pernanern ald das dritte Culturvolt des alten
Amerifa da, welches mit Unrecht neben jenen beiden, wenig-
ſtens in den gewöhnlichen Darftellungen , iibergangen wird.
Todticlag, Raub, Inceft wurden ftrenge bei den Chibchas
beftraft. Was das letere Berbrechen betraf, jo ſchloß man
die Schuldigen in eine Höhle ein, die mit giftigen Reptilien
und Infecten gefüllt war, Die Faulen wurden gezwungen,
ſich wie die Weiber zu Heiden und mit diefen zu arbeiten.
Kalender der Chibchas. Nah Saffray.
Der Dieb wurde ausgepeiticht. Cine Frau, die im Ber:
dachte der Untreue ftand, wurde verurtheilt Pimentpfeffer zu
eſſen; geftand fie ihr Verbrechen ein, jo gab man ihr zu
trinfen, um den brennenden Durft zu löſchen und überlieferte
fie dann dem Nachrichter. Ertrug fie aber die Pein einige
Stunden lang, jo wurde fie für unſchuldig erklärt *).
Ic möchte auf diefe Strafe die ganz bejondere Aufmert:
famfeit lenken. So viel ich weiß, ift diejes der einzige
uns befannte Fall von der Anwendung der Gottes—
urtheile in Amerifa So weit verbreitet und fo alt fie
in der Alten Welt find, vom Eideswaſſer der Juden an bis
zu der grauenhaften Ausdehnung, welche die Orbalien in
Arika befigen, fo wenig fommen ſie in der Neuen Belt vor.
Bom ethnographiſchen Standpunkte aus glaube ich daher,
daß diejem Vorkommen der Gottesirtheile bei den Chibchas
die größte Beachtung zu fchenten ift.
Schr ausgebreitet waren auch die Handelsbeziehungen
der Chibchas. Sie verkauften auf Credit, fie hatten wirt
liches Geld — Goldſcheibchen von gleicher Größe und glei:
chem Gewichte —, hatten Wagen und ein entwickeltes Zahlen»
ſyſtem. Die Chibchas zählten nad) den Fingern der Hände,
*) Saffrap im Tour du Monde Vol. XXVI, p. 83. Siche
auch „Auslane” 1872, ©. 389.
Ata, Bosa, Mica, Muyhica, Hisca, Ta, Cuhupcua, Su-
huza, Aca, Übehihiea und ftellten ihre Ziffern folgender
maßen dar:
1. Ata
. Cohupeun _
6. Ta
%oy
& u ine 9 8. Suhuza
> 3. Mica N —
= 4. Muyhica
E) 10. Ubehihica
5. Hisca
— 20. Gusta.
) Bol, „Ueber bie Golumbifhen Smaragden* in Zeitfcr.
ter Geſ. f. Erdt. gu Berlin X, 5. 38 bis 62.
N. Latkin: Sibiriiche Zuftände.
Ueber zehn fügten fie die Zahl des Quibicha (Fuß) bei
und jagten Quihicha Ata, Quihicha Bosa u, ſ. w. Zwau—
zig hieß Guéta (Haus). Alle diefe Zahlennamen corres
fpondiren mit den Mondphaſen, den Arbeiten des Ackerbaues,
den veligiöfen Gebräuden, in der Weife, daß ihre Zählung
innig an ihren Kalender ſich anſchloß.
Einen ſolchen Kalender, wie wir ihn ſchon oben erwähn-
ten, hat auch Saffray in Bogota aufgefunden. Er beſteht
aus Stein und zeigt im Ganzen zehn im Relief ausgeflihrte
Bildwerke: zwei menfchliche Figuren, zwei mit Pfeilen ger
fpicte Köcher, zwei Körbchen mit einem feimenden Korn,
zwei Fröſche und zwei Figuren, derem nähere Bezeichnung
wir nicht geben fünnen. Wber der Schlüfjel zu diefem Ka—
lender fehlt; daß es überhaupt ein Kalender fei, fchließt
Saffran aus der Zahl zehn, welche durch die verſchiedenen
Symbole dargeftellt wird, denn bie Zehnzahl ftand nad) ihm
in genauer Verbindung mit dem Mondjahre und dem aftro-
nomifchen Jahre der Ghibchas. „Geben wir,“ fagt Saffran,
„den zehn Fingern die zehn Namen der Zahlen, Der Saat-
monat, welcher mit bem Beginn der Regenzeit zufammenfällt,
Sibirifde
1. Statiſtiſches.
Von 8, Latin.
Die intereffanten von Herrn Rowinsky verfaßten Berichte
über Oftfibirien geben und ein trauriges Bild der gefelligen
und dlonomiſchen Zuſtände diefes von der Natur fo reich
bebachten Landes, das wohl eine ganz befondere Aufmerkfam:
keit verdiente. Diefes enorme Territorium, für deflen äußerfte
- Grenze wir das uflurische Yand annehmen wollen, kann
jedes Klima, mit Ausnahme des tropifchen, aufweiſen; feine
Ausbreitung ift fo groß, daß bie äußerften nörblichen, zur
Bevölterung und Eultur nicht geeigneten Landſtriche abge:
rechnet, noch über 55,000 Quadratmeilen, die ganz geeignet
find, eine große Bevölkerung aufzunehmen und zu ernähren,
übrig bleiben. Demnach bevölfert ſich Sibirien ſehr langſam
und entwidelt ſich noch langiamer. Nehmen wir an, daß
während ber erften Zeit der Bevölkerung beffere Refultate
wohl ſchwerlich zu erwarten waren, fo ift auch in den leiten
20 Jahren, während welcher das europäiiche Rußland im
feiner Entwidelung fo ſehr vorgefhritten, Oftfibivien trotz
der Erwerbung des Amur und der öftlihen Häfen im Stil:
len Ocean von dieſem Fortſchritte nicht berührt worden und
befindet fich in demjelben Zuftande wie ehedem; dieſes gilt
auch mit wenig Ausnahmen vom Handel und Gewerbe.
Betrachten wir den Zuwachs der Bevölferung, fo jehen
wir auch darin den anormalen Zuftand des Yandes ; diejelbe
nimmt troß der Menge dahin gefchidter Anfiedler und Bers
brecher verfchiedener Kategorien wie aud) der freiwilligen
Auswanderer nur fehr langfam zu. Was den natürlichen
Zuwachs der Städtebevölferung anbetrifit, jo wäre derſelbe,
dieſe Üiberfchicte Bevölferung nicht eingerechnet, ganz unbe
beutend oder auch gar nicht vorhanden. So z. B. zählte
man im jeniffeifchen Souvernement im Jahre 1863 323,000
Einwohner; im Jahre 1867 nad) einer genauen Zählung
351,000; im Jahre 1872 375,000 Einwohner; folglid)
belief fich der Zuwachs von 1863 bis 1872, alfo während
eines Zeitraums von neun Jahren, auf rund 50,000, Dabei ift
Globus XXIX, Nr. 3,
4l
wird jebes Jahr zwei finger weiter fallen, ald ber finger,
welcher als Ausgangspunkt gedient hat, fo daß im dritten
Jahre, um das aftronomifche Jahr mit bem Meondjahre in
Uebereinftimmung zu bringen, man einen Mond, d. h. einen
Finger, einfchalten muß. Dieſer Schaltmonat heit bei den
Chibchas Cuhupeua = tauber Mond.
„Beginnen wir mit-Ata. Die Indianer vepräfentirten
Ata in ihren Hieroglyphen mit einem Froſch, dem Symbol
des Waffers, oder einem fpringenden Froſch, der den Beginn
des Jahres andentet, Nennen wir num diefen Monat Ja—
nuar 1870, fo fehen wir, daß der Januar 1871 auf Mica
fällt, das ift der dreigehnte Mond nad) Ata. Januar 1872
correfpondirt mit Hisca, dem dreizehnten Mond nach Mica
und Januar 1873 fällt mit Sahuza zuſammen, mit dem
Meondmonat, welcher dem Schaltmonat Cuhupeua folgt.
Das bürgerliche Jahr der Chibchas hatte zwanzig Monate;
man mußte im dritten Mondjahre einen Monat einfchieben,
damit die 37 Monate ein aftronomijches Jahr bildeten.
Das Volk aber wußte nichts von dieſer durch die Priefter
erfundenen Einfchaltung.*
Zuſtände.
nicht außer Acht zu laſſen, daß während dieſer Zeit im Gou⸗
vernement an 40,000 Anfiedler und Verbannte eintrafen,
folglich die Vergrößerung der Einwohnerzahl feine natitrliche
war. Daſſelbe fehen wir in anderen Gegenden Sibiriens,
fo 3. B. im irtutstifchen Gouvernement und im transbaifal
ſchen Gebiet: in beiden waren im Jahre 1861 an 718,000,
im Jahre 1867 an 792,800 und 1870 810,000 Einwohs
ner, Geſetzt, daß während dieſer Zeit ſich die Anzahl ber
Einwanderer auf 80,000 belief, fo beträgt der natürliche
Zuwachs der Einwohnerzahl faum 12,000, aljo weniger
als 1000 im Jahre. Nehmen wir den Zuwachs der Städte
bevölferung in Betracht, fo erhalten wir diefelben Reſultate
wie bei der Yandbevölferung der Provinzen, Im Jahre
1871 belief fic die Einwohnerzahl in Irkutsk auf 32,245;
1872 auf 32,790; 1873 auf 31,812 und 1874 auf 32,085.
Der natürliche Zuwachs der Einwohnerzahl beträgt während
der letzten 20 Jahre nur 1430, alfo im Ganzen 71 im
Jahr. In Kraßnojarsk waren im Jahre 1861 8780 Ein:
wohner, zwei Jahre fpäter nad) der Zählung 9997, 1867
11,238 und 1874 12,974. Dem Scheine nad) ift dies
ein bedeutender Zuwachs, doch verhält es ſich in der That
anders, Es ermeift fi, daß 1866 in der Stabt 413 Ger
burten und 336 Sterbefälle ftattfanden; 1868 410 Gebur⸗
ten und 404 Sterbefälle, d. h. daß für beide Jahre der
Zumadjs ber Bevölkerung ſich auf 84 belief. Während
deffen find vom Jahre 1827 bi 1868 nad) Oftfibirien an
220,000 Berfonen beiderlei Geſchlechts überfiedelt worben ;
rechnet man die vielen infolge der legten Infurrection ver—
bannten Polen wie alle freiwillig dahin Ausgewanderten, jo wird
ber auf diefe Art vergrößerte Zuwachs wohl 300,000 betragen.
Woher ift denn die Vergrößerung der Bevölkerung eine
fo geringe? Unmöglich liegt diefem Umftande nur die Uns
wifienheit der Einwohner hinſichtlich des hygieniſchen Ver—
fahrens zu Grunde und die aus biefem Umftande hervor«
gehende große, beinahe 50 Procent betragende Sterblichkeit
unter ben Kindern, obgleich diefes ſicherlich auch den Zuwachs
der Bevölkerung beeinflußt ; doch fehen wir dies auch Häufig
6
42 N. Latkin: Sibiriſche Zuftände,
in Rußland, Ic) glaube, daß der Grund daflir hauptſüchlich
ein moralifcher ift, der fich durch die große Zahl nach ©i-
birien verbannter Verbrecher, die ſich alljährlich) auf 8000
beläuft, und durch die im Vergleich zum enropäifchen Rußland
Heine Zahl der Ehen erflären läßt. Co fallen auf 100
Bewohner Sibiriens 0,65 Procent Ehen, während in Ruß—
land 1 auf 100; daher auch in Sibirien auf 100 Perfonen
3,70 Procent Geburten und in Nufland auf diefelbe Zahl
5 Procent. Dies Alles beweift, daß infolge des großen Zu-
branges einer lafterhaften VBevölterung die örtlichen Einwoh—
ner dem ſchlechten Einfluß diefer moraliſchen Anſteckung
nicht entgehen fonnten; dieſe Verfchidten am ſich tragen we—
nig zur Bermehrung der Ehen und folglic, auch der Gebur—
ten bei; verhältnigmäßig ift alfo der Procentjag der Sterbe-
fälle in Oftfibirien ein fehr großer: er beträgt 3,40 auf
100 Einwohner. Die große Menge verbannter Verbrecher,
die politiihen Verbrecher ausgenommen, hat auch dem Yande
wenig Nugen gebracht; nur wenige von ihnen widmen fid)
dem Aderbau und nur infolge des Mangels an Bevölkerung
in Sibirien nimmt man fie zu Arbeitern, wobei aber aud)
wieder zu bemerken ift, daß fie in Staatsfabrifen und Berg-
werfen wohl wenig often, hinſichtlich aber der fie verwenden ⸗
den Privatperjonen keineswegs billig und dabei nicht mit
den beften Eigenfchaften ausgeftattet find. Aus all diefem
geht hervor, daß es von großem Nutzen für Sibirien fein
wärbe, wenn die Verſchidung der Berbredjer dahin eingeftellt
wilrbe, da jedenfalls der Schaden, den ihr moralifcher Einfluß
auf das Volk ausübt, den Nuten , den fie durch ihre Arbeit
dem Lande bringen, überwiegt.
In welchem traurigen Zuſtande ſich dafelbft das Schul⸗
weſen befindet, iſt einem jeden belannt; wohl iſt es nirgends
in ganz Rußland damit ſo ſchlimm beſtellt. So hat das
jenifſeiſche Gouvernement fir eine Zahl von 335,000 Ein—
wohnern nur 58 Schulen mit 1700 Scillern; das irkuts—
fiiche für 378,000 Einwohner 82 Schulen mit 3373 Unter:
richt erhaltenden Knaben und Mädchen und das ganze Oft:
fibirien 283 Schulen mit 8610 Schülern, und das auf eine
Bevölkerung von 12 Millionen! Es genügt, darauf hin:
zuweiſen, daß in der von allerhand Militär- und Staats:
beamten überfüllten, intelligentejten Stadt Iufutst, der Haupt:
ftadt Oftfibirieng, nur der dritte Theil der ganzen Bevölferung
ſchriftlundig ift; die Stadt hat 32,085 Einwohner, dabei
im Ganzen 19 Schulen mit 2000 Unterricht erhaltenben
Kindern. Im anderen Städten, mit Ausnahme von Nifchnes
Ubinst, wo auf 3300 Einwohner 285 Lernende fallen, fteht
ed noch fchlimmer; jo fommen im Städtchen Ilimsk auf
542 Einwohner nur 4 Schliler. — Man ift der Meinung,
daß die Gründung der in Tomst projectivten Univerfität
Sibirien von großem Nuten fein werde. Ich will dies
nicht beftreiten; doch glaube ich, daß fir dieſes Geld gut
organifirte Bolls oder Handwerksichulen, ſowie Gymnaſien
für Knaben und Mädchen den Yande weit nützlicher wären.
Die Induftrie Oftfibiriens ift aud), ungeachtet der vor-
handenen großen Reichthümer, ſchwach entwidelt, jo daß das
Land in Allen von der ruffiichen Manufactur abhängig ift;
fogar das fich im Ueberfluß vorfindende und überall north:
wendige Eifen wird wenig verarbeitet, und erft in den letten
fünf Yahren find zwei Eiſenfabrilen entſtanden, die Aba-
tam’sche und bie Nilolajew'ſche, wo dies Metall in großer
Menge verarbeitet wird, aber immer noch nicht hinlänglic,,
um bie Einwohner vom thenern uralſchen Eifen zu befreien,
Eben fo wenig genügt die Salzſiederei, ungeachtet der im
Ueberfluß vorhandenen Salzjeen und Salzquellen, den dor
tigen Beditrfnifien.
Selbft die Goldwäſcherei nimmt infolge großer Verar—
beitungen und Erfchöpfung vieler Bergiverfe, trog neuer, reis
cher Goldentdeckuugen am Amur und im jakutötifchen Di-
ftrict, allmälig 5 Betrachten wir bie Erfolge der legten
Jahre im jeniffeifchen Gouvernement, fo ftellt ſich die Aus«
beute an Gold wie folgt: 2
1861 mit 16,550 Arbeitern 604 Pud 20 Pfund
1863 „ 14,360 9
1871 „ 14,260 a 422
1873 „ 11,990 „ 357 „
Im atſchinsliſchen und minuffinstifchen Kreife wurden
1871 mit 2600 Arbeitern 84 Pud Gold und 1873 mit 2250
Arbeitern 63 Pud Gold gewonnen, während 1861 mit 3665
Urbeitern 109 Pud und 1863 mit 3900 Arbeitern 106
Pud 20 Pfund Gold gewonnen wurden. Es ift wohl wahr,
daß feit dem Berfalle der Soldwäfcherei im jeniffeifchen Gou—
vernement diefelbe fic im den Diftrieten Irlutst, Sabaifal
und Amur entwidelt hat, doch ift aud) dort im legter Zeit
eine allmälige Abnahme derfelben merklich. So erhielt man’
im Irlutsliſchen Diftriet
1871 mit 5455 Arbeitern 761 Pub Gold
1872 „ 5900 » 627 a
1873 „ 6325 534 „
im Nertfcinstifchen Diftrict
1871 mit 4500 Arbeitern 155 Pub Golb
1072 „ 470 „ 17 „
1873 „ 2900 u 114 =
in den Diftrieten von Werchne-Udinst und Bergufin
1871 mit 1740 Arbeitern 83 Pub Gold
1872 „ 2240 „ 3 „
1873 „ 1720 „ 9 5
Selbft im amurſchen Diftricte fängt die Goldwälcherei
fi) allmälig zu vermindern an, obgleich fie immer noch reich
genug ift; fo erhielt man:
1871 mit 850 Arbeitern 173 Pub Gold und
1873 „ 105 „ 102 „
was freilich noch fein ſtichhaltiger Beweis ıft.
Im primorsfifchen Difteict wurde die 1872 eröffnete
Goldwäſcherei im felben Fahre wieder aufgegeben, da man
mit 125 Arbeitern nur 41/, Pub Gold gewann. Im je
niffeiichen Gouvernement wäre diejes ein fehr gutes, 50 Proc.
betragendes Nefultat, dort aber, wo jeder Arbeiter von 800
bis 1000 Rubel Foftet, ift das ein fehr unbefriebigender Erfolg.
Die Branntweinbrennerei nimmt in Oftfibirien nad)
der Goldwäſcherei den wichtigften Pla ein; bald nad) Erlaf
der neuen Geſetze darliber entftanden eine Menge Fabrifen
in ganz furzer Zeit; fo giebt es deren jetzt fieben im jenif»
ſeiſchen Gonverneinent, die an 35,000,000 Procent reinen
Spiritus, und im irfutsfifchen Gouvernement adjt, bie
30,000,000 Procent reinen, gar fein Wafler enthaltenden
Spiritus liefern.
Die übrigen Branchen der Induſtrie find in Eibirien
nod) wenig beachtet, obgleich Vielerlei noch mit Vortheil ge«
trieben werben könnte, wenn das Yand nicht Mangel an
guten Technilern und Sachkundigen litte; übrigens wird fo
Mandyes auch dadurch vernachläffigt, daß die Goldwäſcherei
durch die Möglichkeit einer ſchnellen Bereicherung alle Capis
talien und Arbeiter an ſich zieht.
2, Die Deportation nad) Sibirien.
Von Albin Kobn.
Ueber dieſen Gegenftand enthält die Zeitfchrift „Sibir*
einen Artikel des Admirals Posjet, welder die Aufmerf-
famteit eines größern Leſerkreiſes verdient. Der Admiral,
der jelbft einige Dale Sibirien bereift hat und zulegt mit
dem Großflirften Aleris dafelbft geweſen ift, macht die ruf>
fifche Regierung darauf aufmerffam, daß es durchaus nicht
mehr zeitgemäß fei, Sibirien, ein unermeßliches Yand, das
n
n
und
und
und
Zur Aulifrage. 43
ben 21/,fachen Umfang des europäifchen Theiles des ruſſiſchen
Kaiferreich® Hat umd deſſen Reichthumer noch lange nicht
entdeckt und erforfcht find, mit dem Abſchaume einer Bevöl«
kerung von mehr ald 70 Millionen zu überſchwemmen und
anzufteden. Sibirien ift heute nicht mehr daſſelbe Yand,
welches es war, als es von der Regierung zur Colonie von
BVerbrechern gemacht worden if. Damals ſchloß es mit
Kamtſchatka und dem Ochostifchen Meere ab, war fat aus—
ſchließlich von wilden, nomadifirenden Bolksſtämmen bewohnt
und hinter ihm lag der wüfte, unermeßliche Stille Ocean,
deſſen Oftfüfte ebenfalls wit und unbefannt geweſen ift.
Sibirien (und Weflamerila) war damals ein öbes, wenig
bevölfertes Yand. Dept aber, nachdem Rußland durch Er-
werbung des Amurgebietes an den Stillen Ocean vorge
drungen ift, der jich immer mehr im ein zweites, ungeheures
Mittelmeer verwandelt, in einer Zeit, in welcher China und
Japan aus einer Jahrhunderte langen Yethargie erwachen
und ſich raſch entwideln, ift e8 Zeit, Sibirien ben nieder-
drüdenden Stempel des „Verbrecherlandes“ zu nehmen und
es in neue, ber Entwidelung günftige Berhältniffe zu ftellen.
Die Verbrecher, welche feit zwei Jahrhunderten hingefandt
werben, üben einen höchſt beflagenswerthen, weil zerjegenden
Einfluß auf die Bevölferung aus. Die Deportirung ift die
Wurzel aller Uebel, der Grund zu gerecitfertigten Kla—
gen der Berwaltungsbehörden und die Urſache des Mangels
an nüglichen und verwendbaren Arbeitern. Die Regierung
befolgt bei der Deportirung der Verbrecher einen doppelten
Zwed: die Strafe und die Vefferung der Deportirten. Der
erfte Zweck wird erfüllt; die Strafe ift eine furchtbare; aber
ber zweite Zwed, die Veſſerung, bleibt gänzlich, unerfüllt, fo
lange das jegige Syſtem beibehalten wird. Schon die lange
Reife in ber Gefellfchaft von Verbrechern nimmt dem Be-
ftraften den legten Reſt fittlichen Gefühls und verwilbert ihn
gänzlich. Auch die Wohnungsräume, die Pebensart, die
Arbeit fönnen feinen guten Einfluß auf ben Deportirten ha-
ben. Die Zwangsarbeiter finden meiftens in ben Gold—
wäfchereien (fann nur von Nertfchinst gelten, da weftlich und
öftlich von Irkutsk die Goldwäſchereien im Privatbefige find
und mit Hülfe freier Arbeiter ausgebeutet werden) Berwen-
dung, da die Silberbergwerfe (weldye den Beamten felbft nicht
hinreichende Mittel zur gefegwibrigen Bereicherung boten)
faft ganz eingegangen find, Admiral Posjet hat perſönlich
die ustjfartifchen Wäſchereien befucht, wo 2000 Deportirte
arbeiten follen. Bon diefen 2000 Menfchen lagen 200 am
Storbut im Lazareth und 300 (nur?!) waren entflohen.
Die Arbeiten wurden langſam, faul und verbrofien ausge
führt, Alle Gefängniffe Oft: und Weftfibiriens find mit
Deportirten, Sträflingen, eingefangenen Flüchtlingen (Brad-
jagen) und Angeflagten überfüllt. Letztere erwarten oft
jahrelang ihr Urtheil und verlaffen das Gefängnig ald durch
und durch demoralifirte, unverbefierliche Verbrecher.
- Um ber foftematifchen Corruption der Bewohner Sibis
riens ein Ende zu machen, bleibt nichts übrig, als das Straf
ſyſtem zu ändern, wie ja auch England aus Rüdficht auf
feine Colonien die Deportation aufgegeben hat.
Der „Sibir* bemerkt leider zu den Ausführungen des
Admirals, wie er jagt aus guter Quelle, daß die abminiftra«
tive Reorganifation Sibiriens wegen finanzieller und anderer
Erwägungen auf unbeftimmte, wohl gar auf lange Zeit ver-
jchoben fei. Diefe euphemiftifche Bemerkung bedeutet, in gut
Deutſch überfegt, daß es den Beamten nicht paßt, eine Aen-
derung eintreten zu laflen; denn nicht genug, daß jeber
Beamte und Offizier in Oftfibirien doppeltes Gehalt bezieht,
bietet ihnen, wie ich in meinem bei Otto Spamer in Leipzig
erichienenen Werke ausführlich gezeigt habe, das Syftem der
Deportirung und das Arbeiten mit Sträflingen in ben
„Sawods* (Fabriken) Gelegenheit zur Bereicherung. Selbſt
die überflillten Gefängniffe find — Vorwerfe fiir die Beam:
ten, vom Natzieratel (Auffeher) und Smotrytjel (Infpec«
tor) bis hinauf zum Gouverneur.
Zur Rulifrage
II.
Das Meifte des oben Geſagten Liege ſich nun freilich
auch auf einen Negertransport, wie ſolche früher ftattfanden,
beziehen ; aber der Unterſchied ift doch ein bedeutender. Der
Chineſe verläßt freiwillig fein Baterland, der Neger unter
den entjelichften Yeiden, mißhandelt, gezwungen und alle
Hoffnungen hinter ſich laſſend. Die Vergeltung für graite
fame Behandlung hat der Menjcenfleifhfligrer nicht zu
fürchten, denn ſchwerlich befommt ihn einer der Schwarzen
fpäter wieber zu Geſichte; wohl aber muß der Kulifahrer
bedad)t fein, möglichſt wenig Groll bei feinen Chinefen mit
viel gefährlicdern Charakter zurüchzulaſſen.
Ein weiterer wichtiger Umftand wird in Europa auch
häufig ignorift oder überjehen. Der Seeweg von China
nad, Peru ift fünfmal länger ald der von Afrikas Weftküfte
nad) Brafilien, und über das Doppelte deſſen von Afrika
nad) Weftindien. Die Entbehrungen, die aljo ein kräftiger
Schwarzer während einer verhältnigmäßigen kurzen Ueber:
fahrt auszuhalten vermag, wilrden einen bebeutend ſchwächern
Chinefen bei doppelter bis fünffacher Reiſedauer vernichten
lange vor Beendigung derfelben.
Soviel über die jogenannten Schrednifie der Behand-
lung einer „Kuliladung“, wie man fie in Europa zu nennen
beliebt,
Die Bewohner des Himmliſchen Reiches kommen nun
and Land, freuen fid) des feften Bodens unter ihren Flißen,
der frischen Nahrungsmittel und athmen auf. Natürlich
bleiben fie nicht länger, als unumgänglich nöthig im Hafen,
fondern gehen meift in befonderen Eifenbahnzügen von Callao
aus nad) dem Innern, nad) den Plantagen ihrer Arbeit-
geber. Hierbei find nun Erzählungen von ber gewaltjamen
Trennung von Brüdern, Verwandten und Freunden in ben
Bereich der Fabeln zu rechnen; die Anzahl, deren jeder Guts-
befiger bedarf, ſchließt ſchon derartiges aus. Diefe fehen
im Gegentheil jo viel als möglich darauf, daß ihre Chinefen
bei guter Laune und Geſundheit find und bleiben, und ein
Zerreißen der Bande, die nicht auf einem Yafter beruhen,
wäre graufam, unnöthig und verderblich.
Mit der Ankunft von einigen hundert Arbeitern beginnt
nun auf dem Yandgute ein Jahr der größten Dlühfeligfeiten
für den Befiter und das Beamtenperfona. Wenn Woh-
mungen und Schlafftätten hergerichtet und bie erften Tage
für das Unterfommen im Anſpruch genommen waren, jo
bedarf es von mun an einer außerordentlichen Thätigkeit,
um die Neulinge an ein regelmäßiges Leben, an die durch-
aus nothwendige Neinlichteit und an ein wenig Ordnung
und Gehorfam zu gewöhnen. Selbſtverſtändlich muß aud)
6*
44
Nachts eine große Wachſamleit ſtattfinden, denn ſehr häufig
haben einzelne ihre an Bord begonnenen Händel nur fnspen-
dirt und nehmen fie am Lande blutig wieder auf. Bon
Gluͤck kann der Gutsbefiger reden, wenn er ſchon im der
erſten Zeit diejenigen Friedenſtörer, welche bösartig find,
aus feiner Schaar herausfinden lann, um fie einer andern
Abtheilung einzuverleiben. Aber auch diefes hilft nicht immer.
Früher hat man fie wohl einfach fortgejagt oder nad, Lina
geichict und im Freiheit geſetzt; aber diefes Heilmittel war
oft noch ſchlimmer als die Krankheit. Sobald die übrigen
folches erfuhren (und an verborgenen Communicationen fehlt
es den Yiftigen nie), verfuchten fie auf demfelben Wege ihres
Contractes ledig zu werden, und bald hatte man es nicht
mehr mit einzelnen Individuen, fondern mit einer einzigen
compacten Maſſe zu thun, die im günftigiten Falle ſich
total inert verhielt. Ein freundliches Zureden ift dem Aſia—
ten gegenüber ein Zeichen der Schwäche, der Furcht, das
Alles verderben lann — man denke ſich nun die (Folgen einer
derartigen Situation, wenn es nicht gelingt, ihrer Herr zu
werden, denn die Maſſe bleibt nicht pafjiv, die Gährung
fprengt die Schranfen , die geringfte Zufälligkeit kann zum
Funken werben, der ind Pulverfaß fält.
Ein anderer Anftoß zur Unzufriedenheit liegt aber*aud,
in einem entnervenden Yafter. Fälle, bei denen eine gewiſſe
Anzahl als anfcheinend unpäßlich am Tage von der Arbeit
—— und von ihren Mitarbeitern reichlich über bie
hnen gereichte Krankenkoft mit Nahrung verjehen werben,
find gar nicht felten. Sie nehmen die Stelle von Bienen«
föniginnen ein. Hiefige Aerzte aus dem Innern wiſſen viel
davon zu erzählen. Fragt aber ein philantkropifcher Englän-
der, der noch feine Hacienda befucht hat, hier in Lima einen
durch diefes Yafter erblindeten, oder verfrüppelten, ober ausfägig
gewordenen und fortgejagten Kuli, woher fein Siechthum
ftamme, fo antwortet ihm diefer ficher nicht: „Yon Activität,
Baffivität und Kombination von beiden;* fondern e8 waren
Peitichenhiebe, Hunger, Halseifen und brutale Grauſamleit,
bie den Unglüdlichen zu einem Jammerbilde gemacht haben.
Und der „Yondon and China Telegraph* befommt
einen fulminanten Artikel gegen die Kulifflaverei, die Ha»
cendados, die Kegierung umd die Gefammtinftitutionen des
Landes, welcher das Loos ber Negerſtlaven unter britifcher
Herrſchaft noch als ein Eldorado der Kuliwirthicaft gegen:
überftellt; und die herzzerreißendften Auftritte in Callao,
gleich nach der Landung, wo eine während der Leberfahrt
etwa erfannte Königin gezwungen wird, Abfchied zu nehmen
von ihren Getreuen, ftellen dann den Familienjammer vor.
Ich habe nod) vor Kurzem einer folchen Scene im Hafen
beigewohnt, die auch einen rothhaarigen Sohn Albions neben
mir, der aber weder Chinefifch noch Spaniſch verftand, mit
tieffter Indignation erfüllte, bis er endlidy erfuhr, um was
es ſich handle; es mußte ihm aber erft von mehreren Seiten
beftätigt werben, bevor er fein Verdammungsurtheil Über die
„slaveholders“ anfcheinend milberte,
Auf den Haciendas ftößt eine derartige in Callao leicht
vorzunehmende Purification dagegen auf größere Schwierig:
feiten, und find die Hauptträger des Giftes nicht ausfindig
zu machen, jo bleibt als Heilmittel neben ärztlichen Beiftand
nur das Zwingen zu angeftrengtefter Arbeit übrig, Bon
da am erholen ſich denn auch die Kulis ſchneller; aber ob-
wohl fie gelehrig find, dauert es doch wohl ein ganzes Jahr,
ehe fie ſammtlich ihre Gelehrigkeit offen anwenden, um die
Berrichtungen fo auszuführen, wie man es ihnen gezeigt hat
mit umendlicher Geduld und Ansdaner, und mancher zeite
raubende Wechſel muß ftattfinden, ehe die einzelnen die
Stelle einnehmen, in welcher fie am meijten zu leiften ver-
mögen.
Zur Kulifrage.
Dis dahin hat ſich ihre Zahl ſchon nicht unbeträchtlich
vermindert; einige find bem Yafter erlegen, andere entlaufen,
wieder andere unbrauchbar wegen der durch nichts zu bre»
enden Störrigfeit, und fo ſchwindet dann der Factor, auf
den gerechnet war, durch Chinefen mehr und billige Kräfte
zu erhalten, immer weiter; aber der, überhaupt Kräfte
zu haben, erhält fi und das ift ſchon ein Gewinn, wenn
ſich derfelbe auch erſt nach Berlauf einiger Zeit zeigt.
Mittlerweile ift neuer Nachſchub nothwendig oder wlin-
ſchenswerth geworden und angelommen. Auf diefen übt
natürlid die Stimmung ber vorhandenen Landsleute vom
erften Moment an einen entſcheidenden Einfluß aus. Sind
fie unzufrieden, fo entfteht eine Wechſelwirkung, die in ihren
Folgen nicht allein jeden Nugen in Frage ftellt, fondern
auch den Ruin der ganzen Organifation nad) ſich ziehen kann.
Trifft es fich aber, daß ein Theil ber fleißigften und
fparfamften Kulis gerade zu einer foldhen Zeit austritt, um
als freie Arbeiter anf derſelben Hacienda ſich anzubauen
oder von einem benachbarten Befiger ein Stückchen Yand in
Padıt zu nehmen, oder nad) einer Stadt zu ziehen, um dort
bie Keijekoften nach Haus wieder zu verdienen, jo vereinfacht
ſich die Introduction der Neulinge fehr, und es zeigen ſich
ſchon weniger unter ihnen als foldye, welche fid) darauf
ftügen, daß ihnen Speife und Tranf werben muß, ob fie
arbeiten oder nicht, Daß man in einzelnen Fällen nicht
auskommen konnte, ohne durch körperliche Züchtigung ein
Exempel zur ſiatuiren, iſt auch leider allzurichtig, aber — dent
man doch ſogar in England daran, die Prügel gegen Bru—⸗
talitätsvergehen wieder einzuführen — und bei freien Brir
ten —, während wir bier ſicher nur bie weniger guten
Repräfentanten des chineſiſchen Pöbelüberfluffes befommen,
bie auch zu Haus nicht anders zu regieren waren. Daß
man aber hieraus in Europa folgert, daß die peruanifchen
Kulis jo ſchlimm oder noch ſchlimmer, als Sklaven, behan-
beit wirben, ift unverantwortlid); denn wie fann man vore
ausfegen, dag Jemand, deſſen Guterwerth nur von der An«
zahl Yeute abhängt, die er zur Bewirthſchaftung feines Bodens
aufbieten kann, diefen auf muthwillige Weiſe thöricht zu
vermindern trachten jollte dadurch, da er die Arbeiter, bie
ihm viel Geld und Mühe gekoftet haben, mißhandelt und
zum Dienen unfähig macht. Außerdem liegt Mar auf der
Hand, daß fein Gutsbefiger fein wohlverftandenes Intereffe
fo jehr hintanfegen wird, daß er ſich die Möglichkeit abs
fchneidet, flir feine abgehenden Arbeiter gleich brauchbaren
Erjag zu erhalten; denn die neu angelommenen Kulis poten«
ziren nur die Stimmung, welde fie vorfinden , diefelbe mag
gut oder ſchlecht fein.
Soweit wäre aljo anzunehmen, daß die Berichte über
Kuliſtlaverei zum allermindeften außerordentlich übertrieben
find; aber mehr als das, fie find unwahr, und Beweife fin-
det man überall in Peru vom Gegentheil der behaupteten
ſchlechten Behandlung der chineſiſchen Arbeiter. Doc muß
ich, da das Wort „Kulifflaverei“ uns hier häufig in euro⸗
pälfchen Zeitungen entgegentritt, aud; noch Ciniges über
unfere frühere Sklaverei einfchalten.
Es ift befannt, daß unter dem fünf eurdpäifchen Natios
nen, welche Golonien durch Sklaven bearbeiten ließen, die
Spanier es waren, welche ihnen die menſchlichſte Behand«
lung zu Theil werden ließen. Diefer Umſtand ift auch bei
der Aufhebung der Sklaverei in den Staaten der Weftküfte
Sidamerifas der Grund gewelen, daß fich diefe fociale Re—
volution vollzog, ohne nur irgend welche momentane Bewe
gung bervorzurufen. Die meiften der Emancipirten, beſon⸗
ders aber die Hausfllaven, blieben ruhig bei ihren Herren;
benn fie wußten ja aus eigener Anſchauung, daß fie es
„draußen“ nicht bejjer haben wilrben; ja viele fühlten ſich
Zur Aulifrage.
unglüdlich, daß fie das Haus und die Familie oder das Gut,
wo- fie geboren und aufgerwachfen waren, ſich verheirathet und
Kinder erzogen hatten, verlaflen follten ; fo daß eine Menge
ber fortgefchteften fogar in aller Küirze zurlidtam, befonbers,
wenn fie im äußern Leben Entbehrungen oder harte Worte
hatten hinnehmen mitffen. Heute noch findet man im Ins
nern von Peru, Bolivia und Chile Haushalte, bie eine Anr
zahl Diener befigen, welche ohne beftimmten Lohn zu erhal
ten dem Ganzen gleichſam wie Feibeigene angehören, und es
wird im jeber Weiſe fitr fie geforgt. Sie arbeiten um Nah:
rung, Kleidung und Wohnung. Nicht felten aber bringt
auch ein früherer Sklave, nahdem er einen felbftändigen
Haushalt gegründet und feine Familie ſich ſtark vermehrt
hat, Kinder in das Haus feines frühern Herrn, ober die
Frau ein Mädchen zur Herrin, damit diefe das den Söhnen
ober Töchtern des Hauſes werden, was fie felbft dem Herrn
oder der Herrin geweſen find — Leibeigene,
Beifpiele der rührendften Anhänglichfeit finden ſich täglich,
und noch vor wenigen Jahren wies die Erecution der Stus
benten in Havanna ein foldyes von Sflaventreue bis in den
Tod auf. Ein Sklave ließ ſich mit feinem jungen Herrn
erſchießen, den er als Kind auf den Armen getragen. Skla⸗
ven oder folche freiwillig Peibeigene, die ganz gleiche Tradie
tionen haben, betrachten ſich aber auch, wenn fie mit ihrem
Herrn etwa nad; Europa kommen, mit ganz anderen Augen
Pr die find, mit denen fie auf die gemietheten Diener herab»
chen.
Wer ſolche Berhältniffe fennt, d. h. tiefer in fie einge
drungen ift, hat ficher ſchon oft die Worte vernommen:
„Jener ift ein bezahlter Diener; ihn wechfelt man, wie ein
Hemd! Mic, aber kann Niemand fortichicen; ich gehöre
ier —
her.
Und ſolchen Thatſachen gegenüber, welche den hiſpano—
amerifanifchen Charakter in diefer Richtung jo klar fennzeich«
nen, wird num über grauenhafte Behandlung der Chinefen
in Peru von Lenten gefchrien und gefchrieben, die die Si—
tuation nur von Hörenfagen kennen, Der Nationalharal-
ter einer Bölfergruppe ändert fid) doch wohl nicht innerhalb
einiger Jahrzehnte!
Daf vor 1860 ein junger Wuſtling aus dem Norden
ber Vereinigten Staaten, der fid) plötzlich durch den Tod
eines entfernten finderlofen Berwandten im Süden im ben
Befig eines großen Gutes und eines Sflavenftandes von
Hunderten verfegt fieht, diefe als fein unumfcränftes Eigen:
thum betrachtete und aus Uebermuth und Aerger Grauſam—
feiten beging und begehen lich, weil er nicht meben feinen
Schwarzen aufgewacjlen war und fie nicht ſchätzen gelernt
hatte, ift wohl erflärlic); aber das fpanifche Südamerika
kannte und kennt nichts derartiges,
Seit der Einführung der Kulis hier ift num ein Jahr—
zehnt verflofien und man kann die Nefultate überſehen. Es
geht und wie Britijch Guyana, wenn aud nicht mit ber:
jelben Schnelligleit. Ebenſo ift der Nüdfluß der Chinefen
nad; ihrem Himmlifchen Reiche nicht fo bedeutend wie dort.
Die vielen freien Kulis, welde man in den größeren Stäb-
ten Perus findet, wo fie einen Faden befigen ober irgend ein
anberes ſcheinbar Meines Geſchäft treiben, ober an ber Küſie,
wo man fie als Matrofen, meift als Köche antrifft, feuern
die Neuangelangten an, ihrem Beifpiele zu folgen, und fo
bildet ſich nad) und nad) ein eigenthitmficher Auwadıe ber
Bevölferung Perus heran; denn faft alle diejenigen, welche
dahin ftrebten, nach Erwerb eines Heinen Capitals zuriid-
zufehren, haben fid, bis zum Erreichen dieſes Ziels jo ein-
gewohnt und eingewöhnt, daß fie zu bleiben vorziehen. Und
betrachtet man ihre Geftalten gegen die von „friſch Impor-
tirten“, fo ftellt ſich eim redyt bedeutender Unterfcieb zu
45
Gunften ber erfteren heraus; Peru bietet ihnen beffere Nah—
rung als China, oder wenigftens reichlichere.
Wer die Strafen von gewiſſen Stabtvierteln in Pima
durchwandert, kann viele Hunderte von chinefiichen Gefchäfts
hen umd Läden fehen, namentlich; aber Kochbuden, welche
eine ganze Reihe von Gerichten barbieten, die einem Chriften
freilich nicht zufagen würden; denn fein zubereitete Ratten,
Bundefricaflöe und dergleichen reizen unfern Gaumen nicht;
wohl aber werden fie von den Kulis, bie in ber Nachbar—
Schaft als ZTagelöhner ober Handwerker oder Hausdiener
bejchäftigt find, mit Wohlbehagen zur Effenszeit verfpeift,
Erfundigt man fich bei foldhen Leuten, ob fie nad, China
zurüdfchren wollen, fo fommt zwar keine directe Verneinung
diefer Frage hervor; aber man findet ſehr bald heraus, daß
fie nicht daran denken, Peru zu verlaffen und ſich der Heis
mathlichen Mifere, Prügelftrafe und Tortur wieder freiwillig
zu nähern,
Die Regierung überwacht die Behandlung der gemiether
ten und freien Chinefen mit möglichft ſcharfem Auge. Schon
ie eigenes Interefie zwingt fie dazu, abgefehen von ben
Humanitätäprincipien. Ein Kuliaufſtand, wenn aud nur
partiell, witrbe nur ſchwer zu unterbrüden fein; denn fiehen-
bes Heer ift nicht raſch genug an die bebrohten Punkte zu
ſchaffen, und die Miliz bedarf aud) längerer Zeit, um ein-
greifen zu lönnen. j
Wäre nur ein Viertel der Graufamfeiten, deren unfere
Gutsbefiger im Auslande beſchuldigt werden, wahr, jo läge
bei den Sechszigtauſenden von gemietheten und freien Kulis, die
wir haben, auf den Haciendas fein Stein mehr auf dem andern.
Freilich würde es den Behörden noch leichter fein, ihre
Intervention da, wo fie nöthig wäre, mit Erfolg anzumen«
den, wenn bie chinefifche Sprache und Religion ſich nicht
eines Eindringens in diefelbe entzöge; jedoch ift dieſer Um⸗
ftand, der anfangs fehr hemmend war, ſchon fo ziemlich bes
feitigt, weil die älteren Kulis Spaniſch gelernt haben und
als Dolmetfcher dienen.
Die Kulis erhalten für acht Jahre freie Station, Woh-
mung, jährlich zwei vollfländige Anzüge und 8 Dollars
— 32 Marl monatlid. Diefe Daten find im Bergleich
zu dem was man in Deutjchland zahlt, hinreichend, um zu
beweifen, daß feinerlei Erprefjung und Uebervortheilung
ftattfinbet,
Denn die Regierung aljo die Immigration von chine—
fifchen Arbeitern unter folhen Bedingungen nicht allein
duldet, fondern auch protegixt, fo thut fie mur ihre Pflicht
dem Lande gegenüber, und es zeigt von großer Kurzſichtig ·
feit, fie zu verurtheilen ohme die Lage zu kennen.
Die chineſiſchen Beamten, weldye feit 1870 öfters hier
eingetroffen find und das Innere des Landes bereiften,
müffen doc; nicht fo unglinftig, als das prilde philanthro-
piſche Europa, ſich ausgeſprochen haben; denn fonft würden
nicht die legten Verträge zwifchen Peru und China, die ulis
einwanderung ep Stande gelommen fein *).
Wie viele wichtige Arbeiten wären nicht hier, wie in
Californien, ohne die Anwendung von dhinefischer Hlilfe
direct oder indirect durch Freimachen anderer ſchon vorhan-
dener Kräfte, unmöglich gewefen — und nun, nachdem das
weiße Element dort erjtarkt ift, will man fie wieder vertreis
ben. Schwerlic, wird ein folder Fall bei uns eintreten;
wir find für Jahrhunderte noch überreich an Yand, aber
biutarm an Bewohnern.
ebenfalls befinden ſich die Chinefen in Peru viel beſſer
*) Im Zumi 1875 bat ber peruanifche Congreß jährlih 160,000
Dollars für eine regelmäßige Dampferverbindung pwiſchen China
und Perw bewilligt, um bie freie Ghinefeneinwanderung zu fördern.
Rev.
46 Hermann Meier: Skizzen aus Seeland.
als zu Haufe, als in Auftralien, Brafilien und Californien;
man lyncht, man bett, man tödtet fie nicht wie in legterm
Lande, und man behandelt fie nicht granfam, wie jo oft bes
hauptet worben ift; ihre Herren würden fich dadurd) ſelbſt
ſchaden, fie würden ihren Nationalcharafter verleugnen und
fie wiirden von der Regierung beftraft werben. Denn man
bedarf ihrer zur Entwidelung ber Hllfsquellen des Landes.
Wohl aber ſcheint ed, daß man in Europa eine neue
Auflage von „Onkel Toms Hltte* nöthig hat und ben
Schauplag dafilr doc yicht gut mach Yändern verlegen Tann,
deren Berhältniffe durchſichtiger find, als die des Innern
von Peru, das noch nicht jo durchforſcht ift, wie die Küſten⸗
gegenden anderer Kontinente, welche Kulis aufgenommen
be
tt. “
Welchen Einfluß die Vermiſchung ber vierten Race mit
ben. dreien fchon hier vorhanden gewefenen auf fünftige
Generationen haben wird, ift noch nicht zu beurtheilen;
brauchbare Menſchen aber, welcher Race fie auch angehören
mögen, find uns ftets willlommen. Jeder intelligente und
arbeitfame Einwanderer wird von Peru mit offenen Armen
empfangen und fann, wenn er nicht mit einer großen Schul«
denlaſt das Land betritt, fehr bald bei verhältnigmäßig
bequemem Leben zum Wohlitand gelangen.
Nicolas Rufde.
Skizzen aus Seeland.
Bor Hermann Meier in Emden.
*
Der Untergang von Reimerswacl,
Wer eine miederländiice Landſchaft im ihrer ganzen
Eigenthümlichfeit kennen und ſchätzen lernen will, ber befuche
in erfter Stelle Seeland, Er durchlreuze die Gegend, laſſe
fi) nieder an den Herd der Yanbleute, verfchmähe die Her
bergen der Dörfer nicht uud folge der freundlichen Einladung
in die Salons der Degliterten.
Wir beftiegen in Antwerpen das nad Bliffingen
beftimmte Dampfſchiff. Kräftig trennte es die Wellen bes
ſtets breiter werdenden Fluſſes. Vor und die weite Waſſer-
fläche, links und rechts bämmernde Ufer, Die Eonnenftrah-
len tanzten und glänzten auf den murmelnden Wellchen des
föniglichen Stromes; der frifche Seewind wehte uns Klih—
lung ins Antlig und vor uns breitete fid) ein endlofer Horis
zont and. Ab und zu jah man einzelne vothe Dächer, die
ſich um einen fpigen Thurm gruppirten; eine Stadt, ein
Dorf ſchimmerte im der Ferne und verftedte ſich gleichſam
hinter niedrige, grüne Deiche: das Land ift hier nichts,
das Waller alles. Der Strom ift ſchön, wenn der leichte
Schaum feiner filbernen Wogen von der Sonne geküßt wird;
er ift furchtbar, wenn fein dunleles Waſſer ſich aufthürmt,
und der Menſch in feiner Ohnmacht weichen muß.
Im Wappen Seelands heißt e8: „Luctor et emergo*
(„Ringen und Siegen“)! Diefe treffenden Worte befagen
die ganze Geſchichte dieſes Landes, diefes Volles. Luetor
et emergo, — das war Seelands Loos und Beftimmung
von Anfang bis heute. Trog aller Wunden und Berlufte,
trog aller Angft und Noth ift Seeland noch heute da. In
dem weiten Bufen, wo Rhein, Maas und Schelde ihre Waſ—
fer vereinigen, findet man viele Injeln und Sandbänfe. Sie
find nad) und nad) entftanden, und Jahrhunderte lang be
durfte es, die grame weiche Sandflädye dem Ocean zu ent«
reißen. Nach und nad) erhöhte ſich die Meine Stelle, fie
beffeidete fich mit Orlin; aber in dem hohen Schilf hauſte
lange noch die liftige Otter; auf den feuchten Weiden hüpfte
der Kibitz und niftete die Lerche; und Über den Waſſern und
den gelben ſandigen Ufern ſchwebte die Möve in weiten Krei—⸗
fen. Von höherm Leben noch feine Spur. Es fam der
Menſch; er filchte, weidete feine Rinder, pfliigte den Boden ;
verfcheuchte die thierifchen Feinde, baute ſich feſte Wohnun-
gen, errichtete feine Altäre, vermehrte fich und kämpfte mit
den Wogen des Oceans, bis diefe Haus und Hof vernichteten
und die Bewohner auf ben Boden des Meeres betteten.
Aber der Kampf hatte begonnen, um nicht mehr zu enden.
Fuß um Fuß entriß man in jahrhundertelangem Streit dem
Meere. Aus dem fchlammigen Anwachs wurden Polder;
die Jufeln vergrößerten ſich, die breiten Ströme wurden
ſchmale Flügchen; das Feſtland breitete fich immer mehr aus,
und fiets Meiner wurde das Gebiet der See. Wo früher
das Salzwafjer braufte und die Schiffe fuhren, da prangen
jegt Häufer mit Gärten und Wiefen, dort grajen die Rins
der, dort wogt das goldgelbe Korn!
Uber das Meer ift ein (Feind, der nimmer ſchläft, der
feine Ruhe geftattet, der immer bereit ift, das zuräczunehmen,
was er mur gezwungen hergegeben hat. Seeland kennt feine
Kraft, es kennt die Gewalt feiner Wafler, bie es an allen
Seiten umringen, bie feine Infeln einschließen. In dem
Gedächtniß feiner Bewohner lebt noch die Erinnerung an
manchen jchredensvollen Tag, am mancde lange Nacht.
Wenn die aufgewühlte See mit donnerndem Kriegsgeſchrei
ihre Wogen gegen die zitternden Deicye jagte, bis fie end—
lic, brachen und zerriffen und das wilde Waller triumphirend
ins Yand hineinftrömte, um in einem Augenblide alles zu
vernichten, was veger Fleiß und zähe Geduld erarbeitet hatte,
dann wurde aus dem fruchtbaren Yande wieberum eine fal-
zige Fläche.
Aber das Ringen begann von Neuem, und um die
Frucht jahrelanger Arbeit, die oft in wenigen Augenblicken
verloren ging, auch nur theilweife wieder zu erlangen, be—
durfte es nicht felten Jahrhunderte. Noch jegt ſieht man
viele traurige Denkmäler folder Siege des unbezähmten
Elements: die grauen Flächen, halb Schlamm, Halb Waſſer,
die ſich nur von Zeit zu Zeit faum über die Wellen erheben ;
die weichen Sandbänke, in denen der Fuß, wenn er fie uns
vorfichtiger Weiſe betritt, oft rettungslos verfint. Man
nennt dies „ertrunfene® Yand*, Es ift eine nadte Wildniß,
eine namenloje Fläche, die weder dem Lande noch dem Waj-
fer angehört. Uber Geduld nur, auch hier wird ber
ſchlitzende Deich den reifenden Anwachs umfchliegen, auch
hier wird der Menſch fein verlorenes Eigenthum zurlickneh⸗
men; dann wird wieder Leben und Wohlſtand blühen, bis —
ja bis das Alles vielleicht nochmals verſinkt, um abermals
feine Auferſtehung zu feiern. Luctor et emergo!
Eine der treffenditen Epifoden im dieſem langen Ningen
ift wohl der Untergang von Reimerswael, der uralten
Stadt an ber norböftlichen Küfte von Sud⸗Beveland,
Hermann Meier: Stizyen aus Seeland. 47
an dem linken Ufer der Oftichelde +). Allmälig vom Weis
fer zum Dorf, vom Dorf zum Flecken geftiegen, wurbe es
1374 vom Grafen Herzog Albrecht von Bayern zum Range
einer Stadt erhoben und mit einer Mauer umgeben, Gie
gewann raſch an Macht und Wohlftand und gehörte bald
u den ftimmberechtigten Städten Seelands, die das Recht
tten, Deputirte in die Regierung der Örafjchaft zu enden.
Troß vieler Übermüthigen Verirruugen und Uppiger Freiheits
fucht blieb ihr doch die Gunft der Pandesherren bewahrt.
Zu Anfang des 16. Jahrhunderts hatte fie ihre Glanz:
periode erreicht; 1525 vergönnte ihr Kaiſer Carl V., daß
ihre Schöffen ftatt dreimal wöchentlich, im Jutereſſe der Kauf:
leute täglich Gericht abhalten durften. Gewiß ein Beweis
für dem lebendigen Verkehr der blühenden, reichen, üppigen
Handelsſtadt. Reichlich 20 Jahre fpäter, 1549, huldigte
man in ihren Mauern König Philipp mit Pracht und Pomp
als Grafen von Seeland: aber fon damals hatte fie der
erfte Schlag des unerbittlichen Scidfals getroffen, welches
fie endlich verderben ſollte.
Der 5. November 1550 war wieder einer jemer fchred:
lichen Tage in der Geſchichte Seelands, an dem ein heißer
Kampf mit dem unverföhnliden, unermüdlichen Erbfeind
durchgefochten werben mußte. Diesmal galt. er befonders
Süd-Beveland, welches faft ganz iberftrömt wurde, und
von dem man einen Theil den Wellen zurüdgeben mußte.
Der erteunfene Theil von Sud-Beveland, welches nod) heute
feinen Rüden eben Über das Waffer erhebt, zeugt noch ftets
von diefem fchweren Tage. Freilich blieb diesmal die Stadt
mod; verſchont, aber fie verlor ihr ganzes äußeres Gebiet
und damit eine der Hauptquellen ihres Beftehens: bie
Saline Aber der grimmige Feind ruhte nicht. Im
Jahre 1551 wiederholte er feinen Angriff; der Deich, der
die Stadt und den unmittelbar daran grenzenden kleinen
Bolder ſchützte, fiel ihm zum Opfer; das Waller ftrömte in
die Stadt, ftieg bis 12 Fuß hoch in die Kirche, verwüſtete
eine ganze Straße und vernichtete alle Seewehren. Freilich
wurde mit Mühe und großen SKoften der Deich wieber her
geftellt ; faum aber war es gefchehen, ald am 2. und 3.No-
vember 1555 ein neuer Sturm den Deich zerftörte und bie
ganze Umgegend unter Waffer ſetzte. Darf es uns Wun—
der nehmen, daß die Bürger von Neimerswarl den Muth
finfen ließen und den Deic) nicht wieder erneuerten? Da
lag fie num, die dem Untergang geweihte Stadt inmitten ber
Waſſer, nur noch durch ihre eigene Ringmaner. befchligt.
Aber biefe Mauer — fie mochte im Stande fein, gegen feind«
liche Banden Schug zu verleihen, war aber gegen den Feind,
ber jet die Stadt bedrofte, zu ſchwach. Wiederum in Sa:
nuar, im Jahre 1557, blies der heulende Orcan das Zei—
den zum Sturm. Da rüdten fie heran die wilden Reiter
ſchaaren, die ſchäumenden Wogen, und warfen fi mit
unmiberftehlicher Gewalt auf die erjchlitterte, bebende Mauer.
Was half Widerftand? Die Mauer ftürzte zufammen, ber
fiegende Feind rafte in die Stadt und verwüſtete in wenigen
Stunden Kirchen und Klöfter, das Rathhaus und den größ-
ten Theil der Häuſer — das ſchöne Reimerswael glich faft
einem Scutthaufen. Trotzdem gab man den Muth nicht
gänzlich, auf, raſch legte man die Hand ans Werk und baute,
was zu bauen war. So flieg fie wieder empor, die ſchmäh—
lich mißhandelte Stadt. Aber fiehe! am 31. Auguft des
folgenden Jahres legte eine Feuersbrunſt drei Viertel ber
Stadt in Aſche. Die traurige Geſchichte ift noch nicht zu
Ende. Im Februar 1561, im December 1563 ermeuerte
der alte Feind feine Angriffe und hinterlich jedesmal die
gräßlichen Zeichen feines Siege. Wettungslos und hülfs
*) @lobus XXVII, ©. 129.
108 gab die arme Stadt den ungleichen Kampf auf. Ihren
unvermeidliden Untergang vor Augen , ohnmächtig denfel-
ben abzumenben, baten fie die Regierung von Seeland, den
königlichen Statthalter, den Prinzen von Oranien, um Hülfe.
Man ſchloß das Ohr für den Nothſchrei der Sterbenden und
gab nur die fühle Ermahnung, ſich jelbft zu helfen, wie man
am beften fünne. Sich felber helfen! Aber ihr fehlte alles,
denn von ihrem frühern Wohlftande war feine Spur mehr
u finden; nur faum und mit großer Mühe lonnte fie den
eſt ihres arınfeligen Dafeins gegen ben Feind verthridigen,
den fie jegt auf Gnade oder Ungnade überliefert war. Und
diefer, jetzt feiner Beute gewiß, beeilte ſich nicht; er hatte
feine Haft, um die verlorene Stadt zu verderben: mit ſpöt⸗
tifcher, neckender Grauſamleit überließ er fie ihrem unvers
meiblichen Yoofe, ihrem langen Todeskampfe. Von nun
an feine neue Waſſerfluthen mehr, feine gewaltigen Kämpfe
auf Leben und Tod: nein, ein langſames Hinfiehen, bes
fördert durch andere Unglüdejchläge. Es waren ſchwere
Zeiten für Holland angebrochen und Seeland erhielt davon
nicht den geringften Theil. Sud⸗-Beveland von den Spa»
niern befegt, aber von allen Seiten durch die Schiffe der
Genfen umringt und bedroht, litt ſchmerzlichſt unter der Yaft
des Krieges. Am Ende des Yahres 1573 griff eine Abthei⸗
lung ber Geufenarmee Reimerswael an und befegte es nad)
kurzem Widerflande. Aber was wollte man mit ber erobers
ten Feftung machen? Sie felbft zu halten, war unmöglich,
dem Feinde wollte man fie nicht überlaffen, und fo wurde
die arnıe Stabt von der rohen Bande in Brand geftedt und
dann wieder verlaflen.
Seitdem ſank fie allmälig tiefer und immer tiefer. Ohne
äußere Wehr, entvölfert, zu einem Heinen Dorf zufanmmen-
geſchmolzen, verzichtete fie in ihrer tiefften Erniedrigung auf
den Hang einer Stadt, auf ihr Necht, mit dem vier anderen
Städten Seelands an der Regierung Theil zu nehmen. Im
Elend und Armuth friftete fie ihr fümmerliches Dafein bis
zum Jahre 1631. Im September diefes Jahres wurde in
dem benadjbarten Slaal das merhwlrdige Gefecht zwiſchen
der fpanifchen und ftaatifchen Flotte geliefert, im der eine
große Anzahl Spanier gefangen genommen wurde. Etwa
4000 derfelben legte man in das abgelegene Dorf, welches
einft Reimerswael gewejen war, aber die wenigen, armen
Dewohner verließen num ihre Wohnftätte und zogen meiftens
nad; Tholen. Die einft fo blühende Stätte blieb num den
Winden und Wogen zum Naube, bis endlich 1634 auf Be«
fehl der Generafftaaten die Pflafterfteine — dies war alles,
was von ber frühen reichen Handelsſtadt zurüdgeblieben
war — in öffentlicher Auction filr etwas mehr als 1000 Gul⸗
den verfauft wurden.
Das war das Ende von Neimerswael; für fie galt die
alte Devife nicht; fie hatte gerungen, aber fie war befiegt.
Und nod) heute, wenn zur Ebbe die gelbe Saudfläche ſich
troden legt, ertennt man die Stelle, wo einft bie Stadt ftand,
die Fundamente der weggeſplilten Häufer, die Richtung der
verſchwundenen Straßen.
Diefe Stadt ift nicht die einzige, die im folder Weife
bier unterging. Unter der ruhigen, lachenden, ftrahlenden
Oberfläche diefer breiten Wafler fchläft mander Ort, man—
ches Dorf, mander Weiler. Doch was aud in dem harten
Kampfe verloren ging, mehr noch wurde erhalten und ger
wonnen.
Das Bolt, das diefe Gegend bewohnt, trägt den Stem⸗
pel feines Landes, Es ift offen und gerade, freiheitslichend
und unverzagt bis zur Bermeflenheit, unternehmend und
Hug. So hat e8 ſich in den beften Tagen feiner Geſchichte
gezeigt und auch jet noch hat es diefe Tugenden nicht ganz
verloren. Bon Kindesbeinen an mit bem Waſſer vertraut,
48
welches fie von allen Seiten umgab, fühlten die behenben,
kräftigen Bewohner fid auf dem Meere ebenfo heimifch, wie
auf dem Lande: Fiſcherei, Seefahrt, Handel, auch Kaperei
waren vom jeher ihre liebſten Beſchäftigungen. Matrofen
von hier bildeten einen großen Theil der Flotte; eine ganze
Reihe der ausgezeichnetſten Seeoffiziere und Geehelben
ftammte aus Seeland. In den bangen Jahren des adhtzig-
jährigen Krieges blieben die Bewohner Seelands nicht zus
rüd, und diefe Gewäfler und Infeln waren Zeugen mancher
Heldenthat, manchen blutigen Kampfes, Mit ihren leichten
Booten ſchwärmten fie = den Flüſſen und längs der Kü—
ften umher, fie faßten den Feind, wo fie ihn fanden. Auch
auf diefen Gewäſſern hat es in jenem achtzigjährigen Kriege
geſchäumt, gebonnert und geſtürmt; unter allen biefen Strö:
men, Flüſſen und Bächen ift faft fein einziger, der wicht
Aus allen Erdtheilen.
mehr als einmal von dem Blute der Freunde und Feinde
voth gefärbt wurde, So wurde ber der See entrungene
Boden, der ftetS vom Untergange bedroht und darum aud)
fo innig geliebt wurde, aud) von dem Joche der Fremden
befreit. Denn folder unvechtmäßige Zwang ift unerträglid)
für den Augen freien Mann, der nach jahrhundertlangem
Ringen mit der Natur fich feine Heimath felbft erichaffen
hat. Es waren gewaltige Feinde, diefe Waflerlöwen, und
daß nicht mit ihren zu fpotten, haben Spanien, England
und Frankreich erfahren. Aber e8 waren auch treue Freunde,
bie das Herz auf der Zunge trugen, deren empfänglic)es
Genlith Für die ebelften und fanfteften Eindride ſtets offen
war. Es waren echte Söhne ihres Landes: einfach umd
freundlich, matirlid) und fanft; aber zum Horn gereizt,
war ihre Kraft eben jo furchtbar, wie ihre Rache ſchreclich.
Aus allen Erdtheilen.
Aus Sübdauftralien,
— Die werthvollfte Kupfermine auf dem auftralifchen
Continente ift die auf Yorle Peninſula, Süd-Anftralien, ge:
legene Moonta. Dielelbe bat feit ihrer Entdeckung im
Jahre 1862 ihren Befigern bereits einen Neingewinn vor
912,00 Pf. St. abgeworfen. Das Bergwerk liegt auf Kron-
landgebiet, und der Pachtcontract, welcher in dieſem Jahre
ablief, wurde, nach den Beftimmungen des Minengeletes,
auf weitere vierzehn Jahre gegen Zahlung von 10,320 Pf. St.
verlängert.
— In Sübdauftralien ſcheinen fich leider die Jeſuiten
und das Nonnenmwelen zu verbreiten. Am 5. September
wurde im Kenfington bei Adelaide der Grunbdftein zum
Mutterhaufe der „Sifters of St. Zoleph* gelegt, die ſich
nicht bloß auf Südauftralien beſchrünken, jondern auch in
den übrigen Golonien Filiale ftiften wollen.
— Im füdauftraliichen Parlamente wurde am 8, Sep:
tember 1875, bei Erörterung einer Geſetzesvorlage gegen
Sittenlofigkeit, die Erflärung abgegeben, baf ein Zwölftel
der ganzen 28,030 Seelen betragenden Bevölferung der Haupt:
ftabt Adelaide ſyphilitiſch inftcirt fe. Man berief ſich da—
bei auf das ausbrüdliche Zeugniß des dortigen renommirten
Arztes Dr. Peel, jowie auf die gravirenden Ausjagen des
Bolizeivorftandes. Wenn das wahr ift, jo wäre ja Mdelaide
gewiffermaßen mit Sodom und Gomorrha vergleihbar! Wir
find über diefen Wechſel nicht wenig erftaunt. Ju früberen
Jahren, ald wir noch in Adelaide lebten, galt diefe Stadt
— und das mit vollfommenem Rechte — im Allgemeinen für
einen Ort ftrenger Sittlichfeit und guten Unftandes, und
zeichnete fich in diefer Bezichung vor anderen größeren Städ-
ten Auftraliend, namentlich Sydnen, vortheilbaft aus.
— Nah officiellen Angaben mehrt ſich der Bauperis-
mus in Siüdauftralien in bedenklicher Weile. Am 30. Juni
1875 belief fich die Zahl derer, welche aus öffentlichen Mit-
teln erhalten oder unterftügt wurden, auf 2554 gegen 2426
im Vorjahre, bei einer Bevölkerung von 206,476 Seelen.
Dies würde einen Procentfat von ungefähr 1Y, ergeben.
— Das Minifterium, welches fi unter Führung des
eminenten Staatsmannes Mr, James P. Boncant „das
Ministerium der progreffiven Bolitif" nennt, erhielt vom Parla⸗
mente die Bewilligung au einer neuen Anleihe in der Höhe
bon 3 Mil. Pf, St. Davon follen 2,200,000 Pf. St. für
den Bau von 550 Miles Eifenbahnen mit einer Spurweite
von 31, Fuß verwendet werden, welche theils in ben joge:
nannten Far Nortb, nörblic von Port Anguſta, theils über
die Rupferminendiftricte nad) der mordweftlichen Biegung des
Murray Fluffes (ald erfte Station einer Eifenbahnverbindung
zwiſchen Adelaide und Sydney) führen follen.
— Das in Privatbejit übergegangene Kronland ift feit
dem Jahre 1569 von 21'/, auf 28"/, (im Ganzen 5,930,020
Acres) und das unter Eultur befindliche Land von 424 auf
61, Acres (im Ganzen 1,350,000) pro Kopf der Bevölkerung
geftiegen.
— Die Regierung hat mit der „Cable Eonftruction and
Maintenance Company“ in London einen Contract abgelchlof-
fen, demzufolge legtere im nächlten Jahre cin Kabel zwiſchen
Gape Jervis, an der Südipige des Hindmarih:Diftrictes, und
der Kangaroo Island legen wird.
Leihhardt:Spuren. Der Arzt Eduard Schneider in
Tambo, einem Heinen Flecken am Barcoo⸗Fluſſe im Mitchells
Diftricte, Colonie Queensland, berichtete im Auguft 1875 an
den Botaniker Dr. Müller in Melbourne, man babe jenfeit
Tambo im wilden Buſch ein Grab entdedt, in welchen bei
der Eröffmeng Knochenreſte fich befunden, die Weißen m:
gehört hätten. Vor nicht langer Zeit wäre nicht weit davon
eine Pulverflaiche aufgefunden, und etliche Bäume im der
Nähe hätten die Juſchrift L. L. — Unter folchen Umſtänden
darf man wohl annehmen, daß dort zwei Gefährten der
Leichhardt’ichen Erpedition geftorben und begraben feier.
Barrar.
Wie bald Aeghpten von der Erlaubniß des Sultans, fich
um Peila herum mach Belieben Land ammectiren zu dürfen
(1. Bd. 28, ©. 157), durch die Beſetzung des Kaffeelandes von
Harrar Gebrauch machte, ift jeit einigen Wochen dur die
Tagesblätter bekannt, Yet erfabren wir dur dag „Bay
reuther Tageblatt", daß das erſte Handlungshaus, welches
in dem neuen afrifaniichen Plage ein Comptoir errichtete,
ein deutſches ift. Es ift die Kairiner Firma „Koh, Mino
u. Comp.“, welche dem Kaffee, Gummi, Myrrhe, Elfen—
bein n. ſ. w. des Somallandes feine Aufmerkfamfeit zumen-
den will.
Inbalt: Die Wüſte Atacama. III, (Mit drei Abbildungen.) Schluß.) — Richard Andree: Neugranadiniiche Alterthümer IT.
Mit neun Abbildungen.) (Schluß.) — Zur Kulifrage. II. (Schluß) — N. Latkin und Albin Kohn: Sibiriihe Zuftände. —
ermanm Meier: Skizzen aus Seeland. I. — Aus allen Erdtbeilen: Aus Sidauftralien. — Harrar. (Schluß der Redacion
5. December 1875.)
Redacteut: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. ®. Lindenftraße 15, III Tr.
Drud und Berlag von Friedrih Vieweg und Sohn in Braunfchmweig.
der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunfchweig
Yährlih 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlih 4 Rummern.
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Rummern 50 Bf.
1876.
Am Grabe des Entdeders,.
Von Franz Birgham.
An einem Januarabend des Jahres 1875 verließ ich auf
dem Meinen Schooner „Uilama* (die weiche hawaiiſche Aus-
ſprache des englifchen Namens William) den Hafen von
Honolulu, der Hauptitadt des Königreichs der Sandwich—
infeln, um nad) Hawaii, der größten und füdöftlichften Inſel
des Urchipels, hinliberzufahren.
Der Cours führt in gerader Linie nach Südoſten, wobei
die „Windward“ :Injeln Molofai, Yanat, Kahulawi und
Maui lints liegen bleiben; die Entfernung beträgt gegen 150
Seemeilen,
Der Schooner war fehr Hein; die Cajlite, mit zwei Bet—
ten Über einander auf jeder Seite, hatte faum ſechs Fuß im
Quadrat, jo daß der feine Eßtiſch kaum Play fand. Ich
war ber einzige „Cabin*-Paffagier, doch befanden fich außer
dem Gapitän, einem intelligenten hapa-haole (wörtlic)
Halbfremder, Sohn eines Weißen und einer Hawaiierin),
feinen fieben oder acht Kanala-Matroſen und dem dyinefifchen
Koch mod; gegen ein Dugend eingeborener Paflagiere an
Bord, die nad, einem Beſuche der Hauptftabt nad) ihrer
Heimathsinfel zurlidklehrten. Die Paflage fir dieſelben bes
trägt bloß zwei Dollars, doc, müſſen fie fich ihren Poi,
die Nationalfpeife, felbft mitbringen und auf Ded cams
piren.
Obgleich die Ueberfahrt durch Gegenwinde oder gar Wind⸗
ſtille oft auf ſechs bis acht Tage verlängert wird, hatten wir
zum Glucdk 4 Norboftbrife und fahen in der dritten
Nadıt das Yeuchten des Vulcans Mauna Yoa vor und am
Himmel. Am frühen Morgen lag die „Uilama“ im Hafen,
Globus XXIX. Nr, 4.
von Kailua vor Anker, einem auf fahler Lavafläche am Fuße
bes todten Bulcans Hualalai liegenden Orte, und es wurde
ein Boot voll Paffagiere und Fracht auf dem breiten Saud-
ufer gelandet. Mit leichtem Winde fette ber Schooner lang:
fam die Fahrt an bem vom vielen Dörfern und Kolospalmen
bebecften Ufer fort und bog.erft gegen Mittag in bie zwölf
Meilen füdlicher gelegene Kealafeatua- Bay, mein Reife:
ziel, ein.
Diefe, die fchönfte Bay Hamatis, Liegt faft in der Mitte
ber Weftfüfte der Iufel und fchmeidet, gegen zwei Meilen
(engl.) breit, mit geraden Ufern tief ins Land hinein. Ein
faft ſenkrechter Pali (Abhang, Abfturz) von 500 Fuß Höhe
ichließt fie auf der Yandfeite ab und macht jede Landung an
den vom weißen Schaum ber brandenben Wogen bedeckten
Helfen unmöglic; auf beiden Seiten dagegen läuft das Yand
in niebrigen lächen ſchwarzer Lava aus, fpärlich mit Grup⸗
pen von Kolospalmen und ftahligen Cactus: und Ricinus-
ſiauden bededt, zwifchen denen man hier und da die dunfels
grauen Hütten einiger Kanaka-Dörfer erblidt.
Einer neuern Theorie zufolge ift die Bay ein nad)
bem Deere offener, enormer, hier verfunfener Krater, und
zwar leiht das fenfrechte, alle Merkmale anderer hawaiiſcher
Krater aufweifende Bali auf der Landſeite, ferner eine quer
über die Einfahrt zur Bay laufende Sperrbanf ober Untiefe,
fowie auch die bedeutende Tiefe des Waſſers diefer Anficht
viel Wahrfcheinlichleit, um fo mehr als auch wirklich ein
Heiner Zavafegel zwei Meilen nördlich bei dem Orte Nawawa
am Meeresufer ſieht.
7
50 Franz Birgham: Am
Mittlerweile hatte die „Uilama“ die Gegel eingenommen
und war langfam bis zu der fehon im „Globus“ (XXII,
©. 287) erwähnten Boje getrieben, an die fie mit Ketten
befeſtigt wurde. Diefelbe beftcht aus einem großen, rothe
angeftrichenen Dampffeffel, der, waſſerdicht gemacht, mitten
in der Bay feftgeanfert liegt. Das Boot wurde herunter
gelaflen, die flir dem Hafen beftimmten Paffagiere und Waa-
ren hineingebradjt und bald ſchoß es mit und, durd) die Fräfr
tigen Arne von vier unferer braunen Matrofen gerudert,
bem finfen (mörblichen) Ufer zu, auf das Dorf Kaawaloa los.
Daſſelbe befteht, wie alle Meinen hawaiiſchen Ortſchaften,
aus einer Anzahl Hütten, funftvoll aus Pili-Gras oder Lau—
halas (Pandanuss) Blättern geflodyten und von Kokospalmen⸗
gruppen und Mauern aus unbehatenen Yavaftiiden umgeben.
Auf der nad) links auslaufenden Yandipige fteht ein Meiner
Leuchtthurm, defien Licht (eine Oellaterne) aber nur in Nädı
ten, im denen der fleine interinfulare Dampfer „Kilauen“
ersvartet wird, die Einfahrt beleuchtet. Auf dem Fleinen
hölgernen, mit Steinen gegen bie Brandung beſchwerten Werjt
ftand eine Gruppe Eingeborener, fowie aud) einige weiße
Anfiedler diefes die Bay umfafienden Diftrictes Kona.
Grabe des Entdeders.
Mir fliegen ans Fand. „Auf dieſer Stelle,“ fagte der
neben mir ftehende Capitän der „Uilama“, und deutete auf
einen großen, flachen Lavaſelſen, ber dicht zur Yinfen des
MWerfts, theilmeife von der hohen Fluth bededt, im Waſſer
lag, „auf diefer Stelle ftand vor 96 Yahren Capitän Coot
und rief feinen etwa hundert Schritt vom Ufer, dort auf dem
Waſſer liegenden Booten zu, ihm abzuholen, während feine
Meatrofen auf meine Fandeleute am Ufer hier feuerten. Da
ſtieß ihm ein Häuptling fein Meſſer in den Rüden und als
er mit dem Geſicht in diefe Waflerladyen hier fiel, warfen
ſich die übrigen Krieger auf ihn und erfchluger und ertränt:
ten ihn vollenba.“
Auf feiner dritten Weltreife hatte Cook am 18. Januar
1778 den von ihn Sandwichsinſeln benannten hawaliſchen
Ardyipel entdedt (befanntlic; wird diefer Name auf Hawaii
nicht mehr anerfannt). Bon den Cingeborenen, die ciner
alten Tradition zufolge ihren Gott Lono auf einer ſchwim-
menden Infel erwarteten (noch heute bedeutet im der Yandes»
fpradje moku fomohl Infel ale Schiff) und denfelben
in Goof zu fchen glaubten, wurbe er als übernatürliches
Weſen behandelt. Im folgenden Jahre zurückkehrend blieb
a —
Coot's altes Denkmal auf der Inſel Hawaii, Originalſtizze von Franz Birgbanı.
er mehrere Monate in dieſer, der gefchügteften Bay Hawaiis,
liegen, um feine Schiffe auszubefiern. Jedoch durch feine
maßlofen Forderungen von Vebensmitteln, durch Krankheiten,
welche mittlerweile den Eingeborenen durch feine Echiffes
mannfcaft mitgetheilt worden waren, ſowie durch rlidfichte-
loſe Behandlung ber kahunas (Priefier) zog er fich bald
den Haß der fonft frieblichenden Kanalas zu. Als er end-
lic) das Holzwerk eines Tempels auf dem Eidufer der Bay
als Brennftoff abbrechen lieh und am 14. Februar den ober:
ften Häuptling als Geifel für ein ihm geftohlenes Boot von
Kaawaloo auf fein Schiff führen wollte, erhob ſich das Rolf
gegen ihn. eine legten MAugenblide, wie fie von feinen
Begleitern dargeftellt werden, dürfen als zu befannt voraus:
gelegt werden, um bier eine Wiederholung zu finden, dages
gen blirfie die hawaiiſche Werfion berfelben, wie fie mir an
Ort und Stelle mitgerheilt wurde, den meiften Leſern neu fein.
Nach derjelben führte Cook den König, einen fehr alten
Mann, an der Hand auf fein Boot zu, um ihm am Bord
feines Schiffes zu nehmen. Da drängen ſich die hawaiiſchen
Krieger vor ihn, um beide zurüdzuhelten, und einer ber
aliis (Häuptlinge) faßt Coof, der als mwerlegbar ange-
ſehen wird, feft am Arme. Unwillkürlich ſchreit der Capi-
tan vor Schmerz auf.» „Was?“ ruft der Eingeborene, „Tu
weinft, Du fühlft den Ehmerz? Die bift alfo doch fein
akun (Gott)!“ und fiößt ihm das von den Engländern
felbft eingehanbelte Eifenmeffer in den Rüden.
Dis vor wenigen Jahren ftand noch dicht am dene Fel—
jen, auf dem ber große Weltumfegler feinen fegten Arhem
aushauchte, der Stumpf der Palme, in deren Schatten er
fiel. Mehrere engliſche Kriegsichiffe, die den Ort befuchten,
befeftigten Supferplatten mit Namen und Tatun am dem:
felben. Später fand ich dieſen Etunpf als Guriofität in
Woodward's Mufeum in San Francisco aufgeftellt; die Plat
ten waren an cine andere Palme genagelt worden.
Etwas zur Redyten und zuriid vom Ufer fieht cin Denf-
mal zum Andenken an ben Entdeder. Daſſelbe wurde im
November 1874 von Ihrer Majeftät Kriegéſchiff „Scout“,
das zugleich die engliſche Expedition zur Beobachtung bes
Venusdurdgangs nad) dem erwähnten Kailug brachte, hier
aufgeftellt. Es ift dies ein hübſcher, 25 Fuß boher belief
aus Kinftlichem Sandftein und trägt auf der dem Landunge
plage zugewandten Seite des Mlirfel® die (englische) In
ihrift: „Zum Gedähtnig an den großen Meltumjegler
Gapitän James Coot R. N., der biefe Infeln am18. Januar
A. D. 1778 entdedte und in der Mähe dieſer Stelle am
14, Februar A. D. 1779 fiel. — Dieſes Dentmal wurde
Frarz Birgham: Am Grabe des Entdeders.
im November 1874 von einigen feiner Panböleute er-
richtet.“
Mittlerweile waren einige Pferde herbeigeholt worden und
unter ber trührung eines jungen, Fräftigen Kanalas verließ
ih den Yandungsplag, um auf dem breiten, ben Abhang
hinanfführenden Wege auf die andere (Sib-) Seite der Bay
B gelangen. Rechts erhob ſich das ſenkrechte Pali voller
öcer und Höhlen, in demen früher die Todten, mit Striden
von oben herabgelaflen, beigefegt wurden; daher auch ber
Name der Bay: ke-ala-ke-akun, „ber Weg der Geifter“.
Links erſtredte fich das Ufer als kahle Yavafpige ins Meer.
Nichts bezeugt befler die verheerende Wirkung vulcanifchen
Feuers, als dieſe in allen Schattirungen von Schwefelgelb
bis Duntelblau und Schwarz ſchillernden, im jede benlbare
Eoof’3 neues Drafmal” anf der
und Schilde zu ſchützen juchten, indem jie die Kugeln nicht
fannten, fondern nur den Feuerftrahl ans den Musleten fir
tödtlich hielten. Und bier wurde der Leichnam in Stücke
getheilt, nicht etwa, wie ſelbſt heute noch vielfach irrehlimlich
geglaubt wird, zum werde des Cannibalismus (deun die
Hawaiier waren nie Unthropophagen), fondern weil es uralte
Eitte bei ihmen war, die Peichen ihrer großen Häuptlinge,
und als ſolchen jahen fie Coof noch immer an, zu zertheilen,
das Fleiſch von den Knochen zu trennen und die einzelnen |
Theile jeparat zu begraben oder in Höhlen beizuſetzen.
Auf dem fanft geneigten Plateau über dem Pali ange
langt ritten wir raſch an dem Rande des legtern entlang
nad der andern Seite ber Bay. Von biefer Höhe gejehen
erichien das Wafler derfelben jo Mar und durchſichtig, daß
man bei bedeutender Tiefe und auf weite Entfernung vom
Ufer die Steine deutlich auf dem Boden wie durd) eine hell:
51
Form gefloffenen und zerborflenen Pavafelien. An einer
Stelle hatte eim fpäterer Pavaftrom fic über einen ältern
Abhang ergofien und bildet jegt fo zu fagen einen verfteinerten
Waſſerfall.
Etwa eine viertel engliſche Meile vom Ufer ben Berg
hinauf fteht bicht am Wege das alte Eoof-Denfmal, ein rohes
Deauerviered aus unbehauenen Yavablöden, in beffen Mitte
fich eine Stange mit einer Kupferplatte erhebt, deren Infchrift
berjenigen auf ben Obelisk gleich ift, mur daß Hier das Da-
tum der Errichtung 1320 lautet.
Auf diefe Stelle nämlich zogen fich die Eingeborenen mit
dem Leichname des erfchlagenen Gapitäns vor dem verhee⸗
renden {Feuer der Engländer zurüc, vor dem fie fid) vergeb-
lich durch Vorhalten ihrer mit Waſſer angefeuchteten Matten
—
Inſel Hawaii. Originalſtizze von Franz Birgham.
grüne Glasſcheibe ſehen lonute. Drüben ging es dann auf
einem fehr fteilen und ſchmalen Wgee an der fait ſenlrechten
Seite des Abhangs nad) dem Dorfe Napupu auf dem Süb-
ufer der Day hinunter. Daffelbe ift viel größer als dag
gegenliberliegende Kaawaloa, enthält aud) einige Holz⸗ und
fogar Steinhäufer und hat cine proteftantifche Kirche und
Schule aufzuweiſen.
Auch hier finden ſich noch Merkmale ans Coof's Zeiten.
Ein großer, regelmäßiger Haufen Lavaſteine von 20 Fuß
Höhe und 100 Funk im Quadrat Größe bezeichnet noch heute
die Stätte des alten Heiau (heidniſchen Gögentempels), dej-
fen Zerftörung durch Cook endlich die Geduld der Hawaiier
brach, und mehrere freisrunde Löcher in zwei demnach über
hundert Yahre alten Kotospalmen wurden mir als von den
Kugeln herrührend bezeichnet, mit denen bie englischen Schiffe
nad; dem Morde die Ortſchaften der Bay beſchoſſen und von
7.
52 Die Betichuanen.
denen mir auch eine gegen 30 Pfund ſchwere in einer Hütte
als Neliguie gezeigt wurde,
Faſt ſammiliche Theile des zerftüdelten Leichnams ihres
großen Flhrers wurden ſpäter den Engländern ausgeliefert
und von denfelben, in feine Matten gehüllt, im bie tiefen
Wafler der Bat) verfentt. Die genaue Stelle des legten
Ruheortes Cool's ift demnach unbefannt, fein Andenten erhal:
ten aber die Monumente am Ufer, und wenn diefe vergangen
find, wird noch das Journal feiner Entdeckungen das befte
und bauerndfte Dentmal des großen Weltumſeglers bilden.
Mit Sonnenuntergang verließ die „Uilama* die Bay
und fuhr mit der günftigen Abendbrife weiter die Infel ent«
lang; ich blieb aber nodj einige Zeit in Kona zurlid und
trat dann meine Reife über Yand nad, dem 105 Meilen
entfernten, auf dem Südende der Infel Hawaii gelegenen
activen Krater Silauen an.
Die Betjduanen*)
Das ſtämmereichſte unter den dunkel pigmentirten Böl-
fern Südafrikas ift bas der Betſchuanen (Berchuana fchreibt
Prof. Fritſch, wo ch als c mit folgender Afpiration zu fpre-
chen ift), zwar ungmweifelhaft zur großen Familie der A-bantu
gehörig und bem eigentlichen Kaffern verwandt, aber doch
fchon feit Jahrhunderten eine gefonderte Stellung einnehmend,
wie viele phyfiognomische und ethnographifche Unterſchiede
erfennen laſſen. Es fcheint, dag fie erft fpiiter, als die Kaf-
fern, ausfdyließliche Bewohner Sübafrilas geworden find.
Bon ihren Nachbarn, den Zulu und Ovasherero, weſentlich
unterfchieden, zeigen alle, felbft bie amt entjernteften ftehen«
Bufchmänner und Ba-falahart beim Fleiſchzerlegen.
Grenzen unficherer, da ſich hier die Matabele zwifchen die
Betichuanenftännme einfchieben, während im ſten das
Beden des Ngami⸗Sees ein Gebiet gemifchter Benölferung
bildet, weil dort Ovasherero, Namaqua und Betichuanen zus
fanımenftoßen. Diejes gewaltige Gebiet ift aber einerfeits
nur jehr dünn bevölfert, mährend anbererfeits ber ganze
Oſten durch die beiden Freiſtaalen der Boeren in Befik ge
nommen worden ift.
den Stämme dieſes Volles eine gewiſſe charakteriſtiſche Ueber⸗
einſtimmung untereinander, bie fich ſchon in ihrem Gefanmt-
namen („chuana* — ſich gleichen, mit dem Pluralpräfir
„Be*, alfo „Leute, die ſich ähnlich, gleich find“) ausdrüdt.
Diefes Gefühl nationaler Aufammengehörigleit ift um fo
auffallender, als die einzelnen- Stämme Hunderte von Meis
len von einander wohnen. Denn das Gebiet derjelben er-
ftredtt fich vom Orangefluß im Süden bis an den Zambefi
und von dem Kathlamba-Gebirge im Often bis zur Wüſte
Kalahari, indem es fo den geſammten Kern des Continen«
tes füdlih vom Zambeſi umfaßt. Im Norboften find die
——
Dieſe öſtlichen Stämme faßt man unter dem Namen
ber Ba-futo zufammen, die weftlicyen als Kalahari: Zweig ;
und zwilchen beiden figt auf beiden Seiten det Yimpopo
*) Bilder und Tert (im Auszuge) find und gürigk von dem Wer ⸗
leget, Hm. #. Hirt in Breslau, zut Verfügung geflellt aus Tem
ſchon öfter im „Blobus” beſprochtnen Prachtwerke „Die Eingeborenen
Süpdafrilas, erbnograpbifch und anatomiſch bejchrieben ven Guſſt a v
Britfch, med. Dr, x.“
Pie Betſchuanen. 53
bie hinauf gegen feine Ouellen eine wittlere Gruppe, die
der Basfoin. Jede diefer Gruppen zählt eine ganze Reihe
augehöriger Stämme, deren Bezeichnungen nicht, wie bei den
Koffern, nad) den Häuptlingen gebildet werben, ſondern meifl
nad einem Thiere, das einen nationalen Charakter für fie
bat und mit deffen Namen zuweilen aud) der betreffende
Häuptling angeredet wird. So erfcheinen unter den zwölf von
Fritſch aufgeführten Stämmen der Weſt-Betſchuanen die
Ba-tlapi (Fiſchwoll), Basthatla (Affenvolf) und Bastuena
(Krokodilsvolf); umd unterden elf Zweigen der öftlichen Be—
tſchuanen, derem bedeutendfier die jegt von England abhän—
gigen Ba-futo find, die Bastau (Volt des Löwen), Ba-puti
(Bolt des Duiker [Cephalophus mergens]), Ba-phiring
{Bolt des Wolfed), Ba⸗tloung (Voll des Elephanten) und
Bastfetfe (Boll der Tſetſe⸗Fliege). Fritſch ſchätzt die Ge«
fammtftärte der weftlihen Betſchnanen auf 160,000 See—
len, die der öftlichen und der Ba⸗koin auf 75,000, während
der officielle englische Cenfus für das Ba⸗futo⸗Land allein
des Kopfes rings herum rafirt ober kurz gefchoren werben,
auf dem Scheitel aber ſtehen bleiben und, durch eine Berlen»
ſchnur zufammengehalten, in eine gegen 6 Gentimeter hobe,
dichte Maſſe verfilgt werben, Diefelbe macht den Cindrud
einer Krone und erhält durch das Einſchmieren einer Por
mabe aus fett und gepulvertem Titaneifen größere Confiftenz.
Das mwecfelndite Moment in der äußern Erſcheinung
diefer Stämme ift die Gefichtöbildung; die befte Entwides
lung und größeſte Negelmäßigfeit darin zeigen die Ba-futo,
deren Fühles Gebirgsland ihnen die günftigiten Bedingungen
für die Körperentwidelung bietet. Nirgends aber geben die
Frauen wegen ihrer unterdridten Stellung und der ilber:
mäßig ſchweren Arbeit gute Typen für die Race ab, noch
feltener anjprechende. Die Refte der öſtlichen Stämme,
welche nur noch ein fimmterfiches Dafein unter den Boeren
friften, erreichen auch im ihrer äußern Erſcheinung keines—
wegs das gute Ausfehen der Ba⸗ſuto. Dagegen laffen fie
bielfad) ihre Herkunft aus nördlicheren Gegenden erkennen
umb zeigen dann eine Gefichtsbildung, welche auf das Leb:
erwa 75,000 Bewohner (Fritſch nur 40,000) annimmt.
Rechnet man hierzu noch etwa 70,000 flr die Stämme im
Norden und Nordoften des Transvaal, fiber welche feine ge-
nügenden Angaben vorliegen, fo beträgt die Totalftärte ber
Vetfdyuanen 300,000 bis 340,000 Seelen. ine gleiche
Bevölferungsdichtigfeit wilde man etwa erhalten, wern man
ein Drittheil der Bewohner Berlins ſich fiber ganz Deutſch-
land zerftreut wohnend benft.
Während den Kaffernantlig ein Ausdrud von Kraft,
Frog und Wildheit innewohnt, fo fpridjt ans ben weicheren
Zügen der Betſchuanen Sanftmuth, Gefügigkeit, häufig auch
Schlaffheit. Die Figur iſt ſchlant, die Haltung häufig
etwas gebeugt, die Musculatur nur mäßig entwidelt. Ber
fchaffenheit und Pigmentirung der (ſehr dunkel oder ſchwarz
braunen) Haut ſowie das die, verfilzte Haar gleidyt ganz
dem der Kaffern, melde in Band 26, ©. 80 geichildert
worden find. Cine bejondere Geſtaltung zeigt bie Friſur
ber Betſchuanenfrauen, bei denen die Haare an den Seiten
Frauen und Kinder der Ba-fnöna, Victualien zum Verlauf bringend.
baftefte an diejenige der Stämme nörblih vom Acquator
erinnert. Als legten der zwölf Stänme der Weft-Berichua-
nen führt Fritſch den der Barlala auf, der dem Namen
eines Stammes eigentlich nicht verbient, ba er nur eine
unterbrüdte Claſſe der Bevölferung ift, welche Mitglieder
ber verjchiedenften Stämme in ſich begreift. Sie befigen
darum auch feine burchgreifenden charakteriftijchen Unterjchiede,
nur daß der Mangel und das Elend, welchem fie unterwors
fen find, ſich in der ſchwächlichen Entwidelung des Körpers,
der geringern Größe, bürftigen Musculatur und den auf-
getriebenen Bänden jüngerer Individuen ausdrüdt. Aus
den flupiben, häßlichen Geſichtern leuchtet nicht nur die
Noth, ſondern aud) die Unterbrüdung hervor: DBa-lala heißt
„die Armen* ; da fie an den Grenzen der Kalahari-Wüfte
hanfen, nennt man fie auch Ba-falahari, In unjerm erften
Bilde ift der halbwüchſige Knabe in aufredjter Stellung fitr
ben Habitus derſelben typiſch, befonders durch die eigenthlim-
fiche GSeftaltung des Bruftforbes und Unterleibes,
Der größern Weichheit des Charakters der Betſchuanen
54 Die Betjchuanen.
entſpricht ſowohl der Umſtand, daß ſich nur ausnahmsmeife | Woher und Wohin die eingehendjte Erörterung gefunden
in Folge feindliher Angriffe oder des Aufrufes eines ener-
giſchen Führers in ihnen ber kriegeriſche Geift regte, als
aud) eine große Empfänglicjfeit und Neigung für Fremdes
fowie geringere Widerftandäfraft gegen äußere Einflüffe.
Sie Äffen gern europäifche Kleidung und Sitten nad), neh»
men leicht wenigftend die äußeren Formen des Chriftenthums
an und zeigen in ben Schulen ber Miffionäre Eifer und
viel Anſtelligleit. Größere Bildung macht fie aber nur
durchtriebener, nicht befler; die großen Hoffnungen, weldye
man auf die europätfche Erziehung bei den beiden Söhnen
des Ba-futo-Häuptlings Moſcheſch ſetzte, haben ſich, wie dies
faft ftets der Fall ift, nicht verwirklicht. Da es den Ber
tichuanen nicht am natürlichem Berfiande fehlt, jo lann man
ihnen leicht ein ziemlid, bedeutendes Maß von Kenntniſſen
beibringen. Wunderbar tft
befonbers ihre Ortsfinn, nicht
infofern,, als fie ſich in ihrem
Heimathlande zurechtfinden
können, ſondern daß es viele
Perfonen giebt, welche genau
die Richtung zu zeigen wiffen,
in welcher England — in
ihrer Sprechweiſe gleichbedeu-
tend mit Europa —, die Cap⸗
ftadt, Port Natal, die Wal:
fiihbay u. ſ. w. liegen, obwohl
fie nie über die Inlandbiftricte
hinauegelommen find. „Daß
hier wirllich geographiiche Ans
ſchauung vorlag (fagt Fritſch),
fonnte ich leicht durch das
Verftänduig feftftellen, welches
fie flir eine Karte von Afrifa
jeigten, „Dies Papier, wor:
auf das Yand gefchrieben fei*
galt ala eine ganz bejonbere
Mertwilrdigfeit unter meinen
Reifeutenfilien, ich wurde häu-
fig darum angegangen, es her⸗
vorzuholen, und nachdem ich
es einmal dem mic) beglei⸗
enden Mo⸗chuana (Sing. von
Be⸗chuana) explicirt hatte,
übernahm es dieſer, bie Harte
weiter zu bemonftriren, Er
fand fid) ohne Schwierigfeit in
die Berhältnifie und bie Be—
zeichnungen, während ich mid)
aus früherer Zeit wohl erin«
nere, baf ich) einft vergebens ver⸗
fucht habe, daffelbe einem alten
Führer im Harz deutlich zu
machen.“
Ehrlichkeit ift bei ihmen wenig zu finden; aber es ver
einigt fich mit ihrer Verfchlagenheit und Betrügerei eine ges
wifle Bonhommie, fo dag man ihnen wegen der Unver—
ſchämtheit kaum böje fein fan. Neigung zu harmlofer
Fröhlichteit und Geſelligleit herrſcht bei ihmen wie bei den
anderen Bantıu-Wölfern; ftundenlanges Beifammenjigen un«
ter Scherz und Gelächter ift eime beliebte Unterhaltung.
Kommt ein Fremder hinzu, fo ift er verpflichtet, alsbald
auszuframen, was er irgend an Newigfeiten mitgebracht hat,
und ift er zu Ende, jo ſucht man auch feine Neugier zu bes
friedigen. Selbſt bei Begegnungen auf der Reife fünnen
die Leute nicht bei einander vorbeigehen, ohne daß das
Waffen der Betſchuanen.
hätte. Der Gedanke, was nad) den: Tode aus ihnen wird,
timmert die Betſchuanen nicht; es eriftirt aber nad; ihren
Begriffen noch eine Claſſe iberirdifcher Weſen, Basrini ger
heißen, weldye mit den Schatten der Verftorbenen zufammen«
hängen, Schon oben wurde bemerkt, daß die Betſchuauen
feit einigen Jahrhunderten von den Kaffern abgezweigt ge
lebt und unter dem Einfluß ihrer Nachbarn manche Cigen«
thlimlichfeiten angenommen haben, die jenen fehlen. Cie
bilden dadurch wie durch ihre Geſichtsbildung ein vermit-
telndes Glied, welches uns zu ben centralafrikauiſchen umb
felbft nördlichen Stämmen hinliberführt.
Schr auffallend ift zunächſt die Berſchiedenheit der
Tracht: während der echte Kaffer von feinem ganzen Kör—
per nur die Glans penis bebedt, verhült der Betſchuane
die Genitalien Torgfätrig mit
einer ledernen Binde und
ſchämt fich, diefelbe in Gegen ·
wart Fremder abzulegen. Das
mit ift er aber auch völlig be=
fleidet, und nur zum Schutze
gegen die Witterung tragen
beide Geſchlechter den ledernen
Karoß, meift von Ochſenhaut,
der mitunter mit bunten Fell⸗
ftreifen verziert if. Häupte
linge lieben es, Yeopardenfelle
zu tragen, bie Frauen ber Rei⸗
chen foldye vom Silberfchatal
ober der rothen wilden Sage,
die Männer die Felle der von
ihnen erlegten Gnus und Harte»
beeſts, deren Schwänze man
als Zierrath hinten daran häns
gen läßt. Verheirathete frauen
tragen eine Pelzmüge, meilt
aus dem grünlichgrauen Well
einer Schatalart; dazu einen
aus gegerbten Fellen bereiteten
Schurz, welcher den mittlern
Theil des Körpers bis an die
Knie bedeckt, und unter dem⸗
felben einen kleinern, welcher,
mit gedrehten Schnüren und
Sladperlen verziert, nur bie
Genitalien dedt und bei Kin—
bern und herauwachſenden Mäd-
chen oft das einzige Kleidungs-
ſtuick if. Sehr Häufig tragen
Mütter nur den Schurz und
auf dem Oberleibe ein Trager
tuch, in welchem ihr Spröß-
ling hauſt. Auf dem zweiten
Bilde ift letzteres an der fünften Perſon von rechts zu ſehen;
die Unmwefenheit des Gäuglings verräth nur eim Kleines
Füßchen über der Hüfte ber Trägerin. Bon Schmud wer
den bei den Weſt-⸗Betſchuanen Glasperlenftränge und Schnitre
größerer Ölastorallen, deren Form und Farbe jehr der augen-
blicklichen Mode unterliegt, um die Fußknöchel (bei Kindern
um die Hüften) ſowie Amulete um den Hals getragen,
während die Oſt⸗Betſchuanen Metalidrähte, Kupfer-, Mef-
fing-. und Eifenringe rejp. Spiralen um Hald und Ertremi»
täten vorziehen,
Die Waffen der Betſchuanen, Streitart, Dolce, Yanzen,
fir fid) allein hinſichtlich ihrer äußern Furchtbarleit betrady-
tet, laſſen dies Volk, freilich ganz mit Unrecht, als ein krie⸗
Hermann Meier: Skizzen aus Seeland, 55
geriiche® erfcheinen. Aber fie find viel mehr wegen ihrer
Gefchidlichteit in Herftellung der Waffen, als in Führung
berfelben zu bewundern. Als die gefchidteften unter allen
Arbantır verftehen fie aus Nafeneifenftein Roheifen zu er
zeugen, Wie viele andere Stämme Innerafritas bauen fie
einen Kohlenmeiler auf ebener Erde ober in einer Vertie⸗
fung, von wo thönerne Röhren radienförmig nad, außen
führen, um von allen Seiten mittelft Blaſebälge einen ftar-
ten Luftſtrom hineintreiben zu fönnen. inige zerfleinerte
Erzſtlicke, welche in der Mitte aufgehäuft find, fommen fo
durch andauerndes Erhitzen allmälig zum Scmeljen und
werben im unreines Roheiſen verwandelt, welches dann durch
Hämmern und wiederholtes Exhigen weiter gereinigt wird
und dadurd; eine große Zähigleit erhält. Das dritte Bild
zeigt die Waffen, melde daraus mittelft primitiver Hämmer
oder Steine hergeftellt werden und unter denen das unit»
vollfte Erzeugniß der mit Widerhafen und Zähnen verfcjie-
denfter Art und Anordnung verfehene Speer ift. Der fchred-
lichfte ift jedenfalls der zur rechten Hand, deſſen kreuzweis
nach oben und unten gerichtete Widerhafen weder ein Zus
rüdzichen noch ein Durchſtoßen der Waffe durch dem feind-
lichen Körper erlauben, fondern biefelbe im der einmal
erzeugten Wunde fefthalten, Uber bei dem wenig friegerifchen
Geifte der Betſchuanen ift die Furcht vor ihren kunſtreichen,
granfamen Waffen unter den Siüdafrifanern nur eine ges
ringe, und diejelben haben ihre Unterdrüdfung nicht zu
hindern vermocht.
Charakteriftifch flir die Betjchuanen find ferner bie
Streitagt, die Dolchmeſſer in Scheiden, die Kiris, d. h. Keu—
len zum Werfen und Schlagen aus Holz oder Rhinoceroshorn,
in beiden Fällen mit zierlichen, bei diefem Bolle jehr belieb>
ten Schnigereien verziert. Außerdem führen ihre Krieger
mitunter Bogen und ‘Pfeile, welche fie aber wohl nicht jelbft
verfertigen, ſondern meift den Buſchmännern des Landes
abgenommen haben. Trotzdem fie fo unter allen Südafri-
fanern die vollftändigfte Auswahl von Trutzwaffen befigen,
jegen fie doch williger als irgend ein anderer Stamm bier
felben bei Seite und greifen nad dem Feuergewehr, in
defien Fuhrung fie aber nur eine fehr mäßige Fertigkeit
entwideln. Sie ſchleppen ſich mit dem wunderbarften Flinten⸗
zeuge und machen trog ber Koftfpieligfeit der Munition
gern Uebungsjchüffe nach Wild in unerreichbare Fernen.
Als Bertheidigungswaffe tragen die Berfchuanen Schilde
von Ochfenhaut, weldye bei geringer Länge verhältnigmäßig
breit jind und an den Seiten flügelförmige Borſprünge be»
figen, zwiſchen denen jederſeits eine tiefe Ausbuchtung bleibt.
Der Stod des Schildes trägt häufig Federputz oder Fell—
ftreifen. Bei manchen Stämmen, 3. B. den Basfuto, ift
diefe Form nicht gebräuchlich, fondern nur ein Baar langer
feitlicher Vorſprünge am obern Ende des kleinen Echildes,
die einen Kreisbogen bilden. Ueberhaupt haben ſich die
Ba⸗ſuto den reinen Betſchuanentypus weder in ihren Pers
fonen noch in Kleidung oder Bewaffnung bewahrt. Ihre
nahe Berührung mit den fremden Stämmen der Nachbar:
ſchaft fowie die Aufnahme fremder Elemente hat fie veran—
laßt, ſich Martches von denſelben anzueignen, was ihnen
ursprünglich nicht zufam, ſowie anderes umzugeftalten, fo
daß fie ein Mittelglieb zwiſchen den eigentlichen Kaffern und
den Betſchuauen, zu welchen legteren fie jedoch) gerechnet wers
den, bilden. Am auffälligften ift ihre Annäherung an die
Kaffern jedoch, Hinfichtlic der Bauart der Wohnungen.
Die typifche Hütte dev Basfuto ift von derfelben flachen
Bienenlorbgeftalt, wie bei den Zulu und Roſa, ducchichnitt:
lic, fogar gebrüdter, als die Hlitten der letzteren, und ber
bei dieſen zuweilen vorhandene Heine Vorbau mit dem Ein—
gang ift bei den Basfuto noch länger und niedriger, fo daß
man nur friechend in das Innere gelangen kann und Yicht
und Luft faft ganz abgefchnitten find. Der Feuerplatz gegen«
über dem Eingange, bie hölzernen Stügen mit daran hän—
genden Waffen, die Geräthſchaften und Geſchirre im Hinters
grunde finden ſich in der Hlitte des eigentlichen Kaffern wie
des Basfuto. Es geht daraus hervor, daß man bei Fragen
ber Zugehörigkeit zu diefem oder jenem Wolfe einzelnen Mo—
menten, wie hier der Behauſung, nicht allzu große Beben:
tung beimeffen darf, und daß ein einzelnes Miontent, nament-
lid ein äußerliches, übertragbares, wie die Wohnung ift, nicht
genligt, fonft zufammengehörige Stämme zu trennen. Denn
nad den Hütten zu urtheilen, wären die Basfuto den eigent:
lichen Kaffern zuzuzählen und nicht den Betfchuanen, während
die allgemeine Betrachtung nöthigt, fie legteren einzureihen.
Stizzen aus Seeland.
Von Hermann Meier in Emden.
Blijfingen
Bliffingen macht feinen angenehmen Eindrud, In
den Straßen, auf den mit hübfchen Bäumen bepflanzten
Plägen ift es ftill; aber die Liebhaber der altholländiſchen
Architektur werden hier manchen Giebel finden, der von dem
friſchen Kunftfinn, von dem naiven Geſchmack der Bäter
Zeugniß ablegt. Den Bauftil unferer Tage, die langen
Reihen einförmiger, weiß oder gelb bemalter Häufer, fucht
man bier vergebens. Die herrjchende Farbe ift hier bunfel-
roth mit allen Abweichungen, die die Zeit dazu geben fann,
und wechjelt durch Ornamente in weißem ober grauem
Stein, Die bunt gefärbten Häufer mit ihren phantaftifchen
fpigen Giebeln, die nad Geſchmack oder Laune, nicht immer
nad dem Schönheitsfinn geziert find, ſehen malerifch genug
aus, befonderd wenn die Somnenftrahlen durch das Yaub
fpielen und mit warmen Tinten Licht und Schatten auf bie
Mauern werfen und die rothen und gelben Steine färben.
Noch bis vor furzer Zeit ftand vor jedem Haufe eine
hölzerne Banf, die des Abends nach vollbrachter Arbeit die
Hausbewohner zum Eigen und Rauchen, zum Ausſehen und
Plaudern verfammelte,
Städten, das nachbarliche Yeben verſchwunden ift, find auch
diefe Bänfe himveggeräumt. Jeder lebt jegt fo viel mie
möglich fütr ſich ſelbſt; ift der allernächſte Nachbar nicht zu⸗
gleich zufälliger Weife ein guter Bekannter, jo fünmert man
Seitdem aber hier, wie in anderen -
56
fic nicht um ihn, Bor Zeiten eriftirte hier noch ein echtes
Volföleben, welches ſich in allerlei Formen offenbarte und
ſich zu zahllojen Mittelpunften zufammenzog. Jeder hatte
feinen Kreis, in dem ex ſich bewegte, mit dem er wirkte und
mit dem er durch perjönlidye Erinnerungen, durch traditios
nelles Jutereſſe, durch Sympathie, durch gemeinjchaftliches
Streben eng verbunden war.
der innige organische Aufammenhang der Geſellſchaft ift
zerriffen. Man fühlt diefen Mangel, aber es wird große
Mühe foften, den neuen Knoten zu ſchlingen.
Bliffingen hatte gute alte Tage. Es flihrt im feinem
Wappen eine filberne Flaſche oder rufe, zur Grinnerung
an die Flaſche des heiligen Willibrord, die, wie Einige glau—
ben, noch jegt auf dem Rathhauſe aufbewahrt wird. Das
it natürlich num Cage, da es jehr zweifelhaft iſt, ob das
alte Bliffingen damals ſchon beftand. Bliffingen hat nicht
nöthig ſich eine zweifelhafte Vergangenheit zu ſchaffen. Cs
hat ſich durch eigene Thaten in der Gedichte des Yandes
einen ruhmreichen Namen erworben, ben ihm niemand bes
fireiten kann. .
Es war in ben erften Tagen des Aprils 1572. Briel
war faum erobert, als man den Verſuch machte, auch in
Bliſſingen eine Revolution hevvorzurufen; aber Alba fannte
den großen Werth diefer Feftung, die die Mündung der
Schelde beherrfchte, und hatte ſchleunigſt die erforderlichen
MVeaßregeln ergriffen, um es gegen einen etwaigen Angriff
zu ſichern. Nach langen Kämpfen befreite ſich Bliſſingen
von der ſpaniſchen Herrſchaft und war die erfte niederländiſche
Stadt, die aus innerfter Ueberzeugung, ohne fremde Hilfe,
die Spanier vertrieben und fich den Oraniern zugefellt hatte.
Wie jede gute Stadt des Mittelalters zwei große Puntte
hatte, um die ſich das religiöfe und politische Yeben concen«
trirte, fo hat auch Bliffingen Kirche und Rathhaus.
Die alte oder große Kirche wurde 1328 unter der Re—
gierumg des Grafen Wilhelm III. gebaut und Et. Jalobus
gewidmet. Heid allen fatholifchen Kirchen, die fpäter für
evangeliiche Zwede eingerichtet wurden, hat auch diefe ihren
eigentlichen Charakter verloren, weil jeglicher Zuſammen-
hang zwiſchen der urfprünglichen Einrichtung und der jegigen
Beſtimmung des Gebäudes fehlt, und ift dies um fo aufs
fallender, da man einen Theil der Kirche durd) eine Mauer
für die Engliſch-Episcopal-Gemeinde abtreunte.
An diefer Kirche fteht ein jpäter gebauter Thum, an
dem einft de Ruyter fein von Heinrid; Smidt fo ſchön ber
ſchriebenes Kunſtſtück ausführte, welches ihn von der Seiler
bahn anf die Flotte brachte.
Die Erinnerung an den großen Seehelden ift hier mod)
nicht ganz erlofhen. Bor etwa 30 Jahren errichtete man ihm
eine Bildfäule, deren Antlig ftatt der See der Stadt zuge
fehrt ift. De Runter ift bei den Holländern ein populärer
Held geblieben. Dies verdankt er nicht nur feinen militärie
ſchen Fähigkeiten, feinem Kriegsgenie, fondern vorzugsweije
feinem Charakter als Menſch. Er war der echte Typus
des alt holländiichen, lernigen Bürgerftandes, in dem ſich
Das alles hat aufgehört: -
Hermann Meier: Stizzen aus Seeland.
alle Tugenden und guten Eigenfchaften diefes Standes voll-
fommen wieder finden, ohne daß die eigenthiimliche Kehrſeite
ſolchen Charakters ganz fehlt.
Die anderen Kirchen Bliffingens lafjen nichts von fid)
jagen ; dafjelbe gilt von dem jegigen Rathhauſe, einem ein«
fadjen Gebäude, welches fiir feinen jetzigen Zwed nicht bes
ftimmt war, Früher hatte Bliffingen auch in diefer Ber
ziehung ein ftattlicheres Gebäude, welches 1594 nad) dem
Mufter des Antwerpener Rathhaufes gebaut wurde umd
länger als zwei Jahrhunderte der Stolz der Stadt war.
Es verfchwand in den bangen Tagen vom 13. und 14.
Auguft 1309, als die Stadt von den ngländern bombar«
dirt wurde. 1795 erhielt die Stadt cine franzöfiiche Ber
fagung, und als Napoleon, noch als erfter Conſul, fie befuchte,
hatte jein genialer Blick die maritime und ftrategiiche
Wichtigkeit diefer prächtigen Hafenftadt fofort erlanut. Auf
jeinen Befehl wurden Feſtungswerle angelegt, Caſernen,
Magazine, Werften gebaut, Bliffingen in eine Waffenjtadt
umgewandelt. In dem Bertrag vom 11, November 1807
trat der König von Holland die Stadt an Frankreich ab,
und num wurde mit voller Kraft an den Werfen fortgear-
beitet, Aber auc die englijde Regierung hatte ihr Auge
auf diefen Punkt gerichtet.
In den erften Tagen des Auguſt 1809 erſchien ihre
Flotte vor Vliffingen; nad) einigen vergeblidien Berhand-
lungen begann am Nadymittag des 13. Auguft das Bom—
bardement, welches mit jehr Heinen Paufen bis zum 15,
Auguft Nachts 2 Uhr anhielt und einen entſetzlichen Scha:
den anvichtete, Drei Kirchen, das Nathhaus und eine
Menge anderer Gebäude waren entweder vernichtet, oder
rettungslos bejcädigt und feine 20 Häufer waren unver
lest geblieben. Bliſſingen fiel in die Hände der Engländer,
die es aber bald wieder räumten; bis zum Frühjahr 1814
blieb es dann im Beſitz der Franzoſen.
Auf dem jegigen Rathhauſe zeigt man außer der erwähns
ten Flaſche des Wilibrord einen filbernen Bedjer , der von
audgewanderten franzöfifchen Calviniften, die in einem Kel—
ler ihren Gottesdienft hielten, beim Abendmahl gebraucht
fein fol. Auch befindet ſich hier der filberne Thurm, den
Friedrich Heinrich dem Bliſſinger Schneidergefellen Pieter
Janſſen ſchenkte. Diefer war es, der fid) am frühen Mor«
gen des 14. September 1628, noch bevor ſich die Stadt
ergeben hatte, im Herzogenbuſch einfchlic und die Fahne der
Dranier auf den Thurm der St. Johannekirche aufpflanzte.
Dem Rathhauſe gegenüber fteht das Bilderhaus, fo
genannt nad) den Statuen, mit denen der Giebel dieſes in
einem mehr oder minder pſeudo⸗claſſiſchen Stil aufgeführten
Gebäudes geichmidt ift.
Man hat in Bliffingen die Hoffnung auf eine befjere
Zufunft nicht aufgegeben. Vieleicht bringt der neue Canal
zwiſchen Fliffingen und Middelburg und die Eifenbahn, die
es jegt mit dem europälfcen Bahnnetz verbindet, neues
Leben. Auch an natlirlichen Bedingungen dazu fehlt es nicht.
M’Farlane’s und Macleay’3 Erpeditionen nah Neuguinea.
1.6. In Eomerfet, 8 Miles füdöftlic von Cape Port,
der nördlichſten Spige der auſtraliſchen Colonie Queensland,
befindet ſich unter der Yeitung des Reverend S. M' Farlane
eine von der London Mifjionary Society abhängige Mi:
fionsanftalt. Diefer wilrdige Herr, welchem der Miffions-
dampfer Ellengowan von 500 Tonnen, geführt von Gapitän
Rancie, zur freien Verfügung fteht, hat auch die Verpflich-
tung, die Zweigmifjionen in der Torreoftraße und auf Neu
M Farlane's und Mackeay’s Expeditionen nad Neuguinea. 57
guinea alle zwei oder drei Monate zu controliven und den
dortigen Miffionslehrern die möthigen Pebensmittel und ans
dere Bedlirfniffe zuzuführen.
Auf feiner legten Bifitationsreife hatte M' Farlane wies
ber auf einer 5 Miles von der Südweftlüfte von Neuguinea
gelegenen Heinen Infel, welche den Namen Boigoo führt,
eine Miſſion eingerichtet. Dies Eiland liegt einem auf Neu—
guinen in 908’ jübl, Br. und 142018’ öftl, &, mindenden
und bisher unbelannten Fluſſe gegenüber, Die Miffions-
lehrer wünfchten dieſen anfcheinend fehr bedeutenden Waller:
lauf fennen zu lernen, unternahmen deshalb in Begleitung
mehrerer Eingeborenen von Boigoo eine Fahrt borthin und
befuhren den Fluß 15 Miles weit. Hier aber firchteten fich
bie Eingeborenen und wollten nicht weiter vordringen, fo daß
man umfehren mußte.
Die Lehrer berichteten über ihre Fahrt an M' Farlane,
und Lesterer war fofort entſchloſſen, auf feiner nächſten
Imfpectiondreife ben Strom näher zu erforfchen. Diefe trat
er mit Mir. O. C. Stone aus London und Mr, Orfney
aus Melbourne am 25. Auguft 1875 an. Nachdem man
mehrere Miffionen auf den Leeward-Inſeln befucht hatte,
erreichte man ſchon am 30. Auguft Boigoo, Zwifchen dieſer
Infel und der Mündung des Fluſſes breitet ſich ein fehr
verfchlungenes Neg von Sandbänken und Korallenriffen aus.
Der Dampfer Ellengowan hatte aber eine Länge von 90
Fuß und war darum ungeeignet, eine derartig gefährliche
Stelle ohne Weiteres zu befahren. Es ging daher ein feines
Boot voran und fondirte. Die Tiefe wechſelte fortwährend
von 2 bis 13 Faden, Capitän Rancie ift jedoch ein in den
Gewuſſern ber Torresftraße wohlerfahrener Seemann, fo daf
ber Dampfer am 1. September Nachmittags 2 Uhr bei der
Mitndung glüclich eintraf. Diefe war 11/, Mile breit und
igte eine Tiefe von 13 Faden. Während fi an dem
eftitfer eine Y/, Mile lange Sand- und Moraftbant hins
zog, bot das Oftufer einen vortrefflichen Landungsplatz dar.
Das eigentliche Fahrwaſſer behielt noch eine Breite von ?/g
Mile. Der Dampfer ging langfam und vorfichtig hinauf.
40 Miles oberhalb der Mündung erreichte man eine Stelle,
wo fich der heftig ſtrömende Fluß in zwei einzeln bem Meere
zueilende Arme theilt. Der Strom fließt hier nad; Sud—
weiten; die Richtung des Dampfers war aljo eine norböft-
liche. Von diefem Punkte ab verringerte ſich nach Ungabe
des Salinometers der Salzgehalt des Waflers merklich; auch
die Ufer wurden viel höher und die Qualität bes Bobens
der anliegenden Gegend beſſer. Die Mangroves hörten auf
und die Ufer waren mit einer ſtammloſen Palme bekleidet.
Das Fand war mit einem langen aber groben Graſe be
wachen und mit Bäunten, unter denen- die Eucalypten vor
herrjchten, dünn bewaldet. Die Vögel wurden zahlreicher
und freuten fich im unmelodifchen Tönen ihres Dafeins,
und die Luft füllte fi mit fügen Gerlichen an. Die todte
Monotonie des untern Stromlaufes war zu Enbe.
Nach einer Fahrt von 60 Miles kam man zu einer aber-
maligen Gabelung, wo der feinen Lauf von Nordoſten her
beibehaltende Fluß einen Seitenarm füdwärts zum Meere
entjenbet. Letzterer wurbe mit einem Boote nur auf wenige
Miles befahren, dann drehte man um und fehrte zum
Gabelungspunkte zurlick, welder „Ellengowan Yunction“
(wäre wohl richtiger als E. Forking bezeichnet worden) ger
tauft wurde, Dort blieb der Dampfer vor Anker liegen, da
der Hauptftrom weiter aufwärts für ihm zu ſchmal wurde.
Man fuhr denfelben alfo im Schiffsboote nad) Norboften
hinauf und zwar am erften Tage bis zur Höhe von 18 Mi:
les, wo fic Ebbe und Fluth noch bemerkbar machten. Die
Reife war intereffant. Bei jeder Biegung des Fluſſes lam
etwas Neues zum Borfcheine, fei es ein einmindender Fluß,
Globus XXIX. Nr. 4,
oder ein Bad, ein Wafferfall oder ein See. „Es ſcheint
mir gar nicht unwahrſcheinlich,“ bemerkt M' Farlane, „daß
diefer Fluß oder doch wenigftens einige feiner Nebenflüffe
(befier Nebenarme, denn man hat eö Hier augenfcheinlich mit
einem großen Delta zu thun) mit dem Fly River oder ans
deren Wafferläufen des Golfs in Verbindung ſtehen. Dann
würde ſich auf diefer Fahrſtraße das Hochland des Innern
zu allen Jahreszeiten erreichen laffen, während dies auf dem
Fly River nur zur Zeit der Nordweſtſaiſon möglid, wäre,
Ich beabfichtige, mit dem „Ellengowan* im ungefähr zwei
Monaten ben Fly River, foweit e8 möglich ift, näher zu ers
forfchen.“ Auf diefer Ercurfion num war es, daß man nicht
weit vom Ufer zwei verlaffene Hütten auffand, und in deren
Nähe eine 6 Aecres Land haltende Plantage, welche durch ein
4 Fuß hohes, forbartiges, fchönes Geflecht eingehegt war,
und in ber Tabak und Zuderrohr cultivirt wurden. Auch
Spuren vom wilden Eber wurben bemerlt. Es war indeß
wegen eines läftigen Rohres, welches maffenhaft vor-
fam, nicht gut möglich, weiter ind ‚Innere vorzu⸗
dringen. Da man fidh nicht auf Uebernachten eingeri
hatte, fo ruderte man zum Dampfer zurüd, im ber Abſicht,
noch eine zweite Fahrt höher hinauf zu unternehmen. Dies
gejhah am zweiten Tage, wobei man bis zu einem Punkte
gelangte, welcher 25 Miles von Ellengowan Junction, b.i. 7
Miles jenfeit des Endpunktes der erftien Fahrt, lag. Zwar
zeigte das Waffer mod) immer eine Tiefe von 2 Faden,
allein mächtige Bäume, welche in den Fluß gefallen waren,
verſperrten die Weiterreife. Im anliegenden Buſch gab es ſehr
viel Barabiesvögel von kaffeebrauner Farbe, Kopf gelb und
Hals fmaragdgrin, aber bei ihrem fehr rafchen Fluge konnte
man nur drei davon ſchießen. Man ſah hier aud) einen
gewaltigen ablerartigen Vogel, welcher im Fluge eine Breite
bon ungefähr 18 Fuß meflen mochte und ein Geräuſch ver»
urfachte, als hörte man eine Locomotive. Gewiſſe Spuren
glaubte man auf Büffel deuten zu müffen. Sehr auffällig
war es, daß fich nirgends Eingeborene bliden ließen, wie
man überhaupt auf ber ganzen Fahrt nur ein einziges Mal
einen ſolchen zu Geſichte befommmen hatte, wenngleich in ber
Ferne öfters Rauch fichtbar war, Die Hütten, auf welche
man gelegentlich ftieß, waren immer verlafien. M' Farlane
benannte diefen großen Fluß nad) einer reichen Dame in
Dundee in Schottland, welche großes Intereffe für das
Miffionswejen bethätigt, den Barter River, Die Ent:
fernung von Ellengowan Junction bis zur Mündung des
Fluſſes wurde, da man jetzt das ficere Fahrwaſſer fannte,
in neun Stunden zurüdgelegt und bie Rildreife nad) Somers
fet dann fofort angetreten.
Die Entdedung biefes wichtigen Fluſſes fteht mit ber
Macleay: Erpedition auf dem Barlſchiffe Chevert in gar
feinem Zufammenhange: „Ic war nicht wenig überraſcht,“
fchreibt M' Farlane, „bei unferer Ankunft in Somerfet die
Macleay-Erpedition, auf ihrer Rucklehr von Neuguinea, ans
zutreffen.“ Eine telegraphifche Depefche, welche am Abende
vor Abgang des europäiſchen Poftbampfers am 9. October
von Brisbane in Adelaide eingetroffen war, gab verzeihlicher
Weife zu dem Irrthume von einem Zufammenhange zwifchen
beiden Reiſen Beranlaffung. (Hiernach ift die Notiz auf
©. 16 diefes Bandes zu verbefiern. Ned.)
Die Macleay-Erpedition nad) Neuguinea.
Die von bem reichen Squatter Macleay in ber Eolonie .
Neu-Sid: Wales ausgerüftete Erpedition nad) Neuguinea
verlieh, wie wir ſchon in Bd. 28 des „Globus“ ©. 95 ber
richtet haben, am 18. Mat 1875 auf bem Barkſchiffe Che-
vert, geführt von Eapitäin Edwards, ben Hafen von Syd⸗
8
58 M' Farlane's und Macleay's Erpeditionen nad) Neuguinea.
ney. Zum Sciffsperfonale zählten 20 Perfonen, während
der Erpebition 10 angehörten. Dieje waren Williom Mac—
leay, Capitän Onslow, der Schiffsarzt Dr. James, vier
Zoologen und drei Botaniler. Da es ſich außer ber geos
graphiichen Erforſchung von Neuguinea nantentlich aud) um
Sammlungen auf dem Geſammtgebiete der Naturwiſſen—
ſchaften handelte, jo wurden auf der Hinreife ſchon mehrere
der vielen Meinen Juſeln, welche ſich an der Dftküfte von
Queensland bis zu Cape York hinaufziehen, beſucht. Am
18, Juni langte man in der Somerjet-Anficdelung an,
wo man bis zum 26, verblieb, Die Sammlungen, weldye
man hier machte, waren jedod) wenig lofmend. Die Um:
gegend war dicht bewaldet und der aus cifenhaltigem Sands
ftein beftehende Boden von der erbärmlichiten Sorte. Die
Anfiedelung jelbft verdient faum den Namen und befteht aus
weiter nichts als einer obrigkeitlichen Perſon, mehreren Con:
ftablern, einem Kaufmanue und etlichen Miffionären. Die
Yort-Halbinfel mit Vieh zu bejagen verfuchte erft ein Squat-
ter; aber der Verſuch mißlang und das —*— Horn⸗
vieh treibt ſich jetzt verwildert umher. Die Annahme, daß
Somerſet als Freihafen bald eine commercielle Bedeutung
erlangen werde, war faljch, Erſt die feit ungefähr 18 Mor
naten weſtlich von Cape York entftandenen Perlfiichereien,
welche ſich bis am die Küfte von Neuguinea Hinziehen und
gute Erfolge aufweifen, werden für Somerjet von Wichtig—
eit fein.
—* fegelte num von Cape York auf das 60 Miles ent⸗
fernte Warrior Island, eigentlich nur eine vegetationslofe
Sandbant von geringer Ausdehnung, aber deunoch der Wohn-
ort der zahlreichſten und fräftigiten Nace auf den Injeln
der Torresſtraße, welche auch den Geſammthandel des Archi-
pels in Händen hat. Am 28. Juni ging man dann an bie
Küfte von Neuguinea und zwar zunüchſt am bie ſchon bes
fannte Mündung des Katow-Fluſſes. Der Wind war
günftig und das große Warrior Reef, welches fait ohne
Unterbrechung von Warrior Island bis an die Küſte von
Nenguinen in der Nähe der Briftow-Infel läuft, ſchlitzt gegen
heftigen Seegaug. Nach Verſicherung des Piloten Yoe,
eines Eingeborenen von Warrior Island, weldyen man dort
an Bord genommen hatte, follte die Fahrt frei und offen
fein; allein während man noch 12 Miles vom Feſtland
entfernt war, gerieth man, bei einer Tiefe von nur 2 Faden,
in eim außerordentlich verfchlungenes Negwert von Kiffen.
Es koftete fehr viel Mühe und Arbeit, ſich durch diefe gefähr-
liche Stelle durchzuſondiren, bis man 1!/, Mile vor der
Mündung des Katow Niver und einem Dorje der Eins‘
geborenen, mit Namen Mohatta, gegenüber vor Anker gehen
fonnte,
Am nächften Morgen kamen zwei Canoes, mit 12 Dann
in jedem, an Bord, geführt von Maino, dem Häuptlinge von
Mohatta, und von Ocota, dem Häuptlinge eines 3 Miles
weiter weftlich gelegenen Dorfes. Obgleich fie mie zuvor
ein Schiff von ſolcher Größe wie die „Chevert“ gejehen
hatten, fo zeigten fie doch von vornherein das vollfie Zus
trauen. Ihrer Einladung, ans Land zu fommen, leiftete
man im der Zahl von 22 Perfonen bald darauf Folge und
wurde von den älteren Männern bes Dorfes, weldye auf
einer yioßen neuen Matte gelagert waren, freundlich em ·
pfangen.
Das Dorf beftand aus fieben Häufern, jedes 90 bis
100 Fuß lang, 6 Fuß hoch und mit grobem Stroh bebedt,
An beiden Enden waren fie offen und an den Seiten liefen
Schlafplätze entlang. Jedes Haus mochte ungefähr fünfzig
Perjonen fafien, fo daß denmad; die gefammte Bevbllerung
des Dorfes fid auf 350 belaufen hätte. Die Eingeborenen
waren fräftige, wohlgebaute Geftalten, pechſchwarz und mit
jübifchen Nafen, aber ohne die hervorfiehenden Kinnbacken
der Auftralier. Das wollige Haar wuchs in Bitfcheln, wel-
che®, wenn länger geworden, ſich zu compacten Ringelchen
formt, die fie dann nicht felten abſchneiden, um fid) daraus
eine Art Perrlicke zu maden. Die Männer gingen voll»
ftändig nackt. Manche hatten ſich die Schultern markirt
und Alle die Ohrlappen in allerlei wunderliche Formen zer
theilt. Diefe feltfame Sitte fanden unfere Reiſenden zuerft
unter den Eingeborenen von Cape Öreenville in 12° jüdl. Br.
und 1430 13° öftl. L. und dann wieber am Cape York und
auf Infeln der Torresftrage. Sie ſchießen mit ihren gewals
tigen Bambusbogen und Pfeilen von 4 Fuß Länge noch auf
120 Yards mit vollfter Sicherheit; und ebenfo find fie vor«
treffliche Seeleute und fchiffen mit ihren langen Canoes,
welche fie fi) aus den Stämmen mächtiger Korallenbäume
anfertigen, weite Streden. Die rauen ließen fich wenig
fehen; doch lernte man fo viel, daß fie nichts weniger als
Schönheiten waren. Während den Männern die Jagd, die
Fiſcherei und der Kampf zufällt, haben fie alle übrigen Ar—
beiten zu verrichten, wie Holzhauen, Waffertragen u. ſ. w.
Sie waren um die Yenden leicht bededt und fanden ein ber
fonderes Wohlgefallen an fchmitdenden Federn um Knie und
Aenkel. Dem Cannibalismus ſcheinen diefe Papuas nicht
zugethan zu fein, wiewohl man in ihren Häufern Schädel,
als Zierrath aufgeftellt, bemertte.
Die umliegende Gegend blieb ſich überall glei. Man
fonnte vom Schiffe aus bie Kuſtenlinie auf 30 Miles Über:
ſchauen, allein durchweg diefelbe Gleichförmigleit, nämlich
fumpfige Ebenen ohne die geringfte Steigung, jo weit das
Auge reichen lonnte, und mit Bäumen verichiedener Art und
Größe bededt.
Am nächften Tage wurde die Befahrung des Katow-
Fluſſes in dem Heinen Dampiboote, welches man mit ſich
führte und das durch aufgeftellte Drahtnege aud) gegen et-
waige Wurfgefchofle der Kingeborenen gefchligt war, ſowie
in dem Rettungsboote mit zufommen 20 Perfonen unter:
nommen. Die beiden oben erwähnten Häuptlinge befanden
fid) ebenfalls in der Geſellſchaft. Der Fluß zeigte bei ber
Mündung eine Breite von 200 Yards, verringerte fic) jedoch
bald auf 6O und dann auf 30. Die erften beiden Miles
pajfirte man dichten Mangrovewald; hernach bedeckte ſich
das Ufer mit einer ſchönen, bis zu 50 Fuß hohen Palme,
während dahinter ſich der ſumpfige Wald ausbreitete. Schon
bei der Entfernung von 9 Miles ſtieß man auf einen im
Fluſſe querliberliegenden Baum, weldyer die Fahrt verfperrte,
und alle Anftrengung, dies Hinderniß mit Aerten aus dem
Fluſſe zu entfernen, blieb erfolglos, Man mußte aljo um:
fehren, wäre aber nun bald mit den Eingeborenen der durd)«
fahrenen Gegend, bei denen man nicht zuvor die Erlaubniß,
ihr Gebiet zu betreten, eingeholt hatte, in böſe Collifion ger
rathen.
Am nähften Tage ſchickte der Häuptling Maino Depus
tirte an diefe aufgebrachten Eingeborenen ab, um fie von der
Abficht der Reifenden zu unterridjten, und letztere fügten aller«
lei Geſchenle bei. Dadurch wurde Alles wieder ausgeglichen
und man fonnte eine zweite Fahrt unternehmen, um das
Hinderni im Fluſſe aus dem Wege zu räumen. Allein
audı diefer Verſuch blieb umfonft. Da man nun weder zu
Lande noch zu Waſſer ins Inland gelangen konnte, jo blieb
nichts anderes übrig, ald am 10. Juli den Katowe Fluß zu
verlaſſen. Macleay wollte nad) der Mündung des Fly
Fluſſes fahren, um von hier aus weitere Forſchungen an-
zuftellen; allein der Gapitän Edwards weigerte. ſich aufs
Entſchiedenſte, eine foldye gefährliche Klippenfahrt, jo lange
der Sitdoftpaflat anhielt — und das dauerte bis October —,
zu unternehmen.
C. €. Stuhlmann:
Ungern entjchloß ſich nun Macleay zu einem Beſuche an
ber Oſtluſte des Gulf of Papua und zwar bei Hall Sound,
Diefer Sund liegt zwiſchen Yule Island und dem Feftlande,
eingefchlofien von hohen Felſen und bietet den größten Schife
fen die volllommenfte Sicherheit,
Nıle Island ift 6 Miles lang und eine jehr gefunde
und fruchtbare Inſel. Es hält ſich dort feit Kurzem der
italienische Naturforſcher D’Albertis auf, um naturwiflen«
ſchaftliche Sammlungen anzulegen. Man verfuchte nun ben
dort einmündenden Ethel- Fluß, wie ihn Capitän Moresby
benannte, zu befahren, allein man hatte faum 12 Miles
u fo zwang bafjelbe Hinderniß, welches man auf
dem Katow⸗Fluſſe angetroffen hatte, zur Umkehr.
Macleay beſchreibt die Gegend folgendermaßen: „Bis
auf einige Miles von der Küfte herrichen dichte Mangroves
fümpfe, von Salzwaſſerereels durchſchnitten; und hier ift die
Bevölterung ziemlich zahlreih. Dann fteigt die Gegend an
und ift mit Eucalypten und Korallenbäumen dunn bemalbet.
Dahinter, ungefähr 10 Miles von der Kite, wird es aber
fehr gebirgig und im der Ferne erhebt fich eine mächtige
Gebirgslette. Man ficht an hellen Tagen deutlich im Weiten
den Mount Yule und im Often den Mount Owen.“ Hier
gab es auch feine Bapuas mehr: diefe Eingeborenen waren
bharmlofe, furchtſame Menfchen, mit einer Färbung ins Gelb:
i Ihr Haar, nicht mehr wollig, wurde meiſtens in
Chignons getragen. Man bemerkte unter ihnen eine gewiſſe
Cultur, indem fie in der Anfertigung von Thonwaaren,
Netzen und Tuchen aus Faſern große Geſchicklichkeit beweiſen.
In ihren Häuſern herrſchte auffallende Neinlicheit und es
Chineſiſche Märchen.
eriftirte fogar eim befonberes Haus für den Empfang von
Fremden.
Bei Yule Island endete die Erpedition. Es herrſchte
in der Geſellſchaft feine Einigfeit mehr, und Dlacleay hielt
es für das Befte, den Aufbrud) anzuordnen. Man lief auf
der Rücklehr in Somerfet wieder ein, wo der Sciffsarzt
Dr. James und die Herren Pollard und Knight, Erſterer ein
Ausftopfer von Thierbälgen, Letzterer etwas in der Botanik
bewandert, blieben, um nad, Neuguinea zurüczufehren und
die Erforfchung des Innern mit Energie wieder aufzunehmen,
Un diefelbe Zeit war auch der Miffionsdampfer Ellengowan
in Somerjet eingetroffen und ber Kev. S. M' Farlane, wel-
cher in mächiter Zeit eine Meife nach Port Moresby beab-
fichtigte, war fehr gern bereit, die eben — drei For⸗
ſcher dahin mitzunehmen. „Port Moresby,“ ſchreibt
Dr. James, „it nur 25 Miles von einer ausgedehnten
Gebirgäfette, über welcher fi) Mount Owen, Mount Stanley
und Mount Yule aufthürmen, entfernt, und biefe Gegend
wurde nie zuvor von cinem Reiſenden befucht.“
Bon einer Unnerion Nenguineas ober einer Anſiedelung
dafelbft räth Macleay entſchieden ab, Er nemut die Projecte
auftralifcher Koloniften"Iuftige Hirngefpinnfte, die nur zum
Berderben und Untergange derer, welche die Uusführung
übernehmen wollten, ausfallen müßten. Die Eingeborenen
feien auf ihre territorialen Rechte außerordentlich eiferfüchtig
und einen Krieg mit ihnen anzufangen wiirde eine eben fo
ungerechte als in ihren Folgen bedeulliche Sache ſein. Das
gegen ift Macleay der Anficht, daß ſich ein Verkehr mit ihnen
ohne Schwierigkeit wilrde einleiten lafjen.
59
Chinefifde Märden
Bon C. E, Stuhlmann in Swatow.
Nachftehende Märchen find aus dem Buche Liao Chat
Chih J überfegt. Der Berfaffer deſſelben, BPu-Sung-Ling,
lebte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in der Pro=
vinz Shantung.
große Vorliebe für Sagen, Märchen und Geiſtergeſchichten
under ſammelte eine große Menge derfelben unter dem oben
angeführten Titel.
ſich im Himmliſchen Neiche einer ganz ungemeinen Beliebt:
heit, und zwar nicht bloß wegen des darin behandelten Stof-
Schon im früher Yugendzeit hatte er eine |
Das Bud, Liao Chai Chih I erfreut |
mand noch jo vertraut mit dem Trinken fein, fobald er einige
Gläſer des Gehräues zu ſich genommen hatte, war er ftärfer
beraufcht als jemals zuvor. In folge deſſen erfreute ſich
der Weinhändler einer weit ausgebreiteten Kundſchaft und er
ward von Tage zu Tage reicher.
Eines Morgens fand er neben dem Gährbottich einen
ſchlafenden Fuchs liegen, ber fich in dem Weine beraufcht
‚ hatte. Eiligſt machte er fid) Über ihn her und nachdem er
fes, ſondern auch wegen der Kürze, Klarheit und Eleganz
der Schreibart. Nadjfolgende drei Geſchichtchen nehmen in
gewöhnlicher chineſiſcher Schrift nur einen Raum ein, wel-
chen man bequem mit zwei Händen bededen fan, So weit
es mir überhaupt möglicd war, habe ic; wörtlich überjegt
und namentlich mir nicht irgend welchen Zuſatz erlaubt. Ich
habe gerade nadjjtehende Geſchichten ausgewählt, weil bie
beiden erften den in Europa, namentlich auch im den alt:
fächfifchen deutichen Yändern, noch heute im Bolfsglauben
lebenden Erzählungen von Werwölfen verwandt find, die
dritte aber nad) meiner Unficht eine neuere chineſiſche Ueber—
arbeitung der alten Sage von der Grundung Carthagos ift.
1. Ein Weinhändler zu Nanfing.
In der Stadt Nanfing lebte vor Zeiten ein Weinhänd-
fer, welcher feinem Wein, wenn er ihn geungſam hatte gäh—
ren laſſen, mebit einem veichlichen Waſſerzuſatz allerlei betäu«
bende Kräuter beizumifden pflegte. Mochte num aud) Je—
ihm die Füße gefuebelt, » dachte er daran ſich nach einem
tüchtigen Meſſer umzuſehen, als das inzwiſchen erwadhte
Thier recht flehentlic zu bitten begann, ihm fein Leid zu
thun. Der Weinhändler gab den Bitten nad) und Löfte die
Danden. Nunmehr aber verwandelte ſich plöglic) bas Thier
in einen Menſchen.
Dem Weinhändler war es befannt, daß in derfelben Gaffe
eine Familie wohnte, deren ältefter Sohn eine Frau ges
heiratet, von der es hieß, daß fie zur Machtzeit oft von
Flichſen heimgefucht und bedrängt werde. Somit fragte er
feinen neuen Belannten, ob er etwa jener Fuchs fei, ber fich
nächtlich zu der jungen Frau zu ftehlen pflege, und als fol«
ches bejaht wurde, bat der Weinhändler, welcher wußte, daß
jene eine nod) ſchönere Schwefter hatte, dem Fuchsmenſchen,
ihm doch bei diefer auch nächtlichen Eingang zu verſchaffen.
Der Fuchsmenſch machte erft viele Einwendungen. Endlich
aber gab er dem ungeftimen Drängen nad) und hieß ihm
mitfommen.
Sie famen zu einer Feloſpalte, aus welcher der Fuchs
alsbald einen Mantel aus grobem Tuch hervorzog. „Diejes
5*
60 Richard Andree: Mythen und Sprachen in den Pacifijchen Staaten Ameritas.
Kleid,“ fagte er nunmehr, „hat meinem verftorbenen Bruder
gehört, fobald dur es anziehft, gewinnft du die Kraft, alle
deine Abfichten ausführen zu lünnen, „Der Weinhändler
warf den Mantel um und ging vorläufig heim.
Zu Haufe bemerkte er, daß die Gabe des Fuchſes ihn
fr Jedermann unſichtbar made, denn erft nachdem er den
Mantel abgelegt, fahen feine Hausgenoffen ihn. Darliber
war er fehr er und ſchleunigſt ſuchte er den Fuchs auf,
und beide begaben ſich zu der Wohnung der beiden ſchönen
Damen. Als fie jedoch hier eintraten, gewahrten fie an ber
Wand einen Talisman, ein auf Papier gemaltes brachen:
artige® Ungethum. Bei diefem Anblick erjchrat der Fuchs
und weigerte ſich weiter zu gehen, weil, wie er fagte, der
Talisman von gewaltiger Kraft fei und er Unheil befitcchte.
Damit trat er zuriid und verſchwand.
Yangfam und zaghaft ſchritt nunmehr der Weinhändler
vorwärts. Da jedoch jet der gemalte Drache fich plötzlich
in einen wirflichen verwandelte und an der Mauer aufges
richtet mit erhobenem Kopfe und weit aufgerifjenem Rachen
ſich geberbete, ald wolle er auf ihm Losftärgen, nahm auch er
Reißaus.
Es hatte ſich nämlich begeben, daß jene Familie bei einem
bubbhiftifchen Priefter, welcher aus dem fernen Weften ge-
fommen war, Hilfe gegen die Nachftellungen der böfen Geiſter
gejucht hatte, und von diefem war der ftarfe Talisman an
die Wand gehängt worden. inige Tage nad) bes Weins
händlers erfolglofem Beſuch traf jener Priefter bei der Fa—
milie ein, um im Haufe, unter Vornahme von allerlei ma—
gifchen Künften, einen Altar zu errichten. Die Nachbarn
liefen bei dieſer Ceremonie in großer Dienge herbei und
unter ihnen auch der Weinhändler. Plöglicy wurde diefer
todtenblaß und rannte entfegt von dannen, als wenn Jemand
ihn verfolge und greifen wolle. Kaum hatte er feine Ihr
erreicht, als er zur Erde ftürzte und fich ſtrads in einen
Fuchs verwandelte, an deffen Körper und Beinen noch bie
menschliche Kleidung hing. Man wollte ihn tödten, fein
Weib aber bat flehentlich ihn leben zu laſſen und der hinzu«
gefommene bubbhiftifche Priefter befahl, ihm ins Haus zu
bringen. Hier reichte man ihm Eſſen und Trinfen, aber
in wenigen Tagen war er todt,
2. Der Fuchs im Kruge.
In einen gewiſſen Dorfe lebte einmal eine rau, welche
viel von einem Fuchſe verfolgt und beläftigt wurde und alle
angewandten Mittel wollen nichts helfen. Endlich bemerkte
fie, daß der Fuchs, wenn er ihren Schwiegervater nad) Haufe
fommen ſah, fid) in einem großen Kruge zu verfteden pflegte,
welcher hinter der Thür jtand, und hierauf baute fie im Stils
len ihren Plan.
Eines Tages, da ber Fuchs ſich wieder in das Gefäß
begeben hatte, nahm fie raſch etwas Baummolle und ver-
ftopfte damit die Oeffnung des Kruges. Hierauf fegte fie
felbigen in einen großen Reel, worin fie Waller goß und
unterheizend brachte fie ſolches bald zu einem luſtigen Auf-
brodelm umd kochen. Als nun der Krug immer heißer
wurde, begann der Fuchs zu ſchreien und flehte die Frau an,
doch feine Graufamkeit zu begehen, Sie verhielt ſich jedoch
völlig fchweigend, während der Fuchs immer lauter und
erbärmlicher fchrie. Endlich verhielt er fi fill. Man
öffnete jegt den Krug umd unterfuchte ihn, Alles was ſich
darin vorfand, war ein Häufcen Haare und einige Tropfen
Blut.
3. Der Teppich der rothhaarigen Männer.
Ehebem war es ben rothhaarigen Männern (gemeinhin
wurden in früherer Zeit die Holländer fo genannt) geftattet,
mit China Handel zu treiben. Ein Küftenauffeher jedoch,
weldyer der Meinung war, daß bie Fremden zu zahlreich
werben möchten, verwehrte einft denfelben zu landen. Jene
baten darauf inftändigft, ihmen doch ſolches zu geftatten und
fie fagten ſchließlich, daß ihnen ſchon ein Fleck Landes von
ber Größe eines Teppiches gemüge. Der Auffeher, welcher
dachte, das fei nicht viel, gewährte hierauf ihre Bitte. So—
mit wurde ein Teppich ans Land gebracht, der anfcheinend
nur jo groß war, daf zwei Beute darauf Pla hatten. Als
berfelbe jedoch) ein wenig aus einander gezogen wurde, fonn-
ten vier oder fitnf darauf ftehen, umd wie diefe ihn nur hin
und her zu reden begannen, wuchs fein Umfang immer mehr
und leichzeitig auch die Zahl der rothhaarigen Männer.
Der Teppich erreichte bald die Größe eines Ackers und die
Zahl der Menfchen wuchs auf über hundert. Diefe zogen
nunmehr ihre Scywerter und fielen über die Einwohner her,
welche ſich deſſen gar nicht verfahen. Nachdem fie das Fand
in eimem Umfreife von mehreren Meilen völlig verwüſtet
hatten, zogen fie wieber ab.
E 2
J *
Die franzöſiſchen und anderen Jeſuiten, welche zu Ende
des 17. und im Anfang des 18. Jahrhunderts China ſtark ins
Auge gefaßt hatten, jahen die Handelserfolge der proteftan-
tischen Holländer mit großer Abgunſt an, und nicht unmög«
(ich dürfte es fein, daß obige Erzählung ihmen ihren Urfprung
verdankt, oder auch daß Pu-Sung-Ving die von ihnen ge-
hörte Geſchichte von der Königin Dido und der Ochfenhaut
jo feinen Yandsleuten voltsthimlicher und imtereffanter zu
machen geglaubt hat. Zaubergeſchichten find an ſich bei den
Chinefen jehr beliebt, und es verlegt ihren Nationalftolz we-
niger, wenn eigene Niederlage und freinder Erfolg ſich auf
Zauberei gründet, als auf Schlauheit und Ueberliftung, worin
fie ſich ſelber unübertreffbare Mufter dünken.
Mythen und Sprachen in den Pacififhen Staaten Amerifas *).
R. A, Wie die beiden erften früher im „Globus“ be
ſprochenen Bände diefes außerordentlich, umfangreichen Wer:
fes ift aud) der vorliegende mit der gleichen enormen Sach—
fenntnig, mit demfelben Riefenfleige gearbeitet. Man kann
dreift jagen, daß Bancroft's Buch, dem mod) zwei weitere |
| By Hubert Howe Bancroft.
maßen eine große Bücherfammlung erſetzt. Es ift, wenn
ber Ausdrud erlaubt, eine comprimirte Bibliothef. Der
Autor, dem eine großartige Bücherſammlung zu Gebote ftand,
*) The Native Races of the Pacific States of North America,
Vol. 11, Myths and Languages.
Bande folgen, eine Bibliothef im Kleinen bildet und gewiſſer | Yrıpyia, #. W. Brodbauf, 1975.
Richard Andree: Mythen und Sprachen in den Pacifiſchen Staaten Amerikas. 61
hat feit Jahren fein Ungenmert darauf gewandt, das Thats
fähliche aus derfelben auszuzichen und dann wohlgeords
net, Mar und lichtvoll guuppirt, wiederzugeben. Daß er
Hypotheſen und Epeculationen möglichſt bei Seite ließ, fün-
nen wir ihm nur Dank wiſſen. So befchäftigt ſich der erfte
Band mit den Naturvölfern der Pacifiſchen Yänder Nord«
amerifas von der Eismeerfüfte bis zur Yandenge von Darien,
der zweite behandelt die alten Culturvölker Mexicos, Yuca—
tand und Mittelamerifas, der dritte vorliegende endlich bringt
Mythen und Spradıen.
Wir können natlirlich nicht auf den Gefammtinhalt bes
800 Seiten umfajfenden Bandes eingehen, wollen aber dem
Lefer einen Ueberblid deffelben geben umd einige Einzelheiten
hervorheben. Er beginnt mit den reichen Schöpfungsfagen
der pacififchen Bölfer, wobei er hier und ba über die geſteck⸗
ten geographifchen Grenzen Hinandgreift und hinausgreifen
muß. Diefe geographijcde Begrenzung, welche die Ameri«
faner im Often und Süden ausſchließt, ift unſerer Anficht
nach ein Fehler des Buches, denn jie ift nirgends genau
burdyzuführen und it eine gezwungen, So werden die
Mayas in Yucatan, welche ſicher nicht in den angenommenen
Rahmen gehören, mit behandelt, da jie neben den Culture
völfern Mericos nicht fehlen durften, und auch die Civili-
fation der legteren entwidelte fic nicht an den Geftaden der
Südfee, fondern auf ben Hocebenen des Innern.
Gerade die Schöpfungsfagen bieten vielfache Anklänge
an Mythen der alten Welt, ohne daß hieraus aber auf einen
Zufammenhang der Völfer auf der öftlicdhen und weftlichen
Erdhälfte gefcloffen werden dürfte. Das Neuer wird oft
anf liſtige Weife höheren Mächten abgemonnen. Die
Quiches in Guatemala erhielten es von dem Gotte Tohil
gefchentt. Als Regen und Hagel die koftbare Gabe wieder ver«
löfchten, baten fie abermals darum. Da ftampfte der Bott mit
feinen Sandalen, und es entjtand von Neuem, Bei nord»
amerifanifchen Indianern ftiehlt ed der Cohote, ber Prärie-
wolf, weldjer überhaupt eine große Rolle a la Neinede fpielt.
Bei den Navajos find noch Fledermaus und Eichhörnchen
Genofien bes Coyote bei der Schaffung des Feuers, Der
Coyote befeftigte einige Splitter Kienholz an feinen Schwanz,
rannte durch das Feuer, wo das Holz fich entziindete und
floh mit feiner Beute davon. Über er wurde verfolgt und
mußte die Splitter fallen laffen, die num von Fledermaus
und Eichhörnchen den Navajos gebracht wurden. Viele Völ—
fer glauben von Thieren abzuftammen. Ich finde diefen
Glauben in Grönland, bei den Tungufen, Ainos, Aſchanti ıc.
So erzählen aud) die Potoyantes: Es war einmal eine Zeit,
in welcher noch feine Menfchen eriftirten; nur Coyotes wa⸗
ren vorhanden, Wenn einer derfelben ftarb, jo entftanden
aus dem Körper zahlreiche Heime Thiere. (Wie ans dem
Leichnam des Riefen Ymir, der im Ginnunga-Gap vermo-
derte, ſich Maden entwidelten, die zu Zwergen wurden.) Die
Kleinen, aus ber Leiche des Coyote entftandenen Thiere war
ten aber Geifter, die, nachdem fie einige Zeit auf dem todten
Coyote umhergekrochen waren und verſchiedene Geſtalten ange:
nommen hatten, Flügel entwidelten und zum Monde hin:
ſchwebten. Da aber die Erde in Gefahr ftand, entvölfert
zu werben, fo hielten die alten Coyotes Rath, wie dem ab⸗
geholfen werben fünne. Sie famen überein, daß von jet
ab alle Leichen zu verbrennen feien, und fo entſtand der
Brauch die Todten zu verbrennen, der bei den Potoyantes
noch herrfcht. Diefe gefcheidten Coyotes nahmen aber nad)
und nach menjchliche alt an, in der Weife, daß erſt ein
Ohr, eine Zehe, eine Hand anthropomorphijirt wurde und
fo fort, bis ein Menſch daftand. Leider ging bei biejen
Proceffe and) der ſchöne buſchige Schwanz verloren, was
bie Potoyantes tief beflagen.
i feftlichen Gelegenheiten
aber, wenn fie tanzen, ſtecken fie ſich einen Coyoteſchwanz
an und erinnern fich dabei ihres Stammvaters,
Die univerfelle Sintfluthtradition (von der wir aller-
dings auf afrilanifdhem Boden wenig wilfen) fehlt
bei den Bölfern am Geſtade des Stillen Weltmeers nicht,
und abermals fpielt dabei der Coyote eine hervorragende
Rolle, wenigftens bei den nördlichern Völlern. Die Papas
gos am Rio Gila erzählen, daß die erfte glückliche Zeit
durch eine große Fluth abgefchloffen wurde, in der alles Yebende
unterging. Nur der Gott Montezuma — nicht zu ver—
wechjelm mit den beiden mericaniſchen Herrſchern Montes
zuma — und fein Freund, ber Cohote, entgingen dem Tode.
Der Coyote hatte nämlich die Fluth verfündigt und Monte:
zuma in folge deſſen ein Canoe erbaut, in welchem beide
ſich retteten. Montezuma war num begierig zu erfahren,
wie viel Land übrig geblieben fei, und fchidte den Coyote
nad) allen vier Windrichtungen aus; im Suden und Welten
tcaf er bald auf das Meer, etwas länger hatte er zu reifen,
bis er im DOften dad Waſſer fand, während er vom Norden
mit der Kunde heimfehrie, hier fei nur Land zu fehen.
Unterdeffen aber hatte der „große Geift* mit Hilfe Monte—
zuma's die Erbe wieder mit Menſchen und Thieren bejievelt.
Der maiven Anfchauung der nordamerikanifchen Ein:
geborenen gemäß konnten die unfcheinbarften Weſen welten-
fchöpferifch auftreten. So lafjen die Tacullies in Britifch-
Columbia die Biſamratte Schöpfer fein. Die flache Erde
war nad) der Taeully⸗Ktosmogonie zuerft mit Wafler bebedt;
auf diefem ſchwamm, Nahrung ſuchend, die Bifamratte hin
und her. Da fie feine fand, holte fie ein Maul vol Schlamm
vom Grunde, den fie am der Oberfläche wieder ausfpie.
Das wiederholte fie jo lange, bis daraus eine Inſel ent
ftand, aus der ſich allmälig die ganze Erde bildete. Auf
unerklärte Weife wurde dieſe Erde aber überall bevölfert,
bis eim großes Feuer über fie hinraſte und alles Lebende,
zwei Menfchen ausgenommen, zerflörte. in Mann und
eine Frau verbargen fi in einer tiefen Felſenhöhle und
bevölferten die Erbe wieder.
Univerjell, wie die Sintfluth, erfcheint auch die Berehrung
der Himmelsförper ober wenigſtens eines höhern in ben-
felben wohnenden Wefens. So dürfen wir und nicht wun«
dern, wenn wir den Sonnendienft bei den civilifirten
wie uncivilifirten Bölfern Amerilas wieber antreffen. Die
wilben Chichimelen, oder jene Abtheilung der wilden Stämme
Mericos, welche Alegre mit diefem Namen belegt, erfannten
die Sonne als ihre Gottheit an und baffelbe war bei dem
Bolte des Nayarit-Yandes der Fall.
Im civilifirten Merico wurde die Sonne unter dem
Namen Tonatiuh (die Sonne ald Körper) und als Naolin
(die Sonne in ihren vier Bewegungen) verehrt, Sie wurde
dargeftellt als ein von Strahlen umgebenes menſchliches
Geficht oder auch ald ganze Figur, dann öfter verwechſelt
mit dem Gotte des Feuers. Nah Miller (Amerikanifche
Urreligionen) waren der Sonnengott und der höchſte meri«
caniſche Gott, Teotl, fogar identiſch. Fand eine Sonnen:
finfterniß ftatt, fo waren die Mericaner nicht wenig beuns
ruhigt, da fie glaubten, irgend ein Wefen beleidige und pei«
nige fie. Ein allgemeiner Schreden entftand, die Weiber
weinten und die Männer liefen umber, um Leute mit hellem
Geſichte und weißem Haar (Albinos) aufzufuchen, die der.
Sonne dann geopfert wurden. Man wähnte, daß wenn die
Berfinfterung total würde, alles Licht ein Ende nähme und
in der Finſterniß Dämonen herabftiegen, um die Menſchen
zu verfchlingen. Die Tlascaltelen hielten Sonne und Mond
für Mann und Frau; zankten diefe fi, dann entftand Ber-
finfterung. Der auch anderwärt® vortommende Gebrauch,
Lärm zu fchlagen, wenn die Sonne ſich verfinftert, hatte
62
in Amerifa denfelben Grund: man wollte das böfe Weſen,
welches fie bedroht, dadurch zurlidichreden. Nach Ribas
glaubten die Sinaloas, dag eine Mondfinfterniß durch den
auffteigenden Staub einer Schlacht verurſacht würde. Der
Mond fümpfte mit feinem Feinde. Die Sinaloas ſchlugen
dann, um letztern zur fchredten, gegen die Wände ihrer Häu«
fer und ſchoſſen Pfeile gegen den vermeintlichen Gegner ab.
Kometen hießen bei den Mericanern eitlalinpopoca,
der raudyende Stern. Ihre Erfcheinung wurde als ein all«
gemeines Unglüd angefehen, der Peſt, Dürre oder Tod eines
Flirften folgte. Man jcligte fid) gegen die fchäblichen
Strahlen des Kometen.
Auch im den Anſchauungen über das Waſſer und
heilige Quellen treffen wie auf Uebereinftimmungen
mit der alten Welt. Es ift das urſprünglichſte der Elemente
bei den Amerikanern, und aus dem Urocean taucht die Erde
auf. Wafler ift der erfte Ermährer des vegetabiliſchen Le—
bens, die Grundbedingung der Fruchtbarkeit — von hier ift
nur ein kurzer Schritt, win anzunehmen, daß es die Mutter
alles Lebendigen fei, Nach Sahagun fagt, während der
mericanischen Taufe, die Hebamme zum Neugeborenen: „Chal-
ehiuhtlieue, die Göttin des Waſſers ijt deine Mutter,“
Mericaner, Mayos und andere Amerifaner hatten lange vor
Ankunft der Chriften eine Art Taufe, bei welcher dent Waſ⸗
fer entfündigende Eigenfchaften zugefchrieben wurden. Wer
bei den Navajos eine Leiche trug, war umrein und mußte
durch Waſchen ſich reinigen. Die Zuñis (MNeumerico)
hatten eine dem Regengott geheiligte Quelle, aus der lein
Thier trinken durfte. Alljährlich wurde fie mit heiligen
Gefäßen gereinigt, uralten Bafen, die vom Gejchlecht zu
Geſchlecht ſich forterbten und die in Reihen auf dem Dlauer-
franz der Quelle aufgeftellt waren. Der Froſch, die Hlap-
perſchlange und die Schildfräte, dem Schliger der Duelle
heilige Thiere, waren auf den Vaſen abgebildet *).
Überglauben, der mit Erdbeben verknüpft ift, findet
fic) bei den Mericanern, welche der Erbe mütterliche Fune—
tionen zufchreiben. Site führen ihre Kinder ins Freie und
ſprechen dabei (nach Sahagun) „das Erdbeben wird dich
wachſen machen“. Der Gegenftand ift von Intereſſe und
es verlohnt fich der Mühe einmal die Anfchauungen ber
Bölfer in diefer Beziehung zufammenzuftellen **).
Thiere find vielfach; heilig. Die Californier bei San
Diego verzehren fein Fleiſch von großen Thieren, da fie in
ihnen die Seelen ihrer Borfahren vermuthen. „Wildpretefjer*
ift bei ihnen ein Borwinf. Bei den Moquis verwandeln
) Eine Abbildung diefer Quelle finten wir bei Möllhaufen.
**) Binige Beiträge wollen wir bier liefern, Der kamtſcha-
balifhe Geiſt Tüd. der, vom feinem Hunde Kofaia gegogen, auf
einem Schlitten fährt, it ber Utheber des Erdbebens. Gr führt
unter der Erde, und wenn fein Hund ſich bie Flöde oder den Schnee
abfhüttelt, entitcht das Etdbeben (Steller, Kamtſchatta, ©. 267).
Nach ver norbifhen Motbologie entitcht es aus den Zuckungen ves
gefeſſelten Loli, wenn Gifttropfen auf fein Antlig mieberfallen. Den
Andern entftebt Etdbeben, wenn einer ber acht Flepbanten‘, bie den
Erdball tragen, feiner Laſt mübe, einmal das Haupt fchüttelt. Die
Japaner jagen, wenn die Etde bebt: Es iſt wieder ein Walfiſch
unter unferem Lande fortgelrochen ;" bie Tabitier: „Gore ſchüttelt
die Erde ;* die Letten: „Drebfuls prügelt bie Orte, daß fie zittert,“
gerate wie die Öriechen ihren Pofeiton 'Ervroaiyeiog nennen (Grimm,
D. M. 475). Bei den Kabarbinern it ein Held (Prometheus) an
den Glörus angelettet ; wenn er feine Ketten ſchüttelt, bebt die Erbe
(Baſtian, Geograph. und Etbnol, Bilder, ©. 74). Auf Jakunthoe
ſchüttelt Gott im Zerne fein Haar oder er meigt das Haupt zur
Gere, wodurch die Erſchütterung entjtcht (Schmidt, Vollsleben ber
Neugriehen I, 33). Bei den Negern am Niaffafee fällt ein Stern
ins Meer, das firtent aufmallt und durch feinen Wellenſchlag Pie
Erde erfchüttert (Day. Livingſtone's legte Neife, S. 134). Nah
ter Vorftellung des Königs von Daheman badete ſich ber Geiſt feines
Vaters im Meere, als 1862 das Erbbeben von Hera an ber Gold⸗
tuſte ſtattfand (Burton, a Mission to Gelele Il, 25) u. f. m.
|
Richard Andree: Mythen und Sprachen in den Pacifiſchen Staaten Ameritas.
fich die Geftorbenen in Bären, Hirfche und andere Thiere.
Die Tinneh verzehren feine Wölfe, Füchfe, Naben u. ſ. w,,
weil diefe von den Peichen ihrer ausgeſetzten Todten ſich nähren.
Der größere Theil des vorliegenden Bandes ift den
Göttern, übermatirlichen Wefen und deren Verehrung ge»
widmet, doch müfjen wir hier auf das Buch felbft verweiſen,
um nod) einige Worte ber die Sprachen fagen zu lönnen.
Weit gereifter als die Cultur der Amerifaner erſcheinen
ihre Sprachen. Durch die ganze Fänge und Vreite der
„beiden Amerifas“ zeigen die Sprachen der Eingeborenen
einen größern Reichthum und feinere Ausbildung als man
bei dem Gulturgrade, in weldyem die verſchiedenen Stämme
gefunden wurden, vorausjegen durfte. Die wenigen Pins
guiften, welche fic bisher mit den amerifanifden Spradjen
befchäftigten, haben etwa folgende Ihatfachen zu Tage ge
fördert: Es eriftirt zwiſchen allen Spradyen Amerilad vom
Norden bis zum Süden eine Verwandtſchaft; alle haben ge
wife ihnen eigenthlimliche Mertmale und find gut von allen
übrigen Sprachen der Erde zu unterfcheiden. Wenn aud)
einige diefer Merkmale bei einigen Sprachen der alten Welt
ſich wiederfinden — namentlich bei den fogenannten Tura—
niern — fo find doch nirgends auf unferm Planeten die
Uebereinftimmungen in ber Sprache mit ſolcher Perſiſtenz
über ungeheure Räume und durch zahlreiche Stämme ver
breitet, wie in Amerifa. Nirgends giebt es Sprachen, bie
jo verfchieden untereinander und doc wieder fo gleich find
wie hier. So zahlveid, und verſchieden aber auch die einzel-
nen Sprachen in Amerifa erſcheinen, fo gelingt es doch bei
eingehenderem Studium, diefelben in große Gruppen zuſam⸗
menzufaflen. Dabei aber find die amerilaniſchen Spras
Se wie Whitney fagt, die allveränderlichften der ganzen
elt.
Ein Heſonderes Mertmal ift das häufige Vorlommen
langer Wörter. Selbft das Otomi, die einzige Sprache
Amerilas, die monofyllabifc; genannt werden kann, enthält
eine Anzahl vergleichsweife langer Wörter. Diefes Con«
ſtruiren uns endlos lang erſcheinender Wörter findet in allen
amerifanifchen Sprachen mit großer Leichtigkeit ſtatt. Der
Eingeborene der neuen Welt jagt oft, vielleicht nur von
einem Zeichen oder einer Geberde unterftütt, das in einem
einzigen Worte, wozu ber Curopäer einen ganzen Satz
braucht. Er padt die größtmöglice Anzahl von Ideen in
die compactefte Form zufammen. Diefe lingwiftiiche Eigen«
thilmlichleit wird von Duponceau als polyſynthetiſch, von
W. von Humboldt als agglutinativ, von — als holo»
phraſtiſch bezeichnet. So dritdt der Azteke Brieffrancatur
mit amatlacuilolitquiteatlaxtlahuilli aus, was wörtlich
überfegt bedeutet: „Die Zahlung, welche für Fortſchaffung
eines Papiers empfangen wurde, auf welches etwas gefchries
ben iſt.“ Die Tſchilares gehen darin noch weiter. Wini-
tawtigeginaliskawlungtanawnelitisesti: „Sie werben zu
jener Zeit beinahe aufgehört haben, Dir und mir Gunftbe-
zeugungen dargebradjt zu haben“. Webuplicationen und der
Gebrauch des Dual find gleichfalls in den amerifanifchen
Sprachen häufig.
Die größeren Sprachfamilien werden meiftens im Binnen-
lande angetroffen, während am der Küfte, namentlich der
Nordweftläfte, die Sprache in zahllofe Bruchftäde zertrüns
mert iſt. Hier herrſcht reine babyloniſche Verwirrung.
Brancroft jagt: „Es ift keineswegs unwahrſcheinlich, daß
Malayen, Chinefen oder Japanefen, oder alle zufammen ein
mal im heutigen Nordamerila in folder Anzahl erſchienen
find, um die Sprache materiell zu beeinfluffen; doch ift, das
Eslimo ausgenommen, bis jegt feine afiatifche oder euros
paiſche Sprache in Amerika gefunden worben; noch find Ber
wandtichaften mit irgend einer Sprache ber Welt entdedt
Aus allen Erdtheilen.
worden, die genügend exfchienen, um eine Zufanmengehörig-
feit mit anderen Bölfern zu begründen.“
Was den erften Theil des Satzes betrifft, fo wäre hier
eine Begriindung wahrlich am Plage geweſen; denn auf das
allerdings beftätigte gelegentliche Verſchlagen japanifcher
Dſchonken durch den Kuroſiwo nad) der Nordweſtkliſte wird
Bancroft feinen Ausfpruc doch nicht wohl ftügen wollen;
und was den zweiten Theil, die verwandtſchaftlichen Bezie—
hungen, betrifft, welche von half ledged scientists ausge—
fprodjen worden fein follen, fo wird dod; wohl darunter
nicht Ahlquift zu verftchen jein, der nachwies, daß bei den
Mordvinen die Verbalflerionen und objectiven Berfonalprono«
mina nad) mericaniſchem Mufter auf das Dichtefte verwebt find.
Völlig recht hat Bancroft, wenn er die Phatafien Na—
jera's, des jonft verdienten Abb Braſſeur and Burburg in
Tranzöfifcp- Flandern, und des half crazed Yord Kings:
borough geikelt. Ex ftellt jelbft dann eine Reihe von ame—
rilaniſchen Wörtern zufammen, die in der Bedeutung wie im
Klange mit afiatifchen und europäiſchen faft völlig überein
ſtimmen, ohme daß ein Linguift darauf verwandtfchaftliche
—— gründen lönnte. Für das deutſche „ja“ haben
wir im Shafta ya; für „tomm“ das Komantſche kimm;
für „Kopf“ das Cahita koba; für „weinen“ das Cora
vyeine; für „thun® das Tepehnana duni; fir „nichts,
nein“ das Tſchinuk nixt, nix. Für das griedifchexögeg
das Tarahumara colatschi; für undeiv das Cora muate;
für porn das Cafita cuna. Für das lateinifche hie,
vas in Tepehuana hie, vase, für mucor das Cora mucuare;
für lingua das Moqui linga; für vallis das Kalapuja
wallah; für toga, manus in Kenai togaai und man. für
63
das franzöfifche casser in Tarahumara cassnialer; für
tätonner das Tepehuana tatame. Für das ſpaniſche
hueco das Tarahumara hoco; für tuétano dag Cora tutana.
Für das italienijche cosi das Tarahumara cossi; für das
arabiſche ächar das Tarahumara ajare; für das has
waiifcdhe po (Nadjt) das Sekumne po. Im Sanstrit
da (gieb) ıft im Cora ta; eke (eins) im Miztafifchen ec;
für mä (micht) fteht im Tepehuana mai und im Dlaya ma;
für masa (Monat) im Pima mahsa (Mond); für tschan-
dra (Mond) im Kenaifchen tschane; fir pada (Fuß) das
Sefumme podo (Bein); für kamä (Viebe) das Schofconi
kamakh (lieben); für pa (trinfen) im Kizh pan. Für das
malayifce täna (fragen) haben wir im Tepehuana tani;
für hurip (leben) und tabah (jdlagen) im Cora huri und
taba; für homah (Haus) im Shafta oma und fo fort.
Bei der außerordentlichen Zerfplitterung der Spradyen
in Amerika verfielen die Eingeborenen, um fid) unter eine
ander verftändlic) zu machen, auf die Zeichenfpradye. Das
Mertwürdigjte dabei ift, daß bdiefelben Zeichen von Alasta
bis Merico und noch jüdlicher benugt werden, Um den Na+
men feines Stammes zu bezeichnen wird der Flachkopfindianer
feine Hand aufs Haupt legen; der Krähenindianer das lies
gen eines Vogels nachahmen und der Nez Percs mit dem
Finger auf die Nafenfcheidewand deuten. Feuer wird durch
ein Anblajen, Waſſer durch eine fchöpfende Bewegung ber
Hände und die Geberde des Trinfens, Handel durch cher
einanderfveuzen der Zeigefinger bezeichnet. Zum weitern
Verſtändniß haben ſich denn auch Jargons heransgebildet,
wie das Slavé am Yufonfluffe und der Oregon⸗Dialelt.
x
Aus allen Erdtheilen.
Mene Erpebition nad der Nordküſte von Sibirien.
A. k. In der Sigung der Petersburger Geſellſchaft zur
Aufmunterung des Handels und der Induſtrie vom 15. De:
cember 1875 wurde die Mittheilung gemacht, daß ein Ano: |
uymus 25,000 Nubel zur Ausrüftung einer Ervebition ge:
ſchenkt babe, welche eine Handels- und Schifffahrtsſtraße
längs der Nordküſte Nuflands und Sibiriens zu den Mün—
dungen der großen fibirischen Ströme, event. bis zur Behrings-
ftraße im wiſſenſchaftlicher Weile fuchen und unterſuchen joll.
Bon mehreren anderen Seiten waren gleichfalls beträcht:
liche Summen, zuſammen 26,000 Rubel, eingenangen. Bro:
feffor Nordenſkjöld, welcher durch feine glückliche Fahrt
bis zum Buſen des Jeuiſſey (f. Globus“ XXVIL, 5.347 ff.) |
den Anſtoß zu diefen Unteriuchungen gegeben bat und dafür
der Gegenitand enthufiaftiicher Ovationen in Rußland ger
worden ift, weil man ſich — vielleicht etwas übereilt — eine
große Entwidelung des fibiriichen Haudels von jener neuen |
Waſſerſtraße verjpricht, hat ſich bereit erflärt, die auf min:
deftens drei Jahre berechnete Reife im nächiten Sommer an— |
zutreten. Diefe Ankündigung, ſowie die Nachricht, daß der
engliiche Capitän Wiggans die maritime Leitung übernom—
men habe, wurbe von ranfchendem Beifalle begleitet.
Der Präfident der Geſellſchaft, Herr Pogrebow, hat
die Bürgermeifter von Tiumen, Tobolsk, Krasnojarst, Tomsf,
Selaterinenburg und Irkutsk Namens der Gejellihaft und
im Intereſſe des ruſſiſchen Handels erfucht, das mationale
Unternehmen nach Kräften zu unterftilen.
Antwerpen als Markt für auftralifche Wolle.
H. G. Die auftraliihen Squatters haben es fatt, mit
ihrer Wolle einzig und allein auf den Londoner Markt an:
gewichen zu fein. Sie wollen der City dies Monopol, wel
ches jo ſehr zu ihrem Nachtbeile ausgebeutet wird, entreißen
und Antwerpen zu einem Centralmarkte für den europäiichen
Gontinent erbeben.
Es ift immer, fowohl für den Verkäufer von Rob:
producten als für den Fabrikauten, vortbeilhaft, wenn beide
in möglichit unmittelbare Verbindung treten. Die hundert:
tanfend Ballen auftraliicher Wolle, welche der Continent
Europas mindeftens alljährlich importirt, brauchten den Um—
weg Über London, wie jeyt der Fall ift, nicht zu nehmen.
m dies zu vermeiden, hat man in Auftralien allgemein
Antwerpen in Vorſchlag gebracht, welches fich fchon dadurch
empfichlt, dab es feit Jahrhunderten ein wichtiger Stapel:
vlah für Wolle war, in früheren Zeiten für engliiche und
ipanifche, und Später für ſüdamerikaniſche, Cap- und ruſſiſche
' Wollen. Im Jahre 1574 wurden dort 281,577 Ballen zum
Verkaufe geftellt, freilich wenig gegenüber London. — Daun
ift Antwerpen als neutraler Hafen den politifchen Störungen
weniger anögefet, liegt ſehr günſtig und hat Eiſenbahnen
ins Inland nad allen Richtungen bin.
Der Käufer part die Koften der Fracht von London
aus und die dortigen fehr hoben Commiſſionsgebühren; er
taun diefen Marktplatz leichter befuchen und feine Einkäufe
felber machen. Dieſes betrifft namentlich das induftrielle
Belgien und das anliegende Frankreich.
Außerordentliche Vortheile erwachſen aber für ben au:
ftraliichen Squatter. Der in London geltende Gebrauch,
vom Gewichte der Wolle einen nicht unbeträchtlichen Abzug,
zum Scaben des Verläufers (draught), zu maden, über
welchen in den legten Jahren als völlig ungehörig foviel
hin⸗ und hergeftritten wurde, füllt in Antwerpen weg, und
%
64 Aus allen Erdtheilen.
Hunderte Ballen Wolle, welche in London nur zu 34,205
Pfund berechnet werden, würden fich in Antwerpen auf
34,524 Pfund ftellen. Die Auctionsgebühren und Koften
für Pagerung* belaufen ih in London für jede hundert
Ballen auf 24 Pf. St. 19 Sch., in Antwerpen nur anf 11
Pf. St. 11 Sch., und die Berfiherung gegen Feuer in London
auf 5 Pf. St. 55c,, in Antwerpen auf 1 Pf, St. 18 Sch.
10 P. Kurz, unter der Annahme daß an beiden Pläsen
derfelbe Preis renlifirt wird, würde in Antwerpen auf je
hundert Ballen ein Mehr von 32 Pf. St. 11 Sh.3 2. er—
zielt werden. Das find wichtige Gründe für den auftre-
liſchen Squatter, fein Augenmerk auf Antwerpen zu richten.
— Mr. Alvan S. Soutbwortb, Secretär der Ameri—
fanifchen Geographifchen Gefellichaft, bat unter dem pom—
pöſen Titel: „Viertaufend Meilen afrikaniſcher Wanderun—
gen“ ein Buch geichrieben, das Antereffantes nur wenig,
Neues fait gar nicht enthält, bis auf feine ftatiftiichen An—
gaben, die neu und intereffant zugleich find. Denn er giebt
nicht nur die Anzahl der menschlichen Bewohner des äghpti—
ſchen Sudan (36 Millionen Seelen, etwas zu hoch gegriffen,
ftatt der 10%, Millionen, die derjelbe in der That bat) und
die Menge der Hausthiere, auch diefe etwas boch zu 1),
Millionen Kameele, 6 Millionen Stid Rindvieh und zabl-
loſe Schafe; nein‘, er verfteigt ſich auch zu einer Schägung
ber wilben Beftien. Das Londoner „Athenäum*, welchen
wir diefe intereffanten Data entnehmen, ſchlägt den äghpti—
hen Sudan zu der Zeit ald Mr. Soutbwortb fchrieb, zu
circa 550,000 englischen Quadratmeilen an und bat fich dann
die Mühe genommen, die Anzahl lebender Weſen pro engli-
ſche Quadratmeile, deren 21%, auf eime deutiche gehen, zu
berechnen. Danach lebten auf einer engliichen Duadratmeile
65 Menichen, 3 Kameele, 11 Stück Rindvich, 5154 Affen,
2727 Zöwen, 2727 Antilopen, 55 Elepbanten und 5 Krokodile.
Wenn das wahr wäre, meint das englifche Blatt, dann könnte
fich dort vor lauter Fillle weder Menich noch Thier bewegen.
— Der Berfuh, welchen die brafilianifche Regierung
vor zehn Fahren machte, den pernaniihen Quinabaum
einzugewöhnen, ſcheint geglüdt zu fein. Die Pflanzung des
Staates in Therefopolis befindet ſich wenigſtens in blühenden
Zuftande und ebenfo beweilen Heinere Privatanlagen, daß
der Baum auf den höher gelegenen Strichen der Provinz
Rio de Janeiro gut fortfommen kann.
— In San Paulo in Brafilien erfchienen 1846 nur zwei
Zeitungen; 1875 ift deren Zabl auf 39 gewachſen, von mel:
hen zwei täglich und die übrigen wöchentlich zwei Mal er:
ſcheinen.
— Die Löhne in der Colonie Victoria normirten in
October dieſes Jahres wie folgt. Dienſtmädchen (ehr geſucht)
erhielten 30 bis 36 Pf. St. und eine Köchin 35 bis 60 BF. St.
pro Jahr; ein Koch 30 bis 0 Sch. und ein Kellner 25 bis
35 Sch. pro Woche bei freier Station, Ohne Logis und Koft
empfingen Tifchler 8 bis 10 Sch, Hufſchmiede 8 Sch, Bäder
Zbis 9 SH, Schuhmacher 8Sch., Ziegler 9 Sch., Maler und
Safer 9Sch., Gärtner 6 bis 7 Sch., Sattler 6 bis 8 Sc,
Klempner 7 bi89 Sch, Uhrmacher 12 bis 14 Sch., Goldarbeiter
10 bi812 Sch, gewöhnliche Arbeiter (bei achtftiindiger Arbeit)
6 Sch. pro Tag, Schneider 1 Sch. pro Stunde, Eiſenbahnarbei—
ten IP. pro Stunde.
— Aın 2. September 1875 fand in Melbourne bie Er:
Öffnung der zweiten (bie erfte im Jahre 1866) intercofonialen
Induſtrieausſtellung ftatt. Die Zahl der Ausfteller — auch
Singapore und Japan find vertreten — beläuft fih auf
4500, deren Gegenftände auf einem Raume von 78,000 Qua⸗
dratfuß verbreitet find, Die Ausftellung legt ohme Zweifel
ein rühmliches Zeugniß von dem rapiden Fortſchritte der
Eolonien ab.
— Die Goldfelder der Colonie Victoria haben feit einer
Reihe von Kahren in ihren Erträgen immer mehr nachge—
laffen. Auch in diefem Jahre ift der Golderport in den er—
ften neun Monaten (bis zum Detober) wieder auf 506,571
Unzen gefunfen, gegen 804,192 im gleichen Zeitraume des
Vorjahres. Unter den Golddiftrieten von Victoria behaupten,
wenn ſchon ebenfalls im ſtark abnehmender Weije, bie Sand-
hurft: oder Bendigo-Goldfelder den erften Rang. Diefelben
begreifen ein Areal von 6 Miles in der Länge und 4 Miles
in der Breite, und die bortigen Allnvial- und Quarzminen
baben von November 1851 bis Ende Anguft 1875 im Gar
8,212,326 Unzen, zum Werthe von 33 Millionen Pfund
Sterling, geliefert. Es läßt fih aber ohne Ueber:
treibung annehmen, daß der Goldertrag fih auf 45 Millio-
nen Pfund Sterling fummirt, da ein beträchtlicher Theil
des aufgefundenen Goldes nicht an die Banken von Sand-
burft zum Verlaufe gelangte. Das reichjte Jahr war 1853,
welches mit 661,749 Ungen notirt wird, während das Jahr
1874 einen Ertrag von nur 313,965 ergab und das Jahr
1875 bis Ende Auguft auf 188,000 Unzen ſank.
— In Anftralien ift gar Manches anders als bei ung.
Die Gemeinde der Unitarier in Melbourne hat zu ihrem
"Seiftlichen eine junge Dame, welche fih Miß Turner nennt.
Diejelbe befand fih im Dectober leihweiſe bei der Gemeinde
der Unitarier in Adelaide, die bier eine recht hübſche Kirche
befigen, und hielt öffentliche Vorträge über „Il— used Men‘.
Schr freundlich von dem Fräulein !!
— Mit September ging die Wollfaifon, wie das in Au—
ftrafien Gebrauch ift, zu Ende. Die Colonie Victoria erpor:
tirte in dieſem verfloſſenen Jahre 303,530 Ballen Wolle
a 340 Pfund, gegen 265,540 im Jahre 1873/74, Neu-Sübd-
Wales 117,92 gegen 112,230, Südauftralien 98,859 gegen
83,551 und Tasmanien 27,195 gegen 24,082,
— Die Eolonie Weftanftralien zäblt eine Bevölke—
rung von 26,350 Seelen und bie Hauptftabt Perth von
5000, Der Import im Jahre 1874 ergab ben Werth von
400,631 Pf. St. und der Export den von 367,417 Pf. St.
An Perimufceln wurden für 58,938 Pf. St. und an Perlen
fir 6000 Bf. St. erportirt.
— Das Parlament von Queensland hat eine neue An:
feihe von 1,69,300 Pf. St. genehmigt. Davon jollen
766,600 Bf. St. auf Eifenbahnbauten, 325,000 Pf. St. auf
freie Einwanderung aud Europa, 125,000 Pf. St. auf Ver:
befferung der Häfen und Flüfe, 80,000 Bf. St. auf Anle:
gung von Telegrapben , 49,000 Pf. St. auf Chauffeen und
Brüden, 78,00 Pf. St. auf Wafferzufitbrung u. |. w. ver:
wendet werben.
— Auch im nördlichen Oneensland find die Malern
unter den Eingeborenen mit Heftigkeit ausgebrochen und fol:
len ſchon iiber hundert daran geftorben fein.
Anhalt: Franz Birgbam: Am Grabe des Entdeders. (Mit zwei Abbildungen.) — Die Betſchnanen I. (Mit drei
Abbildungen.) — Hermann Meier: Skizzen aus Seeland. I, (Schluß), — M' Farlane's und Macleay's Erpeditionen
nah Neuguinea. — E. C. Stublmann: Ehinefiiche Märchen. — Richard Andree: Mythen und Sprachen in den Pacifi—
ſchen Staaten Amerikas. — Aus allen Erbtheilen: Neue Erpedition nad) der Nordküfte Sibiriens, — Antwerpen als
Markt für auftraliiche Wolle. Vermischtes, (Schluß der Nedaction 1. Januar 1876.)
Redacteur: Dr. R. Riepert in Berlin, S. W. Lindenfraße 13, II Tr.
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunfhweig.
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Band XXIX. |
Mit befonderer Berüchfichtiaung der Inthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Berbindung mit Fachmännern und Künſtlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
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Die Betfhuanen.
I.
Die Betſchuanen-Hllite hat eine ganz andere Bauart, | Wohlhabenderen ift durch eine Querwand oder eim freis-
als fonft in Sübdafrifa von den Eingeborenen angewandt | rundes Geflecht ein feparater Schlafraum abgefpertt. Um
wird, und ähnelt durchaus dem Toqul des nördlichen Afrika. | jede einzelne oder mehrere einer Familie gehörende Hlitten
Bei ihr ift im Gegenfage zu dem bienentorbähnlichen Ges | ziehen ſich Dorngehege von über Mannshöhe; in letzterm
flechte, das dem eigentlichen Kaffer zur Wohnung dient, Falle ift dev eingefchloffene Naum oft durch radiale Zäune,
zwiſchen Wand und fegelfürmigem Dache zu unterjcheiben. | welche bis an die Hanpthlitte heramveichen, in einzelne Ab-
Der Grundriß ift auch hier ein Kreis von nur wenigen | theilungen getvennt, die als fyrauenwohnungen, Borraths-
Metern Durchmeſſer; daranf erhebt ſich die aus Yehm und | behäfter u. f. w. biemen. Die Zugänge find nur ſchmal und
Fachwerk beftehende Wand bis zu einer Höhe von noch nicht | unregelmäßig je nad) Laune geftellt, jo daß eine ganze Stabt
2 Meter. Auf die Wand ift ein Dad gefegt, aus Schilf- ein wahres Fabprinth von engen Zugängen wird, in Benen
ras, welches mit Streifen roher Haut an die Eparren ber ſich der Unkundige nur mit Mühe zurecht findet.
Feige wirb, beftehend und von einem in der Mitte befindlichen Die Mitte des ganzen Orts nimmt der von befonders
Holzpfeiler getragen. An den Seiten überragt das Dad | dichten und feiten Heden eingerahmte, runde Viehplatz ein,
bie Hauptwanb jo weit, daß es fic dem Boden bis zu hal» | am weldyen ſich ein zweites Rundel mit breiten, offenen Zu«
ber Mannshöhe nähert; dort wird es wieder von einigen | gängen, ber Rathsplatz (Khotla), ſchließt. Auf der beige:
Holzftügen gelragen umd bildet fo eimen fdhattigen Gang | fligtem Abbildung, welche Gamojhopa, den Hauptort der
rings um bie eigentliche Hütte. Diefer Umgang wird ges | Ba-khatla, darftellt, erfennt man feine Stelle an dem gro»
wöhnlid, durd einen zweiten, nur ?/, Meter hohen Lehmwall, Ken Baum in ber Mitte, in deflen Nähe fich die Hütte bes
ber die Zwifchenräume zwifchen den Stügen ausfüllt, nad) | Häuptlings erhebt,
außen hin rk Ein ovales Loch von weniger als Charalteriſtiſch ift in diefem Bilde! das Neg von Fuß ⸗
Mannshöhe führt im die Hütte hinein, welcher fonft jede | ftegem, welche zu den engen Eingängen des Ortes führen,
Thür, Fenſter oder Nauchfang fehlen. und bie unregelmäßigen ebenfalls von Dornheden eingezäun:
Den Feuerplatz ftellt eine flache, ſchüſſelförmige Vertie- ten (zur Zeit abgeernteten) Culturflächen im Mittelgrunde,
fung im Fußboben unweit bes Eingangs mit etwas erhabes Nur Vornehmere und Häuptlinge ſchmücden die Wände
nem Rande dar; der Rauch entweicht durch das Eingange- | ihrer Hütten mit weißen, rothen oder ſchwarzen Berzierun«
loch ober erfitlit, wenn biefes in der Nacht mit einem ge» | gen, die abwechjelnde Felder, Yiniirungen und dergleichen dar-
flochtenen Dedel zugefegt ift, den Raum, der meift das | ftellen und, wenn es hoch fommt, mit rohen und ungefchid«
einzige Gemach der ganzen Behaufung ausmacht. Nur bei | ten Thiergeftalten.
Globus XXIX. Nr. 5. 9
.
66 Die Betichuanen.
Eigenthitmlic find ben Betfchuanen die Vorrathehitten,
welche die riefigen Thongefäße, Töpfe mit enger Mündung,
voll Getreide zu fchligen beftimmt find. Wir finden dieſe
Sitte der Getreibeaufbemahrung — die Kaffern verbergen
ihre Ernten in Gruben, bie, meift in einer Ede bes Bich-
fraal$ angelegt, mit einem flachen Steine zugebedt und mit
Miſt betreut find — nördlich des Yequator in den „us
gas“ der Djur und Dinfa („Globus“ XXVIII, ©. 326),
jenen enormen, 5 bis 7 Fuß hohen, aus Hädfel und Thon»
erde geformten Krugen und Urnen, wieder,
a8 dritte unferer Bilder zeigt eine Anzahl der gewöhn⸗
lichſten Gefchiere, wie fie bei den Betſchuanen in Gebrauch
find, aber auch im ähnlicher Geftalt bei den verwandten
Stämmen zur Anwendung fommen. An bem größten Ge—
fäße, einem jener irdenen Getreidbebehälter, bemerft man
Fluße, welche den Inhalt gegen weiße Ameifen, Kormwlirs
mer u. ſ. mw. fügen ſollen. Die obere Definung wird
mittelft einer flachen, irdenen Schüffel verwahrt, und die
dann mod) ſich zeigenden Rigen verfchmiert. Ebenſo haben
die Kochgefüße (in der Figur links) ihre Dedel, während
die Wafler» und Viertöpfe (in der Mitte des Bildes) offen
ftehen bleiben. Handmühlen in Geftalt flaher Steine, mit
einem Hleinern walzenſörmigen als Neibefeule, Löffel, Holz:
ſchuſſeln, Melteimer und Kalabaſſen hat der Betjchuane mit
den eigentlichen Kaffern
gemeinfam; eigenthum⸗
Lich ift ihm aber ber
Holzmörfer mit der dop⸗
pelten Keule (gamz
rechts), welcher zum
Stampfen bes halbweich
gelochten Safferlornes
oder des Mais dient.
As Sige bemupt er
meist nur erhöhte Stel:
len des Fußbodens, in
felteneren Fällen fleine
dreifußige Schemelchen ;
das in ganz Afrifa vers
breitete hölzerne Kopf⸗
fifien finder fid) auch
hier.
Die Aderbaugeräthe
der Betjchuanen find
äußerft primitiv; eine ovale Hade ift das einzige Werkzeug zur
Beftellung des Feldes. Dazu fommt etwa noch ein Wander-
ftab, ein Milchſack aus ftarfen Hätten, in welchen auf den
Biehpoften die Milch gefammelt und von den Hirten nad)
der Wohnung des Herrn gebradjt wird, und ein Meiner Quer
fat aus dem ungertrennten elle Meiner Säugethiere, der
gewöhnliche Reifebegleiter eines Mannes, welder feine ganz
zen Keichthlimer enthält.
Die Arbeitstheilung zwiſchen den Gefchlechtern ift im
Weſentlichen bei den Berfchuanen diefelbe, wie bei den Zulu:
Kampf, Dagd und Viehzucht find Sache des Mannes, Hauss
bau, teldbeftellung und Bereitung ber Nahrungmittel liegen
der Frau ob. Wie wenig fie den Krieg lieben, iſt ſchon
erwähnt; um fo geſchickter zeigen fie fi in der Jagd, im
Anftellen von Keſſeltreiben und Errichten großer Fallgruben
(Hopo), die ihnen reichliche Beute liefern, da ihr Yand nod)
heute reich an allerlei Wild ift. Die Einführung der Pferde
und Feuerwafſen hat aud) hier manches geändert; legtere
find in großer Zahl anzutreffen, während die vielbegehrten
Pferde fast insgefammt alljährlich von ber Himatifchen Krant-
heit hingerafit werden,
Strafe reiner Barfucnaftadt
Betſchuanen große Summen fir ein gutes Jagdpferd an,
das doch wahrſcheinlich nur einige Monate ausbauert; „ger
falgene* Pferde, d. h. ſolche, die den Unfall einmal Uberſtan⸗
den haben und nun ſich halten, find nur flr Häuptlinge
erſchwingbar. Doch find fie allefanımt weder gute Reiter
noch geſchickte Schligen.
Der Ertrag der Jagd iſt den Betſchuanen, abgeſehen
vom dem Fleiſch und den leicht verkäuflichen Straußenfedern
und dem Elfenbein, auch deshalb erwünſcht, weil die Häute
bei ihnen eine ſehr ausgedehnte rg | finden. Sie
find unter allen Südafritanern die größten Meifter im Prä-
pariren von Fellen und der Herftellung von Fellmänteln.
Die fehr umftändlide und mühevole Arbeit des Wallens
mittelft ber Hände und Fliße, woran fich bei größeren Fel—
len mehrere Berfonen beiheiligen, wird mit einem eigenthlim-
lichen, einförmigen Summen begleitet, welches das Vergnü«
gen wejentlich vermehrt, und wirb mit einem Eifer und einer
Energie ausgeführt, welche biefen Leuten bei jeder andern
Gelegenheit fehlt. Zwifchendurd werben bie Häute mit
adftringirenden Baumrinden behandelt oder mit Fett einge
trieben, bis fie die gehörige Weichheit erlangen. Dann folgt
das Aufammenfügen und Ausbeflerm der beim Töten bes
Thieres und beim Walfen der Haut verurfachten Löcher,
was bei foftbareren Fellen mühevoller und zeitranbender
als das Serben ift, aber
fo geſchickt ausgeführt
wird, daf die eingeſetz
ten Stüde auf der haa⸗
rigen Seite faum zu ers
lennen find.
Als weitere Arbeit
der Männer ift nur
noch zu mennen das
Warten und Melfen des
Viehes und das Abridy-
ten der Ochſen zum
Ziehen, Reiten und Yalt:
tragen, weldyes um jo
häufiger ftattfinder, als
das Yand flir Pferde fo
ungefund iſt. Schnitzerei
und Schmiedehandwerl
betreiben nur einzelue
bejonders Gefchidte.
Der Bau der Hütte fällt faft ganz dem weiblichen Ge:
ichlechte zu; kaum dag der Mann die ftärfften Hölzer fällt,
herzuträgt und aufrichte. Seine rauen müflen den Thon
zum Fußboden herbeifchaffen und Ineten, das Fachwerk der
Wände und dad Sciljdad; herrichten und den Umſaſſungs—
zaun flechten, wie das vierte Bild zeigt. Noch ſchwerer als
diefe doc) nur felten wiederkehrende Arbeit lafter die Ber
ftellung der Felder, weldye im Betſchuanengebiete weit aus-
gebehnter find, als ſonſt in den Eingeborenen-Diftricten Sid»
afrifas, auf den Frauen. Da muß der Boden vom Unkraut
gereinigt, der vor den Feldarbeiterinnen ausgeftreute Samen
untergehadt, die Felder mit Dornen umzäunt und die Saa«
ten bewacht werben. Gebaut wird hauptjäclich das Kaffer ·
torn (Sorghum caffrum); der von den Europäern einge
führte Mais verbreitet ſich erſt almälig ; außerdem kommen
noch Zuderrohr, Kürbiß, Bohnen und Tabad vor, Dann
gilt es, die Aehren zu trodnen, in großen Borrathetöpfen
zu fammeln, mit Stöden auszubrefchen und von der Spreu
zu reinigen, Man ift die gelochten Körner ganz oder ſtampft
fie zu einem dien Brei ober mahlt fie zu Orlige; das aus
dem Kafferlorn von den frauen bereitete Bier ift ſchwach,
Trotzdem legen bie leichtfinmigen | tribe und vöthlidjgrau, aber bei den Eingeborenen ſehr be—
Dick Betſchuanen. 67
fiebt. Seim Genuß gehört zu den ſchönſten Vergnügungen
der Betſchuanen, welche fonft darin ſchlecht beitellt find.
Denn mur felten führen fie jene großen Kriegstänze ber
Kaffern aus, wohl aber lieben fie mimifche Tänze und na—
mentlich die Mufif ihrer Heinen Rohrflöten, der einfaitigen
Tumo, welche mit einem Stäbchen geſchlagen, und der gleich—
falls einfaitigen Leſiba, welche mit bem Munde, wie unfere
Maultrommeln, gefpielt werden, Unter den europäifchen
Inftrumenten bevorzugen fie die Zieh. und Mundharmonila,
deren getragene Töne ihrem Geſchmack am meiften zufagen.
den rauen raubt bie ſchwere Arbeit des Tages nicht
die Luft an nächtlichen Tänzen, wobei fie ſich nach eintöni«
gen, gefungenen Melodien unter tactmäßigem Zufammen-
ſchlagen der Hände in Reihen bewegen, während eine Bor:
tänzerin einige Schritte den Uebrigen vorausjchreitet.
Die Betfchuanen haben zwar Polygamie, aber nicht in
jehr ausgedehntem Maße. Verfönliche Neigung fpielt dabei
oft eine Rolle; und während die Ba-futo ihre rauen vom
Bater kaufen, erwerben fie die weftlichen Betſchuanen durch
Sefchente theils an die Branteltern, theild am bie Braut
felbft, wodurd; die ganze Sache ihren unmiirdigen Charalter
verliert und die frau, trog aller auf ihr ruhenden Arbeits-
laft, doch über den gefauften Sklaven erhoben wird. Eine
nimmt natürlich, als „große Frau“ die erfte Stelle ein, und
aus ihrer Hütte geht in Häuptlingsfamilien der Thronfolger
hervor.
Das ganze öffentliche Yeben gründet fich auf die Familie,
deren Oberhaupt patriarchaliſche Gewalt befigt ; die Familien
einer Gemeinde ftehen unter dem „Monemotje* , einem
Manne von höherm Anfehen, und alle diefe wieber unter bem
Gamoſhopa, Stadt der Ba-khatla.
unumfcränften Stammeshäuptling , welcher nur durd) bie
Gefahr, aus feiner eigenen familie einen Nebenbuhler zu
erhalten, von allzu großer Willlur und Gewaltthätigkeit ab-
gehalten wird. Die Meinung ber angefehenften feiner
Stammesgenofjen, der Ba-tala, ift ſtets für ihn von großer
Wichtigkeit, wenn er auch, mitunter derjelben trogt. Zur
Erledigung aller Regierungsangelegenheiten bient ber Raths«
plag, die Khotla, wo der Häuptling ſich täglich einige Zeit
aufhalten muß, um die Bitten und Slagen feiner Unter-
thanen zu hören. Es bremnt dort gewöhnlidy ein Meines
Feuer, um welches ſich einige Yeute feines Gefolges aufzus
halten pflegen, um ihn beim Eintreffen wichtiger Meldungen
oder Fremder fofort zu benachrichtigen. In den Mittages
ftunden ift die Khotla am einfamften, während um Sonnen:
untergang aus allen Theilen des Stammgebietes fie eine
Menge Leute erfüllt und der von den Angefehenften umgebene
Häuptling dort Rechteftreitigkeitem erledigt. Die Buße bes
fteht meift in einer gewiffen Menge Bieh, von weldem ein
Theil dem Häuptling zufält. Es fehlt aber nicht an Bei⸗—
fpielen, daß gewaltthätige Herrfcher mitunter wegen kleinerer
Bergehen oder nur auf bloßen Verdacht hin felbft die Tobes-
firafe verhängten. Dieſes plögliche Hervorbredjen der inne-
wohnenden Barbarei durch die Dede von Gutmithigteit
fann man bei längerm Verweilen unter den fcheinbar fo
friedfertigen Beiſchuanen öfters beobachten.
Nächſt dem Häuptlingen genießen die Doctoren das
größte Anfchen. Es find das Zauberer und feine Briefter,
wie Viele gemeint haben; denn e8 kann feine Priefter geben,
wo von einer Gottheit feine Rebe ift, wie bei den Betſchua⸗
nen. Der „Mosrimo*, welchen Unkundige für einen Bet:
ſchuanen · Gott erflären möchten, ift urſprunglich nichts als
eine Art Kobold, der Unfug trieb, der aber weder mit gött«
licher Macht ausgeftattet noch als von Anfang an beftehend
gedacht wurde, fondern mit den Menſchen und Thieren zu:
9*
68 Die Betichuanen.
gleich aus einer Höhle des Ba-koin-Fandes hervorging, wo
noch feine Fußſpuren Pr fehen find. Wenn dann jpäter bie
Miffionäre an diefen Glauben anfnüpften und dem Do-rimo
auch gute Eigenfchaften vindicirten, fo erflärt ſich das leicht
aus ber Schwierigkeit, ihren Zuhörern bie ganz neue Idee
der Gottheit beizubringen. Nichts wird im dem trodenen
Betſchuanenlande fehnlicher verlangt als Regen und darum
find unter allen Zauberboctoren bie Regenmacher bie ange:
fehenften. Bei ihrem mannigfaltigen Hofuspofus ift ftets
das Tödten von Vieh nöthig, nicht als Opfer für höhere,
regenſpendende Weſen, fondern angeblich um bem Thiere
irgend ein zur Beſchwörung erforderliches Organ zu ent:
nehmen, im Wahrheit aber, weil der Kegendoctor von dem
ihm Überlaffenen Fleiſche gemächlich Ieben will. Unglaub-
Geſchirre der Betſchuanen.
lich iſt die Einfalt, mit welcher ſich die gefoppten Leute von
dent Betrliger hinhalten laſſen; ſchlägt aber Alles fehl, fo
wendet fich der Grimm und die Rache derfelben umerbittlih
gegen ben vom Gluck verlafjenen Duadfalber.
Berihuanenfranen beim Zanflechten.
, Wie alle Asbantu, glauben auch die Betſchuanen an aller-
lei Zaubermebicinen und fnmpathetifche Mittel, ohne daß
dabei der Zauberboctor ins Spiel tommt. So tragen fie
ihre Zauberwärfel (Litaala) bei ſich, welche fie unter ber
flimmten Ceremonien auf die Erde werfen und aus beren
Stellung zu einander fie Fragen an das Scidjal beantwor«
ten und verborgene Dinge erforfchen; jo fauen fie an ber
ftimmten Wurzeln und Hölzern, um ſich gegen böfe Ein-
fliffe zu jchligen und fo fort, Auch die Sitte, welche unter
den A⸗bantu faft völlig verloren, aber bei ben" Koi-toin jehr
Albin Kohn: Zur Prähiftorie Polens. 69
in Gebraud) ift, an beflimmten Stellen am Wege Steine zu
häufen, ift erwähnenswerth. Als Erllärung derfelben wird
angeführt, daß die Wanderer durd; das Hinzufligen eines
Steines, auf welchen fie vorher fpuden, zu dem Haufen am
Wege fi) in der Hütte, welcher fie zuftreben, eine gaftliche
Aufnahme zu fichern glauben *).
Durch Zaubermittel (Moldino) wird der vom Blitz ges
troffene Ort entfühnt, werden Krankheiten geheilt, werben
die ausziehenden Krieger gegen die feindlichen Waffen gefeit,
die Saaten gegen bie Heufchreden umd die Unwetter geichligt.
Dazu zindet man Feuer an und wirft allerlei wunderliche
Dinge hinein, deren Rauche die gewünſchte Wirkung zuge
fchrieben wird. Diefer Rauch reinigt auch alles, was mit
dem Tode und den Todten zu thun gehabt, den, der den
Leichnam berührt oder das Grab gegraben hat oder ber auch
nur ein maher Verwandter bes Ban gemwefen iſt.
Selbſt die aus dem Felde zuridgefehrten Krieger waſchen
ſich und ihre Waffen in feierlicher Weife.
Natürlich fucen die Häupilinge ſich möglichſt kräftige
„Molemo* zu verſchaffen und verwahren dieſelben in Kuh⸗
hörnern. De größer die Meinung ift, welche ein Häuptling
von der Kraft feiner Zaubermittel zu verbreiten verfteht, um
fo mehr ift er gegen Angriffe der Nachbarn gefchligt. Bor
dem Ausziehen in den Krieg giebt er feinen re Aufgüffe
davon zu trinken ober fprigt fie damit an, und das hilft
genau fo viel wie in Deutjſchland ein gefundenes Hufeiſen.
— *
Es würde zu weit führen, wollten wir dem Autor in
feiner Schilderung bes täglichen Lebens diefer Stämme von
der Geburt bis zum Begräbniß folgen. Ein Auszug, wie
wir ihm geben fonnten, gewährt nur eim ſchwaches Abbild
der Haren, wilfenfchaftlichen und mit reichlichen Belegftellen
verfehenen Darftellungsweife des DVerfaflers, welcher ben
A-bantı und Koiskoin ein literarifches und artiftisches Denk:
mal gefegt hat, wie es zur Zeit faum ein anderes Naturvolf
beſitzt. Wir können unferen Leſern nur empfehlen, die Ori—
ginalwerke zur Hand zu nehmen; reicjlicher Belchrung dürfen
fie gewiß fein,
Zur Prähiftorie Polen‘
Von Albin Kobn.
Zu den reizendften Gebieten Polens gehört wohl unſtrei⸗
tig die Gegend von Ojcow, „die polniſche Schweiz“,
im fogenannten „S®rafauifchen“, jogenannt weil dieſer Land⸗
ftric nicht weit von Kralau liegt. Anmuthige Thäler wech—
feln mit wilden Felſenhöhen, im welchen ſich viele Höhlen
befinden, von denen die Tradition fagt, daß fie während der
Einfälle ber Tataren den Bewohnern als Aufluchtsftätten
edient haben. In einer diefer Höhlen verftete fich eine
Seitlang der vor feinem empörten Bolte flüdjtige König
Wladislaus der Kurze (Lokjetet, der Ellenlange), und
fie wird bis heute die „Höhle Lotjetet' 6“ genannt.
Bon ben vielen Höhlen der Gegend find jedoch erft zwei in
archaologiſcher Hinficht genauer unterfucht, jo daß noch fehr
viel in ihmen zu fuchen und zu finden übrig geblieben ift.
Was bis jegt Über diefe beiden Höhlen, die Mammuth-
höhle und die Wjersghomer Höhle, befannt ift, ver«
danfen wir dem eifrigen Wlterthumsforfcher Johann
von Zamisza, der auch in diefem Fahre wieder eine Nad)-
grabung veranftalten wollte, aber durch die Eigenthlimer
ber beiden Höhlen, die Herren Giaputowicz, daran ver
hindert worden ift. Diefelben glauben ein Recht auf bie
Wunde zu haben, welche Herr von Zawisza während der vier
Jahre, die er zur Unterſuchung der Höhlen verwendete, ge-
macht, trogdem er die Ausgrabungen auf feine Koften und
ohne die geringfte Beihiilfe der Eigenthämer ausgeführt hat,
die feinen Sinn fir wiſſenſchaftliche Unterfuchungen zu
haben jcheinen. Möglich, dag dem Herrn von Zawisza das
Bergrecht zu Hllfe fommt und daß er ſich auf Grund bej-
fen wieder an feine fruchtbare Arbeit wird machen können.
Im Folgenden werde ich, nach Herrn von Zawisza's Bes
fchreibung, den Yefer mit den beiden oben genannten Höhlen
und den in ihnen gemachten Funden befannt machen.
Herr von Zamisza hat diefe Höhle deshalb Mammuth-
*) Vergl. darüber R. Andree, Die Steinbaufen. „Globus“
XXVI, ©. 183 und 199.
höhle genannt, weil er in ihr gleich während feines erften
Befuches viele Knochen und Zähne diefes untergegangenen
Thieres gefunden hat, Sie liegt im Hauptthale von
Wijers zchow und zwar an deſſen Südfeite, und der Eingang
zu ihr befindet ſich gegen 17 Meter über der Thaljohle, welche
im Sommer troden ift. Der Berg gehört der Juraforma-
tion an, und viele Bäche entfpringen ihm. Ueber dem Eins
gange zur Höhle, der 6,30 Meter hoch und 5,25 Meter
breit ift, ift das Gewölbe eingefallen. Die übrig gebliebenen
Feloſtucke bilden über dem Eingange einen Bogen. Weiter«
hin ift eine umfangreiche Deffnung, durch welche hinreichend
Licht einfällt, wm den vordern Theil der Höhle zu er—
hellen.
Am Eye bededt eine Y/, Meter mächtige Schicht
Culturerde die Oberfläche der Höhle; weiterhin nimmt die
Mächtigkeit diefer Culturfchicht ab, bis fie endlich faft ganz
verſchwindet und Kaltbroden, welche vom Gewölbe ſtammen
und Höhlenlehm weichen, welche einen Feuerherd bedecken.
In der Mitte diefes Herdes liegt ein großes, ebenfalls von
der Dede herabgefallenes Feleſtück, um welches herum in
der Tiefe eines Biertelmeters ſich der Herd befindet, welcher
fi) dur Kohlen, gebrannte Erde, gefpaltene Knochen,
Werkzeuge aus Feuerſiein, Knochen und Schmucfachen aus:
zeichnet. Unftreitig hat man es hier mit einer menſchlichen
Wohnftätte, der des Höhlenbewohners, zu thun. Der Feuer⸗
herd ift 1,25 Meter tief und gegen 5 Meter breit, wobei
jedod; der Stein in ber Mitte mitgerechnet ift.
Nachdem Herr von Zamwidza gegen 0,50 Meter tief ges
graben hatte, ftieß er auf Werkzeuge aus Feuerſtein, welche
zwar anfangs Hein, aber niedlich und fauber bearbeitet wa⸗
ren. In der Tiefe von einem Dieter fand er ſchon drei
Mammuthzähne, Splitter von Stoßzähnen und größere,
aber weniger fauber bearbeitete Werkzeuge. Gefpaltene Kno⸗
chen und Bühne verschiedener Thiere lagen dort neben Wert»
zeugen aus Stein und Knochen. Auf dem Herde ift feine
Schichtung, auch fein Stalagmit beobachtet worden. Den
gänzlichen Mangel an Stalagmiten muß man der Troden-
70 Albin Kofpn: Zur Prähiftorie Polens.
Fig. 11. Fig. 4.
Sig. 6. Fig. 9.
Albin Kohn: Zur Prähiftorie Polens. 71
heit ber Höhle zuſchreiben, welche durch feine Spalte mit
dem obern Theile des Berges verbunden ift.
Der Herd ift vom heutigen Eingange ber Höhle gegen
drei Meter entfernt; die größte Breite des hinter dem Herde
— Theild der Höhle beträgt 13 und feine Tiefe 19
eter.
Aus beiden Winkeln der Höhle führen zwei Corribore.
Der linke ift 3,25 Meter breit und 1,80 Meter hodh, 14
Meter lang, der redjte 1 Meter breit, 6 Meter hoch und
ebenfo lang. Der erfte diefer Corridore hat augenfceinlic,
als Magazin zur Aufbewahrung von Knochen, Renthier-
und anderen Hörnern und von Werkzeugen gebient. Man
bemerkt in ihm feine Spur eines Herdes, und fein Boden
ift mit einer dünnen Schicht fetter Erbe bededt, in Folge
befien man gleich beim erften Stiche mit dem Spaten oder
der Brechſtange auf Schienbeine vom Mammuth ftieß. Diefe
Knochen zerfielen leider, trog der Sorgfalt, weldye auf ihr
Ausgraben verwendet worben ift, als fie einige Stunden an
der Oberfläche gelegen hatten, bei der leifeften Berlihrung
in Staub; nur die maffiven Theile der Knochen, ein Theil
des Beckens, ein ſehr beſchädigter Stoßzahn und Stitdchen
großer Knochen wurden eine Beute des Forſchers.
Die herausgeſchafften Knochenſtlicke, Zähne und Hörner,
welche jowohl auf beim Herde als auch fonft in der Höhle
gefunden worden find, hat Profeflor Oscar Frans, einer
unferer größten Geologen und Paläontologen, und Anton
Slöfarsti, Profeffor der Naturwiſſenſchaften an der God):
ſchule in Warſchau, näher beftimmt. Nach ihnen gehören
fie folgenden Thiergattungen an: Dem Mammuthe, Ele-
phas primigenius, drei Individuen; dem Höhlenbären,
Ursus spelaeus, fehr reich vertreten; dem gewöhnlichen Bäs
ren, Ursus arctos, in einem Exemplare; dem Glenthiere,
Cervus alces, jehr zahlreich; dem Hirfche, Cervus elaphus,
ſehr jelten; dem Reh, Cervus Capreolus, fehr felten; dem
adamitiſchen Pferde, Equus caballus adamitieus, jehr
häufig; dem Wifent, Bos priscus, felten; dem Wildſchwein,
Sus, ſelten; dem Polarfuchſe, Canis lagopus; dem gewöhnr
lichen Fuchſe, Canis vulpes; dem Wolfe, Canis lupus;
dem Haſen, Lepus timidus; dem Dadjje, Meles taxus;
bein Eichhörnchen, Seiurus vulgaris; der Maus, Mus;
der Gans, Anser. ferner fand er dem Knochen eines Wafler«
vogels, mit Einfdpnitten verziert (Figur 1) und einige durch—
löcerte Zähne, welche wohl als Schmuck dienten oder Tro—
phäen, vielleicht aud, Amulete waren.
Sehr intereffant find die Zierrathen, welche in ber
Mammuthhöhle gefunden worden find. ine derfelben ift
eine an beiden Enden koniſch zugeftugte Walze aus Dammuth-
zahn (Figur 7). Ein Ende iſt durchlöchert, in der Mitte
ift eime tiefe Rinne, welche wahrſcheinlich dazu diente, diefes
Schmudftäd zu befeftigen. Un den Enden find leichte Reis
fen vertieft eingearbeitet, und zwar am jedem Ende genau
fieben. Die Länge diefes wichtigen Zeugen menſchlicher
Thätigfeit beträgt 10 Gentimeter, ber dickſte Durchichnitt 16,
der dünnfte 7 Millimeter. Herr von Zawisza meint, daß
diefes Stüd vielleicht ein Amulet, oder das Zeichen ber
Würde eines Troglodytenhäuptlings geweſen ift.
Die Figuren 1 u. Sftellen ebenfalls Zierrathen dar. Das
in Figur 1 dargeftellte Std ift das Bein eines Waffers
vogelö, auf vier Seiten mit Einfchnitten verfehen. Ju zwei
gegenüberliegenden Seiten find 27, in den zwiſchen ihnen
liegenden 23 Einſchnitte oder Kerben. Die Länge dieſes
Stüdes 8 Gentimeter, der Dickendurchmeſſer 61/,
Millimeter. ine Seite der Deffnung ift ftart abgenugt,
was wahrjceinlic, vom Reiben auf einer rauhen Schnur,
an ber es wurde, herrührt. Figur 8 ift eine Perle
aus Cups, 4 Gentimeter lang. Die größte Dice beträgt
14, die Meinfte 12 Millimeter. Auch diefes Stüd ift, wie
das vorige, von der Schnur, auf welche es gereiht war, auf
einer Seite ſtark abgerieben.
Die inden Figuren 2, 3, 4, 5, 6, 9 und 10 dargeftellten
Gegenftände find wahrſcheinlich ebenfalls Schmuckſachen ges
weſen und an Schnüren getragen worden, Es find zwei -
Bärenzähne, ein Wolfezahn, ein Fuchszahn, ein Hirſchzahn,
ein Elenthiergahn und ein mit einer halbrunden Vertiefung
verjehenes, geglättetes und abgerumdetes Std Mammuth—
zahn. Figur 11 ift ein Stüd einer Nadel, mit einer Vers
tiefung der Yänge nad. Ein verfteinertes Stüd einer Tere-
bratula biplicata lag auf dem Herde.
An den Hörnern eines ſehr großen Renthiers find
Spuren von Einſchnitten mit einem fteinernen Inftrumente,
und die Rippen vom Mammuthe wie auch) zugeipiste Höre
ner und Knochen anderer Thiere dienten den Troglodyten
als Pfriemen, Nadeln und Werkzeuge, mit denen fie den
Thieren die Felle abzogen umd glätteten. Wozu die Zahn:
krone des Mammuths (Figur 12) gedient haben mag, iſt
wohl heute ſchwer zu entſcheiden.
Die in der Mammuthhöhle vom Heren von Zawisza
-| gefundenen und hier befchriebenen Gegenftände ermöglichen
den Vergleich, des Lebens der vorhifterifchen Bewohner Pos
lens mit denen anderer Gegenden Europas. Bis jegt waren
und nur die Menfchen befanut, welche in ber Periode des
Manmuths und Menthiers Höhlen bewohnt haben und
deren Spuren in den Ouartärfchichten ber Ebenen Frank
reiche, Schwedens, Englands, Belgiens, Suddeutſchlands und
Mährens gefunden worden find. In der Wjerszchower Höhle
waren Zroglodyten aus der Zeit der polirten Steinſachen
befannt; jegt erjt fönmen wir mit Beftimmtheit erklären,
daß der gebirgige Theil Polens in der früheften Epoche be—
wohnt geweſen ift. Hieraus zieht Herr von Zawisza den
Schluß, daß die Gelehrten, welche behaupten, ber Menſch
fei aus Aſien nach Europa eingewandert, hier eimen wich
tigen Fingerzeig über den Weg, ben er genommen unb auf
weldyer Stufe der Civilifation er fich befunden hat, finden.
Den legten Theil des Schluffes können wir umbedingt gel
ten laffen ; der erfte ift fehr ſtark angezweifelt und ditrften
ihm neuere Entdeefungen endlich gänzlich in die „Geſchichte der
Studien über die Herkunft des Menſchengeſchlechtes“ verweiſen.
Meiner Anficht nach wird die Annahme Heinrid Baum:
gärtner’s („Die Weltzellen*, S. 136), daß das Menſchen⸗
geichlecht nicht in einer Weltgegend entftanden ift und nicht
von einen Menjchenpaare abſtammt, fondern durch eine Meta—
morphofe, die über die ganze Erde ging, weil die Bedingungen
hierzu gerade in der entſprechenden Periode gegeben waren,
entjtanden iſt, fich immer mehr Bahn brechen, da fie eben mit
unferer ganzen heutigen Naturanſchauung mehr harmonirt
als die Annahme des ewigen Wanderns ganzer und immer
ſehr zahlreicher Völker, welche hinreichten, ganze Exbtheile
zu füllen, und ihrer Abftammung von einem Elternpaare.
Noch ganz gegen das Ende der Mammuthperiode und
während der Kenthierperiode hatten auch die Troglodyten
Polens keine Hausthiere. Noc findet man feine Spur
eines Hundezahns unter den gefpaltenen Thierknochen. Auch
Lehmgefäße kannten fie damals noch nicht ; aber fie verftan-
ben es ſchon, Knochen zu bearbeiten, und dafiir zeugen euer
fteinfägen verfchiedener Art und Größe, welche in fehr gros
Ber Zahl in der Mammuthhöhle gefunden worden
find, j
Die in der Mammuthhöhle gefundenen Steinwerkzeuge
unterjcheiben fid), wie beifpielsweife die fyiguren 13 und 14
zeigen, nicht von den in anderen Gegenden Europas in ben
quartären Anſchwemmungen entdedten; es jcheint ſogar, daß,
wie wir ſpäter ſehen werden, zwiſchen den verſchiedenen
72 Albin Kohn: Zur Prädiftorie Polens.
Givilifationsepochen, der des Reuthiers und polirten Steines,
feine bedeutende Unterbrechung ftattgefunden hat.
In der Mammuthhöhle haben aber während zweier
Perioden Menfchen gewohnt, und zwar während der Periode
des Mammuths und der ded Renthiers. Erſt eine unbe—
fannte Kataftrophe, durch welche der Eingang in die Höhle
vernichtet worden ift, hat fie gezwungen, einen andern, weni ·
ger gefahrvollen Aufenthalt zu jucen. An Material zur
Anfertigung ihrer Werkzeuge fehlte es den Menſchen in der
Gegend nicht. In der obern Schicht des weißen Juras
fanden fie jehr große Stilde grauen und dunfeln, burchjid)-
tigen Feuerſteins im Ueberfluſſe und fie verarbeiteten ihn an
Ort und Stelle, wie die langen und regelmäßigen Splitter
beweifen, welche dort umbherliegen. Tiefe Regelmäßigleit
aber kann nur erzielt werben, wenn man ben Ehein frisch
fchlägt, fo lange er noch die Bruchfeuchtigfeit beſitzt. Auch
Hämmer, fogenannte Nucleen, verichiedener Größe wurden
in großer Anzahl gefunden. Daß biefe Hämmer gebraucht
waren, barauf deuten ihre rauf und uneben gewordenen Scitens
flächen und Schärfen hin.
Den Charakter der Epoche, in welcher die Mammuth-
höhle bewohnt geweſen ift, bezeichnen die gefpaltenen nos
chen verſchiedener Thiere — man fpaltete fie, um das Darf
herauszubefommen — fowie auch die gefundenen Zähne und
Hörner. Die Werkzeuge und Zierrathen aus Mammuths
Inodhen follen, nad) Seren von Zawisza, beweifen, daß ber
Menſch gleichzeitig mit dem Mammuthe gelebt und feine
Stoßzähne frifch gehabt hat, da diefe Zähne, wenn fie lange
in der Erde gelegen haben, zur Verarbeitung untauglich wer
den. Cine Ausnahme von diefer Hegel machen bie foljilen
Mammuthzähne, welche mit den Thieren, denen fie angehören,
in den Tundren Nordafiens eingefroren find und jegt nad)
und nad) ausgegraben werden, .
Herr von Zawisza zählt die Mammuthhöhle, von wel
cher wir hier jprechen, zum Typus der Höhlen von Ya Ma-
deleine (in der Dordogne), deren Bewohner, nad) Lyell,
ſchon im Stande waren, rohe Darftellungen von Thieren
zu machen. Nach Prof. O. Fraas finden fid) die meiften
Knochen in folgender Ordnung in der Mammuthhöhle: des
Viren, Pferdes, Nenthiers und Elenthiers; die Knochen
anderer Thiere find weniger zahlreich. Leber die Knochen
des jehr großen adamitifchen Pferdes, welche in der Mam-
muthhöhle entdeckt worden find, äußert ſich Prof. Fraas da«
bin, daß Knochen diefes Thieres ähnlicher Größe bei Cann ⸗
ftabt und Wiesbaden gefunden worden find, welche der
Epodje des Mammuths angehören, daß er aber in ber
Mammuthhöhle feine Spur vom feinen Steppenpferde, dem
Zeitgenojien des Nenthiers, gefunden hat.
Prof. Fraas will den Knochen einiger Thiere, 3. B. des
Nehes, Wildfchweines, der Gans, ja fogar des Menfchen,
oben bezeichnete Alter nicht zugeftehen. Die Menfcen-
tuochen fand Herr von Zawisza Übrigens auf der Ober-
fläche des Bodens der Höhle. Die Thierlnochen konnten
Wölfe und Füchſe in fehr jpäten Zeiten ins Innere der
Höhle hineingefchleppt haben; indeß find ſolche fpät herbeige-
fchleppte Knochen ſowohl an der Farbe wie auch an der
Härte leicht zu erkennen; deshalb ift auch beim Nachgraben
die größte Aufmerkfamkeit auf die Yage, auf die Schichtung
zu richten, im denen bie Knochen gefunden worden find.
Nicht der friſchſte Knochen ift das Charakterzeichen der Epoche,
ſondern die Yage, im welcher fich die älteften befunden haben,
und die Werkzeuge, neben denen fie gelegen.
Die Drammurhhöhle, welche Herr von Zawisza befchreibt,
gehört alfo unbedingt in die Reihe derjenigen Höhlen, welche
zur Zeit des Mammuths und Renthiers bewohnt geweſen
find. Es fehlt, um den Vergleich mit dieſen Höhlen voll»
ftändig zu machen, nur ein Menfchenfchädel.
Eins fält jedoch im der hier befprochenen Höhle auf:
die Menge großer Mammuthknochen. Der Urmenjd hat
gewiß die großen Knochen, welde wenig Mark enthielten
und nicht mit großen Fleiſchmaſſen umfleidet waren, nicht
in feine Höhle geſchafft, fondern auf der Stelle liegen laſſen,
auf welcher ihm das Jagdglück das Thier im den Wurf ges
bracht hat, Die Menge großer Mammuthknochen in den
Höhlen dürften den Beweis liefern, daß das Mammuth zur
Zeit, als die Höhle bewohnt geweſen ift, ſchon eine Selten«
heit war, deflen einzelne Theile, wenn fie auch nicht viel
Nahrungaftoff enthielten, man in die Höhle fchleppte, um
ſich mit ihnen zu brüften. Diefer Anficht find auch fran-
zöfifche Forſcher, wie Dupont und Caſſalis de Fondouce,
weldye deshalb auch die Nenthierepoche, deren Typus bie
Höhlen von Ya Madeleine find, nach ihren geologifchen
Merkmalen ans Ende der Uuartärperiode, d. h. in bie Zeit
verlegen, in welcher in Folge der Veränderung des Klimas
auch die Yage der Öletjcherthäler endgliltig verändert worden
ift, in Folge deſſen auch die Thiere, welche jet in Mittels
europa ausgeftorben find, auszumandern begatinen. In der
untern Schicht der Höhle, wo Waffen aus der reinen
Mammmthperiode gefunden worden find, find auch nur große
Mammuthfnochen im gefpaltenen Zuftande gefunden worden,
Herr von Zawisza wirft die wichtige frage auf: „Wo
haben die Troglodyten der Mammuthhöhle ihre Todten be-
graben, ba der gänzlice Mangel geipaltener Menſchenkno—
chen den Beweis liefert, da jene Bewohner feine Menicen-
freffer gewejen find ?* Nun meint Herr von Zawisza zwar,
daß die Mammuthhöhlenbewohner gewiß ihre Tobten im
anderen bis jegt nicht entdedten Höhlen begraben haben,
deren fehr viele — wie ich ſchon oben angedeutet habe —
in dem Gebirge von Ojcowo und Dlfus; vorhanden find.
Diefen Schluß fanın ich nicht gelten laſſen, fondern ich muß
behaupten, daß die Menſchen jener Periode ihre Yeichen gar
nicht beerdigt haben. Um Pietät fir die Dahingefchiedenen
zu hegen, und infolge deſſen daran zu benfen, ihnen die
legte Ehre zu erweifen, fei es durch Begraben, Verbrennen
oder Einbaljamiren, mußte fic der Menſch erft zu einer
verhältnigmäßig fehr hohen Stufe der Bildung emporges
ſchwungen, er mußte, glaube ich, ſchon metaphyſiſche Ber
griffe erlangt haben und von Prieftern überzeugt worden
fein, daß die Seele um fo länger fortlebe, beſonders aber
im Denfeits Ruhe habe, je länger der Yeib, den fie bewohnt
hat, in irgend einer Weife, fei es auch nur als Afche in einer
Urne, aufbewahrt wird. Wenn es heute noch in Europa
und Afien Bolteflämme giebt, welche die Yeichen ihrer Ber:
ftorbenen ohne Geremonien aus ber Jurte hinaustragen und
fie den Wölfen, Füchſen und Geiern als willfommene
Beute überlaffen — ich erinnere hier nur an die Urjändhen,
Mongolen und Tanguten fowie an die Kalmlicken zwischen
Don und Wolga —, fo ift nicht einzufehen, warum unjere
uralten Höhlenbewohner, deren LER gewiß noch nicht
den der heutigen Papuas erreichte, ihre Todten mit größerer
Pietät behandeln, fie durchaus begraben follten. Ich glaube,
daß diefe meine Annahme den Mangel an Menſchenknochen
in allen bis jet entdedten einft von Menfchen bewohnten
Höhlen beſſer erflärt als andere bis jet im diefer Beziehung
aufgeftellte Hypotheſen. Die bis jegt in bem verſchiedenen
Mammuth: und Renthierhöhlen gefundenen Menſchenlnochen
find zufällig im fie hineingefommen, wenn fie auch vielleicht
von den Höhlenbewohnern felbft im ihre Wohnung hinein
gebracht worden find, Unangenehm mag diefer Mangel an
Funden von Menfchenknochen, befonders von Schäbeln, für
den Forſcher fein, der fo gern wiſſen möchte, welcher Menjcen-
Albin Kohn: Zur Prähiftorie Polens.
race der Höhlenbewohner angehört hat, was er ohne Schädel
nicht ermitteln fann. So wichtig aber auch die Beantivors
tung diefer Frage fein mag, jo viel Aufichluß ſolche Schädel
auch über den Wechſel, welcher in Europa in vorhiftorifchen
Zeiten vorgegangen ift, geben würden, fo fünnen wir uns
dod) über ihren Mangel bis zu einem gewiſſe Grade tröften;
die von ihnen erhaltenen Ueberrefte, ihre Waffen, Werkzeuge
und Schmuckſachen beweiien, daf die Troglodyten Europas
u einer Race gehört haben, weldye auf einer ſehr niedrigen
fe geiftiger Eutwidelung ftand und aller Wahrjcheinlidy-
feit nad) nicht die Race ift, zu welcher der jet im der Gegend
von Ojcow wohnende Menſch gehört. Er gehörte unftreitig
zu der primitiven Menſchenrace, die am Fuße der Gebirge
entftand und, indem fie zu ihren Gipfeln hinaufſchaute, ſich
aufrichten lernte, um fie zu betrachten und dieſes jo lange
wiederholte, bis fie den Himmel über ſich und das geblidte
Gehen auf Händen und Fügen vergaß; diefelbe Race, von
welcher Roffi fagt: „Yon Anbeginn meiner topographifchen
Studien habe ich gejchloffen, da; der Menſch in der Qinartär:
periode in der Nachbarfchaft der Gebirge gewohnt hat und
fid) nidyt in den Ebenen anfiedelte.“ („De mes ätudes
topographiques, j'avais conelu que ’homme de la pe-
riode quaternaire habitait dans le voisinage des mon-
tagnes et ne s'etablissait pas dans les plaines.“ Con -
gres international d’anthropologie 1867,
p. 109). ber er überfchaute, die Stirn ftolz zum Firma
mente erhoben, gleicyjam die künftige Größe des Ge—
Schlechtes (micht der Mace) ahnend, die vor ihm liegenden
Ebenen, welche jedoch eine höhere Race bewohnen und be:
bauen follte. In der Mammuthhöhle bei Ojcow wohnte der
Menſch, dem die ſchaffende Natur zugerufen hat: „Erhebe
dich, und geh!“
Wir wollen, nad) diefer Heinen Abſchweifung, mit Herrn
von Zawisza die zweite, weſtlich und in einer Entfernung
von 577 Meter von der Mammuthhöhle gelegene Wjersz:
chower Höhle betrachten, welche er das erſte Mal im Jahre
1871 und fpäter noch in den beiden folgenden Jahren unters
t hat.
Diefe Höhle war in der Quartärperiode von Menfchen
nicht bewohnt, denn, trogdem in ihr eine große Anzahl von
Steinwerkzeugen gefunden worden find, jo zeigt doch die Be—
arbeitung diefer enftände, daß fie einer fpätern Beriode
und zwar der des polirten Steins angehört. Außerdem lies
gen noch andere Beweiſe dafür vor, daf die Wjerszchower
Höhle während der Quartärperiode nicht von Menichen bes
wohnt, gewiß aber von Öyänen beſucht worden ift. DieYage |
der Höhle ift nämlich eine derartige, daß bei einer Anftauung
des Waflers im Thale daſſelbe in die Höhle eindringen
konnte, Deshalb konnte fie nicht zur Wohnftätte für Men
ſchen in jener Periode dienen. Dagegen ift es augenscheinlich,
daß fie von Hpänen befucht geweien ift, denn Herr von Za—
widza hat in ihr einen Reiß- und einen Backenzahn dieſee
Thieres, wie auch Knochen von Bären, Reuthieren und das
Horn einer Antilope gefunden. Beim Herde aber, der fich
in dieſer Höhle befindet, fand er feine Spur vom Höhlen:
bären und Renthiere, aber Scherben von thönernen, aus jveier
Hand gefertigten Gefäßen und zwar mit Hierrathen, und
dieſes beweift, daß die Wjerszchower Höhle erft viel fpäter
von Menjcen bewohnt geweſen ift.
In der Höhle felbft, zu der drei Eingänge vorhanden
find, fcheinen fi mehrere Herde befunden zu haben, welche
als fie Herr von Zawisza unterſuchte, mit Flußſchlamm
und Süßwaflermufcheln bebedt waren, was darauf hinweilt,
daß jelbft während der Periode der polirten Steinwerfzeuge das
Globus XXIX. Pr. 5.
73
Waſſer häufig in die Höhle drang und ihre Bewohner zwang,
ſicherere Stätten aufzuſuchen.
Auf eine eingehende Beſchreibung der von Herrn
von Zawisza in dieſer Höhle gemachten Funde kann ich
hier füglich verzichten, da fie den in den Höhlen Weſteuropas
gemachten, befonderd fo weit es die fteinernen Werkzeuge
betrifft, ganz ähnlidy find, und dieſes verleitet mich zu dem
wohlbegrlindeten Schluffe, daß in der Höhle von Wjerszchow
ganz diefelbe Menfchenrace gewohnt hat, welche gleichzeitig
mit ihr die Höhlen Belgiens, Frankreichs u. f. w. bewöltert
hat. Ein Fund ift jedoch von Wichtigfeit. Herr von Za—
wigza hat in ciner 4 Meter haltenden brunnenartigen Ver—
tiefung im Innern der Höhle zwei menfchliche Stelete
gefunden, deven Knochen jedody nicht beiſammen lagen. Die
beiden Schädel diefer Stelete hat er Herrn Profeſſor
Birchow gegeben, der den einen in feinem Gephalinder
mit 73,9 (dolichocephal), den zweiten mit 76,9 (mejocephal)
bezeichnet hat,
Ic habe gleich im Anfange gejagt, daß in der Gegend
von Ojeow noch michrere Höhlen find und führte, aufer
den beiden bejchriebenen, auch noch die Königshöhle oder die
Höhle Yoljetets an. Außer diefen find jegt ſchon theilweiſe
unterfucht die Ojcower Höhle, im weldyer wenig Ueberrejte
von Thieren, die Näuberhöhle, in denen viele Knochen
jet lebender Thiere gefunden worden find; die beiden Höh—
| len von Saspowo (Sonsporo), welche ſich unter der Kirche
des Dorfes dieſes Namens befinden, und in welchen ſich ein
Piriemen aus Pierdefnodyen und ein Rudiment eines Ju—
ftrumentes aus Feuerſtein, aber kein Herd und feine Kno—
chen fanden, und die Jerzmanower Höhle, im welcher die
Kinnlade eines ſehr großen Höhlenbären lag. Alle diefe
Funde hat Herr von Zawisza während feiner Ausflüge
gemacht, und wir glauben, daß diefer unermüdliche Forſcher
noch viel zur Aufklärung der Vorgeſchichte Polens beitragen wird.
Ucberhaupt muß ich hier bemerken, daß eine genaue
Kenntniß und fritifche Unterfuchung der Sitten, Gebräuche,
Sewohnheiten und vor Allem der Sagen bes polnischen
Bolfes fehr viel Yicht über die wahren Urbewohner verbreiten
würde. Eine ſolche Keuntniß würde und viel weiter zurlid-
führen, als bis zu den Scythen Herodot's, Über die hinaus
jelbft unfere befjeren polnischen Forſcher nicht recht wollen,
Mag immerhin der Scythe der Urahn bes heutigen
Lechiten (Polen), ja ſelbſt ſämmtlicher flaviſchen Stämme
ſein — worüber ſich doch noch ſtreiten ließe —, vom Troglo⸗
dyten, der die Ojcower und andere Höhlen des chemals
großen Polenreiches bewohnt hat, ftammt er nicht; ja er
ftammt nicht einmal von der weit ſpätern Race der Yacufters
bewohner, welche, wie ich dies in einem fpätern Artikel dar:
thun werde, die Race ber Troglodyten beerbt, ja theilweife wohl
in fic aufgenommen und mit ihr vermiſcht und eine neue,
aber immer noc wicht die ſlaviſch-polniſche Race hervor«
gebracht hat. Die Verwandtfchaft der europäiſchen Troglos
dyten mit den Mongolen dürfte durch die noch heute bei dem
legteven herrſchende Sitte, die Knochen zu fpalten, um ihren
Inhalt zu genießen, iduftrirt werden. Solche Umftände,
welche übrigens erſt jegt entdedt werden, dürfen bei archäo—
logiſchen Unterſuchungen nicht überfehen werden; fie find
wichtiger, als es auf den erften Anblick ſcheinen mag, denn
Heine Fehler und Gewohnheiten, die nicht leicht auffallen
und deshalb auch nicht leicht verbeſſert und abgeftellt werben,
vererben ſich leichter als große, in die Augen fpringende, an
deren Bejeitigung gleich beim Beginne der Civilifation (die
ja in gewiſſer Beziehung eine Selection bei der Zucht ift)
gearbeitet wird.
iv
74
H. v. Lankenau: Stremouchow's Reife nah Buchara.
Stremoudow’s Reife nah Budara.
Nach dem Tagebud des Neifenden aus dem Ruffischen bearbeitet
von 9, v. Lankenau.
Zu Ende des Jahres 1873 wurde von dem Emir von
Buchara, Seid-Mufaffar-Eddin, eine Geſandtſchaft nad)
St. Petersburg abgefertigt, die erſt im Mai 1874 nad)
Taſchtend zurlickkehrte, um ſich von dort weiter nach Buchara
zurlickzubegeben. Der Beſuch der kaiſerlichen Reſidenz wie
die huldreiche Aufnahme daſelbſt hatten auf die rohen Bu—
charen einen ungewöhnlich tiefen Eindruck gemacht. Nach
ihren eigenen Worten ſahen ſie in St. Petersburg ſolche
Wunder der Welt, wie fie ſich ihre fühnfte Erwartung nicht
hatte vorftellen fönnen. Gin derartiges Yob europäijcher
Eivilifation verdient um fo mehr hervorgehoben zu werben,
da fich die Afiaten durchgehends nur höchit felten hevablafien,
ihr Erftaunen über irgend etwas im Abendlande zu äußern.
Aus Furcht vor Verachtung und ſchwerer Strafe betrachten
fie daher Alles ihnen Fremde, Umbelannte mit fcheinbarer
Steichgültigkeit und Mißachtung.
Die befagte Gefandtichaft führte eine bedeutende Menge
foftbarer Geſchenle, vom Kaifer von Rußland für ihren Emir
beftimmt, mit fi. Um berfelben weitere Ehrenbezeugungen
zu erweifen, wurde mir von unſerer Regierung aufgetragen,
die Sefandtichaft bis Buchara zu begleiten, wo id; dem Emir
vom turfeftanijchen Generalgonverneur wie vom Generals
lientenant Kolpalowely Grüße und WFreundichaftsverfiche-
rungen überbringen follte.
Die Nachricht von meiner Beftimmung ſchien dem budjas
rischen Geſandten nicht angenehm zu fein; ex fürdhtete, bei
feinem Herrn in Ungnade zu fallen, daß er uns Un:
gläubige mit ins Land bringe. Trog der libertriebenen
Höflichkeit, die er gegen mich beobachtete, war doch feine Un-
zufriedenheit erſichtlich. Bei der Uubeftändigfeit und Grau—
famfeit des Emird war er meiner Aufnahme in Buchara
wegen beforgt, wie aud), ob Seine Hochgeſetztheit (Titel der
afiatischen Chane), der Emir, mit feinem Wirken in St. Peters:
burg zufrieden fein werde.
Am 15. Mai machte ich mich, nachdem die Arben (zwei
räderige Karren) mit ben faiferlichen Geſchenken und unfe:
ten wie den bucharischen Effecten vorausgejendet worden war
ren, mit Herrn Wilkins nad) Sfamarfand auf, um der
buchariſchen Sefandtichaft den Weg dorthin zu erleichtern und
dem General Abramow, Chef des ferafjchanstifchen Bezirks,
beren Ankunft anzutündigen,
Der Weg von Taſchtend bis Sfamarkand wurde von
uns glüdlich zurücgelegt. Die Städte Tſchinas, Dichifaf und
Sfamarfand, die Steppe Murfarabat, die Pforten Tamer-
lan's u. ſ. w. werde ich micht weiter bejchreiben, da fie zur
Senüge aus fo vielen anderen Neijeberichten befannt jein
dürften. So fange ich denn meine Erzählung mit unferer
Abreife von Sjamarfand an,
Dort erfuhr ic, daß der Emir von Buchara ſich in der
Stadt Schaar befinde; da num Abbul-Kadir, der Geſandte,
und ich ums zuerft demfelben vorzuftellen hatten, fo wurde
der Beſchluß gefaßt, daß wir ung Über die Berge nad) der
Stadt Kitab und vom dort nach Schaar begeben wollten,
Die Neuheit einer fo weiten Reife zu ‘Pferde, die Aussicht,
einen der unabhängigen Staaten Mittelafiens näher kennen
I.
zu lernen, der mir nur aus Büchern und Erzählungen be:
fannt war, endlich aud) die eigenthlimlichen Berhältniffe,
unter denen ich diefe Reife vollbringen folte, hatten meine
Neugier bedeutend rege gemacht. Endlich, am 20. Mai, wa-
ven die langwierigen Vorbereitungen der Afiaten, ihre vielen
leeren Geremonien beendigt und wir verliefen Sfamarfand.
Unfere Karawane breitete fic) fiber einen großen Raum aus.
Ihr Beftand war folgender: Abdul-Kadir-Bi, Tolfaba (mir
litärifcher Rang, jo viel als Oberſt) und Gefandter des
Emir; feine zwei Secretäre, der Mirfa und Uraf, und ber
Mirfa und Miirachur (Stallmeifter) Wachab, die auf Befchl
des Emirs der heimtehrenden Geſandtſchaft nach Taſchlend
entgegengeritten waren; 30 buchariſche Dſchigiten (das Wort
Dſchigit bedeutet: Krieger, verwegener Burſche, kühner Reis
ter; man braucht die Dfchigiten als Couriere, Leibwächter,
auch als Poftillone); ich, Herr Wilkins und der als ruſſiſcher
Regierumgsbeamter mir zucommanbdirte Herr Tſchapiſchew;
ferner der Tatar Mullah Chairulla-Junuſſow, mein Privat-
fecretär und Dolmetjcher, unfere Dſchigiten Kamalu, Ssid-
Ali und Ufta, 10 uralſche Koſacken nebjt ihrem Wachtmeifter
(Urädnit), 11 Arben nebſt Vegleitern und ein Kurbaſch
(Bolizeibeamter) aus Sfamarfand mit 5 Gehülfen, die und
bis an die buchariſche Grenze begleiteten umd jo lange wir
im ruſſiſchen Gebiet waren, die Anordnungen fin Unter:
tommen, Unterhalt u, ſ. w. zu treffen hatten,
Es war ein buntes, maleriſches Bild, diefe aus Reitern
in europäifchen und aſiatiſchen Trachten zufammengejegte
Menge. Die Bucharen haben zu Pferde ein ganz anderes
Anfehen als zu Fuß. Trog ihres ſchweren Turbans, ihrer
langen bunten Chalate, ſchlafrodähnlicher Gewänder, deren
fie oft zwei, drei über einander tragen, figen fie fehr gewandt
auf ihren hohen bequemen Sätteln. Bei den Vornehmeren
waren die Pferde mit jhawlartigen, ſchweren feidenen Deden
behangen, Sattelzeng und Zaum mit bunten Edelſteinen,
meift Turliſen, Uberſäet. Verwegen fegen ſie über Gräben,
hohe Barrieren umd andere Hinderniffe. Die Pferde find
meift Paßgänger; Biele hatten Turtmenenhengfte, die ihren
Reiten an Öewandtheit, Ausdauer und Kühnheit nicht nach⸗
ſtehen.
Mich ſetzte zumeiſt der Comfort in Erſtaunen, mit wel⸗
chem ſich Abdul · Kadir auf der Reiſe zu umgeben wußte.
Auf der ganzen Tour reichten ihm die Tſchelimtſchi (diefelben
rauchen ihrem Gebieter den Tjchelim, eine Art Kaljan oder
Waſſerpfeife, an) alle Uugenblide den Tſchelim, ohne daß er
den — feines Pferdes auch nur im Geringſten gehemmt
hätte, Gewöhnlich geht der Tſchelim von Hand zu Hand
dem Range nad); er erfrifcht den Mund, indem er ihm feucht
erhält, was in den Steppen bedeutend dazu beiträgt, die
Ermüdung zu ertragen. Sobald die Zeit zur Abhaltung
des Gebeis (Namas) gelommen war, breitete man fogleid)
die Namas⸗dſchai, d. h. die bei demielben gebräuchlichen Tep⸗
piche, aus. Auf den Yagerplägen wurden fehr raſch und
gewandt die bunten Zelte aufgeſchlagen, die Vorhänge aus:
gebreitet, die Teppiche und Kiffen hingelegt und eim reiche
liches Mahl aufgetragen. Hierbei war allein die arme
H. d. Lankenau: Stremouchow's Reife nach Buchara. 75
Dienerſchaft zu beklagen, bie trotz ihrer Mudigkeit noch aus
Furcht vor Strafe die geringſten Launen ihrer verwöhnten,
ſtrengen Gebieter erfüllen mußte.
So hatte z. B. Abdul-Kadir⸗Bi die Gewohnheit, ſich, for
bald nur Halt gemacht wurde, umzukleiden und auf den Tep-
pichen und Kiſſen faul hinzuftreden, während die Dichigiten
ihm den mliden Yeib waſchen und reiben mußten.
Nachdem wir 3 Taſch (die buchariſche Taſch, d. h. Stein,
ift 8 Werft — 11/, Meile; man mißt fie auf folgende Weife:
gewöhnlich, führt während der Reiſe des Emirs ein Dſchigit
fein Pferd und zählt die Schritte. Wenn er fo 12,000
Schritt gemacht at hält er an, ruft „Taf“ und legt einen
großen Stein auf den Punkt. Dann folgt ein zweiter Dſchi⸗
git und zählt weiter und fo fort) durch eine herrliche hügelige,
von zahlreichen Bergwäſſern durchſtrömte Gegend zurück
gelegt Hatten, ſchlugen wir unſer Nachtlager im Kiſchlal
Sfadagan (Kifchlat bedeutet Winterwohnung, Dorf, über-
haupt jebe nicht befeftigte Anfiedelung) am Fuß der Dſchams⸗
tiichen Berge auf. Nachdem wir unfere Kräfte an einem
reichen, auf einheimifche Weife bereiteten Mahle geftärkt,
legten wir uns am Ufer eines murmelnden Bergitroms bei
hellem Monbdfchein zur Ruhe. Bon hier and und weiterhin
in jedem Nactlager wurden Dicigiten an den Emir ger
ſchickt, ihm umfere bevorfichende Ankunft zu melden.
Um folgenden Tage genofjen wir, nachdem wir einen
fangen Marſch von fait 4 Taſch zurüdgelegt hatten, zum
legten Mal unfer Mahl auf ruffifchen Boden. Hier vers
ließ uns unfer Kurbaſch, der nad) Sſamarland zurückkehrte;
nachdem wir dann noch bis gegen Abend 2 Taſch gemacht
hatten, gelangten wir über die Berge von Schehrifjebs an
den Kiſchlak Kifil-Hutan und befanden und nun auf bucha-
rifchem Gebiet. Bon hier an forgte mach Yandesfitte die
buchariſche Regierung für unfern Unterhalt und unfer Fort
foınmen, und zwar auf die ausgejuchtefte Weife, wenn man
das Yand in Anbetracht zieht, das wir jet durchzogen. Der
Gefandte ftellte uns fein eigenes Zelt zur Verfügung, in
welchem buchftäblich jeder freie Raum mit ben verſchiedenſten
Schuſſeln und Erfriſchungen befegt war.
Nun folgte ein fehr befchwerlicyer, 4 Taſch langer höchſt
romantiſcher Weg zum Kiſchlak Ak-Bugai über tiefe Abs
gründe, längs fteiler Felſenwände, durch enge Scyluchten und
reißende Bergwafler, den wir zwar mit Mühe und oft Yebend«
gefahr, jedoch glüdlich zurliclegten. Abdul-Sabir bemühte
ſich ſelbſt höchſt gewiſſeuhaft um unfer Gepäd, feiner Wichtig
feit wegen. Unterwegs famen uns von Zeit zu Zeit vers
fchiedene Deputationen aus anderen maheliegenden Kiſchlalen
entgegen, Abdul⸗Kadir zu feiner glücklichen Nüdtehr Glück
zu wünfcen. Die Abgefandten fprangen, jobald fie nur
unfern Zug bemerften, cilig von den Pferden, näherten ſich
tief gebiteft und unterwärfig dem Gefandten und küßten ihm
die Hände; diefe Ceremonien nahmen uns ſiets viel Zeit,
waren aber nicht zu vermeiden,
Auf halbem Wege nad) Als Bugat erwartete uns ber
jüngfte Sohn des Begs von Kitab, der mir freundlich die
Hand ſchüttelte und mir mittheilte, daß er froh und glücklich
liber den ihm gewordenen Auftrag fei, mix entgegenzureiten,
mich zu begrüßen umd Süd zu meiner Ankunft auf buchas
rifchem Gebiet zu wlnfcen. Ich eriwiederte ihm natitrlid)
durch ähnliche Reden, worauf ſich der junge Beg mit feinen
50 heraudgepugten Reitern, alle in buntfarbigen Chalaten
und auf prächtigen Roflen, und anſchloß und weiter begleitete,
In Ak-Bugai wartete unſer bereits ein ganzes Heer
Diener mit einem Daftardjan (eigentlich Tafeltuch; fo heißt
die Bewirthung von Gäften) von nur — 50 verſchiedenen
Gerichten: Früchte, Braten, Wildpret, Fiſche und Süßigkeiten
aller Art, Erzeugniffe der bucharifchen Kochlunſt.
Nach kurzer Ruhe gab ich das Zeichen zum Aufbruch.
Am 22. Mai war der Himmel bewölkt und ein heftiger
Wind wehte, was fonft hier zu dieſer Zeit nur felten ift.
Unfer Weg, befonders durch die Makrit-Tan-Schlucht, war
höchſt beſchwerlich. Im Kiſchlal Makrit erwarteten uns
wieder eine Menge Bewohner, alles Usbelen, mit Bewirthung.
Ungeachtet mir diefe ſchon zuwider war, durften wir fie doch
nicht ausfchlagen, um die Leute nicht zu beleidigen. Hier
war ich nun der zufällige Zeuge einer Scene, die fundgab,
auf welch eimer niedrigen Stufe moraliſcher Entwidelung
das buchariſche Bolk noch ſteht. Ein Usbel Hatte ſich ger
weigert, Hulfspferde zum Hinaufbefördern unſers Gepäcks
auf die Berge zu ſtellen, wozu er ja auch eigentlich durchaus
nicht verpflichtet war. Für ſolch einen Ungehorſam beſchloß
man ihn ſogleich zu beſtrafen. Der junge Beg warf ſich
felbft zuerst auf ihn und fchlug ihm aufs Unbarmberzigite
mit der Nagaifa (kirgififche Peitſche). Auf diefes Zeichen
ftürzte ſich Alles anf den Umglidlichen, felbft ſolche, die noch
einen Augenblid zuvor friedlich neben ihm gefeflen hatten;
dann King man ihm au dem Armen auf und ließ ihn fait
eine Biertelftunde in diefer Yage. Damit noch nicht zus
frieden band man ihm wieder los, um ihm zu eimer noch
härtern Strafe abzuführen. Der Usbel aber ſchien nur dies
fen gunſtigen Augenblick erwartet zu haben; er warf raſch
feinen Schlafrock ab, erfletterte behende einen ziemlich hohen
Zaun, fprang wie ein Verzweifelter auf der andern Seite
hinab und entfam feinen minder gewandten Verfolgern. Ins
tereffant war es nun die Wuth des jungen Begs darüber
zu fehen, daß das Opfer feiner Graufanıfeit enttommen war.
Nachdem wir mod) einige Zeit lang durch Berggegenden
geritten waren, bot fich unferen Augen das wahrhaft fiber:
vafchende Bild des ungeheuern Thals von Schehrifiebs bar,
das feinen Namen, das grüne, volllommen vedjtfertigt. Das
ganze Thal beſteht aus einer dichten Mäfle des herrlichiten -
Grüns, Gärten und Felder, zwijchen weldem die Städte
und Kifchlats die dunkelen Flecken, Bäche und Flüſſe aber
die hellen bilden. Im der Ferne erhebt jic der Thurm von
U-Sarai, das Schloß der Stadt Schaar, das noch aus den
Zeiten Tamerlan's ſtammt.
Nachdem wir noch 2 Werft zurüdgelegt hatten, blieben
wir zur Nacht im Kifchlat Ulus, etwa 8 Werft von der Stadt
Kitab im einem eigend für und eingerichteten Haufe mit gro—
fem Garten. Die Bewohner des Orts begrüßten uns aufs
Freundlichſte. Erſt am folgenden Morgen jollten wir in
die Stadt einziehen, da nadı dem legten Abendgebet (Namac-
Chuftan, von 8 bis 9 Uhr) die Thore geſchloſſen und Nie-
mand mehr in die Stadt gelaflen wurde,
Trotz unferer Müpdigfeit wurden wir genöthigt, verſchiedene
Empfangsfeierlichteiten durchzumachen und nur mit Mühe
gelang es uns, diefelben abzufürgen. Beim Schimmer einer
Menge Talglicyter Äpielte die Muſik, einige Burſcheu huben
einen Tanz an, Yieder ertönten, begleitet von den Klängen
der Yutara, einer zweifaitigen Guitarre, bis wir uns erſchöpft
nicberiegten.
Kaum hatten wir und am 23. Mai angelleidet, als be-
reits Abdul Kadir bei und erfchien und uns mittheilte, wir
möchten ung auf den Empfang zweier vom Entiv abgeſand—
ten Würbdenträger vorbereiten. Zugleich bot mir der Ge—
fandte feine Dienfte am, um mich mit dem gebräuchlichen
Geremoniel befannt zu macen, damit ich feinen Verſtoß
gegen die örtlichen Gebräuche begehe. Ich dankte ihm für
fein Anerbieten, benugte es aber nur wenig, ba mir die
buchariſchen Eitten und Gebräuche bereits wohlbefannt was
ren. Mit großer Wichtigkeit erfchienen nun in prächtigen
Brocatchalaten die Wilrdenträger des Emirs, der Tofjaba
(Oberft) Dſchalil⸗Bi und der Udaitſchi (Kammerherr) Dr:
10*
76 9. v. Lankenau: Stremouchow's Reife nad) Buchara.
pafarsBi. Im Namen des Emirs begrüßten fie mich und
wänjchten mir alles Öute, was id) ihnen auf gleiche Weife
beantwortete; dann machten fie mir den Borjchlag, gerade
in das Schloß zu reiten, wo mid) ber vegierende Beg Abduls
Gafar felbft zu empfangen wünfche, Unter großem Zujammens
ftrömen der Bevölferung titten wir nun dahin, wobei bie
Kurbaſchi das Volk mit Stöden vor uns aus einander trie-
ben. Bor dem Schloſſe ftanden die Earbafen (Soldaten,
reguläre Infanterie) in vothen, und die Topſchi in grünen
Uniformen mit entfalteten Fahnen zu beiden Seiten des Wer
get. Als wir erfchtenen, fing die Mufif zu jpielen an und
das Commando: „Präfentirt das Gewehr!“ erſchallte in
ruſſiſcher Sprache. Im Schloſſe empfing und der Beg von
Kitab, ein chrwürdiger Greis, im Namen des Emirs aufs
Freundlichſte und äußerte mir umter Anderm, wie es ihm
ſehr angenehm fei, den Sohn eines hohen ruffifchen Witrdens
trägers bei ſich zu empfangen, Nach einer längern Unter
haltung folgte wieder ein gigantifches Daftardıan (Mahl),
dann die unvdermeidlichen Geſchente; für mid) ein Pferd nebft
Dede und Sattelzeug und feidene Stoffe. Dem Wange
nad) wurden aud meine Begleiter alle ohne Ausnahme be
fchenft. Der Gebrauch, einander bei jeder Gelegenheit Ge—
fchente zu machen, ift fo durch ganz Gentrafafien verbreitet,
dag eine Verweigerung derjelben eine tödtliche Beleidigung
wäre.
Da man den Emir bald in Kitab erwartete, fo fonnte
man und im Schloſſe felbjt nicht aufnehmen und väumte
uns Europäern allen zufammen ein Privathaus ein, während
dem Gefandten ein zweites angewieſen wurde, wofelbft man
auf das Zuvorkommendſte flir alle unfere Bedürfniffe forgte.
Kaum haiten wir nun unfer Hauscoſilim, die und verlie-
henen Chalate, welche uns als Schlafröcke dienten, angelegt,
was den Bucharen ungemein gefiel, als bereits ein paar
bübfche junge Burſchen erfchienen und und ihre Tänze (Ba—
fem) producirten; man ließ uns feine Zeit zum Ausruhen
und dachte nur daran uns zu beluſtigen.
Am Morgen des 24. Mai hörten wir in der Ferne
Militärmuſik, die batd durd) Kanonenſchüſſe und lautes Volfe-
geſchrei, on welchem die Stöde der Kurbaſchi den meiften
Antheil hatten, übertäubt wurde: man begrüßte fo den Emir
bei feiner Ankunft, Wald darauf erfchien auch ein Abge—
fandter dejjelben, der ung feine Grüße brachte und und mit:
theilte, derſelbe fei jo froh geweſen, unfer Eintreffen zu ver-
nehmen, daß er ſich ſogleich jelbft von Schaar nad Kitab
auf den Weg gemacht habe ung zu empfangen: „Er möchte
vor Freuden and feinem Hemde heransipringen, um uns
nur ſchueller zw ſehen,“ waren die Worte, die der Emir und
jagen ließ.
Meine Antwort war cin Danf jr feine Theilnahme
und die Bitte, mir täglich von feinem Befinden Nachricht
ertheilen zu wollen u. ſ. w.
SHeichzeitig mit mir befand fic ein Abgefandter unfers
Generals Abramow im Kitab, den jedod; die Bucharen nicht
zu mir ließen, fo wie der Geſandte des Gebieters von Kabul,
Schir⸗Ali-Chan. Diefer Yegtere begleitete den Emir auf
allen jeinen Reifen. ö
Ich halte es nicht für überfliſſig, hier einige Worte fiber
die Beziehungen Bucharas zu Afahaniftan und Rußland ein:
zufügen. Diefe Beziehungen Bucharas oder richtiger des
Emirs wechſeln beftändig und hängen davon ab, welche Seite
demfelben gerade gefährlicher und drohender erſcheint; dieſer
wendet ſich dann Muſaffar zu. Sid) auf ihm zu verlafien,
wäre im höchſten Grade thöricht; er ift ſiets bereit, aus einen
ergebenen Freunde ſich in dem töbtlichiten Feind zu verwans
dein. Gin ſolches Schwanten im feiner Politit geht aus
einer eigenen, ſchwanlenden Stellung hervor, Wer nur in
Buchara geweſen ift, hat fich leicht Überzeugen können, auf
weldyem unfichern Grunde die Macht des Emirs ruht.
Seiner höchſt graufamen, wanfelmüthigen Regierung hat er
es zu danken, dag im Volle auch nicht die geringfte Sym-
pathie fiir ihm herrſcht, fo da er jich fortwährend in Gefahr
befindet, feine Macht, feine Reichthumer, ja fein Leben ein
zubüßen. So lange feine Unterthanen fortfahren werben,
apathiſch fein Joch zu tragen, wird auch feine Macht dauern;
er ift aber unrettbar verloren, wenn fie aus ihrem Traum
leben erwachen follten. Auf jo unficherm Boden fußend fann
er eben fo wenig auf den Beiſtand feiner Nachbarn rechnen
und jo muß er denn fortwährend feine Zuflucht zu Intris
guen, Betrug und Hinterlift nehmen und zwiſchen den Hinder⸗
niflen, die ihn von allen Eeiten umgeben, bin: und herlavi-
ven. Weſſen Einfluß ftärter, der wird aud) den Emir auf
feiner Seite haben,
Die Mifgunft und feindliche Geſinnung der Wighanen
gegen die Ruſſen ift bekannt. Wahrfcheinlich wird dieſelbe
noch mehr durd) die Aufhegungen der Engländer verſchlim—
mert, und jo find denn die Afghanen beftändig bemüht, dem
Emir von Buchara feindlich gegen die Rufen zu ſtimmen.
Ihre beharrlichen Forderungen unterjtägen fie durch ver-
fchiedene Drohungen. Da fie num nod) bisher die Macht
der ruſſiſchen Waffen nicht erfahren, fo verlaffen fie ſich auf
die Tapferfeit ihres Heeres, weldjes, nebenbei gejagt, ziemlich)
gut orgamifirt it, und fuchen den Emir beftändig damit zu
ſchreden, daß, wen er ſich micht mit ihnen verbinde, fie in
fein Gebiet eindringen wärden. Die Afghanen, die ſich mit
mir zu gleicher Zeit in Buchara befanden, haben diefes felbft
gegen den Mullah Junuſſow, den fie irrthümlich fir einen
Bucharen hielten und von dem fie nicht wußten, daß er mein
Neifebegleiter war, ausgeſprochen und noch binzugefügt:
„Unfere Truppen werden ftets und liberal die Ruſſen ſchla—
gen.“ Der hafenfligige Muſaffar ftand ſchon mehr als
einmal im Begriff, den Forderungen der Afghanen nady
zugeben und fic) zum Feinde Rußlands zu erflären; fo noch
unlängft während des Krieges gegen Chiwa. Auf den Rath
der Aighanen wollte dev Emir den ruſſiſchen Erpeditiond-
truppen die zugefagten Lebensmittel nicht jenden, wodurch er
biefe in die größte Berlegenheit gebracht hätte; ſodann beab⸗
fichtigte er, eine afghaniſche Armee in fein Yand zu laſſen,
mit deren Hilfe ev einen Licberjall auf Sſamarland hätte
wagen fünnen, Dem in Buchara fid, aufhaltenden Tataren
Karataew, wie auch den bedentendften bucharifchen Kaufleuten,
die fich zur ihm begaben, gelang es jedoch, ihm von feinem
Vorhaben abzubringen, indem fie ihm vorftellten, in welche
Gefahr er fid) und das ganze Yand dadurch bringe. „Rufe
land ift zu ſtark und zu mächtig," fagten fie ihm, „einen
augenblicklichen Erfolg magſt Du erringen, wirft aber jpäter
nur um jo ſchwerer zu leiden haben, lannſt Yand und Yeben
einbüißen.“ Dieſe Vorftelungen machten den Emir wieder
unfchlüffig, ev Invirte weiter nnd die Afghanen fehrten, ohne
etwas erlangt zu haben, nad) Haufe zuritd,
Jedes Jahr fommt nun eime neue afghaniſche Geſandt ⸗
ſchaft nach Buchara mit neuen Vorſchlägen und neuen Dro—
hungen. Auch ich fand gerade eine ſolche dort, die den Emir
auf allen feinen Reiſen begleitete, ohne daß es ihr auch die
ſes Mal geglüdt wäre etwas zu erringen. Sie waren, wie
ich erfuhr, gefommen, wieder in den Emir zu dringen, ihr
Heer durch das bucharifche Gebiet durchzulaſſen, und bemüht,
den glänzenden Empfang, den er mir bereitete, zu hinter»
treiben. Ihre Intriguen mißlangen jedoch. Muſaffar war
Aüberglücllich fiber die Ehre, die der weiße Zar ihm und fei-
ner Geſandtſchaft erwieſen hatte, und empfing demzufolge
die Aighanen falt, gab ihmen Feine feierliche Audienz, lieh
ihnen uur lärgliche Geſchenke verabreichen, verbot ihnen in
Nelrolog 1875. 77
ben Städten umherzureifen und umgab fie mit einer Menge
Spione, die jeden ihrer Schritte bewachen mußten. Wie es
fcheint, hat der Emir nad) fo vielen bitteren Lehren endlich
begriffen, daß es vortheilhafter fir ihn und fein Land ift,
Rußland zum Freund als zum Feind zu haben. Ob num
aber biefe feine jetzige Gefinnung auch dauern werde, muß
die Zeit lehren; bei einem Charafter wie dem des Mufaffar
ift es ſchwer, für ihm bürgen zu wollen. So viel ift ſicher,
daß die vornehmiten Bucharen überzeugt find, früher oder
fpäter mitfje Buchara Rußland zufallen und daß fie fehn:
füchtig den dann für fie folgenden glüdlichen Tagen entgegen:
fehen, die fie der Gewalt eines graufamen Despoten ent»
iehen.
: Ic fahre in meiner Erzählung fort. Heute erſchien
Abdul · Kadir⸗Bi, der Gefandte, freudeftrahlend und zufrieden
bei uns; er hatte ſich foeben feinem Gebieter vorgeftellt und
war von diefem höchſt guädig empfangen worden; jede Angft,
jede Gefahr war vorliber. Große freude hatten dem Emir
die prachtvollen faiferlichen Geſchenke gemacht. Bon nun
an erſchien bald diefer, bald jener vornehme Buchare und
fuchte uns auszuforfchen, befonders der zweite Secretär des
Sefandten, ber dem geheimen Auftrag erhalten hatte, uns
auszufpioniren. Alle unjere Worte, jede unferer Beweguns
gen wurbe aufgejchrieben und täglich dem Emir mitgetheilt.
Heute Abend wurde und eine befondere, ganz eigenthlms
liche Ehre zu Theil: der Emir ſchidte uns zu unferer fpeciels
fen Verfügung während unferes Aufenthaltes in Kitab feine
Hoftänger (hubſche Knaben), feinen erften Moslarabaſa (Hof:
narren), feinen Chodfcha-dichebadfcht (Adjutanten, deffen Amt
darin beftand, dem Emir alle möglichen Klatſchereien der
Stadt und des Hofes zu hinterbringen) und feine Mufifans
ten. Ein Bafem (Feſt mit Tanz und Mufit) wurde nun
beim Lichte chineſiſcher Yaternen, die wir mitgebracht hatten
und die die Bucharen in Entzliden verfegten, arrangirt;
geduldig, auf unferen Teppichen liegend, mußten wir zufehen,
jo fberbrüffig wir aud) ſchon aller diejer fogenannten Ber
nügungen waren. Bon diejer Zeit an hatten wir in jedem
iſchlak, im jeder Stadt biefelben Tänzer, diefelbe Mufit,
biefelben Tafchenfpieler- und Jongleurlünſte zu bewundern,
die ung oft felbft die Nacıtruhe raubten. Was war da zu
thun, die bittere Schale mußte bis zum Boden geleert werden.
Netrolog 1875.
Andree, Karl, der Begritnder des „Globus“, geft. 10.
Auguft. Vergl. den ausführlichen Nekrolog im vorigen
Bande Nro. 19, 20 und 21.
Argelander, Profefjor der Ajtronomie und Director
der Sternwarte zu Bonn, jtarb am 17. Februar.
d’Arrest, Dr. Heinrich Ludwig, Aftronom, geb. 13. Juli
1822 in Berlin, ftudirte dajelbft unter Ende, wurde 1848
Profeffor in Yeipzig, 1857 in Kopenhagen, hier zugleid)
Director des Obſervatoriums. Er entdeckte verjchiedene Ko—
meten und am 21. October 1862 den Meinen Blaneten Freia;
fein Haupiſtudium richtete ſich aber auf die Nebelfleden, für
deren jpectralanalytijche Unterfuchung er im Webruar 1875
die große Goldmedaille der Yondoner Royal Aftronomical
Society erhielt. Er farb am 14. Juni 1875 zu Kopen-
hagen.
Re Marie-Amand- Pascal d'Avezae de Caftera
Macaya, franzöfischer Geograph, geb. 18. April 1800 zu
Zarbes, geft. den 14. Januar 1875. Sein erſtes Wert
befchäftigt fich mit feiner engern Heimath: „Essais histo-
riques sur le Bigorre“ (1823). 1833 lieft er vor ber
Parifer Atademie über Mungo Park’s aſtronomiſche Poſi—
tionen in Afrifa und ſeitdem hat er eine große Anzahl Schrif⸗
ten befonders über alte und mittelalterliche Geographie und
Geſchichte derjelben veröffentlicht, fo 1844 „Esquisse géné-
rale de l’Afrique et l’Afrique ancienne*, 1848 „Les
iles d’Afrique“, 1860 „Apergu historique sur la Bous-
sole ete.“, 1863 „Coup d'oeil historique sur la pro-
jection des cartes de geograpbie*. 1852 gab er ben
alten Geographen Acthiens mit Commentaren heraus; auch
mit Columbus’ Leben beſchäftigte er fid) viel. In der Pa—
riſer Geographiſchen Gefellichait war er 1833 bis 1835
Seneraljecretär, 13 Mal Bicepräfident und 6 Mal Bor:
figender; er war Mitglied des Inftitut de France und Mit:
fifter der Parifer Ethnologiſchen Geſellſchaft.
Baines, Thomas, englifcher Künftler und Meifen-
der, begleitete 9. C. Gregory 1855 bis 1856 auf feiner
norbauftralifchen Expedition, Yivingftone 1858 bis 1859
am Zambeji, machte dann 1861 bis 1862 eine Reife von
der Walfifch-Bay nad) dem NgamisSee und ben Victoria-
fällen und befuchte 1869 und 1870 im Intereffe einer Berg:
werfögefellfchaft die Tatis Soldfelder und die Gebiete ber
Matabele und Maſchona. Gr veröffentlichte verſchiedene
Artifel im Journal of the Royal Geographical Society,
deren Ränme zahlreiche Bilde rund Slizzen von feiner Haud bes
wahren, und ſchrieb „Explorations in South-West-Africa“
(London 1864) und „Victoria Falls of the Zambesi*
(London 1866), lepteres 10 Anſichten dev Fälle mit bes
fchreibendem Terte enthaltend. Er ftarb im Jumi 1875,
Bleek, Dr. Wilhelm, der erfte unter den Erfor—
fhern und Kennern der ſudafrilaniſchen Sprachen, Sohn
eines befannten Theologen, geb. 1827 in Berlin, ſtudirte ba=
felbft und in Bonn und befchäftigte ſich ſchon im feiner Doctor:
differtation (1850) mit den füdafrifanifchen Spradyen. 1855
bereifte ev Natal und Kaffrarien, wo er mehrere Monate in
den Hätten ber Eingeborenen lebte, um deren Sprache und
Sitten zu ſtudiren. 1857 ftellte ihn dev Gouverneur der
Capcolonie, Sir ©, Grey, ale Dolmetſch an; als derfelbe
feine werthvolle Bibliothek der Colonie ſchenlte, wurde Bleel
Curator derjelben. Bei einer Reife nad, Europa (1869)
gelang es ihm, von der englifchen Givillifte ein Yahrgehalt
zu erhalten, welches ihm ermöglichte, ſich ganz der Fort:
führung feines Werles „A Comparativo Grammar of
South African Languages“ zu widmen. Der Tod liber-
rafchte ihm am 17. Auguſt 1875, als ex an einem Wörters
buche der Buſchmann⸗-Sprache befchäftigt war. Außerdem
ſchrieb er „De nominum generibus linguarum Africae
Australis“, „The Languages of Mozambique“, „Reinede
Fuchs in Afrifa* und „Fabeln und Märchen der Einge-
borenen*,
Dufour, General, der hochverdiente Schweizer Mir
litär, welchem fein Heimathland den Ruhm verdankt, unter
allen Staaten der Erde die befte Karte des eigenen Gebietes
zu befigen, ftarb hochbetagt am 14. Juli zu Genf.
Findlay, Alexander George, englischer Hydrograph
und Geograph, geb. 6. Januar 1812 in Yondon, geft. 3.
Mai 1875 in Dover, gab zuerft Land- und Seekarten und
78 Netrolog 1875,
Atlaſſe Über alte und neue Geographie heraus, wurde aber
nantentlich durch feine Segelanweifungen befannt, deren erſte
ba® „Directory for the Coasts and Islands of the Pa-
cifie Ocean“ (1851) iſt. Als fein Verleger Laurie 1858
ftarb, übernahm er dejien Geſchäft, aus weldem eine große
Anzahl anderer nautifcher Publicationen hervorging, fo ber
jonders die vielgebraudten „Six Nautical Directories for
the whole World“ und zahlreiche Seekarten, In Zeit
ichriftsauffägen behandelte er vielfach Fragen über Meeres—
frömungen, LeuchtthüUrme, Polarangelegenheiten, ſodann aud)
über JIunerafrika, wie er aud) die treffliche Karte im Journal
der Yondoner Geographiſchen Geſellſchaft (Bd. 29) zu Bur—
ton's und Spele's Reifen gezeichnet hat.
Lady Franklin, die Gattin des berühmten englifchen
Nordpolfahrers, geb. 1792 (nach Anderen 18057), bereijte
ſchon als Mädchen einen großen Theil Europas, verheirathete
fi) am 5. November 1828 und befuchte dann mit ihren
Gatten auf feinen Dienftreifen das Mittelmeer, Aegypten,
Syrien und Griechenland, dann Ban+Diemens-Yand und
Auftralafien. Am 18. Mai 1844 verlieh Sir John mit
den Schiffen „Erebus“ und „Terror* England auf Nimmers
wiederfehen. Drei Jahre fpäter wurden Sir John Richard—
fon und Sir James Roß ausgefendet ihn aufzuſuchen, lehr⸗
ten aber umverrichtetee Sache heim. Yaby —*8* aber
ſetzte die Abſendung einer neuen Expedition unter Sir Belcher
durch, welche in Verbindung mit Rae's Forſchungen Sir
Franlklin's Schidfal feitftellte. Da die englifche Regierung
nun bie Abfendung weiterer Schiffe verweigerte, rilftete fie
jeldft den „or“ unter M'Clintock aus, welder im Herbfte
1859 die auf King-William's-Land gefundenen Documente
über den erften Theil der Franklin'ſchen Expedition und fei-
nen Tod heimbradhte. Die Yondoner Geographifche Gefells
ſchaft erfannte ihr dafür die goldene Medaille zu. Später
-unternahm Lady Franklin noch große Reifen durch Ame—
rifa, Alten und Afrifa und Hat ihr Intereſſe an ark—
tifchen Forſchungen bis zulegt betätigt (vergl. „Globus“
XXVIII, ©. 351). Sie ftarb am 18. Juli 1875 in ihrer
Beſitzung in Phillimore Gardens, 88 Yahre alt.
Goodenough, James Graham, engliſcher Seeoifi-
zier, geb. 3. December 1830, wird 1873 im Mai Commo-
dore der auftralifchen Station, verfaßt 1874 einen werth—
vollen Bericht über die Fidſchi-Inſeln und thut die erften
Schritte zur ihrer Beſitzergreifung durch England, führt April
1875 Aufnahmen in der Infelgruppe der Neuen Hebriden
aus und wird am 12, Auguſt 1875 von den Eingeborenen
der Santa-Cruz⸗ Juſel mit Giftpfeilen geſchoſſen. Er ftarb
am 20. Auguft in Sydney und wurde daſelbſt am 24. beer⸗
digt. GBergl. den laufenden Baud ©. 31.)
Holcombe, Vieutenant der englifchen Armee, bejchäfr
tigt mit der Aufnahme der Naga Hills im mordöftlichen
Indien, wurde dajelbft am 1. Februar 1875 von den Ein:
geborenen ermordet, welche feinen Kopf als Trophäe ent:
führten.
Klun, Dr. Vincenz, öfterreichifcher Geograph, geb. am
13. April 1823 zu Laibach, trat zuerft bei ber Staatsbud)-
haltung ein, widmete ſich aber dann dem Lehrfache. Anfangs
Profeſſor in Zara, wurde er 1857 Lehrer der Geographie
und Statiftit am der neubegründeten Handelsafademie in
Wien. Gleichzeitig habilitirte er ſich an der Umiverfität als
Privatdocent und wurde zweiter Secretär der Geographiſchen
Geſellſchaft. Daneben veröffentlichte er noch zahlreiche Ar:
beiten auf dem Gebiete der von ihm vertretenen Willen
ſchaften. 1867 im den Yandtag und Reichsrath gewählt
vertrat er aufs Energiſchſte die Sadıe der Deutſchen in Krain
gegen die Slovenen, Nachdem er unter dem Miniſter Ple—
ner auf kurze Zeit dem Handelöminifterium angehört hatte,
zog er ſich nach Luzern zurlick; feit Mitte 1874 befchäftigte
er fich wieder in Wien mit literarifchen Arbeiten. Er ftarb
am 15, Juli zu Karlsbad.
Kellett, Sir Henry, englifher Viceadmiral, trat
1822 in die Marine und erlernte feit 1825 unter Capitän
Owen von der „Eben“ die Bermeflungstunft, welche er faft
ein Bierteljahrhundert hindurch praftijch ausübte. Die Hüften
Afrikas, des Mittelländiſchen Meeres, Portugals und vor
Allem Chinas und des Stillen Oceans waren der Schau-
plag feiner mugbringenden Thätigfeit. Im Kriege gegen
China zeichnete er fich fo aus, daß er binnen zwei Jahren
von Lieutenant zum Capitän aufrldte, Niemand kanute
die Wefttüfte Amerilas von 72% nördl. Br. bis zu 33°
judl. Br. fo gut wie er; vom Guayaquil-Fluß bis zur Ban-
couver⸗ Infel verbanfen wir meift ihm ihre Aufnahme. 1848
und folgende Jahre betheiligte er ſich mit dem „Herald“
an ben Nachforſchungen nad) Sir John Franklin und ent:
dedte im Augufl 1849 die Herald» und Plover + Infeln
(Wrangel:Land) nordweſtlich von der Behring-Straße. 1852
erhielt er den Befehl über die „Refolute“ bei der von Sir
€, Belcher commandirten Norbpolerpebition, auf welcher der
Norden der Parry-Infeln erforscht und die Mannſchaft des
„Invefligator* gerettet, aber die Schiffe im Eiſe zurlüd«
gelaffen werben mußten. 1854 bis 1859 war Kellett Con-
modore der weftindifchen Station, 1864 bis 1867 Admiral-
Superintendent of Malta Dodyard, 1869 bis 1872 Com-
mandeur der chimefifchen Station. Bon dort zog er fid
nach Clanocody bei Elommel zurlick, wo er am 1. März
1875 ftarb.
Linant de Bellefonds, Ernejt, ein Sohn des
berühmten Linant de Bellefonde, deſſen Arbeiten über Aegyp⸗
ten weit befannt find, ftand als Oberft bei Gordon's äghp⸗
tifcher Expedition nad) Centralafrita und unternahm im Jas
nuar 1875 eine Reife zu König M'tefa am Victoria Nyanza,
wo er mit Stanley zufammentraf (vergl. „Slobus“ XXVIL,
Nro. 24), deſſen einen Brief ex überbringen follte. Auf der
Rucklehr nach Norden wurde er von den Eingeborenen jchon
nahe am Ziele zwifchen Dufild und Kerri mit 40 feiner
Leute erjchlagen, da ihm die Munition zur Bertheidigung
mangelte. Sein Bruder Augufte war ſchon im Jahre
vorher in dem jetzt verlaffenen Gondoloro gejtorben.
Logan, Sir William Edmond, engliſcher Geologe,
geb. 1798 in Montreal, geft. Juni 1875 in Gaftle Malgwyn
in Bembrofefhire. In Edinburgh erzogen, wurde er Kauf
mann, widmete fich aber bald ganz der Geologie. Seine
erften Arbeiten beichäftigen ſich mit den Kohlenfeldern des
jüdlichen Wales und des weftlichen England. 1841 unter
juchte er diejenigen von Pennfylvania und Nova Scotia, 1842
die paläozoifchen Geſteine Canadas. 1843 wurbe er Generals
director der geologijchen Aufnahme von Canada; feine jähr-
lichen Berichte über biefelbe haben feinen Namen in beiden
Hemifphären befannt gemacht.
Lyell, Sir Charles, der berühmte englifche Geo
loge, geb. 14. November 1797 zu Kinnordy in Forfarſhire,
geit. den 21. Februar 1875. Erſt nad) feiner 1819 ab-
geichloffenen Studienzeit zu Orford wendete er fid) der Geo»
logie zu, jchrieb zahlreiche Aufjäge voll fcharfer Beobachtung
in das „Journal der „Geological Society“ und veröffent-
lichte 1830 den erften Theil jeiner berühmten „Principles
of Geology*, weldye bit jegt Über ein Dutzend Auflagen
erlebten. Zahlreiche Reifen führten ihu durch große Theile
Europas und Amerilas, welchen legtern Kontinent er 1841
und 1845 beſuchte. Ex ſchrieb darliber „Travels in North
America, with Geological Observations on the United
States, Canada and Nova Scotia“ (1845) und „Second
Visit to the United States of North America“ (1849).
Netrolog 1875.
1846 wurde er in den Adelsftand, 1864 von Lord Palmer ·
fton zum Baronet erhoben.
Margary, Auguſtus Raymond, der fühne Neifende,
welcher zuerft auf dem Landwege von China nach Birma
gelangte, warb am 22. Februar 1875 zu Manwein im weſt—
lichen Yinnan ermordet. Margary war den 26. Mat 1846
in Belgaum, Bombay, geboren, betrat die diplomatische Yauf-
bahn und ward, da er vorzüglich mit der dinefifchen Sprache
vertraut war, als Dolmetjcher bei der englijchen Geſandſchaft
in Peking angeftellt. 1870 und 1871 war er Dolmetfcher
in Tam-fui auf Formofa. Im Auftrage des engliſchen Ger
fandten Wade brach er im Auguſt 1874 von Schanghai aus
auf, um durch die Brovinzen Hunnan, Kweitſchau und Pitn-
nan am die weftliche Grenze Chinas vorzubringen und dort
die Ankunft der Expedition unter Oberft Horace Browne zu
erwarten, welche von Bamo am Jrawaddi ab den Hanbeld-
weg nad) dem weftlichen China eröffnen wollte. Ganz allein,
nur von einem chinefiichen Secretär und zwei Dienern be—
gleitet, führte Margarı feine ſchwierige Aufgabe aus und
langte am 15. Januar '1875 in Bamo an, das er ſchon
am 23, wieber verlief. Bald darauf wurde er ermordet,
ohne daß die Gründe bis heute anfgeflärt wären.
Mauch, Sarl, der energifche deutjche Afritareifende,
dem wir eine beffere Kenntniß ber Länder zwiſchen Natal
und dem Zambefi und die Entdeddung der füdafrifanifchen
Goldfelder verdanten, geb. 7. Mai 1837 zu Stetten im
Württemberg, geft. 4. April 1875 in Stuttgart. Eine eine
ehende Würdigung feiner Entwidelung und feiner Leistungen
f „Globus“ XXVII, ©, 278 ff. (mit Porträt).
Meadows, T., früher englifcher Conful in Schanghai,
zuletzt Dolmetfcher der peruaniſchen Gefandtichaft in Peking,
ftarb Ende Auguft in Tientſin. Er ſchrieb The Chinese
and their Rebellions, viewed in connection with their
national philosophy, ethica, legislation and admini-
stration (Yondon 1856). Er mar einer der beften Kenner
Chinas.
Müller, Johann, Profeflor an der Freiburger Umniver-
fität, befannt als Berfafjer fehr verbreiteter Lehrblicher iiber
Phyſik, deren eines, das Lehrbuch der fosmischen Phnfif, in
4. Auflage, noch jüngft im „Globus“ (Bd. XXVIII, Nro.
2 und 3) ausführlicd, befprodyen wurde. Geb. am 30. April
1809 zu Kaffel, ftarb er am 3. October 1875 in Freiburg.
Seine eigentlichen wiſſenſchaftlichen Forſchungen beziehen fich
auf die Lehre vom Licht, Galvanismus und Magnetismus.
Munzinger, Werner, berühmter Afrifareifender, geb.
1832 in Olten, Sohn eines Schweizer Bundesrathes, ftu-
dirte in Bern Naturwiſſenſchaften und Gedichte, in Mün-
hen und Paris orientaliſche Sprachen und trat 1852 in ein
Handlungshaus in Cairo. 1854 war er Chef einer Handeld-
erpedition nad) den Rothen Meere, wobei er ein Jahr in
Maſſaua verweilte. 1855 fehrte er wieder dorthin zurück,
um fich in den norbabeffinifchen Grenzländern oftafrifanischen
Studien zu widmen, deren Refultat die Heine, aber Auffehen
erregende Schrift „Sitten umd Recht der Bogos“ (Winter
thur 1859) war, Munzinger nahm darauf 1861 und 1862
an der deutjchen Erpedition nad) Innerafrifa unter Heuglin
Theil, übernahm nach des Letztern Rücktritt die Leitung und
bereifte dabei die Yänder zwiſchen Maſſaua und Chartum.
1863 fehrte er mad) Europa zurüd und ließ 1864 feine
„Oftafrifanifchen Studien“ (Schaffhaufen), 1865 ein „Vo-
cabulaire de la langue Tigr&“ (Leipzig) erfcheinen. In
letzterm Jahre wurde er zum englifchen Conful in Maſſaua
ernannt, in welcher Eigenfchaft er ſich 1867 im Kriege gegen
König Theodor don Abeſſinien hochverdient machte. 1868
wurde er franzöſiſcher Conful, 1870 Bey und ägyptifcher
von Maſſaua, wo er ſich um Ausbreitung der
79
Civilifation und Erforfchung der Grenzgebiete Abefjiniens
große Berdienfte erwarb, jo namentlich 1871, wo er bie
Gebiete der Habab und Beni-Amer bereifte. 1875 follte
er als Paſcha mit 350 Mann und 2 Kanonen von Tad—
ſchurra aus in Abefjinien eindringen, wurde aber im Novem:
ber unterwegs von den Gallas verrätheriic ermordet. Mit
ihm fiel außer 230 feiner Soldaten fein Freund Haggen—
mad)er aus Brugg, welcher 1874 von Berbera im Somalis
Lande eine Reife gegen Süden bis Yibaheli (3% 40° nördl. Br.)
unternahm.
New, Charles, englischer Miffionär und Afrikas
reifender, geb. Januar 1840 in Fulham, anfangs Schiffs—
bauer, dann Mifjionär, ging Ende 1862 nad) Mombas in
Oſtafrila. Während feines neunjährigen Aufenthaltes da-
felbft machte ex verschiedene wichtige Reifen in das Innere,
jo 1866 zweimal in das Gebiet der Galla, das zweite Mal
zufammen mit Wakefield. 1871 reiſte er über den Ger
Jipe nach dem Kitimandfharo, defien Schneefuppe er am
14. Auguſt zuerft erreichte. Auf dem Rilckwege befuchte er
ben bis dahin unbekannten See Tſchala. 1872 kehrte er
auf einige Zeit nach England zurüd und ſchrieb dort „Life,
Wanderings and Labours in Eastern Africa®, Im
Mai 1874 nad) Zanzibar zurlickgekehrt, veifte er alsbald
nad) Uſambara und von da nad) Diombas. Im December
deſſelben Jahres brach er nad) Tſchagga auf; auf dem Küd:
wege von bort erlag er am 14. Februar 1875 in Duruma
unweit der Miffionsftation Ribe der Dyfenterie.
Oates, Frant, geb. 6. April 1840 zu Meamvood Side
bei Leeds, ftudirte in Orford, bereifte 1872 Nord: und Mittel-
amerifa als Zoolog. 1874 Güdafrifa, erreichte die Victoria-
fälle des Zambefi, ftarb aber am 5, Februar 1875 im Ma-
tabele-Pande am Fieber (vergl die ausführlichere Notiz in
Bd. XXVII, ©. 14).
Omalius d’Halloy, Jean-Baptifte-Qulien, berlihmter
belgiſcher Geolog und Ethnograph, geb. am 16. Februar
1783 zu Lüttich, ftarb im hohen Alter von 92 Jahren am
15. Januar 1875 zu Brüffel. Die hervorragendften wiffen:
ſchaftlichen Gefellfhaften Europas nannten dieſen Neftor
der Naturwiſſenſchaften ihr Mitglied oder Ehrenmitglied und,
wenn er and) in den legten Jahren nicht mehr ſchriftſtelleriſch
thätig war, jo wirkten doch feine zahlreichen früheren Schrif ·
ten nod) immer nad. Sein Leben war gleichmäßig zwiſchen
Politif und Wiſſenſchaft getheilt. Nachdem er feit 1807
die niederen Aemter eines Maire von Steuvre und Brai—
bant, eines Unterintendanten von Dinant, eines Öeneraljecre:
tärs in Lüttich befleidet, war er 1815 bis 1830 Gouver-
neue ber Brovinz Namur, 1848 bis 1868 Bicepräjident
des Senates. 1808 ſchrieb er den „Essai sur Ja geologie
du nord de la France", einen der Ausgangspunfte der
ftratigraphifchen Geologie, und wurde in Folge defien von
Napoleon I. mit der Bearbeitung einer geologiſchen Karte
von Frankreich betraut, welche 1813 vollendet war, ‚aber
erft 1823 erjcien. Nach 18jähriger Pauſe jchrieb er
„Elements de Geologie“ (1831), „Introduction & la
Geologie (1833), „Pröcis elömentaire de Göologie*
(1843), „Abröge de Göologie“ (1863), ferner „EIG-
ments d’ethnographie* und zahlreiche Auffäge im Jour-
nale de physique, in den Annales des mines de France,
den Memoiren der Franzöfifchen Geologifchen und in den⸗
jenigen der Anthropologifchen Geſellſchaft und im Bulletin
ber belgiſchen Mtademie.
Sherard Osborn, englijder Contreadmiral und
Nordpolfahrer, geb. ben 25, Upril 1822, ftarb den 6. Mai
1875 in Pondon. 1887 tritt er in bie Marine, kämpft
in Hinterindien und China, befucht dann Glidamerifa und
den Stillen Ocean, commanbirt 1850 bei Auſtin's Nord⸗
80 Netrolog 1875,
polfahrt ein Schiff und nimmt 1851 an der Erſorſchung
von Prince of Wales Yand Theil. Seitdem blieb er ftets
ein warmer Fürſprecher arktijcher Expeditionen; 1852 er—
fchien fein Bud; „Stray Leaves from an Arctic Jour-
nal“, 1853 bis 1855 führte er wieder daffelbe Schiff, den
„Pioneer“, in den Wellington-Canal und unternahm ausge-
dehnte Schlittenreiſen, zeichnete fi) während des Krimm—
frieges aus und ging 1857 nad) China, wo er an der Weg:
nahme der Taku-Forts theilnahm und die Eröffnung der
Yang-tfe-Schifffahrt durchfegte. 1859 fehrte er auf Halb»
ſold nach England zurüd und ſchrieb zu feinem Pebensunter-
halte viele Auffäge über Marinefachen und oftafiatifche An«
gelegenheiten, aud) „The career, last voyage and fate of
Sir John Franklin“. 1861 finden wir ihn mit einem
Schiffe vor Veracruz, 1562 in chinefifchen Dienjten zur
Unterdilifung des Piratenwelens, 1865 als Agent und Or:
ganifator der Great Indian Peninsular Railway Com-
pany in Bombay, 1867 bis 1573 als Director ber Tele-
graph Construction and Maintenance Company, um
die er ſich durch Legung vieler Kabel fehr verdient machte,
Schon 1865 begann feine Agitation fiir eine neue engliiche
Nordpolfahrt, die er 1872 von Neuem aufnimmt und zwar
mit ſolchem Erfolge, daß die Regierung fid, zur Abfendung
der beiden Schiffe „Alert“ und „Discovery“ entichloß. Doch
noch vor deren Abgang nad) Norden ftarb er plöglich mit-
ten in den Arbeiten und Discnffionen über diefe Erpedition.
Sein 1856 zuerst erfcjienenes Buch „The Discovery of a
Nord-West-Passage by H.M. S. „Investigator“, Cap-
tain R. M’Clure* erlebte 4 Auflagen; eine Gefammtaus«
gabe feiner früheren Schriften erſchien 1865 in 3 Bänden.
Peschel, Ostfar, Profefjor der Geographie an der
Univerfität Yeipzig, geboren 17. März 1826 zu Dresden als
Sohn eines Dffizierd und Vehrers an der Cadettenſchule,
geftorben zu Leipzig am 31. Auguſt 1875. Cr ſtudirte da»
felbft und in Heidelberg 1845 bis 1848 Rechtswiſſenſchaft,
trat dann nach kurzem Hufenthalte in Berlin in die Nebac
tion der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ und übernahm
1854 diejenige des „Ausland“. 1858 erſchien feine „Ges
ſchichte des Zeitalters der Entdedungen*, 1865 die „er
ſchichte der Erdkunde bis auf A. von Humboldt und Karl
Ritter“, 1870 „Neue Probleme der vergleichenden Erdkunde“
(2, Aufl. 1876). 1871 zum ordentlichen Profeſſor ber
Geographie in Leipzig ernannt, gab er 1875 feine „Böller-
kunde* heraus, von welcher nad wenigen Monaten eine 2,
Auflage nöthig wurde. (Vergl. „Slobus* XXVII, ©. 176.)
Eine intereffante Biographie von feinem Nachfolger in der
Nedaction des „Ausland“, F. von Hellwald hat den Titel
„Dar Peſchel. Sein Leben und Schaffen.“ Mit dem
photographifchen Bildniffe Peſchel's. Augsburg 1876 (Lam:
part & Gomp.).
Reuschle, ®rofeflor der Mathematit und Berfaj-
fer mehrerer geographiichen Handbücher (Handbuch der Geo:
graphie oder Neuefte Erdbeſchreibung, 2 Bde.; Elementar-
Geographie, 3. Aufl.; Die Phyſil der Erde; Bejchreibende
Geographie, 4. Aufl. 1872), geboren am 12, December 1812
zu Stuttgart, ftarb daſelbſt am 22. Mai.
William Winwood Reade, belannter Wirifa-
teifender, geb. 26. December 1838 in Murrayfield bei Erieff,
ftudirte in Orford, befuchte, duch Du Chaillu's Schilderuns
gen des Gorilla veranlaft (vergl. beſonders „Globus“
XXVI, ©. 367), 1862 bis 1863 zum erften Male die
SabumGegend in Weftafrifa und befchrieb feine Erfahrun—
gen und Entdeckungen in „Savage Africa® (London 1864).
Nach einigen Fahren des Studiums, vornehmlich der Mebi-
cin, ging er 1868 bis 1870 in das Hinterland von Sierra
Feoneund bis an den Oberlauf des Niger und leitete freund
liche Beziehungen der Eingeborenen mit der Negierung jener
Colonie ein. Hierbei zeigte er, daß der Niger nur 250 engl.
Meilen von Sierra Yeone in demfelben Gebirge, wie der
Senegal und Gambia entjpringe und ſchon 100 Meilen
weiter ftromab ſchiffbar ſei. Er befchrieb dieſe Reife in
„The African Sketch Book“. Im Aſchantikriege war er
Eorrefpondent der „Times“, machte mit dem 42. Regimente
die Schlacht von Amoaful und bie Sr von Kumaſſi
mit, holte fid) aber bei den Strapazen den Keim zu eimer
Lungen: und Herzfranfheit, weldyer er am 24. April 1875
erlag. Seine legten Bücher find „Comassi“ und „The
Outeast“,
Timkowski, ber ältefte von allen ruſſiſchen Rei—⸗
fenden in China, geb. 1790, ftarb im Februar 1875 zu
St. Petersburg. Er machte fid) einen Namen durch bie
Beſchreibung feiner 1820 bis 1821 unternommenen Reife
durch die Mongolei nad) Peling. Diefes 1823 erfdjienene
und auch ind Deutſche überfegte Buch hat bis heute wenig
von feinen Verdieuſten verloren. Berdient machte er fid)
ferner durd) den Beiftand, welden er in feiner officiellen
Stellung in Peling den Arbeiten des ausgezeichneten Sino⸗
logen Pater Hyacinth Bitſchurin angedeihen ließ.
von Uslar (Baron, Peter), ausgezeichneter ruffifcher
Militär und Sprachforſcher, geb. am 2. September 1816
in Kurowo bei Wyſhui-Wolotſchol (Gouv. Twer), trat 1833
in die Militäringenieurſchule und war zulegt Generalmajor.
Nach einer Reihe von militär-ſtatiſtiſchen Arbeiten wandte
er fich, mit der ethnographiſchen Beſchreibung des Kautaſus
beauftragt, linguiſtiſchen Forſchungen über die Spradyen und
Dialekte diefes Gebirges zu, welche durch Anton Schiefner's
Bermittelung allgemein zugänglid) gemadjt wurden, Gr
ftarb am 20. Juni 1875 im feinem Geburtodorfe. Der
„Slobus* Hat auf Seite 108 ff. des vorigen Bandes eine
ausführliche Würdigung feiner Arbeiten gebracht.
Wilkinson, Sir John Gardner, geb. 1797 zu
Hardendale in Weftmoreland, widmete ſich frith dem Stu:
dium der äghptiſchen Alterthlimer an Ort und Stelle, ver»
öffentlichte 1827 bis 1828 „Materia Hieroglyphica“, 1830
„Auszüge aus hieroglyphiſchen Monumenten“, 1833 „The-
ben und Altägypten“ und 1837 fein reich illuftrirtes Haupt⸗
werf über ägyptiidye Kunft: „Sitten und Gebräuche der alten
Aegypter“ in 3 Bänden, denen 1841 zwei weitere folgten.
Dann jchrieb er außer vielen fürzeren Abhandlungen „Aegyp:
ten und Theben“, populär gehalten; 1858 drei Memoiren
„Ueber Dalmatien und Montenegro*, „Die Yenypter zur
Zeit der Pharaonen* und „Ueber farbe und die Noth
wendigfeit der Verbreitung des Gefchmads in allen Glaffen“ ;
von ihm rührt auch der äghptologiſche Theil der großen
englifchen Herodot-Ueberjegung her. Er farb am 29. Oc+
tober und wurde in Ylanbovery begraben.
von Willemoes-Suhm, Dr. Kubolf, Zoolo
feit 1871 Docent und Affiftent am Zoologifchen Inftitut im
Münden, dann feit Ende 1872 zum wiſſenſchaftlichen Stabe
bes Profefjor Wywille Thomfon bei deſſen Weltumfegelung auf
dem „Challenger“ gehörig, ftarb am 13, September 1875
auf der Fahrt von den Sandwich⸗gInſeln nad) Zahiti an
Bord jenes Schiffes, im 29. Yebensjahre.
(Zufäge einzelner Daten und Nachträge für die Jahre
1875 und 1874 folgen im einer jpätern Nummer.)
Juhalt: Die Betichuanen II. (Schluß. Mit 4 Figuren.) — Albin Kobn: Zur Präbiftorie Bolens. Mit 14 Abbildungen. —
9. v. Laukenau: Stremouchow’s Reife nah Buchara I. — Nefrolog 1875. (Schluß der Nedaction 8. Januar 1876.)
Nedackeur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lintenftraße 13, III Tr.
Drud und Verlag von Friedrih Bieweg und Sohn in Braunſchweig.
SS 4
Band XXIX.
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
. Begründet von Karl Andree,
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunſchweig
Yährlid) 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlih 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Pf.
1876.
— — —
Rebatel's und Tirant's Reiſe in der Regentſchaft Tunis,
So nahe das Reich der alten Karthager den Küſten
Fraukreichs und Italiens liegt, fo leicht und raſch es von
dort au& mit ben Dampfjchiffe erreicht werden kann, fo häufig
es auch von Gelehrten und Touriften befucht und mitunter
befdjrieben worden ift, fo große Yüden beftchen doch noch
heutigen Tages in unferer Kenntniß fowohl des geographis
ſchen Details als der dort zahlreich vorhandenen Alterthümer.
Es eriftirt wohl eine große Karte, welche von Difizierem des
jranzöfifchen Generalftabes zufammengeftellt worden ift, aber
jie zeigt zwifchen dem nicht allzu dichten Netzwerke ber Reiſe—
tonten eine gewaltige Menge weißer Stellen, welche durch
ihre Beobadytungen auszufüllen ſich nachfolgende Reiſende
bis heute wenig Mühe gegeben haben. Ebenſo gewöhnlich
wie diefe Vernachläſſigung einer unſchwer zu erfitllenden
Pflicht ift aber nachher die wohlfeile Klage fiber die „ſchlech—
ten Karten“, weldyer man in Neifebefchreibungen fo oft bes
gegnet und bei deren Vorbringen der Betreffende nie bebenft,
wie er felber feinen Antheil von Schuld am dem vorhandenen
Mangel trägt. Was die Alterthiimer anlangt, jo ift Tunis
darin wohl eines der vielverfpredjenditen Gebiete im alten
Nömerreihe. Nachdem Carthago 146 v. Chr. Geb. in
Trümmer gefunten war, genoß das Yand länger als ein hals
bes Yahrtaufend dauernden Frieden und blühte bald herrlich)
wieber auf. Unter Auguſtus erftand ſogar die Hauptftadt
wieder aus Schutt und Afche, wenig gegen Weften von ihrer
‚urfprünglicen, aber bei der ZJerftörung verfludhten Stelle;
ſchon Strabo kennt fie als blühendes Gemeinweſen und He—
rodian nennt fie die zweite Stadt im ganzen weiten Reiche,
Wlobus XXIX. Nr. 6.
I.
Und wie der Hauptort jo das Fand, das allein an anderthalb:
hundert Bifchoffige zählte und das erft wieder ſchwere Drangs
fal zu erleiden hatte, als 429 n. Chr. Geb. unfere Yandeleute,
die Bandalen, unter Geiferich® Führung landeten, Völlig
befiegelt wurde fein Untergang aber erft 21/, Yahrhundert
fpäter, als die Araber verheerend Uber Nordafrila hinzogen.
Damals erft, in der Mitte des fiebenten Säculums, wurde
Garthago endgültig zerftört — wir willen nicht aus welchem
Örunde — und am feine Stelle trat das weiter landein-
wärts gelegene Tunis. Die Ruinen der alten tyrifchen
Gründung dienten nun den umliegenden Stäbten als Stein:
bruch: jelbit bis nach Ya DValette auf Malta wurde das
werthvolle Baumaterial verfchleppt und die Wände der Mor
fcheen und Häufer von Tunis follen jo manches herrliche
antife Architefturftüd, fo manden Juſchriftenſtein bergen,
darunter vielleicht die wichtigften hiftorifchen Denkmäler, die
ber Forſchung badurd) entzogen werben,
Diefe Schätze zu heben wird es nod; mandjer Kreuz—
und Querfahrten in bem jämmerlich herabgelommenen Yande
bedürfen; denn bis jet ift, von Carthago abgefehen, wo
Beule und Dawis Ausgrabungen veranftaltet haben, erſt ein
Heiner Anfang dazu gemacht worden, So hat vor 15 Jah—
ren der franzöfifche Archäologe Victor Gusrin, fo vor Kurs
zem ber beut/che Profeffor Wilmanns das Yand durchwandert,
und befonders anziehende Schilderungen, namentlich auch des
Vollslebens, verdanken wir Heinrid) von Malkan (Reiſe
in den Regentichaften Tunis und Tripolit, 3 Bde. Leipzig
1870).
ıl
82 Rebatel's und Tirant’s Reife in der Regeniſchaft Tunis.
Den Zielen und Zweden diefer Männer galt nun zwar
die Unternehmung ber Doctoren Tirant und Rebatel zunächft
nicht; fie haben aber bei ihrer 1874 unternommenen, ledig:
lid) der Botanik gemidmeten Reife auch anderen Dingen ihre
Aufnerffamteit zugewenbet, wie die von dort mitgebradjten
Photographien, welche wir zum Theil in dieſem und den fol
genden Artikeln in Holzſchnitt wiedergeben, zeigen. Eine
Commiſſion des Inftitut de France hatte Inftructionen aus:
gearbeitet, welche ihnen befonderd den Beſuch von Talah im
Suden des Landes empfahlen, wo nad; mehrfachen überein:
flimmenden Angaben von Europäern und Cingeborenen alte
Summibäume ftehen follten, deren nörblicjtes Vorkommen
daſelbſt verificirt werden follte.
Tunis liegt am weftlichen Ende einer großen, faſt ganz
Der Bardo, Regierungsgebäude bei Tunis.
geichloflenen Meeresbucht, el-Bahıra genannt, welche nur
durch einen ſchniglen Arm mit dem Mittelmeere in Berbindung
des Beys, bei welchem bie Dampfer anlegen. Won dort führte
eine hurze Eiſenbahn engliſchen Urſprungs unſere Reiſenden
längs des Uberſchwemmten Nordufers des Bahira nad) der
Hauptitadt. Die Yanditrafe war völlig vom Waſſer bededt ;
nur lange Reihen von Flamingos und Stelzenläufern ver:
fteht. Am Nordufer diefes kurzen Cauals liegt Goletta, ein
Städtchen von 3000 Einwohnern mit einigen Puftfchlöffern
I
ne
a N Te.
Ter Löwenhof im Barbo,
fehrten auf ihr und liefen ſich durch das Pfeifen der Loco—
motive in ihrer Gemüthlichteit nicht ſtören. Auf dem Bahn-
hofe von Tunis jagt man der Givilifation Yebewohl; wie
itberall in den Häfen des öftlichen Meittelmeeres ftürzt ſich
Sefindel, hier Araber und Neger, ſchreiend und gefliculivend
Nebatel!s und Zirant’s Reife in der Negentihaft Tunis,
auf den Anfönmling, der, von jo viel fremden, orientalifchen
Erfcheinungen überrafcht, ſich widerftandslos und ftaunend
fein Gepäd aus den Händen nehmen läßt und dem ober ben
trinfgeldbebürftigen Trägern folgt. Doch ſchließlich gelang
es den Franzoſen, ſich und ihr Gepäck in dem franzöfijchen
Geſandtſchafishauſe fo zu jagen in Sicherheit zu bringen.
Was die Stadt felbft anlangt, fo verweifen wir hier nur
auf Maltzan's trefjliche und ausführlicye Beichreibung, welche
die erjten fünfzig Seiten des oben angeführten und bes
Deftern im „Globus* beſprochenen Werkes ausmacht. Auch
wird mancher unſerer Leſer nicht ohme Intereſſe deſſelben
Autors lebenswahre „Schüderungen aus Tunefien* („Glo⸗
bus“ XVI, S. 8, 29 und 41) umd die Artifel „Zur Keun—
zeichnung der Zuftände in Tunis“ („Globus“ XXI, ©.
153, 171 und 188) wieder zur Hand nehmen.
Etwa eine halbe deutjche Meile nordweſtlich von Tunis
entfernt liegt der Bardo oder Negierungsjig, welcher eine
Heine Stadt von Paläften,
Wachthäuſern, Wohnungs:
gebäuben, Werfjtätten und
Bazars fir jic) bildet, eigne
Mauern und Thore be:
figt und gegen 2000 Ein-
wohner fallen fol. Dort
wohnen nicht nur die fehr
zahlreichen lieder der fürjt-
lihen Wamilie, fondern
auch an hundert Beamten:
familien, und außerdem
umfchliegt der Bardo noch
die Militärſchule, aus wel-
cher faſt alle hohen Beamten
hervorzugehen pflegen.
Malgan ſchildert uns dieſe
Palaſtſtadt folgendermaßen
(Reife in den Regentſchaften
Tunis und Tripolis, ©,
155 f.):
„Der Bardo iſt nicht
nach einem einheitlichen
Plane oder in einem ein:
zigen Stile erbaut, ſondern
jedes Jahrhundert, jeder
regierende Furſt hat hier
durch einen neuen Anbau
oder Umbau ein Andenken
hinterlajlen, jo daß die höch⸗
fte Buntheit der Erfcheinuns
gen die Folge diefer Mofait-
architektur bildet. Keines diefer vielen Gebäude ift im einen
rein zu nennenden Stile errichtet. Einige zeigen fid) Übers
aus einfach), ſelbſt dürftig, andere architektonisch geſchmückt,
jedoch im einem Stile, von dem es zweifelhaft ift, ob man
ihn ſchön nennen und in welche Kunſtrichtung man ihn ver—
weifen fol. Dennod) ift der Eindrud des Ganzen fein uns
günftiger und jedenfall® ein origineller, obgleich, derjenige
eine Enttäufhung erfahren wiirde, welcher ſich etwas echt
Drientalifches zu fehen verſpräche. Die Architeltur bildet
eben eine Miſchung von orientalifchen und europäiſchem
Renaiflanceftil.
Mehr orientalifh als europäifch nimmt fid) freilich die
Einfahrt aus. Hier fahren wir durd) eine Reihe von Bogen-
gängen, an deren Seiten ganze Reihen jener niſchenartigen
Duden angebracht find, welche einen arabiſchen Sſuq oder
Bazar bilden. Ein Bazar in den Vorhallen einer fürft»
lichen Reſidenz ift etwas dem Drient Eigenthlimlider. Da
Mohammed ed:Sadik, Bey von Tunis.
83
aber die Nefidenz eine Heine Stadt bilbet, deren Einwohner
natürlich das Bedürfniß eines Marktes empfinden, fo erfcheint
die Unvefenheit diefer Kaujhallen im jouveränen Schlofie
etwas Erklärliches, ja Nothwendiges.“ Diefer Zugang führt
in einen großen, von Arcaden eingejchlofjenen innern Hof,
auf welchen ein zweiter eben folder, der Yöwenhof, folgt,
fo genannt von acht marmornen Löwen, welche zu beiden
Seiten einer zu ben Gemächern des Beys führenden Treppe
aufgeitellt find. Auch diefem Hof fchmiden Säulenhallen,
bie ftreifenweife ſchwarz und weiß angeftrichen find und recht
gut jene zweifarbigen Mofaiten italienischer, namentlich tos⸗
canifcher mittelalterlicher Bauten nachahmen. An den beiden
Fängsfeiten diefes Hofes liegen Gerichtsfäle, deren Wände
nit foftbaren Marmorftiden ausgelegt find. Oberhalb der
Treppe zieht fich eine Halle hin, „welche vielleicht in ihrer
Ausſchmuckung am reinften den orientalifcen Stempel bes
wahrt hat. Die Arcaden und die Dede der Halle zeigen
ſich nämlich mit jenen feis
nen, einem Spigengemebe
ähnlichen Studverzierungen
liberdedft, welche wir in der
Alhambra in Granada be
wundern und bie dem mau⸗
riſchen Bauftil auch noch
heutzutage angehören, ob⸗
gleid) natüirlid) die Ausfüh-
rung weit hinter jenem
Vorbilde aus der Slanzzeit
des Maurenthums zurück⸗
fteht. Die Araber nennen
diefe Urt von Deckenſchmuck
Noqſch Hadyd, d. h. unge:
fähr „ein fcharfausgepräg-
tes Gemalde“, eine höchſt
richtige Benennung, wen
man ſich erinnert, daß diefe
ſcharfmarlirten Öypsfiguren
im urſprünglichen Alham ⸗
braſtile bunt bemalt was
ten.“
Die Prunfgemäcer des
Scloffes enthalten durch⸗
aus nichts, was der Er-
wähnung werth wäre; es
find gejchmadlofe Nach—
ahmungen ähnlicher euro-
päifcher Räume mit Con⸗
folen, Variſer Penditlen,
falſchen Blumenfträußen
unter Glasglocken und zahlreichen Porträts früherer Beys
und ihrer Minifler, ſowie europäifcher Negenten und
Prinzen.
Der Bey, deffen Porträt wir geben, ift ſchwach und
darafterlos, lebt Lediglich feinen Bergullgungen, welche eben
nicht die reinften und idealften fein follen, und fümmert fid)
um Staatsgefchäfte gar nicht. Die fielen dem fchlauen
Griechen Chasnadar Muftafa zu, der das Fand 30 Jahre
lang auf das Schamlofefte ausfaugte, bis es dem frangöfifchen
Geſandten, Bicomte de Ballat, vor einiger Zeit glüdte, ihn
zu ſtürzen. Frankreich war der tumefifche erfte Miniſter
feit lange ein Dorn im Auge geweſen; aber Jahre lang war
es ben verftedten und offenen Bemühungen des franzöfifchen
Conſuls nicht gelungen, bie Abfegung feines Feindes zu
erreichen, Ein Freudenſchrei flog durch das ganze Yand,
als die Kunde von derfelben ſich verbreitete. Tunis illuminirte
am felben Abend; alle Städte gaben Feſte, und felbft in den
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Rebatel’s und Tirant’s Neife in der Negentjchaft Tunis.
Mofceen foll Ballat's Name als der eines Wohlthäters
des Yandes im Gebete genannt worben fein.
„Man ann ſich feine Borftellung davon madyen,“
fchreibt Rebatel, „bis zu welcher Höhe die Placereien
umd die Vergeubung in Tunis gediehen waren. Die Steuer
erheber wurden vor den Thoren der Stadt von angeblichen
KRäuberbanden, die von jemem ſaubern Finanzminiſter in
Scene gefegt und von feinem Sohne befehligt waren, ange
halten und ausgeplündert. Nebenbei bemerkt gerirte ſich
85
biefer Sohn als Beſchützer der Wiſſenſchaften, er beſaß allein
das Recht, im ganzen Lande Ausgrabungen vorzunehmen,
und er hatte als Nefultat derfelben ein kleines Mufeum von
Ucchitefturreften und Imfchriften zufammengebradht, die
Malgan, wie er im feinem Buche ausführlich erzählt, nur
nad; langen Berhandlungen abzeichnen durfte. — Schließlich
wurde aber das allgemeine Drängen und der franzöſiſche
Einfluß fo ftart, daß der Bey feinen alten, lieben Diener
preisgab, ihm verurtheilte, dem Staatsſchatze zwanzig von den
Arabiſche Frauen und Soldat in Tunis.
vielen unterfchlagenen Millionen France zuridzuerftatten
und ihm die feidene Schnur zuſchickte. Die Todesftrafe
wurde ihm zwar geſchenlt, aber abgefegt war und blieb Chas-
nadar umd lebte ald Gefangener im feinem eigenen Haufe in
Tunis, befjer von dem Haſſe feiner früheren Unterthanen
als von Soldaten und Gefängnigwärtern bewacht. Seine
Eriftenz ift für die Regierung eine wahre Verlegenheit, ja
im Falle er frei füme, eine Gefahr. Denn feine Reich—
thumer find troß jener gewaltigen, ihm auferlegten Buße
noch unermeßlic und beftehen theils in Depofiten bei euro»
päifchen Banfen, theil® in ausgedehnten Yänbereien, welche
fein Tunejer zu kaufen wagt, fo lange nod) der einft all»
mächtige Minifter einen Athemzug in der Bruſt hat.
Ob alle Aenderungen, weldye ſeitdem eingetreten find,
dem Lande und feinen Finanzen auf die Beine helfen wer:
den, ift immerhin fraglich. Der neue Minifter, Chaiveddin
86 9. v. Lankenan: Stremouchow's Reife nach Buchara.
Chasnadar, ein Schwiegerſohn des Geſtürzten, ſoll mehr
europaiſche Begriffe Über Ehrlichkeit und Anſtand beſitzen;
die Zölle ſtehen unter einer aus Engländern, Franzoſen und
Ialienern gemischten Commiſſion und die Finanzen unter
Mr. Leblanc, einem Mlitgliede derfelben. Aber man mag
von Reformen reden fo viel man will, Orientale bleibt Orien—
tale, und die tliefifche Wirthſchaft ift diefelbe in Tunis wie
am Vosporus, in Kleinaſien wie in Syrien. Thatſache ift
nur, daß Tunis 150 Millionen Francs auswärtige Schul—
den hat und daß die jährlichen Einkünfte faft ganz darauf⸗
gehen, die Zinfen jener für das Yand enormen Summe zu
bezahlen.
Ehe wir unfere Neifenden auf ihren weiteren Fahrten
begleiten, jeien noch einige Worte über einen in Tumis felbft
fehe ftart (mit 30,000 von circa 120,000 Seelen
Sefammtbevölferung) vertretenen Volloſtamm, den der Ju—
den, gejagt, von deren merlwürdigen Trachten, die von denen
in Algier und Marokto gänzlid, abweichen, unſer Bild eine
Vorftellung giebt. Die Körperfillle namentlid, dev rauen,
die ſchreiendſten, brennendften Farben der Kleider, dazu die
Verſicherung, daß die alten Juden der Leberlieferung zufolge
genau chenfo gefleidet gewefen feien, alles zuſammen läßt
den fremden, welchem diefe Goftime zum erſten Dale ente
gegentreten, diefelben mit einer großen Berwunderung und
Neugier betradjten. Der moraliſche Werth der Tunefer
Auden ift aber durchaus ein hoher, fteht vielmehr tiefer als
derjenige der dort anſüſſigen Franfen, die an Ehrlichkeit,
Anftand und Rechtſchaffenheit keineswegs als Mufter auf:
geftellt werden fünnen. Der jahrhundertlange harte Drud,
den nicht nur die Fürſten, fondern das ganze Volk auf fie
ausübten, hat hier wie überall den nachtheiligſten Einfluß
auf die Sittlichteit der Inden gehabt; und wenn diefer Drud
neuerdings auch ſehr nachgelaſſen hat, jo hat ſich doch diejer
Stamm nicht jofort von den folgen der frühern Ungerechtig—
keit loswmachen Können. Maltzan erzählt die durch ein in
feinem Befige befindliches comfulariches Actenſtüchk beftätigte,
faft unglaubliche Thatſache, dag noch im Jahre 1868 nicht
weniger als ſiebzehn Tunefer Juden ungeftraft ermordet wur ·
den, ohne daß irgend Jemand, felbft nicht einmal ein Gon-
ſul, dagegen Widerſpruch erhoben oder die Beitrafung der
Mörder zu fordern gewagt hätte.
Unter folcher Tyrannei fanfen dann die Juden tiefer und
tiefer, und Vieles, was bei ihren Glaubensgenoſſen in höch—
fter Achtung gehalten wird, ſank bei ihnen zur leeren Förm—
lichkeit herab oder ging ganz verloren, Ihren Sottesdienften
fehlt die Feierlicheit, dev Ernft, die Ruhe und Wurde ſowohl
ſeitens der Rabbiner wie feitens ber Zuhörer, deren Knaben
— Frauen dilrfen dort dem Gottesdienfte nicht beiwohnen —
lärmend die heilige Stätte durchtoben. Das beliebtefte Ges
bet enthält die ſchwerſten Berwlinſchungen gegen ihre Unter
drücer, die Araber und Spanier insbejondere, jowie gegen
alle Chriften und Veohammedaner im Allgemeinen, Wlle
Monate einmal ertheilt der Rabbiner Abobıtion nicht nur
für begangene, fondern nad) Tetzel's Weife auch fiir zufünfe
tige Sunden, Geldfchulden einbegrifien, die ſich der Tuneſer
Jude nad; erhaltener Losſprechung zu bezahlen weigert.
Trog ihrer großen Unreblichkeit und Betrligerei in allerlei
Geldgeſchäften und Waarenlieferungen, namentlic; im
Berkehre mit der Regierung und dem Yandvolfe, welche
einzelnen Individuen zu großem Reichthume verhalfen, ift
doch die Mehrzahl der dortigen Duden entſetzlich arm und
unwiſſend geblieben und Liefert der Proftitution in ihrer nies
drigften und ſchändlichſten Form ein erfcredend großes Cons
tingent, während in wohlhabenderen Streifen die Familien—
bande eben fo feſt find wie in Europa. Diefe Armuth treibt
fie zu den wiedeigften Beſchäftigungen, zum Stiefelpugen,
was in dem fothigen Tunis eines der efelhajteften Geſchäfte
ift, zwingt fie, die widerlichjten, ſchmutzigſten Gerichte zu
verzehren u. ſ. w. Trotzdem verleugnen fie nie oder höchſt
felten ihren Glauben, fo daß die chriſtlichen Mifjionäre dort
ſchlechte Gefchäfte machen. Und doc; befigen fie eine treff«
liche Eigenfchaft, welche ihre Glaubensgenoſſen in anderen
Ländern auszeichnet, faft gar nicht: das fefte Zufammen-
halten, die Vereitwilligfeit, fich einander zu helfen und für
einander einzuftehen, ift hier der Sucht, den Glaubensgenoſſen,
ja jelbjt den Verwandten zu übervortheilen und zu betrügen,
gewidyen, Und das fennzeicnet nicht nur das jüdifche Pro-
letariat von Tunis, fondern auch die wohlhabenden und reis
den Schichten.
Im Ganzen aber kommt die Tuneſer Judenſchaft gut
fort, materiell wie numerifch, namentlich feitdem es ihr
erlaubt wurde, auch außerhalb ihres Ghetto, hier Hära ger
nannt, zu wohnen. Ganze, früher nur von Arabern bejegte
Stadtteile find jetzt jubaifirt, und viele Bazare, die einft
ausſchließlich Mohammedanern gehörten, find jegt in Befig
der Yuden, deren höhere geiftige Begabung ihnen den Sieg
über die apathifchen und induftriclofen Araber verleiht. Wenn
auch in Zufunft die einen in demfelben Maße zunehmen,
die anderen ſich vermindern, wie in den legten Jahrzehnten,
fo müffen in nicht allzulanger Zeit die Juden ganz iberhand
nehmen und die Araber verſchwinden.
Stremouchow's Neife nad) Buchara.
Nah dem Tagebuch des Neifenden aus dem Nuffiichen bearbeitet
von 9. v, Lankenau.
Am 25. Mat ftellten wir und endlich in Uniform dem
Emir vor. Unjer Ritt zum Schloß in Begleitung des Ger
fandten geichah unter denfelben Geremonien, wie beim Be—
treten der Stadt ; mr die Menfchenmenge war heute bedeu-
tend größer, fo wie die Zahl ber fpalierbildenden Truppen,
Am Eingang des Schloſſes empfingen uns eine Menge
Hofbeamter, die alle, ängftlich auf den Zehen gehend, nur
moniels durch Abdul-Kadir benachrichtigte und diefer end»
lich, daß der Emir bereit fei, uns zu empfangen, Mich er-
griffen zwei Udaitſchi unter den Armen, obgleich ich ihnen
fagte, ic) fünne ebenjo gut allein gehen, die Herren Wilfins
und Tſchapiſchew wurden jogar faſt ins Schloß getragen,
und Abdul-Kadir begleitete uns als derjenige, der uns vor«
. \ zuftellen hatte.
leiſe zu fprechen wagten. Nach längerem Ordnen des Gere |
In einem großen und hohen Saale, deffen hölzerne Did:
9. v. Lankenau: Stremouchow's Reife nad) Buchara. 87
und Wände mit verjchiedenen buntfarbigen, recht gejchmad:
vollen Arabesten verziert waren und im welchen ſich eine
Menge Wandfchränte aller Größen und ohne Thüren be
fanden, empfing uns Seid-Mufaffar-Eddin. Das Koftbarfte
in diefem Gemache waren die dicken jchönen Teppiche, bie
ben ganzen Fußboden bedeckten. Wir machten dem Emir
beim Eintritt in den Saal eine Berbeugung auf europäiſche
Weiſe, nad) einigen Schritten eine zweite und endlich, als
wir uns ihm gegenüber befanden, noch eine dritte. Die
Berrenhingen aber, bie der Gefandte und einige andere ung
begleitende Würdenträger mit ihren Leibern anftellten, waren
fo knechtiſch entwlrdigend und dabei wieder jo komiſch, daß
wir Mühe hatten erufthaft zu bleiben, Nun verſchwanden
der Gejandte und die Bucharen, während Mufaffar uns der
Keihe nad) die Hand reichte und uns ein Zeichen gab, uns
zu fegen. Da wir jedoch feine Stühle im Saale fahen,
mußten wir uns ſchon auf buchariſche Weife, mit unter:
geichlagenen Beinen, auf ben Teppich niederlafien. Ich bes
nugte den erjten Augenblick eines feierlichen Schweigens, mir
den Beherrſcher Bucharas, das Haupt der Mufelmänner
Gentralafiens, näher zu betrachten. Klein von Wuchs, aber
ungemein did, jaß er in einem einfachen jeidenen Chalat,
ohne irgend ein Abzeichen feiner Würde, auf ein paar ſeide—
nen Kiffen. Trotz feines ſchwarzgefärbten Haare, Bartes
und Brauen, trog feiner gefchminften Wangen, Augen und
Stirn, erfannte man in diefen ſchlaffen Zügen leicht einen
Meunſchen, der gewohnt war, feine Kräfte in finnlichen Aus:
fchweifungen zu erfchöpfen und zu vergeuben. Vielleicht war
er früher einmal Hübfch geweſen; jegt aber, im feinem 56.
Yahr, war fein Geficht jehr unangenehm. Yangjam und
mit ſehr leifer Stimme — fein fetter Hals erſchwerte ihm
das Sprechen — begrüßte er mid), wünfchte mir Glid zu
meiner Ankunft in feinem Reiche, im welchem er mic, bat
zu thun als ob ich zu Haufe wäre, und erlundigte fich nach
dem Befinden meines Kaifers, des kaiſerlichen Hauſes und
ber ruffifchen Generale. Ich antwortete ihm im ziemlich,
langer Rede, wie es Gelegenheit und Sitte erforderte, und
endigte mit dem Wunſche eines langen freundfchaftlichen
Berfehrs unferer Länder. Meine Rede, wie ic, aus feinen
Mienen erſah und auch jpäter beftätigt erhielt, war ihm ſehr
angenchm geweſen, und es erfolgten von feiner Seite Ber:
fiherungen feiner unverbräcjlihen Freundſchaft für Nuß-
land und den Kaifer.
Nun begann Herr Wilfins feine Nede, was den Emir
fehr in Erftaunen fegte, da in Gegenwart eines Höhern
ein Yüngerer in Buchara nicht reden darf, ohne vorher dej-
fen Erlaubniß erbeten zu haben, und-erfuchte den Emir um
feinen Beiftand zur Erlernung der Seidenzucht, welchen ihm
diefer auch huldreichſt zufagte.
Nach uns wurden dem Emir noch meine Dichigiten und
Kafalen, dod) nur von der Treppe aus — weiter lieh
man fie nicht —, vorgeftellt und die Audienz war beendigt.
Nachdem wir den Saal verlafien hatten, beglückwünſchte
uns der ganze Hof, daß der Emir und jo überaus gnädig
empfangen habe, und man überreichte uns deflen Geſchenke
an Chalaten und feidenen Stoffen, und mir und Herrn
Wilkins überdies Pferde mit brocatfeidenen Deden und til
fifenbebedtem Sattelzeug. Ich erhielt zwei Pferde, einen
Chalat, den der Emir felbft einmal vorher angelegt hatte
und einen feiner prachtvollen Yeibgürtel.
Als man von mir verlangte, ich folle den Chalat num
auch anziehen und im demfelben durd; die Stadt nad) Haufe
reiten, wie es fälfchlicdjerweife früher umfere Landsleute in
Buchara gethan hatten, ſchlug ich dieſes rund heraus ab, in:
dem ich ihnen erklärte, daß ich über meines Kaifers Uniform
die eines andern Monarchen nicht anlegen dürfe, denn der
Chalat hat bei ihnen die Bedeutung der Uniform, Meine
Begleiter und ich warfen fie nur über unfere Schultern, fo
lange wir im Schloſſe waren, draußen nahmen wir fie fo-
gleich, ab.
Dem Gefandten war es gelungen, den Emir zu über:
zeugen, daß er ihm in der Verwaltung des Reichs unent-
behrlich fei, und er war file den Augeublick der Gunſtlin
dejjelben geworden. Bon diefer Stunde fing er denn *
an, alle die zu verfolgen, die dem Emir näher ftanden und
Zutritt zu demfelben hatten, den er ihnen mach Kräften zu
erjchweren fuchte, was ſich im der Folge aud) auf uns er»
ſtreckte.
Während am 26. Mai Herr Wilfins ausgeritten war,
den Seidenbau und das Ausbrüten ſowie die Behandlung
der Naupen näher fennen zu lernen, begab id; mid) in Be—
gleitung der Kaſalen und zweier Kurbaſchi in die Stadt,
um diefe zu befehen. Cine hohe Mauer an den Eden mit
zahlreichen Thürmen ſchließt die nicht große Stadt Kätab
ein. Eine zweite Mauer im Mittelpunkt derfelben umgiebt
das Schloß deö regierenden Beg. Mitten in der Stadt bes
findet fid; der Bazar, Das Thal ringsum ift mit einer
Menge Kiſchlals, Gärten und Weisfeldern Überfäet, durch
welche fich die Flüſſe Al-Darja und Kitab-Darja ſchlängeln.
Noch befuchte ich das höchſt traurig und unordentlid aus
jehende buchariſche Yager, deſſen Soldaten mich jedoch jogleid)
militärisch begrüißten.
Am 28. Mai fragten mic, mehrere Bucharen, wann
ich abzureifen gebenfe. Diefe Frage wiederholte ſich von
nun an täglich, und id) antwortete beftändig: „Sobald es
Seiner Hochgefegtheit genehm fein wird.“ Ich merkte, wie
ic; Abdul-Kadir unbequem wurde und wie er mid) weit
weg wunſchte; wie er es jedod nicht wagte, anderweitig ge—
gen mic) vorzugehen, obgleic; er beftändig zu fürchten ſchien, ich
möchte dies ober jenes, was mir vielleicht zu Ohren fomme,
bei Gelegenheit einer weitern Audienz dem Emir mittheilen.
Aeußerlich war er jedoch die Liebenswürdigkeit felbft und wie
um ben Finger zu wideln.
An 30. Dat erſchallte die gellende Stimme des Aſantſchi
(Geiftlicher) , der die Gläubigen zur eier des Namas—
Dſchuma rief.
Unter dem Zufammenftrömen des VBolts und in Gegen-
wart aller Truppen feiert der Emir, umgeben von feinen
MWürdenträgern, diefen Namas, worauf er das Heer in Gere»
monialmarſch bei ſich vorbei mafchiren läßt. Wenn man
bie bucharifchen Soldaten und deren Bewaffnung fieht, fo
begreift man ben Rath wohl, den der Tatar Karataew dem
Emir gab, diefe Truppen, die ihm gar feinen Nugen brin-
gen können und bedeutende Ausgaben verurſachen, bis auf
eine Heine Peibwade, ein paar Compagnien, abzuſchaffen;
eine reguläre Gavallerie giebt es nicht, die irveguläre wind
nur zu Sriegdzeiten zufammenberufen, Cine Artillerie giebt
e8 zwar; man wird fie aber, ihrer Untauglichleit wegen, auf-
löfen. Die Kanonen werden jet nad) und nad) zu Miün«
zen umgejchmolzen; in ganz Buchara find faum noch 100
Sejchlige vorhanden. Die jegigen meift aus perfifhen Skla—
ven bejtehenden Soldaten (Sarbafen) haben rothe und blaue
Jaden, die Offiziere weiße Kaftane und Chalate. Die Waf-
jen find alt, ungleich, theils mod) Feuerſtein-, theils Pifton-
gewehre und meift unbrauchbar.
Was nod) an Disciplin und Ordnung geblieben, die
Mufit und die ruſſiſchen Commandowörter, ftammt von
einem fibirifhen Kafaten Popow her, der in buchariſche Ge—
fangenjchaft gerathen war und der, um dieſer zu entgehen,
Mufelmann und unter dem Namen Dsman-beg der Refor—
mator des dortigen Militärwefens wurde. Er lehrte den
Bucharen das Kanonengießen, Flinten ausbeflen, führte
88 9. v. Lankenau: Stremouchow's Reife nach Buchara.
gleiche Uniformirung ein und Militärmuſikl. Sein Ende
war ein gewaltfamer Tod. Auf Grund eines falſchen Do-
euments, in welchem er eine Verſchwörung gegen den Emir
angezettelt zu haben beichuldigt wurde, ließ ihn Mufaffar
erdroffeln und beraubte ſich jo feines nliglichften Diener.
Wenn das bucharifche Heer ins Feld zieht, jo verſchießt
es bereitd vor Unnäherung des Feindes feine Patronen, in
der Ueberzeugung, diefen durch Knall und Pulverdampf in
Schreden zu jagen, jo daß, wenn jener wirllich heranfommt,
alles beim erften Angriff den Rüden fehrt und das Weite
fucht. Die in Sold Bucharas ftehenden Afghanen allein
halten mutbig aus, fämpfen und fterben ziemlich tapfer.
Um die Berlaufenen wieder zu ſammeln, braudt man ein
ziemlich ſonderbares Mittel: man fchenft nämlich jedem
unverwundet Zurüdfehrenden einen Ghalat — ohne dies
wäre das tapfere Heer nicht wieder zufammenzubringen. Die
Verwundeten erhalten nichts — warum ließen fie ſich auch
verwunben !
Eine Niederlage koftet dem Oberbefehlähaber gewöhnlich
das Veben, der unfehlbar des Verraths beſchuldigt und ohne
Weiteres getöbtet wird.
Endlich am 2, Juni brachte uns Abdul-Kadir die ange:
nehme Nachricht, dag wir nad) 1'/, Stunden ſchon nad)
Schaar abzureifen hätten, wohin uns der Emir zu folgen
gedächte. So beeilten wir und denn und, nachdem wir noch
allen Yeuten unſerer Bebienung anfehnliche Geſchenke an
Chalaten u. f. w. gemacht hatten, befanden wir uns bald
auf dem Weg nach jener Stadt, der uns durd cine gut bes
baute Gegend und viele Anfiebelungen führte. Als wir in
die Stadtthore hineinritten und auf dem großen Plag kamen,
der die Citadelle umgiebt, fanden wir eine Ehrenwache aufs
eftellt und eine große Menfchenmenge, die uns wie wilde
Thiere anftarrte. Unter dem Schall der Muſil betraten
wir das Thor des Schlofles, wo und der Oberbefehlshaber
der Truppen, Dervlet:bi, entgegenfam. Diefer und ein an«
derer Würdenträger, ein Berwandter des Emirs, Abduls
farim-diwan-begi (Diwansbegi, Mitglied des Diwans, Reiche»
raths), ein SOjähriger Greis, führten und num in die gro—
ben Säle von Al-Sarai, dem Schloß des berühmten Timur.
Der Greis begrüßte mic, auf eine fehr eigenthitmliche Weife,
er fogte: „Berühmte Leute verftchen einander leicht und
ſympathiſiren flets mit einander, So bin denn aud) ich, der
höchſte bucharifche DBeg und Wurdenträger, außerordentlich
erfrent, den Sohn des befannten ruſſiſchen Großveziers bes
grüßen und mit ihm Freundſchaft jchließen zu können.“
Da id) die Schwachheit des Alten bemerkte, verjäumte aud)
ich nicht, ihm alles mögliche Liebenswürdige zu fogen, was
ihm fehr zu ſchmeicheln ſchien. Seine und dargebradhten
Geſchenke waren ſehr koſtbar und überreichlich.
Das ganze Haus eines Verwandten des Beg war und
zur Wohnung angewiefen, und ich beeilte mic das alte
Schloß Al-Sarai zu befehen, das, obgleich ſchon ftellenweije
fehr verfallen, jedenfalls ein bemertenswerthes hiftorijches
Dentmal if. Soldye majeftätifche Bauten werden jegt nir—
gend mehr in Gentralafien aufgeführt, Die Höhe ber
Mauern umd Thürme, die Mannigfaltigfeit und Schönheit
der Emailverzierungen der Wände, aus buntfarbigen in die
Wände eingelegten Kacheln, deren glänzende farben fich noch
bis heute erhalten haben, die Dauerhaftigleit und Feſtigleit
der alten Architektur, dienen als unleugbarer Beweis des
frühern blühenden Zuftandes und Reichthums Gentral-
aftens, Die Stadt Schaar war die Geburtöftätte Timur's.
Hier war ed, wo er einft beim Kokebur& (ein jehr gefähr-
liches Jagdrennen, bei welchem die Reiter einander einen
Ziegenbod wegzureigen ſuchen; der Sieger gilt als der befte,
fühnfte Reiter) ſich den Fuß brad), in Folge deſſen er denn
auch Timursleng oder Timursaffat (dev Lahme, Hintende)
genannt wurde. Bon einem der Thürme berichtet die Sage
als Beweis, weldy blinden Gehorſam und welde Ergeben-
heit Timur's Untertanen für ihn hatten, daß als er eines
Tages diefen Thurm beſuchte und auf der Zinne defjelben
faß, wie er es liebte, die herrliche Umgegend zu bewundern,
einer feiner Diener ihm eine Bittfchrift überbrachte. Der
Wind jedod) entriß feinen Händen das Papier und warf es
zu den Füßen bes Thurmes nieder, Timur äußerte den
Wunſch, mar möge die Bittſchrift raſch aufheben. In dem:
felben Augenblide auch ftürgten ſich vierzig feiner Freunde,
die ihn umgaben, ohne ein Wort zu fagen, hinab feinen
Wunſch zu erfitllen; alle vierzig aber famen um, feinen ges
lang es das ‘Papier zu überbringen. Beſtürzt über ein fols
ches Unglück ſoll Timur fogleicd, ben Thurm verlaffen haben
und nie wieder auf denfelben zurlicdgefehrt fein.
Am 3. Juni benachrichtigten uns Kanonenſchüſſe, daß
der Emir angelommen ſei und das Schloß betreten habe.
In Begleitung eines zahlveichen Gefolges beſuchten wir
heute die Stadt, die manches Interefiante aufzuweiſen hat.
Außer dem Al-Sarai lafjen ſich noch einige Mofcheen, Grab»
denfmäler von Heiligen, der große fteinerne, mit VBogengän-
gen verfehene verdedte Bazar und endlich die Feſtung, die
für eine der fefteften in Buchara gilt, anführen.
In Schaar wurden mir endlich Abdul-Kadir's Intris
guen, die meine wehtere Zufammenfunft mit dem mir zu
verhindern fuchten, unerträglich. Ich erfuhr dies von vielen
mir Wohlgefinnten, unter anderen auch von dem Mirfasllraf,
dem zweiten Secretär des Gefandten, einem Fugen und
ehrenhaften Manne, der großen Nuten hätte ftiften können,
aber feiner Offenheit wegen nicht beliebt war. Ich Lie in
Folge diefer Eröffnungen den Gefandten wiffen, daß wenn
er fortfahre mir feindlich entgegenzutreten, ich Böſes mit
Böfen vergelten und meiner Negierung die nöthigen Mit
theilungen darliber machen werde, daß aber meine Meinung
fei, er thue im eigenem Intereſſe beifer, ſich mit mir anf
freundfchaftlichen Fuß zu fegen; mir fiele es nicht ein, feinem
Einfluß beim Emir hindernd entgegenzuwirten. Ich war
verfichert, meine Worte würden ihm treulich mitgetheilt wer:
den ; und wirlich erfchien derjelbe bereits am folgenden Tage
mit neuen Freundſchafts- und Ergebenheitöverficherungen ;
ihm war erfichtlicy wicht behaglidy in meiner Gegenmart.
Auch Hier bemerkte ich, wie id) von Spionen umgeben war;
befonders mißfielen den Bucharen meine öfteren Abfendungen
von Dfchigiten mit Briefen nadı Samarland. Wie groß
aber aud) ihre Neugier war, die Briefe, die ich erhielt und
abfertigte, wagten fie nicht zuritdzuhalten oder zu öffnen.
Als ic am 10, Juni faſt den ganzen Tag im Garten des
Neffen des regierenden Begs, Allajar-begstoffaba, zubrachte,
der mich durch Muſit, Gefang, großartige Bewirthung u. |. w.
zu unterhalten fuchte, erfältete ich mic) fo heftig, daß id)
mid; recht unwohl flihlte und den folgenden Tag im Bett
zubringen mußte. Meine Krankheit verjegte Alle in große Be:
ftürgung, und als man diefe dem Emir berichtete, fam dem:
felben fogleich der Gedanke an eine Vergiftung. Er erfchrat
darüber fo heftig, daß er erflärte, ex werde, wenn ich nicht
bald wieder befjer werben follte, alle, denen er befohlen über
mic; zu wachen, aufs Strengfte beftrafen, vor Allem natürs
lic) den armen Allajar-Beg. Allen fiel daher auch ein gros
er Stein vom Herzen, als ich mid, am 12. wieber wohler
fühlte und wieder einen Heinem Spazierritt durch die Stadt
machen fonnte,
Nun famen am 13. eine Menge Berfonen, ſich nach mei:
nem Befinden zu erkundigen, was mir ſehr lieb war, da id)
jo mandyes Wiſſenswerthe erfuhr, ohne daß es Verdacht er:
regte. Huch Abdul-Kadir erichien und theilte mir mit, dag
Gameron’s Briefe über feine Reife quer durch Afrika.
der Emir mir morgen eine Audienz bewillige, da er mid)
zu fehen wünſche. So waren wir denn bereits am 14. Juni
des Morgens um 9 Uhr in voller Uniform und harrten bes
Augenblids, der uns zu dem Beherrſcher der Gläubigen füh-
ren follte. Endlich, nachdem ic; mehrere Dale zu Abdul⸗
Kadir gefchict hatte, der uns wieder vorftellen follte, erfchien
diefer um 3 Uhr Nachmittags, mit Entfchuldigungen, daß
der Emir, der durch viele Gefchäfte abgehalten und ermildet
gewefen fei, uns erft jegt empfangen fünne. Die Vorftel-
lung widelte fi nun auf die gewöhnliche Weife ab, wobei
uns der Emir noch mittheilte, daß er ficher darauf vechne,
und nod) einige Mal in, der Stadt Buchara zu fehen und
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baß er beöwegen auch feinen Aufenthalt in Schaar ablürze;
unterbefien möge ich e8 mir in feinem Reiche wohl fein laf-
fen und mid) überall ungehindert umfehen.
So reiften wir denn, nachdem uns Abdul-Kadir wieder
reiche Geſchenke des Emir überbracht und uns mitgetheilt,
diefer werde uns bald folgen, am 15. Juni nach Buchara ab,
Der Gefandte, der uns dahin begleiten follte, trug heute in
feinem prächtigen Turban, einem &ejchent feines Gebieters,
einen Berat (Dantrefcript) deſſelben, der ihn zu gleicher Zeit
für den glücklichen Erfolg feiner Sendung nad) Peteröburg
zum Datdja (Öeneralmajor) ernannte.
Gameron’8 Briefe über feine Reife quer durch Afrika.
Im Folgenden Tegen wir unferen Leſern eine wörtliche
Ueberfegung der beiden wichtigen Briefe des kühnen Reifen
den vor, welche am 10. Jannar vor der Yondoner Geogra—
phifchen Geſellſchaft verlefen wurden. Wir geben diefelben
ausführlich), weil fie die Handeläverhältniffe im Innern des
Continents erkennen laffen und zugleid) zeigen, mit welchen
Schwierigkeiten und namentlid) Zeitverluft ein Neifender dort
zu kämpfen hat. Dies ift nicht unwichtig zu erfahren, fofern
es wirklich noch Dr. Pogge, dem Reiſenden der deutſchen
afritanifchen Geſellſchaft, gelingen follte (was nad) jo viel
Scidjalsihlägen faum noch zu hoffen ift), in das Reid) des
Muati Yanwo einzubringen. Wenn es auch Cameron nicht
gelungen ift, dem Yualaba abwärts bis zum Deere zu folgen
und fo diefe Frage endgültig zu löfen, wenn er felbft nicht
einmal dem Ausfluffe des Tanganyifa» Sees, dem Lukuga,
gefolgt zu fein fcheint, wenn er vielmehr zulegt weit, weit
füdlich, von dem unbelannten Kerne des Continents dahin;
und belanntere Gebiete betrat, die uns durch Livingftone un
Magyar ſchon vor 20 Jahren erſchloſſen wurden, fo hat er
doch vorher gewaltige Streden unbelannten Landes durch—
meffen und, was vor Allem hoch anzufchlagen ift, wiſſenſchaft⸗
lich feſtgelegt. Das ewige Hin= und Herfchieben der Fluß-
adern auf den Karten hört num auf: Cameron’s Route ift
die fefte Grundlage für jedes weitere Unternehmen geworden
und eine Gontrole für feine Vorgänger, Möge Niemand
vor dem Gewirre der Flußnamen am Ende des zweiten Brie-
fes erfchreden: ſchon jetzt ift es möglich, einen Theil derfelben
mit früher (von Livingſtone) ertundeten zu identifieiren und
fich ein rohes Bild des Flußſyſtems jener Gegenden zu ent
werfen. Yivingftone war es nicht befchieben, feine legten,
großen Reiſen ſelbſt ind Reime zu arbeiten, und darum find
viele feiner Erkundigungen unflar geblieben; menſchlichem
Ermeflen nad) wird fein junger Nachfolger glüdlicher fein
und uns in Bälde die ſehnlichſt erwarteten Nefultate feiner
glängenden Unternehmung vorlegen können. (Red.)
I
An den Präfidenten Sir — — der
Royal Geographical Society.
Britiſches Conſulat, Loanda, 22. November 1875,
Ich habe die Ehre, Ihnen die wohlbehaltene Ankunft der
FivingitonesOfttüfteneErpedition an der Weftküfte zu melden.
Sie finden beiliegend Briefe, die id) vor langer Zeit ſchrieb
und abſchickte und wieder überholte, fowie die Aufzeichnung
eines Theiles meiner Route, einige Aufriffe und verfchiedene
Auffäge, die ich im Iumern anfertigte. Ich lann augen
blidlich nicht viel ſchreiben, da ich mich eben erft von einem
Globus XXIX. Nr. 6.
Storbutanfall erhole, der ſich an dem Tage einftellte, an dem
ich bei Katombela, dem Catumbella der Portugiefen, die Küſte
erreichte. Meine Thermometer find wohlbehalten; natlirlich
müffen fie bei meiner Rucklehr in Kew wieder geprüft wer ⸗
den. Ich werde hier bleiben müſſen, bis e8 wärmer in Eng«
land ift, da, fo gern ich das liche Vaterland wieberfehen
möchte, es Unrecht wäre, ſich wegen ein oder zwei Monaten
neuer Krankheit anszufegen. Das Innere A im Ganzen
ein pradjtvolles und gefundes Yand von unfäglichen Reid)
thum. Ich beige eine Feine Probe guter Sohle; andere
Minerale, wie Gold, Kupfer, Eifen und Silber, find reichlich
vorhanden, und bin id) überzeugt, daß mit einer Mugen und
freigebigen (nicht verfchwenberifchen) Capitalauslage eines der
größten Syfteme inländiſcher Schifffahrt der Welt nugbar
gemadjt werden könnte umd binnen 30 oder 36 Monaten
die unternehmenden Capitaliften, die fic der Sache annähr
men, zu belohnen beginnen witrde. Es ift mir unmöglich,
jegt viel zu fehreiben, aber während ich hier bin, werde id)
arbeiten und behalte deshalb meine Tageblicher, Skizzen n. ſ. w.
hier, damit bei meiner Rüdtehr nad) England die Arbeit ſchon
vorgeichritten ift.
Ic erhielt zwei Privatbriefe hier, aus denen ich erfehe,
daß die Geſellſchaft Willens ift, die gemachten und mod) be
vorftehenden Koften der Expedition zu tragen, und daß eine
Sammlung fir mic oder vielmehr zum Beſten der Erpe-
dition gemadjt worben ift. Ich wagte Alles und fegte Alles
aufs Spiel. Ich fagte mir, daß das engliſche Voll und die
Geſellſchaft nie Iemanden im Stich laſſen wird, der fein
Möglichites getan hat, und ich bin ftolz und froh, daß mein
Vertrauen gerechtfertigt war und daß, von Ihrer Majeftät
an, ganz England Teilnahme an dem Werk genommen hat,
dem ich mein Leben zu widmen hoffe. Eine zweite Erpebition
wilrde ich im Stande fein, mit doppelter Bequemlichkeit und
den halben Koften diefer auszuführen. Muscatnüffe, Kaffee,
Semſem, Bodennlifie, Delpalmen, ber Dipafır (ein ölliefern-
der Baum), Reis, Weizen, Baumwolle, alle Erzeugnifie bes
füdlichen Europas, Gummi, Copal und Zuderrohr find bie
botanischen Erzeugniſſe, die einen Gewinn abwerfen würden;
Weizen wird erfolgreich von den Urabern angebaut, fowie
auch Zwiebeln und von der Kuſte gebrachte Fruchtbäume,
Ein 20 bis 30 Meilen langer Canal durd) ein flaches und
ebenes Land wiirde die beiden großen Syſteme des Congo
und Zambefi vereinigen, die jegt jchon während der Regen:
zeit duch Waller in Verbindung ftehen. Mit einem —*
capitale von 1 bis 2 Mill. fe St. witrbe eine große Ge—
ſellſchaft, falls richtig geleitet, wie geſagt in etwa drei Jahren
Afrika geöffnet haben. Was die diplomatifchen Schwierig.
feiten fein würden, kann id) natitrlich nicht jagen; aber es
; '12
90
ſcheint mir, als ob fie bei weiten größer als bie phnfifchen
fein würden.
Ich bin, geehrter Herr, Ihr ergebener
B. Yovett Cameron,
II.
An den Secretär der Royal Seographical Society.
Scha Kelembö, am Fluſſe Lumcji*), in Lovale,
11081 {,Br., 200 27° 6.0,,7. Sept. 1875.
Ich bitte Sie, dem Präfidenten und den Mitgliedern der
Geographiſchen Geſellſchaft die nahe Ankunft der Expedition
unter meinem Befehl an der Weftlüfte mitzutheifen.
Es ift mir jegt unmöglich, in die Einzelheiten des voll«
bradjten Wertes einzugehen, aber obgleich ich lange nicht das
erreichte, was id) zu vollbriugen gedachte und mit beherzteren
Vegleitern vollbracht hätte, hoffe id), daß es ſich bei meiner
Ankunft in England herausftellen wird, daß id, bedeutend
zur Aufhellung des über afrifanifcher Geographie herrſchen⸗
den Dunfels beigetragen habe, und ſich auch die großen, aber
unvermeidlichen Koften rechtfertigen werden. Id) nehme an,
daß Sie ſchon lange meine Karten und Briefe aus Ufiji**)
erhalten haben und gebe hiermit einen flüchtigen Bericht des
feither geichehenen Wertes.
Zuerft ging ich von Ujiji nah Nyangmwe, wie ich glaube
auf demfelben Wege, den Livingſtone nahm. Ich fand, daf
er Nyangıs ***) 90 Meilen zu weit nad) Weiten gefegt hat
und da von dort aus der Yualaba, weit entfernt feinen weft
lichen Yauf in einen nördlichen zu verwandeln, in Wirllich—
feit die Richtung nad; Norden verläßt und fid) nadı Welten
wendet. Weiter unten im feinem Yaufe wurde er mir als
nad) Weft-Sid-Weften fließend gefchildert. Einige der Ara
ber waren weit nad) Nord-Nord-Oſt bis Ulegga gelommen
und hatten durch die Eingeborenen von ägyptifchen Händlern
gehört, aber mie etwas über den Albert Nyanza, obgleich
einige ihm Fannten, wenn ich über denfelben aus feliheren
Reifen nad) Karagus ꝛc. frug. Ich neige mich zu der Ans
ficht, daß er viel Heiner als nach Sir Samuel Baler's Zeich—
nung tr).
Ein Fluß, den Ausſagen nad) jo groß wie der Yualaba
bei Nyangwoͤ, ergießt ſich von Norden in denfelben eine kurze
Strecke tiefer unten, fowie auch andere bedeutende Flüſſe von
Norden her; möglicherweife ift jener Fluß, der Yowa, der
untere Yauf des Buri. Der Yualaba ift bei Nyangws nur
1400 Fuß (2000 nad} Yivingftone) über dem Meere oder
500 Fuß tiefer als der Nil bei Gondoloro (1273 Fuß nad)
den neueften Meffungen Ned.) und flicht durch die Mitte eines
enorm weiten Thale, welches den Waſſerabzug diefes ganzen
Theiles Afrilas in ſich aufnimmt und die Fortſetzung der
Thäler des Luapula und Lualaba bildet.
Ich gab mir in Nyangms große Mühe, Canoes zu er—
*) MWabrjcheinlich it dies Liringitones Lomerje, ein Zuftuß
bes Leembua, der feinerfeits in den Kafabi (Volke) flieht. Yivinge
ſtoue ſeht feine Duelle etwa in 210 öftl. L. ®r. und 119 für. Br.;
er freugte ibm bei feiner Rückteiſe von Loanta nach Yınbati 1855.
* Her.
**) Diefelben filtern vie Meile bis dorthin und tie Aufnabıne
bes fürlicden Theile der Tanganpilafers und crfchienen in ten
Proceedings ter Noy. Geograph. Soc. Mer,
“er, Die Karte zu Livingſtone's lehter Reiſe Tepe dieſen feinen
weitlicditen Bunte im Laube der milden Manynema in 2005’
öl, 8, und 4° 10° für, Br (Vgl, „Globus“ XVII, ©. 85.)
Mer.
7) Tiefelbe Anſicht theilt auch Oberſt Herten, wie Eir Nam
linfon in feiner Gröffmumgsrere ter Non. Öhenrend. Sor. vom 15.
Nov. 1875 berichtet. Danach hätte ter Albert Nyanza feine arößte
Erſtreckung in ter Richtung von O. nach W., nicht von S. nad
N. und reichte nicht über den Arquator ſüdlich hinaus. Mer.
Cameron's Briefe über feine Reiſe quer durch Afrika.
fangen, aber ohne Erfolg. Ich glaube, daß meine eigenen
Leute, die fich durch die Erzählungen der dortigen Araber
und Wamerima hatten gehörig ängftigen lafjen, viele der
Schwierigkeiten veranlaßten; nachdem ic; einige Zeit im
erfolglojen Verfuchen, Boote zu erlangen, zugebradht hatte,
ging ich mit Hamed ibn Hamed (alias Tipo-tipo), der von
feinem fejten Yager nad) Nyangwe gefommen war, um einen
Krieg zwijchen den Nyangwe-Händlern und dem ihm befreun⸗
beten Häuptlinge Ruſſung beizulegen, nach feinem Lager, um
von dort aus womöglich nad dem Sce Sanforra vorzus
dringen, von dem ich auch) in Nyangme gehört hatte und zu
dem mit Hofen bekleidete Händler in großen Segelfchifien
fonmen follten, um Palmöl und Staub in Federlielen, viel-
leicht Goldftaub, zu kaufen.
Aber als id) in Tipostipo's Lager anlangte, verweigerte
mir der Häuptling am andern Ufer des Yomami *), dem ich
(ba er früher Tipostipo nicht geftattet hatte, im fein Yand zu
fommen) um Erlaubniß bat, fein Gebiet zu durchkreuzen,
den Durchmarſch, indem er mir jagen lich, daß, falls ich käme,
er mich befriegen wilrde, Da aljo diefer Weg gefperrt war,
marjchirte ich mit drei Waruafüihrern, die Tipo-tipo mir gab,
nad; Süden ab, um Kaſongo's, des größten Häuptlings
von ganz Urua**), Stadt, nad) welder portugiefijche Händ-
ler kommen ſollten, zu erreichen, in der Hoffnung, von dort
einen Weg nad) dem See zu finden. Als ich bei Kaſongo
(in Kilema) anlangte, fand ich dort einen Araber, Jumah
ibn Salim (Jumah Merikani), der mic) ſehr gütig und gafte
freundſchaftlich behandelte, und einen ſchwarzen Händler aus
Bihé (in Benguela), Namens Joſé Antonio Alviz, der mir,
als id) anlam, fagte, daß er im 14 oder 15 Tagen abreifen
wolle, mehrere feiner Leute aber mit Kafongo im Krieg feien
und daß, falls ich einige Seen in dev Nähe beſuchen wolle,
er einen Monat warten würde, Ich reiſte ab und beſuchte
Mohrya, einen feinen, vom Regen gefpeiften See, der an
fcheinend von dem Übrigen Waſſerſyſtem iſolirt ift, da er nur
den Abjlug eines Heinen Baffins aufnimmt und feinen Aus-
fluß hat, welcher aber interejlant ift, da er ordentliche Pfahl:
dörfer wie jene im Realmah enthält. Bei meiner Rüdtchr
vom Mohrya fagte Alviz, dag ev nod) auf Kaſongo warte,
worauf ich Kaffali (oder Kikonja) und Kowamba, zwei
Seen an den wirklidyen Yıralaba, zu erreichen ſuchte, aber
verhindert wurde, den Yovoi zu überjchreiten und mich mit
einem entfernten Anblide der Kaſſali begnügen mußte.
As ich zurücklehrte, fand id, dag Kafongo während
meiner Abweſenheit dagewejen, und wicder fortgegangen fei,
aber Befehle zurüdgelafien, wenn ich zurüdläme, ihm Voten
zu Ichiden, da er mich fehen wolle. Ich fand, daß Alvi
alle feine Yaften gepadt hatte und, wie er fagte, mir *
Kaſongo's Rudlehr wartete, un gleich abzureiſen, denn wenn
Kaſongo ankäme, würde es zwei oder drei Tage dauern, ſich
von ihm zu verabſchieden, und dann wilrde er jo raſch als
möglic, nad) Bihe reifen, da ihm die Vorräthe fehlten. Zus
erſt fagte er, er wünſche feinen Vertrag mit mir zu machen,
da er gerade wie ein Europäer fei, und das was er fage,
wahr jei, obgleich ich ſchließlich fand, dag er der hartnädigfte
und grundloſeſte Luügner fei, den ich je getroffen.
Nach ungefähr ſechs Wochen erſchien Kaſongo, und dann
verlangte Senhor Alviz einen gefchriebenen Contract über
feine Bezahlung, und mußte ich einen Vertrag mit ihm abs
fchliehen, im dem ich mich verpflichtete, bei meiner Ankunft
in Yoanda ihm 400 Dollars zu bezahlen, wobei ich jedoch
ausdriicklich feftfegte, daf auf dem Wege fein Aufenthalt zu
+) Auch Leeli genannt, und won Livingſtone erlundet, mad welchem
er ben Lintolu⸗ (Tſchebugo⸗ See durchitremt. Ret.
**Das Land Rua Liviugſtones.
Gameron’s Briefe über jeine Reife quer durch Afrila. 9
Handels oder anderen Zwecken ftattfinden dürfe, welche Bes
dingung ich ihm gemau erklären ließ, woraufer fragte, woher
denn Verzögerungen fommen könnten, und 68 Tagemürſche
als die zur Erreichung Benguelas nöthige Zahl angab, in
dem er behaupete, jeden Tag bis 3 oder 4Uhr Nachmittags
zu marſchiren umd nur ein Mal in 12 ober 14 Tagen zum
Ankauf von Lebensmitteln anzuhalten. Ich fertigte dieſen
Vertrag dreifach; aus; eine Copie übergab ich Jumah ibn
Salim mit anderen Briefen mad) Zanfibar, eine behielt ich,
und die dritte gab ic; Alviz.
Ein paar Tage jpäter hörte ich, daß Alviz ſich verpflich—
tet habe, ein Haus für Kaſongo zu bauen, und als ich mid)
bei ihm Über diefen Bertragsbruch beflagte, leugnete er es
ab; jedoch; nach einigen Tagen jagte er, fein Hauptführer,
ein Deulatte, der Sohn des Major Coimbra in Bihé, gehe
nach einem Orte 2 oder 3 Tage vorwärts, um ein Haus
für Kaſongo zu bauen, aber daß es nur eine Arbeit von 3
biß 4 Tagen fein würde, da fein eigenes Haus, nach deffen
Muſter diefes gebaut wetden folle, in 4 Tagen vollendet
wurde.
Nach weiterer Verzögerung kam Coimbra von einem ganz
andern Orte zurück, indem die Geſchichte von feinem Haus:
bau fich als ungejchminfte Füge herausſtellte, und jegt wurde
mir gejagt, daß die ganze Karawane abreifen und, bein
Paffiren des Weges, das Haus bauen würde. Ich machte
große Anftrengungen, Yente, Gewehre und Pulver aufzutrei-
ben und zu dem See Sanforra durcchzudringen, aber Kaſongo
weigerte fi, mic hingehen zu laſſen, und von dort fom-
mende Leute fchilderten den Weg als während der Negenzeit
unpaffirbar, jo daß ich mic) in den Aufenthalt wegen des
Hauſes fügen mußte. Gerade che ich Jumah ibn Salim’s
Ort verließ, hörte ich, dap ein Theil von Alviz's Leuten in
einem Orte Namens Kamjola fei, und daß Alviz auf fie
warten würde. Zuerſt leugnete er es, aber natürlich ftellte
es ſich jchließlich ald wahr heraus.
Wir verließen Jumah ibn Salim gegen Ende Februar
und machten einen Bummelmarſch nad, Totöla, wo das
Haus gebaut werben follte, wobei wir fünf Mal lagerten
und 3 oder 4 Tage auf dem Wege Halt machten, während
beladene Männer die Entfernung in zwei Tagen zurüdlegen
lönnen, und Leute mit nichts ald Gewehren fortwährend in
einem Tage von einem Ort zum andern gehen.
In Totöla angelangt, wurden einige Leute nad) Kanyola
abgeſchickt, und fagte man mir, daß fie in 12 bis 14 Tagen
zurücd fein würden. Das Haus wurde gebaut, aber ein
großer Theil der Urbeit fiel auf meine Yeute, und es dauerte
gegen 20 Tage, nad) deren Ablauf noch immer feine Nach—
richten von den Kanyofasteuten angelangt war. Ich bat
Kafongo um Ganoes, um den Yomämt hinunter wieder in
den Yıralaba zu gelangen, aber er fagte, es gäbe zwei Wege,
die id) nehmen Könnte, nämlid, entweder Alviz zu begleiten,
oder bei Jumah Merilani zu bleiben, bis er abreife.
e Trog Allem erjchienen die Kantofa-Yente nicht vor
Ende Mai, und mittlerweile erlaubte Alviz dem Coimbra
(oder Kwarumba, wie er hier genannt wird, und der ein
ausgeſuchtes Mufter eines abgefeimten Schurken ift) mit
Kafongo einen Raubzug auf Eflaven zu machen, wobei ex
fid) aber dagegen verwahrte, auf ihm zu warten, falls er
länger als die Kanyola⸗Leute ausbliebe. Als legtere au—
famen, gab e8 einen furzen Aufenthalt, wm auf Kafongo zu
warten, der ein paar Tage nad) ihnen ohne Kwarumba zu
rucklehrte.
Während dieſes Aufenthaltes paſſirte es einem meiner
Leute, das Lager in Brand zu ſetzen, jo daß unſer ganzer
Theil und ein paar Hütten von Alviz's Yeuten wiederbrann-
‚zu laſſen.
ten, Zum Glhudk gelang es mir, obgleich nur mit Haares-
breite, meine Karten und Tagebücher zu retten,
Die Leute des Alviz, deren Hütten verbrannt waren,
verlangten die lächerlichſten Entſchädigungen für Dinge, die
fie ald verbrannt ausgaben, weldye aber meiftens gar nicht
eriftirt hatten. Ich fagte Alviz, daß ich Willens fei, Alles
wirklich Verlorene zu bezahlen, aber nicht ſolche Dinge, die
nie vorhanden gewefen feien. Ex erwiederte, die Leute miß-
ten entjchädigt werben, oder fie wilden fein Elfenbein ſteh—
len, wenn er in Bihs anlange. Ich ſagte ihm, ev möge fie
bezahlen, ich würde aber in Yoanda gegen die Forderung
protefticen. Er verweigerte aud) jede Entſchädigung flr die
meinen Yeuten und mir während der Berwirrung geftohlenen
Sachen. Hierauf marſchirten wir zum Yunga Mändis,
einem Unterhäuptling Kaſongo's, ab, wo wir in 10 Tagen
anlangten, und wo mir bann gefagt wurde, wir müßten
3 Tage zum Anfauf von Yebensmitteln warten, um Uſſambi
zu durchlreugen. Am 3. Tage langte eine Heine Karawane
unter Aufficht des Sklaven eines in Dondo, bei Yoanda,
wohnenden Weißen an, und nun wurbe ein weiterer Tag
verlangt, um diefelbe mit Yebensmitteln zu verforgen. Am
Abend des vierten Tages fragte ich, ob Alles fertig fei am
Morgen abzureifen und erhielt eine bejahende Antwort.
Trogdem fagte man mir um 7 oder 8 des Morgens, daß
noch Leute in Totöla zurlidgeblicben feien und Alviz nicht
ohne fie abreifen wiirde, 9 ſchlug Laärm, und wurden
Leute zurückgeſchickt, um fie zur Eile zu treiben, Während
wir auf diefe Yeute warteten, faßte id; Bartian, den die
Aufficht führenden Sklaven der Dondo-Sarawane, ab, ber
fi, erbot mir den Weg mad dort zu zeigen und fagte, Alviz
hätte ihn in Totela oder bei Jumah Meritani daran ver:
hindert, die® zu thun, doch wollte er jegt ein paar Tage
warten, um zu jehen, ob Alviz ſich in Bewegung fegen würde
ober nicht. Nach 18 Tagen bei Yunga Mändis gingen
wir, Dank meinem energijchen Drängen, etwas vorwärts,
aber beim erjten Lager liefen einige Sklaven fort, und wurs
den wir einen Tag zurücgehalten, während die Eigenthlimer
fie fuchten, und am nächiten Morgen wurde mir gefagt, daß
während der Nacht die Nachricht von Kwarumba angelangt
fei, daß er im Yaufe des Tages eintreffen würde und wir
auf ihn warten ſollten. Kwarumba erjchien an jenem Tage
mit einer Reihe von 40 oder 50 erbärmlichen Weibern, die
er aus verfchiedenen von ihm mit Kafongo zerftörten Dör-
fern gefammelt hatte. Seitdem haben wir ziemlich gut
marſchirt, mit gelegentlicyen Halten, wm entlaufene Sklaven
zu fuchen, Nahrung zu kaufen und um Alviz Handel treiben
Obgleich er bit zum Ende mir betheuerte, daß
er nicht auf Kwarumba gewartet habe, fondern auf andere
Leute, deren Freunde ohne fie zu marfchiren ſich weigerten,
forderte Alviz als Entichädigung für feinen Aufenthalt
Sklaven von Kwarumba.
Ich werde die ganze Frage von Alviz's Forderung gegen
mich Ihrer Majeftät Conſul in Loanda und dem dortigen
portugiefiichen Gouverneur übergeben und mid) deren Ent:
ſcheidung unterwerfen. Wir follten Benguela gegen Mitte
October erreichen, und falls Alles gut gebt, follte ich zu
Weihnachten in England fein.
Und jest am den geographiſchen Theil des Gegenftandes,
von dem ich "augenblicklich nur eine Skizze zu geben im
Stande bin, und deffen voller Bericht deshalb bis zu meiner
Ankunft in England warten muß.
Von Nyangws zu Kafongo war meine Koute hauptſäch—
lic, die öftliche Seite des Yomami hinauf, welcher ein Neben.
thal zu dem großen bes Yualaba bildet,
Der Yomämi hat feine Verbindung mit dem Kafjabs,
wie die von Keith Johnſton herausgegebene Karte angiebt,
12*
92 Cameron's Briefe über feine Reife quer durch Afrika.
fondern ift ein befonderer und unabhängiger Strom. Er
nimmt viele Bäche von DOften her auf, aber feine er
Fluſſe auf diefer Seite; von Weften empfängt er
wenbi, der aus dem Ili-See (wahrſcheinlich Livingſtone's
Late Lincoin) kommt, der die beiden bedeutenden Fluſſe Lu—
bivanzi und uwenbi in fi) aufnimmt.
Der Yualaba, als folder von den Pombeiros erwähnt,
ift der wahre Lualaba, und die Pa « feiner Quellen mag
als u wie auf ihren Nouten notirt, angeſehen
werben. fließt dann nach N. N. D. durch zwei große
Seen, den Lohemba und Kaflali, und nimmt im einem
dritten Heinern, Namens Kowanba, den Yufira von S. S. O.
auf*). Zwiſchen dem Yufira und dem wahren Lualaba
liegt Katanga, eine an Gold und Kupfer reiche Landſchaft,
mit einem’ wunderbaren Ueberfluß an Wild, falls die Ber
richte wahr find. ine kurze Strede oberhalb des Zus
fanmenflufies des Lualaba mit dem Yufira liegen zwei andere
Seen, Kattara und Kinmwera, aber id, war nicht im Stande,
ihre Verbindungen und Lagen mit Bezug auf das Übrige
Wafferfyften genau zu beſtimmen, doch glaube ich, daß
Kattara weſtlich vom Yufıra und Kimwera zwifchen demfelben
und dem Lualaba liegt.
Oberhalb des Sees Kafjali empfängt der Lualaba den
Luburi, oder Luwuli, und Yufıya, und ber Lovoi fällt in
das untere Ende des Kaffali. Unterhalb des Kowamba
fließen die vereinigten Flüffe, jegt gleichermaßen als Kamo—
rondo oder Yualaba befannt, durch eine Kette Feiner Seen,
von Süden an KHahanda, Ahimbs, Bembs und Ziwambo,
und nehmen dann Pivingftone's Yıralaba auf, der eigentlich)
Luowa heit, aber von den Arabern gewöhnlich Lualaba
genannt wird; unterhalb des Zuſammeüfluſſes fließen die
vereinigten Flüffe durch den Yanjifee (Livingſtone's Ulenge)
und weiter bei Nyangws vorbei, wo der Name des Lualaba
von den Arabern in Ugarrowwa corrumpirt wirb**),
Der Kamorondo empfängt vom Often, vom Süden ans
fangend, den Kalamehongo (wahrſcheinlich Cavula Ngango
der Pombeiros), Mana, Mkotwo, Sajamba und Kifuvulungo;
und vom Welten Luvijo, Kuwi, Yofanzi und Luvunguwi,
alles bedeutende Ströme,
Unterhalb der Bereinigung des Luvwa mit dem Samos
rondo fallen folgende Ströme in den Lualaba von Oſten
her, ehe er den Yanjifee erreicht. Der Yumbit, wahrfchein-
lic) der von mir als Luwika auf dem Wege nad Nyangius
paſſirte Fluß, oberhalb der Vereinigung der Liambanji und
Lukuga, legterer aus dein Tanganyilafee ausſtrömend.
Unterhalb des Yanjijees empfängt der Lualaba von Often
her den Luama und Yulindi, neben vielen Heineren Strömen;
jenfeits Nyangıwes vom Norden den Yila, den Yindi ***) und’
den Lowa; letzterer joll fo groß wie der Lualaba bei Nyaugwo
fein, und zwei große Ströme, beide Namens Lulu, aufnehmen,
Zwiſchen Nyangws und Yomämi fallen der Luvubu und
Luwil 7) oder Kaſuku von Süden her in den Hauptſtrom.
Jenſeits des Yubivanzi fließen zwei große Flüffe, der Luilhu
und Buzimäni, nördlid in den Sanforrajee,
Seitdem wir Kajongo verließen, paſſirten wir den Lovoi,
die Quellen des Pomäni, den Luvembi; unter 23% 20° $,
den Pulofi, unter 23° 10" den Luwati, beides große Ströme,
die in den Lulna fallen, deſſen Quellen wir unter 23V,
pafjirten; dicht bei den Quellen des Yulua trafen wir auf
Waſſer, welches dem zweiten afrikaniſchen Fluſſe, dem Zam⸗
*) Diefe Seen entfpreden Lieingflone's Bangweolo (Bemba),
Moers Data und Kamolento (Lui). Rev,
**) Auf manchen unferer Karten iſt der Urengeſee unterhalb
jenfeit Nyangws angegeben. Rev.
"+, So aud bei Liwingſtone Lira und Lindi.
+) Lufubu und Luiwe bei Livingſtone.
Rev,
Red.
ulduft, deſſen Quellen unter 23° öſtl. L. und 11° 15°
ea r. gelegt werben können, während der Lulua unter
239 öftl. und 119 ſudl. entjpringt *), Seitdem kreuzten
wir ein großes Tafelland mit zahlreichen Flüffen, von denen
manche dem Haffabs und andere dem Yiambai, oder Yiambeji **)
wie die Eingeborenen ihn nennen, zufließen, — Drei Märſche
lang blieben wir auf dem linfen Ufer des Luméji und find
foeben von den großen Ebenen herabgelommten. Der Yumseji
ift ein fehr bedeutender Strom und ein Zufluß des Yocna,
deſſen Quellen ich weiterhin zu kreuzen hoffe, und der im
den Liambai fällt.
Der Kafjabs blieb während der legten 11 Märſche, in
denen wir eine meiſtens weftliche Richtung beibehielten,
in einer Entfernung von 7 oder 8 bis 20 Meilen nördlich
von und. Der Kaſſabé wendet ſich nach Norden umter
etiva 22° öſtl. %., indem er zwilcen den Grenzen von
Poväle und Ulanda entlang läuft.
Ic bin faum im Stande, einen Berſuch zu machen, die
Namensvenwirrung aufzuklären, die and der unfinnigen
Verzerrung und Berftümmelung der einheimifchen Namen
durch die portugieſiſchen Miſchlinge entfteht, fondern halte
es für das Befte, damit bis zu meiner Ankunft in England
zu warten. Indeſſen kann ich fagen, daß das Yuvar der
Portugiefen unſer Urua und auch das Urua der Eingeborenen
iſt. Lovals ift ein ganz verſchiedenes Land, das zwiſchen
20 und 22° öſtl. L. liegt, und von einer verſchiedenen
Race bewohnt wird, die eine gänzlich verjchiedene Sprache
bat.
Rr kann nichts über die Mofigamba + Berge erfahren,
obgleich, ich) öfters danach gefragt habe, fondern es wird mir
immer gefagt, daß es feine wirklichen Berge dieffeits des
Kwanza (oder Coanza) gäbe, obgleich der Mittellauf bes
Kaſſabs durch ein mäßiges Hügelland fliegt. Ich werde
dies an umferer nächſten Saltejtelle beenden, von wo aus
Alviz Leute voranſchiden wird.
Ehikumbis, bei Peho, Land Kebofws, 17. Sept. 1875.
Seitdem ich Obiges ſchricb, haben wir weitere fünf
Märſche gemacht, indem wir die Ortfchaft Sha Slelembs am
10. diefes vertießen und eine gute Strecke unſeres Weges
zuriidlegten. Wir paffirten zwei Ströme, die nordwärts
dem Kafjabs zufließen, aber die Zeichnung meines Weges
bis hierher wird bejfer, als ich es befchreiben fan, Alles
zeigen, was wir gejehen haben. Wir find forben im ein
hügeliges Yand gelangt, obgleich wir ſchon vorher, ſeitdem
wir Sha Stelembs verließen, bedeutend geftiegen find,
wenn auch fir das Aug⸗ das Land anſcheinend dieſelbe
Höhe behielt.
Ich höre, daß wwiſchen Bihé und der Küfte Störungen
vorgefallen, aber die Erzählungen der Eingeborenen find jo
unbeftimmt und gewöhnlich fo falſch, daß id) nicht weiß,
was ich glauben fol. Ein Bericht erzählt, daß eine Ges
ſellſchaft mit 6000 Gewehren von den Balundas zurüd-
getrieben und beraubt worden fei; aber die Angabe, daß
6000 Gewehre einen Platz wie Benguela verlaffen konnten,
ift offenbar falfch, und ebenfo falſch, daß irgend eine Nation
auf diefer Yinie in Afrika eine ſolche Macht hätte ſchlagen
fönnen. Um die Ummahrfcheinlichfeit zu vergrößern, wird
behauptet, daß ein weißer Händler fich unverfehrt von Ben-
guela nad) Bihé durchgefchlagen habe, und wird der wahr:
icheinliche Urſprung diefer Erzählung fein, daß die Ein-
*) Alſo bedeutend weſtlichet, als bisher nach L. Day an ·
genommen wurde. Red
++) Dberlauf des Zambeſi.
Aus den Verhandlungen der Parijer Anthropologiſchen Geſellſchaft. 93
geborenen ihn in der Nacht berauben wollten und einer
oder zwei erfchoffen wurden, falls fie überhaupt einen Urs
ſprung hat.
Natitrlicd, kann ich jet nicht entjcheiden, auf welche Weife
dies meine bevorftehenden Bewegungen beeinfluffen wird,
aber die Balımdas jollen fowohl auf dem Wege nad; Yoanba
wie auf dem nach Benguela fein; vielleicyt werde ich einen
Umweg madyen müfjen, um nad) Yoanda zu gelangen, aber
ich denke, ich werde den directen Weg nad) iind offen
finden, da es einen Handelsweg geben muß, und Leute in
Bihé Karawanen auf eigene Rechnung zum Bienemvadjö-
handel hierher fchicken, und fie einen Markt zum Verkauf
deffelben finden müſſen oder anders ihr Handel zum Still
ftand kommen wide, und der einzige ihnen befannte Markt
Benguela ift.
P. 8. Ic} glaube nicht, vor Ende October in Benguela
einzutveffen und hoffe, Sie werden fo gütig fein, die Yorbs
Commiffioners dev Admiralität zu bewegen, meinen Urlaub,
der gegen Mitte November abläuft, bis zum Ende des
Jahres oder, falls nöthig, noch weiter zu verlängern.
*
*
Den letzten telegraphiſchen Nachrichten nach befand ſich
Cameron noch am 20. December wohlbehalten in Loanda,
indem er vor feiner Abreiſe nach England erſt die 57 Bes
gleiter, mit denen er den Continent durchkreuzte, zu Waſſer
um das Cap der guten Hoffuung nad) Zanfibar, ihrer Heis
math, zurüdichiden wollte, wozu fich noch, Feine Gelegenheit
zu finden fchien.
Franz Birgham.
Aus den Verhandlungen der Pariſer Anthropologifhen Geſellſchaft *).
Hamy über babylonische Typen. — Nationalitätsbeftimmung der Bun auf den äghptiſchen Denkmälern. — Ausdehnung
des altägyptiſchen Einfluffes in Afrifa bi8 zum Sambefi? — Eine clafjiihe Bemerkung von Quatrefages. — Nochmals
die mifrocephalen „Aateken® und ihre Geſchichte.
R. A. Wie in der Berliner oder Londoner Anthropologifchen
Gejellihaft nehmen auch im der fehr rührigen, 474 Mit:
glieder (darunter 206 in Paris) zählenden franzöfifchen
Scjweftergefellfchaft die Verhandlungen über Schädel und
Ausgrabungen vorgefchichtlicher Alterthämer einen fehr bes
deutenden Raum ein. Die Berichte über Graniometrie und
Ausgrabungen, die Überall eine große Aehnlichteit zeigen, find
eine wenig erquidliche Leetüre; namentlich bei den legteren,
wenn es fich um Ausräumung von Knochenhöhlen, Unterfur
Hung von Driftablagerungen mit Feuerſteingeräthen u. ſ. w.
handelt, glaubt man den Bericht anderweitig ſchon gelefen zu
haben. Die Wichtigkeit diefer beiden Difciplinen fol dadurch
nicht im mindeften angetaftet werden; ber Fortſchritt ift hier
aber nur ein fehr langjamer, er wird überhaupt nur möglich,
wenn eine große Neihe von Thatſachen geſammelt und gefichtet
vorliegt, die mit einander verglichen werden können. Da
aber die Anſtellung eines ſolchen Vergleichs außerhalb unſe—
rer Berichterftattung liegt, fo baſſen wir bei derfelben Cranio-
metrie und vorgeſchichtliche Alterthumslunde aufer Act und
wenden und dem librigen ehr reichhaltigen anthropologifchen
und ethnologifchen Mlateriale zu. Die Erläuterungen und
Disenffionen, welche fich in Paris an die einzelnen Vorträge
fnüpfen, find meift ſehr lebhaft, Es liegt felbftverfländlic,
in der Natur der Sadıe, daß diefelben von fehr verſchiedenem
Werthe find, da der Redende nicht immer gleich genügend
vorbereitet fein kann; aber anvegend find diefelben allemal,
da gerade in Paris eine Anzahl tüchtiger Anthropologen;
wie Broca, de Mortillet, Quatrefages, Topinard, Hanıy,
Lenormant :c., regelmäßig an den Sigungen und Debatten
theilnimmt,
Gehen wir auf Einzelnes ein. E. T. Hampy legte der
Geſellſchaft Photographien der einzigen bisher gefundenen
menschlichen Darftellungen aus den Nuinen von
Babylon vor (S. 34 bis 36). Es find im Ganzen nur
vier gefunden worden, Zwei Alabafterbüften, deren cine
unter dem Namen des Königs Nebo geht, derem andere cine
Divinite infernale vorftellt, find in ihrer archaiftifchen Aus:
führung nicht geeignet, ethnologiſche Schlußfolgerungen dar
auf zu bauen. Die beiden anderen aber, ausgezeichnete
Profildarftellungen, laffen fofort erfennen, daß es ſich um
einen nicht femitifchen Typus handelt. Die eine, auf ſchwar—⸗
zen Stein eingravirt, ift das Porträt des Königs Marbut-
Idin⸗Ache (12. Jahrh. v. Chr.). Er zeigt unterfegte Figur,
Heine, aufgeſtülpte Nafe, vorfpringende hohe Baden:
luochen — alles Kennzeichen, wie fie bei den Aſſyriern nicht
vorkommen. Die andere in Terracotta eingegrabene bei
Senfereh gefundene Zeihnung wird der lebten Periode des
alten Chaldaerreiches zugefchricben und zeigt denfelben Typus,
Es ift ein Mann aus dem Volke, der eine große Dogge
führt. Alle vier Originale befinden fich im britifchen Mu—
feum und find wiederholt von Rawlinfon, Nott und Glid—
dom :c. abgebildet worden, aber ftets mit afjyrifchem Profil.
Diefe unrichtigen Darftellungen waren bie Urfache, bag man
Niniviten und Babylonier ſtets al& zu derfelben ethnologiſchen
Gruppe gehörig betrachtete. Nach Hamy (und ebenfo nad
Lenormant) waren die alten Babylonier jedoch feine Semir
ten, fondern gehörten, wie die Körpermerlmale beweifen
— wenigjten® nad) beit einzigen erhaltenen Darftellungen —,
zur finno-ugrifchen Gruppe. Indeſſen will Hamt ein end»
—— Urtheil nicht abgeben, bis er die Schädel „der alten
ktadier oder ihrer Nachkommen“ ftudirt hat. -
Ein ganzes Refultat ift hiermit nicht gewonnen.
Seit der Entzifferung der Keilinſchriften ift die Frage nad)
der Nationalität der Chaldäer, über weldyer jo lange Duntel
ſchwebte, in ein helles Licht geriikt. Die Bevöllerung Ba-
byloniens war durchaus feine einartige. Zwei Schichten lager«
tem Über einander, Wir wiſſen jegt — und hier machte ſich
namentlid Eberhard Schrader verdient —, daß bie eigent-
lichen Schöpfer der Cultur des Yandes die fogenannten Affa-
dier waren, die wegen bes agglutinivenden Esaratters ihrer
Spradye zu den uvalaltaifchen Völkern geftellt wurden.
Stimmen nun die Körpermale, wie Ham zeigte, mit dem
Linguiftijchen Ergebniffe überein, fo ift eine neue Beftätigung
für die Feſtſtellung der Nationalität der alten Babylonier
gewonnen *).
Der gleichfalls häufig erörterten Frage nad) dem auf
*) Bulletins de la Soeists d’anthropologie de Paris. Janv.
— Juin 1875.
*, Gegen das „Turaniertbum" der Babylonier ift Haltop
aufgetreten. „Ausland“ 1874, ©. #41.
94 Aus den Verhandlungen der Parifer Anthropologiigen Gejellichaft.
ägpptifchen Dentmälern dargeftellten Menſchen—
racen wendet ſich derfelbe Forſcher S. 214 bis 224 zu.
Die Darftellungen in dem Grabe von Rechmara bei Scheid)
abd⸗el⸗ Qurnah (Theben), welche der Engländer Hoslins ent»
derfte, geben ihm Anlaß zu ethnologiſchen Betrachtungen, die
wenigftens zum Theil Widerſpruch veranlafjen milfjen.
Die Gemälde im Grabe von Rechmara ftellen unter
anderen Scenen auch die befannte Tributleiftung an Thuts
mes II. dar, auf welder afiatifche, wie afrilaniſche Völler
mit gleicher Genauigkeit abgebildet find, Wan ficht das
Bolt der „Bun* den ägyptifhen Schreibern Tribut ablier
fern. Dieſe Pun erfcheinen auch auf den Basreliefs des
Tempels von Deirsel-Bahari. Ihre Züge erinnern am fes
mitifche, aber die Pun find weit dunkler, als fonft die Se—
miten von den ägyptifchen Kitnftlern dargeftellt werben, has
ben plumpere Züge und Wangeneinfchnitte, wie fie als
Stanmesnarben jet mod) bei den Sudannegern vorkommen.
Hamm ſieht die Bun für ein Miſchvoll an, „bei dem fyros
arabifche und migritiiche Elemente ſich miſchten. Einige
Figuren find echt femitifd,, unter dem ſehr dunfelen Dienern
aber, welche die Geſcheule tragen, find Mulatten (?) und
echte Neger vertreten.“ Das Yand der Pun war aljo von
Arabern und Negern bevölfert; das läßt mehr auf afrika
niſchen als arabijchen Boden ſchließen. Die Araber übers
ſchwemmten die ihrem Yande gegenüberliegenden afrilaniſchen
Küften, Neben dem Häuptling der Pun ift in Deir-el-Ba—
hari auch eime rau abgebildet. Es ift ein wahres Fett
monftrum, ausgezeichnet durch vollendete Steatopngie. Priffe
d Avesnes und andere Aegyptologen haben in biefer „Porträts
figur“ einen ausgezeichneten Fall von Elephantiafis erfennen
wollen. Chabas aber traf das Richtige, daf er darauf hin-
wies, wie ſolche fette Weiber noch jegt eine Hauptzierde des
- Harems der Negerflrften fein. Spele (Journal of the
discovery of the source of the Nile p. 209) fdildert bie
Frau Wazezeru's, des Bruders des Königs von Karagwe:
„Sie konnte nicht aufftehen und fo bie waren ihre Arme,
daß von ihmen das Fleiſch gleich lockeren Puddingen herab-
hing.“ Ringsum ftanden zahlreiche Milchtspfe. Wazezeru,
auf feim dides Weib zeigend, fagte: „Sie ift das Kefultat
diefer Milchtöpfe; von Jugend auf hielten wir ihr die Töpfe
an den Mund, denn es ift bei Hof Mode, recht fette Weiber
zu befigen.“ Bon Steatopygie ift aber hier feine Rede.
Denn nun Hamıy behauptet, Steatopygie fei eine ganz
befondere Eigenfchaft der Somalifrauen, jo vermögen wir
ihm hier micht zu folgen, zumal er feinen Ausspruch nicht
belegt. Sie ift am häufigften bei den Hottentoten- und
Buſchmannsfrauen (Fritſch, Eingeborene von Südafrifa, ©.
230. 349); Burton erwähnt mit feiner Silbe Steatopygie
bei den Somal. Auf diefe Körpereigenihaft nun den Beweis
gründen zu wollen, daß die Pun die heutigen Somal feien,
ſcheint mindeftens bedenflich. Hamy ftügt feine Anficht aber
weiter damit, daß die Tributgegenftände, welche die Pun ab«
liefern: Ebenholz, Elfenbein, Gold, Straufenfedern und
Straufeneier, ein lebender Yeopard und Pavian, in jener
Gegend zu Haufe find. Im Gefolge der Pun auf den Ger
mälden des Grabes von Rechmara kommt auch ein Stein
bod vor, der im Sinat, in Abeffinien, in den norboftafrifar
nischen Hochlanden überhaupt, lebt. Alles Dargeftellte paßt
übrigens unferer Anſicht nad) auf Sübdarabien, wo eine
frühere dunlelfarbige Bevölferung von einer fpätern hellen
überlagert wurde.
Neben den Bun treten auf den Gemälden des Grabes
von Rechmara aber auch Neger auf, deren Farbe jenen kupfer-
röthlichen Anflug zeigt (nögre rouge), wie er bei den Stäm-
men im Gebiete des Weißen Nils vorfommt. „Die Ans
weſenheit von tributzahlenden Negern mit dunfelrother Haut
"Freänfelter Haarwuchs ift derfelbe wie bei den von
auf einem Denkmal der achtzehnten Dynaſtie beweift, daß
Aegypten ein Territorium unterworfen hatte, welches jenfeit
des achten Grades nördlicher Breite liegt, vorausgefegt, da
ſich die Grenze zwiſchen den zwei Negergruppen (ſchwarzen
und rothen) ſeit 36 Jahrhunderten nicht weſentlich geändert
hat. Sie deutet wahrſcheinlich — unter demfelben Borbe—
halte — auf noch weiter nadı Süden ausgedehnte Grobe
rungen, denn die Neger des Grabes von Rechmara find rö—
ther, als die Niamsniam, die Dor ꝛc.“
Die Scylüffe Hammy's werden jet wild und ſpringend;
er läßt die Aegypter über den Sambefi hinaus, ja bis zur
Süudſpitze Afrikas ihren Einfluß oder ihre Kenntniß aus
dehnen, Die ägyptifhen Armeen find fehr weit in biefer
Richtung vorgedrungen. Auf der Siegesinichrift Seti's I. im
Tempel von Soleb werden die Pafunga genannt, ein Name,
der sans doute mit dem der Bafınga correfpondirt, deren
Yand Livingftone auf feiner Karte nördlich vom Yaufe des
Sambefi eimzeichnet (Livingſtone ſchreibt Übrigens Baſenga).
„Auf dem Dentmal im Youvre läßt Amenhotep III. zu feinen
Füßen Neger in Ketten legen, deren Namen: Arka, Maluis,
Mataxelha, Sahaba fid) durd; die modernen der Altes,
der Macuas, der Matabele, der Saab (sie) wiedergeben läßt.“
Saab est le vocable génoral des Hottentots, ſchreibt Hay
(S. 221); dieſe eine Bemerlung genügt, um zu zeigen, daß
er mit fitdafrifanifcher Völkerkunde nicht ſehr vertraut ift und
daß er beffer ſolche wilde Identiſicationen, wie die hier mit-
getheilten, unterlaffen hätte. Aber er will fie ſchließlich für
nichts weiter als zufällige Anklänge angefehen wiſſen, und
damit fünnen wir ibereinftimmen. Zuletzt behandelt er nodj
die blonden blauäugigen Rotennu der ägyptijcen Dentmäler,
bie erfte und ältefte Darftellung eines ariſchen Volles,
und die Kefat, in denen man übereinſtimmend die Phönizier
erkennt *),
Die unter dem Namen der „Azteken“ vor mehr als
zwanzig Jahren in Deutichland belannt gewordenen beiden
Mitrocephalen haben die Parifer Geſellſchaft ſehr lebhaft und
wiederholt bejchäftigt. Topinard giebt (S. 39) fehr genaue
Meffungen diefer beiden ald Marimo und Bartola bezeich—
neten Individuen; Hamy ſchildert dieſelben nad) eigener
Unterfuchung und ftellt die reiche Literatur über diefelbe zu⸗
fammen, dabei Leubufcher's Auffag in Froriep's Notizen 1856
den Borzug einräumend. Er ftellt Vergleiche mit den Sculp-
turen von Palenque an und glaubt dort mifrocephale Idioten,
gleich Marimo und Bartola, zu jehen, die im irgend einer
Weife Verehrung genoſſen, wie Idioten noch jetst bei vielen
Bölfern für heilig angefehen werben.
In der lebhaften Discnffion bemerite der vortrefjliche
Broca, daß die ethnifchen Merkmale beider Individuen — von
der Mifrocephalie ganz abgefehen — weber jene der Neger
noch der Eingeborenen Amerikas feien. Er geht fie einzeln
durch und findet, da Marino und Bartola Zanıbos, Mifch-
linge von Indianern und Negern, feien. Ihr feiner, ges
Spir und
Martins gefchilderten Cafuzos, die auch Mischlinge von Ne—
gern und Indianern find. „Als man diefe beiden Menſchen
*) Eine Discuffton ſchloß fih an dieſe dantentwerthen Mit:
theilungen nicht an. Mur de Quatrefages machte eine Bemer:
fung, die für diefen andermeitig verdienten Antbropologen zu charal ⸗
teriftifch ift, ala daß wir fie nicht bierber jegen Tellten, Il remarque,
que l'interprötation suggerbe par M. Hamy vient ä l’appui de ce
qu’a rapport& röcemment un voyageur qui aurait rencontr& des
ruines &gyptiennes dans l'interieur de l’Afrique orientale. „Un
voyageur” fann nur Mauc fein; daß aber diefer die Nuinen von
Simbabje — dieſe allein fünnen gemeint fein — für ägyptiſch
ausgegeben hätte, if eine Enttedung Quatrefager', melde aufs Neue
den Bewels liefert, wie diefer wiederholt mit Yeichtfinn an miffen«
ſchaſtliche Fragen berantritt. R. A.
Aus allen Erdiheilen.
vor etwa zwanzig Jahren in Europa zuerft zeigte, waren fie
noch Kinder und wurden fie Bruder und Schweſter ause
gegeben. Heute erflärt man, daß fie nicht mit einander ver»
wandt waren und hofft aus ihrer Berrinigung großen com:
merciellen Nugen zu ziehen, Man hat fie durd) einen eng-
liſchen Geiftlihen trauen laflen. Diefe Ehe wird aber ftets
eine platoniiche bleiben, denn fie bejigen Feinerlei Gejchlechts-
trieb und die Organe des Mayimo find im Zuſtande eines
fehr jungen Knaben.“
Ein in einer fpätern Sigung von Quatrefages mitge:
theilter Artikel der „Gaceta del gobierno del Salvador“ (abs
gedrudt im „Athenäum frangats*“ 1855, S. 626) giebt
ung Auslunft Über die zuerft von dem befaunten Barnum
herumgeführten Kinder. „Wir erflären,* jagt die genannte
Aus allen
Das Kirchenwefen in der Eolonie Südauftralien.
11.6. In der Colonie Sübdanftralien fanı man auf
achtzehn verjchiedene Manieren jelig werden; cs muß allo
doch wohl dort ein rechtes gelobtes Land, ein Paradies auf
Erden ſein. Wan denke: achtzehn Façous zum Himmel zu
gelangen. Welche Auswahl!
Bis zum Jahre 1851 umterftüßte der Staat dies viel-
köpfige Kirchenweſen im der Weile, daß jede diefer Facons,
je nach dem Ausweile des Cenſus, für jedes ihrer Mitglie:
der, groß und Hein, jährlich drei Schillinge oder Mark aus
der Staatscaſſe bezog. Vom Jahre 1851 ab lieh der Staat
dies Seeleninterefle fallen; fein Säckel ſchloß ſich, und der
Bentel der einzelnen Gemeinden mußte fich aufthun und alle
Sproffen der Himmelsleiter ans eigenen Mitteln beforgen
und verforgen. Dennoch haben fi die Gotteshäuſer der-
artig in der Colonie gemebrt, daß am Schluffe des Jahres
1574, bei einer Bevölkerung von 204,623, auf je 350 Seelen
eines entfiel. Zehntauſend Goloniften bekannten ſich als
firchenlos ; fie wollten univerjeller fein und huldigten, Sofern
nicht gedankenlofer Indifferentisinus ihr Element war, ent:
weder pantbeiftiichen Lehren oder waren ſpecielle Anhänger
der Darwin⸗Haeckel ſchen Schule.
Diefe achtzehn Secten wurden zu Anfang des Jahres
1875 wie folgt notirt :
1. Die biſchöfliche Hoc: oder ſchlechtweg englische
Kirche, mit einem jährlichen Einfommen aus Grundbeſitz von
23,000 Pf. St., ſteht unter dem Lorbbiichofe von Adelaide,
bat 71 Kirchen und 33 andere Näume für Gottesdienit, 50
Geiſtliche und 140 Paienprediger, und zählte nach dem letzten
Genius im Ganzen 50,549 Seelen.
2, Die Iatbolifche Kirche, ebenfalls unter einem in Ade-
faide anſäſſigen Biſchofe, befitst, einjchlichlich einer Kathedrale, |
12 Stirchen und Gapellen mit 35 Prieftern, unter welchen
die Jeſuiten natürlich nicht fehlen, und 28,668 Zuge—
hörigen.
3. Die Westen-Methodiften, unter einem Präfidenten
in Adelaide, verfünen über 160 Kirchen und 101 andere
Locale mit 36 Weiftlichen und 20 Yocalpredigern. Ihre
Stärke ift 27,075.
4. Die Lutberaner, welche zuerſt unter dem altlutheri—
ſchen Paftor Kavel, welcher gar ſtrenge Kirchenzucht (jelbft
mit einer Armenfünderbant) hielt und deshalb wohl auch von
Manchen der lutheriſche Papſt genannt ward, aus Schlefien
einmwanderten, befigen 35 Kirchen und 18 andere Räume, 20
Geiftliche und zäblen ihrer 15,412,
5. Die Preebyterianer, unter einem Moderator in Ade—
35
Zeitfchrift, „im unferer Eigenfchaft als Gentro-Ameritaner
genugfam unterrichtet mit der Geographie unſeres Yandes,
daß die Stadt Irimaya mit ihren Thürmen, Schlöffern und
goldenen Minarets ein Märchen aus 1001 Nacht iſt. Diefe
Kinder find weder Lilliputer, weder Aztelen, noch Gegenſtände
der Verehrung, noch Eingeborene von Jrimaya, noch gehören
fie zu einer beſondern Menſchenrace; fie ſtammen auch nicht
aus Guatemala. Sie find im Dorfe la Puerta, Departes
ment San Miguel, von einer Mulattin geboren, welche nod)
em drittes, chen fo mißgeftaltetes Kind beſaß. Ihr Urſprung
wurde in einem Proceſſe völlig Margeftellt, welchen der erſte
Käufer gegen einen Dieb führte, der fie zugleich mit anderen
Schauftüden, mit welchen jener veifte, entführte.“ Jeden—
falls ift aber aud) indianifches Blut in diefen „Aztefen“.
Erdtheilen.
laide, beſiten 15 Kirchen und 17 andere Plätze für Gottes:
dienft, und 11 Geiſtliche, bei einer Stärke von 13,571.
6. Die Congregationaliften oder Judependenten, unter
einem Borfigenden: 36 Kirchen und 10 andere Räume,
35 Geiftliche und eine Anzahl Laienprediger, 7969 Mitglieder.
7. Die Bibel-Ehriften: 36 Gapellen, 21 Geiftliche,
106 Localprediger und 7758 Mitglieder.
8, Vrimitive Methodiften, "cine der rührigften Secten :
I
|
|
106 Gapellen, #1 Interimsräume, 23 Geiftliche, 106 Laien
prediger und 5207 an Zabl.
9, Die Baptiften: 27 Kirchen und 11 andere Räume, 20
Geiftliche und eine Anzahl Laienprediger, 8731 Seelen.
10. Die Ehriftlichen Brüder: 5 Capellen, 3 Geiſtliche
mit Affiftenten and 1188 Seelen.
11. Die Methodiſtiſche Neue Connexion
in Adelaide, ein Geiſtlicher und 363 Seelen.
12. Die Unitarier: cine Kirche im Adelaide, ein Geiſt—
licher und 662 Seren. _
13. Die Herrnhuter: eine Kirche in einer Yandftadt und
210 Seelen.
14. Die „Sefellichaft der Freunde‘: 2 Räunme amd
92 Seclen.
15. Die Neue Jeruſalem-Kirche oder Smwedenborgianer:
eine Gapelle in Adelaide, ein Vorleſer und 137 Seelen.
16. Die Kirche Ehrifti: 21 Räume, Laienprediger und
40 Seelen.
17. Die Broteftanten im Allgemeinen, ohne nähere Angabe.
18, Die Inden: eine Synagoge in Adelaide, cin Wab
biner und 435 Ecelen.
Dazu würden dann noch die Univerfaliften und Indif—
ferenten kommen, welche feine Kirche und Feine Geiftlichen
baben, aber gegen 10,000 züblen.
Man ficht alfo, wie bequem die Sidanftralier es dem
Menſchen machen.
eine Kirche
H. 6. Die Eoloniften der Colonie Victoria, deren Be
völkerung fich am 30. Juni 1875 auf 813,558 Seelen belief,
müſſen durftige Kehlen haben, Es wurden dafelbft im Jahre
1874/75 nicht weniger als 19,653,531 Gallonen Bier, welche
in der Colonie gebraut waren, confumirt. Dazu lommt noch
das aus England in bedeutender Onantität importirte Ale
und Porter, Auch der Weinbau macht in diefer Colonie
ante Fortichritte. Im Jahre 1574,75 (das ift von März au
Märy) waren 3510 Acres mit 5,549,561 Weinſtöcken bepflanzt.
' &s wurden 110,997 Center Weintrauben gewonnen und
davon 90,055 zu Wein und Branutwein verwendet. Matt
| felterte 577,193 Gallonen Wein.
96 Aus allen Erdtheilen.
Die Thätigkeit einiger polnifchen Forſcher.
A. K. Wir entnehmen Warfchauer Zeitungen folgende
Notiz: „Vor elf Jahren begannen die Herren Dybowski
und Godlewséki im Aion cine Neibe von Arbeiten, obne
in ibren mühevollen, koftipieligen und oft achährlichen Be:
mübungen bie auf den heutigen Tag aufzubören. Viele ihrer
Funde find ine biefige Gabinet gefommen. Beide Herren hat
die warme Liebe zu den Wiffenfchaften aufrecht erhalten und
erwärmt in den hungrigen und Falten Wititen; ung, die wir
ihrer Thätigkeit zugeſchaut baben, drängt fich, ohne daß wir
es wollen, ein Wort der Anerkennung in die Feder.
Dubowski und Godlewsti begannen ihre Arbeiten jen:
feits des Baikalfees, in der Gegend von Daralun, jpäter
haben fie fie durch Unterfuchungen in den Gewällern des Onon
bei Alſcha und in denen des Argun bei Zuruchajtuja ver:
vollftäudigt. Am Jahre 1568 ſiedelten fih unfere Natur:
forſcher am füdweitlichen Baikalufer im Dorfe Kulltuf an.
Dort haben fie während mehr als drei Jahren die Fiſche und
andere Waffertbiere ftndirt, welche im ricfigen See leben.
Sie baben mit vieler Mühe und nicht geringen Koften Vor:
richtungen couſtruirt, mit deren Hülfe fie fogar Tiefenmef:
fungen im Bailalfee bis zu der bis jeht nicht bekannten
Tiefe von 140 Meter ausführten. Im Jahre 1870 gingen
diefe unermüdlichen Arbeiter an den Amur, unterfuchten die
Ufer dieſes Niefenftroms und fiedelten ſich auf einige Zeit
bei der Mündung des Uſſuri an. Indem fie den Fluß bin:
auf gingen, gelangten fie an den See Chanka. Von da
reiften fie an die Küften des Docans bis nah Wladiwo—
ftof, von wo fie wieder an den Uffuri zurlidfchrten, um
fich bier ganz dem Studium der Fauna der Gegend zu widmen.
Die Frucht dieſer elfiährigen Arbeit ift cine reiche
Sammlung, welche das hieſige Cabinet erhalten bat; au
Vögeln ift es allein ans diefer Duelle mit nahezu 400
Gattungen bereichert worden und mit ihnen befam es auch
eine große Collection Eier. Außerdem baben die beiden Forscher
dem Gabinete eine große Anzahl Säugetbiere, Reptilien,
Amphibien und Würmer gefendet. Unter den Säugethieren
zeichnen fich beſonders einige Tiger vom Uſſuri aus,
Belondere Aufmerkſamkeit verdient eine Collection Filche,
welche Dybowski's Licblingsftudium bilden, aus dem Baikal—
fee, dom Onon, Argun, Amur, Uſſuri, dem Chanfafee und
von der Küſte des Großen Oceans.
Wir dürfen bierbei eine in ihrer Art einzige Samm—
lung nicht mit Stillichweigen übergeben; es ift dieſes eine
Sammlung von Gammariden (Flohlrebjen) aus dem Bai-
falfee. Bis jet hat man nur einige Gattungen gekannt;
Herr Dybowski hat ihre Zahl anf mehr als 120 gebracht,
diejelben ſehr genau beichrieben, und jein Werk hat in Europa
allgemeine Anerkennung gefunden.
Das Cabinet erhielt außerdem reiche Sammlungen,
welche die Grafen Branidi von ihren drei Reifen in Nord—
afrika mitgebracht umd ihm gefchenft baben. In das Jahr
150344 fällt die erfte Reife, welche die Brüder Conitantin
und Alexauder Branidi mit dem Profeſſor Waga ausge:
führt haben; die zweite Meile vollbrachten fie im Winter
1560/67 allein, und von der legten, auf der jie der Dr.
Diiedzidi begleitete, find fie unlängſt erft zurüchgekehrt.
Außer diefen Herren bereifte auch der Cuſtos des Zoologiſchen
Cabinets, Herr von Taczanowski, Nordafrika."
Inbalt: Rebatel's und Tiraut's Reife in der Regeutſchaft Tunis. 1.
Das Northern Territory.
H. G. Ein Bort-Darwin-Correfpondent Nordanftralien)
berichtet darüber wie folgt.
„Ein Fortſchritt in der Auſiedelung unferer Bajtoral-
gegend ift endlich gemacht, Bei Port Ejfington ift eines der
Rund (Triften) mit Vieh bejagt worden, und noch andere
follen nächſtes Jahr bejest werden. Die Gründung ciner
„Horje-ihipping- Company“ für den Markt in Indien ift im
Werke, wird aber, wenngleich ſchon ein großer Strich Land
für diefen Zwed erworben ift, wohl erft nach etlichen Mo:
naten ind chen treten. Daß die füdauftraliiche Negierung
beabfichtigt, Bort Darwin zum Freibafen zu erbeben, bat
bier große Befriedigung hervorgerufen, (Dies iſt mittler:
weile im weiteften Sinne des Wortes geſchehen.) Port Dar:
win dürfte fich jet im zehn Jahren (wohl zu ſanguiniſch
gehofft?!) zu der Bedeutung von Singapore emporarbeiten.
Wäre diefer wichtige Schritt ſchon vor drei Jahren getban,
fo ſtände es ſicherlich wicht jo Schlecht mit uns. ine andere
Nachricht aus Mdelaide, daß mit der Regierung von Queens—
land verhandelt werden jolle, aus dem großen Ucherfluffe der
dort einwandernden Chineſen eine Anzahl nach Bort Darin
zu jenden, bat allgemeinen Unwillen erregt, (Diefer freilich
im Parlamente geftellte Antrag wurde vom Minifterium be:
fümpft und fiel durch.) Diefe Leute find für uns ſehr über:
flüſſig. Die Kutis, welche vor zwei Jahren aus Indien
bierber importirt wurden, baben fich in keiner Weile bewährt.
Sie erhalten zwar nur geringen Lohn, leiften aber auch deito
weniger in der Arbeit. Die hergeſchidten Chincfen würden
bald herausfinden, daß ſich Arbeit in Lohn nicht fo gut be:
zahlt macht wie die freie Arbeit auf den Goldfeldern, und
da würden fofort diejelben ſchlimmen Verhältuiſſe zwiſchen
ihnen und den Europäern zum VBorichein kommen, wie jebt
auf den Balmer-Diggings in Oueensland. Wenn die Mutter:
colonie Südanftralien darüber murrt, daß unfere junge Au—
fiedelung ſchon über 200,000 Bf. St. an fie ſchulde und
darım Willens it, bedeutende Einichränkungen in den bie
figen öffentlichen Ausgaben eintreten zu laffen, jo mag fie
immerbim mit der Verringerung der viel zu zahlreichen öffent-
lichen Beantten den Anfang machen. Man bedenke, daf wir
faum 250 Köpfe zählen und dennoch 62 Beamte haben!
Balmerfton befist 3. B. fo viel Poliziften wie eine Stadt
mit 15,000 Seelen nötbig hättet” (ine junge Anfiedelung,
welche von wilden Eingeborenen umgeben it, braucht aller:
dings wohl mehr Bolizei als unter anderen Verhältniſſen
nöthig ift. Ueberdies pflegt fich auch in einer jungen Colonie
eine ziemlich zufammtengewürfelte Geſellſchaft mit mancher
Zweidentigkeit einzufinden.)
— Von der Anleihe in Höhe von 11,750,000 Bf. St.,
welche die Colonie Nenfecland unter Zinsgarantie des eng:
lichen Parlaments im Jahre 1870 — namentlich für Eifen:
bahnbauten und freie Eimvanderung aus Europa — contra:
birte, waren bis zum 30, Juni 1875 im Ganzen 7,739,415
Bf. St. verausgabt und weitere fällige Verpflichtungen be:
ftanden noch in Höhe von 2,531,933 Pf. St. Es verblich
mithin eine Bilanz von 1,478,064 Pf. St. Die öffentliche
Schuld der Colonie belief ſich, abzüglich des auf 1,074,610
Pf. St. angewachlenen Tilgungsfonds, Ende Juni 1375 auf
17,671,106 Pf. St., zu deren jührlicher Verzinfung 835,150
Bf. St. erforderlich waren. Dies wirde, wenn wir die Be:
völferung der Colonie am 30. Juni 1875 auf 355,000 Seelen
anfegen, eine Schuld von 50 Bf. St. pro Kopf der Bevöl—
ferung ergeben.
Mit 5 Abbildungen.) — 9. v. Yanfenan:
Stremouchow's Neife nach Barbara. II. — Cameron's Briefe über feine Reife auer durch Afrika. — Aus den Verband:
fungen der Pariſer Anthropologiichen Geſellſchaft. I. — Aus allen Erdtbeilen: Das Kirchenweſen in der Colonie Sit:
anftralien. — Die Tätigkeit einiger polniſcher Forſcher — Das Northern Territory. — Berichiedenes, (Schluß der Re—
daction 15. Jannar 1876,)
Hedasteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lintenftrafe 13, IN Tr.
Drud und Verlag von Frietrih Bieweg und Sohn in Braunſchweig.
Frfil er
Mit befonderer Berüchfichtigung der
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Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Rihard Kiepert.
Braunſchweig
Jährlich 2 Bände, Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlich 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Nummern 50 Pf.
1876.
Rebatel's und Tirant's Reife in der Negentfhaft Tunis.
Am 10. März 1874 verliegeg unfere beiden Reifenden,
denen ſich Herr Doumet:-Adanfon zugejellt hatte, das frans
zöfifche Gefandtihaftshaus in Tumis. Auf Befehl des
Behs war ihnen eine auserwählte Begleitungsmannfdaft,
welche mit ihren Köpfen flir die Sicherheit der Fremden
zu haften hatte, geftellt und Amras ausgehändigt worden,
d. h. Befehle an die Bewohner ſämmtlicher, vorausfichtlic)
1% befuchender Ortſchaften, der Erpedition Unterkunft und
ebensmittel zur Verfügung zu ftelen. Die Bedeckung, aus
vier Mann unter einem Shaufe (Unteroffizier) beftehend,
verftand ihren Dienft vortrefflid und wurde feinen Augen:
blick mitde, für die ihrer Obhut anvertrauten Reifenden zu
forgen. Der Schaufch war der alte Hadich Ben Bu Bahr,
ein Algerier von der maroffanifchen Grenze, welcher einft
unter Abd⸗el⸗Kader gefochten hatte; gweiter im Commando
war Mahares, dem die ganzen Unterhandlungen mit den
Eingeborenen zufielen, weil der Schaufd) wegen feiner frem:
den Herkunft den Dialekt der —— Stämme ſchwer
bemeiftern lonnte. Zwei Wagen, jeder mit vier Pferden
befpannt und von einem Malteſer kutſchirt, follten die Reis
fenden nebft ihrem Dolmetjcher und dem Gepäde bis Sjates
an der Meinen Syrte bringen, Ob dies Unternehmen glüden
würde, war nochzweifelhaft, denn die Regen waren im jenem
Yahre ungewöhnlich reichlich gefallen und die Straßen, wenn
man anders von ſolchen Ausflüffen der Gefittung in Tunis
reden darf, follten fich in einem entfeglichen Zuftande befin-
ben. Gleich die erfte Strede entlang dem Südufer des
Bahira war in einen völligen Sumpf verwandelt, in wel
Globus XXIX. Nr. 7. f
I.
chem man fein Anzeichen eines Weges entdeckte; querfeldein
und über Abzugsgräben hinweg ging die holperige Fahrt
zu der fteinernen Brüide liber den Wed Miliana, einer
der wenigen Proben diefes Zweiges der Baukunſt, welche
in der Regentſchaft eriftiren. Ein jchöner Dlivenhain wurbe
paffirt, der Standort eines der perfiichen Flora angehörigen
Eyelamen , und darauf nad vier Stunden Fahrens und
Scwimmens ber durch warme Scwefelquellen befannte
Ort Sammamsel-Anf am Meereöftrande erreicht. Der
Bey beſitzt im diefem vom den Yandeseingeborenen ftart
bejuchten und ſehr geſchätzten Badeorte ein großes Haus,
welches während der ſchönen Jahreszeit von feinen (Frauen
zum Landaufenthalt benugt wird. Bon da ging es am
Fuße des Dicebel Bu-Karnin nad) Südojten weiter;
die weit nad) Norboften vorfpringende und im Cap Bon
(Ras Addar) endigende Halbinfel blieb zur Linlen liegen,
Immer fchlechter wurde dev Weg, das Stoßen der Wagen
immer ftärker, und als der erſte derfelben mit den Reifenden
eben den Wed Tunis paffirt hatte, verkündete ihnen das
Gefchrei der Begleitmannichaft, daß hinten ein Unglüd paf>
firt ſe. Der zweite Wagen war umgeworfen, und hatte
feinen Inhalt, den Dolmetſcher, den maltefischen Kutſcher,
das Gepäd, die Lebensmittel, das Pflanzenpapier in wiften
Durcheinander im Koth und Waller gebettet. In Krom—
baliya, einem elenden Flecken von 600 bis 700 Einwoh—
nern, 35 Kilometer von Tunis, wurde das Nadıtquartier
genommen. Es ift das eime jener Ortjchaften, welche zu
Beginn des 17. Jahrhunderts von den aus Spanien ver-
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triebenen Mauren gegründet wurben und zu großer Blüthe
gelangten, bis bie Indolenz und Trägheit der ummohnenben
Araber die einft fo fleißigen und intelligenten Cinwanberer
anftecte und den Ort bis zu feinem jegigen Zuftande her
unterbradhte. Zwei Straßen voll Mift und Unrath, Kleine,
niedrige Hauſer, das ift Krombaliha. Nur ein Gebäude,
das Dar⸗el-Bey, zeigt ſchöne mauriſche Architeltur und
Studverzierung, alles aber von dider Schmutzkruſte bedeckt
und im ſehr verfallenem Zuftande.
- Ans folgenden Tage brachte eine jechäftündige Reife un:
fere Geſellſchaft wieder and Meer nad; Hammamet, Zwei
antile Trummerſtätten, welde Malgan auf derfelben Straße
unterfucdhte und deren eine, Hanfdyr Medden, ſogar die
eines ehemaligen Bifchofsfiges ift, was freilich noch feinen
fihern Schluß auf feine einftige Wichtigfeit geftattet, ver
mocjten den Botanifern fein Intereſſe abzugewinnen ; weit
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Rebalel's und Zirant’s Reife in der Regentſchaft Tunis.
mehr ſchon die Salicornien und Salfolen, welche die ſandi
Ebene rings um Hammamet bededen. Der Ort felbft ift
klein, befigt einen ſchlechten Hafen, fleinerne Häufer und
etiva 3000 Einwohner, welde durch Hanfcultur, Leinwand⸗
weberei und den Ertrag ihrer Olivengärten einen gewiſſen
Grad von Wohlhabenheit, wenigftens im Berhältnig zu an-
deren Städten in Tunis, befigen.
Bon dort führt der Weg itber eine traurige Ebene nach
Süden hin; zur Pinken das Meer, zur Mechten ein langge-
firetter, flacher See, deſſen Größe je nad) der Häufigkeit
und Menge bed Regens zu wechjeln fcheint. Denn wäh.
rend ihm bie oben erwähnte franzöſiſche Karte als ein ganz
Meines Waſſerbecken von nur 5 Kilometer Fänge angiebt,
fanden ihn Rebatel und Tirant mindeftens ſechsmal länger.
Mehrfach trifft man auf diefer Straße auf Reſte des Alter»
thums und der Biyantiner Zeit; da liegen die Kuinen des
Suſa.
antifen Putput, ferner eines berühmten Grabmals, das bie
Araber „Kasrel-Menära*, d. h. Leuchtthurm, nennen, da
liegt Hergla, das alte Horrea Coelia, mit feiner bnzantinie
ſchen Citadelle und mancherlei Heineren altrömifchen Reſten.
Weniger das Studium dieſer Antiquitäten, als die
ſchlechte, ſumpfige Beſchaffenheit des Weges hatte unſere
Reiſenden ſo aufgehalten, daß ſie gegen Abend einen ihrer
Spahis voranſchiclen mußten, um den Kaid von Suſa von
ihrer Ankunft zu benachrichtigen. Denn unbarmherzig wer⸗
den die Thore aller befeftigten tuneſiſchen Städte um 7 Uhr
Abends geichloffen und unter keinem Borwande vor Sonnen⸗
aufgang wieder geöffnet, ſo daß es eine ganz befonbere Ver:
günftigung war, als fie diefelben noch um Halb 9 Uhr Abends
geöffnet fanden. Suſa macht entichieden einen wohlthuen⸗
ben, angenehmen Eindruck in dieſem Yande des BVerfalles.
Mauern, Thore, Befefligungsmerke find gut im Stande ;
der Drt weift mehrere recht ftattliche Neubauten auf; ber
nicht unbeträditliche Handel verfammelt ftets eine Anzahl
von Schiffen auf der Rhede, kurz das Ganze hat ein Ir
civilifirted Ausfehen. Die Stadt zählt innerhalb ihrer
zinnengelrönten Mauern 3000 Einwohner, darunter etwa
1000 Yuben und 500 bis 600 Maltefer und Sicilianer.
Durd) unebene, gewundene Gaſſen führte der Weg zu
dem Hochgelegenen Haufe des Bey (Dar⸗el · Bey), von defien
Terraffe unfere Anficht ber Stabt aufgenommen ift, und
wo ein herrliches, Mahl der Antömmlinge harte. Nur
war nad) dortigem Gebrauche, bie Freuiden zu ehren, jebe
Schüfiel, jelbft Kaftanien und Kartoffeln, fo entjeglid, ftart
gepieffert, daß bie Gerichte faft unberührt wieder abgetragen
werden mußten.
Beim Durchwandern der Stadt fiel den Reifenden das
hüübſche, polychrome Portal der Citadelle auf und die fran-
zöfiichen Commandos, mit welchen ein Offizier Reeruten
die erften Begriffe der Kriegäfunft beibrachte. Der Handel
ber Stadt iſt ziemlich bedeutend, mamentlich mit dem Del
der Umgegend und dem Weizen und der Gerfte der landein-
wärts gelegenen Übene von Kerwan. Aus dem Süden des
Landes fommen Karamanen mit Peinewand, Datteln und Del;
zur See geht Getreide nach Tunis, Malta und Sicilien.
Bei Sufa verließen bie Franzoſen die Meerestüfte, um
den geradeften Weg quer durch das Land nad) der Hafenftabt
Sfales zu nehmen. Etwa halbwegs, circa 70 Kilometer
ſudlich von Sufa, erhebt ſich mitten im der fahlen Müfte
gewaltig und maſſig das Amphitheater der aus Cäfar's afris
fanif—hem Kriege befannten Römerftabt Thysdrus, neben wel:
chem die aus feinen Triimmern und Quadern erbauten Hütten
bes heutigen Araberdorfes el-Djem wie Maulwurféhügel
ſich ausnchmen. Nur wenig Heiner in feinen Dimenfionen
Rebatel'3 und Tiran's Neife in der Regentidhaft Tunis.
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Amphitheater zu el⸗Djem.
100 Rebatel's und Zirant’s Reife in der Regentſchaft Tunis,
als das berühmte Veroneſer zeichnet ſich das afrifanische ; Kern Coloſſeum in Non durch das Fehlen jedes modernen
Amphitheater vor jenem durch die Erhaltung eines großen | Reftanrationsverfuches; vor dem in Pola, das wir unlängft
Theile der Fagade und ihres Schmudes ans; vor dem arö- | (Bb. XXVII, ©. 212) in Wort und Bild unferen Pefern
zu. u Orer—
S fales.
vorführten, dadurch,“ daß feine drei Stockwerke alle gleich hoch was in Pola nicht der Fall iſt, wo das dritte, niedrigſte
und mit demfelben architeltoniſchen Schmucke verziert find, | Stodwerk der Säulen und Arcaden entbehrt. Der Stil ift
— — — — — —
Straße in Sfales.
vorwiegend forinthijch, doch mit Uebergängen zum eigentlichen , haben niederreigen laſſen, weil ſich fortwährend aufrühreriche
gemijchten Säulenftil; er iſt wegen des Fehlens jeder Ueber | Stämme darin verſchanzten, wie ja auch das Colofjeum den
lieferung das einzige Moment, um die Erbauungszeit diefes ſich befümpfenden römifchen Adelsgeſchlechtern als feite Burg
Dentmald zu bejtimmen. Man jet fie gegen Ende des gedient hat. Jene Breſche ift dann mit der Zeit von den
zweiten oder Anfang des dritten nachchriſtlichen Jahrhunderts | fteinebediirftigen Ummohnern immer mehr und mehr verbreis
an. Der weftliche Theil des riefigen Gebäudes liegt ganz | tertworben, fo daß heute von den urfprlinglicen 64 Arcaden
in Trümmern; um 1700 jol Mohammed Bey drei Arcaden | faft der dritte Theil fehlt. Maltzan erzählt eine längere
9. vd. Lankenau: Stremouchow's Reife nad Buchara.
Epifode ans der Geſchichte diefes Monumentes, wie c& um |
690 den Berbern unter einer priefterlichen Königin Damiya
Jahre hindurch Schu gegen die Üübermächtig andringenden
Araber gewährte, bis Verrath diefe letzte Feſte der Ureinwohner
au alle bradıte.
Gleich hinter el» Diem beginnt die Wüſte mit fpärlichen
Buſcheln Halfagras (Muerochloa tenaeissima), aus weldem
recht hübjche, gemuſterte Matten geflochten werden, und Urtes
mifia. Kein Strauch, fein Baum unterbricht dieſe Einöde,
weldje von den Stämmen der Sſawaſſa und Methalyt durch—
zogen wird und bis circa 7 Kilometer vor Sfakes reicht,
wo die reichen Gärten diefer Stadt beginnen. Undurchdring-
liche Opuntienheden umgeben hier die Palmen und Delbäume,
die Weinftöde, Mandel⸗, Feigen-, Apricofen- und Pfirjid)-
bäumte, die Rofen» und Jasminſträuche, in deren Mitte ſich
neben dem lebenjpendenden Brummen regelmäßig ein hohes,
mit Terrafjen verfchenes Yandhaus erhebt. Die Palmen
werden nur zur Bereitung des Palmweins gepflanzt; denn
die Nähe der Heinen Syrie macht die Negen waſſerreicher
und mildert die Sonnenftraßlen, fo daß die Datteln nicht
reif werden und nur zum füttern ber Pferde und Kameele
verwendet werden fönnen,
Ein ſchmaler, fandiger Streif Yandes trennt dieſe aud-
gedehnten, der Wuſte abgerungenen Gartenanlagen vom den
Mauern der Stadt, deren arabiiches Quartier 12,000 Eins
wohner, darunter 2000 Juden, birgt, während die gefammte
Bevölferung feines Weichbildes die Zahl von 40,000 Seelen
erreichen fol. Dieſes Centrum von Südtunis befigt fünf
Moſcheen und eine Citadelle, weldje vor einigen Dahren den
Banu Sayd in die Hände fiel. Diefelben aber befreieten
nur ihre Gefangenen und zogen dann eiligft im ihr Gebiet
am Scyott:el-iiraum zurüd. Nur zwei Thore befinden ſich
in der Mauer des Araberviertels; das eine führt in das eben:
falls umwallte Frankenquartier und wird alle Tage bei
Sonnenuntergang, Freitags auch während der Gebetszeit
geſchloſſen. An Einwohnern beherbergt das fränkiſche Bier—
tel 700 Seelen, meiftens Sicilianer, Maltefer und europäi«
firte Juden, welche fich des Schutzes eines der hier zahlreich
vertretenen Conjularagenten erfreuen. Beſitzt doch, felbjt
San Marino und Monaco bier einen Bertreter!
Ein Telegraph von circa 350 Kilometer Yänge verbindet
101
die Stadt mit Tunis. Nach Malgan’s Schilderung hatte
der dortige Handel durch die wahnfinnigen Steuern, welche
die Regierung plöglich einführte, zu feiner Zeit einen argen
Stoß erhalten. Aber nad) Angabe unferer Franzoſen ift
ber Berlehr mit Malta, Tunis und Italien wieder ziemlich
bedeutend; Stapelartifel find die trefflichen Datteln aus der
Landſchaft Djerid im Stiden des großen Ecjott-el-AFiramn,
die Teppiche und Burnuſſe von Gafja und der Juſel Djerba,
Olivenöl von Sahel, Halfa aus der umliegenden Wuſte,
Schwämme aus der Syrte und endlich das in Tunis und
Sonftantinopel vielbegehrte Jasmin⸗ und Roſenöl aus den
Gärten der Stadt ſelbſt. Einen Hafen befigt Sfakes nicht,
aber eine fehr ficere Rhede, welche von der fogenannten tu—
neſiſchen Flotte als Winterftation benugt wird und ftetd von
größeren und Hleineren Schiffen wimmelt. in einziges
franzöſiſches Haus (Colombel von Paris). beichäftigt 3. B. fiber
400 Boote beim Schwammfifcen,
Malgan ftellt den Bewohnern der Stadt, den Sifägffiyn,
ein fehr glnftiges Zeugniß ans. Obwohl die gläubigften
und ftrengiten Mohammedaner in ganz Tunis, find fie ruh—
tig und arbeitfam und pflegen jeden Induftriegweig, dem die
Verhältnifle zu pflegen erlauben. Ein Beweis daflir find
die blühenden Gärten rings um die Stadt, denen fait all-
jährlich neue hinzugefügt werben. Und neben der Gartens
cultur betreibt jeder Bürger noch irgend ein Handwerk oder
einen Handel. Dabei herrſcht ein gewifler Fanatismus;
hier beſuchen ſchon die Kinder die Moſcheen, welche nirgends
jo voll find wie hier; an Koran-Schulen herrfcht Ueberfluß
und die Zahl der Heiligengräber ift Yegion. Selbit die
Frauen follen hier Mae ar ihre religiöfen Pflichten ers
füllen, denen fie anderswo felten nachlommen.
Eine andere Eigenthlimlichfeit der Bewohner von Sfates
ift ihre Ausfchließlichkeit gegen alle fremden Elemente: in
Sfates foll fein fremder Moslim profperiren; bald findet er
ſich fo ifolirt, daß er den Staub von feinen Sohlen fchüttelt.
In allen anderen Städten Nordafrikas werben gewiſſe Hand»
werfe durchweg von Fremden ausgeübt. In Sfates ift das
nicht der Fall: felbft die Vadelnechte, die nad) Malyan von
Tripolis bis Maroffo überall dem Saharaftamın der Beni
Miab angehören, find hier Einheimifche.
Stremouhow’s Reife nad) Buchara.
Nach dem Tagebuch des Reifenden aus dem Ruffiichen bearbeitet
von 9, v. Lankenau.
III.
Auch wir hatten vor unferer Abreife eine Menge Ge-
ſcheule zu madjen gehabt und waren jest, nachdem alle Ab:
fchied&ceremonien glücklich beendigt, auf dem Wege nach der
2 Meilen von Schaar entfernten Stadt Tſchirultſchi. Unſer
Weg fchlängelte fid) die ganze Zeit über am Ufer des Kafcıfas
Darja hin, Am folgenden Tage hielten wir während der
brennendften Sonnenhige bei Tſchim Kurgan, was foviel als
Dornhügel bedeutet und es and) in der That ift. Selbſt
die Jurten dev Usbelen konnten uns nicht hinlänglich gegen
die drũckende Hige ſchützen. Nach weiteren 3 Taſch erreid)-
ten wir die einſtmals ftarke, jest verfallene Feſtung Tſchima,
wo wir ibernadhteten. Schon um 2 Uhr des Dlorgens wa:
ven wir wieder unterwegs und kamen einige Taſch weiter
bei der Stadt Karfd)i an,
An ben Thoren derfelben begrüßte uns der ſich bei Seid—
Alram · Chan, dem Sohne des Emir und Beg von Karſchi,
befindende Mentor deffelben. Diefe Stadt ift eine der älte-
ften des Yandes und breitet ſich Über eine bedeutende Fläche
aus, hat eine Menge ziemlid, hoher Häufer — die man
übrigens in Gentralafien nur nod) in alten Städten findet —
und einen bedeten Bazar. Sie ift der reichfte und bedeu⸗
tendfte Ort Bucharas und der Mittelpunkt eines ausgebehn-
ten Handels. Am 18. Juni ftellten wir uns dem ſehr
ſchweigſamen und milrriſchen Beg vor, bei welcher Gelegen«
102
heit wir and) den Sohn des Emirs fahen, der, obgleich erſt
18 Jahr alt, doch fchon alle Zeichen bucharifcher Werderbts
heit fichtbar zur Schau trägt. Sein aſchgraues, welfes Ge—
ficht mit den hohlen dunfelen Augen, fein erſchöpftes Aus—
fehen, feine zufammenhangslofe findifche Rebe zeigen deutlich
die Abweſenheit von Vernunft und Sittlichkeit. Er machte
auf uns einen betrübenden Eindrud, um fo mehr da man
ficht, wie er von feinem Mentor, der in feinem Namen das
Gebiet verwaltet, in Schreden gehalten wird.
Ber Karſchi führte uns eine fteinerne Brüde über den
Karichla-Darja und dann ein höchſt beichwerlicher Weg nad)
Karfan, einer vormals blühenden, durd) ihren Bazar berügm
ten, jetzt verfallenen Feſtung. Bei der folgenden alten Stadt
Chodſcha-Mubarel fließtder Kafchla-Darja nach Süden und
verläuft im Sande. Unterwegs trifft man eine große Menge
bededfter Brunnen (Sfardoba), die von dem berühmten Emir
Abdullah⸗Chan, überall wo nöthig, angelegt find. Ohne
diefe wäre das Reifen durch die unendlichen Sandwüſten
des buchariſchen Gebietes eine Unmöglichkeit,
Chodſcha⸗Mubarek liegt am Rande der Wifte Karſchi,
welche wir am 21, Duni betraten. Nachdem wir 3 Taſch
zuriifgelegt hatten, ruhten wir an dem großen Brunnen von
Tſchuli-kalira. Bei diefem Brummen ift ein Schuppen ers
baut zum Schutze gegen die Sandftirme der Wüſte. Mehr
als einmal hat man Urſache, dem vorforgenden weiſen Emit
beim Paſſiren diejer unwirthlichen Gegend dankbar zu fein.
Unitberjehbar breitete fich vor uns die Wüfte aus, deren
Sandhügel und Gruben durch die Winde beftändig eine an:
dere Geſtalt annchmen; nur hier und da ftredt ftachelichtes,
am Boden kriechendes Geſtrüpp feine Spigen aus dem
Sande hervor. Dem Wanderer zeigt, wenn er ein gelibtes
Auge hat, oft nur ein verweſendes Stelet die Richtung, die
er zu nehmen hat. Stellenweife fommt man auf feften,
von den zahlreichen Salzpfligen gebildeten Boden, der troden
im Sommer, im Winter ſumpfig ift.
Nachdem wir bei dem eine Taſch von Kalira entfernten
Brunnen Buſatſchi ausgeruht hatten, machten wir ung um
Mitternacht wieder auf den Weg. Unſere ‘Pferde hatten es
in dem fandigen Boden fehr ſchwer, während wir gleichfalls
gegen den heißen Wind und den feinen Sandftaub zu kämpfen
hatten; endlich aber, als wir einen höhern felfigen Berg ers
Hommen hatten, eröffnete fich uns ein wunbderherrliches Pa-
norama, Bor uns rechts breitete fid) inmitten grüner
Felder und Gärten ein fchöner großer See aus, während
in der Ferne, hinter den Bäumen, ſich die Thürme, Mo—
ſcheen, Medrefich und Schlöffer der großen berühmten
Hauptſtadt Buchara erhoben,
Um unfern feierlichen Einzug in die Hauptftadt halten
zu fönnen, mußten wir zuerſt in einen Heinen Kiſchlak, in
einiger Entfernung vor der Stadt, anhalten, Auf der legs
ten Taſch waren uns bereits eine Menge Reiter entgegen—
gekommen, und zu begrüßen; und wir durften jet nur, wie
es das Geremoniel verlangt, langjam reiten. Endlich wa—
ren wir in einem der Sommerluſtſchlöſſer des Emirs, das
uns für die Zeit unſeres Aufenthalts angewiefen war, und
fonnten uns von unferer langen, beſchwerlichen Reife erholen.
Das Schloß bie Taltjcha (griimer Hügel) und lag vor der
Stadt. Seine zahllofen, mannigfaltigen Balcone, Gallerien
und Heinen Fenſter waren mit Schnitzwerk verziert, die vier
len verschiedenen Heinen Höfe mit Springbrunnen erinnern
fehr an die alten Teremäs (Frauengemächer) unjerer Bor
jarengeit. In den Zimmern find feine Möbel, wohl aber
eine reiche Auswahl dider Teppidye und weicher jeidener und
fammetner Kiffen aller Art, runder, länglicher und vier:
ecliger, die diefe vollauf erfegen. Die geſchmackvoll model»
lirten Verzierungen an den Wänden und die buntfarbigen
9. v. Lantenau: Stremouchow's Reife nach Buchara.
Muſter am ben Zimmerdecden gaben den Gemächern einen
eben fo orginellen als heiten Anſtrich. Der auf europäifche
Art planirte ziemlich große Garten jchligt durch feine jhön-
befaubten Bäume vor der brennenden Sonnenhitze. An
einem plätjchernden fühlenden Springbrunnen war für uns
ein dem Emir gehörendes prächtiges Zelt aufgeſchlagen.
Um 23. Iumt wurden wir dem KHufchbegi (erften Minis
fter) des Emirs, Muhammed-bi-Inaf, feierlichſt vorgeftellt.
Diejer, von Geburt Verſer, war vormals Eflave und ver
dankte feine Erhöhung der Bermählung mit einer verabſchie
beten dran des Emirs. Der ftattlihe Vezier nahm uns
durch feine Gefprädhigfeit und Mumnterfeit ganz für ſich ein,
und wahrſcheinlich würde er noch aufrichtiger geweſen fein,
wenn nicht unfer doppelzüngiger Gefandter ihm hinberlich
gewefen wäre, Nachdem wir ihm fitr feine Gaſtfreundſchaft
gedankt und die Erlaubniß erhalten Hatten, die Stadt unge:
hindert befuchen zu dürfen, nahmen wir von ihm Abſchied.
‚Hierbei bat er mid; ihn entjchuldigen zu wollen, wenn er
vor Nüdfehr des Emir mir feinen Beſuch mehr machen
fünne, da er als temporärer Commandant der Stadt Bu:
chara die Stadt nicht verlaffen dürfe. Ich dankte ihm und
fagte, ich würde mir erlanben ihn dort felbft aufzufuchen.
Un diefem Tage befuchten mic, die Bevollmächtigten
unferer ruffischen Kaufmannſchaft. Sowohl von dieſen wie
auch von anderen wurden mir Über den hiefigen Handel ver-
ſchiedene Mittheilungen gemacht, von denen ic) einige hier
wiedergeben will.
Da die Handelöfteuern eine der Haupteinnahmen des
Emirs ausmachen, fo eriftirt eine ganze Arniee von Steuer«
beamten (Safetjchi), deren Haupt der Sohn des Kuſchbegi
(Minifters) ift, der zugleic, das Amt eines Nentmeifters des
Emirs befleidet. Die eingeführten Waaren werden in ein
zu biefem Zwecke erbautes Karawanſerai niedergelegt, wel»
es einem Pächter vermiethet ift, dem die Kaufleute, aufer
der gewöhnlichen 21/, Procent betragenden Steuerabgabe,
noch für das Aufbewahren der Waaren zu zahlen haben,
wobei eine große Willkür herrſcht. Eine Menge Seidens
würmercocon® gehen über Afghaniftan und Indien nad) Eng:
land. Außer den verfciedenen Läden — man zählt allein
in Budjara deren 200 mit Kattun, Wollen und Seiden⸗
waaren — und Karawanferais findet man noch eine Menge
Bazare in verfchiedenen Städten, die bedeutendften in Bus
chara, Karſchi und Hiffar. Cine Zeitlang liefen die eng-
liſchen Waaren den rufjiichen den Rang auf allen Märkten
Bucharas ab; jept find fie gänzlich durch die ruffifchen ver«
drängt, da dieſe, wenngleich weniger gut, body bedeutend
billiger find; die englifchen Metallwaaren allein erhalten
fid) noch einigermaßen im Preiſe.
Die Buchären bezahlen ungern baar; fie lieben es, oft
auf ziemlich lange Zeit, Waaren auf Credit zu nehmen, was
für die Ruſſen doppelt vortheilhaft ift, da fie außer den
erhöhten Preifen noch ihre Zinjen für die Zeit des Wartens
anrechnen. Im Allgemeinen find die Bucharen ehrlich im
Zahlen; felten aber halten fie den Termin der Zahlung ein.
Ir fegter Zeit find jedoch aud) unter ihnen Banferotte vor-
gekommen, was natürlic) dem Handel mit ihnen ſchadet.
Kurz nadı meiner Ankunft im Buchara machte ich mit
dem in Sfaratow gebürtigen Tataren Karataew, ber hier
den Namen Usta-Ali führt, nähere Belanntichaft. Er iſt
Rußland, feinem alten Baterlande, noch immer fehr zuge
than und hat, obgleich er beim Emir nur die Stelle eines
Hofuhrmachers befleidet, doch einen bedeutenden Einfluß.
Ohne die Gefahr zu berücdfichtigen, die für ihm daraus er-
wachſen lönnte, machte er mir verfchiedene wichtige Mittheir
lungen über Yand und Peute. Ali Muhammed Karataew,
der Sohn eines Kaufmanns aus Chmalinst im Sfaratow-
9. vd. Yanlenau: Stremouchow's Reife nad) Buchara.
fchen Gouvernement, war, da er feine Gildeſteuern nicht
länger hatte bezahlen können, ald Saramanenführer des
Kaufmanns Rachim⸗bai nad) Buchara getonimen, um dieſem
bafelbft eine Getreidemühle einzurichten, während ex zu gleis
her Zeit ſich mit feiner Fieblingsbefchäftigung, der Uhren-
fabrifation, Geld zu verdienen fuchte. Als dann Nacim-bai
eftorben war, wollte Karataew wieder nad) Rußland zurüds
ehren; der Emir Naßrulla jedoch, der Vater Mufaffar’s,
der im ihm einen dem Yande nüglichen Dann erfannt Hatte,
hielt ihn mit Gewalt zurüd. Da er nun Niemand fand, der
fid) für ihm Hätte bemühen können, jo waren feine Bitten
vergebens, und er mußte bleiben. Auch der jegige Emir ers
laubt ihm die Rucllehr nicht aus denjelben Gründen, und
fo lebt er denn bereits 20 Jahre hier, während welcher
Zeit er Manches, Gutes und Böfes, hat durchmachen miüfjen.
Die große Uhr am Schloßthor von Buchara ift fein Wert,
er war oft Dolmetfcher beim Emir, den er auf allen Feld—
zugen begleitete, ex commandirte-fogar einmal deſſen Artil-
lerie, doch nur kurze Zeit, da man feine Unfähigkeit zu bie:
fem Poſten bald erkannte; dann war er wieder Hofuhrmadher,
gerieth in Ungnade, Armuth und Elend, bis er jegt wieder
feit längerer Zeit ſchon der erfte Dolmetſcher des Emirs
geworben ift und einen großen Einfluß auf diefen hat. Sei-
ner Anhänglichleit an Rußland verdankt man, daß feiner
Zeit viele ruſſiſche Gefangene, unter anderen die Herren
Struve und Gluchowsli, dem Tode entgingen. Mehr als
einmal gelang es dem Alten, den Emir vom Kriege gegen
Rußland zurüczuhalten, und jetzt ließ er ſich auch nicht ab»
halten, trog der AUnfeindungen mehrerer buchariſchen Hofleute,
mid) zu befuchen.
Ic) hatte vom General Kolpafowäti den Auftrag erhal«
ten, verfchiedene Ungelegenheiten mit dem Kuſchbegi (erften
Minifter) zu befprechen, und fo begab ich mic) zu diejem.
Obgleich der Empfang höchſt zuworkommend war, fo konnte
ich doch feine beftinnmten Antworten von demfelben heraus:
bringen. Die Bucharen find höchſt mißtrauiſch und vermeis
den gern gerade und offene Erklärungen; fie ſuchen ſich
immer eine Hinterthür offen zu halten. Da fie ftets glaus
ben, man wolle fie betrligen, jo ſchweigen fie ftets oder ant⸗
worten durch nichtöfagende Phraſen. Daß bei ſolchen Ber
hältniffen ein raſcher Geſchäftsgang oder die Entjcheidung
einer Sache faft eine Unmöglichkeit wird, ift erklärlich.
Während Abdul-Kadir ſich unfern ergebenften Freund nannte,
fuhr er beftändig fort gegen und zu intriguiren ; fo fuchte er
jet wieder und vor Rücklehr des Emirs ans Buchara zu
entfernen, was ihm jedoch nicht gelang, und da der Emir
ung jelbft wiffen ließ, wie er uns durchaus noch in Buchara
zu empfangen wünſche, jo mußte unfer alter Geguer wieder
einmal feine Taftif verändern und feine Verleumdungen
und Anfhwärzungen einftellen, um nicht ſich ſelbſt zulegt
nod) eine Grube zu graben.
Am 29. Juni befuchten wir den eine Taſch von Bus
chara belegenen Kiſchlak Bogoeddin, wo ber bekannte muſel⸗
mãnniſche Heilige gleichen Namens begraben liegt und wo—
hin beftändig eine Menge frommer Pilger wandern,
befonder& viele freche Bettler, deren Zudringlichkeit man ſich
kaum erwehren kann. Bor allem ift die hiefige im mauri—
ſchen Stil erbaute Moſchee jehenswerth mit ihren hoben
Säulen aus grauem Marmor, dem prachtvoll verzierten
Blafond und den großen Kronleuchtern ruſſiſcher Fabritation.
Das Grabmal des Heiligen gleicht den übrigen bucharifchen
Maufoleen, ift mit einem Gitter eingefaßt, an welchem ſich
eine hohe mit Roßſchweiſen uud einer Menge alter Yappen
und Fähnden verzierte Stange erhebt. Auf demfelben liegt
eine mit Gebeten und Koranfprüdyen bededite Diarmorplatte.
Die Bevölterung des Kiſchlak beſteht größtentgeils aus
103
Nachkommen des Heiligen. Die Chodſchi nahmen uns ſehr
freundlich auf, daflir hätten uns aber die Bettler in Stüde
zerriffen, wenn uns nicht unfere Poligeiescorte beſchützt hätte.
Ich lieh Hier wie anf dem Ruckwege, wie es Gebrauch, Geld
unter das Bolt werfen; es ift died unumgänglid) nothwendig,
um fic das Volk günftig zu ſtimmen.
Unfere Regierung hatte dem Emir Samen amerifanifcjer
Baumwolle zuftellen laffen, um die buchariſche Baumwolle
zu verbefiern, die mehr und mehr audzuarten beginnt, dba
man fie jo wenig pflegt. So beſuchten wir denn den reis
chen buchariſchen Kaufmann Manfur-bai, der vielfach in
Rußland gewefen war. Er zeigte uns bei ſich ziemlich gut
gerathene amerifanifCye Baummolle.. Darauf befahem wir
feine Sammet- und Seidenfabrifation, fanden aber alles in
noch ziemlich primitivem Zuſtande.
Die Thäler von Mijanfal und Scyehrifjebs, als den
Fluſſen am nächſten, find auch die fruchtbarften. Die Rolle
bes ägyptifchen Mil vwerfieht Hier der Sarafſchan, der den
ganzen gleichnamigen Kreis vor Ditrre rettet. Die Bewäſſe-
rung der Fänbereien durch Canäle ift im Ganzen nur mangels
haft zu nennen; jo geſchieht e8 denn, dag in manchen Jah—
ren das ganze Yand unter Wafler fteht, in anderen wieder
nur einzelne Felder bewäfjert werden fünnen. Da der Haupt:
ftrom des Sarafſchan fid) innerhalb des ruſſiſchen Gebiets
befindet, jo fällt die Vertheilung feines Waflers unferer
Regierung anheim, die jo den bedeutenden Bortheil hat, daß
fie den Bucharen das Waller abjdjneiden kann, was dieje
in die verzweifeltfte Yage bringen wilrde. Es liegt aljo im
Vortheil der Bucharen, im guter Freundſchaft mit einem fo
gefährlichen Nachbar zu leben. Diefer Frage wegen finden
denn auch faft jedes Jahr Unterhandlungen zwiſchen ben
beiden Regierungen ftatt, zumal in ben legten Jahren dem
ſarafſchanſchen Gebiet mehr Waſſer nöthig geworden, da die
Zahl feiner bebaueten Felder ſich aljährlid, vergrößert hat.
Der General Abramow hat zu dem Ende einen Beamten
dahin gefendet, dem biefer Zweig ſpeciell befannt, un die
Waſſerfrage zu gegenfeitiger Befriedigung zu löfen.
Ic) benutzte fleigig meine freie Zeit, um die Stadt Bu:
hara näher kennen zu lernen, was mir, Danf dem Zuvors
fommen der Bucharen, ohne jonderliche Schwierigkeit aud)
elang.
’ Bon draußen betrachtet hat die Stadt einen gefälligen,
felbft imponirenden Anblit, imwendig aber verliert ſich die
Schönheit der meiften alten Gebäude in den fehr engen -
Straßen, Heinen Plägen und zwifchen den fie umgebenden
anderen Hänfern. Die Straßen find ſchlecht gepflaftert, die
vielen unorbentlich durcheinander geworfenen großen Steine
in denfelben erſchweren felbjt das Reiten in denfelben; die
bei trodenem Wetter ftaubigen, bei Regenwetter ſchmutzigen
GCanäle find grögtentheild mit dunfelem, trlibem Waſſer ge:
füllt, weldyes, da die Bucharen allen möglichen Kehricht und
fonftigen Unrath hineimwerfen, fortwährend bie Yuft ver:
peftende Miasmen eutwidelt, jo daß ein Spazierritt durch
die Stabt in heißer Jahreszeit nur höchſt unangenehm auf
die Geruchsnerven wirft. Als Beweis der friihern Blüthe
bes Yandes gelten die zahlreichen Denfmäler, die durch Größe,
geichmadvolle Berzierungen und originelle Ardjiteftur nit»
unter geradezu in Staunen verſetzen. In Buchara allein
befinden fi) bis 200 Medrefjes (Neligionsichulen) und
einige hundert Mojcheen. Das Schloß des Emirs in der
Stadt ſowie feine 14 auferhalb der Stadt ſich befindlichen
Sommerpaläfte find meift neue Gebäude. In dem einen
berjelben befinden ſich die Weiber und Kebsweiber ded Emirs,
ihrer mehr ald taufend.
Am 4. Juli verließen alle ſich in der Stadt befindlichen
Truppen biefelbe, um den Emir zu begrüßen. Da das Schloß,
104
in welchem wir wohnten, ſich auf dem Wege befand, den er
einfchlagen mußte, jo hielt der Beherrſcher des Yandes bei
einem andern Schloſſe (Schirbudun, in welchem ſich feine
Frauen befanden) an, weil es mac) dortigen Begriffen uns
höſlich geweſen wäre, bei uns vorbei zu reiten; wohl aber
auch, weil er, der in beftändiger Furcht lebte und jeden fr
feinen Feind hielt, erſt ficher fein wollte, daß nicht irgend
ein Anfchlag gegen fein Feben im Werke fei und zuvor bie
Berichte aller jeiner Spione hören wollte.
An diefem Tage machte ich nod) die Belanntſchaft eines
unferer Renegaten Uxepjew, der hier in Abdurrachim um:
getauft war, Um dem Tode zu entgehen, dem er daducd)
verfallen war, dag man ihn, den ruſſiſchen Handlungsreifen-
den, in flagranti bei einem buchariſchen Weibe ertappt hatte,
mußte er 7000 Zenga erlegen und wurde gezwungen Mu—
hammedaner zu werden. Außerdem benutzte der Emir feine
tritiſche Yage, verheirathete ihm gegen feinen Willen an eine
Eingeborene, nahm ihn als Dolmetſcher zu ſich und gab ihm
den Namen Abdurrachim Abdullina. Yange befand ſich
Urepjew bei Mufaffar und nahm feit 1859 an allen feinen
Feldzügen Theil; fo lernte diefer gewandte und Huge Menſch
alle Sitten, Gebräuche und Sprache der Bucharen gründlich)
fennen. Det ift er feines Dienftes als Dolmetſcher ent:
laffen und nährt fich nur mit Mühe durch Meine Handels:
geichäfte. Sein Heimweh hatte ihm ein paar Mal verleitet,
Öluchtverfuche zu machen; man paßte ihm jeboch ſcharf auf
Aus den Verhandlungen der Parifer Anthropologiſchen Geſellſchaft.
und feine Pläne wurden ftets vereitelt. Schwerlich wird es
ihm und Karataew je gelingen, wieder nad) Rußland zurüd:
zufommen, da der Emir ein beſonderes Vergnügen daran
findet, ruſſiſche Flüchtlinge in Buchara zuridzuhalten,
Manche haben es bereits verfucht, felten ift jedoch Jemandem
die Flucht gelungen,
Am 8. Juli endlich hatten wir beim Emir die letzte
Abſchiedsaudienz, in welcher ich ihm meinen warmen Dank
für feine Gnade und Aufmerkffamfeit ausdrüdte, verſprach,
alles Gute, das uns zu Theil geworden, meinen Vorgeſetz ⸗
ten mitzutheilen, und mic zur Ausführung von Aufträgen
feinerfeits erbot. Er ſchien durch meine Rede gefchmeichelt
und befriedigt und bat mich feine aufrichtigften Grüße und
die Ausdelide feiner tiefften Ergebenheit gegen das ganze
faiferliche Haus meinen VBorgefegten zu überbringen. Am
Schluß feiner Rede jedoch fligte er hinzu, daf ich dem Gere:
ral Kolpalowsti mittheilen möge, daß er ſich ſehr beleidigt
fühle, wie diefer feinen Worten feinen Glauben beigemefien
und Beweife für diejelben durch mich habe fordern laſſen.
Er bezog ſich hiermit auf meine Verhandlungen mit feinem
Kufcbeet über verschiedene gefchäftliche Angelegenheiten,
deren Entſcheidung die Bucharen, wie gewöhnlich, weit hinaus:
gejchoben hatten. Ich fuchte ihm zu beruhigen, was mir
auch anjcheinend gelang. Die unvermeibliche Vertheilung
von Geſchenlen beſchloß die Audienz.
Aus den Verhandlungen der Parifer Anthropologiihen Geſellſchaft.
Die behaarten Menichen in Birma, — Gewicht und Volumen der menſchlichen Zähne, — Die Miſchlinge in Cochiuchina. —
Das Incabein und Unterfuchung einer peruaniſchen Fötusmumie. — Einfluß des Klimas von Algerien auf verſchiedene
Völlkerſtämme. — Ueber die Bevölkerung Californiens.
R. A. Ganz behaarte Menſchen find feine Seltenheit
mehr. Die befannte Tänzerin Julia Paftrana war wenigitens
im Seficht und am Naden ganz behaart. Auch der „Homme
chien“, der Ruſſe Andrian Jeftitſchew und fein haariges
Söhnden, weldyes die Erblicjfeit der Behaarung beweift,
gehören hierher. Sie wurden vor einigen Jahren in Europa
gezeigt und find auch im dem illufteirten Seitichriften abge»
bildet worden.
Durch Darwin, der Crawfurd's und Yule's Berichte
fritiſch analyfirte, ift die hanrige Familie aus Birma in
weiteren Hreifen, befannt geworben. Hamy war im Etande,
ber Geſellſchaft Photographien derfelben vorzulegen und einige
nähere Mittheilungen über die Entftcehung der Familie zu
machen. Crawfurd und Yule jahen und beſchrieben den
haarigen Birmanen Schwe:Maon und feine gleichfalls ganz
haarige Tochter Maphun, Als Hule die legtere beſuchte,
war de von ihrem Manne und zwei Knaben, ihren Kindern,
begleitet. Der ältere von beiden, etwa vier Jahre alt, zeigte
nichts Auffallendes, während der jüngere, nur 14 Monate
alte, welcher noch an der Mutterbruft war, ſchon behaarte
Ohren und einen Bart hatte. Sechs oder fieben Jahre
fpäter, 1852 oder 1853, photographirte Kapitän Houghton
Mutter und Kind, Wir finden diefes zum Manne gereifte
Kind zufammen mit der Mutter Maphun und dem Groß:
vater Schwe-Maon wieder auf einer neuerdings aufgenoms:
menen Photographie von Browne und Shepperd, die in Holz:
ſchnitt in der Zeitſchrift Ya Nature Nro, 86 wiedergegeben
ift. Die beiden älteren haarigen Leute find ſchon genügend
befchrieben. Der jungſte erfcheint auf der neuen Abbildung
volljtändig behaart; Naje, Ohren, Wangen, alles ift mit
einem dichten Haarwulft überzogen. Es ift alfo hier die
dritte Generation vorhanden, in der volljtändig der abnorme
Haarwuchs (heveditäre Hypertrichoſe) auftritt.
Die Zahnbildung ift für den Anthropologen von Iuters
eſſe, infofern ſich in derjelben einige Abweichungen befunden,
welche als Racenmerkmale aufgefaßt werden können. Uber
diefe Abweichungen find noch wicht genügend ftudirt und
durch Vergleiche dargethan worden. Coudereau hat ſich nun
mit dem Gewichte und dem Bolumverhältnifje der
Menſchenzähne beſchäftigt, wobei er auf eine Arbeit von
John Graham in der „Medical Times and Gazette* vom
9. Januar 1875 verweift. Das Gewicht der Zähne ficht
ftets im Verhältniffe zu deven Volumen, da ihre Dichtigeit
ftets die gleiche ift. Die nachſtehende Tabelle giebt die Mit-
tel fire jede gleichartige Zahngruppe.
Untere Schneidezähne . 0,699 Grm. 0,327 Eub.-Eent.
Obere Schneidezähne 1,062 „ 0,507 M
Untere Spigzähne . 1,159 „ 0,557 "
Dbere Spigzähne 1386 „ 0655 „,
Untere Weisheitszähne . 2,069 „ 0087 „5
Obere Weisheitszähne . 2,073 „ 0,9883 5
Untere Badzähne 2,099 „ 0,99 „
Obere Badzähne 2,164 1,032 „
Dieſe Zahlen fiellen das Mittel einer genitgenden Anzahl
von Wägungen dar, wm einen Durchſchnitt zu ergeben, Be
trachtet man die Zahlen, jo findet man, dag das Gewicht der
Aus den Verhandlungen der Parifer Anthropologiſchen Geſellſchaft.
Zähne der obern Kinnlade das jener der untern überwiegt;
daß ferner der Unterjchied zwiſchen den correfpondirenden
Zähnen der beiden Kinnladen ſich von vorn nad) hinten zu
vermindert. Der mittlere Unterjchieb zwiſchen den oberen
und unteren Scneidezähnen beträgt 246 Milligrammı; zwi⸗
ſchen oberen und unteren Spigzähnen 226 Milligramm ;
zwijchen den Badzähnen ift der Unterſchied nur 64 Millis
gramm. Der Unterſchied zwißchen den ſechs vorderen Zähnen
der Ober» und Unterfinnlade beträgt 1 Gramm 905 Millie
grammı, während der zwiſchen den Badzähnen der Ober» und
Unterfinnlade nur 136 Milligramm ausmacht.
Die franzöſiſchen Colonien liefern der Gefellfchaft natür⸗
lid) danfbaren Stoff in Menge. Aerzte, Offiziere, Beamte,
welche in benfelben ftationirt find, fenden ihre Berichte nad)
Paris, wie das auch von Seiten der Engländer in den Co—
lonien geſchieht, welche die Yondoner Anthropologiſche wie
Geographiſche Geſellſchaft reichlich, unterftügen. Die englifchen
wie franzöfifchen Vereine find durch den Colonialbeſitz ihrer
Länder und Deutjchen gegenliber im diefer Beziehung im
Vortheil, Namentlich) aus Cochinchina kommen reiche Bei
träge, und wir möchten hier auf die ethnographifchen Berichte
von Mondieres (S. 110 bis 118) und Meorice (S. 139
bis 151) hinweifen, Vegterer behandelt unter andernt bie
Miſchlinge in Indo- China, die zwiſchen Annaniten und
Kambodianern, Annamiten und Malayen, Annamiten und
Hindus entftehen, Jene zwiſchen Annamiten und Chineſen,
die ſehr zahlreich find, eigen Minuongs. ie folgen in
der Haartracht und Kleidung meift den Chinefen, find größer
als die Annamiten, Heiner als die Chinefen, aber lebhafter
als letztere. Die Nafe ift weniger abgeplattet als bei den
Annamiten. Intereffant ift das neue im Entftehen begrif:
fene Miſchlingsgeſchlecht zwiſchen Franzoſen und
Annamiten; fie ſcheinen dem Klima gut gewachſen und
ertragen namentlic, die ſtarle Sonne gut. Die Kinder aus
biefer Miſchung find recht tüchtig; die Naſe ift etwas kurz,
doch nicht zu platt, die Haare haben einen faftanienbraunen
Anflug; der Teint ift jehr hell; die Augen find annamitifc.
„Hier liegt vielleicht ein Deittel der Coloniſation vor, weldes,
richtig geleitet, von guten Folgen fein kann.“
Die Anthropologen haben jehr viel über das fogenannte
Incabein (Os incae) der Peruaner gefchrieben, weil man
in ihm ein gutes Racenmerkmal dev Peruanerſchädel zu er⸗
fennen glaubte, während fonft die Graniologie für die Eins
theilung der Menſchenracen nur wenig Sicheres leitete.
Das Os incas ift ein großer dreieckiger Knochen des Hinter
hauptes, welcher, zwifchen den Yambda-Nähten eingefchlofien,
dem obern Theile der Hinterhauptbeinichuppe entipricht, von
deren unterm Theile er durch eine abnorme Naht getrennt
ift, welche die Baſis des dreiedigen Knochens bildet. Der
Engländer Bellamy, Rivero und Tſchudi ftellten den Satz
anf, diefer Knochen ſei den Peruanern eigenthümlig); das ift
indeflen nicht der Fall und das Incabein (aud) os inter-
parietale genannt) ift auch bei anderen Völfern nachgewieſen
worben.
Die Frage, wann das abnorme Incabein beim Menſchen
entfteht, war bisher eine offene. Daß fie jegt entjchieden wer«
den konnte, ift Broca's Berbienft in dem bier mitgetheilten
Aufjage Über die Mumie eines peruaniſchen Fötus
(5. 133 bis 138), Bei dem großen Erdbeben, welches bie
Stadt Arica zerftörte, wurde auch der alte Kirchhof völlig
aufgewühlt, und der franzöſiſche Marinearzt Bourru fand
hier Gelegenheit, eine ſehr große Anzahl Schädel ſowie Mus
mien neu⸗ und zu frühgeborener Kinder zu ſammeln, welche
in der befannten peruaniſchen Weiſe in Stoffe eingewidelt
waren. Cine ſolche Fötuemumie hat nun Broca unterfucht
und an ihr die Bildung des Incabeins nachgewieſen.
Globus XXIX, Nr. 7.
105
Algerien iſt die Cruxr der Franzofen. Wan weiß wie
langjam der Fortſchritt der Colonifation dort ift, wenn auch
in neueflee Zeit entſchiedene Zeichen einer Beflerung dortiger
Zuftände ſich bemerkbar machen. Die Frage der Acelima-
tifatiom fpielt hierbei eine große Holle, und es ift das Ber:
dienft Ricoux's, Unterfudungen darüber angeftellt zu haben,
wie die verfchiedenen in Algerien angefiedelten
enropäifchen Bölterfhaften mit Nitdjiht auf das
Klima gedeihen (S. 369 bis 373). Seit langer Zeit
überwogen bort bei den Franzoſen die Sterbefälle über die
Geburten. Während Italiener, Spanier, Maltefer und bie
zu einem gewiffen Grade die Provengalen ſich kreuzten und
verniehrten, verminderten fich die Nordfranzoſen, von ber
Zuwanderung natürlid) abgeſehen. Seit 1865 indeilen ift
hier ein Umfchlag zum Beflern bemerklich, da die im Yanbe
geborenen Franzoſen in Wirlſamleit treten. Es iſt jet
wenigftens das Gleichgewicht zwiſchen Geburten und Sterbe»
fällen hergeftellt. „Was die Deutſchen betrifft,“ fagt Ricour,
nachdem er die Spanier, Italiener und Malteſer behandelt
hat, „fo ift es unbeftreitbar, daß fie im Algerien nicht aus:
dauern, wenigftens nicht im der befonders betrachteten Um—
gegend von PHilippeville. Ihre Sterblichkeit ift 56 auf
1000, während die Zahl der Geburten nur 31 auf 1000
iſt.“ Fur die Elſaß-Lothringer, die man nach Algerien lodt,
liegt hierin ein bedeutſamer Winf,
Schließlich erwähnen wir ein Nefums von Ren de Sb
mals über Hittel's Wert „Ihe Keffources of California“,
San Francisco 1875 (fechöte Auflage). Es enthält auch
werthuolles ethnographiſches Dlaterial; neben den anfäfjigen,
aderbautreibenden, viehzlichtenden und Wein kelternden civie
Lifirten Indianern im Siben Californiens werben bie arıns
feligen Shojhonees des Nordens geſchildert. Cie find
ein Yägervolf, das aud) Fiſchſang treibt, Wurzeln gräbt und
Heufchreden verzehrt. Diefe Unglädlichen, von den Weißen
aus ihrem Befige vertrieben, rauben Bich, Es entfteht Krieg
darüber und bie Eingeborenen werden becimirt. Zu ber
Ausrottung durch Pulver und Blei gefellten ſich die Ber-
wäftungen, welche der Branntwein anrichtet. Und fie find
trogdem eine Fräftige Race. Obgleich, in ſchlechten Hlitten
wohnend ift ihnen Erfältung unbelannt; ein um die Schul
tern geworjenes Hirſchfell dient als Kleidung; mit nadten
Füßen fchreiten fie durch den Schnee dahin, während Algons
finer und Jroleſen ſchützende Mocafjins tragen. Kindermorb
ift bei den Shofhonees häufig; fie ziehen die Knaben auf
und tödten die meijten Mädchen, Stirbt eine Frau, welche
ihr Kind noch nährt, fo begräbt man den Säugling mit ihr.
Die Shofhonees, noch 50,000 Seelen zur Zeit der Einwans
derung der Weißen, find auf 7000 Köpfe herabgefunfen.
Ihr Loos ift befiegelt.
Die Mericaner und Spanier, welche zur Zeit der ſpa⸗
nifchen Herrſchaft fich in Californien nicderließen, brachten
wenig Frauen mit umd heiratheten Indianerinnen, Es ent
ftand ein Mifchlingsgefcjlecht, außerlich ſchön, im Ganzen
gutmiithig, aber arın und unwiſſend und von glühendem Haſſe
gegen die überlegenen Yanfees erfüllt, Sie find meiftens
Biehzlichter und bleiben ftat ionär, während die neu eindrin
genden Chineſen ſich bereichern. Man zählt in Californien
9380 Mericaner und Spanier, welche nicht im Lande gebos
ren find.
Die Chinefen zählten 1870 fon 49,310 Seelen. Wie
gehaßt und verfolgt fie find, darf als befannt vorausgeſetzt
werben, und daß diefer Haß aus ähnlichen Gründen ent«
fpringt wie bei uns der Judenhaß — der auf ethnologifcher
Grundlage beruft —, ift gleichfalls zur Genlige erörtert.
„Ale hriftlichen Semeinfchaften find verbunden gegen dieſe
armen Leute und bie Geiftlichen haben gegen die Duldfamteit
14
106
geprebigt, welche fie in den Bereinigten Staaten ges
nießen
Uebrigens ift es mit diefer Duldſamkeit nicht weit her.
Die Geſetze, welche den Neger hätſcheln, der doch tief unter
dem nüglicyen Chinefen fteht, find legterm immer feindfelig
gewefen. Freilich die 50 Dollars betragende Chinefentage,
conform den mittelakterlichen Judenſteuern, ift für ungejeg-
lich erklärt worden und erft feit der Annahme des neuen
Geſetzbuches ift das Zeugniß eines Chinefen gegen einen
Weißen zuläfjig. Man duldet fie einfach, Vom Rechte der
Naturalifation, das dem verlaufenften Schwarzen zufteht,
Albin Kohn: Die Ruinen der alten Städte Meſched und Mefterian,
find die Chinefen noch heute ausgeſchloſſen. Ihre im Yande
geborenen Kinder jedoch, gelten ald Staatsbürger und haben
das Stimmrecht. „Ungeachtet ber von der Yocaltegierung
ausgehenden Hinderniffe, der Nichtswürdigleit der Bevölferung,
der Unduldſamleit der Frommen wie der Nichtfrommen madıt
die Emancipation der Chinefen große Fortſchritte.“
Zu der Mifhung mit Indianern und Negern tritt, wer
nigſtens in beu weftlichen Staaten, jene mit Chinefenblut.
Die Miſchungsreſultate auf geiftigem, gefellichaftlichent und
ftaatlichen Gebiete in den Vereinigten Staaten find abzu—
warten. Nihard Andree.
Die Ruinen der alten Städte Mefhed und Mefterian.
N Von Albin Kohn.
Unfer geographifcher Horizont erweitert fi von Tag zu
Tag und mit ihm auch unfere Geſchichtslenntniß. Abſicht-
lich unternommene Entdedungsreifen und kriegeriſche Erpes
bitionen tragen das Ihre dazu bei, viele bis jegt noch leere
Stellen auf unferen Karten zu füllen und mit Namen aus-
zuftatten. Auch früher ſchon machten Helden und Eroberer
Züge in Wüften; fie thaten dies aber wohl laum in ber Abr
ſicht, die Wilfenfchaft zu bereichern, dem Handel neue Wege
zu erjchliegen und der Civilifation neue Gebiete für ihren
Einfluß zu überweifen. Der Wiffensdrang trieb zwar aud)
fchon im gramen Alterthume einzelne Forſcher in ferne Ges
genden und zu unbefannten Völkern, und wir verbanfen
ihren Notizen jo manche Aufſchlüſſe; aber diefen Neifenden
ftand außer ihrem fcharfen Berftande faft fein techniſches
Hülfsmittel zu Gebote, mittelft deſſen fie ihre Entdedung jo
zu jagen für ewige Zeiten hätten firiren können.
Anders heute. Unfere Forscher find mit Allem ausge—
tüftet, was die Neuzeit erfunden, um ihre Entdeckungen ber
Wiſſenſchaft zu fichern, und die modernen Heerführer dringen
in Wüften ein, um dem Handel neue Bahnen zu eröffnen
oder alte Karawanenſtraßen gegen Näubereien halbwilder
BVoltöftänme zu ſchützen. Auch fie machen gelegentlic, Ent«
dedfungen, welche in unfere geographiichen und hiftorifchen
Werle eingetragen und zulünftigen Geſchlechtern überliefert
werben.
Zu den neueren von Militärerpebitionen gemachten Ent
defungen gehören die Städte Mefterian und Meſched, liber
welche wir in den „Nachrichten der laukaſiſchen Abtheilung
der Faiferl. ruſſiſchen Geographiſchen Geſellſchaft“ (1875,
ro. 1) eine kurze Notiz finden. Was wir bisher über fie
mußten, ift wenig genug.
Schon Ritter erwähnt im achten Theile feiner „Erb:
funde*, ©. 364, der VBenterfung Conolly’s, welder im
Jahre 1838 eine Keife vom Atrel bis Chiwa machte und
auf feinem Wege die Ruinen zweier Städte fand. Witter
fagt hierüber: „Auf dem Wege dahin ritt er an den Ruinen
einer alten verwüfteten Stadt aus gebrannten Badjteinen
vorüber und jah auf ein paar Anhöhen nur im Nebel Baus
werke, die man ihm Ruſtans Feſten nannte.“ Später er
wähnt Blaramberg in feiner „Statiftifchen Ueberſicht Per-
fiens im Jahre 1841° diefer Ruinen und jagt, daf fie
außer von Conolly noch im Yahre 1836 von einer Abthei«
lung der perfischen Armee befucht worden feien.
Endlich thut diefer beiden Städte Stebnidi in feinem
„Redenicaftsberichte Über die Reife ins transkaspiſche Yand
im Jahre 1872* Erwähnung. Bei der Bejchreibung der
ehemaligen fünftlichen Bewäſſerung durch Canäle, deren einer
in der Nähe des Flußlüberganges Jagly am Atrek beginnt
und ſich gegen Nordweit in die Steppe hineinzieht, fagt Steb-
nidi: „Man erzählt, daß ſich ein Graben in diefer Rich—
tung gegen 60 Werft bis an die Ruinen hinzieht, welde
Meiched-Mefterian genannt werden und ſich an dem Brun«
nen Daſch⸗wjerdy befinden. Ebenſo wird erzählt, daß dieſe
Ruinen aus „Kjumbeten“ (Denlmälern) und anderen
Ueberrejten beftehen, die aus gebrannten Ziegeln erbaut
waren.“
Schon im Anfange unfers Jahrhunderts vernahm man
die Namen der Ruinen Mejchedi-Diefterian, denn der Gardes
capitän Murawiew IV. hat diefelben ziemlich genau in feiner
Karte des Chanates Chiwa und bes turkmeniſchen Küften«
ſtriches eingetragen. Noch ift zu bemerken, daß aus ben Be:
richten des ruſſiſchen Conſuls Balulin in Afterabad hervor
geht, daß die hier beſprochenen Ruinen den Vewohnern von
Aſterabad unter dem Namen Mefchedi-Mlisrian *) befannt find.
Dies ift aber aud) Alles, was wir überhaupt bis jet
über die beiden verfchollenen Städte wußten. Sie ſchwebten
wie eine Fata Morgana vor den Blicken des Geographen,
erſchienen wie ein Problem vor dem Hiftorifer, das an ihn
die ragen richtete: „Wann find wir erbaut? Welches
Volt hat in uns gewohnt? Womit hat es fid) befchäftigt?
Wann und infolge weldyer Kataftrophe ift es untergegans
en %“
?
Wenn auch das Nachfolgende noch keineswegs volle Aırt-
wort auf die ſoeben geftelten Fragen giebt, aljo noch nicht
das hiftorifche Problem löſt, fo beginnt doch das Dunkel zu
ſchwinden und an feine Stelle ein thatfächlic)es, ſehr erfreu⸗
liches Bild zu treten, das wir dem Berichte des Generals
Lomakin verdanken.
Derjelbe war mit einer Abtheilung Truppen zu einer
Recognofeirung des Usboi auögefendet worden. Nachdem er
von Mulla« Kari bis zum Brummen Bugdanly 145 Werft
zurüdgelegt hatte, machte er eine fiebentägige Raft, welche
ihm erlaubte, die intereffanten Ruinen ber alterthiimlichen
Städte Mefterian und Meſched genau in Augenſchein zu
nehmen.
Der erfte diefer Orte befindet ſich 361/, Werft vom
*) Dies bedeutet Grabſtätte ber Leute von Misr, d.h. Megnp:
ten,“ alſo einen Ort, wo muhammedaniſche Nreappter (wahrſcheinlich
gefallen und) begraben worden find, Rt.
Aus Nordamerika,
Brunnen Bugdanly und zwar in füböftlicher Richtung von
ihm. Der Weg zu den Ruinen ift immer eben und hart,
Wenn man einige Werft von Bugdanly in der angegebenen
Richtung gegangen ift, trifft man die Ruinen der Kleinen
Feſtung Kiljchit- ala, welche aus einem großen, aufgejchüt:
teten Hügel beftehen, der mit Mauern gekrönt war. Von
diefer Feſtung zieht ſich eine ununterbrochene Reihe ähnlicher
Befeſtigungen eimerfeitd über Mefterian auf Tſchat an der
Mündung des Sumbar in den Atrel zu, andererfeits aber
gegen das Kaspifche Meer und den „Öriinen Hügel“, welcher
nörbficher liegt als der „Weiße Hligel* und Tichitiicdljar.
Diefe Feſtungen beichligten gleichſam den ungeheuern, ſich
an ihnen hinziehenden Waſſergraben.
Die Stadt Meſterian ſelbſt beftand aus einer Feſtung,
die mit einem großen Wafjergraben umgeben war. Hinter
diefem erhob ſich ein Erbwall, auf welchen zwei Reihen hoher
Mauern folgten, die aus ausgezeichnet gebrannten, mehr als
1/5 Arſchyn im Quadrat haltenden Ziegeln erbaut waren.
An den Eden der Mauern befanden fid) einige Thlrme; die
Feſtung ſelbſt bildet eim ununterbrochenes Biereck, deſſen
Seiten 300 bis 560 Klafter lang waren, ſo daß die Feſtung
nahezu eine Oberfläche von einer Quadratwerſt einnahm.
Diefe ganze Fläche fowie auch ein Raum von circa 2 Werft
um die Feſtung herum ift ganz mit Haufen derjelben aus:
gezeichneten Ziegel bedeckt; es find dies die Ruinen ehema«
iger ftäbtifcher Gebäude, deren Fundamente hin und wieder
noch heute zur fehen find. Außerhalb der Feſtung entgingen
dem gänzlichen Ruine nur das Stodtthor und ein Theil der
Moſchee des Heiligen Schir« Kabir, welder nod) heutigen
Tages vom Bolfe hochverehrt wird und bem man eine Menge
Wunder zufchreibt. Im der Feſtung jelbft befinden fic in
halb zerftörtem Zuſtande zwei Minarete, jedes gegen 13
Klafter Hoch und 3 Klafter im Umfange, ein Schloß oder
eine Moſchee, Wafferpumpen und Baffins, Man muß ans
nehmen, daß die Minarete über 20 Klafter Hoc, gewejen
find; ihr Oberbau ift herabgeftürzt; im ihrem Innern führt
eine Wendeltreppe nad) oben. Alle diefe Bauten erfreuen
durch ihre leichte Architektur und durch ihre künſtleriſch voll«
endeten Fagaden, welche aus dauerhaften, fteinharten Ziegeln
erbaut, mit gemalten Kacheln, glänzenden Borbüren, vers
107
ſchiedenfarbigen Tafeln, Arabesten und Inſchriften von höchſt
ausgezeichneter Arbeit gefchmiidt find. Die mit verſchiedenen
Farben gemalten gegen Y/,; Arſchyn großen Buchſtaben find
mit Kacheln und Blumen verziert. Es haben ſich einige
große Obftbäume mit jegt fpärlichen Früchten erhalten;
—* weiß Niemand davon, daß hier einſt Orten geives
en find.
Was die 5 Werft von Mefterian (die Eingeborenen nens
nen die Stadt Meftorian) belegene zweite Stadt, Meſched,
anbetrifft, fo war fie eine Stadt der Todten. ine unges
heure Fläche ift mit Ruinen bededt, welche von theilweife
noch erhaltenen Capellen, Denkmälern, Monumenten und
Moſcheen herrüßren, unter denen wiederum eine Moſchee
fowie das Grab bes heiligen Schir-Kabir befonders gezeigt
werden. Noch heutigen Tages fommt eine große Pilgerzahl
aus allen Weltgegenden hierher, um dem Heiligen ihre Ehr«
furcht zu beweifen, gerade jo wie mad) der perfiichen Stabt
Meſched. Die Moſchee des heiligen Schir⸗Kabir ift immer
mit Teppichen gefchmüdt, welche Gaben der frommen Pilger
find. Im ihr fteht ein verſchloſſener Kaften mit verfchiedenen
a Buchern, hängt eine Yampe und ftehen einige Gefüße
zu Wafchungen, wenngleich hier Niemand feft angefiebelt ift
und aud) in der Nühe fein Stamm nomabifirt.
Die Befcjreibung der Feſtungen in der Gegend von
Mefterian erinnert mich zu jehr an die Kremlins von Moss
fau, NifhnyNowgorod, Tſchebolſara, Swiask und Kafan,
als daß ich es unterlafjen fönnte, auf diefe von den Tataren
erbauten weiten hinzuweifen und meine Meinung dahim zu
äußern, daß aud) wohl die „Sremline* von Dieflerian, wie
die Stadt ſelbſt und die benachbarte Stadt der Todten,
Meſched, von den Tataren in ihrer Glangperiode, vielleicht
von dem mächtigen Chanen von Aſtrachan, erbaut, fpäter
aber von den feine Stüdte Liebenden Mongolen, wenn
auch nur theilweife, zerftört worden find, Wo ift die reiche,
gebildete Bevölkerung geblieben ? Werben einft die Infchrifs
ten die frage nach der Nationalität, bie Gräber die über
ben Untergang eines Gulturvolfes beantworten? So viel
ift gewiß, ſchon wir ſchauen nicht, wie Conolly im Jahre
1838, wie durd) einen Nebel auf zwei untergegangene herr
liche Städte,
Aus Nordamerifa
Politifche und jociale Zuftände in den Vereinigten Staaten.
B. Bei allen in dev amerikanischen Republik vorhandenen
Mängeln und Schäden bleibt die ruckſichtsloſe Unerfchroden:
heit, mit der die dortige Preffe die Betrligereien und Corrups
tion aller Parteien auſdeckt, eine anerlennenswerthe That:
face, die denn auch, mehr ald in irgend einem andern Yande
der Welt, zur Bloßftellung und Beftrafung der Schuldigen
führt. Gegen Präfident Grant ift, aufer feinem micht
wegzuleugnenden Nepotismus und Gejcenfannehmen, das
ſich vielleicht auch vertheidigen ließe, nie dev Schatten eines
Verdachts aufgekommen; auch die Mitglieder feines jegigen
Gabinets find im Ganzen tlichtige und fähige Männer; da-
gegen ift er vor Kurzem infofern wenigftens hart geftreift
worden, als fein eigener Privatjecretär, General Babcod,
angeflagt wurde, Vetrligereien gegen das Steueramt Bor-
ſchub geleiftet zu haben. Im vergangenen Dahre wurde
nämlid) in mehreren weſtlichen Städten, vorzliglid) in
St. Louis, eine Berfhwörung zwiſchen den dortigen Bereinige
ten-Staaten-Steuerbeamten und einer großen Anzahl bedeus
tenber Branntweinbrenner, unter denen ſich leider auch meh—
rere deutjche Namen finden, durch den höchſt achtbaren
Schagamtfecretär Briſtow aufgededt, welche durch Umgehung
der bedeutenden Stener der Regierung große Berlufte bei:
bradite. In genauer Befolgung eines Ausſpruchs des
-Präfidenten, „keinen Schuldigen entkommen zu laſſen“*, ver—
hängten die Gerichte ſummariſche Strafen über die ſchuldig
Erwieſenen, unter denen der Bundescontroleur der Brennereien
von St. Youis, Macdonald, auch zu mehrjähriger Zuchthaus:
ftrafe verurtheilt wurde. Die Unterfucungen dauern noch
fort. Gegen General Babeock wurde nun die Anklage er:
hoben, daß er vor Anfang des Proceſſes vermittelft telegras
14*
108
phifcher Depeſchen verſchiedenen der bebrohten Beamten
Warnungen habe zugehen laffen, bie ihm, vermöge feiner
einflußreichen Stellung in Wafhington, zu Gebote ftanden
und feine Theilhaberichaft an ber Verſchwörung ahnen laſſen.
Man muß eingeftehen, daß er foweit Alles gethan hat, was
man von einem unfchuldig Ungeflagten erwarten fünnte, in
dem er gleich nach dem erſten Gerüchten feiner Schuld, ale
Offizier der Armee, den Bräfidenten um ein Sriegsgericht
zur Unterfuchung feines Berhaltens bat, vor dem er feine
Unfchuld zu beweifen verfprad,. Bor Zufammentritt defiel-
ben erhoben aber die Großgeſchworenen in St. Louis bereits
eine formelle Anklage gegen Babcod, auf deffen Wunſch denn
das Kriegegericht ſich auflöfte, um das Ergebniß der gericht»
lichen Unterfuchung abzuwarten. Einen offenbaren Miß-
griff beging freilich der Präfident, als er auf Anrathen fei-
nes Cabinets den fpeciellen Bundesanwalt in St. Lonis,
Henderfon, der die bisherigen Unterfuchungen gegen bie
Branntweinbetrliger mit anerfannter und erfolgreicher Fähigs
feit geleitet hatte, feiner Stelle enthob, weil derfelbe in einer
feiner Gerichtsreden ſich eine grundlofe, gehäffige Beſchuldi—
gung des Präfidenten hatte zu Schulden fommen laffen; da
aber, wie Grant jelbft fagte, er nicht auf der Anklagebant
jäße, ferner die Großjury, der die formelle Anklage obliegt,
ihm einen Brief mit dem Ausdrud ihres vollfommenen Ver—
trauens hat zufommen laffen, und auch ber Nachfolger bes
Staatdanwalts ein allgemein geadhteter Advocat, ja jelbft
Mitglied der Oppofitionspartei ber Demokraten ift, dürfte
e8 ſchwer zu entfcheiden fein, wer eigentlich Unrecht hat.
Die Unterfuchung gegen Babeod findet im Januar ftatt.
Das Enttommen William M. Tweed's, des befann-
ten Hauptes des Tammany-Rings, der die Stadt Neuyort
um mehrere Millionen Dollars beftahl, wirft ein ungleid)
flareres Licht auf die Beſtechlichkeit amerifanifcher Beamten.
Nachdem Tweed im Jahre 1871, nad der Bloßſtellung
feiner Betrligereien in der „Nero Mort Times“, durch die
überwältigende Majorität der ehrlichen Wähler feiner und
feiner Partei Macht beraubt, vor ein Gericht geftellt und
zum Zuchthaus verurtheilt worden war, gelang es ihm nad)
theilmweifer Abblißung feiner Strafe ſich nad) dem Neuyorlker
Scyuldnergefängniffe verfegen zu laffen, wo er auf Grund
von Proceljen zur Zuriiderftattung des geftohlenen Geldes
feftgehalten wurde, Nach dem Schwinden jeder Hoffnung
einer endlichen Freiſprechung oder auch nur eines Aufbrins
gens ber erforderlichen Bitrgfchaft von drei Millionen Dol—
lars beſchloß er die Flucht, die ihm beim Beſuche feiner
Familie in feinem eigenen Haufe, der ihm im Begleitung
von zwei Unterfcheriffs geftattet wurde, and) gelang. Nach
dem verdüchtigen Berichte legterer bat er um Erlaubniß,
feine Frau im obern Stod aufzufucen, um — troß ſeines
Alters und einer falftaffähnlichen Figur — ſpurlos zu
verfchwinden. Alle Anftrengungen der Polizei, die, durch
die außgefegte Belohnung von 10,000 Dollars zu befondern
Eifer angefpornt, feinen Stein zur Wicderherbeiichaffung
des berühmten Hlächtlinge im Neuyork und den Nachbars
ftädten umgewendet ließ, haben font zu feinem Reſultat
geführt. Die Andignation ift natürlich ſehr groß; der tlidj-
tige Gouverneur Tilden des Staates Neuhork hält den
Obericheriff perfönlich haftbar fir feinen entlommenen Ges
fangenen, Seitdem das Gericht von Tweed's Auftauchen
in Havanna, wo freilich fein Auslieferungsgefeg ihn gefähr-
den könnte, ſich als unbegräindet erwiefen, glaubt man all-
gemein, daß er fich noch in ber Stadt felbft bei einem feiner
vielen früheren Parteigänger verſteckt halte, und daß ſomit
noch immer Ansficht auf feine Entdedung vorhanden jet,
um fo mehr als fein Aeußeres durch die Garricatuven der
illuſtrirten Zeitungen jedem Kinde in Neuporf bekannt ift.
Aus Nordamerika.
Daley Hall, früherer Major von Neuyorf, und als fol:
her auch, freilich erwiefenermaßen nur paſſives, Mitglied
des Tammany- Rings, ein ausgezeichneter Redner und Ad:
vocat, ift vor Kurzem auch als Schriftfteller und — Schau⸗
fpieler aufgetreten, indem er auf ber Bühne des Park:
theaters in der Hauptrolle (der eines unfchuldig angeflagten
Bankcaffirers) eines felbfiverfaßten Stüdes mit, nebenbei
bemerkt, nur mittelmäßigem Erfolge erfchien. Beſondern
Eindrud machte der vierte Act, in weldem der Exblirger-
meifter in der Kleidung eines engliſchen Sträflings auftrat;
doch enthielt fi) das ſehr gewählte Publicum aller anzüg«
lichen Kundgebungen. Als Beweis eines wachjenden Ge—
techtigfeitägefühls in dem bisher durch feine unbeftraften
Morde berüchtigten Neuyork dient die am 17. December
ftattgefundene gleichzeitige Hinrichtung am einem Galgen
von drei ber Ermordung eines deutlichen Haufirers über-
führten Negern.
Ein nicht zu entfchuldigender Fehler des Präfidenten
Grant ift die Hartnädigfeit, mit der er feine perſönlichen
Freunde felbft nach Aufderung ihrer Corruption in ihren
öffentlichen Stellungen beibehält. Ein eclatantes Veifpiel
liefert der jegige amerifanifche Gefandte in London, Gene-
ral R. C. S,, ber, ſchon vor Jahren einer Verbindung
mit den Emma + Minen +Betrligereien angellagt, nie eine
überzeugende Bertheibigung geliefert hat, und deſſen lite:
varifche Tätigkeit fid) auf eine in London erſchienene An-
leitung des amerifanifchen Kartenfpiels „Poter* beſchränlt.
Einen neuen Corruptionabeweis dieſes Muſter-Geſandten
liefert ein ſoeben veröffentlichteer Contract, den ein Her
Wiard, fein damaliger Theilhaber in einer Gefchligfabrit,
im Juli 1871 mit einem gewiſſen Machado abſchloß, wel:
her Pegterer eine Forderung von 350,000 Dollars wegen
zerftörter Schiffe an bie englische Regierung hatte und ſich
verpflichtete, Herrn Wiard ein Drittel der geforderten
Summe auszuzahlen, falls diefelbe während General S.'&
Anweſenheit als amerikaniſcher Gefandter inYon:
bon und Danf feiner Bermittelung erlangt wide.
Wiard liberfandte S. den Contract ohne Weiteres , und bie:
fer, ftatt ihm mit Entruſtung zurlidzuweifen, erwiederte
wörtlich wie folgt: „Ic werde ſehen, was ſich thun
läßt, doch hätte mein Name nicht fchriftlich erwähnt were
den follen. Diefer Brief ift nur für Sie und muß vers
brannt werden.“ Obgleich fein gejchäftliches Lebereinfont:
men zwifchen Beiden erwähnt wird, kann man doch feine
eigenen ——* ziehen, und iſt jeder weitere Commentar
dieſer ſaubern Angelegenheit überflüſſig. Der geſammte
einflußreiche Theil der amerilaniſchen Preſſe, voran die aus—
gezeichnete „New York Tribune“, verlangt einſtimmig die
Abſetzung des Geſandten, deſſen hohe Stellung in London
fie als Schande für die Republik anerlennt. Dagegen wird
die Ernennung Herrn Seward's, des Neffen des verftor-
benen Staateminifters, zum Gejandten in China einftinmig
als Anfang einer wlrdigern Bertretung im Auslande bes
grüßt. Im der Hauptſtadt Wafhington hat ſich, wie ge:
wöhnlich beim Zuſammentritt eines neuen Congrefjes, eine
Menge von Stellenjägern eingefunden, die den Sprecher
und die Beamten des Nepräfentantenhaufes um die von
ihnen zu vergebenden Stellen umlagern, Obgleich die ganze
Anzahl der Ernennungen fid) nur auf 300 beläuft, follen
fi) gegen 10,000 Bewerber eingeftelt haben, unter denen
ſich auch viele felihere Congreßmitglieder befinden, die ſich
felbft mit untergeordneten Stellungen begnügen würden.
Ueberhaupt beſaß die große Mehrzahl der Mitglieder meh—
rerer der legten Congrefle weder ſtaatsmünniſche Nenntnifie
oder Fähigkeiten, noch jelbft einen guten Auf, dod) unterliegt
es feinem Zweifel, da der jetiige (der 44.) Congreß aus
Dr. med. Georg Thiele: Skizzen aus Chile.
einer beffern Claſſe Leute befteht. Zum erften Mal jeit
1860 find die Demokraten wieder im Nepräfentantenhaufe
in der Mehrheit; aud) fangen die Südftaaten an, ihre früs
here wichtige Stellung in der Geſetzgebung des Landes ein
zunehmen. Sollte, wie man vorfchlägt, die Führung der
Indianerangelegenheiten, ftatt wie bisher durd) den Secre-
tär des Innern, dem Sriegsdepartement übergeßen werben,
fo ditrften auch die ſchamloſen Betrligereien ber Agenten, bie
übrigens dem legten Secretär Delano ſchließlich feinen offi-
ciellen Kopf gekoftet haben, einer beſſern Verwaltung Platz
machen.
Eine vom culturhiftorifchen Standpunkte aus interejfante
Erſcheinung ift die angenblidlich in den Vereinigten Staa-
ten unter Yeitung der „Evangeliften® Moody und Sanfeny
graffirende „Betjeuce*. Gleich dem vor einigen Jahren
verbreiteten „Branntweinkrenzzug* zieht fie von Stadt zu
Stadt und hat augenblidlicy, nad großen Erfolgen in Neus
york und Brooflyn, in Philadelphia Standquartier genom-
men. Die ungeheure Halle eines frühern Bahnhofs ift in
ein mehrere Taufend Leute jafjendes Bethaus mit Sitzreihen
verwandelt worden, das bei den drei täglichen „Meetings“
jedesmal überfüllt ift. Herr Moody hält die meiftens er
mahnenden, dabei ganz confeffionslofen Anveden, während
109
welcher viele feiner Zuhörer in religiöfe Aufregung gerathen,
aufjpringen und um fpecielle Gebete für ihre Seelen bitten;
dazwischen fingt Herr Sanfey Sirchenlieder und Palmen.
Der Andrang ift nicht allein aus dev Stadt ein fehr großer,
fondern es fommen die Leute auch meilenweit per Eifenbahn
aus der Umgebung herbei, fo daß oft 8000 Menfchen auf
einmal verfanmelt find. Zweihundert Thürftcher, deven
jeder ein Kirchenmitglieb, ohne Rüchſicht auf die Confeffion,
fein muß, weifen ihmen die Sitze an; eine eigene Kliche und
Eßzimmer verforgen fie mit Speifen. Neben der Kanzel
figt der Oberthürſteher und dev Sergeant der in der Halle
poflirten Poliziften; telegraphiiche Yeitung führt von dem
Tiſch des erftern zu dem Anffeher dev Heizung, den Wäch—
tern der beiden großen Thliren, die im Feuerfall augenblid-
lich geöffnet werden fünnen, und zu der Feuerwehr, die beim
erften Signale zur Hand wäre Gin nahes Ende diefer
Epidemie ift nody nicht abzufehen, da die „Evangeliften“
bie meiften anderen großen Städte des Landes mit ihren
„Erwedungen* zu beglliden beabfichtigen. Auch iiber diefen
dem Europäer unverftändlichen pietiftijchen Auswuchs fan
man mit dem großen Briten jagen: „Though this be
madness, yet there's method in it.*
Stizzen ans Chile
Von Dr. med. Georg Thiele.
vIIL.*)
Finares ift die erfte größere Stadt an der großen
Strafe von Talca nad) dem Süden. Die Entfernung bes
trägt 15 Leguas (8!/, deutſche Meilen), und bei trodener
Straße legt man den Weg in 4 bis 5 Stunden zurüd,
während er zur Regenzeit entweder ganz unfahrbar ift oder
die dreifache Zeit foftet. Der erſte Theil des Weges bie
zum Maule, eine Strede von 4 Leguas (26 Yeguas
== 15 deutsche Meilen), iftin mancher Hinficht der ſchlimmſte.
Die Ebene fenkt ſich allmälig und ift von mehreren Schluch—
ten unterbrochen, in die der Wagen hinunter umd wieder
hinauffahren muß. Am Grunde findet man einige bei
Regenwetter ſtark angejchwollene Bäche. Dieſe Pafjagen
find in dem zähen naſſen Lehmboden recht jchlimm. ber
bie ſchlimmſten Stellen waren doch fiir uns auf der ebenen
Fläde. (Es hatte ungewöhnlicher Weife nod im Septem-
ber ein paar Tage ftarf geregnet, fo daß für zwei Tage der
Verlehr gänzlich unterbrochen geweien war.) Halbe Stun:
den lang abwechjelnd mit der redjten und dann mit der lin—
fen Seite des Wagens durch Löcher ſich arbeitend, in die
unfere großen Kutſchenräder bis zur Hälfte hineinfielen,
natürlich ftets im Galopp, fauften wir dahin, bald gegen
einander, bald gegen die Wände ober Dede der Kutſche zu«
fammengefchütielt , während dabei alle Augenblide am Wa—
gen oder am Geſchirr etwas entzwei ging, fo daß wir ges
legentlich 10 Minuten Halt machen mußten. Dabei goß
nod) immer der Regen in Strömen. Fenſter gab es im
Wagen nicht, fondern lederne Vorhänge, die vor die Yufen
gezogen werden mußten; da dieſe aber nicht gut ſchloſſen,
jo waren wir bald mit einer gleichmäßigen Krufte von Koth
überzogen. Auf dem Niücwege konnte ich mich überzeugen,
daß die Gegend nichts Beſonderes bietet. Kurz hinter Talca
bleibt die Straße mit Meinen und großen Höfen dicht beſetzt.
* &, Bb. XXVI, 8,106 u. 124, U. XXVII, ©. 205. 218.
232. 251. 318.
Später hat man zur Rechten ganz nahe die erſten Hügel
des Küftengebirges, links untiberfehbares Weideland, und
dahinter die Corbillera central, Gegen 2 Uhr erreichten
wir den Maule Um eim enblofes Gewirre von ange
ſchwollenen Bächen abzufchneiden, fuhren wir über eine Kleine
Hligelreihe weg und dann in das Flußbett hinab. Un feis
nen äufßerften Grenzen ftehen einige Ranchos (Schilfplitten);
dann führt man über groben Kies und Steine nod) etwa
5 Minuten, bis man am Nande des Waſſers anlangt. Die
Gegend gewährt hier für Iemanden, der noch nicht an ſüd⸗
amerifanifche Scenerie gewöhnt ift, einen fonderbaren Aus
blid, Der Fluß ſelbſt hat eigentlich) gar fein rechtes Fluß-
bett. Auf der linken Seite allerdings ift es ſcharf begrenzt
durch ein fast ſenkrecht abfallendes Ufer von mäßiger Höhe.
Rechterſeits dehnt fich aber cin großes Steinfeld aus, Hin und
wieber mit von Gras bewachjenen Flächen abwechfelnd, Meine
Teiche dazwiſchen, auc einige Ranchos darauf, und bas
Ganze von Kleinen Bäcen durchfloffen. Ohne Zweifel ift
das Ganze früher ein großes Flußbett gewefen und gelegent-
lich mag es auch) heute noch unter Umftänden eime große
Wafjerfläche bilden. Flir gewöhnlic aber ift der Fluß auf
den Waſſerarm am der linken Seite der ganzen Senkung
beſchränlt. Bei höherm Waflerftand nimmt er dann an
Breite zu, das Steinfeld an feiner rechten Seite in größerer
oder geringerer Ausdehnung überfluthend, Stromaufwärts
fieht man in die große Ebene hinein, die in verſchiedener
Richtung von Waſſerarmen durchkreuzt wird; ſtromabwärts
fieht man dem Fluß ſich in dem Hligelm des Küftengebirges
verlieren, das hier dem Fluß entlang einige Ausläufer hat,
fo daß man an der Stelle, wo die Ueberfahrt ftattfindet,
rechts und links von Hügeln umgeben iſt. In ber Ferne
fieht man einige Pappelalleen , fonft beficht die Vegetation
auch der Higel aus nichts als Gras, Agaven, Cactus und
einigen fpärlichen Espinoſträuchern. Letzteres ift eine Pflanze,
110
die ganz die yorm und Bauart unferer großen Yaubholz-
bäume (Eiche, Yinde) hat, dabei aber nie Über doppelte
Deannshöhe erreicht,
Der Fluß feloft ift wicht breit, auch nicht ſehr tief, fo
daß Reiter ihn bei niederm Wafferftande zu pafjiren wagen.
Bei der großen Schnelligkeit aber, mit der jeine bleigrauen
Fluthen dahinfchiegen, befördert er doch eine große Wafler:
menge zum Meere, Die Paflage gefchieht auf großen flachen
Booten, au einem windigen, vegnerifchen Tage, wie und befcheert
war, eine äußerſt unerquidliche Partie! Alles ift maß, von
Schutz feine Spur, höchſtens ein wenig hinter dem Wagen,
der auf ein paar großen Ballen, die liber die Ränder der
„Yance* gelegt oder befeftigt find, gerollt wird. (Die
Lanche ift nicht eine Fähre, fondern ein wirkliches, ſehr breis
tes und fehr flaches Boot.) Die Pferde müflen ebenfalls
hinein, und es ift ganz interefiant, zu fehen, wie dieſe Thiere,
ſelbſt folche, die diefe Fahrt noch mie gemacht haben, aus
dem Waller (demm das rechte Ufer ift fo feicht, daß das
Boot nicht am feften Yande anlegt) Über den Mand des
Vootes hinweg und in daſſelbe hineinfpringen, und wie rus
big fie fich, fo dicht zroifchen Wagen und Dentihen gebrängt,
verhalten. Bei diefer eriten Fahrt Über den Maule, die ic)
machte, wurden noch bie Paſſagiere von den Bootöleuten
auf dem Rüden ins Boot getragen, damit fie ſich die Fße
nicht maß machten. Bei einer zweiten Fahrt fand ich ſchon
eine Berbeflerung: man hatte aus Holz eine Heine Yandungs-
brüide verfertigt und auf Mäder gefegt, fo daß man troden
aufs Boot gehen konnte. Die Fuhrleute ziehen num im
Wafler watend die Lanche eine Strede weit jtromauf, dann
ftoßen fie fie ins tiefere Waller, um rubernd das andere
Ufer zu gewinnen. Dabei treibt der ſtarle Strom das
Boote aber weit hinab, jo daß man ein großes Stüd unter:
halb der Stelle, wo man ſich einfchifft, am andern Ufer ans
fonmt. .
Nach der Ueberfahrt ging es dann mit neu vorgelegten
Pferden weiter in die Provincia de Maule (dev Maule
bildet die Grenze) hinein. Der Weg war von hier bis Vie
nares befjer, fandiger und härter, die entjeglichen Löcher in
der Straße waren Seltener; dafür hatten wir eine andere
Beſchwerde: die linfe Seite des Fluſſes ift reicher an gro-
ken und Heinen Nebenfliäffen aller Art, Bier, nahe am
Fluſſe, war es nod) nicht jo ſchlimm wie hinter San Jans
vier. Alle Ungenblide kamen wir am einen Fluß oder
Bad, alle ſtark angeſchwollen und, wo die Straße freuzte,
breit ausgedehnt, wie ein Heiner Teich). Bon Brüden war
feine Spur, wir mußten immer fo hindurch, die Pferde faft
ftets bi an den Bauch im Waffe. Zwei Leguas vom
Fluſſe paffirt man San Janvier, ein Dertdhen von 1000
Einwohnern, jehr neuen Urſprungs; eine Yegua fpäter ge—
langt man nad, Villa Alegre, einem Dertchen gleichen Um:
fange, dem Mittelpunkt einer ſchönen, reichen und wichtigen
Gegend. Anı rechten Ufer des Yoncomilla, ded größten
Aus allen
Aus Neufeeland.
— Die öffentlihe Revenue des Finanzjahres 1874/75
(daffelbe ſchließt mit Ende Juni ab) besifferte 1,605,003
BE. St., gegen 1,420,218 Pf. St. im Vorjahre, alio eine
Zunahme von 184,755 Pf. St. Dazu würden noch Aue:
ftände im Betrage von 96,357 Bf. St. und ein Ueberfchuß
von 205,500 Bf. St. aus dem Vorjahre zu rechnen fein, jo
Aus allen Erdtheilen.
Nebenfluffes ded Maule, gelegen, bezeichnet man diefe Gegend
gewöhnlic) wit dem Namen Yoncomilla. Diefer Neben
flug ift von dem Seehafen Conftitucion (der an der
Mündung des Maule liegt) bit Hierher für Boote fchifibar,
ein fehr wichtiger Vortheil in einem Yande, wo Wege etwas
Seltenes und Fracht etwas fehr Koftfpieliges ift. Die ganze
Gegend iſt ein —— von Haziendas der verſchieden⸗
ſten Größe, meiſt Eigenthum reicher Leute aus Talca und
Santiago, die im Sommer gewöhnlich hier wohnen.
Nach weiteren vier Leguas gelangten wir dann glücklich
an den ſtark angefhwollenen und bedenklich laut ——
Putagan, gleichſam zur Vorbereitung alle Viertelſtunden
einen Heinen Fluß paſſirend. Am Fluſſe ſelbſt wurde uns
geſagt, es ſei eben ein Wagen durchgefahren, und ſo rislirten
wir es ebenfalle. Der Fluß, an und fur ſich ein kleines
Ding, ift amögezeichnet durch die vothe Farbe feiner Wafler
und durch den Umitand, daß er fchnell anwächſt und wieder
finkt. An der Stelle, wo bie Straße ihn kreuzt, läuft er
in zwei Armen. Der erfte war nicht allzutief, den zweiten
aber zu pafjiren war in ber That ein etwas gewagtes Un—
ternehmen. Die Strömung war fo ſtark, daß unfer ſchwe⸗
rer Wagen etwas fchräg geitellt wurde, dabei das Waſſer
jo hoch, daß daflelbe den Pferden (allerdings eine kleinere
Race als die europäifchen) bis an den Rücken ftieg und in
den Kutſchlaſten unſeres ſehr hohen Wagens Hineinlief, jo
daf wir die Beine hoch heben mußten, um nicht naß zu
werden. Doc) kamen wir glüdlid hinüber.
Das Yand zwiſchen Yoncomilla und Linares ift
ziemlich einfam; auch Aderfelder ſieht man wenig, nur un
geheure Weideftreden. Während man bei Talca ziemlid
dicht am KHüftengebirge hinfährt, befindet man ſich hier im
ber Mitte einer großen Hochebene, die von hier bis San
Carlos ihre größte Breite erreicht. Doch iſt fie hier nicht
mehr fo eben, fondern enthält einzelne zerſtreute Hligel
und Feine Ketten. Andererſeits fcheinen auch die tiefen
Schluchten zu fehlen, in denen die Bäche der obern Hälfte
die Ebene durchfließen, obgleich es an Waffer durchaus nicht
mangelt. Der Weg von hier ab bis Linares iſt gut; mur
eine große Wiefe war ihres Lehmbodens wegen recht jchwie-
rig zu paffiven. Außerdem mußten wir einmal bei einem
erbärmlich Heinen Bache ausfteigen, weil der Kutſcher er-
Härte, wegen eines Loches in demfelben, an der Stelle wo
der Weg ihn kreuzt, fei es umficher für die Paffagiere, im
Wagen zu bleiben, Wir paffirten ihn denn zu Sub, mit
feiltängerifcher Geſchicklichleit ber einen Meinen hinliberge⸗
legten Balten, mit einer langen Robrftange (caüa de Co-
stilla) ung ftligend. Nach einer ftrapazenveichen Fahrt von
nahezu 10 Stunden langten wir Abends 7 Uhr maß,
ſchmutzig, müde und hungerig in Yinares an, um in dem
einzigen, aber ziemlich erbärmlichen Hötel dafelbt, über wel-
ches ſelbſt die Öbilenen Hagten, abzufteigen.
GErdtheilen.
daß damit bie Nevenue des Jahres 1874/75 auf 1,906,800
Pf. St. anſchwoll. Bringen wir davon die Ausgaben mit
1,756,414 Pf. St. in Abzug, To endigt das Finanzjahr mit
einen Plus von 120,446 Bf. St. Aus dem Verlaufe von
Kronland waren nur 773,805 Pf. St. eingegangen , beträcht:
lich weniger als im Vorjahre.
Der Finanzminifter nimmt an, daß die Revenue bed
Aus allen Erdtheilen.
laufenden Finanzjahres fich auf 2,476,195 Bf. St. belaufen
werde, vorausgeſetzt, daß das Parlament, wie inzwifchen ges
ſchehen, die Couföderation der neun Provinzen, aus welchen
Nenfecland jebt befteht, aufhebt und an deren Stelle die ein—
heitliche Colonie mit einer Coloniafregierung fett. Die
Ausgaben calculirt der Minifter auf 2,406,600 Bf. St. und
würde damit ein Ueberſchuß von 70,793 Pf. St. verbleiben.
Was die Befeitigung der Provinzialeintbeilung anlangt
— Nenfeeland zerfällt bekanntlich in neun Provinzen , deren
jede ihr eigened Provinzialparlament und einen befondern
Subgonverneur, Superintendent genannt, befigt und in ihren
Localangelegenbeiten eine volle Selbftändigfeit ausiibt —, fo
follte nad) der vom Minifterium dem Parlamente vorgelegten
Bill an deren Stelle die einheitliche Colonie mit bloßer
Diftrietseintheilung treten. Die Debatte, welche am 10. Scp:
tember in der Aflembiy begann, bielt drei Wochen an, wobei
die Oppofition alle möglichen parlamentarifchen Kniffe zur
Anwendung brachte. Das Nefultat war, daß mit 55 gegen
% Stimmen die „Abolition of Provinces“ angenommen ward,
doch erreichte die Oppofition das Angeftändniß, dab die Bill
erft am Tage nach der lebten Sigung der nädften Parla-
mentsverfammlung zur praftiichen Geltung kommen Soll.
— Ein ſehr heftige Erdbeben, in der Richtung von
Nord nah Sitd, fand am 14. September Abends 11 Uhr in
Gisborne an der Dftfüfte von Neuſeeland ftatt. Auch in
Wellington und Blenheim wurden ftarfe Erdſtöße veripirt.
— Wie die Goldfelder auf dem auftraliichen Continente
in ben legten Jahren in ihrer Ergiebigkeit erbeblich abgenom—
men haben, fo iſt dies auch anf Neuſeeland der Fall. In
den eriten ſechs Monaten des Jahres 1875 belief fich bie
Soldansfuhr nur noch auf 176,639 Unzen, im Betrage von
704,893 Pf. St., während ſich der Export in demfelben Zeit:
raume des Vorjahres auf 201,033 Unzen zum Werthe von
801,666 Pf. St. ftellte.
Aus Hawali.
In Bd. XNV. diefer Zeitichrift Nr. 4, 5, 6 und 38)
wurden unter dem Titel „Streifziige auf den Sandwichinfeln“
eine Reihe von Schilderungen veröffentlicht, zu denen uns
in banfenswerther Weile Hr. Franz Birgham, welder
die letzten zwei Jahre auf jenem Archipel gelebt und fich mit
feiner Natur und feinen Bewohnern völlig vertramt gemacht
bat, eine Anzahl von Verbefferungen und Nachträgen einge
fendet hat. Wir laffen diefelben bier mit Angabe der betref-
fenden Seitenzahl in jenem Bande folgen.
©. 49. Bon den 11 Juſeln der Gruppe find 7 bewohnt
(nicht refp. 12 und 8).
©. 51. Der höchſte Punkt der Diamant-Spite (Diamond
Head, Leahi) ift mach Negiernngsvermeffung 761 Fuß über
dem Meere (nicht 3000) und dauert das Erfteigen demnach
hbchſtens Stunde (micht 11). Ihre innere Ebene bat feine
100 Fuß Tiefe (ftatt 300),
S. 51. Koko Head (nicht Cocoa Head) ift fait die Oſt-,
nicht Südipige der Inſel Dahn.
S. 52. Der Königsmantel wurde aus den Federn des
Meinen Vogels Mamo gefertigt, der im gebirgigiten Theile
Hawaiis lebt und nur mit vieler Mühe auf Leimruthen ges
fangen wird. Der ſonſt ſchwarze Vogel liefert bloß zwei gelbe
Federn unter dem Flügel, fo daß unzählbare zur Verfertigung
eines Mantels gehören. Uebrigens giebt es derem nicht bloß
einen, fondern mehrere; diefelben find gewöhnlich 4 Fu lang
und unten 12 Fuß breit uud werben auf 50,000 Dollars
geichägt (micht eine Million Francs). In der ethnograpbiichen
Abtheilung des Berliner Diufeums befindet fich ein ſehr jchör
ned Exemplar; bei einem Brande des Haufes der Prinzeſſin
Luka in Honolulu im vergangenen Jahre wurden mehrere
serftört, ein anderer wurde beim Tode des Königs Lunalilo
auf Befehl deſſen Baterd zum Leidweien der Hamatier ala
Umbüllung der Leiche mit in den Sarg gelegt; dem für den
Thron benutzten wird König Kalakaua nüchſtes Jahr zur
111
Bhiladelphia:-Ansitellung jchiden. Heute werden, der großen
Mühe und des Zeitanfwandes wegen, Feine mehr gemacht
auch fehlen die Vögel und die geſchidten Arbeiter.
©. 52. Der Wahliprud; des Königreichs Hawaii lautet
(itatt des angegebenen): „Ua mau fe ea o fa aina fa pono!*
(Mechtlichkeit it das Leben des Landes!)
S. 65, Erft im Jahre 1810 (micht 1789) wurde die ganze
Gruppe unter Kamehameha vereinigt.
©. 68. Der Name Honoruru wird nie für die Haupt:
ftadt gebraudıt.
©. 65. Das Grabmal Kamehameha's, das ald „das
Allerbeiligfte und deffen Tabu (anf Hawaiiſch eigentlich Kapu)
als unverlchlich* beichricben wird, lag in Keilug dicht vor
meinem Hauſe. Es ift nur noch ein zerfallener Steinhaufe
und wird mar moch als jolcher angejehen.
& S. 08, Der zweite Kamehameha hieß Liholiho, micht
iolio.
S. 69. Aſyle, Zufluchtsftätten hiefen Puuhonuas. Das-
jenige von Honaunan, deffen Mauern noch volllommen er:
halten find, war auf allen Seiten eingefchloffen, fo daß der
Flüchtling über die Mauer ind Innere gelangen mußte.
©. 70, Das Bali ift 6 engliſche Meilen von Honolulu;
den Abjticg bildet jett ein breiter Fahrweg, — Der Malo
ift fein „Lurzes Beinlleid', fondern ein fchmaler, 3 Narbe
langer Galicofteeifen, der um die Hüften gebunden, aber auch
jegt nur beim Schwimmen und Fiſchfang benutzt wird. —
Das Wort „Aloha“ (eine Achtungsbezengung) ift allge:
meiner Gruß und bedeutet ‚Liebe“. Ich liche Dich!"
©. 83. Die Befchreibung des Brettſchwimmens ift un-
verftänblich. Der Kanaka fchwimmt mit feinem Brett ins
Meer hinaus, bis er die Stelle erreicht, wo die Brandung
anfängt. Danı wirft er fich mit dem Brett auf die gerade
überftiirzende Welle und kommt pfeilfchnell auf dem Rücken
derſelben, von feinem Brett getragen, ans Ufer gefchojien.
S. 34. Die Jagd auf verwildertes Rindvieh wird wohl
taum als „Lieblingsiport” getrieben, jondern ihrer Deühfelig:
keiten und Gefahren wegen wirb ihr bloß von profeffionellen
Bullodshooters der Hänte wegen gehuldigt. — Das Biligras,
aus dem die Hütten geflochten werben, iſt faft ausgeſtorben und
ſehr felten. — Wilde Hunde leben auf Hawaii nur auf dem
öden Gipfel des Manna Ken und greifen nur wildes Vich
oder einander an; auf Dahn giebt es feine mehr.
S. 55. Die Ueberfahrt von Honolulu nach Kauai mit
dem Boftdampfer ift angenehm und dauert nur eine Nacht,
©. 857. Die Ungaben über die Bulcane find falſch. Der
höchſte ift der Maung Kea, neueften Vermeſſungen nach 18,805
Fuß hoch. Derfelbe ift amögeftorben. Der Krater Mokua—
weoweo auf dem Gipfel des Mauma Loa ift jeit Januar
1873 in Thätigkeit. Der Kilauen ift fein felbjtändiger
Bulcan, fondern bildet einen Nebenfrater auf dem Süd»
oftabhange des Mauna Loa, 3970 Fuß über dem Meere.
Der Berg auf der Weit: (nicht Norb:) Seite heißt Hualalai,
aljo weder Hurarari noch Hualafi. — Da der Kilauea bloß
29 engliſche Meilen von Hilo entfernt liegt, iſt es merlwür—
dig, baf Herr v. Variguy 13 Stunden lang untertvegs war,
Die Beamten-Arnee in Wafbington.
William Hoynes von La Croſſe, Wisconfin, berichtet
an ben „Republican and Leader", daß die Anzabl der
Regiernngsangeftellten in Wafhington auf 15,000 bis 16,000
Perſonen geſchätzt würde, darunter etwa 5000 Frauenzims
mer und 3000 Meger. Die Frauenmwirtbichaft ſei nicht
mehr in dem Maße unanftändig wie früber, aber es fei
immer noch Vieles faul, Der geringite Gehalt für einen
Clerk betrage 1200 Dollars, aber viele derfelben brädhten
ihren Gehalt auf 5000 bis 7000 Dollare. Dafür hätten
diejelben nur 6 Stunden des Tages zu arbeiten, von Mor:
gens 9 Uhr bis Nachmittagg 3 Uhr. Diele Leichtigkeit
der Urbeiten umb der angenehme Gehalt brächte ſtets eine
Armee von Aemterfuchern nach der Regierungsftadt, und es
112
wäre ein beftändiges Intriguiren und Drängen nad den
Stellen von unten nach oben. Es fer dieſes ein Skandal für
das Fand und eine Schande für die Nepublif, Um bemfelben
abzubelfen, hätte der Congreß die Gehalte aller Beamten
ſchon längit um die Hälfte reduciren jollen. Im Dienjte der
Regierung ftänden gegenwärtig ebenfalls nicht weniger als
5000 Spione, weldye im Antereffe des Schafamtes und im
Zollamt verwendet würden. Herr Hoynes beflagt ebenfalls
das Unvepublifanifche und Degradirende eines ſolchen Dien-
ftes, obwohl er die Nothwendigkeit der Sache noch zugiebt.
— Die beiden deutichen Naturforiher Wilbelm Reiß
und Alphons Stübel, welche fich ſchon feit Jahren der
Erforihung des Nordweſtens von Südamerika, der Republi-
fen Eoluntbia, Ecuador und Bern widmen, find jetzt auf den
Umazonenftrom nach Brafilien binabgefahren, um fich bem
Süden des Continents zuzumenden. .
— Die bolivianiſche Regierung bat einem Mr. Daniel
Moadhman auf 50 Jahre eine Gonceffion für Ganalifirung
und Beichiffung des Desaguadero ertheilt. Die dazu nö:
thigen Arbeiten müſſen in fech® Jahren vollendet fein. Da
dieler Strom, welcher aus dem Titicacafee in einem 35 deutiche
Meilen langen Laufe in die Laguna de Aullagas jich ergieft,
bei langſamer Strömung eine beträchtliche Tiefe befist, fo
Icheint das Unternehmen leicht ausführbar zu fein. Es würde
dadurch das große, abflußlofe Desaguadero-Becken eine leichte
Verbindung mit dem Ocean gewinnen, da vorn dem Hafen
Puno am norbweftlichen Geſtade des Titicacafees ſchon feit
Jahr und Tag die Eiſenbahn über Aregquipa nad der Küfte
des Stillen Dceans binabführt, Puno felbft aber dann bequem
zu Waſſer erreicht werden könnte.
— Bei Ehillan im der chileniſchen Provinz Nuble ift
eine ungemein ergrebige Kupferader gefunden worden; Pro—
ben ergaben 90 Brocent des fchönften Kupfers, das die Re—
publit aufzuweiſen bat.
— Amerikaniſchen ftatiftifchen Berichten zufolge leben in
den Vereinigten Staaten erchufive Alaska noch 278,963 In—
dianer, eine Zabl, welche auf wirklicher Zählung beruht, und
welche nur 9 entfernte Stämme mit etwa 50,000 Seelen nicht
in fich begreift. 42,000 männliche Indianer, faft alles Fa—
milienbäupter,, leben jett vom Ertrage ihrer Mrbeit. 19,902
Familien find civilifirt und wohnen in Häuſern, während
vor fünf Jahren nur 10,320 ſeühaft waren. Much die Indianer:
friege nehmen laugſam ab; nur mit den Cheyennes und Co:
manchen fanden im legten Jahre feindliche Zufammenftöße ftatt,
Statiſtiſcher Atlas Galiziend, Lodomeriens und
des Großherzogthums Krakau. (Atlas statystyczuy
Krolestwa Galieyi i Lodomeryi z wielkiem Keiestwem
Krakowskiem.)
Unter diefem Titel ift bei Stauropigansfi in Lem:
berg im ſechs Blättern eine ftatiftiiche Darftellung Galiziens
erfchienen, welche die Vertheilung der Bevölkerung, die Dich:
tigkeit der Unftedelungen im den einzelnen Gegenden, die Ber:
theilung nad) Nationalität, Religion und Geſchlecht darftellt,
Karte I. verfinnlicht die Dichtigkeit der Bevöllerung, und
ba finden wir, daß nach Abzug der Hauptftädte Lemberg,
Sirafau und Tarnowo der Kreis von Wieliczka, wo das
berühmte Salzwerl einer großen Menſchenmenge lohnende
Belchäftigung bietet, am dichteften bevölkert ift, denn es kom:
men bier anf die Duddratmeile 7444 Bewohner. Eben fo
dicht bevölkert ift der Kreis von Bochnia, wo die gleichen
Urjachen auch gleiche Wirkungen hervorgerufen haben, denn
auch Bochnien ift durch feine Salzgruben berühmt. Neben
diefen beiden Streifen fpielt der Kreis Binla eine hervorra-
gende Rolle, deun im ihm blühen vorzitglich Induſtrie, Han:
del und Gewerbe, welche hauptfählich von Dentichen gehegt
Aus allen Exrdtheilen.
und gepflegt werben. Der Ipärlichft bevölkerte Kreis ift der
vor Nadworna und Koſſow, im füdöftlichen Zipfel des
Landes, Dem Dichtigkeitöverbältuifle der Bewohner eutipricht
auch die Dichtigkeit der Anfiedelungen (Blatt IL). Wieder
finden wir im den Streifen Wieliczfa und Bochnia über
100 Anfiedelungen, im Kreiſe Biala bis 100 Anfiedelungen
auf 10 öfterreichifchen Onadratmeilen, während wiederum in
den Kreifen Nadworna und Koſſow nur bis 10 Anſiede—
lungen auf der gleichen Fläche getroffen werben.
Ganz diejem Verhältniſſe entſprechend iſt auch die et hno—
grapbiiche Vertheilung der Bewohner (Blatt III, IV,
und V.). Während im weftlichen und norbweitlichen Theile
des Landes der polniſche Stamm 32 bit 98 Proc. der
Bewohnerzahl ausmacht, bilden die Nutbenen im Süden
und Süboften (und im reife von Jaworowo, aljo nahezu im
der Mitte des Landes) eine commpacte Maffe von mehr ald
75 Proc. der Gefammtbewohner; die Juden aber bewohnen
bauptjächlich die öftlichen und norböftlichen Kreiſe, wo fie ein
Eontingent von 21 bi& 13 Proc, der Einwohnerzahl bilden.
Doch Haben fie vorgejhobene Enclaven in Kollomvyia,
Drobobycz und Tarnowo, wo fie chenfalls bis 21 Proc,
der Gefammtberwohner ausmachen. In einem großen Theile
des Landes beträgt ihre Anzahl nicht volle 5 Proc. der Ber
wohnerzahl.
Ein intereffantes Bild bietet das Blatt VI; es ftellt
die Bertheilung der Geſchlechter dar. Es zeigt uns,
daß im den Kreilen Biala, Byrice, Wadowice und
Myslenice, alſo in dem reifen, im welchen die Induftrie
am blühendften ift, auch das weibliche Gelchlecht überwiegt ;
denn dort kommen auf je 1000 Männer 1101 bis 1082
Frauen, während in dem meiften Sid- und Süboftkreifen
nicht ganz 97 Frauen auf 1000 Männer fommen. Im gro:
sen Durchicmitte ift die Zahl der Frauen in Weitgalizien
größer als die der Männer, während in Oftgalizien das Ver:
hältniß ein umgekehrtes iſt.
In Bezug auf das Glaubensbekeuntniß zeigt und
der dem Atlaſſe beigefügte ftatiftiiche Nachweis, daß der Kreis
Krakau von 97 Proc. römischer Katholiken und 3 Proc. Juden
die Stadt Krakau von 65 Proc. der erjteren und 34 Proc.
der letsteren) bewohnt it. Die wenigften Juden wohnen in
den Kreifen Zywiec, 1 Proc. neben 98 Proc, römischer
Katholiten, Mysleniec und Nowptarg, 2 Proc. neben
98 Proc, römischer Katholiken. Im Kreiſe Bohorodizany
finden wir 83 Proc. griechiſcher Katholiken, während in 17
Kreifen des Landes, das im Ganzen in 74 Kreiſe getheilt
ift, kein griechifch-Tathofifcher Bewohner lebt.
Als einen Maugel der vor ung liegenden Arbeit müffen
wir bezeichnen, daß in ihr die Ehriften evangelifchen Befennt-
niſſes nicht beritdjichtigt find, trotzdem deren bekanntlich vedht
viele in Balizien leben. Man, muß, um annähernd den Pro—
centfag, welchen fie bilden, zu finden, zum Addiren und Sub:
trahiren jeine Zuflucht nehmen; 3 B. im Kreife Biala leben
91 Proc, römisch-katholiicher und 5 Proc. jüdischer Bewohner,
zuſammen 96 Broc., und da in diefem Kreiſe gar feine gric:
chiſche Katholilen wohnen, jo muß der Reit von 4 Proc. auf
die evangelifchen Bewohner entfallen. Durch eine gleiche
Operation finden wir in Lemberg 3 Proc., in Kralau nur
1 Proc. Evangeliicher, während im Rzeszower und Kralauer
Landkreiſe gar Feine Ichen.
Ebenſo vermiffen wir im dieſer Arbeit Aufſchluß über
die Belchäftigung der Bewohner; wir fuchen vergebens nach
den Gegenden, im welchen der Ackerbau vorherrſcht und in
denen die Induſtrie überwiegt. Diele Angaben ſcheinen uns
bei grapbiichen Darftellungen der Statiftif eben fo mic
tig eg die Darftellung der Nationalität, des Belcuntnif-
fes u. ſ. w.
Inbalt: Rebatel's und Tiraut's Reife in der Negentfchaft Tunis, IT. (Mit vier Abbildungen.) — 9. v. Lan:
fenan: Stremondorw’s Reife nach Buchara. II. — Aus den Verhandlungen der Varifer Anthropologiſchen Geſellſchaft.
11. (Schluß) — Albin Kohn: Die Ruinen der alten Städte Meſched und Mefterion. — Aus Nordamerifa. I. — Dr. med.
Georg Thiele: Skizzen aus Chile, VII. — Aus allen Erdtbeilen: Aus Nenfeeland. — Aus Hawaii. — Die Beamten:
Armee in Waſhington. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 22, Januar 1876.)
Nebarteur: Dr. 0. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftraße 13, II Tr.
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig.
” f er .
Phlera: dh
Band XXIX.
ER, N 2
= E35
Mit befonderer Berüchfichtigung
der Anthropologie und &thnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künſtlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunſchweig
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Bf.
1876.
Nebatel’3 und Tirant's Reife in der Negentfchaft Tunis.
II.
Niemand fol den ganzen Süden von Tunis bejfer kennen
und bejfer dort gekannt fein, als Herr Mattei, franzöftfcher
Confularagent und zugleid, Vertreter des oben erwähnten
Parifer Hauſes Colombel. Im ande geboren, mit feiner
Sprache und feinen Gebräuchen wohlbefannt, hat er bort
einen großen Einfluß, felbft bei den nomadifirenden Stämmen
der Banu Sayd und der Urgamma. Sein Name ift von
Farafrah in der Libyſchen Wüfte bis zu den Dafen Alge—
tiens wohlbefannt ; ja jelbft in Maroffo fol man ihn hören.
Nichts konnte darum unferen beiden Votanifern erwünſchter
fein, als daß ſich Mattei ihnen zum Neifebegleiter nach Gaffa
anbot, einer Dafe etwa 250 bis 300 Kilometer weſtlich von
Sfales, und die Karawane organifirte. Bon nun an war
es nicht mehr möglich, wie bisher, im Wagen zu reifen;
Pferde für die Perfonen, Kameele fiir das Gepäd traten an
feine Stelle.
Am 21. März wurde die Weiterreife angetreten, welche
zunächft faft zwei Tage lang in jübweftlicher Richtung unfern
vom Meeresftrande entlang führte. Nachdem die fruchtbare
Zone der Gärten durcjritten war, begann die öde Sandwüſte
mit einzelnen Fleclen von Vegetation, weldye ſahariſchen Cha-
raller hat und aus einer Heinen Zahl von Species einjäh-
tiger Pflanzen bei einer gewaltigen Zahl von Exemplaren
beiteht, fo daß nach und mad) bei weiterm Bordringen andere
Arten überwiegen,
Der Erdboden ift wie ein Sieb von den Löchern ber
ſchlauen, ſcheuen Springmäufe durchlöchert, was für die Pferde
äußerjt läftig if.
Slobus XXIX. Nr. 8,
Um 4 Uhr —— wurde das erſte menſchliche Ob⸗
dach, das elende Dorf El-Mahares, erreicht und dabei
im Zelte übernachtet. Andern Tages ging es friihzeitig wei-
ter, weil der nächſte Lagerplat, Sidi⸗Mahedeb, nicht we:
niger als 75 Kilometer entfernt war. Das Yand blieb jo
öde wie zuvor, faum daß ſich hier und da ein paar ſchwer
zu bejcjleihender Trappen zeigten. Etwa halbwegs beim
Bir⸗el⸗ Kelba (Hundsbrunnen) famen ihnen einige Reiter ent⸗
gegen, bie von dem augenblidlichen Aufenthalte befreundeter
Beduinen zu berichten wußten — das war das ganze Leben,
was bie Keifenden ben Tag über zu fehen befamen. Der
Stamm ber Mahedeba, bei weldem fie übernachteten, ift ein
friedfertiger und dankt feinen Urfprung (er zählt 6600 Ser
fen) einem einzigen Heiligen, ift alfo deumad) von Adel und
im ganzen Lande hoch angefehen, jo hoch, daß ihm die Re:
gierung feine Steuern abnimmt, fondern nur verlangt, daß
er die aus bem Dattellande Dfcherid nach Sfafes ziehenden
Karamwanen gut aufnimmt und unterftügt, Und dieſer Pflicht
fommen die Mahebeba in herzlicyer Weife nad), auch deu
Freinden gegenliber, welche fofort nach ihrer Ankunft in Sidi
Mahedeb Gelegenheit fanden, ihre ärztliche Kunft am einem
von ber geflicchteten Hornviper gebiffenen jungen Weibe mit
Erfolg audzulben. Daß die Kunde von diefer Heilung ihnen
überall voraneilte umd ihnen von nun an alle Kranken,
Menfhen und Thiere, zuführte, ift felbftverfländlid. Ein
Tag wurde bei den bdanfbaren Mahedeba mit Heinen Auss
flugen, mit Sammeln von Pflanzen und Thieren und mit
der Jagd auf wilde Tauben, Hafen und Rebhlihner verbracht;
15
114
dann ging es in nordweſtlicher Richtung weiter auf den üher
1000 Meter hohen Berg Bu-Hedma los, erſt Über ödes,
nur von Gazellen belebtes Yand, dann durd; die Sebcha
Nail hindurch. Sebcha heißen dort zu Yande Niederungen,
weldye im Winter unter Wafler ftehen; Scott find aus:
getrodnete Salzjeen, Dhäya oder Gera'a ausgetroduete Süß»
wafferbaffins, Gerara oder Geryir Bodenfenkungen, in die
ſich ein Wadi verliert. Die Beicaffenheit der Oberfläche
wechſelt im diefen Niederungen vom feinften, beweglichſten
Sande bis zum weichen oder harten Schlamm, auf weldem
oft Sodas oder Magnefia-Efflorescenzen aufliegen,. Wenn
man auch die Entfichung der großen Sebchas weiter im Sit
den , weldye unter dem Spiegel des Mittelländifchen Meeres
liegen, durch die Annahme ehemaliger Binnenmeere erklärt,
fo ift die® doch für die Sebcha Nail unnöthig, weil die Gieß⸗
bädye des Bu⸗Hedma, welche zeitweilig die Sebcha erreichen,
über fteinfalzhaltigen Boden fließen. Zudem findet ſich auch
im ihr nicht die Spur einer Seemuſchel, welche auf ein ein«
ftiges Meer fchließen ließe, und ihre Oberfläche erreicht eine
Höhe von 78 Meter Über dem Spiegel des Mittelmceres.
Rebatel's umd Tiran!’S Reife in der Regentſchaft Tunis.
1!/, Stunden dauerte der Marfch Über ihren weichen Bo-
ben; einige Stunden fpäter zeigte ſich der erſte der geſuchten
Gummibäume An einem Gießbache bei römifchen Trlim«
mern wurde Halt gemacht und die botaniſche Unterfuchung
begonnen, als deren Refultat ſich ſpäter herausftellte, daß der
Gummibaum des Thales Talah die Acacia Sayal ift, welche
fid) von denen Arabiend wie de8 Senegal unterfcheidet, Das
Thal Talah zieht ſich wohl 30 Kilometer weit am Fuße des
Bu⸗Hedma hin; aber die Bäume ſtehen fo weit von einan:
der, da ihre Geſammtzahl zwar vielleicht 40,000 Stüd
erreicht, von einem eigentlichen Walde aber Feine Rede fein
kann. Eben fo ſchlecht ſteht es mit der Ausbeutung diefer
nüglicen Pflanze: die Nomaden bemugen ihr Holz zur
Feuerung, das ausgeſchwitzte Harz wird von den Regengliflen
und den Thieren zerftört. Der Gebirgsftot des Bu⸗Hedma
nimmt den Kern des unbelannteften Theiles von Tunis ein, der
bis dahin nod) mie befucht worden ift, weil ihn rings Wüften
umgeben, in denen die faft ſtets in Kebellion begriffenen Ha:
mama (im Norden) und die Banu Sayd (im Süden) ſich
herumtreiben. Im Weften von Gafja, im Often vom Wed
el⸗Lebu, dev bei dem oben erwähnten Hundebrunnen ing Meer
fällt, begrenzt, erreicht er in feinen höchſten Spigen ca. 1300
Meter Höhe. In enger Schlucht durchbricht ein ftark falziger
Vadı die Felfen und verliert ſich in der Sebcha Nail. Es paßt
teefflich zu der Wildheit der ganzen Scenerie, daß ſich dort im
den verftechteften Winkeln noch Refte vorfinden von den Hlit:
ten und den Arbeiten von Maroffanern, die daſelbſt nad)
dem Stein der Weifen gefucht haben. Auch einige anſchei—
nend nicht tiefe Höhlen zeigten ſich dort, weldye näher zu
unterfuchen den Reiſenden die Zeit fehlte. Bald wird das
Thal weiter, ein ſchilſbewachſener, nur von Wildſchweinen
bewohnter Sumpf nimmt feine Breite ein. Ein Anftieg von
drei Stunden bringt fie zu altrömifchen Bergwerksichachten
und einem großen Scladenhaufen: die Alten gruben hier
auf Gold, wie der Mineningenieur Fuchs, der bald nachher
mit Herrn Mattei den Bu-Hedma befuchte, nachgewieſen hat.
Auch noch andere Spuren haben die einftigen Herren der
Welt hier in Geftalt von Thermenüberreften zurüidgelaffen.
Die Stelle war und ift mod, heute vortrefflidy zu YBadean-
lagen geeignet, weil auf einem Raume von 20 bie 30
t
v
Quadratueter hier drei verjchiedene Mlineralquellen empor:
fteigen, eine eifenhaltige, eine ſchwefelige und eine falzige.
Alle drei vereinigen fich fofort zu einem Bächlein mit ſehr
unangenehm ſchmeckendem Waſſer.
Bon dort kehrten Rebatel und Tirant am ben Ausgang
der Schlucht zurlid und durchzogen das Thal Talah in feiner
ganzen Fänge. Daſſelbe zieht ſich längs bes Bergftodes des
Bu⸗Hedma nad) Weſtſüdweſten hin und erhebt fich dabei von
circa 100 Meter Höhe, weldye es am Ausgange jener Schlucht
mißt, bis zu 186 Meter. Gegen Abend, als fid) der Zug
einigen‘ Duars oder Zeltlagern der Nomaden näherte und
eben ein trodenes Wadi (hier Wed genannt) mit den legten
der Sayal-Afazien durchritt, erhoben ſich plöglich am Hori⸗
zonte Staubwollen. Sofort befahl der Mahedeba-Flihrer
u halten und jagte allein voraus, um zu jehen, was es gäbe.
Die Sache erklärte fic) folgendermaßen. Das Web, weiches
die Karawane eben durchſchritten, bildet einen Einfchnitt in
den Bergen und wird darum von den mächtigen Hamauia
benutzt, ungefehen ſich an die Herden der Ninifcha heran
zuſchleichen und dieſelben plötzlich zu überfallen. Für
Rebatel's und Zirant's Reiſe in der Regentſchaft Tunis, 115
eine ſolche Razzia war die franzöfifche Karawane gehalten | nördlich von jenen bis gegen Kerwan, die Hafen zwiſchen
worden und fofort hatten die Hirten jene Staubwolfen auf: | EidirMahedeb (f. oben) und Babes, die Medfchar und Fara-
gerwirbelt, welche den Beni · Amram oben auf den Bergen, den
ſchnellſten Läufern und geſchickteſten Schügen in der ganzen |
Regentfchaft, das verabredete Eignal gaben. Es dauerte
nicht lange, fo eilten diefelben aud) von allen Seiten im Yauf-
fchritte herbei, dem fie über 10 Kilometer weit fortfegen kön:
nen, ohne zu ermüden oder in Schweiß zu gerathen.
Beni-Amram fofort zu ihren
verlaffenen und ſchutzloſen
Duars zurüdfehrten, ein bes
redtes Zeichen für bie borti-
gen Zuftände, Beim Wei-
termarjche ftieß die Karawane
zuerft auf die Schäfer, welche
bas Allarmzeichen gegeben hat:
ten; bie armen Schluder hat⸗
ten ihr einziges und befted Ya .
ſitzthum, ihre Deden, raſch im
Sande vergraben, um fie den
Feinden zuverbergen. Weiter-
hin hatte fich der ganze Stammı
der Ararſcha in Schlachtord⸗
nung aufgejtellt, die Reiter in
der Mitte und zu beiden Sei⸗
ten hinter jedem Baume und
jeder natürlichen Dedung das
Fußvolk. Plötzlich jagten die
Neiter auf ihren herrlichen
Säulen heran und jchoffen als
Zeichen der Freuudſchaft ihre
elenden Gewehre nach der
Erde hin ab. Dann umdräng⸗
ten fie alleden ihnen wohlbe-
fannten Herrn Mattei umd
begrüßten ihn herzlich. Der
E:treit, welcher fid) jofort unter
den drei Häuptlingen darum
erhob, in weſſen Duar die
Arfömmlinge lagern follten,
wurde zu Aller Zufriedenheit
dahin entſchieden, daß ich
dieſelben genau in der Mitte
zwiſchen den drei Zeltlagern
ihr Nachtquartier bereiteten.
Die tuneſiſchen Nomaden
zerfallen im zwei große Hälf:
ten, die unabhängigen Va-
ſchia, durd; die Bamı-Sayd
(oder Syd) repräfentirt, und
die Regierungspartei der Ah—
finia, deren Hauptvertreter
die Hamama find *), An dieje
beiden Haupftänme jchließen
fidy die anderen je nadı Stim-
mung und augenblicklichem Intereſſe an, fo an die Banır-Zayd |
die Methalyt um el⸗Dſchem und Sfates, die Zfuafiil Sſawaſſa)
*) Wir müſſen hierbei wieder auf Malgan verweiſen, welcher
in Anbang I. feines gmeiten Bantes nach den beiten Tiuellen un
eigenen Grmittelungen eine übersichtliche Statiit ven Tunis, feinen |
Städten und feinen Nomaden grgchen bat, Auf S. 417 bie #25
fine ſammiliche Nomatenftimme mit übren Interabesbeilungen, Yayer:
plägen, ber annähernden Seelengabl uud den Namen ihrer Gheft
Afür Das Jahr 186%) aufgefuührt. Wefontern Werth erhält Dice
Line dadutch. daß auch Dr, Nachtigal gu ihren Queſlen achört,
Zum |
Glucke —— ſich beide Parteien raſch, worauf die
Nomadenweib mit ihrem Kinde
ſchiſch nördlich von den Hamama bis an die algieriſche Grenze.
Ihnen ſtehen auf Seite der Hamama gegenliber die Dſchelaß
im Centrum des Yandes fdöftlih von Kerwan, 28,000
Seelen ftarl, die Urgamma im äußerften Cliden, etwa 25,000
Menſchen zählend, und einer der kriegeriſchſten und mächtig
ften Stämme des Yanbes, die Atara bei Dſchandſchiß, und
die Neſat. Ebenfo hält in einzelnen Städten und Diftric-
ten, wie in Gabes, im Dfcherid
und Sahel, die eine Partei zu
den Hamama, bie andere zu
den Banu⸗Sayd.
Falſch wäre e8, zu glauben,
daß die jogenannteXegierungs-
partei nun auch wirklich den
Bey immer anerfennt. Die
Regierung unterftligt nur mit
ihrem Namen die Hamama,
um vor den Banı » Sand
Ruhe zu haben und beide zu
befchäftigen. Verlangt fie aber
Steuern, jo weigern fich def-
fen die einen wie die anderen,
Die ein Blid auf die
Karte lehrt, wohnen die feind-
lichen Stämme in einem ziem⸗
lichen Durcheinander, was die
ewigen Razzias und Lieber:
fälle fehr beglinftigt. 5 bie
50 Neiter bei Heinen, 200
bis 250 bei großen Unter:
nchmungen ſchleichen ſich an
ben feindlichen Duar heran
und fuchen demſelben das Vieh
fortzutreiben ; nicht felten ent⸗
fernen fie fich dabei 150 bis
200 Kilometer von ihrem
Gebiete. Die Ueberrafhung
und Schnelligkeit nacht dabei
Alles; Häufig genug werben
aber die Küuber von den
Vejchädigten eingeholt und
der Kampf beginnt, ber troß
der ſchlechten Waffen fo mans
ches Opfer fordert. Bei gro-
Ben Ueberfällen bleiben oft
200 und mehr am ‘Plage.
Darum legt jeder Bebuine,
der auf ſolche Streiferei aus-
zieht, cine Unterhofe an, daß
im fchlimmften alle fein
Yeichnam nicht völlig nadt in
der Wilfte liegen bleibt.
Geht einem Stamme dabei
Vieh verloren, fo merkt er
ſich die Zahl der Hammel und Kamecle genau; er erhält ja
Erſatz dafitr, fo wie er ſelbſt oder jeine Verbündeten den
Näubern oder deren freunden Gleiches mit Gleichem ver«
welchett vor feinen epochemachenden Reifen lange Zeit ala Atzt in
Tunis lebte und die Negierungsteuppen auf ihren Zugen gegen die
Au ſtãnt iſchen bealeitste. Zu bemerken if, daß Dort Die Hamama
ne ihren Rebenſtammen, jufammen im einer Stärke von 0,000
Zerlen, ala „Faft immer in Mebrllion begriffen“, von Dr. Nebatel
une Firant aber als „Neaierungspartei* bezeichnet werden. Dieſer
Widerspruch wirt von lebleren dech nur theilweife erklärt.
15 *
116 Rebatel's und Tirant’s Reife in der Regentichaft Tunis.
Tuneſiſche Nomaden.
Rebatel's und Tirant's Reife in der Negentichaft Tunis.
gelten. An Grund zu Repreſſalien und ar Gelegenheit zum
Pulververfnallen, dem Hauptvergnügen der Bebuinen, fehlt
es alfo nie.
Bon den Duars der Araſſcha fteigt das Thal bis zu 414
Meter an; dort ſcheidet ein Paß das Bafjin von Talah
117
und ber Sebcha Nail von demjenigen, welches bie Dafen
El-Gettar und Gaffa umſchließt. Zwei Stunden ging
es teil nach ber erftern (222 Meter) hinab, El⸗Gettar
(der Nanıe bedeutet „Brunnen, welde durch Siderwafler
gefpeift werben“) hat, wie alle Dafendörfer, eine doppelte und
El Gettar.
dreifache, aber theilweife eingeftürgte Erdumwallung und zum
Seine Quellen
find unterirdiſch; primitive, von Kameelen in Bewegung
geſetzte Maſchinen fchaffen das zur Bewäflerung nöthige Naß
größten Theile elende, zerfallene Häufer.
auf die Oberfläde. Der dortige Palmenhain nimmt einen
Raum von circa 3 Kilometer Länge und 500 Meter
Breite ein.
Ueber dem Orte erheben ſich die fenkrechten Felswände
Der Dſchebel Arbet,
bes Dſchebel Arbet bis zu 1100 Meter Höhe, deifen Ve:
fleigung (natürlich durch eine Seitenſchlucht) die Franzoſen
auszuführen beſchloſſen, fo viel auch die Einwohner bes Ortes
und felbft ihr Chalyſa (VBorftcher) davon abredeten und bie
Ungugänglichteit der Bergfpige behaupteten, Ohne namhafte
Schwierigleiten erreichten fie in drei Stunden den Gipfel,
beftimmten mittelft des Barometers feine Höhe und erfrenten
fic) dann der prächtigen Ausſicht. Im Oſten ficht man bie
Hitgel bei Gabes, weiterhin die Höhen im Zripolitanifchen,
im Süden den jalzigen, ſchimmernden Schott Faraun, den
118
Capitän Roudaire und Herr von Leſſeps mohl niemals, wie
fie beabfichtigten, in ein Binnennteer verwandeln werden,
und den walbbededten, wildreichen Dichebelsel-Berda, gegen
H. v. Lankenau: Stremouchow's Reife nach Buchara.
Norden den Hauptgipfel des Arbet ſelbſt, der vom Gettar
aus nicht ſichtbar ift, die Berge von Kerwan und von Tebefia
im Algerien und tief unter fich den Palmenhain von Gaffa.
Stremouchow's Reife nah Budara.
Nach dem Tagebuch des Neijenden aus dem Ruſſiſchen bearbeitet
von H. v. Ranfenau.
IY;
Was die Vevölferung Bucharas betrifft, jo zerfällt diefe
in drei fcharf von einander geſchiedene Völlerſchaſten: die
Usbelen, die Tadſchils und die Dſchuguten (Duden).
Die Uöbelen, rein türkifcher Abkunft, find, obwohl ber
herrſchende Stamm, arm und
ftehen meist auf einer ſehr
niedern Stufe geifliger Ent
widelung und weit hinter, den
fchlauen und gewandten Tad
ſchils zurück; nichtödeftoweniger
verdienen ſie den Vorzug vor
jenen, da fie gutmäthig, oſfen
herzig und ehrlich find. Sie
leben alle in feften Anſiede—
lungen und beſchäftigen ſich mit
der Landwirthſchaft; nur we
nige treiben Handel.
Die Tadſchils bilden ben
bei weiten zahlreichjten Theil
der Bevölterung. Im höchſten
Grade bemoralifirt, ſcheuen ic
vor feiner Wahl der Mittel
zurlid, um nur zu ihrem Ziel
zu gelangen; fo gelten Befte-
dung, Betrug, Spionirweſen
und Denunciation bei ihnen fikt
erlaubt. Berwandiſchaft, Ehre,
Patriotismus, ja felbft Reli—
gion find ihnen Nebenfachen ;
ihre Haupiſache allein ift, ſich
Keichthüimer, auf welche Weife
es auch fei, zu erwerben und
Kang und Würden zu erjchlei-
chen, um ihre Untergebenen bes
driiden und fie fo viel als ir
gend möglich ausſaugen zu können (wohlverfianden rede
ich hier nur von den Tadſchils in Budara).
Die verächtlichften und bedrückteſten von allen find jedoch
die Dſchuguten (Duden). Sie leben nur in den Städten,
befigen nicht die geringften bürgerlichen Rechte, find fogar
an eine gewiſſe Tracht gebunden, dürfen nicht reiten, weder
einen Turban noch helle Farben tragen, fondern nur dunfel-
farbige Chalate anlegen, die mit einem Heinen Tuch ober
einem Strick als Gurtel zugehalten werden, während ein
Kleines Käppden aus dunfelfarbigen Tuch ihren Kopf be
deddt. Einen Dſchuguten zu verhöhnen, zu beleidigen ailt
für feine Sünde, Und trog alledem ertragen dieje Juden,
jo vielen ihrer Glaubensgenoſſen darin ähnlich, geduldig
allca Unrecht, verbeugen ſich Triechend vor ihren anderen
Inder in
Pandsleuten und — bleiben dem Glauben ihrer Bäter tren!
Sie harren ergeben auf beflere Tage, Ihre ganze Hoff ⸗
nung ift auf die Cinverleibung Budjaras in Rußland ge:
richtet, die, wie fie feſt überzeugt find, früher oder fpäter
geſchehen wird, Ueberall wo
nur in entralafien die Rufr
jen Befig ergriffen haben, er:
ſcheinen auch fogleid die Duden
in großer Anzahl. Lie be
ichäftigen ſich hier zu Yande
mit dent Berfauf von Seiden—
ftoffen, befonders mit der Sei-
benfärberei und — mit Wucher⸗
geſchäften, worin fie Übrigens
mit ben Indiern *) ſtark con:
curriren. Auch bier, wie über:
all, ſollen fie im Befig großer
Reichthlimer fein.
Außer diefen Bölferfchaften
leben in Buchara noch Indier,
Afghanen, Perſer (meiſt Stla-
ven), Kirgiſen, Karalalpalen,
Turkmenen und Tataren, meiſt
Schliler der Medreſſes und
Flüchtlinge aus Rußland,
Eigentliche Yandbewohner
find nur die Tadſchils und die
Usbeken; die fibrigen laflen ſich
in den Städten nieder oder füh:
ven cin Nomadenleben. Da
die verſchicdenen Völterfchaften
ſtels in großer Uneinigfeit unter
einander leben, fo vermehrt dies
die hier zu Yande fchon jo gro:
fen Intriguen aller Art. Aus
der Maſſe der Bevölferung ragen zwei verjchiedene Eile:
Zurtejtan.
*) Mir geben mebenftchent das Bild cines Hintu, wie es Wer
refchagin iſ. Globus? Be. XIV, ©. 1, 17, 33) in Talent
geichnete. Ueber die Hintu in Turleſtan läßt er ſich folgenter:
mahen aus: Sie mußten vor Ankunft ber Ruſſen eben jo viel 'von
ken Herren tes Landes ausftchen als tie Nuten. Ihre Zahl iſt ger
king, um fo größet iber Ehätigfeit und ihr Wuchtt. 200 bis 300
procent find für fie mäßlae Zinien. Eo gelangen fir zu großem
Reichthum, zumal fie keinen Aufwand machen. Dhne Arau leben
fie in ten Karamanferaien, jeter in einer Meinen, dunkelen, aber
reinlichen elle, eſſen fein Fleiſch, trinten nur Waſſer und bereiten
ſich ihte Mablzeiten ſelbſt. Dabei find fie Fauatiler im ihrer Res
ligiom und jerbrechen jete Wallerpfeife, jetes Gefchire, was ein
Antersgläubiger in ibrer Wohnung berübrt bat, Auf ter Etim
tragen Diefe brongefarbigen, fchönen Leute verfchirdene Zeichen, wie
das Bild der Sonne oder dr& Feuers.
H. vd. Lanfenau: Stremouchow's Reife nach Buchara.
mente: bie Krieger (Sipaj) und die Geiſtlichkeit (Scheiti)
Hodſchi, Saidi u. ſ. w.), hervor. Befondere Vorrechte ha-
ben diefe Stände gerade nicht, da alle von dem Willen und
der augenblidlichen Yaune des Beherrſchers des Landes ab-
hängig find; jo fann man denn mit Recht behaupten, daß
es in Buchara feine Kafteneintheilung gebe.
Da den Sipajs der innere und äußere Schug des Lan⸗
des obliegt, fie auch eine Menge Aemter befleiden, fo befiten
fie ein großes Lebergewicht über den Bürger. Die Geift:
lichen wieder, welche die religiöfen Berrichtungen zu beforgen
haben, find zugleich die Träger der mujelmännijchen Gelehr⸗
ſamleit. Da jedod) diefe ſowohl ats jene nur fir ihre per—
fönlichen Intereſſen leben, fo verjehen fie ihre Aemter nur
nachläffig und obenhin, und fo geräth Heer, Berwaltung,
Religion, mit einem Worte Alles immer mehr und mehr
in Berfal. Ueberall herrſcht Stodung und Demoralifation
im fogenannten „heiligen Bucara*, dem Centrum bes
Mohammedanismus in Afien. Sollte man es glauben, daß
in der That der volllommenſte Unglaube neben grobem Fana—
tismus, der ſich freilich auch nur gegen die Frembgläubigen
ausfpricht, überall zu Tage tritt; daß die religiöfen Gere-
monien nur noch äußerlich erflillt werben, daß fpirituöfe
Getränke, jelbft Wein, Hafarbfpiele, die greuliche, unntoralische
Claſſe der Yotterbuben, der Batſchi und Weiber faft der
einzige Zeitvertreib bed Bucharen geworben find, der ſich
vormals durch ungewöhnliche Sittenftrenge auszeichnete ?
Während num fo die höhere Geſellſchaft ihre Zeit in
Ausihweifungen, Intriguen und erniebrigenden Scmeiche:
feien gegen Obere verbringt, feufzt das Volk unter einem
faft unerträglichen, despotischen Joche. Selten fpricht einer
von Muſaffar's Unterthanen Gutes von ihm; überall wird
er verwänfcht, gehaßt. Angefichts deſſen fragte ich mid)
nicht felten, wie es wohl möglich fei, daß bei ſolchen Zur
ftänden ſich diefer immer nod) auf dem Throne halte,
Theils hat wohl der ſittliche Verfall des Voltes eine
Apathie unter demfelben hervorgebracht, die alles geduldig
fiber ſich ergehen läßt, hauptſächlich aber ift der Hang zur
Intrigue, der alle Claſſen der Geſellſchaft gleichmäßig be-
herrſcht, die Urfache, daß Alles dem entſetzlichſten Despotis«
mus ruhig erträgt. Ein jeder wartet auf den Augenblid,
der auch ihn erhöhen fan; ber gemeine Mann verliert nie
die Hoffnung, ein hoher Wiirdenträger zu werden — tojtet
e8 dem Emir ja nur ein Wort, ihn dazu zu machen! Was
ſchadet es, daß er auch micht die geringitie Kenntniß von
einem Amte befigt, feine Bildung noch Erziehung genoffen,
der Wille des Herrfchers entjcheidet ja Alles! So fürchtet
ein Jeder den Andern, weder Freundſchaft noch Verwandt
ſchaft gelten, jeder erntet nur die Frucht feiner Intrigue.
Und durch diefe widerliche, unmoraliſche Politit erhält ſich
Muſaffar auf feinem Thron.
Ein Beifpiel, wie ein Buchare im Stande ift, Alles
preiszugeben, nur um fein Biel zu erreichen, ift unfer Ge—
fandter Abdul · Kadir⸗bei, der doc im Peteräburg war, über
die Einrichtung einer geordneten, europälfchen Regierung,
die er ſich erflären ließ, ganz eutzuckt fchien, der die Vor—
theile der Bildung und Civilifation in nächfter Nähe erfen«
nen fonnte, Saum nad) Budyara zurüdgetommen, entblödete
er fich nicht, dem Emir feine geliebte Tochter zu verkaufen,
mur um den Rang eines Datſcha (Generals) und fo Ein-
flug auf den Emir zu erlangen. Mir wurde nod) he
daß er auch beabfichtige, feinen jüngften Sohn dem Emir
als Batſchi zu deſſen widermatiirlichen Beluftigungen anzu=
bieten; er laffe ihm bereits verfchiedene Künſte lehren, um
ihn dazu vorzubereiten! De nun, zu glauben ift das wohl,
und ſolche u find hier durchaus nicht felten!
Der Emir, der alle diefe Dinge jehr wohl kennt, und
119
bem nicht unbefannt ift, wie wenig er im Volfe beliebt ift,
umgiebt ſich mit einer großer Leibwache, ohne die er fich mie
zeigt. Mit diefer reift er auch im Yande umher, und wehe
der Provinz, die er bejucht; fie wird von ihm und feinem
zahlreichen Gefolge geradezu gebrandſchatzt. Wer feinem
grenzenlofen Egoismus in den Weg tritt, wird vernichtet.
So ift Mufaffar durch Beraubungen, Confiscationen und
andere Einnahmen, die er ſich zu machen weiß, fehr veid)
geworden. Seine Scäte liegen in einem großen Gewölbe
feines Schlofjes, das er viermal im Jahre revidirt,
Seine Zeit verbringt Mufaffar faft ausſchließlich unter
feinen Weibern, Batſchis, Mufitanten und Maskarabaſen
(Hofnarren); nur eim geringer Theil derjelben ijt den Re—
gierungsgefchäften gewidmet. Obgleich er über taufend Wei—
ber und Kebsweiber hat, jo fcheint ihm das noch zu wenig;
bie, deren er überdrüffig, werden verfauft (auch mir bot
man vier ſolcher verabjchiedeter Weiber flir 150 Rubel eine
jede an), oder er fchenft fie, als ein Zeichen feiner befondern
Gnade, Leuten aus feiner nächſten Umgebung; fo find ja
auch der Kuſchbegi (Minifter) und deſſen Sohn mit früheren
Frauen ded Emirs verheirathet. Außerdem werden ihm
fortwährend eine Menge neuer Frauen gebracht; die wenig:
ften fauft er, meift erwirbt er fie durch Hinterlift oder Ge»
malt. Kein Inguifitionsgericht kann fid) an Grauſamleit
und Erfindungsgabe neuer Martern mit Seid-:Mufafjar:
Eddin vergleidien. Die hauptſächlichſten Strafen, die er
aufzuerlegen liebt, find: die Wanzengrube, der Brummen
und der Thurm.
Die Wanzengrube befindet ſich im Schloffe zu Bu:
chara und hat die Geſtalt einer ftehenden Flaſche, deren
Boden ſich alfo unten, der Hals oben befindet. Der Ge:
fangene wird an einem Strid in diefe mit efelem LUngezies
fer gefüllte Grube hinabgelaffen, und es ift ihm unmöglich
aus berfelben heranszufommen, Wan bringt die Unglids
lichen, die zu diefer Strafe verurtheilt werden, zweimal täg-
lid, an die Yuft, um fo ihre Qualen zu verlängern. Wäh-
vend ich im Buchara war, jaß ein junger Dann, der Sohn
eines verdienftvollen Bels, bereits ein Jahr in berjelben.
In Folge der gänzlichen Erfchöpfung feiner Kräfte und des
Blutverluftes litt er bereits an einer Gehirnerweichung und
fah feinem Ende entgegen, Der Emir beargwohnte ben
Bater des Unglüdlichen, ihm übervortheilt zu haben und ließ
deshalb dem Alten auf Vebenszeit ins Gefängnig werfen,
den ganz unfduldigen Sohn im die entfegliche Grube; ihr
Vermögen wurde natürlich von ihm eingezogen.
Der Brunnen ift 38 Fuß tief; der Boden befjelben
mit fpigen Pfählen und Yanzen überfäet, auf welde man
die Unglüdlichen von oben hinabftärzt, deren entjtellte Yeich-
name dort liegen bleiben und verweien,
Der 60 Ellen hohe runde Thurm, ber von einem Fir
gifenhäuptling vor langen Jahren erbaut worden, ift ein
mit zahlreichen, bunten Schnörfeln und Infchriften aller Art
verziertes Gebäude. Bon feinem Gipfel ſtürzt man die
Verurtheilten auf das breite Steinpflafter unten hinab; die
etwa nur Verſtümmelten — was jedoch felten vortommt,
ba die auf diefe Weife Herabgeſtürzten meift auf der Stelle
tobt find — verenden dort auf die jämmerlichſte Weije.
Die beiden erften Etrafen erleiden nur hocgeftellte Pers
fönlichfeiten ; die legtere ift fr gemeine Verbrecher.
Außer diefen eriftiren noch andere ebenfo gräßliche Stra:
fen, als: Gefängniffe ohne Licht, im denen die Gefangenen
verhungern mlffen, wenn ſich nicht mitleidige Seelen ober
Verwandte finden, die ihnen Nahrung ſchicken; Torturen
aller Urt, ald: Berjengen und Braten auf glühenden Ro—
ften, Abhauen von Händen, Füßen, Nafen und Ohren, Aus-
ftechen ber Augen, Ausreißen dev Nägel, Haare und Zungen
120
und andere Scheußlichkeiten mehr. Die einfachite Todesart
ift die des Durchſchneidens der Gurgel oder des Kopfabſchla—
gens. Für Ehcbruch ftraft man das Weib, indem man es
bis an den Gürtel in die Erde eingräbt und dan fteinigt.
Oft werden Hunderte und Taufende von Menſchen auf
einmal getödtet, jo nad) der Einnahme von Hiffar 5000
Perfonen. Obgleich in meuerer Zeit die Strafen nicht mehr
fo häufig vorlommen als vordem, jo fehlt es doch leinewegs
an einer Menge unfchuldiger Opfer, die der Paune und
Habfucht des Emirs Veben und Vermögen zum Opfer brins
gen müffen.
Sehr traurig fieht e8 in Buchara noch mit der Gerichts:
barleit aus; nur der erhält Recht, der dem Nichter am meir
ften zahlt. Cine allgemeine Kegel eines jeden Beamten iſt,
fo viel zufammenzuraffen und zu erpreflen als nur irgend
möglich, um nöthigen Walls ſich die Gunft des Stärkern,
Höhern erfaufen zu fönnen. Als gefeglicer Grund flir
Veftehung und Sportelwefen gilt der alte Gebrauch, bei
jeder Gelegenheit Geſchenle zu machen. Natürlich ift es da
wieder der Emir, dem bie meiften und reichſten Geſchenke
dargebracht werden; nur dadurch läßt ſich feine Gnade er:
werben, da er das Yand als fein Eigenthum anſieht.
Stirbt irgend ein Beamter, fo müſſen ihm die Erben
ein genaues Verzeichniß des Nachlaſſes bereichen, und er
entſcheidet dann, ob und wie viel er ihnen laſſen will; wehe
dem, der es verfuchen follte, ihm durch Falfche Angaben zu
täufchen, da feine Spione meift genam unterrichtet find, wie
viel der Berftorbene Hinterlaffen hat.
Durch einen günftigen Zufall erfuhr ih, was man fid)
hier von der eigentlichen Herkunft Seid-Muſaffar-Eddin's
erzählt, und was wirklich begrlindet fein fol. Die Geburt
eines Knaben wird in Buchara ftets mit großem Gepränge
gefeiert, hingegen die eines Mädchens fir eine Ungnabe
Gottes angefehen. Als nun das Lieblingsweib des Emirs,
Nasrulla-Bogadur-Chan, eines Mädchens genas, fo entſchloß
fi) die arme Frau, Ungnade, ja vielleieht ein Tobesurtheil
ihres ſtrengen Gebieters fürchtend, zu einem Betrug: fie
erfaufte die Frau eines Zimmermanns, die mit ihr zu gleie
cher Zeit niedergefommmen, aber eine® Sohnes genefen war
und vertauſchte deren Kind mit dem ihrigen. Die Tochter
Nasrulla's lebt bis Heute arm und unerfannt in Buchara
bei ihren Pfenboältern,; während deren Sohn, ftatt Zimmer:
mann, unumfchräntee Beherricher im Lande geworden ift.
Roh, ungebildet, dabei hafenfüßig, verfprad) er ſchon feit fei-
ner frliheften Dugend wenig Gutes für die Zufunft, Seine
Jugend verfloß in finnlichen Genüflen, was ohne Unters
brechung noch bis heute fortdauert. Sein Erzieher Abbul-
Karim hatte ſchon früher jede Hoffnung verloren, ihm zu
beſſern; die ausfchweifende Geſellſchaft, im der er ſich allein
zu bewegen pflegte, hatte den nachtheiligiten Einfluß auf
feine geiftigen Fähigkeiten. Nur die niedrigiten Schmeich—
ler und Imtriganten hatten Zutritt und Einfluß bei ihm.
So foımmt ed denn, daß er nur mit Mühe Geſchriebenes
entziffern fan. Der frligere Chan Nasrulla liebte ihm mie
und wollte ſchon den Abdul-Arhatschan, den Sohn einer ſei—
ner Töchter, zum Thronfolger ernennen, wurde jedoch durch
ben Tod daran gehindert. So lange übrigens fein Bater
lebte, mußte Mufaffar-Eddin fich noch zuriidhalten; nach
deſſen Tode ließ er jedoch feinen böfen Neigungen vollen
Yauf. Mufaffar's Nachlommenjcaft it jehr bedeutend, Die
meiften Städte find im Beſitz feiner Söhne. Der ältefte
Sohn lebt nad) feinem unglücklichen Aufftand gegen den
Bater jegt in Kaſchgar. Bon den fibrigen liebt er ben
Bel von Kermine, wie es fcheint, am meiften, den er auch
zu feinem Nachfolger beftimmt haben fol. Wie alle, fo
fürdtet der Chan auch feine Kinder, befonders nad) dem
D. dv. Yanlenau: Stremouchow's Reife nad) Buchara.
Aufftande des älteften, und fofehen ſich diefe gleichfalls fiets
von feinen Spionen umgeben,
Obgleich der Sflavenhandel officiell in Buchara verboten
und das Karawanferai, wo diefelben vormals verfauft wurden,
von der Regierung geldtchien worden ift, beichäftigen ſich
body eine Menge Menfhen mit diefen gewinnbringenden
Geichäft in Privathäufern. Wie vordem find die Turtmes
nen die Hauptlieferanten dieſer Waare, deren Näubereien
und Ueberfälle nur wenig nachgelaffen haben. Die meiften
Sklaven find Perfer, von denen ein großer Theil ins bucha—
riſche Heer eingereiht wird, Beſonders groß aber ift der
Handel mit Weibern; durch Liſt und Gewalt bemädhtigt
man ſich ihrer, felbit auf ruſſiſchem Gebiet. Unglaublich
ſchlau wiſſen es die Agenten anzufangen, ſich theils durch
Kauf, meift aber durch Ueberfall, mit und ohne Wiſſen der
Eltern und Berwandten, ſchöner Mädchen und Frauen zu
bemächtigen. Mit diefem Handel befcäftigen ſich vor Allen
die Tataren und werden darin heimlich vom mir felbft
unterjtügt und beſchutzt.
Am ſchwierigſten wurde es mir, die Ueberfahrtöftellen
über den Amu⸗Darja zu erfahren; die Bucharen thaten alles
Mögliche, mic, dabei irre zu leiten, bis endlich Karataew
meine Zweifel löfte. Es befinden fich diefe Stellen am
rechten Ufer alle in den Händen der Bucharen, während anı
linten Ufer einige den Afghanen gehören. Bei der Stadt
Tſchardſchui, durch welche die Karamanen nach Mefchhed
ziehen, ift der eine Punkt; drei weitere find bei Uft, Tſcher—
iſchel und Burdalik, welche bucharischen Kaufleuten für ein
Pachtgeld von 133,000 Tenga (die bucharifche Tenga, eine
Silbermünge, etwa — 55 bis 57 Piennige) überlaffen ift.
Selten nur gelingt e8, bie Turkmenen zum Zahlen für bie
Ueberfahrt zu bringen ; gegen dieſe ift die bucharifche Regie—
rung vollfommen Die Regierung hat nur die
Verwaltung der wichtigften Ueberfahrtsſtelle bei der Stadt
Kerfi, wo der Bereinigungspunft einiger Karawanenwege
ift, für ſich behalten.
Augenblidlicd, fol der Emir damit umgehen, verfchiedene
Neformen zu einer beflern Verwaltung und einer Erleichte⸗
rung ber Yage feiner Unterthanen vorzunehmen, wobei ihm
Karataew thätig zur Hand geht. Was davon zu erwarten,
wird die Zukunft lehren; Gott gebe, dag es nicht, wie biäher
alle jeine Pläne, pia desideria bleiben, Ein Haupthinder:
niß bleibt immer feine beftändige Furcht: Rußland werde,
durch die Reichthümer Bucharas verlodt, ohne Zweifel dies
ſes einmal annectiren. Ich kehre jegt zu meiner Reiſe zurlid.
Aui 9. Juli, nad) einem lururiöfen Abfchiebsmahl von
Seiten der hiefigen ruffifhen Kaufmannfhaft, traten wir,
in Begleitung des Mirfa Waffid), des erſten Serretärg bes
Minifters, eines fehr Mugen, redlichen und Liebenswirdigen
Menſchen, der uns bis zur ruſſiſch-buchariſchen Grenze bes
gleiten follte, unfere Ruckreiſe an und übernachteten im Kiſch-
lat Kujul-Maſar. Wie auf der Herreife famen uns audı
jetzt Überall verfchiedene hohe Beamte, uns zu begrüßen, ent:
gegen, Am 10. Juli beraten wir die waſſerloſe Sand-
wüfte Male. Anfangs waren wir vom Wetter begünftigt ;
die Hite war nicht übermäßig und ein leichter warmer
Wind milderte die Kühle der Nacht, die in der Steppe recht
empfindlich zu fein pflegt. Zu unferm Unglüd erhob ſich
ein Sandſturm mit allen feinen Screden, Der feine Sand-
ftaub drang in Nafe, Augen und Ohren; die Pferde bebten
und ſchnaubten vor Angft ; der Sturm war fo heftig, daß wir
einander nicht Hören und nur mit Mühe unferen Führern
folgen lonnten. So wird man leicht begreifen, mit welchem
Genuß wir die Thore eines Meinen Karawanſerai betraten,
das, nachdem wir 3/, Taſch hinter uns hatten, in der klei⸗
nen, mitten in der Steppe liegenden Anſiedelung Male
Nordenjtjöld’s Erpedition nad Sibirien 1875.
(im Ganzen nur 30 Häufer) liegt. Die Anfiedelung mit
ihrem hohen, weithin fichtbaren Wachtthurme zeugt von der
Liebe Abdul⸗Chans fiir Schöne Bauten, wie flr feine Sorge
falt um das Wohl der die Wüfte Bereifenden,
Am 11. Juli machten wir noch, von einem äußerſt hef-
tigen Winde verfolgt, 21/, Taſch durch die Steppe und er-
reichten die Stadt Hermine Sie ift ſtarl bevölfert und
theilt fich im dem neuen und dem alten, faft ganz duch die
Kirgifenliberfälle zerftörten und verödeten Theil. Die Yage
berfelben, an den Ufern des Saraſſchan, ift reigend; im
Hintergrumde erheben fich die dunfelen Nuratinstifchen Berge.
Ueber der Stadt thront die alte fagenreiche Burg; was uns
betraf, jo nahm ung der Bet im feinem Sommerſchloſſe
freundlich und gaftfrei auf,
Am 12. Juli empfing uns ‘der 15jährige Bel, Seid»
Abdul · AchatChan, der Lieblingeſohn des Emire. Der kluge,
ſehr entwickelte und gewandte junge Mann machte auf uns
den glinftigften Eindruck; ev iſt der volllommene Gegenſatz
feines Bruders, des Bels von Karſchi. Nachdem er und
zum Sitzen Stühle angeboten hatte, was fonft durchaus in
Buchara ungebräuchlicy, erfundigte er fich nad) dem Kaiſer
und den rufjifchen Generalen und fragte und nach Vielem
in Rußland, unferen Antworten mit Spannung folgend.
So lange wir uns in feinem Gebiete befanden, überhäufte
er und mit Aufmerlfamleiten aller Art und ließ und zu
Ehren einen Baſem (Tanz, Mufit u. f. w.) aufführen.
Von einem großen Gefolge begleitet machten wir am 18.
Juli weitere 3 Taſch, bis zu der Stadt Taſch-Köpri und
dann noch einen Taſch weiter bis zur Stadt Siabdin
Zijaieddin), wo uns' wieder der vegierende Bel entgegen lam.
121
Auch diefenicht große, aber befeftigte Stadt liegt am reißen⸗
den Saraffchan, Der Bel ift bereits näher mit den Ruſſen
befannt und hat manches Europäiiche von ihnen angenom-
men; feine Fragen über Politit nahmen fein Ende, umd er
fuchte auf die ſchlaueſte Weife von mir zu erfahren, welches
wohl eigentlich, Nuklands wahre Abſichten hinſichtlich Bu—
charas feien; begreiflicherweife war ic, im meinen Antworten,
die mich leicht Hätten compromittiren Fönnen, ſehr vorfichtig.
Am Abend gab er uns beim Fackelſcheine ein nach aſiatiſchen
Begriffen prächtiges Schauſpiel.
Um 14. Yulı nahmen wir endlid) von unferm buchari⸗
fchen Reifebegleiter, dem Mirſa Waſſich, Abſchied, dem ich
noch ein Schreiben an den Emir mitgab, in dem ich mic)
höchſt lobend und amerfennend über diefen ausgezeichneten
Sccretür des Minifters ausſprach und zugleich hinzufügte,
wie id) feiner, des treueften Dieners des Emirs, bei meinen
Vorgefegten danlend gedenken werbe; es gejchah diefes haupt⸗
ſächlich, um ihm vor jeder Verfolgung und Unfeindung bei
feiner Rucklehr zu fchligen. Unter dem Knalle von Flinten«
falven, die ung zu Ehren die Luft erfchlitterten, verließen
wir Siaddin und trafen am Abend im SKifchlat Mir, der
legten Örenzftation Bucharas, ein.
Nachdem wir dann am 15, Juli die Höhen von Sari—
bulat — befannt durch die dort erfolgte, vollftändige Nies
berlage der Bucharen — überschritten hatten, befanden wir
und endlich in Katty⸗Kurgan. Hier verließen ung un—
fere Bucharen, und wir feßten uns in die und bereitd er—
wartenden bequemen Tarantaflen, um unfere Reife nad)
Samarland fortzufegen.
— — — —
Nordenſtjöld's Expedition nad) Sibirien 1875.
Im Anſchluſſe an Norbenftjöld's Bericht Über feine Reife
von Tromfd bis zur Mündung des Ieniffei (f. „Globus“
XXVII, ©. 347 ff.) entnehmen wir dem Protofolle bes
„Vereins fiir die deutſche Norpolarfahrt in Bremen“ (38.
Verfammlung am 10. Januar 1876) folgende intereflante
Beſchreibung der Rückreiſe dev Erpeditionsmitglicber, welche
den Jeniſſei aufwärts bis Deniffeist ftattfand. Zunädhft
berichtet Prof. Nordenftjöld aus Tomst, den 13. October
1875, an Oscar Didfjon:
Nordenjtjöld trat am 19. Auguft in Begleitung der
Doctoren Pindftröm und Sturberg fowie von drei Fang-
männcen als Mannſchaft in dem zu dem Zwecke in Norwe:
gen erbauten Norblandsboote „Anna* feine Fahrt dem Je—
niffei ftrommaufwärts an. Mit Brot, Kaffee, Zucker und
Butter war man auf ſechs Wochen, mit Conferven und Salzs
fleifch auf vierzehn Tage verſehen. Das Fahrzeug war aber
noch außerdem durch Kleider, Zelte, Diatragen, Inſtrumente ꝛtc.
derart belaſtet, daß es ein Glüd war, in der erſten Zeit einen
nur mäßigen Gegenwind zu haben, Zunächſt ging die Fahrt
durch die an der Mündung belegenen fogenannten Nord:
oftinfeln (Sewerowoftotihnie Oftrowil), Bemerlens—
werth ift, daß die verfcjiedenen Straßen zwiſchen diefen In—
feln eine genügende Tiefe felbft für größere Fahrzeuge zu
haben jcheinen, wen es auc) hier und da an flachen Stellen
nicht fehlt. Während einer Segeljahrt von 42 Stunden
wurde nur zweimal gelandet, nämlich zuerft bei einer Yand-
zunge nahe einer 50 bis 60 Fuß hohen Doleritflippe auf
dem öftlichen Ufer des Ieniffei, mit Jewremow Kamen
Olobus XXIX. Nr. 8,
auf den ruſſiſchen Karten verzeichnet. Hier fpazierten drei
Eisbären zwifcen den Felfen. Sie liegen ſich durch das
am Ufer zum Kaffeelochen entzitndete Bivouacfeuer nicht flös
ven, An diefer Stelle wurden die legten Exemplare von der
Meeresfauna gefanmelt. Die Vegetation war hier im Gegen:
fag zu Nowaja Semlja ſehr küUmmerlich. Geſträuche und
ſelbſt die Zwergbirke fehlten vollftändig und der Boden zeigte
nicht einmal überall eine Grasnarbe. An der zweiten Yan«
dungoſtelle, Kreftowsloje, traf man eine jegt verlaffene
Anfiedelung (Simovie, d. i. Sommers und Winterwohnung).
Sie beftand aus drei Häufern, deren Dächer mit Torffoden
belegt waren und die eine Menge aller Hausgeräthichaften,
beraubter Räume enthielten. Cs war eine Fiſchfangſtation,
bie wegen der Schwicrigfeit, Proviant hierherzuliefern , wie⸗
der aufgegeben worden if. Der üppige Graswuchs in der
Nähe war offenbar durch den Dinger der Fiſchreſte hervor-
gerufen. Bei Cap Schaitansfoj fam man am 21, Aus
guft an. Hier wurde übernachtet und man traf hier eine
Menge reifer Sumpfbrombeeren. Auch Kronsbeeren fanden
fi, doch nur in geringerer Menge, ferner die Zwergbirke,
und es wurde biefer Play wiſſenſchaftlich auch dadurch wide
tig, daß Dr. Sturberg hier die erften Land» und Suß⸗
waſſermollusken (Thyſo) antraf. Nach einer kurzen Raſt
ſegelten wir durch Klippen nach einer weit in den Deniffei
hinausfpringenden Yandzunge, Sopotjchnaja Korga, wo
ebenfalls zahlreiche Refte von Gebäuden eine frühere dauernde
Niederlafiung nachwiefen, und eine Anzahl Fuchsfallen, von
welchen eine noch aufgeftellt war, uns vermuthen ließen, daß
16
122
hier mod) jet ab und zu Jäger haufen. Maffen von Treibs
holz fanden ſich, chaotifch über und durch einander gefchichtet,
und es war mlhevoll, fich einen Weg zu bahnen. Die Stämme
nächſt dem Waſſer zeigten fich noch friſch und nutzbar, mäh+
rend die weiter landwärts liegenden Hölzer ſchon halb oder
gan verfault waren. Auf der Halbinfel fanden wir viele
Sußwaſſerteiche, die von Heinen Fiſchen (Stichlingen) und
Süfwaffereruftaceen wimmelten. Sonſt war die Gegend
fehr thierarm; den Botanilern bot jie verichiedene Gräfer
und Waflerpflanzen. Wegen ftarfen Windes und hoben
Sereganges konnten wir erſt am 23. Abends weiterfegeln,
Wir nahmen unfern Cours auf Goltſchika, die nördlichſte
Anfiedelung am Oſtufer des Deniffei, allein wegen der hef-
tigen Dunung getranten wir und nicht hier zu landen, fons
dern nahmen unfern Cours bei gutem Winde nad; dem jen-
feitigen (Weft«) Ufer, wo wir ebenfalls eine Simovie ver-
mutheten; indeß auch hier vermochten wir nicht zu landen,
fondern kehrten wieber nad) dem Oftufer zurück, hatten indeß
dabei das Mifgejchid, in eine fiber Untiefen ftart brandende
See zu gerathen, aus welcher gefährlichen Yage uns nur das
Schnell aufgefetste Segel mit Hilfe des ftarten Windes rettete,
Am Morgen fahen wir am Ufer eine Heine Hlitte, konnten
aber wegen der Dünung nicht landen. Dies gelang und
erft, nachdem wir eine Strede weitergejegelt, an der Mlins
dung des Meinen Flüßchens Mefentin in den Jeniſſei. Bald
nachdem wir das Yand betreten hatten, erblidten wir zwei
Menschen, welche begleitet von einer Schaar Hunde Sumpf-
brombeeren ſuchten. Sie ſchienen uns auszuweichen, doch
holten wir fie ein. Es waren Ruſſen und von einem Kauf:
manne zu Deniffeist als Fiſcher fiir die Simovie Goltſchila
angeftelt. Nordenjtjöld ſchlug dem jüngern der beiden,
dem Kofaden Feodor, welcher der Gegend lundig zu fein
ſchien, vor, als Führer bis nad) Dudinka zu dienen. Feodor
nahm den Vorſchlag jofort an; ala Yohn wurden 50 Eilber-
rubel ausgemacht; jedoch mußte er zuvor von feinem 30
Werft von Goltſchila wohnenden Herrn Erlaubniß einholen.
Er verfprad; am nächſten Abend zurliczufehren. Die Zwiſchen⸗
zeit benugten wir zu naturwiſſenſchaftlichen Beobachtungen
und fanden wir unfern Ort nur 4 ſchwediſche Meilen füdlich
von unſerm legten Binonacplage gelegen. Das Thal bes
Mefenfin ift gegen die Nordwinde gejchliet und hat baher
eine verhältnigmäßig reiche Vegetation. Gleich bei der Yan«
dung fielen ung zwei Ellen hohe Sträucher von Alnus fruc-
tieosa auf und unter diefen geſchützt wuchſen Sanguisorba,
Galium, Delphinium Hedisarım, Veratrum; Ealirarten
waren hier ziemlich hoch angefchofien, der Graswuchs war
üppig und die Sandhügel mit vielen neuen Pflanzenformen
(Dianthus, Oxytropis, Thymus und anderen) gefchmtlidt.
Im Sande fanden wir hier und da Schalen von Schneden,
welche Arten angehörten, die wir im Kariſchen und Obis
Jeniſſeiſchen Meere lebendig angetroffen haben. Am 26.
Auguft kehrte unfer Bote zuriid, Er brachte noch fünf
Rufen aus feiner Gegend mit, die wir in unferm Zelte gaft-
lich, bewirtheten. Sie erzählten uns, daß bei Goltfchita noch
ein Auffeher mit drei Arbeitern zum Betriebe des Fiſchfangs
und der Jagd ſich aufhalte, während in Swerewo, am
andern Ufer, nur noch ein alter Mann mit feinem Sohne
haufe, alle nördlicher gelegenen Anfiedelungen aber verlafien
feien. Dagegen lämen Samojeden, Dolganen und Jaluten
fehr oft von der Tundra zum Flußuſer hinab. Diefe Stämme
feien aber neuerdings durch die Poden ſtarl decimirt. Bei
Ichönen ruhigen Wetter fuhren wir nun weiter nad) Cap
Goſtinoi. Während diefer Fahrt bemerften wir zum erften
und zum legten Male am Jeniſſei Schnee, welcher ſich vom
Winter her in einer Schlucht am Ufer erhalten hatte. Hier
trafen wir aud) in den Eandanfhwenumungen den erften
Nordenjtjöld's Expedition nad) Sibirien 1875.
Granitblod, Auch hier war die Vegetation reich, wir fanden
die Aderbeere (Rubus arcticus), zwei Ellen hod), Angelica
und andere Pflanzen. Nach einftündiger Mittogsraft fegel:
ten wir weiter und landeten bei Nacht und Nebel am 27.
Auguft an der flachen Mündung des Jalowiewa. Kaum
fanden wir Treibholz genug, um unfer feuer an einer Stelle
anzuziinden, wo zahlreiche Fiſchreſte uns angeigten, daß hier
ein bedeutender Störfang betrieben wurde. Die nächte Raft-
ftätte war eine fehr anmuthige auf einem der zahlreichen
Eilande, weldye mit Brilowitſch-Juſſeln bezeichnet werben
und zwifchen dem 69. und 70. Breitengrade belegen find,
Die zwei Anftedelungen waren jegt, wo ber Fiſchfang vor:
über, verlaflen ; vor einem Monat mußte bier, nach den zahl«
reichen von uns vorgefundenen Fiſchgeräthſchaften zu urtheis
len, veges Leben geherrjcht haben. Am 28. Auguft ruderten
wir zwifchen vielen üppig grlinenden Infeln mit fteilen Ufer
hindurch. Bei den Nitandrowfchen Infeln trafen wir
endlich Fiſcher, die gerade die Netze aufzogen; ich kaufte 25
Pfund Fiſche (Mulfunen und Tſchiren) für einen Silber:
rubel, wobei zu beachten, daß wir als Fremde jedenfalls den
höchſten Preis zahlten. Der Jeniſſei iſt berühmt wegen jet:
nes Reichthums an wohlſchmeckenden Fiſchen, und ich bedaure
nur, daß wir bei unſerer Unbekanntſchaft mit der Fiſchzucht
es nicht unternehmen mochten, befruchteten Rogen mit nad)
Haufe zu nehmen, um diefe Fischarten, namentlid) den Blaus
följen, in unferen Flüſſen heimijch zu machen. Auf dem
Wege von Dudina nad) Jeniſſeisl ließ ich aber doch einige
Eremplare der vorfommenden Fiſcharten in eine mit Spiri—
tus gefüllte Tonne legen und diefe wird mir über Petersburg
zugefandt werden. Wie die meiften Bewohner des untern
Jeniſſei, fo halten ſich aud) die Fiſcher auf den Nifandrows:
Infeln viele Hunde. Cs find eine Art grönländijcher Zug:
hunde, fie werden im Sommer zum Schleppen der Boote be-
nugt und im Winter zu allerlei Zugdienften verwendet. Bei
längeren Reifen durch unbewohnte Streden find die Hunde
nicht zu benugen (wie dies ſchon Middendorf bemerkt), es
müßten denn Jagd und Fiſcherei das möthige Futter liefern.
Statt ihrer verwendet man Nenthiere. Die Weiterfahrt war
wiederum vom Wetter begiinftigt. Mittagsftation in einer
verlaffenen Anfiedelung auf der Inſel Sopotſchnoi. Bei
Cap Makſuninskoi befucdhten wir eine Samojedenfamilie,
die in ihrem Zelte von Fellen haufte und Fiſcherei trieb, um
Wintervorräthe zu gewinnen. In Tolftoi Noß fanden wir
eine wohleingerichtete Niederlaffung, die Leute hörten mit
Staunen und höchſtem Intereſſe unſete Neifeberichte. 0
Meilen nördlich von dieſer Niederlaffung fanden wir einen
Gedenkſtein auf einer Grabjtätte Ein hierher verbannter
politifcher Verbrecher hatte ſich durch Erhenken ben Tod ge-
geben und die Yeute Hatten ihm für heilig erflärt, Die
erfte Mahnung an die focialen Berhältniffe Sibiriens! Man
fagte uns, daß bis hierher die Deniffeidampfer kämen und
der letzte für diefes Jahr vor flinf Tagen weiter gedampft
fei, wir würden ihn aber noch einige Meilen flußaufwärts
antreffen. Sofort bradjen wir auf und waren fo glüdlic,
nad; 26ftündiger Fahrt am 31. Auguft 9 Uhr Morgens
den Dampfer zu treffen. Der Führer deffelben war ein
Kaufmann, Iwan Michailowitſch Iarmenieff, er nahm und
mit allem nur erdenklichen Wohlwolen auf.
Die Gothenburger Handels und Schifjfahrtszeitung vom
31. December vorigen Jahres bringt einen weitern Bericht
von Dr. A. Sturberg liber die Fahrt von Dudina, [bei
welchem Flecken der Jeniſſeidampfer am 31. Auguft erreicht
wurde, bis nad) Denifjeist. Die Entfernung zwiſchen
beiden Orten beträgt 125 ſchwediſche Meilen. Der Bugjir-
dampfer fuhr langſam und hatte unterwegs vielfach; Aufent-
halt; er brauchte daher zu der ganzen Fahrt 25 Tage, Am
Georg Thiele: Stizzen aus Chile.
4. September wurde nämlich die Fahrt von Dudina aus
angetreten, welches auf 69% 15’ nördl. Br. liegt, Yeniffeist
am 30, September und Krasnojardf (etwa auf 56'/,'nördl. Br.)
am 6. October erreicht, Dudina ift ein armfeliger Flecken
mit etwa einem halben hundert Bewohnern. Zwiſchen den
Heinen Fenftern der Häufer und dem Erbboden find zum
Schutz gegen die im Winter oft grimmige Kälte Erdwälle
errichtet. “
Die Natur ift öde und troftlos; wenige Nadelholzbäume
erheben fich hier und da in den Tundren. Aderbau kann
nicht betrieben werden. Im Sommer gewähren der Fiſch—
fang, im Winter die Jagd ben nöthigen Unterhalt. Haus—
thiere, Pferde und Kühe find eine große Seltenheit. Wir
machten die Bekanntſchaft des vornehmften Kaufmanns von
Dudina, Sotnikoff, zweier Geiftlichen, eines Polizeibeam-
ten und eines aus dem Kaufafus verbannten Unglücklichen.
Ale empfingen uns mit der gewöhnlichen fibirischen Gaft-
freundfchaft, indem fie uns Paftete und Wein, Thee und
Eigarretten vorfegten. Auch zeigte und der Kaufınann inter:
ejfante Naturalien: Mammuthzähne, ſubfoſſile Scneden
aus den Tundren und Mineralien, die Sotnikoff jelbft aus
dem Norilgebirge (öftlidh von Dudina), wo er bedeutende
Steinfohlen» und Kupfererzlager befigt, gewonnen hatte. Bei
unferer Abfahrt freuten wir uns nicht wenig, ben öden Tun«
dren Lebewohl jagen zu lönnen, denn auf die Dauer ift ihr
Anblid in hohem Grade peinlich. Die Ufer auf beiden Sei—
ten boten fpäter durch Waldung ein freundlicheres Bild, Die
Fahrt war, wie gejagt, eine entfeglic, langſame; wir fuhren
freilich; Tag und Nacht, da wir aber an einer Menge Star
tionen mehrftindigen Uufenthalt hatten, fo legten wir in 24
Stumden nicht mehr wie 5 ſchwediſche Meilen zurüd. Dies
fer öftere Aufenthalt gab uns andererfeits Gelegenheit, Aus:
flüge zu machen, auf denen wir unfere Sammlungen bereis
cherten und mit den halb und ganz wilden Bewohnern ber
Ufer zufammentrafen. Zwiſchen Dudina und Turuchansk,
auf einer Strede von 57 Meilen, finden ſich 16 bewohnte
Pläge, acht auf jedem Ufer, Meiſt find diefe Niederlafjuns
gen nur Hein und beftchen aus zwei bis drei ärmlichen Häu-
fern. Zwei derfelben zeichnen fich befonders aus: Tchans
deiska hat eine ſchöne Lage auf der Höhe und ift umgeben
bon gutem Yaubwald. Selimaninäfoje heißt die andere,
befannt als BVerbannungsort der Skopzen. Einige Werft
füblich davon erhebt fid) am rechten Ufer das gottgeweihete
Klofter Troizkoi. Eine der von uns zunächft berüßtten
Stationen war Niſchnei Imbaték, bewohnt von ruſſi—
ſchen Anfieblern und jeniffeisfischen Oftjäfen. Hier hatten
wir noch warmes Wetter und Regen. Dann folgten fühle
Tage und zwifchen dem 61. und 62, Vreitengrade trat der
erfte Nacjtfroft ein. Südlich von der Mündung der mitt:
lern Tungusta in den Jeniffei wird der Fluß ſchmaler
und die Ufer fteigen bis zu 300 Fuß Höhe ſenkrecht auf.
An diefer Stelle hatte der Heine Dampfer ein ſchwieriges
Fortlommen und währte bie Fahrt in biefen Stromengen
123
einen ganzen Tag. Die Ufer waren meift fahl und fandig.
Die fibirifche Yärche, die Führe und die Zirbelliefer waren
die vorherrfchenden Bäume; hier und da famen auch bie
Weide, die Pappel und die Birke vor. Am Ufer erblidte
man von Zeit zu Zeit meift aus Birkenrinde gefertigte Zelte
der Oftjäfen, deren Bewohner uns mit ihren langweiligen
Gefichtern angafften, und auf dem Strome trafen wir von
Hunden flugaufwärts gezogene Boote, Sechs Meilen ſüdlich
von der erwähnten Mündung der mittlern Tungusfa, etwa
60° nördl, Br., machten wir am linfen Ufer Halt, um
Feuerungsmaterial, Holz fir den Dampfer, zu holen. Hier
konnten wir den fibirischen Urwald ſehen und beſuchen. We—
gen der vielfach umgeweheten Baumftänme war faum eins
zudringen. Die Kiefern hatten ungefähr eine Stärke von
2 Fuß. Das, Sebüfch der wilden Johannisbeere und der
Vogelbeere, ſowie Farrenkraut, deſſen Stämme 2 Fuß Höhe
erreichten, fülten den Zwiſchenraum vollſtändig. Kaum
bürfte außer in den Tropen eine jo reich entwidelte VBege—
tation wiederzufinden fein. Diefelbe läßt auf die große
Fruchtbarleit des Bodens fliegen. Bon hier aus zeigt fid)
die Gegend ftromaufwärts mehr bevölkert, was wohl daher
fommen mag, daß feit den Zeiten Jermal's dieſer Theil des
Jeniſſei, fowie die oberhalb Denifjeist milndende Angara we
gen ihrer Goldhaltigfeit bekannt find. Einige Dorfichaften
find foger ziemlich zahlreich bevölkert und hat beinahe jedes
Dorf feine kleine Kirdye. In einem der von und befuchten
Dörfer trafen wir eine Familie, welde, im Sande gelagert,
ihre aus Fiſchen beftchende Mahlzeit, Braffen und Sterlet,
lochte. Die Alten, befonders die Frau, waren äuferft häß-
(ih, von Statur Hein, mit faſt unnatitrlich Heinen Händen
und fiberhaupt feinen Gliedern, das Haar ſchwarz und glatt,
die Augen intenfiv rothbraun. Eines der Meinen Finder,
ein Knabe, hatte äußerſt lebendige bräunliche Augen, ber:
haupt ein jehr interefjantes Geſicht, alle waren bodenlos
ſchmutzig und in Lumpen geht. Die Stabt Feniffeist,
das Ziel unferer Dampfichifffahrt, erreichten wir am 30,
September. Unſere Anfunft wurde durch Kanonenſalven
begrüßt.
*
* *
Der „Berein für die deutſche Nordpolarfahrt“ hat feit
dem befchloffen, jelbftthätig in die wiſſenſchaftliche Erforfhung
des Nordens von Sibrien (vergl. auch „Slobus* XXIX,
©. 63) einzugreifen und im kommenden Sommer zwei Ger
lehrte mad) dem Mimdungsgebiete des Ob und Jeniſſei ab⸗
zufenden, Die Wahl ift auf zwei Zoologen, den Dr. D.
Finſch, Confervator der Bremer Mufenms- Sammlung,
und den befannten Dr. Brehm gefallen, Als Dritter im
Bunde wird Graf Waldburg- Zeil, der Begleiter Th. von
Heuglin’s auf deſſen Nordpolteie mitgehen. Da bie Bereins-
cafle augenblidlich nicht ganz über die erforderlichen Mittel
en fo wollen verſchiedene Vereinsmitglieder Vorſchüſſe
eiften.
Skizzen auß Chile
Don Dr, med. Georg Thiele.
”
Das ganze Fand zerfällt in Abtheilungen, die nad) Boben-
befchaffenheit, Klima, Producten und dergleichen beträchtliche
BVerfchiebenheiten bieten. Im nördlihen Theile (Chaña⸗
IX.
ral u. ſ. mw.) kann von Landwirthſchaft feine Rede fein; dort-
hin muß jeder Sad Mehl und jedes Bund Heu erft per
Schiff gebracht werden. Die jüdlihfte Yandesabtheilung
16* -
124
umfaßt die Provinzen Baldivia, Ylanquihue und Chiloe,
Hier ift der Winter noc milder als im Deutſchland, der
Sommer aber Fühler; dabei fällt das ganze Jahr hindurch
eine große Maſſe Regen. Der Getreideban ift infolge deſſen
befchräntt; doc; gedeihen viele Früchte und befonders Kar—
toffeln, mit denen Chiloe die ganze Weftfüfte verſorgt. Vich-
zucht wird in Baldivia in beträchtlichen Maßſtabe betrieben.
Das Hauptgefhäft diefer drei Provinzen ift inbeffen der
Holzhandel, wie ſich bei den angeführten klimatiſchen Ber-
hältnifien erwarten läßt. Grund und Boden find jehr billig
zu haben, da das Yand nod) wenig bevölfert ijt und die Re—
gierung die Einwanderung fehr begünftigt. In Valdivia
hat das deutſche Element das Uebergewicht, oder vielmehr
Baldivia ift */, deutich, fo ſtark ift die Einwanderung hier
gewefen. Die Leute leben hier in Heinen Farmen, wie es
etwa in Nordamerika ift. Indianer leben zerſtreut in Vals
divia und Llanquihue, friedliche Yeute, mit denen noch nie
etwas Umangenehmes paſſirt ift.
Bom Norden find diefe Provinzen getrennt durch das
Gebiet der unabhängigen Araucanier, jehr ftreitbare In:
bianer, mit denen die Regierung feit Dahren einen Örenz«
frieg führt. Aller Berfehr von Valdivia nad) dem übrigen
Lande geht per Schiff. An der araucanijchen Küfte eriftiren
nur einige Anfiebelungen, ausjdjlieklid, dev Ausbeutung von
Kohlenminen gewidmet.
Dann folgen die Provinzen Concepcion, Nuble,
Manle, Talca, in denen VBodenproducte und Klima denen
Deutſchlands am ähnlichften find. Die Grenze gegen Nor-
den bildet ber Fluß Maule. Im Winter giebt c& ein wenig
Schnee, zuweilen auch, namentlid) gegen die Gordillera zu,
eine dünne Eisdecle. Regen giebt es im Winter reichlich,
zumeilen aud) im Sommer ein wenig. Die Fluſſe haben
ftets Waſſer. Die Bodenproducte find diefelben wie im ſüd⸗
lichen Deutſchland. Weizen wird im enormer Menge von
hier exportiert, ferner Wein, Bohnen sc. Viehzucht ift am
ftärkfien in Talca. Hier herrfcht die Haciendenwirthfchaft.
Grund und Boden wurden zur Zeit der Eroberung an bie
Generäle und Hofbeamten vertheilt und fo ift ber Girund-
befig im wenig Händen, Seit der Unabhängigfeit find in
deſſen eine Anzahl Haciendas dismembrirt worden. An ber
Begräbnißgebräudje der ö
Albin Kohn: Begräbnißgebräuche der öſterreichiſchen Süpdilaven.
füblichen Grenze von Nuble, das am nächſten an der Cor
dillera Liegt, leben eine Menge deutjcher Aderbauer in einen
armen, die fehr gute Geſchäfte machen. Dies, nämlid)
die Südgrenze von Nuble, ift die einzige Gegend, wo ber
Indianer die Anſiedler nod) etwas beunruhigt, doch im Gan—
zen wenig. Sch weiß, daß im diefen Provinzen Biele qute
Geſchäfte mit Pachten von Haciendas gemacht haben; doch
gehört dazu Kenntni des Yandes und der Spradye. Arbeits-
kräfte find fpärlich zu haben, jedoch billig; auch find die Chi—
lenen fleißige Arbeiter. Die Comunmicationsverhältnifie
find neuerdings ſehr verbeffert, indem eine Eiſenbahn das
Innere des Yandes mit dem Hafen verbindet und auch die
nach Santiago bis zum Jahre 1876 fertig werden fol.
Nördlich von Maule folgen dann Curicö, Coldagua,
Santiago, Balparaifo uud San Felipe. Hier ift
weniger Regen und die Fluſſe führen nur im Winter und
Frühjahr Waller; Schnee giebt e8 nur ausnahmeweiſe. Der
Weizen ift and hier noch die Hauptwohlftandsquelle.. Die
Vegetation hat indefjen bereits einen etwas tropiſchen An—
ſtrich; ſchon wachſen einige Palmenforten wild. In den
geichligteften Thälern gedeihen Früchte, die fonft nur in Pern
wachſen. Santiago und Balparaifo find die beiden
reichjten Provinzen. Der Anſiedler findet jedoch hier ſchwer
Pag; das Yand ift zu ſtark bevölfert im Berhältniß zu den
übrigen Provinzen und der Arbeiter ſchon anfpruchsvoller
infolge des großen Bedarfs in den Hauptitädten.
Dann folgt die Provinz Coquimbo, berühmt wegen
ihres ewig ſchönen Wetters; doch regnet es hier noch im
Winter, Bon Yandwirthichaft ift fon wenig die Rede, da
die Hälfte des Yandes wüſt if. Auch die bebaute Hälfte
trägt mehr Wein und Früchte, als eigentliche Aderbaupro-
duete. Das Hauptgeihäft ift der Kupferbergbau.
Endlich folgt die Wüfte Atacama, in der nur am zwei
Plägen, Copiaps und Huasco, Aderbau getrieben wird.
Die Arbeitskräfte find indeſſen infolge der hohen Löhne,
welche die Minen zahlen, fo ſchwer zu haben, daß das ein-
geführte Mehl zc, billiger ift als das an diefen Orten felbft
erzeugte. Bon Regen ift nördlich von Coquimbo feine Rede
mehr, In Caldera erzählten mir die Leute, daß es vor 10
Jahren (alfo 1864) einmal eine halbe Stunde geregnet habe.
fterreihifhen Südflaven.
Von Albin Kohn.
Der befannte Kenner flavifcher Altertgimer und Drien-
talift Berezin hat in den „Nachrichten der Kaiſerlich Kufs
fiichen Geographiſchen Geſellſchaft“ folgende Schilderung
jüdflavifcher Gebräuche veröffentlicht, zu denen id) mir einige
kurze Bemerkungen hinzuzufügen erlaubte.
Die Begräbnikgebräuche der öſterreichiſchen Südflaven
tragen viele Spuren des Heidenthums am ſich; fie zeugen
von einem fehr engen Begriffe vom Tode und vom Yeben
jenfeits bes Grabes. So jehen wir, daß fid) die Südflaven
das gewöhnliche Ende des Lebens, ben Tod, diefes allgemeine
Naturgefeg, durch gewiſſe Zufälligfeiten, verſchiedene Sombi-
nationen, welche, wie leicht denkbar, auf ſehr wankender
Grundlage beruhen, zu erklären fuchen. Wenn ein Hund
vor einem Haufe heult und trog Pritgel nicht aufhört zu
heulen, fo bedeutet diejes nad) dem Boltsglauben, daß irgend
einer der Hausbewohner im Kurzem fterben wird. Wenn
zwei Perfonen in einem Haufe plöglich fterben, jo ftirbt ger
wiß noch ein dritter im ihm im demfelben Jahre. Der Krante
erliegt gewiß der Krankheit, welche ihn am Freitag befallen
hat. Der Vater und die Mutter, denen ein Kind geftorben
ift, dürfen nicht eher frisches Obſt genießen, bis fie ſolches
nicht armen Waifen zur Erinnerung an die Seele ihres Kin:
des gegeben haben; andernfalls würde das verftorbene Kind
im Jenſeit nicht Früchte des Paradiefes erhalten und wäre
gezwungen, an feinen Fingern zu nagen, infolge deſſen es
bittere Klagen wider feine Eltern erheben würbe,
Während einer Krankheit berufen die Südflaven gewöhns
lid „weile Männer“ (Snadar, von snatj, willen) oder weile
Frauen (Snacharla). Diefe rohen Aerzte finden immer, daß
der Kranke von „böfen Augen“ getroffen worden ift, und
beginnen ihn mit allen möglichen Mitteln zu tränfen, die
aus den verſchiedenſten Kräutern und Wurzeln zubereitet
Albin Kohn: Begräbnißgebräuche der öfterreichiichen Südſlaven.
werden. Am Ende, wenn die Natur des Kranken die Sranf-
heit nicht befiegt, verfticbt dann freilich der Kranfe. Nun
wird die Leiche jogleich gewafchen, es werden ihr die Feiertage»
tleider angezogen, worauf fie auf einen mit einem weißen
Tiſchtuche bededten Tifc gelegt wird. Wenn der Verjtor-
bene noch umverheirathet war, wird er mit einem Kranze
aus weißen Roſen geichmidt. Auf einer Seite des Todten
werden brennende Wadjslichter (je nad) den Bermögensver«
hältniffen zwei, drei, vier und mehr) aufgeftellt, während zu
den Füßen ein Gefäß mit Weihwaſſer Play findet, im wele
chem ſiatt des MWeihwedels ein Strauß Hinmelsichlüfiel-
chen ſchwimmt. Jeder Beſucher erfüllt die legte Pflicht
gegenüber dem Berjtorbenen, indem er ihm mit Weihwafier
befprengt, darauf niederfniet und für feine Seelenruhe ein
Gebet herfagt. Man beeilt ſich auchh, aus dem Haufe des
Berftorbenen alle Hausthiere, wie Hunde und Hagen, zu
jagen, denn, jagt der Aberglaube, wenn cin ſolches Über die
Leiche fpringen wilrde, jo würde des Berftorbenen im zu«
künftigen Peben die Kolle eines Werwolfes *) warten: furct-
bar, aufgedunjen von Blut, wird er aus feinem Örabe er⸗
ſtehen, um kleinen Kindern das Blut auszuſaugen und die
Ruhe der Erwachſenen, welche von der Arbeit des Tages
ernrüdet find, zu jtören, Während der Zeit, während welcher
der Tobte im Haufe liegt, erflingt dreimal täglich der trau—
tige lang der Glocke vom Kirchthurme des Dorfes, wodurch
der ländlichen Bevölterung in Erinnerung gebradjt wird,
daß wiederum einer aus ihrer Mitte vor den Thron des
Höchften berufen worden ift. Indeß bringt aud) der Doris
tifchler den Sarg, in dem fi), wie es der Aberglaube will,
einige Spalten befinden. Die Verwandten und Belannten
verfammeln ſich dann im Haufe des Verftorbenen, verrichten
Gebete für die Ruhe der Seele des neuerſcheinenden Sklaven
Gottes und unterhalten ſich über ihn, wobei jedoch nur feiner
guten Eigenſchaften gedacht wird,
Bei der Yeiche wird nun von Weibern ein lautes, oft
herggerveißendes Weinen und Schluchzen erhoben. Häufig
tommen dieſe Weinerinnen, welde in Slavonien „Poloj»
nice“ (Zodtenweiber) und an der Kuſte von Dalmatien
zwifcen Spalatound Tran „Narytatiche* **) (Klageweiber)
heißen, aus anderen Dörfern herbei. Sie erhalten fiir ihr
Weinen einen beftimmten Lohn und hierfliv vergießen fie
heiße Thränen, wobei fie in allbefannten Reden ihre unend-
liche Trauer über den Berluft des ihnen jo theuern Menſchen
zu erfennen geben. Dieſe Reden werden mad) einer befann«
ten Schablone gehalten; erft wird gejagt, womit fid) der Ver—
ftorbene befchäftigt hat, dann werden Lobeserhebungen her
zählt und dann folgt ein Troft für die im Haufe des
—— Anweſenden. Hierbei muß noch bemerkt were
den, dag, wenn ein Kind geftorben ift, feine eigene Mutter
nicht weinen darf, denn, fagt dev Aberglaube, ihr Kind ftarb
ja frei von Sünde, feine Seele ift in eine befjere Welt ent-
flohen, wozu alfo weinen ?
Der Aberglaube verbietet, das Grab einen Tag vor dem
Begräbnifle jertig zu machen; das Bolt glaubt fteif und feft,
daß, wenn das Grab auc nur während einer Nacht leer
fteht, jo muß im Yaufe des Jahres ein Familienglied fterben.
Deshalb aud) verfammeln fich ganz früh am Tage, an wel«
chem das Begräbniß ftattfinden foll, die Bekannten des Ver—
ftorbenen auf dem Kirchhofe, um das Grab zu machen, Es
wird Branntwein und Speife mitgenommen, mit denen jeder,
dem man begegnet, bewirthet wird.
*) Der Werwolf entftcht nach dem unter dem polnifchen Bolfe
berrichenden Aberglauben durch Beberen oder Verfluden. Die
Gigenfhahten bes polnifchen Werwolfes find aber denen des fübe
flawifchen gleih. Doch darüber fpäter.
**) Bon „narykat”, poln. „narzekac”, Klagen.
125
Nun kommt der Seiftliche in das Haus des Verftorbenen;
nad) kurzem Gebete ſetzt ſich der Yeichenzug in Bewegung
und geht langjam der Dorffirche zu. Wenn der Sarg ge:
fahren wird, werden gewöhnlich an den Gejchirren zwei Tu—
her, ein weißes und ein ſchwarzes, befeftigt, So lange der
Zug fid) bewegt, läutet auch die Todtenglode auf dem Kirch—
thurme.
Un der Spige des Zuges wird das Kreuz, das ſich jonft
hinter dem Altare befindet, getragen, auf das gewöhnlid) ein
Tuch oder Handtuch des Verftorbenen gelegt wird, was ans
deuten foll, daß er ein treuer Sohn der Kirche geweſen ift.
Nun folgen paarweife die Dorfbewohner mit brennenden
Lichtern und Hinter ihnen geht der Geiſtliche, dem zwei
Kirchendiener aſſiſtiren. Einer der legteren trägt ein Gefäß
mit Weihwaſſer, der zweite eine brennende Kerze. Dept erit
folgt die Yeiche im Sarge auf der Bahre oder auf einem
Wagen. Hinter dem Sarge gehen die Verwandten und
Freunde des Verjtorbenen paarweije, voran die Männer und
dann die Frauen. Der Zug bewegt ſich in derjelben Ord⸗
nung aus der Kirche auf den Begräbnißplatz. Fur den
u. und das Vegräbnig nad) chriſtlichem Brauche
zahlen die Bewohner dem Geiftlichen gewöhnlich eine Kleine
Summe Geldes, welde in Srema „Samrjdtina“ *) (für
den Todten) heift.
Vom Begräbnifplate zurückgekehrt waſchen fich die Dorfs
bewohner, ehe fie ins Haus eintreten, die Hände, und nehmen
dann mit einer Feuerzange eine glühende Kohle, weldye fie
hinter jic; werfen. Nun geht's ans Mittagsefjen. Diefes
Mittagsejjen, von den Südflaven „Karmina* (von karmitj,
füttern) genannt, findet entweder im Haufe des Berftorbenen
oder aber in der Wohnung eines fehr nahen Verwandten
-ftatt. Die Hauptfache bei diefem Mahle ift ein vothes Tuch
mit Nüffen, welches auf dem Tiſche ausgebreitet wird. Wäh—
rend bes Effensd werden gewöhnlich fromme Lieder für die
Ruhe des oder der Verftorbenen, zum Ruhme irgend eines
Heiligen u. ſ. w. gelungen. Da es aber auferdem noch
Sitte it, Toafte auf die Gefundheit irgend eines Paares,
;. ®. eines Mannes und feiner Frau, eines Bräutigams und
jeiner Braut, auszubringen, fo werden während folder Todten-
mahle auch Toafte irgend eines oder einer Heiligen ausge
bracht und zum Kuhime des heiligen Joſeph oder ber heili«
gen Unna u. f. w. getrunlen. Es wird übrigens während
eines ſolchen Feſteſſens auch auf die Gefundgeit Lebender
getrunfen, wenn man irgend einer Perfon befondere Achtung
erweifen will, Da der Geiftliche des Ortes („Plowan“,
dem polnischen „Pleban“ verwandt) während dieſes Feſteſſens
bie erſte Stelle an ber Tafel einnimmt, jo trinfen die Uns
wejenden auch auf feine Gejundheit und gleichzeitig auch auf
die Gefundheit einer Heiligen. Nach jedem Zoafte becilen
ſich die Anweſenden die Gläſer zu leeren, die mit Branntwein
gefüllt find, Während des Eſſens werden übrigens zu dies
jem Behufe verfaßte Yieder gefungen, Stellen aus den Evan:
gelien hergefagt und verſchiedene Geſchichten und Yegenden
geiftlichen Juhalts erzählt. Nach dem Mittagsmahle werden
unter den Anwejenden Nie und Früchte vertheilt und mit
biefem endet ber Begräbnißtag. Während diefes ganzen
Tages bemühen ſich alle recht traurig und niedergefchlagen
zu jcheinen.
Während des Jahres find drei Erinnerungstage („Datja“)
und zwar 1. nad) Verlauf von vierzig Tagen; 2. nad) Ver«
lauf eines halben Jahres und 3. nad) Verlauf eines Jahres.
Hierzu wird gewöhnlich eine befondere Zeit gewählt und man
hält fie entweder am Sonnabend oder Sonntags in ber
Frühe ab. Die nädjften Berwandten laden hierzu die weis
*) Bon „samjer“, veritorben.
126
teren Berwandten und Freunde mit ben Worten ein: „Kommt
Abends (oder Morgens), des BVerftorbenen zu gedenten,“
Zur bezeichneten Zeit fommen alle anı Grabe des Berftor-
benen zufammen und der Seiftliche weiht eine Speife (Kutja,
bedeutet eigentlich das Mahl am Weihnadjtsabende). Hierauf
begeben ſich alle Geladenen zum MWittagsmahle, während
beifen Gefänge für bie Ruhe des Sklaven Gottes (ober der
verftorbenen Sklavin) angeftimmt werden. Zum Schluſſe
fingt man: „Ya! vergebe Gott feiner (oder ihrer) Seele
alle Sünden !*
Bei den griechijch-fatholifchen Serben find zwei Tage
der Erinnerung an alle Verftorbenen gewidmet und zwar
acıt Tage vor Beginn der großen Halte, welche Woche die
„Allerjeelenwoche* heifit, und vor der „Peter'ssrfafte* (welche
drei Wochen vor dem Peter-Paul’3-Tage beginnt). Bei den
römiſch⸗katholiſchen Chorwaten ift nur ein Erinnerungs-
tag — der 2. November. Gewöhnlich gehen die armen
Bewohner des Dorfes am Borabend des Erinnerungstages
in den Kirchturm, um zu läuten, und hernach gehen fie zu
den Bewohnern der Dörfer, um zu beiteln. Während des
Erinnerungstages wird in allen Häufern mit Bernftein ges
räuchert, die Bewohner gehen im die Kirche und geben dem
Geiſtlichen Zettel und Bücher mit den Nanten aller ihrer
verftorbenen Verwandten. Wenn der Geiftliche während
der Andacht diefe Namen vorzulefen beginnt, zlindet jeder
der Anwefenden ein Licht an. Nach Beendigung der Seelen:
mefje geben alle auf die Gräber ihrer Verwandten, ftellen
die Lichter auf die Öhrabhligel, wo fie bis Abends brennen.
Alle Ceremonien, welche während der Gedächtnißtage beob-
achtet und ausgeführt werden, nennt man „Saduſchnize“
(für die Seelen). Aber außer diefen Tagen der Erinnerung
an alle Berjtorbenen haben die Stidflaven noch einen, der
diefelbe Bedeutung hat: es iſt dieſes der zweite Montag
Die Schwiegermutter.
nad) Oftern. An diefem Tage wird Speife auf die Gräber
gebracht, um dem herrfchenden Aberglauben *), daß nämlich
der Leib einige Male aus dem Grabe zurückkehren kann,
genug zu then. An diefem Tage wird auch viel Almofen
für die Ruhe der Seele gegeben und die Geiftlichen lefen
kurze Gebete auf den Gräbern der Verftorbenen. Nadjdem
dieſe Gebete beendet find, beginnt die Unterhaltung fiber die
Dahingefchiedenen, wobei man ſich gegenfeitig verfchiedene
Vorfälle aus ihrem Leben erzählt. Diefe Erinnerung Heißt
„Drudichptichalo* (Freundeserinnerung, von „Drug“, ber
ud).
Im der Nähe des Dorfes befindet ſich gewöhnlid; der
Begräbnigplag, auf welchem jeder Familie ein befonderer
Plag eingeräumt ift. Kleine mit Raſen belegte Erdhügel,
um die gewöhnlich Trauerweiden oder Ahornbäume gepflanzt
find, bilden die Gräber, deren einziger Schmud ein hölzer-
nes, mit den Nationalfarben, weiß, blau und roth, ange
ftrichenes Kreuz iſt. In einigen Orxtjchaften lann man an
den Ausſchmückungen, mit denen die Kreuze behängt find,
erkennen, ob unter ihnen ein verheiratheter Dann, eine Ehe:
frau oder eine Jungfrau ruht. Im erften Falle wird das
Kreuz mit einem Säbel oder fonft einem bie Tapferkeit be+
zeichnenden Embleme bezeichnet, im zweiten mit einem Stlide
Zeug bededt und im dritten wird Flachsgarn ober dieſem
Achnliches ans Kreuz gehängt. Auf einigen alten Gräbern
werben auch hin und wieder große behauene Steine errichtet;
dieje Grabdenfmäler haben gewöhnlich einen Durchmeſſer
von civca 1%/, Meter und eine Höhe von etwa 1 Meter,
*) Lnter ten Ruſſen in Sibirien ſcheint ein äbnlidher Aber:
glauben zu herrſchen. Auch fie geben auf ben Kirchhef und nehmen
Schuͤſſelchen voll gefochten Reis, mit Heinen Rofinen und geftefenem
Zucker gewürzt, mit ſich und verzehren diefe Eprife am Grabe des
Merftorbenen. Man nennt diefes die „Cominka“ (Erinnerungen).
Die Schwiegermutter.
Mit einer merkwürdigen Uebereinſtimmung haben bie
Sprichwörter aller Böller an der Schwiegermutter etwas
auszufegen und es mag bei civilifirten oder bei Naturvöltern
fein: ftets ift das Verhältniß zwiſchen Schwiegermutter und
Schwiegerſohn, beziehentlichh Scywiegereltern und Schwiegers
kindern, ein gefpanntes, fo daß bei einigen Völfern beide
Theile völlig von einander gefchieden find und niemals in
Berlifrung mit einander gerathen, ein eigenthümlicher Ger
brauch, der faft identifch in Amerika, Afrika und Auſtralien
ſich nachweisen läßt.
Schon im deutſchen Sprüdjworte wird die Schwieger-
mutter wenig galant behandelt. „Schwiegermutter — Teufels«
unterfutter* oder „Schwiegermutter — Tigermutter* heißt
e8 da und der Siebenblirger Sachſe Hagt: „Et äs nit gät
mät der Schwijer un enem Däſch ſetzen.“ Man wünjcht
die Schwiegermutter weit weg: „Die befte Schwiegermutter
auf der Gänfeweide“ und der Engländer jagt: „Mother-
in-law and daughter-in-law are a tempest and hail-
storm.* Der Albaneje fürchtet jelbft das Wohnen in der
Nähe der Schwiegermutter, wie fein Sprilchiwort beweift:
„Die Schwiegermutter nahe der Thür it wie der Mantel
beim Dornbujche“ *).
*) Reinaberg- Düringafeld, Die Frau im Spruchworte. Leipzig
1882, &. 194 — Wander, Deutfches Sprühmwörtersterkon s. v.
Auch in allen indiſchen Sprüchwörtern, namentlich den
canarefifchen, fpielen Schwiegermutter und Schwiegertodhter
als Gegenfäge eine Nolle *) und die Kolhs in Oftindien,
welche leicht beleidigt und mit dem Aufhängen fehmell bei der
Hand find, fingen ım Spottliede :
Wenn die Schwiegermutter Dich auch ſchimpft,
Ja nicht, Mädchen, ja nicht
Hänge Dich dann auf **).
Das Berhältniß, welches zwiſchen Schwiegereltern und
Scwiegerfindern, namentlich zwijchen Schwiegermutter und
Schwiegerfohn, bei den Kaffern befteht, wirft im höchſten
Grabe hinderlic auf die Entwidelung des Familienlebens.
Nach diefer bei den Amaloſa Ufushlonipa genannten Eitte
darf die Fran ihren Schwiegervater und feine männlichen
Verwandten im auffteigender Linie weder anfehen noch mit
ihnen beifammen fein, noch auch ſelbſt ihren Namen aus
fprechen, jo daß fie gezwungen ift, neue Wörter zu bilden,
um die Stammfilbe des gefürchteten Namens zu vermeiden.
In ähnlicher Weife fitcchtet der Mann den Anbli feiner
Schwiegermutter, geht ihr nach Möglichleit aus dem Wege
und vermeibet das Ausfprechen ihres Namens, doch ift er
*) K. Graul, Reife in Oftinvien I, 208.
++) Nottroit, Die Gofnerihe Miffton unter den Kolbe. Halle
1874, ©. 130.
Die Schwiegermutter.
binfichtlich ihrer weiblichen Verwandten in auffteigender Linie
nicht gebunden *).
Nach Fritſch liegt diefer Sitte die Furcht zu Grunde,
das Verbrechen der Blutſchande auf fich zu laden, wäre es
auch nur in Gedanken. Durch ſolche Schuld glaubt man
den bejondern Zorn der Geiſter der Verftorbenen auf ſich
herabzubeſchwören und hiktet ſich ſchon aus diefem Grunde
davor, ohme daß große trafen darauf gefegt zu fein brauchten.
Auch in Wadai leben, wie mir Dr. Nachtigal mittheilt,
Schwiegereltern und Schwiegerfinder durdaus getrennt und
iſt der Bertehe zwiſchen Schwiegermutter und Schwiegerſohn
durchaus nicht geftattet.
Der Gebraud), der Schwiegermutter auszuweichen, muß
ſich nördlich durch Afrila hinziehen, denn Mohammed el
Tunfi, der von feinem Vorkommen bei den Kaffern nichts
weiß, jchreibt ihn aud; dem Volfe von Darfur zu. Er ift
aber genau fo wie bei den Kaffern auc bei den Bogos,
femitifchen Stammes, vorhanden. „Der Gatte ficht niemals
das Geſicht feiner Schwiegermutter und beide hikten ſich ein-
ander zu begegnen. Die Frau ſpricht niemals den Namen
ihres Gatten noch ihres Schwiegervaters aus; ber Gatte
fpricht nie den Namen feiner Schwiegermutter aus“ **),
Wird hier, auf afrifanifchen Boden, diefelbe eigenthüm⸗
liche Eitte und and) erklärlich durch Uebergang oder Ent:
lehnung, jo fann davon feine Rede fein, wenn wir fie bei
jüdamerifanifchen Völlern wiederfinden, Cs ift verbirgt,
daß, bei den Ranqueles» Indianern der argentinischen
Pampas die Schwiegereltern ganz getrennt von den Schwieger⸗
jöhnen leben und dag diefe ſich gegenfeitig weder berühren
noch anfprechen dürfen ***). Der Grund ift hier jedoch ein
anderer al$ derjenige, welchen wir bei den Kaffern erwähn-
ten. Die Ranqueles bringen unter anderen Opfern dem
Gotte Gualitſchu auch Menſchenopfer bar und zwar werden
ihm gewöhnlich alte Weiber geopfert. „ft die alte rau
num gar die Schwiegermutter des flirforglihen Familien
vaters, fo geſchieht das Opfern mit befonderm Gufto, denn
die Indianer glauben, daß der Gualitſchu ein fpecielles Ber
gungen daran finde, in dem Körper folder Frauen feinen
Sig aufzuſchlagen.“ Jedenfalls wird das Mordopfer erleich
tert, wenn Schwiegerfohn und Schwiegermutter einander
fremd geblieben find. Bei den Araufanern barf bie
Schwiegermutter jahrelang nach der Verheirathung ihrer
Tochter den Schwiegerfohr nicht anfehen, doch darf fie mit
ihm ſprechen, wenn jie ihm den Rücken zuwendet oder durch
einen Zaun von ihm gefchieden ift 7).
Derjelbe ‚merholirdige Gebrauch ſcheint durch ganz Au»
ſtralien zu gehen, wenigjtens habe ich ihm in Victoria und
Weftauftralien nachweiſen können. Bon Bictoria berichtet
W. Stanbridge FF): „Die Schwiegermutter oder Gnalwin—
turrt erlaubt unter feinen Umftänden, daß ihr Gnalwin oder
Schwiegerſohn fie anſieht; ift er in der Nähe, jo verſieckt fie
Fritſch. Die Gingeborenen Sütafrifas, Breslau 1872, ©. 114.
**) W. Munzinger, Sitten und Recht der Boget. Winterthur
1859, S. 63.
**) A. Kahl, Die Ranaueles- Indianer. Yar-Plata: Monatsfchrift,
danach „Mobs“ XXV, ©, 280,
7) E. Reuel Smith, The Arauenninns. Newvork 1850, p. 217,
it) Transart,. Ethnol. Soe, I, 280 (1861).
127
ſich und bei ihren Ausgäüngen macht fie große Umwege, wenn
fie weiß, daß er ihr begegnen könnte, aud) bededt fie ſich
außerdem forgfältig mit ihrem Mantel. Dr. Mc Senna, ar»
gentinifcher Conful in Melbourne, giebt an, daß derfelbe
merkwilrdige Gebraud) von den Eingeborenen am Ya Plata
beobachtet werde* (j. oben).
Flir Weftauftralien ift der ausgezeichnete Kenner der
dortigen Schwarzen, A. Oldfield, unfer Gemährsmann *),
„Unter den Watfchandies und vielleicht aud) unter anderen
Stänmen befteht ber merhwitrdige Gebrauch, daß eim neu—
verheivatheter Mann feine Schwiegermutter (Abracurra) eine
gewiſſe Zeit lang nicht anfehen darf. Nähert fie fi, fo
muß er ſich zueliczichen, und follte er ihr Kommen micht
bemerfen, jo warnt ihn ein Öefährte und zeigt ihm die Rid)-
tung an, aus ber fie naht. Er entfernt fid) dann ohne
zurlidzubliden in der entgegengefegten Richtung und verftedt
ſich hinter einem Buſche oder Baum, bis es ihr gefällig ift
fich zu entfernen, wovon ihn feine Kameraden fofort benach—
richtigen. Ich war nicht im Stande den Urſprung biejer
Sitte zu erforfchen oder die Strafen, die auf ihre Mißachtung
gelegt find,“
Die Sadye ift alfo im Pictoria und Weftauftralien die-
felbe, nur mit dem Unterſchiede, daß Schwiegerfohn und
Schwiegermutter bie leidende Rolle wechſeln.
Keinedwegs fehlt es an Spuren einer ähnlichen Sitte in
Afien, die wenigftens eine eigenthlimliche Scheu oder großen
Reſpect der Schwiegerlinder vor den Schwiegereltern ver-
tathen. Spenfer St. John bemerkt **), daß bei den Dajals
der Schwiegerfohn dem Bater feiner Fran größern Reſpect
bezeugt als feinem eigenen Vater. Er behandelt ihn höchſt
ceremomiell, ſpicht niemals deflen Namen aus, igt niemals
mit ihm von berfelben Schüſſel oder trinft aus derfelben
Scale, noch wagt er es mit ihm auf derfelben Matte zu
figen. Und anflingend hieran lautet der Bericht Adolf
Erman’s von dem, was er im einer jafutischen Jurte jah:
„Die Finder waren in derfelben ganz ohne Kleider und auch
die Frau, die bis um Mittag geichlafen hatte, trug jegt nur
ihre kurzen Hoſen und blieb mit nadtem Überleib, während
ic, im der Jurte verweilte. Nach jakutiſcher Sitte liegt
hierin nichts Anftößiges, denn nur vor ihrem Schwiegervater
und vor den Älteren Brüdern ihres Mannes ift es den rauen
verboten ſich auf dieſe Weiſe zu entblößen“ ***). Alſo aud)
hier ein beſchränkendes Verhaltniß zwiſchen Schwiegervater
und Schwiegertochter.
Dei ber Beurtheilung folder überraſchender und eigen:
thlimlicher Uebereinftimmung bei räumlich weit getrennten
Völfern lann man nicht vorfichtig genug fein, Sollen wir
hier gleich, wieder die bequeme Entlehuungstheorie hervor—⸗
juchen? Daß ſolche Gebräuche jpontan entjtehen, ſcheint uns
weit mehr Wahrjcheinlichkeit für fich zu haben und liegt auch
in der Natur der Sache begründet,
Richard Andree.
) Transact. Ethnol. Soc. IN, 251 (1865).
**) Life in the forests of the far enst. London 1862, Vol. I,
p. 51.
+, Arolf German, Meife um Die Erbe, 1. Abtbeil. 2. Band.
i ©. 317.
128
Aus allen Erdtheilen.
Aug allen Erdtheilen.
Die deutihe Eolonifation in Palaftina
Die Anfänge diefer von einer wilrttembergiichen Secte,
dem „Tentpel*, unternommenen und gebeibenden Anſiedelung
datiren aus dem Jahre 1869, Man ging dabei planmäßig
und bebachtiam zu Werke, da zwei frühere Colonien, eine
deutiche in Sammnich bei Nazaretb und eine amerikaniſche
bei Jaffa, wegen ungenügender Mittel zu Grunde gegangen
waren. Man nabm alio zuerſt Bedacht auf Beſchaffung ge—
nigender Geldmittel, dann auf die Auswahl geſunder Oris—
lagen und fing Mein am, um wicht bei einem etwaigen Fehl—
ichlagen Alles zu verlieren, Schon im Serbfte 1569 enthielt
die Golonilationcaffe über 200,000 Mark, zu 9 Zchntbeilen
Einlagen der Mitglieder. 1870 befanden ſich in Jeruſalem
25 Seelen, meift Handwerker; ebenſoviel in Beirut, Hand:
werker und Dienftmädchen ; ſodann eine Ackerbaucolonie von
70 Berfonen bei Haifa und eine ebenfoldye von 60 Perſonen
darumter anch viele Handwerker bei Jaffa, nördlich von den
herrlichen Citronen: und Npfelfinenpflanzungen, welche Diele
Hafenjtadt Jeruſalems von drei Seiten umgeben.
Aus den Verbandlungen der engliſchen ‚Paleſtine So—
eiety* erfchen wir jest, daß fich trog der türfijchen Miß—
wirtbichaft, des ungewohnten Klimas nnd mancher anderer
bindernder Factoren jenes Unternehmen feitdem gedeiblich
eitwidelt und vergrößert bat. Schon zählt es an 1000 Ser:
len in ſechs Niederlaffungen, über welche einige nähere Au—
gaben bier folgen. In Jeruſalem ift der „Tempel“ durch
Miller, Schloſſer, Tiidyler, Krämer, Sattler, einen Bäder,
Schlächter, Holzhändler sc. vertreten, welche ſich, früher über
die ganze Stadt zeritreut wohnend, feit einigen Jahren etwa
20 Minuten Tüblich von Jeruſalem im Thal Rephaim, wo
David die Bhilifter ſchlug, einer neben dem andern nieder:
gelaſſen haben. Ahr Meines Dorf zicht fich in gerader Linie
iu beiden Seiten der alten römischen Strafe nach Gaza bin.
Lebhaften Antheil nehmen die Dentihen an dem aufblühen-
den Handel von Jaffa, wo die Handlung von Breiich dem
bofzarmen , aber fteinereichen gelobten Lande die Hölzer vor
Trieft, Kleinaften und Macedonien herbeiſchafft. Bon dieſem
Holze ift in Tiberias cin Boot erbaut worden, welches Korn
auf dem Jordan transportiren ſoll; auch ein mebrtädiges
Haus mit gedielten Fußbbden ift davon in Jeruſalem errichtet
worden, two bis dahin nur Gebäude mit ſteinernen Wölbuns
nen nad) arabifcher Weile eriftirten. In Gaza, Nablus u. |. w.
bat das Grofbandlungsbaus von Duisberg nm. Comp. feine
Filialen. Eine tägliche Verbindung zwiichen Jaffa und Je—
rufalem iſt gleichfalls von den Deutſchen ins Leben gerufen
worden und leidet nur an dem entſetzlichen Auftande der
Straße, welche 1569 fir die fürftlichen Befucher des heiligen
Grabes zwar in guten Stand geſetzt wurde, feitden aber
elend verfallen ift. Unter gewilfen Bedingungen wollen bie
Dentichen dies wichtige Verkehrsmittel wieder herſtellen;
aber ob dies Mirerbieten von den edlen Beberrichern und
Ausfangern des Yandes wird angenommen werben, ſteht noch
dahin.
Die Colonie Sarona bei Jaffa litt anfangs unter der
ſumpfigen Beichaffenbeit ihres Bodens, welche zwar wenig
Producte, aber Fieber erzeugten. Das bat ſich allmälig ge—
a ——— — — — — — — — — —
beſſertz die Weinſtöke (Meben vom Nedar) tragen gut, die
Maulbeerbäume gedeihen und veriprechen der geplanten
Seidenraupenzucht Erfolg, der Handel mit Ierufalem wirft
auch einiges ab und das Dörfchen macht mit feinen 2000
Baumen (mo fieht man jo viele anderswo in Paläftina zu:
fanmen?) einen freundlichen Eindrud, Bei Haifa wohnen
350 Berfonen in 50 Häuſern und baben den vorher mit
Dorn und Brombeeriträuchen bewachſenen Abhang des Kar:
mel in ihrer Näbe in einen trefflichen Weinberg verwandelt.
Eine Seifenfabrit, Oelmüble, Holzichnigerei trägt viel zu dem
Gedeiben der Anfiedelung bei. An Nazareth wohnen nur
ein paar Familien; der Baumeifter Schuhmacher führt dort
zwei Bauten, für eim lateiniſches Hospiz und für eine von
einem Engländer negründete arabiiche Schule, aus.
Herr Hoffman, welcher die ganze Leitung dieſes Unter:
nehmens in Händen bat, giebt den Geſammtwerth aller
Tempelbefigungen auf mehr als eine Million Marf an und
räth der dazu ſehr disponirten engliſchen Geſellſchaft, auch
ihrerſeits die Coloniſation des gelobten Landes zu fördern.
Man müßte fruchthare und geſunde Ländereien dazu aus—
wäblen, wie die Mündungen des Kiſon und des Nahr Audſche
(bei Jaffa), die Umgebungen von Caeſarea und Tyrus u. ſ. w,,
industrielle Anjtalten errichten, wie ®etreide:, Del: und
Seifmühlen, dann beſonders Oliver, Wein und Cocons zu
gewinnen Suchen. Auch ein Bankgeſchäft, das ben arabijchen
Fellabin zu mäßigen Zinſen Geld vorihöffe, würde ſowohl
den Engländern wie den unter hartem Wucher leidenden
Eingeborenen Nutzen bringen.
Die „Paleftine Society" nahm diefe Mittbeilungen uud
Natbichläge mit großem Intereſſe entgegen und beſchloß, die
Gultivirung des bradjliegenden Landes in Paläftina nach
Kräften zu fördern.
** x
— Rußland bat befammtlich unlängſt durch Tractat von
Japan die ganze Juſel Sachal in abgetreten erhalten und
ibm dafür die Felsinfeln der Kurilen überlaflen. Dieſer
Tauſch ift zu Anfang des Nabres ausgeführt worden. Ta:
bei find 650 Bewohner Sachalins den abzichenden Napa:
tefen nad Süden gefolgt, während auf den freilid nur
ſchwach bewölferten und nur wegen der dort hauſenden See
ottern werthvollen Kurilen bloß 72 Eingeborene wohnen ge
blieben find. Alle Uchrigen wandern anf ruſſiſches Gebiet
aus, weil fie Chriften find, und ihre Handelsinterefien fie
dorthin zieben.
— Wie das „Athenäum“* meldet, ift anf den Azoren
ein ſehr wertbvolles Manufcript entdeckt worden. 1570 von
Francisco de Souza verfaßt, berichtet c& über die Beſiede—
fung des Nordens von Amerika (dev „Terra Nova do Ba-
calhao“ oder des Neuen Stodfiichlandes‘, d. b. Neufund⸗
lands) durch Auswanderer von Oporto, Avciro und der Intel
Terceira.
— Dem neulich vorgenommenen Cenfus von Süd:
Carolina zufolge beträgt die Bevöllerung dieſes Staates
995,447 Seelen. Darunter befinden ſich 78,180 Weiße
und 110,153 Farbige, welche im Beſihe des Stimmrechts find,
fo daß die Farbigen eine ganz überwiegende Mehrheit haben.
Inbalt: Rebatel's und Tirant'd Reife in der Negentichaft Tunis. III, Mit fünf, Abbildungen.) — Stremoucow's
Reife nach Buchara. Bon 9. v. Lankenau. IV. (Mit einer Abbildung.) (Schluß) —
Sibirien 1875. — Skizzen aus Chile, Bon Dr. med. Georg Thiele IX, —
Südflaven. Bon Albin Kohn. — Die Schwiegermutter. Bon Richard Andree. —
ſche Golonilation in Paläſtina. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 29. Januar 1576.)
Nordenitjöld'g Expedition nad)
Begräbnißgebräuche der Öjterreichiichen
Aus allen Erdtbeilen: Die deut:
Netacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lintenftrafe 13, II Tr.
Drud und Berlag von Friedrid Vieweg und Sohn in Braunfchmweig.
Hierzu eine Beilage: Kiterariiher Anzeiger Nr. 1.
Mil befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
—
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern und Künſtlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunſchweig
Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monallich 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Bf.
1876.
Rebatel’8 und Tirant's Neife in der Negentfhaft Tunis,
IV.
Gafja, die ſchönſte Dafe der tuneſiſchen Sahara, wird
durch eine 18 Kilometer breite Sandwlifte ohne Baum oder
Brunnen von El-⸗Gettar geſchieden. Aber ſchon von Weiten
verräth eine dunkele Yinie von Palmen am Horizonte den
Reichthum und die Fruchtbarkeit des Ortes, der auch in der
römischen Geſchichte feine nicht unwichtige Rolle gefpielt hat.
Damals lautete der Name Capfa, was im Phönitiichen fo
viel als „die gefchloffene, umwallte Stadt, die Feſtung“ bes
deutet. Wegen ihrer Befeftigungen und ihrer durch die um⸗
liegenden Wüften geſchutzten Yage hatten fie die numidiſchen
Könige zu ihrer Schagfammer gemacht; aber als Jugurtha
die Römer zum Sriege gereizt hatte, vermochten die Einöden
doc; nicht den ſiegreichen Marius abzuichreden, Im ſechs
tägigem Marſche durchzog er, wie Salluft erzählt, die Wiifte,
näherte ſich unter dem Schutze der Nacht der nichts ahnenden
Stadt, ſetzte fich am folgenden Morgen durch Ueberrumpelung
in ihren Befig und überlieferte fie den Flammen, weil er fie
nicht auf die Dauer behaupten follte. Erſt 50 Jahre fpäter,
25 v. Chr., annectirte Rom das Königreich Numidien end-
gültig. Da erhob fich auch Capſa wieder aus den Trlim-
mern und blühte, Tant feiner trefflichen Yage und feiner
reichlichen Quellwaſſer, wieder auf; erhielt fich aud) durd)
bie ganze Zeit der Araberherrfchajt bis heute. Jetzt behauft
bie Stadt in ihren einftödigen, aber geräumigen Häufern
etwa 4000 bis 5000 Einwohner, von denen ein Viertel
Juden find. Biel Mertwirdiges hat fie an Bauten nicht
aufzumweifen, wenigſtens nicht dem Europäer, weldyer das
halbe Dugend vorhandener Mojcheen nicht betreten barf.
Globus XXIX. Nr 9,
Bon antiken Nejten eriftiren hur zwei Bäder; antik find auch
die Grundmauern der Citadelle, während zum Aufbau ihrer
Wände alte Werfftücde, Säulentronmeln und »Capitäle, Ins
ſchriftſteine u. j. w. in Menge verwendet wurden, Die
Citadelle ift im Uebrigen ein riefiges, ſtarl befeftigtes Ger
bäude, welche auf ihrem Hofraume allein zwei Moſcheen ein
fließt und ihre eigenen Quellen befigt. Sie könnte ein
ganzes feines Heer beherbergen, wird aber nur von ein paar
arımfeligen Soldaten bewohnt, die ihre vielen müßigen Stun:
den mit Strümpfeftriden verbringen. ”
Der Palaſt des Ben ift nur ein gemwöhnliches Wohnhaus,
den nur der Umſtand, daß es an der Stelle römifcher Bäder
erbaut ift, ein Interefle verleiht. Zwei ober drei warme,
wenig mineralhaltige Quellen von 31 bis 32° C. entjprin-
gen inmerhalb des Ortes umd bilden einen förmlichen Bad).
Dicht am Haufe des Bey Liegt die größte antife Anlage,
heute Tarınyleel-Bey, d. h. Bad des Bey, genannt: zwei
offene Bafjins von 10 Meter Seitenlänge, ohne Gewölbe
und Dad; und nur durch Mauern, welche antile Inschriften
tragen, gegen zudeingliche Blide geſchützt. in Gewölbe,
welches eine Brlide trägt, verbindet dieſe beiden Wafler-
behälter, weldye das Männer: und das Frauenbab genannt
werden und den Bewohnern Gafſas zur Reinigung ihrer
Feiber und ihrer Wäſche dienen. Als die Nacht dem Trei⸗
ben dort ein Ende gemadjt hatte, fonnten aud) unfere Rei—
fenden, die im Haufe des Bey abgeftiegen waren, ſich in den
lauen Fluthen den Schweiß und Staub der vorhergehenden
Tagemärſche abſphlen.
17
Rebatel's und Tirant's Neife im der Regentichaft Tunis.
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N 17 —20
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Dafe Gafla.
Rebatel's und Tirant's Reife in der Regentihaft Tunis.
> Das andere Dad liegt bei der Citadelle und dient ber
jüdifchen Bevölkerung; da Oftern herannahte, jo ftrömten die
jüdischen Frauen und Kinder in Dlenge herbei, fich zu rei-
nigen, In diefen warmen Gewäſſern leben zahllofe Schaaren
von Fiſchen und ſchwarzen Schlangen, von denen die Frans
zofen viele Exemplare einfammelten und dem Pyoner Muſeum
überwiefen. Es hat fid) dort gezeigt, daß die Schlangen
einer neuen Species des Genus Tropidonotus, die Fifche
dem Genus Chromis angehören. Zu bemerken ift, daß cin
englifcher Naturforscher, Zriftam, einen analogen Fiſch, ben
er im Tuggurt gefunden hat, flir den leiten Leberreft einer
Fauna anfchen möchte, welde vor der Tertiärzeit das bie
Sahara bededfende Meer bevölferte. In der That zeigen
auch beide Fische, bie von Gaffa und von Tuggurt, Senn»
zeihen mariner Arten; andererfeits aber ift dagegen einzus
wenden, daß man diefelben noch nicht im foffilen Zuftande
in den Schichten jener Epoche gefunden hat.
Hier in Gaffa, von wo fie wieder nad) Norden zuriüds
fehrten, befanden ſich die Reiſenden an der Schwelle bes
berlihmteften Dattelandes auf Erden, des Dſcherid oder
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Balad-el-Dicherid, d. h. Yand der fahlen Palmenzmeige,
wohlverftanden fahl an Blättern, von denen viele Kberflüffige
abgefchnitten werben, um bie Frlichte zu um fo größerer Ent-
widelung tommen zu laflen. Die Dattelpalmen erheben ſich
in den etwa 30 größeren und Meineren Dafen biefes Gebietes
bis zu 80 und 90 Fuß Höhe und bilden mit ihren graziöfen
Federkronen gleicfam das Dad; eines Treibhaufes, in deſſen
Schatten die Fruchtbäume des jüdlichen Europa eine bort
ungelannte Entrwidelung erreichen. Da fchlingt ſich die Wein-
rebe um den Delbaum, da gedeihen Mandeln und Pfirfichen,
Aprifofen, Pflannten und Aepfel neben Feigen, Öranaten und
Drangen. Gleichſam als dritte, unterfte Schicht bededit dann
noch eine Menge lieblicher oder nüglicher Gewächſe den Bo-
den biefer geſegneten Dafen, die im März und April, wenn
das Alles blüht und ſproßt, von einen zauberhaften Dufte
durchweht find. Immerhin bleibt aber die Palme das fchönfte
und nitglichite Gewächs: fie Liefert jeme Föftliche Frucht,
welche bis nach Acgypten verführt wird und fo ganz von den
unreif abgepfliidten Datteln, welche nach Europa fommen,
verfchieden ift. Aus den DBlattrippen werden Hirden, Mat
ten, Körbe, Säde und Stride geflochten; der Stamm wird
zu Balfen und Brettern verarbeitet, die bei der Herftellung
der Häuſer und Brunnen Berwendung finden; die Haare
der Wurzelblätter und des Stammes dienen zum Auspolftern
der Sättel und werden zu groben Stoffen verwebt; der Saft
alter, gefappter Palmen wird friſch oder gegohren genofien,
die Kerne werben den Pferden und Kameclen gefüttert.
So wird faft jedes Teilchen des Baumes benußt, deſſen
Cultur im Dſcherid allein der Regierung jährlich, nicht wer
niger als 1,550,000 Fraufen einbringt. 2,617,000 Frans
ten zahlen die gefammten Oelbäume ber Regentſchaft, die bes
Dſcherid einbegriffen, an Steuern. Die Fruchtbarleit Teg-
terer Landfchaft ſcheint unbegrenzt zu fein; ohne Ruhepauſe
herrſcht hier ein ewiger Fruchtwechſel. Die hauptjächlichiten
Nugpflangen, welche gezogen werben, find Henna, Tabad,
fpanifcher Pfeffer, Erbſen, Melonen, Gurten, Kiürbiffe,
Waſſermelonen, Portulaf, Tomaten, Eieräpfel, Zurderrütben,
Kümmel, Koriander, Weizen, Öerfte u. ſ. w.
Neben feinem vegetabilifchen Reichthum ift Gafſa auch
ein inbuftrielles Centrum, Die ummohnenden Hamama
Nömilces Bad in Safla.
liefern die rohe Wolle, welche zu großen Deden und Burs
nuffen verarbeitet wird. Erſtere foften an Ort und Stelle
50 bis 160, legtere 45 bis 50 Franken, in Tunis ſchon das
Doppelte. Die Mißwirthſchaft Chasnadar Muftafa’s Hatte
dem Orte freilich hart zugefegt und bereit$ mehrere wohl«
habende Leute am den Betteljtab gebracht; nad) dem oben
erzählten Sturze des Gewaltigen feheint ſich aber Vieles wies
der zum Beflern zu fchren.
Nach drei Ruhetagen in Gaffa traten unfere Botaniker
den Nüdweg nad) Sfafes an, welcher im ziemlich gerader
Richtung nördlich von dem Gebirgsftod des Bu Hedma ents
lang führte. Ganz zufällig entdedten fie dabei, daß es eine
alte, bis dahin unbekannte römiſche Straße fei, längs deren
fie dahin zogen, bei zahlreichen Triimmern von Befeftigungen,
Eiflernen u. ſ. w. vorbei. Anfangs geht es 20 Kilometer
auf der Straße nad, Tunis gegen Norboften; bann wenbet
ſich der Weg nad; Oſten in eine öde Sandwüſte hinein, in
welcher man bald auf Schwefelquellen mit Reften antiler
Thermen ſtößt. Die Brunnen auf diefem Wege find ſpär⸗
lic und bieten meift nur Ubelſchmeckendes Wafler bar, fo daß
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Karawanen ihn felten benugen, zumal er auch durch das
Gebiet ber räuberifchen Hamama führt. Bei einer Unter:
abtheilung diefes Stammes, den Aulad Afis, blieb die Ges
felfchaft in der erften Nacht; aber obwohl jene Duars zu
den reichften des Yandes gehörten, verweigerten fie doc) den
Fremden jede Speife und jeden Trant, Am folgenden Tage
wurde bie Hige jo groß, daf fie ihrer ermatteten Thiere hals
ber gezwungen waren, ben Said der Aulad Afis felbft um
Gaftfreundfchaft anzugehen. Ahmed ben Ali entſprach auch
dem auf ihn gefegten Vertrauen, nahm die Fremden freund«
lich) auf und fchladjtete Hammel auf Hammel, um fie die
empfangene Beleidigung Seitens feiner Stammesgenoflen
vergeffen zu machen. Erſt um 11 Uhr Nachts ging es wei:
Rebatel's und Tirant's Reife in der Negentjchaft Tunis.
der verweigerte ihnen ein Duar der Hamama Speife und
Tranf und nad) zweiundzwanzigftündigem Marjche waren fie
gezwungen, durftig und hungerig auf dem Wuſtenſande zu
camıpiren. Am folgenden Morgen ftießen fie nad) einem
Ritte von wenigen Kilometern zwar auf einen Brunnen, der
aber 56 Meter tief war. Es foftete Mühe gemug, den Eimer
voll warmen und obendrein ſchwefeligen Waſſers heraufzu:
ſchaffen, das aber von den Pferden nicht verichmäht wurde.
Daneben erhebt ſich ein elegantes und vollfommen erhaltenes
römijches Mauſoleum, in der weitern Umgebung zahlreiche
Trümmer, anſcheinend von einen Friedhofe und einem ver:
ſchanzten Lager, wie auch die Straße weiterhin fortwährend
durch antile Reſte hindurchfllhrt. Nachdem fie noch auf ber
ter zum trodenen Wed-el-Yeben und denfelben hinab, Wie- | legten Nachtftation bei der Quelle Harſer Eſchal im Schupe
Zaghuan.
prächtiger Oelbäume einen Samum überftanden hatten, laug—
ten fie am 6. April wieder in Sfafes an, froh, bon ben räus
berifchen Hamama nur unfreundlich und nicht ſchlimmer bes
handelt worben zu fein.
Widrige Winde Hinderten die Neifenden am Beſuche der
Infel Dicyerba und zwangen fie, nad) Tunis zurlickzutehren.
Sie wählten dazu einen ziemlich unbetretenen Weg, der etwas
mehr landeimwärts führte als ihre Hinreife. Bon Herrn
Mattei während der erften Tagereife begleitet, erreichten fie
zunächſt die Zelte der Methalit, deren Haupt Si-Salah» Ems
barel, ein glühender Verehrer und Vertheidiger des herrſchen⸗
ben Bey, fie gaſtlich aufnahm. Mit Stolz zeigte ex ihnen
die Wunden, welche er im Kampfe für die gute Sache des
Bey empfangen hatte, die dafitr erhaltenen Geſchente, fein
Streitroß, feine Damascenerfäbel, ja ſelbſt feine (rauen und
Negerinnen, nicht ohne fie auf den Werth dieſes Beweiſes
von Vertrauen aufmerffan zu machen. Wichtiger war cs,
daf er vermöge feiner genauen Ortöfenntniß ihnen Rath:
fcjläge für die Weiterreife ertheilen fonnte. Kerwan zu bes
fuchen wiberrieth er, weil diefe Stadt, angeblich, im Beſitze
ber Reliquien von Mohamnıcd’s Bartſcheerer, als heilig gilt,
und ihre fanatifchen Bewohner und die zahlreichen Pilger da⸗
felbft einem Franken den Aufenthalt leicht verleiden Fünnen.
Diefe Winfe waren den Neifenden um fo nüglicher, als fie
von nun an ihre urfprlinglich projectirte Route verließen
und dadurch ihre officiellen Amras (Empfehlungsfchreiben)
unwirtſam machten, Trotzdem wurden fie weiterhin ohne
die Amras herzlicher und gaftfreundlicher aufgenommen, als
mit denfelben weiter im Silden von den Hamama.
Um Kerwan zu vermeiden wurde etwas nad) Often aus
Rebatel'E und Zirant'S Reife in der Regentſchaft Tunis.
gebogen, wodurch die Geſellſchaft genäthigt wurde, die Sebcha
Sidisel-Hani oder von n zu überfchreiten, beren
Triebfand, an manchen Stellen ganzen Karawanen den Unter:
gang droßt. Dieſes trodene Seebeden mißt an feiner breis
teften Stelle 36 Kilometer, an dem Punkte, wo es die Fran⸗
zofen durchzogen, aber nur 14. in wahrer Orcan brad)
während der Paffage (08 und erſchwerte die nöthigen Bors
fihtsmaßregeln gegenüber den gefährlichen Stellen. Doch
erreichten fie glüdlich das andere Ufer und die Heine Capelle
des Eidisel-Hani, welde der Sebcha den Namen gegeben.
Diefelbe liegt auf einem Hügel, der auf drei Seiten von einem
Heinen See umgeben ift, den wilde Enten und anderes Waſſer⸗
geflügel beleben. Nun wird auch die Vegetation ftärter;
meilenmweit dehnen fich herrliche Gerftenfelder aus, deren
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gr bie Pferde niebertreten, da an Pfabe nicht zu dene
fen ift.
Bon dort ritten fie gerade auf ben Dſchebel Zaghuan
108, waren aber nicht wenig erftaunt, als ihnen plöglic, ein
mindeftens 30 Kilometer langer, fiſchreicher Suißwaſſerſee,
von welchem feine Karte etwas weiß, ben Weg verfperrte
und fie zwang, nad; Dften zum Meere hin auszubiegen.
Diefem Umftande, den fie anfangs faft bedauerten, verdant:
ten fie jedoch am folgenden Morgen eine intereffante Ente
befung: unweit ded Fußes des Dichebel Zaghuan ftießen
fie auf etwa 250 bis 300 trefflid erhaltene Dols
men, welde auf einem Viereck Yandes von circa 500 Meter
Seitenlänge ſich erheben. Jedes einzelne diefer vorgejchicht
! lichen Monumente ift von DOften nad) Weſten gerichtet
und von einem 6 bis 7 Meter im Durchmeſſer haltenden
Kreife in die Erde verfenfter Steine umgeben. Nur bei
wenigen ift der obenliegende Stein herabgeftlirzt. Leider
hatten bie beiden Franzoſen feine Zeit, diefe merhwirbis
gen Refte näher zu unterfucen. Altes, was fie thun konn
ten, war, ihre Lage für zuflinftige Forſcher genau auf der
Karte zu firiren.
Nun sing es hinauf in die Berge, wo bei einer ſchönen
Duelle zu Mittag Halt gemacht wurde. Römiſche Ruinen
und prächtige Johannisbrotbäume umgeben fie; herrlich ift
die Ausficht auf das Meer bei Hamamet und ebenfo herrlich
mundet das Bergwafler nach den fchwefeligen Quellen im
Suden des Landes, Der weitere Weg bis Zaghuan ift ein
wahrer Spazierritt in einem Parle; fortwährend flihrt er
durch einen Wald von Yebensbäumen (Callyotris quadri-
Römisches Thor in Zaghuan.
valvis), dem größten im der ganzen Regentfchaft, welcher
40,000 Hectaren Landes bebedt.
Zaghuan (Malgan fchreibt Sarhuan) liegt auf einem
Borhligel des nad) der Stadt benannten Gebirges und bietet
mit feinen laufenden Bergwaflern und feiner frischen Bege—
tation dem von Süben Kommenden ein überaus anzichendes
Bid, Somohl wegen feiner natlirlichen Reize als wegen
feiner Refte aus der Römerzeit wird der Ort viel beſucht.
Von Hier führte im Alterthume ein Aquaduct das Quellwaſſer
nad) Carthago ; franzöfifche Ingenieure haben neuerding® die
Reſte defielben benutzt, um eine Yeitung nach Tunis herzu—
ftellen. Wo diefe beginnt, etwa eine halbe Stunde von der
Stadt den Berg hinauf, befinden ſich die Hefte eines Tem-
pels, der wahrjcheinlich einer Waffergottheit gewidmet war,
und einer Bogenhalle mit 13 Nifchen, die einft Bildfänlen
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gefült hatten. Bon legteren janden die Franzoſen noch
Hägliche Reſte. Weiter unten ftand ein Nympheuheiligthum
und eine Treppe verband bie beiden Anlagen. In Zaghuan
ſelbſt ift nur ein Meiner, alter Thorbogen erhalten, durch
welchen Rebatel und Tirant die Stabt wieder verliefen.
Sie folgten aber nicht der geraden Straße nach Tunis,
Dr. Bühler’s Reife nah Kaſchmir.
fondern zogen durch die Berge auf beſchwerlichen Pfaden
uach Nordoften zum Dſchebel Nejas, d. i. Bleiberg, den
fie in drei Stunden beftiegen. Bon feiner TOO Meter hohen
Spitze hat man eine prächtige Ausficht nad, Nrden Über
Tunis, den Bardo, die Bahira, bie Bayen von Tunis und
Hanmmamat und bie dazwiſchen liegende Halbinfel des Nas
Johanuisbrothaum.
Addar, während im Suden die Berge von Zaghuau und
Kerwan den Blid begrenzen. Beim Abftieg trafen fie auf
bie ſchon im Alterthume bearbeiteten Bleiminen, weldyen der
Berg feinen Namen verdankt, und lenkten bald darauf in die
und ſchon befannte Strafe zwiſchen Hamman:el-Auf und
Zunis ein. Das auf ber-Hinreife fo hinderlice Waſſer
hatte ſich inzwischen verlaufen und fo lonnten fie raſch und
trodenen Fußes noch am felben Abend die Strecke bis Tunis
zurliciegen, das fie nad; einer 48tägigen, erfolgreichen Wan:
derung wieder betraten. Nach einem eingehendern Beſuche
der Ruinen von Carthago, in denen, nebenbei bemerkt, fürz
fi) wieder der Franzoſe de Sainte-Marie Ausgrabungen
veranftaltet hat, lehrten fie am 28, April nad) Frankreich
zurlick.
Dr. Bühler's Reiſe nad) Kaſchmir.
Schon mehrere Blätter gaben kürzlich die Nachricht, da
Dr. Georg Bühler von der englijchen Regierung behufs
wiſſenſchaftlicher Unterfuchungen im verfioiienen Herbite nad)
Kaſchmir geſendet ſei; und fo iſt es vielleicht erwünſcht, ſchon
jebt einige Details dieſer Neife, welche uns aus feinen Brie—
fen vorliegen, zu öffentlicher Keuntniß gelangen zu laſſen.
Vorab einige Notizen Uber dem Neijenden felbit: Dr.
Bühler, geboren 1837 in der Graffchaft Hoya, hielt ſich
nad) vollendetem Studium der Philologie zu Göttingen,
wofelbft er aud) promovirte, mehrere Jahre in Paris” und
London auf, widmete jich dort vorzugoweiſe der Sprachver⸗
leihung und dem Sanstrit, war dann in Windjor bei
tbnumg der föniglichen Bibliothek befchäftigt und hatte ſich
gerade in Göttingen als Docent habilitirt, als er vornämlid)
Dr. Bühler’s Reife nad Kaſchmir.
durch Mar Müller in Orfordeine Stelle am College zu Bon:
bay erhielt. Dort war er von 1863 an mehrere Jahre
als Profeffor des Sanskrit thätig und hatte langbärtige
Brahminen in ihrer heiligen Sprache zu untermweifen.
Nachdem er hier feine Tuchtigleit im Lehrfache erprobt,
wurde er als regierungsfeitiger Schulinfpector des Gudſcherat
(nordweftlich von Bombay) über etwa 1200 Schulen der
Eingeborenen angeftellt. ‘
In dieſer —* hatte er bei ſeinen jährlichen
Rundreiſen reiche Gelegenheit, die Antiquitäten und Biblio—
thefen diejes uralten Culturſtaates zu durchforſchen und
machte glüdliche Funde mit wichtiger wiſſenſchaftlicher Aus:
beute. 1870 war er auf Urlaub hier anmwefend und Fonnte
ber Berliner Univerfität mancherlei Antiquitäten, vornämlich
alte Münzen, überweifen. Nachdem Dr, Bühler durch feine
Mitwirkung an einem indiſchen Codex juris und andere
Arbeiten die Aufmerlſamleit der englifchen Regierung auf
fich gezogen, wurde er im verfloffenen Sommer mit ciner
Reiſe nad) Kaſchmir beauftragt, um dort vornämlich nad)
alten Infcriften und Handfchriften zu forſchen, deren Auf-
findung, Entzifferung und Beurtheilung ihm nad) feiner
mehrjährigen Praxis befonders zugetraut werden durfte.
Der erfte feiner Briefe datirt Ende Auguft aus Srina—
gar, der Hauptſtadt Kaſchmirs. Von Bombay, fchreibt er,
reifte ich am 21. Juli ab und erreichte Yahore nad) dreitägis
ger Fahrt auf der Eifenbahn. Unterwegs machte ich in
Alahabad zwölf Stunden Paufe, um eine befreundete Fa—
milie wie auch die unterirdifchen Tempel zu befuchen. In
denn bebeutenditen wächſt ein berühmter Feigenbaum, ber
uralt ift und ſchon von einem Pilger (dev Chinefe Fa-hien
ift gemeint) befchrieben wird, ber Indien ums Jahr 400
n. Chr. beſuchte; ev befteht aus zwei ftarfen Stämmen, die
jeber etwa 4 Fuß im Umfange haben umd aus einer ges
meinfamen, gewaltigen Wurzel hervorlommen. Beide ganz
mit gelbfahlen Blättern bedeckt, reichen nur bis zur Dede
des Gebäudes, etwa 10 Fuß hoch, und find dort gefappt.
Der Tempel befteht aus mehreren langen Gängen und vier
eigen Räumen, die mit alten Götterbildern angefüllt find.
Die Mauern find nad) cyelopifcher Urt aus Quadern ohne
Mörtel erbaut. Hinter dem Feigenbaume ift die Mündung
eines Ganges, gerade groß genug, um einen Mann hineins
kriechen zu laffen; er foll bis nad) Benares zum großen Tempel
des Viſchveſchvar führen, natitrlic eine Fabel. Ic fragte
den Priefter, ob er je darin nach Benares gelrochen wäre;
darauf meinte er, das ginge wegen der Schlangen und Scor-
pione nicht.
In Yahore mußte ich einige Tage bleiben, um meine
Reifeausräftung zu vollenden. Bon Bombay hatte ich nur
einen Bebienten, einen Agenten und meinen großen Hund
Yandz mitgebracht, an Gepäck bloß Kleider und Bucher.
Deshalb miethete ich hier noch einen Kod und einen Hunde:
jungen, der auch fonft noch allerlei verrichten wollte; ich
faufte Tiſche, Stühle, Teller, Schliffeln zc., verfah mich mit
Sodawaſſer, Wein, Spirituofen, Medicin, Eonferven und
zwei Heinen Zelten. Diefe Angelegenheiten verzehrten meine
Zeit fo ziemlich.
Meine englijhen Bekannten waren zubem alle in den
Bergen; die eingeborenen freunde, welche ich dort voriges
Jahr kennen lernte, erwieſen ſich jedoch fehr dienfteifrig,
bis zum Uebermaß: der alte Ajtrolog des letzten Sith—
fünigs verfammelte mir zu Ehren alle Vandits (Brahminen)
und Gelehrten. Da gab es fchöne Neben in Sansftit.
Am Morgen deö 29. ging es weiter nad) Norden, wo
mein erſtes Ziel die Stadt Gudfcherat war, alfo benannt
von dem Hirtenvolfe der Gudſchars, das auch unſer weit-
liches Indien colonifirt hat. Einen Theil des Weges fonnte
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ich noch per Bahn abmahen, da die Regierung die Linie
nad) Peſchaver an der Grenze von Afghaniftan bauet und
bis an den Tſchinab ſchon vollendet hat. Im ſechs Stunden
war ich in Wezirabad; dort frühftücte ich im Pofthaufe
und ging nach dem Fluſſe, wo die Regierung im Monſun
Boote und in der trodenen Zeit eine Schiffbrüde hält. Der
Fluß ift beinahe 2 englifche Meilen breit und ſehr reißend,
fo daß die Ueberfahrt 11/, Stunden dauerte. Dann ging es
zu Fuß bis zum nächſten Dorfe, vom wo mich zwei raſche
Pferde in einer Stunde nach Gudſcherat brachten. Dort
hielt mich ein Regenwetter von 24 Stunden auf, fo daß
ich bis zum 31, liegen bleiben mußte; doch fand ich zum
Trofte eine gute Bibliothek und einige alte Münzen. Bon
hier gingen meine Sachen auf Ponies nach Bimber (Bhim—
bar) *),39'/, engl. Meilen weit entfernt, der erſten Station
auf der Noute nach Kafchmir fiber den Per-Pöntſchal-Paß.
Ich felbft benugte Extrapoſt. Das Pendſchab ift hier eine
flache und dürftig bebauete Ebene; nichts ift langweiliger
als die Tone von Ambala nad; Gudjcherat, obſchon im Aus
guſt das Yand ein wenig grün war. Die Dörfer haben
vieredige Steinhänfer mit platten Dächern und find hier
mo möglid) noch ſchmutziger, als im weftlichen Indien. Die
Leute find im graue Wolle oder Baummolle gehüllt, jehr
arm und vernachläſſigt. Im Pendichab lebt ein Mann mit
Familie von 10 Mark per Monat, im Gudſcherat bei Bom⸗
bay braucht er doch ſchon 20 Mark; hier bettelt dafür auch
alles, Kurz vor Bimber (ſchon in Kaſchmir) hört das flache
Land auf; der Boden wird wellig und bald fieht man bie
Vorberge des Himalaya, Es befindet ſich hier ein gutes
Pofthaus des Radſcha von Kaſchmir, und von Gudſcherat
aus wird eine Wirthſchaft unterhalten. Auf mic, wartete
dafelbft ein Wafil des Radſcha, der mid) auf der Reife zu
begleiten hatte.
Nachdem ich deffen und des Tehſildar (Amtshauptmann)
Befuc empfangen und meine Ordres gegeben hatte, ftärkte
ich mich ein wenig, und dann ging es auf einem Pony Über
die erften Vorberge des Himalaya, den Aditöt (Adhi Dhaf)
nad) Saidabab (14 engl. Meilen), während meine Sachen
durch 25 Kulis getragen wurden. Dieſe Por⸗Pöntſchal-
(Pir⸗Panjal⸗) Route iſt eine ſehr alte; Albar eroberte Kaſch⸗
mir 1583 und er, wie ſeine Nachfolger, beſuchten das Thal
alljahrlich in der heißen Jahrszeit über 100 Jahre hindurch,
weshalb der Weg etwas geebnet und ſtellenweiſe in die Fel⸗
fen gehauen, aber nicht einmal flr Saumthiere genügend ift,
benn an den gefährlichen Stellen hat man die Mühe ges
ſcheut. Albar ließ auch Seräis (Wirthshäufer) bauen, deren
Ruinen noch ftehen, und der jegige Fürſt hat daneben Poft-
häufer zur Bequemlichkeit aufgefiihrt, fo daß die Stationen,
die man jegt macht, noch ganz diefelben find, wie vormals.
Alſo hinauf ging es zum Aditöl, einem fanft anfteigen-
den Bergrüden von etwa 1700 Fuß Höhe. Es hatte die
Nacht geregnet, und von allen Seiten fanıen tiefe Ströme
herunter; ich war deshalb, oben angelangt, recht naß und
lief zu Fuße den Berg himumter, um nicht ein Fieber davon
u tragen, Die Vegetation des Berges ift tropifcd und
Dattelpalnten find nicht felten. Auf diefer Seite ging es 1000
Fuß abwärts nad) Saidabad, Dort hatte ich die Freude,
den Bruder eines guten Freundes, Captain N., zu treffen, der
auf einer zweimonatlicen Jagdtour im Gebirge begriffen
war und SO Meilen meines Weges ging. So reiften wir
folgenden Tages nah Nauſchera (Naufhahra), wieder
über eine Dergfette und dann hinab nach einem Platcan.
Unterwegs war ein fehr angeſchwollener Flug zu pafficen ;
*) Die in Klammern beigefügten Namen geben die Schreibart
ber engliſchen Karten.
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unfere Ponies wurden dabei an beiden Seiten geführt, wir
ſchürzten uns möglidhft auf und wurden doch naß, da das
Wafler jajt bis an den Rüden des Pferdes reichte.
Am 3. Auguſt famen wir nad) Tihänegös (Changes),
dem Yauf des Fluſſes folgend, Über gefährliche Berghänge,
die bis in das Flußbett ragten ; auch dort gab es nod) einen
Wirth. Die Tour des 4. war noch bedenklicher: fteile Berg»
partien umd Waflerpaffagen. Unſer Ziel war Rad—
ſchaori, eine alte Stadt, in einem reizenden Thale gelegen
und von zwei Strömen umfloffen. in Pofthaus gab es
hier nicht; man logirt in einem Thurme des alten Palaftes,
einem miferabeln Loche.
Bislang war das Wetter meift warm geweſen und die
Sonne hatte mir die rechte Hand arg verbrannt; nun aber
waren wir auf einer Höhe von 4000 Fuß angefommen,
und es ward fühl. In Radſchaori Hatte ich Beſuch von
einem richtigen Kaſchmir-Pandit, einem der ſchönſten Leute,
die ich je geliehen habe; fein Kopf glich auf ein Haar ums
feren Ghriftwötöpfen. Am 5. ging es durch lauter Reis—
felder und Wafler nadı Thana; der Ort liegt am Fuße
des 9000 Fuß hohen Nöttan Per (Natangebirge) in einer
wahren Alpenlandſchaft. Der Anblid der Wolken, die, von
ber Sonne beftrahlt, fid) an den Bergen hinſchlängelten,
war pradtvoll.
Am 6. galt es, den Berg felbft zu überfteigen, erft in
einer Schlucht hinauf, dann im ſcharfen Zichzad um den
Gipfel herum. Leider fonnte ic) außer den nächſten Bäus
men nichts fehen, da der Morgen nebelihh war. Abwärts
war der Weg fehr jchlecht, lauter Pfutzen aufgeweichten
Lehmes, und Überdies mußten wir marſchiren: erft 3000
Fuß abwärts, dann durch eine Schlucht von einem Wildbach
durchſtrömt bis nadı Baramgala. Hier trennte ich mic
von meinem Gefährten und reifte andern Tages allein weis
ter, zunächft an einem Fluſſe entlang, welcher auf der Strede
von drei Meilen 32 Mal vermittelft Cedernholzbrücden zu
überjchreiten war. Es regnete ben ganzen Weg, und um
mich nicht zu erfälten, ging id) bis Poſchiana. Ein Poft-
haus gab es hier nicht, ich frühſtückte in einer Kafchmirhlitte
und trodnete mich am euer. Da bald hernach die Sonne
hervorlam, madjte id; mich um 1!/, Uhr wieder auf den
Weg, um den Par Pöntjchal felbft zu überfteigen, deſſen
Paßhöhe 11,400 Fuß beträgt. Der Sonnenfhein erwies
fid) aber al$ trügerifch, denn bald vegnete es wieder heftig.
Der Weg flthrt zuerſt drei deutfche Meilen längs des Wild»
baches, hält fid) aber oft 800 Fuß über demfelben; bald
aufe, bald abwärts fleigend kommt man dann an den Fuß
des Bergriefen, dejjen Anſtieg jo fteil ift, daß man ftellen-
weife den Hals des Pony umarmen muß, um nicht herunter
zu fallen. An einigen gefährlichen Stellen, wo die Straße
nur drei Fuß breit im den Felſen gefprengt ift und in fchar-
fen Biegungen hart am Abgrunde Hinführt, ftellte ſich der
Fuhrer auf diefe Seite und ſchob das Pferd an den Felſen.
Um 4 Uhr war ich oben, in firömendem Negen und bei
eifigem Winde, jo daß id) vom Pony — *— ſo raſch als
möglich etwa eine deutſche Meile, nad) Alliabad (9800
Fuß hoch), hinunterlief. Bald fühlte ich mich völlig erwärmt
und ganz wohlig, obſchon die dünne Luft fcongeftionen
verurſachte, jo daß ic) zur Verwunberung meiner Yeute aus
Veibesträften fang. Das Haupt de8 Berges war von Wol⸗
fen verhüllt und Fernſicht gab es nicht ; doch die Vegetation
am Wege, lauter europäifche Blumen, war fehr ſchön.
Aliabad ift ein altes Karawanferai der Moguls und
war von einem Kajchmirregimente in Beſchlag genommen,
jo daß ich den Oberften aus den beften Zimmern weifen
laffen mußte (denn als Negierungsbeamter darf man ſich
{don ſolche Freiheiten nehmen). Bald fagen wir dann um
Dr. Bühler’s Reife nah Kajchmir.
das Kaminfeuer und trodneten uns, ba ber Dampf von
den Kleidern aufftieg. Um 7 Uhr fam mein erfler Laſt⸗
teäger mit Branntwein, Sodawafjer, etwas Brot und zwei
Eiern; das war Alles, was ic) zu eſſen befam, bi8 mir um
11 Uhr Abends ein halb rohes fbein gebracht wurde.
Ic, fchlief dann auf einer mit Striden überzogenen Bett
ftelle, welche mir der Oberft lich, und auf meinem Sattel
als Kopftiffen den Schlaf des Gerechten. Den 8. Auguft
ruhte ich mic, hier von ben überftandenen Mühen, ließ auch
meine Sachen auspaden und trodnen, aber o weh über bie
fchönen Bücjereinbände, alles verborben! Tags darauf ging
es hinab durch anheimelnde, Fiebliche Wälder von Tannen,
Eichen, Erlen, Ulmen, Wallnuß:, Yepfel- und Birnbäumen
nah Hirpur. Am 10. erreichte ih Shippian (Shape
Yan) umd jendete von dort meine Yeute voraus. Ein jlnf-
ftündiger Ritt, meift durch fruchtbare Aderfelder, bradjte
mich zu der langen Bappelallee, die nach der Hauptſtadt
Schrinögger (Srinagar) führt, wo ein ſchönes Haus, das
an der Bitaftü gelegen ift, mich aufnahm.
Ein zweiter Brief vom 31. Auguſt ſchildert un feinen
Aufenthalt dort. Ohne Schaden für meine Gefundeit,
meldet er, habe id; die angreifende Reife Überftanden und
fand unterwegs ſchon des Interejfanten fehr viel, Ich fahre
hier oft im meiner Gondel (denn Wagen giebt e8 gar nicht)
durch die Stadt *) und auf den Dhäl (Dal-See), um den
Sonnenuntergang zu genießen. Die offene Geite biefes
Sees ift dem Welten zugefehrt und die untergehende Sonne
beleuchtet dann zuerft die Wafferfläche, welche mit Heinen
Infeln, voll dichter Yotuswälder, wie ber Inder fingt, be-
dedt ift, vergoldet die Dörfer mit ihren grlnen und
die alten Luftfchlöffer der Moguls, bis fie zulegt mit ihren
Strahlen an den Bergen binauffpielt, die fi) Hier 1500
Fuß über den Spiegel des Sees erheben das Schaufpiel
ift einzig ſchön, doc) find mir im weftlichen Kaſchmir dem⸗
nächſt noch ſchönere Stellen verheißen.
Die ganze Scenerie hat manche Aehnlichleit mit ben Al-
pen, auch die Bauart der meift hölzernen Häuſer; doch miſcht
fi) dann immer der tropifche Charakter mit ein: wenn die
Aepfel und Birnen, die Birken und Ulmen an den Norden
erinnern, jo bezeugen ber Reis und die Baumwolle den Sü«
den. Die Bewohner zerfallen in Pandits und Mohammer
daner. Erſtere, etwa 40,000 an der Zahl, find trotz vieler
früherer Berfolgungen durch die Moslims jet doch wieder
bie bevorzugte Clafie, da die Regierung des Ranavirſiamha
(Rönbirfingh) fie und ihre Kühe heilig hält.
Diefe Brahmanen theilen fi in Geſchäftsleute, die Per-
ſiſch ſprechen, und im die eigentlichen Pandits , die Ganstrit
lernen, gegen 1300 Familien mit 5000 Geelen ftart. Der
eigentlichen Gelehrten werben nicht viel über hundert fein,
welche, als der rechte Adel des Yandes, vielfach, große Schön-
heit zeigen. Un ihren Frauen wird biefelbe noch mehr ges
ruhmt; ihre farbe ift mattgelb, nicht weiß; doch läßt bie
Haut das Blut durdjfchimmern. Die Mohammebaner da«
gegen find zumeift häßlich; höchflens unter den lindern,
befonders den jungen Mädchen bis zu 15 Jahren, finden
ſich einige hübfche.
In ihren Gewohnheiten find beide Claffen einander ähn-
lich, vor Allen darin, daß fie die ſchmutzigſten unter allen
Drientalen find, die ich je geſehen. Wie ich höre, erreichen
viele ein hohes Alter, und das frühe Verwelten und Abfter-
ben der Männer, wie es in Indien eriftirt, ift hier unbe⸗
fannt; die Frauen dagegen werben früh häßlich. Auffallend
) Eine Schilderung von Erinager nah Wilbelm Lejcan nebk
Abbildungen finden unfere Leſer in Band XIX, ©. 273 ff. diefer
Zeitfchrift.
Theodor Kirchhoff: Kreuz- und Querzüge in Ealifornien.
war mir no, daß fich bei den Mohammebanern vielfach
eine curioſe Krankheit von firemaartigen Auswüchfen findet,
von demen fie oft halb bedeckt find.
Meine Arbeit hier ift vornämlic die, Bibliothelen und
fonftige Documente, die fic auf die Geſchichte beziehen, zu
durchforfchen. In Srinagar giebt es über 80 Häufer mit
Bücherfammlungen. Da die Leute meift arm find, dazu
vom Radſcha zu mir gefchit werben, fo hat es wenig
Schwierigkeit, nicht nur jegliches burchzufehen, ſondern aud)
alles, was man wünfcht, zu laufen oder abjchreiben zu laf-
fen. In 14 Tagen habe ich etwa 40 Bucher gefauft und
nahe an hundert den Schreibern zu copiren gegeben. Unter
den Erwerbungen finden ſich viele Euriofitäten und Novis
täten, 3. B. prächtige Manufcripte auf Birfenrinde gefchrie-
ben, von denen ich jetzt mehr als ein Dutzend gewaltiger
Bünde, die zum Theil 400 bis 500 Jahr alt find, befige.
Diejelben find nicht fo fchön, wie die Palmblarthandichriften
der nördlichen Dichainas, noch fo alt, doc; find fie jehr fel-
ten ; ich glaube, fie fommen nur noch hier unb da in Drifja
vor. Die Kunft, die Birkenblätter zu präpariven, ift jegt
verloren gegangen und gebraucht man neuerdings Papier,
das hier in jehr ſchöner Qualität verfertigt wird. Gefchrie-
ben find jene Manufcripte mit einer Dinte, die aus urina
bovis und geftoßenen Mandeln zuſammengekocht ift.
Für Muſil werde ich neue Lieder über Nadſchardſchana sc.
mitbringen, hoffentlich aucd, die Melodien; im Munde ber
Sänger und Frauen lebt fowohl ber alte buddhiſtiſche Pa—
triard) des erften nachchriſtlichen Jahrhunderts, als auch der
große König des achten noch immer.
Zu meinen Forfchungen Habe ich etwa 21/, Monate
Zeit, und bin deshalb fehr befchäftigt.
Im dritten Briefe vom 7. October berichtet Dr. Büh—
ler, daß er in einigen Wochen bie Rückreiſe antreten werde
und reiche wiffenfchaftliche Husbeute gemacht habe. In dieſe
Detaild mögen wir ung um fo weniger einlaffen, da die
Funde mur für Fachmänner von Interefie und wir der offis
eiellen Mitteilung nicht vorgreifen dürfen *). Ueber feinen
*) @ine Ueberficht über feine Wücherfunde und deren Wichtigkeit
137
Anfenthalt im Thale von Kaſchmir ſchreibt er weiter:
Mein Haus liegt an der Vitaftä, dem Hydaspes ber Grie-
hen ; dahinter Felder umd Dörfer, die fid) in der Entfernung
von drei deutſchen Meilen immer mehr erheben, und une
mittelbar dahinter fteigt bie riefige Kette bes Per Pöntjchal
auf, deren Häupter von ewigem Schnee bededt find, Seits
wärts hinter dem Garten erhebt ſich 1000 Fuß hoch ber
Gopädrithron des Salomon, defjen Spige mit einem Tem-
pel gekrönt ift, dann folgt ein Dhöl (Meiner See) mit den
tieblichiten Partien und dann eine Bergfette nad) der an—
dern von wilden Schluchten durdjzogen. Zum Zwed ber
Erſorſchung des weftlichen Kaſchmir machte ich neulich einen
weitern Ausflug, wie gewöhnlich zu Waſſer. Ich ließ brei
Kiſti (große Boote) kommen und nahm mein Meines aud)
mit. Jene find etwa 50 Fuß lang und 8 breit, haben
einen flachen Boden und die Seitenwände ſenkrecht aufge:
nagelt; Schnabel und Hintertheil heben fid ein wenig aus
dem Wafler, find aber ftumpf und über das Ganze ift ein
Strohdach gefügt. Vom Dache bis auf den Rand hängen
Rohrmatten, die das Boot zu einem Zimmer geftalten; in
der Mitte ift eine Barricade von Kiften und noch ein Bor—
hang, der die Schiffsmannſchaft von der Herrſchaft abſchließt.
Solch ein Fahrzeug ift eine rechte Arche Noah, um jo mehr,
da bie Schiffer mit Familie Jahr aus Jahr ein darin leben,
In dem größten dieſer Fahrzeuge nun wohnte ich mit dem
treuen Sandy; das zweite nahm meinen Koch und zwei Ber
dienten auf, im dritten ſaß ein königlich laſchmiriſcher Sol:
dat, ald meine Ehrenwache, und ein dortiger wirklicher Pan«
dit nebſt feinem Koch und Diener, Der Bandit ift nod)
jung, aus einer vornehmen, aber verarımten Familie ſtam—-
mend, genannt Radjchänafa, d. h. „beinahe ein König“.
Sein Stammbaum geht über 1000 Yahre hinaus; trotzdem
dient er mir, dem ſtammbaumloſen Fremden, für jage und
jchreibe zehn Thaler monatlid) (wovon er mit Familie und
Dienern herrlic; und in Freuden lebt). Das ift die Macht
bes Kali, des eifernen Zeitalters, wie er felber jagt.
giebt ein imtereffanter Artilel in ber Beilage von Nr. 30 der Augs-
‚burger „Allgemeinen Zeitung“ vom 30. Januar 1876 (S. 439).
Kreuz und Querzüge in Californien.
Bon Theodor Kirchhoff.
Die Thäler in der Umgebung von San Francisco, — Das Klima von Californien. — Californiſche Landichaftsbilder. —
Eine Fahrt anf der füblichen Pacifichahn. — Drigineller Bauplan für eine neue Stadt. — San Mate. — Plötzlicher
Wechſel im Klima. — Belmont und feine Sommerpaläfte — Vergnügungsgärten der Deutſchen. — Menlo Bart, —
Die Canada dei Reymundo. — Die Waſſerkunſt im Pillareitos Canon. — Landſchaftliche Reise des Santa-Llara-Thales, —
Die projectirte Sternwarte auf dem Mount Hamilton.
Die Stadt San Francisco ift in einem weiten Halb:
freife, deſſen offene weftliche Seite das Stille Meer bilbet,
von einem Sranze überaus fruchtbarer Thäler umgeben, welche
beim Goldenen Thor ihren natürlichen Ausgangspunkt
finden. Gen Norden ‚an die Ufer der San-Pablo-Bay
grengend, liegen die Thäler von Sonoma und Napa, bes
rühmt geworden durch ihren Weinbau; am öftlichen Ufer der
San-francidco-Bay lagern fid) um den Fuß
Mount Diablo die anmuthigen Thalgründe von Cons
Globus XXIX. Nr. 9.
tra Cofta, gefhmlidt mit endlofen Obftgärten, wohlculti-
virten Farmen und reizenden Hainen, und jenſeits jener
Hochwarte des Golblandes erftreden fid) die, Hunderte von
Meilen langen, breiten Thalebenen von Sſcramen to und
San Ioaquin, deren umerfchöpflicher Alluvialboden ben
Flotten von Klipperſchiffen, welche alljährlid, den Hafen von
San Francisco verlaflen, ihre nach Hunderttaufenden von
Tonnen zählenden Ladungen von Weizen liefert, womit das
gefegnete Californien zur Kornlammer von Albion geworben
18
138
iſt. Im Süden liegt das an Cerealien nicht minder reiche
Santa-Clara-Thal, deſſen Berzweigungen — bie frucit-
baren Thäler des Salinas und Pajaro — ſich bis nad)
ber Bay von Monterey erftreden und das man paflend
als den Garten ber californifchen Handelsmetropole bezeich-
nen kann.
Der Reifende, welcher San Francisco verläßt, um eines
jener Thäler zu befuchen, wird bereits nad) einer Fahrt von
wenigen Meilen in ein fo verändertes Klima gelangen, als
fei er von den Geftaden der Norbfee plöglic an die Ufer
bes Adriatifchen Meeres verfegt worden. Die Inlandthäler
Galiforniens, durch anjehnliche Höhenzitge von dem Küften-
fteichen getrennt, in denen feuchte Nebel und kalte Seewinde
das ganze Jahr Über vorherrfchend find, erfreuen ſich nach
ber Regenzeit des Winters einer milden Durchſchnitts -
temperatur, dagegen find fie im Sommer intenfiv heiß und
teoden. Während nad) dem Eintritt der trodenen Jahres⸗
zeit häufig dichte Seenebel Über die auf einer fandigen Halb»
infel erbaute große Handelsftabt am Goldenen Thore wolfen=
ähnlich Hinfliegen und unangenehme falte Winde ben Staub
und feine Sandtheile in Menge durch die Straßen wirbeln,
breitet fich über das Inland ein reiner Azurhimmel aus und
es ift dort eine milde, wahrhaft italienifche Luft. Die in ber
Ferne liegenden Gebirgszüge find in eim duftiges Blau ges
hullt; in der parkühnlich mit Eichen gefchmlidten Landſchaft
liegen grüne, ſchwellende Hligel und meilenbreite, wogende
Weizenfelder, und die faft tropifche Farbenpracht ber Flora —
die mit duftenden weißen Blüthen förmlich bedeckten Mandel—
bäume, die Pfirfichbäume in ihrem Lieblichen rofigen Gewand,
Heliotropen und Geranien, 6 bis 10 Fuß hoch, die mit buns
ten Blumen förmlich befadenen und Heinen Bäumen zu ver⸗
gleichenden Fuchfien, bie Pracht der Rofen und von Hunder-
ten anderer Blumenarten, die in Deutſchland nur in Treibs
häufern gedeihen — entzücdt das Auge. Wer nad ber
Regenzeit die romantifchen Borberge (foot hills) der Sierra
Nevada oder bie kaum minder herrlichen, prächtig bewal⸗
deten Küftengebirge durchftreift hat, wo die raufchenden Bäche
durch blühende Thalgründe herabbraufen, und die laue und
bod; die Nerven gleichſam ftählende Luft eingeathmet hat,
wird gewiß Californien als eines der ſchönſten Länder auf
diefem Erdball preifen. Beſucht er jedoch diefelben Gegen-
den nach wenigen Monaten wieber, fo wird er in ber alddann
in ein monotones Braun gefleideten Landfchaft, wo ihn eine
glühende Sonne verjengt, fein früheres Paradies ſchwerlich
wiedererlennen.
Californien ift ein Land ber Contraſte und derſelbe Wech⸗
ſel des Klimas, der in faſt jeder Jahreszeit zwiſchen San
Franeisco und dem Innern herrſcht, findet hier wiederum
fein fpecielles Gegenftüd. Daß fich unter fo bewandten
flimatifchen Abnormitäten die Neifenden, welche Californien
zu verjchiedenen Jahreszeiten befucht Haben, in ihrem Uxtheil
über diefes Yand ſchnurſtrads widerſprechen, ift nicht zu vers
wundern. Selbſt auf die Stabt San Francisco findet bies feine
Anwendung; denn bleiben dort, mas häufig vorfommt, die
Serwinde und Nebel einige Tage aus, fo ift das Wetter da-
felbft eben fo ſchön wie in den gejchligten Inlanbthälern.
Viele preifen daher das pradjtvolle Klima von San ffrans
cisco, während andere es ald das Nonplusultra von einer
unangenehmen Witterung bezeichnen; der Eine befcjreibt mit
enthufiaftifcher Feder die lachenden — Fluren, die end⸗
loſen wogenden Weizenfelder, die Blumenpracht der weiten
Thäler des Inlands, während ein Anderer dort nur fonnen-
verbrannte Flachen, mit Staub bedeckte Bäume und grans
braume Hügel geſchaut hat; Diefen entzüden die Drangen-
haine von Yos Angeles, die faftig grünen Triften des füd-
lichen Californien, das milde Klima und die landſchaftlichen
Theodor Kirchhoff: Kreuz- und Uuerzüge in Californien.
Reize von Santa Barbara, wogegen Jener nur von Dafen
in einer Wuſie redet.
Mein Ausflug ins Santa: Clara» Thal fand im
Frühjahr ftatt, und wenn ic; jet ben Yefer einlade, mich nach
jenent herrlichen Flecke der californifchen Erde zu begleiten,
fo möge er dieſes wichtige Jahresdatum dabei ja nicht außer
Augen laffen!
An einem fröftelnd Fühlen und windigen Nachmittage
des Monats April (1875). befand ich mich am Depot ber
fadlichen Pacifichahn, welche zur Zeit bis nach Soledad
im Salinasthal — 142 englifche Meilen füdlih von San
Francisco — befahren wird, um per Dampf durch das Thal
von Santa Clara nad der califomifchen „Gartenſtadt“,
dem 50 englifche Meilen von San Francisco entfernten Sarı
3ofs, zu kutſchiren. Bald ließ die Pocomotive ihr ſchrilles
Abſchiedsſignal ertönen und hinaus ins freie rollte der Zug
aus den langen Bahnhofsgebäuben, feine Richtung nad, Si:
ben nehmend.
Hinter und liegen bie Häufer von San Francisco, weit
zerftveut über die ſchwellenden Hligel, und ein Blid nad)
rlichwärts zeigt und den langgeftredten dunfeln Bergrüden
des Tamalpais, deſſen bereits von mir beftiegene waldige
Höhe mit einer Erhebung von 2597 Fuß von Norden her
direct auf das Goldene Thor herabſchaut. Im den vor den
Winden gefchlitten Thalgründen haben ſich nahe am ber Eifen-
bahn italienische und chineſiſche Gemiifegärtner zahlreich an-
gefiebelt. Zwiſchen den grünen Beeten blinfen die Irri—
gationsgräben,, denen das Wafler aus artefifchen Brunnen
durd) Meine Windmühlen zugeführt wirb, um den Pflanzen
die für ihr Gedeihen hier fo umentbehrliche Feuchtigleit auch
in der trodenen Jahreszeit zulommen zu faflen. Spargel,
Dlumentohl, Radies, Erbſen, Bohnen, Tomaten u. f. w.
bringen die fleigigen Gartenbefiger and im Winter täglich
auf die Märkte von San Francisco und ziehen hier im Freien
zu jener Jahreszeit Gemlifearten, die in Deutſchland noch
ım Mai des Schuges von glasbededten Wärmebeeten beblir:
fen. Zwiſchen den vielfad; fattelähnlic eingefchnittenen
Höhenzligen blinft zur rechten Hand ein Stid vom Ocean
zu uns heriber, verſchwindet aber bald wieder vor unferm
Blick; zur Linken begleiten ung die feeähnlichen Gewäfler ber
roßen San⸗Francisco · Bay, die vom den weißen Segeln
eichter Fiſcherboote und Küftenfahrer belebt ift. Denfeits
berjelben und die grünen Hügel von Contra Cofta über-
ragend ftredt der 3856 Fuß hohe Mount Diablo feine
in ein duftiges Blau gehlillte Doppelfuppe hoch empor im
ben fonnenfiaren Aether. Erſt im vergangenen Sommer
hatte ich feine felfige Warte in Geſellſchaft einer fröhlichen
Touriſtenſchaar erllommen und ſchaute vom dort oben die
weite Bay wie auf einer Landkarte mir zu Füßen und das
Thal von Santa Clara, das wir jegt mit Dampfeseile durch»
fliegen, in verſchwimmender Ferne vor mir ausgebreitet. Der
Bergriefe ift mir ein alter lieber Belannter, der mir einen
fröhlichen Abſchied nachwinkt und ein baldiges Wiederfehen
erwartet,
Während der erften Stunde” unferer Fahrt bleibt bie
nähere Umgebung uninterefjant und nur die vielen Ausläufer
der mit Wald gefchmitdten entfernteren Berge, welche uns
rechter Hand begleiten und die ein bläulicher Duft umlagert,
gewähren dem Ange angenehme Ruhepunkte. Die Ufergelände
der Bay dagegen find fiach und fumpfig, die Halteftationen
an der Eiſenbahn unbedeutend und ein kalter Wind bläft mit
vollen Baden Über das Flachland, fo daß es die wenigen
dort wachfenden Bäume felbft zu frieren fcheint. Achtzehn
englifhe Meilen von San Francisco wurde im der Nähe
ber Eifenbahn eine neue Stadt mit Namen Burlingame
von mehreren unternehmenden Gapitaliften projectirt, deren
Theodor Kirchhoff: Kreuz und Querzüge in Californien.
Anlage etwas —— noch nie Dageweſenes haben ſollte.
Die innere Einrichtung ber Stadt ſollte nämlich fertig, es
follten bie Straßen gepflaftert, die Trottoirs gelegt, Abzug&
canäle, Waſſer⸗ und Gaswerke eingerichtet fein, ehe es Häu-
fer und Bewohner gab, Im einer nahen Baumanlage waren
bereits behufs fpäterer Berpflanzung eine Million Schößlinge
auögejegt, und Alles in Allem ſchon mehrere hunderttauſend
Dollars für die Vorarbeiten verausgabt worden, als ber
plögliche Tod Ralſton's, Präfidenten der Bank of California
und lichebers jenes genialen Plans, dazwiſchentrat. Unter
den Millionären von San Francisco hat fich Niemand ge-
funden, der fein Wert vollenden will. Das Yand, auf dem
Burlingame erbaut werben follte, ift bereits als Aderland
verpachtet worden, und jene Million junger Bäume wird jegt
zum Berfaufe ausgeboten.
Sobald der Bahnzug das 20 englifche Meilen von San
Francisco entfernte freundliche San Mateo paffirt hat,
wo die Kothholjtannenwälder (red woods — Sequoia
sempervirens) beginnen, die ſich jübwärts bis nad dem
Thale des Bajaro (pr. Pachcharo) erftveden, treten wir
in ein ganz anderes Klima. Plötzlich ift es Frühling ge-
worden und bie Fuft weht milde; flinf Meilen weiter, bei
Belmont, ift es bereitd warmer Sommer. Die Gegend
ift Hier paradiefifch ſchön und die Menjchen find bemitht, ihr
durch Bauten von ſchmucken Billen und durch freundliche
Anlagen immer neue Reize zu verfhaffen. Aus den Fenftern
der ſchnell dahineilenden Dampfwagen gewahrt der Reiſende
jedoch nur den geringern Theil der natürlichen Schönheiten
diefe® Yandes. In leichtem Gefährt fahre er feitab von ber
Eifenbahn durch die parfähnlichen Oruppen von faftig grlinen
Lebenseichen und dunfeln Lorbeers und Madronenbäumen
nad) Eryftal Springs mit feiner ländlicheidyllifchen Um-
gebung, die den ſchönſten Partien des Thüringer Waldes
vollftändig ebenblirtig ift; ober er befteige ein Roß und reite
gemächlih anf romantiſchen Gebirgspfaden unter riefigen
Rothtannen Über die Coaſt Range bis an das Geftade des
Stillen Meeres, nah Half Moon Bay und Pescabero,
und er wird die Erfahrung machen, dag nur ein biöchen
Geſchick und Unternehmungsgeift dazu gehört, um im ber
Nähe des ftaubigen San Francisco wunderbar ſchöne Orgen-
ben zu entdeden.
Bei Belmont haben verſchiedene californifche Millionäre
ſich palaftähnlicde Sommerfige erbaut, deren glänzende Ein-
richtung felbjt den Wohnungen europäifcher Kröſuſſe zur
Zierde gereichen würde, Die Pferde frefien dort z. B. aus
Marmorkrippen und logiren bei Weiten beffer als die Mehr:
zahl gewöhnlicher Menſchenlinder. Die Befiger jener
prächtigen Billen find für ihre Gaftfreiheit berlihmt gewor-
den, was in Californien, wo biefe Carbinaltugend zum
Grundcharalter des Boltes gehört, viel heigen will. Weniger
anfpruchsvoll als in ben Siten jener Reichen geht es im
Sommer öfters in dem Parts und Bergnügungsgärten bei
Belmont zu, wo bie Deutfchen von Can —— gern
Picnics abzuhalten pflegen. Statt zu rauſchender Muſil,
beim lange Hunderter von Kerzen und umgeben von fürfts
lichem Reichthum auf parfettirten Fußböden zu tanzen und
zu banfettiren, wird hier auf einfachen Brettern unter dem
tiefblauen Himmel Californiens und umgeben von grünen
Eichen beim Klange von Geigen und Hörnern gewalzt und
an langen umgehobelten Tiſchen ober auf dem Rafen im
Schatten ber Bäume getafelt, gezecht und gefungen, daß es
nur fo eime Luft ift. Die Milionäre beneiden vielleicht gar
in ihren Paläften umfere fröhlichen deutſchen Sangesbrüder,
deren Lieder alsdann jubelnd durd) die lauen Sommerlüfte
zu ihnen herlibertönen!
Ein reigendes Landjchaftsgemälde eröffnet fi dem Auge
139
bei Menlo Park (32 englifche Meilen von San Francieco),
wo bie Geldariftofratie der großen Golbftadt ein Kleines Pa-
radies gefhafen hat. Im einem Umkreiſe von einer eng«
lichen Duabratmeile liegen dort ein Dutzend prachtvoller
Sommerfige in einem natürlichen Eichenparke —— Von
breiten Kieswegen umgebene, wohlgepflegte Gartenanlagen,
hinter deren weißen Staleten ſich eine Blumenpracht von
halbtropiſchem Glanze entfaltet, geben Zeugniß davon, da
deren Befiger einem cultivirten Geſchmack Huldigen. Im
ber nicht weit entfernten Coaft Range liegt die „Canada
del Reymundo“, ein von hohen Bergen eng umfchlofienes
Thal, das zu den romantifchften und Lieblichften in Califor-
wien gehört. Das Gebirge ift dort mit Nothholztannen,
Lorbeer, Madronas, Ahorn und Lebenseichen dicht beftanden;
im Thalgrund reihen ſich bebaute Felder und Gärten an
einander, zwiſchen denen bie freundlichen Farmhäuſer, von
Baumanlagen umſchattet, zerftreut Ye Bon ben waldigen
Höhen a pr Hare Bäche in das Thal hernieber, die Bö—
el fingen im Laubwerl der Bäume und Frieden und MWohls
Aanb haben Hier eine bleibende Heimftatt gefunden. Im
Pillarcitos Canon, das nur einen kurzen Spaziergang
von ber Eifenbahnftation entfernt ift, hat bie „Spring Valley
Water Company“ ihr Waflerrefervoir erbaut, von wo San
Francisco mit Waffer verforgt wird. In einem künſtlichen
Eee find dort 1,300,000 Gallonen Wafjer aufgeftaut wor«
den, welches in Röhren mad, der Stadt geleitet und durch
biefelbe vwertheilt wird, Der Damm, weldier das Waller
ftaut, ift 96 Fuß Hoc; er hat am Grunde eine Breite
von 450 und oben von 20 Fuß bei einer Länge von 540
Fuß.
Bei Menlo Park überſchreiten wir die Grenze bes
Countys von San Mateo umb treten in das Gantas
Clara-County. Bei der Weiterfahrt wird das Auge nicht
müde, aus den Fenftern der dahinfliegenden Waggons in bie
reizende Landſchaft hinauszufcauen. Ueberall auf den Fel-
dern ſtehen bie breitgeäfteten Tebenseichen parkähnlich zer-
freut, zwifchen denen Weizen und Gerfte gebaut wird, oder
das Heu in duftenden Schwaben abgemäht auf grünem Bo+
ben baliegt. Bei ftattlichen Farmhäuſern eilen wir vorliber,
erbliden durch lange Allen von Eichen hin und wieder die
ſchimmernden Fluthen der Bay und erfreuen uns an ben
von bläulichem Dufte umlagerten Höhen der Coaft Range
in ihrem dunfeln Mantel von Rothholztannen: im Weſten
find es die Gebirge von Santa Cruz, im Südoſt überragt
ber Gipfel des Mount Hamilton *) dem Höhenzug. Ge:
gen Abend paffiren wir bas Städtchen Santa Clara; bald
darauf begrüßt uns im Strahle der finfenden Sonne ber
hohe Kuppelthurm des Cowrthaufes von San Iofe und
wir find in der „californifchen Gartenftadt*.
*) Der belannte Millionär James Lid, welder unter anderen
in Galifornien für gemeinnügige Iwede gemachten fürſtlichen Ge—
ſchenlen bie Summe von 700,000 Dellars Gold für den Bau einer
Sternwarte mit darauf zu errichtendem Riefenteleitop ausgefegt bat,
äußerte am 4. September v. J. im einer brieflihen Gingabe ten
Wunſch, daß biefes Teleftop nicht, mie zuerft beabfichtigt, auf einer
Lanbzunge am See Tabon auf ter Sierra Nevada, fontern auf
dem Gipfel des Mount Hamilton aufgeftellt werte, und wird
die feine Schenkung verwaltende Gommifflen zweifelsohne jenem
Wunſche willfahren, Der Mount Hamilton, ber höchſte in ber Coaſt
Range liegende Berg, erhebt ih 4440 Buß über tem Meeres»
fpiegel, fein Gipfel iſt ſteta frei von Mebeln, gewährt eine unbe:
fhränfte Rundſchau über einen ungebeuren Aläcdenraum und eignet
ſich gang vorzüglich für bie Errichtung einer Sternwarte. Die eins
sige Bebingung, welde Lit zu diefem Worfchlage gemacht bat, ift
die, daß das Gounty von Santa Glara eine gute Wagenftrafe von
Sarı Jofs nad der zu erbauenden Sternwarte berflellen Soll, ‚gu
melden Zwede die Supervifors bes County die nachſte Ergislatur
um Genehmigung zur Ausgabe von Bends im Bettage von 50,000
Dollars, erfuchen wollen.
18*
140
Mas ſich das Volk in Oftfriesland von Werwölfen und Waalridern erzählt.
Mas fi das Volk in Oftfriesland von Werwölfen und Waalridern
erzählt.
M. Unter fieben Brüdern ift ein Wermwolf (Mann:
wolf), unter fieben Schweftern eine Waalrider (geifter-
hafte Reiter, ar > bas Alpdrüden verurfachen; Reiter der
Todten. Diefer Glaube reicht had) ins Heidenthum hinauf.
S. K. Simrod, Deutfche Mythologie, S. 465). So fagt
der Aberglaube unferes Volles. b fich folder mur auf
das fogenannte leichte Volk bezieht und ob dieſes leichte
Bolt die Ureinwohner Oſtfrieslands waren, ift nicht mehr
zu”enticheiden. Diefe wohnten in Höhlen unter der Erde
oder im hiigelartigen, von Erbe gebanten Wohnungen
und wurben deshalb LUndereersten (Eerdmantjes) genannt.
Sie waren von Meiner Statur, ungemein leichtfüßig, fo daß
fie mit einem Pferde in die Wette laufen fonnten, Wußer-
dem verftanben fie e®, mechanifche Arbeiten jo geſchickt anzu«
fertigen, daß die „Gothen“ glaubten, das ginge nicht mit
rechten Dingen zu. Auch verftanden fie es, ſich unfichtbar
zu machen, den Dingen eine andere Form und ein ganz ans
deres Ausfehen zu geben.
Als z. B. die Frau eines Undereerslen einft in Kindes:
nöthen war und nicht gebären fonnte, lief der Mann in der
Verzweiflung zur Hebamme der Gothen und bot ihr eine
reiche Belohnung, falls fie füme und feiner Frau Beiftand
und Hulfe leifte. Sie folgte ihm und erfitllte feine Wirnfche;
diefer warf ihr dankbar drei Goldlumpen in den Schoß.
Aber das Weib, von Neugierde getrieben, öffnete unterwegs
ihre Schlirge und fand flatt der Goldklumpen — Pferde—
feigen darin.
Voller Entrüftung warf die Frau die Roßäpfel von ſich;
befann fich aber bald eines andern und nahm einen heil
des Geſchenles mit fich, um zu Haufe den Be beweifen
zu können. Dort war matürlic alles blankes Gold, aber
ber fofort aufgefuchte Reſt war verſchwunden, denn das ihr
unfichtbar gefolgte Männlein hatte die verſchmähte Gabe
twieber zu ſich genommen.
Die Wermwölfe mußten ſich zeitweilig in einen Wolf ver-
wandeln, aber diefe Zeit ftand nicht im Kalender und war
ihnen ſelbſt nicht befannt. Sie verloren dann nicht nur
ihren äußern Habitus, fondern erhielten auch die feelifchen
Triebe dieſes Raubthiers. Der Wolf war überhaupt unferen
heidnifchen Vorfahren die perfonificirte Verſchlingungswuth.
So wird z. B. der Mond beftändig von dem Wolf „Hati*
verfolgt, welcher die Mondfinfterniß erzeugt.
Aber immer hat der Werwolf ein Vorgefühl bes bevor-
ftehenden Wechſels, er Tann einige Vorkehrungen treffen,
feine Umgebung warnen und fie mit Gegenmitteln verfehen,
Ein glüdlic, verheiratheter Berwolt fuhr mit feiner
jungen Frau an einem trüben Herbfttage durch einen Wald.
Als er einem hohen Erdwalle entlang kam, hielt er plötzlich
an, übergab feiner Frau das Yeitfeil, ftieg aus und bat fie,
ein wenig zu harren. Zu gleicher Zeit machte er fie dar
auf aufmertfam, daß im Walde viele Raubthiere hauften
und falls ein ſolches füme, follte fie nicht erjchreden. Flir
alle Fälle follte fie aber ihren rothen Unterrod bereit halten
und damit den Räuber ins Geficht fchlagen, bis er feine
Wuth daran ausgelaſſen habe.
Damit fprang er vom Wagen und verfchwand hinter
dem Walle. Die Frau blieb auf dem Wagen figen, hatte
aber dem Rathe ihres Mannes zufolge dem Unterrod ab«
geftreift und zur Hand gelegt, witterte aber keinerlei Gefahr,
ba fie meinte, ihr Mann habe mit der Warnung nur ges
iger, wie er ſolches ſchon häufig gethan.
ber recht bald wurde ihre Aufmerffamkeit auf den Wall
gelenkt: fie hörte ein unheimliches Knurren, ein unterbrlüd:
tes Heulen und einen Augenblid darauf ftand auf der Kappe
des Walles ein gräulicher Wolf. Mit einem Sage ift er
am Wagen, öffnet den Rachen und droht mit feinem jurdjt-
baren Gebiſſe die Frau zu faflen und zu zerreißen. ber
in dem YUugenblide, da ber Wolf ſich aufbäumt, um einen
Satz auf fie auszuführen, wirft fie ihm ihren ſchweren, co»
then Rod liber den Kopf, in dem er ſich verwidelt und dann
in feiner vollen Wuth dieſen in Heine Streifen und Fetzen
zerreißt. Befriebigt entfernt er fich unter ftetem Umfehen
über den Wal. Bald fommt der Mann wieber zurüd,
nimmt die Zügel zur Hand und fährt weiter. Er ſah freie
fi; etwas bleich und Zi aus, fonft war aber
nichts an ihm zu bemerken. tz nachher, als er ſich ums
wendete, um mit feiner Frau zu fprechen, entbedte dieſe zu
ihrem großen Schreden die rothe Wolle ihres zerfetzten
Unterrodes zwiichen feinen Zähnen, und hatte nun die trau«
rige Gewißheit, daß ihr Dann ein Wermwolf fei. Wenige
Wochen nachher war fie eine Leiche.
Die Waalrider treiben ihr feindliches Weſen zur Nacht:
zeit, im der fie befonders Junglinge und junge Männer
ängftigen und quälen, aber auch die Pferde in den Ställen
dermaßen mißhandeln, daß fie mager und Hinfällig werben.
Gegen dieſe giebt es verfchiedene Borfichtsmaßregeln,
don denen folgende drei ftets von Wirkung fein follen.
Sehr zu empfehlen ift: den Niemen, der zur Aufhebung
ber Klinke von außen am biefelbe befeftigt ift, aus ber Kam⸗
merthlir zu ziehen und das Riemenloch mit einem Pfropfen
zu verschließen. Zweitens find die am Abend ausgejogenen
Pantoffeln umzuwenden und fo zu ftellen, daß fie mit der Spitze
nicht dem Bette zugewendet ftehen; denn die mächtliche
Befucherin muß, wenn fie das Bett des Schlafenden bejtei-
gen will, zuvor die Füße in die Pantoffeln deſſelben fteden.
Stehen nun diefelben verkehrt, jo ift das ein Strich durch
die Nechnung, denn fir alle dienftbaren Wefen des Fürſten
der Finſterniß ift es ein firenges Geſetz, nichts zu verrücken
oder zu verändern. Es ift ihmen unterfagt, ihrem eigenen
Willen zu folgen und ift ihnen für jede nächtliche Störung
der beftimmte Weg vorgezeichnet, auf dem fie ihre Opfer
bejchleichen dürfen. Der Böfe liebt die frummen Wege,
und darum arbeiten feine dienftbaren Geiſter in verfchiedenen
Windungen vom Fuß bis zum Kopfe.
Drittens darf man weder auf dem Bauche, noch auf dem
Rüden, noc) auf der linlen Seite liegend einfchlafen. Ber:
gift man diefe Vorſichtsmaßregel, fo hat die nächtliche Fein
din freies Epiel. Gleich der Here kann fie durch Schorn-
ftein, Fenfter, Thliren, Risen einfehren; daß fie aber durch
das oben bezeichnete Riemloch schlüpfen muß, ift allgemein
befannt. Hat fie aber ihren Beſuch beendet und will fich
wieder entfernen, jo ift ihr das unmöglich, wenn das Riems
loch mittlerweile verftopft ift. Und das ift ein Beweis, daß
| fie mit der Here feine Verwandtſchaft hat.
Nachdem fie ihr Opfer erreicht, brüct fie daſſelbe wie
mit einer centnerſchweren Laſt; fie hält es feft umftridt, daß
es weder Hand noch Fuß rühren, mod; fi) irgend wie be
wegen fann, Der Hals wird ihm zugefchnitrt, der Aihem
Was ſich das Volt in Oſtfriesland von Wermölfen und Waalridern erzählt.
vergeht ihm — es glaubt erftiden zu müflen Cs will
freien, um Hilfe rufen, aber die Stimme verfagt ihm
ihren Dienft, es faun feinen Laut hervorbringen.
Die Waalrider geht davon, bie Qual ift beendet, der
Gemarterte ift jchweißbededt, der Athem kehrt zurüd — er
lebt noch.
Es war zur Zeit der Heuernte, das Wetter war uns
glinftig, denn es hatte viel und heftig geregnet und in Folge
davon waren die Gewäſſer angefchtwollen und hatten hier
und dort bie Wiefen überjchwenmt. Auf einer großen Wiefe,
die an einem flüßchen, lag, war auch das Heu gefährbet,
ba der Fluß, zu einem breiten Strome geworben, bereits be»
beutende Streden eingenommen hatte und noch immer wuchs.
Man hatte fich den ganzen Tag bemliht, das Heu zu bergen
und wollte die Arbeit am folgenden Tage fortfegen. Gin
Mann zog esvor, auf der Wieſe zu bleiben umd die Hütung
der Geräthe zu übernehmen. Mittlerweile war das Wetter
beffer geworben, der Himmel war mwolfenleer und der Mond⸗
fchein zeigte nur eim leifes Bewegen der Blätter, Der Wär:
ter war in ber Nähe des Waſſers auf einem Heuhaufen faft
eingefchlafen, als die hellen Klänge eines fröhlichen Gejan-
es an fein Ohr ſchlugen. Diefer fam aus einer weiblichen
Behle und war fo filberrein, fo wunderbar, fo ergreifend,
wie bie der Lorelei am Rhein. Die Klänge famen von jen-
feit des Waffers, und unfer Wärter hatte ſich immer weiter
aus feinem Verſteck hervorgewagt, um die Sängerin zu er⸗
fpähen.
Endlich entdedte er einen Heinen ſchwarzen Punkt auf
dem Waſſer, der fich feinem Ufer näherte. Diefer erwies
ſich gar bald als ein leichtes, rundes Gefäß, welches ber
Sängerin als Fahrzeug diente Es landete; ein Feines
flintes Weibchen fprang heraus, brachte ihr Fahrzeug unter
einen Heuhaufen in Sicherheit und ging dann eiligft davon.
Kaum war fie verſchwunden, als der mengierige Dann aus
feinem Berftede hervorkroch, das Fahrzeug der zauberifchen
Sängerin zu unterſuchen. Er fand ein — Sieb, Er ver:
ſteckte es in einen entfernt ftehenden Haufen und legte ſich
dann wieder fchlafen. Beim Erwachen hörte er ein Magen»
bes Wimmern. Es war die Sängerin, die Waalriberin,
die von ihren nächtlichen Gefchäften heimfehrte und tiber ben
Berluft ihres Fahrzeuges Hagte. Sie fand den Mann in
feinem Verftede und bat ihn fo flehentlich, fo bezaubernd
um Zurüdgabe ihres Eigenthums, daß diefer es ihr überließ.
Mit Bligesichnelle ſchiffte fie fich ein und war im Nu hin-
übergefahren.
Wie bei diefen räthjelhaften Weſen alles leicht und un—
zuverläffig ift, fo aud) ihre Gewänder, die aus Zauberfäden
und Luft zu beftehen feinen. Wer eine Waalrider beim
Gewande erfaſſen will, der greift in die Luft; wer fie bei
den Haaren zu erfaflen vermag, ber hat fie gefangen.
Ein junger kräftiger Burke lag fchlaflos auf feinem
Lager. Er fühlte ein unheimliches Weſen zu feinen Füßen,
weldyes feitwärts an ihm hinauftroc und ſich endlich auf
ihn warf. Er erfafte jie bei den Haaren und hielt troß
alles Sträubens feſt. Die Waalrider lispelte: Fät (faffe)
mi nich in de Haar, füt mi in de Kleer (leider), ik
bin klein Jantje van Leer! Cr aber beywang fie, ſchlug
einen Pfropfen ins Riemenloch der Kammerthlir — fie war
gefangen. Sie wurde des Burfchen Frau, gebar ihm einige
Kinder und führte mit ihm eine ruhige und zufriedene Ehe.
Aber eines Tages ſprach fie: Wat klingen de Klokken
in Engeland ! Ich höre nichts, erwiederte er. So ziehe
nur den Pfropfen aus ber Thür, dann wirft du es fchon
hören. Er that's und fie entfloh ohne Zögern durch das
Riemloch, ohne jemals wiederzufehren.
hufs Püftung) hereinſchlüpfen.
141
Die alten häßlichen Waalrider lommen nicht in die Kam⸗
mern der Menfchen, fondern quälen die Pferbe der guten
Leute in ben Ställen. Dort ift in manden Nächten ein
furdjtbarer Lärm. Die Pferde ſchnaufen, ftanıpfen, fragen,
raſſeln mit den Ketten, fchlagen aus — machen mit einem
Worte einen Höllenlärm. Dann find die Waalrider in
voller Arbeit. Niemand wagt fi) aladann in den Stall,
ift doc die Nacht feines Menfchen Freund und könnte nicht
der Feind alles Guten dort fein Weſen treiben ?
Unfere guten Landleute hüten ſich denn auch ſehr vor
ſolcher Gefahr. Alles, was fie zu thun wagen, iſt aus ger
ficherter Entfernung dem Böfen oder feinen Abgefandten,
den alten, widerwärtigen Weibern, einen Accord anzubieten,
worauf nie fofort Beſcheid ertheilt, aber doch am nächſten
Tage wortlos die Verficherung gegeben wird, daß er vers
nommen und acceptirt fei.
Im einem Haufe wütheten vor Zeiten die Waalrider all«
nächtlich im Stalle auf entjegliche Weife. Den guten Leu:
ten ging das Schidjal ihrer Pferde ſehr zu Herzen, und
fie wollten gern Abhülfe ſchaffen, nur wußten fie nicht, wie.
Endlich entjchloß fich die beherzte Hausfrau und rief aus
der Wohnftube ind Hinterhaus, mo ſich am legten Ende ber
Pferdeſtall befindet, hinaus: Ridet nich mager, ridet
fett; kömt morgen un hält ’n good Stück Speck !
Eine Antwort erfolgte nicht, aber am nächſten Morgen kam
ein altes, rummes, Weib und bat um — Speck. Das war
ben doch deutlich genug, Sie befam, was fie verlangte
und mehr, Der Vertrag war damit ratificitt.
Sp groß war der Glaube unferer Vorfahren an bie
Heiligkeit und Unverletzlichleit der Verträge, daß man felbft
bem Teufel in diefen Punkte nicht mißtraute. Und der Bas
ter der Lüge redhtfertigte hier das Bertrauen: im Stalle
wurde es ruhiger, bie Pferde wurden nad) und nad) glatt
und fett.
Daß tro guter Fütterung und binlänglicher Pflege die
Pferbe umter dem Einfluß dev Waalrider leiden, unterliegt
feinem Zweifel, wenn man weiß, daß fie in ihren Mähnen
unauflöslihe Berfhlingungen, feine Flechten, wunderliche
Knoten zeigen , die ein matitrlicher Menſch nicht zu verfer-
tigen vermag, Nur die Kunftfertigteit und Zauberei bes
„leichten Bolfeg“ lann folches unter dem Beiftande des Bö-
fen hervorbringen und wieder entwirren.
Naber Od war ein leidenfchaftlicher Entenjäger. Ob
ex gelegentlich aud; anderes Wild ſchoß, wollen wir unent-
ſchieden laſſen. So viel aber ift gewiß, daß er, wenn bie
Enten famen ober gingen, bei Mondſchein ſiets in feiner
Entenhütte lag. Eines Abends aber, als ber Mond erft
gegen Mitternacht aufging, warf er ſich im Hinterhaufe auf
die Streu, mehr um zu ruhen und bie Zeit zu verbringen, als
um zu ſchlaſen. Bald war er aber eingefchlummert, als ein
Pochen auf dem Dache ihm werte. Es war als wenn große
Bögel fich da niederliefen. Er riß die Augen auf und fah
mehrere menjchenähnliche Geftalten zum m. (eine
runde Oeffnung in der niebern Lehmwand am Kuhftall ber
Der böfe Feind war mit
einer Schaar Weiber dort; jener flug feuer und zündete
ein Yicht an, das er an einen Pfahl befeftigte. Darauf zog
er aus ber weiten Hoſentaſche die Geige hervor und fpielte
die wildeften Melodien, die feine Begleitung in der tollften
Weiſe durch Sprünge, Walzer u. ſ. w. ausführte.
Nach einiger Zeit lam die Nachbarin und ſagte ſchmei-
chelnd: Där is Naber Ocke ook noch! Danı erlöfchte
das Licht und die faubere Geſellſchaft zog wieder durchs
Stiepgatt ab und davon.
142
Aus allen Erdtheilen.
Aus allen Erdtheilen
Bu Eameron’s Neife.
Bie aus Sir H. Ramlinfon’s Mittheilungen in
den Situngen ber Londoner Geographiſchen Geſellſchaft vom
10, und 24. Januar hervorgeht, befindet fich letztere ſchon
im Befize von Karten und Beobachtungen Cameron's,
welche bit Sha Kelembi (i. oben S. 91) reichen. Die Karte
ift Schon in den Händen bes Lithographen und wird mit
dem nächjten Hefte der „Proceedings“ erfcheinen, wie denn
überhaupt jede von Cameron einlaufende Nachricht fofort an
die Deffentlichleit gebradjt wird. Erſt nach Oſtern wird der
verbiente Mann in Lonbon erwartet; zuvor will er noch
zwei Monate auf Madeira fih an ein Fühleres Klima zu
gewöhnen juchen.
Aus den Erläuterungen, welche Sir Rawlinfon an bie
Berlefung der Cameron'ſchen Briefe Mnüpfte, wollen wir
einftweilen nur Weniges hervorheben, was die von Living:
flone nur erfundeten hydrographiſchen Verhältniffe ändert.
Als Hauptauelle ift nach wie vor der den Bangweolo: und
Moerofee durchfließende Strom, der Luowa (bei Livingftone
Webb's Lualaba), anzuſehen, welcher weiterhin den Lanji—
Landſchi⸗/ See und Nyangwe paſſirt. Oberhalb des Lanji
empfängt er dem gleichfalls von Süden kommenden „eigent⸗
lichen“ Lualaba, den die Pombeiros kreuzten, aber fälſchlich
nach Süben fließen ließen. Derſelbe durchſtrömt zuerſt drei
große, dann vier Meine Seen und empfängt unterwegs den
Lufira (bei Livingftone Frere's Lualaba). Obwohl ihm
allein der Name Lualaba zulommt, kann er als kürzerer
Strom doch nicht ald Hauptquelle betrachtet werden, wie
dies die Eingeborenen zu thun fcheinen. Unterhalb Nyangwe
empfängt der Lualaba von Norden her den Lowa, deſſen
Foentification mit dem Buri (Schweinfurtb’s Uelle) einft:
weilen noch etwas fraglich erfcheint, und von Sitden ber den
Lomamte (bei Livingftone Young's Lualaba), an beffen öft-
lichem Ufer Cameron binaufzog und deffen Quelle er zwiſchen
99 und 109 füdl. Br, überfchritt. Letzterer Strom hat gar
feinen Zufammenhang mit Graça's und Magyar’ Kaſſabe,
wie man biäher glaubte,
Die Frage, zu welchem Strome dies riefige Quellgebiet
gehört, wird inzwilchen wieder lebhaft erörtert, und während
die Meiften es ala dasjenige bes Kongo betrachten, bält es
der mit dem Ogowe fo vertraute Walker für das bes
Ogowe. Denn, meint er, ba der unterste Punkt, welchen
Cameron am Lualaba erreichte, immer noch 600 engl. Mei:
len vom oberften bekannten Punkte des Kongo entferut iſt,
fo laun man noch feine hinreichend ficheren Sclüffe auf das
Zwiſchenliegende thun, und dem von den Eingeborenen er:
baltenen Nachrichten darf man auch nicht zu viel trauen,
Da ift es denn freilich doppelt beflagen&wertb, daß ber Mar:
quis de Compiögne und Her Marche durch ihren Kampf
mit den Dfyeba (Dfbeba) (1. Bd. XXVI, ©. 879)bie weitere
Erforichung des Ogowe flir ſich felbft und Dr. Lenz unmög:
lich gemacht und der Deutſchen Afrifanifchen Gefellichaft die
vielverheißendfte Eingangspforte in das Innere des Conti:
nents verfperrt haben. Im Gegenfa zu jener franzöfifchen
und zu Stanley’s biutiger Unternehmung begrüßen es auch
die englilchen Wlätter mit großer Genugthuung, dab Gamer
ron mie zur Flinte gegriffen bat, nm mit Gewalt durchzuſetzen,
was gütlichem Worte nicht gelang. Nachdem er einmal bie
weit ind Innere reichenden Handels- und Verkehröverbält-
niffe erkundet und durch fein nobeled Verhalten das Zu—
trauen ber Händler gewonnen bat, wirb es feinem Nachfolger
gewiß ungleich leichter fallen, dort fein Erforſchungswerk
fortzuführen; während andererfeits die von Weißen in Afrika
begangenen Morbthaten nur zu leicht am ihren fpäter des
Weges ziehenden Landsleuten gerächt werben ober benfelben
das Land ganz veriperren.
Wenn Sir Nawlinfon aber aus dem Umftande, daß an:
geblich weder Livingftone noch Cameron von dem einft fo
berühmten Muata Janwo nichts erwähnen, ſchließt, daß
deſſen Reich aufgehört habe zu exiſtiren und daß das Reich
Urua unter Kaſongo an ſeine Stelle getreten ſei, fo wird
ſolche Anficht von den Ausſagen des eben aus jenem Theile
Afrikas jheimgekehrten Lieutenant Lux widerlegt. Derjelbe
bat die ausführlichſten Erkundigungen über jenen blutdurſti—
gen Potentaten und die zu feiner Hauptitadbt führenden Stra-
ben, fowie über den Kaſſabi-Kongo von ſolchen, die dort ger
weſen, eingezogen, fo dab man auf feine näheren Mittheilun-
gen mit vollem Rechte geipannt fein dar
Wie bedeutend Camerou's wiſſenſchaftliche Leiftungen
übrigens find, geht aus folgenden Zahlen hervor. Auf feiner
Reife legte er von Zanzibar bis Benguela im Ganzen 2953
englifche Meilen, davon circa 1200 über nie betretenen Bo-
den, jurüd. Bis Lunge Mandi’s Dorf, noch 810 Meilen
vor Benguela, beftimmte er durch 706 Längen: unb Breiten:
beobadjtungen 85 Rofitionen. Bon Höhenbeftimmungen machte
er nicht weniger ald 3718, gewöhnlich drei jeden Tag, und nad
ihren Ergebniffen konnte er Profile des durchwanderten Lan:
des anfertigen. Wenn man bedenkt, daß bisher die Karten:
zeichnung von jenem Theile Innerafrikas auf einer einzi—
gen Monbbeobachtung in Udſchidſchi berubte, wird man den
Werth von Cameron's Leiftung ermeflen können, welder in
Nyangwe deren 61, in Kiſenga gar 142, in Kanyenyi 35 ı.
anftellte. Wahrbaftig, das „Geograpbical Magazine‘ bat
Recht, wenn es feinen Aufſatz über den Reilenden (Februar:
nummer 1876) mit ber Verficherung ſchließt, daß ben Karto:
graphen wenig zu wünſchen übrig bliebe, wenn alle Reifen
ben fo arbeiteten.
Ein japanefifhes Kriegäfhiff in San Francisco.
F. B. Die San Franciscoer „Ulta* bringt eine Ber
fchreibung der japanefiichen Corvette „Tfufuba*, die amı 14.
December dort anlangte. Es ift dies das größte Schiff der
Nation, das den Pacific gefreuzt hat. Die japaneftiche Ma:
rıme ift noch ſehr jung und ift erft feit drei Jahren von
einiger Wichtigfeit; fie befteht jetzt and zwölf guten Schiffen,
von denen vier als Schulichiffe dienen. In Tokio ift eine
gute Marinenfademie mit denfelben Unterrichtseinrichtungen
wie die amerifanifche in Annapolis. Die Gabetten kommen
fünf Jahre lang auf Schulſchiffe, um dann im reguläre
Kriegsichiffe verfegt zu werden. Die „Ifufuba* ift das größte
der Schuliciffe und macht jährlich eine Reiſe; vor zwei
Jahren fuhr fie nach China, vergangenct Jahr nach Formoſa
und diefes Mal nach Amerila. An Bord findet man feine
wefentliheren Unterichiede von einem amerikanischen Schiffe,
abgefehen von den Offizieren und Matrofen. Sie wurde
vor fünf Jahren vom der engliſchen Regierung gekauft, be:
fteht aus Teakholz, faht 1033 Tonnen und bat eine Ma:
ſchine von 300 Pferbefräften. Sämmtlidre Cajüten, Hänge:
matten n. f. w. find geräumig und reinlid. Der Gapitän
beißt T. D. Ito, der erfte Lieutenant Fukumura; im Gan-
zen find 25 Offiziere, 36 Cadetten, 232 Matrofen und 17
Marinefoldaten an Bord. Die einzigen Weißen an Borb
find drei Engländer, ein Kanonier, ein Hochbootsmann umd
ein Seemann, die die britiiche Marine ald Juſtructoren auf
Wunſch der japanefiichen Regierung beurlaubt bat. Die Ma:
trofen follen fo thätig und wirkſam fein als irgend eime weiße
Aus allen Erdtheilen.
Mannichaft; die Befehle, Signale u. |. w. find ganz nad)
englifchem Mufter, Bei der Einfahrt in den Hafen hatten
Alle ihre Uniformen an, die denen ber amerifaniihen Ma—
rime ähnlich find; viele der Offiziere ſtizzirten das Land und
fragten über jeden ihmen nen ericheinenden Gegenftand. Bei
der Alfatrazinfel jalutirte das Schiff die amerikanifche Flagge
mit dem Nationalfalut, den das Fort erwiederte. Die Bes
waffnung befteht aus zwölf meilingenen 50: Pfündern, bie
in Kagoſchima in Japan gegoſſen wurden und alle auf dem
obern Berded ftehen. In der Rüftungsfammer finden ſich
130 Suydergewehre, 60 Revolver, 60 Hirfchfänger und zwei
ſechspfündige Feldgeſchütze. Die „Tiukuba* verlieh Sina-
gowe, den Anferplag von Tokio (Mebdo), am 6. November
und bleibt etwa einen Monat bei Sarı Francisco liegen, um
die dortigen amerifanifchen Kriegswerfte bei Mare Island
und andere ſehenswerthe Bunkte zu beiuchen. Die Offiziere
wünfchten auch die atlantilche Küfte zu befnchen; doch ver-
weigerte ihre Regierung diefes Mal die Erlaubnif.
Einfluß der guten m. auf die Zahl der Ber:
rechen.
M.P. In Slavonien beſteht ſeit zwei Jahren ein ärzt⸗
licher Verein, der ſich nach dem Muſter ähnlicher deutſcher
Vereine organifirt bat und in ber Landeshauptſtadt Eſſek
(Nav. Dfiek) jeden Monat feine Sigungen bält. In der No—
ing 1875 verlas Dr. Kal iwoda feine intereflan-
ten ftatiftifchen Betrachtungen über den Zuſammenhang der
Anzahl der Verbrechen mit dem Gebeiben ber Weinrebe und
der Pilaumen. Diele Betrachtungen erſtreden fih auf ben
Zeitraum von fünf Fahren; das Material zu denfelben lie:
ferte ihm das Lönigl, Kreisgericht in Eſſel, deſſen Sprengel
das ganze Comitat Beröcgze (av, Wiromitiga) mit 831 O Mei:
len und 163,105 Einwohnern umfaßt. Die ermittelten Zah—
fen zeigen, daß fich die Anzahl der Verbrechen im Anfang
jeben Herbftes zu vermehren beginnt, daß fie in dem folgen:
den Monaten bis Ende Januar unverhältnißmäßig wächſt,
um im Februar jeden Jahres außergewöhnlich abzunehmen
und zwar nicht nur in Bezug auf die Zahl, fondern auch
auf die Qualität der Verbrechen.
In dem der Betrachtung unterworfenen fünf Jahren
ſchwanlt die Zahl der Verbreden in den Sommermonaten
unb zwar von Anfang März bis Ende Juli zwilchen 28
und 37, wäcft im Auguft auf 42 und ſchließt Ende Januar
bes folgenden Jahres mit 80 ab, Dr. Kaliwoda giebt als
nächfte Urfache diefer ungewöhnlichen Vermehrung ber Ber-
brechen in den Wintermonaten den Umftand an, daß zu bie
fer Zeit die meiften Hochzeiten gefeiert werben nnd in diefelbe
auch die großen kirchlichen Feiertage fallen, bei welchen Ge—
legenbeiten und Feierlichkeiten das Voll am meiften fich bem
Genuſſe alkoholiſcher Getränke hingiebt und baburc im be-
raufchten Zuftande zum Verbrechen verleitet wird. Die
Mißachter des Geſetzes ruhen nicht nur in den Sommer:
monaten; fie thun es auch im Winter, wenn die Pflaumen
und ber Wein mißrathen. Gedeihen jedoch die Pflaumen
und fchüttet fich der Segen Gottes über die Weingärten
ans, dann wirb die Urfache des Verbrechens permanent. In
folhen gejegneten Jahren wächſt die Zahl der Verbrechen
gegen die Sicherheit bes Lebens außergewöhnlich.
So gab es 3. B. im Janunar 1871 (bad Jahr 1870 war ein
gutes Weinjahr) 33 folder Fülle, während im Jahre 1872,
wo die Weingärten und Pflaumen im Borjahre mißrathen
find, in demfelben Monat nur 15 vorlamen; im Januar
1873 gab es nur 10 folcher Fälle, ebenfovie) im Jahre 1974
und im Jahre 1875 gar nur 7. Diefe Unverhältnißmäßig:
feit in der Zahl der (ichweren) Verbrechen fpringt noch mehr
in die Augen, wenn man ben Monat September der Jahre
1871, 1872, 1873 und 1874, die im Allgemeinen für die
BWeinreben und Pflaumen wenig glnftig waren, mit bem
September des Jahres 1875, welches Ueberfluß an allem,
143
namentlich aber an Branntwein und Wein brachte, vergleicht.
In den genannten Jahren war für diefen Monat die Zahl
ber ſchweren Verbrechen reip. 4, 18, 8, 5 und 1875 famen
ihrer 32 vor, barımter 27 Morde. Der Monat October lie:
ferte für diefelben Jahre 5, 8, 11, 14 fälle, hingegen der
October 1875 folder 48. Es ift wohl zu erwarten, baf
Dr. Kaliwoda feine intereffanten ftatiftiichen "Betrachtungen
weiter fortfegen wird. Um die Ueberficht zu erleichtern , ge:
ben wir zum Schluffe folgende Heine Tabelle:
Zahl der Berbredjen
gegen die Sicherheit
bes Lebens
Jahr Ernieerträgnik
Sept.
”
*
”
”
”
Ein Begräbnißplag der Sachſen.
A. K. Seit einigen Monaten werben in der Grafſchaft
Warwid mit der größten Sorgfalt topographifce Arbeiten
ausgeführt, welche für die Vorgefchichte dieſes Lanbftriches
von Bebentung zu werben verfprechen. Nach dem „Stanbarb*
ift es Mufgabe dieſer Unterfuhungen, die Geſchichte der Graf:
ſchaft vor deren Eroberung aufzubellen umb fo viel wie mög-
lich die Angaben über Warwidibire, welche fih in Orberic
Bital, in der ſüchſiſchen Chronik und in ben etwas mytho-
logiſchen Chroniten befinden und welche von ben alten Ge-
ſchichtsſchreibern als hiſtoriſche Thatfachen angenommen wor;
den find, zu verificiren.
Die arhäologifchen Unterfuchungen erftreden ſich auf die
ganze Länge der, wie angenommen wird, von DOftorius
Scapula durch Forts befeftigten Linie zwiſchen den Flüffen
Avon und Severn und haben bis jet die Thatfache aufge:
klärt, daß, während die Stationen an der großen Grabes-
ftraße fih in regelmäßigen Abſtänden von einander befinden,
die Sachen an der großen Watling-Strafe, im Mittelpunkte
Englands, fich micht fo verhahten. Man bat zahlreiche Ueber⸗
refte von Befeftigungen, Wällen und ein vollftändig gut erhal-
tenes ae bei Barmoor Wood, in der Nähe von Elaperdon,
entde
Dieſe Nachforſchungen wurden begonnen, als eben zu:
fällig ein ſächſiſcher Begräbnifiplag am Ufer des Moon, un:
gefähr eine Meile von Warmwid, entdedit wurde
Die Sachſengräber, melde vor Kurzem zu Longbridge
geöffnet worben find, gehören einer ältern Periode an. Es
ift bemerlenäwertb, daß alle ſächſiſchen Alterthümer in War:
widihire ausſchließlich am Ufer des Avon, oder an den rö:
mifchen Militärftraßen, weldye an den Grenzen dieſer Graf:
Ichaft eriftiren, gefunden worden find, Der Begräbnißplas
bei Longbridge wurde zufällig entdedt, als man nach Kies
grub. Weber den Gräbern war nicht bie geringfte Spur einer
Erhöhung; wenn folde Erhöhungen je eriftirt haben, fo fün-
nen fie während der Ueberſchwemmungen des Avon von fei-
nen Fluthen hinweggeſpült worden fein. Die Leichen waren
ungefähr zwei englifche Fuß tief in der Erbe begraben.
Man hat bei diefer Gelegenheit fehr verfchiedene Gegen:
ftände gefunden; fie find jedoch denen glei, welde man ge
144
Aus allen Erdtheilen.
wöhnlich in Sachiengräbern findet. Diefelben laffen daranf | ein zerlegtes Dampfſchiff und feine ganze Ausrüftung mit
fchließen, daß der Boden fein gewöhnlicher Begräbnißplag
war, fondern daß bie Beftattung in ber Eile, nach einer kurz
vorher gelieferten Schlacht, ftattgefunden bat; deun uur einige
Leichen waren mit dem Kopfe nach Diten begraben, viele and
in einer andern Richtung. Die coniſchen Erhöhungen, welche
fi im der Mitte der Schilder befanden, fcheinen nicht auf
die Bruft gelegt worden zu fein, wie dies gewöhnlich der
Fall ift; es ift übrigens mit Beſtimmtheit erſichtlich, daß
einige Leichen mit größerer Aufmerkſamleit beftattet worden
find als andere.
Es wurden auch viele Skelete gefunden, welche ohne alle
Ordnung über eımander nelagert waren, ein Umftand, welcher
in anderen Fällen zu der Annahme verleitet hätte, daß dieſe
Stelete den Leichen von Sklaven angehören, welche den Göt-
tern geopfert worden find. Was die Körper felbft anbetrifft,
fo gehörte eines der am beften erhaltenen Skelete einem juns
gen kräftigen Manne von ungefähr 23 bis 24 Jahren an.
Er mißt über ſechs Fuß. Seine Zähne waren unbeſchädigt und
das Kinn etwas bervorftcehender ald gewöhnlich. Dieje Ueber:
einftimmung der unteren Kinnbackenknochen bemerlte man
durchweg ; viele Skelete zerfielen leider ober zerbrachen, wenn
man fie aus dem Grabe nehmen wollte
Bei den Leichen wurden Mitteltheile von Schilden,
Schilde, Lanzenſpitzen, Agraffen, Meſſer, ein Schwert und
eines jener befondern Siegel, die man nur in Sachlen:
gräbern antrifft, gefunden. Alle diefe Sachen werben, nadı-
dem man fie vorher beim Vereine für Alterthümer ausgeſtellt
haben wird, wahricheinlih im Mufeum zu Warwid unter
gebracht werben.
* * %
— Nordpolfahrten. Die engliſche Admiralität hat
mit dem erfahrenen Nordpolfahrer Allen Young (vergl.
Globus“ XVIII, ©. 351) ein Webereinfommen dahin ge:
troffen, daß fich derfelbe im kommenden Sonmer nad Smith’s
Sonnd begiebt, um dort womöglich von der engliſchen Exper
bition unter Nares und Markham Nadricht zu erlangen.
Im nächten Frühjahr foll ferner eine nordamerifanifche
Fahrt nach Norden angetreten werben, um nach Reften der
Franktin’ichen Erpedition zu ſuchen. Ein Schiff dazu iſt
ſchon gekauft, und der bekannte Esfimo Hand zur Begleitung
angeworben worden. Nur erfahrene Seeleute follen zur
Theilnahme zugelaffen werden, und jeder muß feine Ausga-
ben felbft beftreiten.
— Im diesjährigen dänifchen Budget ift die gewiß nicht
unbeicheidene Summe von jährlich 1100 Reichsmark angeſetzt,
um die auf Geologie und Gletſcherkunde Grönlands ge
richteten Forschungen Dr. Rink's, Dr. Brown’s, Steenftrup’s
und Nordenſtjbld's fortzuführen und zwar im Süden des
Landes, da das Gebiet nördlich vom 67. Breitengrade ſchon
befannter if. So gering die geforderte Summe und fo inter-
eflant die dafür zu veranftaltenden Forichungen find, jo wird
doch befürchtet, daß der allzu fparfame Landtag die Forderung
ablehnen könnte!
— Auf S. 47 des vorigen Bandes erwähnten wir der
Erpebition, welhe unter E. D. Moung'3 Führung von
Livingſtone's fchottifchen Freunden ausgeſendet wurde, um
an dem Sübufer des Sees Nyaffa eine Miffionsftation „Lir
vingitonia* zu gründen. Soeben ift nun ein Telegramm in
London eingelanfen, wonach es Moung glüdlich gelungen ift,
Inhalt: Rebatel's und Tirant's Reife in der Regentichaft Tunis. IV. (Schluß) —
Hiülfe von 700 Trägern über die Murchiſon-Waſſerfälle im
Schire (dem großen Nebenfluffe des Zambefi, welcher aus
dem Nyaſſa-⸗See lommt) binwegzuihaffen Der Dampfer
ſchwimmt ichon auf dem See, deffen Anwohner ebenfo wie
die des Schire-Fluſſes ſich gegen die Engläuder freundlich
zeigten. Zur gleicher Zeit ift eine zweite englische Gefellichaft,
beftehend aus Bilchof Steere, Mr. Alfreb Bellville und Ans
deren und begleitet von bem beiden trenen Dienern Living:
ſtone's, Tihnma und Sufi, nach dem norböftlichen Ufer dei-
felben Sees unterwegs, um bei dem freundlich gefinnten
Stamme der Adſchao gleichfalls eine Miffionsftation zu er:
richten. Die Erpedition verließ Janzibar im September vori⸗
gen Jahres und wollte von der Lindy-Bay, nörblich von der
Mündung, aus in das Innere vorbringen.
— Dr. Hermann v. Barth, befannt als Berfafler von
„Ditafrifa von Limpopo bis zum SomälisLande* (Leipsig,
bei DO. Spamer), ſowie durch feine Bearbeitungen ruſſiſcher
Reijeberichte, bat fich im Auftrage der portugieſiſchen Regie—
rung zur geologiihen Erforſchung des Landes nach Angola
begeben. Ende Januar 1876 war er in Liffabon eingetroffen.
— Der ‚Publisher's Circular* veröffentlicht eine Sta—
tiftit der im abgelaufenen Jahre auf dem englifchen Bücher:
markte erfchienenen Werke. Ihre Geſammtzabl beträgt .5218,
davon 3577 nene, 1330 neue Auflagen und 311 aus Amerika
importirte. Auguft mit 274 und September mit 236 Publi⸗
cationen find die ftillften Monate, denen der Weihnachtsmo—
nat mit 1102 al& lebendigſter gegenüber ftebt. Daflelbe Ber-
hältniß zeigt fh, wenn man a. B. einen der fruchtbarften
literarifchen Zweige, das Gebiet der Theologie, Predigten,
“ Bibelforfchung :c., betrachtet. Er ift im Gangen mit 784
Nummern, davon 556 neuen, vertreten, und auch hier ftebt
den unfruchtbaren Sommermonaten Auguft und September
mit reſp. 40 und 37 Erzeugniſſen der December mit 158
Nummern gegenüber. An Novellen und Erzählungen er:
fhienen zufammen 99 Stück; aud bier tritt bie
größte Anſpannung im December mit 215 Nummern
auf. Der Januar finft auf 64, und im Februar erreichte
die Production mit 39 ihren tiefften Stand. Poeſie und
Drama find mit 371 Nummern vertreten; das in England
ſehr beliebte und gepflegte Gebiet der Reifebeichreibungen
und geographiichen Werke mit 383 Erſcheinungen, nämlich
227 Novitäten, 73 neuen Auflagen und 33 aus Amerika im-
portirten Werken. Bei weiten bie ergiebigften Monate ma,
ren November (54) unb December (58); darauf folgt die Zeit
von April bis Juli mit refp. 36, 27, 37 und 39 Nummern.
Die, beiden Perioden voraufgehenden Monate waren verhält:
nigmäßig rubig: Januar 16, Februar 14, März 18 und
Auguft 19, September 16, October 19 Productionen.
— Nach den neueſten ftatiftiichen Ausweiſen befist Bu—
tareſt 15 Knaben- und 15 Mädchenſchulen, außerdem eine
höhere Handelsſchule. Die Erhaltung aller dieſer Schulen
foftet der Stadt jährlich 94,826 Frans. Im Schuljahre
1874/65 wurden biejelben von 2550 Schülern und 1256 Scil-
lerinnen beſucht, die Handelsſchule hatte 156 Zöglinge.
Bukareft hat 78 Kirchen. Die Stadt wird mit 3712 Leucht⸗
gasflammen und 1421 Petroleumlampen beleuchtet.
— Im Jahre 1872 gab es in Ungarn 1084 Spiritus:
fabriten. Bis Ende 1874 hat fich ihre Zahl um 230 ver
mindert. Nun beabfichtigt man eine Reformirnng der
Spiritusftener.
Dr. Bühler’s Reife nah
Kaſchmir. I. — Kreuz: und Querzüge in Californien. Bon Theodor Kirchhoff. I. — Was ſich das Volf in Oft:
friesland von Werwölfen und Waalridern erzählt. — Aus allen Erdtheilen: Zu Cameron's Reife, — Ein japaneſiſches
Kriegsichiff in San Francisco, — Einfluß der guten Weinjahre auf die Zahl der Verbrechen.
— Ein Begräbnißplag der
Sachſen. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 5. Februar 1876.)
Redacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenſtraße 13, III Tr.
Druck und Werlag von Friedrih Bieweg und Sohn in Braunfdhweig-
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Mit befonderer Berüchfichtigun
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der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Berbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunschweig
Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Rummern. Monatlih 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Bf.
1876.
Eine Befteigung des Mauna Hualakai auf der Inſel Hawaii.
Von Franz Birgham,
Der drittgrößte der hohen die Inſel Hawaii bildenden
Maunas (Berge) ift der Hualalai, den neneften Regierungss
vermeffungen zufolge 8275 Fuß hoch. reine vulcanifche
Tätigkeit ift vielleicht noch nicht gänzlich erlofchen, denn
der legte Ausbruch fand im Jahre 1800 ftatt. Derfelbe
ergoß ſich nach Weften ins Meer, bildete die große Yandipige
Lae Mano und die Bay von Kailua und zerftörte viele
Plantagen, Hütten und Fiſchteiche. Ich unternahm feine
Befteigung zweimal; und dba man auf diefem Nitte (denn
man fann im Sattel den oberſten Gipfelfrater erreichen)
Selegenheit findet, die charakteriftischen Eigenthüulichkeiten
hawaiiſcher Fauna und Flora ſowie die Bodenbeichaffenheit
der Weftjeite der Infel fennen zu lernen, dürfte wohl eine
Beſchreibung der Tour von Intereſſe fein.
Im December 1874 wohnte ic) gerade in dem am Fuße
bed Berges gelegenen Hafen Kailua, als das Kriegsichiff
„Scout“ die englifhe Expedition zur Beobachtung des
Venusdurchgangs dorthin brachte. Als einziger Weißer des
Ortes, temporärer Poftmeifter, fowie aud) der Landesſprache
fundig kam ich während ihres dreimonatlicen Aufenthalts
vielfach mit den Engländern in Berührung, und als ſich dies
felben, nad; theilweife mißlungener Beobachtung des Durdı-
gangs, zur Abreiſe rüfteten, beichloß ich mod), vorher mit
einem derjelben, Herrn A., die Befteigung des Hnalalai zu
unternehmen, um fo mehr, als der von Kailug ums nicht ficht»
bare active Bulcan Mauna Yoa zu jener Zeit im ftarfer
Thätigfeit fein follte.
Globus XXIX, Ne. 10,
Bor Sonnenaufgang ritten wir raſch auf Heinen Pferden
hawaiifcher Race auf breitem Wege am Meere entlang und
erreichten bald das Heine Dorf Kaumalumalu. Bon die
fem follte früher einmal ein Weg, die fogenannte Judd-Noad,
in gerader Yinie nach Oſten, quer durch die Mitte der Inſel,
zwiſchen die beiden großen Maunas nad) der Stadt Hilo
an der Oſiküſte gebaut werben. Derſelbe wirrde auch bis
zum jechszchnten Dleilenpfoften vollendet (eigentlich aber bloß
bis zum fünfzehnten, denn mit großer Naivetät wurde der
erfte Meilenftein fchon am Meeresufer gefegt), dann aber
die Arbeit wegen Mangels an Mitteln (obgleid) nur Sträfe
linge zur Arbeit verwendet wurden) eingeftellt, fo daß jetzt
‚ mod) gegen 40 engliſche Meilen unpaffirbarer Einöde zwiſchen
dem Endpunfte und Hilo liegen und der 90 Meilen (diefe
und die Fuß ſtets englifche) längere Küftenweg zur Reife
benugt werden muß. Wenn endlid, einmal die Vereinigten
Staaten Befig von dem Archipel nehmen werben, wird wohl
auch die Vollendung diefes Weges, fowie andere nlgliche
Neuerungen ftattfinden. Auf diefem gegen ſechs Fuß breiten
Wege traten wir die Befteigung des großen zwiſchen den
Maunas gelegenen Hocdplateaus an. Die ganze Weftfüfte
der Inſel bildet ein 1 bis 2 Meilen breites Cavafeib, bejien
ſchwarzes Geſtein des mangelnden Regens wegen fehr lang—
ſam zu fruchtbarer Erbe verwittert und mur dichte Kokos—
palmenhaine auf dem Sandufer, einige grüne Algarobabäume
mit ihren langen, ſüßen Schoten, und ppen des Rieſen⸗
cactus trägt, den die Kanafas Pabipi (Ochſenmauer) nennen,
10
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weil eine Hede derfelben eine für jedes Thier undurchdring ⸗
liche Einfriedigung bildet. Zahlreiche dem Eingeborenen ge:
hörige Ziegenherden, durch die verfchiedene Befchneidung der
Ihren ihren Befigern kenntlich, weideten an bem fpärlich
in Spalten und Rifien wachſenden Gras und furzen Staus
den. Eine Meile vom Ufer titten wir geblidt durch ein Meines
Thor in dee Mauer, die der erfle Kamehameha hier bauen
ließ. Bon dem Seefahrer Bancouver hatte er nämlic) mehrere
Stüd Hornvieh erhalten, bie ſich bald ſehr ſtark vermehrten.
Um diefelben am der Küfte zu halten und fie am Einbrechen
in die ma ufa *) gelegenen Kalo⸗ (Taro) und Batatenfelder
zu verhindern, wurde aus unbehauener Yapa dieſe coloflale
Mauer aufgeführt, die von Kiholo 25 englifche Meilen
lang bis zur Realafeafua»Bay ber Küſte parallel ents
lang läuft. Dept vieffadh in Verfall, zeigt fie am ben noch
erhaltenen Stellen eine Höhe von 12 bis 15 und eine Breite
von 4 bis 6 Fuß. Oberhalb berfelben ftellte ſich ſchon we:
niger ſpärliches Gras und — Rhicinus: (Caftordl-)
Stauden mit ihren großen Samenfernbüfcheln ein, während
Anpflanzungen der herrlichen Ananas mit ihren fpigen,
dolchahnlichen Blättern und die Nanken der faftigen, dunlel-
Franz Birgham: Eine Befteigung des Mauna Hualalai auf der Infel Hawaii.
grünen Waffermelonen, welche Pflanzen am beften auf diefem
nadten, heißen Seftein gedeihen, zu beiden Seiten des Weges
lagen. Derfelbe führte jegt fteil den erften gegen 1500 Fuß
hohen Abfag hinauf, auf deſſen Höhe angelangt wir einen
legten Blid auf die lange Küftenlinie unter uns warfen,
mit ihren vielen zwifchen Palmen gelegenen Ortſchaften und
forgfam mit Steinen eingefaßten Fotse (künftlichen Fiſch⸗
teihen). Dann nahm uns ein dichtes Gunvageblifc mit
feinen goldgelben, ſäuerlichen Frlichten auf, und die Ausſicht
anf das Meer verſchwaud hinter der Bodenerhebung. Das
undurchbringliche Didicht des Feigenbuſches, aus bem bie
duntellila richte hervorblidten, und das dunfele Yaub und
die hellvothen Beeren des Kaffeebaumes ftellten ſich ein, von
den maffiven Kronen hoher Koa- (Acacia falcata) und
Kukuis (Alehrites triloba) Bäume üherſchattet, und als wir
die zwei Meilen vom Ufer gelegene obere Alanui (Re:
gierungsiweg um die Infel) freuzten, befanden wir und mits
ten in dem breiten Gürtel des hawaiiſchen „Bufces“. Hier
und da ftand die Kleine Orashlitte eined Eingeborenen, von
Kelofeldern, Bananen» und Papaiaftauden umgeben. Ein
paar Krähen zogen raſch vorliber und eine große Eule 309
um
— —
— Pi
Ruinen des Umi-Tempels auf dem Kalaika-Plateau mit dem Mauna Kea und dem Maung Loa.
ihre Kreife in der Luft Uber ums. Immer fteiler und abs
fchliffiger wurde der Weg, nur millhſam arbeiteten fich die
Pferde in die Höhe, auf dem feuchten Geftein fortwährend
ausgleitend; riefige Obia- und Mamanibäume, ats beren
eifenhartem Holz der Hawaiier ſich früher Yanzen und Sen:
len ſpitzte, fchloflen jeden Sonnenſtrahl aus, und ber ſchwere
Thau auf den gefiederten Blättern der riefigen Farrenbäume
(Cibotium Chamissonis), zwiſchen denen der Weg faft ganz
verfchtwand, durcchnäßte und bis auf die Haut.
Nach dreiftindigem, langſamem Vorbringen hörte endlich
die Steigung auf und raſch galoppirten wir auf offenes Yand
hinand. Der zehn englifche Meilen breite Vegetationsgürtel
war paffirt und wir hielten, 4000 Fuß über dem Meere, am
Rande des weiten, zwiſchen den drei großen Bergen Hawaiis
ſich erſtreclenden Plateaus Kalaila. Schnurgerade lief vor
und der jetzt ebene, mit kurzem Gras bewachjene Weg direct
*) In Folge der Botengeftaltung feiner Heimath gebraucht der
Kanala zu jeder Rihtungsbeftimmung die Bezeichnungen ma ula
den Berg binan) ober ma kai (um Meere binunter), die er auch
i der geringfügigften Gelegenbeit, 5. ®. zur Ortsbeffimmung felbft
in ter Hütte, auf dem Pferde oder im Canet anwendet.
nad Often, während ſich zur Rechten dev große Dom bes
Mauna Loa, zur Linken der fattelförmige Hualalai und
in der Mitte der zerflüftete Püden des Mauna Kea auf:
Die vor uns liegende, wellenförmige Ebene beftand zum
großen Theil aus grobförnigem, rothem Sanbboben, wahr:
ſcheinlich uralter, verwitterter Yava, an manchen Stellen von
fpäteren grauen Lavafeldern bedeckt; nur das niedrige Buſch
werk der rothen Ohelobeere, einer andern weißen Art und
wenige verfrlippelte Obia- und Mamanibäume hatten hier
Burzel gefaßt. Am Rande des Waldes dagegen ftanden
noch zahlreiche Gruppen der foftbaren Sandelholzbäume, aus
beren hellbraunem Holz ein paar Einſchnitte den herrlichen
Geruch; entloden, jedod nur junge Stämme Denn die
großen wurden vor Jahren abgeholjt, während der Nachwucht
jegt als Kroneigenthum gejchüigt wird. Während die Pferde
raſch auf dem ebenen Wege entlang galoppirten, wobei der
Hualalai zur Linken blieb, liefen mehrere Wildſchweine, bie
fi) Hier in großer Zahl von Wurzeln und Beeren ernähren,
rafch über den Weg, zahlreiche Schwärme ber wilden hamaii-
jhen Gans (Manu nene) flogen vorüber, und meinem
Franz Birgham: Eine Beteigung des Mama Hualalai auf der Infel Hawaii.
Begleiter gelang e8 fogar, einen ſchönen Truthahn (Palahu)
mit dem Revolver vom Baume zu ſchießen. Ueberall waren
unzählige Schaf: und Ziegenfpuren im Sande zu fehen.
Am fünfzehnten Meilenſteine hielten wir an dem neben
dem Wege gelegenen Ruinen des älteften hawaiiſchen Heians
(geibnifchen Opfertempels), des fogenannten Hoa Umi, ber
der Tradition zufolge vor Jahrhunderten von dem fabelhaften
Könige Umi hier, faft im Mittelpimft der Infel, erbaut wurde.
Im Sreife um ein vierfeitiges Gemäuer ftehen acht gegen
20 Fuß hohe Steinhaufen, welche die eben fo vielen von Umi
beherrfchten Diftricte Hawaiis darftellen follten. Der Tempel
im Innern war dem Kriegsgotte Kaili geweiht.
Jetzt verliehen wir ben und erreichten nad) kurzem
Galopp querfelbein, wobei die Pferde oft durch die dünnen,
dem rothen Sande umterliegenden Lavakruſten (Pahochoe)
einbrachen, die Rand) bes Amerikaners Wall, ber diefe ganze
Hochebene ſowie den Hualalai als Weidegrund für feine nad)
Zanfenden zählenden Schafherben benutzt und mit feiner
eingeborenen frau und mehreren Gchlilfen der einzige Ber
wohner biefer unermeßlichen Flächen ift. Neben dem hibs
ſchen, von vielen Schafhlirden umgebenen Wohnhauſe flieht
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auch das runde Gebäude zum Scheeren und Prefien ber
Wolle, von ber er jedes Jahr gegen 30,000 Pfund nad)
Honolulu verfendet. Wir wurden freundlich in diefem un-
ferm Nachtquartier empfangen und fonnten uns freuen, daf-
felbe vor Sonnenuntergang erreicht zu haben, denn in bem
gleich darauf ſich einftellenden dichten Nebel hätten wir uns‘
fehlbar den Meg verloren, wie benn aud) vor Jahren einmal
i Europäer auf dem Bualalai verfhollen find und wahr⸗
—* ihr Ende in einem der vielen Krater oder Höhlen
des Berges gefunden haben. Seltſam erſchien es uns, auf
biefer tropifcdhen Inſel die Nacht bei hochflammendem Feuer
und unter bien Decken zugubringen, denn bei biefer Erhe—
bung (4200 Fuß) herrfchte draußen eine fchmeidende Kälte,
Als ic, am frühen Morgen bei hellem Mondfcein zum Fen«
fter hinansfah, hob fich die blog 20 Meilen entfernte, riefige
Kuppel des Dauna Loa dunkel vom Himmel ab, während
bie Wolten über feiner Spige, wie bei einer enormen Feuers:
brunft, den dunlelrothen Schein feines Gipfellraters bald
hellaufleuchtend, bald bläffer reflectirten und bie weiten Schnee
felber auf feinem Rüden im Mondſcheine gligerten,
Bor Sonnenaufgang waren wir wieder im Sattel und
Der Bipfeltrater des Hualalai.
titten in Begleitung Herrn Wall’s, der fid) und zum Flihrer
angeboten hatte, gerade auf den Berg zu. Denn jegt hatten
wir noch, auf pfadlofen , rauhem Geftein, die Steigung ber
legten 4000 Fuß, den ſchwerſten Theil der Erfleigung, vor
und Bei dem Ritte liber die rothe Sandfläche faßten die
uns begleitenden großen Hunde mehrere Wildſchweine ab,
die Wall raſch abſtach, denn, wie er ums verficherte, fügen
diefelben durd; Zerftörung des Futters ſowie durch Tödten
der jungen Schafe und Zidlein jeinen Herden vielen Schaden
u. Als die Sonne ſich tiber dem fägenfürmigen Rüden bes
ana ſtea zeigte, hatten wir wieder ben Mand des Plar
teaus erreicht und begannen langſam, einer hinter dem ans
dern, auf der Oftfeite die rauhen, fahlen Pavafelder des Hua⸗
lalai zu erfteigen,
Bald jedoch; zeigten fi; auf allen Seiten alte Krater
und Eruptiofegel, in Gruppen oder einzeln, denn im Gegen»
fage zu ben meiften anderen hawaiiſchen Vulcanen, bie bloß
einen Gipfelfrater befigen, ift ber ganze Rucken bes Hualalai
mit Nebenkratern aller Größen bededt. Ich befenne mic)
unfähig, die Mannigfaltigleit der formen biefer erlofchenen
vulcaniſchen Herde zu ſchildern, die ſich in jeder Nichtung um
une erhoben, bald als regelmäßige Sandfegel mit ſanft ab-
fallenden Seiten, bald als kreisrunde Krater mit faft fent-
rechten Abhängen, ſpärlich mit verfriippelten Mamanigebiifch
bewachſen, oder als tiefe Keflel, durch deren zerflüftete Seis
ten ſich die Lava einen Weg gebahnt und als feuriger Bad;
ergojien hatte. Dazwifchen zeigten fich die Oeffnungen zahl:
reicher Höhlen, bie iunnelförmig meilenweit in den Berg
hineinlaufen. Yangfam feuchten die Pferde über die dazwiſchen⸗
liegenden Yavafelder in bie Höhe, deren rauhe, fpigige Ober-
fläche ihre Hufe werwunbeten; hier und da wurde eine ebene
Sandfläche mit verdorrtem Gras oder lurzem Bufcwerf paf-
firt, und an einer Stelle kreuzten wir ſogar ein Meines aus-
getrocknetes Seebecken, auf deifen fruchtbarem Boden hohes
Schilfgras und dichte Pandanusgruppen ftanden, Der Gipfel
des Berges blieb anfcheinend immer in berfelben Entfernung
vor uns, bis ihn einige mit kurzen Farren bewachfene Krater
verdedten. Diefelben umgehend kletterten die Pferde im Zide
zad einen noch gegen 500 Fuß hohen Kegel rothen, groben
Sandes hinan, dem kurzes Buſchwerk mit rothen Blüthen
und Beeren ſtrichweiſe bedeckte. Auf ber Höhe deſſelben an-
gelangt, fanden wir und endlid auf dem erften ber beiben
Gipfel des Berges; noch ein furger Galopp durch die leichte
Einfentung nad) dem andern hinüber und wir hielten auf
19*
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der Spike des Hualalai, während ein wunderbares Panorama
ſich zu unferen Fügen ausbreitete.
Weit gen Norden hob der 10,000 Auf hohe Haleafala,
„das Haus der Sonne*, auf der über 60 Meilen entfernten
Infel Maut luftig und blau feinen Gipfel fiber den ihm um-
lagernden Wolfengürtel. Gegen Weften und Etiden begrenz«
ten die beiden großen, ſchneebedeckten Maunas mit ihren
unermeßlichen, duntelen Abhängen, Schluchten, Ebenen und
Lavafeldern den Horizont; zwiſchen ihmen breitete fich bie
graue, eimtönige Fläche von Kalaifa aus, Nördlich dedte
die großen Waimea Plains ein Wollenmeer, das, vom
Winde gepeiticht, in erregten Wogen und Wellen umbertrieb,
während hier und da ein höherer Kegel bed Hualalai ſich
infelartig daraus erhob, Im Welten dagegen erftredte ſich
die Kuſtenlinie der Inſel wie auf der Yandfarte weit unter
uns, vom Kohalaberg im Norden 60 Meilen lang bis zum
legten Südweftausläufer des Maung Yoa, des Lae⸗Kawili,
der im fühnen, 30 Meilen langen Halbbogen von Gipfel
bes Bulcans fid) zum Meere hinabjenfte. Scharf hob ſich
der ſchwarze, ftarre Yavaglirtel der Küfte mit dem uns näher
gelegenen, grünen Yaubmeer ded Buſches von dem hellblauen
Meere ab, weit im Norden glänzten als weiße Pünktchen die
Häufer von Kewaihae; faft umter und, im gerader Luftlinie
nur neun Meilen entfernt, erfannten wir.die Kirchthürme
von Kailua und weiter füdlich markirte ein tiefer Einfchnitt
ins Yand die Bay von Kealalkealua. Ein heller, in der
Sonne filbern glängender, unregelmäßiger Streifen, der fid)
faft vom Gipfel des Mana Yon, den Norbabhang dejjelben
hinunter, durch die Senlung zwifden Dauna Kea und Hua—
lalai hindurch, nördlich von legterm bis ans Meer hinab-
fclängelte, war der große, liber 40 Meilen lange Yava-
ausbruc; von 1859, der Kiholo verwiftete. Deutlich erfannte
man auf dent Gipfel des Mauna Loa die dunfelen Streifen
Dr. Bühler’: Reife nach Kaſchmir.
älterer Ausbrliche, die unmittelbar ans dem Srater über:
gefloffen und ſich kurze Stveden den Abhang hinab ergofien
hatten, während unheilverheifend eine ſchwere, ſchwarze
Naucwolfe liber dem Gipfel, der Behaufung der Göttin
Pele, hing. Der weſtliche Horizont des Stillen Meeres
hatte ſich anfcheinend bis zum Niveau des Auges gehoben
und zerfloß, ſcheinbar einen tiefen Keſſel bildend, mit dem
Himmel, fo daß ein auf weiter See fegelnder Schooner in
den Wolfen zu ſchweben ſchien. Lautloſe Stile umgab uns,
während wir im warmen Sonnenſchein hielten, und mir
das Summen einiger felbft auf diefer Höhe ſich aufhaltender
Fliegen und das Blöfen der Schafherden in den Wäldern un:
ter und drang ſchwach zu uns herauf.
Wie ſchon erwähnt bildet der Gipfel des Hualalai einen
Sattel, zwiſchen deſſen beiden fast gleich hohen Segeln aus
vothem Sande die beiden Krater des frühern Vulcans liegen,
der größere mit gegen 500 Schritt Durdjmeffer, mit ab:
ſchüſſigen Seiten und bis auf 300 Fuß Tiefe mit Geröll,
Schlacken und Yavatrümmern angefült. Auf dem höhern
Gipfel fteht ein Gerliſt mit einer Flaggenftange, die als
Signalpunft für trigonometrische Bermeflungen der Juſel
dient; die früher daran wehende, ſechs Fuß lange Signal:
flagge ift freilich bis auf einige Wegen von dem wüthenden
Winde abgeriffen,
Auf dem Ruckwege ftiegen wir die Oftfeite des Berges
hinunter, wobei wir diefelbe Scenerie von Kratern, Kegeln,
Yavafeldern, Sandflähen, Höhlen, Keffeln und Schluchten
pafjirten und langten erft gegen Abend fehr ermüdet nach
zwöffitiindigem Mitt bei Wall's Ranch an. Am folgenden
Morgen verabfcjiedeten wir uns von unferm freundlichen
Wirth und Flihrer, ritten die Judd Road hinunter und lang-
ten gegen Mittag wieder in Kailtta, unferer temporären har
waitichen Heimath, an,
Dr. Bühler’3 Reife nad) Kaſchmir.
Am Abend des 19. September fegten vier Ruderer hin—
ten und einer vorm meine Kiftt in Bewegung.
Die Stadt zieht fich etwa eine Stunde weit an beiden
Ufern der Bitaflä hin, welche durch fieben Prien verbuns
den jind. Zwiſchen der erften und ziveiten befindet fid) der
Palaft des Radſchah, eim zweiftöciges Gebäude mit zwei
Heinen, runden Thürmen, die ald Balcone dienen und auf
deren einem ich meine erfte Audienz erhielt. Dann folgen einige
ſchlechte Tempel rechts und links und weiterhin ein Hügel
mit einer Feſtung, früher „Sitz des Vradgemna“, jetzt
„Berg des Viſchnu“ genannt. Hinter der Stadt iſt zu bei⸗
ben Seiten flaches, eingebeichtes Land.
Die Nacht wurde durchgefahren, und ich erwachte in
Schadipur. Die Sonne war eben aufgegangen und das
Gras von Than beneßt; umter ſchönen Ulmen trank ich mei:
nen Cacao und beftieg dann das Meine Boot. Unterhalb
jenes, auf dem linken Ufer gelegenen Dorfes befindet ſich
ein Eichyerheitscanal (der Norucanal), der auf weiten ms
wegen durchs Yand führt und fünf dentiche Meilen weiter fich
wieder mit der Vitaftä vereinigt. Gegenllber dem Dorfe
mündet der von Dften kommende Sindha, ein Namensvetter
des Indus, in jene, und im Zuſammenfluſſe liegt eine künſt
liche Inſel, Pradſchag, die ſehr heilig if. Den Sindha
num ließ ich mic, eine Stunde weit nad) einem Neinen See
hinanfrudern, zu dem er fi, aus den norböftlidien Bergen
hervorgefommmen, erweitert. Ich hatte meine Flinte bei mir,
um Becafjinen zu ſchießen, die hier nebſt Enten fehr zahl»
reich find, erbeutete aber nur eine der legteren, da ſchon eine
Jagdgeſellſchaft vor mir ausgefahren war. Zum Frübftüd
war ic; zurlid und fuhr auf dem Fluſſe weiter nach Mär
näsböl (Manas-Bal-Ser), wo man aberyals in einen
engen anal abbiegt und plöglich einen See vor ſich ſieht,
der auf der Nord-, Oſt- und Weftfeite von Bergen einger
ſchloſſen iſt. Im Norden, dem man entgegenfährt, thürmen
fich mächtige Künme auf, an den Seiten niedrigere. - Die
untergehende Sonne beleuchtete eine wunderbarihöne Scene:
das kryſtallhelle Waſſer lieh den Grund des Sces mit jeinem
Tang und den Fiſchen dazwiſchen erfennen, auf der Fläche
ſchwammen zahlreidye Lotus mit ihren tellergroßen, rothen
Bllithen, an den Ufern majeftätifche Baumgruppen mit
Dörfern und den Ruinen alter Sclöffer der Moguls ab-
wechſelnd; id) fuhr langſam in meiner Shifari dahin, hinter
den Kiſtis her. Als wir, um fir die Nacht anzulegen, dem
Fande naheten, hörte ich das Plätjchern eines Wallerfalles,
der von den nördlichen Felſen herumterftürgt. Am folgen
den Morgen beſah ich den nahen buddhiftiichen Tempel, der
Dr. Bühler's Reife nah Kajchmir,
ein curiofes Doppelpyramidendad; hat und halb in das Waſ—
fer gefunten ift. Die Rüdfahrt zur Vitaftä nahm den Tag
fo ziemlich in Anſpruch, denn es geht bei diefen Fahrten
fein langſam; ich war erſt fünf beutjche Meilen von Srina-
gar entfernt,
Tages baranf wollte ich den Wallerſee befuchen, eines
der bedentendften Gewäſſer, ebenfalls an drei Seiten von
hohen Bergen umgeben, hinter denen noch höhere, ſchneebe
dedte Ruppen hervorſehen: die Berge von Dardiftan, welche
die Verbindung mit dem Hindukuſch bilden, Die Hälfte
des Sees ift durch Anſchwemmungen fehr feicht geworden
und mit der Edhringäranuß bedeft, einer merkwürdigen
Waſſerpflanze, die fich durch Meine, mit Luft geflilte Bla:
fen oben erhält und eine dreimafterähnliche Frucht hervors
bringt. Ihr nußähnlicher
Kern wird alljährlich, gefan+
melt, getroduet und zu Mehl
zerrieben gegeſſen.
Bon der Oftfeite kam ich
in den See und fuhr um eine
Yandfpige nach Norden. Gier
iſt er durch rothbeinige, filber:
graue Mlöven, Enten und
Stelzfüße belebt, deren ich
einige erlegte. Hauptfählich
hatte ich es auf eine 1 Stunde
öftlicd vom Einfluffe der. Bis
taftä belegene heilige Inſel ab:
gefehen, welche gleich Ceylon
Lanka“ genannt wird und in
deren berlihmten alten Tem:
pelruinen ich eine Inschrift zu
finden hoffte, Hierin ward ic}
freilich getäufcht, doch waren
die Säulenrefte dorifcher Ord⸗
nung, wie auch eine alte
Mofchee immerhin fehens-
werth. Die Infel mit nur
500 Schritt im Umfang, war
aber fo lebendig voll von
ſchönen ſchwarzen und blauen
Libellen und Mogfitos, die
mid; arg plagten, daß id)
mic) freuete, ala id; meinte
Unterfuchungen vollendet und
quer Über den See nad) dent
Ausfluffe der Bitaftü fahren
tonnte, eine langwierige Urs
beit, über die es Mittag
wurde. Dort traf ich nad)
einigem Warten die großen
Boote und erquichte mich durch ein Frlihſtück und eine Nad)-
mittagsruhe. Als ic) erwachte, waren wir in Sopur,
einer ziemlich bedeutenden Stadt, die zwei Pofthäufer hat.
Sie wurde vor 1050 Jahren von einem Ingenieur, einen
echten Autodidakten, gebauet, der aber im Deich und Waſſer⸗
bau Großes leiftete. Auf originelle Weife erweiterte er bie
Bitaftä. Das weftliche Kaſchmir war damals fo verfumpft,
daß es wenig anbaufähiges Land gab und in folge davon
Thenerung eintrat. Er erkannte bald, daß «8 nur darauf
anfäme, das Bett bes Fluſſes zu reinigen und fehnellen Ab⸗
fluß des Waflers zu erzielen. Zu dem Ende ließ er fich
mehrere Säde Rupien vom Könige Avantivarman geben
und vergrub das Geld an dem feichteften Stellen vor aller
Leute Augen. Alsbald ftrömten eine Dienge Bauern und
fonftige Arme zufammen, um die Schätze zu heben, was
1
Details vom Vlartand: Tempel,
149
ihnen aber nur durch Entfernung des Gerölles und Schlame«
mes gelang, fo daß das Flußbett im ber Kltze auf billige
Weife grundlich gereinigt ward. Nachher bauete er mehrere
Ganäte auf dem linfen Ufer der Bitaftä, die bei Hochwaſſer
ſich flillen. und den Ueberfluß auf Umwegen nad) Bärämulä,
dem Thore Kaſchmirs, führen. Nach diefem Orte fuhr ich
folgenden Tages. Der Fluß windet fid) zwiſchen Deichen
zuerft im flachen Yande; dann treten rechts die Berge ſehr
nahe, und ſchließlich iſt man ganz von ihnen umringt.
Denfeit der Stadt wird die Landſchaft wunderbar ſchön; das
Flußbett wird immer mehr eingeengt und große Steine ras
gen daraus hervor, an denen das Waffer raufchend vorbei:
ſchießt. Weiterhin giebt es auch Wafferfälle, da das Bett
bei Barämulä etwa 5000 Fuß body liegt und 180 engl.
Meilen weiter die Ebene des
Vendſchab beginnt, die nur
wenige hundert Fuß über dem
Meeresſpiegel erhaben iſt.
Ant andern Tage wanderte
ich fiber die Stätte des alten
Huſchkapura, weldes ums
Jahr 25 v. Chr. von dem
fchthifchen Könige Hufchka ge:
grlindet wurde. Die Ruinen
liegen auf dem linten Ufer
der Bitaftä, und die Felder
find noch im Umfange von
einer Stunde mit Steinen und
Topfſcherben bedeckt. Nach
Bäramuläa, welches früher
Varähamula, d. i. „Urfprung
des als Eber geborenen Bifch:
nu“, hieß, zurüdgelehrt, be—
ſuchte ich fehenswerthe Tem-
pel, beſonders einen bed
Sciva, „des Herrn ber Pe-
gionen“, auch buböhiftifche
Klöſter, und fand gute Bild:
fäulen nebft einer Infchrift.
Tas Meifte haben jedoch die
Mufelmänner am Ende des
14. Yahrhunderts zerftört.
Bon hier ab machte ich
mich auf den Ruckweg, der
recht langjam von ftatten
ging, da die Boote ſtromauf
gezogen merben nillſſen. Ich
wählte eine andere Route
durch mehrere Canäle und er:
wähne nur, daß id) am 30,
September wieder in Srina⸗
gar eintraf; auf dev ganzen zehntägigen Reife war ich übri—
gens auch fonft nicht mußig geweſen, fondern collationirte
täglid; 4 bis 5 Stunden und arbeitete an einer kaſchmiri—
chen Wortſammlung. Bei meiner Wbreife werbe ich eine
ähnliche Tour im Often des Tales machen.
Zum Schluß noch ein paar Worte iiber den Mahü«
radſcha (Fürften) von Kaſchmir. Zuerſt befuchte ich ihm
bei meiner Ankunft; er empfing mich auf dem Balcon fei-
nes Palaſtes, der fiber der Bitaftä hängt. Nur drei Stühle
befanden ſich dort, einer fir ihn, ber andere für feinen Sohn
und der letzte für mid); der Divan, Oberrichter :c., alle muß-
ten ftehen. Er unterhielt ſich wohl eine halbe Stunde mit
mir und wünſchte, id; möge mit ihm feine Hochſchule be—
fuchen, bie weiter unten in ber Stabt liegt. Wir fuhren in
feinem Boote hin und eramintrten gemeinſchaftlich im Sans-
150
frit und Mathematit. Einige Schikler waren recht gut; ich |
fragte 3. B. weshalb — a.— b — + ab fei. „Oh,“* ant-
wortete der Gefragte, „zwei Negationen machen eine emphas
tische Bejahung.“ Dbfjchon die Antwort zeigte, daß ber
Knabe die rechte Definition nicht kannte, machte fie feinem
Berflande doch alle Ehre. Wir ſaßen bis 8 Uhr Abende
zufammen, Der Radſcha, der fehr gut Sanskrit verfieht,
war begierig zu Hören, was ich wüßte, und ich freuete mich,
feine Neugier befriedigen zu fünnen,. Seinen älteften Sohu
mußte ich in ber Grammatit eraminiven, wobei berjelbe
glänzend durchfiel.
Das zweite Mal fah ich den Fürſten beim Stapellauf
eines Meinen Dampfichiffes, das die englifche Regierung ihm
geichentt hatte. Daflelbe war in Gtüden heraufgebradht,
und am Ufer des Dhöl (Sees)
bei der Stadt zufammen- =.
gefegt worden, Inder Nähe
waren Zelte aufgefchlagen,
und alle Europäer, deren
fonft 300 hier ſich aufzu«
halten pflegen, nebſt etwa
hundert Eingeborenen einge
laden. Es war ein Schraus
bendanpfer von etwa 40
Fuß Länge, der von der Ge⸗
mahlin des Reſidenten regel ·
recht getauft und unter Ka-
nonendbonner ber Fluth Uber:
geben wurde. Als man ihn
num gleich probiren wollte,
ging es nicht recht von flat-
ten, weil der See hier voll
Tang ift, Ucher alle dem
war es dunfel geworden und
wir begaben uns nad) ben
Scalinar- Gärten, in ein
altes Yuftichlof des Albar, wo
dad Diner ftattfand. Alles
war glänzend illuminirt und
fah prächtig aus; mit dem
Eſſen war es aber nicht fon:
derlich beftellt, and; gab es
nur wenig Stühle und Meſ⸗
fer und Gabeln.
Zum dritten Male war
ich zu einer Feſtlichleit am
1. October geladen, weldhe
im Palafte dicht bei ber
Stadt ftattfand: Diner mit
voraufgehendem Natſch⸗ Bal ·
let und laſchmiriſchem Con⸗
cert. Nur 14 Perſonen waren erſchienen, da ſchon viele
Europäer abgereiſt waren; der Radſcha war ſehr liebens⸗
würdig und ich mußte am feiner linken Seite ſitzen, da
der Nefident ordnungsmäßig die Rechte einnimmt, Das
Diner fiel diesmal beſſer aus; auch ward mir eine lange
Unterhaltung mit dem Fürften zu Theil. Was diefen be
trifft, fo ift er etwa 45 Jahre alt, neigt zur Corpulenz
und ift gegen 51/, Fuß groß, fehr gutmüthiger Natur, ohne
bejchränft zu fein, und bildet durch feine Mäßigfeit eine rühns
liche Ausnahme unter den indiſchen Fürſten; ich darf ihn
einen fehr achtbaren Mann nennen. Drei Söhne hat er;
fein Vater verrieth dem eigenen Landesherrn an den Silh
und erhielt dafür Kafchmir gegen Zahlung von 8 Millionen
Markt. Er felbft ift von der englijchen Regierung abhängig,
wie alle biefe Fürften hier. — (Soweit der dritte Brief.)
——
Ri
N,
e
wi
N
—
Details vom Martaud⸗Tempel.
Dr. Bühler's Reiſe nach Kaſchmir.
Der vierte datirt aus Ramban im Himalayagebirge vom
28. October. Auf der Ruckreiſe von Kaſchmir begriffen,
benutze ich die freien Abende, um meine Reiſeberichte forts
zufegen; ich beginne mit bem legten Aufenthalte in Erina-
gar, der nad) dem legten Ausfluge noch etwa brei Wochen
dauerte. Es murde bort recht falt und alle Berge bebediten
fih mit Schnee ; wir hatten unten im Thale auch eine Woche
hindurch Regen, ſchließlich Härte er ſich zum prachtvollen
Herbftwetter auf. Eigenthümlich machte es ſich, dag in
folge der Nacıtfröfte das Laub der Bäime gelb wurde und
zu fallen begann, dergleichen hatte ich in Indien nie erlebt.
Die europdiſche Colonie licytete fi) immer mehr und
zulegt blieben nur noch in vier Häufern Leute zurüd. Am
20, October zog ich in drei Booten aus, mein Pandit und
ein laſchmiriſcher Sänger be-
gleiteten mich. Da die Fahr⸗
zeuge ſehr langſam firomanf
gingen, machte ich mod; zu
Pferde einen Ummeg nad;
Kunmoh, dem Geburtsort
eines berühmten Dichters,
mit guten Ruinen und In«
fchriften. Nahe bei diefem
Drte fangen bie wichtigen
Saffranfelder an, die ſich 10
Meilen bie Wantipur hin-
ziehen und um dieſe Zeit,
während ihrer Blithe, ftreng
bewacht werben, Ihre Euls
tue ift Monopol des Mahä-
radſcha doc; verſchaffte mir
ber Bandit eine Blume,
welche von der Größe einer
Malve, von fügem Dufte und
lilafarben ift und gelbe und
rothe Staubfäden hat.
Bei Rampur famen wir
wieder an den Fluß. Diefer
Ort trägt feinen Namen von
einem alten kaſchmiriſchen
Miniſter Radma (daher er
eigentlich Radmapura heißt),
zählt 15,000 Cimmohner
und befigt eine Britde über -
die Bitaftä. Er ift ſehr zer»
fallen und ſchmutzig, bie
Häufer, eine maffive Caferne
ausgenommen, aus Holz mit "
Lehmfteinen. Der Marſch
behnte fic bis in den Abend
aus, und wir fangen
Unterhaltung kafchmirifche und deutſche Lieder um die Wette.
Endlich aber wurde es recht falt, der Wind pfiff empfindlich
von ben ſchneebededten Bergen herüber, und felbft der Ueber
zieher nligte nicht viel. Ueberbies mußten wir Stunde
auf die Boote warten. Endlich famen fie und mit ihnen
warmes Abendejien; da fehrte bald bie Behaglichkeit zurüd.
Am folgenden Morgen ging es zwiſchen langweiligen
Deichen nad) Lattapur (Patıpur), vor 1100 Yahren bie
Nefidenz eines großen Königs (Lulitädiza), was bis 2 Uhr
währte, da die Schiffe von Menfchen gezogen werden muh⸗
ten. Weil ich nur eim ſchmutziges Dorf ohne irgend welde
Merlwurdigleiten fand, fo beftieg ich, abermals einen Klepper,
um bie recjtö gelegenen Berge zu befuchen und Jagd nad) Tſcha ·
fera& zu machen, einer Art Rebhühner, aber halbmal größer
als diefe, grau von Gefieder, nur um bie Augen und unter
Dr. Bühler’s Reife nah Kaſchmir.
ben Flügeln orangegelb mit ſchwarzen Streifen, mit rothem
Schnabel und Füßen und ungewöhnlic, kurzen Flügeln.
Diefer Vogel fpielt eine große Rolle in der indifchen Poefie,
befonders feiner wirklich ſchönen Augen und feiner Nahrung
wegen, welche in Mondftrahlen beftehen fol. Er hält ſich
in den Bifchen der Bergabhänge auf und ift ſchwer zu ers
legen; bald mußte id) 300 bis 400 Fuß aufwärts, bald
ebenfoviel abwärts Mettern, um ihrer anfichtig zu werben,
und dann waren fie doch jo wilb, daß fie bei 80 bis 100
Schritt aufflogen und alsbald zwifcen den Steinen und
Buſchen höchſt gewandt fortfchlüpften. Obſchon ihrer viele
ba waren, gelang es mir nach zweiftiindiger Arbeit doch nur
ſechs davon zu erlegen. Während ber Jagd hatte ich mich
Wantipur zugewandt, und als id) aus den —* herab⸗
ſtieg, traf ich glücklich mein Roß bereit. Mein Weg flihrte
mic der Bitaftä entlang Uber eine Stunde durch Trlimmer
der alten Stabt Avantipura (ums Jahr 800 n. Chr. ers
bauet), jegt nur noch ein Dorf. Bon ben Ruinen ift allein
der Porticus eines alten Tempels erhalten, den man eben
fo gut ein Pyloros nennen könnte; denn es ift eine gewal-
tige Steinmaffe, etwa 40 Fuß hoch, die den Eingang in den
Tempelhof bildete, Auch haben ſich um einige Quellen, auf
Kaſchmiriſch „Nagas, d. i. Schlangen“, genannt, die alten
Einfaffungen erhalten. Nachdem dies wenige Sehenswerthe
in Augenſchein genommen war, brachte id) den Abend in
meinem Boote mit Muſik und Handſchriften zu.
Das Ziel des folgenden Tages, Bidfhbihära (Bij
Bihara), war nur drei deutſche Meilen weit, die aber doch
unfere ganze Zeit in Unfprud nahmen. Der Weg war erft
ziemlich, eintönig, aber hernach kamen wir an einem berühm«
ten Hügel vorbei, ber einft eine uralte Stadt und Feſtung
trug, jeßt aber kahl dafteht. Von Hier ab wird die Scenerie
fehr ſchön, bemwaldete Ufer und rechts immer mäher rlidende
Berge. Die Stadt felbft hat eine aus Tannenftämmen
hergeftellte Brüde, bei weldyer wir an einem Ulmenhaine
anlegten. Hier fand id; einen meuen Tempel, ein wahres
Sceufal von Ardjiteftur, und um demfelben viele alte Pins
gams und Götterbilber. Der Ort iftfo heilig, daß es heißt,
täglich finde dort wenigftens ein Menſch Erlöfung. Fru—
her war Bidjchbihära der Ruheſitz mehrerer kaſchmiriſchen
Könige, welche ſich einem beſchaulichen Peben hingaben, Hier
hatte ich Gelegenheit, viele alte Münzen zu faufen, welche
in großer Dienge auf dem vorhin erwähnten Hligel gefun-
ben werben, darunter einige intereffante und feltene, z. B. eine
fehr alte Minze der buddhiftifchen Könige von Kabul mit
dem „Baume der Erlenntniß“.
Der nüchſte Tag führte mic; nach Jslamabad, an das
Ende meiner Wafferreife, da die Bitaflä weiterhin nicht
ſchifſfbar iſt. Bon dort ab ritt ic), nachdem meine Bootd«
leute abgelohnt waren, etwa flinf englifche Meilen noch Mars
tand, um die berühmtefte Ruine des Kaſchmirlandes zu
jehen. Es ift dies ein Sonnentempel, von hohem aber un:
belanntem Alter, ſehr gut erhalten, Er liegt auf dem nord»
öftlichen Hochplateau und ift aus grauem Schiefer gebauet,
der ſtarl abblättert. Zumächft fommt man an ein Thor, von
gewaltigen 30 bis 40 Fuß hohen doppelten Pyloren gebil-
det. Zu beiden Seiten läuft als Einfriedigung eine 15 Fuß
hohe Mauer von cyclopifchen Wlöden herum, an der ſich an
151
ber Innenſeite eine Säulenhalle, doriſcher Ordnung und
canellirt, befindet. Diefer Hof bildet ein Biereck, welches
an den Langfeiten 150, an der Front und hinten 70 Schritt
mißt: mitten barauf erhebt fich der gewaltige Tempel etwa
50 Fuß hoc, aus gleichmäßig foliden grauen Blöden erbauet.
Er befteht aus dem Pronaos, dem dahinter liegenden Adyton
und zwei Geitencellen, die etwa 4 Fuß davon abfichen.
Er wird ein flaches Dach gehabt Haben; die verſchiedenen
Eingänge find fehr hoch und breit, durch eigenthümlich kaſch—
miriſche Bogen geſchloſſen, die Seitenwände haben enter
von gleicher Form. Ein mit Figuren bedeckter Sims läuft
um die Außenfeiten gerade liber dem Fundamente, die innes
ven Wände zeigen auch Spuren von Sculptur, doc) find die
Geftalten wegen des blätternden Materiales verwiſcht. Dies
ift das großartigfte Bauwerl, das id) in Indien gejehen habe,
und welches fichere Spuren von griechiſchem Cinfluffe,
3 B. in den Säulen, zeigt.
Nun galt es die eigentlichen Vorbereitungen zur Heims
reife zu treffen. Der Abjchied von meinen treuen Begleiter
wurde mir ſchwer, mein Bandit vergoß fogar TIhränen.
Dir blieb nur der eble Lansz, und wir beide reiften am
25, October nad) Bernäg, wo die Vitaftä entquillt, welche
von einem Serai des Ichangir eingefaht und fo ſehr mit
Forellen gefüllt ift, daß das Waſſer ſchwarz davon erfcheint.
Dieſelben gelten für heilig und darum freſſen ſie ſehr zahm
aus der Hand alles, was man ihnen bietet, auch Papier
und Kupfergeld, wie ic) jelbft zum Spaß probirte. Die
Vitaftä fließt als ſtarker Bach aus dieſem Bafjin und vers
einigt fich bald mit anderen Waffern, die von den benad)bar«
ten Bergen herniederftrömen., Tags darauf hatte ich den
Bönihäl (Banigal), welcher 4000 Fuß über Kaſchmir und
9200 Fuß über dem Meere liegt, zu Überfteigen, meift zu
Fuße, da mein Roß jämmerlich war. Auf der Höhe des
Berges nahm ich Abjchied von Kaſchmir und ſchaute noch
einmal mit meinem Glaſe nad) dem Zaltsi-Sulaiman, uns
ter dem ich zwei Monate gewohnt. Meine Nücdreife ift
von dem fchönften Wetter begünftigt, aber die Pfade find
überaus rauh. Ich reite zwar, wo id) kann, aber das geht
felten an und hinunter muß ich immer laufen, Geſſern
ging es über einen Pak von 10,000 Fuß und vorgeftern
durch ein Thal, wo der Himmel nur ſechs Spannen breit
zu jehen war, und dann wieder 3000 Fuß aufwärts, wo der
Weg oft nur drei Fuß breit am Felſen hinlief; da verging
mir das Neiten. Geſtern befam id) aud) mal zur Abwech—
jelung Abends nichts zu effen, und heute fehlt mir der Tels
ler, ich muß die Suppe aus dem Kochtopf eſſen. So geht's
auf Reifen, es ift nicht alles rofig, aber die ſchöne Bergluft
giebt frifchen Muth, vieles zu ertragen.
Hier ſchließt der Leßte Bericht, der am 7. December
vorigen Jahres in Hannover anlangte *).
-
*) Dr. ©. Bühler ift ſeitdem wieder auf die Handſchriften—
ſuche nah Rafhmir gegangen, Später will er Dibamı (Jummeo),
Natfchputana und Malwa beiuchen. Er bat wieder manches Neue
gefunden, J. B. ein 400 bis 500 Jahre altes Rigveda⸗Manuſcript
mit bisber unbelaunter Accentuation, Theile bes Kathala, von wels
ben bisher nur eine Handfhrift im der Berliner Bibliorhel bekannt
war u. f. m.
152 Paul Aiherfon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforſchung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874.
Die. Rohlfs’fhe Erpedition zur Erforſchung der Libyfhen Wüſte
im Winter
1873.1574.
Von Paul Afcerfon, Mitglied der Expedition *).
I
Wenn man bie inftructiven von H. Kiepert **) ver
öffentlicdhten Karten „Zur Entdetungsgefchichte bes Innern
von Afrila* betrachtet, fällt es fofort in die Augen, daß
einer ber größten, noch völlig unerforichten Flachenräume
diefes geheimnißvollen Sontinents durch den nördlichen Theil
der Libyſchen Wuſte eingenommen wird. Ein noch viel grö-
Beres Sebiet, als das auf biefen Karten weiß gelaffene , „iR
indeß noch mie von einem Europäer betreten worden.
ganze ungeheure Wiritenfläche, weldye ſich von der en
i Ar ea
von Kairo nach Murfuf im Norden bis Uadai und Dar:
For im Süden, von Feſan und der Boruuftraße im Wer
ften bis zu den agyptiſchen Daſen und der Straße von
Chargeh nah Dar- For im Often erſtreckt, hatte bis 1565
noch, fein europäifcher Reiſender berihrt; erſt in den legten
— iſt durch die verzweifelten Züge Nadtigal’ 8 nad)
Tibeſti und Borku ein gewaltiges Stüd diejes jungfräus
lichen Gebiets der Erdkunde erſchloſſen. Ein noch viel
größeres bleibt indeſſen völlig unbetannt, und felbft die Mod-
nm
Fayun Erki
— — der Expeditiors- \n
Nitglusder.
Dr Send, Dünen.
Dir Zuhlen geben Höhrnt, resp. |
— in Alster. em.
a,
[>
Irmmdoruen
— Auzrurit. vum Talkgen 2 Kafıng da, Arrpaiy:
Skizze zur Ueberficht der Rohlfs'ſchen Erpedition in die Libyſche Wüſte.
jabrah von Dialo (Augila), jene UUhnen Handelsreifenden,
welche wie ihre Gollegen von Rhadames den größten Theil
ihres Yebend auf Wüflenmärfchen zwiſchen Nordafrika und
dem Sudan verbringen, wiſſen nur einige durftige an
über die Straße von ihrer Dafe über Kufara und Wan«
janga nach Uadai zu machen, welche vor mehr als einen
halben Jahrhundert einer der Ihrigen, Schehaymah, im
Auftrage des Sultans Sfabun von Uadai unter den größ«
ten Gefahren und härteften Entbehrungen eröffnete. Im |
) Der Verfaffer verläßt Mitte Februar Berlin, um ſich in Ges
Felihaft feines Freundes Schweinfurtb zu einem vier bis ſechs—
mödsentlichen Aufenrbalte mach ber einen Cafe (Vebarieh) zu begeben
und ort naturwiſſenſchaftlichen dbotanifchen und geolugifden) Stu-
dien obzuliegen.
* en ber GeſtlUſchaft für Erttunte au Berlin VAN, | — —
1973, Taf. IV. |
der Entdedungsgefcicte Afrikas verdienen dieſe beiden
Männer, welche der verdienftvolle Gresnel *) geiftreich als
den Columbus und den Ferdinand der Libyſchen Wüſte be-
zeichnet, gewiß einen hervorragenden Play. Noch weniger
wiſſen wir über die ie Uadai und den ägyptifchen
Dafen ftattgehabten Verbindungen; wird doch jogar die
Haubmwitrdigfeit der und bdarliber zu Gebote fichenden ſpär
lichen Nachrichten von maßgebender Seite, wenn auch mit
Unrecht, bezweifelt; jedenfalls willen wir nichts Über die
Natur der von biefem Berbindbungswege durchſchnittenen
Yanbditriche.
Dean mußte ſich daher in geographiſchen Kreiſen leere
ten Erwartungen bingeben, ald es um die Mitte des Jah—
red 1873 befannt wurde, daß Gerhard Rohlfe, der
*) Bulletin de la soch@te de geogruphie 3. sör. komme XI, p. 35-
Aus allen Erdtheilen.
Heffen-Darmftadt und Norwegen vertreten find und Italieniſch,
Engliſch, Franzöſiſch, Norwegiſch, Deutjc in mehreren Nitan«
con und Mifchiprachen verfciedener Art gefprochen werden.
Mit ganz befonderer Liebe Hat fic der Autor im bie
Charaktere der Hunde vertieft und fie ftudirt. Ihre Liſten
und Pfiffe, ſich der Arbeit zu entziehen und ſich verbotene
Genüffe zu verfhaffen, werden da eben fo getreu ung vor-
geführt wie nachher ihre Berdienfte am die Erforfchung des
anfgefundenen Yandes, Nur der ausdauernden Kraft diefer
treuen Thiere verdanfte Payer die Ueberfchreitung des 82.
Breitengrades. „Ueberall auf Erden ift der Hund der treue
Freund des Menſchen, und das nicht geringe Maf feiner
Kraft und Einſicht weiht er feinem Dienfte. Aber umter
allen biefen Geſchöpfen ift das Leben eines arktifchen Schlitten«
Hundes gewiß das beſchwerdeureichſte. Sein Zelt ift faum
der Borwand eines Obdaches, fein natürliches Seid deckt
den größten Theil bes Jahres hindurch dider Reif; treibender
Schnee verhüllt ihn gänzlich, zollhoch lagert ſich derjelbe auf
feinem fell, wenn er ihn auch beftändig abzufchlitteln fucht.
Muhſam ſchöpft er Athem, Hunger nagt in feinen Gin:
geweiben und die wunden Füße färben die Schneebahn gleich,
einer röthelbezeichneten Trace, Oft mitiien diefe armen Thiere
bei großer Kälte im Schnee ftillhalten; dann heben fie im⸗
mer fo viele Pfoten, als es ohne umzufallen möglich ift, im
die Höhe und wechjeln fie unaufhörlich, um fie micht zu
erfrieren. Die beiden Hunde aber, die uns nad) dem äufßer-
ften Norden begleiteten, gehörten zu den prächtigften Ger
ſchöpfen, welche jemals zu ähnlichen Unternehmungen ver«
wendet wurden, umd wenn ich der großen Dienfte gebenfe,
die fie uns hier wie nachher auf dem Nüdzuge nad; Europa
erwieſen, fo erflillt es mich mit aufrichtigem Schmerz, daß
ein jo trauriges Ende ihrer harrte“ (5. 315).
Ueber dreiviertel Jahr waren fie ſchon in ihre Scholle
eingefchloffen und ihre höchſte Hoffnung war ſchon nicht mehr
die Eutdeckung meuer Yänder, fondern nur nod) die Errei—⸗
hung Sibiriens. Uber alle Befreiungsverfuche während des
kurzen Sommers 1873 blieben erfolglos. Da erſchien ihmen
am 14. Auguft in Geftalt von Reften von Hetfchermoränen
anf einem Eiäberge das erſte Anzeichen von Yand und am
30, Auguſt dieſes ſelbſt. Ein Verſuch, baffelbe, welches nad)
ihrem Souverän Franz Joſeph's · Land benannt wurde, Ende
September zu erreichen, jchlug fehl; erft am 1. November
betraten fie es, aber zu fpät, um es noch vor Einbruch des
nahen Winters erforſchen zu fünnen. Nur Heine Ausflige,
bei denen aber der 80. Breitengrad üiberfchritten wurde, fonn-
ten noch ausgeführt werben,
Am 22. October erfchien die Sonne zum legten Male
liber dem Horizonte und die zweite Winternadjt begann, deren
159
niederdrüdende Finfternig zwar ebenfo wie die der erſten
durch geiftige Tätigkeit zu Uberwinden war, die ſich aber
viel leichter ertragen ließ, weil die Hoffnung, das gefundene
Land erforſchen zu können, Alle aufrecht erhielt. Als nad)
125tägiger Nacht am 24. Februar 1874 die Sonne wieder
amı Horizonte erſchien, faßten die beiden Commandanten
Weyprecht und Payer dem definitiven Beſchluß, das Schiff
nad; Beendigung der projectivten Entdeckungsreiſen zu vers
laffen und den Ruckweg nad) Europa anzutreten. Un ein
Aufgehen der Schollen war kaum zudenfen, ber Arzneivorrath
gu zur Neige und der Proviant reichte fr ein weiteres
ahr des Wartens nicht aus.
Esift Payer’s größtes Berbienft, mittelft dreier Schlitten-
reifen, die an Anftrengungen (z. B. hatten fie dabei den höch—
ften Kältegrad von — 40,5 R. zu liberftehen) und Gefah—
ren (wie das Einbrechen Zaninovich's in eine Gletſcherſpalte,
S. 318 bis 324) ihres Öleichen ſuchen, das Franz-Dofeph's-
Land erforfcht zu haben, um fo größer, als er und feine Ber
gleiter mit dem vollen Bewußtſein das ſichere Schiff vers
liegen, daß diefes fortgetrieben werden und fie alddann einem
fichern Tode in jenen graufigen Einöden überliefern könnte,
Und wenn fchon den ihnen Wanderern ihr Unternehmen
über Erwarten glücklich und erfolgreich von Statten ging,
fo räth doch Payer ſelbſt (S. 208) dringend davon ab,
Scjlittenreifen von einem im Eife eingefchlofjenen Schiffe
aus zu wagen. eine Erfahrungen in diefer Art des Rei-
ſens find überaus mannigfaltig; im einem langen Abſchnitte
entwidelt ex zum Beften feiner Nachfolger die geſammte Tech⸗
nit der Schlittenreifen, wie man am beten Neufunbländer
dabei verwende, die Herbftzeit wähle, wie der Schlitten be»
ſchaffen, bepadt und befpannt, die Kleidung, Bewaffnung,
das Zelt, der Schlaffad u. ſ. w. hergerichtet fein fol u. ſ. w.
Nach einer kürzern, vorbereitenden Neife wurde am 26,
März die zweite große angetreten, welcher wir faft die ganze
Kenntniß jenes arktifchen Yandes verdanten.
Nach fiebzehntägiger, mühfeliger Wanderung erreichte
Payer am 12. April unter 8295’ feinen nördlichſien Bunt,
das Cap Fligely.
* *
So weit reichen die bis jetzt erſchienenen Lieferungen.
Der Reſt, welcher die Ruckehr zum Schiffe, die britte
Sclittenreife und die Heimkehr nach Europa behandelt, vers
ſpricht, mamentlich was den legten Punkt betrifft, dem eben
Beiprochenen an vielfältigem Intereſſe nicht nachzuſtehen,
wenn e8 nicht zu liberbieten. Mit gutem Gewiſſen fünnen
wir dies Wert als eines der beſtgeſchriebenen, fpannendften
und belehrendften der legten Jahre unferen Pefern empfehlen.
| Aus allen Erdtheilen.
Aus Nordamerika.
IL. *)
Vranntweinbetrügereien. — Die Negere und Inbianerfrage.
B. Noch immer fährt der Scatjecretär Briſtow fort,
mit rüdfichtslofer Strenge die ungehenern Branntwein:
betrügercien in dem weftlichen Staaten Fllinois, In—
diana, Miſſouri und Wisconfin aufzudecen. Seit dem Mai
1875 wurden bisher im Ganzen 135 Berjonen, bauptlächlich
in den Stüdten St. Lonis, Chicago und Milwaukee, ange
Hagt, die Bundesregierung durch Umgebnug der Stener auf
) ©. I. auf ©. 107.
beftillirten Branntwein betrogen zu haben, und zwar fanden
fi darunter 29 Brenner, 41 Rectificirer, 560Negierungs:
Stenerbeamte und 15 andere Perſonen; der Betrug fand
entweder durch den wiederholten Gebrauch der Stempelmar-
fen auf den Füſſern oder durch falſche Angaben der deftillir:
ten Onantität, matirlich beides im Einverſtändniß mit den
beauffichtigenden Bundesbenmten, ftatt. Die Verfolgung der
Betrüger wurde Fräftig und erfolgreich betrieben, die Rädels,
führer fummarifch umterfucht und überführt, obgleich fie fich
durch Sewaltmittel, wie 3.8. bie ſchwere Verwundung eines
Hanptzeugen, zu retten fuchten, ihr Eigenthum, fowie ihre
Bürgfchaften, bis zum Werthe von drei Millionen Dollars,
160
mit Beichlag belegt und die Megierung damit jchadlos ge:
halten, und die Sculdigen, darunter die oberiten Beamten,
ins Zuchthaus geſchickt.
Die Negerfrage ſcheint troß der Annahme der Civil
Nigbts Bill, die dem Farbigen vollkommen gleiche Rechte
mit dem Weißen gewährt, noch ſehr weit von ihrer Löſung
entfernt zu fein. MNeibereien und felbit blutige Zuſammen—
ftöße zwiſchen beiden Nacen find in den Sübdftaaten gar nicht
felten, jo einer im Staate Miſſiſſippi, wobei 5 Weihe und 40
Neger fielen, ein anderer in Vicksburg im Staate Tenneflec,
wo bei einem Auflauf ein farbiger Staatsjenator von den
Weißen erichoffen wurde. Wir brauchen ferner faum an bie
vereitelte Verſchwörung der Neger in Georgia gegen die Wei-
fen im vergangenen Sommer zu erinnern, ja ſelbſt in Phi—
ladelphia, der „Stadt der brüderlichen Liebe“, kam die ſo—
genannte Colorline zur Geltung, indem ein Neger fich eine
Begräbnißitelle anf einem ftädtiichen Kirchhofe käuflich erwor⸗
ben hatte, der Vorſtand des Kirchhofs aber nach feinem Tode
fich weigerte, die Beerdigung eines Farbigen auf einem für
Weihe beftimmten Kirchhofe zu geftatten. Die Wittwe erhob
Klage und bat das Gericht die Weigerung für ungefeglich
erflärt, Falls es der demofratifchen Partei gelingen follte,
die Stärke des ftebenden Heeres von 35,00 Mann auf ben
Friedensfuß vor 1860 von 15,000 berabzufehen, werden auch
die noch übrigen Negertruppen, nämlich je zwei Cavallerie—
und Infanterieregimenter, abgeichafft werden, um fo mehr als
nach dem maßgebenden Urtheil von Offizieren das Erperi:
ment, Neger ale Soldaten anzuftellen, fich gänzlich erfolglos
erwiefen hat, indem bdiefelben fich kaum zum Sarnilonsdienft
geeignet zeigten, Auch wird die Unfähigkeit und weit verbrei:
tete Verworfenheit der ſchwarzen Nace (in Memphis fand bie
Hinrichtung eines Negers ftatt, ber einen Landsmann wegen
einer Schuld von 90 Cents ermordet hatte; im Staate Mif-
fiffippi wurden vier hoffnungsloſe Negerbranpftifter von mas:
firten Männern aus dem Gefängniß geholt und erichoflen)
immer mehr eingeleben, io daß beute Südcarolina der einzige
Staat ift, der noch munter einer Negerlegislatur ſteht. Dielelbe
ernammte vor Kurzem einen gewiſſen Moſes, der von allen
Parteien als ein im jeder Hinficht verworfener Neger aner:
fannt wird, zum Oberrichter des Staates, doch weigerte
ſich der von allen befleren Elementen unterſtützte bemofra-
tifche Gouvernenr entichieben, die Ernennung zu beftätigen.
Eine beffere Meinung von der Fähigfeit der Race ſcheint ber
fatholifche Biſchof von Lonifiana zu haben, indem er kürzlich
eine Anzahl junger Neger nach Rom fandte, um fie nach ihrer
Erziehung zu Prieftern unter ihren Landsleuten im Süden
wirken zu laffen.
Werfen wir einen Blid anf die oft pathetifcher Weile
„die Mindel der Nation‘ genannten rothen Urbefiger bes
Landes, die ſich nach nenefter Schätung auf 316,000 belau⸗
fen follen nümlich 100,000 civiliſirte, 135,000 halbeivilifirte
und 81,000 noch gänzlich wilde Indianer), jo finden wir,
duß diefelben ſich augenblidlich in weitverbreiteter Unrube
befinden. Die Nez perges, ein Stamm in Oregon mit gegen
80 Kriegern, machen Anftalten, die Anſiedler im dortigen
Wolla:walla:Thale anzugreifen, fo daß bereits Gavallerie
zum Scute der letzteren dorthin abgegangen iſt. An der
teranifchen Grenze follen fich 300 Comanches auf dem Kriegs:
pfade befinden, mit der Abficht, einen Einfall in den Staat
au unternehmen. Die Daqui-Indianer im benachbarten meri-
caniſchen Staate Sonora mifchten ſich fogar kürzlich in die
Aus allen Erdtheilen.
dortige Politik, indem fie fi) zu Gunſten einer revolutionä-
ren Partei erhoben, aber von ben Regierungstruppen mit
einen Werluft von 200 Kriegern gefchlagen wurden. Die
friegeriichen Sioux dagegen töbteten und fcalpirten fogar 60
ihrer rothen Brüder vom Stamme ber Dtoes, die fie anf
ihren Jagdgründen im weftlichen Kanſas antrafen, worauf
die Verbündeten letzterer, verfchiedene Stämme in einer Stärke
von 1000 Sriegern, im Kriegsanzug und Malerei fih auf
einen Nachezug gegen die Siour begaben , aber von den von
Fort Wallace nachſetzenden Truppen bei der Buffaloftation
abgelchnitten und zur Rückkehr nad) ibrer Refervation geswun-
gen wurden, welchem Befehle fie jedoch erft Folge leifteten,
ald ber commandirende Offizier im Begriffe war einbauen
zu laſſen. Dennoch erregt die große Zahl der am diefem
Kriegszuge Theilnehmenden große Belorgniß bei den An—
fiedlern, die immer einen Angriff befürchten miffen, wenn
die Otoes oder Pawunees das Jagdgebiet der Siour verlegen.
Und endlich griff fogar eine ftarfe Truppe der wilben Apaches
eine Abtheilung von 23 Soldaten an, die 50 Meilen jüdlich
von Santa Fr, der Hauptitadt Neumericos, Büffel jagten,
und wurden im dem fich entipinnenden Gefechte drei Solda-
ten verwundet, darunter einer töbtlich, dagegen die Indianer
nad einen Verlufte von 20 Todten in die Flucht geichlagen.
Verftärtungen zur Verfolgung wurden nachgeſandt.
Mittlerweile beabjichtigt das Repräjentantenbaus, die
Verwaltung der indianischen Angelegenheiten einer ſcharfen
Unterfuchung zu unterziehen , die wohl manche überrafchende
Entbillungen nachziehen wird. Die Indianeragenten der
fünf ciwilifirten Stämme im CherofeesBezirt und der Mus:
fogee-Station im Indian Territory find entlaffen worden,
legterer weniger Betruges halber, als wegen feines ſchamloſen
Nepotismus, indem er die ihm untergebenen Stellen an nicht
weniger ald ficben Mitglieber feiner Familie vergeben hatte.
Niharb Komas, ein junger Häuptling der Ute-Judianer, die
auf der Uintab-Referwation in Utah leben, wird feit vier
Fahren in Wafhington erzogen und bat fich eine volllommene
Kenntniß des Englijchen angeeignet, jo dab er jebt dem
Gongrefausihuß für indianiſche Angelegenheiten einen aus:
führlichen Bericht Über die verlegten Rechte feiner Landsleute
vom indianifchen Standpunkte aus vorlegen wird; er ſchlägt
vor, daß die Regierung eine Anzahl junger Leute der wilden
Stämme civilifiren und erziehen läßt, um fie dann ald Dol-
metſcher und Indianeragenten anzuftellen, auch ſpricht er ſich
für die Nebernahme der Indianerverwaltung durch die Kriegs
abtheilung aus. Wenn man ſich auch viel Gutes von diejer
ala wahrſcheinlich anzuſehenden Uebertragung veripricht, fo
wird doch wohl die Indianerfrage nicht friiher endgültig ent:
fchieden werden, bis (tro der Kilrzlich berichteten Vermehrung
des großen Siongftammes) die letzte Rothhaut nach den glüd:
lichen Jagdgründen abgezogen fein wird, wo, wie man wohl
ficher annehmen darf, kein Indianeragent Eintritt finden wirb.
* * x
— Nach einer Zuſammenſtellung der Hinrichs ſchen Buch:
handlung find im Jahre 1875 im Deutſchland 314 Werle
über Geographie und Reifen und 216 Karten, Atlanten :c.
erſchienen gegen 369 reſp. 218 im Jahre 1874.
— Am 22, September 1875 haben Bolivia und Ebile
einen Vertrag geichloffen, wonach beide Staaten die au ber
Küfte der Atacama-Wüſte zwiſchen 22 und 25° füdl. Br. be:
legenen Guanolager gemeinfcaftlih abbauen werden.
ci ee ne ee et — — — —
Inhalt: Eine Beſteigung des Mauna Hualalai auf der Inſel Hawaii. Bon Franz Birgham. (Mit zwei Abbil:
dungen) — Dr. Bühler’s Reife nah Kaſchmir. I. (Mit zwei Abbildungen.) Schluß.) — Die Rohl fs'ſche Erpedi;
tion zur Erforihung der Fibufchen Wüſte im Winter 1873/1874. Bon Pant Aſcherſon, Mitglied der Erpebition. I. (Mit
einer Kartenifisge.) — Kreuz und nerzüge in Californien. Bon Theodor Kirchhoff. I. — Yulius Payer's Nordpol;
wert. — Aus allen Erdtbeilen: Aus Nordamerifa. II, — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 12. Februar 1876.)
z
Rebacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, ©. W. Lintenftraße 13, IN Tr.
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig.
Hierzu ald Beilage: Proſpectus, betreffend: Dr. Mob. Dorr, über dad Geftaltungsögefeg der Feſtlandsumriſſe und
die fommetrifche Lage der großen Landmaſſen. Verlag der Tb. Kaulfuß'ichen Buchhandlung in Liegnig.
Theodor Kirchhoff: Kreuz- und Querzüge in Galifornien. 155
dem fteilen Felsrande getrennt wird. Am 19. gab und ein
heftiger Sandfturm aus W, N, W. einen deutlichen Vorge—
ſchnack von ben Freuden des Wüſtenlebens. Wir lagerten
an diefem Tage ſchon am Nadjmittage bei dem koptifchen
Klofter Dar:el-Maragh, deſſen Mönche ung als Glaubens:
genoffen mit größter Freumdlichkeit empfingen und bewirtheten,
Wir blieben dort auch am 20., theils um die Karawane
völlig für die Wüftenreife vorzubereiten (das Füllen der
Wafferkiften nahm allein einige Stunden in Anſpruch),
theils um eine Auswahl unter unſerm Gepäd zu halten,
von dem Alles, was für den Marſch bis Dacjel entbehrlich
ſchien, direct nad) dieſer Dafe erpebirt wurde. Am 21,
blieben wir nur noch wenige Stunden im der Ebene bes
Nilthals; bald wandte ſich die Straße einer thalartigen,
weiten Einfenfung des Felsufers zu, in welche wir auf alls
mäligem, fandigem Anftiege eintraten; bald war ung beim
Rudblick nur nod) ein Kleiner, dreiediger Ausſchnitt des grüs
nen Thalbodens ſichtbar; noch einige Schritte weiter und
auch diefer war verfchwunden, Der Augenblick, an dem wir
und auf Monate von dem Ufern des heiligen Stroms vers
abſchiedeten und in die lebensfeindliche Wuſie einzogen, wird
ung Allen unvergeßlich bleiben.
Kreuz- und Querzüge in Galifornien,
Von Theodor Kirchhoff.
San Jofe, die californifhe „Bartenftadt", — Das Schidjal der panifch-mericanifchen Race in Ealifornien. — Ruud—
ſchau vom Dom des Conrtbaufes in San Joe. — Ein blühendes Gemeinweſen. — Das Städtchen Santa Clara. —
Die „Alameda*. — Das Santa-Clara-, College“. — Gilroh und feine Tabatsinduftrie. — Die „Bilroy Hot Springs*, —
Das County von Santa Clara. — Erdbeerenzucht und Obfttransport über den Continent. —
Agricnlturverbältniffe im
Santa-Glara-Thale. — Die Quedfilberminen von Neu: Almaben.
Die Stadt San Zofe ift von allen Inlandſtädten Ca—
Liforniens die freumdlichfte, und jeder Fremde, der diefelbe
befucht hat, ift entzlidt von ihrem heitern Ausſehen. An
den breiten Straßen, die mit Asphaltgehwegen verfehen find,
ftehen ſchmucke Häufer, worunter Banfgebäude in großftäbti-
fchen Stil. Die Privatwohnungen find von grünen Bäu—
men umſchattet umd die Stadt liegt wie in einem großen
Garten — daher ihr Name. Die an den mit Blumen
förmlich überladenen hohen Fuchſien auf und ab ſummenden
Kolibris find dem Fremden eine befonders liebliche Erſchei—
nung. Der Ort hat einen vorwiegend füblichen Charakter,
dem aber der rlihrige Geſchäftsſinn der Umerifaner den Stem-
pel neuern Forſchritis, wie er vorzugsweife, nördlichen Lün—
dern eigen ift, aufgedrüdt hat. Die arbeitsunluftigen Spa:
nier und Mericaner, welche bis zum Jahre 1846 in San
Joſö das vorherrfchende Boltselement bildeten, haben den
raſtlos thätigen Angloamerifanern und den Deutſchen dort
volftändig das Feld räumen miljfen, Die wenigen ftehen
gebliebenen Adobehäufer nehmen ſich neben den eleganten
Neubauten wie Denkmäler einer taufendjährigen Vergangen-
heit aus, Wehnliche Culturbilder, und in noch viel grellerm
Contraſie als hier, gewahrt der Neifende in allen füdcalifor-
nischen Städten, Die träge und gleichlam foffile fpanifch-
mericanifche Nace muß vor der fich in frifcher Jugendkraft
tummelnden neucaliforniſchen verfchwinden. Im Yaufe we—
niger Jahrzehnte wird von den bereits in Staub fallenden
Mauern der alten Adobewohnungen leine Spur mehr zu
ſehen fein und nur die uralten, ſolider gebauten Miffiond-
ficchen werden längere Zeit als Denkfteine einer dann ganz
verfchollenen Race itbrig bleiben. Im einem fo rapid wie
Californien ſich entwidelnden Yande ift ein Stehenbleiben
des Alten, des ſich Weberlebthabenden, gerade jo undenkbar
als die Möglichkeit, den Zeiger der Weltgefcjichte nad) ritdte
wärts zu ſchieben. Spanier, Mericaner und Indianer und
ihre Gebräuche und Sitten, ihre Spradje, Wohnungen u. ſ. w.
find in diefem Bande dem Untergange geweiht, Angloame—
tifaner und Deutjche, welche das reiche Erbe jener verlotter-
ten Nationalitäten angetreten haben, wirken jegt im einem
kurzen Jahre mehr für die Cultur in Californien, als jene
während der ganzen Zeit vorhergehender Yahrhunderte fertig
brachten.
Ein anmuthiges Bild der caliſorniſchen Gartenſtadt und
ihrer Umgebungen bietet ſich dem Beſchauer von dem 115
Fuß hohen Dom des in byzantiniſchem Stil erbauten Court:
haufes, eines Gebäudes, deflen Herftellung die Summe von
300,000 Dollars in Anfprud; genommen hat. Wie in
einem weiten Park, voll von Lufthäufern, Liegt Einem die
Stadt, von dort aus gefchen, zu Fllen, durchſchnitten von
breiten cauffirten Straßen, welche mit präcjtigen Baum:
alleen befegt find. In der Nähe der Stadt und zu beiden
Seiten derſelben fchlängeln fid) die von grlinen Weiden ein:
gefaßten Gewäſſer des Guadaloupe und des Coyote nad)
der Bay hinüber. Das Thal von Santa Clara mit feinen
breiten, wohleultivirten Aeckern und Obftgärten, überſäet mit
vereinzelt wachjenden Eichen und hier und da mit Hainen
und freundlichen Wohnhäufern geſchmlickt, erſtreckt ſich, im
einer Breite von etwa 15 engliſchen Meilen zwiſchen den
bewaldeten Höhen der Coaſt Range und dem Gebirge von
SantaCruz und Neu-Almaden, ſudwärts bie nad) Gil»
roy und nordwärts bis zur großen San-Franucisco-Bay, in
deren jchimmerndem Gewäſſer fich die dunlele Kuppe von
dem volle 10 deutjche Meilen entfernten „Goat Island“
von hier aus deutlich erkennen läge. Die pradjtvolle Ala—
meda, cine 31/, englifche Meilen lange Allee von uralten
gigantifchen Weiden und canadifchen Bappeln, welche die
Städte San Joſé und Santa Clara mit einander verbin«
bet, bildet einen hervorragend ſchönen Punkt in dem Uberaus
anmuthigen Yandicaftsgemälde, das von einem warmen,
wahrhaft italienischen Simmel überwölbt ift.
Die Stadt San Joſé, welche gegenwärtig an 14,000
Einwohner zählt — worunter etwa 1500 Deutjche —, bildet
den Sommeranfenthaltsort für viele reiche San Franciscaner,
die das herrliche milde Klima hierher lodt. Invaliden, welche
den rauhen Winden und Neben an der Hüfte und der großen
a) *
156
Hige im Innern bes Pandes —— wollen, ſinden im
Sommer in der caliſorniſchen „Gartenſtadt“ einen dev ges
jundeften Pläge. Die Gebirge von Santa Cruz dienen dem
Orte als Schutzwehr gegen die Seenebel, welche nur ſpora⸗
diſch von der Bay herüberziehen und ſich im Santa-Clara-
Thale ſelten auf unangenehme Weiſe bemerlbar machen.
Auf beiden Seiten der großen Bay, über Dakland und
direct nach San Francisco, hat San Joſé Eifenbahnverbin:
dung mit der californifchen Handeldmetropole und kann mit
Leichtigleit viermal im Tage von dort aus erreicht werben.
Die mit allem neuern Comfort eingerichteten Hotels find im
Sommer ftets von Fremden überflilit, in den breiten chauf⸗
firten Straßen fahren Pferdebahnwagen und elegante Equi—
pagen auf und ab, und der Plag hat alsdann fat das Aus—
ſehen eines fajhionablen Courortes,
Eau Joſé ift eine wohlhabende Stadt — ohne Schul:
ben. Im vergangenen Jahre lagen im Stadtſchatze 56,000
Dollars baar; gewiß ein beneidendwerther Ausweis ſtädtiſcher
Finanzen! — Ein halbes Dugend ftattlicher Schulhäufer,
zwei ſchöne Marithallen , das Conrthaus und andere öffent-
liche Gebäude gehören der Stadt, Der Ort befigt Gas—
und Wafferwerfe, Dampffenerfprigen, ausgezeichnete Schus
fen — worunter die „Univerfity of the Pacific“, die „Academy
of Notre Dame“, deren Anlage eine halbe Million, die
Staatönormalfchule, deren Gebände 200,000 Dollars geloftet
haben, und jieben Freiſchulen; ferner ein Dugend Kürchen,
drei Banfen mit prachtvollen Bauten, drei tägliche und vier
Modzenzeitungen, eine Wollenwaarenfabrit, fünf Wagen:
fabrifen , drei Mehlmühlen, drei Brauereien, eine bedeutende
Handſchuhfabrik und vericiedene andere Manufactuven, Der
Werth des Grund und Bodens beträgt an der Hauptitraße
500 Dollars per Frontfuß. Im unmittelbarer Nähe der
Stabt find 11,000 Ader mit Obftbäumen bepflanzt und
500 artefiiche Brunnen liefern das zum Beriefeln nothwen—
dige Waſſer zu jeder Jahreszeit im Ucberfluß.
Dos Städtchen Santa Clara, die ältere Schweſter—
ftadt von San Joſe, ift mit dieſem durch die bereits genannte
„Alameda“ verbunden, eine pradjtvolle Allee von riefigen
fuorrigen Weiden und Pappeln, welche vor nun circa hun«
dert Jahren von den alten Padres angepflangt wurbe. Frü—
her verbanden ſich die Kronen der mächtigen Bäume oben
zu einem Laubengange. Um jedoch die alternden Bäume
vor zu frühen Abfterben zu fügen, ift man genöthigt ge:
wefen, die Zweige theilweiſe abzuſchneiden und die Kronen
hier und da zu fappen, wodurch jene Allee einen Theil ihrer
ehemaligen Pracht eingeblißt hat. Aber immer noch ift bie:
felbe eine „grüne Avenue“, die in Amerifa cinzig in ihrer
Urt daſteht. Durch die ganze Läuge der „Alameda* läuft
eine jede halbe Stunde befahrene Pferdeeiſenbahn und etwas
abfeits reihen ſich Villen, ſchmucke Farmen, Yuft: und Blumen:
gärten an einander, von San Joſé bis nad) Santa Clara.
Der Stolz von dem etwa 2000 Einwohner zählenden Städt:
dien Santa Clara ift das „Santa Clara College“, eine von
Iefuiten gebildete Schule und cine der beften an der paci=
fiichen Küfte. Die Schller werden dort fowohl in claffifchen
Studien ald im technischen Fächern unterrichtet. Die che—
miſchen und aftronomifchen Apparate der Anftalt find vor
züglich und auch ein reichhaltiges Wiufeum befindet ſich in
derfelben. Das vor zwanzig Jahren eröffnete „College“
nimmt den lag der alten Miffion ein, welche im Jahre
1777 gegründet wurde. Bon den Miffionsgebänden ift die
Kirche, in welder die Indianer ehemals chriſtliche Andacht
übten, in etwas venovirter Form ftehen geblieben und bildet
—— jetzt einen Theil des modernen Santa-Clara- „Col:
ge“
Der zweitgrößte Ort im Santa Clara-County ift die 30 |
‚Theodor Kirchhoff: Kreuz- und Querzüge in Californien.
englifche Meilen ſüdlich von San Yojs an der Eifenbahn
liegende Stadt Gilroy, welcher Plag durch den in feiner
Nähe betriebenen Tabadsban an diefer Hüfte allgemein be-
fannt if. Die bei Gilroy liegende Tabadsfabrif, „conso-
lidated Tobaceo Company of Gilroy“, befigt ein Capital von
. Mill, Dollars und giebt 254 Arbeitern, meift Chinefen,
Veihäftigung. Das Hauptfabritat find Cigarren, die jedoch
leineswegs das Aroma von Havannacigarren haben, ſondern
vielmehr in Californien in einem ähnlichen Ruf ftehen, wie
es Pfälzerfraut in Deutfchland hat. In neuerer Zeit wurs
den größere Partien von Gilroycigarren nad) Auftralien
verfandt, und ſteht es zu hoffen, daß unfere britiſchen Freunde
wicht fo verwöhnt find wie wir Galifornier, und unſerm
Tabadsproducte Geſchmack abgewinnen mögen. Der Haupt:
abſatz fiir Gilroycigarren fand bis jegt nach den öftlichen
Staaten ftatt, da die Yanlees mehr auf Billigkeit als auf
Aroma des Krautes Nüdficht zu nehmen pflegen. Mebit
dem Tabadsbau find es die 14 —* von Gilroy in einem
felfigen Canon liegenden mineralischen Heilquellen „Silroy
Hot Springs", welde dem Orte auswärts einen Namen
verschafft haben. Das Waſſer jener Quellen it ftart mit
Eifen, Magnefium, Schwefel, Arfen und Alaun verfegt und
gewährt eine Radicalcour für rheumatiſche Yeiden. Die Lage
jener Heilquellen ist hochromautiſch. Ein braufender Ward
bad) ſtrömt durch die pittoresfe Schlucht umd ſtürzt fich im
raufchenden Cascaden über Felstriimmer chalwärte, Mur
wenige Schritte von dem Hotel und den anfehnlichen Babe
rauuilichteiten verfegen den Bejucher in cine urwilde Gegen,
wie c8 nur wenige als Geitenftiid auf diefem Continerite
iebt.
Das County von Santa Clara, deſſen Regierungsfig in
San Hofe ift, hat eine Yänge von 51°, und eine Durdy
ichnittöbreite von 34 englifcen Meilen, mit etwas über Die
Hälfte Thalland. Seinen Namen führt e8 nach der bereits
genannten unter mericanifcher Herrfchaft gegründeten Driffion
Santa Clara, Die Verölterung des Countys beträgt gegen:
wärtig etwa 30,000 Seelen, der Werth feines Grumdeigen:
thums wurde im Jahre 1873 bereitd auf 31,322,426 Dol-
lars abgeihägt. Die Hauptproducte des Thales find Eerealien,
namentlicd Weizen und Gerſte ſowie Obſt- und Gartenfrüchte,
weldye legteren dort zu enormer Größe gedeihen. Um mit
Zahlen zu reden: Es befinden fid) gegemwärtig 172,573
mit Weizen beftellte Aeres im County, die einen Durdjjchnitte:
ertrag von 11/, Mill. Bufhel per Jahr geben. Weinftöde
giebt e8 1,182,093, Aepfelbäume 104,373, Pfirfichbäume
45,336 im County. Die Seidencultur dagegen befindet ſich
noch in ber Kindheit und beſchränkt ſich auf die Zucht von
Gocons. Nectarinen, Quitten, Upritofen, Pflaumen, Kir-
fchen, Wallnüffe, Daulbeeren, Weintrauben, Mandeln u. |, w.
— Sowohl halbtropifdye Frlichte als ſolche der gemäßigten
Zone — gedeihen dort auf das Ueppigſte. Die Erdbeeren:
zucht, weld;e 2000 Chinefen beim Pflüden der Beeren Be:
ſchäftigung giebt, wird im Santa-Clara-Thale in großarti-
gem Mafiftabe betrieben. Während mehrerer Monate im
vergangenen Jahre vericiffte ein Erdbeerenhändler in San
oje täglich 6000 Pfund Erdbeeren nad) San Francisco
und erzielte damit einen Neinertrag von 15,000 Dollart.
Die größte Erdbeerenfarm im County gehört einem Herrn
Pierce im der Nähe von Santa Clara, der mit ihrem Betrieb
ſchon in einem Jahre 46,000 Dollars eribrigt hat.
Einen bedeutenden Aufſchwung haben im den legten Jah—
ven die Sendungen von californiſchem Obft nad) den öftlichen
Theilen der Union genommen, und nimmt hierin das County
von Santa Clara unter allen Counties im Staate den erfien
Plot ein. Man rechnet, daß von San Joſé allein in die-
fem Jahre 80 Frachtwaggonladungen von Birnen, jede Yas
Theodor Kirchhoff: Kreuz⸗- und Querzüge in Galifornien.
dung zu 20,000 Pfund, nad) dem Dften geliefert wurben.
Die Obſtwaggons werben contractlich fir 550 Dollars per
Wagen mit den Paſſagierzügen befördert und zwar täglid)
während der Saifon abwechielnd je zwei mad Chicago,
St, Louis, Neuyork, Philadelphia, Bofton, Cincinnati, Pitts-
burg, Wafhington, Louisville, Neuorleans und Baltimore, in
welchen Städten das californifche Obft, welches das in den
öftlichen Staaten gezogene ſowohl an Größe ald an Quali—
tät bei Weiten übertrifft, to des durch die hohen Trand+
portloften enorm erhöhten Preifes einen rafchen Abſatz findet.
Das zur Berfendung nad) dem Often beftimmte Obft wird
auf das Sorgfältigfte unterfucht, ob es feine faulen Theile
hat, und alles derartige wird fireng ansgeſchieden. Die für
gut befundenen Früchte werben einzeln in Papier eingewidelt,
dann im Kiſten, die mit Puftlöchern verfehen find, verpadt
und biefe in eigens für den Obfttransport eingerichtete Wag ·
gons geftellt. Außer Birnen und andern Baumobft find es
die befieren Sorten von californifchen Tafeltrauben, die man
nad) dem Dften verfcidt. Da der Transport nur ſechs
Tage in Anſpruch nimmt, fo erreicht das fo verfandte Obſt
feinen Beftimmungsort in vorzliglichem Zuftande, Die legte
Sendung Aberland findet um Mitte October ftatt, ehe der
Froft im den Gebirgen eintritt und das Obft auf dem Trans-
port fchädigen künnte,
Der im Santa-Cfara-Thale für Agriculturzwecke geeige
netfte Boden ift das Ichmige, fogenannte „ Abobeland“,
welches bei veichlicher Bewäfferung unerſchöpflich zu fein
fcheint. Dem Mangel an natürlichen Wafferläufen hat man
durch zahlreiche artefiiche Brunnen abzuhelfen gewußt. Mit
dem Pflügen beginnt man hier, wie überall in Californien,
in der Regel nach dein erften Regenfall im October, da der
Boden font zu hart ift, um von der Pflugfchaar Leicht durd)
brochen zu werben. Auf noch mie geadertem Boden ift das
Pflügen faft fo leicht als auf ſolchem, der bereits unter Eul-
tur gebracht wurde, da es hier feine ſchwere Grakdecke giebt,
wie auf den weftlichen Brärien. Weizen wird von November
bis April gefäct; die Ernte beginnt im Juni, Im trodenen
Jahren pflegt man Weizen, Gerfte und Hafer in den Halmen
als Heu zu ſchneiden, weil diefes alddann einen größern
Marktpreis bringt, als ſich durch eine voraussichtlich geringere
Kornernte erzielen liege. Mafdyinen find in Californien
beim Aderbau in ausgebehnteftem Gebrauch. Da im Som-
mer zur Erntezeit feine Gefahr vor Regengüffen ift, fo pflegt
man den auf den Feldern durch Dreſchmaſchinen audges
drofchenen Weizen dort oft wochenlang in Süden liegen zu
lafjen, ehe er in Speidyer gebracht oder nach San Francisco
verfchifft wird. Die auf den Stoppelfelbern in Menge ba-
liegenden weißen Säde geben einer californifchen Landſchaft
zu jener Jahreszeit einen ganz eigenthümlichen Anſtrich. Das
Klima des Santa-Clara-Thales ift ein ſolches, wie e8 fid)
ber verwöhntefte Sübländer nicht angenehmer wünſchen fönnte.
Froft ift im Winter, hier die Negenzeit, eine Seltenheit.
Wegen feiner Nähe an San Francisco und der ausgezeich—
neten Communicationswege — zu Waſſer durch die Bay,
zu Lande durch) die es im feiner ganzen Fänge durchſchnei—
dende Eiſenbahn — hat das Ganta-ClarasThal eine im
Vergleich mit anderen Pandftrichen Californiens hohe Cultur
erreicht. Während armen von 1000 Aeres in anderen
Theilen diefes Staates Fein genannt werden, gehört eine
Farm von 200 Acres im Santa:-Clara-Thale ſchon zu den
größeren. Eine forgfältigere Bodencultur ift hier die natlir-
liche Folge der mehr gleichmäßigen Bertheilung des Yandes
unter Heinere Anfiebler geweien, und dev Werth des Bodens
ift verhältnigmäßig hoch. armen in einer Entfernung
von fünf englifchen Meilen von San oje haben z.B. einen
Werth von 150 bis 200 Dollars per Here. Das Yandicafte-
157
gemälde mit den breiten Feldern und ſchwellenden grünen
Hligeln umd den parkähnlich darauf zerftreuten Eichen und
Hainen, mit dem Duft einer ſüdlichen Zone darüiberlicgend,
in der Ferne die bewaldeten Höhen der Küftengebivge, ift
entzlidend ſchön.
Eine etwas eingehendere Beſprechung verdienen noch die
etwa dreizehn englifchre Meilen in füblider Richtung von
San Yofe im Gebirge liegenden Eilberminen von Neu - Al:
madsn. Ehe die Weißen ins Yand kamen, bemugten ſchon
bie Indianer den röthlichen Zinnober als Schminke für ihre
Kriegähelden, unterließen aber nach und nad diefen Gebrauch,
weil das im der Farbe enthaltene Queckſilber Hautentzüns
dungen verurfachte. Durch die Indianer erfuhren die Mexi—
caner bereits im Jahre 1824 die Yage der Zinnoberhöhle,
aber erft im Jahre 1845 erkannten diefe das Geheimniß des
in dem röthlichen Erze enthaltenen Queckſilbers. Den Anglo-
amerifanern blieb es vorbehalten, die Minen aufzufchliegen.
Ein langwieriger Landproceß über den Grund und Boden
bei Neu» Almadön verzögerte jedoch die Bearbeitung der Mi—
nen, bis das Obergericht der Bereinigten Staaten den Beſitz⸗
titel zu Gunſten der gegenwärtigen Inhaber eutſchied; aud)
verftand man zuerſt nicht, das Erz vortheilhaft zu bearbeiten,
fo daß die Minen, ftatt Gewinn abzuwerfen, den Eigenthü—
mern eine Duelle bedeutender Berlufte waren.
Die Hauptausbeute der Quecſilberminen von Neu-Al-
maben batirt von Jahre 1850, als ein einfacher Grobſchmiied
einen neuen Heductionsproce erfand, und man gufftählerne
Retorten einführte. Die Quedjilberdämpfe werden bei dier
ſem Proceß in einer Kammer, die durch eine durchlöcherte
Mauer mit den Heizungsöfen in Verbindung fteht, conden-
firt. Eine ſolche Kammer ift jedesmal im ſechszehn Räume
getheilt, welche durch Wände getrennt find, die abwechfelnd
nicht ganz bis an die Dede und nicht ganz bis an den Bo—
ben reichen. Die Duedfilberbämpfe, welche aus dem Schmelz:
ofen durch die durdjlöcerte Scheidewand in die Gondenfir-
fammer dringen, ſieigen in der erften Abteilung in die Höhe
und treten, durch einen Yuftzug fortgetrieben, durch die obere
Berbindungsöffnung in den zweiten Raum; bier fallen fie
wieder zum Boden herab, dringen von unten im die zweite
Abtgeilung, fteigen aufs Neue empor und gelangen durch bie
nüchſte obere Deffnung in den dritten Raum und fegen fo
ihren langfamen Zickzacklauf bis zur legten Kammer fort.
Auf dem Wege fühlen ſich die Dämpfe ab und das Qued:
filber fett fic, wie Thau an den Wänden feit oder tröpfelt
in Kugelchen auf den Boden. Durch Meine Röhren wird
es in einem langen Trog aufgefangen, der feinerfeits in
einen Keſſel mitndet, weldyer das flüffige Metall aufnimmt.
Die Dämpfe läßt man ſchließlich hinter der letzten Condenſir-
kammer über einen mit Wafjer gefüllten Behälter ftreichen
und kuhlt fie durch einen zerftäubten Waflerftrahl völlig ab.
Hierdurch verdickt ſich der letzte Reſt von Queckſilber, che bie
ganz von ihm entblößten Dämpfe durch die Schornſteine ins
Freie entweichen fünnen. Gelegentlich, werden die Wände
in den Kammern vollftändig reingeblirftet und Nuß und
Vermillon forgfältig davon entfernt, Das jo gewonnene
Quedfilber wird in eifernen Flaſchen von je 67!/, Pfund
verpadt und gewinnt man im Durchſchnitt 153 Pfund ge:
teinigten Mercurs aus einer Tonne (= 2000 Pfund)
Zinnobererz. Es find in Neu-Alınaden vierzehn folcher Res
buctionsöfen im Gange, Das Erz wird aus einem lber
1000 Fuß langen Tunnel, der eine Breite und Höhe von
10 Fuß hat und im den ein Gewirr von Meinen Schachten
und Stollen mündet, gewonnen. Die Ghrubenarbeiter (te-
näteros) transportiven das Erz in ledernen Süden, die mit
einem Riemen um die Stirn befeftigt ſind, ähnlich wie die
Indianerfrauen Holziceite und Mehlſäcke zu tragen pflegen,
158
aus den Stollen und Schachten nad) dem Haupttunnel, von
wo es auf Eifenbahnfarren zu Tage geichafit wird.
Dis zu Anfang der fiebziger Jahre produeirten die Qiued-
filberminen von NewAlmaden jährlich 48,000 Flaſchen ges
reinigen Mercurs und es fanden dort 1025 Arbeiter ftetige
Veihäftigung. Gegenwärtig beträgt die Zahl der Arbeiter
aber kaum mod; 400 und ed werden weniger als 20,000
Flaſchen pro Jahr produeirt. Die Urfache diefer geringern
Ausbeute liegt im der abnehmenden Ertragsfähigkeit der
Minen; aber immer mod; liefert Neu-Almaden die Hälfte
von dem in Californien und faft den vierten Theil von dem
auf ber gay Erde gewonnenen Queckſilber. Im Ganzen
producirt Californien jegt jährlid) gegen 3 Mil. Pfund
Duedfilber ; die Minen von Almaden in Spanien liefern
2 Mill, die von Nria in Krain etwa 1 Mi. Pfund, Der
Julius Payer's Nordpolwerl.
californiſche Zinnober enthält 70 Thle. Queckſilber, 11 Thle.
Schweſel und 19 Thle. fremden Metalls und erzielt einen
Neinertvag von 12 Procent; der von Almaden (Spanien)
befteht aus 36 bis 41 Thln. Quedfilber, 16 Thln. Schwer
fel und 43 bis 48 Thln. fremden Metalls; der von Idria
aus 51 Thln. Duedfilber, 8 Thln. Schwefel und 44 Thln.
fremden Metalls. Die Minenarbeiter von Neu-Almaden
beftehen aus einem Conglomerat von vielen Nationalitäten,
unter denen Mericaner und Gornifhleute vorwiegend find,
eine uncultivirte und zanffüctige Bevölferung, die in einer
aus rohen Holzhäufern erbauten fogenannten Stadt oben auf
bem Berge zufammenwohnt und ihr fauer erworbenes Geld
am Zahltage fo ſchnell als möglich mit Spielern, Bumni—
lern und ſchlechten Weibern zu verjubeln pflegt.
Julius Payer’s Nordpolwerf *).
R. K. Bon ben 20 bis 24 Pieferungen, auf welche die-
ſes epochemachende Buch berechnet ift, liegen uns zur Stunde
11, alfo etwa die Hälfte, vor, welche uns vollauf in den Stand
fegen, ein Urtheil über daffelbe abzugeben, oder, da daſſelbe
alfeitig ſchon gefällt ift, unfere Leſer wenigſtens auf den
ungewöhnlicen Werth dieſer Beröffentlichung aufmerkſam
zu machen. Ohne die in der deutſchen Preſſe und in den
Fachjournalen enthaltenen Beurtheilungen zu erwähnen, wols
len wir nur anführen, daß das Bud, Ende November bereits
in mehr als 30,000 Eremplaren verbreitet war, Und zweis
tens beeilt fid) die an Werken tiber Nordpolfahrten gewiß
nicht arme englifche Literatur durch Ueberjegung vom biefer
wichtigen Erſcheinung Befig zu ergreifen, „Die Erzählungen
von der Trift des „Tegetthoff* — fagt das Athenaeum (Nro.
2515, ©, 59) — zu dem bis dahin unbefannten Franz:
DofephrYand und von dem wunderbaren Entfommen der
Beſatzung, melde ihr Schiff im Eiſe laffen mußte, geben
einen Roman von ungewöhnlichen Intereſſe ab, jelbft unter
den Schilderungen arktiſcher Forfchung.“
Nur in den roheſten Umriſſen war bis jet der Verlauf
der merhwirdigen zur Hälfte unfreiwilligen Reiſe aus furzen
Dournalartifein bekannt; das todte Gerippe der bisher dar:
über publicirten Berichte und Karten hat jegt Yeben erhalten,
das ihm Payer's lebendiges Wort und lebenswahrer Griffel
eingehaudyt. Wir lernen eine ganz ungewöhnliche Befähigung
zu populärer Darftelung hier lennen, welche dem Wifjen-
Ichaftlichen, dem Praftifchen nicht ausweicht und fich doch
häufig zu Hochpoetifchem Schwunge erhebt. Dazu fommt
die bedeutende Anzahl trefflicher Holzſchnitte, alle an Ort
und Stelle von dem Verfaſſer nad) der Natur gezeichnet,
denen man es anfieht, da da nicht die Phantafie ihr gutes
Theil geholfen hat, wie das bei engliſchen Werten fo häufig
ber Fall ift, um etwas Intereffantes, Aufregendes, Packendes
zu Stande zu bringen, Wie weiß Payer's kunſtleriſcher
Blick den wenigen Motiven, Felfen, Eis und offenes Wafler,
und der wenigen Staffage (24 Männer, 8 Hunde, Eisbären
und Bögel fpielen dabei die Nollen) immer wieber und wie:
*) Die öfterreichifhrungeriihe Norbpolerpetition in ben Jabren
1872 bis 1874 nebſt einer Skizze ber zweiten deutſchen Norbyolr
erpedition 1860 bis 1870 und ter Polarerpebition bon 1871 von
Julius Bader. Mit mehr ale dundert Slluftrationen und Kunfts
beilagen. Wien #875, Alfter Hölder. 8. Im vierichntägigen Lie⸗
ferungen k 50 Bi,
der neue Seiten abzugewinnen, fo daß uns das fünfzigfte
Bild noch genau cben jo intereflant erſcheint als das erfte!
Auf das Herrlichfte der arktifchen Landſchaften, die pracht:
vollen Töne und Farben in allen Abftufungen, muß ev obens
brein noch im Holzfchnitte verzichten. Die der elften Yieferung
beigegebene Karte des Kaiſer-Franz-Joſeph-Landes ift ein
—* zierlicher und geſchmackvoller, dabei deutlicher Aus—
ührung.
Allbelannt iſt, wie der unglückliche „Tegetthoff“ am ſel—
ben Tage (21. Auguſt 1872), am welchem er ſich vom „De:
björn“ des Grafen Wilczek trennte, vom Eiſe befegt wurde
und nit ber Scholle willenlos längs der Küfte von Nowaja
Semlja nad) Nordoften getrieben wurde, wie aus den Ents
defern an Bord unfreiwillige Paflagiere des Eifes wınden.
Da half fein Sägen, fein Sprengen mit Pulver: die Scholle
hielt ihre Beute feit, feſt wahrſcheinlich bis auf den heutigen
Tag. Und die Winternacht nahte und mit ihr die Kälte und
die Yangeweile, zu deren Belämpfung Schule mit der Mann:
ſchaſt abgehalten und babyloniſche Thürme von Eisſihcken
aufgeführt wirden, Am 13. October fingen die Eispreflun-
gen an, die namentlich im Januar eine flirchterliche Stärke
und Häufigfeit erreichten, fo daß es faft Hlirger geivefen wäre,
die Ruhetage aufzuzählen, als diejenigen des Anfruhre. Das
fürdhterliche Brüllen und Pfeifen und Bewegen des Eiſes
„bereitete ihnen ein eben, deſſen geiftige ie den furcht⸗
barften Höllenfhilderungen entfprochen hätten.“ Da hieß
es jeden Augenblict bereit fein, um mit einigen Borräthen,
Waffen u. ſ. w. das bedrohte Schiff fofort verlaffen zu fönnen.
Wird es dann wieder ruhiger, fo gewähren eine ange:
nehme Abrwechfelung die Bärenjagden, weldye von unferen
Keifenden zu einer fürmlichen Kunſt ausgebildet wurden und
die für Nordpolfahrer wegen des friſchen Fleiſches, das fie
liefern, fo überaus wichtig find. Ein ganzes, hodjinterefjan-
tes Gapitel ift ihnen allein gewidmet, den Vebensgewohnbeiten
ber Thiere und der Perfchiedenheit ihres Charakters in ver:
ſchiedenen Teilen des Eismeered, Wohl lann Keiner beſſer
darüber unterrichtet fein als Payer und Weyprecht; haben
fie doch nicht weniger als 67 Eisbären erlegt und verzehrt
und weit Über 100 gejagt oder gefehen.
Dann werden ergöglice Edjilderungen ans dem Yeben
und Treiben der Mannfchaft eingeflochten und das bunte
‚ Durdjeinander von Nationalitäten an Bord geſchildert, wo
| Tyrol, Steiermart, Mähren, Böhmen, Ungarn, Dalmatien,
Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforſchung der Libyſchen Wüſte im Winter 1873/1874.
erfahrenfte unter den Afrifa-Keifenden unferer Zeit (Da:
vid Pivingftone befand fid; damals nicht mehr unter den
Lebenden, wenn aud) die Todesnachricht erjt gegen Ende des
Jahres nad) Europa gelangte), ſich die Erforſchung ber Liby—
ſchen Wüfte zur Aufgabe geftellt habe. Der gefeierte For—
fcher war durch feine Reife von der Cyrenaica nach Alexan—
drien, auf welder er durch feine Barometerbeobachtungen
mit größter Wahrfcheinlichfeit eine ungeahnte Yängens
—— des Depreſſionsgebietes der Ammons-Oaſe faſt
von ber Großen Syrte bis in die Nähe der Nilmündungen
nachwies, auf eine weitere Ausdehnung feiner Forſchungen
nach Süden hingeleitet worden. Auf die mächtige Fürſprache
des damaligen deutſchen Generalconfuls, Dr. v. Jasmund,
hatte der Chedive von Hegypten mit guoßartiger Freigebigkeit
die Mittel fir diefe Reife bewilligt, Dies war um fo erfreu«
licher, als es fich bei der Unternehmung, wie fie von Rohlfs
geplant wurde, nicht nur um einen fühnen Borftoß, der auch
einem einzelnen mit den befcheidenften Mitteln ausgerüfteten
Pionier gelingen kann, fondern ebenſo fehr um eine genaue
wiſſenſchaftliche Erforſchung des zu durdhreifenden Gebiets
handelte. Durch die reichen Mittel und bei der kurzen, auf
wenige Monate beredjneten Dauer der Reife war Rohlfs
in der Yage, ſich mit einem Stabe von Fadıgelehrten zu uns
geben, die fich ſämmtlich ſchon durch anerkannte Yeiftungen
einen geachteten Namen erworben hatten; der audgezeichnete
Paläontolog Brof. Zittel von Münden und der nicht mins
der hochgeichägte Geodät Prof. Jordan von Karlsruhe
wurden für die Erpedition gewonnen, und gern folgte der
Schreiber diefer Zeilen, obwohl in der Wüfte gerade nicht
auf eine reiche naturgefdyichtliche Ausbeute zu rechnen war,
der Einladung feines Freundes Rohlfs, die Reife ald Bo-
tanifer mitzumachen. Als Photograph begleitete dieſelbe der
gleichfalls ſchon durch hervorragende Yeiftungen auf dem Ges
biete der Yandichaftsphotographie bewährte Ph. Nemele.
Ebenfo wie auf die Auswahl des Perfonals konnte auf die
des Materials die größte Sorgfalt verwendet werden, und
ebenfowenig wie dort trat hier die Koftenfrage hindernd in
den Weg. Der größte Theil der Uusrkftung wurde von
Rohlfs in Paris und Yondon angefauft; der ausgebehnte
Colonialbeſitz umferer weftlichen Nachbarn, die häufigen Feld⸗
züge in überfeeifchen Yändern bringen es mit fid), daß dort
ftets Nachfrage nad) Reiſeausrüſtungen ift, und derartige
Segenftände in erprobter Preiswlirdigkeit vorräthig zu fin:
den find, während ſie bei uns erſt mit großem Zeitverluſt
und vielleicht nicht jo praktiſch Hergeftellt werden könnten.
Die Parifer Zelte haben ſich namentlich ausgezeichnet bes
währt, während allerdings die fonft fehr gut gearbeiteten
Feldſtühle und Tische den Strapazen eines mehrmonatlichen
Kameeltransports und den Mißhandlungen farbiger Diener
kaum bis zu Ende der Expedition Widerftand geleiftet haben.
Bei diefer Gelegenheit wurden auch eine Anzahl IThermo-
meter und Aneroide bei den erften Firmen in Yondon und
Paris angelauft, während die von Yordan zu aftronomifchen
und geodätifchen Meffungen benugten Inſtrumente mit Aus:
nahme eines Meßrades (Berambulator) von Caſella deut:
ſchen Werfftätten entftammen. Ebenſo ging auch ber Theil
der Ausrlftung, welcher am meiften Auffehen erregte, 500
Waſſerkiſten von ftarkem Eiſenblech zu 50 Liter Inhalt,
aus einer beutfchen Fabrik, Stieberig und Miller in Apolda,
hervor und hat fid), wie hier gleich bemerkt werden fol,
vorzüglich, bewährt. Die Berproviantirung, theils in Deutſch-
land, theils erft in Aegypten beichafft, war ebenfalls auf das
Sorgfültigfte erwogen, fo daß während der ganzen Dauer
der Erpedition fiir eulinarifche Genitjfe nicht nur ausreichen,
ſondern mitunter felbft im Iupuriöfer Weife gejorgt war.
Es möge mir hierbei eine Bemerkung geftattet fein. In
Globus XXIX, Nr. 10,
153
unferen geordneten Verhältniſſen ift es wohlfeil, über ben
materiellen Sinn der Neifenden, die ftetd von Eſſen und
Trinfen reden, im fittliche Entrüftung zu gerathen oder über
ihre Yerferhaftigfeit die Nafe zu rüumpfen, wenn unter den
mitgenommenen Vorräthen auch Yurusnahrungsmittel, wie
feine Gemlife ıc., figuriren. Wer indeß einige Monate aufers
halb der enropätfchen Civilifation gelebt hat, kann ermeffen,
einen wie wichtigen Einfluß zufagende Koft auf die Sefunds
heit und die gute Yaune des Europäers ausiibt, Es wird
ſelbſtverſtündlich fein Mann von Ehrgefühl und fachlichen
Intereſſe anftehen, ſich unvermeidlichen Entbehrungen zu
unterziehen; indeß wie im der jeßt jo wichtig gewordenen
militärifchen Hygieine die Sorge flic das materielle Wohl
der Mannſchaft die erfte Stelle behauptet, fo muß es aud)
jedem Leiter einer Erpedition wie dem einzelnen Neifenden
nicht nur geftattet, jondern geboten fein, die Entbehrungen
der gewohnten Genliſſe auf das möglich geringite Maß zu:
rückzuführen. Died gilt nicht nur in Bezug auf die Ernäh—
rung. Schweinfurth fchreibt dem Umftande, daß er fait
jede Nacht entlleidet ſich vollftändiger Ruhe hingeben konnte,
den wichtigiten Antheil an feiner felten unterbrodhenen Ru—
ftigfeit zu; und auch wir haben unfere vortrefflichen Feld—
betten zu jchägen gewußt,
Eine andere Frage der Reiſetechnil möge bei diefer Ge—
legenheit kurz befprodjen fein; ich meine die Mitnahme curo-
päifcher Diener. Mein foeben genannter Freund Schwein:
furth, der faft alle feine Reifen ohme europäiſche Begleitung
zurlidgelegt hat, iſt ein entfchiedener Gegner derfelben, und
in der That fprechen die meiften Erfahrungen, weldye auf
längeren, mehrjährigen Reifen und namentlich unter ungline
ftigen Mimatifchen Berhältniffen gemacht wurden, mehr ge-
gen als für die Verwendung von europäiſchem Dienftper-
fonal. Fälle, wie die eines Richard Yander, der nicht
nur mit eigener Anfopferung bei feinem fterbenden Herrn
bis zu Ende ausharte (fir mich eine der ergreifendften
Epifoden in der Geſchichte afrifanischer Reifen), fondern
defjen Aufgabe fiegreic, durchführte, gehören jedenfalls zu
ben jeltenen Ausnahmen. In der Regel wird felbft ein gut
gearteterv Europäer durch das Gefühl der Ueberlegenheit
fiber die Eingeborenen und feiner vermeintlichen Unentbehr:
lichkeit zur Unbotmäßigfeit verleitet und das geringere, bem
Ungebildeten eigene Maß moralifcher Kraft läßt ihn früher
ben Schadlichteiten des Klimas erliegen. In unferm Falle
lag die Sache indeß gang anders. Mit Ausnahme von
Rohlfs war keiner von uns der arabischen Sprache mächtig;
in den wenigen Monaten wäre e8 daher laum ausflihrbar
geweſen, Eingeborene zu den technifchen Hülfsleiſtungen ab»
zurichten, deren wir Alle, mehr ober weniger, bedurften,
Wir zogen es daher vor, deutſche Diener zu engagiren, und
hatten alle Urſache, mit der Wahl diefer jungen Yente zufrie—
den zu fein. Obwohl fie faft Ulle zum erſten Male von
der heimathlichen Scholle in fo abweichende Verhältniſſe
famen, fanden fie ſich mit Veichtigleit hinein und haben durch
ihre Tlichtigfeit ihren Antheil zum Gelingen des Unterneh.
mens beigetragen.
Mitte November 1873 verließen wir die deutſche Hei—
math und am 27. langten wir im Hafen von Alerandrien
an. Wir hatten hier eine zweitägige Ouarantäne zu über-
ftehen, im Angeſicht des räthjelvolen Contineuts, ben wir
faft ſämmtlich noch nie betreten hatten, gewiß eine harte Ge—
duldsprobe! Ein dreitägiger Aufenthalt in der Stadt des
großen Alerander genügte, um unfere Gefchäfte zu erledigen,
welche außer in der Vervollftändigung unferer Ausräftung
namentlich in der zollamtlichen Abfertigung und Weiter:
beförderung unferes ungeheuren Materials, weldyes mehrere
Gifenbahmwaggons jilllte, beftanden. Im Kairo hatten wir
20
154 Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforſchung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874,
ebenfallg keinen langen Aufenthalt. Rohlfs nahm hier eine
Anzahl Nubier in Dienft, denen fpäter in Siut noch drei
Neger hinzugefügt wurden; fein getreuer Kanuri-Reger Bus
Belt, den er in Tripolis aus der Sklaverei befreit hatte,
und der 1869 mit ihm die Reife durd) die Cyrenaica nad)
Alerandrien gemacht Hatte, ftellte ſich ihm wieder zur Berr
fügung. Auch diefe farbigen Diener bewährten ſich, mit
einer Foäter zu erwähnenden Ausnahme, ald brauchbar. Wir
hatten in der Hauptjtadt Aegyptens die Ehre, dem Chebive
vorgeftellt zu werden und einer Sigung des Inftitut ögyp-
tien beizumohnen, in welcher Rohlfs feinen Reiſeplan aus«
einander ſetzte. Von Oberäggpten aus gebachte er die Ex—
pedition nad) den Hah-Dafen zu führen und wollte von einem
Punkte derfelben (das am weiteften nad) Weſten vorgeichobene
Farafrah erfchien uns damals am geeignetften) quer durch
die Wüfte die nod) von feinem Europäer befuchte Dafe
Kufara (wie oben bemerkt, auf der Straße zwiſchen Djalo
und Uadai gelegen) zu erreichen fucen, Außerdem bezeich
nete er als Hauptaufgabe der Expedition die Erforſchung
der Höhenverhättnifle der Libyſchen Wiifte. Die Mitglieder
des Inftituts, al8 deren Wortführer der Ehrenpräfident def-
felben, der berühmte Aegyptologe Mariette- Bey, auftrat,
empfahlen uns befonders die Erforfchung des Bachr-bela-ma,
Unter dieſem arabischen Namen, weldyer Fluß, Yandfee oder
Meer ohne Waſſer bedeutet (das Wort badır, in der Mehr:
zahl behär, bezeichnet Überhaupt ein größeres Gewäſſer), fins
det ſich auf allen bisherigen Karten cine flufbettartige Ter-
rainbildung verzeichnet, melde, von der Oaſe Dachel aud«
gehend, an der Heinen Dafe (Uah-el-beharieh), wo fie einen
gleichnamigen Zufluß aufnehmen follte, vorüberziehend, fich
gegen das Nildelta erftvedt, An der Eriftenz dieſes Bachr⸗
belasma zweifelte vor unferer Expedition Niemand, und
ebenfo war die Anficht in allgemeiner Geltung, daß er ein
älteres Bett des Nils darftelle, obwohl die obere Abzweigung
eines ſolchen nicht befannt ift. Der Nachweis der Nichte
eriftenz dieſer „geographifcen Seeſchlange*“, wie fie Rohlfs
bezeichnend nennt, darf wohl als eins der wichtigſten Ergeb-
niffe unſerer Reife gelten.
Am 7. December begab ſich die Expedition von Gifeh,
der Kairo benachbarten Station der oberäghptiſchen Eiſen⸗
bahn, nach Minieh und ſchiffte fich am folgenden Mittage
auf einem vom Chedive uns zur Verfügung geftellten
Dampfer nad) Siut ein, welche anfehnliche Stadt wir am
10. Abends erreichten. Auf diefer Fahrt wurden wir durch
die Fürſorge des Yandesheren anf das Reichlichſte bewirthet ;
es war, als ob man und vor dem Aufbruch in die Wüſte
alle Genüffe des civilifirten Yebens noch in vollften Maße
gewähren wollte. In Siut verweilten wir eine volle Woche.
Zwar waren ſchon 35 Kameele fir unfere Erpebition ans
gelauft, 65 andere von den benachbarten Araberftänmen
beider Nilufer gemiethet, indeß erforderten die Berhandlungen
mit dem die legteren begleitenden Perfonale mehrere Tage,
zumal ſich Nohlis’ Plane unerwartete Schwierigfeiten ent-
gegenftellten. Zunächſt ergab ſich die unwilllommene Noth—
wendigleit, für den ganzen Wüſtenmarſch, bis zum nächſten
Stapelplage, Samcelfutter mitzunehmen. In der weftlichen
und mittlern Sahara ift dies nach Rohlfs' Erfahrungen nur
ausnahmsweife erforderlich; jonft reicht Uberall die unter-
wegs angetroffene Vegetation zur Ernährung diefer genlig⸗
ſamen Pafithiere aus, Die Vermehrung unferes Gepäds
um 2500 Kilo Saubohnen — 15 Kameelslaften — war
gerade feine angenehme Ueberraſchung. Dann ftellte es fid)
als unausführbar heraus, Farafrah zum Hanptftapelplate
der Expedition zu machen, Diefe Heine von nur 80 Kami-
lien bewohnte Dafe bietet nicht die nöthigen Subfiftenzmittel;
außerdem ift das dortige Gemeinweſen, welches von feinem
am Orte befindlichen Negierungsbeamten geleitet wird, völlig
in den Händen der fanatifchen djriftenfeindlichen Secte der
Senuffi, jo daß felbft für die Sicherheit der Expedition und
ihres Eigenthums nicht hinreichende Gewähr geboten zu wer ⸗
den ſchien. Viel geeigneter erſchien in jeder Hinficht bie
größere, gut bevöfferte und wohlhabende Dafe Dadjel, in der
auch durch den dort refidirenden ägyptifchen Gonverneur bie
Berbindung mit der Negierung des Chedive gefichert war.
Doch beſchloß Rohlfs, nicht direct von Siut nach Dachel
auf der bereits von Edmonſtone und Drovetti 1819
zurliclgelegten Straße zu gehen, ſondern zog es vor, den
Meg über Farafrah zu nehmen. war ift ſehr wahrſchein⸗
lich, bereits 1824 der talentoolle, aber unglüdliche Reifende
Pacho von Farafrah zum Nilthal bei Siut auf der von
uns begangenen Straße zurlicgefehrt *), doch ift Über feine
Neife nach den ägyptiſchen Dafen fo gut wie nichts befannt
geworden; immerhin fonnte diefe Strede als unerforfchtes
Gebiet gelten, und hätten wir auf ihr den auf den Karten
verzeichneten Badyr-bela-ma, falls er eriftirte, Freuzen müffen.
Durch die energifche Intervention der ung zur Seite ftehen-
den einheimischen Autoritäten, namentlich des uns von Che-
dive als Gejhäftsführer bie zum Aufbruche in die Milfte
beigegebenen Privatſeeretürs Sr. Hoheit, Siver-Effendi,
und des Sohnes des deutſchen Konfularagenten, Heumius
Uaffifrel-Chajjat**), gelang es, alle diefe Schwierigkeiten
zu fiberroinden, und am 17. Nadjmittags konnten wir das
Hauptquartier vom Bord des Dampfers, den wir bis dahin
bewohnt hatten, nad) dem Saramanenlagerplage Rumelah
bei Siut verlegen. Unſere Karawane beftand, da die ur
fprüngliche Zahl noch hatte erhöht werden müſſen, aus 105
Kameelen umd wurde von gegen 100 Männern begleitet.
Wir fünf Mitglieder mit unferen fünf deutfchen und zehn
farbigen Dienern bildeten das eigentliche Berfonal der Erpe—⸗
dition; die Uebrigen waren Sameeltreiber, den um Siut
nomadifivenden oder vielmehr am Rande des Nilthals ange-
fiebelten Bebuinenflämmen angehörig, von denen übrigens
nur die des Linfen Nilufers als echte femitifche Araber, in
ihrem körperlichen Typus weit von den das Nilthal bewoh—
nenden Hamitifchen iellahin, den Nachkommen ber alten
Aegypter, abweichend, zu betrachten find, während bie foge
nannten Araber des rechten Nilufers vielmehr arabifirte
Hamiten, nähere Verwandte der Nubier und Biſcharin find.
Der vierzehntägige Wuſtenmarſch, welchen wir mit dieſen
Leuten zurlidlegten, bot hinreichende Gelegenheit zu ethno-
graphiſchen Studien ; wir lönnen indeß von ihrem Charal-
ter fein günftiges Zeugniß ablegen. Zu loben ift nur die
Sorgfalt, mit der fie ihre Kameele behandeln; in diefer Hin«
ſicht vermißten wir fie ſpäter oft ſchmerzlich, weil unfere
braunen und ſchwarzen Diener darin feine Uebung bejaßen;
im Uebrigen waren wir herzlich froh, von ber Gefeifehaft
diefer zänfifchen, habgierigen, unzuverläffigen, ebenſo praf-
lerifchen als feigen Menſchen befreit zu fein, welche ſich
unter einander nicht minder belogen und betrogen, ala jie
ung bei jeber Gelegenheit zu übervortheilen fuchten. Die
erften beiden Tagemärfce wurden noch im Niltgale zurid-
gelegt, da die Strafe, weldje wir verfolgten, erft eine beträdht:
liche Strede nördlich von Siut, dem Orte Mör gegenüber,
das Plateau der Libyſchen Wüfte erfteigt. Der Weg zog
ſich ftets in der Nähe des Culturterrains entlang, welches
durd; einen etwa 4 Silometer breiten Wihftenftreifen von
* Pacho, Relation d'un voyage dans la Marmarique ete.
p- II. ter vorangefchicten, von Larenaubicre verfaßten Ginleitung.
*) Leider iſt dieſet boffnungsvelle junge Dann, dem die Erpe ⸗
dition für bie tluge und energiiche Vertretung ihret Intereſſen waͤh⸗
rend der Wuſtenreiſe großen Dank ſchuldet, ſeiſdem einer jahen Kranl:
beit erlegen.
Mit befonderer Berüchfichtigung
*
es
der Anthropologie und Eihnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Nidard Kiepert.
Braunschweig
Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlih 4 Nummern.
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Pi.
1876.
Aus Innerafrika.
Wir legen unferen Lefern heute die Karte von Lieute—
nant B. Lovett Cameron's Reife quer durch Afrika vor,
den wichtigften und interejlanteften Zuwachs zu unferer
Kenntniß jenes Erdtheiles, welchen das legte Jahr gebracht
hat. Die von der Yondoner „Royal Geographical Society“
veröffentlichte Karte, welche ihrerfeits ſchon nad) der Ori—
ginalzeichnung des Neifenden verkleinert wurde, ift in einem
etwa 2'/, Mal größern Mafiftabe (in 1:29,000,000) ent
worfen, als die unferige, welche trotzdem die wichtigften Re—
fultate Mar darlegt. Es war unmöglich, in einem weniger
als halb jo großen Mafftabe die fünmtlichen Heinen Quells
flüffe, welche der meiſtens nahe den Waſſerſcheiden fich dahin:
ziehende Neifeweg überſchreitet, wiederzugeben oder auch nur
alle Punkte zu verzeichnen, deren geographijche Breite ber
ſtimmt wurde, Beträgt doch deren Unzahl auf der verhälts
nigmäßig kurzen, in gerader Entfernung circa 60 deutſche
Meilen meſſenden Strede vom Dftufer des Tanganyifa-Secs
bis Nyangwe allein über 30! Schon auf S, 142 wurde
auf diefe ausgedehnten aftronomifchen Beobachtungen Game»
ron’s aufmerkfam gemacht. So weit feine Aufnahmen uns
jegt vorliegen — wie es aud) auf der Karte durch vers
fchiedene Bezeichnung angegeben ift, reicht das Detail der
Route nur bis Sha Kelembi, von wo der auf S. 90 des
„Globus“ abgedrudte Brief datirt ift —, find ſechs Punkte
(durch Unterfireichung hervorgehoben) nach ihrer Yänge und
Breite feftgelegt: Kawele im Udſchidſchi; Mangara;
Nyangwe, Yivingftone's weſtlichſter Punkt, welches um
eirca 25 Minuten nach Often gerlicdt wurde; Kilemba, die
Globus XXIX. Pr. 11.
Hauptftabt von Urma und Kaſongo's Reſidenz; das nahe
dabei gelegene Totela, wo der Neifende durch den Haus—
bau fo große Verzögerung erfuhr, und Kiſenga. Das find
von nun an, vielleicht auf viele Jahre hinaus, die Firpunkte
innerafritaniſcher Kartenzeihnung, denen Alles, was frlihere
Neifende berichteten und zeichneten, und vielleicht Vieles, was
Spätere aus jenem Yande heimbringen werden, angepaßt
werden muß. An eimzelmen Stellen ift diefe Zurechtichies
bung ſchon durch Cameron felbft geichehen : das ganze Tan-
ganyifa-Beden und das zuerft von Yivingftone vom Auguſt
1869 bis in den Herbft 1871 durdpvanderte Ugubha und
Manynema-Gebiet hat weientliche Veränderungen erfahren,
während der von Cameron nicht berlihrte obere Yauf des
Livingftone'fchen Lualaba, reetius Yuvwa, mit feinen beiden
großen Seen, dem Bangweolo und Moero, ſeine urſprüng—
liche Darftellung beibehalten hat. (Die dafelbft von Living—
ftone 1867 bis 1868 und 1872 bie 1873 ausgeführten
Routen find ergänzungsweife auf unferer Karte mit Punts
ten eingetragen.)
Während im Manyuema:Yande eine Verſchiebung nad)
Oſten ftattfand, fo werden die Quellgebiete des Kaſſabe und
bes Yiambai (Zambefi) und damit Kübele, des Dluata
Yanwo's Reſidenz, alfo das Neifegebiet der Pombeiros
(1806), Graça's (1846), Y. Magyar’s (1850), Yiving-
ſtone's (1853 bis 1856) (auch dieſe Reife, ift durch eine
punftirte Linie auf unferer Harte angedeutet) um etwa einen
Breitengrad nach Welten geſchoben, beides ein neuer Beweis
für die alte Wahrnehmung, daß Neifende, welche feine aftros
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Aus Jnnerafrila.
nomiſche Beobachtungen anſtellen, ſondern ihre Routen nur
nach der darauf verwendeten Zeit veranſchlagen, leicht in den
Fehler verfallen, die zurlickgelegten Entfernungen zu überſchätzen.
Um die Bedeutung von Cameron's Yeiftung richtig zu
wlirdigen und um überfchen zu können, welch großes Stüd
bed unbefannten Innern von Afrika er uns erſchloſſen hat,
braucht man auf unferer Karte nur die Namen der wenigen
Reifenden ſich aufzufuchen, welche am weiteften im biefen
Kern des Continentes — ſind*) Da iſt Tudey,
der 1816 auf dem Kongo nur bis 141/,° öſtl. L. vordrang,
Grandy im Lande Kongo (vergl. „Globus“ XXVII, ©.
108), dann Pivingftome mit feiner großen zweimaligen
Neife quer durch den ganzen Erdtheil, P. Magyar, Graca
und die Bombeiros (vergl. „Slobus* XXIV, ©. 318),
163
Cameron hat inzwifchen feine eingeboremen” Begleiter
zu Schiffe nach der Dftklifte zurlidgefendet und ift Mitte
Januar von Benguela nad) Madeira abgefahren, fo daf er,
falls er dort feinen längern Aufenthalt macht, in nächfter
Zeit in England eintreffen würde. Immerhin wird ed aber
noch ein Weilchen dauern, ehe er feine ausſlihrliche Neife-
beſchreibuug vollendet haben wird, eine Paufe, welche wir
benugen wollen, um einen Rückblick auf Yivingftone's fette
Reifen zu werfen, welche bisher im „Globus“ (XXVII, ©.
77 und 88) nur kurz beſprochen wurden.
*
* Es
Am 22. März langte Livingftone von Zanzibar zu
Schiffe mit 14 Yaflthieren non verfchiedenen Gattungen, die
Livingſtone's Haus in Zanzibar.
er im Gebiete ber Tietfefliege hinfichtlich ihrer refpectiven
Ausdauer erproben wollte, vor der Mitndung des Rovuma
an. Da diefelbe aber einen fehr fchlechten Anterplag dar-
bot, jegelte er nördlich mach der Minfindani-Bay und
betrat dort am 24. März afrifanifcyen Boden. 14 Tage
fpäter brach er mit einem Flihrer ins Innere auf. Die
Nähe des Indischen Dceans, die große Feuchtigleit der Yuft
erzengt eine unendlich üppige Vegetation mit vielen, oft
dornenbeſetzten Schlingpflangen, durch welche ſich der Zug
*) Man vergleiche darüber befonders „Mlobus“ XXIV, S. 7 bis
9. As bier einichlagenbe Auffäge aus den legten Bänden unferer
Zeitfchrift wären außerdem noch zu nennen; XXVI, ©, 331 u. 345
und „Die Entwickelung unferer Kenntniß von der innerafrifanifchen
—— Von — Andree,“ Mit ſecht Kärtchen. XXVII,
241 bie 246.
nur langſam fortbewegte. Ja, es mußten ſchließlich Ein-
geborene vom Stamme der Malondé gemiethet werden,
um mit ihren fcharfen Sidjelmeflern den Kameelen einen
halbwegs gangbaren Pfad durch das Geftripp zu bahnen.
An 14. April wurde der Novuma erreicht, unweit der Stelle,
wo im Jahre 1861 der „Pioneer* hatte umfehren milſſen.
Aftronomische Beobachtungen wurden aber noch immer durch
die dampfige Luft gehindert. Nun ging es gegen Weſten
am Norbufer bes Rovuma hinauf. Wald zeigten fich die
verberblichen Folgen des Sklavengaudels in der Feindſelig-
keit des einen Stanımes gegen ben andern, im dem Mif«
trauen ber Eingeborenen, der fpärlichen Bevölferung und
dem Mangel an Lebensmitteln, eines immer die Folge des
andern. Die Maksa bes Norbufers, ausgezeichnet durch
eine halbmondförmige Tättowirung an der Stirn, leben in
21°
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—— = ZT —
Aus Innerafrika.
fteter Fehde mit den Mabiha des Südufers, und fie beibe
mit allen Stämmen in der Nunde bis weit weitlic vom
Nyaſſa⸗See zittern vor den räuberifchen Zulu oder Mazitu,
Bald nachdem Fivingftone am 12. Mai die Infel Nya—
matolol&, wo er 1861 mit feinem Boote umgelchrt war,
pafjirt hatte, zwang ihn der Mangel, auf das Eidufer hin«
überzugehen, Gern hätte er feine wejtliche Richtung bei ⸗
behalten, um das Nordende des NyaljasS ces zu erreichen ;
aber der fchr gebirgige Charakter des dazwilchen liegenden
Landes und die ewigen Einfälle der Mazitu, mit denen er
felbft ein Heines, glüdlic, ablaufendes Nencontre hatte, zwan«
gen ihn, gegen Südweſten hin vom Novuma abzubiegen.
Entfeglich ift es, wie die arabifchen Stlavenhändler hier
haufen (es ift dies ihre große Strafe zur See hin); und
wenn fie auch, fobald fie Livingſtone's Nahen bemerkten,
nit ihrer lebenden Waare feitwärts ins Geftrlipp abbogen,
um, felbft unbemerkt, ihn vorliberziehen zu laſſen — die überall
umberliegenden Joche oder Gabeln, die um den Hals der
Gefangenen gelegt werden, die Veichen ber an Bäume ge
bundenen und ihrem Scidjal überlaffenen Kranten zengten
auf Schritt und Tritt von ihren Sceuflicjfeiten. Und
überallfjim veicht ihr verderblicher Einfluß, weiter, als Living:
ftone jelbft gewandert iſt, er, der midyt wie Schweinfurth
fluger Weiſe vermittelft, fondern meift trog diefer ſoge—
nannten Eljenbeinhändler vordringen wollte und darum in
feinen Unternehmungen fast ftet® von ihnen achindert wurde.
Indem er vom Novuma abbog, betrat er das Yand der
Waiyaus, großer, ſtämmiger, ausdauernder, luftiger und
friegerifcyer Leute, welche eim gejundes, wohl bewäflertes
und bewaldetes, auch gut bevölfertes und angebautes Land
von einer Meereshöhe zwiſchen 2000 und 3400 Fuß (engl.)
bervohnen. Aber trog des Anbaues waren Yebensmittel noch
immer theuer, da die Yente durch die Sflavenhändler mit
den als Zahlungsmittel geltenden Zeugen, ‘Perlen und ders
gleichen Bedlirfniffen wohl verjehen werden. Zunächſt hatte
er eine Woche lang eine menfchenleere Gegend zu burdhzie-
hen; ererreichte glüdlic) Matala's Stadt in reizender, frucht ·
barer Gegend, wo Taback, Mais, englifche Bohnen u. f. w.
von den Arabern eingeführt worden find und trefflich gedei—
en. Hier machte er zwei Wochen Raſt und erlabte ſich,
von einem arabiſchen Händler freigebig unterjtägt, an dem
ungewohnten Seplätfcjer dev Wafferfälle und an der fchönen
Bergluft, che er die 3400 Fuß hohe Waſſerſcheide über:
ſchritt und in acht Tagen zum Nyafja-Sce hinabftieg,
wo ihn die trefflichen Fiſche und das Baden im Sce erfreute.
Ein Berſuch, den See jelbft weiter nördlich zu überschreiten,
wurde durch die arabijchen Händler, denen die beiden einzigen
vorhandenen Boote gehörten, aus Eiferfucht vereitelt, und
fo mußte er zu Fuß um das Eitdende des Sees herumman«
dern, deſſen Weſtuſer er ſchon 1861 bie 1863 erforſcht hatte,
Der Stamm am Sldufer, Mangandſcha genannt, ift
bedeutend umgänglicher, als die tapferen, aber roheren
Waiyaus. Ihre Kleiderfioffe, Geräthe und Waffen find
ſehr gut und gefchmadvoll gearbeitet; in allen häuslichen
BVerrichtungen find fie fehr gefchidt; aber an Muth und
Tapferkeit ftehen fie ihren Nachbarn nach. Im Weiten, oben
auf dem hohen Gebirge, der Kirk Nange, figen die Ma—
ravi, mit den Secanwohnern in Fehde begriffen. Nur mit
Mühe gelang es, Träger aufzutreiben, um Anfang DOctobers
das Gepäd hinauf auf das in jeinen Päflen 4000 bis
5000 Fuß hohe Gebirge zu ſchaffen. Yuft und Landſchaft
find wieder entzlickend ſchön. Zadig und ſchroff erheben ſich
die Berggipfel noch 2000 bis 3000 Fuß höher, laſſen aber
zwifchen fi) Naum genug zum Anbau. Wald und Wild
find wenig vorhanden, veigende Thiere ſcheinen ganz zu fehlen;
nur Bogen und Pfeile find in Gebrauch. Im Felle Hüllen
165
fic die Männer, in gewebte Stoffe die Frauen, Jedes Dorf
ift eine politifche Einheit für ſich. Noch mie find arabiſche
oder portugieſiſche Händler bis in dieſe Berglandfchaft bins
auf gedrungen ; in Folge wovon Fivingftone nie auf miß-
trauiſche Gefichter ſtieß und überall die freigebigften Ges
fchente an Yebensmitteln erhielt.
Weiterhin, wo der Weg durch weniger hohes Gebiet
führte, wurde das Wild (Elenn, Elephanten, Büffel) wieder
zahlreicher; mächtige Jagdzäune, um es in Gruben zu trei—
ben , wie im Betſchuanenlande, zeigen ſich. Aber damit ift
auch das Yand wieder den Einfüllen der Mazitu ausgeſetzt,
und fowie der Meifende am 31. October den in den
Loaugwa fließenden Leué überſchritt, befand er ſich aud)
wieder im Gebiete der Stlavenhänbdler.
Raſch fiel der Weg zur völligen Ebene von nur 1800
Fuß Meereshöhe ab. Alle Dörfer in derfelben waren ftarf
verpallifadirt; Yebensmittel zu erhalten war unmöglid), denn
Alles war von den Mazitu geraubt, und der Schreden vor
ihnen iſt dort in Afrika nicht geringer, als der der Perſer
vor den Turkomanen in Choraffan. Jede auffteigende
Staubwolfe fett hier wie dort die anfäfligen Dorfbewohner
im die größte Erregung. Ende October war der erſte Res
gen gefallen, jegt im December hörte er felten auf. Das
zwifchen aber brannte und ſtach die Sonne um fo mehr.
Und die großen Wälder der Loangwa-Ebene, die einft ein
Seebeden gewefen war, gewährten dann feinen Schu und
Schatten, denn ihre Blätter hingen wegen der Hitze ſenlrecht
herab, amd die Sonnenftrahlen trafen den Boden. Der
Yoangıwa wurde überjchritten, der in 7000 Fuß Höhe oben
im Hochlande Tſchibale entipringt, und längs der fteilen
Aluvialufer DE NYyamazi ging es hinauf auf das Gebirge,
das die Portugiefen Muringa, d. h. eben „Gebirge“
nennen, und das die Scheide macht zwijchen den Zuflüffen
des Zambefi und des Yıralaba (alfo wahrſcheinlich des Kongo).
Die Tſetſe, die fic in der Ebene unten wieder eingeftellt
hatte, verfchwand; dichte Wälder bededten das Gebirge, das
an 6000 Fuß und darüber anfteigt. So geſchickt aber find
die Pfade in dieſer Berggegend angelegt, daß fie faſt eben
verlaufen und feicht zu begehen find. ben im Gebirge bei
Tſchitembo im hungriger Gegend machte er zu Neujahr ein
paar Tage Halt. Er befand ſich jegt im Yande der Babija,
in Pobifa. Es ift ein armfeliges, elendes Volk, den Ba—
bemba untertfan, mit runden Köpfen, Etulpnafen und
fpiggefeilten Zähnen, den Buſchmännern ähnlich, von deren
Blut etwas in ihmen fteden mag. Sie bauen nur fehr wes
nig Getreide und leben meift von Frlichten, Pilzen, Wurs
zen, felbft Blättern. Yivingftone mußte hier fo hungern,
dag er einen Monat fpäter ſelbſt über feine Magerkeit
erichraf.
5370 Fuß hoch ift der Paß, welcher ihm ins Gebiet des
Yualaba, das er bei Lebzeiten nicht wieber verlafjen follte,
hinüberführte. Bis an 7000 Fuß erheben fic zu beiden
Seiten die Berge aus weißem und blafrothem Dolomit.
Hier defertirten ihm zwei Waiyaus mit feiner Mebdicintifte,
ein Mißgeſchick, welches wahrjceinlich zu feinem Tode jehr
mit beigetragen hat. Und hätte er ſich noch ordentlich er-
nähren fönnen! Uber die Babifa begehrten feine Zeuge nicht;
die herrlichen Wälder ihres Yandes liefern ihnen ja Borfen-
Heider in Hülle und Flle.
Das Stromgebiet, in welches er jett, Anfang 1867,
hinabitieg, war ſchon vor ihm von portugiefifchen Reiſenden
bejucht und entdeckt worden, unter denen namentlich Yar
cerda (1798) und die Majors Monteiro und Gamitto
(1831) hervorzuheben find. Seiner von ihnen aber drang
weiter nad) Norden vor als bis Kazembe's Stadt; ihre Bes
richte waren ſchwer zugänglic, und wenig befannt, jo daß
166
diefe Gegend meeift falſch dargeftellt wurde, Livingſtone ift
aljo immerhin als der vornehmlichite Eutdecker diefes mäd}-
tigen Quellbedens und Reſervoirs anzufehen.
Fur diefes Mal hielt er fic nicht lange im demfelben
auf; er üiberfchritt fchon am 28. Januar den Tſchambeſe,
den oberften DOuellſtrom des Luvwa, ohne damals ſchon die:
ſes Verhältniß zu erlennen, und betrat damit das Gebiet
der friegerifchen Babemba und nad) drei Tagen Molemba,
das nahe 5000 Fuß hod) gelegene Dorf ihres freilich nur
nominellen itrften Tſchitapangwa. Ihre Unabhängigkeit
zu zeigen, ſchloſſen die verpallifadirten und mit Gräben um«
zogenen Dörfer ihre Thore vor den Ankömmlingen, die jegt
indgefammt nur noch zehn Dann ftark waren, und erft wenn |
iz -
v — —
mehr als 2000 Fuß tief unter ſich die blauen Gewäſſer des
Liemba-Sees, wie ber ſüdliche Theil des Tangammifa
heißt, erblidte. Einen ganzen Monat hielt er ſich im diefer
lieblichen Gegend auf; unweit bes reizenden , von den edjten
Delpalmen der Wefttüfte befchatteten Dorfes Bambete
hatte er fein eigenes Hlttenlager, wo er den ringsum von
jäh abſtürzenden Felſen eingefaßten Liemba alltäglich bewun—
derte und ſtudirte. Aber auch dieſes Paradies iſt den Ein—
fällen der wilden Mazitu ausgelegt, und einmal entkam
umfer Keifender nur mit knapper Noth ihren beutegierigen
Händen, Ein Berſuch, im Mai längs des Weftufers des
Sees nad) Norden vorzuöringen, wurde bald wieder aufger
geben, weil diefe Straße in Folge von Zwiſtigleiten zwiſchen
den arabifchen Händlern und den Eingeborenen zu unſicher
war; aber bie ftatt deſſen eingefchlagene weſtliche Richtung
erwies ſich um nichts beſſer. Es trieb ihm, den Moeros
Aus Innerafrila.
diefe weiter zogen, liefen die Babemba ihnen nad) und luden
fie zum Uebernachten ein.
Ende Februar 1867 überſtieg er die von Welten nad)
Dften ziehende Yofanswa- Kette und betrat damit jung-
fräulichen Boden, deſſen Gewäſſer zum füdlichen Theil des
Tanganyila ſtrömen; hier Hatte er noch feinen Vorgän-—
er — denn die Portugiefen waren aus dem Keſſel bes
Ban weolo-Sers nie = Norden zu heransgefommen.
enn er dann auch mod; mehrere Male hinaufs und
hinabzufteigen hatte, fo hielt er fich im Ganzen auf feinem
Marſche nach Norden doc) immer ziemlich auf derſelben
Höhe von nahe 5000 Fuß, bie er am fetten Tage des
März plöglich vor jäh abſtürzenden Felswänden ftand und
J
Uebergang über den Tſchiſera.
See zu finden, unweit deſſen des Kazembe Reſidenz gel
iſt und dem er für einen Theil des Nilſyſtems anfad, Bis
Tſchitimba gelangte er noch im Mai; dort aber mußte er
über ein volles Vierteljahr warten, weil Nfama , der müch—
tige Fürſt des Landes Itawa, der felbft den Kazembe zit«
teen machte, mit dem nichtonutzigen Arabern im Kampfe be
griffen war, Derfelbe entſchied fich natürlich zu Gunften
der arabifchen Feuerwafſen. Yivingftone fand in ihm einen
gutmlüthigen, wohlbefeibten alten Seren, der dem Biere fehr
zugethan war und ihm Flihrer zum See Moero anbot.
Trotzdem entſchied er ſich daflir, mit einer arabifchen Han-
delöpartie weiter zu ziehen. Dabei mußte der 1500 Meter
breite Tſchiſera überjchritten werben, mehr ein Sunpf
als ein Fluß, über deſſen Oberfläche Papyrus und andere
Waſſerpflangen einen dichten Teppich gebildet haben. Dt
aber zerriß diefe ſchwanke Dede unter dem Gewichte ber
Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Expedition zur Erforſchung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874.
Darübergehenden, jo daß ber betreffende Träger bis an
die Bruft einſank und nur mit Mühe wieder herausgeholt
werben konnte. So loſtete der Uebergang nicht weniger als
1!/, Stunden Zeit. Mit einem großen Bogen gegen Nor:
den erreichte er den von Bergen umſchloſſenen, —28
See Moero, der das zweite Becken (von oben an gerech—
net) im Yaufe des Luvwa erfüllt. Unmittelbar an feinem
Norbufer treten von Dften und Welten die Berge nahe an
einander und zwiſchen hindurd; fegt der Strom feinen Weg
nad) Norden fort. Der See hat fandige Ufer und liegt noch
3000 Fuß hoch. Etwas landeinwärts von feinem Saufer
näherte ſich Livingftone der Nefidenz des Kazembe, über—
fchritt dem breiten Kalongofi, der die Grenze zwifchen
Nana und dem Kazembe bildet, welch letzterer ſich durch
Eilboten von des Fremden Borriiden unterrichten lich; ber
fuchte den Play, wo 1798 Lacerda ftarb und wurde am
167
Morgens ſah Fivingftone einem Theil der Leibwache Men—
ſchen einfangen, wm fie dem Lehnäheren als Tribut zu
ſchiclen. Aber die entjeglichen Graufamkeiten ded damaligen
Kazembe haben fein Yand entvölfert und den größten Theil
feiner Unterthanen zur Flucht veranlaßt. Nach Pereira
hatte Kirsla, der fechste in der Reihe der Kazembe, ein Hecr
von 20,000 geſchulten Soldaten, während der jetzige kaum
24. November 1867 von jemem einft berühmten afrila=
nifchen Potentaten empfangen.
Seine elende Stadt lag in der Ebene, welche fich füblich
vom Moero ausbehnt, an dem Heinen Mofwe-Sre. Des
Häuptlings Haus ift mit 8 bis 9 Fuß hohen Schilfwänden
umgeben ; 60 Menfchenfchädel fchmücen den Thorweg. Der
damalige Kazembe (d. h. nad) Fivingftone „Sencral“) ift
der zehnte in der ganzen Reihe der dem Muata Yanvo tris
butären Fürften. Dieſes Bafallenverhältniß beftcht noch
jetzt (man hatte es meuerdings in Frage gezogen); eines
Die Rohlfs'ſche Erpedition zur
im Winter
Von Paul Aſcherſon,
Wir befanden und nunmehr auf dem —— Fels⸗
plateau, welches ohne Unterbrechung den Raum zwiſchen
dem Nilthale und den Uah-Oaſen einnimmt und nach beiden
Richtungen durch einen ſteilen, mauerähnlichen Abſturz be»
grenzt wird. Die Hochfläche ſelbſt iſt leineswegs horizontal,
ſondern dacht ſich nach Oſten wie nach Weſten ſehr allınä-
lig ab; der Felsabfall nad) den Daſen, deren Höhenunter⸗
ſchied vom Nilthal unter gleicher Breite nirgends 100 Meter
erreicht, iſt weit höher als der nach dem Nilthale und macht
von den Dafen aus den Eindruck eines anſehnlichen Gebirgs—
zuges. Die Höhe des Plateaus ſcheint im Süden, dem all»
gemeinen Anfteigen bes Yandes entfpredyend, weit anfehnlicher
als im Norden; zwiſchen Maragh und Farafrah erreichten
wir faum 300 Meter Dieereshöhe, während wir zwifchen
Chargeh und Esneh die Höhe von 450 Meter überjchritten.
Was die geologifche Beſchaffenheit diefer Felsplatte betrifft,
fo befteht fie vom Delta bis in die Breite von Esnch aus
Tertiärtalf; weiter füdlich tritt der mubifce Sandftein zu
Tage. Die Bodenoberfläche beftcht Übrigens nicht überall
aus anftehendem Geftein; weite Strecken find mit grobem
Kiefe und feftem Sande (arabiſch Sferir) überſchüttet, die
fi) ohne Zweifel auf dem Grunde des Meeres abgelagert
haben, das in verhältnigmäßig neuer Zeit nod) die Sahara
bededte. im weiterer Beleg diefer Anficht ift der bereits
von O. Fraas wahrgenommene, von Zittel im ausgedehn
teften Umfange conftatirte Salsgehalt aller einigermaßen
1000 auf die Beine bringen fann und bettelarm ift. Die
| Araber veradyten ihn und das bischen Elfenbein und Men—
fchenfleifch, das er ihnen verkauft, grundlich. Gin paar
Jahre fpäter marſchirten fie auf feine Nefidenz zu, ohne da
feine Unterthanen ihr Kommen meldeten, riſſen die Schilf-
wände wieder, ſchlugen ihn ohne viel Umftände tobt und
pflanzten feinen Kopf mebft Fürftenfchnuid auf hohen Pfäh—
len auf. Reiſende, welcher nun zuerſt wieder einen
Kazemibe befucht, wird die Nefidenz nicht mehr an demſelben
Plage finden; denn bei dem Tode jedes Flrften wird ihre
Stelle weiter fort verlegt.
Livingftone hatte übrigens einen guten Empfang und er
hielt, was er wlnfchte, wahrſcheinlich in Folge des Empfeh—
lungsichreibens, das ihm der Sultan von Zanzibar mitge:
geben. Diefer Herrſcher nämlich, der auf feiner Infel nur
fehr wenig Macht hat, genießt im fernen Innern ein großes
| Anfehen und wird von Eingeborenen wie Arabern in jeiner
Flagge auf eine ganz mertwürdige Weife refpectirt.
Erforſchung der Libyfchen Wüſte
1873.1874.
Mitglied der Expedition.
II.
imbibitionsfähigen Gefteine, gleichviel welches geologiſche Al-
ter fie befigen, während harte, dichte Kallſteine frei davon
find, Flugſand fpielt auf deu erwähnten Felsplateau in der -
Oberfläcenbildung nur eine untergeordnete Rolle. Wohl
häuft ſich derfelbe, durch die Gewalt der Stürme aus dem
weftlich gelegenen Sandmeere empor gehoben, in allen ſeich—
ten Vertiefungen hinter jedem aud) noch fo Kleinen hervor:
tragenden Gegenſtande, einem Steine, Knochen, Pflangen-
büfchel, an; nirgends indeß höher als einige Genti- ober
höchſtens Decimeter tief. Nur eine einzige ſchwach entwidelte
Dimenreihe überfchritten wir halbwegs zwiſchen dem öftlichen
und weſtlichen Felsrande zwiſchen Maragh und Farafrah.
Die mit Sand überflogenen Vertiefungen find gewöhnlich
am reichften am Vegetation, da auch die fpärlichen Nieder:
ſchläge fi dort anfammeln; weniger Pflanzenwuchs findet
fid) auf anftehendem Geftein und am wenigften auf dem har:
ten Sſerirboden; die Sandbilnen find in diefen Gegenden
völlig vegetationdlos,
Auf diefem Plateau hatten wir in weftlicher ſchwach nach
Suden geneigter Richtung über ſechs Tagemärſche zurlidzus
legen. Der Sceitelpunft des Weges liegt mur etwa eine
Tagereife öſtlich von dem Abfall gegen die Daje Farafrah.
Der Aufftieg ift durch zahlreiche, niedrige Terraffenftufen
marfirt, welche in der Kegel durch zahlreiche, ifolirte Hitgel
angefünbigt werben, die alle unter ſich und mit der folgenden
Stufe gleiche Höhe befigen und als Ueberreſte einer theilweife
168
zerftörten Felsplatte anzufehen find. Deshalb werden dieſe
Hügel von den franzöſiſchen Wüftengeographen „tömoins“
genannt und empfiehlt fc) der Ausbrud „Zeugen“ aud) für
die deutfche geographifche Kunſtſprache. Sie find wohl zu
unterfcheiden von dem ihmen-im der äußern Erſcheinung Mite
unter recht ähnlichen „Reulingen*, welche uns übrigens auf
dieſer Reife weit feltener begegneten. Diefe ganz aus abge
ftorbenen Pflanzenreften beftehenden Hügel entftehen dadurch,
daß die Wüſtengewächſe, deren ich nur einige 30 Arten
außerhalb der Dajen beobachtete, die Fähigkeit befigen, ſich
aus dem Sande, der ſich ftets um fie anhäuft und fie zu
verfchlitten ftrebt, wieder hervorarbeiten, fo daß ſchließlich
hohe Hligel, gewiflermaßen die Grabhügel ihrer früheren
Vebensperioden, entftehen. Die Tamarisfenarten bilden die
höchſten bis 5 Meter hohen Neulinge; eine Art Algeriens
hat deshalb von dem franzöfifchen Botanifer 3. Gay den
Namen Tamarix bunopaea erhalten.
Das einzige bemerfenswerthe Object auf diefer ganzen
Strede — von einem Badhır-belasma wurde, wie fchon
angedeutet, feine Spur angetroffen — war eine Tropfiteins
höhle, zu der man von dem ebenen Wüſtenboden in eine
Tiefe von 3 bis 5 Meter hinabſtieg. Auf die geologifche
Bedentung diefer in der waſſerloſen Wuſte gewiß höchſt auf-
fälligen Erſcheinung werde ic) noch zurlickommen.
n 27, December Nachmittags fanden wir am dem
fteilen Abfall zur Daſe Farafrah; tiefe, wilb zerriffene
Felsſchluchten, zahlreiche herabgeftlirzte Blöde boten einen
großartigen Anblid, doppelt Uberraſchend nad) der Dede und
Einförmigfeit der durchmeflenen Hochebene, Dagegen war
das Ausjehen der Dafenfläche wenig geeignet, Be. Erwar⸗
tungen zu erregen: ausgedehnte Dimenzüge, hier und da ein
dunkler Punkt, der ſich bei der Annäherung ſchließlich als
eine Gruppe dlrftiger Dattelpalmen und Tamaristen zu
erfennen gab, die ein Waſſerloch, gefüllt mit trüber, bitter
falziger Flüſſigleit, befchatteten. So war der Brunnen Ke—
rat, an dem wir uns und unferen Kameelen am 23, einen
Kafttag gönnten. Und doch ift das Vorhandenfein eines
derartigen Waflerplages für den Verkehr in der Sahara von
der allerhöchſten Wichtigkeit, Nur das Vorhandenfein der
Brunnen in Zwifchenräunten von höchſtens 4 bis 5 Tage-
reifen ermöglicht den Verkehr größerer Karawanen; wafler-
lofe Streden von mehr als 10 Tagemärfchen können felbft
die genligjamften Wüftenbewohner, die Beduinen und Tibbu,
nicht überwinden, In diefer Hinficht eröffnet die Anwen:
dung der eifernen Wafferkiften eine neue Aera in der Ge—
fchichte der MWiiftenreifen. Bon Jordan's Abmarſch aus
Dachel bis zur Ankunft in Siuah hat unfere Erpedition 36
Tage in der Wüſte verteilt, ohme irgendwo einen Tropfen
Quellwaſſer anzutreffen, Der Boden der Dafeneinfenfung
bejtand aus verfchiedenen der Kreideformation angehörigen
Schichten, weldye auch an den fteilen Nändern und auf dem
Grunde der Dafen Dachel und Chargeh auftritt. Weſtlich
vom Brunnen Kerani hatten wir noch eine gewaltige Dünen»
maffe zu bewältigen, deren Ueberfteigung mehrere Stunden
in Unfpruc nahm; auf ihren Kamme erblidten wir das
noch) einen ftarten Tagemarſch entfernte weftliche Felsufer.
Am 30. Nachmittags fahen wir endlich die Palmengärten
Farafrahs als dunkele lee vor uns und eine Stunde ſpä—
ter waren wir im Angeficht der aus unanfehnlichen Lehni—
hütten beftehenden, von einen ebenfo unanſehnlichen, ebenfalls
größtentheild aus Lehmmauern beftehenden Caſtell (Gaſſr)
überragten Dorjet.
Die Ankunft unſerer großen Karawane brachte bei der
Einwohnerſchaft diefer Dafe, welche faft feinen friedlichen
Verlehr mit dem Nilthal unterhält und mur von ben Bes
wohnern der # bis 5 Tagereifen entfernten Nachbaroafen
Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforichung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874.
Beharieh und Dachel beſucht wird, die nur felten einmal ein
‚Kameel mit ſich führen, einen namenloſen Schreden hervor.
Farafrah wird auch jet mod) nicht felten von Raubzüigen
der Nilthal:Araber heimgefucht; für eine ſolche Rhaſia oder
gar für eine militärifche Expedition des Chedive (das Steuer:
zahlergewiſſen der Karafrin dürfte nicht allzu rein fein) mod)
ten wir ihnen von fern gelten, Auch nachdem unfere fried-
lichen Abfichten feftgeftellt, wir feierlich berwillfonmmet waren
und unfer Lager im der Nähe der Hauptgartengruppe aufs
geſchlagen hatten, war unfer Verhältnig zu den Bewohnern
nicht gerade das befte. Obwohl unſere Uebermadjt und aus:
gezeichnete Bewaffnung einen gewaltfamen Angriff nicht räth-
lid) machte, konnten wir mad) den Mienen der fanatifirten
Bevölferung ber ihre feindliche Gefinnung nicht in Zweifel
bleiben; ja als wir dem Borftcher der Sauiah (Religions
ſchule) der Senuffi unfern Befud; machen wollten, den diefer
Heilige zurlickwies, vottete ſich fofort eim Haufe zuſammen
und die Aufregung war jo groß, daß wir von einem beab⸗
ſichtigten Beſuch des Gaſſr abjtchen mußten, welcher nur
Einzelnen von uns verftohlener Weife geftattet wurde.
Daß unter diefen Umftänden feine Ausſicht war, hier
zuverläffige Nachrichten über die weftlic vorliegende Wiüften:
ſtrecke zu erhalten, ift ſelbſtverſtändlich. Nach unferen jpä-
teven Erfahrungen mußten wir ums indeß überzeugen, daß
die Bewohner Farafrahs wie aud) die der größern Nachbar:
oafe Dachel uns im diefer Hinficht faum etwas zu verfchwei-
gen hatten, da fie ſich ſelbſt in fait vollftändiger Unfenntnig
befinden. Hauptſächlich ift diefe einem Umftande zuzufchreis
ben, welcher allen Oaſenbewohnern weitere Reifen in der
Wüfte unmöglich macht; in feiner der von ums befuchten
Dafen werden (mit Ausnahme vereinzelter, den Reichſten
gehöriger, aus dem Nilthale eingeführter Thiere) Kameele
gehalten, angeblich, weil der Stich einer in den Sommer:
monaten häufigen Fliege ihnen verderblid, werden fol.
Wir befhränkten die Dauer unfers Aufenthalts in diefer
ungaftlichen Dafe auf drei Tage, welche unbedingt erforder
lid) waren, um die Karawane für den nod) fünf Tagereifen
betragenden Marſch nach Dachel neu zu verproviantiren.
Selbjtverftändlich wurde diefe Zeit nad) Aräften benugt, um
die Dafe nad) allen Nichtungen zu durchforſchen. Rohlfs
beichäftigte ſich außer mit meteorologischen Beobachtungen
nit ethnographiſchen Studien und ftatiftifhen Erlundigungen.
Zittel machte einen Ausflug nad) dem zivei Stunden ent»
fernten Felsufer; Jordan machte zaglveiche Pofitionsbeflimmuns
gen und metcorologifche Beobachtungen, die er hier wie an ver:
ſchiedenen anderen Punkten dev Wüſte mehrfach Tag und Nacht
hindurch fortiegte; ich durchluchte mit meinem Diener Korb,
einen jungen Kaufnanne aus München, der aus entomolo:
gifchen Sammeleifer in die Dienfte der Erpebition getreten
war, die Gürten umd Felder; Remelé machte eine Anzahl
Aufnahmen, die ſowohl von der troftlojen Dede der Wüſten⸗
natur ald von der üppigen Baumvegetation der Gärten cine
beſſere Borftellung geben, als fie die gewandtefte Feder ſchil⸗
bern kann.
Indeß waren wir herzlid) froh, al& wir am 3. Januar
friih unfere Zelte abbrachen und die Karawane fich wicder
in Bewegung fegte. Wir ſchlugen den bereits vor 55 Yah-
ren von Cailliaud zurüdgelegten Weg ein, beffen erſie
Strede, bis Bir-Differ („der Brunnen der männlichen
Palıne*), oftjüdöftlic) verläuft, während wir von dort bie
Dachel etwa die Richtung S. S. O. innehielten. Bon dem
genannnten Brunnen, bei dem wir die erſte Nacht zubradhten,
hatten wir 2%/, Tagereifen zurädzulegen, ohne eine Spur
von Vegetation anzutreffen. Dieſe Strede ift überhaupt die
ödefte und trofilofefte, welche ich auf der ganzen Reife kennen
gelernt habe. In ermüdender Einförmigleit zicht fich der
Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Expedition zur Erforfchung der Libyſchen Wuſte im Winter 1873/1874.
Weg zwifchen endlofen Diinenreihen von 50 Meter und
mehr Höhe dahin, welche ein etwa "/, bid 1 Stunde breites
Thal einfchließen, dejien Sohle mit ſchwarzen Kieſe bebedt
ift und nur am vereinzelten Punkten von hervortretenden
Kaltfelfen unterbrochen wird. Diefe Thalfohle fteigt all-
mälig nach S. S. O. an, fo daß wir am 6, Nachmittags
das Salfplateau, von dem wir vor Bir Keraui auf fo fteis
lem Bade herabgeftiegen waren, ohne merklichen Aufſtieg
wieder betraten. Am Vormittage des folgenden Tages ger
riethen wir in ein Labyrinth der ſonderbarſten iFelögeflal-
tungen, weldye ſich durch Auswafchung der urjprlinglich zus
fanmenhängenden Saftplatte in vorhiftorifcher Zeit gebildet
haben umd daher die auffallendfte Achnlichfeit mit den ebenfo
entftandenen bizarren Felöpartien unferes Quaderſandſteins,
3.8. der Adersbacher „iFelfenftadt*, zur Schau trugen. Zwei
befonderd großartige Felſenthore, durch welche unfer Weg
führte, erhielten, um der ſchuldigen Pflichten dev Dankbarkeit
gegen unfern einflußreichen Gönner und der Pietät gegen
den verdienftvollen Vorgänger zu genügen, die Namen Bab-
el⸗ Jasmund und Babzel-Cailliaud. Bon dem letztern führte
ung ein fteiler, fandiger Abftieg in ein tief eingefchnittenes,
von waleriſchen Felswänden umſchloſſenes Thal, das nad)
etwa einftindigen Verlauf in die Fläche der Dafe Dachel
ausulindete, Nachdem wir um den legten, wejtlichen Fels—
fporn, den Djebel Lifte, gebogen, erklidten wir in geringer
Entfernung vor uns Palmenwälder und Saatfelder, weit
ausgebehnter als in dem blrftigen Farafrah; die —
Minarets einer anſehulichen Stadt, ald deren Vorpoſten
zahlreiche weißgetlnchte Kuppelgräber ſich zeigten, begrüßten
uns wahrlich in anderer Weiſe als die armſeligen Hütten
Farafrahs, und daß auch die Bewohner uns ſtatt mit Furcht
und Haß mit Wohlwollen entgegenfamen, bewies der fejtliche
Empfang, den ung nicht nur die Behörden, ſondern cin gro:
er Theil der männliden Bevölkerung bereitete. Zunächſt
bewillfommmnete ung der ägyptiiche Gouverneur, Churſchid—⸗
Effendi, mit dem Arzte, einem jungen Nilthal-Griechen,
in euvopäifcher Kleidung, beide mit dem ägyptifch gelleideten
Schech⸗el beled (Birgermeißter) auf fchönen Pferden und
ftattlichen Ejeln, weldye man ums zu befteigen bat. Wir
lagerten am 7. Yanıar Abends im Angefichte der Etadt
Gaſfr⸗Dachel, vertaufchten indeß bald unfere Zelte mit einem
geräumigen, wenn aud) etwas verjallenen Haufe, welches
unferer Expedition von Seiten der Negierung eingeräumt
wurde. Die gemietheten Kameele wurden am folgenden Tage
nad) Siut zurüdgeſandt, „nicht ohne die unerquidlichiten Ber⸗
handlungen mit den Vefigeru, welche von uns anſehnliche
Balſchiſchs zu erpreſſen wußten.
Die Erpedition ſah ſich zu einem längern Aufenthalte
in der Dafe Dachel genöthigt. Auf der völlig unbefannten,
auf etwa 20 Tagereifen zu veranfchlagenden Strede bis
Kufara fonnte man nicht darauf rechnen, Waffer und Nah:
rung für die Hameele anzutreffen. Es mußte alio flir diefe
Bedürfnifle, felbjiverftändlicd; auch fiir die Ernährung der
Erpebitionsmitglieder, für den ganzen Marſch, ja noch für
die auf demfelben Wege beabfichtigte Rucklehhr Sorge getra-
gen werden; wir fonnten ja wicht wiſſen, welde Aufnahme
wir in diefer von den Senuffi beherrſchten Dafe finden wlir-
den, die ohnehin ſchwerlich erhebliche Subfiftenzmittel fir
eine größere Karawane bietet. Da wir nun kaum Vorräthe
für 1%/, Donate mit ums führen konnten, war fchon von
Anfang am beſchloſſen worden, ftaffelweife vorzugehen und
durch Anlegung von Depots im geeigneten Abftänden bie
Verproviantirung für Hin und Nüdreife zu ermöglichen.
Allein da auch in Dachel Proviantvorräthe für Menſcheu
Slebus XXIX. Nr. 11,
169
und Thiere faum aufzutreiben fchienen, fo war vor der Hand
der Aufbruch der Erpedition nach Weiten kaum abzujehen.
Zwar hatte Rohlſs ſchon von Farafrah aus 120 Eäde
Bohnen aus Siut beftellt, indeß konnten biefelben vor 14.
Tagen faum eintreffen; in der That dauerte die Beſchaffung
noch weit länger, da der Bote, nad) afrikaniſcher Sitte ohne
Berftändnig für den Werth der Zeit, ſich viele Tage unter-
wegs ummöthig aufgehalten hatte. Indeß Noth bricht Eifen;
mit Mühe und Noth wurde aud im Dachel ein Borrath
von Reid zufanmengebracht, mit dem eim erfter Vorftoß
gewagt werden konnte, in großer Uebelftand war es, daß
von deu Beduinen, welche die große Karamane von Siut
bis Dachel begleitet hatten, nur drei zu beftimmen waren,
an dem Vormarſch nach Welten Theil zu nehmen. Wir
hatten es hier nicht mit einer Bevölkerung unternehmender
Wlftenreifender, wie etwa die Modjabrah find, zu thun,
fondern mit Feiglingen, die wohl mit Uebermacht eine wehr-
lofe Dafenbevölferung zu brandſchatzen pflegen, indef weder
durch Geldanerbietungen noch durch den Willen des Gou—
verneurs zu bewegen waren, ſich in die unbelaunte Gegend
jenfeit der Dafen zu wagen. Die meiften Märfche mußten
fomit allein mit unferen in der Behandlung der Kameele
unerfahrenen Farbigen zurückgelegt werden, und die ſchlimmen
Folgen blieben nicht aus; faft alle unfere Yafithiere wurden
durch Quetſchwunden in ihrer Veiftungsfähigfeit gefchädigt,
mehrere ganz unbrauchbar und gegen 20 gingen unterwegs
zu Grunde. In den erften Tagen unfers Aufenthaftes in
Dad;el hatten natürlich fünmtliche Erpeditionsmitglicher
in ihrem Fache Arbeit.vollanf. Außer den naturhiftorifchen
und ethnographiichen Forſchungen boten auch die Reſte aus
dem Alterthum hohes Intereffe. 11/, Stunden weſtlich von
der Stadt befindet ſich jegt mitten im der waflerlofen Wüſte
ein verhältuigmäßig wohlerhaltener, ans Sandfteinguadern
errichteter Tempel, Derzel-hedjar (das fteinerne Kloſter) ge«
nannt, den bereits der Engländer Ed monftone, der erſte
Europäer, weldyer die Dafe Dachel 1819 befuchte, ungefähr
in demſelben Zuftande angetroffen hatte, wie er bet unferm
erſten Beſuche ſich darbot. Die Ausräumung der Trümmer
des eingeſtürzten Daches und des hineingetriebenen Flug—
fandes ſchien ausführbar und wurde im ber That fpäter durch
die energifd;e Thätigleit Nemele'8 bewerfitelligt *). Es wurde
ſodann der Hieroglyphenſchmuck der Cella photographiic aufs
genommen und haben die Hegyptologen Brugich **) und
Yepfins ***) aus diefen Photographien den Nanten der alten
Stadt Hedsab oder Serab (Mondftadt), deren Trümmer—
ftätten, durd) zahlreiche Scherbenhligel bezeichnet, noch heute
den Tempel umgeben, fowie die Epoche der Erbauung der
felben erfannt, die unter die Kaiſer Nero, Beipafian und
Titus fällt. Einige in der Nähe befindliche, noch nidjt völ—
lig auögeraubte Felfengräber gewährten cine nicht unerheb⸗
liche Ausbeute an Schädeln, über deren altägyptifchen Typus
ſich Birhow Fr) und Kollmann Ft) bereits ausgeſprochen
haben,
*) Berl. feinen Bericht: Die Ausräumung cines äguptifcen
Tempels in ter Daft Dachel. Jeitſchrift der Geſellſchaft für res
tunde zu Berlin. IX. 1874 ©. 301 ff.
**) Bulletin de inst. egyptien. Nr. 13. 1874, 1875. Wlerante.
1875. Meberfegt in Roblfe „Drei Monate im ter Libvſchen Hüfte“.
Kaſſel 1875, ©. 332,
**) Zeitſchrift für aguptiſche Sprache und Altertbumsfunte 1874.
+) Verbantlungen ter Berliner Geſellſchaft für Anthropologie
1874, S. 121 ff.
) Gorrefpontenzblatt der deutſchen Geſellſchaft für Anthropologle,
Ethnologie und Urgeſchichte 1875, Nr. 7, S. 52, 53.
22
170
Albin Kohn: Prichewalsti's Reife von Kiachta nach Peling.
Pridemwalsti’s Reife von Kiachta nad) Peking.
Bon Albin Kohn,
Der Weg von Kiachta nach Peling ift vielleicht der von
allen Theilen Chinas am meiften befcjriebene; ihn haben
ſchon Timtowsti vor 55 Jahren, Fuß und Bunge etwa
zehn Jahre fpäter, in neuerer Zeit Fritfche und Andere ges
fehen und beichrieben, und es follte ſcheinen, daß Prſchewalski
kaum noch eine ſchwache Nachlefe halten konnte. Dem ift
jedody kaum jo. Bei Durdjlefung der Prſchewalski'ſchen
Reife weht uns eime gewiſſe Friſche an, welche felbft das
Bekannte als fait neu erjcheinen läßt, und diefes ift mit
neuen Dingen vermischt und fo zu jagen gewürzt; beim
Lefen diefer Reifebefchreibung fihlt man ſich hinverſetzt in
fremde Gegenden, unter fremde Völler, ficht ihr Yeben und
Treiben, lernt fie kennen als ob man perfönlich mit ihnen
verfehrt hätte. Ich glaube, daß diefes die Beröffentlihung
diefer Reife Prichewalsti's mit feinen eigenen Worten recht⸗
fertigt
* * *
Im Anfange November 1870, fagt der Neifende, Fam
ich und mein junger Begleiter Michael Alerandrowitich
Pulzomw mit der Poft durd Sibirien in Kiachta an, von
wo aus wir unfere Reife durch die Mongolei und die an
fie grenzenden Yänder Innerafiens beginnen follten. Vom
erften Augenblice an fühlten wir in Kiachta die Nähe frem-
der Pänder. Lange Reihen von Kameelen auf den Straßen
der Stadt, gebräunte Mongolengefichter mit hervorſtehenden
Backenknochen, langzöpfige Chinefen, eine fremde, unver:
ftänbliche Sprache, Alles diefes fagte uns deutlich, daß wir
im Begriffe find einen Schritt zu thun, der uns auf lange
von der Heimath, von Allem was uns lieb und theuer,
trennen fol. Es wurde uns ſchwer, uns in ben Gedanfen
hineinzufinden, aber das Drüdende, das er an ſich hatte,
wurde durch die freudige Erwartung des nahen Beginnes
unferer Reife gemildert, von welcher id; feit meinen frühe:
ften Dugendjahren geträumt hatte.
Da uns die Bedingungen der bevorftehenden Reife nad)
Hodafien gänzlich, unbefannt waren, fo beicjloffen wir vor
allen Dingen nach Peling zu veifen, um von der djinefifchen
Regierung einen Paß zu erhalten und dann erft die außer:
halb der Mauer des himmlischen Reiches belegenen Gegen»
den zu befuchen. Diefer Rath wurde uns von unferm da—
maligen Gefandten in China, dem General Wlangali, er
theilt, welcher und vom Beginne bis zum Ende der Expedition
mit allen ihm zu Gebote ftehenden Mitteln beiftand und
durch) feine edle Fürſorge die Erreichung des Zieles vorber
reitete. Später und zwar gleich, auf dem erften Schritte
außerhalb Pelings erlannten wir den ganzen Werth eines
direct vom chineſiſchen Minifter der auswärtigen Ungelegen-
heiten, nicht aber von Grenzcommiſſar in Kiachta ausge
fertigten Neifepaffes. Ein foldyer gab uns in den Augen der
Bevölferung eine höhere Bedeutung, und dies ift wichtig für
eine Reife in China und nicht in China allein.
Die Reife der Europäer von Kiachta nad) Peking wird
in zweifacher Weife bewerfftelligt : entweder mit Poftpferden
oder mit durchreiſenden mongolifchen Kameelen, nad; Berab⸗
redung mit deren Eigenthlimer.
Die Poftverbindung durch die Mongolei ift durch Trac:
I.
tate geordnet umd zwar durch den Tractat von Tien«tjin
(1858) und durd) den von Peling (1868). Dinch diefe
Verträge erhielt die ruffische Regierung das Recht, für ihre
Rechnung eine in beftimmten Terminen abzufertigende Poſt
— Sowohl Briefe als auch Padet- und Perfonenpoft —
von Kiachta nad) Peking und Tien-tfin einzurichten. Bis
nad) Kalgan find Mongolen, weiterhin Chinefen Pofthalter.
Wir haben an vier Orten Poftabtheilungen: in Urga, als
gan, Peling und Tienstfin. An jedem diefer Orte lebt ein
ruffischer Beamter, welcher ber Poftabtheilung, vorfteht und
die regelmäßige kai. ei überwacht, Die Briefpoften
chen von Kiachta und Tien-tſin allmonatlid) drei Dial, die
adetpoften aber einmal ab, Letztere, welche auf Kameelen
befördert werden, werden immer won zwei Kaſalen begleitet,
die von Kiachta aus mitgefendet werben. Die Briefpoften
werden nur von Mongolen begleitet und zu Wagen beför-
dert. Sie fommen gewöhnlich in vierzehn Tagen von Kiachta
nach Peling, während die Badetpoft 20 bis 24 Tage unter
wegs if. Die Unterhaltung der Poft durd) die Mongolei
koftet unferer Regierung gegen 17,000 Rubel; die Einkünfte
fänmtlicher vier Abtheilungen Überfteigen nicht die Summe
von 3000 Rubel. Zwiſchen Urga und Kalgan befteht
außerdem noch eine Poftverbindung, weldye von den Chinejen
ausſchließlich für den eigenen Gebrauch eingerichtet ift. Auf
biefer Pofiftraße, auf der Grenze der Provinz Chaldias und
zwar bei der Station Sair:uffu, zweigt ſich eine zweite Poft:
ftraße ab, welche mach, Uljaſſutai führt.
Außerdem hat ſich die chineſiſche Regierung verpflichtet,
für unſere geiftlice und diplomatiſche Miffion in Peling
vierteljährlid, ein Mal eine Baderfendung von Kiachta nad)
Peling und zurück für eigene Rechnung zu befördern; das
Gewicht jeder Sendung darf jedoch wicht BO Pud übersteigen.
Bei ungewöhnlichen Vorfällen, wenn befonders wichtige
Schriftſtücke an den Gefandten in Peking oder von diefeut
nad) Rußland zu befördern find, können ruſſiſche Beamte
als Couriere abgefendet werden. Davon muß aber 24 Stun:
den vorher der chinefifche Dſargutſchei in Kiachta reſp. der
Kriegsminiſter in Peling in Kenntniß gefegt werden, In
diefem Falle wird eine Verfügung erlaffen, auf allen ine
ſiſchen und mongolifchen Stationen Pferde in Bereitfchaft
zu halten, und der Courier, welcher ſich zur Fahrt cines zwei⸗
radrigen chineſiſchen Wagens bedient, Tann von Kiachta
nad) Peling, welche gegen 1500 Werft von einander entfernt
liegen, in neun ober zehm Tagen gelangen. Für diefe Fahrt
it feine Bezahlung zu verlangen, doc; giebt der ruſſiſche
Beamte gewohnheitsuräßig, unter der Form eines Gejchen
tes, drei Silberrubel.
Die zweite Urt der Beförderung durch die Mongolei
befteht darin, dag man in Siadjta oder Kalgan einen Won:
golen miethet, der ſich verpflichtet, dem Reiſenden auf Kamer:
len durd) die Gobi zu Schaffen. So reifen alle unfere Kauf-
leute, welche ſich in ihren Angelegenheiten nach China oder
aus China nad) Kiachta begeben. Der Reifende ſelbſt wird
gewöhnlich in einen dyinefifchen Wagen placirt, welcher aus
einem großen cubifchen Koffer befteht, der fich auf zwei Rä—
bern befindet, und von allen Seiten verdedt if. Im Bor:
dertheile dieſer Kiſte, und zwar am der Excite, befindet ſich
Albin Kohn: Prihewalsti's Reife von Kiachta nach Peliyg.
eine Oeffnung, die durch eine Meine Thür verſchloſſen wird.
Diefes Loch dient dem Neifenden zum Eins und Ausfteigen;
in der Equipage muß der Keifende unbedingt liegen und
zwar mit dem Kopfe gegen die Pferde, da font bie Füße
höher ald der Kopf liegen würden. Der Reifende wird,
felbft wenn im Schritt gefahren wird, unausſprechlich zerftoßen.
In einer folhen Equipage, die ic) zur Fahrt von einem
Kaufmanne in Kiachta gemiethet hatte, entſchloſſen wir uns mit
gemietheten Kamcelen durch die Mongolei nad) Kalgan zu
reifen, Als Entrepreneur erſchien ein Mongole, weldyer einen
Transport Thee nach Kiachta gebracht Hatte und nach frifcher
Waare reife. Nad) langem Handeln verabrebeten wir end:
lich, daß er und mit einem Kaſak und unferen Sadjen für
70 Lan (1 chimefifcher Yan iſt durchſchnittlich gleich 2 rufe
fischen Rubeln) nad) Kalgan bringen jolte. Die Zeitdauer
der Reife war auf vierzig Tage angeſetzt, was verhältnig-
mäßig laug war, da die Mongolen die Strede auch in fllnf-
umdzwanzig Tagen zurüdlegen ; für eine jo ſchnelle Beför—
derung wird aber auch weit mehr bezahlt. Ich wollte mich
fo eingehend wie möglich mit der Gegend belannt machen,
durch welche ich reifen wollte, und deshalb fam mir die lange
famere Bewegung fehr gelegen.
Als Dolmetfcdyer fr die mongoliiche Sptadye war uns
ein Kaſal der transbaitalifchen Militärabtheilung, ein ger
borener Buriat, zucommandirt. Cr zeigte ſich als guter
Dragoman; er war jedoch der Sohn eines reichen Mannes
und deshalb begann er bald, al& er während der Reife auf
Müpnfeligkeiten ſtieß, fich fo ſtark nad) der Heimath zurüd-
zufehnen, daß ic) im Früͤhlinge des nächften Jahres gezwun-
gen war, ihm nad) Kiachta zu fenden, von wo aus ic) an
feiner Stelle zwei andere Kafafen erhielt.
Endlich machten wir und lurz vor Sonnenuntergang am
17. November a. St. auf den Weg. Das vor den Wagen
gejpannte Kameel zog an und beförberte uns und unfern
gemeinfchaftlichen Freund, den aus Rußland mitgebrachten
Schweißhund „Haut“, unferm Ziele zu. Nicht weit hinter
Kiachta Überfchritten wir die Grenze, und famen auf mon-
golifchen Boden,
Die ganze Gegend zwiſchen Kiadjta und Urga, das vom
erftern gegen 300 Werft entfernt ift, hat den Charakter uns
ferer reicheren Baifalgegenden ; berjelbe Reichthum an Wald
und Waller, diefelben ausgezeichneten Wiefen auf fchroffen
Gebirgsabhängen, mit einem Worte der Neifende wird durch
nichts an die nahe Wüſte erinnert. Die abjolute Höhe dies
fer Gegend, von Kiachta bis zum Charagol *), beträgt gegen
2500 Fuß; weiterhin erhebt fd, die Gegend und erreicht in
Urga ſchon 4200 Fuß Meereshöhe. Diefe Erhebung bildet
den Norbrand der weiten Hochebene Gobi.
Im Allgemeinen hat die Gegend zwiſchen Kiachta und
Urga einen gebirgigen Charakter; aber die Berge erreichen
nur eine mäßige Höhe und haben dabei eine weiche Form.
Es fehlen ſcharf ausgeprägte Erhöhungen und große wilde
Felſen, die Uebergänge find wicht hoch, die Abhänge eben;
biefes der allgemeine topographifce Charakter diefer Berg:
züge, welche ſich alle in der Richtung von Weit nach Oft
hinziehen. Bon diefen Höhenzligen an der Straße von Urga
zeichnen ſich befonders drei durch ihre Größe aus; ciner
am nördlichen Ufer des Fluſſes Iro, der zweite, mittlere,
Manſchadai, und ber dritte in der Nähe von Urga, Mus
chur. Nur der Uebergang Über den Manjchadai ift fteil
und hoch, man kann ihn jedoch auf einem mehr öftlichen
*) Gol' bebeutet Fluß unb wir immer dem Namen bes
Fluſſes hinzugefügt, ebenfo wie das Wort „noor* (richtiger wur)
Ste zum Namen des Sees und das Wort „vaban“ (Rüden) oder
„ulla“, Berg. zu dem bes Höbenzuges oder Verges.
171
Die Dewäfferung der hier befprodyenen Gegend ift reich
lic); zu den größeren Flüffen gehören der Fro und Charas
ol, welche in den Orchon fallen. Diefer ift ein Neben:
Auf der Selenga. Der Boden ift überall ein ſchwarzer
Humms oder Lehmboden, der fchr gut zu bearbeiten ift;
aber die Eultur hat diefe Gegend noch nicht berlihrt; erft
gegen 150 Werft von Kiachta haben Hier amgefiedelte
Chineſen einige Deffiätinen umgepflügt.
Der Gebirgöftrid;, welder zwifden Kiachta und Urga
liegt, ift auch ziemlid, waldreich. Doch weifen biefe größten-
theils an den Nordabhängen befindlichen Wälder nicht den
Neichthum an Umfang, Formen und Mifchung der Gattun«
en auf, durch die ſich unfere fibirifchen Wälder auszeichnen.
nter den Bäumen überwiegen die Siefer, die Lerche und
Birle; außerdem findet man in geringerer Zahl die Zirbel-
fiefer, die Eller (Elfe) und wilde Verficofträudjer. Sowohl
in den Thälern wie an ben offenen Bergabhängen ift der
Boden dicht mit ausgezeichneten Graſe bededt, das dem Vieh
der Mongolen, welches das ganze Jahr hindurd) auf die
Weide geht, Nahrung bietet,
Im Winter war die Fauna nicht reich an Arten. Am
häufigften jah man das graue Rebhuhn (Perdix bar-
bata), den Hafen (Lepus toli), den Pfeifhafen (Lago-
mys Ogotona), die überwinternde Lerche (Otocoris albi-
gula) und eine Finfenart (Fringilla linaria), welde in
großen Herden am Wege lebt. Die ſchöne rothſchnäblige
Dohle (Frigilus graculus) wird immer häufiger, je mehr
man fi, Urga nähert, wo fie felbft im Haufe unferes Con-
ſuls niftet. Nach Ungabe der Bewohner der Gegend leben
in ben Wäldern in geringer Zahl Rehe, Wifente,
Wildjhmweine und Bären. Mit einem Worte, die
Fauna der Gegend wie die ganze Natur hat mod) ganz fibi«
riſchen Charakter.
Eine Woche nad) unferer Abfahrt von Kiachta kamen
wir in Urga an, wo wir vier Tage in der fröhlichen Geſell -
ſchaft der Familie unferes Conſuls, J. P. Schiſchmarjew,
zubrachten.
Die Stadt Urga, der Hauptpunkt der nördlichen Mon-
golei, liegt am Flue Tola, einem Nebenfluffe ded Orchon,
und ift allen Nomaden ausſchließlich unter dem Namen
„Bogdo-Kuren“ ober „Da-Kuren“, d. i. das hei
lige Lager, befannt. Mit dem Namen Urga, der vom Worte
„Urgo* (das Schloß) Herftammt , haben nur die Ruſſen die
Stadt getauft.
Die Stadt befteht au& zwei Teilen und jwar aus einem
mongolifchen und einem chineſiſchen. Der erftere heißt eigents
lic) Bogdo⸗Kuren, der zweite aber, der circa vier Werft öft-
licher liegt, führt die Bezeichnung Maismaistjchen, d.h. die
Handelsſtadt. In der Mitte zwilchen beiden erhebt fid) auf
einer freundlichen Anhöhe in der Nähe des Tolauferd das
zweiftödige Haus des ruſſiſchen Confuls mit feinen Flügeln
und Nebengebäuben,
Im Ganzen zählt Urga gegen 30,000 Einwohner, Die
Bewohner des hinefischen Theils, weldyen aus Lehm erbaute
„Fanſen“ bilden, find ausſchließlich chinefische Beamte und
Kaufleute. Nach dem Geſetze ift es weder dem einen mod)
den anderen erlaubt, Kamilien bei id zu haben und überhaupt
fich feft anzufiedeln. Dod) die Chinefen umgehen diefes Ges
feg und halten fid) mongolifche Wirthiunen; die mandſchu—
riſchen Beamten aber bringen ungenirt ihre Familien mit.
Die Hauptftelle im mongolifchen Theile der Stadt nimmt
der Tempel mit feinen vergoldeten Kuppeln und das Palais
des Kutuchta, des irdischen Nepräfentanten Gottes, ein.
Diefes Palais unterfcheidet ſich Übrigens äußerlich nicht von
einem Tempel, von denen der durch Größe und Architeltur
ausgezeichnetfte der Tempel des künftigen Weltherrſchers,
22*
172
Maidari, it. Diefes ift ein hohes, quabratifches Gebäude
mit flachem Dache. In feinem Innern fteht auf einer Er—
höhung die Statue des Dlaidari, unter der Form eines figen«
den, lächelnden Mannes dargejtellt, weldjer flinf Klafter hoch
ift und, wie man jagt, gegen 8000 Pud wiegt. Er ift aus
vergoldetem Kupfer in Dolonsnoor, einer Stadt, welche circa
35 deutſche Meilen genau nördlich von Peling liegt und
deren Bewohner ſich hauptfäcjlic mit Anfertigung mongo-
liſcher Götterbilder befchäftigen, gemacht und wurde ftlchweife
nach Urga gebracht. Bor der Statue Maidari's fteht ein
Tiſch mit verschiedenen Opfergaben, unter denen der gläferne
Pfropfen einer unferer gewöhnlichen Caraffinen nicht die legte
Stelle einnimmt; rings umher an den Wänden des Gebäu—
des befinden ſich eine Menge anderer Heiner Götter (Burchane)
und viele Heiligenbilber,
Abgefchen von den Tempeln und einer Heinen Anzahl
chineſiſcher Fanſen betehen die Übrigen Wohnungen der Stadt
aus Filziurten und Meinen cdyinefifchen Lehmhütten. Die
einen wie bie anderen befinden ſich immer in einer aus jpigen
Daumftämmen gejertigten Umzäunung. Solche Umzäu—
nungen oder Höfe find theils in einer Reihe aufgeftellt, fo
daß fie eine Straße bilden, theils ftehen fie in vereinzelten
Gruppen ohne jegliche Ordnung. In der Mitte der Stadt
befindet fic der Marktplag und bier haben vier oder fünf
unferer Kaufleute ihre Yäden, in denen fie fid) mit dem
Detailverfanfe ruffifcher Waaren befaffen. Außerdem fahren
fie auch Thee nad) Kiachta.
Die gebräuchlichjte Einheit beim Taufchhandel ift in Urga
wie in der ganzen nördlichen Mongolei der Fornithee, der zu
diefem Behufe oft im fehr Meine Stüdchen zerfägt wird, Der
Preis einer Waare wird nicht bloß auf dem Markte, fondern
auch im dem Läden durch eine gewilfe Anzahl Stüde Form⸗
thees beftimmt. So hat 5. ®. ein Schöps einen Werth von
12 bis 15, ein Kanieel von 120 bis 150, eine djinefifche
Pfeife von 2 bis 5 Stüd Formthee u. ſ. w. Unſer Gelb,
ſowohl Papiers als Silberrubel, wird von den Bewohnern
Urgas wie überhaupt von den nördlichen Mongolen ange
nommen, doc nehmen die legteren lieber chineſiſche Yan;
trogdem ift der Formthee unvergleichlich mehr im Gebrauche
und zwar hauptſächlich bei den unteren Claſſen ber. Bevöl-
ferung, fo daß derjenige, der auf dem Markte Einfäufe machen
will, durchaus einen Sad voll, beſſer eine Wagenladung
ſchwerer Fornitheeſtücke mit fich führen muß.
Die Bewohner des mongolischen Stadttheils von Urga
find größtentheils Yamas oder Geiftliche; ihre Zahl in
Bogdosfturen beläuft fi) auf 10,000 Mann. Diefe Zahl
könnte als übertrieben erfcheinen, aber der Leſer wird fie
glaubtwirdig finden, wen er hört, daß von allen Bewohnern
der Mongolei zum mindeften der dritte Theil diefem Stande
angehört. In Urga befindet fich eine große Schule mit drei
Facultäten, einer theologifhen, medieiniſchen und aſtrolo—
giſchen, im welcher Kinder, die dem Lamaftande gewidmet
find, unterrichtet werden.
Fr die Mongolen ift Urga in veligiöfer Beziehung die
zweite Stadt nad) Yafja (eigentlich Lhaſſa, mongsliſch
Mundusdfu, das ewige Heiligthum) in Tibet, weil hier
der Kutuchta (f. „Globus“ XXVIII, ©. 378 f.) refidirt. Als
wir in Urga waren, war jein Thron unbejett, da der große
Heilige ein oder zwei Jahre vorher veritorben war; obgleid)
nun fein Nachfolger in Tibet jchon gefunden war, fo fonnte
doch die mongolijche Geſandtſchaft nicht nach Laſſa gehen,
um ihm abzuholen, da der mohammedaniſche (dunganiſche)
Aufftand damals ganz Kanſu ergriffen hatte, durch welches
ber Weg von Urga nad) Tibet führt.
Außer dem —* in Urga leben in vielen Tempeln
der Mongolei und in Peting jelbft mod) andere Kutuchten oder
Alpin Kohn: Pridemwalsti’s Reife von Kiadhta nach Peking.
Higenen; in Bezug auf Heiligkeit ftehen fie jedoch niedri-
ger als ihr geiftlicher Bruder in Bogdosfturen; wenn fie vor
ihm erfcheinen, miäfjen fie vor ihm eben jo gut wie andere
Sterbliche niederfallen.
Die chineſiſche Negierung, welche fchr wohl den großen
Einfluß der Higenen und Yamas auf das unwiſſende Volt
fennt, bejchligt die geiftliche Dierardjie der Mongolei im wei-
tem Maße. Hierdurch befefligen die Chinejen ihre Macht
und paralyfiven in ctwas den allgemeinen Haß der Mongolen
gegen ihre Unterbrlider.
Die Higenen ſelbſt find, mit fehr wenigen Ausnahnten,
in geiftiger Hinſicht ſehr beicränfte Yeute. Bon Jugend
auf unter die Bormundichaft der Yamas und ihrer Umgebung
geftellt, find fie der Möglichkeit, ihren Verſtaud, wenn auch
nur in praftifcher Beziehung, zu entwideln, beraubt. Die
Ausbildung felbit der allerwichtigften Heiligen beſchrünlt ſich
auf das Leſen des Tibetanifchen und dev Bücher der Lamas,
und auch diefes nur im eimem ſehr befchränkten Maße. Bon
Jugend auf gewöhnt, ſich ſelbſt für lebendige Götter zu hal
ten, glauben jie innigft an ihre göttliche Abkunft und an ihre
Biedergeburt nach dem Tode. Die Higenen, mit denen wir
während unſerer Reife zu ſprechen Gelegenheit hatten, fagten
nie: „wenn ic fterbe“, fondern „wenn ic umgebo-
ren werde“. Die geiftige Beichränftheit der Higenen,
welde den Yamas die Herrſchaft fichert, wird von dieſen
mit dev größten Eiferfucht überwacht, fo daß, wenn einmal
ein begabtes Kind zu diefer Stellung erhoben wird, es von
feinen Wächtern vergiftet wird. Man fagt, daß diefes Yoos
befonders häufig die Kutuchtas in Urga infolge der Hegereien
der chineſiſchen Regierung trifft, welche flirchtet, eine irgend»
wie felbftändige Perfönlichteit an der Epige der geiftlichen
Hierarchie der Mongolen zu jehen.
Der Kutuchta von Urga hat ungeheuere Reichthümer,
da er, unabhängig von den Opfern der Gläubigen *), über
1500 Leibeigene verfügt, welche um Urga und in der nörds
lichen Mongolei wohnen, Alle diefe Yeibeigenen find ihm
unmittelbar unterworfen und bilden die fogenannte „
binen-Abtheilung* **).
Das äußere Anfehen des mongoliſchen Theils von Urga
it ſchmutzig bis zum Ele. Alle Unreinlichkeiten werden
auf die Straßen geworfen, auf denen die Menſchen nicht nur
während der Nacht, fondern auch am Tage ihre natürlichen
Bedlirfniffe verrichten. Auf dem Marktplage kommt hierzu
nod) ein Haufen hungriger Bettler. Einige von ihnen, ber
fonders arme, alte Weiber, fiedeln ſich hier fogar dauernd
an. Es läßt fich kaum etwas Efelhafteres als diefes Bild
vorjtellen. Ein hinfälliges oder verftünmeltes Weib legt
ſich in der Mitte des Bazars nieder und auf fie wirft man
als Almoſen alte Filzdecken, aus denen fic die Yeidende cine
Höhle macht. Ihrer Kräfte beraubt verrichtet fie hier auch
ihre Bebirfniffe und bittet, bededt von Haufen von Parar
fiten, die Borütbergehenden um eine Gabe. Im Winter fan:
melt der Wind einen Schneehügel auf diefem Yager an, unter
dem die Leidende ihr bebauernswerthes Yeben führt. Selbft
dev Tod erſcheint ihr im furchtbarer Geftalt. Augenzeugen
erzählten uns, daß, wenn die legten Augenblide der Unglüd-
lichen nahen, ſich um jie herum Herden hungriger Hunde
verfammeln, weldye einen reis bilden und abwarten, big die
Agonie geendet, dann aber auch ſogleich herbeifpringen, um
das Geſicht oder den Körper zu beriechen und ſich zu über:
zeugen, ob die unglückliche Alte ſchon wirklich verſchleden if.
Aber jiche da, fie beginnt wieder zu athmen ober ſich zu
*) Zu Neujahr (im Februar) und zum Feſte des Maidari (im
Juli) verfammeln fib in Urga gegen bunderttaufen® Pilger.
**, Bon Schabinta, bie Wirtbin.
EB. Stuhlmann: Das Weib im plattdeutf—hen Sprichwort.
rühren, die Hunde entfernen ſich wieder von ihr, um ihre
frühere Stelle einzunehmen, und warten geduldig auf ihr
Opfer. Kaum verkündet jedoch der letzte Athemzug das Ende
ihres Lebens, fo verzehren auch die hungrigen Thiere den
Yeichnam und das jegt leere Lager wird bald von einer ähn⸗
lichen Alten eingenommen, ährend Falter Winternächte
ſchleppen gefundere Bettler ſolche alte Weiber aus ihrem
Lager heraus, werfen fie auf den Schnee, wo fie erfrieren, fries
chen ſelbſt in die Höhle hinein und retten fo ihr elendes Dafein.
Aber dieſes ift noch nicht das ganze Bild vom Leben in
der heiligen Stadt. Der Wanderer ſieht noch efelhaftere
Scenen auf dem Begräbnigplage, welcher dicht an Urga liegt.
Hier werden die Leichen nicht begraben, jondern unmittelbar
den Hunden und Raubvögeln zum Berzehren hingeworfen.
Ein folder Ort macht einen erſchütternden Eindrud; er ift
mit Knochenhauſen bededt, Über welche wie Schatten Herben
von Hunden wandern, die ſich ausfchlieglid; von Meuſcheu—
fleifch nähren. Kaum ift eine frifche Leiche hingeworfen, da
beginnen auch ſchon diefe Hunde im Bereine mit den Krahen
und Habichten an ihr zu zerren, fo daß nach einer oder höch—
ftens zwei Stunden michts mehr übrig ift. Die Berehrer
Buddha's fehen es fogar fiir cin gutes Zeichen an, wenn
der Menſch ſchnell verzehrt wird; fonft war nad) ihrer Mei⸗
nung der Meuſch während feines Lebens Gott nicht ange
nehm. Die urgifchen Hunde find in dem Maße an ſolche
Speife gewöhnt, da fie während der Zeit, während weldyer
eine Yeiche durch die Straßen der Stadt auf den Begräbniß ⸗
a: getragen wird, unbebingt mit den Verwandten bem
eichname folgen; oft fommen felbft die Hunde aus der Jurte
bes Berftorbenen.
Die Regierung von Urga und gleichzeitig der beiden öftli»
173
dien Aimalane (Chanate) von Chalda, d. h. Nordmon-
goliens (Tufhetu uud Syſſen), befindet ſich in den
Händen zweier Ambane oder Gouverneure. Der eine von
ihnen ift immer ein Mandſchu und wird aus Peking gefen-
det, der zweite aus der Zahl der mongolifchen Furſten des
Yandes ernannt. Die beiden anderen Aimafane von Chalcha
(Didafaltu und Sain=noin) find abhängig vom Ober:
commandeur von Uljaſſutai.
Wenngleich, die mongolifchen Chane, die Beherrfcher diefer
Aimalane, die ganze innere Berwaltung ihrer Chamate leiten
und das Recht vegierender Fürſten haben, fo find fie doch den
chineſiſchen Verwaltern untergeordnet, welche fehr jorgfältig
die ſchwankende Herrichaft des Reiches der Mitte über die
Nomaden hüten.
Während unferer Anmwejenheit in Bogbdo « Kuren hörte
man überall firchterliche Gerlichte von den Dungauen, jenen
aufftändifchen Mohammedanern, welche forben Uljaffutai aus-
geplündert Hatten und mit bemfelben Looſe Urga bebroften.
Die Furdt wegen des Schidjald der Stadt, weldye in den
Augen der Nomaden fo wichtig ift, nöthigte die Chinefen,
2000 eigener Soldaten hierher zu fchaffen und nod) gegen
1000 mongolifcher Soldaten anzufammeln. Bei der be:
kannten Feigheit diefer beiden Kriegerſorten boten fie wenig
Garantie für die Sicherheit des Dres, Diefer Umſtand
zwang unfere Regierung zur Sicherung unferes Confulates
und zum Schuge unferes Theehandeld eine bedeutende Mili-
tärabtheilung (gegen 600 Mann Infanterie, fowie Kafaten
und zwei Gefchlige) hierher zu fenden. Dieſe Abtheilun
verblieb länger als ein Jahr in Urga, und ihr iſt es ledigli
zu verdanken, baß es die Aufftändifchen nicht wagten, Bogdo-
Kuren anzufallen.
Das Weib im plattdeutfhen Spridwort.
Von C. ®. Stublmann.
Wer die plattbeutfche Sprache kennt, dem lann nicht
entgangen fein, daß ſolche viel reicher an Spridwörtern
und vor Allem an ſprichwörtlichen Nedensarten ift, als die
hochdeutſche, und daß in jelbigen meift eine realiſtiſchere,
naturwüchfigere Vebensphilofophie zu Tage tritt und fie
häufiger von der Scjale eines derben, gefunden Humors
umgeben find, als das bei den hochdeutſchen der Fall it.
Während nur wenige hochdeutſche Sprichwörter erifticen,
welche ſich nicht auch und zwar häufig in einer kürzern und
fernigern Faſſung im Plattdeutfchen finden, find zahlreiche
plattdeutjche im Gebrauch, welche der Hochdeutjche nicht
fennt, und mit den ſprichwörtlichen Redensarten ift daſſelbe
in noch verftärttem Mage der Fall. Manche dieſer leg:
teren dürften ſich auch kaum ins Hochdeutſche übertragen
laſſen, wenigftens nicht, ohme dabei den beften Theil ihrer
Naivetät und ihres Humors einzubüßen.
Nachftehend beabfichtige ich die mir felbft aus dem
Munde des Boltes befannt gewordenen plattdeutichen
Sprichwörter und Redensarten, welche das Weib zum Gegen⸗
ftande haben, vorzufiären und kurz zu beſprechen. Möge
man am der durch und durch realiftiichen Auffaffung des
Lebens, namentlich auch des Lebens zwiſchen Weib und
Mann, welche ſich in der weitüberwiegenden Mehrzahl aus:
ſpricht, leinen Anſtoß nehmen. Der Dichter ſoll idealiſiren,
der Ethnolog dagegen die menſchlichen Verhältniſſe und
Febensäußerungen jo darzuſtellen ſuchen, wie fie in Wirk—
lichkeit find. In den plattdeutſchen Sprichwörtern und
Redensarten ift num aber vorwiegend die Quinteſſenz der
Lebensanſchauungen eines der tlichtigften Theile unferer Na-
tion, nämlich die des nieberdeutfchen Bauernſtandes, nieder:
elegt, und fomit verdienen diefe wohl in einer Zeitſchrift
* Ethnologie beſprochen zu werben, ſelbſt auf die Gefahr
hin, daß einzelne Leſer Anftögigleiten herauswittern, anderen
aber theilweife jene idylliſchen Bilder zerftört werden, welche
fie fich, im Folge der Lectlire plattdeutfcher Gedichte und
Romane, von dem Leben und der Denkweife der betreffenden
Vollsclaſſe zurecht gemacht haben.
*
* *
Wie wohl allen Naturvöllern ſolches eigen, ſieht der
Plattdeutſche die Geburt eines Sohnes für einen wichtigern
und erfreulichern Vorgang des Familienlebens an, als die
Geburt einer Tochter. Während es betreffs der Söhne
heißt:
ß Givt Gott Jungens, givt he ok Büxen (ofen),
heißt es von den Töchtern:
174
Vehl Dierns, vehl Sorgen,
Wenn nich hüt, so morgen —
und
Vehl Dierns un grot Goarns (Gärten) maken den
Buern arm.
Die Sorgen, weldje die Töchter machen, begielt noch ein
anderes Spridywort:
Jung Dierns sünd swörrer to höden ſſchwerer
au hüten) as ein Schepel Flöh.
Diefes hat zumächft darin feinen Grund, daß fie einer:
feits ſehr eitel und leichtgläubig find, dann aber ihnen aud)
eine große Portion Yüfternheit, Sinnlichkeit und auch Wan-
lelmuth betreffs ihrer Yicbesneigungen beiwohnt.
Zur Eitelfeit haben fie übrigens Grund:
Hübsch Dierns kleidt Allens, macht Hinnerst
ok vörn sitten,
Jung Blod, geiht över God;
und
Sülvst den Düvel sien Grotmoder wier smuck,
as se noch en jung’ Diern wier,
Uebrigens heißt es aud):
Sülvst en Tunpahl (Baunpfahl) lett sik up-
putzen,
und da man Put gern felber ficht und ihm Anderen gern
zeigt, jo lehrt ein Wort:
Jung Dierns beden (beten) am leivaten vörn
Speigel;
ein anderes aber:
Nich Jede bedt, de to Kirch geiht.
Hübfc hält ſich aud) eim jedes junges Mädchen, und feine
besfallfige ihr gemachte Aeußerung tarirt fie für Ueber-
treibung, Schmeichelei oder gar fiir Spott:
Seg en Mulapen, dat he hübsch is, he glövrt't Di.
*
* *
Auf die jungen Männer und den Verkehr mit ihnen
gehen auch ſchon zeitig alle Wunſche, und zuweilen wers
den ſelbſt in folchen ihrer Handlungen Huldigungen gefun-
den, die leichthin ganz anders gedeutet werden könnten :
Mudder, säd jen Mäten, nu mögen mi de
Mannslüd all liden, se hebben mi hüt mit
Dreck smäten.
Bei alledem wird jedod und obſchon ein allgemein cur-
firendes Sprichwort lehrt:
Bet an’ne Knei
let frei —
wenigften® zuerft eine gewiſſe Schuchternheit und Zurlid«
haltung fofetfirt.
Nu denn, säd dat Mäten un wull nich Ja seg-
gen —
und
Ik scham mi to gruglich, säd de lütt Diern
un höll en Twiernsfaden (Zwirnsfaden) vör de
Ögen.
Indeflen : :
Stöt mi nich dahl, säd de Diern, doar läg se
. all —
und
Davör is so god, as doarin.
Eine Beruhigung gewährt dann das Wort:
Wenn all Kugeln drapen dädn (träfen),
wull de Deubel Soldat sin.
+
* *
C. W. Stuhlmann: Das Weib im plattdeutſchen Sprichwort.
In Folge deſſen dürfen aber auch von andern Theile
nicht zu heifelige Forderungen geftellt werden und geſchieht
es dennoch, fo erfahren fie eine motivirte Abweifung:
löpst tom ierstenmal bi mi, säd de lütt Diern,
un verlangst en Jumfernschaft ?
‚_ Mebrigens foll, wenn einmal es doch jo weit gefommen
ift, die Zeit aud) ausgenugt werben:
Späs möt dreben warn (getrieben werben) un
wiert ok man in'n Berr (Bett).
Dei alledem ift aber aud das plattdeutjche weibliche
Herz wanfelmlthig und zur Veränderung geneigt, Heißt ed
Ol Leiv rust't nich un harr se ok all söben
Joahr in'n Rönnsteen legen —
fo hat andererjeits die Erfahrung gelehrt:
Herrengunst un Aprillenweder,
Mätenleiv un Rosenbläder,
Wörpelspill un Koartenglück
Aennern sik all Ogenblick,
Wird jedoch, was auc nicht felten vorfommt, der Ges
liebte abtritunig, jo tröftet ſich die Verlaſſene mit dem
Wort:
Uem ein Räuw (Rübe) steiht de Grapen nich
lerrig —
ober:
De Grapen finnt ok wohl sien Räuw —
Hätt de Möhl (Mübfe) man Water, so fin'n sik
ok wol Gäst.
* 2 * .
Fir die Ehe thut es, dom Mädchen micht fonderlich an
ihrem Anſehen Abbruch, wenn ihr ſchon
Hans Wurst den Böhn (Boben) utdanzt hett,
zumal die Erfahrung lehrt:
Lustig Dierns, tamme (jahme) Husfruen —
und ein anderes Sprichwort betreffs eines vor der Ehe ger
borenen Kindes tröftet:
Wo Flass is, doar is ok wol Schäw.
Indeſſen heißt es doc, audy:
Tucht un Ihren sall man mihren (mehren);
ferner:
Allens wardt für Geld makt, blot kein Jumfern-
schaft
und
Jumfernfleisch is zwar kein Backavt (Badobft),
schmeckt aewer likes »öt (dennoch füh).
* nd * ’
Jung Dierns möten lustig sien
heißt es, doch foll wiederum diefe Fuftigkeit ſich nicht allzu-
laut und lärmend äußern, zumal die Erfahrung lehrt:
Kreihend Höner selten göd Eierleggerr.
Da bie jungen Mädchen fröhlich, und luſtig fein jollen,
hält denn auch der Plattdeutjche nichts auf eine allzu blaſſe
oder gar bleiche Geſichtsfarbe.
Beter dat se schient,
As dat se quient
fagt er und verftcht er unter dem „ſchient“ eine übermäßig
vothe Gefichtsfarbe, welche der Betreffenden auch den Namen
eines „Vlößert* (Bluſe — Fenerpfanne auf Leuchtthürmen)
einträgt, unter dem „quient* aber jenen Zuftand, welcher im
Hochdeutſchen als Bleichſucht bezeichnet wird. Einem Mäd-
Aus allen Erdtheilen.
chen, das nicht fröhlich und dum Lachen geneigt ift und eine
bleiche Gefichtsfarbe hat, foll ein junger Mann denn aud)
aus dent Wege gehen:
Vör grienend Pier un vör Dierns, de nich
lachen mögen, nimm Di lieker Wies’ in Acht.
Die Pferde „grienen“ (ladjen), bevor fie beißen wollen, das
heißt fie zichen alsdann die Oberlippe aufwärts.
*
* *
Dei der Heirat wird zwar auch wohl auf die Schön:
heit gefehen und das Sprichwort lehrt:
Schön Blomen un schön Mäten stahn nich
lang —
mehr aber doc auf Glüdsgüter, gleiches Aiter und wirth:
ſchaſtliche Tuchtigleit. Im Hinficht hierauf heißt es:
175
Arm Lüd ehr Kalver (Kälber) und riek Lüd’
ehr Döchter kamen bald an’n Mann —
God makt Blod —
Das heißt hübſches Anſehen und gutes Herlommen. Weiter:
Liek God, lieke Joahr
Geben dat beste Poar.
Ein beträchtlicher Unterfchied in den Jahren wird dagegen
geradezu gefährlidy gehalten:
En oll Klipp,
En niges Schipp,
Dat’s nix nütt —
und
Oll Mann, jung Wiew,
Slechten Tiedverdriev (Zeitvertreib).
Aus allen Erdtheilen.
Aus Nordamerika,
II.
Die Ehineſen - und Diormonenfrage *). — Alatla. — Vetfeude. —
Nemmworter Statifil.
B. Seitdem die erften Chinefen im Jahre 1850 nach
Galifornien kamen, bildet die Frage ihrer Einwanderung
eines der wichtigften Probleme der amerikanischen Bolitit.
Bor Kurzem bat die californifche Lenislatur eine Denlſchrift
an den Congreß abgefaßt, in der fie denfelben angeht, bie
Verträge mit China in bloße Handelsverträge zu verwandelt
und das Einftrömen chineſiſcher Einwanderer zu verhindern.
Auf beiden Seiten ließe ſich viel fagen, doch ift es ſchwer
einzufeben,, wie die Einwanderung verhindert werden kann.
Auf der einen Seite des Meeres liegt ein mit Hunderten
von Millionen Einwohnern überfülltes Reich, auf der an-
bern ein ſpärlich bewohntes Land mit Hunderten von Mil-
tionen arbeitsbebürftiger Acres Land: es liegt in der Natur
der Sadıe, daß die gedrängte Bevölkerung in das verbältniß:
mäßig leere Land binüberflieht. Es ericheint wie die ge
rechte Vergeltung für die gewaltfame Aufſchließung bes Rei-
ches der Mitte durch die laukaſiſche Race. Und dies können
Geſetze um fo weniger verhindern, als bie amerilaniſche Con:
ftitution feinen Unterſchied in Betreff von Race, Religion
und Farbe geftattet. Auch geben die Meinungen der Ame—
rifaner jelber über diefe frage auseinander. Wer, wie Schrei:
ber dieſes, durch Aufenthalt in Californien ſelbſt geſehen,
wie bartnädig Capitaliften und Arbeitgeber bie chinefiiche
Einwanderung, die ihnen billige Arbeitskräfte liefert (die
ganze Central Bacific Railroad wurde von Chinefen gebaut,
fast alle Wäfchereien, Küchen und Dienftbotenftellen im Staate
befinden ſich in chinefiichen Händen), als Grundlage des cali:
fornischen Wohlftandes vertbeidigen und barin von dem gro—
fen Dampfergejellichaften, die in der Einwanderung eine
dauernd fließende Goldquelle finden, unterftütt werden, und
wie ebenſo energiich die weißen arbeitenden Claſſen, die es
unmöglich finden, gegen die wie Thiere lebenden, genügſamen
Chineſen zu coucurriren, die ſich mit einem Lohne begnügen,
bei dem ein Weiher verhungern müßte, die mongolifche Ein:
wanderung als Fluch fir das Land und die kaukaſiſche Race
*) Man vergleiche hierzu Th. Kirchhoff, Die Ehinefen in Sarı
Francisco „Blebus“ XXIV, ©. 237, 250, 268, wie überhaupt bie
legten Jahrgänge, in denen dieſe Brage wiederholt befprochen wurke,
fo befonders XVI, ©. 127. XVII, S. 47, 208. XVII, ©.32, 46.
XXI, ©. 288 und XXIN, &. 271, 272.
angreifen, der wird bald einfeben, daß diefe frage vor ihrer
endgültigen Löfung noch ehr viele Schwierigkeiten verurſachen
wird. Zuvörderſt foll ein Geſetz die Einfuhr chineſiſcher
Weiber, die in halber Sklaverei faft ausnahmslos zu un—
nennbaren Zwecken nach Ealifornien gebradyt werden, ju ver:
hindern ſuchen. Mittlerweile bringt Dampfer auf Dampfer
Hunderte der fchligäugigen Einwanderer berüber, von dbemen
im Jahre 1675 allein 18,144 landeten (während ber letzten
13 Jahre im Ganzen 119,087, darunter bloß 4406 Weiber),
fo daß in San Francisco jegt über 20,000 leben, deren un:
beichreiblich überfüllten und unſäglich ſchmutzigen Häuſer
eine fortwährende Bedrohung der Stadt durch Feuersbrünſte
und epidemiſche Krankheiten bilden.
Wenden wir und zu ber von ihrer Löfung weiter als je
entfernten Mormonenfrage, fo finden wir auch da einen uns
befriedigenden Zuftand. Nachdem in der Salzieeftadt ein
Bundesrichter endlich einen hervorragenden Mormonen, Ael—
teften der Kirche, der Vielweiberei Ichuldig gefunden und
demgemäß verurtbeilt bat, ift dem Congreß eine Bittichrift
jugegangen, die, von 22,626 Frauen von Utah unter:
zeichnet, demfelben erſucht, die Auti-⸗Polygamie-Geſetze von
1862 zu widerrufen ober wenigftens die Ausführung derfel-
ben zu verbinbern, und fich dabei auf die Conftitution ſtützt,
die feine Gelege zur Verhinderung der freien Ausübung
irgend einer Religion duldet. Ferner berufen ſich die Ber:
theidiger des Mormonismus auf einen Artikel im Friedens
vertrag von Öuabalupe-Hidalgo von 1848, in welchem Mexico
für die Bewohner der an die Vereinigten Staaten abgetre—
tenen Provinzen, darunter Utah, vollkommene Religionsfrei-
beit ſtipulirt, die demnach auch die Mormonen, die jich be:
reitö im Jahre 1847 im Thale des großen Salzſees nicber:
gelaffen hatten, für fich beanfpruchen.
Die Annerion Alastas bat fich bisher keineswegs ala
Segen für die Vereinigten Staaten erwielen. Den letzten
Nachrichten zufolge beichäftigt fich die ganze Bevölkerung der
jämmerlihen Eingeborenen, fowie die 40 in Sitfa anfälfigen
Weißen mit beimlihem Branntweinbrennen zum Privat:
gebrauch, jo daß die Abfchaffung der Meilitärregierung und
die Uebernabme der Eivilverwaltung durch den benachbarten
Staat Dregon fehr geratben erfcheint. General Howard, der
Militärcommandeur des Columbia-Departements, erbebt in
einem Specialbericht über Alaska die Auflagen gegen bie
Alaska Commercial Company, daß fie durch ihre geheim ge:
baltenen ungefeglihen Operationen Millionen verdient, daß
176
fie jährlich viel mehr Scehunde tödtet als ihr Contract er:
laubt, daß ihr Betrug der Regierung durch große Beſtechungs—
fummen geheim gebalten wird, daß fie feine Privatunterneh:
mungen in dem ganzen Territory geftattet, und daf fie die
Bewohner der Scehunds:Injeln in halber Sklaverei hält.
* Die im erften Artikel erwähnte ‚Betſeuche“ unter ber
Leitung der „Evangeliften" Moody und Sanfey ift in Phila—
delphia zum erfolgreichen Schluß gelangt. An manchen Ta:
gen war das 14,000 Perſonen fallende Gebäude gänzlich ge—
füllt, bei einer Berfammlung waren genen 11,000 Damen
zugegen, von denen 40 aufftanden, um für ſich beten zu laffen.
An verfchiedenen Tagen wurde für die Kinder von Phila—
belpbia, für Trunfenbolde, für Ungläubige, für Schwach:
finnige u. ſ. w. gebetet, wobei Herrn Moody’s Beredtiam:
feit viele feiner Zuhörer bis zu Thränen rührte und Männer
auf der Gallerie aufftanden und ihre Erlebniſſe zum Beften
gaben. Im Ganzen wurden während neun Wochen 248
Gebetverſammlungen abgehalten, die zufammen von 900,000
Perfonen befucht wurden. est werben die „Erwedungen“
in der Stadt Newyork fortgeiegt, wo fie jehr paflender Weife
in dem frühern Barnum'ſchen Hippobrom, einem der größten
Berfammlungsgebäude der Stadt, ftattfiuden.
Einige der neueſten ftatiftiichen Angaben über die Stadt
Newyork für dad Fahr 1875 mögen von Autereffe fein. Die
neue Zählung ergab eine Einwohnerzahl von 1,046,037 See:
leu, die Schuld beträgt ‚91 Millionen Dollars. Es ftarben
während des Jahres 30,590 Berfonen, darunter 19 am Son:
nenftich, 1177 durd; Gewalt oder Unfall, 152 durch Selbft:
mord und 178 durch zufälliges Ertrinfen. Von 91,009 von
ber Polizei arvetirten Perfonen wurden 56,655 verurtheilt,
darunter 25 wegen Brandftiftung und 75 wegen Todtſchlag;
5200 verlanfene Kinder wurden während des Jahres von
der Polizei ihren Verwandten zurückgebracht, während bei
1373 Feuersbrünſten Eigentum zum Werthe von faft 3
Millionen Dollars zerftört wurde. Es landeten im Jahre
1875 34,544 Ginwanberer (darmmter 23,925 Deutſche) im
Hafen von Newyorl, was eine Abnabıne von 55,000 gegen
das vorherige Jahr und von 145,000 gegen 1873 ergiebt.
Ueber die Seelenzabl der größeren Städte des deut:
fhen Reiches.
Nach der Zählung vom 1, December 1875 find zwar bald
nach diefer Zählung in ben Tage&blättern verichiedene Mitthei:
kungen gemacht und eine Menge von Ziffern abgebrudt worden ;
inbeffen haben diefe Angaben zahlreiche — bei der Raſchheit
der Jufanmenftellung der Zäblungsergebniffe ſehr erflärliche —
Irrthümer and mehrfache für den genauern Beobachter auf:
fällige Lücken enthalten, die bis zur Stunde im der Tages—
preffe noch der Berichtigung und Ausfilllung harren. In—
zwiſchen haben wir uns bemüht, die Refultate der Rolfe:
zählung wenigſtens fir die gqröfieren Städte bis zu 30,000
Einwohnern herab zu fichten und die Reihenfolge dieſer
Stüdte zu ordnen, Mit Ausnahme der Städte Machen und
Frankfurt a. D., deren am 1, December ermittelte Seelenzahl
in den Zeitungen nicht zu weiterer Kenntniß gekommen ift,
und der Städte Kaffel und Mes, über welche feine ficheren
und vollftändigen Angaben vorliegen, fo daß wir in Betreff
diefer vier Städte uns auf eine annühernde Schätzung be
Ichränfen müffen, ift die Vollszahl der vier größten deutſchen
Städte mach dem vorläufigen, bei manchen darunter fogar
nah dem befimitiven amtlichen Zählungsrefultat zu unferer
Aus allen Erdtheilen.
Kenntniß gelangte und cs läßt ſich die Reihenfolge fo ficher
feftftellen, daß nur ganz unbedeutende Abänderungen derfel:
ben mehr möglich find. Dem nachſtehenden Verzeichniß, wel-
ches die Ordnung der Städte mach ihrer Seclenzahl enthält,
ſchicken wir nur noch die Bemerkung voraus, daß die für
Hamburg angegebene Zahl nur die Bevölkerung der innern
Stadt mit den Vorftädten St. Georg und St. Pauli ohne
alle „Bororte* bezeichnet und thatlächlich durch die Hafen:
bevölferung um etwa 3000 Seelen erhöht wird, wührend bei
Magdeburg zur Altitadt mit Sudenburg — 83,102 Ein:
woher — nicht bloß die Neuftadt — 24,524 Einwohner —,
fondern auch das anftoßende Budan — 10,777 Einwohner —
binzugezäblt ift. Die Militärbevölferung ift überall mit ein:
gerechnet,
Einwohner Einwohner
1, Berlin... . 08621 26. Poſen 10,790
2. Hamburg. - . 81,146 97. Halle. . ... 60,16
3, Breslau . . . 240,471 38, Dortmund . . 57,697
4. Dresden . . . 1,378 39. Mühlhaufeni.E, 57,554
5. München... . 198,450 30. Augsburg. . . 56,616
6. Köln... ... 135,518 31. Ejien. . . . - 51,2%
ſdazu Deug . 14,515) 32. Kaſſel (?). . 55,000
— (1871 Eivil . 48,500)
— 150,088) 33. Main . . 50,581
7. Leipgig . . + + 126,412 5, Me 18.000
8. Magdeburg . - 124,233 Givit. 37.205)
9. Königsberg . . 119,127. Crfu R ——
urt 4740u7
10. Hannover... 18508 Sr ger I
(day Linden. ars) PU Görlig . . . . 45,074
’ ei 37, Manubeim . 15,638
129,976) 38, Botsdam . . » 45,07
11. Frankfurt a. M. 101,582 39. Wiirgburg - - 45,010
12. Danzig. - - -» ons 40, Frankfurt a. DO. 45,0003
18, Stuttgart . . 5 (1871 Eiwil . 40,003)
{mit Bezirk . 107,575) 41. Lübed . . » 11,330
14, Straßburg . . 9,257 42, Starlörube . 44,159
15. Bremen . 08,285 43. Wiesbaden . . 42,079
16, Nürnberg. - - MOB 44. Stiel... 37,156
17. Barmen . . . 86,266 45. Duisburg. . . 37,371
18, Altona...» . 31080 46. Darmitadbt . . 87,148
19. Stettin. . . . 81,682 47. Roftod.... 4,188
(m, Auß.Bez. 108,635) 48, Elbing . - - +» 33,000
20. Elberfeld... 30,588 49. Zwidan . 31,756
21, Diffedorf . . 30,557 50. Negenäburg. . 31,525
22, Yadıen . . » . 80,000? 51. Freiburg i. B. 81,108
4871 Civil . 73,143) 52. Liegnitz. . . 831,017
28, Chemnitz. » 78,058 53, Bromberg. . 30,000
24. Brammfchweig. 65,960 54 Um. .... 30,116
25, Sirefed. - . . 623,810
Am mächften zu 30,000 kommt Osnabrüd mit 20,535
Seelen.
. * * *
— In der öſterreichiſchen Grenzſtadt Semlin wurden
beim Graben einer Eisgrube in der Tiefe von 2 Klaftern
230 Stüd Golbmiinzen, jede 2 und mehr Ducaten ſchwer,
anfgefunden. Diefelben, alte römische Münzen, müſſen mac
der Anficht des Dr. Schafarik in Belgrad die unmismatilche
Sammlung eines reihen Römers gebildet haben. Sie tra:
gen verichiedene Infchriften; darunter giebt es Münzen von
Nero, Domitian, Germanicus, Titus, Bespafianus, Sep:
timius Severus, Diocletinnus, Trajanus, Marcus Aurelius,
Valerianus ıc.
Inhalt: Uns Junerafrifa. I. (Mit einer Karte und drei Abbildungen.) — Die Moblfs ſche Erpedition zur Gr:
forschung der Libyfchen Wüſte im Winter 1873/1874. Bon Baul Aſcherſon, Mitglied der Expedition. II. — Brichpewalsti's
Reife von Kiachta nad Peking, Von Albin Kohn. I. — Das Weib im plattdeutſchen Sprichwort. Bon C. W. Stuhl—
mann. J. — Aus allen Erdtheilen: Aus Norbamerika. III. —
Ueber die Seelenzabl der größeren Städte des deutlichen
Reiches. — Berfchiedenes. — (Schluß der Redaction 19, Februar 1876.)
Nebacteur: Dr. N. Kiepert ın Berlin, S. W. Lintenftraße 13, II Tr.
Druck und Verlag von Friedrich Bieweg und Sohn in Braunſchweig.
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und KHünftlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunfchweig
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Pf.
Aus Innerafrifa
Im Januar 1868 brad) Pivingftone wieber nad) Nors
ben auf und machte zuerft einen Vorftoß gegen Welten, um
die merkwürdigen unterirbifchen Höhlen im —8 Rua (Came⸗
ron's Urua), von demen er viel gehört, zu erreichen; aber der
Häuptling, der am der Uebergangsftelle iiber den Yualaba
ſaß, war ob feiner geringen Gefchente empört und jagte ihn
zurüd; nad) Norden zu in der Richtung nad; dem Tans
ganyifa-See war alles Yand bis Mannshöhe überfchwenmt;
er faßte alfo den Entfchluß, wieder zum Kazembe zurlid-
utehren und den Bangweolo zu erforſchen. Davor aber
Färchteten fich feine Lente und meuterten. Nur flnf blieben
treu umd kehrten mit um. Ueber Erwarten gnädig war ihr
Empfang, als fie im Mai wieder bei dem graufamen Flir⸗
ften eintrafen. Ohne weitere Hinderniffe erreichten fie das
Nordufer des Sees. Weit hin dehnt ſich nad) allen Seiten
die baumlofe, fumpfige, ſchwammige Ebene um das centrale
Waflerbeden , das Livingſtone noch immer für den Quellſee
des Nil hält. Diefe ganze große Mulde ift wie mit Feuch—
Nigfeit gefättigt; rings herum lagert das, was Liviugſtone
„ Schwämme* nennt. Es find das !/, bis 1 engl.
Meile breite und 2 bis 10 und mehr Meilen lange Wafler-
reſervoirs eigenthümlicher Art, die überall vortommen, wo
eine Ebene fich gegen eine enge Spalte zwiſchen Bergen ober
Hügeln abdacht. Die verwitternde Vegetation bildet nicht
Torf, fondern eine 2 bis 3 Fuß dide, fette ſchwarze Erbe,
welche oft auf einer Schicht weißen Sandes ruht. In der
heißen Dahreszeit fpaltet die Erde nad) allen Richtungen
2 bis 3 Zoll breit tief auseinander und trodnet zufammen ;
Globus XXIX. Nr. 12,
II.
ſowie die erften Regen fallen, faugt fich zunächſt der Sand
voll, die Erde wird allmälig beim Fortſchreiten der Regen—
zeit zu weichen Moraft, wird aber durch jene enge Spalte,
welche nur einer immerwährenden ftarfen Quelle ben Aus:
gang geftattet, am Abrutfchen gehindert, Segen dann die
ftärferen Regen ein, fo find dieſe Schwämme außer Stande,
noch mehr Feuchtigkeit anzunehmen, und die Fluſſe und Seen
treten über ihre Ufer, Einen ſolchen für die phyfifalifche
Geographie Afritas Uberaus wichtigen Schwamm im größs
ten Maßſtabe bildet der 3688 Fuß hoch gelegene Bang«
weolo»- See, auf weldem Yivingftone am 25. Yuli eine
Waſſerfahrt in einem 45 Fuß langen Canoe antrat. Zwei
ber ſechs flachen, im See gelegenen Infeln wurden befucht,
aber eine weitere Erforfchung des Sees durch die Bootsleute
vereitelt. Ohne das Sudufer erreicht zu haben, mußte halb«
wegs wieder umgefehrt werben.
(8 er im October wieder nad) Norden vordringen
wollte, fand er die denkbar größte Verwirrung, hervorgebracht
durch die Einfälle der Mazitu und Zänfcreien der Araber
mit den Eingeborenen. Schleunig mußte er in der Gefell:
[haft der Händler fich im die Berge retten und auf Um—
wegen den Kalongofi und das Nordende des Sees Mocro
erreichen. Aber die aufgebrachten Cingeborenen folgten
ihnen nad) und blodirten jaft drei Wochen ihr Lager. Nach
nicht unblutigen Gefechten fam eine Art Frieden zu Stande,
und Mitte December fehen wir Pivingftone auf dem geraben
Wege nad) dem Tanganyifa begriffen. Hier aber ergriff
ihn Krankheit, die ihm dermaßen mitnahm, daß er nicht nur
23
178
feine Notizen machte, fonbern fogar die Wochen und Monate
tage zu zählen vergaß und ſchließlich getragen werben mußte.
Bon der Beichaffenheit dieſes Gebietes erfahren wir nichts.
Am 14. Februar 1869 erreichten fie das Ufer des Tan-
ganyika, einen Monat fpäter langten fie in Udſchidſchi an,
wo Yivingftone wenigftens einige ber früher beftellten Bor-
räthe fand; 62 von feinen SO Trägerlaften waren freilich
geſtohlen. Mit Reinſchrift feines Journals und Schreiben
von zweiunbbierzig Briefen, die mie ihre Beftinmung er-
reichten, verbrachte er bei ftetig fortichreitender Befferung den
halben März, April, Yuni und halben Juli 1869. nun
brad) er wiederum auf, um ben großen, im Weiten des
Manyuema-Landes firömenden Fluß, von dem fo viel die
Rebe in Udſchidſchi ging, zu erreichen.
Aus Innerafrila.
Am 15. Juli landete er auf dem Weftufer des Sees
und zog von bort nad) Nordweſten. Der Weg, welcher zum
Theil mit demjenigen Cameron’s zufammenfällt, führte faft
ftetig bergab durch eine ſtark amgebaute, liebliche Gegend.
Große Kaffavafelder und Delpalmen überall. Sehr bald
befand er ſich unter dem Niveau des Tanganyita. Nur als
er dem großen Bogen des Yubamba (Cameron’s Rubumba)
abſchuitt, mußte er ftark bergauf und bergab, aber wieder,
wie am Weftufer des Nyaſſa⸗Sees, auf geſchickt angelegten
Wegen, Damals war eben das Manyuema:Yand dem Elfen-
beinhandel eröffnet worden; Gefchäfte glängender Art waren
da noch zu machen, 18,000 Pfund bes koftbaren Products
hatte eben ein Unternehmer zurlidgebradgt. Im hellen Hau—
fen ftrömten bie Händler, diefe Peft Afrikas, herbei, um
Jagd auf Sofo-Affen.
ihren Antheil am Gewinne zu erhaſchen. Aber ihre Raub:
luft und Gewaltthätigleit brachte die Manyuema gar bald
auf und forderte ihre töbtliche Rache heraus,
Am 21. September langte Yivingftone in Banıbarre
an, wo einer der mächtigſten Häuptlinge ſaß. Ein Berfud),
von dort aus gerade gegen Weiten vorzudringen und den
Lualaba zu erreichen, jcheiterte. Nur 10 englifche Mei—
len vorher mußte er umfehren, weil das Yand ringsum,
durch das Plündern der Araber gereizt, in Gährung war,
de des Jahres ging er mit einem der Händler in
weitem Bogen nach Norden, und bezog im Februar 1870
Winterquartiere in Mamohela, welches etwas nördlich von
Gameron's Koute liegt. Dort hielt er ſich bis in den Juni
hinein auf, mit Sammeln geographiicher, ethnographiſcher
und naturhiſtoriſcher Notizen befchäftig. Am 26. Juni
Borftoß gegen Weften mit nur drei Begleitern. Aber der
große Warlerreichthum des Bodens verurfachte ihm eine
ſchwere Fußlrankheit, ſo daß er nach Bambarre zurückkehren
muß. Ueberhaupt ſchildert er das Gebiet in Folge feines
Waſſerreichthums und feiner üppigen Vegetation als fehr
ungefund. Achtzig Tage lang lag er mit feinen kranlen
Füßen darnieder, zulegt von hejtigem Fieber geplagt ; eıft
am 10, October 1870 ging er zum erften Male fpazieren,
Nun hatte die Negenzeit wieder begonnen, und faft ofme
Refultate ſchloß das unglüdlide Jahr 1870, abgefehen von
den ethnographiichen, die er durch langes Zuſammenleben
mit dem merkwürdigen Volle der Manyuema erlangte. Am
4. Februar 1871 trat endlid eine Wendung zum Beflern
ein; zehn Leute langten von der Küfte her an, die er ſich
von Udſchidſchi aus beſtellt hatte, und balb darauf ers
neuert er zum vierten Male den Verſuch, den Lualaba zu
erreichen, diesmal endlich mit Erfolg, Am 30. März cv
Aus Irmerafrika.
reichte er durch abwechſelnd hligeliges und ebenes Land den
Marftplag Nyangwe in offener, mit Bäumen befetter Ge ·
gend, im einer Meereshöhe von 1400 Fuß (fo Cameron;
nach Fivingftone 2000) und fah ummittelbar daran ben
18,000 Fuß breiten, infelreichen Riefenftrom feine Wellen
vorbeiwälzen. Ihn zur Aberfchreiten, gelang ihm nicht; alle
Anftrengungen , ein Boot zu mieten, wurden von ben Arar
bern vereitelt. Hier in Nyangwe, wo ſich faft wöchentlich
an 3000 Frauen zum Marfte verfammelten, hielt er ſich
bis gegen Ende Juli 1871 auf und zog namentlich über den
Welten umfangreiche Erfundigungen ein,
Die Manyuema (d. i. „MWaldleute*) find ein fchöner,
ſtattlicher Schlag Menſchen von Hellbranner Farbe, und
gehören zu dem großen [Nbafrifanifchen Spradjftamme, der !
179
Bantu⸗Familie. Gegen den Reiſenden zeigte fi) das Bolt
zwar fehr neugierig, aber ſtets gutmilthig, ehrlich und gefällig
(menigftend vor ber durch die Araber verfchulbeten Katar
ftropfe). Im ſchroffen Gegenſatz * ſteht ihre bis auf
die Spitze getriebene politiſche Zerſplitterung, ihre ewigen
Fehden unter einander, ihre zeitweilige Menſchenfreſſerei und
die grauenhafte Leichtiglkeit, mit welcher die ſchwerſten Morde
veritbt werben,
Intereſſant ift, was Livingſtone Über die im Manhuema⸗
Lande vortommenben Soto-Affen (wahrſcheinlich Schimpan-
fe8) unter den 24. Auguft 1870 in fein Tagebud) einge-
tragen hat. „Geſtern — fo ſchreibt er — wurden vier Sofos
erlegt, die ein großer Grasbrand aus ihrem gewöhnlichen
Berſtecke hervorgeſcheucht hatte; fie lamen in die Ebene und
Das —
—— —. we
. » —
es * Y
c * Zn re
Kinderſpiele in Unjanjembe,
murben dort von Speeren durchbohrt. Cie gehen oft auf-
recht, legen aber babei die Hand auf den Kopf, als ob fie
ben Körper ftitgen mißten. Sieht man ben Sofo fo, dann
erſcheint er als ein umbehlilflicher Geſelle, als ein krummbeini⸗
ger, didbauchiger Schuft, der auch fein Fünkchen von Gent
leman an ſich hat, Andere Ihiere, z. B. die Antilopen,
find anmuthig, und es macht Vergnügen ihnen —
mögen fie ruhen ober ſich bewegen; ebenſo find die Menſchen
hier wohlgebaut, gefchmeidig und Hübfc anzufegen; aber ein
Sofo, befonders wenn er groß ift, könnte als ein paſſendes
Modell zum Bilde des Teufels dienen. Die abjchenliche
Beftialität feiner Erſcheinung kann mir den Appetit rauben.
Sein hellgelbes Geficht aeg! einen häßlichen Backenbart und
a Anfäge eines Kinnbartes. Die Stirn ift niedrig,
die n find groß umd abftehend; ber große hunbeäifmliche
Mund hat Zähne, die etwas entfernt Menſchenartiges haben;
nur die Hundszähne zeigen durch ihre große Entwidelung
das Thier. Die Hände oder beffer die finger gleichen denen
der Eingeborenen, Das Fleiſch der Füße ift gelb und wirb
von den Manyuema mit folder Gier verzehrt, daß man ben
Eindrud erhält, als wäre dieſelbe die erfte Stufe ihres Gan-
nibalismus geweſen.“
Manche ſchildern den Solo als ſehr Hug; er beſchleicht
die Eingeborenen bei der Arbeit, ſtiehlt Kinder und erflet-
tert mit denfelben Bäume Legt man ihm aber Bananen
bin, fo kommt er herab und Holt fie ſich, wobei er das Kind
fallen läßt. In Bambarre lebten damals zwei Männer,
deren einen ein Sofo beim Honigſammeln überraſcht und
gefangen, dann aber wieder loegelaſſen hatte, Der andere
fehlte auf ber Jagd einen diefer Affen mit dem Speere; die⸗
23%
180
fer ergriff die Waffe, zerbrad; fie und begann mit feinem
Feinde zu ringen. Wber ehe noch auf deflen Gejdjrei „der
Solo hat mic) gefangen“ feine Gefährten zu Hitlfe fommen
fonnten, biß ihm der Affe die Fingerſpitzen ab und entfam
heiler Haut. Das Thier ift fo liftig und fo ſcharfſichtig, da
man ihm ſich nicht von vorn nähern fann, ohne daß ed etwas
merft. Es wird daher auf der Jagd immer nur von hinten
durchbohrt. Immerhin ift der Solo aber nicht jo furchtbar
wie eine der großen Sagenarten umd gleicht im Kampfe mehr
einem unbewaffneten Menſchen. Sie näherten fid) oft Yi«
vingftone'8 Pager und verriethen ſich dabei durch Yaute, wie
fie Fuchshunde ausftogen. Yeoparden bejwingt diefer Affe,
unterliegt aber dem Löwen, Seine Nahrung find milde
Frlichte und Bananen. Sie leben in Herden von etwa zehn
Aus Innerafrika.
Stlid, jedes Männchen mit feinem Weibchen, in deſſen Be:
fig er von feinen Genoffen gefhügt wird. Sie trommeln
angeblich, auf hohlen Bäumen und heulen dabei, faft wie die
Eingeborenen bei ihrer Mufit. Bor Speeren haben fie zwar
feine Furcht, gehen aber Bewaffneten gern aus dem Wege.
Wird er verwundet, jo padt er feinen Angreifer beim Hand:
gelent, beißt ihm die Finger ab und ſpuct fie aus; auch
verfegt er ihm Ohrfeigen und Biffe, ohme jedoch die Haut
dabei zu durchdringen. Den Speer zieht er ans der Wunde
und ſucht durch Dineinftopfen von Blättern und Gras das
Blut zu ftillen. Frauen und unbewaffnete Männer beläftigt
er nie, und darum jagen die Manhuema: „Soto ift ein
Menſch; es ift michts Böfes in ihm;“ ja fie glauben, daß
ihre begrabenen Todten als Sofos wieder auferjtänden.
Livingitone's Tod (1. Mai 1873).
Hatte doc; ein ſolcher getödteter Affe Ohrlöcher befefien, wie
ein Menſch!
Sp gern Fivingftone weiter nad) Weiten vorgedrungen
wäre zu dem von ihm erfundeten Pomami, nad) den Kupfer
minen von KRatanga ı. f. w., er wurde ganz plöglich, durch
unnüge Graufamteiten der Araber gegen die Eingeborenen
und deren Feindſeligkeit, zur Rückehr gezwungen. Um 20.
Juli 1871 trat er den Ruckweg nach Udſchidſchi an. Nur
mit der größten Vebensgefahr entfam er den Hinterhalten
der in Wuth verſetzten Manhuema. Der Weg war genau
derfelbe, wie zwei Jahre zuvor auf dem Hinmarſche.
Von diefem Augenblicke an verlieren feine Tagebücher
ihren Reiz; fie werden immer kürzer und einfilbiger, immer
ſchwerer und ſchwerer Laftet die Krankheit (Fieber und na-
mentlic, ein Hämorchoiballeiden) auf dem ermatteten Reifen-
ben, die Kataftrophe kommt immer näher und näher. Die
ganze Reife von Nyangwe nad) Udſchidſchi, die Beſchiffung
des Nordendes des Tanganyifa, die Wanderung bis Kafe in
Unyammefi — Reifen, welche fich iiber fieben Längen- und
mehr als drei Breitengrade erftreden, alfo über ein Yünder-
gebiet, wie zwiſchen Berlin und Königsberg , ober wie zwi-
ſchen Berlin, Wachen und der Norbfee, und welche einen
Zeitraum von fieben Monaten in Anſpruch nahmen, füllen ein
einziges, kurzes Capitel feines Journals von 25 Seiten.
Und unmittelbar darauf folgt noch ein langweiliger, halb-
jähriger Aufenthalt in Safe,
Als Livingftone frank und erichöpft am 23. October
1871 von feiner Reife nad) dem Lualaba in Udſchidſchi wie-
ber eintraf, fand er zum größten Schreden alle feine Bors
räthe geftohlen und ſich dem bittern Mangel preisgegeben.
Höhlenfunde.
Da erfchien fünf Tage darauf, gerade zur rechten Zeit,
Stanley, reich mit Vorräthen ausgerüftet und abgefandt
von Mr. Bennet, ben verfchollenen Forſcher aufzufuchen
und erlöfte benfelben von drohender Noth. Uneingeſchränk-
tes Pob verdient feine Energie, mit der er, der Reporter, bie
Udſchidſchi vordrang, und die reichliche Hilfe, die er wie ein
deus ex machina gerade zur richtigen Stunde unferm Dul-
der zu Theil werden ließ.
Ueber die Reife zu Waller, welche Fivingftone in Stan-
ley’8 Begleitung nad, dem Nordende des Tanganyifa aus-
führte, berichtet erfterer in fehr dirftiger Weiſe; ausführs
licher Stanley in feinem Bude „How I found Living-
stone.“ Das Hauptrefultat derjelben beſtand befanntlich in
dem Nachweis, daß der See nad) Norden hin feinen Abfluß
hat und wegen der Höhenverhältnifle nicht haben kann.
Cameron war es vorbehalten, im Luluga den lange ge
fuchten Ausflug des viefigen Waſſerbeckens zu entdecken.
Ende December 1871 fuhren beide Reiſende zuerft ſUd⸗
lic) bis Urimba (in etwa 5° 50° füdl, Br. am Oftufer des
Tanganyita) und wandten fi) von da landeinwärts gegen
Oſten. Häufig von Fieber geplagt, erreichten fie am 15,
Februar 1872 Kafe in Unyanyembe, wo Stanley fein
Möglichftes that, um Pivingftone zur Heimfehr nad) England
zu bewegen, allein vergeblich. Es blieb alfo dem Amerikaner
nichts Anderes übrig, als den Doctor mit allerlei Waaren
und Auschftungsgegenftänden zu verfehen, und mit den Brie-
fen, Depefchen und Tagebücern deflelben und feinem innig-
fien Dante im März 1872 die Nüdreife nach der Küfte an»
zutreten.
Erft im Auguft Tangten die von Livingſtone beftellten
Diener, 57 an der Zahl, von der Küfte an. Dann ging
es dieſelbe Straße bis faft an den See zurüd und längs
deffen Oftfüfte auf dem leichteflen und wildreichjten Wege
durch) die ‚reich angebante Landſchaft Fipa nad) dem Süd—
ende befielben, wobei feftgeftellt wurde, daß der Tanganyifa
in diefer Gegend nach Often zu feinen Ausfluf befigt, Weiter
wurde auf dem alten Wege von 1867 gegen Süden, dann mit
weitem Bogen nach Welten raſch eine hungernde Yandichaft
durcheilt. erfte Tag des neuen Jahres (1873) ſah ihn
wieber in die Sumpfebere des Bangweolo Hinabfteigen.
Seit zwei Monaten ſchon hatte die Regenzeit eingefett ;
Tag und Nacht goß es in Strömen vom Himmel herab;
aftronomifche Beobachtungen waren abfolut unmöglid,. Die
ganze Gegend war in ein unabſehliches Gewäſſer verwanbelt.
Das Herumirren und Waten im Waffer mußte den ohnehin
ſchon kranken und obendrein Mangel leidenden Reiſenden
änzlich von Kräften bringen. Faſi täglich war bie untere
älfte feines Peibes total durchnäßt, und dieſer Zuftand
danerte vom Anfang des Jahres bis in den April hinein.
Warum er nicht trodnere Striche zu erreichen ſuchte, bar-
über giebt er uns feine Auskunft. Immer nahe dem eigent-
lichen Seeufer, ftatt höher hinauf an den Bergen ging ber
Zug langfam um die DOftfeite des Sees herum, zulegt von
Juſel zu Imfel auf Booten, überfchritt Ende März den
Tſchambeſe nahe feiner Mündung in ben Bangweolo und
181
erreichte endlich in der legten Hälfte April am Südufer
trodneres Yand, Aber mit den Kräften des Reifenden war
es zu Ende. Bom 22, April an konnte er nur noch das
Datum einfchreiben ; zu Weiterm war er zu ſchwach. Er
verfuchte auf dem legten ihm gebliebenen Efel zu reiten, aber
er fiel vor Mattigleit herab. Da machten feine Leute eine
Art Tragbahre und trugen ihn weiter. Denn noch immer
lebte in ihm der alte Entdeclertrieb. Er befand ſich ja jetzt
am Fuße jener berühmten, fange von ihm gefuchten Wafler-
fcheide, und noch in ben legten Tagen erfundigte er fich nach
ihrem wichtigften und intereffanteften Punkte, jener Stelle
weit im Welten, wo nahe bei einander vier ſtarke Quellen
entfpringen und raſch zu mächtigen Strömen, dem Yufira,
Lulua, Yunga und Yiambai (oberer Zambefe), anwachſen fol-
fen. Am 27. April trug er die legten Worte in fein Tage:
buch ein; am 1. Mai 1873 in früher Morgenftunde ift er
in betender Stellung geftorben in Tjchitambo’s Dorfe Nala
am Sibdufer bes Bangmweolo,
Seine Diener faßten dann den heldenmüthigen Entſchluß,
nicht nur alle Habjeligkeiten des Verſtorbenen, fondern auch
feine Leiche mad; der Küfte zu transportiven und führten
dieſen Entſchluß mit Liſt, Berfchlagenheit und Muth und
felbft unter Kämpfen durch. Die Yeiche wurde nad) Eng-
land übergeführt und dort am 18. April 1874 in ber chren-
vollften Gruft bes Landes, in ber Weftminfter-Wbtei, beigefegt.
Jenem muthigen Berhalten der Diener ift es zu dan—
fen, daß des umermüblichen Reiſenden Tageblicher gerettet
wurden und vor etwa Jahresfrift in England herausgegeben
werden fonnten. Wären fie gleich viel lesbarer geworben,
wenn es ihrem Berfaffer vergönnt geruefen wäre, fie felbft
zu überarbeiten und in Buchform zu bringen, fo bilden
fie doch immerhin eines der werthvollften und interefjan-
teften Bücher, welches die gefanmte Literatur liber Afrita
aufzuweifen hat, und darum ift es mit Dank amzıterfen-
nen, daß fid) in Dr. Joſef M. Boyes ein Leberfeger
deſſelben gefunden hat, deſſen Aufgabe in einer möglichjt
treuen und gewiffenhaften Verdeutſchung beftand. Das war
aber nicht fo leicht wie es den Anſchein haben möchte. „Yi-
vingftone — fagt derfelbe in feiner Borrede — fchreibt
fein claſſiſches Englifch, und feine Gewandtheit im ſchrift⸗
lichen Ausdrude konnte natürlich, nicht durch feinen vieljäh-
rigen Aufenthalt in der afrifanifchen Fremde gewinnen. Er
ift von Haufe aus ein ſchlichter praftifher Mann und fchlicht
und zur Sache, oft knapp und ſtigzenhaft bis zur Unver⸗
ftändlichfeit ift auch fein Stil.“ Diefe Aufgabe hat Bones
redlich gelöft und aud) die Berlagshandlung (Hoffmann und
Campe in Hamburg) hat das Ihrige gethan, um das Wert
in guter Ausftattung, die, was Karten, Porträt, Illuſtra-
tionen und Facfimiles anlangt, genau der englifchen Originals
ausgabe entipricht, erfcheinen zu laſſen. So fünnen wir die
"Boyes’jche Ueberfegung „Letzte Reife von David Yivingftone
in Gentralafrifa von 1865 bis zu feinem Tode 1873
(Hamburg 1875, bei Hoffmann und Campe, zwei Bände,
Royals8°, Preis 20 Mark) unferen Leſern als ein anzies
hendes, inhaltreiches Reiſewerl beftens empfehlen.
Höhlenfunde.
Die merfwürbigften Ueberreſte, welche der vorgeſchichtliche
Menſch in den von ihm bewohnten Höhlen uns hinterlaſſen
hat, find die gejchnigten Nenthiergeweihe und die auf Schie-
fer, Elfenbeinſtücken und dergleichen eingefragten Figuren.
Da man folde bis vor Kurzem faft mur im franzöfifchen
Höhlen, namentlich aus Perigord umd fpeciell ans ben Thür
182
lern der Dordogne und ber Vezoͤre, aber aus keinem andern
Sande kannte, jo wurden dieſe äußerft naturgetreuen, faſt
fünftlerifchen Zeichnungen von Thieren mehrfad, als unter
geſchoben angezweifelt, bis der Hinweis auf ähnliche Yeiftuns
gen der gleichfalls auf einer niedrigen Civilifationaftufe fte-
henden Bufchmänner und Loango-Neger und gleiche Funde in
der Thayinger Höhle nördlich von Schaffhaufen diefe Zwei-
fel befeitigten. Auch an die Walroßzahnſchnitzereien der For
jäfen fann man erinnern, ſowie an jenen Jakuten-Künſtler,
der aus einem Mammuthzahne eine Dofe fchnigte und darauf
Höhlenfunde.
Renthiere und Bären völlig naturgetren barftellte (f. die Ab-
bildungen auf ©. 247 von Bd. XXV. des „Globus“).
Seit 1864 wurden jene franzöfifchen Höhlen von Lartet
und Chrifty unterfucht und dabei famen die in Rebe ftehen-
ben Kunftproducte zuerft zum Borfcheine. Ans einem Stüd
Elfenbein ſchauen die deutlich erfennbaren Umrifje eines Ochſen
hervor; eim zweites zeigt ein kniendes Renthier in gefälliger
Darftelung, den Kopf emporgerichtet, jo daß das Geweih
auf den Schultern ruht und der Rüden des Thieres eine
glatte Fläche für einen Griff bildet, der indeſſen fir eine
Auf Knochen 2* Zeichnung
vom braunen Bären,
gewöhnliche europäifche Hand zu Hein wäre. Auf einem
dritten Stüde fteht ein Mann nahe bei einem Pferbelopf
und dicht daneben ift ein aalartiger Fiſch. Auf der andern
Seite deffelben Cylinders find zwei Wifenttöpfe fo deutlich
gezeichnet, daß Jedermann fie erfennen muß, der je einen
Bifon gefehen hat. Bei einem vierten hat der Künſtler die
natürliche Arummung einer der Sproffen benugt, um daraus
den Kopf und die charakteriftiich gebogenen Hörner eines
Pierbeföpfe auf Braunlohle eingerigt.
Steinbods zu fehnigen; auf einem fünften endlich befinden
ſich Pferdezeichnungen, in denen die aufgefträubte Mähne und
ber ungepflegte en mit bewunderung&wirbigem Geifte
dargeftellt find, Die Köpfe allein ericheinen ganz unvers
hältnigmäßig groß; aber ein neuerdings im Lyoner Mufeum
aufgeftelltes Pferdeffelet aus der paläolithiichen Station zu
Solutr& beweift, daß dies nicht der Fall ift, indem diefes
Skelet durch; den maffigen Kopf und den fleinen Rumpf aus:
Kopf vom Moſchusochſen, geihnigt.
gezeichnet ift. Ferner fanden fic, auf hartem Schiefer ein-
gerigte Darftellungen von Renthier, Rieſenhirſch, Edelhirſch
und wahrſcheinlich and, vom Nashorn. Die merkwürdigſte
Abbildung aber ift die eines Mammuth auf einem Stüde
von jeinem eigenen Stoßzahne, wie auch der Hirſch meift auf
Hirfchgeweih, das Renthier auf Renthiergeweih zur Darftel-
fung gelangt ift. Die eigenthümliche Kriimmung der Stoß:
zähne und die lange Mähne, Eigenfchaften, die den jegt
lebenden Elephanten abgehen, beweifen, daß der Künftler das
Original kannte umd mit ihm zugleich gelebt hat. Daß
Auf Knochen gerigte Zeichnung vom Fuchs.
bedeutende Forjcher wie Dawlins und Lubbodk in den heuti«
gen Eslimos die Nachlommen jener alten Höhlenbewohner
Frankreichs erbliden, ſei nebenbei erwähnt.
Im Jahre 1874 wurden nun in einem großen Theile
der mörblichen Schweiz neue Knochenhöhlen entdedt umd
unterfucht, ald deren ergiebigfte fich die von Herrn C. Mert
aufgefundene und erforjchte Thayinger erwies. Unter den
3000 Pfund Thierfnochen, welche fie enthielt und die aus-
ſchließlich von wilden Thieren herrühren, fanden ſich ebenfalls
Zeichnungen, welche eine nicht geringe Gefchidlichleit ber
Höhlenfunde.
Berfertiger zu Tage treten laſſen. L. Rütimeyer (Archiv
für Authropologie 1875, Bb. VIII, ©. 123 ff.) hat die
Thiere, von denen die gefundenen Reſte herrllhren, in ver»
ſchiedene Kategorien getheilt. Zu denen, weldye noch heute
das Flachland der Schweiz und ihrer Umgebung bewohnen,
rechnet er Wolf, Wildlage und Fuchs; zur heutigen Alpen:
fauna den braunen Bären, den Luchs, das Murmelthier, die
Gemſe, den Steinbod und den Alpenhafen. Vom Büren
fand fich beiftehendes, zwar plumpes, aber naturgetreues Bild, |
„an deſſen Herkunft mitten
aus dem Höhleninhalt nicht
zu zweifeln iſt, obſchon es
erſt lange nach der Entlees
rung der Höhle in dem übrig:
gebliebenen Schutt die Ge—
duld eines fpäten Achren-
leſers belopnte.“
Eine heute vorwiegend
orientalische Thierwelt ver:
treten Bamfter und wildes
Pferd, welches leptere in
etwa einem halben Dugend
vortrefflicher Abbildungen er
halten iſt, weldye über das
äußere Ausſehen deſſelben
Aufſchluß geben. Ueberall
ſteht die Mähne in die Höhe und bededt das Kinn ein langer
Bart, wie überhaupt das ganze Thier langhaarig ift, was
befonders in einer Zeichnung auf Renthiergeweih hervortritt,
Zu den werthvollſten Funden gehören die hier wiedergegebenen
beiden Pferdelbpfe, welche auf den beiden Seiten eines und
deflelben Plättchen® von Braunfohle mit wenigen Pinien eins
gerigt find,
Einer vierten Gruppe, Thieren von heutzutage ameri—
laniſchent Gepräge, gehören
unter den Thayinger Fund⸗-
ſtüclen Refte von einer Fuchs»
art umd einem dem canadis
ſchen ähnlichen Hirſche an,
während Renthier, Mojchus:
ochſe, Eisfuchs und Fjalfraß
(d. h. Felſenbewohner) bie
polare Thierwelt vertreten.
Reſte des Moſchusochſen
ſind nicht erhalten, aber eine
aus Renthierlnochen ges
ſchnitzte Darftellung deſſel⸗
ben, welche deutlich die an
der Baſis breilen und Uber
das Profil des Kopfes hins
ausragenden Hörner, melde
fid) von ihrer Wurzel an
raſch abwärts und nach vorn
wenden, erfeunen läßt. Daf
dieſes polare Thier einft bei
Thayingen haufte, verliert an
Beſonderlichleit durch den
Umſtand, daß auch ſein Ges
noſſe im Hohen Norden, der Eisſuchs (Canis lagopus),
in Reſten von etwa 90 Individuen unter den Knochen der
Höhle vertreten iſt. „Daß er in der Bhantafie der Dien,
ſchen eine große Rolle fpielte, darf uns daher nicht verwun- |
dern. Er fehlt auch) nicht in den Bildern, und der Humtor, |
44 *
—
*
EN
EUR 20
m ———
—
ber uns aus dem mit den flüchtigſten Zügen auf das un—
günftigfte Material, eine fpröde Bifonrippe, eingerigten
Bilde entgegenblict, macht dein Künftler, dev es angefertigt,
y. |
—
ed Se
Weidendes: Nentbier, auf Renthiergeweih gezeichnet.
Buſchmann⸗Jeichnungen.
183
* größere Ehre, als bie trefflichen Profilporträts des
ferdes.“
Mehr als drei Viertel aller Knochenreſte gehören aber
dem Renthiere an, welches den Höhlenbewohnern Nahrung
und Kleidung lieferte und deſſen Geweih verhältnigmäßig
leicht zu bearbeiten ift. Sein Wunder alfo, wenn mit die
ſchönſſen Zeichnungen, wie die mebenftehende, ſich dieſes un—
entbehrliche Geſchpf zum Vorwurf nahmen. Wo finden
wir heute — fragt Nütimeyer — den Künftler, der mit die:
fen paar Yinien auf fo un»
bequeme Tafel, wie die nie⸗
drige, gewölbte und dabei
rauhe Flache einer Reuthier⸗
ftange, Bilder von fo viel
8 Anmuth und Wahrheit hin⸗
mic? Die Sidi in
\ "der Fuhrung der Linien, bie
SEX & ——— oder gar von
* irgend einer Art von Cor⸗
— rectur, welche freilich ſchon
N durch die Beichafienheit des
Materials ſich verbot, fauın
etwas verrathen, ift als ein
gemeinfames Kennzeichen al:
ler diefer Darftellungen be
fonders hervorzuheben.
Eine fecöte und letzte Gruppe von Säugethieren aus
jener Höhle, deren Bewohner, mebenbei gefagt, wohl die
Zeichenlunſt, nicht aber die Töpferei ausgelibt zu haben ſchei—
nen, bilden Urochs (Bos primigenius), Bison priscus, der
Borfahr des ee und europäifchen Wifent, ein
Löwe (Felis spelaca), dad Mammuth (Elephas primi-
genius) und das fogenannte ſibiriſche Nashorn (Rhinoceros
tichorhinus), während die feltener Ueberrefte von Vögelu
dem Kolkraben, Fiſchadler,
Singſchwan, einer Gänſeart
und dem Schneehuhn ange:
hören.
* ° +
zum Vergleiche mit die»
fen Erzeugniſſen eines vor-
geſchichtlichen Stammes le⸗
gen wir unſeren Leſern in der
legten Figur Buſchmanns⸗
Zeichnungen vor, welche dem
oft von uns erwähnten
Fritſch'ſchen Werte: „Die
Eingeborenen Sidafritas“,
nachgebildet find. „Es ift
ſchwer zu begreifen, — fagt
Fritih (a. a. D. ©. 4257.)
— wie ein Bol im Zus
ftande der Verkommenheit,
im Berzweiflungstampfe für
feine Eriftenz gegen Menſch
und Thier eine Kunſt betrei⸗
Den follte, weldye es im Zus
ftande der behaglihen Ruhe und des Lebensgenuffes ver
nadjläfjigte.“ Was der Buſchmann zeichnet, find zwar feine
Gemälde, aber auch nicht unbedeutende Kritzeleien; „es prägt
ſich in den Figuren eine ſcharfe Auffaſſung und treues Ges
dächtniß für die Formen aus, weldye zuweilen mit bewune
derungsmwärdig fiherer Hand und großer Leich—
tigfeit wiedergegeben find.“ _
Die Wände der Grotten und ſlach umherliegende Blöde
NL
ne”
- N >
184
Albin Kohn: Lupandin's Aufnahme im Usboi 1875.
find oft mit Figuren ſörmlich bededt und das Gebiet, anf | werden, verläßt Boyd Dawkins den Boden der Thatfachen
welchen fie vorfommen, reicht vom Cap der Guten Hoffnu
duch die ganze Colonie und über den Orangefluß na
Norden hinaus. Auf einem Höhenzuge unweit Hope-Tomn
fah Fritſch Taufende von verſchiedenen Thiergeftalten, oft
20 und mehr auf einem Blocke. Diefe Figuren wurben
entweder auf einem dunkel angelaufenen Felſen mittelft eines
härtern, ſcharfen Steines außgefragt und erfcheinen dann Hell
auf Dunkel, oder fie wurben farbig auf helle Felſen gemalt.
Zur Anwendung famen dabei ein Ichhaftes Roth, braune
Odererde, Weiß, Schwarz und auch Grun. Von Schiffen
abgeſehen wurden nur lebende Weſen dargeſtellt, beſonders
Eland, Springbock, Gemebod, Strauß, Elephant, Rhino—⸗
ceros, Pavian u. ſ. w, dann vom dem zahmen Thieren Ochſen,
Hunde und neuerdings die erſt von den Coloniſten eingeführten
Pferde, endlich Eingeborene, Voeren und Soldaten. Die
Leichtigleit, mit weldyer die Buſchmänuer die Arbeit ausflihr-
ten, verräth fich in dem Umſtand, daß fie diefelbe Figur,
welche ſich ihrem Gedächtniß einmal eingeprägt hat, zuweilen
neben einander wieberholentlich barftellen, bis dadurch ganze
Reihen entftehen, und die Sicherheit der Hand erfennt man
an der merkwitrdigen Aehnlichteit, welche jede der folgenden
mit ber erften Figur hat,
* —
Zum Schluſſe erlauben wir uns, unſere Leſer auf ein
ſoeben erſchienenes Buch hinzuweiſen, welches auf den oben
behandelten Gegenſtand Bezug hat, die Ueberſetzung von
Prof. W. Boyd Daifins’ „Cave-hunting*, weldye unter
dem Titel „Die Höhlen und die Ureinwohner Europas von
W. Boyd Dawkins, Profeffor der Geologie am Owens’
College in Mancheſter. Aus dem Englifchen übertragen
von Dr. J. W. Spengel* bei E. F. Winter in Leipzig
und Heidelberg erfchienen, mit farbigem Titelblatt und 129
Holzichnitten illuftrirt und von feinem Geringern als von
Prof. Dr. Oscar Fraas beim bdeutfchen Publicum einge
führt wird. Beſſer als jede Beſprechung unfererfeits ift
das Fraas'ſche Borwort geeignet, unfere Leſer mit dem Cha«
rafter diefes Buches befannt zu machen, und wir heben ded-
halb einige Stellen aus demjelben heraus. So heißt es
dort: „Wo Andere fo gern von ihrer Phantafle hingerifien
nie und geht nie anders als ficher auftretend mit Ruhe und
Gründlichkeit zu Wer. Auch im der vorliegenden Schrift
unterfucht Berfaffer zuerft die Naturgefchichte der Höhlen und
fommt da zu der einzig richtigen, natürlichen Erklärung, bie
gegenliber den abenteuerlichen Anfchauungen, 3. B. der Bel:
ier, ganz wohltuend wirkt, indem fie die Entftehung der
Höhlen tein nur der mechanischen Wirkung des Regenwaſſers
und der chemiſchen Wirkung ber Kohlenfänre zufcjreibt. Auf
diefer Grundlage ſammelt Verfaſſer die Thatfachen der
Höhlenfunde, für die Taten in England meift perfönlid) eins
ftehend, für die auferenglifchen Höhlen wenigftens ftets den
Gewährdmann citirend,
„Der Mangel gerade der deutichen Höhlen und Höhlen:
funde bildet zwar eine nicht zu leugnende Lücke, die aber dem
ganzen Werk umd der principiellen Behandlung des Stoffes
feinerlei Eintrag thut.“ Und weiterhin: „So wird ficher:
lich Jeder gern die Höhlenjagb mitmachen, zu der Boyd Daws
fins einlabet, und mit Vergnügen die unterirdiſchen Bilder
ſchauen, die er uns vor Augen führt. Mit gefpanntem
Intereſſe folgen wir ihm im den Hellnpot (Höhlentopf) ober
in die Höhle von Ingleborough, befehen die Höhlengräber
und Kammergräber in den Bergen von Wales und freuen
ung der Schädel» und Knochenmaße, mit denen Prof. Busl
das Buch bereichert. Es ftimmen im Wefentlichen die Re—
fultate des gelehrten Berfaflers über die alten Menfchenracen
mit den in Deutfchland gewonnenen Anfichten überein, baf
wir es in ber Vorgeſchichte und im Pleiftocin wicht mit ari⸗
ſchen Bölfern zu thun haben, die ſich übrigens im ihrer
Spradje und in dem dumfelhaarigen Bewohnern von Well:
und Südeuropa erhalten haben. Auf fie fließen danm bie
vorgeſchichtlichen Dolichocephalen, die mit Gerealien und Haus-
thieren aus dem Oſten kamen, zunäcjft von der Jagd lebend
in dem rauhen Klima Europas zur glacialen Zeit. — Wir
fließen mit der Ueberzeugung, daß, wie man Herrn Boyd
Dawlins dankbar fein muß für die Mare Ueberſicht in ber
Höbhlenfrage , fo aud) dem Ueberfeger des vorliegenden Wer
les und dem Verleger allen Dank ſchuldig ift, daß fie ein
fo verdienftvolles Buch den deutfchen Kreifen näher gerückt
haben.*
Lupandin’3 Aufnahme im Usboi 1875.
Nach dem Ruffifchen von Albin Kohn,
Die Ruffen, welche nun ſchon feit 160 Jahren bemüht
find, in Gentralafien eine halbwegs geordnete Yage dev Ber
hältniffe, wenigftens aber gefidyerte Handelswege zu ſchafſen,
da doch einmal, und gewiß noch für lange, Gentralafien das
Hinterland der ruffiihen Induftrie bleiben wird, fefjelten
immer die Wiflenfchaft an ihre nach Gentralafien gefendeten
Militärcolonnen, und dieſem Umftande verdanken wir wich
tige naturwiſſenſchaftliche Aufjchlüffe über Gegenden, welche
wir lange Zeit hindurch nur durch den Schleier der Mythe
und Sage betrachtet haben. Eine Unterſuchung des alten
Amu · Darja⸗Flußbettes folgt der andern *). Der letzte, wel-
*) Die Grforfhung des Usbei oder frodenen Amu⸗Laufes hat ſchon
sweimal, in ten Jahren 1864 und 1870, die KRaiferl, Ruffiiche Geos
grapbiide Geſellſchaft befchäftigt. Eiſt 1871 aber drang Matloſow
von Krasnomodst bis zum Brunnen Topiatan (etwa in 55/,0 öſtl.
cher Bermeſſungen des fagenhaften Flußbettes vorgenommen
hat, ift der Topograph Yupandin; er hat feine Arbeit in
£. Greenm.) vor, im folgenden Jahre, in Begleitung von Siewere
und Stebnidi, bis zum Brunnen Jgdv beinahe 570 Hl. L. Gr.
und 40" nörtl. Br) Durch Höbeumeffungen und aftronemijce
Beobachtungen wurde das trodene Bert niedezgelegt. Stebnidi’s fhöne
darauf bafirte Karte ift in Petermann’s Geograpbifhen Mittkeilune
gen 1873, Tafel 15 reprobucitt. Bon der andern Seite, von Chiwa
ber, werfolgte 1873 Oberſt Gluchewskli ven Ueboi fahr zwei Yängens
grade weit bis zu den Seen Sarypsfampfch (42° nörtl. Br. und 379
öl. %. Gr.). Es blieb fomit ein unerforfchtes, ziemlich genau von
Norden nad Süden verlaufentes Stück ven zwei Breitengraden (jmir
ſchen 40° und 420 nördl. Br.) oder circa 30 deutſchen Meilen Lange
übrig, treffen Nivellitung im Jahre 1874 anläßlich ber großen Amus
Darja-Frpedition wegen velitifher Werbältmiffe mit zu erreichen
war, Grit 1875 unternahm Gleneral Lomakin feinen befannten Zug
zum Usbei und ins Atrels@ebiet (f. „Globus XXIX, E. 106),
Albin Kohn: Lupandin’s Aufnahme im Usboi 1875.
dem Zeitraume vom 11. bis 21. Juni vorigen Jahres aud-
eführt,
. Ich entnehme feinem Berichte in den „Nachrichten der
lautaſiſchen Section der Kaiferl, Ruſſiſchen Geographifchen
Geſellſchaft“, Bd. IV. (1875), Nro. 1 folgende Thatfachen.
Er begann feine Meflungen vom Brunnen Bala-Iichem
aus, der etwas nörblicd; vom Igdy liegt, welchen der Leſer
leicht auf jeder Karte Centralafiens findet. Bon Bier aus
ging er num immer im alten Eteombette, von den Turlmenen
„Usboi® genannt, hinauf bis mad) Iwanef, das ungefähr
12 Werft nördlich von jenem liegt. Das Ufer des alten
Flußbettes ift Har zu erfennen an feinen theils fandigen,
theils lehmigen, aber immer fteil abfallenden Rändern. Wo
diefe lehmig find, find fie auch immer ſalzhaltig. Die Ber
getatiom ift im biefem Theile des alten Flußbettes eine ſehr
dilrftige. Sie befteht aus einigen Specien Saranl, dem
Deifuß, einer dem Riedgrad ähnlichen Pflanze, und
der Benedicten» oder Nelfenwurz (Geum urbanum).
Doch ift hier die Vegetation noch bedeutend reicher als auf
einer weiten Strede des rechten Ujers beim Brummen Bala—
chem, wo auch diefe wenigen Pflonzengattungen nicht zu
finden find. Bon Bala-Pichem geht's über Torpani oder
Kyſhl⸗dſcha⸗ lir, wo ein Brunnen ift, nad) dem Brunnen
Gjetſch-Gjeldy, den die Turkmenen während bes fegten
Krieges zugeichlittet Hatten, angeblich um die Jomuden zu
verhindern in ihr Yand einzufallen, und den fie eben jegt, wo
Lupandin feine Mejfungen vornahm, aufgruben und reinig«
ten, Gegen 11 Werft füdlich von GerfcGjeldy tgeilt ſich
das Flußbett, und die Turfmenen nennen das linke, welches
in gerader Yinie an den genannten Brunnen führt, Usboi.
Diefer Theil bietet viel Intereffontes, Anfangs nämlich,
zieht fich das Bett zwifchen fteilen, ſandigen Ufern hin, welche
ſich zu mehr als 20 Klaſter Höhe erheben; der Boden bes
Bettes ift jalzhaltig und am einigen Stellen mit Saraul-
fträuchern bedeckt. Stellenweife ift e8 wiederum fteinig und
findet man hier Vlättergyps und Süßwaſſermuſcheln, welche
legtere wohl beweifen, daß bier einft Flußwaſſer ſtrömte.
Das Bett ift zwar im der hier bejchriebenen Gegend etwa
ſechs Werft weit vom Sande verfchlittet, doch erjcheint es
nad, Ueberſchreitung dieſes Alluviums wieder und giebt ſich
deutlich durch dem falzigen Grund zu erfennen. Nach Zurlid:
gung biefer Sandftrede findet man auch wieder weniger
hohe Ufer, denn dieſe üÜberfchreiten nicht die Höhe von drei
Klaftern. Wenn die Vegetation von Ianel bis Gietſch-
Gjeldy auch micht reicher an Specien ift, als wir fie von
Bala-Iſchem bis Iwanck gefunden haben, fo hat fie doch be-
wobei jene Lüde ausgefüllt worden it (ſ. „Globus“ XXVIII, ©.
174). Wir behalten uns vor, unferen Leſern bie ganze, To wichtige
Usboirätage demnähft nah ven neueſten biſtoriſch-philolegiſchen umd
naturmwiffenfchaftliben Forſchungen eines te Goeje, Saͤwer zow, Bar:
bot de Marny ausführlicher vorzulegen, Für tie Daſe Chiwa ſelbſt
if einftweilen, bis das grofie von den Ruſſen 1873 und 1874 ger
fammele Material verarbeitet und erfbienen fein wird, die Karte
von Heinrich Kiepert in Yieutenant Stumm’a „Ruffiscer
Feldzug gegen Ehiwa“ (Tafel IE.) zu empfehlen. Was die erfor
ſchende Karamane anlangt, fo beſtand dieſelbe aus einem Tech
nifer, einem Hantelsagenten und 32 Turfmenen und führte 34 Nas
meele und 12 Pierte mit fib. Der Ehen von Ghima that Alles,
was in feinen Rräften ftand, um tem Unternehmen förterlich zu
fein, Auf feinen Befehl begab ſich vr Beg von Keneslirgendich
mit 60 berittenen Oekbegen nad Sary-Kamuſch und wartete das
felbR 20 Tage auf die Erpedition, fanbte ihr auch zwei Mal 12
mit Trinkwaffer beladene Kameele gu, was derſelben fehr zu Statten
fam. Mies ſich bie Kunde von diefem auten Verhältniß zu den Ein⸗
geborenen verbreitete — ein Yabr zuvor mußte ja ter Jar ker une
ker denfelben berrfchenten Gäbrung halber tas Wetreten bes chimens
fifben Territoriums unterlagen — begaben ſich alsbald vier große
Karamanen von Krasnomorst auf den achtzehntägigen Marſch nad
Chiwo, mas feit 10 bis 12 Jahren nicht mehr vergeleommen war.
Red.
Globus XXIX. Nr. 12.
185
beutend mehr Individuen aufzuweiſen. Cigenthlimlich ift es
jedoch, daß fich die Pflanzen am linten Ufer des Flußbettes
halten und das rechte meiden, denn auch auf der zweiten, fos
eben befchriebenen Strede ift das vechte Ufer jeder Vegetation
baar, während das linfe von ihr häufig fehr dicht bededt ift.
Bom fogenannten Salzfee, eigentlich; einer ganzen Reihe
von Salzen, welche heute den Süßwaſſerſtrom erfegen und
von fern einem Fluſſe täufchend ähnlich fehen, bis nahe an
den Brummen Tſcheryſchli zieht fic, am linken Ufer des Usboi
die fandige Hügellette Kum-Kir hin, der e8 wohl im Ber:
eine mit den Winden zugufchreiben ift, daß hier eine große
Strede des alten Flußbettes verfandet ift. Immerhin ift
daflelbe jedoch deutlich zu erfennen, wenn ſich das Ufer auch
ftellenweife nur zwei, ja mandjmal nur eine Klafter Über der
Sohle erhebt. Weiterhin, wo der Sandberg Kum⸗Kir vers
fchwindet, find die Ufer noch weit niedriger, ja fait ganz flach
und erft gegen 250 Klafter vom Brumnen Tſcheryſchli, wo
wiederum Sandhligel and Bett treten, wird auch das Ufer
wieber höher.
Lupandin ift der Unficht, daß durch den von ihm vom
Brummen Tſcheryſchli ab unterſuchten Theil des Usboi mit
Leichtigkeit Waffer geleitet werden fann. Selbft die im Bette
angehäuften Sandhügel feien fein Hinderniß, da fie dem An—
drange des Waſſers nicht zu widerftehen vermögen, fondern
von ihm weggeflihrt werden wlirden.
Wichtig für die Erforihung des Weſens bes Usboi ift
die Ausfage der Turlmenen, daß in Jahren, in denen ber
Amu Hochwafler führt, diefes bis ungefähr 40 Werft au
Tſcheryſchli vordringt und fic dann auf einige Werft ver:
breitet, Zwei Führer Yupandin’s, Nerjes:Mergen und Alla:
Werdi, erzählten ihm fogar, daß im dem vierziger Jahren
Waffer, wenn auch nicht in großer Menge, aus dem Amu
in den Usboi gelaffen wurde; der Wafferftand betrug damals
felbft in den tiefften Stellen nur eine Ktlafter. Trotz dieſer
geringen Tiefe behielt es vier Jahre lang feinen füßen Ges
ſchmack und wurde erſt dann bralig. Der Chan von Chiwa
fol das fernere Einlaffen des Waſſers, wie Ali-Werdi bes
hauptet, verboten haben, weil es den Turkmenen, welche da⸗
hin famen, zu blutigen Naufereien Veranlaſſung gegeben hat.
Unfer Gewährtmann machte noch eine wichtige Entdedung,
welche ben bisherigen Forjhern entgangen zu fein ſcheint.
Er entdeckte nämlich gegen 32 Werft nördlich von Tſche—
ryſchli einen mohammedaniſchen Begräbnißplag, welcher be
weifen dürfte, daß einft am alten Flußbette ein turtmenifcher
Aul geftanden hat. Vielleicht auch haben fich feine Bewohner
oder frühere Bewohner der Gegend mit Landbau beichäftigt ;
denn noch heute find deutliche Spuren von Ber und Ents
wälferungsgräben und Waflerrefervoiren, die freilich jeßt
eben jo walferleer find wie das Flußbett jelbft, vorhanden.
Der allgemeine Charakter des Uoboi bis hinauf zum See
Sary-Kamyſch ift num folgender: Die Ufer find mit feltenen
Ausnahmen fteil und fandig, während die alte Flußſohle,
wenn auch häufig mit Flugſand Überjchlittet, aus ſalzhaltigem
Yehm befteht. Ueberall trifft man auf Muſcheln, welche
zeugen, daß einft hier ſüßes Waſſer flo. Hin und wieder,
wie 3. B. in der Nähe von Kapiljarn-Kul (Brunnen umweit
des gleichnamigen Sees, welcher mit dem Sary-sauıyid)
duch einen Arm verbunden ift), finden fich bedeutende Boden»
vertiefungen im Bette feldft und hier ſammeln ſich nad) gro:
Gem Regen bedeutende Mengen Wafjers an, weldjes längere
Zeit feinen füßen Gef—hmad behält. Das Waffer verdunftet
nad) und nad, wird brafig und verschwindet endlich ganz.
Selbft unfer Topograph fand eine ſolche Vertiefung, aus
der das Waſſer ſchon gänzlich verdunftet, deren jalzhaltige
Lehmſohle jedoch noch feucht war, was baflir ſprach, daß fie
noch vor Kurzem unter Waller geftauden hat. Auch der
24
186
falzige Boden des Usboi bei Kapiljarn-Kul zeugte dafür,
daß ihn unlängſt Waſſer bededte, ja daß es im Bette gefloj-
fen ift, denn viele Saraulfträude waren ausgeſplilt und lagen
in ber Richtung? der Strömung. Selbſt friſche Mufcheln
hat Lupandin im biefer Gegend und zwar ſowohl in alten
Riefelgräben als aud) im Usboi felbft gefunden, und dieſes
dürfte die oben angeführten Angaben der Turkmenen mod)
mehr beftätigen.
Endlich fommt man, dem Usboi folgend, an den Salzſee
Kapiljarn⸗Kul, der nach Angabe der Turkmenen, wenn im
AnuDarjasArıme Waffer ift, einen bedeutenden Umfang hat.
Doch auch zur Zeit feiner Aufnahme durch Yupandin hatte
er die refpectable Fänge von circa 11 Werft, bei einer mitt:
fern Breite von 2 Werft, Obgleich auch hier die Ufer des
alten Flußbettes ziemlich hoch find, find fie doch nicht ab:
fhiffig und werden von falzhaltigem Lehm gebildet, aus
dem auch eigentlich, der ganze fogenannte Salzjee Kapiljarn-
Kul beftcht, wenn eben im Usboi fein Wafjer vorhanden ift.
Bei Kapiljarn-Kul durchſchneidet der Gebirgszug Ka—
piljar⸗Kir den Flußarm, woburd; ein Thor gebildet wird, das
die Breite des Usboi auf 252 Klafter beichräntt. Bon die:
fen Thore bemerft man in der Richtung des Kapiljarn- Sul
am Ufer mehrere Terrafjen, welche der Anficht Yupandin’s
zufolge von dem; ungleihmäßigen Waſſerſtande berühren.
Diefe Anficht beftätigten übrigens die turfmenifchen ihrer
des Topographen, welche ihm mittheilten, daß das Waſſer in
diefem See fowie im See Sary Kammſch in den vierziger
Jahren viel höher ftand als in diefem (1875) Jahre und
der Unterſchied mindeftens 3 Klafter betrage. Die Tiefe
des Sees zu unterſuchen war bis jegt nicht möglich, und ift
dieſes auch Yupandin, trog aller Mühe, die er ſich gegeben
hat, nicht gelungen. Selbſt annähernd kann tiber diefe nichts
mitgetheilt werden, da aud) die Turkmenen hierliber feinen
Aufjchluß zu geben vermöchten.
Die terrafienförmigen Ufer ziehen fi in der ganzen Länge
des Kapiljarn⸗Kul hin, weldyer auf den Karten von 1871
ald „Betendal · Gol* bezeichnet ift; fie find falzhaltig und
ganz am Ufer finden fid) bedeutende Tiefen. Auch am
Erneft Giles' neuefte Reife durch den Weften Auftraliens.
Ufer des Sees Sary Kamyſch bemerkt man diefelben Zeichen
eines —— Waſſerſtandes. Beſonders markiren
dieſen wechſelnden Waſſerſtand die Muſcheln, welche auf den
verſchiedenen Tereaſſen, die ſich von dem eben genannten See
bis zum Brunnen Tſcheryſchli hinziehen, liegen. Eine genaue
Angabe Über die Verbindung bes Usboi mit dem Sary-Sla-
much See ift nicht möglich. Yupandin hat feine in die Aus
gen fpringende Anzeichen diefer Berbindung gefunden. Cr
meint, daß das Waſſer des Sees, felbft während feines höd)-
ften Standes, nod) gegen 3 Werft vom Brunnen Sary-Ka—
nich entfernt bleibt, von dem aus er im Flußbette weiter
hinauf zog. Nordöftlic, vom Sary-Kamyſch⸗See, in der
Nähe des Brunnens Djetichfa, erreichen die feljigen Ufer bes
Usboi eine Höhe von 30 Klafter, während das Bett jelbit
von falzhaltigem Lehm gebildet wird. Dort theilt ſich das
Flußbett im zwei Arme, deren nördlichen Lupandin erforichte,
während der fitdliche wahrſcheinlich die gefuchte Verbindung
zwifchen Usboi und Sary-Kamyſch herſtellt.
Ueber die Vegetation am Usboi und im feinem Bette
habe ich ſchon oben das Nöthige gefagt ; fie verändert ſich im
Allgemeinen wenig; zum Mindeften vermehren ſich die Spe-
ciem nicht. Bei Dietfchka wird fie mur üppiger, deun der
Saraulftaud; erreicht hier ſchon eine Höhe von. mehr als einer
after. Dieſes mag wohl dem Umftande zuzufchreiben fein,
daß der legtgenannte Brunnen fchon fehr nahe am gewöhns
lic) gefüllten Arme des Amu-Darja, der ſich ja ſudweſtlich
tiber Urgendſch hinauszicht, Liegt und die Atmojphäre ber
Gegend ſchon mit mehr Feuchtigkeit geſchwängert iſt.
Wenn, was zu wünſchen ift, es Rufland gelingen follte,
das Flußbett wiederum mit fließendem Waſſer zu füllen,
fo würde dadurch, wenn audj.nicht eine Waſſerſtraße nad}
Innerafien, jo doc ein Strich Culturlandes, der gewiß auf
die Givilifirung ber Bewohner der Witfte vom bedeutendften
Einfluffe werden witrde, gefchaffen werden. Der Boden ift,
nad) Allen, was wir über ihn willen, culturfähig, denn er
befteht größtentheils aus — wenn aud) falzhaltigem —
Lehm, der durch Beriefelung mit Flußwafler in jenem Klima
leicht in ertragsfähigen Boden umgewandelt werden Tann.
Erneſt Giles’ neuefte Reife durch den Welten Auftraliens.
H.G. Wieder einmal ift die jchredliche Wüfte, weld)e,
wie wir jegt wiſſen, jid) unter allen Breitengraden zwifchen
den änferften weftlichen Anfiedelungen der Colonie Sid»
aufiralien und den vorgeſchobenen Poften der angrenzenden
Schweſtercolonie Weftauftralien ausbreitet, von einer Heinen
Truppe muthiger Erforfcher durchkreuzt worden, die, um die
Worte unſers Gewähräimannes zu gebrauchen, „litterally,
not figuratively, went forth with their lives in their
hands“ (buchſtablich, nicht bildlich, mit ihrem Yeben im der
Hand vorwärts wanderten).
Diefe Heine Truppe ift feine andere als die von dem
rühmlichit befannten Auftvalienreifenden Mr. Erneft Giles
—— Es iſt die vierte Reife in den unbekannten Weſten
uftraliens, welche biefer gefeierte, fühne Forſcher nunmehr,
feinem Programme gemäß, glüdlid) beendet hat, und über
deren unter günftigen Aufpicien begonnenen Anfang wir
ſchon frliher Mittheilungen bringen fonnten (vergl. „Globus“
®d. XXVII, ©. 342 ff.).
Der Oberft Warburton war freilich, der Erſte, welchem
es vom April 1573 bis zum Januar 1874 gelang, vom
Mittelpunkte des Continents aus den Weiten Auſtraliens
bis zur Hüfte zu durchforſchen; allein es geſchah zwiſchen dem
23. und 20. Breitengrade in einer nordweftlichen Richtung
und die Reife endete am De⸗Grey-Fluſſe. Ihm folgte vom
April bis zum September 1874 John Forreſt, 4 bis 5
Breitengrade füblicher, aber im umgefchrter Richtung von
Weſten nad) Often, fo ziemlic; am 26, Breitengrade entlang.
Die Route unſers Giles liegt zwißchen dem 29. und 30,
Grade, d. h. etwa 30 deutfche Meilen nördlid; von der Süd»
füfte des Continents.
Es wäre uns lieber gewefen, hätten Giles und Gefährten
zum Yohne für ihre Mühen, Yeiden und Entbehrungen uns
Über die Auffindung von ſchönen Yandfeen, begraften Land
ſchaften mit Hügeln, Flüſſen und Urwäldern berichten fün
nen; allein diefen Dank kennt ber ungaftlicye Weften Auftra-
liens nicht. Was die Keifenden vorfanden entfpricht ganz
der Vermuthung, die wir im Voraus hegten, und beftand in
weiter nichts als der traurigften, erbärmlichften, troftlofeften
Wildniß, in weldyer auf Hunderten von Miles kein Tropfen
Waſſer zu finden war, einer Wildniß, eben jo monoton wie fteril.
. Erneft Giles’ neuefte Reife durch den Weſten Auftraliens.
Wir ergänzen zunächſt unfere früheren Angaben. Die
Neifegefelichaft zählte fünf Weiße: Mr. Erneft Giles
als Leiter, Mr. W. H. Tietlens als Zweiten im Commando,
Mr. Yeſſe Young als Obfervatar und Naturkundigen und
die Leute U. Ro umd P. Nicholls. Der Aighane Saleh
biente al& Kameeltreiber, und außerden begleitete die Erpe⸗
dition noch ein intelligenter fchwarzer Knabe aus der Colonie
Sübdauftralien, der fid) Tommy nannte und den Reifenden
von großem Nugen war. Man befaß adıtzehn Kameele,
die ber, wie wir ſchon wifjen, um die Erforfchung des auftra-
tischen Kontinents hodyverdiente Thomas Elder in Adelaide,
welcher ja überhaupt die ſämmtlichen Koften der Erpebition
beftritt, geliefert hatte.
Wir fchloffen unfern frühern Bericht über den Anfang
diefer Neife mit der Auffindung eines ungefähr 120 Miles
von Youldeh entfernten Waſſerloches mit fchöner Umgegend,
das die dortigen Eingeborenen Oldabinna hiefen. Die
Gegend, welche man von Youldeh bis dahin zu paſſiren hatte,
trug einen trodenen, fandigen Charakter an ſich. Bon Olda—
binna aus wandte man ſich weftlich und entdeckte, machbem
man 160 Miles gereift war, erft wieder in 29% 27’ ſudl. Br.
und 128940’ öftl, 2, v. Gr. einen Deid) (dam) der Ein-
geborenen, im weldem ſich zwar zur Zeit reichlich Waſſer
vorfand, das aber nicht permanent war.
Vest folgte der Theil der Reife, wo die Erſorſcher am
meiften zu leiden hatten. Man reifte 16 Tage lang und
legte 323 Miles zurlick, ohne auch nur einen Tropfen Wafler
zu finden. Das Quantum, weldyes man von jenem Deiche
mit fid) genommen hatte, ging auf die Neige und man befaß
nur noch achtzehn Gallonen des flüffigen Elementes. Ya,
man hatte ſchon den ſchweren Entſchluß gefaßt, ſechs Kameele
zu töbten, wodurch dann das weitere Vorrliden ohne Zweifel
fehr behindert worden wäre. Da wurde am Morgen des
fiebenzehnten Tages der willlommene Ruf: „Wafler! Waf-
fer!* vernommen. Es war in 30% 27 ſudl. Br. und 1239 24’
öftl. %., wo man in einer fonft armjeligen Gegend eine herr
liche Quelle mit permanenten Waſſer entdedte. Das fleine
Waſſerbeden hielt im Durchmeſſer 50 Fuß und erhielt ben
Namen „Victoria Spring“. Hier ließen fich, ſeitdem
man die angefiedelten Diftricte der Colonie Siidauftralien
verlaffen hatte, die erften Vögel — «8 waren Tauben —
bliden,
Giles — „Nachdem wir in 16 Tagen 323 Miles,
ohne einen Tropfen Waſſer zu finden, gewandert waren,
ftieg in meinem Freunde Tietkens in ber Nacht der Gedanke
auf, daß im der Nähe Waller vorhanden fein müjfe. Er
hielt fid) davon fo feft überzeugt, daß er am nächſten Morgen
den Knaben Tommy auf feinem eigenen Kameele nad) einem
unfern gelegenen Sandhügel voranſchickte, um zu recogno»
feiren, ob ſich dort nicht Eingeborene aufhielten. Tommy
fehrte ſehr bald zurüd und überbradjte die frohe Meldung,
daß er 2 Miles vom Lager eine ausgezeichnete Quelle ent
dedt habe.“
Nachdem man dort etliche Tage der Ruhe gepflegt, um
fid) und die Kameele für neue Strapazen zu kräftigen, brach
man wieder auf und paffirte meiftentheil® ſandige Ebenen,
bis man 7O Miles weftlich zu einem Felſen gelangte, wel
hen man „Pigeon Rod“ benannte und wo fid) durch
Graben hinreichend zufammenfiderndes Wafler gewinnen ließ.
Nach einem Marche von weiteren SO Miles erreichte man
in 29057’ ſudl. Br. und 118° dftl. L. v. Gr. dem bereits
befannten Mount Churchman oder Seelabbing, auf
welchen fchon frühere Reifende, wie Gregory und Forreſt,
ihr Ziel richteten (vergl, „Petermann’s Mittheilungen“ 1875,
Tafel 18).
Nach kurzer Raſt ging die Neife von hier nad) dem 120
187
Diiles entfernten Guru, wobei man den Yale Moore,
eine flache Salzlagune, im Süden zu umgehen hatte. Die
Eingeborenen, weldyen man hier begegnete, zeigten ſich ſehr
freundlich; aber die Guru: MWafferlöcher waren leider aud«
getrodnet. Giles lenkte nun das Ende feiner Reife in ges
rader Richtung auf Perth, die Hauptftadt von Weftauftralien.
Je näher man den angefiebelten Diftrieten der Colonie fam,
deſto befjer wurde der Sharatter des Landes, wiewohl man
immer noch hier umd dort auf ſchwer paflirbare Dieichte
von Scrubs ſtieß. Schon 17 Miles weiterhin traf man
auf einem dem Mr. Clark gehörigen Run, nicht weit von
den Wongan Hills im Gtenelg-Diftricte, eine Schäferhütte
an und lonnte fich hier mit befjeren Yebensmitteln verforgen.
Welche Wohlthat! Weld angenehmer Wechſel für die Rei—
jenden! Hatte man doc; feit einem Monate eigentlicy nur
von „Fowan*:Eiern gelebt, die von einem dem englifchen
Faſane nicht unähnlichen Bogel herrühren, ber in Auftratien
gewöhnlid, „Malle hen* heißt. Man fand ben Tag liber
wohl an 30 bis 40 Stüd, und wenngleic, etwas pilant, fo
ſchmedten fie doc; den Reiſenden ganz vortrefflic.
Vierzehn Miles hinter Mr. Clart's Nun erreichte man
die Station des Der. Yefroy, welcher die Fremden aufs Gafts
freundlic;fte aufnahm und bewirthete. Die übrige Reife
nad Perth zu, wo man am 18. November anlangte, wurde
in furzen Tagestoyeen zurüdgelegt und glich einem Triumph⸗
zuge. Ueberall wurden fie von den Colonijten mit Freuden-
ne empfangen, aufs Herzlichite begrüßt, feſtlich mit dem
Beſten bewirthet und mit fchmeichelhaften Adreſſen bedacht.
Die Gefellfchaft hatte ſich auf der ganzen Reife recht
guter Geſundheit erfreut, und die Harmonie unter ihnen war
nie in irgend einer Weife geftört worden. „Wenn fid) Des
mand im einer erfchredlich wüften Wildniß befindet,“ bemerkt
Giles, „200 und 300 Miles und noch weiter vom Wafler
entfernt, und wenn auch feine Ausficht vorhanden ift, welches
aufzufinden, da könnte wohl an Einen die Frage herantreten,
ob es weiſer fer, noch weiter aufs Ungewiſſe vorzudringen
oder lieber umzufehren. Auf diejer ze Reife find wir
325 Miles durch Wiften gezogen, ohne einen Tropfen Waf-
fer zu emtbeden, aber dennoch dachte fein einziger unter ums
je. an Rüdkehr.“ Und an Der, Elder fchreibt Giles: „Ich
war entjchlojjen, diefe Reife auszuführen oder dabei zu unter-
liegen und nie wieder heimzufchren. Im dieſem Entſchluſſe
lag der Erfolg.*
Während ber fünf Monate, welche dieſe beſchwerlichſte,
im Uebrigen monotone und an Ereigniffen arme Reife von
den fetten angefiedelten Diftricten der Colonie Sidauftralien
ab biß zu denen in Weftauftralien in Anſpruch nahm, wur⸗
den überhaupt 2575 Miles zurüdgelegt, während die gerade
Linie ungefähr 1600 Miles meſſen dürfte. Zu Anfang
fam man Über erbärmlichen faltartigen Boden mit Didicht
von Mallee oder Serub. Dann nahm die Gegend einen
wellenförmigen, fandigen Charalter an, theils F theils
mit Serub bedeckt, und die Niederungen waren häüfig nıit
einer glänzenden Salzkruſte überzogen, welche andeutete, daß
fid) dort in früheren Zeiten das Bett eines Salzſees befunden
habe... Höhen von irgend welcher Bedeutung wurden zwiſchen
Mount Finde in Eubauftralien (in 31° füdl. Br. und
+1330 10° öftl. L.) und Mount Churchman in Weftauftralien
nicht angetroffen. Es war eine unfruchtbare Wuſtengegend,
weldye wohl jeder Culture, die man ihr octroyiren möchte,
fpotten wird, Und darum zeigte ſich auch oft auf weiten
Strecken nicht das geringfte thierifche Leben; es herrſchte eine
unheimliche Todtenftille. Nur felten bemerkte man an Stel⸗
len, wo ſich ein wenig Wafler befand oder ſich befunden hatte,
Spuren von Känguruhs, aber diefe Tiere felbft kamen
nicht zu Gefichte. Es iſt bekannt, daß dieſe Beutelthiere
24*
188
aus jehr weiter Ferne nad) Waſſer herbeitommen, und wohl
mochten die Spuren, welche immer nad) Nord oder nad)
Süd liefen, von ſolchen herrühren, die aus beiler begraften
Gegenden hierhergeeilt waren, um ihren Durft zu ftillen.
Eingeborenen begegnete man auf der langen Reife wenig.
Nur in 120930 öftl. 9. wurden die Keifenden, gerade als
fie ziemlich erichöpft ein willtommenes Waſſerloch aufgefun-
den hatten, plöglich von einer Truppe von 70 bis 80 Eins
geborenen in fo entjchiedener Weife angefallen, daß fie fid)
ungern gezwungen fahen, von den Schießwaffen Gebrauch
zu machen. Nachdem die ſchwarzen Söhne der Willjte bie
unangenehmen Wirkungen der Flinten an ſich erfahren, ergrif⸗
fen fie heulend die Flucht und beläftigten die Reiſenden nicht
weiter. Sonftige Zufammenftöße dieſer Art famen nicht vor.
Die Kameele bewiefen fid) zu allen Zeiten und unter
allen Umftänden wunderbar und ohne fie — mit Pferden —
hätte man das Ziel ficherlich nicht erreicht, Nur zwei von
den achtzehn gingen unterwegs verloren: eins ftarb und ein
anderes mußte zurückgelaſſen werben, weil es zu ſchwach war
um zu folgen, Giles ſchreibt: „Die Entfernungen, welche
die Kameele ohne Waller zurüclegten, waren zum Theil
enorm, und ihre Ausdauer auf der langen Strede von 325
Miles war in der That erſtaunlich.“ Aus Perth berichtet
man und: „Die Kameele des Dir. Giles find jest bie
Löwen des Tages in unferer Colonie, wo man nichts weiter
kennt als Schafe, Pferde, Rindvieh und Künguruhs. Es
find gelehrige und ruhige Thiere und fie verrathen leineswegs
Zeichen ihrer eben beendeten ſchweren Reife. Befondere
Aufmerkfamfeit zieht ein junges Kameeltalb auf fich, welches
furz vor ber langen waflerlofen Strede geboren wurde,“
Zum Scjluffe werden einige biographiſche Notizen über
unfere Reifenden wohl von Intereſſe fein. In der Colonie Sid:
auftralien ift dev Name Giles ein fehr verbreiteter, und
höchft angefehene Familien dafelbft führen denfelben. Mit die-
fen hat aber unfer Giles keinen verwandtſchaftlichen Zuſammen⸗
hang. Er umd die übrigen Mitglieder feiner Familie wan—
derten vor Yahren aus England nad; Melbourne aus und
leben dort noch meiftentheils. Giles felbft verbrachte dann
längere Zeit im fernen Buſch, nahm fowohl in Neu-Süde
Wales als in Queensland Weideland in Pacht und verdiente
durch Verkauf von Vieh etliche Hundert Pfund. Hier in
der Wildniß bildete fich in ihm der Wunſch aus, im noch
entferntere, völlig unbefannte Gegenden Auftraliens einzus
dringen umd fie zu erforfchen. Sein Augenmerk war babei
auf Weftauftralien gerichtet. Es vergingen indeß Jahre,
bis fich diefer fein Wunſch verwirklichte, da es ihm an den
nöthigen Geldmitteln, welche für ein ſolches Unternehmen,
foll es gelingen, immer nicht unerheblidy find, fehlte. Ends
lich ſchlugen ſich fein Schwager, Mr. ©. D. Gill, und ber
Regierungsbotanifer Dr. Müller, beide in Melbourne anſäſ⸗
fig, ins Mittel, und Giles brachte feine erſte Reife im Jahre
1872 zu Stande, Allein er fonnte nur 250 Miles vom
transcontinentalen Telegraphen ab in den unbefannten Wes
ften vordringen, da feine beiden Gefährten, Carmichael und
Robinfon, des Neifens in ſolcher Gegend müde wurden und
ihn verließen.
Mit befferen Mitteln ausgerliftet, trat Giles im Auguſt
1873 feine zweite Reife in den Weiten an, und hier begleis
tete ihn, wie auch fhon auf manchen anderen Heineren Tou«
ren in Clidauftralien, die unbeachtet blieben, fein Freund
W. H. Tietkens, welher die eben vollendete vierte Expe—⸗
dition mitmachte. Wir theilen hier eine Stelle aus der Rede
mit, welche Giles auf dem in Perth ihm zu Ehren veran«
ftalteten Feſteſſen hielt und die auf feine zweite Reiſe Bes
zug hat. Wir lernen daraus bie Größe ber Leiden und
Gefahren kennen, welcher ein Entdedungsreifender im uns
Erneft Giles’ neuefte Reife durch den Weften Auſtraliens.
gaftlichen, auſtraliſchen Buſch ausgejegt ift. Die Stelle lau-
tet: „Mein Freund Tiettens und ich haben zwar oft genug
Müpfeligfeiten und Yeiden zufammen erbuldet, aber niemals
wieder ſolche, wie auf unferer zweiten Entdefungsreife.
Unfere eben beendete war, trog all ihrer großen Beſchwerden,
doch nur gewiflermaßen eine Vergnligungstour zu jener.
Bei einer Öelegenheit verließen ic und ein anderes Dlit-
glied unferer Gefelichaft, mit Namen Gibfon, das Lager,
um einige nach Weften zu gegen Sandhügel zu recog«
nofeiren. Mein unglädlicher Gefährte, welchem ich nad)
Berluft feines Pferdes das meinige gegeben hatte, fam nie
wieber zum Vorſchein, und ich hatte in der glühenden Son-
nenhige — das Thermometer ftand im Schatten nie unter
25 R. — und mit einem leeren Waflerfaffe auf dem
Rüden mehr denn hundert Miles zu Fuß nad) dem Lager
zurlidzumwandern. Mein ganzer Vorrath an Lebensmitteln
beftand in elf Stüdchen geräucherten Pferdefleijches, je im
Gewichte von ein und einer halben Unze, welche ich roh ver»
zehren mußte, weil ich fein Waſſer hatte, um fie zu lochen.
Meine Yage war eine fehr precäre, da ic) mid, 60 Miles
vom Wafler und SO Miles von den Yebensmitteln entfernt
befand, Um die Sache noch ſchlimmer zu machen, hatte ic)
über ein fehr fteiniges Terrain zu wandern. Ich befam dar
bei ſchlinmne Füße, und ſo glich mein Fortlommen mehr einem
Scnedengange. Einmal fonnte ich ein Meines fterbendes
Wallabee (Halmaturus), weldyes die Mutter aus ihrer
Taſche weggeworfen hatte, erhafchen. Den Augenblid als
ich es ſah, ſchoß ic wie ein Adler darauf los und verſchlang
es mit Allem, was darum und darin war.“
Im Uebrigen verweifen wir auf unfere Berichte im
„Stobus“ (B.XXVI, ©.282, und Bb.iXXVI, ©. 48),
welche wir feiner Zeit uber die Entdefungsreifen des Mt.
Erneft Giles geliefert haben.
Der ebenfalls nod; junge Mir. W. H. Tietfens hat
höhere Schulen befucht und will jegt einen Lebensberuf er⸗
wählen, welcher ſicherer und einträglicher ift als der, wels
cher ſich mit der Erforſchung unbefannter Wildniffe befaßt.
Er beabfichtigt ſich ale höherer Feldmeſſer und Kartenzeich—
ner auszubilden.
Dir. Yeſſe Young ift ein vornehmer und reicher Herr
aus England umd hielt fi) zur Zeit, als Wr. Giles feine
legte Reife unternehmen wollte, bei feinem freunde, dem
Mr, Thomas Elder, auf. Er ging als —— mit
und vertauſchte auf einige Monate den luxuriöſen Comfort,
an den er gewöhnt ift, mit den Strapazen des auftralijchen
Buſch, geftand aber am Ende der fechs Monate, dag er ji
biefen denn doc) ein wenig anders gedacht habe. Er hatte
genug davon befommen, Mr. Young, welcher früher in der
englischen Marine diente, übernahm die Function eines Ob+
fervators und leiftete hier ausgezeichnete Dienſte. Außerdem
war er Sammler, da er fid) mit den Naturwiflenfchaften
ziemlich, vertraut gemadjt hat. Es gelang ihm, 800 bota»
nische — darunter viele ganz neue — und aud) manche geo«
logische Species zufammenzubringen. Diefe ganze Samm-
lung ift an Me. Elder eingeliefert worben, welcher bie
botaniſche au den Dr. Müller in Melbourne zur Claffifici-
rung einzufenden gebentt.
Deide Herren, Tietfens und Young, verlichen am 14.
December vorigen Jahres mit dem europäischen Poftbampfer
„Sumatra* von King Georges Sound aus die Colonie
Weftauftralien, und trafen am 19, in Adelaide ein. Da»
gegen blieb Giles mit feinen übrigen Keifegefährten und
mit den Kameelen in Perth zuriid, um mit der nächſten vom
Adelaide eintreffenden Poſt weitere Inftructionen von Sei⸗
ten des Dir. Thomas Elder entgegenzunehmen. „Ich habe
große Fuft, wieder Über Yand mach Sidauftralien zurlid«
6.W. Stuhlmann: Das Weib im plattveutfchen Sprichwort.
zufehren. Ich würde dann eine mittlere Richtung zwiſchen
dem Neiferouten von Warburton und Forreſt wählen, von
den Quellen des Gascoyne-Flufles in ungefähr 24° 57’ fübl.
Br. und 118° 20° öftt. 9. ausgehen und von da aus ver»
fuchen, in möglichft gerader Pinie den weftlichften Punkt mei-
ner zweiten Reife, weldyer in 125° öftl. 2, liegt, zu erreis
chen.“ So ſchreibt Dir. Giles an Mr. Elder,
189
Damit wird diefer große auftralifche Forſcher feine fünfte
Entdedungsreiſe antreten. Es unterliegt wohl kaum einem
Zweifel, dag Mr. Thomas Elder feine Einwilligung dazu
geben und die Koften der Ausrüftung wieder auf ſich neh
men werde. Iſt es doch diefem edlen Manne bei feinem
großen Reichthume immer von Neuem ein Bebürfnig, fir
patriotifche Zwede große Opfer zu bringen.
Das Weib im plattdeutfchen Spridwort.
Von C. W. Stuplmann,
Wirthichaftliche Tugend wird in folgenden Sprüchen
gefeiert:
Wer de Dierns blot up'n Danzböhn süht, de
ward bedragen;
Wo de Fru god wirthschaft’t, wasst de Speck
an’n Balken,
Deshalb heißt es denn aud):
Wer frien will, doh de Ogen up; frien is kein
Pierhannel (Pferbebandel) —
bei welchem legtern nämlich das Verſchweigen gewifler, uns
heilbarer Fehler Seitens des Verkäufers den Käufer bered)«
tigt, den Handel rückgängig zu machen, und
Wer ne gode Frie makt, makt ne gode Rei.
Bei alledem kommen unglüdliche Wahlen häufig vor:
Mätens Lachen un Weinen
Bedrügt mennig Einen.
Dennoch aber ift das Heirathen wenigftens zumächft immer
eine Yuft:
De ierst Anblick wier god, säd Adam, ns he
Eva ünnern Rock keken harr (gegudt hatte),
und zwar fo jehr, daß auch Heine Fehler und Abweichungen
von der Schönheitslinie ohme fonderliche Beanftandung mit
hingenommen werben.
En bäten scheiv,
Likes leiv —
und jhlimmftenfalls:
Bi Nacht sünd all Katten grau,
Es findet auch jedes Mädchen Gelegenheit zum Freien:
Is kein Pott so scheiv, he finnt sinen Stülpen,
dann:
De Ein mag de Mudder, de Auner de Dochter
und
Wat den Einen sien Uhl, is den Annern sien
Nachtigall.
= u *
Aber auch betreffs dev Heirath ift der Menſch micht frei,
fondern von höheren Gewalten abhängig.
Ehen warn in'n Himmel slaten, orre in de
Höll —
und
Wat tosamen sall, kümmt tosamen un süllt de
Düvel ok up de Schurkoar tosamen karrn,
Die höheren Gewalten kenuen aud feine Gerechtigkeit,
das Wort:
II.
Je arger Strick,
Je gröter Glück —
bezielt in erfter Reihe die Erfahrung, daß leichtfinnige, lie-
derliche Dirnen oft die beften umd tüchtigften Männer ge:
winnen.
*
* *
Wann das Mädchen zur Ehe fehreiten fol, darliber
find die Meinungen getheilt. Während das eine Sprid-
wort lehrt:
Jung gefreit
Hett kein Diern reuet —
(ehrt ein anderes:
Welke täuben (warten) kann,
Kriegt den besten Mann,
Vepteres entjpricht jedoch felten dem weiblichen Ge:
ſchmack, um fo mehr, da es von einem Mädchen, welches,
früher umworben, von den Freiern verlaffen ift, heißt:
Se is vun'n Köhrböm up'n Fuhlböm kamen,
und ein altes „unbegeben“ gebfiebenes Frauenzimmer all-
gemein als ein Wefen angejehen wird, worliber Jedermann
ungeftvaft fpotten darf.
In Liebesſachen Rath ertheilen, gilt auch dem Platt-
beutjchen für ein undankbares Gefchäft, denn:
. Verleivte hebben en Blinddök vör de Ogen —
um
Rahd mi god, säd de Brud, aewer rahd mi
nich af
und
Friegenmakers un Eierkakers kriegen selten en
Dank.
*
*
*
Der Bräutigam muß ſich die Frau ſchon als Braut ers
ichen:
jieh Vör de Hochtied musst Du se wen’n,
Na de Hochtied het’t en En’n,
Das Erziehen oder Wenden hat jedoch oft feine Schwierig:
feiten, denn:
Ut’n Schwinsuhr (Schweindohr) wardt mi’n Dag
kein sieden Geldbüdel —
und ans einem Ferkel mimmermehr ein englifches Füllen.
Indeſſen gleicht die Ehe doch manche anfängliche Verſchie—
denheiten, und Unebenheiten aus, und e8 heißt:
Mann un Wiew
Ein Liew —
und
190
Kamen se ünner ein Dök,
Liehren se ok ein Spräk (Sprache).
*
* *
Soll die Ehe den rechten Gang gehen, jo muß darin
gelten:
Mannshand haben (oben)! —
und darf die Frau nicht die Hofen anziehen. Letzteres fol
aber dann leicht eintreten, wenn ber Mann nicht and im
Bette ein tüchtiger Kerl ift:
Is kein Fru so fien un riek,
Se is de Kauh gliek —
und
Seg blot Wust, säd de Fru, de Pan'n un de
Botter stahn ümmer prat (parat)
*
* ⸗
Selber das Alter läßt die Frau den Geſchmack an den
Liebesfreuden nicht verlieren:
Is kein Zeeg (Ziege) so old,
Se lickt giern Solt.
Deshalb meint denn auch das Sprichwort:
Kein jung Mäten nimmt en ollen Mann üm
Gottswillen —
obwohl die Erfahrung lehrt:
Old und jung kinnert god.
An eine völlige Impotenz und ein gänzliches Erjterben
der Fleiſchesluſt glaubt das plattdeutiche Sprichwort nicht:
Wenn de ollen Fuhrlüd nich mihr führen kön-
nen, mögen’s giern doch noch klappen (mit
der Veitſche Mnallen)
Mag nich liggt up’n Kirchhof, Kann nich is
begraben.
Soll die eheliche Liebe rechten Beftand haben, fo ift es
nothtwendig, daß Küche und Keller gut verforgt find, denn
wenn auch, wer verliebt ift:
Allens rein wegfrätt (megift),
fo lehrt doc, ein anderer Spruch:
De Mannslüd ehr Leiv geiht dörch de Mäg
und zivei weitere: ‚
Wenn de Krüw lerrig is, gnappen sik de Pier
(Wenn die Krippe leer ift, beißen fich die Bferbe) —
Wenn dat Füer up’n Hierd geiht ut,
Flügt de Leiv tom Schornsteen rut.
Daß aber folches nicht eintritt, dazu kann die Frau faft
noch mehr beitragen als der Mann:
De Fru kann mihr ut de lütt Döhr drügen, as
de Mann in de gröt rinführt,
Um diefes Sprichwort recht zu verftchen, muß man
willen, daß in unferen alten Bauernhäufern die Heine Thlir
dicht am demjenigen Theile der großen Flur liegt, wo fich der
Herd befindet. In der Küche lann aber die Frau befonders
viel verwirthichaften; das lehrt auch ein Spruch, den man
häufig von des Gebers oder der Geberin Hand vorn in
die Kochblicher unferer ländlichen Wirthſchafterinnen einge:
ſchrieben findet:
Hi ha Avengabel,
Kaak na’n Büdel un nich na’n Snabel.
* 2 *
Die Frau joll häuslich fein:
und
C. W. Stuhlmann: Das Weib im plattdeutſchen Sprichwort.
Ein Fru un en Aven (Ofen) hüren in’t Hüs,
‚Sie fol beftrebt fein, das Hausweſen im ebenen,
gleichen Gange zu erhalten:
En gode Fru is wat de Theerbütt an’n Wagen.
Sie foll jede Kleinigkeit achten:
Wat mihr wierth is as ne Lüs,
Dat nimm up un dräg’t na Hüs —
und unermüdet thätig fein:
Fruensarbeid is man behänn (behende),
Aewer nimmt kein Enn,
Zeitig ſoll fie aud) die Töchter lehren:
Spinn! Is man en lütten Gewinn.
Aewer wer nich spinnen deiht,
Bald mit bloten Hinnern geiht.
Daß die Frauenarbeit bis zum Grabe fein Ende nimmt,
befagt aud der nachftchende, oft gehörte, im Bezug auf unſer
Yandvoll ungemein wahre Sprud):
Ein oll Fru un en oll Kauh (flub),
De sünd noch woartau (wozu).
Ein oll Mann un en oll Pierd
Sünd goar nix mihr wierth.
Die Fran fol aber nicht bloß jparfam, fleifig und
ordentlich fein, fie mu auch Regiment zu führen willen:
Ein Fru, de nich schellt (fcilt),
Ein Hund, de nich bellt,
Sünd beid’ nich mihr nütt {müß),
As en terreten Knütt (zerriffenes Stridjeug).
In Hinficht hierauf ift es denn auch der Frau erlaubt,
bei gewiſſen wirthſchaftlichen Vorgängen ſelbſt gegen den
Mann kurz und barſch zu ſein, und tröſtet ſich dieſer dann
mit dem Spruch:
Wenn de Wiwer brugen (brauen) un backen
Hebben se den Düvel in'n Nacken —
und das um fo mehr, da
Brugen un Backen nich allemal gerött.
Die gute Frau preifen die Sprüd)e:
Ein gode Katt un en gode Fru hollen dat Hüs
rein.
En Fru vun Dägt un Schick (Tugend und Ans
Stand)
Mann sien gröttstes Glück,
und derjenige, dem dieſes geworden, fagt denn aud:
Ost orre West,
Bi Muttern ist am best,
*
* *
Wie das ehedem auch ſchon Triſtram Shandy bemerkt
hat, Fühlen ſich, ſobald die Hausfrau in die Wochen kommt,
alle übrigen weiblichen Hausgenoſſen bedeutend mehr als
fonft, und ſomit ift es ein ſchweres Umgehen mit ihnen.
Kümmt de Fru to liggen,
Hebben all Dierns dull Nücken.
Die Frau felbft jagt jegt auch, zum Ehemann:
Still, Du slöpst achter !
und diefes ift auch thatſächlich der Wall, da er dem bisher
innegehabten Borderplag im gemeinfcaftlichen „surgbette“
(Bett in einem Wandverfchlage) der Mlutter wegen bes
Nährens und Wiegens des Kindes hat abtreten miſſen.
Nach Anficht des Sprichworts erreicht die Fran auch die
C. W. Stuhlmann: Das Weib im plattdeutfchen Sprichwort.
höchfte Stufe ihrer wirthichaftlichen Tüchtigfeit erit als |
Mutter:
De Katt liehrt ierst Musen (Maufen), wenn se
Jung’n hett —
und als die höchſte Liebe wird Mutterliebe gepriejen:
Mutterleiv över alle Leiv —
und
Mutterleiv schuet ſſcheuet) nich Füer, nich Water.
*
— “
Vollfonmen ift jedoch nichts in diefer Welt und fo hat
dem auch die beite ran ihre Fehler oder Schwächen:
Kein Mäten ahn Leiv,
Kein Joahrmarkt ahn Deiv,
Kein Buck ahn Bart,
Kein _Wiew alın Unart.
Die Unarten mehren fich auch oft mit den Jahren, oder
werden ſchwerer zu tragen:
Wiewer sünd ierst licht, warrn aewer ümmer
swörrer (fdjiverer),
was meiftend auch phyſiſch, wenigftens bis zum ſechszigſten
Dahre, der Fall if. Weiter:
lerst ne grot Freud,
Späderhen grot Herzeleid.
Als Häufigfte Untugenden nennt das Spridywort:
Schwatzhaftigkeit, Afterreden, Mangel an Wahrheitsliebe,
launiſches Weſen, Berftellung, Unreinlichteit und wirthſchaft⸗
liche Untüchtigkeit. Die Schwaghaftigkeit und Läſterſucht
bezielen folgende Worte:
Wo Hunn sünd bleken welk,
Wo Wiwer sünd spreken welk.
Twei Wiwer un en Gös (Gange) maken en Markt.
Kamen twei Wiwer tosamen,
Wardt de drütt in de Häkel namen
Dat Sprickwürt sall nich dregen :
Wer vehl snackt (ſchwatzth, de möt vehl legen.
=
Das launiſche Weſen der Frauen firaft das Wort:
Hunn pissen un Frugenslüd weinen, wenn se
willn —
und gewiffermaßen aud) das:
Hunn Janken un Fruens Kranken duert nich
lang.
Frauen haben leicht die Gewohnheit, bei einem zwiſchen
Weib und Mann entftandenen Streit ohme nähere Unter:
ſuchung erfterem beizuipringen. Höchft treffend und male:
riſch tadelt diefe Untugend das Wort:
Bisst ein Kauh, hollen se all den Stiert to
höchten.
Das Biffen, weldyes zuweilen eine Kuhherde über
kommt, beſteht darin, daß alle Thiere plötzlich wie von Tolls
heit befallen, umter wilden Gebrüll, mit hochaufgerichteten
Schwänzen nach einer Richtung rennen. Die Urſache ſoll
der „Bißworm“ ſein und zwar ſobald dieſer auch nur ein
Stud der Herde geſtochen hat.
“
Die Verftellungstunft der Weiber zlichtigt zunächſt das
ort:
Mannslüd verswigen frömd Heimlichkeiten,
Frugenslüd de eigen;
diejenige der Wittwen aber:
191
Je duller se schriegen,
Je ihrer se wedder friegen,
*
* *
Die Unſauberleit wird durch eine ganze Reihe von
Sprichwörtern geftraft, die meiltens humoriftifcher Natur
find,
Nix aewer Rennlichkeit, säd de oll Fru, kiehr
jerre Sünnabend ehr Hemd üm,
Geiht nix newer Rennlichkeit, süd de Fru, doar
fegt ee den Disch mit'n Bessen af.
Rennlichkeit ist halw Leben, säd de oll Fru,
wenn ik jichtens kaun, rühr ik de Klümp in’n
Swienstrog an.
Fürt mit di, rein möt ik’thebben ! säd de Fru,
doar slög se de Saeg’ (Sau) mit'n Römlaepel
vör'n Oars.
Ik führ in de Kutsch, säd oll Witingsch, doar
satt se in’'u Rönnstein.
Rennlichkeit ist halwe Leben, säd de Diern,
snöw sik de Näs un wascht sik Gesicht doar-
mit.
* “
Die wirthichaftliche Untüchtigkeit ftrafen folgende Worte:
Baben (oben) fix,
Uennen (unten) nix,
das heißt unter einem ſchmucken Seide fchlechte Unterröde,
zerrifjenes Hemde und entzweie Strümpfe. Weiter:
Dat’s as jerre Fru, wull Brod spoaren, un back
Kauken.
Arbeit thiert (zehrt), säd de Fru, doar wüsch
se ehr Nachtmütz.
De ierst Noth mött bött warn, säd de oll Fru,
haug den Backeltrog twei un makt doarmit
Süerwater heit (Säuerwaſſer heiß).
Wer harr dat dacht, dat wi noch so'n Nah-
winter kriegen dedn, süd de Fru, harr en
Uennerrock to Martini verköfft.
Wat da sien möt, möt da sien, säd de lütt
Diern, verköfft Feddern und Liv’n un köfft sik
en sieden Brudkleed (en Poar sieden Danzschoh).
—
J— *
It die Frau aber auch noch jo tüchtig, jo muß dennoch
dem Mann die legte Entjcheidung in wichtigen fragen vers
bleiben: 5
Frugensrath un Räuwsaat geraden man all sö-
ben Joahr —
und
Wo de Fru hett an de Büx,
Doar is selten vehl un öfter nix.
* *
Niemals ſoll ſich jedoch der Mann dazu verleiten laſſen,
feine eheliche Herrſchaft durch die Kraft feiner Füuſte auf:
recht zu erhalten oder wieder erlangen zu wollen.
Wer sien Wiew sleiht, jagt einen Deuwel rut
un twintig rina —
und
Wer sleiht sien Wiew,
Sleiht sienen egen Liew.
® [2
Wenn alte Frauen ſich noch jung ftellen wollen, fo
Hleidet fie das ſchlecht:
Wenn oll Wiewer danzen, maken se vehlen
Stoff (Staub)
und
192
Wenn ne oli Tät (Stute) as ein Fahlen (Füllen) |
dalven deiht (Gapriolen macht), geiht’t ehr wol
as den Esel, de wull danzen up't Jös un brök
en Been.
Juch! Lebensoart! reep de oll Fru, doar lag
se up'n Oars.
* J *
Tas Alter als ſolches genießt überhaupt beim Platt:
deutſchen keine ſonderliche Auszeichnung, und das plattbeutjche
Sprichwort macht es fogar, wie das and) ſchon aus zahl:
veichen der vorhin mitgeiheilten hervorgeht, gern zum Ziel
feines Spottes.
Oll Lüd sünd wunnerlich, regent gahn se to
Heu.
Oll Höhner sünd tag (zähe).
Oll Schrödern is so midern (feder), süht en
Plograd (Pflugrad) für'n Kringel an.
Kein Zeeg so old, se lickt giern Solt.
Aus allen Erbtheilen.
An eine moralijce Beſſerung in alten Tagen wird auch
nicht geglaubt:
Wat in'n Minschen begragt (begrauct), dat be-
griest ok in em.
ON Pier un oll Minschen laten nich von ehr
Nücken un Tücken.
“
* ”
Noch finden fic, einige die Frauen bezielende in Spruch
form gefaßte phyſiognomiſche Erfahrungen,
Kulen in de Backen,
Schelm in’n Nacken.
Spitz Näs un spitz Kinn
Sitt de Deuwel in.
Struv Hoar, struven Sinn.
Röd Hoar un röd Ogen dögen selten wat,
Ellernholt un röd Hoar wassen selten up'n go-
den Bodden.
As de Klipp (bier der Mund),
So dat Schipp.
Aus allen Erdtheilen.
Die Abnahme der Bevölferung in Ungarn,
M. P. Nah dem amtlihen Ausweife des ftatiftifchen
Amtes in Bırdapeft bat fich die Bevölferung in Ungarn von
1871 bis 1873 um 269,000 Seelen vermindert; von Dielen
wurden 189,000 durch die Cholera weggerafft. Die Zahl der
Geburten nimmt ebenfalls ab, während jene der Sterbefälle
im ftetigen Wachen begriffen if. Nur in 27 Verwaltungs:
bezirfen bat fich während diefes Zeitraumes die Bevölkerung
vermehrt, hingegen bat fie fich in 52 vermindert. In jenen
269,000 Seelen find micht diejenigen eingerechnet, die im
Jahre 1878 aus Ungarn ausgewandert find. Die ungarischen
Journale hat diefer Umſtand zu büfteren Betrachtungen an:
geregt,
Mauritius und die Sechellen.
Die raſche Abnahme des Wohlftandes auf Mauritius
muß Jedem, welcher diele Inſel kennt, auffällig fein. Um
die geſunkene Productivität wieder auf die frübere Höhe zu
bringen, bedarf es der Ausführung eines von allen Coloni—
ſteu gebilligten Planes, welder ſich aber ohne bie Unter:
ftügung der englifchen Regierung nicht verwirflichen läßt. Es
bandelt fich nämlich um eine künstliche Bewäfferung im gro:
Ben Maßſtabe und um llebernahme der Yindgarantie des
dazu erforderlichen, wicht unbebeutenden Eapitald von Seiten
der Regierung. Der größte Fehler, welcher jemals auf Maus
ritins begangen wurde, war die Zerftörung der Wälder, in
Folge deſſen jet in den Küſtengegenden, welche früher bei
hinreichender Feuchtigleit einen jährlichen Ertrag von 6000
Pfund Zuder vom Acre Fand ergaben, fo gut wie gar fein
Negen mehr fällt und damit deren Fruchtbarkeit aufgehört
bat, Das innere Hochland ift dagegen zu naß und kalt und
liefert der dortige Acre im Durcichnitte kaum 3500 Pfund
Zuder. Die Irrigation der nun verlaffenen Küftenplantagen
ift das einzige Mittel, Mauritius wieder zu heben, und da
auch Feine bedeutende matürlihe Schwierigkeiten dabei zu
überwinden find, fo wird und muß es früher oder fpäter dazu
kommen.
Die Sechellen gewinnen an Bedeutung und haben ſeit
18 Monaten ibren eigenen Legislative Council, fo daß man
fie auf- Mauritius jest gewöhnlich die Independency“ zu
nennen pflegt. Diefe Inſeln prodneiren Kokosnußöl faſt eben
To ausſchließlich wie Mauritius Zuder; es ift aber erft ein
Heiner Theil des Landes, welcher fich dazu eignet, unter Eul:
tur gebracht.
wir
— Die Buchhandlung Sölöffy u. Greve in Bukareſt
bat eine gut anögeitattete Karte von Rumänien mit bei
Donauländern beransgegeben, Dielelbe ift eim Merk des
Ingenieurs Maffalupu und ift nach dem neneften ftatiftiichen
und geograpbiichen Quellen ausgearbeitet. Sie enthält jeden,
felbft den Meinften Ort, bei den Städten ift die Einwohner:
zahl angegeben. Dieſelbe bringt auch eine Ueberſicht der
abminiftrativen Eintheilung Aumäniens und die Einwohner:
zahl jeden Bezirkes. Die Karte umfaßt ganz Serbien, Sie:
benbürgen und einen großen Theil Ungarns,
— Die Theeausfuhr Dftindiens bat im verfloffe:
nen Jahre beträchtlich zugenommen. Während der brei er:
jten Quartale 1875 wurden 18,733,500 Pfund erportirt gegen:
über 12,850,000 in der entiprechenden Periode 1847,
— Der foeben vollendete Eenfus von Japan ergab nadı
der „Napan Mail“ eine Gefammtbevöllerung von 33,300,675
Einwohnern, d.h. etwas weniger als die vier deutſchen König:
reiche Preußen, Bayern, Sachſen und Württemberg zuſammen⸗
genommen, und gegen bie lehte Zählung vom Jahre 1872
eine Zunahme von 189,850 Seelen.
Inhalt: Aus Innerafrifa. IT. (Mit drei Abbildungen.) (Schluß.) — Höhlenfunde. (Mit ſechs Abbildungen.) —
Lupandin's Aufnahme im Usboi 1875. Bon Albin Kohn — Erneft Giles' neueſte Neife durd den Weſten Anftraliend, —
Das Weib in plattbentichen Spridiwort. Yon C. W. Stuhlmann. IT. (Schfuf.) —
Mauritius und die Scchellen. —
nahme der Bevölkerung in Ungarn —
4. März 1876.)
Aus allen Erdtheilen: Die Ab:
Berfchiedenes, — (Schluß der Redaction
Nedactenr: Dr. R. Riepert in Berlin, S. W. Pintenftrafe 13, IN Tr.
Druf und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig.
Hierzu eine Beilage, betreffend: Landſcha
« und Stäbtebilder aus Süd-Amerifa. Bon Louis Nofentbal.
erlag von €. Lichtwerd in Berlin.
Band XXIX.
Mit befonderer Berüchfichtigung
der
f)
—
Anthropologie und Ethnologie,
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern und Künſtlern herausgegeben von
Dr. Ridard Kiepert.
Braunschweig
Jährlich 2 Bände A 24 Nummern.
Durch alle Buchhandlungen und Poftanftalten
zum reife von 12 Marl pro Band zu beziehen,
Dr. Morice’3 Neife in
Kaum hat ein Dampfer vor Saigon Anler geworfen,
fo umbdrängen zahlreiche Sampangs, Kleine, den venetianiſchen
Gondeln ähnliche Boote, das Schiff, deſſen Det fofort mit
einer Menge Beamter und Geſchäftéleute ſich füllt, welche
zum Empfange von Bekannten oder von Nachrichten herbeis
eilen. Es war am 6. Juli 1872 91/, Uhr Morgens, und
mächtige, rothgeränderte Wolfen waren am Himmel zerftreut,
zwiſchen denen hindurch die Sonnenſtrahlen mit unglaublicyer
Gluth die Erde trafen. Der Donar-Fluß iſt dort fo breit
und majeftätifch, daß er den Namen einer Rhede wohl ver:
dient. Eine Menge von Schiffen, groß und Fein, mit Rus
dern, Segeln oder Dampflraft getrieben, beleben feine Ufer,
und im Hintergrumbe liegt das Stationsſchiff „ileurus“,
deſſen Kanonen der Stadt den Anfang, die Mitte und das
Ende jeden Tages verkünden. Elende Stroh: und Lehmhutten,
halb in das Waffer verfunfen, bedecken das rechte Ufer; ihren
gegenüber am linken dehnt fid) Saigon aus, ganz im Vorder:
grunde das dreiftödige, ſtattliche Cosmopolitan Hotel und
weiterhin die grelinen Wipfel der Tamarindenbäume in der
Rue Gatinat und den anderen Hauptverfehrsadern der
Stadt.
Erft um 11 Uhr konnte Dr. Morice *), der Natur
forfcher,, welchen wir auf feinen Streifzligen durch die frane
zöfifche Kolonie Cochinchina (Basse-Cochinchine) begleiten
+) Seine Berichte an die Parifer Antbropelogifche Befellichait
über vie @ingeborenen und Miſchlinge Cochtnchinas wurten ausführlich
auf S. 105 biefed Bandes befproden.
Globus XXIX. Ne. 13.
I.
1876,
Franzöſiſch Cochinchina.
wollen, den Fuß auf das Land ſetzen und ſeine Schritte nach
einem ber zahlloſen chineſiſchen Läden richten, um einen „Sa-
laco*, einen jener ſchweren, nichts weniger als zierlichen,
aber umentbehrlichen Hüte mit doppeltem Boden zu faufen,
welche das empfindlichere Gehirn des Europäer gegen die
Strahlen einer tropischen Sonne fo vortrefflic) ſchützen. Dann
erſt bezog er ein Hotel.
Raſch follte er hier eine böfe Echattenfeite des Landes
fennen fernen. Den Schlaf der erjten Nacht hatten ihm
zahlreiche Mosfitos geflört, welde die durdlöcerten Gaze—
vorhänge nicht abzuhalten vermochten. Früh erhob er fid)
von feinem Scmerzenslager und wollte vor dem Ausgehen
noch einmal ein paar graciöfe Ningelnattern betrachten, die
er lebend aus Frankreich mitgebracht hatte. Aber als er
das Commodenfach öffnete, in weldem er fie ficher verwahrt
glaubte, eilten Yegionen von ſchwarzen Ameifen heraus —
und die Reptilien lagen als forgfältig präparirte Sfelete da!
In den untern Theile der Rue Gatinat, der Hauptftraße
der Stadt, verrichteten die dort zahlreich, wohnenden Chinejen
mit der ihnen eigenen Ungenirtheit und Schamlofigteit vor
den Hausthüren ihre Morgenwaſchungen.
Dunfele Kutfcher von der Malabartüfte verfolgten den
Fremden mit dem umanfhörlichen „Wagen, Capitän! Wa-
nt"
Ruf: und helltaffeefarbene Jungen, deren wilbes Haar
manchmal ein alter Marine-Infanteriehelm bedeckte, umring⸗
ten ihn, fo oft er vor einem Yaden ftehen blieb, fchrien „Korb,
Capitän! He!* und ſchwangen dabei ihre großen Körbe, in
25
194
denen fie alles etwa Einzufaufende nad dem Gafthaufe ſchlep⸗
pen wollten.
Je weiter man ſich von der Schiffslände entfernt, um
fo mehr fteigt die Straße an und ift von europäifchen Ger
bäuben befegt. Da fteht zur linfen Hand das reigende, Kleine
Palais des Directord des Innern, mitten in einem Meere
von Grlin verfunfen; weiterhin Bureaus, die Munze und die
Voſt. Allerdings dehnen fid) zwiſchen diefen Gebäuden uns
bebaute Streden Landes aus, wo Bambus, Rhieinus, Stedy-
apfel, große Lianen und mächtige Gräfer wuchern. Trotz—
dem macht diefe Hauptitraße der fernen Colonialftadt auf
den Beſchauer einen fehr angenehmen und anmuthigen Eins
druchk.
Aber es iſt dem Fremden nicht lange vergönut, in den
Rhede von Saigon.
auf den Markt ſchleppten. Chinefen gingen hin und wieber,
und auf einer Poligeiwache waren neben einigen Europäern,
Chinefen und Malabaren befonders Annamiten ängeftellt,
die mit ihren Meinen Degen, Connenhüten, dem großen
Chignon an der Seite des Kopfes und ihrer wichtigthuenden,
prahlerifchen Miene urkomiſch ausjahen,
Sehr befriedigt von den Eindrüden feiner erften Wans
derung fehrte der Keifende in fein Hotel zurlid. Wäre nur
nicht das peinigende Leiden des Lichen tropicus, das dem
Europäer ben Aufenthalt in Saigon fo fehr verbittert! Faſt
der ganze Körper bebedt ſich mit Pideln von der Größe
eines Steduadellnopfes, welche fo unerträglic, juden, daß
die größten Anftrengungen nöthig find, um dem Triebe, fie
täglich Hundert Dal blutig zu ragen, zu wiberfichen. Dies
fer Ausſchlag befüllt die Neulinge und felbft ſolche, welche
Dr. Morice’s Reife in Franzöſiſch Cochinchina.
Straßen der Stadt herumzufchlendern; ſchon um 8 Uhr wur:
den bie Sonnenftrahlen fo brennend, daß Dr. Morice ums
fehrte und die der Rue Catinat parallele, weniger belcbte
Aue Nationale zuriidging. Auch fie bot denfelben Wechſel
von comfortabelen Häufern, elenden Hlitten und Dſchungeln
dar; von bemerkenswerthen Häufern enthält fie das alte
age rd das Geſundheitsamt und die Baulidy-
feiten des Geniecorps,
Indier und Indierinnen, ſchwarz oder fupferfarbig, waren
häufig zu ſehen; legtere im ſtechend gelben ober grünen es
wänbern, einen filbernen Ring in ber Nafenfcheidewand tra-
end und ſich durch ihren hohen Wuchs und die inıponivende
Side der Glieder ſcharf von ben Meinen, ſchlank gebauten
UAnnamitinnen unterfcheidend, welche mächtige Baden Waare
aaa
UERENBEES
Mach einer Photographie.)
ſchon mehrere Jahre in der Colonie zugebracht haben, beſon⸗
ders in ber trodenen Dahreszeit und im Anfange der Negen«
zeit, während die erfriſchenden Regen ihn verſchwinden laſſen.
Die Eingeborenen feinen von diejer Krankheit, gegen weldye
es fein Mittel giebt, nicht befallen zu werben.
Neben feinen zoologifchen Studien, welche in Saigon
felbft auf einige Eidechſen beichränft waren, wandte Mlorice
feine Aufmerlſamleit namentlich der einheimifchen Bevölle ⸗
zung zu, welche ihm anfangs mehr Widerwillen einflößte
als feine Schlangen und Kriechthiere. Die mehr oder we⸗
niger flachen, meift ausdrudslofen Geſichter, die fahlen
Augen, die Stumpfnafe und die aufgeworfenen, vom Betel
gefdwärzten Lippen find alles andere als ſchön. Aber man
gewöhnt ſich daran, lernt den Ausbrud vieler Gefichter Ten
nen, vermag mehr oder weniger Häßlichfeit zu unterſcheiden
Dr. Morice's Reife in Franzöſiſch Cochinchina.
und findet gerader ftehende Augen und manche faft Faufafi«
ſche Nafen.
Die Annamiten find jedenfalls Meiner und ſchwächer als
die Europäer, mag dies nun von einer ſchlechten Gefundheits«
pflege ober von angeborener Schwäche herrlihren. Die Farbe
ift bei nicht allzu gebräunten Verfonen fahl. Nur im zwei
Dingen Übertreffen fie den Europäer: fie vermögen zehn
Stunden lang hinter einander zu rudern und trotzen unges
ftraft ihrer glühenden Sonne. Ihr Charakter ift der einer
in Sklaverei, Unwiſſenheit und Faulheit zurückgehaltenen
Race, welche dadurdy arm, gleichgliltig und furdtfam gewor-
den ift. Die drückende Verwaltung der annamitifcen Dan:
darinen, welche der ungleich menſchlicheren der Framoſen
vorausging, hat alle Kraft, Wahrheitsliebe und Beweglichkeit
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und dergleichen, zeigen eine liebevolle Nachahmung der Natur. |
Bon einer Pflege der Wiſſenſchaſten kann man im Ernſt
nicht reden: feine Kenntniſſe bejchränfen ſich auf eine Ans
zahl chineſiſcher Buchſtaben.
Ihre Lebensweiſe iſt die denlbar unzuträglichſte: fie trin—
fen das Sumpfwaſſer unfiltrirt oder nur mit ein wenig
Alaun verfegt, jehr felten Thee; fie eſſen mittelſt der chine⸗
ſiſchen Stäbdyen Neis mit ſpaniſchem Pfeffer, Gurten, Salz:
lafe (nuoc-mam), frische und alte Fifche und ein paar Früchte |
— das ift der geſammte Speifegettel, der wohl nur bei wenigen |
Bölfern an Einförmigkeit Übertroffen wird. Ab und zu
genießen fie Schweinefleiſch, weldes aber Bandwurmleiden
im Gefolge hat; dem Reisbranntwein (sum-schum) find fie
nicht befonders ergeben. Auszunehmen find davon die bei Eu—
ropäern in Dienſt Stehenden, welche für deren Weine und
195
in dem Volfe vernichtet. Aber manche Eigenſchaft hat ſich
doch erhalten, welche auf eine befiere Zukunft hoffen läßt:
eine oft am Spott ftreifende Luſtigleit, die Gabe, leicht auf-
zufaffen und zu begreifen, und merkolirdiger Weife bei ein-
zelnen Individuen ein gewiffer Stammesftol;.
Es ift nicht abzuleugnen, daß das Volt einer Beſſerung
und Hebung fähig if; die Normalfchule in Saigon, wo
Lehrer und Dolmetſcher herangebildet werden, hat in ben
wenigen Jahren ihres Deftehens ſchon ganz hübfche Erfolge
erzielt. Immerhin geht dem Annamiten mancherlei ab, wie
3 B. das Gefühl für Kunſt. Seine Muſil ift für euro⸗
päifche Ohren unerträglid) ; Sculptur iibt er gar nicht; Poefie
ift dürftig, der Tanz ihm gänzlich unbefannt, Nur mande
Wandmalereien, namentlid) von Blumen, Vögeln, Infecten
—
——
Chineſiſche Kaufleute in Saigon. (Nach einer Photographic.)
Liqueure eine gefährliche Neigung an den Tag zu legen
pflegen.
Die Gewänder, von denen fie fich nur trennen, wenn fie
ihnen in Yumpen vom Yeibe fallen, fchlgen fie nicht genligend
gegen die Feuchtigleit und Kälte der Nächte, bie fie oft auf
den Canälen zubringen, noch auch gegen die Witterung,
| welche in den Morgenftunden des December und Januar bei
18°. die Eingeborenen vor Froft zittern macht. Die Folge
davon it, daß viele Kinder in den erfien Lebensjahren der
Bräune zum Opfer fallen und Unterleibsleiden häufig find.
Eben jo ungefund find ihre Hütten, welche auf Pfählen
halb im Waſſer, halb auf dem feften Yande oder im Schlamme
ruhen. Der Neisbau und der Fiichfang haben aus dem
Cochinchineſen eine Art AUmphibie gemacht: wenn bei Hoch⸗
flutg das Wafler den Fußboden feines Haufes UÜberſplllt,
25+
Dr. Morice’s Reife in Franzöfiich Cochinchina.
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Nach Photographien.)
Strafienjugend in Saigon.
Dr, Morice’3 Reife in Franzöſiſch Cochinchina.
fann man ihm auf den Tifche zufammengefanert figen ober
in ber Hängematte liegen fehen, wie er eine einförmige Mies
fodie hinfummt oder eine fegelfürmige igarrette raudıt.
Charakteriftiich ift fein Gang: beide Geſchlechter ſetzen
die Füße jehr auswärts und reden dabei die Glieder in einer
ungraciöfen Weife, wodurch eine ziemlich ſtarle Einbiegung
bes Nidens, die vielleicht von der Gewohnheit, ftehend zu
rudern, herrührt, noch mehr hervortritt.
Die Heinen Kinder figen rittlings auf der mütterlidhen
Hüfte und werden von einem
Arme der Mutter feſtge⸗
halten. Beim Ausruhen
fauern ſich die Yeute nieber,
ohne jedoch mit den Haden
ben Boden zu berühren, und
verweilen oft fehr lange in
diefer unbequemen Stel
lung. Yängs ber Wege
fann man fie jo figen und
ihren Betel kauen jehen.
Beim Klettern bedienen fie
ſich nicht der Sie und des
Rumpfes, ſondern fie fprin-
gen mit einem Anlauf an
dem Baume in bie Höhe und
umllammern den Stamm
wie die Affen mit bem
Händen und der Fußſohle.
Auch kennen fie den Kuß
nicht: die Mutter nähert
ihr Kleines der Nafe und
haucht es an, anftatt es
zu küſſen.
Was das Abſtehen der
großen Zehe anlangt, wor⸗
aus man früher ein Racen⸗
merfmal hat machen mwol-
len, fo ift daflelbe fehr
übertrieben worden. Der
nie von einem Schuh be
läftigte Fuß des Annamiten
ift mohlgeitaltet, bei ben
Männern mitunter ‘groß,
aber bei den Bornehmen,
und namentlich bei dem
weiblichen Geſchlechte, aus«
nehmend Mein. Die Zehen
liegen niemals Über ein =
ander, fondern entfalten
ſich frei und einander pa=
ralll. Nur hat bie Ger
wohnheit, die große Zehe
197
den Europäern die unterwegs eingefauften Gegenftänbe nach
— trägt. Sonſt hängt er feinen großen, dazu benutzten
orb wie einen antifen Schild auf feine Schulter. Ein an:
deres Mal — er den Jager, trägt ihm die Flinte, führt
ihn in dem Gewirre von Reisfeldern und Wäldern zurecht,
zeigt ihm das Wild auf Entfernungen, bei denen bad euro-
päriche Auge feinen Dienft verfagt. Wie ein Jagdhund Holt
er —— Schnepfe oder Turteltaube aus dem Schlamm
der
eiefelder und weiß fie felbft im dichteſten Bambus-
geftrlipp zu finden. Um
— — Idägbar iſt aber feine Hlilfe
SR bei einer Begegnung mit
einer Buffelherde. Diefe
gewaltigen Wieberfäuer ha-
ben ſich noch feineswegs wie
die Eingeborenen an die
jegigen Yandbesherren ge
wöhnt, fondern verfolgen
diefelben ſtets mit einem
bittern Hafle, welcher oft
genug zu blutigen Kataftros
phen geführt hat. Kommt
dem Buffel ein Weißer in
ben Weg, fo hebt er den
Kopf, athmet tief und ftiirgt
fid) mit gefentten Hörnern
vorwärte. Da aber fpringt
ber feine Führer herzu,
flößt einen wilden Schrei
aus, der das Ungethüm
zum Stehen bringt, und
jagt ihm mit einem zweiten
in die Flucht. Um Saigon
herum find diefe Thiere fo
gefürdjtet, daß ſich felten
ein Fremder ohne einheimis
ſche Begleitung aus ber
Stadt wagt.
Gilt es wiederum, auf
ben miebrigen Böſchungen,
welche bie Neisfelder von
einander ſcheiden, zu wan⸗
dern, fo ift die Hulſe je
ner ungen unentbehrlich.
Ohne Zögern fpringen fie
in ben fcheußlichen warmen
Schlamm, halten den Frein⸗
den am Arm und führen
ihn ficher bei der Gefahr
eines unangenehmen Bades
vorüber auf feitern Boden.
Haben fid) die Kerlchen
beim Halten des Gteige ERROR]
bügel$ und des Steuer-
ruders, beim Klettern, beim
Auflangen hingefallener Ge⸗
genftände u. |. w. zu benugen, dieſem Gliede eine größere
Freiheit und Beweglichkeit verliehen.
Der Annamit fennt nur zwei Vebensalter: Kindheit und
Greiſenthum. Die Jugend dauert lange, das reife Alter
nur eine ſehr furze Zeit.
Unter allen Boltötypen des Landes ift die Straßenjugend
von Saigon eine der intereflanteften. Solch ein Gaſſenjunge
ift gleichſam ein auf einen Lazzarone gepfropftes und unter
die Tropenfonne verſetztes Pariſer Kind. Bon frühefter
Jugend an gewinnt er feinen Lebensunterhalt damit, daß er
Vornehme junge Cochinchineſin mit ihrer Dienerin.
(Mach einer Photographic.)
—X
nun anf eine oder bie an ⸗
dere diefer Arten ein paar
Gelbdſtlide verdient, jo fit«
hen fie unter den Beran«
den ber Stadt ihre Kameraden auf und verfpielen mit
Karten den Gewinn des Tages. Das führt oft zu
Schimpfereien und fehr ergötzlichen Zweilämpfen. Haben
die beiden Geguer dem reichen Borrath, welden die anna»
mitifche Sprache an Schimpfivörtern darbietet, erſchöpft, fo
ſchleudern fie mit einer ftolgen Bewegung des Kopfes den
Wuſt ihrer ſchmutzigen Haare nad) hinten umd ftürzen fich
auf einander, Es ficht aus, als wollten fie ſich gegenfeitig
vernichten; aber nach den erften Schlägen und etwas Herum-
ſtoßen ift der ganze Kampf zu Ende.
198 Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforfhung der Libyichen Wüſte im Winter 1873/1974.
Später tritt der Junge bei einem Europäer al& „hoy“
in Dienft, beforgt die Küche und das Zimmer feines Herrn,
pugt feine Waſſen und reinigt feine Kleider. Aber feine
angeborene Faulheit, feine unverbefferliche Unreinlichteit und
unwiderſtehliche Neigung zum Diebftaht machen ans ihm cin
Geſchöpf, das man nur un«
ter Berwunſchungen im feine
Dienfte nimmt.
Ein alter Annamit ficht
völlig ‚anders aus als cin
junger, Erft ſehr fpät und
aud) dann nur ſpärlich
wächjt ihm ein raſch weiß
werdender Bart auf der
Oberlippe und am Kinn,
aber nicht auf den Baden,
Mit großer Wurde fchreir
tet er dann einher, ange
than mit einem langen Ge
wande und einem feinen
ſchwarzen Turban, und mit
einem Sonuenſchirme und
einen Fächer bewehrt. Die
Cigarrette oder das Prieme
chen kommt nicht aus fei«
nem Munde. Dabei ficht
er ernit, argwöhniſch, jelbit
mißtranisch aus, ohne in⸗
deſſen allen irdifchen Freu—
den zu entfagen: jegt wilr:
digt er den Altohol, den
er im feiner Jugend mir
gekoſtet hat, und ein Yächeln
Überzieht fein finfteres Ges
fidyt, wenn ihm ein Euro⸗
päer ein Glas Abfinth oder
Wermuth oder gar eine
Miſchung von beiden ans
radezu häßlich, die Nafe platt, die Haut podennarbig, die
Yippen gefchwollen und vom Betel gefärbt. Dagegen hat
die annamitiſche Frau meift langes, ſchwarzes, ſchönes Haar,
das fie forgfam pflegt, flechtet, mit falſchem Chignon (tap)
ausftaffirt und mit dem feiber fehr übel riechenden Kokosöl
einfalbt. Der Mund iſt
meift gut geformt, bie Schul:
tern aber find oft breit und
plump. Die Handgelente
und Knöchel find von gro⸗
ber Feinheit.
Hußlich ift ihr Gang,
wobei fie mit den Armen
ſchwingt und nach rechts
und linls ſtarl hin· und her»
ſchaukelt. Ihre Kleidung
beſteht in einem langen, bis
an den Hals reichenden und
dort geſchloſſenen Gewaude,
das Hemd und Mod zu.
— Zeit vertritt und bei
rauer von weißer Farbe ift;
einem weißen ober fchiwars
zen Beinkleid von Galicot
oder Seide und mitunter
in einem rothen oder blauen
Gürtel. Die Füge find
meift madt, feltener mit
Vantoffeln bebedt, deren
Spitzen umgebogen find,
wie unfer Bild es zeigt. Als
Schmuck trägt fie in ihren
meift Meinen und wohlge⸗
ftalteten Ohren Zierrathen
von Bernftein oder Gold
in Geftalt von Nägeln mit
großen Köpfen, am Arme
Bänder von Gold, Gagat,
bietet. Bor Allen licht ex
num das Held und zwar um
feiner felbft willen. Erlau:
ben es ihm feine Mittel
oder fein Nang, ein Pferd zu haften, fo kennt fein Stolz
feine Grenzen. Sein Meines, faftanienbraunes Pierd, das |
Bornehmer Eoctindiinde,
gewöhnlich Pak geht, behandelt er ſchlecht und forglos; trote
dent hält es trefflich ans und Leiftet ſchätzbare Dienfte,
Um anf die Frauen, die in der Colonie Kongaf genannt
werben, zu lommen, fo finden ſich unter der Unzahl von häß-
lichen aud einige Schönheiten. Ganz natürlicher Weiſe
haben die vornehmeren Frauen anfprechendere Züge, hellere
Haut, harmonifchere formen und feinere Gliedmaßen als
die der Bauern und Fiſcher. Die Mehrzahl ift freilich ges |
Die Rohlfs' ſche Erpedition zur
im Winter
Von Paul Ajcerfon,
Silber, Bernflein oder gels
bem Glas, am Fußgelent
mitunter einen filbernen
Ning von Filigranarbeit
Mach einer Photographic.)
' und oft ein Halsband. Die Fran and dem Bolle geht bar-
haupt oder bindet ſich ein Tuch um ben Kopf; die vornehmere
Dame trägt einen runden, gelben Strohhut mit breiter um-
gebogener Krämpe und flachen Dedel, von weldem eine
dicke Trefje vom gelber Seide mit ſchwerer Pufchel bis auf
den Stirtel herabhängt.
Bon Charalter find fie Leichtfertig und fehr gewinnfüchtig;
ihr Hang zum Spiel und mitunter felbft zum Diebftahl ift
unwiderſtehlich
Erforſchung der Libyſchen Wüſte
1873 1874.
Mitglied der Erpedition.
II.
So waren zehn Tage vergangen, ehe die erſte Abtheilung
unſerer Ervedition mach dem unbekannten Moften aufbrechen
fonnte. Schon bald mach unferer Ankunft hatten Nohlis
und Zittel eine Necognofeirung in diefer Richtung aufge:
führt; ein drei Stunden weftlidh von Gar gelegener ifolit-
ter Tajelberg,, der, bis dahin unbenannt, den Namen des
Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforſchung der Libyichen Wüſte im Winter 1873/1874.
oben erwähnten englifchen Keifenden Edmonftone erhielt,
bot eine weite Fernſicht, und ſchien von feiner Höhe aus ein
Vormarſch von einigen Tagereifen feine erheblichen Schwie ⸗
rigfeiten zu bieten. Das Commando der zuerjt abgefandten
Abtheilung wurde von Kohlis, weldyer wegen der nod) lange
nicht gelöften Frage der Verproviantirung Dachel vorläufig
nicht Derlaffen konnte, dem Prof. Yordan Übertragen, ber
auch infofern für dieſe Aufgabe vorzliglic, geeignet war, als
er durd) aftronomifche Aufnahme des Weges die Innehals
tung ber zwedmäßigen Richtung für die nachlommenden Ab:
theilungen ſichern kounte. Natürlid) mußte der Weg für
die legteren forgfältig mit Steinhaufen, Balmjtöden ıc. be:
zeichnet werden. Es war bejtimmt worden, daß unfer
Freund nach zwei Tagereijen lagern und dann dem größten
Theil feiner aus 20 Sameelen bejtehenden Karawane
zuräidfenden follte, weldjer dann fojort mit einem neuen
Transport von Waſſer und Yebensmitteln nad) Weften zus
rüdtehren follte.
Dies Programm konnte auc im Großen und Ganzen
innegehalten werden, obwohl Jordan bei feinem am 16. Ja—
nuar angetretenen Marſche auf unerwartete Schwierigkeiten
fie. Zahlreiche jid) vom Edmonſtone-Berg nad; Süden
herabziehende Schluchten nöthigten zu großen Umwegen und
veranlaßten bei ihrer Ueberfchreitung oftmaliges Sthrzen
der Kameele und Abwerſen der Ladung; auch kounte eine
anſehnliche Dünenkette nur mit großem Zeitverluft” Über:
fchritten werben. Auf diefer Strede fand Jordan, etwa
eine Tagereife weſtlich von Gaßr, ein verlaffenes Yager, ver-
muthlid) von einer Rhaſia von Barla-Arabern herrührend,
welche erft vor wenigen Jahren die Uah-Oaſen beunruhigt
hatten. Ein erftes Depot wurde am 18. angelegt und nad)
zweitägigem Berweilen auf demfelben am 21. der Marſch
fortgejegt. An biefem Tage machte Jordan einen Fund,
der anfangs große Hoffnungen erregen mußte; er entdedte
alte Weggeichen, welche eine jchon früher verfolgte Straße
nad; Weſten bezeichneten und die er felbftverftändlicdh weiter
verfolgte, Diefe Straße veranlaßte ihn, die bis dahin ein-
geidjlagene Richtung nach Weften mit einer weftfüdiweit:
lichen zu vertauſchen, welche ev zwei Tage inne hielt, Bor
einer zweiten großen Dlinenmafje lagerte ev und wurde
hier am 25. von Zittel eingeholt, der Gaßr Dachel amı
22, verlaffen und gleichfalls mit großen Terrainſchwie—
tigkeiten zu fämpfen gehabt hatte, Weide Reiſende ſetz⸗
ten am 26. vereint ihren Marſch fort; fie fanden jenfeits
der Dilnen eine reich mit Wüftenpflanzen beftandene Ka—
meelweide, während bis dahin fat gar feine Begetation
bemerkt worden war. Bis hierher konnten auch die er—
wähnten alten Allamat (Wegzeichen) verfolgt werden; bei
weiterem Innehalten derjelben Richtung wurden fie indeß
nicht mehr bemertt. Ueberhaupt erwieſen ſich die Terrain:
verhältniffe bei weiterer Fortfegung der Reife jo ungünſtig,
dag Jordan und Zittel ſchon nad) zweitägigen Marche, am
28., auf weiteres Vorbringen verzichten mußten und Rohlfs'
Ankunft zu erwarten beſchloſſen. Sie lagerten am Oftrande
einer ungeheuren Dinenmafle, aus zahlreichen, parallelen,
mehr als 100 Dieter hohen Ketten beftehend, zwifchen denen
nicht mehr, wie bei den früheren Dünenzügen, der Sferir:
boden zum Borfchein kam; vielmehr waren auch die Dünens
ihäler mit Sand überjcüttet und das Ganze erichien als
ein grenzenlofes Sandmeer, in deſſen Befchaffenheit bei einer
eintägigen Necognofeirung nach Weften nicht die geringfte
Aenderung zu bemerfen war, Auch die fefte Unterlage die
fer Sandanhäufung war eine andere als der bisher von
Dachel an beobachtete Sreidelalt; etwa eine Tagereife von
ber Kameelweide, die mur eine geringe Ausdehnung nach
Welten befaß, begann der nubiſche Sandftein, welcher nicht
199
die geringfte Spur von Pflanzenwuchs darbot; die ander-
weitig befannte ungeheure Mächtigkeit diefer nad) Zittel
ebenfalls der Kreideformation zuzurechnenden Bildung gab
wenig Hoffnung, daß bei weiterm Vordringen die Landſchaft
ſich günftiger zeigen werde. Auf diefem Sandſtein, nahe an
feiner Oftgrenze, fand Zittel Übrigens einige Feuerfteinfplitter,
welche ihm fofort durch ihre Uebereinſtimmung mit den in
Europa und Nordafrila neuerdings jo vielfad; beobachteten
fogenannten Meflern aus der vormetalliichen Zeit auffielen
und aud) jpäter von den maßgebenden Autoritäten auf dies
fem Gebiete als Artefacte anerkannt wurden,
Die Nachrichten, weldye über das Bordringen unferer
Freunde durch die zurückgeſandten Karawanen nad) Dachel
gelaugten (die Füllung und Vorſchiebung der Depots durch
die leer zurlid und mit Waſſer und Proviant wieder vor—
gehenden Kameele wurde bis zu den erften Tagen des Fe—
bruar nicht unterbrochen und nahm die Ihätigleit unjerer
farbigen Diener völlig in Anfprudy), beftimmten Rohlfs,
jeinen Aufbruch zu beidjleunigen. Die Richtungsabweichung
nach Süden ſchien ihm von Anfang an bedeuflich, da dies
felbe nicht nad) Kufara, wie Jordan anfangs hoffte, fondern
nad; Wanjanga oder vielleicht gar divect mad) Uadai deutete,
Landſchaften, welche bei unjerm mir auf wertige Monate be
redjneten Reifeplane gar nicht in Frage kommen durften.
Zwar waren die ſehnlich erwarteten Bohnen immer nod)
nicht eingetroffen, indeß war ein für den Anfang genügender
Futtervorrath in Dachel zufanmengebracht worden, ferner
waren die Verlufte an Kameelen, die wir bis dahin erlitten,
reichlich durch die Ankunft von zehn prächtigen, vom Conſul
Uafjifseel-Chajjat in Siut für uns angefauften Thieren er—
fegt, und, was das Wichtigfie, Rohlfs war es gelungen, drei
unferer früheren Stamceltreiber, zwei Araber, Hadj Dladjub
und feinen Schwiegerſohn Hadj Mohammed, ſowie den Stop:
ten Ibrahim, fiir den Marſch nach Weſten zu gewinnen.
So founte der Yeiter der Eyrpedition am 26, Januar
das Hauptquartier Dadyel verlaffen. Nemelc, welcher ohne:
him mit feinem ſchweren Apparate die weite Wuſtenreiſe,
bei der es ſchließlich auf möglicdite Bewegungsfähigleit ans
fam, kaum mitmachen konnte, dagegen jchon im bisherigen
Verlauf der Reife cin hervorragendes Berwaltungtalent ent:
widelt hatte, blieb als Depot: Commmandant in Gaßr Dachel;
auch ich mußte much mit fcwerem Herzen entichliegen, vor:
läufig daſelbſt zuritdzubleiben, da vorausſichtlich in der
Lüfte feine Ausbeute für mid) zu machen war, während in
der Dafe noch viel zur thun blieb. Doch war mir in Aus:
ſicht geftelt worden, daß, falls reichliche Vegetation oder gar
eine Dafe gefunden werden wide, id) der Expedition nad
fommmen jollte.
Rohlfs, durch die ſchlimmen Erfahrungen von Jordan
und Zittel belehrt, ſchlug anfangs einen andern Weg
nörblid) vom Edmonſtone ein, der ſich in der That aud) als
leichter zu begehen erwies. Auch die Hindernifje auf der
weitern ſchon von den erſten Abtheilungen zurlidgelegten
Strede fonnte er mit feinen vortrefflicen Sameeltreibern
leichter überwinden, fo dag er ohne Aufenthalt am 29. früh
die öfter erwähnte Kameelweide erreichte. Hier wurde er
indeß durd) einen ausbrechenden äußerft heftigen Samum
au Weitermarjche behindert und mad)dem er durch eine zu—
rlidgehende Sarawane mit Jordan und Zittel Flihlung ges
wonnen, legte er auf der Kameelweide ein größeres Depot
an, das unter Aufficht eines deutjchen Dieners (Walther
aus Weimar) und eines Nubiers geftellt wurde. Er jelbft
ſuchte, fobald es der immer noch wlithende Sturm zulich,
die beiden Reifegefährten zu erreichen, welche, durch Futter
mangel veranlagt, ſämmtliche Kameele zurlicdgelandt hatten
und ſich daher in einer mißlichen Yage befanden. Erſt am
200 Paul Aſcherſon: Die Rohlfs’fche Expedition zur Erforſchung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874.
2. Februar Mittags traf er bei Jordan's und Zittel's Yas
ger ein. Die drei beutfchen Reiſenden wurden an biefer
bedeutung@vollen Stelle, welche ein Wendepunlt im Ges
ſchick der Expedition werben follte, Zeugen eines im ber
Wüfte fehr ungewöhnlichen Naturereigniffes, nämlich eines
fat 48 Stunden ununterbrodyen andauernden Yandregens,
welcher im diefem Zeitraum einen Niederfchlag von 0,016
Meter Höhe lieferte. Diefer Regen, nad) welchem ber er=
wähnte Yagerplag den Namen Kegenfeld erhielt, erftredte
fi) über einen beträchtlichen Flächenraum; er wurde auch
in den Dafen Farafrah, Chargeh und Dachel bemerkt, nicht
aber in Einah, Beharich und dem Nilthale. Diefe in ber
Libyſchen Wüfte faum erwartete Erfcheinung veranlaßte die
getrennten Wbtheilungen ber Expedition zu nicht geringen
gegenfeitigen Beſorgniſſen; namentlich fücchtete Rohlfs, un«
fer nur aus Erdmauern errichteres, ohnehin ziemlich bau-
fäliges Haus könne einſtürzen; in der That brach auch das
Dad) eines an unfer Haus angebauten Stalles zufammen,
ohne indeß weitern Schaden anzurichten. Auf die Bewohs
ner Dachels machte diefer Negenfall , der ſich immerhin nur
alle paar Jahre in diefem Maße zu wiederholen fcheint, nur
geringen Eindrud.
Die Lage unferer Freunde in Regenfeld war librigens,
auch abgefehen von der unglinftigen Witterung, feine beneis
denswerthe. Rohlfs wiederholte die ſchon vor feiner Anlunft
von Zittel vorgenommene Kecognofcirung in etwas anderer
Richtung, aber mit demfelben troftlofen Ergebniß; der erfahr
rene Wüftenreifende konnte ſich der Ueberzeugung nicht vers
ſchließen, zu der bereits Zittel und Jordan gelangt waren,
daß ein Eindringen in das Sandmeer im weſtlicher Richtung
ſchwerlich rathfam fei, Es wären in biefer Richtung täg-
lid, eine Anzahl Dinenketten zu überjchreiten geweſen, ein
Unternehmen, welches in Kurzem die Rameele, welche ſich
nur ſchwierig im Flugſande fortbewegen und die das Er—
fteigen fandiger Abhänge ſtets in höchſtem Maße anftvengt,
vollftändig aufgerieben haben wirbe. Der Verluft der Ka—
uieele würde felbftverftändlich die Ruckllehr der Expedition:
mitglieder unmöglich gemacht, mithin fie ficherm Verderben
preiägegeben haben. Es wurde daher beſchloſſen, ein Vor:
dringen in ber Richtung der Dinenzilge, etwa nah N. N. W.,
zu verfucen. Vielleicht erreichte man mad) einigen Tages
reifen das Ende der Sandregion und fonnte fi dann doch
noch nad, Heften wenden; oder es gelang auf diefem Wege
Siuah zu erreichen und fo immerhin bem unbefannten Ges
biete der Libyſchen Wüfte einen Streifen von mehreren Tage
reifen Breite obzugewinnen; im fchlimmften alle konnte
man vielleicht öftlich abſchwenkend Farafrah erreichen. Die
vorhandenen Borräthe geflatteten immerhin noch einen
Wijlenmarfch von reichlich; 14 Tagen, und im diefer Zeit
fonnte eine anfehnlihe Strede ducchmeflen werden. Auf
bie Berbindung mit Dachel und die Nachſchiebung von Bor-
räthen mußte indeß im jedem alle verzichtet werden, da ſich
im Flugſande dew Weg nicht bezeichnen, alfo fein Nachſchub
bewerfftelligen ließ. Die mit fo viel Mühe und Soften-
aufwand angelegten Depots mußten alſo aufgehoben und
nad) Dachel zurlidgefandt werben. Zu diefem Zweck fandte
Rohlfs Jordan's Diener, Morlot von Mühlburg bei Karls—
ruhe, mit einem Kameele ab, immerhin ein gewagter Schritt,
da dem in der Behandlung diefes Thieres ungeübten Deuts
ſchen leicht ein Unfall begegnen konnte. Es blieb indeß
feine andere Wahl; und im der That begegnete Morlod ſchon
wenige Stunden von Regenfeld einer Nachichublaramane,
in deren Gefelljchaft er dann dem weitern Nüdweg unge:
fährdet zurüdlegte. Auf der legten Strede begegnete er der
endlich, doch noch eingetroffenen Bohnenfaramane aus Siut,
die wir wenige Tage vorher mit ungeheuren Geldopfern und
großem Yufwande von guten (und auch böfen) Worten dazu
vermocht hatten, ihre Fracht bis zu dem großen Depot auf
der Kameelweide vorzufcieben. Diefe Bebuinen ließen es
fich nicht ansreden, Rohlſs und feine Gefährten feien in der
Wifte umgefonmen und die Ueberlebenden verhehlten nur
ihren Tod, um ſich ihren Nachlaß anzueignen, wie fie ALLE
vermuthlich in foldyem Falle gehandelt haben witrben, Für
Remeld und mic, war die wirkliche Sadjlage, wie fie fic)
aus den von Morlock überbrachten Briefen ergab, freilich
auch niederſchlagend genug ; diefelben enthielten für mich den
Auftrag, eine Anzahl frifcher Kameele mit ausreichenden
Proviante und Futtervorräthen nad Farafrah zu führen,
welche Dafe Rohlfs auf dem RUdwege jedenfalls berühren
mußte, und bort jpäteftens vom 24. Februar an feine An«
funft zu erwarten.
So wurde denn am 6. Februar jener denkwürdige Marſch
durch das Sandmeer angetreten, der ſchwerlich in den Anna-
len afrifanijcher Neifen feines Gleichen findet. Galt es doch
auf eine Etrede von vier Breitengraden durch eine pfadlofe
Einöbe, die wohl nie zuvor der Fuß eines Meuſchen
betreten, einen Weg zu finden, ohme andere Hilfsmittel
als die, welche dem Seemann auf offenen Meere zu Öebote
ftehen, den Compaß und den Sertanten. Ein Berfehlen
des Ziels, der Dupiter-Ammond-Dafe, war allerdings fo
Leicht nicht zu beflirchten ; forgten doch die Steuerleute diefer
Flottille von Wüjtenfchiffen, Rohlfs und Jordan, durch ihre
in geringen Zeitabſchnitten wiederholten Peilungen dafür,
daß die beabfichtigte Richtung genau eingehalten wurde, und
Letzterer hielt außerdem das „Befted* in Ordnung, indem
er jeden Abend die zurlidgelegte Wegſtrecke in die Karte eins
trug, was mit Hilfe der täglichen Vreitenbeftimmung bei
der Meridianrichtung des Marſches mit großer Sicherheit
gefchehen konnte. Wäre ja der füdliche Rand des Yibyjchen
Kuſtenplateaus (auf biefen mußte man in jedem Falle ftoßen)
in erheblicher Entfernung öftlid oder weftlih von Siuah
erreicht worden (daß unfere Freunde faſt genau bei diefer
Dafe herausfamen, war ein glüdlicher Zufall, da ſich ſowohl
die angenommene Yänge von Negenfeld ald die von Siuah
als unrichtig heransgeftellt hat), jo war durch Rohlfs
Ortsleuntniß von feiner cyrenäifchen Reiſe her die fofortige
DOrientirung gefichert. Iudeß war diefe Reife immerhin ein
ſehr gewagtes Unternehmen; es konnte jehr wohl mehrere
Tagereifen vor Sina) durd) eine Rictungsänderung der
Dünen die Fortfegung des Weges ſich fiir die Kameele
ebenfo unmöglich herausftellen, ald das Bordringen nad)
Welten von Regenfelb aus; da filr die Rucckehr nad)
Dadjel alsdann der Proviant und das Kameelfutter nicht
ausreichten, hätten die Reiſenden verfuchen milſſen, zu Fuße
fortwandernd ihr Leben zu retten. Ebenſo mußte jeder
Aufenthalt von mehreren Tagen, veranlaft durd) irgend einen
Unfall oder Erfranfung eines Mitgliedes, der Expedition
verhängnißvoll werden, Es fcheint mir geboten, auf alle
dieſe glüdlicher Weife nicht eingetretenen Eventyalitäten hin
zuweijer, da der glüdliche Ausgang eines derartigen Wag-
niffes leicht vergeffen läßt, mit wie eruſtlichen Gefahren daſ⸗
felbe verfuäipft war.
Die Karawane beftand aus 15 Kameelen; die Beglei-
tung der Reiſenden Rohlfs, Zittel und Jordan außer den
bereits genannten drei Bebuinen nur aus einem deutſchen
Diener, Seller aus der Gegend von Ellwangen. Ueber
die Einzelheiten der Reife ift wenig zu berichten. Zwölf
volle Tagereifen hindurch zog die Karawane ſtets durch einen
zufammenhängenden Sandocean, faft in dev Richtung ber
Dünen, in den Thälern fortfchreitend und gelegentlich eine
Diinenfette an der niedrigften und am wenigften fleilen
Stelle überfteigend. Nur ausnahmeweile taudyten vers
Albin Hohn: Prſchewalski's Reife von Kiachta nach Peling. 201
einzelte Partien anftchenden Gefteins aus den Sande her: Endlich gelangte mar aus dem Sandmeere wieder auf
vor; ebenjo felten wurden einzelne Pflanzen oder gar Lebende | feftes Geftein und am 19. Februar Vormittags wurde ein
Thiere angetroffen. Bemerfenswerth war die Häufigkeit von | Allem, ein von Menfchenhand errichteter Wegweifer, bemerkt;
Straußeneifhalen, welche bewieſen, daß diefer fcheue Vogel | doch hatte man damit nod) feine Andentung, wie weit das
in dieſer mahrungslofen, aber vor den Nachftellungen des | erfehnte Ziel entfernt fei, und die Wegrichtung ſchien nicht
Menſchen geficherten Einöde brütet; ferner das Auftreten | auf daſſelbe Hinzufügen. inige Stunden jpäter fam,
von Bligröhren in großer Anzahl. Am 12. Februar wurde | offenbar durch Fuftfpiegelung gehoben, der Raud des Piby-
mitten in der Wuſte ein Nafttag gemacht und am biefer | fchen Küftenplateaus in Sicht. Gegen 4 Uhr Nachmittags
Sandheim genannten Stelle die Kameele aus den Wafler- | erftieg Rohlfs einen hohen Zeugen, und man fann ſich feis
fiften abgetränft; fie hatten, feitbem Rohlfs Dachel am 26. | nen umd der fofort herbeigerufenen Gefährten Jubel vorftel-
Januar verlafjen, fiebenzehn Tage ohne einen Trunk Waf- | le, als die agurblauen Seefpiegel, die grüinen Palmenwäl-
fer aufgehalten! Allerdings müſſen dabei die kühle Witte: | der und die Hochburgen der Dajenjtäbte Siuah und Agermi
rung des Februar (einmal, am 16. Februar Morgens, wurde | im Goldglanze der finfenden Sonne vor ihren Augen lagen!
eine Temperatur von 5° C. notirt) und ber zweitägige Ne- | Wohl konnten fie im Hochgefühl der glücklich Aberwundenen
gen in Anfchlag gebracht werben; im Hochſommer iſt auc | Schwierigkeiten und Gefahren ſich ähnlicher Genugthuung
bei diefem genligiamen Thiere eine weit größere und häufi« | hingeben, als einft jene zehntaufend Griechen beim Anblick
gere Zufuhr von Waſſer erforderlich. ber gelichten Thalatta !
Prſchewalski's Reife von Kiahta nad Peking.
Bon Albin Kobn.
Il.
Bei Urga hört die Flora auf, ben fibirifchen Charakter | der Nichtung der Kiachta-Kalganer Karawanenſtraße, gegen
zu zeigen, welchen fie in der nördlichen Mongolei an ſich die Mitte zu, bis zu 2400 Fuß, und mad) den Berechnungen
trägt. Wenn der Reiſende über die Tola gefommen ift, fo Fritſche's fogar bis unter 2000 Fuß herabfteigt. Diefe
hat er das legte fliegende Gewäſſer, und ebenſo auf dem , Depreffion, welche nad) Fuß und Bunge gegen 100 Werft
Berge Ehansula gleich dahinter, welcher feit der Zeit, daß breit iſt, zieht fich micht weit nach Weſt oder Oft, wie fie
ber Kaiſer Kangechi, der Zeitgenoffe Peter's des Großen, | auch weder von Fritſche im öftlichen Theile dev Gobi, noch
auf ihm jagte, fiir Heilig gehalten wird, den legten Wald | von mir während meiner Reife von Ala-ſchan nad) Urga
hinter fih. Weiter nad; Sliden, bis am die Grenzen des | durch die Mitte der Wüſte beobadjtet worden iſt. Hierbei
eigentlichen Chinas, zieht ſich die Wuſte Gobi, „die waſſer— | muß noch bemerkt werben, daß die öſtliche Hälfte der Gobi
|
|
fofe, unfruchtbare und wenig Gras gebürende Steppe“ der | weit weniger Wüſte ift als der flidliche und weftliche Theil,
Mongolen, hin, welche in ungeheurer Ausdehnung ſich quer | welcher den höchſten Grad der Wildheit und Unfruchtbarkeit
vor dem oftafiatifchen Gebirge, von dem Dftende des Tian» | bei Ala-ſchan und beim See Lob-noor erreicht.
ſchan bis an das Chingan-Gebirge, hinzieht, welches die Wie oben gefagt, verſchwindet der fibirifche Charakter der
Mongolei von der Mandſchurei trennt. Der weftliche Theil | Gegend mit feinen Gebirgen, Wäldern und Flußreichthume
diefer Wifte, befonders aber der, welcher zwiſchen dem Tian- endgültig bei Urga, und von hier ab zeigt ſich ſchon im ber
ſchan und der Provinz Kanfır liegt, ift bis auf dem heutigen | Nichtung nad) Süden die rein mongoliſche Natur. Nach
Tag gänzlich unbekannt. Der öftliche Theil dagegen ift an | Zurildiegung einer Tagereife ficht der Neifende ſchon eine
der Kiachta-Kalganer Strafe, welche diefen Theil der Wüfte | ganz andere Umgebung vor fi. Die unendliche Steppe,
diagonal durchſchneidet, am beften erforscht. Hier haben | hier von leichten Wellen, dort von feljigen Rücken durch—
bie barometrifchen Aufnahmen von Fuß und Bunge im | fchmitten, verſchwindet in bläulicher, undeutlicher Werne am
Jahre 1832, ferner die Reifen Timkowéki's, Kos | Horizonte und verändert nirgends ihren einförmigen Cha-
walewsti’s und anderer Gelehrten, welde gewöhnlich unfere | vafter. Hin und wieder weiden die unzählbaren Herden der
geiftlichen Miffionen nach China begleiteten, omobt den topo» | Mongolen, deren Jurten man ziemlich häufig, beſonders nahe
graphifchen Bau als and) die Natur diefes Theiles von Ajien | am Wege, antrifft. Diefer legtere ift jo gut, daß man auf
anfgeflärt. Endlich hat uns auch bie vor Kurzem aus» | ihm fogar bequem im Tarantaß fahren könnte. Die eigent-
geführte Reife des Aſtronomen Fritſche durch den öftlichen | liche Gobi hat noch nicht begonnen; den Uebergang zu ihr
rich der Gobi und meine eigemen Forſchungen im ihrem | bildet der hier bejchriebene Steppenſtrich mit feinem von aus⸗
fnböftlichen, füblichen und mittlern Theile feine räthfelhaften,
gezeichmetem Graſe bededten lehmigen Sandboden. Dieſer
ſondern ſichere, auf Beobachtungen gegründete Thatfachen in Sirich zieht ſich von Urga nach Südweſt, die Kalganer
Betreff des topographiſchen Baues, des Klimas, der Flora Straße entlang, gegen 200 Werft weit und geht dann un—
und Fauna der öftlichen Hälfte der großen mittelafiatifchen | merklich im die umfruchtbare Ebene der eigentlichen Wuſte
Wuſte geliefert. Gobi liber.
Zuerft haben die barometrifchen Aufnahmen von Fuß Aber auch diefe Gegend hat mehr einen wellenjörmigen
und Bunge bie bis dahin bei den Geographen herrſchende als ebenen Charakter, wenn fich aud) hin und wieder ganz
Annahme von der ungeheuern (angeblich, bis SO00 Fuß be» | ebene Plateaus viele Werfte weit hinziehen. Soldye Ebenen
tragenden) abjoluten Höhe der Gobi zerftört umd dieſelbe trifft man befonders häufig im der Mitte der Gobi, fo wie
auf 4000 Fuß reducirt. Ferner haben die Forfchungen der- | man wiederum in ihrem nördlichen und füblichen Theile
felben Gelehrten gezeigt, daf die abfalute Höhe der Gobi m | häufig niedrige Berge oder eigentlich Rüden findet, welche
Globus XXIX. Nr. 18. 26
202
theils wie vereinzelte Inſeln, theils wie ausgeftredte Züge
daftchen. Diefe Berge erheben ſich nur einige hundert Fuß
über die benachbarten Ebenen und find überreid, an Felſen.
Ihre Schluchten und Thäler find immer trodene Flußbetten,
welche nur bei einem ftarfen Regen, und auch dann nur
während einiger Stunden, mit Wafjer gefüllt find. In fol:
hen trodenen Flußbetten befinden ſich Brummen, welche bie
Bevölterung der Gegend mit Waller verforgen. Fließendes
Waſſer findet man auf der ganzen Strede vom Fluſſe Tola
bis am die Grenze des eigentlichen Chinas, aljo auf einer
Linie von faſt 900 Werft, mirgende. Nur während bes
Sommers, wenn Negen fällt, bilden fich hier auf dem leh—
migen Ebenen zeitweife Seen, welche in ber Periode der Hige
auẽtrocknen.
Der Boden der eigentlichen Gobi beſteht aus grobförni:
gem vothen Kies und Hleinem Gerölle, in welchem man ver:
ſchiedenes Seftein, ſo z. B. manchmal Achat, findet. Stellens
weiſe findet man Striche gelben Flugſandes; fie find jedoch
bei Weiten nicht fo umfangreich wie im üblichen Theile
derjelben Wille,
Ein folder Boden ift felbftverftändlich nicht geeignet,
eine gute Begetation hervorzubringen und deshalb ift die Gobi
feloft arm an Gras. Es ift wahr, man trifft an der Kal:
ganer Strafe ziemlich felten ganz entblößte Stellen, aber
dafiir erreicht auch überall das Gras faum die Höhe von
einen Fuß und bebedt laum den vöthlich » gelben Boden.
Nur hin umd wieder, und zwar an den Stellen, wo Lehm
die Stelle des Kieſes einnimmt, ober auch in den Berg:
thälern, wo die Sommerfeuchtigfeit im Boden länger vors
hält, zeigt fi) die Lasiagrostis splendens, von den
Mongolen „Ayrisu“ genannt, welche hier immer buſchweiſe
vegetirt, die Höhe von 4 bis 5 Fuß erreicht und immer hart
wie Draht ift. Hier fiebelt ſich auch manchmal eine einfame
Blume an, und wenn der Boden falzig ift, jo erfcheint die
Budargana (Kalidium gracile), das belichtefte Nahrungs-
mittel des Kameels. An allen übrigen Orten wächſt Lauch,
niedriger Wermuth, einige Compofiten und Lasiagrostis,
welche vorwiegend die Vegetation der Wüſte bilden. Bäunte
und Sträudyer giebt es gar nicht. Ya, fie fönnen hier
nicht einmal wachſen, ba außer den anderen widrigen phy-
ſiſchen Bedingungen aud) nod) die Winter- und Fruhlings⸗
winde Tag und Nacht mit einer ſolchen Gewalt tiber den
Boden dahinftreichen, daß fie jelbft den niedrigen Wermuth
mit dev Wurzel ausreißen und größere Maſſen defielben zus
ſammengerollt über die wüften Ebenen treibend das Wadjs-
thum verhindern.
In der eigentlichen Gobi trifft man unvergleichlich wes
niger Bewohner an als in dem vor ihr liegenden Steppens
ſtriche. Thatſächlich können aber auch nur der Mongole
und fein immerwährender Begleiter, das Kameel, bequen
in dieſen von Wald und Waſſer entblößten Gegenden, welche
im Sommer von einer tropiſchen Hitze durchglüht, im Win—
ter von einer dem Polarfrofte faſt gleichen Kälte abgelühlt
werben, leben. j
Im Allgemeinen hat die Gobi mit ihrem Wüftenaublide
und ihrer Einförmigfeit auf den Neifenden einen fchweren,
erdrlidenden Einfluß. Während ganzer Wochen zeigen fid)
feinen Bliden immer bdiefelben Bilder: unüiberfehbare Ebenen,
welche im Winter dem gelblichen Anflug des vertrodneten
vorjährigen Graſes haben, oder gefurdjte Felſenrücken, oder
endlich fchroffe Hügelreihen, auf deren Gipfel ſich manchmal
die Silhouette der ſchnellfüßigen Deren» Antilope (Anti-
lope gutturosa) bliden läßt. In gemefjenen Schritten
gehen die ſchwerbelaſteten Kameele; fie gehen zehn, ja felbft
Hunderte von Werften, aber die Steppe verändert ihren
Charakter nicht, fondern bleibt, wie fie gewefen ift, grimmig,
Albin Kohn: Prſchewalski's Reife von Ktiachta nad) Peling.
unfreundlid. Die Sonne geht unter, es lagert fich ber dun-
tele Schatten der Nacht, der wolfenlofe Himmel erglängt mit
Diilionen von Sternen, und die Karawane hält, nachdem
fie noch ein Wenig vorwärts gegangen, bei ihrem Nachtlager
an. Es freuen ſich die Hameele, wenn fie vom ſchweren
Gepäcke befreit werden, und lagern ſich ſogleich um die Zelte
ber Treiber, welche indeilen ihr nicht ſehr gewähltes Abend-
brot zubereiten. Noch eine Stunde vergeht, und Menſchen
und Thiere find eingefchlafen, und rings umher beginnt bie
Todtenruhe der Wifte zu herrſchen, ala ob im ihr wirklich
fein lebendes Wefen vorhanden wäre. Quer durch die ganze
Gobi, von Urga bis nad) Kalgan, eriftiren außer der Poft-
ftraße, die von Mongolen unterhalten wird, noch einige
Karamanenwege, welche gewöhnlich die Farawanen mit Thee
pafjiren. An der Poſtſtraße find in beftimmten Entfernun-
gen im Ganzen 47 Stationen vorhanden, eben fo viele
Brumnen ausgegraben und Jurten aufgeftellt, welche unfere
Pofthänfer vertreten; anf der Karawanenſtraße richten ſich
die Haltepläge der Mongolen nad) der Güte und dem Um:
fange der Weide. Uebrigens nomadiſirt bei diefen Straßen
nur die arme Einwohnerſchaft, welche bei den wanen
etwas zu verdienen fucht, entweder durch Betteln, ober durd)
das Hüten der Sameele, oder endlich durch den Verkauf ge
trodneten Miftes, des fogenannten „Argal*, welcher einen
fehr hohen Werth fowohl für den häuslichen Bedarf des
Nomaden als auch flir den Neifenden hat, dba er das einzige
Brennmaterial in der Wüfte Gobi iſt. -
Einförmig vergingen die Tage unferer Wanderung. Wir
hatten die Richtung des mittlern Karawanenweges gewählt,
machten uns gewöhnlich gegen Mittag auf den Weg und
wanderten bis Mitternacht, jo daß wir täglich durchſchnittlich
40 bis 50 Werft zurliclegten. Am Tage ging id) mit mei
nem Begleiter größtentheils zu Fuß vor der ni her
und ſchoß Vögel, weldye mir in den Wurf famen. Unter
diefen wurden die Naben (Corvus corax) bald unfere err
flärten Feinde durch ihre unerhörte Zudringlichkeit. Noch
vor unferer Abreife aus Ktiachta hatte ich bemerkt, daß einige
diefer Vögel an unfere Laſtkameele heranfamen, weldye hinter
den Wagen gingen, ſich aufs Gepäck fegten, dort etwas mit
den Schnabel ergriffen und davonflogen. Cine nähere
Unterfuchung ergab, daß die zubringlichen Bögel eines unferer
Säckchen mit Borrath zerriſſen hatten und nun Zwieback
aus bdemfelben heraudzogen. Nachdem fie ihren Raub ge:
borgen hatten, kamen fie nad) weiterer Beute wieder herbei.
Als ſich die Sache fo anfgeflärt hatte, wurden bie Diebe
erſchoſſen; aber Turze Zeit darauf erfchienen neue Räuber,
um daſſelbe Loos zu teilen. So ging es fat alle Tage
während ber ganzen Reife bis Kalgan.
Im Allgemeinen überfteigt die Zudringlichleit der Naben
in der Mongolei allen Glauben, Diefe bei uns fo vorſich
tigen Vögel find Hier fo dreift, daß fie den Mongolen beis
nahe aus dem Zelte Mundvorräthe ftchlen. Doch hiermit
begnügen fie ſich nicht; fie fegen fid) auf den Riten der
Kameele, weldye auf die Weide gefendet werben, und baden
ihnen mit dem Schnabel den Budel auf. Das dumme,
furchtſame Thier brüllt nur aus voller Kehle und ſpeit nur
auf feinen Peiniger, welcher ſich bald erhebt, bald wieder
niederläßt und mit dem ſtarlen Schnabel eine oft bedeutende
Wunde macht. Die Mongolen halten es flir eine Sünde,
die Vögel zu töbten, und verftehen e8 nicht, ſich von ihnen
zu befreion. Man kann nichts Eßbares außerhalb des Zeltes
liegen laſſen, es wird ſogleich von den zudringlicyen Vögeln
geftohlen, weiche, wenn fie feine beſſere Speife finden, das
ungegerbte Leder von den Theeliſten abreißen.
Die Naben (und im Sommer auch die Habichte) waren
während der ganzen Reife unfere gefchtworenen Feinde. Wie
Albin Kohn: Prihewalsti's Neife von Kiachta nach Peling.
oft haben fie uns nicht allein Fleiſch, fondern fogar präpa-
rirte elle geftohlen! Aber wie viel hundert Stuck diefer
Thiere haben auch mit ihrem Leben für ihre Zudringlichkeit
gt!
Bon anderen gefiederten Bewohnern ber Gobi haben wir
nur häufig den Einfiedler (Syrrhaptes paradoxns), den
ber ausgezeichnete Pallas am Ende des vorigen Jahrhunderts
entdect und befchrieben hat, geieben. Erift über ganz Mittel-
afien bis and Kaspiſche Meer umd mad, Tibet verbreitet,
Diefer Vogel, den die Mongolen „Bolduru“ und die Chis
nefen „Sadſchi“ nennen, hält ſich ausſchließlich in ber
Wüfte auf, wo er ſich vom Samen einiger Pflanzenarten
(des Meinen Wermuths, des „ Suldyyr* [Agriophylium
gobieum] und anderer) ernährt. Bon einem größern oder
geringern Gebeihen diefer Pflanze ift die Anzahl der Über:
winternden Einfiedler abhängig, welche fid) im Winter in
ungeheurer Zahl in den Witten von Alasfchan anſammieln,
wohin fie durch den fchmadhaften Samen des „Sulchhr“
angelodt werden. Im Sommer erfcheint ein Theil dieſer
Bögel in unferem Transbaifalien, wo fie Junge auabrltenr,
Ihre Eier, drei an ber Zahl, legen fie direct auf die Erde,
ohne weitere Unterlage; das Weibchen figt ziemlich feft auf
ihnen, trogdem doch diefer Vogel fehr vorfichtig ift. Im
Winter, wenn auf der mongolifchen Hochebene großer Schnee:
fall gewefen ift, kommt dev Einfiebler, von Hunger getvies
ben, in die Ebenen des nörblichen Chinas herab und hält
fich Hier in großen Herden auf; faum hat ſich jedoch das
Wetter glinftiger geftaltet, fo zicht er auch fort in bie heimath-
liche Wuſte. Der Flug des hier beſchriebenen Vogels ift
auffallend ſchnell, fo daß, wenn eine ganze Herde vorliber«
geflogen, man noch aus der Ferne einen eigenthimlichen,
fchrillenden Ton verninmt, wie während eines Sturmes;
hierbei geben die Vögel einen kurzen, ziemlich leifen Ton von
fi. Auf der Erde läuft der Einfiedler Sehr jchlecht, wahr:
fcheintich infolge einer beſondern Conftruction feiner Füße,
deren Finger mit einander verwachfen find, während die Sohle
mit einer warzenartigen Haut bedeckt ift, was theilweife an
die Haden des Kameels erinnert.
Nach der Morgenfütterung fliegen die Cinfiebler immer
einer Trünke, einer Quelle, einem Brunnen ober Heinen
Salzjee zu. Ehe fid) die Herde mieberläßt, umkreift fie
einige Male das Gewäſſer, um fich zu überzeugen, daß feine
Gefahr droht. Dann läßt fie fid) ans Waffer herab, trinkt
ſich fehr ſchnell jatt umd entflicht wieder, Die Tränfen
werben von dieſen Bögeln ſehr pünktlich befucht; fie kommen
oft aus weiter Entfernung, wenn fie in der Nähe kein Wafs
fer haben.
Die mongolifche Yerdye (Melanoeorypha mongo-
lien), eine der größten Specien ihrer Gattung, hält fid) nur
in den Gegenden der Sobi, wo fie die wiefenartige Steppen«
form annimmt. Deshalb findet man die hier befchriebene
Species nur fporabifc in der Wilfte; aber dafür ſammeln
fidy diefe Vögel im Winter in großen aus hundert, ja oft
aus taufend Eremplaren beftehenden Herden hier an. Am
meiften fahen wir fie amı Südrande der Gobi; im eigentlichen
China find fie ebenfalls, wenigftens im Winter, nicht felten.
Sie ift der befte Sänger der mittelafiatiichen Wuſte. In
diefer Kunſt fteht fie faft ihrer europäifchen Schwefter gleid).
Außerdem befigt fie auch ſehr viel Talent im Nahahmen
der Stimmen anderer Bögel und fie flickt oft deren Strophen
in die des eigenen Liedes ein. Sie fingt, indem fie fich erhebt,
wie unfere Yerche, aber auch oft, wenn fie auf einem hervor⸗
tragenden Gegenftande, 3. B: auf einem Steine, oder Erd»
Hofe, fügt. Die Chinejen nennen biefe Lerche „Baislin*,
lieben ihren Geſang fehr und halten fie oft im Bauer,
Wie der Einfiedler zieht and) die mongolifche Yerdye im
203
Frühling nad; Norden, nad) Transbaifalien und erzieht dort
ihre Jungen; doch bleibt ber größte Theil in der Mongolei
zurück. Sie baut ihe Neft, wie die euvopäifche Species, in
einer Meinen Vertiefung des Bodens und legt 3 bie 4 Gier.
In der mongolifcen Wilfte, wo die Kälte während des gan-
zen Frühlings abwechfelnd eintritt, niftet die befchriebene
Lerche fehr fpät, jo dag wir am Südoftrande ber Mongolei
im Anfange, ja fogar noch in dev Mitte Junis ganz frifche
Eier fanden. Zum Winter fliegt diefe Species in die Ge—
genden der Gobi, wo entweder gar fein oder doch mur weni
Schnee gefallen iſt. Trotz der Kälte, welche hier mandma
bis — 37,0° E. (ja jogar nad) den in Urga gemachten
Beobachtungen mehr) beträgt, überwintern die Perchen ſehr
gut und Halten ſich gewöhnlich im Gebifche des „Dyrifu*
(Lasiagrostis splendens) auf, deffen Heine Samenförner in
dieſer Jahreszeit ihre Hauptnahrung bilden. In dieſem Um:
ftande, welcher auch an anderen Bögeln beobadjtet worden ift,
jehen wir einem directen Hinweis darauf, daß viele unferer
Vögel zum Winter nicht der Froft nod) Süden treibt, fon:
dern der Mangel an Futter,
Die mongolifche Lerche verbreitet ſich im Süden bis an
den nördlichen Bogen des Gelben Fluſſes (41° nördl. Br.)
und erfcheint dann, mit Vermeidung von Ordos, Ala-fchan
und der Öchirgägegend von Kanſu in den Steppen bes Sees
Kufu:noor. Gleichzeitig mit der befcjriebenen Species Uber⸗
wintern auch in der Gobi zwei andere Lerchenſpecien
und zwar die Otocoris albigula (Alauda pispoletta?)
und die lappländifche Lerche (Pleetrophanes lapponica).
Diefe fegtere findet man Übrigens in größeren Herden im
Lande der Zadjaren, d. h. am Endoftrande der Gobi.
Bon Säugethieren, welche diefer Wuſte eigenthümlich an-
gehören, faun man für jegt nur zwei Charakterſpecien auflih⸗
ren, den Pfeifhafen und die Dferen- Antilope.
Der Pfeifhafe (Lagomys Ogotona), oder, wie die Don»
golen ihn nennen, der „ Ogotono“ (b, b. ber Kurzſchwänzige),
gehört zu der Gattung von Nagern, welche nach der Con—
firuetion ihres Gebiſſes als nahe Verwandte des Hafen
betrachtet werben. Das Thierchen felbit erreicht die Größe
einer gewöhnlichen Matte und lebt in Höhlen, die es ſich in
der Erde gräbt. Der Pjeifhafe wählt zu feinem Aufenthalte
ausſchließlich eine wiefenartige Steppe, vorziiglidy wenn fie
hligefig ift, fowie auch die Thäler im Baifalgebirge und des
nördlichen Striches der Mongolei. Im der unfrudjtbaren
Wifte findet man diefes Thierchen nicht, deshalb fieht man
es in ber mittlern und füdlichen Gobi nicht. Doc; find ihrer
ſehr viele im ſudöſtlichen, wiefenveichen Stridye der Mongolei
vorhanden.
Im Allgemeinen ift der Ogotono ein jehr merlwürdiges
Thierchen. Seine Höhlen baut er immer gemeindeweife,
fo daf man dort, wo man cine foldje Höhle gefunden hat,
ihrer zehn, hundert, ja ſelbſt Taufende findet. Im Winter,
wenn große Kälte herrſcht, fommen die Ogotonen, trotzdem
fie dein Winterfchlafe nicht unterworfen find, nicht aus ihren
unterirdiſchen Wohnungen; kaum hat jedoch die Kälte etwas
nacgelaffen, fo kommen fie zum Borfchein, fegen ſich vor
dem Cingange nieder, um ſich an der Somme zu wärnen,
oder laufen ciligft aus einer Höhle in die andere. Wähsend
diefes Treibens hört man die Stimme des Thierchens, welche
dem Pfeifen einer Maus ähnlich, jedoch weit ftärker iſt. Der
arme Ogoton hat fo viele Feinde, daß cr beftändig auf feis
ner Hut fein muß. Aus diefem Grunde ſchleicht er oft nur
in halber Körperlänge aus der Höhle heraus und vedt den
Kopf in die Höhe, um fich zu Überzeugen, daß er ficher fei.
Der gemeine und der Steppenfuchs, dev Wolf, Buſſarde
(Butes ferox), Habichte, Falten, ja fogar Adler vernichten
alltäglich) unzählbare Mengen der hier beſchriebenen Thier—
20 *
204
hen. Die Geſchicklichteit der gefiederten Näuber auf diefen
Jagden ift erftaunlich. Ich jelbft fah ſehr oft, wie ein Buf-
fard von oben herab mit einer folchen Schnelle auf einen
Ogoton ftieh, daß dem Thierchen nicht Zeit blieb ſich in feine
Höble zu duden. Einmal hat vor unferen Augen aud) ein
Adler ein ſolches Kunftftiid ausgeführt, indem er fid, aus
einer Höhe von mindeftens 30 bis 40 Klafter auf einen vor
feiner Höhle figenden Bfeifhafen ftärgte. Die Buffarde näh«
ren ſich dermaßen ausfchlichlid; von Pfeifhafen, dag fie fogar
ihre Winterquartiere in der Gobi hauptſächlich mad) der Ans
zahl diefer Nager einrichten, Nur die befannte Fruchtbarkeit
der legteren rettet fie vor gänzlicher Vernichtung.
Im Charakter des Pfeifhafen überwiegt vor Allen bie
Neugierde. Wenn er einen herannahenden Menſchen ober
Hund ſieht, läßt er ihm auf zehn Schritte an ſich herankonte
men und fchlüpft dann mit Bligesjchnelle in feine Höhle.
Aber die Neugierde erhält bald das Uebergewicht liber die
Furcht. Nach einigen Minuten zeigt ſich wiederum am Ein:
gange der Höhle das Köpfchen des Thierchens und es fommt
jogleich aus ihr heraus, um feine frühere Stelle einzunehmen,
wenn ſich der Giegenftand feiner Furcht entfernt, Der Ogos
tono hat noch eine Eigenthümlichkeit, welche auch andere
Arten Pfeifhafen befigen; fie beftcht darin, daß dieſe Thier-
chen fich fiir den Winter Henvorräthe beforgen, welche fie
am Cingange der Höhle aufftapeln. Diefes Heu fanmeln
die Thierchen gewöhnlich gegen das Ende des Sommers;
es wird forgfältig getvodnet und in Bündel von 4 bie 5,
manchmal aber auch bis 10 Pfund Gewicht gebradit; es
dient dem Pfeifhafen fowohl als Streu wie als Winterfutter.
Dft aber ift die Mühe des Thierchens vergebens und das
Vieh der Mongolen frißt feine Borräthe auf. In diefem
Falle muß das Tierchen fich mit dem trodenen Graſe ber
Wüfte, welches es in der Nähe der Höhle findet, durd) den
Winter hindurchſtümpern. -
Auffallend ift, daß der Pfeifhafe ſehr lange ohne Waſſer
fein fann. Nehmen wir an, daß er im Winter fich mit
Schnee, der hier und da gefallen ift, begnägt, und im Sommer
mit Regenwafler; wenn das legtere nicht genügt, kommt ber
wenn auch hier felten jallende Thau zu Hülfe Aber es
entfteht die Frage, was der Ogoton im Paufe des Frühlings
und Herbficd trinft, wenn in der mongolifchen Hodjebene ojt
Monate lang feine Feuchtigkeitsniederſchläge ftatıfinden und
die Trodenheit der Luft die äußerſte Grenze erreicht.
Das hier beſchriebene Thierchen verbreitet fic gegen Sud
bis an den nördlichen Bogen des Hwang-ho; weiterhin wird
es don anderen Specien vertreten,
Ter Djeren (Antilope gutturosa) ift eine Antilopen-
ſpecies, welche die Größe eines gewöhnlichen Rehes erreicht,
und gehört der Gobihochebene, befonders aber dem öftlichen,
weniger wäftenartigen Theile derjelben, eigenthümlich an.
Doc) trifit man diefe Antilopen auch in der weſtlichen Mon—
golei (doch niemals in Ala-fchan, wo die Wiüfte für fie ſchon
zu wild amd zu unfruchthar ift) und am Sce Kuku-noor,
welcher die Ziidgrenze ihrer Verbreitung bildet.
Dieſe Antilope lebt immer in Herden, welche mandmal
aus einigen hundert, ja taufend Stliden beftehen. Solche
bebeutende Anſammlung findet jedoch nur an fehr futterreichen
Orlen ftatt, Am häufigften trifft man den Dferen in Ge:
fellichaften von 15 bis 30 oder 40 Gremplaren. Indem
fie nad) Möglichleit die nahe Nachbarſchaft des Menfchen
vermeiden, leben fie dody immer auf den befleren Weiden und
wandern wie die Mongolen von einer Stelle auf die andere,
indem fic ſich mach der Menge der Nahrung, welche ihnen
die Weide bietet, richten. in ſolches Ucberfiedeln findet
häufig auf große Entfernungen und zwar befonders im
Sommer ftatt, wenn die Dirre die Antilopen auf die reichen
Albin Kohn: Prſchewalsti's Reiſe von Kiachta nad) Peling.
Weiden der nördlichen Mongolei, ja ſelbſt bis im die füdlichen
Gegenden Transbaifaliens treibt. Im Winter werden diefe
Thiere häufig vom tiefen Schnee gezwungen, einige hundert
Werft zu wandern, um mach Gegenden zu gelangen, im denen
— oder gar lein Schnee liegt.
ieſe Antilope gehört ausſchließlich der Steppenebeue an
und meidet forgfältig Berggegenden. Doch hält ſich der
Deren auch, beſonders im Frühlinge, in hügeligen Steppen
auf, wohin ihn die jungen grünen Bin verloden, welche
fich hier unter dem Cinfluffe der Sonne ſchueller entwideln.
Sebitich und das hohe Geſtrüpp der Laſiagroſtis vermeiden
diefe Thiere mit größter Sorgfalt; nur im Mai, während
der Wurfzeit, fonımt das Weibehen an folde Orte, um dort
ihre Neugeborenen zu verbergen. Diefe legteren folgen
übrigens ſchon einige Tage nad) ihrer Geburt ihrer Mutter
liberal hin und laufen eben fo ſchnell wie die Alten.
Die Stimme diefes Thiered famı man nur fehr ſelten
vernehmen; die des Männchens befteht in einem furzen, ab:
geriffenen Blölen (die des Weibchens habe id; nicht veruom:
men). Seine Schnelligkeit iſt bewundernswlirdig; auch feine
intellectuelle Befähigung befindet fi auf einer ſehr hohen
Stufe der Eutwidelung. Dank diefen Eigenſchaften wird
der Deren nur felten eine Beute feiner Feinde, der Meuſchen
und der Wölfe,
Die Jagd auf ben Dſeren iſt ſehr ſchwierig, ſowohl wegen
der Vorſicht des Thieres, als aud) wegen feiner Unempfind-
lichkeit gegen Schmerzen. In der offenen Steppe läßt ſich
der Dieven den Däger nicht auf mehr als filnfhundert
Schritt nähern; wenn er aber durch Verfolgung ſcheu ger
worben ift, fo flieht ex ſchon aus der doppelten Entfernung.
Sid) aus irgend einem Verftede auf der Ebene herbeizu:
ſchleichen, ift auch ein fehr rielantes Unternehmen, dein dies
fes Thier wermeibet forgfältig folde Stellen Nur im der
bergigen Steppe gelingt es, fi dem Dferen bi® auf drei:
hundert, im feltenen Fällen felbft auf zweihundert Schritt
oder auf noch geringere Diftanz zu mahen; aber auch dann
fan man nicht ficher auf feine Beute rechnen. Denn ans
genommen, man trifft ben Deren mit einer guten Büchſe
aus einer Entfernung von zweihundert Schritt, aber nicht
in den Kopf, das Herz oder Ruckgrat, fo entflicht ev, felbft
wenn er tödtlich verwundet ift, und geht oft jür den Däger
verloren. Mit einem durchſchoſſenen Fuße flieht er noch jo
ſchnell, daß man ihn felbft auf einem guten Pferde nicht cin-
holen lann. Zur Jagd ift durchaus cine Blidyfe mit großer
Tragweite und hohem Biſir nothwendig. Diefer Umftand
ift ſehr wichtig, da beim Schießen auf bedeutende Entjernung
die Diſtanz nicht geman angegeben werden kann und die Hu:
gel einmal fiber das Thier himwegfliegt, ein anderes Mal
vor ihm in die Erde ſchlägt. Ebenſo ift zur Buchſe durdys
aus eine Stüge nothwendig, wie fie von allen fibirifchen
Jägern gebracht wird; ohne eine ſolche Stüge ift cs unmög:
lid, aus größerer Entfernung und wenn man lange und
ſchnell geht, ficher zu ſchießen, da dann im Folge des jchuels
lern Blutumlaufes die Hand die Waffe bei Weiten nicht
fo feft hält, wie es beim ruhigen Stehen der Fall if. Mit
einen Worte, beim erſten Schritte, den man in die afiatijche
Wüfte thut, muß der Däger feine europäiſche Praftit ver-
geilen und Vieles von den Jägern der Gegend erlernen,
Die Mongolen jagen den Dferen mit ihren ſchlechten
Lunlenflinten folgendermaßen. Im der Steppe, in welcher
ſich viele Antilopen befinden, graben die Jäger in beftimm:
ter Entfernung von einander Feine Löcher und zeigen ſich
nun einige Wochen nicht in der Gegend, damit die Thiere
fi) am die Löcher gewöhnen, welche anfangs immer cin
großes Miftranen in ihmen erweden. Hierauf reiten die
Jäger am die vorbereitete Stelle und fteigen in die Löcher,
Entjtehung und Entwidelung der deutſchen Golonien Santa Eruz und Mont Alverne. 205
während andere, ihre Gefährten, indem fie ich mad) dem | wegen ihres ſchmackhaften Fleiſches, wie auch wegen des Fel—
Winde vidyten, die Antilopen dem Hinterhalte zutreiben, vom | les, das zu Winterfleidung benugt wird, eifrig verfolgt.
wo aus die Thiere aus einer Entfernung von funfzig Schrit- Uebrigens tragen die Nomaden jelten ui (mit dem Haare
ten, häufig fogar aus noch größerer Nähe, erlegt werden. | mac außen), ſondern verkaufen fie unferen Kaufleuten in Urga
Die Treiber müffen jehr gelibt fein umd den Charakter des | oder Kiadıta, Außer der Jagd mit dem Gewehre bedienen
Dieren genau kennen, denn fonft ift alle Mühe vergebens. | ſich die Mongolen noch anderer Mittel, um Yutilopen zu
So darf z. B. der Reiter nicht geradezu auf die Thiere los- fangen; fie machen zu diefem Behufe aus Dyrifu (Vajiagro-
gehen; deum im diefem Falle flürzen fie fi vorwärts auf | ftis) Ballen, welche die Geftalt von Schuhen haben. Wenn
ihn und entlaufen oft in der emtgegengejegten Richtung. | ein Thier mit dem Fuße in einen folden Schuh tritt, fo
Gewöhnlich reiten die Treiber weit ab von den Thieren, ſchneidet und fticht ihm derfelbe den Fuß dermaßen, daß es
nähern ſich ihnen laugſam umd thun, als ob fie fie gar nicht | ftark zu lahmen beginnt, ja oftmals gar unicht weiter gehen
beobachten, fie haften oft an, reiten daun wieder im Schritte in | Tann.
einer andern Richtung und treiben fo die Herde langſam vor Auer dem Menſchen vertilgen die Wölfe fehr ftark die
ſich her, bis fie fie endlid am die,Berftede der Schüigen bringen. | Untilopen, denn fie machen, wie die Mongolen jagen, herden-
Die Nomaden haben noch eine zweite Art Antilopenjagd, | weife förmliche Treibjagden. Endlich herrſcht audy unter
welche folgendermaßen betrieben wird, Der Mongole bes | den Antilopen mandmal eine Krankheit, der viele erliegen,
fteigt ein ruhiges, zur Jagd abgerichtetes Kamel nnd reitet | wie ich mich felbft im Winter 1871 überzeugt habe.
in die Steppe. Sobald er Antilopen erblicdt, fteigt er ab Während unferer Reife nach Kalgan ſahen wir das erfte
und bewegt ſich, indem er jein Thier am Ziigel führt, lang: | Mal etwa 350 Werft hinter Urga Antilopen. Ich brauche
fan vorwärts auf die Thiere zu, wobei er bemüht iſt, ſich micht zu fagen, welden Eindrud die Herden diefer von und
hinter dem Körper des Kameels zu verſtecken und mit ihm | mie zuvor gefehenen Thiere auf uns gemacht haben. Wir
im Tacte zu fchreiten. Die Antilopen werben anfangs | jagten zum größten Aerger unferer Mongolen, welche, gern
ftugig, da fie aber nur das Kameel fehen, das einförmig | oder ungern, gezwungen waren, oftmals ſſundenlang mit der
daberjchreitet und dabei graft, jo laſſen fie dem verftedten | Karamane auf uns zu warten, ganze Tage hinter ihnen her.
Yäger auf hundert Schritt, ja jogar noch näher herankommen, | Das Murren unferer Fuhrleute erreichte den höchſten Grad
Gegen Ende des Sommers, im der Brunftzeit, find die | und legte ſich erft, als wir ihmen das Fleiſch einer der er-
Antilopen fehr fett und werden dann von den Mongolen | legten Antilopen fchenkten.
Entftehung und Entwidelung der deutfhen Golonien Santa Eruz umd
Mont’ Alverne.
Bon Oscar Cannfatt,
Santa Cruz mit feiner Nebencolonie Mont’ Alverne ift
eine der enffernteren deutſchen Auſiedelungen der Provinz
Dom Pebro Rio Grande do Sul und liegt fo zu fagen am
äußerten Saume des Hochlandes, der Cofta da Serra, wo
es ſich hauptſächlich von Süden nad) Norden hin ausdehnt.
Das Gebeihen von S. Yeopoldo, jener befannten An:
fiedelung in ber Nähe der Brovinzialhauptftadt Porto Alegre,
bes eigentlichen Stodes der jübbrafilianifchen deutſchen Colo⸗
nien (1824 gegründet), mochte wohl hauptſächlich zur Ghritn-
dung einer zweiten Colonie anregen. Auch die Gegend und
Bodenbeichaffenheit, melde der von ©, Yeopoldo nicht un:
ähmlic find, verlodten zur Golonifation. Nicht allzufern
von dem fchiffbaren Jacuhy glaubte man jchließlich, in ©.
Eruz durch den die Colonie durchfirönenden Rio Pardinho,
welcher allerdings erſt der Schifffahrt zugänglich gemacht
werden follte, für den Verkehr die allerglinftigiten Verhält-
niffe gefunden zu haben. Im Jahre 1848 wurde daher die
Gründung der Gofonie durch deu damaligen Präfidenten
ber Provinz, Marſchall Andrea, in Ausficht geftellt und
1849 thatjächlich mit der Golonifation durch die von cimem
gewiffen Ingenieur, Abel da Camara, hergeftellte ſoge—
naunte Serraſtraße und die Anfiedelung von dreischn deut⸗
ſchen Einwanderern daſelbſt begonnen.
Obgleich, man zur Oeffnung diefer Serraftraße bie
hatte, war die Herflellung ber Commmnication mit der Serra
duch jene Straße durchaus feine Bedingung flir das. Ge ·
deihen und Emporblühen der Colonie. Beiläufig erwähnt,
hatte der oben genannte Ingenieur, um den Beweis ber
Vollendung feiner Arbeit zu liefern und die contrahirte
Summe in Empfang zu nehmen, cine Carrete (brafiliani-
ſches zweiräderiges Fuhrwert) zerlegen und auf dem Rliden
von Maufthieren bis zum fogenannten Parebio, dein äußer—
ften Punlte, faft auf dem Gipfel der Serra, trandportiren
laffen, wo biefelbe zuſammengeſetzt, aufgeftelt und jpäter
bei Nevifion ber Arbeiten dem Regierungecommiffär zur Bes
glaubigung der Fahrbarkeit des Weges gezeigt wurde, —
Die Straße ift feit jener Zeit zur Hälfte wieder verwachſen
und unpaffirbar, gefdjweige daß fie als Fahrweg mad) der
Serra benugt würde. — Den ersten dreizehn Coloniften
folgten fchon im Februar 1850 59 andere und im Decem—
ber deſſelben Jahres abermals 17 Perſonen. Alle diefe Co—
foniften wurden auf dem 2,100,000 Qmadrat-®ragen (rund
4000 preußiſche Diorgen) großen Grundſtück untergebradıt,
welches zuerft 1822 im Bejig eines gewiſſen Joäo de Fa⸗
rias Nofa fid) befand, von weldyen es an den Commen—
dador Antonio Martins da Eruz überging, um durd)
ein Provinzialgefeg (Nr. 248 vom 25. November 1852)
volftändig durch vorherige Erpropriation zur Provinzial-
enorme Eumme von 80 Gontos de Reis (224,800 Aran- | colonifation verwendet zu werden, Bon jenem legten Eigens
fen; 1 Milreis zu 1000 Reis gleid) 2,25 Mart; 1000 | thümer mag die Colonie auch den Namen Santa Ernz be
Milreis bezeichnet man mit 1 Cotto de Reis) vergendet | lommen haben, wenn nicht, wie laum anzunehmen, der Name
rn:
206
eine Neminifcenz an die frühere Totalbenennung von Bras
filien, ald dem „Lande von S. Cruz“, fein fol. Die offie
cielle Benennung der Povoagao von S. Cruz (des heutigen
Stadtplages) ift „Faxinal de João de Farias“. Dieles
Farinal oter der Stadtplag wurde in den Jahren 1852
bis 1855 vermeflen, eingeteilt und mit Marten verjehen,
um fo den Mittelpunft der vingsummer fich ausdehnenden
Anficdelungen zu bilden. Das Land wurde hier nicht in
Golonies, fondern vorzugäweie in Hausplätze eingetheilt.
Nach Art der nordamerilaniſchen Anfiedelungen wurden
Duadrate, abgeftedt, deren jedes eine beftimmte Anzahl von
Hansplägen enthielt, während eines ber gleichjeitigen Vier:
ede für einen fogenannten Pogradour Publico iu Reſerve ge
halten wurde.
Die 23 Duadrate haben 60 Bragen auf jeder Seite
(1 Braga = 7,00961 preuß. Fuß) und enthalten 528 Haus ·
pläge, von denen 498 wirklich zu Privathausplägen verwen-
det werden, während 8 davon zu Sirden und 22 als Lo—
gradour (das heit: öffentlicher, befier Gemeindeplatz, An-
ger) dienen folten. Die Yage des Farinals bot infofern
einige Bortheile, als das Terrain ein etwas ebeneres war,
als in den übrigen Theilen der Colonie, und dicht am Camp
lag, wo eine bereits fahrbare Straße zur ftetigen Communis
cation mit der Municipalhauptftadt Nio Pardo diente, von
wo die Damıpfer auf dem breiten Rio Yacuhy dem directen
Verkehr mit Porto Alegre vermittelten,
Die Anlage der ganzen Golonie war im Allgemeinen
eine durchaus beglinftigte. Bereits im Jahre 1851, alfo
zwei Jahre nady Eröffnung der erften Picade, fanden ſich
145 Perfonen ein, weldye, theils eben in Brafilien eingewan-
dert, theils Söhne von ©. Yeopoldenfer Aufiedlern, Colonie
pläge in S. Cruz verlangten. Um aber der fo fehnell in
Aufnahme gelonmmenen deutjchen Colonie einen noch geößern
und ſchnellern Aufſchwung zu verfchaffen, ſchloß der dama—
lige Provinzial: Vicepräfident, Dr. Yuiz Alves Leite de
Oliveiro, mit einem dort angeficdelten Deutichen, Namens
P. Kleudgen, einen Contract ab, nad; weldyem legterer
ſich verpflicytete, binnen zwei Jahren 2000 Goloniften her:
beizuſchaffen. Der Erfüllung einer fold; großen Aufgabe
traten indeffen nicht allein pecuniäre und Transportſchwie⸗
rigfeiten, fondern vorzugsieife die Vorurtheile der deutfchen
Vehörden in jeder Weije hindernd in den Weg. Kleudgen
that zwar das Möglic;fte, dod; wollte es ibm nicht gelins
gen, den geleifteten Berfprechungen nachzufommen. Aber felbft
die nur halbausgeführte Sache bradjte der jungen Golonie
einen nicht unerheblichen Zufluß von Yeuten und Capitalien.
Die Zahl der nach drei Jahren (1854) wohl hauptſüchlich
auf Kleudgen's Veranlaſſung herübergeflommenen Goloniften
belief fich ſchon auf die beträchtliche Summe von 891 Per—
fonen. Die erften etwa 600 Kleudgen'ſchen Goloniften er»
hielten Teine directen Subfidien von der Regierung; dennod)
beliefen ſich die Koften der Provinzialregierung bis Ende
1554 an Vermeflungsipefen, Directionsgehalten u. ſ. w.
auf 90 Contos de Reis (252,900 Franc), jo daß jeder
einzelne Colonift im Durchſchnitt etwa 100 Milreis (281
trance) foftete.
Analog den alten S. Yeopoldenjer Eoloniepicaden wurde
©. Cruz in gleicher Weife mit Picaden (Durchhaue, meift
geradlinig) verfehen umd in diefen zu beiden Seiten nad)
Golonieplägen eingetheilt. Man vergegemwärtigt ſich eine
ſolche Picade am beften durch ein langgeftvedtes Dorf, in
weldyem nur ab und zu zu beiden Seiten der Strafe Häu—
fer auftauchen. Die Fronten der einzelnen Looſe variiren
hierbei meift zwiſchen 100 und 200 Bracas (700 bis 1400
preuß. Fuß) Breite und 1000 bis 1500 Bragas (7000
bis 10,500 Fuß) Länge.
Entftehung und Entwickelung der deutichen Golonien Santa Eruz und Mont’ Alverne.
Ie nad Umständen find hierbei die Picaden bald auf
dem Rüden der Bergglirtel, bald auf dev Sohle der engen
aber langgezogenen Thäler amgelegt, Das Bild, welches
ein folcher Goloniecompler bietet, leidet durch die ſich jaft
liberal gleichbleibende Anlage zwar fehr an landſchaftlicher
Monotonie, doch ift es vortheilhaft für die Vewohner einer
Picade. Da Leder nahe an der Berbindungaftrage wohnt
und mit Ausnahme des Außerften Coloniſten zu beiden Sei-
ten feines Gehöftes Nachbaren hat, ſo ift der gefellige Ber
lehr jelbft in den entfernteften Gegenden möglich und- in
etwaigen Fällen dev Noth ſchnell bei den benachbarten Colo-
niften Hllfe zu finden,
Nachdem nun erſt eine gewille Anzahl von Leuten jeften
Wohnfig im ber menen Colonie genommen hatte, wurde bald
daran gedacht für Kirchen und Eulen zu ſorgen. Da man
bei den verhältnigmäßig geringen Mitteln der Gemeinde
aber orbinirte Geiftliche zur Leberfiedelung von Deutfchtand
nad) Brafitien in der erften Zeit nicht bewegen fonnte, fo
wurde ein ehemaliger preußiſcher Hähnric) als proteftantifcher
Prediger engagirt, der lange genug diefes Amt, wenn and
nicht immer im Sinne eines wirklichen Theologen, verſehen
hat. Der Dann ift heute Viehhändler. Der Bau einer
Kirche ſcheiterte, obgleich 4 Contos de Reis von der Negie-
rung 1852 dafür bewilligt waren, am dem Mangel allen
Zufammenhaftes unter ben Deutſchen. Bon da ab erfuhr
übrigens die Eolonie merflid, weniger Berglinftigumgen, als
ehemals ©, Yeopoldo und jene Anſiedler. Mit den Pro-
vinzialbecret vom 5. December 1851 glaubte man genug
file die deutfche Einwanderung gethan zu haben. Man hatte
nur leider dabei überfehen, daß die meiften der becretirten
Artikel bloß auf dem Papiere ftanden, in Wirflichleit aber
von deren Ausführung wenig zu hören und zu fehen war.
Wir können füglid von einer Anführung mıd Kritif des
betreffenden Gefetzes abfehen, da es längft durch andere Be—
ſtimmungen erjegt ift, und erwähnen nur, dag Dank dem
richtigen Urtheile des Präfidenten Sinimbuü die Einwande:
rung durd) die verheißenden Worte der einzelnen Geſetzes—
artite wefentlic, gefördert wurde,
Das eigentliche Wachsthum und Emporblühen der Colo—
nie batirt nun vom Jahre 1855 ab. Im dem Jahrzehnt
von 1855 bis 1865 hob ſich der Goloniecompler auf den
heutigen Stand. Im jenem Zeitraum finden wir and) zum
erften Male nad) einander verjchiedene Directoren an der
Spige der Colonteverwaltung ftehen, deren Namen für die
mit den Berjönlichkeiten unbefannten Leſer faum Intereſſe
haben dürften. Bemerlenswerth erfcheint nur der Umftand,
daß diefe Beamten, wie es durchgehends im dem romaniſchen
Staaten mit den meilten höheren Beamtenclaffen der Fall
zu fein pflegt, mit der Partei, welche fid, momentan in Rio
de Janeiro oder in Porto Alegre am Ruder befand, wechſel⸗
ten. Es dürfte übrigens hier am Plage fein, die Aufgabe
und Thätigfeit eines ſolchen Goloniedivectors etwas näher
zu erläutern. Zunächſt machte fich für die Negierung bei
Gründung von Golonien die Nothwendigfeit geltend, in der
Nähe des Plages oder beffer noch an dem Orte ſelbſt einen
Beamter eimzufegen, der die Eintheilung, Bermeſſung umd
Austheilung der einzelnen Yoofe beforgte, Dies follte die
Dauptaufgabe des Directors fein. Nachſidem war es nöthig,
einen höhern Beamten am Orte zu haben, der als Dolmet-
ſcher jungirte, um die Beichwerden, Witten, Geſuche u. ſ. w.
der hauptſächlich deutjchen Coloniften an die brafilianiichen
Behörden zu vermitteln, da der gewöhnliche Golonift noch
nad) Jahren nicht und im dem meiften Fällen faft nie ber
Yandesipradye, des Portugiefifchen, fo weit mächtig wird, um
ſich ſchriftlich verftändlid; machen zu fünnen. Ferner war
es cine Nothwendigleit, einen eine Behörde repräfenircnden
Aus allen Erdtheilen.
einzelnen Beamten zur Schlichtung und Beilegung nicht zu
vermeidender Streitigleiten zur Stelle zu haben, ferner um
fir die zwedmäßige Anlage von Commumicationswegen und
Brüden in der Colonie zu forgen und die Keftaurirung und
Renopirung alter Anlagen zu Überwachen. Alle diefe Fune⸗-
tionen wurden zuerſt den Coloniedirectoren liberwiefen.
Im neueſter Zeit find zu biefen Wrbeiten noch eine
Menge weitläufiger Scyreibereien gelommen, deren geringer
Werth die Nachtheile fauım aufwiegt, welche durch die natlir-
liche Bernadjläffigung des äußern VBerwaltungsdienftes ent:
ftehen. In vielen Fällen befleidet auch noch der Director
nebenbei das Aut eines Juiz de Paz (Friedensrichter) oder
eined Subdelegado (Polizeicommiffär), was ‚wir durchaus
nicht gutheißen fünnen, da er als folder befugt ift, Strafen
über die Leute zu verhängen ohme jede andere richterliche
Nebencontrole. Indeſſen läßt ſich bei der Iolirung eines
Goloniedirectord weniger dagegen, als für Lebertragung eines
Richteramts an feine Perfon fagen. Sehr mißlich find
nämlich folche Poften ohme amtliche Gewalt, wo der Sit bes
Subdelegados viele Meilen von der Colonie entfernt und
unter den Coloniſten feine Suborbimation zu finden ift. Die
Regelung der Verwaltung ift eben eine ungemein ſchwierige.
Der richtigſte Weg für das Colonialregime wäre viel»
leicht der, nach vollendeter Bermeffung und Chartirung des
Eoloniediftrictes den Poften eines Coloniedirectors unbeſetzt
zu laffen, ‘den anfommenden Cimvanderern aber ſchon im
Hafen durch den Generaldirector und Dolmetjceragenten
(dies ift der Titel des oberjten deutſchen Provinzialbeamten)
ihr zufünftiges Colonieloos nad, Einficht von möglichft zu
vervollfommmenden Karten anzuweiſen. Hierzu erhielte der
nene Ankömmling eine Anweifung, nad) deren Einſicht die
Gemeinde refp. Colonievorftand, wozu event. der ältefte oder
zuverläffigfte Colonift am Orte gewählt wiirde, das Yand
dem fünftigen Befiger unter Begehung der Örenzen deſſelben
iiberwiefen. Alle übrigen Geſchäfte wiirden wir am liebften
den Händen eines umparteiifchen und guten Subdelegaben
Aus allen
Die Eingeborenen von Weftauftralien.
H. G. Der befaunte weſtauſtraliſche Reifende John
Forreft giebt über die Eingeborcnen feiner Eolonie, welche
er auf jeinen drei Reifen im Buſh kennen lernte, folgende
Mittheilungen. Die Eingeborenen Weftanjtraliens zerfallen
im die zwei großen Stämme der Jornderuß und der Ballavoof,
welche aber wieder vielfach geipalten find. Beide Stämme
verheiratben ich nie im fich, jondern nur unter fich (Eroga:
mie). Gin Jornderuß beirathet nie eine Jornderuß, jondern
nur eine Ballavoof, und jo umgekehrt. Die meiiten Streitig-
feiten unter ihnen vejultiren daher auch aus dem Diebftahl
von rauen, und wicht jelten werden letztere dabei verwundet
oder getödtet, Wenn ein Ehemann ftirbt, jo vererbt ſich deſſen
Fran auf den älteften Dann ber Familie, welcher fie emtr
weder heirathet oder einem Andern ſcheuken darf. Sie waſchen
ſich nicht, fondern befchmieren fich mit Oder, um die Fliegen
abzubalten. Es iſt allgemein Sitte, fid zu tättowiren und
Bruft und Schulter zu marfiren. Mit Ausnahme der Ein:
geborenen, melde im ber ſüdweſtlichen Ede von Auftralien
wohnen, wird der Ritus der Beichneidung von allen Stäm-
men, die ich auf meinen vielen Reifen im Buſh antraf, beob-
achtet. Es ift eine religiöfe Ceremonie, und Männer und
Frauen trennen fich dabei auf vierzehn Tage. Die Eingebo-
207
anvertraut ſehen. Herr von Koſeritz, der frühere Dol-
metjcheragent, dem wir dieſe unfere Anſicht mittheilten, meint
indeffen, daß eine ſolche Mafregel bei der Organifation ber
bortigen Polizei weder gefeglich zuläffig noch praftifch fei.
a durchaus fein beftimmtes "Dienftreglement filr die
Eoloniedirectoren beftcht, und felbft die Coloniſten bis heute
noch nicht wiffen, wie weit die Befugnifle eines folchen Beam—
ten gehen, fo ift e8 nicht zu verwundern, daß von Ceite
feiner Borgefegten wie feiner Untergebenen oft Anforberun:
gen an den Director geftellt werden, die aus Unglaubliche
grenzen. Es ift Factum, daß einft bei dem Mangel eines
Arztes in einem der beiden Coloniediftricte von Monte Al»
verne oder S. Cruz dem Director von einem Coloniften zu—
gemuthet wurde, die Entbindung feiner eben niederlommenden
Frau zu leiten, Auch Lymphe wurde den Directoren ſchon
rn von Seiten der Regierung officiell zugeftellt, um die
oloniften zu impfen. Nebenbei ift der Gehalt eines ſolchen
Directors cin fehr jämmerlicher für brafilianifche Berhälts
niffe. Während jonft die Gelder der Provinzialcafie geradezu
mit vollen Händen weggeworfen werben (ich erinnere bloß
an bie Eingangs erwähnte Eröffnung der Serraſtraße),
fucht man an diefen „Univerfalbeamten ber Colonie“ nad)
Möglichkeit zu fparen. Durchſchnittlich erhält nämlich ein
Provinzialcolonicdirector 1400 Milreit (etwa 1050 preuf.
Thaler), eine Summe, mit welcher ex faum allein, geſchweige
mit Familie ftandesgemäß eriftiven fann. Man ſcheint aud)
bei der Dotirung diefer Stellen von dem Princip ausgegan-
en zu fein, daß ein Regierungsbeamter fon fonft mod)
tel und Wege finden wird, ſich auf Koften des Staates
bezahlt zu machen, eine in Brafilien fehr verbreitete Anficht.
Wie wir felbft aus brafilianifcen Munde vernommen,
betrachtet man es auch nicht als Unrecht, den Staatsfädel
zu betrügen oder zu Ubervortheilen. Der Werth des Men—
ſchen beziffert fid, meift nadı dem Erwerb und je nach dem
ift — wie eben die Einnahme abgefchägt wird — ein Beam:
ter mais intelligente oder muito intelligente!
Erdtheilen.
renen nach dem mern am geben vollftändig nadt und
baben von der Witterung viel zu leiden. Sie fchlafen unter
freiem Himmel und mer in der naſſen Jahreszeit bauen fie
ſich Heine Hütten. Es feheint mir, daß fie an cine Art hö—
bern Weſens glauben, aber ich kann nichts Näheres darüber
angeben. Am Südweften von Auftralien ift der Name für
Vater und Mutter derjelbe, wie fir Gott und Sonne Bon
einem natürlichen Tode wollen fie nichts wiſſen, fondern
nehmen an, daf immer irgend ein Eingeborener, den fie
daher nicht felten tödten, die Urfache deſſelben ift. Canniba—
lismus herrſcht allgemein unter den Eingeborenen des Innern.
Ihre Waffen find mit denen, welche in anderen Theilen Au—
ftraliens gebraucht werden, identiſch.
Parlamentarifhes aus Melbourne.
U.G. Es iſt ein gutes Zeichen der Selbſterkeuntniß,
wenn einzelne Mitglieder der anftralifchen Parlamente anfan-
gen, fich ihrer Geſellſchaft zu ſchämen, nachdem fernftehende
Perfonen an dem unparlamentarifchen Treiben ſchon lüngft
Elel empfunden haben. Der politiſche Parteiunterſchied von
Zoried und Whigs, Gonfervativen und Liberalen, eriftirt
in Auftealien nicht, es giebt dort nur eine politifche Partei,
wenn man fie überhaupt noch eine politische nennen barf.
208
Sie beruht auf dem Principe des crafjeiten Eigennutzes und
ipaltet ſich eben darum in die fogenaunten Ins und Outs.
Die Ins find diejenigen, welche die Negierungsfige mit deren
Emolumenten inne haben, die Outs die, welche davon momen-
tam ausgeſchloſſen find und jie haben wollen. Dieje ewigen
Kämpfe machen den Varlamentarismus verächtlich , uud die
gemeinen Scenen, welche in den Hallen, wo das allgemeine
Volkswohl berathen werden joll, zu Tage fommen, enpören,
So ein Scandal der Outs gegen die Ins, um ſich deren Site
zu bemächtigen, pallirte wieder in Melbourne in der Parla-
mentsfisung vom 30, November 1875. Ein hervorragendes
Mitglied, Mr. Siginbotham, welchem die Vorgänge denn doch
zu arg wurden, erhob Sich, um feine Collegen mit folgenden
Worten zu beehren: „Es ift eine nicht anzuzweifelnde That:
fache, daß dat Parlament in der Achtung feiner Wähler fo
tief geſunken ift, dak man anfängt ſich zu fragen, ob nicht
das conjtitutionelle Regime in diefem Lande Fiadco gemacht
bat. Ich ſchreibe dieſen Zuftand jenem nichtswilrdigen Um—
ftande zu, daß die eine Partei (d. b. die Duts) immer und
ewig fich abmüht, die Ehre und das Anfeben der andern
(d. b. der Ins) todt zu machen, um über derem Leichen in
deren Site (d. i. deren Emolumente) einzuſpringen.“
Dies Bekenntniß ift eben jo charakteriftiich, wie es offen
und ehrlich ausgeſprochen ift.
Ebenfo fchreibt man aus Neuſeeland: „Das Parlament
ift endlich prorogirt. Die lange Seſſion hat in Feiner Weiſe
befriedigt, obgleich fie der Colonie 33,000 Pf. St. für Zah—
lung von Diäten an die Parlamentsmitglieder gefoftet hat.
Zwei Drittel der Sigungen wurden mit eitel Geſchwätz, Partei:
intriguen und perfünlichen Reeriminationen verbracht,“
* * %*
— Mehrfach erwähnten wir der Reiſe Soſnowski's
von Hau⸗kau quer durch China Über Lau⸗tſchau⸗fu, Süstichau,
Chami, Barkul und den Satfan:Poften nad Sibirien. Die
Refultate diefer hauptſächlich im commerciellen Intereffe un:
ternommenen Reife find anſcheinend bebeutend; fo enthält die
in großem Mafftabe angelegte Reifebefchreibung gegen 400
Photograpbien von Landichaften, Typen, Monumenten u. ſ. w.,
und die von Matufowsti, dem befannten Erforfcher der
weftlichen Mongolei und Soſnowski's geograpbifchem Beglei-
ter, aufgenommene Karte der ganzen, jo höchſt intereffanten
Route quer über das immerafiatiiche Hochland hat eine Länge
von nicht weniger ald 15 Faden. Alles gefammelte Material
wird zumäcjt im Palafte des Minifters des Innern in
St. Petersburg ausgeftellt werben.
Prſchewalski, defien Reifen in Hochaſien unfere Leſer
durch mehrfache Auffäse im vorigen und im laufenden Bande
kennen, arbeitet zur Zeit in ländlicher Zurlidgesogenbeit an
dem naturmilfenichaftlichen Theile feines Werkes, um denfel:
ben bis zum Sommer fertig zu ſtellen. Dann will er ſich
auf eine zweite noch größere Reife begeben, deren Ziel nichts
Geringeres fein ſoll als die Erforihung von Mittelafien
zwifchen Ala⸗ſchan im Oſten, Kaſchgar und Yarland im We:
ften, dem Tian-schan im Norden und Laffa im Süden,
Wenn er auch dies Programm unmöglich ganz ausführen
faun, jo wäre doch fchon ein Beſuch des Lob-Sces im Een:
trum jenes Gebietes von höchſtem Jutereſſe.
— Nach den letzten Nachrichten von Fidfchi fcheinen
auf Viti Levu, der größten nel diefes Archipelt, Unruhen
im Anzuge zu fein, Im ſüdweſtlichen Diftricte von Biti Levu
Aus allen Erdtheilen.
herrſchte ber einflufreiche Häuptling Ratu Kimi, weicher ſich
feiner Zeit mit Erkönig Calobau zu Gunſten der Abtretung
des Ardipels an England verbunden hatte Aber Ratu
Kini ftarb in der großen Maferuepibentie, und feit feinem
Tode hat der Stamm, welchen er beherrichte, das Ebriften-
thum wieder aufgegeben, ift zum alten Heidentbum zurüd:
gekehrt und bat eine feindliche Stellung gegen die englifche
Regierung angenommen. Sie hatten auch von dem Tode des
Gommodore Goodenougb, welcher im Auguft 1875 auf Santa
Eruz ermordet wurde, gehört und ſahen denfelben als ein
günftiges Omen im ihrer Auflehuuug an. Unbelannt mit
diefer Stimmung der Eingeborenen miethete im Novenber
vorigen Jahres eine Sefeitihaft weißer Koloniften einen Nei-
nen Dampfer, um damit von Levuka ans den Singatoko-Fluf
hinaufzufahren und die ſchönen Plateaus feiner Ufer näher
zu erforichen, Als man jedoch bei dem erften Dorfe anlangte,
erfuhr man, daß Taufende der Eingeborenen, wohlbemwaffnet
und zum Kampfe bereit, von den Bergen berabeilten. Unter
jolhen Umftänden bielten es die Reiſenden für geratben, auf
ihrem Dampfer eiligft nach Levuka zurüdzutehren. Vielleicht
vermutheten auch bie Eingeborenen, daß die Weißen gefommen
feien, um von ihrem Lande Beſitz zu ergreifen. In diefem
Punkte haben die Eoloniften den armen Infulanern nur zu
oft ſchon das fehreiendfte Unrecht zugefügt.
Mau verhehlt fich in Levufa die Bedeutung einer Colli:
fion mit den wilden Bergbewohnern wicht. Der Gouvernenr
Sir Arthur Gordon iſt ein euergiſcher Mann und wird,
wenn gütliche Wege — und dabei wird er ſich der Vermitter
fung des Erkönigs Cafoban und anderer befreundeter Häupt:
linge bedienen — nicht helfen, mit aller Energie die Bewegung
zu bemeiftern wiſſen.
— Die geologiſche und zugleich geographiſche Aufnahme
von Californien ſtand unter der Leitung des berühmten Geo—
logen Whitney, wurde aber, nachdem nur wenig von den
Refultaten, darunter eine ſchöne Geſammtkarte von Ealifor:
nien und Nevada, erichienen war, eingeftellt, weil der Staat
jebe weitere Unterjtügung verfagte, zum großen Bedauern
aller Fachleute. Um fo erfreulicher ift folgende Nachricht,
welche die „California Staatözeitung* vom 28, December
1875 bringt. „Unfere Academy of Sciences hat befchloffen,
die Fortfegung des State Geological Survey der Legislatur
zu empfehlen. Es ift eine Schande, daß bie Arbeiten über:
haupt unterbrochen wurden, Was Prof. Whitnen geleiftet,
ift allgemein befanut. Eine Dienge des werthvolliten Ma:
terials für Botanik, Geologie und alle Branchen der Natur:
geichichte liegt unbenutzt da, uud lann wegen Mangel an
Fonds nicht gedrudt werben. Mit geringen Zuſchüſſen Fönnte
unfer Staat ein Sammelwerk berftellen, wie es fein anderer
Staat der Union bat. Werden diefe Bewilligungen nicht
gemacht, gehen die Reſultate oftipieliger Arbeiten verloren,
und alles früher ansgegebene Geld ift zum Feuſter hinaus
geworfen.*
— Die zur Beitrafung der eingeborenen Mörder des
Telegrapheninfpectors Johnfton auf der Station Daly War
ters (Sübdauftralien) nach dem Roper:Fluffe abgeſchickten acht
Gensdarmen („Globus XXVII, S. 271), denen ſich eine
gleiche Anzahl von Privaten angeichloffen batte, find im letz
ten September nah Bort Darwin zurldgelehrt. Sie baben
zwei Hänptlinge erfchoffen und drei Eingeborene als bes
Mordes verbädtig eingefangen. Webrigens ift nachträglich
noch einer der beiden Begleiter des Jobnfton, mit Namen
Nidarde, an den erhaltenen Speerwunden geftorben.
Inhalt: Dr. Morice's Reife in Franzöfiih Cochinchina. I. (Mit fünf Abbildungen.) — Die Rohlfs' ſche Er-
pedition zur Erforfchung der Libyichen Wüfte im Winter 1875/1874,
Von Albin Kohn. II. —
Golonien Santa Cruz und Mont’ Alverne. Bon Dscar Cannſtatt. —
— Prichewalsti's Reife von Kiachta nach Beling.
Von Paul Aſcherſon, Mitglied der Erpedition. III.
Entſtehung und Entwidelung der deutſchen
Aus allen Erdtheilen: Die Eingeborenen von
Beftauftralien. — Parlamentariiches ans Melbourne. — Verſchiedeues. — (Schluß der Redaction 12. März 1976.)
Retucheur: Dr. R. Riepert in Berlin, S. W. Lindenſtraße 13, III Tr.
Drud und Berlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunfdhmeig-
ES ER
] \
\ N s-5-
Band XXIX. \ >
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
Vegründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunſchweig
Jährlich 2 Bände à 24 Nummern, Durch alle Buchhandlungen und Poſtanſtalten
zum Preije von 12 Marf pro Band zu bezichen.
1876.
Dr. Morice’s Reife in Franzöſiſch Cochinchina.
II.
Eine Anzahl von Annamiten find dem Heere eingereißt:
die Pinhtaps haben genau die Uniform der franzöfijchen
Marinefoldaten und führen das Chaffepotgewehr. Sie wer
den von europäifchen Offizieren commanbdirt und geben zien:
lid) gute Soldaten ab, welche freilich unter der ungewohnten
Kleidung und befonders dem Schuhwert, das fie bei jeder
Gelegenheit ausziehen, viel leiden. Eine andere Truppe find
die Matas im Dienfte der Verwaltung, mit weißen Hofen,
nadten Flißen, großem rothen Gürtel, blauem Rod, welder
die Nummer der Infpection trägt, zu der fie gehören, auf
dem Kopfe einen Heinen Salaco und dem herfünmtlicjen
Chignon. Ihre Waffen find die einheimifce Yanze und der
Garabiner; ihr Dienft befteht im der Bewachung der In—
fpectionen. Auch auf Kanonenbooten finden Cingeborene
Verwendung, wo fie oft ganz gute Matrofen abgeben.
Die monofyllabiichhe Sprache des Yandes ift zwar von
vielen chineſiſchen Worten durchſetzt, aber davon doch grund-
verſchieden, von jehr einfachen Mechanismus, aber von einer
ſchwierigen, verwidelten Ausſprache, auf welche es um fo
mehr anfommt, als manches Wort je nad) feiner Betonung
fünf bis ſechs verfchiedene Bedeutungen hat, Merlt man
da nicht genau auf, fo kann man leicht die ſchönſten Wort
fpiele unabfichtlich zum Beften geben und der ſtets bereiten
Spottfucht der Annamiten anheimfallen.
Schon feit langer Zeit haben die portugiefifchen Prieſter
an Stelle der chineſiſchen lateinifche Yettern eingeführt, eine
Ummälzung, welde für den Fortſchritt und die Givilifation
des Yandes von großem Segen werden faun, zumal aud) die
Globus XXIX. Nr. 14.
franzöfische Negierung an allen nur einigermaßen wichtigen
Punkten Freiſchulen errichtet hat, wo die Kinder die lateini«
ſchen Buchſtaben lefen und fehreiben lernen müſſen. Es
wird jetzt ſchon wenige Kinder im Alter von 10 Jahren mehr
geben, welche beide Künſte nicht verftäuden; und in Saigon
erſcheint eine Zeitung in der Landesſprache, aber mit latei-
nischen Yettern, Gia-dinh-bao (das Saigoner Vlatt) genannt,
Bon weldyen unermeßlich fegensreihen Erfolgen eine gleiche
Revolution in China begleitet fein würde, wo jegt ein foges
nannter Öelehrter mehr als die Hälfte feines Lebens nur auf
das Erlernen der Buchftaben verwendet und die meiften Leute
diefes Standes nie bis zum eigentlichen Studium vordringen,
hat der vielbetrauerte Krancis Garnier, der unferen Yejern
wohlbefannte Yeiter dev Mefhong:Erpedition, mod) in feiner
legten unvollendet gebliebenen Arbeit *) nachzuweiſen gefucht.
Doch haben fid), freilich in täglid; abnehmender Ausdeh:
nung, bie hinefifchen Charaktere mit einigen wegen der Ber:
fchiedenheit beider Spradyen nöthigen Abänderungen für vies
lerlei Handelöverträge, ſowie im Procek und diplomatischen
Berlehre bis heutigen Tages in Gebrauch erhalten.
Unter den Neufchöpfungen der Franzoſen behauptet meben
den ftattlichen Balafte des Gouverneurs der jchöne botanifche
Garten, welcher den Ficblingsfpaziergang der Saigoner bil
*) Le röle de In France en Chine et en Indo-Chine, batirt
Schanghai, 9, Auguſt, und veröffentlicht in ter Revue scientifique
de la France et de N'Etranger. 2. Serie. 5. Jahrgang 1875.
Nr. 15, ©. 338 f.
27 —
210 Dr. Morice's Reife in
det und. defien ſich feine große Stadt Europas zu fchämen
brauchte, einen hervorragenden Pla,
Er Liegt öftlich von der Stadt, und bis zu ihm hin dehnt
fih, von zahlreichen Reisfeldern unterbrochen, eine weite
Ebene aus, dad „Sräberfeld* genannt, wo alle jene Schlady«
ten ausgeläupft worben find, durch welche vor etwa einem
Jahrhundert die Annamiten und 1862 die Franzoſen in den
Beſitz des Landes Famen. Zahlreiche Grabhügel von Erde
oder Ziegelfteinen erheben ſich dort, bedeckt mit Gyps ober
Gußmörtel, auf welcen im lebhaften Farben Thiere und
phantaftifche Blumen, fowie die Namen und Titel der dare
unter Nuhenden aufgemalt find. Noch heute werden dort
Yeichen begraben, was allemal mit einem gewiſſen Aufwande
und unter zahlreicher Betheiligung®ftattfindet. Ter Sarg
— Bar Sr
Franzöſiſch Cochinchina.
wird dabei im ein Heined, tragbares Häuschen von bunt be—
maltem und barod ausgejchnittenen Papier geſetzt, welches
von etwa zwanzig Leuten mittelft Banıbusftangen getragen
Wird, Andere fireuen mit Gebeten bemaltcs Gold» und
Silberpapier auf den Weg und fegen es mit Nadeln in
Brand, und dahinter folgen die Verwandten und freunde
des Todten, deren manche die unumgänglichen Wehflagen
ausftoßen und ſich dabei heimlich ins Fäuftchen lachen. Denn
dies Bolt fühlt den Schmerz nicht jo tief, um nicht bei ber
erſten fich darbietenben Gelegenheit feiner Borliebe fir Scherz
und Spaß nachzugeben.
Drei Monate verweilte Dr. Morice in der Hauptftabt
bes Yandes, während welcher Zeit er nur Heine Ausfllige in
die nähere Umgebung unternahm, wie nad) dem zweitgrößten
Soldaten und Reiter in Saigon. Mach Photographie.)
Orte Scholen, der mit feinen etwa 80,000 Einwohnern
nur 5/5 Kilometer ſüdweſtlich von Saigon liegt, aber mit
diefer Stadt durd; eine unumterbrochene Reihe von Dörfern,
Vandhäufern reicher chineſiſcher Kaufleute und Pagoden, welche
As Raftpunkte dienen, verbunden if. Obwohl 1871 unter
den 1,335,942 Bewohnern Franzöſiſch-Cochinchinas nur
30,144 Chinefen gezählt wurden, jo nimmt dieſes Bolt den:
noch, und befonders in und bei der Hauptftadt, einen hervor:
ragenden Play im dortigen Handel und Wandel ein. Scholen
ift davon der Mittelpunkt; was bort an Reis, Stoffen und
anderen aus China erportirten Sadjen verfauft wird, übers
fteigt alle Begriffe, ebenjo wie das Gewimmel auf den Stra=
Ben und die Anzahl der dyinefiichen Dſchunlen und annas
mitiſchen Samtpans. Zu den Merlwürdigleiten diefes Orts
gehört der Krofodilpferd), ein ungefähr 20 Quadratmeter
großer Raum anı Ufer des Fluſſes, der von flarken, langen
Pfühlen eingehegt ift und der 100 bis 200 Krokodile ums
ſchließt. Nebenan wird das Fleiſch vertauft, welches zwar
lederartig ift, aber doch nicht, wie jo viele Reiſende von ihm
behaupten, nad) Moſchus jchmedt, und von den Eingeborenen
fehr gern gegeflen wird, Soll einer der riefigen Saurier
geſchlachtet werden, jo nimmt man zwei Pfähle heraus, wirft
den größten Bewohner des Teiches eine Schlinge um den
Kopf und zieht ihm heraus. Dann feilelt man ihm mit
Tauen aus Ipanifchem Rohre den Schwanz und bindet ihm
die Fuße auf den Rüden und die Kinnladen an einander,
Jenes Material hält fo feft, dag man dann das Ungethim
ohne weitere Muhe ruhig und regelrecht ſchlachten lann.
Eine Nachtfahrt brachte unfern Reifenden nadı Gocong,
der Hauptjtadt eines an Meisfeldern reichen Bezirkes, wo
Dr. Morice's Weile in
man den wahren, landbauenden Annamiter am beften ſtu—
diren fan. Diefer hängt vor Allem am Grund und Bo:
den: wenn er auch in Seiten der Noth fein Land verkauft,
fo behält er ſich doch ftets für feine Perfon oder für feine
Kinder das Necht vor, es fpäter zurückzulaufen, eine Sitte,
welche die Quelle unendlicher Nechtsftreitigfeiten bildet.
Die „Infpection“ von Gocong, eine ehemalige ftattliche
Chineſenwohnung mit prächtiger Beranda, wird von der Ort:
fchaft ſelbſt durch einen jener zahllofen Flußarme oder Canäle
getrennt, welche den ganzen Often und Südoſten des Yandes
durchziehen, und fteht mit dem Orte durch eine Brlide in
Verbindung. Unmittelbar daran ftößt das Fort, welches
nur durch eine Hede davon getrennt ift und auf allen librie
gen Seiten von dem Waflerlaufe und ausgedehnten Sitmpfen
|
|
Franzöfiih Cochinchina. 211
umgeben iſt. Da auch die Behauſungen des Arztes, der
europäifchen Secretäre und des Telegraphenbeamten dicht
dabei liegen, fo befinden fic alle ausländischen Angeftellten
auf einem gegen einen Handſtreich geſicherten Plag. Und
das iſt nöthig, weil an ſolchen volkreichen Orten am liebſten
kleine Empörungen auabredyen, deren eine vor einigen Jahren
dem europäifcen Agenten der Opiumpflanzung, der in Gor
cong felbjt wohnte, das Leben foftete. Dort refibirt jett
auch der einflußreiche General Tanh, das Haupt der den
Franzoſen freundlichen Partei im Yande. Die Infpection
von Gocong zählt 45 Dörfer und liber 33,000 Einwohner
und befigt ausgedehnte Keisfelder, deren Fröſche die Nacht ⸗
ruhe mit ihrer melancholifchen Muſil fiören, Dort kann
man alle Verricdytungen beobad)ten, welche der Reis durd)-
Neismüble in Socony. Mach einer Photographic.)
zumachen hat, von Enthlilſen und Schwingen an bis zu
feiner Berarbeitung zu einem durchicheinenden, mit Anis
förnern beftveuten Sebäd, das die Wonne aller annamitifchen
Pedermänler ausmacht.
Um den Weften der Colonie, die Provinz und Stadt
Hatien, zu befuchen, bedient man fid am beften eines Dampf ·
boote8 der Compagnie Larrieu, welche von Saigon aus den
vielfach, verzweigten Unterlanf des Melyong befahren läßt.
Schon am Dlittage dei zweiten Tages befand ſich Dr. Morice
in Binhrlong, der Haupfftadt einer der ſechs Provinzen,
deren Fort von großen fchlammigen Gräben und von Pfähs |
len geftügten Exrdwällen umgeben iſt. Aber Bambus und
üppig wucherndes Geftrlipp dringen immer von Neuem im
die Umwallung ein und mit ihnen giftige und unſchädliche
Schlangen, deren nicht wenige im Fort getödtet werden.
Dort fann man aber doch wenigften® frei athmen, audge-
nommen zu Anfang und Ende der winterlichen Regenzeit,
wo der Schlamm feine gefährlicdyen und efelerregenden Dünfte
auffteigen läßt. Der Ort jelbft hat fchöne, von riefigen
Kolosnußpalmen beichattete Strafen. Die ganze Infpection
zählt nicht weniger als 222 Dörfer mit 162,000 Einwoh-
nern, welche infolge der ausgedehnten Siimpfe viel vom Fie⸗
ber zu leiden haben. Trotzdem ift das Leben infolge der
verhältnigmäßig großen Zahl europäischer Beamten dort faſt
luftig zu nennen, und jelbft an einem franzöſiſchen Cafe
fehlt es micht, deren es anferhalb Saigons nur ſehr wenige
iebt.
’ Um 4 Uhr Nachmittags hatte der Dampfer Schodoc
ummweit der Yandesgrenze erreicht, von wo ein von Menfchen«
händen gegrabener Canal, der Canal von Binhte genannt,
27% °
Dr. Morice's Reiſe in Franzöſiſch Cochinchina.
a
a
(Ahavabozou; au Yurg)
buoj· quig
Dr, Morice’s Reife in Franzöfiih Cochinchina.
von Mefhong nach Hatien am Meerbufen von Siam hin« |
überführt. Der Heine Danıpfer, weldyer gewöhnlid) den
Verkehr auf diefer fünftlichen Waflerftrage vermittelt, war
aber aufer Dienft geftellt, fo daß ſich der Reiſende mit einer
Dichunke begnügen mußte, deren unvolllommene Ausftattung
der Yandplage der Mostitos freien, ungehinderten Zutritt
geſtattete. Nach einer fchredlicyen Nacht, während deren
die Blutſauger jelbft den einheimifchen Bootsleuten Schmerzen:
rufe auspreßten, ging das
Boot bei Gienthau aus dem
Ganal in einen breitern Fluß,
über, welcher in kurzem
Laufe ſüdwärts nad; Hatten
fließt. Ein herrlicher Anblick
bietet fi) dort dem Frem⸗
ben dar. Grin bewachſene
Hligel umfäumen die Mee—
restüfte; im der Ferne dehnt
ſich Hatien auf einer Yand-
junge aus, die im Weſten
das infelreiche Meer, im
Dften ein Landſer, zu bem
fi) jener Fluß erweitert, be-
fpült, und nad) beiden Sri»
ten hin find die Hänfer des
Ortes in die Gewäſſer bins
eingebaut. Nach Oſten er-
ſtreckt fich eine weite Ebene,
and der ein ifolirter Salt:
feljen, die „Värenmitge*,
auffteigt. Der Wafferftand
war niedrig; felbjt in dem mit
Pfählen bezeicdyueten Fahr⸗
waſſer ftreifte das Boot
mehrmals den Ghund, und
Sandbänfe zeigten ſich, auf
denen große Stelzenläufer ihr
Abendbrod ſich fiſchten. Die
plötzlich hereinbrechende Nacht
verhüllte das reizende Bild.
In der Inſpection fand
Morice, wie überall im 5
Fande, ein gern gewährtes Annamitiſcher Schaufpicler.
Unterfommen. Das Haus
liegt auf einem 20 Meter hohen künftlichen Hligel, der ftets
von den Seerwinden getroffen wird umd darum einen gefunden
Aufenthalt bietet, während in dem unten zwilchen Sumpfen
gelegenen Ort die ſchlimmſten Fieber wüthen, welche der Reifende
in der ganzen Golonie beobachtet hat. Die Anfpection zählt
nur 13 Dörfer mit 5000 Einwohnern, lauter Fiſchern oder
Aderbauern, deren Wohlftand auf dem nur hier in größerm
Mafftabe betriebenen Anbau des Pfeffers beruht. Diefe
Pflanze wird auf erhöhten Beeten an Stangen wie der Hopfen
gezogen, liefert nad) fünf Jahren den erften Ertrag, bedarf
weniger Arbeit und Hat nur von einigen Vogelarten zu fei-
den, fo dag man ſich wundern muß, daß damit nur 50 Hee⸗
taren beftellt find. Im den Maisfeldern dagegen richten
Hafen und Rebe oft große VBerwütungen an.
Wenige Tage nach Dr. Morice's Ankunft in Hatien
wurde am 29. Januar das annamitiſche Neujahrsfeſt Tet
gefeiert, das mindeftens fieben Tage, bei den Reichen aber
noch viel länger, dauert und aus einer fonderbaren Miſchung
213
von buddhiftiichen Geremonien, Verehrung der Manen ber
Vorfahren, Furcht vor dem Teufel (Mlafi) und lärmender
Freude befteht. Während diefer Tage verlafien alle einge-
borenen Diener ihre Herren, melde zujchen fönnen, wer
ihnen ihe Eſſen bereitet und ihre Kleider reinigt. Vor jedem
Harfe fieht da auf einem fauber mit Matten gededten Tiſche
Neisbranntwein in einer Heinen blauweißen Iheefanne von
Porcellan, Thee, Betel mit den dazu gehörigen Ingredienzen,
Arekanuß und Kalt, Fiſch,
Nudeln, eine gebratene Ente,
cin Scweinsviertel, Reis,
Dananen und Orangen, alles
ſchön mit Blumen gefchmtidt.
Dann werden zwei Lichter
angezitndet und die Geiler
ber Vorfahren chrerbietig
zum Schmauſe geladen. Auf
einem hohen Pfahl prangt
überdies ein Strauß, der mur
aus zwei Blumenforten, einer
veifcdenfarbenen und einer
gelben, befteht. Diefe Far⸗
ben haben wahrſcheinlich eine
tiefere ſiymboliſche Bedeu ⸗
tung, da fie Überall wieder
fehren. Bor diefen Dpfer-
gaben pflanzen reiche Leute
eine Urefapalme, arme einen
Bambus auf, an dem ein
Hleined aus Rohr geflochte ·
nes Neft hängt. An allen
Thüren find gelbe, rothe, vio⸗
fette, mit chineſiſchen Cha⸗
rafteren bebedte Papiere ber
feſtigt, um den böfen Geift
während bes neuen Jahres
zu bannen, und alle Welt
trägt ihre beften Gewänder.
Dean ergögt fich mit dem
Schleudern von Wurfſpießen,
mit Schaufeln, mit Ballfpie-
len, brennt unzählige Kano«
nenfchläge los, jpielt am Rou⸗
fette, lauſcht der dreifaitigen
Guitarre umd fo fort, und Jeder ſucht fein feit Monaten zu-
fammıengefpartes Geld bei dieſem Anlaffe zu verthun. In
den größeren Orten findet ſich zu Neujahr gewöhnlich eine
wandernde Scaufpielertruppe ein, deren Vorftellungen fo
leicht Niemand verfäumt, da es der Reihe nach Sache ber
Reichen ift, diefelben zu honoriren. Die aufgeführten Stüde
find vor Allem lärmend und mit derben Witzen ftart ge
pfeffert; die Militärmandarinen, bie Ehemänner und nament ⸗
lich die Chinefen fommen darin ftets fdjlecht weg. Die
Schaufpieler malen ſich das Geficht ſcheußlich ſchwarz an,
um furchtbarer auszuſehen, liefern einander Einzellämpfe
und geben heroiſche Stellungen zum Beten, die gemein
lächerlich erſcheinen. e
Der Annamit feiert diefes Feſt mit der größten Püntt«
lichkeit und dem meiften Eifer. Was in dem Heinen Hatien
vor ſich ging, ift nichts im Vergleiche mit der Feier in gror
fen Orten, namentlich Scholen.
Nach.einer Photographie.)
214
Namangan.
Namangan.
A. L. Kuhn beſchreibt in der Ruſſiſchen Revue (1876,
Heft 1.) dieſe (ſchon nicht mehr newefte) ruſſiſche Erwerbung
in Innerafien folgendermaßen :
Das nee Grenzgebiet der muittelafiatifchen Befigungen
Rußlands, der Bezirt Namangan, umfaßt den nordweſt—
lichen Theil des (chemaligen) Chanats Chokand. Die geo-
graphiſche Page diefes Bezirks ift in Mimatifcher Hinficht eine
jehr günftige. Im Nordweten durch Berge geſchützt, ift er
nach Siidoft durch die Flußthäler des Sfyr-Darja und Na-
ryn geöffnet. Dieſe beiden Fluſſe bilden zugleidy im Often
und Suden die Grenze zwiſchen diefem Bezirke und dent Chanat
Shotand*). Der Boden ift
ziewlich entblößt und zeigt
im Allgemeinen nur geringe
E puren von Vegetation; das
Yeben und die Cultur grupr
piren ſich in den an dem Ab-
hange der Berge befindlichen
Schluchten und Bertiefungen
oder an den Ufern der aus
diefen Bergen entjpringen-
den Bächen oder Ganälen
entlang, die ihren Ursprung
aus den beiden oben genanns
ten Flüſſen nehmen; die
übrigen entblößten Flüchen
beleben ſich nur zu Anfang
de8 Frühlings. Zu diefer
Zeit nomadijiren hier Kir—
giien, Sarafalpafen, Kipt⸗
ſchalen und andere Stämme,
deren zahlreiche Herden das
erfte friiche Grün abweiden.
Zu Anfang Juli ift die ganze
Gegend ſchon ihres reichen
Fruhlingſchmuckes entfleidet
und bietet dem Auge eine
traurige, von der Sontmer ⸗
ſonne vollftändig verbrannte,
graugelbe Oberfläche dar.
Auf den erften Bli hat
biefes Gebiet das Ausfehen
eines graugelben Meeres, mit
auf diefem hingeworfenen
grünen Oaſen. Bei genauerer Betrachtung diefer Dafen findet
man, in Hinficht ihrer Cultur, einen Unterfchieb zwiſchen
denen, die amt Ufer ber beiden Flüſſe liegen. Im den erfter
ven, bie ihr Leben den Heinen Gebirgsbäcden zu verbanfen
haben, ift die Vegetation reicher, befinden fid) mehr Gärten,
die ganze Natur ift hier Uppiger, ja felbjt das Klima erſcheint
milder. Im jenen Dafen hingegen, die an den Ufern bes
Siyr-Darja und Naryn ſowie an den aus diefen Flüſſſen
fommenden Ganälen gelegen find, ift die Vegetation ärmer ;
bier finden fich viel weniger Gärten, und hier wird, mehr
ber Getreibebau betrieben. Sonft herefcht im Allgemeinen
im Bezirk von Namangan der Gartenbau vor, fo daß, nad)
Ausfage der Einwohner, das ganze Gebiet das flir die Bes
völferung nöthige Getreide nicht zu liefern vermag, fondern
* Am 20, Februar 1876 wurde die Hauptftatt Ghofand ſelbſt
erobert und am 11. Diirg dur Ufas tra Kaifers von Rußland das
ganze Chanat als Bezirt Fergbäna tem ruffifchen Reiche einverleibt.
|
Sartre.
daß fie gemöthigt find, ſich ſolches vom Linfen Ufer des Siyr-
Darja kommen zu lafien. Die folge diefer Eigenthümlich-
feit ift eim Ueberfluß an Frlichten, Obft und Gemiife, und
der Handel mit Frlichten bietet einen wefentlichen Erwerbs
zweig der Vewohner; nicht nur alle Städte des Chanate,
fondern auch rufjische Ortſchaften werden damit verforgt.
Habrifen und Werkftätten giebt es im Bezirke ſeht wer
nige, was Übrigens nicht der Armuth diefes Gebietes zuzu—
fchreiben ift, jondern ber Nähe ber Städte, wie Chofand,
Margelan und anderen, die cine veiche Gewerbthätigleit be
figen, und weil daher das Beblirfnig zur Entwidelung einer
ſolchen nicht vorhanden ifl.
In den mittelaſiatiſchen Chas
naten fteht der Handel, zufolge
der Yehre des Korand, unter
den bejondern Schutze der
Chane, und biefe find die
Gründer der meiften San:
delspläge. Der Chan Tauft
in irgend weldem einiger
maßen ftarf bebölferten Orte
ein Stüd Land, baut hier
für eigene Rechnung Buben,
ein Karamwanferai und Nies
derlagen für Waaren auf,
und beftinmt einen oder zwei
Tage in ber Woche, an wel⸗
chen Markt gehalten wird.
Auf ſolche Weife entftehen
Handelscentren, was bejon-
ders deutlich im Chanat von
Chofand zu beobachten ift,
den A. L. Kuhn, auf feine
Beobadjtungen während des
euffifchen Feldzuges gegen
Chotand geftügt, für ein erit
vor furzer Zeit gegrlindetes
Reid) Hält.
Der Bazirt Namangan,
einer der am ſtärkſten bevöl-
ferten im Chanat Chofand,
zäplt an 60 Anfiedelungen.
Als dieſes Gebiet noch
Choland gehörte, beſtand es
aus ſechs Provinzen: Namangan, Tſchaartag, Kaſſan,
Naulat, Tſchuſt und Babadarchan. ine jede Provinz
hatte eine vollftommen felbftändige Verwaltung und hatte
fi) nur in den Fragen der Gebietäintegrität vor dem Chan
von Chotand zu verantworten,
Die Bevölferung des Bezirkes beſteht aus ſeßhaft gemwor:
denen Sarten, Usbelen umd theihweife Tadſchiken, und aus
den nomabdifirenden Kirgiſen- und Usbeken-Geſchlechtern,
aus Kiptſchalen, Karalalpalen und anderen Stänmen. Uns
ter der ſeßhaft gewordenen Bevölkerung herrichen die Sarten
vor, unter den nomtadifirenden Stämmen — die Kirgiſen.
Die Größe dieſer Bevölferung ift jedoch, da die eingeborenen
Behörden nicht die dazu nöthigen Daten haben, genau anzu«
geben unmöglich. Nach eingezogenen Erfundigungen kann
man aber die feßhafte Bevölferung auf ungefähr 25,000
Häufer fchägen und die nomadifirende auf circa 13,000
Zelte; im Ganzen alfo 38,000 Häufer oder Zelte ober ge-
Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforfchung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874.
gen 190,000 Einwohner. Was den Charafter, die Lebens⸗
art und die Beichäftigung der Bevölferung des Bezirkes
Namangan betrifft, fo unterfcheiden ſich biefeben nicht im
eringften von benen der Bewohner der ruffifchen Beſitzungen
afchtent, bes SKreifes Kurama u, ſ. w.
Die ſechs Provinzen hatten dem Chan von Chofand eine
Abgabe von 150,000 Batman Korn und in baarem Gelde
an 120,000 Rubel zu entrichten. Wenn wir diefe Natural:
abgabe dem Geldwerthe nach berechnen, jo erhalten wir,
wenn wir den Batman, dem Marktpreis gemäß, zu 2 Silber:
rubel berechnen, die Summe von circa 420,000 Rubel.
Iu induftrieller Hinficht ift, wie oben erwähnt, die Produe—
tion bes neuen Territoriums nur fehr gering; alle Producte
dienen nur den täglichen Yebensbebürfuiffen der Eingebore—
nen. Als Ausfuhrartitel erfchienen während der Heriſchaft
des Chans von Choland namanganifce Früchte, Schafe
und Sal. Tas Salz bildet einen unerſchöpflichen Neid):
thum des Yandes, das außerdem an Steinkohlen und Naphiha
ic if.
Die bedeutendften unter dem bewohnten Punkten fowohl
in Hinfiht der Bevölkerung als aud bes Handels find:
1. Die Stadt Namangan, der Haupthandelsmarkt des gans
zen nordweitlicen Theiles des Chanats; fie enthält gegen
10,000 Häufer und Liegt in einer Entfernung von 12 Werft
vom Naryn und 8 Werft vom Sſyr-Darja. Man hält den
Bazar von Namangan für einen der bedeutendften im gans
zen Chanat; es find daſelbſt Über 1000 Buden, zwei Kara—
215
wanferais und eine Menge Baumtwollenfpinmereien; 2. die
Stadt Kaffan mit gegen 2000 Häufern und einem Bazar;
3. die Stadt Naufat mit gegen 3000 Häufern und einem
Handelsmarkt, und 4. die Stadt Tſchuſt mit gegen 4000
Häufern, einem großen Bazar, dem größten nad) demjenigen
von Namangan, und gegen 500 Buben. Die Eimwohner
diefer Städte beftehen aus Sarten, Tadſchilen und Uäbelen,
Die Bazare bilden den Mittelpunkt der nomadifirenden Stämme
des nördlichen und des weftlichen Theiles des Chanats.
Es find mehrere Verbindungswege zwifchen dem Bezirke
Namangan und den ruſſiſchen Befigungen vorhanden. Alle
Wege, mit Ausnahme eines einzigen, find nur fiir Kara—
wanenzige pafjirbar, wobei die Communication wegen der
zu paffirinden bedeutenden Bergichluchten mit großen
Schwierigleiten verbunden ift. Als der fürzefte Weg gilt
der Über den Kendyr-Dowan, Um auf diefen Wege aus
Namangan nad Tafchfent zu gelangen, braudyt man drei Tage.
Das in den Kreis der Verwaltung des Generalgouver:
nements don Turfeftan neu aufgenommene Gebiet wird der
Bezirk von Namangan genannt und ift in adminiftrativer
Hinficht in zwei Kreiſe getheilt: Namangan und Tſchuſt.
Den Kreis Namangan bilden die früheren Provinzen Tſchaar ⸗
tag, Kaffan, Naufat und Namangan; den Kreis Tſchuſt
die Provinzen Tjchuft und Babadardian. Die Verwaltung
des Bezirkes ift auf berfelben Bafis organifirt, wie im Bes
zit Amu-Darja. Der Chef des Kreiſes Namangan wohnt
n Namangan, der des Kreiſes Tſchuſt in Tichuft.
Die Rohlfs’fhe Erpedition zur Erforfhung der Libyfchen Wüſte
im Winter 1573/1874.
Von Paul Aſcherſon, Mitglied der Erpedition.
IV.
In Siuah, wo die Reifenden am folgenden Tage (20.
Februar 1874) ihren Einzug hielten, war die Aufnahme
Seitens des ägyptifchen Mudirs fehr zuvorlommend, obwohl
berfelbe bei den fortbauernden Swiftigfeiten der Einwohner,
zu welchen die veligiöfen Hegereien des Senuſſi-Ordens ein
neues Element der Verwirrung hinzugebracht haben, fich ſelbſt
in eimer vecht fchwierigen Lage befand. Unfere Freunde
wurden indeß von allen Parteien refpectirt und hatten wäh:
rend eines viertägigen Aufenthaltes volle Zeit, nicht nur ſich
von den Strapagen diefes glorreicyen, aber anftrengenden
Marſches zu erholen, fondern auch die nöthigen wiſſenſchaft-
lichen Beobachtungen auzuftellen. In erfter Yinie fanden
hier die Barometerablefungen, deren ununterbrodyener Fort
fegung Jordan wieder die Ruhe mehrerer Nächte opferte.
Die Höhe von Siuah hat fid) hiernach mit großer Sicherheit
zu 28 bis 29 Meter unter dem Spiegel des Mittelmeeres
ergeben, und ift hiermit eine der wichtigften Aufgaben , die
ſich die Erpedition geftellt hatte, im befriedigender Weife
elöft.
: Selbftverftänblidh wurde von Siuah aus ein Courier
an dem deutjchen Generalconful nach WAlerandrien gefandt,
um die glädlicde Ankunft der Expedition zu melden. Allein
obwohl die Eutfernung nur 16 Tagereifen beträgt, jo lieferte
der Bote, noch dazu ein chediviſcher Beamter, die wichtige
Depejche erft mehr als einen Monat nach dem Empfange
ab, ein neuer Beweis, wie wenig die Orientalen jelbft in
einem Lande, wo Dampfer und Yocomotiven verfehren, den
Werth der Zeit zu fhägen wiſſen, und wie wenig der Weis
fende feine Berechnungen auf die Pünktlichleit dev Cingebos
tenen gründen darf.
Die Reifenden bejcjloffen nunmehr, auf dem Nücdwege
nach Dachel, welcher am 25. Februar angetreten wurde, zur
nüchſt die jchon vor einem halben Jahrhundert von Gaillaud
und Pacho zuriicgelegte Straße nach der Kleinen Dafe (Be-
harich) einzufchlagen; indeß follte nur Jordan die letztere
befuchen, thels um ihre Pofition und Höhenlage neu zu be
ftinmen, theils um dem weftlid von Beharieh auf den Kar-
ten verzeichneten Bachr-bela⸗ ma in Augenfchein zu nehmen,
wogegen Rohlfs und Zittel von einem geeigneten Punkte
aud direct nach Farafrah hinlibergehen wollten. Diefer Weg
bot nicht geringes Intereffe, indem theils anjehnliche Gebirges
zuge, wie das neu benannte Pacho-Gebirge, nod mehr aber
tief eingefenfte, von malerifchen Felsrändern eingefaßte, von
Sumpfboden oder Seen ausgefüllte Depreifionen, welche
ſämmtlich noch unter den Meeresfpiegel hinabreichen, weit
mehr Abwechjelung in die Wüftenlandichaft bringen als auf
ben früher befuchten Streden. Fiir einen Ardjäologen würde
die Aredj-Deprejfion (— 75 Meter, aljo noch tiefer als
Siuah) vielleicht eine lohmende Ausbeute gewähren, Zahl:
reiche Felſengräber und beutliche Spuren von freiftehenden
Bauten, ſowie ein freilich arg verwilfteter Palmenwald beweifen,
daß dieſe Yandichaft einjt eine wohl angebaute, ſtark bevöl-
ferte Dafe darftellte, deren antiler Name freilich noch nicht
ermittelt ift. Die zum Theil nod) erhaltenen Wandgemälde
216
der Hypogeen deuten auf eine chriftliche Epoche. Der Preis
der landſchaftlichen Schönheit gebührt indeflen dem herrlichen
Sittrah ⸗See (— 15 Meter), an welchem die Expedition am
Abend des 1. März lagerte. Die Reifenden lonnten ſich
an diefem von feltfamen Felspartien umgebenen, mit Schilf
und Balmengebüfchen umfrängten, von zahllojen Schwärnten
von Waflervögeln, befonders Ibiſſen, belebten Waſſerſpiegel
nicht fatt jehen. In geologifcher Hinficht iſt die Eriftenz
biefer ausgedehnten Salzjeen (mod größer als der Sittrah-
See find die weſtlich von Siuah gelegenen) mitten in ber
faft vegenlofen Wüfte ein ſchwer zu löfendes Problem. Die
unterirdifchen Zuflüffe müflen außerordentlich reichlich fein,
um der jo mächtig wirkenden Berdunſtung die Wage zu hal
ten. Am Sittrah⸗See trennten ſich am 2. März früh Rohlfs
und Zittel von Jordan, welcher die Straße nach der Kleinen
Dafe weiter verfolgte, während die Erftgenannten die divecte
Richtung nad) Farafrah einſchlugen. Sie hatten zunächſt
ein Dinengewirr zu durchſchneiden und gelangten dann auf
eine öde, fteinige fläche (Hammadah), auf welcher fie die Spus
ren eines Weges, der möglicherweife von Aredj nach Farafrah
führt, antvafen. Doch ſchien es nicht rathſam, diefelben zu
verfolgen. Nach beichwerlicdyen Marſche ftanden die Keifen-
den am 7. Morgens plötzlich am Rande der Dafeneinfenfung
von Farafrah, in welche fie nach ſchwierigem, pfadlofem Abs
ftiege durch ein äußert malerifches Labyrinth von ſchuee—
weißen Kreidefelfen glüdlid hinabgelangten. Sie kamen
noch an demſelben Abend bis in die Nähe des Dorfes Fa:
rafrah, in weldes fie ihren treuen Begleiter Hadj Mo—
hammed hineinfandten, um zu erfahren, wie es dort um die
Intereffen der Expedition ftche.
Nach Rohlfs' Beftimmung war id) am 16. Februar von
Gaſſr Dadjel mit 17 Kameelen und anfehnlichen Borräthen
an Bohnen aufgebrochen und am 21. in Farafrah eingetrof-
fen, wo die Einwohner mich diesmal, obwohl ich ihnen leines—
wege mehr durch materielle Uebermacht imponiven fonnte,
freundlid aufnahmen. Es waren ihnen inzwiſchen Seitens
des Mubdirats in Beharieh die firengften Strafen angedroht
worden, fals fie der Expedition feindlich begegneten. Nach
dem von Rohlfs für meine Ankunft beſtimmten Termine
mußte ich erwarten, daß er fpäteftens nad) einigen Tagen
eintreffen werde, und nußte mich baher fein langes Aus-
bleiben, da mir von feiner Reife nach Siuah nichts befannt
war, in die ernftefte Beſorgniß verfegen. Auch meine eigene
Yage fing an bedenklich zu werden, da ic) nicht auf einen fo
langen Aufenthalt gerechnet hatte und Proviant und Geld:
mittel auf die Neige gingen, um fo mehr als ich bei der Be
ſchaffung der Nahrungsmittel, die nur in Heinen Quanti—
täten aufzutreiben waren, durch einen ber nubifchen Diener
auf das Frechſte betrogen wurde. Ich beſchloß daher mad)
Dadjel zurlidzufehren und von dort aus mit Remelé bie
Spuren unferer Freunde fiber Negenfeld hinaus zu verfolgen.
In Farafrah, welches ich am 5. März verlieh, hinterlich ich
fünf Kameele und den größten Theil des mitgebrachten Fut—
ters in der Obhut zweier Nubier, denen ich für den von mir
allerdings kaum erwarteten Fall, daß Rohlfs dennoch bald
eintreffen follte, einen Brief übergab. Rohlfs und Fittel,
hierdurch von meinen Abfichten in Kenntniß gejeßt, boten
natärlidh Alles auf, um dieſem zmwedlofen Aufbruch nad)
Velten zuvorzufommen. Bittel, obwohl an einer Hald-
entzündung ernftlich erkrankt, legte die Strede von Farafrah
nad; Dachel, zu der wir auf der Hinreife 5 Tage gebraucht
hatten, in 3'/, Tagen zurld und traf glitdlicherweife noch
ein, che Remele und id) mit unferen Zurüftungen fertig
geworden waren. Seiner dom uns wird jenen Mittag bes
12. März vergefien, wo wir, plöglich durch Schüfje afarmirt,
das fonnengebräunte Antlig des verlorengeglaubten Freundes |
Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforſchung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874.
über der vor unferm Haufe ſich erhebenden Dine auftauchen
fahen, und fo in einem Uugenblide die monatlang gehegte
ängftlidye Spannung gelöft, unfere niedergedrücte Stimmung
in freudige Genugthuung verwandelt wurde.
Drei Tage fpäter traf auch Rohlfs wieder in Dadyel ein,
welcher einen Tag in Farafrah verweilt hatte und dann auf
einer andern, etwa eine Tagereife weftlich von dem Weg
über Bir-Differ verlaufenden Straße zurüdgefehrt war, auf
welcher er mod) das von unferer frühern Straße nur aus der
Entfernung geſichtete Browne-Gebirge durchzogen hatte.
Auch Yordan fam ſchon am 16, früh in Gaſſr Dachel
an, welches er gerade zwei Monate früher verlaffen hatte.
Auf feiner Reife nach Beharich, die er nur in Begleitung des
Beduinen HadjsMadjub und eines in Siuah gemietheten
Flihrers zurlicdlegte, hatte er ben Behar-bela-ıma (dev Führer
unterfchied einen großen und einen Meinen) als gewöhnliche
Wüfteneinfenkungen ohne Spur eines ehemaligen Flußlaufes
oder gar eined Zufammenhanges mit dem Nil nachgewieſen.
In der Meinen Dafe, deren Hauptort, die Doppeljtadt Gaflr-
Baniti, er am 6, März erreichte, verweilte er nur 11/, Tage,
um bie nöthigen Mefjungen zu machen; der dortige Mubdir
nahm ihn mit derjelben Freundlichteit auf, welche feine Gols
legen in Dachel und Siuah der Expedition erwiejen hatten.
Am 8. von dort aufgebrochen, legte er noch mehr als eine
Tagereife in der Einſenlung der Meinen Dafe zurüd, die
bis über den Brunnen Ain chaman hinausreidht, Die
ſchmale Felfenbrüde, welche dieje Einfentung von der ber
Dafe Farafrah trennt, wurde ebenfalls in etwa einen Tage-
marſch durchzogen, und ſchon am 10. Abends lagerte Jordan
am nmördlichjten Ende der legtgenannten Dafenjenfung, bei
der Tiuelle Ainsel-Uadi, wo fid) eine weit mehr als der
etwa 85 Meter Über dem Meer gelegene Ort Farafrah bis
zur Meercshöhe von nur 25 Meter hinabreichende, reich mit
Vegetation bededte Vertiefung findet. Am folgenden Abend
fam er in Farafrah an und nachdem er an diefem wichtigen
Knotenpunlte des Itinerars einen Tag auf die wiederholte
Fängenbeftimmung verwendet, erreichte er Dachel vermittelt
eines Eilmarfches, der ihn in drei Tagen bis an die Pforte
der Dafe, nadı Babel: Fasınund, bradıte.
Es möge mir noch geftattet fein, kurz darüber zu berich—
ten, wie Nemele und ich unfern Aufenthalt in der Dale
Dachel benugten. Erſterer war bis zur Nüdtehr der nad)
Rohlfs' Beftimmung bei feinem Aufbruch, von Regenfeld auf⸗
gehobenen Depots durch die Beſchaffung von Kameelfutter
und die Ausrüftung ber Nachſchubkarawanen in Anfprud)
genommen, welche jehr zeitraubende und fchiwierige Verhand⸗
lungen mit den Behörden der Stadt erforderten. Später,
während meines Zuges nad) Farafrah, leitete ex bie bereits
erwähnte Ausgrabung des Tempels. Daneben behielt er
indeß Zeit genug, um eine beträchtliche Anzahl charakterifti-
icher Porträts, ſowie Anfichten der Gulturen, Gebäude, nas
mentlich aber der malerischen Felspartien bei Bab⸗el-Caillaud
und Bab-el-Jasmund, aufzunehmen, Die legterwähnte Auf⸗
nahme, welche ein Bivoualiren inmitten diefer öden Wüſten⸗
gran erforderte, mußte Memels wiederholen, da ber erfte
erſuch durch plöglic; ausbrechenden Samum vereitelt wurde,
welcher die fertigen Platten zerſtörte und ſogar den Apparat
arg beichädigte. Im Kurzem war derſelbe indeß durch die
geſchickte Hand feines Dieners Tanbert, eines ſehr auf
gewedten Scyloffergefellen aus Apolda, wieder hergeftellt,
und eine zweite Expedition nad) Babsel-Jasmund wurde mit
völligem Erfolge gelrönt. Mit Recht find diefe theuer er⸗
fauften Blätter nicht nur als eine vollendete Leiſtung der
photographiichen Kunft, jondern als ein wahrer Gewinn file
die phyſitaliſche Geographie bezeichnet worden.
Meine Bejcäftigung beftand ausschließlich in der Er:
Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Expedition zur Erforfhung der Libyſchen Wüſte im Winter 1873/1874.
forſchung der Vegetation, welche befonders reichhaltig auf
dem künſtlich bewäflerten Terrain vertreten war. In allen
von uns befuchten Dafen zerfällt der cultivirte Boden in
forgfältig eingefriedigte, von Lehmmauern, feltener nur von
Dornheden umſchloſſene Gärten und im offene Felder, welche
letztere, ausſchließlich der Cultur der Cerealien gewidmet,
behufs der Bewäſſerung auf abhängigem Terrain ierraſſen⸗
artig angelegt und in kleine Beete eingetheilt find. Der
hohe Drud, unter dem die faſt ſtets durch artefiiche Boh—
rungen aufgefchlofjenen, aus unbelannter Ferne herfommens
den unterirdifchen Gewäſſer zu Tage treten, geftattet es, fie
zu beliebiger Höhe aufzuftanen oder die Brunnenſchächte an
den höchftgelegenen Punkten anzufegen. In den Winters
monaten, deren Temperatur ziemlich mit unſerm mitteleuro-
päifchen Sommer übereinftimmt, cultivirt man unfere Ges
treibearten, Weizen und Gerfle, während in ber Tropenhige
bes dortigen Sommers Reis und Durrah gedeihen. Auf:
fälig war mir gleich beim erften Gang in die Gärten von
Farafrah und beftätigte ſich ftets in der folge, daß die Un—
frautvegetation der Daſen völlig von ber des Nilthals unter
gleicher Breite abweicht, dagegen in ihren charalteriftiichen Zit-
gen mit der der Mittelmeerländer ibereinftimmt. Ich wurde
daher zu der Schlußfolgerung geführt, daß die Cultur in den
Dafen nicht aus Aeghpien, fondern von der Nordfitite Afrikas
herftamme. Diefer Schluß, zu welchem auch Dr. Schwein«
furth bei feinem gleichzeitigen Aufenthalt im der Großen
Dafe durch die mämliche Beobachtung gelangte, fand feine
vollftändige een durch) die Mittheilungen über bie
ültefte Sefchichte der Dafen, die unfer Landemann H. Brugſch
in der Sigung des Juſtitut gyptien am 18. April 1874
machte *). Derfelbe hat aus den Monumenten des Nilthals
ermittelt, daß die Dajen urjprlnglich von zwei libyſchen
Bölterfchaften, den Samu und Tehennu, welche im Gegen-
ſatz zu den rothen Aegyptern weiß bargeftellt und von Brugſch
geradezu für Einwanderer aus Europa erflärt wurden, bes
wohnt waren, die, oft mit ben Pharaomen im feindliche Be—
rührung gerathend, endlich, vom ihnen bezwingen und ihrem
— einverleibt wurden.
in Ausflug, welchen ich während dieſer Zeit nach dem
fünf Stunden ſüdlich von Gaffr gelegenen Dorfe Mut unter:
nahm, verdient einer kurzen Erwähnung. Ich war dort der
Saft eines wohlhabenden Grundbeſitzers Namens Hajjans
Effenbi, der fich um dem wiethichaftlichen Fortſchritt der
Dafe die größten Verdienfte erworben hat. Ein Fellach aus
dem Nilthale, kam er in den 30er Jahren als Diener eines
franzöſiſchen Ingenieurs Lefoͤvre nad) Chargeh, welcher
beauftragt war, dort artefifche Brunnen anzulegen, eine Kunſt,
weldye, beiläufig bemertt, im Altertfum von den Dafen-
bewohnern im hoher Bolltommenheit ausgeübt wurde, wie
der zu Anfang des 5. Jahrh. n. Chr. lebende Schriftfteller
Dlympiodoros berichtet. Der junge Haffan erlernte von
feinem Herrn das damas in Europa übliche Verfahren und
hat ſeitdem im der Dafe Dachel, wohin er bald darauf fiber
fiedelte, dur; Eröffnung zahlreicher Brunnen große wit
liegende en der Cultur wiedergewonnen; ich fage
wiedergewonnen, denn alte Feldereintheilungen, Nefte ver-
witterter Palmftlimpfe und felbft gebleichte Gehäufe von
Waſſerſchnecken verrathen noch am manchen jet ſtundenweit
von den bewohnten Orten gelegenen Plätzen die frühere Exi—
ftenz wohlangebaueter Ländereien. Haſſan Effendi, der
Wohlthäter der Dafe, hat fic mit feiner Kunft ein anſehn⸗
*) Bull. de Vinst. &g. Nr. 13. 1874. 1875. Alexandrie 1875,
pP: 92 q. Ueberfept im „Roblfs, drei Monate in ber tibufchen Wüpte”,
©. 351 ff.
Globus XXIX. Nr. 14.
217
liches Vermögen erworben und ift nicht mur durch feinen
Geichäftsbetrieb, fondern eben fo fehr wegen feines milden,
wohlwollenden Charakters eine cbenfo geachtete wie beliebte
Perfönlichkeit. Unferer Expedition erwies er von Unfang
an die größte Freundlichkeit; ic) rechne die Abende, welche
ich in vertraulichen Geſprüche mit dieſem liebenswürdigen
Greife, der des Franzöfifchen völlig mächtig ift, zubradhte,
zu ben — Erinnerungen der duß Selbſt⸗
verſtändlich lamen wir auch auf die Wuſtenſtrede, in welche
meine Reifegefährten damals eingebrungen waren, zu reden,
und unaufgefordert machte mir Haffan folgende Mittheilung.
Bor etwa 100 Jahren wurde Dadyel von Einfällen eines
nomabijirenden Näubervolfs aus dem fernen Sudweſten heim-
geſucht; zur Abwehr berjelben verfegte die damalige Mam—
lufen-Regierung eine Kolonie ihres Stammes nad) der Mut
benachbarten Ortſchaft Galamün. Diefe Mamlufen, Sur:
bägi genannt, verlegten den Räubern den Weg, indem fie
auf eine Strede von etwa acht Zagereifen auf bem von
diefen benugten Wege alle Brunnen zerftörten. Seitdem
blieb diefe Straße unbeſucht; nur einmal, zu Unfang
ber Regierung Mohammed» Al’s, gelangte auf berfelben
eine Karawane aus Bornu nad) Dachel. Diefe Straße
fol übrigens noch vorhanden fein; an berfelben wurde vor
etwa dreißig Jahren ein eifernes Inftrument gefunden, von
deſſen Gebrauch ſich Haflan, welder es ſpäter ald Geſchenk
an Rohlfs überließ, eine ſehr wunderliche Vorſtellung ges
bildet hatte. Es vereinigen ſich mehrere Umftände, um
diefe Nachrichten vollfommen — erſcheinen zu laſ⸗
fen. Zunähft das Zufammentreffen eines Namens und
einer Thatjache mit anderweitig nad) Europa gelangten, Haſ⸗
fan Effendi aber unmöglich gänglicen Nachrichten. Er
nannte jenes Näubervolt, welches Dachel im vorigen Yahr-
hundert beunruhigte, Bedajat, ohne Zweifel bie Bidejat, die
Bewohner der nördlich von Uadai gelegenen Oaſenlandſchaft
Eimebi, deren fo lange unfichere ethnographiſche Stellung
erft ganz neuerdings durch Nachtigall aufgeflärt worden
ift. Werner trifft die Nachricht von der Ankunft einer Ka—
rawane in ihrer Zeitbeftimmung in Mberrafchender Weife
mit den Nachrichten zufammen, welche und Fresnel *) und
MohammedselsTunfi **) über die vom Sultan Sfa-
bun von Uadai nad) Aegypten und zwar, wie wir beftimmt
erfahren, eimmal fpeciell nach ber Dafe Dachel gefandte
Karawane mitgetheilt haben. In jenem eifernen Inftrument
erkannte ich fofort eins jener in ganz Mittelafrifa gebräuch-
lichen Wurfeifen, die in dem oberen Nilländern Trumbabj,
fonft auch Korbadj, in der öftlichen Sahara Schangorsman»
gor genannt werden; und zwar ſtimmt bie Form deſſelben
auffallend mit einem der von Nachtigall ***) als Tibbu-Waf-
fen abgebildeten überein ; mach diefem ausgezeichneten Forſcher
erhalten die Tibbu diefe Wurfeifen hauptjählic aus Borku,
Ennedi und Uadai, aljo gerade den Yändern, aus benen ſich
vermuthlich Sfabun’s Karawanen recrutirten. Ich zweifle
faum daran, da die von Jordan aufgefundene und drei Tage:
reifen weit verfolgte alte Straße in ber That von den Raub-
zügen der Bibdejat, fowie vielleicht von ben Uadai Karawanen
benußt wurde. Bei ber Kameelweide wendet fie ſich vielleicht
mehr nad) Süden, da die bis dahin verfolgte Richtung felbft
nördlich von Wanjanga vorüberführen, außerdem im bem
Sandocean bei Regenfeld ein unüberwindliches Hinderniß
finden wiirde 7).
®) Bulletin de la soc. de geogr. III, serie t. XI, p. 49. 50.
**) Voyage au Ouaday. Paris 1851, p. 218. 219.
“*) Zeitfchrift der Geſeliſchaft für Erbfunde zu Berlin 1870, S. 288.
+) Vergl, darüber, was ich in „Noblis, drei Monate im ber Liby⸗
ſchen Wüfte”, ©. 250 ff., geſagt.
28
218
Albin Kohn: Prſchewalski's Neife von Kiachta nach Peling.
Prſchewalski's Reife von Kiachta nad) Peking.
Ton Albin Kohn,
Trog der Unfruchtbarkeit und der Dede der Gobi war
ber Weg, den wir nad) Kalgan eingefchlagen hatten, von
Karawanen, welde Thee transportirten und deren wir tägs
(ich ſehr viele trafen, ungemein belebt. Weiter unten werde
ich diefe originellen Karawanen befchreiben, jegt aber meine
Beichreibung dev mongoliſchen Hochebene fortjegen.
Als wir Chalda, den Aimat der Suniten- Mongolen,
und gleichzeitig mit biefem den unfruchtbarften Theil der
Gobi Hinter uns hatten, famen wir wieder in einen frucht-
baren Strid) der Steppe, welche in Südoſt ebenfo wie im
Norden die Mitte der wilden und üben mongolifchen Hoch—
ebene umfäumt. Der Boden wird wieder etwas uneben und
bebedt ſich mit ausgezeichnetem Graſe, welches den ungemein
zahlreichen Herden der Zadar: Mongolen reiche Weide
bietet. Diefe legteren werden als die Grenzwächter des
eigentlichen China betrachtet, find der Reihe nad) im Dienfte
des Staates und in acht Feldzeichen (Barmer) getheilt. Das
Gebiet der Zacharen ift gegen zweihundert Werft breit, zieht
fi) aber die Yänge der Hochebene entlang, von Dften nad
Weften, wohl drei Mal fo weit,
Da ſich die Zahar-Mongolen in beftänbiger Berllhrung
mit den Ghinefen befinden, fo haben fie jegt ſchon nicht
allein den Charalter, fondern auch den Typus der Mongo—
Ien reinen Bluts eingebüßt. Da fie von ihrem Ungeftanm:
ten nur die mongolifce Waulheit beibehalten und von den
Chineſen nur die fchlechten Eigenschaften angenommen haben,
jo erjcheinen fie wie Baſtarde, welche weber die mongolifche
Geradheit noch die chimefifche Arbeitſamleit befigen. Die
Kleidung der Zacharen ift ganz die dinefifche, und deshalb
fehen fie auch den Chinefen ähnlich, da fie außerdem meift
ein längliches ober bogenartig geformtes, aber fein flaches
Geſicht Haben. Die Urfache diefer Veränderung des ange-
borenen Typus find die häufigen Heiraten zwiſchen Zadja-
ren und Chinefinnen; aus diefer Miſchung gehen hier die
fogenannten „Erlidfy*, d. h. die mit zwei Yebern Ausge—⸗
ruſtelen, hervor. Die übrigen Mongolen, befonders aber
die von Chalda, haſſen den Zacharen nicht minder wie ben
Chinefen; und unfere Fuhrlente ftellten im Lande der Za—
charen immer Wachen aus, denn fie fagten, daß die Men«
ſchen hier lauter vollendete Diebe feien.
Wenngleich, die Bewäfjerung des Landes der Zacharen
immer iur eine ſehr bürftige ift, fo beginnen ſich doch jchon hin
und wieber Seen zu zeigen, von denen der „ Angulisnoor“
einen fehr bedeutenden Umfang hat. Näher der Grenze der
Hochebene findet man, wenn auch felten, einen Meinen Fluß,
und hier beginnt dann aud) die Cultur und das anfäffige
Leben. Chinefifche Dörfer und bearbeitete Felder jagen dem
Reifenden deutlich, daß er die wilde Wuſte hinter ſich Hat
und in ein dem Menfchen freundlicheres Land gefommen ift.
Endlich zeigen fid) am fernen Horizonte die unbeutlichen
Umriffe des Gebirgszuges, welcher die ſcharfe Grenze zwi
ſchen der hofen, Fühlen Ebene der Mongolei und den war:
men Ebenen bes eigentlichen Chinas bildet. Diefer Rüden
hat durchaus einen Alpendjarakter. Steile Abhänge, tiefe
Schluchten und Abgrlinde, ſcharfzackige Bergfpigen, manch⸗
mal mit überhängenden Felſen befäet, endlich dev Anblid der
Wildgeit und Unfruchtbarkeit, — diejes der allgemeine Cha-
ratter diefer Berge, deren Hauptrliden entlang ſich die berlihmte
II.
große Mauer hinzieht. Sndeß erhebt ſich das Gebirge,
wie viele andere im Innern Afiens, welche ebenen von
niederen Ebenen fheiden, von der mongolischen Hochebene
aus gar nicht. Bis zum legten Schritte bewegt ſich der
Reiſende zwifchen den Hügeln des wellenförmigen Plateaus,
und plöglic, erjcheint vor feinen Augen ein beivundernswir-
diged Panorama. Unten zur den Füßen bes bezauberten
Beihauers erheben ſich, wie im phantaſtiſchen Traume,
ganze Ketten hoher Gebirge, überhängenber Felſen, Abgrlinde
und Schluchten, launenhaft mit einander verwirrt, und hin-
ter ihnen find dicht bevölferte Thäler ausgebreitet, durch
welche fid), wie filberne Schlangen, unzählbare Flüßchen
ſchlängeln. Der Gontraft zwiichen dem, was hinter ung ge—
blieben, und dem, was vor uns, ift überwältigend, Nicht
geringer ift der Unterfchied im Klima. Während der gans
zen Reife liber die mongolifche Hochebene hatten wie Tag
für Tag Fröſte, welde bis — 37° C. betrugen und ftets
von ftarfem Nordweſtwinde begleitet waren, obgleich nur we
nig Schuee fiel und dieſer ſogar ſtellenweiſe gar nicht zu
fehen war. Jetzt fühlten wir nad jedem Schritte, den wir
vom Örenzräden machten, daß es wärmer wurde, und endlich
hatten wir, als wir nad) Kalgan kamen, trotzdem es Decems
ber war, das jchönfte rühlingswetter. So groß ift der
Unterſchied zwifchen dem Klima der genannten Stadt und
dem Punkte, von dem aus man von ber Hochebene herab-
fteigt und deren Entfernung von einander nur 25 Werft
beträgt. Der letztere Punkt hat eine abjolute Höhe von
5400 Fuß, während Kalgan, das am Ausgange aus dem
Grenzrücken in die Ebene liegt, ſich nur 2800 Fuß über dem
Meere erhebt.
Diefe Stadt, welche von den Chineſen Tjhang-tia-
kau (die Benennung „Kalgan* ſtammt vom Mongolifchen
„Chalga“, d. h. Sclagbaum) genannt wird, ſchließt dem
Durdjgang durch die große Mauer und bildet einen wichti-
gen Handelöplag Chinas mit der Mongolei. Hierher fom-
nen auch unfere Tuche, Mancheſter und Pelzwaaren. In
Kalgan leben an 70,000 Einwohner, welde ausſchließlich
Ehinefen find, darunter viele Mohammedaner, welche in
China allgemein als „ChojsChoj“ bezeichnet werben,
Hier leben auch zwei proteftantische Miffionäre, und einige
unferer Kaufleute, welche ſich mit dem Berfahren von Thee
durch die Mongolei nad, Kiachta befaſſen. Wenngleich in
der legten Zeit dadurch, daß der Theetransport zur See bes
beutend zugenommen, ji) der Tranfit durch die Mongolei
verringert hat, jo werden doch, nach der Berficherung unjerer
Kaufleute, alljährlich noch an 200,000 Kiften Thee, jede
bis drei Pub fchwer, von Kalgan abgefendet. Derjelbe
loninit aus den Theeplantagen in ber Nähe der Stadt Hans
fau am mittlern Yangetfesfiang nad) Kalgan und zwar theils
zu Yande, theild auf europäifchen Dampfern nad Tienstfin.
Die eine Hälfte wird unferen Kaufleuten verfauft, welche
ihn weiter befördern, während die andere von Chineſen felbit
nad) Urga oder Kiachta gejchafft wird. Als Fuhrleute dienen
Mongolen, welde bei diefem Transport viel Geld verdienen.
Die Ausfuhr findet nur im Herbfte, Winter und ganz im
Anfange des Frühlings (bis zum April) ftatt; im Sommer
werben alle Kameele in die Steppe gelafjen, wo fie ſich erholen,
ſich aushaaren und frifche Kräfte zur neuen Arbeit fammeln.
Albin Kohn: Prichemalsti's Meile von Kiachta nach Peking.
Die Theekarawanen bilden eine ſehr harakteriftifche Ers
fcheinung der öftlichen Mongolei. Im Frühherbfte, d. h. im
Anfange Septembers, kommen aus allen Gegenden dieſes
Landes lange Züge von Kameelen nad, Kalgan, welche fich
während bes Sommers in der freien Steppe umhergetum—
melt haben, wiederum gefattelt, um auf ihrem Ruden je
vier Kiſten, d. h. ganze zwölf Bud Thee, durch die Wuſte zu
ſchleppen. Dieſes ift eine — Laſt fir das mongo—
liſche Kameel; auf ſtärkere Thiere wird jedoch noch eine Kiſte
mehr gepackt. Die Mongolen verdingen ſich, den Thee ent⸗
weder direct nach Kiachta oder auch nur bis Urga zu ſchaf—
fen, weil weiterhin Gebirge und häufig auch ſehr tiefer Schnee
den Kameelen das Gehen erſchweren. Im legtern Kalle
wird der Thee auf ziweirädrigen mit Ochſen befpannten
Wagen nad) Kiachta weiter gejhafft. Ein Theil des There
bleibt aud) im Urga zum Gebrauche für die Mongolen,
Der Durchſchnitlspreis für den Transport einer Kite
von Kalgan nad Kiachta beträgt drei Yan, fo daß alfo jedes
Kameel während eines Transports zwölf Yan, d. i. 25
Silberrubel, verdient. (Der mittlere Werth eines hinefifchen
Lan beträgt in Kalgan 2 Rubel 8 Kopefen unferes Silber:
geldes.) Gewöhnlich gelingt es der Karawane während
eines Winters zwei Mal jene Strede zurückzulegen, jo daß
jedes Kameel feinem Eigenthimer fünfzig Rubel verdient.
Zur gehen die Karawanen gewöhnlich leer; nur felten
bringen fie irgend eine Waare, Holz, trodene Pilze, Salz,
Haare oder Wolle, mit. Auf 25 Sameele kommen zwei
Treiber, welche die Thiere pflegen und beladen, fo daß die
Ausgaben thatſüchlich ſehr Hein find, und dem Unternehmer
ein ungeheurer Reingewinn übrig bleibt, felbft wenn wäh:
rend des Winters einige Kameele in Folge von Erſchbpfung
oder ſchlechtem Futter fallen. Die Karawauenkameele wer—
den fehr oft dadurch zum Dienfie untauglich, daß fie ſich die
Widerhufe verlegen und im folge defjen lahm werben, oder
ſich durch nmadjläffiges Beladen den Rüden wundreiben.
Im erſten Falle legen die Mongolen das Thier nieder und
umnähen den wunden Fuß mit einem Stüde Leber, welches
dem Thiere dann ald Sohle dient und zur baldigen Heilung
beiträgt, im zweiten Falle wird das Kameel fir das laufende
Jahr zum Transporte unfähig und man entläßt es im die
Steppe, damit cs ſich erhole, Wenn man aud) einen bes
ftimmten Brocentfag verloren gehender und beſchädigter Ka»
meele annimmt, fo bringen fie dody dem Mongolen, welcher
ihrer wenn auch nur dreißig bis vierzig beſitzt, ſehr bebeus
tende Summen ein. Nun giebt es aber viele Kameeltreiber,
welche ganze Herden befigen, die ihnen theils als Eigenthum
gehören, theils aber aud; von armen Mongolen, denen es
ſich nicht lohnt mit wenigen Thieren Transporte zu unter
nehmen, in Pacht gegeben find. Es follte ſcheinen, daß ein
folder Berdienft den Mongolen bereichern müßte; in Wirk
lichkeit verhält es ſich jedoch nicht fo, und nur jelten bringt
einer von ihnen einige Hundert Rubel mit nad) Haufe; alles
übrige Geld wandert in die Tafchen der Chinefen.
Diefe legteren beuten den leichtgläubigen Mongolen in
der gewifienlofeften Weife aus. Jeder Karawane, welche im
Herbfte nach Thee fommt, veifen einige Chinefen entgegen
und laden ben Gigenthimer ein, bei ihnen fein Quartier
anfzufchlagen. Diejes Quartier wird unentgeltlid, gegeben;
Bedienung und Aufmerffankeit werden dem Gafte in vollem
Maße zu Theil. Der ſchmutzige Mongole, mit welchem fonft
der Chineſe nicht einmal fprechen wilde, macht es fic num auf
der Pritfche in der Fanſe des reihen Kaufmannes bequem,
welcher ihm entweder ſelbſt die Pfeife veicht, oder diefe ihm durch
feinen Commis reichen läßt und felbft feine leifeften Wunſche
erfüllt. Der Mongole nimmt Alles für baare Münze an
und überläßt es feinem Wirthe, ſich mit dem Kaufmanne,
— — — — — — — — en een,
219
deſſen Thee er zum Transporte übernimmt, auseinanderzus
ſetzen. Hierauf aber hat der Chineſe nur gewartet. Er rechnet
mit dem den Transport im Voraus bezahlenden Auftrag-
geber des Mongolen in ber gewiljenlofeften Weiſe ab und
dann bietet er dem Mongolen noch diefe oder jene Waare
zum Kaufe an, die er mit doppelten Preifen anfegt. Wei-
ter geht nun noch ein Theil des Geldes flir Abgaben und
zur Beftehung der Beamten weg und ein anderer Theil
wird verludert, fo daß am Ende der Mongole Kalgan mit
einem ganz unbedeutenden Theil feines ungeheuren Berdien:
fies verläßt. Einen Theil hiervon muß er dann nod) unbes
dingt einem Tempel fchenfen, fo daß der Nomade im Frilh—
linge faft mit leeren Händen nad) Haufe fommt,
Der Yandtransport des Thees ift fo theuer, daß hier:
durch der Preis des Formthees, welcher ausfchlielic von
Mongolen und von den Bewohnern Eibiriend verbraudt
wird, um das Dreifache des Fabrikpreiſes erhöht wird, Der
Transport von Kalgan nad, Kiachta dauert 30 bis 40 Tage,
je nachdem hieriber mit dem mongolischen Unternehmer abge:
ſchloſſen wird. Dede Kifte ift urſprünglich in eine dicke wol
lene Dede gehüllt; in Kiachta wird dieje durch eine rohe Haut
erfegt, und dann werben die Kiſten je nad) der Jahreszeit auf
Wagen oder Schlitten nad dem europäischen Rußland geſchafft.
Kalgan iſt, wie geſagt, eines der Thore der großen
Mauer, welche wir hier zum erſten Male ſahen. Sie iſt
aus großen mit Kallmörtel verbundenen Steinen aufgeführt.
Die Schwere eines jeden Steines liberfteigt jedoch micht
einige Bud, da die Arbeiter die Steine augenfceinlid, in
——— Gebirge geſammelt und auf ihren Schultern her—
beigefchleppt haben. Die Mauer felbft ftellt in ihrem Duer:
durchſchnitte eine Pyramide dar und hat eine Höhe von circa
drei Klaftern bei einer Fundamentdicke von ungefähr vier
Klaftern. An wichtigeren Punkten, manchmal jedoch im
einer Entfernung von faum einer Werft von einander, find
quadratifche Thürme erbaut, Sie find aus Lehmziegeln
conftruirt, melde wechjelweife der Yänge und Breite nad)
gelegt und mit Kalk verbunden find, Die Größe der
hurme ift verfchieben ; die größten haben im Fundamente
eine Ausdehnung von ſechs Klaftern und eine gleiche Höhe.
Diefe Mauer zieht fi den Rücken des Grenzgebirges entr
fang in bie Schluchten hinein, welche ihre Befeftigungen ver—
ſchließen. In ſolchen Püſſen allein hat aber aud) der ganze
Bau nur einigen Werth; im Gebirge macht ja der Charal-
ter der Gegend das Eindringen des Feindes unmöglich; troß-
dent ift auch hier die Dauer und zwar überall in der gleichen
Höhe und Dide erbaut. Ich hatte jogar Gelegenheit zu
fehen, daß diefer Bau an eine vollkommen abſchüſſige Selten:
wand ſich anlchnte, ſich aber nicht mit diefer matitrlichen
Mauer begnügte, fondern, einen engen Zwifchenraum laffend,
in der ganzen oft jehr bedeutenden Fänge ben Felſen umging.
Und weshalb wurde diefe Niefenarbeit vollbracht? Wie viele
Millionen Hände haben an diefem Bau gearbeitet? Wie
viele Kräfte der Nation wurden hier vergeudet? Die Ger
fchichte erzählt uns, daß die chineſiſchen Herrſcher gegen
200 Yahre v. Chr. Geb. den Bau in der Abſicht begonnen
haben, das Neid, vor dem Eindringen der benachbarten No—
maden zu fchligen. Aber die Geſchichte erzählt uns aud),
daß die periobifchen Angriffe der Barbaren an diefer Mauer
micht zerfchellten, da dem chineſiſchen Reiche hinter ihr ein
zweiter, fichererer Schutz, — die moralische Kraft des Volles
ſelbſt, fehlt.
Uebrigens ift die große Mauer, deren Länge die Chinefen
ſelbſt auf fünftaufend Werft angeben, und die ſich einerfeits
tief im die Mandſchurei, andererjeits bis tief in die Gobi, bis
an die Feſtung Kiasyi-fwan in der Provinz Kanſu
(98° öftl. 2. Gr,), Hinzieht, in den von Peling entfernten
25*
220
Gegenden gar nicht fo groß. Im der Nähe der Hauptftabt
wurde fie unter den Augen bes Kaiſers und feiner wichtig-
fien Würbenträger erbaut, und deshalb erſcheint fie aud) als
ein wirkliches Riefenwerk; in Gegenden, welche ber höhern Ber
waltungsbehörde fern Liegen, erſcheint die berlihmte große
Mauer, welche die Europäer als eine charalteriſtiſche Eigen:
thümlichfeit Chinas zu betrachten gewohnt find, nur als ein
durch die Zeit zerftörter Lehmwall, deſſen Höhe drei Klafter
beträgt. Diefes fagt Huc im der Beſchreibung feiner Reife
durch die Diongolei und Tibet, und wir felbft hatten im Jahre
1872 Gelegenheit, eine ſolche Mauer auf der Grenze von
Ala⸗ſchan und Kanſu zu jehen.
Wir blieben fünf Tage in Kalgan, umgeben von der
größten Gaſtfreundſchaft des Herrn Matrenidi und einiger
anderer Landeleute, welche dort Kommiffionsgefhäfte treiben
und fi, mit dev Verfendung des Thees befafien, welcher aus
unferen Fabrilen in Hanfau kommt. Unſere Landsleute
wohnen außerhalb der Stadt, am Ausgange der maleriſchen
Schlucht, durch welde man vom Grenzgebirge herabjteigt.
Die Bequemlichkeit des Lebens außerhalb der Stadt befteht
darin, daß man hier nicht den Schmutz und unangenehmen
Geruch empfindet, welche ein Charaktermertmal aller Städte
des Himmlifchen Reiches bilden. Wie alle anderen Aus-
länder in China führen auch unfere Kaufleute ihre Gejchäfte
nicht felbft, fondern laſſen fie durch fogenannte „Kompras
doren“, d. h. durch Chineſen, denen fe bie Handelsgefchäfte
mit ihren chineſiſchen Landsleuten anvertrauen, führen.
Uebrigens find unfere Kaufleute mod) ziemlich, felbftändig
in ihren Hanbelsoperationen, da einige von ihnen die chine⸗
ſiſche Sprache kennen, und meiftens mit ben mongolifchen
Transportunternehmern direct unterhandeln, In Tienstjin
aber und im anderen Städten Chinas, in denen den Euro»
päern der Aufenthalt geftattet ift, ift der Komprador ein
unmmgängliches Zubehör jedes Handelshauſes. Durch fie
werden alle Geſchäfte abgemadjt ; und ein folcher Bertrauens:
mann beftiehlt feinen Auftraggeber meift in fo ungenixter
Weife, daß er gewöhnlich nad) einigen Jahren eine eigene
Handlung gründen fanın.
Die chineſiſchen Kompradoren, welche im Haufe des Aus—
länders leben, lernen die Sprache deſſen, dem fie dienen.
Die ruſſiſche Sprache wird den Chinefen am ſchwierigſten;
wenn wir die Ausſprache und das Verbrehen der Worte
ganz unberüdfichtigt laffen, fo hören wir dad) einen unglaub-
lichen Satzbau, der ganz unverſtändlich ift.
„Schnell deine Meifter ſchieße fei,“ fagte mir
ein Kalganer Komprador, als er fah, daß ic wilde Tauben
im Fluge ſchieße. „Deine ich werde efjen nicht effen?*
fragte derfelbe Chinefe, als er mir etwas zu Efjen vorjegte.
In Urga fahen wir ebenfalld einige ſolche Spracmeifter.
Einer von ihnen fol, wie böfe Zungen behaupteten, ſich einft
mit der Fabrikation von ruffifchen Caſſenſcheinen befaßt und
dieſe an die Mongolen abgejegt haben. Auf unfere Frage,
ob er ſich noch mit diefer Induftrie abgebe, antwortete ber
Chineſe: „Wie'sgeht,jegt dein Papieren fhlecht
fein; ſchreibe, fchreibe (b. h. der Text des Caſſenſcheins),
wenig, wenig unfere Yeute thun kann und Geficht
(das Bild auf dem Scheine) jehr Klug fein.“ Uebrigens
bedarf es für die Mongolen feiner befonders künſtleriſchen
Vollendung der Caſſenſcheine; aud wir fahen in Urga ge-
fälfchtes Papiergeld, auf dem die Bilder aus freier Hand
gezeichnet waren,
Ueber die in China lebenden Ausländer äußerte der Kal:
ganer Komprador folgende Unfiht: „Deine Menſchen
I gleich Peslin (Engländer), Fa-gua (Franzoſen)
ier nicht. Deine Menfhen, unfere Menſchen
odoli (— ganz gleich), gut fein; Peslin, Fa-gua
Albin Kohn: Pridemalsti's Reife von Kiachta nach Peling.
ſchlecht ſein.“ Ich laffe es dahin geftellt, ob das Lob des
Chineſen, welcher behauptete, daß wir dem Franzoſen und
Engländern nicht ähnlich, dafür aber ganz fo find, wie die
Ehinefen, angenehm war ober nicht, Doch befreit diefe viel-
leicht nur perſönliche Anfchauung des Kalganer Kompradors
die Ruffen nicht von dem allgemeinen Haſſe der Chineſen
gegen alle Europäer, und von dem allen gegebenen Spitz
namen „Jansguifa*, d. h. überſeeiſcher Teufel, Eine
andere Bezeichnung hört der Europäer hier nicht, und wir
erfuhren auf dem erften Schritte, dem wir im eigentlichen
China thaten, wie verzweifelt ſchwer die Page bes europäi-
ſchen Keifenden an den Grenzen bes Himmliſchen Reiches ift.
Dank der Unterftägung unferer Landsleute in Kalgan
mietheten wir von Chineſen zur Reiſe mad; Peking zwei
Neitpferde und einige Maulthiere zum Transporte des Ges
pide. Die Europäer reifen hier gewöhnlich, in Tragfefieln,
welche von zwei Maulthieren getragen werden; wir nahmen
jedod) deshalb Neitpferde, weil wir uns fo beffer mit der
Gegend befannt machen fonnten, als von den verbedten
Sänften aus.
Die Entfernung von Kalgan nad, Peling beträgt gegen
210 Werft, welde man gewöhnlich in vier Tagen zurüd«
legt. Unterwegs wird in Gafthäufern gehalten, welche größ-
tentheils von Mohammedanern, die aus Oftturfeftan hier:
her übergefiebelt find, unterhalten werden, Fr die Jan
guifg, d. h. für Europäer, ift der Eintritt in ein gutes Gaft-
haus ſehr ſchwierig, und man führt den Keifenden im die
elendeften Schänfen, wenn man fich auch überall von ihm
das Doppelte, Dreifache, oft fogar das Zehnfache zahlen
läßt. Hier handelt es ſich aber nicht mehr um Geld; man
ift fehr zufrieden, dag man nur unter irgend einem elenden
Schuppen gelaffen wird, nachdem man ſechs oder fieben
Stunden hinter einander auf bem Pferde gefeffen und der
nächtlichen Kühle ausgeſetzt geweſen ift. Ungeachtet deflen,
daß der Europäer in China Alles mit freigebiger Hand be-
zahlt, ift doch der Haß gegen die liberfeeiichen Teufel jo
groß, daß man ung manchmal nicht zur Nacht in ein Gaft«
haus laſſen wollte, trogdem unfere chineſiſchen Fuhrleute
Fürfpradhe einlegten. Dies ereignete ſich befonders im ber
Stadt Scha⸗tſchan, wo wir gezwungen waren eine ganze
Stunde von einem Gafthaufe zum andern zu reiten und für
ein Quartier im eimer ſchmutzigen, falten Fanſe den zehn:
fachen Preis anzubieten.
Auch die Unkenntniß der Sprache war für und ein
großes Hinderniß, befonbers auf ben Stationen, wo wir um
Speiſe bitten mußten. Es war mur gut, daß ich mir in
Kalgan einige chineſiſche Benennungen von Gerichten no:
tirt hatte; mit diefem Menu gelangten wir bis Peling. Ich
weiß nicht, wie Anderen die chinefifche Kliche ſchmect, in
welcher * Del (da die Chineſen lein Rindvieh halten
und feine Mic und Butter genießen) und Knoblauch die
Hauptrolle fpielen. Uns erfchienen bie chineſiſchen Speifen
in den Safthäufern efelhaft. Diefer Ekel vermehrte jich ale
wir in den Fleiſchbänken Eſelleulen jahen, welche zum Ber:
kaufe feil gehalten werden, und num den gerechtfertigten Ber
dacht hegten, daß man auch uns mit Eſelfleiſch futtere.
Die Chineſen felbft verachten feine noch jo efelhaften Gegen:
ftände, und einige eflen fogar Hunde. Während unferer
zweiten Anmefenheit in Kalgan fahen wir, wie djinefifche
Fleiſcher ein un —— lauften, das
krank und deſſen Körper ganz mit Wunden bedeckt war; fie
ſchlachteten es und verkauften das Fleiſch zum Genuffe.
Gefallene Thiere werden gewöhnlich verzehrt und die Eſel,
deren Fleiſch wir in den Fleiſchbänlen geſehen haben, find
gewiß feines gewaltfamen Todes geftorben. Der Chinefe
wlirde, bei dem ihm eigenthlümlichen Geige, ſich um feinen
Albin Kohn: Prihemwalsti's Reife von ſtiachta nach Peking.
Preis entfchliegen ein Laftıhier, das noc zu irgenb einer
Arbeit zu gebrauchen tft, zum Schlachten zu verkaufen. Dan
kann nun eine Borftellung von dem Appetit machen,
mit welchen ber Europäer die ihm in chineſiſchen Gafthäus
fern vorgefegten Speifen genießt, wenn er weiß, wie wenig
wählerifch in dieſer Beziehung feine Wirthe find.
Denn ber Reifende Kalgan und mit ihm bie äuferfte
Gebirgötette der mongolischen Hochebene verläßt, breitet ſich
bor feinen Augen eine weite Ebene aus, bie bicht bevölfert
und audgezeichnet bearbeitet ift. Die Dörfer machen, im
Gegenfage zu den Städten, den Eindruck der Reinlichkeit.
Der Weg ift ftark belebt: auf ihm beivegen ſich lange Zuge
von Ejeln, mit Steintohlen beladen, mit Mauleſeln bejpannte
Wagen, Laftträger zu Fuß und endlich Sammler von Erere-
menten, weldye legteren in China fo hoch gejcägt werben.
Dan kann hier überall, jelbft die Städte nicht ausgenommen,
erwachjene Menſchen ſehen, welche, ein Körbchen am linfen
Arme, in der rechten Hand einen Kleinen Spaten, von Mor:
gens bis Abends auf den Straßen und Wegen umbergehen,
um Ercremente zu ſammeln, welche von Thieren oder Men-
fchen ſtammen. Soldye Scenen gehen oft ins Lächerliche
über, wenn man fieht, wie ein Chinefe bei einem Kameele
ſteht, das fich eben entleert, und fein Körbchen mit Sorg—
falt hinhält, damit die Excremente direct im daſſelbe hinein«
fallen. Der gefammelte Mift wird ſowohl zur Düngung
der Felder wie auch als VBrennmaterial verwendet.
Gegen dreißig Werft von Kalgan, am Rande der oben
bezeichneten Ebene, deren Boden aus ſandigem Lehm beftcht,
theilweife aber aud) fteinig ift, befindet ſich die Stadt Siuan-
hwa⸗fu, welde, wie alle chimefifchen Stäbte, mit einer
erenellirten Lehmmauer umgeben ift, die ganz der Mosfauer
„Shinefifchen Stabt* (Kitai gorod) ähnlich if. Bon hier
führt der Weg weiter über felfige Bergrücken, durd) eine
Schlucht im welcher der reißende und ziemlich breite Fluß
Jang-ho flieht. An engeren und fteileren Stellen ber
Schlucht ift der Weg durch Felſen gehauen und im Allge-
meinen ift er felbit für Wagen gut. Wenn ber Reiſende
Dfirmim hinter fi) hat, gelangt er wieder in eine Ebene,
welche 10 bis 12 Werft breit ift umd ſich gegen Weft zwi⸗
ſchen zwei Bergrüden hinzieht. Einer diefer Rüden ift der,
über welchen der foeben bejchriebene Weg führt, und ber
weite, bebeutend höhere und großartigere , bildet den äußern
and der zweiten Terraffe, über weldye hinweg die oftafia-
tifche Hochebene ſich zur Thalebene geftaltet,, welche am ber
Küfte des Gelben Meeres ausgebreitet ift. Thatfächlic)
nimmt auch von Kalgan an bis zur Stabt Tſcha-dau,
welche am Eingange zu dem eben befchriebenen Bergrüden
liegt, die abfolute Höhe ziemlich gleihmäßig ab; doch reift
man immer noc) über ein Plateau, das fid) hoch über das
Meer erhebt. (Die abfolute Höhe von Kalgan beträgt
2800 Fuß, die von Tichardbau 1600 Fuß.) Nun beginnt
man bei Tſcha⸗dau ben zweiten äußern Rüden herabzufteis
gen, welchen bie Chinefen Si-ſchan nennen, weldes fich
wie die Kalganer Gebirge, nur ganz am äußern Rande des
Plateaus, gegen die am feinem Fuße liegende Ebene hin,
entwidelt.
Der Weg liber diefes Gebirge führt durch die Schlucht
Kuan-kau, welde in der Nähe von Tſcha-dau beginnt
und fi, bis an die Stadt Nan⸗kau hinzieht, die am Aus:
— aus dem Gebirge in der Ebene von Peling liegt.
ie Schlucht Kuan⸗kau hat in ihrem obern Theile nur eine
Breite von 10 bis 15 Klafter und ift von allen Geiten
von ungeheuren, überhängenden Felſen umringt, melde aus
Granit, Porphyr, grauem Marmor und Thonfchiefer bes
221
ſtehen. Der Weg, mwelder einft mit Steinplatten belegt
war, ift jetzt —* veruachlaſſigt, fo daß es ſogar ſehr ſchwer
iſt, ihm reitend zurückzulegen. Trotzdem fahren hier, natlir-
lid) mit der größten Schwierigkeit, zweirüdrige chineſiſche
Wagen und oft benugen den Weg fogar Karawanen mit
theebeladenen Kameelen.
Dem foeben befchriebenen Bergrliden entlang zieht ſich
bie zweite fogemannte innere große Mauer hin, welche an
Umfang und Gonftruction bei Weitem die Kalganer über
trifft. Diefe Mauer ift aus großen Granitplatten aufge
führt, auf denen aus Ziegeln eine crenellirte Mauer erbaut
ift; auf höheren Bunkten befinden ſich Wachtthlirme, Außer:
dem find hinter der Hanptmauer, auf Peling zu, noch drei
Hulfsmauern erbaut, weldye in einer Entfernung von drei
bis vier Werft eine hinter ber andern liegen und mit ihren
Flügeln wahrjcheinlich an den Hauptbau ftoßen. Alle diefe
Mauern verſchließen die Schlucht von Kuanstau mit ihren
Doppelthoren; im der äußerten nach Peling zu belegenen
Mauer befinden ſich jedoch drei Thore. Hier erblidt man
zwei alterthimliche eiferne Kanonen, welde, wie man fagt,
von den Jeſuiten für die Chinefen gegoffen worden find.
Gleich Hinter den Mauern erweitert fid) die Schlucht
von Kuan⸗kau etwas, obgleich, fie immer noch ihren wilden,
aber dabei bezaubernden Charakter beibehält. Wildbäche
ſtürzen fchäumend in Cascaden herab und unter überhängen-
den Felſen erblidt man überall dyinefifche Fanſen, Wein:
reben und Heine Gärten mit Fruchtbäumen. Endlich erreicht
ber Neifende die Stadt Nan⸗kau, welche circa taufend Fuß
niedriger als Tſcha-dau liegt, wenngleich fie von ber legtern
Stadt nur 23 Werft entfernt ift.
Die ganze Breite des Abfalls der oftafiatifchen Hoch—
ebene vom höchſten Bunkte des Kalganer Gebirgsriidens bis
zum Eintritt in die Pelinger Ebene beträgt hiernach gegen
zweihundert Werft. Gegen Welten ift diefe Negion gewiß
breiter, von einigen parallelen Gebirgsrüden durchſchnitten
und reicht bi an den nördlichen Bogen bes Gwang-ho. Ge⸗
gen Often aber vereinigen fi) bie einzelnen Gebirgärikden
zu einem breiten Maſſive, das ſich bis an den Petſchili-Bu—
fen des Gelben Meeres hinzieht. Diefer ganze Gebirgszug
hat von den Chinefen den Namen Tihaishan erhalten.
Bon Nanzkaı hat man nur noch eine Tagereife bis Pe—
fing, d. h. nicht mehr als funfzig Werft. Die Gegend ift
ganz eben und fehr wenig über dem Meere erhoben. Peling
felbft Liegt nur 120 Fuß Über ber Oberfläche des Meeres.
Die Alluvialfchicht diefer Ebene befteht aus Sand und Lehm
und ift ausgezeichnet bearbeitet. Auf jedem Schritte trifft
man ein Dorf. Zahlreiche Gebliſche, die von Gyprefien,
baumartigem Wacholder, Kiefern, Bappeln und anderen
Bäumen gebildet werden und gewöhnlich die Begräbnißpläge
anbdeuten, vermehren die Abwechſelung und Schönheit des
Landichaftsbildes der Ebene. Das Klima wird noch wär«
mer, jo baß hier zur Zeit unferer größten Fröfte (im Au—
fange Januar) das Thermometer gegen Mittag im Schatten
über O9 zeigt. Bon Schnee ift hier nicht die Rede; wenn
er hin und wieder während der Nadıt fällt, fo thaut er ges
wöhnlic jchon am — Tage. Ueberall findet man
überwinternde Vögel: Drofjeln, Buchfinken, Spechte, Gold:
ammern, Krähen, Habichte, Tauben, Trappen und Enten.
Je mehr man ſich der Hauptftadt des Himmlifchen Rei«
ches nähert, deſto dichter wird die Bevölferung. Die dicht
an einander liegenden Dörfer bilden eine Stadt, jo daf der
Reifende, ganz ohne es zu merken, an die Mauer von Pe-
king heranfommt und in die beriämte Hauptftabt des Oftens
einzieht.
222
Nilola 3. Petrowitſch: Das Stavafeft der Serben.
Das SlIavafeft der Serben.
Von Dr. Nikola J. Petrowitſch in Kragujeva;z.
I.
Die religiöfen Ideen eines Volles können vielmals den
Mafiftab fiir feinen ganzen Culturzuſtand bilden. Der
Menſch bildet fich in fernen Göttern ab — das Volk legt in
die religiöfen Gebräuche und Sitten feine ganze Anfchauung.
Bon diefem Standpunkte aus faun man die große Bedeu—
tung der religidfen Ideen eines Volfes leicht ermeſſen.
Wie bei allen Stämmen, fo werden auch bei den Serben
die religiöfen Empfindungen ftets von dem gleichen innern
Drang erzeugt, nämlich von dem Bedürfniß, fr jede Er:
ſcheinung und Begebenheit eine Urſache oder einen Urheber
zu erjpähen *). Wie dies fpeciell bei den Serben zu Stande
fommt, follen uns die nächjten Zeilen zeigen. Wan darf
aber nicht vergeffen, daf wir mit deren Schilderung in „das
Land der Müärdyen md der Wunder“, wie Sottichild **)
fagte, ziehen, jene® geheimnißvolle Yand an der Donau und
Morava, welches weniger befannt ift, als die Nordküſte
Afritas ***). Selbſt die wenigen Neifebefchreibungen (wie
jeme von Leiſt, Bouse, Denthon, Raſch :c.) bieten für die
genaue Kenntniß des ferbifcen Stammes entweder fehr we-
nig oder gar nichts. Seinem Fremden gelang es, in bas
innere Veben dieſes Volfes hineinzubliden; alle waren nur
auf das Aeußere angewiefen. Denn der Serbe ift von Nas
tur nicht zugänglich; am wenigſten läßt er ſich mit einem
Fremden in ein Geſpräch über häusliche Angelegenheiten ein.
Am eigenen Herbe ift der Serbe der größte Herr und Mor
narch, da fagt er zu ſich „wir“ und zu einem Fremden „du*,
Obenan fteht dem Serben die Religion. Sie ift ihm
heilig und fo feſt gegriindet, wie das ganze Leben biefes
Stammes. Noch heute ziehen die Serben in die blutigen
Kämpfe „um das heilige Kreuz und die goldene
Freiheit“; an allen ſerbiſchen Kanmen fteht aufgejchrieben :
„Für den Glauben“. Die religiöfen Gebräuche werden auf
dem Yande noch heute fo wie vor 500 Jahren gehalten.
In den Etädten läßt dies alles nad); denn die Stadtein«
wohner paflen ſich immer mehr den europäifchen Sitten an,
und damit verliert das ganze Peben den wahren Voltscarat:
ter. Daß aber auch in den Dörfern diefe werthvollen Ges
bräuche mit der Zeit verfchwinden werden, ift felbftverftänd:
lich. Es wäre ein fehr großer Schaden für die Wiffenfchaft,
wenn dieſer Schag verborgen bleiben oder gar verloren ger
hen jollte. Darum wollen wir einige von den vefigiöfen
Gebräuchen und Ideen des ſerbiſchen Stammes an biefer
Stelle treu und fo genau wie möglich ſchildern.
„Slava* ift eine Eigenthlimlichfeit, die von allen flas
vifchen Stämmen nur der ferbifche befigt und deren Ent:
ftehung mod; in ben Heidenzeiten gejucht werden muß; daß
wir es hier mit einer Art des Fetiſchismus zu thun haben,
ift zweifellos,
Jedes Haus hat bei den Serben feinen Beſchützer, feinen
Heiligen, dem zu Ehren es Feftlichleiten veranjtaltet und
Opfer darbringt. Als Patrone gelten gewöhnlidy: der hei:
lige Nikolaus (18. December), Georgius (5. Mai), Stephan,
Johannes (19. Januar), Spafow-dan (6. Juni); Demetrius
(7. November), Michael (20 November) und Andreas (12.
December), Das Bildniß diefer Heiligen hängt ftets in
+, Dlar Peſchel, Volletlunde, &. 255,
*) Globue“ 1866, Br.X, S. 122. — **) A. a. O. 8.123.
einer Ede des Zimmers, und jeden Sonnabend und Sonn—
tag breunt vor demfelben eine Hängelampe mit Oel. Auch
das Schwören gefchieht jehr oft im Namen des Patrones ;
man jagt gewöhnlid): „Slave mi“, oder „Tafo mi Slava
pomogla*; d. h. „Ich fchwöre bei der Slava“ ; oder „So
wahr mir die Slava helfe!*
Jede Familie hat ihren Patron, den fie verehrt, und
zwar geht diefer vom Bater auf den Sohn Über. Die Mäd—
chen, heit es, haben feine Slava; deun jede Frau muß den
Patron ihres Mannes verehren. Unwillkürlich erinnert dies
an den Rouſſeau'ſchen Ausdrud: „Jede Tochter foll die
Neligion ihrer Mutter, jede Frau die Religion ihres Mans
nes haben.“ Auf dem Gebiete der ſerbiſchen Slava findet
diefes Geſetz feine volllommene Geltung; die Tochter vers
ehrt in Baterhaufe den Patron der Familie, welcher fie
angehört; mit ber Heirat wechjelt fie Haus und Patron,
Die ſerbiſche Stava hat zwei Seiten, von welchen fie
betrachtet werden fann : die religiöfe und die gefellfchaftliche,
fociale Seite.
Betrachten wir zunächft die eritere.
Bor dem Tage der Slava wird im Haufe von einem
Vrieſter Heine Meſſe gelefen, worauf das ganze Haus und
feine Inſaſſen mit Weihwafjer befprigt werden. Dazu ver:
ſammeln ſich alle Hausgenoffen, felbft die Diener, Nach—
mittags vor der Slava geht einer von den männlichen Mit:
gliedern im die Kirche zu der Abendmeſſe, welche zwiſchen
3 und 4 Uhr gelefen wird, fpendet dort für die Lampe des
betreffenden Heiligen etwas Del, zündet zwei Wachslichter
an, eins oben vor dem Altar für die Geſundheit der Fami⸗
lie, eind unten auf dem Boden für die Erlöfung der Seelen
der Geftorbenen. So wie es Abend wird, muß die Yanıpe
vor dem Heiligen angebrannt, und darf von diefem Augen:
blid an bis auf dem dritten Tag nicht ausgelöfcht werben.
Zum Stava-Tage felbit find für den Heiligen folgende
Dpfer bereitet: eim großer Kuchen, eine Schüſſel Weizen
mit Niüffen und Mandeln, ein wenig Wein, ein großes
Wachslicht fir das Hans und ein Feines, welches in dem
„Koljiwo“ (jo heißt der zubereitete Weizen) brennen foll.
Schon um 7 Uhr Morgens muß ein männliches Mitglied
der Familie in die Kirche gehen. Er nimmt das „Koljimo“,
den Kuchen, das Heine Wacslicdht und Wein mit. Das
„Koljiwo* wird in der Kirche vor dem Altar auf den Bo:
den geftellt und in feiner Mitte das lleine Licht angezlindet.
Der Kuchen mit dem Wein fteht in einer andern Ecke des
Gotteshauſes.
Nachdem der gewöhnliche Sottesdienft beendet iſt, wird
ein befonderes Gebet fr den Heiligen, deſſen Namensfeft
man feiert, gelefen, Dies heißt ein „Molebftwije“ halten.
Wenn der Pfarrer dafielbe beendet hat, ſammeln ſich
um ihn im einer Ede der Kirche alle „Swetichart“, d.h. alle,
die einen und denſelben Heiligen haben; und der Reihe nad
wird nun jeder Suchen zerichnitten. Dies gejchieht auf fols
gende Weife: Der Pfarrer ſchneidet dem verfehrt liegenden
Kuchen in vier Theile, aber jo, daß das Meſſer nicht tief
eindeingt und ber Kuchen noch zufammenhängt. Auf den
Kreuzungspunft der Schnitte gießt er dann ein wenig Roth:
wein. Dann wird ber Kuchen umgefehrt, vom Pfarrer und
den Swetfchari gebreht , wobei erfterer zwei Gebete abfingt,
*
Aus allen Erbtheilen.
und alsdann fo gebrochen, daß zwei Viertel dem Pfarrer und
zwei dem „Swetſchar“ bleiben. Der Pfarrer küßt dann
dreimal feine Hälfte und fagt zu dem Swetſchar: „Jeſus
fei zwijchen uns!“ worauf der Swetfchar antwortet: „In
Ewigleit, Amen!* Dann zertheilt jeder feine Hälfte und
fügt den andern auf die Hand. Diefer Gebrauch heißt
„lomljenje kolatſcha“ (das Kuchenbacken). Nachdem dann
nod) das „Koljimo“ *) mit Rothwein übergoſſen, find alle
Eeremonien in ber Kicche vollendet. Wenn der „Swetichar“
nad) Haufe kommt, ift es feine erfte Pflicht, die Unwefenden
zu grüßen und das Licht, weldyes ſchon bereit fteht, anzu
zünden. Wenden wir uns mun zu den focialen Ge—
bräuden,
Schon zwei Tage vor der Slava wird im Haufe alles
gereinigt ; die Vorbereitungen, welche ein reicher Bauer dabei
trifft, find oft fehr groß und foftfpielig. Ein Schwein, ein
Schaf, oftmals auch ein Kalb wird geſchlachtet, dazu ſcho—
nungslos viel Geflügel. Daß die zu verbraucende Maſſe
Weines nicht Mein fein darf, ift ſelbſtverſtändlich.
Für wen dies alles?
Zuerft muß man willen, daß die Hausleute ſelbſt an
diefem Tage beſſer als je efien und trinfen wollen. Denn
„die Slava fommt nur einmal im Jahre“, fagt das Volt.
Der Serbe aber fann niemals das Glüd allein genießen
und ohne Geſellſchaft nicht leben; er ift wirllich das Ariftote
liſche „Geſellſchaftsthier“. Darum ladet der Hausvater
entweder die Nachbarſchaft und einen guten Theil des Dor—
fes ein’; oder die Betreffenden fommen ohme befondere Eins
Ladung. Im einigen Gegenden ift das Eine, in anderen dad
Andere die Sitte. Die Einladung muß immer einen Tag
vor der Slava gejchehen, und zwar immer durch einen Sohn
des Haufes, auf folgende Weife: „Der Vater läßt Sie
grüßen und bitten, dag Sie heute Abend zu uns fommen,
um ein wenig die Nacht abzufürzen, ein Schnäpschen zu
trinfen; was der heilige Nifolaus gebracht hat, wollen wir
feinenfalls verfteden. Kommen Sie — bitte, thun Sie
es nicht anders, fondern fommen Sie!“ Diefer letzte Say
ift bebeutjam für eine ferbifche Einladung ; mit demfelben
ſchließt eine jede. Es will jo viel heißen als „tommen
Sie jedenfalls“ , „Wir erwarten Sie“, ober „Sie werden
*) Allen Heiligen wird Koljiwo geopfert, mit Ausnahme tes Michael
und Glias, meil die Serben glauben, daß diefe gmei im Himmel
noch leben.
223
uns fehr beleidigen, wenn Sie nicht fommen“. Mit dem
einzigen Worte „Danfe* verheigt der Eingeladene fein
Erſcheinen.
Sp verfammeln ſich ſchon Abends vor der Slava viele
Säfte. Jeder tritt ein mit der Gratulation; Die Slava
foll Dir glücklich fein; viele Jahre ſollſt Du diefelbe erwar-
ten und gefund und munter verleben!“ Die Berwandten
bringen auch einen Apfel oder ein anderes Meines Geſchent.
Die Anderen fagen nur: „Der Heilige fol Dir Glüd brin-
gen.” Die Gäfte fegen fi rund um das Feuer herum
und erzählen „aus den guten alten Zeiten“, oder ſprechen
von ihren nächiten Abſichten. Der Domatjin (Hausvater)
ſteht immerfort ohne Miüge da und bedient jelbft feine Säfte
mit Branntwein. Das erfte Gläschen wird dem Aelteften
mer doch dieſer nimmt es nicht an, fondern jagt zu dem
omatjin: „Das Glas ift im einer guten Hand; Du follft
und „nazdrawiti* (d. h. zutrinfen)* *), Sofort trinft der
Hausherr ohne lange Complimente dem Xelteften mit den
Worten zu: „Helfe ung Gott! O, Gott, gebe ums gute
Stunden! Der Anfang des Trinfens und der Slava fol
ung glüclich werden“ **) Der Domatjin ift in feinem
„Zdrawize“ der Kürzeſte, denn im feinem eigenem Haufe,
fagt der Serbe, muß man am befcheidenften fein ; im eigenen
Haufe ift auch der Feind willlommener Gaft, dem man nie—
mals etwas Uebeles anthun darf.
Das Gläschen mit dem Schnaps geht zwei bis drei
Mal herum, bis alle Säfte gefommmen find und das Abend«
eſſen fertig ift, welches nicht fo lurxuriss wie das Mittag:
eſſen der Slava ausfält. Sind Waftenzeiten, wie am
Nitolaustage, fo werden Bohnen und höchftens ein Stlid
Fiſch vorgefegt; defto ftärfer aber wird dem Weine zuge
ſprochen. Sind die Gäfte um den Tiſch verfammelt, fo
beten alle und zwar ganz im Stillen; nur ein Alter, der die
Namen aller Heiligen auswendig weiß, betet laut. In Heis
term Geſpräch bleiben die Gäfte bis um Mitternacht bei-
ſammen; biejenigen, welche aus ber Ferne gefommen, übers
nachten bei dem „Domatjin“.
*) Bei den läntlihen Serben trinken Alle aus einem Glafe, in»
tem ber Bortrinfer tem Nachfolgenden immer zutrinten (napbramiti)
muß, meint mit einigen Werten: „Auf Deine Geſundheit!“ Bei
den Deutſchen das „Vor: und Nachtommen“.
*) Diefe Sprüche werten bei den Serben Idrawiza“ genannt.
Ich werde Später von ihnen etwas ausführlicher fprecben, da biefelben
Gigenthümlichkeiten des ferbifchen Stammes find.
Aus allen Erdtheilen.
Die Wallifer Eolonie am Rio Ehuput und die fchottifche
am Port Defire in VPatagonien.
Die Anfänge der eritern Anſiedelung am Rio Chuput da:
tiren aus dem Juli 1565, wo die argentiniiche Regierung
mit einem Ausſchuß der „Welib Emigration Society” einen
Bertrag über die Einwanderung von Walliſern, ihre Dotirung
mit Land, die politifche Stellung der Antömmlinge u. |. w.
abſchloß. Ende Juli 1865 langten die erjten 132 Einwanderer
am Rio Chuput (Ehupat, Chubut, ſpr. Tſchuput oc, 43,9 füht.
Br., 65% weftl. %.) an und wurden von der Regierung mit Land,
Sümereien, Bich und Waffen verſehen. Anfangs ging alles
aut; mit der Zeit hatte die junge Anpflanzung aber folde
Leiden und Prüfungen durchzumachen, daß die Regierung
ſchon damit umging, die Leute nach Norden in das Flufgebiet
des Rio Negro zu verpflanzen (f. „Slobus® XXI, ©. 15).
Doch gelang es der zähen, ausdauernden Natur der Wallifer,
alle Schwierigkeiten zu überwinden, und dies giebt die Hoff:
nung, daß bier am Chuput der Grundſtock für eine allmälige
Eultivirung und Bevöllerung des Südens der Republik, ſo—
weit er überhaupt bewohnbar ift, gewonnen ſei. Diefer
Wendepunkt war das Jahr 1373, wo fidh die Einwohnerzahl
der Colonie allerdings auf nur 140 Seelen belief. Seitdem
erfolgten einige günftige Ernten, Ausfuhr des Ueberfluſſes
nad Buenos Ayres und vermehrte Zuwanderung von Lande:
leuten, welch letzterer Umſtand zulammen mit einer ungenä-
genden Ernte im Jahre 1575, augenblidlich einen wohl bald
vorübergehenden Notbitand hervorgerufen bat, dem die Re:
gierung nach Kräften abzuhelfen bemüht if. Sie ſucht im
ihrem wohlverftandenen Intereſſe die Einwanderung möglichſt
zu befördern. Im legten September erließ Präfident Avel-
laneda ein Decret, welches jeder zumandernden Aderbauer:
224
familie koftenfrei 200 Acres Land am Nio Chuput zufpricht,
und warf 16,000 (60,000?) Bf. St. aus behufs zwölfmonat-
licher Unterftügung und Unterhaltung mener Aukömmlinge.
Zugleich ift in der Kolonie ein Poftblirenu errichtet uud die
Firma Galles u. Comp. contractlich verpflichtet worden, gegen
eine beftimmte Subvention jährlih 9 Mal Dampfer und 6
Mat Kutter zwilchen Buenos Ayres, der Colonie am Chu:
put, ber zukünftigen in Port Defire und dem Nio Santa Eruz
laufen zu laffen. Infolge deffen foll fich die wäliche Bevöl—
ferung am Chuput in ben legten Monaten um ein Beben:
tendes achoben haben.
Neuerdings hat die Regierung noch andere Stellen fiir
anzulegende Colonien auserfehen und dahin bezitgliche Con:
tracte mit Auswanderungsagenten abgefchlofien, jo mit einem
Mr. Bach, welcher jährlich 200 Verfonen zu fenden verspricht,
die freic® Land und im erften Jahre alle Provifionen zu
einem niedern Preiſe erhalten follen. Das Glasgower Hans
Stephene u, Comp. wird am Port Defire an der pata—
goniſchen Küſte, etwa halbwegs zwiſchen dem Rio Chuput
und bem Rio Santa Cruz (bid an welchen befanmtlich Chile
feine Hoheitsrechte anerfannt ſehen möchte), eine Colonie von
140 fchottifchen Familien gründen. Sobald die beiden An:
fiedelungen am Chuput und Bort Defire eine Bevöllerung
von 20,000 Seelen erreicht haben, follen fie eine neue Pro:
vinz der Republik bilden. Auch ein Dr. Borrini von Mai:
land beabfichtigt, 500 Familien nach der Argentina zu trans:
portiren, für welche er 300,000 Acres Land beanfprucht.
Was den Bort Defire anlangt, fo wird derſelbe in
der Entdeckungsgeſchichte Patagoniens öfters erwähnt. Ma:
gelbaens befuchte ihn 1520 und Pigafetta, fein Secretär,
erzählt von ber riefigen Größe ber dortigen Eingeborenen,
Francis Drake anferte dort 1577 zwei Wochen lang, ehe
er nach der Weſtküſte fuhr und Gallao und Balparaifo brand:
ſchatzte. 1592 lag Admiral Davis im Hafen einem äußerft
. ergiebigen Seehundöfange ob und entdedte beim Weiterfegeln
am 12, Auguſt die Falklandsinſeln. Dann folgen eine Reihe
von Unterfuchungen, ob fich dort eine Colonie anlegen laſſe:
1669 Commobore Narborongh im Auftrage Karl's II.,
im felben Jahre Admiral Strong, den Wilhelm von Dra—
nien, 1698 Admiral Beauchene, ben die franzöſiſche Re:
gierung ſchickte. Sie alle fcheinen ungünstig berichtet zu haben,
wenigftens hören wir nicht einmal von einem Coloniſations-
verfuche. Jene beiden, welche die Regierung von Buenos
Ayres 1767 und 1779 unternahm, in letztern Jahre in San
Matias, ſchlugen beide fehl. Erſt im folgenden Jahre grün:
bete Antonio Biedma im Port Defire und in San Julian
die erften feſten Niederlafiungen an diefer Küfte, während
fein Bruder Francidco das Gebiet des Rio Santa Cruz big
an ben Fuß ber Anden und feinen großen Duellfee Capar
chte. Allein eim Befehl des Viceklönigs hob jene An—
fiedelungen bald wieder auf, Bon neueren Beinchern jener
Gegend find zu nennen 18986 Darwin und Captän Fitzroy
im „Beagle*, welcher den Rio Santa Cruz 350 Seemeilen
hinauffuhr, dann Lieutenant Mufters (f. „Globus* XXI,
©. 305 bis 309), Lieutenant Fielberg, welder den Capar—
See für die argentinische Regierung erforfchte, und 1874 bie
Herren Berg und Moreno, welde aber nur die Külte be—
fuchten und von der Niederlaffung am Rio Santa Eruz we
nig Gutes au berichten wiſſen.
An verichiedenen Punkten der Küfte um Port Defire
und anf den vor ihr liegenden Injeln giebt es Guano, deffen
Aus allen Erdtheilen.
Ausbeutung die Herren Stephens wohl nebenbei beabſichti⸗
gen. Bon ben Eingeborenen droht ihnen, nad dem guten
Verhältniſſe der Walliſer zu denfelben zu fchließen, wohl feine
Gefahr; ob aber genügend viel fruchtbarer Boden, Trink:
waſſer und Holz vorhanden ift, muß die Zukunft lehren.
Was noch neuerdings Berg über die Küſte beim Santa:
Cruz⸗Fluſſe mittheifte, ift fo ermutbigend nicht.
* * x
— Die auf S. 106 geſchilderten Ruinen der Stadt Me—
fhed-i-Misrian (fo ift wohl die richtige Form des Na—
mens) gehören nach Sir H. Nawlinfon, dem Präſidenten der
Fondoner Geographiichen Gefellfchaft, der Stadt Debiftan
an, der Hauptftabt der Dahae, eines parthiſchen Wolfes,
welches im Alterthume an der Süboftfüfte des Kaspiſchen
Meeres, wo heute bie Jomnd-Turfmenen wohnen, baufte. Ge—
wöhnlich von dem 80 engl. Meilen entfernten Dſchurdſchan
abhängia, hatte Dehiftan in den erften Jahrhunderten bes
Islam feinen eigenen „Sul“ oder König nnd Ipielte in ben
Kriegen, welche bis auf die Zeit der tatariichen Eroberung
zwilchen Charesm (Chiwa) einerſeits und Choraffan und
Mafenderan andererſeits geführt wurben, beftändig eine Rolle.
Erſt ungefähr um 1450 u. Chr. wurde die Stadt definitiv zerftört.
— Anm 3, Februar 1876 ift zwiſchen Brafilien, der argen:
tinischen Republif und Paraguay ein Vertrag unterzeichnet
worben, wonach der Präfident Grant iiber das feit langer
Zeit zwilchen den beiden leßteren Staaten ftreitige Gebiet
nördlich vom Fluſſe Pilcomayo bis an die Grenze von Bor
fivia entfcheiden foll, wonach die in Friedenszeiten micht zu
befeftigende Infel Cerito an die Argentina fällt und Bra-
filien binnen fünf Monaten feine Truppen aus ber Repu—
bfit Baragıray zurüchzuziehen fich verpflichtet.
— Der beitifche Colonialminifter hat dem berühmten
Auftralienreifenden John Forreft, Inſpecting Surveyor
der Colonie Weftauftralien, in Anerfeunung feiner großen
Verbienfte um die Erforfchung des Innern von Auftralien,
5000 Acres Kronland zum Geſchenke gemacht, welche er ſich
in irgend einer von ihm beliebten Gegend der Colonie Weft-
anftralien auswählen mag.
— Unter ben wilden Bhils, einem nichtarifchen Stamme
auf der Grenze von Mewar und Guzerat, ift vor einiger Zeit
ein religiöfer Reformator, Surdſchi genannt, aufgetreten. Er
predigt ben Glauben an einen Gott, Frieden und Freundichaft
und nimmt feinen Anhängern einen Eid darauf ab, daß fie
fich aller Verbrechen und Vergehen, aller geiftigen Getränfe
und der Tödtung lebender Weſen enthalten, nur von Boben-
probucten leben und vor der Mahlzeit fich baden wollen.
Surdſchi bat ſchon über taufend Bhuguts (Gläubige) und brei
Gurus (Schiiler, Apoftel) für feine Lehre gewonnen.
— Der weſtauſtraliſche Squatter Fane hatte auf einem
weiten Ritte von Champion Bay gegen Dften bin von Ein:
geborenen in Erfahrung gebracht, daß noch weiter öftlich vor
langer Zeit eine Gefellichaft weißer Neifenden umgefommen
fei. Diefe Nachricht veranlaßte die weitauftralifche Regierung,
den Polizisten Howard mit einigen Begleitern an jenen Ort
zu Schicken, um nachzuforſchen. Es ift nun 320 englifche Mei:
Ten öftlich von Champion Bay ein Lager, welches einft Weißen
angehörte, aufgefunden worben, in deifen unmittelbarer Nähe
Knochenreſte von menschlichen Gerippen und von Pferben zer:
freut lagen. Damit fcheint das Schidfal der Leichharbt-
Erpebition theilweiſe anfgeflärt zu fein.
Inhalt: Dr. Morice's Reife in Franzöſiſch Cochinchina. II. (Mit vier Mbbildungen.) — Namangan. (Mit einer
Abbildung.) — Die Rohlfs'ſche Expedition zur Erforfhung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874 Von Paul Aſcher—
fon, Mitglied der Erpebition. .IV. — Prichewalgti's Reife von Kiachta nach Peling. Von Albin Kohn. IN. (Schluß.) —
Das Stavafeft der Serben. Bon Dr. Nilola J. Petrowitſch in Kragujevaz. I. — Aus allen Erdtheilen: Die Wallifer
Eolonie am Nio Chuput und die fchottiiche am Port Defire in Patagonien. — Verfchiedenes. — (Schluß der Nedaction
18. Mär; 1976.)
Medacttut: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftraße 13, IN Zr.
Drud und Berlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig.
Hierzu eine Beilage: Literarifcher Angeiger Ar. 2.
Band XXIX.
Mit befonderer Berüchfichtigung
-
der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree,
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Richard Kicpert.
Braunfhweig
Yahrlid 2 Bände a 24 Nummern, Durch alle Buchhandlungen und Poftanftalten
zum Preije von 12 Mart pro Band zu beziehen,
1876.
Dr. Morice’s Reife in Franzöſiſch Codindina.
11
In Hatien fand Morice im vieler Hinficht eine reich.
liche Ausbeute an allerlei Reptilien, Fifchen und dergleichen.
Mertwürdig ift der Kampffiſch“, der nur 5 Gentimeter
lang ift, dabei aber ein ausgejprochener Raufbold. Für ge
wöhnlic, farblos grau, befommt er im gereiztem Zuftande
ein funlelndes Ausfehen und ftürzt fich nach wenigen Minu—
ten wüthend auf feinen Gegner, um ihm mit Biffen und
Schwanzichlägen zu Leibe zu gehen. Die Annamiten bes
nugen biefen Umftand, um Sampffpiele zu veranftalten und,
wie Liebhaber anderer Zonen auf Hähne, Hunde oder Pferde,
fo hier auf Fiſche zu wetten.
Hatten befigt aud; Opiumpflanzungen. Der Verkauf
diefer Drogne fteht in Cochinchina gegen eine ziemlich hohe
Pacht nur einer hinefischen Gejellichaft zu, welche das aus-
fchliegliche Recht der Fabrikation und des Vertriches befigt.
Über in der ganzen Colonie und befonders längs ber Meeres-
füfte fteht ein lebhafter Opiumfchmuggel in Blüthe, dem die
firengften Strafen nicht Einhalt thun können. Der ſchäd⸗—
liche und ſchändliche Opiumgenuß ift in Codindina weit
mehr in ben Hlitten ber Handwerker, Bauern und Bedienten
verbreitet, als in den Wohnungen der höheren Stände,
Ehe Morice Hatien verlieh, befuchte er noch die zu Kam—
bodſcha gehörige Inſel Puh: Quoc (Koh-Tron unferer
Karten), eine wahre Perle bes Golfes von Siam, Ihre
Fauna ift Höchft intereffant und begreift, von einigen giftigen
Schlangen abgefehen, fein fchädliches Thier. Tiger z. B. lom⸗
men dort nicht vor. Daflir haufen in ihren Wäldern wilde
Büffel, Eber und Hirſche. Pferde, Rinder und zahme Bif-
Globus XXIX, Nr. 15.
| fel find dort unbefannt, ebenfo Wagen und Reisfelder, welch
letzterer Umſtand die Infel zu einem ausnahmsweiſe gefunden
Aufenthalte macht. Rieſige Calaos oder Nashornvögel woh ⸗
nen paarweife auf den großen Bäumen, fowie einige wenige
Affenarten. Pythonen, verfciedene Eidechſen, wie Warn»
eidechſen und große Iguanen, und zahlreiche Sandkäfer und
Bupreften hatten für den Naturforſcher fo viel Anziehendes,
daß er die Infel nach einem vollen Monat nur ungern ver-
(ieh. Die 2000 Einwohner derfelben, welche in fieben
Dörfern wohnen, ernähren ſich hauptſächlich durch den Fiſch-
fang.
Auf einer gemietheten Dſchunke wurde die Nüdreife nach
dem Often der Eolonie angetreten, welche wiederum auf dem
moslitoreichen Canale von Binhte nach Schodot am Melhong
führte. An beiden Flußufern, namentlid, aber am rechten,
ziehen fich zahllofe annamitifche Hütten hin, Uber denen bie
Erdmauern des Forts, welches die Größe einer Meinen Stadt
befigt, emporragen, Die gleichnamige Provinz umfaßt 105
Dörfer mit einer Bevölkerung von 89,000 Einwohnern,
darunter 8000 Kambobfhern und 16,000 Dialayen, Meh-
tere dort verlebte Tage und ein Ausflug nad) einem nahen
Hügel brachten dem Neifenden die Ucberzeugung bei, daß fein
Theil der ganzen Colonie jo reid) an Mostitos, Schlangen
und Waflervögeln jei als die fumpfige Umgebung von Schodol.
Flinf Tage Ruderns brachten ihn nad) dem fchon erwähn«
ten Binhelong, und weitere drei Tage und drei Nächte
nad; Mitho, deſſen Infpection wegen feiner Schönheit be-
ruhmt ift, und das ebenfo wie Scholen große Srofobil-
29
226
ſchlächtereien beſitzt. Der zugehörige Bezirk zählt in 182
Dörfern 9200 Einwohner, Durch ein Gewirr von Canülen
fchrte er über das langweir
lige Tangsang, ebenfalls
dem Hauptorte eines Bezirks
(105 Dörfer mit 3600 Eine
wohnern), nad) Saigon zurlid.
Nach kurzem Aufenthalte
daſelbſt brach er nach dem ſchö ·
nen, trodenen Oſten des Pan-
des (Tayninh)auf, anfangs
natürlich zu Wafler. 8
war 9 Uhr Abends und tief:
ſchwarze Nacht, als er feine
Dſchunke in Benkün verlieh.
Des Yandes umfundig und
nur willend, daß er von
feinem Ziele Tayninh nod)
durch eine 15 Kilometer lange
und von Tigern viel befuchte
Strecke getvennt fei, war er
ſchon entichloffen, bei dem
einheimischen Tong (Dorf:
fchulze) ein Unterfommen für
die Nacht zur ſuchen, als er
beim Fackelſcheine einen ihm
ſchon befannten Yandsmann
traf, welcher dorthin gefom+
men war, um Sachen filr die
Infpection in Empfang zu
nehmen. Dieſer bot ihm
einen Ochſenwagen an, ber
dankbar angenommen wurde.
Außerdem benugt man in
Cochinchina noch Büffelwagen
mit vollen, aus einem Stlüde
derjertigten Rädern, welche
beim Fahren ein fchredliches
Knarren und Quitſchen vorn
fid) geben, was nach Anficht der Cingeborenen dazu dient,
die Tiger längs der eingefclagenen Strafe in Schrecken
Pr. Morice's Reife in Franzöſiſch Cochinchina.
Ealao (Nashornvogelj mit feinem Jungen.
zu fegen und zu verjagen. In vielen Theilen des Innern ift
dies das einzige Verfehrämittel, [welches noch anf Waldiwegen
Anwendung findet, wo Ochjen
nicht mehr fortlommen küns
nen. Mber beide Arten von
Wagen find fir den Reijen-
den höchft unbequem und brin=
gen ihn arg zerſtoßen und er:
müdet an fein Ziel.
Tayninh im äußerften
Nordoften der Colonie ift eim
hubſch gelegener, geſunder
Ort mit einer ſehr gemiſchten
Bevölkerung und einem Fort
auf einem etwa 25 Meter
hohen Hügel. Ein geräumi«
ges, aber nicht fehr lururiöſes
Haus auf einer niedrigern
Erhöhung ward dem Antömm-
ling eingeräumt. Unten fließt
der Strom vorbei, an wel-
chem ſich die Hütten der Ein»
geborenen hinziehen, die hier
nicht mehr wie im Weiten
aus ſchmutzigem Schlamme
beſtehen, ſondern meiſt aus
guten, feſten Brettern und an⸗
ſtatt mit Palmenblättern mit
einem viel dichtern und feinern
Stroh bedeckt ſind. An der
Straße nach Benlsu liegt die
Infpection und das Telegras
phenamt, aufder andern Seite
eine große Kaffeepflanzung,
während jich dahinter ein herr-
licher Wald Über die Ebene
und die Meinen Granitfuppen
in der Ferne hinzieht. Die
höchfte derfelben (900 Meter)
it der Nuisbasdinh, der „Berg ber ſchwarzen Frau“.
Die Infpection zählt 42 annamitiſche und 11 kambodſchiſche
Annamitiſche Hütten in Schodof., (Mach einer Photographie.)
Dr. Morice’s Reife in Franzöſiſch Cochinchina.
Dörfer mit 15,000 Einwohnern, welche wahrjheinlid, wegen
der verhältnigmäßig geringen Menge von Reisfeldern bie
Procehfucht der Bewohner des Weſtens nicht theilen.
Etwas unterhalb bes Gipfels des Nui-ba:dbinh, deſſen
nicht mühelofe Befteigung Morice in Begleitung des In-
fpectors unternahm, erhebt ſich eine reiche Pagobe, die damals
gerade amögebeffert wurde. Rieſige Haufen von Ziegeln
und mächtige Blöde von Roth- und Schwarzholz (Sheun
und Go) waren dazu aufgeftapelt. Welche Menge von Zeit
und Kraft muß es gefoftet haben, biefe Yaften mit Menſchen⸗
bänden dort hinauf zu trandportiren! Der Tempel felbft
ſteht im einer ziemlich) tiefen Höhlung, vor welder fich eine
geräumige, damals als Bauplag benugte Terraffe mit eini»
gen Heinen Zellen der Bonzen ausdehnt. Am Ende diejes
hener Mann im Lande es verfüumt, von Zeit zu Zeit eine
hubſche Summe von Piaftern dorthin zu fchiden.
Obwohl ſich bei Tahninh nod) häufig nächtlicher Weile
bie Stimme bes, Tigers hören läßt, ebenſo wie bei Bariah
und Bienhoa, dem öftlichiten franzöfifchen Forts, fo gehen
doch nur wenige Menfchenleben durch ihm verloren und
die Zahl derfelben hat fich im letzter Zeit entfchieden vers
ringert. Dazu mögen bie eifriger als früher betriebenen
Jagden ber europälfchen Beamten und Dffiziere beigetras
gen haben. Da ihm bie Wälber eine unglaubliche Menge
von Hirschen und wilden Rindern liefern, fo fällt ihm
nur mandmal ein Jagdhund oder ein mwagehalfiger Ein:
geborener zur Beute. Letztern che er bem Europüer vor,
fo daß es als Negel gilt, die Tigerjagd ſtets nur in Ge
ſellſchaft von Annamiten zu betreiben, Das war früher
297
halbkreisförmigen Umgangs befindet fi; das Zimmer ber
alten Pricfterin, welche das ganze Klofter leitet. Dort mad)
ten ed ſich die Diener der fremden bequem,
Wie jeder heilige Berg hat and; Nuisbasdinh feine Per
gende und feine wunderbare Quelle, welche auf bas Gebet
eines verdurſtenden Bonzen entiprungen fein und nod)
heutzutage allerlei Krankheiten heilen ſoll. Sie liegt zehn
Minuten Steigens oberhalb des Kloſters mitten im den Fel—
fen und iſt ſchwer zu finden, Das Klofter ift das ange:
fehenfte und reichfte im ganzen Yande. Zahlreiche Pilger
firömen von allen Seiten herzu, um ber „Schwarzen Frau“,
bie nebenbei gejagt dort oben nicht einmal ein Bildniß hat
und eine rein erfundene Perföntichkeit zu fein ſcheint, ihre
Opfergaben zu Füßen zu legen, wie denn auch fein angejer
(Nach einer Bhotograpkie.)
anders: während heute die Eilboten bei Tage und bei Nadıt
ficher und ungefährdet das ganze Land durchwandern, wurden
noch zur Zeit der franzöfifchen Befigergreifung europäifche
Soldaten dicht bei Saigon von Tigern getöbtet umd Ein:
geborene aus dee Mitte der Heineren Ortichaften ſelbſt her:
audgeholt.
Der Marktplag von Tayninh verfammelt jeden Morgen
Vertreter verfchiedener Racen. Häufig ſah Morice bort
Kambodfcher, die ſich fcharf von den Annamiten unters
fcheiden dur ihren verhältnigmäßig hohen Wuchs, ihre
dunfele Farbe, ihren dien, plumpen Unterkiefer, ihre furz
verfchnittenen Haare und ihr paffives, ſcheues Weſen. Beide
Bölter verabſcheuen ſich einander. Der Annamit ift flolz
auf jeine hellere farbe, feine größere Bildung und namente
Lich auf die zahlreichen Siege, welche er Über feinen Nachbar
29 *
228
davongetragen Hat, und ftellt denfelben faum höher als den
Moi, den wilden Bewohner der Gebirge. Der Chmer da⸗
gegen fieht mit feinem finfterern, — Charalter
und feinem tieſern, religibſen Geflihl mitleidig auf den leicht-
herzigen Annamiten herab. Ungeachtet ſeiner groben Zuge
erinnert er ſowohl in ſeiner Sprache und Schrift, als auch
in den herrlichen Reſten einer untergegangenen Civiliſation,
wie fie die Ruinen von Angkor Wat *) zeigen, mehr an bie
— als an die Indochineſen. Es iſt ein unglüdliches
olf, das lambodſchiſche; eingezwängt zwiſchen Siam und
Annam, weldye ihm die veichjten Provinzen geraubt haben,
erftarrt im orientaliſchem Lehnsweſen, das feinen unabhän-
gigen, Heinen Yandbefig auffonmen läßt, und auf den Schuß
Frankreichs angewiefen, das ihm fein Bischen Unabhäns
gigfeit noch aufrecht erhält.
Die reihe Fauna der Umgegend geftattete dem Neifens
den, eine förmliche Dienagerie anzulegen. In den Zimmern
hatten eine Anzahl Affen ihre Käfige, deren Jungen mit der
dort zu Lande ſchwer zu be
ſchaſſenden Kuhmilch ernährt
wurden. Denn eine einheis
mifche Kuh Liefert ale 24
Stunden nur ein Liter Milch,
ben vierzehnten Theil einer
enropäifchen Kuh, und auch
das dauert nicht lange. Oben:
dreim iſt der Milchhandel . _
gänzlich im den Händen von =
Hindus und Malayen, welde 5
das Product auf alle Weife,
namentlih mit Kofosmild,
verfälfchen. Die Einführung
einer guten ſtuhrace in Cochin⸗
china ift eine wahre Yebens»
frage für alle Europäer, welche
dort wohnen miljfen: mit gu⸗
ter Milch könnte man jene
gefährlichen Anfälle gewiß hei⸗
len oder fie ganz vermeiden,
welche jet den Betreffenden
zur Rucklehr nad, Frankreich
zwingen ober ihn bei längerm
Berweilen wegraffen. — Da
waren ferner, zeitweilig ober
dauernd, eine Art Zibethtage,
ein Stachelſchwein, Wafler-
ſchlangen, darunter eine Her:
petonart, die fich zum Theil
von Begetabilien nähren fol, Eidechfen und Schildtröfen groß
und Mein, zahme Marabutftördye, ein junger malayifcher Bär,
ben die Eingeborenen wegen feiner Borfiebe für Cüßigfeiten
„Honigtiger* nennen, ein weibliches Schuppenthier mit ſei⸗
nem Jungen, deſſen Sippe zufammen mit dem Ochſenfroſche
die Nächte mit ihrem Geſchrei erfitlit.
Der Sammeleifer des Fremden machte bald fein Haus
um Stelldichein der Jäger, die ſich ſchließlich gewöhnten,
jeden Morgen, wenn fie vom Marfte kamen, dort ihr Gläs-
hen Abfinth oder ihre Taſſe Thee zu trinfen. Zum Dante
dafür brachten fie am lebenden Wefen, Reptilien oder Säuge:
thieren, was ihnen in die Hände fiel, und wenn fie ein fel-
tenes Wild fpirten, wie ben wilden Ochſen oder Condinh,
fo führten fie den Naturforjcher auf die Fährte und brachten
ihn zum Schuffe. Reptilien fingen vornehmlich, die Anna»
NEN
£. Nom JAT.
*) Vergl. tie Abbildungen derſelben „Blobus” XX, ©. 18 bis
22, 34 bie 37 und 54 bie 55.
Ein Stieng. Mac einer Photographie.)
Dr. Morice’3 Reife in Franzöſiſch Cochinchina.
miten, welche fid) vor denfelben weniger fürchten als bie
Kambodicher, und ſich zu ihrem Fange lets einer Schleife,
die am Ende eines langen Banıbus befeftigt ift, bedienen.
Selbjt Knaben betheiligten ſich dabei und bie größte Schlange,
einen Bungarus annularıs, ſchleppte mühjelig ein Zwölf
jähriger herbei. Allerlei Käfer, Ameifen und fonftiges Ger
thier fehlte ebenfalls nicht. Unter ben erfteren find nament«
lich herrlich gefärbte Bupreften hervorzuheben, die oft eine
bedeutende Chröße erreichen. Die annamitifchen Kinder fans
gen fie auf den Knospen des Bambus mittelft langer Stöde,
deren Spige in Leim getaucht ift; dann binden fie ihnen
einen Faden and Bein und laſſen fie fliegen, wie europäifche
Finder and. Zwei der in Tayninh vorfommenden Arten,
die eine goldgrun mit zwei Orangeftreifen, die andere gold»
funfelnd mit einem metallifchen, violetten Anflug, dienen den
einheimischen Frauen zum Haarſchmuck.
Nicht weniger veic an Arten wie an Individuen find
dort die weniger angenehmen Thiergeichlechter der Spinnen,
Storpione und Ameijen vers
treten, Da, eines Morgeus
führte einer der Jäger dem
Naturforscher fogar einen les
beuden Stieng von Die
Stiengs find einer ber Stäm-
me, welde die Annamiten
unter dem Namen ber Mois
ober Wilden begreifen und die
in ben Gebirgen des Norb>
oftens und Oſtens der Colonie
haufen. Dener Wilde war
Hein, fünfzig Jahre alt, fon
nenverbrannt, mit von Kunz
zeln durchfurchtem, faſt un—
behaartem Geſicht, das feine
Spur von Progmathie zeigte.
Die Ohrläppchen waren durch⸗
bohrt und im der Oeffnung
jtedhte ein großes Std Bam⸗
bus, Don Begriffen war er
etwas ſchwach und jchien feine
recht Mare Borftellung von
einer Gottheit zu haben, welche
üße t den Stiengs ab»
gehen fol, wenigftens nach An«
gabe der Annamiten. That:
ſache ift eslibrigens, daß ſich
der Gottesbegriff, je weiter
man fi) von Vorberindien
nad Hinterindien hinein entfernt, mehr und mehr abſchwücht.
Gegen Branntwein überließ der Wilde dem Keifenden eine
mächtige, ſchwer zu fpannende Armbruft und ein Bündel
Pfeile aus hartem Holze, welche wahrſcheinlich zumeilen ver
giftet werben. Doc; gelang es Morice nicht, fi bie ber
treffende Subſtanz zu verſchaffen. Die fremdartigen, euro
puiſchen Dinge fegten den Wilden zwar in Erſtaunen, aber
feine Furchtſamleit behielt er bei. Doch verſprach er wiederzu«
fommen und Köpfe von Panthern und wilden Büffeln mit-
zubringen; vor Schlangen dagegen zeigte er eine unitber«
windliche Abſcheu. Bon feiner ſechs Tagereifen
Wohnung hatte er einen mit Baumöl beladenen Büffellarren
hergeführt, dem er voll Reis wieder zurückbrachte. Endlich
verneigte er fi vor dem Europäer und verließ ihn ganz
ftumpffinnig und wie betäubt. Eine breiftlindige Unterhaltung
Ihien, wenn auch von Ruhepaufen unt n, bie
geiftige Unftrengung in feinem ganzen Leben geweſen zu fein
np
} nd
und ihn im diefen Juftand verfegt zu haben,
Paul Ajcherfon: Die Rohlfs'ſche Expedition zur Erforfhung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874.
Jagden auf Hirfche, deren es dort drei Arten giebt (Kon:
fa-tong ober Panolia Eldii, Konsman oder Cervulus mo-
schatus und Kon-ne oder Cervus Aristotelis) und anderes
Gethier fullten die Zeit, welde Studium und Sammeln
übrig ließ, aus. Gofuhrer einft in feinem Wagen langfam
durch den Wald; ein zweiter mit einem Yandömanne folgte,
Die erftidende Hige — es war 4 Uhr Nadymittagg —
hatte fie faft in Schlaf verfegt, als fie ein Ausruf des Wagens
lenters aufjagte. Ein ſchwarzer Koloß kam auf dem engen
Wege dem Wagen entgegen: es war ein Rhinoceros, das
Balaft des Gouverneurs in Saig
theler bezahlen Horn und Blut des Thieres fehr thener.
Ebenfo wird die Galle eines getöbteten Bären bei Quet—
ungen als Salbe benutzt; ſchwachſinnigen Kindern giebt
man pulverifirten Affenfchädel ein; gewiſſe Knochen vom
Tiger verleihen Kraft; die Flattereidechfe (Draco maculatus)
ift gut gegen Bräune u. ſ. w.
Wenige Tage fpäter fehrte Dr. Morice nad) Saigon
zurlick, welches ſich in den fieben Monaten feiner Abweſen⸗
heit merklich, verſchönert hatte. Breite Bürgerfteige aus
Ziegeln, die auf die hohe Kante geftellt waren, ermöglichten
auch während der Regenzeit einen bequemen Verkehr; euros
päifche Raufläden mit Parifer Artifeln und Tabadshandlun-
gen waren an den großen Straßen, befonders beim Polizei»
Die Rohlfs'ſche Erpedition zur
im Winter
229
nicht gefonnen fchien, den Entgegentommenben auszuweichen.
Raſch entfchloffen wurde Feuer gegeben, was das Thier ſo—
fort zur Umlehr bewog. Sechzig Meter weiter hin lag es
in feinem Blute und erhielt den Gnadenſchuß. Sofort
machten ſich num die Eingeborenen daran, die blutige Erde
und das Blut zu fanımeln, und als fie den Befehl erhielten,
das Thier zu zerlegen, tauchten fie noch jedes Stüd lei»
dung, deffen fie ſich anftändiger Weife entledigen fonnten,
in die gefchägte Flüſſigleit, die hier, wie in Afrika, für ein
wunderfräftiges Heilmittel gilt. Die annamitifchen Apo-
on. (Nach einer Photographie.)
gebäude, errichtet worden, Selbſt in ben nod) ungefunden
aliatifchen uartieren und zwifchen den djinefifchen Yäden
ber Rue Catinat erhoben ſich ſchon einzelne europäifch ge
baute Häufer und über ben gefammten tief oder hochgele-
genen Gebäuden ber Stadt thronte der prächtige Palaft des
Gouverneurs mit wehender Tricolore. Kurz der Ort, wo
fi) noch vor wenigen Jahren nur elende Hütten am Ufer
des Donai hinzogen, wird mehr und mehr in feinem Aeußern
den anderen älteren europäifchen Niederlaffungen in Afien
ähnlid).
Am 20, September verließ Morice die Colonie, derem
naturwiffenschaftliche Schätze er bei wieberholtem Beſuche
nod) gründlicher zu heben gebentt.
Erforſchung der Libyſchen Wüſte
1873/1874.
Von Paul Afcherfon, Mitglied der Expedition.
V.
Nachdem am 16. März ſich ſämmtliche Mitglieder der
Erpedition wieder in Dachel vereinigt hatten, begannen wir
jofort die Veranftaltungen zur Nüdreife zu treffen. Das
ſchwere Gepäd, die reichen bisher zufammengebrachten
Sammlungen wurden unter Leitung bes wadern Beduinen
Hadj Madjub direct nad) Siut gefandt; wir felbft wollten
230
über Chargeh nach dem Nitthale gehen, theils um noch diefe
Dafe, weldye Dr. Schweinfurth, wie ſchon erwähnt, gleich
zeitig mit unferer Expedition zum Ziele einer Forjchungs-
reife gemacht hatte, kennen zu lernen, theils weil Zittel zur
— ſeiner geologiſchen Forſchungen noch die
Ränder des Nilthals im der Gegend von Esneh zu unter:
ſuchen wilnjdte. Am 18. brachen wir an einem herrlichen
Morgen auf; nicht ohne Wehmuth verliefen wir bie gafts
liche Stadt, welche unfere Expedition mehr al& zwei Monate
beherbergt hatte. Die Staats» und Gemeindebehörden gaben
ung eine volle Tagereife das Geleit bis Mut, wo Haffan-
Effendi diefer ganzen, großen Gefellichaft ein luculliſches
Mahl bereitete. Auch am 19. März, den wir noch ganz in
der Dafe zubradjten, hatten wir ale Mühe, uns der in
überreichen Maße angebotenen Gaftfreundfchaft der verfchie-
denen Ortichaften zu erwehren, welche unfern Marfc in
ungebührlicher Weife aufgehalten und unfere finanzen durch
die unerläßlicen Backſchiſchs ruiniert hätten. Wir gelangten
an dieſen Tage bis Beled, einer größern Ortichaft im
öftlichen Theile von Dadjel, welches durch eine völlig wüſte
Strecke von fünf Wegftunden von Sment, ber nächſten
Ortfchaft in Weſt-Dachel, getrennt wird. Ueberhaupt niuß
bemerkt werden, daß jelbft die Hleinften Dafen der Libyſchen
Wüfte, wie Farafrah, keineswegs eine zulanmenhängende
Fläche culturfähigen Yandes bilden, vielmehr aus einzelnen
durch größere oder geringere Streden von lahlem Wüften-
boden getrennten Parcellen beftehen, deren Größe von der
Ergiebigfeit der fie bewäſſernden Quellen oder Brunnen ab-
hängt. Das oft erwähnte Gleichniß Strabo's, welcher die
Dafen mit den Flecken eines Bantherfelles vergleicht, wiirde
für diefe einzelnen Vegetationsinfeln zutreffen, deren Grup:
pen die Orts oder Gemeindebezirle darftellen, während eine
größere Daſe wie Dachel einen ganzen Ardipelagus der:
artiger Sinfelgruppen darjtellt.
Etwa halbwegs zwiſchen Sment und Beled berührten
wir eine Dertlichteit, welche durch ihre Benennung unfer
größtes Intereife erregte, den Badır-bela-mıa von Dadıel.
Bir fanden indeß auch hier nur eine locale Einfenfung, die
mit einem wirflichen Flußbette nichts als den Namen ges
mein hat; ein Zufammenhang deſſelben mit den weiter nörd⸗
lic) gelegenen gleichnamigen, räumlid, ebenfo beſchränkten
Terrainbildungen fonnte nad dem negativen Befunde auf
unferm Marſche von Siut nach Farafrah ohnehin nicht
mehr in Frage fonmen.
Wir verließen am 20. Mittags Tenibah, den legten
bewohnten Ort in Dachel, und lagerten in einer Schlucht
des Gebirgsvorſprungs, der fich von dem Plateau, welches,
fteil auffteigend, Dachel in Nordoften und Chargeh in Nord:
weiten und Dften begrenzt, zwiſchen beide Dafen hinein-
fchiebt. Die füdliche Begrenzung dieſes Vorſprunges konnte,
da Yordan’s Viſuren von Beled und Tenidah und die von
Chargeh aus nahezu zufammenjchliegen, mit ziemlicher
Sicherheit auf deſſen Karte *) verzeichnet werden, und fteht
damit auch die von Rohlfs erkundete Angabe im Einklang,
daß man von Dachel aus nad) dem Orte Beris im fld«
lichen Theile der Großen Dafe gelangen könne, ohne einen
Gebirgsrand zu Überfteigen,. Da durch unfere Expedition
ein zwar allmäliges, aber beträchtliches Anfteigen des Ter-
rains von Dachel aus nach Südweſten conftatirt wurde
(Gaffr» Dacel etwa 120 Meter, Regenfeld 440 Meter)
und daſſelbe nad) Schweinfurth weftlih von Sid-Chargeh
der Fall ift, fo bedlirfen bie Höhenverhältniffe auf dem Wege
zwiſchen Beris und der Daſe Dachel noch weiterer Feſtſiei-
lung; ebenſo verdient die von Schweinfurth erkundete ans
*) Petermann’s Mittheilungen 1875, Tafel 11.
Paul Afcherfon: Die Rohlfs'ſche Expedition zur Erforfchung der Libyichen Wüfte im Winter 1873/1874,
geblich erft 1872 aufgefundene unbewohnte Dafe weſilich
von Sib-Chargeh *) noch eine genauere Nachforſchung.
Am 21, Vormittags erftiegen wir auf einer wohl fchon
tm Altertum künftlic, gebahnten Straße das Plateau und
ftiegen ſchon am folgenden Tage in die Einſenkung der
Großen Dafe hinab. Auf halber Höhe diejes Abftieges ber
finder fid) der waſſerarme Brunnen AinsAmur mit einer
unbedeutenden ZTempelruine, Am 23. Abends erreichten wir
endlich, die Stadt Chargeh, wo wir zwei Tage vermeilten,
welche ſich durch die gaftfreunbliche Aufnahme Seitens uns
feres Freundes Schweinfurth ebenfo genuß- als lehrreich
geftalteten. Remeloͤ benupte diefe Zeit, um von dem nod)
ziemlich wohlerhaltenen Tempel von Hibis, defjen Dimen-
fionen, wenn auch mit den viefigen der Monumente des Nil:
thals nicht zu vergleichen, doc den Tempel von Dachel
mehrfad) übertreffen, eine Anzahl Aufnahmen zu machen,
aus denen die hervorragendten Aegyptologen **) bisher unbe
fannte hiſtoriſche Thatſachen entnommen haben. Seitdem
ift allerdings die Erforfhung der Monumente der Großen
Dafe im ein neues Stadium getreten, da Prof. H.Brugid
im Januar 1875 felbft mehrere Tage in derſelben zuge⸗
bracht hat.
Nachdem wir am 26, März früh die Stadt Chargeh
verlaffen, legten wir nod einen ganzen Tagemarſch in der
Dafenfentung zurüd, erftiegen indeß am nie Tage
Vormittags auf einem Pfade, der mit jenem Aufſtiege bei
Tenidah große Aehnlichteit hatte, die Hochfläche. Hier
war es, wo Zittel jene merkwürdige Kalktuffbildung mit
eingefchloffenen, an die Flora des Mittelmeergebietö erinnern⸗
ben Pflanzenreften entdeckte, weldye als eim ficherer Beweis
dafür gelten fan, daß in ber heutigen Wüſte, in einer der
jegigen unmittelbar vorausgegangenen, geologiſchen Epoche,
ein bei Weitem feuchteres Klima geherrſcht haben muß.
Das Vorkommen von Tropffteinhöhlen und die ausgedehn:
ten Erofionserfcheinungen an den Steilrändern der Dafen,
welche zur Bildung von Felfenlabyrinthen, für bie fogar ein
eigener arabijcher Yocalausdrud, „Charaſchaf“*, eriftirt, Ver-
anlafjung gaben, find weitere Belege für biefe Aunahme.
Es ift vielleicht nicht zu gewagt, den Fund von Feuerftein-
artefacten etwa filuf Tagereifen jenfeit der Daſe Dachel
mit diefem ehemaligen feuchtern Klima im Berbindung zu
*
Wir hatten auf dem Plateau noch vier ſiarke Märſche
u machen. Am Nacmittage des 30. März wurde und die
Nähe des Nilthals auf eine eigenthimliche Art angekündigt;
eine mächtige, plötzlich aufwirbelnde Kaudyfäule konnte nur
einem Fabrilſchornſteine oder dem Kamine eines Dampfers
entftammen, und in der That lagerten wir noch an demiel»
ben Abende nach recht ſchwierigem Abſtiege in einer fich ins
Flußthal öffnenden Felsſchlucht. Nachdem wir noch einen
ganzen Tag in der breiten, ſandigen Thalebene marſchirt,
von der hier nur eim ſchmaler Streifen von ben Ueber—
ſchwenimungen des fegenfpendenden Stromes berührt und
mit Nilthon bededit wird, erreichten wir bei Sonnenunter-
gang Esneh. Der Uebergang aus den Strapazen und Ente
behrungen des Wüftenlebens zu den Geniffen der europäi«
ſchen Civilifation, welde uns, da uns auf befondern Befehl
des Chedive das vicefünigliche Palais eingeräumt murbe,
hier wieder zu Gebot ftanden, war ebenfo plöglic, als wohl:
thuend,
Bir hatten in Esneh bei viertägigem Aufenthalte Zeit
*) Nah Jordan in Petermann’s Mittheilungen 1875, &.207.
++) Vergl. Lepfius, Hieroglopbifche Anfchriften in den Dafen ten
Xarigeb um Dayilch, Zeitfbrift für äghptiſche Syrache und Alter
tbumsfunde 1874, ©. 73 fl.
Paul Ajcherjon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforfchung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874.
die natur» und culturhiftorifchen Verhältniſſe in dies
heile Dberägyptens kennen zu lernen.
Am 5. April ſchifften wir uns auf zwei etwas engen
und unfauberen, zum Pafjagierdienft wohlhabender Einge⸗
borenen eingerichteten Nilbooten ein und erreichten am 14.
Abends die Eifenbahnftation Rodah (die Bahn war damals
noch nicht bis Siut vollendet), Unterwegs nahmen wir einen
längern Aufenthalt nur in Theben, um die großartigften
aller Monumente des Nilthals kennen zu lernen, in Denbes
rah, um jenen noch fo wohl erhaltenen HathorsTempel zu
befuchen, und in Siut, wo wir unfere Sammlungen an
Bord nahmen und Jordan feine aftronomischen Beobadhtun-
gen durch eine neue Zeitbeftimmung zum Abſchluß brachte.
Bon Rodah führte und die ocomotive ſchnell nach der
Hauptftadbt Aeghptens, wo wir am 15. Nachmittags ein-
trafen. Nachdem wir mod}, wie auf der Hinreiſe, die Ehre
einer Audienz beim Beherrſcher des Landes gehabt und in
einer Sigung des „Inſtitut Egyptien* einen vorläufigen
Bericht über die erlangten wiffenjchaftlichen Kefultate abge
ftattet, verabfchiebeten wir und vom Lande der Pharaonen,
Ic darf wohl verjichern, daß wir trog den von einer
derartigen Reife ungertrennlichen Anftrengungen, trog der
nothivendigen Entbehrung vieler gewohnter Genüfle, nur ans
genehme Erinnerungen von dieſer Expedition behalten haben.
Die ſchönen Tage, die wir an den gefegneten Ufern des
Nils, im Schatten der üppigen Balmenhaine der Dafen ver«
lebt, die wilde Schönheit der Felſenlabyrinthe und bie
Farbengluth der Sonnenuntergänge in der Wüfte werden
nie unſerm Gedächtniß entſchwinden.
Es ſteht mir als Mitglied der Erpebition nicht zu, die
wiflenfchaftliche Bedeutung derfelben zu wilrdigen. Ein end»
gültiges Urtheil wird ſich erft fällen laffen, wenn das ganze
wiflenfchaftliche Material bearbeitet und der Deffentlichkeit
übergeben fein wird, was bei dem matırgemäß langjamen
Vorfchreiten derartiger Arbeiten erft in einigen Jahren zu
erwarten fteht. Bis jegt ift außer einer Anzahl Hleinerer
Mittheilungen nur eine Sammlung von 50 Photographien
veröffentlicht worden, zu deren Herausgabe der Chedive von
Aegypten noch eine namhafte Summe bewilligt hat; id)
habe dem Ausſpruche der competenteften Fachmünner, welche
die Arbeit Nemele's als eine der dvollendetften Yeiftungen
auf diefem Gebiete bezeichnen, nichts Hinzugufigen. {Ferner
liegt bereits ein von Rohlfs verfaßter vollftändiger Reiſe—
bericht vor *).
Es wird mir indeß wohl geftattet fein, dem ungünftigen
Urtheilen gegenliber, welche allerdings unter den anerkennen:
den Stimmen vereinzelt über die Rohlfé'ſche Erpedition
geäußert worben find, einige Thatfachen hervorzuheben.
Allerdings wurde die Dafe Kufara, deren Beſuch auf uns
ferm Programme ftand, nicht erreicht; indeß das Vorbringen
nach diefer geheimnißvollen Dafe war keinegwegs der einzige
und auch nicht der wichtigfte Zweck ber Erpebition. Die
Richtung auf Kufara wurde nicht wegen der allerdings nicht
zu verfennenden Wichtigfeit diefes Object$ gewählt, welches
mit der größten Ausficht auf Erfolg im Norden von Aus
djila aus aufgefucht werden müßte; vielmehr weil durch den
dorthin gerichteten Marſch das völlig unbefannte Gebiet in
feiner größten Ausdehnung durchſchnitten worden wäre. Es
ift daher ungerecht, zu behaupten, daß die ganze Erpebition
geicheitert fer oder ihren Zweck, weldyer in Wahrheit die Er»
) Drei Monate in ber Libofchen Wüſte. Bon Gerhard Rohlfs.
Kaſſel 1975. ©. „Blobus* XXVIII, ©. 336.
genu
fem
231
forfchung der Libyſchen Wifte war, verfehlt habe. Der
Nachweis der Nichterifteng jenes berufenen Bachr-bela⸗ma,
die Ermittelang der Höhenlage der Daſen, namentlich, die
genaue —— der vielbeſprochenen Depreſſion, der
Yupiter-Ammons-Dafe, fo genau als fie ohne ein Präciſions ·
Nivellement tiberhaupt gefchehen konnte, find wahrlich nicht
gering zu veranfchagende geographifche Ergebniffe. Ein
oberfläcjlicher Vergleich der Jordan ſchen Karte mit umferer
bisherigen Kenntniß des befuchten Gebiets, wie fie z. B. auf
dem Blatt 2, der Petermann': und Hafjenftein’fchen Karte
von Imnerafrifa erfcheint, wird darthun, wie wejentlic ans
ders die topographiichen Berhältniffe nad den Aufnahmen
unferer Erpedition fid) darſtellen. Was die naturwiflen-
fchaftlichen Reſultate betrifft, jo mußte man die Libyſche
Wüfte vor unferer Reife im diefer Beziehung wohl als ein
jungfräuliches Gebiet betrachten. Nunmehr darf die von
uns befuchte Strede, obwohl natürlich dort noch Stoff ge
nug flr weitere Forſchungen vorhanden ift, doc) in ihren
weſentlichen Charafterzügen als aufgefchloffen gelten. Ihre
geologiſche Aufammenfegung hat ſich als liberrafchend man«
nigfaltig herausgeſtellt; eine UWeberfülle von größtentheils
neuen Verfteinerungen wurde durch Zittel's Fleiß umd
Scharfblid eingeheimft; die Vegetation der Dafen, obwohl
natürlich, nichts weniger als reich, hat doch durch die uner⸗
warteten Beziehungen zum Mlittelmeergebiet Interefle er»
langt; auch für die zoologifche Erforſchung ift wenigſtens
ein Anfang gemacht. Fur die Meteorologie ift durch bie
von Jordan mit größter Aufopferung an mehreren Orten
Tag und Nacht durchgeführten Beobachtungen, wie aud)
durch Rohlfs' ununterbrodjen fortgeſetzte Aufzeichnungen cin
höchſt werthoolles Material zufammengebradht worden ; die
Dʒonbeobachtungen Zittel's *) haben völlig unerwartete Refuls
tate ergeben, deren Tragweite für diefen jungen Zweig der
meteorologiichen Wiſſenſchaft fich noch nicht überfehen läßt.
Selbft die Archäologie blieb nicht ohne Ausbeute, So dlir-
fen wir wohl hoffen, daß die Rohlfs ſche Expedition zur Ers
forfchung der Libyſchen Wuſſte einen ehrenvollen Play unter
ben Unternehmungen unferes Zeitalters behaupten wird,
Ganz bejonders halte ich mich aber für verpflichtet, an
diefer Stelle auf die Umſicht des Yeiters hinzuweiſen, zu
deſſen unfterblichen Berdienften um die Erforſchung Afrikas
diefe Reife einen neuen Ruhmestitel Hinzugefügt hat, Hatte
er bisher als fühner Pionier allein und mit den befcheidenften
Mitteln durch unbekannte Länder und feindliche Bevölferungen
fi) Bahn gebrodyen, fo hat er ſich nicht minder befähigt
fiir die vielleicht nicht weniger ſchwierige Aufgabe bewieſen,
eine große wiſſenſchaftliche Unternehmung erfolgreidy zu leiten.
Durch feine weife Vorausſicht hat die Erpedition wäh«
rend mehrerer Monate in einem nahezu von allen Hulfs—
quellen entblößten Gebiete micht mr nie am Nothwendigen
Mangel gelitten, ſondern in verhältnigmäßigem Ueberflufle
gelebt ; feine Ausdauer und Erfahrung wußte die ernftlich-
ften Hinderniffe, welche ſich unferen Abfichten entgegenftellten,
zu tiberwinden und unter feiner ebenjo tactvollen als ener⸗
giichen Leitung wurde die Harmonie zwifcen den Expedi—
fionsmitgliedern faum jemals durch vorübergehende Diffe-
renzen geftört. Wenn daher die Wiſſenſchaft von ber
Libyſchen Expedition einen bleibenden Gewinn zu verzeichnen
hat, jo gebührt das Berdienft vor allen ihrem ritterlichen,
flugen umd energifchen Führer, Gerhard Rohlfs.
*) Sigungsbericht der königlich baveriſchen Alademie 1874. II.
Matbematifchrphvfifalifche Glaffe, S. 215 ff.
232
Nitola J. Petrowitſch: Das Stavafeft der Serben.
Das SIavafeft der Serben.
Von Dr. Nikola I. Petrowitfch in Kragujebaz.
Der Slava fehen alle Hansgenofjen auf den Beinen,
mumter und gewajchen entgegen, weshalb alle folgenden Ta-
ges jchon bei der erften Morgendbämmerung aufftehen md
ſich zurliften. Einer von den Söhnen wird nad) der Kirche
geihicdt, wie oben erzählt, während die Uebrigen zu Haufe
bleiben. So wie der „Zrkwar“ (ber Kirchgänger) nad
Haufe fommt, und die Gratulationen zu Ende find, wird
alles fir die Mahlzeit bereitet.
It das Wetter fchön und das Haus wohlhabend, fo
werben auch einige Salven abgefchoffen, um der ganzen Lime
gebung zu melden, daß die Gäfte zu der Slava verfammelt
find.
Die Mahlzeit ift der Hauptpunkt des ganzen Feſtes.
Selbft der ärmſte Bauer richtet dazu viele und theure Spei—
fen her; ja, man macht felbft Schulden, um die Slava mög:
licht glänzend zu feiern, Eine fanre Suppe, Gemllſe, Fleiſch—
fpeifen von verfchiebener Art je nach der Jahreszeit, Mehl-
fpeifen und obendrein ein gebratenes Schwein oder Schaf
find die Gerichte, von denen meift viel mehr, als nöthig
wäre, bereitet wird. Nachdem das Licht angezlindet ift, etwa
um 9 Uhr, fegen ſich die Säfte zu Tiſch; außerdem höchſtens
ber Großvater des Hanfes oder der Vater, aber nur, wenn
er fehr alt ift und einige verheirathete Söhne befigt — fonft
barf fi der Hausvater niemals zu Tifche ſetzen. Er mit
feiner Frau fteht immer um die Gäſte herum und bedient
fie. Die ferbifchen Nationallieder erzählen, wie felbft der
Kaifer Lazar bei feiner Slava die Gäfte bedient hat.
Mit dem Eſſen fängt das Zutrinten („zdramize napijati“)
an, welches das Feiern der Slava genannt wirb („dizati
u flavu“). Alle ftehen auf und nehmen die Müge vom
Kopfe; der Hausvater bringt ben Kuchen, weldyer in der
Kirche war; jeder befommt ein Glas Wein; der Aeltefte
fängt dann an:
„Wir tranfen, wie wir mußten und mie wir fonnten;
dies aber wollen wir zur Ehre der göttlichen Slava trinfen.
Wo die Slava nur erwähnt wird, da foll fie ums immer
helfen — Gott gebe es!“ Ale antworten: „In Gottes
Namen!“ Dann wird das Lied von der Slava gefungen:
„Ber Bein zur Ehre der Slava ſtets trinkt,
Dem helfe Gott und Slava, die heilige.
Was Schöneres, als die heilige Slava, giebt's?
Und Eſſen, mit Ehre genojien ftets?*
Darauf trinft ein jeder etwas Wein aus feinem Glaſe,
oder, wo feine Gläſer zur befommen find, alle aus einem
Scöpfgefäße, weldyes aus einer Art Kürbiß verfertigt wird.
Bei feiner Slava dürfen die Gläſer einen Augenblid leer
bleiben ; nad) jeder „Zbramiza* werden fie fofort wieder ge-
fült. Das Mittagefien wird von den „Zdramwize* ſehr oft
unterbrochen, denn die Serben leiden es nicht, daß Jemand
ſtillſchweigend trinft. Jeder betrachtet es als feine Pflicht,
einige Worte zu fagen; und zwar wird am meijten mit dem
Glaſe in der Hand geſprochen. Ich denfe, dag es nicht ohne
Intereffe fein wird, einige folde „Zdramizes“ hier anzuflh-
ren, weil diefelben am deutlichſten den Gedanfenkreis einer
ferbifchen Geſellſchaft charakterifiven, wobei man aber nicht
vergefien darf, daß dies alles nur auf dem Yande gebräudh-
II.
lich ift. Zwar hört man die Zdrawize noch im den Städten;
aber diefelben haben ſchon ganz europäifches Gewand angelegt.
Die zweite Zdrawiza lautet: „Wir tranfen für die hei⸗
lige, göttliche Slava; jegt wollen wir dies Glas für das
heilige Kreuz und den Slava:Namen *) trinfen. Gott foll
ung geben, daß wir diefen Namen nod) viele Jahre feiern,
dag wir ihn und er ums nie vergißt.*
Die dritte Zdrawiza heißt: „Das dritte Glas ber
Dreieinigfeit, den Pfingften. Der Pfngftag fol allen Chri⸗
ften im Haufe, Felde, am Waffer, im Walde, überall Helfen.
So Gott will — Amen!“ Diefe Zdrawiza hat viel Achn-
lichfeit mit einem Gebet und wird auch im Zone des Ges
betes geſprochen.
Erſt die vierte Zdrawiza wird auf die Geſundheit des
Haudvaters und feiner Familie getrunken. Ihre Formen
find ſehr verfchieden; mitunter —* 3. B.: „Domatjine!
Auf Dein Wohl und das Deines Kopfes, für das Deiner
Frau, Deiner Eltern, Deiner Söhne und Töchter, Brüder
und Schweſtern, Nichten, Pathen und aller Deiner Ber
wandten; flir Deine Nachtommenfchaft, welche Dir Gott
gegeben hat; er foll Dir auch diefe alle erhalten!" Andere
wieder fehr lang und breit, indem man im denfelben alles
errähnt, was man feinem freunde nur wunſchen fan, jo
dag in einer folhen Zdrawiza oft ganze Geſchichten eines
Haufes erzählt werden. Ein Gejang befchließt auch biefe
Zdrawiza“.
Die fünfte wird auf das Wohl aller Nachbaren, der ein⸗
geladenen wie der nicht eingeladenen, getrunten; alle läßt
man „viele Dahre leben“. Damit befchliegen die officiellen
Trinffprliche ; aber wie jchon bemerkt, die Serben ſprechen
bei jedem Safe Wein einige Worte, weshalb die Zdrawize
erft beim Sceiden ein Ende nehmen. Selbft dabei trinft
man noch eim letztes Glas mit dem Wunſche: „Auf glid-
liche Reife, und baldiges Wiederjehen, in Freuden und Ges
fundheit — fo foll uns Gott Helfen, Amen!*
Das Mittagseffen dauert bis gegen Abend, d. 5. bie
Alten figen immerfort am Tifche, während die Jungen im
Zimmer, oder bei ſchöͤnem Wetter im Hofe tanzen oder Ges
ſellſchaftsſpiele veranftalten. Oft ſuchen die Mädchen auch
ihr Bergnligen für fih, im Erzählen und Singen, und die
jungen Männer wieder in Springen, „Steimwurf“ ober
Scheibenſchießen, wobei nicht jelten Vermundungen vorlom⸗
men. Natürlid werden nur Nationaltänge („Kolo“, „Mat
ihwanfa*, „Oflroljanfa*, „Zichetworla", „Wlahinja“,
„Moramfa“, „Srbijanfa* ıc.) ausgeführt. Entweder tanzen
alle zufammen, oder niemand. Das Ausſchließen ift bei den
Serben unbefannt. „Ein junger Mann muß immer tan-
zen, eim junges Mädchen muß immer fingen wollen,* ift
ein altes Sprichwort. Während es jo draußen luftig her
geht, werden drinnen in der Stube der Alten Geſchichten
aus der Vergangenheit, aus dem Befreiungskrieg, oder von
einem befondern gechrten Helden erzählt; bis einer die
„Gusle“ ergreift und zu derſelben ein Heldenlied vorträgt.
Somie aber die wehmüthige Melodie beginnt, Hört draußen
+) „Rimo ime“ heißt der Name desjenigen Heiligen, welden
man gerade feirtt.
Ein Märchen und ein paar Dorfgeſchichten aus Griechenland.
ſogleich das „Kolo* auf — alles läuft in das Zimmer, um
den „Suslar* zu hören. Die ferbifche Seele kann fich bei
feinem andern Inſirumente fo erwärmen, als beim Klange
der „Gusle“ *),
Erft wenn es ſchon Abend wird, fangen die Frauen an
ihre Männer an das Fortgehen zu ermahuen. Nach vielem
Hin⸗ und Herreden ſteht man endlich vom Tiſche auf, und
ftehend wird noch ein Glas zum „Abſchied* getrunfen. Dan
nimmt von den Hausleuten Abſchied, aber nur für eine
Nacht, denn nur die Gäfte aus der Nachbarichaft gehen fort;
die Webrigen, welche vom weither gefommen find, bleiben nod)
über Nacht und fegen bie Slava noch weiter fort,
*) Der berühmte ferbifche Dichter, ber Onkel des jegiaen Fürſten
von Montenegro, Peler Pettowitſch Njegoſch ſagt in feinem „&oafi
Wijenag*: „In dem Haufe, wo man keine Gusle hört, giebt es feine
Menſchen, aber auch kein Haus.”
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Um ein großes Feuer herum wird das Abendeſſen ein-
genommen, und nachher bis fpät in bie Nacht getanzt.
Der Tag nad) der Slava, „patarize*, „okrilje*, auch
„pojutarje* genannt, wird ebenfo wie diefe felbit gefeiert,
nur mit dem Unterſchied, daß die religiöfen Gebräuche forts
fallen. Es wird num gegefjen, getrunfen, getanzt und gefungen.
Der dritte und legte Tag heißt „goftinfi dan“ oder
„uſtawzi*“. An ihm kommen die Nachbaren gar nicht, und
diejenigen, die aus der Ferne gefommen find, bereiten fich
zur Abreife vor, Ein gene: Zug zieht aus dem Haufe fort,
nachdem er drei volle Tage dort gegeffen, getrunten und ger
jubelt hat.
Sp endet diefes für den ferbifchen Stamm carakteris
ſtiſche Feſt, deffen Erinnerungen zu den fchöniten aus der
Jugendzeit gehören,
Ein Märden und ein paar Dorfgefhichten aus Griechenland,
Mitgetheilt von W, ©,
1. Der Mörfer der fieben Himmel.
Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter. Der
mußte einft in einen großen Krieg ziehen, Da rief er feine
Töchter zuſammen und fragte fie, was er ihnen bei feiner
Raudlehr mitbringen folle. Die Aeltefte bat um goldene
Armbänder ; die Zweite wilnjchte eine Halstette mit Dia-
manten; die jüngfte Todjter aber verlangte den Mörfer der
fieben Himmel und gelobte, daß wenn der Vater ihn nicht
brächte, das Meer zu Eis werden folle, daß die Schiffe we-
der vorwärts noch rückwärts fahren können. Der König
og in den Krieg und ward Sieger. Bei feiner Rücdlehr
wollte er das Berfprochene mitbringen ; ex kaufte Armbänder
und die Halskette für die älteſten Töchter und erfundigte
fid), wie er zu dem Mörfer der fieben Himmel gelangen
könne. Da fagten fie ihm: „Du mußt einen großen Weg
zurliclegen, che Dur zum Mlörfer gelangft, ſieben eiferne
Schuhe wirft Du verbrauchen, und bei fieben Riefenweibern
mußt Du vorüibergehen.*“ Da dachte der König nach und e6
fchien ihm zu viel Mühe; er laufte ähnliche Schmuckſachen
für die jüngfte* Tochter, wie für die älteren, und ging mit
feinem Heere zu Schiffe. Aber mit einem Male, als die
Schiffe mitten im Meere waren, wurde das Wafler rings-
umher zu Eis, daß die Schiffe nicht rück-, nicht vorwärts
tonnten. Die Sciffsleute waren erflaunt, was cd wäre,
was fie am Weiterfahren verhinderte; doch der König erin-
nerte jich des Gelöbniffes feiner Tochter, er flieg aus dem
Schiffe, trennte fic von feinem Heere und ging über das Eis ans
Yand. Die Schiffe mußten wieder ans Ufer gebracht wer-
den und follten warten, bis ex zurüctäme. Der König lieh
ſich num fieben Paar eiferner Schuhe machen und begann den
Weg. Er ging umd ging und ging immer vorwärts, bis
er ein Paar Stiefel verbraucht hatte. Da gelangte er zu
dem erften Niefenweib, die grüßte er freundlich und fragte
fie: „Wie muß ich gehen, daß ich den Mörſer der fieben
Himmel erreiche?“ Das Rieſenweib antwortete: „Geh'
nur immer fort, auf dem Wege wirft Du entweder umlom⸗
men ober gerettet werben; meine zweite Schwefter wird Dir
mehr ſagen.“ Der König ging weiter, endlos weiter, und
verbrauchte das zweite Paar Stiefel bis er zum zweiten
Globus XXIX. Mr, 15,
Riefenweibe kaur. Dieſe grüßte er freundlich und bat fie,
ihm den Weg zum Mörfer der fieben Himmel zu zeigen.
Sie aber fagte: „Dort wo Du hingehft, ift es ſchwer, hei⸗
ler Haut zurüdzufehren,, verbrauche die anderen fünf Baar
Stiefel, meine legte Schwefter wird Div weiterhelfen.“ Der
König folgte der Weifung und ging fort umd immer fort,
bis er das fiebente Riefenweib erreichte; ev grüßte fie freund⸗
lich, wie ihre ſechs Schweflern. Nachdem er ihr feine Ger
ſchichte und feine vielen Muhen erzähit hatte, jagte fie ihm:
„Wo Du Hingehft, find viele hingegangen, aber nicht zurüd-
gefommen; doch bleibe in meinem Kaufe, ich werde Did) in
das Schloß des jungen Königsfohnes führen, der den Mör-
jer hat.“ Der König blieb bei der Frau, und ging dann
mit ihe zu dem Schlofje und vor den Königsjohn. Denfel-
ben bat er, ihm für feine Tochter den Mörfer der ſieben
Himmel zu geben. Der Königefohn aber hatte im feinem
Zimmer viele Bilder von fchönen Frauen. „Ift Deine Tod
ter jo ſchön wie eine von biefen ?“ fragte er bem König.
„Sie it viel ſchöner!“ Da ſchlug der Königsfohn an feine
rechte Seite, und heraus trat eine ſchöne Frau, „oft fie fo
ſchön?* fragte er wieder, „Meine Tochter ift noch jchöner.“
Da ſchlug der Königsfohn an feine linfe Seite, und wieder
erſchien eine ſchͤne Frau. „leicht Deine Tochter diefer?*
fragte er den König, doc diefer antwortete: „Weine Tod).
ter iſt ſchöner.“ Zuletzt ſchlug der junge König am fein
Herz, und eine wunderfchöne Jungfrau trat hervor. „Gleicht
diefe Deiner Toter?“ „Beinahe,“ fagte der König, „doch
ift meine Tochter noch fchöner.“ Da fchenkte der Königsjohn
dem König den Mörfer und fagte ihm: „Wenn Deine
jüngfte Tochter Abends mic) fehen will, und fie ſtößt breis
mal in den Mörfer, fo erfcheine ich ihr jogleich.“ Der Kö-
nig begab jich nun auf den Näcdweg und gelangte glücklich
in fein Reid. Seine Töchter begrüßten-ihn voller freude
und fragten ſogleich, ob er auch ihre Wunſche erfllllt habe.
Er gab ihnen das Armband, die Halskette und der jüngften
Tochter den Mörjer der fieben Himmel, den er mit fo vie-
len Blagen erfauft hatte; er unterwies fie, wie fie dreimal
Hopfen mlfle, wenn fie den jungen Königsſohn fehen molle.
Abends, ald die Tochter in ihrem Gemad; allein war, ftieh
fie dreimal im dem Mörfer, und ſogleich ftand ber wunder⸗
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fchöne Königsjohn vor ihr; es ergriff fie eine große freude,
doch ihren Schweftern verriet jie nichts von ihrem heims
lichen Güde. Diefe merften aber die felige Stimmung der
jüngften Schwefter und befchloflen, den geheimen Grund da⸗
von zu entbeden. Einmal beredeten fie diefelbe, mit ihnen
ein Bad zu mehmen; fie ging auch mit, und als fie eben
entfleidet war, thaten die beiden Welteften, als ob fie das
Waſchbedden und den Kanım vergeffen hätten, und forderten
den Schlüffel_ zum Zimmer der jüngften Schweſter. Yegtere
voll Verlegenheit gab ihm, und eilig begaben fid) die Schwe-
ftern ins Schloß zurlick. Hier öffneten fie das Zimmer,
erichlugen die Spiegel und durchwühlten und zerflörten
Als. Da fanden fie aud) den Mörfer, und ſtießen mit fo
großer Gewalt hinein, daß ber Königsſohn ftürmifc heraus«
fuhr, und fi an den Trlimmern der zerfchlagenen Sachen
verwundete.
Die älteren Schweftern kehrten nun zum Bade zurlic, als
wäre nichts gefchehen. Die jüngfte Schmefter eilte, kaum
daf fie fertig war, im ihr Zimmer und fand dort die Zer-
flörung und das Blut. Haftig ftieß fie in den Mörfer;
da lag der Püngling im feinen Wunden vor ihr. Sie
weinte und jammerte und bat ben Vater, ihr eine Kleidung
nach Art der Nonnen machen zu laffen und eiferne Schuhe,
wie der Vater fie hatte. Der König willfahrte ihr und
gab ihr noch einen Beutel mit Gold auf bie Reife. Die
Tochter nahm denfelben Weg wie der Vater, als fie aber
nahe dem Schlofie war, ermldete fie, und als die Nacht fie
ereilte, ftieg fie auf einen Nußbaum, um dort zu ruhen.
An der Wurzel des Nußbaumes hatte eine Füchſin ihr Neft
mit feinen Füchschen. Da hörte die Königstochter, wie die
Fuchſin zu den Meinen Füchschen fagte: „Kinder, der Kö-
nig des Mörfers der fieben Himmel ift in Glasſcherben ge:
ſchlagen und liegt fchwerfrant, fein Arzt weiß ihn F heilen,
doc ich lenne das Mittel, es ift euer Blut. er euer
Blut nimmt und den König damit falbt, heilt ihn; dann
gehen alle Splitter Heraus." Die Königstochter hörte genau
zu, ftieg vom Baume und fuchte einen Topf. Dann töbtete
fie die Fuchschen, und fing ihr Blut in dem Topfe auf.
Damit eikte fie nad) dem Schloffe. Hier am Eingang fand
fie eine alte frau; diefe bat die Königstochter, nachdem fie
ihr viel Gold geſchenlt hatte, ihr den Eintritt in das (Ser
mac; des Königs zu verichaffen, damit fie ihn gefund mache.
Das Weib fagte: „Viele find gefommen ihm zu heilen und
bermochten es nicht, warum willſt Du noch hinein?“ Doch
die Königstochter ließ fid) dem König als Nonne melden,
and ber König ließ fie zu fich hereinfonmen. Die Könige:
tochter trat in das Gemach, machte es zu, und nachdem fie
den König entfleidet, falbte fie ihn mit dem Blute der Füchſe.
Sogleich gingen die Splitter heraus, und in zwei Tagen
war der Rörigefohn ganz geheilt. Ex ſprach zu der Nonne:
„Du, die mich geheilt, was verfangft Du für das, was Du
mir gethan?“ — „Ich will nichts als die Gnade, dag Du
mir verfprichft, wern Du die Hand fchon am Degen haft,
und e8 jagt der, den Du tödten willft: Um der Nonne
willen laß mir das Leben! — fo wolleft Du das Schwert
wieder in die Scheide fteden, und ihm verzeihen.“ Der
junge König gab fein Ehrenwort, und die Königstochter
ging hinaus, zog ihr Gewand aus, und kleidete ſich jchön,
wie die Blumen auf den Wieſen. So ging fie zum Könige
fohn, doc; als er fie fah, ward er zornig, da er meinte, fie
habe aus Leichtfertigfeit das Geheimniß mit dem Mörfer
verrathen und fo fein früheres Unglüd verfchuldet, und züdte
fein Schwert gegen fie, um fie zu tödten. Sie aber fprad):
„Bei der Nonne, laß mic; leben!“ Da ftedte er das
Schwert im die Scheide, und nachdem fie ihm erzählt, was
fie durch dem Neid der Schweſtern gelitten und wie Alles
Ein Märden und ein paar Dorfgeſchichten aus Griechenland.
gelommen, verzieh er ihr, und behielt fie bei fih, ohne da
fie in das Schloß ihred Vaters zurldfehrte. — Ihnen geht
es dort wohl; und aber hier noch beſſer.
2, Ein paar neugriechiſche Dorjgefhichten *).
1. Es war einmal ein armer Bauer, ber hatte eine ein«
zige Sau, welche auf feinem Hofe ſich nährte und mit ihrer
Schnauze die Erde aufwühlte. So fand biefe Sau bei ihrem
Wühlen einen großen Schatz, durch den ber arme Bauer zu
einem reichen Manne wurde, Aus Dankbarkeit pflegte er
fie mit großer Sorgfalt, gab aber der Sau, ber er Heinen
Reichthum verdantte, fo viel und fo gut zu eſſen, daß fie bald
zu fett wurde und darauf ftarb, Er zog ihr num ein Reichen:
bemd an, ſetzte ihr eine fchöne Haube auf und legte fie auf
eine Bahre; dann lud er fünf Priefter ein, die der Sau als
Leiche das Geleit geben follten. Die Priefter kamen auch
zu dem Bauer, fangen und lafen an ber Veiche und vers
richteten das Begräbniß mit allen Ceremonien der Kirche.
Nach einiger Zeit reifte der Bifchof durch feine Parodjien
und hörte, daß eine Sau hier feierlich beerdigt worden fei;
er rief die Priefter, ſchalt fie heftig wegen dieſer Entweihung
ihres priefterlichen Amtes und wollte fie alle fünf abjegen.
Da baten die Priefter und beſchuldigten den Mann, ber fie
bintergangen, denn fie hätten nicht gewußt, daß fie anftatt
einer Chriftin einer Sau die Ehren erwieſen. Der Biſchof
ließ voller Zorn den Bauer zu fid) fommen und warf aud)
ihm in heftigen Worten diefe Entweihung bes Heiligften vor:
„Du Gottesläfterer; Schandfled der Chriftenheit, Dich ftoße
ich) aus aus der Gemeinfchaft, hier und bort fei Dir bie
Seligteit verloren, die Berge werben ſich verrliden, die Erde
wird fich öffnen über diefe Frevelthat, um Dich Sünder in
das ewige feuer, im den Höllenpfuhl aufzunehmen!! ...“
und fagte:
andere, Du weißt nicht, was fie vor ihrem Tode fagte —“
„Sie, die Sau, ſprach mit eigenem Munde ?* fragte ftau-
nend der Bischof. „Ja, Herr, fie ſprach viel von ihrem
Ende und ihrem Begräbniß, fie beftimmte dem heiligen
Bischof, der für ihre Seelenheil beten laffen wollte, 20 vene⸗
tiauiſche Goldgulden!“ und damit beugte fich der Bauer
tief vor dem Biſchof. „Das ift freilich etwas Anderes,*
meinte biefer und legte befänftigt und falbungsvoll die Hände
zum Segen auf das Haupt des Bauern.
* * a
2. Eine Dorfgemeinde hatte ihren Seelforger verloren
und follte einen neuen aus ihrer Mitte wählen, aber ver-
gti fuchten die Bauern, fie fanden feinen, der ihnen gefiel.
nahmen fie einen Efel, banden ihm einen Beutel voller
Goldjtlide unter den Schwanz und führten ihm zu ihrem
Bifcyof, daß er ihn zu dem Amte weihe. Der Bifchof ftußte
) Es iſt ein charakteriftiicher Zug, daß trog aller Debotion, melde
in fatholifhen wie proteftantifchen Yändern den Geiftlihen vom Volle
entgegengebracht wird, fich daſſelbe won jeber dafür im. Stillen
gleihfam durch allerhand meint luftigeterbe Gefchichten entfchäs
digt, in denen es gewifle Schwächen, tie öfter am einzelnen Geift
lichen bervortreten, carifirt, Wefonders häufig drehen ſich terartige
Geſchichten darum, daß bei allem Prebigen gegen den Mammon von
Sriten der Geiſtlichen ſie ſich doc felbit oft vom bemfelben fangen
ließen. Kommen gleib terartige @rzäblungen immer mehr da ab,
wo einmal die Verhältniffe ſich beffern, dann audı wo moterne Bil:
bung mit dem Stoffe, den die Yiteratur und Zeitungen ſowie die
Schulen zuführen, Plag areift, fo finden ſich doch noch überall,
namentlih auf dem Lande, Spuren davon. Die obigen Geſchichten
aus Griechenland find natürlich noch fehr naturmüchfig-berb,
Hermann Bamberg: Die Dradenfteppe und der Drachenjee.
bei dem Anblick des Eſels und trieb die Bauern mit zornigen
Scheltworten von ſich. Da, als ber Eſel Kehrt macht,
erblidt der Biſchof unter dem Schwanz dem Beutel mit dem
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—— Golde. „Heda,“ ruft er, „kommt zurlick, meine
inder, ber Eſel hat von vorn gefehen die Natur eines Ejels,
aber von Hinten gefehen bie Natur eines Menfchen.“
— — — —
Die Drachenſteppe und der Drachenſee.
Don Hermann Bambery.
Wenn Gentralafien im Allgemeinen vor 20 Jahren
noch das ergiebige Feld fir Märchen, fabelhafte Sagen und
unzählige geographifche und ethnographiſche Wunderbinge
war, fo fonnte der öftliche Theil diefer ehemaligen terra in-
cognita mit vollem Rechte Hinter dem geheimnikvollen
Schleier einer totalen Unfenntniß der erhigten Phantafie ein
um fo größeres Tummelfeld bieten. Schon hinfichtlich bes
Namens herrichte eine arge Confufion und Uneinigkeit unter
den Seographen. Man nannte es das Yand ber Sechs-
ftädte, der Siebenftädte, die chineſiſche Tatarei und in ber
neueften Zeit Heißt es Oftturfeftan. Cine flattliche Anzahl
von Namen, und doch haben bie Eingeborenen flir ihre
Hrimath feine fpecielle Benennung! Cie nennen ed Turle—
ftan, d.h. das Yand ber Turken, ebenfo wie flir bie
Drusländer, ja ſogar für das ottomanische Kaiſerreich
und überhaupt für jebes von Türken bewohnte Land diefe
Benennung gebraucht wird.
Lange unferen Bliden verfchloffen, feit Marco Polo und
Goetz nur in ſchwachen Umtiffen an einzelnen Punkten bes
kannt, ift diefes öftlichfte Yand des turlostatarischen Völler—
compleres auch in der That höchſt reich an Naturerfchers
nungen. Koloſſal und gigantisch, find die Bergletten, welche
es von Süden, Weften und Norden her umringen; eine der
wunberbarften Gebirgäregionen, eine Alpenwelt mit ewigen
Schneefeldern, deren höchſte Spigen zwiſchen 18,000 und
29,000 Fuß Höhe über dem Meeresfpiegel variiren, zieht
von Süboft im fanfter Krlimmung gegen Südweſt unter
bem Namen Kün-lün *) dahin, während im Weſten bie
12,000 bis 14,000 Fuß hohe Hochebene von Pamir mit
dem Alai-Plateau vereint gleich einer jähen Granitmauer
gegen Kaſchgar und Jarkend ſich hinabjenkt, und wo fchließ«
lich im Norden das Tianfhan-Gebirge von Karafcher bis
nad) dem 12,000 Fuß hohen Turgat⸗Diwau⸗Paß in phan«
taftisch majeftätifchen Spigen emporragt. Hoc) und impo-
fant, wie die Gebirgsregion, eben fo tief und fchredlich ift
jene folofiale Thalbildung, welche unter dem Namen Tafla
Malan oder die Große Gobi-Wüfte, richtiger aber die Lop—⸗
Steppe (Dradhenfteppe), vom 78. bi® Über den 95. Längen⸗
grad und vom 41, bis zum 37, Breitengrade ſich hinzieht,
ine Steppe, von der wir hier nun ausführlicher fprechen
wollen.
Trotz ber ſeht bedeutenden Waflermaffen, welche dem
Culturgebiete Oftturfeftang von drei Seiten her zufließen,
erſtreckt ſich dafjelbe dennoch faum 20 bis 25 geographifche
Meilen von den Abhängen der Berge gegen die Steppe zu.
Der Ehoten, Jarkend, Kaſchgar, Akjai und eine bedeutende
Anzahl anderer Ströme und Bäche werden alle unter dem
Namen Tarim dem großen Sandmeere zugeführt und nur
ein Heiner Theil ergießt ſich in den Lop-Nor oder Drachen-
fee. Die genaue geographijche Yage des legtern kann vor
*) Der ihr fälfchlich von morernen Geogtaphen beigelegt worben
il. ©. „Globus“ XXVIII, S. 234 Anmerf. Net.
der Hand nicht beftimmt werden, beun fein europäifches
Auge hat ihm je gejehen. Seine Eriftenz ift und nur vom
Hörenfagen befannt, fo wie wir im Allgemeinen die Ein-
zeinheiten über diefe Gegend mur den Reſultaten jener Mifr
fion verdanlen, welche die englifch-indifche Megierung im
Jahre 1873 unter Leitung T. D. Forſyth's nad Ofttur-
feftan gefandt hat. Bon biefen Engländern haben Einige
ben weitlihen Saum der Dradjenfteppe gefehen, und bezeich-
nen ſolche als eine grenzenlofe Ebene von einer dichten Krufte
loderer Salzflächen überzogen, auf welchen nur das wilde
Kameel Fuß faffen kann, das Pferd knietief einfinkt und der
Menſch von dem aufwirbelnden Staube theils erftidt, oder
von dem Glanze der ſchueeweißen Salzflächen geblendet wird.
Diefer Sand, von weldem die Eingeborenen Oftturfeftans
immer mit Grauſen ſprechen, ift eine Plage, deren Grauen«
haftigkeit wohl an feinem Punkte unferes Erdballes fo jehr
hervortritt als hier; und erft jegt iſt es mir einigermaßen
einleuchtend, warum feiner Zeit meine Reifegefährten zurüd»
ſchauderten, als ich ihnen von dem fegensreichen Frühlings:
regen in der weftlichen Welt ſprach. Unter Kegen verftehen
nämlich biefe Leute jene unermeßlich großen Wollen feinen
Sandes, welde die Nordwinde von der Drachenfteppe her
mit ſich führen, um mit diefen fliegenden Sandſchichten bas
durch Menſchenfleiß der Natur abgerungene Culturgebiet
u vernichten. Der Sand bewegt fich zumeift in halbmond⸗
— Dünen, und ba dieſe Naturerſcheinung ihren regel»
mäßigen Gang bewahrt, fo fann aus der Dide der vorhan-
denen Sandidjichten die Zeit ihres Entftehens bis auf Jahr-
hunderte zurlick berechnet werben. Und fürwahr die ewigen
Gletſcher der umgebenden Gebirgsregionen mußten in ver—
angenen Jahrhunderten, vielleicht gar Yahrtaufenden in
urfeftan einen gewiß viel breitern Gürtel bebauten
Landes geftattet Haben, ald der jet uns befannte Flächen⸗
raum bes bewohnten Sechsftädtefreifes. Marco Polo erzählt
uns von Tſchartſchan als einer ganzen Provinz mit gleich⸗
namiger Stadt, von dem allen aber heute feine Spur mehr
vorhanden if. Im ähnlichem Sinne äußern ſich die orien-
talifchen Geographen, fo oft von dem fürchterlich impofanten
Beden diefer innerafiatiichen Alpenwelt die Rede ift. Auch
über Chotens vergangene Glorie erhalten wir einige Auf:
flärung, wenn wir die verheerende Natur der Sandftürme
etwas näher ins Auge fafjen.
Auch die Engländer Haben eine tobte Stadt, die ehemals
Ketet Hieß, auf ihrem Ausfluge von Jengi Hiffar zum
Schreine des Heiligen Ordum Padiſchah gefunden und etwas
näher unterfucht *), Da die Dide der betreffenden Sand-
ſchichten je nach Heftigkeit der Winde beurtheilt wird, fo
mag Mirza Hayder, ber Autor bes Tarichi Rafchibi, wohl
Recht haben, wenn er die Vermuthung aufftellt, daß biefes
Ketek, welches im 14. Jahrhunderte zu Grumde ging, einem
) ©. „Globus" XXVI, S. 282. Bergl. auch Bellew: Kashmir
and Kashgar, London 1975, S. 364 bis 379,
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einzigen Sandfiurme auf einmal zum Opfer fiel. Nur
einige Menſchen follen ſich von der Kataſtrophe gerettet ha-
ben, während die Uebrigen vom ande begraben wurden.
Ein ganzes Herculanım und Pompeji in der Mitte Afiens!
Ob dies ein Phantafiegebilde oder Thatſache ift, wäre ſchwer
zu beſtimmen; wenn wir aber den Hirten und Jägern diefer
Gegend Glauben jhenten, fo follen vom Zeit zu Zeit durch
die von Windesfurie aufgepeitchten Sandwellen die Häufer,
Kuppeln und Thlime des ehemaligen Ketet noch zum Bors
Scheine fommen. Man erzählt ſich Wundermärdyen von der
noch ganz intacten Beſchaffenheit der im ben bortigen Häus
fern ſich vorfindenden Geräthſchaften und Möbelftiide.
Sogar menſchliche Stelete jollen in derfelben Yage und Stel:
lung angetroffen werden, in welcher fie von dem grauen«
vollen Phänomen überrafct wurden. Die Schäfer und
Wanderer ſehen diefe Wunderdinge durch den grauen Nebel
der im Somtenfcheine gligernden, minder dichten Sanbwol-
ten, fie merfen jich die Yage der einzelnen Thürme und Obs
jecte; doc; ift der Sturm verbrauft und hat der Boreas
über die Schredensftätte hinweggeraft, ſo dünkt das Geſehene
nur eitle Bifion, denn Alles ift von Sanbblinen bededt,
und nur längeres Nachgraben, wozu es den Schäfern an
Muth und Ausdauer fehlt, Könnte etwaige Forſcher zum
Ziele führen. Cine ſolche Annahme findet Herr Forſyth
auch ganz begritmdet, indem er in feinem höchft intereflanten
Berichte *) (S. 29) folgendermaßen fagt: „Die erfte Linie
des hereinbrechenden Sandes mag am eim ihr im Wege
ftehendes Haus ſtoßen und es begraben, aber bei fortgefeß-
tem Winde werden die loderen Sanbdtheile weggefegt, nehmen
auf dem glatten Boden ihre urfprüingliche Form an, wäh—
rend das zeitweit Berhüllte aus der Sandwelle wieber auf:
taucht, um von der nächitfolgenden Schicht wieder begraben
zu werben, Und fo geht es fort, bis die ganze Maſſe bes
beweglichen Sandes über das fragliche Gier hinwegge ·
fchritten. Nur fo iſt es möglich, daß im Yaufe der Zeit die
begrabenen Städte Yop und Ketek im derfelben Geſtalt und
Form wieder auftauchen, in welcher fie vor Hunderten von
Yahren umntergegangen find; ja wären die nöthigen Daten
zur Hand, fo ließe fid) die Zeit dieſer Wiedergeburt ſchon
im Boraus beftinnmen. Unglüdlicyerweife fehlt jeboc hierzu
eine genaue Kenntniß der Ausdehnung und des Umfanges
biefer Sandftlirme ber nächften Umgebung , gefchweige denn
in ber weiten, weiten Ferne ber gigantischen Dradjeniteppe.*
Schon der Ort Kum Schahidan, den die Engländer
gefehen, erinnert an eine tragische Gejchichte ähnlichen Here
ganges, Kum Schahidan joll „die Märtyrer des Sandes*
heißen, dem natürlich) das vorliegende tlirfiche Wort gram-
matifalifch wicht ganz entipricht; doch wer weiß, wann und
auf welche Weile die von der Nachwelt geheiligten Märtyrer
der Wuth des Sandes zum Opfer gefallen find,
Unmittelbar an diefe große Sandfteppe, durch welche fich
nad) Norden und Süden einige Wege ziehen ſollen, welche
fogar eine auf Sagen gegründete topographifche Nomenclas
tur von Städten aufweift, ſchließt fid) das große Sumpfe
gebiet des Drachenſees an. Er wird als eine ungehenre
Fläche undurchdringlicher Schilffelder geſchildert, welche mit
einem Gurtel von Pappeln und Tamarisken umgeben iſt.
Dieſe Heimath ungeheurer Schwärme von Waſſervögeln
aller Art, Mostitos, giftigen Gelſen, grauenvollen Infec-
ten und Schlangen dient dennoch auch Menſchen zum
Aufenthalte, die hier eim Fiſcherleben friften und mit Otter:
und Scmwanenhäuten nach Kutichen und mad) Karaſcher
einen ergiebigen Handel treiben. Der ganze Bezirk, welcher
mit dem Namen Yop bezeichnet wird und an dem Eingangs
*) Report of the Yarkund Mission, Calcutta 1875.
Hermann Vambery: Die Drachenſteppe und der Drachenſee.
erwähnten Tarimftrome gelegen ift, hat eine Ausdehnung
von ungefähr 30 Tagereifen gegen Oſten und Weiten. So:
weit das Auge reicht, ift alles unabjchbare Ebene mit Aus—
nahme einiger Kicsfteinerhöhungen, welche zwifchen den ver⸗
fchiedenen Simpfen emporragen. Die Wege, welche hierher
führen, faufen zumeift entlang dem Fluſſe, welche den Tarim
ausmachen, und namentlich find als Ausgangspunlte be:
kannt: Maral-Baſchi, Akfu, Kutfchen und Kurla.
Die Bevölferung befteht aus Kara-FKalpaten, Koſchoten
und Tunguten, nad Angabe der Cingeborenen ungefähr
1000 Häufer mit 5000 Seelen umfaſſend. Dieje follen
ſich vor etwa 160 Jahren hier niedergelaflen, aber jhen _
eine Anfiedelung wilder Menjchen (Jawa Kiſchi) angetroffen
haben, von weldyen in den benachbarten Yändereien der Sa—
gen gar fonderbare gämge und gäbe find. Sie follen vor-
züglich die Geſellſchaft wilder Thiere auffuchen und mit ihren
Hausvieh ſich in den Didichten und Sümpfen herumtreiben,
Es find dies Heine, ſchwarze Menfchen mit lang herabwal-
lendem, ſchwarzem Haare, die, ſobald fie einen Fremden ges
wahren, fofort Neigaus nehmen, um ſich im Scilfe zu
verbergen. Furchtſam im Geſellſchaft Anderer zeigen fie
unbändigen Muth im Kampfe mit wilden Thieren, welche
fie mit ‘Pfeil und Bogen und Art und Speer jagen. ‚Ihre
Kleidung befteht aus einem Stoffe Namens „Yuf“, einem
groben ftarten Gewebe, weldyes aus der Faſer einer Pflanze
verfertigt ift umd auch in den Handel kommt. Diefe Pflanze
führt den Namen Tofa-Tihigah, wächſt reichlich auf
der Sandebene am Ufer der Sitmpfe und hat die für locale
Berhältniffe recht vortheilhafte Eigenſchaft, daß die aus
ihren Faſern gemachten Kleider gegen die Stiche der Geljen
und anderer Infecten fchügen. Die Vereitung der Yufjafer
ift wie Die des Flachſes bei ung.
Die demnächſt am zahlreichſten vertretenen Bewohner
dieſer Steppengegend find die Dolans, ungefähr 5000
Häufer mit 25,000 Seelen umfaſſend und zum Diftricte
von Maral-Bafchi gehörig. Dol oder dul heißt im Tata-
rischen „arın“ oder „verlaffen“, eine ganz paſſende Benen⸗
nung für das Leben und die Eriftenz diefer Leute, welche
bie veradhtetite Kaſte in der großen Familie des Tiürfenvol-
kes bilden. Ihre Wohnungen beftehen aus länglichen, unter:
irbifchen Lochern, die mit Schilfdächern bededt find. Dem
Neijenden find fie and der Ferne laum wahrnehmbar ; mau
erkennt fie erft, wenn man im ihrer unmittelbaren Nähe an-
elangt ift. Hier wohnt der Dulan im Geſellſchaft feiner
dien, Schafe, Ziegen und Efel, welche legteren fie in
großer Anzahl befigen und mittelft derer jie einen bedeuten:
den Taufchhandel mit Brennholz, Bottafche, Salz, Butter,
Käfe und Anderm gegen Wollftoffe, Wiehl, Brot und Klei-
dungsftüice treiben. Sie ſcheinen Abfömmlinge der Kal
milden zu fein, doch phyſiſch ſowohl als geiftig legteren heute
ſchon fehr unähnlidh. Herr Forjyth vergleicht fie den
Bots von Tibet, und ſchildert jie als Hein und unanſehnlich
von Geſtalt, mit eingezogener Stirn, abſchreckenden Geſichts—
zügen und tatarifcher Phyſiognomie. Gewöhnlich ſprechen
fie Turliſch, doc) unter einander bedienen fie ſich eines an
dern Idioms, wahrfceinlic eines Gemiſches von Tatariſch
und Kalmüdifh. Ihr ielamitiiches Glaubensbekenntniß
fteht auf ſehr ſchwachen Füßen. So wird aud) ihre Eitt:
lichkeit als äußerft vernachläſſigt dargeftellt, natürlich von
techtgläubigen Moslemim, die, wie überall, aud) hier mit dem
Vorwurf des Weibercommunismus auftreten. Die guten
Oftturkeftaner erzählten unferen Engländern, diefe Unart fei
in ſolchem Maße eingerifien, daß jeder Gaft gern oder uns
gern vom Hausherrn das jus matrimonii übernehmen muß,
und daß, wenn leßterer vor dem Gemache feiner Frau ein
Paar Stiefel erblidt, ihm der Eintritt verfagt jei.
Aus allen Erbtheilen.
Nach diefem lurzen Berichte über die bis jegt mur wenig
oder gar nicht gefannte Region der Drachenſteppe wollen
wir noch Einiges über den Lop-⸗Köl (oder Mongoliſch
Lop-Nor), d. h. Drachenſee, hinzufligen. Die nod) von
feinem Europäer gefehene Waflermaffe fol auf der äußer-
ſten öftlichen Grenze befagter Steppe fid) befinden umd ift
wie alles nicht näher Belannte auf bie verfchiedenartigfte
Weife gejchildert worden. N H Unsfage ded Autors des
Tarichi-Raſchidi“* bedeckt diefer See einen Flächenraum von
vier Monatreifen im Umfange und nimmt im Weften den
aus China kommenden Kara⸗Moran-Strom af. Unſer
englifher Gewährsmann, der bei den Eingeborenen , welche
die Dertlichleit genau gefehen haben, Erkundigungen einge
holt, fagt: „Obwohl die verfchiedenen Angaben in den De-
tails von einander bedeutend abweichen, fo befräftigen fie
doc) alle die Thatfache der Eriftenz diefes Sees umd
deflen Berbindung mit dem weftlichen Sumpfen ſowie auch
bie allgemeine Charakteriftit der Dertlichteit und der Bevöls
ferung. Den biesfeitigen Theil des Sees hat fo mancher
Ofttirkeftaner infolge der Kriege Jalub Chan's mit den
Chineſen gefehen, den jemfeitigen, d. h. den weſtlichen Theil,
jedod) fenmen auch fie nur von Hörenfagen. Sie behaupten,
dag er ganz umnbewohnt ſei umd nur fünf Tagereifen im
Umfange habe und an feinem öftlichen Geſtade ſich höchftens
3 bis 4 Tage weit vordringen laſſe, da auf dem feinen und
tiefen Salzftaube fein Menfc oder Thier gehen fan, ohne
fmietief einzuſinken. In jüböftlicher Richtung zieht von die:
fem See durch die ungeheure Salz» und Sandſteppe ein
roßer Strom, weldyer in einer Entfernung von 15 bis 20
—— verſchwindet und erſt in China zum Vorſcheine
touintt. Im alten Zeiten fol, jo erzählt man ſich, ein jun—
ger Dann zur Erforfchung diefes Sees ausgezogen fein.
Nachdem er fieben Tage lang auf dem Strome gefahren
war, fand er fid) einem Berge gegenüber und fah, wie die
Waſſer zwifchen Helfen in eine tiefe, ſchwarze Schlucht ftlir-
zen, Er wollte fein Boot anhalten, doch die Strömung
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riß ihn mit fich in den Abgrund. Nun warf er ſich ſchnell
auf dem Boden des Kahnes auf den Bauch; er hörte wie
der Vorbertheil deffelben an den Wänden der finftern Paf-
fage ſich reibt, fühlte wie Steine auf ihn niederfallen, und
ald er hernad) wieder ind Freie gelangt war, fand er, daß
fein Fahrzeug nicht mit Steinen, fondern mit blinfenden
Goldflumpen befüct war, Auf der jenfeitigen Strede des
Fluſſes begegnete umfer phantaftifcher Tatar, der die Odyſſee
gewiß nicht gelefen hatte, auch noch Eyclopen, die ihm ſchließ⸗
lid) gefangen nahmen und nad) Peling verkauften, von wo
er nach zweiundzwanzigjähriger Abwefenheit als graufaari-
ger Mann heimlehrte. Man ficht, die Phantafie hat einen
genügend weiten Spielraum hier ſowohl als anderorts, wo
geographifche Unlenntniß ihren Schleier ausbreitt. Bon
dem chinefifchen Neifenden Fashian angefangen bis zu den
neueften werthvollen Notizen, mit welchen der gelehrte Yule
feine Ausgabe von Marco Polo begleitet, ift fo manches
des Intereffanten, fo manches des Myftifchen über diefe Ge—
gend enthalten. Was die Engländer über das wunderbare
Tiefland und den Küin-lün berichten, bringt ſchon mehr
Wahrſcheinlichkeit, verläßlichere Daten; hoffen wir, daß bald
die Zuftände im Lande des Emir Jalub Chan ſich einiger
maßen confolidirt haben werden, daß die am obern Yang:
tjesfiang unterbrochenen Forſchungen Pridjewalsfi's nad
Weſten zu bald wieder fortgefegt und daf and) die Dradjen-
fteppe mit dem Dradjenfee unferer Kenntniß näher gerlidt
werden wird *).
*) Projectirt find unferese Wilfens schon pwel Meifen in jene
Gebiete, die eine von Prifcbewalsti (f. oben S. 208), die andere
von Graf Szechenyi, welchet in Begleitung eines Aflronomen umb
eines Geologen bie Umgebung bes KRulusnor umd tie Süphälfte der
Proving Kanfu erforfchen will, um von dort eiwa zwiſchen dem 36.
und 40, Breitengrate nad Welten vorgubringen und Keria und
Ghotan zu erreichen. Gelingt dieſe Reiſe, fo muß durch fie bie
Wrage des bis jept rein hypothetiſchen Rünslün= (Rwenslunz) Gebir—
ges zwifchen Tibet und Oftturfeftan ihre Löſung finden. Ar.
Aus allen Erdtheilen.
Aus Nordamerika.
IV.
Newyorler Mortfarifiitl. — Richter Lund,
F. B, Unter den Beinamen der großen Metropole New;
york befindet ſich aud derjenige „Das Mörder: Paradies",
Daß derjelbe nicht unverdient ift, beweiſen ſoeben veröffent-
lichte ftatiftiiche Angaben über die in der Stadt verlibten
Morde und ZTodtichläge während des Zeitraums von 1570
bis 1875. Während dieſer ſechs Jahre fielen nämlich im
Ganzen >31 Morde vor. Wenn nun auch diefe Anzahl bei
einer Riefenftadt wie Newyork, in der ſich die verworfenften
Vertreter jedes Landes der Erbe einftellen, erflärlich iſt, fo
rechtfertigt fich doch der erwähnte Beiname um jo mehr,
wenn wir die gerichtliche Beitrafung der Mörder ins Auge
faffen; denn obgleich manche diejer Morde vorbedacht, viele
ohne die geringfte Rechtfertigung, und die große Mehrzahl
derjelben gänzlich grundlos und unveranlaft waren, jo fin
ben wir doch, baf von ben 231 Mördern und Todtichlägern
nur an fieben das Tobesurtheil volljtredt wurde, wäh:
rend mehr als die Hälfte gänzlich ftraflos blieben,
ja jogar über ein Viertel der Thäter nie vor bie
Gerichte geftellt wurde, fei es, daß fie gänzlich unbe:
fannt blieben oder fich erfolgreich der polizeilichen Verfol:
gung zu entziehen wußten, fo daß alfo für jeden einzel:
nen Mörder, der gehenft wurde, zwanzig obue
eine Strafe irgend einer Art eutlamen.
Muftern wir die graufigen Tabellen näher durch, fo
finden wir, daß die Mehrzahl der Thäter Jrländer fund, und
den Hauptbeweggrund, meben Eiferfudt und Raub, die
Trunkenheit bildet. Als Werkzeug wird mit Borliche Piſtole
und Meffer gebrauct; da nur ein einziger Fall von Ver:
giftung vorliegt, fünnen wir außerdem noch annehmen, daf
eine Anzahl Morde diefer Art mie entdedt wurden. Im
Jahre 1870 fielen 41 Ermorbungen vor, darımter die des
reichen Bankiers Nathan in feinen eigenen Haufe, deren
Thäter noch heute unbekannt find, ſowie des angejebenen
Kaufmanns Putnam, der eine Dame in einem Tramway
gegen die Beleidigungen des Schurken Forfter zu ſchiltzen
juchte und dafür von legterm mit dem zum Abſpannen ber
Pferde dienenden Eiſenhaken erichlagen wurde. Durch die
Kniffe feiner Advocaten wurde die Hinrichtung diefes Mör—
ders um zwei Jahre nah der That hinausgeichoben.
Hinrichtungen fanden in diefem Jahre zwei ftatt, darunter
die eines gewiſſen Reynolds, deſſen zuwerfichtliche Behanp:
tung nach der That: „Hanging is played out in Newyork,“
238
obgleih im Allgemeinen wahr, ihm beunoch zum Stride
"verhalf. Im Jahre 1871 famen 42 Morde und eine Hin-
richtung vor, im folgenden jogar 55 Morde und Feine ein-
sige Erecution. Als cause etlöbre des Jahres 1872 ift die
Ermordung des berüchtigten James Frist Beſitzers der Erie:
Eifenbahn, eines großen Theaters, mehrerer Hotels, Dampfer:
linien u. ſ. w., Oberften des 9, Miligregiments) durch fei-
nen Mebenbubler Stoles befannt. Letzterer erhielt drei Ver:
höre, indem beim erften die Geſchworenen fich nicht einigen
konnten (in der Umion wird das einftimmige Urtheil der
Jury verlangt), beim zweiten er det Mordes ſchuldig befun-
den und zum Tode verurtheilt wurde, feine Advocaten aber
kraft einiger Formfehler einen dritten Proceß erlangten, bei
bem er, ald des Tobtichlags fchuldig, zu vier Jahren
Zuchthaus verurtbeilt wurde Dem bereit zum Tobe
verurtbeilten Mörder Sharkey gelang es, aus den Newyorker
„Zombs" zu entfliehen, und dient derfelbe jet in ber ſpani⸗—
ſchen Armee in Cuba. Im Jahre 1873 fanden 58 Morde
nud eine Hinrichtung ftatt, nämlich diejenige eines Kutfchers,
ber einen andern vom Bode ſchoß, weil deffen Wagen im
Sebränge nicht Schnell genug auswich. Unter den Ermor—
bungen erregte bie des Schriftftellers Walworth, den fein
eigener Sohn erfhoß, das meiſte Aufſehen; die Strafe
war lebenslänglihes Zuchthaus. Im Jahre 1874 fiel bie
Zahl auf 39, und fand feine Execution ftatt, während 1875
auf 51 Morde drei Hinrichtungen kommen, nämlich die von
drei eines gemeinfhaftlichen Mordes jchuldigen Negern au
einem Balgen. Faſſen wir nochmals die Zahlen zufammen,
fo finden wir, daß während der ſechs angegebenen Jahre
von 281 Mördern und Todtfchlägern 7 gehängt wurden, 24
au lebenslänglichem Zuchthaus und 82 zu Strafen von 1 bis
zu 15 Jahren (dev niedrigften und höchſten Buße für Todt-
fchlag) verurtbeilt wurden, hingegen 72 von den Gerichten
freigefprodhen wurden, 36 enttamen, 41 gänzlich unbekannt
blieben, 8 irefinnig erklärt und in Anftalten gefchiet wurben
(um meiftens ſehr bald als „geheilt" entlaffen zu werben),
10 fi) durch eigene Hand, entweber gleich nach der That
oder im Gefängniß , bas Leben nahmen und einer vor dem
Berhör an den während der That erhaltenen Wunden ftarb.
Figen wir noch hinzu, daß im vergangenen Jahre der erfte
Mord am 2. Januar und der legte am 81, Decem—
ber vorfielen, fo wird wohl Niemand beftreiten, daß „bes
Mörders Paradies" feinen Beinamen wohl verdient.
Sehr natürlich, wenn auch nicht zu vertheidigen, ericheint
es bei einer derartigen Mißachtung und Nichtigkeitserflärung
ber Geſetze ſtheils durch die fehlerhafte Einrichtung des jeßi-
gen Juryſyſtems, theild durch die Corruption ber Gerichte),
daß das Volk jelbft die Beitrafung von Miffethätern in bie
Hände nimmt und (freilich nicht in der Stadt Newyorlk, fon:
dern hauptſächlich im Welten und Süden) an den „Richter
Lynch“ appellirt. So fanden in der Union kürzlich folgende
ungeſetzliche Hinrichtungen innerhalb weniger Wochen ſtatt.
Im Staate Minnefote hängten funfsig maskirte Männer
einen jungen Mann, der eine Fran erihoffen, an einen
Baum; in Virginien ging es einem andern Mörder ebenfo,
doch zeigte fich bei biefer Gelegenheit das chevalereste Gefühl
bed Amerilaners gegen Frauen in der höchſten Potenz, in:
dem fich in der großen Menge Niemand Willens zeigte, bie
Mitichufdige, die Frau des Ermordeten, aufzufnüpfen. In
VWeftvirginien wurden zwei Mörder von einem Volkshaufen
aus dem Gefängniß geholt und an berfelben Brite erhängt,
auf der fie die That begangen hatten; während zu derſelben
Zeit und im unmittelbarer Nähe eine Negermenge den Mör:
der eines ihrer Landsleute an einen Baum hängte. Im
Staate Tenneffee erfchoffen zwei maskirte Männer zu Pferde
mit Schrotgewehren einen gefürchteten Raufbold und frü—
bern Gnerilla, während er fein Feld pflügte, Inden die
Leiche aufs Pferd und warfen fie im ben Fluß, und im
Staate Texas vollbrachte fogar eine rachelechzende Menge die
Greuelthat, einen Neger, den Mörber eines jungen Farmers,
Aus allen Erdtheilen.
mit den Händen an einen Baum gebunden, auf einem
Sceiterhaufen trodnen Holzes bei lebendigem Leibe au
verbrennen, um dann noch bie verkohlte Leiche mit
Biftolenkugeln zu durchlöchern.
Zur Ergänzung der Angaben in einem frühern Artikel
(Seite 107) ift hinzuzufügen, dab General Babcod von ber
Beihuldigung feiner Theilhaberfchaft an den Brauntwein-
betrügereien freigelprochen, troßbem aber vom Bräfibenten
feiner Stelle als Privatjecretär enthoben wurde, daß ber
Millionendieb Tweed feit dem Tage feiner Flucht ſpurlos
verſchwunden bleibt, und daß der amerikanische Geſaudte in
London, General Schend, nach Niederlegung feines Amtes,
je y Unterfuchung feines Verhaltens nad Amerika be
geben hat.
„Die Urnen wachſen in ber Erbe”
war früher ein allgemein verbreiteter Glaube, ber auch für
Polen ſchon frühzeitig im einer intereffanten Geſchichte bei
dem befannten Hiſtoriker Dlugoz (} 1489) erwähnt wird *). Im
Jahre 1416, erzählt er, kam ber König Wladislaus nad dem
Tode feiner Gemahlin Anna nad Schrim, wo ihn ein Bote
des ihm verwandten Herzogs Ernft von Defterreich aufluchte,
um perfönlide Erkundigungen einzuziehen, ob es wahr fei,
was ein Pole Varſchewki erzählt, daß in einer Gegend Por
lens mehrere Arten von Töpfen ganz von Natur in der
Erbe fich bildeten (solo naturae heneficio et absque omni
humani suffragio effingantur). Der Herzog von Oeſterreich
wolle dies nicht glauben uud, wenn es wahr fei, es mit eige:
nen Augen fehen, deshalb habe er ihm abgeſchictt, das Nähere
zu erfunden. Um ben Herzog Ernſt von feinen Zmeifeln zu
befreien, führte Wladislans den Boten nad dem Dorfe
Nochow zwiſchen Schrim und Koften und ließ im feiner
Gegenwart an verfchiedenen Stellen aufgraben; da fand man
dann, heißt e8 weiter, mehrere Töpfe von verjchiedener Form
und Qualität, durch eine wunderbare Kunſt der Natur ge
formt, nicht anders als hätte fie ein Töpfer gemacht. Und,
fest Dlugoz hinzu, derartiges trat an verſchiedenen Orten
in Polen hervor. Die Töpfe find, wenn man fie aud dem
Sande nimmt, zart und zerbrechlich, paflen aber, von ber
Sonne dam gebärtet, zu allem menſchlichen Gebrauch (ex-
tant ollae praedictae, cum primo de sabulo egeruntur,
tenerae et fragiles, quae postea Solis virtute duratae, ad
omnem humanum usum congruunt), An einer andern
Stelle nennt er auch im dieſer Hinficht Koſielsko bei Lekno,
fowie auch noch der Zuſatz dort bemerfenswertb ift, daß bie
Töpfe denen ähnlich feien, die noch im Gebrauch wären
(iis similes, quas humanus convictus habet in usu). Da
nämlich gerabe bie in dem alten Polen auftretenden Gräber:
funde fich durch große Marmichfaltigkeit ber Topfgeräthe aus-
zeichnen, in Betreff deren Gebrguch bei den Leichenbeftattun-
gen man noch faft ganz im Unklaren ift, jo führt jene
Bemerkung zu der Frage, ob nicht auch heute noch im ab-
gelegeneren Gegenden fich eine gewiſſe Continuität in diefer
Beziehung fände und ein beftimmter Gebraud einzelner Ger
fäße ſich nachweiſen ließe. Es dürfte dabei nicht bloß auf
die polnifchen, fondern auch auf die ruffifchen Gegenden das
Augenmerk zu richten fein, denn auch dort foll ſich, wie mir
gefagt wird, manches Analoge finden. Eine Eontinuität tritt
3 B. and noch ftellenmweile im Poſenſchen wie in Ober:
fchlefien in Betreff der Spindeln hervor. Die Wirteln find
noch von berfelben Art, wie man fie in alten Gräbern findet,
und noch zu Anfang diefes Jahrhunderts fol der Gebrauch
derfelben ganz allgemein gewejen fein und bis imdie Gegend
von Frankfurt a. d. D. fich erftredt haben.
Bofen. W. Schwartz.
*) Ci. Joannis Diugossi seu Longini Historia Polonica. Lip
sine 1711.
Aus allen Erbtheilen.
Bietoria.
H. G. Wachsthum ift einer jungen Colonie ebenjo nar
türlich, wie einem jungen Baume ober einem jungen Thiere.
Eine ſchlechte Regierung in einer politischen Gemeinde kann
ben Grad deffelben zwar abſchwächen, aber ed nie ganz unter-
drüden. Man muß von der Colonte Victoria fagen, daß ihre
Regierungen ber legten zehn Fahre dem Fortfchritte durch Ein:
führung übel angebrachter Probibitivzölle einen Hemmſchuh
angelegt haben, allein die Unerfchrodenheit und Kühnheit des
jungen Kindes haben es dennoch, tro aller fchlechten Pflege,
im Wachsthum fortgetrieben. Anftatt und in ein weitläuft:
ges Expoſs einzulaffen, geben wir die nachfolgende Ueberficht,
welche die beiden Jahre 1854 und 1874 in Vergleich ftellt.
=
1874
Bevölkerung 312,307 308,4
Revenue ..... 3,087,986 Bf. St. | 4,106,79%0 Pf. St
Sormvich..... 640,625 956,688
Schafe .... .. 8,406,234 11,225,206
Ervort an Wolle | 32,865,633 Pfund | 58,446,089 Pfund
Erport an Zalg. | 3,882,256 Pfund | 18,591,760 Pfund
Erport an Gold. | 2,892,065 Unzen 1,012,168 Unzen
Land unter Cultur 479,463 Acres 1,011,799 Acres
Weisen prodncirt | 1,899,378 Buſhel 4,850,185 Buſhel
Hafer produeirt . | 2,094,445 Bufhel | 2,121,612 Bufbel
An anderen Ge
realien. ..... 175,517 Buſhel 977,079 Buſhel
Poſtämter ... . % 02
Briefe befördert . 2,674,884 16,733,888
Kirchen und Ca:
vellen ..... . 187 2455
Schulen. ..... 391 1721
Schulkinder . 20,107 238,592
Telegraphenlänge 0 4464 Miles
Telegramme vers
fandt....... 0 701,080
Capital der öffent:
lichen Bauten . | 10,536,528 Pf, St. | 290,466,862 Pf. St.
Depofiten in den
Sparbanten. . . 0 1,617,801 ®f. St.
Bemerlen wollen wir noch, daß ber vorstehende Erport an
Wolle das ausschließliche Product der Colonie Victoria ber
ziffert, alfo nicht das fehr beträchtliche Onantum Wolle, wel:
ches aus dem zur Colonie Neu-Sild-Wales gehörigen River
—— alljährlich über Melbourne verſchifft wird, mit
egrei
Die Bevölkerung der Eolonie Victoria war am 30, Sep:
tember 1875 auf 819,453 Seelen geftiegen.
Beilar).
Die ägyptifche Regierung ift ernftlich and Wert gefchrit-
ten, um ben Hafen von Zeila an der Straße Bab-el-Manbeb,
gegenüber von Aden, in ein Hanbeldemporium der oſtafrika—
niſchen Küfte zu verwandeln. Diefer Bla war friiher anf
allen Seiten mit einem Walle umgeben, aud gegen das
Meer zu. Abdel Kadir Paſcha hat die Manern anf der See
feite nieberreißen laſſen und verwendet dad Material zur
Herftellung eines Molo, der nach feiner Vollendung cine
Länge von 1%, engliichen Meilen haben fol. Das Meer ift
bier fo feicht, daß es bisher felbit dem leichteften Boote nicht
möglich war, am Ufer zu landen, und man war genöthigt
eine weite Strede durchs Waſſer zu waten. In Zukunft
wird man mun am Molo landen und die Stadt trodenen
*) Bergl. „Globus" Bd, XXVIII, S. 157, und Bd. XXIX, S. 48,
239
Fußes erreichen fönmen. Ferner ift es die Mbficht des Che:
dive, mittelft Baggermafchinen,, welche er aus —* bins
ſchaffen ließ, auf der einen Seite des Molo einen Canal her:
äuftellen, fo daß felbft große Schiffe an demfelben werben
anlegen können. Zur Bewerfftelligung dieſer Arbeiten find
die Danakil der Umgegend gepreßt worben, bie täglich einen
Viertel Dollar per Kopf erhalten und mit der Peitfche zum
Fleiß angehalten werben. Karren, Schublarren und andere
moderne Werkzeuge find eingeführt worden, um die Arbeit
zu erleichtern und zu fördern; und wenn alles gut geht und
die Geldmittel nicht ausbleiben, dürfte das Werk in ein paar
Jahren vollendet fein. Ein gewiſſer Abu Behr Schaman
ift zum Gouverneur bed Platzes ernannt worden. Er war
früher unter dem türfifchen Regiment Pächter der Staats:
einfünfte. Die ägyptiſche Regierung hat nicht den Muth
gehabt ihm zu beſeitigen, weil er einen großen Einfluß bei
den Danakil genieht, und es daber gefährlich wäre ihm zu
—— Ferner beabſichtigt man Häuſer, Straßen ıc. her⸗
zuſtellen, und man g allen Perſonen große Erleich⸗
terungen, die ſich bier als Handelsleute anſäſſig machen wol:
len. Man ſagt: die ägyptiſchen Behörden haben alle zu Land
aus dem Innern eingeführten Waaren mit einem Zoll von
5 Proc. und alle Exporte zur See mit einem Boll von 12%,
Broc. belegt. Der Stlavenhandel, obwohl er nicht offen ber
trieben wird, ift doch im vollften Schwunge. Knaben werben
mit 40 bis 60 Dollars, Mädchen mit bem boppelten Preife
bezahlt. Nach letzteren herricht eine bedeutende Nachfrage für
die ägyptilchen Offiziere und Soldaten, die an ben malliven
Reizen der Danakil:Frauenzimmer keinen Gefallen finden.
Die Shaven find meift Gallas und werden aus dem Innern
heruntergebracht. Wenn man den noch fehr vertworrenen und
unficheren Zuftänden des Landes Rechnung trägt, fo muß
man fich darob wundern, daß der rechtmäßige Handeläverfehr
ein ziemlich Tebhafter ift, und es unterliegt feinem Zweifel,
fo heißt e8 in einer Correſpondenz aus Aden in dem indiſchen
Zeitungen, daß Zeila, wenn man die Sache umfichtig anpadt,
ein bedeutendes Entrepot an ber afritanifchen Kiüfte werben
wird. Doc wird es nöthig fein, eine ftarke Garniſon daſelbſt
zu halten; fonft wird die Stadt felbft micht ficher fein und
fortwährende Raubanfälle auf die Kafilas (Karamanen) von
Seite der Stämme, welche bie verfchiedenen Straßen aus
dem Innern unſicher machen, wirden die zunehmende Wichtig«
keit dieſes Seeplatzes bemachtbeiligen. Es giebt nur zwei
Wege, um diefer ——— abzuhelfen: entweder muß
man den benachbarten Stämmen, wie es die Engländer im
Aden gemacht haben, Subfidien zahlen, ober - muß längs
ber Hauptftraßen Militärftationen errichten. Die erftere Po-
Titif ift zwar ein Zeichen der Schwäche, aber fie ift weniger
foftipielig und bürfte daher ber ägyptiſchen Negierung mehr
zufagen. (Allg. Btg.)
Wie die Serben die Zeit eintheilen,
P. Das Jahr wird bei dem Serben nicht nach bem Ka:
lender, fondern ganz eigenthümlich theils in Sommer: und
Winterzeit, theild in Faftenzeit (Pöft) und jene Zeit,
wann Fleiſch gegefien werden darf (Mrd), eingetbeilt. Jedes
Jahr hat vier Pöfta und ebenſoviel Mria. Gbenfo willen
die Serben wenig von ben Monaten, fondern nur von Wo—
chen (Mebelie), Tagen und Nächten.
Der Tag wird auch nicht nach Stunden, jonbern anf
folgende Art eingetheilt. Die Dämmerung heißt „Morgen*
ober ferbiich „Zora® (jpr. fora); wenn die Sonne aufgeht,
ift „Jutro* (mas ebenfalls Morgen beißt), um 8 Uhr
„mali rutschak*® (Heine Mahlzeit), um 10 Uhr „weliki ruts
schak* ober „rutschaniza® (große Mahlzeit), von 2 bis 4
Uhr „Mittag" (podne — halber Tag), von 4 bit 6 Uhr
„weliki zaranzi® (bie große Zeit vor der Abenddämmerung),
von 6 Uhr bis zu Sonnenuntergang „mali zaranzi* (die
Heine Zeit vor der Mbendbämmerung) "und ſchließlich folgt
der Sommenumtergang (zahod sunza).
240
Die Nacht zerfällt in „sumrak* oder die Zeit mach dem
Sonnenuntergang; „mrak“ ober Finfterniß; Abend ober
„wetsche“; „wetschera“ (Abendeflen); „welike wetschere“
ſgroßes Abendeſſen)) „neko doba notschi® (unbeftimmte
Zeit der Nacht); „eluho doba* oder Mitternadht; „prwi
petli® (bie Zeit, wann die erften Hähne anfangen zu krä—
ben); „drugi petli@ (die zweiten Häbne); „tretschi petli“
(die dritten Hähne); „svanutsche“ (bie Dämmerung). Es
ift ſelbſtverſtündlich, daß auf dieſe Weife die Beit nur relativ
beftimmbar ift, von abfoluter Zeitrechnung weiß der Serbe
auf dem Lande noch gar nichts. Was eine Stunde ift, wii:
fen nur diejenigen Banern, die unweit von der Stabt woh:
nen und mit ben Städten öfters werfebren, und auch diefe
noch nicht ganz genau. Denn dieſelben fragen niemals:
„Wieviel Uhr ift 087", fondern: „Wieviel Stunden find
noch bis zu der Nacht?“, oder „Wieviel Zeit haben wir
noch bis zum Mittageffen?*
* * x
— Der Reverend S. Macharlane (f. oben S. 5656,
57) bat neuerlich den Fly River, welder an ber Weſtkilſte
des Golf of Papua mündet und biäber wegen des Wider:
ftandes der Eingeborenen nicht erforjcht werden konnte, trotz
der dichten und feindfeligen Bevölkerung 160 englifche Mei:
len weit von feiner Mündung befahren und eine genaue
Karte deſſelben nach England geihidt. An dem äußerſten
Burnkte, den er mit feinem Meinen Dampfer „Ellengowan*
erreichte, ftrömt der Fluß noch immer breit und tief durch
ebenes Land, und find Berge dort noch nicht zu bemerken.
— Die 9 Miles lange Eifenbahn von O'okiep nad
Port Nollotb im Klein-Namagna-LandeiCapeolonie) Ht
Mitte Jannar 1876 eröffnet worden. Beltändig langen Ar:
beiter und Material flir BahnbanYin der Colonie an, wo man
alljährlich 200 Miles fertig zu ftellen hofft. In vier Fahren
würde jo Bloemfontain im Dranje-River-Freiftaat mit der
Eapftadt durch Schienen verbunden fein. Am Neujahrstage
that der Lieutenant⸗Gouverneur von Durban unter großem
militärifchen und biirgerlichen Bompe den eriten Spatenftich
an den projectirten Natal:Bahnen.
— Die fogenannte Seegegend der Provinz Auckland bie-
tet jo vorzügliche Naturſchönheiten, dab fie von Touriſten
nicht bloß and Neuſeeland, ſondern auch aus den auftra-
lichen Eolonien zahlreich befucht wird. Im November vori-
gen Jahres wurden wieder in der Nähe von Matamata
heiße Quellen aufgefunden, deren Heilwirfungen, namentlich
in Bezug auf Rheumatismus, ganz anferorbentliche fein
follen. Es dürfte wohl nicht lange mehr danern, daf die
Seegegend in Andland zum Sanitarium für ganz Anftralien,
im Sinne von Teplig und anderen berühmten Heilorten, wird,
— Um 31. December 1875 wurde das mit der „Tele:
graph Gonftruction and Maintenance Company" in London
veraccordirte Kabel in der Länge von 45 Miles, vor dem
Feſtlaude der Colonie Südanftralien und zwar von Nor:
manville unweit Dankalilla an der Baditairs Paflage aus
nach dem gegenüber liegenden Point Kingscote, zwiſchen
der Bat of Shoald und der Nepenn Bat, auf Kangaroo
Island, gelegt. Bon hier aus ift wieder ein Landtelegraph
nach Cape Borda, dem weitlichften Punkte der Kangaroo—
Infel, errichtet worden. Bon Cape Borda aus können
Aus allen Erbtheilen.
Schiffe, welde die Inveſtigator Strait paſſiren, um im
den Gulf of St. Vincent zu gelangen, zuerſt geichen werden,
und ihre Ankunft dalfo and die der europäiſchen Poſt—
dampfer) kann auf diefem Wege fieben bis acht Stunden
früher nach Adelaide gemeldet werden, als dies bisher ge-
ſchehen fonnte. Der Ertrag diefer Kabel- und Telegrapben:
linie wird zwar nur umbedentend fein, aber die indirecten
Vortheile find um jo größer.
— Die zur Beftrafung der cingeborenen Mörder bes
Telegrapbeninivectors Johnſton auf der Station Daly Waters
(Südanftralien) nah dem Noperfluffe abgeſchidten acht
Genädarmen („Globus* XXVIII, S. 271), denen ſich eine
gleiche Anzahl von Privaten angeſchloſſen batte, find im let:
ton September nach Port Darwin zuridgefebrt. Sie haben
zwei Häuptlinge erfchoflen und drei Eingeborene als des
Mordes verdächtig eingefangen. Uebrigens ift nachträglich
noch einer ber beiden Begleiter des Johnſton, mit Namen
Ridards, an den erhaltenen Speerwunden geftorben.
— Nur mit Widerftreben find die halbwegs zum Chri—
ftenthume befehrten Einwohner der Samoa-Infeln zum An—
legen von Kleidern zu bringen, welches bei den Milfionären
ja als ein welentlicher Beltandtbeil des Chriftentbums gilt.
Wer wirklich Hemd und Schube befigt, trägt diefelben bis an
die Kirchentbür an der Hand und legt fie dort erft an, um
fich ihrer fofort nach Beendigung des Gottesdienftes wie:
der zu entledigen.
— Von den Fidſchi-Inſeln wird aus zuverläfjiger
Quelle berichtet daß Frankreich in Begriffe ftehe, von der
Infelgruppe der Neuen Hebriden Befig zu ergreifen und
das fir dieſen Zwedck im nächiter Zeit ein Kriegsſchiff von
Neu:Ealedonien aus dahin abgeben werde.
Vom Büchertiſche.
Aus balbvergeffenem Lande. Gulturbilder aus Dalmatien
von Theodor Schiff. (Mit Zeichnungen von K. Kliée und
K. Zadnik) Wien 1875,
Eine Reihe der reizendjten Cultur⸗ und Sittenbilder ans
jenem Lande ber Felſen und des Meeres, herrührend von
einem langjährigen und fein und jcharf beobachtenden Ber
wohner deſſelben, der ſich häufig zu hohem dichteriichen
Schwunge erhebt und chen fo oft gutherzige Ironie und
feifen Spott walten läßt. Von Aberglauben und feiner
Ausbeutung durch die niedere, entſetzlich unwiſſende Geiſt⸗
lichkeit weiß er Vielerlei zu erzühlen; man leſe nur „Das
Paternofterhaus" und „Don Martine von Karakaſchitza“.
Bom Scmuggel mad und von der nahen Türkei berichtet
Türkiſcher Taback“, und wer es noch nicht willen ſollte, wie
die orientaliſche Barbarei der Moslim die unglüdlichen und
dabei fo hoch fiber den Türken ftchenden Slaven bedrüdt
und mißhandelt, findet in „Ein türfiiches Schnupftuch“ und
„Ein Richter in Bosnien“ dafür die grauenhaften Belege.
Wir haben jelten ein Puch geleſen, welches wie dieſe
hübſch illuftrirten 158 Seiten den Charakter eines Landes
und feiner Bewohner fo anziehend und gleichſam plaftiich in
einzelnen, dabei kurzen und nicht zufammenhängenden Skizzen
vorführt. Nur die genanefte Bekanntſchaft und liebevolles
Studium des zu behandelnden Stoffes lann diefes Ziel in
ſolcher Weije erreichen.
Inhalt: Dr. Morice's Reife in Franzöfiih Cochinchina IT. (Mit fünf Abbildungen.) (Schluß) — Die Roblie'-
ſche Erpebition zur Erforſchung der Libyſchen Wüſte im Winter 1873/1874, Bon Paul Aſcherſon, Mitglied der Erpe—
dition. V. (Schluß.) — Das Stavafeft der Serben. Von Dr. Nitola J. Petrowitſch in Kragujevaz. IL. (Schluß). —
Ein Märchen und ein paar Dorfgeſchichten aus Griechenland. Mitgetbeilt von W. S. — Die Dradenfteppe und der
Dradienfee. Von Hermann Bambery. — Aus allen Erdtbeilen: Mus Nordamerika. IV. — „Die Urnen wachen in der
Erde‘. Bon W. Schwartz. — Bictoria. — Zeile. — Wie die Serben die Zeit eintheilen. — Verſchiedenes. — (Schluß
ber Redaction 26, März 1876,)
— — —— — — — — ——
Redacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenſtraße 13, MI Tr.
Dtud und Verlag von Zriedrich VBieweg und Sohn in Vraunſchweig.
Dierzu eine Beilage: Profpeet, betreffend: „Adrian Balbi’s Allgemeine Erdbeichreibung, von Dr. Earl Arendts.“
Verlag von A. Hartleben in Wien, Peit und Leipzig.
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Sn
Band XXIX.
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunſchweig Meug—
Bände a 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Poflanſtalten
zum Breife von 12 Marl pro Band zu beziehen.
1876.
Telemffen in Algerien.
Fährt man Morgens um 6 Uhr aus Algier mit der
Eifenbahn nad) Weften fort, fo ift man um Dlittermacht in
Oran. Am folgenden Tage verläßt man diefe Stadt mit
dem Eilwagen, um in der Frühe des dritten Tages auf die
Höhen, auf denen Telemffen liegt, hinaufzufahren. Zuletzt
durchzieht der Weg einen ſchönen Wald hundertjähriger Oel—
bäume, den Stolz der Einheimifchen, die demfelben auch eis
nen geringen Namen als den des „Bois de Boulogne“ beis
gelegt haben. Um 7 Uhr Morgens rollt der Wagen durch
das Thor Bu⸗Medin in Telemffen ein, zuerſt in die Me—
ſchuar⸗Allee, eine dreifache Reihe von Weißpappeln, Plata:
nen, Alazien, Zürgel- und Zedrachbäumen, deren dichtes
Laub im Sommer auch dem Hleinften Sonnenftrahl abhält.
Links erheben ſich die alten Mauern des Meſchuar, der
Feſtung von Telemffen, rechts als Kehrfeite der Minze
ziemlich dürftige Häuſer. Dann folgt das Aerar, das Ges
bäude der Subdivifion, die Poſt, das Telegraphenamt und
das Ende aller Vlühen, das Büreau für den Eilwagen-
verkehr. Das „Hötel de France“ nimmt dem durchfrorenen
Keifenden auf, denn die Nächte find auf jenen Hochebenen
falt, wo Orangen: und Citronenbäume weniger gut blühen
als in dem fün? Breitengrade nördlicher gelegenen Aranjuez.
Die größte Merkwürdigkeit des Ortes befindet ſich un-
weit davon: Manfurah, faum zwei Kilometer nach Weften
entfernt, Man verläßt Telemffen durch das Fezer Thor
und erreicht bei der ausgebehnten Neitercajerne vorbei das
gb: Waflerbehälter (Sferidfch), welches angeblich Abus
ajchfin, der 1318 bis 1337 in Telemfjen herrichte, zur
®lobus XXIX, Wr. 16.
J.
Abhaltung ya, en Seegefechte hat anlegen laflen. Ans
dere neigen zu der wahrjcheinlichern Anficht, daß es einfad)
Dewäfferungszweden gedient hat. Mehrfach, aber immer
erfolglos, wurde daffelbe wieder herzuftellen verſucht; jetzt
werden dort Necruten einerereirt, und unaufhörlich hallen
die Wände wieder von den Uebungen der Trommler und
Horniften, Weiter führt ber Weg durch eine liebliche Land⸗
ſchaft voller Dels, Feigen, Kirſch- und Nußbäume, danu
liber den Getreidemarkt, bei einem Heiligengrabe und einem
ZTriumphbogen aus Piegelfteinen vorbei, den Abu-Nakub
1229 bei ber erſten Belagerung von Telemflen errichtete.
500 Meter weiterhin beginnt die Umfafjungsmauer von
Manfurah.
1295 — der Flirft von Telemfjen, Abı-Said:Os-
man, vom Stamme ber Abdsel-Wadit, einem in Ungnade ge:
fallenen Miniſter bes Sultans Abu-Yalub Aufnahme und
Saftfreundidaft, was für Letzteren Grund zur fofortigen
Kriegserklärung war. Nady einer eriten, fiebenmonatlichen
Belagerung zog er ſich zurüd, erſchien aber bald von Neuem,
um num acht ganze Jahre vor der feindlichen Stadt auszu—
halten. In feinem Heerlager ließ er fitr ſich einen Palaft
errichten, fowie eine Mojchee von ungewöhnlicyer Höhe.
Dann entftanden Mauern und in deren Schuge Häuſer,
Karawanferais, Hospitäler, kurz eine volllommiene, vollreiche
Stadt, derem großartige Reſte noch heute den Neifenden in
Erftaunen ſetzen.
Yints, d. h. im Süden, erheben ſich ſchroff die fonnen«
vergoldeten Felſen von YallasSetti, im Vordergrunde bie
31
242
alte Ringntauer mitihren vieredigen Thlirnten, aus geftampf:
ter Erde beftehend, von grauer Farbe, wenn fie im Schatten
kiegt, lichtgelb, wenn fie die Sonne beſcheint; im Hinter:
grunde das hohe zur Hälfte eingeſtürzte Minaret, und zur
rechten Hand dehnt fich weit nach Norden eine grline, von
duftigen Bergen umgrenzte Ebene aus. Ein fteiniger Pfad
führt zu der jet volltommen abgetragenen Moschee hinauf,
don deren Hofraume aus man mit einem Blicke die gefanm-
ten Mauern, welche 100 Hectaren Pandes einſchließen,
Uberſchaut. Diefelben find 12 Dieter body und 1 Meter
did. Merkwürdig ift, daß die Thlieme Feine Eingänge bee
figen: fie follen angeblid, als Vorrathslammern gedient
haben, zu denen man mitteljt Leitern hinauf und mitteljt
Seilen hinabftieg. Wie durch ein Wunder hält fich tas 38
— — — —
Fr —
wird es in der Umgegend von Telemſſen, in Brea, Hennaya,
Noögrier u. |. w., viel gebaut, trotz der Mühe, die es verur⸗
faht. Denn Scafale und Araber ftellen den Früchten
geich fehr nad) und namentlich die legteren find gefürchtete
iebe, weil fie in ihrer Gier mit der Traube gleich die ganze
Ranle abreißen. Sobald alfo eine ſolche fid der Weite
nähert, beeilt ſich der Befiger, fie auf dem Marlte zu ver:
taufen.
Ein Fußweg führt von Manſurah querfeldein nad den
Bergen von Yalla: Setti umd zwar zunächſt zu eimer Art
Höhlenftabt, die zwar gegenwärtig nicht mehr, wohl aber in
früberer Zeit bewohnt geweſen ift, wie darin gefundene
Gegenftände darthun. Farren, marcherlei Orchideen und
Compoſiten bebedien den Bergesabhang, der iumer fteiler
und jteiler anfteigt, bis man ſchließlich Metternd das Girab-
Umfaſſungsmauer von Manfnrab, (Mach ciner
Telemſſen in Algerien.
Dieter hohe Minarct nod) aufrecht; die eine Hälfte ift von
oben bis unten eingeftügzt. Ein Muſelmann und ein Jude
waren die Baumeifter ded Thurmes; aber Gott — fagt bie
Legende — fegnete wohl das Werk des Gläubigen, nicht aber
das des Juden, und legteres ftürzte eim.
Die alte Waflerleitung ift dagegen noch unverlegt und
liefert noch heutigen Tages den Bewohnern des Dorfes
Manfurah das nöthige Naß. Diefes Heine Dorf, eine baum
beichattete Straße, deren beide Enden durch ein Thor ger
ſchloſſen find, nimmt ſich wie ein Neft im Grünen aus.
eine 140 Bewohner haufen meift in elenden Hiitten; doch
giebt es dort aud) ein paar ſchöne Bauernhöfe und der Wein-
ſtock gedeiht ganz gut. Zwar fchmedt das Gewächs etwas
herbe, etwa wie die gewöhnlicen jpanifchen Weine; doch
—
N er; - ——
J Wahr air en
hotographie.)
mal des Yalla-Setti erreicht. Diefer Dann hat fich dadurch
verdient gemacht, daß er während ber Belagerung Telemſſens
eine Ziege mit Gerſte fütterte und fie ins feindliche Yager
hinitberjagte. Dort wurde biefelbe geſchlachtet, und als ſich
dabei zeigte, daß die Belagerten noch ſolchen Ueberfluß an
Vebentmitteln befigen mußten , um ihr Vieh mit Gerſte füt-
tern zu lönnen, verzweifelten die Belagerer — wie dies von
fo vielen Beten erzählt wird — an ihrem Erfolge und
zogen ab,
Bon oben bietet fich dem, welcher den rauhen Meg nicht
geſcheut hat, eime herrliche Ausſicht auf das von dichtem Yaube
rings umgebene Telemfjen, bie Dörfer in feiner Nähe und
die Straße nad; Oran, Eine halbe Stunde weiterhin hat
das Plateau ein Ende; dort zeigt der Travertin, aus welchem
es beſteht, merlwürdig geftaltete Ghrotten und Höhlen, an
deren Fuße ein Bach herab»
flürgt. Gemauerte Canäle
fangen fein Wafler auf und
leiten es Mühlen zu, bie
eine Über der andern an die
Berglehne angeklebt find und
deren mächtige Mäder den
Schaum bis auf den Weg
werfen. Dort geht man bei
dem „Mühlenthurme* vor:
bei, dem häßlichen Offiziere:
efängniffe, und erreicht über
—— wieder bie Stadt.
Das Klima von Te—
lemſſen zeichnet fid durch
ſchroffe Temperaturüber⸗
gänge in ben Jahreszeiten
ebenjo wie von einem Tage
zum andern, ja felbft an
einem und bemfelben Tage
ans. Beſonders befitt der
Sommer diefe Eigenfcaft.
Die Ertreme find? + 36"
und — 6° E,, alſo eine
Tenperaturdifferenzvon 42",
Regen fallen zahlreich; fie
beginnen im Allgemeinen im
Detober und dauern, von
ſchönem Wetter unterbrodjen,
bi in den Mai und Juni
hinein. Die Frühjahrsregen
und die felbft im Juli noch
ſich einftellenden ſehr häu«
figen Morgennebel verlei»
hen dem Pflanzenwuchſe eine
Dauerhaftigteit, welche im
Gegenſatze zu der Ditrre und
Trodenheit, die ringsum der
Begetation ſchon im Juni
Halt gebietet, den Fremden
uberraſcht.
Der Eiroffo weht nur
felten und dann höchſtens 2
oder 3 Tage lang; ebenſo
find Stürme zwar von gro-
Ber Heftigkeit, dabei aber von
furzer Dauer. Den Don-
ner hört man nur im Winter
und Frühjahre nach außer⸗
gewöhnlic, heißen Tagen,
In klimatiſcher Hinficht
iſt alfo Telemſſen ficher be:
vorzugt; allein ald Stadt ift
fie keineswegs ſchön, wenn
auch feit, der franzdfifchen
Befignahme im Jahre 1842
fit; Mandjes zum Beſſern
gewendet hat. Damals be-
land es aus lauter Ruinen
und ihre Straßen glichen
einem wahren Scindanger,
auf welchem Thiercadaver
in ber brennenden Sonne
fchmorten, weithin die Luft
mit Geftanf verpeftend, und
wo Jedermann jegliche Un⸗
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Telemſſen in Algerien.
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Thurm von Manſurah. (Mach einer Photographie.)
243
reinlichkeit hinwarf, deren er
ledig fein wollte. Das In⸗
nere der Hänfer glich dem
Zuftande der Straßen, Nies
mand dachte baran, die ver⸗
ftopften Abzugscanäle zu
reinigen, fo daß ſich ber
Inhalt der öffentlichen und
privaten Abtritte auf die
läge und Strafen, ja
jelbft in die Brunnen er-
goß. DObenan in Bezug auf
Schmuß fand das Juden ⸗
viertel.
Seitdem find einige Häu ·
fer gebaut worden, aber fie
find erbärmlich und jelten
über ein Stochwerl hoc):
denn Handarbeit ift theuer
und Gyps und Holz muß
man mit ſchweren Koſten von
Oran fommen laffen. Nod)
heute ift der Zuftand in ben
verfallenen Quartieren der
Eingeborenen fein ſehr er⸗
freulicher. Auf Schritt und
Tritt ftößt man auf wadelnde
Mauern und Ruinen. Drin-
nen fieht es eben fo traurig
aus: eine Matte, die als
Bett dient, ein bemalter Holz:
koffer (Sendut) voll Kleider
und Wöſche, zwei bis drei
iur Brian ein ir
denes Kohlenbecken und ein
paar hölzerne Schliffeln ma⸗
chen die geſammte Ausftat-
tung aus,
Unter den 18,722 Ein-
wohnern, welche die Stadt
1872 zählte, befanden ſich
10,091 Mohammedaner;
weitere 2700 leben in den
benachbarten Dörfern (Ain-
Buhadſchar, Ain > el: Hut,
Uſidan, Beni⸗Uaſen, Beni«
Meſter). Die Behauſungen
der Juden ſind zwar in
Hinſicht auf deren zahlloſe
Nachlommenſchaft zu eng,
immerhin aber beifer, aud)
in ihrer Ausftattung, ale
die der Mohammebaner, bes
ren Wohlftand itberhaupt im
Rüdgange begriffen ift. Bon
letzteren giebt e8 in Telemſſen
zwei grundverſchiedene, ja
einander feindliche Claſſen,
deren Wiberftreit der franzö⸗
ſiſchen Herrichaft einen nicht
zu unterfchägenden Rüdhalt
gab. Die einen find bie
Kulugli, melde von tür«
tiicdyen Vätern und arabifdjen
Müttern abftammen, vordem
arg verfolgt wurden und es
31*
Telemſſen in Algerien.
(gdwabogoggk aaun Pug) nallınapz,
TE Te ne mer —
F. Birgham: Zur Indianerfrage.
deshalb ftetd mit den fremden gehalten haben. Es find
hochgewachſene, kräftige Leute, die beffer und reinlicher als
ihre Gegner gelleidet find und fleißiger arbeiten, wie denn
auch die rings die Stadt umgebenden Gärten ihrer Aus:
dauer ihr Dafein verdanfen. Der Heine Handel ift in ihren
Händen; fie befigen gut gehende Kramläden, verkaufen billig,
fprechen Franzöſiſch und mitunter Spaniſch und machen als
Schlächter den Franzoſen und Spaniern eine ftarte Con»
currenz.
8 die Haddar, Araber von mütterlicher und väter
licher Seite, eine arme, herabgefommene, arbeitsfchene Menſchen⸗
clafje, Meiner von Geftalt, von bronzefarbigem Teint und
ſchwarzen Haaren, während die Kulugli hellfarben und häu«
fig blondhaarig find. Letztere ſetzen ihren Stolz darein, ihre
Häufer neu aufzuführen, fobald es ihnen nur ihre Mittel
erlauben.
Sehr zahlreich (3221) find die Juden, deren Vorfahren
fhon im ſehr früher Zeit, angeblich nad) Zerftörung des
Onias-Tempels in Alerandrien, vielfach in Telemſſen ſich
nieberließen. Andere folgten dann im flnfzehnten Jahr—
hundert nach und erhielten ihre Sige neben dem fditgenden
Gaftell Meſchuar angewiefen. Jetzt befitst dies Volk in der
Stadt drei Synagogen, beren eine mit einer berlihmten
Talmudſchule in Berbindung ſteht. Im Ganzen und Gro—
Gen geht es ihnen gut; fie alle haben Ausficht, zu Gelde zu
lommen, find intelligent und voller Saufmannsgeift, ſprechen
alle und fchreiben wenigftens zum Theil Franzöſiſch. Ihnen
ehören mreift bie europäifchen Käufer im der Stadt. Als
anblungsdiener, Commis und Schreiber bei Anwälten und
Gerichteboten jchlagen fie fic durch das Leben.
Als neuere Schöpfungen verdienen die Bibliothef und
das Mufeum genannt zu werben, welche beide im Gebäude
ber Mairie untergebracht find. Erſtere zählt 2200 Bände
und wird durch jährliche Geldbewilligungen des Stabtrathes
fortwährend vergrößert.
Den äuferften füböftlichen Winkel ber alten Stabt-
ummwallung nimmt das Negerdorf mit feiner Heinen Moſchee
ein. Der Weg, der dorthin führt, ift vom herrlichen Obft-
gärten eingefaßt, die gegen Ende März zwar noch kein Yaub
haben, aber von einem weiß umd rothen Blüthenmeere bedeckt
find. Wo heute das Negerdorf fteht, ftand einft Agadir,
die Wiege und der Vorgänger der Stadt Telemfjen. Nur
ein Minaret von einer Mofchee und ausgedehnte Ring«
mauern find von ber alten Stadt übrig geblieben, die im
Verhältniffe zum heutigen Orte allerdings Hein war. Der
Thurm ift vieredig und etiwa 40 Meter hoc); feine Verklei⸗
dung von glafirten Ziegeln hat er zwar verloren, ift aber
im Uebrigen ziemlich wohl erhalten, Seine dien Wände
enthalten zahlreiche Infchriftenfteine eingemauert, die längft
ſchon von kundiger Hand abgefcjrieben worden find; fein
plattes Dad; ift zugänglid, und gewährt eine hübſche Aus-
245
ficht, welche derjenigen von Manſurah gleicht, nur dag man
hier tiefer in dem Yaubwalde darin ſtedt, der ringsum bie
Stadt umgiebt. Das reichliche Quellwaſſer macht fie zu
einer Perle von Algerien: gering gerechnet fichen 50,000
Delbäume in ihrer Nähe. Ihre Gärten und Obftpflanzun«
gen nehmen 670 Hectaren ein, die Weinberge 254, bewäljerr
bares Yand 2111, Weiden 11,835; dazu befigt fie 84 grö-
Bere oder Hleinere Reſervoirs und 349 Kilometer an Be-
wäflerungsgräben, weldye unter Aufficht eines Syndicats
ftehen. In ganz Algerien giebt es feinen zweiten in ähn-
licher Weife bevorzugten Ort! Man glaubt es gern, daß
die Bewohner nichts fehnlicher wünſchen als eine Eiſenbahn ⸗
verbindung mit Oran, weldje ihren vegetabilifchen Reichthum
einen bequemen Abjat eröffnet. Feigen, Kirſchen, Birnen
gedeihen im folcher Dienge, dag man manches Mal, um ihrer
Herr zu werden, das Kleinvieh damit füttert. Veilchen
wachſen hier jo maflenhaft, daß der Marft von Oran damit
reichlich verfehen wird. Sträuße diefer reizenden Blumen,
bie im Paris oder Nizza 25 France foften wirden, find hier
umfonft zu haben, wenn man ſich nur biiden will; forgfältig
in Moos verpadt gehen fie um 3 Uhr Nachmittags von Te:
lemſſen ab und werben am folgenden Morgen in Oran verfauft.
In dem ſchon erwähnten „Bois de Boulogne* könnte
man fic in Europa wähnen, nicht im heigen Afrifa. Schäu-
mend nagt das Waſſer an den alten, mit Schlingpflanzen
fiberbedten Mauern, in deren Riſſen Feigenbäume und Tere:
binthen Wurzel gefaßt haben, Dichter Schatten, Beilden-
duft, ein grüner Moosteppich und das Naufchen eines fernen
Waflerfalles laffen den Fremden vergeffen, dag er in Algerien
weilt. Bald aber tritt man auf eine Feine, von riefigen
Terebinthen befchattete und mit violetten Iriablumen bededte
fläche, einen geweiheten Raum: es ift die „Ebene der finder-
lojen rauen“, Mitunter fann man dort eine lange Reihe
weißer Geftalten jehen: es find Frauen, die zu dem Grabe
des Heiligen Sidi⸗Yakub wallfahrten und ihm um Frucht
barfeit auflehen. Sonderbarer Weife hat eine jede flinf,
ſechs Kinder bei fic, jo daß man glauben muß, daß fie ein
fiebentes erfehnen.
Bier folder Marabuts oder Heiligengräber giebt es in,
Telemfien. Sidi-Makub (d. i. Herr Jalob), ber bei Juden
wie bei Mohammebanern in gleich hohem Anſehen ftcht,
befindet fich noch im gutem, baulichem Zuftande; Sidi-Auheb
liegt in Ruinen, Neben dem erflern bemerft man Kreiſe
aus loſe anfgehäuften Steinen : das find Heilige Stellen, wo
Sidi-Yalub einzelnen Gläubigen erſchienen ift und wo an
beftinimten Tagen der Wächter des Marabut mit Weihraud)
beftreute, glühende Kohlen umherträgt. Es muß auffallen,
daß die Juden bei all ihrem Kinderreichthume und trog des
Widerſpruchs der Mohammedaner Zutritt zum Grabe Sidi-
VYalub's zu erlangen fuchen. Wurde doch unlängft der
Streit fo heftig, daß die Behörden einfchreiten mußten !
Zur Indianerfrage
Von F. Birgham.
Wenn nicht alle Anzeichen trügen, ſteht im Weſten der
nordameritaniſchen Union wieder ein größerer Indianerkrieg
bevor. Wenn ſich auch Gerüchte dieſer Art faſt jedes Fruh—
jahr erheben, ſobald genligendes Gras für die indianiſchen
Ponies vorhanden iſt, ſo haben ſich doch die bedrohlichen
Anzeichen eines bevorſtehenden Ausbruchs im jüngfter Zeit
fo bedeutend gehäuft, daß ein Zufammentreffen der Roth—
hänte mit den Regierungstruppen binnen Kurzem ftattfinden
muß. Als Haupt der feindlichen Bewegung gilt der junge
Sion + Häuptling „Sitting Bull of the North“ , defjen
246
Bande aus mehreren Hundert meiftens wegen fchwerer Ber:
brechen geächteter Krieger verjchiedener Siour-Stämme be:
ſteht, die ſich weigern, auf irgend eine Reſervation zu font-
men, und bereitö feit einiger Zeit ihr blutiges Weſen in der
Gegend der Black Hills treiben. Dort haben ſie ſchon in
der Nähe der Forts Peafe bei einem Ungriff auf eime
Truppenabtheilung zwei Soldaten getödtet und flnf verwun⸗
det, auch eine Streifpartie von neun Mann von Fort abge»
ſchnitten, jo daß man ohne fchleunige Hülfe die Uebermäl-
tigung der ganzen Garniſon befürchten muß. Auch der
befannte Siour-Hänptling „Red Cloud“ (Rothe Wolte),
ben die Befigergreifung feiner Refervation in den erjhaltigen
Blad Hills, die er Im abzutreten weigerte, durch Gold»
ſucher und die darauf folgende Entzichung der Regierungs—
F. Birgham: Zur Indianerfrage.
rationen tief erbittert haben, ift mit mehreren humbert Krie—
gern nach Norden abgezogen, um ſich mit Sitting Bull zu
bereinigen, indem er erklärte, er wolle lieber auf bem Kriegs-
pfabe Sterben, als auf der Refervation verhungern, fo daß
die Goldgräberlager ſich in die äußerfte Gefahr von Ueber-
fällen verfegt fehen. Auch von Omaha kommen beflimmte
Nachrichten, daß die Stours, Cheyennes und Arapahoe-In«
dianer ſich feit Yangem auf einen Aufſtand vorbereiten und
zu dieſem Zwede Waffen und Munition faufen, wo fie dies
felben nur erhalten fünnen, und dazu fogar ſüdwärts bis
zum Indian Territory vorgebrungen find, Es ift allgemein
befannt, daß die beften Krieger die Agenturen verlaflen ha⸗
ben und in den Big-Horu⸗ VPowder⸗ und Tongue-Rivers
Gegenden an ben Grenzen der Territorien Wyoming, Dafota
Bannack- Krieger.
und Montana ihre Kräfte unter Sitting Bull und Red
Cloud zum Betreten des Kriegspfades vereinigen. Auf den
Agenturen und Refervationen find nur Kranfe, Greife,
Weiber und Kinder zuriidgeblieben. Am meiften ift man
um die Orenzanfiebelungen beforgt, an denen die aufftändis
ſchen Rothhäute zuerft ihre Greuelthaten zu verüben fuchen
werden, Daß ihre Ueberwältigung das freilich mit großen
Opfern an Blut und Gelb’ verbundene Endrefultat fein
wird, unterliegt um fo weniger Zweifel, als das dortige
Terrain viel glinftiger für Iruppenbervegungen ift, ald die
unnahbaren Yavafelder des legten Modockrieges. Bereits
iſt eine Abtheilung von 2000 Mann der Truppen der Vereinig⸗
ten Staaten nad) dem zufünftigen Kriegsſchauplatz abgegan+
gen. Der Commander des Platte-Departements, General
Sroof, der bekannte Züchtiger der wilden Apaches in Neur
mierico, ift vom fort Yaramie am Platteflufle, nördlich
von Cheyenne an der Pacifichahn mit fünf Compagnien des
dritten Gavallerieregiments nach Norden abgezogen, während
der ebenfalls als tüchtiger Indianerbefämpfer befannte Ge—
neral Cuſter mit ſechs Compagnien des 7. Cavallerieregi-
ments Fort Lincoln verlafien hat. Beide Generäle werben
ihre Streitkräfte in der Nellowftone- und Powder · River
Gegend weſtlich von den Blad Hills und gegen 150 engl.
Meilen öftlid, vom BigsHorn-Gebirge vereinigen, um bort
Eitting Bull's Bande, deren Stärke verfchiedentlich auf 600
bis 1500 Krieger gefhägt wird, anzugreifen. Sollte bie
Cavalleriemacht nicht ftart genug fein, jo werden Infanterie
verftärfungen aus den Forts herbeigezogen werben.
Aber auch in einer andern Gegend droht eim bfutiger
Aufftand der ungufriedenen Stämme. Die Ute-Iubdianer,
F. Birgham: Zur Indianerfrage.
die im ſudweſtlichen Theile Golorados leben, traten durch
den fogenannten Brunot-Bertrag eine große Strede ihres
Landes an die Bundesregierung ab. Es ift dies eine vom
San-JuansiFluffe bewäſſerte, äußerft ſchöne und fruchtbare
Gegend, deren Reichthum an edlen Metallen fofort eine
ftarfe Einwanderung von Goldſuchern verurſachte. Die
Entfhädigung der vothen Befiger wurde auf jährlich
25,000 Dollars feftgefegt, die nadı Wunſch des Stanımes
zum Bortheil defielben angelegt werden ſollten. Obgleich
nun diefer Bertrag vor zwei Jahren abgeichlofien wurde,
und das Land jegt voller Goldgräber, Grenzſtädte und
Minendörfer iſt, haben doch die Iudianer foweit feinen Cent
der Kaufſumme erhalten und zwar aus dem einfachen
Grunde, weil der Congreß die Veftätigung des Bertrags
5*
Waſhington*“ um Hilfe wenden mitflen. Dagegen iſt das
indianiſche Burcan machtlos, ihmen beizuftehen, da ed aus
obigen Gründen Über feine Deittel zu ihrer Unterftiyung
verfügen kann, fo daß es kein auderes Hilfsmittel als die
directe Bitte an den Congreß giebt, deſſen Entſcheidung ab«
zumarten bleibt.
Mittlerweile iſt es bereits auch im Judiau Territory zu
einem blutigen Zufammenftoße gefommen. Bon einer Rand)
35 Meilen füdlid) von Camp Supply wurden 50 Stüd
Vieh von einem Streifzug DfagerInbianer geraubt, Der
den Poften commandirende Major ſaudte gleidy einen Yieute-
nant mit 150 Mann des 5. Cavallerieregimentd zur Ber:
folgung nach, und gelang es den Truppen auch, die Räuber
am fechöten Tage einzuholen. Das Lager derfelben war
halb in hohem Graſe verborgen, während die Ponies auf
247
verweigert hat, fo daß auch Hier ein Racenkrieg wahrfcheinlich
ift und nur mod) von dem Entſchluſſe des einflußreichen
Ute-Häuptlings Uhelay bei Los Pinos abzuhängen ſcheint.
Auch, anderswo finden mir Beweife für die Verwidelt-
heit der Inbianerfrage. In Wajhington befindet ſich augen:
blicllich eine Geſandiſchaft von acht Chippewa⸗Hüäuptlingen,
deren 2000 bis 3000 Köpfe ſtarler Stamm im Norden
des Territoriums Dakota, nahe der britifchen Grenze, lebt.
Derfelbe hat nie einen Vertrag mit der Megierung gehabt
und demzufolge weder je eine Reſervation oder irgend eine
Unterftügung erhalten. Seine Mitglieder haben ſich bisher
von Jagd und Fiſchfang ernährt, fehen ſich aber durch den
biesjägrigen Mangel an Wild von einer fichern Hungers—
noth bedroht, fo daß fie fi an dem „großen Bater in
RER, urn
Banıad » Indianer,
einer nahen Anhöhe weibeten. Unter Dedung eines leichten
Nebels gelang e8 den Truppen zu Fuß die Imdianer zu
Uberraſchen und in bem ſich entfpinneuden Kampfe drei ders
felben zu tödten und viele zu verwunden, worauf die Uebri-
gen ſich in wilder Flucht zerfiventen. Cine alte Squaw
blieb allein im Lager zurüd, das miebergebrannt wurde,
Das geraubte Vich war ſchon vor dem Ueberfall geichlachtet
worden, doch fielen 35 ber indianifchen Ponies in die Hände
der Truppen. Uebrigens ift die Aufnahme des 68,000
engl. Quabratmeilen großen Indian Territorg mit feinen
80,000 indianifchen Bewohnern 30 bis 40 verfchiedener
Stämme (meiftend Cherolees und Choftaws) ala Oflahoma-
Territorium in den Staatenverbanb angeregt worden,
Der oben erwähnte General Cuſter hat kurzlich feine
Anſichten über die Indianerfrage ausgefprocden. Seiner
248
Meinung nach befteht der Grundfehler der bisherigen Politik
darin, daß die Rothhäute als feparates Bolt, als „Nationen“,
behandelt werden, mit denen Verträge wie mit einer frems
den unabhängigen Macht abgejchloffen werben. Daß große
Streden reihen, culturfähigen oder erzhaltigen Landes abge
trennt und wilden Indianern zur Verfügung geftellt werden,
ift nach feiner Anficht ein gleicher Mißgriff, dev bisher mur
zu Deigbräuchen der ſchlimniſten Art, zu Raub, Mord, Krieg
und zur Verſchwendung von Millionen Dollars geführt hat,
Dies mühe aufhören, das indianifche Bureau abgejchafft
und die Verwaltung der Indianerangelegenheiten der Armee
übergeben werden, Man lafle ihnen diefelbe Behandlung
wie Weißen und Schwarzen zufommen, halte fie innerhalb
eines cioilifivenden Einfluffes feit, erziehe und beſchütze fie
und lehre ihnen, das Geſetz zu ehren und ihr Brot zu ver
dienen. Dies fei die einzige befriedigende Yöfung der In—
bianerfrage,
Der erfte Anftoß zu einer folhen ift nun auch durch den
Geſetzentwurf des Secretärs des Innern gegeben, welcher
bie bisherige Aufficht der in den Staaten Neuyork (in den
Grafſchaften Cattaraugas, Geneffee und Niagara), Nord—
carolina, Michigan, Dinnefota und Jowa lebenden, völlig
civiliſirten Indianer von der Bundesregierung auf die Re—
gierungen ber genannten Staaten übertragen will, indem
diefe Indianer jolche Hortfchritte in der Cultur gemacht ha«
ben, daß fie im Stande find, ſich felbftändig zu erhalten,
und ed demnach Hug und gerecht erfcheint, ihnen die Aufficht
und Vormundſchaft der Bundesregierung abzunehmen und
ihnen alle Rechte und Privilegien als Bürger der Staaten
zu gewähren, in denen fie anfällig find. Ihre Nefervationen
fowie die vom Congreß auf Grund der Berträge zugeftande-
nen Gelder follen ebenfalls den Staaten übergeben, aber
ausſchließlich zum Beſten der betreffenden Stämme veräußert |
Emil Schlagintweit: Die englifchen Himalaya-Befigungen.
ober verausgabt werden. Auf die in den Staaten Kanfas,
Nebrasfa und Teras auf Refervationen lebenden noch wil«
den Indianer kann freilic, diefe Mafregel noch nidyt An:
wendung finden. Natürlich muß vorher die Zuſtinmung
obiger ſechs Staaten erlangt werden; der Vorſchlag ift be»
reits den verſchiedenen Couverneuren zugegangen. Auch
würde der Bundesregierung felbft eine große Erſparniß
durch die diefer Uebertragung folgende Abſchaffung mehrerer
Indianeragenten (devem augenblidlich 83 auf den Liften bes
Minifteriums des Innern ftehen) erwachſen. Wie gejagt,
erſcheint die Durchflihrung diefer Maßregel ald annähernd
befriedigende Yöjung der quälenden Indianerfrage. Wenn
die wilden Stämme durch gezwungenen Aufenthalt auf Res
fervationen in ein bis zwei Generationen mitteft Aderbau
und friedlicher Beichäftigungen * und civilifirt worden
find, kann die Regierung fie ihrer Aufficht entlaffen und den
Staaten die neuen Blirger libergeben.
[Zu erwähnen ift noch, daß binnen Kurzem in Wafhing:
ton der ethnographifche Theil der Arbeiten erfcheinen wird,
weldye die unferen Lefern wohlbetannten Hayden’fchen
Expeditionen (ſ. „Globus“ XXVII, ©.289, 305, 321 und
337, und XXVIII, ©. 65, 81 und 97) in ben Felſenge⸗
birgen ausgeführt haben. Faſt 1000 Driginalphotographien
von Indianertgpen, beren Herftellung der englifche Reiſende
W. Blackmore angeregt hat, geben diefer Publication einen
großen Werth. Derfelben Erpebition find auch die oben beige-
fügten vier Typen von Kriegern des Bannadftammes zu
verbanfen, welcher mit den Shofhones zufammen in den Felſen⸗
ebirgen zwei Refervationen inne hat, eine in Idaho im
uellgebiete des Snake River, die andere in Wyoming in
‚ demjenigen des Bighorn und Platte River (vergl. die Karte
der Indianerrefervationen „Slobus“ XXVI, Nro. 15), Neb.]
Die englifhen Himalaya-Beſitzungen.
Von Emil Schlagintweit.
u
I.
Die Duns, Bhabar und Tarai*).
Die Kämme des Hauptgebirges fallen fteil zur indischen |
Ebene ab; durchfchnittlich find beim Anftieg auf deu Kilos
meter Entfernung 140 Meter Steigung zu überwinden, |
Vor diefen Ausläufern des Gebirges dehnen fich von Ger
röll angefüllte und von Walbdidicht beftandene Thäler von |
einigen Kilometern Breite an der Thalfohle und 30 bis 60 |
Kilometer Yänge aus, im mittlern und weftlichen Himalaya
Duns (Thal) oder Mari genannt, die den Duars bes
Dften entſprechen. Die von einem Bade bewäfjerte und
vielfach verfumpfte Thalſohle liegt im Mittel 750 Meter
hoch über dem Deere und ift der Richtung des Hauptgebirs
ges parallel von NW, nad) SD, gerichtet. Gegen Süden
find diefe Thäler von Sandſteinſchichten abgeichloflen, die
ſtellenweiſe vollftändige Ketten bilden mit Gipfeln von
1000 Meter Dieereshöhe. Bor diefen Eandfteinhügeln,
die gleichfalls in der Richtung des Hauptgebirges ftreichen,
breitet fi ein mit Urmwäldern bededtes Hügelland aus,
+) &, bie früberen Artifel des „Slobus” Br.2H, S. 234 u. 248.
Bhabar (Bhaver) genannt, das anfangs ein Plateau bil»
det, bann 2 bis 3, fpäter durchſchnittlich 10 Meter auf den
Kilometer Fall hat, Hier find längs der Yanderhöhungen,
die ſich zwiſchen den Flüffen ausbreiten, die koloſſalen Rolls
ftüce abgelagert, welche die Bergftröme aus dem Innern des
Gebirges herabbradten, und die Trümmer aufgehäuft,
welche unter dem Einfluſſe gewaltiger fubtropifcher Regen
von den Bergen abbrödelten. Des poröfen Untergrundes
wegen fehlen dem untern Theile Quellen, Brunnen fördern
Waſſer erſt aus großer Tiefe; daflir bewäflern zahlreiche
Flüffe, die von den niederen Abhängen des Himalaya herab:
fommen, bieje Scutthalden. Die Fluſſe find noch Mare
Bergftröme, deren Waffer oft wilbtofend daherfommen ; bald
erreichen fie fanft geneigten Geröllboden, Einige Hügel»
reihen, die gleidy den Sandſteinſchichten in der Richtung des
Hauptgebirges verlaufen, fperren ihren Yauf; die Fluſſe er-
weitern ſich dahinter zu breiten Teichen und bededen weite
Streden Yandes mit Waller, Diefe Yagunen trocknen in
der heißen Jahreszeit aus; zahlreiche Rinnfale zeigen dann
Emil Schlagintweit: Die engliihen Himalaha-Beſitzungen.
die Ausbreitung des Fluſſes bei hohem Wafferftande an.
Durchſiclerung liefert ausreichende Feuchtigkeit, bis hart un«
ter die Oberfläche ift der Boden mit Wafler getränft, Diefe
große Bodenfeuchtigkeit treibt im Verbindung mit hoher Luft:
temperatur eine Vegetation von tropifcher Ueppigteit, macht
aber zugleich den Aufenthalt für Menfchen ungefund und
nur jenen wenigen rohen Stämmen möglich, bie acclimatifirt
find. Das ftehende Waſſer verurfacht beim Genuſſe nahezu
mit Beftimmtheit Diygenterte, und der Schauber, der einem
vollen Trunte folgt, artet in Fieber aus. Diefe gegen bie
Ebene fanft geneigte Niederung in einer durchſchnittlichen
Höhe von 200 Meter Über dem Meere ift die Tarai
(Zarijani). Im vorhiftorifcher Zeit muß an der Stelle der
Tarai ein meerähnlicyer See beftanden haben, aus welchem
feftes Yand in der Form vom Inſeln hervorragte. Im
ganzen Sidrand (Des oder gerodeted Land genannt) der
arai und weit darliber hinaus flößt man in ber Tiefe von
8 bis 6 Meter auf eim dickes Lager feinen Sandes ver-
mengt mit Kies und Sußwaflermujcheln; im Diftrict Kheri
der Provinz Audh kommen beim Graben von Brummen
vegelmäßig große abgerundete Nollftücte hervor, wie man fie
gegenwärtig im Flußbette der Gießbache erft 40 Kilometer
nördlicher antrifft. Jetzt fehlt es an einer Einſenkun
welche die Wafjer des Himalaya und ihre Ablagerungen ze
nehmen könnte, und jo wurde die Zone am Fuße des Ge—
birges ungefundes Sumpfland.
Die größte Breite hat die Tarai längs Nepal, der größ-
ten Erhebung gegenüber ; fie erreicht hier bis zu 50 Silo
meter und nimmt an beiden Seiten bin ab. Im Dften
findet fie ihr Ende bei Goalpara in Folge des beſſern Ab-
fluffes der Gewäſſer in das nahe Flußbett des mächtigen
Brahmaputra und der geringen Menge atmoſphäriſcher
Nieberfchläge, im Weften erftredt fid) das Salzgebirge
von den Vorbergen von Kabul her bis an den Dichilamfluß.
Die Temperatur ift im der Tarai bedeutend niedriger
als in der angrenzenden imbiichen Tiefebene; abfteigende
Luftftröme, welche längs der Thäler austreten und bie jtarfe
Ausbreitung dichten Unterholzes, das den Boden kühl erhält,
find die Urfaden. Das Klima bewahrt jedoch indischen
Charakter noch in ben Dune. Hier ift die fühle Jahreszeit
(December bis mit Februar) fehr erfrifchend, felbft kalt,
Schneefall ift unbedeutend, die Regenmenge gering. Im
Frühjahre, der heißen Jahreszeit der Ebene (März bie mit
Mai), nimmt die Temperatur raſch zu und wirb zeitweife
drüdend heiß; fo zeigt Dehra Dun in 693 Meter Höhe
mit einer ducchfchnittlichen Jahrestemperatur von 21,2° C.
und 125 Millimeter wäſſeriger Niederfchläge im Mai
Maxima von 32,2°C, (wo man in der Ebene 37%. hat).
Der Regenfall ift ftarl. Die Stationen in den Vorbergen
gr beöwegen den Aerzten nur als theilweife —*8
urorte (semi-hill stations); ſchon Höhen von 400 bis
500 Meter find jedoch; ber Conftitution der Europäer be-
deutend zuträglicher, als die Ebenen; die Orte Haldwani und
Kaladungi von 457 beziehungsweife 426 Meter Höhe haben
während des Aufftandes von 1857 vielen Soldaten wieder
ihre Kräfte zurlicgegeben , und die feither gemachten Erfahs
rungen lauten fo günftig, daß die Regierung 1875 befchloß,
an allen geeigneten Punkten längs des ganzen Nordrandes
von Bindoftan Feine Heconvalefcentenpoften einzurichten,
wo immer die erforderlichen Febensmittel Leicht befchafft wer
den fönnen. Die Regenzeit (Juni bis mit Auguſt) zeigt
weniger Regentage ald in der Ebene; erfriſchend und ziem⸗
lich frei von heftigen Stürmen iſt der Herbſt.
Der Boden iſt im Des, dem Rande der Tarai, ertrag⸗
fähig und wird von Jahr zu Jahr mehr angebaut. Dann
folgt ein Strich fandigen Bodens mit einer fehr dünnen
@lobus XXIX. Nr, 16.
249
Rofendede; höher hinauf wird der Sand bis zu dreigehn
Theilen mit Thon gemischt ; im Bhabar« Gebiete ift der Ader-
boben fruchtbar, und äußerft ertragreich wird die Humusſchicht
in den Duns, wo Thon mit Kiejelerde in richtigem Verhäli—
niffe gemifcht ift; bie Felder liegen hier terraffenförmig über
einander, Im den Des find 25 Procent, in ber innern
Tarai 73, in ben Bhabar-Vorbergen 89, in den Duns bis
zu 78 Procent ber Bodenfläche einer Gultur unfähig; die
angebaute Fläche zahlt in ben Des bis zu 1 Mark 80 Pfennig,
in der innern Tarai mir 24 bis 50 Pfennig, in den Duns
2 Mark 30 Pfennig Grundſteuer. Waldungen bededen
alle Abhänge. In der Tarai herrfcht Niederwald vor; dar⸗
and ragen Fräftige Eremplare Schiſcham (Dalbergia Sissu),
Kher (Acacia eatechu), Tifoi(Nauclen candifolia) hervor;
das Holz ber erftern wird im den großen Artillerieiwerkjtätten
zu Fatigarh am Ganges ftark verarbeitet. Im Gebiet der
Bhabar-Hligel herrfcht neben diefen Bäumen Sal (Shoren
robusta) vor ; Palmen find felten ; foloffal find die Bambus»
rohre, eine Zierde große Farrenbäume, beide treten vornehm-
lich am Nordrande auf, In den Duns find Goniferen, un-
ter den Laubbäumen Akazie und Deodara vorherrſchend.
Den Holgbeftänden fügen großen Schaden die Hirten zu,
nicht bloß durch Eintreiben zahlreicher Büffelherden, fondern
noch mehr durch ihre Umvorfichtigleit im Anzlinden von
Feuer, das in ber heißen Jahreszeit leicht große Streden
des ſchönſten Waldes vernichtet; die Forſtverwaltung ift
eifrig beftrebt, dem Mißſtande abzuhelfen. Rodung erfordert
viel Arbeit.
Aderbau wird durch reiche Ernten nur da gelohnt, wo
die Mühe künftlicher Bewäſſerung nicht gefchent wird. Die
Bevölferung ber Tarai ift hierin beifpiellos jorglos. Sid)
felbft überlaffen bringt der Tarai-Boden in den Niederungen
längs der Gebirgsfläffe ein langes Gras hervor, bad im
April jeden Jahres abgebrannt wird um den jungen Chöß-
lingen Raum zu ſchaffen, die dem Sumpfvieh zur Nahrung
dienen. Die Wanderftämme pflügen einige Stellen roh um
und fäen Getreide hinein; anders die Coloniften, bie hier
jest regelmäßig in ber falten Jahreszeit von der Ebene cins
wandern, ausgedehnte Felder mit Reis, Weizen und Getreide
bejtellen, und Taufende von Rinbviehftüden eintreiben; die
beiten Weiden und Adergründe Liegen am Südrande, wo bie
Moräfte und Waflertimpel alimälig verfchwinden und bie
Tarai im die Gulturebene übergeht. Aehnliche Culturen
hatten auch in uralter Zeit beftanden; zahlreich ſind im ber
mittlern Tarai die Ruinen fteinerner Häufer und von
Brunneneinfaffungen; ſchon im 4. Jahrhundert n. Chr. Geb.
fand jedoch der chineſiſche Pilger Fa-Hian den Anbau in
Nord-Behar im Rüdgang begriffen. Nepaleſiſche Händler
bringen jührlich Tarai-Keis im Werthe von 1 bie 2 Mil-
lionen Dart in Patna zu Markt; im nördlichen Theil der
Nordweftprovinzen lieferte 1861 die Tarai das futter, als
dies im der Ebene wegen Dürre völlig mißrathen war,
Der Bhabar-Stric ift der Au en wegen kein Coloni⸗
fationsgebiet, wurde aber in neueſter Zeit rg die Korn⸗
fammer für das dahinter ſich ausbreitende Gebirge und
Hauptbezugsquelle für Cerealien der britifchen Geſundheits⸗
ftationen Nainital und Ranilhet. Gebirgsbewohner fteigen
in der falten Jahreszeit hinab und kehren im Mai mit dem
dann fchon reifen richten wieder in ihre Heimath zurück.
Das Wafler der Bergftröme wird durch Canäle über bie
Felder vertheilt; he die Neuheit der Cultur wurde bie
Erlafjung wie Einhaltung von Wäflerungsordnungen er-
leichtert, woran es jonft in Indien fehlt, und die englifchen
Beamten halten darauf, daß die Werke jährlich erweitert
werden. Außerorbentlic, fruchtbar find die Thäler ber Duns;
hier werben doppelte Ernten erzielt; im engliſchen Gebiete
32
250
wurde der Anbau der Theeſtaude eingeführt; er gewann hier
jedoch geringe Ausdehnung , weil die Lagen nördlich davon
ebenfo gute Ernte liefern und im Klima dem Guropäer bej-
fer zufagen.
Die Bevölkerung ift dicht im Des-Theile der Tarai
wie in einem Theile der Duns und beziffert hier durch—
ſchnittlich 70 Menſchen auf den Uuadratfilometer; dagegen
fonmıt die Tarai mit 30 Einwohnern auf den Quadratlilo—
meter gleich den Thälern im innern Himalaya; der Bhabars
Strich erhebt fid) über die Tarai an Dichtigfeit und mähert
ſich jener der Duns. Die Bevölferung fist fohin überall
fo zahlreid) wie im den gefegnetiten Thälern am Stdrande
der Alpen. Bolkreiche Dörfer und Städte giebt es am Rande
der Tarai; in den Nordweftprovinzen zählt Kafipur 13,221,
Dſchaspur 6753 Einwohner; in den Duns Dehra oder
Dihrah, Hauptort des Diftvietes Defra Dun, 7316 Ein:
wohner. Der Race nad) wiegen unter der Bevöllerung die
vorarifchen Bewohner Hindoftans vor; fie find ber Wehr:
zahl nad) hindwifirt, nur in der weſtlichen Tarat findet unter
einzelnen Stämmen ftrenge Abfonderung von den Hindus
der Ebene ftatt. Die Stammeseigenthünmlichleiten haben fich
ftrenge bewahrt bei den Tharus; fie zählen 42,947 Köpfe
und find nur in der Tarai anzutreffen von Hardivar amt
Ganges bis zur Tifta, die von Sikfim herablonmt. Im
Aeußern erinnern fie an Mongolen; ihre Sprache zeigt mit
feinem ariſchen Dialefte Verwandtſchaft. Der Tharu iſt
tatkräftig und vol Muth, aber von gutmuthigem Charat-
ter, friedliebend und arbeitfan. Sie helfen fid) in den lands
wiethichaftlichen Arbeiten aus und erledigen friedlich alle Ger
ichäfte, die das Leben im Dorfe mit ſich bringt. Die Weiber
find nicht verweichlicht und unterftügen die Männer in der
Feldarbeit; fie find in hohem Grade zlichtig, dabei aber fret
von der Zurückhaltung der Hindufrauen. Ihre Sitten find
denen dev Hindus ganz entgegengefegt ; fie eſſen Fleiſch, ja
ſelbſt folches von gefallenen Thieren; fie trinken Spirituofen,
find ausgezeichnete Jäger und leben in Hltten aus Flecht
werk und Gras. Der Verheirathung geht feine Verlobung
voraus, fein Brafhmane * fie, fie wird zu jeder Jahres⸗
zeit eingegangen. Ihre Religion ift — eine Furcht
vor böſen Geiſtern, der Gegenſtand ihrer Verehrung als
übernatürlices Weſen ein Stuck Holz, das vor der Thür
der Hlitte in der Nifche eines Erdhügels aufgeftellt wird;
vor dieſem Holze legen fie ihre Todten nieder und die Be:
gräbnißfeier bejtcht in Gebeten am die Gottheit, fie möge
vom Haufe bie Geifter und vom Felde die wilden Thiere
fernhalten. Mehr den Hindus nähern ſich die Tharu der
weftlichen Diftricte; fie verehren Hindu-Gottheiten, bedienen
fi) einer dem Sanskrit nachgebildeten Schrift und fondern
ſich in ſechs Hanptelaflen, von denen einige fogar den heilis
gen Strid tragen. Hinduifirt find die Bandidaras,
ein volfreicher Stamm, der über das ganze nördliche Hins
doftan verbreitet ift und fich bald Hindu, bald Muffalman
nennt; fie nehmen jeden Indier in ihre Gemeinfchaft auf
und widmen fid) in der Tarai vornehmlich, der Viehzucht,
während ihre Genoſſen in der Ebene über ganz Indien mit
Lebensmitteln und Kurzwaaren hauſiren gehen. Den Hindus
gelten diefe Bandſcharas als die ſchlimmſten Zauberer; die-
fer Furcht verdanlte Nord-Audh 1857, daß es von Maros
deurs der rebellivenden Armee gemieden wurde. Hindus der
höheren Kaflen find in der Tarai felten, dagegen haben ſich
Indier verſchiedener veradhteter Kaften in der äußern Tarai
ald Aderbauer angefiedelt. — Die Bewohner der Bhabar-
Vorberge lieben es, fic den Gebirgsftännmen im Norden
zuguzählen, zeigen aber durch ihre dunkle Hautfarbe, Heine
Figur, hohe Stirn und breite Backenknochen fowie durch
ihren Dialekt, in dem Hindu-Worte mit Theilen ihrer alten
Emil Schlagintweit: Die engliihen Himalaya-Befikungen.
Sprache zu einem barbarifchen Patois gemengt find, daß
fie der nichtariſchen, fpeciell der Tarai-Bevölferung, zuzu⸗
rechnen find und dem dravidiſchen Volksſtamme angehören,
Sie find weiter in der Cultur vorgefchritten als ihre Tarai—
Nachbaren und zählen tüchtige Handwerker unter fi; ihre
Häufer find aus unbehauenen Steinen gefligt, mit Mörtel
beworfen und langem Gras oder Schilf eingebedt; gegen
Dften haben fie meift eine Meine Veranda. Ihre Religion
ift den Hindus entlehnt; eben fo find diefen ihre Sitten nach—
geahmt. Den Duns waren die Brahmanen von Norden
her durch die Fürſten von Garwhal — worden;
von dort lamen auch die zahlreichen Gebirgs-Radſchputs,
die hier den Ton angeben, eine Miſchrace aus Hindus und
Khas oder Gorlha, einem tibetifchen Bolfe (f. im mächften
Artikel Kamaon). Unter der englifchen Herrſchaft madjte
bie Hinduifirung raſche Fortſchritte, weil ſich die Zahl der
Hindus niederer Kafte mehrte, die in der Bebauung des
neuumgebrochenen Yandes oder als Diener der Europäer,
deren es im Diftricte Dehra Dun 1872 1061 gab, ihren
Berdienft fanden.
Die Großmogule mieden die Tarai ihrer Fieberluft we-
gen, in die Händel der nördlichen Gebirgsftaaten mifchten
fie ſich nicht gern ein; dafür war das culturfähige Yand der
Tarai Rücdzugsort für zahlreiche —— die dort vor den
Bedruickungen der Herrſcher im nördlichen Kamaon wie im füb-
lid, vorliegenden Rohilland Schug fuchten. Unter der eng:
lichen Berwaltung wurde das Gebirge durch mehrere Straßen-
züge aufgefchlofjen. Im Often ift Bareli (160 Meter Über dem
Deere) Knotenpunkt der von Süden heraufziehenden Chaufs
feen. Bon bier zieht cin Strang über Pilibhit (in 192
Meter Höhe) und gabelt hier; rechts geht der Weg nad)
Brimdeo (Burmdeo) an der Örenze von Nepal, einer Ger
fundpeitsftation für die Truppen in Audh und am mittlern
Ganges, links über Kilpuri nad) Nainital in 1950 Meter
Höhe, dem Mittelpunfte für die im öſtlichen Kamaon an=
geliedelten Europäer. Welter als diefe Straße ift der directe
Weg von Bareli nördlich nad, Nainita. Das weftliche
Strafenneg hat Moradabad (199,5 Meter hoch) zum Auss
gangspunft und geht rechts über Bazpır nad) Nainital,
lints itber Kaſchipur nad) Ranilhet (1831 Meter hoch).
In der Yandesverwaltung ift den Beantten für Tarai
und die Bhabar-Vorberge größere freiheit gewährt als in
den Duns; dort wurden auch diejenigen familien, die ſich
angeblich auf Grund von Belehrung Seitens der Herrfcher
von Kamaon im Befige einer gewilfen Gerichtsbarleit bes
fanden, darim belaffen ; diefe voltsthitmlichen Riügegerichte,
die bei der Devölferung in hohem Anfehen ftehen, erfennen
für unehrenhafte Handlungen auch etliche Streiche mit einem
naffen Tuce, Große AUnftrengungen erforderte es, der Heh—
lerei von geftohlenem Vieh ein Ende zu madyen; Diebftahl
und Eintreiben der geftohlenen Thiere in die Weiden ber
Tarai war lohnender Erwerbözweig verfchiedener Stänme
und Kaften gewefen, Der Diſtriet Dehra Dun ift feit
dem Geſetz 21 von 1871 regulirt, womit in Indien ein
englifchen Einrichtungen nachgebildetes Gerichtsverfahten ein-
geführt wird unter Ausſcheidung eng in Civils
fachen und ſchwereren Berbrechensfällen von der Competenz
ber VBerwaltungsbehörden.
Einigermaßen weltbefannt wurde Dehra ober Dihrah,
der Hauptort des Diftrictes Dehra Dun, als Sig der enge
liſch· oſtindiſchen Pandesvermeflungsbehörde. Hier begannen
an 1, December 1834 die Mefjungen der nörblichften Bafis
für die große indiſche Gradmeſſung; am 28. März 1835
war die Meſſung diefer 11,84 Kilometer langen Bafis been«
det und durch Zuriidimeffung, wobei die Differenz nur 608
Millimeter betrug, controlirt; mittelft Triangulation wurde
8. Beder: Wie verhält es fich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo? 251
die Bafis übertragen auf zwei Spigen der Sewalif-Berge,
die Gipfel Amfot umd Banog, welche ſowohl von der Tiefs
ebene wie von Dehra aus fichtbar find. Seither blieb
Dehra Dun der Sig des Großen Trigonometrifchen Ber:
meflungsamtes (Great Trigonometrical Survey), das von
bier feine Berichte und Karten veröffentlicht, feine Kundſchafter
in alle Theile Innerafiend ausfendet und durch feine ftäns
digen Beobachtungen an den Arbeiten zur Erforfchung der
phnfifalifchen Geographie Indiens einen hervorragenden Ans
teil nimmt.
Wie verhält es fid) mit der Einführung des erften Tabads durd)
Nieot und Hernandez de Toledo?
Bon Lothar Beder,
Der Zwed diefer Abhandlung ift, zu zeigen, daß bie ges
genwärtig allgemein verbreitete Anficht, der Taback fei vor
Einführung deſſelben durch Hernandez refp. Nicot der Alten
Welt unbefannt gewefen, zu den Irrthitmern gehört, an
denen bie Vergangenheit jo reich, ift, und bie fi), da fie an
Gelehrten, wie U. v. Humboldt, eifrige Vertheidiger fanden,
hartnädig bisher erhalten haben. Manche derſelben find
erft vor Kurzem, und aud) num theilweife, aufgegeben wor-
ben; wie 5. B. noch im Jahre 1839 Dr. Brunner in Bern
den Stehapfel aus Südamerifa fommen läßt: eine Anficht,
welche durch Cordus (Hist.) hervorgerufen wurde, welcher,
nad; C. Bauhin und Neander, benjelben „Hyosceyamus
Peruvianus“ nennt. Wie man von Charbin (Meife nad)
Perſien) erfährt, ſchwebte noch zu feiner Zeit der Streit, ob
das Zudercohr der Alten Welt vor 1492 bekannt geweſen
fei; endlich ftellt Piſo jelbft nod) im Fahre 1658 die Kofos-
palme den Erzeugniffen der Alten Welt als eine amerifa-
nische Pflanze gegenüber.
Die erfte ähnung des Namens Nicotiana finde id)
in Gesner's Briefe an Dr. Deco, 5. November 1565,
worin beiläufig gejagt wird, daß die Pflanze, die bereits den
Aerzten in Lyon befannt fei, den Namen von einem „legatus*
habe, der fie nach Frankreich gebracht. Der Spanier Mo—
narbes erwähnt in jenem Jahre den Namen nicht, dagegen
findet er ſich bei Bena und Lobel (N. stirp. adv,, Vorrede
von 1570), Eftienne und Liebaut, fowie bei Clufius
(ad Monardem 1574), jebod als ein auf Frankreich be-
ſchräulter; und Yobel (Observ. 1576) unterfcjeidet, gleich den
meiften Botanifern des 16. Dahrhunderts, bie „Nicotiana
Gallorum“ von drei anderen ihm befannten Tabadsarten.
Näheres Über die angebliche Einführung durch Nicot
erfahren wir von Eftienne und Liebaut (L’agrieulture
et maison rustique, Paris 1570), wo Pegterer Cap. 76,
unter „Nicotiane*, fdjreibt:
„Trotzdem die Nicotiane erft kurze Zeit befannt ift,
behauptet fie, wegen ihrer autgezeichneten und wunderbaren
Kräfte, den erften Rang unter ben Arzneifräntern. Da
Niemand von denen, welche in alter oder neuer Zeit von
der Natur der Pflanzen gefchrieben haben, ihrer gedenft,
fo hegte ich den Wunſch, die vollftändige Geſchichte derfelben,
wie fie mir mein gefchägter Freund, der erjte Urheber, Ere
finder und Einflihrer diefer Pflanze nach Frankreich, mittheilte,
für diejenigen zu veröffentlichen, welche davon reden hörten,
aber weber das Kraut noch feine Wirkungen konnen.
„Diefes Kraut wird nad) dem Namen deffen, der davon
im dieſem Königreiche die erfte Kunde verbreitet, Nicotiane
genannt; ähnlich, wie noch jett mehrere Gewächfe die Namen
von Griechen und Römern tragen, welche fremde Nugpflanzen
zuerft in ihre Heimath einführten. Cinige nennen es Herbe
de la Royne, ba es, wie man nachgehends erfahren wird,
durch den Herrn, der es zuerft erfand, der Königin gefandt
und von bdiefer mehreren zum Anbau mitgetheilt ward. An:
bere nennen es Herbe du Grand Prieur, ba es ber genannte
Herr, der feine Kräfte empfahl, mehr als ein anderer ver-
mehren Tief, Mehrere haben ihm den Namen Petum ges
geben, welches der wahre Name des Krautes in dem Lande
it, woher es lam; doch ift es vorzuziehen, ihm den Namen
deſſen zu geben, der es zuerft nad) Frankreich fandte, damit
man ihm die Ehre erweife, die ihm dafür gebührt, daß er
unfer Land durch ein fo ausgezeichnetes Kraut bereichert
hat. — So viel von dem Namen — nun zu ber ausführs
lichen Gefchichte:
„Maiftre Jean Nicot, Conseiller du roy, beſuchte
einft, als er zwiſchen 1559 bis 1561 Geſandter (Ambassa-
deur) Sr. Majeftät in Vortugal war, die Gefängniffe
(? — les chartres) des Königs von Portugal, Hier ver
ehrte ihm ein Auffeher diefer Gefängniffe (Gentil-homme
garde d’icelles chartres) diefes als ein fremdes Gewächs
aus Florida gebrachte Kraut. Nachdem Nicot daffelbe in
feinem Garten hatte ziehen und ſehr vermehren laffen, hörte
er einft von einem feiner Pagen, daß ein Verwandter bes
legtern verſuchsweiſe dieſes Kraut auf ein Naſengeſchwllr
elegt habe, Nicot ließ ihn 8 bis 10 Tage damit fortfahren.
arauf heilte Nicot feinem Koche die zerfchnittene Pulsader.
Von da an kam diejes Kraut in Liſſabon in Nuf und das
Volf nannte es Herbe de l’ambassadeur.“
Nach Erwähnung anderer Euren heit es weiter: „Da
Nicot wußte, daß die verftorhene Madame de Montignh an
einem ähnlichen Naſengeſchwür geftorben war und die Ö'rä-
fin de Nuffe vergebens ärztliche Hilfe gegen eine Geſichts—
fledjte (artre) gefucht hatte, beſchloß er, die Nicotiane in
Frankreich bekannt zu machen, und fandte fie dem Könige
Franz II., der Königin-Mutter und mehreren Herren am
Hofe mit der Gebrauchsanweifung.“
Dann folgt eine kurze Beichreibung der Pflanze, aus ber
man (vorausgefegt, daß Liebaut diefelbe Fannte) fo viel entneh⸗
men kann, daß fie eine Form von Nicotiana Tabacam L. —
entweder eine fcmalblätterige, Nie. macrophylla S., oder
eine breitblätterige, Nic. Tabacum Schr., iſt. Nächſtdem
wird eine Anleitung zum Anban und die arzneiliche Anwen:
bung mitgetheilt. Pebauıt erwähnt hierbei auch, daß das
Einziehen des Rauches durd) einen wohlverfchloffenen Trid)-
ter viel Phlegma entferne, und dies ift wahrſcheinlich bie
Veranlaſſung gewefen, daß der Werfafler einer neuern Flora
von Brandenburg erwähnt, Nicot habe das Tabarraudjen
eingeführt.
32 *
252 2. Beder: Wie verhält es ſich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hermandez de Toledo?
Zum Schluſſe Heißt 8: „Dies ift die wahrhaftige Ge:
ſchichte der Nicotiane, welche der genannte Nicot mir mind-
lich und fchriftlich mitgetheilt hat: pour t'en faire part
(amy Lecteur) auquel te prie rendre grace d’aussi bon
cueur que de tout tems me tiendray son attenu et
obligö, pour ce bien qu’ay recen de luy.“ Wozu diefe
Lobhudeli? Muß man nicht glauben, daß der Schreiber
dem Nicot ſehr viel verdankte und ihm viel daran lag, ſich die
Gunft feines Gönners zu erhalten? Diefe Mittheilung
allein konnte doch faum der Grund fein, ſich auf ſolche Weife
auszulaffen; und ich kann mich hierbei des auch durch andere
Betrachtungen hervorgerufenen Gedanfens nicht erwehren,
daß Liebaut, um Nicot zu fchmeicheln, gleichfalls in der Er-
zählung übertrieben und manches eingefchoben hat, dem Nicot
ganz fremb war, e
Vergleichen wir die zweite Auflage des genannten Wertes
(1602), fo fehen wir, daß ſich die Verfaſſer bei ben Bota—
nifern Raths erholt haben und num die von jenen befchries
benen drei Tabadsarten anführen. Daß die zivei anderen
gleichfalls aus Amerika gekommen wären, davon erwähnen
fie nichts. Die Abbildung der Nicotiane, die fie num, im
Gegenfag zum Petum femelle, Petum masle nennen, ift
nebſt der Niefencigarre den Icones bes Lobel entnommen;
fie ift aber, was die Blattgeftalt betrifft, nicht naturgetreu,
denn bergleichen Blätter, weldie an der Bafis denen von
Rumex Acetosa L. jo gleichen, wie die Hier abgebildeten,
befigt feine mir befannte (form von N. Tabacum L. Was
gleichfalls ſehr bezeichnend ift: der fervile Schluß fehlt in
biefer Ausgabe, und die Erzählung wird nicht mehr „la
veritable“, fonbern nur „la plus veritable“ genannt, was
darauf fließen läßt, daß die Nichtigkeit derfelben in Frage
geftellt ward, und Piebaut guten Grund hatte, diefe Uendes
rung vorzunehmen.
Dei mehreren der älteren Schriftfteller finden ſich An:
gaben, welche mit denen des Liebaut nicht übereinftinmen.
Sp nennen Geöner, Everart, Minfhew und Mag:
nenus den Nicot einen „Vegatus*, ein Titel, welcher welt
lichen Gefandten nicht zulommt; ElufiusDalehamp und
andere Werzte zu Lyon nennen „D. I. Nicot* einen Org
tor in Portugal, Tournefort einen Orator des Könige,
Einige (Everart, C. Bauhin und Andere) erzählen, jene
Perfon, weldyer Nicot die Pflanze verdankte, fei ein hollän-
difcher Edelmann gewefen. Andere nennen ihn einen Ebel:
mann der föniglichen Garde, Fairholt einen flamlänbifchen
Kaufmann und Tournefort läßt den Holländer die Pflanze
aus Florida bringen. Diefes Yand nennt C. Bauhin im
Phytopinar eine Inſel. Im den Breslauer „Sammlungen
von Naturs u. ſ. w. Gefchichten, 1718*, lieft man, Nicot
habe die Pflanze von einem königlichen Miniſter erhalten,
und die Henel ſche Silefiographie (1704) läßt fogar Nicot
felbft jene 1559 aus Amerifa nach Portugal und Frankreich
bringen, wie e8 anderwärtd heißt:
Doctus ab Hesperiis rediens Nicotius orie
Nicotiam retulit.
Auch was den Ort betrifft, wo Nicot die erfte Belannt-
fchaft mit der Pilanze machte, fo vermißt man die Ueberein-
ſtimmung, weldye man erwarten mußte, follen nicht Zweifel
an ber Wahrheit der Erzählung auffteigen. Everart nennt
den Ort in Portugal „carcer regium“; bei Neander
(Tabacologie) heit es „Carcer oder vielmehr Eirgaste-
rion, ubi tunc Regia erat Lusitanica, wo er die Pflanze
von einem beigifchen Edelmann, weldjer praefectus custodiae
archivorum regiorum war, erhielt.“ Nach Neander war
alfo die Yocalität weniger im Gefängniß als im Ergaste-
rion d. h. im Arbeitähaus (oder eine Fabrik der portugies
fifchen NRegie?); und wenn e8 an ſich ſchon etwas unglaub-
lich klingt, daß ein frember Geſandter von dem Auffcher
eines Sefängniffes eine erotifche Pflanze erhalten hätte,
fo fteigt der Zweifel, wenn man von Neander erfährt, daß
es ein praefectus eustodiae archivorum regiorum in ber
Regia Lusitanica, in dem Ergasterion (oder carcer re-
gium) geweſen fei, welcher im Befig der Pflanze war. —
Denn was hat wohl ein folder Präfect in einem Gefäng:
niffe zu thun? Auch das Jahr der erften Bekanntſchaft
wird verfchieden angegeben: bald ift es 1559, bald 1560,
Während die Meiften fagen, Nicot habe den Samen ober
bie Pflanze ala Gefchent erhalten, läßt Faicholt ihn kaufen.
Einige laſſen ihn das trodene Blatt, Andere den Samen ober
die Pflanze nad) Frankreich fenden. Erasmus Franciscus
fchreibt im „Oft: und Weftindifhen Luftgarten“, 1668:
„Einige wollen, ein Cardinal habe das Kraut zuerſt aus
Portugal nad) Franfreid, gebradjt.“
Minſhew (Minſhaeus) fagt in feinem Diction. 1617,
ber Gefandte 3. Nicot habe 1560 ein franzöfifch-Lateinifches
Lericon zu Piffabon verfaßt; Andere berichten, er habe 1603
ein Wert über Shifffahrtstunde zu Paris veröffentlicht,
worin er bie arzneilice Wirkung ber Nicotiane mittheile.
Der Berfaffer diefes Pericons (Le grand Diction. frangais-
latin), welches 1628 zu Rouen, mit nautifchen Aus
drätden vermehrt, erſchien, ift aber offenbar nicht der Ges
fandte Nicot, denn er fpricht von Letzterm, dem „Maiftre
Jean Nicot“, als von einer andern Perfon und verweift bins
ſichtlich der Nicotiane auf das Maison rustique, während
man doch, wenn es felbjt iener Gefandte war, eine authen-
tifche Mittheilung in Betreff der Umftände, die fein Bekannt⸗
werben mit ber Pflanze begleiteten, erwarten follte. Diefer
Schriftteller jchreibt ſich auch nicht Jean Nicot, fondern
M. Nicod, und den Namen der Pflanze nicht „Nicodiana®,
fondern „Nicotiana“ ; und nennt ſich Conseiller du roy
und Maistre des requests de l’Hötel. Wäre biefer Nicod
— Geſandter geweſen, jo würde er jenes Werk auch
wohl cher einem franzöfifchen Prinzen als dem Pringen
„Georg Johann, Pfalggrafen vom Nhein, Herzog von Ober:
und Unterbayern :c.* gewibmet und’ ficher auch nicht die Arro⸗
ganz gehabt haben, eine Pflanze nach fid) zu benennen, und,
wenn Andere dies ihm zu Ehren thaten, ſolches erwähnt
haben: eine Pflanze, die er nicht nad) Europa einführte,
fondern von einem Holländer erhielt, deren Wirkungen und
Anwendungen er durchaus nicht entdedte, ba fie bereits von
Hernandez und Anderen, die fie in Amerika fennen lernten,
befannt gemacht waren — eine Pflanze, die ſchon vorher
Namen befaß, wie Petum und Tabaco.
It die BVerfchiedenheit in dem Ausſagen allein ſchon
geeignet, Zweifel an der Nichtigkeit devfelben auftommen zu
laffen, jo giebt es, abgefehen von bereits Gefagtem, noch
mandyen rund, der die Glaubwlirdigleit, welche der Liebaut'⸗
fchen Darftellung im neuefter Zeit mehr als früher beige:
meſſen wird, in Frage Stellen muß. Diefe find:
1. Piebaut ſcheint die Nicotiane gar nicht zu lennen.
Daflir fpricht a. der Umftand, daß er jagt, dad Petum ber
Brafifier fei diefelbe Pflanze, während diefelbe nad) Lery's
Zeugniß davon verfchieden ift; b. daß er 1570 feine Abbil«
dung liefert, und, die der zweiten Auflage nicht naturgetreu
und obendrein dem Werke eines Andern entnommen ift;
c. daß er, im Gegenſatz zu den hierin fachverftändigeren Bo—
tanifern, in letzterer Auflage dev Nicotiane dunflere Blumen
giebt, al& dem Petum femelle (Nic. petiolata).
2. Liebaut widerſpricht fich felbft, inden er einmal die
Pflanze ans Florida gebracht fein läßt und dann fagt, daß
in dem Lande, woher fie fam, ihr wahrer Name „Petum“
ſei. Diefen Namen trug oder trägt aber keine Tabadsart,
2. Deder: Wie verhält es fich mit der Einführung des erften Tabads durd) Nicot und Hernandez de Toledo? 253
fei e8 in Nord: und Mittelamerifa, noch aud) in Weftindien,
fondern nur in Südamerika, befonders Brafilien.
3. Wenn Liebaut den Nicot „autenr* und „inventeur“
ber Nicotiane nennt, jo ſcheint er nicht zu wiffen, was er
damit fagen will; denn wie konnte Nicot ber auteur einer
Pflanze fein? Er war aud nicht der Entdeder, weder ber
Pflanze noch auch deren Wirkungen oder Anwendungen, denn
wie weiterhin gezeigt werben wird, warb der Tabad — ben
Nicot ja von einem Holländer, der alfo eher als Erfinder gelten
müßte, erhielt — vor 1559 in Europa und Aſien gebaut;
fagt Liebaut jelbft, daß ein Page die Nicotiane zuerft
als Heilmittel gebrauchte. Es wäre in der That fehr felts
fam, wenn ein franzöfifcher Gefandter im Auslande zuerft
den Einfall gehabt hätte, eine angeblich in Europa volllom⸗
men unbefannte Pflanze im der Heilkunde anzınvenden. Es
ift einmal nicht leicht, die Wirkungen einer unbefannten
Plane feftzuftellen, und fir einen Nichtargt noch fchwieriger,
die Leiden ausfindig zu machen, gegen die fie ſich —*
erweiſt, oder ſollen wir glauben, daß Nicot, daß ein frans
zöſiſcher Geſandter Medicinalpfuſcherei trieb? Dies anzu-
nehmen iſt aber fein Grund vorhanden, denn lange vor Ni:
cot's Auftreten in Liſſabon Hatten heimfehrende Europäer
mündlich und ſchriftlich Mittheilungen über die arzneiliche
Anwendung des Tabads in Amerifa gemadjt. Schon 1535
berichtete Oviedo, daß derfelbe in diefer Hinficht auf Haiti
fehr gefhägt fei. Peon. Fioraventus, welden Everart
einen berühmten Arzt und Philofophen feiner (d. h. Fiora⸗
bentus”) Zeit nennt, und ber (in „Physicis observationi-
bus“) über den Arzmeigebraud, des Tabads ſchrieb, fcheint
bies vor 1560 gethan zu haben; auch war Stephanus
— Veibarzt Karl's V., welcher ſchon 1519 Tabad aus Yuca-
tan von Cortez erhalten haben foll — ein Lobreduer defjel-
ben. Bor allen aber wurden feine Heilfräfte von Hernans
bez de Toledo, der 1559 aus Amerika zurlidgefchrt fein
fol, gepriefen, und deſſen Mitteilungen oder Werke fcheint
Nicot feine Kenntniß der argneilichen Anwendung bes Tabads
zum Theil verdankt zu haben. Hätte Nicot irgend weldyes
Berbienft um die Entdefung des legtern, fo wiirde Monar-
des, ber nicht einmal den Namen Nicotiana erwähnt, 1565
feiner wohl in diefem Punkte gedenken und nicht den Amerir
fanern biefelbe zufchreiben. Wenn ein franzöfischer Gefand-
ter von einem Aufſeher eine Pflanze annimmt uub diefelbe
forgfältig in feinem eigenen Garten ziehen läßt, fo hat dies
ſicher feinen Grund, Derfelbe konnte aber nur derjenige
fein, daß bie Pflanze bereits als werthvoll galt, und nicht
bloß als ſchon Häufige Zierpflange beliebt war; denn mie
wir von Monardes erfahren, ward der Tabad in Spaniens
Gärten ald Zierpflange gezogen, che fein Arzneiruf ſich ver:
breitete. Man wird daher nicht irren, wenn man annimmt,
daß der Holländer dem Geſandten bie Pflanze anbot, weil
man ihr befondere Arzneilräfte zuſchrieb.
4. UÜbgefehen von der großen Unwahrfcheinlichteit, daß
Spanier und Portugiefen die lange Zeit (67 Yahre) bie
1560 hätten verftreichen laſſen, ohne an die Berpflanzung
des Tabads zu denlen, der gleidy bei ihren erften Beſuchen
in Amerika ihre Aufmerkfamfeit fo ſehr feflelte — und daf
es ein Ausländer gewejen fei, der ihm, und ziwar aus einer
fpanifchen Colonie, zuerft in Europa einführte —, erfahren
wir, wie erwähnt, von Monarbes *), daß ber Tabad längere
Zeit vor Verbreitung feines Arzneirufes in Spanien als
Zierpflange gezogen ward. Außerdem wiflen wir von an»
deren Schriftftellern, daß Tabadsarten vor Nicot's Ankunft
*) Dos Libros de las cosas que si traen de Ins Imdias oceiten-
tales, que virven al use de Medieins, Sevilla 1565; überfegt und
mit Zufägen verfehen von Gluflus (ml Monanlem).
in Liſſabon im Portugal (1558), Deutfcland, Kreta und
Syrien gebaut wurden, wovon weiterhin eingehender gehandelt
werden foll.
5. Wäre der Tabad erft durch Nicot befannt geworden,
fo würden, ehe der Name Nicotiane auftauchte, micht ſchon
andere, wie Pontiana, Potium cheveti, Tabaco, Herha
sacra, Herba sancta, Sana sancta und Petum verbreitet
gewefen fein; und „Nicotiane* würde aller Wahrjcheinlichteit
nach gleich von Anfang an, uud zwar in ganz Europa, der
Algemeinname geworben, nicht aber von den älteften Bota-
nitern (Lobel, Dodonaeus u. ſ. w.) als eine nur auf Franf-
reich befchränfte Benennung angeführt worden fein.
6. Die Weglaffung des fervilen Schluffes in der zweiten
Auflage, welche aud) das Zeugniß enthält, daß die Dar«
ſtellung nicht die wahrhaftige, fondern nur die wahrjchein:
lichfte fei.
7. Auch in Betreff deflen, wer die Pflanze in Frank⸗
reich zuerft verbreitete, herrfcht keine Nebereinftimmung. Bald
fchreibt man es der Katharina, bald einem Großprior zu.
Sollte Nicot auch Samen nad) Frankreich gefandt oder
gebracht und der Anbau dort ftattgefunden haben, fo ift es
doch ſehr fraglich, ob derfelbe, wie man behauptet, fchnell um
fid) geariffen habe. Denn 1, hatte Gesner trog aller Mühe
und Berbindungen am 25, November 1565 (Brief an Funt)
Samen der Nicotiane noch nicht erlangen fönnen; 2. aus
Liebaut's Bemerkung, daß er die Geſchichte der Nicotiane
denen erzählen wolle, die davon gehört hätten, abe weber
das Kraut noch defien Wirkung fennten, geht hervor, daß
felbft unter den gebildeten — den büdjerlefenden — Stän—
den die Nicotiane um das Jahr 1570 keineswegs allgemein
befannt war; 3. Liebaut, welcher 1570 feine Abbildung ders
felben giebt, ſieht ſich, felbft 32 Jahre fpäter, genöthigt, für
die zweite Auflage, 1602, diefelbe dem Werke eines Andern
zu entnehmen, die dazu nicht naturgetreu ift, während es
ihm doch, wenn er die Pflanze in natura gefehen hätte, ein
Leichtes fein mußte, eine naturgetreue zu liefern. Wäre bie
Nicotiane eine” der von Thevet oder Yery erwähnten brafi-
lichen Arten, fo war fie felbft 1586 in Frankreich noch nicht
vorhanden, denn Letzterer erflärt in feiner im genannten
Jahre erfcjienenen Reife nad) Brafilien, er habe das brafis
liſche Petum in Frankreich nirgends angetroffen und glaube
auch nicht, daß eine Pflanze aus fo heigem Klima in dem
rauhen franzöfifchen gedeihen witrbe. Wenn baher, wie man
von Pena und Yobel (N. st. adv.) erfährt, die „Nicotiana
Gallorum* (Sana sancta Indorum To. et P.) einige Zeit
vor 1570 (abgefehen von Portugal und Frankreich) in Bel—
gien und England gebaut ward, fo ift es nicht denkbar, daß
die holländifchen und englifchen Pflanzen von dem Samen
ſtammten, welchen Nicot nach Frankreich jandte; ja die Ihate
fache, daß Pena und Pobel der Art, welche in England fllr
die Nicotiane gehalten wird, andere Blumen geben als die
Holländer, Deutfchen, Fragofus und Andere ihrer Nicotiana
ober dem Tabad, befeitigt im diefer Hinficht allen Zweifel,
Wenn, woran ic) nicht zweifle, das Blatt, welches Gesner
durch Oeco's Vermittelung aus Frankreich erhielt — weldjes
er Vertiginosa nannte und das er in feinem Briefe an
Funk vom 25. November 1565 als verschieden von dem ber
Nieotiana s. Pontiana (von der er bis dahin weder Blatt
noch Samen erlangt hatte) betradjtet —, von einer in Frank—
reich gebauten Art ftammte, fo wäre damit gleicyfalls der
Beweis geliefert, daß eine andere Tabadsart dafelbft leichter
zu erlangen, alfo weiter verbreitet war als die Nicotiane.
Man darf nicht vergefien, daß die Berfafler von Maison
rustique in einer Zeit lebten, wo die Schulbildung eine
höchſt mangelhafte war, wo geographiſche, ethnographiſche
und andere hierin zu einem Urtheit befähigende Kenntniſſe,
254
zumal die der ulturpflanzen der gefammten Welt, Jeder—
mann abgingen. Wenn die Verfaſſer fagen, Niemand von
denen, bie in alter ober neuer Zeit von der Natur der Pflan-
zen gefchrieben, gedenfe ber Nicotiane, fo ift dies eine offens
bave Anmaßung, denn welcher denfende Menſch witrbe glau—
ben, daß fie die geſammte hier einschlägige Yiteratur aller
Völler der alten Welt feit den äfteften Zeiten gefannt hüt-
ten! Wer würde ferner glauben, daß fie (die jo wenig
Pflangentenntnig befaßen, daß fie aus botanifchen Werken
ichöpfen mußten, die in einer Seit lebten, wo fein Werf
vorhanden war, aus dem fie über die Gulturpflanzen Eu—
ropas u. f. w. hätten genligeude Belehrung ſchöpfen können)
eine Kenntniß befeffen hätten, die uns mod) heute abgeht: ich
meine die aller Culturpflanzen Afiens und Afrifas. Kennt
N. Latkin: Der Obi und fein Flußgebiet.
man doch heute noch nicht einmal alle Tabadöforten, die in
Europa (3. B. in ber Tlirkei) gebaut werden, gejchweige die
bes fernen Afiens, Afrikas u. ſ. w., wo, wie man weiß, im
Sudan, in Senegambien und anderwärts Tabadsarten ge-
baut werden, die noch fein Botaniler befchrieben hat, was
felbft von dem „arabiſchen“ Taback des Fabius Columna
(Plantae minus cognitae p. 142) gilt, trogbem derfelbe vor
250 Jahren davon ſchrieb. Auch in anderer Hinficht erhes
ben ſich die Berfaffer nicht fiber die Bildungsftufe ihrer Zeit,
wo der Ärgfte Aberglaube in Religion und Wiſſenſchaft
herrfchte, wo man, was gedrudt ftand — felbft offenbare
Widerfprliche — gebantenlos abjchrieb, ohne zu fragen, ob
ed Wahrheit oder Dichtung fei, und ohne bie Fähigkeit zu
haben, dies zu entjcheiden.
Der Obi und fein Flußgebiet.
Von N. Latkin in St. Petersburg.
Wie befannt bildet fid) der größte Fluß Weftfibiriens and
den beiden Flüſſen Katunj und Ba im biiskiſchen Bezirk
des Gouvernements Tonst, von wo er unter dem Nanten
Obi feine Richtung weftwärts bis zur Mündung des Fluſſes
Tſcharyſch, von da gegen Norden bis zur Stadt Barnaul
nimmt und fid) dann gegen W. M. W. bis zum Dorfe Kru⸗
ticha und von dort fogar nach N.-D. bit zur Mündung des |
Tomi wendet. Im tobolätifchen Gouvernement fließt er
wieder nach W.-N.-W,, von der Irtyich- Mündung gen R.-W.
und nimmt allmälig eine nördliche Richtung bis zur Min:
dung des Fluſſes Polui an, von wo er fid) gegen Often
wendet und fid) darauf im viele Arme theilend zwiſchen einer
Menge Infeln in den weiten Obiſchen Meerbufen ergieht.
Zwei diefer Arme zeichnen fid) durch ihre Breite und ver-
hältnigmäßige Tiefe aus, befannt unter dem Namen Cha—
maneldig oder Kleiner Obi, weitlih, und Narymoth oder
Großer Obi, öftlih. Sie münden bei den Caps Chamal:
bala und Orgel, deren eined am weftlichen, deren anderes
am öftlicden Ufer des Meerbuſens liegt; den äußerften Punkt
des Fluſſes Obi, bei deffen Mündung in den Obifchen Meer:
bufen, bildet das Cap He auf der Juſel gleichen Namens,
die beide Arme von einander trennt,
Die Länge des Obi von der Bereinigung der Flüſſe
Bja und Katunj an beträgt bis zur Mündung deſſelben an
3200 Werft oder 457'/, deutfche Meilen; die Breite bes
trägt von 350 Faden, wie bei Barnaul, bit 850 Faden,
wie bei Kolywan, flellenweife erreicht aber das Flußbett eine
Breite von drei und mehr Werft. Im tobolstifchen Gouver—⸗
nentent nimmt die Breite zu und erreicht beim Zufluß des
Irtyſch 1300 Faden.
Die Tiefe des Fahrwaſſers iſt ſehr verſchieden, von 2 bis
10 und ſtellenweiſe auch mehr Faden. An feiner Mündung
ift der Fluß noch — erforſcht worden; es giebt, wie man
ſagt, dort ſehr flache Stellen, die nur 1 Faden Tiefe errei—
chen; doch ift auch hier der Fluß größtenteils mehr als
2 Faden tief. — Am Urfprung it der Fluß fteinig, hier
und da giebt es Klippen und Stromfdjnellen, die legte an
der Mündung des Tomi, Die Strömung des Obi ift im
tomsliſchen Gouvernement ziemlich ſchnell, aber im tobols-
fifchen ſehr langſam, da Barnaul Überhaupt nur noch 383
Fuß Über der Meeresoberfläche liegt, folglich das Fallen
nad) dem Meere zu nur fehr gering ift. Von der Mundung
des Tſcharyſch an fließt der Obi zwifchen fteilen Ufern und
im einem recht ſchmalen Thale; unterhalb von Barnaul jchläns
gelt er ſich durch ein breites Thal mit reichen Wiefen; hier,
zwifchen der Mündung der Flüſſe Berdi und Tſchumyſch,
umfaßt ber Obi mit einem großen Bogen das äufßerfte Ende
der Salairifhen Bergfette und fließt daher wieder zwijchen
fteilen, mit Wald bewachſenen Ufern. Das hohe rechte Ufer
dauert bis zur Mündung des Tſchumyſch fort; weiterhin
wird der Obi viel breiter umd flieht zwifchen niedrigen,
fumpfigen und waldigen Ufern bis zur Mündung des Ir:
tyſch, feinem Bauptufluffe. Dann theilt er ſich in mehrere
Arme, mit denen er IT bewaldete Infeln umfaßt. An
diefer Stelle feines Yaufes bewäffert der Obi ein an großen
Wiefen und an Fichten- und Yärdenbaummäldern reiches
Yand, das der Zeit entgegenficht, wo es der Menjchheit
Nuten bringen wird, flatt wie jest von Waldbränden und
Stürmen verwüſtet zu werben. Der Obi bebedt ſich mit
Eis bei Barnaul meiftentheils zum 31, October und wird
gewöhnlich zum 15. April vom Eife frei Zweimal im
Jahre ſchwillt er an, wobei im Frühjahr feine Oberfläche
um 11 Fuß und im Sommer durch das Schmelzen bes
Schnees auf dem Altai um ungefähr 10 Fuß ſteigt. Je
niedriger das Land, defto größer ift das Austreten des Waf-
ſers im Frühjahr, es erreicht bisweilen eine Höhe von 2
Faden und ergießt fid) 40 Werft weit über die Ufer. Der
Obi ift ungeheuer reich an Fiſchen; Anfangs Mai ſetzen ſich
die Hauptarten derjelben, wie der Stör, der Sterlet, die
Ouappe, die Nelma, der Mokfun, die Zürte, ber Häring u. [.w.,
ber Strömung entgegen in Bewegung und zwar in großen
Maffen. Mit Fiſchfang beſchäftigen Nic außer den Samos
jeden und Oftjälen alle ruſſiſchen Uferbewohner, hauptſächlich
in der Niederung des Fluſſes unweit der Mündung, wo eine
ungeheure Menge Fiſche gefangen werden; wie viel, läßt
fic) genau nicht beftimmen: Einige rechnen bis zu einer
Million Pud im Jahr, Andere bis zu 500,000, Die lette
Zahl ift wohl die richtigere, da aus dem obdorstifchen Yande
jährlich) 150,000 Pud Fiſche verführt werben. Nicht zu
überfehen ift das 50 Werft von Berefowo auf dem hohen
Ufer des Obi gelegene Kirchſpiel Kunowatzky, wo häufig
Mammuthlnocden vorlommen und den gegenüber auf dem
Fluſſe ſich große Sandbänke befinden, wo ein ungemein ergie⸗
biger Fiſchfang betrieben wird, Der Fiſchfang beginnt An-
Aus allen Erdtheilen.
fangs Juli und dauert bis zum October. Die Samojeden
und Oftjäfen trocknen größtentheils die Fiſche, während die
ruſſiſchen Fiſcher diefelben einfalgen; dod) lüßt das Einfalzen
viel zu wünfcen übrig, und da fie es nicht beffer zu machen
verſtehen, jo lönnen die Fiſche nicht weit transportirt wers
den, ohue dabei zu verderben. Außerdem trifft man hier
große Scharen Delphine, doch giebt man fid) wenig mit
dem ange berfelben ab,
Die Schifffahrt hat ſich in legter Zeit auf dem Obi und
feinen Zuflüflen ſehr entwidelt; man zählt jegt dort an 32
Dampfboote, wovon 4 Pafjagierdampfer, die regelmäßige
Fahrten von Tjumen nad) Tomst und zurück unternehmen,
weldye nidyt länger als je 10 Tage dauern, obgleich die
Entfernung nicht weniger als 3000 Werft beirägt. Die
Dauer der Navigation läßt ſich auf 120 bis 150 Tage be-
ftimmen ; bei der Mundung des Obi dauert fie kürzere Zeit,
am oberm und mittlern Yaufe aber länger, z. B. in Barnaul
im Durchſchnitt 180 Tage, Obgleich die Statiftif der
Fadungstransporte ſehr mangelhaft ift, fo läßt ſich doch ziem-
lid, beftimmt annehmen, dag auf dem Obi nebjt Zuflüffen
bin und zurlid von 22 bis 25 Millionen Pud verſchiedener
Waaren verführt werben.
Den Hauptpumft der Navigation auf dem Obi bildet bie
Stadt Tomst, der eine glänzende Zukunft bevorfteht, da
fie an beiden Handelswegen liegt, dem zu Waſſer und dem
zu Lande; die zweite Stadt an Bedeutung im Hinficht des
Handels ift Tjumen, doch leidet leßtere durch den Uniſtand,
daß fie an dem waflerarmen Fluſſe Tura liegt, auf dem die
Schiffe ſchon im Juli die Stadt nicht mehr erreichen können,
Sie mitffen vielmehr 140 Werft von berfelben beim Dorfe
Artomonomwst am Fluſſe Tobol Liegen bleiben. Es unter:
liegt feinem Zweifel, daß die projectirte Eifenbahnlinie von
Niſchny⸗Nowgorod bis Artomonowsk den ganzen Handel von
Tjumen dahin verfegen wird, Die Endpunfte der Navi«
u auf dem Dbi nebft Zuflüffen find folgende: Die
tadt Atſchinst am Tſchulym im jeniffeisfifchen Gouver—
nement, wohin auf dem im Sommer ziemlich ſeichten Tſchu⸗
lym im Frühjahre 2 bis 3 Dampfſchiffe mit Salz und an—
deren Waaren gehen; ferner die Stadt Semipalatinst
am Irtyſch und das Dorf Obdorsk mit einem großen
Sampojeden- Jahrmarkt am untern Obi, dad 450 Werft vom
Obiſchen Meerbufen liegt. Tiefer hinunter fommen bie
Dampfboote zuweilen an 200 Werft weit nach Fiſchen.
Das Flußgebiet des Obi, deſſen Flächenraum mehr als
58,000 Quabratmeilen einnimmt, ift rei an Korn, an
nüglichen Nohprobucten, an Metallen, Dlineralien, an Bieh-
zucht und deſſen Producten, befigt 2,500,000 Eimwohner und
könnte einen ungeheuern Handel entwideln, wenn ſich eine
Aus allen
Wiffenfchaftlihe Erpeditionen der Vereinigten Staaten.
F. B, Seine Regierung, die ruffilche vielleicht audgenom:-
men, tbut jo viel für wiſſenſchaftliche Expeditionen und Ver:
mejjungen, ald die der Vereinigten Staaten. Um nur von
den wichtigften Unternehmungen der jüngften Zeit zu ſpre—
chen, muß vor Allem die Regierungsvermeflung der Terrir
torien weftlih vom 100. Meridiane erwähnt werden, die
jest bereits im achten Fahre ihrer Thätigkeit unter der Lei: "
tung des Lientenant® Geo. Wheeler die topographiiche
Aufnabme der ungeheuren Landftreden in Arizona, Neu:
merico und Colorado zum Ziele bat. Im Staate Teras
255
Seeftraße aus dem Obiſchen Meerbufen ind Karifche Meer
finden ließe, wie jegt eine ſolche aus dem Yeniffei infolge
der Expedition Nordenjtjöld’s entdett worden if. An Korn
verschiedener Art allein Fönnten an 60 Millionen Pud ver-
führt werden, deſſen Preis Hier ftellenweife auf 15 Kopelen
das Pub, der Weizen auf 30 Kopefen das Bud fällt. Außer
Getreide befigt Weftfibirien eine Maffe billigen Salzes, mit
dem es das ganze nordeuropäifche Küftenland verjehen fönnte.
Diefe beiden Producte allein bilden eine Yadung, durch deren
Transport Hunderte von Schiffen beſchäftigt werden könnten.
Fugen wir aber noch das ausgezeichnete und meift faft umſonſt
zu habende Fichten und Färchenbaumbauholz Hinzu, fo bildet
dies einen nicht weniger wichtigen Handelsartikel Weftjibiriens,
Nun folgt aber noch die große Biehzucht, die folgende Pror
ducte ind Ausland erportiren fann: an 600,000 Stüd rohe
Felle, 1!/, Millionen Pub Talg, an 150,000 Pub Butter,
1,200,000 Bub Fleiſch, 50,000 Pud Rof: und Kuhhaare,
25,000 Bud Borften und 50,000 Bud Schafwolle ; im Ganzen
belaufen ſich dieſe Producte der Viehzucht auf 5,000,000 Pub.
Außerdem lann Weftfibivien folgende Producte feiner
Yandesfabrifen verfenden: Juchten, verarbeitete Häute und
Spiritus. Den Metallveichthun des Altai berühre ich gar
nicht, da dieſer Gegenftand ſchon hinlänglich befannt ift;
eben jo wenig twie die zahlreichen und foftbaren Mammuth-
Inodyen, Bärenpelze und Renthierfelle.
Unumgänglich nothwendig ift es num zur Entwidelung
diefes Handels und diefer Induftrie, den Obifchen Meerbufen
— zu erforſchen, wie auch die Mündung und die
arre bed Obi, um eine Handelsftraße hier zu ermöglichen.
Weil aber die Schifffahrt im Obifchen Meerbufen nur von
kurzer Dauer fein kann umd die ſich ind nördliche Eismeer
erftredende Halbinfel Jalmal nebft der daran liegenden Bjely-
Oſtrow oder Weißen Infel die Schiffe zu einem großen Um+
weg nach Norden zwingt, fo milßte auch die 180 bis 200
Werft breite Yandenge zwifchen der Baidaratzky-Bucht
und ber Mundung des Fluſſes Schtſchutſchja (der auf 100
Werft von feiner Mündung an ſchiffbar ift und ſich unter
halb Obdorsf in den Obi ergießt) befonders berlidfichtigt
und unterfucht werden. Die genaue Erforfchung biefer Land ⸗
enge wird es zeigen, ob hier eine bequeme Landſtraße möglic)
ift, wodurch die Entfernung beim Tansport der Ladungen
um 1000 Werft verfürzt würde; außerdem beginnt die Nas
vigation in der Baidaragfy-Bucht einen Monat früher als
in dem Obiſchen Bufen, was ohne Zweifel von großer Widj-
tigeit ift. Die Herftellung eines Weges über diefe Yandenge
ift auch wichtig in der Hinficht, daß die Baidarayfy-Bucht
einen bequemen Hafen zum Aufenthalt der Schiffe wie zur
Ladung und Ausladung derfelben befigt.
Erdtheilen.
wird der Ingenieur Owen zum Zwecke einer transcontinen:
talen Eifenbahn eine Vermeſſung von der Stadt Nuftin aus
nach dem Hafen von Topolovampo am Galiforniichen Meer:
bujen unternehmen, und hat aud die mericanifche Regierung
für die zu berübrenden Theile ihres Gebietes Erlaubnif
und Unterftügung zugeſagt. Profeſſor Orton erhält von
der Marineabtheilung Inſtrumente und Zransportgelegen-
heiten auf der pacifiichen Kifte von Panama bis zum ſüd—
lichen Peru, um eine geograpbifche und wiſſenſchaftliche Auf—
nahme des Thales des Obern Madeira, und des Nio Beni
im Beſondern, zu machen, indem die Eröffnung diefer Re—
gion von großer Wichtigkeit für den amerifanichen Handel
256 Aus allen
wäre. Much die im vergangenen Sommer begonnene Auf:
nahme der Black Hills Gegend wird diefeg Fahr unter Prof.
Yanney fortgejett werden, während Elarence King, ber
Leiter der 40. Parallelevermeſſung, bereits eine andgezeich-
mete geologiiche Karte des Green » River : Baflind und des
Uintab-Ghebirges, einer dem Geologen höchſt intereffauten
Region, heranögegeben hat. Auch die wiſſenſchaftlichen Er—
gebniffe der befannten Hayden'ſchen Erpebition im Dellow-
ftone-Sebiet werden raſch von der Regierungsdruckerei in
Waſhington publieirt, und ftebt demnächſt das Ericheinen
des ethnographiſchen Theiles über die indianischen Stämme
des Woeftens bevor. Mittlerweile bereift der Major Powell,
der Leiter der „U. S. Beological and Geographical Survey
of Territories*, die Staaten Arizona und Neumerico, um
Gypsabdrücke der hauptſächlichſten dortigen Indianerphy—
fiognomien für die Philadelphier Ausſtellung zu ſammeln.
Die Erpedition zur Wermeffung des interoceanifchen Schiff:
canals hat fich trot der größern Länge gegen die Panama:
Route und, auf Grund der geringeren Koften und des gef:
dern Klimas, zu Gunſten derjenigen durch den Nicara-
gua⸗See ansgefprochen. Auch dic Marine erweift ſich im
Intereſſe der Wiſſenſchaft thätig, indem das Kriegsſchiff
„Tuscarora“ bereits zum dritten Male Tiefſeemeſſungen
im Stillen Meere auftellt, und zwar dieſes Mal zum Zwecke
der Legung eines Oceankabels von San Francisco über
Honolulu und Fidſchi mach Brisbane in Auftrafien, während
der Dampfer „Gettysburg“, mit der Aufnahme weit:
indiſcher Juſeln beſchäftigt, zuletzt nach vollendeter Vermeſ—
fung von San Thomas ſich zu gleichem Zwecke nach Antigua
gewandt hat,
Die deutihe Handeldflagge in Dftafien.
Es ift ſehr erfreulich, aus allen Berichten vom fernen Often
zu erfchen, daß, wenn auch der Erporthandel nach Oſtaſien
augenblidlich abgenommen bat, die deutſche Handelsflagge in
den oitafiatiichen Meeren auf friedlichen Weg einer Suprematie
entgcgengeht , welche zwar einerjeits die Eiferfucht der Eng:
länder erregt, andererjeits aber doch ihre Anerkennung und
Achtung erringt. Diefe Suprematie verdankt diefelbe nicht
einer befondern Machtentfaltung der deutſchen Kriegsflagge;
denn es iſt bekannt, dab fich in ben Gewäſſern des fernen
Dftend, wo die großen Seemächte bedeutende Geſchwader
unterhalten, nur zwei Heine deutsche ſtriegsſchiffe befinden,
fondern nur der Tüchtigleit, Solidität und Gewiſſenhaftig—
feit der deutichen Seeleute. Diefes Zeugniß giebt ihnen der
Generalinſpector der chinefischen Zollämter felbft, der ein
Engländer ift, in feinem ung vorliegenden Bericht über den
Seehandel China, in welchem er folgende Bemerkungen über
die engliſchen und dentichen Sciffsmannihaften macht:
‚Ich muß anf eine gebieterifche Nothwendigleit hinweifen,
welche dem friebliebenden chinefifchen Charterer dringend er:
ſcheint, nämlich auf die: von den engliichen Schiffsdecken bie
Zänfer und Krakehler zu entfernen, welche die Stelle der
foliden Seeleute ufurpirt haben, die das Lehrlingsſſtem
geichaffen hatte. Im gegenwärtigen Angenblide laffen viele
Schiffe der neuen Heinen Claffe, die aus den Häfen der bri-
tiſchen Juſeln fommen, in Bezug auf die Tüchtigfeit der
Fahrzeuge ſelbſt nichts zu wünſchen übrig; die Mafterd find
in jeder Hinficht ihren Vorgängern überlegen, es ift fogar
eine ſehr nothwendig geweſene Werbefferung in der Unter:
kunft für die Matrofen auf den Schiffen wahrnehmbar ; es
bedarf nichts weiter als einer Erhöhung des Werthes ber
Inbalt: Telemffen in Afrika, I. (Mit drei Abbildungen) —
Erbiheilen.
Matrofen ſelbſt. Ich muß dagegen meine tiefgefühlte Be-
wundernng für die ſchön achaltenen, ftattlihen Schiffe aus-
Iprechen, welche heute die Ericolore tragen, bie den geadhteten
Emblemen und* ber alten maritimen Energie der Hanfeftädte
nachaefolgt ift. Micht minder bemerkenswerth ald die Schiffe
felbjt ift das Ausfchen und die Haltung der Mannjhaften.
Was der englisch ſprechende Seemann in feinen beiten Tagen
war, und was er — ich glaube es feft — unter anderen Be—
dingungen wieder werden könnte, ift heute fein teutonifcher
Verbränger {supplanter).” Auf diefes Zeugnif einer eng-
lifchen Autorität — denn der englifhe General:Zollinfpector
in chineſiſchen Dienften, Capitän Man, ift felbft ein See
mann — können die deutſchen Seeleute ſtolz fein. Auch
darf man fich daher nicht wundern, daß zum Beifpiel, wie
aus bemfelben Berichte hervorgeht, unter den 256 Schiffen,
welche im vorigen Jahre in Yingtsze, dem Hafen von Nin:
iſchwang, verkehrten, die deutiche Flagge am zahlreichſten ver-
treten war — und nach ihr erft die engliſche und dann bie
nordamerifanifche folgte. Am Schluſſe des Jahres 1875 be—
fanden fi) in Hongkong unter 68 Segelfchiffen 26 englifche,
14 deutſche, 12 amerilaniſche, 2 framzöfifche, 2 bänilde, 1
norwegifches u. ſ. f.; in Schanghai unter 25 Segelſchiffen
9 englifche, 4 amerilaniſche, 2 deutſche, 1 franzöfilches, 1 dä—
niſches; im Singapur unter 36 Schiffen 18 engliſche, 8 dent:
ſche, O amerifanifche, 5 franzöſiſche, 5 bolländifche, 1 norwegi⸗
ſches ꝛc. (Mg. Ba.)
** %*
— Die lebten Nachrichten von Gordon's Erpedition am
obern Nil reichen bis zum 29. December 1875. Seit dem
legten Briefe war der Murgi-Stamm, welcher die Linantſche
Erpebition erfchlagen hatte‘, gezlichtigt und unterworfen wor:
den. Der 50 Fuß lange Dampfer und zwei Stahlboote wa;
ren nach Duffla zu Sande transportirt worden, da die Strom:
ichnellen im Nil unpaffirbar waren. Während der Dampfer
zufanmengefetst wurde, wollte Gordon über Fort Fatiko
nach Aufina am linken Ufer des Bictoria-Ril marfchiren, um
dann über Mruli, Haba Rega's Hauptftadt, nach dem Albert-
Nyanza zu gelangen, von wo er den Nil hinunter nach Duffle
zurüdfehren wollte. Nach Beendigung diefer Nil-Erpedition,
welche, wenn fie programmmäßig ausgeführt wird, vom größ-
ten geographifchen Intereffe wäre (im Juli ober Auguft die
fes Jahres), will er mit feinen Journalen, Skizzen und
Karten nach England zuridtchren. Bis zum Abgang des
Briefes Hatte Gordon feine Nachricht über Stanley er:
halten.
— Durch Lönigliches Deeret vom 17. Februar ift im
Portugal ein „Ständiger Centralausſchuß für
Seograpbie* geichaffen worden, deffen Bräfident der Mar
rine⸗ und Eolonienminifter Senhor de Andrade Carvo ift.
Seine Sache foll es fein, alles was auf Geographie, Ethno—
logie, Archäologie, Anthropologie, Naturmwiffenfchaften u. f. w.
Bezug bat, zu pflegen, zu befördern und zu regiftriren. Das
that wahrlich dringend noth; denn mas bis heutigen Tages
Seitens der Bortugiefen auch nur für die Kenntniß ihrer
eigenen Colonien und bes angrenzenden Gebietes z. B. in
Südafrika geſchehen ift, ift verfchwindend wenig gegen das,
was namentlich die Engländer und einige Deutiche leifteten.
Auch in Madrid hat fich am 2, Februar diefes Jahres unter
dem Borfig bes Herrn de Formento, Minifter des öffentlichen
Unterrichts, eine geograpbiiche Geſellſchaft gebildet, deren
erfte Situng ſchon von 200 Mitgliebern befucht war.
Zur Imdianerfrage. Bon F. Birgham. (Mit
vier Abbildungen.) — Die englifhen Himalaya-Befigungen. Von Emil Schlagintweit, II. — Wie verhält es fih mit
der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hermandez de Toledo? Bon Lothar Beder. I. — Der Obi und fein
Flußgebiet. Bon N. Latkin in St. Petersburg. — Aus allen Ertbeilen: Wiſſenſchaftliche Expeditionen der Vereinigten
Staaten. — Die deutſche Handelöflagge in Oftafien. — Berfchiedenes. — (Schluß der Nedaction 2. April 1876.)
MRedacteur: Dr, R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenſtraße 13, II Tr.
Drud und Verlag von Friedrich Wieweg unt Sohn in Braunſchweig.
Mit befonderer Berüchfichtigun
9 der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Rihard Kiepert.
Braunſchweig
Jährlich 2 Bände a 21 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Poftanftalten
jum Breife von 12 Mark pro Band zu beziehen.
1876.
Telemffen in Algerien.
Einige Tage nach feiner Ankunft in Telemffen wurde
der Franzoſe, dem wir in der Schilderung dieſer interefjanten
weſtalgeriſchen Stadt folgen (DI. E. deYorral), von einem
reichen Juden zum Mittageffen eingeladen. Sein Wirth,
von feinen ſechs Kindern umgeben — für einen Franzoſen
ſchon eine ſtaunenswerthe Anzahl —, empfing ihn an ber
Thür; drinnen harrte feiner die frau vom Haufe, die trog
ihrer fünfundvierzig Jahre noch friſch ausſah. Auf ben
erften Blid unterſcheidet fid) das Haus nicht jehr von einem
mohanmedanischen „Dar“. Bon wuchtigen Säulen getra-
gene und mit glafirten Kacheln gepflafterte Kreuggänge ums
geben den Hof, in deſſen Mitte ein Epringbrunnen plätjchert.
Die Zimmer find lang und ſchmal und haben eim jedes auf
einer Seite einen etwas höher gelegenen Aitoven, auf weldem
öfters ein Divan fteht. So weit ift alles orientalifch. Aber
im obern Stockwerke liegt ein Staatszimmer, eim echter,
nach franzöfifcher Weile ausgeftatteter Salon mit einen
PBianoforte, einem Notenfpinde, das die modernften Tonftikde
birgt, und einem Bucherbrett, auf welchem ſich Ponſon du
Terrail breit macht. Nicht als ob diejes Zimmer im gans
zen Jahre je beugt würde! Gott bewahre! Aber trogdem
ift ed der Stolz feines Eigenthlimers.
Die Hausfrau dagegen hat ihre intereffante National:
tracht ruhig beibehalten, die Formla oder Sammetweite, den
goldgeſticten Kaftan, den Beben (Bloufe) von durchwirkter
Seide und die Ghelila (Aermel), deren durchſcheinende Gaze
die etwas allzu ftarfen Arme nur halb verhüllt. Das Haar
wird von dem M’harma, einem goldgeftihten Tuche, bededt,
Blobus XXIX. Ar. 17.
II.
und den Hals umfchlingt eine Perlenfchnur. An einer gols
denen Kette hängt ein veiches Riechfläſchchen bis auf dem
buntfarbigen Gürtel herab und die Füße ſtecken in reich ges
ftidten Schuhen. Die jungen Mädchen dagegen huldigen
mehr oder weniger der Parifer Mode, während die jungen
Männer die Trachten zweier Erdtheile vereinigen: Punp«
hoſen und litzenbeſetzte Tuchweſte gehören dem Orient an,
Oberhemd, Sammetmiüge oder betreftes Käppi dagegen dem
modernen Europa. Nur felten begegnet man jetzt nod) einem
Israeliten auf der Straße, ber feine Nationaltracht offen und
ohne fremde Zuthaten trägt.
Auch die Tafel ift nad) europäifcher Weife gebedt. Kein
niedriger Tisch, feine Wafchjchliffel, welche vor der Mahlzeit
die Hunde macht, fein Gebet, kein Brechen und Vertheilen
des Brotes mehr! Statt dag eine einzige Schüffel aufge-
tragen wurde, aus welcher eim Jeder mit feinem Holzlöffel
zulangte, gab es neuſilberne Beftede und porcellanene Teller,
und auch das Eſſen fanın trog der Unzahl von Gerichten
einen europälfchen Gaumen ſchwer befriedigen. Das Er—
fcheinen dev Mufifer unterbricht die culinarifchen Genüſſe.
Sie laſſen fi) im Halbfreife auf Kiffen nieder und fangen
fofort an zu fpielen, ftets alle zufammen, ohne es je bis zu
einem zufammenhängenden Thema zu bringen. Stundenlang
wiederholen fie dieſe abgeriffenen, ewig wiederfehrenden muſi⸗
falifchen Phrafen, zu denen der Trommler den Rhythmus ans
giebt. Solche Orchefter beftchen unabänderlid; aus flnf
Inftrumenten, Da ift zuerft die Rbab mit zwei im der
Quinte geftimmten Saiten, aus indiſchem Nußbaumholze
33
Telemijen in Algericır.
258
(ungdvadogogik pozg) mlumpz ur ammog zapnauðe
enwWuBıdT — — — — — * 4 —— — fi — —
——— —— 7 — — — — — ——— — * ser — —— — — —
— — — — — — — ER —
— = f
—
— —
— — — 3
—
—
— rue
Telemſſen im Algerien,
Be und mit Perlmutter eingelegt. Der Refonanzboden
eht in feinem obern Theile aus einer dien, von brei Ro:
fetten durchbohrten Kupferplatte und unten aus einer auss
gefpannten Haut; den Steg bildet bie Hälfte eines Stüd-
chens Rohr, das fehräg unter die Saiten geflemmt wird,
Leptere werden mittelft zweier Wirbel gejpannt. Der Bogen
ift nur 20 Gentimeter lang, ſehr krumm und am Griffe mit
Silber und Edelfteinen ausgelegt.
Das zweite Inftrinment, der Kuiftra, ift eine Art Man-
doline, der alten Laute ähnlich, mit acht paarweiſe angeord+
nelen Darınfaiten, welche demnach vier beliebig geſtimmte
Töne angeben, Dieſelben werden mit einer Feder, die mit
Daumen und Zeigefinger der linfen Hand gehalten wird,
angefchlagen und erzeugen fehr fanfte Töne,
Nummer Drei, der Kamendſcha, ift unfere Violine,
welche jedoch anders als bei
uns gehalten wird, wie das
Bild es zeigt; nämlich anfe
recht vor dem Spieler.
Der Sfentihr iſt das
einzige unter allen fünf Ins
ftrumenten, welches die ganze
Tonleiter umfaßt, eine Art
Dadebrett, das auf einem
bemalten und vergoldeten
Refonanzboden 112 zu je 4
angeordneten Saiten trägt.
Man ichlägt diefelben mit
einem Hänmerdyen an. Als
flinftes fommt ein Tambus
rin, Derbufda genannt,
hinzu. Was mittelt dieſer
fünf Tonwerlzeuge hervorge⸗
bracht wird, kann nicht gut
Mufit, ſondern höchſtens
chuthmiſches Geräufc ge:
nannt werden, am welchen
ſich zwar fein europäiſches
Ohr erfreut, das aber den
zuhörenden Juden ſowohl
wie den ausübenden Muſi—
fern das größte Vergnitgen
zu bereiten ſchien.
*
* *
Unweit von Teleniſſen in
ſudöſtlicher Richtung liegt
BusMedin, von erfterer
Stadt durch die Schlucht
eines Gießbaches getrennt, die
heute eine fteinerne Brücke
tiberfpannt. An diele ſlößt
ein altes Gebäude aus geftampfter Erde an, das den fons
derbaren Namen Bit⸗er⸗Riſch, d. h. Federhaus, führt.
Bor der franzöſiſchen Beſitzuahme gab es hier nämlich nur
einen einfachen Steg liber den Bach, welchen Niemand
zur Nachtzeit zu paſſiren gewagt haben würde, weil ſich
dann dort Dſchinns aufhalten follten, eine Art fiber:
natürlicher Weſen, die theils wohlthätiger Natur find, theils
ben Menfchen quälen, wie denn jeder von Krämpfen Ges
plagter als von ihmen bejejjen gift. Nur die Tolbas oder
Zauberer verftchen ihr Uebelwollen zu befänftigen und ver-
taufen zu diefem Zwede Fr möglichft theures Gelb Talis:
mane und verordnen Opfer und Beſchwörungen, die an dem
heimgefuchten Orte ftattfinden yılifien. Meiſt wird ein
ſchwarzes oder weißes Huhn oder ein eben folder Hahn, von
359
Pegüterten felbjt mitunter ein Bod, dazu genommen, Das
Huhn wird geſchlachtet, fein Blut auf die Erde geiprigt und
feine Federn an Ort und Stelle gelaffen, während das Fleiſch
ohne Zuthat von Salz gekocht und in ber Dunkelheit verzehrt
werden muß. Tauſende von Hithnern find fo in jenem Ges
bäude geichlachtet und gerupft worden und haben demſelben
feinen Namen gegeben, aus welchem die Frauzoſen „Bitterich“
gemacht haben,
Weiterhin führt der Weg am arabifhen Begräbnißplage
entlang, auf dem ſich hier und da cin Meines Heiligengrab
erhebt, oft halb zerfallen, zum Theil aber ſehr niedlich, wie
das des Sidi · Bu⸗ Isral, welches faft einer chriſtlichen Capelle
ähnlich iſt und an deſſen Fuß eine Mare Quelle empor»
ſprudelt.
Bu-Medin, bei den Arabern auch Chöbbed genanut, liegt
auf halber Höhe der Berg⸗
lette, welche Telemſſen tm
Süden überragt. In dieſem
heiligen Orte, wo noch der
mohammedaniſche Fangtis-
mus in feiner ganzen Streuge
maltet, darf fein Europäer
ſich niederlaffen. Doch ift
das Neft nicht fo befchaffen,
daß es einen folchen anloden
lönute: veizend gelegen und
bon fern hubſch anzufchauen,
hat es, in der Nähe befehen,
enge, halebrechtriſche entſetz⸗
lich gepflaſterte Straßen, und
was von ſeinen Häuſern
nicht in Trlimmern liegt, iſt
erbärmlich und ſchmutzig.
Aber eine Sehenswilrdig-
teit beſitzt es, welche zwanzig
Stunden weit in der Runde
berühmt iſt und dieſen Ruhni
wirklich verdient, ſeine Mo⸗
ſchee. An ihr iſt aber auch
alles ſehenswerth von dem
ſchweren Thlirtlopfer dran-
gen an der äußern Pforte
bie zur Kanzel drinnen, bie
mit Supferplatten belegte
Doppelthir, ein Gegeuftand
des Stolzes flir die Mo«
hammebaner, der große Hof,
die inneren Kreuzgänge, die
Marmorfäulen, die Anläufe
der mit phantafliidhen Ara«
besten geichmüdten Bogen,
bie burdhbrochene Ruppel bes
Mirab, der bumtbemalte Stuhl des Inranı, alles muß man
ichen und alles bewundern.
Ein Yanled (Meiner Knabe), Ali mit Namen und von
Bu⸗Medin gebürtig, war flir M. de Yorral bie erfte Beran-
laſſung gewefen, Telemſſen zu bejuchen, Als er in Algier
umherfchlenderte, hatte ihm derfelbe feine Dienfte angeboten,
In Dienit eines Beamten war er — Landeshauptſtadi
gefommen und ſtand num nach deſſen allein, verlaſſen
und hülfſos da, nur bemilht, fo viel Geld zu erwerben, als
für die Heimkehr nöthig war. In 18 Monaten hatte er
glücklich die Hälfte der Summe, 15 Franken, geipart; ber
Mühe, auch den Keft zu erwerben, überhob ihn Yorral, inden
er ihn feinen Eltern zuführte. So gewann er an dem Meinen,
aufgewedten Burſchen einen Flihrer, wie er ihm ſich fir
33%
R 5!
PA Th
Thürllopfer der Moſchee von Bu⸗Medin. (Mach einer Photographie.)
Telemſſen in Algerien.
FMERULLE in
Thor der Moſchee von Bu⸗Medin. Mach einer Photographie.)
Telemſſen in Algerien.
Telemffen und feine Imgebung nicht befier hätte wünſchen
fönnen,
Der Wächter des Grabes in der Mofchee von Bu⸗Medin,
der ehrwürdige M' Kadem Huffin, den feine Mitblirger ſchon
jegt fllr einen Heiligen anfchen, war des Knaben Oheim.
Reſpectvoll küßte Ali feinem Berwandten die Hand und
ftellte ihm feinen Befchliger als Fremden von Auszeichnung
vor, weldyer auf ſolche Empfehlung hin ohne weitere Schwie⸗
261
rigfeiten Zutritt zu dem Heiligengrabe erhielt. Es ift das
ein Meiner dunfeler Keller, der durch ein geſchnitztes Täfel:
werk im zwei gleich große Räume getheilt wird. Die Wände
find bis zur halben Höhe mit glafirten Ziegeln bededt; der
Reſt ift mit Simfen von Gype verziert und grün und gelb
getlincht. Ein dicker maroffanischer Teppich bedeckt den Fuß-
boben des Raumes, der durch eine Heine, von der Dede herab«
bängende Yampe fpärlidy beleuchtet wird. Grline Fahnen,
Inneres der Moſchee von Bu⸗Medin. (Mad einer Photographie.)
Stranfeneier, Spiegel und Wachslerzen von allen möglichen
Farben vollenden die Ausftattung der Capelle. Im hintern
Raume erhebt ſich das mit vothem Damaftftoffe bededte Grab⸗
mal des Sidi-Bu-Mebin.
Diefer Derwiſch, weldyer eine Zeitlang in Mefta gelebt
und fid) dann in Budſchaja (Bougie) in Algerien nieder-
gelaflen hatte, wurde von dort auf Befehl des maroffanischen
Sultans Yakıb-Almanfor, defien Macht fein Einfluß in
den Schatten ftellte, weggefchleppt. Als er aber mit feiner
Escorte an den Wed Iſſer kam, der öftlicd von Telemfien
fließt und fid) in den Wed Tafna ergießt, wurde er franf
und ftarb, Das gefhah 1198. Sein Leichnam wurde nad)
Chöbbed gebracht, dort mit großem Pompe bejtattet und wirft
ſeitdem unzählige Wunder,
Der alte M' Kaddem kauert gewöhnlich in einem Hofe,
der vor dem Grabe liegt; unbeweglich verbringt er dort die
fangen Tage, nur daß er die Perlen feines Rofenfranzes
durch die Finger gleiten läßt. Doch dem Beſuche zu Ehren
262
fäßt er von feinen Gewohnheiten; ex ſetzt ihm Kuchen und |
Honig vor und Wafler aus dem heiligen Brunnen. in
Duro (Piafter) belohmte ihm dafür und mit feinem „Salem
alichum* (Friede fei mit dir) begleitete er den Freiiden bis
auf die Straße.
Die Außenthür ift der Beachtung werth. Zwei ausgefchlte
Säulen mit forinthifchen Capitälen ſtützen Pilafter; unter dem
Schutzdache ſieht man Getafel und Cartouchen von Holz, weldye
die geicjiefte Hand eines Bildhauers tief ausgearbeitet hat.
Diefe wennſchon etwas ſchwere Verzierung ift doch von glüds
licher Wirkung. — Die einft blühende und zahlreich beſuchte
Religionsfchule (Medrefia) dagegen liegt jetzt in Trümmern
da; die Dächer find eingeftirgt und ein einfamer Roſenſtrauch
beichattet das flagnirende Gewäſſer in dem öden Hofraume.
Hundertjührige Delbäume wachſen oberhalb des Dorfes
und fchäumende Bäche ſtürzen dort Über bie jähen Abhänge
herab. Folgt man einer Yeitung, welche das Waller des
Wed Mefruſch den Mühlen von El-Kalah zuführt, 3 oder 4
Kilometer bergauf, jo lernt man dort ein herrliches Fleckchen
Erde kennen, von den jelbft viele Einwohner Telemfiens
feine Ahnung haben. Das vielfach) gewundene Thal zeigt
dem Wanderer bald einen kleinen Marabut im Schatten
einiger Baume, bald eine luſtig klappernde Miihle, Aber
plötzlich ändert ſich die ganze Scenerie, wenn man im den
Profeſſor Aicherion wieder in der Libyſchen Wüſte.
Theil des Thales, wo der Meſruſch den Namen Saf-faf
führt, eintritt, und nimmt einen großartigen Anſtrich an.
Gerade vor dem Beſchauer zeigt fd auf einer Felſenterraſſe
das fleine arabifche Dorf Mulalu, wo einft Abd-el-Sader,
der jegt im jernen Damaskus dem Ende feiner Tage entge-
genfebt, Gärten befaß. Dahinter erhebt ich, die Landſchaft
beherrjchend, der Dichebel Hanif zu 1298 Meter Höhe,
und unten raufcht der Fluß durch einen wahren Wald wilder
Kirſch und Feigenbäume. Bon der Straße aus, welche das
Sewähler und den Abgrund, in dem es ſich ſtürzt, auf einer
Brucke überfchreitet, fieht man nur die unterften Fälle, bie
fo ſehr hinter dem obern zurückſtehen. Aber am Fuße diefes
legtern, des ſchönſten von allen, genießt man eine herrliche
Ausficht: der Fluß gleitet Über eine ſchiefe Ebene und zer-
theilt fic im fünf Arme, deren zwei gegenüber dem Befchauer
herunterraufchen, während die drei anderen erft rechts fliehen
und dann die anderen im Fallen kreuzen, daß der Waſſerſtaub
hoch aufwirbelt.
Noch eine legte Anſtrengung, und man fteht auf dem
Gipfel des Berges und fieht, wie der Fluß vor feinem Sturze
eine grünende Inſel umschließt, auf welcher alle Früchte des
Yandes gedeihen, eine wahre Dafe. Denn ringsum dehnt
fid) dort oben eine weite Einöde aus, die nicht einen einzigen
Baum beſitzt, auf dem der Bid ruhen könnte,
Profeſſor Aſcherſon wieder in der Libyfchen Wüſte.
Prof. Aſcherfon fchreibt und aus Medinet-el-Fa—
jum in Aegypten über feine neue Reife, deren wir ſchon
auf S. 152 diefes Bandes furz Erwähnung thaten, folgen«
dermaßen :
Iren Wunfche gemäß bin ich fo frei, Ihnen kurz fiber
den Beginn der von Schweinfurth und Gußfeldt refp. mir
angetretenen Wiftenausfllige zu berichten. Um 2. März
beraten ſowohl Dr. Gußfeldt als id) den Boden Aegyptens,
und am Abend beflelben Tages traf Schweinfurth aus Cairo
ein, um in den nächften Tagen mit und in Wlerandrien die
nöthigen Vorbereitungen zu treffen. Dr. Güßfeldt, der ſich
Schweinfurth auf deſſen Ausfluge in die arabifdye Witjte
angeſchloſſen hat, fand zur Aufitellung und Vergleichung
feiner Inftrumente einen jehr geeigneten Plag in der Privat:
ftermwarte eines dortigen Saufmannes, des Herrn Alerans
der Pirona, eines geborenen Trieftiners, welcher ebenſo
kenntnißreiche als beſcheidene Mann ſich das größte Ver—
guligen daraus machte, unſerm Freunde behlllflich zu fein,
und deſſen Berdienſte um die Kenntniß der meteorologiſchen
Berhältniſſe feines Wohnortes (ſeine Beobachtungen find in
den Berichten der k. k. Centralanſtalt für Meteorologie mit—
getheilt) allgemeine Anerkennung verdienen. Au 9. März
begaben wir uns nach Beni Suef (13 deutſche Meilen
ſüdlich von Cairo am Nil), wohin Schweinfurth das ſchwere
Gepächk (ſowohl für feine Partie als für die meinige je ſechs
große Kameellaſten) per Nilbarke expedirt hatte, Berhand-
lungen mit den Kameeltreibern zc. nahmen faft eine Woche
in Anſpruch, obwohl Schweinfurt, der fi) die beften
Empfehlungen an die Geiftlichfeit deu berühmten koptiſchen
Wiftenklöfter verfchafft hatte, in dem loptiſchen Clerus, deir
fen Einfluß nicht unterjchägt werden darf, allen Rüdhalt
fand. Ein von uns gemeinschaftlic, abgeftatteter Beſuch in
dem 1'/, Stunden nördlich von Beni Suef gelegenen Klo—
fter Buſch, wo Abuma Juſſuf, der mächfte Vorgejegte der
Klöfter St. Paul und St. Antonius, refidirt, gab uns einen
guten Begriff von dem Anfchen und dem fiets zunehmenden
Wohlftande diefer veligiöfen Körperſchaften. Es ift nid
zu verkennen, daß die jegige Epoche völliger Toleranz und
das Aufhören der früheren Bedrlidungen dem Gedeihen der
foptifchen Bevölferung allen Borſchub leiftet. Ueberall wer:
den verfallene Kirchen neu hergejtellt und zwar nicht auf
die bisherige dirftige Art, fondern im demonftrativer Weife
durch für hiefige Verhältniſſe luyuriös zu nennende Bauten.
Yeider war es nicht möglich, wie anfangs unfere Abficht
war, in Beni Suef auch flie mic, Kameele zum directen
Marſch nach der Kleinen Dafe (wie ihn befanntlic, Belzoni
1516 anögeführt hat) zu befommen, Ich mußte deshalb
hierher (nad) Medinet-el-Kajum) mid) wenden und habe diefe
Neife am 16,, des vielen Gepäcks halber zu Kameel, aus
geführt *). Der directe Weg fiber El-Yahın und längs des
Bahr Yuſſuf, jenes weitlic vom Nil gelegenen Canals, der
dem Fajum das Wafler zuführt, nad) Medinet-el-Fajum,
bequem in acht Stunden mit beladenen Rameelen zuridzus
legen, bietet jedenfalls noch mehr Intereſſe ald die langwei-
tige Eifenbahnfahrt über Uaſta. Bon El-Yahun bis hierher
fügrt die Straße größtentheils über folide conftruirte, meift
mit Futtermauern und zahlreichen Brückendurchläſſen ver-
fehene Dämme, die aus guter Zeit, wohl zu nicht geringem
Theile aus dem Altertfum ftammen. Die Byramiden von
El⸗Lahun und Hanarah bleiben lange ſichtbar.
Hier in Medinet habe ich, leider wieder eine Woche ge:
braucht, bis nad) langwierigen Verhandlungen vor dem Mu-
dirat meine Karawane reifefertig wurde. Wine folde Ber:
zögerung, bei der mir jo bejchränft zugemeflenen Zeit um fo
fühlbaver, wirkt ftets deprimirend, felbft wenn bie nothgebrun-
gen improvifirten Ausfluge nicht ohne Ergebniß bleiben.
*) Berl. die Rartenfligge auf S. 152 dieſes Bandes.
Richard Andree: Robert Hartmann’s „Nigritier”.
Fir den Archäologen und Jugenieur ift die Gegend um
Mebinetselsfajum, welche Stadt fid) unmittelbar an ber
Kon Faris genannten Trlmmerftätte des alten Arſinos
(Krotodilopolis) erhebt und zahllofe architektonische Nefte der
alten Stadt in ihren Moſcheen und auch in Privatgebäuden
verwendet zeigt, von hohem Intereſſe; leßteren dürfte nantents
lich das complicirte Canaljyftem und die eigenthümlich cons
ſtruirten, durch das Waſſer felbft bewegten, unterſchlächtigen
Scöpfräder intereffiren. Auch flir den Botaniker iſt dieſe
Gegend nicht unergiebig. Die Flora weicht fehr erheblich
von ber des oberägyptifchen Nilthals ab und erinnert in
mehrfachen Charakterzügen theils an das Delta, theils ent:
ſchieden auch an die von uns im ben Dafen angetroffene
Mittelmeerjlora. Sehr wahrſcheiulich werden die von uns
1874 erhaltenen pflanzengeographiſchen Ergebniſſe mad)
Unterſuchung der Daſe Veharieh, auf welche ich daher jegt
263
noch mehr gefpannt bin, als vor Antritt der Neife, manche
Modification erfahren. Auf Wunſch meines Freundes Zit:
tel fee ic die von diefem 1874 durdjgeführten Ogonbeob-
adıtungen fort und habe bis jegt in Beni Suef und befon-
ders hier jehr niedrige Zahlen erhalten, was mit deflen
Ergebniffen ſtimmit.
Da mit der Kleinen Dafe von hier aus eine regelmäßige,
zweimal im Monat verkehrende Courierverbindung beftcht,
fo darf ich Ihnen wohl von dort in einigen Wochen einen
zweiten Bericht in Ausficht ftellen, Scyweinfurth und Süß:
felbt beabfichtigten aud am Tage meiner Abreife von Beni
Suef nad) dem rechten Nilufer zu überfiedeln, wo ihr Ger
päck ſchon feit nichreren Tagen in der ebenjalls in Neubau
begriffenen Stiche von Bayad deponirt war; inzwiſchen wer
den fie wohl die Wüjtenflöfter unter etwa 29° uördl. Br.
zwiſchen il und Rothem Meere bereits erreicht haben.
Robert Hartmann’3 „Nigritier“ *).
Von Richard Andree,
Unfere neneren deutjchen Afrikareifenden haben es treff-
lid, verftanden, das gefanmelte Material audzunugen.
Fritſch befchenfte und mit dem fchönen Werfe über die Ein-
geborenen Südafrilas ſechs Jahre nachdem feine Reiſebe—
ſchreibung erſchienen war, Schweinfurth ließ die Artes
Africanae feinem Hauptwerle folgen und Prof. Hartmann,
defien Keife mit dem Freiherrn von Barnim nun ſchon
vor einem halben Menſchenalter jtattfand, lieferte ſeitdem
zahlreiche Schriften und Abhandlungen, welche alle vom
ſchwarzen Erdtheil und deſſen Bewohnern handeln. Auf
feine „Mebieinifchenaturgefchichtliche Skizze der Nilländer“
(Berlin 1865) folgen jegt die „Nigritter“, ein Werk, von
ben dad nonumque prematur in annum wörtlich gilt,
über das jedoch erft ein endgültiges Urteil fic abgeben läßt,
wenn der zweite Theil erfchienen ift, auf den zur Begrlin-
dung mancher Anſichten im erſten wiederhoft verwiefen wird.
Es handelt fic hier um eine kritiſche Durdjarbeitung der
gefammten afrilaniſchen Ethnologie, und Hartmanı fommt
dabei zu Ergebniſſen, weldye in vieler Beziehung von den
bisher geltenden Anſichten abweichen. Bon den Nordoft:
Afrikanern, die er aus eigener Anſchauung fo gründlich
feunt, ausgehend, verbreitet er ſich allmälig über die Wölker
des ganzen Gontinentes bis zur Südſpitze hinab, überall
die Refultate der neueften Forſchung einarbeitend, Die an«
thropologifdye Grundlage wird ftets feſt gehalten und mit
deu Sprachforſchern manche Yanze gebrochen. wobei es denn
manchmal nicht ganz glimpflid, heracht. Die Autopfie, die
Veherrichung eines rieſigen Quelleumaterials und ein eiſer—
mer, aus dem ganzen Werke hervorfchauender Fleiß, eine
liebevolle Hingabe zur Arbeit zeichen das Buch aus, dem
wir nur etwas mehr Öbruppirung und Abſchnitte gewänjcht
hätten, namentlid) im 9. Gapitel, weldjes faft 400 Seiten
umfaßt.
Ein Hauptbeftreben Hartmann's ift, die Afrikaner als
ein großes Ganzes darzuftellen , das allerdings in drei Ab»
theilungen zerfällt, welche aber unter ſich durch zahlreiche
*) Die Nigritier. ine antbropologifchserhnologiihe Monogta-
vhie von Dr. Hob, Hartmann, Erſter Theil, Mit 52 litbograpbis
fhen Tafeln und 3 Holiſchnitten. Berlin, Wiegandt, Hempel und
Parcp 1876.
Uebergangsbildungen verknüpft find. Seine erfte Abtheis
lung find die Berbern, die heller gefärbten Bewohner im
Norden, von ben Hüften des Atlantifchen Oceans bis zum
RU, mit Einjchluß der monumentalen Aegypter, der Retu,
deren afrifanifces Aboriginerihum gegenüber manden Sprad):
forfchern in Hartmann den ftandfefteften Vertreter findet.
Wir waren bisher gewohnt, mit diefen hellfarbigen Nord—
afrifanern auch noch eimige weiter nach Oſten wohnende
Völlerſchaften, die Bedſchahh, Danafil, Somal und Galla,
vielleicht die Wafuafi, zu vereinigen und für die ganze
Gruppe vom Atlautiſchen Ocean bis zum Gap Guardafui
den Namen der „Hamiten* zu acceptiven. Hartmann aber
fucht hier zu fcheiden uud, was den Namen Hamiten betrifft,
fo ift er darauf bitterböfe. Wir find auch der Anſicht, daß
Noah's Sohn eine ſchlechte Bezeichnung für eine ganze
Völfergruppe abgiebt, haben den Namen aber nur angenoms
men, weil ein befjerer bisher mangelt. Wenn wir jegt
von ber Silurformation in Deutjchland ſprechen, jo fällt es
und nicht ein, an die alten Silurier in Britannien zu denfen,
denen fie ihren Namen verdanft, und jo nahm man auch die
„Hamiten“ bin.
Auf ſemitiſche Einwirkungen, die Übrigens nicht ganz
geleugnet werden, ift Hartmann ſchlecht zu ſprechen, foweit
es ſich um die Anthropologie Afrikas handelt. Namentlich
jenen tritt ev ſcharf gegenüber, welche in Bezug auf die
femitiiche Berwandtichaft der alten Acaypter des Guten zu
viel thun wollen. Es unterliegt feinem Zweifel, daß die
Sprache für den Anthropologen nur fecundäre Bedeutung
hat, und daß die alten Aegypter entichieden den hellen Norb«
afrifanern zuzuzählen find. Judeſſen darf wicht überjchen
werden, daß gerade im der allerneucften Zeit die Beläge ſich
mehren, weldye eine nahe Verwandtſchaft des Altägyptifchen
mit den ſemitiſchen Sprachen ſehr wahrſcheinlich machen.
Mit Recht aber geißelt Hartmann jene, welche jr Kaffern
und Hottentoten, wegen ethnologiſcher Jufälligfeiten, Bettern⸗
ſchaft mit den Semiten annehmen, Warum nicht mit dem
Chineſen? Der verdienftvolle John Barrom hat feiner
„Reife durch China“ (deutſch, Weimar 1804) eine famoje
Kupfertafel beigegeben, auf weldyer ein Hottentot und ein Chi:
neſe vergleichend dargeftellt find. Der eine wendet den Kopf
264
rechts, der andere linfs, fonft find fie ſich ähnlich wie ein
Ei dem andern — ergo! Diefe Abbildungen fielen uns
immer ein, wenn wir Dofaphat Hahn's oder Merensty's
Auslaffungen Uber Semiten und Südafrifaner lafen.
Hartmann’ zweite Abtheilung find bie Bedſcha—
Voller, welche das abeſſiniſche Hochland, die angrenzenden
Küften und die Ebenen im Ciüden und Weften davon bewoh—
nen. Zu ihnen rechnet er, abweichend von allen bisherigen
Erhuographen, die Abeffinier; ferner die Schoho, Danatil,
Bedſcha, Biſcharin und jene bisher oft als „Araber“ ber
zeichneten Nomaden in Nubien und Gentralafrifa , wie die
Balara, Scua u. ſ. w. In lepter Beziehung hat Hart:
mann, und uuſerer Anficht nad) mit volljtem Rechte, grlind-
lich, aufgeräumt und die Träumereien von Vollblutarabern
in Afrifa befeitigt. Im vorliegenden Bande finden wir nod)
nicht den vollftäudigen Beweis beigebracht, daß die Abeljis
nier Bedſcha feien; es wird auf den linguiftifchen Theil ver»
wiejen; außerdem werden zahlreiche phnfiognomifche Aehns
lichleiten mit den umwohnenden Völlern herangezogen. Agau,
Falafcha, Kamanten, fie alle werden mit den Abeffiniern
zufanmengeftellt, Folgende ſprachliche Beobachtung ift Hier
bemerfenswerth: „Eine Hauptfpradye der öftlichen Abeſſi—
nier ift das Tigris ober Hafeh, weldjes als „echte Tochter
des Geez“ vom Mothen Meere bis zum Atbara reicht.
Dean fpricht daffelbe auf den Dahlak-Infeln, in der Sams
hara nörblic, von Zula, in Algeden, Bidamah, Saabderat.
Es wird geredet von den Habab, Menſa, Bedſchut und
Maria, der Ad Ali Bachide, Beni Amer, Halenga und
Vienna. Man fieht alfo, dag Abelfinier und Bedſcha dieje
Sprache durdjeinander reden. Urſprüngliche Agau, die Bos
908, nehmen diefelbe jegt mehr und mehr an. Die Menfa,
welche in phyſiſcher Hinficht ſich ſo wenig von den Bogos
unterfcheiden, fprechen ausſchließlich Tigris. Es lehrt ung
dieſes Beifpiel gleich vielen anderen, daß man im gewifjen
Fällen fehr wenig auf die Spradye geben darf, welde ein
Stamm gebraucht; daß es wenigftens dringend gerathen er
ſcheint, ſich darüber Gewißheit zu verfchaffen, ob ein Stamm
die von ihm geredete Sprache auch von Haufe aus beſeſſen
hat, ober ob dieſelbe von ihm erjt angenommen iſt.“ Mit
einem Worte, hier liegt vor, was man im glüdlichen Ber
gleiche eine linguiſtiſche Pſeudomorphoſe nennt, eine Erfdjeis
nung, die bei uns am fchlagendften durch die Juden illuftrirt
wird. Hartmann, welder eine Abkunft der heutigen Abeſ—
finier etwa aus Arabien beharrlic, zurückweiſt, ift dagegen
geneigt, den Spieß umzufehren und die dunflen Slidaraber
(Himjariten ıc.) aus Afrifa abzuleiten (S 394).
Die dritte Abtheilung Hartmann's nun find feine
Nigritier, die wollhaarigen Schwarzen des Sudan, jüdlid)
begrenzt von den Abantı. Den Ausdrud Neger, als zu
Irrungen Anlaß gebend, verwirft Hartmann. Seine Nigris
tier flimmen überein mit jener Abtheilung, die Peſchel „Eur
danneger“ nennt, und es fragt ſich nun, welche von beiden
Bezeichnungen in der Ethnographie durchdringen wird.
Alle drei Abtheilungen find untereinander verbunden
durch Uebergangsglieder; als ſolche bezeichnet Hartınann die
Tibbu, Momburte (mie Hartmann regelmäßig gegenüber
Schweinfurth's Monbuttu fchreibt), Fan, Fulbe, Somal
und Gala.
Hartmann ift im der glüdlichen Lage, daß bei ihm der
Raturforfcher und der Künftler in einer Perſon vereinigt
find, Er fieht alfo ganz anders als der gewöhnliche Maler
und giebt bei feinen Portraits dasjenige wieder, worauf es
dem Anthropologen anfommt. Die 52 Tafeln, lithogra»
phiſch ausgeführt, find von außerordentlichem Werthe, na—
mentlich jene, denen Hartmann'ſche Aquarelle oder gute |
Photographien zu Grunde liegen. Es ift eine Anbahnung |
Richard Andrre: Robert Hartmann's „Rigritier”,
zu einer afrifanifchen Bölfergallerie, darum fo werthvoll,
weil fie fchnell und leicht den Vergleich zuläßt und fat durch⸗
weg echtes, zweifelloſes Material zur Grundlage hat.
Manche der Figurenbilder find leider undeutlich geworden,
was wohl im Drude zu fuchen ift.
Ganz vortrefflic, ift, was der Berfafler über Culturs
pflanzen, Aderbau und Gulturthiere der Afrilaner jagt, In
diefer Ausdehnung ift das Gapitel völlig neu zu nennen,
und Hartmann zu deſſen Abjaffung in hervorragender Weife
bejähigt gewejen, da er feit langer Zeit fid) ſchon der arg
vernadjläjfigten Hausthierfunde annahm. Gier wird in ge:
wiſſer Art daſſelbe für Afrika geleiftet, was Victor Hehn
auf dem gleichen Gebiete fir Europa that, Wo biefer aus
dem reichem Schage feiner Kenntuiß der Claſſiler jchöpft,
greift Hartmann zu den Monumenten der alten Aegypter,
wie er und denm für einen Yaien auf dem Gebiete der
Aegyptologie ungewöhnlidy bewandert erfcheint. (An den
Aegyptologen wird er jedoch feine ſchärfſten Kritiker finden.)
Der bisher herrſchenden (von Ritter und B. Hehn vertretes
nen) Anficht gegeniber, die Dattelpalme gehöre wohl ur
ſprünglich Meſopotamien an, befehrt uns Hartmann, da
die Dattelpalme feit den älteften Zeiten im Nilthal heimiſch
war, wie die Denkmäler von Theben beweifen. Als ungwei-
felhafte Gegenftände „urthümlich nigritiicen Ackerbaues“
werben aufgeführt: die Delpalme, Dolichos, die Erdnuß,
Durrah (Sorghum), die vorzüglichfte afrifanifche Brotpflanze,
und viele andere minder hervorragende. Auf die heifle
Trage, ob der Bauerntabad (Nieotiana rustica), für welchen
die Niam-Niam ein eigenes Wort haben, in Afrika heimiſch
fei, geht Hartmann nidjt ein. Schweinfurt (Im Herzen
von Afrita I, 279) hält es für eine offene ifrage, ob der
Bauerntaback amerikanischen Urfprungs fei, und neuerdings
hat bekanntlich Lothar Beder eine eigene Abhandlung
darüber gejchrieben, um die N. rustica der Alten Welt zu
vindiciven. Unter den von Hartmann aufgeführten, im
Afrika cultivirten Planzen vermiljen wir den Wein, von
dem die Woina Dela in Abeſſinien (Heuglin S. 221) deu
Namen führt. Wenn aber Heuglin bei Woina fagt „offen
bar vom griechiſchen ofvos“, fo dürfte er auf Widerftand
ſtoßen, da Hehu (Gufturpflanzen, 2. Aufl, ©. 67) und
Fr. Muller auf dem Umgefehrten beftehen und nachweiſen,
„daß der Wein den Griechen aus ſemitiſchem Culturkreiſe
zugefommen*. (Schon wieder diefe Semiten — wird Prof.
Hartmann audrufen; fie find aud) in der Wiffenfchaft fo
zuduinglich wie an der Börfe.) Die altäggptifchen Denkmäler
(ef. Willinfon) zeigen ung Übrigens ganz vortreffliche Dars
ftellungen des Weinbaues der Netu, die Art des Kelterns ıc.
Kurz beipricht Hartmann die afrifanischen Hausthiere
und deren Wichtigfeit für die Ethnologie. Die Anjichten
des Berfaffers im biefer Beziehung find uns ſchon aus der
Zeitichrift file Ethnologie befannt. Während er willig die
Abftammung des Dromedars aus Aſien zugefteht, ift er nicht
abgeneigt,, die nubiſchen, abeffinifchen und Gallapferde eins
heimifc in Afrika anzunehmen (S. 136); er verweift auch,
was ung neu war, auf das Vorlommen wilder Ponies in
Südmaroffo, FutasToro und den Landſchaften nordweſtlich
vom untern Dſcholibalaufe (Fitzinger wird als Quelle bes
zeichnet; wie hätten bier germ primäre Quellen als Belag
gehabt). Auffallend erſcheint, wie Hartmann hervorhebt,
daß nur zwei Vögel, die Haustaube und das Perlhuhu, von
den Afritanern domefticirt werden.
Wie durch den ganzen erften- Band ein culturgefchicht:
licher Faden hindurchgeht, jo beiradjtet Hartmann auch im
Zufammenhange die älteren und neueren Induftrien und den
Handel der afrifanifchen Völler. Afrita hat auch feine Stein»
zeit gehabt. Es liegt gar fein Grund vor, warum dies
Alexander Eder: Zur urgefchichtlichen und culturgejchichtlichen Terminologie.
nicht der Fall geweſen fein fol, im Gegentheil, die Beweife
dafür mehren fi, wenn auch Hamy's und Lenormant's
ägpptifche Weuerfteingeräthe ſich als Naturfpiel erweifen.
Zu den immer noch fpärlihen Funden nigritifcher Stein
waffen fligen wir Hinzu bie gut polirten Streitärte aus
Serpentin von Accra, die als Fetiſchſteine gelten *).
Brongearbeiten find unter den Nigritiern noch nicht ges
funden worden ; bag Bronze bei den monumentalen Aeghp-
term ſchon fehr früh in Gebrauch lam, darf als bekannt
- vorausgefegt werben. „Nichts rechtfertigt die Bermuthung
Eingelner,* ſchreibt Hartmann, „die Berarbeitung des Eifens ſei
eine ajiatifche Erfindung und den anderen Nationen, vornehm«
lid) den Afrilanern, etwa wie ein Handelsartifel überliefert
worden. Alles deutet vielmehr darauf hin, daß die Nigritier
Eifen felbftändig darzuftellen gelernt und dies Product ben
anfänglich nur Bronze führenden Aeghptern übermittelten.“
Wir glauben, daß diefe Frage noch nicht ſpruchreif iſt.
Abgefehen davon, daß im befannter Weife die Eifeninduftrie
in Afrika auf einer hohen Stufe fteht, fiihrt Hartmann, einige
Tormähnlickeiten von nigritifchen und ägyptifchen Waffen
abgerechnet, nichts zur Unterftügung feines Sates auf.
Mag auch der Einfluß der gejegneten Culturlandſchaften
Mefopotamiens auf Aegypten noch fo fehr befchräntt werden,
fo erfcheint e8 ung, ſchon wegen der Nähe, weit einfacher
und natirlicher, daß von dort die Kenntniß des Eifens an
*) H. 6. Monrab, Gkmälde der Küſte von Guinea x. Aus
dem Dänifchen. Weimar 1824, ©. 118,
265
den Nil gefangte, ald von den Nigritiern. Ueberfehen wir
dabei auch Analogien nicht und beachten wir, wie fonft über
all auf der Erde die Kenntnig des Eifens von Afien aus
fid) comcentrifch verbreitete. Die Neue Welt fannte es bis
zur Conquiſta nicht; nach dem öftlichen Aften kam es erft
mit den erobernden Rufen am Ende des 17. Jahrhunderts,
nad) Nordweftamerifa gar noch viel ſpüter. Daß es nicht
immer leicht befannt wurde, erlennen wir am Beifpiel der
Kamtfchadalen (nad) Steller), die es erft durch die Ruſſen
fennen lernten, nicht aber von ihren eifenfundigen Nadjbarn,
ben Japaneſen. Melanefien und Polyneſien, Auftralien,
find erft durch die Europäer mit bem Eifen vertraut gewor«
ben. Ein afrifanifches Volk, das Hartmann aber nod) nicht
in den Kreis feiner Betrachtungen z0g, die Howas auf Ma»
dagasfar, unzweifelhaft malayiſchen Stammes, brachte jedoch
die Eifeninbuftrie aus Afien mit und erlernte fie nicht erft
auf Madagasfar oder von den Abantu. Es läßt ſich diefes
bis zur Evidenz durch die Form feiner ans Bambusrohren
conftruirten Blafebälge beweifen, welche ganz verfchieden von
jenen der Afrifaner find und genau mit den Blafebälgen
auf den malayifchen Inſeln übereinftinmmen *).
Hartmann's Werk, wenn es vollftändig vorliegt und
mit einem guten Negifter verfehen ijt, wird ftets als eine
ber vorzügliditen Quellen über, afrifanifche Völler gelten.
Wir ftatten dem Verfaſſer unfern geziemenden Danf ab.
*) Tylor, Researches into the early history of Mankind. Lon-
don 1865. p. 187. 168.
Zur urgeſchichtlichen und eulturgefhihtlihen Terminologie.
Von Alerander Eder *).
Es ift unverlennbar, daß ſich in neuerer Zeit in Betreff
der Auffaffung der Reihenfolge und ber Begrenzung ber
von den ſtandinaviſchen Forſchern aufgeftellten und bie da—
hin ziemlic allgemein anerfannten Gulturperioden Europas,
der Steins, Bronzes und Eifenzeit, eine langſame aber inten:
five Umwandlung vollzieht, die, von ben bedeutendſten deut⸗
ſchen Archäologen, vor allem unſerm Lindenſchmit, längſt
angebahnt und erfolgreichſt verfochten, allmälig beginnt ſieg⸗
reich durchzubrechen und wohl ohne Zweifel damit enben
wird, daß diefes zu voreilig und zu leicht aufgeführte Ger
bäube der fogenannten „Dreitheilung“ zertrilmmert, was
aber an guten Baufteinen von demfelben übrig bleibt, in ben
foliden Bau der Wiſſenſchaft bleibend eingefügt wird.
Und es gefchieht hiermit num ganz daffelbe, was mit fehr
vielen neuen wiſſenſchaftlichen Lehren auf ben verſchiedenſten
Gebieten ſich ſchon ereignet hat und auch noch ferner ereig—
nen wird. ine jede ſolche pflegt, um ſich Play und Aner-
fennung zu verfchaffen, ihre Säge als „Sefege* mit ſchnei⸗
diger Schärfe hinzuftellen. Die ſcharfe Formulirung ruft
aber naturgemäß als Neaction eine ebenfo ſcharfe kritiſche
Prüfung hervor, durch die bald zahlreiche Ausnahmen von
den „Geſetzen“ entdedt, wo unausfülbare Klüfte zu beftchen
fchienen , Ucbergänge nachgewiefen und Wahrheit und rt:
thum gefchieden werben. -
Und fo hat die beſtimmte Formulirung einer ſolchen
*) Mit gütiger Bewilligung des Verfaſſers, wie der Nedaction
abgebrudt aus ber Beilage zur Allgemeinen Zeitung Nr. 68 vom
8. Mär; 1878,
Globus XXIX. Nr. 17.
Lehre auch wieder ihre großen Bortheile; denn wie Bacon
mit Recht fagt: Citius emergit veritas ex errore quam
ex confusione. Iſt dann des Tages Kampflärm verftummt
und find die Gefechtstritmmer abgeräumt, fo bemerkt man,
daß durch diefen Kampf die Wiſſenſchaft im Ganzen doc)
einen Fortſchritt gemacht, wenn auch die men gewonnenen
Süße ganz anders lauten ald wie fie anfangs aufgeftellt
waren. Daß diefe in Betreff der fogenannten Dreitheilungs-
lehre vor ſich gehende Ummandlung aber auch einen äußern
Ausbrud finde, ift ſchon im Intereffe des Publicums, das
ſolche Schemata, beſonders wenn fie auch noch bildlich vor«
geführt werden, gar zu germ aufnimmt, geboten. Und wicht
nur diefes; auch die Anthropologen, inäbefondere die Naturs
forfcher unter denfelben, müffen wünſchen, unzweideutige yıb
feiner weitern Erläuterung mehr bedürftige Bezeichnungen
zu haben,
Diefe Ueberzeugung wird ſich wohl jedem aufdrängen,
der in dem neueſten def des Archivs für Anthropologie
(Band VII, Heft 3, ©. 278) die Kritit von Hoftmann
Über das Bud) von Hans Hildebrand (Das heibmifche
Zeitalter in Schweden) lieft.
Es geht aus diefer lehrreichen Abhandlung aufs Klarfte
hervor, daß, wenn mit der Bezeichnung „Steinzeit“ eine
Periode gemeint fein ſoll, in welcher dem Menſchen der Ges
braud; der Metalle noch unbelannt war — und das ift doch
bie einzige erlaubte Bedeutung des Wortes „Steinzeit“ —
daß dann diefer Begriff eine * bedeutende Einſchräünlung
erfahren muß. Die hier gegebene Sammlung von Nach-
weifen, daß in Gräbern der fogenannten Steinzeit nicht nur
34
266 2. Beder: Wie verhält es fid) mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo?
Bronze, ſondern fogar Eifen ſich findet, nöthigt den Rahmen
für diefe Periode viel enger zu fteden, und auf jene aller:
früefte Culturftufe (etwa der Zeit der ſchwäbiſchen Höh—
fen ıc, entfprechend) zu befchränfen, auf welcher in der That
ber Gebrauch jedweden Metalls volllommen unbefannt war,
und anftatt defjen Holz, Knochen und Stein zu Waffen und
Geräthichaften verwendet wurden. Nicht das Poſitive ber
Berwendung von Stein ift aber das Charakteriftifche diefer
Periode, fondern das Negative der Abweſenheit jeglichen Die»
talls, und nad) dem Grundſatz: Denominatio fit a potiori
wird es fic daher empfehlen, von legterm Charakter auch
die Bezeichnung der Periode zu entnehmen, und anftatt
„Steinzeit“ klinftig zu fagen „vormetallifche Zeit“. Der
Name Steinzeit wiirde offenbar am beften ganz fallen ge
laſſen, da er nur geeignet ift Verwirrungen zu veranlaffen.
Was num fernerhin die Eulturperioden betrifft, die mit
ber Einführung der Metalle begonnen haben, jo ift far, daß
man fir Europa wenigftens firderhin auch nicht mehr wohl
von einer Bronzezeit fprechen fann, wenn man darunter eine
Periode verftanden haben will, im welcher das Eiſen noch
gänzlich unbelaunt und Bronze das einzige fowohl zu Wafr
fen als Werkzeugen verwendete Metall war. Die zahlrei»
chen bei Hoftmann zufammengeftellten Nachweiſe ergeben
auf das Ummwiderleglichite, daß die Verwendung des Eifens
fi) bis zurüd in bie früheften Perioden der Geichiche ver⸗
folgen fäßt, und daß eine beſondere Bronzezeit für Europa
wenigftens nicht eriftirt. Hofmann fagt (a. a. D. S. 294)
ausdrüdlich: es fei eben fo wenig erfichtlich, daß jemals
eine Bronzezeit, ald daf überhaupt eine Borftelung von
einer ſolchen im Alterthum geherricht habe; es laſſe ſich
immer nur eine vereinzelte oder für beftimmte Zwecke allge:
meiner Übliche Verwendung der Bronze neben dem Eifen,
nirgends aber das frühere Belanntfein derfelben nachweiſen.
Ueberdies fei das Eifen weit leichter herzuftellen als Bronze,
und deswegen auch gewiß viel früher hergeftellt. Hoftmann
citirt hierbei den Ausspruch eines „der erften Metallurgen
ber Gegenwart“, der ſich vom rein technifchen Standpunkt
aus hierliber äußerte wie folgt: „Nichts ift leichter als bie
Gewinnung hämmerbaren Eijens aus dazu geeignetem Erz,
und von allen metallurgifchen Procefien muß dieſer als der
einfachfte betrachtet werden, * — „Wenn man ein Stiid Rothe
oder Brauneifenftein nur wenige Stunden in einem Holi-
fohlenfener erhigt, fo wird es, mehr oder weniger vollftändig
vebucirt, jic mit Leichtigleit zu Stabeifen —— laſ⸗
ſen. Die primitive Methode, ein gutes hämmerbares Eiſen
unmittelbar aus dem Erz zu gewinnen, erfordert einen weit
geringern Grad von Geſchickllichteit, als die Fabrilation der
Bronze. Die Herftelung diefer Yegirung bedingt die Kennt:
niß des Kupferausbringens, des Zinnichmelzens und ber
Kunft zu formen umd zu gießen. Vom metallurgifchen
Standpunkt aus muß man daher vernünftigerweife aunch
men, daß das fogenannte Eifenalter dem Bronzealter vor«
anging. Wenn die Archäologen das Gegentheil behaupten,
dann follten fie bedenken, daß Eiſen ſich feiner Natur nach
nicht jo lange wie Kupfer in der Erde zu erhalten vermag“
(a. a. D. ©. 297). Auch die Beobachtungen über die Na—
turvölfer des heutigen Tages zeigen, daß die Metallurgie
mit dem Schmieden der rothglühenden Eifenluppe beginnt,
da dieſes ſich auch bei foldyen findet, die noch mie mit ande
ren Gulturvölfern in Berlirung gekommen waren, während
die Ausbringung des Kupferd und die Darftellung der
Bronze allen dieſen Völkern fo gut wie gänzlich unbefannt
geblieben ift (a. a. DO. S. 299). Und weiter fährt Hoft-
mann fort (a. a. D. ©. 300): „Da die Thatſache beficht,
daf wir gegenwärtig nicht im Stande find, mit irgend einem
andern Stoff ald Stahl Bronze zu bereiten, fo darf man
verlangen, daß für die Behauptung: das fünne in früheren
Zeiten ſich ander verhalten haben, Hare und überzeugende
Beweife vorgelegt werden.“
Aus dem Vorfichenden ergiebt fich als unabweisbarer
Schluß: daß man fürderhin auch nicht mehr von einer
Bronzezeit wird fprechen fünnen, wenn man darunter eine
Periode verfteht, in welcher das Eiſen noch nicht befannt
war und daher zu Waffen und Werkzeugen ausſchließlich
Bronze verwendet wurde, Bronze: und Eifenzeit laffen ſich
hiernad; fortan nicht trennen, und man wird beide im eine
und biefelbe Culturperiode zufammenfaffen und diefe der
„vormetallifchen Zeit“ gegenüberftellen, anftatt ber Drei:
teilung daher eine Zweitheilung annehmen miffen. Schon
Gieſebrecht (Baltifche Studien X. 2,108, citirt bei Hoft-
mann ©. 306) hat diefe Periode gelegentlich die „Metall:
zeit“ genannt, und es wird fich empfehlen, dieſen Namen
anzunchmen. Ob und welde Unterabtheilungen innerhalb
biefer etwa zu machen feien, das fann jpäteren Abmachungen
vorbehalten bleiben. Borläufig ng, be genügen, die Benen:
nungen bes unhaltbar gewordenen Dreitheilungsiyjtems aufe
zugeben und benjelben die zwei vorgenannten, „vormetals
‚ Life“ und „Metallzeit“, zu fubflituiren. Die Haupt-
ſache ift und bleibt immer, daß
| 1. zwei — nidjt drei — Hauptperioden unterfchieden
werben, und
2. baß die erfte derfelben von dem wichtigern negativen
Charakter, dem Fehlen ber Metalle, die zweite von dem po«
fitiven, der Anwefenheit diefer, ihre Bezeichnung erhalten.
Wie verhält e8 fi mit der Einführung des erften Tabads durch
Nicot und Hernandez de Toledo?
Ton Lothar Beder.
Im mehr als einer Hinſicht erfcheint demnach die Lie—
baut'ſche Darſtellung als eine Erdichtung — ähnlich wie
ſich die vielgerühmte Wirkung der in Rede ftchenden Pflanze,
die, wenn man Piebaut glauben wollte, bamals den erſten
Rang unter den Arzneilräutern behauptet hätte, die man
mit dem Namen „Heil aller Welt“ beehrte, in fo vielen
Leiden als ein Schwindel heransgeftellt hat —, oder follen
wir glauben, daß die neuere Heilfunft, taub gegen die Lobes⸗
erhebungen jener Zeit, mit fräflicher Gleichgültigleit eine
Arznei ignorirt, welche im der That die gerühmte Wirkung
2. Beder: Wie verhält es ſich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo? 267
befigt und die überall und billig zu befchaffen iſt? Heute
wird der Tabad von enropäifchen Aerzten mur noch felten
angewandt, und ſchon die zweite Auflage der Brandenburger
Pharmacopda (1744) enthält von Tabadepräparaten nur
ein Niefepulver aus „virginifcher Nicotiana*, und das Ex-
tractum Nicotianae, welches aus den Blättern von „Nico-
tiana s. Tabacum“ derartig hergeftellt wird, daß ſich faum
irgend welche Wirkung davon erwarten läßt.
Wenn num auch — wovon der Pefer nach Durchlefung
der Abhandlung überzeugt fein wird — der größte Theil der
—— erfunden iſt, ſo mag man doch immerhin zugeben,
Öefanbter Namens Nicot eriftirte und daß derjelbe
den Huf einer gewiſſen als Arznei hochgepriefenen Tabacks-
art zuerft in Frankreich verbreitete *). Auch das mag man
zugeben, daß er zuerft Samen berjelben mad) Frankreich
jandte, aber darin beftcht auch, wie man bald fehen wird,
fein ganzes Verdienſt. Es ift mithin eime Ungerechtigfeit,
die man dem Nationalftolze ber Franzoſen und deren litera-
riſchem Einfluffe auf das übrige Europa im 17. Jahrhuns
derte verbanft, daß man eine Öruppe von Gewächfen, welche
bereits Namen führten und zum Theil längft befannt waren,
nad; einen Manne „Ricotiana® benannte, dem weder das
Berdienft der Einführung irgend einer Tabadsart nad)
Europa, noch die Entdedung der Heilfräfte der Nicotiane
ulommt. Sollte er wirklich eine bis dahin unbefannte
rt in Frankreich eingeführt haben, dann hätte man höch-
ſtens diefe Art „Petum Nieotianum*® nennen follen. Dod)
wie viel Ungehöriges hat ſich nicht aus früherer Zeit in ber
Botanik erhalten! Ich erinnere nur an „Coffea arabica“,
den fnftematifchen Namen des Kaffee, der feine Heimath
nicht in Arabien, fondern in Afrifa hat; ſowie an bie vielen
Namen der Alten (Myrrha, Cinnamomum, Laserpitium,
Nardus, Lotus u. ſ. w.), welchen die Botaniter jest Pflan-
zen geben, bie fehr verſchieden ſind von denen, welche die
Alten jo nannten. Hätte en Mann niedern Standes daſ ·
felbe gethan, was man dem Geſandten zuſchreibt, fo wlrde
" Niemand daran gedacht Haben, wegen einer Pflanze fo viel
Aufjehens zu machen, und noch Aa würde die Gefchichte
Gläubige gefunden haben. inf Jahre vor Nicot's Cr
ſcheinen in Liſſabon hatte Thevet Samen einer braſiliſchen
Tabadsart nad) Frankreich gebracht ; aber ba diefer ein ars
mer Mönch war, fo fiel es Niemandem ein, jene Art fitr
eine neue, in ber Alten Welt unbefannte Plane auszugeben,
diejelbe „Thevetia“ zu nennen, und den Mönch als den
Erfinder ihrer — beiläufig gejagt bereits befannten — arz⸗
neilichen Anwendung binzuftellen. Sehr kurze Zeit nadı
Nicot's Einführung wurden, wie man von Cluſius, 1574,
und Yobel erfährt, aufer ber Nicotiane und der hier aus
fpäter zu nennenden Gründen nicht in Betracht kommenden
N. rustica, zwei andere Tabadsarten in Europa gebaut,
aber Niemand hält e8 der Mühe werth, deren Einführer zu
nennen; und verfolgt man die Sefchichte der Nicotiane, wie
fie dargeftellt wird, jo findet man, daß es nur hochgeftellte
Perfonen (Cardinal, Großprior, Nuntius, Königin u. ſ. w.)
find, welche darein verflochten werden: offenbar damit bie
Erzählung mehr Eindrud made und Glauben finde; ber
ſchlichte Holländer dagegen, dem ber Geſandte die Pflanze
und wohl auch die Kenntniß ihrer Anwendung und in Folge
*) Wenn e8 Thatſache fein follte, daß, wie Fairholt („Zobaceo*
©. 45) bemerkt, im Schloſſe zu Belem nech jegt ein Brief aufbes
wahrt werde, worin Nicot von feiner erften Bekanntschaft mit biefem
„Herb of a peeuliarly pleasant (mohl im Vergleich zu anderen
ihm belannten Tabadsarten) taste, good medicinally in fevers
and other diseases“ fpreche, fo würde dies meht als alles Anbere,
das man vorgebracht hat, vum ju beweiſen, daß Nieot den Heilträften
des Fabads feine Aufmerffamfeit zuwandte, übergengenber Art fein.
deſſen feine Unfterblichkeit verdanfte, wird gänzlich in ben
Hintergrumb gedrängt — nicht einmal fein Name wird der
Nachwelt genannt.
Hervorragende holländifche, englifche, fpanifche und an:
bere Botaniker — Zeitgenoffen von Nicot und Liebaut —
ſchweigen davon, daß Nicot die erfte Tabadsart oder aud)
nur zuerft N. Tabacum L. eingeführt habe: Lobel und Pena,
Dobonaeus, der Schleſier Sebizius (ed. Tragı) und Andere
beichränfen fich darauf, ben Namen „Nicotiana Gallorum“
als Synonym zu N. Tabacum anzuführen. Fragofus und
Monardes erwähnten nicht einmal biefen Namen; und ic)
fenne feinen ältern englifchen Botaniler, der bie Befdjichte
von Nicot’s Einführung wittheilte, Magnenus (Exercit.
1658, p. 14) und Andere bezweifeln, daß Nicot die ger
nannte Pflanze zuerft nach Frankreich eingeführt habe; Ca+
merarius (ed. Matthioli) jagt nur, daß N. Tabacum „erfts
lid) aus Frankreich zu uns fommen fei*, und Caebalpini,
da diefelbe aus Spanien (nicht Portugal) über Frankreich
nad) Italien gebradjt worden fei: ob mit Recht, das wirb
ſich bald herausftellen. Die Oenannten benfen übrigens fo
wenig wie irgend ein anderer fachlundiger Botaniker des
16. Yahrhunderts daran, die Heimath der N. rustica in
Anterifa zu fuchen ober deren Borhandenfein in der Alten
Welt vor 1492 zu leugnen *). Nicht allein, daß hervorra-
ende Botaniker jener Zeit die Gefchichte von Nicot's Eins
führung mit Stillſchweigen übergehen, finden fich in älteren
Werken Angaben, aus denen hervorgeht, daß weder Nicot
ben erften Tabad nad) Frankreich, noch Hernandez de Toledo
nad; Europa bradjte ; denn man erfährt von Thevet, daß
er ſchon vor Rucktehr des Letztern brafilifchen Taback nad
Franlkreich verpflangte; von Dodonaeus, daß N. rustica
ſchon 1552 in Europa gebaut warb, und von Gehner,
daß N. Tabacum, und zwar, wie C. Bauhin meint, bie
Nicotiane, vor 1560 zu Padua und vor 1559 auf Kreta
gezogen warb.
As das and, woher die Einführung der Nicotiane
(d. h. N. Tabacum L. var.) — worunter man bald irr⸗
thumlich auch den „Tabaco* und andere Tabadsarten ber
xiff — erfolgte, wird bald Brafilien, bald Weftindien,
Derio, Peru und Florida angegeben; und als der Zeit
punkt des erften Anbaues amer taniſchen Tabacks in Vor⸗
tugal, Frankreich, Holland, England „einige Jahre vor 1570*,
von Monardes in Spanien „einige Zeit vor 1565*; es ift
indeſſen, wie erwähnt, nicht wahrfcheinlich, daß Spanier und
Portugiefen, welche fo früh Pflanzen der Alten Welt nad
Amerika verpflanzt haben jollen, und deren Aufmerkfamteit
der Tabad gleich bei ihrer Anfunft dafelbft erregte, ſo viele
Jahre hätten verſtreichen laſſen, ehe fie deſſen Anbau in Eu⸗
ropa verſuchten.
Die vorherrſchende Meinung unter den Schriftſtellern
ſcheint um 1570, und in Schottland noch um 1614, bie
jenige geweſen zu "fein, welche den erften amerifanifchen Tas
bad (d. h. N. Tabacam L.) aus Brafilien tommen läßt.
Der Schotte Dr. Barclay fingt im feiner „Nepenthes“
(Edinb. 1614):
The statelie, rich, late conquer'd Indian plaines
Foster a plant, the princess of all plants,
Which Portugall, a * perill and paines,
To Europe brought, as it most justly vaunts etc,
Eftienne und Liebaut felbft bezeichnen Brafilien als
bas Fand, woher die Nicotiane gelommen fei, indem fie fagen,
daß Vetum der wahre Name derfelben in dem Yande fei,
) S. meine Abhandlung „Der Bauerntabad, eine Pilange der
Alten Welt", Selbftverlag, Bredlauı, Neueweltg. 2, Breis 11, Mart,
worin gegeigt wird, daß biefe Anficht des 16. Jahrhunderts durch Bes
trachtungen manchtt Art ihre Belätigung erbält.
34 *
268 8, Beder: Wie verhält es fich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo?
woher fie lam, wodurch fie, wie gefagt, in Widerfpruch mit.
dem gerathen, was fie anderwärtd behaupten; während ans
dererfeits Yery erklärt, daß das in der Umgebung von Rio ges
baute Petum die Nicotiane gar nicht fei. In Dalechamp's
Hist. plant. 18, c. 128 heißt es, die Pflanze werde von
Einigen „Buglossum antareticam* genannt, woraus her
vorgeht, daß diefelben deren Herkunft aus Südamerifa ab⸗
leiteten; der Zuſatz aus Bena und Yobel leitet fie dagegen
aus Weftindien her. Cluſius ſchreibt in feinen Anmer-
fungen zu den Werke des Monardes, doch ohne irgemdiwie
dies näher zu begrlinden, daß ber erfte Name von N, Ta-
bacum aus Brajilien, wo die Pflanze Petum heiße, nach
Portugal gelangt ei; und daffelbe wiederholt Neander in
feiner Tabacologie. Clufius, der als Franzoſe doch wohl
die Yiebaut’iche Erzählung kannte, fcheint ihr feinen vollen
Glauben beizumelien, da er N. Tabacum nicht aus Florida
ableitet. Vermuthlich entjchied er ſich fir die brafilifche Hers
kunft, weil Petum — daher „petuneur“ — der Allgemein-
name des Tabads in Frankreich war ; darauf weift auch ber
Umftand, dag Elufins, Dalchamp, Gohorry und An-
bere dieſes Wort zum attungsnamen aller Tabadsarten
wählten; und dies ıjt ein Grund mehr, zu glauben, daß ber
erſte amerifanifche Tabad nicht iiber Portugal und aus Flo—
ride, fondern cher direct aus Brafilien nad) Frankreich kant.
Die Thatſache, dag die Portugiefen N. Tabacum (nad) Pifo
und Anderen) nicht Petum nannten, fpricht übrigens dagegen,
daß fie die erfte Bekanntſchaft dejielben erft in Brafilien
machten. Beiläufig fei bemerkt, daß weder Engländer,
Spanier noch Portugiefen die Yehrmeifter der Franzoſen im
Rauchen waren, weil dieſe fic des Wortes Petum nicht be»
dienten, die Bezeichnung „petuneur* für den Raudyer in
Frankreich aber eine ſehr alte iſt.
Der Pater Andr& Thevet, welcher vor Yery in Bra-
filien war, erwähnte in feiner „Gallia antarctica“ das Pe—
tum der Brafilier , und wenn Magnenus(Exerc. p. 379)
bemerkt, daß Thevet zuerft Samen der Nicotiane nad) Fraul⸗
reich gebracht habe, jo wird dies Mancher, der Lery's Er-
tlärung in Betreff der Verſchiedenheit der Nicotiane von dem
Petum nicht lennt, glauphaft finden, da Petum früger in
Frankreich der verbreitetfte Name des Tabads war. Very,
welcher 1556 in Braſilien landete, erflärt in feinem 1586
erjchienenen Werte, daß die Abbildung der um Rio gebauten
„Angonlmoisine* bes Thevet in beffen Kosmographie nicht
das wahre Vetum darſtelle; auch bemerkt er, daß die Nico—
tiane in frankreich zwar Petum genannt werde, aber das
wahre Petum der Brafilier durchaus nicht ſei. Diefes habe
er in Frankreich nicht angetroffen; auch bezweifle er, daß
daſſelbe in Frankreichs rauhem Klima gedeihen wiirde, Ich
habe Thevet's Werk nicht gefehen, und laſſe dahingeftellt , ob
Very die wahre Nicotiane fannte; indeflen betrachtet Dodo—⸗
naeus (Stirp. Hist.) N. Tabacum L. und C. Bauhin
N. macrophylla als Synonym zu Petum Thevet's. Die
Richtigkeit diefer Anfichten vorausgefegt, würden daher beide
— die Nicotiane und Thevet's PBetrum — Barietäten von
N. Tabacum L, fein. Die Beichreibung des brafilifchen
Petum ift bei Very fehr oberflächlich; fie genligt jedoch, um
zu zeigen, daß fein um Rio gebautes Petum zu N, Taba-
cum L. gehört; denn er beſchreibt fein Blatt als ähnlich)
bem des Symphytum offieinale L. Ferner verftehen außer
ben Genannten die Portugiefen des 16. Jahrhunderts, Clu—
fius, C. Barclay, fowie alle älteren botanischen Werte
unter dem brafilifchen Petum N. Tabacum , und zwar
C. Bauhin und Andere die N. major latifolia C. B,,
d. h. die Nicotiane, Letzterer rechnet auch das „Petum“
(ber Kario), welches Stade erwähnt, dahin; beiläufig be—
merkt, fteht im der deutjchen Ausgabe bei Stade „Bittin“.
Da nun auch meines Wiffens N. Langsdorfii nicht die ges
rühmten Eigenfchaften der Nicotiane und jenes Petums bes
figt, defien Rauch, wie man von Lery erfährt, mild war, fo
verrät) Martius Untenntnig der botanischen Literatur und
ift in zwiefachen Irrthume befangen, wenn er, der doch Lery
citirt, in feinen Beiträgen zur Ethnographie behauptet: 1.das
Petum der Brafilianer reſp. des Lery fei nicht N. Taba-
cum L., fondern N. Langsdorfii, welches heute ftatt jener
von den Tupi im füblichften Brafilien gebaut werbe; 2. N.
Tabacum (wie aud) N. rustien) fei vor Anfunft der Colo:
niften im Brafilien unbekannt gewejen. Brasilianis, a
quibus semen primum in Lusitaniam delatum ... jagt
ſchon Cluſius in feiner Ueberfegung des Monardes, 1574,
Die Mittheilungen des Pifo (1658), der zwifchen der Nico—
tiane, dem Petum der Brafilier und bem Tabaco der Spa:
nier feinen Unterſchied macht, find nicht geeignet einiges
Ficht auf den Gegenftand zu werfen. Er giebt dem brafi«
lichen Petum Blätter wie Lapathum (Ampher), wie foldye
N. Tabaeum hat; auch; feine Angabe begünftigt daher
Martins’ Anſicht nicht. Uebrigens muß man einigen weis
fel in die Angaben eines Mannes fegen, weldyer die Kolos-
palme ein ameritanifches Gewächs nennt. Seine Abr
bildung des Petum ift nicht mad) der Natur gezeichnet, da es
meines Wiffens feine Tabadsart mit derartig an der Bafis
geftalteten Blättern giebt. Es ift daher nicht anzunehmen,
dag ihr eine brafilifche Art als Vorwurf diente. Die Frage,
welche von den vielen in Brafilien gebauten Formen ber
N. Tabacum L. das Thevet’fche und Lery'ſche Petum iſt,
läßt ſich nicht beantworten, da einerfeitd die Befchreibung
bei Lery u. f. w. zu unvollfommen ift, und anbererfeits bie
Botanifer nur wenige der in Brafilien gezogenen Formen
von N. Tabacum anführen,
Eine andere Anficht läßt ben Tabad reſp. die Ricotiane
aus Peru fommen. Dobdonaens, mit Elufins und
Anderen, die den Namen Nicotiane von einem gewillen Ger
fandten ableiten, wohl befannt, Mbergeht die Geſchichte von
Nicot's Einführung in feiner Stirp. Historia 1583 — alfo
13 Yahre nad; dem Erfcheinen ber Maison rustique —
dennoch mit Schweigen, und giebt dadurch, daß er N. Taba-
eum L. (er liefert Abbildungen nur von N. macrophylia
und petiolata, d. h. dem „ojtindifchen“ Taback, nicht von
N. Tabacum Schr.) aus Peru fommen läßt, zu erfennen,
daß er von der Nichtigkeit der Liebaut'ſchen —— nicht
Uberzeugt war, Er ſchreibt in dem genannten Werke: „Aus
den ‘Provinzen Amerikas, die man Betindien nennt, worin
die Gegend Peru liegt, famı Hyoscyamus tertins (N. Taba-
cum 1.) zuerft nad) Europa.“ Ihm, dem angefehenen Ne»
ftor der damaligen Botanifer, folgen der Schlefier Sebizius
(ed. Tragi) und Everart (Panacea), welder auf dem
Titelblatt die Nicotiane „Divina Peruana stirps* nennt,
und (5. 12) im Widerfprud; damit diefelbe aus Florida
gebracht fein läßt. Im dem Werfe, das ben Titel „The
perfuming of tabacco and the great abuse committed
init“ führt (1611), heißt es: „The smoke of tobacco —
the which Dodoneus called rightly Henbane of
Peru...“ Auch Gerard citirt H. Peruvianus Dod., ohne
ihn wegen der Wahl diefes Namens zu radeln.
Andere halten, nicht minder irrig, Mejico für das Land,
woher der erfte Tabad, refp. N. Tabacum L., nad) Europa
gelommen fei. U. v. Humboldt (Reife in d. äquat.
Amer. 8, Cap. 14) fagt: „Nicht aus Virginien, noch aus
Slidamerita, wie man fäljchlich in den meijten Werfen über
Aderbau und Botanik findet, fondern aus der mejicanifchen
Provinz Yucatan erhielt Europa, 1559, ben erflen Tabads-
famen. Als Naleigh den Tabad 1586 aus PVirginien
nach England brachte, gab es davon ſchon ganze Felder in
2. Beder: Wie verhält es ſich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo? 269
Portugal. Wäre U. v. Humboldt nicht gang unbelaunt
mit der botanischen Literatur deö 16, Jahrhunderts gewefen,
fo wiirde er gewußt haben, daß N. rustica ſchon vor 1553
in Europa gebaut und vor 1560 als fyrifche Pflanze ber
tradjtet ward; und daß in der Türkei der Anbau von N.
Tabacum vor 1559 betrieben ward; denn Dodonaeus
erwähnt in feinem „Uruydt boek* (1553; latein. unter dem
Titel Hist. stirp. 12. 1553), franzöfifch von Cluſius
(Fol. 1557, unter dem Xitel: Histoire des plantes com-
söe en flamand par R. Dodonaeus), bereit$ N. rustica;
und Elufins jchreibt, daß fie um 1550 in Europa befannt
geweien fei. Im Deutſchland baute man fie zur Zeit Ges—
ner’8, d.h. vor 1559; in Italien zur Zeit Matthioli’8,d.h.
vor 1563 ; md Caefalpini nennt fie ausdrücklich eine Pflanze
der Alten Welt. Gesner erwähnt in feinen, Hort.German.“
(1561, Vorrede von 1560), daß er neulich aus Padua Sa:
men von N. Tabacum erhalten habe, weldye dajelbft in
Gärten gezogen *) und bahin aus Kreta gefommmen fei. Der
Anbau diefer Art mußte daher auf Kreta mindeftens ſchon
1559, wenn nicht viel früher, betrieben werben. Bermuth:
lich fam der Same aus jener Infel durch jene fadwerftäns
digen Leute, welche die venetianifche Regierung in den grie-
chiſchen Archipel, nad) Aegypten, Indien u. ſ. w. ausſandte,
um Pflanzen fir den botaniſchen Garten (gegründet 1545)
zu fammeln. Directoren defjelben waren unter Anderen
der Römer Yonis Anguillara, Daniel Berbero von
Aquileja; und es fteht vielleicht noch manche Aufklärung
fite die Gejchichte des Tabads aus den Manufcripten der
Paduaner zu erwarten, welche meines Wiſſens ber Beröffent-
lichung entgegengehen.
u. v. Humboldt unterläßt es, den Beweis für die Rich—
tigkeit feiner Angaben beizubringen: 1. daß Naleigh den
erjten Tabadsſamen, und zwar 1586 aus Birginien, nad)
England gebradjt habe; 2. daß Hernandez de Toledo den erften
nach Europa, und zwar aus Yucatan, 1559, gebracht habe ;
ferner and) das Irrige der im 16. Jahrhunderte vorzugs—
weife verbreiteten Anficht, der Tabad ſei zuerft aus Bra:
filien oder Weftindien gebracht worden, zu widerlegen. Was
das Erſte betrifft, jo habe id) mirgends eine zuverläffige
Nachricht gefunden, welche befagte, daß Naleigh das Verdienſt
gebühre. Es war allerdings Vollsgerede in fpäterer Zeit,
das indeß ſchon der Leberfeßer von Everart's Panacea
1659 mit den Worten abfertigt: Captain ‚Rich, Gren-
field and Sir Francis Drake were the first planters
of it here, and not Sir W.Raleigh, which is the coom-
mon error ; sodifficult is it to fixpopular discoveries ;
was allerdings nicht ausfchlieft, daf Einer von den Dreien
ben erften Samen eingeführt haben fünne, Diefe durch
nichts unterſtützte Berichtigung des Ueberſetzers erweiſt ſich
übrigens gleichfalls als irrig; denn Pena und Lobel (N.
stirp. ad. v.) ſchreiben: ſeit einigen Jahren ift Sana saneta
Indorum (N. Tab. L. var.) ein Bürger Englands, Hol
lands, Franlreichs und Portugals geworden, Das Werf
erſchien 1576; die Vorrede ift aber von 1570; mithin ift
es eine unleugbare Thatjache, daß — foweit die Kenntniß
der Berfajfer reichte — bereits einige Zeit vor 1570
(alfo 16 Jahre vor Rücktehr des erften Briten aus Bir-
ginien) im — — u, ſ. w. jene Form von N. Tabhacum
gebaut ward. Was num Hernandez betrifft, jo finde ich in kei⸗
nem Citat aus dem faft ein Dahrhundert nach feinem Tode
mit vielen Zufägen von anderer Hand erſchienenen Auszuge
*) Hyosc. tertin species Patavii in hortis seritur, femine, quod
nuper misit amicus ad me, exili, subruffo e fusco, allato e Creta.
Die Farbe und Kleinheit res Samens lehrt, daß tiefes H. tertins
eine Tabadsart in; nah G. Bauhin, der hierüber nähere Mit:
sheilung haben mochte, wäre ch die Nicorlane,
aus feinen Werte gefagt, daß Hernandez das Verdienft, den
Samen der erften Tabadsart nad; Europa gebradjt zu haben,
beanfpruche. Ehe ihm dafielbe zuerlannt wird, mußte Diaz
berüctjichtigt werben, welcher Samen einer mejicanifchen Art
heimgebracht haben fol. Dazu fommt, daß weder Frago—
fus noch Monardes und Andere, die von dem löniglichen
Veibarzte, feinen Neifen und feinem Werte, das einen Auf
wand von 60,000 Diraten erforderte, ohne alle Frage ges
hört hatten, ihm (mod) fonjt wen) als erſten Einführer nen:
nen, auch Liebaut, reſp. Nicot, feiner nicht gedenkt.
Ich habe den Auszug aus Hernandez's Schriften — welche
17 Bände, mit zahlreichen colorivien Abbildungen, darunter
1200 Pflanzen, umfaßten —, den auf füniglichen Befehl
ein föniglicyer Peibarzt, der Neapolitaner Dr. Mardo s An—
tonios Recchi, anfertigte, und der 1651 zu Nom in 10
Bänden Folio mit vielen Zufägen erſchien, nicht gejehen,
und kann daher micht entjcheiden, was darin von Hernaudez
ſelbſt herrührt.
Neander (Tabacologie, 1622) geräth dadurch, daß er
den Namen Taback von einer Gegend gleichen Namens in
Neufpanien, faft 44 Milliaria oberhalb „Mexicum lispa-
niolae *) metropolin* ableitet und ertlärt, man wife, daß
in diefer zu Yucatan gehörigen Provinz die edle Panacea
(d. h. N. Tabacum L. var.) zuerſt gefunden und danadı
benannt worden ſei, gewillermaßen in Widerfprud) mit feis
ner Anficht, jene Panacea fei zuerſt aus Florida gefommen.
Die Breslauer „Sammlungen von Natur: ꝛc. Geſchichten“,
1717, nennen dieſe Gegend cine Anfel, und Hoffmann vers
legt die Infel, von der ev den Namen Tabad herleitet, in
den Bufen von Florida. Er verjicht daher wuuter biefer
Infel entweder Tabasco in Yucatan, welches von den Ein—
geborenen „Infel“ genannt wird, ober verwechfelt fie mit
Tobago. Es ſcheint, daß man früher den Buſen von Me—
jico unter dem Namen „Bufen von Florida“ inbegriff.
Carver nennt den Ort „in der Provinz Yucatan“, von wo
Hernandez zuerft den Tabad nad, Spanien gebradjt habe,
Tabaco ; und daffelbe geicicht fogar noch 1780 Seitens der
Oelon. Nachrichten der patriotiſchen ſchleſiſchen Geſellſchaft.
Eine Provinz dieſes Namens ift in Yucatan nicht vorhanden,
und daher offenbar Tabasco gemeint. Was diefe gewiegten
Geographen hier erzählen, erweiſt ich als eine mäßige Er—
findung, die auf Grund der Namensähnlichkeit entjtand;
denn, abgejchen von anderen Gründen, welche in einer Ab—
handlung über die Herkunft des Wortes Tabad in der „Deut:
ſchen Tabadszeitung*, 1874, angejlihrt wurden, ift 1. nicht
anzımehmen, daß Tabaco aus Tabasco entjtanden jei;
2. lernten die Spanier das Wort auf Haiti — wo es, wie
wir von Oviedo erfahren, die Cigarre bedentete — viele
Jahre vorher kennen, che fie in Mejico befannter wurden,
Dort fahen fie N. Tabacum 26 Jahre vor der Zeit, als
fie Mejico eroberten, und 67 Jahre vor Hernandez' Rild
fehr. Sollte A. v. Humboldt, als er behauptete, Hernans
bez habe 1559 den erſien Tabadsfamen nach Europa ge»
bradjt, vergeiien haben, daß — wie er Nouv. Esp. 4, 10
ſchrieb — die Spanier den Taback auf den Antillen fennen
lernten ; oder follte ex, was noch weniger wahrſcheinlich, ha—
ben glauben fünnen, daß jie 67 Yahre hätten verftreichen
laſſen, ohme die Pflanzen, die gleich anfangs, wie wir von
R. Pano, Oviedo und Anderen erfahren, auf Haiti ihre Auf:
merkſamteit in hohen Grade erregte, nad) Europa zu vers
pflanzen — fie, die, wie er felbft fchreibt, fo frlih die ver»
fchiedenartigften Gewächſe der Alten Welt mad) Amerifa
eingeführt haben follen?! Wenn Magnen (Exere. 1658,
p- 3) bemerkt, den Samen brachte nad) Portugal und Spas
*) Soll beifien Novae Hispaniae.
270 2. Beder: Wie verhält es fich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo?
nien zuerſt Dr. Fr. Hernandez de Toledo, fo ift dies,
was erſteres Yand betrifft, unmöglich, wenn, wie es heißt,
ſchon 1558 Tabad in königlichen Gärten Portugals gebaut
ward. Möglich, wenn ich es auch bezweifle, dag Hernandez
Samen der Tabascoforte — die heute noch in Europa kaum
befannt fein dürfte — zuerft nad) Spanien brachte. Die
Ehre aber, den erften Tabad nach Europa eingeführt zu
haben, kommt ihm nicht zu, da 7 Jahre vor feiner Rüdclehr
N. rustica dafelbft gebaut ward, Im Yahre 1552 war
fie in den Niederlanden, 1559 im Deutfcland und Syrien
— fowie N. Tabacum auf Kreta — vorhanden. Wie
Campbell (Commentary on tobaceo p. 18) meint,
wäre es ficher, daß Cortez 1519 Tabad an Carl V. fandte;
doch ift darunter wohl nicht Samen, fondern die Waare zu
verſtehen.
Eine vierte Ableitung, die fir diejenigen, welche das
Wort Tabad für ein weftindifches halten, größern Schein
der Wahrheit hat, um fo mehr als die Spanier ſchon 67
Jahre vor Hernandez' Ruckkehr den Tabad hier fahen, ift
die von Weftindien; ich habe indeffen in der „Deutjchen
Tabadszeitung* 1874 gezeigt, daß dad Wort Tabad vor
1492 in der Alten Welt vorhanden war. Monardes ver—
fpricht im dem Titel, von den aus Weftindien gebrachten
Arzneiwaaren zu handeln; er dehnt aber den Begriff
„Weſtindien“ Über dem heute gebräuchlichen aus. Eines
feiner Werke erjchien 1578 zu Gemua unter dem Titel
„Zabaco d’India*, welcher Zuſatz überflüffig wäre, wenn
er nicht eben den inbifchen Tabad von anderen unterſcheiden
wollte. Aehnlic nennen Pena und Pobel die Nicotiane
„Sana sancta Indorum* zum Unterſchied von anderen,
nicht indifchen, Arten. Sie leiten ihn, gleichwie Caefal—
pini, der fi auf Monardes jtügt, aus Weftindien ab;
und die betreffende Stelle: Non multis ab hine annis ex
Hesperie Indie novo orbe Portugalie, Gallie, Belgie
et Anglia facta inquilina findet ſich wörtlich in der
Hist. pl. des Daledhamp, welche von Novillius mit
Zufägen herausgegeben warb. Ben Jonſon, Shake—
ſpeare's Zeitgenoffe, leitet den Tabaco ebenfalls von Welt:
indien ab, unterfcheibet ihn aber vom Trinidado und der
Nicotian; ähnlich wie Minſhew die Nicotiane vom
Tabaco unterfcheidet, von welchem letztern ex bemerkt, daß
er ganz gewiß aus Weftindien gefommen fei: eine Bemer—
fung, welche vorausfegt, daß ſolches noch um 1617 bezweis
felt ward. Es zeugt daher von Unfenutniß, wenn H. Baus
hin in feiner Ausgabe von Tabernämontan’s Kräuterbuch
„Tabacco of Trinidada* ald Synonym zu Nicotiane der
Franzoſen giebt.
Wie dievorher beſprochene Ableitung von Tabasco grins
bet fid) die auf Weftindien bezügliche nur auf die frühe Vers
breitung des Namens Tabaco, und die Achnlichkeit dieſes
Namens mit dem der Inſel Tobago, von welcher, wie
Mandje vorgeben, der erfte Tabad nad England gelommen ſei.
Die älteren Engländer wiſſen nichts von der erften Ein:
führung der N. Tabacum nach Europa durch Nicot, denn
fie leiten ihn aus Brafilien oder Weftindien ab, Hinfichtlich
der erften Einführung der amerikanischen Pflanze nad)
England begegnen wir mander Abweichung in den Angas
ben, von welden feine Anfpruch machen kann, glaubs
würdiger al® die andere zu fein; Uberdies verwirren bie
meiften die erfte Einfuhr amerikaniſchen Tabacksfabrikats
mit der de8 Samens oder des Aubaues. Zahlloje Seeleute
und zumal Soldaten brachten zweifelsohne auch nad) Eng-
land bei ihrer Rüclehr Rauchtabac u. ſ. w. mit; große
Mengen von Cigarren u, ſ. w. — die Beute englischer
Kriegsflotten — wurden auf den britifchen Marlt gewor⸗
fen. Hamfins (dem Taylor, der „Waterpoet“, die erfte
Einführung zuſchreibt) und Drafe machten in Weftindien
große Beute; Letzterer plünderte 1578 Callao; noch reidjere
aber madjte Raleigh, der unter Drake in Weftindien ge:
dient hatte. Die Thatfache, daß durch diefe Seehelden jo
viel Tabad — fo nannte man damals ausfcjließlicd) die
amerifanifche Waare im Gegenfag zur europätfchen ꝛc. —
ins Yand fam, hat fpäter die irrige Anficht hervorgerufen,
daß fie den erften Tabad überhaupt eingeführt hätten. Daß
ſolches von irgendeinem derſelben gejchehen fei, baflir fin
det ſich feine Angabe, welche die Glaubwürdigleit befigt, die
der gewiflenhafte Gefchichtsforfcher verlangen muß — daflir
fpricht fein auf eigene Erfahrung gegrlindeter Bericht.
Wenn Fondon im feiner Encyclop. 1020 es, ohne
ſich berichtigend auszulafien, der Erwähnung werth hält,
daß nad) Hume der Tabad erft durch Yane, und zwar von
der Infel Tobago, nach England gefommen fei, fo verräth
ex dadurch jeine Unbelanntſchaft mit der botanischen Yitera:
tur feines Landes; denn Pena und Lobel ſchreiben bereits
1570, daß ber weftindifche Tabad (N. Tabacum) fowie
N. rustica vor jener Zeit in England gebaut wurden, und
Lobelerwähnt 1576 (in „Obfervationes“) fogar vier Tabacks-
arten in dieſem Yande, Uebrigens ift es mehr als unwahr-
ſcheinlich, daß R. Yane, wie es heit, 1586 Tabacksſamen
aus Tobago brachte, da er 1585 Governor in Birginien
war und 1586 von da — ſicher wicht Über Tobago —
zurlicklehrte.
Drale's Rückkehr aus Amerika fand meines Wiſſens erſt
im Auguſt 1573 — nicht 1564, wie die „Oekon. Nachrid):
ten der patr, ſchleſ. Geſellſchaft“ 1780 meinen; im jenem
Jahre erfolgte die Hawlins' — ftatt, alfo als der Aubau
von N. Tabacnm und rustica in England u. f. w. ſchou
betrieben warb.
Derjenige Mann, welcher es vor allen Anderen erwähnt
haben wirde, wenn man 1585 oder 1586 Tabadsfamen
ans Virginien nad England mitgenommen hätte, ſchweigt
gänzlid) davon, obwohl er von vielen weit weniger wichtigen
Dingen fpricht: ich meine Hariot, welcher die Expedition
des Jahres 1585 begleitete und beauftragt war, den Bericht
tiber die Gulturpflanzen Birginiend zu erftatten. Drale
landete 1586, bei feiner Heimkehr von der Reife um die
Welt, in Virginien nur vorübergehend, und Raleig h ſcheint
ſich perſönlich gar nicht an der Erpedition zur Colonifation
diefes Landes betheiligt zu haben, um, wie Magnen (Exere.
p- 4) jagt, den erften Samen aus Birginien nad) England
gebracht haben zu lönnen; er trieb indeſſen eimen großen
Handel mit Tabad, wie man von Henry Buttes (Dyets
dry dinner, 1599) erfährt, weldyer ſchreibt: Ho hath
both farre fetcht it and denre bought it; the estimate
of the treasure I leave to other. Ferner iſt micht zu
tiberfehen, daf diejenige Sorte, die heute den Namen „virgt-
nifcher* Taback (N.Tabacum Schr.) trägt, von Yobel in
feinen „Icones“ nicht abgebildet ift; während man doch
gerade die Abbildung derjelben erwarten follte, wenn die er-
ſien Tabadspflanzungen in England virginifchem Samen
entftammten !
’
Aus allen Erdtheilen.
271
Aus allen Erdtheilen.
Nachtrag zu dem Nekrolog 1875 *).
J. Roß Browne, amerikaniſcher Reiſeſchriftſteller; ge⸗
boren 1817 in Irland, fam er als Knabe nach den Vereinig:
ten Staaten, bie er vielfach bereifte. So fuhr er auf einem
Flachboote den Obio und Miſſiſſippi hinab, machte dann eine
Fahrt auf einem Walfifchfänger mit, durchtreifte Ealifor-
nien, Arizona, Dentichland, Rußland, Schweden‘, Jslaud ꝛc.
und fchrieb dariiber unterhaltende Bücher, von denen die
‚Neifen und Abentener im Apachenlande“ 1871 in beuticher
Ueberſetzung erichienen. Unter Johnſon's Präfidentichaft war
er einige Zeit amerikanischer Gefandter in China. Er ftarb
Mitte December 1875 in Daflaud in Californien.
S. G. Drake, amerifanifcher Schriftiteller, geboren 1798
in Pittsfield Mewbampibire), geftorben Juni 1875 in Bo:
fton, wo er Buchhandel trieb. Sein Lieblingsthema waren
die Eingeborenen Nordamerikas, über welche er eine Reihe
von Werfen verfaßte, wie: „The Book of the Indians“, „In-
dian captivities“, „Indian biography“, „The Old Indian
Chroniele“, „History of the five years french and indian
war“, Mich ſchrieb er eine in Amerika ſehr geichätte Ge—
Ichichte der Stadt Bofton.
F. I. Gray, engliicher Commodore, ftarb am 12, De:
cember 1875 auf der Höhe von Natal an Bord Ihrer Briti-
ſchen Majeftät Schiff „Naflan* an einem Trieber, welches er
fib bei Vermeſſungen nördlih von Mosambik zugezogen
hatte. Die Erdkunde verdankt ihm eine Karte eined an 25
dentiche Meilen langen Kitftenftriches nördlich von Zanzibar,
welchen er jeit 1873 mit der ‚Naſſau“ aufgenommen bat.
Raplace, Cyrille Pierre Theodore, franzöſiſcher Vice
abmiral, geboren den 7. Movember 1793, trat ſchon 1809 in
die Marine, machte 1830 bis 1832 mit der Corvette Fabo—
rite* eine Reife um die Welt und ebenfo 1837 bis 1840 mit
der Fregatte „Artemife*. Auf der erſten befuchte er das Cap,
Indien, Annam, Theile des dhinefiichen Meeres, Java, Au—
ftralien, Yan Diemensland und Valparaiſo und gab darüber
beraus: „Voyage autour du monde par les mers de !’Inde
et de Chine, exöcutö sur la corvette de l'ötat „La Farvo-
rite® pendant 1830 & 1882", 4 Bünde. (Paris 1838 bie
1335.) Anf der zweiten Reife ſah er den Perfiichen Golf,
das Motbe Meer, das Indiſche und Chineſiſche Meer, Neu:
holland, Tahiti, Hawati und die pacifiſche Küſte von Amerika
und bejchrich diejelbe in „Campagme de eircumnavigation
de la frögate „WArtömise“ pendant les anndes 1837 ä
1840.% (6 Bände. Paris 1810 bie 1854.) Er war zuletzt
(1858) Marincpräfeet in Breſt und ftarb dort am 24. Fe—
bruar 1875.
Minisealdi: Erizzo (Graf Francesco), italieniſcher Se
nator, ein Freund und eifriger Pfleger der orientaliſchen
Spradien und der Geographie und Ueberſetzer geichägter Ar-
beiten in dieſen Wiffensgebieten. Geboren 1810, reifte er
viel im Oriente und hatte ſtets arabifche und ſyriſche Diener
um fich, wie er auch zuletst die von Miani nach Jtalien ge
ſandten beiden Allas in feinem Haufe erzog, um ihre Sprache
zu ſtudiren. Er war Mitbegründer und Bicepräftdent der
Stalienifchen Geographiſchen Geſellſchaft. Er veröffentlichte
1854 ein Buch über Nordpoferpeditionen und binterläßt un:
publicirte Werke iiber das orientalifche Ehriftentbum und bie
Geſchichte der ſyriſchen Mönde, ſowie ein lateiniich-Äyrifches
Lericon. Er ftarb zu Padıra am 27. December 1875.
Mohammed Abd:ed:Sfamat, der nubilche Elfenbein:
händler, welcher fich durch Schweinfurth's grofmüthige Un-
*) 5, laufenten Band dee „Hobus” ©. 77 fl.
terſtützung, deren ſich unſere Leſer aus den betreffenden Schil⸗
derungen des vorigen Bandes entſinnen, um die Erforſchung
Innerafrikas fo wohl verdient gemacht hat, wurde am 23.
November 1874 in feiner Seriba Naanje nahe beim Mon-
buttulande mit allen feinen Gefährten von den Niamsmiam
erschlagen. Im jelben Jabre wurde der Monbuttu⸗König
Munja, ebenfalld durch Schweinfurth's Reifen bekaunt ge:
worden, durch Leute des Elfenbeinhändlers Ghattas im Kriege
getödtet.
Michail Petrowitſch Pogodin, ruſſiſcher Gelehrter, ge:
boren um 1800, hielt ſeit 1821 Vorträge iiber Geographie an
der Moskauer Univerſität, feit 1326 über "allgemeine und
ruſſiſche Geſchichte, um deren Quellenforſchung er fich ver-
dient gemacht bat. So bradte er eine große Sammlung
alter Handfchriften und anderer Denkmäler, die auf Ruf:
lands früheſte Gefchichte Bezug haben, zuſammen, welche jetzt
die Peteräburger Bibliothek ziert. Vor Allen aber erfand
und betrieb er den Panſlaviemus; er ward der Begründer
des Stavencomites in Moskau, er fette die Errichtung jlavi:
cher Profefluren an den Umiverjitäten durch; er brachte den
Moskauer Slavencongrek von 1867 zu Stande. Geftorben
den 20, December 1875 zu Mostlan.
Friedrich Julius Seiff, geboren den 0, October 1321
in Leipzig, zuerft Jahre lang Ingenienr, lebte Später in Dres-
den und unternahm feit 1867 Reifen nach Algerien, Tene-
riffa, Spanien und 1871 bi& 1872 nach Syrien und Klein:
afi ien. Sein Buch „Reifen in der Aſiatiſchen Türkei” (Leip-
sig 1875) ift eines der beiten, welche feit langer Zeit über
dieſe Gegenden erſchienen ſind. Zu Anfang 1875 unternahm
er eine neue Orientreife, erlag aber jhon am 25. Mai zu
Adapa-dem Fieber.
Iobann Friedrih Marimilien von Walded, vielge—
reifter Maler, geboren 16, März 1766 zu Brag, ftarb am 30.
April 1875 in Paris. Er begleitete Levaillant 1783 nach
Südafrika, die franzöfiiche Armee 1794 nad Megypten, be:
furhte dann Mauritins, 1819 Chile, fpäter Guatemala. In
ben dreißiger Jahren bielt er ſich act Jahre in Amerika
auf und ftmdirte drei Jahre die Ruinen von Balenque, ber
welche er fein Wert: „Voyage pittoresque et arch@ologique
de la province d’Jucatan pendant les anndes 1834 à 1836%
(Paris 1858) jchrieb. Seitdem lebte er in Paris.
Die Gefell Berbreitu innügi z
e Geſellſchaft zur 4 er ze up geme nnügiger Kennt
Im Jahre 1871 wurden die erften Schritte gethan, um
eine Geſellſchaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntniffe
in China zu bilden. Im Jahre 1872 trat die Sache wirklich
ins Leben. Der Zweck diefer Geſellſchaft ift ein doppelter:
einmal will fie verfuchen, durch Einführung europäiicher
Wiſſenſchaften und liberaler Ideen den alten Wberglauben
ausjutreiben, der das. Hanptbindernig des materiellen und
gejellfchaftlichen Fortſchritts in China bildet, dann aber den
Weg zu den umnvermeiblichen Neuerungen im Reiche der
Mitte dadurch anbabnen, daß fie die Gedanken des dhinefi-
ſchen Bublicums mit diefen Veränderungen allmälig vertraut
macht, bis diefes diefelben endlich felbft berbeimünfcht.
Diefer Zwed follte durd Bücher und Zeitungen ange
ftrebt werben. Da ſich gute Bücher nicht berbeicommandiren
laffen und auch felten prodmeirt werden, fo wurde mit den
Zeitungen begonnen, und zwar wurden zunächſt mehrere
Tage: und Wochenblätter in den Sechäfen in Gang gebracht,
namentlich aber feit Auguſt 1872 zu Peking eine ilfuftrirte
Monatszeitung (Peking Gazette) herausgegeben. Die Haupt:
artifel diefer Zeitung verbreiteten ſich über folgende Gegen:
272
ftünde :
graphen, Ganäle und Pferdebahnen, Kratzgarumaſchinen und
macadamifirte Strafen, Mathematik, Phyſik, Phyſiologie,
Anatomie, Bergbau, Metallurgie; außerdem Reiſebeſchrei—
bungen, Erzählungen, Fabeln, Aneldoten und allgemeine
Neuigkeiten, mit Iluſtrationen Um fie den Chineſen au:
gänglicher zu machen, wurde ein Theil gratis vertbeilt, cin
Theil zu dem Selbjtkoftenpreis verkauft.
Das Erſcheinen der „Gazette“ ift neuerdings aber ein:
geftellt worden , weil es eimerfeits an Geld und an litera-
riſchem Stoffe fehlt und weil andererieits Peking nicht als
der geeignete Play für ein ſolches Unternehmen ericheint.
Man will nun ein ähnliches Blatt, welches mit dem Chine—
ſiſchen Volytechniſchen Inſtitut in Schangbat in Verbindung
gebracht werden joll, unterjtüten.
Kulieinfubr am Cap.
Während die auftraliichen Golonien und Canada große
Opfer brachten und noch bringen, um durch Einwanderung
die jo nötbigen Arbeitskräfte zum Gebeihen des Landes zu
erlangen, ift dielem wichtigen Capitel in der Coloniſations⸗
geſchichte am Cap nod wenig Aufmerkſamleit geichenft worden.
Erſt in menejter Zeit haben fich wiederholt Stimmen erho-
ben, welche ein energiſches Vorgehen der Negierung in diefer
Richtung verlangen, und ſie find auch nicht ungehört verhallt.
Unter allen den verichiedenen Provinzen ift es allein Natal,
welches unter dem energiſchen Major Butler Landgeſchenke
vertbeilte, um Landwirthe, alſo Broducenten von Lebensmit⸗
teln, zu gewinnen, welche jo ſehr feblen. Un Kaufleuten,
großen und Heinen, an Gold» und Diamantengräbern iſt
fein Mangel, hiervon find mehr als genug vorhanden; aber
Landwirtbe, welche die Hilfsquellen des fruchtbaren Bodens
erichliefien, bat die Capcolonie viel zu wenige, fo daß fie Ge—
treide aus Auftralien importiren muß, während fie felbft
davon große Mengen ausfübren Könnte und follte, Die dor:
tige Sandwirtbichaft, die hauptſächlich in Schafzucht, aljo
Wollproduction, beſteht, liegt in den Händen der faulen Hol-
länder, von demem nicht viel zu erwarten ift, was fie zur
Genüge bewieſen haben. Die Colonie baut Eiſenbahnen,
welche die importirten Waaren im Lande vertbeilen; aber
fie hat feine Landesproducte anfer Wolle, um fie auf glei-
chem Wege an den Küftenplägen und größeren Orten zu
concentriren, wo jie ihren Markt finden würden.
Dir. Roß-Johuſon, Advocat, hat ſich im ber legten
Zeit im diefer Angelegenheit bervorgetban. Auf fein Un:
ſuchen genehmigte die Colonialregierung 7009 Pf. St, um
bierfür tauſend Kulis einzuführen, und ift Der. Roß-John—
fon bereits nach Hongkong abgereift, um die Eimvanderer
zu gewinnen. Jeder derfelben muß bei feiner Einſchiffung
Ss Pf. St. bezahlen, wofür er dann mit Verwendung ber
Regierungsunterftüsung vollfommen freie Fahrt erbält.
Man glaubt, daß dieſes Taufend fofort ald Dienftboten En:
aagement finden wird, und ift entichloffen, wenn das Erpe
riment gelingt, es fo ojt als mötbig zu wicberbolen, um
genügend Arbeiter für Eifenbahbn: und Feldbau zu gewinnen,
Nichts macht einen Kuli glücklicher, als wenn er fein kleines
Stüd Land bat, auf dem er ſich eine Hütte bauen und einen
Gemitiegarten einrichten faun. Wenn auch die Ehrlichkeit
ber er Chineſen nicht fletenlos ift, To find fie doch ungemein
Dampf und Dampfmaſchinen, Gteltricität und Tele: |
Aus allen Erdtheilen.
arbeitfam und frugal. Es ericheint eigentlich lächerlich, Chi:
neſen dreitanfend englifche Meilen weit heranzuziehen, wo bas
Land ſelbſt eine große Menge eingeborener Völlerſchaften
befist, die mehr fanllenzen als arbeiten. Es iſt aber ſehr
fraglich, ob es gelänge, diejelben zu obigen Zwecken zu ver:
wenden, es fcheint fi Niemand an diefe Aufgabe wagen zu
wollen. Kann fie num nicht gelöft werden, fo bleibt der Co:
lonie nichts Anderes übrig, als fo viele der „Himmlifchen
Staatsbürger" einzuführen, als mötbig find, um die drin:
gende Noth an Arbeitskraft zu deden. Uebrigens iſt auch
alle Ausficht vorhanden, daß demnüchſt die Capcolonien auf
dem Auswanderermarkte Europas ericheinen und mit den
übrigen Ländern in Concurrenz treten werden, welche ſich
in vortbeilbaften Offerten für Heimathmüde fberbieten.
Verbreitung von Waffen unter den Kaffern, ’
Die Bewaffnung der Kaffern mit Feuergewehren nimmt
troß der geſetzlichen Verbote ſtark iiberhand, jo daf die euro:
väriche Bevölkerung darüber beunruhigt ift. Diefe Stim:-
mung äußert fih in den Journalen, welche auf die Gefah—
ren aufmerffam machen, die den Coloniften durch biefen
Umftand erwachſen, und fie haben nicht Unrecht, denn das
kriegsluſtige Kaffernvolk ſieht mit fcheelem Blicke den Fort:
Ächritten der Culture zu. Die oben erwähnten ſchlimmen
Nachrichten brachten verſchiedene Jäger und Händler, welche
die Wilden in ihren Kraalen aufluchten. Während früher
wohl bier und da in einem Kraal ein ober zwei Gewehre
zweifelhaften Wertbes vorhanden waren, find jest am gleis
chen Orte oft hundert zu fehen und die Kaffern wiffen recht
wobl damit umzugeben. Die Zahl der jest unter ben
Schwarzen verbreiteten Schufwaffen wird allein nördlich
vom Orangefluß und Baalfluß auf mehrere taufend Stid
geſchätzt, und fehlt ed auch nicht an Munition. Die Eentren,
von welchen aus ſtets neue Waffen an die Kaffern gelangen,
find zumeift die Gold- und Diamantenfelder, wo der Tauſch—
handel ein lebhafter ift, und die wieder abreilenden Gräber oder
entlaffenen Arbeiter fich oft ihrer Hableligkeiten und darım-
ter auch der unvermeidlichen Büchſe entledigen. Geht bie
Bewaffnung der Kaffern in gegenwärtigem Maßftabe weiter,
fo liegt die Gefahr einer Empörung derſelben nahe, melde
nicht ohne große Verlufte wieder unterdrüdt werben fünnte
und ſchon deswegen womöglich im Keime erftidt werben
follte, da die Entwicdelung der Eolonie durch einen Krieg für
Jahre unterbrochen würde. Bei ben Bevölkerungsziffern
der Schwarzen im Verhältniß zu denen ber Weißen würden
die leßteren, uur eine annähernd gleiche Bewaffnung beider
vorausgeſetzt, einen harten Stand haben, um die hundertfach
überlegenen Schwarzen erfolgreich zu befümpfen. Es iſt des:
balb ein baldiges energiiches Einfchreiten der Behörden jehr
nothwendig, um diefen Waftenlieferungen die Lebensaber zn
unterbinden.
* * 4
— Seit Gründung ber Colonie Südauftralien im Jahre
1536 ift das Jahr 1375 das naffefte geweien: in 142 Tagen
fielen 31,445 Zoll Regen. Das bisher regenreichſte war
1851 mit 50,633 Zoll in 123 Tagen. Das Jahr 1875 war
ein ungewöhnlich faltes, fo daß fich die Reife der Feld- und
Gartenfrüchte außerordentlich verzögerte.
Inbalt: Telemffen in Algerien. II. (Dit vier Abbildungen.) —
Bon Richard Andree. — Zur urgeſchichtlichen und culturgeichichtlichen Terminologie.
— Robert Hartmann’s „Nigritier*.
Brofeffor Aſcherſon wieder in der Libyſchen Wüſte
Von Alerander Eder. — Wie verhält es ſich mit der Einführung des eriten Tabacks durch Nicot und Hernandez de Toledo?
Bon Lothar Beder. I. — Mus allen Erdtbeilen:
Nadıtrag zu dem Mekrolog 1875. — Die Gefellichaft zur Verbreitung
gemeinnügiger Stenntniffe in Ehina. — Kulieinfuhr am Cap. — Verbreitung von Waffen unter den Kaffern. — Verſchie—
denes. — (Schluß der Redaction 9. April 1876.)
Redakteur:
Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftrafe 13, III Tr.
Drud und Verlag von Briedrih Vieweg und Sohn in Braunfchweig.
Hierzu eine Beilage:
Literarifcher Anzeiger Mr. 3,
Band XXIX.
2* J
Mit beſonderer Berüchfichtigung der
Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Rihard Kiepert.
Braunſchweig
Jahrlich 2 Bände a 24 Nummern, Durch alle Buchhandlungen und Poſtanſtalten
zum Preife von 12 Mark pro Band zu bezichen.
1876.
Telemffen in Algerien.
Ill.
Nachdem Lorral Bu-Medin und feine Umgebung durch—
wandert hatte, mußte er dem danfbaren Ali in defien väter
liches Haus folgen. Auf der Schwelle der ärmlichen Hütte
faß der Alte; beim Heranlommen feines Gaſtes erhob er fich
und neigte fich, die rechte Hand nad) orientalifcher Sitte auf
die Bru
zerjchliffenen Vorhang, der das Innere feiner Wohnung den
neugierigen Bliden der Voribergehenden verbirgt, und ladet
zum Cintreten ein. Einige Stufen führen zu einem Hofe
hinunter, den ein prächtiger Apriloſenbaum beſchattet. Alles
ift ärmlich, aber nad) Kräften für den Empfang des Frem—
ben hergerichtet: das Meine Zimmer ift von den Frauen
frifch getüncht worden, eine Matte bededt den Fußboden und
darauf liegen Deden und Kiffen. Zu Ehren des Wohl
thäters der Familie werden felbft die mohammedaniſchen Ge:
fegesvorfchriften übertreten: die Mutter und eine der Schwes
ftern Ali's erjcheinen vor dem Franken und ftatten ihm ihren
Danf ab. Die erftere zeigt Spuren einftiger Schönheit, hat
aber einen herben, jaft traurigen Ausdrud in ihrem Antlig.
Ein einfaches Kattunfleid bededt ihre Glieder, der Abruf den
geſammten Haarwuchs und gelblederne, marotkaniſche Sbath
(Pantoffeln) ihre füge. Weit mehr aber noch lenkte ihre
Tochter die Blicke bes Gaftes auf ſich, ein Heiner Wildling von
11 bis 12 Jahren mit fraufem, hennagefürbtem Haare, der mit
trogiger Unmuth feine Schafchia trägt. Es ift das eine Meine
fegelförmige Kappe von Sammet, reich mit Gold geftidt und
unter dem Sinne mittelft eines ebenfalls geftidten Bandes
feftgehalten. Barkahum ift der Name des Kindes; er ber
Globus XXIX. Nr. 18.
gelegt. Mit zuvorlommender Geſte hebt er den |
deutet „Genug davon“ oder „Genug mit ihnen“ und wird
von den Arabern, die Reichthum an Mädchen flir feinen
großen Segen anfehen, derjenigen Tochter beigelegt, bei deren
‚ Ankunft fie von diefer unerwünſchten Nachtommenfchaft genug
zu haben meinen. Es fol das gleichjam eine Benadhrichtis
ung für den Himmel fein, oder im Telemſſen fpeciell fir
Sidi-Mafub, dem ja dort die Bertheilung ber Yeibeserben
obliegt.
Dit großen Augen flarrt die Kleine den Fremden an,
wohl den erjten „Rumi“ (Franken, eigentlich Römer), den
fie im väterlichen Haufe fieht, aber auf ein gegebenes
Zeichen trägt fie alsbald die Mahlzeit auf. Yaut fchlagen
dabei die filbernen Ringe (Cholchal), welche fie um die
Kubchel trägt, gegen einander und die mächtigen Korſſa oder
Ohrringe ſchaukeln hin und her. Die Tracht der arabifchen
Frauen giebt derjenigen der Judinnen, wie wir fie oben ge-
ſchildert, nichts nach; aber fie wird nur bei Hochzeiten und
feierlichen Beſuchen getragen. Immerhin ift die Putzſucht
bei ihnen fo entwidelt, daß ſich die ärmeren Frauen bei feier
lichen Gelegenheiten abgelegte Gewänder beſſer ausftaffirter
Freundinnen leihen. Da ift zuerft die Kamiß, ein Hemd
aus feiner Yeinwand mit feidenen, golddurchwirkten Aermeln,
dann die Abaja, ein ärmellofer Ueberwurf, gleichfalls von
Seide oder Tuch, und endlich der geftidte Kaftan von Sam:
met oder Tuch. in vergoldeter Gürtel ift zwei-⸗ ober brei-
mal um die Taille gewunden, über welche die Futha, ein
Stlid Seidenftoffes, bis auf die Waden herabfällt. Alle dieie
Herrlicjkeiten verbirgt jedoch auf der Strafe der Hail von
35
274
weißer Leinwand, ber vom Scheitel bis zur Zehe bie ganze |
Geftalt einhüllt und nur dem einen —* den Ausblid ges
ftattet. Sehr groß ift die Anzahl der Schmuckſachen, mit
denen ſich die arabifchen Schönen behängen, jo groß, daß
es bem Europäer unmöglich ift, mit den wenigen Worten,
über die er für die verfchiedenen Arten des Geſchmeides ver:
fügt, die Dinge in ihrer Manmnigfaltigfeit zu bezeichnen:
Ohrgehänge (Unaiß), mit Verlen oder Edelſteinen befegte
Ohrringe (Chorfja); eine Art derfelben, welche mit Juwelen
verziert find und von zwei Gholdfettchen (Selfela) anı Kopfe
feftgehalten werben, heißen Nab Tunes (Ohrringe von Tur
Telemſſen in Algerien,
nee); Schearra, ein Gliederhalsband von Gold und mit far-
bigen Steinen befegt; Scherfa, ein mit Goldmlinzen (Sul-
tanis im Werthe von 16 Franken) verziertes Halsband;
Affaba, ein Diadem von benfelben Münzen; Menafeche,
Armbänder von cijelirtem Golde; Kuathem oder Fingerringe;
Dab, mit Steinen beſetzte Armbänder, größer als die Mena
feche ; Meflais, einfadye goldene Spangen; Choldal, filberne
oder goldene Ringe um die nöcel, und Redif, die etwas
Heiner find als die Cholchal.
Die Mahlzeit beftand aus dem lanbesiiblicen Kußluß,
deſſen Mitte ein Stüd Hammelfleiſch einnahın, umgeben von
N 4
Mutter und Tochter aus Bu:-Medin.
harten Eiern, Datteln und Korinthen. Auch der Franle |
mußte ſich nach orientalifcher Weife an dem runden niedrigen
Tiſche niederlaffen und mit feinem Holzlöffel aus der gemein» |
famen Schüffel zulangen. Als Trank wurde Leben, d. i. Mole
fen, gereicht, Honig» und Dattelgebäd folgte als Nachtiſch
und eine Taffe Kaffee beſchloß das Game.
Denn aud) das Innere der Häuſer in Telemflen und
Umgegend erbärmlich ift, jo muß man bedenken, daß die Eins
geborenen nur wenig Zeit darin verbringen. Vornehmlich
leben fie auf der Straße: dort lauern fie auf den Thür
ſchwellen oder längs einer Mauer und verhandeln ihre Anz |
gelegenheiten in voller Deffentlichfeit. Die Vorlibergehenden
ſcheuen ſich darum auch feinen Augenblich, ſich dazwifchen zu
mengen und unaufgefordert ihren quten Kath zu ertheilen.
Die franzöfifchen Gebäude der Stadt, wie die Unters
präfectur, das Gericht, die proteftantifcye und latholiſche
Kirche, welche beide auf dem Gavaignacs Plage ſich erheben,
find eben jo nüchtern wie überall anderswo. Selbft der ſchon
erwähnte Mefchuar, in weldem 1518 die Spanier von Oran
den BabasArudfd) (Barbarofia) belagerten, bietet außer dem
alten Uhrthurme nichts Intereffantes. Diefe alte Befte
umfchließt heutigen Tages fait alle Militäranftalten des
Ortes, die Gafernen, ben Artilleriepark, das Gefängniß, das
Magazin, die Intendantur und ein Spital von 300 Betten.
Telemfjen in Algerien. 275
7:
N
I 'ni min — ——
276
Aber all diefen fauber getünchten nüchternen Gebäuden ver-
mag das Auge des Keifenden doch weniger Intereſſe abzu-
gewinnnen, als beifpielsweife der ärmlichen und doch jo ma—
lerifchen Straße der Goldſchmiede, deren Abbildung wir geben,
mit ihren madelnden Buden und ihrer niedlichen, feinen
Moſchee Sidirl-Haffein, welche nur leider auf franzöfifche
Weife mit gewaltig viel glafirten Ziegeln und mit viel
Mörtelbewurf ausgebeffert worden iſt. Degt dient fie als
———— — =
aller Schwarzen in der Stadt, denen er bei feierlichen Ge«
legenheiten die Fahne vorträgt. Aber alle feine Heiligfeit und
feine Würde ſcheinen ihn fchlecht zu ernähren, denn in feinen
freien Stunden betreibt der angelehene Bu-Salem das Ge:
ichäft eines Anſtreichers. Sein blüthenweißer Turban fticht
greil von dem runzeligen, ſchwarzen Geſicht ab; ein bemals
ter, hölzerner Rofenkranz hängt auf die Bruft des Greiſes
herab, der mit niedergeichlagenen Augen unbeweglich dafigt
und in fromme Gedanten verfunfen zu fein ſcheint. Dabei
Die Medreſſa (Schule) in Telemffen.
Telemſſen in Algerien,
Schule (Medrefla), in der die 5 Mohammedaner den
Koran leſen lernen. Die große Moſchee der Stadt iſt ein
ausgedehntes, aber geſchmadloſes Gebäude, welches den Be—
ſchauer volllommen falt läßt. Ein mächtiger hölzerner Kron-
ieuchter hängt im Innern, auf deſſen Armen gefüllte Oel—
näpfe ftchen, die mur geringe Helle verbreiten. In einem
Winfel am Cingange des Gotteshaufes hodt ein alter Neger,
natitrlich wieder eine heilige Perfönlichkeit und Oberhaupt
BREI TTRHIL LT
—
Mad einer Photographie.)
ift er aber fein Bettler, wie deren zahllofe von Beruf die
Vorübergehenden mit ihren näfelnden Zurufen beläftigen.
Den ganzen lieben langen Tag wiederholen fie unaufhörlich
diefelbe Phrafe: „Ani faddat* (Gieb mir ein Almofen) im
Namen des Sidi Abd-el-Fader, Ben-Dfchilali oder fonft
eines angejchenen Marabut. Dabei fieht man unter ihnen
fräftige, gefunde Leute, die wohl arbeiten fönnten. ragt
man fie aber nad) ihrer Beichäftigung, fo antworten fie ruhig:
„Schemeß“ (von ſchems — Sonne), d. h. Ich ſonne mich ; oder
Telemffen in Algerien,
etwa „Mein Bruder ifl Feldwächter“, was fo viel jagen will
als „Mein Bruder arbeitet und verdient fid) Lohn; id; aber
bin davon biäpenfirt.*
In der Masfara-Straße wohnen ausſchließlich die Händ-
ler mit Baumwollenftoffen, Teppichen, Deden und getricbenen
Kupferichlifieln. Darum find dort die Yadenmuethen viel
höher; denn diefe Händler müffen dort wohnen, weil fie an
anderen Stellen nichts abfegen würden. Nur dorthin wen»
den ſich die Yandlente aus der Umgegend; dort kann man fie
in hellen Haufen jehen, wie fie zehn Yäden beſuchen, ehe fie
im elften eine Gandura (langes Hemd) im Werte von
1 Reichsmark erftchen, ohne daß es ihnen gelänge, die Ge-
duld der Händler dadurd) zu ermüden. Am Ende diefer ftets
von Menſchen vollgeftopften Straße liegen die Buden ber
Fonduf, arabifche Herberge.
die weißen Afazien, die Rofen und der japanifche Firmiße ı
baum. — Hier figen zwei Männer und find mit einer Par |
tie Dame emfig beſchäftigt; dort trägt ein wandernder Sän-
ger feiner aufmerffamen Zuhörerſchaft lange Kriegs und
Yiebeslieder vor und untermifcht feinen Bortrag mit Nitore
nells, die er auf dem Gombri, einer Art einfaitiger Violine,
fragt oder auf einer Flöte bläſt. Wenn er athemlos paus
firt, fo treten Hoboenbläfer an feine Stelle. Dort fit wie—
der cin Opiumrauder und ſaugt aus feiner Heinen Pfeife
langjam das Gift ein, welches ihn zu Grunde richtet. Dann
tritt plöglid) ein Menſch auf, der Teppiche und Burnuffe
auf der Schulter trägt, unter der Menge herumwandert,
in die Päden ein- und austritt und dabei umverftändliche
Worte murmelt.
einen Gegenftand, 3. B. cin Paar Hofen, verkaufen, jo über
1
277
einheimischen Schuſter, die mit ihren maffenhaft angefertig-
ten, plumpen Pantoffeln vortrefjliche Geſchäfte machen.
Daran ftößt ein manriiches Kaffeehaus, ein großer Saal
mit Bänfen und Scemeln, auf denen bie Gäfte fiten, wenn
fie es wicht vorziehen, fich auf der Strafe auf Matten nieder:
zulaſſen. SKäfige voller Singvögel hängen an der Thlir und
in Zroifchenräumen find Lilienſträuße aufgeftelt. Denn die
Einheimischen find große Blumenfreunde und von ber Natur
mit den Kindern Flora's reichlic, ausgeftattet. Im Decem-
ber 3. B. erfüllen die Narzifien die Luft mit ihrem durch ⸗
dringenden Geruche; ihnen folgt das Immergrlin mit feinen
blauen Kelchen und den faftiggrlinen Blättern; drei Monate
lang blühen dann die Veilden und werden von Flieder,
Levloien und Schwertblumen abgelöft und zulegt erfcheinen
— - =
=
(Nach einer Photographie.
giebt man fie diefem Individuum, weldies damit die arabi-
ſchen Uuartiere durdjziceht und wohl zwanzigmal in der Mi—
nute ein Gebot darauf ausruft: „Chamfa u nuß, chamſa
u muß!“ d. h. 51/, (mämlic Franken). Das treibt er fo
lange, bis irgend ein Liebhaber eine Kleinigkeit mehr bietet
Dann fegt der Dellal ruhig feine Wanderung fort, nur daß
er den zulegt gebotenen Preis ausruft. Hat man dann viel-
leicht 6 Franlen geboten, fo fann es vorfommen, daß nad)
einigen Stunden, wenn man die ganze Geſchichte Längft ver-
gefien hat, der Ausruſer fich wieder einftellt, einem die Hofen
überliefert umd fagt: „Sie find Dein; gieb mir die ſechs
Franken!“
Weiterhin fommt man bei einem arabischen Bade vorbei,
Es ift ein „Dellal“:; will man irgend | weldyes fid) von dem oftmals befchriebenen in Nichts unter⸗
fcheidet, nur daß es mit getrodnetem Mifte geheizt wird, der
278
eine außerordentliche Hitze entwidelt, Seine Afche wird mit
Mörtel vermifcht umd giebt einen vortrefflichen Cement für
Bewälerungscanäle und Waflerrefervoirs ab,
Die Stelle unferer Herbergen und Gafthäufer vertreten
in Algerien die Fonduks; in ihnen findet der Reiſende und
feine Thiere zwar Unterfommen, aber nur die legteren aud)
Futter, Es find meist ſchmutzige von Zellen umgebene Höfe,
an beren Seiten Pferde und Maulthiere ftehen. Inter den
großen Bäumen des Platzes des Beylik haben die Brot
verfänfer ihr Hauptquartier aufgefchlagen, meift junge Mäd—
chen, die kaum dem Kindesalter entwachlen find. Auf dem
Ende eines Brettes zufammengelfauert, haben fie vor ſich die
Laibe hoch aufgethürmt. Tagelang harren die armen Weſen
ſelbſt bei ſchlechtem Wetter unbeweglich und geduldig der
Käufer, und wenn das Geſchäft gut gegangen iſt, fo beträgt
am Abend der ganze Berdienſt 20 bis 25 Pfennige. Doch
"find fie immer luftig und gefhwägig; ſchon auf zehn Schritt
Entfernung betäubt ihr Plaudern das Ohr des Fremden, ber
mit ironischem Yachen und farkaftifchen Bemerkungen empfan«
gen wird, und befjer noch als unfere Fiſchweiber und die
wohlbelannten Barifer Dames de la halle verftehen es dieſe
lebhaften Kinder des Südens, den Ton, die Worte und den
Gang eines unzufriedenen, mäfelnden Käufers nachzuäffen
und ihm mit hellem Spott und Gelächter in die Flucht zu
treiben,
Bielfach ficht man in Telemffen maroftanifce Schlangen:
beſchwörer, nur mit einem Hemde bekleidet, das ein lederner
Gürtel um den Yeib zufammenhält. Der eine von ihnen
trägt ein Tharar (Meine, mit Scellen befegte Trommel),
geht im Kreife, den die Zufchauer bilden, herum und fingt
dabei, aber nicht auf Arabiſch, jondern Schelha-Worte, aus
der dialeltreichen Spradje, weldje die Berbern in den mar
rottaniſchen Gebirgen reden. Hat er eine Strophe beendigt,
jo wird dieſelbe von feinem Genoſſen, der einen einfaitigen
Sombri (Bioline) fpielt, wiederholt und dann flihren beide
ein Duett auf. Aber das Schaufpiel der ſich wiegenden
Schlangen verliert bedeutend an Interefie, wenn man weiß,
daß unter zchn Malen neun Mal einfadye Nattern dazu ver
wendet werden. Nur wenn die Ernte an Kupfermünzen
ungerwöhnlic, veich ausfällt, wird eine wirkliche Klapper—
ſchlange hervorgeholt, der aber wohlweistid, die Siftzähne
ausgebrochen find.
Weit intereffanter ift es, der Herftellung einheimifcher
Thonwaaren oder glafirter Ziegel beizumohnen, weldje mit
den einfachiten Werkzeugen und auf die primitivfte Art und
Weiſe geichicht. Trotzdem erzielen die Töpfer Überrafchende
Nefultate und ihre Krüge, Lampen, Schalen u. f. w. find
von verhältnigmäßig fehr eleganten formen und Narben.
"Die Weber, deren es in der Stadt ungefähr 3000 giebt,
bewohnen ein Wirrwarr enger Gaffen, in deren niedrige
M'Farlane's neuefle Fahrt auf dem Fly-Fluſſe in Neuguinea.
Gewölbe felbft am hohen Mittag kaum ein Sonnenftrahl
eindringt, jo dag man ſchwer begreift, wie fie in diefen dum-
felen Löchern ihr fubtiles Handwerk ausüben fünnen.
Das Erfreulichjte in DTelemffen ift aber unjtreitig das
treffliche Gedeihen des jungen Nachwuchſes, der wie Unkraut
aufſchießt. Die dortigen Aerzte fagen auch deswegen: „Iu
Telemffen lommt Alles darauf an, 18 Monate alt zu wer
ben; ift biefer Zeitpunkt überfchritten, fo ftirbt man nicht mehr.“
1266 Finder bejuchen die verfchiedenen Schulen der Stadt,
das Collöge einbegriffen, und fie alle genießen freien Unters
richt und haben jelbft Schulblicher frei. Das toftet ihr jühr⸗
lich! 65,645 Franfen oder pro Kind fait 52 Franken, ein
Aufwand für Bildungszwede, deſſen ſich gewiß micht viele
andere Städte auf dem afritanifchen Kontinente rühmen fönnen.
Telemffen ift, wenn auch nicht ganz mahe der Örenze ger
—* doch einer der Hauptplätze für den Handelsverlehr mit
aroffo, welchen die Karawanen von Gurara und Tafilelet
häufig beſuchen. Was Marolto dem Nachbarlande Liefert,
befteht hauptſächlich in Ochfen, Pferden, Gerfte, Wolle, Ham-
meln, Fellen, Maroquinleder, Henna, Tachaut (Gerbeftoff),
Datteln, Burnuſſen und anderen Geweben, Geſchirren u. ſ. w.
Der fehr bedeutende Schlachtviehhandel hat außer in Tanger
und Oran feinen Sig namentlid in Marnia (Falla-Maghr-
nie), wo oft au einem einzigen Tage für mehr als 100,000
Franken Umfag darin ftattfindet; in Gerfle nehmen bie Häfen
Nemours und Mdfcherud die erite Stelle ein, während alle
anderen Waaren nad) Telemffen und dem ſüdlich davon ger
legenen Sebdu gehen. Umgefehrt werden nach Marolfo
erportirt Baumwollſtoffe, Waffen, Kurzwaaren, Wachslichter
und Tuche; und gerade im Süden des Landes finden dieſe
und andere Dinge von Tag zu Tag größere Verbreitung.
"Dat dod) einer der einflußreichjten Männer jenes Gebietes,
Si-Mohammedsben-Abdallah, das Oberhaupt der religiöfen
Secte der Kenadfa, unlängst in Algerien fich eine Kutſche
erftanden, in welcher er unter ben Palmen feiner Dafe jpa:
zieven fährt! Im verfloffenen Jahre (1875) find aus dem
Süden Maroltos etwa zehn Karawanen nad; Telemffen und
Schdu gefommen, welde einen Werth von 850,000 Franfen
(davon mehr ald die Hälfte in Hammeln: 455,345 Franfen,
etwas fiber ein Siebentel in Stoffen: 126,000 Franfen,
und nicht ganz ein Siebentel in Peinwand: 117,370 fran«
fen) repräfentirten. Fur ungefähr die gleiche Summe haben
fie an Yichtern, Zucker, Kaffee, Belgra (den oben erwähnten
Schuhen aus gelbem Leder, welche in Telemffen fabricirt
werden), europätfchen Geweben, Waffen u. f. w. wieder mit
ſich genommen, Was außerdem in Geldgeſchäften auf jenen
Märkten gemacht wird, entzieht ſich zwar jeder GStatiftif;
aber wenn man deren Werth fir Telemfien allein mit 3
Millionen Franken anfdlägt, jo dürfte dies noch hinter der
wahren Ziffer zurlidbleiben.
M’ Farlane’3 neuefte Fahrt auf dem Fly: Flufje in Neuguinea.
Auf Seite 56 fi. berichteten wir über eine Forſchungs ⸗
reife auf dem in Neuguinea neuentdedten Fluſſe Barter ober,
wie die Eingeborenen ihn heißen, Mai-Kaſſa, welde der
Keverend S. M' Farlane von der Mifjionsanftalt in So—
merjet am Cape Yort, Colonie Queensland, unternommen
hatte. Diefer Miffionär hat num wieder eine Reife auf dem
an der Epite des Papua⸗Golfes ausmlindenden Fly-Fluſſe,
defjen unterer Lauf und erft durch Jukes befannt geworden,
ausgeführt. Die wefentlichften Momente daraus concentri-
ten ſich in folgendem Auszuge *).
M' Farlane verließ Somerjet am 29. November vorigen
Jahres auf dem Mifjionsdampfer Ellangowan. Es beglei-
teten ihn der Pieutenant Chefter, Polizeirichter in Somerfet,
und Signor 9. M. D’Albertis, der befannte italienifche
) ©. oben Eeite 240.
M'Farlane's nenefte Fahrt auf dem Flh-Fluſſe in Neuguinea,
Naturforfcher, welcher zur Zeit zum zweiten Dale auf Neur
guinea, und zwar auf der ganz nahe an der Kuſte liegenden
YulesInfel, verweilte, um naturwiffenichaftliche Sammlungen
zu veranftalten. Nachdem man einige Miffionsftationen,
deren es jeßt zehm im der Torresftraße und an ber Hüfte ber
Infel giebt, beſucht, dampfte man am 3. December auf die
Mündung des Fly Fluſſes zu. M' Farlane hatte die beiden
Häuptlinge Mainou und Ante aus den Dörfern Katau und
Turituri am Feſtlande bei fid) an Bord. Sie ftanden mit
den Eingeborenen an ber Fly» Mündung auf freundicaft
lichem Fuße und follten die Fremden bei legteren einführen
und ihnen als Dolmetſcher dienen.
Dean hatte große Noth, ſich durd; die Klippen durchzu⸗
winben und fand an manchen Stellen kaum 8 Fuß Wafler,
um den Dampfer flott zu halten. Dies änderte ſich aber,
je näher man der Mündung fam, und ald man darin war,
hatte man eine Tiefe von 5 Faden, Dlan erreichte den Fly
am 6. December. Er maß an feinem Ausfluffe 5 Miles
in der Breite und erweiterte fid) 10 Miles weiter hinauf
noch mehr. Bei einer Entfernung von 80 Miles zeigte ſich
nad der Dftfeite hin eine Oeffnung von gewaltiger Aus:
dehnung, welche möglicherweife eine zweite Mündung des Fly
bildet oder auch, mit zahlreichen Ausflüffen in die See, fid)
in der Richtung des Aird⸗Fluſſes, der im nördlichſten Wintel
des Papua-Goljes mündet, hinfchlängeln mag.
Dan anlerte die erfte Nacht bei einem 16 Miles von ber
Mündung entfernten Eilande, gerieth jedod) bei dem feichten
Waflerftande auf der Fahrt dahin einmal auf den Grund,
Es dauerte nicht lange, fo näherten fich zwei Canoes unter
Segel, welde von dem Dorfe Katau in der Abficht gelom-
men waren, um die Bewohner am Fly über den Zweck,
welchen die Reifenden, ihre freunde, verfolgten, zu umtere
richten. Bald liefen ſich noch fünf andere Canoes bliden,
die ſtarle Fluth aber verhinderte fie, ans Schiff zu kommen.
Es befanden ſich in jedem Boote fünf bis ſechs Eingeborene,
weldye grüne Zweige ald Zeichen der Freundſchaft ſchwenlten.
Am näcten Morgen bejuchten den Dampfer wieder fünf
Canoes aus einem Dorfe 3 Miles weiter hinauf, jedes mit
ſeche Dann befegt. Sie waren unbewaffnet, zeigten grüne
Zweige und brachten Yams als Gefchente. Der Fiuß wurde
auf der Weiterfahrt flacher und fiel bis auf 61/, Fuß.
Al man am folgenden Tage, 8. December, 6 Miles
zurüdgelegt hatte, bemerfte man, daß flinf große Canoes
mit bewaffneten Eingeborenen von einer wenige Miles vor»
liegenden Infel abgingen. Sie fuhren quer über den Fluß
und bogen in einen eimmündenden Creek ein, weldjen der
Dampfer paffiren mußte. Gleich darauf erfchienen noch
vier Kähne von derfelben Richtung her und ruderten auf bie
Reifenden los. Im jedem der neum fahrzeuge mochten ſich
25 bis 30 Mann befinden, von denen zwei Drittel ruderten
und die übrigen, mit Helm, Schild und Armſchienen ange-
than und Bogen, Pfeil und Speer zum Angriffe bereit hal
tend, aufrecht ftanden. Als fie unter Geſchrei und Geheul
mäher kamen, wurben einige Schüſſe Über fie weggefeuert,
aber das ſchien fie wenig zu fümmern. Da fchlugen zwei
Kugeln in den Bug eines der Canoes, was fie fo erichredte,
daß fie ſich eiligft davonmadıten, Sie befchränften fid) num
darauf, am Ufer entlang zu folgen.
Auf der Strede, welche man den folgenden Tag befuhr,
änderte fich die Vegetation ein wenig zum Beflern, und hier
und dort traten aus der Sumpfgegend begrafte Stellen her
vor. Palmen verichiedener Arten wurden zahlreicher umd die
wilde Mustatennuß, Mango und Brotfrucht zeigten ſich.
Als man fid) 24 Miles von der Stelle, wo man ans
gegriffen wurde, entfernt hatte, gelangte man an ein Eiland,
weldyes auf der einen Seite gut beholzt und auf der andern
279
mit Sagopalmen reichlich beftanden war. Hier machte man
Halt, um Brennholz zu ſchlagen. Der Capitän Nancie
und der Signor D’Albertis begaben ſich mit einigen Ma—
trojen ans Yand, aber faum waren fie eine Stunde fort, als
drei Canoes mit bewaffneter Mannſchaft in Sicht kamen.
Ein Signal vom Dampfer rief die Tomriften ſchleunigſt an
Bord. Die Canoes zogen fih auf ein nahe gelegenes Dorf
zurllch, um von dort Berftärfung zu holen, und nad) Verlauf
von zwei Stunden erfchienen ſechs große Fahrzeuge mit un—
gefähr 150 Mann in voller Kriegsräftung. Einige Schüffe
über ihre Köpfe hinweg jagten fie bald im bie Flucht umd
Mr. Ehefter und etliche Matrofen verfolgten fie dann im
einem Boote, um fie ans Land zu treiben, damit fie nicht
auf der andern Seite der Inſel landeten und ſich im Ges
ftrlippe verbergen möchten. Bei diefer Gelegenheit eroberte
man einen Kahn, der zu Brennholz verwendet wurde. Die
Canoes, aus weichen Holze, einer Art Fichte, mit Geſchick
gebaut, waren lang und ſchlank und fehr wei. Die Ein-
geborenen erwieſen ſich als tlichtige Ruderer, und es würde
ſchwer halten, fie mit einem Dampfer einzuholen,
Aud) am näcjten Tage, 10. December, zeigten ſich zahl:
reiche, - Theil bewaffnete Boote, allein immer in vejpect-
voller Entfernung, und Berfuche zum Angriffe wurden nicht
weiter gemacht. Sie verfolgten den Dampfer auf 12 Miles
und zogen ſich dann zurlid, wahrfcheinlic, weil dort die Öhrenze
ihres itoriumd war,
Als man biefen fehr bevöfferten Theil des Fly hinter ſich
hatte, verengerte fic) der Fluß und die Ufer, zum Theil aus
tother Thonerde beftchend, wurden 20 bis 30 Fuß hoc).
Man war am 11. December während der Fluthzeit ungefähr
23 Miles Hinaufgefahren und wollte gerade an einem hohen
Ufer, wo ſich gutes Brennholz für den Dampfer ſchlagen
ließ, vor Anker gehen, als man plöglid, wilden Lärm der
Eingeborenen vernahm, obgleich weder Dörfer noch Anpflan-
zungen zu jehen waren. Das Geſchrei wiederholte ſich wie
ein Echo und man zog es darum vor, lieber auf der entgegen:
gefegten Seite des Fluſſes zu anfeın. Um die Wilden in
Reſpeet zu halten, brannte man während der Nacht ein blaucd
Licht umd warf Raketen auf. Man wurde denn aud) in
feiner Weife beläftigt.
Am nächſten Morgen wiederholte ſich das Geſchrei und
bald verjannmelten ſich am ſchönen grünen Ufer des Fluſſes
an hundert Wann, bewaffnet und mit Federn von Paradies-
vögeln als Kopfpug. Sie befaßen nicht viel Canoes, zeig:
ten weniger friegerifchen Sinn und dienen überhaupt ſich
mehr vertheidigen als angreifen zu wollen. Man wurde
daher beim Holzhauen auch nicht geftört. Nachdem man ſich
hinreichend Brennholz verjchafft hatte, fette man die Fahrt
fort und langte bei einem Archipel von vielen Heinen ſchönen
Inſeln an, welche mit Palmen und Schlingpflanzen der ver=
ſchiedenſten Schattirung und Form bededt waren, Da das
Waſſer hier feichter wurde, fo hatte man große Noth, fich
zwifchen den Inſelchen durchzufinden. Als man fie jedod
pafjirt hatte, ward der Fluß wieder enger und vertiefte ſich,
und auch die Strömung wurde ſtärler. Am Sonnabend
den 11. December konnte man in 7 Faden Wafler vor Anfer
gehen und blieb bis Montag Morgen an diefer Stelle liegen,
Dan jegte am 13. December bei Eintritt der Fluth die
Fahrt fort, Die Umgegend blieb wie zuvor niedrig und
fumpfig, wenngleich offene Stellen etwas häufiger auftraten
und die Ufer ſich auc mit langem und groben Graſe bes
deckten. Aber Gebirge wollten fid) noch immer nicht aus
der Ferne bliden laſſen. Am 14. December ging's wieder
mit der Fluth, die hier noch auf 3 Fuß anftieg, weiter, Bei
Sonnenuntergang befand man fi, 150 Miles von der
Mündung, an einer ſcharfen Viegung, wo der Fluß eine
280
fübmeftliche Richtung annimmt, und anferte bort bei 4 Fa—
ben *) Tiefe.
Während die Matrofen am folgenden Morgen mit Holz:
hauen beſchäftigt waren, fuhren Capitän Raucie, Mr. Chefter
und Mr. M' Farlane in einem Heinen Boote den Fluß 5
bis 6 Miles hinauf bis zu einem Juſelchen, welches man
umfuhr und Ellangowan Island benannte. Es war der
entjerntefte Bunft, den man auf der Reife erreichte. Der
weitere Yauf des Fluſſes, von hier ans hinaufgefchen , zeigte
* nordweſtliche Richtung und behauptete die bisherige
icfe.
„Es wäre ſchon möglich,“ fährt M' Farlane in feinem
Berichte fort, „daß der Fly fich noch auf weitere Hundert
Miles befahren läßt, che die Gebirgsgegend auftritt. Bon
letterer war noch immer nichts fichtbar, obwohl wir an 60
bis 70 Miles in die Ferne fehen konnten,“
Allein die Febensmittel gingen auf die Neige, ein Theil
der Mannfchaft lag am Fieber darnieder und der Regen
wurde häufiger und ftärfer. Nahm die Erkrankung noch
weitere Dimenfionen an, fo war die Rucklehr, auf weldıer
man täglich Brennholz fchlagen mußte, in Frage geftellt.
Dazu kan, daß fait alle Europäer an Bord gefchwollene
Beine befamen: „Unfere Beine,“ erzählt M' Farlane, „glänz«
ten wie Glaſur und jeder Eindrud darauf verblieb. Die
Moslitos und andere Infecten waren eine entſetzliche Plage
und verzehrten und faft, obſchon wir unfere Körper von Kopf
bis zu Fuß mit Kerofine beſtrichen Hatten, Im Uebrigen
wußte ich auch nicht, ob die Yondon Miffionary Society ger
, meigt fei, jo weit ins Innere hinein Miffionen anzulegen,
gejegt auch, wir träfen höher gelegenes Yand und bevölferte
Dörfer an.“ Im den legten vier oder fünf Tagen hatte mar
feine Eingeborenen mehr gefehen, nur ihre Spuren fanden
ſich gelegentlid).
Unter foldyen Umftänden trat man am 15. December
bie Ruckreiſe an. Nichts von Bedeutung fiel vor, bis man
wieder das Gebiet der früher gefehenen Eingeborenen er:
reichte. Die Schreier verfammelten ſich am Ufer und ſchich⸗
ten zwei Canoes ab, die aber eine halbe Mile entfernt blie-
ben und zulegt wieder abzogen. Dann fam ein anderer
Kahn mit muthigeren Kriegern gefahren und ſchoß einen
Peil ab, der indeß zu lurz fiel, Ein Schuß, deſſen Kugel,
wie beabfichtigt war, ins Waſſer ſchlug, verjagte die Ans
greifer.
Am folgenden Tage gelangte man in bie Nähe ber gro«
ben Dörfer, wo man auf der Hinveife zum zweiten Male
attaquirt wurde. Es waren die größten, welche man übers
haupt antraf, und eines der Häuſer mochte wohl 500 Fuß
lang fein. Der Fluß wird aber in diefer Gegend ſehr ſeicht
und enthält zahlreiche Sandbänfe,
Als man die Dörfer erreichte, fan eine flotte von Ca—
noedangerudert. Man bereitete fid auf dem „Ellangowan“
eiligft auf einen ernftlichen Kampf vor, denn es lieh fich
vermuthen, daß die Eingeborenen, nachdem fie die Macht der
Waffen, welde die Fremden bei fid) führten, kennen gelernt,
den Verſuch wagen wärden, den Dampfer zu erfteigen und
ſich deffen zu bemächtigen. Allein fie hielten fich auf einige
hundert Yards entfernt und wollten fid) auf Zeichen der
Freundſchaft, die man ihmen machte, nicht einlajien. Sie
verfolgten den Dampfer 3 big 4 Miles bis an die Untiefen,
welche auf der erſten Fahrt fo viel Schwierigkeiten bereitet
hatten. Ein Unfall bier wäre mit dem Uutergange der
*) Im Driginal ftebt allerkinge 17 futboms, was entſchieden zu
viel iſt. Wahrſcheinlich ſchrieb Di’ Marlane „17 f.* und meinte
damit feet (Auf), woraus dann der Seper fathoms machte.
M'Farlane's neuefte Fahrt auf dem Fly-Fluſſe in Neuguinea,
Geſellſchaft identiſch geweſen. Um alfo die unwilllommenen
Begleiter loszuwerden, warf man eine Dynamitmaſſe ins
Wafler und zwar in unmittelbarer Nähe der Canoes, Gie
ſchienen die Wirkung der Erplofion zu fühlen und die, weldhe
in den Kähnen ftanden, fielen um, al® wären fie getroffen,
Das Waffer wogte und fhäumte um fie herum. Natürlich
ergriffen fie alsbald die Flucht.
Schon nad) Verlauf einer halben Stunde ſaß der Dampfer
auf einer Bank jet, was um jo ſchlimmer war, ald gerade
Ebbe eintrat, Das Umfallen mußte durch Stügen, womit
man jich im Voraus verfehen hatte, verhütet werden. Bei
biefer Gelegenheit brad; der Schaft der Schraube und man
war damit nun auch der Dampffraft für die Weiterreife be
raubt. Die Yage war eine ſehr kritiſche. Man befand fid)
75 Miles von der Mündung und 200 Miles von Cape
York; gegenüber lag ein großes Dorf, von defien Bewohnern
man beobadjtet wurde; der Wegen floß in Strömen; ein
Theil der Maunfchaft lag, am Fieber darnieder und alle
Europäer an Bord litten an gefchwollenen Füßen. Man
wunſchte ſehnlichſt die Fluthzeit herbei.
Inzwiſchen näherten ſich die Eingeborenen, ohne Kriegs
coftilm und unbewaffnet, in Meinen Canoes. Eines kam
ſogar an den Dampfer, und als man Geſchenle ausgetheilt
und verſichert hatte, daß man nur Freundſchaft und Frieden
wolle, ruderten auch die übrigen heran. Man zeigte ihnen
Meſſer und Beile und gab zu verſtehen, daß ein Boot ihnen
ans Ufer folgen ſolle, um Tauſchhandel gegen Schweine und
Dams zu betreiben. Dies geſchah und das von Yientenant
Cheſter geführte Boot kehrte mit zwei Schweinen und etlichen
Bananen zurlid,
Gegen Abend, als Hochwaſſer eintrat, gelang es, das
Schiff wieder flott zu machen und in 3 Fuß tiefes Waſſer
überzuführen. Am mäcjften Morgen bradı man mit ber
Fluth auf. Man war von jest ab mur auf die Strömung
des Fluſſes und auf Segel angewiefen, jo daß die Fahrt
äußerft langjam von Statten ging. Zwei Canoes bradıten
bie Häuptlinge von zwei Dörfern ans Schiff, weldye jogleich
den Dampfer mit dem Rufe: „Mero! Mero!“ b.ı. Friede!
Friebe! hinauffletterten. Sie verftanden die Kiwai-Sprache,
weldje die Bewohner am der Mündung des Fly reden, mit
denen der die Reiſenden begleitende Häuptling Mainou be:
fannt war, jo daß man ſich durch Letztern mit ihnen ganz
gut verftändigen fonnte. Sie erklärten, daß fie nicht mehr
fümpfen wollten und haften zum Zeichen der Freundſchaft
ihren Zeigefinger in den der Reiſenden. Nachdem Jedem
ein Beil, ein Meffer und andere Gegenſtünde zum Geſchenke
gemacht waren, trennte man ſich in beften Vernehmen.
Nach fünf Tagen der befchwerlichften Reife — von dem
Tage an geredjuet, wo man von dem Unfalle betroffen wurde —
erreichte man endlich die Mündung des Fluſſes und traf am
27. December wieder in Somerfet, Cape York, ein.
Die Reiſe hat alfo ergeben, daß der Fly ein jchiffbarer
Fluß ift, der ſich weit ins Innere hineinerftredt, Das Yand
erwies ſich in feinem Charakter bis zu dem Punkte, welchen
man erreichte, als niedrig und jumpfig und entzieht fich damit
der Gultur. Hochland trat bis zu einer Entfernung von
200 Miles von der Kuſte mod) nicht auf. Die erſten hun—
dert Miles waren von der gemiſchten Race der Papuas und
Malayen, die eine verfcjiedene Sprache reden und auf Sriegs-
fuß mit einander ſtehen, dicht bevölfer. Die Eingeborenen
waren intelligent ausfehende und energiſche Menfchen. Cine
beträchtliche Anzahl von Vögeln, Käfern u. ſ. w. wurde von
Signor D’Albertis angefammelt.
M Farlane beabfichtigt, ſpäter zu einer gnftigern Jahres:
zeit eine zweite Reife auf dem Fly-Fluſſe zu unternehmen.
Emil Schlagintweit: Die engliſchen Himalaya-Befikungen.
281
Die engliſchen Himalaya-Beſitzungen.
Von Emil Schlagintweit.
IV.
KRamaon und Garwhal. .
Das Yand zwifchen dem Oberlauf der Sarda und bes
Ganges, das Quellgebiet diefes mächtigſten Stromes Hin-
doftans, bildet das Gebirgägebiet (Hill-tracts) ober den
„Kamaon-Himalaya“ der Nordweftprovinzen, Diefer Bezirt
ift von Dften her der erfte, welder bis zur Kammhöhe der
Hauptfette bes Himalaya hinaufreicht und an das chineſiſche
Reichsgebiet von Tibet grenzt; er wurde 1816 von Nepal
abgetreten, dad damals das Uebergewicht ber englischen Waf-
fen hatte fühlen müſſen, und wurde als der ältefte und Jahr:
zehnte lang nördlichſte englifche Beſitz der Ausgangspunkt
zahlreicher wiſſenſchaftlicher Erforſchungsreiſen.
Im Aufbau des Gebirges tritt hier deutlicher als im ben
öftlichen Theilen des Himalaya die Bildung einzelner Er
hebungsmittelpunfte oder Maſſivs auf; an foldyen Punkten
jieht man in geringer Entfernung von einander Gruppen
hoher Kämme und Gipfel ſich zufammendrängen, die an dem
Seiten durch breite, aber doc; nicht fehr tiefe Paßeinſenkungen
von anderen ſolchen Gruppen getrennt find. In der ſüd—
lichen Hauptfette des Himalaya erhebt fid) zwifchen ben Flüſ—
jen Alalnanda und Gori die Nanda-Dewi-Öruppe zu 7845
Meter. Mächtige Gletſcher ziehen von ihr herab und weitere
hin in die Ebene erftveden ſich die legten Ausläufer diefer
in der Kammlinie nad) Südweſten gerichteten Gebirgs—
gruppe. Bon geringerer Yänge find die Berge, welche ſich
nad; Süden von den Gipfeln um Badrinath (7072 Meter
hoch) herabfenten; an diefe fließen ſich die Sangotri-Berge
an, deren höchſter, Sarga Ruer, 6979 Meter erreicht. Von
diefen fentt ſich der Gebirgäzug Herab, welcher das Land
zwifchen Bhagirathi und Alaknanda ausfüllt. An der Grenze
gegen den Bafallenftaat Garwhal zu liegen die Berge von
Kidarnath (6944 Meter body). Ihre nördlichen Gipfel
ftreben dem Dſchamnotri-Berge (6321 Meter) zu, welcher
usit feinen füblichen Berzweigungen die Waflerfcheide zwifchen
den Onellflüffen des Ganges und der Dſchamna bildet. Die
Verbindung mit der nördlichen Hanptfette des Himalaya
ftellen Berge in der Höhe von 6000 Meter her; fie treffen
hier mit noch höheren Ausläufern von Norden zufammen;
die Halden find fteil, die Thäler zwiſchen ihnen ſchmal.
Das Klima ift vauher als im Gebirge weſtlich davon.
Am Sidabhang nimmt die Teniperatur im Durchſchnitt um
0,5’ C. auf 100 Meter Höhe ab; es beträgt die mittlere
Jahrestemperatur in Hawalbagh (1253 Meter) 18,60 C.;
Almora (1689 Meter) 17,0; Lohughat (1720 Meter) 15,2;
Ranilhet (1823 Dieter) 15,5; Nainital (2021 Meter) 14,5;
Mafjuri (2046 Meter) 14,7; Tſchakrat (civca 2132 Me-
ter) 13,9; Yandaur (2238 Meter) 12,5° C. Almora ift
noch zu hei für Patienten, die von der Hite der Ebene in:
valide wurden; Nainital giebt dagegen dem angegriffenen
Köorper feine Kraft wieder, und einjähriger Aufenthalt curirt
von den hartnädigiten Yeberleiden wie Dysenterien. Bor
Cholera und typhöfen Fieberepidemien ift der Europäer aber
auch hier noch micht ficher; erft in Höhen über 2500 Meter
treten ſolche Krankheiten nicht mehr auf, Ueber die Sterb-
lichkeit unter den dortigen Soldatendepöts werden feit vielen
Jahren genaue Auffcreibungen geführt. Es erliegen in
®lobus XXIX. Nr, 18.
Landaur im Durchſchnitt 5'/, Procent der europäifchen Trup-
ven Krankheiten, eine viel höhere Ziffer als die fiir Dard-
ſchiling in Siffim. Aber nach Kamaon werden Schwer
franle in viel größerer Zahl hinaufgebracht als nach Dard—
ſchiling, da für Bengal die Hochplateaus von Tſchota Nagpur
und Gentealindien glinftigere Garnifons- und Spitalorte
bieten. Unwirthlich wird das Klima unter dom Hauptlamme
und in den verhältnigmäßig fanft geneigten Thälern zwiſchen
der flidlichen und nördlichen Hauptkette des Himalaya. Die
Sommer find mod) heiß und Getreide reift, aber Winter
börfer fehlen; von October bis Mai wohnt die Bevöllerung
weiter thalabwärts. Die Frühlingspaffate werden von feiner
Querkette aufgehalten ; ihre warmen Luftſchichten begänftigen
das Schmelzen bes Schnees und bringen aud) den hödjiten
Räumen noch ſtarle Regen; es beträgt die Negenmenge in
Nainital 125 Millimeter, nimmt aber gegen Weiten zu raſch
ab. Yandaur hat 89, Tſchalrat 74 Millimeter wäfferiger
Niederichläge.
Unter den Broducten werfen dem Staate eine jährlich,
fteigende Nente die Waldungen ab. Liter ber Benugung
durch Cingeborene waren die ſchönſten Schläge an Sal
(Skorea robusta), an Cedrus deodara und Pinus excelsa
und longifolia jdonungslos niedergehauen worben; bie
englifche Negierung dagegen zog englifche wie deutſche Forit-
beamte ins Yand, vermarkte ihre Waldbeftände und ſchuf
große, ordentlichen Umtrieb geftattende Flächen durch Pach
tung angrenzender Wälder von den Radſchas, was indbejon-
dere in Garwhal in ausgedehnten Maße geſchah. Die Hoch—
waldungen wurden von Unterholz gereinigt, Lücken mit fräfr
tigen Setzlingen ausgefüllt, Holzabfuhrwege gebaut umd
zwedmäßige Holztriften nad) europäischen Vorbildern einge:
richtet. Die Großartigkeit der dortigen Berhältniffe wie die
Bedeutung diefer Arbeiten für das Yand wird die Notiz ver«
anſchaulichen, daß der Forſtweg im Thale der Tonfe, eines
Quellfluſſes der Dſchamna, 88 Kilometer lang ift und daß
die fchiefen Ebenen aus Holzftämmen, auf welden die auf
den höchſten Abhängen gefällten Bäume zum Thale Hinabs
gleiten, 6 und 8 Silometer lang find. Die Forftverwaltung
liefert jährlich fteigende Erträgniffe; der Bedarf an Bauholz
zu Gifenbahnen, Brüden und größeren Hochbauten fteigt von
Jahr zu Jahr. Der einheimiſche wie der aus Auftralien
eingeführte Gummibaum ſchlägt ſehr gut an; von Jahr zu
Jahr werden davon größere Quantitäten von Stodlad abs
genommen, und biefem Harze würde noch eifriger nachgegan -
gen, wenn es im nördlichen Indien nicht nod; an Fabriken
zur Berarbeitung des Nohftoffes fehlte. — Große Berdienfte
erwarb ſich die Forftverwaltung durch Einführung europäi-
fcher Obftforten; in Ranikhet ift eine große Central-Bauns
ſchule angelegt, und mit Ausnahme von Johannisbeeren und
einigen Öicnenatten gedeihen alle übrigen aus England bes
zogenen Fruchtſorten. — Bon der Geſammtfläche der zwei
Bezirle Kamaon und Garwhal find 6 Procent zu Aderland
angelegt und 1,4 Procent der Gultur noch fähig. Den Bor
dem zeichnet üppiges Wachstum aus; erft unter ber Haupt:
fette des Gebirges wird die Aderkrume fo dlinn, daß bei der
36
282
überaus unvolltonumenen Aderbeftellung jedem Anbaujahr
die Brache folgen muß. Viel genannt wurde Kamaon, als
1862 in Indien das Theeficher ausbrad, Man glaubte
in Kamaon umd im anftogenden Kangra Schätze durch den
Theeanbau heben zu fönnen, bie Übertriebenften Gutachten und
Berechnungen fanden vollen Glauben, ja felbft Eingang in
amtliche Berichte. Bon jeher wurde es von Beamten und
BVenfioniften ſchwer empfunden, in Indien feine zufagenden
Pläge zu haben, an welche man ſich unter Beibehaltung
heimathlicher Lebensweife zurlidziehen lönne; jetst fchien ber
Himalaya fiir englifches Capital lohnende Anlage und Mil
lionen von Erfparniffen wurden von Beamten im Theeanbau
angelegt. Unkenntniß im Behandlung der Staude und bes
Blattes, Mangel an Arbeitskräften und zu hohe Löhne ber
wirkten die Yiquidation der meisten Actiengefelfchaften; eine
Zeitlang fette nahezu nur die Negierung in ihren Staats-
plantagen zu Hawalbagh und Ayartoli die Verſuche fort,
Privatpflanzungen erhielten ſich nur bei Almora und Nai-
nital. Allmälig gewann bie Eultur wieder an Ausdehnung,
jegt find rund 1000 Hectaren in Cultur, deren jedes eine
Ernte von ducchfchnittlich 4 Centnern Thee abwirft. Der
Ertrag ift aber einer Steigerung fähig und foll 1875 auf
4", Gontner gebracht worden fein. Die Befiger hatten
ſich anfangs auf Überfeeifchen Export geroorfen und grünen
Thee dargeftellt; jegt wird ſchwarzer Thee gemacht, da diefer
allein in Gentralafien geht und dahin feit dem Bertrage mit
Kaſchgar (1874) leichter abgeſetzt werben fann als früher,
Die höchſten Thäler Garwhals bergen ein feltenes Jagd⸗
thier, eine durch Größe und Gewicht feiner Hörner aus:
gezeichnete Schafart, Ovis Ammon. Die Höhe diefes Thieres
iſt durchſchnittlich 1 Meter, feine Hörner meffen der Kriim«
mung mad) etwas über 1 Meter, der Umfang an der Bafis
beträgt 42 Centimeter. Seine Heimath ift Tibet, wo dieſes
Schaf im Sommer in Höhen über 4500 Meter fich aufhält;
in Kamaon ift es in den Umgebungen des 5125 Meter
hohen Nitipafles anzutreffen. Sie leben in Herden von wer
nigen Stiiden und find eines der ſcheueſten, vorfichtigften
Emil Schlagintweit: Die engliſchen Himalaya-Befigungen.
Jagdthiere; fie werden auf dem Anftande gefchoflen; Treib:
jagden machten die großartigen Gebirgsverhältnifie unmög:
lich. Jährlich können nur etliche Stüde erlegt werden.
Die Bevölkerung zählte 1872 im Bajallenftaate Gar:
whal 200,000, im englifchen Garwhal 310,282, in Kamaon
432,576, im Diſtriet Dehra Dun (das Ohabar-Gebiet ab:
gezogen) 75,665 Eeelen. Sie wohnen (ohne Einrechnung
des Vaſallenſtaates, für welchen ſolche Erhebungen fehlen)
in 9022 Dörfern und Städten, von denen nur Almora mehr
als 5000 Einwohner zählt, während über neun Zehntheile
aller Ortfchaften unter 200 Einwohner haben. Die Zahl
der Gehöfte beträgt 96,550, jene der Häuſer 147,000,
Mit Einfluß des Vafallenftaates beträgt die Oberfläche
39,032 Oxnabratfilometer (708 Quadratmeilen), die Dichtig—
feit 26 Menfchen auf den Quadratkilometer, 1786 auf die
Quadratmeile, Bevölterungszahlen, wie fie nur im Hody
gebirgäthälern mit einem milden Klima vorfommen. Ihrer
Abftammung nad herrſcht in der Bevölferung im Süden
Blut der drapibifchen, im Norden der tibetifchen Bölfer vor;
fpäter kamen Hindus vom Wrierftamme und mifchten ſich
bejonders ftarf mit den evjteren. en eine ariſche Ab-
ſtammung Sprechen fchon bie indiichen Namen Tangana und
Thatura (Tanganoi und Takoraioi bei Btolomäus) für die
Bewohner diefes Gebirgsabfchnittes. Laſſen bemerkt hierüber ;
„Der Name Thakura, wovon Taforaioi abgeleitet ift, bedeu⸗
tet einen verehrungsmwürbdigen Mann oder —J— laun
aber aus dem Sanskrit nicht erllärt werden; er gehörte daher
entweder einer Sprache der in uralter Zeit über das ganze
Indien verbreiteten Urbewohner am oder der eines tibetiſchen
Bolkes.“ Für das Vorwiegen dravidiſchen Blutes und die ſtarle
Miſchung mit tibetiſchen Stern fpricht die äußere Erſchei ⸗
nung; zum Beweiſe faffe ich folgende Tabelle von (nody un—
gebructen) Meffungen meiner Brüder folgen. Die Zahlen
find Mittelwerthe aus Meſſungen von 7 Thafur, 2 Cudras,
12 Gorkhas (Bewohnern Nepale), 8 Radſchputs und 21
Tibetern.
Bhot⸗
Radſchput
aus dem
Himalaya
Größe fabjolute Höhe) -» » - » +22. = 1632
Spannweite der Arme » 2 2 22220 1038
Kopfumfang... 317
Scheitelhöhe bis unter die Nafe . - - . » 119
Schläfendurchmeſſer .... 8
Kopfdurchmeſſer antero-postero .» 2 4.» 110
Aeußere Augenwinkelentfernung . » : » . 54
Innere Augemwinfelentfemung . . .. - 19
Länge der Badenfnohen - -.. 2...» 68
= DEE DEBEE 30
des MDunded 222.2. —
2’ BEE: — 32
u DB Ummed 20er. 444
„ vom Nollbitgel am Schenkelknochen
zur übe». 2 202020. D88
Geringe Körpergröße, kurzer Arm, Heiner Kopfumfang,
lurze Sceitelhöhe, großer Durchmeſſer am Schläfenbeine,
kurze Backenknochen wie Naſe find charakteriftifche Zeichen
der tibetiichen Race umd dem Indier nicht eigen. Höchſt
auffallend ift und fiir dravidifche Grundlage fpricht die Lünge
bes Schenlelknochens; fo hoch gefpaltene Körper finden ſich
nur bei Stämmen Gentralindiens. So beträgt das Mittel
Subdras | Gorkhas
Reine
aus dem Tibeter aus dem indiſche
Himalaya Nadichput
1613 1623 1697
1083 1082 1068
3365 5 327
135 131 126
so 83 71
19 114 102
b3 Lin} 58
18 22 _
68 7 71
21 23 20
30 53 30
35 40 32
47 451 460
531 529 618 537
bei 7 Gonds 627, bei 4 Bhils 578, bei 3 Kols 580, die
Minima find 581 bezw. 561, 533, die Marima 656, 593
und 605 bei einer durchſchnittlichen abfoluten Größe von
1,516 Meter bei Gonds, 1,565 bei Bhils, 1,520 bet Kols.
Anklänge am diefe Urracen find ſchon bei der erſten Erfor-
ſchung Kamaons aufgefallen; das vermittelnde Bindeglied
wurde in den Dom gefunden, einem hinduiſirten Aboriginers
Emil Schlagintweit: Die englijchen Himalaya-Befigungen.
ftamme, der vom Rande des mittlern und öſtlichen Himalaya
bis nad) Gentralindien him zerſtreut wohnt und im Kamaon-
Gebirge 12,666 Vlitglieder hat (oder 8 Procent aller Dom).
Laſſen führt den Namen auf Sanskrit Dama, eine veradjtete
Miſchrace, zuriid; Prof. Brodhaus erklärt aus Dom den
Namen Rom, den ſich die Zigeuner geben, beren Heimath
und Auszugeland nad) ihren phyſiſchen Verhältniſſen ver-
glichen mit Hindufcädeln, nad) Sprache, Sitten und Ge:
bräuchen im indifchen Bendichab zu fuchen ift. Die indifchen
Ethnographen reiten barliber, oo die Dom einft allein oder
mit anderen jet noch dort ſich findenden Völlerreſten die
Ebenen vor dem Gebirge bewohnten ; jedenfalls weifen Orts;
namen an dev mittlern Kapti, dem nördlichften Hauptfluffe
der Provinz Audh, auf diefen Yandftrich als ihren Urfig Hin,
und nad; Cunningham's ſcharfſinnigen Unterfuchungen waren
es ariſche Böller vom Stamme der Panravas, die vom Lande
zwiſchen Ganges und Dſchamna nad) dem großen im Ma—
habharata befungenen Kriege feit dem 15. Yahrh. v. Chr.
nördlich und öftlich ſich vorjchoben und die dortigen Bölker
zur Wanderung nöthigten. Die Pauravas machten noch im
der Ebene Halt und drangen in Kamaon nur als Pilger zu
den Quellen des ihnen heiligen Ganges oder als fühne Kauf-
lepte ein, um zu den nördlich davon liegenden Goldfeldern
Tibets zu gelangen. Die Einwanderung größerer Mengen
Arier in diefen Gebirgsabſchnitt war dagegen Folge bes
Eindringens der Indo⸗Scythen, turliſch-tatariſcher Stämme
and dem innern Ufien, welche feit dem 2. Jahrh. v. Chr.
die Völler des Pendſchab nad) Oſten drängten und hierdurch
zu weit fich fortpflangenden Wanderungen ariſcher Stämme
Anlaß gaben. Die Nadjlommen diefer Einwanderer zählen
fehr viele Brahmanen (in Garwhal 81,038, in Kamaon
108,283) und Radſchputs (115,684 bezw. 181,633), die
es lieben, ihre Herkunft von fehr angefehenen Hauptzweigen
diefer Kaſten herzuleiten; ihr Aeußeres zeigt jedoch, daß diefe
Stanımbäune erfunden find und daß fie ſich reinen Stäm-
men nicht beizählen dürfen. Sehr viele, welche ſich den Na:
men Radſchput Thakur beilegen, find der Race nad) Tibeter
vom Stamme der Khas oder Gorkha, dem tonangebenden
Bolle in Nepal; nur wenige bezeichnen ſich als Bhot-
Radſchput, was für die meiften ihre Abſtammung richtig
angeben würde.
Die Brahmanen und beſſeren Radſchputelaſſen find ein
ſchwüchlicher Menſchenſchlag; fie find empfindlich für große
Feuchtigleit wie ftarte Temperaturſchwanlkungen. Kälte macht
fie leicht unterleibsleidend. Sie verweilen am lichften im
Sommer in Höhen zwifchen 2700 bis 3600 Meter, im
Winter zwiſchen 1500 bis 2100 Meter, wobei das Mittel
der betreffenden Jahreszeit nicht liber 16° G, fteigt und nicht
unter 4° C. fält. Die Beſchäftigung der Brahmanen ift
nicht ſehr ehrenvoll; fie find der Mehrzahl nach religiöfe
Bettler und Viüßiggänger, die an den Tempeln bei den zahl-
reichen Pilgerorten ſich hinkauern und den Tempeldienſt vers
jehen, wobei jie den Wallfahrern das legte GSeldftitd abpreſ⸗
jen. Die Hauspriefter oder Purohitas unter ihnen, weld)e
bei Geburten, Heivathen und Todesfällen unentbehrlicd, wer-
den, find nicht jo wähleriſch als ihre Amtsbrüder in der
Ebene: fie treten aud) file zweifellofe Khas (Gorkhas) in
Thätigteit und pflegen unter der Bevölterung den Glauben
an den Werth blutiger Opfer als Belänftigungsmittel ber
geflirchteten Berggeifter. Cie find Verehrer des Gottes
Siwa; in Garwhal rechnen fie fich den Sanjafis, fonft den
Dumfogis zu; fie huldigen und üben den neubrahmanifchen
Eiwaismus, der in äußerlichem Mechanismus auf das Zus
riidhalten des Athens, das Beharren in angenommenen
Stellungen als Vorſtuſe zu übernatlirlichen Fähigkeiten Ge—
wicht legt; die chrwiirdigen indifchen BYüßer der alten Zeit
283
find dadurch im der Gegenwart zu Gaullern, Wahrjagern
und Zauberern dev ſchlinnuſten Art geworden. Das hod)
verehrte Bild der Göttin Badrinath zu Badrinath ift aus
einem fchönen, ſchwarzen Marmor gemeißelt; alle Opfertifche
find von gediegenem Silber, die Kuppel des Tempels ver—
oldet. Die Auffiht hat ein Dravida-Brahmane hoher
afte. Die Opfer find jährlid) durchichnittlich 60,000 Mark
werth; dazu befigt der Tempel große Pachtgüter, ift aber
dennoch ſtark verfchuldet, da ihm die früheren Radſchas um:
erſchwingliche Abgaben auferlegten. Unter der alten Regie:
rung gingen jährlich Hunderte von Pilgern an den Krank-
heiten zu Grunde, die fie fich auf dem langen Wege dahin
durch ichledyte Nahrung und ungenligendes Obdach zugezogen
hatten; jest ift an allen Pilgerwegen flir Speifeanftalten und
ärztliche Hülfe geforgt.
Die Kadichputs find fleißige Aderbauer ; auch die Wohl:
habenden find genügjam in Speife und Trank und enthalten
ſich — verfchieden von anderen Bergvölfern — des Genuſ—
jes von Spirituofen, Dagegen lieben fie Pruuk in Kleidern
und Schmuck wie wirbevolles Auftreten. Viele verdanken
ihren Wohlftand dem Handel; fie unternehmen weite Neifen
nad dem chineſiſchen Tibet und in die nördlichen Provinzen
Kaſchmirs. Unter den miederen Kaften find viele, die fid)
nur mehr im Gebirge erhalten haben oder in der Ebene nur
in einzelnen familien vertreten find, wie die Agarei, Balahar,
Bhul, Nait, Ogha, Or, Raria, Samali und Taltſchana.
Diefe wie die Übrigen Kaften ber in niedrigen Dienften be»
jchäftigten Arbeiter gelten den Hindu der Ebene als unrein,
während ihre bort wohnenden Berufsgenoffen 8 nicht find,
was an ſich ſchon immer ein Anzeichen nichtarifcher Herkunft
ift; die Hütten einzelner Kaften, wie der Dom, ftehen in
jedem Dorfe abfeits von den Uuartieren der Brahmanen
und Radſchput; fie waren vor der Erwerbung des Yandes
Seitens der oftindifchen Compagnie durch wieberholte Leber:
fluthung des Lündchens von Hindu-Eindringlingen zur Skla-
verei und Kucchtſchaft herabgedrückt worden. Seither hat
fich aber ihre Tage gebefiert. Im nördlichen Garwhal nennt
ſich die Bevölferung größtentheils noch Khas oder Martſcha,
beides tibetifche Völfernamen; legtere find jeher wohlgabend
und im Beige beträchtlicher Herden von Schafen und Zie-
gen, die ihnen im Sommer als Laſtthiere dienen für das
Getreide, das fie aus dem fühlichen Kamaon gegen Salz
und Borar eintauſchen. Ihre Nahrung befteht aus einem
Mehibrei als dem Hauptgericht, den fie unter reichlichem Ge ·
nuſſe eines ſchlecht ſchmedenden, branntweinartigen Abſudes
aus Reis oder Gerſte ungekocht genießen; fie find Hindus,
wlirden aber durch ihr Betreten den heiligen Tempel zu Ba—
drinath verumveinigen und werden deshalb davon ängftlich
fern gehalten. — Mohammedaner find nur in den Borber-
gen in geringer Anzahl anzutreffen.
Der Aderboden befindet fidy wie im ber Ebene in ben
Händen einzelner Großgrumdbefiger, der Zemiudare, bie ihren
Defig durch Verpachtung ventirend machen. Diefe Zemin-
dare find, wie ſonſt in Indien, habgierig und mittelft ihrer
Beamten arge Bedrüder der Bauern. Bon ber alten Gier
meindeverfaflung hat fich feine Spur erhalten, die Befugniffe
der Gemeinde haben die Zemindare an ſich gerifien und beu-
ten fie duch ihre Beamten aus, Bon der Befugniß des
Geſetzes von 1869, fällige Padhtgelder bei der Behörde zu
hinterlegen, wenn der Berechtigte Mehrforderungen ftellt, die
der Pflichtige nicht anerkennen will, wird hier mod) wenig
Gebrauch gemacht. Die ftaatliche Grundabgabe war bis im
die legten Jahre zu hoch gegriffen; jetzt gewährt jedoch eine
genaue PVermeffung und Einſchätzung die Möglichkeit, an
Stelle von Durchſchnitts Ertragsmengen die Ertragsfähigteit
eines jeden Örundftlictes zu erheben und hiernach feine Steuer
30*
284 L. Becker: Wie verhält es ſich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo?
zu beftimmen. Sämmtliche Steuern betrugen 18°1/,,
603,521 Mark; die indirecten Steuern brachten 20 Procent
ein, das Uebrige die Grundſieuer. Es zeigt von zunehmen
dem Wohlftand, daß faum Procent, in Garwhal nur
Y,, Procent der Steuerzahler mit ihrer Schuldigleit in
Nüdftand blieb,
Der Sinn für Gefegmäßigfeit ift groß. Gefängniffe
flie ſchwere Berbredyer erwieſen fich wicht als mothwendig, die
Polizeigefängniffe zu Almora und Dehra Dun waren 1871
von 155 bezw. 380 Männern und 4 bezw. 23 Frauen be—
ſetzt. Die Unjitte des Mädchenmordes kennt man hier nicht;
Vrädchen find im Gegentheile ſogar geſucht und werden bei
der Verheirathung dem Vater mit Zummen bie zu 2000
Mark abgelauft. Schuldner verfpredien gern Zahlung,
wenn ihre Tochter heirathet. Die Dleiften haben mehrere
Frauen, deren Loos nicht beueidendwerth ift, da fie alle
ſchwere Arbeit verrichten. Als Polizisten und Soldaten
zeichnen fich die Bewohner durch größte Pünktlichteit und
Anhänglichteit aus; fie laffen ſich auch gern hierzu anwer—
ben, jo daß 13 Procent aller Polizisten dev Nordweftpro«
vinzen den niederen Kaſten der Gchirgäbewohner entnommen
find,
Infanteriereginent von 640 Mann.
In politischer Beziehung find die beiden Diftricte Kamaon
und Garwhal zu einer eigenen Diviſion (Bezirk) vereinigt.
Hauptort ijt Almora, ein ungewöhnlich freundliches undreinliches |
Städtdyen von 6260 Einwohnern; Station fir Garwhal
Srinager, ein Heines Dorf von 700 Einwohnern mit eimen
ziemlic, reichhaltigen Bazar am untern Alaknanda-Fluſſe.
Hauptort des Bajallenftaates Garwhal ift Tehri am Zur
Almora ift Garnifon für das irrequläre Kamaon-
\ fammenfluffe der Bhagirati mit dem Fluſſe Bhilaug. Die
| englifche Verwaltung hat mehr als fonft den Charakter einer
liebevollen Bevormumdung bewahrt; die firengen formen,
in welche Rechtſprechung und Berwaltungsjufliz im übrigen
Indien eingegwängt find, werden hier weniger beobadıtet.
Im oberften Beamten vereinigen fich weitgehende Befuguiſſe
des Nichterd wie des Berwaltungdbeamten; er wie feine
Untergebenen find den größten Theil des Sommers auf Ju—
fpectionen und greifen Überall lebendig und raſch ein, ine
befondere Aufmerktfamfeit wendete die Negierung der Ber:
bejferung der Gebirgäwege zu. Das Forſt- wie Wege:
bauanıt arbeiten fid) in die Hände; in den Vorbergen führte
das 32. Pionierregiment größere Chauffeebauten aus. Das
bedeutendfte Werk ift der Saumweg von Srinager au Alat:
nanda aufwärts zum wichtigen Niti-Paſſe. Noch 1868 eri-
ftirte auf diefer 197 Kilometer langen Strecke nur ein eins
facher Fußpfad, den man an vielen Stellen mühjam pafjiren
mußte; jegt find alle Fluiſſe Uberbrückt und der Weg durch-
aus für beladene Thiere ohne Abladen gangbar; deu Handel
‚mit Tibet leiftet diefer Weg großen Vorſchub. Beabſichtigt
war eine Gebirgsbahn von Ramnagar an der Kofi (367
Meter Höhe) nach Budſchan in 812 Meter Höhe nahe bei
Almora, wodurch die dortigen Kifenlager aufgejchlofjen, die
Sefundheitsftationen Ranilhet und Nainital leicht zugänglid)
‚ amd ber Handel vom Satledſch-Thale hierher gezogen würbe.
Die Ausführung hat keine Schwierigkeit, ſteht aber noch in
weiter Ferne, da die Audh-Rohilfand-Eifenbahngefelichaft
den Bau einer 75 Kilometer langen Zweigbahn von Mora-
bad bis Ramnagar erſt vor Kurzem bis auf befiere VBerzin-
fung ihrer übrigen Yinien vertagt hat. "
Wie verhält es fi) mit der Einführung des erften Tabads durch
Nicot und Hernandez de Toledo?
Bon Lothar Beder.
1
Wenn wir min fehen, welche Berſchiedeuheit in den
Behauptungen, von welchem Yande die erfte Einflihrung des
Tabacks erfolgt fei, herrſcht, und keine Veranlaſſung vorliegt,
der einen vor der andern dem Vorzug zu geben, jo find wir
icon deshalb berechtigt, die Richtigkeit aller in Frage zu
ziehen. Daß diefe Einführungen, wenn fie Thatſachen fein
follten, nicht auf die Einführung der erften Tabadsart in
die Alte Welt, d.h. auf die erjte Bekanntſchaft derjelben mit
denn Tabad, ſondern nur auf eine ober gewifle im der
Meinung der Scriftfteller bie dahin in Europa oder
gewiffen Gegenden dafelbit unbekannte amerikanische
Formen von N. Tubacum ſich beziehen lönnen, geht flar
aus den Werken des Dodonaeus, Geöner und Anderen her:
vor, wonad), wie erwähnt, N. rustica ſchon vor 1553 in
Holland, vor 1560 in Deutfchland und Syrien gebaut waıd,
fowie N. Tabacum vor 1560 zu Padua, wohin deſſen
Same, vielleicht bald nad) Gründung des botaniſchen Gar:
tens (1545), aus Kreta gebradjt worden war,
Es ift ein Mißverſtändniß der meueren Botaniker, die
oft unklar geftellten orte der Botanifer im 16. Dahrhun-
derte „die Nicotiane, Petum oder Tabaco jei nadı Europa
zuerſt aus Amerika gelommen“ dahin zu deuten, als wenn
darin ansgefprodjen fei, mit diefer erften Einführung ameri—
taniſchen Tabads nad) Europa ſei auch die Einführung
des erjten Tabads in die Alte Welt überhaupt, nicht bloß
nadı Europa, erfolgt, oder daß vor Einführung amerika:
nifcher Tabadsarten nach Europa im legten Erdtheile Fein
Tabad gebaut worden fei. Dies finde ich von feinem Sach—
fundigen jenes Jahrhunderts auegefprodyen , und wenn c#
in der That behauptet worden wäre, fo wiirde man vernfnfe
tigerweife ſchon deshalb die Richtigkeit der Behauptung be:
zweifeln müfjen, weil man damals in Europa die Cultur—
pflanze des fernen Aſiens und Afrilas nod) weniger launte
als heute, wo unfere Kenntniß der in Ajien, Afrika und der
Slidjee gebauten Tabadsarten und Varietäten jehr mangel:
haft ift. In meiner Abhandlung „Der Bauerntabad,
eine Pflanze der Alten Welt“ habe ich nadıgewicjen,
dag alle jadjtundigen Wotanifer des 16. Jahrhunderts N.
rustica für eine Pflanze der Alten Welt halten. Aber auch
was N. Tahncum L, betrifft, fo finde id; bei feinem der
älteften Botaniker die Behauptung, diefe Art fei in Afien
und Ajrila vor 1492 unbelannt geweien: Viele find
allerdings der Dieinung, daß fie nah Europa nicht aus
Aſien und Afrifa — obwohl hier längft gebaut —, fondern
aus Amerifa zuerſt gekommen fei. Selbft viel fpäter weiß
Erasmus Francigens (If und Weſtindiſcher Luſt
I.
|
8. Beder: Wie verhält es ſich mit der Einführung des erſten Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo?
garten, 1668) nichts von der frühern Unbefanntfchaft ber
Afiaten und Afrikaner mit dem Tabad; und Zorn (Bota-
nologia) erflärt 1714 geradezu, N, Tabacum fei anfänglid)
aus Oft: und Weftindien, fowie aus anderen wärmeren
Orten gefommen. C. Bauhin, welder den in verſchiedenen
Gegenden von der „India orientalis“ (V, VI, VII) er:
wähnten Zubaca für N, Tabacum hält, bezweifelt das Vor-
fommen von Tabadsarten, verfcieden von den ihm befann-
ten amerikanischen in Aſien, durchaus nicht, da er es für
möglic, hält, daß das Kraut, welches die Seeräuber auf
der Inſel Mombanit fauten, eine nod) unbefannte Tabads:
art fei. Das Sansfrit befigt für N. Tabacum die Namen
Thamrapatra und Thamrakuta; ber heilige Lotus ber
indifchen Mythologie wird als Blatt dargeftellt, welches
unverfenubar derjenigen Sorte (N. petiolata—=N. Tab. L.
var.) angehört, die heute noch den Namen „oſtindiſcher“
Tabad trägt, und was, da biefe Art meines Willens in
Amerifa faſt gar nicht gebaut wird, fehr auffallen muß;
diefelbe wird ſchon 1574 von Clufius und bald darauf
von Lobel, Dodonaeus und Anderen abgebildet oder bejchries
ben. Es giebt ferner eine Thatſache, welche aud) das Bor:
handenfein einer andern form von N. Tabacum — id)
meine N. fruticosa — in Mfien und Afrifa außer
Zweifel fegt: dies ift der Umftand, daß letztere Form
von Niemand in Amerika, ſei es gebaut oder wild, erwähnt
wird, außer von Miller, ber ein Exemplar von Tobago
erhalten haben will. Beruht dies nicht auf einem Irrthum,
fo dürfte fie dahin aus der Alten Welt gelommen fein, wie
ja befanntlih, Yardly gute Tabadsforten nad) Virginien
durch „Europäer“ — alfo wohl aus Europa — einführen ließ.
Linné und felbft Perfoon (Synopfis, 1805) fannten
noch) fein anderes Vorkommen der N. fruticosa, ald das
Capland und Chin. Sie wird im Indifchen Archipel,
Hinterindien und in Südafrila vielfach, gebaut und durfte
der nach Ausfage der Hottentoten am Daniceflufle wilde
wachfende Tabad jein. Betrachtet man N. chinensis F.
als eine Form von N, Tabacum L,, fo muß man N, frati-
cosa um jo eher flir eine folche halten; und da die Erfah:
tung lehrt, ba Sommergewäce in heiße Yänder verpflangt
nicht —— werden, umgefehrt aber mehrjährige Pflan-
zen in falten Gegenden einjährig — wie Reſeda, Levkoje, Rici-
nus communis, Satureja hortensis —, fo folgt, daß feine
der amerifanifchen Formen von N. Tabacum die Stamm»
pflanze der N. fruticosa ift, wohl aber biefe die Stamm
pflanze jener jein fann und wohl auch ift.
Biele, deren Namen verfchwiegen werden, erflärten im
16, und 17. Dahrhundert, daß N. Tabacum auch in Eu:
ropa läugft vorhanden gewejen ſei, wie z. B. Diejenigen,
welche Minſhew zu dev Aeußerung veranlaßten, daß der
Tabaco ganz gewiß aus Weftindien ſtamme, fowie bie,
weldye ihn für Pekton des Diosforides und Petum femelle
für die Priapeja der Alten hielten. Ban der Meer, Arzt
zu Delft, fagt in einem Briefe an Neander (Tabacologie,
1622), daß in feiner Heimat das Kraut längft befannt
gewejen, der Gebrauch der Cigarren jedod vor 1590
von ihm nicht geſehen worden ſei *). 9. van Navelin-
gen (bei Neander), Guilandinus und Andere theilen
die Anficht der Gcnannten; und während die Vertheidiger
der amerifanifchen Herkunft im neuerer Zeit nicht im Stande
gewefen find, außer den läugſt angeführten einen neuen
(ftihhaktigen) Grund für ihre Ansicht aufzuftellen, mehrt
fich die Zahl der Gründe und Thatſachen, die gegen ihre
*) Apud nostrates herba diu engnita fuit, madum tamen hau-
riendi fumum per infundibula vel (nicht aut) contorta folin nun»
quam viderem ante 150,
255
Anfiht von Jahr zu Yahr vorgebradyt werden, ſowie die
Zahl derer, weldye die Angaben in Betreff der erften Einfüh-
rung des Tabads nad) 1492 zu den Erbichtungen ftellen, an
denen die vergangenen Jahrhunderte jo reich find. In
meiner Abhandlung „Der Bauerntabad* find einige
Gegner der amerifanijchen Herkunft des Tabads namhaft
gemacht; und zu ihnen gefellt fic im meucfter Zeit auch
Schweinfurt, der Reifende in Afrika,
James 1. jagt in feinem Counterblaste oder Miso-
capnos: „Zabad (N. Tabacum) wächſt überall, führt
aber verſchiedene Namen;“ und mandje formen von N.
Tabacım L. tragen dergleichen, welche deutlich den Weg
bezeichnen, den fie gelommen find, wie „Duttentabad*“ in
der Rheinpfalz (länglich blättrige N. macrophylia; vom
polnifdyen Tuttun, d. i. dem türkifchen Tüttün), „griechiſcher“
und „ungarischer Tabak“ um Heidelberg (Furzblätterige N.
macrophylla), von denen eine Gesner's Kretatabad und
die Nicotiane fein dürfte. Cine andere Form von N. Ta-
bacum L. nennen die Tabackebauer in der Mark Brauden-
burg „ruffiichen Tabad* ; wiederum andere heißen „alba:
niſche* während die unter dem Namen N. chinensis Fisch,
von Vielen als jelbftändige Art betradjtete in Deutſchlaud
„podolifcher*, „tärkifcher* und „tjineſiſcher Tabad“ heiße.
Nähme man die erfte Einführung von N. Tabaeum erjt
um 1560 an, dann bliebe die frühe und ungeheure Ber
breitung derjelben im ber Alten Welt fowie das Vorhanden;
fein mandyer, in Amerifa unbefannter, ſchwerlich erſt feit
jenem Zeitpunfte entftandener Formen derfelben ein Räthfel.
Schließlich ſei bemerkt, daß ich 1853 an der Dede eines ber
Felfentempel zu Ajenta (Ferdapur) die farbige Abbildung
einer Pflanze bemerkte, die damals meine Aufmerkfamteit
weniger feflelte, von der ich aber bald nachher verniuthete,
es möchte die ber N. Tabacum fein.
Geht nun aus dem Gefagten hervor, daß, wenn Sach—
verftändige von der Einführung der Nicotiane als einer bis
dahin in Europa unbefannten Pflanze ſprechen, urſprünglich
nur eine gewiffe als Arznei gepriefene Art des Tabads,
feineswegs aber die Einführung des erjten Tabads gemeint
ift, fo bleibt die Frage noch zu erledigen, welche Axt jene
Nicotiane war.
Dürfte man den Ungaben der älteften Schriſtſteller (Yic-
baut, Pena, Lobel, Cluſius, Dodonaeus x.) Glauben beimeſ⸗
fen, jo würde die Nicotiane zu N. Tabacum L.., d. h. zu
den äußerft zahlreichen Formen gehören, die man unter diefem
Namen zufammenfaßt.
Welche Form derjelben aber, vor Uebertragung des Na:
mens Nicottana auf die ganze Gattung Tabad, urfprünglid)
allein Nicotiana genannt ward, das dürfte ſich jet daum
noch feftftellen laſſen, da diejenigen, von denen man hierin
allein Auskunft erwarten könnte, ſehr leichtfertig ſchreiben,
es bei ber Benugung ihrer Gewährsleute an dem nöthigen
Urtheil fehlen lafen, die Nicotiana zu unvollſtändig beſchrei—
ben, die formen von N. Tabacum nidjt unterfcheiden und
felbft nicht zu willen ſcheinen, welches die von Nicot nadı
Frankreich gefandte Sorte ift. Und id) halte es für fraglich,
ob diefelbe, die vielleicht nie anders als zu Arzneizwecken ges
baut wurde, heute noch in Fraukreich oder in Europa zu
finden ift. Sollte dies der Fall fein, dann würde fie das
Scidfal der meiften aus Amerika eingeführten Sorten ge—
theilt haben, d. h. fie wiirde, was Qualität u. ſ. w. betrifit,
entartet fein,
Man darf — ganz abgefehen von den Blättern u. ſ. w. —
nur die Beichreibung der Blumen der Nicotiana bei den
älteren Schreibern vergleichen, um zu wiſſen, daß damals
mehrere Sorten in Europa gebaut wurden, welche man
fämmtlich für die Nicotiana hielt, und dag within die We—
286 2. Beder: Wie verhält es ſich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo?
nigflen — wenn Überhaupt Demand — wußten, welches die
wahre fei. Denn da die Erfahrung Ichrt, daß die Farbe
der Blumen bei N. macrophylla und N. Tabacum Schr.,
felbft bei verfcjiedenen Sorten berfelben, ſehr conftant bleibt,
und nicht in fo Furzer Zeit, als die hier in Betracht kommende
ift, ſich ändert, fo ijt es nicht denkbar, daß alle diefe Sorten
von dem Samen ftanımten, den Nicot nad) frankreich jandte
oder bradite. Pena uud Lobel nennen 1570 die Blumen
blaßgrünpurpurn, Cluſius 1574 blaßpurpurn, Everart
und Yiebaut (erft 1602) weißlic und incarnat, Dale:
champ weißlic, purpurn, Caefalpini purpurn, Camera—
rius „Neilchfarben, zuweilen ſchön roth“, Sebizius bleich,
Renealmus weniger gefättigt als die von N. major an-
gustifolia C. B., Lonicer gar bleichbraun u. ſ. w. Die
Blumen des „Tabaco* nennt Fragofus „eandidi“, Mo—
nardes „candidi medio purpurascentes“, Pifo „can-
didi purpurascentes“. Die „Pontiana* des Aretiu®, von
welcher Gesner um 1565 eine Abbildung erhielt (f. den
Brief an Zwinger), hatte fchöne purpurne Blumen. Pier
baut fagt 1570 nichts von der Blume; erft im der zweiten
Auflage ſchreibt er, im Gegenfag zu den Botanifern,
daß die Nicotiane dunklere Blumen habe als Petum femelle
(N. major angustifolia C. B., N. petiolata).
Wie N, rustica von der Mehrzahl der Botaniker des 16.
Jahrhunderts nicht fr eine Art Taback gehalten wird, fo
ward die Nicotiana urſprünglich von anderen Tabadsarten
und ſelbſt anderen Formen der N. Tabacum L. unterjcies
ben. Ben Jonſon unterfcheidet, wie erwähnt, zwiſchen dem
hodhgepriefenen „Tabaco“, dem fdhlechtern „Trinibado*
und der „Nicotian*. Minſhew fpridit gleichfalls von
der Negotiane und dem Tabaco als von verſchiedenen Plans
zen. Yange Zeit gab man in Europa aud) den Namen Ta—
bad nur einer gewiflen amerifanifchen Form von N, Taba-
cum, umd zwar derjenigen, die aus dem Lande, wo fie ben
Namen Tabaco führte, gelommen war. So unterfcheidet
Barclay in feiner „Nepenthes* den righteons and legi-
timate tobaeco aus Florida von dem enropäifchen Erzeug«
niffe, das man betrügeriſcher Weife fiir „Tabaco* ausgab.
So heißt bei Schwendfeld (Catal, pl. siles. 1601) die
„Nizotiana Gallorum“ : „rechter Tabaco* ; während noch
jegt in Wörterblichern N. Tabacum (havannensis) „Tabac
vrai, True tobacco, Vero Tabacca“ genammt wird, Jooſt
van Kavelingen nennt in dem Gedicht „Tabacks Lof en
Lastering“, im Neander's Tabacologie 1622, neben dem
Taback, der nad) feiner Anficht früher Dyvingend kruyt,
Dvving kruyt und Catanance genannt worden zu fein
ſcheine, andere Tabadsarten, wie Tant kruyt, Worm,
Luyspoer und Triakel kruyt. Miller (Dietion.) unters
Icheidet „Tabac* von N. latissima und angustifolia, ähn-
lid) wie SchrantN. Tabacum von feiner N. macrophylila,
weldye Yinnd beide unter dem Namen N. Tabacum zufan«
menfaßte,
Was die botaniſche Literatur des 16., 17. und 18. Jahr⸗
hunderts bietet, um in Betreff der Frage, welches die Nicot'ſche
Pflanze war, ins Klare zu fommen, das habe ic, forgfältig
zufammengeftellt und verglichen: die Angaben und Wbbil:
dungen von Eftienne und Liebaut, Pena, Lobel, Cluſius, Do:
donaeus, Lonicer, Comerarius, Dalechamp, Everart, E. und
H. Bauhin, Tabernaemontan, Sebizius, Schwendfeld,
Napenberger (Herbar), Renealmus, Caeſalpini, Neander,
Nieremberg, Besler, Magnen, Ray, Tournefort, Zorn und
Anderen. Es würde indefjen hier einen zu großen Raum
beanspruchen, wollte ich alles hierher Gehörige anführen.
Aus den Werfen und Abbildungen der Genaunten ergiebt
ſich, daß die Nicotiana zu N. Tabacum L. gehörte; es läßt
ſich jedoch mit Sicherheit nicht erfehen, ob fie eine Form von
N. macropliylia oder N. Tabacum Schr. war; inbefjen
dlirfte wohl erfteres der Fall fein, da heute N. Tabacum 8.
als Arznei weniger Verwendung findet als Formen der N.
macrophylla. Die Bewohner Chinas und des Indifchen
Archipels bedienen fic; zu dem Zweclke nur der N. chinensis
F., welche der N. macrophylia näher fteht als der N. Taba-
cum 8. In Slidamerifa baut man in gleicher Abſicht N.
pulmonarioides; doc; fann dies nicht die Nicotiana fein,
für welche Liebaut's und Lobel's Befchreibungen der Nicotiana
maßgebend find.
Da fic die neueren Botaniker nur ausnahmsweiſe mit
den Formen der Arten befallen, fo ift es vergeblich, bei ihmen
Aufklärung zu fuchen, welche Sorte der Petum des Thevet
und Lery, der Tabaco der Spanier, Floridas Nicotiana, ber
mejifanifche Picietl m. -f. w. war. Ohne Zweifel baut mar
in jenen Yändern heute noch diefelben Sorten als einft vor
300 Jahren; und da jowohl in Brafilien als in Weftindien
bei Weitene vorherrfchend Formen der N. macrophylla ge-
zogen werben, fo wird man nicht irren, wenn man auch des—
halb das Petum des Lery und Thevet, den Tabaco der Spar
nier unter ihnen fucht.
Die Nicotiana war entweder eine fdmalblätterige Form
von N. macrophylia oder eine breitblätterige von N. Ta-
bacam 8. Nach der Abbildung bei Yobel und Liebaut zu
ichließen war fie vermuthlic; die Tangblätterige N. macro-
phylla, welche nach Metzger derjenigen Sorte, welche die
aus Maryland, Brafilien, Porto Rico, Varinas und Havanna
eingeführte Waare liefert, ſehr nahe fteht. Diele Sorte kam
übrigens nad) Deutfchland nicht zuerft aus Wefteuropa, fons
dern aus dem Dften, da fie, wie erwähnt, in der Rheinpfalz
den Namen „Duttentabad“ trägt, welder vom polnijchen
„Tuttun“ ftammt: ein Wort, das der türfifchen Sprache
— in welder Tüttün Tabad und Rauch bedeutet — ans
gehört. Wäre die Nicotiana die kurzblätterige N. macro-
phylia, die in der Havanna und anderwärts in Anterifa
gebaut wird, fo wurde deren amerikanische Herkunft gleich—
falls zweifelhaft erſcheinen, da fie um Heidelberg den Namen
„griechifcher" und „ungarischer“ Tabad fiihrt; wie denn
Tabadsjorten aus Griechenland und der Türfei als zu diefer
Sorte gehörig erfannt worden find. Cine der beiden zulett
enannten Sorten, wenn nicht gav N. chinensis F., dürfte
Heoner's Kretatabad fein, der, ſchon 1559 zu Padua und
vorher auf Kreta gebaut, von C. Bauhin für die Nicotiana
gehalten wird.
* *
Als Ergebniß der Unterſuchung ſtellt ſich mithin heraus,
daß weder Nicot noch Hernandez als die Einflihrer der erſten
Tabacksart gelten fünnen, ſondern daß ihnen höchſtens das
Berdienft, eine bis dahin unbefannte Sorte eingeführt zu
haben, zufonumt, Aber obgleich, ihnen dies unter Berlidfid):
tigung der Thatſache, daß viele unbefanute Sorten aus Am:
tifa — bdarumter gewiß auch mande lange vor 1559 —
eingeführt worden find und noch werden, gern zugejtchen
wollte, jo muß ic doch aus manchen Grunden bezweifeln,
daß jeme Sorten, von denen Nicot's und Hernandez' Pflan:
zen nur Varietäten waren, vor ihmen im der Alten Welt
— einschließlich, Europa — unbelannt waren.
Als man Gelegenheit hatte, das brafilifche Petum, den
weftindifchen Tabaco, die Nicotiana von lorida u, ſ. w. zu
vergleichen, ftellte es fic, heraus, daß fie alle nur formen
einer und berfelben Pflanzenart feien. Infolge deſſen ge-
braschten Spätere (James I, Sambden: „Tabacum s. Nico-
tia“, und viele Andere) die Namen Nicotiana, Tabacum, Pe:
tum u. f. w. als gleichbedeutend; und als die Botaniker nod)
dazu den Namen Nicotiana zum Sattungsnanten für alle Ta:
Aus allen Erbtheilen.
badsarteı erhoben, da ſchlich ſich unter ihnen der Jrrihum ein
zu glauben, unter der Nicotiana der älteften Botaniker fei
nicht bloß eine gewiſſe Tabadsart, viel weniger eine gewiſſe
Form einer folden, fondern der Tabak im Allgemeinen zu
verjtehen; während das nicht botanifche Publicum (Aerzie,
Apotheker ıc.) noch 1739 die echte Nicotiana von anderen
Tabadsarten unterschied *). Leicht erflärlich ift es daher
and, dag man in ber erften Einführung der Nicotiana fpä-
ter die der erften Tabadsart, nicht bloß nad, Europa, ſon—
bern im die Alte Welt überhaupt erblidte.
Nicht allein, dag Spätere in der Einführung des Nicot
die der erften Tabadsart erblicten, haben fie auch Schlüffe
aus jener Erzählung gezogen, die ſich eben fo wenig daraus
*) So erfbien 4. ®, 1738 Loehfloer’s Wert: „Do Nicotiana
vera* in Kopenhagen.
287
folgern laſſen. So jagen Eſtienne und Piebaut, welde
die Abweſenheit anderer Tabadsarten in Europa vor 1492
feineswegs behanpten, nirgends, daß das Tabackrauchen vor-
dem hier umbefannt gewejen fei, oder daß Nicot daffelbe ein-
geführt habe, wie man in einer andern Flora von Branden-
burg lieft. Behauptete er dies, fo würden andere Schrift-
fteller und viele Thatſachen ihn Lügen ftrafen.
Schließlich fei bemerkt, daß in vorliegender Abhandlung
nur folche Beweife für das Alter des Tabads auf der öft-
lichen Halbkugel Aufnahme gefunden haben, welche in nahe:
fter Beziehung zu dem befprochenen Gegenſtande ftehen. Eine
gebe Zahl anderer enthält eine der Vollendung ſich nahende
Schrift, welche die Frage, ob der Tabad und fein mannig-
facher Gebrauch in der Alten Welt vor 1492 befannt war,
von verfcjiedenen Sefichtspunften aus eingehend behandelt.
Aus allen Erdtheilen.
Modernes Schulweien in Japan.
Als die Negierung det Mifado die Territorien der alten
fendalen Fürſtengeſchlechter übernahm und Mebbo des Kai—
ſers Nefidenz wurde, gab es in dieſer Stabt nur wenige
anftändige Schulen. Im den Provinzen war daran fein
Mangel, denn die Daimios hatten jchon feit einiger Zeit
gewetteifert, chemiſche, mediciniſche und andere Lehranſtalten
zu errichten und am dieſelben deutſche, franzöſiſche und eng:
liſche Lehrer zu berufen. Eine der erſten Thaten der neuen
Regierung war es, eine Mittelſchule zu gründen, worin gute
Zöglinge der Vorbereitungsſchulen ihre Ausbildung verfolgen
konnten und die wegen ihrer quten Lehrer bald einen ſolchen
Ruf gewann, daß in der Provinz fait nur Normalſchulen
blieben, da alle Wiffensdurftigen nach der Hauptſtadt gingen.
Scharenweiſe famen die Studenten ans allen Theilen des
Reiches; die Staatsſchule wurde zu eng und c# bildeten fich
Actiengefellichaften zur Betreibung von Schulen. Auf diele
Art entitand eine Menge englischer, deuticher und franzöſi-
ſcher Inftitute. Den Gefellichaften war es aber nur um
Speculation zu thun; raſch erlannten fie, dab das Halten von
Schulen in einem joarmen Lande wie Japan nicht jehr ren—
tabel ſei, und nach Ablauf der Pehrercontracte wurde der
größte Theil diefer Neufhöpfungen wieder geichloflen. Dar
für errichtete die Regierung eine weitere größere Anzahl von
Schulen.
Die bervorragenditen der beftebenden Privatichulen hei—⸗
ben Faluzawa und Nakamura. Die erftere zählt 200, die
fegtere 150 Beſucher. Jede von ihnen befigt einen auslän-
difchen Lehrer. Unterrichtögegenitand ift vornehmlich das
Englische. Wenige Schiller abfolviren mehr al& zwei Claſſen.
Bezahlt wird nur 2 Schilling per Monat und Kopf. Die
Penſionäre entrichten außerdem 6 Schilling monatlich ; natür:
lich lönnen für dieſes Geld weder Wohnung noch Verpfle:
gung übermäßig luxuriös fein. Die Unterrichtöjtunden find
im Winter von 9 bis 12 und von 1 bis 2, im Sommer
von 8 bis 12 Uhr. Weniger fregnentirt, aber weit anſpruchs
voller ift die Diafa Gakko („Gakto“ — Schule) , die erft drei
Jahre eriftir. Die Zahl ihrer Zöglinge variirt zwiſchen
dreifiig und vierzig; ſämmtliche gehören dem bohen Adel an,
Mitglieder des kailerlihen Hanfes nicht ausgelchloffen. Diele
Anftalt ift die theuerſte in Meddo; für Unterricht, Koft und
Quartier ift je 3 bis 4 Pf. St. monatlih zu bezahlen,
im Verbältnii zu Europa immerhin eine lächerliche Kleinig—
feit. Auch bier ift mur ein europäiicher Lehrer angeſtellt.
Engliih und Chineſiſch gehören zu den obligaten Fächern.
Endlich ift noch erwähnenswerth die Tofa, ſogenaunt weil
fie nur Kinder aus der Provinz Toſa aufnimmt und von
ben Erfürften diefer Broviny erhalten wird. Hier findet man
bereits einen engliichen und einen franzöſiſchen Lehrer, Ju
den übrigen Privatichulen werden die europäiſchen Sprachen
von Japaneſen vorgetragen. Faft liberall wird 2 Sch. mo:
matlich gezahlt ; nur jene 200 Zöglinge, die in den franzöſi—
ihen und englischen Miffionsichulen unterrichtet werden,
haben 3 Sch. zu entrichten.
Was die Regierungsichulen betrifft, fo iſt die Eigo Gaklo
eine bedeutende Sprachſchule. Zwar wird auch Arithmetit,
Sefchichte und Geographie gelehrt, der Hauptzweck iſt aber
der Unterricht im Englifchen. Jedes halbe Jahr werden
Prüfungen abgehalten und die guten Zöglinge werden in die
große kaiferliche Mittelfchule zugelaffen. Cine größere An:
zahl europäiſcher Lehrer ift angeftellt. Die Gumwai Kokn
Go Gaklo („ausländiihe Sprachenſchule“) ift in vier Abthei—
lungen getheilt: in die deutſche mit 200 Schülern und 5
Lehrern; in die franzöfifche mit 150 Schülern und 4 Lehrern;
in die ruffiiche mit 70 Schülern und 2 Lehrern, und in die
chineſiſche mit 40 Schülern und 1 Lehrer. Stubirende der
deutſchen Claſſe werden in die medicinifche, foldhe der fran—
zöſiſchen im die militärifche Hochſchule zugelaffen. Die Riyo
Gaffo war bis vor einem Jahre eine fünfte (englifche) Ab—
theilung der forben genannten Gumwai Sakko ; die Zunahme
in ber Luft, Die verbreitetite Sprache der Erde zu lernen,
hat jedoch eine Erweiterung und Trennung nötbig gemacht.
Die Zahl der Schüler beträgt weit über 300. Es giebt da
unter dem Lehrperjonale zehn Engländer und drei Japaueſen.
Beim Eintritt haben die Zöglinge eine Aufnahmsprüfung
zu beftehen ; danıı haben fie entweder 2 oder 3 Jahre zu biei-
ben. Je nach ihrer Bezahlung zerfallen fie in drei Claſſen
bie erfte zahlt 8, die zweite 4, die dritte 2 Sch. monatlich,
Alle Schulbücher werben von der Regierung gratis geftellt,
und die Yöglinge haben bloß Schreibmaterialien zu kaufen.
Die meiften Schiller lommen aus den Provinzen, aber den:
noch wohnen nur fiebzig in den mit diefer Schule verbum:
denen Penfionen, da für viele der Preis von 1 Pf. St.
monatlich zu hoch ift. Der größte Theil der Zöglinge ge:
bört der dritten Claſſe an, jedoch wird mach außen bin zwi—
ſchen den Angebörigen der drei Claſſen kein Unterjchied ger
macht, und auch nach innen werden die ‚beffergeftellten micht
288
bevorzugt. Die Beſucher diefes Juftitutes rübmen die Kna—
ben als außerordentlich höflich, fleißig und aufgewedt. Viele
von ihnen ziehen ſich durch Ueberſtudinm Angenleiden zu
und müſſen ſchon als Kinder Brillen tragen. Es heift fo:
gar, daß es an Wahnſinnsfällen unter diefen jungen Stu:
direnden nicht feblen fol. Jedenfalls gleichen fie den euro:
paiſchen Schulfnaben nur wenig. Dieſe Lobeserhebungen
ftimmen volltommen überein mit dem, was man allentbalben
auch von dem in Europa ftudirenden japanischen Jünglingen
rühmt Nach dem Muſter (der Eigo Gallo find eingerichtet
die Ko Gakko Niyo und die Seevorbereitungsichule, beide
engliichen Gepräges. Letztere zählt 90 Schüler und 2 Lehrer
und bat den Zwed, die jungen Leute zum Cintritte in das
höhere Marinecollegium vorzubereiten, während die Ko Riyo
von vier Lehreren überwacht und von 150 Zöglingen frequen:
tirt wird und ald Etappe für das kaiſerliche technilche Eolle:
gium dient,
Die vorftebenden Daten find mager genug, Man möge
uns das zugute halten, denn es ift und faner genug gewor:
den, ſelbſt diefe aus zerſtreulen Zeitungsnotigen zufammen:
zuftellen. Es mangelt eben noch ſehr an verläßlichen Infor:
mationsanellen. Speciell über die Beichaffenheit aller der
erwähnten höheren Schulen ftehen uns momentan feinerlei
Anhaltspunkte zu Verfügung Was die Erziehung des weib—
fichen Geſchlechtes betrifft, fo war unferes Wiffens biäher
nichts dafür geſchehen; doch lefen wir, daß am 29. Novem:
ber 1875 die Kaiferin von Japan in PWebdo eine große
Mädchenfchule in Perſon eröffnet bat, die dem Unterrichts:
miniſter unterfteben wird. Zweifellos wird bei der immen:
ſen Energie der Regierung aud anf bdiefem Gebiete bald
Großes geleiftet werden. Unfere Mittbeilungen, denfen wir,
find trotz ihrer Unvollftändigfeit geeignet, eine Idee von bem
Eifer zu neben, den jenes intelligente Voll im äußerſten
Dften Mfiens entfaltet, um jih im die Reihe der modern
civiliſirten Nationen zu ftellen.
Wir wollen noch erwähnen, daß in den ſämmtlichen
Schulen Medbos m Schiller die englifche, 2000 die deutſche
und 200 die franzöſiſche Sprache lernen. Allen Reſpect!
Leop. Raticher.
Die Poftverbindungen Englands mit der Eapeolonie.
Rom Cap erhalten wir bie Nachricht, daß vom 1. Juli
an Briefe von dort nach England vice versa 6 P. (50 Rpf.)
koften follen, wovon die Eigentbilmer der Poftdampfer 4 B.
erhalten werben. Die beiden concurrireuden Geſellſchaften,
Donald Currie u. Comp. und Union Company, wurden
beim Abſchluſſe der Verträge ftark in ibren Anforderungen
herabgedrüdt. Die erftere erbielt bis jest 12,000 Pf. St.
für 12 Fahrten im Jahre; nun fol fie bloß noch 10,000
BE. St. erhalten, aber 36 Fahrten machen. Die lebtere Ge:
ſellſchaft ſoll einen Dampfer per Monat weniger abfenden,
aber dafitr and bloß 10,000 Pf. St. ftatt der bisherigen
26,000 Pf. St. Subfidien erhalten; die Verbindung Eng-
lands mit dem Gap wird dann eine wöchentliche fein, was
fiher ein großer Vortheil ift. Dagegen wird gefürchtet, daß
die Befellichaften die Herabfegung der Subfidien durch eine
Erhöhung der Paſſagier⸗ und Frachtenpreife ausgleichen wer:
den. Die Baffage von Southampton nad Capſtadt muß
contractlich in 25 Tagen vollendet fein; für jeden Tag mehr
zahlen die Gefellichaften 100 Pf, St. Strafe, während fie
Aus allen Erdtheilen.
für jeden Zag, den die Dampfer früher anfangen, 100 Pf. St.
Gratification erhalten. Je ſechs Stunden mach Ankunft der
Dampfer in Table Bay (Gapftadt) werden ſchuellfahrende
Küftendampfer mit der Poſt nach Mojiel Bay, Algoa Ban,
Eaft London und Natal abgeben. Die Verbindung Europas
mit dem Süden Afrifas wird fonacd vom 1. Juli ab meient-
lich verbeffert.
BDfeffereultur in Borneo.
Bon Singapore aus, wo ſich die Chinefen in großer
Zahl feftgefett haben, verbreiten fie fi nach allen Richtun—
pen weiter. Die Regierung von Sarawak (Borneo) hat ſich
an ben erftern Ort gewendet, um chineſiſche Gapitaliften zu
gewinnen, welche Pflanzungen von Pfeffer anlegen follen.
Wie die „Sarawak Gazette* nun mittheilt, baben bereits
drei Chineſen, welche ebenfoviele einflußreiche Geſchäfte in
Singapore repräfentiren, das Land befuct und große Ge:
biete an den Ufern der Flüſſe gefunden, welche fich zur
Pfeffercultur im fo vorzüglicher Weife eignen, daß fogleich
mit der Arbeit begommen werben joll.
Hoffentlich werden auch wir die zu erboffende jtärfere
Pfefferzufuhr nach Europa verfpüren; denn die Fälſchung dieſes
wichtigen Gewürze wird ganz allgemein betrieben. Eine
Beimischung von 50 Procent Bohnenmehl, Kleie u. ſ. w. ift
beim Pfeffer, wie er im Handel vorfommt, gar nichts Seltenes.
. *: .
— Hauptmann Roubdaire, welcher zuerft das Project
eined Binnenmeeres im Süden von Algerien und Tuneſien
anregte und im Jahre 1875 in Geſellſchaft von Henri Du:
venrier auf algieriichem Boden die etwaige Ausdehnung diefes
Meeres (beim Scott Melrir) durch Nivellirung feitftellte,
bat fich im Januar nach Tunis begeben, um dort feine Ar-
beiten fortzufeten. So genane Refultate wie im Algerien,
wo bie Erpebition eine militäriiche war, find freilich anf
tuneſiſchem Boben nicht zu erwarten; doc wird bie Frage
wegen ber Möglichkeit eines Unterwaflerfegensd gewiß ge:
löft werden. Der Civilingenienr Baronnet und der Maler
Cormon begleiten den Capitän Roudaire.
— Die ‚Chineſiſche Staatsgeitung” veröffentlicht ein Edict
der Kaiferinnen-Regentinnen, in welchen befohlen wird, daß
ber junge Kaijer im vierten Monat des laufenden Jahres
feine Studien unter dem Vicekanzler des Groß-Secretariats
Wengstung:bo und dem Bicepräfidenten Hiastung-Ichan und
der Oberaufficht feines Vaters, des Bringen Tichun, begin:
nen fol. Im Erziehungsprogramm ift and ein fogenannter
Prügeltnabe angeführt, der alle Strafen und Füchtigungen
für den Kaifer erleiden muß.
— Die Anzahl der Indianer in Canada beläuft
fih nach einem vom Minifter des Innern dem canadiichen
Parlamente vorgelegten Berichte auf 91,910; davon 29,8% in
den fünf älteren Provinzen (Canada, Neubraunichweig, Neu:
fchottland, Prinz⸗Edwards-Juſel und Neufundland), 31,520
in Britifch Columbia, 13,944 in Manitoba und circa 10,000
zwiſchen dem Peace River und der Grenze der Vereinigten,
Staaten. Die der fünf älteren Provinzen haben an perfönli:
chem Eigenthume 489,234 Dollars an Werth, an Immobilien
für 7,633,708 Dollars. Unter ihnen find 7099 Kinder, von
denen 2105 die Schule befuchen.
Inhalt: Telemfien in Algerien. IIT. (Mit vier Abbildungen.) (Schluß) — M Farlane’s nenefte Fahrt auf dem
Fly Fluſſe in Neuguinen. — Die engliichenHimalaya:Befigungen. Bon Emil Schlagintweit. IV. Kamaon und Garwhal
— Wie verhätt es fih mit der Einführung des erften Tabacks durch Nicot und Hernandez de Toledo?
Von Yotbar
Beder II. (Schluß) — Aus allen Erbtheilen: Modernes Schulmelen in Japan. — Die Voftverbindungen Englands
mit der Gapeofonie. — Pfeffereultur in Borneo. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 16. April 1876.)
Redacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lintenftraße 13, II Zr.
Drud und Berlag von Friedrich Bieweg und Sohn in Braunfchweig.
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree,
In Verbindung mit Fachmännern und Nünftlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunſchweig
Jährlich 2 Bände a 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und PBoflanftalten
zum Preife von 12 Mark pro Band zu beziehen.
Bon Telemfjen nad Nemours.
Um von Telemſſen zunächſt nach Marnia (Palla-Marnia,
Maghrnia) zu gelangen, hat man zwei Wege zur Verfli:
gung, einen ſüdlichen, directern, Über das uns fchon befannte
Meanfurah und das Gebiet der Beni-Mefter, und einen zwei-
ten, nörblidern, Über Hennaya und Hammam-Bughara,
welcher einen weiten Bogen gegen Norden macht. Letztern
wählte Yorral. Zunädhit paflirte er Brea, fobann den Hits
gel, hinter welchen ſich Hennaya inmitten eines grlinen Yaub-
meeres ausdehnt, Hennaya, das ſchönſte und reichite Dorf
bes ganzen Bezirks, mit nahe 500 Einwohnern, breiten, fchat:
tigen Straßen und luſtig plätfchernden, Haren Waſſern. Die
hubſch gelegenen, foliden und gut im Stande gehaltenen Häu—
fer, der wachjende Wohlſtand des Oertchens beweifen, daf
ſich der Fleiß und die Energie hier unter afrilaniſchem Him—
mel reichlich belohnen. Bald hinter dent Orte befindet man
ſich urplöglic, auf einer öden Hodjebene, deren Tufidede nur
wenige ſpärliche Culturſtreiſen unterbrechen. Ordentlich
erleichtert fühlt man ſich, wenn man dieſelbe hinter ſich hat
und die weniger traurige Gegend der „Web“ (Flüſſe) erreicht,
deren erjter der unbebentende Wed-Situn ift, An jeinem
Ufer hat ein Kawadſchi, ein Staffeefieder, ſich miedergelai
fen, welcher in den arabiſchen und tlirfifchen Yändern mit
feinem raſch zubereiteten köſtlich buftenden Getränke die Stelle
der compactere Genüffe darbietenden Wirthehäufer in Europa
vertritt. Kaum aber begrüßt der durftende Fußwanderer
am Rhein oder in Thüringen das viel verheigende Wirthe:
hausjchild mit eben fo großem Vergnügen, als im Morgens
lande der des Reitens, der Sonne und des ftaubigen Weges
müde Reifende die dürftig ausgeftattete Stätte eines Ka—
Blobus XXL. Nr. 19.
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woadſchi, der ſich mit feinem ſchmutzigen Teppiche, feinen mie-
drigen Holzſchemeln, feinem Kohlenfeuer und feinen Täßchen
meist unter einem großen, fchattigen Baume ober neben einer
fprudelnden Quelle nicderläßt. Raſch fact er mit einigen
Schlägen des Federwiſches die unter der Ajche ſortglimmende
Kohlengluth an, füllt fo viele Kännchen, als Reiſende bei
ihm eingefehrt find, aus einem größern ftetd bei dem euer
ftehenden Gefäße zu drei Biertheilen mit warmen Wafler
und thut geftoßenen Kaffee und Farinzuder — legten meift
nur auf Beitellung — hinzu, Zweimal läßt er darauf den
Inhalt am Feuer auflochen und gießt ihn dann in Taſſen,
die er den Reiſenden jervirt. Für wenige Pfennige erhält
man jo einen aromatifchen Trunk; flr die gleiche Summe
oft auch einen geflillten Tſchibul oder eine MWajlerpfeife.
Nichts Umterhaltenderes, ald bei ihrem Nauche dem Verlehre
auf der Straße und dem Leben und Treiben beim ſtawadſchi
behaglich zuzuſchauen!
Hinter dem Wed-Zitun folgen wieder ausgedehnte Hod):
ebenen, nur von Schluchten und hier und da von Gruppen
wilder Del» und Deaftirbäume unterbrochen. Endlich erreicht
man das tief eingeichnittene Thal des Web Tafna, ber in
der Geichichte der frangöſiſchen Eroberung eine wichtige Rolle
geipielt hat, Im Sommer beträgt feine mittlere Tiefe nur
60 Gentimeter; aber die Regenzeit oder ein Heftiges Uns
gewitter vermögen feine Fluthen im Handumdrehen um nich«
rere Meter anfchwellen zu laſſen. So plötzlich erfolgt mit
unter dies Anwachſen, daß Schäfer mit ihren Herden ereilt
und meerwärt® fortgeichmenmt werden. Und da in Algerien
Brüden noch zu den Seltenheiten gehören, jo kann durch ein
37
Bon Telemſſen nad Nemours.
\
I
|
7
ar — 22* — — — —
Markt im weſtlichen Algerien. Mach einer Photographie.)
LERNT |
Von Telemſſen nad Nemours.
ſolches Ereigniß die Berbindung zwiſchen beiden Ufern tager,
ja wochenlang unterbrodyen werben, im welchem falle der
Keifende wohl oder Übel warten muß, bis die empörten Flu—
then wieder zu ihrem gewöhnlichen Stande zurlidgefehrt find.
An Fiſchen enthält die Tafna nur Barben und Yale;
ob auch, wie verfichert wird, die Alfen von Meere aus im
Fluſſe weite Streden hinaufgehen, bedarf noch der Beftäti-
gung. Hat man diefen Wed durchritten, jo fteigt man fanft
nad) Hammam=Bughara hinauf. Herrliche Palmen er»
heben ſich dort hoch über den Del« und Lentiskusbäumen in
den Aether, rieſige Schlingpflangen Mettern an ihnen empor
und ftreben in zauberifchen Gehängen wieder zur Erde, und
das Rohr wiegt feine goldigen Büſchel im Winde, daß man
ſich jaft in eine der glüdlichen Dafen weiter im Süden ver-
fett glaubt. Zehn Hectaren nimmt der fchöne Wald ein
und in feiner Mitte umſchließt ev in zwei Beden warme,
ſchwach ſchwefelhaltige Quellen, in denen die arabifchen und
jüdifchen trauen Heilung von allen Leiden und Gebreften
ſuchen. Sonft hauft in der reigenden Einfanfeit nur ein
ehemaliger Spaht, der dajelbft einen Ktaffeeſchank hält.
Wieder tritt man in die Wüfte, wo nur die Smala
von Blad-Schaba mit ihren Eichen, Weißpappeln und
ihrem Nafenteppich einen erfreulichen Nuhepuntt bildet. Eine
Smala ift ein vierediges, niedriges Gebäude, welches einen
mächtigen Hof umſchließt und den franzöfiihen Offizieren
und Soldaten Unterlommen gewährt; rings herum haben bie
eingeborenen Spahis flir fid) und ihre Familien in males
riſcher Unordnung ihre Zelte aufgeichlagen. Die Difeiplin
ift diefelbe wie überall in der Armee: daffelbe Striegeln der
Pferde, diefelben Erereirlibungen, diefelben Mufterungen.
It aber der Dienft vorüber, fo geht der Spahi in fein Zelt
und lebt inmitten jeiner Familie nach altgewohnter arabifcher
Weiſe und kann den angeftanımten Borurtheilen feines Bol
kes vollen Spielraum gewähren.
Eine Einöde trennt wiederum Blad-Schaba von Yallas
Marnia, in deſſen Vegetation (Meſembryanthemum, Sale
folaceen, Ajphodelus) man ſchon die größere Mühe des Meeres
ertennt. Yalla» Marnia liegt 45 Kilometer von Telemffen
in einer großen Ebene, die im Norden von einer mit weißen
Grabluppeln befegten Hligelfette begrenzt ift. Ueber diefelbe
führt die Strafe nad) Nemiours. Der Ort ift traurig; feine
hundert Häuſer entbehren jeder Individualität. Aber der
Varktplag ift groß; denn dort ift einer der Hauptlibergangs ·
punfte flir die Wolle, das Korn und Vieh von Marofto
nad; Algerien. Mehr als 50,000 Hammel werden bort
alljährlich verfauft. An Markttagen ift bort ein Gewimmel
von Europäern, Juden, Arabern, Berbern, von welchem keine
Beicreibung aud nur eine ammähernde Idee geben fann.
Das it ein nicht enden wollendes Geftampfe und Getrampel
von Pierden, Maulthieren, Eſeln, Ochſen und den widerlich
ſchreienden Kameelen; eine erftaunliche Anhäufung aller mög:
lichen Waaren, von Datteln, gepreßten Feigen, Salz, Henna
und allerlei einheimischen Geräth und Gewändern; ein wire
res Durcheinander aller möglichen Spradyen, als da find:
Franzöſiſch, Arabiſch, Kabyliſch, Hebräifch, Spanisch, Deutich,
Dtalienifch und vornehmlich Sabir, d.h. Lingun franca, die
aus Beftandtheilen aller genannten Idiome gemischte Verlehrs ·
fprache des Dlittelmeers; ein Gewühl der verfchiedenften
Trachten, die blaue oder graue Blouſe des enropäijchen VBich-
händlers, der ſchneeweiße Burnus des reichen Arabers, der
aus rothen Yederriemen (filali) beftehende und bis zum Knie
reichende Gürtel (zama) ded maroffanifchen Jägers und die
alte durchlöcherte Manta des Spanier, Bundſchuhe aus
Ziegenfel und Sandalen aus Halfagras, deffen Export aus
Algerien fchon jo bedeutende Dimenfionen angenommen hat,
neben rothledernen Stiefeln und Halbftiefeln mit Gummis
291
zug, Turbane von allen Farben neben Käppis und breit:
främpigen Hliten. Handel, Gefchäjt, das ift ber große
riedensftifter, im deſſen Namen die Träger und Verkäufer
aller diefer Gegenftände hier zufammenftrömen, weldye fonft
fich vielleicht mur begegneten, um ſich den Garaus zu machen.
Spahis find mit der Marktpoligei betraut und wandeln gra=
vitätifchen Schrittes durch die ehrerbietig zurückweichende
Menge, geflicchtet wohl, aber zugleich verachtet, weil fie dem
Franfen dienen. Dort fitt auf feinem Teppich der Haid
(Gouverneur) mit feinem Chodſcha oder Secretär, feinem
Schauſch (Unteroffizier) und feinen Berittenen und bietet
zerftreut die Schulter feinen Untergebenen zum bdemüthigen
Kuffe dar; weiterhin ſpricht der Kadi, umgeben von feinen
„Adul“ (Afjefforen), Recht und feine Elienten ſchreien und
gefticuliren um fo lauter und lebhaſter, je ſchlechter ihre
Sache ſteht. Er aber giebt ruhig „im Namen bed fran-
zöfischen Volkes“ fein Urteil ab. So wie das geſchehen,
treibt der Wun (Gerichtsdiener) die Parteien, die fich ſchim⸗
pfend und fluchend entfernen, aus dem FKreife der Zuſchauer
hinaus,
Un einer andern Stelle figen wieber „Tolba* (Gelehrte,
Schriftlundige), welche fr eine Handvoll eigen oder ein
paar Feine Münzen Bittfchriften ftilifiren, die oft folgender-
maßen anheben:
„Gelobt fei der allmächtige Gott! Den mächtigen, dem
eblen, dem eg dem hochherzigen, dem glänzenden
Ritter, dem Herrn Civilcommifiar von N. N., ben Gott bes
ſchutze und deſſen Tage und Nächte er mit Glück erfülle u, ſ. w.“
und an deren Schluſſe fich der Supplicant etwa über ben
Bericht eines Feldwächters beflagt!
Dort hodt ein Theerverkäufer, der feine aus den Stümpfen
von Febensbäumen und Gedern gewonnene Waare in einem
Bodsfelle zu Markte bringt und ſtarken Abſatz findet; denn
die Einheimiſchen verpichen damit Bodsfelle und falben räus
dige Kameele ein, Cine Stelle des Marktplages ift für den
Viehhandel beftimmt, ein anderer dient ald Pferdeftall, frei-
lid, ohne Dad, Dort fteigt der Reiter ab und lbergiebt
fein Thier entweder einem Buben oder ftreift ihm die Zügel
über den Kopf und legt einen Stein auf diefelben: das Thier
glaubt feft angebunden zu fein, und macht nicht einmal einen
Verſuch, ſich zu befreien.
Daneben find bie Stände der Juden, die faft ausjchliehlic
mit Belleidungsgegenftänden handeln und bei allem geſchäftli—
den Verkehre ftets ein wachlames Auge auf bie Umgebung
haben, obnicht eine „Nefra“ im Anzuge ift. Ein paar Ungläus
bige gerathen nämlich jcheinbar in Streit, zanfen fid), ftoßen
ſich; Alles drängt ſich herzu, das Gewühl wird immer dich:
ter; plötzlich fält wie aus Zufall das Zelt des unglückſeligen
Hebräers um und die Berſchwörer erhafchen dabei von feinen
Waaren fo viel, als eben im ber Eile angeht. Das ift die
Theorie der Nefra, — Dort zeigt ein Bergbewohner mit
Bronzeteint und ſchwarzem Barte feinen Kindern zum erjten
Male einen Franken, den er fie haffen gelehrt; hier übt ein
Barbier mit etwas kaltem Wafjer und einem fchartigen
Meſſer feine Kunft, und ein ganzer Berg von ausgezogenen
Zähnen, zu dem aud) Ochſen uud Efel ihren Beitrag gelie»
fert haben, zeugt von ben Erfolgen feiner vielfeitigen Hau—
tirung,
Aber es wird allınälig Mittag. Die Menge lichtet ſich;
die Juden paden ihre Waaren in Ballen; die Vichhänbler
treiben ihre Herden fort; die Tolba wifchen ihre Rohrfedern
aus; die Araber bredjem mit ihrem ſchwerbeladenen Zuge
von Ejeln und Maulthieren nad) ihren Stammeswohnfigen
auf. Es wird immer leerer und ftiller: der Markt ift zu
Ende,
Marnia, nur 12 Kilometer von der maroffanijchen
37 *
292 Von Telemſſen
Grenze gelegen, iſt ſchon Heute für den Handel von aus
nehmender Wichtigkeit *)., So unruhige Zeiten augenblid-
lich auch drliben in Maroffo, fpeciell im Bezirke von Udſchda,
herrſcheu, jo wenig auch noch in Algerien felbft für Straßen:
und Bahnbauten geſchehen ift, fo iſt doch alle Hoffnung vor«
handen, daß beides ſich bald zum Beffern wenden wird. Iſt
in Marolko wieder Ruhe, geſchieht auf franzöſiſchem Gebiet
etwas für den Eiſenbahn⸗ und Hafenbau, fo ift auch der
Tag nicht fern, wo Marnia zu größerer Blüthe und grös
Berer Wichtigkeit berufen if. Haben ſich doch die Marof-
faner ſchon heute daran gewöhnt, in Meinen Saramanen
— denn der Weg ift nicht ſicher — Hunderte von Silo:
metern weit her nach Marnia zu lommen, und fei es aud)
Nemonrs, Küftenftadt im weſilichen Algerien.
die gleichnamige Quelle, in deren Nähe jet aufgelaflene
Galmeigruben liegen, und erreicht bei 1139 Meter Höhe
den Paß, wo ein eisfalter Wind den verwöhnten Neifenden
raſch zu feinem Mantel greifen läßt. Dort oben wachſen
nur Zwergpalmen, Yentisfus und Aſphodelus; aber hertlich
ift die Ausficht auf die Gebirgswelt ringsum, unten gegen
Norden auf Nebroma in feinem Gebirgsteffel und darliber
hin auf ein Stüd des blauen Meeres. In zahllofen Wins
dungen fentt jich der Weg nach Nedroma, einer Heinen
von 2000 Arabern und 500 Yuden bewohnten Stadt, die
ehemals weit bedeutender geweſen als jetzt, wie die zahlreichen
Ruinen und Erdimauern beweifen. Seine Umgebung ift wohl
bebaut, befigt aber an Baumen nur ein paar Delbaums
*) Vergl. darüber L’Explorateur, 2. annte, 3. volume, Nr, 58,
p- 248 seq.
nach Nemours.
nur, um einen Blechnapf zu kaufen oder ihr Pferd beichla-
gen zu laflen.
In Marnia blieb Yorral über Nadıt. Am folgenden
Morgen ging es nörblic den Abhang des Berges Fil—
ha'ufſen hinauf, weldyer die bei Nemours und Honein müns
denden Küſtenflüſſe vom Gebiete der Tafna trennt, Der
Aufftieg ift wegen der tiefen Schluchten mühfam genug und
das Pand ringsum fahl und öde, abgefehen von einer Mühle
in dem tief eingefchnittenen und mit Ahododendron bewad)-
jenen Thale der Muilah, eimes weitlichen Zuſluſſes der
Tafna, und einem Duar auf einem Hugel. Weiterhin paf»
firt man das Karawanferai von Ain-Tolba, die einzige
europäifche Yehaufung zwiſchen Marnia und Nemours, und
Mad einer Photograpbie.)
gruppen. In der Nähe findet ſich Töpferthon, der ftarf
ausgebeutet wird. Medroma, der Mittelpunft des legten
Miderftands unter Abdsel» Kader, war einft von den Türken
ftart beſetzt geweſen; noch jet lebt die Erinnerung an ihr
ſchweres Joh. Wis die Mauren aus Spanien vertrieben
wurden, flüchteten fich viele nadı Nedroma: bis auf den heu:
tigen Tag follen ihre Nachlommen die Schlüſſel ihrer Häus
fer in Granada und Cordoba aufbewahren,
Die Strafe nad) Nemours ift ein wahres Kunftwert;
tiefe Einfchnitte wechſeln mit Brliden und Gallerien. Hin
ter Nedroma geht fie zuerſt durch die fruchtbare Ebene von
Meffa'uru; eine Stunde weiter teitt fie in eine enge Schlucht,
die der Wed Theta durdjjtrömt, der mehrmals feinen Na:
men wechjelt, um endlid) ald Wed Ghafawanah in das
Meer zu mlnden. Oben auf den Höhen ficht man in ums
\ zugänglidyer Lage Verberndörfer; unten pafjirt man Gärten
Paul Schumacher: Die Anfertigung der Angelhaten aus Muſchelſchalen zc. 293
und eine Staatebaumſchule jowie zahlreiche Grotten im qua- | Abdrel-Kader's Willen die legten Gefangenen von Gidir
ternären Tuff oder Kallſtein, die von Hirten bewohnt find. | Brahim himgefchlachtet wurden. Die 1500 Einwohner der
Ie mehr man ſich dem Meere nähert, um fo zahlreicher | Stadt find meift Spanier, Juden, Maroftaner und nur we—
werden die Heinen Genritfegärten, mit denen jede Ausbuch- nige Franzofen, während die, eingeborenen Moslims aus:
tung der beiden Thalwände und jede Anipiilung des Fluſſes ſchließlich in den benachbarten Dörfern wohnen. Dahin ge:
bededt ift. Zwiſchen dem beiden VBorgebirgen Nos und Mir | hören bie Bewohner der Dörfer Sjuhalia, Sawet-el-⸗Mra,
lonia ftürzt die Küfte Afrikas teil und tief zum Meere ab; | Nedroma, die Beui-Meſſer, Beni-Mifhel, Dichebila und
mr wenige Spalten mit Meinen Wafferläufen, deren fpär- | Mfirda. Mur der einzige Stamm der Aſchaſch lebt nach
liches Naß fchattige Bäume vor dem Berfiegen bewahren, | Bebuinenweife unter Zelten, was die Berbern fiir unter
durchbrechen dieſe Felswand. Im einer folden Spalte liegt | ihrer Würde halten. Dazu fommen nod die Beni-Men-
Nemours, halb auf einem der See abgewonnenen Streifen | guſch und die Athia, maroffanifche Stämme, welche ohne
Landes, halb im den mit Johannisbrotbäumen liberfäeten | Steuern zu zahlen auf franzöfifchem Gebiete leben und dafür
Gärten des arabischen Dſchemaah-Ghazawat; darüber erhebt | beftändig die Grenze bewachen, eine Einrichtung, wie man
ſich ein Berg zu 120 Meter Höhe und trägt auf feinem | fie vielfach, in Römerzeiten und im Mittelalter findet und
Gipfel einige unbedeutende Reſte der alten Stadt. Das | wie fie z. B. noch heute die Chinefen an der Grenze gegen
pittorest gebaute Nemours felbft datirt erft aus dem Jahre | Birma und Britifch- Indien mit Erfolg aufrecht erhalten.
1344. Aber ſchon am 23, December 1847 hatte e8 im | Vene gefanımten 10 Tribus zählen 17,500 Seelen.
feinen Annalen einen ruhmreichen Tag zu verzeichnen, als Die Bewohner von Nemours treiben meift Fischfang oder
Abdsel- Kader mit dem Anerbieten feiner Unterwerfung von beſchäftigen fid, mit dem Heranſchaffen von Erzen von Ghar—
Lamoricisre und Coufin de Montanban vor den damaligen | Ruban (füdlich von Marnia in Gebirge) oder mit dem der
Generalgouvernene von Algerien, den Herzog von Aumale, | Wolle und des Getreides von Marnia her. etreidehandel
geführt wurde und nur dem Mund öffnete, um feinen Sieger | ift Überhaupt ber vornehmfte Erwerbszweig des Städtchens;
zu bitten, daß man ihm micht mach Algier führe, wo er die | es giebt dort Yeute, welde zehn Mal des Jahres mit ihren
Schande einer öffentlichen Ausftellung fürdtete. Die Stadt | Heinen Barlen voll Korn nad) Gibraltar fahren. Bon dort
zerfällt in zwei Theile; der eine, aus zwei dem Strande pas | aus wird daffelbe dann im die englifchen Brauereien verſchifft.
rallelen Straßen beftehend, heißt Bugeauville, der andere ift | Aber die Bevölferung von Nemours nimmt ununterbrochen
nur ein Haufen Bretterhlitten, in denen Spanier und Juden | ab und wird mod mehr abnehmen, wenn erſt, wie geplant
haufen. Die erft aus franzöſiſcher Zeit datirende Ums | wird, Raſchgun bei der Mündung ber Tafna zu einem
faffungsmaner hat drei Thore; draußen dehnen ſich Villen | europüiſchen Centrum geworden und mit Telemfien und
und Gärten ans und zwifchen denfelben erhebt fic, eruft und | Sebdu im Innern des Landes durch eine Eiſenbahn ver:
traurig ein gemauertes Dental auf der Stelle, wo gegen | bunden iſt.
Die Anfertigung der Angelhaten aus Muſchelſchalen bei den früheren
Bewohnern der Infeln im Santa-Barbara:Eanal.
Von Paul Schumader in San Francisco.
Während meiner legten Reife *) — in der erften Hälfte | gel, annahmen, Fig. 1. (Die Gegenftände in der Zeichnung
dieſes Jahres —, welche ich im Interefje des Smithjonian | find im nmatitrlicher Größe wiedergegeben, doch ift biefelbe
Inſtitutes auf Beranlaffung des Prof. Spencer %. | bei den Angelhaten fowohl wie aud) bei den Werkzeugen ver
Baird, der Serle der Anſtalt, unternahm, um bie Gruppe | änderlich.) Hierauf wurde die Mufchelfcheibe mit der Spite
der Inſeln zu erforſchen, weldye im Santa » Barbara» Canal | eines Feuerſteins, Fig. 2 mit Querſchnitt, in der Mitte
liegen (zwifchen 33% bis 34% nördl. Br. und 118% bis 120% | durchbrochen, wie es die fig. 3 veranfchaulicht. Das nädıfte
weſtl. %.), fand ic unter der großen Maſſe von Gegenftäns | Inftrument, weldyes in Anwendung gebracht wurde, ift ein
den (aus der Steinzeit) allerlei Geräthe, welche zum Fiſch- fpindelförmiger Bohrer aus hartem und rauhem Sandftein,
fang Verwendung fanden, und barumter namentlich jchön | ig. 4, mit welchen das unregelmäßig gebrochene Loch cir-
gearbeitete Angelhafen. Es war offenbar das Grab eines | culär ausgearbeitet wurde, wie in fig. 5. Zum Abfchleifen
Angelmachers, in welchem ic; fowohl die Werkzeuge fand, | der Kanten und Seiten der Scherbe in die Form der Fig 6
mittelft welcher die Infulaner jene viel benugten Geräthe | wird eim gewöhnlicyer flacher Sandftein verwendet, der fei-
anfertigten, als auch das Rohmaterial in allen Stufen der | ner Abbildung bedarf. Iſt die Erzeugung foweit vorge»
Verarbeitung bis zur fertigen Angel. Es war daher nicht ſchritten, dann wird mit einem Steine aus Sandftein von
ſchwierig, aus denfelben die Fabrilation ber Fiſchangeln, der Form einer doppelfchneidigen Meflerklinge, Fig. 7 mit
weldye aus Knochen oder der Schale der Muſchel Haliotis | Querſchnitt, der Theil, welcher in Fig. 8 ſchraffirt ift, ger
beftehen, zu errathen. wiſſermaßen ausgefägt, wodurch mit einigen Heinen Nach—
Die Mufcel wurde mit einem Steine in Stüde gebro- | hllfen die Fiſchaugel entfteht, wie ſie im Figur 9 dargeftellt
chen und diefe mit weiteren Schlägen zugerundet, fo daß fie | ift und Benutzung fand. Bon den Angeln aus Bein, welche
etwa 1 Zoll im Durchmeſſer, die beiläufige Größe der Ans ſich durch einen Widerhafen auszeichnen, der, im Gegenſatze
— — zu den modernen, einem Inter ähnlich, an der Außeuſeite
*) 5. „Globus“ XXVIII, ©. 304 und 359, angebradjt ift, fand ich mur 14, und zwar alle auf der Infel
294 Hibe. Zehme: Aus und über Arabien,
Santa Cruz bei der Ausgrabung von wenigſtens 1500 | Inſeln San Miguel, Santa Cruz, San Nicolas und Santa
Steleten, während die Angeln aus der Muſchelſchale auf den | Catalina häufiger, obzwar meiftens zerfallen, vorgefunden
Fig. 1. Fig. 2, Fig. 3.
* ⸗ X
Querschnitt N, — f "@ Y
... fi *
— —— RA —
BTW TEE) NEE Ku —
Angelhaken und Werkzeuge zu ihrer Herſtellung aus einem californiſchen Grabe.
wurden. Manche zeigten noch die Angelfchnur, wie fie im | feftigt wurde, der noch mit Asphalt dicht Üüberflebt war, wo-
der Kerbe durch Querwindungen eines dünnern Fadens be | durch die Baftjchnur gleichzeitig prefervirt wurde (Fig. 10).
Aus und über Mrabien.
Von Dr. Albr, Zehme in Franlfurt a. O.
Seit 1870 hat, foviel mir befannt, die Erforichung | des unbelannten Südens der großen Halbinfel im ſehr ge:
Arabiens, natürlich abgejchen von oft befuchten SKüftenland» | jchiefter Weile thätig, indem er, wie in einen Nadjrichtens
ſchaften und Küftenpunften, geruht. In jenes Jahr fällt | bliven, die Mitteilungen von etiva 100 Arabern jener Län—
die große und tapfere Wanderung des franzöfifchen Gelehr-⸗ | der, dieihr Weg mach Aden geführt, fanmtelte, ein erwilnfchtes
ten Joſeph Halevy, deflen Berdienjt auf diefem Gebiete Licht iiber etwa 1200 Quadratmeilen verbreitend mit ihren
umangefochtener als auf anderen bleiben wird, nad) dem vor | faft 500 Drtichaften und an 400 Stämmen und Uuters
faft 2000 Jahren hodhgefeierten, dann wie verlorenen Often | ftämmen, ihren Gebirgen, Hochebenen und Tiefländern auf
de8 fogenannten glüdlihen Arabiene, nad) den | einem nicht viel befier als unbekannten Areal.
Stätten der Sablier: und fpäter Himjariten-derrfchaft, von In das vorhergehende Decennium hatte, wie ja
wo Halevy eine ganze Infchriftenliteratur zurüdgebracht hat, | wohl als befannt voranszufegen ift, die, wenn ganz zweifel
reiches und nicht fprödes Material für den Scharffinn uns | los, dann rühmliche Forſcherthat Palgrave’s gehört, der
ferer Entzifferer. Ebenſo gehört in das Jahre 1870 der | Aug durch Centralarabien 1862, ferner des franzöfiichen
Ausflug des britiſchen Capitän Miles (fpäter Friedens» | Boftagenten in Jeruſalent, jpäter Confuld in Aden Guars
richter in Aden, jegt, ſoviel ic weiß, Nefident in Mastat) | mant Eindringen im den nordweſtlichen Theil von Nediched
in Begleitung des der Civilifirung Oftafrifad zu früh ents | 1864, endlich der officielle Beſuch der Wahabi-Hauptftadt
riffenen Munzinger von der Slidflifte nach Hadramant Riñd durch den englifchen Oberften Pelly, Nefidenten im
und zwar bis Habban, etwa 32 (deutfche) Meilen landein- Golf, 1865.
wärts, Eudlich war 1870 und 1871 umfer gleichfalls ver- Aehulich wie von Malgan 1870 und 1871 im Gilden,
hängnißvoll friih aus dem Yeben geichiedener Yandsmann | hatte im Norden Wegjtein 1561 von Damaskus aus
Heinrid von Malgan von Aden aus für die Erforichung | ſich Nachrichten centralarabiicer Yandeseingeborener Über
Albr. Zehme: Aus
ihre Heimath verichafft, die er ſodann, unterſtützt von einer
umjallenden Gelehrſamleit, mit den Nachrichten der alten
arabiſchen Geographen combinirte.
Gering an Zahl, wie diefe directen oder indirecten Er—
forichungen Arabiens feit anderthalb Decennien, find auch
die Forſchungen über die Halbinfel aus dem gleichen Zeit
raume. Doch hat das legtvergangene Jahr 1875 ein mei—
fterliches Werk gebracht, deſſen Titel, zunächſt auffällig, beim
Leſen des Buches begreiflic, wird; id; meine Sprenger’&
„Alte Geographie Arabiens als Grundlage der
Entwidelungsgeihihte des Semitismus*, reich
an fritifcher Combination, freilich nicht zur Belehrung über
das heutige Arabien verfaßt, aber doc; ein Bud), an welchem
Niemand vorbeigehen kann, der des Yandes fundig werben
will. So finden der bibliſche Piſchon, Ophir, die Yoltanis
den durch Sprenger ihre arabische Heimath an den Weihraud)-
Handelöftraßen und der ganz einzig forgfältige Ptolemäus
einen feiner witrdigen Interpreten. Aber, wie gejagt, es
ift alte Geographie Arabiens, erklärt durch einen der gelehr-
teſten unter den Neuen.
Den Berfucd) eines Gefammtbildes des heutigen
Landes und Bolfes von Arabien hat während ber
jchon genannten amberthalb Jahrzehnte Baron d’April
und zwar 1868 in L’Arabie contemporaine gemadıt,
einen nicht eben geglückten Verſuch. Vielleicht lag es in des
Verfaſſers Abficht, nicht tiefer einzugehen, jedenfalls aber ift
das Buch, abgefehen von einigen hiſtoriſchen Partien, nicht
im Stande, liber ganz Arabien und zwar ordentlich zu be
Ihren. Dabei ergreife ich die Gelegenheit, die Intereſſenten
zu beruhigen, wenn fie ſich die Bibliographie des
onvrages relatifs ä l’Afrique et a V’Arabie
von Jean Gay, 1875, nicht verichafft haben: fie ift für
Arabien fehr lüdenhaft. Der Vollftändigkeit wegen muß
id; erwähnen, daß ich felber im vorigen Jahre eine geo-
graphifche und gefchichtliche Skirze über „Arabien und die
Araber ſeit hundert Yahren“ veröffentlicht habe (Halle,
Verlag der Buchhandlung des Watjenhaufes).
Bielleicht interefjirt es nun, wenn ich einige durch die
jüngste Forſchung Über das, was in Arabien ift und geſchieht,
gewonnene Nefultate und damit zufammenhängend die wahr-
ſcheinliche Beziehung Arabiens zu fogenannten orientalifchen
Tragen in kurzen Zügen evörtere. Denn in mannigfal-
tigen Formen vollziehen ſich naturnothwendig als ein
Kampf ums Dafein aud) die afiatifchen Geſchicke, jo daß es
eine nicht geringe Unkenntniß der Thatſachen verräth, wenn
alles, was von politifchen Bewegungen in Afien vom Sir
Derja bis Aden und von Herat bit Stambul vor ſich geht,
inter eine Schablone geſteckt wird, z. B. die der ruſſiſch⸗
englifchen Rivalität. Freilich giebt es eine formel, unter
welche auch alle aſiatiſchen politifchen und focialen Bildun-
gen und Zerfegungen fallen: was werth iſt zu fterben, ftirbt
und macht dem Yebensfräftigen Platz. „Nur der verdient
ſich Freiheit wie das Leben, der täglich fie erobern muß.“
So wird auch Weſtaſien, jagen wir licher dad osma-
niſche Reich, das faum jemals, ſelbſt zur Zeit feiner
Mactblüthe nicht, ein wohlorganifirtes Ganze war, feinen
nur noch jcheinbaren innern Zufammenhang bald völlig ver:
tieren, weil e8 die Werlihrung mit der im Durchjchnitt
energifchen und ihres Lebenszweckes ſich bewußten europäiſchen
Menfchheit nicht ohme Einbuße vertragen lann. Defpotie
und Faulheit hier, Entwidelung zur Gleichheit und Arbeit
dort — diefe Ghegenfäge führen, wern fie einander benadh
bart find, heutzutage ſchneller als fonft zum Untergange des
erften ber beiden Nachbaren.
Daß nun der Islam, die Religion Mohammed's oder
was im Laufe der Jahrhunderte aus ihm geworden ift, an
und über Arabien. 295
dem Berfall der geiftigen. Arbeitsfähigfeit allein oder auch
nur hauptſüchlich ſchuldig fei, Hören wir zwar alle Tage be
hanpten, aber, wie ich fürchte, ohme daß der Verweis daflir
erbracht werden lann. Wenigftens hat dev Islam in Spa-
nien beffer zu arbeiten verftanden, als der chriftliche Katho—
licismus und, worauf es hier anlommt, die jegigen Araber,
fänmtlich Moslims, wenn aud) in Omär umd anderswo
ſehr problematifcdye, haben nadı Ausweis ihrer bejcheidenen
Sefchichte feit hundert Jahren Kräfte entfaltet, die, in rech—
tes Gleis gebracht, werthvolle politifdy-praftijche Leiftungen
verſprechen. Dafür habe ich in diefer Zeitſchrift vor weni:
gen Jahren eine Anzahl von Beiträgen zufammengeftellt *).
*
— *
Hier einige weitere. Der Weſtrand Arabiens, alſo
Hedſchas, die Küſtenebene (Tehama), Aſir, Jemen, ift auf
unſeren neueſten Karten, z. B. auf der Petermann'ſchen in
Stieler's Handatlas Nr. TO (vom Jahre 1875), als zur
Türfei gehörig colorirt, und ohne Zweifel haben die Haupt-
ftationen der Hadſch- (Pilger) Route Heine türfifche Garni⸗
fonen, haben Mella und Medina desgleichen, hat Mekla
einen türkischen Paſcha-Gouverneur. Aber felbft hier in der
heiligen Stadt ſcheint der eingeborene Großſcherif (ob noch
Abdallah ebn Aun?) die wichtigere Autorität zu fein. So
fan es wenigitene v. Malkan 1870 vor, und als im Som:
mer 1875 Bewohner von Redſched, d. h. keineswegs aus
dem centralen Hochlande, ſondern aus dem niemals ala Ned»
ſched geltenden untern Schatt-Gebiete, ſich Uber den wahr:
ſcheinlich ſehr türlenfreundlichen Scheich der Monteſil be
ſchweren wollten, ſendeten ſie ihre Deputationen außer nach
Konſtantinopel auch zum Großſcherif in Mettka. Frei—
lich wird der Vadiſchah in Stambul alles thun müſſen, um
durch die Herrſchaft über die Stadt der Geburt und die des
Todes Mohammed's feiner Kalifenwiirde das entjcheidende
Charakteriftifum zu erhalten. Aber fchon einmal in dieſem
Jahrhunderte wurde der Name des Osmanen-Sultans beim
Sanzelgebet in Mekla jahrelang nicht genannt, und das
taun ſich leicht wiederholen. Denn wenn die Herrſchaft der
Osmanen, aus Konftantinopel und Europa verdrängt, etwa
nach Klein-Aſien überſiedeln jollte, jo werden dadurd) feines-
weges, meine ich, ihre Chancen auf Arabien vermehrt; im
Gegentheil, an Machtmitteln ſchwächer geworden, Fönnte fie
vorausfichtlid, in den Arabern, deren Unterftigung durd) die
Engländer ich fiir die Zukunft vorausfege, fiegreichere Feinde,
als während der legten ſechs Fahre finden,
Mekka aber bewahrt feine nun faft 13 Jahrhunderte
alte Zugfraft für die Moslims von Wadai bis Java, von
Kaſchgar bis Zanzibar: die Wallfahrt des Jahres 1875, die
1282,, zählte an 150,000 Pilger, und die islamitifche
Menschheit bringt mod; immer alljährlidy wohl an 50 Mit-
lionen Mark in die Stadt der Kaaba.
Auch das Bergland Afir wollen die Türken 1871 in
Beſitz genommen haben; fie nennen es eines der vier Pivas
des Vilajets Jemen. Das Zündwadelgewehr und die gezo—
gene Kanone find freilich leicht im Stande, die arabiſche
Reiterfühnheit und den perfönlichen Muth, der auch die Aſi—
tinen auszeichnet, zu überholen. Indeß darf, wer die Ge—
birgsnatur diefer arabiſchen Schweiz fi) vergegenmärtigt,
den Bericht bes türkischen Oberſten Hadſchi Reſchid Ben,
wie er ihn im zweiten Theile feiner „Geſchichte Jemens und
Sanaas“, Konftantinopel 1292 (— 1875), giebt, wohl mit
einigen Fragezeichen verfehen.
* ©, „Der Wababismus in Arabien feit 1819 und bie Staar
tenbildungen auf der arabiſchen Halbinfel im 19. Jahrhundert.“
„Bleobus“ XXIII (1873), ©, 344. 360 u. 379,
296
Jemen felber hat nun in der That feit dem 14dmonats
lichen Feldzuge von 1872 türfifche Garnifonen , befonders
in den uralten Sanaa, der natürlich gegebenen Hauptftadt
des neuen Bilajets, weldye die Tiirfen im Mai 1872 ohne
befondern Kampf befegten. Daß der ganze Often des Yans
des — das Hauptgebiet der Halevy'ſchen Entdedungen —
von einer turtiſchen Armee nidyt oecupirt worden ift, vers
fteht fich für den Kundigen von jelbft. Auch der Berſuch
der Türken auf Lahedſch (micht weit von Aden) 1873
mißgliidte in Folge der drohenden Haltung der Engländer
gänzlic), jo dag es eine offenfundige türkijche Auffchneiderei
ift, wenn ımter den eroberten Gebieten and) Lahedſch von
Seiten ber türfifchen Gewährsmänner dem öfterreichifchen
Militärattahhe in Konftantinopel, Major zur Selle, ger
nannt wurde. Noch dreifter ift die Unmmahrheit in Bezug
auf Nedſchran.
Der türfifche Bejig von Sangaa verspricht von kurzer
Dauer zu werden. Schon Ende 1874 find ernfte Unruhen
ausgebrochen, bei denen die türkiſche Garnifon namhafte
Berlufte erlitt. Im October 1875 wurde freilid, die Ab-
ficht des in Iemen „commandirenden Generals“ pomphaft
nad) Konftantinopel gemeldet, Sade, Jam, Marib (alfo
den Oſten) aud) noch zu erobern, wobei denn der übrigens
maßvolle Pera-Correjpondent der Augsburger Allgemeinen
Zeitung nicht umhin kann, die Berfehrtheit diefer ſinnloſen
Eroberungsgellifte zu Tennzeichnen, während die Zuſtände
nad) dem Einbruch der Türken in Jemen troftlofer ſeien,
als vorher, was viel jagen will, Daß diefes Volk keine
Gultur bringt, verfteht fich von ſelbſt. Im Februar 1876
fam ferner die Nachricht nach Konftantinopel und zwar
durch Telegramm, daß die „laiſerliche Erpeditionsarmee“
den Stamm der Benu Haſchid befiegt und vollftändig untere
worfen habe. Der Hauptort, Sava, fei bejegt und probi«
ſoriſch befeftigt worden; auch noch weiter in das Innere
biefer ausgedehnten Provinz ſeien die Truppen vorgegangen.
Mir jcheint diefe Nachricht echt türkiſch; weder Niebuhr
noch Halevy, die beften Kenner Jemens, geben einen An-
halt für die genannte Dertlichfeit; die Haſchid aber find
nach v. Maltzan vorziiglic die Dſu-Mohammed und die
Dfu-Hofein, und daß diefe erobernden Zeiditen (Name einer
in Jemen ſeit Jahrhunderten heimifchen religiöfen Partei)
von den Türken fo leicht durch Befegung irgend eines Pros
blematifchen Dorfes follten befiegt worden fein, ift ſchwer zu
glauben. Jedenfalls ift die große Kriegsthat in einer für
die europätjche Wiſſenſchaft merlwürdig unbekannten Gegend
vor fidh gegangen.
Wenn ic nun weiter zur Sudkuüſte übergehe, fo habe
ich vorhin ſchon angedeutet, daß die Nähe der Engländer
in Aden dem feinen Sultanat der Abädel, Lahedſch,
eine werthvolle Sicherheit gegen die oomaniſchen Großmachts⸗
gelüfte verſchafft. Darltber habe ich in dem oben genannten
Buche genauer berichtet. Die Wichtigkeit Udens für den
zufinftig entſcheidenden Einfluß Englands an der Weit:
und Stdfüfte Hrabiend, wie die von Maskat an der Oſt—
füfte, braucht nicht weiter erörtert zu werden. Perim in
der Bab-el-Mandeb:Enge und die feit Kurzem fo nut wie an
England abgetretene Infel Sofotora ſiud die lügel dies
fer feften Pofition, Das weit blidende Verfahren der Engs
länder ift, daß fie den Heinen Sultanen gegen eine Jahres:
vente ihre Sonveränetät in answärtiger Politif abnehmen,
übrigens alle einheimischen Gewohnheiten, ſociale und poli-
tijche, unaugetaſtet laſſen. General Schneider, der mehr-
jährige Gouverneur in Aden, fcheint hierfür die rechte Per:
ſönlichteit geweſen zu fein, feft und menſchenfreundlich,
immer fchlagfertig gegen die türfifchen Anmaßungen und
ein weifer Freund der Araber. Im October vorigen Jahres
Albr. Zehme: Aus und über Arabien. -
zeichnete übrigens der Prinz von Wales bei feinem eintägi-
gen Aufenthalte in Aden, gelegentlich der Reife nad) Indien,
den Abadel-Sultan — es wird nod) Fadl fein, Regent feit
1866 — durd; eine Ehrenmebaille aus.
In wieweit die ägyptifhen Eroberungsverfucde
an der afrifanifchen Küfte in ben Eomali-Yändern Ein:
fluß auf Südarabien haben werden, läßt fich mod) nicht fber-
fehen. Die finanzielle Bedräugniß des Chedive Jémail
wird vor der Hand wohl die großen Pläne etwas zu vers
tagen zwingen.
Weiter gehend nad) dem eigentligien Hadramant
brauche ich über die jungen etwa feit 1869 bdatirenden
Stantenbildungen von Malalla (49° 13° öftl. v. Gr.)
und Schehr (49° 40° öftl. v. Gr.) hier nicht zu fprechen;
ich habe c8 im oben genannten Buche gethan. Ob die Sache
glüdt, weiß man freilich nicht, da dauernde politiſche
Schöpfungen hier im Süden noch micht möglich zu fein
ſcheinen.
So lommen wir denn nach Omän, deſſen nahe Bezies
hungen zum engliſchen Gouvernement in Indien belannt
find. Im Jahre 1873 ſchloß Namens der engliſchen Res
gierung der verdiente Staatsmann Sir Bartle Frere
gemeinjchaftlich mit Oberſt Pelly den Bertrag vom 14.
April mit dem Sultan von Masfat, Turki, dahin, daß
fein Sklave in Maskat gelandet werden dlirfe, ſowie am
5. Juni deflelben Jahres der Bruder Turli’s, Burgaſch
ebn Said, Sultan von Zanzibar, devfelbe, welcher voriges
Jahr Yondon befuchte (nicht Medſchid, wie ich in meinem
Bude angenommen habe, da diefer bereits 1870 geftorben
war), ſich dem englifchen Unterhändler gegenüber verpflichtete,
den Sflavenhandel in feinem Gebiete aufzuheben. Nach
den mir belannt geworbenen neueften Nachrichten ift Turki,
wie es ſcheint, vor einen Krieg mit feinem Halbbruder Ab-
dulogig geftellt, der fi, während Turki feit 1870 jenfeits
des Golfs in Gwadar (im füdlichen Belutfchiftan) fich auf
gehalten hat, eines feften Platzes im Innern Omäns feit
Kurzem bemäctigt haben fol. Zugleich läuft jegt der
20jährige Vertrag zwifhen Omän und Perjien
ab, welcher dem Sultan von Masfat den Küftenftreifen um
Bender Abbas fir jährlich 150,000 Marf zur jonveränen
Benutzung verpachtete. Lebrigens find die Engländer offen-
bar Willens, den osmanischen Sultan, der nad) Anficht der
engliſchen Offiziere ein tapferer und ſchlauer Herrfcher ift,
fräftig gegen inländiſche Unruhen zu unterftügen. Mass
fat iſt eben jr Großbritanniens orientalische Politik ebenfo
wie Aden unentbehrlich und wird feine Nolle zu fpielen ha—
ben, wenn etwa die Yiquibation der Türkenherrſchaft am
Ausflug des Schatt vor ſich gehen follte, Und Perfien?
Auch dieſes unglüdfeligen Staates Zukunft hat begreiflicher
Weife für alle Küftenländer des Goljs Wichtigfeit.
Hier am Perfifchen Golf ift auf der oben angeführe
ten Stieler'ſchen Karte ein bedeutendes Stüd Arabiens als
türfifches Beſitzthum colorirt. Es ift das, was bie Türfen,
wie ſchon angedeutet, mit gänzlicher Verlennung Nedſched
nennen. Diejer Hüftenftreif, ala el-Haſa befannt, ift no-
minell durch die Titrfen 1871 von Bagdad aus erobert
worden, eine im ihrer Bedeutung recht problematische Erpe-
dition , Über welche ich in meinem Buche bas Nähere beige-
bracht habe. Jedenfalls hat die mit Stambuler Trompeten:
ftößen angeflindigte Großthat „der Eroberung des Waha-
bitenlandes“ nicht weit ins Innere gereicht und von einer
Unterwerfung des eigentlichen Nedſched ift niemals auch nur
ein Buchſtabe wahr geworden. Im Gegentheil dürfte bier
die Stelle fein, wo die geringfligigen türkiſchen Streitkräfte
am eheften von dem etwa gewonnenen Boden Arabiens wer-
den weichen müſſen, wofern in Riad, d. h. im Wahabis
3. Mestorf: Ein Grabmal eines altnorwegiſchen Seefönige.
ftaate, auch weiterhin Regenten, mit der traditionellen Ener-
gie ausgeſtattet, am Nuder bleiben.
So hat es auch fiir die Selbftändigkeit des eigentlichen
Arabiens feine Bedeutung, daß im Sommer 1975 bie
„Provinzen“ Basra, Nedſched, Montefif (ein halb
turfifirter Araberftamm mit dem Hauptort Subk-e⸗Schiuch
an einem Euphrat:Urme), Hille und Amara vom Generals
ouvernement Bagdad abgetrennt und zu einem bejondern
Silaiet „erhoben“ wurden, deſſen Statthalter der Scheich
der Montefit, Naffir Paſcha, geworben fein fol, Daß liber
diefen Naffir die arabifchen Stänme im nmordöftlichen Hafa
(die Turlen fagen alfo, des Nebfcheb) beſchwerdeführend fich
aud an den Großſcherif nach Mekta gewendet, habe ich
297
oben erzählt. Ich denke mir als möglich, daß der osmani—
ſirte Montefik ſich, ähnlich vielen Apoſtaten, in Feindſelig—
keiten gegen ſeine eigentlichen Stammesgenoſſen hervorgethan
haben mag. Intereſſant iſt dabei, daß der Großſcherif in
Mekka den Arabern, felbft fo fernwohnenden, als ein wid)
tiger Vertreter ihrer Wunſche und Bedurfniſſe erfcheint.
Dies hatte ich über die neueften Entwidelungen in Ara—
bien vorzutragen ; auf Vrophetien fir den Wall, daf bie
Engländer im Rothen Meere, an der Südfüfte und im Pers
ſergolf in erhöhte Action treten, verzichte ih. Nur das
weiß ic, daß eim fo hochbegabtes Volk, wie die Araber,
noch nicht ihr letztes Wort in der Geſchichte des fildweft-
lichen Ajiens gefprodjen haben können.
Ein Grabdenkmal eines altnorwegifhen Seekönigs.
Bon I. Mestorf.
Durch die Unterfuchung zahlreicher Grabdenkmäler aus
vorhiftorifcher Zeit iſt erwieſen, daß in Norddeutjchland und |
Standinavien (der fogenannten nordifchen Culturgruppe) |
die Sitte der Leichenverbrennung erft auftrat, als die Bee
wohner diefer Pändergebiete bereits mit metallenen (bronze⸗
nen) Waffen und Geräthen verforgt waren. Später, und
zwar von der frühen Eiſenzeit bis in die chriftliche Zeit Hin-
ein, finden wir Peichenverbrennung und Leichenbeerdigung
neben einander.
herrſchten beide Begräbnißweiſen gleichzeitig, ja bei den itali—
ſchen Bölfern in vorrömifcher Zeit. Ein dänischer Archäologe
(Dr. Sophus Müller) ſuchte lürzlich aus den Grabalters
thlimern ber oben bezeichneten Culturgruppe zu beweifen, daß
im Beginn der Eifenzeit die Peichenverbrennung noch allger
mein Üblich geweſen, die Sitte die Tobten zu beerdigen dahin:
gegen erft mit einem aud) nach anderen Richtungen ſich
fühlbar machenden römischen Einfluß auftauche, wohingegen
Profeffor Engelhardt (Kopenhagen) die Verſchiedenheit
der Begräbnißceremonien auf localen Brauch zurlidführt.
Die Frage fteht bis auf weiteres offen; Thatſache ift, daß
auc) in Norwegen bis im die chriftliche Zeit hinein beide
Gebräuche nebeneinander ſich behaupteten, Am Drontheimer
Ford z. B. findet man auf dem Borlande der Küſte die
unverbrannten Gebeine der auf ihren Schiffen im Hligel
beftatteten Seehelden, während am innern Ufer der Leichnam
ſammt dem Fahrzeuge verbrannt worden und ein Hligel
über den verfohlten Weberreften aufgeworfen ift.
Aus den Sagas lafien ſich Belege für beide Bräuche
herbeibringen. ver Mythos von Baldr giebt uns eine
ſchöne —E der Ceremonie des Leichenbrandes. Eine
gleiche Leichenfeier ordnete der auf dem Fyriswall (bei Upp—
ſala) töbtlich verwundete Hale von Hördaland an. Er befahl,
ihn auf ein mit gefallenen Männern und Waffen angefülltes
Schiff zu tragen, die Segel zu hiſſen, das Steuer jeewärts
zu richten und dann das Schiff in Brand zu fteden. Ein
frifcher Wind führte das in Flammen auflodernde Drad)-
Schiff hinaus aufs Meer, wo es ſammt dem tapferen Helden
in die Fluthen verfanf.
Die eddiſche Brunhild giebt ausführliche Befehle, wie
man für fie und Sigurd den Holzftoß herrichten foll. Auch
BDeowulf wurde von dem trauernden Freunden auf den Holz-
ſtoß getragen und feine Ueberrefte, wie er gewlinfcht, im
einem Hligel an ber See beftattet.
Globus XXIX. Nr. 19.
Schon bei den Griechen und Mömern |
Andere Sagen ſchildern den Ritus der Yeichenbeftattung.
In dem Eddaliede von Helge ift freilich nicht ausdrücklich ge»
fagt, daß er unverbrannt in den Hligel einging, allein die
Beichreibung wie er bei Nacht aus Walhall daher reitet und
in den Hügel einfehrt, und die Klage der treuen Sigrum:
das Haar ift Dir, Helge, in Angſtſchweiß gehüllt, ganz mit
Grabesthau Übergoffen der König, die Hände find urfalt,
deuten micht anf Leichenbrand. — Als der Iländer
Grette an der norwegischen Kite Schiffbruch gelitten hatte
und bei Thorfinn auf Windheim den Winter über gajtete,
ſah er Licht auf dem Hügel, in welchem Kar, der Bater fei-
nes Gaftfreundes, beftattet war, „Da liegen Schätze,“
ſprach er und erbot fich diefelben zu heben, Erft ſtieß man
auf eine aus Holz gezimmerte Kammer, und naddem man
einige Balken ausgehoben, erblickte man den todten Kar auf
einem Stuhle figend, die Füße auf einer Kifte ruhend, in
welcher feine Schäge bewahrt lagen. Neben ihm lag fein
Roß und fein kurzes ſcharfes Schwert. Hroar, der Sohn
bes Harald Jarl von Gotland, hatte fich am Julabend beim
Ehergelübde vermeſſen, den Hügel des Cote zu plünbern.
Die kühnen Hligelbrecher fanden den berlichtigten Wifing in
feinem Schiffe figen. Den Foftbaren, berlihmten Goldring
trug er am Arm. Hörber, der treue Waffenbruber Hroar’s,
ftieg zuerſt hinab. Einen furchtbaren Ringkampf hatte er
zu beſtehen, bevor es ihm gelang dem Todſen das Kleinod
vom Arm zu reißen.
Nach einer alten Aeberlieferung führte Odin dem Peichen-
brand ein, und erft nachdem Frey zu Uppfala unverbrannt
im Hügel beftattet worden *), fand auch diefe Sitte Eingang.
Ob bem verjchiedenen Ritus ein verfchiedener religiöfer Euf«
tus zu Grunde lag? Ob etwa bie Odinsverehrer ihre Tod:
ten verbrannten, die Diener des Frey unverbrannt beerdigt
wurden? Daß hier diefer, dort jener Aſe Landaſe war, daß
gewifle Berfonen einem Afen vorzugsweiſe dienten, ift aus
den Sagas befannt genug.
Das reichſte Material zu umfaſſenden Studien der Grab—
gebräuche im der Iegten heidniſchen Zeit befigt Norwegen,
*) Wei der Aufgrabung ber Rönigsbügel zu Alt⸗Uppfala ftellte es
ſich inteffen heraus, daß diefe Tradition nicht bis auf die Errichtung
ber Hügel zurüdreicht, indem Spuren und Müdftänte eines gewals
tigen Brandes (des Leihenbrandes) in denfelben gefunden wurden.
(8.3. Mestorf, Der archäologiſche Gongref in Stodholm. Hame
burg 1374.)
38
298
wo man bei der Aufdedung der unzähligen Grabhügel bald
diefe, bald jene alte Sage gleichſam im Bilde veranschaulicht
findet. Bor Jahren fand man in einer Steinfammer zwei
Yeichen in vollem Kleiderſchmuck auf hölzernen Stühlen figen.
Die Skelete und die Stühle zerfielen in Staub; die Schmuck⸗
ſachen, welche mod) in den Kleidern hafteten, werden im alt
nordifhen Muſeum in Kopenhagen bewahrt. Ueberreſte
folcher in Gräbern gefundenen gedrechſelten Holzftühle ficht
man im den norwegiſchen Sammlungen. Bieweilen findet
man die Leichen im den gezimmerten Holzfammern, in fofts
baren, golddurdwirkten Gewändern auf ſchwellenden Polſtern
ruhend, umgeben von Waffen und Hausgeräth; felbft die
Wachskerze, weldye während der Beflattung gebrannt zu
haben fcheint, wurde mehrfach, gefunden. Die interefiante:
ften Beſchreibungen folcher Gräber mit ſchönen Abbildungen
gaben Worfaae im feinem Berichte über ein Grab zu
Mammen in Püitland (Aarböger 1869) und Kornerup
in feinem Vrachtwerle über die Königsgräber zu Yellinge in
Irland (Kopenhagen 1875). In Norwegen und Schwe—
den find dahingegen die Beifpiele der Scifföbeftattungen
häufiger, indem man bald die Ueberrefte des von einem Hl:
gel bederften, bald die Spuren eines verbrannten Schiffes
findet,
Ein höchſt interefjantes Bild von einem ſolchen Begräb-
niffe gewährt ein von bem norwegiſchen Archäologen !orange
1874 geöffneter Grabhligel auf Möfflebuft im Bergenhuus
Amt, weiches wir in Kürze befchreiben wollen *).
Diefer Hligel liegt auf einer vom Meeresftrande ſanft
anfteigenden Ebene, welche freie Ausſicht auf die See ge
währt, vom Yande aber durd) eine terraffenförmige Boben-
formation abgejdjloffen ift. Die Höhe des Hügels betrug 12
Fuß, der Durchmeſſer 92 Fuß. Rings um denſelben zieht
ein nod) jegt 12 Fuß breiter und 3 Fuß tiefer Graben,
über den an der Süd- und Woeftfeite brüdenartige Erbflil-
lungen zı dem Hligel führten, Im Innern beflelben war
über den gewachſenen Boden eine mit Knochenſplittern und
Erde vermifchte Kohlenſchicht audgebreitet, die, Über die Ber
vipherie des Hligels hinweg reichend, in der Mitte am ftärt-
ften war, Ueber diefer unterften Kohlenſchicht lag weißer
Sand umd über diefem zog bogenartig eine zweite Kohlen-
und Snochensplitterichicht, welche, in der Mitte 8 Zoll hoch,
nad) dem Rande des Hligels abflachte und ſich dort in die
untere Schicht verlor. Auf diefem Oval von 28 Fuß Länge
und 14 Fuß Breite lagen eine Menge der verſchiedenſten
Gegenftände umhergeſtreut, welche deutlich erkennen ließen,
daß hier einft die Leiche eines hochangefehenen Wilings auf
einem Schiffe verbrannt worden war.
Das Schiff war zu dem Zwecke and Land geholt und |
wie zu einer fröhlichen Fahrt gefhmlidt worden: der Maft
gerichtet, die Segel aufgezogen, die Schilde ringsum an den
Reling gehängt. Waffen, Kleider und Geräth waren zu
Haufen getragen, das prächtig gezgäumte Roß aufs De ger
führt, Nur die hohe Geſtalt des weit im Norden befann+
ten Führers vermißte man am Steven, von wo er fonft die
Rüftungen zu neuer Heerfahrt geleitet hatte. Bleich und
regungolos, in fofibare Gewänder gefleivet, ward er von
treuen Waffenbrüdern herbeigetragen, dann wurben Feuer—
brände in die unter dem Fahrzeuge aufgejchichteten Holz:
ſcheite gejchleudert und das Ganze den Flammen preis
gegeben.
Nachdem die Gluth gelöfht, war man zu dem ziveiten
Act der Todtenfeier geſchritten. Die verbrannten Gebeine
*) Verl. U. orange, Samlingen af Norste Ofdfager i Ber:
gens Mufeum. Bergen 1876. &. 153 bis 161 und Norsfe Nars-
beretming f. 1874. Xaf. VII, ©. ©.
I. Mestorf: Ein Grabmal eines altnorwegiichen Seetönigs.
waren gefammelt und, nicht gefäubert, wie in früheren Zei-
ten üblich, fondern mit Kohlen und Afche in eim flaches
Bronzegefäß gethan, danebft 2 Kämme, 3 Würfel und
6 Beettfpielfteine von Bein, geſchmolzener Bronzefhmud,
eine fcheibenförmige Verle von dunklem Glaſe mit weißen
Wellenlinien, verfchiedene zerftörte eiferne Geräthe, ein eifer-
ner Scylüffel und eine eiferne Pfeilfpige. Darauf war das
Gefäß mit 12 Schildbuckeln zugededt worden, welche jegt
bei der Aufgrabung fo feft an einander und an den Rand
des Sefäßes geroftet waren, daß man, um den feltfamen
Dedel nicht zu zerftören, behutſam den Boden Löfte, um den
Inhalt zu unterfucen. Diefe als Offuarium benutzte
Bronzeſchale war in eine im den Boden gegrabene Grube
gefegt. Ueber derfelben lag cin Pferdegebik und barliber
ein Klumpen zufammengerofteter Waffen: Schwerter, Speere,
Schildbuckeln; ferner eine Art, acht Pfeilfpigen und andere
Eiſenſachen, die wahrfceinlic in einer Schiffsfifte gelegen
hatten, deren Beſchläge daneben gefunden wurden, und zu
weldjer auch der Schlüffel gehört haben dürfte, welcher mit
den Gebeinen des verftorbenen Eigenthitmers in das Grab»
gefäß gelegt war. Neben diefem fand man ferner in ein
ungegerbtes Ziegenfell gehitllte unverbrannte Thierfnochen,
vielleicht der Antheil des Todten an dem Veichenmahle oder
die Wegeloft auf der legten Fahrt. Endlich waren fiber
den Boden bes Hügels eine Menge Gegenftände auögeitreut:
Hunderte von Schiffenägeln und Bolzen, Beſchläge, Maft-
ring, Anferhafen, 42 Schildbudeln und fonftiges Geräth.
Deutet ſchon die Herrichtung einer fo lururiöfen Leichen:
feier darauf bin, daß hier einem angefchenen Manne die
legte Ehre erwiefen worden, wohl einem jener fampfluftigen
Seelönige, welde nie unter rußigem Dache ſchliefen und
mit ihren Drachſchiffen die See beherrſchten, fo wird dies
durch die Koſtbarkeit des Gefüßes, in welches man feine
Gebeine gefammelt, beſtätigt. Es iſt ein Modes emaillir-
tes Bronzegefäß, eine frembartige Erjcheinung im Nor-
den. Inwendig am Boden und unter dem Boden ift ein
mit Schmelz geichmlicdter Ring eingelegt und mittelft dreier
Nieten befeftigt. Inwendig ziert den Boden nod) ein email-
lirter dreiblättriger Stern und ſeitlich am Rande find zwei
viereclige Schilder angebradjt. Hinfichtlich der Technit und
der Farben (blau, weiß, gelb und roth) gleicht dieſes Email
demjenigen, welches vw, Cohaufen im feiner hübjchen Ab-
handlung in den Annalen des naſſauiſchen Vereins Bd. XII.
römifhen Schmelzſchmuck nennt, und von Bucher (Ge:
ſchichte der techniſchen Kunſte Bd. 1.) als barbarijcher
Grubenſchmelz bezeichnet ift. Herr Lorange ficht im
dieſem Vrunfgefäß ein Beuteſillck nordfranzöfiichen oder bei
gichen Urfprunges. Daß es von dort als gute Beute nad)
dem Norden geflihrt worden, ift immerhin möglich; da in-
defjen von Sadjtundigen bewiefen wurde, daß die Emaillir-
funft erft im 12. Jahrhundert nach Frankreich verpflanzt
worden, jo dürfte e8 eher als ein Product cheinifchen, nad)-
römischen Kunftgewerbes zu betrachten fein; es fei dem,
daß in Belgien bie Emaillirkunft ebenfo frühzeitig florirte, ale
auf deutichem Boden.
Auf den einander gegenüberftchenden, unterhalb des wulſt⸗
artig umgebogenen Randes angebraditen Schmelzſchildchen
ruht ein bärtiger Männerkopf, unter demfelben ragen zwei
Beinen hervor, fo daß die ganze Figur eine unförmliche
Menfchengeftalt bildet von 68 Millimeter Höhe, wovon 34
Millimeter auf den Kopf, 21 auf das vieredige Schmelz«
ſchildchen, 13 auf die Beine fommen.
Diefe unproportionirte Fleine Figur wird niemand einem
römifchen Künftler zujchreiben wollen. Das Emailſchild iſt
in neun Felder abgetheilt, welche nicht durch Metallſtege,
fondern durch gelbe Schmelzbänber gefondert find. Im den
Ueber das Ihierleben des untern Obi und einige meteorologiſche Erfcheinungen im Kariſchen Meere.
Feldern der Bodenringe bemerkt man feine Mittelftege *).
Die Füllung derfelben dürfte zum Theil durch die Anwen«
dung eines Kunftgrifjes bewertitelligt fein, welchen v. Cohau:
fen a. a. O. ausführlich befchreibt. Die Reinheit der Zeich—
nung und die Gleichmäßigkeit der feinen Schachbrettmufter,
Blättchen und Tupfen wurde nämlich dadurch hergeftellt,
daß man Meine mofaifartig gemuſterte Glasfritten im den
noch feuchten Schmelzichlamm drüdte und nad dem Ein«
ihmelzen die Platte abſchliff. Die gemufterten biinnen
Blättcyen aber wurden dadurch gebildet, dag man bünne
Glasſtäbchen verſchiedener Farben an einander legte, zuſam⸗
menſchmolz und zu belichiger Feinheit auszog und danadı in
dünne Querſchnitte zerlegte, welche das durch beliebige An⸗
ordnung ber farbigen Stäbchen gebildete Mufter in voller Rein⸗
heit zeigten. So ward es möglich, die zarten hübſchen Muſter
zu bilden, welche dem rheiniſchen Grubenſchmelz eigen find.
Iſt es geftattet Über einen Gegenftand, den man nicht
jelbft gefehen, nur nad, Abbildung und Beſchreibung zu urs
theilen, jo möchte ich das Möfllebufter Bronzegefäß fir viel
älter erllären, als die Übrigen Gegenftände, mit melden es
aus dem Grabe gehoben ward, Herr Lorange fegt letzleres
in die jüngere Cifenzeit, und zwar, im Hinblid auf die
Formen dev Waffen und Geräthe, mit vollem Recht. Das
mit Schmelz verzierte Gefäß ift, wie Stil und Technil bes
*) Hinter den feitlih am Rande angebradten Schmeliſchildern
befinten ſich Deffnungen yum Durchgieben eines Riemens, an bem
bas Gefäß getragen ever aufgehängt fein mag, da bas unten am Bo—
ten angebrachte Email durch das Mieterfegen mebr oder minder Scha—
den nehmen mußte. Diefe unzwedmäßige, auf echt barbarifche Prunt»
ſucht hindeutende Ausichmüdfung dese Vorens, ſewie ter Umſtand,
daß die Guuben zur Aufnahme des Schmelzes nicht in die Wanbuns
gen des Gefäßes gegraben waren, fondern bie emaillirten Ringe auf
das Gefaäß aufgenieret find, laffen Zweifel auffommen, ob dieſelben
urfprünglich für dieſe Brongeihale beſtimmt geweſen.
299
zeugen, fein einheimifches Fabrikat. Daß es nicht byzantinis
ſchen Urſprunges ift, beweift der Umftand, daß die emaillirs
ten Ornamente nicht in Zellenſchmelz, jondern Gruben:
ſchmelz beftchen. Mit größerm echte darf man bie
Werfftatt, aus der es hervorgegangen, am Rhein fuchen, von
wo manches ber berühmten Erbfleinode herftammen mag,
welches nach dem Norden geführt dort von Geſchlecht auf
Geſchlecht forterbte, als „der Enzen Altwerk“ bewundert
und in Sage und Lieb hoch gepriefen wurde; denn, wiewohl
mir feine Sage befaunt, im weldyer von einem ähnlichen
Prunfgefäße die Rede ift, fo nehme ich doch nicht Anftand,
es jenen Kleinoden gleichzuſtellen, die, wie die Goldringe
Sote's, Fridthiof's und Beowulf's, ja wie das Brifingamen
und anderes Awerggefchmeide durd die Sagen der Alten
auch uns befannt geworden, und denen noch immer ein ge
wiffer märchenhafter Zauber anhaftet,
Mit Schmelz verzierter Schmud ift ſpärlich mach dem
Norden gefonimen. Das Kieler Mufeum vaterländifcher
Alterthlimer befigt eine einzige Bronzefibula, deren mit
Schmelz verzierte Dedplatte zerftört oder verloren gegangen
if. Im altwordifchen Muſeum in Kopenhagen findet man
eine ſchöne emaillirte Bronzefchale, die in Jütland 6 Fuß
tief im Moor gefunden wurde (befchrieben von Engelhardt
in den Aarböger f. nord. Oldfyndighed 1868), und vier email-
lirte Spangen aus dem großen Moorfunde in Vimofe auf
Fünen. In Norwegen wurde ein Gewicht mit einer email-
lirten Dedplatte im Stavanger Amt gefunden; aus Schwe⸗
ben find nur einige mit einfarbigem Glasſluß verzierte
Scmudgegenftände befannt. Als fremdartige Kunftproducte
fallen diefe Gegenſtände im dem norbijchen Sammlungen
fofort ins Ange, und gewinnen Intereſſe als Zeugniſſe
eines mehr oder minder vegen Verfehres mit fern gelegenen
Ländern und Bölfern,
Ueber das Thierleben des untern Obi und einige meteorologifche
Grideinungen im Karifhen Meere.
In der auferordentlichen Sitzung der Gefellichaft zur
Förberung ruſſiſchen Handels und Anduftrie, welche zu Ehren
der Bremer Forichungsreiienden (f. oben S. 123) am 14. März
d. J. im Petersburg abgebalten wurde, ſprach aufier Heren
N. Latkin, welder uns feinen Vortrag über den Obt und
fein Flußgebiet ſchon gütigft zur Verfügung geftellt bat (ſ. oben
Nr. 16, 5. 354 f), Herr M. Sidoroff über die oben be;
zeichneten Themata. Da derjelbe den Latkin'ſchen Aufſatz in
mancherlei Hinficht ergänzt, jo machen wir gern von ber
freundlichen Erlaubniß des Vorftandet des „Vereins für
die dentiche Norbpolarfahrt in Bremen“ Gebrauch und legen
biermit aus deſſen „Protokoll der 39, Verfammlung, am 4.
März 1876*, unferen Leſern den Sidoroff'ſchen Vortrag vor.
Jener Verein bat fich die große Aufgabe geitellt, geograpbi:
ſche Eutdetungs: und Forichungsreilen nach dem Norden
unferer Erde zu veranftalten und deren Nefultate herauszu—
geben. So bat er die zweite deutiche Nordfahrt ausgerüſtet
und deren Ergebniffe in zwei Ausgaben, einer großen willen:
ſchaftlichen und einer kürzern populären, veröffentlicht; fo
bat er jegt, durch Nordenſtiöld's glüdliche Fahrt nach dem
Jeniſſei (j. oben S. 121) veranfaft, die drei Reifenden Dr.
Brehm, Dr. Finish und Graf Waldburg-Zeil nah Weft:
fibirien entfandt, wo ihre Hauptaufgabe in der Erforſchung
der Natur: und Handeläverhältnifie des Obi-Gebietes be-
ftchen fol. Dabei ift der Verein lediglich auf private Unter:
ftüßungen angewielen und befindet fich nicht in fo alüdlicher
Lage wie die Afrikanische Gefellichaft, welche Jahr für Jahr
die namhbafteften Beiträge vom Dentichen Neiche beziebt. Much
die Koften der) jetzigen fibiriichen Neife lagen nicht baar in
feiner Caſſe, wenn fie auch durch Garantien von Bremer
Mitgliedern gefihert waren, al& das Unternehmen beſchloſſen
wurde Wöllig unerwartet traf dann ſechs Tage vor der
Abreife der Herren Finſch und Brebm die reiche Gabe des
Herrn Sibiriafoff (irren wir wicht, im Betrage von 25,000
Rubel) ein. Die bisherigen Leitungen des Vereins berech—
tigen benjelben unbeitritten zu dem Anſpruch auf Unter:
ſtützung, namentlich durch Beitritt und Beiträge,
Nachdem Sidoroff kurz das mächfte Ziel der Bremer
Reifenden, Barnaul, gejchildert, wendet er fich zu dem untern
Obi:Laufe und der Mündung, wo die Erpebition ihre Reiſe
beichließen wird,
*
= E
An der Soswa, unweit ihres Zuſammenfluſſes mit dem
Obi⸗Strom, unter 64° nörbl. Br, befindet ſich das Heine
aber in der ruffischen Geſchichte wohlbefannte Städtchen
Bereſow. Diefe Stadt zählt gegen 1700 Einwohner,
39*
300
deren Vorfahren größtentheil® aus ben Gouvernements Kar
jan, Wjätfa und Perm hierher Überfiedelten. Sie hat weder
ein naturwiſſenſchaftliches Mufeum, noch eine Bibliothek,
noch Lchranftalten. Doc; auch hier bietet die Natur viele
Erzeugnifle, welche einer naturwiſſenſchaftlichen Unterfuchung
werth find; jo 3. B. enthält der Fluß Sodwa eine beträcht⸗
liche Menge foldyer Fiſche, wie fie in den fibrigen Flüffen
Sibiriens, fo viel belannt, nicht vorfommen. Diefe Fische
werben dort Häringe genannt, aber fie unterfcheiden ſich von
den Häringen fowohl durch ihre Geſtalt als auch durch
ihren Gefchmad. Weiter nad, Norden an den Miündungen
des Obi⸗Stroms werden viele Störe gefangen. Peter der
Große verfandte aus Archangel den aus Stören gewonnenen
Leim. Im Jahre 1703 wurde ein Schiff aus Archangel
nad) Holland abgefandt mit einer Ladung von 9307 Pub
dieſes Yeims. Um denfelben zu erzielen, bedurfte man nicht
weniger denn 300,000 Störe, Im Jahre 1869 ſah ich,
wie die dortigen Eingeborenen auf zwei Renthieren aus Ob:
dorot nach, Oranez an der Petſchora einen Stör von unge
wöhnlider Größe brachten, derjelbe follte nad) ihrer Ungabe
egen 14 Pub Gewicht haben. Dort fommt eine Menge
Diodfuns vor, ein Fisch von der Art des Schnäpels, welcher
in den übrigen Flüſſen Rußlands und überhaupt Europas
ſich nicht findet. Man fängt hier Tſchieren, Störland,
Quappen, Hechte von 2 Pud Gewicht, ſibiriſche Lachſe,
Barſche, Braflen, Häringe und andere Fiſche.
Ich Schließe einige Bemerkungen über den Fiſchfang nad)
ben Mitteilungen von Reijenden an. Der Obi und fein
Stromfyftem bieten allenthalben geeignete Stellen für den
Fiſchfang, und je näher man zu der Obi-Mitndung kommt,
defto größere Mengen von Fiſchen trifft man an. Die Obi-
und Taas · Muündungen haben jo zu jagen Sammelpläge von
Fiſchen. Von der Mündung bis zum Meere ift der Fiſch—
reichthum noch größer. — Der Obi-Strom fol, wie man
fagt, gegen Winter „erfterben“, das Waſſer geht unter dem
Eife dermaßen in Fäulniß fiber, dag die Fiſche darin nicht
mehr leben fünnen, fie gehen zum Meerbufen oder im die
benachbarten Gebirgaflüifle, wolelbft fie überwintern. Ob
diefe Erſcheinung des fogenannten Erſterbens bes Obi⸗Stroms
von der höchſt geringen Senkung des Flußbettes herrührt,
welche auf je 10 Werft bloß einen Fuß beträgt, und dieſe
ſchwache Strömung die Zerfegung von ſchwefelſauren Sal-
zen begünftigt, mit denen bie Erde der Salzſteppen gefättigt
ift, oder ob fie im dem völligen Einfrieren des fehr flachen
Waſſers des ObisBufens (6 Fuß tief laut Karten) ihren
Grund hat, lann nur durch wiſſenſchaftliche Beobachtungen
entſchieden werden. Während der Ueberwinterung der die
in den Gebirgafläfien, im friſchen Waffer, braucht man bloß
eine Oeffnung in das Eis zu hauen, um alle in der Nach—
barjchaft befindlichen Fiſche an die Oberfläche zu locden, wo
fie Yuft ſchöpfen. Dean kann fie dann in beliebigen Mens
gen herausfiſchen. — Aber kaum haben die Frühlings
gewäfler auf den Obi-Strom eingewirft und die Eisdecke
geiprengt, welche hier eine Stärfe von 7 Fuß erreicht, jo
beginnt auch das Volt der Fifche feine Wanderung den Obi-
Strom hinauf. Solange noch das Wafler nicht von ben
Strahlen der Sonne erwärmt ift, wählen bie Fiſche die ties
feren Stellen zu ihrer Wanderung und ziehen ohne Aufent-
halt immer weiter; fobald aber das Wafler wärmer wird,
gehen alle, mit Ausnahme des Störs, Sterletts und des
fibieifchen Faches, um dafelbft Nahrung zu ſuchen, in das
„Didicht“ ; fo nennt man flache Einfenkungen des Uferlan:
des (Wiefen ober Waldland), welche im Frühjahr durch das
Austreten der Flüſſe unter Waſſer gejegt werden. In die
fem „Didict*, wo die Fiſche hinreichend Nahrung finden,
bleiben fie fo lange, bis das Wafler abzunehmen beginnt.
Ueber das Thierleben des untern Obi und einige meteorologische Erfheinungen im Kariſchen Meere.
Sobald die Fiſcher diefes bemerken, ſperren fie die Mun—
dungen ber Dicichte ab und zwar auf eine Art, welche hier
„Schluß“ genannt wird. An diefem „Sclufie* werden
jodann bie Fiſche in Meinen Negen gefangen. Iſt die Ab:
fperrung rechtzeitig erfolgt, fo wird dadurd) cine ſolche Dienge
von Fiſchen in den Dieichten feitgehalten, daß bisweilen der
Schluß dem Anprall derfelben nicht Stand hält und umge:
worfen wird. Modjuns und fibirifche Lachſe werden felten
in dieſen Didichten angetroffen; fie werden bei hoben
Waſſerſtande mittelft großer Nege gefangen. Die Samo—
jeden behaupten, daß die Modjuns und die fibirifchen Lachſe
fid) wicht lange in den Didichten aufhalten, und nur um
Nahrung zu ſuchen auf ihrer Wanderung hineinfommen,
Wenn bei hohem Wafferftande des Obi plötzlich ſtarker
Froſt eintritt, friert das Waſſer längs ber Ufer bis auf dem
Grund und zwar auf einem ziemlich, breiten Streifen. Die
Fruhjahrsgewäſſer rollen über dieſes Eis hinweg, und indem
fie die Ufer überfchwenmen, bewirfen fie, daß bie auf einer
Strede von 5 bis 8 Werft an die Erde feftgefrorenen Eis:
ſtlicke ſich losldſen und plöglid, an die Oberfläde des Waſ⸗
fer fommen, Dann hat der Beobachter folgendes Bild:
das Waſſer läuft raſch von der Fläche des Eiſes ab, indem
es auf derfelben eine Unmaſſe von Fiſchen zurückläßt, welche
von Niemandem ausgebentet wird; die im geringer Anzahl
an ben Ufern des Übi-Bufens nomabdifirenden Samojeden
haben weber Mittel noch Kräfte genug, um bie Fiſche zu
fammeln und einzufalzen, und fo werden bdiefelben denn in
das Meer hinausgetricben, wo fie den Seevögeln und ander
ven Thieren zur Beute fallen.
Eine feine Art von Häringen, ähnlid) den Norbfechärin-
en, zeigt fich im Obi: und Taas:-Bufen während der erften
age des Yuli umd zieht in außerordentlichen Mengen den
Obi-Strom hinauf bis an den Hecht Fluß (Schtichutichja) ; fie
find fehr fett, werden aber nicht gefangen, höchſtens benugt
man fie zur Fütterung der Hunde. Während des ganzen
Sommers zieht Schwarm auf Schwarm diefer Häringe den
Hecht⸗Fluß hinauf bis an die Quellen defjelben im Gebirge,
Im“ Herbft lehren fie ins Meer zuriid, daun find fie aber
mager.
Den Obi-Bufen bevölfert and) eine Menge von Waltofien,
Seehunden und Delphinen.
Ungefähr 50 Werft weiter unterhalb von Bereſow liegt
bie reiche Nieberlaffung Kufchewatstoje mit Kirche und
Anfiedlerhäufern. Die Wohlhabenheit der Einwohner be-
ruht auf Ausbeutung der fogenannten Kufchewatsiy Pesti
(von pesok, d. h. Sand), Es ift dies wegen der ruhigen
Strömung für den Fiſchfang der befte Plag im ganzen be-
reſowſchen Bezirk; hier werden die wohlſchmeckendſten Fiſche
gefangen. Diefe Anfieblung it nod) dadurch bemerlenswerth,
daß die Anhöhe, auf welcher fie gebaut wurde, mit Maut:
muthtnochen angefüllt iſt. Nach Pallas ſoll der fteile Ufer:
abfall dicht an der Niederlaſſung beſonders reich au Mam—
muthüberreften fein, Beilänfig will ich bier bemerken,
daß ber berefowiche Kaufmanı Trofimoff im Jahre 1846
aus dem Bereiche des Baffind des Taas⸗Buſens ein Mam—
muthgerippe nad) Mostau ſchidte, umd daß im Laufe der
legten zwei Jahrhunderte unſerer genauern Kenutniß des
nördlichen Sibiriens, nach Middendorff, nicht weniger ale
20,000 Mammuthe aufgefunden fein follen, welche das
Elfenbein auf unfere Märkte lieferten.
Weiter nad) Norden, 350 Werft von Berefow, den Obir
Strom hinunter, unter 66° 34° nördl, Br., innerhalb des
Polarkreifes, am hohen Ufer des Polui-Fluffes, 8 Werft von
deſſen Mündung, liegt die Niederlafiung Obdorst.
zählt 42 Hänfer und gegen 150 Einwohner, welche größten
Sie
Ueber das Thierleben des untern Obi und einige meteorologifche Erfcheinungen im Kariſchen Meere.
theils aus Tobolot und Bereſow hierher Überfiebelten. Wäh—
rend des Sommers find die Häuſer diefer Nieberlaffung
größtentheils feft verſchloſſen, und der Keifende hat bei feis
nem Eintritt den Eindrud, als lägen alle Bewohner im
feften Schlaf; fait alle Einwohner verlaflen nämlich zur
Sommerzeit den Ort und gehen zum Fiſchfang aus, Ob—
dorsf ift die nördlichſte Unfiedelung des Gouvernements Tos
bolat, mit Häufern, die aus den diden Rippen der Barken
gut gezimmmert find, und einer hübfchen hölzernen Kirche.
Außer der Ortsgeiftlichkeit halten ſich hier ruſſtſche Miffio:
näre auf, behufs Belehrung der Oſtjäken und Samojeden
zum Chriſtenthum. Gegen Weihnachten findet in Obdorst
ein Jahrmarkt ftatt, zu welchem gegen 10,000 Menſchen
zufammenlommen. Die Handelöproducte diefes Jahrmartts
beftehen theils aus Thierfellen (Fellen von Füchſen, Luchſen,
Eichhörnchen, Mardern, Ottern, Bären, Wölfen, Hermelinen,
bisweilen aud) von Zobeln, Kenthieren), theils aus Dante
muthtnochen, fertig genäheten Winterkleidern, wie fie hier
getragen werden u. f. w. Auf dem Obi-Strom verfehren 32
Dampfboote, von denen 6 bis 8 bis Obdoref, einige fogar
bis gegen 250 Werft weiter ftromabwärts *) fahren.
Ungefähr 40 Werft von Obdorol, nach Norden hin, liegt
der Sommeraufenthalt des Fürften Taiſchin, deffen Jurten
die „Flrftlichen“ genannt werden. Im Jahre 1854 war
diefer Flirt in St. Peteröburg, wurde dort dem Kaiſer Nie
eolai I. Paulowitſch vorgeftelt und erhielt vom Kaifer eine
goldene Medaille, am Bande bes Annenorbens um den Hals
zu tragen, ſowie veiche Sleidungsftüce und einen filbernen
vergoldeten Becher als Geſchent. Taiſchin regiert über die
DOftjäten der obdoräfifchen Gemeinde.
Ic erwähne noch der großen Menge von Renthieren,
weldye man hier antrifft und deren Hauptfammelplag hier
iſt. Unſere Regierung wurde auf bie Seuchen aufmerffan,
denen diefe Thiere zum Opfer fallen. So_find 1865 zwi:
ſcheu Petſchora, Ob und Jeniſſei gegen 150,000 Renthiere
gefallen. Im Laufe eines Tages fielen die Hufe des Thies
ves ab; es finft ſodann zu Boden und bei einigen von ihnen
fällt fogar die Zunge ab, während fie ihre Wunden leden,
Auch find Fälle vorgefommen, daß Menſchen angeſteckt wur«
den und im bemfelben Moment ftarben, wo fie das Fell des
gefallenen Thieres abzogen.
Sodann mag nod) der Bogelwelt gedacht werden. Haupt-
ſächlich treffen wir Möven, verfcjiedene Entenarten, Gänfe,
Schwäne und überhaupt alle befannten Polarvögel, wie denn
fiets an filhreichen Orten viele Vögel und andere Thiere
vortommen, welche von Fiſchen ſich nähren.
In Berefow werben Ammoniten von bedeutender Größe
vorgejunden, So wurden 1864 dem Oberhaupte von Bes
reſow, General Zinz, gegen 25 Pub Ummtoniten von bemers
fenswerther Größe zugeftellt, von denen ich ein Eremplar
zum Geſchenk erhielt, welches ich fodann dem Alademiler
Herrn E, 3. Eichwald übergab. Die Übrigen Ammoniten
wurden von den Oftjäfen aus ben liäninſchen Jurten an zus
gereifte Händler verfauft.
Weiter nad; Norden Öffmet ſich der zweite Buſen des
Nordifchen Oceans, die Mlindung des Obi-Stroms; hier ift
feine Schifffahrt mehr, wir finden eine völlige Einöde! Nur
während des Sommers nomabifiren am weftlichen Ufer Sas
mojeben mit ihren Menthierherben; zum Winter ziehen dies
*) Obdorst hat noch eine befontere Gigenthümlichkeit: in jedem
Haufe werben gegen zehn Hunde gehalten, welche zu verſchledenen
Dienftleiftungen an Etelle der Pferke verwendet werten. Um Mitter«
nacht laufen alle Hunde ter Anfledelung, auf ein von eimem Leite
bunte gegebenes Zeichen, auf dem Plage zufammen, und es beginnt
num ein allgemeines Geheul, welches ungefähr eine halte Stunde
dauert, worauf bie Hunte friedlich auseinandergeben.
301
felben nad) dem Süden, Nun beginnt bie fange Polarnadıt!
Den Menſchen ift es ſchwerer, die anhaltende Dunkelheit,
als den firengen Froſt auszuhalten, wie dieſes aus ben
Ueberwinterungen auf Nowaja Semlja und Spitzbergen be
fannt, und fie freuen ſich, ſobald das Nordlicht *) erfcheint.
Man hat vielfach; verfucht, für dieſe Erſcheinung eine genüis
gende Erllärung zu finden, aber bis heute ift dieſes micht
gelungen. Id) erlaube mir daher, hierauf die Aufmerkfam:
eit ber Herren Gelehrten zu lenlen. Ihre Reife führt fie
an ſolche Orte, wo diefe Erſcheinung häufiger und intenfiver
vorfommmt, als an anderen Punkten des Nordens, Vielleicht
gelingt es ihnen, eingehendere Forſchungen auf diefem Ge»
biete anzuftellen; das Norblicht beginnt zu Ende Yuguft oder
im September.
Nach den Mittheilungen von Neifenden foll das Nords
Licht auf Spigbergen häufig von ſchwachem Gepraffel beglei-
tet fein; an den Mundungen des Yeniffei, unweit des Caps
Tolftor Noß, foll jedoch, nad) den Ausfagen dev Eingebore-
nen, diefes Gepraſſel jo ftark fein, daß es den Thieren Furcht
einjagt und die Renthiere vor Schred zufammenfinfen. In
Zurucanst wird diefes Geprafiel nicht mehr gehört. Die
öſterreichiſch · ungariſche Expedition erwähnt diefes Gepraſſel
während des Nordlichtes auf Franz ⸗ Joſephs⸗Land, jedoch nur
in den Fällen, wo das Nordlicht nach Süden hin oder nach
ber Seite des Obi-Bufens bemerkt wurde; zeigte es ſich in-
bef gun Norden, fo wurde fein Geräufc wahrgenommen.
bgleich nad) den Ausfagen der Bewohner dev nördlichen
Gegenden, wie z. B. der Shetland-Iufeln und des nörd—
lichen Sibiriens, das Norblicht jedesmal von einem Geräufc)
begleitet fein foll, jo widerfprechen dem doch die gelehrten
Neifenden. Franklin, welcher anfangs an ein von dem
Nordlicht herruhrendes Geräuſch glaubte, ftellte jpäter die
Behauptung auf, man müßte die Urfachen diefes Geränfces
auf der Erde ſuchen. Wrangel, welcher höchſt felten Ger
fegenheit hatte, Norblicht zu fegen, und obenein ftets ſolches,
das feine große Höhe erreichte, erflärt, es hätte ihm bloß
geldienn, als ob das Norblicht ein Gepraffel hervorbrädhte.
omonofjow erwähnt, die ruſſiſchen Seefahrer, welche Spig-
bergen befuchten, behaupteten, das Nordlicht fei von einem
Geräufdz begleitet. Am 10. December 1869, als wir, eine
Geſellſchaft von acht Perfonen bildend, auf Nenthieren das
Uralgebirge bereiften, unter 66% nördl. Breite, zwiſchen ber
Petſchora umd dem Dbi, Hörten wir eim Gepraſſel, dem
ähnlich, welches von dev Glektricität erzeugt wird, und zwar
in dem Momente, wo das Norblicht in feiner ganzen Juten—
fität erſchien. Dieſes Geräuſch erſtarb zugleich mit dem
Norblicht und begann von Neuen mit deffen Wiedererfcheinen.
Diefes das Nordlicht begleitende Geräufd; gleicht, wie ges
fagt, genau demjenigen, welches bei der Erzeugung von Fun⸗
fen mittelft einer Eleftrifirmafchine hervorgerufen wird. Der
frühere Givilgouverneur von Tobolst, Geheimvath Aleran-
der JRwanowitſch Despot - Zenomwitich, fagte mir, er hätte
während eines Nordlichts das obenerwähnte Geprafiel gehört,
als er vor nem Jahren im Auguſt fich auf einem Fahr—
zeug im ObirBufen befand. Diejes Geräuſch wurde deut—
lich von allen auf dem Fahrzeug befindlichen Perfonen ge
hört, und die anweſenden Eingeborenen beugten das Kunie,
in der Meinung eine göttliche Stimme zu vernehmen. Gin
anderes Mal war A. J. Despot Zenorwitic abermals Zeuge
einer ſolchen Erfceinung und zwar in Obboret, Jedoch
nicht immer ift das Nordlicht von dem befagten Geräufd)
begleitet, Der rufjische Schiffer Schwanenberg hörte dieſes Ge⸗
räuſch zulegt im September 1875, als er fic auf feinem Schife
unweit des Norbcaps unter 75° nördl. Br, befand. Auch
*) Dort „wspoloch® (d. h. Sturmlänten) genannt,
302
Here Maffimoff befchreibt in feinem Werke „Ein Jahr im
Norden“ fehr anſchaulich das Nordlicht und verfichert, daß
laut den Erzählungen von Leuten, welche auf Nowaja Semlja
überwinterten, dort das Nordlicht ſtets von einem Geprafjel
und Snattern, wie von Gewehrfalven, begleitet fei, umd
flößte diefe Erfcheinung ihnen großen Schred ein.
Könnte man aus diefen Beobachtungen nicht fliglich den
Schluß ziehen, daß der Mittelpunkt ber ftärkiten elektrifchen
und magnetifhen Strömungen im Kariſchen Baſſin oder
im Obi-Bufen zu fuchen fei?
Geftligt auf die Beobachtungen, ünnen wir fagen: je
weiter öftlich vom Jeniſſei⸗Buſen und weftlid; von Nowaja
Semlja, defto ſchwächer ift das obenerwähnte Geräufdh.
Eine Ausnahme bilden jedoch die Shetland-Infeln; nad)
den Verſicherungen der Einwohner ift bort jedes Norblicht
von fehr vernehmbarem Geräuſch begleitet. Hierliber wirb
auch in dem naturhiftorifchen Lericon von Orbigny gejpro-
den. Herr Komalsky indeflen, welder das Norblicht in
Berefow und Obdorsl beobachtete und ausführlich befchrieb,
erwähnt nichts von einem Gepraſſel oder Geräufh. 1847
Aus allen
Mongolifche Karten.
R.K. Der Kartograph hat mit den Erzeuguiſſen der vers
Ichiedenartigften Völker zu thun und fie bei feinen zufammens
faſſenden Arbeiten zu verwertben. Oft find es nur einzelne
Routen, wie befonders in Afrika, oft aber auch vollftändige
Darftellungen größerer Gebiete, welche, von Eingeborenen
ded Landes entworfen, dazu dienen müſſen, die factiichen
Aufnahmen europäiicher oder amerilanifcher Eulturvölter zu
ergänzen und in Zuſammenhang zu bringen. So gab ſchon
179 Dr. Fr. Hamilton eine Öeneralfarte des Reiches von
Ava heraus, welche ein Sklave von des Königs älteftem
Sohne in Amarapııra gezeichnet hatte. So befist Japan
verhäftwißmäßig gute und zuverläffige Karten feiner fänmt:
lichen Infeln, einzelner Provinzen, Stäbtepläne u. dergl., die
freilich noch ihrer Verwerthbung und Ausbeutung harren.
So bat es auch China nicht unterlaffen, auf der Grund—
lage, welche die Jehniten des Kaiſers Kang-hi zu Anfang
des vorigen Jahrhunderts durch zahlreiche aftronomifche Orts:
beftimmungen und Combination und Aneinanderpaffen der
vorhandenen Sperialfarten geſchaffen hatten, weiter zu bauen,
freilich nicht nach einem durchgreifenden Syſteme. Je nach
der Neigung und dem Intereſſe, welches der Mandarin einer
Provinz oder eines Diftrictes an der bildfichen Darftellung
feines Gebieted nahm und nimmt, läßt er einzelne ungurei«
chend befannte Gegenden erforfchen und die Karten danach
verbeffern oder unterläßt er auch dieſe müslichen Arbeiten.
Mitunter haben auch Kriegszüge gegen bie noch unabhängi:
gen Bergvöller befonderd des füböftlichen China eine Er:
weiterung der geograpbijchen Keuntniſſe zur Folge. Alle
die fo eutftandenen Berbefferungen wurden in den vierziger
Jahren diejes Säculums zu einem großen Atlas ber ger
fammten Monarchie vereinigt, der im Heften erichienen ift.
Jedes ſolche Heft, von verfchiedener Die, umfaßt zwei Brei:
tengrade in der Höhe, 3. B. das unterfte oder ſüdlichſte den
Streifen zwilchen 18% und 20% nördl. Br. (die Infel Hainan
und bie Halbinfel Liautung), das nächitfolgende alles Land
swilchen 20° und 220 nörbl. Br. u. ſ. w. Das (nach unſe—
rer Anjchauung) binterfte Blatt jedes Heftes beginnt im
äußerften Oſten des Neiches, aljo mit Korea, reip. dem
Dean, der Inſel Formofa u. ſ. w. Seite mach Seite um-
Aus allen Erdtheilen.
und 1848 ftellte berfelbe genaue magnetifche Beobachtungen
an, und arbeitete magnetifche Tabellen aus, welche ergeben,
daß in Bereſow bie öftliche Abweichung 13% 55, die Neis
gung 74°, in Obdorst die Abweichung 16%, die Neigung
76° beträgt. Zu bedauern ift nur, daß unfere wiſſenſchaft⸗
lichen Keifenden in ihren Beſchreibungen von Weitjibirien
der Erfcheinung des Norblichtes fo wenig Aufmertjamfeit
ſchenken!
Obſchon viele Gelehrte, darunter auch Deutſche, den Nor—
den Sibiriens beſuchten, haben dieſelben manche der Erfor—
ſchung bedürftige Punkte nicht hinlänglich berüdfichtigt.
Die ſchwediſche Expedition hat auf ihrer vorjährigen Reiſe
den Jeniſſei aufwärts viel naturwiſſenſchaftliches Material
gefammelt. Die geehrten Mitglieder derſelben find jetzt mit
der Ausarbeitung deſſelben beſchäftigt. Die von ihnen ge—
wählte Route zur Erforſchung des Ob-Syftems wird ihnen
noch veichern Stoff liefern. Wir hoffen daher von ihren
Mühen höchſt wichtige Refultate, ſowohl für die Wiſſenſchaft
als aud) für Handel und Induftrie !
Erdtheilen.
fchlagend, wie in einer hebräiſchen Bibel, dringt man weiter
und weiter nach Weften vor, immer fich zwilchen den be—
treffenden Barallelen baltend. Im feinen ſüdlichen Bartien
fchmeidet dieſer eigenthiimliche Atlas, der durchaus feinen
Gelammtüberblid geftattet, an den Grenzen von Cochinchina
und Birma ab, reicht dagegen weiter nördlid bis über die
Quellen des Indus, ja bis über das Kaspiſche Meer bin-
aus und feht fich big weit nad Sibirien hinein fort. Eine
reiche Nomenclatur und eine ziemlich genaue Feitlegung der
bedeutenderen Städte zeichnen ihn ans; vobe Zeichnung
der Küftenlinien, der Flußdetails, der Gebirge find feine
ſchwachen Seiten. Immerhin bezeichnet er gegen die bisher
maßgebenden Karten Chinas von d’Anville und Klaproth
einen ziemlichen Fortichritt; in dem umfangreichen Atlas zu
v. Richthofen's Reiſewerke über China wird er deshalb
vollftändig ausgenutt werden. Die Holzftöde dieſes Karten:
werkes find inzwifchen verbrannt, Abdrücke davon ſchwer zu
erhalten.
Fest erfahren wir durch den befannten Oberften Wen:
iukow, daß Angehörige eines Volkes unter die Kartenzeich—
ner gegangen find, von welchem man es ſchwerlich vermuthet
hätte, nämlich Mongofen.
Karmaſow, der Dolmeticher des ruſſiſchen Conſulats
in Urga, bat eine Anzahl von Mongolen berrührender Kar:
ten copirt, die mongoliiche Schrift ins Ruſſiſche überjegt und
diefe werthvollen Documente dem ruſſiſchen Generalftabe
übergeben. Es würde zu weit führen, die Beichreibung aller
diefer Karten zu geben; Einiges davon aber hervorzubeben,
fünnen wir und nicht verfagen.
Die erite und größte Karte ift eine Darftellung des
Aimak des Tuſchetu⸗Chau (im Gebiete der Flüſſe Orchon
und Tola, um Urge) im ungeführen Mabftabe von 11 Werft
auf den Zoll; das Driginal wurde 1868 auf Befchl der
hinefifchen Regierung von den mongolijchen Behörden in
Urga nezeichnet und dann an das Auswärtige Miniſterium
in Beling gefendet. Es find dort die Namen auch der Hein:
ften Ortichaften eingetragen, die Gebirge (nach chineſiſcher
Gewohnheit in der Berfpective), alle Städte, Dörfer, einzel-
nen Gebäude, Klöſter u. ſ. w. Meridiane und Barallelfreiie
find von Viertel: zu Viertelgrad ausgezogen, und nicht nur
bie Örenzen des ganzen Aimal fondern auch die feiner
Aus allen Erdtheilen.
Unterabtbeilungen, der Choſchun, über die man bisher völlig
im Unklaren war, ausfübrlih angegeben. Alſo eine Karte
mit vollftändiger Nominiftrativ-Eintbeilung. Eine Gegend,
welche bisher nur von wenigen dürftigen Reiſewegen ruffi:
ſcher Forscher durchzogen war, iſt num bis in bie MNeinften
Einzelbeiten binein bekannt geworben; eine Neprobuction
oder beffer Verfeinerung diefer 1 Faden langen und 2 Ellen
breiten Karte würde die Geographie des Orchon-Baſſins und
bes Gobi füdlich davon bebentend bereichern.
Eine zweite Karte ftellt die ganze Mongolei vom Sun-
gari und ber Nama bis zum Dfungariichen Mlatan und von
der Großen Maner bis an die fibirifche Grenze dar, eine
dritte und vierte Theile der ruffifch-chinefifchen Grenze mit
allen Gbrenzpoften und Uebergangsftellen. Andere entbalten
nur Schematische Skizzen der Straßenzüge in der Gobi, wäh—
rend die letzte eine Art officiellen Documentes ift. Dieſelbe
ſtellt den Theil der Mongolei füdöftlich von den Seen Dalai:
nor (circa 50 deutſche Meilen nördlich von Beling) und
Bujir bis zum Chingan- Gebirge, welches Mongolei und
Mandihurei trennt, dar; ihr Original gehört dem mongo-
lichen Fürften Tſchun-⸗wan, welcher an jenen Seen lebt und
es auf Erſuchen nach Urga mitbrachte, wo eine Grenzftreitig:
„ feit zwilchen ihm und den Bargu:Solonen geichlichtet wer:
den jollte,
Es ift intereffant zu ſehen, wie verhältnißmäßig leicht
fih bei ſolchen nomadiſchen Wölfern die genaue Keuntniß,
welche fie von den weiten Räumen des von ihnen durchwan—
berten Landes haben, in eine graphiiche Darftellung derfel:
ben umſetzt; während fait jeder Werfuch 3 B. dem in der
Cultur viel höher ftchenden deutichen Bauer einen Begriff
von einer Landkarte beizubringen, auf unüberwindliche Schwie-
rigfeiten ſtößt.
Der Bericht des deutſchen Comitis für die internationale
Ausftellung wiffenfhaftlicher Apparate in London.
Unlängft bat das deutiche Comits für die internatio-
nale Ausjtellung wiffenfhaftliher Apparate, welche
am 1, Mai diefes Jahres im South Kenſington-⸗Muſeum zu
London eröffnet werden foll, an den Kronprinzen und bie
Kronprinzeliin des Deutſchen Reiches einen Bericht über feine
Thätigkeit und feine Erfolge erftattet, der in mehrfacher Hin-
fiht intereffante Angaben enthält. Das Comite unter Vorſitz
des berühmten Chemiker A. W. Hofmann verftärkte fich
zunächſt zu einer alle Zweige der eracten Wiffenfchaften ver:
tretenden Körperichaft und Fnitpfte fobann mit ſämmtlichen
wiffenfchaftlichen Corporationen, den Univerfitäten und poly:
techniſchen Schulen, aus deren Sammlungen Ansftellungs:
gegenftände im reicher Anzahl zu erwarten jtanden, ſowie
mit vielen ansgejeichneten Werkftätten der Präcifionsmechanif
Verbindungen at, die von dem größten Erfolge begleitet wa—
ren. Kaum jemals that das Comits eine Fehlbitte; das
ganze Reich überzog fich mit einem Netze von Zweigcomitss,
beren der Bericht nicht weniger als 40 aufzählt. Schon hier-
durch wurde diefen Beftrebungen die Ausficht garantirt, daß
Dentichland in würbiger Weife vertreten fein würde,
In zweiter Neibe galt es, eine Betheifigung derjenigen
wiſſenſchaftlichen Inſtitute zu veranlaffen, deren Sammlungen
Staatseigenthbum find. In allen Fällen wurde dem Erfuchen
von den betreffenden Minifterien bereitwillig entfprochen ;
der Natur ihrer Reſſorts nach find es vornehmlich die fünig-
lihen Minifter des Unterrichts, des Handels, des Krieges,
fowie der faiferliche Minifter der Marine, welche bier in
Betracht famen, und allen ſpricht ber Bericht in gleicher
Weiſe feinen Dank für die gewährte Unterftütung aus. Einer
gleichen Berückſichtigung hatten ſich die Zweigcomitss in ben
übrigen Staaten das Reiches an maßgebender Stelle zu
erfreuen.
Der Chef des großen Generalftabes entfendet eine Reihe
feiner werthvollſten Inſtrumente; der Generalpoftmeifter bat
303
dem Comitö freie Auswahl and der umfaſſenden, die Ent:
widelung der Telegrapbie veranfchaulienden Sammlung ge:
ftattet; ebenſo wurden ihm die auf der Berliner königlichen
Bibliothet anfbewahrten intereffanten phyſilaliſchen Reliquien
(darımter die erſte Luftpumpe Otto von Guerile's) von dem
oberften Leiter diefes Inſtituts ohne Nüdhalt anvertraut.
Die fönigliche Akademie der Wiſſenſchaften ftellte durch einen
befondern Beichluf Alles, was aus ihrem Cabinette den
Zwecken der Ausftellung dienen Könnte, zu uneingefchräntter
Benutzung; die deutſche chemiſche Geſellſchaft betheiligte ſich
als Corporation und brachte eine reiche Sammlung höchft inter:
effanter chemifcher Präparate (an 800 Nummern) zu Stande,
die fich auf andere Weife kaum zufammengefunden hätten,
Die Befürchtungen, daf die Betbeiligung deuticherjeits
nur eine geringe fein werbe, waren nicht jo grumdlos, wenn
man erwägt, daß dem Gomitö für feine Thätigfeit nur zwei
Monate Zeit blieb, wie auch, daf die Mürglich erit beendete
Wiener und die nahe bevorftchende Philadelphier Weltaus-
ftellung eine Ermübung der betreffenden privaten Ausfteller:
feeife erjeugt hatten. Trotzdem war der Erfolg ein beden-
tender. Die Zahl der Ansfteller betrug gegen Ende März
ſchon 311, bie der audgeftellten Gegenftände 2492, Bablen,
die ſich noch weientlic erhöhen lönnen. Die Objecte zerfal⸗
len in 19 Gruppen (Arithmetikz; Geometrie; Maße; Kine-
matif, Statif und Dynamit; Molecularphyſii; Schall; Licht;
Wärme; Magnetismus; Elektricität; Aftronomie; Unger
wandte Mechanik; Chemie; Meteorologie; Geographie (29
Ansfteller mit 110 Gegenftänden); Geologie und Bergbau
(22 Uusjteller mit 118 Gegenftänden); Mineralogie und fry-
ftallograpbie; Phyſiologie; Unterrichtsfammlungen) und bean-
fpruchen 109 Duabratmeter Bodenflähe, 442 Quadratmeter
Repofitorien auf Tiſchen und in Schränken und 29 Quadrat:
meter Wandflähe. Zur befiern Würdigung diefer Ziffern
diene die Angabe, daß auf der Wiener Weltausftellung , für
welche die Vorbereitungen, von einer wohlorganifirten, mit
reichen Mitteln ansgejtatteten Reichscommiſſion geleitet, eben
fo viele Jahre in Anfpruch nahmen, als diesmal Monate,
das Dentiche Reich nur durch 127 Ausfteller wiffenichaftlicher
Apparate vertreten war.
Und was von Deutichland gefendet wird, ift, abgeſehen
von den zahlreichen hiſtoriſch merkwürdigen Iuftrumenten,
weldje ſich aus ben verichiedenften Gegenden zufammengefun:
ben haben, eine Answahl der beften wiſſenſchaftlichen Appa—
rate, welche im unferm Vaterlande bergeftellt werben. Denn
abweichend von den Maßnahmen bei Beichidung früherer _
Ausftellungen haben diesmal Delegirte des Berliner Comitög
oder ber Hiveigcomitös fämmtliche eingefandte Objecte vor
ihrer Annahme einer Prüfung unterworfen.
Zum Schluſſe erbittet das Comitt die Mitwirkung bes
Deutſchen Reiches zu einem Unternehmen, welches die viele
anf diefe Ansftellung verwendete Zeit und Mühe erft wahr:
haft mugbringend und fruchtbar machen würde: es wäre,
heißt es, jedenfalls im deutſchen Intereſſe gelegen, wenn eine
Anzahl berufener Männer die Ausftellung in London, fobald
fie vollftändig geworben fein wird, ftudiren und die Ergeb:
niffe diefer Studien in einem eingehenden Berichte nieder:
fegen wilrden. Nur durch einen folchen Bericht, welcher for
wohl für die Techniler als auch für die Jünger der Wiffen-
ſchaft eine reiche Quelle der Belehrung zu werden verfpräce,
würden die großen Opfer, welche bie Ansfteller der Sache
gebracht haben, im Jutereſſe Dentfchlands ihre volle Ver:
werthung finden; in der Ernennung einer Berichterftattungs -
commiffton Seitens des Reiches würde auch das Comité den
Ichönften Lohn für feine Anftrengungen erbliden,
Die italienifhe Erpebition nah Innerafrifa.
W.K. Ueber das Ziel und die Ausriftung der unter
ben Aufpicien der geographifchen Gejellichaft zu Rom nad)
304
dem ännatorialen Afrifa enutſandten Expedition entnehmen
wir einem Berichte des Jugenieur Maraini an die Geſell—
ſchaft folgendes Näbere:
Den eriten Anlaß zu dem Unternehmen gab eine im
Jahre 1872 in Ftalien eingetroffene Geſandtſchaft des Königs
Menelek von Scoa, deren Führer, Abba Milaecl, anfer
den Gheichenten fir den König von Italien auch einen Brief
des Biſchof Maſſaja überbrachte, eines italienischen Geiſt—
lichen, der ſeit 30 Jahren den Miſſionsſtationen in Schoa
vorſteht. Derſelbe verband mit vielen nenen und wertbvollen
Mittbeilungen über die geograpbiiche und fociale Keuntniß
des Landes die Aufforderung, italienische Forſchungsreiſende
nach Schoa zu fenden, wo ihmen eine zuvorkommende Auf:
nabme ficher fei. Man erachtete nun zwar diejes Land für
genügend erforscht und nicht geeignet, dem italienischen Namen
auf dem Gebiete der Entdedungsreilen großen Glanz zu ver:
leihen; aber die Möglichkeit, eine Expedition daſelbſt ficher
und reichlich zu equipiren, lieh es als einen günftigen Aus:
gangspunkt erfcheinen, um von da and nad) dem Seengebiete
vorzudringen und fo eine Gegend aufzuflären, die noch bie
wichtigſten Beiträge zur Löjung des Nilguellenproblems zu
geben verspricht. Auf Grund dieſes Gedankens wurde eine
Subfeription eröffnet, um im Verein mit den Unterftügungen
der Regierung und der geographifchen Gefellfchaft zu Rom
die nöthigen Mittel zu gewinnen, und nachdem dieſe von
alinftigem Erfolge begleitet war, wurde demnächſt das nähere
Programm für die einzuſchlagende Noute feitgeftellt,
68 wurde beitimmt, daß die Erpedition, von einem ber
drei Häfen Tadſchura, Zeila oder Berbera ausgehend, nach
Schoa vorrüden follte, um fich von dort ſüdweſtlich durch bie
Gebiete von Juarea und Kaffa nah dem Victoria-See Uke—
rewe Nianza) au wenden. Sind diefe Regionen durchreift,
fo wird man enticheiden Fönnen, ob ber Godſcheb wirklich
der obere Lauf des Dichuba ift, wie man nach dem biäherigen
Kenntniffen jchließen konnte, oder ob er ſich, wie bie italie-
niihe Commilfion meint, im einen ber großen äquatorialen
Seen ergieft.
Diele wichtige Frage hofft die nunmehr aufgebrochene
Erpedition endgültig zu entſcheiden. Der Führer der Erpe-
dition iſt der in Italien durch feine Neifen im Nilbeden,
Tunis, im Lande der Bogos und an den Küften bes Rothen
Meeres rühmlichit bekannte Marcheſe Orazio Antinori,
der außerdem ald ausgezeichneter Ornithologe Ruf befikt.
Zu feinen Begleitern find aus der großen Zahl folder, bie
ſich dazu meldeten, nur zwei gewählt, da cine größere Zahl
nur die Schwierigkeit des Fortfommensd im ägnatorialen
Afrika erhöht. Es find dies der Hauptmann Sebaftian
Martini und ber Ingenieur Chiarini. Erſterer ift be
reits im Januar vorausgereift und bat von Beila aus im
Februar einen kurzen Ausflug nach Harrar gemadt; er ift
von dort nach Aden zurückgekehrt, wo inzwiſchen auch bie
beiden anderen Theilmebmer Antinori und Cbiarini einge:
troffen waren. Nach den letzten Nachrichten von Anfang
April wollte man nur nod einigen Mängeln in der Aus-
rüftung abhelfen, um dann fofort die Ueberfahrt nach Zeila
und den Aufbruch nad) Schoa zu bewerfitelligen.
* Ze"
— Profeſſor Nordenitiöld will in diefem Sommer
durd; die That beweilen, daß feine vorjährige Fahrt nad) der
Aus allen Erbtheilen.
Jeniſſei Mündung (f. den laufenden Band des „Globus“,
S, 121 ff.) wirklich einen nenen Seeweg zwiſchen Norwegen
und der nördlichen Kitfte von Sibirien eröffnet hat. Er ge
denft zu Anfang Juli mit einem Dampfer, welder 10,000
Pud laden fan, von Gothenburg direct nach dem Jeniſſei
und denfelben hinauf bis nach Dudinfo, der legten Dampf-
bootjtation an jenem Strome, zu fahren, dort Fracht einzu:
nehmen und damit nach Norwegen auridzufehren. Anderer
feits wird von den Ruſſen beabfichtigt, mit einem eigens zu
diefem Zwecle gebauten Dampfer in diefem Sommer von
Ieniffeist den Strom binab durch das Karifche Meer, die
Nord: und Oſtſee nad St. Petersburg zu fahren.
— Der St. Peteröburger „Bolos* fchreibt: Zur Er-
forichung des Obi-Meerbufens und der Obi-Mündung
(vergl. oben S. 254 f.) wird die Gefellichaft zur Beförderung
ber ruffifchen Handelsſchifffahrt zwei erfahrene Seeleute, die
Lehrer der Schifffahrtsichule zu Hainaſch in Lievland, die
Herren Dabl und Raudfen, welche bereits an der Petſchora—
Mündung geweien find, abjenden. Für biefe Expedition,
welche zunächſt ben rein praftiichen Zwed bat, das Fahr:
waſſer beſonders an der Mündung durch gebildete und erfah:
rene Schiffer unterfuchen zu laſſen, wird auf dem Obi ein
eigenes Meines Schiff erbant.
— Hanbelöbeziehungen wilden England und
AUmerifa. Das Darniederliegen des Handels in allen
Welttheilen tritt uns vor Mugen, fobald wir nur irgend eine
Zeitung jur Hand nehmen. Wie weit es aber bereitä damit
gefommen ift, wird in wahrbaft erichredender Weife durch
ein Ablommen illuftrirt, das die White Star Company und
Inman Company getroffen haben. Beide Gefellichaften ſand—
ten wöchentlich je einen Dampfer nach Amerika; von nun
an werden fie jedoch nur jede zweite Woche einen auslaufen
laſſen. Nur alle fünf Wochen fenden beide Gejellichaften je
einen ab. Dieſes Arrangement reducirt ihre Verbindungen
mit einem Schlage beinahe auf die Hälfte; es werben alſo
auch eine entiprechende Anzahl von Schiffen, Mannichaften,
Arbeitern und Beamten beichäftigungelos., Das Schlimmfte
it, dab auch andere Gefellihaften übliche Mafregeln beab-
fichtigen. Diefe Zuftände, welche noch gar nicht dageweſen
find, müſſen dem Handelsſtande ſchwere Sorgen bereiten.
— Die Revenune der Golonie Victoria belich fih im
Fahre 1875 auf 4,215,524 Pf. St. gegen 4,053,864 Pf. St.
im Vorjahre, d. i, ein Mehr von 161,660 Pf. St. Aus den
Eingangszöllen floſſen 1,599,588 Pf, St, gegen 1,726,716
Pf. St, aus Acciſe oder Inlandzöllen 93,491 Pf. St. gegen
110,462 Pf. St., aus Eifenbabren 1,047,978 Pf. St. gegen
986,438 Pf. St, and dem Poſt- und Telegraphenweſen
203,076 Bf. St. gegen 191,978 Pf. St. Die Territoriaf-
einnahme belief fih auf 203,076 Pf. St. gegen 191,973
BE. St. u. ſ. m.
Die SGoldfelder der Colonie Victoria ergaben im
Jahre 1975 einen Ertag von 1,059,323 Unzen gegen 1,102,614
und 1,249,407 in den beiden Vorjahren. Die Zahl der Gold:
gräber war auf 42,000 geſunken, gegen 46,800 und 52,544.
Sehen wir ben, Werth der Unze Gold auf 4 Pf. St., fo
wilrde damit auf den einzelnen Digger burchichnittlich ein
wöchentlicher Gewinn von 1 Bf. St. 18 Sc. 10 BP. entfallen,
gegen 1 Pf. St. 16 Sch. und 1 Pf. St. 16 Sch. 6 P. in
den Jahren 1873 und 1874.
Inpalt: Bon Telemffen nad Nemours. (Mit zwei Abbildungen.) — Die Anfertigung der Angelhalen aus Mufcel:
ſchalen bei den ‚früheren Bewohnern der Inſeln im Santa-Barbara-Canal, Bon Vaul Schumader in San Francisco.
(Mit sehn Abbildungen.) — Ans und über Arabien. Bon Dr. Albr. Zehme in Frankfurt a. O. — Ein Grabmal eines
altnorbiichen Seefünigs, Bon F. Mestorf. — Ueber das Thierleben des untern Obi und einige meteorologiſche Erſchei—
mungen im Kariichen Meere, — Uns allen Erdtheilen: Mongolifche Karten. — Der Bericht des deutichen Comités für die
internationale Ansitellung wiflenichaftlicher Apparate in London. — Die italienifche Erpedition nah Innerafrifa, — Ber:
ſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 28, April 1876.)
Rebacteur : Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftraße 18, II Tr,
Drud und Verlag von Friedrich Vleweg und Sohn in Braunfchweig.
—
Nit befonderer Berückſichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fachmännern und Künſtlern herausgegeben von
Dr. Rihard Kiepert.
Braunſchweig
Jährlich 2 Bände a 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Poftanftalten
zum Preife von 12 Marl pro Band zu beziehen.
1876.
Thomfon’3 Reife auf Formofa.
I").
Der filbweftlichen Küfte Chinas ift die Inſel Formoſa
borgelagert, nächſt Hainan die größte der chineſiſchen Inſeln
und ebenjo unbefannt in ihrem Innern wie jene. Cine
verhältuigmäßig feidhte Meeresſtraße trennt fie vom Feſt⸗
lande. Als ihre Entdeder gelten Chinefen, die erft- im Jahre
1430 durch einen Schiffbrud) fie näher kennen lernten. Um
1600 famen zuerſt Dapaner dorthin, ein brittel Jahrhundert
fpäter Portugiefen, Spanier, denen die Infel ihrem bei den
Europiern gebräuchlichen Nanıen der „ Schönen“ (Formoſa)
verdankt, und Holländer, Die Infel, welche etwa halb fo
groß ift wie Irland und etwas größer als Sicilien, zerfällt
in zwei völlig von einander verfchiedene Hälften, verſchieden
nach ihrer natürlichen Beichaffenheit, verfchieden nach ihrer
Bevölferung. Ebenfo find die beiden Hälften in fehr uns
Er Weife ber Außenwelt bekannt. Schon ein fllichtiger
fit auf eine genauere Karte des Eilandes geniigt, um
+, Mewerkings find einige imbaltreiche Muffäge über Jormoſa et⸗
ſchienen, zu denen die meuliche chineſiſch- japaniſche Berwidelung An«
laß gab; fo befonbers eine ſreffliche Zufammenftellung alles Be—
fannten von & ©, Ravenflein (The Geogrnphienl Magazine 1,
1874, p. 292 seg. mit Karte). Weber bas Innere giebt Thomfon
im Journal der Kopal Geogtaphical Serietp von 1873 Nachricht;
ſodann F. Knoblauch im arten Hefte ber „Mitebeilungen ker
deutſchen Seftllſchaft für Nature und Völferfunde Ditafiens” (Woflo«
hama 1875), währen für bie Küſten zu benugen id „Aus den
Neifeberichten Sr. Majeſtat Shift „Ariadne”, Gorvetten-Gapitin
Kühne” in ten Annalen der Hydregtaphie und maritimen Meteo»
rologie IIE, 1875, Mr.13 u. 14, fowie „Capt. B. W, Bax, The
Eustern Sens, being a narratire of the voyage of H. M. 5,
nDwari“ (London, Murray 1875).“
@lobus XXIX. Nr. 20.
diefen Unterfchied fofort zu bemerken. Die trefflichen See
farten der englifcen Admiralität z. B. zeigen im Weiten
reiches Detail der Küftenformen wie der Tiefenverhältnifie
des Meeres, im Often nur eine rohe Küftenlinie und ab und
zu eine unguverläffige Yothung. Und ebenfo enthält die
große dyinefifche Starte der Inſel im Weiten eine Menge
von Fluſſen, Orticaften und Namen und im Oſten nichts
ald einen großen weißen Fleck. Die reichen, fruchtbaren
Ebenen des Weſtens ftehen in eben fo ſcharfem Gegenfage
zu bem gebirgigen Oſten, wie bie eingewanberten Chinefen
und halbeiviliſirten Cingeborenen auf der dem dhinefifchen
Feſtlande zugelehrten Seite zu ben Aboriginern des andern
Abfalles der Gebirge, melde wie ein Rüdgrat die Inſel
burdjziehen und bis nahe 13,000 englische Fuß anfteigen,
Schon vor 1430 haben die Chinefen dies Yand, das fie
Zairwan nennen, gefannt, da die hohen Berge befjelben von
der gegenüber liegenden Küfte aus fichtbar find; aber fie
ſcheuten ſich wahrſcheinlich aus Furcht vor den wilden Ein-
geborenen, es zu betreten. Als aber erft einmal der Anfang
gemacht war, ſchwoll der Strom ber chineſiſchen Einmwan-
derer, welche vornehmlich aus ber Provinz Fu-fiang famen,
raſch an und wußte mehr durch Liſt und diplomatische Ränke
als mit Gewalt die gutmüthigen und vertrauensfeligen Ein»
geborenen von ihren fchönen Ländereien zu verbrängen und
ſich in deren Bejig zu fegen. Städte wurden gegründet (fo
bald nad) 1682, nachdem die anfangs felbftändigen Chinefen
ſich der Pelinger Regierung unterworfen hatten, die Haupt«
ftadt Zai-wan-fu) und mit hohen Mauern umgeben, immer
39
306
mehr und mehr dehnten ſich die chineſiſchen Pflanzungen und
Gehöfte aus, und ſchließlich blieb den urſprünglichen Herren
der großen Ebene, welche den ganzen Weften der Infel in
ihrer gefammten Erftredung von Norden nah) Süden, ja
noch einen Theil des Nordens umfaßt, nichts übrig, al® in
den Felſen und Urwäldern des Innern eine Zuflucht zu
fuchen. Das Grenzgebiet zwifchen den Ureinwohnern und
den Chinefen haben die Hakeska in Befig, die zwar ebenfalls
|
|
Thomſon's Reife auf Formoſa.
aus Furfang ftammen, aber ihre eigene Spradje reden und
mit den Chineſen nidyt verwandt find. Sie find gewifler-
maßen die Vorpoften der Chinejen und liegen mit den Berg:
bewohnern im fieter Fehde; ihre Dörfer haben fie deahalb
befeftigt und mur in voller Bewaffnung wagen fie es, ihre
Felder zu beftellen. Biele der Mugen und keineswegs fehr
fampfluftigen Chinefen dagegen ftellen ſich mit den Ein»
geborenen auf einen guten Fuß, indem fie ihnen Feuerwaffen,
Bepohoane.
Bulver, Opium u. ſ. w. liefen und baflie von denfelben
aufer Kampher, Hörnern, Fellen und anderen Naturproducs
ten junge Mädchen zur Ehe erhalten (ihre erften Frauen
haben fie gewöhnlich drüben auf dem Feſtlande gelafien).
Eine zweite Bevölferungsclafle find die tributpflichtigen
und halbeivilifirten Eingeborenen in den Thälern und auf
den Dergabhängen zunächft dem Gebiete der noch gänzlich
unabhängigen Wilden, Es find die Schehhoand im Nor:
ben, die, jo weit fie Mderbau treiben, dem im füdlichen Fu—
|
fang herefchenden Dialelt angenonmen haben. Die Uebri-
gen leben von Jagd und Fiſchfang und haben ihre eigen:
thlimliche Sprache bewahrt, welche, wie die gefammten Dialelie
ber Eingeborenen Formoſas, mit dem Malayiſchen Aehnlich-
feit hat und wahrfcheinlich von demſelben abftamınt. Im
Süden leben unter gleichen Berhältnifien die Bepohoans,
db. h. fremde der Ebene, meiſt friedliche Aderbauer, welche
zwar den Dialelt von Amoy fprechen, fonft aber alle Mert-
male ihrer Abftammung bewahrt haben. Diejenigen unter
Thomſon's Reife auf Formoſa.
Jäger aus dem gebirgigen Juneru Formolas,
307
308
ihnen, welche in Nachahmung der Chinefen fid) dem Handel,
dem Spiele und dem Opiumrauchen hingeben, gehen einem
rafchen Berberben entgegen, und zu deren Schaden begreifen
die ſchlauen Einwanderer aus dem Himmliſchen Reiche ſehr
wohl, welche werthvollen Bundesgenoffen fie in jenen Yeidens
fchaften haben. Der Bepohoan, welcher einmal eime Pfeife
Opium geraucht hat, verfauft bald fein letztes Stlid Eigen-
thum, um nur bem Yafter weiter fröhnen zu können. Biele
aber, und namentlich die ganz Unabhängigen, hegen einen
inftinctiven Haß gegen die Eindringlinge und ihre Danaer-
geichente, und es ift ein wahres Feſt flr fie, wenn eim ums
glüdlicher Zopfträger ihnen in die Hände fällt und jänmer-
lic; zu Tode gemartert wird. Und muß fich nicht ein bitteres
Geflihl des Haffes ihrer bemächtigen, wenn fie von ihren
Bergeshöhen in die lachende, dörferreiche, von Canälen und
Straßen durchzogene Ebene hinabbliden, weldye einft ihren
Vorfahren eiguete, welche ihre Fruchtbarkeit den Waſſern
ihrer Berge verdankt und von weldyer fie die feiten Städte
der Fremden fir immer fernhalten ?
Diefe Ureinwohner *), welche die Chinefen unter dem
Geſammtnamen ber Tſchiu⸗hoan (d. i. rohe Wilde) oder Sang⸗
fan (d. i. Kannibalen, ein Beinante, den fie nicht verdienen)
begreifen, zerfallen in eine Menge von Stämmen, die in
beftändigem Kampfe mit einander und mit den Chineſen
leben und durch ihre Zeriplitterung den legteren das Vor—⸗
ruden erleichtern, Nur im äufßerjien Süden der Infel ber
fteht ein Bund von 18 verfchiedenen Stämmen, Kali ge
nannt, welche unter einem einzigen Oberhaupte, dem Zofetof,
ftehen, aber alle zujammen nur 10,000, nad) Anderen fogar
nur 2500 Seelen zählen. Nördlich von diefen, aber noch
auf ber ſchmalen Halbinfel, in welche Formoſa nadı Süden
ausläuft, figen die Butang; weiter hinauf, genau öfllid) von
ZTairwan-fu, die Bantanlang, dann die Pafchien, Sibifun,
Samobii, Pſchui-hoan, Pſchai⸗hoan u. ſ. w. So feindjelig
ſich dieſe Stämme gegen die Chineſen verhalten, eben fo
freundlich find fie den Europäern, die fie mit den Hollän-
dern, denen fie ein gutes Andenken bewahrt haben, zufammens
werfen.
*
* *
Die Producte der Inſel find zahlreich, aber der Handel
liegt unter dem Drude der verſchiedenſten directen und ins
divecten Steuern, welche die chineſiſchen Behörden erheben,
danieder, und die wenigen Häfen an der Nord» und Weit:
füfte, welche dem Verlehre dev fremden Bölker geöffnet find
(Kelung und Tamſui im Norden, Taiswansfu und Tasfau
im Weiten), verfanden zunehmend und bieten der Schifffahrt
täglich größere Schwierigkeiten dar. Haft die ganze Weit:
füjte von Formoſa wird nämlich durch fehr niedriges ebenes
Borland gebildet, welches befonders bei Tai-wansfu und nord»
wärtd davon weit vorliegende Sandbänfe und Untiefen hat,
welche, wie nachweislich die gefammte Weftküfte, in beftäns
digem Anwachſen begriffen find. Kelung ift wenigftens ftets
zugänglich, während Ta-fau infolge der Strömung während
des Norboftmonfung (die Strömungen in der Straße zwijchen
Formoſa und dem Feſtlande find überhaupt ſehr ftart, un:
regelmäßig und meiſtens von den herrichenden Winden beein-
flußt) und wegen ber heftigen Brandung fajt die Hälfte des
Jahres hindurch den Schiffen fo gut wie verſchloſſen iſt.
Bon großer Wichtigkeit find die neuerlich aufgefdjloffenen
Kohlenminen im Norben der Anfel, deren Product, be:
ſonders mit englifchen Kohlen gemifcht, ein ganz vorzügliches
Heizmaterial abgiebt, jo daß die fremden Handelsdampfer ſich
*) Bergl. über biefelben und ihre Sitten und Lebentweiſt, was
wir in Od. XXVI (1874), ©. 253 ff. nah @. 6, Taintor in
Schanghai mitgeibeilt haben,
Thomſon's Reife auf Formoja.
ſchon ganz daran gewöhnt haben, Kelung anzulaufen, um
Kohlen einzunehmen. Trotzdem biefelben auf die primitivfte
Weiſe durd; horigontale Günge anftatt durch Tiefbau gemon-
nen werden, umd bie Behörden ſich alle Mühe geben, ihre
Production durch ſchwere Steuern herabzumindern *), fo ftieg
dennoch die Ausfuhr bderfelben aus den beiden nörblicen
Häfen Tamfui und Kelung in dem Zeitraume von 1869 bie
1873 von 247,476 Pituls (Handelegewicht in ganz Dft-
alien, das nad) den Verträgen der Engländer gleich 60,478
Kilogramm ift) auf 758,974 Pituls und läßt alle anderen
Erportwaaren, als da find Kampher, Neis, brauner Zuder,
Thee, Holz und Hanf, an Menge und Werth weit hinter ſich
zurlick. Sobald nur diefe reichen Lager erſt rationell betvie-
ben und die hohen Zölle ermäßigt werben, wird bie Kohlen:
ausfuhr Formoſas auch ſich mächtig heben und die ihr ges
bühvende Wichtigkeit für den Handel der oftafiatifchen Gewäſ⸗
fer erlangen.
Wichtig ift ferner dev Kampherbaum (Laurus Cam-
phora), welcher die unterfien Abhänge der Gentralfette, na:
mentlic, im ihrem nördlichen Theile, im großen Wäldern
bededt und trog der enormen jährlichen Abholzung jo bald
noch nicht aufhören wird, Planten und das zur Gewinnung
des Kamphers nöthige Holz zu liefern. Diefes legtere wird
von den Eingeborenen gefammelt und an die Hak-fa verfauft,
welche es im Kleine Stüde baden und durch ein einfaches
Berfahren auf einander folgender Sättigung, Verdaupfung
und Condenfirung ben Kampher gewinnen und dann das
Holz zur Feuerung verbrauchen, Bis 1868 war der Han-
del mit diefem Product Monopol und an einen chinefischen
Generalpächter verpachtet, der vortreffliche Geſchäfte gemacht
haben muß, da 1 Pikul, der am Herftellungsorte 6 Dollars
foftete, in Honglong 28 werth war, Als dann 1868 das
Monopol aufgehoben wurde, ftieg die Ausfuhr diefes Artikels
fofort nahe auf das Doppelte; allein jetzt follen den chine ⸗
ſiſchen Agenten der fremden Kaufherren fo viele Hinderniffe
in den Weg gelegt werden, daß diefelben faft wieder einer
Monopolifirung gleichtommen. Immerhin aber erportirten
Tamfui und Kelung in den fünf Jahren von 1869 bie 1873
tefp. 13,797, 14,481, 9691, 10,281 und 10,755 Pituls
diefer werthvollen Drogue.
Der von China aus eingeführte Theebau bot anfangs
mancherlei Schwierigfeiten dar, hebt fich aber reißend raſch,
da ber Pilanzer ohne viel Rifico von jedem Acre an 10 Pf. St.
(200 Reicdysmarf) jährlich einnehmen kann. Den größten
Theil der Ernte nimmt Newport; feinere Sorten gehen nad)
England. Bon 1869 bis 1873 hob ſich der Export, der
meift über Tamfui geht, von 5469 auf 15,609 Piluls.
Der auf den Bergen unweit Taiswan-fu wildwachſende Thee
wird bis jegt nur im Inlande verbraudt; Chinefen ver»
fuchen, ihm zu veredeln.
Während fo der Norden Kohlen, Thee und Kamıpher lie:
fert, hewefcht im Süden der chineſiſchen Hälfte Formoſas bie
Production von Reis und Zuder vor, während die Mitte
Indigo hervorbringt. Der Reis ift wegen feiner Güte in
China fehr gefudyt und Taiswan-fu fol davon jährlid, über
eine halbe Million Piluls, befonders nad Fusfiang, ver
frachten. Zuckerrohr gedeiht im Süden trefflic und brauner
Zuder wird in Menge von Ta-fau und Taiswan-fu verſchifft,
befonders nad) Japan, China und Auſtralien, Das Ber
fahren bei feiner Gewinnung ift jo vob, daß gegen 10 Procent
Auder verloren gehen, und die Einführung von Mafchinen
ift am der Paſſivität der Chinefen gefcheitert. Was jonft
noch an Hanf, Bambus, Sefam, Grundnußöl u. j. w. aus:
*) Ganz neuerbings machte der Mandarin von Kelung befannf, daß
die Diinen nunmehr mit englifchen Maſchinen bearbeitet und einige
Bergleute ala Lehter ker chineſiſchen Arbeiter angeftellt werden fellten,
Thomſon's Reife auf Formoſa. 309
Ta⸗tau auf Formofa.
|
I
i
4
310
Die californiſchen Indianer.
geführt wird, ift gering im Vergleiche mit den fünf ebem| des Meeres, welches Sand anfpülte, und des Stromes, der
näher befprodyenen Artifeln. An Mineralien find bis jegt
außer den Kohlen noch trefflicher Schwefel und Petroleum,
beides in der Nähe von Tamſui, befannt; aber ihre Gewin⸗
mung ift von ber Regierung verboten worden und fann nur
heimlich betrieben werben, fo daß felbft die Behörden auf
Formoſa den zur Pulverbereitung nöthigen Schwefel von
Amoy fommen laflen müflen. Sollten ſich aber bei näherer
Erforfchung der noch faſt unzugänglichen Ofthälfte der Iufel
aud) weiter feine nugbaren Mineralien finden, fo hat fie doch
auf alle Fälle an ihren noch unberührten, tiberreichen und
fippigen Wäldern auf lange Zeit hinaus den Foftbarften
Schatz, der einft zum Baue von Schiffen und für die Edywels
len der Eifenbahnen, welche das Himmliſche Reich durchgie—
hen follen, ausgebeutet werden wird.
*
* u
Mr. J. Thomfon, deſſen Erzählung wir weiterhin
folgen und nad) deſſen Photographien und Skizzen die bei»
gegebenen Holzftiche hergeftellt find, bereifte in den Jahren
1870 bis 1572 China als Photograph. Die Frlichte feiner
Reiſen und Aufnahmen bilden eine große Anzahl trefflicher
Photographien, von denen 200 mit erläuterndem Texte zu
vier Pradıtbänden vereinigt als „Ilustrations of China
and its people* feit 1873 in Yondon erfchienen find. Im
Berlaufe feiner Reifen beſuchte er auch im Begleitung des
Dr. Marwell Kormofa und mäherte ſich der Inſel zuerft
bei Ta-au. Die Rhede von Ta-lau ift gegen Nordwinde
wenig gefchlügt, dagegen fehr gut gegen die öftlidyen durch
den ungefähre 366 Meter hohen Ape Hill (Affenberg, jo
genannt nad) dem zahlreich dort haufenden Bierhändern),
welcher eine vorzligliche Landmarle zum Anfegeln abgiebt,
fowie durch Saracen Head, einem füdlicd davon liegenden
langgeftredten felfigen Hügel, auf welchem jest ein Wort
errichtet wird. Zwiſchen diefen beiden fteil abfallenden Ber:
gen ift die ungefähr 30 Meter breite Einfahrt zu dem Hafen,
vor welcher jedoch eine Barre liegt, welche Schiffe mit etwa
3%, Meter Tiefgang bei ruhigem Wetter paffiren fünnen,
auf der aber ſelbſt bei mäßigem nördlichen Winde eine fo
bedeutende Brandung fteht, daß das Paffiren derjelben für
Boote gefährlich wird. Hinter der Einfahrt erweitert ſich
der Hafen zu einem geräumigen Bafjin, das im einer 10
Scemeilen langen Yagune ausläuft, aber durd; Saudbbünfe
und Untiefen fo verengt wird, daß nur wenige Schiffe darin
Plag finden. Thomſon ift der Ueberzeugung, daß eine euro»
päifche Macht Leicht im Stande fein wiirde, dem Anwachſen
der Sandbänfe im Hafen von Tarfau Einhalt zu thum und
felbft die Barre zu befeitigen. Noch zur Zeit der Holländer
mündete im das flidliche Ende der oben erwähnten Lagune,
die damals noch nicht eriftirte, ein großer Fluß, deſſen heute
faft trodenliegendes Bett als Angemangsfang, d. h. Watt
bes rothhaarigen Volkes, befannt it. Die vereinten Kräfte
Maſſen von Geröll von den Bergen herabführte, erzeugten
einen langen und breiten, heute mit Üppiger tropifcher Be
getation bededten Streifen Yandes, der jene Lagune von der
See ſcheidet.
Ein chineſiſcher Yootfe mit dem Spignamen Opium, wel:
hen er feiner Beſchäftigung, diefen Artikel einzufchmuggeln,
verdaulte, führte Thomſon's Schiff in den Hafen. Noch
aber befand fid) diefer 1 bis 2 Kilometer vom feften Lande
entfernt und da er bei der hochgehenden See nicht Yuft hatte,
fid) den erften beften Boote anzuvertrauen, fo entſchloſſen
er und Dr. Marwell ſich, mit „Opium“ an bas Laud zu
fahren. Der war wegen feines unerſchütterlichen Kaltblutes
und feiner Unerſchrodenheit felbft bei dem ſchlimmſten Wetter
berühmt, und im Opiumfcmuggel fuchte er feines Gleichen,
wie Überhaupt die Chinefen, z. B. in Californien, gerade für
diefen Erwerbözweig fpecielle Vorliebe befigen. Nur haben
fie in den Sans sranciscaner Zollbeamten ihre Meifter ges
funden, welche das vielbegehrte Gift ſelbſt in dem Doppelboden
eines Neijeloffers, in den Sohlen feidener Schuhe oder im Futter
eines wattirten und gefteppten Rockes zu entdedten verflchen.
Mit fiherer Hand führte Opium den Kahn durd) die
wilde Brandung in eine Heine von vulcanijchen Felſen um«
gebene Bucht. Die Stlippen fehen aus wie gefcdmolzenes
und plötzlich erftarrtes Erz und find voller Höhlen und Yöcher,
deren Ränder hart wie Ktieſel und ſchneidig wie Glas find.
Meift enthalten biefelben etwas fandige Erde, im welcher
Sträuder und Zwergpalmen wachen. Beim Landen iſt
man Üüberrafcht, zu beiden Seiten hübſche europäifd, gebaute
Häufer zu finden jowie einen Quai, am dem die Schiffe an«
legen fünnen. Der chineſiſche Theil von Ta-fau erinnert
durch fein tropiſches Ausſehen und feine Schattigen Palmen ſeht
an die Ortſchaften des Malayiſchen Archipels. Nur bezeug:
ten die Schaaren großer Schweine, welche überall herumliefen,
fofort, daß dort weder Mohammiebaner noch Dlalayen wohnen.
Der Handel der Stadt ift Ichhaft: Taufende von cine;
fifchen Fahrzeugen importiren Artikel von ganz China und
erportiven Yandesproducte (1872 im Werthe von über 7 Mil-
lionen Mark), namentlid) Zuder von Januar bis März und
Reis im Juni und Juli. Der Fiſchfaug, bei weldyen Ka—
tamorans, aus Bambus verfertigte Boote, verwendet wer:
den, iſt ziemlich bedeutend, das Yand im Innern reich au
Früchten mancherlei Art. Mit Tai-wan-fn beſteht eine regel:
mäßige Verbindung zu Waſſer und zu Yande, weld) legtere
durd; Yäufer unterhalten wird. Dielelben befommten von
den Europäern eine monatliche Beiftener und befördern baflir
täglich die Briefe. In Bezug auf den auswärtigen Handel
find indeſſen beide nur etwa 20 Seemeilen von einander ent»
fernten Orte fast als ein Plag zu betrachten; wenigftens find
die Vertreter der fremden Sandelshäufer Agenten fiir beide
Pläge: fie wohnen in Ta-kau und machen nur häufige Rei—
fen nadı Tai-wansfır,
Die californifhen Indianer.
Mit dem Worte „Indianer“ pflegen wir unwillkürlich
mancherlei Begriffe und Cigenfchaften zu verbinden, die in
Wirklichteit nur für die atlantifhen Stämme der amerilas
nifchen Ureinwohner zutreffen, und von denen man vollfom«
men abjehen muß, wenn man fi) von dem californifchen
Zweige derfelben ein richtiges Bild machen will. Dahin
gehört der Begriff des ‚Großen Geiftes“, dem dies realiftifche,
alles Ideelle perfonificirende Bolf nicht fennt; ferner die
„himmlischen Dagdgründe*; denn ihr Himmel ift ein Scjla«
raffenland, in das eine Anftrengung wie die Jagd nicht
Die californiſchen Indianer.
paffen würde. Unzutreffend it ferner fiir fie die „Kupfer«
farbe“, „die fühnen Geſichter mit der Adlernaſe“ und der
„barbarifch prächtige Hörperfhmud“. Unerfclitterliche Feſtig
feit zeigt zwar der zum Tod verdammte Krieger glei) dem
Irotefen oder Vawnee, aber feine Augen können den Groll
über fein Mißgeſchick nicht verleugnen. Unzutreffend ist ſchließ
lich die „blutige Scalplode*, der „Marterpfahl des Gefange-
nen®, die „rohe Kriegsfarbe“ (die Galifornier verwenden
dazu Schwarz), das Tomahawl, das Totem und das Kalumet.
311
Mir haben es mit einer niedrigen Race zu thun, diel«
leicht einer der niedrigften auf der Erde liberhaupt, und doc)
weiß uns die Geſchichte ihres Dafeins belehrend genug von
barbarijcher Fülle und Reichthum und von ber Fähigkeit in
der Eivilifation nicht fortfchreitender Wilden, große und dichte
Bevölterungen herporzubringen zu erzählen, mehr vielleicht
‚ ale die wenn auch romantijchere Geſchichte der Algonquine.
Mancher unferer Leſer wird faum glauben, daß Californien
Gegenden befigt, die einft mehr Indianer ernährten, als je
Indianer von der caliſorutſchen Wiijpom in Weonteren.
Weihe auf ihnen Play finden werden ; aber davon wird fich
jedenfalls mandyer durch die Yectlire bes Folgenden über—
zeugen, daß die Urface des Verſchwindens der Indianer
nicht in der Wildheit an und für fich Liegt und daß der
weiße Dann richt, wie die Phrafe lautet, „gelommen ift
um den Platz einzunehmen, den der Eingeborene leer zurlick⸗
gelafien hat“, indermord mag bei ihnen häufiger al& bei
uns vorgefommen und bei Zwillingen infofern weniger hart
zu beurtheilen fein, als fie fünftliche Nahrungsmittel nicht
lannten; gelegentlicher Eiternmord, wenn auc häufig auf
(ad) cur Photographie.)
Anſuchen ber entfräfteten Alten felbft, mag bei uns feine
Parallele finden; was aber Rache. Verrätherei, Grauſamleit,
Mord — die ſchwarze Seite ihres Lebens — betrifft, jo ift
in diefer Hinficht von ihnen nie etwas verlibt worden , was
nicht durch Thaten einzelner Grenzmänner minbeflens auf:
gewogen wäre, und wenn Wood im feinem großen Werke
Über unciviliſirte VBölferracen behauptet, daß die wilde Welt
ſich felbft aufrieb, während der weiße Dann noch weit weg
war, fo hat died wenigftend für die californijhen In—
bianer feine Geltung.
312
Man findet bei den californiſchen Stämmen fieben be»
ftimmt verfchiedene Arten von Wigwams. Ie nachdem dieſe
oder jene Art von Material in einer Gegend vorherrichend
ift, beftehen fie aus Holz, Erde oder verfchiedenen Sorten |
Stroh. Im waldigen Gegenden dienen große Stüden Rinde
beftimmter Baume zur —— des legelförmigen Stan»
gengerüftes; in den baumlofen Ebenen dagegen wird aus
Erde und Yehm ein fuppelförmiger Ban errichtet, dem nur
wenige Balfen zur Stüge dienen. Die Strohhlitten pflegen
jährlich verbrannt zu werden, um das Ungeziefer zu tödten,
Indianer von der caltforniſchen Miljion.
Auf der Spige des Hügels, inmitten des Dorfes, erhebt
fid) das fuppelförmige Tanzhaus meiſt unmittelbar unter
dem Schatten einer allein ftehenden breiten Eiche, deren
Zweige das Dad) des Haufes vor der Einwirkung der
Sonnenſtrahlen fchligen und daſſelbe, zumal es ftarf mit
Erde beworfen ift, zu einem angenehmen, fühlen Aufenthalt
während des Tages machen. Drinnen liegen die Männer
ausgeſtreckt auf dem fühlen Eſtrich, und von Zeit zu Zeit
fann man einen derfelben durch dem niedrigen runden Ein—
gang auf allen Bieren hinein oder heraus kriechen jehen.
Die californifchen Indianer.
und im ber warmen Sahreözeit, im der ja in Californien
vom Regen nichts zu fürchten ift, verlaffen alle ihre wärmer
ren Quartiere und leben in „wickiups“, Buben aus Reifig-
holz, die oft nur aus einem flachen Dach ohne Seitenwände
beftehen und am Ufer der wenigen Wafjer führenden Ströme
auf Heinen Hligeln erbaut find. Hier verbringen ihre Ins
‘ faflen dem langen woltenlofen Sommer in leichtlebigem,
fröhlichen Nichtsthun, Beeren und Wurzeln fammelnd, Yachie
ſchießend oder last not least im Schatten irgend einer gro-
gen Eiche hingeftredt ausruhend,
— |, tND
Mac einer Vhotographie. )
Die Weiber, welche das Tanzhaus nur an feftlihen Tagen
betreten dürfen, und bie Kinder fuchen ſich außerhalb befjel-
ben einen möglichſt fühlen Plag aus,
Rund um das Tanzhaus find etwa ein halbes Dußend
oben coniſch zugehende, rauchgefhwärzte Hlltten über den
Hügel verteilt, jede mit einer Deffnung auf der Nordfeite,
um ihre Bewohner vor der Sonne zu fchligen, und rohe
Widiups erftreden fid) von einer zur andern oder find wie
Flügel zu beiden Seiten angebradjt. Ein ober mehrere
Kornfpeicher von noch ſchlechterer Beſchaffenheit, einem
Die californischen Indianer.
Orboftfaß in Form und Größe ähnlich, voll von Edern
und mit Neifig bebedit, befinden fidh in unmittelbarer Nähe.
Träumen, Schlafen und nochmals Schlafen ift die Tages-
ordnung; fein Laut unterbricht die Stille der heißen Tage
außer etwa das einförmige Getöne des Mörfers, in bem
irgend eine Squaw Edern ftößt. Kommt die kühlere Nacht,
fo ergiebt ſich das ganze Lager, in Lebhaftigkeit mit dem tol=
len Jubel der Neger wetteifernd, dem Bergnligen des Tanzes.
In körperlicher Hinficht unterſcheiden fie ſich weſentlich
von dem traditionellen Algonquin-Typus. Ihre Figur ift
etwas fürzer und namentlich in ber Jugend breiter; ihre
Farbe ift nicht kupfern, fondern ſchwankt vom Gelb und Nuß-
braun bis zum Dunlelbraun und fogar Pechſchwarz. Die Nafe
hat nicht die kühne Adlercurve, fondern ift platt, und bie
Nafemvurzel erhebt fich nicht Über die Berbindungslinie der
Augenpupillen, fo daß eine fir einen californifchen Indianer
beredynete Brille keinen gekrümmten, fondern einen geraden
Berbindungsbalken der beiden Gläfer haben mitte.
Ihre phyfifchen Kräfte Überfteigen die der Chineſen, wo⸗
für der Lohn, dem fie ald Arbeiter empfangen, der ficherfte
Mafftab if. Ein Chinefe erhält bei Eifenbahnbauten
1 Schilling pro Tag und beföftigt ſich felbft; Indianer, die
truppweife an Chaufleebauten arbeiten, erhalten 75 Cents
bis 1 Schilling umd Belöftigung, was im Ganzen einem
Lohn von 1,25 bis 1,50 Sch. entipricht. Dabei vertrauen
ihnen Farmer werthvolle Gejpanne und complicirte lands
wirthichaftliche Maſchinen weit cher an, als einem Chinefen;
ja fie laſſen fie fogar mit am ihrem Tiſche eflen, was fie
einem Ehinefen nie geftatten wiirben. Die heiße und ſchwere
Arbeit in den Plantagen hält der Indianer befjer aus, als
ber ebenfalld aus heißem Klima kommende -Chinefe, und
auch im ehrlichen Kampje Mann gegen Dann wirb letzterer
ftets den Kürzern ziehen ; furz der Indianer übertrifft ihn in
förperlicher Beziehung in jeder Hinficht. Freilich find bie
Berg⸗ Indianer, welche mehr Gelegenheit zur Jagd haben,
nicht fo willig zur Arbeit, wie die ThalsIndianer. Die Ber
hauptung, daß die Indianer ungeheuer ftarfe Eſſer feien und
dieſem Umftande ihre Ueberlegenheit über die Chinefen als
Arbeiter zu danfen haben, verdankt übrigens einem Vorur ⸗
theil ihre Eutſtehung; allerdings effen die neu in eine Plan-
tage lommenden filr einen oder zwei Tage fehr gefräßig, um
ihren von ber wenig nahrhaften Koft wilder Früchte ausge
vweiteten Magen zu fitllen, dann aber werben fie von ber
beffern Belöftigung eher gefättigt und brauchen nicht mehr
als ein Weißer, ber biefelbe Arbeit thut. Der Irrthum,
daß ihre phyſiſche Beſchaffenheit nicht der obigen Schilderung
entjpreche,, geht von denen aus, die mur bie berfommenen
Ueberrefte der Race im Flachlande kennen gelernt haben,
als die fräftigeren Bergbewohner bereits aufgerieben waren.
Alte Pionniere, namentlich; am obern Yaufe bes Trinity und
am Fuße bes Felſengebirges, ſprechen dagegen mit Begeifte-
rung von wahren Riefen, die fie in früheren Tagen gefehen
haben, prächtigen nicht diden, aber fehnigen Burſchen von
minbeftend 180, ja 200 bis 250 Pfund. Andererfeits fals
len fie allerdings, namentlich, die Weiber, im höherm Alter
außerordentlich ab, was ihnen dann ein verfchrumpftes, runz«
liges Ausjehen giebt, und es kommen einzelne Fülle vor,
daß alte Yeute nicht viel über 50 Pfund wiegen.
Wirllichen Schaden für ihre körperliche Beſchaffenheit
hat dagegen die Berührung mit ber Civilifation fur jte im
Gefolge gehabt. Obwohl fie im ihrem Aeußern ſchmutzig
find, giebt es doch unter allen denen, bie bei ihrer urjprling-
lichen Yebensweife geblieben find und ihre Nahrung kalt zu
ſich nehmen, nicht einen, ber nicht wunderfchöne weiße Zähne
hätte Mit dem Genuß von heißem Kaffee und heiker
Speife fangen fie an, an Zahnſchmerzen und übelriechendem
Globus XXIX. Nr, 20.
313
Athem zu leiden. Frllher, da ihnen das Entlleiden feine
Umftände machte, wetteiferten fie mit ben Enten im Aufent⸗
halte in dem nafjen Elemente und in ber Fähigkeit, Tange
darin unterzutauchen und befanden ſich wohl dabei. Seit
fie Kleider ober befier gejagt Lumpen anlegten, fingen fie
an biefer guten Gewohnheit zu entjagen, während jie mur
an befonders heißen Tagen ſich ihrer armſeligen Fetzen ent»
ledigen, durch bie fie immerhin fo verwöhnt find, daß fie
fid) nunmehr Erkältung, Huften, Bräune und Schwindſucht
zuziehen, Ktrankheiten, durch die fie zu Tauſenden weggerafft
wurden. Im ber That, feit Adam und Eva das verhäng-
nißvolle Feigenblatt anlegten, ift Kleidung flr fein Volt
ein Symbol von ſchlimmerer Bedeutung gewefen.
Wenn es richtig ift, daß die beiden vorzliglichſten Zei
hen nationaler Größe Tapferkeit im * und vorgeſchrit⸗
tene ſociale Stellung des Weibes ſind, ſo ſcheinen unſere
californiſchen Indianer allerdings eine niedrige Stufe ein«
unehmen. in friegerifches Volt waren fie wenigftens
nicht; das beweift ber vollfommene Mangel des Schildes
und die geringe Anzahl von Kriegswaffen, die nur in Bogen
und Pfeil, ſehr rohen Speeren und gelegentlichen Stein»
ſchleudern beftanden. Freilich würde es ungerecht fein, ihre
Kriegäthaten mit benen der Ulgonquin-Stämme vergleichen
zu wollen; denn während legtere während zweier langer, bluti«
ger Jahrhunderte, in benen fie ihren Ruhm erwarben, beinahe
immer in Üüberlegener Stärle gegen jpärliche Niederlaffungen
fämpften, deren Snfaffen nur zum geringern Theil waffenfähig
und außerdem durch Malariafieber, wie fie in neu gerodeten
Wäldern entftehen, geſchwächt waren, ergoß fid) Über jene
ein Strom von Hunderttaufenden auserlefener junger Män«
ner der Nation, bie, unbehindert von Weib und Kind, mit
ben verheerendften Waffen meuefter Eonftruction ausgerüſtet,
bon der ungeftämen Energie befeelt waren, die der grenzen⸗
loſe Golddurſt in dem richtigen Amerikaner erzeugt. Wehe
bem Dorfe, das nur im Verdacht ftand, den Dieb eines Pad-
eſels zu feinen Einwohnern zu zählen, oder das ſich nur
vernehmlich darüber beflagte, daß die Goldgräber das Wafs
fer der Ströme trübten, fo daß das Padys-Schiefen unmög-
lid ſei — in weniger als einem Monat war feine Seele
mehr da, ſich zu beflagen. Nie vorher in der Geſchichte
ift es vorgelommen, daß ein Bolt mit jo entfeglicher Schuel⸗
ligkeit vom Erdboden verſchwunden, fo plöglic in lautlofe
Bergefienheit verſunken if. Nur wenige flohen vor ber
erbrüdenden Uebermacht in unzugängliche Felſen, wohin es
die Golbgräber nicht gelüftete ihnen zu folgen, oder vers
frochen ſich unter die Wälle ber Forts und unter den Schutz
der alten Pionniere, bie unter ihnen lebten und fie nun, jo
gut fie konnten, vor den Goldgräbern fchligten.
Aber bliden wir in die Zeit der erften ſpaniſchen Er—
oberung zurlich, fo erfcheinen fie und doch nicht jo ganz ver-
ächtlich; die fpanifchen Chronifen wiflen oft genug wider
ihren Willen von empfindlichen Schlappen zu erzählen, die
ihnen „los bravos Indios* beibradjten, und es genügt, die
hartnädigen Kämpfe auf den Big Plains, bein Blue Rod,
beim Bloody Rod, am Eel River und am mittlern Trinity
zu erwähnen, um ſich fo mandje Scene von Heroismus ind
Gedächtniß zuridzurufen. Auch das läßt fie in unferer
Achtung fteigen, daß fie fid) nie zu dem graufamen und fei⸗
gen Martern, denen die Algonquins ihre Gefangenen unter
werfen, erniedrigten. Immerhin fünnen fie in Tapferkeit
mit den Algonquins nicht wetteifern, während fie ſich dage-
gen vor biefen wie vor ben Dregon-Inbianern vortheilhaft
durch die Behandlung ihrer Weiber auszeichnen. ° Sie find
weit weniger der Polygamie zugethan — die Klamaths find
jogar Monogamiften — und machen ihre Weiber nicht zu
niedrigen Sflaven', fondern theilen ſich wit ihnen in die
40
314
Urbeit. Der Hausherr baut immer die Wohnung, fängt
Fische und Wildpret, hilft beim Sammeln von Edern und
Beeren umd bringt den größten Theil der Feuerung heim.
Gutmüthig wartet er zuweilen bie Heinen und hilft wirklich
im Haufe, gerade fo viel als im Durchſchnitt der Hinter:
wälber Farmer. Wäre nicht die Handmühle die unerjchöpfs
liche Duelle von Thätigfeit für die Squaws, man könnte
nicht fagen, worin ihr Loos härter wäre, ald das des Weir
beö eines amerifanifchen Grenzmannes. Im Zorme fchlägt
er zwar ohme viel Gewiljensbiffe fein Weib oder feine
Schwiegermutter, namentlich die letztere, aber charakteriftiich
fie das ftete Streben der Weiber, ſich womöglich auf ganz
gleiche Stufe mit den Männern zu ftellen, ift das beinahe
allgemeine Vorlommen von einer Art geheimer Verbindung
unter den Männern, bie im diabolifchen Orgien ihren Aus—
drud findet, um durch Schreden die Weiber in der ſchuldigen
Unteroürfigkeit zu erhalten. Dieſe Geſellſchaften haben
Übrigens nichts gemein mit den geheimen Verbindungen ber
Krieger öftlicher Stämme, und es fehlen ihnen voliſtändig
bie fcheußlichen, blutigen Einweihungen der jungen Leute
in biefelben. Sie waren eben fein friegerifches Volt, eben
fo wenig wie große Jäger. Jagdwaffen findet man außer⸗
ordentlich wenig bei ihnen, während fie dagegen einen großen
Scharfſinn in der Anfertigung von allerlei Schlingen, Fal⸗
fen u. ſ. w. entwideln. Cehlehlid befteht Nberhaupt vier
Funftel ihrer Nahrung aus Begetabilien.
Einer ihrer größten Fehler befteht in ihrem Mangd an
Charafterfeftigfeit, der fie unfähig macht, mächtige weit reis
ende Regierungen zu organifiren. Sie find unendlich ver-
ſchmitzt, üſtig und intrigant, aber ohne alle Energie und
Kuhnheit. Seit fie mit Anerifanern zu thun haben, haben
fie eine der chineſtſchen ähnliche Rachahmungẽfähigkeit ent ·
widelt, aber feine Spur von Erfindungstraft. Die Kinder
Emil Schlagintweit: Die engliſchen Himalaya-Befigungen.
fernen auf den Refervationen fo fchmell geiftliche Gefänge
fingen und Buchſtaben ſchreiben, daß man ſich wundert, daß
fie fein Syſtem von Hieroglyphen ausgebildet haben; und
in kürzerer Zeit als irgend einem andern Inbianerftamme
gelingt es Einzelnen, in Sprade, Kleidung und Manieren
in die Fußtapfen der Weißen zu treten. Im der Tule-River-
Refervation lernten die Squaws jo geſchickt Pofamentier:
waaren und Stidereien anzufertigen, daß fie höchſt verächt ⸗
Lich auf die Wollenſachen blickten, die die Regierung unter
anderen Waaren jährlich an bie Refervationen zu vertheilen
pflegt. Am allerfchnellften und feinften lernen fie aber die
verschiedenen Kartenfpiele und verftchen es trog einem Chir
nejen ganz beſonders gefchict neue Antömmlinge durch fal-
ſches Spiel zu betrligen,
Bemerfenswerth und echt inbianifch ift ihre auferorbent-
liche Ruhe beim Spiel und zwar nicht nur bei den Ermwad-
jenen. Ein amerifanifcher Knabe fann um eines Fingers
Breite in der Stellung eines nichtigen Steindhens mit feinem
Partner in heftigen und thätlichen Zwift gerathen , während
ein indianiſcher Knabe ebenfo vergnügt ift und ebenfo herz.
lich) lacht, ob er gefchlagen oder Sieger iſt. Prahlerei ober
Jubel über den Sieg ift ihnen ebenfo unbefannt wie Nieder»
geichlagenheit über den Berluft. Ein Indianer kann zwan⸗
zig Stunden hintereinander fpielen und Stüd auf Städ
von feinem Eigenthum verlieren, ohne aud) nur eine Muss
tel zu bewegen, und wenn er das legte Hemd vom Leibe
verſpielt, jo zieht er es ohne Bitterleit und mit bemfelben
fröhlichen Lachen wie beim Beginne des Spieles aus; er
borgt ſich eben ein anderes, legt ſich aufs Ohr und ſchläft
binnen fünf Minuten den ungetrübten, traumlofen Schlaf
eines Kindes. Fur einen Weißen ift es ſchwer zu begreifen,
wie man fo in Anſpruch genommen von dem Berlaufe und
fo gleichgikltig gegen das Reſultat fein kann.
Die englifden Himalaya-Befigungen.
Don Emil Schlagintweit,
Ve,
Der BPendfjhab- Himalaya.
Derſelbe umfaßt das Gebirgsland zwifchen den Fluſſen
Dichamna im Often und Indus im Welten, 28 Tagereijen
find ohne Benugung der in der Ebene vorbeiziehenden Eifen-
bahmen nöthig fir Waarentransporte zwifchen beiden Über
300 Kilometer von einander entfernten Örenzen ; ſchwanlen⸗
der ift dagegen die Breite des englifchen Gebietes. Kaſch—
mir gegenüber umfaßt e8 nur die diefem Staate vorgelager-
ten Vorberge, dagegen greift es öſtlich deffelben in Lahol
und Spiti bis über den Hauptlamm im rein tibetifche Land⸗
ſchaften hinaus, und ſchließt weftlich in einer ſchmalen, bis
u bem Kamm der Schneeberge reichenben Zunge mit dem
hale des Kanhar, eines Aufluffes des Dſchilam, ab. Die
Sefammtoberfläche dieſer Gebirgslandfchaften beträgt
47,842 Quadratfilometer (869 Quadratmeilen), zu Bere
waltungszweden find bie größeren Maſſen zu eigenen Ges
birgsbiftricten vereinigt (öftlich Stadtkreis Simla, im Gen-
trum Yandfreis Kangra mit den Bezirken Kangra, Kulu,
Spiti und Lahol, weſtlich Hazara), während die ſchmaleren
Striche zu den im der Ebene liegenden Kreiſen Hufciarpur,
Gurbaspur, Sialfot und Rawalpindi gezogen find. Dieſes
Gebirgsland zeigt in der Anordnung feiner Gebirgsfänme
und ihrer ftarfen Bewaldung, in Klima, Bodenproducten
und ftarten Viehftande, wie im Hanbelögeifte der Bevölle⸗
rung viel größere Anklänge an alpine Zuftände in Europa,
als wir fie im öftlihen Himalaya fennen lernten ; die Täu-
[hung wird um fo größer und der Vergleich mit den Alpen
liegt um fo näher, als die Zahl der Europäer an ben Haupts
orten merklich größer ift als fonft, und diefer Gebirgsabfchnitt
ber Sit eines hochausgebildeten, europätichen Badeortfebens, ja
Simla für einen großen Theil des Jahres derjenige ber Central:
regierung des englifchen Meiches in Oftindien geworden iſt.
Die Richtung des Gebirges von Norbweiten geaen Süd»
often teitt hier weniger deutlich hervor als im Oſten; hier
fommen viele Thäler vor, rechtwinklig auf die Hauptrichtung
geftellt mit breiter culturfähiger Thalfohle; felbft jene, die
direct in die Ebene ausmünden, find’ häufig weniger fteil
und enge. Im dieſem Gebirgsabſchnitte entfpringen vier ber
fünf Ströme, die dem vorgelagerten Tieflande und der gan-
Emil Schlagintweit: Die englifhen Himalaya-Befigungen.
zen Provinz den Namen Finfftromland (Pendſchab) gegeben
haben, nämlich Bias, Rawi, Tichenab und Dſchilam, zu
welchen fic als funfier der Satledſch gefellt. Der Yauf des
Satledid) fällt ziemlich genau mit einer wichtigen geologiſchen,
Mlimatifchen und ethnographifchen Grenze zufammen. Auf feiner
finten öftlichen Seite zeigen ſich metamorphiſche, aber ur ·
fprünglich jebimentäre Gefteine; auf ber rechten weftlichen
- Seite dagegen treten wirklich kryſtalliniſche Gefteinsarten :
Gneiß, wahrer Glimmerſchiefer und Chloritfchiefer, auf,
die ganz neue Gebirgägruppen und formen bilden. Bon
dem am der Grenze Tibets entjpringenden und im Oberlaufe
nad) Nordweften gerichteten Tſchenab ſcheidet das Strom«
gebiet des Satledſch der zwiſchen Spiti und Lahol durdiie-
hende Gebirgszug, über weldien in 3294 Meter Höhe der
Kunzum, d. i. „ber völlig gelchlofiene* Paß, führt ; zwifchen
Bias und Rawi, deren Quelle nicht mehr in der nördlichen,
fondern unterhalb des Tſchenab in ber füblichen Hauptkette
des Himalaya liegt, ziehen fich die Dhaola-dhar-Berge herab,
befannt durch ihre Gefundheitsftationen, worunter Dharms
fala und Kangra, die auf ihrem nad) Süden gerichteten
Abhange erbaut wurden. Die Landſchaften zwiſchen Rawi
und dem mittlern Tſchenab füllt ein viel verzweigter Ge—
birgaftod ; jenfeits beffelben erfolgt der Anftieg zu den Derg-
fetten, die vom Hauptlamm herabziehend einer Schlinge
gleich, Kaſchmir, das Duellgebiet des Dſchilaut, von den
Alpenländern Kiſchtwar im Often, Radſchauri und Pus
natjc im Süden, Hazara int Weften abfchließen. Die
Pafübergänge Über diefe Querletten liegen im obern Theile,
fallen unter 3000 Meter und erniebrigen ſich fpäter ent
fprechend der Höhenabnahme; der Uebergang im die Ebene
erfolgt allmälig durd) ein an landſchaftlichen Reigen veiches
Hügelland. Zwiſchen Dſchilam und Indus ift dem Gebirge
im Sind Sagar Duab (dem Lande zwifden Indus und
Dſchilam) ein gebivgiges Tafelland vorgelagert mit Höhen
von 600 bis 1500 Metern, arın an Begetation und Wohn-
ftätten, deſſen Sübrand bie Salzberge bilden. Diefe neh—⸗
men ihren Urfprung in drei Stetten, deren eine auf dem
linfen Dſchilam⸗ Ufer ihren Anfang hat, während die anderen
auf dem rechten Ufer fich bilden, fid) dann bei Raſul ver-
einigen und nun in einer einzigen, an Gteinfalglagern über-
aus reichen Fette in der Richtung von Dften nad) Welten
bis Kalabagh am Indus fortziehen, um ſich ſchließlich mit
Ausläufern der Suleiman-Sette Afghaniftans zu verſchmelzen.
Im Klima zeigt der weftliche Himalaya um fo größere
Verſchiedenheiten von ben Landſchaften öſtlich des Satlebjd,
je weiter man gegen Often vorrüdt ; biefer Wechſel entfpricht
volllommen dem Unterfchiede, der im Tieflande zwiſchen
Hindoftan und Pendſchab obwaltet. Die Temperaturſchwan⸗
fingen werben größer, bie Regen nehmen am Heftigkeit und
Dauer ab; nur in den Vorbergen ift in den an Kamaon
und Garwhal grenzenden Thälern ber Niederfcjlag noch bes
deutend. Im ber Regenzeit herrſchen dichte Nebel vor.
Simla ift im Frühjahr wegen der Häufigkeit der Regen uns
gefund: erft 1875 wurden die Fruhjahregüſte wieder burch
eine heftig auftretende Gholeraepidemie erſchreckt. Ende
März tritt ſchönes trodenes Wetter ein; ber ganze April ift
mild, die Schauer fallen vereinzelt. Mitte Yuni wird bie
Hige driüdend, Gewitter find häufig und lange andauernd;
fehr erfrifchend und ftärfend ift der Herbft, ftreng dagegen
der Winter in den inneren Thälern ; im äußern Himalaya
fällt Schnee jedoch felten und bleibt immer nur während
weniger Tage liegen. Ueberaus troden find die gegen ben
Indus zu ſich öffnenden Thäler; Rawalpindi und Abbotabab
gehören zu dem vegenärmften Bezirken des ganzen Pendſchab.
Ueber Regenmenge und Jahrestemperatur liegen von folgen:
den Orten langjährige Beobachtungen vor:
315
abrediempe»
Höhe in Meter. Er in "er a:
eius.
Dagihahi ..... 1836 _ 15,9
Rafauli....... 2036 1,778 13,8
Simla ....... 2150 1,6% 19,3
Kangra .. 22... 778 1,918 19,8
Dharmfala ..... 1550 4,902 —
Dalbonfie .... . 2087 2,822 15,2
Abbetabad ..... 1235 0,685 Fer
Marri........ 2122 1,582 23,6
An Mineralien ift das Gebirge reich, viele Lager
werben ausgebeutet. Silber fol fi in den Hochthälern von
Kulu finden, wird aber nicht bergmännifd) bearbeitet. Gold
führen alle Flüffe, und mit dem Auswaſchen des Sandes
befaſſen ſich viele Eingeborene. Nach Verſuchen auftralifcher
Goldwäſcher würde ſich die Aufſtellung von Wiegen und
Maſchinen, wenigſtens am Dſchilam, lohnen, während die
Handarbeit der Eingeborenen nur einen Tagesertrag von
36 bis 50 Pfennigen liefert. Das ergiebigſte Eiſenlager
ift in Tſchota Bangal füdlid) von Kangra ; das Erz fommt
hier vor in einem ſchwarzen Sand, der zu einem Zehntheil
untermifcht ift mit magnetifchem Eifenoryd von ungewöhns
licher Reinheit; man wäfcht den Sand in hölgermen Trögen,
wo er vom Waffer weggejchwenmt wird, während der reine
Eifenftaub fi) auf dem Boden ſammelt. Die Eingebore-
nen ftellen daraus in unvolllommenen Hochsfen ausgezeich-
netes Qußeifen her. Der Zugang zu Tſchota Bangal ift
aber ſchwierig, der Mangel an Ürbeitsfräften groß und auf
nachhaltige Lieferung von Holz und Kohle nicht zu rechnen;
europäifches Eifen fommt deswegen in Kangra billiger zu
ftehen als das einheimifche Product, und die Minen werben
zur Zeit wenig ausgebeutet. Daffelbe gilt von den Eifen-,
Kupfer» und Silberlagern in der Dhaola-dhar-Bergkette
nördlich von Kangra, wie in den Hochthälern des Diftrictes
Kulu. Blei kommt vielfach vor als Schwefelmetall oder
Bleiglanz ; die ergiebige Mine bei Sabathu, ſuüdweſtlich von
Simla, wird von ber Patialia and Sabathu Mining Com-
pany ausgebeutet, die im Monat an 812 Gentner Erz
herausfördert und daraus bis zu 72 Procent reines Blei
gewinnt. Fundſtätten bauwlirdiger Steintohle haben ſich
nirgends gezeigt ; dagegen ift eine Befonderheit dieſes Ge—
birgsabfehnittes die große Zahl ausgedehnter Schieferbrliche,
and denen Dacplatten und {Fußböden hergeftellt werden;
bei Kangra wie Dalhoufie befaßt ſich damit eine Actiens
gefellfchaft, die 1874 gute Dividenden erzielte.
Den Antimonlagern wird von CEingeborenen nadjges
gangen, denen es pulverifirt als ein Mittel zur Stärkung
der Sehkraft gilt. Steinfalz wird im Staate Mandi, norde
weſtlich von Simla, bergmännifcd) gewonnen und erfreut ſich
troß des unreinen Zuftandes, in welchem es in den Handel
fommt, wegen feiner großen Billigfeit ſtarlen Abſatzes.
Wie ftets in Gebirgslagen, fo liefert der Aderbau aud)
hier nicht den Bedarf am Speifegetreide. Verglichen mit
der Geſammifläche ift dev Aderboden von geringer Ausbehs
nung ; doch find bier die Verhältniſſe ungewöhnlid, günftig.
Im Stadifreife Simla, der durchgehende in Höhen von
2000 bis 2500 Meter liegt, ift fein Stüdchen Yand mehr
unangebaut; fonft find im äußern Himalaya über 50 Pro:
cent der Bodenfläche durch Aderbau oder Forſtwirthſchaft
ertragsfähig. Im Hochgebirge erſtreckt fi gutes Weibeland
über große Flächen; Aderbau und Wiefencultur findet ſich
aber nur im ber Thalfohle und den ihr zunächſt liegenden
Abhängen; Hier find mitunter Quellen zur Beriefelung der
Felder „viele Silometer weit horizontal fortgeleite. Die
Waldungen in Privathänden am Rande des Gebir-
40*
316
ges lichten fid) reißend; die neue Eiſenbahn nad, Veſchawar
und die zahlreichen großartigen Bruckenbauten auf dieſer
Linie beziehen ihre Schwellen und ihr Gerüſtholz ausſchließ ·
lich aus dem Gebirge. Die Regierung ift deswegen darauf
bedacht, die im ihrem Befige befindlichen Waldflächen von
ſchädlichen Nutzungsrechten, wie Streugerechtigleiten, zu ents
laſten, und zu forftmännifchem Betrieb einen geſchloſſenen
Beftand herbeizuführen. Die Waldungen werben deshalb
ſehr geichont, vielfach; fällt man nur rüdgängige Bäume;
Waldblößen werden aufgeforftet, Rodungen unterfagt. Der
Reinertrag fteigt von Jahr zu Yahr, und bezifferte 1874
1/, Million Mark gegen 80,000 Mark im Jahre 1871.
Borherrichend find die Deodora-Ceder, Pinus excelsa und
longifolia, Abies Smithiana ; aus Bambus mit mächtigen
Einzelnftänmen befteht das Unterholz im äußern und mitt
lern Himalaya. Die natürliche Fruchtbarkeit des Aderbobens
wird durch künſtliche Mittel und den Fleiß der Bewohner
wenig gefördert ; an Verbeflerungsarbeiten kennt man nahezu
nur die Bewäſſerung, felbft Düngung unterbfeibt ; der Er
trag ift deshalb fehr mäßig und das Product geringwerthig.
Hauptfrucht ift Weizen ; Über ein Biertheil der ganzen Ader:
fläche wird damit beftellt; dann folgen Halmfrüchte gerin-
gern Nahrungswerthes und Reid, deſſen Anbau wieder faft
ein Viertel des Aderbodens beanſprucht. Der Ertrag über:
fteigt vom Weizen felten 9 Centner, vom Reis 15 Centner
vom Hectar, was hinter dem Durchſchnitt in der Ebene um
mehr als ein Viertel zurücbleibt. Der Entwickelung ber
Yandwirthichaft ſteht Mangel an Arbeitsfräften hindernd
entgegen ; der Arbeitslohn iſt hoch und Peute find ſchwer zu
haben; dabei macht die Arbeiterfrage von Jahr zu Yahr
mehr Schwierigkeit unter der ftarfen Zunahme des Anbaues
von Thee, der viele Handarbeit erfordert. 1850 wurbe
bie erſte Theefiaude gepflanzt. Der erfte Berfuch bei Bha-
warna in 975 Meter über dem Meere gelang; bei Holta
in 1279 Meter Höhe wurde dann ein größeres Verfuchsfeld
angepflanzt, Chinejen als Vehrmeifter angeworben und hier«
durch, der Grund zur Einbürgerung diefer Cultur gelegt.
Anfangs war man hier beftrebt, den Meinen Mann für bie
Sache zu intereffiren. Uber der Betrieb nach Art des Ins
digobaues, wobei die junge Pflanzung hergeftellt und einem
Eingeborenen in Pacht gegeben wurde unter fteter Leber-
wahung und Beftimmung — Arbeit, bewährte ſich nicht.
Die Cultur eignet ſich vielmehr am beſten fiir größere Un—
ternehmer mit Unteraccordanten, oder mittlere Wirthe. Bis
zum Abſchluß des England gunſtigen Handelsvertrages
mit Kaſchgar fuchten die Pflanzer ihren Abſatz in Indien
wie Europa und lieferten grlinen Thee; feither wurde der
Berfehr in ganz neue Bahnen gelenkt. Hauptabnehmer wurde
Gentralafien, unter deſſen Importartifeln Thee bereits bie zweite
Stelle einnimmt. Jetzt ftellt man meift ſchwarzen Thee dar.
Ende 1874 gab es 28 Pflanzungen, meift im Thale öſtlich
von Kangra, die auf 2240 Hectaren Theeftauden ausge
pflanzt hatten und 428 Gentmer Thee erzielten; im Bor:
jahre joll die Ernte bedeutend größer ausgefallen fein. Bei
Diarmfala unterhält die thätige Gartenbaugefellichaft zu
Lahor eine Theepflanzung, von welcher aus neue Pflanzun:
gen mit guten Setzlingen verfehen werden. Die Chinchona-
Pflanzungen bei Bhamwarna, welde dort 1868 ſchon 13
Hectaren bededten, werben in den neuejten amtlichen Berich—
ten nicht mehr erwähnt und feinen den gehofiten Erfolg
richt gehabt zu haben.
Der Peftand an Nutzvieh und landwirthſchaftli—
hen Seräthen wurde 1868 wie 1873 aufgenommen.
Das lebende Inventar hätte hiernad) abgenommen, das todte
dagegen zugenommen; aber die Zählftelle weift bie Umguver-
läſſigleit der älteren Erhebungen nad) und macht an eimel-
Emil Schlagintweit: Die englischen Himalaya »Befigungen,
nen Beifpielen eine allgemeine Zunahme wahrſcheinlich.
Es gab in Kangra 1874: 716,603 Stüd Nutzvieh; hier:
von waren 344,948 Rinder, 365,356 Schafe; Pferde zählte
man 1815, Gebirgäpferde (Klein, aber ſehr ausdauernd)
2681, Efel 700, Kameele 103. Pflüge gab es 75,687.
Unter den Gewerben ift bedeutend und im Aufſchwunge
begriffen die Emailfabrifation, die in der Stadt Kangra
ihren Mittelpunft hat und durch Arbeiter aus Kafchmir
eingeblirgert wurde. Die Herftellung geſchieht ämlich wie
in China und Japan mittelft Aufkleben des Email auf glat ⸗
ten Grund; das Verfahren des fogenannten Grubenemail
fennt man nicht. Biele Edelfteinfafjungen, befonders Ringe
und Armbänder, werben damit verziert, das fchönfte find
aber große Eilbervafen: eine Muſterſorm wird auf die Bafe
in hohem Relief aufgetragen und die tieferen Stellen mit ge:
färbtem Email ausgefüllt; das Ganze bildet dann einen
bemalten Untergrund mit audgelparten, eingravirten Silber
blättern und Blumen. Neuerdings ahmen die Geſchmeide-
macher enropäifche Muſter nad) und verarbeiten ſchon Edel
feine, die in Europa gefchnitten wurden; vorherrſcheud bleibt
aber auch Hier die Anbringung von Gold auf Email *).
Shawlweber, die aus Kaſchmir auswandern, laſſen ſich noch
außerhalb des Gebirges nahe den Bahnen nieder. Der
neueften Zeit gehört die Errichtung von Pierbrauereien in
Kafanli (bei Simla) und in Marı! an; beibe verbrauchten
anfangs englicen Hopfen; die Berfuchspflangungen gebiehen
aber vorzüglid,, und jegt find diefe YUnftalten bereits im
Stande, große Pieferungen für das engliſche Militär zu
libernehmen.
Handelsverhältniffe. Durch den Peudſchab findet der
nächlte und bequemfte Aufftieg mad) Kafchmir, dem dahinter
gelagerten Tibet und durch diefes über den Karakorum
(Thangla) **) und den Klinlün nad) Centralafien flat; die
engliſche Regierung ift feit Jahrzehnten bemüht, diefe günftige
Lage durch Hanbdelöverträge im Innern und Anlage von We-
gn und Märkten auszubeuten und hat hierfür Großes geleiftet.
ämmtliche auffirte Straßen wie planirte und überbrüdte
Karrenwege hatten 1874 eine Fänge von rund 1800 Silo:
metern; hiervon entfallen auf Kangra 1150 und 450 auf die
Striche weitlid von Kaſchmir (Marri und Hazara), Die
wichtigften Straßenzige find der Hindoftan- Tibet= und der
Ladak⸗, bis vor Kurzem Kulu-Weg genannte, Der Hindoftan-
Tibet«Weg berührt Simla, Die Eifenbahnftation Ambala
in 312 Meter Höhe mit einer mittlern Jahrestemperatur
von mod) 21,5% C. bildet den Ausgangspunkt. Schaaren
von Padträgern (Kulis) wie Agenten der Inhaber von Fohn:
fuhrwerfen, Tragfefieln u. ſ. w. umſchwärmen mit orienta-
liſcher Yebhaftigfeit dem Neifenden, der fich ihrem Wortſchwalle
durch Miethen eines der von ber Regierung bereitgehaltenen
Mietwagen am beften entzieht; gegen 36 Mark wird darin
in wenigen Stunden die 61 Silometer lange Strede bie
Kalta zurlidgelegt, die Sewalit-Hügel überftiegen und der
Fuß des Gebirges erreicht. Der Weg dahin führt durch
das Gebiet des Maharadſcha von Patiala, eines der reichſten
indiſchen Furſten im Beſitze feltener Schäge an Diamanten;
aud) jene aus dem Schmude der Kaiferin Eugenie wurden
von ihm jüngft erworben. Im Ganzen ift der Weg gut;
*) Vergl. ©. Powell, Hand-book of the Manufactüres and
Arts of the Panjeb (Lahor 1872).
**) Karalorum, türfifch „Ichwarges Gebirge”, heißt bei den
Tibetern Nyenstihen: Thangla, „Steppenpaß der großen -Wilbniß“,
abgefürzt Tbangla (Tantla), Steppenpaß; ber fibetifhe Name if
für das Gebirge Fehr treffene gewählt, weil es feine zufammenbäne
ente Öbebirgaferte bilvet, ſondern an ben Gtellen ter hödften An»
chwellung aus benen von Wüftencharalter mit aufgefegten Berg»
reihen und Gipfeln beftebt. Die näheren Machweife für viefen Na
men muß ich einem andern Orte vorbebalten,
Emil Shlagintweit: Die englijchen Himalaya» Befigungen.
aber Ochſen ftatt Pferde werben vorgefpannt, wenn die im
Sommer trodenen breiten Rinnfale von Gebirgsbächen über-
fchritten werden. Kalla, einft ein ärmliches Dorf, ift durd)
Sina zu einem BVerlehrsmittelpunfte geworden im Stile
ber ſchweizeriſchen Boftorte am Fuße der frequenteften Alpen-
Übergänge. Ein Europäer unterhält hier ein gutes Hötel
und die Negierung hat große Poftftälle gebaut, Krante
und Schwäclidye benugen von hier zum Aufftieg nadı Simla
am beten Zragjeflel (Didampans) oder Saumpferbe.
Seit 1874 hat die Reichspoſt wohl einen Eilwagenverfehr
eingerichtet mittelft vierfigiger auf Federn ruhender Wagen
(Tonga), defien Pferde bis Simla 15 mal wechſeln follen;
aber die neue 93 Kilometer fange Chauffse wird durch. Berg:
rutſche und Siekbäce fortwährend jo ruimirt, dag Achſen⸗
brüche und andere Hinderniffe häufig find, Diefer neue
Weg ift gegen den alten Saumpfad über Kafanli, Sabahu,
Koferhatti, wo bie neue Straße einmünbet, und Gairi
um 26 Silometer länger, führt aber an den Abhängen in
fanfter Steigung empor mit ſchönem Blide auf die in ber
Tiefe . ut augebauten Thäler. Die Fahrzeit ift
für den Tonga-Wagen 9 Stunden, der Sitz darin wird mit
18 Mark bezahlt; die Pofiftationshäufer an der Straße
werben als ſchmutzig, die Preife für Pebensmittel als jehr
hoch bezeichttet. Hinter Simla ſenkt fi der Weg zum Sat-
ledſch herab, der in 1954 Meter Höhe erreicht wird, Man
folgt diefem 240 Kilometer weit bi8 Pangi in 2802 Meter
Höhe; bis hierher ift ein regelrecht planixter Saumweg anger
legt, und die füdlich einmlndenden Flüffe find Aberbrlicdt. Im
Thale eines rechtfeitigen Zufluffes emporfteigend verläßt man
den Staat Biffer (Biffahir), in welchem dieſer Weg feit
Simla fortzog, überfteigt dann die fübliche Hauptlette im
5484 Meter hohen Mamerang -Paſſe und hält auf Danfar
zu, den Hauptort von Spiti in 3892 Meter Höhe. Nun
zeichnet der Yauf des Spiti-Flufies bie weitere Richtung vor;
auf dem 5576 Meter hohen Parang-Pafle ober dem beque-
mern Baralatſcha⸗Paſſe wird die Landesgrenze überſchritten,
und man tritt in den ummwirthlichen Theil des kaſchmiriſchen
Tibet ein. Händler nad; Ye und Kaſchgar ſchlagen diefe
Route nicht eim, lenken vielmehr von Simla weſtlich ab nad)
dem Yadal-Weg, gehen nad) Bilaspur, treten hinter biefer
Stadt in das Flußgebiet des Bias ein und erreichen den
Ladal:Weg längs beffelben über Mandi (916 Meter) kurz
vor Sultanpur in 1202 Meter Höhe. Dagegen wird der
Hindoftan-Tibet-Weg ftart benutzt fiir den Verkehr nad) den
Grenzprovinzen des chineſiſchen Tibet, wohin man von Pangi
aus dem Satledic) folgend gelangt. Zouriften und Yagd«
freunde ſuchen gern die einmlndenden Seitenthäler auf zur
Jagd auf Hochwild feltener Art (Adler, Mojchusthiere,
Antilopen x). Im untern Theile hinter Simla haben ſich
an diefem Wege aud) Penfioniften häuslich niedergelafien ;
bis Über Rampur hinaus ftchen Billas einzelner Europäer.
Die Üremdenbücher in den Nachtlagern, fir welche die Re—
gierung Rafthäufer (Dharmfalas) erbaute, enthalten deshalb
manchen ee run: Touriſten, der bei Anfertigung
eines Tünftigen Reiſehandbuches werthooll werden wird.
Der Yadat-Weg ſchließt fih am bie Chauffse mit Grund:
bau von der Eifenbahnftation Dſchalandhar über Huſchiar⸗
pur und Kangra bis zur Stadt Dharmfala. Planirt mit
Ueberbrüdung aller Fluüſſe ift die Zufuhrftvede Amritſar⸗
Pathankhot-Fangra, welde für alle von und nach Bombay
beftimmten Waaren des centralafiatifchen Handelsverlehrs
eine Zukunft gehabt hätte, wenn nicht die im Bau begriffene
Bahn nad) Peſchawar größere Vortheile bieten wiirde, Bon
Kangra gegen Often ift 1874 bis zum Marktorte Balam-
pur ein Sala hergeftellt ; von hier beginnt ein Saum
pfab, der eigentliche Yadal-Weg, der aber wenigftens bis zum
*
317
Rotang-Paffe zum Karrenwege werden ſoll. Er zieht an«
fangs hoch über dem Bias: Thale in der Richtung von Bawarna
und Beſchnath, ſenlt fid) nach Mandi am Bias-FFluffe, fchmei-
bet deſſen Nordbiegung in einem Zickzackwege ab, und folgt
dann dem Fluſſe. Noch einige Tagereifen weit hinter Suls
tanpır können Kameele benugt werben; dann wirb der An+
ftieg zu dem 3979 Meter hohen Rotang-Baffe fteiler, auf
welchem die fübliche Hauptfette des Himalaya überfliegen
wird. Die dahinter liegende Landſchaft Yahol, das Quell»
gebiet des Tſchenab, wird gekreuzt und fchließlic auf dem
Baralatjcha » Paſſe (4912 Meter Hoch) die zugleich die Yan-
beögrenze bildende nördliche Hauptlelte des Himalaya übers
ſchritten. Diefe Wege folgen mit Borliebe den Flußthälern;
die Hauptpäffe werden Ende Mai paffirbar, fpäter wird
ber Berfehr durch die Wildwafler der Gebirgaflüffe behindert.
Es erfordert jährlid) große Unftvengungen ded Wegbauamtes,
alle Linien ducchgehends frei zu halten. Erbrutiche unter-
bredyen jährlich mehrmals die Verbindung, die Bruftwehren
müflen von Jahr zu Jahr verlängert werden; Brüden über
einzelne Gießbache find ftattliche Bauwerke. So hat bie
1871 vollendete Brlice Über den Niggal, aus einem eifer-
nen Hängwerf beftehend, eine Spannweite von 42,5 Meter.
Weſtlich von Kaſchmir ift Nawalpindi mit der Ges
fundheitäftation Marri mittelft einer 63 Kilometer langen
Chaufiee verbunden; der Zuftand der Straße und der an
ihr liegenden Pofthäufer wird fehr gelobt, und Marri hat
jedenſalls eine große Zukunft vor fi), wenn ‚bie Eifenbahn
einmal-bis Nawalpindi in Betrieb ſteht. Bon Hafan Abdal
(Mitte Weges zwiſchen Rawalpindi und Atof, jenem ftra-
tegifch wichtigen Punkte, an weldem eine von Weften eins
fallende Arınee beim Austritte aus dem Haro-Thale wirffam
aufgehalten werden fan, weshalb 1872 hier ein großes
Uebungslager abgehalten wurde) wurde 1872 von der 23.
Pionniercompagnie eine vorzüglice Chaufjee bis Abbotabad
gebaut. Bon bort flihrt ein guter Karrenweg weſtlich nad)
Ogi, öftlid, zur Yandesgrenze von Kaſchmir; den Abſchluß
bildet hier bei Kohala eine großartige, 1872 vollendete Hänges
brüde über den Dſchilam⸗Fluß.
Dem Handel haben dieſe Berfehrserleichterungen großen
Borjchub geleiftet und in Verbindung mit den Schienenzligen
in der Ebene neue Handelömittelpunfte geichaffen. Neben
dem Handel in Landesproducten hat ſich ein Tranfitohandel
nad; Centralafien entwidelt von jährlich ſteigender Bedeu—
tung. Die erfle directe Ausfuhr von Yandesproducten nad)
England erfolgte 1856 ; eine größere Sendung erfolgte 1858
im Gewichte von 77 Gentnern; fie beftand größtentheils aus
Hanf, der hier faft wild wächſt, und war auf dem Wafler-
wege in Indusicifjen nad) Karatſchi verfradhtet worden.
Die an dieſe Sendung und die Erfolge auf der Londoner
Ausftellung von 1861 gefnüpften Erwartungen erfüllten ſich
nicht, und Kangra hätte im Welthandel wegen feines Hanfes
feinen Namen erhalten. Da eröffneten Sir D. Forſyth's
unermübliche Verſuche eudlich Kaſchgar dem indifchen Han:
del und uun wurde Kangra Durczugsland für die Waaren
dahin, wie durd) den Frachttrausport Sig eines ganz neuen
Grwerböjweiged. Hauptwaaren:Depöt ift Amritfar an ber
Delhi⸗ Lahor⸗Eiſenbahn; es ift das Ziel aller Händler aus
Gentvalafien; Hier werden die Waaren fortirt. Bon hier
werben einige Waaren direct nach Kangra dirigirt, das Gros
eht per Bahn nach Dſchalandhar. Ihre Bedeutung als
andelsplatz hat diefe Stadt verloren, der Umfag wich hier
von 5,4 Mill. Mark im Jahre 1870 auf 3,2 Mill. Mark
zurlick. Dagegen werden hier bie Karawanen zum Gebirge
transport formirt, Hierin bezeichnet das Jahr 1872 einen
bemerfenswerthen Fortſchritt; früher liegen die Befiger von
Eſeln und Pferden ihre Thiere nicht weiter ald Sultanpur
318
gehen; damals wurden verfuchsweife Contracte bis Le, ber
Hauptftabt von Ladak, angenommen und bie Peute fanden
Rudfracht zu hohen Breifen, fo daß 1873 ſchon 375 Maul-
thiere die Moute paffirten. Kangra ift Hauptfig bes
Handels in Thee, der Hier eingeladen wird; aus dem öſtlich
davon liegenden Palampur hatte die Regierung gehofft einen
Haupttaufchmarkt zwifchen indifchen und centralafiatifchen
Händlern mit großartigem Berfehr zu machen; aber der
Berfuch fchlug gänzlich fehl. Palampur wird nur von Pro:
ducenten und Händlern der nächſten Umgegend befahren,
Speculationsfäufe indiſcher und centralafiatifcher Waaren
werben oft in Amritfar abgefchloffen. Der gefammte Trans
fitoverfehr werthete 1873 auf dem Hindoftans Tibet» Wege
16,460 Mark; auf dem Labal-Wege 932,600 Mark; der
Die Eingeborenen
H. G. Die London Miffionary Society, melde in
neuefter Zeit der Inſel Neu-Guinea und den in ber Torred-
ftraße liegenden Heinen Cilanden *) ihre beſondere Aufmerk-
famfeit zuwendet (vergl. oben S. 56), benußt dort meift befehrte
GStidfee-Infulaner in ihrem Dienfte und nur in Port Moresby,
jenem nach feinem Entdeder benannten Hafen im öſtlichen
Neu-Guinea (9Y/,0 füdl. Br. und 147° 12’ öftl. L. Gr.),
einen weißen Miffionär, den Reverend N. G. Lawes, wel⸗
cher feit dem 1. December 1874 mit Weib und Kind dort
wohnt. Aus einem Briefe, welchen evam 18. März 1875
an feine Geſellſchaft richtete, heben wir nachfolgend das
Wefentlichfte hervor.
„Es leben hier außer uns feine Weißen weiter, und wir
find von aller Civilifation abgefchloffen. Captain Mores-
by'8 prächtige Schilderung haben wir gerade nicht beftätigt
gefunden. Es ift ein durrer, unfruchtbarer Ort, und alles
ſcheint von der Sonne verbrannt zu fein. Auch die Fauna
ift eine armfelige. Parabieönögel giebt es in dieſem Theile
von Neu · Guinea gar nicht **), und andere Vögel lommen
nur felten vor, Die einzigen Bierfüßler find Känguruhe,
Hunde und Schweine. Die erfigenannten find biefelben,
wie im Auftralien, nur eriftiren Teine Baum-Sänguruhe.
Die Hunde follen einheimifche fein, was ich auch glaube;
fie find gezähmt und Hausthiere geworden, und die Einge⸗
borenen verwenden fie auf ihren ar er Sie bel ·
len nicht, ſondern heulen in choro ganz abſcheulich. Die
Schweine gleichen den engliſchen Racen und treiben ſich
theils wild im Buſch umher, theils ſind ſie domeſticirt. Es
findet ſich auch noch eine einheimiſche Ratte, die aber kleiner
iſt, als die europäifche. An verſchiedenen Arten von Schlan«
gen, unter denen jedoch nur eine, bie ſchwarze, tödtlich gif
tig ift, ſowie an Eibechfen fehlt e8 nicht. Ein Iguana kam
mir ebenfalls vor.
Die Bewohner diefes Theiles von Neu-Guinea find von
Heiner Körperbildung, in jeder Beziehung Meiner, als bie
Sipfee-Infulaner. Mit Ausnahme eines Bandes, womit
die Gejchlechtötheile umbunden find, gehen die Männer
nadt, während die Frauen mit Guürteln, welche bis an
die Knie reichen, verjehen find. Beide Geſchlechter, insbe
*) Sie bat unter anderen auf nicht weniger ale zehn Inſeln im
tem nordweſtlichen Theile tes BapuasWolfer Fuß arfaht.
**) D’Albertis fand bagegen newerbings in ber Umgegenb ber nur
65 englifhe Meilen nervöflih von Port Moresby gelegenen Jules
Infel verſchiedene Varietäten diefer Wogelart, x
Die Eingeborenen bei Port Moresby.
Localverlehr in Kangra erreichte bie ftattliche Höhe von
3,8 Mil. Mark. on Intereffe für Deutichland ift der
Gang des Handels im Jahre 1871. Paris ift Haupt:
confument von Kaſchmirſhawls; mit der Belagerung von
Paris flellten große Häufer für diefen Artikel in Amritjar
ihre Zahlungen ein. Dies zog andere Fallimente nach fich,
Geld wurde Inapp, und die Händler aus Kaſchgar fonnten
zu ihren GEinfäufen die früheren Vorſchüſſe nicht erhalten,
nod) ihre Waaren vortheilhaft abjegen. Sie erlitten dadurch
große Berlufte und ber Handel nahm vorlibergehend ftarfen
üdgang *). So machte ſich der frangöfifch-dentfche Krieg
bis in bas Herz von Innerafien fühlbar !
*) Ladak Trade Report 1871, by R. B. Shaw. (Labor 1872.) $.11.
bei Port Moresby.
fonbere bie Frauen, tättowiren fi. Die Männer und Kna-
ben kr = einen polirten Stein durch das Septum der
Nafe. i den Frauen ift die Nafe zwar auch durchbohrt,
allein man fieht felten etwas darin. Alle haben die Ohren
an zwei — mitunter aud) an drei — Stellen ducchfchnitten,
und zwar einmal oben und einmal unten. Die Männer
laffen ihr Haar lang wachen, die Frauen, wenn verheivathet,
halten es kurz. Mit Ausnahme ſehr weniger Fälle, wo ein
Mann zwei Frauen hat, ift weder Polyganıie noch Polyan-
drie unter ihnen verbreitet. In der Farbe find fie eine
Kleinigkeit dunkler als die Polynefier, was wohl bavon hers
rühren mag, baß fie nadt gehen und der Sonne mehr
aufgefegt find. Ihrer äußern Erſcheinung ſowie ihren Sit
ten und Gebräuchen nad) zu urtheilen müffen fie malayifchen
Urfprungs fein.
Es bewohnen bdiefen Theil von Neu-Guinca mehrere,
beftimmt von einander unterſchiedene Stänme, Derjenige,
zu welchem bie Bort-Mloresby-Eingeborenen gehören, nennt
fi) Motu. in anderer Stamm von etwas dunklerer
Farbe, welcher eine andere Sprache fpricht und anderen Ges
bräudhen folgt, führt den Namen Koitapı. Er foll, was
ich aud; fir glaubhaft halte, in früheren Zeiten von den
Motu aus ben Küftenbörfern vertrieben worden fein. :Un-
gefähr 40 engl. Meilen nad) dem Innern zu, im Rüden
ber Gebirge, wohnt der Stamm ber Kocali, weldyer ziem-
lid) genau die Sprache ber Koitapu ſpricht. Dies bürften
wohl die Urbewohner biefes Teiles von Neu⸗Guinea fein.
Die Motu fertigen Töpferwaaren an und find gefchidte
Fiſcher. Die Koitapu find Jäger, aber fie haben feine Ca—
noed und wagen fich nie auf bie See. Beide tragen Nafen-
fteine. Die Koitapu bereiten ſich ihre Speifen, nad) Art
ber Sübfeebewohner, mit heißen Steinen, während bie
Motu die ihrigen lochen und ſich niemals der heißen Steine
bedienen. Gegen 30 engl. Meilen weſtlich davon ift der
Stamm ber Maiva zu Haufe, welcher wieber eine andere
Sprache ſpricht. Hinter diefen wohnen bie Elma, im der
Farbe dunkler und im der Sprache fich ebenfalls ſchon mehr
an die Papuas anlehnend. Auch nad; Often zu find ver-
fchiedene Stämme mit verfchiedenen Sprachen anfällig, über
bie ich aber bisjegt wenig in Erfahrung bringen fonnte,
Ale Häufer der Eingeborenen in Port Moresby find
am Strande, über der höchſten Waflermarte, gebaut und
ruhen auf neun bis zwölf Fuß hohen Pfählen. Ihre Waf-
fen find Bogen und Pfeile — letztere nicht vergiftet —,
Aus allen
Speere aus einem Stüde und mit kunftlofem Schnigwert
verfehen, und Keulen, theils aus ſchwerem Holze flachgeformt,
theils aus Steinen mit einer vier Fuß langen Handhabe.
Ihre Beile find ebenfalls aus Stein und gleichen ganz den
auf Savage Island gebräuchlichen. Die Männer verfer-
tigen vorzüglicdhe Nee von bedeutendem Umfange, um das
mit ſowohl Fiſche als Känguruhe zu fangen. Ihre Canoes
find ſehr groß, aber nichts weiter als ein rohes Machwerk,
ohne irgend welche Schnitzereien daran. Der Gebrauch von
Angelhaken iſt ihnen unbekannt. Die Töpferwaaren, welche
in Schalen, Urnen u, ſ. w. beſtehen, fabriciren die Frauen.
Auf dieſe Geſchicklichteit ſcheinen ſich nur die Motu zu ver⸗
ſtehen, und die anderen Stämme erhandeln dieſe Gegen»
fände von ihnen gegen Yams, Kolosnüffe u. ſ. w. Die
Frauen find die d eiter und haben alle Taten herbeizu-
ſchleppen. Sie verrichten dies, wie die auftralifchen Einge-
borenen am Cape York, auf dem Rüden vermittelit eines
Strides, welcher über den Kopf läuft. Ich habe au gar
manchen Frauen bemerft, daß ihr Schädel au der Stelle,
wo biefer Strid zu liegen pflegt, eingebrlict war.
Unfere Kenntni ihrer Sprache ift bis jegt, wie es nicht
anders fein fann, mod; fehr unvollfommen. Viele Worte
haben fie mit den öftlichen Polynefiern gemein, aber bie
GEonftruction ift eine andere.
Das Klima hier ift fehr Heiß, und allerlei Fieber, treten
häufig genug auf, dennoch find wir bisher davon verſchont
geblieben. eine- rau ift das erfte weibliche Weſen der
weißen Race, welches je am diefer Küfte von Neu⸗Guinea
landete, und fie wie unfer Heiner Knabe wurden im der
erften Zeit mit gar großem Staunen von den Eingeborenen
betrachtet.“
*
* *
Bon Port Moresby aus hat Mirzlih Mr. Detavius
D. Stone, ein Naturforfcher aus London und Mitglied ber
dortigen geographifchen Geſellſchaft, welder fi an M' Far ·
lane’8 Befahrung des Barter ⸗Fluſſes (f. oben ©. 57) be-
theiligte, in Gejellfchaft von drei Begleitern mehrere kurze
Ausfillge in das Innere, darunter einen nach dem Hohen
Dmwen-Stanfer,Berge (13,205 Fuß engl, Birifa ber Ein-
geborenen) hin, unternommen, Zunächſt paffirte er Niede-
rungen, welche gegen alle Erwartung fo gut wie vegetationd-
los und verödet waren. Dann aber ald das Land anftieg,
wurde e8 beffer; zahlreiche Parabiesvögel und tropiſche Bes
getation ftellte ſich ein, die bald zur ge ward. Der
Doden am Fuße der Berge ſoll [fi für Cultivirung tropi-
ſcher Erzeugniffe vorziigfic eignen. Die Eingeborenen, mit
telchen man zufammen fan, bewiefen fich ſehr freundlich,
und man hatte nirgends Gollifionen mit ihnen zu beftehen.
Auch Stone nennt die drei Stämme der Motu, welche an
Aus allen
Die Bergwerke Eanabas.
Die unermeßlichen Reichthümer, welche dieſes Land an
Erzen und Koblen befigt, fichern ihm einen hohen Rang in
der Montaninduftrie der Erbe zu. Bis jetzt wirb allerdings
nur ein verfchtwindend einer Theil andgebeutet; aber es
wird wohl nicht mehr lange dauern, bis feine Hülfsquellen
erichloffen werben. Im vorigen Jahre wurden Metalle im
Werthe von 83,878,060 Dollard erportirt. Die Kohle Bri-
Erbtheilen, 319
der flachen Küſte wohnen, der Koitapu auf den Höhen am
Meere und ber Koiari (Koeali) im Innern, auf den
Bergesfpigen und an den Abhängen hauſend. Alle drei
weichen in ihrer Sprache von einander ab; aber die Idiome
ber beiden legteren find nur Dialefte einer und bevfelben
Sprade. In der Körperfarbe, dunfelbraum mit eimem
fupferfarbenen Tone, ftimmen fie alle mit einander überein.
Die Koiari im Innern find ein ftarfes, gefundes und intel-
ligentes Bol, von rafcher Faſſungsgabe, athletiſch, thätig,
febhaft, ausbrudsvoll im Sprechen, heitern Temperaments
und zum Lachen und Scherzen aufgelegt, kurz jenen beiden
Stämmen an ber Kuſte körperlich und geiftig weit überlegen.
In gleicher Weife übertreffen aucd ihre Waffen, namentlid)
die gefchnigten Speere, die der Küſtenbewohner.
Ueber den Plan einer Londoner Geſellſchaft, wenn nöthig
mit Auwendung von Gewalt jenen Theil der großen und
ſchönen Infel zu colonifiren, äußert ſich Stone, d. d. Somer-
jet, Cape York 7. Februar 1876, folgendermaßen,
„Ic habe den prahlerifcyen Profpeet der London Colo-
nifation Affociation ſowie ben fehr richtigen Proteft des Lord
Carnarvon gelefen. Ich glaube, kein Proſpect ober fein
Papier hat jemals zuvor ſolche Ummahrheiten zu Tage ger
fördert oder dergleichen Ignoranz über Klima, Probucte
und Bevölferung eines Landes verllindet. Womit die Aſſo ·
ciation auf Neu⸗Guinea Handel treiben will, ift mir ein
Räthfel. Dit größter Umwiffenheit wird die fehr wahre
Augabe des Keverend A. W. Murray über die Bertheilung
des Landes unter die Eingeborenen beftritten. Aber es ijt
unzweifelhafte Thatſache, dag auf der ganzen öftlichen Halb-
infel und, wenn id) recht unterrichtet bin, wohl überhaupt
auf Neu · Guinea der Grund und Boden im beftinmte, jcharf
begrenzte Parcellen (allotments) abgetheilt ift, welche das
Privateigenthum ber Individuen beiberlei Geſchlechts bilden
und von denen eine jede ihren befondern Namen führt. Der
Rechtstitel darauf wird fo gewiflenhaft refpectirt, daß felbft
ein wg den Landbeſitz feiner Frau nicht ohne deren
ausbrüdliche Einwilligung veräußern darf. Sollte der Pro-
fpect der Affociation in London wirklich ins Leben treten, fo
wage id) es, mit Sicherheit als erfte Folge Blutvergiehen,
dann Hungersnoth und unfägliche Leiden und endlich ſchimpf-
lichen Rliczug zu prophezeien. Soll aus der Annerion
Neu-Guinead etwas werben, fo muß bie engliſche Regierung
die Sache in bie Hand nehmen und dabel den Plan bes
holländifchen Coloniſirens adoptiren, d. h. fie darf die Ein-
= nicht depoffediren und am deren Stelle die weißen
oloniften fegen, fondern fie muß die Eingeborenen zu nüß-
lichen Eoloniften heramziehen und dann Handelsverbindungen
mit ihnen unterhalten.“
Nach den legten Nachrichten aus Auftralien dürfte Dir.
Stone ſich jegt wieber auf der Ruckreiſe nad) London befinden,
Erdtheilen.
tifch-Columbias wird ſchon ſtark nach den verfchiedenen Küften-
plägen des Stillen Meered verfrachtet; jo 3. B. bat die
Vancouver Eoal Company im vorigen Jahre 113,000 Ton-
nen, gegen 81,866 im Jahre 1874, verfhiffl. Der Silber:
minen giebt e8 beſonders viele; unter ihnen ift die reichite bie
Silver Islet Mine, welche einzig in ihrer Art dafteht. Die
äußerft reiche Ader ftand an einer Stelle des Lake Superior
zu Tage, die bei fehr ſeichtem Stande beffelben troden liegt.
Es mußte nun erft auf diefem Plage eine Fünftliche Juſel
320
gebaut werben, wo man bie Mafchinen aufjtellte und einen
Schacht einſenken fonnte. Dan bat jegt eine Tiefe von 560
Fuß erreicht und fchiebt zwei Stollen unter dem Seeboben
nad Süden bin. Troß der jehr großen Betrieböfoften liefert
diefe Grube doch fehr reiche Erträge. — Bis jetst vertheilt
fh die Montaninduftrie anf die verichiebenen Provinzen
wie folgt:
Quebeck und Ontario liefern Gold, Silber, Kupfer,
Eiſen, Petroleum, Phospbate (Apatit) und Blei; Nova
Scotia: Gold, Koble, Eifen, Baryte. Manganerze, Gyps
und fenerfeften Thon; New Brunswid: Kohle; Britiſch
Eolumbia: Bold, Silber und Kohle; Newfonndland:
Kupfer, Blei.
Auswanderertrandport aus britiſchen Hafen im
Jahre 1875.
Das ftatiftische und Handelädepartement de3 Board of
Trade veröffentlicht folgende Zahlen, welche für die Auswan—
derung und Reifen nach aufereuropäiichen Pläten gelten:
Abfabrıobäfen
Bririidı
Rordamerita
Mad ven Ber |
inigten Etnaten
Auftrattide
Aolonien
Andere Orte
=
2.8
4,
1,706
Englands
Schottlands
Irlanıs .
14,202
1,864
1,312
16,669 | 136,306
191 16,109
— 28,804
Bulammen in Grehbritammien
„ tu Borjabre (1A74)
105,048
143,181
17,378
25,150
35,525
53,068
15,560
13.49
Die Geſammtſumme vertbeilte ſich auf die verfchiedenen
Nationalitäten und Reiſeziele wie folgt:
173,809
241,014
=
Zz=
g 2 lä2lz
Biel = s|=2z| 3
5 :|sz|5
5 =|.:| ®
[27
e
Vereinigte Etaaten 2. 0. | an,0on 6.898 ai,aaa 28,098 835 |105,046
Britiih Rordamerila . . - | 9006| 1,872] 1,392) 5,018) 50 | 17,378
Auſtraliſche Golonien . . . - | 20,749, 8,760 Ba 707 Bl 35,59
Andere OCrle . 2 2 0 00. | 10.00 1,172 sr 2,596) #08 | 11,000
Eumma . . | 84,50014,088l11,449/81.847| 1,787 |1r3,a00
Summa im Borjabre (1874) . |116,400)20,286
— 5,277 201,014
|
Diefe Tabellen bedürfen allerdings einiger Corrective.
Es darf wicht überfehen werben, daß mehrere Tauſend Rei-
fender eingerechnet find, welche ihre Heimath bloß zeitweilig
verlafien baben. Die Verminderung, welche die Aus:
mwanberungszahlen gegen das vorhergehende Jahr zeigen, ift
keineswegs als Anzeichen aufzufaſſen, daß die Luft zur Aus—
wanberung in der Abnahme begriffen ift, ſondern einzig und
allein die Folge der allgemeinen Kriſis, welche die ungünſti—
gen Chancen und zu überwindenden Schwierigkeiten um das
Vielfache erhöht.
u 8
— Der Pibliothet des Britiihen Muſenms ift kürzlich
eine achtbündige hinelifhe Geſchichte des Testen
deutich-franzöfifhen Krieges, verfaht von Wang-Tau
Aus allen Erötheilen.
und Tſchang⸗tſung-liang, neichenkt worden. Die Verfaſſer
baben ihr Material and fremden Zeitungen gefammelt und
follen es im geſchickter Weife kritiſch gefichtet und vebigirt
haben. Die gegenwärtige Lage Europas ericheint ihnen wie
die Chinas 500 Jahre vor Chrijti Geburt, als dies Land
faft die unrubigften Zeitläufte feiner Gefchichte durchzumachen
hatte, und die einzige Ausficht auf Erhaltung des Friedens
ſehen fie in einer fejten Verbindung zwiichen England, Frank:
reich, Rußland und Deutichland! Das Opus beginnt mit
einer allgemeinen Heberficht von Europa und wendet ſich dann
zu den unmittelbaren Urſachen des Krieges. Die berühmte
Begegnung Benedetti's, befien Name als „Pinsni-teb:ti“ er:
fcheint, mit König Wilhelm in ‚Im⸗ſze“ (Ems), die verſchie⸗
benen Schlachten, barumter die von „Syetan" (Sedan), und
bie Belagerung von Paris find ausführlich befchrieben, und
das Werk ſchließt mit der Erwählung von „Makma-ban*
zum Präfidenten der franzöſiſchen Republik. ;
— Der erfte Schritt, den allen Neuerungen jo abbolben
Ehinelen die erſte Eifenbabn vor Augen zu führen und
dadurch ihren Widerftand gegen biefelbe allmälig zu über:
winden‘, ift geicheben. An aller Stille wurde das nöthine
Land zwiſchen Schanghai und Wufung ſneun engliiche
Meilen von erfterm an der Mündung bes Fluſſes Hmwang-
pu, am welchem Schanghai liegt, in den Vangstjefiang) ge:
kauft und nivellirt, das nötbige Geld in England und in
Schanghai zufammengebradht und ein Ingenieur verſchrieben.
Was bisher geicheben ift, wurde von den einheimiſchen Be—
hörden gebilligt; aber man bat fi, um nicht ihre Oppofition
herauszufordern, gehütet, ihnen auch nur ein Wort von Loco:
motiven zu ſagen. Sind in einigen Monaten die Schienen
nelegt und rollt dan der Dampfivagen darüber bin, jo hofft
man, dab fih die Chinefen in bie vollendete Thatſache zu
fchiden wiflen werben.
— Schifffahrt und Handel find für ein Küftenland corre-
lative Begriffe. Die Bedeutung des einen erlaubt einen
Schluf auf die des andern. Jır der auftraliichen Colonie
Neu-Süd-Wales hat die Schifffahrt im verfloffenen
Jahre wieder einen erheblichen Aufſchwung genommen. Die
Zahl der eingelaufenen Schiffe belief fih auf 1179 gegen
10388, mit einem Tonmengebalte von 608,878 gegen 515,886
und einer Beſatzung von 31,155 gegen 27,942 im Jahre 1874.
An Paflagieren trafen 30,223 ein gegen 27,315. Dagegen
verliehen die Colonie 1054 Schiffe gegen M6, mit einem
Tonnengehalte von 562,562 gegen 503,076, einer Belagung
von 20,032 gegen 27,404 und mit 20,582 Paſſagieren negen
19,191 im Borjahre.
— Ueber die vierte Reife des Mr. Erneft Giles durch
die weſtlichen Wiften Australiens baben wir in Nr. 12,
Seite 168 ff. berichtet. Mit der Einwilligung des Mer. Tho—
mas Elder in Adelaide, welcher die ganze Erpebition aus—
geriiftet hatte, wird nun Giles fich zunächſt zur Verfügung
der weftauftralifchen Regierung ftellen, um die Nebenflüſſe
des Murdifon River und andere wenig befannte Flüſſe an
der Nordküfte von Weſtauſtralien näher zu erforfchen. Giles
wollte diefe Neife zu Anfang März diefes Jahres von Cham-
pion Bat aus antreten. Nachdem dies geicheben, wird er
wieder über Land, nur in einer nördlichern Richtung als
bisher, nad Südauftralien zurücklehren.
— Garcin de Taffy ift zum Vorfigenden einer Com-
miffion ermwäblt worben, welche die Arbeiten des verftorbenen
Fregattencapitäng Doudart de Lagrée über das centrale
Indo⸗China herausgeben foll.
Inhalt: Thomfon’s Reife auf Formofa. I. (Mit drei Abbildungen.) — Die californifchen Indianer. I. (Mit
zwei Abbildungen) — Die engliihen Himalaya-Befiguugen. Von Emil Schlagintweit. Va, Der Pendihab-Himalaya.
— Die Eingeborenen bei Port Moresby. — Aus allen Erdtheilen: Die Bergwerke Canadas. — Auswanderertransport
aus britijchen Häfen im Jahre 1875. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 6. Mai 1876.)
Redarkeur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenſtraße 13, I Ir.
Drud und Verlag von Briedrih Biemeg und Sohn in Braunfchweig.
Hierzu eine Beilage: Literarifher Anzeiger Nr. 4.
Mit befonderer Berüchfichtigung der
= ur 2.
——
De BL
Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunfhweig
Jahrlich 2 Bände am Rummemm. Durch alle Buchhandlungen und Poftanftalten
1876.
Thomſon's Reife auf Formoſa.
Die gerade unter den Eingebovenen herrſchenden Unruhen
fiegen «8 für Ihomfon rathfam erfcheinen, den ihnen zuges
dachten Beſuch einftweilen aufzugeben und ftatt deifen zu
Waſſer nad) der nahen Hauptftadt der Juſel Tai-wansfu
zu gehen. in eigentlicher Hafen fehlt diefer Stadt; ihre
Rhede bietet zwar während des Nordoft-Mlonjuns, von Der
cember bid Ende März, einen jehr guten Anferplag, doch ift
bei der circa zwei Seemeilen betragenden Entfernung der Ver⸗
fehr mit dem Lande ein fehr bejchwerlicher. Wie jchon oben
erwähnt wurde, wächſt diefe iberaus fladye Hüfte zufehends
an: wo noch im Jahre 1661 die chinefische Flotte, welche
die formoſaniſchen Befigungen den Holländern entriß, Anker
warf, dehnt fid) heute eine öde Ebene aus, von einem Canale
durchichnitten, der Taiswansfu mit der See in Verbindung
bringt, aber nicht von größeren Schiffen befahren werden
fan. Es ift das beim heutigen Fiſcherdorfe Anping, wo
fid) außer dem von englifchen Beamten verwalteten Zollamte
die Ruinen des um 1630 errichteten holländischen Forto
Zelandia gegen 18 Meter body erheben. Als einzige Er:
höhung an diefer Hüfte giebt es eine treffliche Landmarke zum
Anfegeln der Rhede von Taiswansfu ab, welche durch einen
hohen und breitfronigen Baum ſchon auf weite Entfernungen
hin ſichtbar ift. Diefelbe ift aber möglicher Weife heute jchon
verſchwunden; Gorvetten-Gapitän Hühne, welcher im Früh:
jahr 1875 mit der „Ariadne* die Rhede befuchte, meldet,
daß die Chinefen mit dem Abbrechen des Forts beichäftigt
feien, um das dadurch gewonnene aus vorzüglid, harten Bad-
ſteinen beftehende Material zum Bau einer etwa 11/, Ser
Globus XXIX. Nr. 21.
u.
meilen fiblich von Zelanbia gelegenen neuen Befeftigung zu
verwenden. Wahrfceinlic auf Anrathen der den Bau leis
teuden franzöfifchen Ingenieure fol auch der ganze Hligel
von Zelandia abgetragen und dabei natlirlic, aud) jener große
Baum gefällt werden, weil das neue Fort von dort aus dos
minivt werden lönnte. Bei der Froßen Wichtigfeit aber,
welche derfelbe für die Schifffahrt, die auf diefem Plage beis
nahe zur Hälfte vom deutjchen Scyifien betrieben wird, be»
fit, wurde ber die deutfchen (und außerdem bie franzöſiſchen
und dänifchen) Intereffen vertretende engliiche Conful, Vier.
Gregory, erfucht, feinen Einfluß dagegen geltend zu machen,
eventuell für die Errichtung einer andern weithin ſichtbaren
Marke forgen zu wollen,
Die Stadt Taiswan-fur felbft liegt mod, etwa vier See—
meilen von dem Ankerplatze der größeren Schiffe entfernt
und der dorthin führende Flußarm ijt meiftentheils durch eine
Barre gefperrt, weldje mitunter burchbrochen wird, aber ſtets
bald wieder verfande. Man bedient fic deshalb, um and
Yand zu lommen, der „Katamarand“, aus Bambusffämmen
der dickſten Gattung beftehender Flöße. Die Stämme wer:
den mit Hulfe von Feuer gebogen, um dem fahrzeuge eine
hohle Fahnförmige Geſtalt zu geben, und dann mit ſpaniſchem
Rohre mit einander verbunden; in der Mitte des Ganzen
ift ein ftarfer Holzllotz befeftigt, welcher ben Maſt mit feinem
großen Mattenfegel trägt. Sein einziger Nagel ift an dem
ganzen Gefährt vorhanden; das Merkwürdigſte daran ift
aber die Einrichtung zur Aufnahme von Paflagieren, welche
in einer großen wannenartigen Vertiefung befteht, Der Ka:
al
322
tamaran, in welchem Thomfon ſich au das Land begab, faßte
in feiner Wanne vier Perſonen; aber biefelbe war fo tief,
daß ihre Infaffen faum über den Rand hinweg fehen konns
ten. Sie festen ſich alfo auf die Bambusftäbe felbft; da
aber zwangen fie von Zeit zu Zeit die hochbrandenden Wo-
gen, ji mit Händen und Füßen feftzullammern, um nicht
hinweggeführt zu werben.
Taiwan-fu, weldes etwa 70,000 Einwohner zählen
mag, ift, wie alle größeren dhinefifchen Städte, mit einer
20 bi8 30 Fuß hohen und 12 Fuß diden Mauer umgeben,
welche ihr eim ftattliches Ausfehen verleiht, wie fid) dem
auc) das Innere vor den Städten bed chineſiſchen Feſtlandes
durch eine gewiſſe Reinlichteit auszeichnet. Die Straßen
find meift mit Steinplatten aufgelegt und theilweile von
GCanälen durchzogen, welche mit dem Meere in Verbindung
ftehen und für den Waarentransport eifrig bemugt werben,
Die Mauern, welche nadı jeder der vier Himmelorichtungen ein
Thor haben, haben einen Umfang von eiwa 8 Kilometer , aber
der ſo umfchloffene Raum wird zum großen Theile von Fel—
dern und Gärten bededit. Spuren des einftigen holändifchen
— ——
gräßlihe Schlachten fein Ende erreicht hatte, verwandelte ſich
das Yubelgefchrei in Jammer und Wehklagen: der Himmel
verfinfterte ſich und cin flrchterlicher Sturm brad) los. Die
Flüffe und Bäche ſchwollen reigend an, traten aus und liber«
ſchwemmten bie Ebene; Bäume, Häufer und Felbfrlichte wurs
ben fortgeriffen und gegen 2000 Menſchen fanden in den
empörten Wogen ihren Tod. Gott hatte im feinem Zorne
dad vergoflene Blut der Fremden gerächt, fagten die aber:
gläubifchen Eingeborenen.
Heute wird diefer traurige Ort Übrigens auch ald Exercir⸗
plag benutzt.
Vor dem Sitbthore Liegt dev Begräbnißplag, eine groß:
artige Todtenftabt mit unzähligen Monumenten und einem
eigenthlimlichen, leider dem Zerfalle entgegengehenden Tents
pel, der dem Gotte der Gnade geweiht iſt. Im Innern der
Stabt ift noch die Umiverfität zu erwähnen, die fid) eines
guten Rufes erfreut und ftart befucht wird, Importirt
werben nadı Taismwansfu außer vielen djinefifhen Waaren
beſonders allerlei engliiche, Eifen, Blei, Baummolle und
Opium, von welchem legtern trog der hohen darauf liegen:
den Zölle in der Stadt jährlich an 1500 Kiſten verbraucht
Thomſon's Reife auf Formofa.
Regimentes find wicht felten: nmamentlid) die Ruinen des
Forts Provincia, chineſiſch Sal⸗kan geheiken, und die großen
Parks mit ihren fchönen Bäumen erinnern an daſſelbe. Ju
der Hauptftraße, welche von Weften nach Dften geht, fieht
man Magazine und Läden aller Art und hat einem rechten
Einblid im das rege chineſiſche Geſchäftoleben. Tauſende
von Menjchen bewegen ſich dort und feinem fieht man Yanges
weile an; alles arbeitet wie ein Bienenf—hwarm. Beim Sübd-
thore liegen mehrere Tempel, namentlich ein im fechszehuten
Jahrhundert erbauter, welcher dem Gedächtniffe an den Man
darinen Tſchin-hok, den Eroberer der Infel, gewidmet iſt,
und ber Tempel Wang-fun, der nur vom Tao⸗tai (Bicefönig)
und feinen Beamten benutt wird.
Auf der Norbfeite der Stadt befindet ſich der Richtplatz,
wo ſchon Taufende von Opfern dem Fanatismus ber Man-
darinen erlegen find. Es ift ein weiter, völlig ebener Platz,
deſſen Einförmigteit faum ein Bächlein unterbriht. Den
ſchrecklichſten Tag fah diefes Blachfeld im Auguſt 1942, ala
160 Europäer unter dem wilden Triumphgefchrei des Pöbels
zue Hinrichtung hinausgeführt wurden. he aber noch das
— — — *
werden. Der Export befleht in Reis, Juder, Bohnen, Del,
Danf u. f. w.; wir haben über die meiften diefer Producte
ſchon im vorigen Artikel geſprochen.
* *
In Begleitung des Dr. Marmell, der ber ärztlichen
Miſſion in Tai-wan⸗fu vorfteht und dort unter den zahl:
reichen Kranken, den Opfern der Armuth, der Vernachläſſi⸗
gung und der ſchlechten und unzulänglicen Ernährung un:
jäglich viel Gutes ftiftet, machte ſich Thomfon am 11. April
1871 auf den Weg, um die auf den entfernteften Stationen
zerftreuten Miſſionäre im Innern der Juſel zu befuchen.
In Tragſillhlen figend durchzogen fie zunächſt die 15 bis 16
Kilometer breite Ebene, welche durchweg mit Reis, ſüßen
Pataten, Erdnitjfen und Zuckerrohr beftellt und mit cine:
fifchen Sehöften und von Bambusdidichten ungebenen Weis
lern wie befäct iſt. Mehrere Kulis trugen den Apparat
und die Chemikalien Thomfon’s, welcher möglichſt viel Inter:
effantes, das ihm auf feiner Reife aufftogen würde, zu pho-
tographiren gedachte, — Auf den Feldern waren in großer
| Anzahl Frauen befchäftigt, mit jo ftark verjillmmelten Füßen,
Thomſon's Meiſe auf Formofa.
daß fie in den Furchen mehr zu hinfen als zu laufen ſchienen.
Zierlich waren dagegen ihre Gewänder von weißen Galicot
mit hellblauen Säumen. Dhre fetten, gelben Männer fahen
wie Tölpel und Faulpelze aus; bie ſchwere Feldarbeit über
ließen fie gern ihren Ehehälften. Auch Kinder fehlten in
der Landſchaft nicht, derem einzige Befleidvung in einem am
Halfe hängenden Amulete beſtand. Entzlidend find die Wege
in dieſer fruchtbaren Ebene, beſchattet von Palmen und
Bambus und Dörfer verbindendb, welche von Weilem geſe—
hen einen geradezu bezaubernden Eindrud machen, Im der
Nähe nehmen fie ſich freilich anders and und lafjen einen
ſtarken Knoblauchs und Miftbuft ausftrönen. Dazu lom⸗
men ftarte Blumengerüiche, zwiſchen denen der milde Duft
ber zahlreichen gelben Roſen fich verliert, Bielfach erfcheinen
unſere heimischen Blumen
unter der tropifchen Vegeta⸗ m
tion, und hoch in den Yüften re n
wiegt fich die Feldlerche, die
auch in dem feſtländiſchen
China und in einigen Thei⸗
len Siams vorfommt.
Bei der erften Hilgel-
reihe machten die Reiſenden
Halt, fandten die Träger
zurlick und ermarteten die
zurlictgebliebenen Kulis und
Thomſon's Diener Schong,
dem die Fußwanderung we-
nig Bergnügen und viel
Qualen bereitete, Die Hibe
war drildend, der Weg wurde
zu einem fchmalen Pfade, ber
ſich über Fable Hügel Hinzog
und alle Augenblicke von 7
bis 8 Fuß tiefen Schluchten
und Erdriſſen unterbrochen
war. Langſam ging es vor«
wärts, bald an tiefen Ab»
gründen entlang, bald durch
Schluchten, deren von der
Sonne erhitte Sandftein-
wände bie Hände der unvor⸗
fichtig fie Berlihrenden ver-
brannten. Immer böfer
wurde der Pfad, immter tie»
fer umb breiter die Schluch—
ten, bie oft wahre Thäler
bilden, deren Sohle bebaut
ift. In der Regenzeit haben
ſich die Gießbäche durch die
Thonſchichten des Gebir-
ged unterirdiſche Wege gebahnt und fo gewillermaßen ein
natürliches Abzugsfoftem fir die Gewäſſer der Centralfette
geſchaffen; allein diefe Canäle find auch die Urfache plög-
ficher Erdrutſche, unter denen ber Landmann Haus und
Ader verfchwinden fieht. Die Hak⸗ka, melde biefen ge—
fährlicen Boden bebauen, find aber auf ihrer Hut und
daran gewöhnt, ihren Stab weiter zu fegen und von Neuen
unverzagt an bie Beitellung des Yandes zur gehen, ein Wechſel
ihres Wohnortes, der nicht felten zu ihrem Glude ausichlägt,
wenn der neue Play gefunder oder ficherer ift und filr bie
Wintermonate mehr trodenes Schwemmholz in den Fluß:
betten barbietet.
Um 4 Uhr Nachmittags erreichten die Reiſenden Poah-bi,
das erfte Dorf der Pepo-hoane, welche fie freundlich aufnah»
men und namentlid) den Arzt Herzlich bewilltommmeten. Es
Pepo⸗hoaus, Frau und Kind,
323
ift ein einfaches, freimlthiges Volt, deffen offenes Benehmen
denjenigen, ber lange Zeit mit den verfchmigten Chineſen
verfehrt hat, überaus angenehm berührt. Obwohl fie den
Aderbau und die Baukunft erft von den Ghinefen erlernt
haben, fo find ihre Käufer doch befier als die der chineſiſchen
Bauern, wie fie auch beſſer gekleidet find. Im Aeußern
wie in der Tradjt erinnern fie ſtarkl an die Laos in Siam,
während andererfeits ihre Sprache entſchieden malayifche Ab:
ftammung verräth.
In PRoahsbi ficht eine Heine hriftliche Capelle, welche
von den Cingeborenen felbft erbaut worden ift und erhalten
wird, fo dag die Miffion nur einen eingeborenen Diaconus
zu befolden hat. Die Häufer find alle reinkich, gut im
Stande und bequem und meift fo gebaut, daß fie brei Sei—
ten eines Vierecks einnehmen,
Sie werben derartig herge-
ftellt, dag man zuerft ein
Gebält aus Bambus errid)-
tet, dann daſſelbe mit klei⸗
neren Bambuslatten belegt
und das Ganze mit einer
biefen Thonſchicht bedeckt, die
nach dem Trockenwerden ge-
weißt wird. Kalt und
Thonerde finden ſich reichlich
in der Nachbarſchaft. — Un
Dingen, die etwas medani-
ſche Erfindungsgabe verra:
then, ſah Thomfon nur
zwei bei ben Pepo-hoans:
ihre Flintenfolben und eine
fehr merkwürdige Ratten⸗
falle, deren Herſtellung ein
wichtiges Ereigniß in ihrer
Geſchichte geweſen ſein muß,
da jene Bergbewohner das
Rattenfleiſch Über Alles
ihägen.
Nach Er Tagen bra-
= en unfere Reifenden zu Fuß
nach dem 20 Kilometer dft-
licher gelegenen Dorfe Bat-ja
auf, In Menge liefen die
Leute bei ihrem Nahen herzu;
Fr Schaaren nieblicher Kinder
‚sr riefen: „Peng-gan! Peng-
\ gan !* (Friede fer mit Euch!)
und bie Väter liefen ihre
Arbeit im Stich, um dem
Arzte die Hand zu ſchutteln.
Mit großer Begleitung hiel-
ten fie fo ihren Einzug in das von Br Balmen
und Bambus befchattete Dorf. Letztere Pflanze ift vielleicht
das Demerkenswerthefte in der ganzen Yandfchaft; fie er
reicht hier riefige "Dimenfionen und man findet foldye von
mehr ald 100 Fuß Höhe und von 2 Fuß Umfang. Sie
und der Reis Spielen im Leben der Chinejen die größte Rolle
und wurden, wenn alle anderen Nutzpflanzen fortfielen, hin-
reichen, das ganze Bolt zu nähren, zu Meiben unb zu be»
hauſen Zunächſt ift der Bambus nicht wähleriſch im
Standorte und verlangt feine Pflege Seitens des Menſchen;
fat eben fo üppig gedeiht er auf mageren, fteinigen Berg:
*) Berg. bietzu F. Jagot jiber bie mannigfahe Verwendung
des Bambus auf den Philippinen, „Globus” XXIII, S. 198 (mit
Abbiltungen).
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Die californischen Indianer. 325
abhängen wie in dem reichen Thälern Formoſas. Um dat
Haus, das faft ganz aus Bambus befteht, bildet er ein fat
undurchdringliches, dorniges Gehege und gewährt ihm mit
feinen blaßgelinen Fiederkronen erfrifchenden Schatten. Im
Innern der Häufer findet man Stühle und Betten, die ganz,
und Tifche, die bis auf die Platte von Baubus verjertigt
find; ferner Eimer, Krüge, Trinfgefäße, Gießlannen, Maße
(2
!
für Reis aus bemfelben Material. Bon ber Dede herab
hängt geräudyertes Schweinefleiſch an Bambuszweigen, deren
Dornen unwilfommene Beſuche der Ratten abhalten. Hut
und Mantel des Hausherrn beftehen aus Bambusblättern,
die dachziegelartig Über einander liegen, wie Fiſchſchuppen
oder die zyedern der Vögel. Die meiften Werkzeuge zum
Aderbau jind ans Bambus verfertigt, ebenfo Körbe allerlei
— ENT N
Art, die Fiſchfangsgeräthe, Papier und Schreibfedern, die
in feinem, felbft dem elendeften, chineſiſchen Haufe fehlen,
Becher, Epftäbchen und Tabadöpfeifen. Die erften grünen
Sproffen der Pflanze dienen dem Chinefen zur Nahrung;
feine erften Träume träumt er in einer Bambuswiege und
den ewigen Schlaf jchläft er im Schatten der Pflanze, die
ihn fein Leben lang nicht verläßt, Im den Tempeln findet
man die Werke der buböhiftifchen Claffiter auf Banıbusrinde
geichrieben ; and Bambus beftehen die Wahrfageftäbchen und
ihr Behälter und mit Bambuswedeln werden die Borhöfe
der Tenipel gefegt. Bei den Goldfchlägern von Fu: fiang
vertritt eine der vielen Arten von Bambuspapier die Stelle
unſeres Vergamentes; Flöten und Fücher und felbft die Web-
ftühle für Seidenftoffe macht man in China aus diefer nüt-
lichſten aller Pflanzen.
Die californifhen Indianer.
Ein anderer Fehler ihres Charakters ift ihre Unzuver⸗
läffigfeit. Sie find große Diebe, wenn fie es nur irgend
ungeftraft fein können. Wie zuweilen ſchlecht gefittete Weiße
pflegen fie mit Vorliebe kleine Gegenſtände, wie Meſſer,
Pfeifen, Bleiftifte u. ſ. w., zu borgen, welche fie dann fofort
in die Tafche ſtecen in der Hoffnung, daß der Eigenthlimer
vergeflen wird diefelben wiederzufordern. Alte Pionniere
geben Neifenden, denen fie ihre Protection angebeihen laſſen,
den Rath, immer ‚die Namen von hervorragenden Perfonen
and der jeweiligen Nachbarſchaft im Munde zu flihren, um
326
Die californiihen Indianer.
die Wilden glauben zu machen, daß fie dort wohl befannt | wie derzFuchs, der nie in der Nähe feines Baues auf Raub
wären und mächtige Freunde hätten, die alles Schlechte,
was die Indianer ihnen thun witrden, ficher rächen witrden.
Da Iegtere nämlich ſehr anhänglic am ihr Heim und ihre
Wohnungen find und aus herber Erfahrung recht wohl willen,
daf jeder Diebftahl, dem fie in der Nachbarſchaft begehen,
mit Niederbrennen des Dorfes und Eintreibung von mindes
ften® doppeltem Schadenerjag geahndet wird, machen fie es
andgeht. Einen Fremden aber, der ohme freunde zu fein
ſcheint, jehen fie als willtonnmene Beute an, und ein folder
ift nicht ficher, daß ihm nicht in der Nacht das Pafen unter
dem Veibe weggeftohlen wird. Namentlich die nördlicheren
Stämme haben eine am Geiz grengende Liebe zum Beſitz
und zum Aufhäufen von Scägen, und thun fr einen Ame-
tifaner nicht den geringften Dienft ohne Bezahlung; ja das
- : Reujpar=
Californiſche Indianer, (Mad) einer Photographie.)
geht jo weit, daß fie nicht einmal Wörter ihrer Sprache
einem Wißbegierigen mittheilen wollen, ohne dafür Geld er—
halten zu haben.
Die Regierungdform, die urfprünglid, bei ihnen vor:
herrjchte, könnte man die Herrichaft von Geſchenlgebern nen=
nen. Mit Ausnahme der Stämme nördlich vom Mount
Shaſta gilt Tapferkeit bei ihnen wenig, während Reichthum
md amilienverbindungen Hauptſtützen der Macht find,
Der Anfang einer Hertſchaft ift ungefähr folgendermaßen.
Wir wollen annehmen, daf eine Spaltung eingetreten war
und ein Dorf dadurd) unabhängig geworden iſt. Alsbald
wird eim großes, rundes Tanzhaus gebaut und die hervor-
ragenden Männer halten darin ihre freunde in einer Reihe
von Gaftmählern frei, die allerdings, foweit wenigftens
Fleiſch in Frage kommt, ziemlich, lärglich ausfallen, und be-
fchenten fie nad) ihren Mitteln mit Muſchelmünze, Bogen
und Pfeilen u. f. w. Immer giebt es hierbei viel Mein-
lichen Streit und Hader, und num beobachten bie älteften
und wlrdigften Männer des Dorfes, weldyer der Afpiranten
am meiften Einfluß entwidelt, die jungen Leute in Orbnung
Die californifhen Indianer.
zu Halten. Diefen ruft man ſchließlich zum Führer aus
und an einem bejtimmten Tage hält er eine Auſprache, wo⸗
bei er all’ feinen Perlenſchmuck zur Schau trägt, der indejlen
häufig theilweife erborgt ift und fpäter wieder zurlicgegeben
werden muß. Die Macht dieſes Anflihrers ift ſehr gering,
denn dieſe Indianer find vollfommene Demokraten, Wie
der römische Prätor kann er wohl do, dieo jagen, aber fein
addieo hinzufügen; er kann die Gewohnheit oder das Ge:
ſetz anführen und danach feine Meinung abgeben, aber kein
Urtheil fällen, gefhweige denn ausführen. fi
Obwohl durchaus fein friegerifches Volt, haben fie doch
die gewöhnliche VBerrätherei, Rachſucht und Hinneigung zu
erbittertem Haß wie alle Wilden. Daß Jemand Eltern,
Geſchwiſter und Verwandte durch die Hand der eigenen
Stanmesgenoffen verliert, fommt nicht als vereinzeltes Bei»
fpiel vor. Einzelne Indianer find im ihrer Wiedervergel-
tung fo raffinirt, daß fie nicht dem Gegenftand ihres Haſſes
feib, fondern deſſen nächſten Verwandten ober Freund er
ſchlagen. Doch liegt eine Milderung diefer wilden Greuel
in der Thatſache, daf fie eine Art Berjährungsgeieh haben,
welches die Blutrache nach Ablauf eines Jahres verbietet.
Trog Allem, was von falſchen Freunden und fafelnden
Philanthropen Entgegengefegtes gejagt worden ift, find bie
californifchen Indianer eine grob ausſchweifende Race, viel«
"leicht mehr als jede andere. In allen Dialeften giebt es
fein Wort, das eine für Geld feile Dirne bezeichnete, weil
ihnen ein derartiges Gejchöpf unbefannt ift; aber bei den
Unverheiratheten beiderlei Geſchlechts herricht wenig oder
gar feine Enthaltfamteit, und dieje Freiheit gilt volllommen
als jelbftverftändlih. Wenn aber ein Ehemann fein Weib
nur mit einem andern zujammen in den Wald gehen ficht,
fo züchtigt er fie hart, und ein Wiederholungsfall pflegt mit
fofortigem Tode beftraft zu werden. Bruder und Schweiter
vermeiden es forgfältig allein zufanımen zu leben, ebenfo die
Schwiegermutter mit dem Schwiegerſohn, und bei einzelnen
Stämmen find Heirathen zwifchen Coufin und Coufine nicht
gebuldet; fie jagen, das ſei „Gift“. Während fie aber ſo
den Schein von Unrecht ängftlich zu vermeiden fuchen, iſt
die tägliche Unterhaltung der meiften von ihnen, fogar in
Gegenwart ihrer Weiber und Kinder, jo fehmugig wie nur
irgend die der gemeinften Weißen, wenn fie ſich allein bei
einander befinden. Nichtsdeſtoweniger leiden fie weniger
oft an Körper und Seele Schiffbruch, als die Kinder civis
Lifirter Voller; denn wenn ihmen das große Geheimniß ber
Reife entgegentritt, wifjen fie, was es bedeutet und wie fie
ſich dazu zu verhalten haben. Die Ehe findet bei ihnen
häufig im Alter von 12 oder 14 Jahren ftatt. Die Eltern
wänfdgen nämlich ihre Kinder jung zu verheirathen, um
ihnen die Verſuchung zu erfparen, und fie verfehen fie gern
für ein oder zwei Jahre, zuweilen noch länger, mit Yebens-
unterhalt, fo daß fie recllere Flitterwochen haben, als die
meiften civilifirten Eheleute. Seit der Ankunft der Amteri-
faner kommt es leider öfter vor, daß der Ehemann mit der
Ehre feines Weibes aud) wider deren Willen einen jchänd-
lichen Handel treibt.
Eine Behauptung, jo fehr fie auch bezweifelt werben
mag, wird von Kundigen mit voller Beftimmtheit gemad)t,
nämlich, daß die große Mehrheit der californifchen Indianer
abfolut feine Vorftellung von einen höchſten Wefen befigt.
Jetzt jprechen fie zwar von „dem großen Mann“, dem „alten
Mann oben“, dem „Öroßen oben“ und dem Aehnliches,
aber fie haben nur das Wort und nicht mehr. Es ift offenbar
nur ein modernes Pfropfreis auf ihre Anſchauungen; denn
niemals fpielt dies Weſen in ihren Angelegenheiten eine
Role, kommt nie in ihrer wirklichen Volksmythologie vor,
es ſchafft nichts und erhält nichts. Sie glauben alle an
327
ein Leben nad; dem Tode, aber in ihrer Borftellung von
„dem glitdlichen Yande im Weiten“ findet ſich feine Bor-
ftellung von einem Gott. ragt man fie aber nach Er—
ſchaffung der Welt, des Menſchen, des Feuers, der Thiere,
fo erjcheint fofort der Coyote; der hat Alles gemacht; fo
hat es ihmen Vater und Vaters Vater erzählt. Daß eins»
elne Stämme echt indianifche Namen für den Gott der
Beiken haben, wie Botöh, Looſh, Sha, Comöofe, Kemmy-
falto u. ſ. w., ift fein Beweis dafür, daß fich auch in ihren
religiöfen Anfchanungen ein Hequivalent dafür finde, denn
fie find ſehr erfinderifch in neuen Wörtern für neue Dinge
und haben auch für andere Begriffe, die ihnen vorher fremd
waren, wie Weizen, Eifen, Kanone, Ochſe, Pferd u. ſ. w.,
ſchnell neue, vein indianifche Wörter gebildet. Sie fennen
zahlreiche Geifter, namentlich, böfe, in menfchlicher und Thier«
gejtalt, die hauptfäcjlich Berge und Wälder bewohnen; es
find dies theils Seelen verftorbener Böfewichter, bie wieder
auf die Erde zurlickgelehrt find, theils felbftändig eriftirende
Geiſter. Sie haben ferner große, mächtige Geifter, die über
andere ihrer Art befehlen, jo einen großen Geift (haylin
kakeeny in der Neeshenam»Sprache), der jedoch nur ein
König Über untergeordnete Teufel, und nicht mit dem „Öhro«
Gen Geiſt* der Algonquins zu verwecjeln ift. Alle dieſe
Geifter müſſen günftig geftummt und ihr Zorn abgewendet
werben; ber Indianer erwartet von ihnen feine Hülfe, ſon—
dern ift froh und zufrieden, wenn fie ſich nur von feinen
Angelegenheiten fernhalten. Nur fie ftören ihm die Wohl«
thaten, die ihm die große Mutter Natur ſpendet. Die Nas
tur iſt des califormijchen Indianers Gott, und der einzige
Sott, dem er fenut, und der Coyote ift ihr Diener. Dies
liſtige Thier hat die Welt gemacht und Alles was darin iſt.
Die meijten Stämme, obwohl nicht alle, pflegen ihre
Tobten zu verbrennen und glauben, daß die befreite Seele
in dem Rauche des Scheiterhaufens zu dem glüdlichen Lande
im Weften emporfteige. Sie haben eine eingewurzelte Ab-
neigung gegen die Beerdigung, weil fie meinen, daß bie
Seele ohne Feuer nicht aus ihrer ivdifchen Behaufung befreit
werben könne, und es gilt daher für den größten Schimpf,
den man einem Todten oder feinen Freunden authun kann,
wenn man ihm eingräbt. Häufig kommen freilich höchſt
wiberliche und abfdyredende Ecenen bei diefen Berbrennuns
gen vor, fo z. B. wenn fie, mit teuflifchem Geheul um das
Teuer tanzend, den fchmorenden Körper mit fpigen Stöden
anfpießen, um der Seele den Austritt zu erleichtern. Viele
Stämme haben ein jährliches Trauerfeft zu Ehren der Tod«
ten, wobei fie Kleider, Yebensmittel u. ſ. w. verbrennen,
welche, wie fie glauben, in dem auffteigenden Rauche zu
ihren abgefchiedenen Freunden emporfteigen,
n am Anfang nahmen wir auf 9. ©. Wood’s
Werk: „Uncivilifirte Völferracen* Bezug; die angezogene
Stelle lautet wörtlich: „Ic habe ſchon gezeigt, dag wir
fein Yafter anflihren können, in dem der Wilde nicht voll:
fommen zu Hauſe ift, und daß unfere Ansicht richtig ift,
daß ber nd feines Unterganges im Wilden felbft Liegt
und nicht dem Weißen in die Scuhe gefhoben werden follte,
der thatſächlich nur den Play einnimmt, ben der Wilde frei
gemacht hat.* Fur die Californier paßt diefer Ausjprud)
nicht. Sie rauchten nur im jehr geringem Grade Tabak,
das Tabadlauen kannten fie gar nicht; fie waren nie be>
teunfen, da fie fein künſtliches Getränt außer dem Obftwein,
dem Manzanita, und diefen nur in Heinen Quantitäten hat
ten. Das Laſter des Spiels, das fie in höherm Grade als
wir befagen, ſchadete wenigftens, wie wir oben zeigten, duch.
aus nicht ihrer Geſundheit, da ihnen liberhanpt große Auf:
regungen, wie namentlid, Jornanfälle, fait unbefannt waren.
Sie afen feine heißen, ſchwer verdaulichen und ſtark gewilrz:
328
ten Gerichte; nicht einmal Gefräßigfeit war ihnen eigen,
angenommen nach langem, gezwungenem Faften, Auss
fchweifung war allgemein; aber Proftitution im unſerm
Sinne vollftändig unbekannt und mit ihr alle die fchredlichen
Krankheiten, die jo viele Tauſende bei ihrer erften Belannts
ſchaft mit den Amerikanern hinmwegrafiten.
Was ferner den zweiten Theil von Wood's Bemerkung
anlangt, fo liefert auch hier eine hiftorifcheftatiftiiche Unter:
ſuchung nicht das Refultat, daß der Indianer den Play frei
gemacht hat. Statiftifche Nachweiſe der Regierung zeigen,
daß im Jahre 1870 längs des untern Klamath 67, Ins
dianer auf die Quadratmeile famen. Ohne Zweifel über:
flieg diefe Zahl vor Ankunft der Weißen 100; aber aud)
fo würden die 6000 Quadratmeilen, die im Staate an Lachs
liefernden Strömen liegen, eine Vevöllerung von 405,000
Menſchen ergeben. Da nun in allen Eichenwäldern min
beften® #/, ihrer Nahrung aus Edern beftand, mithin aud)
bie weit ausgedehnten Eichenwälder auf der Sierra und am
Küftengebivge eine zahlreiche Bevölferung bergen mußten
und außerdem auch alle im Innern befindlichen Flüffe eher
mals ebenſo reichlich Lachſe führten wie der Klamath, fo
tann man gut weitere 300,000 der obigen Zahl zufligen,
was dann eine Gefammtbevölferung von 705,000 Indias
nern ergeben wlirde.
Aud) die Betrachtung Hleinerer ſcharf begrenzter Gebiete
zeigt die Thatfache früherer großer indianifcher Bevölferuns
gen, die bis jet bei weiten nicht durch Weiße im derfelben
Zahl erſetzt worden fihb.
Die Pionniere ſchätzten die eingeborene Bevölferung bes
Round Ballen, als fie es zuerft befuchten, nicht unter 5000
bis zu 20,000 Seelen. Ein Taufend Weiße würden darin
Yulius Payer: Das innere Polarmeer.
fir eine angemeflene, wenn nicht gar dichte Bevölferung
gelten, und augenblidlich befinden fidy nicht über 450 darin,
Im Coyote-Thal, bei Ukiah, ſchätzte Mr. Chrifty 300 bis
500 Indianer und jept befinden fid) dort acht weiße Fami—
lien, denen es durchaus nicht fcheint, als ob liberjlüffiger
Raum vorhanden ſei. Dörfer von 1000 Seelen waren
1850 noch feine Seltenheit, und man fann ſicher fein, daß
viele Thäler mehr Indianer enthielten, als fie das nädhfte
Jahrhundert hindurch Weiße enthalten werden. Auch das
häufige Vorkommen des Kindermordes ift ein Zeichen von
übermäßiger Fruchtbarkeit und Uebervöllerung.
In Energie und Thätigfeit für dem Yebensunterhalt
können fie den Vergleich mit Europäern nicht aushalten,
aber fie waren eine geſunde, körperlich fräftige und langlebige
Race. US durch die fchredlichen Seuchen im Jahre 1833
der größte Theil der Anwohner des Sacramento dahin«
gerafit war, haben die Ueberlebenden in furger Zeit das ver«
ödete Yand wieder bevölfert, und General Freinont und Tas
pitän Sutter hatten fie 20 Jahre fpäter an derjelben Stelle
zu Behntaufenden zu bekämpfen.
Bon felbft hat alfo der Indianer den Plag nicht frei
gemacht, fondern der beffere Arbeiter hat, wenn auch nicht
auf dem Wege frieblicher Concurrenz, den ſchlechten ver:
drängt. Man mag die Grauſamkeit, mit der diefer Pro-
ceß vor fich ging und noch geht, verdammen, aber im In⸗
terefje der Kultur wird Niemand ben Untergang einer Nation
bedauern fönnen, deren Mitglieder 14 bis 16 Stunden
von den 24 des Tages zu ſchlafen pflegen und die übrige
Zeit nichts thun als etwa die Nahrung ſammeln, die ihnen
die Natur darbietet.
Das innere Polarmeer.
Bon Julius Paper,
Das Eismeer ein Gletſcher im Großen. — Das offene Polarmeer. — Die Bedeutung günftiger Eisjahre für die Schiff:
fahrt. — Das innerfte Polargebiet und die Schifffahrtsgrenzen unferer Heit.
Der Totaleindrud des Eismeers erinnert im einigen
Zügen lebhaft an den unferer Gletſcher. Im beiden Fäl—
len drängt das Eis von einer klimatiſch am wenigften be—
günftigten Bone nad) einer wärmern Region. In dem
einen falle gefchieht dies von der Höhe nad) der Tiefe, in
dem andern im der Ebene nad; abnehmender geographifcher
Breite; in beiden Fällen erreichen die durch Terrainverhält-
niffe oder durch Meeresftrömungen gebildeten Zungen und
Ausläufer der Eismaſſen ihr Ende, fobald fie in eine ifother-
mifche Höhen» oder Breitencurve gelangen, deren mittlere
Dahrestemperatur hinreicht, fie aufzulöfen oder ihre Bildung
überhaupt zu verhindern. Auch die Erſcheinung der Mo:
ränen wiederholt ſich im Eismeer; denn es ift eine befannte
Thatſache, daß fowohl Eisberge als Flächeneis, mit Schutt
arftifcher Lünder befrachtet, ihre Gefteinsladungen rings an
der Peripherie des Eismeeres abjegen, und daß man bad
Entftehen der Bänfe Neufundlands zum Theil diefem Pros
ceſſe zuſchreibt.
Iſt dieſer Vergleich zwiſchen den Erſcheinungen des hohen
Nordens und der Höhe an ſich richtig, jo verhält ſich auch
das fogenannte offene Polarmeer, welches durch den Reiz
des Unerwarteten einft die fanguinifceften Hoffnungen er-
wedte, ungefähr jo, als wollte man im unferen Gletſcher—
gebirgen oberhalb einer beftinimten Höhenlinie das Aufhören
von Eis und Schnee behaupten.
Der Glaube vergangener Tage an eim offenes Por
larmeer *) erinnert mächtig daran, wie ungeniigfam der
Menfcenfinn dem Einfachen begegnet, wie uralt feine Nei—
gung it, das Ungewöhnliche und Entlegene mit dem Seide
des Wunderbaren zu fcmiücden **) Was war das offene
Polarmeer anders, als das Harzınceer des Nordens, der
Fabellreis entſchwundener Jahrtaufende vom ewig fonnigen
Eben der Hyperboräer, weit jenfeit des Yandes der Ans
thropophagen, über welches eine undurchſichtig ſchneeberhüllte
Luft ſich ausbreite! Wer hat das offene Polarıncer je ge:
fehen? Erwiefen es die Berichte der Seefahrer? Nein!
*) Diefen ſchuf der bolländifche Geograpyb Plancius für dem
Norden, ver portugiefifhe Hiftoriegraph Icio te Barros vor drei
JZahrhunderten für den Güten.
—Gs iſt bemerfenswertb, daß Liejenigen Gsfimes, welde I.
Rob 1818 im Grönland traf, bie em offenen Polarmerr entgegens
gefepte Hupotbefe auf unfere Breiten anwandten. Sie glaubten
nimlib, man fönne von ihren Wobnfigen aus micht nach Süden
vortringen, „meil das Eis bortbin immer unburdtringlicher werde”
und bielten ſich deshalb für tie einzigen Menfchen auf der Welt.
Julius Paper: Das innere Polarmeer.
Diefe Berichte waren vielmehr eine conflante Reihe von
Gegenbeweifen. Hudfon, Baffın, Phipps, Tſchitſchagoff,
Buchan, Franklin, Barry, Eollinfon, Scoresby, Mac Elin-
tod, Koldewwey, Torell und Nordenftjöld Hatten ſich alle das
gegen ausgefprochen, und wenn es beffenungeachtet dann und
wann Männer gab, die es erblidt haben wollten, jo war es
um fo befremblicher, daß fie es micht aud) befuhren, Im
unferer Zeit hat man den großen Borfämpfer der Polar:
frage, Dr. Petermann, jehr mit Unrecht zum Berfechter dej-
jelben machen wollen; im feinen Mittheilungen finden ſich
viele Stellen eutſchiedenen Proteftes gegen diefes Anfinnen.
Seine Annahme reicht nur bis zu einem umter gewiſſen
Borausjegungen ſchiffbaren inmern Polarmeer ; jeder Ken—
ner defjelben darf ſich diefem Standpumft anſchließen, befon-
ders wenn er mit der Begrenzung jener Vorausſetzungen
vorfichtig verführt.
Im Yahrhunderten aber, ba die Naturwiſſenſchaften fich
noch geringer Pflege erfreuten, bie Theorie der Pafjatwinde
(bis Mitte des 17. Jahrhunderts), ber äquatorialen und polaren
Meeresfträömungen noch unbefannt war, die Vorgänge im
Eismeere noch feiner wiffenfchaftlichen Prüfung unterworfen
wurden, kann auch die Befangenheit nicht auffallen, womit
man bie Erſcheinungen beffelben beurtheilte, Im jener Zeit
war Alles über Norwegen hinaus ein Chaos eiserflillter
Finſterniß; ein wifjenfchaftliches Bedürfnig, jene Wuſten zu
erforfchen, war nod) nicht vorhanden, und durch Sahrhuns
derte, bis auf I. Roß herab, brachten die heimfehrenden
Polarfahrer keinerlei wiſſenſchaftliche Kunde von der arl-
tifchen Natur, weil fie nur die Erreihung Indiens im Auge
hatten. Die Inſtruction, welche Willoughby, der erſte Polar-
fahrer, erhielt, gewährt uns einen Einblick in die Irrthlimer
jener Zeit; fie warnt die Seefahrer vor ſchwimmenden nad:
ten Menſchenfreſſern, auf welche man im Meere wie in ben
Flüffen gefaßt fein miffe. Es war alfo die Zeit längft ver-
gejlener Fabeln. Maldonado, de Fuca, Bernarda, HYelmer,
Andrejew, Martinisre und einige Walfiichfahrer überbradj-
ten die Märchen von gefundenen Durchfahrten, neuen Cons
tinenten, bem erwiefenen Zufammenhange Nowaja-Semljas
mit Sibiriens Nordfpige (Felmerland) ober gar mit Grönland.
Bor zwei Jahrhunderten gab man auch Rußlands Han-
delapolitit die Schuld, daß alle Verſuche einer Nordoſtdurch-
fahrt mißlängen, da c8 doch erwiefen fei, daß es im Norden
immer wärmer werde, das Meer aufhöre zu gefrieren, und
das Yand fic wieder mit lippigem Ghrlin bedede,
Eine gewiffe logische Conſequenz lag in dem Glauben
an ein offenes Polarmeer nur, jo lange man noch nicht
wußte, dag Eis im offenen Meere wie an den Küſten ſich
bilden könne; es gab auch eine Combination, welche feine
Eriftenz nicht jo unwahrſcheinlich madjte. Man tonnte näm-
lid, vorausfegen, daß die alljährlich erneute Eisbildung in
den arktifhen Regionen ewige Bollwerfe der Erftarrung
und die Vernichtung des organischen Lebens nach ſich ziehen
müßte, wenn nicht bie Meeresftrömungen ben bie klimatiſchen
Ertreme mildernden Ausgleich, herbeiführen wirden, Alles
Eis rings des Poles bildet ſich in einer beftimmten, nicht
aber unbegrenzten Menge. Da diefe gegebene Quantität
Eis nun durch die Meeresftrömungen ungefähr geihmäßig
vom innerften Polargebiet aus * niedrigeren Breiten ges
führt werden dürfte, jo muß, wenigftens ein bis zwei
Sommermonate hindurch, in der Periode des Eisminimums,
während welcher feine Neubildung bdeffelben ftattfindet, an
die Stelle bes eisbededten ein relativ eisfreies Meer treten,
Diefes Meer muß um fo offener und ſchiffbarer fein, je ge-
ringer das Yandvorfommen am Pole ift, weil diefes bie
Bildung und AUnhäufung des Eifes begitnftigt.
Allein ein folches ſchiffbares Eentralpolarmeer wäre nur
Globut XXIX. Nr. 21.
329
benfbar bei einem völlig regelmäßig und radial gerichteten
Abftrömen des Eifes von einem beftimmten Punkt aus, ohne
jede Störung durch Wind, Gegenftrömung und Yand, aljo
bei einer Harmlofigkeit und Einfachheit der arktifchen Hy
drographie, für welche die Natur in feiner Sphäre Bor:
liebe zeigt.
Dove hat die mittlere Jahrestemperatur des Nordpols mit
— 13,20 R. *) angenommen; wahrſcheinlich ift fie aber
noch weit geringer. Welche Wahrjceinlichteit hat daher ein
offenes Polarmeer fchon in Anbetracht diefes Nahresmittels?
Auch alle Nachrichten über ein nach Norden hin zunehmen:
des Thierleben, woraus man auf eine Himatifche Begünftis
gung ber innerften Polarregion und auf ein offenes Polar:
meer gejchloffen hat, müſſen nach wie vor mit Vorſicht
aufgenommen werben; namentlich beweift das Auftreten zahl-
reicher Vögelfchaaren nicht mehr, als daß fie ſich eben dort
aufzuhalten pflegen, wo momentan offenes Wafler zu finden
ift, und daß fie ihren Aufenthalt mit deſſen Berjchiebung
verändern,
Weit jedoch war die Tragweite, welche man in
fpäterer Zeit dem Golfftrom, als einer die arktifhe Oceanis
tät bedingenden Urfache, beigemeffen hat, wenngleich
Dr. Petermann erft in neueſter Zeit durch eine höchft ver—
dienftvolle Arbeit Har gemacht hat, daß fein Einfluß nur in
ben Meerestheilen um Spigbergen und Nowaja-Semlja ſich
erfennen laſſe. Im Norden Spigbergens inäbefondere
wurde fein Dafein von den Schweden durch Auffindung tro-
pifcher Gewäcfe (Entada Gigalobium) fichergeftellt. An
der Norbfüfte Nowaja » Semljas fteht diefes Eindringen
„warmen Golfſtromwaſſers“ noch keinesfalls außer Zweifel,
obſchon die Eriftenz einer zeitweifen Norbftrömung unleug-
bar ift. Lutke glaubte zu beobachten, daß dieſe Strömung
fchon in etwa 76°5 erliſcht, und er filgt hinzu: „Länge
der nörblichen Küfte von Nowajas-Semlja folgt das Meer
ber allgemeinen Bewegung von Oft nad) Welt. Wir cr-
kannten diefe Strömung an einer Menge von Treibholg,
der wir wie im borigen Jahre unter 75% 5 Br. begegneten,
und welche nur aus ben fibirifchen Flüſſen dahin gelangt
fein konnte.“ Etwas zu ficher fährt er fort: „Diefe zwei
Strömungen begegnen einander am Nafjauer Vorgebirge
und miüfjen eine Furche von Sitdoft gegen Nordweſt erzeu⸗
gen, deren Richtung auch die aus dem Sibiriſchen Ocean und
aus dem Kariſchen Meeve gelommenen Cismaflen folgen.“
Auch unfere Borerpebition von 1871 bemerkte die von Lutle
erwähnte Weftftrömung und ihre fibirifche Treibholztrift,
deren Ablagerungen die Hüften Nowaja-Semljas einfajien.
Fir das Eindringen des Golfftromes aber konnte die Erpes
bition von 1872 bis 1874 feine Belege bringen; weder eine
conftante Strömung nod) eine den Goifftrom harafterifirende
höhere Waffertemperatur ließen ſich nachweiſen, wenngleid)
die Beobachtungen ein Fahr vorher darauf hingedeutet hatten.
Nicht minder hat man eine Zeitlang auch die innerarts
tiſchen Waden, welche Wrangel und Morton fahen, als An-
zeichen eines eisfreien Polarmeeres betrachtet. Gegen jene
Morton’s in 81% 22° warf Richardſon fehr triftig ein:
„Das offene Waſſer des Kennedy-Canals im Monat Juni ift
nicht von größerer Ausdehnung, als die offenen Stellen, welche
gelegentlic, durch Walfischfänger im Norden Spigbergens
im Sommer gejehen wurden.“ Und im Hinficht jenes
Streifens offenen Waſſers, welcher im Often der neufibiri-
fchen Infeln befonders durch Wrangel beobadjtet wurde,
fagt diefer jelbft: „Meiner Meinung mac ift die ſowohl
von uns als aud) von Herrn Hedenftröm beobachtete füd-
öftliche Strömung des Meeres in den Polynjii (offenen
*) Und bie mittlere Temperatur des Sommers zu — 1,5" 3.
42
330
DMeeresftellen) den Frifchen nordiweftlichen Winden ur
ben, durch welche dieſe Polynjüi entſtanden find.“ angel
ſelbſt, nachdem er vorher die geringe Ausdehnung jener Po-
iynja ffigziet und ihr weentliches Einſchrumpfen in fehr fals
ten Wintern hervorgehoben , brachte es endlich zu feiner an:
dein Erflärung, als zu der eines localen Küftenwindes, er,
der dem offenen PBolarmeer am ceheften das Wort zu reden
veranlaßt geweien wäre, weil er mod; gegen Scoresby ber
Meinung war, daß es im offenen Meere wegen des Mans
else an Stügpunften niemals gefrieren könne. Auch die
rift des Treibholzes, die Windrichtungen, die Bewegung der
Fluthwelle, die Wanderungen der Thiere erfuhren in frühe—
ven Jahrhunderten Deutungen, welche ohne Rückſicht auf
die Schwierigleiten, jedes einzelne diefer Facta auch nur
ficherzuftellen, ihren wahren Werth; weit überſchätzten, deren
Ziel immer der verfuchte Nachweis irgend einer Durchfahrt
im hohen Norden war. Gemeinpläte dagegen, wie jenes:
„eisfrei, jomweit das Ange reichte*, — das Auge, das von
dem beichränften Horizont eines Schiffes aus eben niemals
weit reicht — waren zu allen Zeiten nur für Laien beſtehend.
Der Beobachter ſieht vom Schiffe aus je nad) feinem Stand-
punkte etwa fünf bis funfchn Meilen. Er kann alfo ein
„offenes Meer“ vor ſich wähnen, während ein Anderer nahe
von ihm, auf einem mer wenige hundert Fuß hohen Berg,
„nichts als Eis“ jenfeits eines ſchmalen Waflerftreifens zu
jehen glaubt. Demungeachtet war die geringe Höhe des
Standortes den Beobadjtern „offener Polarmeere“ ober
„eisbebecter Seen“ felten ein Hinderniß, ihre VBermuthuns
gen als Thatfachen zu betrachten.
Die praftifce Anwendung, welche das offene Polarmeer
haben follte, war diefem ſchon durch Plancius zugedadht
worden, — ein im möglichſt hohen Breiten aufzufuchender
Weg nad) Chin. Somit entſtammen alle eigentlidyen
Nordpolerpeditionen diefer Hypotheſe, die jedoch heute nur
mehr wenige Anhänger zählt, wenn fie auch einft mit großer
Hartnädigfeit verteidigt wurde.
Der Gegenbeweis von hundert. gefcheiterten Unterneh:
mungen wurde immer wieder durch ein gunſtiges Jahr im
Eife *) aufgewogen, bleiben auch die Erfolge in dieſen Fül—
len weit unter den Erwartungen.
So ſchritt Bareng im dem überaus günftigen Sommer
1594 ohne Mühe einen Breitegrad über das Nordende
Nowaja-Scmljas hinaus, während feine Nachfolger häufig
ſchon am Gap Naffau unbefiegbaren Schranken begegueten,
ja er felbft die Eisverhältniſſe im folgenden Yahre auf das
Ungunſtigſte verändert fand, Die Jahre 1664, 1871,
1874 öffneten für Vlaming, Mad, Carlſen und die beiden
öfterreichtjch-ungariichen Expeditionen dort ein offenes Meer,
wo fid) 1665, 1872 und 1873 entweder gar feine ober
nur vereinzelte Waflerftraken zeigten.
Im Sommer 1816 bis 1817 hatte fogar ber mächtige
Eisftrom an Oftgrönlands Kuſte dermaßen abgenommen,
daß Scoresby zwifchen 74 und 80% nördl. Br. nur noch
wenig Eis fand; feither haben die Schiffer ftets und wohl
kaum irgendwo ſchwereres Eis gefehen, als gerade dort.
Erft 1875 wurde an der oftgrönländiichen Küſte abermals
ausgebehntes Küſtenwaſſer beobachtet, und zwar durch den
Watfischfänger David Gray. 1753 und 1754 war das
Sarifche Meer cisfrei, was Murawjew's Fahrt ſehr zu ftat-
ten fam. 1754 waren jowohl das Kariſche als das Nord-
ipigbergifche Meer eisfrei; 1768 ſah Roßmyßlow das letztere
von einem hohen Berge der Matotichtin Schar aus (Anfang
+) Sole günftige Jahre waren imsbefentere die beiten Sommer
von 1817 und 1818, im melden nach Ecoresbn felbit die Grönläu—
diſche See zwiſchen 74 bis KO" n. Br. auf einer Aläde von etwa
2000 gergrapbiiden Ouatratmeilen eiefri mar.
Julius Bayer: Das innere Polarmeer.
September) berart offen, daß er glaubte, ohne Hinderniß in
bafielbe eindringen zu können. Aber ſchon in den folgenden
Jahren pochten die Fiſcher wieder vergeblich an feine eisver-
iperrten Eingänge. 1823 fah Pte von einem Punft an
ber Weftlüfte des Karifchen Meeres tein Eis; Mitte Auguft
1333 fand Pachtußow die Weftfeite des Kariſchen Meeres
offen, während er ein Jahr vorher die Karifche Pforte nicht
zu paffirem vermochte.- 1834 mißlang fein Berjud), die
eisgeſperrte Matotfchlin Schar zu durchdringen (Mitte Aus
guft), und 1835 war er, jelbft Ende Auguft, mit großen
Scwierigleiten fämpfenb, nur im Stande, von dem Oſtende
diefer Straße aus etwa 18 deutſche Meilen weit der Oft-
füfte der Nordinfel entlang zu folgen. Dagegen befuhr
Nordenſtjöld 1875 das Kariſche Meer bis zur Mündung
bes Jeniſei.
1743 und 1773 bot das Norbfpigbergifche Meer aber:
mals verlodende Berheigungen, welche demjenigen, ber
ihnen gefolgt wäre, möglicherweife geftattet hätten, eine noch
etwas höhere Breite zu erreichen als die, welche Norbenjtjöld
und Soldewey 1868 gewannen,
Die norwegiichen Fischer haben das Kariſche Meer in
den legten Jahren oft befahren; allein häufiger find ihre
glüdlichen Schifffahrtezuge zur öffentlichen Kenntniß gelangt,
als ihr Mißgeichid. Im Jahre 1872, zu derſelben Zeit,
da ber ‚Tegelthoff“ im öftlichen Nowaja-Semlja-Meer nicht
vorzubringen vermochte, erreichten norwegische Fiſcher im
weftlichen Theile dieſes Meeres das noch nie betvetene König.
Karl-Land ohne nennenswerthe Hemmniffe des Eiſes. Die
Schweden dagegen fonnten nicht einmal die ſchon oft beſuch
ten und zur Ueberwinterung auserfehenen ParıyInfeln er»
reihen. So wecjelvoll find die Berhältniffe an der Eis:
grenze. J. Roß traf im erſten Jahre feiner zweiten Reife
die günftigiten Scifffahrtöverhältniffe, in den folgenden
Jahren aber die troftlofeften; Aehnliches widerfuhr I. C. Roß
1840 bis 1843 im Süüdpolarmeer. Penny fand 1850
den Wellington-Canal frei vom Eis, 1854 (26. Juni) er:
reichte Morton am Cap Gonftitution eine Wade im Norden
des Kennedy⸗Canales, welche er für den Anfang eines offe-
nen Oceans anfah; allein 1852 ftand Belcher, obgleich
weiter vordringend, ald Penny dort und Hayes 18361 hier,
vor Pad: und Treibeis, und Hayes felbft bezieht feine Vor⸗
ausfegung offenen Waſſers nur auf einen „Wafferhimmel
oberhalb geloderten Eiſes“.
Scoresby der Jungere, „der wiſſenſchaftliche Walfiſch⸗
fänger“*, deſſen tiefer Beobachtungsgabe wir die bedentſamſten
Winle über die Natur der Polarmeere verdanfen, vermochte
trotz zwanzigiährigen Befahrens des grönländiſchen Cismee
res nur einmal an deſſen Küſte zu landen. Während die
ſchwediſche Expedition fi Nordoft-Spigbergen 1861 nur in
Vooten zu nähern vermochte, befuhr Smith dafjelbe 1871
bis zum Gap Smith. Der Walroßjäger Matilas hingegen
umfchifite 1864 die Nordoftinjel völlig ; der ebenfo glückliche
als erfahrene Eisſchiffer Carlſen vollführte 1863 fogar die
Umfchiffung ganz Spigbergens, 1871 jene Nowaja-Semljas
und fand dafelbft die Reliquien des Bareng'schen Winterquar:
tierd. Im Jahre 1872 wurde König-Karl⸗Land umfcifit,
nachdem jowohl Koldewey und Nordenjtjöld (1868), als aud)
die öfterreichijche Borerpedition (1871) vergeblich verſucht hat:
ten, ſich demfelben zu nähern. Ebenjo unberechenbar find die
Schifffahrtschancen von einem Jahre zum andern im Süd»
polarmeer. Goof erreichte im diefem 78° 10° ſudl. Br., ohme
Padeis zu ſehen. 1842 mußte I. C. Roß 800 Meilen
Eis durchbrechen, um einen halben Grad weiter zu fommen,
als Coot 1774; Wedel erreichte 1823 74% 15° fühl. Br.
ohne erhebliche Schwierigfeiten, während I. C. Roß 1843
in demfelben Meridian ſchon in 65" 13° füdl. Br. durch
Oscar Gannftatt: Geologische Beſchaffenheit des Golonialgebietee um S. Cruz.
eine „undurchdringliche Eismafle“ aufgehalten wurde. Ad-
miral d’Urville vermochte ſelbſt nicht bis zu 64° ſudl. Br.
zu gelangen.
Wie fehr außerdem die günftigen oder ungünftigen Eis—
verhältmiife eines Jahres an einzelne Gebiete gebunden find,
wie ſehr fie zu gleicher Zeit an verfchiedenen Orten einander
widerſprechend aufzutreten pflegen; beweiſt die Thatfache, daß
Franklin von Walfifchfängern Ende Juli 1819 in der Das
vis-Straße erfuhr, fie hätten das Eis noch nie fo dicht und
mächtig gefehen, als eben damals, wo Barry) einige Breiten:
grade nördlicher , durch die glänzendften Verhältniſſe begüin-
ftigt, feinen weiten Entdeckungsweg bis zur Melville-Anfel
und im folgenden Jahre ungehindert nad, England zurid
vollführte,
Diefe Beifpiele, denen ſich nod viele aureihen ließen,
mögen zeigen, wie wanbelbar die Chancen der Eisſchifffahrt
von einem Jahr zum andern find, wie mächtig die Hinder-
niffe ſich felbft unter den vortheifhafteften Umftänden erwies
fen haben, da man noch nie im Stande war, in das innerfte
Polargebiet einzubringen, bis dorthin nämlich, wo das
offene Polarmeer nad) den Anſchauungen einer
frühern Zeit liegen follte.
dene günftigen Eisjahre find daher nichts anderes,
als ein vermehrtes, doc im großen Ganzen geringfügiges
Zurlickweichen der äußern Eisgrenze, eine vermehrte Fahr:
barkeit einzelner Kiüftenwaffer, oder eine locale Aufloderung
des innen Polar-Cisneges. Ein ſolches Jahr ift ohne Ziweis
fel ein wefentlicher Factor, wenn es fich um die fühlicheren
Gebiete des Cismeeres, oder um die amerifanifchen Sunde
handelt; bei der Frage der Schiffbarkeit des innerften Polar:
meered dagegen fällt es nicht mit demfelben Gewicht in die
Wagſchale.
In Wirklichkeit iſt das geſammte Gebiet des Eismeers *)
mit feinen unzähligen Feldern und Schollen und dem Ge—
webe jchmaler, ſich kreuzender Waſſerſtraßen nichts anderes,
als ein in feinen Mafchen durch locale, terreftrifche Urfachen
beftändig beivegtes Netz, deſſen Veränderung demnach ent:
weder ſyſtematiſch oder zufällig auftritt, und deſſen Erſchei⸗
nungen, wenngleich einen ändigen Wechſel unterworfen,
doch nad) dem innerften Polargebiete hin eine mehr oder
+) Dbne austrüdlichen Hinweis if bier immer nur vom nötd⸗
lichen @ismerre die Rede.
331
minder unſchiffbare Dichtigkeit vermuthen laffen. Und nad
meinen eigenen auf drei Reifen erworbenen Erfahrungen
halte ich daflte, dag die Eiszuſtände zwiſchen 82 bis
90° im Allgemeinen fih nicht wefentlih von
jenen unterſcheiden, welde, den äußerſten Eisſaum
audgenonmen, jüdlic des 82. Örades beobachtet wurr
ben; eher wäre ich geneigt, an eine Berfchlimmerung,
denn am eine Verbeſſerung derfelben zu glauben.
Ift aber auch; diefe Anfchauung richtig, keineswegs folgt
daraus, daß wir den Pol mitteljt des Schiffes zu erreichen
im Stande find; denn fon das Vorbringen bis zum
82. oder 83. Grad erfchöpft erfahrungägemäß völlig die
verfügbare Schifffahrtszeit und fegt für ſich allein die gün—
ftigften Bedingungen voraus. Gin Schiff, das im Anfang
des Herbftes den 82. Grad erreicht, darf nichts mehr ris—
firen; nur wirklich offenes Waller darf es noch befahren,
die Sorge für den Winterhafen überwiegt nothwendigerweiſe
jebes andere Beftreben.
Wer aber mit einem Schiffe heutiger Conftruction er
wartet den Pol in eimem einzigen Sommer zu erreichen, dev
glaubt nothwendigerweiſe an die polare Dceanität, Selbft
das Bordringen im Smith-Sund bis zum 84. Breitengrad,
oder das Erreichen des Cap Tjcheljustin auf dem norböftr
lichen Wege wäre noch fein Beweis für fie, fondern nur da=
für, daß die inneren Theile des Polarmeeres zeitweife und
örtlich, Waflerftragen öffnen, welche einzelnen Schiffen einen
fonft unerhörten Erfolg ermöglichen. Dieſe Thatſache ficht
außer Zweifel ; ihr Eintritt aber ift völlig von den glüclich-
ften Zuftänden eines Jahres abhängig, und es ıft nicht
wahrjcheinlich, daß fie ſich ſchon im folgenden Jahre wieder
holen und dem eingedrungenen Fahrzeuge geftatten, feinen
Weg fortzufegen oder zurlidzufehren. Gehört aber aud) das
Wagen ohne Bedenken zur Ausführung einer ſolchen Erpes
dition, ber Plan muß mit aller Vorſicht entworfen werben.
Die legte amerikanische Erpedition ift mit widerſprechen⸗
den Ausjagen hinfichtlic der Schiffbarfeit der Yincoln-See
zurüdgelehrt, und weil jie nicht durch die That erwiefen ift,
fo haben wir feine überzeugende Urſache, daran feftzuhalten.
Der engliſchen Expedition, welche gegenwärtig dieje Route
zue Erreichung des Poles verfolgt, ift daher das verdienft-
volle Werk vorbehalten, neues Licht Über die Schifffahrts-
verhältnifje im oben Smith: Sund zu verbreiten, und mit
Freuden werden ſämmtliche Nationen ihre vorausfichtlic, bes
deutenden Erfolge begrüßen.
Geologische Beſchaffenheit des Kolonialgebiet? um S. Cruz *).
Von Döcar
Die Municipien von Rio Pardo und Taquary mit den
Goloniebiftricten von S. Cruz und Montalverne gehören in
ihrer größern Flächenausdehnung dem Tiefland und jener
Region an, wo das Tiefland allmälig zum Hochland über:
seht. Diefe Gegend ihrer mineralogifchen und geologifchen
Beichaffenheit mad) genauer zu unterfuchen haben wir und
zur Aufgabe geftellt.
In einer Entfernung von etwa 60 bis 80 Legoas (1 Ye:
oa — 2805,33 Braças refp. 3 Milhas; 1 Braga — 22
imeter) von der Kuſte des Atlantiſchen Oceans finden
wir eine weite und wenig coupirte Ebene, in welcher hier und
*), ©, den erfien Artifel oben ©. 205.
Gannftatt,
da nur am vereingelten niedrigen Berglegeln und Hügeln eine
beftimmte Gebirgsformation ſich erkennen läßt, die etwa 6 bis
10 Legoas weiter norbiweftlich zum eigentlidyen Gebirgäzug
emporfteigt und einen mächtigen Gebirgswall, die befannte
„Serra“, mit al’ ihren Hauptzügen und Abzweigungen bildet.
Der Hauptzug diefes Gebirges wird durch die fogenannte
„Serra Geral* oder „Serra do Mar“ gebildet, welche in
einer Yängenausdehnung von nahezu 6000 Meilen von Nor:
den nad) Süden in allmäliger Abdachung verläuft und nad)
dem Innern des Landes Hin jich fächerartig ausbreitet. Der
Charakter des Landes ift ein ausgeſprochen gebirgiger. Selbft
auf den Hochplateaus oder in dem wirklichen Tieflande fin
den fich Meine und größere plötzliche Terrainerhebungen.
42*
332
Die Serra-Uusläufer, welden die Colonieregionen von
©. Cruz und Montalverne und aud) die weftlicher gelegene
Colonie 5. Angelo angehören, find Abzweigungen der Corilha
da Eoledade, einer befondern Berglette, welche ſich zwiſchen
den Flüffen Taquary, Jacuhy, Cahy, Rio Pardo und deren
fleineren Nebenfläffen ausbehnt. Die Höhe diefer legtauf:
geführten Gebirgsmaſſe differirt zwifchen 2000 und 4000
Fuß reſp. 700 bis 1200 Meter. Im der Gliederung bes
Gebirgsftodes find oft ſcharfe Unterbrechungen bemerfbar,
zwiſchen denen ſich wilde Bäche und Flüſſe ihr Bett gewählt
haben, um jchlangenartig mit den hochrandigen Ufern meift
nad, Südoft ihren Yauf zu nehmen.
Die Hauptmaffe des Gebirges jener Berggruppen in den
Coloniediftricten von S. Cruz und Montalverne befteht aus
einem fich durch die verfchiedenartigften Härtegrade auszeichnen«
den rothen Sandftein, Oft liegt dad Sandfteingebirge fchon
am Fuß der Berge zu Tage, häufiger aber tritt es erft als
ſchroffe Felswand am Gipfel ber Höhenzitge hervor, umrahınt
von der lippigften Vegetation. Dieſe ftarren weithin ficht-
baren Felſen verleihen der Gegend einen Außerft wilden und
groteslen Charakter. Auffallend war es uns, in diefer Ger
gend die Bemerkung zu machen, daß die Gebirge meift an
ihrer Sitd» oder Dftfeite fleil find, auf der Anhöhe ſich in
ausgedehnte oft meilenweite Hochebenen ausbreiten, hinter
denen fich nördlich ab und zu wieder neue Höhenzlige aufs
thurmen, „und dieſer Art ein terraffenförmiger Aufbau der
Berge überall wahrnehmbar ift,
Nach Sellow fol jener Sandftein ber Tertiärformation
angehören; andere Naturforſcher ftimmen fiir ein jecun:
däres Gebilde, wofür auch die vielen fich vorfindenden Stücke
verkiefelten Holzes in dem feldipathreichen Sandftein zu ſpre—
chen ſcheinen. So wenig wir und für die eine oder andere
Anficht anfangs zu entfcheiden wagten, fo beftimmt drängte
fid) uns bei geologiſcher Forſchung die Ueberzeugung auf,
daß das ganze beſprochene Gebiet auf lange Dauer dem
Diluviakterritorium angehört haben muß. Mit unverfenns
barer Deutlichkeit ift befonders in und um ©. Cruz das
ehemalige Beden der Diluvialfluth zu erkennen, die jene
Negionen mit einer Menge von Gerölle und Gefchiebe ſowie
Blöden ganz anderer Gebirgsmaſſen verfah, denen wir na-
türlic feine weitere Berlidjidhtigung bei einer geologifchen
Gliederung des GColoniegebietes zollen können.
Beſonders erfennbar ift die zerftörende Einwirlung der
Fluth an einer Sandfteinhöhle, die im ber Nähe des Farinals
(Stadtplag) von S. Cruz etwas feitab von dem Wege nach
ber alten Pilade (Durchhau) liegt. Die Höhle, welche, 200
Meter über dev Meeresfläche liegend, fic weit verzweigend
etwa 30 Mieter tief in dem Berg hinein erftreden mag, ift
Übrigens aud) noch in anderer Hinficht intereffant. Taufende
von Fledermäuſen und zwar von einer Phylloftoma- ober
Stoffophaga» Art haben ſich dafelbft angefiedelt und unter
nehmen von ſolch ſicherm Berftede aus des Nadjts ihre
Raubzüge. Aehnlich wie jene Vögel, welde durch Anhäu—
fung ihres Unraths auf einer und derſelben Stelle die Guano—
lager hervorgerufen haben, fcheinen auch die Flebermäufe
hier inftinetmäßig nur die große faalartige Erweiterung in
der Mitte der Höhle zur Ablagerung ihrer Ereremente für
geeignet zu halten. Die Höhle ift durchweg zu begehen;
nur an der genannten Stelle thürmt ſich eine viele Dieter
umfaſſende Anhöhe von peftilenzialifc, ſtinkendem Unrath als
Hinderniß vor dem Paſſanten auf.
Bon Wichtigkeit find die Trappgänge, welche hier und
da im erftaunlicher Menge auftreten und deren mandelſtein⸗
artige Melaphyre fid) in großen Maſſen in unmittelbarer
Nähe des ©. Eruzer Stadtplages vorfinden. Der Trapp
Oscar Gannjtatt: Geologische Beſchaffenheit des Golonialgebiets um ©. Eruj.
ift ſtarl magneteifenhaltig und giebt oft den Bächen ein trüben,
gelbliches Anfchen, das noch vermehrt wird durch die große
Menge von Fehmbeftandtheilen im Sande der Thäler. Die
Trappmaffen und Gänge find oft zu ganzen Bergkuppen ans
gehäuft und machen in der Bermengung mit eifenfhlffigem
Yehm, Duarggerölle und dergleichen mehr die Hypothefe der
längern Dauer und Einwirkung einer Diluvialflutg nur
wahrjceinlicher. Daß die aufgelöften Trappmafien in Ber
bindung mit dem lehmigen Sand und der Jahrhunderte lang
angehäuften Humusjchicht einen der fruchtbariten Boden lie-
fern mußten, ift leicht erflärlich, und fo ſehen wir denn auf
ben Bergzügen der Colonien von ©. Cruz und Montalverne
einen bis zur vollftändigen Undurchdringlichkeit verwachſenen
Urwaldbeftand, der die Pflanzen des weniger reichen Bodens
mit denen der lippigen Vegetation der Araucarienzone auf
kurze Streden vereint.
Ungemein häufig, wie wir ſchon anbeuteten, ift nament⸗
lich in den tiefer hegenden Theilen des Terrains das Bor:
tommen von Quarz in dem verfchiebenften Abftufungen und
Abarten. Der Quarz ift von der dichten compacten Maſſe
bis zu den feinften Kryſtallgruppen in Drufen und Brud)-
ſtücken vertreten. Neben dem Duarz finden wir Kallſteine
in einer großen Zahl von Varietäten und mit inniger Bei-
mengung der mannigfachften Stoffe, wahrfcheinlich als Abfat
ber jalzigen Waffer, denen er feine Bildung verdankt. Wer
niger häufig fommt in dem Picaden der Colonie Fafergyps
vor, bon dem und nur einmal ein großes Stitd zu Händen
gefommen ift, während wir von dem oben genannten Geftei-
nen mancherlei fchöne und verfchiedenartige Eremplare befa-
ſaßen. Techniſch wichtig fcheint uns nur der außer
ordentlich verbreitete Sandſtein zu fein, ber ſich in den
einzelnen Brüchen vom grobförnigen, weichen Sandſtein bis
zum feinförnigften, dichten Material abſtuft. So verfdjier
den wie Farbe und Härte diefes Sandfteins find, fo mannig-
fach, ift auch feine Verwendbarkeit als Baumaterial, ale
welches er übrigens ziemlich gejucht iſt. Leider nur find
einzelne Qualitäten ungemein hygroſtopiſch und deshalb ge-
ade zum Häuferban nicht jo brauchbar als die gewöhnlichen
Badfteine, wenn man nid)t mit großer Vorſicht jene wafler-
ziehenden Stüde entfernt hält. Sehr gut verwendbar ift
der S. Eruzer Sandftein zu Platten und zur Stuccatur⸗
arbeit.
Die Jaspis-, Achat- und Opalgefteine, die in den präch—
tigften Varianten, befonders gerade in den Municipien von
Rio Pardo und Taquary, gefunden werden und einem micht
unbebentenden wertvollen Erportartifel der Provinz bilden,
find befannt genug, um eine genauere Beſchreibung derjelben
entbehrlic, erjcheinen zu laſſen. Wer kennt nicht die in Idar
und Oberflein zu den veizendften Dingen verarbeiteten Adyate.
Wie man uns verfichert, find die brafilianischen Achate f
ner und geſuchter als die indischen. De nachdem ſich eine
größere Adjatdrufe als befonders ſchön erweift, kann ein ein
ziger ſolcher Stein ein Capital von mehreren tauſend Tha—
lern vepräfentiren, Ein derartiger Preis gehört aber keines-
wegs zu den Seltenheiten. Diefe Achate kommen theils
freiliegend in dem Gerölle, theils ald Ausfüllungsmaterial
von Spalten und Hohlräumen in Trappgefteinen oder in
ben rothen Lehm des Hoc): und Tieflandes im Colonial-
gebiet von S. Cruz und Montalverne vor. Auch wertfvolle
Stücke von Maren Amethyſten und Bergkryftallen find nicht
felten, während Diamanten, nad) denen füglich unfere Leſer
bei mineralogiſcher Beſchreibung einer brafilianifchen Gegend
zuerft fragen werben, nur äußerft vereinzelt und weitab von
den Colonien, einmal auf dem fern gelegenen Hodjland von
Gorityba, das andere Mal im einem Bache bei Palmeira,
gefunden wurden. Gold ift nur im minutidfen Beſtand⸗
Hermann Meier: Das Kind und die Vollsreime der Ofifriefen.
teilen hier und da im den Kleinen Gewäſſern nachgewieſen
worden, doch ift eben die Quantität ohne jeben reellen Werth.
Es dunkt uns, daß cin Coloniſt durch feiner Hände Arbeit
beim Aderbau mehr Gold verdienen wird als durch jahre:
langes Suchen nad) den edlen Metalle in Bächen, Fluſſen
und auf dem freien Boden. Wie wir oben bereits bemerf-
ten, ift die Gegend ungemein reichhaltig am Eiſen, defien
Vorkommen in gediegenem Zuftand und großen Maffen zwar
bis heute moch nicht conftatirt wurde; doc) ift es micht
unwahrſcheinlich, daß fiber kurz oder lang größere Lager
hiervon gefunden werden oder die bedeutende Eifenhaltigfeit
des Bodens auf irgend melde Weife ausgebeutet wird. Mit
größerer Sicherheit faſt noch als gediegene Eifenerzlager
laſſen die verfchiedenften und untrligerifchiten Anzeichen das
Borhandenfein ausgedehnter Kohlenflöge vermuthen, bie im
einer tiefern Ader wahrſcheinlich eine Fortſetzung der vor
Jahren bereits entdedten Kohlenlager von S. Jeronimo und
Triumpho zwifchen der Mumicipalhauptfiabt Rio Parbo und
der Provinzialhauptftadt Porto Alegre bilden könnten. Uns
feren Bemihungen ift es zwar nicht gelungen, zum Beweis
diefer Behauptung oder Bermuthung beweisführende Vers
fteinerungen aufzufinden; dagegen fanden wir bitumindfen
Sandftein, der in der nächften Umgebung des Stadtplages
von S. Cruz vorfommt und in noch beijeren Eremplaren
und maflenhafter in der Gegend des weithin fichtbaren Sand-
fteinfegelö Butucarahy weftlih vom Faxinal zu finden fein
fol. Wie wichtig für die Colonien und die ganze Provinz
es wäre, wenn Kohlenlager von bedeutenderen Dimenfionen
und Flöge guter Brenntohlen gefunden würden, liegt klar
vor Augen (befonbers bei dem mehr und mehr an YAus«
333
behnung gewinnenden Eifenbahnbetriebe in der Provinz Rio
Grande do Sul).
Zu den gebiegenen Metallen, welche in den beiden Mu—
nicipien noch gefunden werden, gehört auch das Antimonerz,
welches als Grauantimonerz —— auf dem Berge
Dacolumy, 5 bis 6 Legoas von Rio Pardo, zu Tage liegt.
Kommen wir nun zu dem Emdrejultat unferer mineras
logiſchen und geologiſchen Betrachtung der und intereffirenden
Gegend zurüd, fo finden wir die Colonien von S. Cruz und
Montalverne nebft den anliegenden Diftricten im einem gros
fen Sandfteingebiete, durch ogen von Trappgelteinserhebuns
gen und ausgezeichnet durch ie pittoresfen formen fonder:
bar auf einander gethlirmter Felfenmauern und Wände,
Nicht felten fommen auch Porphyrerfcheinungen hierzu,
die, ähnlic, den Trappgefteinen, durch Eruptionen dorthin
gefommen fein mögen.
Die Oberfläche ift im der Regel mit einem fetten Boden
überdedt, der ſich im einzelnen Picaden ber Colonien fowie
in der weitern Umgegend zu fürmlichen Lehmlagern geftaltet.
Diefer Umftand ift befonders glinftig fiir die Coloniften, da
gerabe jener Lehm ein treffliches Baumaterial abgiebt und
an den Plägen, wo es noch an Kalk und Steinen fehlt, ein
vorzügliches Erfagmittel fir beides bildet. Der Lehm das
felbft eignet ſich fehr gut zur Fabrikation von Ziegeln und
Backſteinen jeder Art, in deren Anfertigung ſich unfere Lands—
leute, nadjdem fie erft das Klima und deilen Einwirkungen
gehörig findirt Haben, immer mehr vervollfommmen, fo daf
man die gebrannten Steine bald auch dort der Billigfeit
halber den gebrochenen Sandfteinen vorziehen wird und bie
Häufer heute ſchon faft allgemein mit Ziegelm gededt werden.
Das Kind und die Volfsreime der Oftfriefen.
Bon Hermann Meier in Emden.
IV. *)
In einigen früheren Nummern diefes Blattes **) haben
wir das anfängliche Leben unferer kleinen Gottesgaben an ber
Hand ber oftfriefischen Vollspoeſie zu fchildern verfucht. Wir
begleiteten fie von der Geburt bis in die Schule hinein. Suchen
wir jetzt das Kind im Freien, in Sturm und Regen, bei Bögeln
und Blumen, bei feinen Spielen und Streichen auf, jo wird
es und am Stoff zu intereffanter Fortſetzung nicht fehlen.
Der Stord) ift auch hier der willlommene Bote bes
Frühlings, und man fommt ihm gern entgegen, indem man
auf abgelöpfte Bäume ihm ein Rad hinlegt, daß er ſich dar⸗
auf fein Neft baue, Sehnſlichtig haut unfere Dorfjugend
nad) ihm aus und wenn er endlich eintrifft, dann wird er
freudigft begrüßt, und die Wünfche nach einem Bruderchen
oder Schweiterdyen tönen ihm von allen Seiten entgegen:
Störk, Störk, bist d’r?
Breng mi ’n lütje Süster!
Ik wil hör neet bedreegen,
Ik wil hör leeverst wegen.
*) Ju diefem und dem folgenten Artikel if nur Oftfriefifches
aufgenommen, und nur foldhes, mas in gebrudten Sammlungen, wie
bei Engeler, Friſchbier u. ſ. w., fehlt. Daß die echten Kinderlieher
und Kinderipiele wiſſenſchaftlich füt den Mytholegen wie für den
Gulturhifterifer ven großem Intereſſe find, inſoſern als fie eine
Menge Ucberlieferungen aus älterer und ältefter Zeit unferes Volkes
bewahrt haben, hat namentlih @. 2. Rochholz („Alemannifches Kin⸗
derlied und Kinderfpiel*. Leipzig 1857, J. Weber) nachgewieſen.
*n) Bol. .Globus“ XXVI, ©. 266, 284 und 311.
Dem jungen Storch, deſſen Wiege im vorigen Jahre im
—* ſtand und der jetzt elternlos heimlehrt, wird die Frage
eftellt:
oe Störk, Störk, Langebeen,
Hest dien Vader un Moder neet seen?
Einem andern, der gar zu hochmüthig auf feinem Nefte
fteht und ſchlechte Nachbarſchaft unterhält, gilt der Zuruf:
Störk, Störk, Langebeen,
Steist dar up dien eene Been,
Hest ok rode Strümpen an,
Geist je as 'n Edelmann.
Mandyem jungen Storch ift etwas Störchliches paffirt,
und er zögert gar zu lange, bevor er fein Bündel zur Ab:
reife ſchurt. Seine Verwandten und freunde find längft
alle marjchbereit, er aber fcheint im Norden den Winter ver:
bringen zu wollen. Da heit e8:
Störk, Störk, Langebeen!
Wenner wult du de Welt beseen?
Wen de Rogge riep is,
Wen de Vögel piep (flügge) is.
Wen de Störk neet fleegen kan,
Dan is he 'n arme Man.
Dder aud) :
Störk, Störk, Langebeen,
Wenner wult du de Sömmer seen?
334 Hermann Meier: Das Kind
Garste fangt an to riepen,
Vögelkes in de Bomen piepen.
Der Kudud ift bei unferer Jugend ein Vogel populär:
fter Art, weil ein Prophet beften Schlages. Weiß er's doch,
wie lange Jemand leben wird, und auf die Frage: Kuckuck,
wo lang sal 'k leven? bezeichnet jeder Nuf ein volles Jahr.
Aber der fleine Exrdenbürger ahnt es bereits, daß es mit dies
fer Glaubwürdigleit nicht gar ſonderlich beitellt fei, und
darum darf er fich Schon einen Spottreim erlauben :
Kuckuck, Breehük,
Röpt sien eegen Nüm ut.
Der von der Scaumeicade erzeugte Schaum wird
Kuckucksspöe (Kuckucksſpeichel) genannt.
Dem Kudud verwandt it der Kiebig: ift doch auch
er ein folder Narr, ftets feinen eigenen Namen rufen zu
mitifen:
In Mei
Legt elke Vögel 'n Ei.
Bloot de Kiewiet un de Greet (Greta, Pfublichnepfe)
Dee loegen in de Meimaand neet.
Ober:
Eersten Mei
Legt elke Vögel n’ Ei.
De Kiewiet un de Swaan,
Hebben 't Leggen dan al (aan,
Die muntere, fo behende Bachſtel ze ift von der Jugend
gern gelitten, aber diefe kann deren Pebendigfeit laum begrei-
fen, weshalb fie fragt:
Akkermantje, Wipupsteert
Wel het di dat Wippen lehrt?
Sans und Ente rufen den Spott auch durd) ihre oft
räuberifche Natur hervor, Da heift es von der Gans:
Tot, tot, sä de Goos.
Kum, kum sä de Gant (Bänferich),
Wi wiln na Fockohms Schür hengän!
Dar sünt so moje Bontjes.
Un Fockohm nam 'n dikke Stock
Un sloog de Gant wal np sien Kop,
Doo sa de Gant wal Ba—n—a!
Aelterm Munde entftammt jedenfallt das Räthjel:
Wat ie 'n Wunder?
Wen de Goos sit up de Gunder (Gänſerich).
Mehr Erbarmen hat man mit der armen Ente, die meis
ftens elternlos daſteht
Pielaant, Pielaant, Plattefont
Vader is dod!
Moder is död!
Geit nu in de Slöt (Graben)
Un sögt sien Bröd.
Nicht fo gnädig geht es mit dem Huhn:
lee is so krank as 'n Hoon (Huhn),
Mag geern eten un nix doon.
Die Fieblingsneigungen verſchiedener Vierfüßler und die
der Ente befingt das Kind in folgendem Reim:
Dat Peerd geit in de Hafer,
Dat Schäp geit in de Klafer (file),
De Buhkoo (Hub) geit in 't lange Gras,
Pielaanten (Enten) ligt up ’t Waterplas.
Das Schäflein ift ein inniger Freund der Jugend, und
alles, was ihm widerfährt, fühlt fie ihm nad).
Schaapke, Schaapke, wul, wul, wul
Ett sien Bukje «0 vul, vul, vul,
und die Bollsreime der Oftfriejen,
Stöt sik an 'n Strukje,
Un reep: O weh mien Bakje!
Stöt sük an 'n Steentje
Hee reep: O weh mien Beentje!
Bei Vebzeiten fann man dem Schweine doch feine Mei
gung zutragen; daß es aber nach feinem Tode unjerm ma-
‚ terialiftifchen Ledtermäulchen manchen guten Biſſen darbietet,
ift ihm hinlänglich befannt. Darum:
Swientje, Swientje keelutsteken,
Mörgen warme Wurstjes eten,
Overmörgen Schinken,
Anders fangt 't Swientje an 't stinken.
Der Reim vom Stier hat im Munde unferer Kinder
etwas Anftößiges, weshalb wir ihm germ übergehen; aber
unfere Kühe fcheinen feine übergroße Eile zu haben das
Heim anfzufuchen, da die fetten Weiden hinreichende Nahrung
bieten:
Unse Köster sien Kon
Dee gung dat so:
Dee gunge na Häs
Dree Dage vör de Regen
Un het doch noch de Steert nat kregen.
Ob durd den Regen oder auf fonftige Weife, befagen
unſere Quellen nicht
Bon der Fledermaus heift «8:
Fleddermüs !
Kum in mien Hüs.
’k wil di 'n Bedje maken
Dar salt du dan in slapen.
Das klingt gar freundlich, aber der Spott folgt nad):
Fleddermüs
Sat hoven in ’t Hüs
Wul Pannekook bakken
Sch...t bi de Hakken.
Das Marientäferhen (Coccinella) lieben unfere
Kleinen gar fehr. Geftalt und Farbe machen es angenehm,
und außerdem foll es Cd und gute Witterung bringen.
Wenn unfere Kinder ein ſolches Tierchen fangen, fo freuen
fie ſich diefes Befiges umd tödten es gewiß nicht. Sie laffen
es vielmehr am bloßen Arm an ſich hinan- und hinablaufen
und fingen dabei:
Leefmansvögelke!
Fleeg mi weg,
Köm mi wör,
Breng mi mörgen moj Wir.
Und wenn dann das Thierlein davonfliegt, dann bringt
gewiß der folgende Tag befleres Wetter, wenn's — unter:
wege it,
Snigge, Pupigge!
Steek dien lange Horens ut
Anders trap 'k di ’t Hus ut.
Dber aud) :
Snigge, Pupigge!
Steek dien dree veer Horens ut.
Krup to dien Hus ut.
Wilt du se neet utsteken
Wil ik dien Huske terbreken
Ipricht das Kind zur Schnee und diefe thut aus Gefällig-
feit ober aus dem Triebe der Selbfterhaltung den Willen
des Kindes,
Die Beziehungen zur Pflanzenwelt find äußerſt geringe,
ein Beweis, daß unfere Schulen im Allgemeinen nur nach
‚ der Schablone arbeiteten. Cs ift Vieles beffer geworben ;
Aus allen Erdtheilen.
aber das Pflangenreich ift für die Meiften — Lehrer und |
Schüler — nod) immer ein Bud) mit fieben Siegeln.
Ein Kind Hält dem andern ein Hirtentäſchellraut
(Capsella bursa pastoris) hin und fordert es auf, cine
Schote davon abzureifen. Wird dem Folge geleiftet, fo
höhnt es:
Lepelkedeef het Lepelkes stolen.
Auf neu angeſchwemmtem Boden fuchen die Kinder Eim-
dens Hanebolten (Scirpus maritimus) und bieten foldye
dann feil. Der Preis befteht nur in Stednadeln:
Moje Meisjes, wul ji ok Hanebolten kopen?
t is to wied, um weg to lopen,
Tiene vör 'n Spelde (Stednadel).
Noch eene d’r bi
Noch twee d’r bi
De darde sal ok noch gelden.
Der Verkäufer verfpricht einft ein wirdiger Bürger keir
Aus allen
Das Mineralreih Japans.
Bekanntlich vereinigen die Fapanefen mit ihrer großen
Klugheit, Emfigfeit und Zäbigfeit einen regen Sinn für das,
was es im AUnslande Nachabmenswertbes giebt. Dies zei:
gen Schule und Militär, Finanz: und Poſtweſen und viele
andere modern eingerichtete Dinge in jenem äufßerjten oft:
afiatifchen Lande. Daher intereffirt uns Europäer Alles,
was diesbezüglich von dorther zu uns dringt, anferordentlic.
Leider hat jede Regel ihre Ausnahmen und mit einer folchen
bedauerlichen Ausnahme haben wir es heute zu thun.
Man kennt gegenwärtig das Japan auf der Erbe be:
reit& in vielen Stüden, aber noch Niemand bat es bisher
unternommen, das Japan unter der Erde zu erforichen.
Selbitverftändlich iſt aus dieſem Grunde der focben erichie-
nene ausführliche Bericht über das japancfiiche Bergwerks—
weſen — aus ber Feder des britifchen Coninls zu Tokio—
VYeddo — doppelt intereffant und wertbvoll. Derfelbe ift
zugleich eine der vollftändiaften Bereicherungen der wirthſchaft⸗
lichen Statiftif dieſes Reiches. Das Wühlen unter der Erde
ift ja ein Hauptbehelf der ganzen modernen Civilifation, und
es kann nicht fehlen, daß auch Japan zum großen Theil, will
es ein Handels: und Induſtrieſtaat werden, auf feine unter:
irdifchen Güter angewieſen it. Es fei ums geftattet, an ber
Hand des Plumkett' ſchen Documentes einige Mittheilungen
über den Gegenftand zu machen.
Wir erfahren, daß dort Petroleum, Kobalt, Salz, Alaun,
Marmor, Achat, Amethyſt, BVergkryſtall, Bleierz und Anti:
mon zu finden find. Aber alle diefe Producte ſpielen nur
eine ganz nebenſächliche Rolle; die wahren Quellen etwaigen
zukünftigen Meichthbums des Landes find in den Kohlen-,
Eifen: und KRupferlagern zu fuchen, am deren es grofien
Ueberfliuß bat. Die Kupfergruben find, obwohl jeit vielen
Fabrhunderten betrieben, factiich unerichöpflich. Es giebt noch
eine Anzahl ganz unberührter Kupferlager, denen, wenn fie
gehörig betrieben würden, ein großer Abjag zur Verfiigung
ftände, da die andgezeichnete Qualität des Erzes daſſelbe zu
unterfeeiichen Telegraphenzwecken befonders geeignet erjcheinen
läßt. Eiſen tft ebenfalls in großen Mengen vorhanden, aber
die Ansbente liegt noch im der Kindheit und die von den
GEingeborenen beobachteten Verfahren find ungenügend und
unbefriedigend. Gold bleibt aufer Betracht; es giebt zwar
welches, aber der Betrieb dedft die Koſten nicht. In einem
der fetten Jahre gewann man für 215,000 Darf Goldförner
Höbe und 30 Fuß Yänge.
‚ denn es wird nicht geftütt.
nt —
335
ner Vaterſtadt Emden zu werden, Er flihlt fid) zwar ſchon
jegt am Anfange feiner Yaufbahn, aber fefte Preife find
ihm ein Greuel.
Der vierblättrigen Klee findet, ſteckt ſolchen in den
Aermel und wenn er ihn verloren, findet er bald etwas.
Ebenfo ift es mit einer Exrbfenfchote, die neun Erbſen und
noch mehr enthält. Diele heißt: Glükspule.
Wenn’s bei Sonnenfcein vegnet, wird gefungen:
't Süntje schient un 't regent
De Hexen bakken Pannckooke,
Beim warmen Sonnenjcein:
Schuur Regenblad,
Maak mi neet nat,
Maak al de lütje Kinderkes mat.
Und vom Mairegen werden die finder groß, weshalb fie
ſich alsdann mit bloßem Kopfe gern recht naß regnen laſſen.
Und wer wäre nicht germ groß, recht groß!!
Erdtheilen.
bei einer Auslage von 306,200 Marl. Die betreffende Com—
pagnie hat ihre Tätigkeit demzufolge eingeſtellt. Der Bericht
weist auf die verhältnißmäßig beträchtliche Armut Japans
an Epvortartifeln bin und bemerkt, dieſem Mangel könne
durch einen vationellern und ausgebebntern Betrieb der
Minen großentheild abgebolfen werden.
Vornehmlich bezieht fich dies aber auf die Kohlen
graben. Bisher beträgt die Ausdehnung der in Ausbeutung
befindlichen oblenfelder Japans 252 Quadratmeilen (engliich);
der Ertrag beläuft fih auf 390,000 Tonnen per Jahr. Be:
ſonders groß ift die Production in dem Bezirk von Nagafali;
vor zehn Jahren exrportirte Nagafali bloß 10,185 Tonnen,
vor vier Jahren ſchon 137,509 Tonnen Koble. Dies ift ein
rajcher Fortichritt; aber jelbft wenn man annimmt, daß der
Kohlenhandel fih im ganzen Lande ip gleichem Verhältniß
entwidelt hat, jo würde diefe Ausdehnung noch lange wicht
die Leiftungsfäbigfeit Japans erichöpfen. Nicht nur find, bei
angentejlener Yeitung, die vorhandenen Gruben einer weit
größern Abgabe fähig, jondern man weiß auch, daß noch viele
Gruben mit mehr oder weniger reichem Gebalte erijtiren,
an die fich der Unternehmungsgeiſt noch nicht heraugewagt
bat. Leider wird die Kohle in den japanefiichen Meinen auf
böchft primitive und unpraltiiche Weile behandelt. Vor einem
Schacht ift feine Rede: man bat nur einen Stollen von 4 Fuß
Breite und 3, Fuß Höhe mit Seitengallerien von 3 Fuß
Gegen Ungtüdsfälle find feine
Vorrichtungen angebracht. Die Beleuchtung geichieht durch
offene Oellampen. Das Dad kann jeden Moment einftürzen,
Nicht beffer ſieht es mit dem
Gewinnungsproceſſe ſelbſt aus. Die Arbeiter bedienen ſich
zur Auszichung der Kohle Heiner Brechſtangen und Spitz—
banen; die Kohle wird in Bambuskörbe geworfen, welche mit
Schiebern verjeben find, die auf eine Art leiterartigen Holz—
werls paſſen. — eine Einrichtung, die unſeren Schienen ent:
ipricht. Vor die Körbe werden 12: bis I4jährige Knaben
geſpannt, deren Aufgabe es iſt, dieſelben an die Oeffnung der
Grube zu ſchleppen. Die Ventilation iſt abſchenlich; nicht
minder primitiv iſt die Bemäflerungsmetbode. Auf der Erde
werden die Koblen nicht beſſer bebandelt als unter derſelben.
Die Körbe werden an der Mündung geleert, worauf ihr In—
halt Stüd für Stüd anf antedilnvianiiche Karren geladen
wird, die durch Arbeiter an den Fluß gefahren werden. Dort
erfolgt abermals cine Ausleerung und ſodann cine Füllung
in Meine Körbe, in denen fie aufs Schiff fommen. Infolge
336
diefer rohen Procedur vertheuert fich der billige Preis der
japanefiiben Kohlen von faum 7 Marf anf über 8 Marf
per Tonne durchſchnittlich. Trotzdem jedoch find die Pro:
fpecte derartige, daß man ſchon jest vorausfagen kaun, Japan
werde früher oder ipäter ganz Oſtaſien, vielleicht au An:
dien, mit Schwarzen Diamanten verfchen.
Man glaube aber ja nicht, daß die Megierumg berlei
Mißftände ans Nachläſſigkeit dulde; im Gegentheil, ein
Minendepartement ficht ſcharf auf die Befolgung der Geſetze.
Aber diefe Geſetze find eben fchlecht, und ihre Hauptichrwäche
ift, daß fie ausländifches Capital vom japanefiichen Bergwerk:
weſen ausicließen. Nach denfelben Geſetzen gebören unter:
irdiiche Mineralien nicht dem Beſitzer des Bodens, fondern
der Regierung, welche alfo alleinige unterirdiiche Großgrund—
bejigerin des Reiches iſt. Daher liegt es im Intereſſe der
Negierung, Minenoperationen fo fchr als möglich zu begün—
ftigen. Soweit dies Inländer betrifft, geht fie auch in der
That ganz liberal vor. Jeder belichbige Japanefe kann von
der Regierung ohne Umftände die Erlaubniß erhalten, Bobr-
verfuche anzuftellen; find diefelben von Aussicht auf Erfolg
begleitet, fo erhält der Betreffende eine Conceſſion auf 15
Jahre und der Pachtſchilling beträgt nur 10 Pf, St, filr
2000 Quadratmeter. Gegen Musländer jeboch ift das Berg:
werfögefeg noch heute fo ftreng wie vor Aubruch der neuen
Aera alle japanefichen Gelee waren. Kein Ausländer darf
am Beſitz einer Mine betbeiligt fein; ebenfowenig darf er
Geld anf der bupothefariichen Grundlage von Minen ver:
teiben und wenn er ald Ingenieur oder Director bei einem
Bergwerk amgeftellt ift — das darf ja fein —, fo darf er,
falls ihm etwa fein Gehalt vorenthalten wird, ſich micht an
dem Bergwerk oder deflen Erzeugniſſen ſchadlos halten. Der:
lei abjurde Ueberbleibiel des japanefiichen Conſervatismus
dürfen nicht lange aufrecht bleiben, ſollen fie der Entwidelung
des Landes nicht binderlih in den Weg treten. Es ift in
der That merlwürdig, daß fich die Negierung die Lection
von Talaſchima nicht ſchon längſt zu Herzen genommen.
Diele bejte aller Minen des ganzen Neiches wurde bis 1868
auf primitivem Fuße betrieben und prodncirte Sehr wenig.
In jenem Jahre führte eine engliſche Fırma das europäilce
Arbeitsſyſtem ein und fiche da, jeither ergiebt Takaſchima
täglich nicht weniger ala 500 Tonnen Kohle! Es ftcht zu
erwarten, daß eine Verwaltung, die fich ſonſt ftets jo auf:
geflürt benimmt, auch mit dielem Tächerlichen Vorurtbeil
brechen und im ihrem eigenen Jutereſſe dem ausländiſchen
Capital und der ansländiichen Wiſſenſchaft nicht die Thür
verjchlichen werde.
London. 8. Raticher.
Amerifanifches Petroleum in Dftafien.
L.K. Daß nichts die Verbreitung eines nütlichen Artilels
fo ſehr begünftigt als niedrige Preiſe, zeigt ſich am deutlich—
ften am Petroleum. Bor 4 bis 5 Jahren ging äußerft we:
nig von dieſem unſchätzbaren Beleuchtungsmittel mach den
Ländern im Often und Südoſten Aſiens; heute ift der Con:
ſum daſelbſt dagegen Sehr ſtark und fcheint noch rapid zuneh—
men zu wollen. Sollten die Preiſe innerhalb vernünftiger
Grenzen bleiben und die Production eine aenügende fein,
fo ift für den Petroleumverbrauch in jenen dichtbevöfferten
Staaten gar fein Ende abzufchen. Japan importirte vor
1872 feinen Tropfen Petroleum, gegenwärtig aber nicht we-
iger als 2,550,000 Gallonen ſetwa 212,500 Eimer). Was
Aus allen Erdiheilen.
Oftindien, das britiſche und bolländiiche, und China au:
fammengenommen beteifft, fo fandte Amerifa dahin: 1870
nur 550,000, 1875 ſchon 6,600,000 Gallonen. Es ſteht aber
zu befürchten, daß durch das Steigen der Nachfrage eine
Hauffe der Preife bervorgerufen werden kann, es fei denn,
daß die Production mit dem Abſatze gleichen Schritt halten
würde, — eine Eventnalität, zu deren Realifirnng leider
feine Ausſicht ift.
****
— Lieutenant Cameron beabſichtigt, wie verlautet, in
nicht ferner Zeit eine zweite Reiſe nach Innerafrika zu uns
ternehmen und zwar von der Weftfüfte aus den Kongo auf;
wärts. hm jollen Leute von Janzibar begleiten, welche fich
fo mit jedem Schritte ihrer Heimatb mehr und mehr nähern ;
vielleicht auch Conſul Hopkins, der als guter Zeichner be:
fannt ift.
— Die Verhandlungen mit einer engliichen Compagnie
wegen Pegung eines Kabels von Cape Moreton, Colonie
Ducensland, nach Nen-Galedonien gehen ihrem Abſchluſſe
entgegen. Die Compagnie ift bereit, dies Kabel bis zu den
Fidſchi⸗Inſeln zu verlängern, ſofern die englifche Negierung
eine entiprehende Subfidie gewährt.
— Eine ruffiiche Handelsfarawane, welche von einer Ab—
theilung Kofaden und einer wiſſenſchaftlichen Expedition be:
gleitet wird, fteht im Begriffe, die fibiriiche Provinz Semi:
palatinst zu verlaffen, um auf der jüngft von Sosnowski
eröffneten Straße zwiichen dem Saiſſan⸗Poſten und Lan-tichau:
fu am Gelben Fluſſe nach Weftchina zu geben. Dieſer neue
Weg ift um 2000 Werft kürzer als der alte über Kiachta, ift
durchweg fahrbar und führt durch weitverbreitete Kohlenfelder.
— Wie fhon früher erwähnt, beichloß das nun aufge:
löfte Parlament von Neuſeeland in feiner legten Sitzung
die Beſeitigung ber Provinzinleintheilung und ſetzte an deren
Stelle die einheitliche Colonie, doch mit der Beftimmung, daf
diefe conftitutionelle Menderung erft nach Beendigung der
eriten Seffton des nen zu wählenden Parlaments ins Leben
treten ſolle. Die Oppofition, unter Führung des frühern
Gonvernenrs Sir George Grey, hoffte jich bei den Neu:
wahlen jo weit zu veritärfen, um in der eriten Seffion dielen
Beſchluß dahin abändern zu können, daß eine Trennung bei:
der Inſeln ftattfinde, Sie verlangte, mit Aufhebung der Bro:
vinzen, auf jeder Inſel eine einheitliche Colonie nach dem
Mufter Nordamerikas, der in allen inneren Angelegenheiten
volle Selbitändigfeit zufomme. Beide Colonien follten aber
unter einem Gouverneur ſtehen, und über alle nicht inneren
Fragen von einem gemeinschaftlihen Parlamente, welches in
Wellington zu tagen hätte, berathen und beichloffen werden,
Die Neuwchlen zu der aus 76 Mitgliedern beftchenden
Aſſemblij find jetzt vorüber — es war ein harter Kampf ber
Parteien — und haben für die Regierung eine Majorität
von ungefähr funfzehn Stimmen ergeben. Damit ift die
beabfichtigte Gonföderation befeitigt und die einheitliche Co:
lonie von Neuſeeland gefichert.
— Burgers, der Prüfident der Transvaal-Republif,
hat in Holland cine Anleihe von 300,000 Pf. St. aufge:
nommen, um fein Land durch eine Eijenbahn mit der De
lagoa:Bai, dem nächften Seehafen, in Verbindung zu fegen.
Bortugal, der Eigenthümer der Bat, bat ſich bereit erflärt,
die Bahn, fomweit fie auf feinem Gebiete liegt, berzuftellen.
Inhalt: Thomſon's Reife auf Formofa. IT, (Mit vier Abbildungen.) — Die californiichen Indianer, II. (Mit
einer Abbildung.) (Schluß.) — Das innere Polarmeerr. Bon Julius Bayer. — Geofogiiche Beichaffenbeit det Coloniaf-
gebiets um S. Cruz. Bon Oscar Cannftatt. — Das Kind und die Vollsreime der Oſtfrieſen. Bon Hermann Meier
in Emden, IV. — Aus allen Erdtheilen: Das Mineralreich Japans, — Amerikaniſches Vetroleum in Oſtaſien. — er:
jhiedenes, — (Schluß der Nedaction 14. Mai 1876.)
Redacttur: Dr, R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenſttaße 13, IN Tr.
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunſchweig.
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Rihard Kiepert.
Braunfchweig
Yährlih 2 Bände a 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Poilanflalten
zum Preiſe von 12 Mark pro Band zu bezichen.
Thomſon's Neife auf Yormofa.
Il.
Der folgende Tagemarſch nad; dem 26 englifche Meilen | ſich völlig ermattet unter dem Schatten einiger Sträucher
entfernten S$asjanzpo, dem äufßerften Punfte der Reife,
war ein überaus befchwerlicer. Es waren mehrere Berg:
zlige zu Überfchreiten, und jeder folgende übertraf den vor-
hergehenden an Höhe, Steilheit und Abweſenheit jeglichen
Schattens. Dabei brannte eine glühende Sonne vom Hims
mel herab, die fein Luftzug erträglicher machte, und die
Bäche waren im Folge deflen jeden Waflers bar. Ab und
u nur gewährte ihnen ein Eingeborener einen Trunt Waf:
ns, das er in feiner Hütte in einem Bambusrohre ver
wahrte. Zum Tragen des Gepäds und der Inſtrumente
hatte Thonfon von Balſa ſechs Pepohoans mitgenommen,
deren Kräfte nach feiner Anficht durch diefe Wanderung auf
bie härtefte Probe geftellt wurden. Allein am Abend nah:
men fie aufs Luftigfte an den Berguügungen der Bewohner
von Ka-fan:po Theil, was chineſiſchen Kulis unmöglich ge»
wejen wäre. Ueberhaupt offenbarten jene Träger viel Froh-
ſinn, Gutmüthigfeit und Anftand, Eigenſchaften, welche ihr
ganzes Boll auszuzeichnen fcheinen. So fahen die Reifen
den nirgends Vorjichtsmaßregein gegen Diebjtahl getroffen,
und nur, wo Pepohoans mit Chinefen gemifcht wohnen,
fieht man Schlöſſer an den Hansthliren. Ebenſo ließ Thom:
fon während des ganzen Ausfluges Tag und Nacht feine
Kiften und Koffer offen ſtehen, ohne daß ihm eines Pfennigs
Werth entwendet worden wäre,
Fur unfere Neifenden war jedoch die Wanderung jenes
Tages eine der beſchwerlichſten, die fie je unternommen, und
als fie die zweite Bergfette erllommen hatten, warfen fie
Glohus XXIX. Nr. 2%.
nieder, unbefümmert darum, daß unter den nächſten Steinen
eine ganze Scaar fingerlanger brauner Taufendfüiße, deren
Biß äußerft jchmerzhaft ift, hervorftürgte und die Flucht er:
griff. Auch daß einer der Träger beim folgenden Abftieg
— von dem Stinkſtrauch einen friſchen Zweig ab-
bad, und nun demfelben ein fchredlicher fauliger Geruch
entftrömte, vermehrte die Annehmlichkeiten ber Dame
nicht.
Von der nächſten Höhe erblidten fie endlich das halb
angebaute, halb wilde, waldbededte Thal des La⸗lo⸗li⸗Fluſſes
und dahinter die mächtig anfteigende Gentralfette der Injel,
Über welche ſich gegen Norden die blaue Spike des Mount
Moriſſon erhebt. he fie aber das nächſte Dorf Pa-ah—
liau erreichten, mußten fie jenen tiefen Fluß auf zwei
Bambusftänmen, die 12 Fuß über dem Waſſer von Ufer
zu Ufer gelegt waren, überſchreiten. Leichten Schrittes gin-
gen die Eingeborenen mit ihren ſchweren Yaften hinüber,
während unfere Reifenden erft ihre Strohfandalen befeud)te:
ten, um fie mehr biegfam und haftend zu machen, und dann
klopfenden Herzens die fchlimme Paſſage glücklich zurlidlege
ten. Wenig weiterhin lamen fie bei einer Baumart vorbei,
Pnug · ſchiang bei den Eingeborenen geheigen, deren Wurzeln
zum Theil Über dem Boden liegen und dort die wunderlich—
ften Drehungen und Verſchlingungen machen, fo daß fie
Stühle, Sophas, Nifchen und dergleichen bilden. Letztere
werden häufig zur Aufnahme eines Altars für den Dorf-
fetisch benugt: flinf Steinplatten bilden den Boden, die
4
338
Wände und das Dad) eined nad vorn offenen Kaftens, in
deſſen Mitte ein Meiner Steinaltar zur Aufnahme ber
Opfergaben ſich erhebt.
Eine Menge Männer, Frauen und nadter Kinder
empfing die Reifenden und begleitete fie mad; dem Haufe
eines alten Blinden, das zu ihrem Quartier gewählt wors
den war. Aufmerffam wurden alle Gegenftände, die den
fremden gehörten, gemuftert und ſchließlich Thomſon's
Thomſon's Reife auf Formoſa.
carrirted Flanellhemd fiir das ſchönſte Stüd erllärt. Dabei
tauchte Jedermann bie zu den Kindern herab aus Bambus«
pfeifen, die mit Meffingringen verziert find. Bald trat eine
alte frau an Thomfon heran und reichte ihm ihre Pfeife.
Kaum hatte er fie angenommen, fo bat fie ihn audı um
feine Gigarre, aus welcher fie mit freubeftrahlenden Mienen
einige Züge that. Dann machte die Cigarre die Hunde
von Mund zu Mund durch die ganze Gefellfchaft und ge:
Bergbewohner auf Formoſa.
langte erft an ihren Cigenthlimer zurüch, nachdem jeder
einen Zug daraus gethan hatte.
Die Bewohner dieſes Dorfes haben ein viel wilderes
Ausfehen, als die Vepohoans näher der Hüfte, find groß,
wohlgeftaltet und kräftig, dabei von hellerer Hautfarbe und
mit ſchönen ſchwarzen Augen ausgeftattet. Kine gewiſſe
Grofthuerei, die ihmen eigen, emtbehrt weder der Wurde
nod) der Anunith, und trotz Wildheit und Prahlerei ift
Jedermann von ihrer Herzlichteit, Gaſtfreundſchaft und ihren
milden Wefen eingenommen, Die Frauen kämmen ihre
vollen braunen Haare nach hinten und flechten fie in lange
dide Zöpfe, die fie mit rothem Bande umwickeln, wie ein
Diadem Über die Stirn legen und am Hinterfopfe mit
einem Knoten bejeftigen. Das Braun der Haare ift zu—
ſammen mit dem rothen Bande und dem olivenfarbigen
Teint von Überrafchender Wirlung. Die Chinefen aller:
dings halten diefe rauen für Barbarinnen, weil fie c$ ver-
ſchuähen fic zu ſchminken. Die harte Arbeit und die Un-
Thomſon's Neife auf Formoja.
bilden der Witterung, weldyer fie ausgefegt find, nehmen
ihnen freilich bald jeden Schmelz der Jugend;“ aber ſelbſt
die runzlige, graubaarige Sreifin widmet ihrer Haartracht
noch diefelbe Sorgfalt, wie das jüngfte Mädchen. Ihre Ge—
wandung befteht im einer kurzen, enganliegenden Jade von
blauem Calico und einem Hemde vom ſelben Stoffe, das
einen breiten roth und gelben Saum hat und bis auf die
Knie herabreicht, eine Tradıt, welche an die der LaosFrauen
in Siam und an die chineſiſchen Darftellungen der wilden
Miau-tfe im gebirgigen Süden Chinas erinnert. Die
Männer rafiren den Kopf, wie die Chinefen, und tragen
eine furze Iade und kurze Hofen von Calico.
Nachdem unfere Keifenden in Pa⸗ah⸗liau ihren photo:
graphiſchen reſp. mediciniſchen Pflichten nadhgelonmen
wareu, legten ſie am Nachmittage die letzten 6 engl.
Meilen bis Kasfan-po zurüd. Auf den Wege, der anı
La⸗lo· li⸗Fluſſe hinauf nordwärts führte, hatte Thomfon
zum erften Dale im fernen Dften das Bergnligen, fic an
großen ſchönen Himbeeren zu delectiven. Im Dorfe kehrten fie
bei einem alten Bekannten bes Arztes ein und benugten fofort
339
die praftifche Einrichtung der Verandah, wo ein zum Baden
beftimmter Raum mit VBorhängen verhült if, Natlirlic)
ftrönste auch hier viel Volks zufammen ; aber diesinal ver»
mißte Thomfon fofort die diefen Yeuten fonft eigene Wurde
und Anftand. Der Grund ihres ewigen Yachens und Yärs
mens war bald gefunden: die Dörfler hatten einem Nadj«
bar geholfen, fein Haus unter Dad; zu bringen, und dieſer
hatte fie mit Branntewein tractirt. Derfelbe ift ſehr ftart
und wirb aus der füßen Patate, neben dem Reis einem
ihrer Hauptmahrungdmittel,, gewonnen, Gegen neun Uhr
Abends verfammelten ſich die Eingeborenen in Menge um
ein u © Heuer, das vor dem Haufe ber Fremden
brannte. ie alten Männer und frauen, die Sinder, na—
türlich Alles rauchend', und eine Anzahl fpigohriger Hunde
fegten fidy nieder auf den Boden, während die Flammen
bald auflodernd die zierlichen zitternden Bambuszweige und
die ftattlichen Palmen in der Höhe mit rothem Fichte übers
goſſen, bald niederbrennend die herumhodenden Menſchen
wie wejenlofe Schatten erfcheinen ließen. Holz und Rohr
ward num in Maſſen aufgefchichtet, und höher und höher
Hütte ber Bergbewohner auf Formoſa.
ftiegen die Flammen und mit ihnen die Luft der Berfanmel«
ten. Inzwiſchen hatten die jungen Leute beiberlei Geſchlechts
einen Play zum Tanzen geebnet, faßten ſich dann mit ger
freuzten Armen bei der Hand und begannen, im Halbtreife
aufgeftellt, einen langfamen, anmuthigen Tanz, den fie mit
einem Hagenden Geſange begleiteten. Solo und Chor wech
felten mit einander ab; allmälig wurde der Tempo fchneller
und jcneller und immer hurtiger bewegten ſich die Füße im
Tact, bis der Tanz fchlieglich eine raſende Schnelligkeit an-
nahm, wie fie felbjt nicht bei den ſchottiſchen Hochlandstän⸗
zen vorkommen fol, und wildes Gefchrei die Luft erfüllte,
So dauerte das Vergnügen jtundenlang, und ein Glücd mur,
daß der Wirth wohl mit Nücdjicht auf die Fremden feinen
Gäſten nur Thee und nicht etwa dem ftarfen Patatenſchnaps
erebenzte.
Der nächſte Tagemarjc führte 11 engl. Meilen den
Strom wieder hinab nadı La-lung durch eine der herr»
lichften Gegenden auf Erden, welche die wechlelvollften Wald»,
Berg:, Felſen und Flußpartien darbot. Da aber dad Ges
biet von wilden Bergſtämmen bejagt wurde, fo erhielten bie
Reifenden zwei bewaffnete Führer mit, welche, fobald fie ihr
Dorf aus dem Geficht verloren, fofort ihre volle 24 Stun«
den brennenden Yunten anftekten und den Wanderern Still»
ſchweigen anempfahlen. Dieje aber gönnten ſich trogben
Zeit genug, um von der reizenden Landſchaft ein photos
graphiſches Abbild zu nehmen und ſich im einem ber natüir-
lichen Beden bes Fluſſes zu baden. Während deſſen erſchien
eine Schaar bewaffneter ‘Bepohoans, um zu ſiſchen. Der
eine ſchoß feine Beute geſchickt mit dem Pfeile ; andere fuc)«
tem ſich in den Felslöchern Krabben, riffen ihnen die Schee⸗
ren aus und bverzehrten fie lebendig mit ber — Schale,
während die jngften durch Peitſchen des Waſſers mittelft
Bambuszweigen die Fiſche betäubten und griffen. Pracht-
voll war die Vegetation in jener Einfamfeit: riefige Bäume,
Schlinge und Schmarogerpflanzgen aller Art, ſpaniſches
Rohr, Kampherbäume, mächtige bis 8 Fuß hohe Yilien,
Orchideen u. ſ. w. Weiterhin trafen fie einen Bepohoan,
welder von der günzlich unbefannten Ofttüfte ber Infel
fam: den wilden Stänmen hatte er für das Recht, ihr
Gebiet betreten und durchkreuzen zu dürfen, drei ftattliche
Ochſen als Tribut entrichten muſſen.
Ein breites, im Sommer faft troden liegendes Flußbett
43*
340 In Türkijch Armenien.
trennt Paslung von dem Gebiete der Wilden, mit denen | nächften Felſen eine Welt von mikroſtopiſcher Schönheit
die Dörfler wenigſtens theilweife in ganz gutem Einverneh⸗ birgt. Es ward dunkel, che die Reifenden Ya-forli erreich-
nen ftehen und deren Töchter fie zu Frauen nehmen. Die | ten und dort in der Hütte eines dem Arzte befannten alten
Heirathsgebräuche find einfac genug: der Brautvater er- | Mannes Unterkunft ſuchten. Reihen von Eber- und Hirfd)-
greift feine Tochter bei der Hand und übergiebt fie ihrem ſchädeln zierten die Wohnung, vor der der Sohn ded Be—
neuen Deren; eim Gelage bejchließt die Geremonie. Die | figerd, ein wilder, ungaftlicher Burfche von über 6 Fuß
alten Holländer erzählen aud), daß ein Mädchen durch die | Höhe, ftand. Er wies die fremden am feinen Vater, und
Annahme eines Geſchenkes, das ihr ein Bewerber anbietet, | diefer, an Rheumatisnmius leidend und von Opium beraufdıt,
diefem die ehelichen Rechte einräumt. Die Ehefcheidungen | willigte endlich mürriſch darein, daß fie unter einem Schup-
find von der gleichen Einfachheit. pen die Nacht verbrächten. Bis tief im die Nacht hinein
Am näditen Tage wanderten Thomfon und Marwell | mußte noch Thomſon arbeiten, um feine Chemifalien für
nad} Yasfosli, 12 engl. Meilen füdlich von Yaslung, und | den Reſt der Reife in Stand zu fegen. Das Waſſer bi
hatten unterwegs Gelegenheit, einige fchüöne Typen von Ein» | Yasfo-ti ift fehr altalifch, und die Ufer mehrerer Bäche
geborenen und Landſchaften aufzunehmen Wieder war es | waren anfdeinend mit Sodakryſtallen bedect. Das war
ein Marjch durch eine reizvolle Gegend, welche namentlich | beim Photographiren fehr flörend, bis Thomfon den Grund
in der Regenzeit durch) die Menge und die Berfchiedenheit der | bemerkte und im Geſtalt vom chineſiſchem Eſſig eine Säure
Wafferfälle Bewunderung erregen muß. Die Berge find | hinzuthat, die dem Uebel abhalf.
von überwältigender Großartigfeit ; aber ihre gigantifchen Bald hinter La-ko⸗li Ienlten die Reiſenden wieber in
Formen werden durch das Uppige Laub der immergrlinen | ihren frühern Weg ein, welcher fie über Bakſa und Poah-bi
Wälder gemildert und verſchönert, während jede Spalte der | raſch nad) Tairwan-fu zurichführte,
In Türfifhe- Armenien.
1*).
Am 13. April 1870 verlieh Deyrolle von Neuem Tra» | daß Padthier und Laſt mit einander über Felſen und Koth
pezunt, um eine wiſſenſchaftliche Miſſion auszuführen, welche | in das Waſſer rollen. Und zudem findet das täglich zwei ⸗
ihm Seitens des franzöfifchen Unterrichtsminifteriums zu bis dreimal vorfommende Abladen auf die einfachfte iſe
Theil geworden war. Es handelte ſich darum, möglichſt fo jtatt, daß der Treiber einen Knoten löft, weldyer die zu
I
viel naturhiftorifche und archäologiſche Nachrichten einzuziehen | beiden Seiten des Thieres hängenden Kollis hält, worauf
md die afiyrifchen und georgiichen Infchriften am See von | letere fofort mit einem Krach zu Boden ftürzgen. Außer
Ban umd im Thale von Thortum (vedytes Nebenthal des | dem begleitete den Reifenden ein Saptieh ober Polizeifoldat,
ins Schwarze Dieer mündenden Tfcharuch) abzufchreiben und | welcher in den Nachtquartieren Herberge und Nahrung zu
abzuklatſchen. in Dolmetſcher fowie drei ihm gehörige | befchaffen hatte.
Pferde begleiteten ihn; außerdem hatte er mit Hrumli-Maul« Das find etwa die Borfichtsmaßregeln, welche ein in
thiertreibern (Krumli find heimliche Chriften, welche in allen | Kleinaſien Neifender zu treffen hat. Im Uebrigen lann er
Aenferlichkeiten, wie Sprache und Kleidung, die Mohammer | fid) dort fo ungehindert und ſicher bewegen, wie in Mittel-
daner nachahmen) einen Vertrag gefchloffen, wonad; fie ihm | europa, und felbft im dem wegen der Wildheit feiner Be—
die zum Abklatichen der Infchriften nöthigen Ballen Papiers | wohner verfchrieenen Kurdenlande wird bem Fremden nichts
bis Erzerum fchaffen ſollten. Diefe, wie überhaupt das ge | Schlimmes zuftoßen. Dod) ift es rathſam, einige Schrot⸗
jammte Material eimes Neifenden dort zu Lande, mußten körner in feine Flinte oder feinen Nevolver zu laden, um
auf das Sorgfältigfte verpadt fein; denn es fommt auf den | beim Eintreten im die Städte und Dörfer ſich die oft ger
ichlechten Wegen und Saumpfaden dort häufig genug vor, | fährlichen Hunde vom Leibe zu halten.
— — Baiburt am Tſcharuch (Dſchoruk Su), bis wohin wir
den Keifenden ſchon früher (Bd. XXVII, ©. 232) beglei»
teten, erceichte er diefes Dial auf einer öftlichern Straße,
welche hoch iiber die Berge beim hohen Kittowa-Dagh vor«
beiführt und bis Baiburt nur vier Tagemärjche in Anſpruch
nimmt. Es iſt dies claffifcher Boden; denn wenn Xenophon's
griechiſche Krieger auch nicht genau denjelben Pfad, nur in
umgefehrter Richtung, einft vor faft 2300 Jahren entlang
zogen, jo lag ihr Weg doc) nad) der Annahme der Meiften
nur wenige Stunden weftlic; davon. Ya, es ift nicht uns
möglid), daß Deyrolle auf jenem Gebirgswege den Berg
Theches betrat oder doch fah, von welchem die Zehntauſend
zuerft das heißerſehnte Meer exblidten, wo fie aus Steinen,
Knütteln und den Feinden abgenommenen Schilden ein
Denkmal errichteten und den Barbaren, der fie dort hinauf
*) Emwa vor Dabresfrift brachte der „Blobus“ (Br, XXVII, ©.
209 bis 215 und 224 bie 232) den Anfang dieſer Auffäge, welde
bie Reiſen des frangöfiiben Naturforſcheres Thsophile Deprolle
im Nortoften des türliſchen Kleinaſien filtern. Es find das Ge—
genden, welche feit Jahten menig wiffenfchaftlihe Reiſenden ange=
zogen haben, welche aber fomehl in hiſtoriſch-archäologiſchet (id er
innere mur an den Zug der Zehntaufend unter Tenephon) mie im
natuerwifenichaftlicher Hinficht noch viel des Neuen bieten, auch geb⸗
arapbifh noch leineswegs gründlich durchforſcht find und vielleicht
bald berufen werden, in ber Weltgefchichte minbeftens paffio eine Rolle
su fpielen. Das Beſte, was im ber legten Zeit über jene Kante
fchaften veröffentlicht worden ift, find die „Beiträge zut Geogtaphie
ven Hohe Armenien“ (mit drei Karten) des in turkifden Dieniten
febenten Generals Wilhelm Strecker (Zeitichrift der Geſellſchaft
für Erdtunde zu Berlin Br, IV, 1869). Neuerdings (feit 1871)
baben auch bie beiten wohlbefannten deutſchen, in ruffifchen Dienften
———— Dr. &. Radde und Dr. ©. Sievers mehr—
ade Reifen zu natutwiſſenſchaftlichen Iwecen in die in Here jichen- geführt toniglich beſchenkten.
ben Gebiete unternommen und vorläufige Werichte darüber in den ur x .
„Mittheilungen’ aus Fuftus Perther’ pr Ankalt (1872, Fichtenwälder frönten die Höhen, während auf den Ab-
1873, 1875 und 1876)" veröffentlicht. hängen hier und da ſich die gelben Bluthen pontifcher Aza-
In Türkisch» Armenien.
feen zeigten, deren Staubfäden dem Honig der Bienen jene
giftige Eigenfchaft mittheilen, welche den Kriegern Xenophon’s
fo übel mitjpielte. Die weniger ſtranken glichen Betrun—
tenen, während andere ſich wie Raſende geberdeten oder wie
Sterbende ausfahen. Erſt am folgenden Tage verſchwanden
diefe Erfcheinungen. Die Bauern jener Gebirge fennen
diefe Eigenfchaft des Honigs ſehr gut und hüten ſich, dem
im Frühling gefammelten zu genichen; von dieſem nehmen
fie nur das Wachs *).
Der Uebergang über das Gebirge wurde durch Unwetter,
Sturm und Schneefall (Mitte April) zu einem üüberaus bes
fchwerlichen. Der Schnee erreichte eine Dide von zwei Fuß;
unaufhörlich braufte der Sturm und bei jedem Schritte faft
ſtrauchelte oder ftüirzte eines der Thiere, Dazu waren bie
Herbergen längs jene® Weges in fo elendem Zuftande, daß
Deyrolle, als er hörte, daß der Schneefturm tagelang an=
bauern fünnte, umfehrte und die praftifablere Winterftraße
nad; Erzerum einſchlug. Seit Jahr und Tag wurde an
derjelben gearbeitet, um fie in eime ordentliche fahrbare
Chauſſee, die für den Verkehr zwiſchen Trapezunt und Erzer
341
ram und weiterhin nach Perfien von fo — Nutzen
wäre, zu verwandeln — und die turliſche Regierung ver«
järmte nicht, von dem dort erzielten ortichritten von Zeit
zu Zeit pomphafte Berichte in die Welt zu ſchicken. Aber,
wie überall, verftehen die Türken wohl etwas zu erbauen,
nicht aber es zu erhalten. Die Frühlingsregen und bie
Schneefchmelze hatten beträchtliche Maffen von Fels, Erbe
und Schlamm ins Rutſchen gebracht und damit die Strafe
ftellenmeife gänzlich gefperrt, Während Deyrolle noch dahin-
z0g, vernahm er plöglich vor ſich ein furchtbares Geräuſch
und fah mit eigenen Augen, wie ſich ein mächtiges Stüd
bed Berges mit allen darauf befindlichen Felfen und Bäusr
men in Bewegung fegte und einen perſiſchen Maulthiertrei-
ber nebft feinem Thiere mit ſich zu Thale riß. Diefe Erd»
rutſche (Muhren heißen fie im dem deutſchen Alpen) find die
natlirliche Folge der unfinnigen Abholzungen, welche bei ben
Wegebauten hier ftattgefunden haben. Wenn ſchon die
meiften cioilifirten Volker mit dem unerſetzlichen Walde in
ſchonungsloſer Weife umgehen und ſchon jetzt die Folgen ihrer
Sünden zu fühlen beginnen, fo verfteht doc; eben Niemand
Be
Eingang von Baiburt.
fo vortrefflich, dem ſchönſten Wald im der Flirzeften Zeit zu
vermwillten, ala der Tuͤrke.
Den weitern Weg über den Zigana-Dagh, Ardafa, SU:
muiſch· chane mit feinen heruntergefommenen Silbergruben bis
Baiburt haben wir ſchon früher (Bd. XXVII, ©. 229 und
232) geſchildert. Der Marſch war infolge des ftarfen
Schneefalles, der argen Auflöfung, in welcher ſich die Straße
befand, und der zahlreichen Karamanen , welche, mit Baum«
*, Ein wenig anders, wenn aud im manden Punkten mit
Deprolle übereinftimmend, ſpricht fib darüber Streder (a. a. O
©. 537) aus; „Roc irrt in feiner Behauptung, daß es feinen ters
artigen Honig gebe une daß der von den Grlechen genoſſene dic ber
täubenden Eigenſchaften erſt durch fchlechte Mufbewabrung erhalten
haben müſſe. Das maenamenon mel des Blinius rue durchaub
nicht im das Reich ber Fabel. Et wird ſolcher Honig von wäſſeri⸗
ger Veſchaffenheit, dunkler Farbe und eigenthüömllch bitterlichem Ge—
ſchmack noch heute im den Hafenſtäditen des Schwarzen Meeres zwi⸗—
ſchen Ordu und Batum auf den Märkten verfauft, Roh genoffen
etzeugt er dieſelben Kranfbeitsfompteme, welche Kenopbon erwähnt.
Doch wird er des billigen Preifea wegen haupiſächlich von der Arınz«
ven Glaffe der Herölferung bemupt, aber aucgelocht und mit anderen
uderbaltigen Stoffen vermifcht und auch das nur noch in geringem
wolle beladen, den Reifenden entgegentamen, und wegen ber
Ueberfiillung ber fänmtlichen obendrein unbeſchreiblich diirf-
tigen Einfchrhäufer ein fo beichwerlicher und anftrengenber,
daß am 20. April die Häufer von Batburt mit Freude bes
grüßt wurden, weil Deyrolle von feinem vorjährigen Befuche
her mit Vergnügen der zahlreich in den dortigen Lüden hän—
genden gejchlachteten Hammel gedachte. Aber er follte bitter
enttäufcht werden! Faſt alle Buben waren gefchloffen; denn
Grade, feit der Zucder in Folge der außerordentlich vermehrten Gin:
fuhr fehr niedrig im Preife ſteht. Ich fonnte micht erfahren, aus
melden Blumen die Bienen den Stoff faugen, der tem Honig jene
Gipenfhaften mittheilt, Verwundett, auf den be bes pon⸗
difchen Gebirges game Felder von Azaleen eingefriebigt zu feben,
fragte ich nach der Urſacht dieſer Umzäunung der ſchönen, aber wild:
wachſenden und feinen Nugen bringenten Blumen, und erbielt zur
Antwort, daß die Schafe, welche davon genöffen, krank würden, we#r
balb man fie — hauptſächlich ter fremden, burdgiehenden Herden
wegen, de die einbeimifchen Thiere fie fait nie übrten — abe
ſperre. Der Theatinermöndh Lambert fönnte olfo dor Hecht haben,
menn er in feiner „Relation d'un voynge dans le Lerant" erzählt,
daß bie Bienen ten @iftftof aus einer gelben Dlcanderart, wofür
er wohl die Malern bielt, faugten.“
In Firtifch- Armenien.
342
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wathjan uaago mv nNaogaobvpↄ laoq sv
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In Zürkifch- Armenien,
343
die Ehriften, Griechen und Armenier, welche die Uberwiegende heiterte. Nun wurde nad) der Paßhöhe abmarſchirt und den
Mehrzahl der 4000 (mad) Anderen 6000) Eimwohner bes
Städtdyens ausmachen, feierten gerade einen der 220 Fall:
tage, welche das Jahr bei ihnen zählt und die fie mit der
größten Strenge einhalten. Nach wenigen Stunden Ruhe
brad) er alfo wieder auf und zog den Tſcharuch, deſſen Ge—
wäfler von wilden Enten wimmelten, hinauf bis Maden-
Chan und verließ ihn dort, um beim Kop⸗Dagh vorbei in
das Thal des obern Euphrat hinüberzufteigen. Am jelben
Tage noch erreichte cr den nad) bem Kop-Dagh benannten
Chan in 2300 Meter Höhe, wo die Negierung ausgedehnte
Karawanferaien hat errichten laffen. Allein diefelben waren
ſchon wieder in fo baufälligem und verwahrloftem Zuftande,
daß der Naturforfcher 8 vorzog, im Dorfe Kop ein befchei-
denes aber warmes Unterfonimen filr die Nacht zu ſuchen.
Denn hier herrſcht die fitr fo hochgelegene Gegenden praf
tifche Sitte, die Viehſtälle rings um das Wohnzimmer und
den Herd herum anzulegen, Die ganze Nadıt hindurch fiel
Scynee, fo daß die Maulthiertveiber mit dem Aufbruche zö—
gerten, bis es gegen 10 Uhr Bormittags fic etwas auf
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Biffeln beipannte Arba,
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legen fie mittelft Nelaispferben, welche die perfifche und türs
tiſche Regierung Stellen, die über 1250 Kilometer betragende
Strede zurlid ; von Trapezunt aus benugen fie bis Konſtan—
tinopel matlirlich die Dampfboote. Zu Beginn ihres Rittes
figen dieſe Leute Tag und Nacht zu Pferde und gönnen fich
nur während des Wechlelns der Keitthiere einige Minuten
Zeit zum Eſſen und Ruben. Ihre Begleitung befteht ge:
wöhnlich aus 2 bis 3 mit Mantelfäten beladenen Pferden
und eben fo viel Polizeifoldaten; überall muß man ihnen
Play machen und fie frei paffiren lafien, und nöthigenfalls
verftehen fie es auch, ſich mit ber Peitſche oder fladyen Klinge
Durchlaß zu verichaffen. Un diefer Stelle freilich, wo ihm
Deyrolle begegnete, und wo ber ſchmale Pfad zwiſchen zwei
Schneewällen fich dahin zog, mußte der Tſchapar nach einie
gen fruchtlofen Verſuchen, vorwärts zu kommen, warten, bis
die ganze Karawane vorbeigezogen war.
Während diefes ganzen Tages war die Kälte jo groß,
daß fie auf der Haut eim brennendes Gefühl erregte und das
Geſicht des Neifenden zur Unfenntlichkeit auftrieb und röthete.
Am Fuße des Gebirgoliberganges liegt auf dem rechten
den jenfeitigen Abhang hinunterſchreiten zw ſehen.
alsbald durch erneutes Schneegeſtöber faſt verwiſchten Spu—
ren einer zahlreichen Karawane von Perſern gefolgt. Auf
dem höchſten Punkte (2500 Meter) holte Deyrolle fie ein.
Es war ein ſonderbares Schaufpiel, die vielen Hunderte von
Faftthieren, welche der Gegenfag zum Schnee volllommen
ſchwarz erſcheinen ließ, in lang gewundenem ——
Nicht
ſelten kam es vor, daß eines derſelben nur wenig vom Pfade
abwich und ſofort in eine Schlucht oder Spalte rutſchte; aber
die dide Schneelage ſchützte es jedesmal vor Berlegungen
durch die Felskauten, und lurze Zeit darauf war es durd)
die Treiber entladen, aufgerichtet umd wicder bepadt und
fonnte feine Stelle in der mehrere Kilometer langen Schlau—
genlinie wieder einnehmen,
Auf halbem Abftiege Fam dem Reiſenden der Zug des
englifchen „Tſchapar“ entgegen. So heißen die Gouriere,
welche monatlich zweimal die Depefchen der europäischen Br:
vollmädjtigten in Teheran fowie die ber Confuln in Tebris
und Erzerum nad) Trapezunt überbringen. In 12 Tagen
Euphratufer bei einer neuerbauten Brlide das Dorf Schaor:
dorif, wo Deyrolle eine Stunde raſtete. Dort engen zwei
rieſige Muſchellallfelſen das Euphratthal mit der Straße
ein. Am Fuße des einen liegen die Hütten des Dorfes,
wahre Erohöhlen, beren weiße Mauern fic kaum von bem
umgebenden Fels und Erdboden abheben. Die Bewohner
bejchäftigen ſich mit Kalfbrennen. Deyrolle fanmelte dort
zahlreiche Foſſilien, die einzigen, welche ihm während feiner
ganzen Reiſen aufftießen, riefige Auftern, Miesmuſcheln,
viele andere eins und zweiflappige Schalthiere ſowie Strahlen«
thiecchen und Madreporen. Er will — ob mit Recht, fteht
uns nicht an zu entſcheiden — daraus ſchließen, daß der
Gürtel erloſchener Vulcane, welcher die Ebene von Erzerum
umgiebt, einftmals einen großen See einſchloß, deſſen Ges
wäller bei einer partiellen Hebung fich in Geftalt des heu⸗
tigen Euphratthales einen Weg durch die Berge brachen und
babei jene Mufchelanhäufungen bei Schaordorik hinterließen.
Bon da am war es unmöglich, mehr als 21, Kilometer
in der Stunde zurüdzulegen; denn die Stuaße führt nun
Über lauter augeſchwemuten Boden, in welchem man feinen
344
einzigen Stein erblidt (er fei denn von Menſchenhand dahin
gebracht), und der infolge des Schueefalles in einen uner-
grundlichen, Elebrigen, zähen Schmutz verwandelt war, der
den Pferden buchjtäblic die Eifen von den Hufen riß. Es
war unmöglich, mit den gänzlid, ermibeten Thieren noch am
felben Tage Erzerum zu erreichen ; eben fo wenig waren in
Die wiſſenſchaftliche Expedition Sr. Majeftät Schiff „Gazelle*.
Hidfche, das noch 15 Kilometer von Erzerum entfernt Liegt,
frifche Pferde zu erhalten. Mit Mühe erreichte Deyrolle
das große armenifche Dorf Gees und erft am folgenden
Tage, dem 24. April, Erzerum, nachdem er für die 350
Kilometer Weges, welche man in der guten Jahreszeit bequem
in einer Woche zurlidlegen kann, 12 Tage gebraucht hatte.
Die wifjenfhaftlihe Erpedition Sr. Majeftät Schiff „Gaäzelle“.
IL Bis zur Capſtadt.
G. Schon früher wurde in diefen Blättern („Mobus“,
Bd. XXVI, ©. 43) der Reife Sr. Majeftät Schiff „Gazelle*
Erwähnung gethan, indeffen zu einer Zeit, als diejelbe vor-
erſt noch ein Project war. Da die „Öazelle* nunmehr
28. Upril 1876) wieder in der Heimath eingetroffen ift,
fo wollen wir unferen Leſern in den nachfolgenden Zeilen
einen Ueberblid über ihre Erlebniſſe und ihre Yeiftungen vor⸗
legen im der Hoffnung, daß bie Reife des deutichen Schiffes
nicht geringeres Intereſſe erregen wird als die des ungleich
begüinftigtern englifchen „Challenger“. Wir folgen dabei
ben officiellen Berichten, wie fie im den „Annalen der Hy—
drographie und Maritimen Meteorologie“ erſchienen find,
einer Zeitichrift, welche bei ihrem reichen Inhalte, ihrem
beifpiellos billigen Preife (12 Hefte jährlicd) fr 3 Mark)
und ihrer trefflichen Ausftattung mit Karten, Anfichten und
Tabellen Allen, welche ſich fir die Entwidelung jener Wiflen:
fchaften und die Thätigfeit unferer Marine intereffiren, nicht
warm genug empfohlen werden fanıt.
Am 21. Duni 1874 verließ die „Gazelle“ ben Hafen von
Kiel. Wie befannt ſollte das Schiff, welches der bewährten
Führung des Gapitän zur See Freiherrn von Schleinig
anvertraut ift, vorzugsweife zu wiſſenſchaftlichen Zweden eine
Weltumfegelung unternehmen. Der Zwed aber, in welchem
diefe Unterfuchungen zunächſt gipfeln follten, war die Beob-
achtung des Borüberganges der Benus vor der Sonnenfcheibe
am 9. December 1874 und zwar auf der Kerguelen: In:
fel im Indiſchen Ocean.
Zu diefem Behufe waren Männer von Fach an Bord
der „Gazelle“ eingefchifft, welche mit den erforderlichen In-
firumenten Seitens der Reichsregierung auf das Vortrefflichfte
audgeräftet waren. Auch die zu dieſer Erpedition ausge-
wählten Offiziere waren vor Beginn der Reife auf aus:
drucklichen Befehl des Chefs der Admiralität noch befonders
mit allen zweddienlicen Inftrumenten vertraut gemacht wor ·
den, jo daß auch fie den Gelehrten fpäter auf das Befte und
Thatträftigſte zur Hand gehen fonnten. — Nach furzem
Aufenthalt in Plymouth ward biefer Hafen in der Nacht
vom 3. zum 4. Juli 1874 verlaffen und bie eigentliche Er-
pedition nahm ihren Anfang. j
Während der Fahrt von Plymouth bis Madeira lag
dem Commandanten die Pflicht ob, das ihm unterftellte Ber
fonal vorerſt mit der Handhabung der Tieffeelothe vertraut
zu machen. Dan glaube ja nicht, daß diefe Handhabung
eine leichte jei. Bei großen Tiefen ift ganz befondere Bor:
ficht erforderlich, um ein „Vreden“ der Peine zu verhüten.
Das Schiff muß hierbei möglichft ſenkrecht über ber Stelle
des verjenkten Lothes erhalten bleiben. Die Maſchine in:
deſſen, unter Zuhülfenahme zweier Segel, des Klliver und
Befahn *), erleichtert das Yothen in großen Tiefen wefent-
*} Der Klüver ift ein dreiefiges Segel vor dem vorderſten Maſie,
ber Beſahn cin wierecfiges, trapesformiges hinter bem hinterſten Mafte
tes Schiffer.
ih. An Tieffeelothen waren an Bord der „Gazelle“ vor»
handen: das verbefferte Tiefbleiloth von 100 Pfund Gewicht,
an deſſen unterm Ende eine cylinderfürmige Kammer wit
fogenanntem „Scmetterlingsventil“ , zur Aufnahme der
Meeresbodenprobe, angefcraubt ift; ferner das „Baillie' ſche
Loth“ im Gewicht von 2/, Centner, mit dem Apparat for
gar 3 Gentner, bei weldem die Gewichte am Meeresboden
verbleiben ; endlich das „Hydra-⸗Loth“, ebenfalls im Gewicht
von 21/, Gentner, welches gleich dem vorigen, jedoch in au—
derer Weife, die Gewichte abftreift.
Auf der Reife von Plymouth nad) Madeira lothete die
„Gazelle im Ganzen ſechs Mal. Die bedeutendite diefer
Yothungen war die am 9. Juli 1874 in 420 9,3 nördl. Br.
und 14% 38,2’ weftl. L. v. Gr., etwa 300 Seemeilen weft
lid) von Cap Finifterre. Das Yoth erreichte bei 5254 Meter
den Meeresboden unter gleichzeitiger Temperatur des Waſ-
fers in diefer Tiefe von 2,5° C. Auch dem Meeres:
leuchten, welches anfang® nur ſchwach ſich zeigte, wandte man
ganz befondere Aufmerkjamkeit zu Am 11. Yuli Abends
wurde mit dem Scjlepptau aus einer Tiefe von ungefähr
3 bis 41/, Meter ein etwa 13 Gentimeter langes und
2 Gentimeter breites Thier (Pyrosoma Atlantica) herauf:
geholt. Anfangs leuchtete daffelbe mit großer Intenfität.
Diefelbe nahm aber, obwohl das Thier alsbald in Waſſer
gejegt wurde, fofort ab, jo daß eine milroſlopiſche Unter⸗
juchung der Vhosphorefcenz natürlid) muylos bleiben mußte,
An Madeira, welches am 15. Juli erreicht war, hielt
ſich das Schiff nur fehr kurze Zeit zum Zwecke des Ein:
nehmens don Wafler und Proviant auf; es fegte mach zwei
Tagen ſchon die Reife nad, den Cap-Verdiſchen Infeln
fort. Auf diefem Theile der Reife freuzte die Gazelle“
unter etwa 111/,% nördl. Br. und 24% weſil. L. v. Gr.
den Cours des „Challenger“, von deffen Reife wir von
Bd. XXI. an mehrfady berichteten und ber faft genau ein
Jahr vor der „Sazelle* im diefem Theile des Atlantiſchen
Deeans feine Beobachtungen angeftellt hatte (vergl. ‚Globus“
XXIV, ©, 143), Am 24. Juli famen die Gap-Berbifchen
Eilande in Sicht, in deren Nähe vielface Yorhungen und
Berfuche mit dem Schleppnetz angeftellt wurden. Erſtere
ergaben ein in phufifc-geographiicer Hinficht im der That
intereffantes Rejultat, namlich da der Ring der zu den
Gentral-Bulcan-Öruppen zählenden Infeln der Cap-Berden
hiernach fid) auch unter dem Waſſer ftark ausprägt, indem
in der Peripherie zwifchen den einzelnen Infeln überall ge:
ringere Tiefen als in der Mitte gefunden worden find.
Am 27. Juli ging die „Gazelle“ im Hafen von Porto
Praya auf San Jago zu Anker, verlich indeflen auch die:
fen Ort bereits am 29. des Vormittags wieder, um jich dem
afrifanifchen Feſtlande zu nähern. Sie erreichte Monro:
via am 4, Auguft, wo fie von dem Präfidenten der Neger:
republit Liberia, Mr. Roberts, auf das Gaſtfreundlichſie
aufgenommen wurde. Ein gleiches lebhaftes Intereſſe be—
Die wiſſenſchaftliche Erpedition Sr. Majeftät Schiff „Gazelle“.
zeigte aud) der dortige deutſche Conful, Herr Brohn. Dod)
aud dort war ber Gorvette die Zeit nur äußert furz bes
meſſen, und ſchon nach eintägigem Aufenthalt richtete fie ihren
Cours nad) Ascension, woſelbſt fie am 18. Auguft ein:
traf, um ihre bereits ſtarl veducirten Kohlenvorräthe von
Neuem aufzufüllen. Während diefer Fahrt von Monrovia
nad) Ascenfion wurden am 10. Auguft in etwa 3° nörbl. Br.
und 11° weftl.$. v. Gr, alfo ziemlich nahe dem afrilaniſchen
Feſtlande, einige Notizen Über bie Auguftperiode der Stern:
ichuuppen (Perjeiden) gemacht. Bier Beobachter zählten bes
Morgens von 2 bis 3 Uhr 114 Sternfhnuppen, von benen
58 ihren Radiationspunlt im Perjens hatten, während bie
übrigen fporadifcher Natur waren.
Die kurze Zeit des Aufenthalts in Ascenfion wurde von
den Offizieren und Gelehrten der Erpedition benugt, um
unter Führung des Gouverneurs der Infel, des Lapitän
Eaft, einen Ausflug zu dem im Innern derfelben befindlichen
„Green Mountains“ zu unternefmen. Trotzdem der—
felbe nur von kurzer Dauer fein lonnte, bot ſich doc, Gele-
genheit, einige Bemerkungen Über die Yauna der Inſel, weld)
legtere übrigens gleichfalls vulcanifchen Urfprungs ift, zu
machen. Vorzugsweife finden ſich wilde Kaninchen vor, von
denen an 10,000 Stück jährlich erlegt werben; aud) wilde
Kagen und Ratten von befonderer Größe wurden angetroffen.
Schildfröten, die als Nahrungmittel dienen, bewahrt man in
vogen Behältern. Seeſchwalben find an der nordweſtlichen
Spige der Juſel im zahllofer Menge vorhanden. Obwohl
beim Brutgejchäft thätig, ließen fie ih), unmittelbar neben
einander figend, durch die Anweſenheit von Menſchen leines—
wegs flören. In kurzer Zeit konnten fogar an 1000 ihrer
äußerjt wohlicmedenden Eier gefammelt werden. Bezie—
hentlich der Bodenerhebungen von Ascenfion fand man als
größte Höhe 3880 Meter.
Während die meiften Schiffe, um von Ascenſion ſegelnd
nady dem Kongo zu gelangen, wegen der herrſchenden ſüd—
öftlichen Winde zunäcit einen Cours gegen Et. Helena ein«
ſchlagen müſſen, um dann, Über Stag gehend *), mit Bad-
bordbug **) bei gleicher Windrichtung die Konge-Mündung
zu erreichen, wählte Herr von Scleinig im Gegentheil
fogleich einen nörblichern Weg, um Zeit zu erjparen. Im
ſchlimunſten Falle hatte er ja die Mafchine noch zur Die:
pofition. Die Zeiterſparniß zwiſchen beiden Seewegen ift,
wenu man es fo glüdlic, wie die „Gazelle“ trifft, Übrigens
eine ganz bedeutende: für dem jüblichern erfordert die Reiſe
24 Tage, während umfere Corvette nur 13'/, Tag gebrauchte.
Am 2. September traf fie vor der Konge-Mündung in
Banana ein. Auf diefer letztern Fahrt mum zeigten ſich
gauz auffallende Erſcheinungen in der Färbung bes Meered«
—— Bisher war man ſehr verſchiedener Anſicht über
die Urſachen, denen jene verſchiedenen Färbungen entjprins
gen: theils glaubte man fie in der Bodenbeſchaffenheit und
dem damit zufammenhängenden Bodenrefler fuchen zu milffen,
anderntheil® aber auch jollten fie aus den verjcdiebenen Tier
fen reſultiren. Alle diefe Annahmen beanſpruchen mit Recht
Gründe, die für fie fprechen. Indeſſen dürften diefelben wohl
nur bei geringeren Tiefen ftichhaltig fein. Wenn aber bei
Tiefen von 2730 Meter und 4378 Meter ſich ebenfalls
ſtark ins Auge fpringende Wafferfärbungen zeigten, fo mußte
doch wohl nad) anderer Urfache geforjct werben. Infolge
defien wurden am ben Tagen, an denen die Wafferfärbung
ſich jo auffallend änderte, aus einer Anzahl Beobachtungen
des jpecififchen Gewichtes des Seewaſſers an der Oberfläche
*) Dur ben Wind wenbenb,
+) „Mit Badbertbug fegeln" heiit beim Winde jo fegeln,
daß ver Win von Steuerborb einfommt.
Globus XXIX. Nr, 22.
bie Mittel genommen, und e# ergaben biefe Beobachtungen
wirklid) überrafchende Refultate.
Am 23. Auguft nämlich veränderte das Waſſer feine
Farbe von Dunkelblau in Blaugritn; zwei Tage fpäter war
es bläulich; am 26. Auguft dagegen dunkelgrün, dann end»
Lich Shmugig grün und mac dem Kongo zu braun. Es
ergab ſich, daß die blaue Meeresfarbe im enger Zufanmen-
hange mit dem größern Salzgehalte ſteht. Bei Abnahme
des letztern geht die Farbe von Blau Über Blaugriin in
Dunfelgrün Über. Es ift dieſe Beobachtung von hoher
Wichtigkeit für hydrographiſche Forſchungen, da man aus
ber Farbe auf das ungefähre fpecifiiche Gewicht des Meer
waflers und damit aufden Ort, wo dafjelbe herkommt (Rich⸗
tung bes Stromes), begründete Schlüffe ziehen kann.
Auch auf die Dirchfichtigleit des Meerwaſſers ſcheint
der verſchiedene Salzgehalt im Allgemeinen eine Wirkung
zu Üben: in blauem, alfo falgreicherm Wafler fand ein
Marimum, in grünem, falzärmerem dagegen ein Minimum
von Durchfichtigkeit ftatt. Die oben erwähnte Meeresfarbe
von Schmugiggriin und Braun verdankt ihren Urſprung ledig-
lich dem Sriefenflrome Aritas — dem Kongo. ine fehr
merlbare Abnahme des fpecifiichen Gewichtes des Meeres:
waflers fand bereits 360 Seemeilen von feiner Mündung
ftatt, Die Farbe wurde, wie bemerkt, ſchmutzig grün. In
240 Scemeilen Entfernung wurde fie braun wie der Fluß
felbft, und damit ſchwamm die „Sazelle*, obwohl noch ein
gutes Stüd Weges von ber Küfte entfernt, bereit in Kongo—
Waſſer. 200 Seemeilen vom Yanbe paffirte fie große ſee—
wärts treibende verfchlungene Baumpartien, Rohr: und
Schilfftide, welche ſchwimmende Infelchen öfters fogar meh«
rere hundert Fuß im Durchmeſſer haben follen. Dod) nicht
bloß die Farbe des Waflers allein ſprach dafür, da man
fid) dem Kongo nähere, nein, auch das Thierleben im Meere
ward ein reicheres. Je näher ber Stifte, deſto zahlreicher
wurden die niederen Thierorganismen, Die Zahl der Fiſche
nahm zu und trogdem der Salzgehalt abgenommen hatte,
fonnte man bed Nachts das Meeresleuchten in herrlichiter
Weiſe beobachten: die großen Fiſche zogen Tometenähnlid)
gerade oder gefrlimmte leuchtende Schweife hinter fi, wäh.
rend die feinen ihren Weg durch zierlich gejchlängelte Feuer-
linien bezeichneten. Anfangs September erreichte die „Ga—
zelle“ Banana an der Mundung des Kongo, Derfelbe
hat hier die ungeheuere Breite von Über 6 Seemeilen. Seine
Fluthen wälzen fid) mit der enormen Geſchwindigleit von
4 bis 3 Snoten ins Meer. Je nad) der Jahreszeit ändert
ſich diefelbe natürlich. Der Hafen von Banana ift ein mad)
dem Fluſſe durch einige Flußinſeln, nad) der See zu durch
eine fandige Yandzunge, auf der einige Factoreien errichtet
find, begrenztes Baffin mit enger Einfahrt. Zwar ift daſſelbe
nicht von befonderer Geräumigleit, indeflen ift feine Tiefe
für die größten Seeſchiffe hinreichend.
Auch an der Konge-Mündung hielt fid) die „Gazelle“
nur Furze Zeit auf. Während derjelben dampfte fie als
erftes größeres Kriegsichiff den Kongo bis Puerta da Leuha
hinauf zum Zwede der Auslothung des Fahrwaſſers und um
den Fluß in hydrographiſcher und naturwiſſenſchaftlicher Ber
zichung näher kennen zu lernen. Da aber das Schiff eilen
mußte, um vechtzeitig fein fernes Hauptziel zu erreichen, fo
ward alsbald die Weiterreife nad) der Capftabt angetreten.
Die intereffanten Unterfudungen nahmen ihren Wort
gang. Am 8. September fand man wieder grlines, am
9. blaugrlines und am 10. bläuliches Waffer, Am folgen«
den Tage wurde etwa 180 Seemeilen weftlich der Kifte von
Benguela wieberum ein herrliches Meeresleuchten beobad):
tet. Bon 7'/, Uhr des Abends bis 4 Uhr Morgens er-
glänzte das Meer aufs Herrlichfte, theils in grünem, teils
4
345.
. 346
in gelbem Lichte. Das grime Licht zeigte nach dem ſpectro⸗
ſtopiſchen Unterfuchungen des Dr. Boergen eine Verkürzung
des Spectrums in Roth und Violett. Zwiſchen jenen leuch—
tenden farben nahm man zahllofe aufbligende Funten wahr,
welche meift von Copepoden (frebsartigen Thieren) herrühts
ten. Am 12. September zeigten ſich die erften Sturm:
vögel in einer Breite von 14°9° Ed, wenige Tage darauf
erblidte man die erften Captauben.
Als eine wichtige Folge der Beobachtungen der „Gazelle“
bürfte noch das folgende zu betrachten fein. Bon 38° 47‘
nördt. Br. bis 15° 19,5° fühl. Br. zeigte nämlich die Meered«
fauna eime auffallende Uebereinftimmung durch ihre Zus
fammenfegung. Die meiften Arten kamen in diefer ganzen
Zone durchgehend vor, nur daß bald die eine, bald die andere
Form überwiegend war. Das Seewaffer hat in biefer Zone
eine mittlere Temperatur von 20° C. Nördlich und füdlic)
jener Grenzen wird die yauma einfacher und befteht aus we-
nigen Arten, ein Beweis, wie innig die Öeftaltung des Thier-
lebens mit der Temperatur des Meereswaſſers zufanımens
P. Aſcherſon's Reife nach der Kleinen Dafe.
hängt. Eines fonberbaren Phänomens, welches Dr. Studer
an Bord der „Gazelle“* zuerft wahrgenommen, fei hier noch
erwähnt. Dei ben großen Tiefſeelothungen wurbe, am ber
Lothleine anhaftend, im eimer durcchjchnittlichen Tiefe von
565 Meter bis 1833 Meter eine gallertartige Maſſe vor
gefunden, Außerdem fchlangen ſich noch heftig neſſelnde,
fabenartige Gebilde um die Yeine. Man fonnte an denfel»
ben einen fühlfabemartigen, ungefähr 1 Gentimeter dien
fleifchrothen bis gelbrothen Faden unterfcheiben, ber im Ins
nern eine Höhlung beſaß. Die äußere Zellſchicht enthielt
eine große Anzahl ovaler Neffellapfeln, welche einen langen,
an der Bafis mit Borften beſetzten Faden ausftlilpten. Das
ganze Gebilde erinnert am die Fangfäden von Phyſophoren
mit Nefleltöpfen,
Am 26. September traf die Corvette in der Tafelbay
ein, um fi) daſelbſt endgültig fir ihre bevorftchende lange
Abgefchiedenheit von der civilifirten Welt aufs Vorſorglichſie
anszuräften.
P. Aſcherſon's Reife nad der Kleinen Dafe *).
Nach achttägigem Aufenthalte in Mebinet - el+ Fayum
(j. oben ©. 262), wo ich ziemlich lange auf die Empfehlun:
gen aus Cairo, ohne die mir der Mudir feine Kameele ber
forgen wollte, zu warten hatte, brach ich am 24. März nad)
Darag auf, jenem fiblichiten Orte des Fayum, ber aber
mit feiner eulturfähigen Umgebung eigentlich, einen Meinen
Dofencompler für fi) bildet und von den Bewohnern nicht
zum Fayum gerechnet wird, Ein See von Daragq, wie er auf |
allen Karten zu finden ift, eriftirt nicht, und konnte ich auch
von ber fruhern Exiſtenz eines derartigen großen Gewäſſers
nichts in Erfahrung bringen. Ich wurde in Xlaraq, wels
ches aus einer Stadt mit zahlreichen Zelt und Strohhlitten-
dörfern der dortigen Beduinen befteht (melde letzteren nur,
falls fie ſich an irgend eine namhafte religiöfe Erinnerungs-
ftätte, ein Schechgrab u. ſ. w., lehnen, benannt find), im
einer diefer „Neslahs“ (Golonien) 17/5 Tage feftgehalten,
da die dort wohnhaften, dem berlihmten Stamme der Uelab
Ali angehörigen Kameeltreiber unter allerhand Borwänden
die Weiterreife verzögerten. Flr mich war diefer Aufent-
halt inſofern nicht ganz nutzlos, da id) die Flora dieſes nicht
unwichtigen Mittelgliedes unterfuchen konnte. Endlich am
26. Nachmittags 3 Uhr gelang e8 meinen Bemühungen und
denen meines vortrefflichen Alt, die Karawane flott zu mas
hen; wir gelangten aber an diefem Tage bei Sonnenunter-
gang nicht ganz an die Örengen der eulturfähigen, vom Nil
aus bewählerten Landſchaft. Der Uebergang ift hier, wie
faft überall in Aegypten, ganz plötzlich. Streifen der herr‘
lichſten Fruchtfelder fchieben fid) noch in die nadte, fteinige
MWiüfte vor; hat man das legte Fruchtfeld verlaſſen, jo iſt
alle Begetation verfchwunden, und man zieht nun iiber Fable,
fteinige Hügel, über mädjtige Sandblinen in füdweſtlicher
Richtung mach der ausgedehnten Hattich Rajan, weldye
wir am Nadjmittage zwiſchen 5 und 6 Uhr erreichten. (Ich
verstehe hier unter Hattich eine mit reichem Kraut⸗ oder aud)
niedrigem Baumwuchs bedeckte Strede inmitten der Witte,
*) Mus einem ums ärigR mitgerbeilten Briefe Prof. Aſcher—
fon’s, d. d. Bauiti (Kleine Dafe), 2. April 1876, an Hrn. Dr.
©. Nachtigal. Zur Drientirung vergleiche bie Stiye auf ©. 152
biefes Bandes.
die als Kameelweide dienen kann; in diefem Sinne wird das
Wort, fo viel ich weiß, in der großen Wiifte von Feſan gebraucht,
während man hier auch die Dafen darumter verfteht.) Die
Hattich von Rajan bededt den Boden eines prachtvollen
halbkreisförmig in den nördlichen Felsrand des Wiftenplas
teaus eingebuchteten Thales. Zwei Pflanzen fpielen in ihrer
Vegetation die Hauptrolle; der Riſſo (Calligonum como-
sum), in ber Tracht unſerm Befenginfter vergleichbar; feine
frifchgrünen blattlofen Zweige find jegt mit den ſchneeweißen
Blüthen bebedt, denen fpäter bie mit einem dichten Borftens
pelz bededten iFrlichte nachfolgen *); ferner der Rhardak
(Nitraria tridentata), ein graugrliner 5 Meter Höhe er»
teichender Strauch, deſſen grlnlichweige Blumen gerade jet
beginnen ihren Honigduft zu verbreiten. Die Rhardak-
bitfche pflegen, wie die dort ebenfalls vorfommenden, ſtamm⸗
lofen Balmen, etwas eingefenft zu fein, während der Riſſo,
wie die Tamariste, felbfterbaute Hügel frönt.
Am 28. Vormittags erreichten wir die mit einem grüs
nen Pflanzenteppich umgebene, reiche Quelle Ain Rajan,
beren etwas falziged Waſſer zwar träbe und ſchwefelwaſſer
ftoffhaltig, aber doch genießbar ift. Erſt um 2 Uhr verlieh
die Karawane die Quelle, und zwei Stunden fpäter erftiegen
wir an der Stüdweftfeite des Halbfreifes den Felsraud, bes
fanden uns aber noch nicht auf dem freien Plateau, ſondern
hatten noch bis zum 29, Vormittags ein anfangs von fleis
len umd hohen Felſen umgebenes Thal zu durchziehen, bie
ſich fpäter abflachen und in zahllofe Zeugen oder Infelberge
zeriplittern, wobei der Thalgrund immer breiter wird und
zulegt nicht mehr deutlich begrenzt erſcheint. Diefe aus:
ebehnte durch Auswaſchung entftandene Felſenlandſchaft,
Negbah genannt, entſpricht vollfommen der Bildung, bie
wir nördlich der Daſe Dachel als Charafchaf kennen lern«
ten; nur find Höhen wie Tiefen breiter und flader aus—
gebildet. Das Ende diefes Labyrinths bezeichnet eine jener
jonderbaren Felsbildungen, die, von Weitem einer menſchlichen
*) Vetgl. die Abbiltung tes Niffe auf Tafel IV (Seite 54) des
von uns ſchon Früher beſprochtnen trefflichen Werkes „Drei Monate
in der Libofchen Wuͤſte. Bon G. MRohlis.” (Kaſſel. Theotot Bifcher
1875,
Die Beduan des „Söhel*.
Büfte mit breitem Kopfſchmuck nicht unähnlicd,, den in der
Libyſchen Wilfte öfter wiederkehrenden Namen Ammet⸗el⸗
Gadi (Turban des Kabi) erhalten haben. Der Weg zieht
ſich von hier (zum erften Male feit Rajan) wieder über
einige Meine Hattieh, auf denen ſich jelbft zwerghaftes Ger
ſtrüpp der Talch-Akazie findet. Diefe Stelle führt ben Na—
men Habahit; es finden fich Hier jene grabähnlichen
Hügel, die Belzoni’s lebhafte Phantafie mit jenem auf dem
Zuge nad) der AUmmons-Dafe umgelommenen Heere bed
Kambyfes in Verbindung en
Bon num am führt der Weg über eine Tagereife weit
über die fahlfte und ödefte Wüftenfläche, die mir bisher vor-
gelommen. Schwärzlicher Sſerir (grober Kies) verleiht
diefer grengenlofen, kaum durch ganz leichte Hügelwellen hier
und da umterbrochenen Fläche eine düftere Färbung, bie nur
felten durch den hellen Ton aufgewehten Sandes unterbros
chen wird.
Am 30. Nachmittags 3 Uhr gelangten wir zur Hattich>
el-Talhah, durch welche diefe pflanzenloje Dede angenehm
unterbrochen wird. Ein großer, ftundenweit fichtbarer
Baum der Taldy-Afazie trug Früchte, die ihn als A, torti-
lis erwiefen, (Unter dem Namen Talch wird ſonſt in Nord⸗
afrifa allgemein A. Seyal verftanden.) Cine Stunde fpäter
ftanben wir umvorbereitet am Nande des berufenen Badır»
belasma(ober, wie mein Führer ausfpricht, Behar- beläme),
Die Bahr-bela-masfrage ift während und nad; der Rohlfs'-
ſchen Expedition von dem Führer derfelben im jo erjchöpfen-
der Weife Hiftorifch-fritifch beleuchtet worden, daß dieſes
geographifche Problem wohl als erledigt gelten kann. Selbft-
Derfländlid fonnte ich trog Belzoni's Beſchreibung, die
hauptfächlichh Anlaß zu der Ausdehnung des Badır-bela-ma
der Karten bis Dachel gegeben haben bitvfte, nicht erwarten,
ein wirkliches Flußbett zu finden, war aber doch überrafcht,
daß ber wirkliche Befund feiner Schilderung auch, nicht im
Entfernteften entfpra Statt, wie id) erwartete, im ein
langgeftredtes Uadi, ftieg ich mit geringem Niveanunterfchieb
(etwa 20 bis 30 Meter) in ein neues Charaſchaf hinab,
deſſen Grenzen, da die ringsum zerftreuten Sandberge nir-
gends eime Ueberſicht geftatteten, mir unflar blieben, das ſich
aber jedenfall® zu beiden Seiten des im Ganzen nad)
B.S.:B. gerichteten Weges weithin erftredt. Wir lager
ten im Bacr-bela-ma, in welchem wir im Ganzen faft vier
Stunden fortzogen und verliefen denfelben am folgenden
Vormittage, um über eine große, ſchwierig zu pafjirende
Düne, Abu-Moharrib, Hinweg von Neuem eim
Plateau zu erreichen, welches indeß weder fo audgebehnt
— fo einförmig iſt, als das öſtlich am Bachr-bela⸗ma ges
gene.
Um 4 Uhr Nachmittags, unmittelbar nachdem wir eine
347
Einſenkung ber Heinen Dafe, deren weftliches Felsufer deut»
lich ſich zeigte. Ein fteiler, etwa 30 Meter tiefer Abftieg
leitete in ein * Felſenthal, das ſich nach einer Stunde
in bie weite Daſen-Ebene öffnete, deren von zahlreichen
Thälern und Schluchten durchfurchte Ränder und maleri-
fchen Infelberge in der fhönften Abendbeleuchtung prangten.
Nach Sonnenuntergang erreichten wir die erfte Quelle, Yin
me’allaga (fons suspensus, weil fie auf einer kreisför—
migen Aufbämmung hervortritt. Belzoni hat jedenfalls die-
jelbe Quelle, „a spring on the top of a hill*, berührt),
von ber wir am folgenden Tage noch 12 Stunden bie Yin
Durüa, dem erften Culturcomplex, und von dort nod)
ebenfoweit bis hierher zu marfchiren hatten. Der größte
Theil diefer Strede ift fandig und mit reicher Kameelweide
bedeckt [Ugol (Alhagi mannıferum, Taf. VI. des Rohlfs'-
fchen Werfes) und Halfah (Leptochloa bipinnata) ]; in
den übrigen Dafen habe ich fo ausgedehnte Vegetation außer:
halb des Eulturterrains nirgends angetroffen. Charalteri⸗
ſtiſch ift fir Beharieh die Concentration der Aeder und
Gärten im zwei ausgedehnte, mehr als eine Stunde von ein-
ander entfernte Öruppen, deren eine das Doppelborf Gafjr-
Bauiti und deren andere die Orte Mendifhah und
Sabu enthält. Ein Blid von dem römischen „Triumphr
bogen“, deſſen nicht fehr impofante Hefte ich heute befuchte,
über die ausgedehnte Palmenwaldung und die grünen Saa-
ten dahinter, begrenzt von gelben Ditnen, bot nad) ber faſt
ganz im ber Wuſte durchlebten Woche einen um jo erfreus
lichern Eindrud.
Was ic; bis jegt von der Vegetation gejehen habe, ftimmt
allerdings weſentlich mit der der übrigen Dafen ilberein,
bietet indeß doch einige Eigenthimlichleiten, zu denen vor
Allem das Häufige Vorkommen zweier Gefäßfryptogamen
gerechnet werben muß, einer Gruppe, bie in den fibrigen
Daſen gar nicht beobachtet wurde, Das Frauenhaar
(Aeliantum Capillus Veneris) wächſt reichlich an allen
Bewäfferungsgräben ; die malerische Felsſchlucht, in der die
Hauptquelle von Bauiti entfpringt (von Eailliand recht charal⸗
teriftifch abgebildet), erhält durch das häufige Vorlommen
diefer Kanye ganz füdenropäisches Anfehen. werner findet
fich die im Unterägypten und Tunis einheimifche Art ber
—— Waſſerfarrngattung Marſilia, zu der die ber
rühınten Narboos Früchte PHeu-Golanbe gehören,
Ueber die Bevölferung gedenfe ic; jpäter zu berichten;
hier nur bie Notiz, daß Belzoni's Angabe, die Eingeborenen
hätten ſich im feiner Gegenwart der Sprade von Siuah
bebient, infofern ſich beftätigt, als nicht nur zahlreiche Siuaf-
ner ſich in Beharich niedergelaffen haben, fondern aud) durch
die Handelsverbindungen mit der AnımonssDafe die Kennt:
\ miß dieſes Berber-Dialetts ſich bei vielen Bewohnern ber
Dune paffirt, eröffnete ſich plöglic ein Fernblick in die | Meinen Dafe verbreitet hat,
Die Beduan des „Söhel".
M. J. Das fid) von Maſſawa nad) Norden erftredfende
Tiefland zwifchen dem Rothen Meere und dem Gebirge, das
„Söhel* der Eingeborenen, ift wegen feiner Natur ſowohl
wie feiner Bewohner eines ber eigenartigften afrifanifchen
Länder: feine Wüfte und doc; auch feine Steppe, nicht Flach⸗
land und noch fein Gebirge, in ber Regenzone gelegen und
mit ber Grundbedingung alles Lebens, dem befruchtenden Ker
gen, nur fpärlich bedacht, ohne einen einzigen beftändigen
Fluß, ift das Fand ein Mittelding zwiſchen Gebirge und
Steppe, das im dem übrigen Afrika nichts Aehnliches hat.
Da der Charakter ded Bodens nothiwendigerweife die Yebend-
weiſe der Bewohner beftimmt, fo find auch die dortigen Eins
44*
348
geborenen eim Mittelding zwiſchen Seßhaften und Nomaden,
doc; mehr zu dem legteren hinneigend. Die Bewohner des
Söhel, die von den umliegenden Bölfern unter dem Collectiv-
namen der „Beduan“ begriffen werben, theilen ſich in eine
Reihe von Stämmen, die zwar politifd; und religid® nicht
geeinigt find, aber duch gleiche Sprache (dad „Tigre“),
phyſiſche Beſchaffenheit, gleiche Neigungen und benfelben
Charakter entjchiedene VBerwandtfchaft befunden. Die Haupt-
ſtämme derfelben find die Schoho, die Menſa, die Adoma—
riam (Uzstemariam) und die Habab, die alle wieder in un-
zählige, Heine Stämme gefpalten find. Die Grenze bes
von benjelben bewohnten Yandes ift nicht genau beftimmt,
doc) gehört ihnen das ganze Söhel ausjchließlih und der
Theil des Gebirges, der ſich im Oſten des Anjeba, von Ha—
mafin an nach Norden erftredt. Die Stämme der Bogos,
Bedſchul, Marea und Beni-Amer forwie die abefjinifchen
Bewohner von Hamafin und Dembela haben in dem Ge—
birgslande ebenfalls noch Weiderechte. Das ganze Land ift
vollftändig Aegypten unterworfen, gehört zum Generalgon-
vernement von Kaſſala, fpeciell der weſtliche Theil zum
Gouvernement (Mudirih) von Keren, das öſtliche Tiefland
zum Bezirk von Maſſawa.
Das Söhel iſt etwa 40 deutſche Meilen lang, ſelten
über 5 Meilen breit; weſtlich bildet das Gebirge von Nord—
Tigre, Menfa und Habab die Grenze, füblich ein Hligelland,
das fid) von dem Debra Bizen mad) dem Gedem-Gebirge
ausbehnt, während es fich nad) Norden ohne fefte Abgren-
zung in das zu Tolar gehörige Tiefland verliert. Der ſud—
liche, von der Natur duch ftärkern Regenſall am meiften
begünftigte Theil ift im Welten bis etwa 8 Meilen von der
Küfte von den bis 5000 Fuß hohen Ausläufern des Ges
birges durchſetzt, die ſich etwa 5 Meilen nördlich von Maſ—
fawa allmälig verlieren. Dieſe gebirgige Ede ift die Do-
maine, wohin fi die Stämme, bie im Hochland fein
Weiderecht befigen, namentlich bie Schoho, zurlidziehen, wenn
die von Februar bis Detober dauernde heiße Zeit eintritt
und jeden Grashalm im übrigen Söhel verdorri. In der
That ift diefer Theil ein höchſt annuthiges Yand, namentlich
in ber Regenzeit von November bis Februar. Sobald im
Hochland die von Mitte Juni bis October dauernden Regen
aufhören, beginnt fich im Söhel der Himmel zu bewöffen;
e8 fallen einige Regenſchauer, doch nicht mit der im den
Tropen jonft gewöhnlichen Heftigkeit, mehr unferen Gewitters
regen zu vergleichen, Die Berge überziehen fich mit matten
Grin, die vorher in den Bachbetten, den „Chor“, tief unter
der fandigen Oberfläche fidernden Wafler beginnen nach
oben zu treten und die glühende, erftidende Hige macht einer
fehr angenehmen, mäßig warmen Temperatur Platz. Nun
tritt ein etwa acht Tage dauernder Stillftand ein; faft fort:
während ift der Himmel bewölkt, das Grün an allen Büfchen
ſchlägt zufehends aus; dann fängt es an zu regnen, nicht
ſtürmiſch, nein, ganz jachte, aber dafür defto burchdringender,
oft vierzehn Tage lang ohne Unterbrechung und fegt dann
wieder einige Tage aus. Die Sonne ift wieder ſichtbar,
und mit Erftaunen betrachtet man bie jonft fo dürre ab-
ftogende Landſchaft. Die vorher grauen, nur mit vertrod-
neten Alazien befegten Berge ſiehen im fchönften Grün, die
ausgedehnten Ebenen find mit nieberm, faftigem Graſe be-
bet, prächtige Pilien und andere Blumen in feurigen Far—
ben ftehen auf dem grünen Teppich vertheilt, die alles über⸗
wuchernden Schlingpflanzen hängen in glänzenden Blüthen
und auf dem vorher vor Hite geborftenen Boden find Kleine
—— —— ia Entſprechend dieſer
reiz mwandelung im nzenleben hat ſich auch das
thieriſche Leben geändert, das ſich vorher nur um bie weni-
gen fpärlichen Quellen concentrirt. Mit dem fiberall
Die Beduan des „Söhel”.
Ipriegenden Grün find von dem jetzt wieber trodenen Hoc).
gebirge die prächtigen, großen Antilopen, der Agajeen ber
Abeffinier, die Klippfpringer und zahlreiche Herden von Pa-
vianen herbeigezogen. Die aud) in der trodenen Zeit in
der Samhara anfäljigen Zwergantilopen, die Gazellen, die
Sömmeringantilopen ſcheinen fic; verdreifacht zu haben;
grungend breden überall die Herden der Warzenfdweine
durch das Didicht, jedes Gebiifc, ift belebt von ſchreienden
Perl- und Franfolinhühnern und in ber Puft fingt und flingt
und flinmert e8 von den Meinen, farbenprächtigen Tropen:
vögeln. Mit diefen friedlichen Thieren find aud) ihre
Feinde eingezogen ; häufig zeigen fich auf dem nafjen Boden
die Fährten der Hyänen, Leoparden und Yöwen; in Schaa—
ten bett ber Jagdleopard (Tokola der Abeſſinier) am hellen
Tage feine Beute, und ift dabei fo fühn, daß er fich felbft
durch den Menjchen darin nicht ftören läßt. Die vorher
wochenlang in der einfamen Wildniß nicht gehörte Stimme
bes Löwen erſchallt nun jede Nacht, und an trüben Tagen
tann man leicht das unerwartete Bergnügen haben, der
Majeftät, die durch den beiwölften Himmel in der Zeitrech ⸗
nung irre wurde und zu früh das Yager verließ, im Freien
zu begegnen, ein Zufammentreffen, das meiftens gefahrlos
abläuft. Auch der riefige Elephant fommt in Herden von
dem Gebirge, doc; meiftens nur bei Nacht wandernd und
am Tage in irgend einem Didicht ruhend. Wo ein gemifler
grüner faftiger Dorn in Blüte fteht, ift der Elephant, der
dieſes Gemwächs leidenſchaftlich liebt, faft immer zu finden,
und wer Süd bat, kann bereit# acht Stunden von Mafr
ſawa die Elephantenjagd betreiben.
In diefer Schönen Zeit ift die beſte Gelegenheit, den
Charakter und die Eigenthümlichteiten der Beduan zu ſtudi⸗
ren. Ihr Bieh, Ochfen, Ziegen, Schafe und Kameele,
ſchwelgt nach langer Entbehrung in dem reichlichen Grin
futter, die Milchquelle fließt nicht mehr ſpärlich, die Butter⸗
ſchlauche füllen und runden ich; fie haben Ausſicht, die
Butter bald an den Händler verfaufen zu können und daflir
die blanfen „Realen“ (Maria-Therefia-Thaler) einzuftrei-
chen, kurz fie haben alle Urfache, mit ſich und der Welt zur
frieden zu fein, und die jegt von ihnen aufgenommene Schil«
derung wird ihre beften Seiten ziemlich getreu wiedergeben.
Wie bereit® bemerkt, ift ber „Beduine“ theils ſeßhaft,
theils nomadiſirend, doch überwiegend das letztere. Im
Sbhel befinden ſich bloß drei größere feſte Dörfer, Eilet,
Afus und Gumhod, am Meere noch Hotumlu und M’Kull,
dann Arkifo und Dodond; die letzteren lönnen eigentlich
nicht mitzählen, da ihre Bewohner fait nur von dem Verkehr
mit MDaflawa leben und mit dem Innern mur wenig Ber
bindung haben, und die Orte hauptfächlich nur als Wohn-
pläge der beiden Oberſchechs oder „Naib* der Beduan für
biefelben von Bedeutung find. Im Gebirge find noch einige
fefte Bläge, die alle unbedeutend und oft mamenlos find.
Die Hauptmaffe der Vevölferung wohnt in den beweglichen
fogenannten „Kuhbörfern“, und nur die im denſelben woh-
nenden Beduan, abjeitd von den Hauptfarawanenftraßen,
find die richtigen, umverfälfchten. Die Seßhaften, die fid)
meift an den von Abefjinien und Tafa führenden Strafen
nieberliegen, haben ſchon viel Fremdartiges angenommen
und ähneln immer mehr ihren Nachbaren, theild den Abel
finiern, theils der gemifchten Bevölferung der wenigen Hüften
pläge.
Das bewegliche Dorf des Nomaden ift meift in ber Nähe
eined Brummen, doch nie dicht bei bemfelben errichtet. Auch
bie fejten Dörfer find immer im größerer Entfernung von
dem Waſſer, oft eine Stunde weit, manchmal noch weiter.
Fir die Weiber und Kinder ift dies namentlich in der heigen
Zeit eine furdjtbare Laſt, da diefelben jeden Tag mehrmals
Die Beduan des „Söhel".
einen ſchweren Schlauch mit Waffer Kr nad) der Hütte
trandportiven mitffen. Die entfernte Yage von der Quelle
hat einen guten Grund; biefe Wafjerlöcher find oft auf
Stunden im Umfreife die einzigen Tränfpfäge, die natürlic)
auch von dem wilden Thieren beugt werben. Wäre das
Lager num zu nahe am Waſſer, fo wiirde die Aufmerffamteit
der großen Naubthiere zu leicht auf die zugehörigen Herden
gezogen; ba außerdem oft mehrere Dörfer aus einer Quelle
ichöpfen, fo fünnte es, falls biefelben zu nahe am Waſſer
lägen, bei der Benutzung leicht zu Mißhelligfeiten und Streit
tommen, was durch die entfernte Lage vermieden wird. Je
nad) der Stärke des Stammes beſteht das Lager aus einer
Anzahl Mattenhlitten von 5 bis 70 Stüd, jede Hlitte ift
für eine Familie beftimmt. Die Hütten find einfad) und
praltiſch hergerichtet; eine Anzahl elaftiicher Stäbe wird im
Kreiſe in die Erde geftet, die Spigen werden dann nieder:
gebogen und an einander gebunden, fo daß das Geftell etwa
wie eine Halbkugel ausficht, Auf diefe Stäbe werden nun
die aus Stroh geflochtenen Matten feſtgeſchnürt, ein Loch
wird flir die Thlie gelaffen, Fenſter find unnöthig, die Be—
haufung ift fertig und der Einzug kann beginnen. Das Auf
richten der Hiitten ift Sache der Frauen, auf benen, wie bei
allen afrifanischen Nomaden , die Hauptarbeit ruht, während
die Männer fich lediglich um das Bich bekümmern. Dieſe
Mattenhütten werden nun im Sreife aufgeftellt; der davon
umfchloffene Raum ift zum nächtlichen Aufenthalte für das
Vich beftimmt, als Thür wird nad) einer Seite eine Oeff⸗
nung freigelafien. Iſt die Gegend als beliebter Wedhfel der
Raubthiere bekannt, fo wird fofort nad) Errichtung der Hilt-
ten ein Dornenzaun, eine Seriba, errichtet; andernfalls wird
damit im echt afrifanifcher Faulheit noch einige Tage gewar-
tet, bis irgend ein durch einen Flihnen nächtlichen Ueberfall
ber Yöwen oder Leoparden veranlaßter Verluft daran mahnt,
das BVerfäumte nachzuholen. Die Weiber und Kinder ſchaf⸗
fen dazu aus dem umliegenden Afazienwald bie nöthigen
Dornen herbei, die von den Männern zufammengefligt were
den, wobei die Stiele nad) innen, die Kronen nad) aufen
fonımen. im ſolches Dorf ift matlirlich erftannlich ſchnell
fertig. Man hat amı Morgen vielleicht ein einfames Thal
paffirt, wo nur Wild zu fehen war und feine Spur von Ber
völferung, und findet am Abend ein Dorf von 40 bis 50
Hlitten, Hunderte von Menfchen und Tauſende von Klühen
und Schafen, ein betäubendes Durcheinander, und Alles ficht
aus, als ob es feit Yahren fo gewejen wäre und nicht eben
fo gut den andern Tag ſpurlos verſchwinden lönnte.
Das Leben der Bewohner diefer Dörfer verläuft ein-
förmig, im geregeltem, gleichem Lauf. Mit Tagesanbrud,
ift ber Familienvater wach und erhebt ſich von feiner Alga,
dem mit Veberriemen überzogenen Bettgeftell, auf dem er
nad) des Tages Lat die Ruhe genoß; in fein Umſchlagtuch
gehullt tritt er vor die Hlitte umd ſchaut zuerft nach feinen
Kühen und dann nach dem Himmel, um das Wetter zu prile
fen. Die übrigen Familienglieder, die auf dem ſchmutzigen
Boden auf Lederdecken ruhten, find gleichfalls ermuntert und
vor bie, Hütte getreten; bie Tagesarbeit beginnt, während ber
fi) die günftigfte Gelegenheit zur ungeftörten Beobachtung
bietet. Die Männer und die jingeren Leute find von Figur
nicht Übel, fchlant und mager, aber gut gewachſen, die Hauts
farbe ift ſchwarzbraun, vielleicht durch den immerfort ſich
anfegenden Schmug noch dunkler gemacht. Das Geficht
wlirde bei den meiſten einen angenehmen Eindrud machen,
wenn nicht im den Augen ein Zug von Tüde läge, ber es
unmöglic macht, Vertrauen zu ihrem Beftger zu faflen.
Die Rafe ift auffallend wohlgebaut, fein geſpitzt, die Baden-
lnochen etwas vorftehend, die Lippen etwas aufgeworfen, bei
mandyen ein ſchwacher gefräufelter Bart vorhanden; bie
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Haare in viele Löckchen geflochten, die bis auf die Schultern
fallen. Der Befiger ftodhert und bohrt mit einer langen
Holznabel in dieſer Perrlide, um die durch das Auffichen
aufgeſcheuchten Inſaſſen der Frifur wieder zu Ruhe zu brine
gen. Iſt dies gefchehen, fo wird die Nadel wieder in den
Haaren befeftigt und die Hauptarbeit der Toilette ift beendigt,
da Waſchen nicht jeden Tag üblich ift. Mittlerweile hat
eines der Weiber dem Herrn die Wafferpfeife gebracht mit
einer glühenden Kohle darauf; er fauert fi amı Voden nie-
der und zieht behaglic einige Züge ein, dann bie Pfeife dem
Nachbar veichend, der auch einige Züge thut und fie weiter
giebt, bis fie ganz ausgeraucht ift und das Weib fie wieder
in Empfang nimmt. Diefe Frau ift vielleicht mod) eine der
jüngeren, und trotzdem ift die Erfcheinung nichts weniger
benm anmuthig; die Figur entbehrt meiftens ber Fülle, das
Geſicht ift geiftlos, die harte Arbeit und die niedrige Stellung
haben einen Eindrud von Scheu und Stumpfheit hervors
gebracht, der manchmal noch unangenehmer wirft, als die
tücifchen und ſchlauen Gefichter der Männer. Die Tradıt,
die bloß aus einem eng um den Peib gefchlagenen blauen
oder weißen Baumwolltuch mit rothem Randſtreifen beficht,
trägt nicht dazu bei, ihre Förperlichen Reize zu erhöhen, nod)
weniger der in dem rechten Naſenloche befindliche filberne
Knopf, der die feinfte Mode darftellt. Auch Silberringe
um Kubchel und Handgelenk find ſehr beliebt, ebenfo cine
Schnur gelber Glasperlen um den Hals. Nur felten findet
man unter ben jlingeren frauen eim hübſches Geſicht und
feine Figur, und die alten Weiber find fo abfchredend häf-
lich, verrungelt und verdorrt, daß fie fat alle das ſchönfte
Modell zu einer Here liefern fönnten. Einen angenchmen
Eindrud machen die Kinder, die völlig nadt aus den Hlitten
friechen und ſich, da der Morgen fühl ift, um das lobernde
feuer fauern. Alle fehen gut genährt aus; die unruhigen
ſchwarzen Augen laufen von Punkt zu Punkt und bleiben
ſchließlich auf der Herde haften, jest ſchon mit einer Art
Kennermiene die Thiere betrachtend. Da die Herde ben
Reichthum des Nomaden bildet und von ihrem Wohlergehen
auch das feine abhängt, fo wirb das Interefle dafliv bei den
Kindern ſchon mit der Muttermilch, eingefogen und der Junge
weiß eher den Namen ber beften Kuh als den feines Waters,
Im Ganzen find die Eltern giltig gegen ihre Kinder, ober
vielmehr gleichgliltig und unbefünmert; die junge Seneration
ift ſich felbft überlaſſen, ift den ganzen Tag, wird did und
fett dabei und wüchſt jo im Schmuhze fräftig heran, durch
ben fortwährenden Umgang mit dem Vieh ſich ſpielend in
ihren künftigen Hirtenberuf einlebend.
Die Herde, die die ganze Nacht ruhig daftand, da fie
weiß, daß ihre zur Unzeit ertönende Stimme den Löwen und
Leoparden herbeilockt, wird jegt beim Tageslicht lebendig,
beginnt zu brlillen und drängt fic um ins Freie zu fommen,
woran fie aber mod) durch die Jungen gehindert wird, ba
das Gras noch zu naß ift und dem Bieh ſchaden fünnte.
In einem langen Gänfemarfc ziehen jegt 20 Weiber und
Kinder hinaus, die leere Girba, den Waſſerſchlauch, tiber der
Schulter, und begeben ſich ſchnatternd nad) der Quelle, um
das nöthige Waller herbeizuhofen. Die zurldbleibenden
Weiber a inter weithin hörbarem Knarren die Durrha
auf dem Keibftein zu zermahlen; das Mehl wird in einer
aus Stroh geflochtenen Schale angerilhrt und dann über dem
Kohlenfeuer , auf einer flachen Pfanne, ein Kuchen, die be
kannte Kisra, gebaden. Wenn keine Eifenpfanne zur Hand
ift, fo wird auf andere Art geholfen; eine Anzahl runder
Steine von der Größe einer Fauft wird im dem Feuer glü«
hend gemacht, dann ber zähe Mehlteig etwa '/, Zoll did
darum & lagen und bie el auf einem flachen Stein
in die Gluth gelegt. Durch die vereinigte Hige von innen
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und außen wird das Brot, bie „Burkuba*, in einigen Mis
nuten durchgebaden und ein recht Tbares Gebäd erzeugt,
das ein nicht fehr verwöhnter europäifcher Gaumen dem
trodenen Sciffszwiebat vorzieht. Dieſes Brot umd eine
Scyale voll Buttermildy oder auch Milch, wenn Ueberfluß
vorhanden ift, bildet das Fruhſtuck und jede andere Tages-
mahlzeit. Die Männer effen zuerft, die Weiber und Kinder
teilen ſich in die Reſte. Fleiſch fommt nur im feltenen
Fällen auf die Tafel, da der Bebuine fein Vieh viel zu hoch
ſchätzt, um es zu jchlachten; höchftens wenn eine Kuh krauf
ift und nad) aller Berechnung bald crepiven wird, wird ihr
„im Namen Gottes* der Hals abgejchnitten und eine Mahl⸗
zeit bereitet, am ber ſich die ganze Sippſchaft betheiligt.
Dann werden riefige Maffen Fleiſch verfchlungen und eine
Meute ausgehungerter Hyänen lann nicht ſtärker fchluden
als diefe Menſchen. Alles wird benugt, fein Knochen wird
weggeworfen, ohne daß er vorher gefpalten und das Mark
ausgefogen worden ift. Kann der Schwelger bei biefem
Mahle gar noch den Genuß haben, eine Scale fluffiger
Butter hinunterzugießen, fo ift fein Glüd volltommen; und
wer fehr reich ift, gönnt fich die Wohltgat, die Butter mit
Honig vermifcht zu genießen, ein Yurus, nad) dem bie ger
wöhnlichen Sterblichen vergebens feufzen. Ländlich, fittlich!
Was von dem Fleiſch nicht friſch verzehrt wird, wird im
zwei finger breite, etwa 1 Fuß lange Stüde gejchnitten und
in ber Sonne getrodnet, mandmal auch, wenn man das
Fleiſch im Freien nicht vor den aus weiter ferne herbei-
ziehenden Raubvögeln zu fchligen vermag, in den Hütten
ſelbſt. Dann entwidelt fich in dem engen Raume ein Ges
ruch, verbunden mit menſchlicher Ausdünftung, der einem
nicht Aeclimatifirten unfehlbar eine Ohnmacht zuzieht. Die
ſes getrodnete Fleiſch, der ‚Hando“, ift ein fehr empfehlens-
werther Vorrath für eine Reiſe, der, zerrieben und mit ges
röfteten Zwiebeln, Salz und fpanifchen Pfeffer (Berberi)
vermifcht, unter dem Namen „Melle“ ein Lieblingsgericht
aller fubanefifchen und abeffinifchen Völker bilde, Ein
Schlauch Melle, ein Schlauch Mehl und eine Heine Girba
mit Butter bilden einen Proviant, der dem Genügſamen alle
foftjpieligen Conferven u. f. w. erſetzt, fi) monatelang ohne
zu verderben aufbewahren, fich liberall anfdaffen lägt und
eine fräftige und wohlfchmedende Speife bildet, die ſehr
ſchnell an jedem beliebigen Pla bereitet werben fann. Den
Fleiſchgenuß hat jedoch der Bebuine mur felten, ba er im
Allgemeinen fein Jäger ift und ſich das zahlreich vorfom-
mende Wild nicht zu verfchaffen vermag. Nur menige
ſchlechte Flinten finden ſich bei ihnen, und ber Glüdliche,
der es vermag dann und wann eine Antilope zu ſchießen,
ift ein hochangefehener Mann. Iſt gar einmal ein Elephant
geſchoſſen worden, fo beginnt von allen Seiten ein Rennen
mac) Fleiſch und Haut, namentlich nad) ber legtern, um
damit feinen Holzpflug zu ummideln und fefter zu machen.
Bon den meiften Stämmen wird das Clephantenfleifch ge-
geſſen, feltener das des Warzenſchweins, das von vielen ver⸗
fhmäht wird. Das Fleiſch des Hafen wird weder von
Ehriften noch Mohammebanern angerlhrt.
Hat der Mann fein Fruühſtück beendet, fo wird wieber
im Kreiſe eine Pfeife geraucht. Mittlerweile ift die Sonne
hoch; genug geftiegen und die Herde wird ausgetrieben, ber
gleitet von den Männern und Jungen, während bie Frauen
und älteren Männer im Yager zurlidbleiben. ine jebe
Familie führt ihre Thiere nad) einem beftimmten Theil des
umliegenden Weideplatzes und achtet nur auf dieſe. Die
Männer führen dabei eine 6 Fuß lange, ſchön gearbeitete
Yanze und einen kreisrunden, Fleinen —
rſchild, zuweilen
Die Beduan des „Söhel“.
auch das gerade arabiſche Schwert mit Kreuzgriff; die Jum«
gen haben bloß 2 Fuß lange, dide, am Ende etwas ge:
frümmte Stöde. Langſam vertheilen ſich die Herden au
den umliegenden Bergen, verſchwinden in den Thälern und
ruhen bald wicderfäuend in dem friſchen Graſe, während die
Männer wachjanı umberftehen. Die Herden werben wieder
nad) den verſchiedenen Gattungen getrennt. Die Hauptmaffe
bilden Kühe und Ochſen, die zu der Budelrace gehören, ein
ſchöner Schlag, fanfte und Muge Thiere, etwas Meiner als
unfer Rindvieh, äußerſt genügſam und dadurch flr das
trodene Land fehr geeignet. Die Klihe geben wenig Milch, und
ihe Nutzwerth ift daher gering, der Preis niebrig, von 2 bis
6 Maria: Therefia-Thaler per Stüd. Kameele werden nicht
von allen Stämmen gezogen, namentlid) nicht von den im
Gebirge mwohnenden ; im Tiefland felbft ift die Zucht fehr
verbreitet und ber Preis verhältnigmäßig hoch, von 10 bis
30 Maria-Therefia-Thaler für das Stüd. Die Race ift
gut und jchön, doc) nicht jo ausdauernd wie das Kameel der
Biſcharin und Hadendoa. Fettſchwanzſchafe und Ziegen bil
den ben übrigen Theil der Herden, mamentlid) ben Beftand der
Hleineren Leute, die zahlreiche Scharen davon befigen. Der
Preis ift gering, 1 Mariar-Therefia-Thaler etwa für 3 Schafe
oder 2 Ziegen. Als Hausthiere werden zuweilen noch einige Eſel
gehalten, die zum Herbeifchaffen von Holz und Waſſer ver-
wandt werben, fic aber feiner fonderlicyen Pflege oder Beach⸗
tung erfreuen. Diefelben find deshalb von Anfchen fehr
verwahrloft; aber der Bebuine nennt ihn aufs Zärtlichſte
„mein Freund, mein Bruder“ und flir die Finder ift er ein
ewig geduldiger, lieber Spielcamerad. Pferde und Maul-
thiere habe ich nur felten bei den Beduan gejehen; diefelben
werben von Tigre eingeführt und nur der mit Reichthum
befonbers Gefegnete, meiftens ber Schech, vermag es, ſich ein
ſolches Thier zu verichaffen.
Während die Herde wiederfäuend im Schatten liegt, ſtehen
bie Hirten im ber Nähe auf die Lanze gelehnt, den einen Fuß
auf das Knie des andern Beines geftellt, und ſchauen ſchläfrig
vor ſich hin. Doch ift dies nur ſcheinbar; nichts entgeht
ihrer Aufmerffamteit; das Thier, welches fich zu weit ent
fernte, wirb bemerkt und zurüdgeholt, und ber Leopard, ber
lauernd durch das Dicicht fchleicht, mit gellendem Geſchrei
und Gteinwlrfen verjagt. Am Tage iſt fehr felten eine
Vertheidigung ber Herbe gegen reißende Thiere nöthig, da
biefelben faft nur des Nachts herumftreifen ; doch entfaltet
der Nomabe in foldyen Kämpfen vielen Muth, tritt fühn mit
Schwert und Lanze dem Löwen entgegen, verjagt ihn und
geht aus dem Kampfe meiftens ald Sieger hervor. Bei
diefem MWächteramt wird er nur felten durch Hunbe unter-
ftügt, da bei den meiften Stämmen dieſes nügliche Thier
nicht zu finden if. Wenn die Sonne im Ginten ift, wer-
den die Thiere zufammmengetrieben und im Borbeigehen nad}:
geähtt ‚ und langfam geht es heimmärts, zuerft nach dem
afler, wo bie Herde getränft wird. Die Brunnen find
Löcher, die in dem fandigen Flußbette oft fehr tief gegraben
werben, neben denen aus Lehm runde, vertiefte Tränkpläge
für das Bieh hergerichtet find, Ein Mann fteigt in bie
Grube hinab mit einem Schlauch, der gefüllt von den übri-
en an einem Strid wieder im bie Höhe gezogen und im bie
ränfe entleert wird, Wenn Alles befriedigt ift, wird ber
Heimweg angetreten. Mittlerweile find von dem Dorfe zum
zweiten Dale die frauen und Kinder mit den Schläuchen
angefommen und haben mit Wafler beladen ſich auf den
Ruckweg gemacht nach dem Lager, wo von allen Seiten jegt
die Herden anfoınmen und mit bem finfenden Tage ſich bas
regſte Leben entwidelt.
Aus allen Exbtheilen.
Aus allen Erdtheilen.
Statiftifhes aus Südauftralien.
H.G. Die Bevölkerung der Eolonie Südanftralien
belief fih amt 31. December 1875 auf 210,699 Seelen, wovon
108,066 dem männlichen und 102,638 dem weiblichen Ge—
fchlechte angehörten. In den eriten Tagen des Monat April
diefes Jahres follte eine Volkszählung ftattfinden. — Die
Einwanderung ftellte fich auf 5443 Köpfe und die Auswan—
derung auf 3312. Das Mehr von 2131 zu Gunſten der er:
fteren refultirt zum größten Theile aus der auf Koften der
Golonie wieder aufgenommenen freien Einwanderung and
Europa. Für legtern Zwed waren für das laufende Finanz—
jahr, welches mit dem 30. Juni 1876 ſchließt, 118,000 Bf. St.
vom Barlamente bewilligt worden. Aber es hielt ſehr jchwer,
in Enropa Auswanderungsluftige nah Südauftralien zu ge:
winnen, obgleich bezahlte Agenten in Großbritannien umber:
zogen und ben Leuten die Colonie als glüdliches Land an:
priefen. Der bisherige Minifter fir öffentliche Bauten in
Sübdanftralien, Mr. Weft:Erstine, hat zu Anfang diefes Jah:
red feine Stellung aufgegeben, um fich nad dem Norden von
Irland zu begeben und dort öffentliche Vorträge über die
Vortbeile zu halten, welche eine Auswanderung nad) feiner
Golonie darbiete, Für denfelben Zwech wurde auch um bie:
felbe Zeit ein berebter Beiftlicher im Adelaide von der Regie—
rung engagirt, welcher im Januar biefes Jahres nach Eng:
land geben und dort für Auswanderung nah Sübanftralien
prebigen follte. — Am Schluffe des Jahres 1875 waren im
Ganzen 4,634,711 Aeres Land in Privatbefit übergegan:
gen. Es verbleiben damit, mit Ausihluß des Northern Ter-
ritoru, noch 239,845,290 Aeres ober 874,758 englifche Quadrat⸗
meilen unverfauften Kronlandes, von denen aber ein jchr
beträchtlicher Theil uncultivirbar ift. Unter Cultur befanden
fich erft 17, Mill, Acres. — Die öffentlihe Revenue
des Jahres 1875 besifferte 1,143,265 Bf. St. oder 140,250
Pf. St. mehr als im Vorjahre, blicb aber dennoch hinter den
Ausgaben zurüd, welche ſich auf 1,176,412 Pf, St. beliefen,
gegen 1,051,621 Pf. St. im Jahre 1876, — Der Erport
hatte in runder Zabl den Werth von 4,700,000 Pf. St. und
entfielen davon 4,142,10 Pf. St. auf Stapelproducte,
d. i. 1,698,035 Pf. St. auf Agriculturerzeugniſſe (fait aus—
ichließlich Weizen), 758,684 Pf. St. auf Mineralien (meiften-
theild Kupfer), 1,778,207 Pf. St. auf Wolle und 217,104
Pf. St. auf verichiedene Artifel Der Import repräfentirte
den Werth von ungefähr 4,200,000 Pf. St.
Zabiti.
Die Inſeln des fühlichen Stillen Oceaus entwideln fich
in befriedigender Weiſe. Conful Miller giebt in feinem
Berichte von Papiti (Tahiti) ans hierüber einige Daten,
welchen wir (Folgendes entnehmen. In der legten Generation
betrug der Werth der tahitiichen Exporte jährlich noch feine
10,000 Bf, St., während er 1574 110,000 Pf, St. erreichte.
Das Hauptproduct des Landes ift Baumwolle, von welder
887,400 Bfund zum Wertbe von 36,302 Bf. St. in dem chen
erwähnten Jahre verfchifft wurden. Weiterhin werden von
den Niedrigen Inſeln, auf denen nun ein Hafen (Ana) eröff-
net ift, Kokosnüſſe (20,191 Pf. St.), Perlmutter (20,530
Pf. St.) und Kokosnußöl (11,10 Pf. St.) ausgeführt. Die
Markeſas Sowie die übrigen Gefellichaftsinfeln jenden ihre
Producte nach Tahiti, welches Ichtere 1874 4,909,000,000
Drangen und 152 Tonnen eßbare Schwämme nad China
fandte, Der Handel zwiichen Tahiti und feinen abhängigen
Nachbarinſeln geht unter der frauzöſiſchen Protectoratsflagge
und unterliegen die Einfuhren einem Zolle von 12 Procent,
von welchem jedoch einige Waaren, 3. B. landwirtbichaftliche
Mafhinen, ausgenommen find. Tahiti verbraucht viele
Lebensmittel, 3. B. Fleiſch, von den umliegenden Anfeln,
welche folhe Waaren im Werthe von etwa 125,000 Pf. St,
jährlich einführen.
Die Eanadian-Barific-Eifenbabn.
Wie befannt war e8 eine ber Bedingungen, die Britiſch
Columbia bei der Vereinigung mit den übrigen canadilchen
Provinzen verlangte und erhielt, daß binnen zehn Jahren
eine Eifenbalm über den ganzen Continent geführt wiirde.
Die Unmöglichkeit, die gegebene Friſt einzuhalten einerfeits
und andererfeits die Einficht, daß die aufzuwendenden Mit:
tel zu denjenigen der Colonie in keinem Verhältniſſe fteben,
haben den lebhaften Wunſch der öftlihen Staaten erwedt,
dieſes Project wieder aufzugeben. Vorläufig bat man Bri-
tiſch Columbia 750,000 Dollars als Entichädigung für Ver:
ſpätung des Ansbanes der Hauptlinie und fiir Nichtausfüh—
rung der Esquimault und Nanaimo-Linie (über die Van—
couversinfel führend) geboten ; allein die neweften Telegramme
bringen die Nachrichten, daß das Gouvernement von Van:
comversinfel diefen Vorſchlag zurüdgewielen bat und ihm von
Britifch Columbia daſſelbe Schickſal bevorſteht. Trotzdem
glauben wir, daß Mittel und Wege gefunden werden, um
den Ban der Canadian-Pacific-Bahn hiuauszuſchieben und
ſchließlich das Project ganz fallen zu laſſen. Daß die Ans:
führung binnen zehn Jahren unmöglich iſt, wird allgemein
anerkannt; es find z. B. jetzt die Vermeſſungsarbeiten laum
zur Hälfte vollendet.
Der Verſand von Lachseiern nah Auſtralien.
Vor einiger Zeit wurde, um den relativen Werth der
verschiedenen Verpackungsmethoden zum Seetransport zu er:
gründen, von zwei Fachmännern auf den Wunſch eines Co—
loniſten eine Sendung von 175,000 Eiern nach Melbourne
beforgt. Eine früher verfuchte Verpadung in Einfüten batte
fehr ſchlechte Erfolge gehabt, und jo wurde diefe Sendung in
durclöcerten hölzernen Kiftchen ausgeführt, Der beſte Pla
für diefelben ift der Lattenboden des Eisfellers, der auf den
Dampfern eingerichtet if. Mr. Mont bejchreibt feine Me
thode und die feines Conucurrenten in folgender Weiſe. „Auf
den Boden des auf allen Seiten durchbohrten Holzkiſtchens
firene ich zwei Hände voll Holztohlenftüdchen und Eisſtaub.
Auf dieſem mache ich ein Neft vom weichſten und elaſtiſchſten
Moofe, das ich bekommen kann, mit vielen Wurzeln daran,
damit e& fortwächft und nicht verfault, che es an feinen Be—
ftimmungsorte anlangt; denn man hat beobachtet, daß, wenn
das Moos in Fäulniß übergegangen, auch die Eier abgeftor:
ben waren. Auf dieſes Moos ſchütte ich jo gleichförmig als
möglich aus einer weithalfigen Flaſche die Eier, welche wieder
mit einer Mooslage ganz leicht zugededft werden. Auf eine
weitere Schicht Eier lege ich abermals Moos und ſchütte
darauf vier Hände voll geftoßenes Eis, worauf die Kiſtchen
fofort in den Eiskeller getragen und anfgeftellt werben. Mr.
Budland dagegen wendet feine Holzkohle und gepulvertes
Eis an, fondern verpadt feine Eier in zwei oder brei Moos:
ichichten, während die Kiftchen im Waller ſtehen. Seine Ktift-
chen find zweimal jo groß wie die meinigen, aber von gleicher
Höhe und enthalten etwa 2000 Eier; meine nur 600 bis 70m.
Wenn die Padlung fertig it, fo find feine Kiſtchen nur balb
voll, meine dagegen ganz voll; ich alaube jedoch, daß beide
Methoden Erfolge haben werden.“
— —
Guano auf den Babama-Infeln.
L. K. Ein Bericht des Gonverneurs ber Bahama-In—
feln enthält ausführliche Mittbeilungen über den Guano—
reichthum diefer Gruppe; die Onantität ſchätzt er auf 400,000
Tonnen. Gegenwärtig gebt die ganze Ausbeute nach Ame—
rifa, wo die Marktpreife zwilchen 35 und 60 Dollars varii-
ren; der legtere Preis lommt dem bes allerbeften peruaniſchen
Guano — der bisher ald unübertrefflich galt — aleih. Da
die Amerikaner beide Sorten aus Erfahrung kennen, ſprechen
die hohen Preiſe, die fie dem Babana-Material bewilligen,
ſehr zu Gunften des Werthes deifelben. Bevor man diefen
Werth Mar erkannt hatte, verpachtete man das Monopol an
eine amerifanifche Firma gegen den Spottichilling von 500,
Sage fünfhundert Dollars per Jahr und einen halben Dollar
Steuer per Tonne Die Pächter erportiren jährlih etwa
30,000 Tonnen zum Durchſchnittspreiſe von 45 Dollars: da
fie der Regierung bloß 15,500 Dollars bezahlen und die fon:
ftigen Spefen fich auf kaum mehr als 84,500 Dollar belau—
fen, bleibt ihnen ein Nutzen von jährlichen 1, Mill. Dollars.
Der Gouverneur bedauert, daß der Contract mit den Yankees
auf fieben Jahre abgeichloffen wurde, hofft jedoch, daß die
Pächter während diefer Zeit nicht mehr als die Hälfte des
vorhandenen Ouantums werden ausbeuten können. Läuft
der Vertrag mit ihnen ab, jo wird man natürlich klüger fein
und den Fiscus beffer bedenfen, zu welchem Zwede der Son:
verneur ſchon jetzt praktiſche Borfchläge macht. Da auch an:
dere Inſelgruppen in jenen Regionen noch viele ähnliche
Schätze bergen, die nur ihrer Hebung harren, dürfte dieſe
Bahama-Monopolgefchichte weiteren Kreifen von Nuten jein,
Begräbnipftätten der Pfahlbauer.
Bis jetzt war man noch Über die Beſtattungsweiſe der
Pfablbautenbewohner im Unklaren. Ein Gräberfund, den
man vor Kurzem an den Ufern des Menfchateler Sees in
der Schweiz zwiſchen Auvernier und Colombier machte, wird
diefem räthſelhaflen Volke zugeichrieben. Es befinden fich
nämlich in der Nähe zwei Pfahlbananfichelungen, wovon eine
der vormetalliihen und die zweite der Metallzeit angehört.
Bei der Fundirung eines Hauſes ftich man auf eine Kam:
mer, welche durch aufrecht ftebende Steine geſtützt war und
etwa zwölf Skelete enthielt, deren Schädel in einer Ede des
Ranınes lagen, während die übrigen Gebeine in der Mitte
aufgebäuft waren. Dabei befanden fich noch ein Bärenzahn,
ein Wolfszabn, ein Stüd eines Eberzahng, eine Heine, glatte,
fuöcherne Scheibe, zwei Beile aus Serpentin, eine Bronze:
nadel, ein Meiner kupferner Ring und vier Armringe für
Kinder aus Bronze. Dan hält diefes Grab für ein Familien:
grab and der Uebergangszeit zwiſchen der vormetalliichen und
der Metallperiode ; allein die Anmahme, daß die Beſtatteten
Pfahlbauer waren, muß unferer Unficht nach doch noch etwas
genauer begründet werden. Die Nähe von Pfahlbaureſten
ift noch fein ficheres Kriterium hierfür.
* * x
F.B. Ueber die Gruppe ber Crozet-Iuſeln im Süd—
indiſchen Ocean, auf denen 44 Sciffbrüdige des Schiffes
„Strathmore* fteben Monate lang (vom 1. Juli 1875 bis
22, Januar 1876) faſt ausichlichlich von Seevögeln und deren
Eiern gelebt haben, bringt die Londoner „Times“ folgende
intereffante Angaben. Die Gruppe wurde ſchon im Jauuar
Dit drei Abbildungen.) —
Aus allen Erdtheilen.
des Jahres 1772 von dem Befehlshaber einer franzöfiichen
Erpebition, Marion du Fresne, entdedt; da derielbe aber
kurze Zeit darauf in Neufeeland ermorbet wurde, blich die
Eutdedung unbekannt, bis drei Jahre fpäter du Fresne's
Nachfolger im Beichl, Erozet, Gapitän Morl die Erifteny
der Inſeln mittheilte. Seitdem wurden fie im Jahre 1840
von Sir James Rof und von der franzöfiichen Fregatte
„W’Heroine* befucht. — Die Gruppe beitcht aus fünf In—
fein vulcaniſchen Urſprungs. Die Apoftel-Infel, an welder
die „Strathmore“ fcheiterte, beſteht eigentlich aus zwei faft
wizugänglichen Eilanden, die durch einen ſchmalen Canal
voller Felfen von einander getrennt werben. Voſſeſſions
Juſel, die größte der Gruppe, bat gegen 12 engliſche Meilen
im Umkreis und beftcht aus vulcaniſchen, von ſpärlichem
Pllanzenwuchs bededten Felſen. Die Penguin: oder Jnac-
ceſſible⸗ Inſel ift die zweitgrößte und führt ihren Namen von
der ungeheuern Anzahl Seevögel, welche fie bewohnen ;- fie ift
kahl und abſchüſſig und ſieht aus der Ferne wie eine Gruppe
jeltfam geformtter Felſeuſpihen aus. — Die Crozet-Gruppe
liegt unter 46027 ſüdl Br, und 52014 öftl. L. und zwar
gerade auf dem großen öftlihen Sciffconrfe nach Auftralien
und Indien. So nefährlich die Gruppe ift, nähern fich den:
noch oft die paſſirenden Schiffe derielben, da fie anf dieſe
Weile Gelegenheit finden, die Genauigkeit ihrer Chronometer
zu prüfen. Zu gewiflen Jahreszeiten wird auch Nebel nnd
(Eis in ihrer Nähe angetroffen, was natürlich die Gefahren
einer auftralifchen Reiſe vermehrt. Walfiſchfänger laufen oft
an der Gruppe au, um Sechunde und Vögel zu jagen, deren
Zahl aber auch in dem leuten Jahren ſtark abgenommen bat.
— Die „Strathmore* ift übrigens nicht das erſte Schiff,
welches an den Crozet⸗ Inſeln verloren gegangen ift. Am Jahre
1821 fcheiterte der Segelkutter „Priuzelfin von Wales’ an
der Poſſeſſions Juſel, und wurde die Mannicaft erft nach
einem Anfentbalt von einem Jahre nnd zchn Monaten in
verhältnißmäßig guter Geſundheit gerettet. Einer der Ma:
trojen, Namens Goodridge, ſchrieb Ipäter cine Schilderung
im Robinſon Kruſoe⸗Stil über fein Verweilen auf der Intel
und lebte noch viele Fahre von dem Ertrage des Buches in
Devonihire und Cornwallis.
— Die von und auf ©. 114 erwähnte Forderung der
dänischen Regierung für wiſſenſchaftliche Unterfuchun-
gen auf Grönland it Seitens des Landtages bewilligt
worden, und die betreffende Erpedition Mitte April munter
Leitung des Naturforſchers Stenſtrup nad Yulianchaab
abgegangen. Außer geologischen Unterfuchungen wird man
vorbereitende Berfuche machen, um nach dem Binnencife vor-
judringen. Die Rückehr ift auf September feitgelegt. Ein
Marineoffizier Namens Holm begleitet die Erpebition, um
die nöthigen geograpbilchen Aufnahmen der zu bereifenden
Gegenden auszuführen. BEE
— Der peruaniſche Minifter des Junern hat mit dem
franzöfichen Haufe Babier und Teneftre einen Contract ab:
geſchloſſen, wonach letzteres binnen vier Jahren läugs der
peruaniſchen Hüfte dreizehn Lenchttbürme, zehn Hafenfener
und zwei Signale für den Preis von circa 2%/, Millionen
Fraucs errichten muß. Ein bedeutender Fortfchritt in der
Entwidelung jenes Landes, deffen Küſte jo häufig von Ne:
bein beimgefucht wird !
— Nach den neneften Nachrichten aus der Capftadt trifft
die dortige Regierung Anſtalten, die engliſche Herrſchaft nörd⸗
lich über bie Walfiſch Bay und das Damara-Land auszudebucn.
Inbalt: Thomſon'é Reife auf Formofa. II. (Mit zwei Abbildungen.) (Schluß) — In Türkiſch Armenien. 1.
Die wiſſenſchaftliche Erpebition Sr. Majeftät Schiff ‚Gazelle“. I. —
P. Aſcherſon's Reife
nach der Kleinen Daſe. — Die Beduan des „Söhel“. J. — Aus allen Erdtheilen: Statiſtiſches aus Südauſtralien. — Taähiti.
— Die Canadian-Pacific-Eiſenbahu. — Der Verſand von Lachseiern nach Auſtralien. — Guano auf den Bahama Inſeln. —
Begräbnißftätten der Pfahlbauer. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 20. Mai 1376.)
Retacteur: Dr. R. Riepert in Berlin, S. W. Lintenftraße 13, II Tr.
Drud und BVerlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Btaunſchweig.
Dierzu eine Beilage: Profpretus zu Müller Pouillet's Lehrbuch der Phyfif. Achte Auflage,
—X
N
Band XXIX.
Mit. befonderer Berüchfichtigung
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunſchweig
Jährlich 2 Bände A 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Bojtanjtalten
zum Breiie von 12 Markt pro Band zu beziehen,
16.
18
In Türfifhe-Armenien.
Erzerum, die feite Hanptftadt des gleichnamigen Paſcha⸗
tits, das von den Türlen auch Ermeniftan (Armenier-Yand)
genannt wird, liegt am Südrande einer großen, unregelmäßig
geftalteten und von den Quellflüſſen des Euphrat durch—
ftrömten Ebene, zwiſchen den nördlichſten Ausläufern der
PBalandöten-Sette. Diefen Gefammtnamen (er bedeutet „der
Sattelabfchlittelnde* und wird dem Berge, an deſſen Abhän:
gen vorbei der Weg nach Chinis führt, wegen der dort oben
herrſchenden heftigen Winde gegeben, denen die Saumthiere
nur mit Mühe Widerftand leiſten können) Überträgt Streder
von einem ihrer hödjften und befannteften Berge unweit der
Stadt auf den ganzen die Ebene im Sliden umſchließenden
Gebirgszug: die Eingeborenen felbft benennen, wie faft überall
auf Erden, nur einzelne Verge, nie Gebirgsſyſteme, und
überlafjen legtered dem generalifirenden Geographen. Im
Großen und Ganzen hat die Ebene, ein ehemaliges Seebeden
und noch jegt im ihren tieferen Theilen längs des „rat“
mit weiten Sitmpfen erfüllt, eine Richtung von Oftnordoft
nad) Wefiftidweit. In adminiftrativer Hinſicht dehmt ſich
der Bezirk von Erzerum, der furzweg „Oma“, d. h. Ebene,
heißt, ungefähr eben fo weit aus als das ehemalige Seebeden
und zählt außer den 60,000 Bewohnern der Hauptitadt in
160 Dörfern eine Bevölferung von nahe 42,900 Seelen,
wovon 29,400 Mohammtedaner und 13,475 Chriften, gre—⸗
gorianiſche Armenier, mit Ausnahme weniger Hundert armes
nifcher Katholifen, die in einigen Dörfern eigene Kirchſpiele
bilden,
Dies find die Zahlen, welche Streder, wohl der zuver—
Globus XXIX. Nr. 25,
|
läfjigfte Gewährsmann, der Yahre lang in officieller Stel-
lung im Erzerum zugebracht hat, angiebt, Wie ſehr aber
nod) die Statiftif der Türfei im Argen liegt und wie ſchwer
es ift, bei der mohammedanifchen Geheimhaltung alles
Familienlebens und ales deſſen, was die frauen angeht,
auch nur zu annäbernden Bevölferungsziffern zu gelangen,
erhellt daraus, daß die Türken felbit (Salaheddin Bey, La
Turquie ä Vexposition universelle de 1867) für Erzerum
100,000 Seelen annehmen, während Deyrolle diejelbe auf
90,000 ſchätzt und fie folgendermaßen unter die Nationalie
täten vejp. Slaubensbefenntniffe vertheilt: 20,000 Perſer,
15,000 — Armenier, 8000 Katholiken, 5000
bis 6000 Griechen, wenige Juden und Proteſtanten, der
Neft Mohammedaner. — Noch jchwieriger ift es natürlich,
die Gejammtbevölferung der ganzen Provinz (Pafchalit oder
Bilayet) anzugeben, welche Deyrolle auf 1%/, Millionen ſchätzt,
während Andere ihr nur 800,000 Einwohuer zugeftehen
wollen. Wie buntjchedig diefe für den ausgedehnten Yänder-
compler immerhin geringe Vollsmaſſe ift, erficht man aus
Deprolle's Angabe, daß fie beitcht aus 272,000 Türken,
357,000 Kurden, 411,000 Chriſten, 1200 Juden, 2000
Peffiden, 158,000 Perſern und 29,000 Terefimanen, Zahs
len, die wohl feine abſolute Nichtigleit beanjpruchen, deren
Verhältniſſe zu einander jedod; Glaubwilrdigfeit verdienen
mögen. Die Chriften wiederum zerfallen in mehrere Secten,
nämlidy 287,000 Armenier, 110,000 Weftorianer, 8000
Katholifen, 4000 Griechen und 1300 Proteftanten.
Die Vevölferung fpeciell der Ebene von Erzerum war
45
In Türkifh- Armenien.
In Türfiih Armenien.
vor dem Einfalle der Ruſſen im Jahre 1829 viel bedeuten+
ber, nahm aber damals ſiark ab, weil zahlreiche chriftliche
Familien ſich durch wuffische Drohungen und Verſprechungen
zur Auswanderung nad) ruſſiſchem Gebiete verloden ließen,
fo daß manche Dörfer völlig verödeten, Nur wenigen von
den damals Ausgewanderten ift es nachträglich mit Mühe
gelungen, in ihre Heimath zurliczukehren. Gegen Ende der
355
wahrſcheinlich in den legten Jahren infolge des Mißwachſes,
der Hungersnoth und der politifchen Verhältuiſſe wieder zu
finfen. In der Ebene felbft wohnen Chriften und Mohams
mebaner friedlich und einträchtig neben einander, erftere häufig
in der Mehrzahl, während in den Bergthälern die Moslin
bedeutend überwiegen.
Der aus der Berwitterung vulcanifcher Gefteine entftan-
fiebziger Jahre nahm die Bevölferung wicber etwas zu, um | dene Humusboden der Ebene ift faft durchgehende fruchtbar,
vun
4
Tſchifte, Minaret in Erzerum.
abgejehen natürlich von den ſchon erwähnten Sumpfwieſen
und jenen höherliegenden Streden, weldye durd) die Berg:
gewäſſer im Frühjahre mit Gerbll Überjchlittet werden. Daß
ter Anbau nicht in höherm Maße, ald es wirklich geſchieht,
zunimmt, liegt eben am mangelnden Abfage, an den fchlen«
den Berbindungswegen, namentlich nad) Trapezunt hin.
Wie die türkische Negierung einen Anlauf genommen hat,
dieſem Uebelftande abzuhelfen und einen jahrbaren Weg nad)
jenem pontiſchen Emporium herzuftellen, aber wie wenig
dieſer Verſuch bis jegt geglüdt ift, haben wir im vorigen
Abſchnitte gezeigt. Zudem hat fie durch ihr unverſtändiges
Vorgehen den früher jo lebhaften Tranfithandel aus und
nad) Perſien fo ziemlich von diefer Straße verſcheucht. Wäh-
rend die ruffifche Regierung bemüht war, den einen in ihrem
Beſitze befindlichen der beiden Handelöwege zwifchen Europa
und Perfien, die Straße Poti-Tiflie-Eriwan, durch Eiſen—
bahnbau, Verbefierung der Straßen uud erleichterte Zoll
behandlung der durchgehenden Waaren nad) Kräften zu heben
45*
356 In Türkiſch-Armenien.
— —
Kaufmann und perſiſcher Maulthiertreiber.
In Türkiſch-Armenien.
und den Händlern zu empfehlen, ging die Türfei darauf aus,
durch Beibehaltung des Tranfitzolles an der Grenze und
vielerlei Pladereien diefelben fern zu halten, Erzerums
Wohlſtand hängt lediglich davon ab, ob die türfifchen Wilrben-
träger — was leider zu bezweifeln fteht — diefe einfache
Sadjlage zu begreifen vermögen; fürs Erfte wird ihnen wohl
nicht die Muße gelafjen werben, darüber naczubenten. Dept
ernährt die Ebene wenigftend ihre mehr ald 100,000 Ber
wohner und verforgt außerdem die durdhziehenden Karawanen.
Sie erzeugt namentlich trefflichen Weizen und Gerfte, Klee,
Gurten, Bohnen, Ritben, gelbe Rüben und Runkeln, in ges
ringerer Menge Hirſe, Yeinfaat, Erbſen, Finfen, Kohl, Meine
Baffermelonen und neuerdings auch Kartoffeln. Die Zeit
zur Reife ift diefen Früchten in der an 6000 Fuß hoch ge-
legenen Ebene nur kurz bemeffen: im April oder Mai wird
üet, im Auguft ſchon geerntet. Die Erde wird durd) einen
flug mit er Spike von einfachfter" Eonftruction auf⸗
gebrochen, der Samen eingeftreut und ftatt der Egge ein
beicjwerter Baumftanım über das Feld geſchleift. Im Früh:
jahre ift der Boden feucht, um bald durch die Sommerhige
(gewöhnlid; 23 bis 26° R., oft aber weit höher, während im
Winter das Thermometer unter 20° R. fällt) völlig aus«
getrodnet zu werden, was eimerfeits zum ſchnellen Reifen
des Kornes wejentlich beiträgt, andererjeitö aber eine kUnſiliche
Bewäſſerung nöthig macht. Gedllugt werden nur die Fel—
der unterhalb Erjerumd, und aud) u
nicht durch Menſchenhand, ſondern == 2.0:
weil ihnen die die Stadt durchfließen =:
den Bäche von jelbft reichliche Aus:
wurfftoffe zuführen. Infolge der vers
fchieden günftigen Yage geben denn
auch die Felder ſehr verſchiedenen Ers
trag, umd zwar bon dritten und vier—
tem bis zum zehnten, ja ausgmahme:
weije zwölften Korne. Wie fajt überall
in der Türkei und anderwärts im
Orient wird das Getreide nicht aus:
gedrofchen, fondern die Körner durch
Dreſchſchlitten, wie ihn ſchon die alten
Hebräer und Römer beſaßen, ausge
preßt, indem eine aus ftarfen Brettern
beftchende, einige Fuß lange und länglich vieredige, vorn etwas
ſchmalere Holzplatte, in derem untere Fläche ſpitze Steine ein-
geſchlagen find und die oben befchwert wird, über die ausgebreis
teten Halme durch vorgefpannte Ochſen hinweggeſchleift wird.
Zu dieſem Behufe werden in den Ortſchaften oder nahe bei den
Feldern Freisrunde Pläge geebnet, um als Tennen zu dienen.
Damit der Bauer fein Getreide heil in die Scheuer befonme,
bedarf er jehr guter Witterung, da dajjelbe nadı dem Schueiden
meift noch eine Weile auf dem Felde ftehen bleibt, das Aus-
fürnen gleichfalls unter freiem Himmel gefcieht und fchlich-
Lich, der Ernteertrag nicht cher eingefadt und von der Tenne
weggeſchafft werden darf, als bis der Pächter des Zehnten
feinen Antheil erhoben hat. Alle diefe Umftände tragen viel
dazu bei, daß ſich das Ausdrefchen oft ſehr verzögert und daß
infolge von jdjledjtem Wetter viel Korn verdirbt. Iſt dafs
felbe endlich glüdlic eingebracht, jo wird es durch Worfeln
von Schung und Spreu getrennt und noch einmal durch»
iebt.
Das Nindvieh in der Ebene, Ochſen und Büffel, ift von
mittlerin, gutem Schlage und gut genäht; die Schafe find,
wie überall in Sleinajien, von der Fettſchwanzrace. Häufig
fieht man —* Reihen von rieſigen Büffeln, welche ſchwere
zweiräderige Karren ziehen, deren nie oder nur ſelten ger
ſchmierte Holzachſen ein unbejchreiblidyes Getöfe hervorbringen,
das jedoch nöthig zu fein ſcheiut, um die Thiere in Gang zu
Dreſchſchlitten in Ruffifd- Armenien.
357
erhalten. Die nur zum Reiten und Sänmen, nicht zum
Fahren benugten Pierde gehören zu der in ganz Kleinafien
bis am die ruffifche Grenze und mach Perfien verbreiteten
Race, welche Reiſende fälſchlich die turfmanische zu Uennen
pflegen. Die turtmaniſchen Pferde find jedod in Bau und
Eigenfchaften von jenen bedeutend verſchieden und finden ſich
hier gar nicht; man könnte deshalb wohl füglich die in Hoch—-
armenien verbreitete Art als kurdiſche bezeichnen, da bie Sure
den hauptjächlich es find, weldye die Pferdezucht mit Vorliebe
betreiben.
Erzerum bietet, von einiger Entfernung aus gefehen, einen
angenehmen Anblid dar: weil alle Gebäude faft genau dies
felbe dunkle Farbe haben, fo fieht man feine Einzelheiten,
fondern nur eine fehr fremdartige, charalteriſtiſche Silhouette,
welche ſich von den helleren, dahinter liegenden Bergen fcharf
abhebt und in dem Fremdling eine hohe Idee von biefer
Stabt erwedt, die freilich bei näherer Belanntſchaft alsbald
ſchwindet. Viel mögen dazu auch die neuen und anfceinend
ftarfen Befeftigungen der Stadt beitragen, an weldyen man
Winter und Sommer raſtlos gearbeitet hat, und die es ge:
gebenen Falles Feinden wohl etwas ſchwerer machen wlr-
den, ben Play fortzunehmen, als es durd) die Ruſſen im
Jahre 1829 geſchah *). Außer dem ſchon beiprodenen
Tranfithandel nähren ſich die Bewohner der armeniſchen
Hauprftadt noch durch einige Fabrifationszweige, namentlich)
Verarbeitung von Metallen, worin
die Erzerumer früher großen Ruf be-
faßen, und Teppidyweberei. So wer«
den mod) eiferne und fupferne Haus:
geräthe flie die umwohnenden Yands
leute verfertigt; ferner Hufeifen, die
viel nad) Berjien verführt werben,
und mit denen hier zu Yande audı
Ochſen beſchlagen werden; endlich
Waffen für die Kurden, die deu per—
füichen an Schönheit, aber auch im
Preiſe nachftehen, mamentlid) ganz
Heine Schilde von kaum 30 Gentis
meter Durchmeſſer aus Büffelyaut oder
mit Binfen durchflochtenen Striden,
worauf Meine eigenthümlic, gearbeis
tete Eiſenſtückchen angebracht find. Zur Verzierung werden
dann Heine Kupfermlnzen, unter denen man noch franzöfis
ſche Pfennige von Ludwig dem Vierzehnten und Öfterreichifche
Kreuzer von Maria Thereſia findet, aufgenäht oder felt-
genietet. Die Industrie dev Filzteppiche, wie fie in Täbriz
verfertigt werben, ift durch Perjer nach Erzerum gebradjt
worden.
Die Stadt liegt auf mehreren Hligeln, den nörblichiten
Ausläufern des Palandöten-Berges, und wird von mehreren
Bächen nad) den verfciedenften Richtungen hin durdjichnit-
ten. Die zahlreichen Heinen Brliden, welche dadurch nöthig
gemacht werden, verleihen mehreren Straßen ein ganz eigen-
er a.
*) Vergl. Radde und Siewers in Petermann’s Geograpbifchen
Mitteilungen 1875, ©. 304: „Schon in Arkaban (am obern Kur)
und in noch meit vn Maße bei unferer Weiterreife gegen Wer
Ren übergeugten wir uns davon, wie die Türkei mit aller Energie
bie Öftlichen Ohrenzgebiere gegen Rußland bewaffnet, dert in große
artigem Maßſtabe Armaturen erneuert, Kara aufs Neue unzugänge
lich macht und aus Erjerum eine von 200 Kanonen befegte Jeſtung
mit weitläufigem Vaftionsbau erſchaffen bat. Daher mögen denn
auch bie Krupp'ſchen Seichüge, von deren Lieferungen bie Zeitungen
ſprechen, zum Theil für die entlegenen Gegenden HodsArmeniens
beitimmt fein. — — (6 belebrien uns bie währenn der Weiter-
reife erworbenen Anfchauungen darüber, daß die Türken im Nord»
often ihrer aſiatiſchen Befigungen mit großer Rübrigfeit umfaffende
Vorbereitungen treffen, um einem in Liefer Nichtung etwa bereins
brechenden Kriege gewachfen zu fein.“
358 Bancroft's Eingeborene der Pacific Staaten.
thimliches Ausfehen, wie denn Erzerum unter allen im | hoher Schnee im Winter und unergründficher Koth im Früh:
jener Gegend von Deyrolle befuchten Städten am meiften | linge, das find die hervorragenden Attribute der Verlehrs-
orientalifches Gepräge trägt. Die Straßen der mohanıme- | wege in Armeniens Hauptſtadt. Zahlreich find, wie jelbft«
danifchen Viertel zeigen, abgefchen vom Bazar, nur graue, | verftändlid), die Chans oder Sarawanferaien ſowie die
einförmige Mauern, die nur ab und zu eine Heine als Thlr | Bazare, welche aber nicht wie in anderen orientalifchen
oder Fenſter dienende Oeffnung haben. Im Chriftenguars | Städten ſich alle neben einander befinden, fondern im dem
tier befigen viele Häufer noch einen ausladenden Dberftod, | ganzen Orte zerſtreut find. Der interefiantefte und anzie⸗
der von mitunter geſchuitzten Balfen getragen wird. Das hendſte iſt, wenigſtens während der guten Jahreszeit, derjenige,
noch weiter vorfpringende Dad) jdhligt den ganzen Bau ges | wo die in Menge von Erzingjan und Thortum fommtenden
gen Regen und Sonne. Die meiften Gebäude und nament> | srüchte verfauft werben. Unter den mehr als 40 vorhan«
lich die einftödigen empfangen ihr Licht nur durch eim Loch | denen Mofcheen find nur zwei bemerkenswerth, die Ulud
in der horizontalen Dede, welches mit einer Düte von geöl- | Dicami und der Thurm von Murgo Serai. Erſtere zeigt
tem Papier, das wohl Helligkeit, aber feinen Regen hindurch | arabifchen Stil, ift aber wahrfceinlicd von perſiſchen Bau—
läßt, bededt wird. Die flachen und mit einer diden, feftge- | leuten errichtet worden, da fid) neben rein geometrifchen
ftampften Yage Erde bedeften Dächer verwandeln fid) im | Ornamenten auch die von redjigläubigen Moslims ftreng
Frilhling in förmliche Wieſen, wo Ziegen und Schafe weis verpönten Darftellungen lebender Wefen finden, Schlangen»
den, während im Sommer dort der Tezek getrodnet wird. | föpfe, Theile von Bierfüßlern und ein zweilöpfiger Adler in
Es ift diefer getrodnete und mit Hädfel ober Koth vermifchte | Nelief bei dem prächtig gearbeiteten Thore, zu deſſen beiden
Vichdünger das einzige Brennntaterial auf den weiten holz; | Seiten die ſchönen, aus glafirten Ziegeln erbauten Thürm-—
armen Hocebenen Armeniens und Kurdiftans, und man | chen, Si Tfchifte oder Tſchifte Minare genannt, emporfteigen.
ſieht ſelbſt die Vorderfeiten vieler Häuſer mit diefen anfangs | Ihre Bafis it mit einem Moſaik aus blauer, grüner und
fehr böfe duftenden, badfteinförnigen Klößen bededt, welche | rother Fayence gefchmäcdt. Heute dient die Ulud Dſchami,
aud) beim Verbrennen einen ſcharfen, efelhaften Geruch ver- die auf einem dominivenden Punkte dev Stadt fteht, als Ar:
breiten, aber gut heizen und laugfam, wie Torf, ausglühen. | fenal und Pulvermagazin. Im felben Stile ift der zur
Eine Pferdeladung diefes Stoffes im Gewichte von etwa | Hälfte eingeftürgte Thurm von Murgo Serai gehalten.
150 Kilogramm foftet nad) unferm Gelde 3 bis 4 Darf. Einen traurigen und einförmigen Anblick bieten die vor
Nur die Bäder und die europäiſchen Bewohner der Stadt | den Thoren liegenden Kirchhöfe dar, wo man vergebens, wie
ziehen es vor, anftatt diefes Tezef Holz zu brennen, das mit | in Stambul, die herrlichen Reihen büfterer Cypreſſen oder
großen Koften funfzehu Stunden weit von Ertef und von | vergoldete und bemalte Grabſteine ſucht. Hier find die
arman bei Olti herbeigefchafft wird. Gräber nur mit grauen Steinen bededt, die fid) wenig vom
Die Strafen der Stadt find eng und krumm, nur zum | umgebenden Erdboden abheben. Mur längs der großen
tleinſten Theile gepflaftert und werden nie gereinigt; das | Straßen fieht man einige Türbes oder (Srabfuppeln von
Aas bleibt liegen und wird von den zahllofen Hunden und | vornehmen Yenten oder heiligen Derwiſchen, pyramiden» oder
Geiern verzehrt. Unerträglicer Staub im Sommer, uns | zuderhutjörmige Bauten auf quadratichem oder polygonem
durchdringlicher, gewöhnlicd; 3 bis 4 und noch mehr Fuß | Unterbau.
Baneroft's Gingeborene der Pacific-Staaten *).
Das flinfbändige Rieſenwerk, auf welches früher ſchon | Längft verſchwundenen Racen herrihren oder gar Werke von
wiederholt im „Globus“ hingewiefen wide, liegt nun voll» | Erbauern aus der Alten Welt fein follen. Die in Nica—
endet vor und unfaßt zufammen etwa 4000 Seiten. Trotz ragua (S. 67) und in Guatemala (5. 108) emdbeckten
einiger abfälliger Kritiken, die von Seiten deutſcher Ethno- Ruinen und Geräthſchaften deuten beveits einen Verfall,
graphen laut wurden, halten wir unſer günſtiges Urtheil über | eine Stagnation an, und die dortigen Bewohner wurden
das Ganze aufrecht. Wir bewundern diefe colofjale Stoff | ſchon von den Europäern in einem wiedrigern Givilifations:
ſammlung und freuen uns des vortrefflichen 150 enggedrudte | ſtadium gefunden als ihre Vorfahren, die Erbauer der Alter:
Seiten umfaffenden Regiſters, weldyes bie Vrauchbarteit des | thümer, inne hatten. Was die berühmten Ruinen am Go»
Werkes in hohem Grade erhöht. Sein weſentlicher Man- | pan betrifft, jo ift der eigentliche Name des Ortes gar nicht
gel, auf den bereits früher („Ölobus* XXIX, ©. 60) hin- befannt. Die Sage, daß die Stadt noch zur Zeit der ſpa⸗
gewieſen wurde, befteht darin, dag Baucroft willfürlid) die | niſchen Eroberung bewohnt gewejen jei, wird von Bancroft
öftlichen Bölfer von den weſtlichen trennt und fich auf die | als unbegrlindet zurlidgemwiefen, Cortes, der 1524 ganz in
Staaten am Stillen Weltmeer befcräntt. ber Nähe Copaus vorüiberlam, hörte nidyts von einer ſolchen
Der vierte Band umfaßt die Alterthümer der Einge- | Stadt, die ihn ficher zur Eroberung angelodt haben würde,
borenen und beginnt mit Coftarica und Nicaragua im Sid- | wäre fie damals noch bewohnt gewejen. Nachdem die wohl»
often, um allmälig nach Norden fortfchreitend uns bis Arizona | befannten Nuinen ausführlich gefchildert und abgebildet find
und Nen-Merico zu führen. Wir freuen uns, wie der Ber- | — der Band enthält Hunderte von Holzſchuitten —, wendet
faſſer ſehr ſcharf den vielen Phantaftereien entgegentritt, | ſich Baneroft den Meineren Gegenftänden, den Meißelarbeiten
welche ſich au die amerifanischen Alterthümer Heften, die von | Gentralamerifas, zu, die allerdings eine bewundernswerthe
— Technit zeigen, wenn man — nicht den ——
F an * Ton von Stephens zu verfallen braucht, ber einige centrals
*) The Natir acon 6 cifie States of No ci a. i ge " *
Br 1 —— Ban a er De ee Kr Y. amerifanijche Figuren den altgriechiſchen Statuen an die Seite
Primitive History, Leipzig. Brockhaus 1875. ſtellt. Gewiß find einzelne Figuren in Palenque vortrefflich
Bancroft's Eingeborene der Pacific-Etaaten,
gearbeitet, aber es ift doch fein Funlchen althellenifchen Gei-
ftes darin.
Durch Merico hindurd), wo und nad) theuren, oft ſchwer
zugänglichen Quellenwerlen die wichtigften erhaltenen Alter ⸗
- thümer im guten Abbildungen vorgeführt werden, geleitet
-und Bancroft in das Tiuellgebiet des Rio Grande del Norte,
wo noch heute Indianer figen, die zur Zeit, als die Spanier
hierher vorbrangen, bereits Aderbau trieben. Während bie
Indianer des Oſtens, die eigentlichen Rothhäute, in Bezug
auf den Ban ihrer Wohnungen auf einer ber niedrigiten
Stufen fiehen — der Wigwam ift das einfache Thierfelzelt,
welches von Lappland durch Nordafien bis am dem Lorenz:
ftrom reiht — , ftanden und ftehen die Völker im Norden
Mericos weit höher, mamentlid) die von den Spaniern for
genannten Pureblos, ein Name, der fowohl zur Bezeichnung
des Bolls jelbft wie feiner Behaufungen gebraucht wird. Die
359
Pueblos in Neun Merico wohnen in Häufern von 3 bis 4
Stodwerfen, in denen das Erdgeſchoß als Magazin benugt
und mit einem befondern Eingang verfehen ift. In Taos
giebt es fogar Häufer von fieben Stockwerlen. Bald find
die Häufer nur Mein und ſchließen einen vieredigen Hof ein,
bald ftoßen zwei oder drei große Gebäude an einander, welche,
einer Feſtung ähnlich, die Seiten eines freien Plages einneh>
men und für 1000 bis 1500 Menfchen Raum haben. In—
mitten des Gebäudes liegt die lreisförmige Eftufa, das Rathe-
und Berfammlungshaus, dort werden aud) bie religiöſen
Tänze aufgeführt,
hne Verwandtſchaft mit den alten Mericanern und in
Bezug auf Feiftungen mit dieſen nicht vergleichbar, hatten
die alten fehhaften Bölfer Nord-Mericos immer ſchon eine
hohe Culturſtufe erreicht, als die Spanter zur ihnen gelang-
ten, und es liegt durchaus fein zwingenber Grund vor, ben
Ruinen ded Pueblo Pintado im Thale des Nio Chaco.
fegteren bie alten Ruinen im Lande zuzufchreiben oder die
alten Banrefte Nen:Meyicos von den gen Cüben ziehenden
Azteken herrüihren zu laffen. Die heutigen Pucblos: Indianer
find die Nachkommen ber Erbauer jener oft riefigen Cajer-
nen, deren Ruinen im Gebiete des Rio Grande dei Norte
die Aufmerlkſamleit zahlveicher Reifenden erwedten und die
auch Bancroft (IV, 650 fi.) wieder bejdjreibt und abbildet.
Dies gilt vor Allem vom Pueblo Pintado, der weſtlich
von Santa Fe am Rio Chaco liegt, Die Reſte beftehen
aus einer größern Anzahl von Gebäuden, die in geringer
Entfernung von einander aus grauem Sandſtein erbaut find,
obwohl diefer neuerdings in Neu-Merico nicht mehr als Bau-
material verwendet wird. Auch ſolche Fichten und Cedern⸗
ftämme giebt es weit und breit nicht mehr wie jene, aus
denen die Fußböden der Zimmer beftehen. Die Mauern,
welche von Stodwerk zu Stodwerk nad) oben hin an Dide
abnehmen, find außen mofaifartig mit glatten Sandftein
| 120 bis 140) find meift Hein.
tafeln ausgelegt und überhaupt fehr forgfältig gearbeitet.
Die Anlage des ganzen Baues, ber menigftens drei Stod:
werte hatte, ift von derſelben Terrafienform mie bei den
Pueblos; auch die unterirdiſchen freisförmigen Eſtufas feh-
len nicht, manche derſelben haben gleichſalls mehrere Etagen,
und die Sage nennt Montezuma als Erbauer, der auch als
Gründer der Pueblos gilt. Die Fenſter und einzelnen Ge—
mäder (der Grundplan eines dieſer Gebäude zeigt deren
Die Gewölbe, welche ſich
finden, find oben nicht abgerumdet, fondern die Wölbung,
wern der Ausdrud erlaubt, wird durch fhufenförmig von
beiden Seiten über einander hervorſpringende Winkel gebils
det. Noch mehr Gemächer enthielt der Pueblo Bonito, 641
nad; Bancroft (IV, ©. 659), deſſen Ruinen noch neuerbings
das Staunen Vieutenants Wheeler erregten (Petermann's
Mittheilungen 1875, ©. 452). Wie ein Pueblo reſtau⸗
rirt gedad)t wird, erfehen wir aus der zweiten don uns mit
360
getheilten Abbildung, welche dem Report of the Secretary
of war, Wafhington, 20, Juli 1850, Taf. 31, entlehnt ift.
Bancroft behandelt, Aber die jelbftgefterften Grenzen hin
audgreifend, im vierten Bande nody die Moundbnilders im
Oſten der Felſengebirge, ſowie furz und ungenügend auch die
pernanifchen Alterthlimer,
Die Beduan des „Söhel”.
Der Schlußband bringt eine Geſchichte der amerifanifchen
Eulturoölter vor der Ankunft der Europäer. Wie von Ban
eroft nad) allem Borausgegangenen nicht anders zu erwarten
mar, verwirft er jene unbegründeten und auf falſchen Voraus:
fegungen beruhenden Darftellungen von dyinefiicher, phönis
liſcher, jüdifcher Einwirkung und Befiebelung, die von fritif-
Der Pueblo Hungo Pavie ſd. i. Krumme Nafe), nach feinen Ruinen reitaurirt.
fofen Schriftſtellern bis im die neueſte Zeit noch immer
toiedergefäut werden. Er erörtert bie viel mißbrauchte
Arlantisfage und geht dann auf die älteſten hiftorifchen Quel⸗
fen über, nachdem er dem Werth der vorhandenen Traditio«
nen geprüft hat. Wir vermögen dem Berfafler bei feiner
fernern Darftellung auf dem weiten Gebiet der borcolumts
biſchen Geſchichte der amerifanifdyen Bölfer hier nicht zu fol-
Die Beduan
gen und theilen nur die Capitelüberfchriften noch mit, aus
denen der Anhalt des fünften Bandes erhellt: Vortoltekiſche
Periode, Die toltetiiche Periode. Die chichinenliſche Periode.
Die aztekiſche Periode, Gefchichte der öftlichen Hochlande,
Miconcan und Oajaca. Des Quiche. Calchiquel Reich im
Guatemala. Geſchichte verfchiedener Stämme in Central«
amerifa. Geſchichte der Mayas in Yucatan.
des „Söhel“.
11.
M. J. Der Tag felbft verlief in dem Pager fehr ruhig.
Die älteren Männer jaßen zufammten, meist in der Nähe
unter einem fchattigen Baum, die umvermeidliche ‘Pfeife
machte die Runde, und das liebe Vieh, oft audy der harte,
der Regierung zu zahlende Tribut, die „Tulpa“, bildet den
fteten Gegenſtand der Unterhaltung. Der Schech des Dor-
fes, der ala reicher Mann ſich diefen Luxus erlauben fann,
hat dazwifchen ein Täfchen ſchwarzen Kaffees getrunken, den
ihm einer feiner Sklaven credenzte, hat vielleicht auch Einen,
den er befonders beglinftigte, von dem geliebten Tranfe etwas
iberlaffen, und andachtsvoll lauſcht Alles den Worten ber
Weisheit, die feinem Munde entquellen. Vielleicht find auch
unter dem bewußten Baume einige hänsliche Arbeiten vorge-
nommen worden; neue Stieke wurden indie feinen Herte ger
paßt, und mit Hinblict auf die bemnächftige Ausſaat war der pri-
mitive, aus zwei fpigen Hölzern beftehende Pflug reparirt und
miteinem Silke Haut ummidelt, auch, das Doch der Ochſen
nachgeſehen und geordnet worden. Die Friſur der Kinder
erforderte eine gründliche Reviſion; dann werden die Kna—
bem zwiſchen die Beine gellemmt, der Kopf mit Waſſer ein
gerieben und mit dem gefchieft gehandhabten Scheermeiler
die feinmenden Haare wegrafirt, bit auf einen Neinen Bliſchel
Die Beduan des „Söhel“.
in der Mitte der Stirn, der fichen bleibt. Ber den Mäd—
hen wird das Haar in zahlreiche Löckchen geflochten, bie
mit Butter gefalbt werden, eine Haartracht, die auch bei den
Erwachſenen die gebräuchlichfte iſt. Die Weiber verlaſſen
ne felten die Ölitten, in denen fie fich mit dem Flechten
der Strohmatten umd dem Anfertigen zierlicher Körbchen
aus Halmen befchäftigen. Diefe Arbeiten werden fehr nett
ausgeflihrt und find fo dicht, daß fie feinen Tropfen Waſſer
hindurchlaſſen und dadurch das beim Umzuge unpraftifche,
zerbrechliche Thongeſchirr vollftändig erfegen. Mit der, Rüd-
fehr der Herden werden die Feuer wieder hoch angefacht ;
zum zweiten Male werden von den Weibern bie Kisras ges
baden, während die Männer die Kühe melfen und die Milch
in Lederſchläuchen oder in Schalen aufbewahren, nachdem
fie vorher geräiuchert ift, um zu ſchnelles Gerinnen zu vers
hüten. Das Geſchäft der Butterbereitung wird von den
Weibern auf fehr einfache Art beforgt: der Rahm wird
in einen Peberfchlaud; gefüllt, derſelbe mit zwei Striden an
die Dede der Hlitte gehängt und fo lange hin und her ges
worjen, bis ſich die Butter ausſcheidet, die, in gut zugebun-
dere Schläuche gefüllt, fo lange aufbewahrt wird, bis eine
genligende Maſſe beifammen ift, die dann in Maffawa oder
Suafim verfauft wird. Won ben legteren Plägen gehen
ganze Schiffslabungen von Butter nad, Arabien und Yegyp:
ten, deren Bedarf faft ganz von den Beduan gedeckt wird.
Die Butter ift halbflüſſig, gelblich, unferm Schmalze ähn-
lich, ſchmeckt immer ranzig und eignet ſich bloß zum Küchen:
gebraud). Die zurlicbleibende Buttermilch ift die Haupte
nahrung des Nomaden,
Wenn das Melten der Klihe beforgt ift, fo ift die Tages-
arbeit zu Ende und das Bergnligen und die Erholung
fünnen beginnen. Die Männer figen vauchend und plans
dernd aum lodernden Feuer umd die Kinder tanzen umd fingen
zum Klang ber Trommel, Wenn ber Mond fcheint, find
die Kaubthiere micht zu fürchten, und Alles ift forglos; die
ganze Nacht wird durchjubelt. Iſt die Nacht jedoch dunlel,
dann ift das Yager fehr ruhig, und die Männer find aufs
merffam, um das Vieh gegen die nächtlichen Schleicher,
Löwen und Feoparden, zu jchiigen. Obwohl der Löwe mit
Leichtigkeit dem niedern Dormenzaun überfpringen könnte,
fo geſchieht dies doch fehr jelten, da das mißtrauiſche Raub—
thier in dem Zaun eine Falle wittert. Meiſt kommt er
mit dem Winde und fett durch feine Witterung und fein
Brüllen die Thiere fo in Schreden, daß biefelben verfuchen
autzubrehen und ſich ins Freie zu zerſtreuen. Mandymal
gelingt ihnen dies trog aller Bernlihungen der Wächter, und
dann fallen immer mehrere Stitde, die von dem Yöwen auf
der Flucht niedergeriffen werden. Der Leopard ift kühner,
jedod; mehr den Ziegen und Schafen gefährlich; gewandt
überipringt er den Zaun und dringt felbft bis in die Hüt—
ten“ ein, um die dort verwahrten Lämmer zu rauben. Men-
jchen werden felten von den Raubthieren ergriffen, am häu—
figften Kinder und Frauen. Der Berluft durch diefe Thiere
ift jährlich eim ziemlich bedeutender, wird aber von dem
Nomaden, ala unvermeidlich, mit ruhiger Ergebung getragen.
Die beginmende Regenzeit fordert nach anderer Richtung
noch die Thätigfeit des Beduinen heraus, ba er neben feiner
Bichwirthichaft auch etwas Ackerbau betreibt. Die Heinen,
überall zerftveuten Ebenen find ſehr fruchtbar und bringen
bei gehöriger Bewäfferung alles Getreide hervor. Der Bes
figtitel auf die verfchiebenen Culturflächen iſt ſtreng geregelt,
und jeder Staum hat feine Weder, die der Sched wieder in
Heineren Parzellen am die verfchiedenen Mitglieder vertheilt,
worauf die Bearbeitung beginnt. Cine Reinigung des be
ftimmten Platzes von Ünfrant wird nicht fir nöthig gehal-
ten. Mit dem einfachen mit zwei Ochſen befpannten Pflug
Blobua XXIX. Nr. 23.
361
wird der Boden einmal oberflächlich umgeackert, das Ge—
treide, meiſtens Durrha oder Korn, ausgeſtreut und alles
andere der Vorſehung überlaſſen. Mit dem aufſprießenden
Getreide erfcheinen auch feine Feinde, deren ſchlimmſte die
Heufchreden find. Mit eigenthümlichem Saufen kommen
die ſchrecklichen Thiere wie eine dichte Wolfe angezogen, mei-
ftend den Windungen ber Thäler folgend und alles lahl
freffend. Der Boden ift gelb oder braumroth von diefen
gefräßigen Thieren ; oft ftundenlang zieht der Schwarm am
Himmel dahin, gefolgt von Schafalen, Öyänen und Hunders
ten von Vögeln, die nun ein großes Mahl halten. Mit
langen Geſichte ſchaut der aufgefchredte Bewohner die Plage
an; er weiß, daß feine Ernte vernichtet und flir das nächſie
Jahr auf Brot bei den meiften Aermeren nicht zu vechnen
ift, Nur ein plöglich fallender Regen vermag die Schwärme
noch zit vernichten, die Thiere erftarren, können nicht weiter
und fterben in furzer Zeit. Manchmal kommt diefe Geißel
jebes Jahr, bleibt aber auch zuweilen jahrelang aus. ft
der Ader von Heuſchrecken verfchont geblieben, fo find dod)
noch andere Feinde defjelben im Binterhalt. Antilopen und
wilde Schweine kommen in Scharen, um die jaftigen Halıne
zu freffen ; "des Nachts erfcjeint der Elephant in Herden,
mehr zertretend als er ſelbſt frißt. Doch gegen dieſe Feinde
find einige Peute genügend, die zur Bewachung ber Meder
zuriifbleiben, während die Uebrigen nad) dem Meere zu
weiterziehen, um bas überall mit dem Regen fprießende Gras
zu benugen. Die frauen brechen die Hlitten ab, die Mats
ten, Stäbe und das wenige Hausgeräth wirb auf die gebul:
digen Ochſen geladen, und dann wird nad) bem vorher bes
ftimmten Plage gewandert, mo das Lager wieder einige
Zeit bleibt. Das erfte Geſchäft in dem neuen Lager ift,
bas Feuer anzuzünden, Der Beduine verfteht es ganz gut,
mit zwei Hölgern Feuer zu reiben; doch iſt diefe Arbeit fo
anftrengend, daß er es vorzieht, ſich auf andere Art zu helfen.
Bom legten Feuer werden einige glimmende Kohlen mitge:
nommen, die in etwas Mift, meiftens Clephantens ober
Kuhmiſt, gepadt ich heif genug erhalten, um nach Stunden
wieder angefacht werben zu fünnen. Doch fängt das Streid)«
feuergeng an, immer mehr diefe urfpränglicen Methoden
zu verdrängen und ift ein GSegenftand Hohen Verlangens;
ber Beduine wird felten verfäumen, ben Fremden um Feuer—
zeug, Zuder und Seife anzufprechen. Nach diefen drei
Dingen und vielleicht noch nad) etwas Tabad fteht allein
fein Sinn. Mit Ende Januar hören die Negen auf, bie
Sonne befommst wieder die Macht, und fängt an das hohe
Grad zu verborren; der Nomabe zieht wieder mit feiner
Herde nad) dem Gebirge zurück, um feine Ernte einzuthun
und die Hörner durd) das Bieh ausdrefchen zu laſſen. Das
trodene Gras hat nicht viel Nährſtoff mehr, die Kühe ma—
gern ab, die Milchquelle verfiegt und jeden Tag muß er
mit feiner Herde weiter ziehen, immer mühſamer wird fein
Leben, bis die neue Regenzeit ihn wieder frei macht.
Die Einförnigfeit des Yebens wird felten durch die
Fejtlichfeit einer Hochzeit unterbrochen, Dann betheiligt ſich
das ganze Dorf am dem frohen Ereigniffe, ein Ochſe wird
geſchlachtet und verzehrt und die Krone des Mahles bildet
eine Art Gritge, die mit heißer Butter oder Milch gemofien
wird. Geheirathet wird nur, wenn Nang und Vermögen
der beiden Brautleute gleich find; bie Frau wird gegen eine
gewiffe Anzahl von Klihen gefauft und hat natlirlic, ſelbſt
bei der ganzen Angelegenheit nicht mitzufprechen. Die Mäd-
chen heirathen jehr früh und verwellen bald; eine Frau von
25 Jahren fieht aus, als ob fie 50 zählte, Das genaue
Alter irgend einer Perfon zu beftimmen, ift übrigens nicht
möglich), da Niemand Tag und Jahr der Geburt ſicher weiß;
gewöhnlic wird nad) irgend einem wichtigen Ereigniß, das
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mit der Zeit der Geburt zufammenfiel, das Alter ungefähr
beſtimmt, 3. B.: „Ich wurde geboren, als ber und ber Statt:
halter in Hamafin war, ald der und der Kebell in Seraui
aufftand, als die große Seuche unter dem Vieh war ıc.“
Wenig Aufhebens wird bei Sterbefällen gemacht, noch weni⸗
ger bei Geburten. Bei einem Todesfalle ſtimmen zwar bie
alten Weiber ein Klagegeheul an und zerfragen ſich die
Bruft, doch ift dies rein äußerlic); der Verftorbene wird
ohne Geremonie beigefegt, fein Grab gut gegen etwaige Ge—
füfte wilder Thiere gefdhligt und bald ift er vergefjen.
So lange fein Bieh ſich in normalen Verhältniffen vere
mehrt, bleiben Wohlftand und Yeben des Nomaden fic) gleid).
Doch zuweilen wird fein Biehftand von einer Seuche erfaßt,
die bei dem immerwährenden Jufammenfein der Herden und
dem Mangel und der Unfenntnig von Gegenmitteln meiſt
fehr verheerend wirft. Neun Zehntel der Herde erliegen
dann der Krankheit, und der Befiger erholt fich nur ſehr
langfam von dem Schlage. Gewöhnlich treten die Seuchen
in der Negengeit ein, faf immer begleitet von Krankheiten
unter den Menſchen, was dann die Noth verdoppelt, Ob—
wohl das Söhel die größte Zeit im Jahre furditbar heiß ift,
fo ift es doc; dann immer geſund; auch im der Negenzeit
treten gewöhnlich feine Kranlheiten auf. Wenn fid) jedod)
bie Regen fpäter als gewöhnlich einftellen und durch größere
Waſſermaſſen das Verfäumte nachzuholen feinen, ift das
ganze Tiefland ein Fieberneft; der Eingeborene ſowohl wie
der Europäer wird vom Fieber ergriffen, das den intermit-
tirenden Charakter hat, einige Wochen häufig kommt, dann in
längeren Paufen, und ſchließlich ganz aufhört. Wird jedoch in
biefer Periode eine Ortsveränderung vorgenommen und zieht
die Bevölterung nad) den fieberfreien Höhen ab, fo tritt faſt
immer das hitzige Fieber ein und ?/, aller fo Erfranften
fterben. Gegen joldye Krankheiten wird nur felten ein Heil-
mittel angewandt, meiſtens erwarten die Patienten von dem
Befprechen der Krankheit Rettung. Der Glaube an die
Macht von Zauberern ift weit verbreitet, jowohl bei Mo—
hanımedanern wie bei Chriften. Die leßteren find bei den
Beduan nur ſchwach vertreten und gehören nur dem Mienfa
ſtamme an. Das Chriftentfum ift natlrlich furchtbar roh,
noch} weit unter demjenigen Abeffiniens ftehend, und der Is-
lam madjt reißende Fortſchritte. In 20 bis 30 Jahren
werden bie Menſa ſammt umd fonders Mohammebaner fein,
und die Bemühungen europäiſcher Mifftonäre werden daran
nicht viel ändern. Die chriftliche Lehre ift eben micht filr
den Geift des Nomaden geichaffen ; die von dem driftli
Prediger ins Feuer geführten Gründe find ihm unfaßlich
und vermögen nichts über bie fräftigen Reben, mit bemen
die ummwohnenden Mohammtedaner Profelyten machen. So
oft der „Koftan“ (Chrift) in den Hafenplag kommt, wird
ihm von dem dortigen Mohammebaner vorgehalten, „daß
er ein verfluchter Chriftenhund fei, der gewiß im der Hölle
braten müffe, während der Gläubige in das Paradies ein«
gehe und dort fieben fchöne Weiber bekomme“ und dergleidyen
mehr. Warum fol er in der Hölle röſten? Die fieben Weiber
fan er auch gebrauchen! Die blaue Schnur, das Zeichen
des Chriſtenthums, wird aljo abgelegt, Matt bie Dreifaltig«
feit anzurufen, ſchwört er bei Allah und dem Propheten und
ift ein Mufelmann ; im Grunde ift er natürlic, derſelbe
geblieben, der er vordem war, religiös inbifferent und glüd-
licherweife deshalb nicht fanatifch. Nur die Vevölterung der
wenigen Küftenpläge ift durch den Verlehr mit den gegen:
überliegenden Häfen in Arabien, namentlich Dſchedda, jehr
bigott und wiirde, wäre die Negierung nicht jo ftramm, mit
Vergnügen den Chriften den Hals abfchneiden und ſich da—
durch einen Play im PBaradiefe erwerben. Davon ift jedoch
bei den Nomaden wenig zu finden. Es giebt einige Ereu-
Die Beduan des „Söhel”.
plare, bei denen ber Islam im Herz und Nieren liberging
und die eifrig die religiöfen (Formen, Gebete, Waſchungen ꝛc.
beobachten, doch find dies nur Ausnahmen, die von dem Ger
fährten mit Achtung behandelt werden, deren Beifpiel aber
wenig Nachahmung findet. Im Folge deffen fehlen auch die
wiberlichen Unswlichje des Mohammebanisnus, wie Der-
wiſche, Priefter u. ſ. w, die anderwärts die fejteften Stügen
defielben bilden, und der Aberglaube der Beduan ift mehr
ein praftifcher, infofern der Zauberer, der fein Anfchen ges
nießt, dafür verpflichtet ift fein Vieh und ihn vor Krankheit
zu bewahren, feinen Ader vor Henfchreden zu ſchlitzen und
namentlid) aud) etwas den Schleier der Zukunft zu lüften,
Als großer Mann in diefem Fache ift der Schech von
M’Beremi (ein Heiner Play nördlich von Maſſawa) be-
rithmt, der bereits für einen halben Heiligen gilt und fwrchts
baren Zulauf in allen Yeibes- und Geiftesnöthen von weit
her hat. Der Glaube an bie Macht diefes pfiffigen Gau—
ners ift ungemein feftgewurzelt, und bie zahlreiche Berwandt«
ſchaft dejfelben, die natürlich die verlodenden Ergebniſſe bes
Schwindels theilt, trägt eifrig dazu bei, durch Erzählungen
von den wunderbaren Kuren beifelben feinen Ruf immer
weiter zu verbreiten. Faſt fein Schiff fticht mehr in See,
feine Landreife wird angetreten , Fein wichtiges Geſchäft bes
gonnen, ohne den Segen des Schech von Dr Beremt anzıt-
rufen, an defien Macht Chriften und Mohammedaner mit
gleicher Innigkeit glauben. Noch jehr im Schwunge geht
bie Furcht in eim neues Haus zu ziehen, einen neuen Yager«
plag einzumehmen oder in der Nähe von Gräbern zu lagern,
da alle diefe Pläge nicht gehener und von böfen Geiftern
bewohnt find, was namentlich von den Begräbnißplägen
gilt Die Gräber find über das ganze Yand zerftreut, und
wenn auch feine Erinnerung an bie Inſaſſen mehr lebt, jo
ift Furcht und Pietät vor ihnen doch ganz allgemein. Im
verichiedenen Formen find die Gräber gebaut, bald freisrund,
bald vieredig, ftets fo daß feine frevelnde Hand die Gebeine be⸗
rühren fan, und das Ganze ift oft durch eine trodene Mauer
gefjchigt, deren Kamm mit blendend weißen Quarzftüden be
legt ift. Zuweilen auch wird ein flacher Segel aufgethlivmt
und mit Quarzftiden belegt; diefe Hligel, die gern auf vor⸗
fpringenden Bergfpigen angelegt werden, umgeben von fri«
fchem Grün, gegen welches das Weiß hell abſticht, bilden oft
ſchöne Bilder und vortreffliche Landmarken. Selbſt nur einen
Stein von einem Grabe zu nehmen gilt als eine Entweihung,
die für den Thäter — unangenehme Folgen haben lann.
Etwas verſchieden von den nomadiſchen Eingeborenen
ſind die ſeßhaften Beduan, die in wenigen feſten Dörfern
zerſtreut ſind. Schon in der Bauart unterſcheiden ſich die
Wohnungen von den Hütten der Nomaden, Das Matten:
zelt iſt verſchwunden und ftatt deſſen ein Holzhaus, mit
Stroh gebedt, entftanden. Cine ſolche Behaufung ift in
einigen Tagen gebaut. Während ein Theil der Eigenthümer
im Walde krumme und gerade, ungefähr 10 Fuß hohe Piähle
haut und herbeifchafft, werben die ‘Pfoften von den Baumei-
ftern in Form eines Rechtecks im die Erde geftedt und
durch längs gelegte Stäbe mit Baftftreifen an einander be
feftigt. Einige flärfere und längere Pfoten im der Mitte
dienen zur Stüge des Daches, das aus den biegfamen Sten-
gel des „Aſchur“ beftcht, welche an die Yagen von Stroh felt-
gebunden werben. Das Dad) ift im ziemlich fteilem Wintel
angelegt, um den fchnellern Abfluß des Regens zu ermög-
lichen. Die Wände werden gleichfalls mit Stroh ausger
flodhten, und um im der innern Einrichtung den denkbar
höchſten Comfort zu entwideln, wirb längs der Wände ein
Divan hergerichtet. Derfelbe befteht aus einer Banf, deren
Füße in den Boden feftgerammt find, während der Sig aus
quergelegten, norrigen Hölgern gebildet ift, ein Lotterbett,
Die Beduan des „Söhel”.
deſſen Weicheit nur der zu würdigen verfteht, ber nad} des |
Tages Paft und Mühe den Schlaf darauf genießen wollte,
aber aud) nur „wollte“, Ein Sad Kartoffeln hat ungefähr
als Matratze diefelben Cigenfchaften ‚und Annehmlichkeiten.
Da der Beduine auf förperlice Reinlichleit nichts hält, fo
ift fein Haus und er felbft vol Ungeziefer, was nicht dazu
beiträgt, den Umgang mit ihm angenehm zu machen.
Umgeben ift jedes Haus von der gewöhnlicen Seriba
ans Dornbüfchen. ine ſolche Behaufung Hält immer bloß
3 bis 4 Jahre; die Ameifen zerftören allmälig das Holz
wert umd am Ende von längitens vier Jahren ftürzt das
Haus zufanımen. Der Beginn ber abeffinifchen Regenzeit
Mitte Juni fündigt ſich durch fiarte Winde an, die ſauſend
durch die Schluchten toben, den Sand in Sandhofen herum:
wirbeln und den Himmel gelbroth, färben, Der Sturm wirft
fid) mit voller Macht auf die freiftehende Hütte, genöhulich
wird das Strohdach zuerſt abgehoben und die morſchen Pfoften
fallen dann von felbft übereinander. Zuweilen tritt auch
ſchon früher Bernichtung ein. Durch Unvorfichtigfeit oder
auch mit Abficht der Nomaden geräth das dürre Gras in
Brand, der Wind treibt die Flammen vorwärts, die aud«
getrodneten Hütten brennen wie Stroh und in wenigen
Minuten ift das ganze Dorf zerftört. Doch ift das Unheil
nicht jo groß und im fünf Tagen eine andere Hlitte fertig.
Als Vermittler des Handels zwiſchen Abeffinien und der
Küfte Haben die reichen Befiger von Kameelen ein ſchönes
Einfommen ohme große Mühe; die ärmeren Leute treiben
allen möglichen Heinen Handel, mit Salz von Zaltal, mit
Mehl, Pfeffer ꝛc. ans Abeffinien oder verdingen fi) aud)
bei Banarbeiten x. in Mafjama. Als Bermittler bes
Sklavenhandels find fie berlichtigt und die jüngeren Leute
vereinigen fic zuweilen zu Banden, die unter dem Schein
von Handelsgeſchäften auf Plünderung und Menſchenraub
nad) Barfa und Kunama gehen. Im Allgemeinen arbeitet
der Nomade nur fo lange als er muß, um nicht gerade zu
verhungern, und erlauben es feine Mittel, fo hält ex ſich
zahlreiche Sklaven, bie ihn bedienen mliffen.
Die ſämmtlichen Beduan find der ägpptifchen Herrſchaft
unterworfen und die Regierung Munzinger's hat Alles ges
than, um bas Yand zu heben. Im höchſten Grabe aner:
lennenswerth ift die Energie, mit der Munzinger die perfüns
liche Sicherheit in dem wilden Lande herſtellte. Vorher
unter tirfifcher Herrſchaft war jeder Stamm mit dem ans
dern im Kampfe, fein Dann konnte ſich unbewaffnet fehen
laffen und zwiſchen den abeffinifchen Stämmen und denen
des Tieflandes herrichte fortwährende Fehde um Weide und
Aderpläge. Dazwifchen dehnten die Danalil von Süden
ihre Einfälle bis in die Nähe von Maffawa aus und bie
durchgichenden Karamanen waren allen mögliden Pladereien
ausgeſetzt, jeder Verkehr erfchwert. Seit einigen Jahren ift
das Yand in tieffter Ruhe, ein Eingelner fann unbewaffnet
tagelang in größter Sicherheit reifen, fein Stamm kann ſich
eigenmächtig Recht verichaffen, der Gouverneur entjcheibet
für alle gleichmäßig. Mit gemifchten Gefühlen fchauen die
Beduan diefe Neuerungen an; die mächtigen Stämme find
erboft darliber, dem mancher Bortheil aus Tribut und Plüns
derungen entgeht ihnen und dazu müſſen fie noch ſchwere
Steuern zahlen; die ſchwächeren Stämme beginnen ſich zu
fühlen, preifen den Paſcha, der ihnen Schu und Sicherheit
gewährte, und zahlen die Steuern zwar nicht mit Bergnügen,
aber doch ohne fonderliches Widerftreben. Die Steuern
werben gewöhnlich im Mai von Soldaten eingezogen, ba
dann die Nomaden ficher in der Nähe der Brunnen zu fin
den find, wo ihnen der Tribut entweder in Geld oder in
Vieh abgenommen wird. Einzelne Bedrlidungen feitens der
rohen Soldaten fommen natürlich dabei vor, doch verhält:
363
nigmäßig wenige, da jeder weiß, daß er bei dem Paſcha Ge-
techtigkeit findet. Ob diefe friedlichen, geordneten Juftände
fid) nad) dem Tode Munzinger's fo halten werben, ift uns
gewiß. Es hängt dies lediglid von dem Charakter des
Gouverneurs ab; ift diefer ein Tüirfe von der alten Schule,
ber Yand und Volt als eine zum Ausquetſchen beflimmte
Citrone betrachtet, jo werben die Mißbräudje, unter denen
der ägyptifche Unterthan anderwärts leidet, auch im Söhel
wieber ihren Einzug halten. Unngefehrt ift es unter einem
verfländigen, gerechten und energifchen Gouverneur nicht
ſchwer, die Bewohner auf dem von Munzinger jo erfolgreich
betretenten Pfade zu halten.
Der Charakter der Beduan bietet viel Schatten und we—
nig Licht. Seine beiten Eigenſchaften find Muth, einige
Liebe zu feiner Familie, natlirlicher, ſcharfer Berſtand und
Gaftfreundlichfeit. Seine ſchlimmſten Seiten find Heimtücke,
Granfamkeit, Hang zum Betrug, Yügenhaftigkeit und große
Habgier. Die Blutrache war früher allgemein und konnte
bis jegt noch nicht unterbrüdt werden, Durch eine Geld:
fumme, devem Höhe ſich nad dem Nange des Ermordeten
richtete und an die Berwandten zur zahlen war, konnte die
Schuld zuweilen gefühnt werden. Durch das ftrenge Regis
ment ber Regierung fommt biefer Brauch allmälig in Ab—
nahme. Die Habgter beherrſcht den Beduinen vollftändig
und beeinträchtigt ſehr oft die patriarchaliſche Sitte der
Gaftfreundfchaft; am den befuchten Handelsftragen muß bie
geringſte Kg mit Thaler aufgewogen werden, und oft
muß man den Sclud Waffer bezahlen, Europäifche Reis
fende haben viel beigetragen, diefe ſchlinme Cigenfchaft noch
mehr zu entwideln, meift gaben fie Geld mit vollen Händen,
und die Beduan waren gewöhnt, jeden Franken ald Millio-
när zu betrachten, eine Meinung, unter der weniger Bemit⸗
telte natürlich am meiften leiden. Geld allein wird bei den
Eingeborenen in Kiften, alle anderen Sachen werden in Leder⸗
ſchlauchen verpadt, und da das Gepäd des Europäers meiftens
aus Kiften befteht, fo ift es fonnenflar, daß diefelben mit
Thalern gefüllt find. Nun fängt er an zu grübeln: er ift
ein armer Mann; warum foll er dem reichen „Frenghi“
feine Waare zu dem gewöhnlichen Preife geben? Ex ver
langt das Vierfache des Werthes, das Handeln und Feilſchen
nimmt bie befte Zeit weg, und ſchließlich ift man doc noch
betrogen. Als Begleiter ift der Beduine faul und unguvers
läfjig und ftets bereit einen Streich gegen die Abfichten ſei—
nes Heren zu führen und mit feinen Landsleuten Ränke zu
ſchmieden, um den Fremden zu betrügen. Er ftcht noch
unter dem Ubeſſinier, trotzdem derſelbe doch auch faft alle
erbenklichen Fehler hat, und weit unter dem aus Jemen eine
ewanbderten Araber, Diefe Araber haben fid) im einigen
Stämmen im Söhel ald Nomaden niebergelaflen und fort
während trifft Nachſchub ein, da das Fand ihnen fehr zufagt.
An Thätigfeit, Regjanteit und Eifer übertreffen fie die Eins
geborenen bedeutend und im größerer Anzahl dikrften fie eine
ernfte Gefahr für die Beduan bilden. Die legteren jehen
natürlich die Einwanderer mit fcheelen Uugen an, wagen
aber nichts gegen fie zu unternehmen, da diefelben von ber
Regierung geſchützt werden und felbft friegerifch genug find,
um ſich mit Erfolg zu wehren. Durch ihre Unbändigfeit
machen fie ibrigens der Negierung Ungelegenheiten genug.
Da fie ebenfalls Nomaden find, jo ift weder von ihnen noch
von den Beduan fllr eine vernünftige Bewirthſchaftung und
Ausnugung des vielen culturfähigen Landes das Geringfte
zu hoffen, Die Verhältniffe find doch noch zu unficher und
zu wenig verlodend, um den Europäer Geld, Zeit und Ger
fundheit wagen zu laflen, und deshalb wird das Söhel wohl
immer bleiben, was es jet ift: ein Tummilplatz wilber
Beftien und culturumfähiger Nomaden.
46 *
364
Die wiſſenſchaftliche Erpedition Sr. Majeftät Schiff „Gazelle“,
Die wiffenfhaftlihe Erpedition Sr. Majeftät Schiff „Gazelle*.
I. Reije von Gapftadt bis Mauritius,
Nachdem die „Sazelle* im der Capſtadt die legten Bor:
bereitungen fir ihre lange Reife beendet und mit allem Er:
forderlichen verfehen war, verließ fie am 3. October 1874
die Tafelbay: die Reife mad) Kerguelen follte ihr ins
deſſen ſchwer genug werden, Mit leichter weſtlicher Brife
lenfte die Corvette ein in ihre weite einfame Bahn. Bald
genug aber fegte ihr ein heftiger Sturm aus Sliden tüdhtig
zu, und faum war diefer überwunden, fo zerzaufte ihr vom
12.68 13. October ein ſchwerer Oſiſturm die Tafelage. Erſt
am 18. October inder Nähe der Crozetd: Infeln (vergl.
oben S. 352) fam man in die längſt erhoffte Negion der weit:
lichen Winde. Bon diefer Inſelgruppe ftellte Herr v. Schlei-
nis, da das Wetter flar war, die weftlichite, nämlich Hog
Island, nach Fänge und Breite aſtronomiſch jeft und richtete
dann feinen Curs auf die in ber Nähe liegenden Pinguin
Infeln. Obwohl der „Challenger“ noch in feiner neueſten
Karte deren zwei angiebt, fand die „Gazelle“ nur eine,
weldye gleichfalls nach Yänge und Breite beſtimmt wurde.
Wie fait alle jene Heinen Infelgruppen des Indiſchen
Dceans, fo find aud) diefe Gruppen fait permanent von
einem Dunftkreife umgeben, welcher kaum geftattet, das Yand
auch nur auf 1 bis 2 Seemeilen genauer zu erkennen, ges
ſchweige denn gar definitive Aufnahmen vorzunehmen.
Die fernere Reife bis Kerguelen war eine fchnelle,
Unter weftliden und nördlichem Sturm langte die Corvette
bereits am 22. October 1874 in der Nähe der Infel an,
vermochte aber, da wieder Nordweit-Sturn einfegte, erſt am
26. October in Betfy Eove auf der Norboft-Seite Ker—
guelens, ihrer nunmehrigen vorläufigen Heimath, zu Anter
zu fommen,
Auf Seite 26 und 39, Band XXVI, 1874, brachten
wir ſchon einmal eine Kurze Schilderung der Infel Kergue—
fen, nad} den Berichten des „Challenger“. Heute ergänzen
wie jene durch die Mittheilungen des Herrn von Schleinitz.
Obwohl das genannte Schiff und die „Arcona“ ein
Jahr zuvor bei Kerguelen ſich aufhielten und erſteres auch
die Oſt- und Norbfüfte aufgenommen hat, jo drangen dod)
die Befagungen beider Schiffe bei ihrem verhältnißmäßig
kurzen Aufenthalt nicht ins Innere der Inſel ein und konn—
ten daher ihre Aufnahmen nicht fo eingehender Natur als
die der „Sazelle* fein. In den beiden erwähnten Abhand—
lungen über Slerguelen wurde die Größe der Hanptinfel
auf 126 beutiche Quadratmeilen angegeben; nad) Herrn
von Scleinig umfaßt die Kerguelen-Gruppe mit Einfluß
der Buchten einen Raum von 180 geographiſchen Quadrat⸗
meilen, von denen 129 auf die Hauptinfel entfallen. Die
Gruppe beſteht aus 130 größeren und Heineren Infeln und
ungefähr 160 über dem Meeresipiegel ſichtbaren Felſen und
Kiffen. Während die Hauptinfel etwa 60 Seemeilen lang
und breit ift (nicht, wie früher angegeben, 90 lang und 60
breit), beträgt die Geſammtlänge ihrer Hüften die verhält:
wigmäßig enorme Zahl von 700 Meilen. Diefe feltene
Küftenentwidelung wird durd; 15 Halbinfeln, 6 größere
Bayen und etwa 70 Buchten oder Häfen erzeugt, deren
Längsachfe der Richtung der — herrſchenden ftütr-
mifchen Weſtwinde entſpricht. E
fo merfwürdiger, als Kerguelen ja vulcaniſchen Urjprungs
ift, und Infeln diefer Entftehungsart felten oder nie irgend
welche Küiftenentwidelung zeigen. Herr von Schleinig glaubt
8 ift diefe Erſcheinung um
ben Grund fiir diefe ausnahmsweife Küftenentwidelung in
Zufammenhang wit jenen, man möchte jagen ewigen
weſtlichen Winden bringen zu ſollen. Er meint, man lönnte
anzunehmen geneigt jein, daß das auf den Bafaltdeden au—
gefammelte Regenwaſſer, von den ſillrmiſchen Winden un«
unterbrocdyen in einer Richtung fortgepeitſcht, fich zunächſt
Heine Rinnen in das harte Geſtein gefreſſen Hat, die ſich
allmälig zu den langen und tiefen Buchten nad; Often hin
erweitert haben.
Der ganze Infelcompfler wird gleichſam von ben liber
den Meereöipiegel hervorragenden Gipfeln einer unters
feeifchen Bodenerhebung gebildet. Bis 200 Scemeilen von
der Infelgruppe entfernt beträgt die Meerestiefe in dieſer
Gegend des Indiſchen Oceans durchſchnittlich 3000 bis
3400 Meter. Dann aber mindert fie fich, bis 100 Seemeilen
von Kerguelen, auf 380 Meter und weniger ; plöglich wächſt
fie wiederum zu 500 Meter an. Dies gilt vornehmlich für
die Nord» und Oftfeite. Aber auch im Südoſt, zwiſchen
Kerguelen und ben 240 Seemeilen entfernten Mac- Dos
nalds-Inſeln, beobachtete Herr von Schleinig Achnliches:
auf halbem Wege zwiſchen beiden Gruppen mindert ſich eben—
falls die Waffertiefe bis 188 und 232 Meter; in furzer
Entfernung davon aber gaben 750 Meter ausgelaufener
Leine jchon feinen Grund mehr.
Kerguelen ſelbſt ift faſt im allen Theilen hoc) und ber:
gig *). Die höchſte Erhebung erreicht das Yand im
Mount Roß im Süben der Infel. Plateauſörmige Bas
faltberggüge mit teil terraffenförmigen Abhängen verleihen
der Inſel von der See her einen bejondern Charakter. Dies
fer Mannigfaltigkeit in den Gebirgsformen ift es zuzuſchrei⸗—
ben, daß die Infel, an einen Haren Tage gefehen, weldjer
gleichzeitig einen Einblid in das geheimnigvolle Innere ge:
ftattet, durchaus nicht einen fo einförmigen und troftlofen
Anblif gewährt, als man bei dem volljtändigen Mangel
an Baum: und Strauchpartien wohl anzunehmen geneigt iſt.
Wie ſchon bemerlt, langte die „Sazelle“ am 26. Octo—
ber in Betſy Cove an. Es ift dies ein winziger Bufen am
Norboftende der Inſel: fo Hein, daß die „Gazelle“* fait nicht
Raum genug für ſich darin fand. Die Mitglieder der Be«
und-Erpedition gingen alsbald an Yand und errichteten fid)
mit Hülfe der Manuſchaft ihr Wohnhaus. Am 12. Novems
ber war Alles in Ordnung, und fonnte man nunmehr dem
großen Tage des 9. December mit Ruhe entgegenfehen, ob»
wohl die Witterungsverhältniffe kaum ein Gelingen ber
Beobachtung des feltenen Phänomens erhoffen ließen.
Die "Öayelle‘ unternahm während biefer Wartezeit
wiederholt Streifzlige die Küſte entlang. Am 16. Noven- °
ber verließ fie Betſy Cove zur Erplorirung der Injel. Zus
nächft dampfte fie nad, einem in der neueften britischen Ad:
mivalitätäfarte vom Jahre 1874 zwar amgedeuteten, aber
noch nicht benannten Hafen, am Sübdende der Foundery
Brand. Der Eingang zu diefem Hafen liegt derartig
verſteckt, daß Herr von Schleinitz ſchon am feiner Eriftenz
zu zweifeln begann, weil fogar ein vorausgefandted Boot
die Einfahrt zw dieſem vortrefflichen Anlerplatz auf 1 bie 2
*) @ine ſeht bübfche Karte der Infel nach den Mufnahmen tes
Ghalleuget“ und namentlich ter „Öhagelle” brachte fürzlich die „Zrite
ſchrift ber Geſellſchaft für Etdkunde zu Berlin XI (1876), Heft I,”
Die wiſſenſchaftliche Expedition
Kabellängen Entfernung nicht zu entbeden vermochte, Diefe
Einfahrt ift thorartig von hohen Felswänden begrenzt, von
laum einer Kabellänge Breite. Gegen die ſchweren Weit:
winde ijt diefe Bucht, die Herr von Schleinitz „Schön
Wetter Hafen“ nannte, volllommen geſchützt, wie aud)
die hierfelbft üppigere Vegetation zu beweifen ſcheint. Die
Ufer zeigen gleichfalls erhöhtes Yeben: Wajlervögel aller
Art tummeln ſich dajelbft. Unerſchöpfliche Bänte von eßba⸗
ven Mufcheln finden fid an verfchiedenen Stellen der Bay.
Nach Verlauf vom zwei Tagen ſchon kehrte die „Sazelle*
nach Betſy Cove zurüd, um am 28. November abermals
auszulaufen zum Zwede der Aufſuchung von Kohlen im
Weihnachtshafen an der Nordfeite Serguelens; gleichzeitig
follten aber aud) neue Vermeſſungen am der Dftfeite vorges
nommen werden. Zunüchſt wurde des ſchlechten Wetters
wegen auf der Pallifer Rhede geankert, demfelben Orte,
wo auch Cook zum erften Male feinen Aufenhalt nahın.
Die große Halbinfel weſtlich diefes Unferplages wurde „Bis-
mard-Halbinfel* getauft. Etwas weiter nördlich wurde eine
ebenfalls bis dahin wenig befannte Bucht, der „Erfolg“:
Hafen, genauer vermeflen, zu welchem Zwede der durd)
Sturin hervorgerufene, unfreiwillige Aufenthalt fleißig auds
genugt wurde. Am 5. December verfuchte Herr von Schlei-
nig, nachdem wiederum drei Tage lang ein fehr ſchwerer Nord-
weſt ⸗· Sturm geweht, zum Weihnachtshafen zu gelangen,
Der Verſuch mißlang indefien abermals, da der Sturm
nicht allein nicht nachließ, ſondern an Heftigkeit den beinahe
denkbar möglichilen Höhegrad erreichte. Am nächſten Tage
nahm der Wind bei fallendem Barometer ab. Die
„Gazelle“ dampfte nad Süden in die Tuder-Straße hins
ein, vermaß den Öelenens, Credner und Mariensdafen und
traf endlich Abends im Weihnachtshafen ein.
Am 7. December ging die Corvette, ohne brauchbare
Kohlen gefunden zu haben, Anker auf und fegelte nad)
Betſy Cove zurlick, wofelbft fie am 8. wieder eintraf, Am
folgenden Tage wohnte fie der Beobachtung des Venusdurd)
ganges bei, woran fich natürlic, auch ſämmtliche Difiziere
bes Schiffes betheiligten. Wie befannt, gelangen alle
Beobachtungen wider Erwarten auf das Borzüglichfte in
aſtronoiniſcher wie auch photographifcher Hinſicht, da ein
glinftiges Geſchick den Aftronomen einen hellen und Haren
Himmel beſcheert hatte.
Um das Reſultat dieſer Beobachtungen nun möglichſt
ſchnell an feinen Beſtimmungsort Berlin gelangen zu laſſen,
begab ſich die „Sazelle* nach Norden, um die gute Nach:
richt einem der vielen Huftralienfahrer zur Beförderung zu
übergeben. In der That traf man auf ein Bremer Boll:
ſchiff Gabain“*, welches den Auftrag aufs Befte ausjlihrte,
Schon am 15. Februar 1875 traf die Depefche vom glüd:
lichen Gelingen aus Akyab (britifche Provinz Arakan, Meer:
bufen von Bengalen) in Berlin ein,
Bald nad) der Ankunft in Betfy Cove waren von dies
fem Orte aus Ercurfionen von größerer oder geringerer
Dauer ind Iunere der Juſel ausgeführt worden. Die nie-
drige Temperatur, die jelbft mitten im Sommer oft auf 2°
bis 30 E,, in den Bergen fogar unter 0° finft, in Berbin«
dung mit dem jelten länger als einen Tag ausbleibenden
Regen oder Schnee, fchließt ein Uebernachten im freien auf
dem feuchten Boden aus, vorausgejegt, daß man nicht etwa
befondere kraft⸗ und zeitraubende Vorbereitungen dafür ge
teoffen. Will man indeffen längere Ausflüge machen, fo
werben diefe durch die Mitnahme vieler nothwendiger Dinge
fehr erſchwert. Abgefehen von Proviant, Zelten u. ſ. w. ift
vor Allem Brennmaterial mitzunehmen erforderlich, da auf
der ganzen Inſel fein Holy zu finden ift und man daſſelbe
bei dem rauhen Klima abfolut nicht entbehren fan. Die
Sr. Majeftät Schiff „Bazelle*.
anfänglichen Excurſionen richteten ſich natürlich auf die
Umgebungen von Betiy Cove: die Obfervations-Halbinfel.
Gelegentlich, jener wurden von Gapitän-Lientenant Straud)
verſchiedene Berghöhen barometriſch gemeffen. Als höchſten
Punft der Halbinfel fand derfelbe den Moſeley-Berg,
5,3 Seemeilen in Weft 7’, Nord von Belfy Cove entfernt,
zu 757,98 Meter — 2487 engl. Fuß. Auch Herr von Schlei—
nitz jelbft unternahm am 18. December mit drei Offizieren
und adıt Matrofen einen mehrtägigen Ausflug in die der
Obfervations-Halbinfel augehörenden Bergzlige. Die ganze
Gegend ift bededt mit feljigem Steingeröll, das im feinen
Vertiefungen ein Syſtem von unzählbaren, mitunter großen
Seen und Slmpfen umfaßt, eine wafjerreihe Steinwüſte
von troftlofer Einförmigkeit und kaum von einigen Enten
und den hier niftenden Naubmöven belebt. Das Geſtein
befteht aus dem gewöhnlichen, feinförnigen ſchwarzen Bafalt,
Zwei Flüffe durchftrömen die Objervation®-Halbinfel. Der
diefelbe weſtlich begrenzende „fteinige Fluß“ hat ein breites,
jedod) ganz fteinerfülltes Bett; der andere, deſſen Yauf nicht
—* feftgeftellt werden lonnte, iſt unbedeutender und wenig
einig,
Daß Kohlen auf Kerguelen gefunden wurden, ift früher
ſchon angedeutet worden. Indeſſen waren diefelben zum Hei⸗
zen flir die Maſchine unbrauchbar. Neben ihnen fand man
aud) (in ber Nähe des Ard-Rod, im Norden beim Weib:
nachtshafen) einiges verfteinerte Holz. Beides deutet un
weifelhaft darauf hin, daß in früheren Zeiten hier ein befs
—— Klima geherrſcht hat und die Iufeln bewaldet geweſen
find. Da fogar bei den Kohlenſchichten auch etwas Bern:
ftein gefunden worden ift, fo dirfte fic hieraus und auch
aus den bereitd erwähnten werfteinerten Holzproben bie
Holzart ermitteln laſſen, welde die Inſel einft erzeugte.
Außer diefen beiden verwandelten Ueberreften kann man viel-
leicht aud) den auf der Inſel vorfommenden Kitffeltäfer,
deſſen Verwandte auf Holz wohnen, als lebendigen Zeugen
einer einftigen Baumwegetation anfehen.
Im Norden der Infel find einige zum Theil bedeutende
Berge zu verzeichnen, Nördlic vom Weihnachtshafen: ein
fegelförmiger Berg von 370 Meter Höhe, der einzige von
den erforfchten, welder Spuren von Vulcanismus zeigt.
Weiter jüdlich, und N yon ſudweſtlich von der Prinz. Adalbertö«
Inſel, fteigt der Mount Richards mit doppelter abge
ftumpft legelförmiger fchneebebedter Spige zu größerer Höhe,
nämlid; 1220 Meter, empor. Die Erhebungen der Injel
gehen hier in ein andgebehntes Schneeplateau über, das in
feiner Höhe.von 450 bis 910 Meter varüirt. Einige felfige
Gipfel und Vergrüden, zum Theil von fegelfürmiger Ge—
ftalt, ragen aus demſelben hervor.
Nach beiden Seiten der Infel, nadı Oſt und Weit, fleis
gem vom jenem verfchiedene Gletſcher in die Thäler hinab:
an der Weftfeite bis in das Meer, wo fie oft Eisberge bil-
den; während au der Oftfeite von ihnen Seen und Flüſſe
erzeugt werben.
a8 endlich die erforfchten großen Infeln und Halb»
infeln der Oftjeite (Bismards, Stofdy., Roon- und Jachmann⸗
Halbinfel, die ſchon erwähnte Prinz-Adalbert⸗Inſel und die
Hafen-Dnfel) betrifft, fo find diefelben durch terraflenförmige
BVergzüge von ducchfchnittlic 150 bis 300 Meter Höhe ge:
bildet, welche nur vereinzelte Erhebungen bis 520 und 580
Meter aufweiſen.
Nicht mindern Eifer als auf die Erforfchung der Infel
im geologijcher Hinficht verwandte die „Öazelle“ auf die
weitere Erforfchung der Flora Kerguelens, Abgefehen von
den Waflerpflanzen befteht die Vegetation der Gruppe vor—
zugsweife aus Moofen, Gräfern und ſehr Meinen Farrn,
von denen die meiflen antarktijchen Regionen, einzelne aber
365
366
feltfamerweife nur diefen Infeln eigenthümlich find. An
Nugpflanzen bietet Kerguelen wenig; außer einigen, gutes
Viehfutter bildenden Gräfern fommt nur der früher ſchon
einmal erwähnte Kerguelen-Kobl („Slobus*, Bd. XXVI,
©. 40), ein fehr werthvolles, aromatiſches uud antifforbu-
tiſch wirlendes Gemliſe, im Betracht. Holz oder Bäume
giebt es, wie ſchon bemerft, nirgends, ebenfowenig Strauch-⸗
wert, das als Brennmaterial verwandt werden könnte.
In gleicher Weife fpärlich wie die Flora zeigt ſich auch
die Fauna vertreten. Bei alledem wurde von der „Gazelle“
unter anderen conftatirt eine neue Art von Geebüren ober
Ohrenrobben (Otaria), einer für den —— und die In⸗
duſtrie ſehr werthvollen Pelzrobbe, die allerdings ſeit Jah⸗
ren wegen ihres loſtbaren Pelzes zu Tauſenden erlegt wird,
bisher aber noch nicht wiſſenſchaftlich unterſchieden war.
Prof. Dr. Peters, welchem von der königlichen Alademie
der Wiſſenſchaften zu Berlin zwei von der „Gazelle“ ein
gejandte Eremplare diefer Pelzrobbe zu näherer Unterfuchjung
libergeben worden find, hat diefe für die Wiffenfchaft neue
Thierart zur Erinnerung „Arctophoca Gazella“ genannt,
Außer diefen beiden Tieren find dem zoologifchen Muſeum
zu Berlin noch zwei See-Efephanten (Cystophora leonina L.
— Morungia elephantina Gray) und ein SeesFeoparb
(Ogmorhinus leptonyx Blainville Stenorhynchus
leptonyx) eingejandt worden, welche Seehundsarten biäher
ben Mufeum ſämmtlich fehlten umd die mach Ausſpruch
bes berühmten englifchen Zoologen John Willis Clark bis
jegt Überhaupt noch von feinem europäifchen Mufeum auf:
bewahrt wurden. ”
Außer diefen Geſchöpfen eben auf Kerguelen noch Mö-
ven, wilde Enten, Albatrofie, Pinguine und bie faft mit
Händen zu greifende Chionis (ein weißer taubenartig aus:
fehender Bogel, welcher ſich im ber Regel paarweife auf den
Klippen in Gefellichaft der Pinguine aufhält). Alle biefe
Thiere und die Robben, aud) bie Eier der erſteren, dienen
ben Robbenfchlögern, wenn auch nur in einzelnen Theilen,
zur Speife.
Zum Schluffe diefer Betrachtung Kerguelens fei noch
eine Furze meteorologifche Bemerlung geftattet. „Will man,“
Aus allen
Die japanifhe Induftrie von Einft und Heute.
Die glänzenden und gefhmadvollen Begenftände, womit
die japanische Regierung die Bictoria-Angftellung in Mel:
bourne (1875) beſchickt bat, Fonnten wicht umbin, die all-
gemeine Anfmerkjamkeit und Bewunderung auf ſich zu
sieben. Es war wohl die vollftändigfte Sammlung der ſchön—
ften Mufter rein japanifcher Kunſt, die vielleicht jemals dem
Auge eines Fremden geboten wurde, ebenjo reich durch das
Material als trefflih in der Ausführung und geſchmackvoll
in der Zeichnung. Es waren Töpferwaaren, ladirte Ge:
genſtände, Stahliwaaren, Waffen, Manufacturen und gemifchte
Artikel in erſtaunlicher Menge und jede Aubrif im ſich höchſt
wertbvoll. Beim erften Anblit konnte man meinen, diefe
Urnen, diefe Schalen und Vaſen feien nach den reinften alt
äguptifchen, etruskiſchen und griechiichen Zeichnungen gefertigt.
In der ganzen Geſchichte der Feramifchen Kunft von den
ülteften Zeiten bis heute haben wir nichts, was dieſe Waare
an Kinftlerifcher Eleganz der Form überträfe. Sir Auther:
ford Alcod hat die Anficht ausgefprochen, daß die Japanefen
ibre gegenwärtige Vollendung in diefenm Kunftzweige bereits
Aus allen Erbtheilen.
fo bemerft Herr von Schleinig, „die Witterung bei Kerguelen
kurz dyarakterifiren, fo fan man fagen: Es weht betän-
dig Sturm zwifcen Nord und Welt mißweifend (ober
Norbweit zu Nord und Sidweft zu Wet vechtweifend) mit
Scuee:, Hagel» und Regenböen, die ſigem *) Horizont, aber
oftmals klarem Himmel und kühlem Wetter. Ab und zu
wird biefer Nord: bis Welt-Sturm durch leichtere Winde
aus denfelben Richtungen oder noch feltener durd; ftürmifchen
NordoftsWind unterbrochen; letzterer bringt dichten Regen
und Nebel und wärmeres Wetter, Andere Winde treten
nur ganz vorübergehend auf.“ Als intereffanter Belag fil
die ftitensifche Witterung Serguelens wird aud) bie Beob»
achtung des Dr. Studer, Naturforfchers auf ber „Ga-
zelle*, augeflihrt, daß bie hier vorkommenden Infecten, ind:
befondere die Fliegen, flügellos find. Ex fchließt daraus, daß
biefelben mit der Zeit die Flugel abgelegt haben, als nuglofe
Anhängfel, weil die Stürme ihnen das Fliegen nicht geftatten.
ALS die „Gazelle“ von dem oben erwähnten, gegen Ende
December und Anfang Januar zur Meldung des Ergeb
niffes der Benus-Beobachtungen unternommenen Vorſtoßes
gegen Norden am 22, Januar 1875 mac, Betiy Cove zu:
rücdgefehrt war, beſchloß Herr von Schleinig, da die aftro-
nomiſchen Beobachtungen der Erpebdition noch nicht ganz
vollendet waren, abermals in See zu gehen und aud) noch
einen Borftoß gegen Sübflidweft zu unternehmen. Gin
nordweftlicher Sturm verhinderte indeſſen das Auslaufen
bis zum 25. Januar, Nach GConftatirung der füdlicen
Ausdehnung der Bank, auf der Kerguelen liegt, und einigen
hydrographiſchen Unterfuchungen fehrte die „Öazelle“ bereits
am 29, Januar nad; Betfy Cove zuriüd. Das Obfers
vationshans wurbe darauf abgebrochen, und fo verlieh die
Corvette dem ihr heimifch gewordenen Ort am 3. Februar,
um fid) über die Infeln St. Paul **) und Amfterdam,
welche fie nad Yänge und Breite noch genauer feftlegte,
nad) Mauritius zu begeben, Sie traf daſelbſt am 26. Fe—
bruar im Hafen von Port Louis glüdlic ein und jegte die
Mitglieder der Benus-Erpedition an Land.
*) Soviel ale bedeckt, verfchleiert*. **) Wergl. oben ©. 2. u. 26.
Erdtheilen.
zu einer Zeit erreicht hatten, als die Vorfahren der meiften
civilifirten Nationen Europas noc als wilde Jäger in ben
Urwäldern bauften, was allerdings zugleich das den Völkern
des Drients eigentbimliche lange Stillitchen auf einer Eultur-
ftufe im ſchlagender Weife darthut. Sei dem aber wie dem
wolle, in Allem, was Eleganz und Reinheit der Zeichnung
anbelangt, befinden fich jene ganz auf der Höhe der europät:
ſchen Künftler, die fie fogar an zarter Ornamentirung nicht
felten übertreffen. In fenriger Farbengebung, feiner Emailli-
rung, Bartheit der Malerei, jet der Gegenftand nun eine
Landſchaft oder ein lebeudes Welen, in Wirkung des Gold,
auftrages und Naturwahrbeit der Darjtellung tragen die
Künftler des Oſtens, tro& der der japanefichen Kunft ſonſt
anhängenden Gebrechen, die Palme über ihre Brüder im
Weſten davon. Auch von der anmuthigen Kunſt des Ladirens
finden fich bier Muſter, welche den hoben Ruf, den die Ja-
panefen hierin haben, rechtfertigen. Der beifelfte Geſchmad
würde nicht im Stande fein, auch mur im einem einzigen
Punkte des Details einen Mangel zu entdeden. Wie graziös
und wie forgfältig ausgeführt find ibre eingelegten Arbeiten,
ob nun in Gold oder Silber oder eingelegten Holzarten aus:
Aus allen
geführt! Die Finger, welche fo elegante Sächelchen Schaffen
konnten, mußten fo dünn, To gefchmeidig fein wie die einer
bochgeborenen europäifchen Dame. In einer der Abtheilun⸗
gen finden wir eine Sammlung Vaſen äghptiſchen Charal-
lers und von ausnehmender Schönheit. Man hält ſie auf
den erſten Aublick für Porcellauvaſen, fie ſind jedoch von
Kupfer und nach einer ſinnreichen Methode, die wegen ihrer
Schwierigkeit und Zartheit jeder Beſchreibung ſpottet und
die fein enropäifcher Arbeiter zu Stande brüchte, prachtvoll
fadirt. Indem wir an den Sammet: und Seidenzengen, an
ben türkifchrotben Tüchern , an den Goldbrocaten, bie ihren
befondern Reiz fiir die Schönen Aſiens haben mögen, vor:
tibergeben, nelangen wir zu den geichmadvollften und foft:
barften Artileln, welche das Land des Taikun zu der Aus:
ftellung geſchidt haben dürfte. Wir fagen "abfichtlich : das
Land des Taifun, denn die Gegenſtünde, von denen wir jebt
fprechen wollen, find charafteriftiicher als alle übrigen jener
friegerifchen, rubmreichen Zeit des alten Japan, da der Mi:
fabo noch wie ein geheimnißvoller Schatten in der Zurück⸗
gesogenbeit von Kioto vegetirte, und der Tailun der Teben-
dige Repräfentant einer glanzvollen, mittelalterlichen Bar:
barei war, Es find dies die japanefifchen Waffen, die von
jeher eine wichtige Rolle in Gefchichte und Tradition
geipielt haben. Hier baben wir bie berrlichfte Auswahl da⸗
von, die man nur wünſchen kann. Die Härtung der Klingen
fol eine volllommene fein; Griffe und Scheiben find pracht⸗
voll mit Gold eingelegt, mit den Helmbüſchen ber Daimios
bemalt und mit feidenen und filbernen Schnüren befeftigt.
Einige haben mit Gold eingelegte Griffe von Haifiihhant.
Die Klingen find vom feinften Stahl der Eisbachhärtung,
ſcharf wie Raſirmeſſer und jpisig wie Nadeln. Tdodtlichere
und koſtbarere Waffen hat nie cin Krieger an feiner Seite
getragen. In ihrem Anblid liegt eine Gedichte der japas
neſiſchen Feudalzeit. Die Dolce find ebenfo paffende Sinn;
bilder einer barbariichen Zeit. Mit auferordentlicher Sorg-
falt angefertigt, fo handlich und mörderiſch als kurze Waffen
nur immer hergeftellt werden lönnen, machen fie beim An—
faffen doch daſſelbe widrige Gefühl, wie wenn man ein
Waidmeſſer in die Hand nimmt: das Schwert bleibt immer
eine friegeriiche Waffe, aber der kurze Dolch erinnert mehr
an den Mörder als an den Krieger. Wahrlich bier ift das
alte Japan, das Japan bes Taitun, das Japan ber Daimios,
Wir fehen ung umgeben von den Emblemen jener barbaris
ſchen, wenn auch prächtigen Vergangenheit, wo der Einge—
borene des binmenreichen Nippon einen graufamen Tod er-
leiden mußte, wenn er den entfernten Verſuch machte, feine
Geftade zu verlaflen, und wo das Mobleſſe oblige" nur
durch Vornahme des ſchrecklichen Haraliri Bauchaufichligens)
durchgeführt werden konnte
Aber es find nur Ueberreſte einer vergangenen Zeit, die
zu Melbourne ausgeftellt wurden, Japan ift feitdem civilifirt,
empfänglich‘, praltiſch — freilich auch weniger intereffant ge
worden. Barbariſches Gold und Perlen find dort jegt min:
der wichtig als die Schwankungen der Börfe in London und
Neuyork. Das zierliche, reiche Coſtüm von brammer oder
Purpurfeibe ift jetzt verdrängt durch papierene Hemdfragen,
abgejhmadte Hofen und jede Narrbeit, die nur der Fabrit;
Schneider des berabgefommenen 19. Jahrhunderts erſinnen
kaun. Eine Nation, die im ihrer Selbftgenüglamkeit und
ftolzen Ausfchließlichkeit fo erhaben war, entwidelt plötzlich
den Nachahmungstrieb unferer vierbändigen Vorfahren und
bat mit einem Sprunge bie Lächerlichkeit erreicht, Doch
folche Betrachtungen müſſen hinter ben gewaltigen Refultaten,
welche diefe nationale Wiedergeburt au Tage gefördert hat,
zurücktreten. Die enropäifche Induſtrie, der curopäiiche Han:
dei hat vom diefer nenen Concurrenz nicht wenig zu fürchten.
Eine einfache Aufzählung der verfchiebenen Induſtriezweige,
welche fich in dem letzten Jahren bei diefem unternehbmenden
Volke entwidelt haben, mag dies näher beleuchten. Die
Japanefen haben fich nicht nur rafch im den Bau von Eifen-
Erbtheilen. 367
bahnen, die Anlegung von Telegrapben, die Bearbeitung von
Minen, die Herftellung von Münzen, die Prodbucirung und
Anwendung von Gas Himeingearbeitet; fie machen auch)
merkwilrdige Fortichritte in der eigentlichen Induſtrie: be:
reits haben fie eine Papierfabrit errichtet, die im Stande ift
täglidy eine Tonne Papier zu liefern; fie haben eine Zuder:
raffinerie mit einer täglichen Leiſtungsfähigkeit von 4 bis 5
Tonnen japanefiihen Zuders, eine Dampfbaummwollipinnerei,
die allerdings erſt grobe Garne von Nro. 18 bis 24 produ-
eirt, eine Bleihe von Garn, Tüchern und Baumwollzengen
auf europäiſche Art, Türkifchrotbfärbereien von Garn und
Rohtuch. Sie kaufen Webmaſchinen und verwenden fie mit
großem Geſchick zu Herftellung von Unterfleidern, Shawls,
pen, wollenen und baummollenen Strümpfen von jeder
Farbe. Beſonders werben zwei neu patentirte amerikaniſche
Maſchinen hierfür verwendet. Die noch vor wenigen Fahren
in Japan gänzlich unbefannte Teppichweberei ift jet dort
ebenfalls eingeführt worden, und bereit werben fehr fchöne
Teppiche in Baumwolle und Mifchweberei, von Stroh: und
Baft: (coiron) Faſern, nad) europäiſchen Muftern ſehr folid
und zugleich wohlfeil gefertigt. Fabrilen von Filz: und
Strohhüten, von Tud:, Sammt- und Seibenmühen jeder
Art und nad europäiſcher Façon haben ſich in Ofafa auf:
getban und machen gute Geſchäfte. AUnzikge jeder Art nach
enropäifchen Muftern fowie Schuhe werden in grofiem Maß:
ftab, von hober Vollendung und zu fo mäßigen Preifen
fabricirt,, daß europäiſche Waaren diefer Art faum noch Ab:
nehmer finden, während dad Tragen europäifcher Kleider bei
den Tapanefen immer mehr zumimmt. Nähmaſchinen find
überall im Gebrauch und die japanefiihen Schneider wiſſen
ſehr gut mit ihnen umzugehen. Die enropäiichen Nähmae:
ſchinen find bereits fehr ſchwer zu verkaufen, da die Japa—
nefen ſelbſt Nähmaſchinen fertigen, vielleicht nicht ganz fo
vollfommen wie bie fremden, aber um fo wohlfeiler, fo daß
die meiften Gingeborenen lieber diefe nachgeahmten ais die
folideren eingeführten laufen. Sie haben auch Glasmann—
facturen und fabriciren jehr ſchöne Glaswaaren jeder Art,
und zwar — das Fenfterglad ausgenommen — weit billiger,
ald die Europäer fie geben fünmen. Endlich macht man in
Dfafa Weißbrod, Bier (ein leichtes deutſches Bier), Liquenre,
Eingemachtes, Sodawafler, Limonade und andere Fünftliche
Waſſer. Auch Chemilalien werden nach den eingeführten
Droguen fabrieirt. Sogar an die Gigarrenfabrifation haben
fie ſich ſchon gewagt, doch ift ihren diefe noch nicht fo aut
gelungen wie faft alle anderen Artikel, Kurz Japan Tarın
demnächft alle feine Bedürfniſſe felbft befriedigen und zwar
auf eine wohlfeilere Art als durch Einfuhr, und wird dann,
— europäische Güngelband abftreifend, auf eigenen Füßen
chen.
Zur Statiftit der Epinefen in Morbamerifa,
Bei der in jüngfter Zeit in Californien wieber fo ftarf
aufgenommenen Bervegung gegen bie chineſiſche Einwande—
rung, welche fogar ſchon zur Einäfcherung des Chinefenvier-
tels in dem 40 engl, Meilen von San Francisco entfernten
Städtchen Antioch geführt hat, dürften folgende aus ver-
fchiedenen zuverläſſigen Quellen geichöpfte Angaben iiber
die Statiftif der Chinefen in Amerika von Werth fein. Da
feit dem Jahre 1870 feine Zählung in der Union ftattgefun:
den bat, ift die heutige Anzahl der dort lebenden Langzöpfe
unbetannt, läßt fich aber ficher henug berechnen, um die ger
wöhnliche Angabe von j200,000 zu widerlegen. Bor dem
Jahre 1852 waren im Ganzen nur 3000 bis 4000 im Hafen
von San Francisco angelangt; doch ſchon in diefem Jahre
paffirten 18,000 Söhne des Neiches der Mitte durch das
goldene Thor. Die emergiichen zur Verhinderung der Ein-
wanderung ergriffenen Mafregeln Tiefien im Jahre 1853
die Zahl auf 4000 finken; doch ſchon im folgenden Fahre
ftiegen wieber 13,100 in Ealifornien ans Land. Nach dem
Jahre 1854 blieb die Einwanderung dagegen 14 Jahre lang
368 Aus allen Erdtheilen.
verhältnißmäßig gering und betrug im Durchſchnitt weniger
als 5000 per Fahr. Seit 1868 hat fie aber wieder einen
bedeutenden Aufihwung genommen, jo daß die Zahl der
Einwanderer ſich jährlich auf 10,000 bis 15,000 Mann ftellte;
im Jabre 1873 landeten fogar 17,978, im folgenden 17,002
und während des Jahres 1875 nicht weniger als 18,144!
Wir finden demnach, dab im den 24 Jahren zwiſchen 1852
und 1875 im Ganzen über 180,000 Chineſen in Californien
eingewandert find. Während deifelben Zeitraums find 77,000
nad; China zurüdgekehrt, fo daf mach Abzug der Mortalität
(welde von den Gefumdheitäbehörden in San Francisco
vielleicht etwas zu hoch auf 33,7 per Taufend während der
Jahre 1872 und 1878 und auf 82,1 für 1878 umd 1874 ger
angelfangten Dampfer brachten jeder amilchen R00 und 1000
neuer Chinefen au. Das Baffagegeld für Zwiſchendeck, mit
Beköſtigung, beträgt 50%, Dollars per Kopf, Da nicht
allein die californifchen Bebörben, fondern ſoeben auch der
Senat der Union und fogar die Legislatur von Britiih-Colnm-
bien die chineſiſche Einwanderung als unertränliches Uebel
bezeichnet haben und Maßregeln zur Verhinderung oder Be:
ſchränkung derfelben als dringend nothwendig erachten, dürfte
die Chinefenfrage jetzt in ein Stadium getreten fein, welches
bie baldige Löſung derielben nach fich zichen muß; aber auf
welche Weile diefe zn Stande gebracht werben foll, „That is
indeed the question !*
Franz Birgbam.
ſchützt wird) fich etwa %,000 ala die Zahl der augenblicklich | * * x
auf der PacificKüfte Nordamerilas anſäſſigen Chinefen an: , .
geben läßt, von welchen 60,000 bis 70,000 allein auf Cali- | — Die legten Nachrichten von Oberft Gordon (d. d. 10,
fornien fommen bürften. Februar 1876) melden, daß derſelbe nach Urondogani (0°507
Aber auch auf andere Weife läßt fich diefes Refultat | mördl. Br. am Weißen Nil gelegen) und nach Magungo (am
erlangen. Nach dem legten Cenſus vom Jahre 1870 belief Einfluß des Weißen Nil in den Albert Nyanza) Garnifonen
fich die Zahl der Chineſen in den Vereinigten Staaten auf | gelept bat, welche Baker's alten Feind Kaba Rega, König
60,254, in Californien allein auf 49,810 (im Jahre 1860 | von Unyoro, im Zaume haften ſollen. Bon den beiden Scen
auf reſp. 35,565 und 34,935). Seit 1870 iſt ein jährlicher | Mwutan (Mlbert Nyanza) und Ukerewe (Victoria Nyanma)
Zuwachs von durchſchnittlich 13,000 dazugekommen, von dem | bat Gordon im Namen des Vicefönigs förmlich Beſitz er:
5000 für jährliche Rüdwanderung abzuziehen find, fo daß währ | griffen. Er hofft noch immer, bald einen Dampfer und zwei
vend der ſechs Jahre bis heute eine Zunahme von 48,000 | Segelfchiffe auf dem erftern ſchwimmen zu haben. Doch fann
angenonmen werben fann. Von den fomit erlangten 108,000 | er nicht ſelbſt die Beſchiffung des Sces ausführen, da er im
muß noch eine jährliche Sterblichkeit von etwa 3 Vrocent Herbſt nad) Kairo zurüdtehren will, Au feine Stelle foll
abgezogen werben, wodurch fich wieder eine Geſammtzahl von | ein Mr. Geſſi treten. . ,
etwa 0,000 für die heutige chineſiſche Bevölferung der Union — Dr. Schliemann, welcher auf Hiſſarlyk im der
ergiebt. Daß die Zumahme durd Geburten gleich Null ift, troiſchen Ebene jo glüdliche Ausgrabungen unternahm, hat
ergiebt fich fchon aus dem Umftande,»dafi von den Eimwan- | von ber Pforte Eriaubniß erhalten, biefelben weitere zwei
derern nur der fünfundzwanzigſte Theil dem weib: Jahre lang fortzufegen. Er gebenkt biefelben ſchon Ende
lichen Geſchlechte angehört ; feit dem Jahre 1862 landeten im | Mai zu beginnen — wenn ihm nicht etwa die politiſchen Er⸗
Ganzen nur 4406 Weiber und diefe zum allergrößten Theile | eigniffe daran hindern, j
zum Zweckee der Proftitution. — Die engliſche Vermefjungsabtbeilung, welche bie Ge:
Die Anzahl der in der Stadt San Francisco felbft | birge des Naga:-Stammes (zwiſchen Aſſam und Birma)
lebenden Chinefen wird augenblicklich auf 25,000 bis 30,000 | in einer Ausdehnung von 1200 ‚engliichen Quadratmeilen
(über 10 Procent der Gefammteinwohnerzahl) geſchätzt. Nach aufzunehmen hatte, hat ibr ſchwieriges und achahrvolles Wert
Langley’s Adreßbuch befigen fie bort 75 Gigarrenfabrifen, | glüdlich vollendet und ift Anfang Mai auf britifches Gebiet
11 Hemdenfabrifen, 120 Handelshäuſer, 3 Fabriken für Gold- | zurüdgefehrt. Im Laufe der Arbeiten hat fie zwei tüchtige
lachen, 5 lempnereien, 85 Schub: und Stiefelfabrifen, vers | Offisiere, den Lientenant Holcombe (vergl. S. 78 dieſes
ſchiedene Schlachthäuſer, Gärtnereien, Fiſchereien, Hunderte | Bandes) und den Hauptmann Butler, verloren, welche beide
von Waſchhäuſern und zabllofe Barbierläden (im einer Straße | bei mörberifchen Ueberfällen Seitens der Eingeborenen im
allein 50). Auch find unter ihnen acht Nerzte. Sie haben | vorigen Jahre ihren Tod fanden. j
ein Theater fir 1000 Zuſchauer und ein halbes Dutend — Um Mount Rangitoto in der Nähe von Hofitifa im
Tempel; die Opium-, Spiel: und fonftigen Höllen Können | County of Weitland, Neufecland, ift zu Anfang März dieſes
unmöglich gezählt werben. Die Nung:Wo-Compagnie, eine | Jahres reiches Silbererz emtdedt worden, und haben bie
der ſechs großen chineſiſchen Geſellſchaften, unter deren Auf: | Anafyfen von zwei Proben reip. 735 bis 302 Unzen Silber
ficht die ganze Einwanderung jowie alle Eingewanderten | auf die Tonne ergeben. Dies hat große Aufregung in dor
fteben, hat allein 12,000 Mann unter ſich, von denen 5000 | tiger Gegend hervorgerufen, und das Kronland, anf welchem
fih mit Cigarrenmachen beihäftigen, 3000 an Schuhwerk, | der Fund gemacht wurde, ift fofort von Diggern occupirt
2000 atı Hemden und Kleidern arbeiten und die Uebrigen worden,
als Wäſcher, Fiſcher, Haufirer, Köche und Hausbediente bei — Es find nicht bloß europäische Staaten, welche Schul;
Weißen verwendet werben. benlaften brüden, auch im den auſtraliſchen Colonien fteigert
Dafür, daf die Einwanderung im laufenden Jahre bes ſich die Öffentliche Schuld in rafchem Tempo. Während ſich
deutend zunehmen, alle früheren übertreffen und vielleicht | diefe z. B. in der Golonie Südauftralien am 31. December
fetbft dic Zahl vom 30,000 erreichen dilrfte, ſpricht ber Ums | 1865, bei einer Bevölferung von 156,605, auf 796,200 Bf. St.
ftand, daf nicht allein der ganze Zwiſchendeäraum ber bei- | ober 5 Bi. St. 1 Sch. 8 P. pro Kopf belief, erreichte dieſelbe
den Dampferlinien von Hongkong nach San Francisco auf | am 31. December 1875, bei einer Bevölkerung von 210,69,
zwölf Monate im Voraus von den ſechs Compagnien belegt | ſchon die Höhe von 3,320,600, d. i. 15 Pf. St. 15 Sc. 21, P.
ift, jondern daß aud vier Segelſchiffe voller Chinefen fih | pro Kopf. Die Zunahme ber Seelenzahl ftcht in feinem Ber:
auf dem Wege nach Californien befinden; die fetten fünf | hältniffe zur fteigenden Schuld.
Inbalt: In Türkiſch-Armenien. II. (Mit vier Abbildungen.) — Bancroft’s Eiugeborene der Bacific Staaten.
(Mit zwei Abbildungen) — Die Beduan des „Söhel“. I. (Schluß) — Die wiſſeuſchaftliche Expedition Sr. Majeftät
Schiff „Bagelle*. I. — Aus allen Erdtheilen: Die japaniſche Imduftrie von Einft und Heute. — Zur Statiftif der
Ehinefen in Nordamerika. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 23, Mai 1876,)
Rebacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Yintenftraße 13, IN Tr.
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig.
Dierzu eine Literarifche Beilage: Aus der Bibliothek des Unterrichtd von Ferdinand Hirt in Breslau,
Band XXIX.
Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andree.
In Verbindung mit Fahmännern und Künſtlern herausgegeben von
Dr. Rihard Kiepert.
Braunſchweig
J Jährlich 2 Bände a2 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Poftanftalten
jum Preife von 12 Marl pro Band zu beziehen.
1876.
In Türkiſch-Armenien.
III.
Als Deyrolle durch das perſiſche Thor Erzerum verlich,
um den See von Wan zu erreichen, bildete feine Heine Sa:
rawane einen faft impofanten Zug; denn die Kanzler des
englijchen und des ruſſiſchen Conſulats begleiteten ihm mit
ihren Kawaſſen (Amtedienern). Born weg führt der dem
Reiſenden zur Vegleitung mitgegebene kurdiſche Saptieh
(Bolizeifoldat) feine Reiterfunftftide aus, fchwingt die lange
Yanze mit vajender Schnelligleit um fein Haupt, wirft fie
hoc) in die Luft und fängt fie gefchieft wieder auf. Zu beis
den Seiten der oftwärts führenden Straße erheben ſich auf
den Hügeln Berfchanzungen und Erdwerte, auf einen eins
zelnen hohen Berge ein ſtarles Fort am derjenigen Stelle,
wo ein Ausläufer des Bodjhün-Dagh die Steomgebiete des
Euphrat und des Arares von einander fcheidet. Im tiefer
Schlucht fließt ein Gießbach dahin, der aus einem Meinen
See, einer der Araresquellen, feinen Urfprung nimmt. Zwei
Stunden von Erzerum betritt man eine weite Ebene, wo
jener Fluß, der Kalch-Su, ſich in zwei Arme theilt, und wo
man ſchon das noch vier Stunden entfernte Hafjan-Saleh
erblidt. Die aus der Zeit der mohammebanifchen Eroberung
bativenden Mauern diefer Feftung find ungefähr 3000 Meter
lang und mit einer doppelten Reihe zinnengefrönter Thürme
verſehen. Mehrmals mug man noch den Strom durchreiten,
che man die Stadt erreicht, die, auf einem füdlichen Aus:
läufer des Karatichli-Dagh gelegen, in der Abendbämmerung
einen frembartigen Anblid gewährt.
Der erfte Gang des Keifenden war zum Mutefcharif,
der bei äußert fchlechter Yaune war und ben fremden, beren
Globus XXIX. Nr. 24.
Rang er nicht fannte, einen fühlen Empfang bereitete. Der
Unglückliche, dem man es zum Vorwurfe gemacht, daß er
feine eigenen Intereffen über die des Staates geftelt — was
man übrigens getroft von der Mehrzahl der türkischen Beam
ten behaupten lann — hatte eben feine Abſetzung erfahren —
daher feine Mipftimmung. Als er nun zu wiflen befam,
daß feine Vefucher zum Confulatscorps gehörten und gar
bei Iamail-Pafcha einigen Einfluß befaßen, da machte ex
ſchleunigſt fein Unrecht wieder gut, quartierte fie ein und ſandte
ihnen fein eigenes Abendeflen, wohl in der Hoffnung, da
fie bei feinem Borgefegten ein Wort zu feinen Gunften eins
fegen wilrden,
Am nüchſten Morgen muß nad) dem Berlaflen der Stadt
ber Kaleh⸗Su auf einer Briide wieder Überfchritten werden.
Vorher kommt man bei ſchwefel- und eifenhaltigen warmen
Quellen vorbei, die ringsum in großem Rufe ftehen. Der
Weg flihrt nach Sliden Über die weite, fruchtbare, meiden:
reiche und wohlbebaute Ebene Bafin, im Alterthume die
Yandichaft der Phafianen, durch deren Gebiet ſich Kenophon
den Weg mit Waffengewalt bahnen mußte. Es ift ein völ-
liges Plateau von 5000 bis 6000 Fuß Höhe, das bis in
das zweite machdriftliche Jahrhundert von dem zum foges
nannten meſchiſchen Vollsſtamme gehörigen Phafianen
(PHafis hie einft, wie der heutige Nion, fo aud) der Arares;
Bafean nannten die Georgier das Yand) bewohnt wurde, von
den Verwandten der Tibarener, Mofynöten, Chalyber, Kol
der, Safpeiren, Taocher, Lazen, Iberier und wie fie alle
heißen mögen, die zahlreichen Tribus im Oſten des Pontus,
47
370
Erft im zweiten Jahrhundert mad, Ehrifti Geburt drangen
hier die ariſchen Armenier ein.
In Ertef, einem großen armenifchen Dorfe zwei Stum-
den von Haſſan⸗Kaleh, verabſchiedeten ſich die beiden Kanz—
fer von Deyrolle und fprengten Über die Ebene zuriid, wäh.
rend Yepterer anfangs ſcharf bergauf und daun deu ganzen
Tag jübwärts über öde, faft baumlofe Hoc)ebenen zu reiten
hatte, Erft gegen Abend ftieg er wieder in das Thal des
Araxes, hier Palin-Su geheißen, hinab, deſſen tief einge-
fchnittenes Felsthal ihm während des Tages ftets zur Linlen
(öftlich) geblieben war. Im Dorfe Medſchili blieb er
über Nacht und erhielt von feinem Wirthe ein paar pracht-
volle Hörner der wilden Ziege, die in den Felſen ringsum
zahlreich haufen. Am folgenden Tage folgte er noch dem
engen Thale des Pafin-Su, bis es ſich erweiterte, überſchritt
dann den Strom auf einer Brüde, liber welche die Fluthen
hinweg gingen, und betrat nun füdwärts reifend ein ebenes,
wiefenreiches Gebiet, wo er eine reiche Ernte an Imfecten
hielt. Nachmittags wurde der Tſchelma-Dagh erftiegen
und dort auf halber Höhe eim furdifches Yager erreicht, das
Se ——
In Türkisch Armenien,
zwar bes Intereffanten genug bot, deſſen Bewohner jedoch
die Fremden ungafilid, genug aufnahmen, fo daß dieſe nur
mit Muhe Obdach unter einem Zelte und das nöthige Abend»
effen erlangen konnten, Erſt allmälig wurden einige der
Kurden vertranter und festen fich zu Deyrolle, ber feinerfeits
nun wieder Acht zu geben hatte, da fie ihm nichts von feis
nen Sachen entwendeten. Es waren große ftarke Leute mit
ftart gefrünmmer Nafe (ein Glied, das für ein Kurdengeſicht
fehr charafteriftiich ift, aber aud) etwas fehr fchwer zu Bes
ichreibendes hat) und mit großen, tiefliegenden Augen, total
von den Türken verſchieden, aber mandyen Armeniern ähns
lich, wenn aud) von edigeren Zügen. In der äußern Er»
ſcheinung haben fie ſehr viele Aehnlichteit mit den Afghanen,
und fchöne Köpfe, wahre Patriarchengeſichter, find nicht fel-
ten unter biefem wegen Mord und Diebftahl verrufenen
Bolke. Meiftens fcheeren fie fich den Kopf und tragen nur
einen Schnurrbart, nur Greife den Vollbart. Ihre Klei⸗—
dung ift gefchmadvoll und amnfcheinend bequem und befteht
aus weiten Hofen von Ziegenhaar, die bis zum Knöchel rei:
dien, und einem vorn und an ben Seiten offenen Gewande.
m.
——
—
Haſſan⸗Kaleh.
Die Aermel des letztern find vom Ellenbogen ab aufgeſchlitzt
und geftatten den oft bis auf den Erdboden reichenden Aer—
meln des Hemdes herauszufallen. Ueber diefem Gewande tras
gen fie eine Kleine geftidte Jade von ſchwarzer Wolle, deren
Aermel hinten auf dem Rüden hängen. Cine wollene Binde
dient als Gürtel und hält die Piftolen und Doldye. Neiter
tragen rothlederne Stiefel, deren Schaft in Falten gelegt ift,
Fußgänger ſpitz zulaufende Scnürfchuhe Zu den mars
tialiſchen Gefichtern paßt ihre Kopfbedeckung trefilic: eine
hohe, zuderhutförmige Filzlappe, um welche man einen oder
mehrere buntfarbige Shawls von Baumwolle, Wolle oder
Seide widelt. De höher der Rang, defto größer die Kopf⸗
bededung, und die viefigiten diefer Wülfte tragen die Häupt-
linge oder Begs, deren Kleidung oft von großem Neichthume
iſt. Im Winter werfen diefe Kurden einen weiten und dien
Mantel aus ſchwarzem Ziegenhaar un, im Sommer einen
leichten Mantel aus Wollenmouffelin, der mit einem fehr
eigenthlimlichen, aufgenäheten Muſter aus weißem Baum:
wollenftoff verziert iſt.
Die alten Frauen zeigten ihre immerhin regelmäßigen
Gefichter unferen Reifenden, während die jungen Frauen und
Mädchen offenbar von ihren Gatten und Vätern verftedt
gehalten wurden, ande trugen auf der Bruft eine Reihe
von Ketten aus Gold: oder Silbermünzen, die mit bunten
Hasperlen oder Metallgliedern zufammengehalten werben.
Viele hatten im linken Nafenflügel einen Kleinen mit Türfijen
befegten filbernen Knopf, wie er in Kurdiſtan allgemein getragen
wird. Dem Kopf bededen fie mit einem weißen Schleier;
über den bis zum Knöchel veichenden Beintleidern tragen fie
das landesübliche Gewand, das fie beim Gehen bis zu dem
Waden aufheben. Kleid und Hofen find meift aus bidem
rothen Baummollftoffe, der in Bitlis fabricirt wird, gemacht.
Das Yager Körfi, wo Deyrolle übernadhtete, befand aus
etwa 20 Zelten und ein paar elenden Häufern aus Erde
und Stein. Erſtere waren domförmig, geräumig und zer
fielen in 2 bis 3 Abtheilungen; dev untere Theil befteht aus
einer Hürde von Rohr oder Yattenwerk, das Zelttuch aus
einem ftarten braunen Wollengewebe. Gin Loch in ber
Mitte jedes Zeltes dient als Herd, jo daß meift die ganze
Behaufung voller Rauch ift.
In Türliſch-Armenien.
rt
—
Kurdiſcher Häuptling.
372
Im Winter wohnen biefe Kurden unten in der Ebene;
jeit Kurzem jedoch hatten fie ſich oben auf den Bergen in
einer Höhe von über 2000 Meter inmitten reicher Weider
pläge niebergelaffen. Ziehen fie jo von einem Ort zum anr
dern, fo beladen fie ihre Pferde und Ochſen mit den Zelten
und Hlirden. Das Hausgeräth und die Heinen Finder wer:
den von den frauen getragen, während die Männer beim
Wandern nur bie Yanze ober die Tabadapfeife in der Hand
halten.
Am 12, Mai verlieh Deyrolle vor Sonnenaufgang das
Pager mitten zwifchen Herden von Ziegen, Schafen, Eſeln
und Ochfen, welche auf demjelben Wege ihren Weideplägen
zuwanberten. Hin umd wieder zeigten ſich zur Seite ber
Strafe Grabfleine von Kurden, auf welchen nur friegerifche
Attribute, wie Piftolen, Lanzen, Dolce, Streitärte u. |. w.,
eingemeißelt waren, ein rechtes Wahrzeichen für die wilden
Sitten diefer Wanderſtämme, die noch bis vor kurzer Zeit
von lauter Plünderung und Mord lebten. Nach zweiftlin
digem Ritte war die 3000 Meter hohe Spite des Berges
Techtap, eines Pils in der Kette des Tſchelma-Dagh, erreicht;
bort oben waren nod) die nach Norden zu belegenen Klippen
und die Schluchten mit didem Schnee erfüllt, der die zur
Rechten auffteigende dominirende Kuppe des majeftätiichen
In Zürkifch- Armenien.
Bingöl-Dagh *) nie verläßt. Raſch geht es nun hinab
durch mehrere fruchtbare Thäler, die zu dem Armenierborfe
Alweran gehören, hindurch nad) der Telegraphenftation
BDarmalfis, wo die Beamten ihr Frähftlid mit dem Rei
fenden theilten; dann bei einer Furth durch den Fluß Kale
Su, der vom Bingöl-Dagh (db. i. Taufendfeen » Gebirge,
auf welches die armeniſche Vollsſage die Stätte des Para-
dieſes verlegt) herabkonmt und dem öftlichen Euphrat ober
Murad tributär ift, und liber eine große Ebene bis Chynye
(Chnus). Doch leicht ift die legte Strede keineswegs ; denn
die Ebene wird von tiefen, feilmandigen Schluchten zer:
riſſen, fo daß der auſcheinend leichte Weg durch das fort
währende Hinab: und Hinaufflettern Uberaus mlhfelig wurde,
Der Kaimafam der Stadt, von der Ankunft Deyrolle's
unterrichtet, fandte bemfelben einen feiner Offiziere entgegen,
weldyer den Reiſenden in das Negierungsgebäude führte.
Dort ſprach der von einigen Kadis umgebene Beamte gerade
in lurzer, patriarcafifcher Weife Recht, lub dem Fremden
ein, neben ihm Plag zu nehmen und bot ihm Pfeife und
Kaffee an. Der Mittelpunkt der alten Stadt Chynys liegt
"malerifch auf einer Bafaltinfel, um weldye mit ungeſtümem
Toſen in tiefer Schlucht der Strom feine ſchäumenden Ge
wäſſer wälzt. Diefer Felſen trägt die Feſtung, das Regie⸗
< — — F
— — —
—
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4
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Armeniſches Dorf.
rungsgebãude, eine Moſchee und wenige Häuſer, alles in
armſeligem und verfallenen Zuftande befindlich, während
ſich in den Schluchten ringsumher die Häufer bes Ortes
emporziehen und die Gärten, wie Epheu an einem Baunt:
ftamme, hinaufflettern. Unten am Fluſſe wachen Pappeln
und Fruchtbäume. Dort erhielt Deyrolle einen meuen Po-
lizeifolbaten zum Begfeiter, einen Meinen, alten Mann, der
aber auch feine Reiterſtückchen zum Beften gab, unterwegs
in einem fort ſchwatzte und von Zeit zu Zeit aus voller Kehle
ein Lied anftimmte. Er galt Übrigens, weil er fo gewaltig
Schreien konnte, dort zu Yande, wo bie Stärke ber Stinme
höher als ihr Schmelz angefchlagen wird, fiir einen guten
Sänger. Sonft find die furdifchen Lieder weit ausbrude:
voller und fumftgemäßer, als die der Türken und Armenier;
fie gefallen dem Europäer mehr, weil ihr Rhythmus lebhaf-
ter ift und ihre Vortragsweife nicht jo näfelnd.
Am felben Abend wurde das große Urmenierborf Tfche:
werme (Tſchewermeli) erreicht, wo die Aufnahme eine gläns
zende war, weil der vorangeeilte Saptieh von den anfommen«
den Fremden große Dinge berichtet hatte. Das befte Haus
mit einem domförmigen Ballendache, im deſſen Spige ſich eine
Deffnung befand, wurde ihm eingeräumt. Dagegen nahmen
ſich die anderen Häufer wie wahre Maulwurfshanfen and;
denn nod) heute gräbt fid) der Bewohner jener kalten Hoch⸗
ebenen, wie zu Kenophon’s Zeiten, in die Erbe ein, um gegen
die geimmigen Winterftlivme gefchligt zu fein. Die Dächer,
fagt der griechiiche Feldherr, erheben ſich nur wenig über
ben Erdboden, fo daß die Dörfer, befonders im Winter, nur
ſchwer zu finden find. Der Eingang in diefe halb umter-
irdiſchen Häufer ift oben eng wie ein Brunnenloch; erſt nach
unten werden die Wohnungen geräumiger. Flr das Bieh,
dad man ebenfalls unten, bei Mermeren faft in denfelben
Räumen wie die Menſchen, zu halten pflegt, find bequemere
Zugänge gegraben ; die Menſchen dagegen fteigen auf Leitern
hinab. Genau chenfo fehen noch heutzutage die Dörfer na=
mentlih in den Bergen aus. In den Ebenen, wo das
Herbeifchaffen von Steinen zu foftfpielig fein würde, wird
die Erde auf und um den Bauplag herum ausgegraben, an-
gefeuchtet, mit Hädſel vermiſcht, in große Ziegelformen ger
preßt umd einige Tage an ber Luft getrocknet. Aus diefem
wenig dauerhaften Material werben die Mauern hergeftellt
und über diefe kommt eine Yage flarfer Querballen oder
dlinnerer, mit einer Schicht Neifig überdedter Bäume, welche
”") Nach Tſchichatſchew 12,300 Fuß, nach Sireder nur 10,233
Fuß bock, neuertings von Radde beftiegen, deſſen Bericht noch ausfeht.
In Türkiſch⸗ Armenien.
dann 2 Fuß did und mehr mit feſtgetretener und durch eine
Walze zufammengepreßter Erde bebedt werben. Namentlich
die Reifigdächer lafjen Regen und ſchmelzenden Schnee durch,
und häufig jällt die loder gewordene Erde den Bewohnern
auf den Kopf, ohme daß diefe ſich dadurch im ihrem Phlegma
fiören Ließen. Fur Ficht und Luft bleiben Deffnungen in
den Mauern, die im Winter mit geöltem Papier verflebt
werden. Bei Meberfluß an Steinen werden diefe als Baus
material für die Mauern, als Mörtel wird angefeuchtete
Erbe, die ſehr pafjend Tſchamur, d. i. „Schmug“, heit, ver:
wendet. Diefe Dörfer, welche weder Gärten noch Bäume
befigen, gleichen von Weitem und namentlich von oben ges
ſehen völlig großen Schmutzhaufen. An Bergabhängen
wlhlt man einfach ein Loch in ben Boben hinein und ſchützt
es vorn mit vorgelegten Steinen oder Ballen, fo daß man
ſolche Wohnungen, wie Xenophon jagt, namentlic, im Win-
ter, nicht eher bemerkt, als bis man in fie himeintritt,
Deyrolle's Nachtquartier in Tſchewerme, einem Dorfe
von 40 Häufern, mar jedoch eines der beten, das er auf
feiner ganzen Reife antraf: ber für ihm beftimmte Kaum
war von der Übrigen Wohnung durch ein funftreich und ge ⸗
ſchmackvoll gejcmigtes Geländer gejchieden, der Boden mit
einem Filzteppich bebedft und die rauen mit Binfenmatten
fiberfpannt. Gleich bei
feiner Ankunft bot man
ihm ein treffliches Gericht
Kaimat und herrlichen
weißen Honig. Kaimal
bildet neben dem Ya'urt
ober ber ſauren Milch
das Hauptnahrungsmits
tel der Leute in diefen
viehreichen Gebirgen; es
iſt dide, fette Sahne,
weldye übrigbleibt, wenn
man eine tlchtige Por
tion Milch in einem
J ill En th m
\
tupfernen Gefäße einige = =
Stunden . lau ers — ——
hält. Im Iſchewerme Altaſſyriſches Relief aus Kojundjut
und Umgegend wird auch auf dem Tigris auf einem Ä
viel Gefligel- und Bie ⸗ a
nenzucht getrieben und
der dort gewonnene Honig fteht im beften Rufe und er-
zielt hohe Preife: das Kilo Honigwaben foftet 4 Marl,
ausgelafjener Seim über 5 Marl. Trog feiner ziemlich,
hohen Yage (an 2000 Meter) ift diefe Gegend im wahren
Sinne des Wortes ein Land, wo Milch und Honig fließt.
Das wurde unferm Reifenden Mar, als er den Einwohnern
Abends den Puls befühlt, die Zunge befehen und ihmen zu
ihrer großen Befriedigung Chinin und Aloe eingegeben hatte,
und feine dankbaren Patienten ihm bei feiner Abreiſe folche
Mengen von Sahne, Eiern, Honig u. f. w. herzufcjleppten,
daß er die Hälfte zuriidlaffen mußte, um feine Thiere nicht
zu überbürben.
Bon Tſchewerme ging die Reife anfangs nad, Oſten
am Kaleh⸗Su hinab und dann nadı Siben Über den mit zahl-
reichen Dörfern und Zeltlagern der Kurden befegten und
herbenreichen Chamur-Dagh hinliber nach dem großen dft-
lichen Quellfluſſe des Euphrat, dem Murad, deflen ange
ſchwollene Fluthen von zahllofen, wenig ſcheuen Belifanen,
Kranichen, Föffelreihern und anderen Waſſervögeln bedeckt
waren. Im Winter und Sommer fann man ben Murad
an den Furthſtellen durchreiten, aber nach den Regen und
der Schneefchmelze des Frühlings und Herbftes bedient man
fi) eines Floſſes, deſſen Gebrauch in diefen Ländern uralt
373
ift, deſſen Xenophon erwähnt und von dem wir eine Abbils
dung geben, deren in den Txlimmern Ninives von Yayard ges
fundenes Original vor mehr als zwei und einem halben
Jahrtauſend von affgrifchen Künftlern ausgemeigelt worden
ift. Es iſt der Kellet oder das Schlauchfloß, deſſen Haupt
beftand eine beliebige Anzahl aufgeblafener Hammel: oder
Ziegenfelle bilden, die reihenmweife mit Weidenruthen zufam-
mengebunben werden; darauf fommt dann ein Flechtwert
von Reiſig, Schilf und dlinnen Stangen und bei ganz gro-
Ben Flößen, die lange Reifen zurüdlegen ſollen, noch eine
Page Bretter, während Heine Flöße Über den Schläuchen
nur eine Lage Stroh oder Rohr tragen. Natürlich ſchwimmt
ſolch ein anfcheinend gebrechlicyes umd durch Ruder nur ges
fenftes, nicht vorwärts getriebenes Fahrzeug allein mit dem
Strome, dann aber auch lange Streden, wie z. B. Freiherr
von Thielmann —— im Kaulaſus, in Perſien und
in der aſiatiſchen Turkei, Leipzig 1875 — nebenbei be—
merkt ein ſehr unterhaltendes und belehrendes Reiſewerk —)
auf einem ſolchen Kellel die mehr als 70 deutſche Meilen
lange Fahrt von Moſſul nach Baghdad zurlidiegte. Die
anfangs ftrafjen Schläuche, deren jeder etwa einen Gentner
Tragkraft hat, geben natürlich im Yaufe der Reiſe und durch
das häufige Aufftoßen an Steine und Sandbänfe nad und
mlffen je nach Bedilrf:
— niß wieder aufgeblafen
werben. Herrn v. Thiel-
mann foftete ſolch ein
Floß von 250 Schläu-
hen 18 türfifche Pfund
(zu etwa 181/, Marf,
der Schlauch etwa 5
Piaſter = 1!/, Marf),
ein brillantes Geſchäft
für den Unternehmer,
der alles Holzwert in
Baghdab weit theurer
verlaufte, als es im
Mofful zu ftehen lommt,
wo das nahe Kurbiftan
Holz in Menge liefert,
und der die geſammten
teodenen Schläuche auf
zwei Maufthiere paden
und heimbeförbern konnte. — Auf einem folchen Floſſe von
nur 20 Scläudyen wurde der Murad von Deyrolle ge—
kreuzt, während bie Pferde nebenbei ſchwammen; dann
ging ed quer fiber die Ebene Bulanyt nad) dem Städt:
hen Gop, dem Sige eines Kaimafam, mit 300 fat aus—
ſchließlich armeniſchen Häufern. Hier hatte der Reiſende
Gelegenheit zu beobachten, bis zu welchem Grade die
dortigen Chriften die Gewohnheiten und felbft manche
religiöfen Vorfchriften der Mohammedaner angenommen
haben. Als Deyrolle in Anweſenheit eines chriitlichen Ar—
meniers eine Sarbine in Del ſich fchmeden ließ, bat derjelbe
—— um eine ſolche und verzehrte ſie mit vielem
en; als aber der Dolmetſcher des Reiſenden ſcherzend
das Del für Schweinefett erklärte, entfernte ſich der Chriſt
nit allen Zeichen des Abfcheues und Elels. Ebenfo verab-
fcheuen die Chriften dort ben Hafen und das Fleiſch jeden
Thieres, dem man nicht bei (ebendigem Leibe den Kopf ab»
geſchnitten. Ebenſo verhlillen ihre (rauen in Amwefenheit
von Fremden das Geſicht.
Kurz Hinter Gop erhebt ſich rechts vom Wege nad)
Achlat und dem Wan-See auf einem fchroffen Hügel das
alte Klofter Ranaswant, deſſen hohen Mauern, Sinnen
und Schießſcharten man bie geiftliche Beſtimmung nicht ans
374
In Türliſch-Armenien.
ſehen könnte, wenn fie nicht durch die Kirchenkuppel mit dem | Bertreter den Titel Schach-Arman, d. i. König von Arme—
Kreuge verrathen würde. Yange mußte der Neifende an der
einzigen Thlir Hopfen, che ihm einalter Priefter öffnete und die
dem heiligen Daniel
qeweihte Kirche zeigte.
Der Kirchenſchatz iſt
ſchon zu verſchiedenen
Malen ſehr reich ge
weſen, aber trotz aller
Befeſtigungen wieder:
holt von den Kurden
geplündert worden,
Merkwitrdig find ei;
nige armeniſche In⸗
ſchriften und ein Mo»
fait aus foffilen Mu—
ſcheln, die von einem
Berge am Kuphrat
am Eude der Ebene
Bulanyt ſtammen und
wohl mit denen von
Schaordoril (S. 343)
gleichen Urfprung has
ben. —
Zehn Kilometer
von Cop entfernt
wurde der feine Se
Kazan-Göl paſſirt,
an welchem mehrere
von Kurden und Ar—
meniern gemeinſam
bewohnte Dörfer lie:
gen, dann am näch—
ſten Morgen ein zjere
ſtörtes Armenierdorf,
wo ſich zahlreiche vol:
fommen kugelrunde
Locher mit enger
Mundöffnung in dem
Felsboden finden, die
einft zum Aufbewahs
ren von Wein oder
einer andern Fluſſig⸗
feit gedient haben. An
dem etwas größern
Nazyt-Gol eritand
Deyrolle von einer
Schaar junger Yeute,
die einer Bärin ihre
zwei tungen geraubt
hatten, den einen derfelben fr 5 Piafter. Dann führte
der Weg Über eine trefflich bebaute, fruchtbare Hodjebene
und fenfte fid) nach Achlat an den budjtenreichen gro—
fen See von Warn, Die Gipfel der den See umſchlie-
enden Berge find an jener Stelle völlig fahl, aber ihre
Abhänge find mit Eichen und Wachholderſträuchen bededt,
beionders längs der Bachrinnen, deren eine, tief in das fel-
fige Seftein eingefchnitten, nach Achlat hinabführt, Die
beiden teilen Thalwände zeigen eine Menge künſtlich aus«
gehöhlter Löcher, welche äußerſt ſchwer zugänglich find und
für altajiyrijche Gräber gelten. Auch die Wohnungen des
Ortes, jo weit fie in diefem Thale liegen, find wenig an:
deres, als ſolche Yöcer, die nad) außen durch eine Erd—
master geichlojien find. So elend ift heutigen Tages der
Ort, der über ein Yahrhundert hindurd) (1099 bis 1207)
Reſidenz einer feldfchufifchen Dymaftie geweſen ift, deren
Armeniſcher Grabſtein
Haus Ruſſiſch Armenien.
nien, führten. Cine alte armeniſche Stadt, wurde Khelat
(oder nad) arabifcher und Urliſcher Ausſprache Achlat) im
9. Jahrhundert von
den Arabern, 993 von
den Byantinern, dann
von Kurdenhänptlin«
gen erobert, denen fie
1099 der Turle Sof:
man-el⸗Kothbi ent-
riß, der Grunder je-
ner oben erwähnten
Dymaftie von neun
Negenten. 1207 fiel
fie wieber einer Kur«
denfamilie, der bes
berühmten Saladin,
zu, und wurde dann
1229 nad) zweima-
liger vergeblicyer Be:
fagerung vom Khan
Dichelallebdbin von
Sharesmien erobert
und zerftört. Diefer
Fürſt mußte damals
einen ganzen Winter
vor der Vefte liegen
und zwanzig Belage-
rungsmafdinen von
der Serfeite auf fie
fpielen laflen, che es
ihm gelang, nachdem
drinnen die Hum-
geränoth, auf das
Höchfte gefliegen, zum
Schlachten der Hunde
genöthigt hatte, ja
das Pfund Brot mit
Ducaten bezahlt ward,
fie mit dem Schwert
in ber Kauft zu er
ftürmen *). Noch
fonnte der franzbſi⸗
ſche Naturforſcher auf
einem ſchroffen Fel⸗
fen inmitten des
Trümmerfeldes die
Spuren von Thür-
men und Mauern bes
alten Königsfiges er-
fenmen; ebenſo ftehen noch einige ziemlich wohlerhaltene
Grabmäler, die angeblicd, aus dem funfzehnten Yahrhundert
ftanımen, Das it aber auch Alles, was er über den
merkwürdigen Ort zu berichten weiß, fo daß es noch im-
mer eimem fpätern Befuche eines geichichtäfundigen Orien-
taliften vorbehalten bleibt, mehr Yicht in die Topographie
und Geſchichte von Achlat zu bringen.
* Vergl. Karl Ritter'a Erdtunde von Aiten VII, Abb. 3, S.
324. — Es ift zu bedauern, daß Deprolle feine Aufmerkſamkeit
nicht in böherm Maße den baulichen Heften und etwaigen Intchrife
ten biefer alten Statt zuwandte; denn feit ten von Mitter mitger
tbeilten Berichten von Jaubert und 3. Brant (1636) bat unſeres
Wiſſens fein eurobaiſcher Neifenter über Achlat geſchrieben. Selbit
tie neueren armeniiben Autoren ſcheinen ſich nur über die Geſchichte
der Stadt, micht über ihren heutigen zZuſtand und ihre Ruinen aus«
sulaffen.
Alte Denkmäler an der märoftanifchen Weſtküſte.
Alte Dentmäler’an der
Schon früher (Bd. XXIV, S. 175) haben wir über
Steindenfmäler in Marofto berichtet und General Faib:
herbe's Forſchungen und Anfichten liber diefelben mitge—
teilt. Heute find wir in der Yage, unferen Leſern die Abs
en eines ſolchen vorlegen zu fönnen, deſſen Original
Herr Vieutenant v. Löwenſtern an Ort und Stelle auf
genommen hat. Derfelbe befand fich auf Sr. Maj. Kanonens
boot „Nautilus“, Corvettencapitin Zembſch, weldes im
Sommer 1875 mehrere Häfen und Füſtenorte an der mar
rotlaniſcheu Weftküfte zwiſchen Tanger und Mogador be:
ſuchte. Die interejfanten Berichte über diefe Reife, mit
Hafenanfnahmen und Städteanfichten veich illuftrirt , finden
— —
hundert, aus der Zeit, ald die Portugieſen Mazagan inne
hatten. Sie ift ganz aus Steinen gebaut, weldye zu Schiff
von Portugal hingebracht wurden. Der Bau foll gegen
90 Yahre gedauert haben Die Dede wird von Säulen
mit dazwiſchenliegenden flachen Spigbogen getragen, Die
Süulenreihen bilden die vier Seiten eines Omabrats; in der
Mitte befindet ſich eine kreisrunde Oeffnung, wm Yuft und
etwas Licht hineinzulaffen. Der Grundriß der Ciſterne iſt
ebenfalld quadratiſch und ift jede Seite etwa 50 Schritt
lang. Der Eingang zur Cifterne ift in der Dlitte der einen
Ceite, eine Treppe führt hinunter und vor die Thllr. Es
find jegt mod) etwa 8 Fuß füßes Wafler darin enthalten.
Die Höhe vom Boden bis zur Dede wird ehva 20 Fuß
betragen. Das Wafler, für welches die Cifterne beftimmt
war, ſollte nicht Regenwaſſer, fondern mit einer Waller
leitung dorthin geleitet fein. ine Mbflufröhre, welche mit
den Stadtgräben der Feftung communiecirt, leitete etwaigen
Ueberfluß an Waſſer fort.“
a —
Megalithiſches Denkmal bei Arſeila.
maroffanifhen Weſtküſte.
fi in „Annalen der Hydrographie und maritimen Meteo-
rologie* 1875, Heft 23 und 24, und 1876, Heft 4. Au
drei verfchiebenen Punkten der Küfte, in Mazagan, El Araiſch
und bei Arfeila, fand Pieutenant von — alte Bau:
werke, die aus drei jehr weit von einander liegenden Perioden
ftammen, näulich aus portugiefifcher, römifcer und vor:
hiſtoriſcher Zeit. Ueber die Reſte der erfteren ſchreibt er:
„Ein intereffantes, nicht fehr altes, aber fehr gut erhal
tenes Bauwerk ift eine prachtvoll Uberwölbte Ciſterne im
Mazagan. Sie ſtammt nad) Ausſage des englifchen Con—
ſuls, auf deflen Terrain fie liegt, und der die Nachrichten
aus Archiven in Fiffabon haben will, aus dem 17. Jahr
RE Wk "
— ——
Romiſcher, vielleicht theilweiſe phöniciſcher, Cultur ge»
hören die bei El Araiſch (ſpaniſch Larache el a'reisch bes
deutet „das MWeinfpalier*) liegenden Kuinen an, die Reſte
der altphönikiichen, ſpäter römischen Colonie Yels oder
Lixus, die vor nunmehr 30 Jahren der berühmte Afrifas
reifende Dr, Heinrich Barth genauer unterſuchte. Das
Detail ihres damaligen Zuftandes und ihrer Geſchichte findet
man in jeinen „Wanderungen durch die Küftenländer des
Mittelmeeres, ausgeführt in den Jahren 19345, 1846 und
1847* (Berlin 1849), ©. 23 u. ff. Ueber diefe Refte
berichtet der deutſche Marineoffizier:
„Etwas weiter oberhalb an dem bei EI Araifch munden-
den Wad Lukos, und zwar auf feinen rechten Ufer, liegt ein
Hligel, von dem aus man das Flußthaf bis zur Mündung
und auch die Stadt EI Araiſch fowie d Flußthal hinauf
in das Innere hinein gut überficht —er dv dominirender
Punlt. Auf diefem Hügel, der jegt ganz “ufchwerk und
Geſtrupp bewachſen ift, jo dag man fi mit Milhe
376
einen Weg bahnen kann, befinden ſich einige Ruiuen, die
wegen ihres Baumaterials auffallend find und gewiß ein hohes
Alter haben,
Der befterhaltene Theil der Ruinen ift die Ede eines
einftinaligen Gebäudes, deſſen Mauern aus einem harten
Stein umd zwar aus mächtigen Wilrfeln oder länglichen
Quadern aufgeführt find. Viele diefer Quadern hatten Dis
menfionen von 2x 3 = 4 Fuß. Somohl bie fonft erhal-
tenen Bauten der Mauren als die der Portugiefen, welche
an vielen SKüftenplägen von Marofto Forts und Nieder
faffungen hatten, find aus ganz anders geformten Steinen
von viel geringeren Dimenfionen ausgeführt. Die alten
mauriſchen Gebäude find hier meift aus gebrannten Steinen
gebaut. Es ſcheinen aber auch ſchon zur Zeit der Portus
giefen vielfach, Steine aus den alten Ruinen zu ben Neu:
bauten verwendet zu fein, denn man zeigt in EI Araifd) an
mehreren Stellen eingebaute alte Steine mit römiſchen Ins
ſchriften, fo einen foldyen Stein in bem Bodenbelag einer
Straße in der Nähe eines Thors bei der Citadelle, und einen
zweiten hoch in der Mauer neben dem nördlichen Stabtthor.
Die fraglichen Ruinenreſte laſſen leider nicht mehr den
Grundriß des einftigen Gebäudes erfennen, Nach bem Ma:
terial zu ſchließen muß es aber ein bedeutendes Gebäude
gewefen fein. Viel mag von dort weggeholt fein, ein großer
Theil iſt aber fo überwachlen mit Bufchwerf und uachgewach—⸗
jenen Boden, daß wir die Umriſſe nicht verfolgen konnten.“
Barth fand 1845 noch ein gewölbtes Gemach von 8,30
Meter Yänge und 21%, Meter Breite, ein unterirdifches und
ein oberirdifches Gewölbe von je 70 Meter Yänge und eine
mächtige Erhedra aus Gementwert. Mit vieler Mühe durch—
brad) er das Geſtrüpp von wilden Himbeeren und anderen
Sträuchern und fand die Kefte der alten Ningmauern, die
aus regelmäßigen, mächtigen Quadern von Über 2 Meter
Yänge und 1 Meter Höhe beiteht, und welche er für das
Werk der älteften puniſchen Anfiedler hält. Ausgrabungen,
welche er flüchtig veranftaltete, wo Marmorbruchſtlicke das
einftige Vorhandenfein eines pradytvollen Gebäudes bezeug⸗
ſen, hatten zwar fein Refultat, allein Barth ift überzeugt,
Emil Schlagintweit: Die engliſchen Himalaya -Beligungen.
daß auf dem noch unangetafteten Boden dieſer einft fo bes
beutenden Stadt planmäßig vorgenommene Ausgrabungen,
zu benen bie Bewilligung ber maroffanif—hen Regierung da»
mals wohl ſchwer, jegt aber leicht zu erhalten fein wiirde,
gewiß ergiebig fein und uns auch vielleicht bie eine oder an»
dere Belchrung Über diefe von gefchichtlichen Ueberlieferungen
fo vernadjläffigte Gegend gewähren würden.
In eine vorhiſtoriſche Zeit führt uns endlich das bei
Arfeila, der Colonie „Yulia Conftantia Zilis* des Kaiſers
Auguftus, gefundene megalithifche Dentmal, welches Herr
von Yöwenftern folgendermaßen bejchreibt:
„Etwa 6 bis 7 Seemeilen (circa 11 Kilometer) öft«
lic) landeinwärts von Arfeila find im ber Nähe eines er»
bärmlichen mauriſchen Hirtendorfes eine Anzahl Steine
vorhanden, die von ben Mohammedanern und Juden als
eine Art Heiligtum mit einer gewiffen abergläubiſcheu
Scheu betrachtet werden. Die Juden fagen, die Steine wä-
ren aus Moſes' Zeiten her, womit wohl angedeutet werden
ſoll, daß fie ein hohes Alter haben. Es find roh geformte
Säulen, die, in die Erde eingegraben, urfprlinglic einen
Kreis, ſcheinbar mit einer Lücke, einer Art Eingang, von
Werten her gebildet haben, Nur ein Stein ift noch ganz
erhalten und in eine rohe Spike auslaufend. Ex hat eine
Höhe von etwa 6 Metern und befteht aus einem nicht jehr
harten Sandftein. Die äußere Oberfläche ift ſchlecht erhal;
ten, fo daß nicht conftatirt werden laun, ob irgendwelche
Zeichen eingehauen waren. Der Durdjmefjer des ganzen
Kreiſes beträgt etwa 60 Meter und der Kreis umfaßt einen
mäßig hohen, fanft anfteigenden Hügel, defjen Kuppe gerade
im Centrum des Kreifes liegt. in alter Iude, jedenfalls
der gebildetfte Maun der ganzen Umgegend, fagte mir, die
Leute fünden dort zeitweilig alte Bronzemüngen. Ich founte
leider keine auftreiben. Die Bewohner des Dorfes fahen
auch nicht gern, wenn man dort Nachſorſchungen anitellte.
Sie find fehr abergläubifch und vermuthen verborgene Schüge
dort, aber „was Allah verbirgt fol der Menſch nicht auf⸗
deden.“ Bon den Steinen glauben die Leute dort außer-
dem, daß fie wie Spargel aus der Erde gewachſen freien.“
Die engliſchen Himalaya-Befigungen.
Vor Emil Schlagintweit.
Yu Der
Die Bevölferung wurde bei der legten Vollszählung
vom 10. Januar 1868 zu 1,3 Millionen erhoben. Sieht
man von Simla ab, welches als Sig einer zahlreichen Be:
völferung von Europäern, die von ihren Renten und Ges
haltern leben, außergewöhnliche Verhältniſſe aufweift, fo find
dic Yandidyaften von Gurdaspur und Huſchiarpur die dichteft
bevölferten nicht bloß im diefen Sebirgsabicdnitte, ſondern
im ganzen Dimalaya Überhaupt; hier folgen ſich die Dörfer
in lurzen Entfernungen, felbft vollreiche Orte von mehreren
Tauſend Eimwohngg find nicht felten. Die Yage nahe ben
natürlichen Zug ssftrahen nach Indien von Afghaniftan
ber, jeine Mims
SR \
4 dicfes Artilele auf ©. 314.
PandſchabHima
en Borzlige vor der Hige der Ebenen und |
ayar).
die Einfamfeit feiner Thäler mußten das Gebirge ſchon in
alter Zeit zum Rückzugslande für die früheren Bewohner der
Ebene wie zum Colonifationsgebiete der Arier und fpäteren
Nomadenvölfer machen, die im Innern Afiens ihre Völker—
wanderung begannen und im Pandſchab beeudigten, Die
Bevölferung ift deshalb aus den verjchicdenartigiten Elemen
ten gemifcht. Die vorarifchen Tallas, die einft das Sind:
Sagar-Duab zwiſchen den Flüffen Indus und Dſchilam
bewohnten, findet Cunningham **) „in den Vorbergen des
**) Ethnology ol Panjub Proper; zuerft verfaßt 1864 und wie:
ker abyebrudt mit Aufägen in Archaeological Survey of India by
Major-General A. Cunpingham, Vol. Il. (Simla 1871), m 1—
| a Häufig ehtirt int eim mir unbelanms umfangreides Werl von
WMajot ©. 6, Smith: Keigning Family of Lahur.
Emil Schlagintweit: Die engliihen Himalaya Befigungen.
Gebirges Dſchamu zu beiden Seiten des Tſchenab“, wohin
fie um 510 v. Chr. durch die Galars gedrängt wurden; fie
wohnten noch im neunten Jahrhundert weiter in der Ebene
herab und bilden in Dſchamu mit anderen Reften ber Ir:
bewohner,, wie Meg, bie früher am Satlebfc faßen, dann
Dund, Sati und Sadan, deren Zahl Smith zu 110,000
erhob, ben Grundſtock der Bevölferung in Dſchamu, Rabd-
ſchauri und Punatſch zwiſchen Tſcheuab und Dſchilam. An
fie ſchließen ſich öſtlich um Marri die Galars an, ein erſt
um bie Zeit der Herrſchaft des Perferkönigs Darius und
durch feinen imdifchen Heerzug im Pandſchab angefiebelter
Stamm, nad; Cunningham turkiſcher Abftammung; weſtlich
reichen biß zu den Quellen der Rawi die Gudſchars hinauf,
ein im weltlichen Indien weit verbreiteter indoſeythiſcher
(tiirfiicher) Volloſtamm, melde Cunningham als bie leiten
indoſcythiſchen Eindringlinge betrachtet. Nach bemfelben For⸗
ſcher beftehen 70 Prozent der gefammten Bevölferung bes
Pandſchab aus Nachkommen der Indoſchthen; im Himalaya
Meflungen,
(Die unter dem Stammnamen
Größe (abfolute Höhe) . .. . -
Spannung der Arme. ..... E
Kopfumfang .. . » - EEE 331
Scheitelhöhe bis umter die Nafe . 136
Scläfendurhmeflerr ..... . 72
Kopfdurchmefler (antero postero) . 113
Heufere Entfernung der Augen:
wind en 67
Innere Entfernung ber Augen:
1 2: Be 25
Länge der Badenfuohen . - - - 70
R BR \7 EEE 22
vo bei Munde . 22... 34
- +»: Ri ...:0.4 4
er Im .. 2er 0. 450
„ vom Rollhügel am Schenkel:
kuochen zur Erde». 2... 566
Bon den Pandſchabi der Ebene und ihren Nachbaren in
Afghaniftan wie im Nepal werben biefe Bergbewohner an
Größe Ülbertroffen, dagegen eriweifen fie ſich von ftärferm
Kuocenban. Zahlreiche Meſſungen in Poligeicorps, in
Gefängniffen u. ſ. w. ergaben für Afghanen und Pandſchabi
eine durchfchnittliche Größe. von 1,675 Meter, für die Der
wohner diefes Gebirgsabchnittes 1,624, fir die Gorthas
1,620, flie Brahmanen in Nepal 1,670; das durchſchnittliche
Gewicht eines erwaclenen Mannes ift bei Afghanen 52,7
Kilo, bei den Nepal-Brahmanen 59,9, bei Gorlhas 52,4,
bei den Pandſchabi der Ebene 55,4 und des Gebirges 48,15
Kilo. Aus dem Detail der Kaften ift hervorzuheben, daß
die in der Ebene fo weit verbreiteten Dſchat im Gebirge feh—
fen; Kaften der Kanet zählen 186,269, Berg: Radſchput
(vergl. Kamaon, Bd. XXIX, ©. 282) 213,163 Seelen,
aus Kaſchmir find an 80,000 herübergewandert. Die
Sprade ift im Himalaya ein Dialelt im Often bes Hinbi,
im Weften des Pendfhabi, ja in Hazara des Pufchtu, der
Sprache ber Aighanen. Jedes Thal ſpricht aber feine eigene
Blebus XXIX. Nr. 24.
377
wiegen fie wefifich des Satledſch vor, erreichen aber fein lin-
fes Ufer nicht mehr. Jahrhunderte lang hatten fie die Herr
ſchaft in Kafchmir inne. Arifche Eoloniften lamen ſchon
früh in das Gebirge, das eigentliche Thal von Kaſchmir wurde
fogar ſehr bald ein Hauptfig ihrer Eultur, und bie ſchöne
Geftalt wie die große Mustelftärfe der dortigen Bewohner
fiel den bubdhiftifchen Pilgern ans Gentralafien wie ben
Europäern auf. Auf ſolche Schönheit oder Gleichftellung
mit dem Höheren Hindulaſten aber die Bewohner in
Rangra und in ben Thälern unterhalb des Thalbedens von
Kafchmir feinen Anſpruch; mit Blut der Urbewohner und
fremder Eindringlinge ftarf verfegte niebere Kaften, die in
Heineren Abtheilungen noch nad) Kaſchmir gelangten, bildeten
bier die Mehrzahl der indifchen Anfiedler, wie ſich in ber
unten folgenden Lifte von Menfchenmeflungen beutlic aus
fpricht. Tibeter lönnen nur fehr vereinzelt hierher gelangt
fein, erft unter den Kanet am Satledſch finden ſich häufiger
Anflänge daran.
ausgeführt von H., A., R. v. Schlagintweit.
ftehende Zahl giebt die Summe der gemefjenen Individuen an.)
Mundart und bie zahlreichen fremden Zufäge wie Rebe:
wendungen warten nod) eines Erllärers. Im den am Norb«
abhang des Himalaya liegenden tibetifchen Landſchaften wer
ben tibetifche Dialekte geſprochen; einige derfelben find höchſt
eigenthitmfich und räthfelhaft, fo das Bıman, die Tibarsfad
genannte Sprache in Kanaur: „ein großer Theil des Wort:
ſchatzes ift fibetifch, ein anderer ift einer Sprache entlehnt,
die feine Tochterſprache des Sanstrit ift, fondern einen ur—
fprüinglichen Charakter hat, ohne daß ſich noch jagen Liehe,
woher fie genommen find *).* Der Religion nad) find
93 Procent der Bevölferung von Kangra Hindus ; der Islam
hat nur in den gegen Aighaniftan ſich abdachenden Diftricten
Erfolg gehabt und bie Mehrzahl der Bewohner zu Moham-
medanern gemacht.
Die Verwaltung ift nad) dem Non-Regulation-Syftem
geregelt unter Uebertragung der Berwaltungsgeſchäfte an die
*) 5. A. Jaäſchte im den Berbantlungen der Aflatifchen Geſell-
ſchaft zu Galcutta 1865.
48
378
Auftigbehörden erfter Inftanz; ein Ausnahmezuftand mußte
wegen ber Himatifchen Berhältniffe fir die Hochthäfer von
Spiti und Lahol geichaffen werden, da ihre Bewohner wäh.
rend des größern Theiles des Jahres von der Verbindung
mit dem Süden abgeſchnitten find. Hier wurde auf Grund
einer Parlamentsacte aus dem breiunddreißigiten Regierumgs«
jahre der Königin Victoria der örtliche Bezirkepolizeibeamte
mit der vollen Yurisdiction ausgeftattet, wie fie fonft dem
Chef des Diftrictes zuftcht; diefer Beamte ift ein Eingebor
rener mit dem Titel Nono (tibetifch), d. i. „Junter“. Für
biejelben Thäler macht ein weiteres Ausnahmsgefeg von 1872
dem ſchwierigen Berfuch, durch ftrenge Strafen gegen Ub-
holzung einer Waldverwüftung entgegenzuarbeiten, welche
hier jo rückſichtslos gelikt wurde, wie in Europa im Engadin.
Weitaus ben größten Theil der Einnahmen liefert die Grund«
abgabe; fie ift jet in einer alle billigen Anforderungen be>
friedigenden Höhe feftgeftellt. Weideland ift durchweg unbes
fteuert; Aderland zahlt pro Hectar 6,15 bie 7 Mark, was
einen Biertheile des Nohertrages gleichfommen follte, aber
unter der Preiäfteigerung und gefteigertem Exporte „nirgends
einem Sechotheil gleichfommt, meift laum ein Achtel erreicht;
wo die wäfjerigen Niederſchläge gering find und das Aders
land als unbewäflerted veranlagt wurbe, beträgt die Abgabe
nicht einmal den fünfzehnten Theil des Nohertvages, wenn
derjelbe aus dem Durchſchnitte der Preife der legten 30
Jahre beredjnet wird *)“ Der Grund und Boden ift, wie
überall im Indien, Eigenthum der Krone; mehr wie die
Hälfte aller Bauern hat aber vererbliche Nutzrechte am
Boden. ine fehr wertvolle Neuerung der engliſchen Ber:
waltung ift die Ausftattung der Dorſſchaften als juriftifche
Perfonen mit einem Verfügungsrechte Über die in ihrer Flur
liegenden unbebauten Grasflächen, wodurd die Aufteilung
eulturfähiger Dedungen angebahnt wurde. Unter der alten
Verfaſſung ftand eim Recht auf diefe Dedungen den Großen
des Landes zu. Die Gilten und Abgaben am diefe chemalir
gen Oberherren find jegt im Verhältniß gu der ftaatlicyen
me abgeftuft und in biefer Weife firirt; ift wie
hier die Steuer niedrig, fo find es aud) diefe Abgaben, die
fid) mit unferen Boden» und Grundzinfen vergleichen laſſen.
Es mußte jedoch ein großer Theil des Landes fiir ſolche
Iberherren und diejenigen, die von ihren Verleihungen ein
Recht auf Grundrente ableiten, als zin&bar anerfannt wer⸗
ben, wodurch ſich die Einnahmen der Abkömmlinge der alten
Feudalherren mitunter ziemlich Hoch ſtellen. So ertragen
die Grundabgaben an den Nadia Dſchai Tſchand zu Lam—
bagraon in Stangra —— Mark, jene des einftigen
Gebieterd von Kulu, Rai Dalip Singh, 17,000 Darf, wie
ſich gelegentlich der Verwaltung ihres Vermögens während
ihrer Minderjährigteit herausftellte.
Für die Anftrengungen der englifchen Regierung, die
Boltsbildung zu heben und ärztliche Unftalten bereitzuftellen,
zeigt die Bevöllerung nod) wenig Sinn. Der Impfung
wird, befonders im Hochgebirge, noch Widerftand entgegen«
gefeßt; von den Hospitälern und Apothefen wird nod) wenig
Gebrauch gemacht: nad) ben Verhältnißzahlen des Pandſchab
müßten mindeftens 0,083 Procent der Bevölferung ärztliche
Behandlung und Medicamente gereicht worden fein; es mel-
deten ſich aber in diefen Anftalten nur 0,023 Procent. Flir
Ausfägige befteht ein Specialhospital in Dharmſala. Die
Boltesfchulen gelten als Yaft, feit das Beftreben, fie zu meh»
ren, Anlaß zur Diftrietsftener wurde. Diefe Difteictsftener
wird mit 371/, Biennig vom Kopfe der anfäfjigen Bauer:
bevölferung erhoben und liefert die Mittel zu mannigfachen
) inleitende Worte des Lieutenant Gevernot kes Pantſchab
(Honorable R. H. Davies) zum Berwaltungsbericht für 1872/1873.
Emil Schlagintweit: Die engliſchen Himalaya=Befigungen.
Berbeflerungen im Gebiete des Straßenbaues, der Schule
und der Öefundheitöpflege; die Art der Verwendung des
Geldes beforgt feit 1872 eim durch Ernennung Seitens der
Regierung beftellter Diſtrictsausſchuß einflußreicher Eins
or ig den Ernannten wird plinktliche Anweſenheit und
Eingreifen in bie ihrer Berathung unterftelten Vorlagen
a
as Chriftenthum Hat jehr wenige Fortſchritte ge:
macht ; drei Miffionsgefelfchaften (die American Presbyterian
in Simla, die Church of England Miffion und die deutfchen
Herrenhuter im Hochgebirge) hatten bis 1868 erſt 108
Eingeborene zu Chriften befehrt. Die deutfchen Herrenhuter
haben ſich den tibetiihen Theil von Kangra als Feld ihrer
Ihätigfeit ausgewählt und feit 1854 fid) in Kyelang in
Lahol niebergelajlen. Die Eingeborenen danfen ihnen mıch»
rere Schulen (die fid) ftarker Regierungszuſchüſſe erfreuen,
weil fid) die Miſſionäre von ftörender Profelytenmacherei
fernhalten) und zahlreiche Tractate und Sculbiiher in tibe-
tijcher Sprache, wir aber ein umfangreiches tibetifcd-
beutfches Stellenwörterbud *). Bei der Rundreiſe
des Vorjahres machte Miffionär Redſlab die wenig erfreus
liche Wahrnehmung, daß die Bücher des Miffionshaufes als
Zalismane gegen Krankheiten blattweife verſchluckt werben,
weil die darin enthaltenen Heilswahrheiten zu gleicher Zeit
als Heilmittel gegen Krankheiten gedadjt wurden!
Am Südrande des Himalaya ift die Zahl der engliſchen
Vaſallen nicht unbedeutend, insbefondere zwiſchen den Flüſſen
Dſchamna und Bias breiten fid) weite Streden reichsmitiel ⸗
baren Gebicte® aus, das unter ber Verwaltung zahlreicher
indifcher Fürften fteht. Diefe Staaten machen der Negie-
zung weniger zu ſchaffen als anderwärts; bie Beilegung der
Grenzftreitigfeiten, die Abjtellung fchreiender Mßbräuche
wird ohne Schwierigkeit erreicht. Während des Aufftandes
von 1857 zeichneten ſich die meiften dieſer Fürſten durch treues
Ausharren bei der Negierung aus; verfprengte Rebellen fan-
den fein Berftel und die bewaffneten Truppen unterftügten
überall die engliſchen Polizeicorps, Zur Belohnung zeigte
ſich die Regierung freigebig mit Verleihung von Titeln und
Abtretung unbequemer Örenzparcelen. Räumlic, der größte
biefer Staaten ift Bajjahir (Biffer) zu beiden Seiten des
Satledſch, mit Rampur als Hauptftadt, welche Sig einer
bedeutenden Wolleninduftrie ift; die Shawlweber ſchätzen die
Wolle der hier gezogenen Schafe hoch und ftellen fie den
beften perſiſchen Sorten gleich. Der Fürft, mit dem Titel
Radſcha, ift 39 Jahre alt umd hat ſich eine feltene Fertig ⸗
feit des Engliſchen angeeignet; er ahmt auch englifche Sitten
nad), macht ſich dabei aber oft recht lächerlich und ift ein
fehr oberflächlicher Mann, der es mit feinen Regierungs-
pflichten ſehr leicht nimmt; im Vorjahre lauerte er jedem
Zouriften auf, um feine Tafchenuhr mit jener des Fremden
zu vergleichen. Scjlimme Zuftände herrſchten bis im die
legten Jahre in Tihamba, nördlich von Kangra; jett
haben englifche Beamte die Verwaltung in die Hand ge
nonmen. .
Eine Befonderheit diefes Gebirgsabſchnittes find die zahl«
reichen Sejundheitsftationen (Sanitarien) oder diejenigen
*) Bergl. „Slobus" Br. XIX (1871), ©. 331 ff. Diefe liter
tarifche Keiftung ift um fo böber angufhlagen, ala das feit länger
als einem balben Jahrhundert an allen Hochſchalen @uropas und
Amerilas gepflegte Sanskrit zu einem foldhen Stellenwörterbuh trog
des Vienenfleibes zahlreicher Prutfcher Gelehrter vollſtandig erft 1875
gelangte. Verfaſſet des tiberifhen Wörterbuchen it Miffionir H. 4.
Jäfchte, welchet im Vorwort zum erſten Theile (Magtebutg 1871)
dem Herrn Verfaſſer biefer Nuffäge „Für vielfade Berathung und
namentlich für bie Freundlichkeit, mit welder er mir in der uneigene
nügiaften else feine lericalifhen Sammlungen überlie#“, feinen
befontern Daut ausfprict, Anm. ter Net. »
Emil Schlagintweit: Die englijchen Himalaya -Bejigungen.
Orte, in welchen zum Sommeranfenthalte von europäifchen
Beamten, Militärperfonen und ihrer familien Borkehrungen
getvoffen find, Es find dies Eimla und im feiner Nähe
Dagſchahi, Sabathu, Kafauli, Dharmfala und Kangra,
Dalhouſie und Marri. Bor Cholera find auch die Höhen,
in benen diefe Orte liegen, noch nicht ficher, erſt im Borjahre
drohte Simla wegen einer ziemlich heſtigen Choleraepidemie
in der Höhe der Saiſon zu veröden. Die Hauptorte Sina
und Marri haben feit 1850 eine Stäbteverfafjung, andere
feit 1867, oder wenigftens find ihnen zu ftäbtifchen Zwedfen
Umlagen zugeftanden. Städte mit einem Stadtrathe als
Verwaltungdorgan giebt e8 1 im Kreife Simla, 9 in Kan—
gra, 2 in Huſchiarpur, 3 in Gurbaspur, 1 in Nawalpindi,
2 in Hazara. DieStadt Simla zählte 1868 14,348 Ein-
wohner; in aufjallender Minderzahl ift das meibliche Ges
ſchlecht vertreten mit nur 3227 BVerfonen. Am mächten
fommt Nurpur in Kangra mit 9928 Seelen. Simla, wo
ein Europäer 1822 das erfte Haus bauen ließ, wurde im
Sommer Amtsfig der Gentralftellen ber Neichöregierung,
flie welche in den nächften Jahren mit einen Auſwande von
20 Millionen Mark entfprecdyende Bureanr erbaut werben
follen, wie ftändiger Wohnort zahlreicher Benfioniften, Sitz
vieler Erziehungsanftalten; im Sommer entfaltet fich bier
ein reiches Badeleben. Die Häufer find meift leicht gebaut
mit Berwendung vieler Holztheile; Brände verurfachen bes:
wegen leicht großen Schaden. Der Ort ift weitläufig ge—
baut, der Höhenunterjchied zwifchen dent mieberften öffentlidyen
Gebäude (Biſchof Cotton's Schulftiftung in 2016 Meter
Höhe) und dem höchſten (Dfdyafo in 2545 Meter hart uns
term Gipfel des Berges gleichen Namens) ift bedeutend; das
befuchtefte der öffentlichen Gebäude ift das Clubhaus des
Bereins von Givilbenmten und Militärs im Mittelpuntte
der Stadt in 2209 Meter Höhe. An guten Hötels, Pens
onen und reich ansgeftatteten Waarenlagern, worunter feit
dem Borjahr eine „Berliner Waarenniederlage*“, ift fein
Mangel; den Intereſſen der Fremden dienen vier engliſch
erfcheinende Zeitungen : ein täglich, ausgegebened Annoncens
blatt mit Preisverzeichniffen, Witterungbeobachtungen u. ſ. w.,
und drei Wochenblätter; dem Handel und Verkehr Leiftet die
SimlasBant Borfhub, Die englifche Kirche fat die Be:
ſucher nicht mehr.
Die Saifon fir Sommerfriſchler beginnt am 15. April
und ſchließt am 15. October; fie zerfällt in drei Ab«
fchnitte; der mittlere umfaßt die Zeit von 15. Yuni bie
15. Auguft und bildet gewöhnlich den Glanzpuukt bes
Jahres. Die Preife find felbft für indiſche Verhältniffe fehr
hoch. Fur die Dauer der ganzen Saifon koftet ein Haus
nicht unter 1600, meift 3000 und felbft 4000 Mar, die
Penfionspreife find 20 Mark pro Tag fir befcheidene An-
ſprüche; das Necht zum Beſuche des Clubs ift mit einem
Eintrittögelde von 320 Mark zu erwerben, Die Sefjel-
träger einer Dame foften 60 bis 90, cin Neitpferd 100 bis
200 Mark pro Monat; alle Einkäufe erfordern durchſchnitt⸗
fidy eine Ausgabe vom 25 Procent mehr als in der Ebene.
Dabei veranftalten die Sommergäfte noch koſtſpielige Feſtlich-
keiten; während der Anwefenheit des Vicegouverneurs, der
Gouverneure des Pandichab, des Höchfteommandirenden und
anderer hoher Wirdenträger drängen fid) Bälle, Diners mit
reichen Champagnergenuſſe, Geſellſchafteſpiele und Ausflüge.
Beamte und fonftige Europäer mittlern Einfommens meis
den deshalb Simla — wie wir die Schweizer Böder erften
Nanges — und laffen ſich in den Stationen vor Simla oder
in den Eanitarien Kamaons nieder. — An Annehmlichkeiten
nicht viel weniger als Simla bietet Marri bei ungleich bil»
ligeren Preifen ; es wird deshalb ſchon jet aus weiter Ferne
aufgefucht und nimmt feinerzeit nach Vollendung der Bahn
379
vorausfichtlich eine Stellung ein d den mit Recht berlihni⸗
ten Oertlichteiten des Thales von Kaſchmir, wie Kafauli und
Sabathu zu Simla,
Diefe Hauptmittelpunfte europäischen Lebens in Indien
find ungewöhnlid reich an Schulftiftungen für Kinder von
Europäern. Die erfte Schenfung zur Errichtung von Afylen
für Soldaten und Offigiersfinder im Himalaya, damit ihr
Geift und Körper in der großartigen Alpennatur diefes Ge—
birges geftärkt werben könne, machte Sir John Lawreuce in
der Zeit feiner Verwaltung des Pandſchab (1857); andere
hochherzige Perfonen folgten, die Privatinduftrie wandte ſich
gleichfalls der Errichtung von Penfionen zu, und fo finden
wir im gebirgigen Norbweften Indiens, nahe feinen Green
zen, folgende Erziehungsanftalten zur Benugung geftellt. In
Simla beftchen ein Waifeninftitut, 1874 mit 127 #ög«
Lingen, urſprünglich für fatholifche Mädchen geftiftet, ſeither
durch ftaatliche Zuſchuſſe zu einer Anftalt fr Töchter von
Militärperfonen erweitert; die Mayo Induſtrial School,
deren Gebäude 1873 für 140 Zöglinge vollendet wurden
und 1874 38 finder von Gubalternbeamten des Civil-
bienftes aufgenommen hatte; die Bifcdof-Cotton-Schule mit
133 Knaben, eine Art Nealgyinnafium mit Penſion, deſſen
Scliler zum Eintritt im die Ingenieurſchule zu Rurfi oder
zum Uebertritte in eine ber Yandesuniverfitäten vorbereitet
werben; die Pandſchab-Mädchenſchule mit 43 Penfionären;
ferner vier Privatinftitute englifcher Lehrerinnen, die feine
ftaatliche Unterftigung beziehen. In Sanawa unmittelbar
bei Kafauli bot 1874 das Lawrence-Militär-Aſyl 250 Kna—
ben und 185 Töchtern von Soldaten und Unteroffizieren
Unterricht und forgt beim Austritt für ihr weiteres Fort—
kommen. Unter dem Namen „Aiyl zum Undenten an
Lawrence“ befteht eime gleiche Anftalt in Marri flir 70 Kna—
ben und 50 Mädchen; ihren Bedarf bringt diefe Stiftung
unter Underm auch durd) Leine Abzlige auf, welche allen
Unteroffizieren der Pandfchab-Territorialarmee gemacht wer:
den, die mehr als 120 Mart Sold im Monat beziehen.
Eine eigene Erfcheinung find Wanderſchulen; fie find Schöpfuns
gen der Offiziere in den Garnifonen am Fuße des Gebirges.
Die ältefte diefer Schulen ift die Mari-cum-Pindi-Schule;
ige Sig ift abwechjelnd Rawalpindi und Marri, von diefen
beiden Städten ift der Name gegeben *).
Die Regierung geht jegt damit um, fo nahe den Ebenen
als es aus Gefundheitsräidjichten möglich ift, Heine Depots
zu errichten, wo immer der Bezug von Yebensmitteln feine
Schwierigleiten macht, und dort Civiliſten dauernd als Co—
foniften fowie Soldaten und ihre Familien während des
Sommerd anzufiedeln. Der erſte Verſuch fol in den
Duars **) gemacht werden; hier wurde im Sommer 1875
in der Höhe von 1520 Meter Land zu einer Anſiedelung
abgeſteckt und zur Errichtung der Colonie und Ueberführung
der Coloniften Gheldbeiträge, zu ihrem Fortkommen niedrige
+) Die Wobltbat und Nethwendigleit diefer Schulen beweiſen am
beiten Schulberichte über den durchſchnitlichen Bildungsgrad bon Hinz
tern aus engliſchen Familien mittlerer Lebeneſtellung beim Eintritte
in biefe Schulen: „Der Grad der, Ummwirfenheit iſt dielfach geraregu
unglaublid. Knaben von mebr als zwölf Jahren wiſſen vielfach
nächte als ihren Namen Icferli zu ſchteiben; bie Bibel if ihnen
ein unbelanntes Buch, tie Unterſcheidung eines alten und neuen Teftas
ments war noch im Alter von 13 Jahren meift neu; auf Aragen
über Geſchlchte, Beograpbie oter Erempel zum Kopfrechnen geben fie
die wiberfinnigten Antworten, Unter funfgchn Mädchen konnte nur
eines von 14 Jahren Hichend leſen; treifilbige Wörter waren das
hochſte bei den übrigen, die Mehtzahl kam fehen über pweiſilbige
nicht hinaus, von den jüngeren fonnte feines leſen. Und tabei hat
ten die Eltern fidb bemüht, ihre Kinder vor Berwahrlofung zu fhüken;
alle bedauerten, daß ihre Kinter fo weit zurüdgeblichen feien und
beklagten ten Mangel an Schulen.“
*) S. „Wlobus” Br. XXVIN, ©. 234.
48*+
380
Grundabgaben bewilligt. Diefer Verſuch ift von größter
Bedeutung für die Zukunft Indiens umd für die Befeftigung
der englifchen Macht in Indien. Durd) die Erbauung von
Eifenbahnen und Fabriken ift eine große Zahl von Euro:
päcen gewöhnlichen Schlages nad; Indien gefommen als
Borarbeiter und Maſchiniſten; gleichwie die Europäer aus
den Schreibftuben immer mehr verdrängt werben, ſeitdem
durch die Bemühungen der englifchen Regierung immer weis
tere Kreife umter den Eingeborenen gute Schulbildung ſich
aneignen, jo werben die Europäer aud) aus diefen Erwerbs-
zweigen getrieben, ſobald paflende Arbeiter aus den Streifen
der Eingeborenen nachgezogen find. Biele diefer Europäer,
die ihre Hoffnungen auf dauernd guten oder leichten Erwerb
nicht erfüllt jahen, find bereits der Gefahr erlegen und von
dem orientalifchen Schmutze berligrt worden, unter welchen
fie arbeiten und deſſen Befeitigung die weiße Nace anftreben
muß. Unter ben vielen Vorſchlägen, die wirthfcaftliche
Lage und Zukunft diefer „weißen Armen* glinftiger zu ger
ten, nimmst bie Befiedelung des Himalaya den erften Rang
ein: der Fleiß ariſcher Einwanderer wird diefen Theil Ins
diens eben fo ſehr der Eultur gewinnen wie vor Jahrtaufen:
ben die Tiefebenen Hindoftans; die Neichöregiering aber ges
winnt an diefen Coloniften das ihr mod) fehlende Material
an jederzeit verläffigen Yandesvertheibigern. Bon Jahr zu
Jahr macht es dem Mutterlande größere Schwierigkeiten,
bie zur Ergänzung der Armee möthige junge Mannſchaft
anzuwerben; nach eben fo vielen Taufenden zählt in Indien
Zur Ethnographie der Bulgaren.
bie Bevölkerung an Weißen, als ihr Millionen von Ein-
geborenen gegenüber ftehen. Fur Seiten ber Gefahr war
bie indifche Regierung beftrebt, die Europäer in Eivilftelluns
gen zu Freiwilligencorps zu vereinigen. Noch find aber diefe
Corps, zu denen auch das Fyreiwilligenbataillon in Simla
zählt, eine Spielerei und nur der Clubvergullgungen wegen
gejucht ; vom ernften Kriegerhandwerk eignen fie ſich faft nichts
an als Kenntniß im Handhabung eines Gewehres. Eine
ſtarle europäifche Bevölkerung im Himalaya würde ſich lörper⸗
lic, glnftig entwideln und Indien dauernd Ruhe im Innern
wie Sicjerheit vor dem Schredfgefpenft eines ruſſiſchen Ein⸗
falles von Nord wie Weft her ſchaffen. In der Mög:
lichkeit, vom nörblichen Grenzwalle Oftindien® gegen Juner«
aften europäifche Sitten über die Tiefländer Indiens aus«
ftraßlen zu Laffen, liegt die große Bedeutung und die Zukunft
des englifchen Befiges im Himalaya *).
+) Schon vor zwanzig Iabren verlangte im einem amtlihen Ver
richte (Bengal Recorde dr. 27) 8. B. Hotyfon, ter grüntliche
Kenner der Gebirge am der Nordgrenze Indiens, VBefiekelung biefer
Gegentvn mit Europäern: „Würde cin Zehuntheil, mein, nur ein
Bunfzigtbeil des Geldes, das eben jeht (1856) gegen Berfien sufgr-
wendet wirb, um 8 an der @innahme Herats zu binbern, für @rs
munterung der Ausmanterung von @uropiern in die Gebitgeland ⸗
ſchaften tes mittlern Himalaya beſtimmt, fo würden wir einen viel
tauerbaftern, ficherern und billigern Grenzwall gegen ruſſiſche Ans
griffe uns fchaften und würden ihren Landhandel mit Gentralafien im
fürzefter Zeit auf nichts herabtrüden.“
"Zur Ethnographie der Bulgaren.
M. P. Im welchem verworrenen Zuftande ſich bie Eihno-
graphie der fübflavifchen Stämme nod) heutigen Tages bes
findet, wird man gleich bei dem erften Verſuche, fid in der
felben zurechtzufinden, gewahr. Namentlich aber find es die
ethnographiſchen Verhältnifie der Bulgaren, die noch vielfach
in Duntel gehüllt find, Und betrachtet man die Vorgänge,
die fic in neuerer Zeit und beſonders laut in ber Öegenwart
auf der Balfanhalbinfel abwideln, fo wird man doppelt freu=
dig eine wiffenfchaftliche Arbeit begrüßen, welche es ſich zum
Zwede ftellt, die Wirren in der Ethnographie der Ballau—
bevölferung nach Möglichkeit zu löfen. Im diefer Beziehung
nehmen unftreitig die Betrachtungen des Herm Nowako—
witich über die Bulgaren und ihre Literatur, die er in einem
Artikelchelus in einer ferbifchen Monatsichrift unlängft ver-
öffentlicht, eine hervorragende Stelle ein. Nowalomwitſch ift
unter den Slaven als Philolog rühmlich befannt; er war
fchon zweimal Cultusminiſter in Serbien, was freilid) feinen
Namen in weiteren wijfenfchaftlichen Kreifen weniger befannt
machte, als feine vege Betheiligung an den Arbeiten des
archäologijchen Congreſſes in Kiew im Jahre 1874.
Man nimmt gewöhnlich an, daß die Befiedelung der
Ballanhalbinfel durch die Slaven im 5. bis 7. Jahıh. ge:
ſchah; Nowafowitich in ebereinftimmung mit dem Bulgaren
Drinow (Saselenic balkanskago poluostrva Slavjanami)
und dem czechifchen Gelehrten Direset (Djejini nüroda
bulbarsk&ho) dehnt diefen Zeitraum weiter aus; er jet
ihn ins 3. bis 7. Jahrh. Ins 7. Jahrh. fällt nur die
Beendigung der Wanderung, die im 3. Jahrh. ihren Anfang
nahm umd im 6. ihren Höhepunkt erreichte. Länger als
fieben Jahrhunderte hindurd von den Zügen der Vöoller⸗
wanberung ethnographiſch umgeftaltet, finden wir zu Begiun
bes 8. Jahrh. auf der Balfanhalbinfel die Maffe der Ber
völferung flavifh. Neben ihr konnte man damals nod)
unterfcheiben die Leberrefte des alten thraco-illyrifchen Stams»
mes, vor ber Bölferwanderung die Hauptmaffe der Bevöl-
ferung, und zwar in zwei verfchiedenen Formen. Die erfte
bildeten die kriegeriſchen albanefiichen Stämme: die Gogas
(von dem illyrifchen) und Toskas (von dem macedo⸗epiro ⸗
tiſchen Zweige), weldye im dem gebirgigen weftlichen Theile
der Halbinfel noch bis zum heutigen Tage die Merkmale der
alten thraco-illgrifchen Gruppe bewahrt haben. Im ber zweir
ten Form treffen wir bie romanifirten thraco-illgrifchen
Stämme, zumeift im nörbliden Theile der Halbinfel, wo fie
ſich mit den römischen Anfiedlern vermifcht hatten, Zu dies
jen gehören die heutigen Rumänen und Zingaren. Das
zwifchen fand man noch Ueberbleibfel der germanifchen und
finnischen Züge und namentlich griechiſche Kolonien, bie
fortwährend beftrebt waren, die Uebermacht in ihren Händen
zu behalten, welche die Römer in biefen Gegenden begründet
hatten. Das oftrömifche Reich übernahm die Rolle, die Kom
nad) der Eroberung der thraco:illyrifchen Länder noch vor
der Bölferwanderung in Händen gehabt hatte,
So gejtaltet waren bie ethnographiſchen Berhältniffe in
jener Zeit, als ſich der bulgarifche und ſerbiſche Staat zu
bilden begannen. Die flavischen Stämme, welche die Balkan:
halbinfel beſetzt hatten, gruppirten ſich um dieje zwei Centren.
Die geſchichtlichen Fragmente, die wir über die nächſten fieben
Jahrhunderte befigen, berichten uns liber neue ethnographiſche
Ungeftaltungen, und es ift von großem Intereffe, das ethno⸗
graphifche Bild der Halbinfel zu Anfang des 15. Jahrh,
wo jene beiden ſlaviſchen Staaten ſich auflöften, zu befigen.
Daffelbe gab fürzlid) der oben erwähnte czechiſche Gelehrte
Zur Ethnographie der Bulgaren.
Jireoel *). Im jene Zeit, d. h. ins 15. Yahrh., fällt bie
türliſche Invafion, fie reihte am die bisherigen eihnogra-
phifchen Beftandtheile noch einen neuen, ganz und gar frent-
den, und rührte mit ihrer Fremdherrſchaft die Elemente
wiederum auf, die ſich faum zu confolidiven begonnen hatten.
Nach diefer hiſtoriſchen Perfpective, die wir hier kurz
wiedergegeben haben, gelangt Nowalowitſch zur kritifchen
Sichtung des Materials, das Über die Zahl und die Site
ber Bulgaren in der Gegenwart vorliegt. Hier begegnen
wir der troftlofeften Meinungsverfchiedenheit, die igren Grund
im dem gänzlicen Mangel an ſyſtematiſch gefammelten Da-
ten hat. Selbft die neueften Schriftfteller ſchwanken bei der
Angabe der Zahl der Bulgaren zwiſ 2 und 6 Mill,
eine Unficherheit, die man faum in und bei dem
jegigen Standpunkte ſelbſt der außereuropäijchen Geographie
erwarten wlirde, Die erftere Zahl finden wir in E. Brehm’e
und 9. Wagner’s „Bevölferung der Erbe“ 1874, ©. 31,
wie fie der jerbifche Statiftiter Jakſchit ſch aufgeftellt hat,
die zweite von 6 MIN. bei dem Bulgaven Drinow (Pogled
vrh proishoschdanje-to na blgarskij narod 1860, p. 88).
Einft wußte man jo wenig Über ihre Anzahl, daß fie Scha—
farit im feiner „Geſchichte der flavifchen Literatur 1826*
nur auf 600,000 jchägte. Später in feinen Werte „Slo-
vansky närodopis, Prag 1842* erhebt er ihre Zahl ſchon
auf 3,500,000, indem er U. Bous’s kung herab»
mindert, der 1836 bid 1838 im ber Türfer reifte und die
Zahl der Bulgaren mit 4,500,000 angab, Cine turkiſche
soi-disant amtliche Volkszählung vom Jahre 1844 fand in
ber Türfei 4 Mill. Bulgaren. Ein Mitarbeiter des Wiener
„Wanderer“ 1864, Nro. 63 fett die Zahl der Bulgaren in
der Türkei auf 6,030,000 und zufammen mit jenen außer:
halb der Türkei auf 6,620,000 au. In den „Mittheiluns
gen ber k. k. Geographiſchen Gefellichaft in Wien“, 1874,
XVII, ©. 287 wird ihre Zahl im Donau-Bilajet und
außerhalb deffelben mit 31/, Mill. angegeben. Ubicini
und Lejean nehmen 3, Dumont 4 und ber franzöfiiche
Conſul Engelhardt 4!,, Mill. an. Kanitz, der nad)
umfafjenden Studien vor einigen Monaten den euften Theil
feines voluminöfen Werkes über die Bulgaren publicirt hat,
beziffert fie auf mahe 5 Mill, (DonausBulgarien und ber
Balfan. Leipzig 1875, ©. 88). Die Zahlen, die in ber
neueften Statiftit Brehm’s und Wagner’s („Bevölferung
der Erde“ 1874, S. 31) gebradjt werden, wollen flir amt«
lich gelten, denn diefelben wurden vom Major zur Helle,
bem öfterreichtichen Geſandtſchaftsattachs in Konftantinopel,
dem öfterreichijchen Minifterium des Aeußern im amtlichen
Wege übermittelt, Nach denfelben wiirde bas Adrianopeler
Bilajet 2,471,906, das Donau-Bilajet 1,617,418, das von
Salonili 1,237,338 Einwohner zählen. Angenommen, daß
im Donau-Bilajet (denn die Dobrudſcha ift turkiſch) drei
Biertel Bulgaren find, im Worianopeler zwei Drittel und
eben jo viel in dem von Saloniti, daun belommen wir eine
Zahl, die 31/, Dill, Üüberfteigt. Wie wenig verläßlich jedoch
auch diefe Zahlen find, erfieht man am beften daraus, da
U. Synvet, Lehrer der Geographie am kaiſerlichen Yyceum
in Galata»Serai (Traitö de geograpbie generale de
l’empire ottoman. Uonstantinople 1872, p. 61), der
ſich überall, wo nur möglich, auf amtlidye Quellen ftügt, die
Bevölferung des Donan-Bilajet mit 3 Mill. angiebt, wäh:
rend fie nad) Major zur Helle nur 1,617,418 betragen
fol, Um das Ganze noch mehr zu verwirren, fommt enblic)
noch die Volkszählung von 20. September 1874 hinzu, bie
für Bulgarien (Donau-Vilajet) 1,141,051 männliche Eiu»
*) Geſchichte der Dulgaren. Bon Conſtantin Hof. Ji—
redet. Prag 1876. erlag ven F. Tempetv.
381
wohner ergab, alfo im Ganzen (wenn man den weiblichen
Einwohnern diefelbe Zahl einräumt) 2,282,102. Die Ber
völferungsdichtigkeit beträgt auf die Duadratmeile nadı Major
zur Helle (amtliche Quellen von 1871) für das Adrianopeler
Vilajet 2169, für das von Janina 2151, für das von Scus
tari 1013 und für das Donau-Bilajet 960, was auch ſchwer⸗
lic) dem wahren Sadjverhalte entipreden wird. Wan fieht
daraus, wie wenig verläßliche Stügen man für die Auf:
ftellung der bulgarifchen Bevölferungszagl hat; die angege-
benen Zahlen reduciren fich auf den Werih perjönlicher Ein:
drüde, und nur eine regelrechte ftatiftiiche Zählung wirde
ber jet herrſchenden Unklarheit ein Ende machen können.
Nach allen diefen Betrachtungen eutſcheidet ſich Nowalowitſch
für die Zahl von 42 Mil. (H. Kiepert fr 5, Jiredel a. a. O.
©. 578 für 51/, Mill.).
Nicht viel beſſer ſteht es mit der zweiten Frage, bie mit
der Bevölferungsfrage in Verbindung fteht, wir meinen die
nad) den eihnographiſchen Grenzen der Bulgaren. Der ruf
ſiſche Neifende Hilferding fegt als füdlidye Grenze zwifchen
ben Serben und Bulgaren den Kamm des Schar-Gchirges,
das die Wafferfcheide zwifchen der Diorama und dem Bardar
bildet. Bis zur öftlichen Grenze reichten feine Reifen nicht.
Prof. Franz Bradaſchka, ein fehr verläßlicher Schrifte
fteller, ſetzt als weſtliche Grenze der Bulgaren den Fluß
Timof und die Grenze des ferbifchen Fürſtenthums, dann
bie bulgarifche Morawa, das Schar-Gebirge, den obern
Wardar und den Ochrida:-Ser. Mit ihm ftimmt der Haupts
ſache nad) Lejean überein. Bon Kanitz befigen wir noch
feine Bemerlungen über dieſen Gegenjtand. Die weftliche
Grenze feiner bulgarifchen Marſchroute ift übrigens das
Gebiet zwifchen der Niſchawa und der Morawa. n diefe
Linie nimmt ſchon Schafarif in feinem „Narodopis“ als
weſtliche Grenze der Bulgaren an, und indem er hierauf zum
obern Wardar übergeht, zieht er fie weiter nad, Weiten bis
Ochrida und einen Theil der Dibbra-Yandichaft, wo er ihr
die Richtung auf Koftur (Kaftoria?), Katraniga und Wars
bar-Jenidiche gen Saloniki hin giebt. Bon Saloniti aus
geht diefe Linie nördlich gegen Kutuſch (Kelkitich), von wo
fie ſich der Hauptſache nach öftlidy nach Seres hinzieht.
Sid, immer am das Gebirge anlehnend und das Küſtenland
bei Seite laſſend, geht fie von Seres beinahe im gerader
Linie auf Feri (Burugiul). Bon hier fegt fie fich dem Ge
birgsfamm entlang nad) Nordoften fort und den Fluß Arda
abwärts in die Umgegend von Adrianopel, von welcher aus
die Maffe der bulgarischen Bevölferung beftändig die Aus—
läufer des Ballan inne hält und zwar biß zum Ufer ber
Maritza; diefe Linie fegt fich beinahe ganz öftlich, mit einer
Heinen Abweichung gen Norden, auf Waſilislo am Scwar-
zen Meere fort. Im Dften werden bie Bulgaren wieder
vom Meere durch griechiſche und türkische Colonien getrennt,
deren es im Domauthal und im der Dobrubjcha eine beträcht-
liche Unzahl giebt. Dies find die Grenzen des bulgarifchen
Stammes nad) dem Standpunkte der heutigen geographijcyen
Literatur Über die Bulgaren *). Rolirte Gruppen wurden
) @inen ungleich tetaillirtern Ucberblid als biefe Müchtige Um:
grengung der von Bulgaren bewohnten Gebiete, fowie der von ihnen
umfchleffenen Endlaven türfifcher, arlecbifcher, rumänifcher und albas
neſiſcher Zunge gewährt die focben im Berlage von Dietrib Neimer
im Berlin erſchienene Ethnographiſche Ueberiicht des eurer
pälfhen Orients von Heinrih Kiepert” im Maßſtabe von
1: 300,000, (Nebft Y/, Bogen Tert. Preis 1 Markt 60 Pf.) Auf
Grund aller publicirten sowie richtiger noch unpublicitter Quellen,
unter denen die Journale von Heinrich Barth voranfteben, brarbeis
tet, führt diefelbe im acht verjhbietenen Farbenudnen vie Verbreitung
folgenter Völlerſtämme ver: Griechen; Illyrier (Scbtjepetaren); Nor
manen (taliener und Numänen oter laden); tie beiten Zweige
der turanifhen Bölterfamilie, Mayvaren (Ungarn) und Türten (Ob—
manen) und entlic die flaviihen Stämme ter Scrben (mit Greas
382
hier nicht in Betracht gezogen; fo giebt es eine große Anzahl
Bulgaren, gegen 70,000, um Bolgrad und Kagul im der
Moldau und in Befarabien, wo fie compact wohnen, aufer-
dem finden fie fich zerſtreut in der ganzen Wallachei. Dieje
Anfiedelungen find neuern Datums, und die unmittelbare
Beranlaffung zu ihrer Begründung waren die Unterdritduns
gen der türfifchen Machthaber ; fie nahmen nad) dem Jahre
1750 ihren Anfang und dauern bi in unfere Tage fort,
worliber feiner Zeit auch der „Globus“ (Bd. XXVI,
S. 159) berichtete. Ebenſo findet ſich im „Globus“
(Bd. XXVIII, ©. 207) wohl die aufführlichite Notiz über
die bulgarischen Anfiedelungen im füdlichen Ungarn (Banat),
in welchen bei 20,000 Bulgaven wohnen. Intereſſant ift es
auch zu hören, daß (Brehm und Wagner ©. 32) nach dem
amtlichen Bericht des preußischen Conſuls vom 6, Septem-
ber 1870 im Sandſchak Gallipolis unter 155,000 Ein«
wohnern 20,000 Bulgaren find,
Das Gros des bulgariſchen Etammes Hält alfo den
Dalfan und feine füblichen und nördlichen Abzweigungen
inne; längs bes Kammes des Rilo⸗ und Khodope-Sebirges
breitet es fich hinunter nach Macedonien aus und veicht bie
zum Süftenlande des ägäifchen Meeres. Seine Ränder
find durch und durch vermischt mit Türten, Griechen, Zin-
garen, Albaniern und im Often mit den Serben, und dies
ift die Urſache der unausweicjlichen Berwirrungen in ben
ethnographiſchen Berichten, befonders wenn man fie umter
fi) vergleicht. Diefen mißlichen Zuftand vergrößern noch
abſichtlich die Tlirfen, indem fie die Tartaren und die Tſcher—⸗
teflen an der Grenze Serbiens und in Bulgarien anfiedeln,
natürlich im Intereſſe ihrer Unterdräcdungspolitit, die gleich
der Peft im jeder Beziehung die Bölker dev herrlichen Balfaus
Länder darniederhält.
Daß noch viele Yücen im der Ethnographie der Balfan-
halbinfel auszufüllen bleiben, das bezeugen wohl alle Reifen:
ten, Slebenen und Elovafen), Vulgeren und Muffen (mebit Ruthe -
ven). Da dieſe Karte das gefammte Gebiet von Wien und Ggere
uowicc bis Kreta und von Laibach und Meifina bis Trefja, Jemid
und Nbetus umfaht umd zugleich die neueſten geegtaphiſchen Aurs
ſchungen auf der Daltanbalbinfel zur Anfenung bringt, fo iſt die⸗
felbe auch zur Verfolgung ter dortigen pelitifchen und militariſchen
Votgange trefflicd zu werwenten. Net.
Neue Erjcheinungen auf dem Felde der Kartographie des orientaliichen Kriegsſchauplatzes.
ben aus neuerer Zeit. Umfaſſende fuftematifche Unterfuchun«
en über biefen Gegenſtand fehlen gänzlich; Mangel an guten
rten (vergl. übrigens dem mächften Artifel) herrſcht im dem
Maße, daß in letzter Zeit durch Eifenbahnftubien karto—
graphifche Neuigkeiten von größten Werthe entdedt wurden,
wie die Richtungen ber Gebirgszlige und die Quellen der
Fluſſe find.
Zum Schluſſe fei noch erwähnt, daß die Beſtimmung der
etfjnographifchen Grenzen flavifher Stämme überhaupt ein
bedeutendes Moment erſchwert, es ift dies das allmälige
Ueberfließen ber jlaviichen Dialekte in einander. Dies iſt
in ber geographifcen Nachbarſchaft begründet. Trotzdem
jede flavifche Sprache eine Fülle dialeftifcher Eigenthümlich-
feiten befigt, fo bemerft man doc; bei allen eine gewiſſe Ab«
ftufung ber Berwandtſchafts- und Unterfcheidingsmertmale
und in merfwürbiger Weife geht eine in die audere Über ohne
ſcharf ausgeſprochene Grenzen. So ftchen die weftlichen
croatifchen Dialekte näher den Stovenifchen als das Ser:
bifche, und näher dem Serbifchen als das Stovenifche; bie
bulgarischen flidweftlichen Dialekte ſtehen näher ben Serbifdyen
als die öftlichen und näher dem öftlichen bulgarischen als das
Serbifche; das Slovakiſche ift mit den fübjlavifchen und ruf
ſiſchen Dialelten mehr verwandt als das Ezechifche und wies
der mehr den Czechiſchen verwandt als diefe; das Klein—
ruſſiſche fteht näher dem Polnischen ala das Ruſſiſche uud
näher dem Ruffiichen als das Polniſche. Durch ſolche Bande
ift die ſlaviſche Welt mit einander verfnipft, und deshalb ift
es fein Wunder, daß die flavifchen Stämme fo viel tiber ihre
Grenzen hadern, namentlich, wenn man noch bedenft, daß die
Stammes« und individuelle Eigenthlimlichkeit wohl nirgends
mit einem folden Streben nad) ihrer Erhaltung ausgeftattet
ift wie bei den Elaven. Die Serben und Bulgaren ftehen
zu einander nicht nur in enger nationaler Verwandticaft,
jondern fie befennen ſich aud) zu einer Religion und des+
halb iſt in der ferbifchen und bulgarischen Ethnographie die
delicatefte Frage die Beſtimmung der öftlichen vefp. weſtlichen
Greuzen diefer beiden Stämme. Nowalowitſch meint, daß
ſich diefe Frage nur am der Hand der überlieferten Bolte+
literatur löſen laffe, wo er namentlich jene in Broja fire wich⸗
tig hält, da in derſelben die linguiſtiſchen Eigenthümlichteiten
ſchürſer ausgeprägt find als in der Poeſie.
Neue Erſcheinungen auf dem Felde der Kartographie des orientalifchen
Kriegsſchauplatzes.
Derjenige Theil des osmaniſchen Reiches in Europa,
welcher nun ſeit faft einem Jahre durch den im dev Herzes
gowina begommenen mererdings auf Vosnien ausgedehnten
Aufftand die Augen der europäifchen Welt auf ſich zieht,
hat durch die Fürſorge des Ef, militärsgeographifchen
Inftituts in Wien eine neue Kartendarftellung in 12
Blatt erfahren, welche alle frliheren Peiftungen auf demfel-
ben Gebiete weit in den Schatten ftellt, ſowohl durch die
Schönheit und Klarheit der Ausführung, als durd) die Fülle
des darin zum erftenmale ansgebeuteten neuen topographis
ſchen Materials, welches vielfacye in den legten Jahren ver—
anftaltete Recognofeirungen öſterreichiſcher Offiziere umd
Gifenbahn- Ingenienre in Bosnien, Serbien und dem nörd-
lichen Albanien, geftligt auf viele aſtronomiſch nen beftinmte
Punkte, geliefert haben. Die 1865 von derſelben Anftalt
bie mehrfachen Verſuche ferbifcher Ingenieur-Offiziere in
tartographiſcher Darftellung ihres Yandes find durd) bies
neue Werk antiquirt. Gleichwohl läßt daffelbe in manden
Partien noch einpfindliche Yen der Beobachtung und Ber:
zeichnung erkennen und bezeichnet fich deswegen befcheidener
Weife ſelbſt nur als „proviforifche Ausgabe” ; e8 iſt be>
ftimmt, fpäter in derfelben Weife, wie die heliographiſche
Vergrößerung der befannten Sceda’fdien Karte von Een:
tral-Europa auf "yonono, deren Anordnung und Numeris
rung die 12 Blatt (Reihen I, K, L, M, \ 10, 11, 12)
ſich vollſtändig anfchliegen, durch elegantern Stich erſetzt zu
werden. ber fait möchte man das bedauern, da der Druck
der heliographifcen Karte an Klarheit und Schönheit er
heblich durd; den lithographiſchen mehrfarbigen Drud der
' neuen proviforifchen Sarte übertroffen wird, deren Preis
herausgegebene Roskiewiez'ſche Karte von Bosnien ſowie dazu ein höchſt mäßiger ift (18 Mark für die 12 großen
Neue Erjheinungen auf dem Felde der Kartographie des orientalijhen Kriegsihauplages.
Blätter). Einen befondern Vorzug berfelben bilden bie fehr
ablreichen offenbar nen beftimmiten (weil in den und bes
annten älteren hypſometriſchen Quellen nicht enthaltenen)
Höhenmefjungen — beiläufig zwedmäßigerweife bereits in
metrischem Maß ausgebrüdt. Diefelben und fomit aud)
bie neuen Necognofeirungen reichen auf türkiſchem Gebiete
bis an den füböftlichen Rand der Karte, folglid, thatſächlich
noch weiter und durfen auf die öftliche Fortſetzung, bie Karte
von Bulgarien, deren Bearbeitung im militärsgeographis
ſchen Inftitut dem Bernehmen nad) ebenfalls * weit
vorgeriidt und deren Erſcheinen noch im Laufe dieſes Som-
mers zu erwarten iſt, in hohem Grade begierig machen.
Eine andere große Karte der Türkei (nebſt dem nörd-
lichen Theile des gricchiichen Königreichs) in 20 Blatt, ger
zeichnet von #. Handtfe (Verlag von E. Flemming in
Slogan), die bereits vor länger als einem Jahrzehnt begon«
nen, niemal® ganz und in vielen ber fertigen Blätter
nur fehr Übereilt zu Ende geführt worden iſt, wirb jeßt,
wo ſich eine unerwartete Gelegenheit zu erneuter (wiewohl
für ein fo umfangreiches Opus immer nur mäßiger) Ber
breitung zeigt, für herabgefegten Preis angeboten und Seitens
der Berlagshanblung mit einer Empfehlung begleitet, deren
etwas euphemiſtiſche Ausdrlide einer erheblichen Berichtigung
bebürfen. Das in erfter Reihe ald werthooflftes Lob ange,
führte Urtheil des Feldmarſchalls Grafen v. Moltke über die
„fleigige Arbeit“ bezieht fic unferes Wiffens nur auf den»
jenigen Theil des Terrains, welches ber große Stratege aus
eigener Anfcanung im Jahre 1837 fennt, nämlich die
Kliftenlandfhaft des Schwarzen Meeres und den öftlichen
Balfan, Partien, die auch in der That in der Handtke'fdjen
Karte darum detaillirter ausgeflihrt find, weil dafür ſchon
zur Zeit, wo bie Zeichnung entworfen wurde, das gute ruſ⸗
ſiſche Material vorhanden war. Daß bie Karte „wegen
der Größe ihres Maßftabes vollftändiger* als alle an«
deren erütirenden Geſammtlarten diejes Länderabſchnittes fei,
ift durchaus nicht wahr, ba große Partien, wie Bosnien,
Albanien, Macedonien, äußerft flüchtig ausgeführt find und
nicht mehr Detail und Namen, wohl aber fehr viel mehr Feh
ler enthalten als 3. B. die Scheda' ſche Karte im Ygssono
und die Kiepert'ſche in "/yoonooo. Der Umftand endlich, da
auf den mittleren Sectionen ein großer Naum zwifchen der
ferbifchen Sudgrenge und Adrianopel nur in ben erften Um:
riffen, mit vereingelten Namen und großen weißen Lücken,
gänzlich ohne Terrain gelaffen ift, erflärt ſich zwar dadurch,
daß vor neun Jahren (mo die Karte ſchon in derfelben Geftalt
auf ber Parifer Induftrieausftellung zu fehen war) der Zeich-
ner noch beſſeres Material erwartete, fpäter aber die Arbeit
liegen gelaflen worden iſt. Jetzt aber, wo immer noch
nichts weiter zur Vollendung und Berichtigung der Karte
geichehen, vielmehr alles feit 1869 publicirte Material
(namentlid) auch die vortrefflicen und umfaſſenden Necog«
nofeirungen im centralen Balfan von Prof, F. v. Hochſtet⸗
ter umd Ingenieur Preffel, die felbft das größere geo-
graphifche Publicum aus Petermann’s Mittheilungen
von 1872 kennen muß) unbenutzt gelafjen ift, möchte man
das mit der leeren Ausflucht rechtfertigen, „daß fiber jene Ges
genden überhaupt fein Material vorhanden und bas in an«
deren Karten an diefen Stellen gezeichnete Terrain leere
Phantafie ſeis! Die Kiepertiche Karte (Ausgabe von 1871,
noch vor dem Erſcheinen von Hochſtetter's Arbeit) enthält
dagegen im centralen Balfan das Reſultat einer forgfältigen
Eombination vieler zum Theil fonft nirgend benugter Ori-
ginalquellen, über welche der beigegebene Tert Rechenſchaft
iebt, und lann demzufolge als zuverläffiger Yeitfaden im ber
Berfotgung des gegenwärtigen bulgarifchen Aufſtandes dienen,
während man die darin erfcheinenden Namen felbft der größ-
383
| ten Ortfchaften auf der Handtle'ſchen Karte vergeblich fuchen
wirb! Und wenn abfolut fein Material vorhanden war,
woher hat denn der Zeichner der Karte die Eifenbahnlinie
Adrianopel:Philippopel, die er doch wohl nur auf die Zei—
tungsnadjricht vor ihrem Ausbau hin mitten durd) völlig
leere Räume hindurchzicht? Die thatſächlich dort liegenden
Bahnftationen, Dörfer und Städte hätte er allerdings aus
gutem öſterreichiſchen Material ſchöpfen können, wenn er
fi) die Mühe hätte geben wollen, daſſelbe aufzuſuchen.
Hatten wir ed zuerft mit einer vortreffliden, ſodann
mit, einer weniger gut gevathenen Arbeit zu thun, fo muß
das Wert eines Anfängerd in orientaliſcher Geographie
(wir find wenigftens in den vierzig Jahren, feit denen wir
deren Entwidelung verfolgen, demſelben noch nicht auf die:
fen Gebiete begegnet) ſowohl das Interefje als das Bere
nügen ber Fachmänner erregen, denen es übrigens der Ber
eger Albert Abelsdorff in Berlin ſpeciell ans Herz legt.
Wir meinen die „Karte der Turkei in Europa und Aſien.
Nah dem neueſten und beflen Quellen bearbeitet von
M. Schaefer 1876. Maßſtab 1:3,000,000,* Es ift
wirklich intereffant zu ſehen, wie Herr M, Schaefer durch
fleigige Pectüre der gefammten umfangreichen Reiſelileratur
über die in Rede ſtehenden Yänder, fo weit diefelbe bis 1866
erjchienen ift, durch ein gründliches Studium der orientalis
hen Sprachen, vielleicht fogar durch eigenes Bereiſen des
andes genau bis auf ein Jota im „Jahre 1876 zu denſel⸗
ben topographifchen und philologifchen Refultaten gelangt ift,
wie Heinrich Kiepert, dieſer allerdings ſchon vor einem
Jahrzehnt. Diefe Uebereinftimmung der Nefultate erftredt
ſich Inge merkwürdiger Weife bis auf den Maßſtab
der Karten und bie angewendete Orthographie. Denn
1:3,000,000 ift genau das Neductionsverhältnig der großen
Kiepert'chen Karie des türkifchen Reiche in 4 Blatt (mo+
von eine beutfche und zulegt 1866 eine franzöfiiche Yusgabe
erſchienen iſt). Wie umfaffend Schaefer's philologifche
Studien waren, erhellt zur Genilge daraus, daß er zwei vers
fchiedene Tranfcriptionsarten aufgeftellt Hat, und zwar beide
auf derfelben Sarte, nämlich fir die meiften Namen bie
franzöfishe (3. B. Kioutahia, Alachehr, Trebifonde, Erzin-
guian), wie fie Kiepert in der vierblätterigen Karte des tür
kifchen Reiches anwandte, und für bie europäiſche Reichs⸗
hälfte vereinzelt die deutſche (Sonftantinopel, Ruſtſchut,
Schumla u. ſ. w.). Ale Adıtung! Man kann ben wifjens
ſchaftlichen Fleiß nicht verfennen, wenn aud) die Einheit etwas
barumter leidet, daß linls der u⸗Laut mit u, rechts mit on,
linf® das sch mit sch, rechts mit ch u. ſ. w. gejchrieben ift.
So fehr wir alfo den Fleiß des Autors anerkennen, mit
welchen alles Material bis auf das Jahr 1866 herab be-
nutzt und verwerthet worben ift, jo möchten wir doch auf
einen finnentftelenden Drudfehler im Titel „Nad} den neue>
ften und beften Quellen bearbeitet“ aufmerffau machen. Denn
alles feit einem Jahrzehnt and Picht getretene Material, wir
nennen nur die Arbeiten Strecker's in Armenien, Barth's,
von Hochſtelter's, von Hahn's u. f. w. in Numelien wurde
leider nicht berüdfichtigt. Hoffen wir, daß Schaefer jeine
intereffanten Studien fortfegt und vielleicht in weiteren zehn
Yahren bis zu dem Standpunfte, den unfere Kenutniß der
Türfei anno domini 1876 befaß, durchgedrungen fein wird,
Vielleicht wird er dann auch zu der Ueberzeugung foms
men, daß es nicht hübſch ift, die Albanefen (mie er es jetzt
thut) in einem Lande wohnen zu laſſen, das fo platt und
eben ift, wie bie Mark Brandenburg; daß auch das Yand
Macedonien recht ordentliche Berge und Felsſchluchten bes
figt, daf nur die eine Stadt Banjalıla am Wrbas eriftirt,
nicht aber noch eine zweite an ber Bosna, daß andy die
Eiſenbahn von Stoplja quer durch die ganze Yänge von
384
Bosnien bis Banjalufa im Jahre 1876 vorerft nur ein
frommer Wunſch gewefen ift, u. f. w. Wir wünſchen ihm
Gluck zu feinen Studien, welche dieſe und fo viele andere
Wahrheiten dereinft ans Licht bringen werben.
Noch etwas weiter zurlick in der Sartographie, als
Schaefer, ift das einft berühmte Weimarifche raphiſche
Aus allen Erdtheilen.
Inſtitut, welches Karten der Türfei, die in ben vierziger
Jahren von Heinrich Siepert bearbeitet, feitbem aber nie
wieder von beinfelben verbefjert wurden, alfo längft veraltet
find, mit der meueften Jahreszahl veröffentlicht. Daß an
denfelben nichts als Papier und Jahreszahl meu ift, bedarf
feiner weitern Ausführung.
Aus allen Erdtheilen.
Czekanowski's fibirifche Neife von 1875.
Ueber Ezefanowsti's Reife zum Olenel im Jahre 1874
berichteten wir Ichon in Bd. XXVIII, ©. 236 ff. in ausführlicher
Weiſe. Der unermidliche Geologe, dem Sibirien ſchon jo
viel verdankt, hatte damals in den Gebirgen von Werchojausk,
welche das untere Gebiet der Lena öftlich begrenzen und von
bem der Jana fcheiden, Triasformationen gefunden, die
mefozoifchen Gefteine am untern Dlenef und an der untern
Lena ftubirt und war zu der Vermuthung gekommen, daß
ſich diejelben weiter an der Lena hinab bis im Gegenden
ansdehuten, wo man bisher die Eriftenz von Koblenlagern
annahm. In Begleitung des Herrn Wenglowski machte ſich
nun Czekanowsti an die geologiice Erforichung des Gebie—
tes am Unterlaufe des Olenel und ber Vena, verlieh am
15. Mai 1875 Irkutsk und vollendete vom 1. bis 7, Juni
in Jalutsk feine Vorbereitungen zur Stromfahrt. Auf der
Lena hatte er jedoch mit widrigen Winden zu känıpfen, welche
ihm viel Aufenthalt verurfadhten, jo daß er erft am 1. Juli
Schigansk (wenig nördlich vom Polarkreis) und am 26. Bu:
lun unter 70%/,9 nördl. Br. erreichte. Da der Gegenwind
ſich micht legte und Czekanowski die Tundra erforjchen wollte,
fo gab er die weitere Fahrt auf umd ging von Ajakil
(5 Werft unterhalb Bulun) nad dem Olenek hinüber und
benfelben bis zu feiner Mindung ind nördliche Eismeer
hinab, wo er am 26. Auguſt eintraf, und von dort öſtlich
zum Kreuz-Cap, feinem äufßerften Punkte (1. Scptember).
Bon da nach Bulun zurlickgekehrt, mußten die Reiſenden
vom 12. September bis zum 18. October warten, bis bie
Ströme zugefroren und die Eingeborenen in ihre Winter:
quartiere zurücgefehrt waren, um dann über Werchojanst
und Jakutsk mach Irkutsk zu aelangen. Dort trafen fie erft
gegen Ende des Jahres ein. Die Tundra von Ajakik an
unterſcheidet ſich weſentlich von den ſumpfigen Tundren Weſt⸗
fibiriens ; fie wurde behufs beffern Studiums langſam durch:
reift. Das Wetter begünftigte fie: am 22, Nuguft hatten
fie unter 72%, nörbl. Br. noch ſommerliche Temperatur und
Gewitter, und die Vegetation bewahrte ihre Friſche bis zum
26, Auguft. Die dann folgenden Fröfte waren nur von kur—
zer Dauer, und noch am 11, September fahen fie unter
71340 nördl. Br. Netflügler herumfliegen.
Ezefanowsti’d Reſultate beftchen im 1. einer Ronten:
aufnahme, einer geologifhen Karte und einem Neiletagebuch
über die Strede von Jakutsk bis zur Mündung des Dlenel;
2, einer pnläontologiichen Sammlung von über 1000 Stüd,
alle aus dem mieſozoiſchen Zeitalter; 3. einem Herbarium
von 3000 Nummern und 4. einer entomofogifchen Samım:
lung von mehr ale 700 Inſecten.
— Am 24. Mai ift das von und vielfach erwähnte engli-
Ihe Schiff „Challenger von feiner willenschaftlichen Reife
um die Welt nach England zurückgekehrt. In den 1251
Tagen feiner Abweſenheit (die ‚Gazelle“ hat es nur bis 688
gebracht) hat daffelbe 68,500 Seemeilen durchmeſſen und 4700
Tonnen Koblen verbraucht, 374 Tiefleemeffungen vorgenom-
men, 255 Temperatnrreiben gemeſſen, 111 Male erfolgreich
und 19 Male ohne Erfolg mit dem Schleppnete gearbeitet.
Bon den 243 Dann Belatung, welche am 21. December
1872 England verließen, find 144 am 4. Mai 1876 bort-
hin zuridgefehrt, während 10 ftarben (darumter unfer Lands:
mann Dr. von Willemoes:Subm), nicht weniger als 61 deſer⸗
tirten und 5 (darumter der Capitän Nares) in Honglong zur
Norbpolerpedition abberufen wurden. Letztere verlieh am
29, Mai 1975 unter Nares’ Befehl auf den Schiffen „Alert”
und „Discovery" Portsmouth. Jetzt eben bat faft genau
ein Jahr fpäter (27. Mai 1876) die „Bandora* unter Capi—
tün Allen Doung (vergl, „Globus“ XXVIII, ©. 351,
welche ſchon 1875 Nachrichten von ber Nares'ſchen Nordpol:
erpedition von den Carey-Inſeln heimbradhte, England ver:
laſſen, um derfelben wo möglich Briefe von daheim zu über:
mitteln und Nachrichten von ihr mit nach Haufe zu nehmen.
— Bom britifchen Colonialminiſter Lord Carnarvon tras
fen im Februar diefes Jahres wichtige Depeichen an den
Gouverueur ber Colonie Neuſildiwales, Sir Hercules Ro-
binſon, in Sydney ein, in welchen er ſich über die Mitwir-
fung der auftraliichen Golonien bei weiterer Aunectirung
polgnefiicher Inſeln anspricht. Die auftraliichen Colonien
hätten, nachdem England ihrem fortwährenden Drängen, die
Fidſchi⸗Inſeln unter britiiche Hoheit zu ftellen, Folge ge
geben, dann jpäter von einer ftnbitantiellen Hülfeleiſtung
nichts willen wollen. Diefe Art gemeinfchaftliher Action,
bei welcher bie Eolonien nur Rathichläge offerirten, während
auf England die Ausführung und die Koften fielen, müſſe
er in Zukunft zurückweiſen. Was die Annectirung von Neu—
guinea anlange, welche jetzt von vielen Seiten angeftrebt
werbe, fo könne diejelbe erft dann in ernfte Erwägung ges
sogen werben, wenn bie Colonien fich au einer finanziellen
Verantwortlichkeit bereit erflärt hätten. Der Hauptgrund,
welcher zu Gunſten rafcher Annectirung angeführt werde,
liene in der Befürdtung, daft eine fremde Seemadt in der
Nähe von Anftralien den Jutereſſen der Kolonie nachtbeilig
fein wiirde Dieſer Grund ſei aber hinfällig, da feine fremde
Macht und namentlich auch nicht Deutichland an eine Beſitz-
ergreifung von Neuguinea denke.
Berichtigung. Auf 5.348, Sp. 2, 3. 14 von oben ift
ftatt „Jagbleopard (Tokola der Abeffinier)” zu jegen „Onänen-
hund“ (gemalter Hund, Lyeaon pictus).
Inbalt: In Türkiſch⸗ Armenien, II. Mit fünf Abbildungen.) (Schluß) — Alte Denkmäler an der maroffanifchen
Weſtküſte. (Mit einer Abbildung.) — Die engliihen Himalaya-Befizungen. Bon Emil Schlagintweit. 5b, Der Band-
ſchab Himalaya. — Zur Ethnograpbie der Bulgaren. — Nene
Erſcheinungen auf dem Felde der Kartographie des orien-
taliſchen Kriegsichauplages. — Aus allen Erdtheilen: Czekanowsti's fibiriſche Neife von 1875. — Verfhiedenes. — (Schluß
der Redaction 10, Juni 1876.)
Medaeteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, ©. W. Lintenftrafe 13, IN Tr.
Drud und Verlag von Friedrich Bieweg und Sohn in Braunfchweig.
eine Beilage: Literarifcher Anzeiger Mr. 5.
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