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Full text of "Globus; illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde"

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Globus. 


XXVIH Band. 


Globhus. 


Illu ſtrirte 
Zeitſchrift für Länder- und Völkerkunde 


mit 


besonderer Berücksichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 
Begründet von Karl Andree. 


In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern 


herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 


Ahtundzwanzigfter Band. 


Sraunfhweig, 
Drud und Verlag von Friedrid Vieweg und Sohn. 


1875. 


Die mittlere Höhe Europas 47, 

Deutjdland. Bevölkerung Berlins 352 
Bevölferung von Hannover LI Wor: 
geſchichtliches aus dem Poſenſchen; von 
A. Kohn 12, 213, SHollandsgänger; 
von F. Boppe 202, Die höchſte Kunft: 
Mrabe Deutſchlands 335 Seecreiſen 
deutſcher Schifje im Jahre 1873. 208, 

Defterreih. Am Rordgeftade der Adria 
L1Z 209, 25 Germaniſche Wohn: 
fite und Baudentmäler in Nicderöfter: 
rei; von N Mestorf 200 Ulte 
Begräbnißftätte in Böhmen Are— 
tins in Böhmen 160. Die hohe Tatra 
228, Pahlbauten im Neufiedler See 
150. Das Deutihthum in der chema— 
ligen Militärgrenze 78, Bulgaren im 
Banat 207, Im Siebenbirger Gold: 
lande 119, Mömijche Ueberrefte in 
Siebenbürgen 129, 

Schweiz St. Gotthard-Tunnel 144, 


Rufſiſchte Aſien. Neue Eintheilung 
deſelben Eſenbahnprojecte in 
Trans 6. Die Schiffbarma— 
dung des al Oruslaufes und des 
Jani-Darja 174. Der Ganal zur Be: 
wäjlerung der Sungerfteppe 319, Karl 
von Neumann’s Erpebition nad) ben 
Bäreninjeln vor der ſibiriſchen Küſte 
48, 55. 74, Die Dlenelerpebition von 
Gzelfanowäfi und Müller 236, 

Aſiatiſche Türkei. Die Bedeutung der 
Länder am Euphrat und Tigris für den 
Berlehr; von A. v. Triebel 138. 151 
Hungeränoth in Armenien 48, Orien: 
talijhe Peft bei den Wontefitarabern 48, 


Gyperwein 192, Wlterthümer auf Ey: | 


Inhaltsverzeichniß. 


guropa. 


Dänemark. Die prähiftorifchen Alter: 
ihilmer des nordijchen Muſeums in Kopen⸗ 
hagen; von Dr. Dafjenlamp 24 SL 
Todtenbäume in Yütland 256, Bulca: 
niſche Thätigfeit auf Island 16. R. Bur: 
ton in Ysland 175, 

Slandinavien. Streifzüge im füdlichen 
Norwegen; von Dr. David Brauns 
2 los US 

Holland. in Beſuch auf der Injel Urt 
in der Zuyderſe 2 42. Hollande: 
gänger; von 5. Poppe Zul 

Großbritannien, Vollsmenge der gro: 
hen Städte IL Das Manr 2:3 Aus: 
grabungen in Cißbury Kamp 26 

Frankreich. Preisaufgaben der Pariſer 
Eingewöhnungsgejelliajt 190, 

Bortugal, Kleinftadtiſches Leben 

Italien. Eine neue Korallenbant bei 
Sicitien 160, Die Bäume im ficiliani- 
ſchen Boltsglauben 332, 


Aſien. 


pern Beſihungen der Osmanen in 
Arabien 32, Die Einfünjte Mellas aus 
der Wallfahrt 157, 

Arabien. Hadhramaut 

VBerfien. Allerlei Zuftände im Weide 

des Shah von Perjien DL, Fellech 

und Tihob BL 

Turtiſche Chanate. Die Zuftände in 
DOftturfeftan 1423, GCholand 239, Die 
ruſſiſche wiſſenſchaftliche Erpedition nad) 
Hifiar 14. 286, 

Oftindien. Die Pariahfafte der ſtora— 
gars an der Malabartüfte 59, Ein Be- 
ſuch auf den Nifobarifhen Injeln; von 
F. U von Roepstorfi 185, Die 
engliihen Himalayabefizungen;- von 





402254 








ı Rufland. 





Türfei. Zur Schilderung des Waldes 
in der europäiſchen Türfei; von F.Ka— 
nig Bertovitſch's bulgariſche 
Vollslieder W Donau-Bulgarien 
Die Umgegend von Solonili A Lan— 
desverjammlung auf Krela 8, Die 
Zeitung „Bajfiret® EU 

Rumänien. on der unlern Donau 
153, Rumäniides 2:6. Geographiiche 
Gejellihaft in Bulareſt 

Kleinruſſiſche hiſtoriſche Ge: 

dichte 12L Vorgeſchichtliches aus dem 

Bofenihen und anderen Gegenden des 

flaviſchen Oſten Europas; von A.Rohn 

213. Die deutihen Goloniften aus Süd: 

rußland 142 Die Petersburger Bevöl: 

ferung im Sabre 1869. 305 Die Wolle; 
poeſie der Yappländer 334, Die Sare: 

len des Gouvernementt Olonez T 

Peter von Uslar und die faufafifhen 

Forihungen 108, 


Emil Schlagintweit 231.218, Schor 
nung der Glephanten auf Ceylon 15, 
Ehinefeneinwanderung LG, Zeitungen LE 
Ausfuhr von Three 16. Neligiöfe Ver: 
eine in Yadno 32 Verjhiedenes 2 
Wittwenverbrennungen 64. Strafcolonie 
auf den Andamanen 96, Wberglauben 
in Galcutta 160; in Yadıo 238. Die 
Boldfelder im jüdöftligen Wynand 7A. 
Die Weddas auf Geylon 356, Gejdichte 
der Anfiedelungen auf den Nifobaren 270, 
Hinterindien. Eine Hof: und Staats: 
verfammlung beim König von Birma 
79. Europäiſche Wiſſenſchaft in Siam 
27 Milluho-Maklai’s Forſchun— 
gen auf der Halbinjel Malatfa 158, 


> 


VI 


China nebft Vajallenftaaten #. 
Garnier’s Schilderungen aus Yünnan 
32. 49, 276. 293, 537. 352. 369, Die 
milden Liffu an der Grenze von Yünnan 
und Tibet 199. Ein ungariiher Sprach⸗ 
forjcher in der Mongolei; von H. Bam: 
bery 220. 230 Ein Belud des Gra— 
bes des Eonfucius und des heiligen Ber: 
ges Tai 262,281, Schilderungen inner- 
afiatiiher YZuflände; von U. Kohn 
(die Zanguten; die mohammedaniſche 


Die Zähmung des afrifaniidhen Elephanten 
148, Reue Opfer Afrikas (Dates, Kraft) 
113. 


14, 
Azoriihe Inſeln. Wuswanderung 32, 
Marofto. Hiftoriiche Denkmäler 237 
Algier. Playfair über den Diebel 
Yurös 387. 
Sahara. Ihre Ueberfluthung 191, Drei 
Monate in der Libyjcden Wifle 336, 


Der Name Amerita 112, 

Dar Bıligengen Voltszählung auf 
Neufundland DE. Cine Erpedition gegen 
die Branntweinhändler im amerilaniſchen 
Nordweilen M 

Vereinigte Staaten. Gijenbahnmono: 
pole 1& Zur Staliſtil der Zeitungs: 
preffe 68, Zeitungsftil 80, Gejhwore: 
nengeridhte 30, Advocatenftil IX Kirch— 
liche Blätter 112 Gaushaltsfoften der 
Präfidenten 158, inwanderung 240, 
Waller's flatifiicher Atlas 238. Hecli- 
matifation europdiſcher Singvögel 336. 
Wifenbahnen in 1874. 336, 


Zuftände in den ſpaniſchen Republifen 
Amerilas 366, 

Guatemala. Höhere Mädchenſchulen 

Goftarica, Kaffeebau 

Darien. Kautidut 32 

Ecuador. Wlterthümer 204, 

Peru. Deutjhe Gymnaſiallehrer in Peru 
111. Salpeterausfuhr 111. Ein Beitrag 
zur Beuriheilung des Khehuaftammes in 
Peru und Bolivia; von E, v. Boed 
265, 301, Beruanijche Alterthümer 310. 
328, Metalllager am Loa⸗Fluſſe 


U. Hume + 1& WPoflbampferverbindung 
zwiſchen Reuſüdwales, Neufeeland und 
San Francisco 5, Schnelle Fahrt von 
England nad Melbourne 271 Xeid)- 
hard: Spuren 287, 


Revolution in Norbweil:Ehina) 268, 2334, 
290 314, Die Mongolen ; von U. Kohn 
344, 360, 378, Bom faiferlien Hofe 14, 
Die Blattern und der Durchgang ber 
Venus 16, Eine deutjche Frau bei einem 
chineſiſchen Frühftüd 29, Bon der Ins 
ſel Formofa 30, Zur Charakteriftit der 
Ehinejen 24, Berſchlagene Palau-Infur 
laner auf Formoja 192, Quellen des 
Brahmaputra 192, Ausbrliche desiägrem- 
denhafies 206, Einiges Über Peling 


Afrika. 


Oſtafrika. Zeile 157. Der Seyhid von 
Sanfibar 96, Auf dem Markt von 
Berbera 122, 

u ce Dr. Güßfeldt's Nüdlehr 


Innerafrila Aus Georg Schwein: 
furth's NReilen 257, 273, 208. 308, 
324, Bom Albert Nyanza 387. Stan: 


Nordamerika. 


Dr. Hayden's und Langford's Erpedi⸗ 
tion nad den Felſengebirgen 
Indianerangriff auf Dr. Hayden's Ber: 
mejlungscorps 2ZL 

Californien. Three und Kaffecbau 
32, Wobhlftand 47, Die künftlice 
Lachs zucht am Mc, Cloud 22. Werth 
von San Francisco 24  Präpifto: 
rijche Steinfadhen von den Santa— 
BarbarasInfeln 304, Borarlager 
320. Ghinefeneinwanderung in San 
Francisco 336, Witerthimer aus 
Utah und Californien 857. Das füb- 

öftlide Californien 383, 


Nittel- und Südamerika. 


Chile. Stiggen aus Chile; von G. Thiele 
205, 218, 232, 251, 818, Handelsver- 
fehr 112. Sternwarte zu Santiago 111, 

Brafilien. Wettlauf zwiſchen Hirſch und 
Schildfröte am Amazonenſtrom 11. 
Handelsentwidelung 43. Auswärtige 
Staatsjguld 80, WBollszählung 26, 
Dampfſchifffahrt auf dem Amazonenftrom 
111. Geognoſtiſche Harte des Yandes 
111. 255. Anbau der Jule in der Pro: 
vinz Rio de Janeiro 111. Die Commiſ⸗ 
fion zur Unterfuhung der Nebenflüffe 


Kuftralien und die Südſee. 


Victoria. Wusfuhr 15 Waldanpilan- 
jung und Kangeruhs 64. Minenftatiftit 
255, Statiftijces 335. Schentung an 
die Univerjität Welbourne 384. 


Neufüdmwales. Coot's Statue 14. Canni- | 


und deſſen Umgebung 223. Sosnomslt's 
Reife 272, 368, 

Japan. Geſchichten aus Alt:Japan 117, 
158, Blattern 32, Handel 224, Zul: 
canismus 240, 

Oftafiatiihe ‚Bewäfler. Der „Ehal: 
lenger* auf der Fahrt von den Philip: 
pinen nah Yapan 58, 783. Tiefleemej- 
fungen des „Challenger“ 30, Bon den 
Philippinen 159, Die „Hertha" in den 
oſtaflatiſchen Gewählern 349. 


ley's Erforfchung des Victoria Niyanza 
373, 


Südafrifa. Young's neue Erpebition 
nad dem Miafia-Sre T. Aus E. 
Mohr's Reife nad den Sataraften des 
Sambei & G. Fritſch über die Dva- 
Herero 245, Bevollerung der Kapcolonie 


u2 
Madagastar. Mullens’ Reije 46, 


Delaware. 
Georgia. 
fenofee 308, 
Illinois. 
cago 62 
Jowa. Schwarzlunft 207, Gommu: 
nisnus 36 
Youijiana. Anbau der Jute LI2, 
Nemyorf, Einwanderung BbL 
Wisconsin. Bevölkerung der Städte 
320, 
Merico. Budget 32, Nebellion 240. 
Eijenbahneröffnung 256, 
Cuba. Der Aujflond 144, 


Plirfihernte 144. 
Lage des Yandes 304. Dfe- 


Die Adventiſten in Chis 


des Umazonenftroms 255, Die Indianer: 
dörfer am Tapajoz 255 Die Colonien 
der Provinz Rio Grande do Sul 255 
Bevölferung der Provinzen Boyaz und 
Umazonas 271, mdianerdörjer DIL 
Zahl der Deutihen in Braiilien 27ZL 
Dlivenbäume in Rio Grande do Sul 
Eolonie St. Thomas de Papandura 

Uruguay. Revolution Zu 

Argentina. Heuſch Die Ran 
aueles:Indianer 2 yo uL 
Die deutiche Prefe Zi Eifenbahnen 
304. Wildwanderung 320, 


balismus 64. 79, Ein Zeitungsredac⸗ 
teur 112 
Queensland. Majern 352, 
Weftauftralien. I. Forreft 64 Wllu: 
vialgold, Perlmuſcheln, Eiſenbahn, Teles 


oraphen 255. Wilchereibetrieb mit Ktulis 


Shdauftralien, Denlmal für Me. Kine 
lay 15. Kurze Notizen; Ueberlandtele- 
graph 255. Ueberfall von Zelegraphen: 
beamtendurdfSchwarze 271. Die Lale Eyre 
Erploring Party 308. 334 Die Eolonie 
Südauftralien am Schluſſe des Jahres 
1874. 316, Ernft Giles' neuefle Reifen 
in Wuftralien 342, 

Die Inſeln des Stillen Oceans; 
Prof. Dr. 8. Meinide 160, 


Deutjche Entdeckungen am Südpol 127. 
Deutihe Polarerpedition 208, Die 
zweite deutſche Nordpolarfahrt in den 
Jahren 1869 bis 1870 220, 


Neufeeland, Frauenraub bei den Maori 
16. Grabventmal eines Maorifönigs 
80, Telegraph nah Meufeeland 27L 
Majern 271, 

Neuguinea. Reiſen dorthin 15, Dr. Al: 
bertis 15, Neuguinea und die Auftralier 


2. 

Louijiade-Ardipel, Siebenzehn Jahre 
unter auftraliichen Wilden 124, 

Verfchlagene Palau-Inſulaner auf For: 
mofa 

Bon den Norfolt:\njeln 29, 


Die Polargegenden. 


Die Nordenitjöld'jhe Erpedition nad No— 
mwaja-Semlja und in den Buſen des 
Ienifley 208. 272, 347. Ein Tagebud) 
von Barent gefunden 304, 


vu 


Fidfhi. Die Malern 77, 271, 319 
Huldigung 852, 
Martejas. Der Martejas:Acdhipel 177. 
193, 4L 
Hamwai. Die „Wrcona” im Hafen von 
Honolulu 64. Der Ausſatz auf den 
Sandwihsinjeln L4L Naturwiſſenſchaft- 
liche Gefellichaft in Honolulu 08 Tr 
nender Sand von Kaui 304, Überglau: 
| _ben 952, 
' Die Robinfon-ErujoerInjel 62, 
| 


Von der engliihen Norbpolerpedition 224, 


Die Rordjahrt der „Pandora“ 351. 


Dermifdte Mittheilungen. 


AUberglauben, Sagen u. j. w. 


Däumling in der Völferfunde 10, Wett: 
lauf zwiſchen Hirſch und Schildkröte am 
Amazonenftrom IL Zur Ethnologie und 
Geſchichte des Aberglaubens; von Dr. d. 
Brunnhofer ZL 86. 154. 18 186 
Eine Verordnung des großen Kurfürſten 
gegen den Überglauben 143° Die Bäume 
im fialianiiden Boltsglauben; von Frei⸗ 
heren von Reinsberg-Ditringsjeld 
332, Wbergläubijches aus Galcutta 160, 
Lackno 288, Honolulu 352, 

Präbiforijhes, Funde von Alter— 

thümern :c. (j. unter den beireffenden 
Ländern). 

Aus Pojen 12 213, dem jlavischen Often 
Europas 213, Niederöfterreicdh 200, Böh: 
men 208, NReufiedler See 160, Galizien 


384, in Kopenhagen 364, 331, Jütland 256, 


England 256, Eypern 304, Californien 
304. 357, Utah 3657, Ecuador 304, Peru 
310. 328. 


Europa, 


Iftrien. 
—————— in Trieft # 





Mathhaus in PBola 210, 

Zempel der Roma und des Auguſtus in 
Pola 211, 

Das römiſche Amphitheater in Bola 212, 

Pope der montenegriniigen Golonie in 
Peroi 226, 

Bäuerin von Dignano 226, 


Berſchiedenes. 


Müller’s losmiſche Phyſil in vierter Auf⸗ 
lage 22.33. Tiefjeemefiungen des „Chal ⸗ 
lenaer" Ein Sandwörterbud des 
biblifchen Wltertfums 101. Das Hohe 
Lied Ealomonis in der Zigeunerſprache 
112 Einnahmen der Kulis in den bris 
tiſchen Befiyungen 128 Größte Schnel: 
ligteit eines Eijenbabhnzuges 144, „Jour- 
nal des Muſeum Godefftoy" 149, Das 
Einhorn der Bibel 158. Die Verbreir 
tung des Morraipiels 15% Ueber bie 
Urfache der Eiszeit 170. Das erfte Ma— 
nati in Europa 175, Die Banlulnuk 176, 
Preisaufgaben der Parifer Eingemwöh- 
nungsgejelliaft 190, Bollsetymologien 
191, Gin neuer Wfrifareijender 207, 
Seereiſen beutjcher Schiffe im Jahre 1873. 
208, Meuer Proceh im Gewinn des Gol⸗ 
des 254, 


Bllufrafionen. 


Slabiſche ‘Bauern in der Kirche von Dig: 
nano 227, 


#roatien. 


Um Abhange des Gavranic 228, 
Balle grande di Sercica 228, 

Bon den Höhen hinter Buccari 229. 
Das Schloß von Buccari 229, 


Siebenbürgen. 


Altes Thor in Klaufenburg LIE, 
Unſicht 


Die Goldgruben des Cſetalhe in Sieben: 
bürgen 116, 

Romiſche Wachsſchreiblafel 

Romiſches Mauſoleum aus Trajan's Zeit, 
in eine Ktirche verwandelt. In Demſus 
bei Hazeg 130, 

Rumänifche Kirche in Jeylfalva LAL 


bon Zoroczto in Siebenbürgen | 





| Dom Bühertiiche. 


Die Infeln des Stillen Oceans; von Prof. 
Dr. 8. Meinide 160, Neue englijche 
Reifewerte 240 Die zmeite deutſche 
Nordpolarfahrt in den Jahren 1869 und 
1870. 220, Brei Monate in der Liby: 
ſchen Wüfte 336, 


Biographiihes, Perjonalienic. 


Wlbertis 15, Andreas 15, Karl Andree 
289. 305. 321. Burton 175. Lebens: 
bild des englifhen Forſchers Charles 
Tyrwhitt Drafe 166 Forreſt 62, 
Giles 342, Gühfeld 12. A. Hume + 
15, Walther ſtraft F 21 Cepfomali 334. 
Marlo Kraljewitih 207, €. Mohr 6, 
Mullens 46. Dates + 14, Peſchel F 
176, Schweinfurt 144, Der Seyyid 





von Sanfibar, ©. Smith 240, ©o$- 
| nomili 272, 3698. Stanley 373, P. 
| von Uslar 108, Young 47, 


Sälof- Vayda Hunyad in Siebenbürgen 
132, 

Thurm aus der Römerzeit im Stralihale 
bei dazeg 132. 

Burg Rolg in Siebenbürgen 133, 


Aus den polnifhen Ländern. 


Die beiden Bronzeſtierchen im Muſeum zu 
Pofen 214. 

Grab bei Dänica in der Gegend von Plod 
216, 


Türfei. 


Troglodytendorf am Lom 146, 
Eingewanderte Tſcherleſſen in Bulgarien 
147. 


Eichen am Erni:®r 162, 
Landſchaft bei Banja 164, 
Baumrindenhütte auf dem SKopaond 166. 


VIII 


Afien. 
China, 


Anſicht von Talan 

Wilde aus der Umgegend von Talan, 
Tichepen und Muong po 35. 

Ein Pay-Wilder in innen 36, 

Ein Tichendu Wilder 37, 

Das Dorf Ban-ku in Yünnan 50, 

Ankunft im Thale des Yang⸗tſe-liang GL 

Familie von Wilden 52 

Wilde aus der Umgegend von Talan 53, 

Bafthof an der Strake von Zong-tihuen 
nad) Mong-tu 54. 

Ultar einer inefiihen Pagode 277. 

RBlia, Frau und Mann 278, 

Man:tje-Tnpen 279, 

Ausfiht auf den Kinstigastiang auf dem 
Wege nad) Ta-li 230, 

Um Galgen, auf der Strafe nad) Ta-li 293, 

Beobachtungsſtation der Mohammedaner 
aA. 


Mohammedanifcher Priefter in Ta-lı AM. 

Life, Dann und frau 204 

Waarentransport in Yünnan 295, 

Ein Dorf der Pa:y 296, 

Wilder Dann von Ban-fon-han 340, 

Wilde Frau von Bansfon-han 34L, 

Manctie, Frau und Mann ZiL 

Min-fia-Typen 342, 

Eirfan-Typen in Hant-tichustje 354 

Befeſtigte Dörfer auf den Höhen 354, 

Miau-tje von Ta-twang 355, 

Schlucht des Hwang-tiang auf der Strabe 
nad Yau:wa-tang 356, 

Befeftigte Wohnung des Biihojs von Yin: 
nan zu Long⸗li SI 

Schulgebäude der Miſſion in Yunnan zu 
Tſcheng⸗ fong· jchang DL 

Der Yangstie-tiang unterhalb Kmweistihau: 
fu 872 


Hinterindien. 
Karen. Mann 338, 
Karen. Frau 339, 
Japan. 


Begegnung Genjaburo’s mit den beiden 
Fta:MRädchen LIE. 
Der Geiſt von Salura 


Afrika. 


Der Süden, 


Strafe in Durban Z 
Auf der Wanderung I 
Berg-Damara 246. 


Herero, Frau und Mann 246. 
Buſchmännertypen (Rupfertafel. JuS. 310). 


Innerafrifa, 


Dorf der Niam:niam 258, 
Getreidejpeicher und Hunde der Niam-niam 
269. 


Wennepai und Lawolula ſpielen auf der 
Mandoline 260, 

Eine von Sfurrur's Frauen 26L 

Ein Bahnli (Niam:niam:Ehef) 262, 

Munja, König der Monbuttu 274, 

Das Monbuttupaar Netolu und Bunfa 275, 

Ubdres:Sammat bringt einen Alfa herbei 
308, 


Der Alla Niewus 809, 

Täglihe Lagerfcene während der Niam— 
niant:-Gampagne 325, 

Babudur:-Sflavin 326, 

Hütten der Kredi 


Nordamerika. 


Vereinigte Staaten. 


Die Mitglieder der Erpedition Dr. Haydens’ 
und Yangford' 5 nach den feljengebirgen 
—E 


Ogden Kanon 67, 
Mammuthquellen S 

Becken der Mammuthquellen 69, 
Die Freiheilsmüthe 70. 

Die Erpedition unterwegs EL 
Beförderung des Gepäds 33, 
Bannacds im Wigwam SL 

| Diet und feine Familie W 
Wohnung eines Pionier 85, 
Im Zelte 97, 

Nüdtehr von der Jagd 98, 

Glen in den Feljengebirgen 99, 
Der Berg Hayden LON. 





Pfeilipigen von Weuerftein und bfidian, 
gefunden am großen Saljiee in Utah 
und am Borar:See in Californien 358, 

Hieroglyphen auf Granit am Yuba⸗Fluſſe 
in Galifornien 350 


Sübamerifa. 


Neugranada. 
Goldwäſche im Caucathale 


Peru. 


Monolith- Portal bei Tiahuanaco ILL, 
Monoliih: Portal von Ziahnanaco 312 
Weinende Gottheit. Detail vom Monolith: 
Portal 313, 
| Details vom MonolithBortal 213. 


Details vom Monolith:-Portal 14. 

Kopf von Tiahuanaco 314, 

Peruaniſche Alterthümer: „Uymara-Sta- 
luette“. Sphinxartige Statue vom Titi- 
caca-See, Belleideier Torjo vom Titi- 
cacasSer. Peruaniſche Geſichtsvaſe. Ge— 
genſtände aus der Begräbnißſtaälte von 
Pahacamüc. Steinernes Götenbild, 
Thönernes Waflergefäh. Üladgedrüdter 
Pinguin aus dem Guano von Guanape 
323 bis 330, 


Von dem Stillen Dcean. 


Martejas:-Inieln. 


Eingeborene an der Bay von Taio-Hae, 
Nufu:Hiva 178, 

Bay von TaioHae 179, 

Hütten auf den Marfejas 180, 

Kopf eines ingeborenen von Hiva:Da. 
Bein einer Eingeborenen von Rulu-⸗Hiva. 
Hand der Königin Waeld. Hand eines 
Eingeborenen der Martejas 181, 

Gingeborene der Marleſas bei einem Gögen: 
bilde 194, 

Der König von Waitahu und jeine Frau 


oa oder Baum der Königin auf Nulu— 
Diva 197, 

Krieger, Arau und Greis auf den Marfe: 
fas 242, 

Unthropophagen 241 

Nicht entzifferte Inſchrift einer Inſel des 
Polynefiigen Archipels 


Verfhiedenes. 


Miülter's losmiſche Phyfit: Meeresftrömun: 
gen 24. 

Miler's fosmiihe Phyſit: 
und Mondfarie 39 u. 40, 

Die Mondlarte 40, 

Ein Handwörterbud des bibliſchen Witer: 


Sonnenjleden 


thums: Moabitiſche Aftarte, nach einer 
Zeichnung Duisburg's. Baaltis, nad 
Yayard. Aſſyriſche Ijtar. Dentzettel L 


Dentzettel II. 102 u. 103, 

Der Garmel 104, 

„Journal des Mufeum Godeffroh“: Tät: 
tomwirte Aörpertbeile der Eingeborenen 
auf der Injel Ponaps 150. 

Karte des Victoria -Nipanza- Sees nad) 
Stanley 376, 


Porträts. 


Eduard Mohr Gi. 
Karl Andree 


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. Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie, 


In 


Berbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 


Karl Andree. 





Braunſchweig 


—— — 





Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. 
Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Nummern 50 Bf. 


Monatlid) 4 Nummern. 1 8 7 5. 


Am Nordgeſtade der Adria. 


I 


In Trieft. — Die Tichitfcherei. 


Die Hafenpläge an der Norbofllüfte des Adriatifchen 
Meeres werden regelmäßig von Dampfern und jomit von 
den allgemeinen Verlehre berührt, aber das Innere wird 
nur felten von Freuden beſucht; daſſelbe ift, mach allgemein 
europäifchen Begriffen, mehr ober weniger halbwild und 
hat mandjerlei barbarifchen Anſtrich. Allerdings find 
Straßenzüige vorhanden und bie öfterreichifche Negierung forgt 
nad) Kräften fir bie Sicherheit derfelben, aber auf irgend 
welche Bequeimlicjleit darf ein Reifender nod) viel weniger 
rechnen als ſelbſt in den Provinzen dev Türfe, Won den 
größeren Ortſchaften abgefehen findet ev weder Karawanjerais 
noch Gafthäufer; mit dem Fortlommen ift es ſchlecht beftellt 

und wer die nöthigen Lebensmittel nicht bei jich führt, kann 
leicht empfindlicien Mangel leiden, Bon landfchaftlichen 
Reizen ift in biefen flavifchen Einöden nichts zu finden, fie 
* find traurig und eintönig, häufig wächſt auf weiten Streden 
nicht einmal ein Grashalm. Im diefer traurigen Negion 
wohnen Bölferftänme, welche dem Ethnographen ein nicht 
geringes Intereffe darbieten, und deren Sitten und Gebräuche 
eigenthlimlich und nicht felten durchaus patriarchaliſch find. 
Dean bezeichnet Trieft als „Königin der nördlichen Adria* 
und es bilbet in ber That einen wichtigen Gentralpunft flir das 
gefammte Verlehrsleben. Geographiſch und politisch genommen 
gehört es nicht zur Halbinfel Iftrien, e8 hat auf dem Yand» 
tage, der zu Parenzo abgehalten wird, feine Vertretung, fondern 
ſchictt ſeine Abgeordneten nad; Wien in den Reichstag. So— 


©lobus XXVIII. Nr. 1. 


wohl von der Höhe des Karftes aus wie vom Meer her ge 
fehen macht diefe Seeftadt einen angenehmen und großartigen 
Eindruck; an den Halden und auf den Hügeln ſchimmern 
ftattliche Yandhänfer, die Arfenale, Schiffowerfte und Speicher 
haben im ihrer Geſammtheit etwas Imponivendes; im Hafen 
liegt Schiff an Schiff, nady Sliden hin ſchließen Capo d’Iftria 
und Pirano den Trieftiner Golf. Die Stadt, Tergefte, ift, 
wie wir ſchon im einem frühern Aufſatze bemertten, jehr alt, 
hat aber aus der Vorzeit nur einige wenige Ruinen aufzus 
weifen. Die alten Viertel der innern Stadt find eng und 
düfter, aber fie gewähren eben deshalb Scyug gegen die grim— 
migen Stürme der Bora; dem neuen Stadttheile mit den 
Prachtbauten gegenitber bilden fie einen ſchroffen Gegenfag. 

In den Strafen herrjdjt ein ungemein lebendiges Trei- 
ben gejchäftiger Yeute und mande Handeldangelegenheiten 
werden unter freiem Himmel abgemacht. Jedenfalls erfreut 
ſich Trieft einer vortrefflichen Weltlage; es Hat den ganzen 
Drient vor ſich und ift für das öſterreichiſche und deutſche 
Hinterland eine Eingangs und, Ausgangspforte für die 
levantinifchen Gegenden, mit weldyen es durch die Dampfer 
des Triefter Lloyd in lebhafter Verbindung fteht. Uchrigens 
ift das Peben dort ſehr Foftfpielig; Wohnungen, Yebensmittel, 
Bier find thewer. Trieft ift ganz und gar eine Kanfmannd- 
ftadt, in welcher fich Handelsleute aus vielen von einander 
entfernten Gegenden zufammenfinden; auf Tritt und Schritt 
fällt Einem jübjlavishes und levantiniſches Gepräge auf, 


1 


2 Am Nordgeftade der Adria, T. 


% 


aber drei verfcjiedene nationale Elemente herrſchen vor: Ita: 
tiener, Deutſch Oeſterreicher und Slaven. Ter Italiener 
geberdet ſich mit einem gewiſſen Hochmuth und bildet ſich ein 
die herrſchende Claſſe vorzuſtellen; er betrachtet Trieſt als 
eine italieniſche Stadt, in welcher allerdings ſeine Sprache 
vorwaliet. Der Oeſterreicher dagegen weiß, daß die Stadt 


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lichleiten vor, die ſich nicht hold find und fein inneres Ver— 
ſtaudniß fir einander haben. In nähere Berithrung fonımen 
fie nur durch das Geſchäft. Eine homogene Geſellſchaft ift 
nicht vorhanden; die Einwohner find nach Nationalitäten und 
dann auch nad, Kaften mehr oder weniger von einander ge: 
ſchieden. Die zahlreichen Griechen, Albaneſen und die fü 
diſche Kolonie bleiben gleichfalls zumeift auf ſich beichränft. 





feinen Kaiſer untertfan ift und wahrt nad; Sräften das 
deutfche Element; der Slave endlid betont, daß die Stabt 
ringdum von ſlaviſchem Gebiet umgeben ift und daß bie Ita= 
liener wie bie Deutſchen nur von auswärts her angejicdelte 
Zufömmlinge feicn. 

Hier liegt eine Zerklüftung in verschiedene Voltsthlint- 


San⸗Giuſto⸗ Kirche in Triejt. 


Bon geiftiger Regſamkeit ift wenig zu verfpliren, deſto mehr 
von übertriebenen Luxus, in welchem die Frauen und Töch— 
ter reicher Kaufleute ſich gefallen. Sie entfalten großen 
Prumt im Theater; Abends acht Uhr kann man fie auch auf 


‚ dem Corfo ſich betrachten ; diejer hat aber gegen halb zehn Uhr 


ein Ende; dafür find bis Mitternacht die Bierhäuſer mit 
Säften überflillt, 


Am Nordgeftade der Adria. 1. 3 


Auf die Beichreibung dev verfdjiedenen Gebäude, die in 
jeden Reiſehandbuche verzeichnet find, gehen wir micht ein 
und begnügen uns mit einigen Notizen. Die San-Giuftos 
Kirche ift aus Beftandtheilen gebaut worden, die ind fünfte 
und jechste Jahrhundert hinaufreichen und im vierzehnten zu 
einem Ganzen vereinigt wurden; der Glockenthurm ift theil⸗ 
weiſe aus ben Trümmern eines alten römifchen Tempels er: 
baut worden. In der Nähe liegt das AltertHlimermufeum 
mit dem Denfmale Windelmann’s, der am 9. Juni 1768 
im Wlbergo grande ermordet wurde, und auf der Terrafle vor 
der Kirche befindet fi, mit einer Steinplatte bededt, das 
Grab Fouchs's, welcher Polizeiminifter deserften Napoleon war 
und zum Herzog von Otranto erhoben wurde. Von dem Caftell 
aus, wo einft das römiſche Kapitolium ftand, ift die Ausficht 
überaus lohnenb. 

















Lohnend ift aber auch ein Wandelgang am frühen Mor: 
gen in den Strafen und auf den Plägen, Dann kommen 
die Bauern vom Karſt zur Stadt mit ihren Karren, vor 
welche fie graue Ochſen gefpannt Haben. Die Frauen aus 
Servola erkennt man jofort am ihrer Kopfbedeckung, der wei- 
Ben Petfchta; der Mod ift von ſchwarzer Farbe, der Hemds- 
ärmel untadelhaft weiß. Diefe Frauen handeln vorzugs- 
weile mit Geflligel. Bald lommen viele auf Efeln reitende 
ſlaviſche Bäuerinnen aus der Umgegend zu Markie, fie brin- 
gen frifches Weigenbrot, das in den Dörfern fir die Stadt 
gebaden wird, und ganze Ladungen duftiger Blumenfträuße 
in Körben, in denen Eisftüde Liegen, bamit die Kinder ber 
Flora in dem warmen Klima fic, friſch erhalten. Die weiße 
Petſchta ſticht vortheilhaft ab gegen das gebräunte Antlig 
biefer Bäuerinnen, welche ſich äußerfter Sauberkeit befleigigen. 











Da kommen audy die Tſchitſchi mit ihren fangen, 
miedrigen Karren. Diefe eigenthümlichen Yente haben im 
nördlichen Iftrien die Tſchit ſcherei oder den Tſchitſchen— 
Boden inne, einen Landſtrich zwiſchen Pingutente, Planif, 
Mune und Slavnif. Der Name fol angeblich daher rühren, 
daß fie in ihrer Sprache fehr Häufig das tfchi gebrauchen; 
Andere erzählen Folgendes: Zwei Tichitfcht, bie einander 
nie zubor gefehen hatten, begegneten fich und jeder begrüßte 
den andern als Tfchitſchia, d. h. Vetter. So redet in Un: 
garn ein junger Magyar einen ältern als Bekſchi, Oheim, 
an, wie in Andalufien Tio und Tia, Oheim und Muhme, 
auf die erften beften angewendet wird, benen man begegnet. 
Die, welche mit der Herkunft der Tſchitſchi nichts anzufangen 
wußten, gaben fie aus flr — Ablömmlinge der Stythen ! 
Und doc; ift diefelbe Mar genug. Vor zweihundert Jahren 


Play der Börje in Zrieft. 


rebeten diefe Leute noch Rumäniſch, das auch heute in Ser 
jane und amı Fuße des Monte Maggiore veritanden wird. 

Der Slave ift im Allgemeinen ſchweigſam und zurüds 
haltend, der Tichitfche dagegen verräth feine walachiſche Her- 
funft durch Pebhaftigfeit und daß er gern ſchwatzt. Er hat 
feine nationale Sprache durch lange fortgefegten, unabläffigen 
Verkehr mit den Slaven fallen laffen, jedoch einige Broden - 
beibehalten. Wenn ihn aber ein Zigeuner walachiſch ame: 
bet, ſchümt er ſich deflelben und thut als verstehe er nichts 
davon. Etwas befonders Charakteriftifches ift in feiner Phy— 
fiognomie nicht zu finden; insgemein ift die Stirn niedrig 
und flach, die Augen find ſchwarz und glänzend, die Barden: 
fnodjen fichen ſtark hervor, bei den Frauen findet man Häus 
fig eine aufgeftiilpte Naſe. 

Die Frau hat fein angenehmes Yoos; fie muß bem 

1* 


4 Am Nordgeftade der Adria. 1. 


Mann, als ihrem Heren und Gebieter, unbedingt gehordhen, 
ift fein Haus: und Laftihier und wird ſchon in früher Ins 
gend mit Laſten und ſchweren Arbeiten überblirbet. Unſere 
Zlluſtration zeigt wie fie ſich kleidet; der Mod reicht bie 
etwa auf bie Knie; die Strümpfe find von grober Wolle, 
die Füße ſtelen in Opanten, den Kopf bededt eine Kaputze; 
um bie plunpen Hüften wird ein Gürtel gejchlungen, ber 
auch wohl mit diden Metalllnöpfen befegt ift. 

Der Tſchitſche erhält feinen Unterricht und Leine Erzie- 


hung, kümmert ſich aud) nicht um geftern ober morgen und 
dabei ift er zufrieden. Er verfertigt Faßdauben oder ift 
Kohlenbrenner. Mit dem Aderbau weiß er nicht viel anzu: 
fangen, denn feine mageren Felder liegen am Karft, und auf 
denfelben gedeihen weder Wein nod) Delbaum. Gein Haus- 
vieh befteht in Schafen, welche fich auf der fpärlichen Weide 
dürftig ernähren. Der Mann macht es ſich leidlich bequem 
und bürbet, wie ſchon gejagt, alle ſchwere Arbeit ber Frau 
auf. Selten ober nie verzieht fich ihr Mund zu einem Lä— 





Slaviſche Bäuerinnen aus Serbola. 


cheln; fieift ſchweigſam und ergeben ; ben Fremden, welchem 
fie begegnet, ſpricht fie um ein Almoſen an. Was fie zur Stadt 
bringt muß verlauft werden, gleicviel um ‚melden Preis, 
denn fie könnte bie ſchwere Laft, meldye jie von der Höhe 
binabgetragen hat, nicht wieder hinaufſchleppen. 

Yu Trieft läßt der Herr Tſchitſche es fic wohl fein; 
dort beluftigt er fic), ſchwatzt, trinkt und fingt in der Schänle. 
Seine Frau bleibt draußen unter freiem Himmel und be 
wacht den Karren. Wenn ber Mann mit Demand von ihr 
ſpricht, verfehlt er nie beizufügen: „Meine Frau, mit Ihrer 


Erlaubniß zu fagen!* Bei guter Laune bringt er ihr wohl 
aud ein halbgefiilites Weinglas; fie nimmt baflelbe und 
trinkt ohne auch nur eine Miene zu verziehen, 

Der Tſchitſche wohnt in einem überaus armfeligen 
Dorfe. Am liebſten hält er ſich unter freiem Himmel auf, 
wie die wandernden Zigeuner. Er gilt für nicht gefährlich, 
doch thut man wohl, ihm nicht allzuſehr zu trauen, ſondern 
auf der Hut zu fein. Mit der Moral nimmt er es nicht 
fireng und in Bezug auf das Eigenthum Anderer hat er feine 
eigenen Begriffe, Deswegen haben in ben Gtäbten bie 


Am Nordgeftade der Adria. 1. 5 


Schutzleute ein wachſames Auge auf ihn; auf dem platten 
Yande weiß ohnehin jeder, wie er ihnen gegemüber ſich zu 
verhalten hat. 

Mune gilt für die Hauptfladt der Tſchitſcherei. Der 
dortige Pfarrer, ein fchr würdiger Dann, hat ſich bemüht, 
den Kindern Unterricht zu ertheilen und diefe Halbbarbaren 
fo viel als möglich zu eivilifiren, Er wohnt im Obergeſchoß 
feines Hauſes und hat dort auch feine Hühner; zu ebener 
Erde würden fie bald aus jeinem Befige verſchwunden fein. 





Der Tſchitſche belennt ſich zur vömifchen Kirche, ift fehr 
abergläubifcd; aber nicht fanatiſch. 

Die vorftehenden Schilderungen find zumeift der Dar- 
ftellung Yriarte's entlehnt, wir wollen aber enwähnen, dag 
die Bewohner des iftifchen Küſtenlandes ganz vortrefflich 
von Dr. Guido Stade („Drfterreichifche Revue“ 1867) 
dargeftellt worden find. Herr Stade ift Geolog und hat 
das ganze iftrifche Gebiet mehrmals forgfältig durchforſcht. 
Er ficht eines Tages auf einem der breiteren, fahlen, mit 

















Eine Tſchitſchifamilie. 


Kaltſcherben und Heinen Trichtern überfäeten, lauggezogenen 
Nummulitenkaltricen, — ber füdweftlichen Tſchitſcherei. Nur 
im Frühling hat dieſes weiße Steinfeld einen etwas 
frifchern, — Farbenton von wilrzigen Kräutern, bie 
zwiſchen Kallſcherben üppig hervorfpriegen. Darm ift es 
auch ſtärler belebt von weidenden Schafherden und von in 
Schmutzigweiß und Braun gekleideten Hirten, die nicht auf⸗ 
hören in — weinerlichen Tremolando die einförnige 
Weiſe des Liedes nom Sraljewitic Marlo zu fingen, der gewiß 
ein berühmter Schafdieb war, wie fie und ihre flanmmver: 
wandten Brüder, die Morlaten Dalmatien, Im Hoch— 


fommer und Herbft flimmert der ganze Kallboden unter ben 
fengenden Strahlen der Sonne in einem die Augen drilden- 
den, graulichen Weiß. Nur hin und wieder unterbricht eine 
Gruppe von niederftämmigen, aber breit wie ein Schirm 
befronten, baumartigen Wachholderſträuchen und ganz ver« 
einzelt eine Gruppe alter fnorriger Eichen die öde Kahlheit 
der Laudſchaft. Unter diefen vereinzelten Zeugen einer früs 
hern, fräftigen und Itppigen Walbvegetation fammelt ſich das 
ſparſame Leben. Unter dem Schutze bes breitfronigen 
Wachholderſtrauches fteht dicht gedrängt im Kreife herum, die 
Köpfe zu Boden gefenft, eine Meine Schafherde; nicht weit 


6 Aus Eduard Mohr’s Reife nach den Stataraften des Sambefi. 


davon ein Heiner Öirtenbub in weiße und braune Schafwolle | die Männer ziehen das Nichtsthun vor und rauchen Tabad, 
gekleidet wie jeine Herde; er vertreibt fich die Zeit damit, | Im einiger Entfernung gewahren wir eine Karawane von 
feiner Zwirala ewig diefelben einförmigen Tonfolgen zu ent: | Weaulthieren, die mit Holzlohlen beladen und begleitet find 
loden. Der Schatten der Meinen Baumgruppe birgt eine | von mit Aexten bewaffneten Männern und, fat den Maul 
größere Schafherde. Diefe wird bewacht von großen weiß: | thieren gleich, mit Holz, Yaub oder Grummet beladenen frauen, 
zottigen Hunden und einigen Tfjitichenweibern und Män-⸗ | weldye dabei noch die Spindel drehen oder ftriden. Sie 
nern, deren Tracht zum farblojen Tone der Gegend ftimmt. | ziehen auf dem fteilen Wege von ber Gebirgäftufe des Orliak 
Die Weiber find theils damit beichäftigt, die Schafe zu mels | nach dem Dorfe und bringen die Walbbeute herab, welde 
fen, theils drehen fie Wolfäden mit ihrer einfadyen Spindel; | fie im Trieft verkaufen wollen. 


Aus Eduard Mohr’s Reife nad) den Kataraften des Sambefi *). 


Sm Natal:-Lande 


Mit wahrem Genuffe haben wir diefes Werk durchgelefen. | aus praftijhen Mann, der in ſchwierigen Lagen ſich zu hel— 
Herr Mohr ift ein überaus frischer Kernmenſch, vol Ans» | fen weiß und dem eine Hanpteigenjchaft, welcher der Reiſende 
dauer und Energie; er hat einen freien Blid und eine feine | in Afrifa fo dringend bedarf, nicht fehlt, — die Geduld. Er 
Gabe der Beobachtung. Dabei bethätigt er ſich als durch- | verftcht es vortrefflich, mit holländiſchen Bauern, Kaffern, 





Eduard Mohr, 


Hottentoten und Buſchmännern umzugehen und fie fir feine | gemeilener Weife behandelt. Mohr macht feinen Anſpruch 
Zwede zu verwenden; fie folgen ihm gern, weil er fie in an- darauf, ein ftreng willenichaftlicher Reiſender zu fein; er ftellt 
ſich als einen Touriſten hin, der treu fchildert was er gefehen 

*) Nach ten Microrisfällen des Zambefi, von Eruard | umd erlebt hat; aber am einer tüchtigen Vorbildung hat es 
Mobre Mit vielen Illuſtrationen in Holzſchnitt und Ghremolitho: ihm feineswegs gefehlt, feine Breiten» und Yängenbeftim- 


grapbie. einer Karte ver Meiferoute, nebſt einem aftronomifiben und ie fei i 
commerciellen Anhange ». Yeipyig 1875. Arrtinand Hirt und Sohn, wungen ſowie feine hypſomettiſcen — —— 


2 Binde. Wir geben, im Einverſtändniſſe mit den ‚Herren Ver— Beweis, daf er mit den Inſtrumenten umzugehen weiß. 
legern, zwei Jllußrationen und das Porträt E. Mobr's, Sein Bud) hat auch wiſſenſchaftlichen Werth und dabei den 








Aus Eduard Mohr's Reife nah den Stataralten des Sambeſi. 


Borzug, daß Herr Mohr einen guten Stil fchreibt, den Leſer 
in fortwährender Aufmerlſamleit erhält und daß aud an 
humoriftiichen Schilderungen fein Mangel ift. Vortrefflich 
find die Schilderungen der verfdjiedenen Begetationsformen ; 
der Verfaſſer ift wir möchten fagen ein Yandjdaftsmaler, der 
frifche Farben aufzutragen weiß. 

Eduard Mohr, von Haus aus Scemann, hat feine Vor⸗ 
bildung auf der Steuermannoſchule in Bremen erhalten. Er 
befuhr alle Oceane, war auf einem Walfifcyjäger in der 
Behringsftraße, hat auf den Südſeeinſeln unter Palmen ges 
weilt; keunt Arrafan und die ganze Tftküfte des Benga« 
lichen Meerbufens genau, und hatte ſchon viel gejchen und 
erlebt als er, in voller Kraft, 1866 feine erfte Reiſe im 


Südoſtafrila antrat, weldyes feitdem das Yand feiner Borliche 


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geblieben iſt. Im Jahr 1867 war er auf feiner Wanderung 


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nad) Norden Hin bis iiber 20° ©. hinausgefommen in das 
Gebiet ded vielgenannten Häuptlings Mofilefage, welchem 
alle Matcbeleftänme gehorchten, Er lernte die Eigenthitm: 
fichfeiten und die Yebensweife dieſes VBolfes genau fennen ; 
er wandte der geographifchen Bodenbildung und ihren Gegen— 
fägen ſeine Aufmerkſamleit zu und war ein gewaltiger Nim-— 
rod vor dem Herrn. Es verftcht id), daß einen foldyen die 
Tierwelt auf das Yebhaftefte intereffirte, ev hatte Kämpfe 
beftanden mit dem Yöwen und dem ſchwarzen Nashorn, dem 
GElephanten, dem Büffel und dem Hippopotamus und von 
den Antilopenarten, flir welche die von ihm befuchten Yand: 
fireden gleidyjam elaſſiſcher Boden find, wird ſchwerlich eine 
einzige fein, die nicht von feinen Kugeln getroffen worden 
wäre. 

Im December 1868 fuhr ev von Europa aus zunächſt 


— — 





Straße in Durban. 


nad dem Borgebirge dev Guten Hoffnung; es war diesmal 
fein Borfag bis zu den Waflerfällen des Sambeſi vorzu: 
dringen und er hat das Unternehmen trog aller Hindernifle 
durchgeführt. Diefe Kataraften, welche durch Yivingitone 
befanmt wurden, find nun ſchon von mehreren Keifenden 
beſucht und bejchrieben worden; wir gehen deshalb auf eine 
Schilderung derſelben nicht eim und verweilen auf Mohr's 
ſehr auſchauliche Darftellungen im zweiten Bande feines 
Werles. Uns intereffirt hier viel mehr feine Wanderung 
von der Küifte des Natallandes durd) den Dranje-freiftaat, 


die Trandvaal-KRepublif, an und über den Yimpopo nad) | 


Schoſchong und Inyati. 

Den Ausgangspunlt der Reiſe, welche Mohr mit den 
befannten afritaniſchen Ochſenkarren unternahm, bildete die 
Hafenftadt Durban an der Küſtk von Natal, wo er zu 





Sandebene, die frliher Meeresboden war, zwifchen bewaldeten 
Hügeln, die man ala Berea bezeichnet, und mit dichtem Buſche 
bewachſenen Sauddlinen, die ſich gen Oſt bis art den Indie 
ſchen Ocean erftreden; die rollende Brandung defjelben wird 
in den Straßen der Stadt deutlid) vernommen. Der Hafen 
hat die Geſtalt eines durchgeſchnittenen Flaſcheulürbiſſes; der 
enge Hals bildet die Einfahrt. Die Zahl der Bewohner, 
welche im Verlaufe der legten Dahre angewachſen ift, betrug 
etwa 8000 Köpfe. Sie hatten einige Banfen und Kirchen, 
und zwei leidlid; gute Gaſthöfe; die Straßen find noch uns 
gepflaftert und jehr breit, damit der landesübliche Berkehr 
mit den Ochfenwagen feine Schwierigleiten findet; diefe nicht 
felten mit 14 Thieren befpannten Fahrzeuge haben beim 
Wenden großen Naum nöthig, Die Seitenwege find mit 
Brettern belegt oder mit rothen Ziegelfteinen gepflaftert. Vor 


Anfang Februars 1869 landete. Diefelbe licgt auf einer | den Häuferm ftehen aus Bombay eingeführte Seringabäume, 


8 Aus Eduard Mohr's Reife nah den Kataraften des Sambeſi. 


die Iilafarbige Blüthen haben und angenehmen Scjatten 
ſpenden. 

Durban iſt als Haudelsſtadt von Belang; fie vermittelt 
die Waareneinfuhr fir die Colonie Natal, einen Theil des 
Oranje⸗ Freiſtaates, der Transvaal-Kepublit, des Zulu— 
gebietes und der weite und ſüdweſtlich liegenden Kafferländer 
und ift flir diefe Gegenden zugleich, Ausfuhrhafen. Natal 
felbft liefert Zuder; dazu fommen Häute, Wolle, Elfenbein, 
Straußfedern, Arrowroot, Kaffee und Südfriihte. Man ift 
überrafcht, in diefer Stadt des Natallandes die Waarenläden 
mit allen europäifchen Yurusartifeln wohl veriehen zu finden. 
Die Yage der Stadt ift hübſch; die Häufer find faft alle mit 
einer luftigen Veranda verjehen, welche Schutz und Schatten 
gegen die dort ſchon intenfiven tropischen Sonnenftrahlen 





— 
— — 


— == — — — 


geben. Mohr iſt entzlit von Durban und entwirft folgende 
Schilderung, die wir als Probe feines Stiles geben. 

„Zu Spazierritten benugt man die fühlen Stunden des 
frühen Morgens oder die Zeit um Sonnenuntergang. 
Berlender Thau bedeckt Bufc und Flur und entlodt ber 
üppigen Pflanzenwelt aromatische Wohlgerliche. Weft: 
wärts leuchtet das Meer im Mondſchein; auf einer Verca- 
höhe jtehend ſieht man oflwärts in endlofer Linie den weißen 
Saum der Brandung. Unter und ruhen die Häufer der 
Stadt, in deren Straßen der Verkehr nun erlifcht; im feier- 
lich glühender Abendfarbe treten die gigantifchen Formen der 
weſtwärts liegenden Berge auf, Immer dunkler wird es im 
Thale, matter der Pichtjchimmer auf den Höhen und der 
lodende Auf der Abendvögel ift verftummt. Der jternbefäcte 





Wii 


Auf der Wanderung. 


Nachthimmel über ums tritt feine Herrſchaft am und. gieft | 
\ Zerriffenheit der englifch-proteftantifchen Kirche unangenehm 


feinen Yichtfchimmer aus über die träumeriſche Landſchafi.“ 
„Wie in allen warnen Ländern ſteht man mit Tages- 
anbrud) auf, nimmt den Kaffee, nachher ein Bad im Haus 
oder in der Bay. In den Frrühftunden fommen die Ein« 
geborenen zur Stadt und bringen Gemüfe und friſche Stid- 
frlichte zum Markte. Die von Bombay als Arbeitsfräfte 
eingeführten indischen Kulis haben ſich faft ganz des Fiſch— 
handels bemächtigt; die Bay) und das nahe Meer liefern eine 
Anzahl herrlicher Fiſche; in den Schladhthäufern, deren Ber 
figer zumeift Europäer find, bietet man Ochſen und Hammel: 


fleiſch feil. Das eigentliche Gefchäft eröffnet um neun Uhr | 


früh; gegen Mittag tritt im Verlehr eine bemerfbare Ruhe 
ein, gegen fünf Uhr Abends find die meiften Geſchäfte ge- 
ſchloſſen. Die Bewohner find gegen Fremde gaftfrei und 
freundlich, aber es macht ſich ein entſchiedener Mangel an 
Geſelligleit fühlbar, Beſonders kann der nach diefer Colonie 





fommende Deutſche nicht umhin, durch die beflagenswerthe 


berührt zu werden. Da find Presbpterianer, Holländiſch— 
Reformirte, Methodiften, Baptiften, Anglicaner ıc., die alle 





ihre Façon felig zu werden für die allein richtige halten; 


“daher denn ewige Kirchliche Zäntereien.“ 


Der 30. Gr. ©. durchſchneidet die Colonie in der Mitte; 
durch 29° DO. v. Gr. wind diefelbe in eine öftliche und weſtliche 
Hälfte getheilt. Seitdem der Bezirk Alfredia hinzugefommen 
ift, bildet der Umtamfuna an der jlidlichen Küste die Grenze; 
im Norden ijt es die Tugela unter 29°10° S. Diefe iſt 
der bei Weiten mächtigfte Strom bes Landes. Die Länge 
der Kuſtenlinie beträgt etwa 150 Seemeilen (A— 1 beuts 
hen); die ſudweſtliche und nordweſtliche Grenze wird durch 
die mächtigen Baftioneg der Drafensberge gebildet, das 
Nandgebirge des oftwärts abbredhenden großen afrilaniſchen 
Blateaus ; durch den Neenans: Pak (5400 Fuß) und den 


Aus Eduard Mohr's Reife nah den Katarakten des Sambeli. 9 


De⸗Beers⸗Paß (5647 Fuß) führen die Berbindungslinien, ; 


durch welche der Verkehr ſelbſt mit den ſchwerfälligen Ochſen⸗ 
magen möglich; wird und bie weftwärts liegenden 
Bauernrepublifen einen Theil ihrer Vroducte nad) Durban 
zur Verfhiffung bringen können. Die höchſten Spigen ber 
Khalambas oder Dralensberge erreichen in den Machadhe, 
Champagne oder Giants Gaftlehöhen wohl 10,000 Fuß. 
Alle Heineren Ströme und Bäche, welde den fruchtbaren, 
wafjerreichen Staat Natal, diefen Garten von ganz Sud— 
oftafrila, durchziehen, laufen im der Richtung von Nord⸗ 
weit nad) Südoft, kommen ohne Ausnahme von dem hohen 
Randgebirge und erreichen den Indiſchen Ocean. Wo bie 
Drakensberge in der Nähe von Woodhoufe Kop einen eins 
ſpringenden Wintel bilden, ftürgt die Tugela in einem beie 
nahe directen alle 2000 Fuß herab, wie denn überhaupt 
prachtvolle Wafferfälle in Natal zu den gewöhnlichen Erſchei⸗ 
nungen gehören. Der Durchmeſſer der Colonie von Oſt 
nach Weſt beträgt an der breiteſten Stelle 120 Seemeilen. 
„Kaum dürfte auf dem weiten Erdenrund ein Land 
zu finden fein, weldes auf fo engem Raum eine 
ſolche Fülle landfhaftliher Reize und verſchiede— 
ner Klimate vereinigt.* 

Bon den Khalambas bis zur Ser fällt das Yand in drei 
Stufen ab, wodurch die Bodenbildung in vier unregelmäßige 
Terraffen getheilt wird. Die höchſte derfelben ſenkt ſich von 
den Dratensbergen bis innerhalb 50 bis 55 Miles der Küſte 
zu und hat eine durchjchnittliche Höhe von 4000 Fuß; die 
mittlere mag 20 Miles Breite und 2000 Fuß Höhe über 
dem Meere haben. 

Auf diefer Eentralterrafie liegt, in 1005 Fuß Höhe, die 
Hauptftabt Pieter Marigburg. Die untere Terrafie, 
etwa 800 Fuß hoch, hat eine mittlere Breite von 15 Miles; 
von ihr aus Überficht man den eigentlich tropifchen Diftrict, 
das „Litoral* mit feinen Kaffeeplantagen, Zuderfeldern, 
Drangen:, Pifang- und Ananasgärten, ine dort vor: 
fommende wilde Dattelpalme erreicht keine beträchtliche Stamm 
höhe. Wenn in Natal, das doch 6° ſüdlich vom Wendekreife 
liegt, dennoch fubtropifche Pflanzenformen gedeihen, fo erflärt 
ſich diefe Erfcheinung aus dem warmen von Norden kommen« 
den Mabagasfarftrom, ber die Küften befpiilt und in 
Bezug auf Temperatur und Klima das Land um einige 
Wärmegrade ben Tropen näher rüdt. Im den Monaten 
Mai bis Auguft hat man — 4000 und 5000 Fuß 
Höhe bei Nacht Fröfle und Eisbildung. Cigentliche Wälder 
hochſtammiger Bäume fehlen, aber es mangelt dod) nicht am 
werthvollen Holzarten. ine Eigenthümlichfeit von ganz 
Sudoſtafrila, auch inNatal, find die mit furchtbaren Dornen 
verfehenen Mimofengebüfche, welche von den Bauern als 
Haat· Doorns, Kameel:Doorns und Wachtsen-bitje-Doorns 
bezeichnet werden und dem Wanderer und Jäger entjegliche 
Schwierigkeiten bereiten lönnen. 

Löwe und Elephant find aus den Grenzen Natals ſchon 
lange verſchwunden, aber Meinere Antilopen findet man in 
allen einfamen Didungen, und in fteinigen Einöden den Klip- 
ipringer (Oreotragus Saltatrix); Leopard und Panther find 
noch jehr verbreitet und richten unter den Schafherben furdht: 
bare Verwüftungen au. Auch jet noch kommen die großen 
Pradtantilopen vor, z. B. das Eland (Boselaphus Oreas); 
das ſchöne hirſchartige Kudu mit den herrlichen, fpiralförmig 
gervundenen Hörnern (Strepsiceros Capensis), der Nied- 
boct (Eliotragus) und verſchiedene andere. Der Strauß 
fehlt in Natal. Das Leben der Imfecten und Kerbthiere 
entfaltet fi in wunderbarer Mannigfaltigkeit und Pracht; 
wahre Landplagen aber find die Termiten und „das greulichite 
Geſchöpf der Infectenmwelt“ ift in Natal die im den Gebliſchen 
bes Küftengebietes vorlommende Blutwanze, welche von den 


Globus XXVIN. Ar. 1. 


Coloniſten als Tiet bezeichnet wird. Kein Pferd, fein Rind 
wird von biefer Peſt verſchont. Das Inſect ift kaum fo 
groß wie ber Kopf einer Stednadel; es beißt ſich in die Haut 
des Thieres feſt, faugt ſich voll Blut und hängt dann wie 
ein blaugraner Ead, oft von der doppelten Größe einer ftar- 
fen Erbſe, am Yeibe des geplagten Thieres, wo es allemal 
die am meijten gejchligten Stellen zu treffen weiß. Häufig 
fieht man Rinder, denen von den Blutwanzen die Ohren halb 
abgefreflen wurden ; aud) werden wohl die Augen zerftört und 
es tritt völlige Blindheit ein. 

Schr zahlreich find die Schlangen und bie meiften Ars 
ten jind giftig. Sehr geflirchtet iſt eine Cobra, welche in 
einer ſchwarzen und grauen Varietät auftritt und eine Länge 
von 8 Fuß erreicht. Diefe „Mhamba“* ift überaus mu— 
thig und gewandt; Reiter, welche ſich ihr zufällig näherten, 
find von ihr über eine Meile weit gejagt worden. Sie ift 
eine Nachtſchlange, doc; fieht man fie während der Negen« 
monate aud) häufig genug bei Tage; fie kriecht in den fon 
nigen Stunden aus ihren Löchern heraus um fich zu wärmen 
und liegt aufgerollt im Graſe. Noch zahlreicher komut bie 
Puffadder vor, bie aber unbeholfener und langfamer ift. „Am 
Mangwe fand einer meiner Matebelebegleiter eine foldhe; fie 


‚wurde beim Kopfe aufgehangen und gehalten, ich fpigte ein 


Stäbchen von der Größe eines Schwefelholzes zu, tauchte die 
Spige deſſelben in Tabadsjaudje und ſtach in die Schlange 
hinein. Binnen 80 Secunden war fie unter furdjtbaren 
Zudungen verenbdet.“ 

Mohr ſchildert den Kafferſtamm der einft viel genannten 
Zulus, die im Norden ‚der Golonie, jenfeits der Tugela, 
ihre Wohnfige haben und die an Wechfelu fo reiche Geſchichte 
derjelben. : 

In Durban rüftete ex den unentbehrlichen, ſchwerfälligen 
Ochjenwagen in zwedmäßigfter Weife aus. Ich habe, jagt 
er, immer gefunden, daß zwijchen ihm und feinem Erfinder, 
dem holländiſchen Boer, eine abſolute Achnlichkeit befteht; 
wie dieſer ift er plump, maſſiv, geſchmadlos, aber kernfeft 
und zähe. Er gewährt vollfommen Schu gegen den Regen 
des Himmels, den Thau der Nacht und die oft falten Stürme 
ber Hochebenen. Im obern Theile hängt ein Holzrahmen, 
der negartig mit Riemen aus rohen Ochjenhäuten überfpannt 
ift; hierauf ruhet die Matrage. Der Wanderer hat fo ein 
trodenes und gejchligtes Bett, Den beiden Seiten im Ju— 
nern entlang find zahlreiche Tajchen aus Feder oder Segel: 
tuch angebracht, die ſich als äuferft praftifc erweijen; fie 
enthalten unzählige Gegenftände, welche jeden Augenblick auf 
der Wanderung gebraucht werden: Schießbedarf, Fernrohr, 
Bücher, Tabak, Reibhölzer, Pfeife, Toilettengegenftände, 
Becher, Feldflaſchen, Arzueien, Mittel gegen Schlangenbiß, 
Schiffszwieback x. Mohr kaufte zwei vollftändige neue 
Fuhrwerle, welche ſich auf einer 450 deutjche Meilen lan« 
gen Reife ausgezeichnet bewährten; fie fofteten ihn 210 Pf. St., 
alfo etwa 1400 Thlr. Nun war die Ausrüftung zu be 
forgen: Kleider, Waffen, Blei, Pulver, Patronen, Zund— 
hüten, Teller, Töpfe, Bratpfanne, Löffel, Meſſer, Gabeln, 
Arzneien, Bücher, aſtronomiſche Inftrumente, Barometer, 
Thermometer, Hünftlicher Horizont und chemiſche Säuren. 
Sodann Handelsartifel für die im Innern wohnenden 
Kafferſtämme: wollene Deden, bunten Kattun, venetianifche 
Glasperlen, fupferne und mefjingene Ringe, Dazu nod) 
Lebensmittel: Kaffee, Thee, Zuder, Mehl, Eifig, Del, 
getrocknetes Gemüfe, Liebig'ſchen Fleifchertract, getrodnetes 
Obſt, Salz, engliſche Pickels, Cayenne» und ſchwarzen 
Pfeffer, Saucen, Sirychnin um wilde Thiere, beſonders 
Hyänen, zu vergiften; Capwein, Genöver, Cognac und noch 
Mancherlei. 

Nach langer ſchwerer Wahl war eudlich Mohr im Bes 


2 


10 Däumling in der Böllerkunde. 


fige zweier Gefpanne von zuſammen 28 Stud Ochſen und 
3 Refervethieren.. Am 8. März; 1869 Nadmittags ſetz⸗ 
ten die Wagen fi) in Bewegung nad) Marigburg. „Es 
war num Alles bereit, den Kampf mit ber Wildniß und 
ihren Mübpfeligkeiten aufzunehmen ; voran flatterte von jedem 
Wagen herab die deutſche Fahne.“ 

In der Nähe von Durban, an der Straße nad) Maritz 
burg, liegt inmitten von Drangen- und Oleandergebliſchen 
die Heine Ortſchaft Pine Town; um die Häufer herum 
hat man die von Auftvalien eingeführten Gummibäume 
angepflanzt, welche für viele Yandichaftsbilder Natald und 
bes Trandvaals jhon fo harakteriftiic; geworden find. Une 
weit von Pine Town liegt Neu⸗Deutſchland, eine von 
unferen Landsleuten bewohnte Ortfchaft; diefe Nieders 
lafjung ift 1848 von einem Herrn Bergtheil gegrlindet wor 
den und hat es durch Fleiß und Ausdauer zu einem gewiffen 
Wohlſtande gebracht; fie verforgt Durban und die dort im 
Hafen anternden Schiffe mit Klichengemüſen. Die Heine 
Gemeinde hat ihren eigenen evangelijchen Pfarrer, Herrn 


Poſſelt. „Als ich gegen den Schluß des Jahres 1870 von 
meinem großen Marſche aus dem weiten Innern glüdlid 
zurlicfehrte, hörte ich hier im der Heinen Kirche von ihm 
eine Dankespredigt für die gegen unfere Erz» und Erbfeinde 
auf Frankreichs Boden erfochtenen Siege. Der beutfche 
Geſang der Heinen Gemeinde wogte in reinen Tönen frieb- 
lich zur Höhe empor; der Küfter braufte mit der Orgel die 
Begleitung dazu, und dies urdeutſche Bild auf Afrifas Bo- 
ben ergriff mich mächtig und entflammte meine germaniſch- 
patriotijchen Gefühle.“ 

Wir verlaffen fir jegt Herrn Mohr, ben wir jedoch 
gelegentlicd; auf feiner Reiſe nach dem Innern wieder begeg- 
nen werben. Unſere Illuſtration zeigt, im welcher Weiſe er 
auf der Strede zwifchen dem Mangwe und dem Tati einher: 
zog umb in welcher Weife fi eine Karawane von Ochſen⸗ 
farren im jenen Ginöden bewegt. Auf dem Bilde fehlen 
auch die Strauße nicht, welche der Meifende gezähmt hatte, 
und die ihm auf einer Wanderung von manchen Hundert 
Meilen treu begleitet haben. 


Däumling in der Bölferfunde. 


Zudem Heinen aber ſehr tüchtigen reife von franzöfischen 
Gelehrten, welche in der „Revue Gritique* , „Revue Geltie 
que“ und „Romania* ihre Arbeiten niederlegen, gehört aud) 
Gaſton Bari, welcher foeben ein vorzliglices Werken 
veröffentlichte, das den etwas frappivenden Titel trägt: „Le 
petit poucet et la Grande ourse (Paris, Librairie A. 
Franck 1375)." Was hat der Meine Däumling des Mär: 
hend mit dem Sternbilde des Großen Bären zu thun? 

Während, nad) Gaſton Paris, die ſemitiſchen, meiſt in 
großen Ebenen unter Mar feuchtendem Himmel wohnenden 
Bölfer der Kunde des Hinmels ſich jchon frühzeitig zuwand⸗ 
ten und die Sterne felbft verehrten, beachteten die Arier, bevs 
giger Gegenden und rauberer Klimate Kinder, mehr bie 
gewaltigen Zudungen der irdiichen Natur; fie verehrten die 
Geifter, welche im Sturmmwinde daherraſten, oder die ben 
Dig und Donnerfeil auf die Erbe ſaudten. — Die fünf 
großen Planeten, die den Alten befannt waren, bildeten zus 
fanmen mit Mond und Sonne die heilige Heptade der Ba- 
bylonier, eine Combination, die noch in unjeren fieben Wochen: 
tagen und theilweife ihren Benennungen erhalten ift. Aller 
dings find die aſſyriſchen Götter in ihrer Verwandlung, beim 
Durchgange durd; das Griechiſche und Römiſche und ber 
doppelten Verwäflerung durch dieſe, nicht mehr zu erlennen, 
dod) vegieren wenigftens noch fünf lateiniſche Götter die 
romanijchen Wochentage, während im Norden die germa— 
nifchen Götter die Namen der Tage beherrfchen. Die alten 
Indoeuropäer fümmerten fich wenig um die Planeten, ſchei- 
nen auch faum Namen für diejelben befeilen zu haben und 
borgten daher aus öftlichen Quellen, Sie fahen die Sterne 
lieber als Bilder am und gaben ihnen in diefer Beziehung 
Namen, welche fie vom irdischen Dingen hernahmen, Manche 
diefer Benennungen eriftiren heute noch im überraſchender 
Uebereinftinmmung bei räumlich und ſprachlich fehr weit von 
einander getrennten Völkern, ald Zeugnifie eines ehemaligen 
Beiſammenlebens derfelben. Am auffallenditen iſt diefes 
aber bei der Benennung des Sternbildes des Großen Bä- 
ren ber Fall. 

Profeſſor May Miller hat die Hypothefe aufgeftellt, daß 
ber Name des Großen Bären aus einem linguiftifchen Miß— 


verftändniß entftand (Leetures on the Science of Lan- 
guage II). Das Sansfritwort riksha, glänzend, von einer 
Wurzel ark flammend, welche „glänzend fein“ oder „gläns 
zend machen“ bedeutet, wurde auf die Sterne, die Glänzenden, 
Übertragen und wurde jo der Name des Bären, „fo genannt,* 
fagt Müller, „entweder von feinen glänzenden Augen ober 
von feinem brillanten funfelnden Pelze.“ Wir müffen ges 
ftehen, daß wir diefer geiftreichen Hypotheſe nicht recht zu 
folgen vermögen; auf uns madıt das nordifche Thier einen 
mehr düftern als glänzenden Eindrud, jo daß hier das lucus 
a non lucendo wirklich am Plage erſcheint. Nach Müller 
haben wir aber Sanskrit ark, glänzend fein, und griedjifch 
Arktos, Bär, als Eines zu betrad)ten, Sternbild und Thier, 
und „jo beruht der Name der arktiichen Region auf dem Miß: 
verftändniffe eines vor Taufenden von Jahren in Central 
afien gebildeten Wortes.* 


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(4 \ 
* € —* 
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* “7 


Der Müllerjchen Hypotheſe fteht num wefentlich entgegen, 
daß die indoeuropäiſchen Völker, zum großen Theile wenig« 
ftens, das betreffende Sternbild gar nicht ala Bär bezeich« 
neten, ſoudern ganz anders benannten. Zur Zeit als die 
Odyſſee niedergefchrieben wurde, hieß der Große Bär bei ben 
Hellenen ãuccke, der vierräderige Wagen; fo und nicht au— 
ders benennen ihm auch die meiften europäifcyen Nationen im 
Bolfsmunde noch jegt. Die Sterne «By 5 bezeichnen die 
vier Räder und e&n entweder die Deichjel ober die Laſtthiere, 
gleichviel ob Ochſen oder Pierde, weldye den Wagen ziehen. 
Jakob Grimm zeigt bereits im feiner deutſchen Mythologie, 
baf weder in ben germanifchen, flavifchen, lettifchen oder finni« 
ſchen Sprachen ein Ausdrud vorhanden ift, welcher auf die 
Bezeichnung „Bär“ für die auffallende Sterngruppe hindeutet. 
Und alle diefe Völker waren doch mit dem Bären, der in ihren 
Märchen eine große Rolle fpielt, in der Urzeit wohl vertraut, 


Wettlauf zwiſchen Hirih und Scildfröte am Aınazonenftrome, 11 


Ueber dem Sterne &, welcher ben Mittelpunkt im Bären» | ftatt im einer Wiege ruht, und auch Däumling wird in feis 
ſchwanz oder der Wagenbeichjel einnimmt, fteht noch ein fehr | nes Vaters Schuh gewiegt. 
Heiner Stern, welcher im Bollsmunde als der Kuticher an« | Nach Gafton Paris gehört Däumling ausſchließlich den 
gejehen wird umd bei den Franzoſen Poftillon, Cavalier, bei | germanifchen und flavischen Böltern an. Weder in Italien 
uns Deutjhen Neiterlein, Fuhrmann, Knecht, auch | nod, in Spanien läßt fid) eine Spur von der Geſchichte aufe 
Dümele oder Dümke (bei den Nieberbeutfchen) und beiden | finden, nicht einmal der Name; wenn er unter Walachen, 
Wallonen Poͤcd heißt. Griechen und Albanefen vorlommt, fo ift diefes nad) unferm 

Im diefem Meinen Reiterlein — jegt kommt der Ueber- | Gewährsmanne flaviichen Einflüffen zuzuſchreiben. Auch 
gang vom Großen Bären zum Däumling — erfennt mum nimmit Gaſton Paris an, daß ber wallonifche Name Pöcd 
Gaften Paris den Meinen Luftigen Burſchen im Märchen | Towie eine ——————— aus dem Deutſchen ſtammen. 
wieder. Das walloniſche Poͤch, ein Aequivalent für Poucet, Ta nun der Däumling ausſchließlich den Germanen und 
ein Derivativ von pollex, iſt das Analogon von Däumling, | Slaven gehört, „jo empfing er, nach Gaſton Paris, feine 
Dumele oder englifdh Thumbkin. Seftalt in einer Epoche, als diefe beiden Völfer noch zuſam-⸗ 


i P . le i i — 
Um dieſen Himmelswagen und ſeinen Fuhrmann haben —5— en beſondere Gruppe ber inboruro 


fi) nun viele Legenden gruppirt. Nach einer berfelben &8 lient ei FREE: i 
R ? | gt ein großer Reiz darin unfere Ammenmärchen mit 
—— —— am ehe drei Bf 2 feinen | der Mythologie = Mh und mi Urfprung — 
Wagen. As fie nicht ziehen wollten ſchrie er: „Vorwärts zurüdzuführen, weldhe noch vor der gefchriebenen Gefchichte 
in Teufel Namen!“ Darauf verſchwand er von der Erde liegen; aber mit dieſem Beftreben find aud) große Gefahren 
und num ift er der Wagenführer am Himmel. Cine andere | yerpmden und wie leich geräth man dabei auf Abwege! 
Gefechte ergäit, wir in echter Autfeherbas Paradies mitalen | Yu dem vorliegenden Falle fein Die Identität des Fimm- 
feinen Freuden ee —* 38 te, wenn er nur fein, | ůſchen Fuhrmanns mit dem winzigen Helden des Volls— 
Yebtag ei rg an * * Rt ihn am | märdens einzig auf der Thatfache zu beruhen, daß beide mit 
Himmel des achts den Wagen fhren; bie Mitternacht demſelben Namen benannt werden: Pöce, Poucet, Däumling, 
fteigt fein Wagen aufwärts, dann geht er nieder und in der | piimefe u. ſ. w. Doch ſolche Bezeichnungen fcheinen mehr 
— —— MAR zes —— genereller als individueller Natur zu fein. Jedes kleine We- 
höre, aaa Bi rg ei Me — genden | fenfann man als Daumenlang, Tommeling, Tom Thumb ıc. 
heißt ber Große Bike her nen SEN aan on | bezeichnen. In Rußland ift er als Maltschik-paltschik 
nimmt, er r 6 Buhrwer ‚m er —— a ang befannt, als der „eine Fingerlang“; paltschik iſt ein 
& Himmel fuhr; —— er als ber a es Gottes Diminutiv von palets, Finger. Paltfcjif entfteht aus dem 
hor angefehen worden, J m im Der Fer Zeit ger zufällig abgeſchnittenen Finger feines Vaters. Wegen bier 
nommen und St, —— * artin 5 arl dem Gror | Fer Berichiedenheit meint Gafton Paris, daß die urfprlingliche 
Ken (2) zugetheilt wurde (Rarlvagn in Schweden). Bedeutung des ruſſiſchen Wortes palets und des polnifchen 
Die echten Volksmärchen vom Däumling ſtimmen alle | palec „Daumen“ geweſen fei und erft jpäter die Bedeutung 
barin überein, daß feine Geburt eine nicht matürliche, eime | „Singer“ angenommen habe, Auch macht er auf die Achn« 
außergewöhnliche war. Er ift das echte oder adoptirte Kind | lichteit von pollex und palets aufmerffam. Im fünften Bande 
eines Paares, welches ſich lange nad) einem Finde jehnte | von Afanaſiew's ruſſiſchen Vollsmärchen finden wir drei 
und überaus glüdlich war, als endlich, noch ber Heime win: | Verfionem der Däumlinggefchichte. In der erften und drit- 
zige Burfche anfam. Wie die meiften Meinen oder budeligen | ten ftammt der luſtige Burſch vom feinen finger feiner 
Leute ift er aber lebhaft und äußerft gejcheit; er lenkt fon | Mutter, die ihn ſich beim Kohlſchneiden abſchnitt, in der drits 
früh feines Vaters Pferde, denen er ins Ohr gefegt wird. | tem vom Finger des Vaters, dem diefer verliert, während er 
Auch daß er von einem Ochſen oder einer Kuh mit dem Fut- | eine Planke in Splitter zerhadt. 
ter verfchlungen wird kehrt im faft allen Varianten des Dlär- Jedenfalls hat Gafton Paris einen belangreichen Beitrag 
cheus wieder, auch ift er diebiſch und beshalb mit Hermes | zur vergleichenden Märchengeſchichte geliefert, für dem wir 
verglichen worden, der am feinem Geburtstage die Rinder | ihm dankbar fein müſſen, gleichviel ob wir mit ihm anneh— 
des Apollo ftahl; es eriftirt eine althellemifche Bafe, auf wel» | men, daß der Meiter am Wagen des Großen Bären und der 
cher der Meine Hermes abgebildet ift, wie er in einem Schuh | Däunling der Vollsſage ein und daffelbe feien. 








Wettlauf zwiſchen Hirfch und Schildkröte am Amazonenftrome. 


Daß die Thierfabeln in der alten Welt nicht felten über» | ſich das Landvoll von dem Wettlaufe zwifchen dem Igel und 
rafchende Aehnlichkeiten aufweifen, ift befannt; eben jo wiflen | dem Hafen, bei welchem ber legtere durch die Lift des erftern 
wir, daß diefelben nit emtlehmt fondern Erzeugniffe der | befiegt wurde. Durch Dr. Schröders allbefannte Erzählung, 
Spontaneität find. Die Rolle, welche der Coyote namentlic) | welche den richtigen Ton ganz vortrefilic getroffen hat, ift 
bei den indianischen Stämmen Nordweitamerifas fpielt, erin« | der Wettloop des Swinegeld und des Hafen allgemein be— 
nert vielfach am unfern Reinele Fuchs, aber auch Süb- | kannt geworden. Heath hat, fo viel wir abnehmen können, 
amerika hat feine Thierfabeln. Es ift ein Berdienft des | von diefem Wettlaufe nichts gewußt; er fand jedoch auf der 
Profefiors Heath, auf feinen Wanderungen im Gebiete des | ganzen Strede von Para an der Mündung des Amazonas 
Amazonenftromes biefem intereflanten Gegenftande ganz | bis nad; Tabatinga an ber peruanifchen Grenze eine Thier- 
befondere Aufmerlſamleit gewidmet zu haben. fabel bei den Indianern verbreitet, die mahezu buchſtäblich mit 

In Niederfachjen, namentlich, im Lüneburgifchen, erzählt | jener nieberfächfiichen Ubereinftimmt, nur daß andere Thiere 

2* 


12 


auftreten. Die Moral ift diefelbe: blinder Eifer ſchadet; 
wohlbedachte Schlauheit führt befler zum Zwed ald unlibers 
legtes Stürmen, 

Eine im Gebiete bes Amazonas fehr häufig vorkommende 
fleine Schildfröte, die von dem Portugiefen Jabuti, von 
den Indianern als Tauti bezeichnet wird, hat kurze Beine, 
bewegt ſich nur langſam; fie hält fic) gern verborgen und ift 
harmlos, in der Threrfabel tritt fie aber als fehr ſchlau und 
rachflichtig auf, dabei hat fie Humor und eine ſcharfe Zunge. 

Eines Tages begegnet der Jabuti ein Hirſch. Sie ſpricht 
ihn am und fagt: „Nun, Hirfch, was fuchft du denm hier?“ 
Er antwortet: „Ich fuche mir etwas zu eſſen, aber, Schild» 
fröte, wohin gehft denn du?" - 

„D, ich gehe auc ein bischen herum und fuche Waſſer, 
denn ic, bin durftig.“ 

„Bis warın gebenkft du denn an das Waffer zu lommen?“ 

„Die kommt dir zu einer folchen frage?“ 

„Wie? Nun, weil du fo kurze Beine haft.* 

„Das trifft zu, aber ich kann doch ſchneller laufen als 
du mit deinen langen Beinen.“ 

„Nun, da lönnten wir ja mal einen Wettlauf ver 
anftalten.“ 

„oft mir ganz recht,“ fagte die Schildkröte; „wann wol⸗ 
len wir laufen ?* 

„Gleich morgen.“ 

„Um weldye Tageszeit?" 

„In aller Frühe,“ 

„Eng, eng“ (ja, ja), fagte die Scildfröte. Sie ging 
num in den Wald und rief alle ihre Freunde und VBerwand- 
ten zufammen und fagte: „Paßt auf, wir wollen den Hirſch 
ums Leben bringen.“ 

„Wie willft du das denn anfangen?“ fragten fie. 

„Ei, ich ſprach zum Hirfhe: Wir wollen einen Wett- 
lauf halten und fehen, wer von und am fchnellften laufen 
kann. Nun gedenfe ich ihm zu überliften. Ihe müßt am 


Rande ded Campo (offenen Feldes) im Wald euch aufftellen, 


eine nicht weit von der andern, mäßt euch aber babei ganz 
ftill verhalten. Wenn nun morgen der Wettlauf ftattfindet, 
fo wird der Hirſch auf freiem Felde laufen, ich aber bleibe 
ruhig an meiner Stelle. Wenn er num nad) mir ruft und 


Borgefhichtliches aus dem Poſenſchen. 


an euch vorbeigelaufen ift, fo antwortet ihm, aber nicht eher 
als bis ihr ihm voraus feib.* 

Am andern Morgen ging ber Hirfc zur Schildkröte und 
fagte: „Können wir jet laufen?“ 

„Sa, aber warte ein Meilen, ich will in ben Wald 
gehen und dort laufen.“ 

„Du furzbeiniger, Heiner Kerl wit im Walde laufen?“ 

Die Jabuti fagte, daß es ihr auf dem Campo nicht mög— 
lich fei; fie wäre nur an Laufen im Walde gewöhnt. Der 
Hirſch war damit zufrieden; bie Schildkröte ging im bem 
Wald und fagte: „Wenn ic) an meiner Stelle bin, fo werde 
ich mit einem Heinen Stabe Nopfen; dann weißt du, daf ic) 
bereit bin.“ 

Als nun die Schildkröte diefes Zeichen gab, lachte ber 
Hirſch und ſetzte fich ganz gemächlich in Gang, denn Yaufen 
hielt er für Uberflüſſig. Die Jabuti blieb ruhig an ihrem 
Plage. Als der Hirfch ein — vorwärts gegangen war, 
drehete er ſich um und rief: „U’i yauti!“ Zu feinem 
nicht geringen Erftaunen antwortete die Schildfröte vor ihm: 
„Ui yaffu.“ „Gut,“ dachte der Hirich, „die Jabuti fommt 
doc) raſch vorwärts,“ und num fing er am ſchnell zu laufen. 
Als er fih dann umbrehete und wieber vief, antwortete bie 
Scilbfröte; fie war ihm wieder voraus, „Wie das nur lom⸗ 
men mag,“ ſprach er zu fich felbit; „ich muß doc; Längft der 
Schildkröte voraus fein!“ Er rief noch einmal und vor ihm 
rief die Schildkröte auch jegt wieder „U'i yaffu!* 

Nun wurde er ungeduldig, lief was er lonnte und meinte 
doc; endlich der Schildfröte voraus zu fein; aber auch jegt 
hörte er wieder die Antwort Wi haſſu, und jo ging es immer 
fort bis er müde war, mit dem Kopfe gegen einen Baum 
rannte und todt zur Erbe fill, Die Scildfröte, welche ihm 
zunächſt war, rief ihn an, belam aber feine Antwort, Nun 
ging fie aus dem Wald auf dat Campo und fah, daß ber 
Hirſch todt da lag. Alle Schildkröten waren fehr erfreut 
über diefen Sieg. 

Eine andere Thierfabel erzählt den Wettlauf zwifchen 
einem Hirſch und dem Carapato, einem Inſect. Ye der 
Lauf beginnt, hängt ſich diefes an den Schwanz des Hirſches 
und antwortet wenn biefer ruft. Der Hirſch aber rannte fo 
fange bis er todt war. 


Vorgeſchichtliches aus dem Poſenſchen. 


A. K. Vor mehr ald einem Jahre erichien in ber 
„Neuen Freien Preſſe“ ein „Dr. W. G.“ unterzeichneter 
Feuilletonartifel, in welchem ber Berfafjer die Provinz Por 
jen als einen Landſtrich ſchilderte, der durch nichts reize und 
weder geologifche noch auch vorhiftorifche Denkmäler in 
feinem Schoße berge. 

Für mich wurde der Artifel die Veranlaffung, meine 
AufmerHamteit auf die Alterthlimer ber Provinz Poſen zu 
lenfen umd forgfam Alles zu fammeln, was auf die graue 
Vorzeit meines engern Heimathslandes Bezug hat. Cine 
Folge hiervon war, daß ich mid) aud nad) denjenigen ums» 
ſchaute, welche durch Arbeiten in der von mir genommenen 
Richtung einen Namen erworben haben und zu denen vor 
allen der Director bes Pofener Friedrich. Wilhelm-Gym- 
nafiums, Herr Dr. Schw 3 gehört. 

Ich will es Herrn Dr. W. G. nicht verargen, daß ihm 
bie ſeit Jahren bei Inowrazlam entdeckten Salzlager, bie 
hänfigen Bernſteinfunde, die Braunkohlen - und Gypslager 


unſerer Provinz, die breiten Flußthäler, in denen jetzt kleine 
Bäche dahinfließen, die ſandige nicht bedeutende Waſſerſcheide 
zwiſchen Brahe und Netze nichts Über die geologiſche VBer- 
gangenheit der Provinz Pofen ſagten; man kann fonjt recht 
gelehrt fein und doc die Sprache eines Salz: und Gyps- 
lagers, eines breiten Flußbettes, eines verfteinerten Seeigels 
in einem Süßwafferfee nicht verftehen und ein Hühnengrab 
für einen großen Maufwurfshügel halten, oder dem Chro- 
niften Dfugosz glauben, „daß es im Polen Gegenden giebt, 
in welchen Töpfe in der Erde wachſen.“ Fiir uns find 
folche Sadjen nicht ſtumm, wie aud) ein Scherben, ber tief 
aus der Erde herausgegraben, ein Stiid bearbeiteten Feuer⸗ 
fteins, ein alter Bronzering eine fehr beredte Sprache reden. 
Der eben citirte Sag Diugosz’s beweiſt, daß man ſchon vor 
vielen Yahrhunderten wußte, daß hier Urnen in der Erde 
ftehen; man hat mur ihre Bedeutung nicht verftanden und 
deshalb mögen recht viele folde Denkmäler der grauen Vor⸗ 
zeit vernichtet worden fein. Das Intereſſe für diefe Funde 


Vorgeſchichtliches aus dem Pofenjchen. 13 


wurde erft jpät wach und deshalb find bis jegt verhältniß- 
mäßig wenig . chichtliche Begräbnißpläge genau unters 
fucht und wenig Schäge aus ihnen heransgegraben worden. 
Trogdem man ſich bei uns jo fpät am diefe Arbeit gemacht, 
hat man ſchon eine recht refpectable Summe von Arbeit 
geleiftet und Herr Dr, Schwarz allein hat ſchon nahezu 
—5* vorhiſtoriſche Friedhöfe unterſucht und beſchrieben. 
Die Funde aber mehren ſich, man beginnt auch ſyſtematiſcher 
zu ſuchen, und hin und wieder begegnen wir ihren Beſchrei— 
bungen ſchon in den hiefigen Zeitjchriften, weldye bis vor 
nicht zu langer Zeit ſolche Gegenſtände ignorirt haben. 
Ic werde von Zeit zu Zeit, wenn die verehrte Redaction 
mir ein wenig Raum hierzu gewähren will, über neue Funde 
berichten. 

Für Heute möchte ich die Yefer mit einem foldhen neuen 
— ic möchte nicht gern jagen „feltenen“ — Funde befannt 
machen, den man in biefen Tagen ganz in der Nähe ber 
herrichaftlihen Wirthichaftsgebäude von Gorzyce, Kreis 
Pleſchen, gemacht hat. 

Man bemerkte ſeit einiger Zeit auf dem Sandhligel beim 
Borwerfe Gorzyce, von dem der Wind immer mehr Sand 
hinweggeführt hatte, Ränder von Töpfen und man begann 
Nachgrabungen zu machen. Das Nefultat ift, daß man 
38 theils bejcädigte, theils wohlerhaltene Geſchirre aus 
Lehm zu Tage förderte. Unter biefen 38 Stliden befinden 
ſich einige Urnen, welche faft ganz mit nicht verbrannten 
Knochenreſten gefüllt find. Diefe Urnen find groß, fehr 
ausgebaucht und die größte iſt ſehr ftark gebrannt; der Hals 
einer kleinern ift fünfmal in gleichmäßigen Abftänden ein- 
gebogen. Außer dieſen Urnen, welche ohne Glaſur find, 
fand man nod) verſchiedene glafirte Urnen und zierlich gears 
beitete Thränenfännchen, welche auf roheren Unterfägen ſtan— 
den. Die Dedel der Urnen zeichnen ſich durch gefchmad- 
volle, belicate Arbeit aus und beweifen überhaupt, daf die 
BVerfertiger ein feines Gefühl fir Ornamentit befaßen, 
Eines der Geſchirre hat ganz die Geftalt einer Code, die 
fich nad) oben verjüngt, wo eine ausgezeichnet genau gears 
beitete quabratifche Deffnung ift. iele der gefundenen 
Gegenftände haben die Form von Gläſern, Vaſen und Kan— 
nen; einige Urnen waren fogar mit Henkel verſehen, wäh- 
rend andere ohne folche waren. Trotz der Berjchiedenheit 
herrſcht doch eime gewiſſe Gleichförmigkeit unter den aus: 
gegrabenen Urnen und bemerkenswert ift, dag nur in einem 
Grabe Bafen gefunden worden find, 

Befonders merkwurdig ift ein Grab, deffen Anfertigung 
beweift, daß die Urbewohner der Provinz Pofen, die in dem 
Hügel bei Gorzyce ruhen, ſchon auf einer vorgerüdten Stufe 
der Givilifation ftehen mußten, da fie ihren Dahingeſchie— 
denen noch nach) dem Tode eine gewiſſe Anhänglichkeit, vielleicht 
auch Adıtung bewieſen. 

Das Grab, vom welchem ich hier ſpreche, bildet ein Läng- 
liches Viereck, in der Richtung von Nord nad; Sid. Die 
Tiefe beträgt "/,, die Länge 11/, und die Breite 1 Meter. 
Der Boden dieſes Grabes war mit platten, abfichtlich zu 
biefem Zwecke bearbeiteten Steinen ausgelegt. Die Längen: 
feiten bilden große, platt gehauene, tief in den Boden ein- 
gelafiene Steine, während die Breitenwände aus kleineren 
Steinftüden zufammengejegt waren. Die in dem Grabe 
befindlichen Thränenbehälter tragen alle Spuren der größten 
Aufmerkfamkeit und Geſchicklichleit des Meifters, der fie ans 
gefertigt hat, an ſich. Leider ift feines dieſer Geſchirre gang 
aus bem Grabe herandgefchafft worben; fie waren fo dicht 


an einander gepreht, daß fie beim Herausnchmen in Stüde 
zerfielen. ahrſcheinlich waren fie alle durch den Drud, 
der auf fie beim Beiſetzen der legten Stlde gelibt wurbe, 
—— Es iſt Har, daß in einem Stamme, der feine 

odten in diefer Weife beftattete, die Liebe zur Familie ſchon 
tief eingewurzelt gewejen fein muß; dieſe Behauptung wiirde 
auch dann noch nicht erjchüittert werden, wem wir annähs 
men, daß das hier näher bejchriebene Grab die Familien 
gruft eines Furſten oder eines Reichen gewefen ift, denn es 
fteht ja unbeftreitbar feft, daß ſowohl Gefittung und Bil 
dung als auch ihre Gegenfäge von oben nach unten drin⸗ 
gen, vom Individuum zur Menge gelangen. Das Gegen- 
teil ift unbeweisbar. 

In dem anderen Gräbern ftanden bie ausgegrabenen 
Sefchirre unmittelbar auf dem Sande, waren aber ohne 
Ausnahme mit Steinplatten bebedt. Im einigen Gräbern 
waren bie Geſchirre mit Steinen umgeben. 

An der Siboftjeite diefes vorgejchichtlichen Friedhofes 
traf man beim Nachgraben auf Erde, welde Spuren von 
Feuer an fid) trug. Diefe Stelle liegt jedoch außerhalb des 
Friedhofes und zeichnet fich durch eine ſehr forgfältig herge— 
richtete Lage von Steinen aus, die gleichjam einen Herd 
bilden, auf dem augenfcheinlich die Feichen verbrannt wurden. 
Einige Schritte weiter befindet ſich eine zweite Einrichtung 
diefer Art. 

Die hier befprocene alterthümliche Begräbnißſtätte ges 
hört augenſcheinlich ſchon einer ziemlich vorgerüdten Periode 
an. Zwar wurden in ihrer Nähe verſchiedene Steingeräthe 
aufgefunden, aber man fand in den Urnen felbft einen bron» 
jenen Ohrring, einige gefchmolzene Stüdchen blauen Glaſes 
und etwas geſchmolzenes Silber. Gin verroftetes Mefler, 
das viel Aehnlichteit mit jet gebrauchten Mefjern hat und 
in geringer Tiefe unter der Oberfläche lag, dürfte, als nicht 
ben in der Erbe ruhenden Geſchlechtern gehörend, zurild- 
zuweiſen fein. 

Im Allgemeinen gehört wohl der bei Gorzyce entdeckte 
Friedhof in die Kategorie der ihm ähnlichen, in Weftenropa 
entdeeften. Da fein Schädel gefunden wurde, ift ein Schluß 
auf die Nace, der die Urnen und Gräber angehören, unntög: 
lich, und ebenfo unmöglich ift es zu beftinmen, welcher 
Bolloſtamm im ihnen ruht. Diefe Bemerkung muß id) 
meinen Landsleuten machen, die geneigt find in Gräbern 
und Urnen, wie die hier beſprochenen, ihre directen Vor— 
fahren zu fuchen, während doch mur bas Eine gewiß ift, 
daß fie den Vorbefigern ber Gegend angehören, Ob biefe 
Mongoloiden oder Arier waren, kann aus dem bis jegt zu 
Tage geförderten Nachlaſſe nicht gefolgert werden; mod) 
unberechtigter aber dürfte ein Schluß auf die Nationalität 
derjenigen fein, beren Spuren wir bis jegt unter ber 
Dberfläce der Provinz Pofen gefunden. Halten wir bei 
Beiprechung folder Funde nur das feit, daß es ung nicht 
zufteht den jest graſſirenden Natiomalitätenftreit in die 
Wiſſenſchaft hineinzutragen, mit den BVerbienften um die 
Cultur desjenigen zu prahlen, deſſen Gebeinrefte in einer 
relativ jchönen Urne aus gewöhnlichen Lehm liegen; jchreien 
wir nur micht gleich: „Das war unfer Vorfahr, ein Pole!* 
Es war ein, und gegenüber, gewiß noch recht tief ftehenber 
— Menſch. Suchen wir vor allen Dingen’ erft nad) Spuren 
der Entwidelung des menſchlichen Geiftes, und laffen wir 
den Hader um die Stammesangehörigkeit auf ſich beruhen, 
da ihn ohnedies die fortjchreitende Civilifation anders, als 
wir es vielleicht benfen und wünſchen, entſcheiden wird, 


14 Aus allen Erdtheilen. 


Aus allen Erdtheilen. 


Eine Erpedition der ann nad Hiffar in Eentral: 
a 


Eine ſolche wird in ber zu Taſchkend erfcheinenden 
„Zurfeftanifchen Zeitung“ als nahe bevorftehend angekündigt. 
Hiſſar ift ein Heines Chanat, das in einer gewiffen Abhän- 
gigfeit von Buchara fteht; es liegt füblich von Samarkand, 
füböftlih von Buchara. Wir willen von dieſem Lande we: 
nig', doch bat Fedtſchenko „einige Nachrichten über daſſelbe 
mitgetheilt; daſſelbe ift gebirgig, ſchwer zugünglich und noch 
von feinem ruſſiſchen Reiſenden betreten worden. Wir lefen 
bie Andeutung, daß die Erpebition auch die übrigen Heinen 
Chanate jener Region: Derwas, Schigman, Kutab und aud) 
das Gebiet Wachan befuchen werde, alfo Gegenden am obern 
Orus, über welche feit längerer Zeit zwilchen den Regierun: 
gen von London und St. Petersburg fo viel hin und ber 
verhandelt worben if. Die Leitung ift Herren Mayeff, 
Herausgeber der „Turfeftanifchen Zeitung“, anvertraut; ihm 
Ihliehen fih am der Aftronom Schwark und die Herren 
Bektihurin, Matuſoff und Weinberg. Sie werben Samar: 
fand zu ihrem Ausgangspunkte nehmen, über den Tachtu⸗ 
Karadih-Pak in das Chanat Scheri Sebs und nad) Karſchi 
geben und mit dem Emir von Buchara eine Zuſammenkunft 
haben. Nach Hiſſar hinein führt die Strafe über den Kelte: 
Minar- und den Tſchartſchack Pak; insbeſondere foll ber 
Surdab erforfcht werben, ein Hauptzufluß des obern Orus, 
Die Rivalität der beiden Großmächte hat der Willenfchaft 
Ichon manche Bereicherung gebracht und auch diefe Erpebi- 
tion wird nicht unfruchtbar verlaufen. 





Wieder ein Opfer Afrikas, 

Frank Dates, Mitglied der Londoner geographiſchen 
Geſellſchaft, unternahm feit dem Frühjahr 1873 Wanderum: 
gen in Sübdoftafrifa, namentlich zu naturwiſſenſchaftlichen 
Zweden; er beſchäftigte ſich insbefondere mit der Fauna. 
Nachdem er einige Zeit fich im Norden des Limpopo unter den 
Matebele aufgehalten, trat er feine Reife nach den Victoria: 
Bafferfällen des Sambefi an; er war aber nicht fo vorjid): 
tig wie Eduard Mohr, der bei Eintritt der Regenzeit unter: 
wegs umlehrte und an den Mangwe zurüdging, fondern 
ging in ber ungeſunden Yahbreszeit vorwärts, Ca gelang 
ihm auch, bis an die Katarakten vorzudringen und mmmittel- 
bar fühlte er ſich auf der Rüdreife vom Sambefi auch noch 
nicht frank; aber bald nachher wurde er vom Fieber ergriffen 
und am 5. Februar ift er im einem Kraal bei den Makala- 
las geftorben. Gin englifcher Arzt, Dr. Bradſhaw, ber an 
Ort und Stelle war, konnte das Berhängniß nicht abwenden. 
Die naturwifjenihaftlihen Sammlungen und die Tagebücher 
find durch den Miffionär Madenzie, der in Schoſchong bei 
ben Bamangtwato feine Station bat, gut verwahrt worden 
und unterwegs nach Europa, Dates hatte vor 1872 wiſſen 
ſchaftliche Reifen in Nord- und Gentralamerifa unternom: 
men; er ift nur 35 Jahre alt geworben. 


Aus Ebine, 


Nach dem Tode des Kaiſers beforgte man den Ausbruch 
von Unruhen und war auf den Ausbruch von Rebellionen 
gefaßt ; es ſcheint jedoch als ob die Dinge bis auf Weiteres 
einen glatten Verlauf nehmen, wenigſtens war im April die 
Ruhe ungeftört. Die beiden Kaiferinnen-Mütter vertragen ſich 
gut mit einander, führen die Megierung über ein paar hun— 
dert Millionen Menſchen und der vierjährige Knabe bat als 


Küang fü, das ift fein Mame, ben kaiſerlichen Thron be: 
ftiegen. Die Aftrologen hatten den 25. Februar als ben Glück 
verheifienden Tag bezeichnet und für diefen war die allge; 
meine Landestrauer um dem verftorbenen Sohn des Himmels 
unterbrochen. 

Bemerlenswerth ift der Streit in welchen die Kaiſe— 
tinnenRegentinnen mit den Palaſteunuchen gerathen find; 
die Zahl derfelben beträgt nicht weniger ala etwa fünf: 
taufend. Während der Krifis mach dem Ableben des Kai- 
ſers hatten fie fich durch unerträgliche Anmaßungen itberaus 
läftig gemacht und ſich in ungehöriger Weile in vielerlei 
Dinge eingemiſcht. Sie fpähen alles Mögliche and, haben 
Zutritt zu ben Kaiſerinnen und zu dem Frauengemäcern und 
üben auch im gewöhnlichen Verlaufe der Dinge einen wicht 
geringen Einfluß. Der verftorbene Kaiſer Teng tſchi war 
ein unerfahrener Jingling und nad) feinem Tode loderte fich 
die Zucht unter den Eunuchen in bebenflicher Weile. Daran 
haben die Kaiferinnen Anftoß genommen und ihrem Miß— 
vergnügen in der amtlichen Pelinger Zeitung Ausdruck ges 
geben; mehrere Fahnenführer find fchimpflich ihres Ranges 
entfleibet worden und ein ftrenges Decret ift gegen die Zucht: 
fofigkeit gerichtet. Es heißt in demfelben unter anderen : 
Gewiſſe Eunuchen waren fo Fed, fich Schlecht zu betragen 
und ihre Pflichten zu mißachten; in einigen Fällen find fie 
fo weit gegangen, ſich Befugniffe angumafen, auf welche fie 
gar fein Anrecht haben; fie Tiefen ſich mit Balaftbeamten in 
allerlei Ränke ein. Ihre böfen Umtriebe, bei welchen fie 
ihren eigenen Vortheil im Auge hatten, find im höchſten 
Grade verabſcheuungswürdig. Die am ſchwerſten bei ſoichen 


Miffetbaten beteiligten, nämlich die Obereunuchen Ticheng 
te 


i amd Meng tiheng fi, mebft dem Eunuchen, welcher 
ben amtlichen Knopf trägt, find hiermit ihrer Aemter eutfeit 
und werben an ben Amur geichafft, wo fie ben Soldaten als 
Sklaven überantwortet werden. Sie find und bleiben von 
jebem fünftigen eneralparbon ausgeſchloſſen. Pier au— 
dere (derem Namen aufgeführt werben) erbalten die jchärffte 
Art der Baſtonnade und follen als Grasſchneider in den 
faiferlichen Fagdgehägen beichäftigt werben. Die Beamten des 
faiferlichen Haushaltes werden alle Berfonen in ftrenge Unter: 
fuchung nehmen, welche im Verdachte ftchen mit Eunuchen 
in rechtöwidrigem Einvernehmen geftanden zu haben, Ein 
Ginftlingswefen auf Koften der Gerechtigkeit foll und darf 
nicht ftattfinden.* 

In den norbweftlichen Gegenden des Reiches erhält die 
Mandarinenarmee fortwährend Verſtärkungen. Die Pelinger 
Regierung glaubt noch immer Oftturfeftan wieder erobern 
und ben Emir Jakub Beg befiegen zu können. Man meinte 
in Peling, baf fie im Spätfrübling den Kampf gegen ben 
mohammedaniſchen Herricher eröffnen werde. Won engliicher 
Seite ift bekanntlich der Emir, mit welchem Foriuth den ber 
fannten Bertrag abgefchlofien hat, als Landesherrſcher aner: 
fannt worden und Jakub läßt Münzen mit dem Wappen des 
osmanischen Sultans prägen. Durd die Ermordung Mar: 
garys und den Ueberfall der Erpedition des Oberften Browne 
durch chineſiſche Soldaten ift die Spannung noch größer 
geworben. 





Auſtralien. 

Am 27. October 1874 waren 146 Jahre verfloſſen, feit 
Gapitän Eoof in dem Heinen Flecken Morton in NMorfibire 
geboren wurde. An diefem Tage fand in Randwick, einer 
vier Miles von Sydney entfernten Vorftabt an der Botanh 
Dan, die feierliche Enthüllung der wohlgelungenen Statue 


Aus allen Erdtheilen. 


ftatt, welche Patrioten der Colonie Neufüdwales diefem gro: 
ben Manne zu Ehren aus Pyrmont Quaderſtein hatten an: 
fertigen laſſen. Der Name des Künſtlers ift Walter M’Gill. 
Die Statue mißt vom Piedeſtal bis zur Krone achtzehn Fuß, 
die Figur felbft aber ift acht Fuß hoch. ook, entblößten 
Hauptes, nimmt die Stellung eines commandirenden Capi— 
tänd ein, ihm zu Füßen liegt ein Anker, die linke Hand rubt 
auf einem zum Theil mit dem Union Jad bededten Globus 
und bie rechte hält ein Teleſtop. Der Blid ift nad dem 
Bunkte der Botany Bay gewendet, wo der große Weltum- 
jegler im April 1770 landete, 

— Am 14. November 1874 legte in Gawlertowu, bem 
fogenannten Athen der Eolonie Südauftralien und 26 Miles 
nördlich von Adelaide gelegen, der weftauftraliiche Forſcher 
John Forreft den Grundſtein zu eimem öffentlichen Dent: 
mal, welches dafelbit zu Ehren des am 31. December 1872 
verftorbenen Reifenden Me Kinlay errichtet werben ſoll. 
Daflelbe wird aus einem hoben Obelisk beftehen, deffen vier 
Seiten pyramidaliſch nach oben verlaufen. Die Sammlung 
bat bis jegt eine Summe von ungefähr 500 Pf. St. ergeben. 
Mc Kinlay bat große Verdienſte. Seine berühmtefte Reife 
ift die, welche er im Auguft 1861 mit jehs Mann Begleitung, 
jweinndbawanzig Pferden, vier Kameelen und Munbvorräthen 
auf zwölf Monate, zur Aufjuhung von Burke und Wille, 
unternahm. Er erreichte den Golf von Garpentaria, wo er 
vergeblich den Melbonrnedampfer „Victoria erwartet hatte, 
und fchlug fih dann unter unjäglichen Mühſeligkeiten, wie 
fie je ein Neifender erfahren, nach den angefiedelten Diftric- 
ten der Colonie Queensland durd. Im Jahre 1865 wurde 
er von der füdauftralifchen Regierung zum Führer einer Ger 
fellfchaft ernannt, welche Adam Bay an ber Nordfüfte, zum 
Amede einer dort amzulegenden jungen Colonie, näher er; 
forfchen follte. Von der Fluth erreicht, flüchtete er fich mit 
den Seinigen auf eine Anhöhe, wo ein Pferb nach dem an— 
derm gefchlachtet und gegeflen ward, bis ſich das Wafler fo 
weit verlaufen, daß er den Alligatorfluß erreichen fonnte. 
Mit einem aus Pferbehäuten gebildeten Boote fuhr man 
denfelben herunter und gelangte endlich wieder in Adam Bay ar. 

— In England wie in Auſtralien wächft die Neigung, den 
öftlichen Theil von Neuguinea für eine britifche Befigung 
zu erflären. Seit den Mittheilungen, welde Capitän Mo: 
reöby über feine Entdeckungen und bie guten Häfen an ber 


Süboftfeite gegeben , beichäftigt man ſich viel mit diefen Ge: |. 


genden. Ein Miffionär, Macfarlane, bat jüngft Bort Mo- 
reöbn befucht und fchreibt (von Gap PMork), daß er dort 
Alles in befter Ordnung gefunden babe. Leider babe jeboch 
der Capitän eines Schiffes im höchſt frevelhafter Weife und 
ohne jede Veranlaffung auf die Eingeborenen Feuer gegeben. 
Bir baben bier aljo wieder die alte Geſchichte, die ſich ſtets 
wiederholt; hinterher wird dann Alles den Barbaren“ zur 
Laft gelegt, die fich ja nicht verantworten können. Fort 
Moresby ift eim herrlicher Hafen, aber zur Niederlaſſung für 
Europäer nicht geeignet, weil er eine durchaus fteinige, ums 
fruchtbare Umgegend hat. In der Nähe von Fairfar Har: 
bour Hat ein Geonnoft Gold gefunden. Das Land im 
Hintergrunde der Miffionsftation ift durchaus baumlos und 
neun Monate ohne Regen. Mule Island eignet ſich beffer 
für die Anlage einer Miffion ; daffelbe liegt an der Mün— 
bung eines Stromes der aus der Stanleykette kommt und 
ſcheint geſund zu fein. 

Dr. Aibertig, der umermiübliche italieniſche Natur: 
foricher, war zu Anfang März am Cap Mork, von wo er 
wieder nach Neuguinea wollte, von Aule Island aus ge: 
dachte er in die Stanleyfette einzudringen. 

Ueber das tragifhe Ende U. Hume’s liegen jet 
nähere Nachrichten vor. Seine Begleiter waren O' Hea und 
2. Thompfon. Der Lestere, welcher allein mit dem Leben 
davon fam, hatte fich zu Magendie am Barwon ben anderen 
angeichloffen. Sie brachen mit drei Sattel: und fünf Pad: ' 


15 


pferben auf, überſchritten die Flüſſe Moonie, Warrego, 
Paroo und Bulloo, aber e3 gelang ihnen nicht bis zum 
Wilſonfluſſe vorzudringen. Vom Graham's Ereef and zogen 
fie drei Tage lang durch eine waflerlofe Einöde, Sie mwoll- 
ten damı zum Graham’s Creek zuriid und Thompfon wurde 
voransgeichidt, um Waller aufzuſuchen. Er fand auch ein 
Waſſerloch, war aber fo ſchwach, daß er kaum am baffelbe 
gelangen konnte; er fiel vom Pferde und rollte in daſſelbe 
hinein, Das war am fünften Tage nachdem er feine Ge: 
fährten verlaffen. Er füllte feine Flache um dieſelbe feinen 
Gefährten zu bringen, aber fein Pferd war nicht vom Waſſer 
fortzubringen. Er verfuchte dann zu Fuße weiter zu geben, 
mußte aber zum Pferde zurüd. Er blieb Nachts liegen, ftieg 
aber Morgens in den Sattel. Num aber peinigte ihn der Hun— 
ger ; ſeit fünf Tagen hatte er nichts als ſogenanntes Schweind: 
unfraut genoffen. Um Abend fand er weiter abwärts am 
Creek die Padpferde feiner Gefährten und dann gelang «8 
ihm die Bolizeiftation Mocatunga zu erreichen, wo er fchlief. 
Von dort machte er ſich mit brei Weißen und einem Schwar: 
sen, ber fi anf die Spuren verftand, auf den Wen; fie 
fanden D’Hea’8 Pferd, das in Folge von Durft und An: 
ftrengungen gefallen war; bald nachher aud das Pferd 
Hume's, welches dieſer erichoffen hatte, offenbar um das Blut 
zu trinken. Eine Heine Strede weit davon lag Hume's Leiche. 
Die Ausfuhr der Eolonie Victoria bat im Jahr 
1874 fi auf 15,441,109 Pf. St. geftellt, 199,655 Pf St. 
mehr als im Vorjahre. — Von der Handelöbewegung Süd: 
auftralien® im Jahre 1874 entfallen auf die Einfuhren 
3,973,455 Pf. St.; davon famen auf Großbritannien 2,589,166 
und aus ben britiihen Colonien 1,224,116, auf fremde 
Staaten nur 160,173, Die Ausfuhren betrugen 3,868,276, 
ungefähr 400,000 weniger ald im Fahre vorher, obwohl bie 
BWollernte ſtärler geweſen war; dagegen war bie Ausfuhr 
von Brotftoffen um etwa eine halbe Million ſchwächer. Im 
laufenden Jahre find 866,000 Acres mit Weizen beftellt. 





Schonung ber Elephanten auf Eeylon. 

Der Gouverneur diefer Colonie bat ein firenges Gebot 
erlaffen, demzufolge auf der Inſel bis auf Weiteres feine 
Elephanten mehr geichoffen werben bürfen. Die Jagdlieb—⸗ 
baber find befliffen gewelen, unter diefen überaus nühlichen 
Thieren namentlich während ber letstverfloffenen Jahre fo 
arge Verwüftungen anzurichten, daß jest ſchon Mangel an 
benfelben eingetreten ift. Der Elephant ift ald Arbeits— 
thier namentlich auf Ceylon ganz unſchätzbar und er zeigt 
bei feinen Befchäftigungen eine große Intelligenz. Dan ver: 
wendet ihn bei öffentlichen Arbeiten gern zum Steinefchlep- 
pen, namentlich aud beim Brüdenban; er bringt gewaltige 
Maflen an Ort und Stelle, legt fie genau bortbin, wo fie 
am Plate find, und das thut er fo gut wie ein gejchidter 
Maurer, rüber konnte man gut abgerigtete in erforber: 
licher Menge haben; manche Privatleute bielten ſich Elephan— 
ten, um fie an die Regierung zu vermiethen, und ein Glei— 
ches geſchah mit denen, welche in ben buddhiſtiſchen Tempeln 
zunächſt zum Zwecke religiöier Proceſſionen gehalten wurden. 
Jetzt aber hält es fchwer, fich gut abgerichtete Arbeitäthiere 
zu verfchaffen. Vor einer längern Neibe von Jahren war es 
im Jutereſſe des Aderbaues und der Dämme bei den Be: 
wäfferungscanälen allerdings nöthig, die übergroße Zahl diefer 
gewaltigen Thiere zu vermindern; ſeitdem fie aber fo eifrig 
verfolgt werden, benehmen fie fid) mit äußerfter Vorficht und 
haften ſich weit entfernt von den Wohnörtern, weil fie wiſſen, 
daß in denjelben Schüigen wohnen. Es wird nun einige Zeit 
verfließen, ehe man wieder die hinlängliche Anzahl von 
Arbeitsthieren zur Verfiigung haben wird. 


* * % 
— Dr. Andreas wird auf Koſten ber geographiſchen 
Geſellſchaft in Hamburg eine Erpedition nah Südper— 


16 Aus allen Erdtheilen. 


fien unternehmen. Die Reife geht von Bombay über Bender 
Abbas nach Buſchir (Bender Abufchebr), und das von dort 
ans zu bereifende Gebiet ift im Norden von der Lanbjtrafie 
zwiſchen Buſchir und Schiras und Schiras- Kerman, im Sü— 
den vom Perſiſchen Meerbuſen begrenzt. Dr. Audreas iſt 
ſehr bewandert in der Alterthumskunde Perſiens und bat in 
Bezug auf Landesfunde und Geichichte eingehende Studien 
gemacht. 

— Die vulcaniihe Thätigkeit auf Island iſt 
während bes verfloflenen Winters überans beftig geweſen. 
Ju einem Bericht aus den eriten Tagen ded April ſchreibt 
ein Bewohner von Bardardal: Wir haben ganz entletliche 
Zeiten überftanden! Zuerſt wurden wir von Erdbeben 
heimgelucht, die in mancen Fällen großen Schaden anrich— 
teten, und dann famen bie Eruptionen mit ihrem Aſchenregen. 
Die Dyngiufjäll ſpeien noch umabläifig Feuer und wir ſehen 
jeden Tag wie die Rauchſäule bis in unermeßliche Höbe 
emporjteigt. Die Eruptionen breiten fich in der Wildniß 
immer weiter aus und man fann Sagen, daß die ganze 
Region der Myvatnberge eine einzige Feuermaſſe 
bildet. Weitwinde waren vorberrichend und baben die 
Aſche über die öftlichen Firths bingetrieben, wo dielelbe nun 
eine weite Fläche bededt. Am 29. März war der Nichen: 
regen jo ftarf, daß er die ganzen öſtlichen Abhänge überdedte, 
insbelondere Jökuldal, wo fie bie zu 6 Zoll hoch liegt. An 
dieſem Tage war der Himmel Har, die Sonne jchien, aber 
die Leute dort haben pechrabenihwarze Dunfelbeit. Quellen 
find durch die Aiche verftopft worden, Bäche almedämmt und 
alle Berggewäfler, die doch im öftlichen Island ſonſt, wo wir 
weder Öleticher noch Moränen finden, kryſtallklar find, haben 
num durch die vulcaniſche Miche verichlammttes Waffer, Die 
Bauern find mit ihrem Vieh aus den mit Aſche bebedten 
Gegenden fortgezogen und ſuchen anderwärts Weide, es fteht 
aber ſehr dahin, ob fie folhe finden. Die gegenwärtigen Ernp- 
tionen find für Island offenbar ein großes Unglüd. 

— Die rufftiche Regierung bat den Bau einer Eiſen— 
bahn von Tiflis in Georgien (bis wohin der Schienen: 
weg vom Hafen Poti am Schwarzen Meere bereits feit läu— 
gerer Zeit vollendet und im Betrieb ift) nad Baku am 
Kaspiichen Meere genehmigt. Auch ſoll eine Bahn von 
Tiflis bis nad Diulfa am Araris, das an ber perfiichen 
Grenze liegt, unverweilt in Angriff genommen werben. 

— In einem von Markham verfaßten Blaubuch über 
Indien wird darauf aufmerkiam gemacht, daß bie Einwan— 
derung von Chineſen mehr und mehr zunimmt. Diefe 
fommen ohne Frauen, nehmen ein Weib im Lande uud da- 
durch wird die Zahl der Miſchlinge, Hindu-Chineſen, ver: 
mehrt. Diefe Mifchlinge find förperkräftiger ald die Hindus. — 
Im Fahre 1373 hatte Britiih Indien, Britiſch Birma and: 
aejchloffen, 30,477 Schulen, in welchen die Kinder bebürftiger 
Leute umentgeltlichen Unterricht erhielten. Die Zahl der 
Mitteljchulen betaug 2506 mit nur 144,538 Schülern; dazu 
famen noch 20 in Britifh Birma mit 1630 Schülern. Die 
Zahl der höheren Pebranftalten betrug 40; dazu kamen noch 
mebicinijche und techniſche Schulen und 1400 Schulen für 
Mädchen, deren etwa 30,000 Unterricht erhielten; es giebt 
auch einige Seminare, in welchen Lehrerinnen für Mädchen: 
ſchulen gebildet werden. — Die Geſammtzahl der zum Chri—⸗ 
ftenthume fich befeimenden Eingeborenen auf dem indiſchen 
Feſtlande wird, nach forgfältiger Zählung, von Marfham auf 
318,363 angegeben, wozu dann noch etwa 30,000 auf Geylon 


fommen. Die Zahl der Miffionäre, welche dem Bekehrungs— 
wert oblienen, ftellt fich auf etwa 600. 

— Im Jahre 1873 erſchienen in Indien, Britiich Birma 
mtitgerechnet, nicht weniger alö 473 Zeitungen und Zeit: 
ihriften, wovon 355 in den verichiedenen Landesſprachen, 
151 in Englisch und 67 zweiſprachige. Nimmt man durch— 
fchmittlich 700 Abonnenten auf jede und die Zahl der Lefer 
auf zwei Millionen oder höchſtens das Doppelte an, fo blei⸗— 
ben doch immer noch 188,000,000 Menfchen in Indien, die 
fein Zeitungsblatt zu ſehen befommen. 

— Ueber die Eiſenbahnmonopole in Nord: 
amerifa werden fortwährend Klagen erhoben. „Sie find 
ſchon eben fo mächtig wie die Bundesregierung." Die Penn: 
inlvaniabahn befist oder controlirt eine Bahnſtrecke von 
ungefähr 10,000 Miles, Sie reicht, unter derielben Ver . 
waltung, von Neuyork, Philadelphia, Baltimore und Waibing- 
ton nach Chicago, St. Lonid, Omaba, Leavenworth, Mem— 


phis, Lonisville, Vicksburg, Neuorleans und vielen anderen 


Städten in Weften und Sidweften. Um ihre Bebeutung 
zu ermeffen, braucht man nur einen Bli auf die Karte zu 
werfen. 

— Bu Wellington anf Neufecland hatte im Fe— 
bruar 1875 das Gericht über nachſtehenden Fall zu entſchei— 
den. Klägerin war ein. junges Maorimädchen von etwa 
15 Jahren; der Berklagte cin Mann von 40 Jahren. Die: 
fer forderte das Mädchen als feine Frau; daſſelbe fei ihm 
von den Verwandten verſprochen worden, war aber nicht um 
Ya oder Nein gefragt worden. Als fie fich dann geweigert 
ihm als Frau zu folgen, hatte er fie an den Haaren vor: 
wärts gezogen. Der Mann geitand zu, daß er diefe Gewalt 
that begangen babe, machte aber zu feiner Rechtfertigung 
geltend, daf er nach Maoribrauch dazu volllommen Hecht 
gehabt habe, Der engliiche Richter entichied: „Kein Mann 
darf ein Mädchen gegen deſſen Willen zur Ehe zwingen und 
Bellagter hat 1 Pfund Sterling Strafe zu erlegen.“ Diele 
verwerfliche Neuerung fand bei den anmwelenden Maori keinen 
Beifall. 

— Die Blattern und der Durchgang der Venus 
in China. Es bat fich getroffen, daß Teng tichi, ber ver: 
ftorbene Kaifer von China, am 9. December erfranfte; fo: 
fort brachten die Hofaftrologen die Blattern in Verbindung 
mit jenem Phänomen am Himmel. Der Monarch war nicht 
geimpft worden, denn fein Arzt hätte es wagen dürfen, einen 
Schmitt in das geheiligte Fleiſch des Himmelsiobnes zu ma— 
hen. In dem Erlaffe, in welchem bie beiden Kaiferinnen 
Mutter und Gemahlin) die Erkrankung anzeigen, fprechen fie 
aus, daß fie über diejelbe ‚hoch erfreut“ fein. Das wird 
und Europäer Wunder nehmen, aber nach chineſiſchen Begrif⸗ 
fen find die Blattern ein ‚Geſchenk des Himmels", das man 
wo nicht mit reudigfeit, doch wenigſtens mit Gleichmuth 
binnehmen müfle Die japaniiche Regierung fahte bie 
Sache anders auf, fie führte die Zwangsimpfung im ganzen 
Reiche ein. 





Vom 10, Juni an wohne ich in Leipzig und 
bitte ich alle für mich und den Globus bestimm- 
ten Sendungen nicht mehr nach Dresden, son- 
dern nach Leipzig, Weststrasse 84.1., zu adres- 
siren. Karl Andree, 


Inhalt: Am Norbgeftade der Adria. ‚I. Mit vier Abbildungen.) — Aus Eduard Mohr" s Reiſe nach den Kata⸗ 
raften des Sambeſi. Im Natal-Lande. (Mit drei Abbildungen.) — Däumling in der Völkerkunde. (Mit einer Abbil- 


dung.) — Wettlauf zwiſchen Hirſch und Schildkröte am Amazonenjtrome. — 


Vorgeſchichtliches aus dem Poſenſchen. — 


Aus allen Erdtbeilen : Eine Erpedition der Rufen nach Hiffar in Centralafien. — Wieder ein Opfer Afrikas. — Aus 
China. — Auſtralien. — Schonung der Elepbanten auf Geylon. — Berfchiedenes. — (Schlufi der Nedaction 15. Juni 1875.) 


Herausgegeben von Karl Andree in Leipgig. — Für bie Redaction verantwortlich: H. Bieweg in Braunſchweig. 
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunfchweig. 


Band XXVIII.“ 


Mit befonderer Berüchfichtigung 





> 


We 
der Inthropologie und Ethnologie. 


In 
Verbindung mit Fahmannern und Künftlern herausgegeben von 


Karl Andree. 


— 





Braunſchweig 














Dährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlich 4 Rummern. 
Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Nummern 50 Pf. 


1875. 





Am Nordgeftade der Adria, 


11. 
Barenzo. — Miramar. 


In einem frühern Auffag wurde hervorgehoben, baf man 
Pilino als eine Charakterftadt des iftrifchen Binnenlandes 
betrachten fann; man legt jebody die Strede bis zur weit 
lichen Küfte mit einem ber landesüblichen Karren in etwa 
vier Stunden zurück. Diefe Gefährte jehen allerdings nichts 
weniger als hübſch aus, paſſen aber recht gut flir die ganz 
abjcheulichen Wege. 

Bon Pifino aus, das auf einer Hochebene liegt, zieht die 
Straße aufwärts durch mehrere Meine Thäler, im welchen | 
vorz ife Aderbau getrieben wird. Der Grund und Bo- 
den ijt in eine große Menge Heiner Aecker getheilt; größere 
Grundbeſitzer laſſen ihre Felder auf Halbpacht bearbeiten. 





Das Trachten des Bauern ift darauf gerichtet, einen wenn 
auch nod jo kleinen Fleck Erbe zu erwerben und benjelben 
allmälig durch einige Ruthen zu vergrößern. Mit Vorliche 
bauet er Sorgho, Gurten, Melonen und zweierlei Art Wei- 
zen; bie eine, la golta candida, ift weiß; bie andere wird 
al$ Frumento commune bezeichnet. Das Mehl von der 
erftern wird im ben Städten verfauft, wohin bie Yanbleute 
auch fehr jhmadhaftes Weizenbrot bringen. 

Die größeren Meiereien find alle nad; einem gleihmäßi« 
gen Plane gebaut, von welchem ein Bauernhaus in Sbandati 
(Band XXVII, ©. 373) eine getreue Vorftellung giebt. Die 
Wagen werden von Ochſen gezogen. Cinen nicht unan« 
genehmen Anblid gewähren die manchmal recht hübſchen Mäb- 

®lobus XXVII, Mr. 2. 


chen, welche zahlreiche Puterherden auf die Weide treiben; bie 
mit vothem Band geflochtenen Zöpfe, welche unter einem 
—5 weißen Kopftuch herabhängen, ſtehen ihnen ſehr 
hübſch. 

Weiterhin wird der Boden wieder unfruchtbar. Einzelne 
Meiereien liegen in ziemlicher Entfernung von einander und 


die Felder innerhalb derfelben grenzen fic) durch niedrige Steins 


lagen ab. Uber der Ernteertrag ift jo fpärlich, daß man ſich 
unwillturlich fragt, weshalb die Leute Fleiß auf einen jo 
unbankbaren Boden verwenden. Bon eigentlihen Wohlftande 
fann hier feine Mebe fein, aber die Frauen und Mädchen 
haben doc als Schmud dicke Korallenhalsbänder und manche 
hängen auf eine Schnur gereihete Maria-Therefia-Thaler um. 
Von Shandati aus fällt das Gelände raſch ab und man 
hat von der Anhöhe einen prächtigen Blid auf das Meer, 
die Stabt Parenzo, den von Schiffen belebten Hafen, die 
beiden Slodenthürme und die Eilandflippe St. Nicolo, welche 
fid) aus der Werne wie ein vor Unter liegendes Schiff aus: 
nimmt. Guido Stache fhreibt: „Das alte Barentium, 
welches einigen aus Candia eingewanderten Familien feine 
Wiedergeburt verdanken foll, ift ein freundliches, reinliches, 
wohlgepflaftertes Städtchen von einem gewiflen ehrwilrdigen 
und nobeln Anftriche., Im feinem von vielen Heinen Infeln 
eſchützten, tiefen und fichern Hafen herrſcht ftets ein reges 
Geben und Treiben. Die ehrwürdige, zwölfhundert Jahr alte 
8 


13 


ſchöne Kathedrale ift als älteftes chriftliches Baudentmal eine 
der fehenswertheften Merkwürdigkeiten Iſtriens.“ 

Aud; Yriarte hat mit Borliebe in Parenzo einige Zeit 
verweilt. Die allerdings nur Meine Stadt ift nicht ohne 
einige Bedeutung. Dort tagt der iſtriſche Yandtag, aud) ift 
bier der Beichofefig. Diefer heute fo ruhig umd friedlich dar 
liegende Ort hat eine fehr unruhige Geſchichte hinter ſich und 
manche ſchwere Zeiten erlebt. Die Bewohner leben in Wohl: 
ftand umd find nun feinen ftürmifchen Wechjelfällen mehr 


— 


——— 





Am Nordgeſtade der Adria. TI. 


ausgefegt; fie bauen ungejtört Mais, Wein, Weizen und 
Gemüfe und treiben einen einträglichen Handel mit Brenn« 
holz nach Venedig und Chioggia. Sie belaften mit diefem 
Drennftoffe große Feluclen, welche in ber Yagunenftadt manch⸗ 
mal einen großen Theil des Gindecca-Canals gleichfam bededen, 
Sodann wird ein bedeutendes Geſchäft mit vortrefflichen 
Bruchfteinen gemacht, welche die Umgegend liefert. 

Parenzo fann als eine venetianiſche Stadt bezeichnet wer ⸗ 
den, weldye auf dem Grund und Boden einer alten römiſchen 


— me 


Dom in Parenzo. 


Colonie fid) erhob. Man kann noch jegt die beiden Epochen 
deutlich unterfcheiden, denm jebe hat ihren eigenthlimlichen 
Charakter. Die innere Stadt war befeftigt, die Ringmauer 
mit Thürmen flanfirt. Die Piazza dei Signori nimmt fic 
ganz und gar venetianisch aus; die Heinen Paläfte haben 
buzantinifche, auf zierlichen Säulen ruhende Balcone, überall 
ift der Lowe des heiligen Marcus zu ſehen umd gern weilt 
ber Dlid auf dem hübſchen und zierlichen Springbrunnen aus 
dem fünfzehmten umd fechszehnten Jahrhundert. Die zahl: 


. 


reihen Denkmäler aus dev Nömerzeit find dermaßen befchäs 
digt umd vermlftet, daß fie für den Alterthumsforſcher kaum 
noch ein Interefje darbieten. Das ift dagegen im höchſten 
Grade der Fall mit der Kathedrale ſchon deshalb, weil die- 
felbe, troß der Zerftörung einzelner Theile und offenbarer 
Reftaurationen, und die Bafilifen der früheten Zeit Har ver: 
anfchaulidt. Die Erbauung des Domes füllt in die Zeit 
zwifchen 524 und 543, alfo in die Epoche, da ber oſtgothiſche 
König Theodoric die iſtriſchen Bisthlimer gründete, Die 


Am Nordgeitade der Adria. I. 19 


Kirche hat drei Schiffe, vor diefen ein Atrium und vor dies 
fem ein Vaptiſterium mit dem Taufbecken. Unſere Illuſtra⸗ 
tion veranfchaulicht diefen Theil mit den dort aufgehäuften 
Ruinen. Die Wände find einft mit Moſailen bekleidet ge- 
wefen, von welchen nur wenige Vruchftüce bis auf ung ges 
fommen find. E 

Die drei Schiffe find durch Säulen aus koſtbarem grie- 
chiſchen Marmor getheilt; in dem Winkel des einen Schiffes 
befindet fich ein mit Bretterverſchlag bedecktes unterirdiſches 
Gewölbe, in weldem man, 1,20 Meter unter der gegen« 
märtigen Oberfläche, ſehr ſchöne Mofaiten erkeunt. Der 
Hauptaltar ift in feinen unteren Theilen mit foftbarem Mars 
mor, mit Mofaifen, Perlnuttereinlagen und orientalischen 
Forphyx bekleidet und mit riefen, Fiichen, Algen und Mus 
ſcheln verziert. Im oberen Theile ftellt eine Mofait den 
heiligen Euphrafius und feinen Sohn vor, fodann den Archi- 
diaconus Claudius und Engel und Heilige, weldje ſich um 
eine Maria gruppiven. Aus der Kirche fonmt man im ein 
Martyeium, eine Urt von Katalomben, die aber nicht tief 
find und theilweife vom Meerwafler unterwaſchen werben. 





Ules Material, weldhes man zur Erbauung des Domes vers 
wandt hat, bejteht aus Trlimmern vömifcher Monumente, 
Spuren der Reftaurirung find überall fichtbar;-die erfte fällt 
ins zehnte, die zweite ins dreizehnte Jahrhundert, Dann 
folgten nod) einige andere, bis 1764 ber Biſchof Negri das 
fojtbare Tabernafel bloßlegte, deſſen Bau in das Jahr 534 
fällt. - 

Der Plan der alten Stadt ift nicht mehr erfenntlich nach⸗ 
zuweifen, aber manche Punkte fann man mit Sicherheit be— 
ftimmen. So ijt der Pla Marfori, das alte Forum Mars 
tis, auf welchem ein Tempel des Mars und bes Neptun ſtan⸗ 
den. Bom alten Theater kann man noch das Halbrund 
erkennen und wenn man bei ruhigem Wetter und bei Ebbe 
zeit auf der Yandipige San Pietro fteht, erblidt man in dem 
Haren Waſſer enorme Mauerfundamente, Anler und ange 
roftete Eifenringe, Ueberbleibjel des alten Hafens mit feiner 
Mole und den Haid. 

Wir fagten ſchon, daß vor der Küfte von Parenzo manche 
Heine Inſeln liegen. Cine derfelben, San Nicolo, erreicht 
der Nuderer in einer Viertelftunde, Dort ftand ein jegt in 





St. Katharinenllippe zwijchen Parenzo und Faſana. 


Ruinen liegendes Benedictinerklofter; ber noch erhaltene Thurm 
dient den Sciffern als Landmarle. Am Yandungsplage 
enthält - eine große venetianifche Injchrift, über welcher der 
Löwe des heiligen Marcus prangt, eine ftrenge Warnung. 
Diefes Edict des Procuratord Alefjandro Zeno, welchem bie 
Obhut der Gefundheitspflege übertragen war, bejagt, daß 
kin Schiff, gleichviel ob bewaffnet ober nicht, anlegen dürfe, 
wenn es nicht mit einem Gefundheitscertificate verfehen ſei. 
Eine derartige Borfiht war völlig am Plage. Die Zeit: 
bücher melden, daß die große Peſt von 1360 in Parenzo 
grauenhafte Verwüſtungen anrichtete und die Einwohnerzahl 
beträchtlich verminderte. Die Stadt fam nad) und nad) wie⸗ 
derempor, aber nachdem bie Peft von 1580 ausgetobt, zählte 
man nur noch 700 Bewohner, Bald nachher, im Jahre 
1600, fand fie fich wieder ein und als fie verſchwunden war, 
hatte Barenzo faum 300 Einwohner, welche dann allefanımt 
flüchteten, als die Seuche noch einmal von Oberitalien her 
tindrang. Die ganze Stadt war zum Leichenader geworben 
und volle 37 Yahre hindurd) ifl fie weder von einem Schif⸗ 


fahr für die Geſundheit mehr vorhanden zu fein fchien, holten 
die Benetianer Griechen aus Kandia, Dalmatiner und andere 
Slaven, aud) Albanefen, denen fie Grunbftücde verliehen. Die 
Anzahl der Bewohner betrug aber nad) Ablauf des Yahr« 
hunderts faum zweitaufend. 

* 

Schon lange vor dem tragischen Schidjale, von welchem 
Erzherzog Marimilian von Seflerreich in Merico betroffen 
wurde, bildete das von ihm erbauete u Miramar 
einen Anziehungspunft für die meiften fremden, welche 
Trieft befuchten. Man erreicht dieſes prächtige, im feiner 
Urt einzige Schloß binnen ein paar Stunden. Auf einer weis 
ten Strede ift die Straße fehr ftaubig ; zu beiden Seiten ders 
felben liegen Magazine, Bauhöfe und andere derartige An— 
ftalten, wie man fie bei großen Hafenftäbten anzutreffen 
pflegt. Weiterhin wird die Gegend weniger traurig, man 
gelangt in eine Art von Landſchaft umd fieht auf der rech— 
ten Seite der Straße nur dann und wann eine Schänf« 


fer noch von anderen Leuten befucht worden. Als feine Ge- | wirthfchaft; zur Linken, tief unten, brandet das Meer. Man 


8 * 


20 Am Nordgetade der Adria, II. 








LITTIT 


Schloß Dliramar. 


Am Nordgeitade der Adria. U. 








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22 


fährt durd) San Bartholo, das eine Art von Vorſtadt Triefts 
bilbet, und bald nachher erblidt man aus der Ferne das 
Schloß, weldyes ſich auf einer in den Golf hinausvagenden 
Felſenſpitze erhebt. 

Diefen Punkt hatte Marimilian auserforen, um fich ein 
reizendes Heim zu gründen, Als er in Folge des unglins 
ftigen Verlaufes der Feldzüge in Italien nicht mehr Vices 
tönig der Yombarbei war, zog er ſich nach Trieft zurlid. 
Es war im diefem Erzherzoge, einem vielfeitig gebildeten 
Manne, der von poetischen Gefühlen durchdrungen war, 
ein hohes Streben und ein gewaltiger Drang nad) Thätige 
keit. Auf politifchen Gebiete vermochte er denfelben nicht 
—— aber etwas ſchaffen wollte er, und ſo entſtand 

iramar. Er verwandelte wilde, fteile Felſen in reizende 
Gärten und bauete das Schloß über dem Meere. Viele 
ſchuttelten den Kopf als er die Ausführung des von ihm 
entworfenen Planes in Angriff nahm, und Andere wollten 
wifjen, daß das Gebäude, in Hinbli auf die zu befiegenden 
Schwierigkeiten, eine Ruine bleiben werde. Aber Marimilian 
hatte die Genugtäuung, fein Werk herrlich hinauszuführen. 

Ein Feljenabhang fiel bis ind Meer ab, die gewaltigen 
Dlöde lagen von oben bis an den Strand wie cyllopifches 
Getrummer umher; oben wuchfen Delbäume Oberhalb 
läuft die Eifenbahn, welche von Trieft nad) Nabrefina führt 
und bie Hafenftadt einerfeits mit Italien, andererfeitd mit 
Wien verbindet. Bon dort herab hat man einen Blid auf das 
Schloß, deſſen Bauart unfere Illuſtration veranſchaulicht. 
Mit richtigem Verſtändniß ſind die geraden Linien vielfach 
unterbrochen worden. Das Schloß ragt hoch über das Meer 
empor und wenn man auf den breiten Balconen ſteht oder 
auf den Terraſſen umherwandelt glaubt man über der Adria 
zu ſchweben. Nach allen Richtungen Hin iſt die Ausſicht 
wunderbar ſchön. Da liegt Trieſt am Fuße des Karſtes 
mit feiner Bucht, mit den Häfen Muggia, Pirano und ber 
nad) Often hin ziehenden iſtriſchen Küfte. In der Richtung 
gegen Venedig hin ift freies Meer, zur Rechten verſchwindei 
die Küſte Friauls am fernen Horizonte. Ya, diefes Schloß 
war in ber That wilrdig, die Heimftätte eines hochbegabten, 
poetijch angelegten fünften zu fein, eines ftrebfamen Geiftes 
mit reicher Phantafie, ber mit großartigen Gedanfen fi 
teug. Uber die Einbildungsfraft und das Trachten air 
hohen Dingen war mächtiger in ihm als die ruhige Proja 
des erwägenden Berftandes, Er hatte einen ritterlichen Ans 
ftrih, und ein Zug zum Abenteuerlichen war diefem blaus 
Äugigen Träumer, dem Nachfommen Kaifer Karl’s des 
Flinften, nidjt fremd, 

Zu den oberen Gemächern gelangt man durch eine weite, 
von Grund aus auffteigende Halle. Zu beiden Seiten der 
Treppenflucht ftehen alte Ritterrüftungen, Trophäen und 
Baffenfchränte; einen befondern Schmud bilden die Hirſch— 
ger Das Arbeitszimmer ift eine Nahahmung im Gro⸗ 


n besjenigen, welches Marimilian auf der „Novara“ inne | 


Müller's kosmische Phyſik in vierter Auflage. L 


gehabt hat. Unfere Iluftration veranſchaulicht, in wie ans 
Iprechender Weife daſſelbe ausgefchmlict ift; die Bibliothef ent- 
hält die Claſſiler aller Völter von Homer bis auf unfere Zeit. 

An der einen Wand hängt eine mit allegorifchen Figus 
ven umgebene Karte vom Reiche Kaiſer Karl’s des Fünften, 
in welchem befanntlich die Sonne nicht unterging. Welchen 
Träumereien und Phantafien mag der Erzherzog ſich hinge- 
geben haben, wenn er biefelbe betrachtete, und man weiß 
daß er oftmals ftundenlang ſich von ihrem Anblicke nicht 
hat trennen mögen. Als der böfe Geift aus Paris ihm als 
Verſucher nahete und ihm Glanz und Macht auf der ans 
dern Erbhälfte vorfpiegelte, fand er ein vorbereitetes Gemüth. 
In dem von Gold erglängenden Thronfaale befindet ſich ein 
Porträt Marimilian’s in voller Geftalt, mit dem Scepter 
in der Hand und mit dem Kaifermantel angethan. 

Der Garten ift dem Felſen abgemonnen worden; man 
hat große Gefteinsmaffen hinwegfprengen und fruchtbares 
Erdreich hinaufſchaffen müſſen. Nun wandelt man in weis 
ten, wohl unterhaltenen Baumgängen, gelangt durch Tunnels 
zu fühlen Grotten, findet fchattige Nuhebänte, fieht hübfche 
Statuen und das Alles zufanmen genommen mit den archi⸗ 
teltoniſch beredjneten Rampen giebt dem Ganzen einen zus 
gleich ländlichen und monumentalen Anſtrich. Die Boben- 
geftaltung ift fehr uneben und man hat deshalb viele Trep- 
pen und mehr oder weniger fanfte Abhänge angebracht. 
Die Begetation ift eine ſchon vorzugsweiſe fübliche, aber 
neben der Cypreſſe ift die californishe Sequoia giganten 
—** worden und neben dieſer die Chamaerops ex- 
celsa. Rechts vom Schloſſe, hoc über dem Meere, ſteht 
einfam ein Landhaus; dort verweilte im völliger Abgeſchie— 
denheit die umglüdliche Kaiferin Charlotte drei Monate 
lang, nadjdem die traurige Kataftrophe von Queretaro zu 
ihrer Kunde gelangt war. 

Der Heine Hafen von Miramar ift eine vom Borgebirge 
gebildete Bucht, zu welcher Treppen hinabführen. Er bildete die 
„Darfena“, in welcher die Yacht und andere Fahrzeuge des Erz: 
herzogs vor Unfer lagen. Jetzt ſchaukelt ſich dort die Dampfs 
ſchaluppe des Grafen Brandi, deſſen Schloß in ber Nähe liegt. 

Dort oben auf dem Felfen war kein Waffer und ohne diefes 
Lebenselement an einen Fräftigen und gefunden Pflanzenwuchs 
nicht zu denten, Dan hat jich geholfen, indem man vermittelft 
zweckmäßig angelegter Maſchinenwerle Waſſer aus der Refa, 
welche unmeit von Trieft mündet, auf die Höhe emporhebt. 

Bevor man von Miramar fcheidet, unterläßt man nicht 
einen Blick in das Meine „Mufeum“ zu werfen, in welchem 
Alles an den —— Erzherzog erinnert; dort ſieht 
man feine Kleider, feine Waffen, fein Scepter; die Samıms 
lungen, welche er auf feinen weiten Reifen veranftaltet hat 
und die mandes Werthvolle enthalten, viele Photographien, 
ägyptifhe Sculpturen und mandje Witerthiimer aus dem 
Lande der Azteken, in welchem das Leben biefes hochſinnigen 
Habsburgers einen fo tragiichen Abſchluß gefunden hat. 


Müller's kosmiſche Phyſik in vierter Auflage *). 


Bor etwa zwei Jahren beſprachen wir an biefer Stelle 
bie dritte Auflage des vorliegenden ausgezeichneten Wertes 





*) Lehrbuch ker fosmiihen Phyſit von Dr. Job, Müller, Pro- 
feffor zu Freiburg im Breisgau, Erganzungeband zu fämmtlihen 
Auflagen von Muͤller⸗Pouillet's Lehrbuch der Phyſil. Mit 431 in 
ten Tert eingetrudten Holgitihen und 25 dem Terte beigelegten, 


I. 





| 


und ſchon liegt e8 in eimer meuen vor, bie wiederum Zeugs 
niß ablegt von dem regen Eifer, weldjen der Berfajfer feiner 


fomie einem Atlas von 46 zum Theil in Farbendtuck ausgeführten 
Tafeln. Vierte, umgearbeitete und vermehrte Auflage. Braunfchweig, 
Ftiedtich Bieweg und Sohn 1875. Preis mit Atlas 24 Mart. 


Müller's kosmische Phnfit in vierter Auflage. 1. 23 


Arbeit zuwendet. allen aud) keine großartigen Entdeckun - 
gen in den Zeitraum, der zwifchen der britten und vierten 
Auflage liegt, fo haben doch verfchiedene Abſchnitte eine ein 
gehendere Behandlung erfahren, 

Selbſt der ftabilere aſtronomiſche Theil der kosmischen 
Ponfit hat nad) diefer Richtung Hin einige Bereicherungen 
gewonnen, wie 3. B. die Paragraphen, welche von den Son⸗ 
nenfleden, der Arendrehung der Sonne, dem Venusdurch ⸗ 
gang u. ſ. w. handeln. Der ganze Abſchnitt von den Ko— 
meten mußte untgearbeitet werden. An die Stelle ber Pla- 
netenerfcheinungen und Finſterniſſe, welche in der britten 
Auflage als bevorftehend betrachtet wurden, unterdeijen aber 
vorübergegangen find, traten diejenigen, welche ſich in ben 
Jahren 1875, 1876 und 1877 ereignen werben. 

So ift das ſchöne Wert, eine Zierde der beutichen Lehr⸗ 
büdyer nach Inhalt wie Ausftattung, Überall auf dem Lau— 
fenden und erfüllt im auögezeichneter Weife feinen Amer, 
die wichtigften Lehren der Aftronomie und Meteorolo- 

ie derart zufammenzufaflen, daß dadurch dem gebildeten 
— ein möglichſt Mares und lebendiges Bild dieſer Disci- 
plinen vorgeführt und ihm das Eindringen in die Special 
fudien erleichtert wird. 

Muller's losmiſche Phyſil zerfällt, den Hauptabtgeilun: 

der Phyſit entiprechend, in vier Bücher, deren erſtes die 
hd reinen der Himmelsförper und ihre mecha⸗ 
niſche Erflärung behandelt, während ſich das zweite mit den 
fosnrifcen und atmoſphäriſchen Lichtericheinungen, das dritte 
mit den calorischen Erſcheinungen auf der Erdoberfläche und 
in der Atmoſphäre, das vierte endlich mit den eleftrifchen 
und magnetifchen Erfcheinungen auf der Erdoberfläche be: 
ſchaftigt. 

Lor allen ähnlichen Werfen zeichnet ſich Muller's Phnfit 
aber durch den reichen Schmud guter Abbildungen aus, die 
Übrigens micht bloß Decoration An, fonbern zur Erleichtes 
rung ded Unterrichts dienen. Und da ber einfache ſchwarze 
Holzſchnitt nicht mehr genügt, um verwidelte Berhältniffe 
Har zu machen, fo ift der Farbendruck hier im ausgedehn ⸗ 
ten Maße bienftbar gemacht worden und zwar jener, welchen 
die Buchdruderprefle liefert. Es ift eine Errungenfchaft der 
neuern Zeit, daß wir bunte Karten und Illuſtrationen aller 
Art jegt mitten in den geſetzten Tert gi druden vermögen, 
wie denn auch die heute mitgetheilte Karte der Meeress 
frömuugen (Tafel 40 des Muller'ſchen Atlas) in vier 
Farben auf der Buchdruderprefie hergeftellt ift. 

Indem wir erflären, fiir die Conturen, wie fie das Land 
auf diefer Karte zeigt, micht Überall einftehen zu fünnen, 
benutzen wir dieſe Gelegenheit, um zu zeigen, in wie Hlarer 
und Überfichtlicher Weife Muller das Gapte von ben Mee- 
teöftrömungen behanbelt. 

„Die ungleiche Erwärmung der Meeresoberfläche in ver⸗ 
{diedenen Breiten fann nur einen untergeordneten Einfluß 
auf die Girculation der Gewäſſer in den großen Dceanen 
ausüben, denm felbft, wenn alle Meere aus reinem Waller 
beftänden, würde das fpecififche Gewicht des Waſſers in den 
Polarmeeren nur jo wenig größer fein als in den Aequator 
rialmeeren, daß bdiefer Unterjchied allein feine bedeutende 
Strömung bedingen wiirde, Im der That ift aber das 
Meerwafler falzhaltig (im Durchſchnitt enthält das Meer 
waſſer nahezu 3 Proc. Salz und zwar 2,7 Proc. Chlor: 

natrium) und dieſer Umftand bewirkt, daß der Unterſchied 
der fpecififchen Gewichte des Meerwaflers verichiedener Brei 
ten noch geringer wird. Der Oberfläche der Wequatorial: 
meere wird nämlich durch Berdunſtung mehr Wafler ent: 
zogen als ihnen durch Regen und Fluſſe wieder zugeflihrt 
wird, das Meerwafler wird in folge davon falzhaltiger und 
der Wirkung der hohen Temperatur entgegen fpecifiich ſchwe⸗ 


rer, In den Polarmeeren dagegen wird ber Einfluß der 
niedrigern Temperatur dadurch zum Theil neutralifirt, daß 
man bier mit weniger falzhaltigem Waſſer zu thun hat, 
indem dem Meeren weit nichr Waſſer durch Regen und 
Fluſſe zugeführt wird, als fie durch Berdunftung verlieren. 

Dom Hequator bis zu den mittleren Breitegrabden nimmt 
das fpecififche Gewicht des Waflers an der Oberfläche der 
Meere nur um 0,005 zu; unter dem 66. Grabe nördlicher 
und zwifchen dem 50. und 55. Grabe füblicher Breite hat 
das Meerwafler im Atlantifchen Ocean feine größte Dichtig- 
teit. Ueber diefe Grenze hinaus nimmt fein jpecifisches 
Gewicht wieber ab. 

Weit kräftiger als diefe geringen Unterſchiede des ſpeci— 
fiſchen Gewichts wirlen die Winde bewegend auf die Über- 
fläche ber Meere ein, indem fie namentlid, auf die Wellen- 
berge einen Drud ausiben und biefelben in der Richtung 
der Winde forttreiben. Die furdhtbaren Berheerungen, 
weldye die Sturmfluthen anrichten, zeigen zur Genüge, 
mit welcher Gewalt Wind und Sturm auf die Oberfläche 
der Meere einzuwirken vermögen. Unter mittleren und höhe 
ren Breitegraden ift aber die Windrichtung zu wechlelud, als 
daß fie beftändige Meeresftrömungen erzeugen könnte. 
Nur in Gegenden, wo Jahr aus Jahr ein mahezu die gleiche 
Windrichtung herricht, wie dies, wie wir bald fehen werden, 
in der Region der Pafſate der Fall ift, werden die regel— 
mäßigen Yuftitrömungen aud) regelmäßige Meeresitrömuns 
gen hervorrufen können. 

Auf diefe Weiſe entftehen die auf der Karte leicht zu vers ' 
folgenden Driftftrömungen, welche in ber Tropenzone 
der großen Dceane das Waller auf der Oberfläche der Meere 
in der Richtung von Oft mad, Weft fortführen. 

Im Uebrigen dürfte es wohl ſchwer halten, die Meeres— 
fröme in genligender Weife theoretisch zu erflären, und zwar 
um fo mehr, da die höchſt ungleiche Vertheilung von Waſſer 
und Yand und die ungleiche Meerestiefe verjchiedener Gegens 
den nur ftörend auf eine regelmäßige Geftaltung der Meeres— 
ftröme wirken können. Wir müfjen uns faft ganz auf eine 
empirische Kenntniß berjelben bejchränfen und felbft dieſe 
ift noch ſehr mangelhaft, da ſich die unterſeeiſchen Strömuns 
gen der Beobachtung faft gänzlich, entziehen. 

Die warmen Meeresftröme find in der Karte durch 
rothe Eurven und ihre Richtung durch Meine Pfeile bezeichnet. 

Bon den Infeln des Grünen Borgebirges geht 
eine Aequatorialftrömung nad) den Weftindifchen In eln. 
Im faft gleicher Nichtung läuft eine andere aus dem Golf 
von Guinea gegen die Nordweſtküſte von Süd— 
amerika und diefe entlang, um in den Mericanijchen 
Meerbufen einzubringen. Hier wird die Temperatur der 
Gewäſſer, welche auf dem ganzen Wege von Afrifa nad) 
Amerifa den nahezu ſcheitelrechten Strahlen der Sonne aus: 

efegt und dadurch ſchon ftark erwärmt waren, nod bi zu 
Hat 30° C. gefteigert. 

Während nun Nequatorialftrömungen im Süden bes 
Mericaniichen Meerbuſens in denfelben eintreten, dringt aus 
dem nördlichen Theil deſſelben zwifchen Florida und Cuba 
ein mächtiger Strom warmen und flark jalzhaltigen Waflers 
hervor. Der Golfftrom folgt zunächft in einiger Entfernung 
den nordamerifanijchen Küften, um ſich in der Nähe von 
Long Island nad) Often zu wenden. 

wiichen Florida und Cuba beträgt feine Breite nur 
50 Kilometer (ungefähr 7 deutſche Meilen), beim Cap 
Hatteras (DOftipige von Nord-Carolina) ift biefelbe ſchon 
auf 120 Kilometer gewachſen, um alsbald eine Breite von 
mehr als 1000 Kilometern zu erlangen. An feiner engiten 
Stelle beträgt die Tiefe des ftrömenden Waſſers ungefähr 


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Ein Beſuch auf der Inſel Urt in der Zuhderſee. L 


360, beim Cap Hatteras beträgt fie nur noch 200 Meter, 
um im weitern Berlauf der Strömung um jo mehr abzu— 
nehmen, je mehr ihre Breite zumimmt. 

Bei Florida hat der Golfſtrom eine Geſchwindigkeit 
von 7 Kilometer (ungefähr 1 deutſche Meile) in der 
Stunde; beim Cap Hatteras beträgt diefelbe nur noch 5 Kilo: 
meter, und im weitern Verlauf des immer breiter und weni- 
ger tief werdenden Etromes nimmt feine Geſchwindigkeit 
auf 3, 2, 1m. f. w. Kilometer in der Stunde ab. 

Die Haren Gewäller des Golfsftromes zeichnen jich 
durch eine tief blaue Färbung, welche überhaupt den 
Meeren der heißen Zone und namentlich, auch dem Indiſchen 
Ocean eigen ift, vom dem hellern mehr grünlichen Waſſer 
des ihn umgebenden Meerwaflers aus. 

Bei feinem Austritt aus dem Mericanifchen Meerbufen 
hat der GSolfftrom eine Temperatur von nahezu 30% C., 
weldye die des benachbarten ftromfreien Meeres um 5° über- 
trifft. In der Nühe bes Cap Hatteras beträgt feine Tem- 

noch 26 bis 27" umd in der Nähe von Neu-Fund— 
land find feine Gewäſſer im Winter nod) um 10 bi8 15%, 
wärmer als die des benachbarten ſtromfreien Meeres. 

Der in der Nähe von Yong Island fich mad Dften 
wendende Golfſtrom fpaltet ſich nördlich von den Azoren in 
zwei Theile. Der Hauptſtrom jegt feinen Weg nordöftlich 
nad den Weftkütften Europas fort, er befpitlt Irland, Eng— 
land und Norwegen und ſendet feine Wusläufer bis in die 
Polarmeere. Kin anderer Theil des Golfsftroms wendet 
fich im Füdlicher Kihtung gegen die Weſttküſten von Afrika, 
um ſich endlich mit dem bei den Cap-Verdiſchen Inſeln ent 
fiehenden Driftftrom zu vereinigen. 

Die dem Golfftrom entfprechende Meeresftrömung des 
Stillen Dceand wird von den Japaneſen wegen feiner tief 
blauen Färbung der Kuro-Siwo, d. h. der dunfle Strom, 
genannt, Er bildet eine Fortfegung der Sübdfee- Drift: 
frömung. Durch feine hohe Temperatur, welche die des 
angrenzenden Meeres um 5 bis 10% C. übertrifft, mildert 
er das Klima der Oftküfte von Nipon, welches in ſchroffem 
Gegenfage zu dem rauhen Klima der von falten Meeres- 
firömen befpüften Weftlüfte diefer Inſel fteht. 

Nachdem der Kuro-Siwo Japan verlaffen hat, theilt er 
fich im zwei Arme, deren fchmächerer zwiſchen Kamtſchatka 


und ben Aleuten gegen die Behringäftraße vordringt, während 


der ftärfere ſUdlich von den Aleuten vorbeiftrömend die Wefts 


25 


füfte von Anterifa erreicht und endlich in den Acquatorial- 
ftrom einmilndet. 

Außer den im Vorhergehenden genannten findet man 
noch andere hier nicht näher zu beſprechende warme Meeres: 
ftrömungen verzeichnet. Während diefe das im Tropen 
gürtel erwärmte Waller höheren Breiten zuflihren, ftrömt 
in anderen Gegenden das weniger falzhaltige und deshalb 
feichtere Wafler aus dem Polarregionen dem Aequator zu 
(kalte Meeresftröme). Dieſe falten Meeresftrömungen 
find durch blaue Curven bezeichnet, Ein folcher Polar: 
ftrom theilt fi in der Nähe der Südſpitze Amerikas in 
zwei Ströme, beren einer unter dem Namen dee Humbolbt- 
ftromes der Weftfüfte von Südamerika folgt, während ber 
andere um das Gap Horn umbiegt und ſich zum heil 
gegen die Sibfpige von Afrifa wendet. 

An den peruanifchen Küften beträgt die Temperatur 
des Humboldtftromes 15,50 C., während die Temperatur 
ber jtromfreien Meere jener Gegenden 28° E. beträgt. Der 
Humboldtftrom übt daher auf das Klima von Chile und 
Peru einen wohlthätig abfühlenden Einfluß aus, während 
Brafilien, an defien Geftaden eim füblicher Ausläufer der 
atlantifchen Hequatorialftrömung entlang fließt, zu den heiße · 
jten Ländern der Erde gehört. 

Da wo die Kitfte Südamerifas am weiteften nad) Wer 
ften vorfpringt, wendet fi der Humboldtſtrom größtentheils 
nad) Welten und feine unter dem Einfluß der Tropenfonne 
mehr und mehr erwärmten Gewäſſer gehen endlich in die 
allgemeine Aequatorialftrömung über; ein Heiner Theil der 
Humbolbtftrömung geht jedoch längs der KHüfte weiter und 
läßt ſich bis in den Golf von Panama verfolgen. 

Im Atlantifchen Ocean dringt ein Strom falten, 
oft eisführenden Waflers aus der Davisftrage und längs 
den Oftfüften von Grönland nad) Süden und drängt ſich 
zwifchen die amerifanifchen Küften und den Golfſtrom ein, 
Diefer kalte Polarftrom ift es vorzugsweife, welcher die 
Temperatur der Ofttüften von Nordamerika herabdrückt. 

So jehen wir denn, wie die Oftfüften von Norbamerifa 
und die Weftküften von Südamerika durch kalte Meeres: 
ftröme abgefühlt werden, während umgefehrt die Temperatur 
der Woeftküften von Nordamerifa und der Oftfüften von 
Südamerika durd) warme Meereöftrömungen über die mitt 
lere Temperatur der entjprechenden Breitegrade erwärmt ift. 

Die Grenze des Treibeifes iſt auf der Karte durch 
vevvevt bezeichnet.“ 


Ein Beſuch auf der Inſel Urk in der Zuyderſee. 


M. Die Holländer find mit preisiwärdiger Ausdauer 
bemüht, dem Ocean, der an ihren Geſtaden jo arge Ber: 
wüftungen angerichtet und während des Mittelalters mehr 
al& einmal weite Yandftreden unter Waſſer gefegt hat, wie: 
ber feften Boden abzugewinnen. Sie deichen ein, was irgend 
einzudeichen ift, aber während dieje Heineren Arbeiten unab- 
läflig ihren Fortgang nehmen, haben fie auch großartige 
Werke in Angriff genommen und glücklich ausgeführt. Die 
Zweifel, ob das Haarlemer Meer troden zu legen fei, 
haben im Jahre 1853 ihr Ende gefunden; das Haarlemer 
Meer ift trodener Boden geworben. 

Durdy den günftigen Erfolg ermuthigt, hat man vor 

Globus XXVIII. Nr. 2, 


einigen Jahren einen nod viel großartigern Plan gefaft. 
Es handelt ſich darum, auch die Zuyder ſee wenigftens 
zum großen Theile wieder im feſtes Yand zu verwandeln. 
Man hat forgjältige Unterfuchungen amgeftellt und diefe find 
günftig ausgefallen; man ift überzeugt, daß ficd dort dem 
Meer „eine ganze Provinz“ abgewinnen läßt. Freilich erſt 
nad) langjähriger Arbeit und mit vielen Koſten, aber der 
Vortheil wird groß fein und die Holländer könnten auf ein 
ſolches Werk noch viel ftolzer fein als auf die Trodenlegung 
des Haarlemer Meeres, 

Man jcheint in den Niederlanden ben ernften Willen zu 
haben, das Niefenwerk in Angriff zu nehmen, Daflelbe 


4 


26 Ein Beſuch auf der Inſel Urt in der Zuhderſee. L 


wird in der Configuration der Yandfcajt eine völlige Um— 
wandelung bewirken; von der See bleiben nur noch einzelne 
Streden und mehrere Infeln werden dem Feſtland ange 
fcjlofien werden. Zu diefen gehört auch das Heine Eiland 
Urt (fprid) Wert), weldyes im nördlichen Theile der Zuyder— 
jee, im Süden der Provinz Friesland, im Weften von 
Overyſſel liegt. 

Dann wird die Eigenthümlichkeit diefes von Wogen ums 
rauſchten Fleckes Erde verſchwunden fein. Auf diefen ein 
fanen Eilanden herrſcht recht eigentlich) das Stillleben; ſel⸗ 
ten verliert ſich ein Neijender dorthin, und dech find fic eines 
Befuches werth. Man findet auf ihnen, und namentlicd) 
auch anf Urk, mande Eigenthümlidyfeiten, die anderwärts 
längſt verſchwunden find. 

Seit Jahrhunderten lämpfte dieſe Handvoll Erde mit 
dem fie umgebenden Element und wenn fie and) nur felten 
unbejchädigt aus ſolchem Kampf hervorging, jo zeigt fie 
fi) dem Reiſenden, der von Yenmer nach Amfterdam fährt, 
doch noch ftets als einen grünen Hügel und gewährt durd) 
ihre hohe Yage, durch ihre Ihurmfpigen und niedrigen 
Fiſcherhuütten einen nicht umangenehinen Anblid. Daß indeß 
das Meer feinen reichlichen Tribut erhalten hat, erhellt dar: 
‚aus, daß die Schiffer eine Stelle mitten in der See, zwiſchen 
Urt und Schodland, den „Urfer Kirchhof“ neuen. 

Die Commifjion jür Trodenlegung der Zunderfee war 
lange wicht jchlüffig, ob fie Urt mit aufnchmen oder an dej- 
fen Strand vorbeigehen jollte. Gelingt jene Riefenarbeit, 
fo ift es mit Arts Eigenthitmlichleiten vorbei, es mag auf« 
genommen oder ausgefchlofien werden. 

Die Infel läßt fi) von Enkhuygen aus in wenigen 
Stunden erreichen und die Fahrt ift bei nicht zu ruhiger 
See von großem Intereſſe. Urt hat eine längliche Form 
und erſtredt id) in etwa ſtündiger Auedehnung von 
SW, nad) N-D. Der ſchmaie nordöftliche Streifen Yan: 
des, welchen die Infulaner den „Schweif“ (Staart) nennen 
und der fait +, des Ganzen umfaßt, fteht zur Fluthzeit 
oft unter Waſſer und dient dann dem diebiſchen Seehunden, 
welche die Nege unterfuchen, als unfichern Aufenthaltsort. 

Durch diefen „Schweif“ läuft ein Sandrüden, der in 
den gewaltigen Eturmfluthen vom November 1775 und 
Noveniber 1776, als die Injel nur ehr mangelhaft gegen 
die Angriffe der Zee gefchligt war, entftanden fein fol. - 

Der höhere (füdweftliche) Theil erhebt ſich etwa 10 Die: 
ter über den Meeresfpiegel und hier befinden ſich alle Woh— 
nungen und fonftigen Gebäude, Diefe liegen ohne jeglichen 
lan wire durd) einander gewürfelt; faum findet man zwei 
Häufer gerade neben einander ftehen, jo dag man faft eines 
ührers bedarf, ſich durch dieſes Labyrinth hindurchzuwinden. 
Die Zwiſchenräume ſind mit Gras bewachſen und jo gleicht 
das Dörfchen einer Weide, in die man hier und da ein 
Haus gejtellt hat, Dieſes ift fait ausnahmslos einflödig 
und theils aus Stein, theils aus Holz gebaut. Bor einigen 
Hänfern findet man eine Pappel oder eine Weide, um Wind 
und Hitze etwas zu dämpfen, 

Tie beiden Kirchen — die der Neformirten und die 
einer chriftlichen Secte — ftehen in ſchweſterlicher Eintracht 
nahe bei einander, im Scjatten des Yenchtthurms. Letzterer 
iſt unſchwer zu bejteigen und, wie alle Leuchtthürme, mehr 
praltiſch als jchön. Mit unbewafinctem Auge erbliden wir 
Enthuyzen und die friefische Hüfte und das ruhig wogende 
Meer giebt ein unvergeßliches Bild. Das Drehfener vier 
ter Größe ift bei Marem Wetter in Enkhuyhzen fictbar. 
Diefes Licht dient nicht nur den Schiffern, ſondern — aud) 
den Hagen. Die Bögel fliegen des Nachts gern dem Lichte 
zu; jie ftoßen mit Gewalt gegen die dide Kuppel uud fallen 
dann todt oder betäubt nad hüben und drüben, wo jie von 


den zahlreich verfanmelten Naubthieren mit Haut und 
Haaren verichlungen werden. Es find meiftens Yerdjen, 
Krammmetsvögel und Staare, weldye als Opfer fallen. In 
einer Nacht fing der Wärter einft 147 Stüd folder Vögel. 

Die Kirchen find äußerft einfach. Betreten wir jene der 
Reformirten, jo erbliden wir in erfter Stelle ein volftändig 
aufgetafeltes Schiffchen, weldyes vom Zuge bewegt an der 
Dede hin» und herſchwankt und und an die Aberſtandene und 
zu erwartende Seekrantheit erinnert. An beiden Seiten der 
Kanzel hängt ein Brett, welches die Namen der früheren 
Prediger trägt. Jetzt hat die Heine Gemeinde feinen Seel— 
forger; aber allmonatlid) kommt vom Feſtlande ein Geift- 
licher herüber, um Gottesdienſt zu halten. Solcher gleicht 
ganz einer häuslichen Andacht und die Kirchlichteit wird 
hier im vollfien Sinn des Worts mit der Muttermilch eins 
gefogen. 

Die legten Glockenſchläge find verhallt; der Prediger 
hat die Kirche betreten. Yangfam folgt ihm die Gemeinde: 
Männer und Frauen in ihrer infularifchen Tracht. Jene 
tragen eine ſehr weite blaue Fade mit großen, oft filbernen 
Knöpfen; filberne Schnallen auf den niedrigen Schuhen 
und echte Thaler an den weiten ſchwarzen Bumphofen vollen: 
den den Luxus. Die Beine fteden im ſchwarzwollenen 
Strlmpfen; eine blauwollene runde Mige bededt das 
Haupt und um den Hals hängt cin rothes Tuch. 

Auch die Franen find der irdiſchen Pracht nicht gram, 
wenn auch in etwas verfchiedener Weife wie die Dlänner. 
Sie Meiden fich vorzugsweiſe ſchwarz und umſſchlingen den 
tief fichtbaren Hals mit einem weißen Tuche, das durch zwei 
filberne Nadeln mit großen Köpfen feitgehalten wird. Die 
holländischen Ohreifen findet man hier nicht. 

Berjchiedene Mütter haben während ber Predigt ihre 
Säuglinge auf dem Schoße. Werden fie unruhig, b legt 
die Mutter fie ohne Weiteres an die Bruft; wenn fie fhläf- 
rig find, wird baldigft aus Mantel oder Tud) ein Bettchen 
imprevifirt. 

Wer von den Kirchengüngern ſich nad) frischer Luft ſehnt, 
geht ruhig hinaus und fommt gegen den Schluß der Predigt 
wieder, da er ja dod) einmal den Zuſammenhang verloren 
hat. Andere legen ſich in ihrer vollen Yänge auf die Bank, 
theil® auf den Niden, theil® auf den Bauch und ftligen 
mit beiden Händen den Kopf. Weder Prediger noch Zu— 
hörer lafjen ſich durch lautes Schnarchen ftören. 

Aber 8 giebt auch andädhtigere Zuhörer, wie jene Mut» 
ter, die ihren Paulus auf dem Schoß hat und ihm in ihrer 
Spradje den Tert ded Predigers vom verlorenen Sohn ers 
Härt: Daor was er en zieker man, die twie zuuns 
adde. De jüngste van die beye junges zee tuugen 
zien toate: Toate, gief mie mien part van’t geld 
en good, dat men toekomt. Jen zien toate gaf em 
zien part. Toe ging ie eene, ien zammelte alles by 
enkanjer; ien toe ging ie op raeze non en vremd 
laand; ien toe brogt ie daor alles deur wat ie adde ete. 
(Luc. 15, 11 ff.) 

Wenige Schritte dem Meere näher liegt die allgemeine 
Vegräbnißftätte und zwar dem Meere fo nahe, daß fie fait 
von den Wellen berührt wird. 

Den Urfern, die ihre Todten mit kindlicher Ehrfurcht 
verehrten, ift dies eine heilige Stätte." Verunglüdt einer der 
Ihrigen, fo ruhen fie micht eher, als bis fie die Leiche aufs 
gefunden haben und am Tage deö Begräbniſſes fehlt gewiß 
fein Fiſcher, um dem verunglüdten Gefährten die letzte Ehre 
zu erweifen. Die verwitterten Grabſteine, die ſich auf dem 
einfachen Kirchhofe zwifchen dem hohen Graſe verbergen und 
fo laut das Memento mori verkünden, fie liefern den Ber 


| weis, daß das wüthende Element eine nicht geringe Zahl 


Berlovitjch’s bulgarische Volkslieder. 27 


Schlachtopfer fich wählte und daß manche Wittwe und Waife 
den liebenden Verforger verlor. 

In einer verlaffenen Ede det ein einfacher Sandftein 
bie angetriebene Peiche eines Filchers, der „mit 25 anderen 
zwiſchen Blieland und Terſchelling“ jämmerlich ertrunken 
it. An einer andern Stelle heißt ed: „Hier ruhen zwei 
Männer einer Frau; beide fanden ihren Tod in den Wel- 
fen.“ Solcher Infchriften zeigt der Hiefige Kirchhof in trans 
rigen Ueberfluß. 

Diefer ernfte Eindrud wird oft durch Reimereien geftört. 
So lafen wir auf einem alten Steine, deſſen Inſchrift 
nur mit Mühe zu entziffern war (im fast wörtlicher Ueber 
frgung) : 

Hier liegt die theure Fran, 
Ein Prachtjuwel der rauen; 
Sottieligkeit und Tugend 
War ar ihr zu beichauen. 

Ein anderer Stein, der einen Arzt (geft. 1827) dedt, 
ſpricht ziemlich, ironiſch: 

Vielen balf er in ber Noth, 
Biele brachte er auch zum Tod. 

Bern man aber erfährt, daß befagter Arzt aud) Feichene 
träger war, dann wird bie Jronie in Wegfall fonımen und 
nur die lindliche Poeſie zurückbleiben. 

Am Sonnabend Abend liegen alle Schiffer mit ihren 


150 Schuiten in und am Hafen und feiner geht wieder von | 


dannen, bis die zwölfte Stunde den Sonntag vom Montag 
getrennt hat. Mag der Wind nod) fo günftig, das Wetter 
noch jo umheildrogend fein, die Fischer werfen erſt dann, 
* aber aud) dann ihre Taue los, fobald ihr „Admiral“, einer 
der am meiften erfahrenen Fiſcher, die Infel verläßt Wenn 
er die Segel aufhifjen darf, dann folgen alle anderen ohne 
Furcht. Denn es herrfcht unter ihnen der unerſchütterliche 
Haube an ein Fatum. Niemand, fagt ber Urler, ftirbt vor 
feiner Zeit. Darum fürchtet er auch feine Gefahr; er fegelt, 
wenn jeinem Nächten ein Unglück begegnet ift, mitten in 
die wüthende Brandung hinein. 

Wo fo viele Selbftaufopferung, da ift gewiß auch viel 
edler Muth und wahre Menſchenliebe. 

Es war in dem heftigen Sturm am 17. December 1873, 
ald das Hamburger Schiff Urania auf das Norderneier Riff 


gerieth. Zwölf Menfchenleben befanden ſich in drohender 
Gefahr. Schon längere Zeit war ein Urker Fiſcherboot 
vergeblich, bemüht, fich durch die raſende Brandung hindurd)- 
zuarbeiten, um dem bereits finfenden Schiffe Hilfe zu brin: 
gen — leider vergebens. in jugendlicher Fiſcher gab die 
Rettung auf und rief feinen Gameraden zu: Kehrt! Gott 
erbarme ſich der armen Menſchen! Wir haben unfere Pflicht 
vor Gott gethan ! 

Da ſtürzte ein waderer Urfer aufgeregt nad) vorn, ballte 
die Fauſt und donnerte dem Andern zu: Vor Gott un- 
fere Pflicht gethan ? — Nein, zum Teufel, nody nicht! Bor: 
wärts! Wir wollen alle achtzehn hierbleiben oder alle retten! 

So geſchah es! Nach wiederholter Anftrengung aller 
Kräfte, die faft das Menſchliche Üiberjtieg, wurden die zwölf 
Schiffbrüchigen gerettet. Die holländifche Regierung hat 
diefe edle That in würdiger Weife anerlannt. 

Die geiftige Bildung fteht hier eben nicht auf einer ganz 
niebderigen Stufe, wenn and der Schulunterricht ſich nur 
auf die einfachiten Elementarkenntniſſe erftredt. Im Wins 
ter, wenn man fich nicht mit Striden und Berbefiern ber 
Nege bejchäftigt, geben ſich Viele dem Leſen hin; ferner hat 
man eine „criftliche* Bewahr:, Nähs und Strickſchule und 
aud) nod) ein Yocal, in dem die „chriftlichen“ Sitnglinge am 
Sonntag Nachmittag fid in ihrem extremen Chriſtenthum 
fortbilden. Sodann fommen doch aud) die Männer in Folge 
ihres Berufes vielfad, mit Feftländern in Verbindung und 
holen fich dort einen gewiſſen Schliff. 

Anders ift es mit den frauen, von denen viele bie 
Spanne Erde, auf der fie geboren find, nie verlaffen haben. 
Nod) vor wenigen Jahren gab es hier 75jährige, weldye die 
„Außenwelt“ nie gejchaut hatten, Kommen fie einmal nad) 
dem Feftlande, fo ftaunen fie alles Unbefannte mit großen 
Augen an und es mag mancher Infulanerin dort ergangen 
fein, wie jener Frau von Borkum, die, als fie zum erſten 
Dial eine Windmühle erblickte, ftaunend ausrief: O wat 
'n grote Haspel! Die Heimath geht ihnen, gleich allen 
Infulanern, über alles und wenn Berhältniffe fie im die 
weitere Welt fegen, jo jtellt ſich recht bald eim nicht zu 
dämpfendes Heimweh ein, Eine junge Frau, die in Anfter» 
dam als Dienftmagd ſich aufgehalten hatte, bemerkte: Dort 
feien die Häufer und Yäden freilich viel hübfcher, dahingegen 
aber die Straßen aud) arg ſchmutzig. 


Verkovitſch's bulgarifche Volkslieder *). 


Ein bosnifcher Serbe, Verkovitſch, der in Seres mit 
alten Münzen und Medaillen handelt, war ſeit langer Zeit 
von der firen Idee behaftet, daß die Slaven der Türkei die 
birecten Nadjlommen der alten Urbewohner Macedoniens 
und Thraciens feien, und um Belege für diefe feine Anficht 
beizubringen ſcheut ex weder Arbeit noch Koften. In feinem 
Auftrage fammelten verfchiedene Yeute, denen er feinen En- 
!hufiosmus einzupflanzgen verftand, die Geſänge und Märs 
den im jenen Theilen der Baltanhalbinfel und der Ertrag, 
anfangs dürftig, begann allmälig immer veicher zu fließen 
und den eifrigen Sammer für feine Muhe zu lohnen. So 
fonnte Verkovitſch im Jahre 1867 im „Bulletin de l’Ecole 
frangaise d’Athönes* eine Anzahl Yieder veröffentlichen, 


*) Les chants populaires bulgares. Rapports sur une mis- 
sion littöraire en Mackdoine, Par Auguste Dozon, Paris, Im- 
primerie nationale. 1874. 


welche den Beweis liefern follten, daß auf Orpheus beziige 
lidje Traditionen noch in Thracien heimiſch feien. Von die: 
fen Gefängen erfchien unter dem Titel Chants du Rhodope 
eine ausführliche Analyfe und endlid) wurden die Original: 
terte im fechöten Bande der „Archives des missions scien- 
tifiques* in Paris veröffentlicht. Unterdeſſen wuchſen die 
„Entdetungen* Verkovitſch's immer mehr an, immer wichtige 
res und gehaltvolleres Material wurde zu Tage gefördert. 
Nicht nur wurde hierdurd) das bisher dunkle Yeben von Or 
pheus aufgehellt, auch auf das Leben Alerander's des Großen 
fielen Streiflichter, ja die Ankunft der Slaven in Europa 
ift darin befungen, Natürlich machte eine ſolche Entdedung 
Uuffehen und der franzöfifche Unterrichtsminifter hielt es für 
gerathen, den Dingen im Intereſſe der Wiſſenſchaſt näher 
auf die Spur zu gehen. So wurde Herr Augufte Dozon, 
Kanzler beim franzöfifchen Gemeralconfulat in Belgrad und 
Autor des Werles „Poesies populaires serbes“, damit 


4* 


28 Verkovitſch's bulgarische Volkslieder. 


beauftragt, die ganze Sammlung zu unterfuchen und fein 
Gutachten dariiber abzugeben, das num aud in dem ange 
zeigten Werte vorliegt. 

Verlovitſch fcheint der Meinung zu fein, daß nicht nur 
die alten Macedonier und Thracier mit Einfluß von Or- 
pheus und Wlerander dem Großen Slaven, fondern baf 
auch diefe Slaven „die einzigen Träger der Civilifation wa— 
ren, die man bisher fälſchlich den Hellenen zuſchrieb.“ Wie 
Berkovitfch fi, hier mit feinem flavifchen Stammesbrubder 
Liebelt abfinden wird, vermögen wir nicht zu fagen, nur fo 
viel ift ficher, da diefer Tjcheche zu Prag 1868 eine Schrift: 
„Die Abftammung der Slaven“, herausgab („als Hilfsmittel 
zur leichtern Exlernung der griechiſchen Sprache“), im welcher 
nadjgewiefen wird, daß die Slaven gar feine Slaven, 
fondern unmittelbare Nadfommen der alten Hel— 
lenen jeien! Was find num Fallmerayer's Anſichten gegen: 
über diefen beiden? Gewiß, er ift böje mit den Neuhellenen 
umgegangen und hat mandjmal über das Ziel hinausgefchoffen, 
aber er lommt doch noch lange nicht zur Giräfophobie von Bers 
fovitfch, dem die alten Griechen „turanifche Wilde* find! 

Nachdem Verkovitſch fid, von der „Wahrheit“ feiner Ans 
fichten überzeugt hatte, begann ex weitern Stoff zur Unter 
ftügung derfelben zu fammeln und lam im den Befig von 
177 Sebichten, die zufanmen etwa 85,000 Berfe haben und 
als „die Bedas der die Baltanhalbinfel bewohnenden Slaven 
gelten lönnen“. Hauptfammler dieſer Schäge war ein gewif- 
fer Jovan Ekonomow, der jedoch; auf Verkovitſch's Zureden 
den mehr jlavifch Mingenden Zunamen Gologanow ans 
nahm. Pängere Zeit Schulmeifter in Kruſchewo gab Jovan 
auf Berkovitich's Wunſch feinen Poften auf und errichtete 
eine Heine Schänfe, in der die wandernden Mlinnefänger, die 
„Kirabſchis“ und „Bomaken“, verkehrten. Bon ihnen 
fammelte Jovan feine Schäge, wenn aud) nicht ohne große 
Schwierigleiten. 

Die Gedichte nun, welche ſich auf Orpheus beziehen 
ſollen, ſprechen von einer Art Halbgott, einem Könige oder 
Heros mit Namen Orfen, Ourfen, Fren, Frenouché 
oder Forlen. Seine Mutter iſt eine Inda oder Nymphe, 
feine Tante der Morgenſtern. Er kann nad) Belieben Flu— 
gel an feine Schultern ſetzen und mit deren Hulfe ſich in die 
höchften Himmelshöhen erheben, wo er nad} göttlichen Wunſche 
feinen Aufenthalt nehmen muß. Sein Hauptattribut ift 
eine magifche Flöte, mittelft deren Kraft er nicht nur folche 
Wunder wie Orpheus und Amphion vollbringt, fondern mit 
deren Hülfe er auch alle jchädlichen Ungeheuer bezaubert oder 
vertilgt. Die folgende Analyfe wird einen Begriff von der 
Natur der Gedichte geben. \ 

Ein Priefter des Gottes Koleda tritt in eine dieſem Gotte 
geheiligte Höhle ein; in der Hand hält er ein firahlendes 
Bud) und eine goldene Flöte; er will dem Gotte einen Vogel 
opfern, Da findet er in der Grotte einen fchlafenden Halb- 
gott, der in einen goldenen Mantel gehüllt ift und eine gol— 
dene Flöte in der Hand Hält. Der Priefter weckt ben 
‚Schlummernden auf und will ihn mit Feuer verbrennen; 
aber der Heros beginnt auf feiner magischen Flöte zu fpielen 
und der Priefter fällt leblos auf die Erbe nieder. Nun tritt 
eine Nymphe ein, welche den Flötenſpieler auffordert fein 
Spiel zur unterbrechen. Sobald dann die Mufif aufhört fteht 
der Priefter wieder lebend auf und der Eindringling erzählt 
ihm feine Geſchichte; „Ich lebe im Himmel und diene dort 
Gott. Da ich mic, im eine junge Prinzeffin verliebte, fo 
flieg ich von meiner Höhe herab um fie zu heirathen. Als 
ich, aber vor ihrem Palaſt anlangte fand ich fie nicht und ich 
bitte Dich, den Gott Koleda zu fragen wohin fie geflohen ift.* 
Nun bringt der Priefter Opfer umd Gebete dar und Koleda 
antwortet, daß die Prinzefjin im Hinmel ſei, wohin Orfen 


fliegen muß, wenn er fie heirathen will. Orfen vergießt 
einige Thränen, fehrt in den Himmel zurlid und wird auf 
Erden nicht mehr gefehen. 

Auch das Andenken an Alerander den Großen ift in 
Macedonien nicht ganz ausgeftorben, und ganz ficher, bemerkt 
Dozon, haben die Sammler des Herrn Verlovilſch einige 
Traditionen aufgefunden, die ſich auf diefen Herrſcher bezies 
hen. Eine derfelben erzählt, wie der Vater des jungen det. 
ſandr“ ein wundervolles Pferb mit einem Ochjentopf bejaß; 
viele Könige und Fürften verfuchten e8 zu befteigen — allein 
vergeblich. Endlich ſprang der junge detfandr fühn ihm auf 
den Rliden, fette ſich dort feit „wie ein Vogel auf fein Neft“ 
und zähmte es fofort. Als Lekſandr ein Mann geworden ritt 
er mit dem Pferde durd) viele Yänder und lam bis an bas 
Reich Indien. Vergeblich verfuchte der indiſche König ihm 
zu widerſtehen; Lelſandr ritt mitten im feine Armee hinein 
und vernichtete fie; freilich wurde das Roß babei zu Tode 
verwundet, allein che es ftarb rettete es feinen Reiter noch 
aus. der Gefahr. Dies ift eine Erzählung mit hiftorifchen 
Anklängen, allein andere Gedichte hüllen ſich in ein mıytho= 
logiſches Dunkel. Unter dem Einfluffe claſſiſcher Tradition 
wird Alerander ald der Sohn eines Draden bargeftellt, zu 
dem jich feine Mutter — hatte, als ſie vor den Drohun⸗ 
gen ihres finderlofen Mannes, des Königs Feleſina, erſchrak. 

Außer den Geſchichten von Orfen und Alerander ift Ber: 
tovitſch jo glüdlich gewefen eine Anzahl Lieder zu entdecken, 
die nad) feiner Anſicht die heifle Frage von der Ankunft 
der Slaven in Europa behandeln. Was bisher ange: 
nommen wurde und was byzantinifche Geſchichtſchreiber von 
den Einfällen der barbarifchen Slaven im ſechöten Jahr- 
—— berichteten, beruhte nur auf griechiſcher Falſchheit und 

iferſucht. Die Bulgaren und Serben und andere Süd⸗ 
flaven waren urfprünglic, Eingeborene Indiens, in ihren 
gegenwärtigen Wehnfigen befinden fie fi aber ſchon mins 
deftens 2000 Jahre; in ihren Liedern und Geſchichten haben 
fie Traditionen aufbewahrt, welche helles Licht auf ihren frü— 
hern Aufenthalt in Indien werfen und fogar den Wanders 
zug erfennen laffen, auf dem fie von Ajien nad) Europa 
famen. Aus der kurzen Analyfe, welche Dozon von einigen 
dieſer Geſänge giebt, erfehen wir, daß einzelne Nationen 
zu volkreich wurden und deshalb ihre Jugend ausſchickten oder 
wenigſtens „die Leute, welche unter hundert Jahr alt waren“, 
damit fie fic) eine neue Heimath fuchen follten. Das alles 
geſchah auf göttlichen Befehl und das Commando über die 
Ausziehenden führte der Sohn des regierenden Königs. Aber 
ber Ort, vom dem bie Auswanderung ausgeht, bie durch— 
zogenen Gegenden, das Yand, in welchen fie fich niederliegen, 
nachdem fie die wilden Ureinwohner vertilgt — das alles 
wird in jo vagen Ausorliden gejchildert, daß wir es Verlo— 
vitſch überlaffen müſſen, darin Indien u. ſ. w. zu erfennen. 
Für den hiftorifchen Kritiker erſcheinen die Angaben dieſer 
Lieder werthlos. 

Wenn nun aud) die hiftoriichen Lieder uns als Belege 
deſſen, was fie beweilen follen, wenig anmuthen, jo muß 
Herr Verlkovitſch von den mythologiichen Traditionen fei- 
ner Sammlungen fih um fo mehr befriedigt fühlen, denn 
in mehreren berfelben werden in der unzweideutigften Weife 
göttliche ober übernatiirliche Wejen erwähnt, deren Eriftenz 
bisher unbelannt oder zweifelhaft war. Wir gehen auf eine 
der merkwürdigen Compofitionen ein, welde nicht weniger 
als 2464 Berje enthält und die den Uvjprung der Kunft 
des Leſens und Schreibens erörtert, eine Kunſt, für melde 
die gewöhnlichen Bulgaren von heute feine allzugroße Bor» 
liebe zeigen, Der nicht weniger als dreihundert Jahre alte 
König Ticheta heivathet die junge Voellana, bleibt aber ohme 
Leibederben. Da verliebt fic die Sonne in die junge Kö— 


Aus allen Erdtheilen. ’ 29 


wigin und beredet fie, daß fie ſich einem trügerifchen Flügel 
anvertraut, um ſich in die Hallen der Sonne emporzufcwins 
gen. Nachdem jie hier lange genug geweilt, fteigt fie wieder 
zur Erbe herab und bejcenft Tſcheta mit einem Sohne Na— 
mens Sada. Als diefer Prinz erft drei Jahre alt war führte 

” er bereits eine Schaar Unterthanen feines Vaters in fremde 
Länder. Nach einiger Zeit bewirbt er fid) um eine Frau, 
und eine Nymphe, weldye in den Himmel gefchiet war, um 
bier Leſen und Schreiben zu lernen, wünſcht die Seinige zu 
werden. Keinenfals ift fie aber ſehr ungeduldig, denn nad)» 
dem fie jchon ein Jahr lang im Himmel gelernt, ift fie erſt 
bis zum Buchſtaben R gefommen, Erſt wenn fie beim & 
angelangt ift wird ihr geftattet ihrem Wunfche nadyzulommen, 
bis dahin muß Saba ſich ald Funggefell gedulden. Endlich 
erscheint der glüdliche Moment, die Nymphe fteigt, mit zwei 
goldenen Tafeln verfehen, vom Himmel hernieder und lehrt 
Saba in der furzen Zeit eines Monats Leſen und Schreiben. 
Der Prinz ſchreibt nun feinen Vater einen Brief, in welchem 
er dieſen zu feiner Hochzeit einladet; da aber der alte Herr 
weber leſen noch fchreiben kann, jo ertheilt auch ihm bie 
Nymphe Unterricht. Nun endet alles glücklich. 

Aus dem mitgetheilten Analyjen wird man das Wefen 
diefer Dichtungen genügend erfennen. Wie fteht es aber 
mit ihrer Echtheit? Es liegt auf der Hand, daß fie einen 
der wichtigften Beiträge zur vergleichenden Mythologie bil» 
den, die in ben legten Jahren ans Tageslicht traten, wenn 
fie echt find; andererfeits aber find fie, wenn micht echt ober 
nur verarbeitet, höchſt ſchädlich und künnen im diefem Kalle 
nicht genug verbammt werden. Dozon, weldyer die Original: 
terte gejehen hat, fpricht von ihnen in etwas wegwerfenber 
oder fpöttifcher Weife, ohme aber felbft zu eimer entſchiedenen 
Veeinungsabgabe zu kommen. Daß aber Verlovitſch und 
fein Agent, Gologanow, alias Ekonomow, bona fide gehan- 
delt Haben, glaubt Dozon verficjern zu können, Er befchreibt 
den erftern als einen ehrenhaften Enthufiaften, den bie Ver— 
folgung feiner Lieblingsidee viel Geld gefoftet hat, und den 
letztern als cinen „furchtjamen Mann von milden, jympa- 
thiſchem Charakter, ohme jeglichen dichteriſchen Enthufins- 
mus“, — einen fo einfachen Dienfchen, daß es rein unmbg⸗ 
lic, für feine Gaben geweſen fei, die ungeheuere Maſſe von 
Gedichten zu fälfchen, die er gefammelt haben will. Uber 
trogdem giebt er wieder zu, daß, wie ſchon früher politifche 
Erwägungen zu literarifchen Fülſchungen führten, diefes aud) 
bei den Yiebern vom Rhodopegebirge der Fall geweſen fein 
fünne. Im Ganzen aber fcheint fein Urtheil günftig für bie 
Edjtheit der Gedichte zu fein, obgleich er mit Verlovitſch in 
der Ybentificirung von Orfen und Orpheus, oder dem indis 
ſchen Exodus der Bulgaren nicht übereinftimmt. 

Dedenfalls wird es gut fein nur mit der größten Vor: 
ſicht, ja mit Mißtrauen die Entdeckungen Berlovitſch's auf 
zunehmen. Daß viele Vollslieder und Geſchichten in den 
macedonifchen Bergen nmlaufen, hat er nachgewieſen, und 
Vieles, was fein Agent Jovan Efonomow aufgeichrieben hat, 
ift gewiß echt; anderes aber ift zu verbächtig. Augenſcheinlich 
find viele Gedichte umgemodelt und mit vorgefaßten Ideen 
in Einflang gebradjt worden, Dozon's Bericht wurde ſchon 


1872 gejchrieben; auf dem Titel fteht die Jahreszahl 1873 
und auf dem Umjclage gar 1874. „Im diefem Uugen- 
blide,* fchreibt Dozom vor jegt drei Jahren, „läßt Verfos 
vitſch prädjtig und auf feine often den erften Band druden, 
weldyer 7000 Zeilen umfaßt, die mit einer franzöfiichen 
Ueberjegung von einem Tſchechen verfehen find. Diefer Band 
fol Ende des Herbftes (1872) erſcheinen.“ Dieſer erfte 
Band ift aber noch gar micht erſchienen. 

Der hauptſächlichſte Vorwurf, welden man den Liedern 
machen kann, ift der, daß fie zu viel bemeifen wollen. Ueber 
die Götter, welche die alten Slaven verehrten, ift ſehr wenig 
befannt und trogdem tüchtige böhmiſche, vuffifche und andere 
Forſcher die ſlaviſche Mythologie bearbeiteten, ift diefelbe 
noch feineswegs in allen Stliden über Zweifel erhaben. In 
Gefängen und Gebräucen giebt es allerdings manche An- 
haltepunfte, aus denen auf die alten Götter geſchloſſen wer⸗ 
den fan, namentlic in den um Weihnachten gejungenen 
Koljadki, deren Namen in jehr verfciedener Art erklärt 
worden ift. Die meiften flavifchen Sprachforjcher fehen darin 
eine Anpafjung der römifchen Kalendae, ein Wort, welches 
über Byzanz zu den Slaven eingeführt wurde; einige Sagen: 
forſcher aber haben es auf einen Gott Koleda zurüdflihren 
wollen, obgleich ſich jo gut wie gar nichts von deſſen Dafein 
im ſlaviſchen Pantheon fagen läßt. In dem von Verkovitſch 
mitgetheilten Liedern aber ſpielt der Gott Koleda eine große 
Rolle und genau wird befchrieben, wie die Priefter ihm in Höh- 
len Bögel opfern. Czernybog, der ſchwarze Bott, welcher von 
alten jlavifchen Mythologiften (auch von unferm Helmonb) 
als böjes Princip angenommen wird, im Gegenfag zum Bier 
lobog, dem weißen Gott, figurirt in dieſen bulgariichen Ges 
fängen. Indeß mit Recht wird diefer Gott von dem neueren 
Diythologen geleuguet. Am verdächtigſten aber erfcjeinen in 
diefen bulgariſchen Geſängen gewifje der Hindumpthologie 
angehörige Namen, Verlovitſch ift ein Schüler Rakovaty's, 
der annimmt, daß die Slaven direct aus Indien kamen — 
da muß die Eriftenz von Hindugöttern in flavifchen Ländern 
ficher auffallen. Da fommen zwei Trimurtis vor: Brahme, 
Ura und Survina, und Koleda, Surina und Biſchnu Boga, 
was nad) Dozon allerdings mit Viſchnu nichts zu thun haben, 
fondern viöny (höher) bedeuten fol. Wir erlauben und da ans 
derer Unficht zu fein Wenn wir Bifchnu in der einen, 
Brahme in ber andern Dreieinigfeit und Survina oder Su: 
tina oder Surva (die Sonne, vergl. Surya) in beiden finden, 
fo muſſen wir doch entſchieden an die Hindugötter benfen, 
deren Berfnüpfung mit Bulgarien gewiffen für die Abftam- 
mung ihres Volks aus Indien begeifterten Männern amt 
Ballan nicht unlieb erfcheinen wird. Dozon hat den Gefang, 
in welchem Viſchnu Boga vorfommt, volljtändig überſetzt und 
theilweife im Original wiedergegeben, Hiernach waren bie 
Götter Koleda umd Surina gerade dabei, die fündige Welt 
zu zerftören, als Viſchnu Boga dazwiſchen trat und fie rettete, 
wobei er in feine Incarnation eimwilligte, als ber fterbliche 
Sohn einer goldenen Mutter geboren zu werben, Wer bier 
fes Stud gelefen hat, der wird bie erwarteten bulgarifchen 
Lieder des Herrn Verkovitſch nur mit dem allergrößten Miß— 
trauen in die Hände nehmen, 


Aus allen Erdtheilen. 


Eine deutfche Frau bei einem chineſiſchen Frübftüd. 
Bekanntlich find in den eröffneten chineſiſchen Hafenplägen 


au manche deutiche Kaufleute angefiebelt und ein fehr | 


beträchtlicher Theil der Schifffahrt an den Kilften des Bin: 
menreiches der Mitte wird durch deutfche Fahrzeuge vermit: 
telt. Der ſehr wichtige Theehandel war früher völlig in ben 
Händen englifcher Kaufleute, nach und nach find aber auch 


30 Aus allen Erdtheilen. 


dentiche Häufer mit ihmen in erfolgreichen Wettbewerb ne: 
treten. 

Einen wichtigen „TIheebafen* bildet gegenwärtig die große 
Hafenftadt Fu tihön fu in der Provinz Fokien. Diefer Blas 
bat etwa 800,000 Einwohner, eine zablveiche, auf Booten lebende 
Bevölkerung mit eingerechnet. Die Factoreien der fremden 
Kaufleute liegen an der Mündung des Fluffes Min; von 
ben etwa 200 Ausländer find etwa die Hälfte Engländer, 
die übrigen Deutiche, Amerilaner, Vortugiefen und Parfıs. 

Die großen chineſiſchen Kauflente find allmälig mit den 
europäiichen nicht bloß commerciell, jondern auch geiellichafts 
lich in nähere Berübrung gelommen, boch weniger mit den 
Engländer, welchen eine gewiffe Biegſamleit mangelt, als 
mit den Deutſchen. Wie diefe geiellichaftlichen Beziehungen 
beichaffen find, erfchen wir aus einem Familienbriefe, der 
und zur Benutzung itberlaffen worden ift. Die erfte dentiche 
Frau, welche zu Fu tichäu fu in chinesischen Kreiſen fich be- 
wegte, ift eine Dame aus dem Rheinlande. Der im Briefe 
erwähnte Mr. Allum ift ein reicher chinefischer Kaufmann. 


Fu tihen fu, 20. Februar 1875, 

Wir waren bei Mr. Allum zum „Tiffin® (Frübftid). 
Es war ein Hauptſpaß, und ich freue mich ſehr, daß ich 
dort geweſen bin. Außer meiner Wenigkeit befanden ſich noch 
drei engliiche Damen dabei. Als wir binfamen, empfing 
uns der „Theemann“ (Mr. Allum), der ganz in blauen Atlas 
gekleidet war, führte uns in das Empfangsjimmer, welches 
fehr hübſch mit Blumen und einem Teppich ausgeſchmückt 
war, und überreichte uns cine Taſſe Thee. Dann zeigte er 
ung alle anderen Zimmer nnd wir durften feine Frau 
aufiuhen. Die Herren mußten natürlich im Vorzimmer 
bleiben, da es nicht anftändig für eine Chinefin ift, andere 
Herren zu empfangen. 

Unfer Theemann bat nur eine Frau, was bier ein jel- 
tener Fall fein fol. Sie war jehr erfreut, uns zu jeben, 
was und die Meine Tochter des Doctor St. fagte, welche 
Chineſiſch verfteht und Iprechen kann. Die Frau war pracht⸗ 
voll gekleidet, trug ein Diadem von Gold mit Perlen durch— 
Ichlungen, gewiß zehn Armbänder, ein blaues kurzes Atlas— 
Neid und Schube mit Goldperlen geſtickt. Sie zeigte uns 
ihre Kammer (die Bettdeden waren alle von Atlas) und alle 
ihre Schmudjachen, zwei große Kaften voll; jedes Armband 
foftete über 100 Dollard. Sie war wunderhübich geſchminkt, 
ganz weiß, nur die Baden rotb, und hatte prachtvolles Haar, 
Fran St. Ind fie ein, ihre auch einmal einen Beſuch zu ma— 
chen; ihr Töchterchen mußte natürlich für fie Sprechen. Dar- 
auf antwortete Frau Allum, fie wolle gern kommen, aber fie 
dürfe feine Herren ſehen. 

Dann gingen wir in das Nebenhaus zu dem Com: 
pagnon Allum’s, der auch ein reicher Theemann ift, und 
fahen fchredlicherweife — vier Frauen, Diefes Ungebener 
hatte vier Frauen, und es war tro& der vier Frauen nicht 
jo rein und ordentlich bier als bei Mr. Allum, der nur 
eine Frau beiigt. Jede von dem vieren wohnt allein in 
einem Zimmer; die erfte Frau bat natürlich das bejte Ge— 
mach, die jchönften Kleider und die meiften Schmudjacen. 
Sie famen gleich, eine mach der andern, mit ihren Klei— 
dern, umd ich kann wohl fagen, diefe waren prächtig: von 
Atlas mit Gold, Silber und Seide geftidt, für jeden Tag 
ein anderes und vielleicht noch zehn mehr. 

Dann holte uns Dr. Alum ab und führte uns in fein 
Hand zurück zum Frübftid. Es war ein langer Tiſch 
gedeckt, ein hübſches Tifchtuch darauf, mit Blumen audge- 
ſchmückt. Die Pläge waren belegt und ich hatte die Ehre, 
neben Der. Allum und feinem älteften Sohne zu ſitzen. Es 
waren außer und vier Damen noch ſechszehn Herren; Bru— 
der W. uatürlich auch unter ihnen. Servietten befamen wir 
nicht, aber jeder von uns erbielt fein eigenes Näpfchen, wäh— 
rend fe jonft immer alle zufammen aus einer Schüffel eſſen. 
Wir befamen gewiß zwanzig verschiedene Suppen und muß: 


ten tüchtig zulangen. Die Speifen waren durchaus chineſiſch 
zubereitet, mit Knoblauch und vielen Zwiebeln, und ich würde 
gewiß nichts davon gegeflen haben, wenn nicht Dr. Allum 
fo nabe bei mir'geieflen und fein Heiner Sohn mich jo iharf 
beobachtet hätte, Jedes Mal, wenn ber Diener mir ein ans 
beres Näpfchen brachte, fragte er mich: „Yon like it, Mrs. 
H.?* und ich war deshalb genötbigt, etwas zu effen. Sobald 
er aber jeine Augen wegwandte, winkte ich einen Chineſen, 
mir das Näpfchen fortzunehmen. Die Diener freuten fich 
darüber fehr, da fie es dann felbjt verzehren konnten. 

Der, Allum lieh ſehr ftarfe Getränke, felbitveritändlich 
chineſiſche, berumreichen und war ſehr eritaunt, daß ich Die 
ichönen Getränfe ſowie auch den Champagner nicht trinken 
wollte. „You no like i Champaign, Mrs. H., what will 
you have?* Darauf bat id ihn um. etwas Bier, und 
Bruder W. ſagte mir nachher, die Herren wären mir ſehr 
dankbar geweien; denn wenn fie die ſchweren chineftichen 
Getrünke — es foll ganz ftarfer, feiner Branntwein fein — 
zu fi genommen hätten, wären fie ficher gleich tipsy ge: 
worden. Wir waren über drei Stunden bei Tiiche und bat- 
ten dabei ſchöne oder vielmehr fchredliche Tafelmnfit: zwei 
Chineſinnen, die eine ſpielte die Harfe, aber furchtbar, die 
andere ſaug dazu noch entleglicher. Ein Chineſe machte aller: 
lei Kunſtſtücke und ſprach Chineſiſch dazu. 

Die Frau Allum's durfte natürlich nicht im Eßzimmer 
ericheinen, weil Herren in demfelben waren, und wir gingen 
nachher wieder zu ihr, um ihr Lebewohl zu jagen. Einige 
Herren durften mit ung gehen, da Ver. Allum es erlaubt 
hatte; die frau war darüber jo fehr erftanmt, daß fie ſich 
immer umdrehte und ihnen die Hand nicht geben wollte. Sie 
befühlte meine Sammtjade und fragte mich etwas, was ich 
natürlich nicht verftand, Wie mein Gatte nachher meinte, 
babe fie ficher erfahren wollen, wie theuer diejelbe jei. Daun 
überreichte fie une chinefiiche Auderlachen, und num wurben 
wir in dag Speifezimmer zuritdgeführt. 

Bruder W, war ſehr frob, daß ich ihm in unſerm Haufe 
vorher Suppe und Fleisch vorgejeht hatte, da er das chine⸗ 
ſiſche Eſſen nicht hatte genießen können; er hatte die fchönen 
Speifen alle fo weit wie möglich in jein Tafchentuch geſteckt 
und mit nach Haufe gebracht. 

Das Tiffin war für die Engländer ein großes Ereignif, 
da der Theemann nie vorher ein Frühſtück für Engländer, 
gefchweige denn fir Damen, gegeben batte. 


Bon der Infel Formofa. 

Diefes große Eiland, welches durd die Straße von Fo— 
kien vom ſüdchineſiſchen Feftlande geichieden wird, iſt feit dem 
bekannten Flottenzuge der Japaner häufig genannt worden 
und verbient in mehr als einer Hinficht unjere Aufmerfiam: 
feit. Es liegt dem Blumenreiche der Mitte jo nahe und iſt 
doch erſt im Jahre 1430 dur Zufall von den Chineſen ent: 
dedt worden; eines ihrer Fahrzeuge litt am der Küfte Schiff: 
bruch. Aber diefe Entdedung hatte Feine Folgen und Ans 
fiedelungen wurden nicht gegründet. Etwa zweihundert Jahre 
ipäter, 1620, verfuchten die Japaner einige Niederlaffungen 
zu gründen, gaben jedoch diejelben bald wieder auf, und dann 
erſchienen 1634 die Holländer, welche neun Jahre fpäter Fort 
Zelandia baneten. Bald nachher, 1644, unterworfen die 
Mandſchu zunächſt den Norden Chinas; der Süden leiftete 
ihmen einige Zeit tapfern Widerjtand, unterlag jedoch, und 
einer feiner Häuptlinge, Tſcheng tſcheng kong, fchiffte nach 
Formofa hinüber; er erftärmte Fort Zelandia, vertrieb die 
Holländer und war Alleinherricher. Sein weniger kluger 
Sohn Ticheng fing miſchte fh in die Händel auf dem Feſt— 
lande, ftarb bald, und fein Sohn und Nachfolger, Ticheng ko 
ſchnang, lich feine Anfprüche auf den chineſiſchen Thron fal- 
len, unterwarf fih den Mandſchu umd jo wurde feit 1682 
die Inſel als Zubehör des Reiches betrachtet. 


Aus allen 


Man nimmt an, dab Formofa etwa fünf Millionen 
Einwohner zäble, wovon etwa drei Millionen Chineſen und 
Miichlinge derjelben jeien. Dieje wohnen an der Weſtküſte 
und tbeilweife auch im Innern; der ganze öftliche Theil ift 
im Befige der Ureingeborenen, der Scheng fan, d. b. mil: 
den Wilden, wie die Chinefen fagen. Als Wilde kann man 
fie allerdings bezeichnen; fie zerfallen in eine große Menge 
von Stämmen, ermorden Alle, die an ihren Küſten Ichiff- 
brüchig werben, und manche find bis heute Cannibalen ge 
blieben. Gegen die Chineſen begen fie erblichen tiefen Haß, 
weil 1430 eine Anzabl ibrer Borfabren von benfelben anf 
verrätberifche Weile ermordet worden find. Es ijt den Chi: 
nefen erft allmälig gelungen, die Wilden ins Innere zurück 
indrängen, aber nur an der Weſtſeite, welche von der öftli- 
chen durch eine hohe Gebirgskette geichieden ift; dieſe sicht 
ich von Norden nach Süden durch das ganze Eiland und 
erreicht eine Höhe bie zu 12,000 Fuß. 

Wir haben namentlich feit der Erpedition der Japaner 
md durch den Engländer Hart, welcher Oberzolldirector der 
eröffneten Häfen and auf Formoſa ift, manches Nähere über 
diefe „Wilden“ erfahren. Ihre Hütten find einfach, aber mit 
Schiefer gededt, welchen fie im Gebirge brechen; die Thür: 
Öffnung befindet fich aM einer Ede der Borderieite, iſt nur 
zwei Fuß breit, drei Fuß hoch und führt in einen Raum, 
der aleichfall® fo niedrig ift, dak man darin micht aufrecht 
ſtehen kann. An den Wänden hängen Bogen, Pfeile und 
Spimgewebe, neben den Köpfen von Thieren, die auf der 
Jagd erlegt worden find. Tag und Nacht, Winter und Som: 
mer, wird ein Herbfeuer unterhalten, deffen Rauch durch die 
Spalten im Dach abziebt. Die Hinterſeite der Hütte lehnt 
fich an eine Bergwand. Man ſchläft auf Matten und die 
Luft in diefen Hütten ift rein, was befanntlich in den Woh— 
mungen der Chineſen nicht der Fall if. Bor jeder Hütte 
befindet fid ein auf Pfählen ftchender Schuppen, der als 
Getreideipeicher dient und jo eingerichtet ift, dab die Hatten 
nicht hinzu können. 

Links von ber Thür ſteht eine lange Bambusftange, an 
welcher Federn, Bänder und die Haarzöpfe erichlagener Chi: 
nejen befeftigt find; man kann die geiellichaftlihe Stellung 
eines Mannes nad der Menge dieſes „Schmudes an der 
Stange* beurtbeilen. Sehr wertbvoll für die Wilden find 
ibre Hunde, die eine vortrefflihe Spürnaſe haben; fie find 
durnfelfarbig, ſehr dicht bebaart und ftruppig. Ale ſonſtige 
Haustbiere werben Haben und Hübner gehalten. Meffer und 
Gabeln find begreiflicherweife unbekannt, aber auch die chine- 
ſiſchen Efiftäbchen nicht in Gebrauch gefommen, man ißt die 
auf Blättern liegenden Speifen mit den Fingern. Als Ger 
tränf dient Waffer, in welchem jühe Kartoffeln abgekocht wor: 
den find; Wildpret, namentlich Fleiſch vom Eber, ift Lieb 
lingsipeile. Ein grobes Brot wird aus Hirfe bereitet; aus 
diefer gewinnen fie auch cin geijtiges Getränk, welches jedoch 
für jeden Europäer einen widerwärtigen Geſchmack bat; Apfel: 
finen, Bananen und Ananas find in Fülle vorbanden. 

Eine Zeitrechnung baben diefe Wilden nicht. Die Män— 
ner find mwohlgeftaltet,.fchr musfelkräftig, die Frauen durch— 
gängig viel hübſcher und von befierm Wuchs als die Chine— 
finnen; fie fanen übrigens Betel und das entftellt fie. Wenn 
ein Wilder es auf eine Schöne abgejeben hat, bringt er ihr 
einige Tage hintereinander Serenaden und fingt jo gräßlich 
und räbrend wie er irgend vermag. Sie geht, wen fie ihm 
gewogen ift, and der Hütte, giebt ihm das Jawort und am 
Rermählungstage wirb im Hauſe der Brant für Verwandte 
umd Freunde ein Schmaus veranftaltet, bei welchem fie den 
Vorfig führt. Sie figt angetban mit einem Gewande, das 
mit filbernen und goldenen Spiten verziert ift; als Haar: 
ſchmud dienen Kränze von Dotters und Ningelblumen, die 
überall in Menge wachen. Der junge Ehemann bleibt bei 
den Eltern feiner raw, denen er als Stüte dient. Die 
Wilden ſehen es deshalb nern, viele Töchter zu haben; die 


Erdtheilen. 31 
Todten werden in aufrechter Stellung begraben, mit Erde 
überfchiittet; Ipäterbin ſammelt man die Gebeine, die in Ur: 
nen aufberwahrt werden. 

ö Das bier Geſagte bezieht ſich namentlich auf die Berg: 
bewohner. Der Küſte entlang wohnen Filcher, welche dem 
Opinmgenuffe fröhnen, im ſehr ſchmutzigen Dörfern, 

2 *% 9 

— Wieder ein Opfer Afrikas, Walter Kraft aus 
Sargand in ber Schweiz ift dem gefährlichen Klima von 
Sanfıbar erlegen. Der „Toggenburger Bote* vom ‘2. Juni 
meldet, dab der rüftige Mann im der Blüthe der Jahre ge: 
ftorben ſei. Er hatte früher mehrere Jahre im Driente, na: 
mentlich in Syrien, gelebt, fich bie Sitten und Sprachen der 
Drientalen angeeignet und beſaß neben Harem Berftande und 
euergiſchem Charakter einen Fräftigen, abgebärteten Körper, 
Mehr als ein Anderer fchien er baber geeignet, die Lücke 
auszufüllen, welche der Tod Richard Brenner’ im Betriebe 
des Geſchäftes gelaffen, welches von Gewerbtreibenden der 
Gantone St. Gallen und Appenzell in Sanfıbar gegründet 
tworben war. 

— Die Bolfsmenge in den großen Städten 
von England, Schottland und Irland it fir bie 
Mitte des Jahres 1875 im folgender Weife angenommen 
worden. Die Berechnung nimmt an, daß der Zuwachs in 
derſelben Weile ftattgefunden babe wie in dem Jahrzehnt 
von 1861 bie 1871, 


SONDOR 2 2.0.0 0er 3,445,160, 
Hasgow . » 2 2... 534,564. 
Liverpool . » 2» 2 2 2. 516,068, 
Mancelter. » » 2 2 2. 356,626 
Salfırd . 2» 2 2 2.2. 135,720, 
Meanchefter mit Salford . . 492,846 
Birmingbam . » » » 366,825, 
DREEn: 4.5: 5: 520 80 314,666, 
ME oe 285,118, 
Sheffeb . . 2. 22... 267,831 ’ 
Edinburgh. - - 2... 211,636 
ENDE 3 196,186, 
Bradford . » > 2 2... 168,305. 
Neweaftle upon Tyne. . . 137,668. 
Sull>:: ara ee te 133,932. 
Bortsmontb - » » » . 122,632, 
Brighton . » 2 2 2.0. 111,089, 
Beicher 2 2 2 200 109,330, 
Simerlmd . : 2.2... 106,248. 
Mottingbam . » 2 2.2. 2,251. 
DOlbbaım 22220. 87,437. 
Rem . .» . 0... 82,842, 
Wolverhampton . .» » -» 71,718. 


— Felled und Tſchob find zwei wichtige Dinge in 
Perſien. Das erftere Inftrument ift ein derber etwa 5 bis 
6 Fuß langer Stod, am welchem in der Mitte zwei laufende 
Knoten angebracht ind; das zweite ift ein Bündel zäher 
aber biegfamer Ruthen. Vornehme Leute führen anf ihren 
Umzügen und Reifen diefe beiden Werkzeuge mit ſich und 
ftellen fie vor ihrer Wohnung zur Schau aus. Mit einem 
armen Sünder, der gezlichtigt werden joll, verführt man in 
folgender Weile. Man legt ibn platt auf den Rüden, bie 
Beine werden in die Höhe gezogen und die File mit ben Kno— 
ten umſchnürt, fo daß die Sohle wagerccht liegt. Zwei „Boll: 
ftredter* ziehen dann Ruthen aus dem Bündel und zäblen 
dent Delinguenten die zugemeffene Anzahl Streiche auf. Er 
mag nachher ſehen wie er fich zu Hauſe fchleppt. Man bat 
dem Schab Nasreddin nach der Rückehr von feiner euro: 
päifchen Reife angerathen, dieſe barbariſche Art ber Züch⸗ 
tigumg abzuſchaffen, er bat ſich aber darauf nicht eingelaffen, 
weil fte einmal hergebracht und für Perſien ſehr pafiend ſei. 

— Die Azoriſchen Inſeln verlieren ſeit einiger Zeit 


32 Aus allen Erdtheilen. 


einen nicht unbeträchtlichen Theil ihrer Vemwohner. Diefe 
jind dem Heerbienit abhold und ſeitdem bie portugieſiſche Re— 


gierung die allgemeine Wehrpflicht eingeführt hat, nimmt die, 


Auswanderung, insbefondere nach Braſilien, im bedenk 
licher Weife zu; es findet in der That eine Entvölkerung 
ftatt, und wenn diefelbe nur einige wenige Jahre im dem 
bisherigen Verhältniß fortdanert, werben höchſtens einige 
tauſend Menſchen auf den Ichönen Habichtsinfeln zuritdbleiben. 

— Au Ladno in Indien baben die Hindus einen 
religißjen Verein gegründet, der fih Urya DharmaSubba 
nennt. Dem Vrogramme gemäß ift es ein Hauptzweck bes 
Vereins, dafür zu forgen, daß die heiligen Bücher der Hindu- 
religion in weiten Kreiſen fleißig gelejen und durch Erläu— 
terungen dem Berjtändniffe des Volles näher gebracht wer- 
ben. Auch wird derſelbe eine religiöſe Zeitichrift heraus— 
geben und der Vollserziehung Fürſorge widmen. Gleichzeitig 
warnt die politifche Heitung in Lackno die Hindus vor dem 
Sonntagsichulen der europäiichen Miffionäre, weil ſie in 
denjelben dem uralten Glauben der Väter abwendig gemacht 
wirden. Bemerkenswerth ift, daft auch die Mobammedaner 
in Lackno einen Verein, den Anjuman in Islam, gegrüns 
det haben, der aus feiner Caſſe Neifeprediger befoldet ; diele 
treten in jener Gegend überall dort auf, wo die chriftlichen 
Miljionäre fich einfinden, und befimpfen die Lehren derielben. 
Hindus fowohl wie Mohammedaner baben ſchon feit länge: 
rer Zeit die Dffenfive gegen die Sendboten aus dem Abend- 
land ergriffen, 

— Die Ausfuhr von Thee aus Britiſch-Indien. 
Die erften Verſuche mit dem Anbau der Theeftaude find 1837 
in Oberaffam angeftellt worden; berjelbe nahm zuerſt einen 
langjamen Fortgang, breitete fich aber dann raſch aus, jo 
daß in den Vorbergen des Himalaya die Theegärten fchon 
einen beträchtlihen Raum einnehmen; jo in Kaſchar, Silber, 
bei Dardichiling, in Kangra und auch in Aſſam. Aus einem 
von der bengalischen Handelskammer veröffentlichten Berichte 
erjehen wir, in welchem Verhältniffe die Theeausfuhr des 
Hafens Caleutta fich gefteigert bat, Diefelbe betrug: 

BA. ee ir Pi. St. 


1865 . MA 5 
1866 . 2606 
1867 . 633,076 5 
1868 60, 5 
169.22.» . 106,978 , 
1870 1,083502  , 
7 1355358 
5 — 1,538,527 , 
WER nes 1692,69 5 


Der in Ealcutta verichiffte Thee gebt zum größten Theile 
nach England, in Meinen Ouantitäten auch nach Auftralien 
und Amerifa. Wie viel vom Himalaya aus nach Central: 
alien verfandt wird, willen wir gegenwärtig nicht, wohl aber, 
dab den Engländern viel daran liegt, fich die turkeſtaniſchen 
Märkte zu eröffnen und wo möglich den chineftichen Thee zu 
verdrängen. 

— Die Befisungen der Osmanen in Nrabien. 
Ein türkiſcher Oberft, Hadicht Raſchid Ben, hat cine Gefchichte 
von Jemen und Sana druden laffen, im welchem die Feld: 
züge der Türken in Arabien ſeit 1871 ausführlich dargeftellt 
worden find. Die „Allgemeine Zeitung“ beipricht das Bud), 
und wir fejen, daß der Krieg im Jannar 1871 begamm: im 
April 1873 war dam Yemen völlig erobert und die unter: 


Inbalt: Am Nordgeftade der Adria. IT. (Mit vier Abbildungen.) — 


Auflage, I. (Mit einer Karte.) — 


worfenen Länder bilden nun das Vilajet Memen mit der 
Hauptftadt Sfana. Ueber die Bevölkerung der verſchiedenen 
Landestheile giebt der Oberft folgende Ziffern, die natürlich 
mar als anmäbernd zutreffend betrachtet werben künnen: 


Iemen nd Mir . 2 2 2 202. 2,252,150 Seelen 
Sadramalt 22 2 2 22a 1,550,000 
Oman und Maslt . 2. 2... 1850000 5 
Bahrein, Katif, Ahſa, Derajah, aljo 

das Nedſh . 2,3500  „ 


Hidichas, Ancze, Tehama von Hidſchas, 
Belad i Kaffam, Dſchebel Schamar 3,250, 5 
Im Ganzen . . 10,762,150 Seelen. 

— Kautſchul auf der Landenge von Darien. 
Die Nachfrage nach dieſem lebhaft begehrten Erzengniffe der 
tropiſchen Wälder fteigert ſich immer höher und es it des— 
halb von Belang, wenn Streden in Angriff genommen wer: 
den, welche bisher unbenugt blieben. Das geichieht gegen- 
wärtig von Seiten ded Staates Panama im Gebiete der 
Darienindianer, welche allerdings Miene machen, fich 
der Ausbeutung ihrer Wälder zu widerſetzen. In denfelben 
wachlen Kautichufbäume, welche zum Genus Caftilloa ger 
bören. Der columbiiche Congreß will nun eine Abtheilung 
Truppen dorthin fenden,"um die Arbeiter gegen Angriffe der 
Indianer zu ſchützen. Im Mai hatten die Kautſchukhändler 
in Panama etwa 300 Waldarbeiter auf dem Darienfluffe 
nach Chucunaque geſchickt, wo eine Station errichtet wurde. 
Von diefer and ſollen dann die Wälder an den Flüſſen 
Chucurti und Chuguangne in Angriff genommen werben 
und man bofft auf reichen Ertrag. Gleichzeitig iſt Fürſorge 
getroffen worden, daß das Abzapfen der Milch vorfichtig ge- 
ichehe, bamit die Bäume nicht zu Grunde gerichtet werben. 
In Bezug auf das letztere haben die braiilianifchen Serin— 
gueiros ſich grofie Vorwürfe zu machen. 

— Merico bat für 1875 ein Ansgabebubdget von 
24,949,775 Dollars, Davon entfallen auf das Kriegs: 
minifterium nicht weniger als 10,691,967, für Rechtspflege 
und öffentlichen Unterricht nur 912,859 Dollars, Für Werke 
öffentlichen Nutzens follen 5,496,858 Dollars verwandt werben. 

— Man wird bald fragen: Was liefert Californien 
nicht? Mit dem Theebau hat man bereit? den Anfang 
gemacht und nun ift in Santa Clara County auch Kaffee 
gepflanzt worden; ob mit Erfolg, wird fidh nad) einigen Jah— 
ren berausitellen. 

— Die Blattern find zu Anfang des laufenden Jah— 
res in Tokio (jonit Jeddo) und auch in Jokohama aufgetrer 
ten, doch blieben die Europäer von der Krankheit verichont. 
Die unteren Elaffen der japanischen Bevölkerung glaubten ein 
ficheres Mittel gegen Anftetung gefunden zu haben, Die Ver— 
ehrung des Gottes Nio war feit einiger Zeit in Abgang 
aefommen, man bat nun aber feine Statue wieder hervor: 
gefucht und wer zwilchen den Beinen derfelben hindurch 
feiccht, befommt die Pocken nicht. Man meint fich im manche 
Gegenden Europas verjetst, wenn man in einem Bericht aus 
Japan lieft: Jetzt kommen die Leute zu Tauſenden and 
der Umgegend und ſchwärmen wie Ameiſen um den Tempel: 
bügel; der Strom der friehenden Gläubigen nimmt 
jegt ununterbrochen feinen Fortgang." Die Gläubigen, welche 
nach Echternah im Luxemburgiſchen wallfabrten, kriechen 
nicht, jondern Springen ; auf je zweimaliges Hüpfen nad) vor: 
wärts machen jie einen Sprung rüdmwärts. 


Müller's losmiſche Phyſik in vierter 


Ein Beſuch auf der Inſel Urt im der Zuyderſee. I. — Verkovitſch's bulgarifche 


Vollslieder. — Aus allen Erbtbeilen: Eine deutiche Frau bei einem chinefiihen Frübftüd. — Bon der Infel Formofa. — 


Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 33. Juni 1875.) 





Serausgegeben von Karl Anbree in Leipzig. — Für die Redaktion verantwortlib: H. Bieweg in Braunfchweig. 
Drud und Verlag von Friedrich VBieweg und Sohn in Braunſchweig. 


Hierzu eine Beilage: Literarifher Anzeiger Mr. 5. 


Band XXVIII. 


Er 


Mit befonderer Berüchfichtigung d 
In 





E Bi 


er Anthropologie und Ethnologie. 


Verbindung mit Fahmännern und Hünftlern herausgegeben von 


Karl Andree. 


Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid) 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Bf. 


1875. 





%. Garnier’3 Schilderungen aus Yünnan. 


Die fogenannten hinterindiſchen oder indochineſiſchen 
Staaten find in unferen Tagen von immer größerer Wichtig: 
feit getworden. Sie empfinden fowohl politiſch wie commers 
ciell mehr und mehr Einflüffe von Seiten der enropäifcden 
Seemächte und theilen dieſes Schickſal mit China und Ja— 
pan. Der ganze ferne Orient wird mehr und mehr vom 
Abendland abhängig. 

Ein Blid * die Karte veranſchaulicht die Weltſtellung 
dieſer Laänder. Birma war eine Zeitlang das mächtigſie 
unter den hinterindifchen Reichen; ihm gehörte ein großer 
Theil des Geftadelandes auf der Dftjeite des Bengaliſchen 
Meerbufens und durd; Eroberung war es in den Befig von 
Pegu getommen, während es gleichzeitig feine Herrichaft nad) 
Norden hin, bis an die Grenze Chinas, über die Slönige 
der Schan: (Thai) Böller behauptete. Aber durd; mehr 
malige Kriege, in welche es mit den Engländern verwidelt 
wurde, hat e8 jo ſchwere Einbuße am Gebiet erlitten, daß es 
zu einer Macht dritten Ranges herabgefunten ift. Es ver— 
lor alle Landſchaften am Bengalifchen Golf, mufte jpäter- 
hin auch Pegu abtreten, die Miindung des Nrawaddy mit 
der wichtigen Handelsſtadt Ranguhn ift britifches Gebiet, 
und der König welcher zu Mandelay Hof hält, ift auf das 
Binnenland beſchräntt. Nur mit Widerftreben fügt er ſich 
den Zwange der Umſtände und eben jegt, im Juni 1875, 
ift der englische Bevollmächtigte Forſyth bei ihm erfchienen, 
um ihn zu gutem Berhalten zu ermahnen und ein mit Frac— 
tur gejchriebenes Ultimatum zu ftellen. Im einem Kriege 

@lobus XXVIN. Nr. 3. 


J. 


mit England würde er nothwendig unterliegen. Wir wol⸗ 
len beiläufig bemerfen, daß man im Caleutta ſchon vor etwa 
drei ober vier Fahren die Eventualität vorausfah, Birma 
zu annectiven; man wirbe es gewiß ungern thun, doch bleibt 
unter Umftänden möglicherweife nichts anders übrig. 

Birma wird in der Richtung von Norden nach Süden 
vom Irawaddy durchſtrömt; diefer ift unter allen Hinter 
indischen Fluſſen derjenige, welcher die bequemfte Fahrbahn 
bis in die Nähe der chineſiſchen Grenze darbietet. Sein 
Strombett ift ohne alle Hinderniffe, und den Endpunkt der 
Schiffbarleit bildet dad im unferen Tagen fo oft genannte 
Bhamo Während die ſüdweſtlichen Provinzen Chinas fich 
ber Ruhe erfreueten, bildete ed einen wichtigen Stapelplatz 
für den Karawanenhandel zwifchen beiden Yändern, und bie 
Engländer wiſſen die Bedeutung dieſes Handelsemporiums 
vollfommen zu würdigen. Sie nöthigten ben ig von 
Birma, die Schifffahrt auf dem JIrawaddy frei zu geben, und 
erzwangen ſich die Erlaubniß, in Bhamo einen Bevollmächtigten 
zu unterhalten. So lange in Ninnan der Krieg gegen bie 
Mohammebaner dauerte, war der Berfehr auf der alten Han« 
delsſtraße jo gut wie völlig unterbrodyen, feitbem aber die 
Panthes (Panthays) vermittelft franzöfischer Beihilfe durch die 
Mandarinenarmee miedergeworfen find und die Grenzgebiete 
fid) wieder Teiblicher Ordnung erfreuen, hindert nichts, den 
alten Karawanenweg von Mlinnan nad) dem Jrawaddy zu 
benugen und über Ranguhn die dyinefifchen Erzeugniſſe in 
den Welthandel zu bringen. 

b 


34 


Es war die Aufgabe der von uns im „Globus“ geidjil- 
derten Expedition ded Oberften Browne fid) von der gegen« 
wärtigen Yage der Dinge in jenen Örenzgegenden zu über- 
zeugen. Der König von Birma hat ihr ficherlich viele 
Hinderniffe in den Weg gelegt, ift mit den chinefifchen Gene: 
ralen in verdächtige Verbindungen getreten und wenn aud) 
nicht unmittelbar Schuld an der Ermordung Margary's, fo 
hat er doch offenbar ein doppeltes, ſchlechtes Spiel gefpielt. 
Man will ihn nun zur Verantwortung ziehen; jedenfalls 
hat er feine Yage den Engländern gegenüber weſentlich ver: 
fchlimmert und gewiß wird man ihn fühlen laffen, daß er 
der ſchwächere ift. 

Die Franzofen ihrerfeits find fon feit nun zweihumdert 
Jahren bemitht gewefen, im fernen Orient eine wichtige Rolle 


F. Garnier’ Schilderungen aus Yünnan. I. 


zu fpielen. Ihre Negierungen, gleichviel welcher Art fie fein 
mochten, jchreiben fic das Privilegium zu, im ganzen Oriente 
Beichüger der römifchen Kirche zu fein und an diefer Dlarime 
wird auch heute feftgehalten. Sie verfolgen aber aud) und 
eben jet eifriger als je Handelszwede. Die Engländer 
eröffneten fid) den Jrawaddy; flugs brach Napoleon der 
Dritte 1863 einen Krieg mit dem Kaifer von Annam vom 
Zaune und nahm diefem das Miündungsgebiet des Melong 
(des fogenannten Fluſſes von Kambodicha) nebſt der Hafen« 
ftadt Saigong ab, Mit nicht geringem Scjarfblid ermit⸗ 
telten die ranzofen, daß vom Buſen von Tongfing aus 
eine fahrbare Waſſerſtraße nach Munan hinein führe, die 
weit bequemer und fürzer ift als jene des Iramaddy. Sie 
haben dem annamitischen Kaiſer mehrere Verträge aufgezwuns 





Unſicht von Talan. 


gen, welche ihnen freie Verfügung über mehrere Hafenplätze 
geſtatten, in denen fie Conſuln und Garniſonen unterhalten, 
Sie find mit den Mandarinen in Munan im beſten Eins 
vernehmen, denn fie waren es, welche denjelben Wahlen 
und Sriegabedarf zur Belämpfung der Banthays lieferten. 
Der Strom, weldyer einen Zugang in das jildweftliche China 
möglich macht, it der Songfa und die Franzofen treiben 
auf demjelben bereits lebhaften Handel. Der König von 
Annam it von ihnen durchaus abhängig geworden und 
Widerwärtigfeiten, weldye den Engländern in Birma fo viel 
zu ſchaffen machen, haben fie ihrerſeits nicht zu beforgen. 
Bevor man die Vortheile kannte, welde der Songfa 
darbietet, lag dem Franzoſen daran, zu erforjchen ob der 
Melong, der uneigentlich jogenannte Strom von Kambodſcha, 
als Wafferftraße in ähnlicher Weihe zu benugen fei wie der | 


Irawaddy. Zu diefem Zwede wurde die Erpedition La— 


| gree’® ausgeräftet, welche 1866 ihre Fahrt von Saigong 


aus antrat. Es ergab ih, daf der Miefong feine große 
Stromabder für regelmäßigen Scifffahrtsbetrieb bilde, Wir 
haben in einer Keihe von Bänden des „Globus“ nad) und 
mac) diefe im hohem Grad intereflante Neife gejchildert, 
durch welche über bisher wenig befannte Yandftriche helles 
Licht verbreitet worden iſt. Nach etwa achtzehn Monaten 
finden wir die Expedition in der Nähe der chineſiſchen Grenze 
nördlich; von 23. Grade, aber fie erreichte diefelbe erſt nach 
manchen widerwärtigen Verzögerungen. 

In jener Grenzregion liegen viele Heine von Scans 
ftänmen bewohnte Gebiete, deren jedes feinen einheimifchen 
Herricher hat. Diefe jogenannten Könige ftehen zumeift in 
Bajallenverhältnig gleichzeitig zu China und zu Birma, jene 


F. Garnier’ Schilderungen aus Yiünnan. J. 35 


weiter nach Weiten hin find von Siam abhängig. Als bie 
Erpedition mad) längerm Aufenthalte (dem wir feiner Zeit 
geihildert) Muong Pong verlaffen lonnte, nahm Alles an- 
fange einen glatten Verlauf, Nach und nach machten fid) 
chineſiſche Einflüſſe bemerklich, man fah induftriellen Betrieb 
und Holzfägereien lieferten Bretter in großer Menge. Das 
war mod) im nördlichen Laos, Im der Umgegend find die 
Dors fehr geſchidt im Waffenſchmieden und liefern auch 
gute Mefler, ohne Blafebalg oder Ambos, 
Bei Ban Kien trafen die Reifenden einen Greis, der 


ein Wanberleben führte und von ben Pandesbewohnern als 
Seloh bezeichnet wurde, d. h. als ein „Mann der vieles 
weiß“. Er zog als Arzt umher, verfaufte Mebiein, war 
überall gern gejehen, nahın feine Bezahlung fondern begnligte 
ſich init Obdad) und Koft. Er war aus Ava und von dort 
bis Dan Kien etwa drei Jahr unterwegs geweſen. 

Sehr freundlich war die Aufnahme beim Könige von 
Muong Pong. Er äußerte unverhohlen, daf er ſich in die 
Abhängigkeit von Birma nur mit äußerfteon Widerwillen 
füge und viel lieber mit Europäern in engerm Verlehr fichen 





Wilde aus der Umgegend von Talan, Tihepen und Muong po. 


möchte. Ueberhanpt find die Birmanen wegen ihrer Erpreſ⸗ 
fungen und ihres Hocmuthes überall bei ben Yaos verhaft. 
Die Yaos, namentlich, die nördlichen Tharſtämme, wären ohne 
jenen Drud leicht flir eine höhere Civilifation zu gewinnen, 

In den größeren Plägen wird allemal am fünften Tag 
ein Markt abgehalten und auf jenem in Muong Pong ging 
es ſeht lebhaft her. Eine Menge von Schänf« und Speife- 
buden find im Freien aufgeichlagen; bie „wilden“ Khos, 
welche auf dem platten Yand in großer Menge wohnen, brin- 
gen Baumwolle, Rohfeide, Wachs, Eiſen, Blei, Antimonium, 


Betelblätter und Arefanüffe aus dem Gebirge; Melonen, 
Klirbiffe, mancherlei Obſtarten, Zwiebeln, Piment, Pichter, 
Taback, Indigo, Eier, Fiſche, Schweins- und Buffelfleiſch. 
Dan ſieht, daß die „wilden“ Khos eine Menge nüglicher 
Waaren auf den Markt liefern, auf welchem dann auch eng 

liſche Baumwollenzeuge feilgeboten werden und wo Salz hät: 
fig die Stelle des Kleingeldes erfegt. Europäiſche Waaren 
find ferner: Spiegel, Kämme, Waagen und Nühnadeln, 
Fat Jedermann Äpricht im jener Grenzgegend ſchon ben 
Yünnandialelt des Chinefifchen, 


5* 


36 


In Kieng Hong hatten ſich aus der durch Fehden beun- 
ruhigten Umgegend viele Flüchtlinge eingefunden, die mım 
ohne Obdady waren, auch foldje aus dem Bolfe der Thai 
Neua, welche ſich nicht tättowiren und das Haar lang tragen. 
Auch mit „neuen Wilden“ famen die Reifenden in Berüh: 
rung, namentlich mit Lolos und Yo Jeus. Beide ſprechen 
eine vom Ghinefiichen durchaus verſchiedene Spradje; die 
erfteren gelten für janft umd friedlich, gefinnt, die zweiten für 
gute Schlgen und — kecke Straßenräuber. Oberhalb Xieng 
Hong find fortwährend große Barlen und Flöße in Thätig- 
keit, um dem Verlehr zwiſchen beiden Ufern des Mekong zu 


F. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan. I. 


vermitteln, und die Erpebition nahm hier Abfchieb von bem 
Strome. 

Vegetation und Aderbau gewannen nun allmälig einen 
andern Anſtrich; an die Stelle der Reisfelder traten Mais- 
üdter, die hinefifche Neſſel, aus welcher das Grastuch bereitet 
wird, wuchs wild, Gemüfebau wurde von den Yandleuten 
mit großer Sorgfalt betrieben, ebenfo die Obftbaumzucht. 
Die Fremden wurden freundlich empfangen-und gegen Zah- 
fung mit Nahrungsmitteln reichlich verforgt. Die Bevöl« 
ferung biefer Gegend an der Grenze bildet einen Mittels 
ſchlag wiſchen dem dinefischen und dem Thai-Typus, und 





Ein Pay: Wilder in Yünnan. 


diefer Mitteltypus giebt und ſicherlich eine genaue Borftellung 
von der alten Bevölferung Yunnans, die einft zumeift aus 
Thais beftand. Auch die Hausthiere wurden forgfältiger ge- 
pflegt, Pferde, Nindvieh und Schweine waren ftart und wohl 
genährt, aud) fah man dann und wann einige Maulthiere, 
die weiter nad; Süden hin nicht vorfommen. 

Tichu tfchiai, wo die Hühnerzucht man fann jagen in 
Blürhe ftand, war das erfte Dorf, welches einen durchaus 
chineſiſchen Anftrid) hatte. An den Thirpfoften las man 
mit mächtig großen Schriftzeichen, was der Hausbefiger zu 
verfaufen hatte; die Sprache der Yaos wurde nicht mehr ver» 


ftanden; die Europäer befanden ſich alfo im Blumenreiche 
der Mitte, in China! Aber weit und breit war das platte 
Land verwüſtet und beide Theile, Mohammedaner wie Man- 
darinen, hatten im gleich entfeglicher Weife gehauft. 

Nach einer überaus beichwerlichen Reiſe von achtzehn 
Monaten erreichte die Expedition die erfte himefiiche 
Stadt, Semao. Sie langte dort in einem „wahrhaft 
erbärmlichen Zuftand“ an, abgeriffen, ohne Schuhe, und als 
Wurdezeichen dienten verſchoſſene und abgeſchabte Epaulettes! 
Die Reifenden wußten wohl, daß fie bei einem Volle, das jo 
viel auf äußere Form giebt wie die Chinefen, für den Augen— 


F. Garnier's Schilderungen aus Yunnan. I 


blid eine Mägliche Rolle fpielen wilden. Die Yeute hatten 
von den Europäern die wunderlichſten Vorſtellungen. Ein 
Miltärmandarin drängte fich, alle Regeln der Etikette außer 
Adıt laffend, an den Commandeur Fagree heran und wollte 
demfelben von Hinten den Hut vom Kopfe nehmen. Zu 
keiner Entjchuldigung wußte er weiter nichts zu fagen als: 
„Ich möchte doch gern das dritte Auge fehen, welches die 
Europäer am Hinterfopf haben und mit dem fie die im der 
Erde verborgenen Schäge entdecken !“ j 
Uehrigens war der Empfang ganz anftändig. Ein Man« 
darin mit blauem Knopfe bradjte von Seiten des Gouver- 
nentöSeichenke: Reis, Salz, 
Hihner und Schweinsfleifch. 
Die Reifenden ftaffirten fid) 
am andern Tage jo gut her⸗ 
aus alsihre Mittel erlaubten 
und machten, von ihren ber 
mafineien Annamiten ges 
folgt, dem Gouverneur einen 
Danlbeſuch. Ueberall in der 
Stadt fanden fie Spuren der 
von den Mohammedanern 
angerichteten Verwuſtung; 
viele Häufer waren niederge 
braun, andere lagen halb 
in TräAmmern. Eofnaten 
zogen anf und ab, die Pas 
gern waren in Gafernen 
verwandelt; überall lagen die 
von den Vanthahs zertrüm: 
merten Gögenbilber umher. 
Ter Empfang beim Gouver⸗ 
nee ließ nichts zu wunſchen 
übrig; der Mandarin er: 
Härte, daß man die Ankunft 
der Männer aus dem Abend- 
lande ſchon vor länger als 
einen halben Jahre erwartet 
habe. Die Fortfegung der 
Reife werde übrigens mit 
großen Hinderniſſen und Be · 
ſchwerlichteiten verbunden 
fein; man werde von Krant: 
kiten, Straßenräubern und 
Gefindel aller Art nicht ver: 
ſchont bleiben. Diefe Schil⸗ 
derung war allerdings nicht 
im mindeſten übertrieben, 
dem weit und breit war die 
Gegend in ber ärgiten Ber 
wirrung. Kaum vier Tage 
reifen von Semao entfernt 
waren feit Wochen häufige 
Gefechte vorgefallen. Dort 
im üblichen Ylnman küm⸗ 
merten auch die Feinde dev Mohammebaner fic, fo viel wie 
gar nicht um die Faiferliche Negierung. Leute aus dem 
Lande ſelbſt Hatten fid zu Mandarinen aufgeworfen und man 
ließ fie gewähren. Diefe ganze Gegend ift erft zu Anfang | 
des laufenden Jahrhunderts von Peking abhängig geworben, | 
behauptet aber eine gewiſſe Eelbftändigfeit und wacht eifer⸗ 
füchtig über ihre Municipalfreiheiten. Die Stadt Ho mit: 
ihen kann als eine Art von Republit betrachtet werden; 
das Boll wählt die Beamten felbft. Lange Zeit hat die 
faiferliche Regierung ihnen fein Unterftligung gegen die Mo— | 
hammedaner gewähren fünnen umd fie haben fich felber ihrer 


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Ein Zichendu: Wilder. 


37 


Haut wehren mitffen. So erklärt fich, daß fie ein ſtark aus- 
geprägtes Selbſtgeflihl haben. 

Die Expedition ließ ſich micht abſchreden, trogbem Rui 
tjeu — fo werden bie Banthays von ben Chineſen bezeich- 
net — ganz in ber Nähe der Stadt umherfchwärmten. Der 
Gouverneur ftellte willig zwanzig Träger und der Zug blieb 
unbeläftigt. Im jener Gegend find die fehr ergiebigen Salz⸗ 
werfe von Mo he, um welche zwifchen beiden Theilen mauche 
erbitterte Kämpfe geführt worden find. Weiter nach Norden 
bin fieht man auf einer Strede viele Theegärten, die eine 
vortreffliche Waare liefern; daun wird die Gegend rauh und 
fteinig bis in die Nähe von 
Zong fuang, das im einer 
mit Dörfern gleichjam ber 
füeten, ungemein fruchtbaren 
Ebene liegt. In diefer „wer 
fung des Oſtens“ lagen 
Zaufende von Soldaten, die 
eben jetzt keinen Angriff von 
Seiten bes Feindes zu be— 
fürchten hatten und ein luſti⸗ 
ges Leben führten. Gie 
zogen zur Parade mit Fah— 
nen aus, bor jedem Offizier 
gingen Spielleute und Kranz · 
träger und die Zamtams 
hatten gar feine Rute, Alles 
zog ohne Ordnung bunt 
durch einander; häufig blies 
ben ganze Gruppen fichen, 
rauchten Tabad und tranfen 
vor einer Schänfe. 

In Talan, wo bie 
Bergabhänge vortrefflich ans 
gebaut find und mo tropifche 
Pflanzen ſich mit denen der 
gemäßigten Klimate begeg- 
nen, waren die Reiſenden 
hodyerfreut, unfere Kartof- 
fel zu finden; mach lang 
entbehrtem Genuſſe war fie 
ihnen viel lieber als Apfel: 
jinen und Mango; auch 
Aepfel, Birnen, Walnüffe 
und füße SKaftanien waren 
auf dem Markte. In Ta: 
lan ftellte fid) ein Mandarin 
vor, ber jüngft von Peling 
gelonimen war und ber ih: 
nen allerlei Nachrichten über 
europäische Vorgänge mit: 
theilte; ſeit einem Jahre 
hatten die Reifenden feine 
Nachrichten mehr aus ber 

Heimath. 

In Talan ift die Bevölkerung nicht etwa gleichförmig. 
Dort leben viele „Wilde*, welche von den Chinefen als Ho 
hi bezeichnet werden. Sie tragen ſich etwa wie die Khas 
thos, die wir in früheren Auffägen geſchildert haben, find aber 
hübfcher und kräftiger gebaut. Ihr Gef nähert ſich unferen 
europäiſchen an, die Augenbrauen liegen horizontal, das 
Auge ift ſchwarz, die Hautfarbe fpielt eiwas ind Kupferige. 
Die Frauen diefer „Wilden“ find kräftige Geftalten und neh- 
men fi) ungemein vortHeilhaft neben den ſchwächlichen Chine- 
finnen aus, Die Honhi kämpften auf Seite der Ehinefen; fie 
find ausgezeichnete Bogenfchligen umd haben vergiftete Pfeile. 


Ih 


38 


Talan liegt etwa 1500 Meter hod) und jegt im Decem⸗ 
ber wurde das Wetter kalt; es regnete oft. DI der Ume 
gegend wird Gold gegraben; Jedermann fann fein Glück 
verfuchen, der Ertrag ift aber nicht bedeutend; auch Silber 
wird in Heinen Quantitäten gefunden. Der Faden einer 
Spinne, welche wir nicht näher bezeichnet finden und die in 
den Buſchwaldungen im großer Menge vorkommt, wird 
gefanmelt und nad) der Stabt Ylnnan geſchickt, wo man 
ihn zu Zeug verwebt. 

ie chineſiſche Negierung hat den Anbau des Mohns 
fireng verboten; nichtsdeſtoweniger fahen die Reiſenden als 
fie einen Gebirgsrlicen überſchritten, ganze Felder mit dem» 
felben beftellt. Die Yandbewohner find fehr gemifcht und 
haben im Allgemeinen wenig vom chineſiſchen Typus; bie 
„Wilden* überwiegen und fie find fleißige Yeute, welche ſich 
vortrefflih auf den Aderbau verftchen; fein fruchtbares 
Fledchen Erde laſſen fie unbenugt, Der Berkehr in jener 
Gegend war fehr lebhaft; auf der Strafe zogen ganze Salz. 
farawanen ; als Laftthiere dienen Efel und Maulthiere; an: 
dere find beladen mit Del, Neis, Branntwein, Papier, 
Fahence und Arefanitfien, und jeder Zug war von Golda- 
ten begleitet. In Yunnan treiben alle Mandarinen Handel. 

In Yuen fiang wurden die Neifenden mit einer Urt 
von Pomp empfangen; denn die Mandarinen in Amtoklei— 
bung zogen ihnen bis vor die Stadt entgegen und etiwa zwei- 


Müller’s kosmische Phyſil in vierter Auflage. H. 


hundert Soldaten waren in der Reihe aufgeftellt, die Muſik 
fpielte und die Kanonen donnerten. Yuen fang war noch 
vor einhundert Jahren eine Stadt ber Thai (Yaod) und 
hieß Muong tſchung. In der Umgegend wohnt der Stamm 


der Pay, melde einen Zweig der großen Thaifamilie bil- 





| 


den umd gen Often hin, nach der Grenze von Tong fing zu, 
ein fat unabhängiges Gemeinweſen bilden. Die Chinefen 


\ zählen dort ald „Wilde* auf: die Ho nhi, Kha to, 
Tſchanſtſu, Pula, Yope, Yolos; die Mundarten diefer 


Stämme weichen nur wenig von einander ab und gehören 
demjelben Sprachſtamme au. Die Spradye der Yolos hat 
Verwandtſchaft mit jener der Etäunmng, welche ald Man tſe 
befannt find und im nördlichen Ylnnan wohnen. 

In Yin ngan erlebte Garnier ein widerwärtiges Aben- 
teuer. Als er in den Straßen umberging, folgte ihm eine 
lärmende Menge. Man fdrie ihn Kula an; mit diefem 
Worte wird im nördlichen Indo-China jeder Fremde aus 
dem Weſten bezeichnet. Die Gaffenbuben wurden immer 
fredjer und verfolgten ihn bis im feine Wohnung. Ein 
aufdringlicher Pöbelhaufe verlangte, der Fremde jolle auf 
die Straße kommen und fic zeigen; fie wollten fich ihn 
recht genau betrachten; fie wlihlten in feinen Tafchen herum, 
verlangten, daß er fihnen zeige, wie er eſſe und dergleichen 
Nichtswurdigleiten mehr. Er mußte ſich ihrer endlich dadurch 
erwehren, daß er blinde Revolverſchüſſe in die Luft fenerte. 


Miüller’s kosmiſche Phyſik in vierter Auflage. 


II. 


Sonnenfleden. — Zodiacallicht. — Darſtellungen der Mondoberfläche. 


Es ſind vier große Abtheilungen, in welche das angezeigte 
Wert zerfällt. Die erſte behandelt die Bewegungserſchei— 


nungen der Himmtelsförper und ihre mechaniſche Erklärung; | 


die zweite die kosmiſchen und atmolphärifchen Yichterichei- 
nungen; die dritte die calorifchen Erſcheinungen auf der Erd⸗ 
oberfläche und in der Atmoſphäre; die vierte endlich die 
elektrifchen und magnetifchen Erſcheinungen auf der Erdober— 


Wir wollen hier aus dem zweiten Buche, welches bie 
fosmifchen und atmosphärischen Yichterfcheinungen behandelt, 
einige Mittheilungen geben, da das Licht der Himmelslörper 
und feine Verbreitung im Weltvaume gerade neuerdings 
Gegenftand interefjanter Beobachtungen geweien if. Müller 
beginnt hier mit der Schilderung der Sonnenfleden ſchließt 
daran, was wir fiber die phyſiſche Beichaffenheit der Sonne 
wiffen und geht dann zu der Sonnenatmofphäre mit den 
merfwirdigen Protuberanzen Über, die im einer Reihe höchſt 
effectvoller Farbendrucktafeln dargeſtellt werben. 

Bei genauerer Betrachtung der Sonnenfleden erfennt 
man, daß ber bunfle Kern derfelben gleichjam mit einem Halb» 
ſchatten umgeben ift, welcher ben Namen der Penumbra führt. 

Die Contouren des Kerns fowohl wie ber Benumbra find 
unregelmäßig geftaltet und meift liegen mehrere Kerne in 
einer gemeinfchaftlicen Benumbra. Die Kerne find übri— 
gens keineswegs ganz dunkel, fie erſcheinen nur fo in folge 
des Gontrafled. Zöllner hat durch photonetrifche Unter 
fuhungen gefunden, daß ein Kernfleck doc immer nod) 
400,000mal fo viel Licht ausftrahlt als eine gleich große 
Fläche des Vollmondes. 

Durd) ein jarbiges Sonnenglas kann man natürlich die 


wahre Farbe der Sonnenflefen nicht fehen; um diefe zu 
erkennen, erzeugte Bufolt mittelft eines fechsfügigen ferne 
rohres ein Sonnenbild auf weißem Papier oder auf einer 
Scheibe von feinem Ögps, welde auf eine Spiegelplatte war 
gegofien worden. Die Sonnenſcheibe felbft erſchien nun farb: 
108, aber durchweg hellviolett gefprentelt. Die Flecken 
beftanden aus dunfelvioletten Kernen, welche mit einem präd)- 
tig gelben Hofe umgeben waren. 

Die erwähnte Sprenkelung (Öranulation) macht 
den Eindrud, als wäre die Sonnenoberfläche mit glänzenden 
Neiskörnern bededt. In dem Hof der Flecken macht diefe 
Granulation den Eindrud, ald wären (nad) Nasmyth’s 
Vergleich) leuchtende Weidemblätter ausgeftreut, Bis: 
weilen ift das Innere der Flecken mit einem vofenrothen 
Schleier durchzogen. 

In der Nähe der Flecken zeigen ſich häufig Stellen, welche 
heller find als der übrige Theil der Sonnenſcheibe und welche 
man Sonnenfadeln nennt. 

Wilſon hat zuerft die Beobachtung gemacht, daß bie 
Penumbra der Sonnenfleden beim ortriden gegen ben weft 
lichen Sonnenrand auf der Oſtſeite des Flede raſcher ver- 
ſchwindet, daß hier der Kern fchärfer begrenzt erſcheint als 
auf der Weftfeite. Auf diefe Erfcheinung gründet Herfchel 
die folgende, auc, von Arago vertretene Hypotheſe über die 
Gonftitution der Sonne. 

Der eigentliche Kern der Sonne fei eine dunkele Kugel, 
welche ringsum von einer Gasatmofphäre umgeben ift. In 
diefer Atmoſphäre ſchweben nun zwei wolfenartige Schich— 
ten, von denen die äußere, ſtark leuchtende, bie Photoſphäre 
genannt wird. Die innere Woltenfchicht dagegen ift entweder 


Müller’s kosmiſche Phyfit in vierter Auflage. II. 39 


mur ſchwach leuchtend ober vielleicht auch nur durch die äußere | derſelben liegenden Theile der Atmofphäre abgekühlt werden, 


erleuchtet. | weil ihnen ein Theil der Wärmeftrahlen, welche der glühende 


Es bleibt num noch übrig, das Wilſon'ſche Phänomen, 
weldes die Aufftellung der Hypotheje vom dunflen Sonnen- | 


lern veranlaft hat, 
auch nadı der An: 
nahme eines glü- 
henden Sonnentör- 
pers zu erflären. 
Schon Galiläi er: 
Härte die Sonnen» 
fleden fr Wolfen, 
welche in der gasför · 
nigen Atmofphäre 
der Sonne ſchwe⸗ 
ben umd als dunfele 
Fleden auf dem 
glängendenSonnen- 
körper erſcheinen. 
Er jagt: „Wenn 
die Erde ein ſelbſt⸗ 
leucitender Körper 
wäre, jo wiirde fie, 
von fern gen 
diefelben 

mu darbieten 
————— Je 
nachdem die eine 
oder bie andere Ge- 
gend ſich hinter ei- 
ner Wolle befünde 
würde man bald an 
der einen, bald an 





' Körper der Sonne ihnen zufendet, durch die Wolfen entzogen 
Diefe Abkühlung wird um fo bedeutender fein, je 


dichter und größer 
die Wolfe it, und 
dabei erheblicher fr 
diejenigen Punkte, 
welche nahe über der 
Wolfe liegen als für 
bie höheren. Eine 
Folge davon muß 
fein, daß die Wolfe 
mit beſchleunigter 
Geſchwindigkeit von 
oben her anwächſt 
und fälter wird. 
Ihre Temperatur 
finft unter die GLii: 
hige, fie wird un 
durchſichtig und bil- 
bet den Kern ei- 
nes Sonnenfledens, 
Aber aud) noch in 
beträchtlicher Höhe 
über diefer Wolfe 
findet Temperatur: 
erniedrigung ftatt; 
find hier irgendwo 
durch die Tiefe ber 
ſchon herrſchenden 
Temperatur oder 
durch das ZJufanıs 


der andern Stelle ber ſcheinbaren Erdſcheibe Fleden wahr | mentreffen zweier Yuftftröme die Dämpfe ihren Gonben- 


nehmen; dabei wirde die größere oder geringere Undurch— 
fichtigleit der Wolfen eine größere oder geringere Schwächuug 


des Erblichtes herbeiführen. Zu gemiflen Zeiten würde es 


wenig Flecken geben, zu 
anderen wärbe eine große 
Zahl ſichtbar fein; einige 
würden fich zufammen 
sieben, andere dagegen 
ſich weiter ausdehnen 
u. J. w.* 

Galiläi’s Anſicht 
über das Weſen der Son⸗ 
nenfleden bedarf nur 
einiger Mobificationen, 
um das Wiljon "che 
änomen vollftändiger 
und ungezwungener zu 
erklären als es durch die 
Herſchel⸗ Arago' ice 
Hypotheſe vom dunklen 
Sonnentörper geſchieht. 
Kirchhoff giebt dieſe 
Ellarung in folgender 
Beife: 


„In der Atmojphäre 
der Sonne müfjen ähn- 
liche Vorgänge ftattfins 





ſationspunkte nahe gebracht, fo wird diefe Temperaturerniedri- 
gung die Bildung einer zweiten Wolfe bewirken, die weniger 
dicht ift als jene, weil in der Höhe der geringern Temperatur 


wegen die Dichte der vor- 
handenen Dämpfe Flei- 
ner ift al& in der Tiefe, 
und die, theilweife durch 
fichtig, den Halbſchatten 
bildet, wenn fie eine hin 
reichende Ausdehnung 
gewonnen hat. 

Dene beiden Wolfen 
ſchichten spielen bei der 
Theorie der Sonnen: 
fleden, die id} vertheidige, 
diejelbe Rolle wie die bei: 
den Oeffnungen der wol 
figen Atmojphäre und 
der Photoſphäre bei der 
jenigen, weldye id) au 
greife. Denft man fid) 
die beiden Wolfen von 
denfelben Dimenfionen 
und an benielben Orten 
als die beiden Oeffnun— 
gen, fo erklärt fich das 
Wilſon'ſche Phäno 


den wie in der unſerigen; locale Temperaturermiedrigungen | men nach beiden Theorien in genau gleicher Weife,* Uebri— 
müffen dort wie bier die Veranlaffung zur Bildung von | gene iſt noch zu bemerken, daß das Wilfon'fche Phän: 
Vollen geben; nur werben die Sonnenmwolfen ihrer dyemis | men Feinedwegs bei allen Sonnenfleden auftritt. 

ſchen Beichaffenheit nad) von den unferigen verfchieden fein, Nah Zöllner find die Sonnenfleden ungehenere 
Wenn eine Wolle dort ſich gebildet hat, jo werden alle über | Zdyladenmaffen, welche auf der feurigflüfjigen Sonnen: 


40 Müller’s kosmiſche Phyſil in vierter Auflage. II. 


oberfläche ſchwimmen. In den über der Schladenmafie 
befindlichen Teilen der Sonnenatmofphäre müſſen ſich aber 
wegen ber geringern Strahlung an diefer Stelle wollenartige 
Condenſationeproducte bilden, durch welche hindurch bie 
Scyladeninfel ald Kernfled erfcheint, während die Wolten- 
wände die Benumbra bilden. 

Ueber das Zodiacallicht, welches bisher gewöhnlich, mit 
der Atmofphäre der Sonne in Verbindung gebracht wurde, 
Läpt fih Miller folgendermaßen vernehmen. 


Um die Zeit der Frühlings: Tag und Nachtgleiche erfcheint 
manchmal an fternhellen Abenden, wenn bie legte Spur der 
Dämmerumg verſchwunden ift, am weftlichen Horizonte ein 
ſchwacher Lichtftreifen, meift noch matter als das Yicht der 
Milchftraße, welcher die Form einer chief auf dem Horizont 
ftehenden Pyramide hat. 

Die Bafis diefes unten breiter werdenden Lichtlegels er: 
fcheint ungefähr da, wo die Sonne untergegangen ift; die 
Are deſſelben ift gegen die Stelle hin gerichtet, an welcher 





Die Mondfarte. 


fid) eben die ſchon untergegangene Sonne befindet; fie fällt 
faft ganz mit der Ebene des Sonnenäquators zuſammen, der 
ganze Streifen fällt alfo am Himmel nahezu in den Thiers 
treis, da die Ebene des Sonnenäquators nur einen Winfel 
von 79 mit der Ebene der Efliptit macht; daher der Name 
BZodiacallidt. 

In unferen Gegenden bildet in der genannten Jahreszeit 
die Are des Yichtfegels des Abends einen Winfel von unge 
fähr 64° mit dem Horizont, 





Am öftlichen Himmel erſcheint auch zuweilen das Zodiacal ⸗ 
licht und zwar Morgens vor Sonnenaufgang zur Zeit des 
Herbſtäquinoctiums, aber doch nie fo lichtſtark wie zur Zeit 
des Fruͤhlingsäquinoctiums am Abendhimmel. 

Aufder füblihen Hemiſphäre ift die Zeit des Herbft- 
äquinoctiums die glinftigfte Periode zur Beobachtung des 
Bodiacallidites am Abendhimmel. 

Während bei uns die Spike des Zodiacallichtes let 
nad) Suden gerichtet ift, erfcheint auf der ſüdlichen Erbhälfte 


Müller’s kosmiihe Phyſik in vierter Auflage. IL 41 


die Lichtpyramide des Zodiacallichtes mad) Norden geneigt, 


fo daß am Abendhimmel der Scheitel des Lichtlegels rechts 
von der Bafis erfcheint, welche das Zodiacallicht darfiellt, 
wie ed nad einer Zeichnung von Ludwig Beder am 
11. October 1858 zu Melbourne in Auftralien beobadjtet 
wurde, Leber dem Gipfel des Zodiacallichtes erblickte man 
an jenem Abend in ber Nähe der Mondjichel Venus und 
Antares, während in einiger Entfernung nad) Norden hin 
der Donatiffche Komet ftand, welcher: am 11. October zu 
Melbourne zum erften Dale fichtbar war. 

Was die Erklärung des Zodiacallichtes betrifit, jo find 
bis jegt zweierlei Meinungen darüber aufgeftellt worden ; 
nach Mairan's Erklärung ift das Zodiacallicht die Almo— 
ipbäre der Sonne, welche entweder jelbftleuchtend ift oder von 
der Soune erleuchtet wird; diefe Atmofphäre ift wegen des 
ſchnellen Umſchwungs der Sonne fo jtart abgeplattet, daß fie 
als ein in der Richtung des Sonnenäquators liegender Streifen 
eriheint. Aus den Gefegen der Gravitation läßt ſich aber 
darthun, daß eine etwaige Sonnenatmofphäre ſich nicht bis 
zur Mercursbahn erſtrecken kann. Weit wahrſcheinlicher ift 
dagegen die andere Anficht, nad) weldyer die Erſcheinung des 
Zodiacallichtes einem um die Sonne herumliegenden 
Nebelringe zuzuſchreiben ift. 

Auch mit dem Norblicht hat man das Zodiacallicht in 
Zufammenhang bringen wollen, wenigftens deutet darauf hin, 
daß fein Spectrum aus einer einzigen hellen Yinie beficht, 
welde mit einer hellen Yinie des Nordlichtipectrums zufam: 
menfällt, 

Ganz vortrefflich ift auch, was Müller über die Dar- 
fellungen der Mondoberfläche fagt, wobei die ſchönen Ab- 
bildungen des Atlas, darunter ein photographifches Bild, ihn 
wejentlid, unterftigen, 

Schon Baliläi hat es verfucht, eine bildliche Darftellung 
der Mondoberfläcye zu geben; feine im „Nuntius sidereus“ 
publicixten Mondbilder von ungefähr 7 Centimetern Durch- 
mefjer find aber ebenfo wie die Scheiner' ſchen noch höchſt 
unvolllommen. Die erfte einigermaßen brauchbare Mond— 
arte brachte Hevel im Jahre 1643 zu Stande und ver: 
öffentlichte fie nebft 40 Phafenzeihnungen in feiner Sele— 
nographie. Hevel's Mondlarte blieb länger als 100 
Jahre die befte. Erſt Tob. Mayer in Göttingen gab eine 
feine aber höchſt forgfältig nad) wirklichen Meſſungen ge 
zeichnete Mondlarte heraus, weldje wieder bis auf die neueren 
Zeiten die beite blieb. In feinen ſelenographiſchen 
Fragmenten (1791) gab Schröter zahlreiche Daritel- 
lungen einzelner Partien der Mondoberfläche, bei deren Auf- 
nahme er aber nicht objectiv genug verfuhr, wodurch ber 
Werth derfelben wejentlic, beeinträchtigt wurde. 

Im Jahre 1824 erſchienen vier Blätter einer von Lohr— 
mann nad) richtigen Principien aufgenommenen und gezeich« 
neten Mondfarte, welche aber erft ein Neuntel der ganzen 
uns fihtbaren Monboberfläche darftellten. Das Werk blieb 
umollendet. Im Jahre 1838 erfchien eine höchft werth: 
volle Lohrmann' ſche Generalfarte bes Mondes, 

Im Jahre 1830 begannen Beer und Mädler eine 
nach Lohr mann's Plan, aber ausſchließlich auf eigene Beob: 
ahtungen gegründete Mondkarte anzufertigen, welche im Jahre 
1836 invier Blättern unter dem Titel „Mappa selenogra- 
phica* erfchien und das vollendetſte ift, was bis jetzt in dieſer 
Beziehung geleiftet wurde. Der Durchmeſſer diefer die feins 
ften Details zeigenden Mondkarte beträgt 3 Fuß. 

Bortreffliche im größerm Mafftab ausgeflihrte Karten 
einzelner Mondlandſchaften hat aud) Julius Schmidt in 

Athen veröffentlicht. 

Die große Mondlarte von Beer und Mäbdler zu Grunde 
legend, hat Eonfervator Didert in Bonn ein 18 Fuß im 


Globus XXVIN. Nr, 3, 


Durchmeſſer haltendes Relief der uns fichtbaren Mondhälfte 
ausgeführt, Auf einer Hohlkugel von Holz find 116 gegofs 
jene Gypsplatten von je 15 Grad Yänge und 15 Grad 
Breite genau an einander gefligt, auf deren Oberfläche bie 
— Gebirgspartien in erhabener Arbeit dargeſtellt 
ſind. Die horizontalen Dimenſionen der Gebirge ſind in 
soomoo, die Höhen aber in dreifachem Maßſtab, alſo in 
/avowoo der natürlichen Größe, aufgetragen. Diefes Relief, 
welches feiner Zeit im verſchiedenen Städten Deutjchlands 
gezeigt wurde, giebt eine überrafcend lebhafte Anſchauung 
dev Mondoberfläcde, — Einzelne Partien diefes Reliefs, 
3. B. Eopernicus, Tycho, Plato u. f. w., mit ihren nächſten 
Umgebungen werden für ſich verfauft und geben ein treffliches 
Bild der Kraterbildung auf dem Monde, Es wäre ſehr zu 
wiinfcen, daß Reliefs der ganzen fichtbaren Mondhälfte in 
kleinerm Maßftabe, etwa 2 bis 3 Fuß im Durchmeſſer, 
angefertigt und in den Handel gebracht wlirden. 

Ein neues vortreffliches Mittel zur getreuen Darftellung 
ber Mondoberfläche Liefert die Photographie. Bereits im 
Jahre 1857 ftellte Warren de la Aue eine Reihe aus— 
gezeichneter Mondphotographien her, von denen unter anderen 
eine Collection von 12 alerliebften Phafenbildern durch 
Smith, Bed und Bed in London veröffentlicht wurben. 
Obgleich in diefen Heinen Bildern der Durchmeſſer des Mon— 
des nur 4'/, Centimeter beträgt, jo find doch einzelne Krater 
und Ringgebirge mit überraſchender Schärfe und Deutlichkeit 
erfennubar. Bon wiffenichaftlichem Werthe können aber nur 
Er Phafenbilder diefer Art fein, deven Warren de la 

we gleichfalls mehrere ausgeführt hat, von denen nur zu 
wlinſchen wäre, daß fie durch den Buchhandel leichter zugäng« 
lid) zu wilrben, 
ine ganz ausgezeichnete Photographie des Mondes ift 
diejenige, welche Rut herfurd in Neuyorf am 6. März 1865 
drei Tage nad; dem erften Viertel aufnahm, Der Mond 
erjcheint in diefem Bilde in einem Durchmeſſer von 53 Centi⸗ 
meter; in ausgezeichneter Schärfe zeigt es die Ninggebirge 
in der Nähe der Yichtgrenge, fo namentlich Plato, Ärchi— 
medes, Ariftippus und Autolyfus, Eratofthenes, 
Copernicus, Ptolemäus, Alphons, Tycho und Andere. 

Der Durchmeſſer des Plato ift auf dieſem Bilde 15 
Millimeter, der des Archimedes ift 12, der des Coper— 
nicus ift 14 Millimeter lang. Der innere Flächenraum 
des Plato ift mod) ganz dunkel, während das ihn umfafjende 
Ninggebirge, namentlich aber der innere öftliche Abfall defiel- 
ben, hell erleuchtet if. Copernicus liegt noch größten: 
teils im Schatten, nur ein Theil bes innern öftlichen Ab» 
hanges ift hell erleuchtet, weniger hell find einige Partien 
der weſtlichen Wallhälfte. Jenſeits der Lichtgrenze find nod) 
vielfach, einzelne Lichtpunkte und Pichtftreifen jichtbar. 

Bon bdiefem fchönen Mondbilde hat Photograph Bollen- 
weider in Berneine etwas verkleinerte ſehr gelungene photos 
graphifche Kopie gemacht (Monddurchmeſſer 39 Gentineer), 
deren Berlag die Dalp'ſche Buchhandlung (Schmid) in 
Bern übernommen hat. 

Um eine Mondlandfhaft aus photographiſchen Abbil- 
dungen genau fennen zu lernen, find mehrere bei verſchie— 
dener Beleuchtung aufgenommene Bilder derfelben nothwendig. 

Aſtronomiſche Photographien können nur mit Hülfe 
eines großen parallaftifch aufgeftellten und durch ein gleich 
fürmig gehendes Uhrwerk gebrehten Fernrohrs gemacht were 
den. Schraubt man von einem ſolchen Inſtrument das Dcus 
far ab, jo erhält man im Brennpunkt des achromatiſchen 
Objectivs ein Monbblild, deffen Durchmefler ungefähr Y/j20 
bon der Brennweite bes Objectivs ift, welches aljo nahezu 
1%, Zoll Durchmeſſer hat, wenn die Brennweite des Objec- 
tivs 14 Fuß beträgt. Ein gewöhnliches achromatiſches Ob: 

6 


42 Ein Beſuch auf der Infel Urt in der Zuyderſee. II. 


jectiv giebt feine ganz fcharfe photographifche Bilder. Ruther- | Monbdfarte von Beer und Mäbdler vergleicht, jo mug man 
furd berechnete fein Objectiv fo, daß es ohne Berüdfich- | ftaumen über die Genauigkeit, mit welder diefe Karte alle 
tigung der optiſch wirffamften Strahlen —“ —— Details der Mondoberfläche wiedergiebt. 
Brennweite für die verſchiede nen cheuniſch wirtſauen Strahlen | Mit Hilfe vom Mondphotographien wird man vieleicht 
hatte. Der Durchmeſſer diefes Objectivs betrug 117/, Zoll, | pereinft auch entfcheiben —* ob auf der Mondoberfläche 
feine Brennweite 14 u. — .. | wirflid) gegemvärtig noch Berändernngen vor ſich gehen. 
Mit Hülfe eines ſolchen Objectivs wird nun zumächft ein | Seftere Beobachtungen, nad) welchen noch thätige Bulcane 
negatives Collodium-Ölasbild vom ungefähr 1'/: ZoUl | quf dem Donde vortommen follen, fcheinen auf Täufhhungen 
Durchmefler —— aber ſo feine — — zu beruhen. ; 
daß es eine namhafte Vergrößerung verträgt. — Ein ’ i 
— Driginal wird mur als Objeet in einen Apparat |. ehrmann, Beer und Mäbler verfihern niemals eine 
ein nei N) :eg im wirkliche Veränderung auf dev Mondfcheibe beobachtet zu has 
geſetzt, welcher nad) dem Principe der Laterna magica in b Im Drtober 1868 aber Shmidti 
mögticht optifcjer Bollfommenheit conftruirt if. Bon | Be, Im Dciober aber madıte Schmidt in Athen 
Sonnenlicht oder von eleftrifchem Licht beleuchtet wird das | Die Wahrnehmung, daß der früher deutlich als ein ſehr tiefer 
Meine negative DMondbild mit 10- dis l4maliger linearer | Krater wahrnehmbare Einns im mare serenitatis dieſe 
Vergrößerung auf eine photographiſch präparirte Glasplatte Kratergeſtalt gegenwärtig nicht mehr zeigt. 
projieirt, auf welcher auf biefe Weiſe eim großes pofitives Wir haben nur einzelne Abfchnitte des ungemein veich- 
Bild erzeugt wird. — Von biefem großen pofitiven Glasbild | haltigen und fejlelnden Wertes bier behandeln fönnen, em⸗ 
wird nun zumächft wieder eime gleich große negative Copie | pfehlen es aber nochmals dringend jenen, welche fid mit ber 
hergeftellt, welche daun im der gewöhnlichen Beil dient, um | kosmischen Phyſit befchäftigen. Der hohe Werth des Buches 
pofitive Copien auf Bapier zu machen. ift allgemein anerfaunt und braucht nicht noch befonders von 
Wenn man die Rutherfurd'ſche Photographie mit der | und betomt zu werden. 





Ein Beſuch auf der Infel Urk in der Zuyderfee. 


II. 


Der Aberglaube wuchert hier in üppiger Weife; ber ſich durch weiße Hautfarbe, durch große, dunfelblaue Augen 
Urter glaubt an Heren, Spuk, Vorgeſichte x. Die Imfel | mit langen Wimpern und hübjch gebogenen Brauen vor 
ſoll nicht weniger als 82 Zauberinnen beherbergen, über | theilhaft aus, während der übrige Körper etwas Plumpes 
die eine SGjährige rau als Königin regiert, Diefe ver» | und Männliches Hat, 
dankt ſolche zweifelhafte Würde dem — Aſthma, weldyes fie Aber man findet hier auch viele entftellte Geſichter, da 
bei Nacht oft zwingt, das Bett zu verlaffen umd Iehnend | eine krankhafte Oxthodorie ſich bis zum Aeußerſten gegen bie 
über die Unterthür frifche Luft zu schöpfen. Einführung der Jenner'ſchen Erfindung geftemmt hat. Noch 

Der Urfer ift freigebig, ehrlich und treuherzig und der | im Dahre 1844 wüthete die Podenepidemie fo heftig, daß 
wäre fein richtiger Imfulaner, der des Nachts die Thir | mur wenige davon verſchont blieben und jegt noch viele bie 
ſchlöſſe oder auch nur riegele, aus Furcht beftohlen zu werden, | unauslöfchlichen Spuren jener Krankheit im Gefichte tragen. 

Um Wirte und Kaffeehäufer kümmert ſich unfer Urker Sonſt iſt der Geſundheitszuſtand ein ſehr befriedigender. 
wenig; man behauptet ſogar, daß der Branntwein hier fein Trotz ihres ſchweren Berufes erreichen doc) viele Inſulaner 
Volloͤgetränk fei. Wir haben feinen Grund, diejes zu be: | ein hohes Alter, Rheumatismus und Katarrh ſind die 
zweifeln, wiſſen aber, daß verſchiedene fühe Liqueure mit gros herrſchenden Krankheiten, während befonders bie Kinder, in 
fen Oxantitäten noch füßern Kuchens hier viele befondere | Folge der fteten Fiſchnahrung, an Eingeweidewürmern leiden. 
freunde finden. In dem Hötel: Het Urker wapen (ein | Wechſelſieber fommen nur felten vor. i 
Kabliau auf einer Schüffel) fann man nad) dem Aushänge- Die Zahl der Einwohner beträgt zur Zeit etwa 1400, 
{child feine „ftarten Getränke“* haben. Dort heißt es (wört: | vom bemen die der Männer eine unbebeutend größere ift, 


lich tiberfeßt): als die der frauen. Das Berhältnig ift etwa wie 100: 95, 
; ; In 38 Jahren nahm die Bevölferung um 617 zu; in bies 
gene ein Pe fer Zeit wurden 1391 Kinder, 716 Knaben und 675 Mäb- 
Kaffee trinfen oder dort Ichlafen, den, geboren, alſo 100: 94,3. Es ftarben 720 ‚Perfonen, 
Dann findeft Du bier auch einen Nachtaufentbalt. einige 50 werden die Infel verlaffen haben und im „Aus— 


j . — lande“ geſtorben fein. Die Zahl der Heirathen war im bier 

Selten ober ie verheirathet ſich der Urler mit einem ſer Periode 270, ftellt ſich alfo zu den Geburten wie 1: 5,15. 
„ausländifcen“ Mädden. Daher fommt es, daß bie Infur | Op ſich darunter uneheliche befinden, ift uns unbefannt ger 
laner, ſowohl äußerlich wie innerlic,, einander jo jehr gleichen, | pfieben, aber eine gerichtliche Eheſcheidung lam in jener 
daß ihr Körperbau und ihre Geſichtszuge, bie Farbe der | Zeit nicht vor. Aus dem allen ergiebt fidh, daß die Bevöl« 
Haare und der Augen die gemeinjame Abftanmung fo laut | ferung hier raſch zunimmt umd fid von 1638 bis 1852 
bezeugen. Nur felten laſſen Fremde ſich hier nieder, um das Adhtfache vermehrt hat. 

Im Allgemeinen ift der Urker fräftig und wohlgebaut, Dahingegen find bie Eriftenzmittel nicht gleichmäßig vor⸗ 
hat breite Schultern und Hiften, blondes Haar und blaue | geichritten. 1750 hatte man 46 Schuiten, jet etwa 150. 
Augen. Unter den Frauen trifft man viele, die auf bedingte | Die See ift der Urler Element, die Fiſche find ihr Ruhm, 
Schönheit Anſpruch machen lönnen. Befonders zeichnen fie | ihre „Gloria“. Im Februar fangen fie in der Nordſee 





Karl v. Neumannn’s Expedition nad) den Bäreninfeln vor der fibirifchen Küuſte. 


große und Meine Schollen, während bie Heinften Fahrzeuge 
dann Jagd auf Küftenhäringe, auf Kabliau und Schellfiſche 
machen. Im Borfommer beginnt der Fang der Anfchovis, 
die auf ber Infel geföpft, gefalzen und verpadt werben, wäh« 
vend man im Nachſommer wieberum der kleinen Scholle 
und der Zunge nachſtellt. Im Herbft und Frühling fängt 
man Schellfiſche mit Angeln. 

Die älteren Leute nimmt man nicht mit an Bord, aber 
auch diefe und die frauen fiſchen gern am Strande, wodurch 
fie durch den Ertrag für Küftenhäringe eine nicht zu ver- 
achtende Beifteuer in bie Famitiencafte liefem. Es giebt 
bier zwei Schifföwerfte, jede groß genug, um baranf fünf 
Schiffe zugleich zu falfatern; fünf Segelmacereien und 
einige andere Einrichtungen für die Schifffahrt. 

So verdient der Urler Fiſcher mit waderm Eiſer und 
froher Aufriedenheit fein Brot. Er hat bei feinen befchei« 
denen Anfprüchen fein veichliches Ausfommen. Im Yahre 
1873 fädelte ein folcher für Scellfiiche und Anfchovis 
3000 fl. holl. ein. Das ift freilich Bruttoverbienft, denn 
bei den beträchtlichen Ausgaben für einen oder zwei Knechte, 
für Segel und Nee, für den Unterhalt des Schiffes ftellt 
fi) die Nettoeinnahme bedeutend niedriger. Trotzdem ift die 
Einnahme doch eine gute und wenn nach ben fogenannten 
„hohen Feſten“. Dftern, ha ver und nad) bem erjten 
Abendmahl nad; Oftern, die 
Rampen, Bloffiel u. ſ. w. die Infel heimſuchen, um ihre 
Forderungen einzucaffiren, dann kommen fie gewiß nicht 
vergebens. Später hält died allerdings etwas ſchwerer. 





N 
I 
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ufleute von Enkhungen, 





Die Nahrung befteht faft nur aus Fiſch, Brot und eini- | 


gen Gemüfen; einen Fleiſcher ſucht man Hier vergebens ; 


43 


dahingegen giebt es faft ein Dugend Bäder, deren Waare, 
ſchwarz oder weiß, ſehr ſchmachaft ift. 

Der Biehftand befteht aus etwa 100 mageren Scha— 
fen, 40 ziemlich guten Kühen und 4 alten Pferden. Unter 
Anführung des Stier fommen die Kühe des Abends von 
der Weide und lagern fic fiir die Nacht gegen Wind und 
Wetter zwifchen den Häufern, woburd oft Arme und Beine 
der Iufulaner in Gefahr gerathen. 

Bei Tage weidet das Vieh auf dem fogenannten Berg, 
einem ausgebehnten und hochgelegenen Stüd Weidelandes. 
Hier findet man einen ziemlich, tiefen Brunnen, wie es 
deren viele giebt; fehlt trogbem das Waller, fo muß ſolches 
durch Schiffe von Feſtlande geholt werden. 

Früher gab e8 viele Hunde, doch hat die Steuer fie 
jegt auf vier vermindert. Einer derfelben, ein Meines ſchwar— 
zes Tier, führt feinen blinden Herrn — ben Yusrufer 
Tymen — durch den Ferweg der Häufer nad) den. verjcjie- 
benften Stellen feines Amts und am Sonntag zur Kirche. 

Auch an Kaninchen ſoll e8 in jener Zeit, als die Infel 
nod; Sandboben hatte, nicht gefehlt haben; in dem jegigen 
harten Lehmboden witrden fie vergebliche Anftengungen zum 
Höhlenbau gemadjt haben. 

Die einzigen wilden Vierfüßler find Natten und Mäufe, 
bie in zahlreicher Vertretung die Nachtruhe bedeutend ftören. 
Außer den Hühnern findet man Sperlinge, Staare 
und Lerchen. Dies find die einzigen Vögel, die hier britten. 
Kibitze, Schnepfen, Wafferläufer (Totanus), Droffeln, Mö— 
ven ſowie Bergenten (Anas tadorna) beſuchen auf ihren 
Zügen die Infel wohl, britten aber nicht dafelbft. 

Die Flora ift eine bürftige und bietet nichts Bemerlens⸗ 
werthes. 





Karl v. Neumann’3 Erpedition nad) den Bäreninfeln vor der fibiri- 
fhen Küſte. 


Am 5. Februar 1870 verließen wir mit fünf Narten 
und von zwei Kofaden begleitet Niſchni Kolymst, um 
ein großes Wagniß zu unternehmen; dad war wenigjtens die 
Meinung der Bewohner, Die Bäreninjeln find bei ihnen 
als Aufenthaltsort böfer Geijter verfchrien ; man erzählte und 
gar erſchredliche Dinge von ſpurlos verſchwundenen Dägern, 
bon furchtbaren bärtigen Männern, von ber Wilbheit und 
Bosheit der dortigen Bären, die viel mehr Zähne hätten als 
der gewöhnliche Bär, und nur mit Mühe konnten wir das 
nöthige Angefpann mit ben Führern dazu auftreiben. Die 
Sage von den gegen Norden im Meere oder auf unbefannten 
Infelm lebenden bärtigen Rieſen *) ift am ganzen Ge- 
Nade von der Mündung der Jana bis zur Kolyma allgemein 
verbreitet, Muffen wie Eingeborene, Chriften und Heiden 
Idwören auf die Eriftenz der Bartmenſchen (Borodatyje). 
Die Tſchultſchen allein, bei denen ich ähnlichen Unfinn nie 
vernonimen habe, machen eine rühmliche Ausnahme. Anderer: 
feits Tiegt e8 nahe, einzelne wunderbare Erzählungen und 


*) Zwei ihm perfönlich mitgetbeilte Erzählungen alter eute, die 
folde fabelhafte Spufgeftalten felber gefehen "haben wollen, theilt 
bier Dr. Neumann ausführlich mit; es hantelt ſich um bärtige 
Riefen, die große Bäume umreißen, Thiere mit Haut und Haar 
werichlingen u. f. w. 


J. 





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Berichte, wie die Phantafiegebilbe Andrejew's, weldje einft 
fo viel Aufſehen erregten und ſelbſt Wrangel zum Auffnchen 
ber fabelhaften Feſtung auf der dritten Büreninſel verleiteten, 
anf ſolche weitverbreitete Märchen zurückzufühhren. Unſere 
Kofaden und Führer aber, von folden Erzählungen eins 
Be Reh auf die Abhaltung eines eigenen, den 

eufel befchwörenden Gottesbienftes und nahmen, als 
beftes Mittel — bie von demſelben drohenden Gefahren, 
eine Menge Weihrauch mit. 

Ein wichtigeres Hindernig, als ber von uns mit großer 
Mühe befümpfte Aberglaube, konnte indeß der durch Fiſch— 
armuth des Jahres 1869 verurfachte Mangel an Nahrungs- 
mitteln werben. So enorm der Preis für die Fiſche auch 
geftiegen war, jo bemühte ich mich doch wenigftend für die 
Hunde einen reichlichen Borrath zu erlangen und fandte den 
jelben auf Narten nach Bolſchoje Tſchuchotſchje voraus, von 
wo id) meine Fahrt nad) dem Eismeer anzutreten beabfidy- 
tigte. Fur den Fall eines längern, durch ſchlechtes Wetter 
herbeigeführten Aufenthalts auf dem Meere war unſere ganze 
Hoffnung auf die Bärenjagd gerichtet, denn Seehunde wer- 
dem zu ber Zeit noch nicht gejagt, die Bären aber find wegen 
des Winterfchlafs nicht allzugefährlich. Zu weientlicher Ber 
ruhigung gereichte e8 und, daß auch Kotelnikow, der fiir ben 

6* 


44 Karl dv. Neumann’s Erpebition nach den Bäreninjeln vor der fibirischen Hüfte. 1. 


beiten Schligen im ganzen Lande gilt und mandjes Dutzend 
ſchwarzer fowohl als weißer Bären ſchon erlegt hat, fich 
unferer Erpedition wieder anſchloß. Um jo weniger fonnten 
wir ung auf die übrige Neifegefellichaft verlaffen, von der 
noch Keiner je auf dem Meere gewejen war oder einen leben- 
digen Bären zu Geficht befommen hatte. Ihre Unerfahrens 
heit verzögerte in der Folge auch ſehr unfere Reife, der beſte 
Hunbelenfer auf dem Lande taugt oft gar nichts auf dem zu« 
gefrorenen Meere. 

Unfer Weg führte zuerft am dem dicht bei dem Städtchen 
beginnenden, zu beiden Ufern des Fluſſes gelegenen Saimtas 
vorüber, nad} dem 40 Werft von Nifchnij-Kolymat entfern- 
ten Dorfe Koretowo. Unter dem Namen „Saimka“*, ber 
im übrigen Sibirien fo viel wie eine Heine Farm oder cin 
Lufthaus bedeutet, verfieht man hier die erfte befte Hütte, bie 
von den Fiſchfüngern zum Aufenthalt während der Fangzeit 
benutzt wird. An geeigneten Stellen gejellen ſich zu einer 
folhen Saimfa bald andere hinzu und es entftehen fo all» 
mälig Heine Dörfer, deren e8 am Ufer der Kolyma, bis 
Maloje Tichuchotichje hinab, eine ziemliche Anzahl giebt. 
Koretomwo liegt an der Einmündung des gleichnamigen Fluſ⸗ 
jes in die Kolyma, zu beiden Seiten derfelben ; auf dem rech— 
ten Ufer wohnen größtentheils Jukagiren, auf dem linfen 
befindet fi die Saimla Kotelnikow's, die ſich vor den 
Übrigen Hlitten durch ein freundlicheres Ausfehen auszeichnet 
und fchon mehr einer echten ſibiriſchen Saimla ähnlid) fieht. 

EinigeNotigen über diefe hervorragende Kofadenfamilie 
werden bier vielleicht von Intereffe fein. Vor ungefähr 200 
Jahren wanderten Kotelnilow's Vorfahren aus dem wo— 
logdaſchen Gouvernement nach Sibirien aus und dienten ans 
fangs als Kofaden in Kamtſchatta, dann in Giſchiga. Als 
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ein Theil der Kofaden 
aus Giſchiga an die Kolyma fibergefiedelt wurde, befand ſich 
unferes Gefährten Großvater unter benfelben. Deſſen Sohn 
Simeon, durd außerordentliche Körperkraft befannt, erwarb 
ſich bald den Ruf des beften Jügers im Yande. Zur Zeit 
der Wrangel’fchen Expedition war er der ungertrennliche Ge— 
fährte Matiuſchlin's, ausgezeichnet durch feltene Kaltblütigfeit 
und perfönliche Tapferfeit. Er war auc) der Erfte, der in 
Handelsverfehr mit den Tſchultſchen trat und mehrere 
Mal ihr Gebiet bereifte; er war es aud), der den Verſuch 
machte, im Norden des folymfcen Kreifes Pferde- und Vieh: 
zucht zu betreiben, Die Erfahrung lehrte ihn, an pafjenden 
Orten Thierfallen zu ftellen und bald gelangte er zu einem 
verhältwigmäßig bedeutenden Wohlftande, Grund genug, um 
bei den abergläubifchen Einwohnern den Ruf eines Zau— 
berer® zu erwerben. Die umfinnigften Gerichte wurden 
über ihn verbreitet: der Teufel in Höchfleigener Perfon follte 
ihm die beften Stellen zum Fallenlegen und fogar den Platz 
für feine Saimfa angewiejen haben. Ein vor berfelben ſie— 
hender, vertrodneter Yärchenbaum, von dem aus dieſe Platz- 
anweifung ftattgefunden haben fol, wirb noch immer nur 
mit Furcht betrachtet, die Nachbaren befrenzigen ſich, wenn 
fie daran vorbeifomnien und betreten das Haus nicht ohne 
eine fchugbringende Portion Weihrauch in der Taſche. Wie 
überhaupt von jedem, ber ſich hier im irgend einer Weiſe 
hervorthut und mehr ald Andere zu Wege bringt, heißt es 
von Simeon Kotelnifow: „er war im Einverſtändniß (näm— 
lid) mit dem Teufel), umd der Iwan iſt's auch.“ Als 
demjelben Eimeon aber, jchon im hohem Alter, das Gllid 
den Rücken wendete und er verarimte, da war man Überzengt, 
daß er, nad) Einweihung feines Sohnes und feiner Enkelin 
in den geheimmißvollen Umgang, für fic, das verfluchte Thun 
bereut und ſich vor dem herannahenden Ende zu Gott ger 
wandt habe. Diefe Enfelin, ein allerliebftes Mädchen, mit 
viel Berftand begabt und im Vejen und Schreiben unterrichtet, 


wird doch ſchwerlich je einen Mann befommen: „Sie ift mit 
bem Teufel befreundet,” jagen die Burſchen nicht ohne 
Bedauern, „iwer fteht ung dafür, daß fie nicht zum Schorn- 
fteine hinausfährt und vom vertrodneten Baum herab bie 
Waldteufel zum Schmauſe ladet? Gott mit ihr!“ Ale 
Thatſache kann ich noch hinzufügen, daß alte Leute und bei 
unferer Ausreife ans Niſchnij-Kolymsk wohl das jchönfte 
Wetter prophezeieten, aber nur für den Fall, daß wir dem 
Kotelnilow in Koretowo feinen Beſuch abtatteten, ſonſt wür— 
den alle beim obenermwähnten Gottesdienft abgehaltenen Gere 
monien ihre Kraft verlieren. 

Um unferen Begleitern den Glauben au ſolche Märchen 
zu benehmen, fuhren wir gerade ins Kotelnifow'jde Haus, 
aber da famen wir gut au! Wie zum Trotze für unfer 
Unterfangen brach am folgenden Tage ein heftiger Schnee 
fturm los, fo dag wir nur mit Mühe das 50 Werft abwärts 
gelegene Pocho dok erreichen konnten; an Weiterreifen war 
gar nicht zu denfen, das Barometer fiel auf 1'/,”, wogegen 
das Thermometer um ganze 12°R. ftieg; plöglich ſchlug der 
Wind um und Alles deutete auf ein noch furchtbareres Umwetter. 
Daſſelbe ließ dem auch nicht lange auf ſich warten und wir 
mußten einen ganzen Tag in Pochodsk verbleiben und uns 
noch glüdlic jchägen, daß unfere Behaufung den Windftößen 
widerftand. Und dazu nun das alberne Gerede unferer Yeute, 
daß unfer Beſuch bei Kotelnifow das Unglüd heraufbeſchwo— 
ven habe und wir nun Alle zu Grumde gehen würden! Trotz 
des fortdauernden Schneegejtöbers entſchloß id; mid) am fol- 
genden Tage die Neije fortzufegen und mit Hülfe des Com 
pafjes erreichten wir am Abende das 60 Werft entfernte 
Maloje Tfchuchotfchje, mußten dort aber, da der Schnee fo 
dicht fiel, daß man buchitäblich den nüchſten Hundeſchweif 
nicht vor fich jehen konnte, doch wieder unfreiwillige Raſt hal- 
ten und bas Ende des Unwetters abwarten. 

Maloje Tſchuchotſchje liegt an der Stelle, wo die 
Kolyma ins Eismeer mündet, Die Breite derjelben beträgt 
hier ungefähr 6 Werft; das linke Ufer ift flach, während 
am rechten hohe Felfen fich befinden; das Waſſer erhält 
im Sommer beim geringften Nordwind einen fo jalzigen 
Geſchmack, dag es ungenichbar wird. In der Mitte des 
Fluſſes liegt eine ſchmale, beinahe 15 Werft lange Infel, 
„Kamenni-Oftrow* (Steininfel), die fid) durc Häufige 
Felseinſtlirze einen traurigen Ruf erworben hat. Die nördliche 
Spite der Inſel ift überaus fifchreich, aber es geht hier fel- 
ten ohne Unglüd ab. Die Hoffnung, die Bäreninfeln oder 
gar das nur 100 Werft nördlicher gelegene große Tichuktfchen: 
vorgebivge zu erreichen, mußten wir für diefes Mal gänzlich) 
aufgeben; um aber bei der nächften Excurfion alle Zeit auf 
die Unterfuchung dev Inſeln verwenden zu können, entſchloß 
ich mich, troß des ſchlechten Wetters Kamenni-Oftrow und 
bie weiter drüben befindlichen Baranowyje-Kammi(Scaf- 
felfen) zu befuchen. 

Die Ueberfahrt zur Steininfel nahm wieber einen ganzen 
Tag in Anſpruch. Schon glaubten wir die Infel von Men— 
ſchen verlaffen zu finden, als plöglich dicht vor uns einige 
Funken aus dem Scheee anfflogen: wir waren, ohne es zu 
willen, auf das Dad) eines verfchlitteten Hauſes gerathen, 
in welchem eine von Scneefturm überrafchte Fiſcherfamilie 
mit ihren Hunden eine Zuflucht gefucht hatte. Nach einer 
guten Stunde erft gelang es ums, einen Eingang in bad Haus 
durch dem Schuee zu graben. Wir fanden Menſchen und 
Hunde halb verhungert, mit Gier fielen fie über die ihnen 
von und dargebotenen Nahrungsmittel her. Zudem befan- 
den fie ſich in großer Sorge um zwei junge Burſche, welche, 
von Hunger getrieben, am Morgen aufgebrochen waren, um 
an der Norbfpige der Inſel Fiſche zu fangen. Wie leicht 
tonnten diefelben bei dem furdjtbaren Unwetter umgelommen 


Karl dv. Neumann’s Erpedition nach den Bäreninfeln vor der fibirifchen Hüfte. I. 


45 


umd unter Schnee und Eis begraben fein! Bald ließ es raurgin und verweilte fünf Tage bei uns; obwohl das Ther- 


dem Bater feine Ruhe mehr, er ſtürzte hinaus, deren Spur 
zu verfolgen und fehrte, o rende, mad) einer Stunde mit 
den Berlorengeglaubten und einer Beute von zehn fibiriichen 
Lechſen zu den Seinen glüdlic zurid. Der Jubel war 
groß, aber wie lange hielt die Aushülfe vor! Die Menſchen 
hätten vielleicht eine ganze Woche lang von den Fiſchen leben 
fönnen, allein die Hunde mußten ja auch ihren Antheil daran 
haben, dba reichte diefer mit Lebensgefahr erbeutete Vorrath 
vieleicht für zwei Tage aus, dann ging die Sorge von Neuem 
an. Bateroder Sohn wagten fic wieder auf den Fiſchfaug 
hinaus, um vielleicht dieſes Mal nicht wieberzufehren; unter 
einer Eisfcholle zermalmt, oder, wovor Gott einen Jeden 
behüten möge, unter dem Schuee begraben und eines qual⸗ 
vollen Hungertodes geftorben, deckt der Frühling erft den 
vermoderten Leichnam des Berunglüdten auf. Ich muß hier 
nochmals wiederholen, daß die Hunde oft eine große Yaft für 
die Bewohner diefes Yandes find; weit leichter haben e# 
im dieſer Beziehung die Tſchultſchen mit ihren Renthieren 
ober die mit ihrem Vieh in einer und berfelben Jurte haufen« 
den Jaluten. 

Unterdeffen tobte der Sturm immer heftiger, an ein Weiter: 
fommen nad) Sudjarino war nidyt mehr zu denfen, wir muß— 
ten auf der Infel befferes Wetter abwarten. Am 10. legte 
fi, endlich, der Wind ein wenig und wir befchloffen, unſern 
Weg fortzufegen. Mit großer Mühe kamen wir über den 
2 Werft breiten, gewöhnlic „Kamennaja (fteinige) Ko— 
Iyma* genannten Nebenarm des Fluffes zwifchen der Juſel 
und dem Öftlichen Ufer. Letzteres erreichten wir zwifchen 
Sucharino und Kabaticytowe. Hier aber wuchs die Macht 
des Sturmes nun immer heftiger an und nad) wenigen 
Werſien waren unfere Hunde, die zum erften Male ſelbſt 
gegen den Wind nicht mehr von der Stelle wollten (mit bem 
Binde, der ihnen den Schnee ins Fell jagt, ift den Hunden 
die Fahrt noch ſchwerer), jo ermattet, daß wir aud) den Be— 
ſuch der Baranowye Kamni aufgaben und ung zur Umfehr 
entſchließen mußten. Mit Mühe und Noth nur erreichten 
wir das menfchenleere Kabatſchlowo. 15 Werft weiter 
nad, Süden, faft ımter 69° m. Br., befindet ſich eine 
pafiend Walbesgrenze (Krai lessow) benannte Ortfchaft; 
bier endet der Yärchenmwald, nörblich findet ſich noch Cembra- 
nana und die Sandweide, bie an der Kolyma entlang bie 
zum Eismeer gebeihen, in ber Tumdra fehlt auch diefer ärm— 
lide Baumſchmuck. Die Waldesgrenze *) erſteckt ſich nach 
Diten fehr regelmäßig im einer Yinie bis zu 170° öſtl. V. 
Dann biegt fie plöglic, gegen Süden und erreicht 66, ja 
fogar 65° u. Br. Am nämlichen Tage erreichten wir mod) 
Koretowo und am 12, Niſchnij-Kolymsl, wo zu unferer 
Ueberrafchung die ganze Zeit über faltes, aber fchönes, wind- 
filles Wetter geherrfcht hatte. Uebrigens hat Wrangel be— 
reits die auffallende Verichiedenheit der Witterung auf der 
nur SO Werft langen Strecke von Kolymst nach Pocodst 
bemerlt, ich habe fie ebenfalls öfter erfahren. 

Am 14. Februar langte auch Baron Dlaydell, nad) glück- 
lich vollbrachten Streifzligen, wohlbehalten in Niſchni-Ko— 
Igmst an; er hatte die Kenthiertichuftichen, die ihr Lager 
anı Anadyr und im Gebiete der beiden Anin aufgefchlagen 
hatten, befucht, um Zributangelegenheiten mit denfelben zu 
regeln, Einige Tage fpäter befudjte uns unfer Freund Am— 


*) Die Grenze des Hochwaldes giebt Wramgel nicht ganz richtig 
an; der Anadyr it waldlos, wur bin und wieder zeigt fich, einer 
grünen Infel gleich, auf umabfehbarer Waſſerfläche eine Meine Gruppe 
von Bappeln; die Urfache ver Walbloſigkeit if meiner Meinung nach 
weniger in der nörklicen Lage des Anatpr als in der vor dem vor: 
— falten Oſtwinde unbeſchühten Richtung feines Yaufes 
iu ſuchen. 


mometer in unſerm Quartier nicht fiber 6 bis 80 des Tages 
ſtieg und Nachts das Waſſer gefror, Flagte unfer Gaft doch 
beſtändig über große Hige. Amraurgin bedauert überhaupt 
aufrichtig die armen Stadtbewohner, die im engen Häufern 
leben müſſen. Einſt hatte ihm die Luft Überfommen, 
St. Petersburg zu befuchen, er machte ſich auch ter Ir 
den Weg, kam aber mur bis Jakutsk; dieſe lebloſe Stadt 
erſchien ihm jo übervölfert und geräuſchvoll, daf er die weis 
tere Reife aufgab, und, mit größtem Abſcheu vor dem Städte 
leben, ſchleunigſt in feine Tundra zurädjlüchtete. 

Bald nad) des Häuptling Abreife trafen die Kaufleute 
wieder ein und das Städtchen lebte, nad) einjähriger Todten- 
ftille, auf kurze Zeit wieder auf. Sowohl die Steigerung 
der Fiſchpreiſe als namentlich die Nachricht, daß dieſes Mal 
in Folge unferer Reife eine größere Anzahl von Borgebirgs: 
tichultſchen ſich nad Aninjet begeben wollten, brachte eine 
größere Thätigkeit unter ben Kaufleuten hervor. Alles beeilte 
fi, die nöthigen Vorräthe wie auch Hunde und Narten ſich 
zu verfchaffen und bald ftiegen die Preife hierflir zu außer- 
orbentlicher Höhe, z. B. ein Hundegeſpann mit Narte, jonft 
mit 30 Rubeln bezahlt, war num nicht unter 60 Rubel zu 
haben. Die beften waren natürlich flir uns vorbehalten, 8 
für Maydell und 5 flie mid). 

Unfere Erpedition ging nad) Schluß des Jahrmarkts 
ganz aus einander, Mein Ziel ift dem Lefer bereits befannt ; 
der Chirurgus Antomwitfd, befand fi), wie oben erwähnt, 
in Sresdny- Kolymat, um dort die Ankunft der Zugvögel 
abzuwarten, der Topograph Abanasjew wollte mit den zurlick⸗ 
fehrenden Yamuten das Diuellgebiet des Fluſſes Omolon ers 
forjchen bis zur Stelle, wo diefer Fluß die frühere Gifchigar 
ftraße durchſchneidet (Über diefe Reiſe hat Abanasjew jpäter 
einen jehr interefjanten Bericht erjtattet), Wrangel aber beab- 
fichtigte, weiter gegen Often, mindeftens bis zum Jalanſchen 
Borgebirge, vorzudringen, um über verſchiedene Dinge an 
Ort und Stelle perfönlich Einficht zu gewinnen und auf 
einige Fragen des Altademikers Bär, namentlich auch bezüg- 
lid) des, wie die Eingeborenen verfiherten, von Jalan deut: 
lid) ſichtbaren Wrangel»-Landes beſtimmte Auskunft ertheilen 
zu fünnen. 

Gegen Ende März, wo and) Amraurgin mit feinen Leu— 
ten daſelbſt ſich einfinden wollte, begaben wir uns nad) 
Aninstaja Kriepofta Ich wollte den Ort nod) 
einmal aftronomifch beftimmen und meine früheren Beobach— 
tungen verificiren, ſodann aber aud) meine Tſchultſchenfreunde, 
wit denen ich in rauhem Yande fo lange gelebt und von 
denen id; fo viele Freundlichteit erfahren hatte, wiederſehen. 
Auf der Fahrt dahin erfuhr id) auch die Wahrheit eines 
folymjdren Sprücworts, weldyes lautet: „Sein Reifender 
pafjirt ohne Bad den Heinen YUnin.“ Bisher war id) die— 
ſem Scyidjal glüdlich entvonnen, aber dieſes Mal mußte ich 
aud) daran glauben. Die obere Eisrinde nämlich, die durch 
Zufrieren des heraustretenden Waſſers gebildet wird, barft plötz⸗ 
lic) unter uns und ich fiel mitfammt meinem Begleiter 
Kotelnitow ind Waller; wir hatten nun, nach einem eistalten 
Bade, die Aunehmlichfeit, in einer Temperatur von — 300 R. 
bie durchnäßten Sleider und Wäſche wechſeln zu müſſen. 
Der Menſch gewöhnt ſich eben an Alles und fo famen auch 
wir ohne irgend welche Nachwirlungen glüdlich davon. 

Die Kaufleute trafen erft einige Tage nad) uns in der 
Kriepofta ein und wir verwandten die Zwiſchenzeit all- 
feitig mit großem Nugen. Mir gelang es, eine ganze Reihe 
von aſtronomiſchen Beobachtungen zu bewerfitelligen, während 
Maypdell die ganze Umgegend jowie die bereits eingetroffenen 
Tſchultſchen in ihrer Nationaltracht photographiſch aufnahm 
und, nad) den Berichten der von denfelben erwählten Aelteften 


46 Aus allen Erdtheilen. 


und anderer eingeborener Jahrmarktsbeſucher, den Verſuch 
einer Tſchultſchenzuhlung machte. Das Refultat diefer Bolks⸗ 
zählung fonnte natürlich nur ein approrimatives fein, ba 
nicht alle Tjchuftichenlager aufgeſucht und in bie Berechnung 
gezogen waren. ebenfalls ift die wahre Bevölterungäziffer 
weit größer als die von Maybell zemen, und Fleiner 
als die von Kaufleuten und Koſaden angegebene. Mit 
Hülfe der Ortsvorftände wird eine ziemlich genaue Zählung 
nicht allzuſchwer zu bewirlen fein. Ich flattete noch vor 
Beginn des Jahrmarkts den mir belannten Tſchultſchen Ber 
ſuche ab und wurbe ütberall auf das Freundlichſte aufgenom» 
men, Meine Bemühungen aber, von ihrer Vergangenheit, 
ihren Sitten und Gebräuden, ihrem Glauben und Aber 
glauben etwas zu erfahren, blieben wieder ganz erfolglos. 
Sie ſcheinen wirklich felber nichts von ihrer Herkunft zu 
wiſſen und find nicht einmal im Stande, den Sinn einiger 
fonderbaren Gebräuche zu erflären. So war es mir zum 


, 


Beifpiel auf unferer Reife aufgefallen, daß jedesmal beim 
Aufbruche alle abgenagten Knochen forgfältig aufgelefen und 
verbrannt wurden, ja es war bei Holgmangel vorgelommen, 
daß fie ihr Fleiſch roh verzehrten, um nur für biefes Autodafo 
das nöthige Brennmaterial zu erfparen. Aber vergeblidy 
forſchten wir nad; einer Erklärung dieſes Gebrauchs, feine 
andere Antwort konnten wir auf alle unfere Fragen erhalten, 
als die: „Woher follen wir e8 wiflen? Unſere Vorfahren 
thaten fo und fie werden wohl gewußt haben, warum.“ 
Ebenſo energiſch verharren die Tſchuktſchenweiber bei einem 
andern abergläubifchen Gebrauch: fie thun nie Renthierfleifch 
in einen und denſelben Keſſel mit Vögeln, und bei Günſen 
fehen fie ſich wohl vor, daß bie Federn verbrannt oder ins 
Waffer geworfen werben: „Es könnten fonft wohl die 
Thiere ihrer frühern Freiheit fi) erinnern und ſich aus 
dem Staube machen!“ Ueberhaupt find auch dort die Wei- 
ber fanatiſcher als die Männer, 





Aus allen Erdtheilen. 


Bon der Infel Madagaskar. 


Auf diefem großen oſtafrikaniſchen Eifande vollzieht fich 
ganz allmälig eine Umwandelung zum Beflern, die unferer 
Theilmabme würdig if. Die Inſel war ſchon dem großen 
venetianiſchen Reifenden Marco Polo befannt, wurde 1605 
von ben Portugiefen befucht und als Juſel des heiligen Lau— 
rentius bezeichnet; die Araber haben mit der Nordlüſte feit 
vielen Jahrhunderten in Verkehr geftanden. Die Franzofen 
erhoben jeltiamerweile fchon 1642 Anfpruch auf den Befik 
der ganzen Juſel, weil diejelbe von „Wilden“ bewohnt fei; 
fie mußten ſich aber damit begnügen, an verfchiedenen Kitften- 
punkten Handelsfactoreien und and; Forts anzulegen, von 
denen viele nach und nach wieber verlaflen wurden, fo daß fie 
anf der großen Infel jelbit heute gar feinen Punkt befiten, 
wohl aber mehrere Heine Inſeln vor der Küfte, 3. B. Sainte 
Marie mit einem fichern Zufluchtähafen an der Oftkitfte, und 
Noffi be, wo fie Kaffee banen, an der Norbmeitküfte, 

Mit den Engländern ift der König bes berrfchenden 
Volksftammes, der Howas, welche die Centralprovinz Emirene 
inne haben, im Jahre 1814 in nähere Berührung gefommen; 
fie lieferten ihm Schießgewehre und Grercirmeifter; 1820 
erichienen die Mifftonäre. Wir gehen bier auf die inneren 
Kämpfe und die Ehriftenverfolgungen nicht ein und bemerken 
mer, daß Seit 1862 Neligionsfreibeit gewäbrleiftet ift, auch die 
Handelsverhältniffe mit dem Auslande geregelt worben find, 

Ueber die geographifchen Werbältniffe hat vor einigen 
Jahren Grandidier in einem vortrefflichen Werke gute 
Auskunft gegeben. Die inneren Zuſtände des Volkes find 
von Ellis eingehend gefchildert worden; jest eben lieferte 
Joſeph Mullens manche wertiwolle Beiträge über die gegen: 
wöärtige Lage der Inſel, auch giebt er nähere Nachrichten 
über die vulcamischen Verhältnifie. Wir willen nun, daß 
insbejondere der centrale Theil Madagaskars gewaltige vul- 
caniſche Erichiltterungen erfahren habe. Die Antarat: Berge, 
welche fih am Südweſtrande der Hochebene von Emirene 
Imerina) erheben und von der Hanptftadt Antananarivo aus 
fihtbar find, nehmen eine Fläche von etwa 600 Geviertmiles 
ein. Die fünf centralen Bits, welche übrigens feinen erfenn: 
baren Krater zeigen, erreichen eine Meeresböhe von 3000 bis 
0 Fuß. Im der Nähe des Itaſyſees, etwa 25 Miles jen- 
feit diefes nicht mehr tbätigen vulcanifhen Gentrums, ift 
eine andere vulcaniſche Region, in welcher man Krater neben 


Krater ficht; Mullens und fein Gefährte Billans haben nicht 
weniger als 40 derjelben in ihrer Karte verzeichnet und mad) 
Norden hin liegen wahrjcheinlich noch viele andere. Etwa 50 
Miles weiter nach Süden bin findet man wieder drei Grup: 
pen von Vulcanen und die Reiſenden zählten dort nicht weni— 
ger als an 100 erlofchene Krater. Diefer vulcanifhe Gürtel 
fest ſich nach Norden hin fort und fteht offenbar in Verbin: 
dung mit den vulcaniichen Piks, welche die Infeln Noffi be, 
Mayotta, Anjuan (Johanna) ꝛc. bilden. Gegenwärtig ift 
Großkomoro das große Ventil, wo gewaltige Eruptionen ſehr 
häufig find; mögficherweife findet aud eine Verbindung mit 
den Bulcanen auf Mauritius und Reunion ftatt. 

In neuerer Zeit ift mehrfach die Anficht aufgeftellt wor: 
den, daß Madagaskar einft einen Theil des unter bem Meere 
verſchwundenen Eontinentes gebildet habe, der bis zur malayi- 
chen Halbinfel ſich erftredt habe, und von welchem die Sey- 
hellen, Rodriguez, Mauritins noch Ueberbleibfel feien. 

Mullens nimmt an, daß die Malgaſchen alle zu einer 
lei Race gehören; er beftreitet Crawford's Behauptung, der 
zufolge die überwiegende Mehrzahl derfelben afrikanischen 
Urſprungs feien, Er theilt fie in die drei Stammgruppen 
der Betſimaſarakas, der Sakalaven und der Hovas, 
Die Bervohnerzahl habe man früher viel zu hoch veranfchlagt 
(— gewöhnlich auf etwa vier bis fünf Millionen Seelen —); 
fie überfteige dritthalb Millionen nicht. Mullens, wir meis 
nen etwas jehr gewagt, behauptet, fie ſeien eim malayifches 
Volt mit malayifchen Sitten und Gebräuchen; manche hätten 
malayiiche Mugen und alle fpraden bis anf den heutigen 
Tag in malayiicher Zunge. Das ift viel zu viel gefagt. Die 
Ethnographie hat auf Madagastar noch eine ſchwierige Auf: 
gabe zu löſen. Der jett fo oft genannte Bartle Frere fand 
eine überaus große Aehnlichkeit zwiſchen ben Malgafchen und 
den — Japanern!: &8 fehlt nur noch, daß der entſetzliche, ab- 
ipurige Londoner Hude Clarke Aehnlichkeit zwifchen ihnen und 
den vordhaldäifchen Afkadiern, eventuell auch mit den Etrus⸗ 
fern oder Tſchuktſchen entbedt ! 

Ellis war bis 1865 auf Madagaskar, wo er mit Mif- 
fionsangelegenbeiten vielfach beichäftigt war. Die alte Köni- 
gim hielt ftreng am Glanben ihrer Worväter, als aber die 
gegenwärtige Herricherin Ranavalona den Thron beftieg, wur- 
den die früber üblichen heidniſchen Ceremonien nicht weiter 
befolgt, ſondern man ftellte zur rechten Hand der Monarchin 
eine Bibel auf. Im Februar 1866 empfing fie unter großen 


Aus allen Erdtheilen. 47 


Feierlichkeiten die Taufe und am 8. September 1369 find 
dann, auf ihren allerhöchſten Befehl, alle Götterbilder den 
Flammen überantwortet worden. Schade, daß fie nicht in un: 
fere ethnographiſchen Mufeen kamen, wo fie gewiß feinen 
Schaden für das Seelenbeil der Europäer angerichtet haben 
würden. Dem Beiipiel der Königin leifteten auch bie Privat: 
inhaber von polen Folge. Die vor 70 Jahren von den 
Miſſionären ausgeſtreute Saat war endlich reif. Es giebt 
faum irgendwo ein Seitenftüd zu einer foldhen religiöfen 
Ummwälzung. Jede nad Europa gelangende Hunde bradite 
Ueberrafhungen und in Folge davon floffen die Beiträge für 
die Miſſion ſehr reichlih. Ellis allein fammelte 7000 Pf. St. 

In den bisher erjchienenen Werken über Madagaskar 
findet man eine Abbildung des Königlichen Palaftes zu An: 
tenanarivo; derfelbe bildet ein hohes hölzernes Gebäude mit 
mehreren Stodwerlen und ſpitzem Giebeldach. est iſt an 
die Stelle deffelben ein großer Palaft getreten, um welchen 
fich eine auf fteinernen Bfeilern rubende Veranda ziebt, und 
auch Thürme und Baftionen find angebracht worden. Da: 
mit ift eine Eigentbümlichkeit verſchwunden, welche der Re: 
fidenz einen gewiſſen Charakter gab. Die Kirche in Ampa: 
mararinana ift ganz europäiich, hat einen Glodenthurm und 
Frenfter von farbigem Glaſe; die Kirche der Königin neben 
dem Palafte bat den fogenannten engliichen Stil und in ber 
Umgegend hat man Villen gebauet, welchen bie Schweizer: 
bäufer zum Vorbilde dienten. Uebrigens haben die Milfio- 
nen unler einander viel Zank und Haber gehabt; denn es 
find zwei dort am der Arbeit gewelen und jeme der englifchen 
Hochkirche hat nicht nachgelaſſen, bit fie allen Widerreben 
zum Trotz einen Biſchof einfesen Fonnte. 





Doung's neue Erpebition nach dem Riaſſa-⸗See. 

Bereits im Jahre 1867 bat der engliihe Marineoffizier 
E D. Doung den Niaſſa-See in Oſtafrika im einem zerleg— 
baren eifernen Boote befahren und einige Aufnahmen an 
beflen Dftküfte gemacht. Damals handelte es fi darum, 
Racrichten über das Schidjal Livingftone’s einzuziehen, ber, 
nach Ausſage feiner entronmenen Begleiter, ermordet fein 
foflte. Young's Nachforihungen brachten jedoch die Lügen 
der Johannaleute and Tagesliht und weil es damals dar: 
anf ankam, möglichft ſchnelle Nachrichten nach England zu 
übermitteln, jo fonnte an eine forgfältigere Aufnahme des 
Niaſſa-Sees nicht gedacht werden. Dieles foll nun nachge: 
belt und gleichzeitig damit ber Zweck verfolgt werben, ben 
bort befonders jtart blühenden Sfavenbandel brach zu legen. 
Auf Anregung des Reverend Dr. Stewart ift in Poplar bei 
London ein Heiner zerlegbarer eiferner Dampfer gebaut und 
ala — nad) dem Tobesorte Livingftone's — genannt wor: 
den. Die einzelnen Stüde bes Dampfers, der 50 Fuß lang, 
10 Fuß breit ift und 15 Tons faht, wiegen nicht mehr als je 
1 Gentner. Vierhundert Träger find erforderlich, um ihn längs 
den Kataralten des Schire (des Abfluffes des Niaſſa-Sees) 
ju transportiren. Commandant der neuen Erpebition ift 
abermals €, D. NMoung. 


Die mittlere Höhe Europas. 

Ein Schüler Oscar Peſchel's, Dr. Guſtav Leipoldt in 
Dresden, bat auf die Anregung feines Lehrers bin es unter: 
nommen, die mittlere Höhe unferes Erdtheiles neu zu be 
rechnen. Bisher galt allgemein dir von Humboldt 1843 be; 
rechmete mittlere Höhe von 205 Meter, welche für richtig an: 
genommen wurde. Nachdem bereitd einige Zweifel laut 
geworben, machte Reipoldt fich am eine gründliche Nenberech- 
tung, ein ungemein mühevolles Werk, das nur mit der zähe: 
fen Ausdauer und Geduld durchzuführen war. Man er: 
ſchridt förmlich vor der Maſſe der einzelnen Zahlen, die hier 
zu bewältigen und in Verbindung zu bringen waren. 

Das Ergebniß der mühevollen Arbeit nun ift in der 


’ 


140 Seiten umfaffenden Schrift: Ueber bie mittlere Höhe 
Europas von Dr. Guſtav Leipoldt, Plauen 1874, nieder: 
nelegt und lautet einfach: Europa befitt eine mittlere Höhe 
von 296,8 Meter oder M Meter mehr als Humboldt ihm zu: 
erfannte, Auf die einzelnen berechneten Gebiete vertbeilt fich 
die mittlere Höhe folgendermaßen : 


a 27 — 1299,09 mittlere Höhe 
Iberiſche Halbinfel TE. . 
Ballanbalbiniel. - . +» » 5795. r 
Defterrih . » . 2...» 51798 „ : 
Apenniniiche Halbinfel 3172 . — 
Skandinavien. 4281 
Frankreich »--.. 3938 „ R 
Rumänien. 222.2. . 223 „ — 
Großbritannien . » » 177 , . 
Deutſches Rih .... 2130 „5 — 
Rußland...... 167,1 R Mi 
Belgien . 2.2... 1634 „ z 
Dänemark ohne Jsland. 352 5 " 
Niederlande ohne die De: 
preffion -. .» 2...» 9,6 


Arbeit verwandt, fein Ergebnif von 300 Meter als ein ver: 
trauendwürdiges zu betrachten, ald ein der Wahrheit ſich nach 
Möglichkeit mäherndes. Es bleibt nur zu wünſchen, daß der 
Verfaffer es unternehmen möge, auch für die übrigen Con- 
tinente bie mittlere Höhe zu berechnen, wenngleich bier bei 
dem ungleich mangelbaftern Material die Ergebuiffe weit 
weniger genau ausfallen dürften. 


Der Wohlſtand Ealiforniens. 

Bon demjelben entwirft die deutſche „Galifornia-Staats- 
zeitung" folgende Schilderung: 

„Die Minen geben einen reichen Ertrag, und wenn auch 
die Speculanten ſchwer unter der gegenwärtigen Panik lei- 
ben, jo find die Mengen von Gold und Silber, die unfere 
Minen in den Berkehr bringen, außerordentlich bedeutend. 
Wenn eine einzige Mine per Monat über zwei Millionen 
liefert, fo ift es natürlich, da unfere Münze Tag und Nacht 
beichäftigt ift uud mehr liefert als je zuvor. 

Der raſche Aufſchwung unferer Ouedjilberberg: 
werte ift dem Wohlftande unferes Landes und dem Berg: 
bau auferordentlich förderlich gewelen. Eine ganze Anzahl 
neuer Queckſilberminen find in biefem Jahre in Betrieb ne: 
fegt worden. Das Onedjilbermonopol ift Dadurch gebrochen 
und der Preis des Onedfilbers von 1 Dollar 75 Gents 
auf 80 Gents gefallen. 

Unfer Staat ift nach außen nichts ſchuldig, während 
unfere Ausfuhr fortwährend eine bedeutende ift und unfere 
Wollenproduction allein auf 11 Millionen geſchätzt wird. 
In keinem Lande der Welt findet fich fo viel Unternehmungs: 
geift unter den großen Capitaliften, im deren Händen fid in 
den legten Jahren coloffale Summen angebäuft, wie in Cali: 
fornien. Unfere Gelbprinzen verwenden ungeheure Summen 
für die Berfchönerung von San Francisco, Ganz dajjelbe 
finden wir im anderen heilen des Staates. ine ganze 
Anzahl Heiner Bahnen werden durch den Unternehmungsgeift 
einzelner Leute gebaut. Senator Jones baut eben einen gan- 
zen Minendiftrict in Panamint. Er hat die Minen gekauft, 
bant Mühlen, eine Stadt, eine Eiſenbahn nach der Küjte, 
einen Hafen in Monica, kurz er verwendet Millionen auf 
ein Unternehmen, welches einem ganzen Theil unjeres Staa- 
tes eine andere Geftalt geben wird. 

Was überhaupt eben im Süden unſeres Staates ſowohl 
von der Southern Pacific wie von einzelnen Privatgefell: 
ichaften gefeiftet wird, übertrifft Alles, was man jelbit früher 
in Illinois geſehen. Ganz daffelbe gilt von unſeren Bay: 


48 


Gountied, die fich nach allen Richtungen mit einem wahren 
Net von Eijenbahnen überziehen. Welche Capitalien durch 
alle diefe Unternebmungen unter das Rolf gebracht werden, 
läßt ſich kaum aumähernd berechnen. 

Noch größer ift der Aufſchwung, den unſer Ader: und 
Obftban im den legten zwei Jahren genommen, mit durch 
die rafche Entwidelung unferer Verkehrswege. Die Herftel: 


1 
J 


Aus allen Erdtheilen. 


länger als ſonſt im Stalle zu halten; dabei gingen alle Heu: 
und Störnervorräthe verloren. „Weberdies nimmt bie 
Fruchtbarkeit des Bodens von Jahr zu Jahr ab, 
deum die gänzliche Entwaldung des Landes hat einer: 


ſeits auf die Bewäflerung des Bodens nacıtheilig gewirkt, 


andererleits die Bewohner gezwungen, den Viehdünger als 


Brennſtoff zu benutzen, alfo den Feldern die nöthige Befruch: 


fung eine Canal: und Bewäflerungsiyftems hält in | 
\ auch Kleinafien immer mehr unfruchtbar machen, jo daß es, 


vielen Counties gleichen Schritt mit dem Bau der Eiſenbah— 
nen, und die Zeit ift nabe, wo eine regelmäßige Bewäſſerung 
und eine rationelle Bodenbehandlung den Landbau allen Ge— 
fahren der Trodenheit entrüdt. 

Wir fteben erſt am Anfang der Entwidelung unjerer 
überreichen Hülfsauellen, wenn wir aber damit jo vajch vor: 
wöärtsichreiten wie im den leßten zwei Jahren, jo wird es 
wohl bald kaum ein Product geben, welches unjer Staat 
nicht im irgend eimem feiner Counties producirte. Unſere 
Baummwollen: und Tabadproduction ift in raſchem Zunech 
men begriffen, unfer ganzer Süden verwandelt ſich in einen 
Garten, wo tropiiche Früchte neben Wein, Oliven, Objt und 
Getreide gebeiben, unfere Obſteultur liefert unter dem Alden: 
prozeß Producte, denen ein unbegrenzter Abſatz gefichert ift, 
kurz unfer Staat geht einem Aufſchwunge entgenen, dem ſich 
nur wenige Staaten der Welt an die Seite ftellen können.“ 


Die Handeldentwidelung Brafiliens. 


Brafilien bat, den übrigen Staaten Amerikas gegenüber, 
den großen Vorzug, eine Monarchie zu jein und von Präſi— 
dentenwahlen nebſt obligatem Zubehör verfchont zu bleiben. 
Die Ruhe wird felten geftört, die Ordnung aufrecht erhalten 
und das Land kommt, vieler Mängel ungeachtet, im ntate- 
rieller Beziehung vorwärts. Die nachjtchenden Ziffern be- 
weilen, in welcher Weile der Handel zugenommen bat. 

An den fünf Jahren 1846 bis 1851, ale die Einfuhr 
von Sklaven ihren höchſten Stand erreicht batte, betrug die 
Handelsbewegung mit dem Anslande 11,004,580 Bf. St.; fie 
war in den fünf Jahren 1866 bis 1871 neftienen anf 34,198,201 
und ftellte fich filr 1873 auf 37,103,672 Bf. St. Der fünf 
Jahre lang andauernde Krieg mit Baragnay (jeit 1865) wirkte 
allerdings nachtheilig ein, aber trogbem nahm der Handels: 
verkehr zu. Als Kater Dom Vedro der Zweite 1831 durch 
die Entjanungsacte feines Vaters zum Throne gelangte, be: 
trug die Staatseinmahme 1,117,152 Pf. St.; 1810, im erften 
Jahre feiner Majoremnität, 1,631,075. Sie war 1871 geftie- 
gen auf 9,773,655 und 1872 auf nahezu 11 Millionen. 

Die Ausfuhr von Kaffee betrug 1841 nur 74,29,680 
Kilogramm, 1871 fchon 225,834,4858, Baumwolle 1860 nur 
9,854,952 R., 1872 aber 83,543,3387. Yuder 65,387,051 in 
1861 und 1872 jchon 126,526,730. — Tabad in derielben 
Zeit ftien von 4,608,987 auf 12,535,162 Kilogramm, Die 
Ausfuhr von Kautſchuk war 1861 noch ganz unbedeutend, 
betrug aber 1373 ſchon 5,067,725 8. im Gelbwertbe von 
1,048,4841 Pf. St. 

*5* x 


— Während Kleinafien durch die Hungersnoth fo 





| 


entieglich gelitten bat und noch leidet, droht gegemmärtig eine | 
folche auch in Armenien. Ein Berichterftatter der „Allge- | 


meinen Zeitung* fchreibt‘, daß der ungewöhnlich lange Win- 


tung zu entzieben." Es find dies dieſelben Urfachen , welche 
wenn wicht euergiſch eingegriffen wird, am Ende unbewohn: 
bar werben wird. 

— Auf der Juſel Kreta iſt in der Mitte des Juni: 
monates eine Pandesverfammlung abgehalten worden. 
Unter den Abgeordneten befand ſich auch ein Nude, zum 
großen Mißvergnügen der türkiſchen und chriſtlichen Abge— 
orbneten; fie behaupteten, daß in der Verfaſſung der Inſel 
für einen ſolchen kein Pla feit Der türkiiche Statthalter 
erflärte jeboc, es ſei Plaß für den sracliten und was dem 
Einen recht, jei auch dem Audern billig. 

— Henihreden in Argentinien. Darüber ſagt 
Herr Auguſt Kahl in der Märzuummer ber „La: Plata: 
Monateichrift" Folgendes: 

„Eine Plage des Landwirths find die Heuſchrecken 
(Acridium paranense, Burm.). An Zwiſchenräumen von 5 
bis 7 Jahren erbeben fih im Frühjahr aus den Wildniffen 
des Chaco unermeßliche Züge diejes Juſectes. Der Land— 
bewohner, durch lange Jahre des Anblids entwöhnt, weih 
nicht, was er aus der Farbe und Form rauchähulicher Wol— 
ker machen Toll, Die Wolfe wird immer dichter, bis jie von 
einem Horizont zum andern veicht und bald wird es ihm 
nur allzuflar, was fie bedeutet. Der Tag verdunkelt fich, 
umfouft werden an der Grenze der Felder Feuer ange: 
zündet, Tücher geſchwenkt; die Sonne iſt im Untergeben 
begriffen, und der Milliarden zählende Schwarm fest fich, 
Meilen und Meilen weit den Boden bedeckend. Am andern 
Morgen erhebt er fich, um weiter zu wandern, aber die grüne 
Farbe ift mit ihm verichwunden. Getreide, Gemilſe, das 


‘ Laub der Bäume, ja zuweilen deren Rinde — alles abgenagt, 


die Arbeit des Jahres ift verloren. Nene Schwärme, bald 
größere, bald kleinere, folgen dem erften. Nach einem Mo— 
nat giebt das Inſect die Wanderungen auf, um feine Eier au 
legen. Man zerftört diefe, wo man fie findet, allein bie 
Streden unbewobnten Landes find zn groß, um dieſes mit 
Erfolg thun zu können. Die neue Brut (Saltona) kriecht 
bald aus den Eiern und überzieht in geichloffenen Colonnen 
die Saatfelder. Es giebt fein Hinderniß für diefe Milliar: 
den Thiere, fie friechen über alles hinweg und hindurch, fie 
durchſchwimmen die Flüſſe uud löſchen das Feuer mit ihren 
Leibern. Eine ſolche Colonne ift zuweilen Meilen lang und 
10 bis 12 Cuadras breit. Da fie langlam kriechen, jo geben 
fie dem Landwirtbe Zeit, fie durd von Pferden gezogene 


eiſerne Walzen zu zerguetichen. Wenn die junge Brut ihre 


Flügel erhält, wartet die gelammte Colonne, bis alle ihre 
Mitglieder mit diefem Apparat verfchen find, um dann zu: 
ſammen anfzufliegen. Auch Führer, gewöhnlich ein erwach⸗ 
jenes Eremplar mit Flügeln, will man bei dem Mariche der 
jungen Brut bemerkt haben.* 

— Aus Bagdad wird berichtet, daß die orientali- 
Ihe Peſt ih im Maimonat über das ganze Gebiet der 
Montefilaraber verbreitet babe und daß Taufende von 


ter die Bewohner gezwungen babe, ihr Vieh einen Monat Menſchen derjelben erlegen find. 
»  Imbalt: %. Garnier's Schilderungen aus Rinnan. I. (Mit vier Abbildungen) — Müller’s kosmiiche Phyſik 


in vierter Auflage. II. (Mit drei Abbildungen) — 


Ein Beiuch anf der Juſel Urk im der Yumderfee. IM. (Schiuf.) — 


Karl v. Neumann’ Erpedition nad den Bäreninfeln vor der fibiriichen Küfte, I. — Aus allen Erdtbeilen: Von der 
Juſel Madagaskar. — Poung’s Reiſe nach dem Nyaſſa-See. — Die mittlere Höhe Europas. — Der Wohlſtand Gali: 
forniens. — Die Handelsentwidelung Brafiliens. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 2, Juli 1875.) 


Herausgegeben von Karl Andree in Leipzig. — Für bie Redaction verantwortlib: H. Vieweg in Braunſchweig. 
Drud und Verlag von Briebrid Bieweg und Sohn in Braunſchweig. 


Hierzu eine Beilage: Literarifher Anzeiger Nr. 6. 


Arefmeo»- u‘ 


* 





Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Etknologie. 


An 


Berbindung mit Fahmännern und Künſtlern herausgegeben von 


Karl Andree 





Braun ſchweig 


Zahrüuch 2 Bände, Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Mark, Einzelne Nummern 50 Pf. 


5. 


187 


F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan. 


Unſere Leſer erinnern ſich, daß Garnier während ſeines 
Aufenthaltes in Yin ngae von einem Pöbelhaufen angegriffen 
und ſchwer befeidigt wurde, Er echielt indeß Genugthuung, 
denn als er am andern Toge die Stadt verlafjen hatte, wurde 
er don zwei Meitern überholt; fie meldeten von Seiten des 
Obermandarinen, daß der Miflethäter, welcher mit Steinen 
nad dem Europäer geworfen habe, in den Halsblod geſperrt 
worden ſei und dag man ihm dann ſoeben den Kopf abge 
ſchlagen habe! 

ie Stadt Tſchepin am dem gleichnamigen See hatte 
durch die Unruhen nicht gelitten, Die Strafen find mit 
Marmor gepflaftert und werden ſauber gehalten; die Wilden 
verfchiedener Stämme, namentlich die Pay und Yolo, machen 
einen recht vortheilhaften Eindruck; außerdem leben dort nod) 
Pula, Wilde von Heiner Statur und ftarf gedunkelter Hauts 
farbe. Der Verkehr auf den Markte war lebhaft; Garnier 
fah Eifen, weldyes aus Gruben in der Nähe gewonnen wird, 
Töpfergefchirr, zum Theil fehr zierlich, in großer Menge, 
Schwefel, There, Salz, Baumwolle und Reis. Am 16, De: 
cember, ald die Erpedition von Tong hay aufbrach, hatte fie 
den ganzen Tag Schneegeftöber, das Gelände ftieg immer 
mehr an, aber bald waren die Reifenden von ihrem nädhften 
Ziele nicht mehr weit entfernt; fie erblichten aus der Ferne die 
Mauern von Yunnan und wurden vor ihrem Einzuge von 
einem Fleinen Mandarinen begrüßt, der ihnen einen Brief in 
franzöfifcher Sprache einhändigte; derfelbe war von einem ber 
Mifjionäre, melde in jener Stadt feit langer Zeit eine Sta⸗ 

Globus XXVNI. Ne. 4, 


II. 


tion haben. Es war eine große Menfchenmenge zufammen: 
geftröntt, um fich die Europäer zu betrachten, welche erft durch 
die jüdweftliche VBorftabt und aus biefer in die Hauptſtraße 
geleitet wurben, die einen ſehr vortheilhaften Anblick darbot 
mit ben vielen, reich verfehenen Waarenläden und den vielen 
bunten Schildern und Fahnen. Man wies ihnen als Woh- 
nung ein großed Regierungsgebäude (Yamen) an, das aller- 
dings theilweife in Trümmern lag; vor der Berwüftung wa- 
ten in bemjelben die Examina fitr die Studenten abgehalten 
worden, welche ſich um das Baccalaureat bewarben, Bor 
einigen Monaten war von Peling aus Befehl gefommen, 
einen Theil wieder in guten Stand zu jegen. 

Die beiden franzöfifchen Diiffionäre Protteau und Fe⸗ 
nowil gingen natürlich ihren Yandsleuten im jeder Beziehung 
an bie Hand und gaben ihmen die befte Ausfunft; der Obers 
mandarin zeigte ſich jehr gefällig, ſchidte Lebensmittel und 
ftellte eine Polizeiwache. In der Stadt wohnen viele Mo- 
hammebaner, denen man nichts anhaben kann, weil fie ſich 
rubig verhalten. Die Zahl der Chriſten giebt Garnier auf 
ungefähr einhundert an umd er meint, daß bei ber Gleich · 
gliltigfeit der Chinefen gegen religiöfe Dogmen dieſelbe ſich 
wohl auch nicht vermehren werde; frliher, vor den Ausbruche 
der Unruhen, follen fie etwa achthundert Köpfe gezählt haben. 

Die Zahl der Einwohner betrug, als Garnier zu Ende 
des Jahres 1867 dort war, höchftens 50,000; fie muß ſich 
aber, bie ausgedehnten Vorſtädte mit eingerechnet, vor dem 
Krieg wohl auf das Bierfache belaufen haben, Die Feſtungs · 

7 


F. Garnier's Schilderungen aus Nünman. IT. 


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F. Garnier’3 Schilderungen aus Yünnan. LI. 51 


werke find ausgedehnt; der Boden, auf welchem die Stadt 
erbaut wurbe, fällt fanft bie zum See ab; nad) Norden hin 
erheben fich einige Hügel und die Umgegend ift forgfältig an: 
gebaut. Für den Handelöverfehr hat Yunnan eine entjchjies 
dene Bedeutung; es bildet einen Mittelpunkt, in weldem von 
weit und breit Maflen wertvoller Erzeugniſſe aufgeftapelt 
werden. Die Provinz ift nameutlich reich an Metallen, ins⸗ 
befondere an Kupfer, welches aus mehr als vierzig Gruben 
gewonnen und hier vaffinirt wird. Im Jahr 1850 betrug 
dad Kupfer, welches den Antheil für die laiferliche Regierung 
bildete und nad) Peling abgeliefert werden mußte, ungefähr 
6,000,000 Kilogramm. Der Silberertrag ift minder bes 
dentend, jährlich etwa 40,000 Kilogramm, die aus den Gru— 
ben von Yo ma und Mien hoa ti gewonnen werden; was 
man an Gold gewinnt, ift kaum der Rede werth; Zinn wird 
nur aus einer einzigen Grube gewonnen, dagegen ift die För- 
derung von Blei und Zink nicht unbeträchtlich; den Bedarf 
an Eiſen dedt die Provinz felber. 

Das Kupfer von Mnnan ift für die Faiferliche Regie: 
rung von größten Belang, weil fie deflelben zur Herſtellung 


ihrer Scheibemitnge, ber Sapelen, nothwendig bedarf und für 
diefe ift die Nachfrage in dem von ein paar hundert Millio— 
nen bewohnten Reiche unbeſchränkt. Deswegen ſchießt fie 
auch den Grubenbefigern beträdjtlihe Summen vor um bie. 
Anabente zu fteigern. Uebrigens hat and Munan feit dem 
Jahr 1661 eine Munzſtätie, in welder ganz ungeheuere 
Quantitäten Sapeken fabricirt worden find. Solch ein 
Geldſtlick befteht aus 54 Theilen Kupfer, 42,75 Zink und 
3,25 Blei. Vor dem Kriege mit den Mohammedanern lies 
ferte Yunnan jährlich mehr als 100,000,000 Sapelen, 
von denen nad) amtliher Schägung 1200 auf ein Tal, 
d. h. eine Unze Silber, famen; die Sapeke wiegt 41/, Gramm, 
Seit dem Kriege hat fich die Production vermindert und der 
Zufag von Zink ift beträchtliche geworben ; al& Garnier dort 
war ftand der Cours niedrig: 1800 Sapefen für den Tal. 

Die Induftrie liefert einen eigenthlintlichen Stoff, der 
als Sammet des dftlihen Meeres bezeichnet wird: 
Tong bay tuan tfe. Derfelbe ift did und man verwendet 
zum Gewebe den Faden weldyen die ſchon früher erwähnte 
Waldſpinnne Liefert; er ift insgemein ſchwarz, nimmt aber 





auch; andere Farben an. Diefer Sammet von Nlnnan ift 
in ganz China berühmt; man verfertigt dort auch ſehr hübſche 
Teppiche, Deden umd Filzarbeiten. Auf den Markt Fommıt 
aud; Opium , das in der Provinz felbft bereitet wird, Salz, 
Eher, Zinnober, Seide, Moſchus, allerlei Droguen und Ars 

uter, Taback. Sodann Pelz und Wollentuche aus 

, englifche Baumwollenwaaren und rohe Baumwolle 
aus Birma, 

Die Ebene von Yunnan liefert Getreide in Menge, Obft 
verfchjiedener Art, insbefondere Soraho, Weizen und Hafer, 

Flachs und Tabad; an Obftarten Kirſchen, Pfirfiche, 
Bimen, Nuſſe, Kaftanien ; den Viehſtand bilden Schafe, Zies 
gen, Rindvich und Büffel. 

Seitdem der Anbau des Mohnes eine große Auss 
dehnung gewonnen hat, Liefert Plinnan nur noch wenig 
Wachs, das einft eine wichtige Haudelswaare bildete. Die 
Bienen, fo fagen die Eingeborenen, hatten eine kranfhafte 
Vorliebe fiir den Mohn und gingen nicht mehr auf andere 
Blumen; binnen zwei oder drei Jahren waren fie dann alle 


geftorben. 





—— — 
Unlunft im Thale des 





Yangtichang. 


Der Munan-See hat feinen Abflug zum Yangtſekiang 
vermittelft eines Waſſerlaufes, der bei der Stadt Kuen yang 
tichen das Becken verläßt. 

Es ift ſchon weiter oben bemerkt worden, daß die Erpe- 
dition fich in einem Häglichen, abgeriſſenen Zuftande befand; 
vor allen Dingen war es nöthig, anfländige Kleidung zu 
beichaffen. Sie befand ſich in einem eiviliſirten Yande, mußte 
ſich freigebig zeigen gegen die vielen Beamten und Diener, 
welche der Obermandarin ‚ihr zur Verfligung geftellt hatte, 
und fie hatte noch eine weite Meije vor ſich. Der Miffionär 
Fenouil wußte Nath. Ma ta jen, Mohanımedaner und Ge 
neral bei den faiferlichen Truppen, war erfreut den Euro—⸗ 
päern die Summe von 700 Taels vorzuidießen und vers 
langte nicht einmal Nüdzahlung. „Wenn Ihr aber auf 
einer ſolchen befteht, jo fehicht mir von Schanghai aus euro- 
phiſche Waffen für das Geld.“ Somit war eine große Ber- 
legenheit bejeitigt und die Neifenden konnten fid) und ihre 


Begleiter anftändig fleiden. 


Nun aber fragte ſich, wie und ob fie weiter nad) Tali 


| wlirden gelangen fünnen. Diefe Stadt ift in geographiſcher 


7* 


52 


ar ni N 9 


F. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan. II 





u Mi uni I) 
| \ I Kl | Nil —9 










Familie von Wilden. 


F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan. IL 53 


wie commercieller Beziehung von entjchiedener Widhtigleit; 
Liegt zwifchen dem Blauen Fluß und dem Melong und 
bildet den Schlüffel der Straße die aus Birma nad) dem 
Innern Chinas führt. Aber der divecte Weg war nicht offen, 
dort hatten Überall die Mohammedaner die Oberhand. And) 
hier wußte der eben genannte Miffionär guten Rath; er 
machte jeine Yandsleute auf den Yao papa aufmerkfam, 
Diefer alte Mann war das geiftige Oberhaupt dev Moham⸗ 
medaner in der Stadt Munan und ftand im großem Anjes 
ben auch bei der chineſiſchen Regierung, weil dieje den Be— 
weis Kiefern wollte, daß fie gegen die Befeuner des Islam 
als ſolche keine feindfelige Geſinnung hege, fondern die Mo- 
hammedaner nur befämpfe, wenn diefelben als Rebellen gegen 
den Kaifer ſich auflehuten, 

Der Lao papa hatte in jüngeren Jahren weite Reifen 
— und war namentlich im Indiſchen Archipelagus auch 


7 


vi mit Europäern in Verlihrung gelommen; und fo 
erklärt ſich, daß er die befchränften Anfichten feiner Lands— 
leute nicht theilte. Seine Yieblingsbefchäftigung war Aſtro 


nomie ımd der Miffionär that ihm zu willen, daf einer der 


— 





Reiſenden ſich ganz ausgezeichnet auf die Himmelslunde ver⸗ 
ſtehe. Damit war die Bahn gebrochen. Der Yao papa 
unterhielt fid) mit Garnier über die Entfernung der Planeten 
und der Firfterne, über Sonnen» und Mondfinfternifje und 
Kometen. Bei einer feierlichen Zuſammenkunft äußerte 
Garnier feine Hochachtung Über die Keuntniſſe des wilrdigen 
Mannes, der dann ein präctiges Fernrohr herbeiholte, das 
er einft in Singapore gefauft hatte. Leider lonnte es von 
ihm micht benuht werden, weil er mit dem Mechanismus, 
namentlich mit der Schraube, nicht wnzugehen wußte, Als 
daun Garnier Alles raſch in Ordnung bradjte und der Yao 
papa ſich deſſelben bedienen komme, war die freude groß. 
Aus Dankbarkeit erbot er ſich, allen Einfluß anfzubieten, 
um den Europäern die Neife nad) Tali zu ermöglichen. Zu 
diefeom Zwecke ſchrieb er einen langen Brief an feine vebel- 
liſchen Slaubensgenoffen, welchen er den Zweck auseinander 
fette, weshalb die Männer aus dem fernen Abendlande nad) 
China gelommen ſeien; aus Yiebe zur Wiſſenſchaft, insbefons 
dere zur Mitronomie, hätten fie große Beſchwerden ertragen, 
der Ungunſt der Witterung Trog geboten und fid) weder vor 








DS —— — 


Wilde aus der Umgegend von Talan, 


wilden Thieren Strafenräubern gefiirchtet. 
mit Herz ift aufrichtig, ihre Redhtichaffen 
heit unterliegt feinem Zweifel, ihr Betragen ift artig, ihre 
Sitten find anftändig. Ich fordere nun alle Mohammeda— 

alle Chineſen auf, nicht minder auch alle Barbaren, 


„sch bin 


Gegenden bewohnen, diefe Franzoſen frei und un— 
gehindert reifen zu laflen und ihnen feinerlei Hinderniß im 
den Weg zu legen.“ Das war ein blindiger Empfehlungs— 
brief und aud) der Bicefänig von Yhünnan ftellte einen Fu 
pay aus, das heißt einen Geleitäbrich für die Strecke über 
Tong tichuen, Tſchao tong, den Blauen Strom bis Schanghai. 
Ein chriftlicher Untermandarin mit kupfernent Knopfe jollte 
die Reifenden als ihrer bis Tong iſchuen begleiten. 
Am 8. Januar 1868 verlieh die Expedition Munan, 
wo fie zwei Wochen lang hatte Naft halten fünnen, Cie 
am 10. Januar Über eine weite, vortrefjlid, angebanete 
Ebene, welche durch ein ausgedehntes Canalſyſtem reichlich 
beiväfiert wurde; nach allen Richtungen hin lagen theils 
Dörfer theils große Meierhöfe, auf den Wiefen weidete Sieh 
und das Ganze erinnerte lebhaft an eine europäiſche Land— 
ſchaft. Weiterhin wurde die Gegend hiigelig, wurde von 


vielen Schluchten durchzogen und die weit von einander ent: 
fernten Dörfer lagen hier zumeift in Trlimmern; die Pan: 
thays hatten fürdjterlich gehauft und die Chinefen zitterten 
vor ihnen. Am 12, Januar führte der Weg im eine tiefe 
Schlucht, welche das Bett des Yi tang ho bildet; diefer fällt 
unweit von Tong tidjuen in den Blauen Strom, Die Be: 
völlerung diefer Gegend ift nur fpärlich; der chineſiſche Typus 
verſchwindet ſaſt ganz bei ihr und die Phyfiognomie der Yeute 
zeigt deutlich, dag hier ftarfe Blutvermiſchung ftattgefunden 
hat. Die Hänfer find aus geftampfter Erde ausgeführt; 
auf den Feldern, tiber welche ein falter Wind hinwegfegt, 
bauet man nur Hafer und Kartoffeln; Geſträuche findet man 
(ediglich in den Heinen Schluchten und Bodenvertiefungen. 
Die Neifenden hatten nun eine beträchtliche Höhe erreicht; 
zu ihrer Linken erhob ſich ein mächtiger Berg, deſſen Gipfel 
mit Schuee bededt war und deſſen Höhe Garnier auf etwa 
4000 Dieter ſchätzt. Das Plateau war nach allen Rich— 
tungen hin von breiten und tiefen Spalten durchriſſen, welche 
wie Manerwälle jäh abfielen und den Zug nach Nordoften 
bin hatten, Unſere IAlluſtration zeigt den Charakter diefer 
Scjluchten auf der Strafe von Tong iſchuen nach Mong ku. 


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54 F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan. I. 


In diefe Abgründe mußte man Hinabfteigen. Im den 
Frühlingemonaten dienen fie dem Regen- und Schneewaſſer 
als Abzugebeiten. Aber felbft im diefen Einöden liegen 
Städte, bie einen beträchtlichen Verlehr haben, fo hier der 
Marltflecken Tay phu, wo alle Waarenläden reich ausftaffirt 
waren, denn das chinefifche Neujahr war nahe. Cine über- 





aus buntfchedige Volldmenge war aus dem Gebirge herab» 
gefonmen um infäufe zu machen; ber Gafthof war zu 
Ehren der Europäer mit Flaggen geſchmüdt und die Herberge 
ließ nichts zu wunſchen übrig. 

Tay phu liegt am einem Bache, der ſich nach und mach 
zum Fluſſe von Tong tſchuen erweitert. Auf diefen lag 


Gaſthof an der Strafe von Tong tichuen nad Mong tu. 


eine große Barke bereit, auf mweldyer die Europäer den Alu | 


raſch hinabtrieben, während ihr Sepäd auf dem bejchwerlichen 
Landwege befördert wurde. Das Wafler war ſeicht und hatte 
viele Stromfchnellen, aber der flache Boden der VBarfe, die 
mit tüchtigen Ruderern bemannt war, lam trogdem ohne 





Fahrzeug hatte zur beiden Seiten hohe, röthlice Welfen- 
wänbe, bie völlig fahl waren und auf denen gar nichts 
wuchs, nicht einmal ein Grashalm. Dazu war der Him- 
mel impertinent far und die Sonne brannte in die Schluch— 
ten hinein; dann und wann Fam ein heftiger Windſtoß aud 


Hinbernifje vorwärts in dieſer abſcheulichen Gegend. Das ; Eitbweft und pfifj unheimlich durch die Schluchten. Im wei- 


“ 


Karl v. Neumann’s Erpedition nad den Bäreninjeln vor der ſibiriſchen Hüfte. II. 


ter Entfernung von einander lagen einige armſelige Fiſcher— 
hütten. 

Nach achtjtündiger Fahrt famen die Reifenden in einen 
Eeitencanal, welcher einen Theil des Fluſſes nad) Tong tfchuen 
leitet. Nun treten bie Felswände zurück, bilden einen weiten 
Kreis und im ber weiten Ebene wächſt Getreide. Bald ka— 
men aud die Mauern von Tong iſchuen in Sicht, wo die 


55 


Europäer bei einbrechender Dunkelheit einzogen. Im einer 
Pagode war ſchon eine Wohnung für fie hergerichtet und von 
Seiten der Behörden war Befehl an das Bolf ergangen, bie 
Fremden nicht zu ftören, 

Mir verlaflen fie hier, um fie auf ihrer fpätern Wan: 
ing zu begleiten und wollen nur bemerken, dag Commans 
deur Yagree in Tong tſchuen geftorben tft, 


Karl v. Neumann’3 Erpedition nad) den Bären-Inſeln vor der fibiri- 
fhen Küſte. 


Bon ihrer Vergangenheit haben die Tjchuktichen, wie 
ſchon bemerkt, gar feine Kenntniß überlommen, obwohl nod) 
vor Kurzem, wie fie verfichern, ihre Vorfahren gewußt hät: 
ten, wo fie hergefommen feien. Selbft von fo allgemein 
verbreiteten Ueberlieferungen, wie von der Sintfluth, ift ihnen 
nichts befannt, nur über bie beiden wichtigften Weltereig- 
niffe, die Schöpfung ber Erbe und des Menſchen, habe ich 
bei ihnen zwei eigenthlimliche Sagen — 

Die eine auf die Entſtehung der Renthiertſchultſchen ber 
zügliche lautet folgendermaßen: Im Anfange wurden mit 
einem Schlage alle Völker erſchaffen, Tſchultſchen, Julagiren, 
Tſchuwanzen, Tunguſen, Korialen, Yamuten, Ruffen u. ſ. w., 
und in verſchiedenen Gegenden hatten ſie ihre Wohnungen. 
Dieſe Völler bekriegten einander und führten ein fündliches 
Leben. Dadurch erweckten fie Gottes Zorn und derſelbe 
ließ einen furchtbaren Sturm los, der fie nad) allen Welt: 
gegenden verwehte; am weitgften flogen die Ruſſen. In 
Folge diefes Sturms trennten ſich auch die Inſeln vom eft- 
lande ab und es entſtand die Bucht von Koliutſchin. Bei 
dieſem Sturme gingen nun auch alle Boote verloren und 
nene fonnten, da auch die Wälder zerftört waren, nicht ver- 
fertigt werden. In Folge deſſen mußten bie Tſchuktſchen 
bie eehunbsiagb aufgeben, es brach bald eine Hungersnot 
unter ihnen aus und fie fingen an ſich allmälig zu zerſtreuen. 
Gott aber erbarnıte ſich ihrer und gab ihnen das Renthier. 
So entftanden die Menthiertfchuktichen. Der andere Theil 
diefes Bolls aber, dem die hohen Felſen des Schelagstij: 
Mys vor dem Sturme Schu gewährten, bereute erſt viel 
fpäter fein fündhaftes Leben und blieb deshalb ohne Nen- 
tiere. Dann aber erbarmte Gott fic auch feiner und lehrte 
ihn aus Fiſchbein und Walroßhäuten Heine Boote (Bajdary) 
verfertigen und die Seehundsjagd betreiben. Doch fünnen 
die anfäffigen Tſchuktſchen, da fie zu ihren Kleidern der 
Renthierfelle beditrfen, ohme ihre glüdlicheren Stammes ⸗ 
genofjen nicht eriftiren und Gott hat die Nenthiertfchuftichen 
bei weitem lieber. 

Die andere unter den anfäfjigen Tſchuktſchen verbreitete 
Erzählung lautet höchſt einfah: Im Unfange wurde ein 
Menſchenpaar erichaffen; von dieſem ftammen alle Bölfer 
ab, die ſich je nad) Neigungen und Fähigkeiten verfcjiedenartig 
beichäftigen. Das ift Alles und man fommt bei diefer Le— 
gende wohl auf den Gedanken, daß fie erft nad) Einführung 
des Chriſtenthums und mit diefem fich unter den Angesali 
feftgefegt habe. Die erfte Pegende hat mir der heidnifche 
Aigimroth mitgetheilt. Die heidnifchen Tſchultſchen ver: 
ehrtem nur einen guten, auf der Sonne wohnenden Gheift, 
ver Dualismus eines Ormuz und Ahriman war ihnen 
ganz fremd, Ich will leineswegs behaupten, daß diefe reli- 


aiöfen Anſchauungen tſchuktſchiſche Driginafproducte feien, 


fie mögen ihnen cbenfowohl von einem andern, vielleicht 
inzwiſchen untergegangenen Bolfe überlommen fein, aber fo 
viel fann id) behaupten, daß dies Überhaupt Alles ift was 
die Tſchultſchen darliber wiffen *); fie hatten feinen Grund 
uns etwas zu verheimlichen umd mehr wird wohl Niemand 
in Erfahrung bringen, 

Die Erwartung auf einen befebten Jahrmarkt ging in 
der That in Erfüllung, allein von den Vorgebirgstichuft« 
ſchen hatten fich gegen 60 eingefunden, was übrigens bie 
abergläubifche Furcht vor denfelben nicht verminderte. Der 
Umfag war ungleid, bedeutender ald im Vorjahre, der Ta: 
bad wurde fo ſchnell abgefegt, daß er gegen Ende des Marfts 
wicht mehr aufzutreiben war und viele Eingeborene ihr theu— 
red Velzwerl wieder mit mac Haufe nehmen mußten. Gre- 
ditirt wird den Ruſſen micht mehr umd nicht ohme Grund, 
nachdem vor 20 Jahren ein jakutskiſcher Kaufmann dem 
reichen Borgebirgstichuftichen Chotto, welcher ihm eine bedeu⸗ 
tende Partie Pelzwert crebitirt hatte, feine Berpflichtungen 
nicht einhalten wollte, Chotto mußte feinen Schuldner vers 
Hagen, er gewann aud), freilicd, etwas fpät, den Proceß, 
aber feitdem haben die Tſchuktſchen ihr Vertrauen zu den 
ruſſiſchen Kaufleuten verloren. Dies gilt Übrigens nur von 
den Tſchuktſchen, welche ſich fo volllommen frei erhalten; 
die anderen eingeborenen Stämme, Tungufen, Jakuten, La— 
muten, handeln auf Credit umd gerathen dadurch im immer 
größere Abhängigkeit. Da es hierbei ohne Berlufte nicht 
abgeht, jo erhöhen die Kaufleute legteren gegenliber allmälig 
ihre Preife, den Tſchultſchen aber, die ihnen ſtets gute Pelz- 
waare faſt aus der erften Hand bringen, geben fie ver— 
hältnigmäßig billiger ab. Durch befondere Neblichkeit 
zeichnen fid) aber auch die Lamuten aus, die einen unbe 
fchränften Credit genießen. Es herrfcht bei ihnen nicht 
allein die löbliche Sitte, daß der Sohn die Schulden des 
verfiorbenen Vaters berichtigt, fondern, wenn feine Mittel 
nicht ausreichen, fommt der ganze Stamm felber dafür auf. 
Derfelbe ift daher bei den Kaufleuten ſehr beliebt. Der 
Yahrmarkt von 1870 war nicht minder befebt als der vorig- 
jährige, daffelbe bunte Gemiſch von Volkertrachten und Ger 
ſichtern, diefelben Waaren und Handelsgefchäfte, diefelben 
Spiele, Tänze und Wettrennen. 

Am Morgen nad) dem Schluffe des Jahrmarlis nahm 
ich Abjchied von meinen tichuftfchifchen Freunden, Wer 
weiß, ob ich je wieder diejen guten, unverdorbenen Menſchen⸗ 
findern begegue, ob ich nod) einmal in meinem Yeben in 


*, Die von Schifhmarew im Jabre 1821 aufgegeichneten Legen⸗ 
den find den Tſchultſchen fattiſch unbelannt, 


56 Karl dv. Neumann’s Erpedition nach den Bäreninſeln vor der fibirifchen Küfte. TI. 


leichter Narte über jene enblofe, öde Tundra bahinfliege und 
umter der zottigen Felldecke, fei e8 im räucherigen Pologe 
oder gar im bloßen Schnee, die von langer Fahrt fteif ge 
wordenen Glieder ruhe! So lebet denn wohl, ihr rauhen 
Söhne des rauhen Nordens, die ihr, unbefannt mit allen 
Reizen höherer Cultur, eure Freiheit Über Alles fchäget und 
außerhalb eurer eifigen Heimath fein Erdenglüd euch vors 
ftellen fönnt. Glücklich feid ihr in eurer Naivetät und Uns 
wiflenheit, weit glüdlicher als die von allen Feinheiten des 
civilifirten Lebens angeledten Culturmenſchen, die, ewig un: 
zufrieden mit dem, was ihmen geboten, ewig nad) Neuem 
langend, endlid) von der traurigen Erkenntniß der Leere ihrer 
Beftrebungen und unerfüllten Hoffnungen niedergedrlickt aus 
dem irdiſchen Jammerthale fcheiden. Ihr feid glüdlich in 
eurer Anſpruchsloſigkeit, zufrieden mit Allem, laßt ihr es euch 
an den fargen Gaben eurer Heimath genligen, habt ihr 
eure Freude an dem einzigen Reichthum, der ſich euch bietet, 
den Nenthierherden, befriedigt euch felbft der mit Yebens- 
gefahr verbundene Fifcherwerb auf dem Meere. Bom Eis— 
meere bis zu dem mit ewigem Schnee bededten Gebirgen, 
von der Kolyma bis zum Großen Ocean führt ihr mit 
euren Herden ein patriarchalifches Nomadenleben. Frei lebt 
ihr in euren geräumigen Zelten und zufrieden. Wohl habt 
ihr eich einjt wild und graufam erwiefen gegen die eindrins 
genden Koſacken-Eroberer, welche euch Freiheit und Unab- 
hängigkeit rauben wollten, aber gaftfreundlicd und milde 
waret ihr gegen uns friedliche Neifende, die wir nur Freund⸗ 
ſchaft und Gpesbienfte von euch beanfpruchten. Ueberſchrei⸗ 
tet je wieder ein Reiſender, ſei es ein Mann der Willen« 
ſchaft, ein einfacher Touriſt oder ein Jäger, die Grenzen 
eures Gebietes, fo laſſet ihm die Aufnahme angedeihen, die 
wir bei eud) fanden, und Gott wird es eud) lohnen, er wird 
euch in eurem Vorhaben beiftehen und das ungerechtfertigte 
Mißtrauen eurer abergläubifchen Nachbaren in Freundſchaft 
und Achtung verwandeln. Yebet wohl! 

Bon der Kriepofta mußte ich zunächſt wieber nach Niſch- 
nij-Kolymst zurück; ic; machte den Weg, nur einmal die 
Hunde wechielnd, in 24 Stunden. Die Geſchwindigleit und 
Ausdauer der Hunde ift eine ganz enorme; fo legte vor einigen 
Jahren ein Kaufmann aus Jakuték (M. Baramygin) dieſe 
260 Werft (— 37 Meilen) lange Strede, ohne zu wechfeln, 
in 16 Stunden zurlie, Kotelnitow fungierte dabei als Kajur 
und kann die Fahrt, deren er ſich ald einer Heldenthat rührt, 
nicht vergefien. Am 12. April feierten wir ein durch die 
Anweſenheit der Kaufleute ziemlich belebtes Dfterfeft. Am 
Tage darauf gegen Mittag trat ich auf die Nachricht, daß 
die beitellten Narten in Pochodel bereit ftänden, meine zweite 
diesmal glüdlicyere Expedition nad den Bäreninjeln an. 
Noch am nämlichen Tage erreichte ich Koretowo, folgenden 
Tags Pohodst. Dajelbft fand ich zwei befannte Kaufleute 
vor, ©. Eolowjew und N. Tchichaticher, welche bereits zu 
wiederholten Dlalen von Nußloje Uftje (ruſſiſche Min: 
dung), welches an der Indigirla liegt, Über das Eismeer 

um Aninſchen Jahrmarkt ſich begeben hatten, Diefelben 
efanden ſich mit einigen 30 waarenbeladenen Narten auf 
dem Ruckwege nach Haufe, und wir bejchlofien, da unjer 
Weg einige Tagereifen weit zufammenfiel, gemeinſchaftlich zu 
reifen. Herr Solowjew wollte mic, fogar zur Eisbärjagd 
auf die erfte Inſel begleiten. Am 14. trafen wir in Ma— 
loje Tſchuchot ſche ein, wo meine erſte Reife fo unglüd: 
lid) endete. Hier fängt das Eismeer an; das Ufer hat 
bi zum Kreſtowskij⸗Mys (Kreuzvorgebirge) eine fait 
genau nördliche Nichtung, von da biegt es aber nad) Weften 
aus. Auf halbem Wege ungefähr befindet ſich das Große 
Tihuftfhenvorgebirge (Bolfcoje Tſchuchotſchje), eine 
Halbinfel bildend von ungefähr 6 Werft Yänge und 1'/, 


Werft Breite. Mean rechnet 110 Werft Entfernung von 
Klein: bis Großtſchuchotſchje. Wir brauchten bei widrigem 
Binde — das Eismeer begrüßte und wieder mit einem hef- 
tigen Schneefturm — einen ganzen Tag für diefe Strede; 
es gilt, da bei den faft beftändigen Schneegeftöbern das Bor— 
gebirge nur felten fichtbar ift, für ein großes Glüd, ſich in 
diefer Gegend nicht zu verirren. Es muß hier bemerkt wer 
den, daß die Uferbewohner mit dem Gebrauch des Compaſſes 
gänzlich unbefannt find und bei ihren Fahrten auf dem Eis- 
meere ſich Iediglid) nad) den vom herrfcenden Nordwinde 
gebildeten Schneewellen (Saftrugi) orientiren. Oft find 
die alten Saftrugi durch friichgefallene Schneemaſſen ver« 
dedt, dann wird die friſche Kruſte mit einem Meſſer oder 
audy einfach mit der Hand entfernt und die darunter liegende 
Schneewelle giebt die Richtung wieder an. Bewunderns⸗ 
werth ift dabei die Kunſt der Kajuren, die eingefchlagene 
Richtung feftzuhalten, 

Bei Bolſchoje Tſchuchotſche ſah ich zum erften Male 
einen freien Eisbären; berfelbe fam ziemlich nahe an unfer 
Lager heran, ließ fid) aber dann durch das Gebell von faft 
300 Hunden verſcheuchen, unjere Bemühungen ihn einzus 
holen waren vergeblich. Uebrigens waren aud) gar feine 
erfahrenen Däger unter und; Kotelnikow, der einzige tüchtige 
Jagdlundige unter den Bewohnern der Kolyma, war diejes 
Mal leider nicht mit, da (er begleitete Baron Maydell), 
und von meinen Venten hatte noch feiner einen Eisbären . 
geſehen. 

Das Schneegeſtöber nahm indeſſen immer mehr zu und 
die Bewohner von Rußloje Uſtje riethen mir dringend ab, 
bei foldyem Wetter mid) weiter hinauszuwagen. Ih ließ 
mich aber nicht zurlichhalten, den Curs hatte ich im Voraus 
berechnet und auf die Nichtigleit dev Wrangelichen Karte 
durfte ich mich, nach meinen bisherigen Erfahrungen, wohl 
verlaffen. Ich umfuhr nun das ganze Borgebirge, welches 
aus ſchwarzem Thonſchiefer beiteht, Hin und wieder mit 
Eisſchollen untermifcht, Durch dieje im Frühjahr und Herbft 
antreibenden Schollen verändert ſich alljährlic, die äußere 
Form defjelben, wovon man ſich leicht überzeugen kann, 
wenn man die jegige Geftalt mit der von Kosmin im Jahre 
1823 abgezeichneten vergleicht, Dem ganzen Ufer entlang, 
von Maloje-Tſchuchotſche ab, trifft man Tauſende verfchie- 
dener, mach einer ordentlichen Sebeltheorie aufgeftellter Thiers 
fallen, die fogenannten Pafty, in denen ſich hauptſächlich 
blaue Eisfüchje, zuweilen aber auch Bären fangen, 

Um zu den etwa 60 Werſt nördlich vom Vorgebirge 
entfernten Fluſſe Agafonowka zu gelangen, braudjten wir 
in Folge der ungünftigen Witterung einen ganzen Tag; wir 
fanden dafelbjt eine Powarnia, die uns einigen Schutz gegen 
den Scneefturm bot, In der Mitte zwifchen dem Großen 
Tſchuchotſche und der Agafonowfa geben Wrangel und Kos— 
min einen recht bedeutenden Sce an, derſelbe eriftirt aber 
nicht mehr. In dem vierziger Jahren durchbrach der Ser 
fein ſchmales öftliches Ufer und flog ins Meer, die Durch— 
bruchsftelle, welche früher einen natürlichen Damm gegen 
das Dieer bildete, wird jetzt „das durchlöcerte Ufer“ genannt; 
fie ift von der nämlichen Formation wie das Große Vor: 
gebirge, in der Nähe find mehrere Mammuthzähne gefunden 
worden. 

Von der Mundung der Agafonowta aus foll man die 
erfte der Bäreninfeln, die jogenannte Kreuzinfel, bei Marem 
Wetter erfennen fünnen, id) fonnte mic davon leider micht 
überzeugen. Deine Reifegefährten (als Bewohner der Rußs 
koje Uſtſe Inditjirfchtichift genannt) beſchloſſen hier zu raſten, 
und and, Solowjew beſaß nicht den Muth, feinen Jagdplan 
auszuführen; jo mußte ich mic, mit meinen Leuten allein 
auf den Weg machen. 


Karl v. Neumann’s Erpedition nad) den 


Un 18. April 1872 um 110Uhr Morgens betrat ich 
das Eismeer. Boran läßt man eine leichter beladene Narte 
gehen, die den anderen zum Wegweiſer dient und zugleich 
zu gelegentlidyer Bärenjagd benugt werden fan. Ich fuhr 
mit einem jungen Koſacken Namens Swan Edjtulew, 
welcher eines der beiten Gefpanne an der Kolyma befigt und 
felber, wie ich mich öfters Überzeugen fonnte mit Mecht, für 
einen der fühnften und gewandteften Kajuren gilt, Nach 
zweiſtündiger Fahrt paſſirten wir glücklich die erfte Ciswand 
(aufgetbürmte Eisſchollen, Toros), vier Werft wei: 
ter eine zweite, die gegen 4 Faden (24 Fuß) hoch war, 
glüdlicherweife aber einen Durdigang aufwies, So ging 
die Fahrt im Ganzen ohne große Schwierigkeiten von Stat- 
ten und gewann fogar durch die Eiswälle, da diefelben doch 
ein wenig Schuß gegen den Eturm gewährten, einigermaßen 
an Annehmlichleit. Indeſſen begann es zu dämmern und 
meiner Berechnung nad; mußten wir die bie erjte Inſel 
vom Feſtlande trennenden 40 Werft beinahe zurücdgelegt 
haben, noch war aber von einer foldyen weit und breit feine 
Spur zu erbliden: meine Leute wurden allmälig Immer 
unruhiger und mir jelbft, ich geftche es unverhohlen, war 
nicht ganz wohl zu Muthe. Nocd 5 Werft fuhren wir in 


der eingejchlagenen Richtung weiter; da endlich, als fic) ge- | 


vade der Sturm ein wenig legte, gewahrten wir zur allge: 
meinen Freude, faum 2 Werjt vor uns, das erſehnte Ziel. 
Wir richteten num unfere Fahrt nad) einer au der nordweſt— 
tichen Spige der Infel befindlichen Heinen Bucht, wo nad) 
Wrangel eine Menge Treibholz ſich finden follte, und wirt 
lid war and) jet eine beträchtliche Menge dieſes foftbaren 
Materials vorhanden und wir brauchten unſeren eigenen, 
für den Nothfall mitgenommenen Vorrat nicht zu ſchmälern. 

Diefe erfte Inſel ift die größte des ganzen Urchipels. 
Sie wird von zwei ziemlic, bedeutenden Bergen beherricht 
und am Siüdende von einem Keinen Fluſſe durchzogen; ic) 
babe den Lauf diejes letztern ungefähr 2 Werft ftromanfs 
wärts verfolgt und auffallender Weile eine Menge tobter 
Fiſche von der Gattung der fibirifchen Lachſe an beiden 
Ufern liegen ſehen; fie müffen jidy, beim Hinaufſchwimmen 
in dem engen Flächen, gegenfeitig aus dem Wafler gedrängt 
haben. Im Norden und Djften der Inſel erheben jid) 
hohe und fteile Felfenufer, ich entdeckte dort zahlreiche Bären, 
Eisfuchs- und NRenthierlager und überall die Spuren von 
Mäuſen; ſchon Wrangel erflärt diefe Thierchen flir die 
uriprlinglichen Bervohner der Infel. Die Vegetation beſchränkt 
ſich ansichlieglid auf Moos, Hin und wieder ein wenig dür— 
red Gras, nur auf der ſechsten Inſel fand ich zu meiner 
Ueberrajchung Blaubeeren. 

Ein kurzer Hiftorifcher Nüdblid auf die Entdedung 
der Bäreninſeln wird nicht ohne Intereſſe fein. 

Die erfte Nachricht von deren Eriftenz erhielt man durch 
den jalutsliſchen Kofaden Michailo Sladucdin, welcher 
im Jahre 1644 Niſchni Kolymek und Oſtrog gründete und 
von den wilden Tjchuftichen erfuhr, daß gegeniiber der Kolyma— 
mündung eine Inſel fich befinde. Sladuchin nahm au, daß die- 


felbe eine Fortfegung von Nowaja Senulja jei, uud widmete, | 


feinerjeits mit Erforſchung des — fpäter als Anadyr er: 


kannten — Fluſſes Bogitichi beichäftigt, den Erzählungen | 


der Tſchuktſchen ebenſowenig Aufmerlſamkeit wie feine 


Gameraden und Nachfolger Kolmojorow, Uſſow und der ber | 


rühmtefte aller ruffiihen Seefahrer, Semen Deſchnew, die 
fich ſämmtlich nach DOften wandten. Im Jahre 1648 um- 
fuhr Deſchnew das Oſt- und Tſchultſchenvorgebirge und 
entdefte die Mündung des Anadyr; ihm gebührt Folglich, 
bie Ehre, die geographiſche Streitfrage von der Trennung 
Aliens und Amerifas gelöft zu haben. Das neidiſche Sid» 
fal, welches der neuen Welt den Namen ihres Entdeders 
Globus XXVIII. Nr. 4. 


Büreninfeln vor der ſibiriſchen Küfte. II. 57 
Columbus mißgännte, es entzog auch dem befcheibenen Kos 
jaden den Preis feiner mithevoll errungenen Lorbeeren; 
80 Jahre fpäter belegte der Düne Behring die ruffifchere 
ſeits längft entdedte Strafe mit feinem Namen. 1678 
auf einer Fahrt von der Yena nad) der Kolyma begriffen, 
machte ein gewiſſer Nodion Deichailow feine Reifegefährten 
Nitifon Malygin und Jacob Wiatfa auf eine der Kolyma- 
mindung gegenüber liegende Inſel aufmerkſam; darauf 
theilte Wiatka den Anderen mit, daß bei einer frühern 
Fahrt über diefes Meer drei feiner Fahrzeuge an jener In« 
ſel geitrandet jeien und jeine Leute diefelbe befucht, dajelbft 
aber, außer Spuren unbefannter Thiere, nichts weiter ge— 
funden hätten. 

Yange Zeit hiernach erfuhr man nichts Neues von den 
Inſeln, erſt 1727 erzählten die Yäger Iwan Walegin und 
Sopfin dem Bojarenjohne Fedor Amoſſow, daß fie eine 
Tagereife vom Fluſſe Tſchuchotſcha eine Inſel beſucht und 
alte Jurten auf derjelben gefehen hätten, Sofort beſchloß 
Amoſſow die Infel zu unterſuchen, er machte ſich aud) 
wirflid, am 3. November 1724 von Niſchni Kolymsk aus 
auf den Weg, fchrte aber ſchon am 23. defielben Monats 
wieder zurück und theilte, über die Schwierigkeiten des Wer 
ges Magend und als Grund feiner vafchen Umkehr Futter« 
mangel angebend, tiber das gefuchte Land unr mit, daß er 
alte Yurten auf demielben bemerkt habe, aber nicht wiſſe, 
wer deren Bewohner gervefen und was aus legteren gewor⸗ 
den ſei. 

Am 3. Auguſt 1740 erblickte der Lieutenant Dmitri 
Loptew von feinem Schiffe aus die erfte oder Kreuz— 
insel und benannte fie den Heiligen des Tages zu Ehren 
„St. Antoniusinfel“, ev unterfudjte fie aber nicht näher und 
gab auch feine Beichreibung; Schalaurom, deffen Schiff 
im Jahre 1761 hier von Eisſchollen eingejchloffen wurde, 
war der Erfte, der einige dieſer Infeln auf der Karte be: 
zeichnete. Endlich im Dahre 1763 fandte der General 
gouverneur Tſchitſcherin, auf Vorſchlag des durd) feine Be— 
Ichreibung des füdöftlichen Sibiviens befannten Oberſten 
Pleinänew, den Geodäſie-Sergeanten Andrejew nad) jener 
Infelgruppe. Ueber den jabelhaften Bericht diefes Menſchen 
mich hier weiter auszulaflen, halte ich, nad den zahlreichen 
darüber veröffentlichten Scyriften und Documenten (nament: 
lid) nad) der legten Bearbeitung diefer Frage durch den 
Atademiker Bär), für überflüſſig, auf einige feiner Phantafies 
producte werbe id) bei Beichreibung der dritten und fechsten 
Inſel noch zurlidfommen. Ein Bericht Über eine lange unbes 
lannt gebliebene zweite Expedition Andrejew's im Jahre 1764 
it im Journal des hydrographifcen Departements (Jahrgang 
1852) zu lefen; Bär bezweifelt übrigens ftarf den zweiten 
Befuc der Infeln Seiten Andrejew’s. Im den Jahren 
1769, 1770 und 1771 wurden weitere Erpeditionen von 
den Geodäſiſten Yeontjew, Lyſſow und Puſchkarew 
umternommen, denen wir bie erſte ausführliche Karte der 
Inſeln verdauken; ihre aſtronomiſchen Beftimmungen find 
freilich nicht ſehr zuverläffig. Uebrigens herrſchte in jener 
Zeit noch allgemein die Meinung vor, daß das amerikaniſche 
Feſtland ſich an der Kolymamlindung vorüber ziehe. Die 1787 
ausgeräiftete großartige Billing ’sche Erpedition kam gar 


‚ nicht bis zu den Bäreninfeln, erſt 1810 wurde die erfte derfelben 





wieder von Hedenftröm beſucht; der legte wiſſenſchaftliche 
Befucher vor mir war Wrangel, welcher wiederholt ſich 
dort aufhielt, die Infelgruppe mit großer Treue beſchrieb 
und ſehr richtig ihre Breite und Länge beftimmte, auch die 
zweite bis dahin unbekannt gebliebene Inſel entdeckte. In 
den fünfziger Dahren verlebte der Kaufmann Tſchicha Tſchew, 
von der Indigirka fommend, einige Tage auf der Inſel, 
die Winterszeit vereitelte aber feine Beınlihungen, Mammuth- 


8 


58 


zähne aufzufinden. Aus Kolymat ift feit Wrangel Niemand 
mehr hierher gelangt. 

Ich nehme num meine Keifebejchreibung wieder auf. 

Am 19, April gelang es mir auf der von Wrangel 
gewählten Stelle einige magnetiſche Beobachtungen anzu ⸗ 
ſtellen und die geographiſche Lage der Kreuzinſel zu be— 
ſtimmen. Ic umfuhr die ganze Inſel und überzeugte mich 
von ber Richtigkeit der Wrangel'ſchen Harte, fammelte einige 
Stucke verſchiedener Felsarten und begab mic; um 4 Uhr 
Nachmittags weiter zu den anderen Infeln. Der Schnee: 
fturm legte fid) ein wenig und nad) fünf Stunden gewahrten 
wir zwei im Meridian vor uns liegende Infeln, nad, Wrans 
gel die dritte und vierte, von der Heinen zweiten war aber noch 
nichts zu erbliden ; erſt eine Stunde fpäter, nachdem ic, be» 
hufs Auffuchung eines pafjenden Nachtlagers meine Yeute nach 
dem nördlichen Ende der dritten Inſel vorausgefandt hatte, 
entdedte ich Nro. II., umgeben von großen Eiswällen. Aus 

roßen Steinblöden gebildet, zieht diefelbe ſich, bei einer 

reite von etwa 250 Faden, gegen Werſt hin. Nadje 
dem ic) auch diefe Inſel umfahren hatte, wandte ich mid) 
zur Mro. III. und fand dort bald den von Wrangel befchrie» 
benen Keller, aber nichts darin und die Balfen ganz ver» 
fault, von Menſchenlnochen, die Wrangel in der Nähe ge- 
fehen haben will, ebenfalls feine Spur. 

Den Aufenthalt auf diefer Infel werde id in meinem 
Leben nicht vergeffen. Der Sturm wurde gegen Mitternacht 
wieder heftiger und ich war froh, für mic und Schkulew 
eine gefhügte Stelle zu finden, wo wir ein feuer anzündeten, 
den Theeleſſel aufftellten und der Ankunft der Übrigen Leute, 
welche alle Lebensmittel mit fich führten, fehnfüchtig entgegen: 
fahen. Bald fiedete das Waſſer im Keffel, aber von meinen 
Yeuten und dem Thee war immer mod) nichts zu fehen. Wir 
wurden ſchon ganz unruhig, da famen endlich, aber nicht vom 
Meere jondern vom fübweftlichen Ufer aus, vier Narten auf 
uns zu. Schon tonnten wir, da der Wind auf und zumehte, 
einzelne Stimmen vernehmen, als plötzlich Alles hinter einem 
Meinen Felsvorfprunge verſchwand und nicht wieder zum Vor: 
fchein fam. Vergebens warteten wir noch längere Seit, ver» 
gebens ging mein Kajur aus nad) ihnen zu fuchen, die Nar— 
ten, unſere Leute umd unſer Thee blieben verſchwunden. Cs 
blieb ung nichts übrig als endlich, unfererfeits uns wieder auf 
den Weg zu machen. Da id) mid) ſchon früher von der Uns 
möglichfeit überzeugt hatte, das von riefigen, 10 Faden hohen 
Eiswänden umgebene Nordende der Infel zu umfahren, fo 
mußten wir, um an die Oftfeite zu gelangen, das nur 2 Wert 
breite Innere derfelben durchſchneiden. Die Infel erhebt ſich 


—— — — — — — —— 





Der „Challenger“ auf der Fahrt von den Philippinen nach Japan. J. 


nur wenig Über dem Mege, aber die Ufer find ſteil und es 
toftete und einige Mühe die Narten hinaufzubringen. Auf 
dem öftlichen Ufer angelommen, konnten wir von unferen 
Reiſegeführten wiederum weit und breit nichts entbeden. 
Während wir fo von einem hervorragenden Punkte aus ver- 
geblich auslugten, wurden die Hunde mit einem Male uns 
ruhig und plöglicy ftand, wie aus der Erde gewacjen, ein 
gewaltiger Eisbär vor uns, der nicht minder erfchroden war 
über die unvermuthete Begegnung als wir felber. Die Hunde 
griffen ihm wüthend an und bald bildeten wir alle zufammen: 
Venfchen, Hunde und Eisbär, einen einzigen wirren Knäuel. 
Weder Buchſe noch Yanze Tonnten raſch genug losgebunden 
werden und fo gelang es dem Bären, ſich endlich lodzumachen 
und, von ben Hunden verfolgt, dem fteilen Meeresufer que 
zueilen. Wir hinterdrein, pfeilfchnell den Abhang hinunter, 
aber bald mit der Narte umgeworfen, ftürzten wir ungefähr 
10 Fuß tief Hals über Kopf aufs Eis. Kaum erholte ic 
mid) ein wenig von meiner Betäubung als Iwan Schkulew 
mir unterthänigft rapportirte, daß erftens der Bär, wenn auch 
auf drei Füßen, glucklich das Weite gefucht habe; zweitens 
daß einer von unferen Hunden ftarf verlegt jet; und drittens, 
was das Schlimmſte war, daß eine Schlittenfohle zerbrochen 
und unbrauchbar geworden ſei. Welch eine Yage! 300 
Werft von jeglicher menſchlicher Niederlaffung entfernt, ohne 
Lebensmittel und Futter auf einer wüjten Infel im Eismeer, 
der Möglichkeit zum Weiterlommen beraubt und ohne Auss 
ficht, von unferen verſchwundenen Cameraden aufgefucht zu 
werben. Glücklicherweiſe fand Iwan unter dem —— 
ein zur Schlittenſohle taugliches Stück Holz und ſchleunigſt 
machten wir uns an die Arbeit; daß ich auch meinerſeits nur 
auf unſere Rettung bedacht war, daß alle Luſt zu wiſſenſchaft⸗ 
lichen Beobachtungen mir in unferer verzweifelten Yage ver 
gangen war, das wird mir Niemand zum Vorwurf machen 
wollen. Genießbares fonnten wir beim beften Willen unter 
unferen Effecten nicht auffinden, außer etwa 11, Pfund 
Stearinlicyte, die aber der nagende Hunger felber ums nicht 
appetitlic) erfcheinen ließ. Zehn Stunden beinahe arbeiteten 
wir an der Wiederherftellung der Schlittenkufe und ed war 
gegen Mittag des folgenden Tages geworden, als wir endlich 
versuchen lonnten unſern Wen fortzufegen. Zu unferer 
nicht geringen Freude erwies der ausgebeſſerte Schlitten fich 
wieder ganz brauchbar und bald entdedten wir aud) auf dem 
Eife die kaum noch bemertbaren Spuren der verſchwundenen 
Narten, die, wie wir richtig vermuthet hatten, zur vierten 
Infel führten. 


Der „Challenger* auf der Fahrt von den Philippinen nad) Japan. 


I. 


In der Humboldt:Bai an der Nordlüfte Neuguinea. 


Wir haben diefes Schiff auf feinen Fahrten im Judi— 
ſchen Ardjipelagus begleitet und daſſelbe bei den Philippinen 
verlafien *). Seitdem find Berichte von ihm aus Moto» 
hama vom 11. April eingelaufen, 

Der „Challenger“ verließ Zamboangan am 5. Februar; 
er fteuerte durch die Strafe zwiſchen Mindanao und Ba- 


) „Mobus“ XXVII, S. 73. 89. 382. 


filan. Die Küfte dev erftern Inſel ift fteil und rauh, theil- 
weiſe aber auch gut angebaut; Bafilan ift flacher, weniger 
malerifch und ſcheint zum großen Theil mit Urwald bededt 
u fein, 

: Es war die Abficht des „Challenger“, womöglich den gerar 
den Cours nad) den Carolinen und den Tabronen zu nehmen, 
unglinftiger Winde wegen ſchlug er aber jenen nad; der Küfte 
von Neu:Guinea ein. Dort befuchte er zumädft die 


Die Pariahlafte der Koragars an der Malabarküfte. 


Humpboldt-Bai umb fpäterhin bie Admiralty-Inſeln, bie von 
Schouten 1666 entdeckt worden find und fpäterhin mehrfach 
befucht wurden. Dort verfuchte er eine Landung zu bewerl⸗ 
ftelligen und erlebte eine Menge höchft intereffanter Begebens 
heiten. Intereffant ift, daß vom „Challenger“ ermittelt wurde, 
daß das auf den Karten verzeichnete Carterets Riff gar 
nicht vorhanden ift. Am 21. Februar trieb das Schiff nad) 
Süden und war bald darauf vor dem Delta des großen Fluſ⸗ 
fes Ambermo, der in den Charles-LFouiss Bergen ent» 
fpringt. Diefe prächtige Gebirgsfette erhebt ſich bis zu 
16,000 Fuß hoch und fällt im Often ber Geelvint-Bai in die 
See ab. Im diefer war jehr viel Treibholz und der Nature 
forfcher des „Challenger“ fammelte von feinem Boote aus 
mehr als 50 Species von Samenkörnern und Kapſeln, die 
offenbar aus bedeutender Entfernung auf dem Fluſſe herab: 
getrieben waren. 

An der Dftfeite der Humboldt-Bai wurde Anter ges 
worfen in 19 Faden Wafler. Sofort kam eine Anzahl von 
Kähnen der Eingeborenen in Sicht, die ſich aber nicht bewe— 
gen ließen näher zu fommen. Am andern Morgen jedoch 
waren nicht weniger als 80 Kähne beifanmen, jeder 15 bie 
20 Fuß lang und mit 4 bis 6 Veuten bemannt; Weiber und 
Kinder waren nicht ſichtbar. Für Mlelanefier hatten diefe 
Leute ein recht gutes Ausfehen und malerisc genug nahmen 
fie ſich aus. Die Nafe ift ziemlich flach und durch ein 
Zierrath entftellt, das aus einem ſymmetriſchen Paar von 
Eberzähnen befteht, die an ihren Wurzeln zufammen bes 
feftigt und dann durch den Nafenfnorpel gehängt find; das 
Ende fteht aufwärts oder nieberwärts je nad) bem Geſchmacke 
des Inhabers. Die Augen find dunkel, ber Mund iſt breit, 
die Lippen find jeher voll, die Zähne aber faft alle zerſtört 
durch ewiges Betellauen. Die Ohren find breit und ftehen 
weit vor, die Obrläppchen langgezogen durch die ſchweren 
Ringe von Perlmutterfchalen und Eberzähnen, weldye ihnen 
als Schmud dienen. Das Haar ift fraus und did, aber 
nicht wollig und wirb in ber Form eimer großen runden 
Perrüce getragen. Insgemein wird es durch Kalt, vothe 
Farbe und Oder gebleicht oder geröthet, Faſt alle Männer 
tragen 6 bis 8 weiße Federn im Haar und aud) einen Strauß 
von Scharlachrothen Hibiscusblumen. Sie waren nur ſchwach 


59 


tättowirt, aber das Geſicht war häufig mit ſchwarzer oder 
vother Farbe eingerieben. Die Schmuckſachen abgerechnet 
gingen fie abfolut unbefleidet. Die Haut war im Schatten 
dunfelbraun, aber wenn warmes Sonnenlicht auf fie fiel, 
erichien fie in einem fchönen Rothbraun, 

Ale Eingeborenen waren wohlbewaffnet mit Pfeil und 
Bogen; die Nohrpfeile find 5 bis 6 Fuß lang. In jedem 
Kahne bemerfte man 3 bis 4 fehr forgfältig gearbeitete 
Steinbeile von verſchiedenen Muftern; diefe Beile waren 
an Stielen von hartem Holze fehr geſchickt befeftigt. Ber 
merlenswerth ift, daß diefelben genau benen glei» 
hen, welde in Dänemark gefunden worden find. 

Die Humboldt- Bai ift im Jahre 1827 von Dumont 
d’Urville entdedt und benannt worden; fie wurde fpäter, 
1848, von dem holländischen Dampfer Etna beſucht. Immer: 
halb der Bai liegt eine Meine Gruppe von Infeln, welche 
vor dem Sudweſtwind Schuß gewähren. Der „Challenger“ 
traf dort mehr ald 100 Kähne beifammen, die eine fehr 
malerische Procejfion um das Schiff herum aufführten. 

Eins der Dörfer beftand aus etwa 20 bis 30 Hätten. 
Einige derfelben ftanden auf dem Feſtlande unter Bäumen, 
die meisten aber waren Pfahlbauten, Die Blateforme der» 
felben fteht durd; einen Plantenweg auf Pfählen mit dem 
Feſtlande in Verbindung, dieſer Bohlengang aber fan nad) 
Belieben entfernt werden. Die Hiitten haben die Geftalt 
von Dienenkörben, manche find aber auch fegelförmig zuge— 
ſpitzt und werden in der Mitte durch einen etwa 20 Fuß 
hohen ftarken Pfahl geftügt. Die Leute des „Challenger“ 
unterhielten einen lebhaften Verkehr mit den Cingeborenen 
und taufchten Waffen ein, Steingeräthe und allerlei Schmuck⸗ 
ſachen gegen Eifen, auf welches die Wilden den höchſten Werth 
legten. Auffallend erſchien, daß fein Eingeborener zu bewe⸗ 
gen war, irgend ein Nahrungsmittel der weißen Leute aud) 
nur zu berühren. Jedenfalls waren fie ſehr mißtrauifc und 
es ift Mar, daf fie vor kürzerer oder längerer Zeit mit Guro- 
päern von den Moluffen in Berührung gelommen waren 
und daß diefe bei ihnen Menſchenraub getrieben hatten. 
Uebrigens können fie mit Europäern feinen häufigen Berfchr 
gehabt haben, denn man bemerkte nur einige wenige Glas» 
torallen an den Armringen. 


Die Pariahfafte der Koragars an der Malabarküfte, 


Ungefähr Mitte Wegs zwiſchen Bombay und Cap Co— 
morin liegt das fübliche Canara, die nördlichfte unter den 
Provinzen der Präſidentſchaft Madras an der Weitfüfte Ins 
diens. Vielleicht findet man nirgends eine größere Mannig- 
faltigfeit von Kaftenclaffen und Nationalitäten als gerade 
auf diefer Strede der Malabarküfte. Sie wird befucht von 
Handelöfahrzeugen aus dem Berfiichen Meerbufen, aus dem 
Arabifchen Golf, aus den oftafritanifchen Häfen und felbft- 
verfländlich auch aus allen Seeplägen der Hüfte jelbft. Bemer« 
fen&werth ift, daß eine der dravidiſchen Sprachen nur allein 
in Südcanara gefproden wird und zwar von höchſtens 
150,000 Menſchen: es ift das Tulu, welches wahrſchein- 
lich bevor ein Jahrhundert abgelaufen ift ausgeftorben fein 
wird. Dort gilt das Altiya-Sandana-Geſeth, d. h. der 
Brauch, daß nur die Töchter, niemals die Söhne erben. 

Die ei Stadt diefes Diftriets ift Mangalore, 
wo Walhoufe als Givilbeamter in häufige Berührung mit 
den Eingeborenen fam („Journal des Londoner anthro- 


pologifchen Inftituts* April 1875, ©. 369 ff). Am meis 
den intereffirten ihm die Koragars, ein Volfstrlimmer, 
das nur höchftens einige hundert Köpfe zählt und eine Sklaven» 
fafte bildet. Eigenthümlich für diefelbe erfcheint, daß bie 
Frauen einen Schurz aus geflochtenen Zweigen und grünen 
Blättern als KHleidungsfiic über dem Hintertheil des Kör— 
pers tragen. Im früheren Zeiten war es beiden Geſchlech ⸗ 
tern ftreng geboten, nur ſolche Schürzen als SKleibungsftlide 
anzulegen, heute aber wird die alte Sitte nur noch von ben 
Frauen befolgt, und was früher ein Zeichen der Erniedrigung 
war, gilt ihnen jest als eine liebe Gewohnheit. Die Blatt» 
ſchürzen find heute volllommen überflüffig, denn fie wer» 
den über den anderen Kleidern getragen. 

Es fieht komisch aus, wenn eine Anzahl Koragarfrauen 
auf ber Straße im ihrer wunderlichen Tracht fich einher: 
bewegt. Die Leute find fehr ruhig und harmlos, Hein und 
ſchlank gewachſen, die Männer felten über 5 Fuß 6 Zoll 
engl. hoch, die Haut ift ſchwarz, die Lippen find di, die 

8* 


60 


Nafe it breit und flach und das Haar rauf und ftruppig. 
Ihre Hauptbeichäftigung befteht im Korbflechten, und die 
Arbeit mliſſen fie für ihre Herren verrichten. Sie leben 
außerhalb der Dörfer in der Nähe derfelben, aber fein Ko— 
ragar darf im einem ans Thon oder Erdſchlamm aufgeführ: 
ten Haufe wohnen; er muß ſich mit einer Hütte aus Zwei— 
gen und Blättern begnügen, und eine ſolche wird KHoppus 
genannt. leid) vielen anderen wilden Stämmen Indiens 
zeichnen ſich die Koragars durch unbedingte Zuverläffigkeit und 
Wahrheitsliebe aus, das Wort eines Koragar ift fprüchwörtlich 
und wird jelbft von den Hindus, die befanntlich jo gern 
lügen, als unbedingt wahr angenommen. 

Durd) eine Regierungsacte ift die Sklaverei in Indien 
1843 aufgehoben worden, nichtödeftoweniger giebt es nad) 
heute eine große Anzahl von Sklavenkaſten, deren Yage 
gegen früher ſich allerdings verbeflert hat, die aber von ihren 
Gebietern in unbebingter Unabhängigfeit ſtehen. Belanntlich 
find die vier höheren Claſſen der Hindus aus Körpertheilen 
des Gottes Drama entfprungen, fpäter entjtanden die Anu— 
lomafaften aus dem geſchlechtlichen Berlehr zwifchen Bra— 
manen und Kſchatriyas mit rauen aus Kaften, die aus 
ihnen entftanden waren, Der Ausdruck Anuloma bedeutet 
ſchlanles, — Haar und dieſes charalteriſirt alle— 
mal Leute ariſcher Abkunft. Nach jenen ſechs Kaſten ent- 
ſtanden abermals ſechs andere, die Bradilga, die in umge: 
fehrter Ordnung von Bramanen und Kſchatriyas eutftanden. 
Die dritte unter ihnen war die Dſchandalakaſte, die 
Bramininnen zu Müttern und Eutras zu Vätern hat, Alle 
diefe Kajten haben ihre befonderen Benennungen und befol- 
gen ftrenge Regeln und Borfchriften. 

Die Dicjandalas oder Sklaven waren abermals in 
15 Glaffen getheilt. Keine von diefen durfte im die andere 
heivathen und dieſe Negel wird nod) heute ftreng beobachtet. 
Die beiden niedrigften der 15 Glajien find die SHapata 
oder Yunipenträger und die Kotta oder die blatt: 
tragenden Koragars. So lautet der Bericht bramani- 
ſcher Werke; es ift aber wahrſcheinlich, daß diefe niedrigſten 
Stlaventaften abjtammten von der Urbevölferung, welche 
durch die ariichen Eroberer aus dem Norben von ihrem Bo— 
den verdrängt wurde. Der Kampf mag Jahrhunderte ger 
dauert haben; allmälig mußten die Uxeingeborenen theils in 
die Gebirge und Wälder flüchten, theils wurden fie zu Stla 
ben gemacht. 

Die Bergletten und die großen Waldftriche im füdlichen 
Indien werden von halbwilden Stämmen bewohnt, weldyen 
einjt die fruchtbaren offenen Ebenen gehörten, und fie find 
die Erbauer jener megalithijchen Grabmäler geweſen, weldye 
wir weit und breit über das nun angebauete Flachland zer: 
ftreut finden. Es ift ausgemacht, daß nod) im 15. Jahr— 
hundert ein eingeborenes Bolt, die Kurumbas, einen gros 
Ben Bolfabund im Süden bildeten. Dieſe find nun fait 
gänzlid, verſchwunden und nur noch wenige von ihnen übrig 
geblieben in den wildeften Gegenden der weſtlichen Berge 
tegionen. 

Alle diefe Racen werden von ihren Hindugebietern mit 
unausfprechlicher Verachtung angefehen und gelten für durch— 
aus unrein. Diefes Gefühl ſcheint aus den Zeiten herzu— 
jtanımen, als die nun veradjtete Nace noch mächtig erichten 
und die Hind mehr oder weniger von ihnen abhängig wa« 
ten; one Zweifel haben die Fehden lange gedauert. 

Eigenthümlich ift, daß dieſe verachteten Kaſten eine 
Menge von Rechten und Privilegien bewahrt haben, an 
denen fie ftreng feſthalten. An gewijlen Tagen können 
fie die Tempel der Hindus betreten, während zu jeder 
andern Zeit ihnen das unbedingt verwehrt it. Auch haben 


Die Pariahtafte der Koragars an der Malabarküfte, 


an denen die Hindus ſich betheiligen, weil jie ſonſt Unglück 
für fich befürchten. Zu gewiffen Zeiten im Jahre halten 
fie ein großes Feſt ab, das man den römischen Saturnalien 
vergleichen kaun. Dann ift die gegemfeitige Stellung der 
Sklaven und Gebieter umgekehrt und die erfteren laſſen es ſich 
nicht nehmen, die legteren mit Spott, Hohn und Schimpf 
gleichfam zu überſchütten, ja, fie drohen fogar alle und jede 
Urbeit einzuftellen, wenn ihre Privilegien ihnen nicht aus— 
drüidlich beftätigt werden. Das geſchieht und man erfucht 
fie demüthig, doch ja ihre Arbeiten fortzuſetzen. 

In die Verachtung, in welder fie von den Hindus ger. 
halten werden, miſcht ſich bei diefen eine abenteuerliche Furcht 
Dean glaubt, da fie geheime Zanberfräfte befigen, daß 
fie hexen können und Einfluß auf die alten bös willigen Urs 
götter haben, in deren Macht es ftcht, Gutes oder Uebeles 
zu befcheeren, Wenn einer Pramanenmutter ein feines 
Kind erfvankt, jo ruft fie ein Koragarweib, giebt denfelben 
Del, Reis und Hupfermlinzen und legt ihr das Kind in die 
Arme, weil jie font Unglück für ſich befürchtet. Die Pariah— 
frau, welche man zu anderen Zeiten nicht berlihren würde, 
giebt num dem Kinde die Vruft, legt ihm ihre eiſernen Arm⸗ 
bänder an, und wenn das Kind ein Knabe ift, nennt es 
denfelben Koragar, wenn ein Mädchen, Korabıla. Nach 
einiger Zeit wird es der Mutter zurlickgegeben, und dieſe 
glaubt nun, daß ihrem Sprößling eine lange Yebenszeit ber 
ſcheert ſei. werner wenn cin Mann gefährlid krank ift 
oder längere Zeit Unglitd achabt hat, fo jchüttet er Del in 
ein irdenes Gefäß und verrichtet vor demfelben die Andacht 
wie vor dem Familiengott, blickt mit feinem Geſichte in das 
Gefüß, damit dafjelbe ſich im Dele wiederjpiegele, und wirft 
dann etwas Haar vom Haupt und Schnigel von Nägeln 
der Zehen in die Mafle; daun wird das Del der Koragar- 
frau gebracht und durch diefe werden die feindlichen Gott⸗ 
heiten unjchäblid gemacht. 

Ueber die Koragars giebt es cine alte örtliche Ueber— 
lieferung. Als Yoba Diraya um 1550 v. Chr. König in 
Nordcanara war, fam von dem Ghatsgebirge ein Krieger, 
Namens Hawaſchicka, mit einem Heerhaufen herunter, wel— 
cher völlig ans Dichandalas oder Sklavenkaſten beftand, be 
fegte die Gegend und richte flidlic bis Mangalore vor, 
dann bradjen unter ihnen die Blattern aus. Sie wurden 
außerdem ſchwer beläftigt durd) die gelben Ameifen und des: 
halb zog Hawaſchida nach Panieſchwach, das etwa drei deutſche 
Meilen füdlicher liegt, Cine örtliche Herrſchaft gehörte 
dem Angara Bama, Sohn Mira Bama’s, der gemeinſchaft- 
lich mit feinem Neffen regierte. Angara Bama trieb den 
Feind in die Wälder, wo derjelbe fo ſchwer litt, daß alle 
Krieger einwilligten Sklaven zu werden. Sie wurden danıt 
unter den Bramanen vertheilt, welche ihnen beftinmmte Ars 
beiten anwieſen. Einige mußten das Feld beforgen und das 
Vich hüten, Anderen wurden andere Yaften aufgebürdet und 
diefe Arbeiten müſſen fie bis zum heutigen Tage verrichten. 
Die Koragard aber, welche unter Hawafcida im höchſten 
Unfehen ftanden, wurden emtkleidet und bis au die Meeres— 
füfte getrieben, um dort getödtet zu werden. Sie ſchämten 
ſich ſehr, daß fie nadt gehen mußten, fommelten die Blätter 
des Niclibuſches und flochten ſich daraus Heine Schürzen, 
mit denen jie ben Vorderleib bededten. Darüber empfanden 
die, von welchen fie hingerichtet werben follten, Mitleid und 
ließen fie gehen. Sie wurden aber dazu verurtheilt, bie 
Niedrigſten unter den Niedrigften zu fein umd nicht eine an« 
dere Kleidung zu tragen als Blätter. 

Diefer Ueberlicferung liegt offenbar irgend etwas That 
ſächliches zu Grunde, was aber, fünnen wir nicht näher 
ermitteln. Noch heute werden die Koragars mit ſolchem 


fie manche Geremonien und gefjellichaftlichen Gebräuche, ) Haß von den Hindus beiradjtet, daß eine Abtheilung ders 


Die Pariahtafte der Koragars an der Matabartüfte, 


jelben, die Antir oder Topfkoragars, unabläffig am 
Naden einen irdenen Topf tragen müflen; in diefen müſſen 
jie fpeien, denn fie find fo Uberaus unrein, daß es ihnen 
wrbeten iſt, die Erde mit ihrem Speichel zu bejubeln. 

Tie Koragars haben, wie ſchon bemerkt, fid der Skla— 
verei nur unter gewiſſen Bedingungen unterworfen und fich 
dadurch einige Rechte bewahrt. Es wurde befohlen, daß 
fie auf immer und ewig Sklaven fein follten. Sie durften 
täglich nur einmal etwas effen und nie Speife flie den näch— 
ften Tag in Befig haben. Jeder Sklave wurde feinem Ges 
bieter unter folgenden Formeln eingehändigt, die noch in 
unjeren Tagen befolgt worden find. Der Stave wurde 
gewaſchen, mußte ſich mit Tel jalben und ein neues Ge— 
wand anthun. Sein fünftiger Gebieter nahm eine Metall: 
chuſſel, füllte diefelbe mit Waſſer und ließ eine Goldinlinze 
hineinfallen, die der Sklav am ſich nahm, nachdem er das 
Vater getrunfen hatte. Dann ergriff er etwas Erbe vom 
Grund und Boden des künftigen Gebieters und warf diefelbe 
auf die Stelle, wo er ſich eine Hütte bauen wollte, Diefe 
murde ihm mebft allen darauf ftchenden Bäumen Übergeben. 
Bei Üebertragung von Yand wurde der Sklav gleichfalls 
unt verfauft; er konnte aber auch befonders losgeſchlagen 
werden. Manchuial wurde er einen Tempel gejdjenft, um 
der Goltheit zu dienen. Das geſchah öffentlich, inden fein 
Herr zum Tempel hinantrat, etwas Erde, die ev vor dent 
beiligen Gebäude aufgenommen hatte, dem Sklaven in den 
Nund ftekte, erklärte, daß er auf alle feine Rechte verzichte 
und diejelbe der Gottheit übertvage. Außerdem war genau 
ausgemacht — denn die Hindu haben cine gewiſſe Yeiden« 
Ihaft, auch Meine Angelegenheiten zu reguliren — wie viel 
Speiſe er Sklav erhalten folle, und welche Geſchenle man 
ihm bei Feſttagen zu verabfolgen habe oder was er jeiners 
feits dem Herrn schenken ſolle. Bei Verheirathung der 
Sklaven warfen Braut und Bräutigam ſich vor dem Gebie— 
ter nieder und erhielten deſſen Einwilligung nebſt eiment 
Geſchenl von Geld und Reis. Nach der Heirat famen fie 
abermals vor den Herrn, der ihnen Arekantiſſe gab und etwas 
Del auf den Kopf der Braut goß. Wenn der Herr farb, 
mufte der Hauptjklave ſich ſofort Kopfhaar und Schnauz- 
bart abſcheeren. 

Es gab eine Liſte von Vergehen, flir welche der Herr 
den Sklaven beftrafen durfte. Unter diefelben gehört Zau— 
berei oder wenn einer böfe Geifter gegen einen Andern aus: 
fandte. Die ſchwerſten Strafen beftanden in Brandmarfen 
and Auspeitjchen. Ueber Yeben und Tod hatte der Herr 
fein Recht, und wenn er dem Sklaven nicht das vorgeſchrie— 
dent Duantum Nahrung lberreichte oder ſchwerere Strafen 
verhängte, konnte derſelbe ſich bei den Behörden beklagen. 

Gleich allen Sklavenkaſten und niederen Racen verehren 
die Koragars Mara Ama, die Göttin der Blattern. Sie 
ift die entjeglichjte Forur der Barwati, Siwa’s Weib, in Ca— 
nara aber die populärite Göttin. Sie wird unter den 
widerwärtigften Formen dargeftellt, und die Opfer find 
immer blutig. Im ihrem Tempel werden Ziegen, Büffel, 
Schweine und Hühner geſchlachtet, der Kopf diefer Opfer: 
!hiere muß allemal auf einen Scylag vom Numpfe getrennt 
werden durch einen Afati, d. h. einen Mann aus den 
Stlavenftämmen, die in den Ghatögebirgen wohnen. Die 
Koragars gleich allen übrigen Sflavenfaften gelten für aus« 
geftogen und dürfen ſich feinen Bramanentempel nähern. 
Sie haben aber nichtsdeftoweniger einige Hindufefte ange: 
nommen, namentlich; jene von Krifchna's Geburtstag und den 
Dſchaudi. Wei dem legtern müſſen die einleitenden Gebete 


"7". 





61 


von einer Jungfrau gefprocdjen werden, bei den erftern wird 
viel geſchmauſt und getrunfen. Sie figen dann didyt neben 
einander und wenn ein Reiskorn zufällig oder nicht zufällig 
auf die Schüffel des Nachbars fällt, hören Alle mit Eſſen 
auf; der Schuldige muß eine Strafe zahlen und wird aus: 
geflogen, denn felbft diefe Niedrigften aller Stämme 
bilden noch Kaſten unter ſich und als Strafe flür 
manche Bergehen haben fie die Ausftoßung aus ber Kafte, 
3. B. für Verführung eines Mäddyens oder einer Wittwe, 
für geſchlechtlichen Verkehr mit rauen aus einer niedrigern 
Kafte, endlich für Eſſen im Haufe von Peuten niedrigerer 
Kaſte. Bei den Koragars gilt es fiir einen Schimpf, bie 
Hütte einer einzelnen Frau nach Sonnenuntergang zu betre⸗ 
ten. Der Ausgeftogene kann fid) den Eintritt im die Kafte 
wieder verichaffen, wenn er eine Strafe zahlt oder für die 
Gemeinde ein Feſtmahl veranftaltet. In einigen Fällen 
baut man jieben Heine Hütten am Ufer eines Fluſſes, ftedt 
diefelben in Brand und der Straffälige muß Über die brens 
menden Stäbe und die Ajche hinüberlaufen. 

Die Hauptverehrung der Koragars wie aller Landleute 
wird den örtlichen Dämonen gezollt, den böfen Geiftern und 
Kobolden. Sie werden als Buddhas bezeichnet und ſchwär— 
men im Vegionen weit und breit über das Yand umher. 
Bald iſt einer, bald ift ein anderer populär bein Volle; der 
befondere Buddha der Koragars heißt Kadu, und hat un: 
ter einem Kaſach-Kana-Baume feinen Sig. Unter denfelben 
legt man Bananenblätter und einen Haufen gefochten Neifes, 
der mit Curcuma gelb gefärbt wird; der ältefte Mann fpricht 
die Gebete. Solche Götterverchrung findet in den Mona— 
ten Mai, Juli und Dxtober ftatt. 

Heiraten werden bei den Koragars am Sonntage voll: 
zogen, bei anderen Stlavenfaften am Montag. Braut und 
Bräutigam nehmen ein kaltes Bad, ſetzen ſich auf eine Matte 
vor dem Haufe der erfteren und neben ihmen liegt auf einem 
Blatt eine Hand vol Reis. Ein alter Mann, der den Bor: 
fig führt, nimmt einige Neisförner umd wirt fie dent Braut: 
paar auf den Kopf, welchem Beispiel die übrigen Anwefen: 
den folgen, erft die männlichen und dann die weibliden. 
Der Bräutigam Überreicht feiner jungen Frau zwei Silbers 
müngen und muß dann der Gemeinde ſechemal einen Schmaus 
geben. Eheſcheidung ift mit Vewiligung der Gemeinde er: 
laubt und erfolgt oft aus Umverträglichkeit; die Frau kann 
wieder heirathen, auch die Wittwe. Der Dann fann eine 
zweite und dritte Frau haben, die alle bei ihm wohnen. 
Eine Wöchnerin gilt am ſechsten Tage wieder für rein und 
dann befommt das Kind feinen Namen. Der Mutter giebt 
man Reis und Gemüfe und einige gefpaltene Cocosnüffe; 
die untere Hälfte gehört der Mutter und die obere dem 
Manne. Todte Sklaven werden verbrannt mit Ausnahme 
der an den Wlattern geftorbenen, Nach dem Begräbnifie 
werden vier Kuchen gefochten Reiſes auf das Grab gelegt, 
wahrſcheinlich ald Speife für die Seele des Abgeſchiedenen. 

Bemerkenswerth ift, daß unter, allen SHaventaften allein 
die Koragard das Fleiſch der Aligatoren genießen, hinz 
gegen haben fie ein großes Borurtheil gegen vierbeinige 
Thiere, todte oder lebendige, ja Alles was vier Beine hat, 
ift ihmen widerwärtig, z. B. ein Stuhl, ein Tifch u. ſ. w. 
Da jie alle als Kulis arbeiten, fo wird ihr fomifcher Wider⸗ 
wille oftmals läſtig. Walhouſe bemerft, daß während der 
drei letzten Jahre, die er in Mangalore verlebte, die Zahl 
der blättertragenden Frauen ſich allmälig vermindert habe. 
Er ift der Anſicht, daß die Sitte nach einigen Generationen 
wohl vollftändig verſchwinden werde, 


62 Aus allen Erbtheilen. 


Aus allen Erdtheilen. 


I. Forreft in Weftauftralien. 


John Forreft, der bekannte auftralifche Reiſende, hat in 
der Londoner Geographiſchen Geſellſchaft einen ſehr Haren 
Vortrag Über die Wanderung gehalten, welche er in der weit: 
lichen Hälfte Auſtraliens von der Championbai an der Weft- 
füfte bis zum Ueberlandtelegraphen unternommen hatte in 
einer Strede, die in gerader Linie etwa 1400 Miles lang ift, 
mit dem Umweg gerechnet aber 2000 Miles. Er war mod) 
nicht weit ind Innere eingebrungen, als er an die Spinifer- 
wüſte gelangte, welche er in einer Ausdehnung von etwa 
500 Miles durchzog. So weit das Auge reicht, glaubt man 
aus der Ferne Felder reifen Korns zu fehen, aber in Wahr: 
heit erblidt man nur das Gras ober den Stengel, welder 
aus den Büſcheln des Spinifer bervorragt. Diefes ift das 
fogenannte Stahelihweingras, Festuca irritans. Die 
Wanderung durch daſſelbe ift außerordentlich beſchwerlich, 
namentlich für die Pferde, die an den Beinen befchädigt wer: 
den. Das Vieh frißt diefes Gras nicht, denn es ift völlig 
dürr und obne jeden Nabrungsitoff. 

Dreimal wurde Forreft von den Eingeborenen angegriffen. 
Diele glichen in körperlicher Erfcheinung wie in ihren Gewohn— 
heiten und Gebräuchen ben anderen Schwarzen des innern 
Auftralien. Sie gehen völlig unbelleidet und fchlafen zwiſchen 
zwei Feuern, nicht in einer Hiltte, außer wenn bas Wetter 
ſehr naß iſt. Dann fteden fie einige Pfähle in die Erde und 
bewerfen fie mit Zweigen nnd Gras. Es ift bemerkenswerth, 
daf fie in der ſchlimmſten Spiniferwüſte in nicht geringer 
Zahl angetroffen werden, Daraus jollte man ſchließen, daß, 
weil Eingeborene dort find, auch Waller zu finden fein müßte, 
Dem ift aber nicht fo, denn ein Auftralier wäſcht fich nicht 
und kocht auch micht mit Wafler, er gebraucht bafjelbe nur 
zum Trinken. Eine Heine Aushöhlung im Felſen, die etwa 
20 bis 100 Gallonen faßt, genügt auf längere Zeit für eine 
Anzahl diefer Schwarzen. Sie deden ein foldhes Waſſerloch 
forgfältig zu, damit feine Verdunſtung ftattfinden könne. Ein 
enropäticher Reifender, der Pferde oder Kameele bei fich bat, 
würde freilich faum einen Tag genug an einem ſolchen naffen 
Vorrath haben. 

Die Eingeborenen geben fehr häufig weit weg von jeber 
Waſſerſtelle und fie lönnen es, weil fie ſich ihren Trunk aus 
den Wurzeln einer Art Eucalyptus (Mallee Scrub) bereiten. 
Sie heben die Wurzel aus, zerbrechen diefelbe in Stüde von 
etwa einem Fuß Länge, ftellen fie jenfrecht bin und danı 
fließt die in denfelben enthaltene Flüffigkeit in eine Art von 
Napf oder Schüffel. Der Reifende traf unterwegs große 
Haufen diefer Wurzeln und fie find ein ſchlimmes Anzeichen, 
—— wo man fie findet, iſt ſicherlich außerſter Mangel an 

aſſer. 

Ein beträchtlicher Theil der Gegend von der Weſtküſte 
bis an die Waſſerſcheide des Murchiſon iſt als Viehweide 
ausgezeichnet. Auch ſind bereits Squatter dorthin gezogen. 
Aber wenn man die Waſſerſcheide bis zu 128% öſtl. ©. durch 
zogen bat, wird das Land wieder unbrauchbar, denn bier ift 
dieje ausgedehnte Gegend nichts weiter als eine leicht wellen: 
fürmige Spiniferwüfte und dad vorwaltende Geftein tertiärer 
rotber Müftenfanditern. 

Bon 123° öſtl. 8, bis zur Telegrapbenlinie findet man 
an manden Stellen prächtigen Graswuchs und dort haben 
auch bereits Sitdauftrafier fich angeficdelt. Das Refultat von 


Forreſt's Wanderung ift, daß nun die weitliche Seite Auſtra— 


liens von Oſten nadı Welten durch das Centrum dem 26, 
Breitegrade entlang befannt geworden ift und daß wir uns 
über das Innere des Continentes in Klarheit befinden. Es 





handelt fich jet noch darum, einen verhältnigmäßig geringen 
Theil im nordweitlichen Winkel von Noberch zum Victoria 
River zu erforichen und das wird über furz oder lang auch 
geichehen, Dort handelt es fich darum mehrere hübſche Flüffe 
zu unterſuchen, namentlich den Fritray und den Glenelg. 


Indien 

In Trivallore im füblichen Indien haben fich die 
heiligen Affen, denen kein Menſch etwas zu Leide thun 
darf, im höchst bedenflicher Weile vermehrt und ihre Zudring⸗ 
lichkeit ift überaus läſtig. Wenn bie Bewohner Speile genie 
Gen wollen, jo müſſen fie große Körbe über den Kopf ſtülpen, 
ſonſt raffen ihre Tangichwänzigen Gäfte ihnen die Biffen vor 
dem Munde weg. Die Bewohner haben jih nun in ihrer 
gropen Noth an die britiiche Behörde gewandt, die eigentlich 
feine Macht oder Gewalt über die heiligen Thiere bat, aber 
doch gebeten wird, biefelben einzufangen, nach irgend einem 
Wald in ferner Gegend zu Schaffen und dort loszulaffen. — 
Die Landichaft Gonda war im December durch wilde Thiere 
dermaßen unficher, daß die Bauern fich micht auf ihre Felder 
wagten; einige Dörfer find völlig verlaffen worben, weil die 
Tiger fich regelmäßig ihre Beute raubten. 

Auf den Theeplantagen in den Nilgherris follen von 
num am chinefifche Arbeiter befchäftigt werben. — Im Gonda— 
verhbezirfe gedeiht der Manilatabad jehr gut und bie 
Bauern erhalten jetzt Anweiſung zur richtigen Behandlung 
ber Blätter, 

In Madras find eine Anzahl Mädchen und Frauen 
aus der Kafte der Barbiere in die Hebammenſchule getres 
ten; auch einige Frauen ans höheren Kaften haben fich unter: 
richten laffen, dieje witrden aber um feinen Preis der Welt 
einer Frau von geringerer Kaſte Hebammendienfte verrichten. 

In Calcutta ift ein Drama veröffentlicht worden. Daf: 
felbe führt den Titel Rudrapala und ift eine Nachahmung 
von Shaleſpeare's Macbeth. Die Heren find durch drei An- 
beterinnen der ſcheußlich blutigen Göttin Kali erfegt. Ein 
anderes Drama, Gopi Tihend, gefällt in&befondere den 
Parſis zu Bombay, weil nicht bloß eine laufende Locomotive 
—— auch ein Dampfer mit rauchendem Schornſtein vor: 
ommt. 


Die Robinfon-Erufoe-Infel. 

Vor Kurzem machte machftehende Notiz die Runde durch 
die Zeitungen: „Eine beutiche Colonie von etwa 70 Seelen 
bevölkert feit 1872 Nobinfon Erufoe'3 Inſel im füblichen 
Stillen Ocean. Es fanden ſich dort große Herden von Zie— 
gen, 30 halbwilde Verde, etwa 60 Efel und eine Anzahl 
anderer Hausthiere vor, Die Anfiedler brachten Kühe, 
Schweine, Hühner, Aderbangerätbichaften, Heine Boote und 
Ungelgeräthe mit, und befinden ſich nah Umſtänden wohl. 
Es muß einen eigentbiimlichen Reiz gewähren, in einem 
deutichen Haufe au Ort und Stelle die abenteuerlihen Er- 
lebniffe des ehemaligen Gebieters der Juſel in der Erinne: 
rung vorüberziehen zu laſſen.“ 

Mit Bezug hierauf bemerken die „Balparaifo Deutichen 
Nachrichten” Folgendes: „Die Robinfon-Erufoe-Fnfel (Juan 
Fernandez) liegt befamntlich nur 1%, Tagereifen per Dampf: 
boot von diefer Küſte. Diejenigen Lefer, die dieſelbe befucht 
baben, willen aus eigener Anſchauung, was aud jo bier 
aller Welt befaunt, daß an obiger ſchönen Erzäblung kein 
wahres Wort ift. Zwar beftand einmal ein folder Coloni⸗ 
fationsplan, aber er wurde zu Waſſer. Gegenwärtig beichränft 


Aus allen Erdtheilen. 


fich die Bevölkerung der Inſel auf eine Anzahl fpanifcher 
reſp. chilenifcher Frilcher und auf eine Anzahl von Ziegen, 
welche die Befucher meiftens jchießen möchten, obne zur Aus— 
führung ibres Vorhabens zu kommen. Es gehört ſchon eine 
eingefleilchte Nimrodnatur dazu, um ſich den Anftrengungen, 
welche mit ber Gewinnung eines Zidleins verbunden find, 
and eigener Wahl zu unterziehen.“ 


Zur Statiftif der norbamerikanifchen Zeitungspreffe. 

Die fiebente Auflage, Jahrgang 1875, des amerifani- 
Ihen Zeitungs: WMdreß:Kalenders iſt erichienen. Sie 
entbält in überaus iberfichtlicher Anorbrung eine Aufzählung 
jämmtlicher in den Vereinigten/Staaten, den Territorien, ber 
Dominion von Canada und Neufundland ericheinenden Zei: 
tungen und periobilchen Zeitichrifter. Es werben demnach 
in den genannten Ländern 774 Zeitungen täglich, 100 drei: 
mal wöchentlich, 121 zweimal wöchentlich, 6287 wöchentlich, 
% zweiwöcentlich, 108 halbmonatlid, 850 monatlich, 10 
zweimo natlich und 71 vierteljährlich veröffentlicht — zuſam⸗ 
men 8348, ein Zuwachs von 564 über die Zahl der im Vor: 
jabre (1874), von 1057 über bie Zahl ber im Jahre 1873, von 
1426 über die Zahl der im Jahre 1872 und von 1910 über 
die Zahl der im Jahre 1871 erichienenen Zeitungen. 

Bon den 7736 in ben Vereinigten Staaten ericheinenden 
Zeitungen und Zeitichriften (134 werden in den Territorien, 
464 in der Dominion von Canada und 14 in Neufundland 
publicirt, zufammen alfo, wie oben angegeben, 8348) werben 
695 wöchentlich, 77 dreimal wöchentlich, 104 zweimal wöchent: 
lich, 5858 wöchentlich, 24 zweiwöchentlich, 106 halbmonatlich, 
798 monatlich, 8 zweimonatlich, 67 vierteljährlich veröffentlicht. 
Der Staat Neuyork ſteht obenan mit 1096; dann folgt Penn: 
folvanien mit 707, Illinois mit 612, Obio mit 537. 

Abgeieben von den Wochen: und Sonntagsblättern der 
täglichen Zeitungen erfcheinen in den Vereinigten Staaten 
333 deutſche Zeitungen und Zeitichriften, in Ontario in der 
Dominion von Canada deren 9, davon 8 wöchentlich und 1 
monatlich, zufammen alfo 347. An der Spise fteht Penn— 
folvanien mit 59, davon 10 tägliche; dann folgt Neuyork mit 
51, davon 14 tägliche; Obio mit 40, davon 7 tägliche; Illi— 
nois mit 28, davon 7 tägliche; Wisconfin mit 27, davon 5 
tägliche; Menjerfey mit 19, davon 2 tägliche; Miffouri mit 
18, davon 6 tägliche; Jowa mit 17, davon 1 tägliche; In— 
biana mit 15, davon 4 tägliche; alifornien mit 8, davon 2 
tägliche; Minnefota 8, jämmtlich wöchentlich; Teras 7, da: 
von 1 tägliche; Maryland und Michigan je 6, davon reip. 2 
und 3 tägliche ; Kentudy 4, davon 2 tägliche; Kanſas, Lonifiana, 
Maſſachuſetts, Connecticut, Nebraska, Tenneſſee, Virginia je 
2, davon je 1 tägliches in Kanfas und Louifiana und deren 
2in Virginia; und je eines in Mrlanfas, Delaware, Diftrict 
Columbia, Georgia, Nevada, Dregon, Siübdcarolina, Weit: 
virginia, Colorado und bem Territorium Dafota, bavon nur 
ein tägliches in Waſhington, D. E., die übrigen fämmtlich 
wöchentlich. 

Es erfcheinen je fünf tägliche deutſche Zeitungen in ber 
Stadt Neuyork, in St. Louis, Milwaufie; je 4 im Phila- 
delphia und Buffalo; je 3 in Chicago, Detroit, Cincinnati, 
Eleveland und Pittäburg; je 2 in San Francisco, Peoria 
(Minis), Evansville (Jowa), Indianapolis, Baltimore, Ne: 
wart, Broollhu, Albany, Rochefter, Allentown (Pennſylva⸗ 
wien), Richmond (Virginia), je 1 in Waſhington, D. E. Belle: 
ville, Oninch, Davenport, Leavenworth, Neuorleans, Kanſas 
City, Toledo und Reading. — Im franzöfiicher Sprache er: 
kheinen in den Vereinigten Staaten 26, in den britiichen 
Beligungen 32 Zeitungen und Zeitichriften, davon in Loui— 
fiona 12, im Maffachufetts 3, in Neuyork 5, in California 
2, und je 1 im Illinois, Minneſota, Rhode-Island und Ver: 
mont, Bon den in dem britiichen Beſitzungen veröffentlichten 
frangöfiichen Zeitungen und Heitichriften werden 29 im Di: 


63 


ftriet Ouebec und je 1 in den Diftrieten Manitoba, Neu: 
Brunswid und Ontario publicirt. Täglich ericheinen fran— 
zöſiſche Zeitungen: 1 in San Francisco, 1 in Neuorleans, 2 
in Neuyorf, 1 Ottawa (Diftrict Ontario), 7 im Diftrict One: 
bec, von dem letzteren 4 in Montreal und 3 in Quebec. — 
In flandinaviicher Sprache erfcheinen in den Bereinigten 
Staaten 36 Zeitungen und Zeitichriften, davon 10 in Illinois 
(davon 6 in Chicago), 5 in Neuyork (davon 4 in der Stadt 
Nenyork), 3 in Minnejota, je 2 in California, Nebraska und 
Wisconſin, je 1 in Jowa und Utah. Davon find 2 tägliche, 
bie eine in Chicago, die andere in Neuyork ericheinend. — 
In Spanischer Sprache erſcheinen 23 Zeitungen, davon 11 in 
der Stadt Neudorf, ſämmtlich wöchentlich, halbmonatlich und 
monatlich; 7 in Neumerico, davon eine tägliche in Santa re; 
3 in California uud je 1 in Texas und Colorado. — In 
holländifcher Sprache ericheinen 8 Zeitungen, davon 6 im 
Michigan und 2 in Jowa, fänmtlich Wochenblätter. — In 
italienifcher Spradye zwei Wochenblätter, eines in San Fran: 
cisco und das andere in Philadelphia; 5 im walliſiſcher 
Sprache, davon im Staate Neuyork 3 und zwar I in Rem— 
fen und 2 in Utica; in Pennſylvania 2, eines in Pittsburg 
und das andere in Seranton. — Die Böhmen haben vier 
Organe, ſämmtlich Wochenblätter, und zwar je 1 in Jowa 
Eity, Omaha, Cleveland und Nacine (Wisconſin). — Die 
Portugieſen find durch eine Monatsichrift, die in der Stadt 
Neuyhork erfcheint, vertreten; und die Volen durch zwei Wo: 
henblätter, von denen das eine in Chicago, das andere in 
Detroit erfcheint. 


Die Adventiften in Chicago. 

Wir fafen vor einiger Zeit die Angabe, daß die Anzahl 
der chriftlichen Kirchen und Secten in Nordamerika die an- 
fehnliche Zahl von 127 erreicht habe. Eine diefer Secten, 
die Mbventiften, fehnt mit wahrer Jubrunft den „Unter: 
gang der Welt“ herbei, um deſto rascher „felig” zu werden. 
Ihre Vorfteher erhalten Offenbarungen, auf welde bin fie 
den Tag des Weltunterganges propbezeien. Leider treffen 
diefe Vorberfagungen niemals ein, wie folgender Bericht aus 
Chicago zeigt. 

Wie feit diefe Meine Secte an die Erfüllung der Pro— 
phezeiung ihres geiftigen Leulers Thurmann geglaubt hatte, 
mach welcher am Abend des 10. April „die Welt“ untergehen 
und das taufendjährige Meffiasreich beginnen follte, das zeigt 
am beutlichften die Niedergefchlagenbeit und Verzweiflung, 
welche ihrer fich bemächtigte, nachdem diefe Weiffagung ſich 
als haltlos erwielen hatte. Das Hauptbeer der Gläubigen 
hatte fich an jenem Abend nad der „Swen Halle“ in Chicago 
zurückgezogen und blieb dafelbjt unbehelligt. Lange Tafeln 
waren zuſammengerückt und auf dieſen war das vermeintliche 
legte Liebesmahl fervirt worden, beftehend aus Hammelfleiich, 
Oft, Rothwein und ungeläuertem Brot. Am obern Ende 
der Halle war ein eigenthümliches Sopha anfgeftellt, mit 
Immergrün und anderen Wlattpflanzen umgeben, und auf 
diefem improvifirten Throne ſaß der Prophet Elder Thur- 
manı. In der Halle waren etwa 150 Verfonen, darunter 
viele Kinder, zugegen, die Männer fahen zur Linken, die 
Weiber zur Rechten Thurmann's. 

Innerhalb des von den Tafeln eingefchloffenen leeren 
Raumes waren Waſchbecken und Handtücher für die Fuß— 
waſchung aufgeftellt und diefe ging zuerſt vor ſich, dann ſetzte 
man fich zum Speifen nieder. Immer näher aber rüdte der Zei: 
ger gegen Mitternacht vor, doch keinerlei Anzeichen von dem 
bevorftebenden Ereigniffe machten fich bemerklich. Bange 
Zweifel, ängſtliche Ungewißheit Iprachen von den Gefichtern 
ber Harrenden und felbjt Thurmann begann bedenklich unruhig 
zu werden. Als Mitternacht herangenaht war, ftand er auf 
und hielt eine Rede an feine Herde, welche er um Bergebung 
bat, daß er fie ohne feinen Willen getüuſcht hätte, Er ver- 
möchte diefen Vorwurf indeß wicht zu ertragen und mähme 


64 Aus allen Erdtheilen. 


daher Abſchied von ihnen. Nun folgte eine ſehr ſeltſam auf— 
geregte Scene. 

Weiber rangen in bittern Grimme die Hände, ſtarke 
Männer vergruben ihr Angeſicht rathlos, verzweifelt in die 
Hände. Der fchroffe Ucbergang von verzückter Freude zu 
ſchrecklicher Enttäufchung wirkte betäubend und lähmend. Die 
Armen batten feit langer Zeit ibre Gedanken ausſchließlich 
auf diefen Tag gerichtet, mit aller Iubrunft ſich auf das Er- 
eigniß, das er ihnen bringen follte, vorbereitet, und nun war 
ihnen der Boden unter den Fühen weggeriffen, jeder Halt 
genommen. Thurmann ſprach noch ein Gebet und den Segen 
über die Berfammlung, dann fchien er in dumpfes Sinbriten 
zu verfinfen, um ihn aber meinte und ſchluchzte Alles und 
das Opferfeft war gründlich geftört. Viele der Getäuſchten 
batten nun aber ſehr materielle Gründe, die fie das Fehl: 
ichlagen ihrer Hoffnungen bejammern Tießen; fie hatten im 
der feſten Zuverſicht auf den bevorftebenden Weltunter: 
gang ihre ganze Habe verschenkt, ja jelbft ihre Wohnung auf: 
gegeben, und jetzt wußten fie nicht, wo fie mit Weib und 
Kind ihr Haupt binlegen follten. Gin alter, weißbaariger 
Mann Namens Miller, der fein über 6000 Dollar wertbes 
Grundſtlick abaetreten batte, bat einen Bruder, der nur feine 
Möbel wengegeben hatte, um Erlaubniß, wenigſtens in feinem 
Hauſe auf dem Fußboden zu ſchlafen. Dazwiſchen ſchrien die 
Kinder, Säuglinge wimmerten, die Weiber wehllagten, end: 
lich trennte man ſich im äußerſt gedrüdter Stimmung und 
Jeder ſuchte fich ein Obdach aus, wo er es eben finden konnte, 
mit Schreden des Elendes gedenkend, das die nächſten Tage 
bringen mußten. 

“« * x 

— Der deutihe Kriegsdampfer „Nrcona* im 
Hafen von Honolulu. Die „California Staatözgeitung* 
entbält folgenden Bericht: Am Montag, den 10. Mai, um 
12 Uhr Mittags, empfing der König von Hawaii im Yolani 
Balaft den ftellvertretenden Conful des Kaifers von Dentich: 
faud, Herrn J. E. Glade, und den Baron von Reibnit, 

Commandanten des deutichen Kriegsſchiffes „Arcona*, wel: 
der den König anredete wie folgt: „Majeftät! Mein or: 
babener Sonverän, der Kailer Wilhelm, hat mich mach Ho— 
noluln gefandt, um das Intereſſe zu zeigen, welches er an 
dem Fortichritt und der Wohlfahrt der Staaten Eurer Ma- 
jeftät nimmt, in denen fo viele feiner Untertbanen eine nene 
Heimatb gefunden haben und ſich aller jener Bortheile er: 
freuen, welde die weile Regierung Eurer Majeftät den Aus— 
ländern in demfelben Grade wie den Eingeborenen bietet. 
Die gute Aufnahme, welche die „Nrcona" von Seiten der 
Negierung Eurer Majeftät gefunden bat, bat einen tiefen 
Eindrud auf mich gemacht, und ich bin glüdlich, Diele Ge: 
legenheit zu haben, um Eurer Majeftät meinen aufrichtigen 
Dank auszudrücken.“ — Der König eriwiederte hierauf wie 
folgt: „Baron von Reibnig! Es macht mir fehr große Freude, 


Sie, fowie die Offiziere des ſchönen Schiffes, weldes Sie | 


commanbiren, beute bier bewilllommnen zu können, da bie 


„Arcona" das erfte Kriegsſchiff unter der Flagge des deut: | 


ſchen Neiches ift, welches mein Land beſucht bat, Ich gebe 
Ihnen die feſte Verficherung, daß die Untertbanen Ihres 
Somveräns fich ſtets jeden Vortbeiles erfreuen jollen, welche 
den Eingeborenen dieſes Staates gewährt wird, und daß 
feine Leute auf diefen Infeln willkommener geheißen werben 
als die Deutichen, deren Anduftrie und Unternebmungsgeift 





fo viel zu der Prosperität jedes Landes beitragen, in welchem 
fie wohnen, und es macht mir großes Vergnügen, zu hören, 
daß Ihr Souverän, der Kaiſer Wilhelm, Sie hierher geſchickt 
bat, um das Jutereſſe zu zeigen, welches er an dem Fort: 
ſchritt und der Wohlfahrt meines Staates nimmt,“ 

— Der Unban des Kaffees in Cofta rien it fchon 
fo beträchtlich geworden, daß die jüngſte Ernte nahezu 200,000 
Gentner geliefert hat, im Geldwerth von etwa ſechs Millio- 
nen Thaler. Der Kafferbaum ift in diefer Republik zuerft 
vor nun etwa 25 Jahren von einem bentichen Kaufmann, 
Herrn Eduard Wallerftein, eingeführt worden, und ger 
deiht vortrefflich. Ein Gleiches ift in Guatemala der Fall, 
von wo alljährlich gröfiere Onantitäten im den Handel ge- 
langen. 

— Im anftraliihen Bictoria find viele Grund— 
befiger jo verftändig, große Flächen mit Waldbäumen zu be- 
pflanzen. — Die Zahl der Kängeruhs wird durch die 
Jäger beträchtlich vermindert, aber von einer Ausrottung 
diefer Thiere kaun auf lange Zeit hinaus noch feine Rede 
fein. Bei einer in der Nähe von Port Lincoln veranftalteten 
Jagd wurden auf der Station Uly mehr als 200 geſchoſſen, 
während etwa 600 unbehelligt blieben und entlamen. — Ju 
Neufüdwales kommen noch immer Fülle von Canniba— 
lismus zur Anzeige, So berichtet die „Townsville Times“ 
Folgendes über den Mord eines Anſiedlers Namens Conn 
und deffen Fran: Die Eingeborenen hatten Hrn. Conn über: 
fallen und niedergeworfen. Sie bolten bierauf feine Frau 
berbei, um der Ermordung ihres Mannes beizuwohnen, 
Diefem wurde anf einem Baumſtumpf ein Bein am Knöchel 
und an dem Knie abgehadt, Die Frau riß fich los und 
rannte nad) dem Haufe zurück, wo fie eine Schrotflinte er- 
griff und auf die Wilden feuern wollte. Die Flinte ver: 
lagte. Sie tannte hierauf nach der Nachbarfarm zu und 
wurde dabei mit einem Speer im Rücken getroffen, wobei 
die Schwarzen bie Flinte auf ihrem Kopfe zerichlugen. Sie 
ſchnitten ihr hierauf die Eingeweide aus und nabmen fic mit. 
Die zur Verfolgung ansgefandten Truppen überraſchten die 
Mörder, die eben über die That ein Feſt angerichtet hatten 
umd die mitgenommenen Körperteile verzebrten. Sie hatten 
Boote in Bereitichaft, um nach dem Feſte nach Hinchinbroof 
Island überzuſetzen. Nach ihrem Aufammtentreffen mit den 
Truppen hatten fie feine irdiſchen Boote mehr nöthig. 

— WVittwenverbrennungen fommen in Judien 
vereinzelt immer noch; vor, fo im vorigen December in der 
Umgegend von Ladıo, wo eine Frau nicht davon abzubrir: 
gen war, ihrem Mann in den Tod zu folgen. Sie nahm 
ein Bad, ſchmückte fich bräntlich und wurde von ihren Wer: 
wandten im Feftlichem Auge zum Scheiterhanfen geleitet, der 
dann von Hindus niederer Kaſte in Brand geſteckt wurde, 
Holz ift in jener Gegend tbener und felten, man hatte des: 
halb zumeist andere brennbare Stoffe verwandt, welche um 
die Frau herum aufgebäuft waren. Sie legte ihren Kopf 
in den Schooß des Todten und dann wurde der Scheiter: 
haufen mit Strob überfchüitter. Der Neffe des Reritorbenen 


\ reichte der Satti eine brennende Fackel und im Nu ftand 


Alles in Flammen. Man war mit der größten Heimlichkeit 
zu Werke gegangen und als die Bolizei anlangte, fand fie 
nur noch einen Wichenbanfen. Etwa 30 Perſonen, darunter 
die Verwandten der Wittwe, find verhaftet worden und wer 
den vor Gericht geftellt. 


Inhalt: F. Garnier’s Scilderungen aus innan. II. Mit Fünf Mbbildingen.) — Karl v. Neumann’ 


Expedition nach den Bäreninfeln vor der ſibiriſchen Küſte. II. — 


Der „Gballenger* auf der Fahrt von den Philippinen 


nach Japan. I. — Die Pariahlaſte der Koragars an der Malabarfüfte. — Aus allen Erbtheilen: J. Forreſt in Wet: 
auftralien. — Indien. — Die Robinſon-Cruſoe-Inſel. — Zur Statiftif der nordamerifaniichen Zeitungspreſſe. — Die 
Adventiften in Chicago. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 10. Juli 1875.) 





Herausgegeben von Karl Andree im Leipzig. — Für bie Redaction verantwortlich: H. Bieweg in Braunſchweig. 
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunfchneig. 


Dierzu eine Beilage: Literarifcher Anzeiger Nr. 7. 


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Band x XXVIN. 





Mit befonderer Serichicktigung ı der in und Ethnologie. 


In 


Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 


Karl Undree, 


Braun ſchweig 








Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlich 4 Nummern. 
Preis pro Bande 12 Marf. Einzelne Rummern 5 50 0 P 


1875. 





Dr. Hayden’s und Langford’3 Erpedition nach den Felfengebirgen. 


Bir haben im vorigen Bande des „Globus“ (S. 289, 
305, 321 ff.) die Erforſchung der Geyferregion am obern 
Nellowftone und des Firehole dargeftellt. Als die Nachricht 
von diefer „Wunderregion“ im Often der Vereinigten Staa« 
ten befannt wurde, beſchloß die Regierung eine geologische 
Miffion nad) dem in fo vieler Beziehung hochintereffanten 
Gebiete abzufenden und fie hätte feinen tüchtigern und eifri- 
gern Forſcher finden fünnen als Dr. Hayden, der feine 
erfte Expedition im Fruhſommer des Jahres 1871 vor- 
trefflich ausgerüftet antrat *), 

Diefelbe verlieh am 1. Juni die Stadt Ogden im Terris 
torium Utah. Am 4. zog fie durch den Ogden-Cañon, 
eine malerifhe Schlucht, deren fteil emporragende Wände 
eine Höhe von 1500 bis 2000 Fuß haben, Auch widmete 
fie dem Thale des Snake: (Schlangen) River eine befondere 
Aufmerkfamkeit und zog dann über Kort Hall nach Fort 
Ellis. Bon dort aus gelangte fie am dritten Tage an 
den Gardinerfluß; hier traten ſchon heiße Quellen auf. 
Ganz nahe dem Strome quollen einige in kreisrunden Beden 
hervor, die einen Durchmeffer von 6 bis 10 Fuß und eine 


+) Mitglieder der Expedition waren die Herren Stepbenfon, 
weldyer die Oberverwaltung führte; der Zeichner Elliot; der Stati— 
fifer, Entomolog und Agronom Vroftſſer Cyrus Thomas; ber 
Topograpb Schönborn mit einem Gehuͤlfen; ber Mieteorolog Be az 
man; der Botaniker Allan; ber Mineraloa Beale; der Arıt Dr. 
Zurnbull; ber Zeolog Gamington; ber Seeretar Yogart mit 
vier Gebülfen, und der Malır Doran. 


Globus XXVIII. Nr. 5 


L 


Tiefe von 2 bis 4 Fuß zeigten. An denfelben hatte fic eine 
große Menge Sranter gelagert, die in Zelten lebten und 
mit Begeifterung von den Wirfungen des Bades erzählten. 

Als die Reifenden etwa eine Meile weiter gezogen war 
ren, bot ſich ihnen ein wunderbares Echaufpiel dar, das den 
Forfchern des vorigen Jahres völlig entgangen war, Vor 
ihnen erhob ſich eim hoher, weißer Berg, der einem unge 
heuern gefrorenen Wafjerfall gli. Es waren bie 
Quellen, die heute als Mammuthquellen bezeichnet 
werden, Arm Fuße des Berges, der etwa 200 Fuß empor: 
tagte * aus Kallablagerung beſtand, ſchlugen ſie ihr La— 
ger au 

Dieſer Bau der Natur gehört offenbar zu den inter⸗ 
eſſanteſten auf unſerm Erdballe. Das Ganze beſteht aus 
einem Syften an einander gelagerter Terraſſen, welche den 
Stufen einer ungeheuern Treppe gleichen. Auf jeder der— 
felben finden fich halbzirkelförmige \ Bein, deren Rand eine 
Höhe von einigen Zol bis zu 6 Fuß hat. Diefe Ränder 
find fo pradhtvofl mit Gewinden und Anszadungen verziert, 
daß der Beichauer erftaunt fie betrachtet. Die Färbung ift 
überall fchmeeweiß umd im diefelbe mifchen jich in Abſtufun— 
gen fcharlachrothe, grüne und gelbe Töne jo prächtig und 
glänzend wie nur unfere ſchönſten Anilinfarben, Diefe Halbs 
beten haben verſchiedene Größen, von einigen Zoll bis zu 
6 und 8 Fuß, die Tiefe beträgt von 2 Zoll bis 2 Fuß. 
Da das Waſſer oben von dem Berge herabläuft, fo zieht 
es aus einem Beden in das andere, wird lälter, je tiefer es 


9 


Dr. Hayden’s und Langford's Erpedition nach den Feljengebirgen. +1. 








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Dr. Hayden's und Langford's Erpedition nad den Felſengebirgen. L 67 


tommt, und wer badet, fann ſich die ihm zufagenbe Tempe— 
ratur wählen, 

Dben auf bem Berge befindet ſich eine flache Terraſſe 
von 150 bi 200 Schritt weit und auch fie enthält mehr 
oder weniger ähnliche Becken, welche gegenwärtig die thätig« 
ſten von allen find. Das größte liegt am äußern Rande 
der Terraſſe und hat einen Durchtneſſer von 25 zu 40 Fuß. 
Das Wafler ift volllommen Mar und man fieht bis auf den 
Boden herab. Die Wände find mit einem Schmucke beflei- 
det, welcher den Korallen gleicht und im fehr mannigfaltiger 
Beife Hübfc gefärbt ift von reinem Weiß bie zu einen 

Seh, Der blaue Himmel fpiegelt ſich in diefem 
aren Becken, das dadurch eine Azurfarbe annimmt. Es 
wäre der Kunſt unmöglich diefe Erſcheinung wiederzugeben. 

Die Quellen haben einen 
oder mehrere Mittelpunfte 
des Aufmwallens und mandje 
fteigen etwa 4 Zoll über 
die Oberfläche empor. Das 
Waſſer läuft an den Hügel: 
abhängen hinunter unb wird 
überall aufgefaßt in Ganä- 
len, in denen es raſch in bie 
Beden hinab fließt. Ueber⸗ 
all (agert es mehr ober we= 
niger Kalkbeftandtheile ab, 
die alle möglichen Formen 
annahmen. Unterhalb vie- 
ler Beden und am Rande 
derfelben jieht man Stalat- ; 
titen von jeber Größe, welche 
durch die Über den Rand 
herabfallenden Waflertropfen 
gebildet werden. Viele die: 
jez Stalattiten haben wahr 
haft pradjtvolle Decoratio- 
nen. Zeichnung und Bhoto: 
raphie fönnen eine Vor— 

ung von dieſen Terraflen 
geben, aber immerhin nur 
eine unvollftändige, weil der 
fo reiche Gegenſatz aller die⸗ 
fer glänzenden Farbennllan⸗ 
cen fehlt, melde dem Auge 
einen wahrhaft bezaubernden 
Anblick bieten. 

Ueber der obern Terraſſe 
liegt ein merfmürbiger 150 
Fuß hoher Kegel, der an ber 
Bafis 120 Fuß breit ift, 
Seiner Geftalt wegen wurde 
er ald Freiheitsmüge bes 
zeichnet. Er ift offenbar Trümmer eines erlofchenen Geyfers; 
das Waſſer wurde wahrjcheinlic ohne irgend weldye Unter: 
brechung mit ftarter Gewalt emporgeichleubert. Dieſer Geyſer 
erhob feinen Krater, fo lange der Drud des Waſſers es 
geftattete, dann ſchloß er ſich allmälig ſelbſt bei feinem Gipfel 
und erlofch. Heute giebt er auch micht einen einzigen Trop⸗ 
fen Waſſer mehr. Die Kalkniederſchläge haben ſich um ein— 
ander gelegt etwa wie Yagen von Stroh, mit denen man ein 
Dad bildet. Am Nordweftrande der Hauptterraſſe ziehen 
ſich Länglihe Dümme von 50 bis zu 150 Schritt Yänge hin, 
in einer Höhe von 6 bis 10 Fuß. An ihrer Bafis haben 
fie 10 bis 15 Fuß. Bon einem Ende der Terrafle zum 
andern läuft oben ein 6 bis 12 Zoll breiter Spalt, aus 
welchen manchmal im beträchtlicher Menge Dampf empor⸗ 





Ogden Canon. 


ſteigt. Man hört, wie das Waſſer unten kocht ähnlich wie 
in einem Keſſel. Das Innere ift, fo weit man es verfol- 
gen kann, mit einer ftarfen Lage emaillirten Porcellans 
garnirt und am manden Stellen mit prächtigen Schwefel: 
fryftallen beffeidet, welche der Dampf niedergeſchlagen hat, 
Neben der obern Terraffe, die in Wirklichkeit nur ein 
alter Kraterrand ift, findet man eime große Anzahl länglich- 
runder erftorbener Geyfer; einige find zerbrochen, fo daß 
fie gewiſſermaßen eine Art vom Höhlen bilden, im welchen 
die wilden Thiere einen Schlupfwintel finden. Dr. Hayden 
ging im eine biefer Höhlen und fand in derfelben Baums 
zmweige und Knochen, welche durch Thiere dorthin getragen 
worden find; ganze Wolfen von Fledermäuſen ftiegen em» 


| por, als fie fich beunruhigt fühlten. Einige dieſer Höhlen 


find nad) oben hin offen und 
han kann bequem die bers 
fchtedenen Ablagerungen ver⸗ 
folgen, auf anderen ftehen 
Fichten von 80 bis 100 
Jahren. 

Die oberen Abtheilungen 
dieſes Berges haben täus 
ſchende Aehnlichkeit mit den 
Ruinen eines Dorfes, deſ⸗ 
ſen Häuſer in Verfall find. 
Mit größter Bequewſlichleit 
fanın man bie verſchiedenen 
Niedericyläge betrachten un: 
gefähr fo wie die Dahres« 
ringe an einem Baume. Auf 
ber mittlern Terraſſe, wo 
gegenwärtig die Hauptquellen 
in großer Thätigleit find, 
liegen mächtige Fichten unter 
6 bis 8 Fuß hohem Waſſer. 
Diefe gewaltigen Bäume 
wurden offenbar erſt in nn» 
feren Tagen umgeftürzt. Die 
Quellen find Bielfach anges 
füllt mit fleinen Fäſerchen, 
unter denen Dr. Billings 
die Arten Palmella und Os 
enllera ermittelte. In den 
Heinen Ninnfalen, welche 
and den fiedenden Diuellen 
ablaufen, findet man eine 

roße Dienge von einer Sub: 
Ran, die faſerig und ſeiden⸗ 
weich ift und gewiſſermaßen 
ber feinften Rafehmirwoße 
gleicht. Sie vibrirt bei 
ber leichteften Bervegung des 
Waſſers und fcheint gleichfalls vegetabilischer Natur zu fein. 
Bei Er Waſſer nehmen diefe jeidenartigen Maſſen einen 
Niederfchlag von Kalt an; die vegetabilifchen Fäſerchen ver- 
ſchwinden und es bleibt nur eine faferige, ſchwammige Maſſe, 
die einer feinen, fehr weißen Koralle ähnelt. 

Wenn man die Quellen biefer Region in Bezug auf 
ihre chemifchen Beftandtheile claffificiren will, fo zerfallen 
fie in ſolche, in denen der Kalk, und in andere, in benen Siler 
bormwaltet. In Bezug auf die Schönheit der Formen geben 
bie Kallquellen die herrlichiten architeltoniſchen Mufter und 
nehmen die merfwirdigften Formen an. Die Landfchaft in 
diefer Geyſergegend ift über alle Beſchreibung ſchön. Sie 
liegt etwa 1000 Fuß liber dem Boden des Nellowftone und 
man hat von diefer Höhe eine ungeheuer weite Ausſicht. 


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Tr. Hapden's ımd Langford's Erpedition nach den Felſengebirgen. J. 








DMammutbhanellen. 


Dr. Hayden’s und Langford’s Erpedition nach den Fyelfengebirgen. J. 69 


Nach Norden fieht man einen Theil des Zinnobergebirges, 
während auf der andern Seite fid) Höhen emporthlicmen, 
bie mit gigantifchen Mauern den Horizont ſchließen. An 
den Abhängen der Schluchten find Bafaltfäulen in einer fo 
wunderbaren Ordnung und Regelmäßigkeit aufgeftellt, wie 
jeme im der Fingalsgrotie auf Staff. Thurmförmig fteigt 
dort Berg Evertd empor, Seine Abhänge find mit Fichten: 
wald beftanden, fein Gipfel beſteht aus Baſaltfragmenten. 








Die Erpedition konnte nicht länger verweilen, fie zog am 
„hurm“ vorbei am Cingange des großen Canon und an 
den beiden Waflerfällen des Mellowftone, die nad) Hayden 
einen viel großartigern Eindrud machen als felbft der Nia- 
garafall. 

Hayden verfolgte dann im Allgemeinen bie Route, welche 
im Dahre vorher Leutenant Doane eingefchlagen hatte und 
die in unſeren früheren Mitteilungen gefchildert worden ift. 


Beten der Mammuthquellen. 


Im Dahre 1872 beroilligte der nordamerilaniſche Congreß 
eine nicht unbeträchtliche Summe zur Fortfegung der jyors 
ſchungen und fo fonnte diesmal Hayden zwei Abtheilungen 
bilden. Iecde derfelben beftand aus einem Geologen, einem 
Topographen, einem Aſtronomen, einem Meteorologen und 
einer Anzahl jüngerer wiſſenſchaftlich gebildeter Yente. Die 
eine Partie unter Dr. Hayden nahm ihren Ansgangspuntt 
auch diesmal von Fort Ellis, unterfuchte genauer den 
Nationalpark und bie Region bes Gallatin. Die zweite 


brach, von Fort Hall auf, drang im die Felſengebirge ein und 
ihr gelang es einen Berg zu erflimmen, den man für ums 
erfteigbar gehalten hatte und welder den Namen Mount 
Hayden erhielt. Wir werden im folgenden Aufſatze dieſe 
legtere Erpebition ımter Langford's Yeitung näher ſchildern. 

Langford war bereits Mitglied der Erpebition von 1870 
und 1871 gewefen. Ex bemerkt, daß er auf beiden Wanbers 
zügen faum die Hälfte der wunderbaren Erſcheinungen und 
Naturſpiele jener Gegend gefehen habe, in Hauptrefultat 


70 Tr, Hayden's und Langford's Expedition nach den Felſengebirgen. L 


ber Forſchung Hayden’s aus dem Jahre 1871, gleichſam ; Wanderung an. Hayden mollte die Region im Giden bes 
ein herrliches Siegeszeichen, war die Entbefung der Mam- | Nellowftone, namentlich, die Gegend am Snake River unter: 
muthquellen; Langford feinerfeits hoffte noch andere Wuns | firchen, über welchen noch fo viele Fabeln umliefen. Er be» 
der zu entdeden und deswegen trat er mit Eifer feine neue | fahlalfo Capitän Stephenfon von Süden her in ben National» 








Die Fteiheitsmütze. 


parf einzubringen, während er felber die Koute des vorigen , Der Snakefluß durchzieht im ber That ſchlängelnd dieſe Ge— 
Jahres einfclug. Weide Gruppen follten fid) dann im 2 nad dem Großen Ocean hin und läuft Hunderte von 
Seyjerbeden des Firehole wieder zuſammenfinden. eilen entlang der Sette der Tetonsgebirge, welche 

Diefe ſüdliche Noute, fo ſchreibt Pangford, hatte file mich | eine mächtige Örenzicheide in diefem Theile von Nordamerika 
einen großen Reiz, deun fie war noch fo gut wie unbefannt. | bilden. 


Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens. 71 


Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens. 


Von Dr, Hermann Brunnhofer in Aarau— 


Zweite Abtheilung *). 


Wer die Wirkſamleit des Aberglaubens in ber unendlichen 
fälle feiner Erjcheinungsformen durd) alle Zeiten und Zonen 
hindurch verfolgt, wird ſich zwar geftchen mlffen, daß wir 
ohme fein Daſein die lieblichjten und erhabenften Schöpfun« 

der Kunſt: Kalidafa's Safumtala eben fo wenig als 
—28 Sommernadhtstraum, und des Aeſchylus' Pro⸗ 
methens eben jo wenig ald Dante's Divina Commedia und 
Geethes Fauſt befäßen, von den Meifterwerten der Mufit 
und aller anderen Kunftgattungen zu geſchweigen. — ber 
der Befig diefer unftgenüffe, die bis anhin denn doch nur 
einem fehr befcheidenen Kreiſe zugänglich; gewefen find, wird 
auf der andern Seite im dem Mugen des die Weltgefchichte 
fühlend Betrachtenden wieder Uberſchwer aufgewogen durch 
den Berluft von mindeftens hundert Millionen gewaltjam 
oder Minftlich gebrochener Menſchenherzen, welche dem Uber: 
glauben zum Opfer gefallen find. Und jo Hoch ſich aud) 
unſere Wiſſenſchaft und Philofophie entwicelt haben, fo feiten 
Boden die Geiftesfreiheit ſchon errungen, fo tief ſich das Ver— 
ftändniß der großen Yebensfragen fogar ſchon in die unterften 
Schichten der abendländifchen Menfchheit hineingebohrt hat, 
jo ſchwingt gleichwohl haarfträubender Aberglaube feine Gei— 
hel über große, vornehmlich) fich gebildet wähnende Kreiſe der 
europäifchen und amerifanifchen Geſellſchaft noch bis zu Dies 
fer Stunde mit nicht weniger bespotifcher Willfür , als dies 
P 7 einer Zeit im der Culturgeſchichte der Fall gewe⸗ 
en i 

Nod bis zu dieſer Stunde fpielt die weiße Frau an 
den Höfen der großen Culturvöller Europas diejelbe Rolle, 
wie vor Jahrhunderten. Und wie fonderbar: gerade die 
nordamerifanifche Union, das „gepriefene Land der freieſten 
Geiftesentwidelung“ (11), ift das Land des gröbften Aber: 
glanbens, der finjtern Geiſtesnacht, des frechſten Religions» 
betruge! In Bofton und Neuyorf giebt es öffentliche, von 
den bedeutendften Zeitungen ausgefchriebene Geiftercitirungs- 
büreaus, durch deren Vermittlung man jeden Augenblick mit 
feinen verftorbenen Verwandten in brieflichen Verfehr treten 
lann. Und die Vielweiberei der Mormonen, ftütt fie ſich 
nicht auf die Ausgeburt der tolljten Bibelfälſcherei? Wenn 
dad am grünen Holz eines jungen „Freiſtaates“ geſchieht, 
da fhlägt in und das Gewiſſen der Menjchheit, wir werden 
für einen Augenblid irre in unferm Glauben au die ewige 
Vervoltommmungsfähigfeit **) unferes Geſchlechts, an der 
Macht der Bildung, an dem Übel der menſchlichen ‚Seele 
und entfegt erheben wir die angfterprehte Frage: Was ift 
denn ſchuld am diefem die Völler ſeit Jahrtaufenden zerflei- 
Ihenden Unheil? Woher ftammt denn diefer Heerwurm am 
Yebensbaume der Menfchheit? Welches ift denn die Quelle 
ded Aberglaubens? 

Die Quelle bes Aberglaubens ift einestheils die gläu- 
bige Phantafie des Volles, welches ſich die Naturerfcheinungen 
in Borftellungsbilder verwandelt, dann aber auch der 
ſchlauberechnende Berftand des herrſchſüchtigen 
Prieftertgume. 


*) Bergleihe Globus“ XXVII, &. 125. 136. 152. 
**) An diefe glaubt doch fein Ethnolog. 4. 


Verfegen wir uns einen Augenblick im die Urzeit des 
Menſchengeſchlechts. Wir haben uns daffelbe, nad) den 
neueften Unterfuchungen tiber vorgefchichtliche Zuftände, als 
unter Ähnlichen, nur noch inferioreren Berhältnifien lebend 
zu denten, wie die Papuas auf Neuguinea oder die Schwar: 
zen auf Neuholland, Den Urzuftand dev Menſchheit ber 
zeichnet wie beim Kinde die Oberherrſchaft der Phantafie. 
Die Erzeugniffe diefer Phantafie liegen ung vor in den 
Heldengedidhten, Märchen, Sagen, Yegenden, Schwäulen, 
Kinderliedern, Zauberfprüichen, Sitten, Bräuchen und mans 
nigfachen Einrichtungen der Völter. 

Es laſſen ſich drei große Hauptperioden unterfcheiden, 
in welchen fich die Naturvölfer ihre Glaubensformen, ihre 
Religionen, geichaffen haben. Dieſe Perioden folgen jedoch 
nicht mit derjelben Umveränderlichfeit auf einander, wie der 
Neujahrsmorgen der Sylveſternacht. Es ift mit den Ent» 
widelungsperioben der Bolfögeifter wie mit ben Perioden, 
deren ſich die Geologie bedient, um die Anfeinanderfolge ver 
ſchiedener Geſteinsſchichten zu erflären. Man fanın nicht 
immer fagen: hier hört die eine Schicht auf und da beginnt 
nun bie andere. Wie die Natur in allen ihren Geftaltungen 
nicht jchroffe Uebergänge licht, fo kennt auch die Geiſies · 
entwidelung der Menſchheit nur allmälig in einander ver» 
fliegende, nicht urplöglid; aus dem Nichts entfprungene 
Bildungsepochen. Es tritt fogar häufig der Wall ein, daß 
bei diefem Volke eine Entwidelungsperiode raſcher verläuft 
als bei jenem, hier ſämmtliche Perioden wunderbar regelmäßig 
auf einander folgen, dort wieder der ganze Strom der Ents 
widelung auf der Hälfte des zurüdgelegten Weges erſtarrt. 
Immer jedoch; gehen die Entwidelungsformen früherer ‘Per 
tioden in den fpäteren nicht verloren, fondern bleiben häufig 
in urwlichſiger Rohheit neben den Entwidelungsformen 
jpäterer Perioden fortbeftehen und verfchmelzen dann häufig 
it denfelben zu einer ſelbſt für das gelibte Auge des Fach» 
forfchers faum mehr entwirrbaren Nagelfluhmaſſe. 

Wie die Fiſche nicht untergingen, als die Amphibien 
famen, und die Affen nicht verſchwanden, als der Menfc ins 
Dafein trat, jo jehen wir auch in den Perioden ber höchſten 


Geiſtesbildung jehr oft die roheften Grundformen des geiftis 


gen Yebens wiederkehren. Nicht felten treffen wir dann neben 
dem erhabenften Ideencultus dem niedrigſten Gögendienft, 

Diefe drei Entwidelungsperioden des Aberglaubens find 
nun im möglichfter Kürze darzuftellen, 

In der älteften ‘Periode, die ſich am zutreffenditen als die 
elementare bezeichnen läßt, ift von Göttern und göttlichen 
Weſen nod feine Rede. Da finden wir den Menjchen weit 
entfernt, fittliche Begriffe zu Idealen finnlicher Anfchauung 
zu geftalten. Da dämmert auch nod) feine Ahnung ber in 
ihm fchlummernden Seelenkräſte. Da hat er fein Auge nod) 
nicht in die Tiefen feines Geiftes verſentt. Da ift es noch 
vol aufgeſchlagen iiber die wechjelvollen Erſcheinungen ber 
Außenwelt. Sein Vlid haftet noch an der Oberfläche des 
Dafeins, Seine Wahrnehmung wird von dem Stillleben 
der Natur umd dem geheimen Spiel ihrer Kräfte noch weit 
weniger angefochten ald von dem gewaltigen Kämpfen ber 


72 Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Gedichte des Aberglaubens. 


Elemente und den kraftvollen Wirkungen, die von Firma» 
mente zu und herniederftrömen. Der Erdboden hat fr das 
Intereſſe des Urmenſchen gleichjam noch gar fein Dafein, all 
fein Wahrnehmungsvermögen ift noch der Betrachtung der 
am Himmel ſich vollzichenden Vorgänge verpfändet. Ein 
indifcher Hirt fpricht diefe Empfindung ein Jahrtauſend vor 
Chriſtus im einem Liede ded Atharvaveda (X, 8, 16) modı 
fehr naiv aus: 


Das Land, wo uns die Sonn’ aufgeht und wo fie wieder 
untergebt, 

Das halt ich für das höchſte Gut und über diefes geht 
mir nicht. 


Sommenfchein und Regen, Maienthau und Herbſtnebel, 
Frühlingsgewitter und Winterftürme, das find und bleiben 
die großen Angelpunfte für jene Menſchen. Wenn 
die Sonne mit ihren erwärmenden Strahlen die Trauben: 
und Korngelände unferer europäifchen Hügelwelt zu lange 
meibet, dann find Mißernten und der finanzielle Ruin ganzer 
Thallandſchaften unfer Theil. Wenn die Regengüffe Central⸗ 
afrifas das große Becken nicht überfüllen, welches dem Nil 
fpeift, fo kann ber heilige Strom nicht genligend austreten 
und in Folge dejlen bricht Unfruchtbarkeit, Theuerung, Hun- 
geränoth, Peftilenz und Aufruhr aus über ganz Aegyptenland 
und feine Priefterweisheit vermag den Yauf der Natur zu 
ändern. Der Nomade Hocafiens geht mit Roß und ind 
zu Grunde, wenn der befruchtende Maithau nicht zur rechten 
Zeit feine gräfertreibende Macht entfaltet. Und vergißt der 
Herbithimmel des Felfengebirges einmal, feine Schleuſen zu 
Schließen, jo fchwenmt der Miffiffippi Haus und Hof mit 
Mann und Maus zu Taufenden hinweg. Und der Föhn, 
ber tüdifche Sohn der Alpen, kann er nicht Über Nacht uns 
fere Gletſcher jchmelzen und unſere lachenden Alpenthäler in 
traurige Steinwüjten verwandeln? Die Cultur fan diefe 
Uebel nur mildern, niemals aber wird es ihr gelingen, fie 
aus der Welt zu fchaffen. Iſt es da noch ein Wunder, 
wenn der Naturmenjch, der feine anderen als Nahrungs: 
forgen hat, ſich zunächft aus Furcht, fpäter dann vielleicht 
aud; aus Dankbarkeit zur Verehrung diefer fein Schidjal 
fo gänzlich beftimmenden Naturmäcte hingetrieben fühlt? 
So ericheint denn im ber Urzeit die Phantafie des Menfchen 
noch vollauf damit befchäftigt, in den Gewitterphänomenen 
und den mit ihnen aufs Engjte verfnlipften Gejtirnen: in 
Sonne, Mond und Sternen, die bald übelwollenden, bald 
etwa auch gütigen Mächte zu erbliden, welche bald die Schuld 
feines Unglüds, bald das Verdienſt feines Glückes tragen. 


Wollte fid) mun der Naturmenſch diefe Mächte unter 
irgend einer Form vorftellen, blieb ihm da noch etwas ans 
deres übrig, als in denfelben Abbilder derjenigen Gegenftände 
und Wefen zu fchauen, von welden er auf Erden umgeben 
war? Da ift denn num die Sonne bald ein goldenes Ei, 
bald auch ein goldener Becher, bald ein Auge, bald ein flam- 
mendes Rad. Der Mond ift ein filberner Kahn, eine Kuh, 
aber aud) ein Haſe. Der Sturmwind ift bald eim heu— 
lender Hund, bald ein Wolf, bald auch ein Jüäger, der fein 
Jagdgeſchrei hören läßt. Die Wolle aber gilt bald als ein 
Stein, ein ungeheuerer Felsblock, ein Berg, bald wieder als 
ein ad, ein Balg, ein Schlauch, ein Fell. Ein Fell läßt 
aber auf ein Thier fchließen, dem es angehört. Und fo fin« 
den wir denn die Wolfe bald als zottige Ziege, bald als 
grauen Ejel, bald als rothe Milchluh. Ebenſo floß aus der 
Anſchauung der von der Sonne vergoldeten, oder vom Blig 
umrankten, oder von Winden ausgefächerten Wolte das Bild 
einer Blume, eines Strauches, eines Baumes oder aud) eines 
Waldes, Aus der Wolfe heraus zudt aber der Blitz und 


brüllt der Donner. Da mußte der flammende Blitz der 
weiße Hauer eines wlithenden Ebers, ber rothe Kamm eines 
hellauffrähenden Hahnes, die gelben Fänge des pfeiljchnell 
durch die Yüfte dahinſchießenden Adlers fein. Wenn der 
Blig vernichtend hermieberfuhr, erblidte man in demfelben bald 
einen Keil, den Donnerteil, bald einen Hammer, eine Axt, 
einen Pfeil oder eine Lanze, welche von einem in der ſchwar⸗ 
zen Wetterwolfe haufenden Weſen heruntergeſchleudert wurden. 
Oder man fah das unbekannte Wefen ein Schwert zücken 
oder eine Schlinge werfen, einen Faden, ein Seil, eine Kette 
herunterlaffen. Nach der Farbe des Bliges mußte man ſich 
dann ganz folgerichtig alle diefe Segenftände, welche man im 
Blitz zu erkennen glaubte, bald als voth, bald als gelb, bald 
als blau, bald als weiß vorftellen. So konnte man ſich denn 
auch nur Bilanzen und Bäume, weldye rothe oder gelbe, blaue 


oder weiße Blüithen trugen, oder aber rothes Holz ober rothen 
Saft hatten, oder deren Blätter nad) ber Form des Donner: 


feil$ dreiedig oder ſcharf eingeferbt waren, als in den himm⸗ 
liſchen Gärten wachſend vorftellen, 

Da galt denn der Blitz bald als ein im Gewitter gelb 
aufbllihendes Farrnkraut mit rothem Safte, bald als gelbe 
Yotosblume, bald als weigblühende Hafelftaude, Der Donner 
aber, der aus der Gewitterwolke hervorbricht, galt bald als 
das Muhen des Wollenrindes, bald als Föwengebrüll, bald 
ald das Gewieher eines Roffes, bald als das Gefchrei des 
Woltenefeld; bald aber auch alf das Krächzen eines Raben, 
als das Krähen des rothlammigen Blighahnes, als der Ruf 
des Kriegshorns oder der Schlachttrompete; bald aber aud) 
ganz einfach) — und das war wohl mit die ältefte Auffaf» 
jung — als ein Poltern mit Steinen, als ein Kegelſchieben. 
Wenn aber der Zahnfchmerz die Kinnlade durchzudte, wenn 
das Fieber die Glieder jchlittelte oder fonft eine Krankheit den 
Leib des Menſchen zerwühlte — das fam dann von Wilr« 
mern, von Käfern, von allerhand Unthieren, die im Menfchen 
ihr Wefen trieben. Wenn der Schmerz ſich legt, fo fagen 
wir noch, ganz im Sinne der Urzeit, er verfurre, wir faf- 
ſen den Schmerz als eine vorüberfummende Hummel auf. 
Aehnlich ſchon der alte Inder vor drei Yahrtaufenden. Ein 
Zauberſpruch des Atharvaveda (VI, 25) fpiegelt diefe Auf: 
faſſung noch deutlich wieder: 

Die Fünfundfünfzig, die fih mir im Naden tummeln bin 


und ber, 

Sie mögen bingehn allzumal, al& wie ein Hummelnſchwarm 
verjurrt. 

Die Sicbenumditebzig, die fich mir im Balfe tummeln bin 
und ber, 

Sie mögen bingebn allanıal, gleichwie ein Hummeluſchwarm 
verjurtt. 

Die Neunundneunzig, die fih in den Schultern tummeln 
bin und ber, 

Sie mögen bingehn allzumal, gleichwie ein Hummelnſchwarm 
verſurrt. 


Es wäre ein Irrthum, anzunehmen, daß bie älteſte Urzeit 
über diefe einfachen Vorftellungen hinausgegangen jei, indem 
fie diejelben innerlich verfmüpft hätte. Ebenſowenig verband 
die älteſte Anfchauung mit diefen Bildern auch nur die lei— 
jefte Spur fittlicher Vorſtellungen. Diefes war erft das 
Werk der zweiten ‘Periode, welche aber Jahrtauſende fpäter 
eintrat, zwar auch nicht plöglich, fondern ganz allmälig. 

Diefe zweite Periode läßt fid) ala die combinirende 
oder al& diejenige Periode bezeichnen, welche die in ber erften 
Periode gejchaffenen Einzelbilder dichteriſch und künſtleriſch 
unter fic, verfnüpft. In diefer Periode, welche gewöhnlich 
ihren Glanz mit der inzwifchen erwachten Kunſt der Vichs 
zucht und des Aderbaues entwidelt, entftehen die erften dürf« 


Der „Challenger“ auf der Fahrt von den Philippinen nach Japan. II. 


tigen Borftellungen von den Göttern als fittliden 
Mächten und es beginnt der Mythus. 

Für das vorgerüictere Bewußtſein genitgt die Yanze, das 
Schwert, der Hammer nicht mehr als Bild des Blitzes. Das 
Brillen des Nindes oder des Löwen, das Wiehern des Roſ⸗ 
fes, das Krähen des Hahns, das Schmettern der Trompete 
reichen der Phantafie nicht mehr aus, für diefelbe Bilder bes 
Donners zu fein. Wenn man im Donner ein Gewieher 
wahrzunehmen glaubte, fo konnte das nun nur mod) davon 
herrühren, daß das Donnerroß einen lauten Freudenſchrei 
darüber ausſtieß, daß ein waderer Held, eine über das Maß 
der Sterblicden hinaus gewaltige Macht in Menſchengeſtalt 
es zügelte. Das flammende Schwert, das er zlidte, die 
Yanze, der Pfeil,der Hammer, der Dreizad, die er herabs 
fchleuderte, mußten nun aud ein Ziel haben und welches 
andere konnte das fein, als der Feind, der da trachtete, den 
Menſchen die Sonne, den Urquell alles Glücks und Heile, 
in dem finftern Woltenberge zu verfteden, oder die Wolfen: 
fühe zu fehlen, von welchen Fruchtbarkeit und Gedeihen für 
Menschen und Vieh abhing? Der Dümon, weldyer den 
Menſchen die Sonne raubte, indem er diefelbe entweder in 
der Sturmmwolfe des Sommers oder im den Nebeln des Wine 
ters verbarg, mußte ſchon frühzeitig auch als der Feind des 
Lichtes in höherm Sinne erfcheinen, als Widerfacher alles 
deſſen, was ber Sterbliche im feiner Hülfsloſigleit ſich als 
winfhenswerth dachte. Umgekehrt mußte fich jener unbe 
kannte Walter des Lichtes und ber von ihm ausgehenden 
Därme mit ihren fegensreichen Wirkungen in Feld und Wald 
und Sehöfte bald zu einem lieben Freunde von liberivdifcher 
Gewalt und Gute verwandeln, befreiete er doch den Menfchen 


73 


von ber flarrenden Winterkälte und erlöfte ihn von den Alles 
umfettenden Nebelhorden ; gab er doch dem in büfterer Winter ' 
ſchwermuth dahinbrütenden Sterblicdyen den Frühling und die 
Alles zu neuen Yeben erwedende Sonne zurüd. Wenn da 
der Gewitterherr in gewaltigen Kampfe mit den Sonnen» 
bieb, wer der Bater der Fruchtbarkeit mit den Räuber der 
Wolfenfüge ftritt, wenn er da die Bliglanze auf den Dämon 
ber Finfterniß ſchwang, da fonnte er flir den Menfchen der 
Urzeit auch einfach eine Keule, eine Nuthe oder einen Stab 
führen. Konnte dann aber diefe Ruthe, diefer Stab ein 
anderer fein als der einer Haſelſtaude, eines Kreuzdorns, 
eines Vogelbeerſchaftes, die als elementare Vertreter des 
Blitzes ſich in der Anſchauung bereits vorfanden? Wenn 
der Wirbelwind, wie es noch unſere alltägliche Sprache in 
urwlichſiger Einfachheit wiedergiebt, wenn dev Wirbehwind 
eine Windsbraut war, mußte da nicht die Borftellung ent: 
ftehen, der Jäger, den man ſich mit einer Koppel Hunde im 
Sturmwind einherbraufend dachte, auf dem im Donner laut 
aufwiehernden Bligfhimmel veitend — der wilde Jäger 
führe feine Braut heim? Wenn am Himmel droben die 
Steintugeln hin und her rollten, durfte man ſich da nicht die 
Weſen, welche doch die Kugeln ſchieben mußten, als Tegel: 
ſchiebend vorſtellen? Und wenn dazwiſchen das Gold und 
Silber des Blitzebers funlelte, der Meth der Wolkenziege 
herniederträufelte, mußte ſich da nicht in der Phautaſie eines 
dichteriſch angelegten Menſchen, der dieſe Einzelbilder in einen 
innern Zuſammenhang brachte, die Vorſtellung von einem 
himmliſchen Schmauſe und Zechgelage mit goldenem Tafel» 
geräth entwickeln? 


Der „Challenger* auf der Fahrt von den Philippinen nad) Japan. 
IL. 


Dei den Anthropophagen 


Bon der Humboldi-Bai ftenerte der „Challenger* nach 
den Admiralty» Iufeln. Vorher wurden bei dem Dorfe 
Unyra Pfahlbauten befucht, die ſehr hübfc angelegt waren. 
Man wollte anfangs den Weißen nicht geftatten das Dorf | 
zu befuchen, hatte aber nichts dagegen, daß fie daſſelbe aus | 





der Ferne beobachteten. 

Am 3. März wurde Admiralty-Eiland erreicht. 
Better war regneriſch und der Himmel ſehr bebedt. Der 
Anker wurde in 18 Faden anögeworfen in der Nares-Bai. 
Bald nachher erfchien eine Anzahl hübſcher Kühne, 30 bis 
40 Fuß lang, jeder mit einer Bemannung von 10 bis 16 
Leuten. Diefe Nachen waren doppelt jo groß wie jene in 
ber Humboldt-Bai, aus einem einzigen Baumſtamme gear 
beitet, ſeht ſymmetriſch gebildet und im der That ein Kunſt⸗ 
wer, zu deſſen Herftellung viel Mühe und Geduld erforder 
lich geweſen ift. Die Eingeborenen find melaneſiſche Par 
puad; da aber die Admiralty-Inſeln dem weftlichen Theil 
einer Kette von Infeln bilden, zu benen die Öruppen von 
Neu-Hannover, Neu: Irland und Neu-Britannien gehören, fo 
ift es wahrſcheinlich, 4 dieſe Papuas mehr Aehnlichkeit mit 
den Bewohnern dieſer Eilandgruppen haben als mit denen 
Neu · Guineas. Uebrigens gleichen fie im Allgemeinen den 
Bewohnern der Humboldt: Bai: fie haben diejelbe Statur, 
das Haar ift ſchwarz umd gefräufelt. Sie tragen e8 furz, 

Globus XXVIII. Nr. 5. 


Das 


der Admiralitätsinjeln. 


fürben es felten und gehen ganz und gar nadt, mit Aus— 
nahme eines ſehr jchmalen Lendenſchurzes; ftatt des leptern 
teagen viele nur die Hälfte einer Eierlaurimuſchel. Ein 
Lieblingsichumd ift eine 3 bis 4 Zoll breite Platte von Perl- 
mutter, die vor der Stirn getragen wird und oft ein ganz 
zierliches Mufter bildet. Eine ähnliche nur größere Platte 
tragen fie als Schmud auf der Vruft, die Nafenzier befteht 
aus fangen Knochen, die von einem Querſtück herabhängen, 
welches durch den Naſenknorpel gezogen wird. Die Ringe 
am Oberarm find aus Muſcheln gebildet. 

Bemerlenswerth erfcheint, daß die Waffen und Gheräthe 
der Admiralty⸗ Inſulaner volfkindig verfcieden find von de» 
nen der Papuas der Humboldt:-Bai; auf den Admiralty— 
Infeln tennt man feine Bogen. Deder Nachen war 
bewaffnet mit langen Speeren; die Spige war von Obfidian. 
Sie werfen diefe Waffen nıit großer Kraft und Genauigkeit 
und faflen diefelben dicht unter der Speerfpige an. Auch 
haben fie lange, ſcharfe Meffer oder Doldye von Obfidian, 
welche im einer Scheide aus geflochtenem Graſe ſtecken. Dieje 
wird am linfen Oberarın getragen. Faſt Jedermann trägt 
über der Schulter eine Heine hübſche eiferne Art mit einem 
gebogenen Stiele aus hartem Holz. 

Der Handelsverlehr zwifchen den Eingeborenen und dem 
„Challenger“ geftaltete ſich lebhaft. Einige der erfteren wag- 

10 


74 


ten ſich an Bord, blieben aber jehr ſchüchtern. Dieſe Leute 
find ofienbar dann und wann von Handelsleuten aus den 
Doluffen befucht worden, denn fie hatten cine größere Menge 
Berlmntterjchalen in Pädden gefammelt und wußten den 
Werth der Waaren recht gut zu ſchätzen. Alle Weißen hat: 
ten ſich der Borficht wegen mit Revolvern bewaffnet, die 
Eingeborenen aber zeigten ihr Vertrauen dadurch, daß fie 
nicht bewaffnet erſchienen; man muß jedoch große Vorficht 
beobadjten, da das Hleinfte Mißverftändnig mit den Ein» 
geborenen Streit erzeugen fan. Auch die Frauen wurden 
allmälig dreifter und famen aus den Hlitten hervor. Hübſch 
waren fie allerdings nicht, die meiften Leicht mit blauen Yi- 
nien tättowirt umd bei manchen war die Büfte mit ſyſtema 
tisch angebrachten rund ausgefchnittenen Narben geichmitdt, 
Dieſe verurjacht man dadurch, daß man den betveifenden Fleck 
mit einem glühend heißen Steine brennt. Sie trugen nur 
einen Lendenſchurz von Gras oder Palmblättern, der vorn 
und hinten herabhing. 

In den Hutten findet man mancherlei Küchengeräthe, 
auch einige Fetiſche in Geftalt von Thierfchädeln, die mit 
allerlei farben bemalt find. Die großen Näpfe haben manch ⸗ 
mal einen Durchmeſſer von 2 bis 3 Fuß und find aus einem 
Blode ſchweren, harten Rothholzes hevausgearbeitet und jehr 
elegant geformt, namentlich find die Hentel ſehr hübſch und 
zierlich, manche hat man fiber und über an der Außenfcite 
mit Scjnigereien verfehen. Auch die großen Thongefäße und 
Kochtöpfe zeigen hübſche Zeichnungen. 

Das Dorf ift mit einem Pfahlzaun umgeben. Die Wege 
zwifchen den verfchiedenen Hütten find forgfältig mit Korallen: 
fand beſtreut und zwiſchen den einzelnen Wohnungen erheben 
ſich Dracänen, die Schatten gewähren. Ueberall find junge 
Gocosbänme gepflanzt und jorgfältig mit Dornen umzogen, 
damit die Schweine ihnen feinen Schaden zufügen können. 


Karl v. Neumann's Erpedition nach den Bäreninſeln vor der fibirijchen Hüfte. TIT. 


Diefe Infulaner find intelligent genug aber ſehr unruhig, 
fie lärmen und fchreien dem fremden dermaßen in das Ohr, 
daß es umerträglidh wird. Im Handel und Wandel find fie 
ehrlich und aufrichtig und unterfcheiben ſich dadurch vortheil= 
hajt von ihren Nachbarn in der Humboldt-Bai, 

Eins befonders fiel den Europäern auf; fie fahen nir— 
gends Spuren von Gräbern und nachdem fie ermittelt hatten, 
welches der Ausdruck für Tod fei, erfundigten fie fi, was 
man mit den Abgeſchiedenen anfange. Die Wilden find 
außerordentliche Pantomimiften, und wenn num gefragt wurde, 
was mit ben Yeibern der Seftorbenen geichehen fei, gaben fie 
ganz unzweidentig zu verftehen, daß fie dieſelben in Stücke 
gehadt, gelocht und verzehrt hatten. In jedem Dorf 
ift eine befondere Hlitte für den öffentlichen Gebrauch. In 
derjelben werden bie Fiſchnetze aufbewahrt, auch ficht man in 
ihr eine große Anzahl Schädel von Menſchen, Schweinen, 
Scildfröten, außerdem dide Büfcel von Menfchenhaaren 
und derartige „Zierrathen“, Die Thlirpfoften eines biefer 
Hänfer auf BulcanEiland jind fehr forgfältig gefchnigt. Ju 
diefen Häufern werben die Menſchenknochen ganz ohne Unter: 
ſchied mit denen von geichlachteten Thieren durch einander 
geworfen. 

Einem ber Offiziere madjten die Eingeborenen fehr deut⸗ 
lid) vor, wie fie den Menſchenleib zerſchneiden, kochen und 
verzehren. Als man ihmen durch Zeichen die Trage vor— 
legte, ob fie die weißen Männer wohl verzehren ober 
ob fie licher einander auffreſſen möchten, deuteten fie an, daß 
fie das eine wie das andere mit dem größten Vergnügen thun 
wlirden, aber feltfam genug, als man fie fragte, ob fie einen 
Hund verzehren würden, äußerten fie den größten Abjcheu. 
Merfwürdig ift ferner, daß diefe Infulaner weder den Ge- 
brand) des Tabads noch der Spirituofen lennen. 


Karl v. Neumann's Grpedition nad) den Bäreninfeln vor der 
fibirifchen Küſte. 


111. 
Nach zweiltlindiger Fahrt erreichten wir die Infel und fan» | zeugen, perſönlich das nördliche Ufer zu befichtigen. Andrejew 


den dort umfere Leute im tiefften Schlafe heiliger Unſchuld 
in einer Meinen Bucht, wo fie mit vollfonmener Seelenruhe 
ihren Bolog aufgeftellt hatten, wohlbehalten auf. Ich wedte 
die Schläfer eben nicht allzuzart aus ihrer Sorglofigfeit auf, 
konnte aber meinen Ernſt faum bewahren, als auf das Vor- 
halten ihres fatalen Ungehorfams mir die dumme Antwort 
zu Theil wurde : da fie mich nicht gleich am der verabrebeten 
Stelle gefunden, feien fie hierher gefommen und hätten be— 
ſchloſſen ruhig zu warten; fie wlßten ja, daß ic; nirgends 
anders bleiben fonnte und Über furz ober lang ſchon wieber 
zu ihnen ftoßen würde! Was follte ich mit ſolchen Yeuten 
anfangen, id) regalirte fie mit einigen wohlverdienten Ehren» 
titeln und fegte mich daun zu einer fingalen Mahlzeit nieder. 

Aufder vierten Infel erheben ſich zwei längliche Berge; 
in der Bucht war viel Treibholz vorhanden. Obwohl ic) 
im Boraus an der Eriftenz der von Andrejew befchriebenen, 
angeblid; auf einem Otyriadyſch, einem aus bem Meere 
unweit des Ufers hervorragenden Felfen, befindlichen Feſtung 
gegründete Zweifel hegte, fo fonnte id) - nicht umhin, um 
mich von den Phantafiegebilden dieſes 


eifenden zu übers | ich die flinfte Inſel, deren weftliches, auf ber 


liefert befanntlic, eine für feine rege Einbildungefraft zeus 
gende, detaillirte Beſchreibung dieſes fünftlichen Feſtungobaues, 
deſſen Yänge er auf 4'/,, deſſen Breite auf 3 Faden angiebt, 
und ſchließt fein betveffendes Phantafieproduct mit folgenden 
Borten: „Man muß geftchen, daß diefer Bau auf einer jo 
hohen und engen Steinbanf nur mit Aufwand großer Mühe 
kann errichtet worden fein; die Ruſſen haben ihn nicht errich⸗ 
tet, wer es aber gethan, das ift nicht zu erfahren.“ Und in 
der That wird ſchwerlich Jemand etwas darüber in Erfah- 
rung bringen, bemmesift Alles reine Erfindung, die ganze 
mweitläufige Erzählung von Anfang bis zu Ende erlogen. 
Ürangel fuchte lange vergeblich nad) jenem Otyriadyſch und 
meinte endlich, derjelbe befinde fich von Eioſchollen bededt 
unter Waffer. Es giebt überhaupt keinen weichen Stein auf 
dem ganzen nörblichen Ufer, die niedrige Infel befteht ganz 
aus hartem Granit und Dammerde. Auf der Südfpige der- 
felben fand ich mehrere Mammuthknochen und Zähne, 
von denen ich aber, da fie ſtark eingefroren waren, nur Meine 
Stlide abhauen konnte. Noch am nämlichen m. 

angel’ 


Karl v. Neumann's Erpedition nad den Bäreninfeln vor der fibirifchen Küſte. TIL 


ſchen Karte meiner Anficht mach falſch verzeichnetes Ufer ich 
abnahm, und dann begaben wir uns Abends auf die legte und 


zweifellos intereffantefte Infel diefer Gruppe, die wir, bei | in den Händen eines Kofaden. 


günftiger Witterung, auf dem glattgefrorenen Meere bald 
erreichten und wo ich, zur Erholung der ermatteten Hunde, 
einen ganzen Tag zu raften beſchloß. 

Die ſechſte oder Vierfäuleninfel, von Wrangel 
nad) den vier weithin fidtbaren, granitnen (?) Felſenſäulen 
fo benannt, ift Heiner als die Kreuz⸗ (erfte) und die vierte 
Infel, größer als die drei UÜbrigen; fie hat die Geftalt einer 
auf dem Waſſer figenden Ente und kann als doppelt ange 
fehen werden, wenn der niedrige Iſthmus, welcher den Kopf 
diefer fteinernen Ente mit dem Rumpfe verbindet, vom Waf- 
jer überfluthet wird. Die geologiſche Formation des Kopfes, 
dunfeler Schiefer mit Quarzadern, ift gänzlich verſchieden von 
der det Rumpfes, die hauptſächlich aus Gneis und Granit (?) 
befteht. Beſonders intereffant war mir der Kopf diefer In- 
jel; es befinden ſich dort eine Menge Bärenlager in einer 
Entfernung von 80 zu 80 Schritten und der ganze, gegen 
10 Faden hohe und etwa 5 Werft im Umfange breite Felſen ift 
riuge mit Millionen von Bogelneftern belebt. Die kleinen 
Nefterbewohner, Pleetrophanus nivalis, welche bereits durch 
fröhliches Zwitichern den herannahenden Frühling begrlißten, 
find cchte Rinder des Nordens, fie fiedeln ſich im Eismeer 
felber an; überall finden fie es leicht zu Heiß und während 
der Zugzeit begeben fie ſich nur wenig weiter nad) Süden. 
Tas Wetter begünftigte mich bier fchr, die Luft war unge⸗ 
mein ar, der Himmel wolfenlos; id) konnte in Folge deſſen 
gut die Breite der Juſel beſtimmen und beftieg dann, mit 
einem aunögezeichneten Frauenhofer verjehen, ben Berg, um 
die Gegend genauer in Angenjchein zu nehmen. Es fehlten 
gerade m 3 Tage an 107 Jahren, daß auf derfelben Stelle 
Andrejew ftand und Folgendes nieberzufchreiben geruhte: 
„Und wir beftiegen den Gipfel des Berges und blidten und 
nah allen Seiten um. Gen Mittag gewahrt man dem 
Golewenit· Stein, der unferer Meinung nad) nichts anderes 
fein lann als der Kowym'ſche Stein; links im öſtlicher Ric) 
tung, faum erfennbar, zeigt ſich in der Ferne ein blauer oder 
ſchwarzer Flecken: ob das eine offene Stelle im Meere oder 
Land iſt lann ich Leider micht mit Beftimmtheit angeben.“ Nun, 
ich hielt meine Umſchau beim klarſten Wetter miteinem trefflichen 
dretzölligen Fernrohr und fah ſehr deutlich: im Süden das 
ganze Ufer von Sudyarino bis zum Tſchaunſchen Bufen, im 
Hintergrumde die von Wrangel erwähnten weißen Berge; im 
Beten dieübrigen Infeln und das Ufer vom Großen Tjcyuktjchen« 
vorgebirge biß zum Serenzcap; im Norden breitete fich ber 
Horizomt frei im weiter Ferne vor und aus ohne jegliche 
Spur einer offenen Meeresftelle, hin und wieder von unge 
heuren Mafien von Eiswänden unterbrochen; im Often eben- 
falls die endlofe, mit dem fchneeigen Leichentuche bededte 
Fläche des Eismeers mit ihren Eiswällen. Das Mleinfte 
Stüddjen Yand hätte, bei der wunderbar reinen Yuft und 
auf der weiten lichten Ebene, mir nicht entgehen lönnen, es 
war aber bein beften Willen feine Spur einer noch fo klei— 
nen Inſel zu entdeden. Andrejew hat eben wieder einmal 
munter gelogen und Petermanu in feiner befannten teefflichen 
Zeitſchrift hätte es ſich füglich erfparen können, Wrangel, 
den man den gewiſſenhafteſten Forſchern aller Zeiten zuzählen 
darf, deswegen zu tadeln, weil er den Andrejew'fchen Schwin⸗ 
deleien nicht durchweg blindlings folgte, 

Ich kehrte nun, während einige meiner Leute, und zwar 
einer derjelben mit meiner Büchje bewaflnet, Värenlagern 
nachſpürten, zu meinen magnetischen Beobachtungen zurlid. 
Kaum Hatte ich mich aber umter den Polog begeben und mein 
Inftrument aufgeftellt als der Ruf erſcholl: „Ein Bär, 
Herr!“ Raſch ſprang ich auf und füchte mach einer Flinte, 


75 


| e8 waren aber, der Beobachtung wegen, alle eifernen Sachen 


aus dem Zelte entfernt worden, nur ein Stugen befand fich 
Ic) ftürgte waffenlos aus 
dem Zelte und fah meine Leute in großer Angft und Beſilir— 
zung. Der flintenbewaffnete Hojad legte fein Gewehr eben 


‚ auf den Bären au, aber id) jah gleich, daß er ihn verjehlen 


würbe; der Maun war fo in Angft, da der Etugen in fei- 
nen Händen hin und her ſchwankte wie ein Fernrohr auf 
dem Dede eines Schiffes im Sturm. Der Bär riidte unter: 
deſſen, ohne der angebundenen Humbde zu achten, mit großer 
Gemtithöruhe heran, da, auf eine Entfernung von 30 Schritt, 
ſchoß der Koſack ab und — natlirlic) weit iiber das Thier hine 
weg. Einen Augenblick ſtutzte der Bär und unterdeſſen fand 
ich glüclicherweife einen Revolver und ein Meſſer auf und 
konnte mit letzterm bie Hunde losbinden; gleichzeitig befahl 
ich, den Leuten, die Stangen und Yanzen (fogenannte Balnıen, 
eine Urt fpiegartiger Meſſer, die auf einer Stange befeftigt 
find), welche zum Aufftellen des Zeltes beuutzt werden, zur 
Hand zu nehmen. Anfangs griffen die Hunde tapfer an, 
bald aber wurde ihnen die Sache doch zu ungentüthlicd, und 
fie fanden es gerathener, fic hinter meine Perſon ſchutzſuchend 
zu verkriechen. Meine Leute verloren ebenfalls den Kopf. 
Ich meinerfeits Hatte freilich) im früheren Zeiten ſchon mans 
chen Strauß mit den ſchwarzen Bären ausgefochten, bod) 
waren mir die Manieren des weißen noch völlig fremd und 
in der That zeigten bdiefelben ſich ziemlich verſchieden von 
denen Michail Fwanowitſch's (fo bezeichnet der Vollsmund 
ben ſchwarzen Bären, ber Eisbär wird Michail Jegorowitſch 
genannt). Letzterer wibmet feine ganze Anfmerkfanteit den 
Hunden, wenn biefe, zur Jagd dreffirt, ih tapfer zu Yeibe 
gehen, und ift alsdann fiir den Däger nicht gefährlich; find 
aber die Hunde auf den Kampf mit ihm micht dreffirt, jo 
bejchäftigt er ſich nur mit den Menſchen und ift dabei um 
fo gefährlicher, als er den ſchwarzen an Kraft übertrifft. So 
geſchah es auch jegt: nicht fobald hatte ev wahrgenommen, 
daß die Hunde ihm feinen Schaden anthun würden, als er 
ſich mit der größten Ruhe gegen mich wendete. Meine Yage 
war fritifch: entweder mußte ich mich entichließen, die Flucht 
zu ergreifen und dann hing alles von der Schnelligkeit mei— 
ner Füße ab, wobei es leicht gefchehen konnte, daß der Bär 
mich dennoch und dazu von hinten wehrlos erwifchte oder id) 
mußte mein Heil im Revolver ſuchen. Ich wählte letzteres. 
Auf 20 Schritt ungefähr driidte ich ab, die Kugel traf in 
den Hals und fnurrend erhob ſich Miſchta auf die Hinter 
füge. Noch dreimal ſchoß ich meine Waffe ab und zog mid) 
dann einige Schritte langjam zuriid, Da reichte mir der 
zum Gefolge gehörige Bauer Jakob Schlarin von hinten 
eine Lanze zu und gleichzeitig griff von dem übrigen nunmehr 
auch losgebundenen Hunden einer den Bären fed an, Ins 
zwifchen war das withende Thier dicht an mid) herangefommen 
und ic) konnte nich einer perfönlichen Auseinanderfegung mit 
ihm nicht entziehen, Noch zwei Sugeln fandte ich auf mei— 
nen Öeguer ab und fie verfehlten ihr Ziel cben jo wenig 
wie ihre Vorgänger; wie ſich nachträglich erwies, hatten alle 
meine Schlifje gut getroffen, Michail Jegorowitſch war tödt- 
lid, verwundet und am Ende feiner Kräfte und ſank auf mei- 
nen erften Panzenftoß zu Boden; er verendete auf der Stelle. 
Die feigen Hunde fielen nun wäthend über ben gefallenen 
Feind her und meine Memmen von Leuten drängten ſich 
ebenfalls glückwünſchend heran. Beim Auswerden fanden 
wir im Magen des Thieres eine noch ganz friiche Robbe. 
Id) bemerte hier noch, daß die Hunde gefrorenes Bärenfleiſch 
jehe gern efien, warn dagegen rlipren fie e8 nicht an; man 
tann mit dem Fleiſche eines erwachſenen Bären ein Dutzend 
Hunde eine ganze Woche lang füttern. 

Am folgenden Tage erfticg ich nochmals den Berg, um 

10* 


76 Karl v. Neumann’s Erpedition nad den Bäreninfeln vor der fibirifchen Küſte. III. 


meine magnetifchen Beobachtungen zu wieberholen, und bes | 


fuchte dann die auf der füböftlichen Seite der Infel befindlichen 
fteinernen Säulen; betreffs letzterer Tann ich nur auf die 
Beſchreibung Wrangel's verweifen, weldyer diefes eigenthüm— 
liche Naturgebilb ebenfo genau wie treffend geſchildert hat. 
Die größte Säule hat, nady feiner Angabe, eine Höhe von 
48 Fuß und einen Umfang (an der Bafis) von 91 Fuß, 
nad) oben zu wird fie jchmäler; die eine Säule fteht verein- 
zelt auf der öftlichen Spige der Infel, die anderen drei, die 
wohl einft zu einem einzigen großen Felſen gehörten, bilden 
eine Gruppe für fi. Nach diefen Säulen gab Wrangel 
biefer ſecheten Infel den befannten Namen, während die erjte 
mit dem Namen Kreuzinſel bezeichnet wurde. Die ganze 
Gruppe aber belegte der Oberft Plenisnew im Jahre 1763 
nach den vielen Bärenſpuren, die ſich auf derjelben finden, 
mit dem Namen der Büreninfeln. 

Nachmittags am 22. Aprii verlieh id) die BVierfäulens 
infel, um im gerader Yinie auf das große Baranowy- Bors 
gebirge oder, wie die Eingeborenen fagen, den Baranoiy-Stein 
loszufahren. Nadjdem wir ungefähr 60 Werft zurlidgelegt 
hatten, ließ id) halten und Thee lochen. Es giebt in diefen 
Breiten zu diefer Yahreszeit, wo die Sonne nur auf ein paar 
Stunden vom Horizont verſchwindet, fait feine Nacht; wir 
blieben bis zum Aufgang der Sonne hier und hatten den 
wunderſchönen Anblid einer Yuftjpiegelung Während 
im Often der Bodenumriß beftändig feine Form wechſelte, 
zeigte ſich unferen überrafchten Bliden in der Yuft ganz deut: 
lic; die ſchon weit entfernte Bierfänleninfel und fo täufchend 
ähnlich, daß ein Unlundiger glauben mußte fie wirklich vor 
fid) zu haben. Die ganze Erſcheinung dauerte ungefähr 
10 Minuten und es muß nach meiner Berechnung das 
Pieſchtſchany · oder vieleicht Schelagsfi-Borgebirge gewefen 
fein. Bald nachdem wir und auf den Weg gemacht hatten, 
begeguteten wir wieder einem Eisbären und dieſes Mal erleg— 
ten wir ihn gemeinfchaftlid, nach kräftigem Wibderftande ; 
meine Leute wetteiferten mit den Hunden, ihre geftrige Feig— 
heit vergeflen zu machen; einer meiner Leute erhielt eine 
leichte Schramme und ein Hund wurde ſchwer verwundet. 
Während des gegen zwei Stunden dauernden Ausweidens 
bes erbeuteten Thieres ſchlug das Wetter plöglic um; heu— 
lend erhob fid, der Sturm umd das Schneegeſtöber fing fein 
altes Spiel wieder an. Die bis jetzt deutlich fichtbaren 
DVaranoroy: Felfen verſchwanden unferen Bliden und obendrein 
verſperrte uns ein hoher umd langer Eiswall den Weg; das 
Hinliberfchaffen der Schlitten und Hunde über die ungeheueren 
Eisblöcle nahm ganze ſechs Stunden in Anſpruch. Endlich 
waren twir glüclidh hinliber und hatten, jo viel man bei dem 
ftarten Schneeſturm wahrnehmen fonnte, eine ziemlich glatte 
Fläche vor une. Als wir Über diefelbe ungefähr 15 Werft 
weit raſch dahingeglitten waren, gelangten wir an eine große 
Spalte, die wir nicht ohne bedeutende Gefahr paffixten, Am 
25. Härte fid) das Wetter wieder auf und id) fonnte noch 
einige Beobachtungen anftellen, 

Tas große Baranomwy-Borgebirge beficht aus zwei 
faft parallel ſich erhebenden Felſen, aus der Ferne gejchen 
hat es die Geftalt eines flachen Berges, auf weldem ein nie» 
driges Zelt aufgeftellt zu fein fcheint. Der weftliche von 
dieſen Felsbergen beftcht aus weißen Granit, der öftliche dar 
gegen ans ſchwarz-blauent Schiefer. Auf dem erften Berge 
nimmt man verfdjiedene ans ifolirten Granitblöden gebildete 
Seftalten wahr, wie ſich dergleichen Uberall amı Eismeer, wo 
das Ufer aus Granit beftcht, vorfinden; diefelben werden, 
gleich) den oben erwähnten Säulen der festen Bäreninfel, 
mit dem Namen Kelury bezeichnet. Mit ein wenig han: 
tajie lann man umter diefen Kelury des Baranoımy + Bor« 
gebirges die Formen einer Schloßruine, einer figenden Frau, 


eines veitenden Ritters mit einem Helm auf bem Kopf u. ſ. w. 
erbliden. 

Ich beftieg die Höhe des Berges um mod) einem Blick 
auf das Eismeer zu werfen und ergögte mid, lange Zeit an 
diefer wilden und im ihrer Art fchönen Yandfdaft. Der 
Sturm hatte ſich gelegt, alle Spalten hatte der Froſt ge: 
ſchloſſen und vor meinen Augen dehnte fich eine unüberſeh ⸗ 
bare glatte Fläche aus, in ihrer Einförmigleit nur unter: 
brochen von büfteren Felſen, über welche ungeheuere Eieblöde 
ihre weithin glänzenden Spigen emporheben. Nirgends eine 
Spur von Menfchen, die Natur jelbft ſcheint ihre ſchöpfe 
riſche Kraft Hier eingeblißt zu haben, nur während ber Furzen 
Sommerperiode wird diefe öde Wüfte von Kenthiecherden 
umd einzelnen Zügen von Gänfen belebt, Wehmuth und 
Traurigfeit erwedt der Anblid des Eismerrs umwillfitclich 
im der Secle des Beſchauers; meine Gedanken ſchweiften weit: 
hin nad) den blühenden Gejtaden des Mittelmeeres, die ich 
vor zehn Jahren befucht hatte: dort überall reiches Yeben, 
hier — das Neid) des Todes. 

Am folgenden Tage begab ich mich zu dem Meinen Bar 
ranowi⸗Felſen; beide Borgebirge verdanken ihren Namen den 
hier in Menge vorfommenden wilden Schafen; zwifchen bei- 
den befindet fich der fogenaunte Otpriadyſch, deſſen Höhe 
1822 von Wrangel gemefjen und auf 30 Fuß angegeben 
wurde. Dabei verfuhr Wrangel mit Rüdjicht darauf, daf 
das Ufer des Eismeers fid) allmälig heben könnte und um 
künftigen Forſchern einen ſichern Maßſtab zu bieten, mit 
großer Genauigleit. Ich folgte feinem Beifpiel und erhielt, 
jowohl durch trigomometrifche wie auch durch ganz einfache 
vermittelft einer Schnur vorgenommene Meffungen, das inter: 
effante Reſultat, daß der Otpriadyſch gegemwärtig gerade 
38"/, Fuß hod) ift. Man darf daraus ſchließen, daß ent: 
weder das Meer vom Ufer zuritdgetreten ift, ober daß 
legteres an dieſer Stelle ſich gehoben hat; liber diefe Erfchei- 
nung habe ich aus den Mitiheilungen der Seefahrer des voris 
gen wie unferes Jahrhunderts beachtenswerthe Notizen gefam- 
melt, deren Bearbeitung ich mir flir eine andere Gelegenheit 
vorbehalte. Am folgenden Tage erreichten wir Sudarino 
am rechten Ufer der Solyma. Zehn Werft nördlich davon 
erhebt ſich ein alter hölzerner Leuchtthurm, welchen Dmitrij 
Laptew im Jahre 1739, um kühnen Seefahrern den Ein- 
gaug in die Kolyma zu weilen, erbaute; diefer Zeuge des 
unternehmenden adhtzehmten Jahrhunderts hat ſich leider ſchon 
ein wenig auf die Seite gelegt, wird aber wohl noch längere 
Zeit, zum rühmlichen Andenken feines Erbauers, dem Zahne 
der Zeit widerfichen. Sechs Werft oberhalb Sucharino 
fieht man die Trümmer eines ziemlich großen Haufes, vom 
Volle ale Caferne des Schalaurow bezeichnet ; hier ſoll diefer 
fühne Daun in den Jahren 1761 bis 1762 den Winter 
verbracht haben. 


Die Ueberfahrt von Meinen Baranowy hatte die Hunde 
völlig ermüdet, da das Eismeer und zum Abfchiede noch mit 
einem feiner unerquidlichiten Reize: dem „Roffol*, trac 
tirte. Mit dem Namen Rofiol (eine in Rußland fehr be: 
liebte Salatmiſchung) bezeichnet man hier das ausgewitterte 
oder ausgefrorene Meerſalz, welches, das Eis bededend, das 
Fortlommen fehe erfchwert. Die Hunde bekommen davon 
ſchlimme Füße, von den Schlittenfufen wird die diinne Eis— 
frufte, „der Wojd“, abgerieben (boudams- woidatj heißt 
die Schlittenfufen mit Wafjer begieen), Bei großen {röften 
bildet fich am dem Hufen eime glatte Eisfrufte, was eben fo 
ſehr zu ihrer Erhaltung wie zum leichten Fortgleiten der 
Schlitten beiträgt. 

Aus Sucharino begaben wir ums durch Kabatſchlowo 
und die oben erwähnte Grenze des Hochwaldes nad) Bododet 


Von den Fidſchi-Inſeln. 77 


und Koretowo, an allen biefen Orten gelang e8 mir Beob- 
achtungen zu machen, 

Am 29. April, nachdem fon Tags zuvor Thauwetter 
eingetreten war, langten wir in Niſchnij-Kolyms!k wieder 
an, von ben Einwohnern als Yeute empfangen, an deren 
Wiederfommen man verzweifelt hatte. Meine Expedition 
hatte diefes Mal ihren Zwed völlig erreicht: ich habe die 


Beobachtungen, welche vor fünfzig, hundert und mehr Jahren 
Wrangel, Billing, Yaptew und Schalaurow angeftellt, au 
den nämlichen Stellen wiederholt und verificirt; ic hoffe, 
daß die von mir erzielten Ergebniſſe für die Wiſſenſchaft nicht 
ganz ohne Nugen fein werden, und im ſolchem Kalle wird die 
Erinnerung an alle Überftandenen Drangfale und Gefahren 
mir lieb und werth bleiben. 


Bon den Fidſchi-Inſeln. 


Heimſuchung durd die Majern. 


Die Fidſchi-Juſeln find belauntlich durch die Maſern 
ſchwer heinigeſucht worden und den Berichten aus Levula 
aus der legten Hälfte des April zufolge find mehr als 20,000 
Menjchen in wenigen Wochen der verderblichen Seuche er» 
legen. 

Belanntlich hat König Kalobau, nachdem er fein Meich 
an die Engländer abgetreten, zu Ende des vorigen Jahres 
Syduey in Neuſüdwales befucht und dort eine ehrenvolle 
Aufnahme gefunden. Wir haben feinen Aufenthalt dafelbft 
ausführlid, gejchildert („Slobrs* Band XXVIL, ©. 222). 
As Kalobau mit dem Dampfer Dido, begleitet von zweien 
feiner. Söhne und zahlreichem Gefolge, in Sydney eintraf, 
wütheten dort die Mafern und die fämmtlichen Fidſchi -In— 
ſulaner wurden, allerdings nur leicht, von der Krankheit 
ergriffen. 

Der König lam mit feinem Gefolge am 15. Januar 
nach Yevufa, der gegenwärtigen Hauptſtadt ber Fidjchi-Infeln, 
zurüd. Niemand ſchien noch an der Krankheit zu leiden, 
aber es war jedenfalls ein Fehler, die Regierung nicht zu 
benadjrichtigen, daß Kranke an Bord gewefen feien. Co 
jand dann ungehinderte Berbindung zwifchen dem Dampfer 
und den Penten vom Yande ftatt. Viele Perfonen lamen 
. Bord und die Reifenden wurden ohne jeden Anjtand ges 

ndet. 

Kalobau begab jich nach feinem Yandfige, wo fein Brus 
der Ratu ‚Savanaca, ein höchſt intelligenter Mann, ihn 
empfing. Dort befand ſich auch Ratu Abel, fein ältefter 
Sohn, und feine Gemahlin Lydia. Die Freude über bie 
Küdkehr des Königs war groß, von allen Seiten bradıte 
man Schweine, Hühner, Wäljchhühner, Enten, Fifche, Ges 
milſe und Früchte, und dann fand das fur die Fidfcht-Infus 
laner fo charalteriſtiſche Meti Meli ftatt, ein fröhliches 
Feſt, wobei viel getanzt und gefungen wird, Zwei Tage 
fpäter begab ſich Kakobau dann mach feiner Kefidenz in 
Bau und auch dort war alles munter und froh. 

Aber faum war eine Woche vergangen, als von allen 
Seiten her Jammer und Wehllagen ſich erhoben, Hunderte 
und aber Hunderte von Yeuten nach allen Richtungen Hin 
waren von der Seuche ergriffen, von der man bis dahin auf 
dem Archipel auch nicht das Gheringfte gewußt hatte. Zuerft 
wurden die Häuptlinge von ber Krankheit heimgefucht und 
fie ftarben einer nad) dem andern dahin. Bon jenen Tage 
an ift diejes Vanug Yevu eigentlich nur ein großes Yeichen- 
hans gewejen, die Yeute find hinweg geftorben, wie liegen. 
Als die Krankheit fich mehr und mehr verbreitete, wurden 
alle Segenmittel getroffen um dem Fortgang zu hemmen, 
aber alles war vergeblich. Die öffentlichen Gebäude wur: 
den in Spitäler verwandelt und waren bald mit Kranken 
und Sterbenden überfüllt, In Levula wurde bie alte wes— 


leyauiſche Capelle als Kranlenhaus benugt, in Totuna das 
Polizeigebäude. Die Colonialregierung und die anweſenden 
Aerzte waren unermüdlich, der Krankheit Einhalt zu thun, 
aber fie waren nicht im Stande zu helfen, denn die Einge— 
borenen wurden von dem fcredlichen Wahn ergriffen, daß 
jest, da die Bapalagi (d. h die Engländer) im Befite 
ihres Yandes feien, fie nun darnach trachteten, die Inſu— 
laner auszutilgen. Es war vielfady unmöglid) den Wahn 
zu zerftreuen, daß man den König eigens zu dem Swede 
u Sydney geſchafft habe, um dort das verderbliche Gift 
zu holen und mit bemfelben das ganze Bolf dem Untergange 
zu weihen. Kranle Männer und Frauen fahen einander 
ruhig ins Geficht, überzeugt, daß ein umerbittliches Schid- 
fal über fie fommen werde und fie ſprachen ruhig: Ich 
werde num fterben, und dann fegten fie ſich nieder und 
verendeten. Wer einem Fidſchimann fagte, er ſehe Fränflid) 
aus, war ficher, daf der Mann nad) furzer Zeit dem Tode 
verfallen fein werde, 

Abergläubifche Furcht fpielte bei diefem Janmer eine 
große Rolle. Hier ein Beifpiel. Sechs gefunde Männer 
befuchten eine Pflanzung auf Biti Levu und fpradyen mit 
einem dort arbeitenden Dann aus Tonga (den Freundidafts- 
infeln). Diefer äußerte‘, daß alle auf der Pflanzung bejchäf- 
tigten Fidſchianer Sa Mate wären, d. h. fterbensfranf. 
Er fagte aber auch den Sechſen: „Ihr fehet frank ang.“ 
Sofort wurden dieſe von einem Schauder ergriffen. Sie 
zogen ſich im eime Hütte zurüc, zwei waren am andern 
Morgen todt, zwei andere am dritten Tage, und am Abend 
des legten war feiner von den Sechfen mehr übrig! 

Schlimm genug, daß den Yenten mit ärztlicher Hilfe 
gar nicht beizulommen war. Sobald die Mafern erſchienen 
wurde dem Kranken gerathen ruhig in feiner Wohnung zu 
bleiben, Kälte und Regen zu vermeiden und unbedingt Fein 
Bad zu nehmen; aber auf diefen Rath hörten fie nie, fon- 
dern fie liefen in der falten Yuft umher und fprangen in 
den nächften Fluß, um das Fieber los zu werden, ler: 
dings wurden fie daffelbe los — durch den Tod, 

Unter den Geftorbenen find die angefchenften Häupt- 
linge, welche die Abtretungsurlunde unterzeichnet haben, auch 
der ſchon erwähnte Sa Wenata, der ſich ftets als einen 
treuen Freund der Weißen erwiefen hatte. Er war ein 
Mann von klarem Berftande und Eingeborene wie Anfiedler 
bedauern fein Hinſcheiden. Er ftarb mit großem Gleichmuth, 
ohne irgend einen Seufzer oder cine Wehllage. Weiße 
Männer haben ihn zu Grabe getragen und die Eingeborenen 
liber demfelben eine mächtige Pyramide aufgehäuft. Seit— 
dem find noch fünf andere der angejehenften Hänptlinge 
der Seuche erlegen. Die Juſel Ualao ijt eine der Heinften 
in der Gruppe; hier find Über 600 Menſchen zur Erbe bes 


78 


ftattet worden und noch jegt (am 28. April) fommen Todes- | 
fälle vor. Auch find die Weißen nicht verfchont geblieben, 
namentlic, viele Kinder von den Mafern ergriffen worden. 

Die Sterblichkeit blieb aber nicht auf diefe Anfel ber 
ſchränkt, fondern hat ſich mit entjeglicher Schnelligkeit über 
alle anderen Eilande verbreitet. Im Gebirge auf Biti Levu 
und Banpa Levu find ganze Stämme dahingerafit worden, 
Auf den Windwarbinfeln ift die Sterblicjfeit groß und wenn 
die Seuche ausgewüthet haben wird, find gewiß zwei Drittel | 
der Eingeborenen erlegen. Bis in die dritte Aprilwoche be= | 
lief fic) die Zahl der Todten auf mindeſtens 20,000, 

Unglüdlicher Weife ift die Krankheit im die ſchlechteſte 
Jahreszeit gefallen. König Kafobau fam im Januar von 
Sydney zur, zu Anfang der fogenannten Orcanzeit, der 
ſchlimmſten im ganzen Jahre. Sie reicht vom Januar bis 
März und ift gerade in biefem Jahre ungewöhnlich ftreng 
geweſen. Gleich zu Anfang zog ein firchterliches Sturm 
gewitter über die Infeln dahin und der Regen ftrömte Tage: 
lang ununterbrochen aus den Wolfen herab. Bon da an | 
bis zu Ende März haben die Eilande auch nicht einen ein« | 
zigen fchönen Tag gejehen, und bie älteften Einwohner cre 
flären, daß fie einer fo entfeglichen Dahreszeit ſich nicht 
erinnern. Gewiß ift, daß feit nun 16 Jahren fein ſolches 
Wetter erlebt wurde, und daſſelbe ift für die franfen Leute 
entſetzlich verhängnigvoll geworden. 

Zu Ende April nahmen die Dinge einen glinftigern 
Verlauf. Die Pflanzer und Anfiedler fonnten wieder an 
ihre Arbeit gehen, die Seuche hatte nachgelaffen, und man 
hoffte, daß fie nad) Eintritt des beffern Wetters endlich er» 
löfchen werde, 

Wir wollen hier einige Bemerkungen über bie wirth- 
fchaftlichen Berhäftniffe ber Fidſchi-Inſeln beifügen. Der 
AZuderbau ift nod) in feinen Anfängen, aber feine andere 
Region der Erbe ift glnftiger fiir die Erzeugung bes wich: 
tigen Products. Sobald Gapitalien in Menge herbeiftrömen, 
werden die FidichirInfeln für den Zuckerbau mindeftens fo 
beträchtlic, werden wie Weitindien. Manche Infeln, z. B. Biti 
Levu und Banıa Yevu, haben einen größere Flächeninhalt 
ald Mauritius und als die größten Zudereilande auf den 
Antillen. Der Anbau von Baumwolle auf Sca Island ift 


Aus allen Erdtheilen. 


wegen der niedrigen Vreiſe während der drei legten Jahre 
zurücgegangen, dafür aber gewinnt der Maisban eine 
große Ausdehnung. Der Mais findet im Nenfeeland und 
Nencaledonien ſiets willige Abnehmer und der Ertrag ift jo 
reich, daß der Ader 30 bis TO Buſchels ausgiebt und man 
erntet in 14 Monaten dreimal. Gegenwärtig wird dieſer 


' Zweig des Aderbaues noch ſehr primitiv mit der Hade betrie⸗ 


ben, doc; find neuerdings Pflüge, Pferde und Ochſen einges 
führt worden. Auch die Cocosnüfle find von großer Bedeu⸗ 
tung für die Inſeln. Man pflanzt in jedem Jahre eine 
große Menge von Cocospalmen, die freilich vier bis ſechs 
Jahr gebrauchen, ehe fie Früchte geben. Auf den Ader Yand 
entfallen durchſchnittlich BO Bäume, Kaffeepflanzungen find 
gleichfalls angelegt worden. 

Was den fogenaunten Arbeitömarft anbetrifft, fo 
nehmen die Dinge gegenwärtig einen glatten Verlauf und 
von Menjchendiebitahl ift feine Rede mehr, Biele der auf 
anderen Züidfeeinfeln angenommenen Arbeiter find nad) Ablauf 
ihres Contractes in ihre Heimath zurüdgeichidt worden, an: 
dere bleiben, namentlich auf den noch vorhandenen Baum— 
wollenpfantagen. Diefe Kulis befinden ſich fehr wohl. Ihre 


' Arbeit iſt nicht allzubeſchwerlich und fie haben Nahrung im 


Ueberfluß: Gamaras, jühe Kartoffeln, Yams, Bananen, 


Brotfruchte, Fiſche fo viel fie mögen, dann aud) halten fie 
Hühner und Schweine, während auf den neuen Hebriden und 


der Salomonsgruppe eine ſolche Fülle von Nahrungsmitteln 
nicht vorhanden iſt. So fommt es, daß die Kulis wohl« 
enährt und wohlauf find umd gern und gut arbeiten. 

erhvürdiger Weife Haben diefe fremden Kulis nicht 
von den Mafern gelitten, wahrſcheinlich deshalb, weil 
fie von ihren europätichen Arbeitgebern unter ſtrenger Auf: 
ſicht gehalten wurden. 

Insgemein wird die weiße Bevölferung des Fidſchi— 
Archipelagus auf 2000 Köpfe geihägt. Einem Correſpon ⸗ 
denten der „Times“ zufolge ift diefe Zahl zu hoch gegriffen, 
derfelbe nimmt ale Marimum 1200 an. Kbenfo ift er der 
Meinung, daß die bisherige Annahme von 150,000 Seelen 
für die eingeborene Bevölferung Übertrieben fei. Er ſchätzt 
dieſelbe auf höchſtens 80,000 bis 90,000, von denen jegt, 
nachdem die Seuche fo arg gewüthet hat, 60,000 bis 70,000 
am Yeben fein werden. 


Aus allen Erdtheilen. 


Das Deutfhrhum in der ehemaligen Militärgrenze. 


Man ſchreibt aus Neuiag: Seit einiger Zeit vollzieht 
fih unter unſeren Mugen faft unbemerkt uud doch ſehr | 
beadhtenswerth eine Art Völkerwanderung im Kleinen. Seit 
Einführung der neuen Öbrenzorganifation hörten die joge: 
nannten Örenzgemeinden auf, geſetzliche Verbindlichkeit zu 
haben und die Grenzfamilien können die bisher beftandene 
Hans: und Giltergemeinichaft anfbeben und das bisher ge 
meinschaftliche Gut unter einander theilen. Dadurch wird 
aber der Grundbeſitz zeriplittert, jo daft derfelbe bei der be: | 
kannten Arbeitsunluſt des Terbiichen Stammes nicht mehr 
genügt, feine Eigenthümer zu ernähren. Es finden daher 
majienbafte Answanderungen von ſyrmiſchen Örenzerfantilien 


in das Fürſtenthum Serbien ftatt und umgefchrt wandern | 
aus der Bacska und aus dem Banate Deutſche nach Syrmien 
ſeiner deutichen Mitbitrger repräfentirt werden wird, und 


in das Grenzgebiet ein, wo die Grenzverpflichtungen nur och 
formell beſtehen. Täglich ziehen Karawanen folcher deutlicher 


; Einwanderer über die Donau, wo fie in den Grenzdörfern 
ſich eine nene Heimftätte bereiten. Dort finden fie nicht allein 


den fruchtbariten, ſondern aud den wohlfeiliten Boden, da 
die auswanderungsluſtigen Serben ihren Grundbeſitz fait um 
jeden Preis verlaufen. Während in der Baesla guter Grund 
nicht umter 500 Gulden per Joch zu haben ift, iſt chen fo 
guter Aderboden in Syrmien mm 20 Gulden zu kaufen, es 
ift daher wahricheinlich,, daß die deutichen Anjiedelungen ſich 
ralch vermehren werden, und daß der größte Theil des 


ı Grundbelites Ichon in wenig Jabren von ſlaviſchen 


in dentiche Hände übergegangen fein wird, wie dies 
in der Bacska factiſch der Fall iſt. Wie fehr aber das deutiche 
Element im Allgemeinen raſch an Zahl zunimmt, davon haben 
wir bei uns und im mächiter Nähe überraſchende Beweiſe. 
So ift alle Ansficht vorhanden, daß Neuſatz anf dem nächiten 
Reichstage zum erften Male fett feinem Beſtehen von einem 


ebenio haben dic Deutichen in Groß Beeslerel, einem noch vor 


Aus allen Erbtheilen. 79 


lurzer Zeit als urſerbiſch betrachteten Orte, alle Hoffnung, 

— einen Deutſchen als ihren Vertreter in den Reichstag 

zu bringen. Selbſt in Vancſova vermehrt ſich der junge 

Nachwuchs der Dentichen viel bedeutender als jener der Ser: 

ben, jo daß man mit Gewißheit darauf rechnen fan, daß in 

längftens 10 Jabren ſchon die Deutichen daſelbſt in der Ma— 
jorität ſein werden. _ 

Eine Hof: und Staatöverfammlung beim König von 

Birma, 


Dieier Monarch, welcher gegenwärtig in höchſt unlieb— 
ſamer Weile viel von fich reden macht, lebt für gewöhnlich 
in der innern Burg feiner Hauptſtadt Mandelay. In dieler 
Feſtung bält er eine ftarke Leibwache. Das äußere und qrö: 
here Fort wird von den Staatsminiitern und deren Beamten 
bewohnt. Außerdent balten ſich dort viele Kauflente und Be: 
ſucher auf. Der König ift Sehr kurzſichtig und trägt ſtets 
Brillen. Bei einem Derbar acht es höchſt einfach zu und 
bei Weitem nicht mit ſolchem Bomp wie am den inbilchen 
Höfen. Die Halle ift ſehr geräumig, mit hübſchem Schnitz 
werk verliehen und ſehr nett verziert. Dem Eingang aegen- 
über jteht auf einer Emporbühne ein goldener Seffel und zur 
Seite deffelben befindet fich eine Heine vergoldete Thür. Wenn 
man die fremden Gefandten ihre Stellung eingenommen ha: 
ben — denn Niemand darf eintreten, nachdem fich der König 
ichon in der Halle befindet — danı wird die vergoldete Thür 
oeöfftet und der Koönig fett ſich auf den goldenen Thronſeſſel, 
verbengt fich aber nicht und grünt auch Niemand. Die an: 
weienden Birmanen kriechen anf allen Vieren ſobald der Kö— 
mig eintritt. Dieler wirft dann einen Blid über die ganze 
Halle und redet diejenigen an, mit denen er zu ſprechen 
winicht. Mach der Unterhaltung erbebt er fich, grüßt Nie: 
mand umd gebt durch diefelbe Thür ab, durch welche er ge: 
fommen. Daum erheben fich auch die Anweſenden und der 
Derbar bat ein Ende. 





Cannibalismus gegen die Mifchlinge in Auftralien. 


Vor einigen Tagen erhielten wir eine Zufchrift aus einer 
Stadt im Niederſchleſiſchen. Der Briefiteler bemerkte, daß 
ein vor ſechszehn Jahren nach Nuftrafien ausgewanderter 
Laudsmann auf Beſuch zurüchgekehrt ſei und viel Intereflan: 
tes zu erzählen wiſſe. Man halte ibn im Kreiſe feiner alten 
Freunde für einen wahrheitslichenden, zuverläffigen Mann, 
aber Manches, was er berichte, ericheine doch auffallend; 
. 8. daf die Producte der Vermilchung weißer Mäner mit 
ihwarzen Frauen von den Eingeborenen getödtet und ver: 
iveift würden. Dan eriuche den „Globus“, darüber feine 
Meinung zu äußern. 

Bir geben gern einige Notizen. Mit dem, was der jett 
in der alten Heimath befindliche Auſtralier feinen Fremden 
erzählte, hat es feine volle Nichtigkeit; zum Beweiſe geben 
wir, von anderen Gewährsmännern abgejeben, eine Zulchrift, 
welche T. A. Murray unterm 20. April 1867 an die Anthro— 
pologiiche Geſellſchaft zu London gerichtet bat. Sie fteht in 
Band VI, 1868, ©. 53 des Journals diefer Gefellichaft. 

„Die älteren Schwarzen in den füdlichen Diftricten von 
Neufüdwales und wahrſcheinlich überall in der Colonie ha: 
ben bis vor nicht gar langer Zeit alle Miſchlingskna— 
ben getödtet, fobald diefelben das Alter der Mannbarfeit 
erreichten. Im Jahre 1859 batte ich als Beamter Veran— 
laſſung, einen merkwürdigen Fall am Murrumbidge River 
im Connty Moren zu unterfuchen. Die Schwarzen batten 
fih in der Nähe verfammelt und hielten ihre Gorroberis. 
Ich bemerkte unter ihnen mebrere Miſchlingsknaben. Dann 
zogen fie fich in das einige Meilen entfernte graue Hügel: 
land zurüd. Als fie nach einigen Tagen zurüdfamen, war 
von dieſen Miſchlingen feine Spur mehr au jchen. 
Ein Hirt fagte bei mir eidlich ans, dab er die verbrannten 
Leiber derjelben gejeben habe und zwar in einer Umfriedi— 


gung, welche die verlammelten Stämme aus Zroeigen um 
ihren letzten Lagerplatz geflochten hatten. Dort ſah er elf 
brennende Feuer und im jedem einen Menichen. Ich ritt 
noch denſelben Abend an Ort und Stelle, um zu fehen, ob 
einer oder der andere Miſchling verichont worden fei, ich 
fonnte aber keinen einzigen auffinden. Dann fragte ich meh— 
rere Schwarze, die ich fannte, was aus jenen geworben fet, 
aber feiner wollte Antwort geben. 

Am nächſten Tage ritt ich mit einer Anzahl von Polizei: 
fenten wieder an Ort und Stelle, um zu unterluchen, wie 
und wo der Mord ftattgefunden hätte. Wir fanden eine 
vieredige Umfriedigung, welche ganz rob aus Jweigen ge 
flochten war, und innerhalb derjelben elf Aichenbaufen. Jeder 
derielben entbielt Nette von menſchlichen Knochen. Ich gab 
mir alle Mühe, die Sache zu verfolgen, konnte aber feinen 
Beweis herbeiſchaffen. Die Schwarzen waren inzwiichen fort: 
gezogen und erſt nach etwa zwei Jahren kamen fie wieder 
aus dem Gebirge ins Unterland zuriüd. 

Diefer Gebrauch, die Milchlinge zu ermorden, erflärt es, 
dab man jo felten dergleichen in der Colonie antrifft. Einige 
wenige ficht man in der Station der Anfichler, wo fie ald 
Perdefnechte oder Schafhiiter verwandt werben, aber ich 
habe noch nie einen erwachſenen Miſchling unter den Ein: 
geborenen geichen, wohl aber mehrfah Miſchlingsweiber. 
Ich forichte nach, weshalb die Schwarzen diefe Knaben ums 
Leben bringen, konnte aber weiter nichts ermitteln, als daß 
fie Furcht baben, jie möchten als Männer allzu großen Ein: 
fluß ausüben. 

Veurray berichtet noch Folgendes: Ich babe die Einge: 
borenen durchſchnittlich als gutberzige und fanftmüthige Men: 
fchen kennen gelernt und jchr oft haben fie den Weißen werth: 
volle Dienſte geleiftet, aber ich weiß auch, daß ein Sohn ſei— 
nen Bater erichlagen hat, und man nahm diefe Thatiache als 
einen Beweis für die Wildheit des Gemüthes der Auftralier. 
Die Sache aber verhält fich folgendermaßen: Der auftralifche 
Sohn „ſchmilzt keicht in Sorgen“, und wenn er gebrüdten 
Semitbes ift, wird er aufgeregt und begebt das, was wir 
für Verbrechen halten. Wenn ein angeſehener Mann vom 
Feinde erſchlagen wird, fo iſt im ganzen Stamme der Jam: 
mer, die Ermiedrigung und Bein ganz anferordentlich und 
eben fo groß der Triumph und Jubel des Feindes. Bier in 
dem betreffenden Falle war es Biluti der Vater, cin hoch 
bejahrter Mann. Er war ftets ein großer Krieger gewejen 
und mancher Feind von feiner Hand gefallen. Yet in einer 
Fehde hatten die Gegner ibm den Tod gefchworen und einige 
Male war er nur mit genauer Noth entkommen. Sein Sohn 
Dimuti war ftets ſehr aufmerfiam und freundlich gegen den 
alten Mann gewelen und Selber ein hervorragender Krieger 
im Stamme. Als nun die Schwähe des Vaters täglich zu: 
nahm, war der Sohn in großer Unrube, aber er wollte dem 
Feinde den Triumph nicht gönnen, den tapfern Krieger ge 
tödtet zu haben, und erichlug ihn deshalb felber. Er wollte 
nicht, daß er im die Hände der Feinde fil. Der Stamm 
aber übte Wicdervergeltung aus: anf Dimmti wurde eine 
große Hebjagd veranftaltet und er wurde gefangen und von 
ſämmtlichen Leuten des Stammes geſpeert.“ 


Bon den Norfolkinfeln. 


Derfelbe Dampfer Dido, welcher gegen Ende vorigen Jah: 
res den König Kakoban von den Fidichi:Infeln nach Sydney 
brachte, ift auch auf der Norfolkinfel gelandet, anf welcher fich 
befanntlih die Nachkommen der Meuterer befinden, welche 
im Jahre 1739 mit dem Schiffe Bounty nach Tahiti fegelten. 
Mehrere derielben nahmen dort Frauen, fuhren mit benfelben 
nach den Pitcairninseln, verbrannten die „Bounty“ und blie: 
ben viele Jahre auf jenem Eilande, ohne daß man etwas 
weiter von ifmen gehört hätte, Allmälig, da ihre Zahl an: 
wuchs, wurde ihnen die Pitcairninfel zu Mein und man fie: 
delte fie im Jahr 1856 nach der Norfolfinfel über, die früher 


80 


eine Sträflingsmiederlaffung war. Dort ließen ſie fich 340 
Köpfe ftarf nieder, nur einige Wenige blieben auf Pitcairn 
zurüd, 

Eine merkwürdige Verſon auf den Norfolkinſeln ift der 
Caplan Nobbs, angeblih Sohn eines Marquis und einer 
Baroneffe. Nac einer romantiſchen Laufbahn in den jüd- 
amerifantichen Kriegen ging er 1828 nach Pitcairn, wo er als 
Lehrer wirkte. Etwa 25 Jahr fpäter machte er einen Beſuch 
in England und wurde vom Londoner Bilchof zum Geiſt— 
lichen geweiht. Er iſt jeht 73 Jahr alt. Die Anfiedelung 
- der Inſulaner liegt an der Sydneybai. Manche Hütten find 
ganz folide gebaut. Die Anſiedler treiben fait ausichliehlich 
Ackerbau und Walfiichfang, aber es ift kein Aufſchwung unter 
dieſen Leuten und fie beftellen ihre Felder ſehr nachläffig, 
während der Walfiſchfang bei ihnen zu einer förmlichen Leiden⸗ 
ichaft geworden ift. Sie veritehen fich auf denfelben ganz 
vortrefflich, aber der Leviathan der Tiefe erfcheint nur ſehr 
unregelmäßig an der Hüfte und oft fangen fie viele Monate 
auch nicht einen einzigen. Die Hautfarbe dentet auf die ſtarke 
Miſchung mit tabitifchem Binte hin. ine Anzahl der In— 
fnlaner fam an Bord der „Dido“, um dem Gottesdienfte beir 
zuwohnen. Wenn man fie fieht, erinnert man fich immer an 
ihre Großeltern. Einige Frauen find recht hübſch, nantent: 
fich jene der Familie des Herrn Nobbe, Ihr Benehmen ift 
äußerſt einfach und anfprechend, aber im Ganzen läßt fich 
nicht in Abrede ftellen ba fie träge Menfchen find und von 
Fortichritt bei ihnen keine Mede ift. 


Grabtentmal eines Maorikönigs in Reufeeland. 


Der ‚Melbourne Argus“ meldet darüber Folgendes: In 
Melbourne iſt ſoeben ein Grabdenlmal fiir den 1849 in Dtafi 
beerdigten Maorifönig Rauparaha vollendet. Daflelbe be: 
fteht ans einem Marmorobelist, der auf einer Bafaltgrund- 
lage ſteht und oben die Bildfäule des Geftorbenen und darunter 
eine Inschrift trägt. Diele ift in der Maoriiprache und ent: 
hält, anfer Angabe des Geburts⸗ und Todestages, folgende 
Ruhmesmeldung: „Er tödtete den Stamm Kapitit, ging dann 
über den Te Waiponnau und töbtete alled Volk, und zu 
Ehren diefes Helden brachten die Familie und feine Freunde 
DO Pf. St. zuſammen und festen dieſes Denkmal.“ Die Büſte 
ift von Herrn Gilbert angefertigt und ftellt den Rauparaha 
in Lebensgröße in einem Gewande von Hundefell dar, mit 
tättowirtem Geficht, Obrringen aus Greenftein, den Federn 
feines Ranges und Rubmeszeichen, die fein Haar ſchmücken. 


Zieffeemeffungen bes „Challenger“. 

Zwiſchen Mindanao und den Admiralitäts:Infeln wurde 
an fieben Stationen eine Reihenfolge von Beobachtungen und 
Meflungen veranftaltet. Die größte Tiefe auf diefer Linie, 
2500 Faden, liegt zwilchen der Molukken-Paſſage und den 
Bellew:infeln. Die durchichnittliche Temperatur der Meeres: 
oberfläche auf der erwähnten Strede war 52,50%. Die Tem: 
peraturlothungen jcheinen anzudeuten, daß ein großer Theil 
des weitlihen Pacific nicht in durdans freier Verbindung 


| 


mit ber Südſee ſteht, denn das Waſſer finft raſch bis zu 


34,50 F. in einer Tiefe von 1500 Faden und behält diefe | 
Temperatur auch in beträchtlicheren Tiefen. — Auf der Strede 


Inbalt: Dr. Hayden's und Langford's Erpebition nach den Frelfengebirgen. 1. 
Zur Erhnologie und Geichichte des Aberglaubens. Von Dr. H 


Der „Challenger“ 


| 


anf der Fahrt von den Philippinen nad Japan, II. 


Aus allen Exdtheilen. 


zwiſchen den Admiralitäts-Inſeln bis Japan, 2250 Seemeilen, 
wurde die größte Tiefe, 4575 Faden, am 23. März gefun: 
den. Dies ift die beträchtlichfte mit Sicherheit ermittelte 
Tiefe, mit Ausnahme zweier Yothungen der „Tuscarora* vor 
der Dftküfte von Japan, welche refp. 4643 und 4655 Faden 


‚ergaben. 


* * x 


— Die türkiſche Zeitung „Balliret* weiß, daß St. Pe— 
tersburg eine deutjche Handelsſtadt ſei. Das Dentiche Reid) 
greife immer mehr um ſich und trachte jet dahin, Bremen 
und Hamburg zu deutichen Seeſtädten zu machen. „Balli- 
ret* will diefe intereflanten Nachrichten in der „Dldice 


ı Mein Zatang*, d. b. „Allgemeinen Zeitung“, gelejen haben. 


— In der Stadt Guatemala iſt auf Staatsfoften 
eine höhere Unterrichtsanftalt fir Mädchen gegründet wor: 
den — bie erfte in Centralamerifa. 

— Die auswärtige Staatsjhuld Brafiliens betrug 
zu Ende Januars 19,981,200 Bf. St., die innere 257,672,700 
Milreis. 

— Es iſt unter Umſtünden mit den Geſchworenen— 
gerichten eine bedenkliche Sache. In den Vereinigten Staa— 
ten gilt als Regel, daß die ſchwar zen Geſchworeuen wenn 
irgend möglich einen angeklagten Neger freiſprechen und bie 
Mormonen in Utah befolgen dafjelbe Suftem. Der Mor: 
moncnältefte Thomas Ricks hatte einen gewilfen E. D. Skeen 
ums Leben gebracht; diefer war ein Nichtmormone. Der 
Mord war fonnenflar erwielen, aber die Geſchworenen, 
fünmtlich Mormoren, erflärten den Angeflagten für unschuldig. 

— Der Stil mander amerifanischer Zeitungen läßt an 
Derbheit kaum etwas zu wünfchen übrig und es jcheint als 
ob die dortigen Herren Publiciften über einen reichen Bor: 
ratb von Complimenten verfügen. Hier eine Probe aus dem 
Illinois Volksfreund“, der Über die Zuftände in dem „Deucker: 
neft Elkhard“ fich äußert wie folgt: „Wenn im Dummbach— 
Elkharb ein Faß Bier feinen Einzug hält, dann geräth dar: 
über das ganze Wafferfimpelögelichter des Dorfes im einen 
förmlichen temporären Wahnfinn. Wahrbaftig die erfte dent: 
ſche Bombe zur Zeit des deutſch-franzöſiſchen Serieges Tann 
beim Einbonnern in die Mauern von Bari unter den Ein: 
wohnern jener Stadt feine größere Beftürzung hervorgerufen 
haben als nenlich die Ankunft von zwei Fäßchen Bier, bie 
ſich ein gemüthlicher Deutſcher zur Abhaltung eines Familien: 
feftes aus Lincoln hatte ſchiden laffen, unter den Waflerboto: 
fuden Elfharde, Am Bahnhof, der gewöhnlich von einer 
Rotte tabadsfauender ungewaichener Lümmel mit dumm 
bdreinglogenden wäflerigen Fiſchaugen umlagert ift, batte fich, 
als die ſchreclliche Mähr von dem zwei Fäffel Vernunft: oder 
Givilifationstinetur befannt wurde, die halbe Brut des Mucker⸗ 
neftes eingefunden, um ihren verfchnapsten Herzen in Geftalt 
von Donnerfliichen Gottes gegen den edlen Gerftenfaft Luft 
zu machen. Des Mbends bielt man fogar unter den Aufpis 
cien der dortigen Temperenzloge eine Entrüftungsverfamm: 
fung ab. Elkhard ift durch das Muderpad ganz auf den 
Hund gefommen, die Geichäftsbäufer fteben dorten Teer, 
weil die im der Umgegend wohnenden vernünftigen Bauern 
lieber zehn Meilen weiter nad) Lincoln fahren als ſich nad) 
u Vorichriften diefer Ellharder Waſſerochſen behandeln zu 
laffen.* 


(Mit fünf Abbildungen.) — 
ermann Brunnbofer in Aarau. Zweite Abtbeilung. — 
Schluß.) — Karl v. Neumann's Erpedition 


nach den Bäreninjeln vor der ſibiriſchen Küſte. II. (Schluß.) — Von den Fidſchi-Inſeln. Heimſuchung durch die Mafern, — 
Uns allen Erdtbeilen: Das Deutichthum in ber ehemaligen Militärgrenze. — Eine Hof: und Staatsverfammlung beim 
König von Birma. — Cannibalismus gegen die Milchlinge in Auftralien. — Bon den Norfoltinjeln. — Grabdenkmal eines 
Maoritönigs i in Neufeeland. — Tiefjeemeflungen des „Challenger*. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction W. Juli 1875.) 


Serautgegeben von Karl Anbree in Leipzig. — Für bie Redaction verantwortlih: H. Biemweg in Braunfdgweig. 
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Gohbn in Braunſchweig. 








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Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 


In 
Verbindung mit Fadhmännern und Künſtlern herausgegeben von 


Karl Andree, 


Braunfhweig 


Yährlih 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monallich 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Marl, Einzelne Nummern 50 Pf. 





1875. 








Dr. Hayden’s und Langford’s Erpedition nad) den Felfengebirgen. 


IL 


Langford's Expedition follte am 12. Yuli 1872 auf- 
bredien, und in aller frühe begann man die Paftihiere zu 
beladen. Dazu gehört große Geſchicklichleit, aber feine Leute 
verftanden ſich vortrefflic auf ihr Geſchäft. Um 10 Uhr 
Morgens war Alles bereit; jedes Mitglied der Erpedition 
titt einen ftarfen Gaul, und ald wir von Fort Hall in 
- das bemaldete Thal hineinritten, muß unfer Zug ſich recht 
malerifc, ausgenommen haben. Anfangs famen wir durch 
eine fandige, waſſerloſe Wüfte und um Mittag war bie 
Hide geradezu erdrüdend. Ein prächtiger Hund Stephenfon’s 
verendete vor Durſt und Erſchöpfung. Ich erinnere mic) 
—* jemals mehr Durft empfunden zu haben als an jenem 


7 fragte fi, num, ob wir den Yauf des Snale verfol- 
gen ober etwa im gerader Linie nach Norden hin bis zum 
Hentyfluſſe vorbringen ſollten. 
zu letzterin entſchloſſen, als ein befannter Trapper, Beaver 
Did, der vom Norden herfam, uns mittheilte, daß wir 
dort feine Furth finden wilden und nad) diefem guten Mathe 
Ihlugen wir uns im ber Richtung nad) dem Suale hin. 
Am 15. waren wir am Lac du Marché. Diefer Theil des 
Schlangenflufles wurde bereits im Winter von 1853 auf 
1854 durd; Lieutenant Mullen näher erforjcht. Der foge: 
nannte See war damals eim Hibfches Wafferbeden von 12 
bis 14 Miles Yänge, heute bildet er lediglich eine fandige 
Vertiefung in der Prärie. Die alten „Montagnarbs* 
legten großen Werth auf dieſes Waflerbeden, und wenn ihre 

Globus XXVIII. Nr. 6. 


Wir waren eigentlich, {hen 





BVorräthe napper wurden, pflegten fie in ber Regel eine 
Wanderung nad) dem Marché zu unternehmen. Sie wuß- 
ten, daß fie dort gewöhnlich eine Anzahl von Trappers fan- 
ben, von denen fie allerlei nothwendige Gegenftände eintaus 
{chen fonnten, Uebrigens ift das Verſchwinden eines Wafler- 
beckens bemerfenswerth; die unterirdifchen Gewäſſer, welche 
einft die Prärie in einen See verwanbelten, haben den 
legtern nun wicber troden baliegen laſſen. 

In diefen Einöden war ein luftiges, munteres Yeben. 
Nie zuvor waren 27 Reiter und 25 Yaftthiere durch diefelbe 
gezogen. Bor uns erhoben ſich die ſchimmernden Gipfel 
der Tetons. Diefe gewaltigen mit ewwigem Schnee beded- 
ten Berge haben als weithin fichtbare Landmarken gedient 
allen Forſchungsreiſenden von den Tagen, da Lewis und 
Glarf den Weg nad) dem Stillen Ocean fanden durch eine 
Menge von Gebirgspäffen und durch unzählige Yabyrinthe, 
an denen im Jahre 1811 auch Hunt mit feiner Heinen 
Truppe vorliber zog, die dem Hungertob nahe war, Er lam 


aus den inneren Bighornbergen und es gelang ihm bis in 


das zu. Britifh-Columbien zu gelangen, Auch für 
Capitän Bonneville bildeten fie eine Landmarke und er hat 
in diefer Gegend nicht felten in den Wigwams befreundeter 
Stämme, Bannaks und Schofhonis, übernachtet. In 
fpäteren Tagen haben die Golbjäger diefe Gegend nad) 
allen Richtungen durchſtreift. Jetzt fah ich fie näher als 
je zuvor, und wenn die Morgenfonne auf fie fiel, glichen 
fie täufchend gigantifchen Kryſtallen. Ich betrachtete mit be— 
1 


braun 


II. 





* 


Felſeng ebirgen. 


Erpedition nad den 


8 


Dr. Hahden's und Langford' 


82 
| 


Dr. Handen’s umd Langford’s Erpedition nad den Felſengebirgen. II. 


fonderm Imtereffe den höchſten Gipfel der drei Berge', feine 
fteil abfallenden und von Felſen ftarrenden Wände und er- 
wog, ob es mir möglich jein werde, denfelben zu erklimmen. 
Die Umriſſe diefes Berges aus der Ferne gefehen, wo wir 
ftanden, zeigten fo viele concave Partien und fo viel jähe 
Abfälle, dag es mir fchien als würde unfer Unternehmen 
iehlichlagen müffen. Und doc), wenn id) bedachte, welchen 
Ruf es mir bringen würde, wenn id; der Erſte war, ber 
dieſe Jungfrau beftieg, fo konnte id) das Verlangen, das 
Wagniß zu unternehmen, nicht zurüddrängen. Beaver Did 
fagte uns, ſchon mehrfach fei es verfucht worden, den Grand 
Teton zu befteigen aber allemal vergeblich. Auch die In— 
dianer, bemerkte er, hielten ihn für unbedingt unzugänglid). 

Hunt hat ihnen den Namen der Monts Pilotes ger 


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83 


geben, weil fie ald Landmarken dienen, aber weit früher has 
fie von den franzöfifchen Pelzhändlern den Namen der 
Tetons erhalten, weil fie Aehnlichkeit mit der Geftalt einer 
Frauenbruſt haben, allerdings nur aus weiter Entfernung, 
denn wenn man ihnen näher fommt, fo zeigen fie fcharfe 
und winfelige Umriffe. Hayden hat fie jogar mit Haifiich- 
zähnen verglichen und im vieler Beziehung trifft das zu. 
Id; meinerfeitS möchte fie lieber als die drei Titanen be- 
zeichnen, damit witrde man fie am beften gelennzeichnet haben. 

Wir famen an den Heuryfluß und lagerten uns an zwei 
großen Hligeln, deren eigenthiimliche Geftaltung unfere Auf- 
merkfamfeit erregte. Sie fahen äußerlich aus wie Vajalt, 
waren aber jo weich und fo zerreiblich wie Kallſtein. Einige 
von uns unterfuchten diefes merkwürdige Terrain näher. 


Beförderung des Gepäcks. 


Sie fanden in einer Höhe von 150 Fuß einen enormen Kra 
ter, eine gähmende Offnung von 300 Fuß tief. Hier war 
offenbar ein erlofcener Bulcan, und ein Bruch am Nande 
des Krraters in der Richtung mach unferm Yager hin zeigte 
den alten auf, welchen einjt die Yava genommen hatte, 
Unfer Geolog erflärte die Ihatjache, daß das Geſtein Aehn— 


lichteit mit Sandftein habe, aus dem Umftande, daß die Lava 


unter Waſſer herabgeftrömt ſei und daß fich auf dieſe Weife 
ein vulcaniſcher Sandftein gebildet habe, Diefe Erſcheinung 
ift Außerft ſelten. Wir fliegen durch einen Spalt von etwa 
45 Grad hinab in den Krater, in welchem Wachholderbliſche 
und Gras wuchſen. 


Nachdem wir ihm fo im Innern gefehen, wo ev mit feis 


nen Erofionen, Spalten und überhaupt den vielen Unvegelmä- | 
| S chwarzfüßen ähnliche Zeichnungen geſehen. Dieſe Black 


Bigfeiten feiner Wände einen cigenthilmlichen Anblid darbot, 





fticgen wir wieder mac außen zurlid. An dem Abhange 
des Higeld nimmt die Yava manche phantaftiiche Geſtalten 
an, Sie bildet 3. B. Oefen mit hohen Schornſteinen, die 
Thürme, Slodenthürme, Bogen umd dergleichen mehr, Vom 
Nande hat man eine anferordentlich weite Ausſicht. Unter 
den Felſen, weldye auf der Baſis des Bulcans eigenthümliche 
Seftaltungen bildeten, war einer, den wir Schloß Kenilworth 
nannten, weil er mit diefer berühmten Ruine Aehnlichkeit hat, 

In dem einen Theile deffelben fanden wir Inschriften, 
die noch nicht ſehr alt feim lounten. Sie jteflten eine 
Buffeljagd dar, Begegnung mit Bären, Todtung von Dir 
ſchen; ſodann Zeichnungen von Kranichen, Jäger zu Pierde 
und zu Fuß, Alles deutlich noch erfennbar. Ich habe oft 
mals auf den Mänteln von Elen- und von Büffelhaut bei den 


19 


Tr. Hahden's und Langford's Erpedition nad) den Felſengebirgen. IT. 


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Dr. Hayden’s und Langford’s Frpedition nad den Felſengebirgen. II, 85 


feet haben mehr ala andere Indianer die Neigung, allerlei | indianifche Frau und feine Kinder bei fi. Diefer Die ift 
Begebenheiten durch Zeichnungen zu firiren; wahrjcheinfich | wirklich in feiner Art ein Charaftermenfch. Denn fo lange 
rühren auch diefe Feljeninichriften von ihnen her. er bei uns war, bewies er Eigenfchaften, wie fie einen volls— 

Beaver Did war uns fehr anhänglich. Er hatte fein | thlimlichen Romandjarafter zieren würden. Bon Geburt ift 
Zelt neben unferm Yagerplag aufgefclagen und hatte feine | er Engländer, Als er 21 Jahre zählte wurde er Trapper, 


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— 





> 


Dil und feine Familie, 


Er fenmt alle zugänglichen Theile der Felſengebirge, hat viel ſich mit allem nöthigen Bedarf zu verforgen. Er hilft ung, 
mit Indianern verkehrt und mandjes von ihren Sitten und | wenn wir Fluſſe durchwaten, Gebirgspäſſe Uberſteigen und 
Gebräuchen angenommen. Zweimal in jedem Jahre geht | Collifionen mit feindlichen Stämmen vermeiden muſſen. 
er in chvilifirte Gegenden, um Pelzwert zu verlaufen und | Seine Kinder ftchen mit allen Mitgliedern der Erpedition 


— — 





Wohnung eines Pioniers. 


auf dem beften Fuße. Seine Frau ift eine fanfte Creatur, | durcdwateten. Die Ufer find fehr fteil und die Strömung 
deren größter Ehrgeiz darin zu beftchen fcheint, ihrem Herrn | ift ungemein raſch. Wir mußten deshalb große Fürſorge 
und Gebieter dienjtwillig und — ſein. treffen, damit unfere Padpferde von derſelben nicht fortge 

Unter Did’s Leitung zogen wir im Thale des Henryflufs | riffen wirden. Im diefem Fluſſe wimmelte es gleichſam 
fes hinauf, dem wir, allerdings nicht ohne Zchwierigfeiten, | von jenem großen Lachsforellen, die man in allen Strömen 


86 


findet, welche in den Großen Ocean münden. Wir fingen 
dergleichen die drei Pfund fchwer waren, Un Geftalt und 
überhaupt ihrem ganzen Ausfehen nad) gleichen dieje Fiſche 
unferen gewöhnlichen Bachforellen, aber fie haben feine rothen 
fondern braune Flecken. Das Fleiſch hat eine ſchöne Lachs- 
farbe und ſchmeckt ungemein delicat. 

Unter unferen Pferden hatten wir aud) ein Meines, gelb- 
liches Cayufepony, das allerdings ſehr geduldig durch den 
Fluß ſchwamm, hinterher aber die tollften Capriolen machte. 
Diefe fogenannten Cayufepferde find fehr bösartig, ſchwer 
zu bändigen und mod) ſchwerer zu reiten. Am merlwürdig- 
ften ift bei ihnen der Hammelſprung; fie machen alle vier 
Deine fteif und fpringen dann hoch im die Luft. Der Stoß 
ift fo heftig, daß mach zwei oder drei Malen der Reiter den 
Sattel nicht mehr halten kann, falls er nicht ſehr erfahren 
und ficher ift. Das Thier ficht Überhaupt unangenehm aus; 
die Ohren hängen ſchlaff nach Hinten hinab, die Augen has 


Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Geſchichte des Mberglaubens. IT. 


zubringen, weder durch gute Behandlung noch mit Peitjche 
und Sporen, welche alle gar nichts nutzen. 

Bei unferm Yager wuchſen in großer Menge Camas 
und Pamphmwurzeln, Nahrungsmittel, bie von den Ins 
dianern fehr gefchägt werden und die auch wir pe genofjen. 
File manche diefer Jagdnomaden erfegt der Camas gleich 
zeitig das Mehl und die Kartoffel und man findet ihn ge» 
rade in den unfruchtbarften und ödeften Gegenden in großer 
Menge. Er ift eine runde Wurzel von ziwiebelartiger Ge— 
ftalt, der Gefchmad ift mild, er ift fehr reich an Stärfe- 
mehl und auferordentlic, fättigend. Die Indianer verftehen 
dieſe Knollen vortrefflic; zuzubereiten. Sie höhlen ein 6 Fuß 
breites Loch im die Erde und machen eim Feuer in demjelben. 
Steichzeitig erhigen fie Steinplatten, welche als Dedel dienen 
follen. Wenn alles bereit ift, fchlitten fie die Knollen im 


| das erfte Loch, bedecken daſſelbe mit Nafen und legen fiber 


diefes die heißen Steine. Der Yamph ift eine längliche 


ben einen bösartigen Ansdrud, ſehr häufig fteht Schaum | Knolle und Heiner ald der Camas, auch nicht fo nahrhaft 


vor dem Maule und das Pony knirſcht immer mit den 
Zähnen auf dem Zügel. Es giebt ſich alle mögliche Mühe 
dem Weiter zu zeigen, wie gern es ihn los fein möchte. 
Dieſe fchlechten Eigenſchaften find nicht aus ihm herans- 


| 
| 





und wird roh gegeflen. Mit diefen Wurzeln lann ein Mann 
fid) wenigftens das Leben hinhalten und häufig haben die 
Stämme den ganzen Winter fiber nichts anderes zu verzeh- 
ren als diefe Knollen. 


Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens. 


Bon Dr, Hermann Brunnbofer in Aarau. 


Wenn Nachts der Mond leuchtete und die Sterne ſchim— 
merten, wenn in der elementaren Periode der Mond als Kahn 
und die Sterne als Lichter aufgefaßt worden waren, mußte 
ſich da nicht, wenn der Himmel als Aufenthalt der Seligen 
galt, die Borftellung bilden, die frommen Seelen jegelten auf 
dem Mondlahn ins Jenſeits hinitber oder wanbdelten, die 
Lichter im ber Hand, durch die finftere Nadjt in die Heimath 
der Unendlichkeit ? 

Im ähnlicher Weife haben wir uns die Entjtehung aller 
anderen Mythen zu denfen, alle haben ſich in diefer Periode 
der dichterifchen Combination gebildet. 

Allein die Vorftellung konnte hierbei nicht ftehen bleiben. 
Im Laufe der Jahrtauſende hatte man natürlich ganz ver- 
gefien, daß die Geftalten, die Thiere, die Pflanzen, die Geräth- 
ſchaften, die Pebensweife, die Charaftereigenthlimlichkeiten, die 
man den Göttern zufcjrieb, nur den irdiſchen, den menjch 
lichen Verhältniſſen nad)gebildet worden waren. Die Vorzeit 
betrachtete es als eine augenfällige Thatfache, da der Ges 
wittergott während des Gewitters die himmliſchen Wolfene 
fühe mit feiner bligenden Haſelruthe ftrich und daß dann 
darauf hin die Wolfenfühe ihre Fruchtbarleit und Gedeihen 
ſpendende Milch, den Negen, ftrömen liegen. Nun galt 
aber der Blig aud) als gelbblüihender Kreuzdorn oder als mit 
rothen Beeren bequafteter Bogelbeerftab — in jedem Falle 
that man Hug daran, wenn man feine eigenen Kühe eben⸗ 
falls mit Ruthen diefer Sträucher fchlug, man war dann 
fiher, von feinen Kühen wohl ebenfo reichliche Milch zu 
erzielen, als die Himmelsbewohner von ihren Wolfenküihen. 

Wenn nun fir den Hirten der Urzeit die Milch den 
Werth und die Bedeutung des Unſchätzbaren und Verehrungs- 
würdigen hatte, wie dies nod) im Veda der Fall ift, fo mußte 
aus derfelben Anfchauung heraus, welche in der Hafelitande, 


I. 


im Kreuzdorn, im VBogelbeerbaum ober im dionyſiſchen Narther- 
ftabe den mild und honigjpendenden Blig verfürpert ſah, 
natürlich auch der Glaube fließen, Ruthen folder Sträudyer 
befäßen die geheime Kraft, Schäge zu entdeden oder zu vers 
ſchaffen. Der als Hafelruthe, als Kreuzdorngerte oder Bogel- 
beerftab oder Nartherftengel gedachte Blig öffnete ja gleich— 
fan den vom Milchgold jtrogenden Woltenberg: eine Ruthe 
von einem dieſer Sträucher mußte deshalb zur Wünſchel— 
ruthe werden, welche nicht allein als Brunnenſchmeder die 
unterirdifchen Quellen anzuzeigen, ſondern jeden Schatz zu 
heben, jeden Wunſch zu erfüllen im Stande war, 

Wenn der Sewittergott mit feinem funkelrothen Blig- 
faden von dem Dämon der finftern Wolfe Beſitz ergriff, 
denſelben fefielte und erwirgte und auf dieje Weife die Wolfen« 
fühe oder das Sonnenriud vor Schaden bewahrte, fo verftand 
es fi) von felbft, daß man auch von Erben mittelft eines 
rothen Fadens Befig nahm, an ſich fejfelte, einmweihete und 
vor Schaden bewahrte. Deshalb war der rothe Faden 
bei den Germanen das dem Örenzgott heilige 
Rechtsſymbol der Befignahme. Als ſolches zieht er 
ſich noch bis zu diefer Stunde durch alles Tau: und Segel: 
werk der britijchen flotte und ift darliber feit Goethes Wahl« 
verwandtjchaften zu einer europäifchen Zeitungs und Salon« 
phrafe geworden. Deshalb and) wurde der indifchen Braut 
ein rothwollener Faden als Hodzeitsjhnur um 
den Hals gehängt. Ebenſo wurde den in bie eleufinifchen 
Myſterien Eingeweihten eine rothwollene Schnur umgelegt. 
Um ſich vor Berlegungen und Hautausfclägen zu fchligen, 
wand ſich die indifche Braut an einem mittelft Yad roth⸗ 
gefärbten Faden ein aus einer Honigpflanze beftehendes Amu- 
let um den Meinen finger. Uebereinſtimmend mit dieſem 
Brauch iftder deutfche, dem Vieh rothe Bänder um den Hals, 


Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Gejchichte des Aberglaubens., TI. 87 


um die Hörner und um den Schwanz zu binden, um daſſelbe 
vor allem Schaden zu bewahren. 

Umgetehrt kann aber auch, mad; anderer Borftellung, 
weldye die alten Bilder nur noch in difterm Lichte erblidt, 
der vothe Faden als unheilbringend aufgefaßt werden. In 
einem indischen Krähenorakel heißt es deshalb: Ergreift 
der Nabe einen vothen Faden, fest er ſich damit auf das 
Dad) eines Hauſes und giebt er einen Ton von fid), fo wird 
das Haus abbrennen. Deutliher als in diefem indiſchen 
Aberglaubensfage könnte fid) der Rabe als der mit feinem 
Krädyzen den Donner und mit dem rothen Faden im Schnas 
bel als der den Blitz darftellende Vogel nicht zu erfennen 
geben. 

Während des Gewitter hörte man deu furdjibaren Schall 
der Donmertrompete, oder der Donnerpaufe, oder den ſchrillen 
Schrei einer Pfeife. Man nahm wahr, wie nad) dem Ge— 
töfe der Donner: und Bligmufit die Dämonen der finfteren 
Wetterwolfen auseinanderftoben und verſchwanden, weil das 
Gewitter überhaupt zu Ende ging und ber Himmel fid) wies 
der aufheiterte, Da galt es denm, bei herannahendem Ge— 
witter unter Trompeten» und Paulenſchall auszuziehen oder 
die Soden zu läuten. Dann mußten ja die böjen Gewitter: 
weſen, die unheilvollen Geiſter der ſchwarzen Wetterwolten, 
ſchreckerfüllt entweichen. 

Diefer Brauch ift uralt. Die Brahmanen vertrieben und 
ſchädigten ihre Feinde vermittelft des Getöſes, welches fie 
durch das Schlagen der Mahlſteine bewirkten, durch 
deren Reibung der Saft der heiligen Somapflanze ges 
wonnen wurde. Sie begründeten diefen Opferbraud) mit 
der Legende, daß Manu, der heilige Stammvater des Menſchen⸗ 
geſchlechts, einen Stier gehabt, deſſen Schnauben und Brul— 
len die Unholde und Kobolde aufgerieben habe, Die Stimme 
dieſes Stieres ging bei deilen Opferung auf die Manavi, 
die Gemahlin des Manu, über und nad) deren Opferung in 
das Opfergeräthe, aus welchem fie mun nicht mehr heraus: 
jubringen war, 

Nach indifcher Sage befünftigte Buddha's Apoftel die 
Stürme des Waſſerdrachen in Kaſchmir durch Kloftergeläute, 
lange bevor es chriſtliche Kirchengloclen gab. Und üibereins 
ſtimmend wandten auch die Zauberer der Griechen und Rö— 
mer das Erzgetöfe zur Abwehr und Vertreibung böfer 
Geifter an. In Cholerazeiten verbrennen die Leute in Mans 
dalay, der Hanptftadt des Königreichs Birma in Hinter 
indien, Popanze im Hofe des Tempels. Die Birmanen 
beobadhten danı die Sacyamintonfti genannte Geremonie, 
indem fie unmittelbar nad; dem Abfeuern der Abendlanone 
in jedem Haufe einen furdjtbaren Yärm durch Stampfen und 
Trommeln erheben und bamit für eine oder zwei Stunden 
fortfahren, um die böfen Geifter zu verfcheuchen. Auf feiner 
andern Grundlage beruht ber norddeutſche Brauch der Polter- 
abendjcherze. Auch diefe beftehen hauptſächlich darin, daß 
an der Thür der Braut am Hochzeitsabend Töpfe und der 
gleichen zerichlagen werden, offenbar urjprünglid) aud) nur 
zu dem Swede, um die böfen Geijler zu vertreiben. 

Im Gewitterfampfe dachte man fid) den in der ftod- 
finftern Regenwolke wirleuden Gott oder Helden als mit 
einem ſchwarzen Fell oder einem unfichtbarmachenden Helme 
bededt. Das war die Tarnlappe. Wollte ſich der Menſch 
unfichtbar machen, jo brauchte er ſich nur eine Tarnlappe 
zu verſchaffen und deiien war Rath. Denn wenn bie Hafels 
ſtaude mit ihren weißen Blüthen oder die Roſe oder der 
rothblühende Kreuzdorn ober der VBogelbeerbaum mit 
feinen rothglänzenden Früchten für den Denfchen der Urzeit 
Repräfentanten der zauberkräftigen Bligruthe geweſen waren, 
fo mußte es ja auch mit ihrer Hülfe möglic fein, ſich in 


den Befig der Tarnhaut zu bringen oder ſich rundweg un 
fichtbar zu madjen, 

In Deutſchland gilt das Farrnkraut als ganz befon- 
ders kräftig zu diefem Zwecke. Rainfarren (Tanacetum) 
in der Johannismitternacht gefammelt, macht den, der ihn 
bei fid) trägt, unfichtbar. In Böhmen heißt es: Sieht man 
in der St. Kiliansnacht glühendes Farrnkraut und fledt es 
zu ſich, fo wird man unfichtbar. Bei den Griechen und Ro: 
mern hatten verjciedene vothblühende Pflanzen unſichtbar— 
macende Zauberfraft. Bald war es die Hagerofe, bald die 
Päonie, bald aber auch, die Blume Aglaoptotis, „die herr⸗ 
lid) Glänzende*, welche namentlid) zur Herbeirufuug der 
Sötter verwendet wurde, Sie wird von einigen fir die Roſe 
gehalten. Sie fpielt eine Hauptrolle in einem altägyptifcyen 
Zauberſpruch, der etwa im flinften Jahrhundert nad) Chriftus 
aufgezeichnet worden ift und hier als ein Muſterbeiſpiel dies 
nen mag flr die ſchon oben hervorgehobene Thatſache, daf 
fid) die Zauberftiliftif aller Zonen gleich bleibt. 
Der Spruch lautet nach Profeffor Parthey's Ueberſetzung 
wörtlid): 

„Bewährtes Mittel zum Unfichtbarmaden. 

Großes Wert,’ 

‚Nimm das Auge eines Affen oder eines Erichlagenen 
und reib’ es zuſammen mit Liliendl, dann das Kraut Nalao- 
photis, reib' es von rechts nad) links und jprich den folgen- 
den (rein kauderwelſchen) Sprud) dazu: anok anup anok 
ueirphre anok osotsorou uier anok peusire penta set tako, 
erhebe dich, unterirdischer Dämon, io erbeth io phorbeth 
io pakerbeth io apompso. Wenm ich, der umd der, euch 
befeble, daß ihr mir gehorcht. Wenn du unfichtbar werden 
willſt, ſo jalbe dir das Geſicht allein, nach der Vorſchrift, 
und da wirt unſichtbar fein, jo lange Zeit du willit. Wenn 
dur aber wieder ericheinen willſt, jo geh’ von Abend gegen 
Morgen und ſprich diefes Wort und du wirft offenbar und 
fichtbar fein allen Menſchen, das Wort aber ift marmarioth 
marmariphange, machet mich, den und ben, fichtbar allen 
Menfchen am heutigen Tage, gleich gleich, ſchnell ſchuell! So, 
num bleib’ mir aber gewogen!“ 

Wenn fid) die elementare Periode den Körperfchmerz 
und die Seelenlranlheit als böfe, im Yeib haufende, die Ger 
fundheit magende Weſen im Thiergeftalt vorgeftellt hatte, 
wenn ber Wurm, der im Zahn oder im Gehirn feine Boss 
heit ausließ, zugleich mit dem Wurm, 'der Schlange, dem 
Käfer Übereinftimmte, der als Blig- und Donnergeift in 
der finftern Wetterwolte drohte, jo mußte der Kraukheits— 
fäfer wohl aud) auf diefelbe Weife und mit den nämlichen 
Dlitteln vertrieben werden fünnen, wie der zerſtörende Blitz— 
und Donnerfäfer. Wenn die Sonne mit ihren durcdrine 
genden Strahlen die finfteren Tüten der dämoniſchen Wetter: 
wolfenhummel vereitelte, jo mußte fie aud) die Kraft haben, 
die den Kropf bewohnende Hunmmel zu vertreiben. In dies 
fem Sinne wird fie denn auch in einem Zauberfprud)e des 
Atharvaveda (VI, 83) angefleht. 

Aus diefem Vorftellungsfreife heraus ift unter allen Böl« 
fern die Geifterbannung und Tenfelsaustreibung, mit 
einem Worte: der Erorcismus, hervorgewadhfen, der feine 
büifteren Schlagſchatten noch bis in unſere Gegenwart hineins 
wirft. Denn die römische Kirche hat diefen Fetiſchismus 
in aller Form fogar wieder in ihr Glaubensfnftem aufge: 
nommen, 

Es fonnte jedoch bei geiftig weniger entwidelungsfähigen 
Racen nicht auableiben, daß die unzählige Menge von For— 
men, Gegenftänden und Wefen, welche fic die Phantaſie im 
Yaufe der Yahrtaufende zu irdiſchen Vertretern der am Him-— 
mel ſich vollziehenden Vorgänge zurecht geſchaffen hatte, mit 
der Zeit nicht cbenfo verwirrend auf die Vorſtellungskraft 


88 


eimwirfte, als es ung geiftig doch unendlich weit vorgerlidteren 
heutzutage ſchon unmöglich wird, uns in der bunten Termis 
nologie der philofophiichen Enfieme gegenfeitig verſtändlich 
zu werden. Steine, Pflanzen und Thiere in winmelnder 
Maſſe und in zahllofen Wechſelbeziehungen galten als Bers 
förperungen der Wolfe, des Bliges und Donners, des 
Himmels, der Sonne, ded Mondes und der Sterne. Die 
geheimen Kräfte, welde man diefen Gegenftänden und 
Weſen zufchrieb, infofern fie dem bezüglichen Naturerſchei⸗ 
nungen eigen waren, mußten ſchließlich der Phantafie des 
inferioren Naturmenſchen vollauf genügen, um jic aus ben- 
jelben, ohne Beziehung auf die den Symbolen zu Grunde 
liegenden Naturerfceinungen, auch die räthjelhaftejten Vor— 
gänge im Menſchenleben zu erklären, Er bedurfte nur bier 
jer Gegenftände, wm ſich mit deren Wunderkrüften alles 
Winfchenswerthe zu verſchaffen oder fid) wenigftens vor Uns 
heil zu bewahren. Aber leicht mochte jede Ahnung von dem 
ehemaligen Zufammenhange der roth: oder gelbblühenden 
Wunderpflanze mit dem voth: und gelbfunfelnden Blitze oder 
mit der Sonne verloren gehen, Der rothe Stein mochte 
feine Beziehung mehr auf den rothen Blitz- und Donnerftein 
durchſchimmern laffen und des Käfers Geſurr nicht länger 
als das Ziſchen des Bliges empfunden werben. Hörte aber 
die Phantafie einmal auf, diefen Zufammenhang wenigftens 
nod) zu ahnen, begann fie, den Gegenftänden und Wefen, 
welche für den alten Glauben die Naturerfcheinungen veprü- 
fentirten, felbftändige, von den Naturerfcheinungen uns 
abhängige Wunderkräfte beizulegen, fo fonnte nur die 
ausichweifendfte Verwirrung in den Vorſtellungen von den 
das Nafurs und Menfchenleben regelnden Kräften und Wefen 
eintreten. Und dieſe Verwirrung ſchlug bei den geiftig unters 
geordneten Bölferracen ſchon urzeitlic, früh in das Syſtem 
der Zauberei aus, wie wir baffelbe bei den Mongolen als 
Schamanenthum, bei den Negern als Fetiſchismus und bei 


David Brauns: Streifzüge 





im fübdfichen Norwegen. IV. 


ben Infulanern der Südſee als die Religion des Tabu trefe 
fen. Die Zauberei, die Magie, ber Fetiſchismus oder wie 
man nun den Glauben an bie jelbftändige Wunderfraft der 
von ihren Urbeziehungen zu den Naturerfcheinungen losgelöften 
Gegenftände und Wejen nennen will, der Fetifhisnus 
ift nit diellvreligion, fonbern die urzeitlich frühe 
Verkommenheit der Urreligion. 

Dei den geiftig vegfameren und im folge deſſen auch 
entwidelungsfähigeren Racen blieb zwar diefe Verwirrung 
in dem religiöfen Vorftelungen auch nicht aus und die Spu« 
ten derfelben ziehen ſich durch die Neligionen der gebildetiten 
Völker des Alterthums und der Neuzeit noch deutlich wahr« 
nehmbar hindurd). Aber diefe nothwendige Berwirrung ges 
langte nicht zum erdrüdenden Uebergewicht. Denn die Phan- 
tafie diefer Naturvöller, aus melden fic im Laufe der Zeit 
die eigentlichen Gulturvölter entwideln follten, war frühzeitig 
und auf die Dauer befchäftigt, die Geftalten, in welchen man 
ſich die Naturvorgänge urſprünglich vorgeftellt hatte, mehr 
und mehr mit dem Schmelz menſchlicher Individualität aus- 
zuſchmlicken. 

So roh nun auch dieſe Geſtalten in der Urzeit waren 
und fein mußten, fo lag im ihnen doch ſchon der ungerſtör⸗ 
bare Keim individueller Entwidelungsfähigfei. So wie die 
Bölter geiftig höher ftiegen, rückten ihnen, wiewohl den Men: 
fchen völlig unbewußt, allmälig auch die Götter nad), ohne 
daß jeboch die früheren, roheren Borftelungen von den Göt⸗ 
tern neben den fpäteren, ſchöneren, völig eingingen. Die 
Kunft trägt dann nicht amı wenigften dazu bei, die Göfter 
dem mienſchlichen Vorftellungstreife näher zu bringen. So 
entwidelt ſich almälig ein Syftem bes Vielgötterthums, 
wie es die Bölfer der kaulaſiſchen Race und unter diefen vor= 
züglich die Indogermanen, insbefondere aber die Inder, Grie— 
* und Germanen, zur höchſten Volllommenheit ausgebildet 
haben. 


Streifzüge im ſüdlichen Norwegen. 
Von Dr. David Brauns. 


IV. 
In Sätersdalen. 


Am 11. Auguſt brachen wir mit zwei Saumpferden 
und deren Führern, ſowie mit einem der Jagd kundigen 
Wegweiſer von Valle auf, um durch das Gebirge die Weit: 
füfte zu erreichen. Die Tour ward mit Befteigung des 
Sparvar-Knuten eröffnet, eines nahezu 4400 Fuß hohen 
Gneisblodes von dreheunder Form, fat einer aufrecht ftehen- 


den Walze mit rundem Sopfe glei. Die im Sütersdal | 


nun auch ſchon faft verflingende, nur wenige Geſchichten 
vom Haugafolf, von den Berggeiftern und Kobolden, 
bewahrende Sage umſchwebt noch das Haupt jenes eime 
halbe Tagereife von Balle entfernten Bergriefen und nennt 
ihn den Traumberg; er foll den jungen Burſchen und 


fchlafen legen. 

Der Weg zu dem Knuten war anfangs fehr fteil vom 
Thale hinauf an einigen Gehöften vorbei, dann minder fteil 
durch moorige Thäler und Schluchten. Hier fanden wir 


| 


Schneehlihner (Ryper) von ber fchon genannten Urt der 
Moorichneehühner oder Skooryper und Alpenhafen (Lepus 
variabilis L.); die Vegetation änderte ſich ftufenweife, in: 
dem wir von dem etwa 1200 Fuß hoch belegenen Haupt: 
thale nod) über 1500 Fuß in der Waldregion, dann an 
1000 Fuß in der Zwergwaldzone und endlich in der baum— 
lofen Zone uns bewegten. Die legtere weiſt bier ſchon in 


' größeren Mengen das Kenthiermoos auf; auch fanden wir 


Wermuth, Enzian und andere Alpenkräuter bis zu beträcht: 
lichen Höhen hinauf, Die Moltebaer bewies ihre große 
Schmiegjamfeit am die nordiſchen Klimate, indem fie ſich 


vom Blüthenftande bis zur Fruchtreife gleichzeitig je nad) 
Mädchen im Traum ihre Zukunft offenbaren, wenn fie in | Höhe und Sonnenmenge vorfand. 
der Johannisnacht oder Sommerſonnwendnacht auf ihm ſich 


| 


} 
' 


Die großartig-wilden nordifchen Gebirge find äußerft 
wenig belebt, ja öbe, was natitrlid) ihren bewältigenden Eins 
drud beträchtlich erhöht. Oft ſah man in den wildzerrifr 
jenen Hochthälchen fein lebendes Weſen. Selbft Raubvögel 
find im Innern des Landes felten; früher, als holländiſche 


David Brauns: Streifzüge im füdlihen Norwegen. IV, 89 


und deutſche Faltenfänger Hierher zogen und in Geffift und 
Höhlen — die Tradition bezeichnet diefe als Höhlen „deuts 
her Räuber — ei ſuchten, da muß dies anders ge- 
welen fein. Jetzt ift durch Ausſetzen von Schußgeld dieſen 
Feinden der niglichen wilden Hühner bedeutend Abbruch 
gethan, wogegen die Flichſe und zeitweilig die Wölfe, welche 
der Bolldmeinung zufolge aus Rußland herüber wandern, 
ihnen immer mod) vielfach und erfolgreich nachitellen. Nur 
den Thurmfalfen, Falco tinnuncoulus L., jahen wir wieder« 
holt an ben fteilen Felswänden. Bon Meineren Vögeln 
hielt ſich nur noch der Steinfhmäger (Saxicola oenantheL.), 
deſſen melancholifcher Yaut gut zu der Umgebung pafte; bie 
Flußregenpfeifer (Aegialites curonieus Bes.) und bie 
Schwimmdögel blieben an den tiefer liegenden Seen zurlid. 
Selbft der Froſch (Rana temporaria L.) wird hier in der 
Höhe von etwa 4000 Fuß feltener, obſchon feine Brut 
immer noch wejentlich zur Ernährung ber zahlreichen Fo— 
zellen beiträgt, zu welcher außerdem die Larven ber vielen 
und läftigen Mücken ein bedeutendes Contingent ftellen. 
Die rothbauchige Eidechfe, Lacerta (Zootoca) crocea W., 
bie ich auf dem Gebirge nahe dem Byglandfiord noch gefun- 
den, vermißte ich hier. Ameifen famen ziemlic, hoch, Kan« 
fer, Spinnen, Schmetterlinge bis oben hin vor; unter letzte⸗ 
ren fielen am meiften die hellblauen Pycänen auf. 

Haft überall Liegen rundliche Blöde fremden Gefteins 
auf den Felſen auf, oft in folder Zahl, daf die anftehende 
Felsart nur mit Mühe ermittelt werben kann. Das eigent- 
fiche Gebirge ift weftlih von Valle und im der Umgebung 
des Svarvar⸗Knuten durchgehends Gneis, während aus röth- 
lich gelörntem Granite die meiften jener aufliegenden Blöcke 
beftehen. Diefe liegen oft lofe auf den höchſten Gipfeln, fo 
daß es ſchwierig erfcheint, ihren Transport zu erflären. 
Die Trilmmerwälle, die faft im allen Seitenthälern hodj 
hinauf und ambererfeits bis ins Hauptthal hinunter 
reichen, fowie die Rundhöderform vieler Felſen machen bie 
Annahme früherer Gletſcher mindeftens höchſt wahrſcheinlich. 
In der That können diefe nicht jo ſehr auffallen, da nur 
einen Grad nördlicher und feine 1000 Fuß höher jett 
nod) colofjale Gletſcher ſich finden. 

Die Fernfiht vom Svarvar-⸗Knuten reicht bei Harer 
Luft weit mach dem durch feine Naturfchönheiten berühmten 
Diftricte von Telemarken und bis nad dem Hardanger: 
Lande. Die trlibe Luft, die ſich gerade bei unſerer Abreiſe 
einzuftellen anfing, ließ und die Formen der Berge — runde 
liche, doch maleriſch wechjelnde Konturen — nur oberflüchlich 
erfennen, 

Bon da wandten wir ums einer größern, von Balle aus 
beſchidten Sennerniederlaffung zu, welche weftwärts an einem 
Hochfee, dem Urdvil-Vand, lag, einem der vielen Beden, 
welche ihr Waſſer bei Hylleſtad im die Otteren,Elo ſchicken. 
Wir erreichten diefelbe ſehr ermlibet gegen Abend. Mit den 
Entbehrungen des Sennerlebens wohl vertraut, waren wir 
hier doch in hohem Grade unangenehm überrajcht durch das 
Bild von Schmutz und Mangel an allem, ſelbſt dem primi- 
tivften, Comfort, das fid uns darbot. Nicht daß es hier 
öde umb leer gewefen wäre; im Gegentheil, Herden von 
Bieh und wohl an 30 Menfchen waren in wenigen und unzu⸗ 
reichenden Behältern fo zufammengepferdht, daß der Schmug 
eine und mod; neue Höhe erreichte. Das Gras mar von 
dem Boden rings um die Gebäude verfhwunden, das Heu 
jpärlich, jo dag wir den Lurus frischen Heues für unfer Ya: 
ger entbehren mußten. Das Brennholz beſtaud ausſchließ⸗ 
lid) aus Zwergbirfen und Wachholdern, da der Uxbvil-See 
fchon über der Region der hochwachſenden Waldbäume liegt. 
Obgleich, bie Milch und friſch gefangene (Forellen uns noch 
genügend nährten, fo war doch die Unreinlichkeit zu groß, um 

Globus XXVIIL Nr. 6, 


irgend ein Gefühl des Behagens auflommen zu laffen. 
Ohne die Bäder im Ser, den die Sonne etwas gewärmt, 
wäre e8 noch übeler beftellt geweſen. 

Der folgende Tag war einem Streifzuge gewidmet, ber 
uns in das nämliche Quartier zurlickbrachte. Menthiere, die 
hier fich mitunter zeigen, fanden wir indeſſen nicht; nur bes 
wiefen einzelne Fährten, fowie aud) der ftete Genoß bes 
Nenthieres, der Lemming (Myodes lemmus L.), daß wir 
uns in der That auf dem Gebiete bes wilden Nenthiers, 
wenn auch ficher am deſſen Südgrenzge, befanden, Gelbft: 
verftändlic, konnte es ſich Hier nur um wilde Renthiere 
handeln, da die Criftenz des zahmen Nenthieres mit ber 
des lappiſchen Volksſtammes eng verinipft ift, und eine 
Renthiercultur durch Indogermanen und deren Mifchlinge 
nie gelibt worden ift*). Der Bär wurde, wie überall, auch 
hier und angezeigt; eine frifche Fährte fahen wir ganz nahe 
am Urbvit-Band. Zum erften Mal kamen uns hier bie 
eigentlichen Fjeld-Ryper, die Alpenſchneehlhner (Lago- 
pus alpinus Nilss.), vor, 

Wenn auch die Jagdergebniſſe unbedeutend waren, fo 
brachte uns die Wanderung auf dem Riuven-Fjeld, 
defjen höchſter Punkt 4700 Fuß hoc) über dem Meere liegt 
und auf dem wir uns felten unter 4000 Fuß hoch befanden, 
mehrfach, auf ewigen Schnee, der jedoch in zu vereingelten 
und Heinen Partien vorfam, als daß Gletſcherbildung ftatts 
finden fünnte. Die Felsmaſſen waren noch wilder, als bie« 
lang, die Wafferfälle noch mächtiger und auf dem röthlichen 
Granit, der hier den Grundſtock des Gebirges bildet, nod) 
ma I 

Am folgenden Tage, einem Sonntage, weigerte fich unfer 
jagdlundiger Begleiter, ein Haugeaner, zu reifen, und wir 
mußten und ohne Wegweifer behelfen. Nach einigen Debat« 
ten brachten wir fo viel Klarheit in die Nachrichten Über das 
fehr mangelhaft bekannte weftliche Gebiet, daß wir die Noth— 
wenbdigfeit erfannten, von dem nach den Specialfarten prafs 
tifabel erfchienenen directen Wege abzugehen. Ortſchaften, 
das heit Gehöfte', welche dort “ran waren, beftanben 
nur noch als leere Gebäude ohne ohner; von ſchlechtem 
Wetter überrafcht, hätten wir dort mit unferen knappen Bor« 
räthen eine tlende Eriftenz zuführen gehabt. Wir mußten uns 
entjchließen, einer langen Seenfette meift ohne alle Wege 
über fehr befchwerliches Terrain nad Suden zu folgen, bie 
wir auf den neuen, von Hylleftad aus durch Probft Blom’s 
Bemühungen nad) dem nächſtgelegenen weftlichen Thale, 
Siredal, abgeftetten Weg gelangten. Zunöchſt jah es 
freilich, auch dort troſtlos genug aus; nachdem wir einen hal 
ben Tag leidlich verbracht und uns bei einigen ſchmutzigen 
Süteren mit Mildy erquidt hatten, brad, ein Sturm mit 
Negen los, ber das MWeiterfommen fehr erſchwerte. Die 
Pferbefügrer aus Balle wußten ebenfowenig Beſcheid, als 
wir felber, und wir hätten aufs Gerathewohl weiter mar- 
ſchiren müfjen, hätten auch), wie wir fpäter fanden, nur ver- 
laſſene Sennhltten noch angetroffen, wenn uns nicht zwei 
Hirten begegnet wären, und den Weg nad) ihrem etwas ab- 
legenen Stöl — fo heißen die Heineren Sennhütten — 
gezeigt und im ihrem ſehr befchränften, vom Winde burd)- 
fegten und fehr räucherigen, aber doc, mit Heu verjehenen 
Häuschen ein Unterfommen gewährt hätten. Da fchliefen 
wir zu Sechs eng an einander gedrängt, die Pferde gingen 
im wilden Wetter mit ben Kühen und Schafen grafen. Die 
beiden Hirten föften fi während eines Theils der Nacht 
auf ber Bärenwache ab; wie dies im der Regel ber Wall, 
fam der Bär nicht. 


*) Nur auf dem Fällefjeld und bei Röldal in Hardanger hat man vor 


etwa zwei Decennien Verfuche mit ber Haltung gahmer Renthierherben 
gemacht, die jedoch nach wenigen Jahren wieder aufgegeben wurden. 


12 


0 David Brauns: Streifzüge 
Der Weg ward am andern Tage immer jchlechter, fo 
daß wir trotz des ziemlich guten Weiters froh waren, big 
zu einer nahe der SirerElv belegenen, ihrem Flußgebiete 
angehörenden Heinen Niederlaffung, Sulestard, zu gelan- 

en. An den glatten Felshängen, die wir paffirten, lernte 
ich die norwegijchen Pferde erjt nach Geblihr ſchätzen. Ein— 
mal verlor fich dev Weg auf eine glatte, ſchräge Felswand; 
alle Verfuche, oberhalb oder unterhalb durchzubrechen, waren 
vergebens. Die Pferde aber benupgten eine feine Schicht- 
fpalte, um ohne Zaudern und ohne Störung hinüber zu 
fommen; jeder Fehltritt hätte jie fopfüber im dem tief unten 
fid, auöbreitenden See geſtürzt und auf deſſen Klippen zer⸗ 
ſchellen laſſen. Auch die Führer bewährten ſich, und am 
beften gerade der, vor dem man und als „den größten Bans 
biten in Sätersdalen“ gewarnt hatte Er hie Björn 
Knudſön; trog feines für einen Norweger auffallenden 
Leichtſinnes, der ihm jeme Nachrede verichafft Haben modhte, 
fanden wir in ihm einen gutmlthigen, ja bald uns aubhüng- 
lichen Burfchen. 

In Suleskard verfucdhten wir vergebens einen Wegs 
weifer zur miethen, da der einzige zur Verfiigung ſtehende 
junge Mann einen Gemeindearmen, einen alten Krüppel, 
der ſich nur kriechend auf allen Vieren fortbewegen konnte, 
zu Pferde zum nächſten Hofe des Sprengeld mehr als 4 Stuns 
ben weit bringen mußte, defjen Befigern feine Verpflegung 
für die nächjten Wochen oblag. Diefer Arme, der uns mit 
einigem Stolze erzählte, feine Eltern hätten den Gaard er- 
baut, in welchem wir ihn trafen, ſchien freilich fein Schid- 
fal nicht gerade ſehr hart zu finden; welcher Urt es aber 
war, konnten wir nicht ohne Schaudern und ausmalen: er 
ward auf die angegebene Weife Jahr aus Yahr ein in 
guter und ſchlechter Jahreszeit von Hof zu Hof gejagt, um 
das farge Brot Aller zu theilen, das man ihm unverdroffen 
in jener herlömmlichen Weife gab, ohne daß er oder irgend 
Demand eine Idee von einer andern Möglichkeit hatte. 

Nach einer zweifelhaften Nachtruhe auf dem mit wenig 
Heu bededten Boden des Wohnzimmers brachen wir früh 
Morgens nad) Ramme oder Naderamme auf, einer nicht 
weit entfernten zweiten Niederlaffung in einem Seitenthale 
der Eire-Eiv nahe dem Sire-BVand; beide Niederlaffungen, 
Euleöfard und Ramme, find die nörblichften im Thale, die 
noch bewohnt werden und unſchwer lich fic erkennen, daß 
auch fie dem nahen Untergange geweiht find. Nicht nur die 
drei bis vier Gaarde, aus denen jede derjelben beftand, zeigten 
unlengbare Spuren des Verfalls — die Stabuure waren 
ohne Vretterbefleibung, ihre Balken verrottet, die Wohn: 
häufer nothdlirftig geflidt, die Ställe noch nothdürftiger —, 
fondern auch die Wege waren im troftlofeften Zuftande, 
Um zu einem der Gaarde in Ramme zu gelangen, in wel» 
chem wir endlich einen Wegweifer fanden, mußten wir einen 
langen Sumpf und mehrere Bäche durchwaten. 

Von num an zog ſich der Weg, den wir ohne Führer nie 
weiter gefunden hätten, über ein wildes Gebirge hin bis zum 
Sire-Vand, den wir im einem dort vorgefundenen Boote 
(Prahm) kreuzten — die Pferde mußten ſchwimmen — und 
dann, durch ein Yabyrinth von Hochthälern mit wilden klei⸗ 
nen Seen, und zwifchen tief eingejchnittenen elsgellüften, 
auf die Höhe des Gebirgoſtodes, auf die Barde-Heya, 
von welcher wir die tiefe Spalte des Yyfefiords und Lyſe— 
dals erblidten, 

Auf diefer — wohl an 4000 Fuß hohen — Waſſerſcheide 
angelangt, waren wir felbft nad) den bisherigen Erlebniſſen 
von den Gebirgsmaſſen frappirt, die ſich hier anthürm— 
ten, Ein ſolches Bild der Verwüſtung war uns nod) nicht 
vor Augen gelommen. Hatten wir immer ſchon nach tradis 
tionellen Schreclensbildern gefucht, mit denen wir die wilden 


im füdfichen Norwegen. IV. 


Yandichaften verglichen, jo wußten wir jet nichts Beſſeres 
heranzuzichen, ald Dante's Hölle, um diefe Gegend ange 
mefjen zu bevölfern, Die Gneismaſſen fielen faft jenfrecht 
ab, die Hänge, allgemein für die fleifften in diefem Theile 
Norwegens gehalten, lagen voll von abgeftürzten Blöcken. 
Selten fand fich eine grünbewachſene Thalſpalte, fat Alles 
öde und ſchwarz wie verbrannt. Weiter hinaus liberfah das 
Auge, joweit es reichte, eine plateauartige Granitwüfte, im 
welche der tiefe Spalt des Lyſefiords ſich ſcharf eingeſchnitten 
eigte, ohne daß von der feinen Grund ausfüllenden Waſſer— 
äche etwas fichtbar gewejen wäre. Die Granitmaſſen mit 
ihren fahlen runden Formen erhöhten nod) den ſchauerlichen 
Eindrud, ebenfo wie die vom fcharfen Winde uns entgegen« 
gefegten Nebel und die dunfelen Regenwollen, welche von ber 
Seeſeite heranjagten. Endlos ſchien ſich die Felſenwliſte fort« 
zufegen; die See ſelbſt blieb hinter den Gebirgsmaſſen verftedt. 

Der Pfad ward immer fchlechter; mehrmals fuchten die 
Führer vergebens nad) einer Stelle, auf welder die Pferde 
von der höchſten Felſenſtufe in eins der Thälchen Due 
tet werden fonnten. Endlich gelang «8; indem die Pferde 
nach einander, vom Einen am Kopfe, vom Andern am 
Schwanze erfaßt, hinabbeförbert wurden, kamen wir liber 
Trümmerhaufen an einen öden Bergſee, an welchem wir 
den faum erkennbaren Pfad wiederfanden. Anfangs nod) 
fahl, dann mit üppigerm Graswuchſe und Zwergwald vers 
fehen, führte unfer Weg durch enge Hochthäler, oft ganz von 
fleinen Seen erfillit, bis ein Felsſturz den Pferden das 
Weitergehen unmöglich machte. Willig beluden ſich un— 
ſere Begleiter mit dem Gepäck und kletterten mühſam 
über die ſcharfen coloſſalen Gefteinstriimmter fort, während 
bie Pferde, nur mit einer Feſſel um die Vorderfüße, grafen 
gingen, bis ihre Herren des Weges zurücdtommen wilrden. 

Zum Ölüde begegnete und ein Bauer aus Lyſe, der 
gewohnt war, ſchwere Yaften von der Küfte nad) dem Sires 
dal zu Schaffen, und wir erlangten gegen mäßige Bezahlung 
feine Beihülfe, die uns nöthiger war, als wir dachten. Denn 
jegt erſt kam das ſchwerſte Terrainhinderniß. Der Weg, 
der eine kurze Strecke ohne fonderliche Beſchwerde fortgegane 
gen war, fiel nun, bald nachdem die obere Waldbaumgrenze 
überfchritten war, jäh an einem riefenhaften felsfturze, der 
Ynjebreffa, mehr als dritthalbtaufend Fuß in das 
Thal hinab. Wie auf einer Treppe mußten wir von Blod 
zu Block hinabklettern, eine höchſt beichwerliche Arbeit, Wir 
Ale gebrauchten etwa doppelt jo viel Zeit, ald der Mann 
aus Lyſe trog feiner ſchwereren Laſt. Wir malten uns uns 
willfürtid, das traurige Schidſal aus, welches die Kolonien 
im nördlichen Siredal fofort bedrohte, falls diefer Mann 
erlrankte oder auswanderte; denn der Weg, den wir gefom- 
men, war ber einzige, ber von der Küſte nad) dort in Ges 
braud; war, und nur dem ſtärlſten und geübteften Yaftträger 
war es möglich, die Nahrungsmittel, Roggen und Gerfte, 
mad; dort zu ſchaffen. 

An der Lyſe-Elv ging die Reife bequem abwärts 
nad) dem Orte Lyſe, wo wir in einem Gaardo Aufnahme 
fanden und der ums fehr mothwendigen Ruhe zu pfle— 
gen anfingen, als uns eine jonderbare Erſcheinung aufs 
ſchreclte, die wir im Dänmerlichte kaum zu enträthjeln 
wußten, aber nad) dem Anbrennen eines Streichhölzchens, 
weldjes die Geftalt nad) langem Suchen in Brand fegte, 
als einen völlig nadten Bauersmann erfannten, der uns 
ganz unbefangen nad; unferm fernen Begehren fragte. 
Dies zerftörte num zwar unſere Hoffnung, bier jchon einen 
merlbaren Grad von Cultur anzutreffen, doc) gingen Nacht 
und Morgen trog der unausbleiblichen ſechsbeinigen Peini— 
ger fo leidlich vorüber; geſtürlt durd) den Genuß erlegter 
Schnechlihner, fowie einiger Eier, die eine angenehme Ab- 


Allerlei Zuftände im Reiche des Schah von Perſien. I. 


wechjelung gegen bie fortwährend genoffene Milch gewährten, 
en wir mit unferen Sätersdalern bis an das äuferfte 
be des Fiord, wo wir und am 16. Mittags in einem 
Heinen Segelboote einſchifften, da der entlegene Lyſefiord 
nicht von Dampfichiffen befahren wird. 

Das Thal ift ſehr ſchön und hat troß aller Wildheit 
manche gefällige Punkte, Der Fluß felbft führt Perlmuſcheln 
(Baphia oder Margaritana margaritifera, Retz.) und ift 
reich, an Lade. Im Berbindung mit den Seitenbädhen, 
welche zum Theil in müchtigen Staubfällen nieberftärzen, 
ift er ftark genug, um das Wafler des Fiords am deſſen 
obernt Ende zu entjalgen. Auch noch weithin, bis da, wo 
der ſchmale Yofefiord ſich aus dem breitern Zweige des 
Stavanger Fiords, aus dem Hölefiord, abzweigt, ift das 
Waſſer brafig. Bis oben hin findet ſich jedoch Seetang 
und eine ziemlihe Menge von Uferfchneden (Littorina 
littorea L.), zu denen ſich bald zahllofe Miesmufceln 
(Mytilus edulis L.), rothe Geefterne (Asteracanthion 
rubens 1.) und GSeeeicheln (Balanus) gefellen. Der Fiord 
ift von fteilen, hohen Gneisklippen mit Staubbäcen einge» 
faßt und trog der Taucher und Kormorane, die den hinaufs 
ziehenden Fiſchen machftellen, fehr öde, Nur wenige Gaarbe 
hängen an den Felſen ober liegen unten am Ufer im troft« 
lofer Verlaſſenheit. 

Die Nacht brad) herein, ehe wir den maffigen Glimmer- 


91 


ſchieferfelſen von Foßan, den Grenzpunlt des Lyſe- und 
Hole⸗Fiords, erreichten. Wir fuhren indeſſen auf jchauteln- 
ben Wogen in bie bitterfalte, fternenhelle Nacht hinein, 
welche dem ſtürmiſchen Tage gefolgt war. Dafitr hatten 


wir den Anblid eines pradjtvollen Nordlichtes. Bekannt: 


| 





lich unterfcheiden ſich die Nordlichter höherer Breiten von 
denen, die wir gelegentlich in Deutjchland zu fehen bes 
kommen, durd das Vorherrichen der hellen Strahlenbüſchel, 
die, wie ich mic bei der ungewöhnlich langen Dauer 
diefes Nordlichtes lberzeugte, concentriſch von einem Punkte 
des Meridiand ausgehen, im welchen zu der betreffenden Zeit 
fid) die Sonme befindet. Einen Einfluß auf die Magnet 
nadel konute ich in dem ſchwankenden Boote nicht beobachten. 
Ein Zwifchenfall gab auf diefer Fahrt den Beweis von 
der großen Fähigleit der Norweger, Kälte zu ertragen. 
Björn Knudſön, der der Verſuchung nicht widerstehen konnte, 
Stavanger zu fehen und als Steuermann auf dem Boote 
mitfuhr, ftärzte beim Landen am einem Gaard, auf einer 
Meinen Infel, in welchem wir bald nach Mitternacht einige 
Erfriſchungen einnahmen und uns durchwärmten, bis an 
die Bruft im die See, wechfelte aber nicht einmal feine Klei— 
der, noch trocknete er biefelben, und blieb augenſcheinlich von 
dem Vorfalle ganz unberührt. Bei dem meift conträren 
Winde gelangten wir erft am folgenden Morgen bei Sonnen: 
aufgang in der Baage an, dem Hafen von Stavanger, 


Allerlei Zuftände im Reihe des Schaf von Perſien. 


Teheran, die Hauptftadt Perfiens, hat ſchon viele Ele— 
mente europäifcher Cultur im fi, aufgenommen, Wenn man 
von Ispahan her gen Norden durch Berfien reift, dann 
treten deutlich die Veränderungen hervor, welche nad) und 
nach die Sitten, Gewohnheiten und die Tradıt der Bevölle— 
rung erlitten haben. Wenigftens gilt dies von den höheren 
Claſſen; aber auch die niederen Vollsſchichten flihlen sich in 
einigen Gegenden weniger gedräidt, da fie nicht mehr von 
der Willfür und dem Drude der Beamten, Soldaten und 
Stewererheber zu leiden haben. Die Soldaten dürfen es 
nicht mehr wagen, in die Käufer und die Felder einzubringen 
und Alles, was ihnen gefällt, ohne zu bezahlen, zu nehmen. 
Eine Frau tritt im diefem Theile des Reiches ficherer und 
fefter auf, als ein Dann in den von der Hauptftadt entferit 
gelegenen Provinzen. Den Beweis liefern folgende That 
ſachen. Auf einer Reife von Jopahan nad; Schiras war ic) 
Augenzeuge , daß zwei fräftige Männer zu Boden geworfen 
und gepeitfcht wurden, weil fie deu Soldaten feine Yebens- 
mittel geliefert hatten. Während fie fo unbarmherzig miß— 
handelt wurden, jammerten fie und riefen in einem fort: 
„Aman, Aman, Dekhil Dekhil!“ Ebenſo habe ich 
geſehen, daß die Soldaten von den Aeckern fortnahmen, was 
ſie und ihre Pferde gebrauchten, ihre Taſchen und ihre 
Säcke füllten und auf die Beſitzer losprügelten, als dieſe 
den Mund zu öffnen wagten, und gegen den Naub Wider 
ſpruch erhoben. 

In Teheran und deſſen nächfter Umgegend ſcheuen ſich 
dagegen die Soldaten und ebenfo auch die Beamten, irgend 
etwas zu rauben. Es ereignete ſich einmal, daß ein Offi— 
zier niedern Ranges in trunfenem Zuftande in einen Gar: 
ten eintrat, und in die ben rauen vorbehaltenen Wohn⸗ 
räume drang; der Haushere war wicht anweſend. Ohne 
Bedenfen ergriff die Frau einen ſtarlen Knittel und vertrieb 


L 


den Eindringling, welcher von einer Stelle zur andern floh. 
Sie verfolgte ihm, mit dem Suittel in der Bu auch noch 
außerhalb des Gartens, und würde auf den Ungllicklichen 
losgeſchlagen haben, wenn nicht Soldaten und Nachbaren 
fi) ins Mittel gelegt hätten. Ich fand mid, veranlaft, 
gegen meine Begleiter die Unficht auszufpreden, daß, wenn 
man in den übrigen Theilen des Reichs Leben und Eigen: 
thum im gleicher Weile vertheidigen würde, Perfien viel glück— 
licher wäre als es ift. „Aber,“ wurde mir geantwortet, 
„dort dürfen die Soldaten alles thun, was ihnen beliebt.“ 
Es eriftirt feine Behörde, bei welcher das Volk feine Bes 
ſchwerden anbringen kann und Gehör zu finden hoffen darf, 
aber ſelbſt, wenn feine Klage zur Beftrafung der Soldaten 
führt, fo fteht zu flicdhten, daß dieſe Rache nehmen und dem 
Ankläger großes Leid zufügen; im Teheran und deſſen Um: 
gegend ift ed anders. Hier wird Diseiplin geübt und die 
Soldaten durfen dem Volk nichts Unrechtes thun. 

Die Folge der Mäglicen Zuftände ift, daß Noth und 
Elend unter der Yandbevöfferung herrfchen ; umd dies ift ſelbſt 
in der Umgegend von Teheran dev Fall. Denn da, wo die 
Soldaten, die dat Volk verflucht, ihren Einzug halten, haben 
die Bewohner umendlidy viel zu leiden. Während deren 
Raubſucht in der fchärfften Weife zu brandmarlen ift, follten 
wir aber auch andererſeits nicht vergeflen, daß die reine 
Noth jene Fente zu Verbrechen gleichiam zwingt. Sie er: 
halten für den Monat vier Körans (d. h. etwa 1", Thlr.) 
Sold, und auferdem foll ihnen noch jährlich ein Zuſchuß 
von 7 Tomans (d. h. circa 22 The, 1 Toman—10 Se 
rang — 3)/, Thle.) gezahlt werden. Der Sold wird wohl 
regelmäßig entrichtet, dev Zuichuß aber an manchen Orten bis 
auf die Hälfte verringert, ehe er in die Hände des Soldaten 
fommt. Der arme Menſch ift ſchon zufrieden, wer er von 
den fieben Tomans vier erhält. Der Zufchuß wird bei Bes 


12% 


92 


ginm des Winters gezahlt, um den Soldaten in den Stand 
zu fegen, ſich einige warme Kleidung zu verfchaffen. Er muß 
daher lediglich von feinem geringen monatlichen Solde zehn 
Monate hindurch ſich ernähren. 

Im früheren Zeiten unterfchieden fih die Armenier 
von den Perſern durch ihre Kleidung. Sie trugen kleinere 
Hute und ſchoren ihre Bärte; jet haben alle höheren und 
felbſt auch ſchon die mittleren Claſſen die armeniſche Klei-— 
dung angenommen. Einige von ihnen ſcheeren den Bart; 
mitunter tragen fie ſchon Beinfleider und Hemden nad} euro⸗ 
päifchem Schnitt. Auch Halstlicher und Eravatten fieht man. 


Der Schah hat eine halb europäiſche Halb armenifche 
Kleidung gewählt. Niemals legt er feine Stiefel ab, Fir 
diefe hat er nämlich feit feinem Beſuch in Europa eine große 
Borliebe gewonnen, Man erzählt, daß er früher häufig 
an Erkältungen und Huften litt; er fragte weshalb die Euros 
päer bavon frei feien, worauf ihm die Antwort ertheilt wor« 
den fei, er ziehe ſich dadurch Erkältungen zu, daß er mit 
nicht genligend fefter Fußbekleidung auf feuchtem Boden 
gehe. Seitdem lege er die Stiefel niemals ab, fogar in 
das Bett nehme er fie mit, feine Frauen follen fie ihm in- 
deſſen, wenn er jchläft, abziehen, 

Die weiten „Patjama* werben von Niemand mehr ges 
tragen, der bei Hofe Dienft zu thun hat. Un ihre Stelle 
find Veinfleider nad) europaiſchem Schnitt getreten; nur 
find fie an den Knien weiter und überhaupt länger, jo daß 
man ohne Umbequemlichteit niederlnien und beten, aud) 
nad) der üblichen Gewohnheit mit übereinandergefhlagenen 
Beinen figen kann. Selbſt die niedrige Dienerfchaft wählt 
gern eine neue Tracht, welche ein Gemifc von europäifcher, 
armenifcher und perfischer Kleidung iſt. 

Borurtheile und Claſſenunterſchiede, welche in früheren 
Zeiten eine fo große Bedeutung hatten, find bei Vielen ver» 


Die künftliche Lachszucht am Mc Eloud in Californien. 


ſchwunden, und Mufelmänner und Kaſirs efien ohne Beben- 
fen von demfelben Gericht. 

Die Miffionäre und ihre Fremde freuen fi, bag das 
Evangelium in der Hauptftabt Perfiens geprebigt wird, und 
daß es amerifanifchen Miffionären gelungen ift, ein paar 
Mufelmänner zu belehren, 

Der amerifanifche Miffionär bervohnt während der heißen 
Monate ein etwa zwei Meilen von Teheran entfernt Tiegen- 
des Landhaus. Ich wohnte einem Gottesdienft bei und der 
Katechift eiferte im feiner Predigt lebhaft gegen Mohammed 
und defien Lehre. Während der Rede fürdhtete ic immer 
einen Angriff von Seiten einiger fanatischer Mufelmänner ; 
ich hatte dazır um fo mehr Grund, als der „Sottesdienft“ 
am hellen Tage gefeiert wurde, der Zutritt Jedem gejtattet 
war, umd fi in der VBerfammlung mehrere Dufelmänner 

| befanden, eine Schutzwache aber ganz fehlte. 

Obgleich die perſiſche Regierung die Freiheit des Glau— 
bens nicht ausdrüclich anerfannt hat’, fo drückt fie doch die 
Augen zu, wenn aud) von den Miffionären die Yandesreligion 
— wird. Aber wie wird ſich die auf dreiſte Art her— 
ausgeforderte perfiiche Priefterfchaft verhalten ? 

Auch in Tebris haben die Amerilaner eine Miffionsftation, 
und wie fie behaupten einige Anhänger Mohammed's befehrt, 
aber feine Perfer fondern Araber. 

Eine Sitte, von welcher ſich die Perfer ſchwer zu tren- 
nen fcheinen, ift die Gewohnheit, ftundenlang in hodender 

—— den Knien zu ſitzen. Stühle benutzt man 
nicht. n Europäern allein werben dergleichen zur Ber 
nutzung angeboten. 

Die Veränderungen, deren ich erwähnt habe, verfprechen 
ein gutes Reſultat für Perſien. Europäifche Cultur, Kunft 
und Sitte haben wenigftens auf einzelne Perfer tiefen Ein- 
drud gemacht. Das Uebergewicht der militärifchen Kraft 
hat man aus eigener Erfahrung fennen gelernt. 


Die künſtliche Lachszucht am Me Cloud in Galifornien. 


Die künftliche Filchzuct gewinnt immer größere Aus 
dehnung; jo hat unter anderen auch Amerifa wieder zivei 
neue Anftalten gegrlindet, um im denfelben Lachſe zu zlichten. 
Die eine, am Penobscot in Maine, foll die fülteren nördlichen 
Ströme, die zweite am Me Cloud in Californien die füdlichen 
Fluſſe mit jungen Lachſen verforgen. Seit zwei Jahren 
hat die Zucht begonnen und das Reſultat ift ein glinfliges 
geweſen. 

Der Me Cloud iſt ein Nebenfluß des Pit, welcher in den 
Sacramento fällt; er führt ein eisfaltes, wunderbar Mares 
und reines Wafler aus den Scjneefeldern des Schaftage- 
birged. Sein oberer Theil bildet dem beliebteften Laichplatz 
bes Yachies. 

Die Station liegt etwa 5 Meilen (deutfche) von Reading, 
dem jegigen Vereinigungspunfte der Dregons und California« 
Eifenbahn umd etwa eine Meile oberhalb der Mündung des 
Me Cloud in den Pit. Der gewählte Pla eignet fic ber 
fonders fir den Lachsfang, zugleich aber ift er vielleicht ber 
lieblichſte und ſchönſte in ganz Californien. Der Fluß, wel 
cher eine Breite von etwa 200 Fuß hat, bildet hier eine nas 
titrliche Barre, von weldyer er in rafcher Strömung im bie 
unter ihr liegende Vertiefung fällt. Diefe Beichaffenheit 
hat man ſich zu Nuge gemacht. Auf der Barre wurde aller 
dings mit großen Mühen und Anftrengung eine Verzäunung 


aus Weiden errichtet, welche die den Fluß hinauffteigenden 
Lachſe verhindert, zu ihren oberhalb gelegenen belichten Laich— 
plägen zu gelangen, 

Das Etabliffement befteht aus einem feften Wohnhaufe 
und einem großen Zelt, in welchen legtern die Fiſchlkäſten 
und die fonftigen Geräthichaften aufbewahrt werben, 

Da die Erfahrung gelehrt hat, daß auch das klarſte Fluß⸗ 
waſſer noch nicht vein genug ift, um einen fichern Erfolg zu 
gewähren, es der Filtration vielmehr bedarf, um insbefondere 
die Fungus zurücdzuhalten, welde auf den Eiern ſich fonft 
anfegen und das Auskriechen dev jungen Lachſe verhindern, 
fo wird das Waffer filtriert. Zur diefem Zwede find Reſer— 
voire angelegt. Das Waffer wird durch ein Schöpfrad, 
welches der Fluß felbft treibt, gehoben und nachdem es drei 
Filter paffirt hat, in die Reſervoire geleitet, won welden es 
dann im regelmäßigem Zufluß in die Zuchtfäften gelangt. 
Diefe find aus Tannenholz — 16 Fuß lang, 8 Fuß breit und 
7 Zoll hoch — gefertigt. Im Innern find fie mit einer Mafle 
von Asphalt und Kohlentheer belleidet, welche verhindert, daß 
in den Holzkäften ſich der Fungus bildet. In jedem Sucht» 
faften find fieben Körbe — 2 Fuß lang, 11 Zoll breit und 
6 Zoll tief — aufgehängt. Da jeder derfelben fr 30,000 
Eier ausreicht, fo kann das Etabliffement im einem Jahre 
acht Millionen junge Lachſe züchten. Unter der Leitung des 


Die künſtliche Lachszucht am Me Cloud in Galifornien. 93 


mit der Verwaltung betrauten Directord Stone find zehn 
Mann überhaupt beichäftigt geweſen; auferbem aber haben 
die Indianer arg. Hilfe geleiftet. Der Monat Auguft 
ift die Zeit, wo ber * in Tauſenden zu den Laichplatzen 
auffteigt. Cine große Menge hat man hinauf kommen laf» 
fen, dann aber die Verzäunung gefchloffen, welche zu über: 
fpringen ungeachtet aller Bemühungen nur einigen wenigen 
gelingt. Die bei Weiten größere Hälfte fällt abgemattet 
und erſchöpft im die Tiefe zurlid und kann im dem ruhigen 
Waſſer leicht gefangen werden. Im der Regel beginnt der 
Fang in früher Morgenftunde und wird bis jpät Abends 
fortgefegt. Die Indianer, welche die Arbeit willig unters 
flügen, verfammeln fid) dann um ein Feuer und find ver- 
gnügt wie die Kinder, denn fänmtliche Fische, welche man 
gefangen hat, find ihmen zugefichert und werben ihnen über 
liefert ſobald die Befruchtung ausgeführt ift. 

Am nächften Tage werden die Fiſche aus den Körben 
genommen. Auch der ftärffte und fräftigfte Yachs verhält 
ſich ruhig, wenn man ihn mit ber einen Hand an dem 
Schwanze faßt und bie andere Hand unter feinen Kopf legt. 
Das Weibchen, welches leicht an dem feinen Kopf und dem 
ſtärlern Bauche zu erlennen ift, wird zwiſchen die Beine ges 
nommen, durch eim Leichtes Streichen mit ben Händen der 
Rogen herausgedrüct und biefer in einem waſſerleeren Ges 
fäß aufgefangen. Jedes Weibchen liefert etwa 3000 Eier. 
Nun wird ein Männchen ergriffen, deſſen Milch, welche eine 
ſchleimige Maffe bildet, in das mit dem Rogen geflillie Ge— 
füß gebrüüct, und dann etwa eine Minute lang vorſichtig 
umgerührt. Hierauf wirb der Same im ein mit Waſſer 
gefülltes Bedlen gebracht, in welchem er dreiviertel Stunden 
unberührt ftehen bleibt. 

ie gift jegt vollzogen. Der Rogen wird 
mit Borficht aus der Milch herausgeſchöpft. Während bei 
der wilden (matltrlichen) —— faum von tauſend 
Eiern ein Ei, alfo von jedem Weibchen nur etwa drei 
Eier zur Entwidelung kommen, und ein befferes Refultat 
aud) dann nicht eintreten wird, wenn die Befruchtung in flies 
fendem Wafler oder in einem mit Waffer gefüllten Gefäß 
geſchieht, jo wird auf die oben befchriebene Weife dagegen 
erreicht, dag man von 1000 Eiern auf 950 junge Lachfe mit 

ißheit rechnet, 

Die Indianer fehen der Operation mit dem lebhafteften 
Intereffe zu, denn wenn die Befruchtung gefchehen ift, wer: 
den ihnen die Fiſche ohme Ausnahme überliefert, welche fie 
zum größten Theil trocknen, um ihren Wintervorrath zu 
deden. Darin, dag man ihnen das gegebene Wort hält und 
die Fiſche ſämmtlich überläßt, ift der alleinige Grund zu 
fuchen, daß fie die Fifcherei überhaupt in dem von ihnen vor⸗ 
zugsweife geſchätzten Fiſchwaſſer geftatten. 

Die befruchteten Eier erfordern eine fehr forgfältige und 
wmausgefegte Beachtung. Nach drei Tagen zeigt ſich in den 
einzelnen Eiern ein Meines dunkles Pünktchen, welches als 
der eigentliche Tebensteim angefehen wird und in dem Mittel- 
punkte des Eies liegt. Die Über dem Dotter liegende Hlille 
dehnt ſich nun allmälig. Sowohl des Morgens als des 
Abends wird jeder Korb aufgenommen umd die Eier werden 
einer jorgfältigen Prüfung unterworfen. Diejenigen Eier, 
welche blaß oder weiß ausfehen, find tobt ober im Softerben 
begriffen und werben mit einer Heinen Zange entfernt, weil 
fie die Eier, mit demen fie in VBerligrung fommen, gefährden. 
Das Herausfuchen und Fortnehmen der verborbenen Eier 
erfordert große Sorgfalt und Gewandtheit; die Sadıe muß 
nämlich ſchnell beendet werden, weil helles Tageslicht von den 
Eiern möglichft fernzuhalten ift um nicht zu ſchaden; einige 
Indianer haben indeß eine fo große Fertigleit erlangt, daß 
fie mit einem Blidk ihres ſcharfen Auges jedes todte oder 


abfterbenbe Ei fofort erkennen und es mit geübter Hand augen- 
blicklich befeitigen. 

Nach zwanzig Tagen treten an jedem einzelnen Ei zwei 
glänzend fchwarze Punkte hervor; es werben dies die Augen 
des Lachſes. — deutlicher zeigt ſich nun das Leben. 
Nach ſechs Wochen durchbricht der junge Lachs ſeine Hülle 
und erſcheint als Fiſch mit ſchmalen Floſſen und Schwänz ⸗ 
hen; ungefähr einen halben Zoll lang bildet er eine halb⸗ 
ducchfichtige Maffe. Er ſchwärmt anfcheinend willenlos auf 
dem Wafjer. Noch ift er ein ganz Hillflofes Wefen, weldyes 
fir ich nicht forgen kann, allein ba er nur bie äußere Hülle 
abgelegt hat, fo ift ihm umter feinem Heinen Körper ber Dot- 
ter geblieben, aus welchem er die nöthige Nahrung noch 
wochenlang entnimmt. Anfänglic, find die Thierchen faft 
ganz bewegungslos; von Tag zu Tag werben fie aber im 
ihren Bewegungen lebhafter. Sie beginnen den Mangel an 
hinlänglihem Schug zu fühlen und von dem eingeborenen 
Inſtinct geleitet, fuchen fie die Winfel und Eden des Korbes 
auf, um dor etwaigen Feinden ſich zu verbergen. Nach drei 
Monaten ift der Borrath, welchen bie Mutter Natur auf ben 
Lebensweg mitgab, aufgezehrt; das Fiſchchen, jegt etwa ein 
und einen halben Zoll lang, ift nun aber aud) im Stande, 
felbftändig ſich fortzuhelfen. Wenn es ihm gelingt, feinen 
unendlich vielen Feinden zu entgehen, dann fehrt der voll- 
ftändig ausgewachfene Yadys nad) drei Dahren in den Fluß 
zurüd, welcher ihm das Leben gab, Er folgt dem ihm ein- 
gepflanzten Inftinct. 

Die Station am Mc Cloud hat nur die Aufgabe, bie 
Eier bis zu dem Stadium zu führen, daß fie an andere Orte 
verjendet werden können, Sobald bie Eier zwanzig Tage 
fang in den Körben gewefen find umd die Augenpuntte ſich 
erkennen laſſen, dann können fie in die weiteften Entfernuns 

en verfchict werden; während des Transports wird freilich 
ihre Entwidelung verzögert, Die Verfendung gefchicht in 
Käften von etwa 2 Fuß Länge, 2 Fuß Breite und 1 Fuß 
Tiefe. Sie werden forgfam mit Waffermoos ausgefüllt, 
welches man an den etwa 2 Meilen entfernten Quellen des 
Sacramento fammelt. Zuerſt macht man eine Yage von 
Moos, auf welche dann eine Schicht Eier ausgebreitet wird, 
dann folgt wieder eine Tage Moos und fo weiter bis ber 
Kaften bejegt if. Die Mitte wird durch ein dünnes Brett 
chen geteilt, wm den Drud ber oberhalb liegenden Maffe zu 
vermindern. Zwei folder Käſten, deren jeder 75,000 auf: 
nehmen kann, werden in einem Kaſten vereinigt, welcher jo 
groß ift, daß alle Seiten drei Zoll mit Heu ausgeflillt wer- 
ben können. Diefe Berpadung ift nöthig, um eine möglichſt 
gleichmäßige Temperatur fir die Eier zu erhalten und zu 
ſtarle Erſchütterungen zu vermeiden. Ein Behältniß zur 
Aufnahme von Eis iſt außerdem auf dem Kaſten befeſtigt. 
Der Transport geſchieht unter Aufſicht eines ſachlundigen 
Mannes, welcher fie ſtets mit großer Aufmerkſamleit zu bes 
handeln hat. Unmittelbar wenn fie an ihrem Beftimmungs- 
ort anfangen, werden fie in Körbe gebracht, welche denen 
ähnlich, find, aus welchen fie entnommen wurden. 

Es ift wunderbar, daß diefe zarten Wefen den weiten 
und langdauernden Transport ertragen und in einem Wafler 
fich entwiceln, welches von demjenigen vielleicht ganz verſchie⸗ 
den ift, im welchem fie bisher gehalten wurden; im großen 
Ganzen kommen fie indejfen doch zur Entwidelung. 

Im Jahre 1873 verfandte die Station überhaupt nur 
ein und eine halbe Million, im Jahre 1874 aber mehr als 
fünf Millionen befruchtete Eier. Davon erhielten: Bangor 
100, Wincheſter (Maſſ.) 200, Providence (R. 3.) 100, 
Rocheſter (N. 9.) 500, Mariette (Pa.) 300, Niled (Mich) 
150, Newhope (Pa.) 150, Newcafile (Can.) 25, George 
town (Golor.) 250, St. Paul (Din) 150, Aınmofa (Jowa) 


94 


300, Salt Lale (Utah) 150, Clarkſton (Mich.) 150, Ran—⸗ 
dolph 25, Lynchburg (Ba.) 50, Rodford Ill. 50, Neufee- 
land 25 Tauſend. 

Um die Eier zu befchaffen, wurden in runder Summe 
5000 Lachſe gefangen, von welchen die eine Hälfte Männs 
chen waren; ber Berluft diefer allerdings großen Zahl Fiſche 
ift fein Grund, ein Bedauern auszuſprechen; es ift nämlich 
als wahr anzunehmen, daß ber Ladys mit der Abgabe feines 
Samens aud) feine Lebensaufgabe erfüllt hat. Er verliert 
dann die Schuppen, befommt eim dunkles trübes Ausfchen 
und geht in ben MWaflerfällen unter, bie er einft mit feiner 
ganzen Kraft zu überwinden fuchte. Kaum Einer von Hun⸗ 
dert gelangt wieber zur See. 

Die Station am Me Cloud hat die aufgewandten Koften 
vollftändig gededt, wenn das Tauſend befruchteter Eier zum 
Werthe von 1 Pi. St. beredjnet wird, während früher bas 
Taufend in Canada 40 mal fo theuer bezahlt werden mußte, 

Der Congreß hat, wenn auch erſt nad) längerm Zögern, 
eine neue Bewilligung gemacht und es fteht zu erwarten, 
daß die fünftliche Zucht der Fiſche fortgefegt und zum Segen 
bes Volls gereichen wird, welches jegt vielfach dem Genuß 
der beliebten Speife entjagen muß; es bleibt aber. immer 
nothtwendig, daß Mafregeln getroffen werben, welche die Er— 
haltung der Fische Überhaupt ermöglicyen, dahin ift befonders 


Aus allen Erdtheilen. 


u rechnen, daß micht die jchäblichen Abflüffe der Städte, die 
liefftände der hemifchen Fabrilen und andere fchädliche Sub- 
fangen den Flüſſen zugeführt werben. 

Die bei der Sache beteiligt gewefenen Männer verdienen 
alle Anertennung; aber auch die Indianer find fehr werth⸗ 
volle Gehülfen gewefen. Sie waren früher der unbändigite 
und wildefte aller Stämme, jelbft die Modocs nicht audge- 
nommen, haben den Weißen gegenüber jede Abtretung von 
Territorium verweigert und alle Coloniften mit Gewalt oder 
durch Drohungen abgewiefen. Als der Bau der Station 
begonnen, fandten fie eine Deputation mit ber Meldung, daß 
man wieber abzichen möge, wenn man ben Frieden bewahren 
wolle, allein es gelang ihr Bertranen zu gewinnen. Man 
hat das gegebene Verſprechen gehalten und ihnen mehr Fiſche, 
als fie jemals felbft gefangen hätten, geliefert. Sie find jetzt 
vollſtändig beruhigt und unterfiligen bie Arbeit, bei welcher 
20 Männer umd ebenfoviel Frauen regelmäßige Beſchäfti- 
gung genommen und gefunden haben, Sie verehren ben 
Yeiter der Unternehmung und nennen ihn den Geſandten des 
„großen Vaters“. In ihrem eignen unmittelbaren Interefie 
liegt die Erhaltung der Station, jo daß man ihnen die Bes 
wahrung der Gebäude und Seräthichaften mit Sicherheit hat 
anvertrauen können und anvertraut hat, bis der Betrieb von 
Neuem beginnt. 


Aus allen Erdtheilen. 


Zur Eharafteriftit der Ebinefen. 


Je mehr fich unfere Verbindungen mit dem großen chi: 
nefischen Reiche entwideln, deſto willlommener erfcheinen alle 
Mittheilungen, welche uns einen Einblid in die Eigentbim- 
lichkeiten jeiner zahlreichen Bewohner zn geben vermögen. 
In diefer Hinficht finden fih in den Schriften des Abbe Ar— 
mand David, welder von 1862 bis 1873 in Peking lebte 
und von dort aus eine Reihe von Reifen in die Mongolei 
binein unternahm, einige treffenbe Beobachtungen. 

Ein charalteriſtiſcher Zug des Chineſen ift deffen Geduld, 
Rube und Ausdauer. So behandelt er alle feine Thiere mit 
großer Schonung, fogar mit einer gewiſſen Liebe. Nie wird 
er gegen fie beftig, nie läßt er fich zum Schlagen und Stoßen 
hinreißen; andererſeits find aber eben in Folge der freund: 
lichen Behandlung feine Laft und Zugthiere ftets willig und 
folgfam, nie eigenſinnig und ftörriih. Ein Zuruf geniat. 

Seiner unermüdlichen Geduld gelingt es ferner, faft alle 
Vögel, ſelbſt Naubvögel, zu zäbmen umd ihre Zuneigung zu 
gewinnen. In Peking begegnet man oft Leuten, welche auf 
einem Stödcen Vögel mit ſich führen. Nach Belieben ver: 
laſſen diefe ihren Sig und erbeben fich in die Lüfte; die Au— 
bänglichfeit führt fie immer zu ihrem Herrn zurück, welden 
—— aus einer größern Menſchenmenge herauszufinden 
wiffen. 

Für Vögel bat der Chineſe überhaupt eine befondere Bor: 
liche, Nur ungern tödtet er fie. Kleine Vögel werden nicht 
gegeflen; man hält fie nur zum Vergnügen. Nicht felten kau— 
fen wohlhabende Leute ganze Käfiche voll, lediglich um den 
Thierchen die Freiheit zu Tchenten. 

Der Ghinefe verrichtet feine Arbeit ohne viel Reden, in 
der Regel ohne ein Wort zu ſprechen. Alles geichieht nach 
altbergebrachter Weile und fefter Regel. Jeder beforgt fein 
Geſchäft, ohme fih um den Andern zu befünmern und ohne 





her ihm führt, auf ein bevorftehendes Hinderniß, 3. B. eine 
entgegenkonmenbe Herde oder Karawane, aufmerkſam zu 
machen, jo würde ihm diefer faum Gehör fchenfen; um der: 
artige Dinge hat ein vornehmer Herr ſich wicht zu bekümmeru. 
Nubig, mit niedergeichlagenen Augen, fett der Chineſe feinen 
Mari jo lange fort, bis er fih dem Hinderniß unmittelbar 
gegemüberficht. Iſt dieles etwa dadurch herbeigeführt, daß 
man einander nicht genügend ausgewichen ift, fo beichuldigt 
Einer den Andern, die Regel nicht beachtet zu haben. Es ift 
nicht gerathen, fich einzumifchen oder gar an der Befeitigung 
des Hinderniffes fich zu betheiligen, man würde dadurch nur 
in den Augen der Chinejen verlieren. Die Sache findet, 
wenn auch erft nach einiger Verzögerung, ohnedies ihre Er: 
ledigung. 

Ungeachtet die Ehinefen ſich Kunftfertigleiten aller Art 
und zwar im einem bewunderungswerthen Grade angeeignet 
und aud) eine ungeheure Maſſe von Willen anschäuft haben, 
fo haben fie doch für Naturwilfenichaften feinen Sinn 
gezeigt. Sie find 3. B. mie dazu gelangt Herbarien anzu— 
legen. Bon der Flora ihres Landes oder irgend einer Gegend 
baben fie daher auch fein Verſtändniß. Jedenfalls bat bier: 
bei der Umftand mitgewirkt, daß die Flora überhaupt und 
befonder& in der Umgegend von Peking überaus arm ift. 
Wild wachlende Pflanzen giebt es dort fo gut wie gar nicht ; 
jedes Winkelchen, jede Ede der weiten Ebene wird zu Cultur: 
pflanzen beuutzt. Der Fleiß und die Sorgfalt, mit welcher 
der Chineſe den Boden bejtellt und bebandelt, läßt Feine an- 
dere Pflanze auflommen. Sogenannte verunfrautete Felder 
giebt es dort nicht. 

Alle Geſchafte von irgend einer Bedeutung werden aus; 
nahmslos durch Unterhändler vermittelt, welche nach der Wich- 
tigkeit der Sache ihre feftitchende Vergütung erhalten; auch 
werden alle Berbeirathungen durch Mittelsperſonen zu Stande 
gebracht. Auf directen Abſchluß eines Geſchäfts läßt ſich Nie- 


von der Einmilchung eines Dritten Notiz zu nehmen. Sollte | mand ein und dem beftebenden Brauche muß ſich auch der 
ſich etwa ein Europäer veranlaßt fühlen, den Ghbinejen, wel: | Ausländer fügen. 


Aus allen Erdtheilen, 9 


Die Arbeiterbevölferung it im Allgemeinen arm und ibr 
Lohn jchr gering. Der Verdienſt eines Gefchäfts bleibt der 
Hauptiahe nad) ftets den befigsenden Claſſen. So gehören 
. B. die Sänften, Karren und Zugthiere nicht den Führern, 
fondern find ausnahmlos Eigenthum der Gafthausbefißer. 
Die Führer find nur gemietbete Leute, welche für ihre Arbeit 
gering bezablt werden, während jenen der ganze Betrag, wel: 
chen der Reifende für die Benutzung zu leiften bat, verbleibt. 

Für Schaufpiele haben die Chineſen eine befondere Vor: 
liebe. Theater finden fich daher in jeder größern Stabt, 
Ueberall find fie in gleicher Weile gebant. In dem Theater: 
gebäude felbft giebt es feinen Zuſchauerraum; nur fir die 
Schauspieler und Muſiler wird der nötbige Platz eingerichtet. 
Das Bublicum grappirt ſich um die Bühne fo aut es eben 
acht. Alle Stüde werden mit lautem Geſchrei und Ichhaften 
Geftienlationen aufgeführt; von dem Inhalt felbft aber it 
wenig au verjtchen. Die Frauenrollen werben ftet3 von Män— 
nern gefpielt. 

So ſehr fih die Frauen, wenigſtens bie der höheren 
Claſſen, der Außenwelt entziehen, jo befuchen fie dod gern 
das Theater, Vielfach ſieht man fie, in der Negel in Grup: 
ven, aber ſtets das Geſicht verfchleiert, dort verfammelt, und 
oft in febhafter Unterhaltung begriffen. 

Für Muftk in unferm Sinne haben die Ehinefen wenig 
oder gar kein Verftändniß. Zwar wirb viel muſicirt, aber es 
fehlt die Harmonie, die Muſik ift immer einförmig und voll 
von Miftönen. Für einen Europäer ift fie geradezu uner— 
träglich. 

In Folge der übergroßen Bevölkerung des Landes haben 
die Chineſen eine überwältigende Expanſionskraft. So find 
fie ſchon tief in die Mongolei eingedrungen, haben dort, oft 
gegen den Widerfpruch der Mongolen und felbit unter bluti— 
gen Kämpfen, umfangreiche Flächen culturfähigen Bodens 
in Beichfag genommen und in ertragreiche Aecker umgewan— 
det. Die Mongolen werdenimmer mehr zurüdae: 
drängt. Nur wenige von ihnen können fich entichließen, 
das Leben als Hirten aufzugeben und fich dem allerdings 
mübevollern Aderbau zuzuwenden. Die Erträge ibrer Her: 
ben reichen aber oftmald zur Ernährung nicht aus und jo 
werden fie durch die Noth geswungen, um nur dad nöthige 
Getreide und die fonftigen Lebensbedürfniffe, unter denen 
Three eine bedeutende Rolle fpielt, zu erhalten, den fleißigen 
und tbätigen Chineſen ein Stüd ihrer Weideflähen nach dem 
andern zu überlaffen. In der Regel find dies die befjeren, 
fruchtbareren Grundſtücke, in deren Nähe ſich auch das erfor: 
derliche Wafler findet. Die Mugen Chineſen wiſſen biefe fehr 
wohl herauszufinden, jo daß den Mongolen die uncultivir- 
baren Bergabbänge und die weiten wafferlofen Sandebenen 
verbleiben. Während dic Bevölkerung diefer im allmäligen 
Abnchmen begriffen ift, wächſt dort die Zahl der Chineſen. 
David iſt fiberzengt, daß fie ſchließlich die einzigen Beſitzer 
des gefammten culturfähigen Bodens werden — cin Erfolg, 
welchen fie dann hauptjächlich ihrem lei, ihrer Ausdauer 
und Genügſamleit, zum guten Theil aber auch ihrer Schlau: 
heit und Gewandtbeit zu verdanken haben. 


Die Infel Neuguinea und die Auftralier. 

H.G. In den auftraliichen Colomien wird jetzt ftarf agi- 
tirt, Nengninen, welches, auf der großen Wajlerftraße nad 
Indien und China gelegen, ſchon darum für Auftralien eine 
beiondere Wichtigfeit hat, unter englifche Hoheit au bringen. 
Man denftdabei an die „Anfrechterbaltung, Beſchützung und 
Conlolidirung der afiatiichen und auftralifchen Befitungen 
Grofbritanniens" und will verbindern, daß irgend eine ans 
dere Großmacht, namentlich Rußland oder auch Deutichland, 
von der Intel Beſitz ergreife und einen Keil in die englifchen 
Golonien einfchiebe. 

Nenguinea ift die größte Inſel Auſtraliens, ift erheblich 
größer ala Java und reicher ala Ceyſon. Ohne Zweifel bil 


dete es vor Zeiten mit Norbauftralien, von welchem es jetzt 
nur durch die ſchmale Torresſtraße geichieden ift, einen inte: 
grirenden Beftandtheil. Dies deuten die geringe Tiefe dieler 
Waſſerſtraße, die gleiche Fauna und Flora und die geologi- 
fche Structur der getrennten Küften an. Ja, Alfred Wallace 
bat in feinem berühmten Werke „der Malayhiſche Archipel“, 
überhaupt, mit Hülfe chronologiſcher Thatlachen, den Nachweis 
geführt, daß der auftralsmalayifche Archipel — Celebes, die 
Moluffen‘, Neuguinea, die Salomonsinfeln u. |. w. umfaſ— 
fend — einjt mit Australien im unmittelbarem Yufammen- 
hange geftanden habe, 

Der Flächeninhalt der Infel wird anf 250,000 big 275,000 
engliſche Onadratmeilen angelegt, und die vielfach gezahnte 
Küfte mißt eine Länge von ungefähr 5000 englifchen Meilen. 
Die Baien und Häfen find zahlreich und die Gebirgsfetten, 
welche die Juſel durchftreichen, erheben fich zum Theil über 
die Schneelinie hinaus, 

Die Bevölkerung wird approrimativ auf 5.(?) Millionen 
Seelen gefhätt uud die Bewohner find, nach den neueften 
Erfahrungen, keineswegs alle fo wild und graufam wie bie See: 
fahrer — wohl in ihrem eigenen Handelsintereffe — fie ſonſt 
zu ſchildern pflegen. Ein jet in Ballarat, Colonie Victoria, 
lebender Engländer, welcher zwei Jahre lang in Neuguinea 
für ein Haus in Sybney im Sandelbolzgefchäfte engagirt 
war, verfichert, daß die Eingeborenen, wenn freundlich be- 
bandelt, das Vertrauen volllommen rechtfertigen, welches man 
in ſie fett, 

Bis jet ift Neuguinea freilich meiftentbeils noch eine 
terra incognita, allein jeber nachfolgende Berfuch, die Kitten 
zu erforfchen, hat doch immer neue Beweiſe von dem Reich 
thum feiner vegetabiliichen und mineralifchen Schäge geliefert. 
Zur einheimilchen Vegetation zäblen vortreffliche Nutzhölzer, 
wie Ebenholz und Sandelholz und werthvolle Färbehölzer. 
Dan findet ferner den Campherbaum, die Sagopalme, den 
Kokosbaum, das Zuderrobr, verſchiedene Varietäten von Ba: 
nanen, den Brotfruchtbaum, die wilde Muskatuuß, Mais, 
Neis u. ſ. w. Die fruchtbaren Abhänge der Berge eignen 
fich für den Anbau von Baumwolle, Kaffee, Zimmet und 
überbanpt flir alle Arten Gewürze. Während anf den Über 
nen tropiiche Vegetation gebeibt, dürften fich in den Schluchten 
ber Bergfetten die Producte der gemäßigten Zone mit Erfolg 
cultiviren laffen, An ben Meeresküften kommen Perlen und 
Schildpatt in Menge vor, und Sapphire, Rubine und andere 
Edelſteine find ebenfalls aufgefunden worden. Auch unter: 
liegt es wohl taum einem Zweifel, daß die goldhaltigen 
Erdichichten‘, welche den Continent Auftralien zwiſchen 140 
und 150 Grab öftl. v. Gr. von Süd mach Nord durch— 
sichen, auch Neuguinea durchftreichen. „ Bringen doch die Ein: 
geborenen von Zeit zu Zeit Goldftiide aus dem Innern der 
Inſel nach den Küften, um dagegen auf den gelegentlich an: 
legenden Handelsſchiffen allerlei Waaren einzutauſchen. Auch 
von den Holländern, welhe an der Nordweitküfte Anſiede— 
lungsverfuhe — aber mit jehr geringem Erfolge — gemacht, 
ift es betannt, daß fie dort Gold und Silber erhielten. Die 
Holländer haben awar feit ungefähr dreißig Jahren die Nie- 
berfaffung wieber aufgegeben, follen jedoch noch heute die 
Inſel bis zu 141 Grab öftl. v. Gr. ald ihre Beſitzthum be- 
anfpricchen. Diefe Linie wirde Neuguinea fo ziemlich halbiren. 

Ein Land, welches folche Anzichung ausübt und das von 
einem thätigen, energifchen Handelsvolle nur durch eine Schmale 
Waſſerſtraße getrennt wird, lann wicht mehr lange in Jſoli⸗ 
rung bleiben, Es ift freilich wahr, daß bis jetzt nur ein un— 
bedeutender Verkehr zwilchen beiden Landen befteht, allein eine 
Henderung zum Beſſern ſcheint denn doch fchon Pla zu 
greifen. Die Perl: und Tripangfilchereien in der Torres, 
ftraße, welche gegenwärtig in großem Umfange betrieben 
werden, haben im diefer Beziehung das Jhrige gethan. Und 
follte die Northern: Territory: Anfiedelung am Port Dar: 
wir, troß all ihres bisherigen Mißgeſchides, zum Gedeihen 


96 Aus allen Erdtheilen. 


gelangen, und follte die weitere Ausbreitung ber Anficdelum: 
gen in Queensland nach der Nordküfte zu andauern, fo wird 
und muß ohne Frage der Verkehr mit Neuguinea bald erheb: 
lich wachſen. 

Bor zwölf Jahren trat in Sydney, Colonie Nenſüdwales, 
unter Leitung des hervorragenden Barlamentsmitgliedes Rev. 
Dr. Lang, eine Gefellichaft ins Leben, welche die Coloniſation 
von Neuguinen bezwedte. Zahlreiche Abentenrer aus allen Co— 
lonien Anitralieng ſchloſſen ſich an und hinreichende Geldmittel 
wurden gezeichnet, Da wurde aber der Gefellichaft amtlich er: 
öffnet, daß fie ohne die bejondere Sanction der englifchen Regie: 
rung feine engliiche Eolonie gründen noch irgend welche Juris: 
diction ausüben könnte. Und der damalige Colontalminifter, 
Herr Parkes in Sydney, gab dazu bie Erflärung ab, daß auch 
feine beſtehende engliiche Colonie das Necht habe, eine jubor- 
dinirte oder Tochtercolonie ins Dafein zu rufen. Ans diefem 
Grunde fiel damals das von vielen Auſtraliern beginftigte 
Project vorläufig zu Boden. 

Im Jahre 1869 bielt Dr. Lang in der Royal Society 
of Sydney einen längern Vortrag über Nenguinen und deffen 
beſondere Eigenichaften für britiiche Coloniſation. Diefe Vor: 
lefung ward gedrudt und fand allgemeinen Beifall. Der 
Vorichlag ging dahin, unbekümmert um britifche Hobeit, auf 
eigene Kauft eine Anfiedelung zu gründen. Eine Geſellſchaft 
in diefem Sinne bildete fih. Ein Schoner wurde angelauft 
und achtzig wohl geeignete Berlonen begaben fich darauf nach 
Nengninea. Allein nicht nur das Schiff erwies fi als 
ſeeuntüchtig, Tondern aud der Capitän war ein unfähiger 
und unwürdiger Menſch. Das Fahrzeug gerieth nicht weit 
von der Kilfte der Inſel auf ein Riff. Der elende Eapitän 
nahm mit einigen feiner Mannichaft das befte Boot und ret: 
tete fich auf das mahe liegende Fand, wo er indeß von ben 
Eingeborenen erichlagen warb, und von den achtzig Baflagic- 
ren Fam mehr als die Hälfte ums Leben. So endete auch 
der zweite Verfuch der Coloniſation erfolglos. 

Aber verschiedene Umftände lichen das Project immer 
wieder von Neuem auftauchen. Zunächſt war es die von 
Gapitän Moresby des engliſchen Kriegsſchiffes Baſilisk ge: 
machte Entbedung eines vorzüglichen Hafens an der Sidoft: 
küfte von Neuguinen, Sowie deffen günftige Schilderung von 
Land und Leuten. 

Es war zu Anfang Mai diefes Jahres, alt in London 
eine Deputation dem britiichen Colonialminifter Lord Car— 
narvon ihre Mufwartung machte, um demjelben die Annecti— 
rung und Golonifirung von Neuguinea warın zu empfehlen. 
Der Minifter zeigte fich keineswegs abgeneigt , hielt aber da⸗ 
für, daß die auftraliiche Colonie fih zuvor in allgemeinerer 
und zugleich beftimmterer Weife als bisher geicheben zu Gun— 
jten des Vortrages ausſprechen müßte. 

Mertwürdig genng traf die Kabeldepeſche mit voritchen: 
der Nachricht aus London zu einer Zeit in Sydney ein, wo 
gerade die Neugninea-Frage die öffentliche Aufmerkſamkeit 
wieder ungewöhnlich bejebäftigte. Der fehr reiche Engländer 
William Macleay, feit zwanzig Jahren cin ftändiges Mitglied 
der Yegislative Aſſembly der Colonie Neufüdwales, hatte 
nämlich die politifche Arena genen das Feld der willenichaft: 
lihen Forſchung quittirt und war mit der Ausrüſtung einer 
Erpedition auf eigene Koften ſchon fo ziemlich fertig, welche 
die Erforfchung des ausgedehnten, aber völlig unbekannten 
Delta anf der weitlichen Seite des Golf of Papua bezweckte. 


2 Inbalt: 


Macleny ift ein tüchtiger Naturkundiger und beabfichtigt, Die 
Führung feiner Gefellfchaft felber zu übernehmen, doch wer- 
den ihn auch Männer begleiten, welche in den einzelnen Fach: 
wifienfchaften befonders bewandert find. Keine Geldopfer 
find geipart worden. So ift ein Heines, Hachgebantes Dampf: 
boot mit hervorragendem Schutze gegen etwaige Angriffe der 
Eingeborenen beigegeben, um damit auf den Flüffen, die, wie 
man vermutbet, an biejer Küfte minden werden, ins Junere 
zu gelangen. Wir wünfchen glüdlichen Erfolg!! 

Mag dies vielleicht auch nicht die Art der öffentlichen 
Kundgebung fein, welche ber britiſche Eolonialminifter zu 
ſehen wünſcht, fo beweift fie doch auf alle Fälle, daß man im 
Auſtralien die hohe Wichtigkeit der Neuguinea⸗Frage individuell 
zu würdigen verfteht *). 


* * . 
— Die braſilianiſche Regierung läßt eine genaue Rolls: 
zählung vornehmen und das Generaldirectorinm der Star 
tiftif veröffentlicht mach und nach die Liſten. Demgemäß 


zählt Stadt Rio Janeiro 271,972 Seelen; davon find 
Freie 226,033 und von biefen 84,279 Nichtbrafilianer. 


Provinz Rio grande do Morte + 392,982 
— | ı 7, . 720,094 
oe Ma 2 re nen 344,291 
Espirito San...» . - 82,187 
* Santa Catharina...» » 159,802 
=» Bm 20 ra 126,722 
“eo Mate ßrofio. ». » 2.2. + 60,417, 


— Auf der Inſel Nenfundland bat die Regierung 
am Schluffe des Jahres 1874 eine Volkszählung vornehmen 
laffen, deren Ergebniß ſoeben veröffentlicht ift. Die Bewoh: 
nerzahl ftellte fich auf 161,356 Köpfe gegen 146,586 im Jahre 
1569, alfo eine Zunahme von 14,850, welche man aber nicht 
etwa der Einwanderung verdankt, denn diefe ift Schwach und 
obendrein wandert alljährlidy eine Anzahl von Neufundlän- 
dern nach Canada und den Vereinigten Staaten and. Die 
Katboliten zählen 64,018, die Hochkirchlichen 59,057, die wes⸗ 
leyaniſchen Methodiften 35,099, die Presbyterianer 1454, fo 
dab die Nichtpapiftifchen mit etwa 32,000 Köpfen in ber 
Mehrheit find, 

— In der Strafcolonie zu Port Blair auf den Au— 
damanen befinden fich gegenwärtig 910 verheirathete Depor- 
tirte; die Verwaltung fieht es gern, daß die Sträflinge ſich 
verebelichen, namentlich mit Frauen, die einer ähnlichen Kafte 
angehören. Verbrecher, welche fieben Jahre lang fi aut 
aufgeführt haben, dürfen ihre Familie aus Indien kommen 
laſſen. 

— ‚Der Seyyid von Sanſibar.“ Als dieſer oft- 
afrikaniſche Potentat nach England kam, bezeichneten die Lon⸗ 
doner Blätter ihn als Sultan. Dieſe Bezeichnuug kommt 
demſelben nicht zu; er iſt Seyyid. Sfy iſt die Abkürzung 
von Sjayydy ober Sſeydy, d. 6. Herr. In Tunis giebt 
man, wie Heinrich von Maltan hervorbebt, den vollftändi- 
gen Titel der Großen ben angefchenen Leuten, während bie 
weniger Bornehmen ihm in der abgefürzten Form führen. 


*) Die Auftralier würden Anſiedelungen nur in ber ... 
Hälfte gründen Können, denn auf bie weſtliche, bis 1400, machen ber 
tanntlih ſchon feit Tanger Zeit die Holländer Anſpruch; fie betrach ⸗ 
ten diefelbe ala ihren Befig. 


Dr. Hayden’s und Laugford's Erpedition nach den Felfengebirgen. IT. (Mit fünf Abbildungen.) — 


Zur Ethnologie und Gefchichte des Aberglanbens. Bon Dr. Hermann Brunnhofer in Aarau. I, (Schluß.) — Streif- 
slige im füdfichen Norwegen. Von Dr. David Braune, IV. In Sätersdalen. — Allerlei Inftände im Neiche des Schab 


von Berfien. I. — Die fünftlihe Lachszucht am Me Cloud in Californien. — Aus allen Erbtheilen: 


Zur Charakteriftif 


der Ehinefen. — Die Infel Neuguinen und die Anftralier. — Verschiedenes. — (Schluß der Redaction 27. Juli 1875.) 


Herausgegeben von Karl Andree in Leipzig. — Bür die Redaction verantwortlich: H. Vieweg in Braunſchweig. 
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn In Braunfchweig. 


Ss 





Mit befonderer Werüchfichtigung der Anthropologie und Gthnologie. 
In 
Berbindung mit Fachmannern und Rünftlern herausgegeben von 


Karl Andree. 


R Jährlich 2 Bände, Jeder Band enthält 24 Nummern, Monatlid 4 Nummern. - j 
Braun ſchweig Preis pro Band 12 Darf, Einzelne Nummern 50 Bf. 1 8 7 5. 








Dr. Hayden's und Langford's Erpedition nad) den Felſengebirgen. 


IM. 


Endlid; waren wir im Beden der Tetons angelangt, | Schnee bedeckt find und unbedingt Teinen Uebergang geftatten. 
das uns gleich einer Dafe in einer Wüftenei erſchien. Daf- | Dort wachſen Camas und Yamph in großer Menge, und in 
felbe ift auf drei Seiten von Bergtetten umgeben, die mit | den niederen Theilen den Wafferläufen entlang find viele 


— 
WERT 





Im Zelte, 
Globus XXVIII. Nr. 7. 13 


Dr. Hayden’s und Langford's Erpebition nad) den Feljengebirgen. TIL. 


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Dr. Hayden's und Langford’3 Erpedition nad den Felſengebirgen. UI. 


weite Streden mit faftigen Beeren bededt. Ich machte mit 
Stephenfon einen Ausflug, um das Gebirge näher in — 
ſchein zu nehmen, und wir überzeugten und, daß eine 

fteigung deflelben ganz ungeheure Schwierigfeiten — 
würde. Wir waren aber entſchloſſen, denſelben um jeden 
Preis Trog zu bieten. Auf unſerer Rucktehr zum Lager 
lud und Beaver Did zu einem Biberbraten ein. Cr hatte 
denfelben nad) Urt der Gebirgsleute zubereitet, d. h. das 
ganze Thier auf das Feuer gefegt.und erft, nachdem biefes | 
volftändig gar war, ausgeweidet. Ich muß gejtehen, daß 
diejer Biber einen faftigen, pradjtvollen Geſchnad hatte und 
dag ich diefes Gericht mit dem größten Appetit verzehrte. 
Zwei unſerer Leute hatten während unſerer Abweſenheit eine 
große Fichte umgehauen, dabei war aber unſere 2 Art 


— 


99 


verloren gegangen und 40 Fuß tief ins Waſſer gefallen. 
Wir waren dadurch in große Berlegenheit gerathen und es 
mußte alles aufgeboten werden, um diefen eifernen Schatz 
aus den Fluthen zu retten. 

Am 28. Juli früh 10 Uhr war unfere Partie, vierzehn 
an ber Zahl, verfammelt und wir fhlugen zuerft ein provi⸗ 
forifches Lager auf; dann erftiegen die Herren Adams und 
Togar eine Hochebene, die etwa 3000 Fuß oberhalb unferes 
Yagers fich befand. Bon dort aus konnten fie bie Haupt« 
richtung beftimmen, die zu nehmen war, um bis an die Ba: 
fiß des großen Tetons zu gelangen. Diefer Spipberg ge: 
währt einen überaus majeftätifchen Anblid und iberragt 
mindeftens hundert niedrigere Gipfel ringgumher. Seine 
em — Winde waren an manchen Stellen mit 





len in den Felſengebirgen. 


Schnee bededt umd fein grauer Gipfel war von flodigen 
Bolten umzogen. Er ift in feiner ſtolzen Einſamleit garz 


entſchieden der König des Gebirges weit und breit, Am 


andern Morgen um 3"/, Uhr zeigte ber Thermometer 119 5. 
über Null und wir von bereit unfern Aufftieg zu beginnen, 


Während ber erften paar Meilen mußten wir fiber eine | 
| daran verzweifelten, die 5000 Fuß, melde wir bis zum 


Menge umgeftürzter Bäume binwegllettern, dann am fteilen 
Wänden hin, bis wir eine Höhe von 9000 Fuß erreicht 
hatten. So weit gen Norden hin der Blid reichte, erhob 
fi) ein Spigberg, eine Gebirgstette hinter der andern: es 
war eim umenbliches Panorama, das von den funfelnben 
Sonnenftrahlen bejchienen eine ungeheure Welt von Kryſtall⸗ 


maffen zu bilden fchien. Unter und zogen fic weit und breit 
Bir fahen tiefe Felfenfpalten, hin und | 


Schneefelder hin. 





voieder Frichtenwälder und Waflerfälle ohne Zahl. Der Bos | 
den bes Schneefelbes, welches wir Überfchreiten mußten, war 


fehr ungleich und wellenförmig. Der Schnee lag mindeſtens 
250 Fuß hoch und ſchien fo feft wie ber Granit zu fein, wel: 
chen er Überlagerte, Wir konnten uns inmitten einer Polar 
region glauben: alles rings um und weit und breit war 
Schnee, Geſtein, Eis, alles eine ungaſtliche Wüſtenei. 

Zwei umferer Gefährten waren fo abgemattet, daß fie 


Gipfel noch zurückzulegen hatten, bewältigen zu können; fie 
blieben aljo zurlid. Unter ungeheuren Schwierigkeiten und 
Anftrengungen, beren Einzelheiten wir nicht befonders ſchil⸗ 
dern wollen, gelang es bis zu einer Höhe zu gelangen, die 
nur noch 600 Fuß niebriger war als ber Gipfel. Aber 
dieſe Heine Strecke bot die größten Schwierigleiten bei ber 
ganzen Erfteigung dar. Das Eis bildete nad) vorn über« 
rar Abhänge unter einem Winkel von 70%. Der 
Gipfel lag gerade oberhalb deffelben und es blieben jegt nur 


13* 


100 


nod) 200 Fuß zu erllimmen. Die Wanderer machten Treppens 
einfcjnitte in eine überhängende Schueemafle und es ge 
ihnen um 3 Uhr Nachmittags nad) zehmitündiger Anftren- 
gung den höchſten Punkt des Grand Teton zu erreichen. 
Ihre Freude war groß. Sie konnten fi Jagen, daß fie 
die erften weißen Männer gewefen feien, weldye auf diefen 
Gipfel ihren Fuß gefegt hatten, 

Bom Thale aus gejehen fcheinen die verſchiedenen Gip- 





Dr. Hapyden’s und Langford’s Erpebition nad) den Feljengebirgen. TIL. 


fel des Grand Teton eine gleiche Höhe zu haben, dort oben 
aber zeigt es ſich, daß der Unterfchieb ein ſehr beträchtlicher 
war. Der hödhfte Gipfel ift durch Erofionen von den ans 
deren Pils gefchieden und hat eine umegelmäßige Oberfläche 
von 30 bis 40 Fuß. Er ift frei von Schnee und Eis, 
weil der Wind beide ſtets hinweg fegt. Trog der Sonnen: 
ftrahlen, die aus blauem Himmel famen, mußten die Wan- 
derer ſich doch in ihre Mäntel Hüllen und die Luft war fo 








Der Berg Hayden. 


diinn, daß das Athmen Beſchwerde verurfachte. Oberhalb 
des Schneegüirtel®, den fie in fo gefahrvoller Weife über: 
fchritten, fanden fie mitten zwifchen ben Felstrümmern frische 
Spuren von Ibex americanus, einem Steinbod, dem einzigen 
Thier, das fähig it, diefe hohen Gipfel zu erflimmen, Ueber- 
all, wo der Boden frei von Schnee lag, fproßten Meine, 
lieblich duftende Blumen hervor. Oben auf einem ber be 
nacbarten Berge fanden die Neifenden eine freisrunde Stein- 
ummwallung von etwa 6 Fuß Durchmeſſer. Sie war offen: 


' 


bar einft von Indianern errichtet worden, um Schug gegen 
ben Wind zur erhalten. Mlöglicyerweife ift fie ſchon hundert 
Jahre alt. Für die Reifenden war diefe Entdedung übers 
raſchend, denn hier lag der Beweis vor, daf Indianer, bie 
doch fonft ſich ſo wenig wißbegierig zeigen, doch einmal bie 
Sefahren des Bergfteigens nicht geachtet hatten, um den 
höchſten Punkt der Gegend zu erreichen. Das Panorama 
vom Gipfel des großen Teton war colofial. Gebirgäfette 
nad) Gebirgskette und Thal nad, Thal zogen ſich weit ber 


Ein Hanbmwörterbuch des biblischen Mlterthums, 


den Yellowſtone-See hinaus, die Thäler unten ſchienen eine 
weite fläche zu bilden. Der Abftieg ging gut von Statten; 
in fo beträchtlicher Höhe ift der Zwiſchenraum zwifchen dem 
Untergange der Sonne und der Nacht ſehr furz, aber nad) 
einer Wanderung von 11/, Stunden gelang ed den Berg: 
fleigern wieder im Lager einzutreffen. Die Höhe des Teton 
ift 13,762 Fuß — 4085 Meter. 

Beaver Did und Medare hatten inzwifchen einen Paß 
über die Hauptlette des Gebirges ausfindig zu machen ges 
ſucht. Als foldyen empfahlen fie uns dem Yauf des Mill 
River, von wo man ohne große Anftrengung in das Beden 
des Firehole gelangen lann. Während Did diefen Weg 
ausfindig machte, war inmitten eines Fichtendickichts uns in 
fehr umwilltommener Weife ein mächtiger Bär begegnet. An 
Ausweihen war gar nicht zu denken, aber die Yage im 
hohen Grabe gefährlich, dem wer einen Bären nur auſchießt 
und nicht auf der Stelle töbtet, wird gewiß in feinen Armen 
erdrüdt. Did, ein erfahrener Gebirgemann, erwartete den 
Meifter Martin bis auf ein paar Schritte, gab Feuer und 
die Kugel drang durch den Ruckenwirbel Did war gerettet. In 
dieſen Wäldern ift auch noch das Elen (Moose) häufig, ebenfo 
der prächtige amerifanifche Wapitihirſch, hier Ell genannt. 
Did hatte in diefer Gegend feine Biberfallen geftellt. In einer 
berjelben hatte ein gefangener fid) das Bein in der Falle um: 
und abgedreht, was Übrigens fehr häufig geſchieht. Ein Bad) 
war von den Bauwerken ber Biber derartig gefperrt, daß das 
Waſſer nur an einigen Stellen durchfließen fonnte, Wer 
nie zuvor Viberbauten gefehen hat, if erftaunt, daß dieſe 
fleinen Thiere jo mächtige Bäume zu fällen vermögen. Die 
Betriebfamteit und mecanifche Geſchicklichleit dieſes Ihieres 
ift geradezu wunderbar. Am obern Pellowftone ficht man 
an manchen Punkten Dümme, die aus canadifchen Bappelu 
aufgeführt worden find und zwar fo regelmäßig, als ob fie 
nad) dem Yoih gearbeitet worden wären. In diefer Gegend 
trifft man damm und wann auf eine Pionierwohnung, einen 
Rand. Im einer derfelben lebte von Fiſchſang und Jagd 
ein Engländer, Namens Sawetelle, glüdlid) und zufrieden. 

Ohne weitere Schwierigkeiten gelangten die Neifenden 
in das unferen Leſern ſchon befannte Beden des Firehole, 
wo fie aber auf Schritt und Tritt auf neue Wunder ftichen. 


101 


Sie geftehen, daß es ihnen ein unheimliches Gefühl verur: 
fachte, dieſes ewige Pfeifen der Meinen Genfer zu hören, die 
Dampfwolten emporfteigen zu fehen, die Sclammpulcane 
zu beobachten und fiber eine leicht zerbrechliche Exbrinde hin⸗ 
zugehen, unter der möglicherweiſe Gefahr verborgen fein 
fonnte. Aber ein großer Reiz liegt allerdings in der Be— 
trachtung diefer Naturwunder. Auffallend war es den Reis 
jenden, daß fie am einem voripringenden Felſen plöglich 
ellenlange Buchſtaben eingemeigelt jahen. Sie lafen „Bill 
Hamilton“, Diefer Name ift weit und breit in dem Felſen— 
gebirge befannt. Bill Hamilton ift ein alter Trapper, der 
mit den Imbianern, namentlich mit den Ponnuds und 
Schoſchonis, vortrefflich umzugehen weiß. Jetzt hatte Dr. 
Hayden ihn in Dienft genommen und am andern Tage fand 
die ganze willenfchaftliche Miſſion ſich zuſammen. Dan 
beichloß, den Gipfel des großen Teton fortan als Mount 
Hayden zu bezeichnen, An dem folgenden Tage durdyzog bie 
Partie den obern Theil des Fireholebelens und beobachtete 
noch einmal die Eruptionen der verfchiebenen Genfer. Merk« 
wilrbig war, daß die Niefin, die zwei Jahr vorher ungemein 
thätig geweſen war, jegt längere Zeit vollftändig ruhig blieb, 
dann aber mit einem furdjtbaren Setöfe plötzlich hervorbrad). 
Auf dieſe erfte Eruption folgte dann eine zweite noch viel 
flärfere, die ungemein lange anhielt. Oben auf ber bewal« 
deten Kette, weldye das Thal des Firehole von dem des 
Yellowftone ſcheidet, begegneten den Neifenden zwei Gold+ 
jäger. Sie fanden dort oben auch eine große Anzahl von 
Schwefelquellen und einige Schlammvulcane. Merlwurdig 
erfchien ihnen, daß einer von den legteren, der 1870 in forts 
währender Thätigfeit ſich befand, jest fo gut wie verſchwun— 
den war und ſich durchaus ftill verhielt. Durch Wald: 
geftrlipp und kahle Flächen zogen fie an dem ruhig dahin: 
ftrömenden Yellowftone dahin. Weder im Fluſſe noch in 
der Landſchaft deutete etwas darauf hin, daß die SKataralte 
in der Nähe fein, aber bald nachher drang das merlwürdige 
Geräuſch an ihre Ohr gleich der Brandung des Oceaus. 
Und jo hatten fie nun diefen lächelnden, heiten, hübſchen 
und ammuthigen Sataraft des Pelloroflone erreicht, an dem 
fie ihr Yager aufſchlugen. 


Ein Handwörterbud des biblifhen Alterthums. 


Die Ehaldäer. — Aftarte und ihre Darftellungen. — Amulete. — Jüdische Denkzettel. — Der Berg Carmel. 


Bon dem bereits früher angezeigten („Globus“ XXVIL, 
S.7) Bibellerifon *) find jegt zwei weitere Lieferungen er— 
fchienen , weldye in vollem Maße das günftige Urtheil beftä: 
tigen, weldjes wir bereits über die erſte Yieferung füllten. 
Das Handwörterbud) hat jo vielfache Berührungen mit der 
Bölterkunde, Eulturgefhichte und Alterthumss 
wiſſenſchaft, daß es auch Ethnologen und Geographen ein 
außerordentlich willfommenes Hilfsmittel bei ihren Studien 
fein wird. Wie oft haben wir nicht Gelegenheit, vergleichend 





*) Hanbmörterbuch des biblifchen Alterthums für gebildete Bibel- 
lefer. Herausgegeben unter Mitwirkung von Dr. ©. Baur, Dr. 
Beofchlag, Dr. Fr. Deligfh, Dr. Ebers, Dr. Heräberg, Dr. Kampe 
baufen, Dr. Kleinert, Dr. Diüblau, Dr. Schlottmann, Dr. Schrader, 
Dr. Schürer u. A, von Dr. Eduard Riehm. Mit vielen Illuſtra— 
tionen, Plänen und Karten. Bielefeld und Peipgig. Verlag von 
Belhagen und Klafing 1875. 


auf die Bibel zurüczugehen als einer der älteften und reich— 
ften Quellenſchriften auch auf den in Rede ftehenden Gebie— 
ten und wie ſchwer iſt es hier ohme Führer gleich ſich zurecht 
zu finden. In Form und Darftellung, in Inhalt und Auss 
ſchmlckung gleich, meifterhaft ift uns aber das angezeigte Werk 
ein folder Führer und namentlich möchten wir die von Prof. 
Eberhard Schrader herrührenden Artikel als geradezu mufters 
gültig hervorheben. Wir wüßten z. B. nicht wie unter anderen 
„Afſyrien“ in Inapper Form beffer behandelt werden Fönnte, 
als gerade hier. Anſchließend daran erläutert derjelbe Autor 
die Bezeichnung Chaldäer, iiber welche bekanntlich verfchies 
dene verwirrende Anfichten herrichen. 

„Shaldäer heißen feit Aufrichtung des neubabylonifchen 
Neiches unter Nabopolaffar und Nebucadnegar die Bewohner 
Babyloniens und die Angehörigen des babylonifchen Neiches, 


‚ und ber Berfaffer des Buchs Daniel redet von einem „Reiche 


102 


ber Chaldäer“, wie andererfeits Babylonien geradezu als „Yand 
der Chaldäer* bezeichnet wird. Mit diefem altteftamentlichen 
Spradjgebrauche ftinnmen fowohl der Grieche Strabo, weldyer 
die von den Chaldäern bewohnte Yandihaft VBabylonien an 
die Araber und das Perſiſche Meer grenzen läßt, als auch 
die Monumente, welche „die Chaldäer“ einerſeits den (weft: 
lichen) Syrern gegenliberſtellen, audererſeits ihr Land (füdlich) 
„bis ans Meer“ reichen laſſen. Mit dem mit den Kurden 
und Karduchen verwandten armenischen Bergvolfe der Chal 
däer, welche nach Strabo früher Chalyber hiefen, haben die 
babylonifchen nichts zu thun. Während die armeniſchen 
Chaldäer arifchen, alfo indogermanifchen Urfprungs, find die 
babylonischen, wie ihre Yiteraturproducte an die Hand geben, 
Semiten. Dabei ift zu bemerken, daß der Name der Kaldi, 
d. i. der Chaldäer, in den Juſchriften fid) bis 900 rückwärts 
verfolgen läßt. Es leidet aber feinen Zweifel, daß er weit 
älter ift und insbeſondere Bezeichnung der in Sud-Sinear, 
d. i. in der balylonifchen Landſchaft im engern Einne, woher 
nenden Semiten war, während die ältere Bevölkerung diefer 
Gegenden den Namen Accad, Accadier, führte. Wenn in 
der fpäteren Zeit, ſchon im Buche Daniel, dann auch bei Cur— 
tius und wiederum bei Strabo und Diodor mit dem Namen 
Chaldäer bald eine einzelne Claſſe babyloniſcher Weifen, bald 
die ganze Selehrienfafte Babyloniens bezeidinet wird, fo ift 
diefes eine lediglich mißbräudjliche, auf den Umſtand, daß 
Babylon» Chaldäa der Ei der Aftronomie und Aftrologie 
des Orients war, gegründete Beſchränkung des Begriffes des 
Namens, welde in thatfäcjlichen Berhältnifien des alten Bas 
bylon zur Zeit des Beftandes des chaldaiſchen Neiches feinen 
Grund hat. Daffelbe gilt von der durch Hieronymus aufe 
gebrachten Bezeichnung der aramäiſchen Sprache (weſtlichen 
Zweiges), im welcher einige Abfchnitte der Bucher Daniel 
und Cara gejchrieben find, als der „haldäifchen* Sprache. 
Die Chaldäer Vabyloniens ſprachen niemals aramdiſch.“ 
Auch von Prof. Schlottmann in Halle finden wir 
einige anfpredjende und von tiefer Gelehrſamkeit zeugende Ar- 
titel. Er nimmt an, daß Aftarte und Aſchera eine und 
diefelbe Göttin jeien, während dieſes befanntlich von vielen 
anderen Gelehrten, darunter Movers, geleugnet wird. Wie 
Baal iſt Aftarte eine vichförmige Gottheit und wird daher 
von den Alten bald als Hera, oder Artemis, oder Athene, 
bald als Aphrodite, mitunter aud) als Selene bezeichnet. 
Auch, die legtere Auffaflung, die als Mondgöttin, war richtig, 
nur daß darin freilich eben fo wenig ihr ganzes Wefen ers 
ſchöpft wurde, als das des Baal darin, Sonnengott zu fein. 
Vielmehr ift es die Naturgottheit im weiteften Sinne, die als 
Baal das active, zeugende, als Ajtarte das receptive, empfan⸗ 
gende, gebärende Princip ift und als mannweibliche Gottheit 
wieder in Eind zufammengefaßt wird. Chen das Berhältniß 
jener beiden Principien aber wurde wahrſcheinlich ſchon mit 
den Anfängen des Heidenthums in dem des Mondes zur 
Sonne angefhaut, Der Anblid ihrer geheimmißvollen Be: 
wegung und Einwirkung auf das Naturleben hatte für jene 
Geſchlechter etwas zur Anbetung Verlodendes. Als Monde 
göttin wurde fie nad) Deremias befonders von abgöttifchen 
Weibern verehrt, Sie wurde als ſolche gehörnt vorgeftellt, 
wie Philo von Byblos erwähnt und wie die Abbildungen auf 
Münzen zeigen. Daher ihr Name Aſchteroth karnaim (— die 
Aftarte mit den beiden Hörnern). Da die ihr zu Ehren fo 
benannte Stadt Aſtaroth ſchon zur Zeit Abraham's vorfommt 
(1. Mof. 14, 5), ergiebt fich das hohe Alterthum diefer Ans 
ſchauung. Daneben war ihr der Morgenftern (die Venus) 
geweiht. Und fo ift denn überhaupt wahrſcheinlich, daß der 
Sterns, inäbefondere der Planetencultus, ſchon im höchſten 


Altertum mit dem des Baal und der Aftarte verbunden war. | 


Der Name der Aftarte findet fi als Iſtar auf affyrifchen, 


Ein Handwörterbuch des biblischen Alterthums. 


als Athtar auf himjaritifchen Denkmälern. Bei den PBhö- 
niziern lautete der Name Afchtart, im Alten Teftament Aſch- 
toreth. Die Wurzel ift die im Semitifchen weitverbreitete 
aſchar. Der Name der Göttin bedeutet wahrfcheinlic „Ver: 
einigung*, mit Beziehung fowohl auf die Zeugung als auf 
die das ganze Weltall zufammenbindende Macht. 

Was die bildliche Darftellung der Aftarte in Menfchen: 
geftalt betrifft, ſo giebt darüber das Alte Teftament feine 
Auskunft. Jedenfalls prägte ſich aber die doppelte Seite 
des Weſens der Göttin auch in den alten cananitiſchen Götzen⸗ 
bildern aus. Die Seite der Wolluft ftellte fich in dem nad: 
ten Gögenbilde dar, das die Griechen von den Phönigiern 
befonders auf Cypern empfingen und in ihrer Aphrodite idea- 
lifivten. Die entſprechenden Götzenbilder im Yande Canaan 
felbft waren wohl von berjelben Plumpheit und obfcönen 
Nohheit, wie fie in dem neuerlich gefundenen moabitifchen 
Thonfiguren wahrhaft widerwärtig und entgegentritt *). Wir 





Woabitiiche Aftarte, nad 
einer Jeihnung Duisberg's, 


Baaltis, nad) Yayard, 


geben hierbei nur den Kopf einer folhen Figur, deren Ori— 
ginal ſich jest in Berlin befindet, Auf dem Stirnbande 
trägt fie die Worte E] 'ummath, wahrſcheinlich einer der vier 
len Namen der oberften cananitifchen Göttin, welcher „Gottheit 
der Bereinigung“ bedeuten ann (ZDMG. XXVI, 416). Dar: 
unter ftehe zur Bergleihung das Bild des entjprechenden afly- 
rischen Typus, der Baaltis oder Beltis. — Die andere ernfte 
und ftrenge Geftalt der Aftarte, welche die Griechen als Hera, 
Artemis und Athene auffagten, ift in Aſſyrien die Iftar, von 
der wir eine Abbildung geben. Der Yöne, auf dem fie fteht, 
bezeichnet die wilden von ihr gebändigten Mächte der Natur. 
Ganz analog der aſſhyriſchen Abbildung findet ſich diefelbe 
‘Anäth mit beigefügtem Namen auf einer phönigifchen Münze, 
von der wir eine Zeichnung geben, Auch bier wie bort 
hat fie ihren Stern neben ſich; außerdem das Henfelfrenz. 
Sie figt auf einem Löwen. Wir entnehmen bie Zeichnung 
aus Vogus melanges d’archöologie p. 47. Die Riüds 
feite ftellt den Baal vor, 

Das Tragen von Amuleten geht noch heute durch die 
ganze civilifirte und uncivilifirte Welt. Bei unferen Sol: 
daten hat man im legten Kriege noch zahlreiche geichriebene 
und gedruckte Amulete gefunden, die — in Lederlapſeln 
getragen wurden. Nameutlich wurde in Bayern ein ganz 
ergiebiger Handel mit ſolchen ſtich- und Fugelfeft machenden 
Amuleten getrieben. Als Mungo Part vom Gambia nad) 
dem Niger aufbrach, beſchäftigte er fid, damit feinen Negern 


) Mir müffen aufrichtig gefteben, daß wir verwundert find noch 
Brof. Schlottmann vie Echtheit dieſet moabitiſchen Figur anneb- 
men zu feben! Mach dem, was Ganneau daruber veröffentlicht bat, 
‚ glauben wir wenigſtens nicht mehr an tie Echtbeit ber jegt in Berlin 
\ befinplichen Schapira'ichen Funte aus dem Oftjorbanlande. u. 


Fin Handmwörterbuc des bibliichen Alterthums. 


Grigris, Amulete, zu jchreiben, welche in Peberfapfeln an 
Kopf und Bruft getragen wırrden — und fo überall. Auch 
dem biblifhen Alterthum 
find diefe Amulete nicht 
fremd, fie haben ſich erhal: 
ten bei den orthodoren Ju⸗ 
den bis heute und kommen 
in der Luther'ſchen Bibel 
überfegung als „Denk⸗ 
zettel“* vor, Profeſſor De— 
litzſch belehrt uns über dies 
jelben folgendermaßen. Der 
fein Morgen» und Abend» 
gebet verrichtende Israelit 
windet erft um den linfen 
Arm, dann um den Kopf 
einen Riemen, welche beide 
durch die Schlinge am Bos 
den einer Lederkapſel gezo⸗ 
gen find, fo daß die eine 
Yederfapfel gegenüber dem 
I Herzen, die andere unterhalb 
Re des Kopfhaares zwifchen den 

Augenbrauen anzuliegen 
fommt; die am Kopfe be- 
feftigte iſt vierzöllig nnd 
enthält auf vier Pergament- 
ftreifen die Geſetzesſtellen 2. Mof. 13, 1 bie 10. 11 bis 16. 
5. Moſ. 6, 4 bis 9. 11, 13 bis 21, die am linken Arm 
nad dem Herzen hin befeftigte enthält im ihrem ungetheilten 
Hohlraum eben dieje vier Sejegesftellen auf nur einem Pers 
gamentblatt. Dieſe Behälter nebit ihren Riemen heißen als 
Gebetsapparat Tefillin. Die Sitte gründet fih auf 2. Mof. 








13, 9. 16. 5. Mof. 6, 8. 11. 18, indem das dort geiftig 
Gemeinte nad) Analogie des Zuzuthe (Schaufäden-) Gebots 
in finnliche Wirklichkeit umgefetst wurde, und giebt fic für eine 
urmoſaiſche Ueberlieferung aus, obwohl es nicht möglich ift, 
den Bejtand diefer Sitte weiter als bis in das legte vorchriſt 
liche Jahrhundert zurliczuverfolgen. Als ein Stüd ftolzer 
ſich ſelbſt jchauftellender Frömmigkeit wird Matth. 23, 5 an 
den Pharifüern gerügt, daß fie ihre Dentzettel breit machen, 


103 


d. h. Tefillinfapfeln von ungewöhnlichem Umfang tragen. 
Das dort gebrauchte griechiſche Wort phylakteria bezeichnet 
die Tefillin als Schuemittel, denn man trug fie auch außer: 
halb der Gebetszeiten ald Kamsen. Luther hätte aud) „Dent» 
riemen“ überjegen fönnen, aber jofern man unter den „Denk⸗ 
zetteln“ die befchriebenen Bergamentröllhen nebft ihren 
Behältern verfteht, ift „Dentzettel* bezeichnender als „Dent- 
riemen“; denn die Hauptſache an den Tefillin find nid)t die 
Riemen, fondern die „Käufer“, d. i. Kapſeln. Der Riemen 
der Kopftefilla wird hinten jo zufammengefnotet, daß dieſe 
je nad) der Größe des Kopfes feftjigt; die Enden des Nies 
mens werden über die Schultern geſchlagen, jo daß fie auf 





\ Ay e . 
Dentzettel I. 





Dentzetiel II. 


die Bruft herabhangen. Der ganze Apparat trägt den Stem- 
pel des Gottesnamens Scaddaj (dev Allmächtige): die Kap- 
ſel der Kopfstefilla hat an einer Seite ein vierzadiges, an 
ber andern eim dreizackiges Schin, der Knoten der Kopf— 
tefilla ift jo gefchlungen, daß man von allen Seiten aus die 
Form des Daleth herausfindet, und der Knoten der Hand- 
tefilla endet in einem Heinen Knoten, der die Form eines 
J nachahmt. Anfertigung und Gebrauch der Tefillin find 
im Talmub und im dem ritwaliftifchen Werfen mit mikrolo— 
giſcher Peinlichfeit geregelt. Man küht fie beim An- und 
Ablegen. Gott felbft trägt nad) talmudiſcher Vorſtellung 
Tefillins. 

Um auch eine Probe der geographiſchen Artikel des Hand⸗ 
worterbuchs zu geben, fligen wir ſchließlich bei was über den 
Berg Carmel gejagt iſt. 

Der Carmel war einft die Südgrenze des Stammgebiets 
Aſſer gegen Manaffe hin und im Welten dem Gebiet Sebu⸗ 


104 


lons vorgelagert, jpäter zu Galiläa, zur Zeit des Joſephus 
aber zum tyriſchen Gebiet gehörig; er trägt mit Recht feinen 
Namen (— Baumgarten). Denn nod) heute ift er ein jchör 
ner mit Fichten und Steinerchen reichbewalbeter, unten auch 
im Schmuck der Oele, Wallnuß- und Yorbeerbäume prangen« 
ber Berg, mit grasreichen Triften umd in den unteren Thei- 
len mit berrlidyen Kräutern und Blumen mannigjaltigfter 
Art geſchmückt. So gilt er denn auch bei den Dichtern und 
Propheten des Alten Bundes als em Bild der Schönheit. 
Er hängt mit dem norbweftlichen Theil des Hitgellandes 





Allerlei Zuſtände im Reiche des Schah von Perſien. 11. 


von Samaria durch eine Kette niedriger Hügel zufammen, 
weldye bie Ebene Yesreel von der Ebene Saron ſcheidet, und 
über weldye die Hanptitrafe von Damastus her aus jener 
Ebene nad Aegypten zu führt. 2°/, Stunden lang erftredt er 
fich in der Richtung von Südoſten nad; Nordweſten, indem 
er zufegt 3 Meilen füdlich von Acco als Borgebirge ins 
Meer vorfpringt. Zu Hiftorischer Bedeutung ift der Berg 
durch den Propheten Elias gelangt, weldyer Jchova darauf 
einen Altar errichtet hat, ben Altar, auf welchen das Brand- 
opfer geopfert worben, das vom euer des Heren verzehrt 


Der Garmel. 


wurde (1. Kön. 18, 32 ff.), mas zur Hinfchlachtung einer 
großen Anzahl von Baalsprieftern geführt hat. Auf dem 
nordweſtlichen Ende bes Carmel oder dem prächtigen, wenig: 
ftens 500 Fuß über das Meer emporragenden Borgebirge 
defjelben (die Höhe des höchſten Punktes des Bergs, in der 
Nähe des Orts Esfia, wird zu 1800 Fuß angegeben) ftcht 
das berühmte dem Elias gewidmete Carmeliterflofter, in wel⸗ 
chem das höchſt aromatische Carmeliterwaſſer bereitet wird. 
In der Kirche dieſes Kloſters wird hinter dem Altar „die 
Grotte des Elias“ gezeigt. Eine andere Eliasgrotte befindet 
fich am Fuße des Berge, in der Nähe des Meeres, wie denn 


überhaupt eine große Menge von Höhlen an den Abhängen 
fich finden. Die Ausficht, weld;e man von der Terraffe des 
Klofterd aus nach dem nordwärts hinziehenden Geſtade gegen 
Alla hin genießt, ift eine großartige. — Auch ber Prophet 
Elifa hat ſich auf dem Carmel aufgehalten, wo ihn die Su— 
namitin aufſuchte (2. Kön. 2, 25. 4, 25), In heibnifcher 
Zeit war der Garmel der Sit; eines Orakels geweſen. Nach 
Sueton hat Beapafian anf dem Berg Opfer dargebracht, 
wobei ihm die Priefter prophezeiet haben, daß er Kaifer wer: 
den wiirde. Nach Tacitus ward hier die Gottheit ohne Wild 
und Tempel, mit einem bloßen Altar als Heiligthum, verehrt. 


Allerlei Zuftände im Neiche des Schah von PBerfien. : 


II. 


Betrug und Beftehung find tief bei den Perfern ein- 
gewurzelt, und hierin liegt der eigentliche "Grumd, weshalb 
fein nützliches Unternehmen gelingt. Es ift ein Slaubend- 
artifel, dag Petrügen, Yiigen und Beftechen erlaubt, ja ein 
verdienftvolles Werk ſei. Deder Diener lehnt cinen regel 
mäßigen Lohn ab, und zieht die Gelegenheit vor, feinen 
Herrn täglicd um zehn oder mehr Koͤrans zu betrügen. 
Selbſt einen Yohn von 30 Koͤrans monatlich wird er zurüid- 
weifen, wenn er die Möglichkeit zum Betrügen behält. Seht 


das nicht art, dann bittet er um einen Badſchiſch (Gefchenf), 
und er ift ärgerlich, falls man ihm fold ein Trinfgeld ver 
weigert, Wenn man auf der Straße Jemanden anredet, 
etwa nach den Wege fragt, jo will er für feine Antwort 
bezahlt fein. ch lann verfichern, daß dies ohne Ausnahme 
der Fall ift; hier ein Beifpiel: Ein Hauptmann erhält den 
Auftrag, in einem beftimmten Bezirf eine Compagnie Sol: 
daten auszuheben. Der Eintritt in ben Dienft ſoll angeb⸗ 
lich ein freiwilliger fein, Der Dann beginnt nun fein Ges 


Allerlei Zuftände im Reiche des Schah von Perfien. II. 105 


Ihäft damit, daß er die Kaufleute, Händler und andere 
wohlhabende Leute zufammenruft. Er fordert fie im Namen 
des Schaf auf, ald Soldaten Dienft zu nehmen. Sie eh» 
nen felbjtverftändlich den Eintritt ab, worauf ihnen der Haupt: 
mann ertwiedert: „Zehn Tomans miüffen für jeden Solda— 
ten gezahlt werben, welcher wünſcht von dem Dienft frei zu 
bleiben. Jeder gebe daher die zehm Tomans oder ich muß 
alle im die Lifte eintragen.“ 


Sie zahlen das Gelb und er giebt fie frei. 


Hierauf läßt er die weniger Bemittelten vorfordern, und 
erpreßt in gleicher Weife von jedem fünf Tomans. Go 
wird das Geſchäft fortgefegt, umb endet erft, wenn er von 
Jedem, der geben Tann, wenigftens einige ſtͤrans erhalten 
hat. Das arme Volt, weldes nicht zahlen kann, wird ger 
zwungen in ben Dienft zu treten. Aus ihm allein wird die 
Compagnie gebildet. Der Capitän hat feine Tafchen gefüllt 
und ehrt zurlic. Der Major feines Regimentes fragt ihn 
privatim, wie viel Geld er gemacht habe. Der Gapitän 
ſchwört bei allem, was heilig ift, das Bolf in dem Diftrict 
fei ganz arm und die Soldaten feien freiwillig eingetreten. 
Der Major lacht und fagt ihm mit ernfter Miene, daß auch 
er einft Capitän gewejen fer und eine Compagnie ausge: 
hoben habe, fomit wiſſe wie gewinnreich das Gefchäft fei. 
Mit einem Wort , er glaubt ber Berficherung des Capitäns 
nicht, und bedroht ihn mit allem Möglichen, wenn er nicht 
die Wahrheit fage. Der Capitän, welcher nicht die volle 
Wahrheit geftehen mag, antwortet: „Ich Habe im Ganzen 
50 Tomand mitgebracht.“ Durch dieſes Zugeſtändniß ift 
der Major in keiner Weiſe befriedigt; er wird heftig und 
ſchwört, daß er, wenn ihm nicht wenigftens 200 Tomans 
ald der ihm geblihrende Antheil gezahlt werden, den Capitän 
fefihalten werde. Der Schluß ift: er befommt feine 200 
Tomans und der Gapitän ift froh, mit diefem geringen 
Opfer die Sache erledigt zu Haben. Nun läßt der Oberft 
den Major rufen. Nachdem bie üblichen Artigfeiten und 
Schmeicheleien ausgetaufcht find, fragt der Oberft den Ma— 
jor, wie viel er von dem Capitän, mweldyer die Compagnie 
auögehoben, erhalten habe? Der Major erwidert mit betrüb- 
tem Geſicht, es fei bei dem Geſchäft nicht viel gewonnen 
worden. Cs habe ihm ſchon große Schwierigleit gemacht, 
von dem Capitän 20 Tomans zu erhalten, Der alte Oberft 
wird verftimmt. Gr ift auch einft Gapitän genden, und 
hat eine Compagnie ausgehoben. Er läßt den Kapitän kom⸗ 
men und befragt ihn. Da es fich um fein eigenes Intereffe 
handelt, jo fagt diefer zum erflen Male in feinem Leben die 
Bahrheit: „Ic habe dem Major 200 Tomand gegeben,“ 
Der Major und der Capitän werden confrontirt; der Major 
verbleibt bei feiner Behauptung und ſchilt den Capitän einen 
Lugner. Die beiden Offiziere gerathen in einen leichten 
Streit, im welchem jeder dem Andern der Pige bejchulbigt. 
Der Oberft, welcher aus „eigener Erfahrung weiß, daß e# 
unmöglich ift die Wahrheit zu ermitteln, erflärt ſchließlich, 
daß, wenn ber Major 50 Tomans zahle, die Sache abgemadht fei. 
Aus Hochachtung gegen den Oberften zieht diefer 50 Tomans 
aus feiner Taſche hervor, di®er ſchon vorher in Vorausſicht 
defien, was fommen werde, zu fich geftedt hatte. Hiermit 
aber ift die Angelegenheit J. nicht zu Ende. Oberſt 
muß den General, der General den Höchſtcrommandirenden 
befriedigen. Bei jeder Verhandlung wird gelogen, geſchwo⸗ 
ven und geſcholten. Immer wenn ein Capitän eine Com» 
pagnie auszuheben hat, wird im gleicher Weife dafjelbe Stüd 
übgefpielt. Stets behält der Capitän mehr als der Major, 
biefer mehr als der Oberft und fo weiter fort, man muß 
aber in Betracht ziehen, daß der Gapitän nur ein Dial Ge« 
winn macht, während die höheren Offiziere bei jeder von den 

Globus KXVIN. Nr. 7. 


ihnen untergeordneten Dffizieren ausgeführten Aushebung 
ihren Antheil befommen. 

Nicht bloß auf einzelne Theile der Verwaltung, aud) 
nicht auf einzelne Erwerbszweige ift der Betrug und die Be— 
ſtechung befchränft. All und Seder hat zu leiden aber Jeder 
* den Andern. Hier nur eine Thatſache. Der Arme— 
nier Schangir Chan ſtand als General im Dienſt und in 
der Gunſt des Schah. Ihm wurde die Verwaltung des 
Arſenals anvertraut. Er war ein thatfräftiger Mann und 
machte den Vorſchlag, Maſchinen aufzuftellen, eine Spinner 
rei, eine Buchdruckerei und ähnliche Werke einzurichten. Der 
Schah gab feine Zuftimmung. Die Mafdinen und Wert: 
zeuge wurden in Europa beftellt, ein großes Fabrikgebäude 
im euvopäifchen Stil errichtet, die Mafchinen aufgeftellt und 
die Arbeit beginnt. Obgleich die Gegenftände, welche die 
Vabrif lieferte, von geringer Beichaffenheit waren, jo beredj- 
neten ſich die Productiondfoften doch doppelt fo hoch, als der 
Preis, für welden man fie aus Europa beziehen konnte, 
Der Grund war: Alle ohne Ausnahme von dem höchſten 
Beamten bis zu dem unterften Arbeiter hinab betrogen den 
Schah. Es ift nicht möthig anzugeben, im weldyer Weife 
der Betrug anögeführt wurde, es genligt mitzutheilen, daß 
der Schah als er einen Einblid in die Dinge bekam, fehr 
zornig wurde. Er befahl, die Mafchinen in einem dem 
Staate gehörigen Gebäude aufzuftellen und die Vorräthe 
dorthin zu ſchaffen. Die Leute aber, welde mit diefem Ge— 
ſchüft beauftragt waren, hatten von dem Maſchinenweſen 
nicht die allergeringfte Kenntniß. Sie verftanden es nicht 
die Maſchinen auseinanderzunehmen. Dan zerichlug fie 
einfach mit einem ſchweren Hammer und brachte fie in 
Stüden zur Stadt. Der General, welcher das Arjenal uns 
ter feiner Verwaltung gehabt hatte, wurde nun feines Dien- 
ftes entlaffen. Der Schah befahl weiter, daß derſelbe die 
fänmtlichen Koften und den ganzen Werth der zerftörten 
Maſchinen und aller Geräthichaften, welche angeſchafft wor» 
den wären, erfegen, ihm aber das gefammte Material belaj- 
fen werben folle. Der Unglückliche verkauft jet diefes als 
altes Eifen. Die Summe, welche er zahlen fol, ift enorm. 
Fur die Spinnmaſchinen allein beträgt fie gegen eine halbe 
Million Thaler, Die Bucdruderpreffe ift nicht zerſtört 
worben. 

Bon jest ab foll ohne die ausdrückliche Genehmigung des 
Schah nichts mehr für das Arfenal angelauft werden, und 
diefe Genehmigung wird nur fir das abſolut Nothwendige 
und dann aud) nur mad) genauefter Prüfung ertheilt. 

Diefelben Schwierigkeiten, die der Schah bei der Ver— 
waltung bes Arfenals gefunden hat, ftellen ſich ihm auch bei 
der Beſchaffung der Kcibun für die Soldaten entgegen. 
Der Intendant betrligt den Staat dadurch, daß er Stoffe 
geringerer Gilte anlauft, aber den Preis für werthVolleres 
Material in Rechnung bringt, Alle feine Beamten laſſen 
ſich von den Kaufleuten, mit denen fie in Handel treten, 
Commiffionsgebühren zahlen; dev Thorwächter verlangt ein 
Gejchent, ehe er das Thor öffnet, ebenſo der Diener , che 
er den Kaufmann bei feinem Heren einführt, überhaupt muß 
jeder, welcher irgend bei den Berhandlungen, wenn aud) 
nur in ganz untergeorbneter Weife, mitzuwirlen hat, etwas 
verdienen, ſoll das Geſchäft Überhaupt zum Abſchluß lommen. 
Dei Ausführung bdeffelben ſucht nun wiederum der Tud)- 
händler, der Zufcneider, der Kleidermacher ıc. feinen Schnitt 
zu machen — immer auf Koften des Staats; der arme Sol 
dat dagegen belommt kaum das Nöthigfte und Alles was 
er erhält von geringer Beſchaffenheit. Häufig muß er ftatt 
neuer Uniformen alte abgetragene nehmen. 

Es ift daher fein Wunder, wenn der Menſch, welcher zu 

14 


106 


ſchlecht gelohnt und zu ſchlecht gefleidet wird, vaubt und 
ſtiehlt. Er thut es, weil er muß, und tut es, wo er irgend 
Gelegenheit findet. Immer gefchieht es auf Koften der Land: 


David Brauns: Streifzüge im füdlihen Nortvegen, V. 


bevölferung, die unter diefem Drud furchtbar leidet. Deſſen 
—— iſt es erſichtlich, daß ſich die Zuftände allmälig 
ern. 


Streifzüge im ſüdlichen Norwegen. 
Von Dr. David Brauns, 


Yn Stavanger. 


Stavanger ift eine wohlhabende Handelöftadt von 
15,000 bi8 20,000 Einwohnern, weit ältern Datums 
als Chriftianfand; fie muß ſchon im elften Jahrhundert 
eriftirt und einige Bedeutung gehabt haben. Sie liegt auf 
einem weit nad) Weiten ſich dehmenden abgeflachten Bor: 
fprunge der Küfte zwifchen niedrigen Holmen. Das Ger 
ftein, auf dem fie ruht, ift fast durchweg ein fchöner grimer 
Chloritfchiefer, der von ſchwarzem Glimmerſchiefer und Gneis 
umgrenzt iſt. Die Meeresproducte find faft die nänmlichen, 
wie in Chriſtianſand; doch überwogen Hier noch mehr bie 
dorfchartigen Fiſche. Neben den ſchon genannten ift nament ⸗ 
lid) der Sei (Gadus virens L.) zu nennen, der am ber 
ganzen Weftfüfte eine große Rolle ſpielt. Die Brut diefes 
wie anderer Fifche derfelben Familie ift unter dem Namen 
Mort ein beliebtes Nahrungsmittel der Nermeren; fie wird 
bis in den Hafen in großer Zahl gefangen. Neben dem 
Lachs conftatirten wir hier die Seeforelle oder Sö-örret 
(Trutta trutta L.), welche Heiner ift, aber ganz die Lebens- 
gewohnheiteır des Lachjes zu theilen ſcheint. Die Aufter ift 
nicht felten; von fonftigen Seeproducten fiel mir die islän- 
difche Benusmufchel auf (Cyprina islandica L.), die übri- 
gens, da fie vom hohen Norden bis zur Oftjee reicht, gerade 
an der norwegifchen Weftüfte den Mittelpunkt ihrer Ber: 
breitung zu haben ſcheint. Sonftige Muſchelarten, Aftar: 
ten u. f. w, haben ſchon wegen ihrer geringern Größe 
feine praftifche Bedeutung. 

Die Witterungsverhältnifie find in Stavanger benen un- 
ferer Nordfeeküiften analog, während fie öſtlich fich denen des 
baltifchen Bedens nähern. Der Seewind, der in Stavan- 
ger Negen bringt, ift im Sätersdal oft ſchon vegenfrei. Im 
Zufanmenhange damit ficht, daß. die öftlicheren Gegenden 
öfter fchon einen tiefern Farbenhauch zeigen, die Weftfüfte 
dagegen vorwiegend Töne von geringer Intenfität hat, Die 
Lichter find oft eigenthumlich ſchwefelgelb, was den diabo- 
liſchen Charakter wilder Felspartien noch erhöht, die Schat- 
ten hellgran, die Ferne ift matt; die Yocaltöne, das faftige 
Grün des Rafens, dev bunte Anftrid) der Häuſer, die ſchwärz⸗ 
lichen Helfen, die dunfelgrline See, erfcheinen in der Nähe 
um fo greller und unvermittelt. Fir Manche fcheint hierin 
ein befonderer Reiz zu liegen; doch möchte ich denſelben 
mehr der Neuheit zufchreiben, als diefen Farbenmangel wahr: 
haft ſchön nennen. 

Der Golfftrom berührt Stavanger weit weniger als das 
nörblichere Bergen. Die Ebbe und Fluth ift mur fehr ger 
ring; viele Einwohner behaupteten, fie fei hier wie dies im 
Ehriftianfand im der That der Fall, gleich, Null, doch bewei« 
fen die Strömungen zwiſchen den Holmen der Außenlüſte, 
daß fie jedenfalls micht ganz fehlt. . 

Die Stadt Stavanger, welche Rhederei, Fiſchfang, Han- 


bel nad) dem Süden u. f. m. treibt, hat eine der wenigen 
alten Steinkirchen in Norwegen, bie mwohlerhaltene Dom: 
27 Schon im Jahre 1128 wurde der Bau derſelben 
durch den Biſchof Reinald, einen Engländer, im edelſten 
engliſch⸗romaniſchen Stile — in der Weiſe von Wincheſter, 
Stoneleigh — mit engliſchen Werlleuten begonnen und dem 
Sanet Svithun, der 837 bis 862 in Wincheſter Biſchof 
war, geweiht. Nach den Urkunden ſcheint der Bau 1175 
vollendet gewefen zu fein; in dieſem Jahre fand eine neue 
Schenkung durch den König Magnus Erlingsfön ftatt, die 
dem Anfceine nad) die Parteiftelung des Bisthums gegen 
die „Birkenbeine* entſchied. Wenigftens fehen wir aud) 
nad) der Erhebung bes König Sperre, des Birkenbeinfönige, 
bem es gelang, eine neue Diynaftie zu gründen, die Stadt 
und Kirche Stavanger mehrmald — 1205 und 1207 — 
als Schauplag erfolgreicher Ueberfälle der „Bagler“, der 
Krummftäbler oder Biihöflichen, gegen Verwandte bes 
Kong Sperre. Im Jahre 1250 beftätigte jedoch König 
Halon Halonsjön, der Alte genannt, bie Schenfung an ben 
ihm befreundeten Biſchof Astells, Belanntlich bahnte die 
längere Regierung diefes Königs vuhigere Zuftände in 
Norwegen an. Im Jahre 1272 wurde indefien die Stadt 
und Kirche von Stavanger von einem großen Brande heim: 
gefucht, und ift in den Jahren 1272 bis 1290 ein Theil 
des Domes ganz neu und zwar im gothifchem Stile aufs 
geführt, nachdem 1275 und 1287 durch Ablaßverſprechun- 
gen u. ſ. w. die erforderlichen Gheldfpenben eingetrieben waren. 
Der ältere Theil, der weftliche, ift jedoch) immer noch der größere, 

Die Gegend um die Kirche und um den an der Vaage 
befegenen Martt — mit verziertem Brunnen — it die 
freundlichfte der Stadt, mit Oartenanlagen, theilweife mit 
großen ſchönen Bäumen verfehen; am Marlte ſah ich einige 
maffive Häufer, während deren Mehrzahl nad) norwegifcher 
Art aus Holz mit Bretterverſchalung aufgeführt ift. 

Als zweite Merkwürdigkeit der Stabt nahen wir Herrn 
Hanfon’s Anſtalt file Lünftliche Fiſchzucht in Augenſchein. 
Obwohl aus rohen Steinen erbaut, bietet das Wohnhaus 
body im Innern das nämliche Bild der Behaglichkeit bar, 
das man im Norden für ein Monopol ber Holzhäufer an— 
zufehen pflegt. Allerdings ward diejer comfortable Eindrud 
ſehr durch die fchönen gefchnigten Möbel, meift aus ber 
Nenaiffancezeit und in gutem Gefchmade, und durch andere 
Alterthlimer und Dierfwürdigfeiten des Yandes, die hier auf- 
geftellt waren, erhöht. Die Fildgüchtungsanftalt ift mufterhaft. 
Das reinfte, kälteſte Bergwafler flieht durch die Brutfäften, 
in denen der Laich ſich entwidelt, über reinen Sand dahin; 
bie Ernährung der lachsartigen Fiſche gefchieht von Anfang 
an mittelft gelochten und fein gehadten Fleiſches; Herr Han⸗ 
fon wiberlegte ausdrüdlich die Angabe mandjer Fifchzlichter, 


David Brauns: Streifzüge im füdlichen Norwegen. V. 


daß die Forelle in früheſter Jugend ſich nicht Minftlich er— 
nähren lafje oder doch ausſchließlich der Infectennahrung be» 
dikrfe. Die Teiche waren ſehr einfach angelegt, mit einzel 
nen Baflerpflanzen, deren Blätter Schatten geben — Nym- 
phäen, Nuphar, Froſchbiß — beftanden und der Reinlichkeit 
halber mit Filtterungabrettern, einige Fuß unter der Wafler- 
oberflähe, verfehen, damit man etwa zu ftart angehäufte 
Kefte von Fleiſch bequem entfernen kann. Im diefen Tei— 
chen erlangt die Bachforelle in vier Jahren ein Gewicht 
von 8 bis 9 Mark norwegifch ober über 4 Pfund, Ver— 
fuchöweife zuchtet Here Hanfon Baftarde vom Salmling 
(Salmo alpinus L.) und der Badhforelle, welche befonbers 
ſchwachaft find, ſich nicht fortpflanzen — unter 300 Stüd 
fand man ein fortpflanzungsfähiges — und in vier Jahren 
ein Gewicht von 12 Mark oder 6 Pfund erreichen. Die 
norwegische Regierung unterftügt Herrn Hanfon, der dage⸗ 
gen jedem Norweger feine Refultate mitzutheilen und In. 
leitung zu geben hat; doc) ift, fo wltnfchendwerth dies immer» 
hin bei ber jegt ſchon merkbaren Abnahme der Suüßwaſſerfiſche 
wäre, noch fein wirklich —— Reſultat im Großen 
erzielt worden. Herr Hanſon beklagte ebenſo, und gewiß 
mit Recht, daß feine umfaſſenden, auf wiſſenſchaftlicher Baſis 
beruhenden Berfuche der Aufterzlüchtung , für welche ſich die 
Südweftküfte Norwegens feiner Anficht nach vorzüglich eig · 
net, noch keinen Anflang gefunden hätten. 

In dem behaglichen Gafıkaufe der Jomfrue Jesperſen 
erholten wir uns raſch von den Strapazen der Reife. Dies 
ſes Haus wird faft ausfchlieglicd, von deutfchen Handlungs: 
reifenden befucht, die fich überall comfortabel einzurichten 
wiſſen. Sie bilden hauptjäcjlid, die Vertreter des deutjchen 
Elementes in Norwegen, und wir conftatirten mit großer 
Genugthuung, daß die waderen und gebildeten Männer, 
bie wir dort fennen lernten, fich der Aufgabe, ihr Vaterland 
in würbiger und Achtung gebietender Weife zu repräfens 
tiren, wohl bewußt waren. 

Bei ſchönſtem Wetter am 20. Auguft verliefen wir Sta« 
vanger wieder, und fuhren mit einem Segelboote Über den 
Fiord nad) Tou, wo eine itberrafchend ſchöne Landichaft an 
einem größern, ziemlich dicht am Meere liegenden Bergſee 
ſich dem Blide bot. 

Die Sefteumg auf Fortdauer des guten Wetters ging 
diesmal nicht in Erfüllung. Am Abend zeigten fid) drohende 
Bolten über der See, umd in der Nacht wüthete ein Ges 
witter. Am Morgen konnten wir und noch auf das Dampf: 
fchiff begeben, weldyes von Stavanger aus die Hauptfiorde 
befährt, und bei Tou anhält, allein nach Vefichtigung der 
norböftlichen Fiorde war es ung kaum möglich Nachmittags 
in Sande im Fiord gleidyen Namens zu landen. 

Der Sturm dauerte fort, als wir der Suledals-Elv 
entlang dem Suledals:Band zufuhren, prachtvolle 
Waſſerfülle des mächtigen Stroms zu unferen Füßen, wäh— 
vend ebenfo impofante Sturzbäce beiderfeits von den Felſen 
herunterbrauften. Trotz der wildromantifchen form der 
Berge war das Thal etwas offener, als bie, welde wir bie- 
her gejehen. Am See waren wir genöthigt, auf einem Hei- 
nen Ruderboote weiter zu fahren, das uns unter ſtrömendem 
Regen auf den ftürmifc bewegten Wellen fehr unangenehm 
ſchaulelte umd sicht felten mit dem Wafler des Sees in un- 
willfoımmene Berlihrung brachte. 

Die Dunlelheit brach herein, und noch immer erſchien 
die Stelle nicht, an welcher das Gehöft eines Storthing- 
mannes, Kolbenthveit, liegen follte, die einzige Möglichkeit, 
aus der Erftarrung durch Kälte und Näſſe und aus ber 
unbehaglichen Situation in bem Boote, das ſich gleic) "ber 
Mehrzahl feines Gleichen als led erwies, herauszufommen, 


107 


Endlich gelangten wir unter das Dad) des Boothaufes 
am Geſtade des Sees und fahen über ums das ftattliche 
Gehöft, aber im tiefer Dunkelheit. Der Herr beffelben fei 
verreift, die Frau jeboch zu Haufe, hatten uns die Bootsleute 
gefagt ; immerhin geſchah es nicht ohne Beforgniß, als wir 
eintraten und um Obdach baten, Wllein die norwegiſche 
Gaftfreiheit bewährte ſich auch hier. Ein prafjelndes Feuer, 
ein Lammbraten, ein Glas Toddy — heißes Waffer mit 
Cognac — und, was wir vor Allem fchägten, ein behag- 
liches und ausnahmsweiſe einmal genügend langes Eultur- 
bett vereinten fich, uns alle Strapazen vergeffen zu machen. 

Die ringsumber raufchenden Wafferfälle wedten uns 
frih am andern Morgen und wir nahmen von ber freund- 
lichen Wirthin Abfchied, deren Mann als Commiſſär des 
Storthing beim Fiſchfange im hohen Norden fungirte, übri— 
gend dem Bernehmen nach ſtets bereit war, Reiſende gegen 
geringe Vergütung zu beherbergen. Wir waren hier wieder 

anz im Gebirge. Die vereingelten Gehöfte am See haben 
Ha feine Berbindung, als über das Waller. Um weiter 
zu kommen, mußten wir, was am Abend vorher ganz un: 
möglich, gewefen wäre, auf dem freiern Theile des Suledals: 
Band, der noch ſtürmiſch bewegt war, flinf Stunden lang 
zwifchen den fteilen Uferjelfen hinfahren, fonnten am Ende 
der Fahrt erft auf den andern Morgen Padpferbe bekommen 
und hatten alsdann, mach Ueberfteigung eines feitlichen Paſ⸗ 
fes, der und wieder einmal in die baumlofe Negion hinauf 
führte, den — Übrigens in den Suledals-See abjtrömenden — 
Rölldals-Band vor ums. ine fernere ziemlich lange 
Bootsfahrt und ein beſchwerlicher Marſch über angefchwollene 
Bäche und Wildwaffer brachte uns endlich unter das gaft- 
liche Dach des Pensmandes Juve zu Rölldal, das uns vor 
bem enblofen Regenwetter Schu gewährte. 

Die Leute im Stavanger-Amte, deſſen Grenze wir erft 
am Rolldal⸗See erreichten, waren im Ganzen willig und 
gutmüthig, doch — wie ich ſchon andeutete — weit weniger 
aufgeweckt, ala bie Sätersdaler, auch wohl weniger treuherzig. 
Ihr Eigennutz zeigte fich, vielleicht theilweife in Folge der 
Nähe der Touriſtenſtraße, im Meinlicherer , fchärferer Weiſe. 
Der, allerdings läftigen, gefeglichen Verpflichtung, Poftpferbe 
zu der geringen Tare zu ftellen, fuchten fid) die Styösfafler 
durch Vorwände und Üigen zu entziehen und durch Privat: 
ablommen höhere Preife zu erpreſſen, ein Verfahren, das 
in Sätersdal nie verfucht wurde. Während dort die Mäd— 
chen mit Stolz erzählten, daß fie die zahlreich umberftreifen« 
ben Auftäufer von Frauenhaaren abgewiefen hätten, waren 
hier die Bauerntöchter ohne Weiteres bereit, ihre blonden 
Zöpfe gegen Bezahlung herzugeben, und enttäufcht,, wenn 
wir, obgleich „Deutjche*, uns doch mit diefem Handel nicht 
befaflen wollten. 

Die Tracht ift der des nördlich angrengenden Harbanger- 
ra ähnlich), jedoch einfacher und minder reich. Die 

ieder find dunkel, ohne Zierrath, die Hauben fliegen, 
übrigens in ganz Meidfamer Weife, fi) dem Kopfe an; bie 
Männer Haben dunkele Jacken und Hofen gewöhnlichen 
Schnittes. In Rölldal fahen wir zuerſt die voten mit 
Schnüren verfehenen Mieder, den reichen Silberſchmuck, die 
umfangreichen Hauben des Bergenhuus- Amtes ; die Männer: 
tracht blieb im Wefentlichen bie nämliche. Obgleich Übrigens 
im Bergenhuns-Amte und namentlich auch ſchon in deſſen 
füblichen Theile, dem Hardangerlande, das nationale 
Element ſich etwas hebt, der Wohlftand, 3. B. der Vichftaud, 
größer ift, fo ift doch ebenfo wie in Gegenden nächſt Sta- 
vanger bie Bildung ber Gefictsziige weniger edel, als im 
Innenlande, und manche Individuen laflen eine Beimiſchung 
finnischen Blutes nicht fir unwahrſcheinlich halten. 


14* 


108 


Peter v. Uslar und Die 


Um 20. Juni diefes Jahres iſt auf feinem Familiengute 
Kurowo im Gouvernement Twer ein Mann geflorben, der 
um die Erforfchung der Sprachen des Kaufafus ſich hohe 
Berdienfte erworben hat. Peter von Uslar hat es neben 
Anton Sciefner verftanden Klarheit in das Gewirr der 
Sprachen jenes Gebietes zu bringen, und aud) der Ethnograph 
wird ihm ftets daflir dankbar fein, da am Kanfafus gerade 
die Sprache noch der befte Führer im dortigen Bölfergewirr 
iſt. Auf Grund eines Auffages in der Wiſſenſchaftlichen 
Beilage der „Leipziger Zeitung“ vom 19, October 1873 ger 
ben wir die nachftehenden Mittheilungen über Uslar und die 
faufafischen Forſchungen. 

Seit den durd) die Reifen Güldenſlädt's und Klaproth's 
im Kaufafus befannt gewordenen Wörterſammlungen bortie 
ger Sprachen war lange nichts fir die faufafifche Sprach- 
ſorſchung gejchehen, als in den Yahren 1843 bis 1845 
G. Rofen feine hochverdienſtlichen Arbeiten über die Sprache 
der Lazen (11. November 1843), Dffeten (1. October 1844), 
Mingrelen, Suanen und Abchaſen (31. Januar 1845) der 
Berliner Alademie vorlegte, welche diefelben in ihre Abhand- 
lungen aufnahm. Sie gaben Bopp PVeranlaffung zu ver 
ſchiedenen Heineren Berichten in den Yahrgängen 1843 bie 
1846 der Momatsberichte der Alademie, jowie zu einer grös 
fern Abhandlung „über das Georgifche in fpradverwandt- 
Ichaftlicdyer Beziehung“, in der es ihm gelang, die Vermit— 
telung der vier erftgenannten Sprachen mit den indogermas 
nischen Sprachen nachzuweiſen. Es war ihm leider damals 
Sjögren's „ofletifche Spradjlehre“, durch welche Roſen's Ar- 
beit weit überholt wird, noch nicht zugänglih. Wr das 
Abchaſiſche Hatte ſchon Guldenſtädt die Verwandtſchaft mit 
dem Tjcherteffischen angenommen, und Roſen ſchloß ſich die · 
fer Meinung an. Sein Aufenthalt an Ort und Stelle war 
indeß ein zu kurzer, aud) konnte er fich, wie es fcheint, nur 
vermittelt des Türkifchen mit den Eingeborenen verjtändis 
gen, es entgingen ihm daher manche wefentliche Eigenthlim: 
lichkeiten ihrer Sprache. — Der Erfte, welcher für cin Glied 
der fogenannten wizdfhegifchen ober khiſtiſchen Sprachen des 
kaufafiichen Berglandes, Dagheſtans, eine genaue ſprachliche 
Aualyfe lieferte, war Anton Sciefner (geb. 18. Juli 1818 
in Reval). Schon in den Bulletins der Petersburger Ala- 
demie vom Duni 1854 hatte er „eine kurze Charalteriſtil 
der Thuſch⸗Sprache“ erſcheinen laffen, welder 1856 jein 
„Verſuch über die Thufcd Sprache oder die khiſtiſche Mund» 
art in Thuſchetien“ folgte, eine ungemein mithfelige, mit der 
fauberften Sorgjamteit gefertigte Arbeit, die aus dem Rohen 
herausgearbeitet als Mufter für alle folgenden Arbeiten auf 
diefem Gebiete gedient hat. Das Material dazu warb dem 
Verfaſſer theils durch die handfchriftlichen Aufzeichnungen 
eines geborenen Thufchen, des Geiftlihen Hiob Ziskarow, 
welchen Brofjet von feiner faufafifchen Reife mitgebracht 
hatte, theils durch mündlichen Verkehr mit dem jlingern Brur 
der deffelben, Georg Zislarow, der an der geiftlichen Ala- 
demie in Petersburg ftudirte, leider aber bald ſtarb. Das 
Thuſch ergab ſich hiernad) als eine ungemein rauhe, vocal« 
arıne, aber confonantenreiche Sprache. Neun Ziſchlaute und 
acht Kchllaute find ihr eigen, und der heijere Kehlhauch h 
findet fich außerdem noch vielfach in Verbindung mit vorher: 
gehenden Confonanten, ja fogar mit folgendem 1 in fo inni- 
ger Verbindung, dag Schiefner daflir ein eigenes Zeichen ! 
hat erfinden müfjen. Die Declination der Nomina ift über j 


Peter v. Uslar und die laukaſiſchen Forſchungen. 


kaukaſiſchen Forſchungen. 


aus reich an Caſusformen, deren es vierzehn giebt. Das 
Geſchlecht eines Nomens kann in der Regel nur durch die 
damit verbundenen Wörter erkannt werben, welche ihre Ber 
ziehung dazu durch eine Veränderung ihres eigenen Anlauts 
und zwar in mehrfacher Weiſe ausdrüden. — Im Jahre 
1862 erfchienen zwei fernere Arbeiten Schiefner's über das 
Awariſche (gelefen 5. September 1862) und ber bie Sprache 
ber den (gelejen 12. December 1862). Das Material zu 
der erſtern verdankte er zunächſt dem damals bei dem Etatt- 
halter Kaufafiens angeftellten Hofrath Adolph Berger (jetst 
Berge genannt), welcher während feines mehrjährigen Aufent- 
haltes in Translaufafien fid) mit Eifer dem Studium der 
Geſchichte und Ethuographie jener Gegenden hingegeben hatte 


und ihm einen felbftverfaßten kurzen Entwurf J einer awa⸗ 
riſchen Sprachlehre, ein ruſſiſch- awariſches Wörterblichlein 


und verſchiedene Sprachproben, darunter namentlich drei ins 
Awariſche Uberſetzte Koran-Suren (Sure 1, 88 und 99) und 
zwei Thierfabeln zur Dispofition ftellte. Diefe Leberfegungen 
ftanımten aus Chanfug, dem Mittelpunkt awariſcher Zunge, 
und waren von dem greifen Lehrer Schamil’s, Latſchinilau, 
entweder jelbft verfaßt oder doch revidirt worden. Dieſes 
Material ging Schiefner teils mit Berger felbft durch, 
theild mit einigen im Gefolge des Kaiſers dienenden awa- 
rifchen Junkern, die ihm noch manche weitere banfenswerthe 
Zuthat lieferten. Die Arbeit über die Sprache der Üben 
beruht Hauptfählich auf den Sammlungen reſp. dem hand» 
fchriftlichen Nachlaß des Lehrers an der Kreisſchule zu Nucha, 
Georg Beihanow (F 1859), der theils eine Sammlung udie 
ſcher Lieder veranftaltete, ſowie mehrere Ueberfegungen ins 
Udifche verfaßte, theils ein die Buchſtaben A bis O umfaf- 
fendes ruſſiſch⸗ udiſches Wörterbuch ſowie Declinations- und 
Conjugations « Paradigmen zufammengeftelt hatte. Dazu 
traten noch verſchiedene Hilfsmittel, ein fchon von Sjögren 
während feines Aufenthalts in Tiflis (1835) mit Hilfe eines 
im geiftlichen Seminar befindlichen Uden angelegtes Woca: 
bular, ein Verzeichnig von 325 ubiichen Wörtern, welches 
im Jahre 1852 die faufafifche Abtheilung der geographifchen 
Gefelfchaft von dem damaligen Exarchen von Georgien, Ifie 
dor, erhalten hatte, eine Berification des Beſhanow'ſchen 
Materials, welche Hofrath Berger im Herbft 1861 auf einer 
Neife zu den Uden angeftellt hatte, endlich die Sammlungen 
des Friedensrichters M. Kovalensfy, der fid) in den Jahren 
1853 bis 1854 in mündlichem und brieflichem Verlehr mit 
G. Beſhanow fpeciell mit Erforfchung des Udischen befchäf- 
tigt hatte; doch gelang es Schiefner nicht, felbft einen ein- 
geborenen Uden zu Rathe zu ziehen und von ihm die ubifchen 
Yaute unmittelbar geſprochen zu hören, 

Alles bis dahin durch Erforfchung an Dirt und Stelle 
Gewonnene wird nun aber an Reichhaltigleit und Flille wie 
an forgfamer Aufzeichnung und Verarbeitung des Materials 
weit ibertroffen durch die Arbeiten des Barons Peter von 
Uslar, Und das von bemfelben Gieleiftete ift im der That, 
befonders aud) in Anbetracht der Berhältniffe des hochverdien⸗ 
ten Mannes, außerordentlich, zu nennen, Baron Uslar war 
nämlich fowohl ein hochſtehender Militär als ein ausgezeich- 
neter Sprachforicher, eine Vereinigung von Eigenſchaften, 
bie im Ganzen denn doc jehr zu den Seltenheiten gehört. 
Geboren am 2. September 1816 auf dem väterlichen Gute 


Kurowo unweit Wyſhnij Wolotſchol im Gouvernement Twer 


und zwar als Abtömmling des ſächſiſchen Zweiges ber ur⸗ 


Peter v. Uslar und die faufafifchen Forſchungen. 


fprünglich hannoverfhen Familie (fein Großvater trat im 
Jahre 1765 in ruffifche Dienfte), madjte er feine Gymnaſial⸗ 
ftudien in St. Petersburg in dem 1823 dafelbft geftifteten 
und damals unter der Feitung des braven und tlchfigen Di⸗ 
rectors Schneider ftehenden dritten Gymnaſiums durch, begab 
fi) aber nad) Abfolvirung derfelben (1883) nicht auf bie 
Univerfität, fondern trat in ben Militärdienft, zunüchſt in die 
Militäringenieurfhule und 1834 in die Militärakademie 
des Generalftabs über; er war zulegt Generalmajor von 
der Suite des Kaiſers. Im den Jahren 1847 bis 1853 lie- 
ferte er militärifch-ftatiftifche Befchreibungen der Gouwernements 
Twer 1847 (in Gemeinjchaft mit dem Stabscapitän Mün- 
fter), Wologba 1851, Eriwan 1853, welche, um mit den 
Worten der „Nordiſchen Preſſe* Nr. 75 vom 2. April 1873 
zu reden (vom wo biefe und einige der folgenden Angaben 
hier entlehnt find), „einzig in ihrer Urt daſtehen“. Darnadı 
mit der ethmographifchen Befchreibung des Kaulaſus beauf- 
tragt, hielt er es flir die erfte Pflicht feines neuen Berufes, 
fich eine möglichft genaue Kenntniß der Sprachen der ver- 
fchiedenen Böller des Kaufafus und namentlich Dagheftans 
zu verſchaffen. Er ertannte gar bald, daß in biefen Spra- 
en ſowohl lautliche als grammatiſche Eigenthümlichleiten 
ganz befonberer Art vorhanden feien. Um die Laute gehörig 
zu unterſcheiden und richtig aufzufaffen genligte es nicht, mit 
an das Ruſſiſche, Deutfde, Franzbſiſche und Englifche ge 
wöhnten Ohren hinzuhorchen, da in dieſen Gebirgsjprachen 
Lautniiancen vorhanden find, welche ein europäifches Ohr 
nicht mehr unterjcheiden kann. Im Folge deſſen fuchte er 
die Ohren der Eingeborenen felbft zu diefem Zwecke zu ber 
nutzen; diefe mußten entſcheiden, welche Nitance eines gewiſ⸗ 
fen Yautes in einem beftimmten falle vorläge. Er entwarf 
ine Art Mufterkarte, indem er für jeden Laut ein befonders 
häufig vorlommendes Wort auswählte und diefes immer zum 
Vergleich heranzog, wenn berfelbe ober ein ähnlicher Yaut 
vorfam, & B. für die verfchiebenen e⸗Laute im Abchafifchen, 
ach der Speicher, Aca die Vogellirſche, & der Boden, aca 
die Laus, ac ber Ochfe, ala der Apfel. Seine Stellung 
gab ihm zu diefen feinen Unterfuchungen die trefflichfte Ges 
legenheit. Er verkehrte mit ben Eingeborenen ber verſchie— 
denen Gegenden Dagheftand einfach im der Weife, daß er 
biefelben nad) feinem Wohnfig Temir-Chan-Schura (an der 
Dftfeite des Kaulaſus, nahe dem Kaspifchen Meere) fommen 
ließ und dort mit ihnen vom Morgen bis zum Abend unauss 
geſetzt arbeitete. Seitdem feine glüdliche Ehe nach nur 
1'/zjähriger Dauer durch den Tod getrennt ward, fannte er 
eben nur noch den Genuß, den die Arbeit gewährt, Er aus 
tographirte alle feine Entwürfe und ließ fie dann lithogra- 
phiſch, obſchon in nur fehr geringer Anzahl von Eremplaren, 
abziehen. Und welchen Umfang haben diefelben! Seine 
Arbeit über das Abchaſiſche (1862) umfaßt 302 lithogra⸗ 
phirte Ouartſeiten. „Demnächft wandte er ſich dem Tſchet⸗ 
fchenzifchen zu, welche Arbeit 416 Quartjeiten umfaßt, dann 
dem Amarifchen, worliber er 1866 einen Quartband von 
699 Seiten niederſchrieb — dem Kafi-umükifchen, welches 
er die Pal-Spracdye nennt, und über das ein Quartbaud von 
597 Seiten vorliegt —, dann den akufha » haibakifchen 
Mundarten, von denen er die Kilrkifinifche ober Hürlan⸗ 
Mundart befonder® in einem Quartbande von 670 Sei: 
ten behandelte, worauf er an die Sprache der Kürie 
nen ging, welcher er im Jahre 1872 einen Ouartband 
von 850 Seiten widmete. Zuletzt hatte er ſich das Ta- 
bejferanifche zum Gegenftande feiner Unterfuchungen ge: 
wählt.“ Alle diefe Arbeiten fandte er zur Beurtheilung an 
die Peteröburger Alademie ein, welche auch bereits 1864 
die beiden Arbeiten über das Abchaſiſche und das Tſchet- 
fchenzifche mit einem Demidow'ſchen Preife krönte, und ihn 


109 


1868 an Schleicher's Stelle zum Correfpondenten für Lin- 
guiftil ernannte, 

Uber freilich — Alexander hat feinen Homer gefun- 
den! — fo trefflich dieſe Uslar'ſchen Arbeiten auch find, fie 
witrben der gelehrten Welt faft gänzlich, unbefannt geblieben 
fein, denn fie find fänmtlid; in ruſſiſcher Sprache geſchrieben, 
wenn ſie nicht in Anton Schiefner einen Interpreten erſten 
Ranges gefunden hätten. Je ſeltener es ſich trifft, daß ſich 
zwei Gelehrte ſo vollſtändig in die Hände arbeiten, um ſo 
daulbarer müfen wir es begrüßen, daß der Fall hier in fo 
ausgezeichneter Weife vorliegt. Wie es Schiefner's Abhand⸗ 
lung über das Thuſch vornehmlich war, welche Uslar zu 
feinen Studien Überhaupt veranlaßte, fo hat Schiefner num 
wiederum feinerfeits, im Auftrage der Peteröburger Akademie, 
die berfelben vorgelegten Uslar'ſchen Arbeiten jedesmal durch 
eingehende Berichte refp. fpecielle —— und Verwer⸗ 
thung des in ihnen enthaltenen Stoffes der Wiſſenſchaft all» 
—— zugänglich gemacht. So erſchienen von ihm in den 
Memoiren der Alademie folgende Abhandlungen in Quarto: 
im Jahre 1863 „Ausführlicher Bericht über des Generals 
Baron Peter von Uslar Abchaſiſche Studien“, VIII u.61 ©, 
im Jahre 1864 „Tſchetſchenziſche Studien“, VIII u. 716, 
im Jahre 1866 „Kafitumitifche Studien“, VIII u.136 ©, 
im Jahre 1871 „Hlrkanifche Studien“, IV u. 200 S., im 
Jahre 1872 „Uwarifche Stubien“, VIII u. 180 S., und eine 
Abhandlung , über das „Kürinifche*. Außer Pautlehre, 
Flexionslehre und Syntax enthalten alle diefe Arbeiten fowohl 
Terte mit Ueberfegung als überaus reichhaltige Wörtervere 
zeichnifle, welche möglichft viel ethnographiſch oder mythologifc) 
Intereffantes mittheilen, fo daß namentlich in ihnen eine reiche 
Fundgrube für die laulaſiſche Ethnographie vorliegt, Noch 
ift die Zeit für eine vergleichende Bearbeitung diefer Spra- 
chen felbft nicht recht gefommen, denn noch immer wird neues 
Material maffenhaft zu Tage gefördert und muß zunächſt erft 
eben am und fir fich bewältigt werden. Diefelben find daher 
einjtweilen im ihrem gegenfeitigen Zufammenhange jowohl, 
wie viel hierfür auch bereit8 geleiftet ift, wie vor Allem in 
irer Stellung zu den Übrigen Sprachen der Welt jo ziems 
Lich noch ein ungelöftes Räthſel, da fie eben bis jet zu feis 
ner derfelben irgendwie fich im ein verwandtichaftliches Vers 
hältniß bringen laſſen. 

Abgefehen von der rein ſprachlichen Bedeutung dieſer 
Forſchungen Uslar's haben diefelben im Uebrigen auch ſchon 
einige literarsgeichichtlich höchſt intereflante Erfcheinungen, in 
Geſtalt von Aufzeichnungen aus dem Bolldmunde insbefons 
dere, zu Tage gefördert. Und zwar wird alles bisher ſchon 
hierliber Befanntgeworbene durch die von Schiefer in Tert 
und deutfcher Ueberfegung uns zugänglich, gemachten Awa— 
rifchen Terte (Petersburg 1873, Lu. 113 ©.) an allgemeiner 
Bedeutſamkeit weit übertroffen. 

Es enthalten diefelben vollsthümliche Märchen und Er— 
zählungen, denen ein ungemein hohes Intereſſe beimohnt. 
Zum Theil ift ihr Tert bereits 1867 in Temir-Chan-Schurä 
in der von Baron Uslar für das Awarifche angewandten 
Schrift gebrudt worden; die übrigen Stüde ftammen aus 
handfchriftlicher Ouelle, theild ebenfalls von Baron Uslar, 
theild von dem bereits oben als Hofrath Berger erwähnten 
jegigen Wirklichen Staatsrath Berge. Auch eine ruſſiſche 
Ueberfegung derſelben ift ftüchweife in Temir-Chan-Scura 
1867 bis 1868 reſp. in Tiflis 1869 erjchienen. Hier 
finden wir denn num bei weitem mehr Zufammenhang mit 
der Übrigen Welt, als man bei der fo völlig abgeſchloſſenen 
Spracheigenthumlichteit diefes Vollsſtammes hätte annehmen 
fönnen. Und zwar werden wir hier- geradezu mitten hinein 
in bie fonftige orientalifche Märdene und Zanberwelt ver- 
feßt, obſchon dieſelbe allerdings theilweife doc; auch wieder 


110 Aus allen Erdiheilen. 


ein fehr fremdartiges Gepräge trägt. Schiefner hat es da- mußte er indeß davon abftehen, hat -aber baflir an Stelle 
her auch, um allen denen, welche bie Forſchungen über das | defien, wegen der überaus mertwürdigen Uebereinftimmung 
Stoffliche der Märchen intereffiren, zu dienen, fiir zweck- mit verſchiedenen Zügen der awarifchen Texte, ein inbifches 
mäßig gehalten, den auf dieſem Gebiete ausgezeichnet orien- | in bem tibetiichen Kandjur übergegangenes ausführliches 
tirten Forſcher Dr. Reinh. Köhler in Weimar zu einer | Märchen mitgetheilt, die Geſchichte nämlıd, „von dem Sohne 
Überfichtlichen Zufammenftelung ber entſprechenden Paral- | des Pantjchala-Sönigs und der Tochter des Kinnara-Königs* 
lelen zu den einzelnen Märchen aufzufordern, und enthalten | (S.XXVI bis XLV), welcher er dann auch noch die tibetiiche 
die Seiten IV bis XXVI des Vorworts die darauf bezlige | Faſſung des Kuga-Dicdjätala anreiht (S. XLVI bis L), 
lichen trefflichen Bemerkungen deffelben. Es war anfänglich | weil diefelbe eine weit ältere Geftalt hat, als bie im Jahre 
Schiefner's Abficht, aus den ruffifchen und ungarifcen | 1871 durch Steele im englifcher Ueberfegung veröffentlichte 
Märchenſammlungen, welche Dr. Köhler weniger zugänglich | finghalefifche Berfion. 

find, Ergänzungen dazu beizubringen; aus Mangel an Zeit 


Aus allen Erdtheilen. 


N J f Als Nomadenvolf kennen die Ranqueles den Grund: 
Die — Fe — der argentiniſchen beſitz nicht in unſern Sinne. Der Grund, worauf ſich eine 


Familie angeſiedelt hat, wird allerdings als der ihrige reſpec⸗ 
Dieſe Raubnomaden find die gefährlichſten Feinde der tirt, aber nur fo fange, wie fie ihm ſelbſt hält oder bewohnt. 
AUrgentiner. Sie unternehmen nicht felten weite Streifzüge, | Sobald der Befiter fortzieht, ift Jeder berechtigt, ihn einzu: 
plündern und rauben Vieh. Dr. Taiber, welcher fie genan | nehmen und zum rechtmäßigen Befiser zu werben. Zuweilen 
kennt, bat im der vortrefflichen „La: Plata: Monatsichrift“ | vertaufchen fie ihr Anrecht auf die Dcenpation eines guten 
nachitehende Schilderung entworfen. Weidelandes gegen Anrecht auf andered Land ober gegen 
Drei Kaziten, Mariano, Ramon und Baigorrita, | Rinder oder SHaven. Solche Transaction ift aber felten, 
tbeilen die Regierung unter ſich Mariano wird von Allen da fir Alle vollauf Weidegrumd vorhanden ift. 
als der Erfte anerkannt; er erbte die Häuptlingswürbe bed | Auch das Eigenthumsrecht auf Schlachtvich, Nindvich 
ganzen Stammes, ala ältefter Solm feines Vaters Paine. | und Stuten ift wicht fo abfolut, wie das im der civilifirtem 
Außer durch Ererbung kaun die Herrichaft auch durch Ab: ; Welt. Ein Armer hat das Recht, von feinem reichern Nach: 
danfung des Kaziken zu Gunften feines älteften Sohnes | bar ein Stüd Vieh ober eine Stute zu fordern, gegen die 
auf diejen übertragen werben, wie es bei dem Kazilen Na: | Verpflichtung der Aurilderftattung bei der nächſten Yuvafion 
mon, deſſen Water noch lebt, der Fall ift. oder Tributzuertbeilung. Der Reiche, der foldhe Forderung 
Die Gewalt des Häuptlings de3 Stammes ber Ran: | zurüdweiien wollte, wiirde fich bei dem ganzen Stamm ver: 
aueles ift beichränft; er lann nichts von Bedeutung für | haft machen, 
den Stamm ohne die Zuzichung fümmtlicher Unterhänptlinge Abfolntes Eigentbum find nur die Sklaven, die perfön- 
und überhaupt aller derjenigen Glieder des Stammes thun, | lichen Effecten und bie Pferde (Stuten werden nicht ge- 
die ſich durch ihre Erfahrung, Kühnheit oder Lift audzeich- | ritten, fondern nur ald Zucht: und Schlachtvieh betrachtet), 
nen. Tagelang berathen dieje dann, bis fich der Wille der | und nach der Zahl diefer wird der eigentliche Reichthum 
Mehrzahl ausgeſprochen bat. Die Kaziten haben nichts An- abgeſchätzt. Wer viele SHaven bat, fann viel Mais— 
deres zu thun, al& diefen auszuführen. Mariano ift indeffen | bau treiben und befigt zudem immer ein geſuchtes 
ſchlau genng, durch volitifche Manöver ſowie durch Beredt: | Tauſchobject. Wer viele Pferde hat, fann eben jo 
jamfeit die Indianer für feinen Willen zu gewinnen; Ra; | viele Krieger zu einem Naubzug gegen die Chri- 
mon ſowohl wie Baigorrita ordnen fih ihm unter. Die | ften beritten machen, und ſichert fih dadurch den 
Hanpttbemata folder Berathungen bilden die Beziehungen | größten Antheil an der Beute. 
der Rangueles zu den ſüdlicheren Indianern, der Wechſel Die Indianer lieben ein verwickeltes Ceremonielk. 
der Weidepläße, die Bündniſſe gegen die Ehriften und die | Ein fremder wird mit der größten Etiquette empfangen ; 
damit zufammenhängenden Juvafionen, die Abſchließung von | ift er gar ein Regiernngsabgefandter, von dem man Tribut 
Frieden mit den Chriſten umd die Abichägung des von diefen | erwartet, fo wollen die Ceremonien gar kein Ende nehmen. 
zu zahlenden Tributes. Manfilla mußte einmal dreibundert Indianern mach ber 
In die Streitigleiten oder Streitfragen über perfönliche | Reihe die Hände ſchütteln und fie Fräftig umarmen , weldes 
Beleidigung oder Eigenthum bat fich der Kazike nicht zu | eine furchtbare Strapaze gewelen fein fol, Man fchidte ibm 
miſchen. Die Beteiligten wählen entweder Schiedsrichter, | während der letzten Viertelſtunde vier verſchiedene Geſandt— 
welche die Frage fofort ſchlichten, oder fie fuchen ſich perſön- ſchaften entgegen, welche die Indianer parlamento nennen. 
lich Recht zu verſchaffen. Beſtiehlt ein Indianer den andern, | Sobald eine diefer Gefandtichaften fihtbar wird, muß mar 
fo ift dieſes mit feiner Schande verknüpft, fondern der Thä- | derfelben in geſtreckter Carriöre entgegen reiten, auch die Ge— 
ter wird wohl fogar öffentlich wegen feiner Geſchicklichkeit fandten laſſen ihren Thieren die Zügel fchiehen, und, auf 
gelobt. Der Beftohlene jucht dem Diebe dann das geftohlene | Panzenlänge zufanmengefommen, haben beide Parteien ihre 
Gut wieder zurüdzufteblen, und mimmt matirlich bei | Pferde plöglich zu ſetzen. Der Abgefandte bat nun drei oder 
diefer Gelegenheit Alles mit, was er irgend erreichen fann. | vier Fragen zu than: Wie geht e8 Dir? Wie geht es Dei- 
Selbft die Kazilen find vor den Dieben nicht ficher. nem Vater und Deiner Mutter? Wie gebt es Deinen Beglei- 
Eine Mordthat wird nur als perfönlihes Uebel | tem? Sind Dir keine Pferde geftohlen worben? 
angefchen, welches das Gemeinwohl nicht berührt, und nur | Dem Talente des Abgefandten wird es überlafien, aus die: 
von der Familie des Betroffenen zu rächen ift. Der India— | fen Fragen eine Unzabl zu machen, obme den Sim der 
ner ift inde wicht rachlüchtig und vergißt bald die Beleidigung. | Worte zu wechfeln. So variirt er die erite Frage: „Wie 








Aus allen Erdtheilen. 


geht e8 Dir?" im: „Wie ift Deine Befundheit ?" „Wie Icbft 
Du?" „Was machft Du?" Stundenlang dauert es, ehe eine 
ſolche Botſchaft ausgerichtet ift, und je überrafchender die nene 
Redewendung ift, um fo größern Applaus erutet der Nedner 
von feinen Genofien. Der Indianer applaudirt mit 
einem gellenden Ahl wobei er fih auf den Mund 
Elopft, welches Verfahren, wenn es von einigen hundert 
Individuen zur gleichen Zeit gebt wird, einen fteinerwei: 
enden Effect machen foll. 

Bon Krankheiten find die Indianer jo ziemlich frei, 
Sie curiren ſich mit einfachen Hausmitteln, in denen faltes 
Waſſer eine Hauptrolle ſpielt Nur die Blattern ſetzen 
ihnen böfe zu; ſowie diefe Seuche ausbricht, wird der Ort 
gewöhnlich von dem Stamme verlaffen, Sie laffen die Kran- 
fen allein zurüd mit einem für viele Tage reichenden Bor: 
rath von Waffer und Lebensmitteln; fehr ſelten kommt daher 
ein von ber Seuche Befallener mit dem eben davon. — 
Die Schwindſucht ift unter den Wilden volllommen unbe: 
fannt; Dr. Macias, welcher lange unter ihnen lebte, ſchreibt 
dieſes dem Genuß des Stutenfleiiches zu. Bei Neugeburten 
werden Mutter und Kind in den nächſten Minuten nach ber 
Geburt in der Lagune gebadet, fei e8 im Winter oder Som: 
mer, und gedeihen vortrefflich dabei. 

Der Eharafter ber Indianer ift, vorzüglich gegen alles 
Fremde, mißtramisch und ſchweigſam, wenn auch ohne activen 
Haß. Es ift merkwürdig, wie wenig auf dem Wege der 
Miffion für diefe Wilden getban worden iſt. Sie haſſen 
weder bie Ehriften, noch haben fie eine übertricbene oder fana- 
tische Anhänglichleit an ihre eigenen Glaubensmeinungen und 
Gebränce. Die katholischen Landesgeiftlichen wagen fich fel- 
ten über die Grenze hinaus; und geichieht es einmal in 
Begleitung einer guten militärifchen Escorte, fo taufen fie 
Alles rechts und links, was ihnen in den Weg kommt — ohne 
von dem Geiſte der Religion den Bekehrten auch nur ein 
Titelhen zu übermacen. 

Der Indianer ift gegen feine Frauen gewöhnlich gütig, 
und feine Kinder liebt er wohl noch mehr als feine Pferde. 
Nur gegen Fremde ift er oft bintgierig und graufam, wohl 
weil er von Kindesbeinen an gewohnt ift, im ihnen feine 
Todtfeinde zu erbliden. Er weiß, daß viele Argentiner "auf 
die vollfommene Wusrottung feines Stammes finnen, Unb 
doch hat die Anfiedlung der Stämme von Coliqueo bewiefen, 
wie leicht fie der Cultur zugänglich zu machen find, 

Fir den weißen Neifenden durch ibr Territorium ift 
die Gefahr nicht gering; da ihre Sklaven ſämmtlich 
Weiße find und diefe fir fie einen hoben Tauſchwerth 
baben, fo liegt es ſehr nahe, daß fie durchpaffirende weiße 
Individuen als Sklaven zurüdbehalten. Diefe Furcht hat 
bielang die Reiſenden verfchencht, und ihr Land gehört baher 
noch zu ben unbelannteften. Selbft unter ben argentinischen 
Grenzbewohmern find die unmöglichften Gerichte im Umlauf; 
bald wird die Wildheit und Graufamkeit der Indianer, bald 
ihre Milde und Güte hervorgehoben. Der Gaucho betrachtet 
die „tierra adentro“ wie ein jagenbaftes Land, wo Mil 
und Honig fleuft — und von feinen Gefichtspunfte mag er 
wohl jo ganz Unrecht nicht haben: ein zügelloſes Leben, 
ohne geregelte Arbeit, wo ein Malhenr (fo nennt der Gaucho 
es, wenn er irgend Jemandem einen Meſſerſtich verjegt hat) 
feine Spuren auf feine Fährte zieht, wo er Frauen, auch 
gewöhnlih Brauntwein vollauf, und dann, das Non plus 
ultra feiner Exiſtenz, einen gelegentlichen Raubzug, haben 
fann, voinft ihm bei den Indianern. Es iſt deshalb bei ben 
Gauchos Brauch, wenn fie aus irgend einer Urfache die Ju— 
ftig au fürchten baben, zu den Indianern zu flüchten. Im 
Allgemeinen find fie bintgieriger, graufamer und eigenmüßiger 
als diefe, aber dennoch werben fie gut empfangen, einestheild 
aus Gaftfreundichaft, anderntheild weil fie den Indianern 
als Führer in die civilifirten Diftricte werthvolle Genoſſen 
bei ihren Raubzügen find. Es find nur wenige Fälle be 


111 


fannt, daß diefe flüchtigen Gauchos gemordet oder ala Skla— 
ven zurüdbehalten wurden. Häufig nehmen fie mehrere 
Frauen unter dem Stamme, befommen Familie und ver: 
ſchaffen ſich ein gewiſſes Anſehen. Auch die Händler, die, 
mit den Bedürfnifſen der Judiauer verſehen, zum Austanfch 
die Tolderias beſuchen, Anden, außer einer gelegentlichen 
Ausplünderung, fein Hinderniß — und jomit kann die Ge: 
fahr auch für Forichungsreifende nicht gar fo bedeutend fein. 
Nur muß man andere Zwecke vorſchützen; der Wilde ift 
mißtrauiſch, und in jeder Erforichung feines Landes wirbe 
er nur den Zwed der Fremden fehen, ſich das Land an- 
zueignen! 





Aus Südamerika. 


Deutfche Gymmnafiallehrer in Peru. Einem Be: 
richte der Kölniſchen Zeitung“ zufolge find dort vor mehre: 
ren Monaten neue deutſche Lehrer für die Neorganifirung 
und Leitung des Gymnaſialweſens eingetroffen, Nachdem fie 
fi) mit der ſpaniſchen Sprache vertraut gemacht hatten, wur: 
den fie je nach den Unterrichtsgegenftänden in drei Gruppen 
gegliedert. Jede erhielt einen Vertreter der alten, einen jol- 
hen der neueren Sprachen und einen fiir Mathematik. Jeder 
Gruppe ift ein Landesgymnaftum zur Wirkſamkeit überwiefen, 
Dr. Arens aus Bonn leitet das Gymnaſium in Piura; 
Dr. Terbrügger aus Dresden das zu Puno am Titicace: 
fee; Dr. Löffler aus Worbis jenes zu Cuzco. 

— Die Sternwarte zu Santiago de Chile fteht jett 
in unmittelbarer telegraphiicher Verbindung mit jener au 
Cordova in Argentinien. — Die brafilianifche Regierung 
bat den norbamerifanischen Profeffor Hartt beauftragt, eine 
geognoftifche Karte des Kaiferreiches zu entwerfen. Derſelbe 
fol zumächft feine Unterfuchungen der Kititenftrede zwiſchen 
Rio de Janeiro und der Mündung des Amazonas fortfegen, 
fodann die Provinzen San Paulo und Santa Catharina er: 
forfchen, im der letztern insbeſondere das Kohlenbeden bes 
Tubarao. Auch ben Koblenbeden in der Provinz Rio grande 
bo Sul wird er feine beiondere Aufmerkiamkeit zuwenden. 
Hier find jüngft,bei Pebras- Brancas ergiebige Kohlenfelder 

loffen worden. 

— Die argentinifche Regierung widmet der Coloni: 
fation gegenwärtig große Fürforge, während fie die Beför— 
derung der Einwanderung feinesivegs vernacläffigt. Sie ift 
bemüht, tilchtige Mderbauerfamilien aus Deutichland und 
Norditalien ind Land zu zieben, und hat 50,000 Dollars 
angewiefen fir die Ueberfiedelung folcher, welche bei Concor: 
dia an der oftargentinifchen Bahn eine Niederlaffung grin- 
den follen. Mehrere Provinzen haben zu ähnlichen Zwecken 
Ländereien und Geldmittel berwilligt, und zu Itapua am 
obern PBarana nimmt die Anfiedelung ibren Fortgang. Der 
glänzende Erfolg, welchen die Kolonien in der Provinz; Santa 
Fé feit nun etwa zehn Jahren baben, zeigt was geleiftet 
werden kann, wenn beider Eolonifation mit Umficht zu Werte 
gegangen wird. Dort haben die 13,000 Anfiedler (Schweizer, 
Basken und Norditaliener) 130,000 Ader Landes unter An— 
bau und ihre diesjährige Weizenernte ftellt ſich auf den Geld: 
werth von 370,000 Pf. St., ihr gefammtes Eigenthum ift auf 
1,850,000 Bf. St. abgeichägt worben. 

— Die Berfuche, welche in der Provinz Rio de Janeiro 
mit dem Anbau des Jute von bem Engländer Steele ge: 
macht worden find, haben den beiten Erfolg gehabt und 
wahrfcheinfich wird mach einigen Jahren Brafilien Jute zur 
Ausfuhr bringen, 

— Die Dampfihifffahrtscompagnie bes Amazo— 
nenftromes bat gegenwärtig nicht weniger ald 18 Linien 
im Betrieb; ihre Fahrzeuge laufen in etwa 50 Häfen an 
und legen in jedem Monate 22,000 bis 23,000 Miles zurück 

— Im April 1875 find and peruanifchen- Häfen 833,358 
GentnerSalpeter ausgeführt worden, Davon entfallen auf 


112 


Jquique, Junin und Molle 534,754 Gentner, der Reft kommt 
auf Piſagua. 

— Chile ift befanmtlich unter den fildamerikanifchen Re- 
publifen derjenige Staat, welcher ſich biäher andauernder 
Ruhe erfreut bat. Der Präſident bekleidet fein Amt ſechs 
Jahre lang und fann auf diefelbe Zeitdauer wieder gewäblt 
werben. Sübelraffelnde Oberften oder Generäle, die auf Re: 
volutionsmachen ausgeben, fehlen, und im Wolfe zeigt fich 
feine Neigung zu Aufftänden. Deshalb gedeiht der Wohl- 
ftand und der Handelsverfehr nimmt feinen ungeftörten 
Fortgang. Im Fahre 1874 ftellte ſich die Einfuhr anf 88%%,, 
die Ausfuhr auf 36%, Millionen Dollars, die Handelsbe— 
wequng alfo auf etwa 75,000,000. Bei der Einfuhr fteht Eng- 
fand voran, mit 17,251,450 Dollars, Frankreich folgt mit 
7,121,611, im dritter Pinie ftcht Deutfchland mit 3,720,818, 
in vierter Morbamerifa mit 2,150,454, Bei der Ausfuhr 
war England mit 22,259,7380 Dollars betheiligt, daſſelbe 
nimmt aljo etwa zwei Drittel der chileniſchen Exporte, Peru 
aber 6,016,418, wovon ein beträchtlicher Theil auf Mebt ent: 
fällt. In den chileniſchen Handelstabellen werben Gold und 
Papiergeld unter den Ausfuhren mit aufgeführt (2,072,987 
Dollars in 1874); diefe abgerechnet entfallen auf den Erport 
von Mineralien 16,506,436, auf jenen von Weizen und 
Mehl 17,671,2386 Dollars (zu 921/, Cents). Der Aderban 
gewinnt eine immer größere Ausdehnung. 


*« * x 


— Das Hohe Lied Salomonis ift von einem Herrn 
%. Pincherle in die Zigeunerſprache überfetst worden. Der 
Titel lantet in Rommany: Ghilengheri Ghilia Salomuneskero 
an J. Römani Teip. Die Ueberjegung fteht dem italieni- 
fchen Zerte gegenüber. 

— Die Bollsmenge der Stabt Hannover beträgt 
gegenwärtig etwa 130,000 Köpfe; im Jahre 1823 zählte man, 
die Stabt Linden inbegriffen, erft 27,517; aber 1867 war fie 
bereit? auf 87,014 angewachſen und die Zählung von 1873 
ergab 123,216 Seelen. 

— Die Eapcolonie in Südafrika hat, der im März 
veranstalteten Zählung aufolge, 720,000 Einwohner, feit 1865 
eine Zunahme von 24 Procent. Im jener Zahl find das 
Bafutofand und das fogenannte Kafraria Proper nicht mit 
inbegriffen. 

— In den Vereinigten Staaten von Nordamerika er: 
fcheinen gegenwärtig nicht weniger als 400 Firdhliche Blät- 
ter! Bon diefen entfallen auf die Methodiften 47, die Be: 
fenner der vaticamifchen Religion 41, die Baptiften 35, Pres— 
byterianer 29, Episcopaten 21, Qutberaner 14, deutſchen Ne 
formirten 14, Juden 9, Congregationafiften 8. 

— Der Anbau der Jute in Louiſiana ift gelungen. 
Ein Herr Lefranc in Neuorleang hat eine gute Ernte ge 
halten und von berfelben im Monat Juni 19 Ballen als 
Probe an Fabrilanten nach St. Lonis und Neuhyork gefchidt. 
Seine Jutefelder liegen in der Pariſh-Plaque-Mine; feine 
Entfoferungsmafchine arbeitet vortrefflich. Die Pflanze ift 
in dem feuchten fruchtbaren Boden bis zu 10 Fuß hoch ge: 
worben und hat auf den Acre eine Tonne Waare geliefert. 
Der Abfall wird von ben PBapierfabritanten benußt. 

— Der Name Amerika. Daf über diefen und feine 
Abſtammung noch geftritten werben konnte, feit Humboldt in 
feinen kritifchen Unterfuhungen II, S. 320 nachgewieſen, wie 


Aus allen Erdtheilen. 


ihm Walzenmüller (Fiylacomylus) zuerſt gebraucht und von 
Amerigo Bespucci hernahm, erſcheint kaum glaublich, And 
boch fommt jest der befannte Geolog Jules Marcon im 
Atlantic Monthly daranf zurüd; ihm paßt die Mbleitung 
von dem deutſchen Worte Amalrich (italienifirt Amerigo) 
nicht, denn es wäre boch wirflich Schade, wen die Nene Welt 
von einem Dentichen nach einem deutſchen Eigennamen be- 
nannt worden wäre. — Woher ſtammt aber der Name? 
Nun, einfach von den Americ-Bergen, wo die Carcas-India— 
ner noch jegt Soldminen ausbeuten. Diele Carcas find aber 
die Nachkommen der Garcai, welche Columbus in feinem 
Briefe erwähnt, die aufzufuchen er nach Beragua am Fuße 
der Americ-Berge vordrang. Dies Jules Marcou's Aus: 
einanberfehung, welche wir nur al® Euriofum bier anführen. 

— Advocatenſtil in Nordamerifa. Gegen dem, 
wie die Nankees rühmten, „erften Kanzelredner der Welt” 
H. W. Becher ift in Brooflyn ein Proceß geführt worden, 
der mehr als einhundert Tage gedauert hat. Der fronme 
Raftor der congregationaliftiichen Plymontbgemeinde lebte im 
Ehebruch mit der Frau feines Gollegen Tilton, geftanb den 
Febltritt zu, lengnete ihn nachher ab und fo kam der Scandal 
vor Gericht. Die Geichworenen konnten ſich über ein Schul: 
dig nicht einigen. Doc das ift für und gleichgliltig; wir 
wollen nur am einem Beilpiel zeigen, in welder Weiſe einer 
der Vertheidiger Becher’ mit dem Ankläger Tilton um— 
Iprang, ohne daß von Seiten der Richter Einſprache dagegen 
erhoben wurde. Das Lericon zarter Ausdrücke würde an 
Saft verlieren, wenn wir e8 überſetzen wollten; es möge 
daber im Pankeeoriginal folgen. Advocat Porter bedachte 
den Prediger Tilton mit folgenden Complimenten: Adul- 
terer; libeler; villain; beggar; traitor; defrauder; snake; 
mendicant; assassin; maligner; liar; bastard; deceiver ; 
seducer; free-lover; debauchee; liar ad infinitum; per- 
jurer ad infinitum; conspirator ad infinitum; black-mai - 
ler ad infinitum; pretended cuckold; double-tongued per- 
jured liar; best on earth; sham man; base; malicious; 
foul; licentious; adulterous; laseivious; lustful; treache- 
rous; impudent; fouland infamous; selfish; heartless and 
depraved; short-sighted and shallow; addieted to Iying 
ad” deception; unholy; wieked libeler; treacherons and 
perjured accuser; of a hollow and theatric nature; man 
of vindictive malice; forger and fabrieator; deliberate 
and cunning perjurer; elippery and unreliable; his ma- 
lignity, his cupidity, his revenge; suborned his wife; me- 
ditated murder; his unserupulous craft; his fiendish ma- 
lice; in the lowest depths of degradation; cuckold hus- 
band; plumes himself on his cunning; with the cunning 
subtlety and malice of # fiend; his stratagems, his frauds, 
and his conspiracy; his half-drunken brain; his stilted 
display; of terrible power of hate; his self-glorifying and 
swaggering strain; writes for dressparade; nobody can 
trust him etc. 

— Der Rebacteur einer in der auftralifchen Colonie 
Neuſüdwales erfcheinenden Zeitung, welcher nadı langer Thä— 
tigfeit von feinen Leſern Abichied nimmt, rühmt fich bei die: 
fer Gelegenheit, daß er niemald geworden ift „horsewhipped, 
revolvered, knifed, kicked, licked, briecked, pommeled, 
or cursed for anything he has said, written, done, or left 
undone as an editor, and in ceasing to be one he is 
filled with melancholy sadness.* 


Inhalt: Dr. Hayden’s und Langford's Erpedition nach den Felfengebirgen. IM. (Mit vier Abbildungen.) — 
Ein Handwörterbuc des biblifchen Alterthums. (Mit adıt Abbildungen.) — Allerlei Zuftände im Reiche des Schah von 
Berfien. I. (Schluß) — Streifzüge im füblihen Norwegen. Bon Dr. David Braund. V. Ju Stavanger. — Beter 


v. Uslar und die kaulaſiſchen Forihungen. — 


Aus allen Erbtheilen: Die Ranqueles:Indianer im Süden der argentini- 


ſchen Pampas. — Aus Südamerifa. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 31. Juli 1875.) 


Herausgegeben von Karl Andree im Leippig. — Bür die Rebaction verantwortlich: H. Vieweg in Braunfchweig. 
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig. 


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Band XXvI. 





Mit beſonderer Berüchfichtigung der Inthropologie und Ethnologie. 
In 
Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 


Karl Andree 


Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlih 4 Rummern. 











Bra unſchweig 


— — — — — — — — 





Im Siebenbürger Goldlande. 


Bei den Siebenblirger Sachſen heißt ihr ſchönes Yand 
das Yand der Fülle, der Kraft, mit dem Gürtel der Stars 
paten, voll glänzender Saaten, voll Gold und Rebenfaft. 
Es ift auch ein reich) geſegnetes Yand, ein weiter Garten mit 
Ale reich verfehen, was man ſich in einer Haus und Staats: 
wirthihaft wünſchen mag. Bortrefflicer Wein fir den 
Hausgebraud) fowie filr den feinften Gaumen, Die Kofel- 
weine und ein Glas Roſchamaler aus den bijchöflichen 
Beingarten in Karlsburg mit feinem reizenden Bouquet 
werden jedem Deffert Ehre machen. Melonen, Kirſchen 
und namentlich die Zwetichen von einem Aroma wie es 
letzteren Frlichten felten eigen ift. Auch der Freund vortreff- 
licher Zugemüfe wird fi) zufrieden geben; weiße Bohnen 
und die Heinen grünen Fiſolen gedeihen nirgends fcmads 
bafter, Der Borſzeler, vielleicht der befte Sauerbrunnen 
der Welt, hat die gute Eigenfchaft die flarfen und fonft nicht 
wäjlerbaren ſiebenbürgiſchen Weine zu einem vortrefflichen 
durftlöfchenden Getränfe zu machen. Welche Menge von 
Heilquellen! Ohne viel Komfort, woflie jeder gemlithlic 
felber forgen mag; fehr primitiv, aber tüchtig im Charakter 
und Wirkung. An der jodhaltigen Schwefelquelle von Baj- 
fen wurde jeder angefehene fremde in der Regel, ftatt der 
an anderen Badeorten herlömmlichen muſikaliſchen Begrüs 
hung, am erften Abend durch Anznden der entjtrömenden 
Gafe über dem Becken der Quelle geehrt. In neueſter Zeit 
ſoll diefee Spaß zu einem größern Brand an der Quelle 
und großer Schädigung derjelben geführt haben. Aus faft 
zweihundert Quellen im Lande fließt Salz und fammelt ſich 
verſchwenderiſch im den großen Salzteichen von Salzburg, 

Globus XXVIII. Nr, 8. 


wo man aufrechtftehend badet und in dem ſchweren Element 
auch der Schwimmunkundige ſich über dem Wafler erhält, ohne 
unterzugehen, während anderwärts in meilenlangen natür« 
lichen Magazinen das weiße Lebenselixir fr unvordenfliche 
Zeiten aufgelagert vuht, Da giebt es große Eifenlager, 
und auch noch Gold, freilich nicht im der Hille und Fülle 
wie in Auftralien oder Galifornien: das gelbe Metall im 
Naturzuftand ift ſehr felten geworden in Europa. Auf den 
Hutweiden treibt fich eine dem Lande eigenthlimliche Race 
Heiner ausdauernder Vferde herum. Ueber ber fetten Milch 
der Büffelfühe wird die bejcheidene Nindermilcd in den 
Hintergrund gebräugt; nur von ſüßer Butter weiß man 
wenig im Lande; man fieht faft nur außgelaffene Butter 
und die blitthemweige Büffelbutter empfiehlt ſich weder durch 
Farbe nod) durch Aroma. 

Soll ich noch von dem wohlgenährten Geflügel fprechen ? 
oder von dem Embonpoint der Schweine, in fühler Eichel - 
maft und bei reichlichem Wafler von Finnen und Trichinen 
unbeläftigt ? oder vom Schwarzwild und vom Bären, bie 
zwar nicht dem Landwirth, aber dem Sportsöman ein jeltenes 
Vergnügen gewähren ? 

Doch von dieſen vielen guten Dingen foll nicht weiter 
die Rebe fein, ich will heute mur vom Golde bes Landes 
erzählen, das das golbreichfte Europas ift, wenn aud) das 
edle Metall nur noch wenig dort gewaſchen wird, wie in 
der neuen Welt, fondern mühfam aus dem Geftein gewon- 
nen werden muß. Zalathna, Berespataf, Offenbanya find 
bie berühmteften Bergbauftätten Siebenbürgens; fie liegen 
im Clidweften, füblich von Kolosvar, welches wir Deutſchen 

15 


114 


Klaufenburg nennen, zwifchen den Flüſſen Aranyos und 
Maros. 

Klanfenburg an der Heinen Szamos hat nur wenig 
deutſche Einwohner ; es ift eine magyhariſch⸗wallachiſche Stadt 
von eiwa 26,000 Seelen, der Sig der magyariſchen In— 
telligenz in Siebenbürgen, fo weit eine ſolche vorhanden, 
Schon von fern fündigt es fich ftattlich am durd) feine hohen 
Türme, welche zum Theil den mittelalterlicen Charakter 
bewahrt haben, Die Hauptftraße, welche viele ftattliche Ge» 











Im Siebenbürger Goldlande. 


bäude zieren, ift breit und der Platz, in deffen Mitte die 
fatholijche Kirche fteht, präfentirt ſich großjtädtiich. Ihrer 
Architektur wie ihrer Einrichtung nad) find die alten Ge— 
bäude Klauſenburgs echt deutſch. Das fiel ſchon dem Eng: 
länder Boner auf. Die eifernen enftergitter, die Balcone, 
die Geländer, die Dachrinnen — alles trägt unverkennbar 
einen eigenthümlichen Stempel, überall zeigt ſich das Geſchich 
und die fundige Hand des dbeutfchen Wertmanns. Die er- 
ften Anfiedler, die Erbauer, waren offenbar wohlhabende 





Altea Thor in Klauſeuburg. Nach einer Photographie. 


deutfche Bürger, wie auch bie Chronifen bezeugen. Allein 
gerade der Wohlftand lodte den Feind herbei, der trog der 
ftarfen thurmbefegten Mauer zu wiederholten Malen eins 
brach, die Stadt plünderte und die Einwohner im die Ge— 
fangenfchaft abführte. Die Türken haben mehr als einmal 
Stlaufenburg geplündert und das leidende Element war ber 
deutſche Bürger, welcher unterging. Der Magyar rikdte 
aus ber benachbarten Ebene ein und fegte fich in das warnıe 
Neſt, das er doch nicht gebaut hatte, umd gegen Ende des 


17. Dahrhunderts war Klauſenburg feine deutſche Stadt 
mehr, wenn e8 auch noch deren Phyfiognomie trägt. 

Bon hier aus unternahm ich meinen Ausflug in das 
Siebenblirger Erzgebirge, in jene® geologiſch fo intereflante 
Gebiet, weldyes von I. von Nichthofen, Guido Stadıe, 
Bernhard Cotta und Anderen wiſſenſchaftlich erforſcht wurde, 
wo die gleich Orgelpfeifen aneinandergereihten Bajaltfäulen 
der hohen Detunata („der VBerdonnerten“) das Auge des 
Geologen erfreuen. Der Weg führt nad) Süden. Ju 


Im Siebenbürger Baum 


115 


Thorda treffen wir auf eine neue Örabftätte deutjchen Bolts« | reichen Schunhelden bedeckt, welche durch die vielen roh ge⸗ 


thums; der Name Thorenburg zeigt noch an, daß hier einft 
Deutjche wohnten, Dept ift der Ort ganz magpariid. ‚Hier 
find die berühmten Salzwerfe, und Saumroffe mit Salz be 
laden geben der Gegend ein maleriſches Anfehen, erinnern 
an frühere Vertehröverhältniffe in den Alpen Wir find 
jegt im Thale des Aranyos, des Soldfluffes, und ihm nad 





arbeiteten Stollen aus dem Innern zu Tage geförbert wer⸗ 
ben. Auch die Schmelzöfen find im primitioften Zuftande 
und Zubalfain verfuhr jedenfalld in der Wearbeitung der 
Metalle fo wie heute die Leute von Toroczko. Ein neben 
einem Bache errichteter Schuppen bedeckt den Schmelzofen, 
der aus Vehm und Steinen erbaut ift; auf der einen Seite 


Welten zu folgend gelangen wir zunädjft in eine eifenveiche | find große Blaſebälge, fiber denfelben ein großes Loch, i 


Gegend nach dem maleriſch gelegenen, von einer alten Ruine 
überragten Toroc zlo. 

Die ganze Gegend iſt reich an Eiſenerz, welches 60 
bis 70 Procent gediegenes Metall enthält. Die Bergwerks 
arbeiten werben von ben Bauern betrieben, welche davon 
allerdings gar nichts verjtchen. 





welchem das Feuer bremmt, und auf der entgegengefeten 
Seite der „Abſtich“, dem das gefchmolzene Metall entflicht. 
It die Maſſe gar, fo wird fie audgelaffen und in ein zum 
Theil mit Holzlohlen gefülltes Loch geleitet. Hier wird die 
langjam erfaltete Maffe mit Hämmern zu einem compacten 


Die Berge find mit zahl» | Ganzen verarbeitet und dann fchlagen zwei Männer, jeder 














Anficyt von Toroczko in Siebenbürgen. Nach einer Photographie. 


mit einer geroöhnlichen Holzart bewaffnet, fo lange auf den | vor den Nömern die Agathyrfen, ein Volt unbeſtimmter 


großen Klumpen Dis derſelbe im zwei Stüde getheilt ifl. 
Die Arbeit erfordert natürlich viel Zeit und Mühe, allein 
cẽ ware ganz mußlos cin zweddienliceres Berfahren vor: 
zuſchlagen, da die Leute doc) ihren alten Weg gehen. Uns 
gefähr fo wie die — von Toroczfo bringen die von 
Edweinfurth „ Im Herzen Afritas“ beſchriebenen Wölfer 
iht Eiſen aus. E iſt hier wie da dieſelbe urſprliugliche 
Stufe der Verarbeitung. 

Weiter weſtlich von Toroczlo beginnt bad Goldland; 
Offenbanya, Topanfalva, Veredpatat, Zalathna find feine 
Vittelpunfte. Wer hat zuerft hier Gold geſucht? Gewöhn— 
lich nimmt man an, die Römer hätten hier die Bergbaue 
eröffnet, aber auf Herodot und andere Tiuellen hin ſowie 
durch archdologiſche Funde geftiigt nimmt man an, daß ſchon 





ethuographiſcher Stellung, und die Geten den fiebenblirgie 


ſchen Goldbergbau eröffneten. Im Centrum dieſes Golb- 
diſtricts liegt der fchon erwähnte berühmte Bafaltberg 
Detunata guala, welcher durch regelmäßige Gäufen- 


| bildung ſich unftreitig den ſchönſten ähnlichen Erſcheinungen 


in Wefteuropa an die Seite ftellt. Das Geflein aus dem 
die Säulen beftehen wurde im flüffigen, lavaartigen Zur 
ſtande emporgetrieben und bildete beim Erfalten regelmäßige 
viers, ſechs · und achtſeitige Bafaltfäulen. Auf einer Seite 
bes Felſenbergs haben diefe Säulen eine hlübſch abgerundete 
Form angenommen und Hier ift der Fuß ber Wand mit 
einer Trümmerhalde herabgejtärzter Säulenfragmente be- 
beit; von dem bomnerartigen See, welches durch das 
häufige Herabtiirgen der Trümmer hervorgebracht wurde und 


15* 


116 


Im Siedenbürger Goldlande. 


von feiner an ber Weftfeite ganz fahlen Beſchaffenheit er: | holen. Die Stollen ſind meiſt ſehr niedrig und ſchwer zu⸗ 


hielt der Berg feinen wallachiſchen Namen, in wortgetrener 
Ueberjegung: die nadte Verdonnerte. 

Ale Höhen ringsherum find voll von Löchern, im wel« 
den auf eine höchſt primitive Weile nad) Gold gefucht wird, 
Ein Dorf, Bucfum, hat hundert und zwölf folder Naubs 


bauftollen, die in den Berg führen; eim andered® Dorf, | 


Korna, hat deren ſechzig. In der Nähe von Berespataf 
haben die Abhänge durch die zahlreichen Halden das Aus- 
fehen von Ameifenhaufen und wie auf foldyen wimmelt es 
daranf von Arbeitern. Da die Leute hier über feine Capi⸗ 
talien verfügen, jo können fie weiter nichts thun, als in ber 
möglichft einfachen Art Gänge und Löcher im gerader Yinie 
ins Geftein treiben und das goldhaltige Material herauds 





Innern zu Tage gefördert, fo wird es imeben fo viele Theile, 
als Steinhaufen find, getheilt und Jeder nimmt feinen Theil 
oder verfauft ihn einem Andern. Wurde der Bau fhite- 
matifch unter ber Yeitung eines tüchtigen Bergmanns betrie- 
ben, fo lönnte er ungleich größere Ausbeute liefern. 

So aber ift es der Anblid eines Raubbaues, welden die 
aus goldhaltigem Gefteine zufammengefegten vom Gipfel 
bis zur Sohle nadten Hlgel darbieten; Uber und Über jind 
fie mit mächtigen Halden bebedt, auf deren Fläche ſich regel: 
{08 erfreute, dunfle Punkte, die Stollenmunblöcher, ſcharf 
abheben. Bor allem andern lenken aber die felfigen Ab: 


hänge des Kirnik oder der Gfetatye mit ihren weißen Dal: 


den die Aufmerkſamkeit auf fich, welche geradezu maulwurf 
artig durchmwühft find und jene berlihmten römischen Tages 
baue umſchließen, welche von der Großartigleit des römischen 





Die Goldgruben der Cjetatye in Siebenbürgen. 


gängig, fallen auch oft, da fie nicht geftligt werden, ein. 
Dieſes fortwährende Miniren hat das Ansjchen des Berges 
ganz verändert, man ficht nichts als eine Menge Scyutts 
halden und hier und da eine rohe Arbeiterhüitte dazwiſchen. 
Es ift eine harte Arbeit im diefen niedrigen Stollen, da fid) 
die Bergleute nur geblidt darin bewegen fünnen. 

Viele diefer Werte — wenn man den Ausdrud „Werke* 
hier gebrauchen darf — werden von einer Gefellichaft be— 
arbeitet ; ed vereinigen ſich nämlich Mehrere, um mit ihren 
Gefammtmitteln die Arbeit zu führen. So fann man an 
den Stollenmitndungen oft vier, ſechs, adıt oder mehr Stein» 
haufen liegen fchen und jeder repräfentirt einen Teilnehmer 
an der Geſellſchaft. Iſt das goldhaltige Geftein aus dem 








Nach einer Photographie. 


Bergbaues noch heute ein fo beredtes Zeugniß ablegen. 
Dean muß dieſe Tagebaue, die ſogenannte Cſetatye mare 
und mife (große und Meine Burg), gefehen haben, um ſich 
einen Begriff von den außerordentlicen Goldmengen bilden 
zu fönnen, welche die Römer allein an biefem Orte, auf 
dem Gipfel des Kirnik, gewannen, Gfetatye mare nennen 
die Wallachen einen großen Hohlraum deffelben, welcher mehr 
als 100 Fuß tief feines Inhalts beraubt it, Cfetatye mike 
einen mit erſterm durch einen Stollen in Verbindung ſtehen- 
den Meinern, im welchem ſich die fpiralfürmig von der 
Felſenſpitze in die Tiefe hinabfithrenden Stollen großentheils 
erhalten haben. Gier wurden jene berühmten Wachstafeln 
aufgefunden, welde einen fo willtommenen Beitrag zur 


roðmiſchen Culturgeſchichte lieferten, denn heute noch werden 


| 


jene Stollen von walladyifchen Bergleuten ausgebeutet. 


Geſchichten aus Alt-Japan. 1. 117 


Pferde mit Körben auf dem Rücken werden von Frauen 
oder Kindern herbeigeführt, um die golbhaltigen Gefteins- 
fplitter in die feinen Pocmühlen zu führen, deren Veres— 
pataf allein 800 zählt. Schon auf den Höhen überraſcht 
das tauſendfache Geflapper diefer primitiven Werke, welche 
in amphitheatralifcher Anordnung alle zufammen von einigen 
Teichen ihr Betriebswaſſer empfangen und durchweg ein traus 
riges Bild der hier angewandten Aufbercitungsmethode bieten. 


1 


Berespatat (deutfch: Goldbach) zühlt über 3000 Ein« 
wohner und macht von den Bergen aus gejehen durd) viele 
neue Gebäude einen freundlichen Cindrud, In feinen 
Strafen werben wir durch zahlreiche in die Gebäude ein- 
gemauerte römiſche Infchriften an die einft hier befindlich 
gewefene Auraria, an Alburnum majus erinnert, welchen 
Namen die Colonie wahrfcheinlich im Gegenfage zu bem 
Alburnum minus genannten Abrudbbanya führte, 


Geſchichten aus Alt-Japan. 


Alt» und Neu-Japan. — Das Etamädchen und der Hatamoto. 


A. B. Mitford, Herausgeber des äußerft intereffanten 
Buchs: „Tales of Old Japan“*“, war als Secretär der 
britifchen Geſandtſchaft längere Zeit bei den Japanern, eige 
nete ſich die Sprache diefes merfwürdigen Volles des öfte 
lichen Afiens an, orientirte ſich in feiner reichen Yiteratur, 
fam in feiner diplomatifchen Stellung mit faft allen Claſſen 
der Eingeborenen in Berührung und lernte auf mandjen 
Ausflügen und Reifen Yand und Yeute aus eigener Un: 
ſchauung lennen. 

Bor allen Dingen ſammelte er mit vielem Fleiße und 
guter Auswahl mehrere von Japauern verfaßte Schriften, 
die er fo trem und buchftäblich wie es der verichiedene Geiſt 
der beiden Sprachen zuließ, ins Englifche überjegte und dann 
unter dem obigen Titel herausgab. Nach diefer englifchen 
Ueberfegung nun hat der verdiente Neſtor der deutſchen Reiſen⸗ 
den und Bremer Bibliothefar J. G. Kohl eine deutſche 
Ansgabe *) veranftaltet, die noch dadurch befondern Werth 
erhält, daß fie mit einer gediegenen Einleitung verfehen ift 
und durd; Beihülfe gebovener Japaner bei der Leberfegung, 
ſoweit jie bie Scjreibweife japanischer Namen betraf, einen 
hohen Grad von Genauigkeit erhielt, 

Einige der in diefem Buche mitgetheilten Schriften ent 


halten Berichte iiber Begebenheiten ältern und neuern Das 
ſo eigenthümlichen und fo ſchnell verſchwindenden Civili— 


tums: Bollstraditionen, Erzählungen von berlihmten Män— 
nern und Helden, Schilderungen japaniſcher Gebräuche 
und Sitten, Märchen und Kindergeſchichten, die Mitford 
theils aus ſeltenen japaniſchen Handſchriften, theils aus 
ſehr populären und zahlreich im Lande verbreiteten, außer 
Japan aber unbefannten Blichelchen jchöpfte. Da der Schaus 
plag diefer Geſchichten und die in ihnen auftretenden Per- 
ſonen ſehr verſchieden ift, da einige ſich mit den einfachen 
Bauern und Birgerslenten, andere mit den hochfahrenden 
Adeligen und Ariftofraten des Reichs, einige mit den Liebes— 
arıgelegenheiten der Frauen oder mit den Heldenthaten und 
Nachelibungen der Männer, andere mit den Einfällen und 
Bhantafiefpielen der Kinder befchäftigen, fo erhält man in 
dem Buche ein ziemlid) vollftändiges von den Japanern 
jelbft entworfenes Gemälde des ganzen Volkes und ber Zu- 
ftände, Dent: umd Yebensweife feiner verjchiedenen Claſſen 
und Stände, 


*) Sefchichten aus Alt:Japan von A. B. Mitfort. Aus dem 
Gmalifchen überfegt von I... Kohl. Zwei Binde. Leipfig, Bers 
fag ven Ar. Wilb. Grunow 1875. Die Verlagsbantlung, melde 
bereits zahlreiche gediegene Werke (4.8. Wenjufow über bie ruſſiſch⸗ 
aftatifchen Grenzlaude) ins Deutfche uberfegen ließ, erwirbt ſich durch 
bie vorliegende Ausgabe cin neues Bertienft. 





Heutigen Tages giebt e feinen Anlaß mehr zur Geheim⸗ 
haltung in Japan wie früher. Der Roi fansant (der 
Mikado) ift aus feiner Yethargie erwacht, hat feinen Maire 
du palais (den Taikun) bei Seite geſchoben und eine vers 
ftändliche Regierung, weldye eine Beleuchtung von aufen 
nicht zu fitechten braucht, ift das Reſultat gewejen. Da die 
alten Annalen und Urkunden des Reichs hinreichende Be— 
weismittel für die Yegitimität der Obergewalt des Milado 
liefern, jo ift Geheimnißkrämerei nicht mehr nöthig. Der 
Forſchung chen nun alle Wege und Thore offen, und obgleich 
ihr noch Bieles zu thun übrig bleibt, jo ift doch manche 
werthvolle Kenntniß erlangt worden, von der man auch in 
Europa gewiß gern etwas vernehmen wird. 

Die in fegter Zeit durchgeführte Revolution in Japan 
hat ſowohl politifche als auch fociale Wandlungen zu Wege 
gebracht. Und wenn zu den Aenderungen und Foriſchritten, 
die ſchon gemadjt worden find, nun auch Eifenbahnen und 
Telegraphentinien das Yand durchtreuzen und die entlegen- 
ſten Punkte des Reichs unter einander in Verbindung fegen, 
dann wird wohl der alte Japaner, jo wie wir ihn vor elf 
funzen Jahren fanden und wie er bis dahin feit Jahrhunder⸗ 
ten gewejen war, bald ganz von der Schaubühne abtreten. 

Zur Beleuchtung und dyaraftervollen Schilderung einer 


fation fchien dem Herausgeber nichts geeigneter als die Ueber— 
fegung und Mitheilung einiger der interejjanteften nationalen 
Legenden, Hiftorien, Sagen und Märchen der Japaner und 
einiger anderer verwandter Proben ihrer Literatur, in denen 
diefelben ſich felbft porträticen. 

Eigenthümliche Einblide gewährt die Geſchichte „des 


Etamädcden und des Hatamoto*. Die fogenannten _ 


Eta find die Pariahs von Japan, die Hatamoto dagegen 
Edelleute. Und wie in Europa Gott Amor zuweilen, auf 
Standesunterfchiede feine Rückſicht nehmend, zwifchen Gra— 
fen, Rittern und ſchönen Zigeunerinnen Berbindungen ans 
jpinnt, welche dann zu allerlei romantifchen Conflicten füh- 
ren, jo gejchah dies aud) in Japan einft zwifchen Genfa— 
buro, einem vornehmen Hatamoto, und dem veradhteten, 
aber reizend jhönen Etamäddhen OKojo, einer japani- 
ſchen Preciofa, deren Liebſchaft in diefer Geſchichte gefchildert 
wird. Die bei einer zufälligen Begegnung plöglih in 
Genfaburo und O Kojo auflodernde Yeidenfchaft, die ge- 
heimen Zufammenkünfte der Beiden, ihre treue Yiebe, welche 
alle fie bedrohenden Gefahren nicht berückſichtigt und bis in 
den Tod dauert, dies Alles ift in diefer japanischen Yiebes- 
gefchichte ungefähr jo wie bei Shafefpeare'8 Romeo und 


118 David Brauns: Streifzüge im jüdlichen Norwegen. VI. 


Julie dargeftellt. Nur das Ende ift in Japan noch viel | lien und ihrer freunde. Die ganze Geſchichte wird in dem 
tragifcher als bei uns im Europa. Denn wer in Japan Buche einfach, und gut erzählt. Beſonders lebhaft ausgeführt 
fid) in eine jo arge Mesalliance einläßt, zieht, wenn diefe | ift die Darftellung der Scene, in welcher der vornchme Edel- 
ans Tageslicht und vor Gericht kommt, nicht nur fic) und | mann dem fchlichternen und beſcheidenen Etamädchen auf 
feiner Geliebten, fondern auch feinem ganzen Geſchlechte ſtürmiſche Weile feine Liebe erklärt. 

und allen feinen Helferähelfern Schande und Berderben zu. Ueber die Etas felbft giebt uns Mitford folgende Erläu— 
Und fo endigt denm auch unfer Noman nad) dem Genuffe | terungen. Cie find die Pariahs von Japan, deren An— 
eines verftohlenen Yiebesglüdes mit völligem Untergange der | wejenheit das Haus felbft des ärmften und niedrigften Ja— 
beiden Helden, des Hatamoto und ded Etamädchen, ihrer Fami-⸗ | paner& befledt. Ihre Beichäftigung befteht in Abſchlachten 


—— * — — 
— N - Dre | 




















Begegnung Genſaburo's mit den beiden Eta-Mädchen. 








der Thiere und in der Verarbeitung des Ledero. Auch 
miliſſen fie die Verbrecher bewachen und andere erniedrigende 
Dienfte verrichten. 


wie in einigen Yändbern Europas das Amt des Henlers erb+ 
lid) geworden war, im ganzen Yande mit Fluch beladen 
wurden. Cine andere llebertieferung verfichert, daf fie die 

Dian hat ſehr abweichende Berichte über die Entftehung | Nachtommen der mongolifchen Eroberer feien, welche Kublai 
und Geſchichte diefer Menſchenclaſſe. Das Wahrſchein- Chan bei feinen Einfällen in Japan hinterlafien habe, 
lichſte ift, daß zur Zeit, als der Buddhismus, defjen Grund» | Eine Schilderung der gefelligen Berhältnifie Japans würde 
jäge verbieten, irgend etwas Vebendiges zu tüdten, in Japan | unvollftändig fein ohne eine Kunde der Etas, und die mit: 





eingeführt wurde, diejenigen, weldye vom Schlachten der | getheilte Geſchichte malt fehr deutlich) die Stellung aus, 
Thiere lebten und deren blutiges Gewerbe in ihren Familien, melde fie einnehmen. 


Streifzüge im ſüdlichen Norwegen. 
Von Dr. David Brauns. 


VI. 
Im Hardangerlande und in Bergen. 


Auf der Waſſerſcheide, die zum Rölldals-Vand führte, | der ſchöneren Alpenſeen. Freilich ift der Charalter der Al- 
fahen wir die Gletſcher des Hardangerlandee. Die | pen umd der ſtandinaviſchen Berge ein ſehr verfchiedener und 
Gegend um den See nimmt ſchon an der großartigen Sce- | macht eine Bergleihung mißlich. Im Ganzen mögen die 
nerie der Harbangerberge Antheil und erinnert am einige | erfteren durch Fühnere Formen und durch größere Abwechſe- 


David Brauns: Streifzüge im füdlichen Norwegen. VI. 


{ung in der Natur den Vorzug verdienen; gewiß aber hat 
Norwegen vermöge feiner imponirenden einfachen Großartig⸗ 
feit, durch jahe Contrafte in den Umriffen der Berge und 
durch den jo malerifchen außerordentlichen Reichtum an 
Wafler jeine eigenen Reize. 

Die größere abfolute Höhe der Berge und die etwas 
nördlichere Page laſſen hier aud) das wilde Renthier ſchon 
in möchtigeren Nudeln auftreten; doch ift die Jagd auf dies 
Thier immer ungewiffen Erfolges, da baffelbe weite Wans 
derungen unternimmt, deren Richtung von der des Windes 
— fie ziehen diefem entgegen — abhängt und daher ſich jel- 
ten berechnen läßt. Ich war ſchon am 24. Auguft genöthigt, die 
Reife nach Bergen anzutreten, während mein Reiſegefährte 
zurücblieb, um von hier aus einen Jagdausflug in die Fjelle 
zu unternehmen. 

Von Rölldal, wo auch die befchwerliche Bergſtraße von 
Telemarlen und weiterher von Chriftiania — über Haufe 
(id — einmündet, gelangt man nad) Norden erft auf die 
eigentliche Waſſerſcheide des Harbangerlandes; von bort 

hinab fommt man in das Gebiet der nad) Bergen hin offes 
nen, vielfach, zerfchligten Fiorde, weldye durch hohe, zum 
Theil Gletſcher führende Berge getvennt find, Der Weg 
geht über Glimmerfchiefer und Chloritjchiefer, fteigt bis in 
ve baumloſe Zone, zieht fi dann an Schluchten voll 
ewigen Schnees vorüber und fällt, nachdem man endlich 
wieder eine wirkliche brauchbare Poftftraße erreicht hat, an 
grünen Weideplägen mit maleriſchen Niederlaffungen vorbei 
in ein tiefes Flußthal hinab, das von zadigen Schieferfelfen 
eingefaßt und von einem mächtigen Strome in impofanten 
Gatcaden durchrauſcht ift. Faſt bedrohlich ftlirzen die Wafler- 
fälle der ebenfall® mächtigen Seitendäche auf den Wanderer 
zu, vor Allem der berühmte Laate-Foß, ein doppelter Fall, 
dm gegenliber ein dritter ſich befindet, fo daf Thal und 
Strafe in ewigem Staubregen liegen. Später öffnet ſich 
das Thal; ein lieblicher Wiefengrund, der von Grönsdal, 
zeigt ſich, und endlich, nach ferneren Stromichnellen und 
Felſenengen, der breitere Hillesdals-WVand, von welchem 
man eine nahe Ausficht hat auf Burbraeen, den berühm: 
teften der Ausläufer des coloſſalen Eismeeres des Folges 
fond, Diefer Niefengleticher, 10 bis 11 geographiiche 
Meilen lang und faft halb jo breit, hängt wie eine weite 
Kappe über dem hohen Field, das faft den ganzen Zwiſchen- 
raum zwilchen dem Thal, im dem ich mic befand, nebſt 
dem Fiord, in den es mundet, und andererjeits dem offnern 
Theile des Hardangerfiords ausfült. Die höchſten Theile 
des Folgefond liegen unter ewigem Schnee faft 5400 Fuß 
body, die durchſchnittliche Höhe des Hochplateaus mag auch 
noch etwa 5000 Fuß betragen; die tiefften Zipfel reichen aber 
in eine Meereshöhe von nur 900 bis 1000 Fuß herunter, 
Burbracen liegt 3. B. nur 660 Fuß höher, als der auf 
300 Fuß Meereshöhe befindliche See in der Nähe. Unter 
allen Gletfchern des Bergenhunss Amtes übertrifft nur ber 
— nördlich vom Sognefiord, den Folgefond an 
röße. 

Vom Hillesdalſee, der mit einem Poſtboote über: 
fahren wird, führt ein kurzer Weg nach Odde, dem End— 
punfte des tief nad; Sitden eindringenden Fiordes, der das 
Hillesdal und feine Gewäſſer aufnimmt. Bon hier brachte 
mic nach mehrtägiger Fahrt durch die Fiorde von Hardan— 
ger das Dampfſchiff nach Bergen. 

Diefe Stadt hat eine ungewöhnlic, ſchöne Yage und 
unterfcheidet ſich dadurch ſehr von den Küftenplägen, die ich 
bisher gejehen. Die Berge treten in’der Höhe von 3000 Fuß 
bis hart an die Stadt, ſchroff abfallend und tief von Tha— 
lern mit Bergfeen und cascadenreihen Waflerläufen durch— 


Mitten. Gmeis, Glimmerfchiefer und Chloritſchiefer find . 


119 


auch hier die herrfchenden Geſteine. Der Chloritfchiefer 
wird in der Stadt als Bauftein, der Glimmerſchieſer dort 
und noch mehr auf dem Yande zu mannigfachen Zwecken — zu 
Dacdbedetung und zum Behange von Häufern, zu Canals 
dedplatten und Prellfteinen ſowie zu Wepfteinen — verwandt. 

Die Vegetation der ganzen Gagend, namentlich aber des 
ringsum imalerifch von Anhöhen umſäumten und gegen die 
Winde geſchutzten Hafenbedens, ift überaus reih. Alle un— 
jere Waldbäume, die meilten unjerer Obftbäume gedeihen 
gut, ja, fie erreichen eine beträchtliche Größe. Gartencultur, 
und in gewiſſem Grade der Yandbau, blühen hier. Dies 
hängt mit dem für die Breite von mehr ald 60% ungewöhns 
lich milden Klima zufammen, das freilich auch ſehr viel 
Regen bringt, deffen Menge hier ſprüchwörtlich ift. Nicht 
nur der Solfftron, fondern auch der ſüdweſtliche Luftſtrom 
nehmen ihre Richtung befonders auf Bergen, Drontheim 
und die nächſt mörblichen Küſtenſtrecken. Der Winter ift 
in Bergen fo milde, daß eine Schneebahn zu den Seltens 
heiten gehört, und das Seewafler gefriert bis in die inner 
fien Fiorde nicht. Noch bei Stavanger ward mir erzählt, 
daß die legten Euden der Fiorde zufrören; der Chrifliania- 
Fiord ift befanntlich allwinterlid, weithin mit Eis bededt. 
Die eisfreie Küfte veicht übrigens weit über die Grenzen 
des Drontheimer Stiftes, ja bis in die Finnmark, fo daß 
ein Plan der fchwediichen Regierung vorliegt, durch eine 
Eijenbahn Nordichweden mit einen der eisfreien norwegis 
ſchen Häfen zu verbinden — ein flir beide Länder höchſt 
fegensreiches Unternehmen. 

Sowohl die Seeproducte, im MWefentlichen die nämlichen 
wie in Stavanger, als die in Norwegen wild vorfommenden 
Yandthiere find in guten Exemplaren ſämmtlich im Muſeum 
zu Bergen aufgejtellt, das man neuerdings in ein geräus 
miges und fchönes, eigens dazu erbautes, maſſives Gebäude 
verlegt hat, Der wichtigſte Theil der dort aufgeftellten 
Sammlungen ift jedoch der ethnologiſche, welder vom 
Steinzeitalter durch die Bronzeperiode und Gifenzeit his 
durch bis ing Mittelalter und felbit in die Neuzeit zahlreiche 
inländische Funde nebſt ausländifchen Parallelen umfaßt. 
Namentlid) werden hier gejchnigte Theile von alten Holz— 
firchen aufbewahrt, die, wie id; bemerkte, Schon äußerſt jelten 
geworden find, Bon dem originellften Beilpiele, der noch 
erhaltenen Borgund⸗Kirche im Sognedal, find hier Abbils- 
dungen umd Modelle. Die Fragmente von Thüren und 
Fenſtern, die ich im Muſeum fah, Ichnen fich ftreng an bie 
byzantiniſche Kunſt an; die fpäteren Erzeugniffe beftätigen 
das, was ich tiber die Kuntthätigfeit der Sätersdaler be 
merkte. Wenn auch jchöne Renaiffancefchnigereien den Eins 
flug der Mode und des Eulturfortichrittes auf die zugängs 
licyeren Theile des Yandes befunden, fo geht doc) jene Nach— 
ahmung des Alterthlimlicen immer daneben her. 

Die Stadt Bergen verdankt ihre Blüthe zum großen 
Theile den Hanfeaten, deren Einfluß hier lebendig fort» 
wirt. Die Tydske Bro — der deutſche Kai — beiteht in 
der alten Weiſe fort; die Häufer, mit ihren dem Kai zuge: 
kehrten Giebeln, find neu verkleidet und reparirt, aber tm 
Innern noch die alten Hanfeatenhäufer mit den darin auf: 
gehängten Schiffsmodellen und ausgeftopften Walthieren 
und, was wichtiger, mit ben aus ber alten Zeit datirenden 
GContoblichern. Auch die Bevölferung zeigt eine ftarfe Bei— 
mifchung, namentlich von Deutichen, aber aud) von Hollän- 
dern, und die Miſchung ift ohne Frage eine glückliche, denn 
die Bergenfer find der intelligentefte, regſamſte und lebhafteſte, 
die übrige Maſſe vielfach geiftig beiruchtende Theil der Be: 
völferung Norwegens, natürlicher Weife vielfach unbelicht, 
als „halbe Deutjche“ verſchrien, aber ihre Ucherlegenheit 
behauptend. Der Geſichtsausdruck noch mehr als die Züge 


120 


befunden bie nähere Stammesverwandtſchaft mit den füdlichen 
Germane 


n. 

In Folge davon blüht nicht nur der Handel Bergens, 
theilweife zum Schaden anderer Gegenden Norwegens, fons 
dern es herrſcht aud) ein gewiffer Lurus, eine Freude an 
Vebensgenüffen, an guten und jchön gelegenen Häufern und 
Villen, ein Sinn fir Kunft und Wiſſenſchaft, den man fonft 
in Norwegen nicht fo verbreitet findet. -Cinen auffallenden 
Contraſt bietet ſchon Stavanger, wo das Miſſionsweſen alles 
Uebrige in einer Weife Uberwuchert, welche die Spottluft ber 
doc, keineswegs einer freien Kirchenrichtung angehörenden 
Bergenfer vielfach, anregt. 

Bon Gebäuden, deren es hier nicht wenige maffive und 
gut gebaute giebt, hebe ich hervor die aus grünem Chlorit- 
ſchieſer erbaute mehrfach, ſchlecht reftaurirte gothifche Donts 
firche; dann die ſpätgothiſche Marienlirche, die Kirche der 
Hanfenten, einſtmals Schauplatz eines Kampfes derſelben 
mit dem Gowerneur Waltendorf, der einen Thurm an der 
Brüde gegen fie befeftigte und armirte. Diefer Walfen- 
dorf'ſche Thurm blickt noch jet dräuend den deutjchen Kai 
entlang und erwedt den Norwegern angenehme Neminijcens 
zen. In der Nähe des Hafens, der von allerhand Schiffen 
wimmelt, zeigt man ferner den Thurn, wo auf einem Balle 
Chriſtian IL. die Divele zuerft jah, und auf dem Markte 
die leider ſehr gefchmadlofe Statue des Bürgers Chriftie, 
eines der Haupturheber der norwegiſchen Verfaſſung von 
1814, weldye befanntlich gleichzeitig mit der Trennung von 
Dünemart ins Leben trat, 

Diefe Berfaffung ift von fo vielen Seiten Gegenſtand 
größter Verehrung geworben, daß es ſich der Mühe verlohnt, 
ihre Einflüffe näher ins Auge zu fallen. 

Nicht im Abrede zu ftellen ift, daß die Verfaſſung Nor 
wegens einen freien, nationalen Sinn athmet. Zugleich ift 
fie die reinſte Berförperung des demofratijhen Principes, 
die es bis jegt im Wirklichkeit giebt. Allein fo ſchön und 
richtig dies Princip ift, fo wenig halten in der Praxis die 
beredten Vobeserhebungen Stich, die namentlich der fonft fo 
verbienftvolle Forſcher umd Kenner des Nordens, Theodor 
Mugge, der Befreiung Norwegens von jeglichem Adelseins 
fluſſe zoll. Auch das fehlen einer einflußreichen Crecutiv- 
gewalt hat feine bedenklichen Seiten. Ja, wenn die Bürger 
Norwegens wirflid) das Stadium der Entwidelung erreicht 
hätten, daß ihre Majorität ein intelligentes Regiment führ 
ren fünnte — dann wäre Norwegen ein glüdliches Land. 
Dem ift aber keineswegs fo. Die Bauern, deren Mehrzahl 
die Yeitung des Staates überantwortet it, ſtehen durchaus 
nicht auf der Höhe der Zeit. Während man, ſei es aus 
Eitelfeit, fei es im Schlendrian, eine Heerverfaſſung geichaffen 
hat, die weder reell noch formell irgend einen Nugen bringt 
und nichts ift, als eine Carricatur der centraleuropäifchen 
Militärverhältniffe — wie dies auch gerade Mligge im ziweis 
ten Bande feiner „Skizzen aus dem Norden“ aufs Schla— 
gendfte darthut —, geichieht für die Wege, für Poſtweſen, 
für Forfteultur, lauter Dinge, die gerade in diefem Yanbe 
am nöthigiten wären, fo gut wie gar nichts, für Bolfsunter: 
richt immer noch herzlich wenig. Wege werden fajt nur da 
gebaut, wo die Touriftenftraße fich hinzieht; dort geht man 
zur Anlage von Eifenbahuen über, ehe man bie nothwendig- 
ften Gebirgspfade auch nur nothdlürftig hergerichtet hat, 
Die Bedurfniſſe der entlegenen Nieberlaffungen fonmıen bei 
der Engherzigkeit, mit welcher die Bauernmajorität über die 
Staatsfonds beichlicht, gar nicht zur Geltung; daß dorthin 
gewandte Summen wieder dazu dienen wlirden, die Steuer 
fraft des ganzen Yandes zu erhöhen, biefer Fundamentalſatz 
ift gänzlich unbeachtet. Was die Poftverbindung betrifft, fo 
möchte deren Dualität aus der Thatſache zu erjehen jein, 


David Brauns: Streifzüge im füdlichen Norwegen. VI. 


daß man auf den frequenteften Routen nächſt ben größeren 
Städten, ja im dieſen felbft, noch ganz alte Zeitungen eifrig 
durchſtudirt. Die Bergenfer auf dem Dampfſchiffe im Hars 
dangerfiord bejchäftigten ſich theilweife fehr emfig mit folchen 
von 8 bis 14 Tagen Alter, und neuere waren nicht vor— 
handen, Im Sütersdal, wo das einer Privatgefellfchaft 
angehörende Dampfihiff im Sommer dreimal wöcentlicd) 
geht, geht gleichwohl die Poft Jahr aus Jahr ein nur ein: 
mal die Woche! Auch der Volksunterricht befchränft fich 
häufig auf die Formalien ſowie auf Religion und das nor⸗ 
wegiſche Berfaflungs- und Geſetzbuch; gemeinnügige Kennt: 
niffe, weldye zur Hebung von Aderbau und Viehzucht dienen 
fünnten, kommen wenig oder gar nicht ins Spiel, 

Daher wird denn auch öfonomifch ſchädlichen Maßregeln, 
dem verderblichen Ausrotten der Wälder, dem unrationellen 
Betriebe der Häringfifcherei und der dabei ftattfindenden Ver: 
geudung am Arbeitäfraft nicht entgegen getreten; ja, ed er- 
hebt fid, faum eine Stimme wider diefelben! Daß man zu 
pofitiven Verſuchen, etwa der Einführung einer umfaflen- 
dern Schafzucht an ber dazu vielleicht ebenjo gut, wie Schott: 
land , geeigneten Südweftlüfte, oder der Verbefferung der 
Fabrikation der Producte dev Sennereiwirthicaft, überginge, 
dazu ift noch weniger Ausſicht. Selbft da, wo die Regie— 
tung guten Willen zeigt, wie in dev Filchzlichtungsfrage und 
in den ſchwachen Anfängen einer Anlage von Staatswal: 
dungen, fehlt es an Energie und demnach aud) an Erfolg. 

Das Refultat ift denn aud) das, daß die Bevölkerung, 
obwohl nur 1,700,000 Einwohner auf 5800 Duadratmet- 
len betragend, auf eine ziemlich, ftarfe Auswanderung anges 
wiefen ift. Wie der Berfall fid) in den einzelnen Füllen 
geſtaltet, ſahen wir im Siredal; unbedingt find die dortigen 
Zuftände nicht vereinzelt! Die Bemühungen des Storthings 
und feiner Parteien, auch der Jaabel'ſchen Partei der Bauern⸗ 
conmuniſten, find zu ausschließlich auf Formfachen gerichtet, 
und dieje reichen nun einmal, wie die norwegische Berfaffung 
felber beweift, nicht für das ganze Dafein eines Bolkes und 
Staates aus. 

Faſſen wir alle jene einzelnen Reſultate unparteiifch zırs 
fanmen, fo fommen wir doc) zu einem etwas andern Ne: 
fultate, als dem ber norwegischen Patrioten: daß alles Heil 
von der Selbjtändigleit, alles Berderben von Dänemark 
gefommen fei. Wir brauchen einem unferer erſten deutſchen 
Selehrten, Leopold von Bud, der in ben letzten Jahren der 
dänifchen Herrichaft das Yand bereifte und eine ber beflen 
Neifebefchreibungen deffelben verfaßt hat, nicht ohne Weiteres 
der Befangenheit zu befchuldigen, wenn er die dänische Re— 
gierung eine „stets fanfte und wohlthätige* nennt und ihre 
eulturbringenden Einflüffe auch auf arme und mißachtete 
Gegenden wiederholt hervorhebt. Selbit die Hebung der 
Finanzlage nach dem Kriege kommt ohme alle Trage zum 
großen Theile auf die günftigeren Zeiten, auf den langen, 
wohlthätigen Frieden, der jeit 1815 mod) fortdauert, und 
wern fid) auch gewiß nicht Alles ebenjo günftig geftaltet 
hätte, falls die dänische Herrſchaft fortbejtanden, fo fan es 
doc) immerhin fraglich erſcheinen, ob nicht Norwegen bei 
dem engern Zufanımengehören des Staates und dem daraus 
hervorgehenden regern Berfehre viel mehr Bortheil im Giror 
Ben und Ganzen gehabt hätte. Aehnliches gilt natürlicher 
Weiſe von der Idee der ffandinaviichen Union, deren Geg— 
ner, die particulariftifchen Norweger, wie mir fcheint, jehr 
im Unrecht find! 

Daß die Verfaffung Norwegens, bei den ihr vorhin zu⸗ 
erfannten Pichtfeiten, auch' nach manchen Ridjtungen heilfant 
wirkt, das bin ich gewiß nicht gewillt in Abrede zu ftellen. 
Freilich überfchägt man, was die Unbahnung von patrio- 
tiſcher Gefinnung, von Adıtung fir Geſetz und Recht, von 


Kleinruſſiſche hiſtoriſche Gedichte. 


Anbahnung einer geſitteten Lebensweiſe anlangt, ſehr leicht 
die Wirkung eines Blattes Papier. Der äußere Zwang 
3 B., der den Detailverfauf der Spirituofen durch hohe Ber 


ftenerung befchränft und vom Sonnabend bis Dlontag ganz | 


aufhebt, hat natürlich wieder eine Lüfternheit des gemeinen 
Mannes zur Folge und verleitet jelbft Keichere und Beamte 
leicht zur Nichtachtung und Umgehung des allzu läftigen 


121 


| Gefeges, und es möchte abzuwarten fein, ob die gute Wir⸗ 
| fung folder Präventivmaßregeln ſich auf die Dauer Hält. 
Ich ſchließe mit dieſen funzen Bemerkungen über bie 
politifchen Zuflände Norwegens, da Bergen der legte Ort 
ift, an welchem mir länger zu verweilen vergöunt war. Am 
28. Auguſt dort abgereift, jah ich bereits am 30. die jütifche 
Küfte und fehrte damit in das eigentliche Cultureuropa zurlid. 


Kleinruffifhe Hiftorifhe Gedidte *). 


Die epifchen Gefänge und Volkslieder der verfchiedenen 
Bölter Rußlands find in der legten Zeit mit preiswürdigem 
Fleiße gefammelt worden und auch wir haben im „Globus“ 
wiederholt auf einige hervorragende Arbeiten diejer Art hin 
gemiefen. Aber meift wandte man ſich dem Nordoften zu, 
juchte unter den Großruſſen, während Kleinrußland (Wols 
hynien, Podolien, die Ufraine) erft in der neueften Zeit auf 
biefem Gebiete die Aufmerkjamfeit erwedte. Wllerbinge 
waren von Yocalforfchern wie Nutfchento und Kuliſch dort 
fon Märchen und Lieder gefammelt worden, doch fehlt 
immer noch eine kritiſche Verarbeitung. Für die gefchicht- 
lihen Lieder liegt fie indeſſen jet hier in ausgezeichneter 
Weiſe vor und wenn das ganze Werk wie der vorliegende 
Band ausgeführt wird, jo kann es als eine vorzliglicde Er— 
ſcheinung gepriefen werben. 

Als Ausgangspunkt nehmen die Herausgeber die poli- 
tifche Gefchichte des fübruffiichen Volls und zwar die Bil- 
dung ber Druſchinas oder Militärgefellichaften. Diefe, 
denen Prinzen aus Ruril's Geblüt vorftanden, beherrſchten 
bie Gejchide Siübrußlands bis zum Cinfalle der Tataren; 
und auch fpäter unter ben Nachfolgern des Litauers Gedimin 
behielten fie ihren Einfluß bis zur Bereinigung Polens und 
Litauens in der Mitte des 16. Jahrhunderts. So hervor: 
ragend, fagen die Herausgeber, ift die Stellung diefer Ger 
ſeliſchaften und ihrer fürftlichen Wlihrer im poetifchen Gier 
dächtniffe des Volles, jo gering find die Einflüffe anderer 
foeialer Berbände und Einrichtungen auf dafielbe, daß die 
Gedichte aus jener Periode als die des Drufchina- oder fürft- 
lichen Zeitalters bezeichnet werden müſſen. Dann folgt die 
Periode, im welcher die obere Schicht der Geſellſchaft von 
der niedern ſich trennte, ein polonifirender Proceh, 
während die Tatarenmadıt nad) dem Erſcheinen ber Turken 
am Schwarzen Meer aufs Neue ihre Haupt zu heben be- 
ginnt. Dann entjpringt aus dem Schooße bes Volles felbft 
das Koſackenthum, weldes feinen Stempel jenen Gedich— 
ten aufdrüdt, die die zweite Abtheilung des Bandes bilden. 
Daran follen ſich die Gedichte der „Haidamalen- Zeit“ 
fchliegen, welche den Kampf des Volts gegen die polnifchen 
Adligen und ihre jüdifchen Agenten befingen; die Nepräfen: 
tanten des Volls in diefem Streit heißen in der Ufraine 
Haidamalen oder Briganten. Daran ſchließen fich die Lie 
der ber „Recruten» und Yeibeigenenzeit* und endlich 
„Lieder der Freiheit“, welche der legten Epoche ange: 
hören und feit Aufhebung ber Leibeigenſchaft entftanden find. 

Der erfte Theil beginnt mit einer Anzahl Meiner Ges 
fänge, welche gewöhnlich aus hiſtoriſchen Sammlungen forts 
bleiben, da fie müthifcjereligiöfen Inhalts find. Solcher 

*) Istoritscheskaja pjesni malorusskago naroıa, (—OHiſtoriſche 
Gedichte des Heinruffiicen Volles. Mit Anmerkungen berausgegeben 


von BU. Antonomwirfd und M. Dragemanow. Grfter Band. Kiew 
1874.) - 


&obus XXVIII. Nr. 8. 


Art find z. B. die zur Weihnachtszeit gefungenen Koljadti, 
die ihrerfeit® wieder als heibnifche Ueberlebfel angefehen wer- 
den müflen. Im einigem finden die Herausgeber Spuren 
eines Heroencultus, wie 3. B. im der Gefdjichte vom feide- 
nen Zelte, in weldem an goldener Tafel ein fürftlicher 
Jungling fügt, zu dem feine getreuen Mannen fommen und 
ihn bitten fie ins Land der Ungläubigen zu ſenden, wo fie 


‚ ihre bligenden Schwerter und faufenden Pfeile in Thätig- 


keit jegen wollen. - 

Auf Seite 73 bis 327 finden wir die Lieder der Ko— 
fadenzeit, welde vom Streite gegen Türken und Tataren 
erzählen. Die meiften entftanden augenfheinfic im 16. und 
17. Dahrhundert. Das Material, aus dem fie geformt 
wurden, war jedoch entjchieben älter und einige der Lieber 
mögen bis in die Zeit der erften Tatareneinfälle zurückrei⸗ 
chen. Wir hören im ihmen die lagen der Gefangenen im 
fernen Yande und das Jammern ber in ber alten Heimath 
Zurüdgebliebenen. Wir fehen ben Feind bei Nacht herein- 
brechen, ben zerftörten häuslichen Herd, die verwüſteten Fel—⸗ 
ber, den traurigen Marſch der fortgeführten Gefangenen, 
bie Graufamteiten, welche diefe in der Sklaverei oder an 
Bord einer tlirfifchen Galeere ertragen miffen, bis der Tod 
als willtommener Erlöfer allen Yeiden ein Ende bereitet. 
Die meiften diefer Gedichte find trüb und melandolifch, 
wenn auch hier und ba ein hellerer Lichtftrahl darin zu ent 
deden ift, 3. B. wenn ein Mädchen mit Hilfe ihres Gelieb- 
ten der Gefangenſchaft entflicht. 

Um einen befjern Begriff von dem Weſen biefer Gedichte 
zu geben, wollen wir eine Analyfe mittheilen. Ueber bie 
Ebene zieht ein Trupp Gefangener, unter ihnen tranrig drei 
Töchter eines Dorfgeiftlihen. „Ad ihr meine golbnen 
Locken,“ ruft die eine, welche mit dem Stride ans Pferd 
ihres Peinigers gefejlelt ift, „nicht länger wird mein Mütter 
den euch ordnen und bewundern." — „D ihr meine Heinen 
weißen Füße,“ fagt die zweite, welche hinter einem Wagen 
hergeſchleppt wird, „micht länger werden die Hände meiner 
Mutter euch wachen. Bom rauhen Sande bes Wege mwer- 
det ihr zerſchunden, Blut bezeichnet eure Spur.“ Und bie 
britte, welche wegen ihrer befondern Schönheit in einem ver⸗ 
dedten Wagen von ihren Räubern mitgefchleppt wird, jams 
mert folgendermaßen: „Ach, Augen, ihr meine ſchwarzen 
Augen! Ueber die weite Ebene ziehen wir dahin, doch ihr 
jehet nicht das Yicht des Tages.“ 

In einem andern Gefange heißt es, baf beim Dorfe das 
Korn üppig gedeiht. Dort ſichelt ein Mädchen und bindet 
Heine Garben. mmt ein Kofad herangeritten, figt auf 
einem fohljhwarzen Koffe und jagt: „Hör’ auf, o Mädchen, 
zu ficheln das Korn, zu binden Fleine Garben.“ Auf zum 
Hligel reitet der Kofad, liegt dort nieder und beginnt zu 
fchlafen und feim gutes Roß es fchreitet auf und nieder, 
Kommt die Maid und jchlägt mit jcharfem Grafe den Kor 

16 


122 


aden ins Geſicht. „Stehe auf, Kofad, vom Sclummer 
* erhebe Dich. Nicht mehr kannſt Dein Roß Du ſehen, 
Turten und Tataren trieben fort es.“ Da antwortet ber 
Koſack: „Ihnen bin ich wohlbefannt, fie wagen nicht mic) 
anzurühren. Ift mein Pferd verloren, hol’ id) mir ein an 
deres. Sollteft aber, Mädchen, Dir verloren gehen — dann 
bleibt feine andere Liebe für mic, übrig.“ 

In einem dritten Gefange ſchreibt ein Koſack rührende 
Briefe an feine Eltern, daß fie ihn aus der Gefangenschaft 
lostaufen follen. Als aber der Vater hört, daß es ihn vier 
Paar Ochſen often fol, da weigert er ſich Et und 
auch die Mutter jagt nein, als fie hört der Preis fei vier 
Paar Kühe nebft den Kälbern. Da wendet der verzweifelte 
Gefangene ſich am feine Geliebte. Sie erllärt ſogleich, daß 
fie lieber alles verlieren will, was fie befigt, ald daß er noch 
länger in der Gefangenſchaft ſchmachten folle. Ihr gelingt 
es den Kofaden zu befreien. 

Unter den am meiften befannten Öefangenfchaftsgefängen 
diefer Sammlung ift einer, von bem mehrere Varianten vor- 
handen find, welcher bie Flucht dreier Ruſſen aus der Ge— 
malt der Ungläubigen ſchildert. Die Varianten gehen 
namentlich, beim Schluſſe der Geſchichte auseinander. Stets 
ift es aber die Stabt Aſow und die Steppe der Ufraine, in 
welcher die vielleicht ins ſechszehnte Jahrhundert zur: 
reichende Geſchichte ſpielt, die alſo im Auszuge lautet: 

Es iſt fein Nebel, der ſich bei der Stadt Aſow erhebt; 
nein, e8 find drei Brüder, welche der Sklaverei entfliehen. 

Zwei von ihnen find beritten, ber dritte läuft zu Fuß. 
An den weißen edigen Steinen, die zwiſchen den grauen 
Dornen liegen, verwundet er feine Füße und breite Blut- 
fpuren bezeichnen feinen Weg. „Haltet an eure Roſſe, ihr 
meine Brüder; nehmt mid, mit hinten auf, damit ich chriſt⸗ 
liche Städte erreiche, damit ic, Vater und Mutter wieder 
ſehe.“ So ruft er; Thränen ftürzen aus feinen Augen, er 
hält die Steigbligel. Da antwortet der ältere Bruder: 
„Wenn wir auf did) warten, oder dich aufnehmen, dann 
fommt und ber Verfolger nahe, er wird und mit Wunden 
überfäen und zurüc im die Gefangenihaft jchleppen.“ — 
„Wollt ihr nicht auf mich warten und mich nicht mit 
nehmen — nun, dann zieht eure blanfen Schwerter und 
haut mir den Kopf von den Schultern. Dann begrabt mei 
nen Peib auf der Steppe, damit weder ein Vogel noch ein 
Thier mic; zur Beute haben.“ — Da antwortet der jüngere 
Bruder: „Noch niemals hat man davon gehört, daß ein 
Bruder fein Schwert mit Bruberblut beflede!“ — „Wollt 
ihr, meine Brüder, mich nicht erfchlagen, dann brecht wenig. 
ftens Zweige in den Schluchten von den Dornbäumen, und 


Auf dem Markte zu Berbera, 


werft fie auf ben Weg, damit ich Zeichen habe.“ Das thut 
auch ber jüngere Bruder, jo lange fie durch baumreiche Ges 
gend reiten; aber in ber bene hört der Baumwuchs auf 
und er Fann feine Zweige mehr abreißen. „Yaf uns raften, 
mein Bruder,“ beginnt er num, „bis unfer Bruder heran- 
fommt.* — „Wenn wir raften, mein Bruder, bis unfer Bru⸗ 
der heranlommt, fo werden wir nimmer ber türkifdhen Ge— 
fangenfchaft im Aſow entrinnen.“ 

Traurig reiten die Brüder weiter; der jlingere reift 
Fetzen von feinen Kleidern und freut fie auf den Be . Die 
fieht der jüngfte und er findet feinen Weg durch die Steppe. 
Er wähnt aber feine Brüber feien todt und beginnt ihr 
Scidfal zu belagen: „DO Herr, mein Gott, wenn id; nur 
wüßte ob meine Brüder erfclagen oder wieder im bie 
Geſangenſchaft geführt find. Wenn fie erfchlagen find 
will ich ihre Leichen fuchen und fie begraben, damit fie den 
Thieren nicht zum Opfer fallen.“ — Er fommt zu einem 
Heinen Hügel, legt das Haupt auf die Erde und weint bitter» 
lich. Die blaubefhwingten Adler fonımen herangeflogen, 
ſuchen feine dunklen Locken zu faſſen, feine Mugen auszu— 
baden: „Wartet noch ein wenig, ihr böfen Gäfte! Wartet 
bis des jungen Kofaden Seele dem Körper entflohen. Dann 
freßt die Augen unter den VBrauen weg, reißt ihm das 
Fleiſch von den Knochen.“ Der SKofad ftirbt, nieder auf 
feinen Körper ſchweben die blauen Adler, die grauen Wölfe 
ſammeln ſich auf der weiten Steppe; fie zerreißen feinen 
Körper, zerftreuen die Gebeine. Sein Vater, feine Mutter 
weint um den Kofaden. Doc; der blaufittige Kudut fliegt 
heran, fegt fic auf die Erbe neben das Todtenhaupt und 
Magt: „Ein Kopf, ber Kopf eines jungen Kofaden! Nicht 
mehr liebkoſend wird er geftreichelt; Raubvögel und Raub⸗ 
thiere vollen ihn umher !* 

Die beiden älteren Brüber aber reiten und reiten. Als 
jie ben chriſtlichen Städten nahe fommen, da fällt es centner« 
ſchwer auf ihre Seele. „Wenn wir zu Haufe fommen, was 
follen wir unferen Eltern jagen, wo der jüngfte geblie- 
ben?* — Wir antworten — jagt ber ältere — daß wir 
verſchiedenen Herren dienten, Als wir nächtlicherweile flohen, 
ſuchten wir vergeblich ihn zu weden. So waren wir ger 
zwungen ihm in der Gefangenfchaft zu laflen.“ — „Nicht 
fo,* jagt derjüngere, „denn wenn wir Bater uud Mutter bes 
lügen fällt Fluch auf unſer Haupt.“ 

In der Ebene von Samara reiten bie Brüder dahin. 
Am Samarafluffe fchlafen fie, ihre Roffe grafen neben ihnen. 
Da ftürzt der heidniſche Feind über fie her und haut fie in 
Stüde. Die Köpfe werben auf dem feindlichen Säbeln 
davongetragen, ihre Gebeine in der Steppe zerftreut. 





Auf dem Martte zu Berbera. 


Jemail, der Chedive von Wegypten, gründet im der 
That ein großes ägyptiſches Reich. Darfur ift von ihm 
abhängig geworben; wir lefen, daß ber Sultan von Wabai 
mit ihm freumdfchaftliche Verbindungen anknüpfen und fein 
Land den fremden und dem Handel eröffnen werde: das 
Yand zu beiden Seiten des Nil bis zu den großen Yequas 
torialfeen ift thatſächlich von Aegypten abhängig. Die Hüs 
fen an ber Weftfüfte des Rothen Meeres find in ägyptiſchem 
Befig ; durch Maffaua wird der Handel von Abeſſinien con- 
trolirt und die nördlichen Landſchaften diefes Wethiopiens 
find dem Chedive unterthan. Bon entchiedenem Belang 


aber bleibt es, daß berfelbe auch den wichtigen Hafen Ber- 
—* hat in Beſitz nehmen und dort eine feſte Burg bauen 
laſſen. 

Wir haben bereits vor einiger Zeit (‚Globus“, Band 
XXVI, S. 126: „Berbera im Somalilande, eine ägyptiſche 
Befigung“) die eigenthümlichen Verhältniſſe diefer Hafen- 
ftadt geſchildert. Sie controlirt den Karawanenverlehr des 
gefammten Landes der Somali, und für die aus dem Inr 
nern kommenden Waaren bildet fie den Hauptverfchiffungs- 
ort. Jetzt eben, Mitte Juli, leſen wir ein Telegramm, 
demzufolge aud) der Hafen Zeyla (Sila) von den Aegyp- 


Auf dem Markte zu Berbera. 


tern beſetzt worden ift und daß der dortige Sultan fid) vom 
Chebive abhängig erflärt hat. 

Berbera, um auf daffelbe zurlidzufommen, ift ein höchft 
intereffanter Punkt, der eine Menge von Eigenthimlichleiten 
darbietet. Gegenwärtig ift dort feine Stadt vorhanden , die 
Aegypter aber bemühen ſich eine Anzahl feſter Anfiebler da— 
hin zu ziehen. Es ift bisher eigentlich nur ein großer zeit« 
weiliger Karawanenmarft geweſen. Die nachſtehende 
Schilderung entnehmen wir im Wefentlichen einem Reifen 
ben, der im Februar mit dem ägnptifchen Paſcha (auf dem 
Dampfer Latif) ſich einige Zeit in Berbera aufhielt, als 
gerade das Marftleben am lebhafteften war. 

Es hatten ſich Leute von allen verfchiedenen Stämmen 
des fogenannten öftlichen Horn, dieſes weiten Borfprunges, 
den Afrika in die Arabifche See hinein macht, eingefunden, 
dann auch Kaufleute aus dem gegenüberliegenden Aden und 
anderen Häfen des Rothen Meeres. Der Handel von Bers 
bera hat zugenommen, feitden, wie wir in unferm frühern 
Auffage hervorhoben, die offene Rhede von Bulhar gefchlofs 
fen worden ift. In Berbera tummelten auf dem fandigen 
Strande ſich Tanfende bemwaffneter Somali® umher. Leder 
hielt im der rechten Hand einen langen Speer und im ber 
Linlen einen hübſchen Meinen Schild von Nhinoceroshaut, 
durch welche feine Enfieldtugel hindurch dringt. Diefe duntel- 
bäntigen Krieger mußten ſich auf zwei Seiten der Yänge 
nach aufflellen und waren von einander getrennt durch eine 
Hede arabifcher Soldaten. In der Mitte der legteren ftand 
der Gouverneur, zur Seite defjelben hatten die arabifchen 
Kauflente ihren Plag, auf der andern die Karawanenhänd—⸗ 
ler der Somali; diefe alle tragen hellfarbige leider von 
Eeide und Sammet, aber auch von befcheibnerem Stoffe. 
Jeder von ihnen begrüßte den Paſcha als Stellvertreter des 
agyptiſchen Chedive, verbeugte ſich vor demſelben, füßte ihm 
die Hand und legte dann in echt orientaliſcher Weiſe die 
Finger vor die Stirn. Sie alle erkennen nun den Bice⸗ 
tönig als ihren Herrſcher an und find aljo Untertanen 
defelben geworden. Die Spielleute der Ehrenwache trom: 
melten und pfiffen, aber der Tom diefer Inftrumente vers 
ſchwand unter einen nicht unmufitalifchen Chor von mehr 
teren taufend Stimmen der Somalis, welche bann einen 
Kriegertang aufführten und während defjelben vielfach, mög: 
lichft hoch emporfprangen. 

Bor dem großen Zelte des Paſcha hatte fich eine Somali« 
garde aufgeftellt und bildete eine doppelte Linie. Der Paſcha 
nahm auf einem großen Stuhle Plag, der mit einen pradht- 
vollen Teppich bededt war. Dann erſchien der ägyptiſche 
Plageommandant, welcher zu gleicher Zeit der in Berbera 
befehligende Offizier ift, und aud andere Wurdenträger 
nahmen Plag. Die Kaufleute, ſowohl Araber wie Somali, 
ſchienen vorher fic über ein Programım geeinigt zu haben 
und nahmen ihre Pläge ein mit der Pegelmäßigfeit einer 
Compagnie wohlgefchulter Soldaten; die Araber fetten fich 
auf Polfter und die Somali fauerten auf der Erde. Dann 
wurden gegenfeitige Compfimente ausgewechſelt und draußen 
noch einmal mit großer Febhaftigfeit ein Kriegstanz aus 
geführt, welcher den Berichterftatter an jenen der Neujeelän- 
der erinnerte, nur daß er bier ohne Feuerwaffen ſtattfand. 

Nach diefen Geremonien befuchte der Paſcha die Woh— 
nung des Gouverneurs, wo ihm als Ehrentrant ein heißer 
Aufguß von Zimmt gereicht wurde, ber im Aegypten und 
der Türkei bei allen Gelegenheiten flatt des Kaffees vorge- 
fegt wird. Sodann machte der hohe Wurdenträger einen 
Spaziergang durch die 27 Straßen, aus welden die foge- 
nannte Stadt zeitweilig befteht. Die Behaufungen find aus 
Matten und Schlamm hergerichtet und fiegen wire und bunt 
durch einander, aber außerhalb diefer Straßen ift Raum ge 


123 


nug für alle möglichen Verhandlungen, namentlic, nad) der 
Seefeite hin. Machmittags machten die angefehenften Kauf⸗ 
leute dem Paſcha einen Beſuch an Bord feines Dampfers 
Latif und dort wurde mit ihmen ſowohl über die commıer« 
ciellen wie bie politiſchen Angelegenheiten verhandelt, ind« 
befondere wurden die gegenfeitigen Verhältniffe der verfcjie- 
denen Stämme erörtert und Weifungen fiir das Verhalten 
berfelben ertheilt. 


Es geht nämlich fehr unruhig zu unter den verfchiedenen 
Somaliftämmen, insbefondere liegen die Ra Muſſa, Hamwal 
Ahmet und die Juni häufig mit einander in Fehde und hin« 
dern die Karawanen und Reifenden, den Geeplag unanges 
fochten zu erreichen. Num aber ift Berbera das Haupts 
quartier und die Hauptſtadt diefer neuen ägyptifcen Provinz, 
und von Seiten der Regierung wird alles aufgeboten, dem 
Unfuge zu ftenern und Ordnung zu ſchaffen. Das Somali- 
land joll der bisherigen Barbarei entriffen werden und man 
wird diefem wilden Volle jo viel Civilifation aufzwingen 
als nöthig ift zur Aufrechterhaltung der Ordnung, auch foll 
ben Blutfehden nach Möglichkeit gefteuert werden, 

Einen Beweis, wie wild die Dinge fein können, felbft uns 
ter Umftänden wie die vorher gejchilderten, giebt der Beſuch, 
welchen der Paſcha mit den Civilingenteuren den Duellen 
der Waflerleitung abftatten wollte, welche 7 Miles weit her 
Trinlwaſſer bid nach Berbera ſchaffen wird. Alle nöthigen 
Vorbereitungen waren getroffen, Kameele und Pferde ftan- 
den bereit, aber plöglic; entftand eine Fehde zwiſchen eini⸗ 
gen vom Stamme ber Ifa Muffa und anderen von jenen 
der Hawal Ahmet. Man brachte einen Mann ins Haupt- 
quartier, der am Arme und im der Lunge ſchwer verwundet 
war. Man wußte nicht, weshalb der Streit entftanden war. 
Die Somalipolizei brachte mehrere Gefangene herbei; dieſe 
waren vom Stamme der Ifa Muſſa. Gleichzeitig fam die 
Nachricht, daß der lehtere eine große Anzahl Schafe und 
Rindvieh fortgetrieben und mehrere Männer ber anderen 
Stämme überfallen Hatte. 

Unter dieſen Umſtänden ſchien es nicht gerathen, die 
Ingenienre nach der Wafferquelle zu ſchicken, der Paſcha 
aber vitt mit einer Bededung zu den Iſa Muſſa. Bei die- 
fen wurde ermittelt, daß ber ganze Yärm entftanden war in 
Folge eines Streites über die Vermiethung von Pferden 
und Kameelen. Der Zank hatte zu Lanzenſtichen geführt 
und mehrere derfelben waren tödtlich geweien. Die Schul- 
digen wurden fofort ergriffen und als Gefangene an Bord 
des Dampfers geführt, aber kaum eine Stunde fpäter war 
Alles in Kriegsbereitſchaft. Die Ifa Muffe trieben alle 
Schafe und alles Rindvieh der anderen Stämme und Kaufleute 
fort und es begann ein regelrechter Somalikrieg. Ganz 
Berbera war unter Waffen, und auf dem Stranbe öſtlich 
von der Stabt waren 20,000 Männer, Knaben und Wei- 
ber in einem Handgemenge begriffen. 

Nun wurden bie ägyptifchen Truppen aufgerufen und 
rüdten zunächſt den Iſa Muſſa entgegen. Diefe hatten 
eu Weiſe keine Feuerwaffen und fo fonnten die 

egypter bie ftreitenden Parteien auseinander drängen. 
Dann ritt auch der Paſcha in vollem Galop in bie Reihen 
der Ifa Muſſa Hinein und befahl ihnen ohne Weiteres ihre 
Waffen niederzulegen. Sie folgten unbedingt, und einige 
30 oder 40 wurden an Bord des „Latif“ gebracht. In der 
Stadt felbft fanden manche Einzelgefechte ftatt, die erft auf- 
hörten, als die Truppen ſich einfanden. Der Paſcha felber 
aber erhielt von einer Fran einen Steinwurf an den Kopf. 
Es vergingen einige Stunden, ehe der Streit ein Ende nahm, 
unb wer nicht in Oftafrifa gewefen ift, madıt fid) feine Vor⸗ 
ftellung von dem wilden Gebahren dieſer Leute. 

16* 


124 


Jetzt wurden bie Scheichs ber verfchiebenen Stämme in 
das Zelt des Pafcha emtboten, und bort hielt Scharmali, 
Sohn des frühern Sultans von Zeyla, ihnen eine ſcharfe 
Strafrede. Ihre Speere und Dolche mußten dem ägyp- 
tifchen Gouverneur abgeliefert werden und fein Angehöriger 
irgend eines Stammes durfte fich bewaffnet der Stadt bis 
auf wenige Meilen weit nähern, Die Scheichs waren damit 
unzufrieden und fagten, fie wären ja mun der Gnade der 
Ha Muſſa preisgegeben, aber der Befehl wurde wiederholt. 
Während biefer Zeit erfuhr man, daß die Ifa Muſſa eine 
Karawane abfangen wollten, die längft fällig aber nicht an 
den Strand gefommen war, um nicht den Iſa Muſſa in 
die Hände zu fallen. Jetzt aber wurde biefen von ägyp— 
tifcher Seite kundgethan, daß, wenn von ber Saramane 
aud nur eine Nadel geftohlen oder ein Menid) verlegt 
würde, die vierzig an Bord des Dampfers befindlichen Ges 
fangenen ohne Weiteres im Angeſichte des Strandes gehängt 
werben follten und daß bie ägyptifchen Truppen im ine 
mit den Hawal Ahmet und den Juni jeden Iſa Muffa 
nieberfchiegen und ihnen ihre ſämmtlichen Herden forttrei- 
ben würden. Diefe Drohung hatte den gewünſchten Erfolg. 
Nachmittags Tonnte der Gouverneur von Berbera dem 
Paſcha melden, daß die Iſa Muffa ſich unterworfen hätten. 
Sie waren erbötig, alles geraubte Vieh zuriczugeben, ihre 
Waffen abzuliefern umd fic den ägyptifchen Behörden zu 
unterwerfen. Bald nachher fanden fie fich in Gruppen von 


Eiebenzehn Jahre unter auftraliichen Wilden. 


fünf bis ſechs Mann in der Stadt ein und fomit waren Ruhe 
und trieben wieder hergeftellt. , 

Die Stämme in ber Umgegendb von Berbera find uns 
bündig wild und friegerifd) und machen ſich aus ihrem eige> 
nen Leben fo wenig als aus dem anderer. Die Meiften 
von ihnen mähren fich nur von Mitch und Fleiſch und ger 
nießen felten Brot oder auch nur Waſſer. Wenn die ägyp- 
tiſche Regierung einmal ftramme Ordnung gejhaffen hat, 
dann wird ich ein lebhafter Handelsverkehr entwideln, denn 
das innere Land Liefert in Menge Kaffee, Elfenbein und 
Indigo, Von Härrär und den uns nod wenig befaunten 
Stredfen weiter nad) dem Innern Hin kommen. außerdem 
noch andere werthvolle Handelsartifel. Die Somali ſowohl 
wie die anderen Stämme befigen zahlreiche Herden von 
Schafen und Kühen. Es mag hier bemerft werden, daß 
der Handel in den gegenüberliegenden arabifchen Häfen von 
Yemen einen großen Aufſchwung gewonnen hat und bie 
türkischen und ägyptifchen Dampfer mit denfelben und mit 
Berbera einen regelmäßigen Verlehr unterhalten. Die 
Stämme, welde das öftliche Horn bewohnen, find zumeift 
Mohammedaner, aber nicht ſehr ftreng in ihrem Glauben. 
SHavenhandel wird in Berbera und in der Umgegend nicht 
mehr getrieben. Die Somali find ohne Feuerwaffen nicht 
zu fürchten, wenn fie aber einmal in Befig von ſolchen kämen 
und mit denfelben umzugehen wüßten, dann würden jie 
allerdings fehr geführliche Feinde werden. 


Siebenzehn Jahre unter auftralifhen Wilden. 


Aeltere Lefer des „Globus“ werden ſich vielleicht noch 
erinnern, daß wir im zweiten Bande unſerer Zeitfchrift, 
weldyer im Jahre 1862 erfchien, einen mit Abbildungen be— 
gleiteten Auffag unter dem Titel brachten: „Schiffbrud) 
bed Dreimaftere Sanct Baul im Louiſiade-Archi— 
pel.* Es war eine Schaubergefchichte, ein brutaler Het 
wilder Anthropophagie, welchen wir nad) den Aufzeichnungen 


des franzöfifchen Schiffsarztes Rochas dort ſchilderten. 


Wir glaubten die Sache fei längft vergefien und begraben, 
da erhält fie eim merkwürdiges Nachfpiel, wie ber nach— 
ftehende aus Auftralien nad) England gefandte Bericht zeigt, 
welcher pfychologifc; wie ethnographiic von hohem Intereſſe iſt. 

Im Beginn diefes Jahres wurde ein Europäer auf einer 
ber Heinen oftauftralifchen Infeln aufgefunden, auf welcher er 
17 Yahre lang unter dem dortigen Wilden gelebt hatte. 
Der Mann war felbft in dieſer Zeit zum Wilden geworden 
und gewöhnt ſich nur ſchwer wieder an die Givilifation, 
Der Fall ift infofern bemerkenswerth, ald er aus unmittels 
barer Quelle einen Blid in die Lebensgewohnheiten jener 
Wilden uns eröffnet, zugleich aber zeigt, welchen Einfluß 
ber langjährige Aufenthalt unter diefen auf den in dem 
jugendlichen Alter von 12 Yahren unter jene gelangten 
Europäer gellbt hat. Auch ift die Art und Weife hoch— 
intereffant, wie die urfprlingliche, aber fremb gewordene Welt 
bei dem der Welt Zurlicgegebenen wieder auflebt 

Am 11. April d. J. anferte der englifche mit Tripang- 
fiicherei beſchäftigte Schoner „Yohn Bull“ in ber Nähe der 
Heinen Inſel „Night Island* (13° 10’ fhdl. Br. und 
143° 35’ öftl. L. v. Gr.) an der Norboftlüfte von Queens 
land. Da 08 auf dem Schoner an Waſſer fehlte, fo wur⸗ 
den einige Voote nad) ber nur etwa eine beutjche Meile 
entfernten Inſel gefendet, um ſolches zu holen. Bei diejer 


Selegenheit ftieß man auf eine Zahl Eingeborener (Schwar: 
zer) und bemerkte zur großen Berwunderung unter ihnen 
auch einen Weißen, welcher wie die Schwarzen felbft 
ganz unbefleidet war und ſich in feinen Bewegungen, Geber» 
den und Manieren von ihnen gar nicht zu unterfcheiden 
ſchien. Der Capitän des Sconers, weldyer hiervon Mit: 
teilung erhielt, befchloß fofort, den Verſuch zu machen, den 
Europäer zu „reiten*. So fandte er dann am nmächften 
Tag neun Boote zur Juſel und gab diefen allerlei Waaren 
mit, um einen Taufchhandel mit den Eingeborenen einzus 
leiten, und womöglich von ihnen die freiwillige Herausgabe 
des Gefangenen zur erlangen. Es glüdte, den Europäer 
auf ein Boot zu loden. Dan erzeigte ihm Freundlichteiten, 
reichte ihm Zwieback und machte ihm dann durd) Zeichen 
verftändlich, ob er nicht geneigt fei, die Inſel zu verlaffen 
und mit dem Schiff in die Heimath zuriidgufehren. Er gab 
feine Zuftimmung. Sofort wurden die Flinten liber bie 
Köpfe der Wilden abgefenert. Der Zwed war erreicht; er: 
fchredft flohen die Schwarzen und der Europäer war ihrer 
Gewalt entrifjen — freilich war auch er in große Augſt und 
Furcht gefegt worden; denn er glaubte, daß man ihn tödten 
wolle 


Den Schligling brachte der Schoner nad) Somerfet, ber 
britifchen Unfiedelung auf Cap Dorf, wo er reichlich mit 
Kleidung und den fonftigen Bedürfnifien verfehen wurde, 

Iutereffant war es das Benehmen des der Civilifation 
Wiedergegebenen zu beobachten. Die erften Tage hodte er 
„wie ein Bogel* auf einem Bretterzaun und fpähte furdht- 
fam und mißteauifc nach allen Seiten aus, Er ſprach fein 
Wort es fchien faft, als ob er feine Mutterfprache ver: 
lernt habe — indeffen ließ er es durch einige Yaute erkennen, 
daß er von Geburt Franzoſe fei, 


Siebenzehn Jahre unter auftralifchen Wilden. 


Man reichte ihm Schreibmaterial und fofort fchrieb er 
in fteifen unregelmäßigen Buchſtaben einige Worte nieber. 
Es war nicht möglich diefe Worte zu enträthjeln, als in 
dejien auf Cap York der Lieutenant Connor eintraf, gelang 
eö diejem Herrn, welcher der franzöfifchen Sprache volltom- 
men mächtig war, nicht allein die Worte zu entziffern, fon= 
dern auch aus dem Findling bie näheren Mitteilungen 
über feine Yebensverhältnifie herauszubringen. 

Der Mann Heißt Narciffe Pelletier, und ift der Sohn 
von Martin Pelletier, einem Schuhmadjer zu St. Gille in 
der Bender. Yu feinem zwöften Jahre war er als Cajüten- 
junge an den Bord des nad; Borbeaur gehörigen Schiffes 
„St. Paul* gefommen und hatte auf ihm die Reiſe nad 
China mitgemaht. Im Jahre 1858 fuhr das Schiff nad) 
Auftralien, um dorthin 350 Chinefen zu befördern, erlitt 
aber auf der Fahrt Schiffbruch und ftrandete an den Slip 
pen der zu den Louiſiaden gehörigen Inſel Roſſel. Der 
Gapitän und die Schiffsmannſchaft beſetzten die Boote, um 
auf der Hauptinfel zu landen, während die zurlidgelaffenen 
Chineſen und mit ihnen auch unfer armer Cajlitenjunge an 
den Klippen fortkrochen und zu einer Meinen Infel gelang» 
ten. Bei feiner Landung wurden der Capitän und feine 
Mannſchaft jofort von den Eingeborenen angegriffen und nad) 
einem harten Kampfe, bei welchem ber zweite Offizier, ein 
Matroſe und ein Sciffsjunge in dem Händen der Feinde 
blieb, gemöthigt, fi zu den Chinefen zurüdzuziehen. Da 
der Gapitän Grund hatte, ben Chinefen zu mißtrauen , ihm 
aber die Mittel fehlten, diefelben weiter zu befürdern, jo ber 
ſchloß er mit feinen Leuten heimlich, zu entfliehen und ben 
Weg nad) Yuftralien zu nehmen. Hierbei hoffte er unter» 
wegs auf eim europäiſches Schiff zu ftoßen, ober doch zu 
einer englifchen Anfiebelung in Auftralien zu gelangen. 

Bei dunkler Nacht ging man an die Ausführung des Plans, 
Dem Cajlitenjungen hatte man davon feine Mittheilung ge- 
macht, da er aber gemerkt hatte, was man beabfichtige, jo 
war er der Mannſchaft ftets auf dem Fuße gefolgt, und 
fo wurde auch er mitgenommen. Wie lange man auf dem 
Waſſer umbergetrieben jei, dariber hat Pelletier feine nähere 
Austunft geben fönnen, nur foviel fteht feft, daß alle unend- 
Lich zu leiden hatten, Die einzige Nahrung beftand aus 
etwas mit Waſſer angefeuchtetem Mehl und den wenigen 
Seevögeln, welde man vom Boote aus gelegentlich erlegte 
und im Heißhunger roh verzehrte. Zwei oder drei Tage vor 
der Ankunft an der Küſte von Auftvalien ging der Vorrath 
an Waller aus; als man endlich am das Yand lam — 
es war bei Firft Med Rod Point füdlid) Cap Direction, 
130 4’ ſudl. Br, 143032’ öftl. L. v. Gr. —, ſuchte man 
vor Allem nad; Waſſer. Eudlich wurde eine Heine Waſſer⸗ 
lache aufgefunden, der geringe Borrath aber von denjenigen, 
welche ihm entdeckt hatten, vollftändig verbraucht. Unſer 
Gajütenjunge war nicht unter diefen GEllicklichen; feine von 
den fcharfen Klippen verwundeten Füße hatten ihm ben 
Dienft verfagt, Don Hunger, Durjt und Anftrengungen 
ermattet war er umgefunfen. Der Gapitän und feine acht 
Leute, welche durch den Trumf geftärkt waren, kehrten zu dem 
Boote zurlick und fegten — ohne den Eajlitenjungen — 
die Reife fort. Man hat jpäter erfahren, daß fie Neu— 
caledorsien erreicht haben. Der Capitän erjtattete auch Be- 
richt über ben Berluft des Schiffes, fchilderte die erbuldeten 
leiden, erwähnte aber ber Zurlidlaffung des Narcifie Pelle 
tier mit feiner Silbe. 

Das Schickſal des halbverſchmachteten Cajlitenjungen 
hing an einem Faden; er war dem Tode nahe und wurde 
nur dadurch gerettet, daß die Eingeborenen die Fußſpuren 
der Fremden emtderften umb bei diefer Gelegenheit den hulf⸗ 
loſen Europäer auffanden. Sie reichten ihm einige Nah: 


125 


rung (Nüffe) und nahmen ihn, nachdem er ſich erholt, mit 
zu ihrem Stamme. Hier hat derjelbe die ganze Zeit, alſo 
eine Reihe von 17 Yahren, gelebt, bis er — wie erzählt — 
wieber aufgefunden und nad Somerfet gebracht wurde. Vou 
hiey aus ift er auf dem Dampfer Brisbane nad) Neufee- 
land an ben dortigen frauzöſiſchen Conſul befördert worden. 

Narciſſe Pelletier ift ein Heiner unterjegter fräftiger 
Menſch. Die Sonne hat feine Haut röthlich braun gefärbt, 
beſonders zeigt fein Geſicht den vothbraunen Sonnenbrand. 
Er liebt die Heinlichkeit, wie er denn fagt, daß auch feine 
ſchwarzen Freunde reinlich feien, während er die Chinefen 
verädhtlich: ſchmutzig wie „Schweine“ nennt. 

Auf feiner Bruft find zwei wagerechte Streifen etwa 
von ber Stärke eines Bleiſtifis fichtbar; der eine reicht von 
einer Bruftwarze zur andern, ber zweite ift kürzer und Liegt 
unter bem erftern. Auf jeber Seite ber. Bruft und ebenjo 
auf dem rechten Oberarm trägt ev außerdem nod) Zeichen, 
welche wie mit einem Eifen eingebrannt ſcheinen. Sie find 
aber mit Scherben von an ber Küfte aufgefundenen Flaſchen 
eingefchnitten, und dadurch fo ſtark hervorgetreten, daß man 
die frijhen Wunden wiederholt aufgeriffen hat. Ein folches 
Zeichen befteht aus vier kurzen Strichen, um welde ein 
Kreisläuft. Diefe Narben dienen — fo fagte Pelletier — 
lediglich als Schmud und ift er jelbft Bi biejelben einft 
ſtolz geweſen. 

Bei ſeinem Auffinden trug er in dem Ohrlappen ein 
einen halben Zoll ſtarkes und vier Zoll langes Holzſtäb⸗ 
chen, während ber Ohrlappen wohl zwei bis drei Zoll hinabs 
hing. Mit befonderm Vergnügen theilte er mit, daß bei 
einigen Eingeborenen die Ohren bis zu den Schultern rei) 
ten. Seine Anfhanungen in biefer Hinſicht haben ſich in» 
beffen bald genug geändert; wenigftens erklärte er ſchon 
einige Tage mac feiner Ankunft auf dem „Brisbane“: es 
fchiene ihm gerathen, den untern Theil feines Ohrlappens 
abzuſchneiden, da berjelbe wohl micht „recht“ fei. 

Seine Nafe war ebenfalls durchbohrt. In der Deffnung 
trug er ein Stüd Perlmutterſchale. 

Anfänglich Hatte er fich bei den Wilden ſehr unglüdlich 
gefühlt, oft an feinen Vater, feine Mutter und feine Ge: 
jcwifter gedacht und fich nach ihnen gefehnt, allmälig aber 
habe er ſich in fein Schickſal gefunden und ſchließlich ſich 
als einen Genoffen ded Stammes angefehen. Niemals habe 
er einen Berſuch zur Flucht gemacht, da es ihm unmöglich 

ewejen fei, fich eim Fahrzeug zu verſchaffen. Dft feien 
Schiffe an ber Küſte vorlibergefegelt; dann hätten aber bie 
Eingeborenen es ihm nicht geftattet, fi den Schiffen zu 
nähern, fondern ihn gezwungen, ſich in das innere Yand zu 
begeben. 

Unaufgeflärt ift es geblieben, weshalb man ihm nicht 


auch ben Bliden ber Manuſchaft des Schoners „Yohn Bull“ 


entzogen hat. ' 

Wie bemerkt, konnte er zu Anfang fein Wort fprechen, 
aber mit bewundernswerther Schnelligkeit hat fi) fpäter 
fein Gedächtniß aufgefrifcht. Auch in den erften Tagen fei« 
ner Anweſenheit auf dem „Brisbane“ wurde es ihm noch 
ſchwer, die Ausbrüde zu finden, aber es war amlifant zu 
jehen, wie ein Wort nad) dem andern auflebte. Im kurzer 
Zeit ſprach er geläufig Franzöſiſch, ſchien aber in gleichem 
Maße die Sprache der Eingeborenen zu vergeflen. Nur 
etwa 100 Worte aus deren Sprache waren aus ihm heraus: 
zubefommen und wurden von dem Lieutenant Ottley aufs 
gezeichnet. 

Eine merkwirdige Erfcheimung ift es, daß während er 
die Mutterfprache fo gut wie ganz verlernt, die Wertigkeit 
zu leſen und felbft zu fchreiben fich bei ihm erhalten hatte, 
ungeachtet diefe während 17 Jahren von ihm nicht gelibt 


126 


worden war. Während der ganzen Zeit hatte er fein Buch 
geiehen, noch weniger eine Zeile gefchrieben. Die Schwar- 
zen hatten felbftwedend feine Idee von feiner Wertigfeit und 
er jelbft hat wohl fchwerlich mehr daran gedacht. 

Schon vor feiner Ankunft auf dem „Briebane“ hatte 
ſich die Erinnerung dadurch) belebt, daß er die Nanıen auf 
Booten und Schiffen anſchauie und verftchen lernte. Seine 
Fortſchritie wurden immer ſchnellere. Einen großen Theil 
bes Tags verwandte er zum Leſen, indeſſen fcheint es zweifel⸗ 
haft, ob er, was er las, auch begriff. 

Im Allgemeinen zeigte er Berftändnig, andererfeits aber 
auch viel Kindlichteit. Alles, was er von Anderen jah, 
verjuchte ex augenbliclich nadyzuahmen” 

In der Regel war er heiter und fröhlich, aber gelegent: 
lich überlam ihn — ohne allen erfennbaren Grund — eine 
gewiſſer Ernſt und einetiefe Traurigkeit. Dann jeufzte er ſchwer 
umd zeigte ganz die unruhigen Bewegungen und Manieren 
eines Wilden. 

In der erfien Zeit konnte er nur bis 79 zählen. Bon 
dieſer Zahl fprang er unmittelbar zu 100 über (soixante- 
dix-neuf — cent), Wie er mittheilte haben die Schwar- 
zen für Zahlen feine Namen, fondern nur Zeichen bis Zehn 
in der Weife, daß fie verfcjiedene Theile ihres Körpers 
berühren. 

Ueber den Capitän des „St. Paul“ beflagte er ſich bit- 
ter, daß er ihn verlafjen habe, andererjeits ſchien er auch große 
Furcht vor ihm zu haben. 

Mit befonderer Yiebe ſprach er von feinen Eltern und 
feiner ganzen Familie, war aber zugleich davon überzeugt, 
daß fie alle, insbefondere auch ſchon fein jängfter Bruder, ges 
ftorben feien. Es hatte faft den Anfchein, ald ob ev während 
feines Aufenthalts unter den Wilden dad Maß flir die 
Zeit verloren habe, wenigftens hielt er ſich für ſehr alt, 
ungeachtet er in Wirklichkeit erft 30 Jahre zählte, Er ver: 
ſchweigt es nicht, daß er gern bei den Wilden geblieben wäre, 
und obgleic, er mit feiner Nüdkehr von bort einverftanden 
ift, fo ſcheint er doch im feiner Weife glüdlicher oder zufrie- 
dener zu fein. 

Der Name des Stammes, welcher ihn aufgenommen 
halte, ift Macadama. Derfelbe hat feine befondere Häupt- 
linge. Alle erwachjenen Männer haben gleiche Rechte. Er 
fagte, daß jie ſtark und fräftig feien, filgte aber unmittelbar 
mit einem gewiſſen Stolz hinzu, daß auch er ftark und felbft 
ftärter als die Wilden gewefen fei; andererfeits aber ers 
fannte er wieberum an, daß wenn er auch ein guter Schwim ⸗ 
mer und Taucher fei, fie ihm doch darin bei Weitem über- 
troffen hätten. 

Die Nahrung der Schwarzen befteht hauptſächlich aus 
Fifchen, Schildkröten, den Eiern von Schildkröten und Allis 
gatoren, Wurzeln und einigen Baumfrüchten. Celten ge» 
lingt e8 ihnen, fonft ein Thier zu fangen. Die Haupt: 
beihäftigung der Männer ift Fiſchfang, während die Frauen 
die Wurzeln fuchen und glüdlic find, wenn fie Honig von 
wilden Bienen finden. In der Kunſt des —— haben 
fie es nicht weit gebracht. Noch kennen fie feine Netze und 
feine Angel. Die größeren Fiſche tödten fie mit der Har ⸗ 
pune, welche fie aus ihren Booten werfen, die Heineren ftechen 
fie mit einem Speer, welder eine dreigetheilte Spike hat. 

Ihre Boote arbeiten fie unmittelbar aus dem Baun- 
ftamme ſelbſt. Dazu bedienen fie ſich einer Art Meſſer, 


Siebenzehn Jahre unter auftraliihen Wilden. 


welche fie aus den eifermen Bänden der an die Küfle ge: 
worfenen Tonnen anfertigen. Aus dieſen Bänden machen 
fie auch die Spigen ihrer Speere und die Hafen ihrer Hars 
punen, Narciffe Pelletier rühmte ſich, zwei folder Boote 
angefertigt zu haben, 

Die Zahl der Frauen fcheint größer ald die der Män— 
mer zu fein, wenigftens bat jeber Mann zwei bi® fünf 
Frauen in feinem Geſolge. Die Stellung diefer ift eine 
fehr untergeordnete. Während man für Mann, Bruder, 
Sohn befondere Worte Hat, giebt es für Frau nur ein Wort : 
Beycheynumma, welches zugleid Frau, Mutter und 
Tochter bedeutet, Flir Ehemann und ebemfowenig für Eher 
frau giebt e8 einen Ausdrud, Die Verbindung der Ges 
fchlechter ift rein thierifcher Art. Der Stärkere hat das 
Recht auf die Frauen. Oft giebt der Befig einer Frau 
Beranlaffung zu harten Kämpfen zwifchen den Männern, 
aber aud) unter den frauen kommt es zu heftigen Streitig« 
feiten um ben Befig eines Mannes, Immer Liegt diefen 
Kämpfen Eiferfucht zum runde. Sie erfolgen regelmäßig, 
wenn ber Mann einer ber rauen einen entſchiedenen 
Vorzug ſchenkt. 

Die Männer tragen gar feine Kleidung und nehmen 
auch in der Nacht feine Dede irgend einer Art. Die Frauen 
beffeiden ſich auch nur mit einem leichten Flechtwerk aus 
Daft, weldyer von der Bruft bis etwa an die Knie reicht. 

Häufer kennt man nicht, nicht einmal Hütten, Bei 
Regenwetter wird Zuflucht unter den Zweigen dev Bäume 
oder an einem gefchlisten Play gefucht. Pelletier verficherte, 
daß die Leute micht durch Froſt litten, weil fie ftets ihr 
Teuer brennend erhalten. Am Bord des Schiffes fühlte er 
fid) unbehaglich und Falter Wind war ihm befonders unans 
— ie alle Wilden verſtaud er die Kunſt, durch 

eiben zweier Hölzer Feuer anzuzlinden. 

Die Eingeborenen leben — nad) Pelletier’8 Angabe — 
unter ſich jehr frieblih. Niemals hat er gefehen, daß ein 
Stammesgenofje den andern töbtete, dagegen kämen Kämpfe 
unter den verjchiedenen Stämmen vor. An einen folchen 
Kampf Hat er felbft Theil genommen. Der Stamm der 
Echaus habe nämlich, einige Männer der Macadamas ge: 
töbtet gehabt. Dafür hätten diefe Mache gelibt, die Echaus 
in einer regnigten Nacht im Schlaf überfallen und eine grö- 
here Anzahl niedergemacht. Er felbft habe zwei Echaus mit 
dem Speer getödtet. 

Bon einem höhern Weſen haben die Eingeborenen feine 
MNee; für Religionsübung auch feine form. 

Die Todten werden mit Striden auf den Zweigen eines 
Baumes oder eimem rohen Geftell von Holz befeftigt den 
Strahlen der Sonne ausgeſetzt und trodnen zu Mumien aus, 

Pelletier bezeichnet die Behandlung, welde ihm die Wil 
den haben angedeihen lafjen, als eine fehr freundliche, und 
er glaubt, dag fie auch gegen alle ibrigen Weißen nicht 
anders handeln wilrden. Bor diefen felbit haben fie feine 
Furcht, aber defto größere vor ihren Feuerwaffen. 

Sie find feine Menfdjenfreffer und Pelletier vermuthet, 
daß es alle in diefer Gegend lebenden Stämme nicht find. 
(Mogegen jedoch manche andere Erfahrungen ſprechen.) 

chließlich erzählt ex, daf er gehört habe, daß noch ein 
Weißer lange Jahre auf der Juſel gelebt, aber bei einem 
Fiſchzuge ertrunten fei. Gefehen habe ex den Mann nicht, 
aud) fünne er die Zeit nicht angeben, wann er geftorben fei. 


Aus allen Erdtheilen. 


127 


Aus allen Erdtheilen. 


Deutihe Entdedungen am Sübpof. 


Diefe Ueberfchrift führt das Polarbillletin Nro, 111, 
welches der in arktiichen wie antarktiichen Dingen gleich un: 
ermüdlihe Prof, Petermann ſoeben andgegeben hat und 
dem wir nachjtchende intereffante geographiiche Nenigkeit ent: 
nehmen. Man wird fich erinnern, daß für die deutſche For— 
ſchung am Nordpol Aibert Roſenthal unter allen Freun— 
den und Helfern diefer Sache am meiften getban bat, mehr 
als Kaifer und Reich; der Kaifer ſpendete für die erſte 
deutſche Erpedition 5000 Thlr., für die zweite 2000 Thlr. 
(fo viel wir uns erinnern können, denn das Bremer Gomite 
bat bis jetzt noch feine Rechnung über die zweite Expedition 
abgelegt), aber Albert Rofenthal verausgabte für die For— 
ihungen von Dorft, Beſſels, Heuglin mindeftens 31,000 Thlr. 

Wie Rofenthal’s Intereſſe und Opfer ſich am Nordpole 
von belangreichen Reiultaten, anregend und eingreifend er: 
wieſen baben, fo find anch feine Entdedungen am Südpol 
feit langer Zeit und unter allen ſeefahrenden Völkern die 
erften wieder, die die Erdkunde zu verzeichnen bat. Als 
Director der Dentichen Polarſchifffahrtsgeſellſchaft in Han: 
burg veranlaßte er die Ausfendung einer von diefer Gefell- 
ſchaft ausgerüfteten Expedition, bie fich im ben Jahren 1873 
bis 1874 nad dem füdlichen Eismeere begab, von deren 
geographifchen Refultaten die geographiihe Welt indeß bis- 
ber nicht mehr erfahren hat, als im ber let erfchienenen Lie: 
ferung der neuen Ausgabe von A. Stieler’s Hand-Itlas von 
Petermann publicirt worden ift. Wir verweilen befonders 
auf den Special-Garton der Süd-Shetland- und Süd-Orkney: 
Juſeln im Mafiftabe von 1: 10,000,000, jenes Kartenblattes, 
anf dem dieje neuen Entdetungen in größerm Maßftabe 
verzeichnet find, ala auf dem Hanptblatt, 

Das Schiff „Grönfand* der Deutichen Polarichifffahrts: 
geiellichaft war unter dem Commando des Capitän Dall: 
mann am 22. Juli 1873 von Hamburg aus in See gegan- 
gem, durchfuhr den Mord: und Südatlantiſchen Ocean und 
drang alsdann jüblich vom Cap Horn ins Eismeer ein. 
Bier hatte der engliſche Walfifchfänger Biscoe im Jahre 1832 
eine nach ihm benaunte Inſelgruppe entdedt, und dahinter 
ein ausgedebntes hohes Land, Graham Land gemanmt, 
Dafjelbe war jedoch bisher in allen englifchen Admiralitätd- 
und anderen Karten nur durch eine 4 bis 5 Breitengrade 
durdlaufende Küftenlinie roh amgedentet geweſen. Capitän 
Dallmanıı mit dem deutichen Schiff verbanfen wir dem erften 
genauern Aufſchluß über einen Theil diefes ausgedehnten 
Lande. Er drang über die Stelle vor, wo nad Biscoe 
die Küftenlinie ſich befand, Tief im einen Hafen ein, jetzt 
Hamburg-Hafen genannt, entdedte, wo Biscoe zufammen: 
bängendes Laub vermuthet hatte, eine 15 bis 18 Seemeilen 
breite Strafie (Bismard-Straße), die fich awifchen hohen 
Ufern weithin erftredte, fo weit bad Auge reichte, und davor 
einen gegen 60 Seemeilen ausgedehnten Archipel von Infeln, 
denen der Name Kaifer- Wilhelm: Anfelm beigelegt 
wurde. Zwei andere tief einjchneidende Buchten und Inlets 
nebſt vielen anderen Iuſeln wurden entdedt und auf der 
Karte niedergelegt. Die Details find auf der angeführten 
Karte erfichtlich. 


Europäifhe Wiſſenſchaft in Siam. 

Arthur Schufter, welcher an ber Beobachtung ber 
totalen Sonnenfinfterniß in Siam Theil nahm, ſchreibt über 
das Intereſſe, welches die Siamefen an europäiſchen Wiſſen— 
ſchaften zu zeigen beginnen, folgendermaßen au die englifche 
Woöchenſchrift „Nature*: „Auf unferm Wege nach dem Ob: 


fervatorium, welches in Bangtelne errichtet war, mußten wir 
uns 24 Stunden in Bangkok aufhalten, bis der Dampfer zu 
unſerer Weiterbeförberung bereit war. Zufällig fam am bie- 
ſem Abend die „Fung-Siamefiiche Gefellichaft" im das Haus, 
wo twir und verfammelten, und ich wurde von den Mitalie- 
dern erfucht, eine Borlefung über Spectralanalyfe und ihre 
Anwendung bei Sommenfinfterniffen zu halten. Herr Mlaba- 
fter fungirte als Dolmetſcher. Die Siamefen hörten mit der 
größten Aufmerkſamkeit zu und mach den Fragen zu fchlie- 
fen, die fie am Schluſſe der Vorlefung am mich richteten, 
batten fie die Sache völlig verftanden. Es giebt ein ins 
Siameſiſche überſetztes Lehrbuch der Chemie, in bem fie ſchon 
über Speetralanalyje gelefen batten. Gegenwärtig iſt Se. 
fönigl, Hoheit Tſchau fa Maha Mala, Obeim des Königs, 
der Hauptaftronom in Siam. Er zeigte mir die Methode, 
wie er die Zeit und Daner der Somuenfinfterniß für Bang- 
fof beftimmt hatte. 

Am Tage der Sonnenfinfterniß wurden mehrere Tele: 
llope, deren eines Herr Janffen dem Könige geliehen, vor 
dem Palafte auf der Wiefe aufgeftellt. Die genaue Zeit des 
Ein: und Austritts für Banglof war von Herren Mlabafter 
und Eapitän Bush beftimmt worden. Als die Totalität nahe 
war, hielt der König eine Anrede an die Mitglieder feiner 
vollzählig verſammelten Familie und erläuterte ihnen, warum 
man Sonnenfinfterniffe beobachte und fo viel Geld für diefen 
Zweck ausgebe. Seine Majeftät beobachtete die Corona und 
die Protuberangen dur ein Teleſtop, fehrieb eifrig nieder, 
was er ſah, und zeichnete eine Skizze der Protuberanzen. 
Einem der Bringen hatte er den Auftrag gegeben, eine Photo: 
graphie der Corona zu nehmen. So erhielt man zwei Bhoto- 
grapbien, welche keineswegs jenen machftanden, die im enro- 
puiſchen Objervatorium von Bangtelue bergeftellt waren. Die 
Driginalnegative find nach England ala Geſchenk des Königs 
an die Royal Society gefandbt worben. 

In unferm Lager zeigten die Sinmefen ein großes In— 
terefie an der Verfinfterung. Der Eifer, mit welchem der 
Erregent durch das Teleſtop ſchaute, comtraftirte in charal⸗ 
teriftifcher Weije mit der Gleichgültigkeit feines europätichen 
Secretärd, welcher während ber Totalität zu Bette ging. 

Der König von Siam erflärte uns, daß er fich nicht für 
einen Aftronomen ausgebe, und ich war daher fehr erftaunt, 
als ich jpäter wahrnahm, daß er während feiner Reife nach 
Galcutta Beobachtungen mit dem Sertanten gemacht und bie 
Vofition ded Dampfers beftimmt hatte. 

Doch erftredt ſich der wiſſenſchaftliche Geſchmack der Sia- 
mefen nicht bloß auf Aſtronomie. Wangna, der zweite Kö— 
nig, ift ein Mineralog; die Gegend, im welcher er Icht, gicht 
ihm vollauf Gelegenheit, feinem Lieblingsftubium nachzu⸗ 
tommen. Er befist eine große Mineralienfammlinug und 
bat eim hübſches chemiſches Laboratorium, in welchem er 
Analyfen macht. 

Sehen wir num, was die Siamefen alles noch fiir die 
Wiſſenſchaft thun wollen. 

Der König hat Dr. Gowan damit beauftragt, ein Ob- 
fervatorium zu erbauen, in welchem Barometer: und Ther⸗ 
monteterbeobachtungen gemacht werden follen. Ebenfo follen 
Fluth: und Regenmefiungen amgeftellt werben. Bon Eng: 
land aus find verſchiedene Teleflope und Spectroffope nach 
Siam unterwegs. Im Palaft will man ein chemiſches Las 
boratorium errichten. Des Königs Leibgarde wird von Herrn 
Mabafter in Aufnahmen des Landes unterrichtet. 

Das Alles zeigt, daß die Sinmefen ein großes Intereffe 
für die Wiflenichaften begen. Die Leichtigkeit, das Schwier 
rige zu überwinden, ftellt ſich mit der großen Liebe zur Sache 


128 


fchon ein und fo wollen wir hoffen, daß die Siamefen nicht 
nur als Dilettanten fich den Wiſſenſchaften bingeben, ſondern 
ernft mit denfelben befallen. Viele von ihnen wollen nad) 
Europa gehen, um bort zu ftubiren. 


Einnahmen ber Kulis in den britifhen Befigungen. 
In der Parlamentsverbandlung vom 19. Juli dieſes 
Jahres gab der engliiche Colonialminifter Earl Carnarvon 
folgende Erklärung über die Lage der Kulis in dem britischen 
Befigungen in Folge einer Jnterpellation ab: 
Somohl auf den Schiffen wie aud in ben Colonien, 
wohin fie geführt werden, genießen die Kulis ganz befondern 


Schuss, unter dem fie ſich trefflich befinden. Unter allen Um: | 


ftänden fei ihnen freie Rückfahrt geſichert; in vielen Fällen 
machten fie indeilen von diefem Mechte keinen Gebrauch, fon: 
dern blieben lieber in der neuen Heimath, was ganz erflär- 
lich fei. Ju Indien oder China verdienen fie täglih 1 Benny 


Inhalt: Im Siebenbürger Goldlande, 





(Mit drei Abbildungen.) — 


Aus allen Erdtheilen. 


bis 2 Pence und feien damit dem Hungertode nahe; im dem 
Eolonien verbienen fie dagegen 1 Schilling und darüber. 
Wie wohl fich die Kulis bei der Arbeit in den Colonien bes 
finden, geht daraus hervor, daß 5. B. im Jahre 1874 2100 
Kulis von Britiſch-Guianag nach der Heimath zurüdtehrten 


| und 64,000 BF. St. in Gold mitnahmen; 1872 kehrten 92 


zurüd und mabmen 24,700 Bf St. mit. Aus Trinidad 
fehrten 1872 400 Kulis mit 11,500 Pf. St. heim, 1874 330 
mit 10,000 Pf. St. Ueberdied waren 46,000 Bf. St., den 
Kulis gehörig, in der Bank niedergelegt. Aus Mauritius 
fandten Kulis im Jahr 1872 24,000 Pf. St. nach der Hei: 
math; 1873 kehrten 619 heim und nahmen 8500 Pf. St. mit. 
In dem Zeitraum von 1860 bis 1871 haben Kulis in Man: 
ritin® die gewaltige Summe von 93,400 Pf. St. in Grund— 
befis angelegt. — Solchen Thatſachen gegenüber ift das 
Geſchrei von Kulimißhandlung wenig am Plate. Uebrigens 
gab der Minifter zu, daß einzelne Mißbräuche vorkommen ; 
namentlich jei die Behandlung der Kulis auf portugiefiichen 
Schiffen nit immer die befte. 


Sefchichten aus Alt-Iapan. I. Mit einer 


Abbildung.) — Streifzüge im füdlichen Norwegen. Bon Dr. David Brauns. VI (Schluß) — Kleinruſſiſche biftorifche 


Gedichte. — Auf dem Markte zu Berbera. — 


Siebenzehn Jahre unter auftralifchen Wilden. — Aus allen Erdtheilen: 


Deutiche Entdedungen am Sidpol. — Europäifche Wiſſenſchaft in Siam, — Einnahmen der Kſtulis in den britifchen Ber 


fitungen. — (Schluß der Rebaction 10. Anguft 1875.) 


Srrausgegeben von Karl Anbree in Leipzig. — Bür die Nebaction verantwortlich: H. Vieweg in Braunſchweig. 
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunfehweig. 


Wir bringen den Lesern des Globus die Trauerkunde von dem am 


10. August erfolgten Hinscheiden des hochverdienten Begründers und 


Herausgebers dieser Blätter, unseres treuen Freundes 


Dr. Karl Theodor Andree. 


Er starb in Wildungen, wo er Heilung von längeren Leiden hoffte, 


im 67. Lebensjahre. 


Den Globus hat er ununterbrochen während seines 


vierzehnjährigen Bestehens redigirt bis zur heutigen Nummer, die von 


seinem Sterbebette aus abgeschlossen wurde. 


Später bringen wir einen ausführlichen Nekrolog. 


Braunschweig, den 12. August 1875. 


Friedrich Vieweg und Sohn. 





De er /a 
{ y 


Band xXvın OST Nr 


Mit befonderer Berüchfichtigung 
© 





In 


der Anthropologie und Ethnolomie. 


Verbindung mit Fahmännern und Hünftlern begründet von 


Braunschweig 


Bir wilfen, daß in den Jahrhunderten vor unferer 
Zeitrechnung das zahlreiche Volk der Dafen in Siebenbürgen 
wohnte, deſſen Herkunft noch nicht zweifellos erforicht ift, 
das aber wahrfcheinlich zum feltifcen Stamm gehörte, Ihr 


Neid) erftredte ſich bis am die 
untere Donau und das Yand 
warb nach ihnen Dafia ger 
heißen. Sie drangen fogar 
häufig raubend und plüns 
bernd Älber den Strom und 
ans diefenn Grunde jowie aus 
dem frieblihen Haudelsver⸗ 
fchr, der mit dem fikblichen 


Nachbarn beftand, erflärt es 


ſich, daß fo viele griechiſche 
und altrömiſche Münzen bis 
auf dem heutigen Tag in 
Siebenbürgen gefunden were 
den. Am mächtigften war 
das dakifche Reid, am Ende 
des erſten Jahrhunderts. 
Delebalus, der König deſſel⸗ 
ben, fchredte eine Zeitlang 
fogar das gewaltige Welt 


volf der Römer. Da beftieg aber der muthige ftreitbare 
Zrajan ben römifchen Kaiferthron; mit großer Heeresmacht, 
darunter auch deutſche Schaaren, 
fönig und überwand ihm im zwei 


Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlih 4 Nummern. 1875 
Preis pro Band 12 Mark, Einzelne Nummern 50 Pf. ⸗ 


Römiſche Ueberreſte in Siebenbürgen. 


Karl Andree. 











Romiſche Wachoſchreibtafel. 


eldzligen alſo, daß De⸗ demſelben. 


wurde nun eine Provinz des großen Römerreichs (106 n. 
Chr.) und der Name der Dafen verſchwindet aus der Ge— 
ſchichte. Noch ftehen aber im Muntſcheler Gebirge in der 
Nähe des Hazeger Thales, in raufer faft undurchdringlicher 


Wildniß auf Hohen Berg— 
fpigen und an jähen Abhäns 
gen gewaltige Burgtriiummer, 
dakifcher Hände Werk, und 
faft alljährlich geben gehein 
nigvolle Hiigelgräber, ja 
felbft die Furchen des Aders 
unter der Urbeit des Pflugs ’ 
bronzene Streitärte, Speer: 
jpigen, Meſſer, Eicheln und 
mannicfaches anderes Ge: 
räth and Tageslicht, deijen 
Anfertigung und Gebrauch, 
den Dafen zugejchrieben wird, 
Die Römer bemächtig: 
ten fich des eroberten Yandes 
und riefen zahlreiche Anficbs 
ler aus ihrem ganzen Reiche 
in daflelbe, auf daß römiſche 
Bildung die Barbaren zähme. 


Auch germaniſche Stämme wurden jpäter auf dem eroberten 
Boden augefiedelt. Roömiſche Beamte verwalteten das Yand, 
og er gegen den Dafen- | römiſches Kriegsvolk befchligte es, römiſches Gefegt galt in 
Die neuen Herren, bie eifrig die Schäße des 


febalus verzweifelnd ſich jelbjt das Yeben mahın. Dalien Landes, Salz und Metalle, gewannen — 280 Pfund reis 


@lobus XXVIll, Wr. 9, 


17 


13 Römijche Ueberreite in Siebenbürgen. 


nes Gold floß wöchentlic, im die faiferliche Schagfammer —, 
Iegten viele neue Pflanzftädte an und verbanden fie durch 
ftarfe Sunftftraßen, deren Spuren man noch findet. Die 
Hauptftadt war Ulpia Trajana, an der Stelle der daliſchen 
Königftadt Zarmizegetkufa, im Hazeger Thal, wo jebt das 
arme wallachiſche Dorf Grediſchtje liegt (diefer Name ift 


harter römischer Knechtſchaft. Kaiſer Aurelian endlich 
räumte das von allen Seiten durd; Barbaren bedrohte Yand 
(um Jahre 274), führte die Nömer, die Truppen ſowohl als 
die Provinzialen, hinweg und jiebelte fie am rechten Donau⸗ 
ufer im obern Möjien an, das von num an den Namen 
Dalia führte. Die römische Bevölkerung und römiſche Bil 
dung im alten Dafien hörte völlig auf; nur Trümmer 





ſlaviſch und bedeutet Burg). Weit verbreitete Trlimmer von 
bemooften Mauern und Gewölben, Heberrefte von Tempeln 
und Amphitheatern, Spuren von Wafferleitungen, zahlreiche 
Infchriftfteine und Bildfäufen fprechen noch jeßt von dem 
alten Glanz ber Hauptftadt. 

Yänger als anberthalbhundert Yahre blieb Dalien in 


— 





18 Trajau's Zeit im eine Kirche verwandelt, 


blieben zurlld und nicht einmal ein römiſcher Städtenamen 
hat ſich im Bollamunde erhalten. (Teutſch, Geſchichte der 
Siebenbürger Sachſen I, 5.) 

Der fitweitlihe Winkel des Yandes, welcher die mei 
ften römifchen Ruinen birgt, und zumal das Thal des Steel, 
ift reich an ihnen, 

Und neben bie Ueberrefte aus der Römerzeit ftellen ſich 


Nömifche Ueberrefte in Siebenbürgen. 


gerade in diefem Winkel Siebenbürgens Nuinen aus dem 
Mittelalter, die gleichfalls für die Geſchichte des Landes von 
hoher Bedeutung find. Im einem ber Geitenthäler der 
Maros erhebt fid) auf ſteilem Kaltjeljen die maleriſche Burg, 
weldye nad) dem berühmten Hunyadi benannt ift, zwar 
arg zerfallen und vom euer befchädigt, aber noch immer 
von großartigen Verhältniffen und immponirend durch die 
gewaltigen mächtigen Formen. Am Fuße des Felſens, auf 
dem die Burg fteht, vereinigen fich zwei Fluſſe, und im be: 
deutender Höhe führte einft eine Iuftige Brüde von dem 
fteilen Rande nad) dem Eingange zu diefem föniglichen 
Sitze. Jetzt ift von alledem nichts mehr vorhanden, als die 
Balfen der Zugbrüde unmittelbar vor dem Eingange. Nun 


durchfdreitet man große Hofräume und langgedbehnte Gänge, 





151 


die zu Gemächern mit hohen Bogenfenftern führen, unter 
benen das Waſſer in der Tiefe bahinraufcht; man ſchleudert 
nad) der nun zerfallenen entweihten Capelle und befichtigt 
die großartigen Keller, die einft reiche Vorräthe würzigen 
Siebenbürger Weines bargen. Bon der breiten löniguͤchen 
Terrafle ſchaut man hinaus weit über die Ebene und je 
länger der Blick felbft Über den Ort und bie Landſchaft 
fchweift, defto trüiber werben die Gefühle. Es find hier jo 
viel Reſte einftiger Pracht und Herrlichkeit, daß es peinlich 
iſt, wie das alles ohne Schug und Schirm gelaffen und 
ohne die geringfte Fürforge den wilden Naturgewalten preis« 
gegeben wird, die an Allem fchonungslos, unausgefegt und 
erbarmungslos ihre zerftörende Kraft audliben. 

In der Nacht des 12. April 1854 brach hier in einem 





— — ⸗ 





Rumänische Kirche in Zeylfalva (Thurm auf römiſcher Grundlage). 


der Thürme Feuer aus und madjte, mit erjchredender 
Schnelligkeit ſich ausbreitend, das ſchöne Schloß zu bem, 
was es jet ift, zu einer troftlos öden Stätte. Da und 
dort wurde eim Nothdach errichtet um den Regen einiger 
maßen von den Gemächern im Innern abzuhalten; aufer- 
dem iſt aber nichts geſchehen. Es befindet ſich hier ein 
prachtvoller gewölbter Kitterfaal mit ſteinernen Säulen fei- 
ner ganzen Yänge nad), der im Jahre 1452 erbaut wurde. 
Feuchtigkeit und Schnee dringen durch die Fenſter ein und 
der von oben herabfidernde Regen lodert das Geflige der 
Steine. Stid auf Stüuck föft ſich und fällt ab. Wahrlich, 
es ift ein Jammer, aber auch eine Schande iftes, daß dem fo 
fein fann. Wird dem nicht abgeholfen, fo ftlrzt das Ganze 


zufammmen. Dank dem teuer, welches in manchen Gemächern 


die Kallſchichten des Bewurfs loslöfte, famen Figuren und 


Landfchaften zu Tage, mit denen unfprünglich die Wände 
bemalt waren. Aber auch fir die Erhaltung diefer interefr 
fanten Werke geſchieht nichts und jo ericheint Vayda Hunyad 
als eine troftlofe Nuine, die ihren gänzlichen Verfall ent» 
gegengeht. Hier kann man beobachten, wie ein ftolzer Bau 
gänzlich zu Grunde geht und hier wird uns Mar, wie aus 
einem fröhlichen, einft mit aller Pracht ausgeitatteten Site 
ein fahles, ödes Gemäuer werden fann, am dem nichts mehr 
übrig ift als der nadte Stein. Ein anderes gleichfalls in 
Nuinen liegendes Schloß diefer Gegend ift das berühmte 
Deva im Marosthale. 

Südlid) von Deva führt die Eifenbahn an dem alten 
Thurm von Zeykfalva vorliber, der, römischen Urſprungs, 
in einen wallachiſchen Kirchturm verwandelt wurde. Ebenfo 
verhält es fich mit dem Kirchthurm von Voldogfalva am 


17* 


132 


Eingange der reichen Hazeger Ebene, Etwas weiter nad) 
Dften, im GSeitenthal von Demfus, ift gleichfalls ein alt 
römisches Maufoleum aus Trajau's Zeit in eine chriftliche 
Auch das erwähnte Zarmige: 


Kirche umgefchaffen worden. 


— — — 


Schloß Vayda Hunyad in Sieb 
cultivirte Hazeger Thal. Um ihm aufzuhelfen ließ die Re— 
gierung eine Zweigeifenbahn hier bauen, hauptjächlich in der 
Abfiht um dem wirflic großartigen Steinfohlenreichthum 
der Gegend Abfag zu verſchaffen. Ihr Hauptfundort iſt 








— — 


enbürgen. 


Romiſche Ueberreſte in Eiebenbürgen. 


gethufa lag in diefer Gegend, das eiferne Thor, den Eingang 
des Yandes von Welten her, überwachen. 


Da, wo einjt all dieſe römische Herrlichkeit ſich brüfiete, 


fehen wir heute das wohl bevölferte, aber arme und ſchlecht 








Nach einer Photographie. 


Petrofeng. Diefe Eifenbahn wird hoffentlich wieder Yeben 
in das einft fo reiche Land bringen und die altın Römer: 
ruimen werben dann nicht mehr in die traurige Hazeger 
Ebene, fondern in ein reiches Inbuftrieland hinein fchauen. 


—— 
ER on a, 
— > Sr 
4 — — 


Thurm aus der Römerzeit im Stralthale bei Hazeg. (Südweſtl. Siebenbürgen.) 


As römische Alterthümer von ber allergrößten Selten- 
heit gelten die Wachsfchreibtafeln, welche im Klauſenburger 
Mufeum aufbewahrt werben. Im Jahre 1855 fließen die 
Bergleute in den Kirnilminen bei Berespataf auf einen alten 
Schacht, der feit Jahrhunderten verlafien und zugefchlittet 
war. Das legte lebende Weſen, welches hier unten gear 


beitet hatte, war ein röntifcher Soldat gewejen. Von jener 
Zeit an bis zu dem Tage, an weldyem der Schacht von 
Neuem geöffnet wurde, war alles genau fo geblieben, wie es 
der leiste Arbeiter hier verlaffen. Bei feinem Cintritte in 
den Schacht entdedie der moderne Bergmann, während er 


. beim Scheine des Grubenlichts den Ort durchfuchte, Meine 


Geſchichten aus Alt-⸗Japan. TI. 133 


auf dem Boden —— Holztäfelhen. Wie ſich herausſtellte plare folder Triptychen find bisher aufgefunden worden; 
waren fie unzweifelhaft das Notizbuch des römischen Berg: | 1. Protofoll betreffend die Auflöfung eines Yeichenvereins im 
bauauffchers, der fie hier entweder verloren oder vergefiem | Jahre der Stadt 919 (167 n. Chr.) Diefe Urkunde befin« 
hatte. Diefe Triptycha (aus det fi, im Nationalınufeum 
drei Täfelen  beftchende in Pefl. 2. Vertrag über 
Notizbitcher) werben von den Berfauf eines Sklaven 
Charles Boner auf folgende (142 n. Ehr.), aufbewahrt zu 
Weife befchrieben. Die drei Dlafendorf in Siebenbitrgen. 
Theile waren durch Spal - 3. Verkaufsurkunde tiber 
tung eines Stüdes Tannen: ein fechsjähriges Mädchen 
holz von etwa zwei Zoll (1389 n. Chr). Im Belt, 
Stürte gebildet; die Ober—⸗ 4, Schuldſchein über 60 De- 
fläche eines jeden Theils nare vom Jahre 162 n. Chr. 
war nicht geglättet, bamit fie In Peſt. 5. Urkunde den 
beim Zufammenfügen genau Verkauf eines Hausantheils 
wieder auf den Spaitfläcen betreffend vom Jahre 159 
zufammenpaßte. Dann n. Chr. In Peft. 6, Ein 
wurde jedes Täfelhen auf in griechiſcher Sprache ver- 
der Innenfläche ein wenig faßter Schuldichein, welcher 
ausgehöhlt, fo daß rings» jedoch, dem römiſchen Geſetze 
herum ein Rand blieb, ge entſpricht. In Karlaburg. 
ade wie bei einer gewöhns 7. Schuldſchein liber ;140 
lichen Scyiefertafel. Diefer Denare vom Jahre 162 m. 
Rand diente zum Schutze Chr. 8. Bertrag über eine 
der auf der Imucnfläche be- Arbeit vom Dahre 164 
findlichen Schrift. Die in: n. Chr. 9. Bertragsfchrift 
nere Fläche wurde nümlich vom Jahre 131 n.Chr. Die 
mit einer dünnen Schicht legteren drei in Klauſen⸗ 
überzogen, die aus Wachs burg. 
und Harz gemifcht war, auf Da diefe Tafeln von 
welche dann mit einen Grif⸗ der Atmoſphäre abgefchlofien 
fel (Stylus) die Notizen ges tief im Innern des Ber: 
fchrieben wurden. Die drei ges lagen hat ſich das Holz 
Zäfelhen, nad) moderner berfelben gut erhalten. Gleich 
Anſchauung Blätter des Bu- nach ihrer Auffindung wur- 
den fie von einem jüdischen 


ches, wurden durch eime 
Schnur ober einen Riemen, Hänbler erworben, der mit 





der durch ein am ande a T eaflaunlicher Gefchidlichteit 
jedes Täfelchens angebrach- Burg Koltz in Siebenbürgen, Nach einer Photographie. nnd Genauigkeit Nachah— 
tes Loch gezogen wurde, zus mungen davon machte und 


ſammengeheftet und bildeten fo ein geſchloſſenes Buch. 
Bon aufen war das Ganze hübſch geglättet, jo daß es wie 
eins unſerer gebundenen Bücher ausjah. Folgende Exem-— 


ein echtes und ein unechtes Triptychum dem britiichen Mu— 
ſeum zum Berfauf anbot. Die Fälfchung wurde aber glüd: 
licherweife erlannt. 





Geſchichten aus Alt-Japan. 


11. 
Fuchs: und Dachsgefchichten. — Der Geift von Sakura. — Das Schwärzen der Zähne, 


Reid find die Mittheilungen des Werkes über den ] heimliche Thiere betrachtet ; aber da die Dachſe audy einen 
Überglauben in Japan. Sagen, Fuchſe und Dachſe | Play im Feenlande haben, ift ganz neu. Die Infel Schilolu, 
werden mit abergläubifcher Ehrfurcht und Scheu betrachtet. | die ſüdlichſte der großen japanifchen Juſeln, ſcheint derjenige 
Dean glaubt, daß fie menſchliche Geftalt annehmen können, | Theil des Reichs zu fein, in welchem dem Dachſe die größte 
um die Pete zu beheren, Indeſſen arbeiten fie, wie bie ! Verehrung gezollt wird. Beim Herannahen der Dümme- 
Feen im unſeren europäifcen Erzählungen, fowohl flr gute | rung legt ſich der Dachs am einem einfamen Ort auf bie 
wie fir böje Zwecke. Wer ihnen einen wichtigen Dienft | Yauer und wartet auf die Wanderer, welche von der Duntel- 
leiſtet, verichafft fi im ihnen mächtige Bundesgenoſſen. heit lberfallen werben ; fo wie einer erfcheint, holt das Thier 
Uber wehe dem, der ihnen Schaden zufügt! — er und die | tief Athen, bläht feinen Bauch auf und trommelt ſehr Leife 
Seinigen werben jedenfalls baflir leiden müflen. Ueber bie | darauf mit feiner geballten Pfote, wodurd; er fo bezaubernde 
ganze Welt, ſcheint es, werden Sagen und Füchſe als un- Töne hervorbringt, daß der Wanderer nicht widerſtehen 


134 


fann, dem lange zu folgen, welcher irrlichtergleich ſich ent: 
fernt und dann wieder wie er ſelbſt vorwärts fchreitet , bis 
er ihm ins Verderben gelodt hat. Die Yiebe ift jedoch der 
mächtigfte Hebel, welden die Kage, der Fuchs und der 
Dachs alle gleich oft in Bewegung jegen, um den Menfchen 
in Schaden zu bringen. Kein Deutjcher erfann eine Waſſer⸗ 
nire, die einnchmender gewejen wäre, ald die ſchönen Yung: 
frauen, von denen der Ritter der japaniſchen Romanzen ans 
gefallen wird: „Der wahre Held erkennt das Ungeheuer und 
erjchlägt es; der jchwächere Sterblice giebt nad) und unter- 
fiegt.“ 

Die japanischen Gefchichtenbiicher find voll von Erzäh— 
lungen über die Streiche diefer Gejchöpfe, welche wie unfere 
„Weiße Frau* felbft in den Annalen alter Adelsfomilien 
eine Rolle fpielen. 

Als Typus einer Geiftergefchichte wollen wir die Ana— 
Infe der Erzählung geben, weldje das Geſpenſt von Sa» 


Gedichten aus Alt»Japan, IT. 


fura betitelt ift. Sie wirft ein helles Licht auf die ehrlichen, 
fleißigen aber oft bedrüdten Bauern und ihr Berhältniß zu 
den großen Yandeigenthlimern. Ein Mitglied der vornehmen, 
reichen Hottafamilie, Namens Kotfuts no Suts Mafas 
nobu, Herr des Schloſſes Sakura, drüdte feine Pächter 
durch harte Frohnden und bradite fie dadurd) im die größte 
Armuth, jo daß fie ſich endlich auflehnten und beſchloſſen 
ihre lagen vor den Taikun zu bringen. An ihre Spite 
trat der Bauer Sogoro, weldyer die von den Borftehern 
von 1535 Dörfern unterzeichnete Bittſchrift auf offener 
Straße dem Herrſcher Überreichte. Der harte Schloßherr 
Kotfuls no Sute wurde dadurd) gezwungen fein Verfahren 
gegen die Bauern zu ändern. . 

Natürlic, entbrannte er nun im Rachſucht gegen ben 
Bauern Sogoro, den er ergreifen und fammt Frau und 
Kindern am Kreuze fterbem lieg. Sogoro ertrug ald Mär 
tyrer die furchtbare, ungerechte Strafe mit dem größten 





Der Geiſt von Safıra. 


Heldenmuth. Nach feinem Tode aber erſchien er ſammt 
den Geinigen dem Tyrannen als nächtlicher Quälgeiſt. 
Hierüber gerieth Kotfuts in ſolche Angft und Berzweiflung, 
daß er endlich von Neue zerknirſcht dem Geifte jeines Bauern 
Sogoro Abbitte leiftete. Die Gefpenfterplage nahm nun 
allerdings ab, aber ein anderes Unglüd ftürmte auf Kotfute 
ein. Er töbtete im Ötreite einen Edelmann des Taifun, 
mußte als Hochverräther flichen und wurde zum Berlufte 
feiner Siter verurtheilt. Im feiner Herzensangft und als 
er erfannt, daß er num die gerechte Strafe für die Hinrich— 
tung Sogoro’s erleide, wandte er ſich an das firdjliche Ober- 
haupt, den Mitado, mit der Bitte Sogoro zum Yandesheiligen 
zu erflären. Dies gefhah und Kotjuls errichtete feinem 
Bauer einen Tempel, zu dem alle Yeibeigenen zu wallfahr« 
ten begannen. Nach diefer großartigen Sühne wurde Kot 
futs no Sufö wieder zu Önaden angenommen und in den 
Genuß feiner Güter eingefegt. Dieſe Erzählung, die nicht 


ohne ſocialiſtiſchen Beigeſchmack ift, gehört zu dem belieb- 
tejten in Japan, 

Sehr zahlreic find die wertvollen Commentare Mite 
ford's in dem Buche, die Überall den meifterhaften Sad): 
fenner verrathen, So giebt er nad) jeltenen Manuſkripten 
Mittheilungen über die Gebräuche bei der Geburt; er er- 
läutert mit großer Genauigkeit das Harafir oder Baudj- 
aufjchligen und weiht und in die Toilettengeheinmiffe der 
japanifchen Schönen ein. Intereſſant ift, was er über das 
Schwärzen der Zähne fagt. 

In den oberen Claſſen ſchwärzen die jungen Damen 
ihre Zähne gewöhnlid) bevor jie ihres Waters Haus ver- 
laffen und in das ihres Gatten eintreten, und fie vervoll- 
ftändigen diefen Act durch das Wegrafiren ihrer Augenbrauen 
unmittelbar mad) der Hochzeit oder dody jedenfalls nicht 
fpäter als bei Gelegenheit ihrer erſten Schwangerſchaft. 

Der Urfprung diefes Gebrauches ift dunfel. Zum Bes 


F. Nd. v. Roepftorff: Fin Beſuch auf den Nilobariichen Inieln. 


weife, daß er ſchon vor dem elften Fahrhundert n. Chr. ©, ! 
eriftirte, citirt ein merkwürdiges Buch, betitelt „Tejo Saffi“, 
oder die vermifchten Schriften des „Tejo*, das Tagebuch der 
Muraſali Scikibu, In den Tagebücern diefer Dame fteht 
geichrieben, daß fie am letzten Abend des fünften Jahres der 
Periode „Kanto* (1008 n. Chr. G.), um ihre Toilette flir 
den Neujahrstag zu machen, ſich in ihr Privatcabinet zuriids 
zog und die Mängel ihrer perjönlichen Erſcheinung aus 
beſſerte, indem fie ihre Zähne ſchwärzte und auch jonft ihe 
Aeußeres ſchmüucte. 
Auch der Kaiſer und die Edelleute ſeines Hofes haben | 
die Gewohnheit, ſich die Zähne zu fchmärzen; doch ftirbt bei 
ihmen diefelbe allmälig aus. Man jagt daß fie in Schwung 
gebracht fei durch einen gewiſſen Hanafono Ariſchito, der 
den Rang eines Sa Daijin oder „Minifters zur Yinfen“ 
hatte, im Anfange des zwölften Jahrhunderts, unter der 
Negierung des Kaifers Toba. Diefer Minifter, ein Mann 
von ſehr raffinirtem Geſchmack und von großer Sinnlichkeit, 
rupfte fich die Augenbrauen aus, vafirte feinen Bart, 
fchwärzte feine Zähne, puderte fein Geſicht weiß und ſchminkte 
feine Yippen roth in der Abjicht, ſich einer Frau möglichſt 
ähnlich zu machen, In der Mitte des zwölften Jahrhunderts 
ſchwärzten ſich alle Edelleute des Hofes, wenn fie im den 
Krieg zogen, die Zähne, und feit diefer Zeit wurde es alle 
gemein Sitte am Hofe Die Anhänger der Häupter der 
Hojo-Dynaftie ſchwärzten ſich auch die Zähne als ein Em 
blem der Treue. Und das wurde die „ Odamara-Mode* 
genannt, nach der Reſidenzſtadt jener Familie. So wurde 
endlich eine Sitte, die zuerſt aus der Liebe zum Vergnügen 


135 


hervorgegangen war, zuletzt als das Zeichen eines guten umd 
treuen Geifte® genommen. Die Mode des Zähnejchwärzens legt 
ihren Anhängern feine geringe Unbequemlichfeiten auf, denn 
die Farbe muß jeden Tag, oder doc; jeden zweiten Tag er« 
neuert werden. Go fonderbar und abftogend die Sache 
Einem zuerft erfcheint, jo lernt es das Auge doch bald, ohne 
Abſcheu auf ein gut geichwärztes und glänzend polirtes Ge— 
biß zu blicken. Uber wenn die Farbe ſich abnutzt und in 
ein ftumpfes Grau mit ſchwarzen Strichen verwandelt, 
dann wird der Mund allerdings jehr häßlih. Mitford 
theilt aud) ein Recept zum Zähnejchwärzen mit, weldyes ihm 
von einem fehr fajhionablen Ghemiter und Droguiften in 
Jeddo geliefert wurde, wir geben es wieder, falls bei und 
Jemand es probiren will. 

„Nimm drei Pinten Waſſer, wärme es und giehe eine 
halbe Tafje Wein dazır. Yege in diefe Miſchung eine Quan— 
tität vothglühendes Eiſen. Laß es flinf oder ſechs Tage 
ftehen, wonach jid) oben auf der Miſchung eine Haut ober 
ein Schaum bilden wird, der abgenommen und im einer 
Theetaffe neben ein Feuer gefegt werden muß. Wenn die 
Subſtanz warın ift, müſſen pulverifirte Galläpfel und Eifen- 
feile hinzugethan und das Ganze wieder gewärmt werben. 
Die lüffigkeit wird dann mit einem weichen WFeberpinfel 
auf bie Zähne geftrichen, und nod) etwas gepulverte Gall: 
äpfel und Eifenfeile hinzugefligt, und wenn man dies einige 
Male wiederholt hat, wird die gewlinjchte Farbe bdafein.* 
Es ift alfo weiter nichts ald Tinte, die hier zum Schwär: 
zen verwendet wird. 


Ein Beſuch auf den Nikobarifhen Inſeln. 
Von F. Ad. von Rocpftorff *). 


Die Infelgruppe der Nifobaren befteht aus acht größeren 
und einigen kleineren Iuſeln. Sie liegen im Bengalifchen 
Meerbufen zwiſchen 9" 15° und 7045* M., 9315" und 
93°57' D,, ziehen fi) im einer Linie von Südſüdoſt nad 
Nordnordiweit und bilden das VBermittelungsglied zwiſchen 
dem Andamanifchen und Malayifchen Archipelagus. Das | 
Klima ift durchaus tropiich, die Temperatur durchaus gleich 
mäßig, im Durchſchnitt 28° C. Die Regenhöhe jteigt über | 
100 Zoll. Zu Zeiten füllt ein ſehr heftiger ſtarler Regen, 
welcher mitunter monatelang andauert, indeſſen fommen in | 
den einzelnen Jahren Abweichungen vor. 

Die Injeln zerfallen nad) ihrer Yage in zwei verſchiedene 
Gruppen, welche im Mittelpunfte ſich berühren. 
ganzen Ausdehnung läßt fic ihr vulcaniſcher Urſprung er- 
fennen, welcher mehr oder weniger deutliche Spuren feiner 
Thätigfeit zurüdgelaflen hat, je nachdem die Erhebungen in 
früherer oder jpäterer Zeit geſchehen find. 


geführtes Erdreich Sumpfebenen gebildet, auf weldyen im un« 
mittelbarer Nähe des Meeres Mangrovebäume wuchern, wäh- 
rend auf dem über die Waflerlinie fich erhebenden Boden 
ber Pandanus auftritt. 

Mit mehr oder wenigeren Unterbrechungen hat das Meer 
rund um. die Infeln einen Korallengürtel gebildet, deſſen Vor— 
fprünge ſich weit in das Waſſer hineinerftreden. 


*) Geographical Magazine. Februat 1875. 


In ihrer | 


Un verjchiedenen Stellen hat ein von den Bergen herab» | 
| 


Groß-Nikobar, Klein-Nikobar und Katſchall haben hrau— 
nen Korallenboden; die übrigen Injeln find dagegen mit 
einem —— aus verſchiedenen Subſtanzen beſte 
henden Erdreich bedect, welches einſt den tiefen Meeresgrund 
bildete. In demſelben finden ſich viele Heine Muſcheln und an— 
dere Gbegenftände, welche deſſen Urſprung deutlich erlennen laſſen. 

Der braune Korallenboden und die von den Bergen herab- 
geſchwemmte Erde findet jich von Norden ab bis in ber Nähe 
des Hafens Nankowwry. Die ibrigen Infeln, welche den Ha- 
fen umgeben, beftehen aus einer andern Formation, indem 
auf dem vulcanifchen Untergrund ein fetter Yehm lagert. Hier 


‚ wäcjit auf meiten Ebenen ein hohes Gras, in der Nähe des 


Meeres aber: findet ſich häufig ein wildes Dididht, 
Die Übrigen, der ſüdlichen Gruppe angehörigen Infeln, 
zu denen auch Katſchall gerechnet werden muß, find voll- 


Ständig und zwar mit einem miebrigen Geſtrüppwalde bededt. 


Auf dem von der See gebildeten Boden wächſt die Cocos— 
palme; fie bildet den werthvolliten Schat der Bewohner. 

Das Innere der die ſüdliche Gruppe bildenden Juſeln 
ift noch völlig unbelannt; ſchwerlich ift jemals cin Europäer 
dorthin gelangt. Der dichte Wald, mit denen fie bededt find, 
befteht aus hohen Bäumen, unter denen ftachelige Kriech— 
und Schlingpflanzen wuchern. Kein Strahl Yicht dringt 
durch das dichte Yaubdach, und wegen Mangels an Licht fann 
feine Blume auftommen. Prachtvoll ift der Blid auf den 
mächtigen Urwald, aber das Wohnen in feiner Nähe bringt 
der Geſundheit Gefahr. 


136 


Im Jahre 1869 wurde die Gruppe von ber Regierung 
Indiens in Vefig genommen und. die neue Erwerbung zu 
einer Strafeolonie beftimmt, welche mit der großen Straf- 
eolonie zu Port Blair auf den Andamanen verbunden wurde. 
Man ſchickte eine Abtheilung von Sipahis aus Madras, 
200 Berurtheilte und eine Mafle Baumaterialien. Der 
Transport wurde in dem Hafen Nancowry (ſprich Nan— 
taury) gelandet. Im Jahre 1874, alfo nad; fünf Jahren, 
zeigte die Kolonie ſchon ein fehr freundliches Aeußere. Man 
hat diefelbe auf der Nordjeite des Hafens angelegt. Schon 
find zwei Gebäude von Holz für die Verurtheilten und ein 
Krankenhaus vollendet und auch die Fundamente zu ben 
Wohnungen der Offiziere und der Soldaten gelegt. Der 
Wald in der Umgebung ift niedergehauen und der Anbau 
von Baumwolle hat begonnen. Die Örasflächen, welche kei— 
nen Nugen brachten und der Geſundheit jchädlih waren, 
find umgepflügt und in Gemitfegärten umgefchaffen, in denen 
ſchon die Roſe blüht. Ebenſo hat man in ber Nähe der 
Anfiedelung die Mangrovebäume entfernt, die ſumpfige Nie- 
derung entwäflert und mit Cocospalmen bepflanzt. in 
Hauptgrund, weshalb die neue Unternehmung mehr Aus— 
ſicht auf einen glücklichern Erfolg als frühere Verſuche ver- 
ſpricht, ift darin zu finden, daß jegt den Coloniſten gute 
Wohnung und gefunde Koft gewährt wird. Da bie neue 
Golonie mit Port Blair, wofelbft, wie bemerkt, ſchon eine 
Station feit langer Zeit errichtet ift, in enger Verbindung 
fteht, fo lann von dort jeglicher Bedarf beſchafft werden. 

Die Cocosnüffe, welche die Colonie gebraucht, werben 
von den Eingeborenen geliefert. Die Zahl diefer legteren 
ift nicht groß. Sieleben etwa in der Weife wie die urfprüng» 
lichen Bewohner der Pfahlbauten in den Schweizer Seen. 
Sie find ein ftattlicer, kräftiger Menſchenſchlag. Ihre Stirn 
ift niedrig und die Badenfnochen treten ftark hervor. in 
ausgewachſener Dann hat etwa die Größe von 5 Fuß 6 bis 
9 Zoll. Sie find vollitändig verſchieden von den Malayen 
und Birmanen und vielleicht mit den Bergbewohnern von 
Formoſa verwandt. Doch das bleibt noch näher zu ermits 
teln, inäbefondere auch in fpradjlicher Hinficht. Ihre Wohn- 
ftätten haben fie auf Korallenboden errichtet und zwar an 
folchen Stellen, wo der Sorallengüirtel eine Lucke hat; die 
Zugänge dur, die Korallenriffe find durch Pfähle marlirt. 

Die Wohnungen alfo ſtehen auf Pfählenz find rund und 
haben eine fuppelartige Bedachung. Die Meercsfluthen fpit- 
len die Abfälle des Haushalts fort. Die Bauten find gut 
ausgeführt und werden fehr fauber gehalten. In einem 
Bau leben mehrere Familien, welche in ber Negel mit ein- 
ander verwandt find und bilden im gewiſſer Hinficht eine 
gemeinfchaftliche Wirthſchaft. Die Arbeiten find unter Alle 
vertheilt. Der Flur iſt getheilt; an feiner Seite liegen 
einige Kammern und die Yagerftätten, im welchen man Mat- 
ten zur Bededung und feine Holzftüde zur Unterlage für 
den Kopf findet. Un den Wänden find die Speere und Ru⸗ 
der aufgehängt. Im langen Reihen werben die Kinnbaden- 
fnocdyen von Schweinen ſymmetriſch geordnet, ebenfo die 
Löffel und andere den Bewohnern werthvolle Sachen auf: 
geftellt. 

Den Eingang bildet eine Definung, durch welche man 
unmittelbar auf den Flur gelangt. Ihr gegenüber liegt der 
Kochplatz; um ihm haben die älteren frauen ihren Aufent- 
halt. Diefer Raum, wie überhaupt das Ganze, wird fehr 
fauber gehalten. Große Töpfe ftehen am Feuer, im denen 
das Pandanusbrot bereitet wird; dieſes umd Fische find das 
Hauptnahrungsmittel, Die Zubereitung des Pandanuäbrots 
(Xarome) ift eine mühjame und ſchwere Arbeit, die ledig: 
lid) den Frauen obliegt. Einige Fuß unter dem Flur find 
Abichläge für Geflügel und für Schweine aufgehängt. Die 


F. M. v. Roepftorff: Ein Beſuch auf den Nilobariſchen Inſeln. 
IFrauen haben feine anſprechende Gefichtszlige und tragen 


das Haar kurz abgefchnitten. Ihre Kleidung befteht aus 
einem furzen, nur einige Fuß langen Hemde von blauer 
Farbe. Die Männer tragen ihr Haar lang umd ihre ganze 
Kleidung befteht aus einem Streifen Zeug, welches fie um 
ihre Hüften ſchlingen und zwifchen den Beinen durchziehen ; 
der Streifen Zeug hängt wie ein Schwanz an ihrem Rüden. 
Diefe Sitte hatten fie fchon im Jahre 1647, denn der 
Schwede Keoping, welcher damals bei den Infeln Anter warf, 
erzählt, daß er Dienfchen mit Katzenſchwänzen dort geſehen 
habe. Linns hat diefe Angabe für wahr gehalten; in der 
Entfernung gefehen hat die Sache allerdings das Ausjchen 
eines Scwanzes, 

Die Eingeborenen find fehr abergläubifc und ihre Woh- 
nungen find mit allerlei Atten von Figuren und Bildern 
angeflillt. Auf einigen diefer Bilder ift die Sonne und der 
Mond in der Weife dargeftellt, als ob fie auf die Erde hinab- 
bliden. Bögel ſchweben über den Hütten, in denen Menſchen 
tanzen. Auf dem Boden find die Geftalten von Schweinen 
und Hühnern fichtbar und im Waſſer fpielende Fiſche. Eines 
diefer intereffanten Bilder ift im legten Jahre nad, Stod: 
holm gejendet worden. 

Der Sonne und dem Monde wird eine abergläubifche 
Gewalt zugefcjrieben. Ihnen bringt man durch Priefter 

er dar. Diefe bilden eine befondere Kaſte, behaupten, 
daß fich ihre Kraft von Vater auf Sohn vererbe und ver« 
ſichern, daß fie Geifter fehen könnten, die von den Eingebo- 
renen jelbft jehr gefürchtet werden. Dies ift befonders hin- 
fichtlich der „Manes* der Fall. Wenn ſich der Glaube 
verbreitet, daß ein Drt von einem böfen Geiſt heimgeſucht 
werde, dann baut man einen Nachen, zerbricht jedes Geräth 
im ganzen Haufe und wirft es unter Klagen und Heulen 
in das unten fliegende Waffer. Hierauf treffen die Priefter 
ihre Vorbereitungen, um den Ort von dem böfen Geifte zu 
befreien. Nach einem Kampfe wird der Feind bejiegt erflärt 
und in den zu feiner Fortſchaffuug angefertigten Nachen ger 
bracht. Diefer wird nun durch ein anderes Fahrzeug eine 
Strede weit in das Meer hinausgezogen, dann freigegeben 
und mit ihm ift auch der böfe Geiſt verfchwunden, Wo der 
Nachen landet, dort nimmt der Geiſt feinen nenen Wohnſitz. 
Zwifchen der Ortfchaft, welde fih von dem böfen Feinde 
befreit hat umd derjenigen, weldye ihn nun erhält, entjteht 
dann Feindſchaft, und in der Negel entipinnt fid) daraus eine 
Fehde. Derartige Kämpfe haben indefien wenig Bedeutung, 
Die Männer bededten ihren Kopf mit gut gepolfterten Hüten 
und die Waffen beftehen nur aus langen Stangen, die man 
mit Schweineblut angefeuchtet und mit Sand beftreut hat. In 
jeder Ortſchaft hält man diefe Gegenftände in Bereitichaft. 
Wenn ein Kampf möthig erjcheint, beruft der beleidigte Theil 
feine Verwandten und freunde, die Vorbereitungen werden 
getroffen, und insbefondere die Schiffe hergerichtet, feſt ge» 
baute Fahrzeuge mit Heinen Querhölgern, einem vorfpringen- 
den Bug und auf der rechten Seite einem Ausleger. Van 
befeftigt mehrere diefer Nachen an einander uud auf ihnen 
fährt die mit den Kampfftangen ausgerüiftete junge Mann— 
ſchaft geräufchlos in dunfler Nacht zu der feindlichen Ort« 
ſchaft. Ein furchtbares Schreien ertönt; die aus ihrem 
Schlaf erwedten Männer treten dem Feinde entgegen. Un« 
ter Berlickſichtigung der Länge der Stangen ftellen fic die 
Gegner auf einem freien Plag einander gegenüber und ein 
regelrechter Kampf beginnt, Da die Köpfe durd) gut gepolfterte 
Hüte geſchützt bleiben, fo find einige leichte Beulen das eins 
zig ſichtbare Reſultat. Hat der Kampf einige Zeit gedauert 
und haben die Männer der angegriffenen Ortſchaft ihre 
Strafe empfangen, dann treten die Frauen, mit Schwertern 
in ber Hand, zwiſchen die Kämpfenden und treunen fie von 


F. Ad. dv. Roepitorff: Ein Beſuch auf den Nitobariichen Inſeln. 


einander. Der Streit ift nun beigelegt. Ein Feſt wirb 
gefeiert, welches regelmäßig längere Zeit dauert und mit einer 
allgemeinen Betrunfenheit endet. 

An jedem Abend fieht man längs der Hüfte Yichter; es 
ift dies ein Zeichen, daß die Männer zum Fiſchfang hinause 
gefahren find. Zwei derſelben befinden fich in jedem Nachen, 
der eine rudert möglichſt ohme Geräuſch, während der zweite 
auf dem Bug fteht. In der linken Hand hält er einen bren⸗ 
nenden Docht, den man aus einem einzigen trodenen Blatt 
der Cocospalme mit befonderer Kunft zu bereiten verfteht, 
und in der rechten Hand flihrt er einen Speer. 

Die Mufcjeln, welche die See bei der Fluth ausfplilt, wer- 
ben von den Frauen zur Zeit der Ebbe aufgefammelt, um als 
Speiſe benußt zu werden; dagegen wird Tripang nicht genoſſen. 

Benn Jemand ftirbt, jo verfammelt ſich die ganze Ber 
wandtſchaft. Der Todte wird forgfältig bekleidet und unter 
Wehllagen in der Nähe feiner Ortſchaft beerdigt. Die Kam: 
mer, welche er bewohnt hatte, wird erbrochen; alles, was ihm 
gehörte, fortgeräumt umd draußen zerſtört. Man hält es 
nicht für recht, aus dem Nachlajje eines Verwandten ſich Ge— 
genjtände anzueignen, Nur die Boote, die Baumſtämme 
und die Wohnungen madjen hiervon eine Ausnahme. Mit - 
unter werben aber aud) die Boote geöffnet, die vorgefundenen 
Sperre gejpalten und alles, was dem Berftorbenen gehörte, 
wie ein Monument auf feinem Grabe zufammengetragen. 

Alle Blutsverwandten, aud) die entfernteren, trauern zwei 
Monate lang. Die Trauer befteht darin, daß jede Art von 
Freude und Genuß gemieden wird. Kein Tanz und fein 
Geſang ift in der Urtichaft, welcher der Todte angehörte, 
erlaubt, fein Schwein wird geſchlachtet, fein Branntwein ge- 
trunfen und die nächften Berwandten enthalten ſich jogar des 
Tabackrauchens. Nach Ablauf der zwei Monate verfammeln 
ſich die Zurücgebliebenen nochmals an dem Grabe und öff- 
nen dafjelbe. Die nächte weibliche Verwandte, entweder die 
Frau oder die Mutter, erfaßt den Kopf des Todten und entfernt 
das Fleiſch und alles — der Hirnſchale. Der Körper 
wird dann auf immer der Erde Ubergeben, aber das Andenken 
an den Todten erhält ſich unter den Seinigen noch lange Jahre. 

Viele Eingeborene kennen Muſik und fingen recht gut. 
Ihre Inftrumente verfertigen fie aus ausgehöhltem Bambus- 
rohr und begleiten einander beim Spielen. Ihr Tanz ift ein 
Rundtanz, welden man innerhalb der fuppelartig bebedten 
Bohnftätten aufjührt. Dean legt die Arme iiber den Rliden 
des Nadjbars, fo daß die Hand auf der entgegengefegten 
Schulter deflelben ruht und fo eim Ring gebildet wird. 
Fin Dann leitet den Tanz und bei einer monotonen Mufik 
wendet man ſich bald auf die rechte, bald auf die linfe Seite, 
jenachdem der Yeiter das Zeichen giebt. 

Im Allgemeinen find die Nitobaren ein friedliches und 
gutgeartetes Bolt und Diebftahl ift unbelannt. Wer diefe 
Injelbewohner nur gelegentlich, und oberflächlich beachtet, 
möchte fie flir die trägften Menſchen halten; im Wirklichkeit 
aber jind fie es. nicht. Sie find vielmehr arbeitfam und 
was jie maden vollenden fie mit großer Sorgfalt. Ganz 
hübſche Gärten haben jie mitten im Walde angelegt; mit 
Fleiß bauen jie ihre Wohnungen und ihre Schiffe. In ihren 
Arbeiten findet fic mehr Feinheit und Zierlichkeit, ald es bei 
den Eingeborenen Indiens der Fall ift, dagegen find fie jehr 
langjamı bei ihrer Arbeit. 

Die rauen ftehen in hoher Achtung. Tie Männer 
find jehr eiferjlichtig und dies ift eine bedeutfame Eigenthüms 
lichteit, wodurch ſich die Nitobaren auszeichnen. Während 
im Often überhaupt die Frau Sklavin und veradhtet wird, 
ift dies hier nicht der Gall. Man begegnet der Mutter, ber 
Frau und der Scwefter immer mit Achtung, 


Glodue XXVII. Nr. 4. 


137 


Bon der frühern Religion, wenn ſolche vorhanden gewe 
fen iſt, haben ſich nur einige Andentungen erhalten. Der 
Sonne und dem Monde legt man übernatlirliche Kräfte bei; 
man glaubt an ein Peben nad) dem Tode und Alle haben 
Furcht vor dem legtern. Die Priefter find geriebene Betrür 
ger und bedienen ſich mitunter auch der Baudjrebnerei. 

Da das Klima erfchlaffend wirkt, jo bedürfen und haben 
die Nitobaren Anregungsmittel, Sie kauen Betel, 

Das Kuſſen ift unbelannt. Erwachſene Leute berühren 
einander die Lippen nicht. 

Aus dem Saft der Cocospalme verfertigen fie ein berau- 
ſchendes Getränf, welches genoffen wird, wenn Arraf fehlt. 
Geiftige Getränfe Lieben fie über alles Maß und es kommt 
vor, daß eine ganze Ortſchaft betrunken ift. 

Diefes Bolt, welches viele gute Eigenfchaften befigt, ift 
im fchnellen Abfterben begriffen; das töbtende Gift: 
„der Arrak“, wird ihnen als Tauſchwaare für Cocosnüfie 
durch den Handel zugeführt, welcher unter Berüdſichtigung 
der geringen Einwohnerzahl als ein lebhafter erfcheint. 

Che die Regierung Indiens von den Infeln Befig ge- 
nommen hatte, war häufiger ein Gerlicht verbreitet, daß die 
Nifobaren Fremde gemordet und Schiffe beraubt hätten. 
Es mag aud) etwas davon wahr fein, aber andererfeits wird 
nicht gejagt, ob und welches Unrecht ihmen zugefügt wurde, 
ehe fie zur Vergeltung jcritten. Es ift anzunehmen, daß 
in jedem einzelnen alle das Unrecht nicht von ihnen aus- 
gegangen ift. Die Dänen haben es verſucht, dieſe Mifftände 
zu befeitigen, freilich vergebens, wie fie überhaupt im ihrer 
Colonifation niemals glüdliche Erfolge erreicht haben. 

Die Nifobaren lernen fremde Sprachen mit Yeichtigfeit. 
Die bejahrten Yeute fprechen Bortugiefifch, die Männer mitt- 
lern Alters Englifch, junge Männer Birmaniſch und die Kin— 
der Hindoftanifh — Alle aber Malayiſch. Hieran kann 
man erfennen, im weſſen Händen der Handel während der 
fetten ſechszig Jahre geweſen ift und in welcher Weife der · 
ſelbe gewechſelt hat. 

Die Sprache der Nifobaren zerfällt in mehrere Dialekte; 
fie ift fehr reich an Kehllauten und ſchwer zu ſprechen; der 
Bau ift einfach und mit den Sprachen, bie auf den näher 
gelegenen Infeln und Yändern geſprochen werben ſcheint fie 
feine Aehnlichfeit zu haben. Selbftverftändlid, haben fremde 
Wörter Aufnahme gefunden, befonders für die Dinge, die 
erſt neu eingeführt worden find, im Allgemeinen aber ift die 
Sprache frei von fremden Elementen. 

Im Innern von Groß« und Klein-Milobar fol cin eine 
heimischer Stamm wohnen, ben Roepftorff für identifd mit 
den „Chowra⸗Leuten“ hält. Es fcheint, daß diefer Stanım 
icon jeßhaft war, che eine fremde Vevölferung in größerer 
Zahl anlangte und ihn zurliddrängte. Die Leute werden Scho— 
baengs genannt und reden eine andere Sprache als die 
übrigen Infulaner. Alle diefe Angaben miffen indeflen mit 
Vorſicht aufgenommen werden, denn fein Europäer ift jemals 
bei ihmen gewejen und Alles, was man von ihnen weiß, 
grlindet fid) auf Mittheilungen eines jungen Mannes, den 
Roepftorff jah und welcher nad) der Angabe der Nifobaren 
jenem Stamme angehört. Er foll ald ein Kind gefangen 
worden fein. Augenfällig war er von den Yeuten, unter 
denen er feitdem gelebt hat, zu unterfcheiden; „er war von 
mongoliſcher Abſtammung“*“ (— womit freilich nichts gejagt 
iſt —). 

Die Scobaengs find Heine Negritos; wahricheinlich wa- 
ren jie die Ureinwohner und wurden von dem fruchtbaren. 
Boden, auf welchem die Cocospalme wächſt, vertrieben. Nur 
auf der Meinen Inſel Schaura haben fie fic erhalten. Sie 
verfertigen Töpfe, welche die Infelbewohner von ihren beziehen. 


18 


135 


Arthur v. Triebel: Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Zigris für den Verkehr. 1. 


Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Tigris für den Verkehr. 
Bon Arthur von Triebel *). 


Die großen Zroillingsftröme Euphrat und Tigris, deren 
Bedeutſamleit und Weltftellung wir im Folgenden darzu— 
legen verfuchen werden, waren trog ber reichen hifforifchen 
Keminifcenzen, die fi an ihre Namen Initpfen, noch bis 
vor nicht langer Zeit in vielfacher Beziehung äußerſt un« 
vollftändig befannt. Erſt in der neuern und neueften Zeit 
hat zumäcft der feit Erfindung der neuen Berfehrömittel 
nad) allen Seiten ſich erweiternde Handel dazu beigetragen, 
die Kenntniß der Ströme und der von ihnen gebildeten alten 
Bölterftraße zu erweitern. Ohne auf die geographifche Funde 
der beiden Ströme und ihre wechjelnde Geftaltung näher 
einzugehen, möchten folgende allgemeine Angaben am 
Plage fein. 

Euphrat und Tigris entjpringen auf bem Hochgebirge 
von Armenien. 

Die Ströme laufen im Allgemeinen mit einander pa- 
rallel und ſchließen das weite nad) Süden hin ſich immer 
mehr verengende Land el Dſchezireh oder Mefopotamien ein. 
Nachdem dann die beiden Flüſſe im bedeutender Strom- 
entwid: ein Gebiet von mehr ald 1200 Ouadratmeilen 
mit ihrem Waſſerſchatze verfehen haben, vereinigen fie ſich 
bei Kurnah (Korna) und fliegen unter dem Namen Schat ⸗ 
el- Arab gegen Sübdoften zum Perfifchen Golf. Die Yänder- 

ebiete der Zwillingöftröme, das Yand „Sinear*, von den 
Öriedhen Baßviovia genannt, und bas nördlich von Baby 
ton gelegene Mefopotamien find nach den Ueberlieferungen 
bes Alten Teftamentes Knotenpunkte der älteften Cultur ge- 
wejen. Aus biefen Ländern zogen Welteroberer aus, hier 
wurden Weltreiche gegritnbet, hier auch war der Mittelpunkt 
des älteften Welthandeld und Weltverkehrs. 

„Wandernde Nomadenftämme, dem Yauf der Ströme 
folgend, hatten in dem fruchtbaren Stromgebiete des Euphrat 
und Tigris fchon in der Urzeit in weiten Nomadenlagern 
ſich concentrirt, aus denen die großen, ganze Völler ums 
faflenden Städte entftanden find, eine Erfcheinung, die ſich 
auch in der folge bis auf die Zeit des Mittelalters bei ben 
Völterftrömungen in diefen Gegenden wiederholt, wo auf 
einem verhältnigmäßig feinen Raume die größten und 
blühendften Städte entftanden find und nad) ihrer Ber 
ftörung ſchnell durch andere von ebenfo großem Umfange 
und von gleich großer Bevölferung erfegt wurden.“ 
(Ritter X.) Gerade diefe Concentration einer großen Bes 
völferumngsmafle mußte namentlich auf die Entftehung und 
Ausbildung des Handels · und Bölferverfehrs von günftigem 
Einfluſſe fein. 

Dazu fommt noch, daß Babylonien von Yändern und 
Bölfern umgeben war, deren Cultur ebenfalls in hoher 
Blüthe ftand, und die eine Fülle von Natur- und Kunfte 
erzeugniflen befaßen. Die hiftorifchen Ucberlieferungen aus 


*, Der nachſtehende Muffag bat dem Generalfeltmarfchall Grafen 
von Moltke zur Weurtbeilung vorgelegen und bat ſich derſelbe 
fehr günftig darüber geäußert. Graf Moltle, welcher die Länder 
am Euphtat und Tigris befanntlich aus eigener Anſchauung fennt, 
ſchrieb darüber das bochintereffante und im feiner Darftellung viele 
fach claſſiſche Wert: „Briefe uber Zuſtände und Begebenheiten in 
der Türkei aus den Jabten 1855 bis 1859.” Berlin 1845. @s 
erſchien anonpm. 


I. 


ber älteften Zeit bis etwa zum fiebenten Jahrhundert v. Chr. 
find freilich theils legendenhaft, theils äußerſt unvollſtändeg, 
aber ſelbſt die Bruchſtücke, welche der Scharfſinn neuer Ge— 
lehrten erforſcht und im richtigen —— gedeutet 
hat, — uns Kunde von dem Wohlſtand und Reichthum, 
der Cultur⸗ und Gewerbsthätigleit dieſer Lünder. Auf den 
Anbau und die Amelioration des Bodens wurde beſonders 
in Babylon ſchon in früher Zeit die größte Sorgfalt ver— 
wandt. Die beiden Flüſſe, weiche für diefe Gegend diejelbe 
Bedeutung haben, wie ber Nil fr Aegypten, erhielten in 
diefer Beziehung eine durchaus zweckmäßige Verwendung. 
Die im Frühlinge periodifc, eintretenden Ueberſchwemmun- 
gen der Ströme, namentlich bes reißenden Tigris, deſſen 
verheerende Fluthen dem Uder die Fruchterde entflihrten und bie 
Ebene in ein Sumpf- und Wafferland verwandelten, wurden 
durch Dümme und Canäle geregelt, welche zugleich die Be— 
wäflerung und Befruchtung der höher gelegenen Gegenden 
beforgte. Diefes Alinftliche Bewäſſerungsſyſtem begünftigte 
nicht nur den Anbau, ſondern beförderte auch Schifffahrt 
und Handel im höchſten Grade, 

Aber nicht nur, daß die Zwillingsftröme wie eine be- 
lebende Ader inmitten der Wiften erfchienen, fie bildeten 
auch bereits in den früheften Zeiten die „große Furth vom 
Orient zum Occident“, die von der Natur ſelbſt geebnete 
Bahn zwifchen dem indischen Dften und dem europätichen 
Weiten. Die babylonifchen Städte waren in alter Zeit 
wie zum Theil noch heute Stapelpläge für den gefammten 
ajiatifchen Handel. Aus Mittel und Hinterafien, ſelbſt 
aus bem füblichen Arabien und dem öftlichen Afrifa trafen 
hier die Karawanenſtraßen zufammen, und ebenjo verlie- 
fen von der andern Geite in ben Euphrat: und ZTigris- 
ländern die vom Mittelländifcen Meere, Aegypten und 
Kleinafien auslaufenden Handel» und He .— 
Die fremden Händler, die ſich in ber Hauptftabt Aſſyriens 
aufhielten, waren nad) denn Ausfpruche des Propheten Nar 
hum jo zahlreich, wie Heuſchreckenſchwärme, Babylon glich, 
einem TQummelplage von Fremdlingen aller Völker und 
Länder. 

Ueber den eigentlichen maritimen Verlehr beſitzen wir 
nur ſpärliche Nachrichten. Jedoch iſt es wahrſcheinlich, daß 
die chaldäifchen Bewohner Babyloniens Seehandel betrieben 
und zur See mit Indien in directer Berbindung geftanden 
haben. Daß menigftens zur Zeit des Nebucabnezar der 
überfeetfche Berfchr ſich im Zuftande hoher Blüthe befunden, 
ift nad) den Refultaten der heutigen Gejcdichtsforfchung ganz 
außer Zweifel. „Die politifchen Zuftände jener Zeit,“ fagt 
Laſſen (Indische Alterthumskunde V, 599), „machen es glaub: 
lich, dag Babylon während der Negierung Nebucadnezar's 
und feiner Nacjfolger der Mittelpunkt des indiſchen See 
handels wurde, und daß von ihm aus die indiſchen Waaren 
theils nad) den Stapelplägen am Mittelländifchen Meere, 
theil® nordwärts nad den oberen Lündern des Euphrat- 
und Tigriägebietes befördert wurden.“ 

Tie Blüte und Herrlichfeit des babylonijchen Reiches 
fnüpft fic überhaupt an die glorreiche 44jährige Regierung 
Nebucadnezar's (606 bis 563). Schon drei Jahrhunderte 
vor Alerander's des Großen Zeit hatte diefer hochbegabte 


Arthur v. Triedel: Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Tigris für den Berlehr. I. 


König den Plan gefaßt und zum Theil aud) in Ausführung 
gebracht , dem Weltverfehre die Bahn durdy feine Euphrat= 
ftaaten zu eröffnen. Hier aber fanden ihm die arabifchen 
Numer und ihre Stammesgenofjen, die Phönizier, entge- 
gen, in deren Händen ſich damals faft der ganze Welthandel 
concentrirte. Die Unterwerfung der fyrifchen Küfte und 
die Eroberung von Tyrus (574) hatte daher wohl feinen 
andern Zwed, als die der Verwirklichung feines Planes fo 
gefährliche Rivalität jener mächtigen arabifchen Handelsleute 
zu bredjen. Auch hatte er feinen Blick bereits auf die Er— 
oberung der großen Concurrenzlinie der Euphratftraße gerich⸗ 
tet. Denn nur zu wahrſcheinlich iſt es, daß er auf dem 
Zuge gegen Aegypten aud; Idumäa (Jeremias 49) nur 
deswegen bedrohte, um durch die Unterwerfung befielben bie 
Schifffahrt auf dem Arabifchen Meerbufen zu beherrichen. 
Alle dieſe Pläne hatten das eine Ziel, den Weltverfehr über 
haupt und fpeciell den Handel auf dem Flußbette des Eur 
phrat beziehungsweile des Tigris nad) Babylon und weiter 
— Über Thapjacus, Thadmor, Damascus — nad) dem 
Mitteländifchen Meere hinzulenken. 

Nach der Eroberung des aſſyriſch-babyloniſchen Reiches 
durch Cyrus ſank bie Blüithe ber Städte am Euphrat und 
Tigris von ihrer Höhe herab, Die Perſer waren fein 
handeltreibendes und weder früher noch heute ein feefahrens 
des Bolt; fie begnügten ſich mit dem Verbrauche deſſen, 
was die Inbuftrie und der Handel anderer Völker auf den 
Markt brachte. Ja fie waren foweit entfernt, den großen 
Plan eines Nebucadnezar zu wlirdigen, daß fie durd Er 
rag Ta Duerdämmen, die fie zur Sicherung vor ſeind⸗ 
lichen Ginfälen im Euphrat und Tigris errichteten, die 
Flußſchifffahrt vollſtändig zerſtörten. 

dem Genius Alexander des Großen war es vor—⸗ 
behalten, die politiſche und mercantile Weltſtellung der Eur 
phrat- und Zigrisländer im ihrer ganzen Bedeutſamleit zu 
erfennen. Im Befige des ganzen weftlichen Aſiens hatte 
diefer „größte Herrſcher des Alterthums mit dem ganzen 
Feuereiſer feiner Seele die Ihee erfaßt, „das Euphratland 
zum Berbindungsgliede in dem Weltorganismus zwiſchen 
Trient und Decident zu erheben.“ Als er im Jahre 
324 v. Chr. auf feiner Fabıt zur Heerichau nad) Opis bie 
Fluſſe aufwärts fegelte, gab er daher auch fofort den Befehl, 
die von dem Perfern gegen Angriffe von außen errichteten 
Dümme mieberzureißen und dadurch die Hemmnifle der 
Euphratichifffahrt zu entfernen. Er hatte feinen Feind von 
der Serjeite her zu beflicchten wie die Perfer; ftand er doch 
damals auf den Gipfel der Macht, der mächtigfte Furſt 
feiner Zeit, dem auf feiner Rüdtehr nad) Babylon die Ge: 
jandtichaften aus allen Theilen ber Welt huldigend entgegen: 
famen. Den neuen Seeweg nad) Indien hatte er bereits 
entdeckt, im Weften hatte er an ben Mundungen des Nils 
den großen Stapelplag für den Weiten Europas gegründet; 
was lag aljo näher, als in Babylonien, dem Centrum feiner 
Veltmonardjie, auch den Weltverkehr zwifchen Often und 
Weiten neu zu beleben und mit Yändern des Morgen» und 
Abendlandes im lebendige Wechjelverbindung zu bringen ? 
Und großartig wie feine Pläne war die Thätigfeit, mit der 
er dieſelben zu verwirklichen fuchte. Auf ben Werften von 
Cypern und Phönizien ließ er Schiffe bauen, die dann, theil« 
weiſe wieder zerlegt, auf dem Landwege nadı Thapjacus 
transportirt wurden und von da ben Euphrat abwärts fuh— 
ren, um ſich mit der dort bereits anfernden Flotte feines 
Sciffecommandanten Near; zu verbinden. Aber aud) das 
ut noch nicht zufrieden hatte er in Babylonien jelbft, wo 
das Bauholz jelten war, fogar die Cypreſſen der heiligen 
Haine nicht geichont, um das vorhandene Schiffsmaterial zu 
vermehren. Seeleute und Handwerter wurden felbft mit 


139 


bebeutenden Gieldopfern am den Küften Syriens und Phönis 
ziens angemworben und nad) der Stadt Babylon übergefiebelt, 
die er durch dem Weltverlehr zu derfelben Höhe materiellen 
Gedeihens zu erheben gedachte, welche die Metropolen jener 
Küftenländer jo lange behauptet hatten. Die Grofartig- 
feit feiner Entwürfe bekundet nach diefer Seite auch der 
Dau eined Hafenbaffins bei Babylon von fo gewaltiger 
Dimenfion, daß er 1000 große Seeſchiffe zu faſſen vermochte. 
Dieje gewaltigen Rüftungen waren damals zunächſt der Er— 
oberung und richnng des zu diefer Zeit noch wenig bes 
fannten Urabiens beftimmt, deſſen Völlerſchaften gleichfalls 
in den großen Weltverfehr der Euphrat- und Tigrisländer 
gezogen werden ſollten. Der Cilicier Hieron erhielt ben 
Auftrag, die ganze Halbinfel zu umfahren und eine Einfahrt 
in den Arabiſchen Golf zu entbeden. Im diefem Auftrage, 
der offenbar zum Zwecke hatte, die ig oe einer marie 
timen Verbindung mit dem ägyptiſchen Alerandria zu con- 
ftatiren, verräth ſich auf das Deutlichfte der große Gedanle 
des Könige, Babylon und das ſchon oft genannte Fluß- 
gebiet zum Centrum eines großartigen Verkehrs zwiſchen 
Indien und Alexandria, dem großen — des Weftens, 
zu machen. Die Nachricht des Hieron, welcher nad) einer 
längern Fahrt im flidlicher Richtung nicht weiter vorzubrins 
gen gewagt, daß die arabiſche Halbinfel nicht viel geringer 
fei als die indifche, fpornte den König zu noch größeren Ans 
firengungen an. Während daher in Babylon ber Hafen- 
und Schiffsbau rafilos weiter befürbert wurde, begab fich der 
König nad) dem umtern Laufe des Euphrat, um perjünlich 
die Deicharbeiten am Palacopas zu beſichtigen. Diejer Ca- 
nal, der den Zwed hatte, das im Frühjahr umd gegen das 
—— ſich anſtauende Waſſer im bie weſtlich ge— 
legenen Seen und Sumpfe zu leiten, mußte bei normalem 
Waſſerſtande jedesmal wieder zugebämmt werden, bamit 
nicht ein zu ſtarker Abfluß die Schiffbarkeit des Fluſſes be- 
drohe. Um das Schließen des Eanals, welches wegen bes 
fofen und ſchlammigen Bodens eine ungeheure Arbeit erfor- 
berte, zu erleichtern, ließ er einen bei biefer Gele it von 
ihm entbedtten jelfigen Uferrand durchſtechen und fo die Waſſer 
des Euphrat durch einen neuen Canal in das Bett des Palaco: 
pas leiten, deſſen Deffmung und Sperrung num mit leichter 
Mühebewirkt werben konnte. Aber alle Pläne des großen Man- 
nes follten einen jähen Abſchluß erhalten. Ein Sumpffieber, 
das ihm bei diefer Gelegenheit ergriff, veranlaßte ihn, nad) 
Babylon zurückzukehren, wo er bald darauf ftarb. 

Iſt num aber auch das Weltreich wie es Alerander ans 
geftrebt haben mochte, durch feinen frühen Tod vereitelt 
worben, fo war doch der Eroberungszug bes macedoniſchen 
Heeres nad) dem Orient der on einer neuen Zeit. 
Nicht nur die politiichen und religiöſen Verhältniffe ber 
Bölter wurden umgewandelt, der Kreis bes gefammten 
Wiſſens erweiterte fich, die Welt öffnete fich, nad) dem Aus— 
fpruche eines alten Hiftorifers, der Kenutniß des Dienfchen- 
geſchlechtes. Namentlic haben die Gründung oder Exrwei- 
terung der Städte am Cuphrat und Tigris die Völfer- 
verbindung vermittelt und zur fiegreichen Entfaltung 
hellenifcher Cultur mächtig beigetragen. Denn dieſe Städte, 
an den Mindungen der Ströme oder am wichtigen Leber 
gangspunften gelegen, waren nicht nur im militärifcher 
Hinſicht von Bedeutung, jondern haben aud) im fpäterer 
Zeit nicht wenig zur Förderung und Belebung des Welt: 
verlehrs beigetragen, 

Die größte Lündermafle des griechiſch-macedoniſchen 
Weltreihs fiel Seleufus Nitator anheim; fein Reich um— 
faßte die geſammten afiatifchen Yänder. Die Gegenden 
am Euphrat und Tigris hatten während der dem Tode 
Alerander's folgenden Kämpfe feiner Nachfolger entſetzlich 

15* 


140 


gelitten. Erſt ſeit Seleufus in der Schlacht bei Ipfus 
(301 v. Chr.) jeine Nivalen völlig vernichtet hatte, kehrten 
auch Ruhe und Glüd an den Tigris zurüd. Die Seleu- 
eiben hatten glei, Alerander die hohe Wichtigkeit des Eu: 
phrat» und Tigristhales erkannt, und waren gleich ihm für 
Städtegründung, Ganalifation des Flußgebiets und Welt 
verfehr bemüht. Cinige diejer neu entftandenen Städte find 
für den Berlehr des Dftend und Nordens auch nod) in jpü« 
teren Dahrhunderten von hoher Bedeutung. So war naments 
lich Seleucia in Mefopotamien als wichtiger Mittelpunkt 
für den Handel lange Zeit einer ber blühenditen Orte. 
Hierher brachten die Armenier den Euphrat und Tigris 
hinab ihre Waaren, bis hierher konnten auch die Schiffe 
auf dem Tigris gelangen ; hier liefen die Karawanenftraßen 
aus Perfien und Arabien zufanmen, und die zahlreichen ins 
diſchen Waaren, welche die reichen und luxuriöſen Städte 
Kleinaſiens und Syriens bedurften, wurden hier auf den 
Markt gebracht. Im Seleucia, bemerkt der Geograph 
Strabo, ſammelten ſich jpäter während der Ohnmacht der 
igrifchen Herrſcher alle Ueberbleibfel der früheren griechiſchen 
Niederlafiungen am Euphrat und Tigris, jo daß die Stadt 
faft in eben dem Grunde zunahm, als die Macht der ſyri— 
ſchen Dynaftie harabfanf, Die Stadt verlor erit den Glanz, 
den fie unter den Seleuciden erhalten, als in ihrer unmittel» 
baren Nähe das von den Parthern gegründete Kteſiphon 
zur Reſidenz der Saſſanidendynaſtie erhoben wurde. Seit: 
dem Antiohus III. die Weſthälfte feines Beſitzthums an die 
Römer verloren hatte, wurde das Euphratland der Mittels 
punkt des auch innerlich mehr und mehr zerfallenden Rei— 
ches. Trotzdem aber auch die griechiſchen Anfiedelungen und 
griechifcher Geift ein Abjterben der Vebensthätigfeit nad) 
Kräften verhinderten, jo mußte dennoch die Verrottung der 
bort einreißenden orientaliichen Wirthichaft, die Zerwürf⸗ 
niffe der Herrfcherfamilie, die Willlür der Miniftergewalt 
auf die Dauer von nachtheiligſtem Einfluffe fein; und längft 
icon waren biefe Länder, noch dazu auf der einen Seite 
von Parthern und Armeniern, auf der andern von Arabern, 
Juden und fyrifchen Empörern vielfad) bedrängt, in voll- 
ftändige Ohnmacht verfunfen, als die Römer über den Taus 
rus fliegen und num auch den Euphrat, den biöherigen 
Grenzſtrom zwifchen ihrer Herrſchaft umd dem parthifchen 
Reiche, zu überſchreiten gedachten. Wir übergehen die 
Feldzuge des Yucullus, Pontpejus und Crafjus und bemer: 
fen nur, daß die lediglich auf Eroberung gerichteten Unter 
nehmungen der Römer feine bleibenden Refultate herbei 
führten, und daß der Euphrat auch für längere Folge die 
Grenze des Römerreichs im Dften verblieb. Am obern 
und theilweife am mittlern Yaufe des Euphrat entjtanden 
jet und in fpäterer Zeit Heinere Herrſchaften, deren locale 
Intereſſen immer mehr und mehr im die Politif der beiden 
Nacdjbarreiche der Nömer und Parther verwidelt wurden, 
die fich beide (mit den armenifchen Königen) die Reſte des 
ſyriſch⸗ ſeleucidiſchen Reiches einverleibt hatten. Bor Allem 
mußte Armenien, diejes mächtige, das mejopotamifche Flach- 
land dominivende Hochgebirgsland, mit den wenigen Paß- 
eingängen und den Hauptquellftrömen von größtem Einfluß 
auf bie Machtſtellung der rivalifirenden Mächte fein, daher 
auch dieſes Yand durd alle folgenden Yahrhunderte der 
große Tummelplatz oder „die zu erftürmende Völterburg“ 
zwifchen Weltherrichaft im Dften und Welten war und 
verblieb. 

Dreimal noch ift es unternehmungsluftigen römiſchen 
Kaifern gelungen, ſich, wenn auch ohme nachhaltige folgen, 
in den Befig der mefopotamifchen Yandfchaften zu jegen. 
Zuerft find hier die glänzenden Feldzlige des Ulpius Tra— 


Arthur dv. Triebel: Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Tigris für den Verlehr. I. 


janus (115 bis 117 nach Chr.) zu erwähnen. Die Erfolge 
diefes Kaifers in Armenien und gegen die Parther erſchienen 
fo großartig, daß der Senat eine Münze mit der Umichrift 
druden lief: Armenia et Mesopotamia in potestatem 
P. R. redactae. leid) Alerander wollte er Babylon er: 
obern, die parthifche Königsftadt ftürgen umd das Indiſche 
Meer in den Bereich feiner Unternehmungen ziehen. Ob 
er aber gleichwohl die Bedeutung diefer Gegenden als die 
große Bölfer: und Vertehröftrage zwiſchen Often und Weiten 
erfannt, mag mehr als zweifelhaft erjcheinen. Und wenn 
dies der all, war es denn möglich, dag das Euphrat= und 
Zigristhal, felbft bei dauernder Befegung, als Anner eines 
Reiches, deffen politischer Schwerpunft im fernen Weiten lag, 
zu einer jelbftändigen und gedeihlichen Entwidelung gelangte? 
Die Träume des Kaifers gingen nicht in Erfüllung. Wäh— 
rend er noch auf feinem Schiffe mit der Befichtigung der 
Waſſerbauten und Flußmündungen beicäftigt war, brachen 
bereits hinter jeinem Nüden die Völker und Städte gegen 
in in Empörungen aus. Aſſhrien mußte wieder unter» 
worfen werden und ſelbſt Seleucia, die Königin der Städte 
im Euphratthale, wurde erobert und in Aſche verwandelt. 
Wir fehen alfo, daf unter jolchen Verhältniffen an eine 
Behauptung diefer Yandftriche nicht gedacht werben fonnte. 
Hadrian, der Nachfolger Trajan's, der auf dem Klidzuge 
ftarb, ſah fich genöthigt, die Eroberungen feines Vorgängers 
aufzugeben und den Euphrat wieber als Grenze des römi« 
fchen Reiches anzuerlennen. Ebenſo erfolglos war der 
Feldzug, welchen der Kaiſer Septimius Severus im Jahre 
200 n. Chr. nach diefen Yändern unternahm. Das einzige 
Reſultat war muplofe Zerftörung ohne bleibenden Erfolg. 
Unter den folgenden immerwährenden Wirren in ben Euphrats 
ländern führte das Aufblühen der Saffanidendymaftie den 
Sturz des im ſich bereits ganz zerriffenen, vielfach geſpal · 
tenen parthiichen Reiches herbei. Mit Ardeſchir Babelan, 
dem Sohne Safjan's (226 nm. Chr.), beginnt für das 
Euphratland eine neue Yera; aus den Trümmern von Se- 
leucia und Ktefiphon hebt ſich ihre Doppelftadt mit erneu⸗ 
tem Glanze empor. Im ihmen erfteht den Römern ein 
energifcher und gefährlicher Gegner, der bei beiferer mili- 
täriicher Organifation jenen leicht alle ihre afiatiichen Be— 
figungen hätte entreißen fönmen. Der Kaiſer Balerian 
wurde nur durch die Tapferkeit des Odenathus, des Königs 
von Palmyra, aus harter Gefangenſchaft des Königs Sapor 
befreit. Leider war die Blüthe, welche Odenathus, der die 
Neuperjer aus Meſopotamien vertrieb, aud) über die Euphrat- 
und Tigrisländer brachte, nur von kurzer Dauer. Der 
plötzliche Sturz der palmyreniſchen Königin Zenobia, der 
Gemahlin des Odenathus, durch Aurelian mußte bei der 
Bedeutung von Palmyra auc die Nachbarländer in Mit- 
leidenichaft ziehen. Palmyra war damals der Gentralpunft 
des Wanrenverkehrs zwiſchen Indien und den griechiſch— 
römischen Yändern des Weſtens. Große Transporte der 
foftbarjten Waaren gingen von den Cuphratmlndungen 
über Palmıyra nad) Alerandria und Byzanz und bereicherten 
Kaufleute und Unterhändler. Diefe Blüthe zerfiel, wie bemerkt, 
mit dem Sturze Palmyras, und die am Euphrat entftan- 
benen Handelshäuſer ließen fich feitdem in Alerandria nieder, 
Die folgenden römiſchen Kaifer bemühten ſich zwar, den 
Verkehr über die behaupteten mejopotamifchen Städte zu leie 
ten, aber der Beftand der Oftgrenzen des römischen Reiches 
war zu wenig gefichert, als daß dieſe Bemlihungen hätten 
von Erfolg fein fünnen. Der legte größere Feldzug des 
Kaifers Julianus (Apoftata) endigte, wie alle Berfuche dies 
fer Art, mit Niederlage und der vollftändigften Schwächung 


der römischen Herrjchaft. 


Der Ausjas auf den Sandwichsinſeln. 


141 


Der Ausſatz auf den Sandwichsinſeln *). 


Auch die Sandwihsinfeln find die Heimftätte der 
furditbaren Seuche: des Ausjages, gleichzeitig aber erfah- 
ren wir auch, daß die dortige Negierung — beſonders jeit 
dem Jahre 1873 — bie energifchiten Schritte gethan hat, 
um nicht allein die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern, 
fondern auch womöglich biefelbe vollftändig zu befeitigen. 
Jeder welcher ertvankt wird ohme Unterjchied, er ſei Hod) 
oder Niedrig, fofort aus der Heimath entfernt und auf eine 
ifolirte Injel Namens Molokai übergeführt, dort für 
ihn aber mit wohlwollender Theilnahme gejorgt. 

Nachdem feftgeftellt worden war, daß ber Ausſatz eine 
unheilbare und in dem dortigen Klima eine anftedende 
Krankheit fei, ertheilte im Jahre 1865 der geſetzgebende 
Körper zu Hawai die Zuftimmung, daß Seitens ber Sanitäts« 
behörde auf jener Infel eine Krantenflation errichtet werde. 
Die geſchehene Wahl ift als eine fehr glückliche zu bezeichnen. 

Mtolofai it eine einfame Inſel, deren Felſenufer mehr 
tere Tauſend Fuß fteil zum Meere abjallen. Nur ein en: 
ger jehmaler Pfad führt auf die Anhöhen, jo daß ſchon 
die Felſenufer eine volftändige Schugmaner bilden. Die 
Infel ſelbſt ift reich an Schluchten und umfangreichen Bla- 
teaus. Eins biefer legteren — Kalawao —, Meile 
von dem Hafenplag Kalaupapa entfernt und etwa 2000 Fuß 
über dem Meeresjpiegel gelegen, zeichnet ſich durch reine ge 
ſunde und angenehme fühle Luft aus. Hier hat man bie 
eigentliche Kranlenftation gegrlindet. Sie befteht aus einem 
Dutzend niedriger Holzhäufer auf einer mäßig anfteigenden 
und dem freien Luftwechſel zugänglicer Anhöhe. Cine hohe 
Mauer umſchließt das ganze Etablifjement. Mit großen 
Koften hat man einen fließenden Bad) der Anftalt zugeführt, 
auch Baumpflanzungen und Parkanlagen gemacht, welche 
den Kranfen in nädhfter Zeit ſchon einen fühlen ſchattigen 
Play in Ausſicht ftellen. 

Im Innern diefes abgegrenzten Raumes befinden ſich 
die Adminiftrationsgebäude, die Wohnung des Vorſtehers 
und die Apothele, welche ein von der Krankheit befallener 
Engländer verficht und auf ber alle Medicamente auch fir 
andere Krankheiten zu erhalten find. Im deren Nähe liegt 
der Wohnfig des Gouverneurs der Infel. In Kalamao 
find beinahe ſämmtliche Kranke ſtationirt. Sie gehören 
faft ausſchließlich der niedern und ärmern Vollsclaſſe an, 
doch ſtellen auch die höheren und felbit bie höchſten Claſſen 
ihr Gontingent. So weilen dort die Coufine der ver 
wittiweten Königin Emma: Prinzeffin Kaeo, ferner eine 
hochgeftellte Dame, Mrs. Napela, in ihren Heinen, aller- 
dings mit allem Comfort ausgeftatteten Häuschen. 

Der Ueberführung der Kranken jtellten ſich anfänglid) 
bie allergrößten Schwierigkeiten entgegen. Es liegt im ber 
Natur der Sache, daß die Erkrankten jo lange es möglich 
bie Exfranfung verheimlichen, um nicht von den Ihrigen 
getrennt, für ihr ganzes Leben von der Heimath verbannt 
und auf der einfamen Inſel dem gewiſſen Tode geweiht zu 
werden. Selbft die Einwohner, fei es aus Mitleid, fei es 
aus angeborener Ghutmüthigfeit oder auc aus Apathie, 
unterftüsten dieſe Berfuche und vereitelten dadurch die Maße 
tegeln der Regierung. Erſt ale die Krankheit immer grö- 
Bere Dimenfionen gewann, als man erkannte, da Niemand 
von der Anſteckung befreit bliebe, und als jelbft Ausländer, 





*) Na Isabella Bird: Six Months among the palm groves, 
eoral reefs and volcanoes of the Sandwich islands. London 1874. 


da fie fi) dem Umgange und der Berührung mit den Eins 
geborenen nicht ganz entziehen lonnten, ergriffen wurden — 
da machte fic eine lebhafte Neaction geltend; alle die Er« 
krankten, welche fic bisher den Augen der Medicinalbehörs 
ben zu entziehen gewußt hatten, wurben ermittelt und ver- 
fielen dem traurigen aber unvermeidlichen Geſchick der 
ewigen Verbannung nad) der Infel. Dies geſchah befonders 
im Jahre 1873. Zu dieſer Zeit gab auch ein hochgeftellter, 
allgemein geadjteter und verdienter Mann ein eclatantes 
Beifpiel der Unterwerfung unter das Gefeg und der eigenen 
Selbftopferung — der Admiral Bill Bagsdall, welcher ala 
Mitglied des gefeßgebenden Körpers durch Geift, Schärfe 
und Beredtfamfeit fich ausgezeichnet hatte und in den ange» 
nehmften Pebensverhältniffen und Kreifen fich bewegte. Aus 
eigenem Entſchluß, obgleich fic eben erſt die Anzeichen der 
Krankheit bei ihm gezeigt hatten und ihm fomit die Möglich 
feit gegeben war, jic mod; lange Zeit den Augen ber 
Sanitätsbehörde zu entziehen, meldete er feine Erkrankung 
und ſchiffte fid) nach Molokai, gleichzeitig mit 40 Yeidens: 
geführten, zur ewigen Berbannung ein, Seine Mit- 
bürger ſahen ihn mit tiefer Rührung fcheiden, feine Freunde 
gaben ihm bis zum Sandungsplag das Geleite, und wäh- 
rend einige weinten und Magten, fuchten andere durch 
Freundlichteiten aller Art fid) und ihm die Stunde des 
Scheidens zu erleichtern. Er felbft blieb ruhig und gefaßt 
und erklärte der verſammelten Menge, daß er * über ſein 
Geſchick tröſten milſſe, daß aber die Maßregel ber Regie— 
rung eine gerechte und nothwendige ſei. Auf der Inſel 
angelommen, hat er den Erwartungen, welche ſich ſeine 
Freunde gemacht hatten, volllommen entſprochen. Mit ſei— 
ner ganzen Kraft unterftügt er die dortige Verwaltung, er- 
freut ſich nicht allein des Zutrauens des Gorvernems, fondern 
aud) der Yiebe der Yeidendgefährten, und indem er fich mit 
einigen Zwanzigen zu einem Comits vereinigt hat, ſucht er auf 
jede Weife das harte Geſchick feiner Genofjen zu erleichtern. 

Vom Jahre 1865 bis zum April 1874 find nad) Mo— 
lofat 1145 Kranle Übergeflührt worden, von denen mehr 
als ein Drittel geftorben, fo daß nur nod 703 — darunter 
22 Kinder — übrig find. Die Sterblichkeit ift ganz um- 
gewöhnlich groß; es fommt vor, ba im einer Schr der 
Tod 20 hinrafft. 

Die Nahrung, weldye den Kranken gereicht wird, ift 
vorzüiglicd, und wird — ungeachtet die Zufuhr häufig durch 
Hlimatifche Berhältniſſe unterbrochen wird — doch regelmäßig 
und in genlgender Menge gewährt. Für jeden Kran— 
fen werben täglich brei Pfund „Poi*, d. h. eine auf den 
Sandwicsinfeln ſehr beliebte Knolle (Arum esculentum), 
und annähernd ein Pfund friſchen Fleiſches verabreicht, 
wofiir auch wohl 1!/, Pfund Reis, 1/, Pfund Zuder und 
1, Pfund Fiſch (Ladys) jubftituirt werden. Außerdem ges 
währt die Regierung Kleidung und die nöthige Seife, die 
Beſchaffung aller übrigen Annehmlichkeiten aber ift Sache 
der Kranken felbit; eim von der Regierung eingerichteter 
Laden bietet inde Gelegenheit zu dergleichen Cinfäufen ; 
es muß auch anerfannt werden, dag von Freunden umd 
Gönnern den Kranken reichliche Gaben zu Theil werden, 
welche durch die Hand des freumblichen Pater Damiens 
ihnen zugehen. Auf der Infel find zwei Kirchen für Ka— 
tholifen und eine Meine Gapelle für Proteftanten errichtet, 
außerdem erhalten die Kinder von einem Yehrer Unterricht 
in ihrer Mutterſprache. 


142 


Die Feiden, welche die Kranken befonders in dem höheren 
Stadien der Krankheit zu erdulden haben, wollen wir 
unferen Leſern nicht fchildern, dagegen können wir nicht 
unterlaffen zu erwähnen, daß wenn aud) in den Zligen eins 
zelner Kranken ein tiefer Ernft und ein Schatten Melandjolie 
ſich ausprägt, im Allgemeinen doc; eine gewifje Apathie vor= 
herricht, in einzelnen Fällen fogar auch noch Eitelfeit und 
Gefallſucht — (dev Menſch bleibt unter allen Zonen und 
Berhältniffen berfelbe) — Play finden und Frauen mit 
BVergnligen ſich pugen und befrüngen. 

Es ift anzuerkennen, daß ungeachtet ihrer unzureichenden 
Mittel, die Regierung der Anftalt eine befondere Fürforge 
zumendet, und überhaupt gern geneigt ift, Mängeln abzu- 
helfen, zu denen beſonders ber zu zählen ift, daß die Kranken⸗ 
räume — wenigjtens nad) dem Begriffen der Europäer — 
zu eng und ungenügend find, und daß eim beſonderer Arzt 
zur Heilung anderer Krankheiten ftationirt if. Der König 
Kalafana fchentt dem Etablifiement bie lebhaftefte Theil 
nahme und hat im vorigen Jahre in Begleitung der Könis 
gin Kapiolani und zweier Mitglieder der Medicinalbehörbe 
dort einen Beſuch gemacht. Man war auf der Infel von 
der bevorftehenden Ankunft des Königs unterrichtet. Bei 
feinem intreffen wurde er mit Freudenrufen und mit 
Mufit empfangen, welche von einigen Kranken ſelbſt aus 
geführt wurbe. Der König richtete einige freundliche Worte 
an die in großer Zahl Berfammelten — wohl 300 —, er: 
Härte, daß er mit ſchwerem Herzen das Geſetz vollzogen, 
wodurch fie gezwungen würden, ſich von ihrer Heimath zu 
trennen, daß aber die öffentliche Wohlfahrt dafjelbe abfolut 
notwendig gemacht habe, er ſelbſt jedoch nichts verabfäumen 
werde, um ihnen das harte Geſchick zu erleichtern. Man 
glaubt allgemein, daß die Eigenthümlichteit der Krankheit 
das Gefühl abftumpfe und eine vollftändige Gleichgültigfeit 

egen das ganze Leben erzeuge, indeſſen das Gegentheil zeigte 

in diefem Falle. it Rührung wurden die Worte des 
Königs aufgenommen; Viele vergofien Tränen, bei Allen 
war eine lebhafte Theilmahme unverkennbar, In ung felbft 
— fo erzählt Iabella Bird — rief einerfeits der Ausdruck 
ber {Freude und bie muntere Mufit, mit welcher ber König 
empfangen wurde, andererſeits aber ber Anbli der Unglüd- 
lichen eine eigenthümliche Miſchung von Gefühlen der 
Theilnahme und des Bedauerns hervor; wir fühlten und 
zu ihmen hingezogen, zugleich aber aud) durch den Gedanten, 
daß die leifefte Berlihrung verhängnigvoll jein könne, von 
ihnen wieder abgeftoßen. Einige beruhigende Worte des 
Arztes befeitigten indeß eine zu große Zurlidhaltung und 
zu große Beforgnifie. Auf alle unfere Fragen erhielten wir 
fofort Mare beftimmte Antworten. Unter ben Unglitdlichen 
befand ſich auch ein alter Belannter, früher Mitglied des 


Aus allen Erdtheilen. 


gejeßgebenden Körpers. Als wir ihm unſere Freude aud- 
ſprachen, ihm wiederzufehen, antwortete er: „leider in einem 
Grabe.“ Er gehört zu den Notabeln der Colonie und führt 
die Aufficht über deren Vorräthe. 

Mit lebhaften Imterefie und einer gewiffen Neugier 
fahen die Bewohner umferer Ausſchiffung zu, und folgten 
in angemefjener Entfernung unferen Schritten, 

Der König nahm von allen Einrichtungen eingehende 
Kenntniß, befuchte auch das Hospital felbft, bei deſſen 
Kefihtigung wir Alle zu dem tiefften Ernſt geſtimmt wur · 
den. Der einzige Troft, welcher uns blieb, war, daß wir 
alle beftrebt ſeien, ſoweit menſchliche Kraft reicht, das Unglüc 
zu mildern. Im diefer Hinficht nimmt aber ein Mann die 
erfte Stelle ein, deffen Hochherzigkeit wahre Verehrung, 
Dankbarkeit und allgemeine Anertennung verdient. Es ift 
dies der Pater Damiens, ein belgiſcher Geiftlicher. Aus 
hriftlicher Liebe hat er feine geachtete Stellung aufgegeben, 
feine Zukunft fowie überhaupt fein ganzes Leben geopfert, 
ſich freiwillig unter die Unglüdlicden verbannt und fic den 
Märtyrern, unter denen die katholiſche Religion fo viele 
hingebende Männer zählt, eimgereiht, lediglich, um feinen 
Nebenmenfchen den Troft der Religion zu ſpenden. 

Jedenfalls klingen diefe neuejten Nachrichten über bie 
Behandlung der Ausfägigen auf den Sandwichsinſeln tröft- 
licher als jene, die der öſterreichiſche Arzt I. Bechtinger 
in feinem Werke über die Sandwichsinfeln (Wien 1869, 
©. 65 ff.) mittheilt ; danach war die Sorge für die Kran- 
fen zur Zeit feines Aufenthalts eine fehr geringe. 

Fr diejenigen, welche fich für die Ausbreitung biefer 
fchredlichen Krankheit intereffiren, wollen wir noch beifügen, 
was T. T. Cooper in feinem Werfe Travels of a pioneer 
of commerce nad) Angaben des Biſchofs Chauvenu Über die 
—— des Ausſatzes in der chineſiſchen Provinz Yin- 
nan fagt. 

Die Krankheit hat danach immer größere Ausdehnung 
in dieſer Provinz genommen, fo dag man ſich auch dort zu 
den ftrengften Maßregeln hat entichliegen müſſen. Den 
Kranlen wird es = geftattet, eine Stadt oder ein Dorf 
zu betreten, oder auch nur auf einer befuchten Landſtraße zu 
verfehren; fie müffen fich vielmehr von allen Menſchen mögs 
lichſt fern Halten, Zu ihrer Aufnahme hat man mehrere 
ifolirt gelegene Stationen errichter, zu denen alle Kranlen 
fofort gefendet werden, weil man ber feften Ueberzeugung 
ift, daß die Krankheit anftedend (contagious) fei. 

Uebrigens glauben die Chinefen, daß die Krankheit erft 
mit bem Erſcheinen der Europäer aufgetreten fei, eine Mei— 
nung, welche Cooper nicht für begründet hält, von welcher 
ervielmehr vermuthet, daß fie von den Mandarinen aus Haß 
gegen die fremden verbreitet fei. 


Aus allen Erdtheilen. 


Die deutfchen Eolonijten in Südrußland. 


Durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im 
ruſſiſchen Reiche, welche auch die deutichen Eoloniften im Sü— 
den deilelben betrifft, ift die Anfmerkiamkeit wieder auf dieſe 
im Anfang des Jahrhunderts ansgewanderten Schwaben ger 
lenft worden, von denen viele unzufrieden mit der Neuerung 
Rußland den Rüden zu kehren beginnen. Ein Berichteritats 
ter der „Nllgemeinen Zeitung“, welcher vor Kurzem die Co: 
lonien beiuchte, Ichreibt über diefelben folgendermaßen: „Im 


Zuſammenhang mit den Nenerungen auf militäriichem Ge: 
biete wird nun auch — dies ift unverkennbar — von rulji- 
cher Seite mehr ala bisher darauf gedrungen, dab die ruf: 
ſiſche Sprache allmälig als Lebrgegenftand in die Schulen, 
auch die Volksichulen der deutichen Colonien, aufgenommen 
werde. Für den Gebrauch des täglichen Lebens in Handel 
und Wandel verftcht zwar die heranwachlende Generation bie 
ruſſiſche Sprache leidlih. Auch kann der Eolonift, der viel 
Verkehr mit der Stadt hat, das Gewöhnlichite im ruſſiſcher 
Schrift leſen. Geläufiger ruſſiſch Ichreiben lernte auch bisher 


Aus allen Erdtheilen. 


derjenige, der ſich ala Schreiber für dad Amt eines „Schul- 
sen“ ober „Gebietsvorſtehers“ („Oberjchulgen*) vorbereitete, 
wiewobl auch einem foldhen der Gedanfenansdrud in ruffis 
cher Sprache fchwer fallen mochte. In der gehobenern 
deutihen Schule zu Odeſſa, welche zunüchſt Privatunterneh- 
mung ift, ſitzen deutſch und ruffiich rebende Kinder auf einer 
Schulbank. Ich wohnte einer Stunde lateinischen Unterrichts 
bei ; die deutfchrebenden Knaben Hatten die mir wohl befannte 
Elementargrammatil von Kühner vor fich, die jungen Nuffen 
den ruffiichen Hühner, und fo unterrichtete ber Lehrer, wel⸗ 
cher der ruffiichen und der deutfchen Sprache gleich mächtig 
ift, alle miteinander. 

Ob in dem Dorfichulen der Colonien aber ſich die ge— 
nauere und eigentlich grammatiſche Kenntniß der ruſſiſchen 
Sprache fo ſchnell einbürgern wird, das iſt im mehr als einer 
Hinficht eine Frage der Zeit. Auf den Dörfern wird näms 
fich die Sommerſchule“ vom 1, April bis 1. October nur 
von den Kindern beiucht, die man nicht nothwendig au dem 
Feldgeſchäften braucht; bloß der Beſuch der „Winterjchule* 
ift eim eigentlich regelmäßiger. Dies erinnert nun zwar einen 
deutfchen Schulmann fehr an — vergangene Zeiten. Indeß 
fteht das Durchſchnittsmaß der Kenntniffe bei den Kindern 
diefer Dorfihnlen doch nicht gar an auffallend hinter dem 
zurüd, was ein gewöhnlicher deuticher Volksſchüler ſich als 
Schulſack“ erwirbt. Trieb nad felbftändiger Fortbildung 
traf ich bei nicht wenigen Coloniften ſehr ſtark entwidelt. Ich 
lernte dort einen Manu fennen, der ſich in fehr gereiftem 
Alter — und er ift dazu noch ein Schmied — als völliger 
Autodidakt eine recht hübjche Fertigkeit im Spielen des Har- 
moninms angeeignet hat. Den Winter über leſen die Goloni- 
ften vor Allem die Bibel, made nehmen populär gehaltene 
Erflärungen dazu. Auch andere Bücher, wie z. B. Schloſſer's 
Weltgefchichte, trifft man in nicht wenigen Eoloniftenhäufern. 
Den Eindrud, daß man es mit Leuten zu thun bat, die auf 
feiner niedrigen Bildunasitufe ftehen, macht aud der Um— 
ftand, dafı als Umgangsiprahe ein Idiom dient, das von 
der deutſchen Schriftiprache viel weniger abweicht ala z. 8. 
unier Schwäbilchee. Ja, man darf jagen, daf die gebildete: 
ren unter den Coloniften fat Meindeutich ſprechen, ohne daß 
dies geichraubt heransfüime, So fand ich es wenigſtens in 
den Colomien, die mir näber befannt geworden, doch hörte 
ich, daß in Beflarabien, in der Umgegend von Sarata, noch 
der ſchwäbiſche Dialekt in feiner ganzen Eigenthimlichkeit, 
namentlich bei der ältern Generation, der berrfchende fei 
Einzelne ruſſiſche Wörter, die daun mehr oder weniger ger- 
manifirt find, baben ſich in den Sprachvorrath der Coloniften 
immerhin eingelchlichen; doch ift die Sprache des gemöhnfi: 
chen Lebens nicht von fern eine Miſchmaſch wie in Nord: 
amerifa. Als charakteriftiich it mir aufgefallen, daß die 
Goloniften unfereinen nicht einen „Deutichen“, fondern einen 
„Deutichländer* nemien.” 


Eine Verordnung des großen Kurfürften gegen den 
Aberglauben. 


Wie feit die Weitfalen an dem heidniſchen Glauben ihrer 
Vorfahren bielten, dafür jpricht der Umftand, daf noch im 
Fahre 1669, acht Jahrhunderte nah Einführung des Chri— 
ftentbums in Weitfalen, fih der große Kurfürft veranlaßt 
fab, eine Verordnung an die Geiftlichkeit der Grafſchaft 
Mark zu erlaffen, in welcher er diefelbe auffordert, den in 
dem Volke verbreiteten heidniſchen Aberglauben auszurotten. 
„Demnach,“ beift es in diefem für die Culturgefchichte inter: 
eſſanten Actenſtücke, „wir in Erfahrung fommen, daß an etli— 
chen Orten Unferer Grafichaft von der Mark viele abergläu- 
biiche und böle Dinge annod im Schwange geben; als daf 
auf Mattbiäabend Blätter ins Wafler gelegt; auf Petri Tag 
der Söllvogel ausgetrieben; gewiſſe franfe Lente durch An— 
blafen von Erbſchmieden gebeutet: Schweinshaare in® Feuer 
gelegt; am Nenjahrstage die Bäume gebunden; Johannis— 


143 


Fraut ober Donnerlauh auf Johannistag in bie Wände ge— 
ſtedt; Geifter verwiefen; Dfterfener angezündet und babei 
allerlei Gefänge mit Mißbrauch des Namens Gottes gefun- 
gen, auch viel Muthwille getrieben ; bei Einlegung bed Flach: 
fes ins Waffer zugleich Brot, Butter und Schmalz und der 
gleichen eingebunden und mit eingeleget; Johauniskränze oder 
Kronen angebangen; Opfer gebeten; die Vehseichen gebüget; 
Erbbrunnen gegen gewifle Krankheiten gebraucet; auf Mai- 
tag das Vieh gequidet und die Duidruthe an die Thitren 
unb Heden des Hofes ausgeftedet; auf drei Feiertage gefeg: 
net; das Haar gegen gewiſſe SKrankheiten abgefchnitten und 
mit Feuer verbrannt; item bei Leichen das Reehſtroh ver: 
bramnt und das Todtengebot zulest an einen hohlen Baum 
gebracht werde; wie auch auf gewiſſe Tage das Vogelſchießen 
gehalten und andere dergleichen unterfchiedliche fo recht beib- 
nilche, als fonft abergläubiiche und gottlofe Dinge verübet 
werben, die bereit$ guten Theil® von Und mehrmals ver: 
boten worden find; und Wir denn ſolche und dergleichen 
abergläubiiche verbotene Sachen bei Unferen Untertbanen obne 
Unterſchied der Religion ganz und gar abgeftellet, darüber 
feftgehalten und die Verbrecher zur gebührenden Strafe ger 
zogen willen wollen, al3 ergebet Unfer gnädigfter und zugleich 
ernfter Befehl hiermit an Euch ıc.* 

Manche diefer Gebräuche find heute abgefommen ; bie 
meiften eriftiren aber troß der Verordnung des großen Fur: 
fürften in Weftfalen beim Landvolle noch immer. 





Die Zuftände in Oftturkeftan, 

wie fie ſich in der legten Zeit entwidelt haben, ſchildert 9. 
Bambery in einem Schreiben an dad „Geographical Maga: 
zine* folgendermaßen: Wolf wie Agmee beginnen mit der 
Regierung des Emird unzufrieden zu werden. Er fett fein 
ganzes Vertrauen auf die Tunganen, mit denen er fih in 
nähere Beziehungen einließ, indem er mehrere Tunganen- 
mädchen hbeirathete. Da er feiner Armee nicht mehr trauen 
fan, fo fürchtet er auch die Ruſſen, deren Näberrüden ihn 
mehr und mehr beunrubigt. Zu feiner perfönlichen Sicher: 
beit hat er zwei Jaſchkurgans (fteinerne Forts) bei Kafchgar 
und Chotan errichtet. Much über die Bewegungen des Emird 
Jakub Chan im Dften feines Reiches gegen China find wir 
durch ruſſiſche Spione unterrichtet. Die Tunganen werden 
unter feiner Oberberrfchaft von Leuten ans ihrem eigenen- 
Stamme regiert. In Manaſſi und Urumtſi berrichte Ende 
vorigen Jahres vollftändiger Frieden und alle Verbindungen 
mit den Ehinefen waren gänzlich abgefchnitten. Doc foll 
fih die Bevölkerung in einer höchſt tranrigen Lage befinden, 
da die Armee von Kaſchgar fie ausfangt. — Zurfan ber 
findet fich in den Händen eines höhern Offiziers, des Sarten 
Törüma, und ift von 500 Mann befest. Eine gleiche An: 
zahl ſteht in Tochtaſun, während ber Paß über die Dabin: 
berge zwiſchen Urumtfi und Turfan von 200 Mann bewacht 
wird. Die Tunganen haben wieberhoft die Umgegend der 
zuletzt genannten Städte ansgeplündert und das Vieh der 
dort nomadifivenden Kalmüden weggetrieben; auch gegen die 
in Sufara und Schicho ftationirten chinefiichen Truppen ba 
ben fie Erpebitionen unternommen. Eine regelmäßige Armee 
bilden die Tunganen übrigens nicht und ihre Bewaffnung 
ift höchft primitiver Art: Speere und Luntenflinten, Ihre 
Abgaben müſſen die Tunganen in Silber, ſtets beim Beginne 
dei Jahres, an Jakub Chan entrichten, Da ihre Lage cine 
höchſt gedrüdte ift, fo wollen viele auswandern nach Kuldicha 
(alfo auf ruſſiſches Gebiet) und nach Kaſchgar. 


Die Zähmung des afrifanifhen Elephanten. 
Ueber dickes intereffante Thema bat ih A Baftian, 
anläßlich des Petermann'ſchen Vorichlags, indifche Elephau— 
ten bei der deutichen afrikanischen Erpedition zu verwenden, 
in der Berliner geograpbifchen Geſellſchaft folgendermaßen 


144 


ausgelaffen: Daß der afrifanifche Elephant im Alterthum 
gezähmt worden fei, kann troß der vielfach geäußerten Ein: 
wände feinem Zweifel unterliegen, es fcheint indeß zugleich 
feftzuftehen,, daß dies nicht aus der Initiative der afrika: 
nischen Menſchen hervorging, Sondern aftatischem Einfluß au 
danken ift. Alerander hatte zuerſt bei Arbela, dann in Ju⸗ 
dien Elephanten zu bekämpfen, und er ſowohl wie ſpäter die 
Seleuciden und Antiochus brachten aus Indien Elephanten 
zurück, die, wie das übrige Neich, unter die Generäle ver: 
theilt wurden. Als aber den Btolemäern bei den ausbrechen: 
den Zwiftigfeiten die aſiatiſche Duelle abgeſchnitten war, 
fandten fie Forfcher an den obern Nil hinauf und errichteten 
an der Küſte (mo noch das Elephas Promontorium oder 
Rassel-Fil verblieb) Stationen zum Fang, aud unter ben 
Elephantophagen genannten Stämmen und auf dem Nil bien: 
ten die Elephantegoi bezeichneten Boote zum Transport 
(unter Bhiladelphos). Damit mögen auch die aus jener Zeit 
in Abeifinien verbliebenen Spuren in Bezichung fteben, und 
dort fpricht noch Marmol von Abrichtung der Elephanten. 

Da die afrikanischen Elephanten in der Schlacht bei 
Rapbia den Angriff der afiatifchen micht ertrugen (unter 
Ptolemäos Philopator), jcheint man fie ſpäter wieber auf: 
gegeben zu haben, doc wird fich die Kenntniß ihrer Züh— 
mung vorher ſchon zu den Carthagern verbreitet haben, bie 
in den Kriegen gegen Epirus Elephanten verwandten ftatt 
der Streitwwagen, die auf ihren Feldzügen gegen Gelon, Hie— 
ron und fonft in Sicilien ericheinen, und die im ihren 
Mauern große Elephantenftälle baneten. Hasdrubal wurde 
inady Appian) auf Elephantenjanden geichidt, wie fich (nach 
Blutarh) Pompejus init folden in Numidien beiuftigte und 
Plinius der Elepbanten in Mauritanien erwähnt. Juba 
ließ bei der Annäherung Cäſar's Elephanten noch kurz vor 
der Schlacht bei Thapios einfangen, doch brachten fie durch 
ihre Wildheit, weil noch nicht genügend abgerichtet, feine 
eigerren Reiben in Unordnung Auf numidiſchen Münzen 
findet fich der afrifanifche Elephant, an den großen Ohren 
fenntlich, während der (gleich dem Rhinoceros) Ebu genannte 
Elephant auf den thebanischen Bildern aus der Zeit Thut- 
moſis III. (unter einer mit Aſſyrien lämpfenden Dynäaſtie) 
auf Alien deutet, im feiner eigenen Form ſowohl wie in der 
feines Führers, und jene röthliche Farbe zeigt, mit der die 
weiten Elephanten in den fie heilig haltenden Ländern bar- 
getellt werden. Unter den Hierogluphen der Ptolomäerzeit 
findet fich ein gerittener Elephant. Beachtenswerth ift, daß 
bei einigen Geremonien am Hofe des Königs von Dahomeh 
früher ein Holzelephant herumgefülhrt wurde, aber im Uebri- 
gen ift der Elephant in Afrifa nur als Jagdthier befannt. 

** x 

— Der Aufftand auf Cuba zieht fich nun weit ins 
fechste Jahr bimeim und es ift allen Anftrengungen der Spa: 
nier nicht gelungen, ihn niederzuſchlagen. Der größte Theil 
der weißen Creolen begünftigt insgeheim denfelben, hütet fich 
jeboch, thätig einzugreifen, und der größte Theil der Inſur— 
genten bejteht nun ſchon feit längerer Zeit aus entlaufenen 
Negerſtlaven. Die Kriegführung beſteht vielfach nur in Ver: 
wüſtung der Plantagen, offene Gefechte oder Schlachten fom: 
men nur jelten vor. Diefer Charakter des Aufſtandes hat 
nach und nach in die cubaniſchen Verhältniffe ein neues Ele: 
ment gebracht. 


Nus allen Erbtheifen, 


hat, noch längere Zeit im derfelben Weile fortdanern, dann 
kann es zutreffen, daß auf Cuba die Dinge eine ähnliche 
Wendung nehmen wie zu Ende des vorigen Jahrhunderts 
auf St. Domingo. Je mehr unter den Aufſtändiſchen das 
weiße Element vom ſchwarzen überwogen wird, um fo grö- 
fer ift die Gefahr, daß die Sklaven den Verfud) machen, ſich 
mit Unterjtiigung ihrer bewaffneten Stammesgenoffen gewalt: 
fanı zu emaneipiren. Die fpanifche Regierung hat wiederholt 
eine Emancipation in Ausficht gejtellt, denft aber nicht an 
eine Verwirklichung derfelben. Ein ftarfes Viertel der Ber 
völferung Cubas befteht aus farbigen Sklaven, ein anderes 
aus Mulatten und freigelaffenen Negern und die territorias 
fen Verhältniffe des Eilandes begünstigen eine Trennung in 
eine weiße wejtliche und Bjtliche Schwarze Hälfte. 

— Die größte bis jest befannte Schnelligkeit 
bat ein Eilenbabnzug auf der Linie Jerſey-Trenton — im 
Staate Neuyerfey in Nordamerila — erreicht. Die Entfer: 
mung zwiſchen beiden Städten beträgt 92 Kilometer und iſt 
in 59 Minuten durch den Zug, welcher die Zeitungen täglich 
au befördern bat, durchfahren. Die Schnelligkeit überfteigt 
93 Kilometer per Stunde. In Newark war cine Minute 
Aufenthalt und eine Heine Verzögerung war zu Neubrauns 
ſchweig. Bon diefem Orte ab fuhr man während drei Minuten 
mit einer Schnelligkeit von 137 Kilometer per Stunde. 

— Georg Schweinfurth bat von der Variſer geogra- 
phiichen Gefellichaft für feine Reifen in Junerafrika die gol: 
dene Mebaille erhalten, 

— St.:Gotthard: Tunnel. Am 1. Juli d. J. war 
man bei der Bohrung diefes Tunnels von Goefchenen aus 
2217 Meter, von Mirolo aus 1976 Meter, zufammen 4193 
Meter, vorgedrungen. Es bleihgn noch 10,720 Meter zu bob: 
rer, ebe eine Vereinigung ber beiden Stollen ftattfinden kann. 

— Am 27. Juni 1875 tft in Gegenwart des Fürſten 
von Rumänien in Buchäreft eine geographiiche Geſell— 
Ichaft eröffnet worden, bie in eine mathematiſch-aſtro— 
nomijche, phyſikaliſche, geologische, ethnologiſche und archäolo- 
giſche Section zerfällt, Wir wünſchen ihr fröhliches Gedei— 
hen — ein weites Forfchungsgebiet liegt am der untern Do- 
nau vor ihr offen und der gute Wille it fchon etwas wertb, 
wo bie Kräfte noch nicht ausreichen. 

— Die Pfirfihernte in Delaware bat im laufen: 
den Fahre die ungeheure Menge von 3,000,000 Körben er: 
geben. Davon verfandte Middletown etwa 600,000, Mount 
Pleaſant 500,000, Dover 400,000 Körbe. Auf der Queen: 
Anne: und Keut-⸗County-⸗Bahn find 700,000 Körbe befördert 
worben. 

— Habhramant, weldes uns durd A, v. Wrede's 
Reife und jpäter durd die Erkundigungen W. Munzinger's 
näher befannt wurde, ift nach Berichten aus Konſtantinopel 
gegenwärtig in vier ſich feindlich gegenüberjtehende Diftricte 
getheilt. Der Hafen Makalla wird von einem Abkömmling 
der Familie Küifadi gehalten, der feine Renten aus den Hafen: 
abgaben bezieht. Die Städte Kutni und Schibam im Innern 
und der Hafen Schir find den vier Söhnen Omar untertban, 
bie zur Rajutifamilie und Nomanlitenfecte gehören. Einer 
berfelben, Sali, befindet fi) gegenwärtig in Haiderabad, In— 
dien. Ein Theil der Heinen Staaten im Innern ift im 


Beſitz der Temini:Bedninen und ber Neft des Landes gehört 


einem Sultan ans der Familie Kütbeiri. Der letztere ſoll 


Bern die Wirren, wie das allen Anschein | der „legitime‘ Herrſcher Hadhramants fein. 


Inhalt: Römiſche Ueberrefte in Siebenbürgen. (Mit ſechs Abbildungen.) — Geſchichten aus Alt-Japan. IT, (Mit 


einer Abbildung.) — Ein Beſuch auf den Nikobariſchen Inſeln. Von F. Ad. v. Noepftorff. — 
Von Arthur v. Triebel. J. — 


Länder am Euphrat und Tigris für den Verkehr. 


Die Bedeutung der 
Der Ausjag auf den Sandwiches: 


inſeln. — Aus allen Erdtheilen: Die deutichen Coloniften in Südrußland. — Eine Verordnung des großen Kurfürſten 
genen den Aberglauben. — Die Zuftände in Dftturkeitan. — Die Zähmung des afrifanijchen Elephanten. — Berichiede: 


ned. — (Schluß der Redaction 14. Muguft 1875.) 


Zur die Redactien veraummertlib: H. Vieweg in Braunfbmeig. 
Druck und Berlag von Frietrih Bieweg und Sohn in Braunſchweig. 





Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 
In 


—E— 


Verbindung mit Fachmännern und Künſtlern begründet von 


Karl Andree. 








Braunſchweig er San 





Jährlih 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlihd 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Markt, Einzelne Nummern 50 Pf. 


1875. 





— — = — 


Donau-Bulgarien. 


Auf fein großes, von uns oft erwähntes und nad) Ge— 
bühr gewürbigtes Werk über Serbien hat der unermüdliche 
F. Kanig, den wir zu den gejchägten Mitarbeitern des 
„Slobus* zählen, ein neues Prachtwerk folgen laſſen, die 
Frucht fnfzehmjähriger mühevoller und aufreibender Rei» 
fen Nicht weniger als fünfzehnmal hat er den Balfan 
überjchritten und die fo vieler Nachhilfe bedürftige Geogra— 
phie dieſes gewaltigen Gebirgäzuges in einer Weiſe aufgeflärt, 
die zum höchſten Dante gegen den tüchtigen Forſcher ung ver ⸗ 
pflichtet. Geradezu erftaunt find wir über die Menge defien, 
mas hier zu leiften war und auch geleiftet wurde. Auf weite 
Streden hin befommt die Karte durd) Kanitz ein neues An- 
fehen, es ift eine Veränderung — im fleinen Maßftabe —, 
wie wir fie font nur bei der Karte Afrikas zu jchen befom« 
men: lüffe werden ausgemerzt, neue eingezeichnet. Städte 
mit ftarter Bevölkerung finden ihren Play auf bisher leeren 
Stellen und andere, die überhaupt nicht eriftiven, auf den 
Karten aber ſich breit machen, verjchwinden von benfelben. 

Wie „Serbien“ theilt Kanig fein Werk im zwei Bücher 
ein. 1. Staat und Geſellſchaft, 2. Neifeftudien. Er ent 
wirft, von den vorgefchichtlichen Ueberreſten ausgehend, Inapp 
und gewandt eim fehr Überſichtliches Bild der Geſchichte der 
Bulgaren bis auf die nationalen Beftrebungen der Gegen— 
wart herab; ſchließt daran ein mannigfaltiges Gapitel Über 


*) Donau-Bulgarien unb der Balfan. Hiftorifchegeograpbiiche 
etbnograpbifche Reiſeſtudien aus den Jahren 1860 bis 1875. (riler 
Band. Mit 20 Illuſtratlonen im Terte, 10 Tafeln, einem Gebirgs ⸗ 
profil und einer Karte, Bon F. Kanih. Leipzig. Hermann Fries. 
1875. 


Globus XXVIII. M. 10. 





die Ethnologie, in dem namentlich der Aberglauben reich be 
dacht ift, zeigt uns bie politifchen Rechte des Volts, feine 
Stellung zu den Türken und charalteriſirt jcharf die Mip- 
regierung derfelben. Der bulgarische Kicchenftreit gegen die 
bedrlichenden Griechen aus dem Fanar wird in fehr gründ« 
licher, den Bulgaren freundlicdyer Weife behandelt und dann 
die ausjichtslofe fatholifche Propaganda unter den Bulgaren 
abgethan. 

Die Reifeftubien, welche der erfte Band bringt, befchrän« 
fen fich auf das Gebiet zwiſchen Niichava, Donau, Yom und 
Timof, alfo den nordweitlicen, an Serbien grenzenden Win- 
fel Bulgariens. Bier tritt mamentlic, die Archäologie in ihr 
Necht, auf deren Gebiete der Berfafler umfaſſende Studien 
machte. Aber auch intereffante Böllerbilder erhalten wir, das 
ethnographiſche Eapitel wird hier im Detail ausgemalt. Ka- 
nig erzählt: 

Das Yomthal iſt jehr fruchtbar und hat eine weit dich: 
tere Bevölferung als man nad) v. Scheda's Karte annehmen 
möchte. Celbft die wenigen dort angegebenen Orte liegen 
aber nicht an der richtigen Stelle, fondern größtenteils an 
dem Smordenfluß, der ebenfowenig eriftirt, als die beiden 
Städte Pirsnif und Drinovag, welche in Stieler's Dandatlas 
und anderen Orten am Lomfluſſe bisher figurirten. Bom 
Nitolapak abwärts ‚bis zur Donauftadt Lom begegnete ic) 
einer einzigen Stadt. 

So gejegnet der Boden des Yomgebietes ift, fehlte es ihm 
doch feit Jahrhunderten an den nothwendigen Bedingungen 
zur Entwidelung von Gewerbe- und Handelsthätigfeit und 
zur glüdlichen Verwertung feiner reichen Naturfchäge. Er 


19 


146 


wurde durch fortwährende Kämpfe entvölfert und erſt in die- 
ſem Jahrhundert durd; romaniſche Einwanderer vom jenjei« 
tigen Donauufer theilweife wieder etwas ſtärler befiedelt. 
Da letztere aber in ihren Bedlirfniffen und Lebensanfor⸗ 
derungen immer noch auf primitivfter Stufe jtehen, wird es 
für das nordweftiiche Bulgarien einer nad) ganz anderen 
Principien vorgehenden Verwaltung beditrfen, um bie fir 
das Aufblähen von Städten nothwendigen, im Keime wohl 
vorhandenen Elemente zur vollen Entfaltung zu bringen. 
War es alfo dem vereiwigten Conful v. Hahn vorbehalten, 
dor wenigen Jahren das ganz ungefannte albanefifche Städt: 
chen Kruſchewo (mit etwa 3000 Einwohnern) in die Karte 


Tonau = Bulgarien. 


einzutragen, jo fiel mir die entgegengefegte Aufgabe zu, außer 
der Stadt „Yönebol* am Timof auch die Städte „Pirsnil“ 
und „Drinovag* am Lom unnachſichtlich aus der Harte zu 
ftreichen; denn von allen diefen drei Städten eriftirt nur die 
legtere in Geſtalt eines Kleinen Dorfes von 80 Käufern, 
An feiner Stelle mochte einft wohl, einer vorhandenen Gaftell- 
ruine nach zu urtheilen, eine römische und höchft wahrichein: 
lich, von den Byzantinern veftaurirte, jpäter altbulgarifche 
Stadt gejtanden haben, die nad) älteren Schriftjtellern aud) 
der Gig eines Biſchofs war. Heute hat Drinovag aber nicht 
einntal eine eigene Kirche. Es ift zum mahen, hart am der 
Straße liegenden großen Dorfe Tſchorlevo eingepfarrt, wel- 





— 


Troglodytendorf am Lom. Aus Kanitz' Donau-Bulgarien“. 


ches auch ein Blockhaus beſitzt und das die Zwiſchenpoſt- Zeit ihrer Anwefenheit ihre Niederlaſſungen durch deren all— 


ſtation zwiſchen Tſchupren und der Stadt Lom Palanka 
bildet. 

Bon Tſchorlevo bis zur Donau begegnet man hart am 
Yomflufle dem bunteften Völlergewirre. Bulgaren, Roma» 
nen, Tataren und Tſcherkeſſen wohnen hier in oft nur 20 
Minuten von einander entfernten Dörfern. Die Tataren 
haben ihre aus der Krim herübergebrachte Tracht bereits 
größtentheil® abgelegt und dafllr das bulgariſche National: 
coftim, die Tſchubara (Schaffellmüge), das weiße, faltige, 
geitidte Hemd und Opintfchen (eine Art Sandalen) als Fuß⸗ 
befleidung eingetaufcht. Sie fprechen bereits vielfach das 
Bulgarifche, find bei der flavifchen Bevöllerung ziemlich be: 
liebt und haben im Hinblicke auf die verhältuigmäßig furze 


gemein gerühmten Fleiß zu ziemlich erheblichem Wohl 
ftand gebracht. Befondere Sorgfalt wenden jie auf ihre 
Schulen. 

Wie weit die auf beiden Lomufern angefiedelten Tſcher- 
teffen in der Gultivirung der großen bulgarifchen Terraffe 
fi) bewähren werden, dies muß die Folge lehren. Im Bes 
ginne hatten fie ſich durch ihr herriſches Auftreten, durch 
iheen Hang zur Widerfeglichteit, zu Raub und Dicbftahl 
ſowohl bei den Türfen als bei der tatariſch-romaniſch-bulga⸗— 
rifchen Yandbevölferung fehr verhaßt gemacht. Seit dem 
Jahre 1864 ift jedoch cin allmäliger Umſchwung zum Beſ— 
fern eingetreten. Die Noth zwang die Helden des Kaufajus 
ſich zur Feldarbeit zu bequemen. Ich jah Shon im Nahre 





Tonau=Bulgarien, 


1870 fogar einzelne tſcherleſſiſche Frauen an derjelben ſich 
betheiligen. Nur an der großen Vorliebe für fremde Pferde 
hält der Tſcherleſſe feſt. Er rivalifirt in diefer Beziehung 
mit den nomadifirenden Zigeunern umd Hunderte blißen ftets 
in der Widdiner Feſte den unbezwinglicyen Hang, fic auf Koften 
ihrer Nachbarn beritten zu machen. Schwer trifft den Tſcher⸗ 
leſſen jelbft die geringfte Freiheitsſtraſe. Bei fortgeſetzter 
unnachſichtiger Strenge durfte er fi) alfo auch bezllglich 
fremder Vierfüßler zu mehr occidentafen Rechtsbegriffen be 
quemen. 

In dem Dorfe Bafilovce begegnete ich den im Jahre 
1861 auf ruſſiſche Verfprechungen hin nad) der Krim aus- 


147 


gewanderten, im Jahre 1862 aber vollfommen enttäuscht 
zurüdgefehrten Bulgaren. Sie fanden ihre verlaffenen Dör— 
fer von den an ihrer Stelle colonifirten Tataren bereits bes 
jegt und es blieb ihnen nichts librig, als ſich, fo gut es ihre 
Mittel erlaubten, neue Wohnftätten zu bauen. Diefe fehen 
wohl ſchlimm genug aus und jegen ein wejteuropäifche® Auge 
in nicht geringe Berwunderung. Ich jah hier leibhaft bie 
von Owen Stanley ausführlic, befchriebenen, von den Mens 
fchen der Bronzezeit bewohnten „Penpits“ zu Anglefea in 
nur wenig veränderter Öeftalt vor mir. Zur Hälfte in der 
Erde eingegrabert, mit einem auf chief gegen einander geftell 
ten Baumftänmen aus Erde gejtampften Dadje und riefigen 





Eingewanderte Ticherkeffen in Bulgarien. Ans Kanitz' „Donan:Bıtlgarien*. 


aus Rohr geflochtenen Rauchfängen machen fie den Eindrud | 


wahrer Troglodytenwohnungen. 
Hält man aber diefes Beifpiel primitivfter Bauweiſe den 
architeltoniſch fortgefchrittenen Werfen entgegen, welche ein 


und dajielbe Boll in den Städten ausführt und bewohnt, | 


fo ergiebt ſich wohl für den Archäologen und Culturhiſtoriker 
die Mahnung, bei der Beurtheilung, Claffificirung und Scheis 
dung der vorhiftorifchen Nefte jehr vorfichtig zu fein, Denn 
wir finden hier die Angehörigen eines Volkes, welches die 
verfchiedenften Handwerfe mit Meifterichaft betreibt, welches 
den bewunderungswertheften Filigranſchmuch, ausgezeichnete 
Töpferarbeiten und Webereien erzeugt, in Wohnungen, ähn« 
lic) jenen der Kaffern, melde befanntlic, in allen Künſten 
auf fehr niedriger Stufe ftehen, 


Ueber die Tfcherteffenanfiedelungen giebt uns Kanig in 
dem Kapitel „der Kaulaſus am Ballan“ nähere Austunft 
und diefe Flingt keineswegs günftig, wie folgendes Bild dar: 
thun wird, 

Nur ein jchriller Mißton, der noch heute ungeſchwächt in 
meiner Erinnerung nachflingt, ftörte mich im reinen Genuſſe 
des wunderbar fchönen Naturbildes. Es waren die in fort- 
laufender Kette rechts und kinfs von Wege zwiſchen Baus 
partien oder auf niederen Hligeln, in Öruppen von 2, 3 bis 
zu 20 zerftreuten friſchen Tſcherleſſengräber. Statt Blumens 
ſchmucks mit Bachlieſeln oder Felsblöden umrandet erzählen 
fie laut von der Mifore des großen Tſcherkeſſenzuges, ber 
fürz zuvor bie neue Straße bededte. Mar könnte fie am 
bezeichnendften „Sräberftrage* nennen. 


iy* 


148 


Gleich entfeglic wie das Elend der bedauernswerthen 
Einwanderer geftaltete ſich das traurige Loos der armen Buls 
garen, zu deren Ueberfchichtung fie herangezogen worden wa- 
ren. Noch hatten fie ſich von den durch die Tatarencolonis 
fation im Jahre 1861 ihnen auferlegten Opfern nicht erholt 
und abermals zwang man fie, aud) diefen neuen Ankömms 
fingen Häufer zu bauen, deren Koften von künftigen Steuern 
abgerechnet werden follten. Die Abgaben wurden aber vor 
wie nad) eingehoben und hiermit nicht genug mußten bie 
Bulgaren nach dem Grundfage: „Aller Boden ift des Sul» 
tans!“ zu einer neuen Abtretung ihres beften Grundbeſitzes 
an die Tfcherkefien ohme jede Entſchädigung ſich verftehen. 

Ic) ſehe hier den von europäifchen Nechtöbegriffen erfüll- 
ten Leſer zweifeln und doch find diefe angeführten Thatfachen 
volltommen wahr und fern von jeder Uebertreibung! 

Jenſeits des Baltand betrat ich) Crvenibreg nahe bei Bela 
Belanka, das erfte der Ticherkeffendörfer. Später fah ich die 
nenen Anfiebelungen zu Niſch, dann zu Mramor an der bul- 
garifchen Marava; ferner die nach glorreicden Sultanen 
benannten Colonien Medfchiedich, Osmanich, Mahmudieh 
und andere, In der Mehrzahl diefer Anfiedelungen waren, 
als ic im Jahre 1864 durch diefelben kam, die im langen 
Reihen ſich binziehenden Familienhöfe noch nicht vollendet. 
Die Einwanderer bewohnten einftweilen die Häufer von Bul— 
garen, welche man rücjichtslos gezwungen hatte ſich ein be— 
liebiges Obdach zu fuchen. 

Hier fand id) die Refte der ftark zufammengeichmolzenen 
tfcherkeffischen Juneh (Familiengemeinſchaften), nur jelten 
noch 7 bis 12 Stöpfe ſtark, in oft wahrhaft herjzerreißender 
Lage. 20 Para (5 Neufreuzer) und !, Dfa (1 Pfund) 
Mais per Kopf täglich find felbft in dem gefegneten Bul— 
garien zur Befriedigung der nothwendigſten Bedlirfniffe nicht 
ausreichend, ſolch großes Opfer dies auch für den Staat, 
oder richtiger fir die bulgariſchen Rajah fein mochte, da diefe 
Eubvention neben voller Steuerfreiheit den Einwanderern auf 
drei Jahre zugefichert worden war. 

Oft fah ic) auf dem nadten, vom Nachtthau befeuchteten 
Lehmboden der arımfeligen Behaufungen, umhüllt vom quals 
menden Rauche des fchwer in Brand zu jegenden grilnen 
Holzes, drei und mehrere Krane verfcjiedenen Alters und 
Geſchlechts, mit Geſunden bunt durd einander gewürfelt, 
im furchtbarſten Fieberparoxismus unreiſes Obft oder ſchwe⸗ 


„Journal des Muſeum Godeffroy“. 


res trodenes Maisbrot mit wahrem „Fieberhunger“ ver— 
ſchlingend. 

Hier zu helfen Uberſtieg die Kraft des Einzelnen! Um— 
drängt von den Unglüdlichen, die oft in mir dem von der 
Regierung längft verſprochenen Halim (Arzt) zu erbliden 
—— gab ie, was ich nur immer entbehren fonnte. Mic) 
und meine Leute vergefiend leerte ich in Osmanieh den 
Chininvorrath, meiner Heinen Reifeapothefe, um doch wenig: 
ftens für einige Stunden die Leiden der am meiften vom Fie⸗ 
ber Ergriffenen zu mildern. 

Die Unmöglichkeit, ſich mit ihren Nachbarn, den Bulga- 
ven, Zataren oder felbft den türliſchen Beamten anders als 
durch einige wenige des Türfifchen kundige Häuptlinge (Beys) 
zu verftändigen, erhöhte noch die ſchlimme Lage der Ein: 
wanberer, 

Mitten in diefe potenzirte Häufung menfchlichen Elends 
trat neben der bewundernswerthen felbftbewußten Haltung 
der Männer ein Zauber verflärend hinein, die vielgerlihmte, 
mandmal geradezu blendende Schönheit der tſcherkeſſiſchen 
Frauen. 

Mer feine traumhaft gedachten oder vielleicht nach antifen 
Borbildern geſchaffenen Ideale claffifcher Frauenſchönheit ver- 
wirflicht ſehen, lernen und begreifen will, weshalb der Sultan, 
die Shane und türkischen Großen mit allen Mitteln darnad) 
fireben , ihre Harems mit den Wunderblüthen des Kaulafus 
zu fhmiüden, wandere in den Balkan. Er thue es jedoch) 
bald, denn unter dem Drucke herber Noth und ungewohnter 
Arbeit wird der Abel der Erjcheinung mit der nothwendig 
fid) mindernden Pilege der Phyfis raſch ausgeftorben fein. 

Allein nicht mehr als Obdalisten, jondern nur als recht⸗ 
mäßig angetraute Frauen follen die, nebenbei bemerkt, ein 
wenig boshaften, eiferfüchtigen und in ihrer Mache zum Aeur 
Berften bereiten Schönen des Kaukaſus an der Donau fünf- 
tig heimgeführt werden. Ein ſultaniſcher Ferman verlün— 
dete, daß fie mit dem Betreten des großherrlichen Bodens 
aufgehört hätten eine Waare zu fein. Co viel id) bemerfen 
konnte, ſchienen jedoch weder die Eltern noch der weibliche, in 
phantaſtiſch wuchernden vornehmen Zukunftegelliſten erzo⸗ 
gene Nachwuchs von des Sultans Beſchränkung ihrer ſub— 
jeetiven Freiheit erbaut zu ſein und auch dieſer Ferman 
— welcher eigentlich doch nur zur Schonung engliſcher Phi⸗ 
lanthropie und Prüderie erlaſſen worden war — zählte zu den 
vielen todtgeborenen. 





„Journal des Muſeum Godeffroy“. 


Es ift erfreulich zu fehen, wie Hamburg im Verlaufe 
weniger Jahre zu einem geographifchen Centrum in Deutſch- 
land geworben ift, das mehr und mehr erfreuliche Aussichten 
für die Zukunft entwidelt. Seine überfeeifcen Berbinduns 
gen, die beide Erdhälften umfpannen, der großartige Hanbdel, 
dem zu Liebe feine Söhne in den fernften Hafenplägen ans 
gejeflen find, wo fie ehrenvoll den deutfchen Namen vertreten, 
endlid die nautifchen Beziehungen diejer erſten Handelsftadt 
des Gontinents mußten ſchon das Intereſſe an geogra- 
phifchen Forſchungen erweden. In der That war diefes 
auch vorhanden, nur fehlte der Brennpunkt , im welden die 
verfchiedenen Strahlen ſich zu gedeihlichem Wirken vereini- 
gen konnten. Dazu bedurfte es des Anfioßes und da dieſer 
. verdanft Hamburg vor Allem der Energie 

Friederichſen's, der, aus der tüchtigen Gothaer Schule 


hervorgegangen, mit feltenem Eifer fi) ans Werk machte, 
Zunädhit gründete er eine große Land und Seekartenhandlung, 
mit welcher ein Verlagsgeſchäft vereinigt wurde, in weldyem 
trog der kurzen Zeit feines Beftehens bereits mehrere werth» 
volle Driginalfarten und tüchtige geographifce Werte er- 
ſchienen (Wicbel: Die Infel Kephalonia; Yeng: Fluth und 
Ebbe des Meeres; Laudesdorf: Die Sefundheitszuftände in 
verschiedenen Hafenplägen; Rümfer: Publicationen der Ham: 
burger Sternwarte ꝛc.). Friederichſen ift auch der eigentliche 
Gründer der Hamburger geographiichen Gejellichaft, bie 
trog ihrer Jugend — fie ift erſt ins dritte Vebensjahr eins 
getreten — bereits den zweiten Rang unter den geographi- 
ſchen Vereinen Deutſchlands einnimmt, gleich neben Berlin 
genannt zu werden verbient, und fiber verhältnigmäßig bedeus 
tende Mittel gebietet, fo dag fie ſchon Forſcher (Dr. An: 


„Journal des Mufeum Godefftoy*. 


149 


drea® ging auf ihre Koften nadı Südperfien um dort Auss Dan findet in ihnen das ganze Yahr liber Eier; wie viel 


—— zu unternehmen) ausrüftet und umfangreiche 
ahresberichte mit werthvollen Abhandlungen veröffentlicht. 
Friederichſen endlich fegte auch mit großer Gewandtheit den 
glänzenden Empfang der öfterreichiichen Norbpolfahrer in 
Scene, bei dem die ganze große Stadt betheiligt war. 

Einen wichtigen Kern: und Anhaltepunkt für die Wort: 
entwidelung der Lünder und Bölfertunde in Hamburg bot 
vor Allem auch das Mufeum Godeffroy, weldjes wir be: 
reitd wiederholt im „Slobus* befpradjyen und in dem ebenſo 
eifrig die Ethnographie wie die Naturwijjenichaften gepflegt 
werden, ein rühmliches Zeugniß fürden regen wiſſenſchaftlichen 
Sinn des Herrn C. Godeffron. Des Sonrnal dieſes Mu⸗ 
ſeums iſt nach Inhalt wie Ausftattung eine Perle unter 
den wiſſenſchaftlichen Publicationen aller Läuder und die 
Kedaction, die abermals im Friederichſen's Händen ruht, 
thut alles um dieſes werthvolle Werk noch mehr zu heben, 
Daflir fpricht das vorliegende achte Heft *), mit dem mir 
und jegt näher befchäftigen wollen. 

Eröffnet wird daſſelbe mit einer ausführlichen Mono: 
graphie Über die Ornithologie der Valau-Inſeln in ber 
Sübdfee von dem belannten Bremer Naturforſcher Otto Finſch, 
dem das Material zu dieſer ſchönen Arbeit aus dem Mu— 
jeum Godeffroy zur Verfügung gejtellt wurde. Während 
nur zwei weit liber die Südſee verbreitete Flatterſdugethiere 
(Pteropus Kerandreni und Emballonura fuliginosa) 
auf den Palau⸗ (Pelew⸗) Infeln vortommen, finden wir dort 
eine verhältnigmäßig reiche Avifauna, denn Finſch zählt 30 
jichere und 8 unfichere Standvögel auf, die aud) als Bruts 
vögel gelten dlrfen, zu denen ſich dann mod) 18 Arten 
Zugvögel gejellen, die nur auf ihren Frühjahrs- und Herbft- 
wanderungen die Palaus berühren. Unter den Stand» 
vögeln gehören 13 Arten der Gruppe als eigenthlimlicd an 
und zwar eime fanzartige Eule, Noctua podargina, ein 
Zugenmelter, Caprimulgus phalaena, zwei Meliphagiben, 
Zosterops Semperi und Z. Finschi, ein Würger, Rectes 
tenebrosus, eine Champephagibe, Volvocivora monacha, 
zwei Fliegenſchnepper, Myiagra erythrops und Rhipidura 
lepida, eine Sylvie, Psumathia Annae, zwei Tauben, Ptili- 
nopus pelewensis und Phlegoenas canifrons, ein Scharr: 
huhn, Megapodius senex. Psamathia ift jogar ein eigenes 
nur den Palaus angehöriges Geſchlecht. Hinſichtlich des 
allgemeinen (Charakters der Bogelwelt Palaus läßt ſich 
— wie dies durch die geographifce Yage erläutert wird — 
ein vorwiegend indo-malayijches Gepräge erkennen ; nament⸗ 
lich Formen, bie von Siüdindien fiber die Sundainfeln nad) 
den weftlichen Bolynefien reichen, fommen vor. - Beachtend« 
werth ift der gänzliche Mangel von Papageien und Fringils« 
liden. Der Ruf des Palaufauzes (Noctua podargina) 
gilt den Inſulanern als unheilverfündend, wie bei ung, und 
göttliche Verehrung wird im Diftrict Ratmau auf Babelt- 
haup dem Kadam (Dysporus sula), in Engtaſſar dem 
Puffinus dichrons, auf Peleliu dem Nachtreiher (Nyeti- 
corax wmanillensis) gezolt. Nur wenige Bögel (Carpo- 
phaga oceanica und Puffinus dichrous) und das wilde 
Huhn werden von dem Eingeborenen gegeflen, vor Allem 
aber werden die Eier von Megapodius senex geſchätzt, 
welcher wie die Übrigen Scharrhühner feine Eier nicht jelbft 
bebrütet, fondern diefelben im gemeinſchaftlich zufammen- 
geiharrten Sandhügeln niederlegt , wo fie von der Sonnen: 
wärme gezeitigt werden. Solche künftliche Bruthügel haben 
oft einen Umfang von über 100 Fuß und 10 Fuß Höhe, 





*) „Zourmal des Muſeum Godefftey?. Geograpbifche, eihnogra · 
phiſche und maturwiffenibaftliche Mittheilungen. Heft VI. Mit 
12 Holzfhnitten und 18 Zafeln, 140 Seiten gr. 4. Hamburg. 
£ Frieberichfen u. Gomp. 1875. 


ein Weibchen fegt, läßt ſich nicht ficher fejtftellen, da viele 
Weibchen gemeinſchaftlich cine ſolche Brutſtätte benutzen. 
Die Eingeborenen berauben die Hligel ihres Inhalts, wobei 
fie indefien, um den Vogel nicht auszurotten, ſyſtematiſch 
und mit Verftändnig vorgehen. Die fünf zu der Arbeit 
von Finſch gehörigen Tafeln mit Abbildungen der den Palau 
eigenthitmlichen Vögel gehören zu den ſchönſten Erzeug— 
niſſen des Farbendrucks. 

Weitere ſich hieran anſchließende naturwiſſenſchaftliche 
Abhandlungen find (in engliſcher Sprache) von dem am 
7. März d. I. verftorbenen John Edward Gray über einen 
Deiphinthäbel (Feresa attenuata), über neue Nadtidyneden 
ber Eitdfee von Dr. R. Bergh in Sopenhagen; Über die 
Flora Uueenslands nad) den von Frau Amalie Dietrid) ges 
fanmelten Pflanzen von Dr. Chr. Yuerflen, und über die 
Geologie der Palaus jowie die Bafalte der Inſel Ponaps 
von Dr, Arthur Wichmann. 

Bon hervorragenden Intereffe für uns find die wid): 
tigen ethnographiichen Nachrichten 9. Hubary’s (eines 
fürzlic von langjährigen Reifen aus der Slidfee zurückge— 
fehrten Polen) Über die Inſel Bonape (Puynipet). 

Die Eingeborenen Ponapés waren noch unlängit das, 
was man ſich bei und unter einem naiven, gaftfreundlichen 
Sitdfee » Infulaner vorjtellt. Seit der Auffindung diefer 
Infelgruppe durch Admiral Lutle 1828 aber, innerhalb 
eines Zeitraumes aljo von beinahe 50 Jahren, unterlagen 
die Eingeborenen einerfeits den gewaltigen Einflüffen hierher 
verſchlagener Seeleute, andererjeits dem Eifer amerilaniſcher 
Mifjionäre. Die erften auf Ponaps angefiedelten Weißen 
waren defertirte Seeleute, welche ſich der Hoffnung hingaben, 
dort ein Yeben flißer Träume führen zu fönnen. Als ihre 
vermeintliche göttliche Natur ſich ſchon mach Verlauf kurzer 
Zeit als eine gang menſchliche und obendrein fehr unvoll: 
fommene entpuppte, da wurden fie den Eingeborenen eine 
unliebfame Yaft. Cine Zeit lang, fo lange die Anzahl der 
Fremdlinge eine begrenzte war, hielten die einzelnen Häupt⸗ 
linge es fr eine Chrenfache, einen eigenen Weißen, einen 
fogenannten zahmen Dausweißen, zu haben, als die 
Anzahl derfelben aber wuchs, da hörte die Rarität auf und 
an deren Stelle trat ein um die Gunſt der Eingeborenen 
coneurrivender Kampf unter den Fremdlingen. Yegtere fin 
gen an ſich gegenfeitig aus dem Wege zu ſchaffen und lehr— 
ten damit die Eingeborenen, allen Europäern von vornherein 
mit vorgefaßter Meinung zu begegnen. Die Einſchleppung 
der ſchwarzen Blattern im Jahre 1854 durch das engliſche 
Barkſchiff „Delta*, welche circa dreiviertel der gefammten 
Bevölkerung dahinraffte, mußte im Uebrigen zur Vorficht 
mahnen. 

Ponaps zerfällt in politifcher Hinfiht im fünf von ein- 
ander unabhängige Diftricte: Dzjoloits (Jetoits), Nott 
(Nutt), Ou, Matabanim und Roan Kitti, welch letzerer wie: 
der im das eigentliche Kitti und in Wana getheilt wird. 
Jeder von ihnen hatte vor circa zwanzig Jahren eine Ans 
zahl größerer Häuptlinge, um weldye fid) das Volk ſchaarte. 
Die beſchränkten Plagverhättnifle fejelten den Infulaner 
an fein Haus, und ber Ueberfluß an Brotfrucht und Yams 
machte ihm das Yeben leicht und zufrieden. Sein Reichthum 
beftand in Matten, Faſern, Name, einem Canoe und einem 
ſchönen Haufe; jeine Pflichten als Unterthan hießen ihn, 
feinem unmittelbaren Häuptling dienftbar zu fein und ihm 
von Zeit zu Zeit etwas Nahrung zu bringen. Als Gegens 
leiftung empfing er den Grund und Boden für feine Pflan« 
zungen und durfte an dem Thum nud Treiben des Häupt⸗ 
lings Theil nehmen. Die potitiihen Verhältniſſe im Innern 
des Diftricts offenbarten ſich in fortdauernden seiten, in 


150 


dem eine jede Tributzahlung eine® Häuptlings an einen 
andern höher geftellten als eine eftivität begangen wurbe, 
Der oberfte Häuptling madjte ein Mal im Jahre die Runde 
bei allen feinen Unterhäuptlingen, und diefe thaten wieder 
desgleichen bei ihren Untergebenen, wo fie liberal gaſtlich 
und feſtlich empfangen wurden. Die Borbereitungen und 
Teilnahme an diefen Freftivitäten füllten die Hauptzeit des 
Lebens der Cingeborenen aus. Kriege, welche dann und 
warn um bie Erhaltung des eroberten Anſehens geflihrt 
wurden, waren mehr Geſchrei als Lebensgefährliche Unter: 
nehmen. Althergebrachte Sitten galten als Geſetze. 
Stehlen kannte man nicht, da es nichts zu ftehlen gab. 
Das Lügen untereinander war nutzlos und wurde nur als 
eine natürliche Waffe gegen Fremde gebraucht. Die Eltern 
fiebten und Lieben noch heute ihre Kinder in ihrer Urt leiden: 


— 
— FR 
— 

—— 


— — 
se 
—— 


3 
— 


Ponaps famen, wurden fie wie jeder andere Fremdling gaſt⸗ 
lid) und neugierig aufgenommen. Ueberall tolerant, ließ man 
fie gewähren, beanspruchte aber gleichzeitig, daß bie Sitten 


und Gebräuche des Yandes Beachtung fünden, Die Erfolge ber 


Miffion waren langfam, und erſt durd) Ausbeutung der 
zwiſchen dem verfchiedenen Diftricten entjtandenen Uneinig- 
keiten gelang es ihr ſchließlich feften Fuß zu fallen, die ein« 
ftige Ordnung im Sinne ihrer Aufgabe zu modeln und 
circa 200 bis 300 neue Mitglieder der chriftlichen Kirche 
einzuverleiben. 

Die heutigen Eingeborenen von Ponaps find, wie bier 
jenigen aller anderen Snfeln der Carolinen, von mehr oder 
minder brauner Hautfarbe, von unterjegtem Körperbau, 
feinem typiſchen Gefichtsausdrud und ſchwarzem glatten 
Haupthaar, ohne Bartwuchs. Das Haupthaar wird heute 





„Journal des Mufeum Gobeffroy”. 


fchaftlich und die Männer ehrten ihre Frauen hoch. hen 
wurden erft dann gefcloflen, wenn das Mädchen das 
Pubertätsalter erreicht hatte und tättowirt worden war, 
Ehebruch wurbe oft mit dem Tode beftraft. 

Unter Beobachtung vorftehender Hauptfittengejee betete 
der Inſulauer die Geifter feiner tapferen Borfahren an und 
erflehte ihren Schuß; für ihn war feine Welt vollfonmen, 
und nicht verlangend nad) des Fremden Glüch, verſuchte 
auch er Niemandem fein Gluck aufzubrängen. Scharffinnig, 
wie alle Siüdfce-Infulaner, erfannten fie ſehr raſch, was 
von den Sitten und Gebräuchen der fremden flir fie ulltzlich 
und für ihre Yebensweife paſſend ſchien; jede Neuerung aber, 
welche ihr Yeben nicht augenſcheinlich verbeflerte, ließ fie 
unberlihrt. 

Als vor zwanzig Jahren amerikaniſche Miffionäre nach 


meiftens abgejchnitten getragen. Befondere Sorgfalt auf 
das Ordnen ber Haare wird nicht verwandt, wohl aber 
reichlih Del hineingefhmiert. Die Frauen fchneiden die 
Haare dicht Über der Schulter ab. Nur die Mitglieder der 
geheimen heidnifchen Religionsgeſellſchaft ‚Dziamarou“ 
tragen langes Haar, welches wenn einer der Brüder ver» 
ftorben an den Spigen mit Feuer abgefengt wird, 

Die Form der Schädel ift bald kurz, bald lang, woraus 
fic) mit Beftimmtheit auf eine Mifchlingsrace fliegen läßt. 
Aus den in den Ruinen von Nanmatal von Kubary aufs 
gefundenen vier Schüdeldecken glaubt diefer Reifende anneh— 
men zu dürfen, daß die Urbewohner Langſchädler waren. 

Bon ihren Nachbaren unterfcheiden fich die heutigen Ein- 
geborenen a durch die Art des Tättowirens, 
was fir alle Infeln unter dem Aequator als Hauptunter⸗ 


Arthur v. Triebel: Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Tigris für den Verkehr. II. 


ſcheidungsmerlmal betrachtet werden muß. Zu näherer An— 
ihauung der Bonape-Tättowirung mögen die nebenftehenden 
Abbildungen dienen. Das fehr regelmäßig und geſchmack⸗ 
voll ausgeführte Tättowiren der beiden Arme, wie es im der 
Zeichnung angegeben, ift nur BonapssInfulanern, und zwar 
beiderlei Geſchlechts ohne befondere Abzeichen eigenthlimlich. 

Auf Ponaps millſſen alle Frauen jeden Ranges in ge- 
wiffem Alter die jchmerzliche Operation des Tättowirens an 
fi) vornehmen laffen. Ein Mädchen, welches noch nicht 
tättowirt ift, wird als unntindig angefehen und darf noch 
nicht heivathen, ja es haftet eimem im richtigen Alter noch 
nicht tättowirten Frauenzimmer fogar ein gewiſſer Makel 
an. Schon im vierten oder fünften Jahre erhalten die 
Mädchen den erjten Strich um bie Hüften herum; nad) 
Verlauf von circa flinf Jahren werden dann die ſchwarzen 
Felder von oberhalb des Knies bis zu den Knöcheln auf 
beiden Seiten aufgetragen und ausgeflillt und gleichzeitig 
die untere Seite det Bauches in Angriff genommen. Wenn 
wieder einige Zeit verftrichen, jo fommmt die innere Seite der 
Hüfte und der Schenkel, fpäter die äußere Seite und zulett 
die Decoration der Arme an die Reihe, welche ſich im fru— 
heren Zeiten auf den ganzen Arım von der Schulter bis 
zur Hand erjtredt haben fol. 

Das Ausführen der Tättowirung ift eine Kunft und 
wird fowohl anf Vonaps als auf Palau durch befonders 
eingeübte und gut bezahlte Frauen betrieben, 

Die Manipulation bleibt fi) auf allen Infeln fo zient- 
lid; gleich, wenn auch das dazu benugte Werkzeug und die 
Farbe verfchieden find, Das auf Ponapé übliche Inſtru— 
ment zum Tättowiren gleicht einem Kamm oder einer Ga- 
bel und befteht aus Dornen einer wild wachſenden Citrusart, 
welche zierlic) aneinander gebunden und mittelft Brotfrucht: 
faft erft an den Schaft gefittet und dann befeftigt wird. 
As Schwärze dient der Ruß einer Flamme, in weldyer eine 
Driafan genannte Nuß verbrannt worden ift. Die Künfts 
lerin beginnt ihre Arbeit mit Auftragung der Zeichnung 
vermittelft eines in die in Wafler aufgelöfte Schwärze ge- 
tauchten Cocosblattnerved, Zuerſt werden gewöhnlich nur 
die Umriſſe gezeichnet umd hernad) die Gabel mit einer Art 


151 


Holzhammer in die Haut gefchlagen und damit die Schwärze 
in die nicht durchftochene, fondern gänzlich zerrifiene Haut 
eingetrieben. Nach forgfältigem Abwaſchen werden die Um: 
riſſe unterfucht, ob fie gleichmäßig ſchwarz find; wenn nicht, 
fo werden die ungefärbt gebligbenen Stellen nachgetragen. 
Darauf folgt die detaillirte Ausführung meift aus freier 
Hand. Die Operation ift fhmerzhaft und langweilig und 
häufig von heftigem Fieber begleitet, das in einzelnen Fäl— 
len den Tod nad; fich zieht. Die Tättowirung eines Armes 
auf Ponaps wird nicht in einem Tage fertig; gewöhnlich 
fchwellen die Arme und die Achſeldrüſen an und unter hef— 
tiger Entzlindung dringt die Schwärze in die Haut ein 
und verurfacht ſchon in der erſten Nacht ein fürmliches Aufs 
quellen der Zeichnung. Am dritten Tage trodnet biefelbe 
ein und am fünften Tage löft ſich der Schorf ſchuppenweiſe 
ab. Die ganze Zeichnung bildet alsdann eine erhabene, 
glänzende, tief blauſchwarze Narbe, welche noch lange em- 
pfindlich bleibt, 

Fortwährend ift das Muſeum Godeffroy thätig, Neues 
zu befchaffen und mamentlich unſere Kunde der Südfee zu 
erweitern. Während Kubary heimfehrte, befinden fich arte 
dere Reifende der Anftalt noch in voller Thätigfeit. E, Dä— 
mel, ein tüchtiger Zoolog, bereift Queensland und fandte 
von dort vor Kurzem höchſt werthvolle Sammlungen, dar— 
unter allein 40,000 präparirte Imfecten. Wuch von dem 
merfwilrdigen Fiſche Ceratodus Forsteri hat Dümel ein 
Eremplar eingeſandt. A. Garrett hat die Paumotu- 
Infeln befucht und war Ende 1874 nad) Taiti gegangen; 
feine Sammlungen ermöglichen die Zufammenftellung einer 
Mollustenfauna derSitdfee, welche im nächſten Jahre 
im Journal des Mufeums veröffentlicht werden fol. End» 
Lich ift im April d. 9. der Zoolog Franz Hübner aus 
Nauen nad; der Südfee, zunächſt den Samoainfeln abge 
gangen, von wo er die Tangagruppe, Neu- Irland und Neus 
Guinea befuchen fol. Er ift ſpeciell auf Zoologie ange: 
wieſen, fol aber auch ethnographiſche Forſchungen machen 
und hat als Begleiter fünf Samoaner, welche ſchon Kubary 
fehr gute Dienfte feifteten. 


Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Tigris für den Verkehr. 
Von Arthur von Zriebel, 


II. 


Lange Zeit waren die Zwillingsſtröme beſonders durch 
den um das Cap der guten Hoffnung entdedten Seeweg in 
den Hintergrund getreten, als im neuerer Zeit ihre Bedeu« 
tung als Bölferfiraße aufs Neue betont wurde, Blicken wir 
auf die Verhältniſſe des heutigen Verkehrs zwifchen dem 
Oriente und Oceidente, jo ift hier vor Allem bie Verbin- 
dung zwijchen England und feinen oftindiichen Befigungen 
ins Auge zu fallen. Denn die von England befahrene 
Strede hat eine gleichmäßige Bebeutung für alle europäijchen 
Staaten. 

Der Berfehr mit Bombay und Galcutta, den bebeutend- 
Men Handelsftäbten im ganzen Often, wurde bisher faft 
ausſchließlich auf dem beiden Wegen um das Cap der gus 
ten Hoffnung und auf ber Suezlinie unterhalten. Wenn 
num auch feit ber Grlindung der englifchen und franzöfifchen 


Ueberlandpoften, feit der Eröffnung des Suezcanals, feit 
der Durchſtechung des Mont Cenis und der Eröffnung ber 
Eifenbahn von Ancona nad) Brindifi die Wechfelverbin- 
dung zwifchen Afien und Europa bedeutend erleichtert wurbe, 
fo it bie Entfernung noch groß genug, um bei dem ftets 
wachfenden Perfonenverkehr und Waarenhandel den auf Ab- 
firzung der genannten Strede zielenden Unternehmungen 
Ausficht zu bieten. Cine Menge neuer Dampferlinien 
namentlid) aud) an der fübaftatifchen Küſte find im legten 
Jahrzehnt projectirt und ausgeführt worden, fo daf man 
gegenwärtig bereit® von Singapur über Bombay und Ka— 
ratſchi (dem Grenzplatze des nordweftlichen Vorderindiens) 
nad, Basra am Scyateel-Arab gelangen kann. Schon hat 
auch durch Anlegung von großartigen Telegraphenlinien 
durch den größten Theil des Euphrat- und Tigrisgebietes 


— 


152 


dieſe alte Bermittelungsſtraße einen geringen Theil ihrer 
alten Bebeutung wiedergewonnen. Freilich ift die eben er— 
wähnte Route zwiſchen Karatſchi und Basra burd) den 
Perſiſchen Golf flr den Perfonen- und Waarenverlehr mit 
dem Welten bis zu diefem Augenblide noch eine Art von 
Sadgafje geblieben. Dennoch aber möchte fie beftimmt fein, 
der Straße durch den Arabifchen Meerbufen in Zukunft den 
Rang abzulaufen. Denn auch nad) Vollendung des Sur: 
canald, nad) dem Ausbau und der Bervollftändigung der 
indischen Eiſenbahnen bis an die weſtlichen Grenzen bes 
englijchen Indiens muß und wird ber riefenhafte Berlehr 
noch weitere Berkitrzungen der Verbindung mit Indien ers 
fireben. Nicht nur aus mercantilen, ſondern aud) aus poli- 
tifchen Örlinden war man daher in England darauf bedacht, 
eine Dampfverbindung zwifcen dem Meittelmeere und dem 
Perſiſchen Golfe herzuftelen. Die Bemühungen des Colo— 
nels Cheoney, dem wir das vollftändigfte und zuverläſſigſte 
hydographifche Werk über den untern Euphrat und einen 
Theil des Tigris verdanken, find in legter Zeit der end» 
lichen Ausführung nahe gerüdt. Es unterliegt jet wohl 
feinem Zweifel mehr, daß neben der Flußſchifffahrt, deren 
Möglichkeit wir nod) beſprechen werden, eine möglichft voll» 
ftändige Eifenbahnlinie in naher Zufunft hergeftellt wird. 
Bereits vor vielen Jahren ift die Strede von Yälen- 
derum (im äußerften nordweitlichen Winfel des Mittelmeers) 
über das Hochland von nördlichen Syrien bis nad) Aleppo 
von englijchen Ingenieuren vermeflen und feftgeftellt wor⸗ 
den, daß die ſcheinbar ſchwierigſte Stelle des Baues, die 
Verbindungsftrede des Mittelmeeres mit dem Cuphrat, 
feine befonderen Hindernifie darbieten würde. Die feitdem 
genauer firirte Eifenbahnronte wiirde, ohne im Cuphrat- 
und Tigristhale befonderen Schwierigkeiten zu begegnen, von 
Dſchaber (Dſchaibar) am Euphrat nad Seleucia gehen, von 
da zunächit durch Dampjboote auf dem Euphrat mit Bag- 
dad und Basra in Berbindung geſetzt und endlich nad 
Kurnah fortgefegt werden. Welche Vorteile die Ausfüh- 
zung dieſes Projectes dem Perfonenverfehre gewähren würbe, 
acht aus der von Sachkennern aufgeftellten Berechnung 
hervor, daß durch die genannte Straße in Verbindung mit 
der levantiniſchen Dampferlinie von Trieft einerſeits und 
den Paderbooten zwifchen Basra und Bombay andererfeits 
die Poft von England in 15 Tagen, der Hälfte der. Zeit 
auf der Yinie über Suez, nad) Calcutta gelangen könnte, 
Vor legterer Route würde der künftige Ueberlandiweg um fo 
mehr den Vorzug erlangen, als, abgeſehen von der zwifchen- 
liegenden längern den Tranſit beichleunigenden Eifenbahn: 
ftrede, auch die Fahrt durch das Rothe Meer um 1200 
Seemeilen länger ift, als jene durd) den Perſiſchen Golf, 
die Smwifchenftationen eingerechnet, und von Basra nadı 
Bombay fünf Tage weniger erfordert, als die Fahrt liber 
Aden. Außerdem kommen hierbei die Schwierigfeiten und 
Gefahren in Betracht, welche die Schifffahrt auf dem Ro— 
then Meere behindern, Zunächſt ſchon ift die Einfahrt 
durch die Straße von Bab-el-Dandeb zu beiden Seiten der 
Infel Perim mit mancherlei Hinderniffen verfnüpft, und es 
bedarf einer genauen Kenntniß des Meeresbodens, um dem 
vielfach, drohenden Unheile zu entgehen. Dazu fommt 
endlic), daß im Nothen Meere, das zwiſchen fteile Küften 
eingefchlofien, mit Klippen befäet und voller Strömungen 
ift, die pünttliche Ankunft oft durch Monfuns erfchwert wird, 
während zu anderen Zeiten die jengenden Sonnenftraßlen 
(demen 3. B. Maflaua den Ruhm, der heißeſte Ort der 
Erde zu fein, verdankt) bie jechstägige Tour zwifchen Aden 
und Suez zu einer von Europäern nicht allein, ſondern jo: 
gar von * und Indiern gefürchteten macht. Aus 
dem Geſagten ergiebt ſich zunächſt, welchen immenſen Bor: 


Arthur v. Triebel: Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Tigris für den Verlehr. II. 


theil in Hambelöpolitifcher Beziehung bie genannte Pinie 
fpeciell für England befigt. Die Euphratronte wird aber 
für den gefammten Weften dann ihre volle Bedeutung er- 
langen, wenn einft die Yinie über Wien und Peft vollendet, 
d. h. wenn SKonftantinopel durd) einen Schienenweg mit 
ber Donau verbunden und eine Bahn durd das türfifche 
Gebiet Kleinafiens an den Golf von Basra geführt fein 
wird, Dann hat der Weg nad) dem Drient wieder feine 
alte Richtung Über Brüffel, Frankfurt und Nürnberg ein: 
genommen, von wo die Hanptpoftroute nach Wien, durch 
Ungarn und die Donau hinab zur Hauptftadt am Bosporus 
führt — der natürliche Weg, den auch die Kreuzfahrer zu⸗ 
erft einfchlugen. So mwilrde man eine Hauptader des 
Weltwerlehrs nad) langen Zwifchenräumen und häufig wed- 
jelnder Richtung in die Bahnen zurlicklenken, von denen fie 
durd) die Entdedung des Seeweges um das Cap der guten 
Hoffnung abgezogen worden war, und fo dem dort begon- 
nenen Kreislauf vollenden fehen. 

Der Ausbau einer Dampflinie im Euphrat- und Tigris- 
thale würde aud) fiir eine bequemere und birectere Ver— 
bindung mit dem ben wefteuropäifchen Yändern faft ganz ent- 
ructen perfifchen Gebiete von hoher Wichtigkeit fein. Die 
Ausgangs: und Endpunkte des ruffifch-tlirfifchen umd zum 
Theil auch des europäifchen Berkehrs mit Perſien find 
einerfeits Trapezunt am jüdöftlichen Geftade des Schwarzen 
Meeres und andererjeits Tiflis im ruſſiſchen Kaufafuslande. 
Aus politifhen und mercantilen Gründen ift Rußland ſchon 
feit längerer Zeit bemüht, auch von dem genannten Ende 
die Commumication zur Verbindung mit Perfien zu erleich⸗ 
tern umd zu beleben. Es war daher vorauszufehen, daß bei 
nicht rechtzeitiger wirlſamer Concurrenz von türkifcer Seite 
der perfifche Verkehr fich nad) Rußland hinüberziehen würde. 

Die türkische Regierung hat die Veftrebungen Rußlands 
gie erfannt und daher jchon vor längerer Zeit der von 
lters her beftehenden, aber ſchwierigen Route von Trape⸗ 
zumt nach Erzerum ihre ganze Aufmerffamfeit zugewendet. 
Diefe chedem von framgöfiichen Ingenieuren begonnene 
Hauptitrafe, Trapezunt-Erzerum:Tabrie, wurde wieder aufs 
enommen und mit Aufbietung aller Kräfte zu Ende ger 
—* „Wer ſieht nun nicht, welche Erleichterung des weit- 
enropäifchen Berlehrs mit Perfien, der ſich jegt allein über 
ZTrapezunt bewegt, durch die vollendete Euphratbahn verſchafft 
werben fönnte? Denn wenn es ber türfifchen Regierung 
gelungen ift, die Route Über Erzerum zu vollenden, jo wird 
es gewiß auch den betheiligten chriſtlich europäifchen Völfern 
elingen, trog aller Schwierigkeiten vom uphrat-Tigris 
Thale eine praftifable und geficherte Verbindungslinie mit 
jener Straße über das armenifche Gebirge zu leiten. Es— 
wilrde fid) dann eine merkwürdige Analogie zwifchen den 
Verkehrswegen der nörblidyen und füdlichen Seite des Eu— 
phrat⸗ und ZTigrigebietes geftalten. Denn wie bier das 
durd) ———— zu eröffnende Flußgebiet als 
Straße zwijchen dem Oriente und Decidente die Suezlinie 
an Kürze bei weiten übertrifft, jo vwolirde auch dort eine 
ſchon vorhandene Verbindung im der genannten Weife durch 
Schnelligkeit und geringere Entfernung überboten werden. 
Auch dort nämlich befteht bereits, wie bemerft, eine Berr 
bindung zwiſchen Trapezunt, der bisherigen Station des 
Handelsverfehrs, und dem weftlihen Europa. Franzöſiſche, 
ruſſiſche, türkifche und öfterreichiiche Dampfichiffe unterhalten 
eine regelmäßige Communication zwiſchen Trapezunt und 
Konftantinopel und dem bedeutenderen Zwiſchenſtationen 
auf der Nordflifte Kleinaſiens. Aber ein Blick auf die 
Karte genügt, um ſich zu überzeugen, daß durd) die Euphrat- 
linie an diefem Ende ein ähnlicher Vorſprung gewonnen 

würde, wie auf der füdlichen Seite. 


Arthur v. Eriebel: Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Zigris für den Verkehr. II. 


Was bie Pedeutung des Euphratfyftems ale Wafler- 
ſtraße des Verlehrs betrifft, fo ſpringt diefe bei genauer Bes 
trachtung der geographifcen Berhältnifie des Stromes fofort 
in die Yugen. „Das eigenthlimlicye VBerhältniß feiner Strom» 
wendungen,“ fagt Ritter, Bd. X., „von feinen Urquellen, fo 
nahe am Wan-⸗See und Pontus, mit der abwärts Samoſat 
entjchiedenen Neigung zum fo benachbarten Mittelmeere wie 
feiner nachherigen Abwendung zum Perſiſch-Indiſchen, hat 
ihn von Anfang an zu dem wahren hydrographiſchen Vers 
mittelungsgliede des Decidents und Drients geftempelt. 
Deshalb jeine große Bedeutung für den Verlehr zwijchen 
Europa und Imdien, nicht bloß für Volitif und Handel ber 
neueften Zeit, wodurd die Aufmerkjamfeit der Gegenwart 
durch die Dampfichiffiahrtserpedition allerdings noch erhöht 
ward, jondern für alle Zeiten.” Die ungehinderte Schiffbars 
feit des Stromes von der Stadt Birdſchick und weiter hins 
auf von Samofat abwärts ift gegenwärtig außer Zweifel 
geftellt. Hier tritt der Euphrat zuerft aus der engen Um— 
gebung der fteilen Bergmwände heraus und bleibt von da ab 
bis zu feiner Mündung im einer mehr oder weniger ausge: 
breiteten Ebene. i 

Unter den Männern, weldye das Stromfyften des Eus 
phrat zum Zwecke der Dampfichifffahrt durchforſcht, ift vor 
Allem der bereit6 erwähnte Colonel Chesney zu nennen. 
Die vom ihm mit umfäglicher Mühe unternommenen LUnter« 
fuhungen und Erforſchungen gaben die Veranlaffung zu 
der in den Jahren 1835 und 1837 unternommenen großen 
Euphraterpedition, wodurd die ganze Beichiffung bes Eu— 
phrat abwärts von Birdſchick, und des Tigris abwärts von 
Moful bis zum Perfiichen Solfe glücllich durchgeführt wurde, 
Ernftliche Hinderniffe finden ſich hiernach an- feiner Stelle 
des bezeichneten Yaufes, und die Hemmungen dev Schifffahrt, 
welche (3. B. auf der Strede zwiſchen der Infel el No und 
el Kain) der feichte Waſſerſiand herbeiführt, beftehen nur 
während ber furzen Dauer der vier Wintermonate und füns 
nen außerdem durch Flachbau der Schiffe mit Leichtigkeit 
überwunden werben. Schwieriger find allerdings die Fahr- 
ten zwifchen dem unterften Yaufe des Scat-el-Arab und 
dem Perfiichen Golf. Drei große Sandbarren find zu über: 
winden, ehe man aus dem Meerbufen in das Fahrmaffer 
des tiefen, freien Stromes gelangt. Nur gejchidte Piloten 
verſtehen es, die Schiffe ohme Gefahr im die rechte Fluß ⸗ 
mündung und in die Canäle hinüberzuleiten. ber alle 
biefe Hinderniffe haben die Engländer nicht abgehalten, von 
Indien aus den Lebhafteften Schifffahrtöverlehr mit dem 
Deltalande, namentlid) Basra, zu unterhalten. Still umd 
raſtlos durchfurchen fie mit ihren Dampfern die Fluthen des 
Perfiichen Golfes, und englifcher Einfluß und engliſches 
Wort find hier — zum Gewinne der Civilifation — alle, 
gewaltig geworden, Wie die Bedeutung des Euphratgebietes, 
jo haben fie auch die Weltftellung feiner maritimen Wort 
fegung des Perfifchen Golfes in ihrem vollen Werthe er: 
dannt. Sie wifjen eben, daß mit ber factifchen Beherrſchung 
des genannten Waflerfyftems zunächſt die mercantile Ber 
berrichung Vorderaſiens verbunden und fir die Zukunft auch 
bie Möglichkeit dargeboten ift, in ihrem Sinne eine politische 
Umgeftaltung der dortigen Verhältniſſe herbeizuführen. 
Wenden wir unfern Blick abermals nach Norden, ſo teitt 
an und die Frage heran, ob nicht der Euphrat von Birds 
ihit und Samofat norbwärts ſchiffbar fei, oder wenigftens 
durch Ansbangerung und Regulierung auch bort jo weit als 
möglich ald Waſſerſtraße benugt werden künne, 

Die Keuntniß der dortigen Gegend verdanken wir faft 
ausichlieglid; dem jegigen General-Feldmarſchall von Moltte, 
der belanntlich in den dreißiger Jahren ald Juſtructeur der 
osmanischen Armee die Feldzlige der Turken unter Hafis 


Olebus XXVIII. Re. 10. 


153 


Paſcha gegen die aufftändifchen Kurden und gegen Mehe—- 
med Alt von Aegypten begleitete. Das Verdieuſt Moltte's 
und Mühlbach’, feines Begleiters, ift befonders die durch 
die erfte fühne Beichifjung von Palu am Murad abwärts 
bis zum Verein mit dem Frat (dem weftlichen Arm des 
Euphrat) erlangte Kunde fiber die dortigen Strommers 
hältniffe. Zuerſt vielleicht unter den Wefteuropäern feit 
der römischen Zeit erreichte erjterer die Höhe der Waſſer— 
ſcheide zwiſchen Euphrat und Tigeis im obern Gebiete und 
verfchaffte und von dorther die fichere Hunde, daß der Eu— 
phrat, den er von diefem Punkte in geringer Entfernung 
vorüberſchießen fah, bereits in diefem Laufe wenn auch nur 
mit Flößen als Waſſerſtraße benugt werden lönne. Die 
große Bedeutung diefer „hydrographiſchen Konfiguration“ 
wurde auch von Hafis Paſcha erfannt und wenigſtens der 
Verſuch gemadjt, den Euphrat von da an ſchiffbar zu machen, 
Schon die Holzvorräthe, der reiche Kornſegen, der in den 
Gegenden des mittleren Murad gewonnen wird, machten 
und machen es, nadydem der Euphrat feit Dahrtaufenden 
von den Anwohnern unbenutzt geblieben ift, höchſt wünſcheus⸗ 
werth, denfelben bis in die mejopotamiiche Fläche hinab als 
Transportftrom benugen zu fünnen, Wenn auch nicht auf: 
wärts mit größeren Schiffen, fo witrde es doch immerhin 
möglicd) fein (befonders an den Stellen, wo die Yandpafjage 
ſchwierig ift), auf den landesüblichen SKellets (Flößen auf 
ledernen Schläuchen) die Fahrt flukabwärts zu machen. 
Molike unternahm es auf dringendes Bitten des Paſchas, 
den Berſuch zu machen, ob es ausführbar fei, den Euphr 
auf der genannten Strecke und weiter abwärts für milt- 
tärifche Zwede als Fahrftraße zu benutzen. Die Beſchrei— 
bung der Fahrt auf dem Murad und auf dem nad, Einfluß 
des Frat vereinigten Strome, welche ihn unter vielen Ges 
fahren durch die enge vom Taurus gebildete Felsſpalte führte, 
entrollt uns ein lebendiges Bild von den Schwierigleiten 
der Schifffahrt auf dieſer Strede, ſchließt aber bennod) die 
Möglichkeit nicht aus, durch Sprengung der verengenden 
Felsblöde ein freieres Flufbett zu gewinnen. Nicht jo glitds 
Lid, war freilich eine zweite Befahrung der nämlichen Strede, 
bie jpäter bei hohem Waflerftande gemacht wurde, um zu 
unterfuchen, ob bei Wafferfülle der Strom zum Transporte 
von Kriegsbedürfniſſen aus Armenien nad) Mefopotamien 
benugt werden könnte. Bei diefer Probe zeigte es ſich aller» 
dings, daß es unmöglich fei, bei der gegenwärtigen Be— 
ichaffenheit des Flußbettes die wilde Waflergewalt des anges 
ſchwollenen Stromes zu befiegen. Nicht minder wahrſcheinlich 
möchte es ſcheinen, daß auch die legten Stromfchnellen bei 
Gerger, wo der Euphrat aus den Gipfeln des Taurus 
heraustritt, durch die heutigen Mittel der Technik zu befei- 
tigen find. 

Ziehen wir die Summe der bis jegt gewonnenen 
Kenntniß auf diefem Gebiete, jo ergiebt fich, daß die 
Sciffbarfeit des Euphrat, des bei weitem wichtigjten der 
Doppeliitöme, von Samoſat (bis wohin die englifche 
Dampferflotte hinauffuhr) bis zur Mündung des Schat-el- 
Arab außer Zweifel fteht, daß der Fluß ferner mit der Er— 
gänzungslinie des Tigris den an ihm geftellten Erwartungen 
nad) allen Seiten entipricht. Möchten die auf diefe Gegen: 
den gerichteten Wünſche in naher Zulunft in Erfüllung 
gehen. Den größten Segen, würden die Uferländer der 
Ströme jelbft aus dem vermehrten Verlehre gewinnen, 
Was aus diefem Gebiete gemacht werden lünnte, zeigen die 
auch heute noch nicht ganz ausgelöfchten Spuren der frühern 
Blüthe, Trlimmmerhägel, Mauerrefte, großartige Dämme, 
Brüden und andere Zeugen vergangener Größe ziehen bort 
Schritt fir Schritt des Wanderers Aufmerlſamleit auf ſich 
und liefern den Beweis flir den chemaligen Reichthum des 


20 


154 


Landes. Bertrodnete Flußbette ziehen fich durch unbebauete 
Wiüfteneien hin, wo einft die aus beiden Fluſſen abgeleiteten 
fünftlichen Waflerarme die Landichaften befrudjteten, und 
herrliche Gärten die Ufer bedeckten. Ya ber geihte Theil 
jenes Landes ift in Einöde verwandelt und der Tummelplag 
räuberifcher Bebuinen geworden‘, das noch ein Ulerander ber 
Große zum Mittelpunfte feines Weltreiches machen wollte. 
Die Wiederbelebung des Handels und Verlehrs zwifchen 
der Flußmlindung und dem Mittelmeere würde vor Allem 
aud) die Sicjerftellung des Eigenthums zur Folge haben. 
Nicht mur gegen offene Räuberhorden, fondern felbft gegen 
die dort refidirenben tlirlifchen Beamten. Gouvernement, 
Juſtiz und Polizei befinden ſich dort im Zuftande der tief 
ſten Corruption. Beruht auch nur die Hälfte von dem, 
was kundige Zengen über die türkiſche Berwaltung und ihre 
amtlichen Bertreter ber Euphrat» und Tigrisländer berichten, 
auf Wahrheit, fo find die dortigen Zuftände himmelſchreiend 
und nad) enropäifchen Begriffen geradezu unerträglich, Es 


Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens. II. 


bedarf wohl faum des Nachweifes, daß ber frifche Hauch 
einer lebendigen Verkehrsſtrömung auch nach diefer Seite 
den wohlthätigften Einfluß ausüben müßte, 

Daß endlich der Berkehrsweg vom Berfifchen Golfe 
bis zum Meere fir das zunächſt betheiligte England und 
für feine Stellung dem vordringenden Rußland gegenüber 
von ftrategicher Wichtigkeit ift, läßt ſich ebenfalls unſchwer 
nadjweifen. Bildet doch gerade in den jesigen Tagen bie 
Beſorgniß der Engländer über das gewaltige Auwachſen 
ber ruffiichen Macht in Afien das Hauptgefpräh. Je nach 
dem politifchen Standpunft des Beurtheilers gehen die 
Meinungen natürlic) weit auseinander. So viel aber fann 
man heute fchon mit voller Gewißheit behaupten, daß die 
Dampfverbindung am Euphrat, ſei es zu Wafler, fei es zu 
Lande, welche Oftindien enger als je an England knüpfie, 
letzteres in den Stand fegen wiirde, den politifchen und 
commereiellen Wettfampf mit Rußland in Afien mit mehr 
Erfolg als jemals aufzunehmen, 


Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens. 


Von Dr. Hermann Brunnhofer in Narau. 


I. 


Es harrt nun nur noch die dritte Periode der Entftehung 
des Aberglaubens ihrer Darftellung, Es ift diefes die ſpe— 
eulative Periode, 

In den zwei erften Perioden faßte die Phantaſie die Er: 
ſcheinungen des Naturlebens bald in der Form lebloſer Gegen: 
ftände, bald in ber Form befebter Weſen auf. Sie hatte 
jedoch feine erg © daß fie ſelbſt es geweſen war, welche 
diefe Bilder und Geftalten geichaffen hatt. Der Glaube 
war von dev Wirklichkeit der Götter und der ihnen verlies 
henen Wundergaben felfenfeft überzeugt. In ber erften Per 
riode hatte die Phantafid noch vollauf damit zu thun gehabt, 
für jeden Vorgang in der Natur entfprechende Vorſtellungen 
zu jchaffen, indem fie in Steinen, Pflanzen und Thieren 
lebendige Abbilder der himmlischen Vorgänge erfannte. In 
der zweiten Periode verknüpften dann die Dichter und Künſt⸗ 
ler der Urzeit die zufammenhangslofen Einzelbilder der erften 
Periode zu Scenerten des Himmelslebens und die Nachahmung 
deſſelben flihrte zu einer unabjehbaren Reihe von Gebräuchen, 
die zum Theil, wenn auch völlig unverftanden, noch mitten 
in unfer Gulturleben hereinragen. 

In demfelben Maße, in welchem die Menſchen fittlicher 
wurden, verfittlichten ſich aud) ihre Götter. Diefe wirkten 
dann aber ihrerfeits wieder ald Ideale auf die Menfchen 
uch. Denn Alles, was der Menſch ſchafft und fpricht 
und denkt, wirft ſtets wieder, mit umerbittlicher Nothwendigs 
feit, auf feinen Urheber beſtimmend und erziehend ein. Noch 
jest jagt der Schweizerbauer, wenn er im Sommer den Him⸗ 
mel mit Schäfcen bededt fieht: „Wenn de lieb Gott, wenn 
dv’ Engel ſchöchlet (die getrodneten Grasſchwaden auf der 
Wiefe zu Heuhaufen fchichten), fo mueß de Bur au ſchöchle.“ 

Aus diefer Anſchauungsweiſe heraus handelte auch ber 
große König Afoka, der im zweiten Jahrhundert vor Chriftus 
feine ſegensreiche Herrfchaft über ganz Hindoftan ausgedehnt 
hatte, Er ritt einft, der Sage nach, mit feinem Öefolge 
durch ein Bergthal und erblidte ein mit einer Eifenmauer 
ungebenes Gebäude. Auf feine frage mad) der Bedeutung 


biefes Gebäudes erhielt der König von feiner Begleitung 
folgende Antwort: „Diefes ift der Ort, wo Jama, der 
Höllenfönig, die Sünder für ihre Verbrechen ftraft.“ Dar 
auf wurde der König nachdenklich und ſprach: „Der König 
der böjen Geifter bedarf zur Auslibung feines Amtes einen 
Strafort für die Böen, Sollte nicht auch ich, der ich diefe 
Menschen nod zu ihren Lebzeiten beherrſche, einen Strafort 
für die Schuldigen gebrauchen?* Darauf gab der König 
Befehl, ein Zuchthaus zu bauen, welches in Allem dem höl- 
lifchen nachgebildet war und Vorrichtungen jeder Art enthielt, 
die Berbrecher ſchon auf Erden mit den ausgejuchteften Höllen« 
qualen zu martern. In demfelben Sinne follte der Tempel 
zu Serufalem das Abbild des Weltalls fein und der Hohe: 
priefter auch in feinem Aeußern der Stellvertreter Jehovah's 
auf Erden. Ihm follte der Saum des Yeibrods, den er 
anthat, fo oft er ins Allerheiligfte ging, mit goldenen Glöd- 
den und Öranatäpfeln gefchmüdt fein, „jo daß ein goldenes 
Glodlein fei und darnad) ein Granatapfel und abermals eine 
goldene Schelle und wieder ein Granatapfel rumd um den 
Saum feines Oberlleides.“ Joſephus, der Geſchichtsſchreiber 
ber Zeritörung Jeruſalems durch die Römer, faßt der prieſter— 
lichen Ueberlieferung gemäß die Granatäpfel und Schel— 
len als Symbole von Blig und Donner auf, In die— 
fer Weife der bewußten Nahahmung der Himmelsverhält: 
niffe fuchte man das Peben hienieden dem Yeben „dort oben“ 
anzupafien. 

In der dritten Periode fommt num nod) der grlibelnde 
Priefterverftand, welcher ſich bemüht, die geiftigen Schöpfun- 
gen der beiden vorhergehenden Perioden mit dem inzwifchen 
gewonnenen Sittlichteitsbewußtfein in Einklang zu bringen. 
Diefes ift häufig ſchwierig. Denn ber Gott des Mythus ift 
ja nur das Abbild des in der Urzeit durchaus nicht fittlichen 
Menfchen. Der Gott des Mythus ift nur allzuoft ein Gott 
des Zorns, der Rachſucht, der Hinterlift, des Eigennutzes, 
der Begier. Kronos frißt feine eigenen Kinder, Zeus läßt 
den größten Wohlthäter dev Menfchheit, den Prometheus, an 


Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Gefdichte des Aberglaubens. III. 


den Kaukaſus ſchmieden und einen Geier feine Peber haden, 
weil Prometheus den Menſchen das feuer vom Himmel 
herunter gebracht Hat — und derfelbe Zeus buhlt mit feinen 
eigenen Töchtern. Der wilde Jäger läßt feine eigene Braut, 
die Windebraut, Jahr aus Jahr ein immer wieder von fei« 
nen Hunden zerfleifchen und Odin muß es ſich in der Edda 
von Yoli ins Geſicht hinein vorwerfen laflen, er fei nur ein 
vermummter Zauberer, ber nach jchlechter Kerle Art die Diens 
ſchen betrüge. 

Solche Züge im Leben der Götter ließen ſich fchlechter- 
dings nicht mit der Sittlichkeit vereinbaren. Da man nun 
aber einmal an die Götter unerjhütterlic glaubte, da 
man ſich diejelben als Wächter über Recht und Unrecht vor- 
zuftellen genöthigt war, fo fuchte man ſich nad) und nach zu 
überzeugen, es müfle der für das gewöhnliche Menjchenbewußt- 
fein fittenwidrigen Handlung ein tieferer Sinn zu Grunde 
liegen und diefer Sinn konnte natürlich nur dem grübelnden 
Priefterverftande ergründbar fein. Wer des Berftändniffes 
deffelben theilhaftig werben will, muß ſich alfo an den Prie— 
fter wenden. Der fann in feine Geheimlehre mit entfprechen- 
dem Geheimdienſt aufnehmen, wen er will und flir dazu voll 
dig hält, Die Entftehung der eleufinifchen Myſterien giebt 
uns eim anſchauliches Bild von dem Grüblertfum, wie es 
fid) namentlich bei den Eulturvölfern aus der Speculation 
über den Gehalt der Phantafiefhöpfungen der elementaren 
und der combinirenben Periode des Geiſteslebens entwidelt Hat. 

Nach griehifcher Sage raubte Pluto, der Gott ber Unter: 
welt, die Skoferpine, die Tochter der Erbmutter Ceres. Als 
nun die Mutter ſich zu Tode trauern wollte, fühlte Zeus, 
der König der Götter, Erbarmen mit feiner Schwefter Teres 
und befahl deshalb feinem Bruder Pluto, der Ceres ihre 
Tochter zurückzugeben. Pluto willigte ein unter der Bedin- 
gung, daß Proferpina die eine Hälfte des Jahres, nämlich 
im Winter, bei ihm im der Unterwelt, und die andere Hälfte, 
nämlic) im Sommer, auf der Oberwelt zubringen wolle. 
Für das Volk hatte diefe Sage feinen andern Sinn, als daß 
fi) die Getreideſaat und der Pflanzenwuchs, das ewig junge 
Mädchen Proferpina, ein halbes Jahr lang unter dem Bo- 
ben verborgen halte, worliber dann Geves, die Mutter Erbe, 
weldye ihre Tochter: die Saat und das Flurengrün, nicht 
mehr ſehe, ein halbes Jahr lang tranere, weil eben der Wins 
ter über der Erde kahl und brad) liegt und das Bild tief- 
gefühlter Trauer darbietet. Wenn dann die Saat im Frühe 
ling wieber heroorkeime, wenn Proferpina aus ber Unterwelt 
wieder an die Oberfläche herauffteige, da fafle dann Geres 
wieder Troft und laſſe den Menſchen wieder Gras und Frucht 
gedeihen, 

Diefe Deutung mochte wohl dem Bolfsbewußtfein genit« 
gen. Diefes fand, wie es Schiller in der „Klage der Ceres“ 
nachempfindet, in Geres’ Kummer einen Anhaltspunft für 
die eigene Trauer liber die Berödung der Erde im Winter, 
fowie in Geres’ Freude Über das Wiederſehen ihrer Tochter 
Proferpina einen Anhaltspunkt für die felbftempfundene Luft 
an ber Wiederkehr des Saatengründ im Frühling. Dem 
tiefer Denlenden, und das war für die Vorzeit zunächſt der 
Priefter, konnte diefe Deutung der Ceres- und Projerpina- 
Sage nicht genügen. Dem grübelnden Priefter mußten 
Zweifel auffteigen über bie Sittlichfeit von Göttern, welche 
folcher Thaten fähig waren, wie Pinto, Die Tochter feiner 
eigenen Schweſter raubte er; die Göttin Ceres, feine Schwefter, 
löfte fi dann in Thränen auf. Das konnte ja nicht götts 
lich fein, fo wenig ald wenn Zeus zu Gunften feiner Schwefter 
Geres erft mad) einem halben Jahr einfchritt. Das Alles 
fonnte dem tiefer Dentenden nicht behagen. Ein tieferer 
Gedanke mußte der Sage zu Grunde liegen. Die Proferpina 
war nach der Ausfage der eleufinifchen Priefter das Sinnbild 


* 
155 


der Menfchenfeele. Sie hatte auf bunter Wiefe Blumen 
gepflüdt und war darüber vom Gotte ber Unterwelt geraubt 
worden, Das hieß nun: Die Seele des Sterblichen findet 
Gefallen an der irdiſchen Luft und finft in Siinde, Darüber 
verfällt fie natlirlich dem Reiche der Finſterniß, der Unter 
welt. Allein bie gnadenvolle Fürbitte der Göttin Ceres, 
die wie eine Mutter für die Sterblichen forgt, bewegt Zeus, 
den himmlifchen Vater, die Seele bes Sterblichen, nachdem 
fie ihre Schuld in der Hölle geflignt, wieder auffteigen zu 
lofien zu den Regionen des Lichtes und der ewigen Selig: 
feit. Cine ſolche Yehre mußte für denjenigen, welcher ſich 
von dem hergebradhten Glauben am die Götter nicht mehr 
befriebigt fühlte, beftridend fein und die Anziehungsfraft die» 
fer Lehre mußte ſich noch fteigern, wenn dieſelbe den Einzus 
weihenden in einer reichen Aufeinanderfolge von glänzenden 
Proceffionen, prachtvollen Schauftellungen und feierlichen 
Gelübden, welche zufanımen die alte Sage veranfchaulichten, 
vor die Seele geführt wurde, 
* * 9 
Wenn nun der Prieſter ſolcherweiſe den innerſten Kern 
der Lehre von den Göttern verſtand, wenn er mit den Göt— 
tern offenbar auf vertrauten Fuße lebte, fo mußte er aud) 
im Stande fein, von ihnen zu erfahren, was fie über jeden 
Einzelnen verhängt hatten. Allein umſonſt ift der Tod. 
Auch der Priefter muß gelebt haben: nur eine reiche Spende 
vermag die Thür des Geheimmifjes zu öffnen. Um bie Gott- 
heit, die ja nur das höhere Ebenbild des Priefters ift, ſich 
geneigt zu machen, braucht der Priefter ein Opfer und bie- 
fes hat natürlich der Rathbegehrende und Schutflehende zu 
liefern. Da haben wir das Drakel, die Weiffagung. 
Der Priefter kennt die altüberlieferten Gebete und Opfer« 
bräuche. Es verftcht ſich, der Priefter und fein Schligling 
find in Folge richtig ausgefprochener Gebete und correct dar⸗ 
brachter Opfer häufig im Befig und Genuß der erbetenen 
ben gelangt. Nun wird aber in einer Anrufung begreif- 
licherweife der Name des angerufenen Gottes die Hauptrolle 
fpielen, für den Gläubigen wird er an und für ſich ſchon 
wunderkräftige Wirkung ausüben. Denn Name und Wefen 
find für den bildumgslojen Naturmenſchen nod) eins und daſ⸗ 
jelbe. Der angerufene Name kann nun aber im Yaufe der 
Zeit feine urfpritngliche Form verlieren, denn die Gebete 
werben nur mitndlid, fortgepflanzt und unterliegen den Laut⸗ 
veränderungen, wie fie mehr oder weniger gefepmäig alle 
Spracdentwidelung kennzeichnen. Trotz ber veränderten Form 
wird aber der Name, wenn angerufen, fortfahren, Wunder 
zu wirten. So fommt es denn, daß in alterthümlichen Ge— 
beten häufig das umverftändlichite Kauderwelſch dem finn- 
lofeften Galimatia begegnet. So fommen-z. B. in einer 
indifchen Gebetsformel an den heiligen Kama, der als irdi— 
jcher Vertreter des Sonmengottes Biſchnu gilt, faft unmittel- 
bar hinter einander folgende Yaute vor, welchen befondere 
Zauberkraft zugefchrieben wird: hrim, frim, bhrim, vrim, 
lrim, rim, dſchrim, Laim, ſaim, ſtſchem, tjem, vam, vim, 
rum, raim, raum, rach, frim, im, Hchraum. Diefe Laute 
haben an und fir fid; feine höhere Bedeutung, als wenn wir 
im Deutfchen an Gebete die Laute: ſchrum fehrum Hängen 
wollten. Solcher Zauberformelm giebt es in der indiſchen 
Literatur eine Legion und die Tibetaner, welche alle ihre 
Bücherweisheit den Indern verdanlen, befigen in ihrer meh: 
rere Hundert Foliobände umfafjenden Sammlung heiliger 
Schriften, im Kandſchur und Tandſchur, nod) zweiundzwanzig 
Toliobände folder Gebets- und Zauberformeln. Unglaubs 
lid) reich an ſolchem pofitiven Unfinn müſſen neben ben 
Aegyptern auch die Chaldäer gewejen fein: der Talmud und 
die Übrigen Geiſteswerle ber Juden im den nächſten Jahr: 
20* 


156 


hunderten nach Chriftus ftrogen förmlich davon und noch in 
den Zauberblichern der Neuzeit ſpult die chaldäijche Zauber- 
formelfabrMation. Auf ihrer Wanderung von Dften nad 
Weſten ſchwollen die orientalichen Zauberformeln in Folge 
der Einfchiebung immer neuer Götternamen bei immer wies 
der anderen Bölfern fchlieglich zu wahrhaft babylomifchen 
Sprachproben an. So enthält folgende Beſchwörung des 
Geiſtes Aziel im dem zur Neformationszeit erſchienenen 
Zauberbuche: „Doctor Fauſt's Höllenzwang* nicht weniger 
als ſechs erkennbare Sprachen in einzelnen Wörtern vertres 
ten, nämlich) Chaldäiſch, Indifch, Verſiſch, Griechiſch, Patei- 
nifch, Deutih: „Balla, Baphiara, Magoth, Phaebe, Baphia, 
Duiam, Bagoth, Honefche, Ami, Nezoth, Adomater, Raphael, 
Emanuel, Chriftus, Tetragrammaton, Rabi, Agra, Jod, 
Bav, Komm, Komm, Komm.“ 

So lange ſich ſolche Anrufungen Gottes noch auf irgend 
welche in irgend einer Sprache verftändliche Wörter zurlid- 
fügren laffen, Liegt denfelben noch eine Spur von Sinn zu 
Grunde. Allein Sehr häufig beſteht die Zauberformel aus 
rein phantaftifchen Wörtern, die jeder Eriftenz in irgend einer 
Sprache entbehren, wie denn in griecdhiich-ägnptifchen Geifter: 
beſchwörungen ganze Reihen bald dirgendfad wiederholter, 
bald abenteuerlic, unter einander gepaarter Diphthonge her— 
geplappert werden muſſen. Soldier Formeln bedient man 
ſich noch gegenwärtig im Deutſchland häufiger ald angenons- 
men zu werben pflegt. Folgende Beſchwörungsformel, in 
welcher hauptfächlich die Anrufung der Dreieinigfeit von Wir» 
fung fein muß, gilt in den preußifchen Oftfeeprovingen wider 
das Nafenbluten. Cie lautet: „Aber, Wabel, Fabel; in 
Chriſti Garten ftehen drei Roſen rothe; die eine für das 
Gute, die andere fiir das Blut, die dritte flir den Engel Gas 
. briel. Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des 
heiligen Geiftes. Amen.“ Schließlich bedarf es dann wei— 
ter nichts mehr, als daß man jede beliebig audgehedte Be- 
ſchwörungsformel im Namen irgend eines Gottes ausſpreche, 
um biefelbe zauberkräftig zu machen. In chriſtlichen Lün⸗ 
dern hält man zu diefem Zwedte die heilige Dreieinigkeit für 
ganz befonders probat. Da fchent fic dann der Abergläu- 
biſche nicht mehr, das für ihn Verehrungswlirdigfte mit Flu— 
fen zu treten, das file ihm fonft Heiligfte in den Schmug 
der alltäglichften Selbſtſucht herunterzureißen und gälte es 
auch nur eine Warze zu vertreiben. Am Ende nimmt man 
ſich aber nicht einmal mehr die Mühe, die Beihwörungs- 
formel herzufagen, den Namen Gottes ausjufpredhen. Man 
hängt fich ganz einfach, den Namen des anzurufenden Gottes, 
auf ein Papierfchnigel oder Täfelchen geichrichen, um den 
Hals. Das hat dann biefelbe Wirkung wie das Anrufen. 
Die Stelle des Namens Gottes fann auch fein Bildniß oder 
eines feiner Symbole vertreten: da haben wir die Amulete 
und Talismane. 

Wenn nun ſchießlich der grübelnde Priefterverftand liber 
die Form des Dreizads als der alten Blitzwaffe des Gewitter: 
gottes ober des dem Dreizack repräfentirenden Gabeljweiges 
der Hafelruthe, des Kreuzdorns oder des Bogelbeerftrauches 
nadjjinnt, fo glaubt er am Ende im Dreieck gar noch das 
Geheimniß dev Dreieinigkeit zu fchauen und zwar längft vor 
dem Dafein des Chriſtenthums. Da leiftet dann die Zeich- 
nung des Dreieds diefelben Dienfte, wie die Unrufung 
der Dreieinigfeit und das ſchon im brahmanifchen und bud— 
bhiftischen Religionsſyſtem. Hier beginnt dann bie Zeichen: 
denterei, die Wahrjagerei aus der Hand, aus dem Schulter: 
blatt, aus den Peberfleden der Opferthiere. Mit der Bers 
ehrung des Dreiecks beginnt zugleich, auch die Verehrung der 
Dreizahl umd ans diefer entwidelt fid) die ganze Zahlen: 
mpftif, der mathematische Aberglaube, die Kabbala. Aus 
der Verbindung derjelben mit der Aftronomie entiteht dann 


Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens. III. 


ſchließlich noch der Planeten: und Kometenglaube, furzum 
die Aftrologie und aus deren Zerfall gar noch die Karten 
fchlägerei und der Kalenderaberglaube, 

Doch nicht allein die Grübelei über die urfprlngliche 
Bedeutung der Gegenftände und Formen, unter melden 
ſich die elementare und die combinivende Periode die Natur: 
erfcheinungen vorgeftellt hatten, führte zu einem enblofen Wirr ⸗ 
ſal phantaftifcher Aberglaubensjäge: auch die Düftelet über 
die Urbedeutung heiliger Namen verjchaffte zu allen Zeiten 
einer Legion von volfsthimlichen Sprachbeuteleien Eingang 
und dieſe verfehlten dann ihrerſeits wieder nicht, entweder 
neue Sagen ins Dafein zu rufen oder ſchon vorhandenen 
Sagen neue Züge zu leihen. Je älter die Sprache wurde, 
je mehr ſich ihre vollen Formen allmälig abichliffen, je weis 
ter ſich nad) und nad) die Lautgeſtalt der Ableitungsgebilde 
von derjenigen ihrer Wurzelwörter entfernte, je mehr alsdann 
die Erinnerung an ben urfprünglicen Zufammenhang der 
Ableitungsformen mit ihren Wurzeln verblafte, deſto leb⸗ 
hafter mußte der Trieb erwachjen, hinter die Geheimniſſe der 
Wörter, insbefondere dev Namen, zu gelangen und die echt 
menfchliche Feidenfchaft, diefen Trieb zu befriedigen, gab, bei 
ber völligen Unzulänglichkeit des dem Naturmenjchen zu Ges 
bote ftchenden Wiflensmaterials, bei allen Bölfern Veran: 
lafjung zu ganzen SHeerfchaaren von Sagen, Märdıen, 
Scwänten und Wahnmeinungen. Co fanden bie Griechen 
in dem alten Getwittergott Kronos einen Chronos, eimen 
Gott der Zeit, heraus und man glaubte ſich hierin um fo 
weniger zu irren, als die Poefie mit der Sage von dei Kro⸗ 
nos Berjchlingen der eigenen Kinder infofern ganz überein— 
ſtimmt, als auch fie von dem zerftörenden Zahne der Zeit 
fpricht , welche ftets neue Gebilde ins Dafein ruft, um die: 
felben nad) kurzer Dauer wieder ins Grab finfen zu laffen. 
Auf diefelbe Weife verwandelte fich der altgriechiſche Hirten« 
gott Pan, urſprünglich Pavan, der „Ernährer“ und „Be 
—— unter dem Einfluſſe der halbgelehrten Sprachklügelei 
ſchon frühzeitig zu einem Gott des Ban, d. h. des Alls. Der 
poffierliche Ziegenfüßler mußte es erleben, ber Allgott der 
BWeltweifen zu werden und mit feinem mißdeuteten Namen 
bie Bodsjprünge der Grlibler zu heiligen. Der Stolz der 
Nibelungen dagegen, der edle Siegfried, verfam umter dem 
Einfluffe mundartlicher Ausſprache in Bayern zumädft zu 
einem Sifrid, dann zu einem Seifried und endlich gar noch 
zu einem gemeinen „Seufritz“, der fid) als Schweinehirt in 
ber Sage zur feinem Urbild im Heldenliede ungefähr ähnlich 
verhält, wie ein Zigeuner zu einem Brahmanen. 

In die eigenthlmlichfte Sage, in welche die Mifdeutung 
nicht mehr verftandener Wörter verjegen kann, ift aber doch 
die hriftliche Kirche mit dem Namen Jehovah gerathen. Die 
Juden hielten es nämlich frühzeitig und halten es bis auf 
diefen Tag fiir eine Todjünde, den hebräiich vierbuchftabigen 
Namen Gottes, das Tetragrammaton, auszufprechen. In— 
folge deffen ging die Kunde von ber ehemaligen, wahren 
Lautgeltung deſſelben verloren, die Chriften glaubten ihn aber 
und glauben ihn noch Jehovah lejen zu müſſen. Als nun 
bie wiſſenſchaftliche Bibelforfchung ſich in menerer Zeit auch 
wieder um bie urſprüngliche Ausſprache des Tetragrammıas 
tons bemühte, fand es fid), daß diefelbe nicht Jehovah, 
fondern, wie die Samaritaner jest noch ausſprechen, einft 
Jahve gelautet haben müſſe. Die Chriftenheit hat demnach 
zwei Yahrtaufende lang einen Gott angerufen, der bezüglich 
feines Namens jeder wiſſenſchaftlich begründeten Eriftenz- 
berechtigung ermangelt und, als jpracdhgrüblerifches Phantom, 
der puren Einbildung fein Dafein verbantt. 

Nun Herrfcht jeboc während irgend einer Entwidelungss 
periode des Menfchengeiftes eine Richtung der Bhantafer 
thätigfeit niemals dergeftalt vor, daß fie die Wirlſamleit aller 


Aus allen Erdtheilen. 


anderen, ſelbſt der emgegengeiehten, völlig lahm zu legen im 
Stande wäre. Wie das Meer und die Luft in ihren Tiefen 
oft von ganz anderen Strömungen wogen, als an der Ober- 
fläche und im der Höhe, fo ringen auch in der Menſchenbruſt 
die widerſpruchsvollſten Triebe um den Vorrang. Aber Hoch— 
finn und Kleinlichleit, Männerftolz und Mädchenbemuth, 
Forſchungsdrang und Glaubenoſeligleit, die heftigften Gegen- 
füge des Gedanken und Geflihlslebens, belämpfen ſich micht 
allein unabläffig im Bufen jedes Einzelnen, fondern bilden 
auch die bald rajcher, bald langfamer tätigen Hebel , welche 
in ewigem Umſchwung bald das Vorwiegen ber einen, bald 
wieder der andern Richtung im Geiftesleben der Völler be- 
wirken. Und fo finden wir denn ſchon frlüßzeitig neben dem 
fühnen Gedantenflug des Weltweifen auch die buchitaben- 
gläubige Denkträgheit der Armen im Geiſte. Und ber 
Priefter, deſſen Schlauheit ſich biefe Doppelnatur des Menſchen⸗ 
geißes nicht entgehen läßt, weiß dann mit mephiftophelifchen 

eberredungsfünften den gutmitthigen Gottesverehrer nur 
allinleicht von der Bermworfenheit der ebferen und der Uns 
betungswitrbigfeit ber niedrigeren Geiflesfräfte zu liberzeugen. 
Da entbrennt dann zwiſchen Denffreiheit und Priefterherrfchaft 
der Kampf zwiſchen Wiffen und Glauben, in welchem der 
Priefter mit dem Kanzler im Goethes Fauft die Natur für 
fündhaft und den Geift für teuflifch erklärt. Ueber dem 
Grabe der Denffreiheit thürmt fic) dann häufig die Drachen» 
pagobe der Geiſtesknechtſchaft, des Berfolgungseifers und bes 
Blutdurfte. 

Wenn bie oft tollen Ausgeburten der volfsthlimlichen 
Sprachflügelei doc; noch die Tugend des Wiffensburftes zum 
vernünftigen Hintergrunde hatten, jo entftanden dagegen bie 
abergläubifche Vorftellung und Andachtsübung, bie nachfol- 
= geichilbert wird, aus verfnähertem Buchſtabenglauben. 

& find giftige Nachtſchatten, hervorgewachfen aus der peſt⸗ 
ſchwangern Modergruft der Denfträgheit, in welche ber 


157 


Klumpfuß verbummungsfroher Snttenträger bie bilblichen 
Ausdrüce dichterifcher Begeifterung geftofen hat. 

Schon die Urzeit des indiſchen Denkens hatte den Kreis: 
lauf alles Dafeins mit dem Rollen eines Rades verglichen. 
So munterte denn aud Buddha mit der bildlichen Mah- 
nung, das Rab des guten Geſetzes zu drehen, die Menfchheit 
zur unermüdlichen Arbeit an der Selbftvervollfommmung auf. 
Die gebildeten Völler Sidafiens haben auch diejes ſchöne 
Bild nie anders als eben bildlich verftanden, Nicht fo die 
rohen Horden Tibets, die Nachlommen der Hunnen der Völfer- 
wanberung, welchen indiſche Miffionäre gegen das achte Jahr · 
hundert unferer Zeitrechnung bie ftillbejeligende Lehre ber 
geiftigen Gelbftbefreiung und des Wohlwollens für alle Mer 
fen brachten. Diefe Horden verftanden fich ſchlecht auf dich: 
terifch ſchöne Bilder und nahmen Buddha's Mahnung beim 
Wort, indem fie die berihmten Gebetscylinber — 
Dieſes ſind bald größere, bald kleinere Metallröhren, die 
außen mit auf Papier oder Leinwand geſchriebenen Gebeten 
unitlebt find, Dieſe Metallröhren find an Eiſenſtangen, 
die in Pfannen ruhen, aufgeſtellt. Da nun die Stangen 
unten ausgebogen find, fo kann ber Gebetseylinder vermittelft 
eines an bemfelben befeftigten Strides mit großer Geſchwin— 
digkeit umgedreht werben. Der Tibetaner glaubt, er werde 
ebenfo oft der fünbentilgenden Kraft der Gebete theilhaftia, 
als der Cylinder feine Achſenbewegung macht, Natitclic) 
wird der Cylinder meiftene von Hand gedreht. Es giebt 
jedoch auch fürmliche Wind- und Waffermühlen, welche eine 
und biefelbe Formel, die zu diefem Zwede in Petersburg 
gedrudt wurde, hundert Millionen Mal enthalten und alfo 
durch zehnmalige Umdrehung fo viel Heil bewirken, ald wenn 
die Formel taufend Millionen Mal gefprochen worden wäre. 
Millionen ſolcher Gebetschlinder und Gebetsmühlen drehen 
fi) Tag und Nacht für das Seelenheil des erlöfungsbedürf- 
tigen Tibetaners, 


Aus allen Erdtheilen. 


Beila. 


Der Sultan hat dem Khedive von Aegypten einen Fer— 
man überfandt,*durch welchen ber Vicefönig mit dem Hafen 
Zeila belehnt und zugleich ermächtigt wird, fich von ben be- 
nachbarten Territorien mach Velichen zu annectiren, wogegen 
er dem Sultan, außer dem bisherigen Tribut, noch eine 
Summe von 15,000 türfifchen Liren jährlich zu zahlen bat, 
während ber Hafen von Zeila bisher dem türkischen Staats— 
ſchatze nur 800 Lire einbrachte, 

Die Stadt Zeila Tiegt unter 11010° nördl. Br. und 
43° öftl. 8. v, Gr, am Golf von Aden, etwa 3 Seemeilen 
füblich von der Tadfchurra-Bay, auf einer Heinen Halbinfel, 
die zur Zeit ftarker Fluth nur durch einen ſehr fchmalen 
Rüden mit dem flachen Feſtlande der Somalafüfte verbun: 
den ift, bat etwa 5000 Einwohner, wovon die Mehrzahl 
Gudoburſi⸗Somala, dann Eiffa-Somala, dann angefiedelte 
Araber, dann einige Haberanel-Somala und endlich einige 
Danakil. Obgleich in Afrika, an der Südgrenze von Abel: 
finien gelegen, galt Zeila immer fir eine Dependenz von 
Jemen, umd der jeweilige Ortöchef erhielt von dem türkiſchen 
Gonvernenr von Moca die Belchnung gegen einen jäbr- 
lichen Tribut von 3000 Therefientbalern. Diefes Verbält- 
niß wurde aber unterbrochen als ber Vicefönig von Negupten, 
Mehemed Ali Palha, zu Anfang des gegenwärtigen Jahr: 
hunderts die Küftenftädte von Jemen befette; der Chef von 


Beila zahlte den Aegyptern nichts. Als aber Mehemeb Ati 
Vaſcha im Jahre 1840 Jemen räumte und die Osmanen 
wieder Hobeida und Mocha bejegten, wurde das Vaſallen— 
verhältniß Zeilas wiederhergeitellt. Ein Kaufmann in Mocha 
wurde mit Zeila beichnt, und zahlte von jegt an 800 Lire 
an ben türkiſchen Statthalter von Hobeiba, wogegen er im 
Zeila einen Gouverneur mit dem Titel „Emir" anftellte, 
Die Erpreffungen diefes Emirs führten aber fehr bald eine 
völlige Verddung bes Hafens herbei, da ſowohl Schiffe als 
Karawanen den Ort vermieden und fich nach dem weiter 
oftwärts belegenen Hafen Berbera zogen. Später, gegen bad 
Jahr 1848, warb ein in Aden etablirter Somala-Kaufnann, 
Schen Markah, Chef von Zeila; da er englifcher Untertban 
war, führten feine Schiffe engliſche Flagge, und der Ort 
nahm ſeitdem bedeutend zu. 

Die Stapelprobucte von Zeila find Kaffee und Gummi; 
anferdem erzeugt das Land Zibeth, Elfenbein, Wolle, 
Manna, Krapp, Alos, Anis, Luf (ein Harz, woraus die 
Araber Siegellat machen) und eine Art Maftirz, Muſchahkar 
genannt, 


Die Einkünfte Mekkas aus der Wallfahrt. 

In dieſem Jahre fand bie 1232, Wallfahrt nah Mekka 
und Medina ftatt, und es ftrömten etwa 150,000 Menfchen 
and allen Theilen der mohammedaniſchen Welt nach ben 
heiligen Stätten. Unter dieſen Pilgern befanden fich ſowohl 





158 


Unterthanen des Kaifers von China, als auch des Sultans 
von Maroflo, Bürger aus Aſtrachan am ſtaspiſchen Meere, 
als auch von der JIuſel Borneo, feingebildete Araber und 
Türken aus Konftantinopel, die fich mir durch ihren Fez von 
ihren cheiftlichen Mitbürgern unterjcheiden und dabei oft ein 
elegantes Franzöſiſch und Engliſch ſprechen, als auch Moham⸗ 
medaner aus Dahome in Afrika. Das größte Contingent zu 
dieſer Pilgerichaar ſtellte vor allem Arabien ſelbſt, dann 
kamen Syrien, Aegypten, Kleinaſien, die Barbareskenſtaaten, 
das engliſch⸗oſtindiſche Reich, Perſien, Ceutralaſien und China 
und die Indiſchen Inſeln. Vergleicht man dieſe Pilgerſchaa— 
ren mit denen ber früheren Jahrhunderte, jo wird man ſo— 
gleich ertennen, daß fie im Abnehmen beariffen find. Nichts: 
deftoweniger find die Wallfahrten noch immer fehr zahlreich, 
und man ficht in Dichiddah, der Hafenftabt Meklas, häufig 
Pilger fanden, die fterbensfrant dort anfangen und feinen 
andern Wunſch mehr baben, als nur noch den ſchwarzen 
Stein in der Kaaba Kiffen, eine Schale Waller aus dem 
Brummen Semſen trinfen und daun findenfrei im bie 
Dſchenneh“ (Paradies) eingehen zu können. Natürlich, daf 
mit diefen vielen Tauſenden von Pilgern auch Hundert: 
taufende von Maria-Tberefien-Thalern nad; Mekla ftrömen 
und fo den Wohlftand diefer heiligen Stadt, deren Bewoh— 
ner meiſtens nur von den Pilgern leben, bedeutend vermehs 
ren. Dan rechnet, daß die Pilger im Durchſchnitt täglich 
fünf Maria-Therefien-Thaler brauchen, und da jeder Pilger 
gewöhnlich volle vierzchn Tage in Mella bleibt, fo ergiebt 
fich fiir fämmtliche 150,000 Bilger eine Auslage von über 
sehn Millionen Thaler. Rechnet mar noch die frommen 
Stiftungen dazu, deren Neinerträgniß wieder in die Taſchen 
ber Mekkaner flieht, fo kann man mit Beftimmtheit annch- 
men, daß der Jslam jährlich zwölf Millionen in 
Therefien-Thalern nad Mekka ſchickt. 


Hausbaltskoften der amerifanifchen Präfidenten. 


Die Nordamerikaner pflegen und Europäern gegenüber 
gern auf die hohen Civilliſten unferer Herrfcher hinzumeifen, 
und denen gegenüber den geringen Gehalt hervorzubeben, wel: 
chen der Präfident der Vereinigten Staaten beziebt. Er über: 
teifft allerbings nicht eine europäifche Minifterbefoldung, er— 
ſcheint aber in einem ganz andern Lichte, wenn man alle 
übrigen Beziige des Präfidenten hinzurechnet. Dann aller: 
dings verfchwindet die „republifaniiche Einfachheit‘. Daß 
in der letzten Zeit die Haushaltsloſten des Präfidenten fich 
ungebübrlich gefteigert haben, erſehen wir jegt aus einer 
Zufammenftellung des Neuyorfer „Sun“, 


Taylor: Fillmore’s Präfidentichaft (Whig) for 


ftete jährlich durchichnittlih . . » » - - 34,066 Doll. 
Pierce's Bräfidentihaft (Dem.) foftete jährlich 
durchichrittlich. > 2 22 22a 41,9 
Buchanan's Präfidentichaft Dem.) foftete jähr: 
lich durchichnittlich . > > 2 2 2 20. 46,575, 
Lincoln’s Präfidentichaft Rep.) koſtete jährlich 
ducchichnittlih .» » 222 52195 „ 
Grant's erfte Präfidentichaft (Mep.) koſtete 
— —— 104,762 „ 
rant's zweite Vräfidentichaft (Mep.) koſtete 
jährlich —S— Felt Ren) r ® . 119,29 , 


Danach begann alfo die Aera der Verschwendung mit 
Grant's Amtsantritte, Taylor, Fillmore, Pierce, Buchanan 
und Lincoln traten in die Fußſtapfen ibrer Vorgänger und 
lebten einfach und beicheiden. Lincoln machte den Krieg 
durch und beftritt alle die auferordentlichen Anforderungen, 
die damals an ihm geftellt wurden, ohne die öffentlichen 
Ausgaben für feine Perſon oder feinen Haushalt zu ver- 
mehren. Er gab nicht zu, daß unter falichen Vorwänden 
Geld ans dem Staatsichag gezogen und zu perjönlichen 
Zweden verwendet werde, Früher war es Sitte, bei einem 


Aus allen Erdtheilen. 


Adminiſtrationswechſel 20,000 Dollars für Neumöblirumg 
des Weißen Haufes anszuwerfen; oft erreichte die bezügliche 
Summe noch nicht einmal diejen Betrag, Als Grant and 
Ruder fam, wurden für diefen Zweck 25,000 Dollars ber 
willigt, außerdem find feitdem alljährlich noch 10,000 bis 
15,000 Dollars ertra angewiefen worden. Früher gab es 
keinen Fond für zufällige Ausgaben für den Bräjidentichafte: 
haushalt, Bucanan wurden zuerft 600 Dollars jährlich be- 
willigt, unter Lincoln ftieg diefe Summe auf 1000 und 
200 Dollars. Grant hat es glücklich auf 6000 Dollars jährlich 
gebracht, was gleichbedentend mit einer Erhöhung feines Ser 
halts um dieſen Betrag ift. — Die Koften für Heizung bes 
Weißen Haufes betengen in früheren Jabren 1800 Dollars 
jährlich. Während des Krieges wurde die Bewilligung, in Folge 
höherer Holz und Kohlenpreife, auf 2400 Dollars erhöht. 
Siüdlich vom Weißen Haufe befindet fi, innerhalb der Ein: 
zänmung, ein Heiner unſcheinbarer Wieſenplatz, auf dem mil 
ded Gras wächſt und der augenicheinlich ganz verwahrloft 
ift. Des Prüfidenten Leibknappe Babeod erhält für die 
Inftandhaltung dieſes grünen Fleckes 10,000 Dollars jährlich 
Das Gewächshaus Foftet jährlid 10,000 Dollars, Dabei 
bat das Weiße Haus die Beleuchtung vollftändig frei. 





Das Einhorn der Bibel. 


Im „Globus* Band IT, S. 375 haben wir zuſammen— 
geftellt, was fih auf das Einhorn als Fabeltbier bezog und 
gezeigt, wie ber Afrikareiſende Baikie den Glauben daran in 
vielen afrikanischen ändern nachwies und daß, wie bei uns 
im Altertum, noch jett in China und der Mongolei die 
Ueberzeugung von deſſen Exiſtenz herrſcht. So weit dad 
„Neem“ der Bibel, welches Luther mit „Einborn* überfegt, 
in Betracht kommt, bat Superintendent U. Merenstn, 
welcher lange in Südafrika lebte, die Frage wieder aufge: 
nommen, und wie wir glauben, richtig gelbſt im feiner ver: 
bienftvollen Heinen Schrift „Beiträge zur Kenntniß Süd⸗ 
afrifas" (Berlin, Wiegandt und Grieben 1875), welche überall 
da, wo der Berfaffer aus eigener Anſchauung urtbeilt, höchſt 
wertbvoll ift, während mande ethnologiſche Speculationen 
deffelben und der unbaltbare Abichnitt über Opbir auf eine 
lange Abwejenheit des Verfaffers aus dem Bereiche der Ne 
fultate wiffenichaftlicher Forichung hindeuten. Das Einhorn 
betreffend jagt Merenäty: 

Was und zunächſt ſtutzig und bebenklich machen muß, 
an ein wirkliches Einhorn zu denken, ift der Umſtand, daß 
ein folches Thier nirgends eriftirt. Wenn e& ein Iebendiges 
Thier auf Erden gäbe mit einem einzigen, jedenfalls doch 
eigentbitnich geformten Home in der Mitte der Stirn, jo 
wäre bei dem jehigen Weltverlebr doch faum zu erwarten, 
daß micht einmal Fell oder Schädel oder Horn bier oder da 
follte zum Verkauf gebracht oder von einem Neifenden follte 
gefehen worden fein. Sehr wahrfcheinlich alfo ift das Ein- 
born der Sage in Wirklichkeit nirgends vorhanden. Aber 
wenn es auch eriftirte, aus der Stelle 5. Moſ. 38, 17 geht 
unwiderleglich hervor, da der Reem der Bibel zwei Hör— 
ner gebabt hat, aljo fein Einhorn war. Joſeph's Herrlich: 
feit wird ba geprieſen ald die Herrlichkeit eines erftgeborenen 
Ochſen und feine Hörner wie die Hörner des Neem. So 
fteht Har da; die Ueberſetzung ift umanfechtbar, und fchon 
Büchner jagt auf Grund diefer Stelle, da man beim Neem 
an ein eigentliches Einhorn nicht denken könne. Die Be: 
ſchreibung, welche die Fabel vom Einhorn giebt, ftimmt auch 
nicht mit der Beichreibung des Neem, die wir in der Schrift 
finden. Das Einborn follte einfam und allein fich balten 
und felten zu finden fein. Im Palm 22, 22 wird der Neem 
beſchrieben al& in Herden vorfommend und Seh, 34, 6 bis 7 
wird er zugleich mit Ochſen, Schafen und Widdern ala Gegen: 
ftand des über Edam bereinbrechenden Gerichte, als ein dort 
häufig vorfommendes Thier erwähnt. 

Am ſchlagendſten gegen die Annahme, dab der Neem 


Aus allen Erdtheilen. 


das Einhorn der Sage fei, ſcheint uns aber folgender Um: 
ftand zu fprechen. Das Einhorn wird ſtets als pferdeühnlich 
geichildert, es wird mit Pferbeleib und Pferdekopf abgebildet; 
der Neem der Bibel wird aber überall in confequenter Parallele 
zum jahmen Stiere ausgeführt, fowie Hiob den Onager ober 
wilden Efel in Parallele zum Pferde erwähnt. Joſeph ift 
wie ein erftgeborner Ode, feine Hörner find wie die Hör: 
ner des Neem“ heißt es in der angeführten Stelle bes 
Denteronomium. 

Dieje Zufammenftellung des Reem mit dem Rinde fpricht 
auch gegen die von Manchen vertretene Aunahme, daß ber: 
felbe der Orur der Alten fei, welcher aller Wahrjcheinlich- 
feit nach identiich ift mit der in Südafrika vorfommenden 
Säbelantilope, der Antilope leukoryx. Wie foll Hiob dazu 
fommen gerade davon zu fprechen, den Oryr zum Pflügen 
zn zähmen, da derfelbe doch, wenn auch gezäbmt, zu dieſer 
Arbeit ſehr wenig tauglich jein würde? nticheidend gegen 
die Meinung, der Reem ſei irgend welche Antilope, ift aber 
beſouders der Umſtand, daß wie jeder Kenner der Natur 
der Antilopen beftätigen wird, unter allen Untilopen keine 
einzige ift, auf welche bie Veichreibung der Schrift von der 
Stärke, Wildbeit und Gefährlichkeit des Reem paffen würde. 

Andere (Bulgata) haben beim Einhorn an das Rhino— 
ceros gedacht, aber auch auf dieſes Thier paßt die in ber 
Schrift enthaltene Beichreibung des Reem durchaus nicht, 
Das Nhinoceros ift plump und unförmlid, „Libanon und 
Sirion büpfen wie junge Rhinoceroffe," welch unpafiend 
Bild wäre dies! Außerdem fpricht gegen die Annahme, 
ber Neem jei das Nhinoceros, daß nach unferer Ausführung 
das fragliche Thier dem Rinde ähnlich war. 

Wenn wir nun fragen: Was war der Neem? Auf 
welches Thier paßt denn die Beichreibung, welche die Bibel 
von demfelben giebt? fo werden wir und zunächſt unter 
der afrifanifhen Thierwelt umfchen und den Reem da 
fuchen müſſen. Es ift ja befanmt, daß Paläftina in ber 
ältejten Zeit von denfelben Thieren, die ſich in Afrika finden, 
bevölkert war. Wir finden in jener Zeit dort den Strauß 
und den Hippopotamus, als ſpecifiſch afrifanifche Thiere. 
So werben wir alfo wohl auch den Neem im der mannich— 
faltigen Thierwelt Afrikas juchen können. Wir finden ihn 
auch da umferer Meinung nach in dem furchtbaren afrika: 
niihen Büffel, dem Bos Caffer, jedenfall® einem der 
wildeſten, unbändigften und gefährlichiten Thiere der Erde, 

Die Eigenfchaften des afrikaniſchen Büffels find genau 
die, welche die Schrift dem Reem beilegt. Der Büffel ift 
eim Bild der Kraft, der Furchtbarkeit, des niederwerfenden 
Ungeftüms, Noch heute legen afrikaniſche Herricher ihren 
blutdürftigften und unbezwingbarften Negimentern ben Na— 
men des Büffels bei. 

In der Bibel wird des Büffel in den heiligen 
Schriften zuletzt durch Jeſaias im achten Jahrhundert 
v. Chr. Erwähnung getban. Die griechiiche Uecberiegung, 
welche den Namen „Septuaginta* trägt, ſtammt aber ihren 
älteiten Beftandtbeilen nad aus dem dritten Jahrhundert 
v. Ehr., ıft alfo etwa 500 Jahre nach Jeſaias entjtanden. 
Es kann uns nicht befremben, wenn während dieſer Zeit: 
dauer der Büffel in Paläftina vollftäindig ausgerottet und 
in dem überenltivirten Wegypten jchon längft verſchwunden 
war. Mit der Kenntniß des Thieres aber war die Beben: 
tung feines Namens nach und nad verichwunden. 


Die Verbreitung des Morra-Spiels. 

Wenn wir auf die frühefte Entwidelung der Zählkunſt 
bliden und fehen, wie ein Stamm mach dem andern bei ber 
Bildung jeiner Zahlwörter von der niedrigften Stufe, dem 
Zählen an den Fingern, ausgegangen ift, jo finden wir ein 
gewiſſes ethmographiiches Intereffe an den Spielen, welche 
zur Erlernung diejer früheften Zählkunft dienen. Das nen: 
feeländiiche Spiel „Ti* befteht nach der Beſchreibung im einem 


159 


Zählen an den Fingern: einer der Spieler ruft eine Zahl 
und hat fofort dem richtigen Finger zu berühren, während 
in dem famoanifchen Spiel ein Spieler eine Anzahl Finger 
in die Höhe hält, worauf fein Gegner fofort bafjelbe thun 
muß oder einen Point verliert. Dies können einheimische 
polijneſiſche Spiele fein oder fie fönmen auch unferen eigenen 
Kinderfpielen entlehmt fein. In der englischen Kinberftube, 
jo belehrt und Edward Tylor in feinen „Anfängen der Eul- 
tur*, lernt das Kind fagen, wie viel Finger die Amme in 
die Höhe hält, und die feftitchende Formel biefes Spieles 
lantet: „Buck, Buck, how many horns do I hold up“ (mie 
viel Hörner halte ich in die Höhe)? Strutt erwähnt ein 
Spiel, bei dem Einer Finger in bie Höhe hält und die An: 
deren dieſelbe Anzahl aufzuheben verfuchen. Auf den Stra- 
ber können wir Heine Schuffnaben das Ratheſpiel ſpielen 
fehen, wo Einer Hinter den Rüden des Audern tritt und 
einige Finger in die Höhe hält und der Andere rathen muß 
wie viele, Es ift intereffant, die weite Verbreitung und 
fange Erhaltung diefer Beluftigungen in der Geichichte zu 
beobachten, wenn wir den folgenden Sat and dem „Petronius 
Urbiter* leſen, der zur Zeit des Mero geichrieben wurde: 
Trimalchio küßte, um nicht durch den Berluft erfchüittert zu 
erfcheinen, den Knaben und forderte ihn anf, anf feinen 
Rüden zu fteigen. Ohne Verzug Homm der Knabe rittlings 
binauf und ichlug ihm mit der Hand auf die Schultern, in: 
dem er babei lachte und rief: Bucca, bucea, quot sunt hie #* 

Die einfachen Zablipiele, welche mit den Fingern gejpielt 
werben, darf man nicht mit dem Additionsſpiel verwechſeln, 
in dent jeder Spieler eine Hand ausſtreckt und die Summe 
aller hingehaltenen Finger gerufen werben muß, wo dann 
der erfolgreiche Zähler einen Point gewinnt; thatfächlich ruft 
Jeder die Geſammtſumme, ehe er die Hand feines Gegners 
ficht, fo daß die Kunft hauptſächlich im dem breiften Rathen 
befteht. Diefes Spiel gewährt endlofe Unterhaltung in China, 
wo es „Is ofy:mofy“ heißt, und in Südeuropa, wo es in 
Italien „morra“ und in Frankreich ald „mourre“ be: 
kannt ift. Ein fo eigenthümliches Spiel dürfte kaum zwei: 
mal in Europa und Afien erfunden worden fein, aber e# iſt 
ſchwer zu fagen, ob es die Chineſen von dem Weiten lern⸗ 
ten oder ob es zu der beträchtlichen Reihe von geſchickten 
Erfindungen gehört, welche Europa von China entlehnt hat. 
Die alten Aegypter pflegten, wie ihre Sculpturen zeigen, 
eine Art Fingerfpiel zu fpielen, und die Römer batten ihr 
Fingerfunkeln, micare digitis, weldes die Schlächter mit 
ihren Kunden um Fleiſchſtücke zu ſpielen pflegten. Es ift 
nicht Mar, ob died Morras oder andere Spiele waren. 

*» + »* 

— Bon den Philippinen. Im „Globus* Bd. XXVII, 
S. 362 war mitgetbeilt worden, daß ber „Challenger“ die 
Nachricht von der Throubefteigung Alfons’ NIT. nad) den 
Philippinen gebracht habe und daß diefelbe dort gleichgültig 
aufgenommen worden fei. Mit Nüdficht hierauf wird uns 
gütigft der Vrivatbrief eines in Manila wohnenden Deut: 
ſchen vom Jannar diefes Jahres mitgetbeilt, im welchem cs 
heißt: „Uns brachte bier zuerſt das deutſche Kriegsſchiff 
Ariadne“ die Nachricht, daß Spanien wieder das Glüd 
cines Königs, Alfons XII. babe, die jedoch erſt mach dem 
Eintreffen des Poſtſteamers amtlich belaunt gemacht wurde. 
Alle, Fremde und Spanier, waren von biejer Nachricht aufs 
Höchfte überraſcht, letztere, wenigſtens bie meiften, nicht ge— 
rade angenehm, da die Spanier hier entweder Republikaner 
oder Carliſten ſind. Alle Blätter, die vorher eifrige Repu⸗ 
blifaner geweſen, wurden plötzlich noch eifrigere Royaliſten 
und bemuhten ſich, die guten Eigeuſchaften recht herauszu— 
ſtreichen und neue dazu zu erfinden. Zu Ehren Don Al- 
fonfo’8 XII, rey de Espaha, wurde für Sonnabend, Sonntag 
und Montag Jüumination anbefohlen und am Sonntag fand 
große Parade ftatt, bei ber viel Pulver vergeubet wurbe.* 


160 


— Kretiné (Trotteln) inBöhmen Das „Aerztliche 
Gorreipondenzblatt* (Organ bed Vereins deuticher Aerzte in 
Prag) enthält einen Artikel über die Verbreitung des Kretir 
nismus in Böhmen von Prof. Dr. Klebs. Durch den 
amtlichen Bericht von 1873 find in Böhmen 998 Kretins, 
cine Zahl, die fi zur Bewohnerzahl verhält wie 1 zu 5116. 
Verhältuißmäßig die meijten findet man im den Bezirken: 
Bolitichla, Senftenberg, Leitomiſchl, Landskron, Trautenau, 
Königgrätz, Tepl, Plan und Hohenelbe. Unter den zablrei- 
ben Theorien über die Urfache des Kretinismus giebt Prof. 
Klebs derjenigen von Saint:Layr den Vorzug, der den Grund 
der Erfranfung weder in der Race noch in der Beſchäfti— 
aung, dem Elende, der hohen Lage, dem Lande, fondern einzig 
und allein im Quellwaſſer ſucht. 

— Eine neue Korallenbant bei Sicilien. Im 
Monat Juni entbedten die Fiſcher von Sciacca eine neue 
Korallenbanf, welche nicht weniger als zwei Kilometer lang 
ift und durch auferorbentlichen Reichtbum an Edellorallen 
fich auszeichnet. Sobald diefe Stunde verlautete, machten ſich 
40 Barken von Torre del Greco bei Neapel auf, um Theil 
an der Ausbeutung des menen Fundes zu nehmen. Die 
Fiſcher von Torre del Greco find als tüchtige Korallenfiicher 
befannt, ſcheuen fie doch jelbft die weite Fahrt nach der afrila- 
niſchen Hüfte wicht um bier zu fiſchen. Die Sicilianer aber, 
welche fich in ihrem Erwerb beeinträchtigt ſahen, ftellten ihre 
Boote in Schlahtordnung auf und es wäre auch zu einer 
Seeſchlacht zwiſchen beiden Theilen gefommen, wenn das 
Negierungeichiff „Arcimedes* nicht eingegriffen und Frieden 
geftiftet hätte. Jetzt find 600 Barken auf der neuen Bank 
mit der Korallenfiicherei bejchäftigt. Der erfte Monat ergab 
einen Ertrag von 500,000 Lire. P 

— Pfahlbauten im Nenfiedler See. Am ſüd— 
lichen Ufer des Neufiedler Sees ift das Bett des Sees auf 
einem weiten Gebiete ganz andgetrodnet und wird nach und 
nach angebaut, Etwa 500 Schritte vom ceinftigen Ufer bes 
Sees entfernt lagen Thierknochen und Steinbeile an der 
Oberfläche am Boden number. In tieferen Furchen, wie die 
Egge fie zog, durchdringen organische Reſte den Boden, aber 
künftliche Erzeugniffe kommen darin nicht vor. Sämmtliche 
Fundorte weilen darauf bin, daß wir hier eine Anſiedlung 
aus dem Steinzeitalter vor uns haben. Unter den irdenen Ge— 
fühen finden fich — obgleich manche aufder Drebicheibe gemacht 
und geglättet find — viele fehr rohe und die charakteriftiichen 
Nägeleindrüde jowie die ald Verzierung angewendeten, mit: 
telft einer Knochennadel durchitochenen runden Löcher find noch 
deutlich bemerkbar. In gutem Zuftande wurden einige Hei: 
nere, ans mit Quarzſand vermengtem Lehm angefertigte Ges 
fäße aefunden. In der Sammlung des Grafen Bela Szechenyi 
befinden ih an 30 meiftens vollftändig erhaltene Serpentin: 
ürte, deren Größe zwilchen 1%, und 5 Zoll wechſelte. Die 
Steinbänmer find nicht fo häufig; nur ein Eremplar ift voll 
jtändig erhalten, die übrigen find theils der Länge, theils 
der Breite nach zerbrocdhen. Am häufigsten ift die Geftalt 
des breiten Herzens, die im fitdlichen Defterreich ſehr häufig 
ift und im der Engelbofer'ichen Sammlung viele Vertreter 
bat. Bon den Steinwerkzeugen tft noch ein Gbetreidemörfer 
und ein Sitftein zu erwähnen. ‚ 

— ‚Fiſchwürmer“ und Aberglauben in Calcutta. 
In den legten Wochen des Juni berrichte unter den Einge— 





Aus allen Erdtheilen. 


borenen der Hauptitadt Oftindiend ein förmlicher paniſcher 
Schreden; die Fiſche, welde die tägliche Nahrung der Ars 
men bilben, bieß es, feien fo von Würmern erfüllt, daß man 
fie nicht eſſen könne. Sofort wußte man auch den Grund 
biefer außerordentliche Erſcheinuug anzugeben. Die Göttin 
der Blattern, fo hieß es nämlich, wollte fürzlich den Hoogbly 
paffiren, der Bootsmann aber, am welchen fie fich wandte, 
weigerte ſich, fie fiberzufeßen, und die Göttin war daher ge: 
zwungen, über das Waller hinwegzuſchreiten. Ihre nadten 
Füße famen dabei mit verichiedenen Fiſchen in Berübrung, 
die von ihr angeftedt wurden und nun, als eine Folge der 
Anitekung, die Würmerplage auf die übrigen Fiſche des 
Stromes übertrugen. — Die Gefundheitsbehörde von Cal— 
cutta, welche ſich mit der Sache zu befaflen hatte, hat nun 
einen Bericht darüber veröffentliht. Sie unterfuchte alle 
Fiſche, welche mit der oftbengaliihen Eiſenbahn anlangten, 
fowie die auf dem Markte verkauften, und fand fie alle ae 
fund und zur Nahrung geeignet. Allerdings fanden fih Wür: 
mer in ber Leber und den Eingeweiben, doch dieſes ift feine 
feltene Eriheinung und diefe Wilrmer find keineswegs der 
Geſundheit nachtheilig. In Goalundo, einem Hauptficher: 
plate, fand der unterſuchende Beamte jedoch eine Anzahl 
jchlecht ausſehender File, welche von Dr. Lewis mifrofto: 
piſch unterfucht wurden. Sie waren ftart mit Cyſten und 
Würmern erfüllt, mehr als dieſes fonft der Fall ift, jedoch 
in nicht geſundheitsgefährlicher Weile. Diele Fiſche — die 
Species ift in dem Berichte an die „Times*, dem wir folg— 
ten, nicht genannt — haben Aulaß zu dem Gerücht gegeben, 
welches uns um deßwillen von Intereſſe erfcheint, weil der 
Volksaberglauben der Hindu ſofort die „Göttin der Blattern“ 
damit in Verbindung brachte. 


Vom Büdertifche. 


Die Infeln des Etillen Deeans. ine geographiiche Mo— 
nograpbie von Prof. Dr. Karl Meinide. Erſter Theil. 
Melanefien und Neufeeland. Leipzig. Frohberg 1870. 

Seit langer Zeit ſchon find wir gewohnt geweien, Prof. 
Meinide in Dresden, von dem auch unſer „Globus“ ſchätz- 
barc Beiträge veröffentlicht hat, als eine der erjten Autori- 
täten zu betrachten in allen auf Auftralien und die Sidfee 
beziialichen Fragen. Er hat deren Studium fich zur Lebenss 
anfgabe gemacht, mit einem wahren Bienenfleiß fichtend alles 
zuſammengetragen, was auf jene hochinterejfante Region uns 
ſeres Planeten fich bezieht, und bietet nun die Früchte feiner 

Studien in einem ftattlichen, faft „400 Seiten umfaſſenden 

Bande dar, dem ein weiterer folgen ſoll, welcher Polynefien 

behandelt. Es ftedt mühevolle, redliche Arbeit in diefem 

Werke, das durch große Sorgfalt fid) auszeichnet und nament⸗ 

lich durch die Verüdfichtigung der oft verwirrten Entdeckungs 

gefchichte fowie durch die Aufhellung der vielfach zweifel— 
haften Nomenclatur der Inſeln zu einem trefflichen Nadı- 
fchlagebuche geworden ift. Nach einer allgemeinen Einleitung 
über die Juſeln des Stillen Deeans und ihre Bewohner 
folgen die Abſchnitte Über Neuguinea, Neubritannien, die 

Salomonen, Königin-Charlotte-Juſeln, die Neuen Hebriden 

und Nencaledonien. Nenfeeland macht den Beſchluß. Für 

Alle, welche ipecielleres Intereffe an den angeführten Aufel: 

gruppen haben, ift das Werf geradezu unentbehrlich. 


Inhalt: Donaw Bulgarien. (Mit zwei Mbbildungen) — „Ionrnal des Muſeum Gobeffroy“. Mit drei Abbil: 
dungen.) — Die Bedeutung der Länder am Euphrat und Tigris für den Verkehr, Von Arthur v. Triebel 1. (Schlufi.) 


— Zur Ethnologie und Gefchichte des Mberglaubens. Von Dr. Hermann Brunnbofer in Aarau. III. — 


Ans allen 


Grotbeilen: Zeile. — Die Einkünfte Mektas aus der Wallfahrt. — Hausbaltstoften der amerifanifchen Präfidenten. — 
Das Einhorn der Bibel. — Die Verbreitung des Morra-Spiels. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 20, Auguſt 1575.) 





Für die Mebaction verantwortlib: H. Vieweg in Vraunfchweig. 
Drud und Verlag von Friedrich Vleweg und Sohn in Braunfchweig. 


Band XXVIII. 


In 
Verbindung mit Fahmännern und Künftlern begründet von 


Karl Andree. 


Yährlid) 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlih 4 Nummern. 


Braunſchweig 


Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Pf. * 





1875. 


— — 








Zur Schilderung des Waldes in der europäiſchen Türkei. 
Von F. Kanitz. 


Die einleitenden Worte, welche jüngſt Freiherr von Berg 
ſeiner intereſſanten Schilderung „Aus dem Nhodopegebirge* 
(„Stlobus* Bd, 27, Nro. 20) vorausfandte, enthalten einen 
gegen v. Hahn, Yejean,v. Hochſtett er und audy gegen mich 
gerichteten Vorwurf, den ich für meine Perfon um fo wenis 

er unerwiedert laſſen möchte, als er von fo hochgeachteter 

ite fommıt. Nach des geehrten Freiherrn Anficht enthalten 
unjere Arbeiten „viel Intereffantes und Werthuolles“; aber 
„ded Waldes, diefes fo ungemein wichtigen Factors im 
Haushalte der Natur, ift nirgends oder doch nur ober» 
flächlich gedacht“. Gewiß ein jchwerer Vorwurf, erfchiene 
er gerechtfertigt. 

Was meine leider allzufrüih verblichenen Freunde v. Hahn 
und Yejean und meine noch lebende Wenigkeit betrifft, glaube 
ich ferner file uns beanspruchen zu dlirfen, wicht in die Reihe 
jener geftellt zu werden, „welche nur die Thäler und Haupt: 
ftraßen bereifen, aus den Mittheilungen der Cingeborenen 
ſchöpfen, das Waldesdunfel aber und unzugängliche Ges 
birge ſcheuten“s — Beditrfte es einer Mechtfertigung nad) 
diefer Richtung, fo genügt wohl ein Blick auf das meinem 
„Donau-Bulgarien und der Balkan“ beigegebene Kärtchen. 
Es zeigt 17 rothe Punkte, am welchen ich die bieher wenig 
gelannte Balfanfette auf oft 2000 Meter hohen Päſſen 
trog „umwirthjamer Wege, mangelnder Unterkunft und 
Näuberromantit* fiebzehnmale — wie Niemand vor 
mir — überjchritten hatte. 

Sie geftatten mir num wohl an berjelben Stelle in 


Globus XXVIII. Ne. 11. 


Ihrem gefchägten ‚Globus“ dem Leſer und Freiherrn v. Berg 
auch Beweife zu liefern, welche Aufmerkfamfeit ic) bereits 
vor langen Jahren dem Walde auf meinen Reifen zugewen— 
det, wie hoch ic) ſchon damals deſſen culturellen Einfluß 
und volfswirthicaftlichen Werth zu würdigen wußte und 
wie ich, ohme des „forftlichen* Auges mid) rühmen zu dür— 
fen, bereits vor einem Decennium über die Zuftände bes 
Waldes im europäifchen Oſten Ausſprüche niederſchrieb, 
welche mit den von Zeiten de hochgeehrten Fachmannes 
dv. Derg jüngft im „Globus“ abgegebenen auffallend über- 
einftimmen. 

Mehr als in dem die niedere weftbulgarifche Donau: 
terrafie behandelnden I. Bande meines „Donau » Bulgarien 
und der Balfan*, wo ic, forftliche Berhältnifie nur (auf 
©. 188, 193, 205, 206, 216, 238 u. |. w.) flüchtig ftreis 
fen fonnte, werde ich im dejfen II. umd III. Bande bie 
Balkanwälder zu fchildern haben, auf welche die Pforte 
oft ihre fernen Gläubiger als auf einen noch jungfräulich 
unberühtten Schag hinzuweiſen liebt. Im Grunde werde 
ic, aber aud) dort mur mit geringen localen Variationen 
wiederholen mäflen, was ich bereits in meinem „Serbien“ 
im Jahre 1868 äußerte, Denn hier wie dort ſchwindet der 
Wald unter des Menſchen Vandalismus, hier wie dort find 
die tönenden Gefege nur da, um nicht beachtet zu werden, 
hier und dort thut dringende Abhilfe ſchleunigſt Noth! 

Diefer in Serbien und in der europäifchen Türkei ziem« 
lid) analogen Berhältnifje wegen wird es mir wohl erlaubt 

21 


162 F. Kanitz: Zur Schilderung des 
fein, mit einigen Stellen ans meinem Werke „Serbien“ zu 
erhärten, daß mindeftens meine Darftellung ofteuropätfcher 
Waldverhältniffe e8 nicht war, welche diefe in optimiſtiſchem 
Lichte erſcheinen ließ und das Urtheil „irre führte‘. Meine 
einfchlägigen Bemerkungen find in den Reifeaufzeichnungen 
(S. 1bi8 454) im Capitel „Geographie“ (S.455 bis 476) 
und im Capitel „Landwirthſchaft“ (Seite (575 bis 607) 
enthalten. Ueberall hätte Freiherr v. Verg bei „jorgfäl- 
tiger“ Pectüre finden Können, wie fehr mid) die traurige Ber» 
nachläffigung und Verwilftung des Waldes mit größter Bes 
forgniß erfüllten, wie id) überall die Anfnerkfamfeit der 


Waldes in der europäischen Türkei. 


Regierungsorgane auf diefen wunden Punkt der National 
wirthichaft lenkte. Auf S.601 f. ſchrieb id: 

„Die Wälder Serbiens gehörten einft, was Urfraft 
und Dichtigfeit betrifft, zu den reichten Europas. Noch vor 
einem Jahrhunderte glich das Fand, nad) den Schilderungen 
der Reiſenden, einem einzigen großen Forſte. Im den legten 
Jahrzehuten ift aber berfelbe bedeutend gelichtet worden. 
Nachdem der Wald während der tirkifchen Epoche den natür— 
lichen Schutzwall zwiſchen der chriſtlichen Yandbevölferung, 
die fich in die Berge zurlichgegogen hatte, und ihren türkifchen, 
die Städte und das Flachland bewohnenden Drängern ge: 





Eichen am Erni:®r, 


| 


bildet hatte, wurde ihm nach beendetem Freiheitskampfe leider 
förmlich der Krieg erflärt. Wir fprechen hier nicht von 
den Waldeompleren, welche allmälig audgerobet und in 
Aderland verwandelt wurden. Sie find an Umfang ver- 
hältnigmäßig Hein gegen die Größe jener Verwüſtungen, 
welche der Unverſtand dem Schliger — und in Serbien darf 
man im Hinblide auf deſſen Borftenviehzucht wohl fagen 
dent Nährer — der Bevölferung zufligte. Betrachtet man biefe 
fortgefegten täglichen Angriffe auf den ſerbiſchen Wald, jo 
darf man ſich nicht wundern, daß Serbien, früher ein fo 
waldreiches Yand, jchon jetzt Gegenden befigt, in welden bes 
reits Holzmangel herrjcht oder doch im mächfter Zeit zu bes 
fürditen ſteht. Im manden Diftricten machen ſich aber 


auch bereits die nachtheiligen Folgen der Waldverwüftung | 


in anderer Weife fühlbar. So im Kragujevacer Sreife, 
deſſen Bäche, 3. B. die Yepenica, durch ihre Hochwaſſer un: 
endlichen Schaden im Frühjahre anrichten, während fie im 
Sommer beinahe gänzlich verfiegen. 

„Die ferbifche Regierung fühlte denn auch ſchon vor läns 
gerer Zeit, dag vom Staate etwas Ausreichendes geichehen 
müffe, follte das Land nicht in wenigen Decennien in eine 
baumloje Dede verwandelt werden, Seit deu von Fuürſt 
Milos im Jahre 1839 erlaflenen erjten Forſtſchutzgeſttze iſt 
die ferbifche Geſetzſammlung (Sbornik zakona i uredba etc.) 
bis herab auf die meuefte Zeit reich an Verordnungen, 
welche den .foftematifchen Berheerungen des Waldes eine 
Grenze jegen ſollen. Ein großer Theil aller Forſte wurde 
als Staatseigenthum erllärt, das ſtaatliche Oberauffichts- 


F. Kanitz: Zur Schilderung des Waldes in der europäiſchen Türlei. 


recht zum Schutze aller übrigen im Befige der Gemeinden 
und Privaten verbleibenden Waldungen beanfprucht und die 
Leitumg des geſammten Forſtweſens dem Finanzminiſterium 
übertragen. Als Grundſatz wurde durch verſchiedene im 
Laufe der Yahre erfolgte ergänzende Verordnungen ausge 
fprochen, daß mur dort, wo Ueberfluß an Wald und Man— 
gel an Aderboben vorhanden, eine partielle Rodung des 
Gemeindewaldes im Einvernehmen der Gemeinde mit ber 
Staatsbehörde zuläffig fei, daß aber in Diftrieten, wo feine 
oder nur unzureichende Waldungen beftänden, neue Anlagen 
entjtehen müßten. Andererſeits wurde jedem Serben das 
Hecht zuerlannt, bei genigenbem Waldbeftande das für feinen 
Hansbedarf nöthige Brenn, Ban: und Werkholz in den 
Staatöforften oder in den Waldungen feiner Gemeinde fäl- 
fen zu dürfen. Schiffsbauholz folte nım mit befonderer Bes 
willigung des Minifteriums und Senates gefchlagen werben 
dürfen. Eichen und Buchen follten im Allgemeinen wegen 
der Schweinezucht nicht gefällt werden, fo lange fie ertrags- 
fähig, kräftig, und fo lange abgeftorbene Bäume oder Raffs 
und Leſeholz vorhanden feien, Neben ber Beholzung wurde 
aud) das Eichelungsfervitut für alle Staats: und Gemeindeforſte 
eingeführt, und zwar micht nur für alle Gemeindegenoffen 
einer walbbefigenden Commune allein, fondern gegen Entridj- 
tung einer Kleinen Abgabe auch für jene Commumnen , welche 
feine eigenen Waldungen befigen follten. Diefe Verordnun⸗ 
gen, zum großen Theile ſchon im Jahre 1839 erlaffen, hätten, 
den Berhältniffen des Landes entfprechend, vollkommen zum 
Schutze der jerbifchen Wälder ausgereicht, hätte der Staat bie 
Ueberwachung ihrer Ausführung unmittelbar einem wohl: 
geſchulten Forſtperſonale anvertrauen fönnen. Wo follte 
man aber ein ſolches hernchmen und wenn es vorhanden, 
wie bezahlen, da die in ihren Rechten auf den Walb bes 
ihräntten Gemeinden gegen jebe neue Auflage zu dieſem 
mede opponirt hätten, der Staatöfädel aber durch bie 
ganifation zahlreicher anderer Einrichtungen ſehr in Ans 
ſpruch genommen war. Vielleicht glaubte man auch damit 
genug gethan zu haben, dag man die Natalnits, Kreis- und 
Berirfvorflände, für die genaue Handhabung der neuen 
Forftgefege verantwortlich machte, während man die ums 
mittelbare forftpolizeiliche Aufficht über ſämmtliche Staats: 
und Gemeinbewaldungen den Ortövorftänden (Kmeten) ans 
vertraute, 

„Die letztere Mafregel allein mußte ſchon, wie die Folge: 
zeit lehrte, da® ganze Forſtgeſetz illuforifch machen. Die 
Kmeten (Ortsrichter), welche in erfter Linie die Staats; und 
Gemeindewaldungen gegen Forſtfrebel fchligen follten, waren 
ja eben Bauern, welche mit allen übrigen Gemeindegliedern, 
ja, wenn wir geringe Ausnahmen zugeftehen, mit bem ge: 
fammten Bauernthum von Polen, Tyrol u. ſ. w. diefelben 
Anfihten und Vorurtheile Über Nuten und Schaden der 
Wälder theilten. Trotz der erwähnten Verordnungen fteigerte 
fi) die Verheerung der ferbifchen Forſte im fo bedrohlicher 
Ausdehnung, daß Fürft Michail fie in feiner Eröffnungs- 
rede der Skuptſchina vom Jahre 1864 zum Gegenftande ein« 
dringlicher Ermahnungen machte. Im Jahre 1864 fanc« 
tionirte die folgende Nationalverfammlung die Grundzlige 
eines vom Minifter Cukiſch eingebrachten Forftgefeges, Auf 
der St. Miolsla⸗Sluptſchina (October 1867) erfolgte deſſen 
Schlußredaction, nicht ohne harte Kämpfe im der fonft ge» 
fügigen Berſammlung und nicht ohme den Verſuch, den Einfluß 
ber Regierung auf die Gebahrung in den Gemeindeforften 
nach Diöglichteit zu beſchränken. Schon im feiner gegen: 
wärtigen Faſſung bürfte das neue Geſetz, wenn es nur eifrig 
— wlirde, das werthvollſte Object bes ſerbiſchen 

ationalreichthums vor dem gänzlichen Ruin bewahren. 

„Das meue Geſetz erflärt alle jene zufammenhängenden 


163 


dichten Waldeomplere ald Staatseigenthum, auf welche die 
Gemeinden ober Privaten nicht zweifelioſe Beſitztitel mad}: 
zuweiſen vermögen. Die an — Staatsforſte grenzenden 
Gemeinden ſollen jedoch das Maſtungs- und Weiberecht, 
ferner das Schlagrecht von Bau- und Brennholz fir den 
eigenen Bedarf gegen eine geringe Tape und gegen die ums 
entgeltliche Leiſtung jener Arbeiten erhalten, welche zur Er- 
haltung diefer Forſte erforderlich erfcheinen werden. Die 
Ertheilung der Conceffion zur Ausbeute der Staatswaldun: 
gen im großen Maßſtabe, zur Pottafchenbrennerei u. f. w. 
behielt fid) das Minifterium dev Finanzen im Einvernehmen 
mit dem Senate und mit der Genehmigung des Fürſten 
vor. Das neue Gefeg verfpricht auch die Benugung des 
Waldes für die Ziegenzucht zu regeln, und ftellt die Aufftellung 
eigener Forſtorgane zur Ueberwachung der Forſtpolizei in 
Ausſicht. Ein erfter Anfang in diefer Richtung ift durch 
die Bepflanzung der meiten fandigen Ufer der Morava im 
Potjcharevacer Kreiſe, in der Ausdehnung von 10,000 Tage: 
werten, mit Weiden und Afazien, ferner im Gebiete der 
fürftlichen Pulverfabrit von Stzagare bei Stebernica ge- 
macht worden. Um bdiefem Etabliſſement eine gleiche unge 
ſchmälerte Wafferkraft zu erhalten, hatten fich die Minifter 
des Kriegs, der Finanzen und des Innern zur Beaufjic)- 
tigung der dortigen Waldgebiete durch 25 ausgebiente Unter: 
offiziere entjchloffen. Sie ftehen unter dem Capitän des Bezirkes 
und haben bereits das ſchöne Refultat erzielt, daß die Forſte 
nicht nur geſchont, fondern dag von zehn Gemeinden 
23,000 Dffa Eicheln gepflanzt wurden. Hoffentlich were 
den auch andere Bezirke diefem vielverſprechenden Beifpiele 
folgen, weldjes unter unmittelbarer Yeitung des Herrn Forſt⸗ 
jeeretäird Stoilovitſch ſich vollzog. 

„Wie ſchon oft bemerkt, fehlt es in Serbien an einer 
auf genauen geobätifchen Operationen beruhenden Landes- 
vermeffung und ebenſo an eimem Satafter. Für das 
Areal der Staatöforfte und Gemeindewaldungen giebt es 
gar feine, jelbft nicht eine approrimative Berechnung. Man 
ift über deren Umfang, Gattung, Zuftand und Werth kaum 
im Allgemeinen unterrichtet. Indem ich bezüglich meiner 
eigenen Beobachtungen in diefer Richtung auf das erfte Ca— 
pitel des zweiten Theiles meines Wertes „Serbien® (5455 
bis 476) verweife, fei hier num bemerkt, daß die Eichen» und 
Buchenforſte im Centrum Serbiens, dann in den Gebirgen 
am Pet, am rechten Ibarufer und an der Drina bezuglich 
Dichtigkeit und Größe des Areals die hervorragendften find. 
Nadelholz in größeren Waldcompleren trifft man nur in 
einzelnen Diftricten des Utjchicaer, Catater und Krufevacer 
Kreifes, 

„Die Schätze, welche in ben nod) immer fehr bedeutenden 
Waldgebirgen Serbiens ruhen, blieben bisher, abgefehen von 
ihrer Berwerthung fir die Borſtenviehzucht und den eigents 
lichen innern Haushalt des Yandes, beinahe gänzlich, unbe- 
mußt. Erſt im ben legten Jahren fuchte man den Holz: 
reihthum der Nabelwälder in der Nähe Utſchicas durch 
Flögung auszubeuten. Die Verpachtung der großen Mai« 
daupefer Eichenforfte erfolgte gleichzeitig mit der Ueberlaſſung 
feiner Minen an die nunmehr aufgelöfte franzöſiſche Gejels 
haft. Der Staat hatte jedoch nur Nachtheile aus diefer 
Unternehmung und trat wieder in das volle Eigenthumd- 
recht diefer Domänen. Mit glüdlidyerm Erfolge wurde mit 
ber Ausfuhr von Faßdauben aus ben Savekreiſen begonnen. 
Die ferbifchen Forſte bieten einer foliden Speculation ein 
höchft lohnendes Gebiet. Wie in dem benachbarten Bosnien, 
Croatien und in der Taiferlichen Militärgrenze könnte man 
auch bort durch die Ausfuhr von Waldproducten in Stäm— 
men und im verarbeiteten Zuſtande: ald Bau+ und Brenn 
holz, Brettern, Ballen, Faßdauben und Reifftöden, Wagen⸗ 

21* 


164 F. Kanitz: Zur Schilderung des Waldes in der europäischen Türlei. 


achjen, Radnaben, Eichen: und Eſchenſtangen, Schiffsrippen ıc. | Hatte ich vorstehend die VBerhältniffe der ferbifchen Wald- 
Serbien bedeutende Summen zuführen, während gegenwärtig | wirthichaft in großen Zügen gejchildert, fo darf id) aber zu 
troß feines Waldreichthums große Beträge flir bearbeitete | deren Ergänzung auf zahlreiche Detailjchilderungen in mei— 
Hölzer aller Art aus demfelben ins Ausland wandern !* nem Werke „Serbien“ hinweiſen, weldye diefen durch auf 


J 





Lanudſchaft bei Banja. 


dem Terrain, in Berg und Thal, gemachten Erfahrungen | herrn v. Berg Überzeugen, daß ich für forſtliche Verhältniſſe 
gewiffermaßen locale Farbe geben. Bon vielen hier nur | jtets ein warmes Interefie empfand. Schon auf meinen 
einige Auszüge. Ich hoffe, fie werden dem Lefer des | erften Kreuz- und Ouerzligen durch Serbiens Often (1860) 
„Slobus“ einiges Interefie abgewinnen und ihn wie Frei- bemerkte ih (S. 17): „Bis auf einzelne ſchöne Eichen— 


F. Kanitz: Zur Schilderung des Waldes in der europätjchen Türkei. 


ftänme erlag auch im diefer Gegend ber Wald der cultiviren- 
den Art des Menſchen.“ — ©. 49: „Der fette Wald- 
boden, welcher den Glimmerſchiefer des Crnis®r bis abwärts 
zu feinen Ausläufern gegen Buforovica überdeckt, giebt 
einer herrlichen Baummwegetation veichlihe Nahrung. Ich 
ſah zahlreiche mächtige Bucenftämme mit Kronen von 
feltener Schönheit. Doch audy hier begegnete ich wie 
allenthalben in auffallender Menge den raftlofen Feinden 
des jungen Waldnachwuchſes, der alles benagenden Ziege 
und dem den Boden aufwäühlenden und lodernden Schweine.“ 

©. 215 f.: „Vor unferm Paubzelte brannte ein „leben: 
des“ Teuer, das unfere Schatten in riefiger Berlänge- 
rung auf den weiten Wiefenplan binwarf. Ein Theil un: 
ferer Escorte hatte deſſen Schürung übernommen, Nicht 
etwa Weite und Gezweige nährten daſſelbe — ſolch ein 
Feuer würde einem Serben wenig Freude gewähren —, 
ganze Baumſtämme loderten in lichten Flammen weithin 
leuchtend bis zum frühen Morgen empor, 


Baunrindenbütte anf dem Kopaond. 


Siege zu verhelfen. Norwegen aber, deſſen Bauernjtand nicht 
weniger einflußreich und zugleich nicht minder vorurtheils⸗ 
voll als der ferbifche ift, giebt mach dem Ausſpruche des ſäch— 
ſiſchen Forftmannes Baron v. Berg ein lehrreiches Beispiel, 
in welcher Weife in das Hergebradhte tiefeingreifende und 
ſpeciell foritliche Verbefferungen eingeflhrt werden müſſen.“ 

S. 218: „Immer hielt der Weg die füd-Tüd -öftliche 
Richtung ein. Die Paſſage felbft wurde mit jedem Schritte 
nad) vorwärts ſchwieriger. Wir vertieften uns in einen 
Urwald, deflen Boden die verwefenden Stämme vieler ge: 
fallener Baumgenerationen bededten. Bald wurde es uns 
möglich, zu Pferde Über die ſich mehrenben Hiuderniſſe hin— 
wegzufegen. Wir folgten dem Beispiele unferer Escorte, ſaßen 
ab, führten die Thiere am Zügel und ſuchten ung kletternd 
und fpringend über die mächtigen, ihre vermorſchenden Rieſen⸗ 
arıne und drohend entgegenftredenden Holzmumien Bahn 
zu bredien. Viele Bäume fanden wir hier, ihrer ſchützenden 
Nindenhiille beraubt , einem vorzeitigen Verderben preisge⸗ 





165 


„Selten fah ich ſolchen Waldreichthum, ſelten aber auch 
ſolche Waldverderbung, wie in Serbien. Wohl dreißig junge 
Stämme wurden unferm Bivouac geopfert. Dieſelbe 
Ihonungslofe Mißachtung des Waldes hat den einft fchat- 
tigen Süden Frankreichs, die beriifinte Provence, das früher 
baumveiche, gefegnete Arragonien, ja ben größten Theil Spa⸗ 
niens und den uns viel nähern öfterreichifchen Karſt in 
Wüfteneien verwandelt. Soll der von Gott gefchaffene 
Schliger aller menfhlihen Wohlfahrt, der fchon gegenwär« 
tig an vielen Stellen arg gelidjtete Wald, nicht auch in Ser ⸗ 
bien unvettbar für künftige einfichtigere Generationen ver» 

„nichtet werben, fo ift es höchfte Zeit, diefem Gegeuftande die 
ernfteite Aufmerkſamleit zu widnen, 

„Eben in derartigen, außerhalb des großen Weltverfehrs 
liegenden Yändern ift es die Pflicht einer vorforglichen Re: 
gierung, auf eine wohlfeile Popularität verzichtend, d 
Belehrung, weiſe Geſetze und ſtrenge Durchführung derjelben 


unabweisbaren Forderungen bes Gefammtftaatswohl zum 


2x 22 —— 


— 


ich die Häuſer größtentheils mit Baumrinde gebedt. 
Außer den von diefer Uebung zeugenden Stämmen verfin- 
dete auch wicht die geringfte Andeutung, daß die Majeftät 
unferes Urwaldes durch menſchliches Treiben geſtört worden 
wäre, Da war fein Yaut zu hören und jelbft die befieberten 
Sänger ſchienen diefe durch unheimliche Dede das Gemilth 
beengende Waldhekatombe den heiferen Klagerufen ber Rar 
ben und Dohlen überlaffen zu haben.“ 

©. 276: „Der Rtanj ift ein Yängenberg. Sein 
ſüdweſtlicher Fuß befteht aus Graumade und Graumaden: 
ſchiefer, der im feiner Schichtung, je weiter zur Spige, ſich 
immer mehr aufrichtet, Hieranf folgt Kalfftein. Man kann 
die einzelnen Schichten auf der ganzen Länge des Berges 
verfolgen. Die Nordoftfeite zeigt ſchroffe Abfälle und Wände 
in plöglich emporfteigenden gewundenen Schichten, jo daß 
man die gewaltfame Emporhebung an der Siboftfeite, wo 
der Syenitporphyr liegt, deutlicd; wahrnehmen fann. Ein 
prädhtiger Fichte nwald, der einzige im ganzen öftlichen 


geben. Im diefem ärmften Theile Serbiens werden näm- | Serbien, zieht auf biefer Seite bi zum Gipfel hinan.“ 


166 


Lebensbild des englifchen Forſchers Charles Tyrwhitt Drate. 


Lebensbild des englifhen Forſchers Charles Tyrwhitt Drafe. 


Es ift jet gerabe ein Jahr her, daß einer der tlichtig- 
ften engliſchen Keifenden, der auch als Zoolog rühmlich bes 
fannte Charles Tyrwhitt Drake, in Ausübung des von 
ihm erwählten Berufes geftorben ift; aber noch hat, fo viel 
mir befannt geworden, feine der deutſchen geographiſchen 
Beitfchriften ein Lebensbild von ihm gebradjt, fo lehrreich 
dies auc fein wlirbe, weil es zeigt, wie ein firebfamer und 
beharrlicher Geift felbft ungünftige Verhältniffe zu feinem 
Vorteile wenden und mit geringen Mitteln Borzügliches 
leiften fan. Ich bin mit Drafe fo vielfach, in Berührung 
gefommen und habe gleich Allen, die wit ihm zu thun hatten, 
feine ausgezeichneten Eigenfchaften fo ſehr fchägen gelernt, 
daß ic; mich für verpflichtet halte, der erwähnten Berfäums 
niß abzuhelfen fo gut ic, fann. 

Charles Drake (geb. am 2. Januar 1846 zu Amere- 
ham als jüngfter Sohn des Oberften William Tyrwhitt 
Drake) war Neifender und Forfcher von Jugend auf. Mit 
einen vedenhaft erfcheinenden, aber gleichwohl für das rauhe 
europäifche Klima jehr empfindlichen Körper begabt, fühlte 
er ſich ſchon frühzeitig (1866) veranlaßt, wärmere Gegenden 
aufzufuchen; nur zur milderern Jahreszeit kehrte er öfters 
zu einem Befuche im feine Heimath zurüd. Um feine Zeit 
möglichft niglich anzuwenden, befchäftigte er fich auf feinen 
Neifen mit zoologifhen und geographifchen Unterfuchungen 
und erwarb fid) auf diefe Weife einen reihen Schatz von 
Erfahrungen. Der Schauplatz feiner erften Forſchungen 
war das nordweftlide Afrika; fpäter trat er als frei- 
williges Mitglied bei der Erpedition zur Vermeſſung der 
Sinaihalbinfel (Sinai Ordnance Survey) ein, wurde jedod) 
durch einen heftigen Anfall von Dysenterie verhindert, fich 
thätig an den Arbeiten derjelben zu betheiligen. Kurz dar— 
nad) unternahm er aber mit Profeflor Palmer jene ausgezeich- 
nete Recognofeirung der Wüſte EL Tih — des Schau— 
platzes der vierzigjährigen Wanderungen der Israeliten vor 
ihrer Befigergreifung von Paläftina —, welcher wir bie 
ſchöne durdy den Paleftine Erploration Fund veröffent- 
lichte Karte diejes fo wichtigen und intereffanten Gebietes 
verdanfen. Es waren feine Scwierigfeiten gewöhnlicher 
Art, mit welchen die fühnen Neifenden im biefer Wüſte zu 
kämpfen hatten. Cie legten die ganze weite Reife zu Fuße 
zurliet und mußten ſich auch fonft auf das Nothdürftigfte 
einfchränfen, weil die Mitnahme der anderweitig nöthig ge» 
wejenen Reit» und Yajtthiere die Koften ber Expeditionen im 
dem jo wafjerarmen Yande ins Goloffale gefteigert haben 
würde, wenn überhaupt die Erforfchung defjelben ohne Aufe 
gabe derartigen Comforts möglich gewefen wäre, Drate er- 
zählte mir jelbft, daß er und Profeffor Palmer, nadjdem fie 
ihre gewiß micht leichte Tagesarbeit vollendet hatten, auch 
nod) ihre eigenen Diener fpielen mußten, weil die Erſparniß 
aller liberflüffigen Perfonen von großer Wichtigkeit für 
Durchführung der ſchwierigen Aufgabe erfchien; unter an« 
deren war aud) die Kchenarbeit unter beide Herren ver 
theilt, und wenn Mr. Drake die Zubereitung der allerdings 
einfachen Mahlzeiten übernommen hatte, fielen dem hierin 
weniger erfahrenen Profeflor Palmer das Aufwaſchen der Teller 
und ähnliche Verrichtungen zu. 

Auf ſolche Weife erlernte Drake die Kunft, fid) in allen 
Lagen des Yebens auch mit den befcheidenften Mitteln zu— 
rechtzuſinden, und eignete ſich babei gleichzeitig eine große 
Fertigkeit im Gebrauch der arabiſchen Spradye fowie Ge— 
ſchick im Umgange mit den halbwilden Bewohnern des Yan- 


des an, beides Eigenfchaften, die ihm fpäter bei feiner 
Thätigleit ald Mitarbeiter der Paläftina-Bermeffungs-Erper 
dition fehr zu ftatten kamen. 

Als Drafe ſich mad) Paläftina wandte, hatte Gapitän 
Wilfon, im Auftrag des Paleftine Exploration Fund, bereits 
feine Aufnahme von Jerufalem im Mafftabe von 1:5000 
und fein Nivellement von Jafa nach dem Todten Meere 
vollendet, desgleichen Lieutenant S. Anderfon feine Recog- 
nofeirung des nörblichen Paläftina, und Capitän R. W. 
Stewart hatte eben das Commando der im Jahre 1871 
geplanten Vermeſſung des ganzen heiligen Yandes begonnen. 
Drale's erfte Unternehmungen in Paläftina waren eine 
Durchforſchung der fogenannten Hamah nad Imfcrift- 
fteinen (Winter 1870) und eine Reife mit dem berühmten 
afrifanifchen Forſcher Capitän R. Burton nad) den vulca« 
nifchen Gebieten im DOften von Damaskus fowie 
nad) den „Alah“ oder Hodhlanden von Syrien. Hier— 
auf ſchloß er fich als freiwilliger Teilnehmer an die 
Paläftina-Bermeffung an. Kur danach erkrankte der 
Leiter der Erpedition, Capitän Stewart, jo bebenflich, daß er 
ſich raſch nad) England einſchiffen mußte, um nicht durch län— 
gern Aufenthalt im Yande feine Gejundheit aufs Aeußerfte 
zu gefährden, Drake übernahm an feiner Stelle die Fuh— 
rung der Expeditionen und alle Verantwortung, die mit 
einer jo fchwierigen Stellung verbunden ift, in weldyer er 
als Givilift eine Anzahl von erfahrenen Unteroffizieren des 
Ingenieurcorps zu commanbiren hatte, und bemwahrte fo 
das wichtige Unternehmen vor dem fonft unvermeiblichen 
Scheitern oder wenigftens vor einem großen Mißerfolge. 
Sechs Monate lang —* er unter den ſchwierigſten Ber- 
hältniffen die klaum erft begonnenen Arbeiten weiter, zu einer 
Zeit, da weder Europäer noch Eingeborene an die Thätig« 
feit umter fremden Berhältniffen gewöhnt waren, und im 
hindernißreichen Hligellande; er förderte das Wert mit 
foviel Umſicht, Sachlenntniß, Tact und Geſchick, daß er dem 
zu Kapitän Stewart’ Nachfolger ernannten Lieutenant 
Claude R. Conder vom königlichen Ingenienrcorps Alles 
in beftem Zuftend übergeben fonnte. Er hatte während 
diejer Zeit als Leiter des Ganzen und als Führer und Dols 
metjcher zugleich thätig fein müſſen und hat den folibeften 
Grund für die fpäteren Einzelmeſſungen gelegt, indem er 
ſogleich nach feinem Antritt eine Bafis zu meſſen begann und, 
im Anſchluß an Wilfon’s Aufnahme von Jeruſalem, die Trian- 
gulationen norbwärts bis zur Ebene von Esdrillon fortgeſetzt 
hatte, wo eine zweite Baſis gemeflen werben follte. 560 
engliſche Quadratmeilen waren bereits vollftändig vermefien 
und die Erpeditionsmitglieder gerade mit Ausarbeitung der 
Ergebniffe in Nablus (dem alten Sichem) befchäftigt, als Yiente- 
nant Conder eintraf, defien ſtets bereiter Gefälligfeit ich 
einen großen Theil der näheren Angaben über diefen Theil 
der Thätigfeit Drale's verbante. 

Drake hatte inzwifchen jo warmen Antheil an den Ar 
beiten der Expedition genommen, daß er ſich auch jegt nicht 
von derjelben trennte, wennſchon er fpäterhim feiner Sefund- 
heit wegen ſich einige Male Erholung in Damastus oder 
in feiner Heimath gönnen mußte. Seine Hauptthätigfeit 
beftand, ſoweit fie nicht durch perſönlichen Antheil an der 
Vermeſſung in Anfprud genommen war, in der Feſtſtellung 
der Namen aller in die Karte einzutragenden Oriſchaften, 
Ruinen, Berge und Täler, Fluſſe, Brunnen u. ſ. w, welche 
in einem Yande wie Paläftina ganz befonders wichtig ift. 


Lebensbild des engliichen Forſchers Charles Tyrwhitt Drake. 


Um jeden Irrthum hierbei auszuſchließen wurde zuerſt für 
jedes Meßtifchblatt der zu entwerfeuden Karte eine Namens 
lifte in alphabetifher Ordnung entworfen nad) der überein 
flimmenden Ausfage von mindeftens drei Eingeborenen aus 
der Nachbarſchaft, welche die Expedition zu diefem Zwecke 
überall hinzubegleiten hatten. Diefe Namen wurden an 
Ort und Stelle nad) einer beftimmten Schreibweife in Eng- 
liſch aufgezeichnet und am Abend defielben Tages in Gegen: 
wart der Eingeborenen wieder vorgelefen, verglichen und fo 
fange berichtigt, bis diefe Leute volllommen mit der Auss 
ſprache zufrieden waren ; darnad) fand die Aufzeichnung im 
arabijchen Buchſtaben und wenn möthig eine nodmalige 
Prüfung derfelben ftatt. Die Anzahl der auf diefe Weife 
feftgeftellten Namen ift ſehr groß; fie übertrifft die Zahl der 
bisher aus Büchern oder Karten befannten um fieben bis 
adıt Mal; auf dem Blatte Jeruſalem befinden ſich allein 
über 1600 Namen, und im Durchſchnitt auf jeder deutfchen 
Quadratmeile gegen 50, was bei einem fo ſchwach bevöl- 
terten Yande gewiß beträchtlich genaunt zu werben verdient. 
Der Pibelforfcher wird künftighin im diefen zuverläffigen 
Namensverzeichniffen ein unſchätzbares Hulfsmittel zur Hand 
haben, um die Yage von untergegangenen, im Yaufe der 
Yahrhunderte faſt ſpurlos verſchwundenen Dertlichteiten wier 
der ausfindig zu machen, deren Namen die arabijche Sprache 
mit bewunderungswlirdiger Treue faſt ausnahmslos in 
irgend welcher Dertlichteit feftgehalten hat. 

Drake begleitete die Erpedition auch bei ihren ſchwierig⸗ 
fien Unternehmungen, zu denen vorzugsweife die Bermeflung 
des Jordauthales im Frühjahr 1874 gerechnet werden muß. 
Schon öfters hatte er fic durch Nichtachtung aller Fährlic- 
feiten Srankheitsanfälle zugezogen und namentlic, wurde er 
wicht felten von feinem aſthmatiſchen Leiden heimgefucht. 
Er erholte ſich indefien immer wieder, nad) mehrmwöcentlicher 
Arbeit im untern Jordanthal jedoch warf ihn das damals, 
gegen Ende der Regenzeit, befonders ſchlimme Klima diefes 
Zieflandes nebſt der größten Anzahl der Erpebitionsmit: 
glieder in ganz gefährlicher Weife nieder, und nur der aufs 
opfernden Thätigkeit des englifchen Miffionsarztes Dr. Chap · 
lin in Jerufalem war es zu danfen, daß alle Befallenen 
für diesmal mod) gerettet wurden. Drafe hatte ſchwerer ge- 
litten als die anderen, doc; ließ er ſich nicht zurlichalten, 
der Expedition aufs Neue zu folgen, als fie nad) dem oberen 
Theil des Jordanthales aufbrach. Er fam nad) Bollendung 
diefes Theils der Vermeſſung fräntelnd zurüd nad) Yeru« 
faleın, fühlte ſich aber trogdem im Stande, die Vertretung 
des Pieutenants Conder zur Ubernehmen, der in Geſchäften der 
Erpedition nad) England reifen mußte. Bald indeſſen er- 
griff ihn das Fieber von Neuem, und diesmal in einer 
mehr typhoiden Form. Wochenlang lag der Aeruiſte, unter 
Dr. Chaplin's treuer Pflege, ohme Befinnung auf feinem 
Bette im Mediterranean Bötel in Jeruſalem, deflen Bes 
figer, Herr Hornftein, ihn aufs Freundlichſte bei ſich aufnahın, 
ohne Ruckſicht auf die Nachtheile, welche dies für den Bes 
ſuch feines Haufes zur Folge haben konnte, 

Bei meiner Abreife von Derufalem Mitte Juni 1874 
war ed mir nicht vergönnt, noch Abſchied von dem franfen 
Freunde zu nehmen, mit dem ich nicht nur in biefer Stadt, 
fondern auch in ben Quartieren der Expeditionen zu Haifa 
und Nazareth fowie in ihren „Camps* bei Mar Saba und 
im Jordantheile jo vielfach; im angenehmften und lehrreich- 
ften Verkehre geftanden hatte; ich follte ihn Überhaupt nicht 
wiederjehen, denn als ich Ende deſſelben Monats nad) einer 
Landreife über Damaslus bei Beirut wieder an die Küſte 
fa, fand id) bereits die Nachricht von feinem Tode vor! 

Drafe wußte, daß ihm nur ein verhältnigmäßig kurzes 
Leben beſchieden fein würde, und er nugte deshalb feine Zeit 


167 


auf das Sorgfältigfte aus um nicht ganz ohne Erfolg ge» 
lebt zu haben. Leider feheint er bei diefem edlen Streben 
die Sorge für feine ohnehin ſchon ſchwache Gefundheit nicht 
genug im Auge gehabt zu haben, jo daß eben dieſer Eifer 
nicht unweſentlich beigetragen haben mag, fein Yeben zu ver» 
fürzen, Für feine zahlreichen Freunde und Verehrer ift es 
ein fchlechter Troft, daß fie fagen können, er habe feinen 
erreicht und feinen Namen unvergänglid; eingetragen 
in die Geſchichte der Erforfchungen unſeres Erbballs und 
insbefonbere des gelobten Yandes, Er war ein durchaus 
edler Charakter, von einer Reinheit, die man felten findet, 
und voll treuer Hingebung für feine freunde. Dabei beſaß 
er eine Gefchidlichkeit des Benehmens umd zeigte fid) überall 
voll fo zarter Ruckſſicht, daß fein Camerad Lieutenant Con— 
der von ihm jagen durfte, Drake habe, fo lange er mit ihm 
und anderen Mitgliedern der Expedition, aljo mit Yeuten 
von ber verſchiedenſten Anlage und Befähigung, in jo engen 
Verlehre lebte, wie derartige Reifen es mit ſich bringen, mie 
Beranlafjung zu irgend welder Streitigfeit gegeben und 
ſtets bei allen in beftem Yeumund geftanden. Den Arabern, 
mit denen er während der Bermeflung faft ununterbrochen 
zu thun hatte, imponirte er nicht mur durch feine hohe 
männlich ſchöne Geftalt und durch feine genaue Kenntniß 
ihrer Sprache, fondern ganz befonders auch durch feine 
firenge Gerechtigleitsliebe, feinen unbefcholtenen Zinn 
und eine Feſtigleit, welche nie von dem einmal Geſagten 
und als richtig Erkannten abwich; überall, wo er bei ihnen 
— hinterließ er ein warmes Andenlen, und wo ich ſeine 
ouren nach ihm kreuzte, im Lande Moab oder auf der alten 
Felſenburg Kaufab el Hana (dem Belvoir der Kreuzfahrer), 
ſprachen Beduinen und Fellachen noch mit Yiebe und Ber 
wunderung von ihm, und ließen mic) erlennen, wie viel Gu⸗ 
tes auch unter fogenannten Wilden ein vortrefjlicer Meufch 
durch feine bloße Anweſenheit wirken kann, und wie jehr 
dies hilft, den Weg zu bahnen für diejenigen, welche nad 
ihm mit denjelben Yeuten zu ſchaffen haben. 

Drake's fehnliher Wunfc war, nad) Beendigung der 
Bermeſſung von PValäftina, von welcher er fid) nun einmal 
nicht trennen wollte, feine reihen Erfahrungen über diefes 
Land in einem befondern Buche veröffentlichen zu fünnen. 
Doch der Tod hat ihm unerbittlich hinweggerafft, eine fait 
unerfegliche Yide im die Neihen der waderen Bermefler 
Paläftinas reigend, Indeſſen war es Drake zu feinem Trofte 
noch vor feinem Hinfcheiden vergönnt geweſen, zu ſehen, 
daß die Arbeiten, an denen er jo lebhaftes Intereſſe nahm, 
durch Vermehrung dev Kräfte in einer viel ſchnellern Weiſe 
zu Ende fommen werden, ald man das früher fiir möglich 
hielt; deun während man ganz im Anfang nur 60 engliſche 
Quadratmeilen im Monat vermeflen hatte, jtieg ſpäterhin 
diefe Zahl auf Hundert und hauptſüchlich durch Conder's 
verbefferte Anordnungen bei größerer Uebung der Mann— 
ſchaften auf 150 und 180 Quadratmeilen im Monat, bis 
fpäter, als nad) Zuziehung eines weitern Gehülfen die Ges 
fellfchaft immer im zwei Parteien gleichzeitig arbeiten konnte, 
diefe Zahl ſich fogar auf 280 Duabratmeilen monatlic) 
erhob. Ueber dreiviertel der Arbeit ift gethan und im Soms 
mer 1876 fol das ganze große Werk vollendet fein. Die 
Veröffentlichung der Karten wird dann fofort beginnen. 


Biographiſche Notizen. 
Charles Tyrwhitt Drafe, geboren am 2. Januar 1846 
zu Amersham. 
1866 und 1867 (beide Winter) Reifen und ornithologifche 


Sammlungen in Marofto (Tanger, Tetuan, Mozagan, 
Mogador); die ornithologiſchen Ergebniffe find niedergelegt 


168 


im „Ibis“ 1867, €. 421 ff. md 1869, © 147 ff. 
(Notes on the Birds of Marocco). 

1868 bis 1869 Reiſe in Aegypten und den Nil aufwärts 
fowie auf der Sinai⸗Halbinſel. 

1869 Reife mit Prof, E. H. Palmer durch die Wüſte 
el Tih und im alten Edom und Moab; Rüclehr durd) 
Baläftina, Syrien, Griechenland und die Turlei. Ergeb» 
niffe: The Desert of the Tih and the Country of 
Moab (Palestine Exploration Fund, January 1871, 
New Series Nro 1) mit einer ausgezeichneten Starte und 
vielen Illuſtrationen nad Stkigen von Drale. 


Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens. IV. 


1870 Reife nad) der Hamah, und mit Capitän R. Burton 
in einigen faft unbefannten Gegenden Syriens, letztere 
veröffentlicht in „Unexplored Syria“ by Burton 
and Drake. 

1871 bis 1874 Bermeffung des weftlidien Paläü- 
ftina im Auftrage des Palestine Exploration Fund. 
Hierliber fiehe zahlreiche Auffäge von Drafe in dem 
„Quarterly Statements“ diefer Geſellſchaft, ſowie ber 
Brofhüre „Modern Jerusalem* by Charles 
Tyrwhitt Drake, London 1875, 

1374, 23, Juni, Drale’s Tod zu Jeruſalem. 


Zur Ethnologie und Geſchichte des Aderglaubens, 


Von Dr, Hermann Brunnhofer in Aarau. 


IV, 


Der Uberglaube, der in diefer dritten Periode ber Geiftes- 
entwidelung entfpringt, kann jeinen Urfprung aus dem Pfuhl 
der Umvernunft und des bewußten Betruges faum mehr ver: 
hüllen. Im diefer Periode tritt Schon die Blafirtheit zu Tage. 
Im Geflihl der eigenen Ohnmacht wagt es der Abergläubifche 
nicht mehr, an die Macht der alten Götter zu glauben und 
ben Ydeencultus hält er fir Thorheit. Da lommen dann 
bie wunderbaren Sträfte der elementaren Verförperungen ber 
Naturvorgänge: die Wünfchelruthe, der rothe Faden, bie 
Zarnfappe, die Gewitterglode, ganz gelegen. Dan braucht 
nicht mehr an die Götter der alten Religion zu glauben und 
fann gleihwohl jeden Segen der alten Religion immer nod) 
vollauf genießen. Die Vünfcefruthe verſchafft noch jeben 
Genuß, der rothe Faden heilt noch jede Wunde, die Glocke 
vertreibt noch jedes Gewitter. Und was das Bequemfte ift: 
man hat ſich num gar michts mehr dabei zu denfen. Da 

ilt dann die Ueberzeugung, welche jene Here in Goethes 
Fauft vertritt: 


„Die bobe Kraft 

Der Riffenichaft, 

Der ganzen Welt verborgen, 
Wird dem geichenkt, 

Der gar wicht denkt, 

Er bat fie ohne Sorgen.“ 


Einmal auf diefem Standpunkt angelangt, vermag dann 
der Menſch einen dämoniſchen Egoismus zu entfalten. Da 
ſcheut er dann vor feinem Unfinn mehr zurüd, um, fofte es 
der Ehre feiner Vernunft was es wolle, die Erreichung fei- 
ner Wunſche vorauszuerfahren und feine Zwecke gleichſam 
im Namen des Scidjals durchzuſetzen. Da lieſt dann Wal⸗ 
fenftein die Erfüllung feiner Zukunftspläne in den Sternen, 
da erprobt dann ein Robespierre fein Glüd an den Ent: 
fcheidungen der Kartenjchlägerin Yenormand, da vertraut 
dann ein Napoleon das Gelingen feiner Staatsftreice dem 
2. December, da richtet dann der reiche Amerikaner fein Yes 
ben nad) den Beſtimmungen des tifchklopfenden Geiftes ein, 
Die Wohlfahrt und das Yeben von ganzen Familien, von 
Gemeinden und ganzen Ctaaten hängt dann häufig am 
Strohhalm des abentenerlichiten Zufalls. Und wenn dann 
erſt ber Priefter gar noch erflärt, fein Gebet und fein Opfer 
übten eine zwingende Macht auf die Geiſter aus, fo daf 
fie dem Opfernden jeden Wunfc gewähren müßten, wenn 


nur anders fein Gebet oder Opfer in der vorfchriftsgemäßen 
Weiſe verrichtet werde; wenn er dann ſchließlich verfichert, 
mar brauche die Gebetformel, mit welcher man fonft zu den 
Göttern lebte, nicht einmal auszufprechen oder ale Amulet 
bei fid) zu tragen, man braudye diefelbe nur bei ſich zu ben= 
fen, man gelange dann gleichwohl jofort in den Genuß aller 
der Wirkungen, die man ſich fonft nur von lebenslänglicher 
Frömmigkeit und malellofem Tugendwandel verfpradj: dann 
wahrlid) feiert die Selbftfucht in der Form des abgefeimteften 
Prieftertrugs den höchſten Triumph der Menfchenveradjtung. 
Ein Andachtsbuch brahmanifcher Sectiver enthält folgendes 
Mufterbeifpiel des eminenteften Brieftertruges: 

„Unter allen frommen Öebeten, ſeien fie nun an Sciva, 
Biſchnu oder andere Götter gerichtet, fommt dem Namagebet 
die Höchfte Wirlſamkeit zu. Die anderen Gebete müſſen mehr 
als zchn Millionen Mal gemurmelt werden, dieſer ſechs⸗ 
filbige Ramafprud) aber ift wirffam ohne alle Anftrengung 
{ion durch einmaliges Hermurmeln). Er vernichtet jede 
noch jo große Fluth von Sünden und ift der befte aller 
Sprüche. Sünden, die man aus Noth gethan, mögen fie 
num vierzehn Tage, einen Monat, zwei Monate oder fon 
ein Jahr alt fein, nimmt er gänzlich mit fich fort. Taufend 
Brahmanenmorde, wiffertlic oder unwiſſentlich begangen, 
und zehntaufend Golddiebſtähle, Trumtenheiten, Vergehen an 
der Frau des Lehrers, hunderttaufend Pillionen Vergehen, 
die durch Feinere Sünden entftanden find, — durch das Aus- 
ſprechen des Ramaſpruches werden fie alle vernichtet. Ges 
fpenfter, unfelige Geiſter, Alpe, Kobolde und Unholde laufen 
weit weg vor feiner Gewalt. Wenn ein Schriftgelehrter 
durch Nehmen von Gold und Juwelen ſich verfündigt hat, 
das Murmeln des Ramaſpruches vernichtet alabald dieſe 
Sünde. Ja fogar wenn ſich Einer am feiner eigenen Mut: 
ter vergangen, jo vernichtet das Ausſprechen des Rama— 
ſpruches auch diefe Sünde. Sünden, die man ſogar durch 
reiche Gaben an die Prieſter im Werthe eines Haufens Gold 
von der Schwere des eigenen Körpers nicht flihnen kann, 
vernichtet er ſchnell. Die Sünden aller drei Ultersftufen, 
tiefeingewurzelte Sünden, all das vergeht gänzlich durch blo- 
bes Gedenken an Rama's Spruch. Selbft vorbedachten 
Mord an Bater, Mutter, Schweſter, Kindern, Freunden und 
Lehrern vernichtet man gänzlich durch einfaches Aueſprechen 
des Ramaſpruches. In allen Nöthen braucht man nur die- 
fen Ramaſpruch die Ehre anzuthun, fo jchwindet jede Furcht 


Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Gefchichte des Mberglaubens. TV, 


und Angft vor Unglück. Wenn man Rama vet anfleht, 
fo zeigt er fich fchmell gewogen und gewährt dann langes 
Veben, Herrichaft und endlich die ewige Seligkeit. Wer den 
Ramaſpruch betet, der wird erlöſt, der wird erlöft.* 
„Bequemer fann man es ja nicht haben,“ bemerkt Al— 
brecht Weber, der Herausgeber diefes Ramagebetes, „und 
erflärt ſich hieraus des indischen Bolfes moralische Berfunten« 
heit und Energielofigfeit. Wo es dem Sünder fo leicht ges 
macht wird, Vergebung, ja Vernichtung feiner Schandthaten, 
und wären fie noc fo frevelhaft, zu erreichen, da lann von 
fittlichem Halt eigentlich gar nicht mehr die Rebe fein. Und 
wenn das indische Volk trog alles Wahnwiges feiner fana- 
tischen Sectirer und Muder ſchließlich denn doch noch immer 
einen veichen Fond fittlicher Kraft in ſich trägt, fo ift dies 
ner der unverwüftlichen Güte feiner geiftigen Begabung und 
Natur zuzuschreiben. Haben doch auch wir, ihre alten 
Standesbräder, während des Berlaufes unferer Gefchichte, 
insbefondere im Mittelalter, aber auch bis in die jüngfte Neu: 
zeit hinein, allerlei Phafen durchzumachen gehabt, von denen 
fi) der Freund der Humanität mit Schauder abwendet.“ 
Richt allein in Indien, ſoudern eben überall unter der Sonne, 
ift Wahrheit und Menſchlichkeit feit den älteften Zeiten häu— 
fig genug der Selbftfucht der Priefter zum Opfer geworben, 
Es gab einmal eine Zeit und fie ift noch feine hundert Jahre 
hinter und, wo man alle Religion mit Stumpf und Stiel 
für die Ausgeburt raffinirten Priefterteuges erllürte und dar⸗ 
über das Kind mit dem Bade verfchüttete. Dann famı durch 
die Nomantifer eine Zeit, wo man bie abjurdeften Priefters 
phantafien als legte Trümmer einer untergegangenen Urs 
weisheit pries und darliber der Vernunft der lebendigen Ge— 
genwart fpottete. Heutzutage ift man fi, in Folge der 
Erfenntniß des Urfprungs der Götter, der Einfeitig- 
feit beider Standpunkte bewußt und braucht deshalb felbft 
nicht einmal mehr auch nur zu fragen: Hat Vrieftertrug 
in ausgebehntem Maße jemals ftattgefunden? Dem wer 
bezweifelt denn heute noch bie culturhiftorifche Thatfache, da 
die Humanität nicht durch die Priefter, fondern tro & berfel: 
ben fortgefchritten it? Man denfe doch nur an die pfeudo- 
iſidoriſchen Deeretalen zu Anfang des neunten Jahrhunderts, 
an Tegel’8 Ablaßkrämerei im ſechezehnten und dann gar nod) 
an die Beidjlüffe des vaticanifchen Concils im neunzehnten 
Jahrhundert betreffend die unbefleckte Empfängnig Mariä 
und die Unfehlbarfeit des Papſtes! Schon dieſe Beifpiele 
dürften genügen, um an deren hiftorifchen Folgen den Be— 
weis zu führen, wie ber Prieftertrug von jeher zum Ziel 
hatte, den Fortſchritt der Intelligenz und der Gumanität in 
Strömen Menſchenblutes zu erſticen. Darum eben füllt 
das Datum, am welchem die Unfehlbarkeit des Papſtes pro- 
clamirt wurde, zuſammen mit demjenigen ber Kriegserklä— 
rung, welde Fraukreich, das Bollwerk des römifc -fatho: 
lichen Aberglaubens, an Deutſchland, den Hort des Brote: 
ftantismus und der Denkfreiheit, richtete. Wer ſich aber in 
feiner Heimath orientiven will, wendet feinen Blid gem in 
die Fremde, um am derem Geſchichte einen unträglichen 
Compaß zu gewinnen. Und weil die moderne Neligiond- 
forſchung nur allzugeneigt ift, dem Aberglauben bewußtefter 





nn — — 





Mache womöglich noch den Urſprung aus unbewußteſter Kinder⸗ 


unſchuld nachzuweiſen, jo folge hier ein Heiner Ueberblick über 
die Geſchichte des Prieſtertrugs in der alten und neuen Welt. 

Das Catapatha » Brahmana ift eine der älteften heiligen 
Schriften der arijdhen Inder. Es enthält hauptfäcjlich bie 
Grübeleien der Priefter über den Sinn und die Bedeutung 
der Opferbrüuche und ftammt fpäteftens aus dem achten 
Iahrhundert vor Chriftus. In diefem theologischen Profa- 


der dieſes 


‚ Ichließt: 


werfe wird unter Anderm auch dargeftellt, wie das Menſchen- 
bei jeder Huldigung vor und nad) dem Gebete Näuchertverf, 


opfer zunäcjit in das Opfer eines Roſſes, dann eines Rin- 
Blebus XXVIM. Mr. 11. 


ſchreibung ja weiter feinen Zwed hätte, 


169 


des, dann eines Schafes, dann einer Ziege und ſchließlich in 
das eines Meis- oder Gerftenfuchens Überging, im welchem 
man fich die fünf Opferthiere als in feinen Beftandtheilen 
vorhanden dadjte. Man könnte verfucht fein, die Abſchaf— 
fung der Menſchen- und Thieropfer der humanifirenden 
Thätigleit der Priefter zuzuſchreiben. Diefes ift jedoch nicht 
entfernt der all! Im Gegentheil: das Bolt hat die blu: 
tigen Opfer abgefchafft, das Prieftertfum aber diefelben aufe 
recht zu erhalten geſucht. Denn das Catapatha-Brahmana 
weift alle Erfagopfer für die Barbarei der Thier- und 
Menſchenopfer, als: goldene oder irdene Thierföpfe, zurlic, 
als Abfchmwädcungen des wahren Opfers; man folle nur ims 
mer bie fünf Thiere (worunter auch dev Menfc, inbegriffen 
wird) nehmen, fobald man es irgend vermöge. Einen Eins 
blick in das ohnehin berüchtigte Betrugsſyſtem ichon der alt» 
römischen Priefter gewährt folgende Erzählung des Plutarch 
im Leben Numa’s. Yupiter verlangte in einer Unterredung 
mit Numa, das Sühnopfer folle beftehen aus Köpfen. Da 
fragte Numa rafdj: „Aus Zwiebellöpfen?“ Jupiter aber 
antwortete: „Aus Menfcenföpfen!“ DaraufNuma: „Etiva 
aus Haaren?“ Jupiter dagegen: „Aus lebendigen —“, 
was Numa raſch durch „Sarbellen!* ergängte; und dadurch 
wurde Jupiter zufriedengeftellt. Wenn man bedenft, daß 
Jupiter nur der ibealifirte Oberpriefter des römiſchen Staa— 
tes war, fo begreift man leicht, warum er fo zähe an ber 
Forderung von Menfchenopfern feithielt. Ganz libereins 
ftimmend lautet der Bericht aus dem alten Aztefenreiche, 
Als Cortez fein fürchterliches Blutbad in Cholula angerichtet 
hatte, begab fi; der König Montezuma zum Tempel Huitzi— 
lopochtli’s, brachte arte Dienfchenopfer und befragte den Gott. 
Diefer fprad) ihm Muth ein und verficherte ihn, daß es den 
Cholulanern nur darum fo ſchlecht ergangen ſei, weil fie fo 
Läffig in den Menfchenopfern wären. Welche Molle der 
Prieftertrug bei den alten Juden fpielte, lehrt die in ihrer 
Urt einzig daftehende Gefchichtsfälfcherei, wie fie die moderne 
Bibelforfchung den hiftorifhen Büchern des Alten Teftaments 
nachgewiefen hat. Doc) auch den Juden des Talmud ift 
der „Fromme Betrug“ nicht abhanden gelommen. In dem 
tabbaliſtiſchen Bude Raſiel aus dem zweiten Jahrhundert 
nach Chriftus kommt unter Anderm folgende Stelle vor: 
„Der Engel Metatron ſprach zu Rabbi Iamael: Rabbi, 
ic, will Dir das Maß des hochgelobten Gottes fagen: feine 
Fußfohlen find die ganze Welt. Die Höhe feiner Fußſohlen 
find 30,000 Meilen. Bon feinen Fußfohlen bis an feine 
Ferſen find 10 Millionen und 500,000 Meilen. Bon fei- 
nen Ferſen bis zu feinen Knieſcheiben find 199 Millionen 
Meilen“ und fo fort bis zum Hauptwirbel „des hodhgelobten 
Gottes“ in einer faft unendlichen Zahlenreihe, deren Ab» 
Das Buch führt 
dann aber fort: „Rabbi Jsmael und Nabbi Aliba haben 
gefagt: Wir find Vürgen in diefer Sadje, daß ein Jeder, 
ber das Maß des hochgelobten Gottes kennt, ein Sohn der 
zufiinftigen Welt fein wird.“ Aehnlich Klingt die geiftes: 
verwandte Verſicherung eined mohammebanifchen Prieſters, 
der in der türkiſch a Einleitung zu einem berühmten 
mohammedanifchen Gebete erklärt: „Wenn einer, der fo 
viele Eiinden begangen hätte, daß ihre Wucht fiebentaufend- 
mal größer wäre als bie des Weltberges Kaf, dieſes Gebet 
lieft, fo vergiebt ihm Allah feine fänmtlichen Sünden. Jeder, 
ebet lieſt oder leſen läßt oder bei ſich führt, ber 
wird vor allen Gefchöpfen ins Paradies fommen.“ Und 
ein bubdhiftiicher Priefter Chinas verfichert von einer Yob- 
preifung Buddha's, an weldye fic ein Gebet um Scligkeit 
„Diefes Gebet hat große Wunberfraft: es fann 
jede Sünde tilgen, alles Gute verewwigen. Berbrennt man 


2 


170 


fo ift es noch wirffamer. Wer jeden Tag aljo betet, ber 
wird gewiß ein Seliger, und wer Andere dieſes Gebet lehrt, 
deffen wartet herrliche Vergeltung“ in Glaubens und 
Seiftesverwandter dieſes chineſiſchen Pfaffen emtwictelte im 
Siam vor wenigen Jahren nod) berechnetere Pfiffigfeit. Ein 
buddhiſtiſcher Priefter gab nämlich im Norden diefes Yandes 
vor, eine Offenbarung gehabt zu haben, daß die Beichte ftrens 
ger einzuführen fei und forderte das Volk auf, einen Baum 
nieberzuhauen, worauf ſich feine Sendung beftätigen werde. 
Man fand demm auch wirlic im Innern des bezeidneten 
Baumes eine Schachtel mit einer Kolle, die gleichfalle die 
Beichte anbefahl. Doc; gelang es den Behörden, den Prieſter 
zu dem Seftändniffe zu bringen, daß er felbft dies Document 
vor mehreren Jahren dort verborgen und gewartet habe, bis 
der Baum herangewachſen fei. 

Schließlich wird dann der Priefter jo frech, daß er die 
Kunft, das Volk zu betrligen, zum eingeftandenen Syſtem 
erhebt und dichterifch verherrlicht. So ftellt ung der indische 
Priefter Dandin im fechsten Jahrhundert nad) Chriftus in 
feinem Roman Dagakumaratfdjarita oder die „Abenteuer der 
zehn Prinzen“ die Lehre dar, da Muth und Tapferkeit in 
allen Gefahren den Erfolg fichern, nur müffe man eben fiber 
den albernen Aberglauben der Menge erhaben fein, ihn da: 
gegen zum eigenen Vortheil auszubenten wiffen. (Weber) 

Auch, das Nadicalmittel, deffen ſich das Priefterihum 
aller Religionen zu allen Zeiten bedient hat, um die Bölfer 
mit dem Hinweis auf das felige Leben im Denfeits zu um 
fo größerer Gefügigkeit gegen die Stellvertreter Gottes im 
Diesfeits zu bewegen, ift uns nicht unbefannt. Buddhiſtiſche 
Bücher Ichren: „Buddha kann alle Wefen retten; nur feis 
nen Menfchen, dem der Glaube fehlt.“ Und auf gewiffen 
bedructen Zettelchen, mit welchen die Gebeine der heiligen 
drei Könige zu Köln beftrichen wurden, las man: „Diefe 
Zettel heilen von Gichtbeſchwerden, fallender Sucht und jähem 
Tode — durch einen feiten Glauben." Und nad) Auf- 
zählung der Wunderfräfte irgend eines mufelmännifchen Ger 
betes heißt es bei den Türken allemal: „aber fefter Glaube 
ift nothwendig.* Doch ſchon ein priefterlicher Hymmus 
bes Nigveda lobpreift zwei Jahrtauſende vor unferer Zeit» 
rechnung die Wunderfräfte des Glaubens und ſchließt mit 
der Strophe: 

„Wir flehn um Glauben Morgens früh, 
Wir flehn um Glauben Mittags dann: 
Und bei der Sonne Untergang 

Erbitten wir uns Glaubenskraft.“ 


Bei einem vafchen Ueberblick über die bis hierher darge 


Ueber die Urfadhe der Eiszeit. 


ftellten Berhältniffe ergeben ſich nun zum Schluffe folgende 
Sefichtöpunfte. 

Aller Aberglaube hat feinen Urfprung in dem einem jeden 
Menſchen eingepflanzten Triebe, ſich auf biefe oder jene Weife 
die wunderbaren Näthfel des Dafeind zu erflären. Ein djis 
neſiſcher Weltweifer fagt zwar: „Ic fan nicht einmal wifs 
fen, was hinter der nüchſten Mauer vorgeht; wie follte ic) 
da das unermeßliche Weltall durchſchauen?“ Uber cs ift 
nun einmal dem menfchlichen Geifte die Sehnſucht einge 
pflanzt,, ſich hinauszuſchwingen an die äußerften Enden des 
Weltalls, und das Dafein, wie es ja jo wünſchenswerth 
wäre, ausjclieglic aus unferer Geiftestraft heranszugeftalten. 
Das ift hohe Poefie. Denn diefe Sehnſucht entfpringt der 
erhabenen Weltanficht, aus welcher heraus Schiller feinen 
Wallenftein fagen läßt: „Es ift der Geift, der feinen Kör- 
per baut.“ Aber wenn diefe Poejie ein Singvögelein if, 
weldyes ung die entzüdendften Melodien vortrillert, fo ift fie 
aud) eine Nachteule, deren unheimliches Geſchrei uns mit 
Entfegen erfüllt. Die zarteften Regungen eines feingeftimm- 
ten Gemiths finden im Aberglauben ebenfowohl ihren ent= 
fprechenden Ausdrud, als die grauenvollen Ausbrüche vie 
hiſcher Barbarei. Die tieffte Weisheit und der empörendfte 
Unfinn, der überfpanntefte Hochmuth und die friechendfte 
Teigheit wohnen in dem alterögrauen Babelthurme des Aber: 
glaubens nachbarlich beifammen. Der Aberglaube ift eine 
Elſter: halb weiß und halb ſchwarz. Zur Hälfte gehört 
er ber Region des Lichtes und ber Freude, zur größern Hälfte 
aber ber Region der Finſterniß und des Greuels. Der Aber: 
glaube ift ebem zum größten Theil die Poefie der ungez» 
gelten Phantafie Er kennt entweder feine Scranfen, 
wie fie die Naturgeſetze der Sehkraft unferes Geiftes und die 
Sittengefege der Freiheit des menſchlichen Willens entgegen» 
ftellen; oder aber, wenn ex fie fennt, fo wähnt er ſich fähig 
und berechtigt, diefe Schranke zu feinem Bortheil niederzureißen. 
Er ift eben immer nur der dienfibare Geiſt des bald plump 
wie ein Dorfthier einhertrottenden, bald mit raffinirter Fuchs⸗ 
Lift ſich einfchmeichelnden Egoismus. Er kennt eben immer 
nur fein liebes Selbft und die Unerfättlichleit feiner Genuß: 
gier. Der Begriff des Mitgefühls, des Familienglücks, des 
Gemeinwohls, der vaterländifchen Interefien, der Wilrbe der 
Menſchheit, die Anerlennung der individuellen Freiheit und 
des Selbftbeftimmungsrechtes der Anderen find ihm fremd, 
Er erblidt im Univerfum nur den Spielball feiner launen⸗ 
haften Witnfche, deren Befriedigung er and) das Allerheiligfte 
aufopfert. Bedeutſam genug war dem nordifchen Germanen 
die Walfüve Heidr, die Perfonification der Geldgier und der 
Zaubertunft zugleich. Durd) Heidr fam bas Böfe in die Welt, 


Ueber die Urfade der Eiszeit. 


K. Mad) dem zahlreichen Unterfuchungen, weldje gegen: 
wärtig vorliegen, Tann es nicht wohl einem Zweifel mehr 
unterliegen, daß es in der Vergangenheit unferer Erde eine 
Epodje gab, welche für gewifle Theile der Erdoberfläche ein 
weit fülteres Klima brachte als wir gegenwärtig dort beob» 
achten. Diefe fogenannte Eiszeit, deren Spuren ſich auf- 
wärts bis faft zum Schluffe des Tertiär verfolgen lafien, 
ift Gegenftand auferorbentlich zahlreicher Studien geweſen, 
eineötheild indem man verfuchte die Ausdehnung derjelben 
Uber die heutigen Continente und Infeln feftzuftellen, dann 


indem man nach der Urſache forſchte, welche dieſe unzweifele 
haft jehr lange dauernde Temperaturdepreifion hervorrief. 
Was zunächft die frühere räumliche Ausdehnung der Per: 
eifung anbelangt, fo bringt faft jeder Tag darüber neue 
Beobachtungen. Erratiſche Blöde und Moränen, Streifuns 
gen, Gabelungen und Abjchleifungen der Felſen find es be 
launtlich, welche die frühere Anweſenheit und Wirkung des 
Eifes verrathen. Was Europa betrifft, fo hat fic ergeben, 
daß in der Glacialzeit die Schweiz ganz vergletichert war, 
etwa wie es heute mit Grönland der Fall ift, daß von den 


Ueber die Urfache der Eiszeit. 


Bogefen , den Pyrenäen und den ſchottiſchen Gebirgen unge 
heure Gletſcher tief in die Thäler herabftarrten und 
daß ungefähr gleichzeitig mächtige Eisberge von den 
ffandinavifchen Sebirgen jene erratifchen Blöde in die nord» 
enropätfche Tiefebene trugen, welche heute noch dafelbft ruhen. 
Nach den Unterfuchungen von Simony und GUmbel war 
das Etſchthal in der Eiszeit mit ungeheuren Gletſchern bes 
det. Ein ungeheurer Gletſcher füllte bei Meran die ganze 
Breite diefes weiten Thales aus, Fuchs hat die frühere 
Ausdehnung dieſes Gletſchers genau unterfucht. 

„An der fogenannten „ZEN“, jener Thalenge, an welcher 
das mittlere Etjchthal beginnt, drängte er ſich zwiſchen ber 
Zieljpige und dem von der füblichen Thalwand vorjpringen- 
den „Roßbichl“ hindurch und theilweife Über denfelben hin 
weg, wodurch er ihm die noch jegt jchon von Weitem auf 
fallende merkwürdige abgerundete Form aufprägte und zahl: 
reiche treffliche Schliffe zurlickließ. 

Jenſeits der TöN breitete ſich der Gletſcher wieder aus, 
fo weit es das Thal geftattete. An beiden Thalabhängen 
läßt fih an den Felsſchliffen und den darin eingegrabenen 
Furchen die Richtung feiner Bewegung als eine wefteöftliche 
beftimmen. Auch mächtige Moränen hat er hier zurlid= 
gelaflen, welche oberhalb des Schloſſes Tyrol hoch an der 
Muttipige hinaufreihen, und auf der andern Seite, am 
Marlingerberge, oberhalb des Schloffes Forſt, an gefchligter 
Stelle ſich in gleicher Höhe erhalten haben, 

Der Küchelberg, der auf einer Strede von einer halben 
Stunde Weges allein die Thäler der Etſch und Pafler fcheis 
det, ſetzte dem großen Gletſcher in feinem Fortſchreiten ein 
Hinderniß entgegen; allein der Gletſcher ſchob ſich über den 
etwa 800 Fuß hohen Hügel hinweg, rumdete, glättete und 
polirte denfelben auf feiner ganzen Oberfläche im ber auss 
gezeichnetften Weiſe und ſenlte ſich jenfeits in das Pafferthal 
himab, welches er quer durchſchnitt. Hinter dem Pafleier 
Thore der Stadt Meran und hinter der Zenoburg zeigen bie 
Ritzen in den Gletjcherichliffen, daß der Etſchgletſcher ſich 
hierher erftredte und noch im derjelben Richtung ſich fort: 
bewegte. Erſt als er auf der Dftfeite des Paſſerthales an 
die colofjalen Wände des Iffinger und feiner Borberge ans 
ftieß, war feinem Vorbringen im diefer Richtung ein Ziel 

efegt.“ 

. Nicht minder war Kärnthen, beſonders der mittlere 
Theil des Landes, nad) den Forjchungen von Hans Höfer 
einft vergleiſchert. Diefer fleifige Beobachter gelangt zu 
dem Kefultate, daß um die Zeit der erften Glacialbildungen 
der Schweiz eim einziger Riefengletfcher ganz Mittelfärnthen 
einnahm und eine Mächtigleit von mindeftens 2000 Fuß 
befaß. Durch Abſchmelzen diefes und anderer Gletſcher bil- 
dete fid) das fogenannte Fluthdiluvium, welches die Klagen: 
furt-Bleiburger Ebene bildet und Bos taurus, Ibex Ceben- 
narum und Rhinoceros thichorhinus führt. Es ift we: 
niger frudjtbar wie das Erraticum, welches ſich bis zu Höhen 
von 4000 Fuß Hinanzicht und häufig den Grund jo hoher 
Aeder bildet. Es ift mit geößter Wahrfcheinlichleit anzus 
nehmen, daß die Endmoränen von Raibl, im Möl- und 
Malnig- Thale der zweiten Glacialperiode ber Schweiz ent« 
fpredien. Das itungögebiet derfelben war weitaus 
beſchranlter als das ber erften Eiszeit. Zur Zeit der erften 
Kärnthner Hacialerfheinungen erlaubte übrigens das Klima 
nod reiches animalifches und vegetabilifches Leben. Prof. 
Höfer glaubt, daß es zur Erklärung der großartigen Ber: 
gletfcherung Kürnthens genilgt, eine Temperaturabnahme von 
faum 3° R. anzunehmen. 

Bei der ungeheuern Ausdehnung der mittelenropäifchen 
Gletſcher in der Eiszeit kann man ahnen, welch' colofjale 
Eismafjen auf den norwegifchen Gebirgen lagerten und dort 


171 


als Gletſcher in die Thäler Hingen, auch wenn man nicht 
durch die erratifchen Blöde darauf gewiefen wilrde. Menn 
aber nad) dem Borgange von Peſchel umd Anderen A. Hel⸗ 
land fogar die Entftehung der norwegifchen Fjorde auf die 
Thätigteit von Gletſchern zurlickführt und glaubt, da dies 
felben Gletſcher gleidgeitig durch Zuflihrung von Detrit- 
mafjen die ganze Norbfee in merklichem Maße feichter gemacht 
hätten, fo find wir hier ſchon bei jenen überfchwenglichen An- 
ſchauuugen angelangt, welche das Verhältniß zwiſchen Urſache 
und Wirkung leicht außer Mugen laſſen. Heim und Kje— 
ruf haben zudem machgewiefen, daß es mit ber thal- und 
fiordbildenden Wirkung der vorzeitigen Gletſcher gute Wege 
hat. Auch Pfaff hat gezeigt, zu welchen Abfurditäten es 
führt, wen man die Gletſcher Thäler aushobeln läßt. 

Begeben wir und von Europa nad, Nordamerifa, fo fin 
den wir auch hier Zeichen ehemaliger gewaltiger Gletſcher. 

Blade hat in den hohen Regionen der californifchen 
Sierra Nevada, zwiſchen 36 und 38° nördl. Br., alfo unter 
den Parallelfreifen der füblichften Spigen Europas, in einer 
Erſtreckung von Hunderten von Meilen, die deutlichften 
Spuren von Öletjherwirkungen erfannt. Die Granitmaſſen, 
welche dort den Haupttheil des Geſteins bilden, erſcheinen wie 
gebobelt, gefurcht und geftreift, und zwar im Allgemeinen in 
ber Richtung der Thäler Hin; auch Moränen fehlen nicht. 
Den Wirkungen nad) zu urtheilen, ſcheint die Ausdehnung 
der Gletſcher am bebeutendften auf der weftlichen Seite des 
Gebirges gewefen zu fein. Sollte ſich dies beftätigen, fo 
wäre hierdurch der Beweis geliefert, da damals, wie nod) 
heute, die meteorischen Waſſer reichlicher auf der oceanifchen 
wie auf der continentalen Seite waren, 

Noch großartigere Gletſcherwirkungen will Agaffiz im 
öftlichen Theile Nordamerikas wahrgenommen haben. „Im 
Jahre 1848," berichtet er, „betrat ich das Feſtland von Ame⸗ 
rifa, und bei meiner erften Promenade, wenige Stunden nad): 
dem der Dampfer, mit dem ic) gelommen, in Halifar ans 
gelegt hatte, fand ich auf allen Hügeln die mir jo befannten‘ 
Gletſcherſpuren. Ich gewann die Ueberzeugung, daf in 
gewifien Perioden das Klima der ganzen Erde eine bedeus 
tende Beränberung erlitten habe." — „Meine Unterfuchungen 
find von anderen Geologen fortgejet worden und haben diefe 
zu benfelben Ergebniffen geführt. Ich bin zu dem Refultate 
gefommen, daß ganz Nordamerika bis zu 36, vielleicht fogar 
bis zu 32° nördl. Br., alfo bis Charlejtone in Sitdcarolina, 
einft von Eismaflen bededt war. Zu Columbia in Sud⸗ 
carolina habe ich unzweifelhaft Spuren von Einwirkungen 
geſehen, eben jo am dem Ufern bes Ohio und in den weſt⸗ 
lichen Staaten, und der Augenſchein zwingt mich zu ber Er- 
flärung, daß der nordamerilaniſche Eontinent bis zu diefen 
Breiten einft ein fo kaltes Klima beſaß, daß hier eben foldhe 
Gletſcher entftehen konnten, wie man heute im Grönland 
findet. Hier befinden wir und indeß vor einer großen 
Schwierigleit, welche man als ſehr wichtigen Einwurf diefer 
Berallgemeinerung entgegengefeßt hat. Es giebt nämlich in die⸗ 
ſem Theile Ameritas feine Höhen, von welchen die Gletjcher 
herabfteigen konnten, feine Bergketten, auf welchen fid) das 
Eis anhäufen und ſchließlich bis zu niedrigeren Breiten vor» 
rüden lonnte.“ 

„Wie wäre es möglich, daß ein Gletſcher ſich auf einer 
ebenen Fläche vorwärts bewegen könnte? Obgleich wir nir- 
gendiwo in den Alpen einen Stetfcer finden, der ſich Horis 
zontal fortbewegte, fo treffen wir denmoch auf der horizontalen 
Oberfläche des Staates Neupork längs der Scen und allent- 
halben im Welten jo übereinftimmende Zeichen, bie auf die 
Bewegung früherer Gletſcher deuten, daß ſelbſt der am ſchwie⸗ 
tigften zu überzeugende Beobachter geftehen muß, es haben 
fid) Hier einft Gletſcher auf horizontaler Ebene bewegt. 

22% 


172 


Uebrigens hat ein däniſcher Naturforſcher ähnliche Gletſcher 
unlängft in Grönland entdedt. Wan wird mir allerdings 
einwerfen: Welche Kraft bewegte denn den Gletſcher vor- 
wärts? Man weiß, daß die Temperatur ſich mit der geos 
graphifchen Breite verändert, daß fie niedriger im Norden 
und höher im Süden ift; ferner ift befannt, daß die atmo- 
ſphariſche Feuchtigkeit häufiger im Norden als in füblichen 
Gegenden in Geftalt von Schnee aus der Luft fällt. Diefe 
Umftände zwingen ung zur Erflärung der Erſcheinung. Der 
aus den Wolfen herabgefallene Schnee wird zunächſt in Eis 
umgewandelt und unter der angezeigten Einwirkung beginnt 
diejes fich zu bewegen, aber nicht gegen Norden hin, was der 
Vewegungsurjace entgegen fein wilrde, fonbern gegen Süden. 
Man muß die Öletfcher als meteorologifche Phänomene ana- 
log den Meeresftrömungen betradjten, welche ſich in der Rich— 
tung bewegen, nach welcher hin ſich die Ausgleichung der 
Temperatur vollzieht, aljo von Norden nad Süden Man 
tann noch die Frage nad) der Mächtigkeit der ehemaligen 
Gletſchermaſſen aufwerfen. Beobachtungen, welche id; vor 
wenigen Jahren im Staate Maine angeftellt, überzeugten mic), 
daß im diefer Gegend die früheren Gletſcher 2000 Meter 
Dide beſeſſen; heute bin ich von dem Vorhandenfein von 
Schneeſeldern auf unferm Continente überzeugt, deren Mäch— 
tigfeit 4000 bis 4300 Meter erreicht. Die Umbildung 
joldyer Schneemaffen in Eis, der von dieſem legterm felbjt 
ausgelibte Drud und das ungleiche Eindringen von Waſſer in 
diefe Maſſe genligten, um die von Norden nach Süden fort: 
jchreitende Bewegung zu erzeugen. löge nun diefe Erflär 
rung richtig fein oder nicht, jedenfalls fteht die Thatſache feft, 
daß wir auf dem ganzen amerifanifchen Gontinente unzwei- 
felhafte Spuren von Gletſcherwirlungen vor uns haben. 
Wir erbliden polixte Felsmafien von den arktijchen Regionen 
bis zum 32, Breitengrade, wir finden die Abſchabungen in der 
Richtung von Norben nady Süden, und, was noch augenfälliger 
fpricht, wir finden ungeheure Mengen von erratiichen Blöden 
über die ganze Oberfläche des Continents zerftrent, die wir 
bezüglich ihres Urſprungs auf Felsmaſſen zurldjlhren lön⸗ 
nen, die ſich noch hoch im Norden befinden, Alle diefe Thats 
ſachen beweijen, daß die Bewegung in der Richtung von Norden 
nad) Süden ftattfand, und ferner find fie bezüglich der Tem: 
peraturverhältnifie der Erde hinreichend, um unfern Schluß 
zu rechtfertigen, daß ungeheure Gletſcher ſich über ganz Nord» 
amerifa bis zu der vorhin angegebenen geographifchen Breite 
ausdehnten.“ 

Die angegebenen Beweiſe der amerilaniſchen Eiszeit wa— 
ren file Agaffiz fo ausreichend, da, als er wenige Jahre 
vor feinem Tode nad) Brafilien ging, er and) dort unzweifels 
hafte Anzeichen früherer Gletfcher zu erfennen glaubte. „Auf 
der Reife von Rio Janeiro,“ jagte er, „bis in die Nähe von 
Pernambuco habe id) überall diefelben Thatfachen gefunden, 
und als id) das Thal des Amazonenftromes befuchte, konnte 
ich feftftellen, daß daflelbe chemald von einem ungeheuern 
Gletſcher bededt war, der, von den Anden herabfteigend, bie 
zu den Küften des Atlantifchen Oceans reichte. Ich bin 
überzeugt, daß die Detritusmaflen, welche heute das Ama- 
zonenthal bilden, durch das Eis zerbrödelt und über das 
ganze Terrain ausgeſtreut worden find, genau jo wie ber 
thonige Schutt des Rheinthales urſprunglich aus den Alpen 
ftammt und von den aus den Gletſchern kommenden Wafjer- 
maſſen weggeſchwemmt wurde. Der Unterſchied beftcht nur 
darin, daß das Amazonenthal gänzlich von Gletſchern ſelbſt 
bedeft war. Die Felsoberflächen zeigen freilich) nirgend die 
befannten Bolirungen, weil die allenthalben den Wirlungen 
einer tropifchen Sonne und der warmen Regengüffe aus 
gefegten Felſen längft bis zu großer Tiefe zerfegt find. 
Dennod; zeigen fie im Allgemeinen den Charakter, welchen 


Ueber die Urſache der Eiszeit. 


wir überall finden, wo die abrundende Wirlung der Öletfcher 
aufgetreten ift. Auch Moränen find vorhanden. Wie ber 
merkt hatte ich aus der allgemeinen Natur des Amazonen- 
thales, felbft bei dem Fehlen jedes directen Beweiſes, auf bie 
ehemalige Vergletſcherung gefchloffen. In einem Vortrage, 
ben ich E Para hielt, wies ich baranf hin, daß man bei 
Sierra Spuren einer Endmoräne finden müffe, ohne daß ich 
bis dahin diefe Localität befucht hatte Als ich mehrere 
Wochen fpäter Sierra befuchte, fand ich hier in der That 
Refte, welche vollftändig denjenigen gleichen, die man im der 
unmittelbaren Nachbarſchaft der Alpen antrifft.“ 
Das Endergebniß der Unterfuhungen von Agaffiz ift, 
bag in Brafilien, in Regionen, wo heute die tropifche Sonne 
ihre glühendften Strahlen herniederfendbet, einft ein Eisfeld 
ſich ausdehnte, das vom Thale des Amazonenftromes bis zum 
Altantifchen Ocean reichte „und vieleicht das Meer in fol 
her Ausdehnung bebedte, daß man in ähnlichem Sinne wic 
heute bei den Polarregionen fich fragen darf, ob damals 
tropfbar flüffiges Waſſer unter dem Aequator vorhanden war.“ 
Das find im der That merhwürdige Ergebniffe; aber die 
Frage ift, ob die Wahrnehmungen von Agaffiz aud) rich— 
tig gedeutet wurden. Gerade bei Gletſcherſpuren ift Vorficht 
und faltes Blut fehr am Platze. Haben wir doch gejehen, 
daß Hoofer in Marollo ganz unzweifelhafte Anzeichen einer 
ehemaligen fehr intenfiven Eiszeit gefunden hat, während 
RK. von Fritfh und Rein else Rutſchflächen und 
Schuttlegel von Bergſtürzen fanden, wo Hooker Gletſcher⸗ 
ſchliffe und Morünen ſah. Nun, die Wahrnehmungen von 
Agaffiz haben von anderer Seite auch abweichende Deu- 
tungen erfahren. Die Beobachter von Santiago finden rein 
eruptive Bildungen, wo Agaſſiz ſcharf marlirte Moränen 
ſah, und was das Amazonenthal anbelangt, jo hat im Jahre 
1872 Hart im American Journal of Seience and Arte 
Unterfuchungen veröffentlicht, wonad; die ehemalige Bereifung 
deſſelben ſehr problematifch erfcheint. Hiernach kann man 
ſich wohl berechtigt halten, die Spuren der chemaligen Eis— 
zeit im verfchiedenen anderen tropiſchen Gegenden einer 
wohlverdienten Bergeſſenheit anheimzugeben. Bis jegt wiſſen 
wir nur mit Sicherheit, daß in gewiflen gemäßigten Breiten 
eine oder fogar mehrere Perioden größerer Kälte vorge- 
fommen find, und es entfteht die Frage, auf welche Urſachen 
diefe merfwürdige anomale Erfcheinung zurüdzuführen fein 
dürfte. An Hypotheſen in diefer Beziehung hat es nicht gefehlt. 
Hier können nur die hauptfächlichiten lurz berlihrt werden, 
Zumädyft glaubte man, und biefe Annahme war uns 
weifelhaft am naheliegendften, in der Glacialgeit habe die 

nme weniger Wärme ausgeftrahlt. Wenn man annimmt, 
daf die Würmeftrahlung der Eonne zu verſchiedenen Zeiten 
eine fehr ungleiche, bald beträchtlich größere bald geringere 
als die heutige ift, jo wäre diefelbe Hypotheſe ſcheinbar auch 
für die Erflärung der ehemaligen größern Wärme ber polas 
ren Gegenden zu verwerthen. Nach allem was wir heute 
über die Entftehungsgefchichte von Sonne und Erbe wiflen, 
find wir zu der Annahme gezwungen, daß das leuchtende 
Tagesgeſtirn in der Borzeit mehr Dre oder doch minde⸗ 
ſtens ebenſoviel Wärme wie heute ausgeſtrahlt habe. Fur 
eine Eiszeit fände ſich alſo hier feine Urſache. Beiläufig 
bemerkt, freilich auch nicht zur Erflärung des tropifchen Keli⸗ 
mas der arktifchen Gegenden in ber Tertiärzeit. Denn 
wenn wir fir damals aud eine genügende Sonnenwärme 
annchmen, um während die Sonne über dem Horizonte ift 
die Fortentwickelung von Magnolien, Platanen und Sequoien 
auf Grönland oder Spigbergen zu geftatten, jo mlißte doch 
die Abkühlung während der arltiſchen Nacht bedeutend genug 
werden, um die Temperatur tief unter den Eispunft herab: 
zubringen. Unter 70% nördl, oder ſudl. Breite geht die 


Ueber die Urfache der Eiszeit. 


Sonne zwei Monate lang, unter 75° mehr als drei Monate 
hindurch, unter 80% über vier Donate lang nicht auf. Die 
Luft und der Erdboden im jenen Breiten jtrahlen während 
deſſen ununterbrochen gegen den falten Weltraum Wärme 
aus, ohme Erſatz dafür zu erhalten. Das Refultat ift, wie 
befannt, eine ſehr niedrige Temperatur der betreffenden Re» 
gionen. Gerade diefer Umftand, weit weniger der Mangel 
einer intenfiven Wärme in der furzen Sommerzeit, ift et, 
wodurch das Gedeihen des Baumwuchſes in den arktifchen 
Gegenden unmöglic; gemacht wird. Middendorf fand im 
Taimirlande Anfangs Auguft die Aufttemperatur + 16° E., 
tiefer am Boden fogar + 24° C. Das entjpricht unge: 
fähr dem Maximum der Luftwärme, welche mar im Som: 
mer im mittlern Deutjchland beobachtet. Nichtsdeſtoweniger 
gehören die Regionen des Taimirlandes zu dem veröbdetften 
und fchredlichften auf dem ganzen Erdballe. Wenn der 
kurze Sommer ſich dort einftellt, jo ſchießen wunderbar 
ſchnell an den fonnigen Abhängen einzelne Moofe und Blüm- 
chen auf, gleich als eilten fie zum Blühen zu gelangen, ehe der 
lange Winter wieder anbricht. Denkt man ſich in jenen Ge— 
genden die Sonmenwärme während bes Sommers auf das 
Doppelte gefteigert (wodurch freilich gleichzeitig weite Streden 
der heißen Zone, die heute ein üAppiges animaliſches und 
vegetabiliſches Leben zeigen, in traurige, verbrannte Wuſte 
verwandelt wirden), jo würde die Summe der empfangenen 
Wärme doc, nicht genligen, um während der langen Winter: 
zeit die Lufttemperatur auf derjenigen Höhe zu erhalten, 
welche nothwendig ift um den Baumwuchs vor dem Erfrie- 
ren zu bewahren. Wollte man aber auch die innere Erb» 
wärme zu Hllfe rufen und annehmen, diefe wäre im ber 
damaligen Zeit nahe der Erdoberfläche weit bedeutender ges 
weſen, als heute, fo wiirde auch diefe nicht aushelfen fünnen. 
Denn wenn die Erdwärme während der langen Polarnadht 
in Höhen von 20 bis 40 Fuß Über dem Erdboden bedeutend 
genug fein fol, um Pflanzen vor dem völligen Erfrieren 
zu jchügen, fo müßte fie dicht unter dem Boden gewiß jo 
bedeutend fein, daß die Ernährungsbebingungen des vege- 
tabilifhen Lebens geftört würden. Bei diefer Gelegenheit 
fol nebenbei darauf aufmerkſam gemadjt werben, daß bie 
hente bei den Geologen fo beliebte Annahme des vorwiegens 
den Einflufies der Bodenwärme auf die Oberfläche ber Erde 
und das Klima in früheren geologischen Perioden vollftän- 
dig haltlos ift. In diefer Beziehung laffen die mathenas 
tijchen Unterſuchungen Thomſon's, welche ſich auf bie 
bewundernswürdigen Arbeiten Fourier's gründen, feinem 
Zweifel Raum. Die Abhandlung Thomfon’s über die 
fäculare Abkühlung der Erde erſchien 1862 in den „Trand- 
actions ber föniglichen Geſellſchaft zu Edinburgh“, in deutfcher 
Uebertragung findet fie ſich in der Ucberfegung von Thom» 
fon und Zait’8 Handbuch der theoretifchen Phnfik *). 

Wer diefe Arbeit gehörig witrdigt, muß dem BVerfaffer 
vollfommen beiftimmen, wenn er der inıtern Erdwärme felbft 
in den früheften Perioden jeden Einfluß auf das Klima ab- 
fpricht. Höchſtens nur während ber erften 10,000 Jahre 
nad; dem Beginne der Erftarrung fan die Oberfläche nad) 
Thomfon durd; die ans dem Innern zugeleitete Wärme 
mertlich beeinflußt geweſen fein. Im den erften drei oder 
vier Millionen Jahren würde fich in den oberften Schichten 
des Bodens allerdings eine etwas höhere Temperatur fühl 
bar gemacht haben, aber am Ende diefes Zeitraums betrug 
die Zunahme in dem von Thomfon betradjteten Falle höch- 
ſtens nur 0,19 per Fuß und müßte dann im Verlauf von 
weiteren 96 Millionen Jahren auf 0,02° per Fuß abnehmen, 


— 


Sohn. I. Band, 2, Theil, S. 434 ff. 


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N 


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) Braunschweig 1874. Werlag von Friebrih Bieweg und | 


173 


Um den Schwierigkeiten, welche in der Annahme einer 
früher beträchtlic) geringern Sonnenwärme Liegen, zu entgehen, 
hat Prof. Mohr angenommen, daß in der Epoche der Eis: 
zeit die Erde ſich viel weiter von der Sonne entfernt befun- 
den habe, ald gegenwärtig. Im der Entfernung des Plane: 
ten Mars würde die Erde noch nicht die Hälfte der gegen- 
wärtigen Sonnenwärme erhalten und wie biefer Hanet 
ſicherlich Eiszonen erhalten, welche ſich bis zu 55% Breite 
erftredten. Aber es ift nicht wahrſcheinlich, daß die Erde 
zur Glacialzeit eine weſentlich größere Entfernung als gegen- 
tärtig befaß. Uebrigend müßte nad) der Mohr'ſchen Hypo» 
thefe die Bereifung der Erde vor der tertiären Epodje noch 
größer gewejen fein, wovon nichts befannt ift. 

Der Franzofe Adhémar hat bekanntlich zur Erflärung 
der Fißgeit auf die 21,000jährige Umſchwungsdauer der 
Apſidenlinie hingewiefen und in den dadurch erzeugten Ber— 
hältniffen eine Urſache der Glacialerſcheinungen erbliden 
wollen, doc, hat jeine Hypotheſe vor einer ftrengen Kritil 
feinen Beſtand. Plaufibler ift die befannte Theorie von 
Schmid, und was von Pefchel und Anderen dagegen vor 
gebracht worden, ift unerheblich. Mber die unzweifelhaft 
ftattfindende Wafferverfegung ruft aller Wahrſcheinlichleit 
nad) feinen ftabilen Gleichgewichtszuſtand hervor und funmirt 
fid) deshalb nicht im Laufe der Zeit. James Croll 
meinte bie Kälteperioben durch Beränderungen der Exdercen- 
tricität in langen Zeiträumen erflären zu lönnen. Er kommt 
babei auf Zeiträume von vielen hunderttaufend Jahren und 
verlegt die letzte Eiszeit in die Jahre 240,000 bis 80,000 
v. Chr. Wenn man die Funde von Kunſiproducten aus der 
Eiszeit betrachtet, jo lann man Aiefer Berechnung in feinem 
Fall beiftimmen. 

Lyell fcheint der Erfte gewefen zu fein, der die Urſachen 
der Gletſcherperioden in rein tellurifchen Zufländen, im der 
Bertheilung des Starten und Flüſſigen auf der Erdober— 
fläche ſuchte. Man glaubte anfangs, daß die von dem bes 
rühmten englifchen Geologen angegebenen Urſachen zu localer 
Natur feien, um als Grund fo allgemeiner und bedeutender 
ZTemperaturveränderungen angefehen werden zu können. 
Nach und nad) haben ſich jeboch die Meinungen ber Lyell'ſchen 
Hhpothefe günftiger geftaltet, bejonders feit Ejcher von 
der Finth im Jahre 1852 zuerft die Anficht ausſprach, daß 
eine allgemeine Ueberſchwemmung der Sahara in der poft« 
tertiiren Periode bie colofjalen Dimenfionen, welche bie 
Alpengleticher damals befeflen, leicht erfläre. Ein Suüdwind, 
welcher unter den damaligen Berhältnifien von der Sahara 
her, mit Feuchtigkeit beladen, die Alpen erreichte, mufte 
hier in der Höhe ungeheure Schneemaffen entladen, fo daß 
biefer Wind, während er heute die Schneemaffen vermindert, 
fie damals fortwährend vermehrte, Neuerdings ift indeß 
die Eſcher'ſche Theorie von Dove imfofern als unhaltbar 
nachgewiefen worden, als ein der Sahara entftanımender 
Sudwind nicht ſowohl die Schweiz als vielmehr Border: 
afien treffen wird, Dort, in den Armenifchen Hochgebirgen, 
hat man demnach die Wirkungen einer vormaligen Ueber 
ſchwemmung der Sahara zu ſuchen. 

Im Allgemeinen werben bedeutende Himatifche Aenderuns 
gen größerer Theile der Erdoberfläche nur durch beträchtliche 
Umwandlungen in der Bertheilung des Starren und Flüfr 
figen möglidy fein. Im einzelnen Fällen aber fünnen ver- 
hältnigmäßig u Mobdificationen in der gegenmärtigen 
Configuration der Hüften ſehr bedeutende klimatiſche Revolu- 
tionen hervorrufen. So wlirde z. B. eine Ablentung des 
Solfftromes von ben enropäifchen Küften die größten Ber 
änderungen im Klima Weft- und Nordwefteuropas bedingen. 
Die Temperaturgegenfäge, welche diefe ungeheure Warın« 
waflerleitung zwifchen ber europäifchen und norbamerifas 


174 


nifchen Kuſte bedingt, fprechen ſich am deutlichſten in der 
folgenden Zufammenftellung der mittleren Monatstenpera- 
turen zweier Stationen, in Labrador und Norwegen, ans. 








Rain (Labrador) Bergen (Norwegen) 





670 10 n. B. cn. 

Januar 2... — 13,88. —130 R. 
Februar — 12,7 + 21 
7 Er — 10,9 + 25 
April or er. — 09 + 5,5 
2 —— + 19 + 86 
Semi — — — - + 47 + 10,9 
Misere + 81 + 12,6 
Auguft. +... + 84 + 119 
September . - - +» + 58 + 9,9 
Detobr 2... + 08 4 74 
November . . — 24 + 38 
December. 2... — 11,3 + 238 
Größter Unterfchied 29,2 11,3 


Um aus diefen Temperaturangaben den wirklichen Ein 
fluß des warmen Golfftrommafers im Gegenfage zu dem 
polaren Eisftrömungen, welche längs der Yabradorfüfte nach 


Süden ziehen, herauslefen zu können, muß man die den ber 














Rajn in Labrador. Le 
Januar +... - — 5 R +12 N, 
Februar 2. « — 86 + 79 
Mi - es. 2... — 69 — 02 
Upil 22220. — 19,0 _ 74 
SE een — 19,8 — 12,8 
mi... :0.0. — 21,0 — 15,6 
Sl... — 16,3 — 108 
Auguft »- ee. — 86 — 43 
September » .. + « — 23 + 83 
Dchber 2. 1... + 30 + 99 
November .... - + 52 + 18,2 
December -».... — 07 + 147 


treffenden Baralleltreifen von 57 und 601/59 Breite ent- 
fprechenden Normaltemperaturen in Betracht ziehen. Belannt- 
lic hat Dove ſolche Normaltemperaturen für die einzelnen 
Parallelfreife empirisch abgeleitet; aber ftatt der von ihm 


Aus allen Erdtheilen. 


gefundenen Werthe fann man befler die Temperaturen bes 
nugen, welde Mach mathematifch für die verſchiedenen 
Paralleltreife abgeleitet hat, unter der —— daß 
die Temperatur zur Zeit der Aequinoctien unter bem Aequa- 
tor nad) Humboldt 22° N, beträgt. Die vorfichende zweite 
Tabelle enthält die Unterfchiede zwiſchen Rechnung und Wirl— 
lichkeit. 

Man erficht ans diefer Tafel, wie ungemein unglnftig 
Nain gegen Bergen geftellt ift, indem ununterbrocen bie 
wahre Temperatur unter der normalen bleibt. Die höhere 
Wärme, welde die Tafel für October und November ergiebt, 
ift größtentheils nur fcheinbar, indem bei der Berechnung 
dos Maximum der Wärme für den Monat Juni angenom- 
men wurde, während es wegen der geringern Ausftrahlung 
faft zwei Monate fpäter fällt, genau fo wie auch die größte 
Tageswärme nicht auf 12 Uhr Mittags, fondern etwa zwei 
Stunden fpäter eintritt. Wie man ferner fteht, macht ſich 
ber Einfluß des Golfftromes flir Bergen in den Winters 
monaten durch eine ftarfe Erhöhung der Lufttemperatur gel- 
tend, während in Folge der geographifchen Lage die Sommer- 
wärme ebenjo beträcjtlich heruntergedrlickt wird, trogbem fie 
indeß nod) immer im Monattmittel des Juli auf 12,69 R. 
fteigt. Umgekehrt ift es mit Nain, hier werden in folge 
der nordpoluren Strömung fänmtliche Mitteltemperaturen 
herabgedrüdt, im Auguſt bis zu + 8,4 R. im Januar 
bis zu — 13,80 R. Der Erfolg hiervon liegt auf der 
Hand. Die Sonne an und fiir ſich witrde, felbft wenn fie 
bedeutend mehr Wärme ausftrahlte, ald dies gegenwärtig 
der Fall ift, nicht leicht fir die Herbft- und Wintermonate 
ein Klima unter 60° nördl. Br. hervorrufen lönnen, wie 
es Bergen befigt, deffen Yage in diefer Hinficht etwa dem 
Parallelfreife der Alpen entipricht. Solche Mitteltempera- 
turen find in jener Gegend mur möglich, wenn auch wäh— 
rend der langen Polarnächte, wo die bei Tage empfangene 
Wärme vafd) in den falten Weltraum ausftrahft, ununter— 
brochen neue Wärme zugeführt wird. Im diefer Nothwendig- 
feit liegt bie direcle Berurtheilung aller Tosmifchen Hypo- 
thefen zur Erllärung ber ehemaligen größern Wärme in den 
arktifchen Gegenden. Umgelehrt würde aber auch eine um 
die Hälfte geringere Sonnenwärme nicht im Stande fein, 
die Mitteltemperaturen fir Labrador fo herabzubräiden, wie 
fie in vorftegender Tafel herabgedrückt erfcheinen. Dies be— 
weift, daß die Sonne auch direct mit der Erzeugung eis— 
zeitlicher Zuftände (derem ſich Yabrador heute noch erfreut) 
nichts zu thun hat, daß vielmehr die Bertheilung des Star: 
ven und Flüſſigen und die dadurch bedingte Richtung 
der falten Meeresftrömungen in erfter Linie als wirtfam 
gedacht werben muß. Hierin haben wir bie Haupturfache 
der mitteleuropäiſchen Eiszeit zu fehen und was in ber Ber- 
gangenheit gejchehen ift, kann ſich im entfernter Zukunft 
wiederholen. 


Aus allen Erdtheilen. 


Die Shiffbarmahung des alten Oxuslaufes und des 
Iani-Darja durch die Nuffen. 


Der unermüblihe Foriher Sewerzow hat foeben in 
den Annalen der ruſſiſchen geographiichen Geſellſchaft die höchſt 
wichtigen Ergebniffe der neueſten wiſſenſchaftlichen Forſchun— 
gen in den Steppen am Wralfee veröffentlicht. Eine Erpe 
dition wurde im verfloffenen Jahre befonders zu dem Zwede 


entfandt, um auszufundichaften, ob das vielbeiprochene alte 
Bett des Orns (Amu Darja) fich wieder mit Waſſer füllen 
laſſen föune, jo daf der Amm oder werigftens ein Theil 
beffelben in das Kaspiſche Meer geleitet werden fünnte. Es 
war zumächft die Höhe der heutigen Mündung in den Aral: 
fee und der alten in das Kaspiſche Meer zu beftimmen. 
Frühere, flüchtig ausgeführte Mefiungen hatten nur einen 
Unterfchieb von 170 Fuß zwiſchen beiden conftatirt. Diefer 


Aus allen Erbtheilen. 


Unterfchied erfchien aber zu gering, um den ganzen majeftäti- 
ſchen Strom auf eine Strede von über 100 deutichen Meilen 
abzuleiten. Als man aber durch neue forgfältige Beftim: 
mungen fand, daß die thatfächliche Höhendifferenz zwiſchen 
den beiden Mündungen 243 Fuß betrug und daß, vom oro- 
araphiichen Geſichtspunlte aus, feinerlei Schwierigkeiten vor: 
tagen, um den Bau eines Canals im alten Orusbette zu 
bindern, da fahte man frifchen Muth. Die Wichtigkeit diefer 
Thatfache wurde noch dadurch erhöht, daß man erfuhr, daß 
noch bis zum Jahre 1858 der alte Lauf des Amu fließendes 
Waſſer von Ehiwa bis zum See von Sari-ſtamiſch an der 
weftlichen Grenze des colonifirten Theilet des Chanates be: 
ſaß. Da jedoch von der Expedition im Jahre 1874 der Theil 
des alten Oxusbettes, welcher zwilchen dem Sari-Kamiſch 
und Jgdi gelegen ift, wicht erforicht werden fonnte, jo war 
man immer noch im Unklaren darüber, ob das alte Bett noch 
tief genug war, um das große Werk der Bewäfferung mit 
Erfolg zu unternehmen. 

Es wurde daher, um fich Sicherheit hierüber zu ver: 
haften, im laufenden Sommer eine Expedition ausgefandt, 
welche am 20. Juni Jadi erreichte. Diefer Brummen Liegt 
genau öftlich von Krasnomwodst (40% nörbl. Br. und 700 öſtl. 
8, v. Ferro). Weiter drang die Erpebition über Balla Iſchem 
nach Dekſch vor (aljo norböftlih am Laufe des alten Orus 
bin). Die bier eingezogenen Erkundigungen lauten günftig 
für das Project, den alten Oxuslauf wieder mit Waffer zu 
füllen. 

Eine zweite wichtige ruſſiſche Parallelforſchung betrifft 
den Unterlauf des Syr:Darja, des alten Jarartes. Auch 
diefer gabelt ſich, wie der Amu, weit oberhalb feiner Mün— 
dung in den Aralſee und entfendet einen ſüdlichen, jegt troden 
liegenden Arm, den Jani Darja, von Perowsl ans, der 
weit näher der Oxus⸗ (Amu-) Mündung fich in den Aralſee 
ergoß, als der heutige Lauf des Jaxartes (Sur). Könnte 
num der Jani Darja wieder ſchiffbar gemacht werden, fo 
würden die Mündungen beider Ströme, des Amu und Syr, 
mabe bei einander liegen und beide mächtige ſchiffbare 
Bulsadern Turkeſtans ließen fih mit einander ver: 
nüpfen Nah Sewerzow bietet diefes ganze Unternehmen 
aber feine allyugroße Schwierigkeit. Das ganze alte Jani— 
Darja:Bett ift noch fo tief, daß nur ein kurzer Canal von 
dem noch laufenden Theil des Fluſſes gegraben zu werden 
braucht, um das alte Bett wieder mit Wafler zu filllen und 
Ichiffbar zu machen. Seen und Brunnen find im alten Jani- 
Darja-Bette in Menge vorhanden und würden die Aufgabe 
erleichtern. Haben doch felbft vor etwa 0 Jahren die in 
diefer Gegend nomadifirenden Karakalpals einen Theil des 
alten Flußlaufes mit Wafler gefüllt, indem fie, obme jebe 
Beibülfe von Ingenienren, einen See bineinleiteten und bie 
Umgegend zu Eulturland geftalteten. 

Der neue Canal foll nach Sewerzow ben Syr bei den 
Manli-Tugan:Bergen, nabe bei Perowsk, verlaffen und nad 
werigen Stunden fchon auf das alte Jani-Darja-Bett tref: 
fen; im letztern ſelbſt find einige aus früherer Zeit herrüh— 
rende Dämme zu entfernen. Da wo bas alte Bett des Sur 
fich dem Aralſee nähert, joll e8 mit dem Delta des Amu in 
Verbindung gebracht werden. Der Syr wird dann ein Ne: 
benfluß des letztern, der Jaxartes mündet in ben Orus und 
aus zwei Flußgebieten wird eines, Oberſt Jwanow, ber 
Commandeur der Ruffen in Chiwa, befchäftigt fich ſtark mit 
der Ausführung beider Pläne, die mach ihrer Bollenbung 
eine unnnterbrodene Dampfichifffahrt zwiſchen 
dem Innern des europäifhen Rußland und dem 
Herzen Aſiens geftatten werben. 





Eapitän Richard Burton in Island. 
Richard Burton, der Afrifa und Brafilien, Paraguay 
und Syrien bereift bat, wandte jett feinen Schritt nach Is— 
land; von act Sadverftändigen begleitet machte er fich die 


175 


Erforfchung der feit Beginn unſeres Jahrhunderts brach lie: 
genden Schwefelminen in Norbisland zur Aufgabe und 
Mitte Auguſt war er bereits, nachdem fein Vorhaben mit 
Erfolg nefrönt war, nad Edinburg zurückgekehrt. 

Am 5. Juli fegelte er im Dampfer Fifeihire mit feinen 
Begleitern ab. Am letzten Tage ihrer Heife fanden fie die 
See weit und breit mit Bimsſtein bededt, welcher von den 
verheerenden vulcaniſchen Ausbrüchen auf Jsland herrührte. 
Bei Hufſavik Mordküfte unter 60% nördl. Br.) war das ganze 
Ufer buchftäbfich mit fauftgroßen Bimsfteinftiiden bebedt, die 
ſämmtlich der legten Eruption ihr Dafein verdanlten. Huſa— 
vit liegt noch 42 engl. Meilen von den Schwefelminen ent: 
fernt; es beftcht aus wenigen Heinen Hütten, die von Filchern 
bewobnt find, welche ganz von dem Agenten oder Factor des 
Plate: abhängig find, der ihmen alles Nöthige im Tauich- 
bandel überläßt. Burton fand den Hafen ausgezeichnet, er 
machte Lothungen und entwarf eine Karte deſſelben. Wich— 
tig für den Zwed der Erpebition war, daß es an Arbeits: 
fräften — ausgenommen zur Zeit der Henernte — bei Hu: 
favif nicht mangelte; eine Schwierigkeit, die Schwefelminen 
nen zu eröffnen, eriftirt nicht. 

Da in Huſavil die zum Reifen nöthigen Ponies nicht 
aufzutreiben waren, fo zog Burton im „Fifeſhire“ nach dem 
etwas weſtlicher gelegenen Hafen Afreyri. In diefer „nor: 
diſchen Hanptftadt" fand Burton beim Gonvernenr qute Auf: 
nahme und Förderung feiner Zwede und machte einen Aus— 
flug nach dem Myvatı-Sce, wo das nene Hauptauartier der 
Schwefelminens Geſellſchaft errichtet werden fol. Nachdem 
die nöthigen Aufnahmen der Schwefelminen gemacht waren, 
befuchte Burton den füdlichen Focus des lebten großen Aus: 
bruchs; das Feuer in der aufgeriffenen Erbipalte war inbel; 
fen ſchon erloichen. 

Am 23, Juni fand bei Hufavik ein heftiger Schnee: 
fturm ftatt, der zehn Tage anhielt. Kurz darauf traf dort 
ein Engländer Namens Watt ein, welcher über das weite 
wüſte Gletſcherplateau des Vatna-Mölull und dann quer durch 
die Inſel bis Huſavik geritten war. 

Auf der neuerdings von Malte-Brun im Bulletin der 
Barifer geographiſchen Gefellichaft herausgegebenen Karte, 
welche den Stand der Forſchung über unfere ganze Erde zeigt, 
ift ein Theil des nördlichen Innern von Island als noch 
unerforfcht bezeichnet. Die neue Expedition Burton’ wird 
Manches zur Aufflärung beitragen. 


Der erfte Manati in Europa, 


Dem beriiimten Londoner zoologischen Garten ift es vor: 
behalten geblieben, den erften Manati zu beherbergen und 
zwar einen Manatas americanus, welcher Anfangs Anguft 
mit dem Schiffe ‚Blenheim“ von Demerara (Britifch Guyang) 
anlangte. F. Budland, der bekannte Zoolog, fehreibt über 
biefes Thier: „Ich erinnere mich nicht jemals ein intereffan: 
teres Geſchöpf geſehen zu haben und es ift anfangs fchwer 
zu beftimmen, zu welcher Claſſe es eigentlich gehört. Es ift 
ein Waſſerthier und ficht man den Kopf aus dem Wafler 
ragen, fo erinnert diefer an ein zwiſchen Schwein und Maul: 
wurf ftehendes Thier. Der Körper endigt in einen langen 
Schwanz von der Form eines Damenfächers ; mit ihm ſchwimmt 
es durch Auf: und Abwärtsbewegung wie ein Delphin, nicht 
durch feitliche Bewegungen wie ein Fiſch. Der Manati ger 
bört zur Claffe der Sirenia, aber man kann auf den erften 
Bid nicht jagen ob er ein Didhäuter oder ein Fiſchſäuger 
(Eetaceet ift; ich glaube er hat von beiden etwas. Man 
nehme ein Schwein, ftrede ihm die Hinterfühe aus und breite 
fie zu einem flahen Schwanze wie ein Biberfhwanz aus, 
verwanble die Vorderfüße in Ruderfüße, wie bei den Schild: 
fröten, ſchneide ihm bie Ohren ab, ftelle röhrenförmige Nafen- 
löcher wie bei ben Seehunben ber, verfleinere die Augen auf 
ein Viertel — und der Manati ift fertig In Demerara 
wird er Seeſchwein genannt. Seine Augenlider find höchſi 


176 


eigenthümlich; fie beftchen aus Ringen, wie die belannten 
Kautichufeinge, eine Eigenthümlichkeit, welche der Manati mit 
dem haarigen Rhinoceros theilt. Die Augen felbft find ſehr 
klein und von düfter-blauer Farbe. 

Der Manati befindet fich fehr wohl in London, verzehrt 
Salat und andere faftige Vegetabilien und ift fo zahm, daß 
er feinem Wärter aus der Hand frift wie ein Schaf. Das 
Eremplar ift etwa halb ausgewachſen; alte Thiere erreichen 
in Amerika eine Länge von 14 bis 16 Fuß und ein Gewicht 
von 1500 Pfund, Der Londoner ift 7 Fuß 2 Zoll lang und 
wiegt 4 Eentner. Die ſudamerilaniſchen Indianer jagen den 
Manati mit Harpunen und verschren febr gern fein Fleiſch, 
das gebraten wie Schweinefleiih ſchmeckt. Sein Gefchrei 
gleicht dem Brüllen des Ochlen. Die Eingeborenen ſchauen 
den Manati wie ein übernatürliches Thier an, weil er feine 
ungen fängt wie eine Mutter ihr Kind. Intereſſaut ift es 
zu beobachten mit welcher außerordentlichen Ruhe dieſes Thier 
man lann nicht ſagen ſchwimmt, ſondern durch das Waſſer 
gleitet. Seine Haut ift mit zweierlei Art Haar bedeckt, mit 
borftigem und Naumigem. Die Oberlippe ift did und gefpal- 
tem umd innen mit Borſten befetst, welche als Aequivalente 
des Fiſchbeins dienen, das im Rachen des Walfiichs ftcht. 
Noch häufig im Drinocco und Amazonas find fie in Eayenne 
faft ausgeftorben, während früher ihr Fleiſch dort mit 3 Gro— 
ſchen das Pfund verkauft wurde.“ Verwandte Arten leben 
in Afrika und den indiſchen und auſtraliſchen Mecren. 


— 


Die Bankulnuß. 

Der Chemiler B. Corenwinder hat eine Broſchüre über 
die Banlulnuß publicirt, im welcher er die Meinung aus— 
fpricht,, daß das aus derfelben zu gewinnende Def für die 
Indufteie, die Prefrüdftände aber als Dünger für die Land— 
wirtbichaft mit Vortheil verwendet werben können. Der 
Bankulbaum (Aleurites triloba) fommt auf den Molafken, 
Geylon und dem angrenzenden Infeln im drei verfchiedenen 
Species vor, findet ſich aber außerdem noch häufig in Cochin⸗ 
china, Neucaledonien, Taiti und deren Umgegend. Zur Zeit 
der Reife fallen die Nüſſe von felbft zu Boden. Sie haben 
einen inner Kern mit einer äußern ſehr harten Holzfchale. 
Der term enthält 60 bis 62 Procent Del und etwa 23 Brocent 
ftidftoffbaltine Subſtanz. — Auch die Rüdftände hat man 
analyſirt. Sie waren nicht ganz frei von Holzſchale, ergaben 
fi aber reich an ftidftoffhaltigen und phosphoriſchen Sub: 
ftanzen. Ganz frei von der Holzſchale berechnet fich der Stid: 
ftoffgehalt auf 9, der Phosphorgehalt auf 4 Procent die 
Maſſe ift daher ein werthvoller Dinger. 

Das Bankulöl wirkt als Burgativ, Als Brenuöl wird 
es vielfach verwendet und dem Riübfamenöf vorgezogen; 
auch als Schmieröl ift es wegen feiner trodenen Beſchaffen. 
heit verwendbar, da es ſich längere Zeit flüſſig erhält. 
Corenwinder glaubt nicht, daß die Nüffe in ihrer natikr- 
lichen Belchaffenbeit zur Einfuhr nach Europa geeignet feien, 

da mur ein Drittel dem eigentlichen Kern, die übrigen zwei 
Drittel aber die Schale bilden, Diefe mußte daher zuvor ent- 
fernt werben. Wegen der Härte derfelben ift die Operation 
mit Schwierigkeit verfnüpft; Coremmwinder ift indef der An— 
fit, daf es der Mechanik leicht fein werde, eine einfache 





Inbalt: 





Aus allen Erdtheilen. 


aus wenigen Meſſern bejtchende Mafchine zu conjtruiren, 
um bie Schale zu zerbrechen und ben Kern freizulegen. Ge— 
länge dies, woran nicht zu zweifeln, fo würde der Kern ein 
werthvoller Hanbelsartikel für Europa werben Fünnen. 
*» * x 

— Die Goldfelder im füdöftlihen Wunaad (fir: 
dien) werden von W. King im letten Berichte über die geo— 
logiſche Landesaufnahme Indiens fehr guünſtig beurtbeilt, 
wenn auch fein Californien oder Auſtralien für vermögens— 
loſe Abenteurer ſich dort eröffuet. Schon ſeit den älteſten 
Zeiten wird dort von den Eingeborenen die Goldwüäſcherei 
betrieben, indeflen ift die Ausbeute auf dieſem Wege nur 
gering, deun vier Annas — 50 Pfennige — gelten ſchon als 
ein guter Tagesgewinn, und die Eingeborenen geben daher 
Tieber im die beffer lohnenden Kaffecplantagen auf Arbeit, 
wo fie fünf Annas täglich erbalten. Grofe Goldklumpen 
find noch mie gefunden worden. Dagenen find die Duarzriffe 
reich an Gold, und wenn fie mit Mafchinen gebörig ausge: 
beutet werben, fo wird Wynaad immer unter bie ergichigen 
Golddiſtricte gerechnet werden müſſen. Durchſchnittsverſuche 
haben 7 Queutchen Gold auf die Tonne (20 Ceutuer) Quarz 
ergeben. 


Dr. Dcar Peſchel +. 

Deutſchland hat einen feiner namhaftejter Geographen 
und die Leipziger Hochſchule eine ihrer beften Kräfte verloren. 
Ans Peipzig trifft nämlich die Tranerbotichaft ein, daß daſelbſt 
Dr. Oscar Peſchel, königl. fühl, Geheimer Hofrath und 
ordentlicher Profeſſor an der Univerfität, nach lüngerm Peiden 
am 31, Auguft verichieden ift. 

Dscar Ferdinand Peſchel war am 17. März 1526 
au Dresden geboren und hat alfo nicht das fünfzigfte Lebens: 
jabr erreicht. So kurz aber feine irdiſche Laufbahn bemeflen 
war, jo reich war der Inhalt feines dem Dienfte der Willen: 
ſchaft gewibmeten Lebend und fo nachhaltig werben die Spu— 
ren bleiben, die fein hochbegabter Geift auf feinem fpeciellen 
Forfchungsgebiete, der Länder: und Völkerkunde, zurückgelaſſen. 
Uriprünglich Jurift ward Peſchel im Jahre 1848 nach Ab— 
folvirung feine Eramens in die Nedaction der „Augsburger 
Allgemeinen Zeitung“ berufen, welcher er ſechs Jahre hindurch 
angehörte. Darauf übernahm er nah Dr. Wiedemann's Tod 
die Nedaction des „Ausland“, welche Zeitfchrift er falt zwei 
Jahrzehnte leitete. "Am diefer Zeit erſchienen feine bedeutend: 
ften biftorifch-geograpbiichen Werke, unter anderen die „Be: 
fchichte des Zeitalters der Entdeckungen“, „Geſchichte der Erd: 
kunde bis auf A. von Humboldt und K. Nitter" und „Nee 
Probleme der vergleichenden Erdkunde‘, Sein neneftes wäh— 
rend feines Wirkens in Leipzig erfchienenes Werk ift Die 
„Völferfunde*, welche fich einer befonders lehhaften Theil: 
nahme zu erfreuen hatte. Seinen Schriften verbanfte er raſch 
auf einander folgende Berufungen nah Münden, Graz und 
Leipzig. Er entichied ſich für letztere Hochſchule, am welcher 
er beinahe bis zum legten Augeublicke feines Lebens mit voll: 
kommener Friſche des Beiftes feines Lehramtes waltete, 
Auch ſeine liebenswürdigen Charaftereigenfchaften fihern ibm 
bei feinen zahlreichen Freunden und Verehrern ein unver 
güngliches Andenken. 





Zur Schilderung des Waldes in der enropäilchen Türkei. Bon F. Kanitz. (Mit drei Abbildungen.) — 


Lebensbild des engliſchen Forſchers Charles Tyrwbitt Drafe. — Zur Ethnologie und Gefchichte des Aberglaubens, Bon 
Dr. Hermann Brunnbofer in Yarau. IV. — Ueber die Urſache der Eiszeit, — Aus allen Erdtheilen: Die Schiffbar: 
machung des alten Druslaufes und des Jani-Darja durch die Rufen. — Capitän Nichard Burton in Island. — Der 
erfte Manati in Europa, — Die Bankulnuf. — Dr. Dscar Peſchel }. — Verſchiedenes — (Schluß der Nedaction 
2, September 1875.) 








Für die Redactien verantwortlib: H. Vieweg in Braunſchweig. 
Drud und Berlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunfchmweig. 


8 
Ss 
— 


Mit beſonderer Berüchfichtigung d 





Anthropologie und Ethnoloaie. 


In 
Verbindung mit Fahmännern und KHünftlern begründet von 


Karl Andree. 


Braunſchweig 


JDahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Nummern, 
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Rummern 50 Bf. 


1875. 


Wir machen unseren Lesern die Mittheilung, dass die Redaction des „Globus“ 


von Nro. 13 an von 


Herrn Dr. Richard Kiepert 
Berlin, 8. W. Lindenstrasse 13, 11 Tr. 


übernommen wird. 


Friedrich Vieweg und Sohn. 





Der Markeſas-Archipel. 


Der Marfefas- Archipel erftredt fid von 7%50' 
bis zu 10931’ jüdl. Br. und von 138039' bis zu 140% 46’ 
weitl. L. Bei einer längern Fahrt im Polyneſiſchen Archi— 
pel in den Jahren 1872 bis 1874 ftattete der franzöfiiche 
Dampfer Baudremil auch den Dlarkefas-Infeln einen Bes 
ſuch ab. Am 1. Mai 1872 bei Sonnenuntergang verfuchte 
man, Yand zu erbliden, aber die Nacht, welche in jenen 
Vreitegraden plöglich hereinbricht, vereitelte jede Anftrengung. 
Nach Berlauf einiger Stunden wurde badbordwärts ein Feuer 
fignalifirt, welches nicht, wie man anfänglich glaubte, einem 
brennenden Schiffe feine Entſtehung verdankte, fondern im 
Dften der Juſel Hiva-Oa mächtig aufloderte und wahr- 
ſcheinlich durch die Umvorfichtigfeit eines Kanaken verurfacht 
worden war, Der „Vaudreuil“* richtete feinen Cours nad) 
biefem eigenthüntlichen Yeuchtthurme und bei Tagedanbrud) 
lam die Südfüfte der Inſel Ua-Uka in Sicht. Die hohen 
‚Berge der Nachbarinfel Nuku-Hiva oder aud) Noufa- 
Hwa (auch die Marchand-Inſel genannt), die Hauptinjel 
bes Marfefas-Arcchipels, zeichneten ſich am Horizonte ab, be— 
fonder& das pittoresfe Cap Martin (Tifapo, wie es bie 

Globus XXVII. Nr. 12. 


‚die erften Zeiten der franzöfischen Beſitznahme. 


- 


Eingeborenen nenmen), welches die Südoſtſpitze von Nufı- 
Hiva bildet, während die Südküfte durch bizarı geformte 
Felſen eingefaßt ift, die jid) hier und da am Strande erheben 
und von denen einer genau eine Coloflalftatue der das Jeſus 
find haltenden Jungfrau bildet. Die „Scildwarhen“, zwei 
ifolirte mächtigs Felſen, bilden das Thor zu der Bay von 
Taio-Hae und dem Hafen Anna Maria, und zwifchen ihnen 
hindurch dampfte das Schiff mit gevefften Segeln. 

Der düftere Tuhiva, welcher ſich amı Strande hinzicht 
und die Küfte in zwei ungleiche Hälften theilt, trägt auf fei- 
nem Ricden die Ruinen des fort Collet als Erinnerung an 
Das Dorf 
folgt öſtlich von dieſem Fort dem Ufer des Meeres und dehnt 
ſich dann ziemlich weit in das benachbarte Thal aus. 

Die ganze Infel ift ungefähr 10 Meilen breit und 17 
Meilen lang und etwa von 2000 Menſchen bewohnt, wäh- 
rend die Bevölkerung im Jahre 1804 nod aus 18,000 
Köpfen beſtand. Trunkſucht und Kriege, welche die Bes 
wohner ununterbrochen unter ſich führten, haben dieſe Reduc— 
tion zu Stande gebracht. 


23 


Der Markefas- Archipel. 





Eingeborine an der Bay von Taio:-Hae, Nuku Hiva. 





Der Marleſas-Archipel. 


In Taio-Hae wohnt der franzöfiiche „Refident*, 
Derfelbe ift dem Befehlshaber der oceauiſchen Nicderlaffun: 
gen untergeordnet und hat biefem Rechenſchaft über feine 
Verwaltung zu geben. Gr erhebt die Hafengebühren mit 
50 France für jedes Schiff und wacht Über die Handhabung 
der Hafenpoligei. Mit diefer ift, unter Führung eines Hafen« 
capitäus, eine Heine Abtheilung von Genéedarmen betraut, 
welche indeß bei Berhaftung von Deferteuren faſt flets die 
Hülfe der Cingeborenen in Anſpruch nehmen muß, welche 
eine Prämie von 50 Francs für jede Gefangennehmung 
erhalten. Das Schiff, dem der Verhaftete angehört, muß 
diefe Summe zuriderftatten. Findet indeh die Verhaftung 
erft nach Abfahrt des betreffenden Schiffes ftatt, jo trägt das 
Sonvernement jene Ausgabe und ſchickt die Gefangenen nad) 





179 


Tahiti, um zu verhindern, daß die Inſel durch Land- 
ftreicher bevölfert werde. Der Nefident verficht zugleich das 
Anıt eined Friedensrichters und libergiebt nur in befonders 
jchweren Fällen die Verbrecher den franzöſiſchen Gerichts— 
behörden von Papeete. Mit Ausnahme einiger durch bie 
Eigenthlimlichteit der Eingeborenen bedingten Abweichungen 


| ftehen die Localgefege in Uebereinftimmung mit denen des 


Mutterlandes, 

Das fleine Gensdarmeriecorps reicht volljtändig aus, 
um die Ordnung in Taio-Hae aufrecht zu erhalten, da hier 
die Eingeborenen daran gewöhnt find, mit den Franzoſen zu 
leben und ſich den polizeilichen Maßregeln zu fügen. 

Auf den Übrigen Infeln handhaben die Häuptlinge die 
oberfte Gewalt, 


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Bay von Taio-Hae. 


Allein die Thäler find bewohnt und nur höchſt felten 
ſiedeln fich die Eingeborenen am Ufer des Meeres an. Die 
häufigen Beſuche des Ardipels Seitens der zum Pacific 
geſchwader gehörenden Kriegeſchiffe ſowie der tahitifchen Fahr⸗ 
Jeuge Üben einen ſehr vortheilhaften Einfluß auf den beweg— 
üchen Geiſt der eingeborenen Bevöllerung. 

Nachdem der „Vaudreuil* Anker geworfen,“ fo erzählt der 
Schiffefühnrich M. A. Pailhes, „beeilten wir und das Yand 
zu erreichen, was infoferm nicht ganz ohne Schwierigfeiten 
zu bewerfftelligen war, als die geringe Meerestiefe den Boo- 
ten nicht geftattete, bis zum Ufer zu gelangen, Mit auf- 
geſchurzten Beinfleidern wateten wir durch das Waffer unter 
dem Zuſammenlaufe der Eingeborenen, von denen einige 
Weiber zu unſerm Ergögen mit größtem Ernſte die Maul» 


trommel fpielten, Ich bewunderte die fonderbare Idee des 
Händlers, welcher gerade diefes Inftrument auf die Juſeln 
brachte. 

Unter Führung des Marineſchreibers M., welcher in der 
Nähe des Ufers in der alten englifchen Kirche von Tajo-Hae 
wohnt und der gefommmen war, uns zu begrüßen, ſchlugen 
wir den baumbepflangten, am Strande ſich hinzichenden Weg 
ein, da es zumächjt unfere Wbficht war, im dem nicht fernen 
Bache ein Bad zu nehmen. Die Häufer des Dorfes liegen 
an beiden Seiten diefes Weges, und unter ihnen befinden jich 
auch einige Magazine, deren Cigenthimer fat ohme Aus— 
nahme fremde, vorzugsweife Amerikaner, find. Einige dies 
fer Fäden find recht gut aſſortirt und die Käufer, welche fid) 
eihfinden, haben ais Zugabe zu den Waaren das Recht, eine 

23 * 


Archipel. 


Der Marlkeſa 


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Der Marleſas-Archipel. 


Pfeife zu rauchen, die auf dem Komptoir, zum Gebrauche fer- 
tig, ſteis bereit ftcht. Die Eingeborenen erwangeln niemals, 
von dieſem echte Gebrauch zu machen und das Inftrument 
troß feiner mehr als zweifelhaften Keinlichleit zum Muude 
zu führen. 

Nahe an dem Punkte, wo der Weg das Ufer verläßt, um 
in das Thal einzubiegen, machte unſer Füh- 
ver und auf cinen Baum von wahrhaft 
colofjalen Dimenfionen aufmerlſam, einen 
glänzenden Beweis der lippigen Vegetation, 
Es iſt dies ein Aoa-Baum (feus indica, 
Baniane). Sein Stam mwird durch verſchie⸗ 
dene in einander gefchlungene Schäfte ge 
bildet und hat einen Umfang von beinahe 
dreißig Meter, welcher fich bis zu einer Höhe 
von dreizehn Meter nicht verringert. Dann 
theilt fid) der Stamm im etwa ein Dutzend 
gewaltiger horizontaler Weite, weldye einen 
Raum beſchatten, der Hundert Meter im 
Durchſchnitt Hält. Wir madıten einige Mi— 
nuten Halt, um die erfrichende Stühle zu 
genieken, welche dic Zweige fpendeten, Co 
lange der Aoa = Baum noch jung ift, nennen 
ihn die Eingeborenen Hiapo. 

Einen andern durch feine Größe auf: 
fallenden Baum findet man in Taio Hae 
in dem Garten der „Schweſtern des heiligen Joſeph von 
Clunyꝰ. 

Nach kurzer Raſt ſetzten wir unfere Wanderung fort und 


bogen in das Thal von Baitu ein, welches fi, vor uns | 
Nach Sitte des Yandes traten wir ohme Umſtände 


öffnete, 





Kopf eines Fingeborenen von 
iva: Da. bepflanzte Anhöhe. 


Diva: 





181 


in die Hütten der Eingeborenen, an denen wir vorüber kamen. 
Die Bauart derfelben ift ſehr einfach. Bier Pfähle, welche 
fidy über einen Fußboden von platten Steinen, Paepac ge: 
nannt, erheben, bilden die Gdpfeiler und erhalten an den 
äußerfion Enden einen Einſchnitt, um die geglätteten dünnen 
Koloshölzer zu tragen, weldye das Gerippe des Daches her- 
ftellen, und zwar fo, daß der hintere Theil 
der Hiitte höher ift als der vordere. Quer 
Über die Pfähle und die Koloshölzer wer: 
den andere Balfen von leichten Holze gelegt 
und durch Edynlire ans Kofosfafern mit 
dem Hauptgebälf verbunden, Der Zwiſchen⸗ 
raum wird durch dicht an einander gelegte 
Bambuöftäbe ausgefüllt, welche indeß, was 
bei der amı Tage herrſchenden Hige noth: 
wendig ift, die Girculation der Yuft geftat- 
ten. Zum eigentlichen Deden des Daches 
verwendet man dann Koloeblätter, welche 
an Ruthen befeftigt und nach Art der Zie— 
gel über einander gelegt werden. Das Dad) 
Ipringt etwas vor und fchligt fo die Zeiten 
der Hlitte volljländig vor Regen. 

Bir drangen weiter in das Thal vor 
und erreichten eine Meine, mit Baumwolle 


Hier fragte uns unfer Führer, ob wir 

Chineſen zu fehen wünschten, indem er hinzufitgte, daß 

folche ſich an dem Orte niedergelaffen hätten, um die vor 
und liegende Baumwollenpflanzung zu cultiviren. 

Die Wohnungen der Kinder des himmliſchen Reiches 

unterſcheiden fid ſchon in ihrem Aeußern vortheilhaft von den 





Bein einer Gingeborenen von 
Nulu⸗Hiva. 


Hütten der Eingeborenen. Das Innere enthält ein ziemlich 
großes Gemach, weldyes die ganze Breite der Façade eins 
nimmt und von welchem aus man in bie Heineren, mit Mat- 
ten behängten Zimmer tritt. Einige Sleidungsftüde der 
Frauen erregten unfere Aufmerffanfeit und wir hörten, daß 
die fremden eine Art Bund gefchloffen hätten, deren Haupt 
ein Chineſe fei, welcher zugleich, die Stelle eines Kochs bei 
dem Refidenten befleide. Diefelben haben die Abficht, mit 


Hand der Königin Waelö. 


Hand eines Eingeborenen der Martelas. 


den ihnen zu Gebote ftchenden Mitteln eine große Niederlage 
zu errichten und einen aus ihrer Mitte abzuſchiden, um in 
San Francisco Waaren zu kaufen und Handelsverbindungen 
anzufnüpfen. 

Wir wurden mit großer Freundlichkeit von einem Chi 
nefen empfangen, welcher etwas Engliſch ſprach und der mit 
einer großen Brille auf der Nafe einen wahrhaft komiſchen 
Eindrud machte, In einer Ede des Hauptgemaches brannte 


182 


auf einem Altar eine Yampe, während diefer Altar ſelbſt 
fowie die benachbarten Wände durd) verfdjiedenfarbige, mit 
ſeltſamen Zeichen bemalte Papiere bebeft waren. Der be: 
brillte Chinefe erflärte uns, daß dieje Papiere ein ihren Gotte 
dargebrachtes Opfer würen,“ ° £ 

Nach diefem Beſuche führte die Geſellſchaft ihren Ent 
ſchluß ans umd nahm im einem der von dem Bache gebildeten 
Baſſins ein Bad. Beim Verlaffen des Waſſers wurden fie 
von ihrem Führer aufgefordert, ſich ſchleunigſt anzufleiden, 
um nicht von den Nono geftochen zu werden. Der Nono 
ift eine fehr Heine Eintagsfliege, welde, wie man glaubt, in 
Nut Hiva und dem benachbarten Ua-Pou nicht ihre Heimath 
hat, jondern durch Schiffe eingeführt wurde. Ihr Stich 
verurſacht Beulen, weldye ſich, wenn fie gefragt werden, in 
ſchmerzhafte und ſchwer zu heilende Wunden verwandeln. 
Sat das Inſect ſich vollgefogen,, fo glänzt fein durchſichtiger 
Yeib, wenn man ihn gegen das Yicht hält, wie ein Rubin, 
Im Uebrigen kommt auf den Darfejas kein ſchädliches Thier 
vor außer dem Tauſendfuße, welcher ſich in allen Dächern 
der Hütten aufhält, felten aber den Menſchen gefährlid, wird, 

Nach genommenen Bade fchrte man am Bord zurlid 
umd zwar wiederum in der Weife, daß man das Waller 
durchwatete. Ein Molo, welder aus eingeranımten Kofos: 
ftämmen mit übergelegten Planken gebaut wird, ſoll in Zus 
kunft diefe Umbequemlichleit befeitigen. 

Auf dem Schiffe hatten ſich inzwiſchen einige Eingeborene 
eingefunden, um Früchte zu verfaufen. Einer derfelben, ein 
Dann von wahrhaft athletijchem Körperbau, ſprach etwas 
Franzöfish. Auf Befragen erflärte er, daß er gelommeh 
fei, Kofosnüffe, Bananen und Bataten zu verfaufen und daß 
feine Hütte nicht weit ab von dem Strande liege. „Wenn 
Tu,“ jo fügte er Hinzu, „heute Abend kommen willit, jo 
werde ic; Dich mit renden empfangen und auch vor Dir 
tanzen." 

Pailhes nahm mit einigen feiner Freunde die Einladung 
Paumea’s, jo nannte ſich der Mann, an, und jcildert den 
abgeftatteten Beſuch alfo: 

„Nad) dem Diner erwartete uns Paumea mit feinen 
Söhnen, zwei prächtigen und gewandten Burjchen, auf feiner 
Pirogue am Ausſchiffungsplatze. Bald hatten wir das Yand 
erreicht, und mun trugen uns die Drei auf ihren ftarfen 
Schultern über den vom Meere aufgerweichten Sand. Dann 
ſchlugen wir den ſchon befannten Weg ein. Die Strahlen 
des Mondes fielen filberhell durd) die dichtbelaubten, gewal⸗ 
tigen Bäume und in ihrem Scheine erglänzten die graciöfen 
febderbufchartigen Wipfel der Kofospalmen. in Schwarm 
von Eingeborenen beiderlei Geſchlechts umftand die Kaufläden 
des Dorfes, von Zeit zu Zeit zeigten ſich Yichter im bem 
Thale und die Hunde beilten wüthend bei unferer Anlunft. 

Die Wohnung Paumea's ift groß und ganz erträglich, 
Die Vorderfeite des Haufes ift nicht geihloffen, eine Eins 
richtung, welche wir auch im Uebrigen häufig vorfanden, An 
der Hinterwand siegen der Yänge nad) und eiwa 1 Meter 
und 20 Gentimeter von einander entfernt zwei Baumflämme, 
zwifchen denen Matten ausgebreitet ſind. Auf dieſe Weiſe 
wird eins der unbeguemften Betten hergeftellt, welches man 
fo benugt, daß man den Kopf auf den einen, die Knielehlen 
aber auf den andern Stamm ftügt. 

Bei unferm Gaftfreunde hatte ſich eine große Geſellſchaft 
eingefunden, auch der Mut oi von Taio:-Hae, ein Verwandter 
Paumea’s, war anmejend und ſchien nicht wenig ftolz auf die 
Gorporalstreflen zu fein, die er trug. Mit großer Geſchwin ⸗ 
digfeit entlebigten fich unfere Führer ihrer civilifirten Klei—⸗ 
dung und blieben nur mit dem Pareu angethan, einem Std 
Zeugs, weldes um die Hüften gefchlungen wird und wie ein 
Frauenrodk Über die Beine herabfällt. Alle die Eingeborenen 


Der Marleſas-Archipel. 


find wunderbar gut gebaut, fo daß fie einem Bildhauer als 
Modelle dienen fönnten. Der Zuftand der Nadtheit, in wel: 
chem fie ſich befanden, gab mir Gelegenheit, die complicirten 
Tättowirungen zu betrachten, mit denen ihr Körper gleich: 
fan wie mit einem Stleidungsftüde bededt ift. Bei einigen 
derfelben beſteht diefe Tättorwirung aus fo viel Kreiſen, Cur— 
ven und Zidzadlinien, daß fie einer Rüſtung nicht unähnlic, 
it. Früher war die Tättowirung einfacher und beftand nur 
aus zu Rhomben zufanmengeftellten Yinien, während gegen- 
wärtig häufig das Geſicht durch breite horizontal laufende 
Etreifen in verfciedene Theile getheilt wird. Sogar die Augen- 
Lider, das Innere der Ohren, die Yippen und zuweilen auch 
das Zahnfleiſch find tättowirt, Die frauen find, mit wes 
nigen Ausnahmen, nur wenig, mandje aud) gar nit tätto- 
wirt, Bei den erfteren laufen parallel feine Linien hori- 
zontal über die Yippen bis zur Mundöffnung, ein Schmud, 
der etwas Anmuthiges hat, da er dem Wunde den Ausdrud 
des Schmollens verleiht. 

Es giebt Kanalen, die aus dem Tättowiren ein Geſchäft 
machen. Die Operation wird mittelft eines gezähnten Mei— 
Fels vollzogen, der mit einem Stiele verfehen ift und auf 
weldyen man mit einem Heinen hölzernen Hammer ſchlägt. 
Die Spigen des Inftrumentes werden in eine bläuliche Flüſ— 
figfeit getaucht, deren Hanptbeftandtheil der Ruß tft, welchen 
man bei Verbrennung der Nikffe von Aleurites tribola ge= 
winnt, Drei bis vier Perfonen miffen den zu Zättowiren« 
den halten, da der Schmerz der Operation nad) einiger Zeit 
jo unerträglic) wird, daß man gezwungen ift, dieſelbe zu 
unterbredyen. Bis jegt konnte die Sitte des Tättowirens 
durch die Miſſionäre nicht befeitigt werden, fie vermögen die 
Kinder nicht mehr davon zurüdzuhalten, wenn der Augenblick 
gekommen ift, wo fie mit diefem Zeichen der Mannbarfeit 
geſchmückt werden follen. 

Man bereitete jest die Abendmahlzeit, welche durch die 
Lebensmittel, die Baumen vom Borde des „Vaudreuil“ mit- 
gebracht hatte, eine fehr reichliche wurde. Das Hauptgericht 
der Eingeborenen ift die Popoi, eine gelbliche, aus dem 
Früchten des Mei, Vrotbaumes (artocarpus incisa), zur 
bereitete Schüiffel. Der Gefdnad derfelben ift im friſchen 
Zuftande ſüßlich, wird aber fäugrlih, wenn fie eine Zeit 
hindurch aufbewahrt worden if. Die Früchte werden einem 
andauernden Feuer ausgejegt, worauf man die gejchwärzte 
Rinde und dem harten Kern entfernt und nur das gelbliche, 
fade ſchmecdende Fleiſch zuritdbehält, welches dann in einem 
hölzernen Troge mittelft einer Keule von Stein oder Holz 
vollftändig zerqueticht wird. Die fo gewonnene Maſſe wird 
in runde, ein Meter tiefe Löcher eingegraben, deren Seiten 
man vorher mit den breiten Blättern der Banane belcgt, 
um bie Einwirkung der Sonnenftrahlen vollftändig abzu- 
halten. Iſt die Grube gefüllt, jo bedeckt man fie mit 
Erde und Steinen. Die jo eingegrabene Popoi Hält ſich 
fehr gut und man entnimmt von ihr die jedesmal zu den 
Mahlzeiten erforderliche Quantität, indem man folde auf 
eine hölzerne Schüſſel bringt und mit etwas Waſſer durch— 
Inetet. Letzteres Gefchäft beforgte die Gattin Paumen’s 
mit ihren Händen, 

Die den Boden bedeckende Matte dient zugleich als Tiſch. 
Man lud uns ein an der Mahlzeit Theil zu nehmen, wir 
aber lehnten mit der Entfchuldigung ab, daß wir ſchon ger 
fpeift hätten, während der eigentliche Grund diefer Ablehnung 
darin beftand, daß wir fahen, wie Paumea's Frau die Vopoi 
zubereitete. 

Die Eingeborenen fetten ſich num nieder und fangten mit 
den Händen zu, während ihnen Kofosnüffe als Trinfgefähe 
dienten. Die Kanaten eflen mit großer Gier und verjchlin- 
gen bedeutende Portionen, da die fat durchgängig vegeta« 


Won der ımtern Donan, 


bilifchen Speifen nur wenig Nahrungsftoff enthalten, Im 
Uebrigen fpielen die Fiſche eine wichtige Rolle, befonders der 
Haua, eine Species bes Rochens (devil fish), und ber Hai, 
welcher am Eingange der Bay häufig vorfommt und mittelſt 
Angeln oder Harpunen gefangen wird. Wird die Angel 
benugt, fo verfieht man das Sopfende des Angelhakens mit 
zwei freuzweife befeftigten eifernen Armen, um zu verhindern, 
daß der Hai die Linie durchbeiße. Das Fleiſch wird genoffen 
nachdem man e8 etwa vierzehn Tage lang hat faulen laffen. 

Nach Beendigung der Mahlzeit wurden die Pfeifen an: 
gezindet, welche von Mund zu Mund gingen. ine der 
Frauen aber entfernte fid), um einige Freundinnen aus ber 


183 


Nachbarſchaft zu Holen, da man uns das Edjaufpiel eines 
— geben wollte. 

n zwei Reihen geordnet führten die Tänzer mit großem 
Geſchick verfchiedene Bas aus. Dabei begleiteten fie fi) mit 
einem rhythmiſchen Geſange, der nad) dem Tacte durd) Zus 
fammenfchlagen der Hände unterftügt wurde. Der Tanz 
ward, obgleich eigenthlimlicher Art, bald monoton, und wir 
verabfcdhiedeten uns deshalb von Paumen, trogdem und ders 
felbe dringend zum Bleiben auffordert. Der ältere Sohn 
deffelben begleitete uns bis zum Ausgange des Dorfes. Die 
Yäden waren bereits gefchloffen und umgeben von tiefer Stille 
erreichten wir unfer Boot.“ 


Bon der untern Donau. 


Fallmerayer's farbenreiche Schilderungen der pontifchen 
Sübdfüften in ber Nähe von Trapezunt, welche neuerdings 
der „Globus* im Auszuge brachte, erregten im Schreiber 
biefer Zeilen eine wahre Sehnſucht nach jenen glücklichen 
Geſtaden. Zugleich erinnerten fie mich recht lebhaft an 
meinen eigenen mehr als einjährigen Aufenthalt im Nord» 
weiten des Pontus Eurinus, 

Freilich bilden die einförmigen Ebenen an den Donaus 
mündungen im vieler Beziehung dem geraden Gegenſatz zu 
jenen lieblichen Küftenftrichen. Wenn dort das Meer an 
grünumranften Felfenhängen brandet, die, mit Feigenbäumen, 
BWeinftöden, Enprefien bedeckt, an die Infel der Nymphe 
Kalypfo erinnern; fo rollt hier der Iſter im trägen Laufe 
feine gelben Wogen durd) weite, baumloſe Niederungen, in: 
dem er jchilfige Infeln bildet, die, oft mit zwölf bis fünfzehn 
Fuß hohem Köhricht bewachſen, ein Paradies der Kibitze, 
Enten und Wafjerhühner bilden. Befondern Eindruck jchei- 
nen auf den Tyroler Archäologen die „pontifchen Lufte“ ges 
macht zu haben. Ich will zwar nicht behaupten, daß nicht 
aud) an der untern Donau an lauen Sommerabenden — zit 
mal nad, einem Gewitter — die Luft recht feucht und mild 
wehen kann; für gewöhnlich aber find die rumänischen 
Sumpflüfte — zumal in der warmen Jahreszeit — „nit 
gar ſchön“. Die austroduenden Siimpfe verpeften mit ihrem 
Schlammgeruche die Atmofphäre, fo daß von den dort ans 
fäffigen Wefteuropäern wohl kaum zehn Procent fi) rühmen 
können, der Malaria ihren Tribut durch hartnädige Wedhjel- 
fieber nicht entrichtet zu haben. Im Uebrigen ift das Klima 
durch die benachbarten Steppen Nußlands ftark beeinflußt: 
lange, ftrenge Winter, lange, übermäßig heiße Sommer. 
Bir zählten eine Auguſtwoche hiudurch Nadymittags 2 Uhr 
310 R. im Schatten. 

Die Uebergangsjahreszeiten ſchrumpfen auf ein Mini— 
mum zuſammen. Saum iſt der Schnee verſchwunden, fo 
blühen bereits die Obftbäume in den Hausgärten von Galaz; 
bald ſchießt auch der Mais in Stengel, und kurze Zeit dar— 
auf ift die Luft vom jeinen Dufte der Weinblitthe durch: 
drungen. Die Yuft liegt jo ſchwer und dicht auf der Nie: 
derung, daß man ihren Drack gewiſſermaßen fühlt. Nun 
beginnt auch der Bratifchfee im Nordoſten der Stadt 
Galaz — eigentlich, ein Sumpf von circa 2 Meilen Yänge, 
der mit der Mlindung des Pruth im Verbindung fteht — 
unter dem Cinfluffe der zunehmenden Hige fich von Ufer 
zurüdzuziehen und feinen ſchlammigen Boden in der Breite 
von wenigjten® einer Biertelmeile zu zeigen, zum großen 
Migbehagen aller weſteuropäiſchen Geruchsorgane. Myria— 


den von Sumpfmiden erhöhen die Annehmlichteit gerade 
nicht; und ein unglaublich intenfiver Froſchchor erfegt den 
Geſang ber pontifchen Nachtigallen. 
Die Fruchtbarleit des — Bodens, in wels 
chem ſich meilenmweit weder Sand noch Steine finden, ift 
indeffen eine ganz außerordentliche. Weizen und Mais ges 
deihen in Uppiger Fillle, das heißt: wo fie angebauet wers 
den, was feineswegs überall der Fall ift, da weite Streden 
als nadte Steppe, nur mit einer kurzen Diftelart Hier und 
dort befleidet, unangebaut daliegen. Die Traube gedeihet 
in befonderer Größe und Süßigkeit; häufig findet fic die 
herrliche Malagatraube mit langen ovalen Beeren. Das 
daraus bereitete Getränk ift jedoch nur mittelmäßig und eige 
net fit) — wohl in Folge der ungeſchickten Behandlung — 
nicht zum Erport. Die beſten Sorten dürften mit dem 
ſchweizeriſchen Landweine verglichen werden können, bie 
ſchlechten (vom Yandvolfe genofjenen) ſchmecken gallebitter 
oder effigfauer; fehr erflärlic, für den, welcher die Kelterungs> 
procedur mit angefehen hat. Die in einen groben Sad ge- 
ftopften und im diefem auf ein ſchräg gejtelltes Brett gelegten 
Trauben fah ic; mehrfach von den nadten Füßen eines 
Landbewohners jo lange ftampfen und ftreichen, bis aud) 
ber fette Tropfen des edlen Saftes in Geftalt einer gelben 
Brühe zwifchen den Zehen des Winzers hindurchgeronnen 
und in ein darunter geftelltes Gefäß gefloffen war. Die 
Melone ſucht ihred Gleichen. Schr beliebt ift die Arbuſe 
oder Wafjermelone mit bald gelblichem, bald röthlichem 
Fleiſche, welche die Dicke eines ftarfen Kürbiſſes erreicht und . 
für einen bis zwei Piafter (2 bis 4 Sgr.) zu haben ift. 
Galaz ift der wichtigfte Handelsplag des öftlichen Ru— 
mäniens. Die Stadt zählt nad) den Angaben dort anfäfli- 
ger deutſcher Kaufleute über 60,000 Einwohner (nicht 
30,000, wie im manden geographiichen Handbüchern zu 
lejen ift). Sie erftredt fid) am nördlichen Donauufer von 
ber weſtlichen Mundung des Pruth faſt eine Viertelmeile 
ftromaufwärte. Bon Vefeftigungen (wie ältere Karten jie 
angeben) ift feine Mebe. Nur während des legten ruſſiſch- 
türfifchen Sriege® wurden Seitens der Nuffen die Zugänge 
zur obern Stadt vorlibergehend verpallifadirt. Der untere, 
unmittelbar am Strome belegene Stadttheil beftcht großen: 
theil® aus Setreibefpeichern, Kaffechäufern in halb türkischen, 
halb rumänischen Stile (d. h. mit Nargileh und Tſchibut, 
fchwarzem Kaffee und moldawiſcher Dolcheſſe, in Zucker 
eingefochten Früchten zur Berbefferung des fchlechten Trint» 
waflers), Waarenlagern und den Gefchäftslocalen der Ges 
treidehändler. Der obere Stadtteil, auf welligen Boden: 


154 


anfchwellungen etwa 50 Fuß Über dem Spiegel des Stro 
mes belegen, befteht großentheild aus den niedrigen, mit 
Schindeln oder Schilf gebedten Wohnungen der eingeborenen 
Moldawen, ein wirres Durcheinander unregelmäßiger, un— 
gepflafterter Güßchen bildend, die, ftellenweife von tiefen Erd» 
fpalten und Waflerrifien durchzogen, hier und dort von 
Alazien und Hollunderbäfchen eingefagt und von ſchmutzigen, 
zigeumerhaften Kindern belebt, einen recht uncultivirten, aber 
malerifchen Eindrud madjen. In den breiteren, ebenfalls 
ungepflafterten Straßen liegen die meiften nur ein Erd— 
geſchoß enthaltenden, doc) redjt geräumigen, aus Bad: 
fteinen hergeftellten Häufer der griechifchen und wejteuro« 
pätfchen Kaufleute und Handelsconfuln, meiftend mit ge- 





Nro, 2 hält man an Ort und Stelle für Maffenpeft- 
gräber aus dem vorigen Jahrhundert. Nro. 1 birfte viel 
ältern Urfprungs fein und vielleicht in die Zeiten der alten 
Dacier zurüddatirt werden mlffen. Doch lafjen wir dies 
einftweilen auf fich beruhen und begnügen uns bamit, auf 
diefen interefianten Punkt hingewieſen zu haben. 

Etwa eine Meile nördlich von Galaz trifft man auf die 
Reſte einer alten Kömerftraße, noch heute vom Volle 
„der Trajan“ genannt, welche vom Sereth kommend faſt 
parallel mit der Donau nad) dem Pruth und höchſt wahr: 
ſcheinlich nod weiter bis an die äußerjten Grenzen des alten 
Daciens zieht. Sie präfentirt fid) als eine wenig mehr 
denn 3 Fuß hohe, etwa 30 Fuß breite, mit Erde und Kräu— 
tern überzogene, über die Fläche ununterbrochen dahinziehende 
Erhöhung, auf welder noch jest neben dem breitern Fahr— 
wege ein etwas erhöheter Seitenweg für Fußgänger deutlich 
unterfchieden werden fan. Nach Entfernung der Pflanzen: 
derfe kommt eine Art zerbrödelten Pflafters zum Vorſchein. 
Andere Reſte aus dem Alterthume habe ich in der untern Wol- 
dau nur an der Serethullndung in der Nähe bes Dörfchens 
Gergina ausfindig machen fönnen, wo ſich auf einem Hügel 
plateau, mit Erde und Pflanzenwuchs bedeft, die Triimmer 
eines römischen Gaftells befinden, während am Fuße des 
Hügels noch deutlich die Umriſſe einer Stadt zu fehen find, 
Ein dort aufgefundener Mlünzentopf, drei Inschriften und 
zwei Statuetten find in Neigebaur’s „Dacien“ befchrichen. 

Galaz verdankt feine Bedeutung als Handelsftadt vor: 
zugsweife den fremden Kanfleuten, welche mit ſcharfem Blicke 
bald die glinftige Yage des Plages erfannten umd Nuten 
darand zur ziehen wußten. Exportirt wird Mais und Weis 
zen; importirt werden allerlei Manufacturwaaren, deren 
viele (3. B. Möbel) von Wien ftromabwärts fommen. Der 
Getreidehandel hatte früher mit einem großen Hinderniß zu 
fümpfen, welches die Galazer Kaufmannſchaft oft zur Ber 
zweiflung bradjte. Es war dies die Schlammbarre der 
Sulinamlindung, weldje oft nicht mehr ald 8 Fuß Wafler 
aufzumweifen hatte, während der circa 1000 Schritte breite 
Strom bei Galaz eine Tiefe bis zu TO Fuß erreicht. Mei— 
ftens mußte daher oberhalb der Zulina ein Theil der Ge— 
treideladungen auf Leichterſchiffe gebracht und unterhalb 
wieder eingeladen werden, was enorme Verluſte an Zeit 
und Geld herbeiführte. Es hat Zeiten gegeben, in welchen 
ber Tagelohn der in dem „Riffpivatennefte* Sulina an— 
fäffigen Yaftträger ſich auf zwei, ja fogar drei Dermelif oder 
türrfifche Thaler (a 1 The. 8 Sr.) ftellte. Zwar war die 


Von der untern Donau. 


‚ räumigen Hausgärten verfehen, in denen Trauben und Melo- 


nen reifen, 

Auf der Norbfeite geht die Stadt ohne beftimmte Grenze 
in die fteppenartige Ebene Über, an deren öftlichem und 
weftlichem Rande (dort nad) dem Bratiſchſee, hier nach dem 
etwa eine halbe deutſche Meile entfernten Sereth) Wein— 
berge ſich Hinziehen. Aus der fahlen Fläche im Norden 
ragen zahlreiche Tum ul i hervor, welche zu unterfuchen wohl 
der Mühe werth fein bürfte. Diejelben fcheinen verfcjiebes 
nen Urfprungs zu fein. Nach ihren durchaus verſchieden ⸗ 
artigen Profilen klann man deutlich zwei Arten unterfcheiden, 
deren erfte fich mehr der Geftalt des abgeftumpften Kegels 
nähert, während die andere einen Kugelabſchnitt bildet: 


2, 


— —a 
— ——— 


taiſ. ruſſiſche Regierung durch frühere Verträge verpflichtet, 
die Sulina flir die größten Segelſchiffe fahrbar zu erhalten; 
auch fehlte es nicht am Mahnungen Seitens der Galazer 
Conſulate. Man fagte: al — that aber nichts. Auf 
wiederholte Erinnerungen lautete endlich der Beſcheid: Ein 
großer Dampfbagger fei bereits unterwegs, Doch vergingen 
noch Monate, bevor derfelbe eintraf. Endlich erſchien er, 
begann die Arbeit und — zerbrach. Die Reparatur konnte 
wiederum einige Monate in Anfpruch nehmen. Galaz war 
eben eine zu gefährliche Comcurrentin Odeſſas! 

Seit dem Parifer Frieden von 1856 find nun die Ver— 
hältniffe andere geworden. Die Donaumlindungen find von 
Rußland getrennt und mit Rumänien vereinigt worden. 
Es wurde fofort Hand ans Werk gelegt: die Sulina erhielt 
ein tiefes, gerades Bett; die Barre verſchwand. Omer 
Paſcha commandirte in eigener Perfon die Feſtfahrt ftrom- 
abwärts und präfidirte dem unvermeidlichen Feſtmahle. Die 
Kaufmannsbruſt athmete auf; und es läßt fich fürderhin das 
Ziel, um deflenwillen allein ein Ausländer nad) Numänien 
kommt (nämlich möglichst ſchnell reich zu werden), leichter 
erreichen. 

Bon Weftenropäern habe ich in Galaz fennen gelernt: 
einige Engländer, Holländer und Franzoſen, mehrere Yta- 
liener, zahlreiche Deutſche (etwa 40). Die legteren waren 
theils Kaufleute, theild Handwerker und hielten als prote- 
ftantifche Gemeinde zufammen. Alle Handwerker lebten in 
guten Berhältniffen und waren von den Moldawen fehr ge- 
achtet ; mehrere befaßen eigene Häufer und bezogen bedeutende 
Einnahmen aus der Miethe. Der wohlhabendite unter Allen 
war ein Brauer aus Rheinheffen , weldjer mit großen Er— 
folge die Wein trinfenden Rumänen zum Biere befehrte und 
ein flattliches Bermögen erwarb. Der Gewinn der Kauf⸗ 
leute war beträdjtlid. Es gab — umd giebt ohne Zweifel 
auch jegt — Häufer, die wöchentlid, ein großes Schiff be 
frachteten, bisweilen fogar zwei. Daß der Reingewinn jehr 
bedeutend fein muß, läßt fi) aus dem hohen Werthe der 
Yadungen abnehmen, deren eine z. B., als fie im Schwarzen 
Meere zu Grunde ging, von der betreffenden Berficjerungss 
gejellichaft mit 4000 Pfund entfcädigt wurde. in ges 
wandter Schiffsmakler, mit welchem ich perſönlich befannt 
war, verdiente durch bloße „Courtage“ in einem Monat 
1100 Eilberrubel. So ſchöpfen die unternehmenden Fremd» 
linge das Wett von der Brühe. 

Zürfen und Bulgaren waren nur in vereinzelten Erem- 
plaren vorhanden, defto zahlreicher waren Armenier und 


Bon der untern Donau, 


Griechen. Gegen legtere fchienen die Abendländer — auch 
unfere deutichen Landsleute — eine unliberwwindliche Abnei- 
gung zu empfinden. Was man von Ruſſen gewahr wurde, 
gehörte meiftens der arbeitenden Glafje an. Zimmerleute 
aus dem benachbarten Befarabien fanden lohnende Beichäfs 
tigung. Juden und Zigeuner find außerdem felbftverftändlic. 

Aus der Mifhung diefer Bölferfchaften gingen oft eigen: 
thümlicye Berhältnifje hervor. So gehörten 3. B. die fünf 
Dienftboten der Familie, unter deren Dadje Schreiber diefer 
Zeilen lebte, vier verſchiedenen Nationen an: Kinderfrau und 
Stubenmäbdjen waren Deutſche aus Lübeck und Wien, der 
Bediente war ein Moldawe, der Hausfnect ein Nuffe, die 
Köchin eine Magyarin. Zum Zwede der nothwendigen 
Verftändigung bildete fic, im Laufe weniger Wochen ein 
beſonderes Fdiom, eine Art Jingus franca, bie jedenfalls 
nur innerhalb diefes Haufes geſprochen und verftanden 
wurde. Hier verfland fie aber auch Jedermann, felbft bie 
Heineren Kinder, Der Gentleman und Gelehrte des Dienft: 
perjonal® war der Moldawe Bandalafti. Er konnte rechnen, 
lejen und recht gut ſchreiben, verftand auch etwas Italienisch, 
worauf er nicht wenig ſtolz war, wie alle Rumänen in glei« 
der Lage, weldje vor der vornehmern Schweiterfprache ihrer 
lingua rustiea einen gewaltigen Reſpect haben. Uebrigens 
befaß der junge Burſche eine Umficht und Gewandtheit, wie 
mar fie dem Moldo-W lachen gewöhnlid, abſpricht. 

Der Landbewohner erſchien mir ftets recht melancholiſch 
und ſchwerfüllig. Die Leibeigenfchaft ift zwar aufgehoben, 
Bas aber Yahrhunderte am Charakter eines Volles geflins 
digt haben, das vermögen wenige Yahrzehnte nicht wieder 
gutzumadjen. Der Bauer zeigt viel Unterwürſigkeit, doch 
nichts von Tücke, fondern große Gutmlithigleit, Diefe 
Bahrnehmung drängt ſich jedem unbefangenen Fremden auf. 
Jeder Heine Befiger, deſſen zwiſchen Maisfeldern verfiedter 
Weinberg von und einer ftnndenlangen Infpection gewlir⸗ 
digt wurde, empfing ung, die Cammfellimige demllihig in 
der Hand, mit ehrerbietigem: Dominul! (Herr), über 
ließ fobann feine herrlichen Trauben vertrauensvoll unferer 
Diseretion und fam gewöhnlich nicht früher wieder zum 
Vorſchein, als bis er von ums aufgejucht wurde, um ben 
üblichen Entgelt in Geftalt eines halben öfterreichifchen 
Zwanzigerd in Empfang zu nehmen, was ſtets in freund. 
licher und dankbarer Weife geſchah. Es ift durchaus nicht 
jelten, daß Yanbleute dem umherſtreifenden Fremden ihre 
Arbufen und Trauben unentgeltlich anbieten und ftandhaft 
jede Bezahlung ablehnen. Naubanfälle, von denen ic, er- 

hlen hörte, waren meiftens von Zigeunern verlibt, nie von 
umäönen, Die legteren find zur Verübung böfer Thaten 
u gutherzig. Doc) erfcheint der Numäne Überhaupt zur 
reifung einer Initiative wenig fähig, was gewiß auch 
der langjährigen Ummlndigfeit zuzuschreiben ift. Es fehlt 
ihm an Temperament und Kraft. 

Zum Soldaten dürfte faum ein Bolt fich fchlechter eig- 
nen. Ich ſah fpäter einmal auf öfterreichifchen Grund und 
Boden eine bunt zufammengemwitrfelte Corporalfchaft Hebuns 
gen im Bajonettfechten anftellen — ein belehrendes Schaufpiel. 

Commandirende war ein bonnerwetternder, zähne⸗ 
fletfchender, augenrollender Ungar. Unter der Mannſchaft 
waren ein paar Polen und Croaten, ein Jude und drei Wa» 
laden. Wohl felten mag man Gelegenheit haben, die na- 
tionalen Unterſchiede jo handgreiflich hervortreten zu fehen, 
wie bei biefem Dutzend Menſchen in friegerifcher Bewegung. 
Während die Polen, wie aus Erz gegofien, in fefter Parade 
den eingebildeten Feind zu erwarten und benjelben beim 
Ausfall ebenfowohl mit dem elaftifch vorwärts geſchnellten 
Bajonett wie mit ihren wlthenden Bliden zu durchbohren 
fhienen , entlud fich über die Häupter der armen Numänen 

Globus XXVIN. Nr. 12. 


185 


ein magyariſches Donnerwetter bem andern. Sie mad). 
ten ihre Sache aber auch, gar zu ſchlecht. Die Bewegungen 
der lnochigen aber fleifchlofen Gliedmaßen waren ſchwer— 
fällig und ungefchidt; ihre Paraden ſchief und frumm ; ihre 
Ausfälle ſchwach und lahm, ja mehrere Male fanfen 
ihnen die Spigen ber Gewehre zu Boden. Sie ſchienen den 
beften Willen zu haben; doch was fonnten fie bafltr, daß 
ihuen alles kriegerifche Feuer abging? Dem fühnen Fluge 
der polnifcheungarifchen Phantafie vermochten fie micht zu 
folgen und blieben hübſch auf dem Boden der |pießblirger- 
lichen Wirklichkeit als nüchterne, friedliche Leute. 

Unziehend zugleich, und deprimirend wirkte auf mich ftets 
der Anblid ber moldawiſchen Bauern, welche das Getreide 
der Bojaren zur Stabt brachten. Die Ankunft einer folchen 
Karawane, die oft aus fünfzig und mehr Meinen, theils mit 
Ochſen, theils mit Büffeln befpannten Wagen beftand, 
wurde ſchon vom fern durch eine ungeheure Staubfäule und 
den ohrenzerreißenden, fchrillen Geſang der ungefchmierten 
Achſen angekindigt. Nad Ablieferung ihres Getreides ſah 
man bie Fuhrleute, diefe Nachkommen römischer Coloniften 
(oft mit ganz dunkelbraunen, claffifch gefchnittenen Geſich— 
tern, unter denen ich Übrigens bin und wieder auch blonde 
von mehr rundlicher Form bemerkte, welche gothifches Blut 
vermuthen laffen), entweder draußen vor der Stadt oder auf 
einem Plage bei den Magazinen ihr Abendeffen bereiten. 
Daffelbe befteht aus Maismehl, worin auch bie Schalen ber 
findlich find, und das feine andere Zuthat ald Salz keunt. 
Das Mehl wird in ein Leinentuch gefchlittet, in dem mit 
Waſſer geflillten Kochgefchirr dem Feuer ausgefegt und er 
Scheint, wenn es gargelocht ift, von feiner Hülle befreit, in 
Geftalt eines rundlichen Puddings. Diefer führt den Na— 
men Mamaliga (Mais heißt „Popofchoi“) und gilt als 
rumãniſches Nationalgericht. Gewöhnlich hatten fie das 
Gericht auf ein Brett gefchlittet, zogen ihre Taſchenmeſſer 
aus dem breiten Ledergüirtel, ber bas Über den Hofen getras 

ene grobe Hemde zufammenhielt, und ſchnitten fich ihre 
Gortionen herunter. Auf ihre Lederbifien an Sonn» und 
Veiertagen läßt fi aus den Vorräthen der rumänifchen 
Landwirthehäufer („Ban“) ein Schluß ziehen, in deren mehs 
teren, wenn wir, um bon ber Jagd auszuruhen, einfehrten, 
nichts anderes zu haben war als ‚ein fat ungenießbarer 
Kaſe und ein fteinhartes, ringförmiges Gebäd, das wir in 
dem vorhandenen bittern oder fauren „Weine“ erweichen 
mußten, um es genießen zu lönnen. Dagegen läßt es ſich 
in ben Heinen Städten bes Landes (4. B. Berlat, Roman, 
Balau) ganz erträglich leben. Ein gut gebratenes Huhn 
und eine Flaſche guten Weines fanden wir überall. An bie 
Schlafſtellen mußte man fich freilich erft gewöhnen, ba bie- 
felben nur aus einem hölzernen, mit Deden belegten 
„Divan* beftanden. Cine mir neue, landesübliche Delica- 
tefje bildet (neben der ſchon erwähnten Dolcheſſe) dick einge: 
fochter „äggptijcher* Traubenfyrup, Rachat genannt. Der- 
jelbe befteht aus länglichen, bald gelblihweißen, bald röth« 
lichen Wiürfeln einer gallertartigen Subſtanz von fehr 
angenehmen Gefchmade. 

+ Der rumänische Landbewohner hat auf mich ftets den 
Eindrud der Melancholie und Hoffnungslofigkeit gemacht. 
Er fchien mir am feinem eigenen Können zu verzweifeln. 
Es fiel mir auf, fo oft die beiden Worte: nu schti (fo 
flingt es wenigftens) (lat. mescio) „ic weiß nicht“ und 
nu jiste (lat. non est) „es ift nicht“ zu hören Man 
fonmte ziemlich ficher fein, auf fünf ſehr verftändlice Fra—⸗ 
gen vier Mal diefe Untwort zu erhalten. Und wahrlid: 
die ganze untere Donaugegend fieht aus wie ein großes 
Nuschti oder Nujiste. Nu jiste ruft und die halb in ber 
Erde verſteckte Lehmhütte entgegen; nu schti antwortet mit 


21 


156 


tnarreuder Stimme der Büffel, der feine fehr zahlreichen 
Mufeftunden in einer Wafferpfüge, bis auf Hörner und 
Nafe im Schlanme, verlebt. Nu jiste ſchreit der fette, aber 
fo oft gar nicht angebanete Boden; nu schti rauſchen die 
gelblichen Wellen des verfumpften Sees am kahlen Geſtade. 
Ob unter dem Hohenzollerfürften die Verhältniffe für bie 
Einheimischen ſich beſſern werden? Denn die Fremden 
hatten ſich bisher wohl micht zu beflagen, da eigentlic) nur 
flie fie der natitrliche Neichthum des Yandes eriftirte, 

Was ich von der Bildung der Bojaren, ihrer Pebens- 
weife und ihrem Charakter gewahr geworden bin, ift nur 
geeignet, die Wahrnehmungen Anderer zu betätigen. In 
einem Jaſſyer Erziehungsinſtitute, das ein unternehmender 
Berliner Ertabadshändler unterhielt, fand ich 14 fehr junge 
Bojarenſöhne. Sie zahlten pro Kopf 200 Ducaten und 
wurden troß ihres zarten Alters im fehr vielen Dingen um« 
terrichtet. Die Hauptfache war und blieb aber das Parliren 
in allen möglichen Zungen, worin man fie auf originelle 
Weiſe dreffirte. So wurde 4. B. in diefem Semefter der 
geographifche Unterricht in italienifcher, der mathematische 
in Frangöfifcher, der gefchichtliche in englischer Sprache er- 
theilt. Im nãchſten Semeſter wechfelten die Rollen derger 
ftalt, daß die Hiftorie franzöſiſch, die Mathematit italie- 
nisch, die Geographie engliſch abgehandelt wurde u. ſ. w. 
Außerdem wurde auch, jo viel ich mich erinnere, Lateiniſch, 
Deutich und Ruſſiſch gelehrt. Daß durch ſolche Experi- 
mente nur höchſt oberſlächliche Culturproducte, die aller 
Grümdlichkeit entbehren, zu Tage gefördert werben können, 
wird mir jeder Schulmann einräumen. Aber die Jungen 
lernten ohne Schüuchternheit parliven, und — die Eltern 
waren zufrieden. Der Berliner wußte, was für Rumä— 
nien paßt. Franzöſiſche Hauslehrer und Gomvernanten 
finden fich in vielen Wamilien. in Bojar Überraſchte und 
eines Tages freudeftrahlend mit der Nachricht, daß er feine 
Gouvernante mit feinem Hauslehrer verheirathet hätte, und 
daß er beabfichtige, „de fonder une colonie frangaise*. 

In wirthfchaftlicher Beziehung hat man die rumäniſchen 
Edlen mit den polnifchen verglichen. Vielleicht mit Recht. 
Ein Bojar, der fein Getreide an ein mir befanntes Haus 
verfaufte umd flir einen der beglitertften gehalten wurde, 
war von allen baren Mitteln zuweilen jo emtblößt, daß er 
bei feinen Fahrten nad) der Stadt am Schlagbaume den 
Zoll wicht zu entrichten vermodjte., Wie fid) „die jungen 
Yente im Sefchäft“ erzählten, wußte das der Zolleinnehmer 


Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Gejchichte des Aberglaubens. V. 


jehr wohl und lieh jedes Mal die elegante Equipage, ohne 
fie weiter zu behelligen, pafjiren. Auf dem Rüdwege frci- 
lich, wenn der gnäbige Herr ein paar Säckchen mit Ducaten 
und Jermeliks als Zahlung für feinen Weizen und Mais 
bei ſich führte, pflegte dann atıs dem Wagenſchlage eine 
größere Minze als Anerkennung feines beſcheidenen Betra« 
gend dem Beamten am den Kopf zu fliegen. So erzählte 
man wenigftend; und ich vermag das Geſchichtchen nicht fir 
ganz unglaublic, zu halten, da ich zumeilen Augenzeuge war, 
mit welcher Yeichtigleit das Geld durch die Vojarenfinger 
glitt. So ift mir eine eigenthümliche Auction erinnerlich, 
welche eine von Galaz abziehende Familie mit ihren Utenfilien 
veranftaltete. Die Käufer waren meiftens Bojaren. Ein Auc- 
tionator ſchien bei folchen Gentlemen Uberflliſſig. Seine Func- 
tionen übernahmen zwei Hausfreunde, welche, mit einem Preis» 
courant der meiftens aus Wiener Möbeln beftehenden Kauf- 
objecte verjehen, in ben mit Herren fat überfüllten Zimmern 
umberfpazierten und die am fie gerichteten Anfragen beant- 
worteten. Die von einem landesfundigen Manne angefeg- 
ten Preiſe üiberftiegen ben Einfaufspreis durchſchnittlich um 
25 Procent, Indeſſen fleigerte man bei manchen fehr 
wilnfchen&werth befundenen Gegenftänden in geheimer Des 
rathung mit der Hausfrau diefen Preis nod) bedeutend, Die 
Familie galt für fajhionable, konnte alfo nur faſhionable 
Sachen befigen; hier mußte man alfo zugreifen. So widelte 
ſich das Geſchäft recht glatt ab, und es wurde ein bebeuten« 
des Plus erzielt. Unter den Gegenftänden, welche geradezu 
lächerliche Preiſe erreichten, befand fid, ein etwa 10 Zoll 
hoher hölgerner Cigarrenhalter von runder Form und mit 
einem Dugend Klappen verſehen, welche durd; einen Drud 
wie ſich öffnende feine Thüren zum Aufſpringen gebracht 
wurden, um die auf ihrer innern Seite befeftigten Cigarren 
zu präfentiren, worauf die Klappen vermittelft eines zweiten 
Drudes wieder geichloflen werden konnten. Diefes harmloſe 
Spielzeug, welches zwei öfterreichifche Gulden getoftet hatte, 
wanderte, allgemein bewundert, von Hand zu Hand. Man 
drehte und drückte an dem einfachen Mechanismus, fand das 
Ding „joli, ravissant“ umd ben geforderten Preis von 
anderthalb Ducaten über die Maßen gering. Der glückliche 
Käufer hatte Mühe, fein Eigenthumsrecht zur Geltung zu 
bringen. Daß man faft das Bierfache des eigentlichen 
Werthes bezahlt hatte, [dien Niemand in der ganzen Gejell- 
ſchaft zu ahnen. 


Zur Ethnologie und Geſchichte des Aberglaubens. 


Von Dr, Hermann Brunnhofer in Aarau. 


Der Uberglaube ber Urzeit beruhte auf unbewußter Uns 
wiſſenheit, der Aberglaube des Bildungsmenſchen entjpringt 
der bewußten Verachtung alles Wiſſens. Deshalb weicht 
der Aberglaube, der aus mangelhafter Keuntniß der Natur 
gefege hervorging, dem Bordringen wiſſenſchaftlicher Erkennt: 
niß, während der gelchrte Aberglaube: die Aitrologie, der 
Somnambulismus, das Tiſchrücken und Geiftercitiren, aller 
Wiſſenſchaft hohnlacht und nur vor der Philofophie zittert. 
Napoleon I, und Napoleon II. waren mathematifh und 
naturwiſſenſchaftlich hochgebilbet, gleichwohl ftafen fie bie 


V. 


über die Ohren im Aberglauben der Tagewählerei. Dage— 
gen waren diefe eingefleifchten Egoiſten lebenslängliche Ber: 
ächter aller Philofophie. Der alte Napoleon ließ fich von 
der Lenormand die Karten ſchlagen, dagegen peinigte ihn eine 
ſolche Wuth gegen die deutiche Philofophie, daß er 1806 die 
Univerfitätsftabt Halle an allen vier Eden wollte anzünden 
laſſen. Vor dem Aberglauben fchligt weder der Glaube an 
Gott, noch der alleinige Beſitz wiſſenſchaftlicher Kenntnifie. 
Denn diefe allein fegen der Zigellofigkeit der Phantafie noch 
feine unliberwindlichen Schranken. Knorr von Rofenroth 


Hermann Brunnhofer: Zur Ethnologie und Gefchichte des Aberglaubens. V. 


(F 1688) dichtete das herrliche, von echt poetifchem Geiſte 
durchwebte Kirchenlied: „Morgenglanz der Ewigfeit* und 
gab das Fabbaliftiice Wert Sohar aus dem 13. Jahrhundert 
nad, Chriftus mit gläubigen Erläuterungen heraus. Der 
berühinte —— Carpzow (geb. 1595, geſt. 1666) hatte 
die Bibel 53 Mal durchgeleſen und nachgewieſenermaßen, 
meiſt in ſächſiſchen Hexenproceſſen, 20,000 Todesurtheile 
gefällt. Newton entdeckte das Weltgeſetz der Schwere und 
ſchrieb eine altweiberhafte Auslegung der Prophezeiungen 
Daniel’8 und der Offenbarung Johannis. Erſt die Vers 
fnipfung der wifjenfchaftlichen Kenntniffe zu einer Geſammt⸗ 
überficht über das Weltgange, erft die Ueberzeugung von der 
Unwanbelbarkeit der das All nad) Raum und Zeit durch— 
dringenden Naturgefeke, erft die Hochachtung vor dem großen 
een des Wahren, Guten und Schönen, mit einem Wort: 
erft der denfthätige, zum ausſchließlichen Yebensprincip ger 
worbene Humanismus, erft die in Fleiſch und Blut Über 
gegangene Philofophie erlöft uns von der Macht der unge: 
zügelten Phantafie, von dev Naferei der Selbftjucht, vom 
Bampyr des Aberglaubens. 

Wenn num aber im Geifteslehen bes Weibes die Phan- 
tafiethätigkeit vormwiegt, jo ergiebt ſich der culturgeſchichtlich 
begründete Schluß, daß das Weib die Hauptftlige des Aber: 
glaubens war, ift und bleiben wird. Die Menſchheit wird 
ſich deshalb fo lange nicht des geiftlichen Despotismus er- 
wehren können, jo lange fie it deſſen Hauptträger, bie 
unterthänigen Berehrerinnen der geiftigen Schwarzfünfiler, 
durch Errichtung tüchtiger Tächterbildungsanftalten für alle 
Stände in die Möglicjleit verfegt haben wird, —— die 
Fortfchrittöbeftrebungen der Männer ein richtiges Urtheil zu 
verjchaffen. Es läßt fich eben nicht leugnen, daß die Er- 
ziehung der Jugend ſich bis heute vorzugeweife in den Hän⸗ 
den abergläubifcher, wenn auch häufig in anderer Beziehung 
noch fo vorzüglicyer Mütter und Ammen befunden hat. Man 
huldigte eben bis jet faft allerorts dem Wahne, das echt 
Weibliche im Frauengemüth leide Schaben, wenn ſchon bas 
Mädchen mit höheren Kenntniffen ausgerüftet werde und 
mit einer Bildung ins Yeben hinaustrete, welde fonft nur 
der Mann ſich zu erwerben pflegt. Wem aber heutzutage 
noch nicht die Augen aufgehen über die echte Wahrheit, daß 
bie Grenzmarlen ber Unwiſſenheit und der Charakterſchwäche 
hart aneinanbderftoßen, der betradite die traurige Yage des 
gejellichaftlichen Lebens in Frankreich, wo ſich der Jeſuitis⸗ 
mus bereits die Hälfte der Müdchenerzichungsanftalten unters 
worfen hat und mit Hilfe der Frauen dann jene Unfummen 
des Peterspfennigs herausfchlägt, mit deren Macht hinterher 
die Männer vergeblich ringen. Doch nicht allein in Frank: 
reich, fondern fo weit es geiftliche Charlatane giebt, hat ſich 
bis jetzt die Frauenwelt als die ſicherſte Stüte der Prieſter ⸗ 
herrichaft erwiefen, Deshalb find alle unfere Bemühungen, 
und und bie Rechte des Staates gegen die unter dem Ded- 
mantel der Religion verfuchten Uebergriffe des Prieſterthums 
zu vertheidigen, von Anfang bis zu Ende fruchtlos, jo lange 
wir nicht dafür jorgen, daß das Prieſterthum durch die Frauen: 
welt nicht wieder verdirbt, was wir ſchon durchgefegt zu har 
ben glaubten. Die Sicherftellung unferer liberalen Errun⸗ 
genſchaften hängt doch ſchließlich von ber Einſicht und Cha: 
ralterſtärle derjenigen Generationen ab, welde nad) uns 
tommen werden und auf unferen Schultern weiter bauen fol 
len. Ihre Erziehung legt doch aber zumächft in den Hän⸗ 
ben ber Mütter, von welchen es in den meiften Fällen ab- 
hängt, ob der Sohn ober die Tochter auf religiödegeiftigen 
Gebiet freifinnig oder clerical ausſchlägt. Die Mutter lann 
ein Mufter häuslicher Tugenden fein und doch ihr Yeben lang 
niemals über die befchränftefte Yebensanficht, iiber den ver- 
toftetften Aberglauben hinausfommen. Und davon wird bad) 


157 


wohl etwas, wenn nicht eben alles, auf die Kinder und 
war zunächſt wieder auf die Töchter übergehen, und das um 
b nothiwendiger, je häufiger dev Vater vor lauter Gefchäfts- 
drang die ganze Erziehung ber Mutter üÜberlaffen muß. Je 
größer dann in den Kindern die Pietät gegen die fonft vor- 
treffliche Mutter, defto fchwerer werden fie ſpäter die erften 
Yugendeindrüde verwinden. Halten dann aud) die Fiberalen 
Freiheitsreden vom Fels bis zum Meer, ändern aber das 
bisherige Syftem der weiblichen Erziehung nicht, jo predigen 
fie im der Wille und laffen den Schwarzen feiner Arbeit 
froh werden. Während fie draußen auf dev Nebnerbühne 
gegen die Jefuiten, Ultramontanen und Orthodoren eifern, 
jchleicht fi der Fromme Duntelmann in ihren Familienkreis 
und vereinigt denſelben zu einem Gebet flir den Sieg der 
Kirche und des Aberglaubens. 

Der Aberglaube ift zwar die Poeſie des Yebens, wenige 
ftens des bisherigen, aber der Menfchheit ift die Poeſie theuer 
zu ftehen gelommen. Die Haffendften Wunden, an welchen 
die Menfchheit gelitten hat und noch leidet, find ihr vom 
AUberglauben gefchlagen worden, Denn, wie Leopold Sche- 
fer jagt: 

„An ihren Göttern farben alle Völker 
Und fterben noch daran.“ 


Lieblicheres und den Hauch der reinften Menschlichkeit 
Athmenderes lann es ja nicht geben, als bie Findliche Vers 
ehrung erquidender Wüjtenquellen und- Harfliegender Gewäj- 
fer, wie fie uns namentlich in der Religion Zoroajter's fo 
ergreifend anſpricht. Die anmuthigften Gebilde der dichte: 
riſchen gr bie Niren, Najaden und Nymphen, 
die Sirenen und Tritonen, ja die ſchaumgeborene Göttin ber 
Schönheit felbft, die holdlädyelnde Aphrodite, find der Menſch- 
heit au diefer Verehrung erwachſen. Aber daneben ftarren 
uns die Millionen entgegen, welche, der Hexerei bezichtigt, 
der weltalten und weltverbreiteten Waflerprobe erlegen find 
oder ſich freiwillig dem fündentilgenden und feligfeitipenden- 
den Fluthengrabe des Ganges überliefert haben — der zahl 
loſen Kinder und Kranken, welche von ihren eigenen Müttern 
und Anverwandten an dem heiligen Strome ausgefegt wor— 
den find, gar nicht zu erwähnen. Und was vermöchte und 
mehr zu rühren und zu erheben, als die Unbetung prächtiger 
Blumen und himmelanftrebender Baumriefen, wie fie uns 
aus der indiſchen, griechiſchen und germanischen Religion fo 
reizvoll entgegentritt. Der deutjche Heide richtete jich zu Zei- 
ten der Berzagtheit an ber Zuverficht auf die unverfiegbare 
Keimfraft dev Welteſche Mggdrafil empor und wir nod) 
feiern die Dubelfefte unferer Kinderfreude unter dem Weih- 
nachtsbaume, unter bem Baume, der, wie es das Volkslied 
fo tiefinnig empfindet, nicht nur zur Sommerszeit grünt, 
fondern auch im fchneefalten Winter. Dem Inder erwachte 
fein Welterlöfer Buddha unter dem Feigenbaum der Erkennt: 
niß zur Paradiefeswonne der Nirvanaweisheit und Brahına’s 
heilige Dreieinigfeit entfproßte einer Yotosblume. Denken 
wir num aber an den Unfinn, ben Betrug und all das Elend, 
welches die Menfchheit in Form des Wilnfchelruthenwahns, 
des Alraunenunfugs, des Mifteldienftes, dev mit Menfcen- 
opfern verbundenen Hainverehrung dev Germanen, dann 
aber auch ganz befonders in Form des medicinifchen Aber- 
glaubens an die Heilkraft gewifler Wunderpflangen heim— 
gefucht hat, da wandelt und ein Grauen au. Selbſt die 
Geſchichte der Kunft, diefe Balſamluſte jenfeits des großen 
Deeand der bisherigen Luge, genannt Culturgefdjichte, ver 
mag uns nicht völlig über den Schmerz zu tröften, welchen 
ber fteinalte Jammer der Menfchheit einem Jeden eimflößt, 
ber die Wohlfahrt der Völker nicht nach ber Anzahl raufchen- 
der Eriumphzlige und prunkender Schauftellungen, fondern 


24* 


188 


nad) dem Grade bemißt, in welchem die Menſchenherzen im 
Preife fleigen. Denn biefelbe Seelenfraft, welche uns ben 
olympischen Zeus von Phidias fhentte, ſchuf auch das Gögen- 
bild des Huigilopochtli, welchem Millionen bluteten. Dem— 
felben Vermögen, welchem wir die Symphonien Beethoven’s 
verdanken, entiprangen auch die Grabgeſünge, unter welchen 
die Brahmanen Tanfende und aber Taufende indijcher Witt« 
wen ſich lebendig verbrennen ließen, und Goethe's Lieber ent» 
floffen derſelben Quelle, wie die Zauberformeln der ägyptis 
fchen Priefter oder die Bannfläce römiſcher Päpfte. Diefe 
Duelle ift bie Phantafie, welche, wenn von der Vernunft 
gezligelt, als eine gutige Fee die herrlichſten Gaben der Kunſt 
fpendet und die Wiſſenſchaft mit der Löſung der fchwierigften 
Forſchungsräthſel beglüdt, aber auch gleich, ſowie man ihr 
die Zügel ſchießen läßt, als fchlangenhaarige Furie mord- 
luſtig umherſchnaubt. Die Phantafie ift jene Feuersmacht, 
von welcher Schiller in „der ode“ fingt, daß fie, wern vom 
Menfchen bezühmt und bewacht, ber wohlthätigften Leiſtungen 
fähig fei. Aber diefes Feuer Hat im der biäherigen Welt 
geichichte weit mehr als Brandfadel des Wahns, denn als 
Yeuchte der Geiftesfreiheit gedient. Nun erlöfchen allgemach 
die Irrlichter des Aberglaubens vor der Götterbämmerung 
der Wiffenfchaft, aber mit ihnen allerdings auch manches 
hellblinkende Sternlein der Poeſie. Zaghafte Gemüther bes 
fürchten darüber den Cinfturz des Himmels, unbefangene 
Seifter bauen darauf ihre Erwartung einer menfchenwür- 
digern, alle Claſſen der Gejellichaft mit gleichem Wohlwollen 
bedenfenden Zukunft. Den Schwarzkünſtlern am Geiftes+ 
leben der Völker, voran den Herolden der römifchen Unfehl— 
barkeit, erfcheint zwar fein Mittel zu verworfen, welches die 
Menfchheit in ihren jahrtaufendelangen Winterfchlaf zurlid- 
zuverſetzen verspricht. Allein die Ritter vom Geifte, denen 
vor Allem aus die geiftige Unabhängigkeit ber Völler am 
Herzen liegt, werben fich endlich ber Tangebemäntelten Wahrheit 
bewußt, daß auch die ftermgefchmlicktefte Nacht des Aber- 


Miklucho-Maklai's Forſchungen auf der Halbinjel Malafta. 


glaubens noch nie umd nirgends der Menſchheit zum Heile 
gediehen ift. Selbft die großen Machthaber der Menjchheit, 
welche fonft früher nur allzuhäufig aud) die großen Menfd)- 
heitsbetrüger zu fein pflegten, werben heutzutage wieber, wie 
im vorigen Jahrhundert, zu Ideenverfechtern, welche nichts 
Höheres kennen, als bas Geiftesvafallenthum der Völker zu 
brechen. Und thäten fie es nicht, jo huldigen jett ſchon 
viele Millionen, welche die bisherige Gefchichte der Menſch- 
heit mit Scham erfüllt, dem fiamefifchen Sprichwort: „Die 
Sonne wartet nicht auf uns.“ Jetzt erft erwacht in ber 
Menfchheit das Bewußtſein ihrer Geifteswilrde und das 
Siegesberouftfein der Humanität. Zwar lebten ſchon bie 
alten Perfer des Glaubens, daß felbft Ahriman, der dunfle, 
dereinft moch im Lichte zergehen werde. Aber uns erft ver- 
tieft ſich dieſer ehemals vorausfegungslofe Glaube an der 
Hand des Studiums der Weltgefchichte zu der wilfenfchafts 
lichen Ueberzgengung, daß fich die Menſchheit durch die 
zerfegendften Geiftesfrifen hindurch doch immer wieder zu 
höheren Entwidelungsftufen emporarbeitet. Dieje Geiſtes- 
frifen werden auch der Zukunft nicht erſpart bleiben. Denn 
bie alten Formen des Glaubens ftürzen überall an ihren 
inneren Wiberfprüichen in ſich zuſammen, bedrohen uns aber 
noch im ihren letzten Zucdungen mit neuen Neligionskriegen. 
Die Schatten, welche diefe vorausiwerfen, laſſen die Riefen- 
lämpfe der abendländischen Geſellſchaft ſchon deutlich, erahnen. 
Wer jedoch Vertrauen hegt zu der unverwäftlichen Wieder 
geburtsfähigkeit der Menſchennatur, blidt ruhigen Auges der 
Bildung neuer Berhältniffe entgegen. Was unjere heidmifchen 
Vorfahren im Goethe's ideentiefer „Walpurgisnadt* vom 
Allvater, das erhoffen auch wir vom Geifte der Menfchheit: 

„Die Flamme reinigt fih vom Rauch, 

Sp reinig’ unfern Glauben! 

Und raubt man und den alten Brauch, 

Dein Licht, wer Tann es ranben?“ 





Miklucho-Maklai's Forſchungen auf der Halbinjel Malafta. 


R. K. Der unferen Leſern wohlbefannte ruſſiſche Natur« 
forfher Mifluho-Mallai hat im Fruhjahre 1875 feine 
Reifen und Studien, welde ihm mehrere Jahre lang in der 
oftafiatifchen Infelwelt und befonders in Neuguinea feftge: 
halten haben, zu einem vorläufigen Abfchluffe gebracht und 
gedenlt zunächft auf einige Zeit nad) Rußland zurliczufehren, 
um feine reichen Sammlungen zu ordnen und zu bearbeiten, 

wozu ihm die allezeit Hilfbereite ruffische geographiſche Ge: 
ſellſchaft eine pecumtäre Unterftigung gewährt hat. Sein 
Forſchungsgebiet hat er damit noch keineswegs aufgegeben; 
er denft vielmehr nach Yahr und Tag dorthin zurczufehren 
und feine Studien dort wieder aufzunehmen, welche ihn, 
von Siden nad) Norden vorjchreitend, von Infel zu Inſel 
führen und erſt, wie er hofft, in dem ruſſiſchen Beſitzungen 
am Stillen Ocean ihr Ende finden follen. 

Ueber feine legten Unternehmungen auf der Halbinfel 
Malafta liegen jegt eine Anzahl Briefe (gedrudt im britten 
Heft der diesjährigen „Jewſeſtija der faif. ruſſ. geogr. Ger 
3 vor, aus welchen wir das Intereſſanteſte hier 

e 


Villlucho· Mallai, Zoologe von Fach und Schüler Ernſt 
Häckel's in Jena, hatte, wie befannt, fein Hauptaugenmerl 
auf den Stamm der Papuͤas gerichtet, den er bei feinem 


zweimaligen Befuche Neuguineas, auf den Philippinen und 
fonft gründlich hatte kennen lernen. Um fo mehr mußte cs 
fein Intereffe erregen, daß der Stamm der Semang auf 
der Südfpige Malaffas von Bielen fir papuaſiſch gehalten 
wurde, Die Literatur giebt Aber ihre Boltsthlimlichkeit 
feinen Aufſchluß, vielmehr die widerfprechendften Anfichten 
und beweift damit nur, daß die Frage wegen jenes Volkes 
noch eine offene ift. Denn während Crawfurd und Lo— 
gan daſſelbe geradezu ald einen Negerſtamm von geringer 
Körpergröße bezeichnen, fagt Waitz in feiner trefflichen Ans 
thropologie der Naturvölter (V, 1, ©. 87), daß „die Se—⸗ 
mang weder als Negritos, noch als verwilderte Malaien, 
fondern als eine befondere Race zu betrachten find*, und 
Nemwbold (Political and statistical account of the 
British settlements in the Straits of Malacca 1839, 
p- 377), daß fie fid) von den Jalung äußerlich faft gar 
nicht unterfcheiden, nachdem er auf S. 370 behauptet hat, 
daß die Orang-benua oder Jakung ſich ihrerfeits von dem 
Malaien nicht unterfcheiden. 

Miklucho-Maklai beſchloß demnach, diefes interejfante 
Bolt aufzuſuchen, und da ein eingehendes Studium ihrer 
Sitten, ihrer Sprache u. f. w. Jahre oder wenigftens Mor 
nate erfordert haben wilrde, der Trage wegen ihres Urſprungs 


Miklucho-Maklai's Forfhungen auf der Halbinjel Malakka. 


wenigſtens nad) ihrer wichtigfien Seite, der rein zoologifchen 
oder anthropologifchen, näher zu treten. Bom 6. December 
1874 batirt er jeinen erften Brief aus Malalfa, fpeciell 
aus Johor-Baru, der Refidenz eines unabhängigen Flr- 
ften, deſſen Neich der Inſel von Singapore gegenüber auf 
dem Feſtlande liegt. Er fchreibt: „Unannehmlicjkeiten 
verfchiedener Art, die leinheit und Dunkelheit der Zimmer, 
Zugwind, ein ſchmutziger Tiſch und namentlich der beftän- 
dige Lärm umd das Geſpräch der Feute machten für mich den 
Aufenthalt im jener großen, vollreichen Caſerne, genannt 
„Hötel de lEurope“ in Singapore, ganz unerträglich, jenem 
Gafthaufe, in welchem iminbeftens für ein paar Stunden bie 
bunte, geſchwätzige Schaar von Europäern Halt macht, 
welche nad) Yapan, China, den Philippinen, den nieberlän- 
difchen Colonien und Auſtralien unterwegs ift oder aus 
allen diefen Yündern nad) Europa zurlicklehrt. Ich fiedelte 
alfo nad) Johor iber, um mid) auf meinen Ausflug in das 
Innere vorzubereiten und mid) mit Fand und Leuten etwas 
vertraut zu machen, Der dortige Maharadicha nahm mic) 
äuferfi freundlich auf, und ich erhole mich in feinem bequem, 
aber einfach eingerichteten Haufe von dem -Geräufch und 
dem Gewühl der Europäerſchaaren in den Miethscafernen 
von Batavia und Singapore. 

Der Maharadſcha ift ein merfwirdiger Mann, welcher 
mit der Beobachtung alter Sitten und dem Wunfche, feinen 
Lande zu nügen, Verftändnig und aufrichtige Werthſchätzung 
europätfcher Ideen und Neuerungen verbindet, Er mar 
ſchon ein Mal in England und denft im nächſten Jahre 
wieder nad) Europa zu reifen und alle großen Städte bort 
zu befuchen. Er wußte von meiner Abjicht, mit den Ber 
wohnern feines Landes Belanntſchaft zu machen, und ver- 
ſprach mir feine Unterftügung. Cine Hauptſchwierigkeit ift 
die Verpflegung der Gepädträger, deren ich, fo wenig Sa⸗ 
hen ich auch auf ſolche Wanderungen mitzunehmen pflege, 
doch 6 bis 7 brauche, da die Wege im Walde theils jehr 
ihmal find, theils 4 fehlen, und darum der einzelne 
Mann nur eine geringe Laſt tragen fan. Es ift geradezu 
unmöglich, ben Keisvorrath für die Leute auch nur auf 2 
bis 3 Wochen mit fic zu führen, und bei ben Semang 
oder Orang⸗ utang (d. i. Waldmenfchen) findet man feinen 
Neid. Letztere aber als Träger anftatt der Malaien zu 
engagiren, widerrieth ber Maharadiche, obwohl fie mehr an 
das Waldleben gewöhnt find und gerade eine Abtheilung 
von ihnen fich im ihren Pirogen auf den nächſten Flüſſen, 
dem SungiMalai und dem Sungi-Stobe, herumtrieb. 
Denn jelbft fein ftrengfter Befehl und die Verheigung einer 
guten Belohnung meinerfeits, meinte er, würden mic) nicht 
bavor fchligen können, daß eines ſchönen Tages oder wäh: 
rend einer Schönen Nacht bie Orang-utang, falls ihnen etiwas 
nicht behagt, oder fie einfach feine Luſt mehr haben weiter 
zu gehen, gang im Stillen ihre Laften abwerfen und im 
Didicht verfchwinden, ohne daß fie Jemand dafür zur 
Rechenſchaft gehen fönnte. Da id mum nicht Luft habe, 
mich ſolchem Abenteuer auszufegen, fo denke ich mich ohne 
» befondern Keifeplan auf den Weg zu machen, ohne die Abr 
ficht, bis zu diefem oder jenem Punkte vorzudringen, fonbern 
je nad) Umftänden herumzuziehen und babei möglichft viele 
Dewohner der Berge und Wälder zu fehen, welde hier in 
Johor verſchiedene Namen haben, wie Orang-utang 
(d. i. Waldmenſchen), Drang-bukat (d. i. Bergmenfchen), 
Drang-liar (b. i. wilde Leute), Orang-raijet (d. i. Ein- 
heimiſche) Orang-jatung (Name von unbetanntem Ur⸗ 
fprung und Bedeutung) u. f. w.* 

So brad; denn unfer Reiſender auf, war nicht, wie er 
vorgehabt hatte, drei, fondern faſt fieben Wochen unterwegs, 
hatte aber, als er am 2. Februar 1875 mad Yohor-Baru 


189 


zurüdtehrte, ſehr interefjante wenn auch nicht abſchließende 
Refultate erzielt. Doch lafjen wir ihn darüber felber erzähs 
fen (Brief aus Johor-Barı vom 3. Februar). 

„Die Reife war mithfeliger, als ich dachte. Ich hatte fie 
begonnen ohne das Ende ter Regenzeit abzuwarten, jo daß 
ich vielfach überſchwemmten Wald paffiren mußte und das Waſ⸗ 
fer mir oftmals bis über die Hliften reichte. Um Johor von 
Weſten nad; Often, von der Mündung bes Fluffes Muar bie 
zu der des Indan zu burchfreugen, brauchte ich 30 Tage, 
obwohl ich einen bedeutenden Theil der Reife in der Piroge 
zurücklegen fonnte, und wenn ic) zu Fuße wanderte, häufig 
10 bis 11 Stunden unterwegs war. Aber ber dichte Wald, 
durch welchen wir uns oft mit dem Beile einen Weg bahnen 
mußten, die Siimpfe, die vielen Bäche und Flüſſe, über 
welche wir im aller Eile Briten ſchlagen, d. h. einen ober 
ein paar Bäume werfen ober Fähren zimmern mußten, das 
Errichten von Hütten fiir das Nachtlager, alles dies ver 
zögerte die Reiſe ſehr. Vom Indau fehrte ich im weiteren 
20 Tagen nad) Yohor-Barı zurlick. Meinen Zwed erreichte 
ich; denn ich traf an vielen Orten mit ben Orangentang 
zufammen und verfehrte oft mit diefem intereffanten Volke, 
welchem es nicht befchieden ift, fein urjprlingliches Bagar 
bundenleben noch lange weiter zu führen. Bei ihrer gerin- 
gen ‚Anzahl, bei der ftetig vorrlidenden malaiifhen und 
chineſiſchen Colonifation und bei der entfchiedenen Abneigung 
der Orang-utang, ihre Yebensweife zu ändern, werden fie 
entweder völlig untergehen ober fic mit den Malaien ver: 
mischen, ohne eine Spur zu hinterlaffen. 

Das hauptfähhlichfte und fiir mich zum Theil unerwar- 
tete Refultat der Reife beftcht in der auf beftimmten 
Thatfachen begründeten Ueberzeugung, daß man 
unter ber immerhin ſtarkgemiſchten Orang-utang» 
Bevölkerung don Johor noch Spuren einer 
Mifhung mit einem andern, nit malaiifchen (fehr 
wahrſcheinlich papuafifhen) Stamme finden fann.“ 

Ausflihrlichere Mittheilungen aus feinen Tageblichern, 
bie zudem ohne Stiggen von Typen der Eingeborenen ſchwer 
verftändlich fein wlirden, verſchiebt der Reiſende bis nach 
feiner Rückkehr nad) Europa. 

Indeſſen fchüittelte ihm das kalte Fieber, die matitrliche 
Folge ber johor'ſchen Reiſe, und fo folgte er willig einer 
Einladung des englifchen Gouverneurs von Singapore, bes 
Sir U. Clare, ihn auf feiner Dampfyacht „Pluto“ nad) 
Bangfof, ber fiamefifchen Hauptftadt, zu begleiten; denn er 
hoffte durch die Seeluft auch das Fieber los zu werden. 
Am 11. Februar fuhren fie von Singapore ab und kehrten 
am 4. März dorthin zurüd. Die neun Tage Aufenthalt 
in Bangfot genügten, die Stabt und ihre Bewohner ober: 
flächlich kennen zu lernen und ein naturwillenfchaftlicyes 
Object von großem Intereffe zu erhalten. Cr ſuchte mäns 
lich dort einen jungen Elephanten zu laufen, um fein Ger 
hirn zu ftudiren, welches noch ungenügend befaunt ift und 
ihn in Hinficht auf vergleichende Anatomie fehr intereffirte, 
In Bangkok bejigt aber nur der König Elephanten; und 
der Naturforfcher wollte ſchon auf die Erfüllung feines 
Wunſches verzichten, als ihm ein Minifterialbeamter auf 
Befehl bes jungen Königs, der von feinem Verlangen und 
feinen Studien gehört hatte, eröffnete, daß er bei ber näd)« 
ften großen königlichen Jagd, welche alljährlid, in der Nähe 
ber frühern Hauptftadt Ajudhja ftattfindet, Befehl ertheilen 
witrde, von den erbeuteten Elephanten einen jungen für ben 
ruſſiſchen Gelehrten zu referviren. „Sobald ich nur hier in 
Singapore oder in Java, wohin ich noch zu gehen beabfid;- 
tige — ſchreibt er am 7. April 1875 —, Zeit finde, will id} 
über die Zufendung meines Elephanten Beſtimmungen treffen 
und an die Unterfuchung feines Gehirns gehen. 


190 


Nad) Singapore zurlickgelehrt, brachte ich einige Tage 
bei dem ruſſiſchen Biceconful, Herrn Wampoa, zu, deſſen 
Gaſtfreundſchaft, dejien intereffanter Garten, Haus und in 
gaftronomischer Hinficht merlwürdige Küche vielen ruſſiſchen 
Marineoffizieren, welche Singapore bejucht haben, bekannt 
find, und deffen Name faft im jeder Beichreibung dieſer 
Stadt erwähnt wird, Leider gefellte ſich zu dem, Fieber, 
weldyes id) aus Siam wieder mitgebradjt hatte, ein franfes 
Bein und zwang mich, die beabfichtigte Reife nach Pahang 
(nördlid) von Johor an der Oftkifte Malakkas) aufzufchieben. 
Die Wälder von Johor haben nämlich einen jo großen 
Ueberfluß an Blutigeln, daß unfere Füge, die meinigen und 
die meiner Yeute, beftändig von ihren Biffen bluteten, Yet» 
tere mit ihren nackten Beinen fonnten fid), fo oft fie einen 
Biß fühlten, die Thiere abftreifen; ic) aber, der nicht Luſt 
und Zeit hatte oft ſiehen zu bleiben umd die Schuhe auszu⸗ 
ziehen, fand allabendlic,, wenn wir zum Uebernadhten Halt 
machten, an meinen Beinen etwa ein Dugend feftgefaugter, 
bluterfüllter Blutige. Außerdem wurde ich noch zweimal 


Aus allen 


Preisaufgaben der Pariſer Eingewöhnungsgefellichaft. 


Die Soeicts d’acelimatation zu Baris, welche eine äußerft 
rege Thätigkeit entwidelt und welcher wir in Deutichland 
nichts Aehnliches an die Seite zu jtellen haben, veröffentlicht 
focben einen neuen Bericht: Extraits des Statuts et Regle- 
ments, Prix fondes par la société et encore a döcerner. 
Wir erfchen barans, daß diefe Eingewöhnungsgejelfchaft über 
große Mittel verfügt, denn die ansgeworfenen, noch zu er: 
langenben Preife ftellen eine ſehr anſehnliche Summe dar, 
Biele diefer Preisaufgaben mögen ohne praktiſche Wirkung 
bleiben, viele aber verdienen gelöft zu werden, um unſere 
Hausthierwelt und Culturpflanzen mit neuen Errungenicaf- 
ten zu bereichern. 1000 Francs find ausgelegt für die Ein: 
führung und Gingewöhnung der ſchönen Efelracen des 
Morgenlandes und eine eben jo hohe Summe wird dem: 
jenigen zugefichert, welchem es gelingt, eines der jebraarti- 
gen Pferde, den Equus Hemionus oder den Dau (Equus 
Burchelli), fo zu acclimatifiren, daß fie in der Laudwirth— 
ſchaft oder als Zugthiere vor Equipagen Verwendung finden 
önnen. Für Kreuzungen berfelben Zchras mit Pferde oder 
Eſelsſtuten ift der gleich hohe Preis ansgefegt. 1500 Francs 
erhält derjenige, welcher zwölf im Frankreich gezüchtete und 
eingewöhnte Alpakas oder Llamas vorführt. Mehr dem 


Sport wird durch die Eingewöhnung der Wapitibirihe 


(Cervus canadensis) und des Ariftoteleshirfches (Cervus 
Aristotelis) gedient, von denen die Züchtung von zwölf Erem: 
plaren in Parks oder Forften verlangt wird (Preis 1500 
Francd), Auch für die Einführung der Moluffen:, Aris: und 
Schweinshirſche find Preiſe angelegt, desgleichen Preiſe im 
Betrage von 500 bit 1500 Frames für Eingewöhnung der 
Gazelle, der Nilgau- und Cauna-Autilope (Boselaphus 
oreas). Um ben Biber wieder zu verbreiten, find 500 Fraucs 
ausgeſetzt demjenigen, der nachweiſt, daß er vier Individuen 
im Freien züchtete. Für Einführung des großen Kängu— 
rus, welches einen delicaten Braten liefert, zahlt die Gejelt: 
ſchaft 1000 Fraucs, für Eingewöhnung des Heinen 500 Fraucs. 
Verlangt wird die Vorführung von zehn im Freien gezlich- 
teten Eremplaren. 

Zahlreicher find die Vögel, deren Eingewöhnung ver- 
langt wird, umd zumächft ift ein Preis von 500 Franken 
demjenigen bewilligt, welcher jtatt der theuren Ameileneier 


Aus allen Erdtheilen. 


bon einer andern Beftie (dem Schmerze und der Wunde 
nach zu urtheilen, wahrſcheinlich eine Art Stolopenber) ger 
biffen, wonad) der Fuß Stark anſchwoll. Und Nachts beläftig- 
ten trog der Strümpfe Hunderte von Mücken unfere Füße, 
Dazu noch beftändig naſſe Fußbefleidung, welche Tage lang 
nicht von meinem Yeibe kam, und man wird ſich nicht wun— 
dern, daß meine Füße anſchwollen und fehr fchmerzten, 
namentlic, die maleoli des vechten Fußes, weicher, wie ic) 
bemerkt habe, bei Fußwanderungen befonders den verjdjicde- 
nen Zufälligkeiten ausgefegt iſt. Einige Ruhetage im 
Johor⸗ Baru vor meiner Reiſe nad) Siam beſeitigten die 
Geſchwulſte, aber die Hitze und das Herumwandern in 
Bangkok liegen die Wunden wieder aufbrechen, und nun 
muß ic) fchon fünf Tage das Zimmer hüten und darf den 
Sopha nicht verlaffen. Ich habe wieder langweiligen Stuben- 
arreft, um meine ethnologiscen Bemerkungen über die 
Maklailuſte in Neuguinea und andere Auszüge aus meinen 
Notizbücern im deutſcher Sprache weiter zu dictiven.“ 


Erdtheilen. 


eine nene billige aus Larven oder Nymphen beftebende Nah— 
rung zur Aufzucht der Faſanen und Rebhühner ausfindig 
macht *. Bon Vögeln, die eingeführt werden follen und zwar 
fo, daß fie im Freien ausdauern, werden verlangt der Ser 
eretär oder Schlangenadler, das Perlhuhn, das nordamerifd- 
niſche Haubenrebhuhn (Tetrao eupido), die große Trappe, ber 
heilige Ibis. Für die Züchtung einer Race Haushühner, die 
bejtändig Eier im Gewichte von 75 Grammen das Stid 
legt, find 500 Franken als Preis bewilligt. Auch die Züch— 
tung des Straufies zur Gewinnung der Federn fteht auf der 
Preislijte. 

Bon Amphibien wird nur die Einführung bed amerifa- 
niihen Ochſeufro ſches (Rana mugiens) verlangt. Dieſer 
Froſch erreicht ein Gewicht von einem halben Pfunde, feine Hin: 
terbeine find allein 10 Zoll lang und ein geſuchter Lederbifien, 
zumal in der Faftenzeit. Der Einführung neuer Fiſcharten 
in die Flüſſe und Bäche Frankreichs, der immer noch nicht 
genügend gelöften Frage nach der künftlichen Erzeugung der 
Auſtern widmet die Geſellſchaft gleiche Thätigkeit, ebenſo 
die Eingewöhnung neuer Scidenraupen. 1000 Fraucs 
erhält derjenige, welcher cin neues wachserzeugendes Inſect 
mit Erfolg acclimatifirt, je 00 Francs find ausgeſetzt für 
Einführung der äghptiſchen Biene (Apis fasciata) und einer 
ſtachelloſen Biene. 

Für folgende einzuführende Bilanzen find Preife aus: 
geichrieben: Rhamnus utilis (liefert Ehineftich-Grün), Boeh- 
meria tenacissima (Ramié), die japaniſche Eiche (als Seiden: 
raupenfutter), die nordamerikaniſche Hidory:Nuß (Carya alba, 
das Holz zu leichten Wagen verwendbar), bie Batate (Dios- 
eorea Batatas), das Bambusrobr, der Eucalyptus. 


) Es fei geftattet, hier auf ben Fang der @intagsfliege bins 
zuweilen, ber zu biefem Zwedce alljährlih im großartiger Weile an 
ber ger, zumelft in ber KHaabener Gegend, fattfindet. Die Tage 
vom 12. bis 14. Auguſt, Abends D bis 12 Uhr, find bie regel 
mäßig wiederlehtende Banggeit., Man züntet große Feuer an und 
legt dancben weiße Tücher, auf welche die vom Feuerſchein angelod ⸗ 
ten Ephemeren gleih Schneefloden nieberfalen. In Körbe verpadt 
dienen bie Fintagejliegen dann ald Butter für Infectenfreffente Vögel. 
Im laufenden Jahre nahmen einzelne Hänger bis zu 40 Gulden für 
vertaufte Gintagefliegen ein, Nicht nur an der ger, fontern auch 
am zahlreichen kleinen, im diefelbe fallenden Bächen wird der Fang 
ſchwunghaft betrieben. 





Aus allen Erbtheilen. 


Die Heberflutbung der Sabara. 


„So! Alſo die Sabara ſoll unter Wafler geſetzt werden, 
Es ift doch eine große Zeit, in der wir leben. Erft baut 
Leſſeps den Suezcanal, dann werben Frankreich und England 
durch einen umnterfceilchen Tunnel verbunden, die Landenge 
von Darien wird gewiß auch noch durchſtochen und ſchließlich 
macht man aus einem Theile der Sahara ein Vinnenmeer.“ 

In diefer Weile hört man die von England ausachenden 
Pläne zur Ueberfluthung der weitlichen Sahara beipreden. 
Mebr al? ein Meeting iſt bort abgebalten worden um dar— 
über zu verbandeln, wie Norbweitafrifa „dem Handel und 
der Civilifation" zu eröffnen jei; eine nordweſtafrikaniſche 
Expedition ift bereit fich einzuichiffen und die Vorarbeiten zu 
unternehmen. Der Lord Mayor und der Golonialminifter 
Garnarvon find im Mitleidvenfchaft gezogen worden,’ der 
Stlavenhandel erhält durch das neue Saharameer feinen 
Todesſtoß, das Chriſtenthum findet Ausbreitung in Central: 
afrika, der Handel nimmt einen ungeabnten Aufſchwung — 
frz es wird eine wunderſchöne Sache. 

Hören wir die Planſchmiede. Da, wo Cap Diebi genen: 
über den Ganariihen Inseln in den Atlantiſchen Ocean bin: 
einragt, wird das tiefer liegende Binnenland der Sahara 
vom Meere nur durch eine ſchmale Sandichranfe getrennt, 
die, fo jagten Ingenieure aus, mit der größten Leichtigkeit 
burchftochen werden kann. Iſt dieſes geicheben, jo ergiehen 
fich die Fluthen des Atlantiihen Oceans über die tiefer ge— 
legene Wüfte und ein bis Timbuktu reichender See ift fertig, 
auf dem unſere Hanbeläfchiffe bis zu der merfwürdigen Stadt 
am Niger gelangen fünnen, die bisher nur von wenigen En— 
ropdiern erreicht wurde. Bis die erften Aufnahmen nemacht 
worden find, ift es fchwer über die Nusführbarfeit des Unter: 
nehmend — woran man in England mur bier und dba zwei— 
felt — ein Urtbeil zn fällen. Jedenfalls müſſen die Wiliten- 
bewobner bei Zeiten gewarnt und von dem bereinbrechenden 
Waſſerſchwall unterrichtet werben, damit fie nicht plötzlich 
fammt ihren Herden ertrinken, auch wird man wohl jo groß: 
müthig fein ihnen Entſchädigung für die überflutheten Gründe 
zu gewähren. Doc das find Nebenſachen, wenn jegt jchon, 
wie einer der Sprecher behauptete, jährlich für 3 Millionen 
Pf. St. englifche Waaren „im Königreihe Sudan" Abſatz 
finden, weldies „20 Mill. Einwohner bat”. Debt ziehen 
Karawanen monatelang den ſchredlichen waflerlofen Pfad da- 
bin; 2000 engliiche Meilen ranben unfruchtbaren Landes müſ⸗ 
fen durchwandert werden; ein töbtliches Klima und feind- 
liche Menichen find zu palfiren, ebe die Güter fern im In— 
nern Mirifas auf den Markt gelangen. 

Dat das Waſſer des Atlantiichen Oceaus auch wirklich 
in die Sahara ablänft, gründet jih — nach der Meinung 
der Blanichmiede — darauf, daf der fonenaunte „Leib der 
Wüſte“ (EI Diuf) eine große Depreffion unter dem Meeres: 
fpiegel bildet. Möglich ift diefes ſchon, aber wir baben dar: 
über feine Gewißheit, da der eigentliche El Diuf genannte 
Theil der Sahara bisher von feinem europäiſchen Reiſenden 
befucht wurde — die Routen von Caills, Vincent, Panet und 
andere liegen abſeit. Daß im Diuf grofie Saljlager vor: 
fommen, die anf einen ehemaligen Meeresboden hindeuten, 
iſt ficher. 

„Wenn die Mündung des Beltafluffes bei Cap Djebi von 
Sand befreit werden fan, dann werden die Wogen des At- 
lantiſchen Oceans in ibr früheres Bett ftrömen und jo wird 
eine directe Verbindung zwilchen dem Innern von Nord: 
weitafrifa und unſeren Häfen bergeitellt werden und der Hatt: 
del wird fich verzehnfachen. Der große afrikanische Continent 
wird allen mwohltbätigen Einflüſſen eröffnet werden, feine 
Hülfsquellen werden entwidelt und die Grenel des Sklaven: 
handels aus feiner Geſchichte verſchwinden.“ 

Leicht bei einauder wohnen die Gedanken! Wir wun— 
dern uns nur, daß nicht auch gleich von Retourbillets nach 
und von Timbnktu die Rede ift und daß Actien zur Etabli— 


191 


| rung eines Hoteld dort anögegeben werben, welches nad) 

| Gaillö oder Barth trefflich bemammt werden könnte. Oder 

aber es Tiefe fich dort eine Wintergefundheitsitation für Bruft- 
kranke errichten. „Wenn das Binnenmeer und der Ganal 
nicht praftiich ausführbar find,“ lieh fich eine Stimme gegen 
den Colonialminifter Lord Carnarvon vernehmen, „dann mu 
eine Strafe nadı Timbuktu gebaut werben." Warum nicht 
licher gleich eine Cap: Dijebi-Timbuftu-Eifenbahbn? Das Hingt 
doch und geht noch über die Oroya-Bahn in Pers. Wenn 
die Mauren und Tunaregs der Wüſte etwa fich ſchwierig er: 
weilen und, ihrer alten Sitte fröbnend, die Fremden 
morben follten, wie Mayor Paing und Fräulein Tinns ermor— 
det worden, fo hat man ja Paſcha Baker in England in petto, 
der von feinen Nilerfahrungen dort ausruht und Kriege 
ä la Bari führen kann. Hei! Wie würde es den edlen 
Elephantenjäger freuen, wenn er wieder einmal feine Kugel 
anf ben nadten Leibern der Eingeborenen „Hatichen" hören 
könnte, wie ihm dieſes bei Gondoforo fo viel Freude ver: 
urfachte! 

Lord Carnarvon war fo geicheidt der „Flutheompagnie* 
alles Gute zu wünſchen; im Uebrigen, meinte er, käme es 
zunächſt barauf an fich genanere Informationen zu verschaffen, 
Springt bei den Umterfuhungen für die Wiſſenſchaft etwas 
berans, um fo beffer. Wir haben nichts bawider wenn die 
Fluthcompagnie wirklich flott wird und wenn Kaufleute wie 
Miffionäre, die von ihr viel erwarten, im diefer oder einer 
andern Welt ihren Lohn davon haben. 


Volfsetymologien. . 

Das fchlüpfrige Feld der Etymologie, das in fo nad: 
ahmungswürdiger Weife von unferen Keltomanen Obermäller 
und Niede und Jacobi bebaut wird, die mit ihren Waffer: 
dörfern und Waflerftädten den Globus überihwenmen, 
wird vom Volle im nicht minder ergötlicher Weile angebaut. 
Und zwar ſcheint die Neigung allen Völkern innezuwohnen, 
Ortsnamen, deren Verſtändniß ihnen verloren ift, fich zurecht⸗ 
anlegen und au deuten. 

So erzäblt man eine Geſchichte, wie ein brandenburgi: 
ſcher Fürſt eine Feſtung baute und dabei fah, wie einer der 
Arbeiter ein Mädchen lüßte. Auf die Frage, was er da 
mache, antwortete der Mann: Ich küſſe Trin und daber 
bat Küſtrin feinen Namen. Das iſt deutſche Erfindung 
die den ſlaviſchen Namen Koſtrzyn ſich auf dieſe Weiſe mund! 
gerecht machte. Die Bewohner von Bbhmiſch-Kamnmitz, 
heute Deutliche, kennen die urſprüngliche Bedeutung ihres vom 
ilavifhen Worte Kamen, Stein, abgeleiteten Ortsnamens 
nicht mehr und leiten ihn gar von „Ka’ Müß’*, Feine Mütze, 
ab, weil der erfte Knabe, welcher durch den nen erbauten Ort 
lief, feine Mitte auf hatte! Uebrigens ift diefe Deutung 
nicht viel fchlechter al jene von Altona, welches mit „allzu 
nah" (bei Hamburg) erläutert wird. 

Diefen Beilpielen können wir ſolche aus weit entlegenen 
Ländern beiflinen, welche Tylor (Anfänge der Enftur I, 39) 
anführt und die gleich naiv wie jene deutlichen Etymologien 
find. So behaupten die Fibetaner, der See Chomoriri 
babe feinen Namen von einer Frau (ehomo), die von einem 
Naf, auf dent fie ritt, hineingefchleppt worden fei und in ihrer 
Angſt riri gerufen habe, Die Araber fagen, die Gründer der 
Stadt Senmar bätten am Flußufer eine ſchöne Frau mit 
Zähnen geleben, die gleich Feuer glitzerten und darnad) den 
Ort Sinnar, d. i. Feuerzahn, genannt. Die englilche Local: 
ſage endlich berichtet, daß die Römer, als fie die Stelle in 
Sicht befonmmen hätten, wo jeßt Ereter liegt, entziidt aus: 
aerufen hätten: „Eece terra“ und fo babe die Stadt ihren 
Namen befommen.’ 

Es ift überall diefelbe Gefchichte. Der menichliche Geift 
ift nur Einer. 


192 


Verſchlagene Palau: Infulaner auf Formofa. 


r. a. Im neueſten engliichen Confulatsberichte von der 
Infel Formofa findet fich folgende Angabe: „Eines Tages trie- 
ben 16 kupferfarbene, höchft erichöpfte Leute, welche in drei 
mit Anslegern versehenen Catamarans ſaßen, in den Hafen 
von Kilung Nordſpitze von Formoſa). Mit Hilfe eines Wo: 
cabulars in Cheynes’ „Sailing Directions from New South 
Wales to China“ und durch Zeichen fand man heraus, bafı 
die Männer Pelew-Inſulaner waren, die von ihren Fiſch— 
gründen weggetrieben nach einer Fahrt von ſechszig Tagen, 
während welcher fie bauptlädlich von Fiſchen lebten, nach 
Formofa gelangt waren. Sie find 1600 Miles mit einer 
Strömung gereift, welche auf die Nordipite Formofas trifft 
und dann ſich nach Japan wendet, Man jandte fie nach 
Hongfong, von wo fie mittelft Schiff in ihre Heimath über: 
geführt wurden.” 

Falls es fih um echte Palau-Inſulauer handelt ift die: 
fer Fall in hohem Grade intereffant, da von der Verſchlagung 
berfelben nach den Philippinen wohl oft die Rede war, aber 
ein fo weites nörbliches Abtreiben, wie nach Formoia, bisher 
nicht befaunt geworben ift. Semper („Die Palau-Inſeln im 
Stillen Ocean“, Leipzig 1973, S. 357) bezweifelt übrigens, 
dafs die früher mach den Philippinen verichlagenen Mikronefier 
von den Palau-Inſeln ftammten, Sondern nimmt am, daft die 
Garolinen ihre Heimath gewelen fein. Die Nachrichten über 
die älteren Verichlagungen (Ende des 17. und Anfang des 
18. Jahrh.) finden fih anfammengeftellt in: „Allerhand fo 
Ichr: als geiftreiche Brief’, Schriften und Neisbeichreibungen, 
welde von den Miffionariis der Gefellichaft Jeſu aus beiden 
Indien ſeit 1642 bis 1726 jetzt zum erſten mal, theils aus 
bandichriftlichen Urkunden, iheils aus den Lettres edifiantes 
verdeutfcht und zufammengetragen worden von Joſeph Stöd: 
lein und Peter Probſt.“ Augsburg, Grätz und Wien, 4 
Bde. Fol. 1728 bis 1748. — Ferner find fie nach den Lettres 
edifiantes T, NV. abgebrudt in E. Sprengel: „Beiträge 
zur Völker und Länderkunde“, Theil 10, Leipzig 1789, 


* oo % 


— Das Haupt der afrikaniſchen Expedition, Dr. 
Güßfeldt, iſt nach Berlin zurickgekehrt. Die auf der 
Beobachtungsſtation von Chinchoxo noch weilenden Mitalie: 
der, Lieutenant v. Hattorf, welcher zugleich mit Dr. Güßfeldt 
hinübergegangen war, Dr, med. Falkenſtein, der die admini— 
ſtrative Leitung der Station führte, Major v. Mechow, der 
bie Ausbildung der angeworbenen einbeimiichen Truppen 
übernehmen follte, Dr. Peſchuel-Loeſche und Herr Lindner, 
werden voransfichtlich nach Abwidelung der ſchwebenden Ge: 
Ichäfte und Heimfendung der gemietbeten Neger unverzüglich 
die Rückreiſe nah Europa antreten. Die Expedition bes 
Dr. Güßzfeldt. welcher wegen der an der Loangofüfte ungün- 
ftigen tlimatiſchen und politiſchen Verbältniffe von dem Vor- 
dringen in das Junere Afrikas Abitand nehmen mußte, hat 
auf wiffenfchaftlichen Gebiete ſehr erfreuliche Refultate anf: 
zuweilen. Die der Expedition zugänglichen Gebiete, die Kit- 
ftenlänber Kabinda, Tſchiluango und Loango, die Landichaf: 
ten Mayombe und Pangela, find ausgiebig erforſcht. Neben 
einer fehr bedeutenden Anzahl von Ortöbeftimmimngen hat die 
Feftitellung größerer Flüſſe, namentlich des Quillu, der an Größe 
unjerm Rheine faum etwas nachgicht, des Nyanga und des Luifa 


Aus allen Erdtheilen. 


Lug ftattgefunden und find eine Menge meteorologifcher und 
anderer phnfifaliicher Beobachtungen mit größter Sorgfalt zum 
Beiten der Willenfchaft vorgenommen. Bon bleibendem Werthe 
find die vorn den Erpeditionsmitgliedern mit großem Fleiße 
angelenten Sammlungen von Naturkörpern und Präparaten, 
deren Verarbeitung die Gelehrten noch lange in Anfpruch 
nehmen wird, Schr erfreulich it, daß die meiften Gegen— 
ftände in gutem Zuftande angelangt find, während erfahrungs: 
mäßig Tonft von in den Tropen angelegten Sammlungen ein 
großer Bruchtbeil durh Fäulniß, Inſectenfraß, Zerbrechen 
der Gläfer ꝛc. zu Grunde gebt. Diele wiſſenſchaftlichen Er: 
gebniſſe fihern der Erpebition, trotzdem es derſelben nicht 
vergönnt geweien ift, neue Gebiete zu erichliehen, einen ehren⸗ 
den Plat in der Gefchichte der Erforſchungsreiſen. 

— Cyperwein bat bei ung immer einen guten Namen; 
wie es jetst mit feiner Production ftcht, darüber ſchreibt der 
fürzlich verftorbene Dresdner Ingenieur Julius Seiff in 
feinen eben erichienenen „Reifen in der afiatifchen Türkei* 
(Leipzig, Hinrichd 1875) Nachftehbendes: „E3 werben vier 
verjchiedene Sorten Wein auf der Juſel erzeugt, die unter 
den Namen: vin rouge, vin noir, Commandarie und Muscat 
im den Handel kommen, Jede diefer vier Sorten wird auf 
einem befondern Boden gewonnen und befchäftigen fich mit 
der Eultur und Fabrikation derjelben namentlich die Dörfer 
Kelläki, Klonäri, Eptagonia, Sanita, Praftio, Vicla und 
Akapan, ſämmtlich in den vier zu Limaſol gehörigen Ber; 
waltungsbezirken gelegen. Im Durchſchnitt werben jährlich 
circa 80,000 Barilö Venetiens, oder 4,000,000 Deca türkiſch 
an Wein gewonnen und jwar 7000 Barils Vin rouge , 68,000 
bi 70,000 Vin noir und 5000 Commandarie. — Der Ger 
fammtmwerth diejes Weines beträgt ungefähr 4,175,000 Bialter 
oder rund eine Million France, wobei das Baril Comman- 
darie mit 100 Biaftern, Vin noir mit 50 Piaftern und Vin 
rouge mit 25 Piaſtern per Baril bezahlt wird. An der 
Production find ungefähr 3000 Weinbauern betbeiligt, fo daß 
durchſchnittlich auf jeden derſelben höchſtens 1400 Piaſter oder 
310 Franc kommen. Allein von diefer Summe find noch 
bie nicht unbedeutenden Steuern fowie die fonftigen Unfoften 
und Verlufte in Abzug zu bringen. Es nimmt 3. B. die 
Regierung für das Recht der Fabrikation des Commandarie 
10 Piaſter; 10 Procent des Werthes liegt als Ausfuhrzoll 
darauf und 8 Piaſter foftet der Trandport zur Kitite, jo daß 
dem Weinbauer, nad) Abzug der übrigen unvermeidlichen 
Berlufte, höchſteus 56 Piaſter pro Baril verbleiben. Ju gleir 
cher Weile reducirt fich fein Gewinn an Vin noir auf 25 
Piaſter und an Vin rouge auf höchſtens 5 Piafter pro Baril. 
Muscat, der feinfte und ſüßeſte Wein, wird nur in geringer 
Menge in den Dörfern Omodos und Kilani erzeugt. — 
Yung baben die Enperweine einen unangenehmen Beige: 
ichmad, von den verpichten Schläuchen berrübrend, in denen 
fie anfänglich aufbewahrt werden, mit der Zeit verliert ſich 
diefer jedoch und find aladann die beſſeren Sorten ſehr wohl: 
ſchmeckend. 

— Der Pater Desgodins, welcher in Tibet als Miſſio— 
när fungirt, hat der Geographiſchen Geſellſchaft zu Paris eine 
Schrift zugehen laffen, im welcher er feine Anfichten über die 
Geographie von Tibet auseinanderfegt. Hiernach hat ber 
Bramapıtra feine Quellen im Weften von Tibet und zwar 
in der Provinz Hiars. Diefelben feien von denen des Sed- 
letich durch eine Bergfette getrennt. 





Inhalt: Der Markefas-Archipel. I. (Mit ficben Abbildungen.) — Bon der untern Donan. (Mit zwei Abbil. 
dungen.) — Zur Ethnologie und Gefchichte des Aberglaubens. Von Hermann Brunnhofer in Aarau. V. (Schluß) — 
Miklucho-Maklai's Forihungen auf der Halbinfel Malaffa. — Aus allen Erdtheilen: Preisaufgaben der Barifer Ein- 
gewöhnungsgefellihaft. — Die Meberfinthbung der Sahara, — Vollsetymologie. — Verfchlagene Palau-Inſulauer auf 
Formofa. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 10. September 1875.) 


Für die Rebartion verantwortlich: H. Vieweg in Vtaunſchweig. 
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vtaunſchweig. 





Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 
Begründet von Karl Andree. 


In Verbindung mit yahmännern und Künſtlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 





Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern, WMonatlih 4 Rummern. 
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Pf. 


1875. 





Die geehrten Mitarbeiter und Correspondenten des „Globus* ersuchen wir, 
Zusendungen, welche für die Redaction bestimmt sind, von jetzt an nicht mehr an 
uns, sondern an «den Redacteur des Globus 

Herrn Dr. Richard Kiepert 


Berlin, 8. W. Lindenstrasse 13, IH IT. 
zu richten. 


Braunschweig, September 1875. 
Friedrich Vieweg und Sohn. 





Der Markeſas-Archipel. 


II. 


Am Morgen nad) dem Befuche, welchen man bei Pau— 
mea abgejtattet hatte, fam der „Nautilus“ mit der Poſt an. 
Die Boftverbindung mit den Markeſas wird von San 
Francisco aus bewerfftelligt und zwar durch Goitetten, 
welche auf dem Wege nach Tahiti und zurlid bei Taio Hae 
anlegen und mit außerordentlicher Sejchwindigfeit fahren. 

Die Kriegsfchiffe verproviantiren ſich in Taio-Hae ger 
wöhnlich mit Ochjen, indem dad Gouvernement eine Herde 
folder Thiere befigt. Diejelben weiden frei im Gebirge 
und es wird jebesinal bie erforderliche Unzahl geholt, Der 
Hammel ift jelten in Nufu-Hiwa, während auf der benadı- 
barten Infel Has Pu die Miffion eine beträchtliche Herde 


Globus XXVIII. Nt. 13, 


befigt. Ein Walſiſchboot unter dem Befehle des Mutoi von 
Taio-Hae holt von dort die verlangte Zahl, gewöhnlich etwa 
ein Dutzend. 

Der Martefas-Archipel kann im Augenblide Feine große 
Bedeutung beanfpruchen. Als die Frauzoſen von den Inſeln 
Beſitz nahmen, erhielten die ſudöſtliche und nordweſtliche 
Gruppe derfeiben jede einen befondern Befehlshaber und es 
wurden in Waitahu und Taio Hae verfchiedene gemeinnitgige 
Arbeiten begonnen. Am 8. Juni 1850 wurde der Archipel 
zu einem Deportationsorte fiir politische Verbrecher beftinmt, 
während ihm fowohl rlcfichtlich der Ausdehnung wie der 
geographifcen Yage und der Fruchtbarkeit die unerläßlichen 


25 


Der Marleſas-Archibel. 


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Eingeborene der Markeſas bei einem Götzenbilde. 





Der Markeſas-Archipel. 


Bedingungen zu einem wichtigen Marine» oder Handels: 
ttablifjement fehlen. Das ganze eben und der ganze Ver: 
fehr ift auf Taio-Hae beſchrünkt, wo amerikanische und eng- 
liſche Kaufleute Heine Handelshäufer gegründet haben. 

Die Einwohnerzahl von Taio-Hae ift micht ſehr groß 
und muß, nad) den vielen und verfallenen Hütten in den jetzt 
einfamen Thälern zu fchliegen, einen bedeutenden Rückgang 
erfahren haben. Auch haben die Eingeborenen in folge ber 
Berührung mit den Europäern und des Einfluffes, den die 
Miffionäre üben, einen großen Theil ihrer alten Sitten auf: 


ben, 
die Bevölkerung des ganzen Archipels kann, wie ſchon 
gejagt, anf etwa 12,000 Seelen veranfchlagt werben, von 
denen 6000 auf Hiwa-Oa, 2700 auf Nuku⸗Hiwa, 1220 
auf Ua-Pu, 1000 auf Fatu-Hiwa, 630 auf Tauata 
und 450 auf Ua⸗Uka fallen. 

Die große Humgersnoth, welche vor etwa funfzig Jahren 
die Markejas heimfuchte und eine große Zahl von Krank: 
heiten im Gefolge hatte, trug dazu bei, die Zahl der Bewoh— 
ner zu verringern. Die Greife erinnern ſich noch jet mit 
Screen jener Zeit, wo man ſich aus Noth gegenfeitig ver 
zehrte. 

Der Reſident in Taio-Hae beſitzt eine große Sammlung 
von Waffen, Kriegsanzügen und ſonſtigen Geräthen der Ein— 
geborenen. Das bemerkenswertheſte Stüd dieſer Sammlung 
it ein roh aus Holz gefchnigtes Bild des Gottes Titi, 
welcher bei dem noch heibnifchen Theile der Bevölkerung des 
Archipels in großem Anfehen ftcht. Das Bild ftellt einen 
monftröfen Menſchen mit ungeheuern Augen und einem fehr 
großen Munde dar, deſſen Beine gekrümmt find und beffen 
Arme fic dem Körper eng anſchmiegen. Daneben enthält 
das Mufeum noch einige andere Nachahmungen biefes Götzen⸗ 
bildes, die aus einem rothen Steine von großer Härte ge— 
ſchnitten und nur einige Centimeter lang find, und außerdem 
verfchiedene Halsbänder von Meerichweinzähnen fowie Perl- 
mutterangeln von etwa einem Gentimeter Länge Diefe 
Sammlung ift um fo werthvoller als es kaum gelingen dürfte, 
eine gleiche zufammenzubringen. 

Seit der Ankunft der Europäer ben nämlich die Ein- 
geborerren ihre einheimifche Induftrie nicht mehr. Sie zie- 
hen jetst ein Feuergewehr den alten Wurfgeſchoſſen vor und 
ihre großen Pirogen find durd) Boote verdrängt worben, 
welche entweder in Taio- Hae gebaut werden ober die fie ſich 
von ‚den Walfifchjägern verfchaffen, welche die Infel bes 


Was die Geſchichte des Archipels betrifft, jo find in diefer 
Beziehung folgende Daten bemerfendwerth. 

Als im Jahre 1842 der Contreadmiral Petit-Thonars 
von den Markejas Befig nahm, wurde in Frankreich bie 
allgemeine Aufmerkfomteit auf dieſe Infeln gelenft, die durch 
eine Bevölferung bewohnt waren, welche noch in feiner Weife 
die Sitten der fie befuchenden Seefahrer angenommen hatte, 
während die übrigen Infelgruppen des Stillen Oceans, wie 
die Geſellſchafts- und die Sandwidyinfeln, ſchon längft auf 
dem Wege der Civilifation raſch vorwärts gegangen waren. 
Der Anblick der Eingeborenen, welcher dem, der diefelben 
nicht näher lannte, Furcht einflößte, die Schweigfamfeit ders 
felben, die wenigen Hülfsquellen, welche die Infeln boten, 
waren der Grund, daß diefelben jo lange unbeachtet geblieben 
waren. Nur einzelne amerifanifche Walfifchjäger, welche 
Brennholz und Waſſer einnehmen wollten, beſuchten bie 
Markefas und die Capitäns berfelben wußten nur wenig 
Auskunft zu geben. Dazu fam noch, daß Streitigfeiten, 
welche durch das Betragen der Schiffer zwifchen diefen und 


— — — — 000. — — — — 


195 


Indeß konnte ſich Alvaro Mendana de Neira, als 
er die ſüdöſtlichen Juſeln des Archipels entdeckte und am 
21. Juli 1595 auf der Inſel Tauata, welche er Santa 
Ehriftina nannte, landete und in dem von ihm la Madre 
de Dios genannten Hafen (Waitahu) verweilte, bamals nur 


lobend über die Haltung der Bevölferung ausfprechen. 


Die Markefas geriethen dann in Bergefienheit bis Cool 
im Jahre 1774 fie aufs Neue entdeckte und in der Bay) von 
Waitahu Anfer warf. Auch er fprad; ſich nur Lobend über 
die Eingeborenen aus, fo daß die Infeln eine der wenigen 
Stellen wurden, wo er feine Anwefenheit nicht mit Blut be 
zeichnet hat. 

Im Yahre 1791 entdeckte der amerifaniiche Gapitän 
welcher das Boftoner Schiff „Hope* flihrte, 
die Infeln der nordweftlichen Gruppe und — ihnen Namen. 
Ihm folgte bald der Franzoſe Etienne Marchand, Com: 
mandant ber Marſeiller Brigg „Solide“, welche durch das 
Handelshaus Baur ausgerüftet wurde, um an der nordweſt⸗ 
lichen Küfte Ameritas Pelzwaaren einzunehmen. 

Marchand verkehrte mit den Bewohnern Wateos, das er 
Bon⸗Aceueil nannte, und ergriff am 22. Juni 1791 im Nas 
men Frankreichs Befig von diefer Infel fowie von einer grö- 
Bern, die er im Norden fand, 

Im Monat März 1792 traf Lieutenant Hergeft, Be— 
fehlhaber des „Däbalus*, welcher den Auftrag hatte, der 
englifchen Expedition unter Vancouver Provifionen zuzu⸗ 
führen, in Waitahu eim umd kehrte im Februar 1793 im die 
Bay von Taio-Hae zurück. 

Einige Monate fpäter erfchien auch die amerikanische 
Flagge vor diefen Infeln, indem Capitän Noberts mit dem 
Handelsfciffe „Defferfon“ mehrere Monate hindurch in dem 
Hafen von Waitahır verweilte. 

Ingraham und Marchand, ſodann Hergeft und fpäter 
Roberts gaben den Infeln verfchiedene Namen. Glhcklicher⸗ 
weife find diefelben aber von den Eingeborenen ebenfalls be: 
nannt worden, wenn auch noch einige Verwirrung bezüglich 
ihrer Bezeichnung und der Orthographie der Namen herricht. 

Bald ward der Markefad-Archipel häufiger von Schiffen 
beſucht. Im Juni 1797 fam der „Duff“ an, welder auf 
Koften der Miffionsgefelichaft zu Yondon ausgerüftet wor« 
den war, um proteftantifche Miffionäre nach den verſchiede- 
nen Infelgruppen Oceaniens zu befördern. Das Schiff lief 
in den Hafen von Waitahu ein und ließ dort William Pas- 
cal Eroof als Geiftlichen zurlid. Ein von einem Handele- 
fchiffe defertirter Italiener, welcher kurz nach der Abfahrt des 
„Duff“ fich auf der Infel niederließ, wiegelte die Eingebo- 
renen gegen dieſen Miffionär auf. Mit Hülfe eines Ge 
wehres und der erforderlichen Munition, die er mit fich führte, 
erlangte er großen Einfluß bei den Häuptlingen und veran- 
laßte diefelben, um fein eigenes Anſehen zu vermehren, zu 
einem blutigen Kampfe mit den Bewohnern von Hiwa-Oa 
und einem die Infel Tauata bewohnenden Volksſtamme. 

Eroof entrann den Tode nur dadurch, daß cr an Borb 
eines Heinen Schiffes, ber „Betfey“, floh. Nach mehreren 
Verſuchen, fi) auf Da-Pu und Nuku-Hiwa niederzulaffen, 
begab er ſich nach Sydney, wo er frieblic, lebte. Ein fpäter 
von ihm unternommener Verſuch, nad) den Marleſas zurüd- 
zufehren, mißlang ebenfalls. 

Im Iahre 1804 verweilte der vuffiiche Seefahrer Kru— 
fenftern längere Zeit mit feinen beiden Schiffen „Nabeshba“ 
und „Neva* in Nuku-Hiwa, wo er einen Engländer und 
einen Franzoſen fand, bie mit einander in erbittertfter Feind⸗ 
ſchaft lebten, 

Im Jahre 1813 kam der amerikanische Commodore Da- 


den Eingeborenen entftanden, weſentlich dazu beitrugen, den | wid Porter mit feinen beiden Schiffen „Eifer“ und „Effer 


ſchlechten Ruf der letzteren zu vergrößern. 


junior“ nach Taio⸗Hae, und zugleich mit den Prifen, die er, 
25 * 


196 Der Marleſas-Archipel. 


während er im Sidimeere freuzte, den Engländern abgenom- | Freuden, daß Wawanuha, Häuptling von Portua (?), ein 
men hatte. Der Play ſchien ihm geeignet zur Anlage eines | Freund der Europäer ift und daß er ſich zu Unſerer Ge: 
Arfenals und er nahm deshalb im Namen der Bereinigten | nugthuung ftets befceiden und wohlwollend gehalten hat. 
Staaten Befig von Nuku-Hiwa. Der Congreß verfolgte | In Folge deſſen empfehlen Wir ihn der Fürforge aller Schif- 
diefe Befigergreifung nicht und Porter verließ deshalb Taio- | fer, welche hier in voller Sicherheit verweilen können. 


Hae anı 13. December wieder, eine ſchwache Beſatzung zurlick Gegeben zu Port: Charles (Taio-Hae), Inſel Nulu— 
lafiend. In Folge von Streitigfeiten mit den englifhen | Hiwa, anı 23. Juli 1835. 
Gefangenen und ben Eingeborenen mußten indeß die Ameri- Charles, Baron de Thierry. 
faner ihre Niederlaflung wieber aufgeben. Im Namen des Könige. 

Im Jahre 1835 fam ein Franzoſe, Baron Thierry, . Ed. Fergus, Oberft und Adjutant.* 


in Nufu-Hiwa an und erflärte fich zum Könige der Juſel. Endlich im Fahre 1842 nahm der Gontreadmiral Per 
In den Händen eines jungen Wilden, Wawannha, ließ er | titsThouars im Namen Frankreichs die Infeln in Beſitz. 
folgendes eigenthlimliche Schriftſtück, welches ſpäter durch Bon hier an begann eine neue Aera für die Markeſas. 
Sapitän Iacquinot gefunden wurde. Bon Taio-Hae fegelte der „Vaudreuil“ mach ber 
„Wir, Charles, Baron de Thierry, oberfter Herr von | Nachbarinſel Ua-Pu, deren Berge, durch bizarr geformte 
Neuſeeland und König der Inſel Nuku-Hiwa, bezeugen mit Pics gekröut, von Taio-Hae aus geſehen einer Reihe von 


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Der König von Waitahn und feine Frau. 


Glockenthürmen gleichen. Man warf auf einige Stun« Auf der Infel Ua⸗Uka, welde darauf befucht wurde, 
ben in der Bay von Aneu Anker. Hier ftellte ſich ein pros | contraftirt ebenfo wie in Taio-Hae ein in reichem Grin prans 
teftantifcher Beamter, wahrſcheinlich ein einfacher Sandwic; | gendes Thal mit den fahlen und ſchwarzen Felſen, die baj- 
infulaner, ein, um feine Berfonalfteuer an den Refidenten | felbe einfließen. In der Nähe des Strandes erheben fich 
zu zahlen, der ſich an Bord befand. inmitten einer Art von Pflanzung einige wohlgebaute und 
Die Hanptniederlaffung der katholiſchen Deiffionäre | von einer Steinmaner umzogene Hütten. Cine derfelben 
ift an der Bay von Hafahau, die an der öftlichen Spige | ward beſucht. Die Ankömmlinge wurden von einem alten 
der Inſel liegt, In Aneu nämlich ift die Rhede nicht befons | Ameritaner empfangen, wahrjcheinlic, einem Deferteur eines 
ders amd es befinden fich dafelbit weder Wohnungen noch | Walfiichbootes, weldyer beinahe ebenfo tättowirt war wie die 
Brot: noch Kolosbäume. Einige Sträucher, welche den Yauf | Eingeborenen. Er wohnt hier länger als zwanzig Jahre. 
eines Meinen Baches bezeichnen, bilden die ganze Vegetation. | Mit Erftaunen vernahm mar, daß er feine Mutterfprache nid;t 
Nicht weit entfernt, mehr weftlich, befindet fich die Bay | im Geringften verlernt habe, 
von Hafahetau, am welcher bie Miffionäre eine Kapelle Bon Uarllfa jegelte der „Baubreuil" nad Hiwa-Da, 
gebaut haben. Hier oder in ber Nachbarbay Haafuti war | der größten und meift bevöfferten Infel des Archipels. Man 
es, wo Mardyand am 22. Juni 1791 im Namen frank» | anferte in der an ber Weſtſpitze gelegenen Bay Hanga— 
reichs von der nordweſtlichen Gruppe der Marlkeſas ⸗ Inſeln menu, welche durch große, thurmähnlice Felſen in zwei 
Defig ergriff. Hälften gefdjieden wird. Auf der Spige diefer Felſen ger 


Der Markeſas-Archipel. 


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198 


wahrte man einige Wohnungen. Die Stämme, welche die 
Umgegend der Bay bewohnen, waren augenblicklich im Kriege 
mit einander, 

Einige Kanaken ftiegen von dem Felſen mit großer Ges 
fchmeidigfeit nieder, während Boote und Pirogen die Häupts 
linge der feindlichen Stämme an Bord des „VBaudreuil* brad)- 
ten. Der Commandant hielt eine ernfte Anſprache an dies 
felben, die von dem Mutoi von TaioHae als amtlichen 
Dolmetjcher überfegt wurde. Schließlich verföhnten ſich die 
Feinde und nahmen mit Freuden einige Sefchenfe entgegen, 
die ihnen der Commandant im Namen der franzöſiſchen Re— 
gierung machte. 

Unterdeſſen befuchten einige Eingeborene in Begleitung 
ihrer Frauen das Schiff, Die jüngeren Frauen find recht 
hübjch, fie find graciös gewachfen und ihre Haltung ift ficher 
und feſt, während die fichtbare Neigung zum Didwerden 
durchaus nichts Störendes hat. Der Hals fügt ſich anmuthig 
an die Schultern, die Bruſt ift nicht zu ſtark und ihre Taille, 
wenn auch ein wenig die, macht feinen unangenchmen Eins 
drud, Sie find gewohnt, mit Europäern zu verkehren, da 
die Bay häufig von Walfifchjägern befucht wird. Ihre Bor: 
Tiebe für den Tabad ift wahrhaft unglaublid. Die meiften 
Frauen färben dem Körper gelb mit Efa-moa, deren Haupt« 
beftandtheile Kolosöl und die Wurzel einer Curcumaart bil« 
den. Die Mafje hat den Zwed die Mosfitos abzuhalten 
und die Haut hell und gefchmeibig zu machen, 

Die Bewohner des Archipels haben von den Europäern 
gelernt, aus den Blüthenlelchen der Kolospalme Branntwein 
zu brennen; fie betrinfen ſich oft, und ihre Wuth fennt dann 
feine Grenzen. ; 

Einige von der Mannſchaft des „Vaudreuil“ begaben 
fid) ans Yand und fanden dort einen Leichnam, welcher nad) 
der Sitte der Eingeborenen unter einem auf vier Pfählen 


Die wilden Liſſu an der Grenze von Yunnan und Tibet, 


ruhenden Dache ausgeftellt war. Das Einbalfamiven der 
Veihen, Hakapahaä genannt, welches gewöhnlich die Wei— 
ber beforgen, befteht darin, daß der Körper mit Kofosöl ein- 
gerieben wird, wonach man benfelben (Tupapato) auf eine 
große Platte legt, die Arme auf eine horizontale Stange ge 
ftügt. Nach einigen Tagen läuft eine eitrige Flüffigfeit aus 
dem Körper, auf dem die Würmer umberfrichen. Die Wei: 
ber, welche ſich diefer ſchredlichen Arbeit unterziehen, können 
fid) nicht die Hände wafchen, um zu effen; fie lafjen jic an 
der Seite der Yeiche nieder und mandje tauchen fogar ihre 
Popoi in die Fluſſigkeit, welche derſelben entquillt. Der 
furchtbare Geruch, weldyer entfteht, hindert die Eingeborenen 
nicht, ihre Beſchäftigungen vorzunehmen; man lacht, ſchwatzt 
und ißt gang nad) Gewohnheit. Faſt immer find diejeni- 
gen, welche mit dem Hafapahai zu thun haben, frank oder 
fterben bald. 

Die Eingeborenen der Marleſas find alle fehr gleichgitl- 
tig gegen den Eintritt des Todes, voraufgefegt, daß derſelbe 
auf natürlichem Wege durch eine Kranfheit erfolgt, aber fie 
fürdjten den gewaltjamen Tod, namentlih den Tod im 
Kriege, letztern wahricheinlich, weil fie ſich durch denfelben 
entehrt glauben, 

Iſt ein Eingeborener fehr frank, fo fertigt man vor ſei— 
nen Augen feinen Sarg an, welcher einer Piroge ähnlich 
fieht. Tritt Genefung ein, jo wird der Sarg bis zu einer 
andern Gelegenheit aufbewahrt, jedenfalls bleibt er fit die 
Perfon beſtimmt, fir welche ex gemacht worben ift. 

Aus der Bay Hanamenn auslaufend umfegelte der 
„Yaudreuil* das öftlihe Cap von Hiwa-Oa, um in Wais 
tahu Anker zu werfen. Diefer öftliche Theil der Inſel, 
Henua ataha, das heit wüſtes Yand genannt, enthält die 
höchſten Berge von Hiwa-Oa. 


Die wilden Liffu an der Grenze von Yünnan und Tibet. 


Im Äußerften Nordweften der Provinz Munan, welche 
unfere Leſer aus Garnier's Schilderungen ſchon theilweije 
haben fennen lernen, aber viel weiter nad) dem innern Hoch— 
afien hinein, als je eine englifche oder franzöfifche wiflens 
ſchaftliche Expedition gelangt iſt, haben ſich ſeit Jahren fran- 
zöfifche Miffionäre niedergelaffen und fuchen dort ihrer Religion 
Anhänger zu gewinnen, auch wohl ab und zu ber Länder⸗ 
und Völkerkunde einen Heinen Beitrag zu fpenden, wie na- 
mentlic, der Abbs Desgodins. Es iſt das an jener merk: 
wilrdigen Stelle, wo auf einem Naume von faum zwölf 
Meilen Breite drei der riefigften Ströme Aſiens in paralleler 
Nordfüdrichtung ihre Betten Taufende von Fußen in den har- 
ten Fels gewühlt haben, um dann wenige Breitengrade id» 
licher ganz verfciedene Wege einzuſchlagen und fid) in drei 
verſchiedene Meere zu ergiegen: es find von Weiten nad) 
Oſten gehend der Lu-tſe-kiang oder Lu-kiang, ber als 
Salwen in den Bengalifchen Meerbufen fällt, dann der 
Yanstfan-fiang, ber weiter unten den befanntern Namen 
Mekhong führt und dem Meere von Siam tributär if, 
und endlich als der öftlichfte und gewaltigfie der Jang-tſe— 
fiang, der nad) Often umbiegend das ganze eigentliche China 
durchſtrömt und mit den feit undenklichen Zeiten mitgeführten 
Er und Schlammmaſſen das Gelbe Meer auszufüllen ſich 

trebt. 

An dem mittelften diefer Ströme, dem Yan-tfan-fiang, 


liegt etwa unter 28° nördl. Br, auf dem rechten Ufer die 
Station Tſe-ku und etwa adıt Tagereifen nördlicher, unter 
29%, auf dem finfen Ufer und in 2375 Meter Höhe Yer— 
talo, ſchon jenfeits der Grenzen Münnans und damit des 
eigentlichen Chinas. Die Umgegend ift reich an edlen Mes 
tallen ; an vielen Stellen findet man Gold, in Yetſcha Sit: 
ber und Quedjilber, in Hui-long Kupfer u. ſ. w. ber 
wenn dies Gebiet auch officiell zu Yünnan gerednet wird, 
fo ift es doch von wirklicher Unterthänigfeit weit entfernt, 
wie aus folgendem Berichte des Abbe Desgodins in Pers 
falo hervorgeht. (Bulletin de la societ# de geographie. 
Juillet 1875.) 

Im Jahre 1871 war der Mukwa, d. h. der eingeborene 
Häuptling, von Ye⸗tſche durch die Buddhaprieſter von Hong · pu 
ermordet worden und um ihm zu rächen rief feine familie 
2000 wilde Yıllu, die unter ihrer Botmäßigleit ftanden, her- 
bei. Bon Sitden, von den Ufern des Yurkiang und Lan— 
tfansfiang, ftrömten diefelben herbei auf Tſe⸗ku los; aber zum 
größten Erſtaunen Aller bezeigten fie vor den dortigen Miſſio— 
nären Biet und Dubernard den tiefiten Hefpect und 
erlaubten fid) auf dem ganzen Gebiete der Miffion weder 
Gewaltthätigfeiten nod; Plünderungen, von denen fie font 
ſehr große Bas find — denn fie fannten den geredjten 
und wohlthätigen Sinn der Miffionäre. Auf dem andern 
rechten Ufer des Stromes aber, weldyes jenen Lamas ge- 


Die wilden Liffu an der Grenze von Yünnan und Tibet. 


hörte, plünberten fie die Dörfer, zUndeten fie am, trieben das 
Bich fort und fchleppten viele Menfchen in die Gefangen: 
ſchaft. Die Miffionäre brauchten ihren Einfluß, um einige 
der letzteren loszubitten — und die Folge davon war, daß, 
als die beutebeladenen Liſſu in ihre Berge heimgekehrt waren, 
die geflüchteten Dorfbewohner vom rechten Ufer herliberfamen 
und die Franzofen inftändigft baten, ihre Macht zu Gunften 
ihrer weggeführten Verwandten zu benugen. Da nun aud) 
ben Europäern daran lag, neuen Einfällen der Wilden vor: 
zubeugen, bei denen die Miſſion vielleicht nicht fo glimpflich 
weggefommen fein wilrbe, die Stimmung derſelben zu erfor 
[chen und fie zu beruhigen, fo wurde auch wirklich Pater 
Dubernard mit 5 bis 6 Vegleitern, weldje die Liſſus ſchon 
kannten, als Vermittler abgejendet. Am zweiten Tage der 
anfangs nad) Norbweften gerichteten Reife Überfchritt er die 
Wafferfcheide zwifchen Melhong und Salwen, die zugleid) bie 
Grenze zwifchen Ylnnan und dem Lande der Yustfe oder 
Anong bildet, welche unter dem vom chineſiſchen Beamten 
in Wesfi abhängigen Yama von Tſcha⸗mu-tong ftehen. Sie 
bewohnen ein herrliches, Uppig fruchtbares Yand — aber 
die ſchönen anbanfähigen Thäler dienen nur Nomaden zum 
Aufenthalte, welche dort nichts treiben ald die Jagd auf An- 
tilopen, Hiriche, Bären, Moſchushirſche, dreifarbige Füchſe, 
fliegende Eichhörnchen u. f. w. 

Folgenden Tages ging es nun bergab durch die Dörfer 
der Lu⸗tſe, denen der den Miffionären freundlich gefinnte Lama 
befohlen hatte, den Fremden gut aufzunchmen. Ueberall 
fand er darum dem am vorigen Tage noch fo verwachjenen 
Pfad durch dem Tſchre-pei (das Waldmeſſer) gereinigt; am 
Eingange jedes Dorfes wurde er von dem Beffet oder 
Schulzen empfangen und mit Früchten und Wild befchenft. 
Am fünften Tage erreicjte er endlich den Lu-kiang beim Dorje 
Giörffe, das in der fruchtbarften Gegend gelegen nur von 
Feldern des Bergreifes umgeben war, welcher nicht fo beftän- 
dige Bewäflerung verlangt wie der djinefifche. 

Nun ging e8 am linken Ufer des Lusfiang hinab, bis 
nad) drei weiteren Tagemärfchen das Gebiet ber Liſſu, welche 
ftets die Lu⸗tſe und ihren Lama bedrohen, erreicht war. Aber 
feine Zwecke jegte Dubernard nicht durch; fein Empfang war 
zwar ber befte, dem er fich wünſchen konnte, und die Liſſu 
verfprachen ihm auch, von weiteren Einfällen abzuftehen ; 
aber bei ihrem Wantelmuth glaubte er ihren Worten nur 
geringes Gewicht beimeflen zu dürfen, und da fie auch die 
Gefangenen nur auf Bedingungen hin, die der Miffionär 
nicht eingehen fonnte, freigeben wollten, war feine Sendung 
als gefcheitert anzufehen. 

nterejfant ift aber was er fonft vom jenem wilden Stamme 
zu berichten weiß. 

Ihre Unterthänigfeit unter China ift zum Theile mehr 
ſcheinbar als wirklich); fie ift bei dem am Linken Ufer bes 
Yanstfan-tiang (Mekhong) haufenden Liſſu eine vollftändigere, 
weil diefelben den chineſiſchen Mandarinen und den eingebo- 
renen Moffohäuptlingen näher haufen, auch nicht im com— 
pacter Mafle zufammenfigen: fie zahlen letzteren ziemlich 
regelmäßig Tribut und leiften, wie die Übrige chineſiſche, 
tibetanifche und Moffobevölferung Frohn- und Sriegsdienfte. 
Die Liſſu des rechten Ufers dagegen find viel ſchwieriger zu 
behandeln, wollen von Tribut nichts wiffen, fondern bringen 
ihren Häuptlingen nur Geſchenle, welche diefe mit Feſſen 
erwiedern müflen. Zu Frohmdienften dürfte man fie faum 
heranziehen fönnen; aber zur Theilmahme an Kriegen treibt 
fie ihr wilder Sinn und ihre Bentegier von felbft, wie denn 
and) einige hundert Mann von ihnen als Freiwillige gegen 
die Panthes in Yinnan zu Felde gezogen find. 

Bas die Liſſu am Pusfiang anlangt, fo ftehen fie unter 
den Mulwa von Yertfche, der bei ihmen alljährlic, durch 


199 


einen Beamten einen unbebeutenden Tribut einfammeln läßt: 
das ift ihr ganzes Unterthanenverhältniß zu China. Fir 
ihre inneren Angelegenheiten haben fie Häuptlinge, welche fie 


ſich entweder felbft wählen, oder die ihnen der Diufwa fchidt, " 


und der nimmt dazu ftets die unruhigſten Köpfe, um fie da- 
durch fiir fich zu gewinnen. Diefe Bolitif Hatte ihre Fruchte 
getragen: bie Liſſu verſchonten das dhinefifche Gebiet mit 
ihren Einfällen und das Land genoß einen ungewohnten 
Frieden; denn fie liebten und fürdjteten den Mulwa zu gleie 
der Zeit, und als er ermordet worden war, ließen fie 
ſich nicht zweimal bitten, feinen Tod zu rächen. 

Am Lan-tfang-kiang find ihre alle 20 bis 30 Jahre mit 
traditioneller Regelmäßigleit wiederkehrenden Einfälle jehr 
gefürchtet. Aber nie unternehmen fie diefelben, ohne zuvor 
den dinefischen oder Mofiomandarinen, den fie angreifen 
wollen, zu benachrichtigen und zwar mittelft eines Mufe, 
wie es die Chinefen, oder Tſching-tſchram, wie es bie 
Tibetaner nennen. Es ift das eine mit dem Meffer ein- 
geferbte Ruthe, an welcher beftimmte Gegenſtände befeftigt 
find, 3. B. eine jeder, eim angebranntes Stüd Holz, ein 
Heiner Fiſch u. ſ. w. Der Ucberbringer muß die Sterben 
und Gegenftände erflären. Exftere bedeuten z. B. die Hun— 
derte oder Taufende von anridenden Sriegern; eine Feder, 
daß fie mit der Schnelligkeit eines Bogels fommen, ein anges 
branntes Stud Holz, daß fie alles auf ihrem Wege ver- 
brennen, ein Fiſch, daß fie Jedermann ins Wafler werfen were 
den u. ſ. f. Dieſe fymbolifche Sprache, welde bei allen 
wilden Stämmen jener Gegend fehr verbreitet ift — im ders 
felben Weife übermitteln die Häuptlinge ihre Befchle an ihre 
Untergebenen —, erinnert lebhaft an jene Votfchaft , welche 
die Stythen dem in ihr Pand einbredenden Berferfönige 
Darius fandten (nämlich eine Maus, einen Vogel und ein 
Bündel Pfeile, mit der Bedeutung, daß, wenn er, Darius, 
nicht wie eine Maus unter die Erbe friechen ober wie ein 
Bogel fich in die Lufte zu erheben vermöchte, ihm ihre Pfeile 
ſchon erreichen würden). 

Die Kriegserflärungen ber Liſſu haben fehr häufig gar 
feinen befondern Grund und meift jagen fie, bie Zeit ſeĩ nun 
gefommen, das Hoch ihrer Herren abzufchlitteln, gleichviel ob 
diefelben gerecht oder ungerecht find. Namentlich bedrohen 
fie ftets We-fi, wo man nur mit Schreden daran denkt, wie 
viel frauen und Kinder fie ſchon geraubt und in bie weite 
Ferne verfauft haben. Trotz alledem giebt es in den Bes 
richten der officiellen Welt keine Liſſu mehr; kein Mandarin 
fpricht diefen Namen aus und der Hof in Peking glaubt, 
daß ſchon vor Jahren der letzte diefes Stammes von den 
chineſiſchen Truppen vernichtet worden fei — denn fo hatten 
die Manbarinen nach Peling gemeldet. Wenn dieſe aber jet 
von ben Yiffu reden wollen, nennen fie diefelben Banyi (ver: 
dorben aus Ba-yül), ein Name, welcher vielmehr einen meh— 
vere Tagereifen weiter weftlich und jenfeits des Yustje-fiang 
wohnenden Lu⸗tſe⸗Stamm bezeichnet, der mit den chineſiſchen 
Behörden nichts zu ſchaffen hat und biefelben mie in Unge— 
legenheiten bringen kann, 

Es find 40 bis 50 Jahre her feit der Empörung, welche 
zu jener diplomatischen Fiction den Anlaß gab: es war die 
ſchrecklichſte von allen und viele Leute entſinnen fich dort noch 
der entfeglichen VBerwüftungen an den Ufern des Yanstjang- 
tiang. Bon Nestiche bis Wesfi lagen alle Ortfchaften in 
Trümmern und die ausgefandten chinefifchen Truppen waren 
ftets aufs Haupt gefchlagen worden, bis die Reihe auch an 
bie Liſſu kam, diefelben befiegt und im ihre Berge zuriid- 
geworfen worben waren und fie ihre Rädelsführer ausliefern 
mußten. Damals jchrieben die Mandarinen im Hochgefühle 
ihred Sieges nad) Yünnan hin, daß von den Barbaren, die 
einft We⸗ſi bebrängt hätten, feiner mehr übrig geblieben fei. 


200 


Diefelben haben ſich aber nichtsdeftoweniger, Dank dem legten 
1871 ermordeten Mufva von Pestiche, trefflich erholt, ver: 
mehrt und ftehen jet Fräftiger als zuvor ba. 

Als Räuber bei allen Nachbaren gefürchtet beftehlen doch 
die Liſſu fich unter einander nur äußerft felten, weil ihre 
Häuptlinge dies mit firengen Strafen ahnden; wie biefelben 
denn auch einen gewiflen Corpsgeift unter ihren Untergebenen 
aufrecht zu erhalten verftchen, weldyer ihren Raubzügen treff- 
lich zu Statten kommt. Auf diefen Zügen, die fo recht ihrem 
unruhigen Charakter und ihrer Beutegier behagen und wo fie 
ihre Kraft, Sefchidlichfeit und Ausdauer im Zurlicklegen von 
Degen, die fein anderer Sterblicher machen laun, üben, fühs 
ren fie nie Borräthe mit ſich — wo fie hinlommen, verſchaf- 
fen fie ſich ihren Yebensunterhalt durch Diebſtahl oder Gewalt. 
Sie haben auf der Jagd nichts bei ſich als eine Armbruft 
mit vergifteten Pfeilen und einen langen Säbel, den fie fehr 
gejchict führen; im Kriege fommt noch ein aus ſpaniſchem 
Rohr geflochtener Schild dazu. 

So wild und unbändig fie find, werden fie doch treue 
Fremde deffen, der iht Zutrauen gewonnen hat, Sie leben 
meift dorjweife inmitten ihrer Anpflanzungen, treiben fid) 
aber viel in den Bergen auf der Jagd herum. Außer den 
Aeckern in der Nähe ihrer Dörfer beftellen fie auch zeitweilig 
draußen in den Bergen eim durch Feuer vom Holze gereis 
nigtes Stüd Yand, das fie verlaffen, fobald feine Kräfte 
erſchöpft find oder fobald dort ein Familienmitglied geftor- 
ben ift. 

Ihre Wohnungen find nur elende mit Gras bebdedie 
Hütten, deren Fußböden und Wände aus ſchlecht geflodytenem 
Banıbus beftehen, durch den der Wind hindurchpfeift. 

Ihre Kleidung, wenigftens die der Männer, gleicht im 
Schuitt der chineſiſchen und beftcht aus eigen gewebten Hanf. 
Nicht felten ficht man einzelne Yeute mit prächtigen Seiden⸗ 


J. Mestorf: Germaniſche Wohnfige und Baudenkmäler in Niederöfterreich. 


gewändern angetan, die fie auf ihren Raubzügen in China 
geftohlen haben. Aber fie fchäten dergleichen Koftbarteiten 
nicht höher als ihre rohen Hanfkleider und tragen dem theuern 
Stoff ebenfo auf der Jagd oder beim Feldbau wie an Feſt— 
tagen. Das eigenthümlichfte Stüd der Frauentracht ift die 
Kopjbededung, eine Kappe mit Obhrenklappen und ganz mit 
Kaurimuſcheln bededt. 

Die Kriegsgefangenen find Sklaven, ohne daß ihr Loos 
ein ſonderlich hartes wäre. Denn der Sklave wird wie ein 
Familienmitglied betrachtet, lebt unter demfelben Dache, ift 
diejelbe Speife, lurz theilt mit der Familie Arbeit, Yeid und 
Freude. Gefällt er feinem Herrn nicht mehr, fo wird er 
für Vieh weiter verfauft; heivathet dev Sohn des Haufes und 
hat nicht genligend Vich, um feine Frau zu bezahlen, fo dient 
wiederum er an Zahlungsftatt. Die Frau hat feinen Wil 
len, fondern wird einfach; verkauft; gefällt fie ihrem Manne, 
jo hat fie es gut; kann er fie nicht leiden oder entftchen 
Zwiſtigleiten, wird ſie zwar nicht mißhandelt, aber ohne 
Weiteres weiter verlauft. Die Liſſu haben Polygamie, aber 
nicht, wie andere tibetanische Stämme, Polyandrie. 

Ihre Religion ift der Fetiſchismus; fie glauben an böje 
Geifter, welche an Quellen, auf Felſen und in Wäldern hau- 
fen und fehr gefürchtet find. Um fie zu vertreiben haben fie 
Zauberer, weldye Yoofe werfen und die Trommel ſchlagen, 
wobei einem aus gegohrenen Getreide bereiteten Getränfe 
ſtart zugefprodyen wird. Um Yamas und Buddhas, Gögen- 
bilder und Tempel kümmern fie ſich gar nicht. Trinten und 
Plündern, das find ihre Hauptieibentljaften. 

Befonders bei den Liſſu vom Yu-Fiang findet fich ſehr viel 
Gold, jo dag ihre Conrantinlinze in Meinen Goldkigelchen 
beſteht. Diefelben werden mittelft der chineſiſchen Wage 
gewogen und felbft die Kinder verfichen diefelbe vortrefjlic) 
zu handhaben. 


Germanifche Wohnfite und Baudenkmäler in Niederöfterreid. 
Bon J. Mestorf. 


Die unter obigem Titel Fürzlich veröffentlichte Heine 
Schrift des durd; frühere archäologiſche Forſchungen befanns 
ten Dr. Math. Mud in Wien beweift wieder einmal, 
welcher Augen fir die vorgefchichtliche Alterthumslunde bare 
aus erwächlt, wenn ein begrenztes Terrain vor einem ſach— 
fundigen, ſcharfen Auge abgefucht wird. Herr Much wählte 
zu feinen Unterfuchungen das Gebiet, weldyes von der Dos 
nau, der March, der ara und dem Kamp umfloflen iſt, 
wahrhaft claffifchhen Boden, auf dem der Menſch fchon mit 


' Händen desjenigen, der ihnen Rede abzuloden weiß, zu foft: 


roh behauenen Steinwaffen den Elephanten jagte, und nad): 


dem er die verfchiedenen Gulturftadien durchlaufen, vor mehr 
als anderthalb Jahrtaufend bereits zu einer Kraft und In— 
telligenz ſich entwidelt hatte, welche ſelbſt den erſten Kriegs— 
heeren der Welt Achtung einflößten. Die von dem Berfafler 
unterfuchten und befchriebenen Wohnpläge liegen an den Ufern 
der Donau und March und find ſowohl hinſichtlich ihres 
örtlichen als ihres archäologiſchen Charakters der Art, daß 
fie zu dem älteften hiſtoriſchen Nachrichten über jene Gegen: 
den in Beziehung treten. Man hatte die in dem Boden 
lagernde Hinterlaffenicaft der alten Bewohner bisher ums 
beachtet gelafien, weil man nicht bedadhte, daß einige ver— 
roftete Cijenftüde, Topfſcherben und Knochen unter den 


baren Documenten werben fünmen. Dies aber hat Herr 
Much trefflich verfianden, indem er micht nur die Blüither 
zeit diefer altgermanifchen Wohnfige mit Zahlen feftitellt, 
fondern auch die Bewohner mit Namen nennt. In die 
Markomannen- und Quadenkriege führt er uns nämlich bei 
der Edjilderung der von ihm durchſorſchten Yocalitäten und 
da wendet er auf die Donanufer ein Wort des Tacitus 
bezüglich der Rheinufer an, „weil hier wie dort die Stätten 
ruhmreicher Bergangenheit ſich erhalten haben, viefige Waffen: 
pläge, beven Umfang noch heute Maßſtab giebt für jene 
Volksmaſſen und derem Kriegshorden und ein Zeugniß für 
ihren gewaltigen a 

Wir können den Verfaffer nicht auf allen feinen Wan— 
derungen begleiten, noch weniger die Correctheit feiner Bes 
obadytungen controliven und begnügen und, legtere voraus: 
gefest, in wenigen Zligen eine der großartigften Ouaden= 
feftungen zu zeichnen, bei deren Schilderung er jelbft mit 
Vorliebe verweilt: diejenige von Stillfried an der Marc). 

Der Name paßt ſcheinbar ſchlecht zu dem Wilde, welches 
nicht weniger als „ftillfriedlichen* Charakters ift, allein der 
Berfaffer hat eine andere Auslegung fr denfelben. Still, 


I. Mestorf: Germaniſche Wohnfite 


oder Stil, Stiel, faßt er auf in der Bedeutung von 
Pfahl; fried als abgekürzt von eingefriedigt. Da hät: 
ten wir einen durch Pfähle eingefriedigten Raum — 
eine Pfahlburg *) Das Terrain derfelben bildet eine bie 
March faft berüihrende Ede des von dem untern Maunhardts— 
viertel auslaufenden gewellten Hügellandes, welche, am 
Fluſſe durch 20 bis 25 Fuß hohe, faft ſenkrechte Löswände 
begrenzt, im Norden und Süden durch Seitenthäler ifolirt, 
nur im Weſten mittelft eines fait ebenen Nüdens mit der 
Hochfläche des innern Hügellandes zufammenhängt, aber 
auch an biefer Seite durch einen noch heute bedeutenden 
Wald abgefchloffen if. Die fteilen Ränder des fo begrenz⸗ 
ten Terrain beherrichen nicht nur die March, ſondern die 
ganze gegen Often und Süden vorlagernde Ebene. Der 
größte Theil diefes 27 Hectaren meffenden Areals ift von 
Wällen umgeben, bie bis zu 12 Meter Höhe anfteigen. 
Die landeinwärt® gerichtete Weitfeite ift außerdem durch 
einen 300 Meter langen, 35 Meter breiten und 10 Meter 
tiefen Graben geſichert. Die Wälle beftehen aus Lös; der 
größere ift eim fogenannter Brandwall, defjen Cons 
ftruction Mar zu Tage liegt. Innerhalb der Wälle liegen 
zwei „Zumuli* und ein „thurmartiges Erdwerlk“. Bier 
Thore feinen urſprünglich in diefe Feſtung geführt zu ha- 
ben, die, 400 Oluadratmeter auf eine Familie vom je fünf 
Perfonen gerechnet, 2000 Einwohner gefaßt haben würde, 
in Kriegäzeiten aber wohl ein zehnfach größeres Heer, weil 
zur Bertheidigung des großen Wertes Taufende von Krie— 
gern erforderlich waren. 

Gegenwärtig ift die Oftfeite des Terrains mit Wein 
gärten und Feldern bededt. Die Welthälfte, auf der eine 
einſame Kirche liegt, bildet eine trodene Weide, die in folge 
heftiger Regengüffe tiefe Einriſſe zeigt, und an den Wänden 
diefer tiefen Riſſe war es, wo Herr Much die erften irde— 
nen Scherben, Kuochen, Wandbewurfftücde, Aichenlager u. ſ. w. 
entdedte. Wo man innerhalb der Wälle den Spaten in 
den Boden fenft, fördert man ähnliche Dinge ans Yicht. 
Unter den Fundftüden find befonders Hervorzuheben: ein 
eiſernes, zweifchneidiges Schwert (vom Typus der Schwer» 
ter des Nydamer Moorfundes), ein elfenbeinerer Kamm 
(ebenfalls den Känmen aus den großen ſchleswigſchen und 
dänifchen Moorjunden gleichend), Fragmente von Thon- 
gejäßen und zwei römiſche Silbermüngen, eine von Probus, 
eine andere von Fauſtina d. 9. 

Zeigten ſchon dieſe Fundftüce in das zweite und britte 
Bahrhundert nad) Chriſtus zuriid, fo fand der Berfafjer daflir 
weitern Belag in einem längs des Über: das ganze Terrain 
führenden Weges zu Tage tretenden weißlichen Gefteine, in 
welchen er Mörtel erfannte und zwar einen Mörtel von 
derſelben Beichaffenheit, wie derjenige am Triunphbogen des 
nur fieben Stunden Weges entfernten Carmuntum, jener 
berühmten Römerftadt, welde 374 von den Quaden zer: 
fiört ward. Auch römiſche Ziegel jand Herr Much und 
zwar mit demfelben Fabrikzeichen, welches er früher an Zie— 
geln aus dem römiſchen Winterlager vor Carnuntum ent 
det hatte. Aus dieſen und anderen Erjcheinungen ſchließt 
nun Herr Much, daß innerhalb der Wälle einft ein römiſches 
Eaftell geftanden habe. Da fragt es ſich, wann daffelbe 





*) In Ortonamen beteutet „Arieb” allerdings Umbegung, Ge— 
bene, wie noch beute im bayeriſchen Dialef, Daß aber in ter 
Silbe Still? unſer Stiel (mittelhochteutſch Mil — nbr. Stiel) 
entbalten und biejes in ter Bereutung Pfahl gebraucht fein Toll, 
if ſeht unwahrſcheinlich. Bielleicht kann ter Name „ftilles Ge— 
böft“ bedeuten oder „Gehöft des Stilo* (Perfonenname, deſſen 
Diminutiv „Stilifo*, motern „Stilfe* it). Doch find dies beites 
nur Bermutbungen, weldhe durch eine abweichende urkundliche Jorm 
tes Namens umgeftoßen werten fönnen. Zepter finb uns aber nicht 
zur Hand. (Nah einer Mittheilung des Prof. Dr. E. Kubn.) 


Globus XXVIIL Mr. 13. 


und Baudenkmäler in Niederöfterreich. 201 
erbaut worden, Zwei Berſuche der Römer nördlich der 
Donau feften Fuß zu fallen, find hiftorifch befannt, der eine 
unter Marcus Aurelins, der andere unter Valentinianus, 
Da nun die Fundftüde und unter biefen vorzugsweife die 
gefundene Münze der Fauſtina, Gemahlin des Marcus 
Aurelius, auf eine frühere Zeit weifen, jo nimmt Herr Much 
an, da das Gaftell während der Markomannentriege 166 
bis 180 n. Chr. errichtet worden fe. Es ſcheint indeſſen 
nicht lange beftanden zu haben, da die beiden Tumuli, welche 
fid) über den Trümmern des Gemäuers erheben, erft nad) 
der Zerſtörung deffelben errichtet fein künnen — vielleicht 
zum Gedächtniß des Abzuges der Feinde. 

Der Drt Stillfried war von hoher ſtrategiſcher Bedeutung. 
Fir die Nömer war ber Befig diefes Bollwerkes, von wo 
aus die Germanen zu jeder Stunde bei Tag und bei Nacht 
vor den Thoren ded prächtigen Carnuntum erfcheinen fonnten, 
von größter Wichtigkeit, um jo miehr, da eine Waſſer— 
ftraße die Communication zwifchen beiden Punkten erfeichterte. 
Nicht minder lag andererjeits den Quaden daran, ben feſten 
Plag in der Nähe des großen römifchen Yagers zu behaupten, 
von wo aus alle Triegerijchen Unternehmungen nördlid) der 
Donau ausgingen und ohne welchen fie jedem plöglichen 
Ueberfalle jchuglos ausgefegt waren, Daß die Quaden 
überhaupt darauf bedacht waren, die Flußthäler in ihrer Ge: 
walt zu haben, geht nad) Much daraus hervor, daß ſowohl 
der obere Theil des Waagthales als das Marchufer durd) ein 
Syftem von Feitungswerken gejchligt waren, welche zum Theil 
derfelben Zeit angehören wie Stillfried. Daß das an lept- 
genannten Orte aufgeführte römische Caſtell indeffen nur 
furzge Zeit beflanden, liege ſich aud) aus der hiſtoriſch 
befannten Thatſache Pe daß die Römer ſchon unter 
Marcus Aurelius und Commodus die im Quadenlande er 
richteten Feſtungen ſelbſt zu ſchleifen ſich gemüßigt ſahen. 

Die Anlage und Zerſtörung eines römiſchen Caſtells 
und die Errichtung zweier Tumuli Über den Trümmern deje 
felben bilden indefjen nur Epifoden in der Gefchichte des 
großen Waffenplages. Um über feinen Urſprung Weiteres 
zu erfahren, grub Herr Much tiefer in den Boden und da 
ergab es ſich — wir faſſen die Hauptrefultate kurz zuſam⸗ 
men —, da die urſprüngliche Unlage bis in bie vorhiftor 
riſche Blüthezeit des unfern gelegenen Marktes Hallftatt 
zurlidreichen dürfte. Erſt fpäter, vermuthlic während der 
Nömerlviege, fcheint eine ſtürmiſche Zeit ber den Ort ein: 
gebrodyen zu fein. Coloffale Aſchenſchichten mit eingebetteten 
Wandbewurfſtücken, Kohlen, Scherben u. |. w. zeugen von 
gewaltſamer Zerftörung und furchtbaren Bränden. Die 
obere Schicht bietet dahingegen ein rubigeres Bild. Die aus 
Flechtwerk mit Lehmanwurf beftchenden Wohnhäufer ſcheinen 
ſtattlicheren Holzbauten gewichen zu fein, feine Ajchenhaufen 
jeugen von verheerenden Feuersbrunſten. Diefe beiden 
Schichten find fo ſcharf getrennt, daß es am einigen Stellen 
ſcheint als habe fid Über der untern eine Grasmarbe gebil- 
det bevor cine neue Befiedelung flattgefunden. Unter den 
Thongefäßen aus der untern Schicht find einige dem Hall 
ftatter Typen und gewifjen niederöſterreichiſchen Grabgefäßen 
derjelben Zeit auffallend ähnlich; diejenigen der obern 
Schicht find zwar beffer gebrannt, allein Formen und Drs 
namente weniger gejchmadvoll und mannigfaltig. 

Bemerkenöwerth ift ein Ercurs des Berfaflers tiber die 
auch zu Gtilfvied gefundenen fogenannten Webftuhle 
gewidhte, vierjeitige, coniſche Thongebilde, mad) oben ge: 
locht zum Durchziehen einer Schuur. Er kennt ſolche von 
52 bis 2170 Grammes Gewicht und bezweifelt ihre aus: 
ichliegliche Anwendung am Webftuhl. Nach Wantel’s Ber 
obachtung fehlen fie im öftlichen Europa. Ich habe diefe 
Gewichte früher von Italien bis an die Nord» und Dftfee 

26 


202 


verfolgt. Die mir befannten nördlichften Funde find aus 
Holjtein. Zwei, von 794 und 805 Gramm, in Dithmar+ 
ſchen gefunden, werden in der hamburgifchen Alterthümer- 
fammlung bewahrt, ein drittes aus dem Kirchſpiel Ahrensböl 
(öftliches Holftein) ift in den Händen eines Privatſammlers. 

Als auffällig ift feiner zu erwähnen, daß Herr Much 
aus der untern und zwar ungeftörten Schicht, derſelben, 
in weldjer er die beiden römischen Silberbenare fand, auch 
ein Gefäß von rothem Thon in Pöwengeftalt zu Tage 
förderte und zwar nad) der Abbildung jenen bekannten Ge— 
fäßen durchaus gleichend, weldye and) in Holftein und im 
ffandinavijchen Norden vorkommen und als Kicchengefäße 
(Yavatorien) des elften bis dreizehuten Jahrhunderts betrach- 
tet werden. 

In der oben Schicht, welche Maſſen zum Theil bear: 
beiteter Thierknochen enthielt, die noch einer grlindlichen 
Unterſuchung harren, wurde auch eine alte Schmiedewerlſtätte 
aufgededt. Allein auch in der untern Schicht fand Herr 
Much Anhaltepumfte genug um den Ausspruch zu vechtfers 
tigen, daß die alte „Quadenfeſtung“ eine handele und ges 
werbetreibende Stadt geweien. Bon der Ausübung legte: 
rer zeugt zum Beifpiel eine entdedte Töpferwerfftatt, und die 
Alterthuunsforfcung hat zur Beglaubigung der Tradition, 
daß römifche Händler das Yand der Germanen durchzogen 
und Känfer für ihre Waaren fuchten, zahlreiche Beläge ge- 
liefert, Daß Stillfried ein uralter Handelsplag geweſen, ließe 
fid) auch daraus folgern, daß es in der Nähe einer alt 
berühmten Bernfteinhandelsftrage lag, von welcher auch 
Hallftatt und Carnuntum berührt wurden. Endlich müſſen 
wir dem Verfaſſer auch darin beiftimmen, daß Stillfrieb 
hinſichtlich feiner örtlichen Lage lebhaft an die Beſchreibung 
Eäfar's von der Feſtung der Aduatuker erinnert. 

In dem zweiten Abfchnitte feiner höchſt anziehenden 
Schrift beſchäftigt ih) Dr. Much mit anderen Bauwerken, 
in welchen er vorchriftliche Eultusftätten erblidt. Er unter- 
fcheidet fie ald Stein und Erdbauten. Yestere, der Zahl 
nad) vorherrichend, beftehen in Ringwällen, Hügeln und 
ftumpfen Pyramiden, einfady oder combinirt; letzteres fo zu 
verftehen, daß Hilgel oder Pyramide aus einem biswei« 


Franz Poppe: Hollandsgänger. 


erhebt, oder daß ein zweifacher oder gar dreifacher Ningwall 
einen Hügel und eine Pyramide umfchließt. Der Sotte- 
mund unterfdjeidet fie ala Yees und Hausberge. Der Yee- 
berg ift ein Erdhügel, der Hausberg von Ningwällen ein: 
geſchloſſen, fomit dem nordiſchen „Hof“ zu vergleichen. 

Von 60 folden niederöfterreichifchen Erdbauten liegen 
die meiften nördlich der Donau und zwar am dichteſten an 
der alten Grenze zwifchen den Germanen» und Römerfigen. 
Einige diefer Hügel umfchliegen Grabftätten, was indeflen 
ihre Bedeutung als Cultusort nicht aufhebt. Daß fie als 
foldye aufzufafjen feien, geht nady Herrn Much's Anficht 
aud) daraus hervor, daß auf mehreren noch, heutigen Tages 
eine Kirche liegt, die bei Einführung der chriſtlichen Yehre 
auf der Stätte des heibnifchen Heiligthums erbaut worden 
fein dürfte. Auch pflegen die Haus und Peeberge häufig 
in der Nähe Heiner Städte und Dörfer zu liegen und bil- 
den in der Kegel Gemeindeeigenthum. Bor Kurzem noch lag 
die Gemeinde Geifelberg mit ihrer ehemaligen Gutsherrichaft 
in Streit um den Befig ihres großartigen Hausberges. Sie 
behauptete ihr uraltes Recht und führt das Bild des Berges 
in ihrem Siegel inige diefer Hausberge find von impo- 
fanter Höhe. Derjenige von Stromegg nimmt mit feinem 
Ringwall einen Flädyenraum von 12,000 Quadratmeter 
ein, Der Hügel ift 12, die Pyramide 4,75 Meter hod). 
Wo Hügel und Pyramide innerhalb einer Umwallung liegen, 
pflegt erfterer legtgenannte immer an Höhe zu überragen. 
Bon den abgeftuften Hügeln denft Herr Much, daß nur die 
Priefter den Gipfel betreten durften, während das Volk auf 
den Stufen ringsum lagerte. Er erinnert an den Brief 
Gregor's des Großen an den Abt Melittus, in dem er ge 
ftattet, das Bolt möge rumd um die Kirchen , die einft 
Tempel waren, fid) lagern in Zelten aus Baunzweigen und 
in gewohnter Weife Tiere ſchlachten und verzehren, aber 
unter der Anrufung Gottes, 

Als Hauptergebnig der Much ſchen Ausgrabungen wäre 
zumächft zu betrachten, daß eine an den Ufern der Marc 
jeßhafte germanifche Bevölterung Erbaner von Brandwällen 
gewefen und daß fie im zweiten und dritten, ja vielleicht gar 
im vierten Jahrhundert nad) Chriftus am der Donau nod) 


len mehrboppelten und ftufenartig anfteigenden Ringwall ſich | Mal oder Srabhligel errichteten. 


Hollandsgänger. 


Ein Bild aus dem Vollsleben von Franz Poppe. 


Aus den Geeſt⸗ und, Heidediſtrieten des nordweſtlichen 


Deutſchlands finden alljährlid) nicht unbedeutende Wande- 
rungen der Yandbewohner nad) den angrenzenden fruchtbaren 
Marſchländern, namentlid nad) Holland, ftatt. Diefe 
Wanderungen find von der Natur geboten, fo gut wie die 
der Zugvögel. Denn in den fruchtbaren, üppigen Marſch— 
ländern längs der Hüfte der Nordſee fehlt es zur Zeit der 
Ernte und auch jonft an Arbeitern, die daher gefucht find 
umd gut bezahlt werden. In den Heidegegenden dagegen 
tritt mac der Beftellung der Roggen: und Buchweizenäder 
eine Zeit ein, die weniger rbeitsfräfte erfordert; daher 
eilen viele rüftige Männer und Dünglinge aus der Ärmern 
Schicht der Yandbevölferung, angelodt durd) den höhern Ars 
beitslohn, hinweg nach dem reichen Holland. Auf dieje 
Weife ift eine Völlerwanderung im Kleinen und mit ihr eine 
Wanderbevölferung centflanden, 





Seit uraller Zeit, feit Jahrhunderten, ift im nordweſt ⸗ 
lien Deutſchland das ſogenaunte Hollandsgehen Gebraud). 
Man nennt die wandernden Arbeiter Hollandbsgänger, 
furzweg Holländer, auch Frieslandsgänger, kurzweg 
riefen, weil viele derfelben nad) Friesland, dem nörd— 
lichen Theile Hollande, wandern. 

Aus dem Oldenburgiſchen ftellen befonders das 
Miünfterland, der ſUdliche Theil des Herzogthums, fer- 
ner die Wildeshaufer und Delmenhorfter Geeft, ganz 
befonders aud) die Kirchgemeinde Wardenburg und Ums 
gegend ein bedeutendes Kontingent zu diefen wandermden 
Yandleuten. 

Man möchte fie mit den Zugvögeln vergleichen, denn 
in Schaaren ziehen fie fort, in Schaaren fehren fie wieder; 
nur fällt bei ihnen der Abſchied von der Heimath im den 


Fruͤhling, die Heimkehr in diefelbe in den Herbft. Wie die 


Franz Boppe: 


Heimlehr der Zugvögel von Yung und Alt, jo wird aud) die 
der Hollandögänger mit Jubel und Freude von den Ihrigen 
begrüßt. Früher wurden fie, wenn fie ſchaareuweiſe wieder 
in ihre Heimathdörfer einzogen, von Freunden und Nach— 
barn mit Freudenſchliſſen bewillfommt. 

Obgleich urſprunglich die ländlichen Arbeiten, wie Gras— 
und Getreidemähen, die Veranlafjung zum Hollandögehen 
gaben, jo fanden ſich doch nad und nach aud) andere loh— 
nende Arbeiten für die Hollandegänger, als Härings- und 
Walfiſchfang, Canals, Deid)- und andere Wafferbauarbeiten, 
namentlich aber Torfgräberei und Studaturarbeit, denen ſich 
nun viele Arbeiter ausjchlieglid, widmeten, So entftanden 
drei Hauptabihelluugen von Holländern, die Girasmäher, 
die Torfarbeiter und die Studaturarbeiter oder 
„Studadoors“. 

Wie groß die Anzahl diefer Wanderbevölterung ift, läßt 
fid) nicht genau angeben ; im Oldenburgiſchen mag fie fid) 
auf nahezu Taufend belaufen. 

Die Grasmäher ziehen nad) den fruchtbarften Gegen 
ben Frieslands und Hollande, um den Knechten der reichen 
Mynheers beim Einheimfen des Heues und Getreides, 
das der Boden in Fülle hervorbringt, behülflich zu fein. 
Sobald fie ihre dürjtigen Roggen- und Budweizenäder be 
ſtellt haben, brechen fie auf zur Wanderung, den Frauen und 
Kindern die Übrige Arbeit des Sommers überlafjend. Schon 
vor der in dem September oder October fallenden Buchwei— 
zen: und SKartoffelernte fönnen fie zurücgefchrt fein und bei 
derfelben Hilfe leiften. 

Dei der Abreife vereinigen fie ſich zu Meinen Trupps 
und nehmen ſich gemeinfcaftlid) einen Wagen, dem fie mit 
Seufen und Nahrungsmitteln, namentlid) Borräthen von 
Speck und Schinken, bepaden. Andere nehmen die Senfe 
auf die Schulter, hängen ſich die Neifeflafche, den mit Brot 
und Sped gefüllten FFreßſack* um und machen die Reife 
zu Fuß. Gegenwärtig wird indeß vom dem meiften die Eifen- 
bahn benutzt. Frülher follen fie wie die Zigeuner ihre bes 
ſtimmten Wanberftriche und Plätze fir die Nadıtftationen 
gehabt haben. Da fie die ganze Keife aufs Sparjamfte ein- 
richten, jo Übernachten fie jelten in einem Wirthshaufe, fons 
dern in der Regel unter freiem Himmel, im Schutze eines 
Waldes oder eines einzelnen Baumes, Im Oldenburgifchen 
giebt es fogar eine Eiche, die von diefem Unftande den Na— 
men „Frieſeneiche“ erhalten hat; es ift ein mundervoller 
Baum, der einzig in feiner Art dafteht in dem herrlichen 
Buchenhaine des Stühe, nicht weit von der Stadt Delmen- 

orjt. 

e Dat ein Hollandsgänger einmal einen günftigen Diftrict 
und einen Bauern gefunden, jo lehrt er im der Hegel dahin 
zurüd. Verliert ex aber feine alte Kundſchaft, fo zieht er 
von Gehöft zu Gehöft, bis er Unterkommen und Arbeit 
findet. In Holland wird nicht im Tagelohn gearbeitet, wie 
man ſich ausdrüdt, fondern im Accord, d. h. ein Stüd 
Land wird den Arbeitern zum Abmähen fir eine beſtimmte 
Summe zubedungen. Zwei bis drei Arbeiter übernehmen 
gewöhnlid, eine Fläche gemeinfam. Iſt diefe eben, frei von 
Maulwirfshligeln, ift das Gras jaftig, nicht hart und mit 
Schiff durchwachſen, fo machen fie ein gutes Geſchäft. Hat 
aber ein durrer Frühling die Gräſer ſtruppig gemadit, ger 
räth die Senfe häufig in Maulwurféhügel, fo iſt die Arbeit 
jcdwieriger, andauernder und daher weniger lohuend. _ 

Meiftens ſchon im Auguft fchren die Grasmäher, mit 
60 bis 80 blanfen holländifchen Gulden in der Tafche, 
wieder im ihre Heimathdörfer zurlic. Fran und Kind haben 
ſchon lange auf fie gewartet und ſich auf die Meinen Ge: 
jchente gefreut, die der Bater ihnen aus Holland mitbringt 
und unter denen für die Frau ficherlidy ein Pfund kräftigen 


Hollandsgänger. 203 
Javathees nicht fehlt. Noch willfonnmener fir den Winter 
find aber der Frau die hübſchen Erſparniſſe. Einer der 
Gulden wandert auch gewöhnlich, in die kirchliche Armen: 
bitchfe, und für ſolche Opfergabe fpricht der Herr Paſtor am 
nädften Sonntage in ber Kirche ein Danfgebet fiir die 
glüdlice Heimkehr des Hollandsgängert, 

Die Torfgräber find in der Kegel Heuerleute, die ſich 
den Miethzins in Holland zu verdienen ſuchen. Im Früh: 
linge, fobald die Witterung es erlaubt, reifen fie ab, mit 
einer großen Quantität Sped und vielen Eiern als Pro; 
viant verfehen. Der daheim gebliebenen Frau liegt es nun 
ob, den ganzen Heinen Ader zu beftellen und obendrein den 
Bauern die im Heuercontract bedungenen Arbeiten zu leiften, 
Hat fie nebenbei Heine Kinder, wohl gar einen Säugling 
zu pflegen und zu warten, fo ift ihr gewiß eine ebenfo ſchwie⸗ 
rige, wenn nicht ſchwierigere Aufgabe zugefallen, als dem 
fernen Manne. Die ehelicdyen Bande werben durch folche 
Berhältniſſe cher gefeftigt als gelodert; die Yicbe wird ges 
fräftigt und lebendig erhalten durch das Abſchiednehmen für 
eine lange, arbeitsſchwere Trenmungsgzeit, durd) die von Zeit 
zu Zeit einlaufenden fchriftlichen Lebenszeichen, die gewechſelt 
werden, und endlich durch die Freude des Wiederſehens, des 
fen Tag lange vorher berechnet und erjehnt war, 

Zehn bis zwölf Wochen dauert die Arbeit der Torfgrär 
ber und ihre Arbeitspläge find hauptſächlich Hogeveen und 
Dedemsvart in der Proving Overyffel und am Stad6= 
canal und bei der Smilde in der Provinz Drenthe, Die 
Moore, auf denen gearbeitet wird, liegen in der Regel eine 
Meile und daritber vom nächften Kirchdorfe entfernt. Auf 
den über die Moore vertheilten Arbeitsplägen (Blaafen) ar 
beiten die Torigräber in größeren und Mleineren Gruppen; 
acht bis zchn Mann eigen ein Ploeg, zwei bis drei Dann 
ein Spann. 

In der Nähe dev Arbeitspläge fichen die Hütten der 
Torfgräber, in denen fie zu mehreren campiven. Es find 
ärmlice Wohnungen, dieſe Hlitten. Die Wände berfelben 
beftehen meiftens aus aufgefchichtetem Torf, das Dad; aus 
lofe aufgelegten Ziegeln. Im der Mitte des Names brennt 
Tag und Nacht ein Torffeuer. Die Lagerftätten befinden 
fid) unmittelbar auf dem Moorgrunde, der nur mit einer 
Unterlage von Reifig, lofem Torf oder Saud bededt ift. 
Die Arbeiter liegen auf Stroh, als Mopftiffen dient ein 
Seilfiffen von Stroh oder gar das Reiſebündel, als Ober 
bett eine gemeinfante leinene oder wollene, oft nur aus guor 
ben Kaffceſäcken zufammengenähte Dede, 

Da foldre Wohnungen und Yagerftätten naß, zugig und 
kalt jein müfien, jo werden die Arbeiter hänfig von Krank— 
heitem heimgeſucht, mantentlic, vom falten Fieber, Kolik, 
Lungenentzündung, Rheumatismus und dergleichen. Traurig 
ift die Yage cines foldyen erkrankten Arbeiters, fern von der 
Heimath, in elender Torfhütte. Schon Juſtus Möfer 
Hagt: „Die Torfgräber werden mit funfzig Jahren alt 
und von vieler Arbeit kümmerlich, dieweil fie ſich bei einer 
elenden Koſt und einem ſchlechten Lager fo geizig angreifen, 
daß fie es nicht aushalten“ *). 

Um fo höher find die Verdienfte zu ſchätzen, welche ſich 
die von der innen Miffion ausgefandten Reifeprediger 
um die äußere Lage der Arbeiter erworben haben durch 
Vorftellungen bei den Arbeitgebern, vor Allem aber durch 
Grlindung einer Krankencaſſe und eines Krankenhau— 
ſes am Stadecanal. 

Ebenfo groß wie die Gefahren fr die förperliche find 
die Gefahren fr die fittliche Geſundheit der Arbeiter, und 
mit Recht klagt Juſtus Möfer, „daß die Hollande: 


*) Dsnabr, Geſchichte, Br, I, ©. 110, 
26 * 


204 Franz Poppe 
gänger im ihrem Betragen und in der Spradje gern dem 
Holländer nachahnien und durch die Ausflucht nach Holland 
leicht eim zügelloſes und vohes Weſen annehmen.“ Die 
Beenbefiger huldigen dem crafleften Materialismus, und es 
foll unter anderm Thatſache fein, daß die Hälfte berfelben 
wie auch dev Arbeiter an den Folgen dev Trunffucht fterben, 
Fur die Thätigfeit der Neifeprediger eröffnet ſich hier mithin 
ein weites bisher vernadjläffigtes Feld. 

Intereſſant und ergreifend ift die von einen Reifepredis 
ger mitgetheilte Schilderung von dem Begräbniß eines plög- 
lic) verftorbenen Torfgräbers, das er auf Wunſch der Arbei— 
ter leitete, „Nachmittags 1 Uhr,“ berichtete er, „verfam: 
melten ſich circa 200 Torfgräber an der Hlitte, Der Sarg 
wurde in die Mitte vor die Hlitte geftellt, daranf eine Furze 
Andacht mit Geſaug und Gebet gehalten. Dann trugen 
ſechs Cameraden des Verſtorbenen die Leiche Über die Dich: 
brüde nad) dem an dem ambern Ufer aufgeftellten Wagen. 
Der Zug ordnete ſich Hinter demjelben umd nun ging c# 
faft °, Stunden weit über die Torffelder nach dem Kirch— 
hof, der Neifeprediger in der Mitte des Zuger, vorjagend 
und vorfingend: „Jeſus meine Zuverficht“ und „Wer 
weiß, wie nahe mir mein Ende” Beide langen Gefänge 
hatten wir zu Ende gefungen, al® wir auf dem Kirchhof 
anlamen. Es war ein ergreifended Bild; hinter dem ein— 
fachen Bretterfarge diefer Veichenzug von 200 Torfgräbern 
in blauen Kitteln, Jaden oder Yeinwandröden, ihr Geſang 
weithin fallend und überall Haufen von Holländern zur 
Seite ftchend, die fo etwas nod) nicht gefehen hatten. Wir 
fenften die Peiche ein mit der Feier, wie wir es in Deutſch- 
land zu thum gewohnt find, unter Gefang und Gebet und 
gingen — in Gottes Haus, wo der Reiſeprediger nun 
noch eine Leichenpredigt über das ernſt mahnende Wort 
Marc. 13, 35 bis 37 hielt.“ 

Gunſtiger als die Yage der Torfgräber, die überhaupt 
von den Hollandsgängern am wenigften beneidenewerth find, 
gejtaltet fid) die der Studaturarbeiter. Das Kirch— 
jpiel Wardenburg, ſüdlich von Oldenburg gelegen, ftellt 
ein großes Contingent zu dieſer Claſſe der Hollandsgänger, 
weniger die Kirchſpiele Hatten und Großenfneten, am we: 
nigften Ganderkeſen, Huntlofen und Dötlingen, 

Holland wird den „Studaboore* zur zweiten Heimath. 
Von Anfang April bis in den December, alfo den größten 
Theil des Jahres, find fie dort. Ihre Anzahl beläuft ſich 
in Frießsland und Groningen auf 200; ebenfo viel mögen 
in Amfterbam fein und micht weniger in den anderen größer 
ven Städten. War der Vater ein Studadoor, jo werden 
es in der Megel auch die Söhne. Zu den Meiftern unter 
ihnen, die faft alle deutſcher Herkunft find, ftehen fie daher 
in einem engen Berhältnig. Mancher hat Hein angefangen, 
ſich aber durch Fleiß, Geſchicklichteit und Nechtichaffenheit 
jo emporgeſchwungen, daß er jegt an 50 bis 100 Arbeiter 
und darüber beicäftigt. Einige fogenannte kleine Meifter 
haben ihren feſten Wohnfig noch im Ofldenburgifchen und 
gehen nur im Sommer mit ihren Gejellen nach Holland. 

Bon 4 oder 5 Uhr Morgens bis 9 ober 10 Uhr Abends 
wird gearbeitet. Gin Tagewerf von 8 Stunden wird mit 
ı Al bis 1Fl. 30 Ets. bezahlt. Im Sommer werben 
oft 14 Tagewerle in einer Woche gemacht. In einem Mo— 
nate lann ein Arbeiter wohl 20 Gulden reinen Verdienſt 
haben, macht in 8 Monaten 160 Gulden. 


: Dollandsgänger. 


Der Meifter, Bas genannt, fendet feine Gefellen von 
ber Stadt, in der er wohnt, nad) allen Arbeitsplägen der 
Umgegend, wo Nachfrage entfteht. Daher find die Arbeiter 
Über die Provinzen vertheilt, von Leuwarden aus fiber (Fries: 
land, von Zwolle aus tiber Oderyſſel u. ſ. w. Auch in den 
Städten liegen fie in Gruppen von 4 bis 10 Mann zer: 
ſtreut. Cie wiflen nicht einmal genau, wo ihre Landéleute 
in Koft und Pogis find. Die Arbeiter auf dem Lande kom: 
men Sonntags in der Regel zur Stadt, find fie aber zu 
weit von derfelben entfernt, fo doch wenigſtens vier bis ſechs 
Mal während der ganzen Arbeittperiode, 

In Leuwarden haben fie ihr beſtimmtes Abfleigequar- 
tier im Hauſe „Majoli in der Heereuſtrant“. Auch in an 
deren Städten haben fie ihre beſſimmten Herbergen, m denen 
eigens Heine Zimmer mit Schlafftellen vinge an den Wün« 
den eingerichtet find, 

Ihre Pebensweife ift im Ganzen mäßig und einfad). 
Durch fortgefegtes Arbeiten im vornehmen Häufern haben 
fie ſich eim befcheidenes und feineres Benehmen angeeignet 
als die Grasmäher und Torfgräber. Dem Trunfe dürfen 
fie fi) wicht ergeben, weil die Meifter ihren Kunden nur 
folide Leute in die Häuſer fenden. Bei der holländischen 
Bevölkerung erfreuen fie fich des beften Rufes, intbefondere 
der Ehrlichkeit, jo dag man ihmen gefroft das ganze Haus 
anvertrant auch dann, wenn die Hereichaft verreift iſt. 

Unter den Bewohnern eines Dorfes erfennt man gleich 
die Hollandegänger an ihrer propern Erfcheinung, überhaupt 
an allen ihren Manieren. Durch den wiederholten Verlehr 
mit den reichen Mynheers find fie in&befondere au Reinlich— 
feit und Ordnung, die Nationaltugenden der Holländer, ge: 
wöhnt. Auch erfennt man fie leicht daran, daß fie fid) gern 
holländijcher Ausdrücke bedienen. 

Mag auch das Hollandegehen im Abuchmen begriffen 
fein, fo ift es doch immer noch bedeutend genug, unfere Aufs 
merkfanfeit und unfer Intereſſe in Anfpruch zu nehmen, um 
die voltswirthſchaftlichen Bortheile und Nachtheile deſſelben 
abzwoigen. Die größten Nadıtheile, die das Hollandsgehen 
im Gefolge hat, find namentlich folgende: Er flört das 
Familienleben und erſchwert die Erzichung ber Kinder ; fo: 
dann bürdet es der zurlidbleibenden Frau eine zu große 
Arbeitslaſt auf und endlich ift es micht ohne Gefahr für die 
leibliche und geiftige Geſundheit der Arbeiter. 

Die Vortheile diefer Erwerbsart beftchen darin, daß fie 
ein ſicheres und reichlicheres Brot gewährt, als die Eultur der 
Heide und des Moores, vor Allem als der höchſt unſichere 
Buchweizenbau, daß es ferner manchem jungen und jpar- 
famen Manne fein Fortlommen erleichtert, ihm auch eine 
gewifle äußere Politur verleiht und ſchließlich und haupt: 
ſächlich, daß es eine nicht unbedeutende Summe Geldes ins 
Land bringt. 

Schon vor reichlich vierzig Jahren war ein Kenner des 
oldenburgiichen Yandes und Volkes, Koli, dee Anficht, im 
Ganzen möge das Hollandsgehen mehr fchaden als mügen, 
und daher fei einem jeden, ber hinlänglich Erwerb im Yande 
finden lönne, der alte Rath zu geben: „Bleibe im Lande 
und nähre dich vedlidy!“ 

Allein fo lange die Cultur unferer großen Heide: und 
Moorjlächen nicht rationeller betrieben wird, läßt ſich ſchwer⸗ 
lid) ein Erfag bieten und nach wie vor wird das Holland: 
gehen als eine Nothwendigfeit fortdauern, 


Georg Thiele: Stizzen aus Chile. 


205 


Skizzen aus Chile. 
Von Dr. med. Georg Thiele. 


II1.*) 
Ban de Azücar. — Carrizalillo — Ya Florida. — Las Animas. 


Wie ſchon in der vorhergehenden Skizze bemerlt worden, 
ift Chañaral der Mittelpunkt ciner großen Anzahl von Hei 
nen Mincnplägen, die hier in der Wuſte zerftrent liegen. 
Außer den erwähnten find noch zu nennen: Pueblo hundido, 
la Ola, wo der Borar bereitet wird, Gaballo muerto und 
eine Menge anderer. Der größte aller diefer Orte ift Salado 
mit etwa 1000 Seelen. Dan fährt dahin von Canaral 
mit der Eifenbahn in drei Stunden. Salabo liegt im Thale 
des gleicdynamigen Fluffes, der bei diefem Orte noch Waffer 
enthölt, welches aber falzig, mithin unverwendbar ift. Weiter 
oben liegt Pueblo hundido, ebenfalls im Flußthale, mit reich— 
lichent aber fchledytem Suüßwaſſer, gleichfalls ohne Vegetation. 
Ganz hoch, auf einer großen Hochebene, 11,000 Fuß über 
dem Deere, liegt la Ola in der Cordillera, wo dat Klima 
bereits jo rauh ift, daß mu während dev Sommermonate 
gearbeitet wird, Auch herrſcht dort fehr die Puna, eine 
eigenthlämliche Krankheit, die nur im hochgelegenen Plägen in 
der Gordillera vorfonmmt. Ich habe in Chanaral mehrere 
Krante in Behandlung gehabt, die deswegen die Minen vers 
laſſen hatten. Weiter nach SAden und wicder tiefer fommt 
dan eine feine Dafe, mo felbft Fruchte gedeihen, Finca de 
Chararal, und etwas füdlicdher Tres PBuntas, eine alt 
berlihmte Silbermine. Hier füngt- bereit8 das Gebiet von 
Gopiaps an. 

Nach Carrizalillo führt von Chaxaral ein divecter Weg. 
Ich bin indeß ftets Über Pan de Azücar geritten, weil 
man bier unterwegs ausruhen kann. Pan de Azücar liegt 
wie Chaũaral an der Mündung eines ausgetrodneten Fluf⸗- 
fes und etwa 3 bis 4 Neitftunden nördlicher als Chanaral 
an der Hüfte. So lange der Weg fiber die Bucht von 
Chadaral führt, ift derfelbe gut, dann aber wird er entſetzlich 
uneben, fteinig und gewunden, immer zwiſchen ber See zur 
Linken und hohen Felſen zur Rechten hinfligrend, Der Ort 
liegt fehr verſtedt an einer fleinen Bucht, vor deven Eingang 
ein hoher, zuderhutartiger Fels Liegt, der weithin fichtbar ift 
und von dem der Ort den Namen (— Brod Zuder, Zuder« 
hut) Hat. Der Ort hat etwa 400 Einwohner, die von zwei 
Etabliffentents leben, nämlich dev Mine von Carrizalillo, die 
hier ihre Erze verfchifft, und von einem Schmelzwert, zu dem 

einige Minen gehören, 

Der Weg von hier nach Carrizalillo ift ausgezeichnet 
und fo langſam anfleigend, daß man es gar nicht merft. Er 
beträgt indeß beinahe fieben beutfche Meilen und diefe in der 
ſchattenloſen Wüfte (— wie hier die Sonnenftrahlen bei dem 
ewig wolfenlofen Himmel brennen, ahnt man in Deutjchland 
faum —) in etwa füuf Stunden abzureiten ift eine Strapaze, 
an die man ſich gewöhnen muß. Uebrigens ift der Comfort 
des Reitens hier mehr ausgebildet als in Deutſchland. Bor 
allen Dingen find die Pferde befier; fie find viel lenkſamer 
und gebuldiger; Bäumen oder Schenen und dergleichen find 
unbefannte Dinge. Dabei haben fie einen viel fanfteren 
Tritt; auch der Sattel ift bequemer und weicher. Ferner 
ift die Manta cin ehr bequemes Kleidungsſtlick beim Reiten. 


) S. I. und IE. in Br, 26 biefer Zeitfchrift, ©. 106 u. 124. 





Es ift dies eine Dede wie unſere Neifededen, uur Hat fie in 
der Mitte einen Schlig, durch den man den Kopf ſtedt. 
Bruſt und Rüden find auf diefe Weife vortrefflich geſchützt, 
während man die Arme frei behält. Zum Schutze gegen 
den Staub hat man ganz leichte, gegen die Kälte didere 
Dantas. - 

Der Weg führt and) hier im Flußthal aufwärts. Die 
erfte Station ift Cinchique, wo es einen Teich mit Süß: 
waſſer giebt, das indeß nur von den Maufthieren genoffen, 
vom ariftofratifchen Pferde dagegen verjchmäht wird. Da— 
her ift hier eine große Station für die Maulthiere errichtet, 
welche die großen zweiräderigen Wagen ziehen, auf denen 
hier aller Verkehr geichicht. Es leben etwa 400 Maulthiere 
und 20 Menjchen hier. Die vielen Thiere machen, daß dies 
der fliegenreichfte Ort ift, den ich je gefchen. Maulthiere 
find beſcheidener im ihren Auſprüchen an Futter und ertragen 
längere Strapagen viel beſſer als Pferde, Eie werben daher 
hier in der Wiifte fait ausſchließlich gebraucht, auch zum Reis 
ten — nur der Gaballero ift zu Pferde —, doch find dieſe 
Thiere beim Reiten unglaublich ftörrig. 

Bon Cindjique veitet man in einer Stunde bis Bombo. 
Auch hier ift Waſſer, fogar ein Meiner Bad, an deſſen Ufer 
beinahe mannshohes Gras wächſt — ein fonderbarer Anblichk 
in der fonft ganz gelben Wuſte. Die Minengeſellſchaft Hat 
hier ein Erzichlemmereiwerk und eine Waſſermaſchine crrid). 
tet; mittelft letterer wird das Wafler des Baches, das falzig 
ift, deſtillirt und in Trinfwaifer verwandelt. — Kurz hinter 
Vombo verläßt der Weg das Flußthal, man reitet querfelds 
ein Über einige teile Hligelreihen weg und fommt dann auf 
ein großes Hochplateau, in deſſen Mitte, weithin fichtbar, 
der Hitgel von Sarrizalillo ſich erhebt. Hier zeigen fid) 
die Pierde, willend, daß nun das Ende naht, gewöhns 
lid) aufgeregt, und die legte Strede wird meift in einem Lane 
gen Galopp zurlicgelegt, felbft den Hügel hinauf, was einem 
chilenischen Pferde ganz gleichgültig ift. 

Sp wie man um bie legte Windung herum ift, findet 
man ſich plöglic) in das lebhafteſte Treiben und Arbeiten 
verfegt. Die Mine befcäftigt etwa 500 Arbeiter, zu denen 
noch etwa 300 Weiber und Kinder fommen, Diefelbe ift 
anßerordentlich ergiebig und ba fie fehon feit 1859 mit fort- 
währendem Sid bearbeitet wird, fo mögen die Befiger untere 
deffen wohl zu Milionären geworden fein. Dabei ift e6 
merhvitrdig, daß außer diefer Mine in der Umgebung mir 
aends Kupfer gefunden wird. Bon Garrizafillo felbft ift 
fonft gar nichts zu erwähnen. Cs find drei Hänfer da; in 
dem einen wohnt der Adminiſtrator, im zweiten einige Unters 
beamte, im dritten bauft eine Dampfmaschine. Die 800 Mis 
neros mit Weib und Kind leben fo zu jagen in einem gro— 
fen Steinhaufen, d. h. in Heinen Hätten aus Steinen, nicht 
gemauert, fondern bloß aufgeſchüttet und geſchichtet und mit 
einem Strohdach verfehen. Fenſter giebt es nicht, aber eine 
Deffnung, die als Thlir benugt wird. Nicht die Noth iſt 
es, was diefe Leute fo einfach leben läßt; fie verdienen viel 
Geld, geben es aber mit noch größerer Schnelligkeit weg. 

Carrizalillo Liegt ziemlich hoch und hat man hier cine 


206 


ganz gute Ausficht anf die Gordillera, die indeß durchaus 
nichts landſchaftlich Hervorragendes barbietet. inc Reihe 
faft ganz regelmäßiger rother fegelförmiger Hligel bildet den 
Vordergrumd; hinter derfelben kommt eine Reihe höherer und 
fo fort, bis endlich die mit ewigem Schnee bededten Gipfel 
den Horizont abſchließen. 

Die Silbermine Florida wird von Chañaral aus 
nad) einer troftlos langweiligen Fahrt von etwa 14 Leguas 
(9 deutichen Meiten) erreicht. Die Sandfrufte, mit der man 
bei einer foldyen Fahrt bedeckt wird, benimmt Einem wirklich 
faft das menſchliche Anfehen. Florida hat eine ganz ähn- 
liche Yage wie Garrizalilo, nur liegt die Anfiedelung im 
Thale und die verfcjiedenen Minen auf Hügeln. Die Hän: 
fer beftchen weit aus Pfählen, die durch Yeinwanddeden ver» 
bunden find, alſo das höhere Zelt! Was librigens bie 
Silbererploration am ber Florida betrifft, fo geht augen 
blicklich nur die Andacollo gut. Dem Erachten Sadjver- 
ftändiger mad ift hier Silber genug vorhanden und wird 


Aus allen Erdtheilen. 


zum Borfchein fommen. Leider fiel die Entdedung der 
Florida in eine Zeit, wo das Geld anfing fnapp zu werden 
und ſich Alles von Specnlationen zurliczog. Die Befiger 
in der Florida find meift Chariaraliner, Leute mit wicht viel 
Geld und wenig Credit, die die Minen wicht fo bearbeiten 
laſſen fönnen, wie es nöthig wäre. Wenn diefelben erſt 
tief genug gearbeitet fein werden, wird gewiß ein großer 
Silberreichthum ſich erſchließen. 

Las Animas iſt die älteſte der Anſiedelungen in ber 
Nähe von Chanaral. Die Eifenbahn führt in drei Stuns 
den hin, mit einem guten Pferde erreicht man es jedoch in 
21/, Stunden. Der Ort fieht etwas beffer aus, als die 
Übrigen Minenpläge, und namentlich die größeren Minen, 
wie Fortunata und Poderofa, haben hübjche und große 
Wohnhäufer. Die Compañia de Minas y Fundacion hat 
hier ihre Minen, adyt an der Zahl. Die größte und gegeit- 
wärtig einzig gute ift die Fortunata mit einem deutfchen 
Adminiftrator. 


Aus allen Erdtheilen. 


Ausbrũche des Fremdenhaffes in China. 


In China Scheint es am allen Eden und Enden gegen 
bie Fremden zu gähren, umd es ift nicht geradezu unwahr⸗ 
Iheinlih, daß England binnen Kurzem in einen Krieg mit 
bem Reiche der Mitte verwideht werden wird. Faſt jede Poſt 
bringt die Nachricht von einem oder dem andern Angriffe, 
welchem Europäer Seitens der Eingeboreuen ausgeſeht ge: 
weien find. Unfere Leſer erinnern fich des traurigen Endes, 
welches einer der begabteften und lichenswürbigften engliſchen 
Gonjularbeamten, Mr. Margary, an den Grenzen Ninnans 
gefunden hat. Der engliiche Sejandte in China, Mr. Wade, 
ftößt nun bei dem darauf bezilglichen Unterhandlungen auf 
den äußerten paffiven Widerftand der Behörden, fo daß er 
Ihon um Zufendung von Schiffen und Soldaten gebeten 
bat, und anbererfeits hat Sir D. Forſyth bei feinen 
Unterbandlungen, welche er mit Birma wegen des Durchzuges 
englifcher Truppen zu führen hatte, entichieden fein Süd 
gehabt und nur erreicht, daß der birmanische Herrſcher, der 
wegen jo mancher Annexion den Briten nicht hold iſt, fich 
eng an China angefchloffen und ſich als Vaſall des Kaiſers 
in Peling erflärt hat. Nun meldet die „North China Daily 
News“, daß fich die Beamten in Miinnan wegen der dro: 
benden engliſchen Invaſion in gewaltiger Aufregung befinden 
und Maſſenaushebungen vornehmen. Der Gouverneur will 
micht einmal geftatten, daß die Unterſuchung wegen der Er: 
mordung Margary's an Ort und Stelle gefchehe, und hat 
an den Kaiſer ein Memoir gerichtet, worin er erklärt, die 
Grenze gegen Engländer und alle fonftigen Barbaren, die 
dieſelbe bedrohen follten, vertheidigen zu wollen und zu können. 

Ein anderer Ercch fand in unmittelbarer Nähe von Be: 
fing ftatt; die Berliner „Nationalzeitung* berichtet dariiber. 
„Baron v. Möllendorf von der deutſchen Sefandtichaft und vier 

' Herren von ber engliſchen Geſandtſchaft machten am Sonnabend, 
‚den 19, Juni, einen Ausflug ans Peling mach dem Pei-hwa— 
ſchan (Hundertblumenberg, im Weften der Hanptftadt gelegen). 
Sie famen Abends (?) im Tempel an, fanden aber alle Wohn: 
räume befegt bis auf ein Zimmter, da eine große Anzahl Chi: 
nefen zur Feier eines Feſtes fich eingefunden hatte, Sie 
logirten fich in dem ihnen angewielenen Heinen Zimmer ein 
und unterhielten fich im Laufe des Abends mit ben Leuten 
auf das Allerbefte. Morgens 6 Uhr wurden fie durch einen 
Hagel von Steinen aus dem Schlafe gewedt, der fo heftig 


wurde, daß Dad und Wände ihm nicht zu widerftehen ver: 
mochten. Bald waren fie dem vollen Feuer der Angreifen— 
den ausgeſetzt. Ans diefer äußerft Fritiichen Lage fuchten fie 
ſich dadurch zu retten, daß fie gleichzeitig ihr Nevolver über 
die Köpfe des verfammelten Pöbels weg abfeuerten. Dies 
wirkte; der Haufe wich erichredt zurüd und die Bedrohten 
hatten Zeit zu eutflichen, doch trugen fie alle mehr oder min: 
ber fchwere Verlegungen davon. Sie erreichten Peking Sonn- 
tag (?) Abende 10 Uhr, und es ericheint ganz unzweifelhaft, 
daß nur ihre Nevolver ihnen das Leben retteten.* 

Und focben wird aus Schanghai telegraphirt, daß Mir. 
Henderſon, der Oberingenieur beim Zollamt, der Leuchtthurm⸗ 
wärter und ibre chinefiichen Bedienſteten bei dem Vorgebirge 
von Schanstung von chinefiichen Yandleuten angegriffen und 
mißhandelt worben feier. Der Angriff foll von einem Mans: 
darinen Li⸗hu, den Henderſon befuchte, angeftiftet worden fein. 
„Man wird es hier nachgerade müde,” heit es weiter, „Diefe 
Ausbrüce des Fremdenhaſſes von den Cingeborenen mit 
Langmnth hinzunehmen. Die öffentlihe Meinung drängt zu 
energifchen Schritten und die Megierung wird ibrem Drude 
folgen müffen, die nöthigen Mahregeln ergreifen, um den 
Chineſen den nöthigen Reſpect vor den „fremden Tenfeln* 
einzuflößen.” 

Was den oben genannten Berg Pei-hwa-ſchan ans 
langt, fo ift derielbe durch mehrere Beſuche von Europäern 
und durch feine reiche Flora ſſein Name „Hundertbiumenberg* 
deutet darauf), aber erft ganz vor Kurzem befannt geworden, 
Denn noch heute wird man denſelben auf Feiner Karte finden. 
Dr. Bretichneider, der Arzt der ruſſiſchen Geſandiſchaft in 
Veling, war der erfte, welcher ihn beftieg und beichrieb, Er 
liegt etwa 3 bis 4 Tagereifen weſtlich von Peking (nicht 
eine einzige, wie man aus bem obigen Berichte ſchließen Lönnte), 
und, rings von tiefen Thalſenkungen umgeben, fteigt er bie 
3000 Fub Meereshöhe an, Sein Gipfel ift 3000 Schritt fang 
und 200 breit und trägt ein altes, der Verngottheit geweihtes 
Klofter. Herrlich ift die Ansficht von oben anf die umlier 
genden bewaldeten Berge und die ferne, in Dunſt gebüllte | 
Ebene von Peking. Aber das Anzichenbfte am bem Berge 
ift feine herrliche Flora. Dr. Bretfchneider war im Mai 
oben, wo bie Vegetation fich eben nur zu entfalten begann 
und einzelne Pläge noch mit Schnee bebedt waren. Troßr 
dem fammelte er ein halbes Hundert blühender Pflanzen, unter 
denen Dr. Hance, der engliiche Conſul in Bamıpu bei Can: 


Aus allen Erdtheilen. 


ton, acht ganz neue Species entdedte, namentlich eine neue, 
berrliche Primel, die unferen Gärten zur Bierde gereichen 
würde. Ein Botaniker von Fach, meint Dr, Bretſchneider, 
welcher dort in ber Zeit vom Mai bis September verweilen 
würde, könnte Hunderte von neuen Pflanzen finden, und 
die umliegenden Berge, die man unschwer erreichen fan, 
böten ein jeder feine eigene, intereffante Flora dar, 


Ein neuer Afritareiſender. 


Bei dem geographiſchen Congreß, welcher in der erſten 
Hälfte Auguſt zu Paris abgehalten wurde, war es Sitte, daß 
einzelne Reilende vor den Nachmittags ftattfindenden allge: 
meinen Sigungen „eonförences“ abhielten, d. b. einem aus 
Herren, Damen und Schulfindern gemiſchten Publicum ihre 
Erlebniffe und Ergebniffe vortrugen und ihren Weg durch 
ferne Länder an riefigen Wandfarten vordemonftrirten. So 
iprach am 4. Auguft Dr, G. Nachtigal, vom lebhafteſten 
Beifalle begrüßt und während feines ganzen Vortrages davon 
begleitet, und der Herausgeber diefes Blattes ftand wäh: 
rend deffen vor einer mächtigen Wandkarte Norbafrifas und 
wies mit einem Stode auf die berührten Orte und zuriid: 
gelegten Straßen. Zahlreiche Referenten fremder Blätter, be: 
mübten fich dabei, das Gehörte zu Papier zu bringen; einer 
von ihnen, der des großen Journals ‚L'Indépendance Belge*, 
muß fich wohl erkundigt haben, wer der Mann dort oben 
auf der Tribüne fei, und er erhielt die Antwort: „Mr. 
Kiepert.* Und damit war letzterer in Belgien zu einem Afrifa- 
reifenden erften Ranges avancirt. Denn ein paar Tage jpä- 
ter war in Nr. 220 jenes Blattes wörtlich zu leſen; 

„Internationaler Congreß der geographiſchen Wiſſenſchaf⸗ 
ten. Der vierte Sitzungstag bot ein lebhaftes Intereſſe dar. 
Mr. Kippert, der energiſche und muthige Reiſende, bat auf 
einer eigens dazu gezeichneten Karte feine Zubörer von Fezzan 
nach Bornu, von da nach Baghirmi und Wadai, von Wadai 
nach Dar⸗For und jchliehlich nach Aegypten geführt u. |. w.” 

Alfo von Dr. Nahtigal, von dem doch feit Anfang 
diefes Jahres faft wöchentlich in allen Zeitungen zu leſen 
war, von feinem Empfange und feinen Vorträgen in Kairo, 
Rom, Berlin und anderen Städten braucht Jemand, der 
einem Blatte erften Ranges iiber geographiiche Dinge Bericht 
erjtattet, nichts zu willen! 


Bulgaren im Banat. 


Das ſüdliche Ungarn überhanpt und das Banat insbe: 
jondere bietet ein buntes ethnographiſches Bild dar. Eine 
von ben vielen dieſe fruchtbare Landſchaft bewohnenden Völfer: 
fractionen find auch die Bulgaren, deren Mutteritamm 
jenfeits der Donau im Balkan feinen Sitz hat. Die Bor- 
fahren der Bulgaren im Banat famen gegen das Jahr 1700 
aus ibrer Heimath in die Meine Walladhei, und im Jahre 
1736 fiedelten von dort 4000 bis 5000 Familien in das Ba- 
mat über. Anfangs lebten fie zerftrent, indeh heute wohnen 
fie ziemlich compact. Ihr bedeutendſter Ort iſt Winga. Als 
fie diefen Ort befiebelten lim Jahre 17:4), befamen fie ihre 
Privilegien, kraft derer fie in Winga ihren eigenen Magi: 
ftrat, ihr eigenes jus gladii hatten. Das währte fo bis in 
Bach's Zeiten, dann aber famen fie unter das Sireisamt und 
nun gehören fie zum Gomitat. Die Zahl der Bulgaren im 
Barat beläuft fich auf über 20,000, die auf die beiden Co— 
mitate Temeſch und Torontal vertbeilt find, wo fie außer 
dem jchon erwähnten Winga noch folgende Ortichaften be- 
wohnen: Beihenomwo, Bolgar, Telej, Modoſch, Ka: 
raf, Udwornof, Breſchtſcha, Baratſchhas, Rewe— 
meſch, Jsgor, Gjurgjewo und Jwanowo,. Die beiden 
legtgenannten Ortichaften find erſt in dem letzten Jahren an 
der Temeich, nahe der Stadt Pautſchowa in der ehemali: 
gen Militärgrenze, von den älteren Golonien aus angelegt 
worden. Diele Bulgaren find fehr ehrliche Leute, man findet 


207 


in den Comitatögefängniffen faum alle zehn Jahre einen 
Bulgaren. Ihre Kinder ſchicken fie fleißig im die Schule, 
und der Vater, der dies unterlaffen würde, würde nicht für 
achtungswerth gelten; ein Waiſenkind wird fogleich feinem 
Vormund weggenommen, fo wie man bemerkt, daß er micht 
dafiir forgt, daß das Kind die Schule regelmäßig befucht, 
was übrigens äußerjt felten vorkommt. Unter 100 Bulgaren 
findet man faum 2 bis 3, die des Lefens unkundig wären. 
Sie find Bekenner der römiſch-katholiſchen Kirche und ſehr 
religiös, Alle Iprechen Serbiſch. Sie find gaftfreundlich wie 
alle Sitdilaven und befonders lieben fie den Fremden, der 
ihnen viel zu erzählen weiß. Ihre Arbeitfamkeit und ihr Fleiß 
find fo groß, daß fie darin felbft mit den Deutfchen wett: 
eifern, die fie ringsum umgeben. Daſſelbe gilt von ibrer 
Reinlichkeit und Ordnungsliebe. In der Bewirtbichaftung 
der Aecker kann es ihnen Niemand gleichthun, außerdem be: 
treiben fie aber auch die Viehzucht, den Weinbau, und die 
alten Leute unter ihnen beichäftigen fich mit grofier Vorliebe 
mit der Bienenzucht. Belonders anziehend ift das Ausſehen 
eines bulgarischen Weingarten®, nicht einen Grashalm ver: 
mag mar da zu ſchauen. Sie haben ihre eigene Nationaltracht. 


Marko Kraljewitic. 

Herr Major Milovan Kuclowitſch in Gray ſchreibt ung Fol⸗ 
gendes: „Im Artikel Am Nordgeitade der Adria, Band 
XXVIII des, Globus“, Seite 5, linke Spalte, dritte Zeile von 
unten, befindet fich die irrige Anficht ansgefprochen, daß Marko 
Kraljewitich wahrſcheinlich cin berühmter Schafdich war. 
Marfo Kraljewitich war der Sohn des Serbenkönigs Vu— 
daſchin. Nach der unglüdtichen Schlacht am Amfelfelde (Kof- 
fovo Volje) 1359, welche das ſerbiſche Kaiſerthum zertrümmerte, 
führte Marko Kraljewitſch einen mehrjährigen beidenmü: 
tbigen Partheigängerfrieg gegen die Türken, bis er jelbft 
1392 in der Schlacht bei Rivini das Leben verlor. Er ift 
der nationale Held der Südflaven geworden. Seine Helden: 
thaten werben von den Grenzen Steiermark bis zum Schwar- 
zen Meere in jeder Hütte gefungen. Der Beiname Kralje— 
witfch bedeutet „Löniglicher Kronprinz“, jowie in Rußland 
Gefarewifch den kaiſerlichen Kronprinzen bedeutet,“ 





Schwarzfunft in Iowa. 

Es find ungefähr drei Jahre ber, als fich zu Wolcot in 
Jowa die Anſicht verbreitete, man könne durch Schwarzkunſt 
Berbrecher aufipiiren. Seitdem wurde eine förmlihe Schule 
der natürlihen Magie errichtet. Die erfte Belegenbeit, 
die Güte diefer „Wilfenfchaft“ au erproben, fand ſich im 
März 1872. 

Einem Herrn Harry Knack waren auf geheimnißvolle 
Weile fünfzig Dollard abhanden gefommen. Seine Frau 
wandte fi an die „Wiffenden‘. Diefelben begannen ihr 
Wert und nachdem fie vergeblich verfucht hatten, den Namen 
des unbekannten Diebes ans den Conftellationen der Blanc; 
ten und durch miſtiſche Operationen mit Steinen und Kräu— 
tern zu erforfchen, probirten fie es mit Metall und Bapier. 
Man beforgte einen großen Hansfchlüffel und ein altes Bud, 
Zwei Studenten der Magie bielten den erftern ſenkrecht in 
die Luft und balancirten das Bud) auf feiner Spige, wäh: 
renb der Lehrer der Magie, welcher den Zauber leitete, mit 
lauter Stimme verfündigte, es würden der Reihe nach alle 
Namen der Nachbarn aufgerufen werden und derjenige, bei 
defien Namen das Buch fallen würde, fei der Dieb, 

Die Procebur begann, Aller Herzen fchlugen hörbar. Eine 
Menge Berfonen waren bereits genannt, ohne daß dad Buch 
fich rührte; Raum aber ericholl der Name des Jacob Barker, 
eines bis dahin für refpectabel gehaltenen Mannes, jo fchlug 
das Buch mit großer Gewalt zum Boben nieder, Alle erichra: 
fen, nur die Zauberer nicht. Herr Barker war nicht auwe— 
fend, wurde aber bald von dem Ergebnif in Keuntniß geieht, 


208 


als die Knack's mit Entichiedenheit ihr Geld von ihm zurüd: 
verlangten. 

Der Beichuldigte stellte das Vergehen mit Entrüftung in Ab⸗ 
rede. Aber, ob er cs nun begangen hatte oder nicht, gleichviel! 
die Öffentliche Meinung war einmal gegen ihm eingenom— 
men und ibm blieb nichts übrig, als fortzugiehen oder wegen 
Verleumdung Hagbar zu werden. Er wählte das Letztere. 
Die Sache Fam zur gerichtlichen Verhandlung. Die Methode 
der Magier ward genau befchrieben. Barker wurde einem 
ftrengen Kreuzverhör unterworfen. Obwohl er bierbei, durd 
die ragen des gegneriſchen Advocaten confus gemacht, man: 
cherlei gleichgültige Dinge zugeben mußte, die ihn nicht gerade 
im Lichte eines Engels ericheinen ließen, jo wurde doch in 
Bezug auf das Beweistbena nidts erbracht, was den Glau— 
ben an jeine Schuld hätte befräftigen fünnen. Nichtsdeſto— 
weniger erflärten die Beichworenen ſich für die Vertbeidigung, 
welche alle Reſultate der Zauberei adoptirt hatte, und bie 
Verleumdungsflage ward abgewieſen. 

„Diefe Hinterwäldfer verdienten in den finfteriten Zeiten 
des Mlittelalters, zur Heit der Gottesurtbeile und Hexenpro— 
ceffe gelebt zu haben!" möchte da Mancher ausrufen. Aber 
gemach! Auch in den aufgeflärten Städten des Oſtens wer: 
den Verdicte abgegeben, die logiſch eben jo wenig zu recht: 
fertigen find, Wir erinnern nur an den Fürzlich eingebrach- 
ten Wahripruch einer Nenyorker Jury, die einen geweſenen 
Barfeeper von der Anklage entband, trogdem er ängeftanden 
batte, feinem Opfer das einzige noch übrige Auge aus dem 
Kopfe geichlagen zu haben. 

Vor allen Dingen aber laſſe man fich durch einzelne un: 
finnige Urtbeile von Gefchworenen „nicht gegen das Anftitut 
im Ganzen einnehmen. 

* * %* 

— Deutſche Bolar-Erpedition. Wie jetzt beſtimmt 
iſt, tritt die Reichscommiſſion, welche über die Frage 
der Ausſendung einer Polar⸗Expedition auf Koſten bes 
Deutſchen Reiches berathen ſoll, am 4. Detober dieſes 
Jahres in Berlin zuſammen. 

— Die Nordenſtjöld'ſche Expedition nach No— 
waja-Semlja ſcheint ohne Unfall begonnen zu haben. Nor: 
wegiſche Eismeerfahrer haben Nordenſtjöld am 7. Auguft unter 
711/30 nördlicher Breite und 65 öftlicher Ränge im Weften von 
Nowaja-Semlja getroffen und am Bord Alles wohl gefunden. 

— Scereifen deutiher Schiffe im Jahre 1873, 
Das faiferliche ftatiftiiche Amt veröffentlicht im dem kürzlich 
herausgegebenen XIII. Bande der „Statiftif des Deutichen 
Reiches“ unter anderen Angaben über die Seereijen deutſcher 
Schiffe im Jahre 1873, welche von um jo größerm Interefle 
find, als fie den Umfang der Betheiligung der deutſchen 
Flagge am dem Verkehr nad außerdeutſchen Ländern näher 
erfeben lafien. Aus der betreffenden Ueberſicht ergiebt ſich, 
da England und die auswärtigen Häfen der Oſtſee bei Wei: 
tem am häufigſten das Reifeziel deuticher Schiffe find, daß 
demnächft Norwegen und die dibrigen Kilften der Norbiee 
folgen, dann die Dftküfte Nordameritas und die Ditküfte 
Sidamerifas, Weftindien mit Mexico, die Oſtküſten Afiens, 
die atlantilche Küſte Frankreichs, Spaniens und Portugals, 
die Weſtküſte Amerikas, der Welten des Mittelmeeres, die 
Südküfte Aſiens mit den Indiſchen Inſeln, endlich das weit: 
liche Afrika, der Dften des Mittelmeeres und die Iufeln im 


Aus allen Erdtheilen. 


Stillen Meere. Im Ganzen haben im Jahre 1873 18,134 
deutiche Seefchiffe mit einer Labungsfähigkeit von 5,203,920 
Regifter-Tons ihre Reifen nach fremden Häfen bez. Küften: 
ftreden gerichtet, und zwar nadı Norwegen und Rußland am 
Weißen Meere und Eismeere 1383 Schiffe von 132,102 
Reg. :Tong, außerdeutſchen Häfen an der Oſtſee 5052 Schiffe 
von 642,758 Neg.-Tons, außerdeutſchen Häfen an der Nord: 
fee, mit Ausſchluß der britiichen, 1355 Schiffe von 305,029 
Reg.:Tons, Großbritannien und Irland 5443 Schiffe von 
1,512,967 Reg.-Tons, den übrigen europäiſchen Häfen am 
Atlantiſchen Meere 531 Schiffe von 301,515 NReg.:Tons, Hü: 
fen am der weftlichen Hälfte des Mittelländiſchen Meeres 204 
Schiffe von 82,577, Reg.-Tong, ben übrigen Häfen bes Mittel: 
ländikhen Meeres, einſchließlich derjenigen am Schwarzen 
Meere, 103 Schiffe von 34,425 Reg. Tous, der Oſtküſte Nord- 
amerifas am nördlichen Theil des Atlantiſchen Meeres 939 
Schiffe von 830,052 Reg. Tons, den Häfen am Meerbufen 
von Merico und dem Caraibifchen Meere, einfchlichlich der 
weftindiichen, 624 Schiffe von 374,090 Reg. Tons, der Dit: 
füfte Südamerilas am ſüdlichen Theile des Atlantiichen Mee— 
red 845 Schiffe von 395,435 Neg.:Tons, den Häfen an der 
Weftküfte Amerikas 861 Schiffe von 220,178 Reg. Zons, den 
Häfen Ufrifas, ausichließlic der Häfen am Mittelländiſchen 
Meere, 166 Schiffe von 39,151 Reg.:Tond, den Häfen ber 
Südküfte Aſiens, einſchließlich der Indiſchen Iuſeln, 291 
Schiffe von 142,514 Reg. Tons, den Häfen der Oſtküſte 
Aliens 544 Schiffe von 185,650 Neg.-Tond, Anftralien 
mit den Jufeln im Stillen Meere 85 Schiffe von 36,940 Reg. 
Fond. Fr die übrigen 63 Schiffe von 5512 Reg.:Tons 
ift das Biel der Neife nicht näher angegeben. Auf grönlän- 
difche Fiſcherei gingen 6 deutſche Schiffe von 921 Neg.-Tong, 
auf Häringsfang 31 von 1910 Reg.:Tons aus. — Die 


durchſchnittliche Größe der Schiffe ift für nordamerikaniſche 


Fahrten bei weiten die höchſte (390 Reg.-Tons), dann für 
die Weftküfte Amerikas (610 Reg.:Tons) und für Weftindien 
(600 Reg⸗Tons), Frankreich und Spanien (563 Reg.-Tons), 
Südafien (498 Reg.-Tons), filr die Dftküfte Südamerikas 
(471 Reg.-Tons) und die Inſeln des Stillen Meeres (432 
Reg.Tons). Erheblich Heiner find die Schiffe, die an der 
Oſtküſte Aſiens (431 Neg.-Tous), im Often des Mittelmeeres 
(331 Reg.Tous), im Weiten des Mittelmeeres (281 Reg. 
Tons), Großbritannien und Irland (273 Neg.-Tons), Afrila 
(235 Reg.-Tons), in der Nordfee (225 Neg.-Tons) und in 
der Oſtſee (127 Reg.-Tons) verkehren; endlich befuchen die 
Heinften Schiffe (05 Reg.:Tons) Norwegen und das nördliche 
Rußland. Die Fahrzeuge, die den Häringsfang betreiben, 
befigen durchichnittlih nur etwa 60 Reg.Tons Raumgehalt. 

— In Honolulu bat ſich unter dem Vorſitze des Kö— 
nigs Kalalau eine naturwiſſenſchaftliche und mikroſtopiſche 
Geſellſchaft gebildet. — Der Krater auf der Spitze des 
Mauma Loa ift jeit Januar 1873 noch immer in Thätigkeit. 

— Alte Begräbnißftätte In Böhmen ift im St, 
Jvausthale beim Dorfe Hoftin am „Hradiſchte“, gegenüber 
von Tetjn, eine alte Begräbnißftätte aufgefunden, die einen 
Raum von 40 Joch einnimmt und aus drei Wällen bejteht. 
In dem erften befinden fih gewölbte Defen zum Ber: 
brennen der Leichen, in den übrigen Aiceftätten nur 
Schichten von Leichenaſche. Man fand Aſchenkrüge der älte 
ften Form und Geräthe aus Knochen. Dan glaubt, daß 
diefe Begräbnißftätte noch aus den Zeiten der Bojer berrührt. 


Inbalt: Der Markefas-Archipel. U. (Mit drei Abbildungen) — Die wilden Liffu an der Grenze von Rinnan 
und Tibet. — Germaniſche Wohnfise und Baudenkmäler in Nieberöfterreih. Bon I. Mestorf. — Hollandögänger. Ein 
Bild aus dem Volfsleben von Franz Poppe. — Skizzen aus Chile. Bon Dr. med. Georg Thiele. IH. — Aus allen 
Erdtheilen⸗ Ausbrüce des Fremdenbaffes in China. — Ein neuer Afrikareifender. — Bulgaren im Banat. — Marko Sral: 
jewitih. — Schwarzfunft in Jowa. — Berfchiedenes. — (Schluß der Redaction 10. September 1875.) 





Redacieut: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Pindenftrafe 13, IN Tr. 
Drud une Verlag von Friedrich VBieweg und Sohn in Vraunſchweig. 





Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 
Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit yahmännern und Künftlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 








Braunſchweig 


— 


Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlich 4 Rummern. 1 8 7 5 
Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Rummern 50 Pf. * 


Am Nordgeftade der Adria. 


Pola, das alte und das neue. 


Wir verließen unfern Führer Yriarte in Miramare, 
nachdem wir mit ihm Trieft, Capo v’Ijtria, Pifino im Ins 
nern der Iſtriſchen Halbinſel und Parenzo in der Mitte 
ihrer Weſilliſte befucht hatten. Bon legterm Orte aus be- 
gab er fid) in vier Stunden zur See nad) der Stadt, welche 
unter allen in Iſtrien mit dem antifen Namen auch die 
Spuren einftiger Römerherrichaft am treueften bewahrt hat, 
nad) Pola. Wenngleich erſt jpät in der Geſchichte erwähnt, 
war es doch ſicherlich eine der älteften Niederlaffwigen an 
jener Küſte, worauf ſchon die von Plinins, Strabo und an— 
deren alten Schriftftelleen erzählte Sage deutet, daß eine 
Schaar lolchiſcher Männer auf der Verfolgung Medea's 
bierher gelangt feien und den Ort angelegt hätten. Sein 
trefflicher Hafen wurde die Beranlaffung, daß Kaifer Augus 
ftus hier eine Colonie — Pietas Julia — anlegte, dieſelbe 
zur Slottenftation erhob und mit prächtigen, öffentlichen Ge— 
bäuden ſchmiückte. Dadurch wurde es nächſt Trieft zur bedeu- 
tendften Stadt Iſtriens ohne aber ſpäter eine befondere Rolle 
in der Gefchichte zu fpielen. Bon hier fegelte Belifar im 
Jahre 544 nad) Ravenna hinliber, um ben Oftgothen unter 
Totilas das ſchon einmal gewonnene und verlorene Italien 
wieder zu entreißen. Seit dem Jahre 991 fegten fich dann 
die Venetianer an diefen Küſten feft, welche 1148 Pola 
definitiv unterwarfen. In den Kämpfen der beiden Riva- 
len Venedig und Genua hatte die Stadt ſchwer zu leiden 


Globus XXVIII. Nr. 14. 


und wurde 1379 fo arg zerftört, daß fie feitdem als halbe 
Ruine nur fortvegetirte, bis der Verluſt Beuedigs und die 
Verlegung der öſterreichiſchen Kriegsmarineverwaltung nad) 
Pola der Stadt neues Yeben einhauchte. 

Wenden wir zumäcjft unfere Schritte nach dem Rath« 
hausplage, dem Brennpunkte des gefammten Lebens, jo ſte— 
hen wir auf claffiichem Boden, dem Korum der Augufteis 
jchen Golonie. Die eine ganze Seite des Plages nimmt 
das Nathhaus ein, mit feinen Arcaden und feinen Balcon 
ein hübſches Mufter des venetianifchen Stiles. Uxrfprüng- 
lich ftand hier ein römifcher Tempel, der Diana geweiht, 
von weldyem aber nur die Ruckwand erhalten ift. In deſſen 
Nefte baute man im 15. Jahrhundert mit vielem Geichide 
ben „Balazzo dei Signori“ hinein, wo der venetianische 
Statthalter, der den Titel eines „Grafen von Pola“ führte, 
refibirte. 1581 wurde bann das verfallene Gebäude leider 
nicht ganz ftilgerecht reſtaurirt. 

Auch die den Pla umgebenden Häufer mit ihren Säulen; 
balconen, hohen Kaminen und Rundbogen find ganz im 
venetianifchen Geſchmacke; in ihren Erdgeſchoſſen haben ſich 
Kaffeehäufer aufgethan, welche ihre Tiſche nad) italienischer 
Mode vor den Thüren zu ftehen haben, und in und vor 
denen ſich Abends die italieniſche Männerwelt mehr zum 
Scwagen und Rauchen, als zum Berzehren verfammelt. 

Wenige Schritte durch die der Rathhansfagade parallel 

27 


219 


laufende Safe bringen uns zu bem zierlichſten der erhaltenen 
Römermerfe, dem ber Stadt Rom und dem vergötter— 
ten Auguſtus geweihten Tempel, einem faft unverfehrten 
Porticus von ſechs torinthifchen Säulen, hinter weldjem die 
Gella eine Heine Alterthimerfannmlung umſchließt. Das 
Ganze ift nur 8";/, Meter hoch und 15°/, Meter breit, 
aber von fo trefflichen Verhältniſſen und von fo ſchöner 
Ausführung, daß es feit Palladio's Zeiten mit Vorliebe 
von bem italienischen Bautünſtlern ftubirt wurde. eine 
Erhaltung dankte es dem Umftande, daf es während der 
Epoche berRenaiffance ald Öetreidefpeicher verwendet wurde; 
die metallenen Buchſtaben der feine Beſtimmung ausfpres 
enden Inſchrift gingen freilich im Yaufe der Zeiten ver- 
foren: nur aus den Yöcern der Nägel oder Klammern, 


Am Nordgeftade der Adria, 


welche diefelben einft feflhielten, vermag ber Archäologe heute 
ihren Wortlaut zu entziffern. 

Bon Rathhansplage führt eine gerade Strafe nad) der 
Porta aurata: cinem zierliden, antifen, veichverzierten, 
dreibogigen Thore im Forinthifchen Stile, von der hier einft 
anfäffigen Familie der Sergier erridjtet; umveit davon er: 
feunt man an der halbfreisförmigen Einſenkung im Hligel 
die Stelle bes alten Theaters: von feinen En ers 
bauten die Benetianer im fiebenzchnten Jahrhundert an der 
Stelle des römifchen Gapitols ein Caftell, das Kaiſer Franz 
wieder herjtellen ließ. Auch die vier pradjtvollen Marmor 
fäulen am Hodjaltar der Kirche della Salute in Venedig 
follen aus diefem Theater ftammen. Das Gaftell liegt im 
Dften der Stadt, und der Weg zu ihm flthrt durch die 





Rathhaus im Pola. 


Porta Gemina, ein um 150 n. Chr. erbautes Stadtthor, 
welches erft 1545 durch Ausgrabungen freigelegt wurde, 
ebenfo wie das Gerculesthor (Porta Erculea), an wel 


chem man tod) neben dem Schlußſtein den gewaltigen Kopf | 


und die Keule des mamengebenden Gottes erblidt. Zwiſchen 
diefen drei Thoren zieht fich die antife Stadtmauer hin, 
bucd) vielfache mittelalterliche Anbauten häufig verdedt, aber 
in ihrem Yaufe noch deutlich erkennbar. 

Bon jenen oben erwähnten Tempeln aus führt eine 
Straße nach Norden zu erft durch zwei Reihen venetianifcher 
Häufer des 15., 16. und 17. Iahrhunderts, dann durch 
elende Hütten, endlid) durd, Gärten. Nachdem man darauf 
eine fleine, nen entftandene Militärſtadt von Baraden, 
Pulvermagazinen, Caſernen und dergleichen durchſchritten, 
fteht man vor dem großartigften römijchen Bauwerke Polas, 


der Arena, die ſchon vom Meere aus den Blid des an- 
fommenden Reifenden gefefielt hat. Weder fo groß, wie 
das Coloſſeum in Nom (jie ift 24 Meter hoch, migt 105 
Dieter im Durchmeffer and faßte gegen 15,000 Menſcheu), 
nod) jo wohlerhalten, wie das Amphitheater in Verona 
— das ganze Innere mit allen feinen Stufen wurde her: 
ausgebrochen und in die venetianiſchen Paläfte verbaut —, 
feffelt fie doc) durch ihre eleganten Formen, die ſich je nach 
der Stellung des Betrachtenden vom Meeeresfpiegel ober 
dem Horizonte ſcharf abheben, 

Noch im 14. Jahrhundert war das um 150 n. Chr. 
erbaute Amphitheater ziemlich unverlegt, weil firenge Befehle 
des Patriarchen von Aquileja die Berfdjleppung von Steis 
men verboten. Statt der auf einander eindringenden Glas 
diatoren oder der ſich belämpfenden Schiffe — denn die Arena 


Am Nordgeitade der Adria. 


ging unter Waffer zu fegen, um Seekämpfe aufzuführen — 
übten ſich Tempelritter, die unmeit davon ein Kloſter be— 
faßen, Hier im Tournier, und bis 1425 fanden regelmäßige 
Feſte mit Lanzenwerfen und Sceinfämpfen fat, Dann 
aber fanf Pola in Trümmer, und kein Berbot konnte mehr 
die armen Weberlebenden hindern, Marmorftufen und Diva« 
derfteine nach Venedig zu verhandeln. — 

Pola war eine Zeit lang, wie ſchon erwähnt, mur ein 





211 


Name, kein Ort mehr. Sechsmal war im 18. Jahrhundert 
an biefen Geftaden die Peft ausgebrochen und Hatte fait die 
legten Einwohner hinmeggenommen. Gicht man von dem 
Urfenal und allem, was mit der öfterreichifchen Marine zu- 
fanımenhängt, ab, fo ift die Stadt, melde im Jahre 1869 
indgefammt etwa 10,500 Seelen zählte, noch heute umbedeus 
tend gegenüber dem, was fie im Alterthume war. 

Schon im Jahre 1849 wurde von der Negierung cine 


Tempel der Noma und des Auguſtus in Pola. 


Commiſſion eingefegt, welche an der Küſte Iſtriens einen 
geeigneten Plag für ein Srearfenol auswählen follte und 
feitdem ihre Berichte einfandte. Kine Zeit lang ſchien cs, 
als follte das ohnehin reich gefeguete Trieſt auch dieſe wich- 
tige Grundung in ſich aufuchmen, bis 1856 an der Bucht 
von Pola der Grundſtein zu dem heutigen Arſenale ge 
legt wurde, deſſen Borzlige vor anderen ähnlichen Unftalten 
darin beftehen follen, daß «8 nach einem einheitlichen, wohl⸗ 
durchdachten Plane und gleichſam aus einem Guſſe errichtet 
wurde, während jene mur eine Auhäufung einzelner Bauten 


find, fo wie fie das Bedürfniß und die Umftände aufzufüh- 
ven geboten. 

Im Hintergeunde der Bai liegt das Arſenal, ringsum 
geichligt von etwa ſechszehn auf den Höhen des Feſtlandes, 
den Borgebirgen und den vorliegenden Inſeln erbaufen 
Forts. Es befteht aus zwei Theilen, deren einer am Ujer 
in drei parallelen Reihen fänumtliche durch ein dichtes Kifen- 
bahnneg verbundenen Magazine und Werfftätten umfaßt, 
während ber andere auf der Heinen vorgelagerten Klippe 
degli Dlivi die Werfte, Sägemühlen und Trodendods in 


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212 Am Nordgeftade der Adria. 


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Das römische Amphitheater in Pola. 


Vorgefchichtliches aus dem Poſenſchen und anderen Gegenden des ſlaviſchen Often Europas. 213 


fi) begreift. 1500 Menschen find bier beichäftigt, dar- bepflanzte Straße bergauf in das deutſche militärifche Vier- 
unter eine Anzahl rauen beim Bedienen der Nähemafchinen, | tel, auf einen öffentlichen Spaziergang, der auf drei Geiten 
welche die Segel fertigen. Die übrigen find nur zum Mei | von veinlichen, regelmäßigen, aber langweiligen, gleichſam 
nern Theile freie Arbeiter, Schmiede, welche aus Deutſch- | uniformirten —— den Wohnungen der öſterreichiſchen 
land, und Zimmerleute, welche von Venedig herüberlommen. Offiziere und Beamten, umgeben iſt. Welch ſcharfer Segen« 
Im Uebrigen ergiebt die jährliche Confeription in den Kits | fag zu der italienischen Stadt dort unten, die ihren Mittelr 
ftenländern 200 bis 300 Schiffsbauhandwerfer von Beruf, | punkt auf dem Nathhausplage hat! Hier oben Alles nen 
von denen etwa nur die Hälfte zur See gefchit wird, | und frifch, unten die Nefte vergangener Yahrtaufende; oben 
während man die anderen den beiden Handiverfercompag: | die deutfche Einfachheit, Ordnung und Sauberkeit; unten 
nien in Pola überweift. Dort arbeiten fie während ihrer | die anziehende, graciöfe italienifche Umordnung und ber 
ganzen Dienftzeit in ihrem Handwerfe weiter, wofür fie | Schmuß; oben einjadye Toiletten, blonde Haare, rothe Backen 
aufer dem Matrofenfolde noch einen Arbeitslohn von 15 | und geſetztes Betragen der Frauen, unten überladener Putz, 
bis 35 Kreuzer täglich erhalten. ſchwarzhaarige, bleiche, lebendige Weiber; oben trinkt man 

Nur zwei Eingänge zum Urfenal giebt es, und diefe | Vier, unten Wein! Hier oben könnte man ſich mac) Deutſch- 
find ftreng bewacht; vom Handelhafen wird ber feinige land verfegt glauben; unten, wenn nicht gerade ein öfter 
durch eine ſchwimmende Schranke getrennt, umd gegen die | reihifcher Seemann zum Hafen eilt ober ein flavifcher 
Yandfeite fchließt eine hohe Mauer jedes Spähen von Unbe- Bauer zu Markte fommt, nad) einer lombardiſchen Stadt. 
rufenen ab. Yängs diefer Mauer führt eine lange baum: 


Borgefhichtliches aus dem Pofenfhen und anderen Gegenden des 
ſlaviſchen Often Europas. 


Nach jlaviichen Quellen mitgetheilt von Albin Kohn. 


Wir wollen der Miffenfchaft wegen der Wiſſenſchaft dienen und fie nicht 
zur Dienftmagd politifcher Leidenſchaften berabwirbigen. 

Ic habe in Nro. 1 diefes Bandes des „Globus“ Gele» doch daraus, daß der Welten die Sprache des Oftens und 
genheit genommen, dem enilletonfchreiber der „Neuen freien | im Folge deflen auch feine Arbeiten und Errungenfdjaften 
Preffe*, Herrn Dr. W. G., das Irrthümliche feiner einft | auf dem Gebiete der Archäologie nicht lennt, feine Schuld 
aufgeftellten Behauptung, daß die Provinz Pojen feine Prä- | für den Oſten herleiten. Daß aber gearbeitet wird, daflir 
biftorie habe, Mar zu machen. Schon aus dem, was ich in | legen bie „Wiadomosci Archeologiezne* (Archäo— 
jenem kurzen Artifel gefagt habe, geht zur Genüge hervor, logiſche Nachrichten, 2 Thle., Warfchau, bei S. Orgelbrand's 
daf auch das Poſenſche eine Vorgeſchichte hat, wen es auch Söhnen) Zeugniß ab, weiche neulich exit herausgegebeu wor: 
nicht hinreicht, um diefe Vorgeſchichte als eine ebem fo glän« | den find. Ich erwähne älterer Arbeiten diefer Art für jett 
zende darzuftellen, wie es die von Frankreich, Belgien, Enge | nicht, weil ich den Leſer erſt durch eine Reihe von Artikeln 
land und Skandinavien ift. Dr. Friedrich Nagel hat im | mit dem befannt machen will, was die „Wiadomosci Ar- 
feiner „Borgefchichte des europäijchen Menjchen* ahnungsvoll | cheologiezne* Neues und Intereffantes enthalten. Id) hoffe 
angedeutet, da auch der Often Europas nicht zu den troft- | fibrigen durch diefe Arbeit eine ſehr empfindliche Lücke un— 
lofen Gegenden gehört, welche feine Borgeſchichte haben, | feres archäologiſchen Willens zu füllen und außerdem aud) 
wenngleich er den jegigen Bewohnern, obwohl gewiß ganz | den Männern gerecht zu werden, welche am der Vorgeſchichte 
unfreiwillig, einen ſchweren Vorwurf gemacht hat, daß es ihres Baterlandes arbeiten und es verdienen, in weiten Srei- 
ihnen „an Regfamfeit, Opferwilligfeit und Einſicht“ mans | fen gelannt zu fein. Ich werde mid) bei diefen Arbeiten 
gelt. Ich bin fiher, daß Dr. Nagel germ bereit fein wird, nicht ſyſtematiſch am die „Wiadomosei* halten, um nicht 
diefen Vorwurf zu widerrufen, wenn er den Neichthum von | Beichreibungen von Kunden geben zu miflen, welche dem in 
arhjäologäifchen Materiale fehen wird, welchen die Achäos | anderen Gegenden Europas vollfommen ähnlich find, ſondern 
logen des Oſtens zufammengebracht haben. Der Hauptgrund | werde vor allen Dingen feltene Funde beſprechen und durch 
dafür, daß bis jetzt die im Oſten und ftricte in den ſlaviſchen Iluftrationen erläutern. 

Yändern angefammelten Schäge dem Weften unbelannt find, Im Mufenm zu Pofen befindet ſich ein Paar Stiere, 
liegt wohl zunächſt darin, daß die polnischen und ruffifchen | fiber welche die „Windomosei Archeologiezne* folgende 
Forscher die Reſultate ihrer Arbeiten und wiflenfchaftlichen | Auslaſſung enthalten: 

Veftrebungen ihren Yandsleuten in ihren nationalen Spra« Das Mufeum der Freunde der Wiſſenſchaften in Pofen 
hen mitgeteilt haben, weldye dem Weiten faſt ganz unbekannt | befist im der Bronzeabtheilung gegen 400 Gegenſtände, 
find. Wer die archäologischen Muſeen in Wilna, Warfchau | weldye zum Theil großpolnifchen Ausgrabungen entſtammen *). 
und Pofen gefehen, weldyes legtere dem polniichen Vereine | Die in den weitlichen Gegenden des Yandes gefundenen Sas 
der Wiſſenſchaften gehört und vom Gomjervator Herrn H. | diem unterfcheiden fi) von den in den öſtlichen gefundenen 
Feldmanomwsti forgfam geordnet worden ift, wer ſich durch größere Mannigfaltigfeit ihrer Beftimmung, durch grö- 
außerdem mit der einfchläglichen Yiteratur befannt gemacht | ———— 


at, r . O *) Here Feldmanoweli, deſſen ich ſchon oben anerfennend ers 
Ye en hr puacfteben, daß, rede der r Den Europas wähnt babe, hat alle diefe Gegenftände fehr ſyſtematiſch geetdnet, fo 
Bezug auf Archäologie noch eine terra Incognita iſt, daß fie aleſchſam ein Bild der Entwicdelung und des Fortſchritice 
wie Dr. Kagel fagt, dies nicht feine Schuld it. Man kann bieten. 





214 


BVorgeichichtliches aus dem Pofenjchen und anderen Gegenden des flavischen Often Europas. 


here Feinheit der Arbeit, und unter ihnen überwiegt die Zahl | für Anthropologie, Ethnologie und Urgefcichte* (Dahrgang 


der Segenftände, welche als Schmud für Frauen gedient ha- 
ben, folche, die zum Scmude fiir Männer beftimmt waren; 
auch ift eine verhältwigmäßig große Anzahl von Handwerls- 
zeugen, welche zu Arbeiten, wie zum Fiſchfange, zum Nähen, 
zur Bearbeitung von Fellen beftimmt waren, vorhanden. 
Es find dies fichtlich Schon bebeutendere Anfänge eines anfäf- 
figen Yebens. Die Größe der am redjten Weichjelufer ge 
fundenen Gegenſtände zeigt deutlich, daß fie ausſchließlich für 
Männer beftimmt eo find; die vielen Nadeln und ähnliche 
Sadjen, welche in Großpolen gefunden worden find, mit ihren 
verfchiedenartig verzierten Köpfchen, konnten nur Eigenthum 
der Frauen fein. Die Frau nahm hier alfo eine höhere 
Stelle ein als in Podlachien und bei den Ruthenen. Von 
drei bei und gefundenen Schwertern gehören zwei Großpolen 
an; der Soldat war alfo (?) hier bejier bewaffnet umd die 
Macht mad aufen größer. Gin vor mehreren Jahren bei 
Kaliſch ausgegrabener Becher, welcher heute die aud) in an« 
derer Hinficht reiche Sammlung des Herrn Podezaszyusti 
ſchmückt, beweift durd) die Harmonie der Yinien und den Ty— 
pus der Verzierungen, daß er das Werk eines Mannes ift, 
der in der Nähe Roms, wenn nicht gar in diefer Welthaupt- 
ſtadt jelbft gewohnt hat *). Hieraus Tann man wiederum auf 
die ‘weitläufigen Hans 
deisverhältnife mit der 
römischen Welt jdhlier 
ken. Im Pofener Mur 
ſeum befindet fich auch 
ein römischer Priapus, 
weldyer in Großpolen 
gefunden worden iſt. 
Wie and jet noch jo 
hat uns auch im jener 
Zeit die weſiliche Kivi- 
liation das Erhabenfte 
wie das Gemeinſte, das 
fie hervorgebracht, ge: 
boten, und wie damals jo 
find wir auch heute für 
die Wahl verantwort- 
lid). Rirgends wurden 
fo viele Nadeln wie hier gefunden: die häukliche Thätigleit 
war alfo geehrt und verbreitet. Bor nicht langer Zeit find 
in der Gegend von Buk zwei brongene Etatuetten, ein Paar 
Ochſen oder Wiejente, ausgegraben worden, weldye einft 
vermittelft eines Joches an den Köpfen und durd) einen Stab 
an den Hüften verbunden waren, dabei aber amı Halſe gleich— 
fan doppelte Ninge hatten. Wir wagen es noch nicht, die: 
fen Fund der vorhifteriichen Periode zuzuſchreiben; follte er 
(wie es wahrſcheinlich ift) diefer angehören, jo wäre er das 
ültefte Dentmal des Aderbaues im Yande. 

Ueber diefe Dechschen, welche wohl zu den feltenflen un: 
den gehören, die überhaupt bis jegt gemadjt worden find, 
finde ich in den „Verhandlungen der Berliner Geſellſchaft 





*) @8 frei bierzu bemerlt, daß vom den eiwa 60 Etäblenamen, 
die der alte Alerandriner Ptolemäus im freien ®ermanien fennt, bis 
ſetzt webl mur wenige richtig gedeutet werten find, darunter aber 
gerade Galifta — tem beutigen Kaliſch. Dem griechiſchen Geograpben 
lagen zur Gonftruction feiner Karten und der dazu gebörigen Orte 
fbaftsverzeichniffe unzwelfelhaft Neifejourmale römischer Tifigiere vor, 
mie jener beiden publicani, welche zu Nero’s Reiten den Auntort des 
Bernfteins auffuden mwellten und wirklich vie Oftſet, das Mare 
Suchieum, erreichten, oter von Bernfteinfaufleuten, melde öfter tie 
Meife von ver Donau zum heutigen Samland zurüdleaten. Huf 
jener Hanteleſtraße war Kaliſch eine Station — fein Wunder alfe, 
wenn Dort gefundene Kunſtgegenſtände römiſche Anklänge zeigen. 

Red. 





Die beiden Bronzeſtierchen im Muſeum zu Polen. 


1873) Folgendes: 

„Bei Bythien (Kreis Samter, Provinz Pofen), zwiſchen 
den Dörfern Witlowice und Siagzin, find hart an einen: gro- 
Ben Steine, welcher behufs Sprengung abgegraben worden, 
in einer Tiefe von 21/, bis 3 Fuß zwei Meine, durch ein 
Joch verbundene Stiere von reinem Kupfer und daneben ſechs 
Gelte verfchiedener Größe gefunden worden. (Die Figuren 
find 0,13 Meter lang und 0,10 Meter body; der größte 
Celt ift 0,17 Meter lang und 0,04 Meter breit, der kleinſie 
0,10 Meter lang und 004 Meter breit.) Die Jochſtange 
ift von den Arbeitern, welche den Fund gemacht, zerbrochen 
worden. Das betreffende Yand war bis vor Kurzem Walbland. 

Wie bei fo vielen Bronzefunden ift alſo ganz zufällig 
ein wahrſcheinlich abfichtlih unter den Stein verborgenes 
und fpäter vergefjenes Werthftüd zum Vorſchein gekommen. 
Die Yänge der Hörner umd die große Spannung berfelben 
deutet entſchieden auf jidliche Vorbilder. So weit befannt 
hat es nie jo langhörniges Nindvieh bei unferm Landvolle 
gegeben; man fieht es noch jet micht eher, als bis man nad) 
Mähren, Ungarn oder Italien fommt. Die fpiten Köpfe 
laffen den Gedanken an Anerochjen nicht zu. Dazu das 
charalteriſtiſche Zoch, die Halsbänder, möglicherweife eine an 
der Seite des Bauches 
des einen Stieres her« 
vortretende Zeichnung, 
lauter uns und unſe 
ren Vorfahren fremde 
Motive.“ 

Herr Profeffor Dr. 
Schwartz, Director 
des Friedrich Wilhelm 
Gymnaſiums, der, wie 
er mir fchreibt, den 
Erwerb der Stiere für 
das Pofener Muſeum 
vermittelt hat, bemerkt, 
daß ſich am Schwanz: 
ende Yöcher befinden, 
gleichfam als ob dort 
eine Stange hineinge- 
ftedt werden follte. Auf mid) madjten die beiden Stierchen 
den Eindruck, als ob fie einft als Schmuckſachen die primitive 
Etagore eines reichen Yandmannes qeziert hätten, wie heute 
chinefifche Püppchen in unferen Prunfjpinden aufgeftellt find. 

Bir müfjen es wohl Herrn Dr, W, G. und der „Neuen 
Freien Preffe* verzeihen, daß fie Vhantafien in die Welt 
ſenden, denn wir fünnen von ihnen nicht Gründlichleit und 
mühevofles Studium , welche zu archäologischen Forſchungen 
nothwendig find, verlangen. Aber wundern muß man ſich 
über Fachſchriftſteller, wenn fie wie Klemm in feinem 
„Handbuch der germaniſchen Alterthumstunde* (S. 13) 
Vehauptungen aufftellen, welche fie nicht zu rechtfertigen 
vermögen und durd welche fie der Willenfchaft mehr 
ſchaden als nilgen. So behauptet Klemm a. a O., daß 
in vorhiftorifchen Zeiten am reiten Weichjelufer Menſchen 
gelebt haben, welche weder eine Hlitte zu erbauen noch einen 
Topf zu machen verftanden und die ungefähr wie Dachſe 
oder Büren in einem unterirdiichen Bau gelebt haben. Dies 
fer Behauptung gegenüber dürfte es an der Zeit fein, That- 
fachen zu veröffentlichen, welche das directe Gegentheil bewei- 
fen. Sie rühren von einem unermübdlichen Forſcher, dem 
Herrn Balerian von Przyborowéki, Profeffor der War- 
ſchauer Univerfität, her umd betreffen feine im Jahre 1870 
bei Plod und im Jahre 1871 bei Natielst am Fluſſe Wlra 
gemadjten Entdetungen. Herr von Przyborowsli erzählt 


Vorgefhichtlihes aus dem Poſenſchen umd anderen Gegenden des ſlaviſchen Often Europas, 


darüber in den „ Wiadomosci Archeologiezne* (I, S. 43u. ff.) 
endes 
„Das Ziel des erſten Ausfluges waren die vorhiſtoriſchen 
Begräbnißplägevon®raböwfa, Dsnica und Boromiczfa, 
welche Ortjchaften ganz in der Nähe von Plod amı rechten 
Ufer der Weichfel liegen und dem General Bontemps gehören. 
Wenn man am rechten Weichjelufer entlang aus Plod nad) 
Wyszogrod geht, fo bemerft man glei, hinter der Stadt am 
Fluſſe die Schenfe Graböswfa. Rechts haben wir die Weich: 
jel, deren jenfeitiges Ufer mit Kiefermwaldung geſchmüct ift, 
und lints eine Hligelreihe, welche ſich im nicht großer Ent: 
fernung vom Fluſſe bis Wyszogrod hinzieht. Der fandige 
Streifen Landes, welcher fich zwiſchen dem Fluſſe und ber 
Hügelveihe befindet und mit Dörfern und jegt nicht großen 
Wäldern bededt ift, ift cine wahre archäologische Fundgrube. 
Das aufmerkfame Auge bemerkt hier faſt bei jedem Schritte 
Spuren der prähiftorifchen Vergangenheit im zerbrödelten 
Urnenſcherben, Brongeftliddyen, bearbeiteten Feuerſteinen und 
unverbrannten menſchlichen Knochen. Diefes beweift, daß 
wir liber Wohnfige vorhiftorifcher Bewohner dahinfchreiten, 
deren Spuren felbjt für diejenigen nicht gleichgültig find, 
welche ſich nicht mit ſpecifiſch Hiftorifchen Studien befallen, 
Zwiſchen der Schenle Graböwfa und dem nahen Dorfe 
Dsnica erheben ſich zahlreiche ſandige Hligel, welche durd) 
eine reiche Begetation von Wachholderſträuchen vor den Win- 
den geichligt find. Wo fein Wacholder den Flugſand bes 
ſchützt hat, hat der Wind denfelben hinweggeweht und die 
vorhiftorifchen Gräber, welche Töpfe, die mit Aſche umd uns 
verbrannten Kunochen gefällt find, enthalten und größere oder 
Neinere Aushöhlungen des Bodens bilden, aufgededt ; heute 
find dieſe Feflelartigen Bodenaushöhlungen nur noch mit 
Trümmern bedet. So find viele Gräber vernichtet worden 
und für die Wiffenfchaft verloren gegangen, denn die übrig 
gebliebenen Trümmer Häven nicht Alles auf, was wir willen 
möchten. Die Grabſtätte reicht ftellenweife bis nahe am den 
Fluß. Die reigende Fluth der ihre Ufer überſchwemmenden 
Weichſel vernichtet felbft ſolche Gräber, welche hoch liegen, 
da fie immer mehr von Ufer mit ſich ſchwemmt und die in 
ihm enthaltenen Urnen ausipült. Hier künnte man aufs 
Leichteſte unbefchädigte Urnen erhalten, wenn ſich irgend Je— 
mand um ihre Erhaltung bemlihen würde, dem felbit beim 
vorfichtigften Graben Tann man fie nicht mit der Geſchicklich- 
feit und Sorgfalt herausbefommmen, wie diefes das Waller 
thut, welches fie allmälig herausiplilt. Nach größeren Ueber: 
ſchwemmungen kann man im hohen Ufer halbaufgededte Ur— 
nen jehen, weldje aus dem Sande herausbliden. Gewöhunlich 
werden fie von der Hand irgend eines Borübergehenden vernich⸗ 
tet, der in ihmen Gold oder wenigftens Silber zu finden hofft. 
Trog diefer ungünftigen Umftände, welche jchon Jahr- 
hunderte am ber langjamen Vernichtung des Begräbnißplages 
bei Graboͤwla arbeiten, fann man doc) noch mandjes unbe: 
rührte Grab finden. Ich habe ihrer einige aufgegraben und 
gefunden, daß die Urnen auf diefem Begräbnißplage größten: 
teils im Sande, ohne Schuß aus Steinen, liegen. Sie find 
mit einem nicht großen Dedel aus gebranntem Thon bededt, 
und es ftehen gewöhnlich neben jeder cine oder zwei Schiffele 
den. Gegenwärtig find fie mit einer fo dlinnen Erdſchicht 
bedeckt, daß man häufig ſchon, nachdem man den Flugſand 
weggefchartt hat, den Rand der Urnen fieht. In Graböwfa 
habe ich nur ein Grab geöffnet, das fich in mehrfacher Hin: 
ficht von anderen unterfcheibet; es geichah diefes am 26, Juli 
1870. Ich führte damals die Ausgrabung mit dem Herrn 
Peter Debowsti aus Yode (dem Sohn des Berliner Archäologen) 
und Ofedi aus Miszewfo aus. So viel mir befannt, hat 
vor mir Niemand, weber in Graboͤwla nod in Dsnica, 
archäologische Ausgrabungen veranftalter, was ich ausbritdlich 


215 


zu bemerken genöthigt bin, um die ein Jahr fpäter in dem 
Zeitungen veröffentlichten falfchen-Angaben zu berichtigen. 

Folgendes ift das Nähere über das ungewöhnlichere Grab, 

As ich mit einem Stabe in der Tiefe von 1 Fuß auf 
einen Stein ftieß, liegen wir die Erde abgraben und fanden 
Feldſteine. Es waren ihrer 30, weldye in conifcher Form 
aufeinandergelegt und durch nichts verbunden waren, Nach— 
dem diefe Steine weggeräumt, zeigte ſich ein ungeheurer fla- 
cher thönerner Dedel, weldyer, wie die fpäter vorgenommene 
Meffung ergab, 53 Centimeter im Durchmeſſer hatte. Diejer 
Deckel bededte eine Urne und eine neben ihr ftehende Kanne; 
aber er war durd) die Yalt, bie auf ihm gedrückt hatte, im 
viele Stüde zerfprungen. Die Urne war 31 Gentimeter 
hoch, ihre Oeffnung betrug 215 Millimeter und die größte 
Breite in der Mitte ebenfalls 31 Gentimeter. Die Höhe 
des Käunchens betrug 130 Millimeter. In der Urne fand 
ich außer Aſche und unverbrannten Kuochenreſten nichts. 
Der Boden, auf welchem die Urne ftand, befand fich gegen 
zwei Ellen unter der Oberfläche der Erde. 

Wenn wir die Sandbbilnen von Grabowla verlaffen, fonmmen 
wir nad) Osnica, einem Bauerndorfe, welches gegen drei Werſt 
von Plod hart am Weichſelufer liegt. Die Häufer diefes Dor- 
fes liegen zerſtreut auf den die Weichfel begleitenden Höhen, 
welche mit Schluchten und Bächen abwechſeln, die aus den der 
Weichſel parallelen Höhen entjpringen. Diefe Schluchten zei⸗ 
gen ftellenweife Spuren gewaltfamer Beränderungen der Ober: 
fläche, denn man kann im Grunde ungeheuere wagerecht liegende 
Baumſtämme fehen, welche aus den Seitenwänden heraus; 
ragen, Diefe Stämme liegen gegen 20 Ruß unter der Ober: 
fläche und es miliſſen lange Zeiträume vergangen fein, bis 
fich eine fo mächtige, Erdſchicht über ihnen ablagerte. Wenn 
man diefe Stämme aufdeden könnte, jo wiirde man wohl 
einige ſtumme Zeugen aus ber Zeit jener gewaltfamen Nevos 
lution entdeden. Die während des Hochwaſſers ungezligelte 
Weichſel ſpült aud) hier wie bei Grabörwfa das Ufer hinweg 
und bringt mit Knochenreſten gefüllte Urnen zu Tage, in 
denen manchmal Metallſtlicke gefunden werden. Gier fanden 
fid) vor einigen Jahren in einer auf diefe Weife bloßgelegten 
Urne Schmuckſachen aus Silber, welche eine Bäuerin in Plock 
verkauft hat. Wie die Bewohner von Osnica fagen, find 
die Urnen hier in derfelben Weife wie in Grabͤwka vergra- _ 
ben. Aber auch) hier entdeckte ich ein weniger gewöhnliches 
Grab, welches aud) deshalb eine nähere Beſchreibung verdient, 

Als ich am 25. Juli 1870 Osnica befuchte, bemerkte id) 
im Dorfe felbjt, unmittelbar vor den Gebäuden eines Wir: 
tes, einen länglichen, mit Rafen bederften Hügel, der etwa 
15 bis 20 Schritte lang und einige Schritte breit war. An 
einem Ende diefes Hügels ragte die ſcharfe ante eines Steis 
nes aus der Erde hervor, welche über eine halbe Elle lang 
war. Aus dem an diefer Stelle aufgehobenen Boden einer 
Urne, auf den die fogenannten Pfeile Perun’s erhaben 
aufgedrüikt waren (fiehe a im der Mbbildung auf folgen 
der Seite), fonnte man fchliegen, daß der Stein nicht 
zufällig hierhergefommen if. Saum hatte ich hier zu gra— 
ben begonnen, da fah ich auch ſchon einen zweiten Stein, 
welcher mit dem erften einen rechten Winfel bildete, und es 
zeigte ic, daß wir zwei Wände aus ziemlich großen, ans 
ſcheinend gefpaltenen Steinen und im rechten Winfel auf: 
geführt vor uns hatten. Kaum einen Fuß unter ber Ober: 
fläche bemerften wir zwifchen diefen Wänden die Kanten von 
Urnen. Nachdem wir die Urmen und die fie bedeckende Erde 
herausgeſchafft hatten, zeigte es ſich, daß wir ein länglid) 
vieredfiges Grab vor uns hatten, das aus ziemlich, großen 
Steinen, die auf die Kante geftellt waren, gemacht und mit 
Urnen angefüllt war, Die Länge des Grabes betrug 2°/, 
Ellen, die Breite 2 Ellen und die Höhe der Steine von Bo: 


216 


den des Grabes bis zur obern Kante 1'/, Ellen. Diefes 
Grab liegt an der Oftfeite des Hügels. Die Nordfeite des 
Grabes ift wohl ſchon aufgegraben geweſen und die Steine, 
nad) Angabe der von mir beim Graben befchäftigten Arbeiter, 
vor einigen Jahren von einem Bauer zu Schwellenunterlagen 
bei einem von ihm aufgeführten Gebäude bemugt worden. 
In der Wand der Nordfeite fand ich nur noch einen kleinern 
auf die Kante geftellten Stein... Auf der Oftfeite, wo das 
Grab noch mehr aus dem Hiigel heransragte, fand ic; ſchon 
feine Spur einer Wand. Tiefes Familiengrab war wahr: 
ſcheinlich mit einem Steine bedeckt, aber diefer wurde, da er 
auf den Wänden und gewiß auch auf der Oberſläche des 
Grabhügels (Kurgan's) lag, zuerft von der Stelle hinweg> 
genommen, Es iſt auch leicht möglich, daß der Hügel ſelbſt 
anfangs bedeutend höher und das Grab mit aufgejchlitteter 
Erde bededft geweſen ift; denn während vieler Jahrhunderte 
konnte der Wind die aufgeſchüttete Erde hinwegwehen ud 
die Oberfläche des Grabes entblößen, wie ja, nad) der Auſicht 
einiger ſtaudinaviſcher Archäologen, die fteinernen Gräber, 
welche fich heute an der Oberflädje befindet, einft mit Erde 


* 


Vorgeſchichtliches aus dem Poſenſchen und anderen Gegenden des ſlaviſchen Oſten Europas. 


bedeckt geweſen fein follen. Im Grabe in Osuica ift heute 
nur noch die fibliche und weſtliche Wand, welche von der 
Außenfeite durch kleinere Steine geftügt find, unberührt. 
Der Boden unter den Urnen war wit flachen, gefpaltenen 
Steinen ausgelegt. 

In diefem Srabe befanden fich fieben Urnen mittlerer 
Größe und fo dicht an einander geſtellt, daf fich die Seiten 
der Gefüße berlihrten. Deshalb mögen fie wohl aud) ſchon 
bein Hineinftellen zerbrochen worden fein, in Folge deſſen 
ich denn aud, beim Aufgraben nicht eine ganze, fondern alle 
dermaßen befchädigt gefunden habe, da immer cin Scherben 
Über den Sprung bes anderen reichte, Im einige Urnen war ber 
Thondedel hineingedrückt. Beiſätze habe ich in dieſem Grabe 
nicht gefunden, was wohl dem Mangel an Kaum zugefchries 
ben werden muß. Die hier gefundenen Urnen find jehr forg- 
fältig gearbeitet und zeigen zwei Formen, nämlich Urnen mit 
im Bogen gefriimmten Wänden und breiter Oeffnung, und 
foldje, deren Wände in Scylangenlinien gekrümmt find, fo 
daß ihre größte Breite mit der halben Höhe des Gefäßes 
zufammenfällt, während ihr Hals fehr verengt it. Die Höhe 





Grab bei Dsnica in der Gegend von Plod, 


der Urnen ift ungefähr gleich; die Urne mit den fchlangen- | 


linig geformten Seiten ift gegen 29 Ceutimeter hoch, ihre 
Dehnung beträgt 165 Millimeter und ihr größter Umfang 
28 Gentimeter. Alle fieben Urnen waren bis an den Hand 
mit Aſche und unverbrannten Knochenreſten gefüllt; außer 
dem ift nichts im ihnen gefunden worden. 
rab fichert der Segend von Dlesnica eine hohe Stufe in der 

eihe der bis jegt entdedten vorhiftorifchen Anfiedelungen, 
denn Gräber diefer Urt zeugen von einer gewiſſen Adıtun 
für die Nefte der Verftorbenen, mithin fie einen yiemtih 
hohen Grad von Geſittung; fie können einft zu Entdedungen 
führen, weldje in ethnographiſcher Rückſicht nicht gleichgliltig 
find. Sieben Urnen befanden fi in Osnica, ſieben 
enthielt auch das Steingrab bei Bitoba in der Nähe von 
Subicz, das Herr Karnlowoli aus Oleszno geöffnet hat; 
die in den Jahrblichern des medlenburgifchen archäologijchen 
Berxeind bejchriebenen enthalten ebenfallt je fieben Urnen. 
Im Allgemeinen herrſcht in mehr als einer Rückſicht zwiſchen 
den mectlenburgifchen und unferen Gräbern eine fichtbare Uchn- 


Diefes Familien» | 


In Osnica verdient noch eim eigenthümlicher alter Herd, 
welcher im hohen Ufer hart am der Weichſel endet worden 
ift, eine befondere Aufmerkfanieit, denn er beftcht aus zwei 
Lagen Lehm, derem jebe zwei Zoll die ift, und ein Biered 
bildet, das 2 Ellen lang und 1, Ellen breit ift und deſſen 
Ränder 5 Zoll hoch find. Kigentlich ift dies eine ganze 
Schicht von dünnen Lehmfceiben, welche auf einander liegen ; 
zu beiden Seiten des Herdes ift der Boden ſchwarz und fett, 
fichtlich mit Aſche und Kohlen überſättigt. Die Scherben- 
ſtüdchen, welche ich hier gefunden habe, lann ich nicht fikr 


| einen binlänglichen Beweis dafür halten, daß dies der Herd 





lichteit, welches man wohl durch die Gleichheit des flavifchen | 
Stammes, welder beide Gegenden bewohnt hat, erllären fönnte, | 


war, auf dem die Verſtorbenen verbranut worden find, weil 
ich in den wenn auch alterthüimlichen Scherben feine Grauit⸗ 
törnchen gefunden habe, welche das ſicherſte Zeichen dafür 
find, daß die Töpfe vorhiftorifchen Zeiten angehören. Andere, 
die nad) mir diefen Herd befichtigt haben, waren geneigter, 
ihn einer vorhifterischen Periode zuzufchreiben. Yie ⸗ 
ſcheidung dieſer Angelegenheit überlaſſe ich bewanderteren Ar- 
chäologen. 

Die dritte archäologische Station in der Gegend von Plod 
ift das Dorf Vorowiczla, das mit Dsnica grenzt. Der Weg 


Vorgeſchichtliches aus dem Poſenſchen und anderen Gegenden des flavifchen Oſten Europas, 


von Borowiczfa am bie Weichſel führt über eine unbedeutende 
fandige Erhöhung, welche die Bewohner die „Kamionka“ 
(die Steinerne) nennen; wahrſcheinlich wegen ber vielen 
Steine, welche auf ihr liegen. Die zerftreut umberliegenden 
Studchen von Urmen beweifen, daß dieſe Erhöhung ein vor 
hiftorifcher Begräbnißplag ift. Während meiner Anmwejen- 
heit in Vorowiczla war der größte Theil des Hligels mit 
Getreide beftellt und deshalb konnte man nur an einer Seite 
des Weges Nachforfchungen anftellen. Als ich meinen Stod 
in den lodern Boden ftedte, traf ich im der Tiefe eines, manch⸗ 
mal auch nur eines halben Fußes auf Steine. Nach Ab» 
räumung ber obern Erdſchicht zeigte es fi, daß die Steine 
dicht an einander geftellt find und einen Kreis bilden, deſſen 
Durchmeſſer 6 Fuß beträgt. Im der Mitte des Kreiſes 
lagen größere, mäher der Peripherie kleinere Steine. Unter 
einem jolchen Pflafter habe ich Urmen gefunden, die mit 
flachen thönernen Stürgen zugebedt waren, und neben ben 
Urnen fand ic; gewöhnlich Schalen, welche unferen jegt noch 
gebräuchlichen Taſſen ähnlich find. Der über den Boden 
geführte Pflug ftieß an die Steine, in Folge deffen diefe die 
Urnen, welche fie ſchltzen follten, drlidten und zerbrödelten, 
fo daß man feine einzige ganz hervorbringen fonnte, Die 
bier auögegrabenen Urnen waren jehr primitiv gearbeitet, 
größtentheild von grauer Farbe und ſchwach gebrannt. 

So hätten wir in Graböwfa, das 1!/, Werft, Osnica, 
das 3 Werft, und Borowiczka, da8 gegen 4 Werft von Plod 
entfernt ift, geichjem eine ununterbrodjene Kette vorhiftorifcher 
Begräbnißpläge am rechten Weichjelufer. Diefe Kette reicht 
aber weiter, denn aud) bei Bielin, bas eine Meile von Plod 
entfernt an ber Weichjel liegt, finden fich, wie man mir mit 
theilt, Urnen. Ich bin fogar überzeugt, daß ſich diefe Dent- 
mäler der Vergangenheit längs der Weichſel bis Warſchau 
und noch weiter hinziehen, obgleidy ich nur aus früheren 
Unterfuhungen etwas über Tafchomin weiß und Targöwko 
bei Warfchau während meiner eigenen Ausflüge kennen gelernt 
babe. Daſſelbe wird wohl auch vom linken Weichſelufer 
gefagt werben können, wenn es unterfucht werden wird, wie 
man es auch von anderen Flüffen behaupten fan. Ic) werde 
dieje Behauptung fpäter durch eine kurze Beſchreibung meis 
ner Ausgrabungen am Fluſſe Wera unterftügen.* 

Im 
Herrn von Pryyborowsti mittheilen, welche ſich auf die eben 
befchriebenen Gräber beziehen, und behalte mir meine eigenen 
bejcheibenen Aeußerungen fir die Zukunft vor. 

Herr von Przyborowoli meint, daß die vielen Begräbniß- 
pläge ben Beweis liefern, daß das Land ſchon im vorhifto- 
riſchen Zeiten bedeutend bevölkert gewejen ift, da auch gewiß 
überall, wo man einen Begräbnißplag findet, eine Anfieber 
lung eriftirt hat. Bis jest find nun zwar nod) verhältniß: 
mäßig wenig folder Begräbnigpläge befannt, aber es dürfte 
fi), nad) der Anficht des genannten Archäologen, heraus: 
ſtellen, daß jebes jegt eriftirende Dorf auch feinen vorhifto- 
riſchen Degräbnißplag befitt. 

„Aber,“ fährt Herr von Prayborowsti fort, „diejes eine 
Kefultat der Forschungen nach der prähiftoriichen Bevölfe- 
rung befriedigt die Forderungen der Wiſſenſchaft nicht, 
denn fie will nicht allein wiflen, ob hier fefte Anfiedelungen 
ber vorhiftorifchen Bewohner geweſen find, fondern fie will 
auch das Leben und die Bildungsftufe der prähiftorifchen Aus 
tochthonen und ihr anthropologifches Verhältniß zu ben bes 
nachbarten Böllern lennen lernen. Auf diefe Fragen werden 
wir aber erft dann eine die Wiffenfchaft befriedigende Antwort 
geben fünnen, wenn uns die Djcower Höhlen Zeugniffe über 
den Menſchen ber Eisperiobe liefern werben und wenn es 
uns endlich gelingen wird, die urjprlinglichen Pfahlbauanſie⸗ 
delungen zu entdeden, wie fie jchon in der Schweiz, in Frant: 

Blobus XXVIII. Nr. 14, 


olgenden werde ic; noch einige Bemerkungen des’ 


217 


reich, Irland und in Deutſchland entdeckt find. Gegenftände 
wie die von mir auf den Begräbnißplägen gefundenen heben 
noch nicht den Schleier vom ganzen Bilde des vorhiftorifchen 
Volles, denn nicht Alles begleitete den Menſchen ins Grab, 
was ihn im Leben umgab. Erſt die Gegenftände, welche 
von den Pfahlbantenbewohnern übrig geblieben find, werden 
diefes Bild einft vervollftändigen und uns den Menfchen, 
von dem wir gar feine gefchriebenen Zeugnifle haben, gleich— 
ſam ganz vor Augen führen. Für jet müffen wir uns mit 
dem emfigen Verzeichnen beffen begnügen, was uns bie auf 
der Oberfläche der Erbe liegenden vorhiftorifchen Gräber 
bieten. 

Bor Allen verdient bie Urt des Begrabens der Todten 
unfere Aufmerffamteit. Ich habe einige Gräber aus Gras 
boͤwta, Dsnica und Borowiczta befchrieben; andere werde ich 
fpäter befchreiben. Es herrſcht hier eine große Berfchiedens 
heit, und esift fchwer zu entſcheiden, ob fie verſchiedenen Zei« 
ten und Menſchen oder einem Unterjchiede im Reichthum 
und der focialen Stellung des Berftorbenen zuzuſchreiben 
if. Auch in anderen Ländern hat man eine große Bers 
ſchiedenheit im Bau der Gräber bemerkt; bis jegt hat man 
40 verjciebene Gattungen von vorhiſtoriſchen Gräbern feft- 

eftellt. Doc; glaube ich nicht, daß die bei und gefundene 
Berfchiedenbeit auch auf eine Berfchiedenheit der Stämme 
oder Bölter hinbeute; fie kann eher ihren Urfprung in der 
Verſchiedenheit der Zeitalter Haben. Das ſyſtematiſche Elaf- 
fificiren der Gräber nad; ihrem Bau und als Folge hiervon 
das Zuerlennen berfelben an verfchiedene Bölfer, Stämme 
und Epochen war vor zwanzig Jahren eine ſehr beliebte Die» 
thode. Heute hat die vergleichende Ethnographie die Arcjäos 
logen von der Sucht des Syſtematiſirens geheilt, denm fie 
hat beiviefen, daß die Formen der menfchlicen Schöpfungen 
in den verſchiedenſten Zonen des Erdballs und in den ver 
fchiedenften Epodjen einander fehr nahe ftehen, denn der 
Menſch lernt von der Natur und nicht von einem andern 
Volke, wenigſtens fo lange nicht, wie er ſich anderen Völlern 
nicht durd) einem gewiſſen Grab der Givilifation nähert und 
nicht lernt, von ihrer höhern Bildung Nugen zu ziehen. Wie 
der Patagonier heute noch genau eine folche Pfeilfpige aus 
Feuerſtein macht, wie fie vor vielen Jahrhunderten an ber 
Weichſel gemacht worden find, fo fann auch die Form des 
Grabes an der Weichfel diefelbe wie in Skandinavien fein, 
wenngleich, es ein anderes Volt an der Weichſel und ein an⸗ 
beres in Slandinavien erbaut hat. Aus der Art und Weife, 
wie die Tobten begraben wurden, fünnen wir ohne andere 
Thatſachen nur einen Schluß ziehen und zwar einen Schluß 
auf den Grad ber Gefittung der Menſchen, welche das Grab 
gemacht haben. De mehr Sorgfalt wir in der Erhaltung 
der Ueberreſte der Verftorbenen finden, um fo ſicherer ift 
auch der Schluß, daß bei dieſem Volke die Zuneigung zur 
Familie ftark entwidelt und in eben dem Maße auch milde 
Sitte verbreitet war.“ 

Schon hier will ic, conftatiren, daß es, meiner Anficht 
nad), irrthümlich ift, von den bis jegt gefundenen Begräbniß- 
plägen auf die Dichtigfeit der vorhiftorischen Bevöllerung 
überhaupt und ber auf flavifchem Boden im Beſondern zu 
ſchließen. So viel mir befannt, find bis jetzt noch immer 
Begräbnißpläge an Flüſſen, ehemaligen Wafferläufen und 
an Seen, bie heute oft theilweife ober ganz verfumpft, aber 
noch ganz gut al$ ehemalige offene Waflerbeden zu erfennen 
find, gefunden worden, während ein foldyer Fund in größerer 
Entfernung von Wafferläufen und offenen oder vertorften 
Waſſerbecken wohl zu den größten Seltenheiten gehört. Wenn 
wir von dem, was jegt geſchieht, auf das, was im vorhiftos 
riſchen Zeiten geſchehen, jchliegen dürfen, fo würden wir jagen, 
dag der Menſch wohl feit feinem erften Erſcheinen auf der 

3 


218 


Erbe die Nähe des Waſſers gefucht hat, aus bem er mit 
nicht allzugroßer Mühe und ohne ſchweren Kampf Nahrungs: 
mittel holen konnte, während er ſolche in großer Entfernung 
vom Wafjer nur mit großer Mühe und mittelft ſchwerer 
Arbeit erringen konnte. Aehnlich verführt ja der Menſch 
noch heute., Gehen wir mach Nordafien und wir finden bort 
an den Flüſſen und Seen viele, oft jehr bedeutende Anſie— 
delungen, während man in.geringer Entfernung, vom Waſſer 
faft feine Spur von, Menden, wenigftens feine irgend 
nennenswerthe Anfiebelung findet. Diefes bezieht ſich ſowohl 
auf den Ruſſen, der jegt in Sibirien hauſt, ald aud) auf die 
halbwilden Stänme, welche er beerbt, 

Angenommen, es verſchwände plöglich jede Geſchichte 
Nordaſiens und der Menſch filirbe plöglidy aus, angenommen 
auch, es läme nad, Dahrhunderten oder Jahrtauſenden ein 
Ardyäologe, welcher die Gräber am Ob, Jeniſey und der 
Vena fowie an den Nebenflüfjen entdeckt, fo glaube ich, daß 
er einen fehr falfchen Schluß von der Menge ber Gräber 
auf die prähiftoriiche. Anzahl der Bewohner ziehen würde, 
wenn er, wie Herr von Pragborowsti, jagen wiirde, daß das 
Land dicht bevölfert geweſen ift, denn wir wiſſen, daf jest 
anf die Uuadratmeile in Nordafien laum 13 Menſchen 
fommen. 

Wie in. diefer Beziehung, mag es auch wohl mit der Na: 


Georg Thiele: Skizzen aus Chile. 


tionafität der Urbewohner Europas und vorzliglic) des Oſtens 
diefes Erdtheils feine Bewandtniß haben. Der Ankömmling 
hat viel vom fchon Anwefenden geerbt, diefer hat von jenem 
viel gelernt. Ich brauche, um biefes zu beweifen, nur auf 
den Yateiner hinzuweifen, der den Etrusfer verichlang und 
beerbte, auf den Pongobarden und Normanen, der Mc in 
hiſtoriſchen Zeiten mit dem Yateiner vermifchte, in ihm zwar 
aufs aber nicht unterging und dermaßen mit ihm verfchmolzen 
ift, daß es kaum mehr feftzuftellen fein dürfte, welches Blut 
in dem einen ober bem andern Stamme das Uebergewicht 
hat. Daffelbe Berhältniß findet, wenn auch in fehr beichränften 
Mafftabe, in Nordaſien ftatt und wenn fich auch hier der 
Anldumling nicht oder fehr felten mit dem Urbewohner ver: 
miſcht, fo nimmt doch der eine vom andern jo mand)es in 
feine Gebräuche, ja fogar in feine Sprache auf, was ihm 
jräthrer nicht angehörte und völlig fremd geweſen ift. 
Suchen wir vor Allem nad den Menjdyen; zur Bes 
ründung des Beweiſes Über cine vorhiftorifche Nationalität 
it mehr nöthig als einige Scherben, etwas Ajche, mit Knochen: 
reſten vermifcht, umd einige rohe, im Kreiſe oder Wierede 
ftehende Steine. Der Uebergang von den Diongoloiden zum 
Arier in Europa war wohl fo unmerflich, daß faum zu hofe 
fen ift, je eimen Zeitpunkt zu finden, im welchem ber erjie 
verſchwunden und der zweite erfchienen ift. 


Skizzen auß Chile Er 
Ton Dr. med. Georg Thiele. 


IV. . 
Schilderung Ehiles in chorographiicher Beziehung. 


Das ganze Land zerfällt in drei in vielen Punkten und 
ſehr weſentlich verfchiedene Theile, einen nördlichen, einen 
mittlern und einen jüdlichen. Der legtere ift vom mittlern 
Theil getrennt durch das Land der Araucaner, cin nod) 
ſeht umbefanntes Gebirgsland von unregelmäßigem Charat- 
ter, das von einem unabhängigen und jehr friegerijchen 
Indianerſtamme bewohnt wird. Der Berlehr dieſes ſüd— 
lichen Theiles mit dem übrigen Lande geſchieht ausſchließ 
lich zur See. Es iſt dies der commerciell und induſtriell 
unwichtigſte Theil des Landes, ausgezeichnet durch die colojs 
fale Regenmenge, die hier Jahr aus Jahr ein fällt, und 
durch die deutjchen Colonien, die hier jehr floriren, fo da 
dieſe der tomamgebende Theil der Bevölferung in Yaldivia 
und Puerta Montt find. 

Die Grenzlinie zwifchen Nord» und Mittelchile kann 
man durch Guejta de Chacabuco legen, wo die gewaltigen, 
nad; allen Richtungen ausftrahlenden Gebirgszüge, weldye 
fi) um den Cerro de Aconcagua (6834 Meter hoch), 
den zweithöchften Berg der ganzen Gorbillera, gruppiven, der 
regelmäßigen Gliederung des mittlern Theils ein Ende madıt. 

Diefer Theil des Yandes, der die Provinz Aconcagua 
umfaßt, ift ein Hochgebirgsland mit gewaltigen Bergen und 
ſchmalen, ſcharf eingejchnittenen Thälern. Bon bier nad) 
Norden nehmen die Berge allmälig an Höhe ab und bie 
Thäler und Hochebenen werden breiter, fo daß man in der 
Eopiapiner Gegend recht ausgebreitete Ebenen und außer 
der der Gordillera central zugehörigen Kette feinen Berg 
von erheblicher Breite hat. Je weiter man nad) Norden 


fommt, defto fpärlicher wird ferner die Negemmenge, die im 
Winter fällt, bis man nordlich von Serena in die abfolut 
regenlofe Zone fommt. Auch in diefan ganzen nörb» 
lichen Theil kann man nod) drei Abtheilungen unterfcheiben. 
Die erfte ift die Provinz Aconcagua mit noch reichlichem 
Winterregen. Die ſchmalen Thäler diefer Provinz, die im 
Winter von wafjerreichen Flüſſen durchſtrömt werden, find 
dafer jehr fruchtbar umd haben meiſt ein fehr angenehmes 
Klima. Auf die Thäler fommt aber nur eine VBodenfläche 
von 523 Quadratlilometer, die übrigen 13,627 find um: 
eultivirbar und geben höchſtens etwas Gebirgsweide. Es 
erhellt daraus, welch gewaltiges Gebirgsland dies ift. Auch 
Minen giebt e8 hier eine große Menge, doch überwiegt noch 
die Aderbaninduftrie. 

Der zweite Strich umfaßt den füblichen Theil der Pror 
vinz Coguimbo, wo der Regen ſchon anfängt fpärlicher 
zu werben. Obgleich hier bereits viel mehr ebenes Land 
it, beträgt der Dürre wegen der aderbaufähige Theil nicht 
über 823 Quadratfilometer unter einer Bodenſläche von 
etwa 32,000 Uuabratfilometer. Bereits überwiegt bier 
die Mineninduftrie die Uderbauinduftrie, die als hauptjäch- 
lichſtes Product Früchte liefert. 

Der dritte Theil der nördlichen Region. ift num das 
Laud, deſſen Charakter bereits oben bei der Beichreibung von 
Chaũaral geſchildert worden iſt. Es ift eine abjolut regen- 
und baumlofe Wüfte. Gacteen und einige ähnliche Pilan- 
zen gedeihen hier auf den Bergen und in der Ebene, eben: 
falls hin und wieder Salzpflanzen. Diefe Region beginnt 


Georg Thiele: Skizzen aus Chile. 


nördlih von Serena, der Hauptitadt der Provinz Co» 
quimbo, und dient fait ausſchließlich dem Bergbau, der ins 
deſſen fo ergiebig ift, daß drei Viertel der ganzen Ausfuhr 
Chiles in Bergbauproducten befteht. In dieſer Gegend leben 
etwa 100,000 Menfcen, zu deren Unterhalt Mehl, 
Fleiſch u. f. w. pom Süden eingeführt wird, Zwei Flüſſe 
eriftiven bier, die im ihrem obern Yaufe wailerhaltig find, ber 
Huasco und der Copiapö; an deren Ufern wird Ackerbau 
getrieben. Diefe beiden Dafen find Heim und bilden zufammen 
eine Fläche von nur 70 Quadratfilometer, haben aber gu⸗ 
ten Boden und find deshalb bei der Milde des Klimas jehr 
fruchtbar , jo daß in Copiaps zwei Haziendas fic befinden, 
deren jährliche Einkünfte auf 13,000 chilenifche Thaler ges 
ihägt werben. 

Ich habe diefer Schilderung des Nordens nur beizufügen, 
daß (mit Ausnahme von Aconcagua) die Bevölkerung eine 
wenig ftabile it. Die Maſſe derfelben bilden Veute, die 
aus den füdlichen Provinzen fommen, um hier Geld zu ver» 
dienen, d. h. der unternehmumgeluftige und thätigere Theil 
ber beſſeren Claſſen. Dies und der Umftand, daß fo viele 
Europäer hier leben, macht die beſſere Geſellſchaft hier für 
den Europäer geniefbarer, al® die im Süden, mit Aus 
nahıne atürlid von Santiago und Balparaifo. Jedem, 
der beide Theile des Yandes kennt, wird fich die Bemerkung 
anfdrängen, daß im Norden die Leute beſſer erzogen, gebils 
deter und vorurtheilsfreier find als im Süden. Diejer 
Unterfchied erftredt fid, bis in die arbeitenden Claſſen hin— 
ein. In dem Heinen Net Chanaral habe ich viel mehr 
Leute aus den unteren Clafjen gefunden, die fchreiben und 
ar: konnten, als in der verhältnigmäßig großen Stadt 

alca. 

Das mittlere Chile (das eigentliche Chile; in ber 
Atacama fagten die Yeute, wenn fie von eimer Reife nad) 
Santiago ſprachen: Me voy a Chile, ic) reife nach Chile) 
ift charalteriſirt durch die eigentliche Teilung der Bodens 
fläche in drei dem Meere parallele Striche, den der Central- 
cordillera, den der großen Hochebene und den des Küſten⸗ 
gebirged. Die Bevölkerung, Industrie, Verkehr u. ſ. w. 
concentriren ſich natlirlich auf der großen Hochebene. Auch 
in longitudinaler Richtung ift diefes Yand im zwei weſentlich 
von einander verschiedene Abtheilungen geſchieden, deren 
Grenze ſich in jene öde Fläche hinter Molina legen läßt, 
Der nördliche Theil umfaßt die Provinzen Santiago, Col- 
chagua und Curico fowie Balparaifo und zerfällt der eigent« 
lich bebanbare und wirklich bebaute Theil des Landes in die 
drei großen matirlidy geichiebenen Thäler von Santiago 
(Rio Maipo mit feinem Nebenfluſſe R. Mapocho), Ranca- 
gua (R. Kapel), San Fernando (N. Tinguiririca) und Cu— 
rich (R. Mataquito), die in ummittelbarer Flucht auf eins 
ander folgen. 

Das füblich von Molina gelegene Yand liegt nun erftend 
erheblid; tiefer; während die Berge von der Santiaquiner 
Eordillera eine Höhe von Uber 5000, ja 6000 Meter haben, 
zählt der einzige höhere Berg der Talquiner Cordillera nicht 
ganz 4000. Die Höhe von Santiago beträgt 569 Meter 
über dem Meere, die von Talca 85. Zweitens erreicht die 
Ebene hier die doppelte umd dreifache Breitenausbehnung 
der nördlichen Ebene. Etwa von Yinares bi8 San Carlos 
wird die Ebene am breiteften fein. Dies führt naturgemäß 
zu einem britten Merkmal: während nämlich im Norden 
die Flüffe einen Furzen, faft gerade von Oft nad, Weit, von 
der Gordillera zum Meere gerichteten Lauf haben, treten 
hier im Süden verzweigte Flußgebiete auf. Als ein Bei— 
fpiel für die Geftaltung der Bodenfläche führe ich an, daß 
bie beiden Fluſſe Cauquenes und Purapel, welde im 
Küftengebirge entjpringen, ihren Abflug nicht zum Meere 


219 


nehmen, jondern öſtlich nach der Hochebene Hin, wo fie zur 
dem am wetlichen Rande der Ebene gelegenen Poncomilla 
und mit diefem erft nördlich zum Maule abfliegen, bevor 
ihre Waffer im Bette des legtern Fluſſes dom Oft nad) 
Weſt ind Meer ſich ergießen. Die Flüſſe find aber nicht 
bloß länger und gewundener, fie find auch viel waſſerreicher. 
Im nördlichen Theile führen die Flüſſe nur im Winter 
Waſſer, oder bilden mur Heine Bäche. Das Waſſer, wel- 
ches fie führen, wird ihnen, fobald fie aus der Gordillera 
austreten, zur Bewäflerung der Felder abgezapft. Hier im 
Süden führen die Flüffe auch im Sommer Waffer, derart, 
daß der Maule bis dicht bei Talca für Kühne ſchiffbar ift 
und auf dem Bio Bio Heine Dampfboote bis 25 deutſche 
Meilen ftromauf fahren. Diefer Waſſerreichthum findet 
darin feine Erklärung, daß im Süden eine viel größere 
Regenmenge fällt als im Norden. Wir haben in Talca 
aud) zuweilen, aber nicht häufig umd nicht ſtark, auch im 
Sommer Regen, was in Santiago nicht vortommt. Auch 
die Begetation nimmt hier ſchon einen etwas andern Cha- 
takter an: die Palmen verſchwinden, dafiir erſcheinen Pflan- 
zen, die man im Norden nur in Gärten ſieht, namentlich 
Nadelhölzer, Arancarien und Pirien. 

Aus allen den legtangeführten Umftänden follte man 
ſchließen, daß dieſer fübliche Theil bewölferter, cultiwirter fei 
und der Aderbau eine größere Entfaltung erfahren habe. 
Dod; das ift nicht fo. Der Boden des nördlichen Theils 
ift wohl beſſer als der des füblichen, und der Mangel an 
Waſſer ift dort zum Theil durch forgfältige Canalifation 
ausgegliden. Später wird indeß troßdem der Süden den 
Norden im Aderbau überflügeln, Vorläufig liegt die Sache 
aber anders. Alle Cultur und Givilifation ift von Valpa— 
taifo und Santiago ausgegangen und davon ift denn bis 
jegt wenig in den Süden gebrungen, der’eine einigermaßen 
abgetrennte Eriftenz hat. Zur Zeit der Incas, vor der Erober 
rung, fand diefes Reich am Maule feine Grenze, und auch 
die Spanier machten wohl vorläufig am Maule Halt, fo daß die 
Eultivirung diefes Yandftriches viel jlingern Datums ift, als 
die der Santiago am nächften liegenden Provinzen. Bei 
ber Eroberung wurde num das ganze Fand in großen Por: 
tionen unter bie verjchiedenen betheiligten Edelleute und 
Dffiziere vertheilt. Daher rührt mod) jegt im nördlichen 
Theile das Ueberwiegen des großen Grundbefiges , während 
in den Provinzen ſüdlich vom Maule und in Talca der 
Grundbeſitz viel vertheilter ift. Wenn nun auch im civili> 
firten Gegenden die Parcellivung des Bodens in Heine Theile 
und unter Heine Befiger anerfanntermaßen der Modus ift, 
bei dem das Yand am meiften ausgenugt, am beiten bebaut 
wird, fo liegt die Sache in einem Yande wie dieſes umge« 
fehrt. Der große Grundherr lann Capitalien anſchaffen, 
um Acerbaumaſchinen, ausländiiche Aderbauer u. ſ. w. ans 
zuftellen, und auf mannichfaltige andere Weife feinem Grund» 
befige aufhelfen, was der Andere nicht kann. Diefes Ueber» 
wiegen des großen Grundbeſitzes hat ferner dazu geführt, 
daf Alles was von Staatswegen die Nepräjentanten in der 
Deputirtenverfammlung bejcloffen haben, nur dem nörd— 
lichen Theile zu gut gefommen ift. Charakteriſtiſch dafür 
ift, daß die Eifenbahn bei Curico ihr Ende findet. Unter 
allen diefen Umftänden ift es nicht zu verwundern, daß 
diefe füdliche Hälfte Mittelchiles in vielfacher Hinficht der 
nördlichen, obgleid) fie die von der Natur mehr begüinftigte iſt, 
nachlteht. 

Im nördlichen Theile abforbiven Santiago und Valpa— 
raifo Alles und es hat ſich dort feine größere Stadt bilden 
fönnen, wird ſich auch feine bilden. Hier im Süden dagegen 
giebt e8 num wieder Stübte von mehr Bedeutung , bie wie: 

der Meine Centren für ſich bilden und um fo unabhängiger 


23*+ 


220 


von Balparaifo find, als hier wieder Häfen eriftiren, die 
ſich allerdings noch in fehr vernadjläffigtem Zuftande befin- 
den, fo daß fie noch nicht mit Balparaifo concurriren können. 
Diefes ſudliche Land zerfällt naturgemäß im einzelne 
Theile, nad) den Flußgebieten, zu denen es gehört, es 
find drei: der Maule, der Itata, der Bio Bio. Letzterer 
ift der füblichfte, an dem das Nraucanerland beginnt. Am 
Bio Bio hat ſchon die regelmäßige Gliederung des Landes 
aufgehört, fo daß am feinem Unterlauf, nahe am Meere, 
ſich ſchon eine große Strede ebenen Landes finde. Für 
fein Gebiet ift das Centrum Concepcion, nahe am Meere, 
eine Stadt von etwa ber Größe Taleas. Der Unterlauf 
ift fruchtbar und bebaut, der Oberlauf ift noch ziemlich, uns 
bevölfert und einigermaßen noch Indianereinfällen ausgefegt. 
Der Hafen für diefen Theil des Landes iſt nicht Concepcion, 
fondern Talcahuana, das dicht dabei it. Nördlich vom 
Bio Bio fließt der Itata, in defien Oberlauf die Provincia 
de Nuble liegt, mit der Hauptftadt Chillen, etwas Heiner 
als Talca. Diefe Partie hat feinen eigenen Hafen, fondern 
muß ihre Producte über Talcafuana und Koms (didjt 
dabei) verichiffen, wohin der Transport fehr beſchwerlich ift. 
Neuerdings ift eine Eiſenbahn zwiſchen Chillan und Talcas 
huana vollendet, die aber bis jegt wohl mehr verunglüdte 
als glüdlic, ans Ziel gelangte Bahnzüge zu vegiftriven ge» 
habt hat. 
Der dritte Theil ift das Flußgebiet des Maule, bas 
rößte und wichtigfte, und das Centrum dieſes Landes ift 
fca. Es umfaßt die Provinzen: 1, Talca, am rechten 
Ufer des Maule; 2, Linares, am linken Ufer, Hochebenenan⸗ 
theil; 3. Cauquenes, am linfen Ufer, Küftengebirgsantheil. 
Diefer Landſtrich enthält vom ganzen Chile verhältnigmäßig 
das meifte anbaufähige Yand, weil die Ebene hier am breis 
teften ift und der Waſſerreichthum ebenfalls groß. Nament: 
lich gilt das von dem Lande am linken Ufer. Die beiden 
Provinzen waren früher unter dem Namen Maule zu Einer 


Hermann Bamberg: Ein ungarifher Sprachforſcher in der Mongolei. 


vereinigt; davon waren etwas über Zweidrittheile des gan« 
zen Gebietes aderbaufähiges Land — ein fehr günftiges Ber- 
hältniß flir ein Gebirgsland wie Chile. Ueberhaupt ift das 
linfe Ufer des Maule einer der fchönften und fruchtbarften 
Landftriche, die es giebt, und wohl der befte Theil Chiles. 

Auf dem linken Ufer find nur drei Meine Städte von 
etwa 4000 bis 6000 Eimmohnern, Yinares, noch weiter 
füdlic, el Parral, und, weſtlich in einer Schlucht des Rio de 
Cauquenes im Küftengebirge, die Stadt Canquenes, berühmt 
durch ihre Weine. Auf der rechten Seite liegt außer Talca 
feine Stadt. Das ganze Gebiet des Maule mag etwa 
17,000 Duabrattilometer mit 150,000 Menſchen umfaſſen. 
Diefes Land hat feinen eigenen Hafen in Conftitucion, das 
der Provinz Cauquenes angehört und am Ausfluſſe des 
Maule liegt. Ein großer Bortheil liegt darin, daß der Verkehr 
mit Conftitucion zu Wafler (auf dem Maule) möglic) ift. 
Für das Linke Ufer ift Yoncomilla der Flußhafen, für das rechte 
Perales am Rio Claro, etwa drei Leguas von Talca. Vor: 
läufig hat dieſe ganze Paſſage fiber Conftitucion nod) ihre 
ſchwachen Seiten. Erſtlich ift die Flußſchifffahrt noch mit- 
unter fehr umftändlich ; fie ift indeß das ganze Jahr Hin« 
durch möglih. Das Schlimmfte ift, daß in Conftitucion 
nur Schiffe von mäßigem Tonnengehalt einlaufen können, 
d. h. meiftens nur Küftenfahrer und feine transatlantifchen 
Schiffe. Eine große Barre liegt vor dem Hafen, die zu—⸗ 
weilen den Berlehr für einige Zeit gänzlich fperrt. ine 
unendliche Wohlthat für diefen ganzen Yandestheil wäre es, 
wenn die Barre canalifirt würde, fo daß aud) transatlantifche 
Schiffe einlaufen könnten und die Schifffahrt ſtets möglich 
wäre, Geſchehen wird das mit der Zeit, aber vorläufig ift 
es noch nicht ernftlich in Angriff genommen. ine Eifen- 
bahn von Eurics über Talca, Linares, el Parral, San 
Carlos nad Chillan ift im Ban (October 1874) und wirb 
* etwa zwei Jahren im ihrer ganzen Ausdehnung vollendet 
ein. 


Ein ungarifher Sprachforſcher in der Mongolei. 


Bon Hermann Bambery. 


Wenn Ungarn im Folge feiner culturellen Stellung 
zum Öefammtgebäude der Wiſſenſchaft bis jegt nur wenig 
beizutragen vermochte, fo ift es andererſeits mur ſchwer in 
Abrede zu ftellen, daß auf dem Gebiete der Sprachforſchung 
und Ethnographie, für welches die Magyaren in Folge ihres 
Urfprunges ein fpecielles Jutereſſe Haben, von ihmen doch ſchon 
Mandjes geleitet worden ift. Es ei hiermit namentlic) das 
der finnifcugrifhen und turfostatarishen; Sprach · und 
Völferftudien berührt. Der Uralreijende Reguli war ber 
Erfte, dem wir genaue Keuntniſſe über die Vojulen verdan⸗ 
fen. 4. Cjomö de Kördfi hat die befte tibetamifche 
Grammatit und das befte Wörterbuch gefchrieben. ine 
vefpectable Anzahl fibirifcher Mundarten find der Aufmerk- 
jamfeit magyarifcher Gelehrten gewürdigt worden; und 
während man ſich eimerfeits mit dem finmifchsugrifchen 
Spradjftanm eingehend befchäftigt, wird andererfeits auch 
den turko⸗tatariſchen und mongoliſchen Sprachen gebührende 
Rechnung getragen, 


einen angehenden Sprachforſcher, Herrn Gabriel von Bü» 


liut, behufs Erlernung der mongolifhen Sprache und 
Sammlung mongolifcer Fiteraturftlide nad) der Mongolei 
zu entfenden, Herr v. Bäliut war allerdings eine für dies 
ſes Borhaben ganz paffende Perſönlichleit. Ein Seller 
von Geburt und ein urwüchjiges Spradhtalent, der ſchon auf 
der Peſther Univerfität mit einer erftaunlichen Yeichtigleit eine 
Anzahl Mundarten des Oftens und Weſtens erlernte, ja in 
benjelben fogar eine Sprachfertigkeit erlangte, ging er 
erft nad) Kazan, wo er fich mehrere Donate aufhielt. Bon 
ba begab er ſich nach Aſtrachan unter die Kalmliden, lernte 
gut Falmücdiich, und öftlich vorwärts dringend, gelangte er 
nad) Urga Khuren, befanntermaßen der Hauptfig des Mon⸗ 
golenvolfes, wo er an der Duelle der dialeltiſchen Eigen⸗ 
heiten der Chalfa- und Tihahar-Stämme ſchöpfte. Nach 
dem was Schmid und KRowalewski Uber das Mongolifche 
geichrieben haben, läßt fid) von Herrn Bäliut mehr Dialet- 


m N ' tifches erwarten. Nach feinen bisherigen Andeutungen ift 
So beſchloß die ungarifche Afademie der Wiſſenſchaften, % * 


die heutige Ausſprache der Mongolen von den Angaben der 


Hermann Bambery: Ein ungarischer Spradforfcher in der Mongolei. 221 


erwähnten Gelehrten bedeutend verfchieden; ja er meint, 
Europa kenne bis jegt nur die Schriftfprache der Mongolen, 
während der Vollsdialelt lautlich ein ganz anderer ift. 

Mit diefen Einzelheiten fowie auch mit den Wahrneh- 
nungen des Herrn Bäliut Hinfichtlic der Mandſchuſprache 
wollen wir ben Yejer des „Globus“ nicht langweilen; auf 
was wir bie jpecielle Aufmerkſamleit hinlenten wollen, ift 
hauptſächlich ein kurzer Reiſebericht des magyarifchen 
Borfchers, welcher jo manche interefjante Züge aus dem Le— 
ben dieſer Nomaben enthält, und von weldjem wir bad 
Interefjantefte nach dem bis jegt im „Foldraßgi Közlö- 
monyel“ nur ungariſch Erfchienenen hier im „Globus“ mit: 
teilen. 

Nachdem Herr Bäliut mit ziemlicher Ausführlichkeit von 
feiner Reife über Rußland und Sibirien nach Khuren bes 
richtet, die mongolifchen Städte, Priefter, Sitten und Febens- 
weifen befchrieben hat, kommt er zum intereffanteften Theile 
feines Berichtes; es ift dies die umftändlihe Schilderung 
der Heirath, der Gebräuche bei Todesfeierlichleiten und eine 
furze Ueberficht über die verbreitetften religiöfen Anfichten, 
welche Partien wir wiedergeben. Den Grundftein ber Ger 
ſellſchaft bildet die familie; ich will deshalb mit der Art 
ihrer Begründung bei den Mongolen, aljo mit der Beſchrei⸗ 
bung der Heirath, beginnen. 

Bei den Mongolen erwählen dem Yünglinge, welcher 
das fünfundzwanzigfte Lebensalter noch nicht erreicht hat, 
die Eltern eine Gattin, und nur nachdem er das erwähnte 
Alter überfchritten, Tann er ſich diefelbe nad) eigenem Be— 
lieben ſuchen. Der Maun wird ſchon im fiebenzehnten 
Lebensjahre als heirathefähig betrachtet, während das Mäbd- 
- ſchon im funfjehnten Jahre verehelicht zu werben pflegt. 
Wollen die mongolischen Eltern dem noch unter ihrer Bor« 
mundichaft ftehenden Sohn verheirathen, fo betrauen fie 
einen ihrer Freunde damit, daß er für ihren Sohn um die 
Hand des von ihnen erwählten Mädchens bei defien Eltern 
werbe. Langt num diefer Freier im Haufe bes Mädchens 
an, und wird nad) feinem Begehren gefragt, jo pflegt er 
folgendermaßen zu antworten: „Ich komme, um zu erfah: 
ren, ob ſich hier ber Edelſtein befinde, welchen ich für bem 
Sohn von N. N, ſuche?“ Sind nun die Eltern geneigt 
das Mädchen hinzugeben, jo antworten fie: „Der von 
Ihnen gefuchte Edelftein, die verlangte Perle, ift hier, fie 
fteht Ihnen zur Verfügung.“ Sonft aber fagen fie: „Der 
von Ihnen gefuchte Edelftein, bie verlangte Perle, ift fern 
von hier.“ Im erfterm Falle befpricht ber Freier mit den 
Eitern des Mädchens, warın der Vater des Junglings zur 
Anſchau oder behufs näherer Unterhandlung vorſprechen 
könnte, und kehrt ſodann zu feinen Abjendern, den Eitern 
des Junglings, zurlid, welde nad) diefer Freudennachricht 
den Freier mit Milhbranntwein bewirthen. Geht nun ber 
Vater des Yünglings zur Brautfchau, fo mimmt er bie 
Dfeime des Sohnes, väter» und mitterlicherfeits, ſowie aud) 
deſſen genauefte Freunde mit fi, und nachdem er ſich mit 
einem ganzen gefchlachteten Schafe, mehreren Krügen 
Branntwein und einem Khadak, d. i. mit einem zum Ehren» 
gefchenfe dienenden Stüd Seide, verfehen, begiebt er ſich 
ins Haus bes Mädchens. Nachdem er erwähnten Vorrath 
den Eltern deſſelben übergeben hat, befragt er biefelben, wie 
viel Bieh und Geld nöthig fein wird, um ben Preis für das 
Mädchen zu bezahlen. Wird bie Unterhandlung zwifchen 
bemittelten Leuten gepflogen, fo beftimmt der Vater des 
Mädchens folgenden Preis: neunzig Stuck vierjährige Pferde, 
neunzig Stüd vierjährige Schafe und eben jo viel vierjäh- 
tige Kameele. Die Anzahl der Ochſen, Kühe und bes zu 

egenden Baargeldes itberläßt der Brautvater dem Belieben 
des Audern, welch legterer, wenn er vermögend ift, funfhun⸗ 


dert Lanige (gleich taufend Silberrubel oder achtzehnhundert 
Gulden) anbietet. Hierauf wird die Unterhandlung mit der 


| Beltimmung bejchloffen, daß beide ihre Priefter darüber zu 


Rathe ziehen werben, ob die Jahre der zu vereinenden Hälfs 
ten eine glüdliche Ehe verfprächen, d. h. ob die Jahre der 
einen Hälfte rücjichtlic ihrer geraden oder ungeraden Ans 
zahl mit denen der andern Hälfte harmoniſch übereinftimmen; 
fo wie daß die Priefter ben Tag der Uebergabe der Mitgift 
und dem der Hochzeit feftfegen mögen. Jeder ber beiden 
Väter begiebt ſich hierauf zu feinem der Aftrologie humdigen 
Priefter, und dieſe finden aud) für dem Fall einen Ausweg, 
wenn die Anzahl der Jahre wirklich die Heirath verhindern 
Tollte, 

Der Bater des Ylinglings Übergiebt an dem von feinem 
Priefter feftgefegten Tage die Mitgift, wobei er ankündigt, 
daß fein Priefter die Hochzeit für biefen oder jenen Tag 
beftinmmt habe, welcher gewöhnlich mit ber Beftimmung des 
Priefters von Seiten des Mädchens zufammenfält. 

Nun begiebt ſich der Bater des Fünglings nach Haufe, 
um in Gemeinſchaft mit feiner Gattin die Vorkehrungen zur 
Hochzeit zu treffen, läßt viel Schaffleifch, ſtarken und ſchwachen 
Branntwein bereiten und ladet feine gefanımte Verwandtichaft 
und Belanntfchaft zum Feſte. Am feftgefegten Tage begeben 
ſich die Eitern des Jünglings ſammt allen Gäften, die be 
reiteten Speifen mit ſich führend, Männer und Frauen, auf 
Pferden zur Braut. Bei dieſem Zuge ift der Bräutigam 
mit einer vollftändigen Yusrüftung von Pfeilen bewaffnet. 
Nahe beim Haufe des Mädchens angelangt, ſcheidet der 
Freier vom Zuge aus und vorauseilend verkündet er bort, 
daß der Bräutigam fammt dem Hochzeitsgäſten im Anzuge 
fei. Nachdem Hierauf der Vater, die Mutter, der ältere und 
jüngere Bruder das Mädchen in einem andern Haufe 
d. h. Hltte untergebracht, begrüßen die Eltern des Mädchens 
die Hochzeitsgäfte des Bräutigams mit folgenden Worten: 
„oft die Stirn des Hochzeitsoberhauptes wohlauf und heiter?“ 
(Mongoliſch: Rhorimen torö, Rhode magnö mende 
amor?) Der Bater des Ylinglings und ber freier erwiedern 
diefe Begrüßung folgendermaßen: „It das große Meer 
des Waffers, die Freubenmutter, gefund und wohlauf?* 
(Mongoliſch: Ussus ikhe dals, törlön ikhe khadom 
engkhe amgholong ?) Nach diefer gegenfeitigen Begrüßung 
wartet der Bräutigam dem Hoczeitögäften der Braut mit 
Schnupftaback auf, dann beginnt mit den von beiden Seiten 
bereiteten Speifen umb Getränfen das Mahl, bei welchem 
gefungen, gegeigt ober die Laute gefpielt wird fowie es auch 
nicht an beglüdwlinfcenden Trinfſprlichen fehlt. 

Beim Saftmahle nehmen die Hochzeitsgüſte der Braut 
zur linken Seite im rlidwärtigen Theile des Zeltes Plag, 
während bie des Bräutigams ben rildwärtigen Theil rechts 
einnehmen. 

Wenn zu Ende des Gaftmahles die Zeit der Abführung 
ber Braut gefommen, und die Priefter beider Parteien das 
Gebet: „Bogin khisigeg delgerülkhe* (Tugend und 
Glud verbreitend) verrichtet, wird diefe unter den Beglüd: 
wlinſchungen: „Nass, bojin urtubol (da8 Alter und bie 
Tugend feien lange) atscheghan tanikh ugs öngüre bol 
(Deiner Nachtommen feien unzählbar viele) abgeführt, und 
indem fie in dem vom Feuerplatze linls liegenden Raume 
untergebradjt wird, verabreicht man ihr das hintere Seiten: 
ſtuck vom Schafe (es wird dies bei den Mongolen für das 
befte gehalten) und bewirthet fie mit Milhwein und Kumiß. 
Nach Beendigung des Mahles theilt eine mit der Braut in 
gleichem Alter ftehende Berfon, Mann oder Frau, ihr das 
Haar, durch welchen Act fie zur Frau gemacht wird. (Mon⸗ 
golifh: Khoner boljhana.) Sodann wird der Braut 
von ber Perſon, weldye ihr das Haar getheilt, vor ber 


222 


Statue Buddha's vor dem Feuerherde und im Beifein ihres 
Baterd, ihrer Mutter und des ältern Bruders des Bräuti— 
gams gratulirt, indem fie diefelbe auf den Saum ihres aus— 
gebreiteten Kaftans niederfnien läßt und ihren Kopf nieder: 
beugt. Während dieſes Ceremoniells halten der Vater, die 
Mutter und der ältere Bruder begllickwünſchende Reden, oder 
falls diefe es micht können, ſpricht ftatt ihrer ein anderer 
guter Redner, 

Sodann umhüllen zwei ftattliche rauen aus ber Fa— 
mifie der Braut ben Kopf der leptern mit einem vothen 
Kleide, und fie beweinend und umarmend, wollen fie dieſelbe 
gleichſam nicht entlaffen, bevor nicht von Seiten des Bräur 
tigams zwei zuverläffige Männer herangeiprengt kommen, 
von denen der eine, fid) vom Pferde herabneigend, die Braut 
ergreift umd, fie im Sattel vor ſich haltend, davoneilt, wäh. 
rend der andere das Pferd des erftern mit Beitichenhieben 
antreibt. Die Eltern des Mädchens jprengen Mild, hinter 
ihm ber, und bleiben zu Haufe. Die Perjon, welche ber 
Braut das Haar getheilt, galoppirt, das vollftändig gejattelte 
Pferd der Braut mit ſich führend, derjelben nad), worauf 
ſich die ganze Geſellſchaft in Bewegung ſetzt. Ganz zuletzt 
reitet der Bräutigam, mit einem vollſtändigen Pfeilvorrath 
ausgerliftet, und langt als der legte an. Im Haufe des 
jungen Gatten wird die Braut vom Pferde gehoben. Man 
will fie in das neu aufgefchlagene Zelt führen; fie aber 
fträubt fich durchaus daffelbe zu betreten, ftemmt den Fuß 
an die Thür und klammert ſich an das Hauptfeil der Hittte, 
Inde werden Brautbett umd Brautausftattung gebradjt; 
man zindet Feuer an, führt die Braut hinein, und es wird 
vor das Bett ein Vorhang gezogen. Nachdem noch im ber» 
felben Hütte die Hochzeitsgäſte bewirthet worden, fehrt flir 
diefen Tag alles heim, wobei jeder beim Verabſchieden auf 
den untern Kaftanfaum der Braut einen Stein zu legen 
pflegt. Die Perfon, melde der Braut das Haar getheilt, 
bleibt drei Tage bei ihre zum Kämmen und An- und Aus: 
Heiben. 

Die Hochzeitögäfte des Bräutigams werden im Haufe 
feines Vaters bewirthet. Am Ende des Mahles ladet fie 
legterer auf den dritten Tag wieder, am welchem nämlich, die 
Säfte der Braut, mit Speife und Trank in reichlichem 
Maße verfehen, aufs Neue erfcheinen. Ber ihrer Antunft am 
dritten Tage richten die Gäfte an die Braut folgende Worte: 
„ot der Stein auf dem Orte, wohin er gelegt wurde, 
ſchwer?“ (Mongoliſch: Tscholökha tetsen ghadz aran 
khünde bejnoo?) Worauf fie folgendermaßen zu antwors 
ten pflegt: „Der Ort, nach welchem Jemand ftrebt, ift fo, 
wie die fertige Speiſe.“ (Mongolifh): Dzondson ghad- 
zar bolschon eds.) Nach Beendigung auch diefes Mahles 
geht alles nach Haus, felbft die Perfon, die das Haar ge: 
theilt, welch legtere aber von der jungen Frau lebenslang 
Schwefter genannt und als ſolche geehrt wird. 

Bei den Mongolen wird die Frau, wenn fie feine Kin- 
der gebiert, ins Elternhaus zurlickgeſchickt, in weldyen Falle 
fie ihr Mitgebrachtes zurückerhält, während der Mann den 
Kaufpreis nicht zuriihfordern lann. Wenn fic aber die Eher 
leute gegenfeitig lieben, wird die unfruchtbare Frau nicht zu+ 
—— ſondern der Mann nimmt ſich mit ihrer Einwilli⸗ 
gung eine zweite Frau, welche in Beziehung auf die erſte 
„Heine Frau“ genannt wird. Verläßt hingegen die Frau 
den Mann, fo erhält diefer alles, was er als Kaufpreis ge 
geben, zurüd, jo wie auch fie ihr Mitgebrachtes befommt. 
Entftehen zwifchen den Eheleuten Zwiftigfeiten, jo wird die 
Frau, felbft wenn fie Kinder hat, ins Elternhaus zurüd- 


Hermann Vambery: Ein ungariſcher Sprachforicher in der Mongolei. 


geichidt. In ſolchem Falle erhält fie außer ihrer Ausftat- 
tung noch den auf die Kinder entjalenden Theil des Ber 
mögens an Vieh, wie auch die Hütte, in welcher fie dem 
Manne zugeführt wurde. Cine ſolche Verſtoßene kann jo- 
dann mit jeden beliebigen Deanne leben. Der Mann aber 
heirathet eine „Heine Gattin“, und nimmt, falls diefe finder: 
(08 ift, die Kinder aus der erften Ehe zu ſich. Stirbt der 
Gatte, fo fucht der Schwiegervater, wenn er der Schwieger- 
tochter zugethan ift, einen andern Gemahl; ift dies nicht 
der Fall, fo wird fie zu ihren Eltern zurlicgefchidt. 

Bei Gelegenheit der Geburt der Kinder herrſchen bei 
den Mongolen folgende Bräuche. Das Zelt, in welchem 
ein Sind geboren wurde, darf während dreier Tage von 
feinem, der nicht Angehöriger it, betreten werden. Bei der 
Geburt pflegt immer eine gute freundin Hilfe zu leiten 
und dem nengeborenen Finde eine Wiege und ein Widel- 
band zu ſpenden. Das Kind wird nicht gleid mad) der 
Geburt gewaſchen, fondern erft mad) einigen Tagen, wenn 
der Nabel, weicher mit einer dinnen Darmfaite zugebunden 
wird, bereits verwachſen iſt. Zur feierlichen Waſchung 
wird ein Lama, d. i. Prieſter, gerufen, welcher in das zum 
Bade beſtimmte Waſſer eine Arznei ſchuttet, wobei er Gebete 
verrichtet und zum Segen hinginfpudt, In dem derart ger 
weihten Wafler wird num das Kind gebadet, welchem, wenn 
es ein Knabe ift, der Priefter einen Namen giebt; ift es 
aber ein Mädchen, fo erhält es einen ſolchen von der frau, 
weldye die Wiege geſpendet. Auf diefe feierliche Waſchung 
folgt jodann ein Mahl, welches aus einem ganzen Schafe, 
chineſiſchem Badwert, Obft und Branntwein zu beftehen 
pflegt. Die Frau, welche bei der Geburt behilflich geweſen, 
erhält alsdann zur Auszeichnung den Hintertheil des Schafes, 
wie auch einen großen, neuen Khadal von der Wöchnerin. 
Nach diefem Mahle kann fodann jeder die Wödnerin bes 
fuchen, wobei man berfelben Geſchenke, beftehend aus Hirte, 
There und Khadak, zu machen pflegt. Die Frage, ob das 
neugeborene Kind ein Knabe oder Mädchen fei, wird bildlich 
folgender Weife geftelt: „Iſt das von Dir geborene Kind 
eine ichhörnchenfell » Näherin oder ein Hirſchjäger ?“ 
(Mongoliid): Gharson tschin bologha dsojkhe jumo, 
bogha namnakhu jumo?) Hierauf antwortet die Mutter, 
wenn es ein Knabe ift: „Er ſchleppt eine goldene Schlinge.“ 
(Mongoliſch: Altan orgha tschirkhe juma.) Iſt es aber 
ein Mädchen, jo jagt fie: „Sie füdelt die Nabel ein.“ 
(Mongolifd): Dzü sülkhe juma.) Diefe uralten Redens- 
arten weifen hinlänglich auf die gewöhnliche Beichäftigung 
ber beiden Gefchlechter hin, da jede Art Näherei der * 
zukommt, die Jagd und Biehzucht aber dem Manne. Das 
neugeborene mongoliſche Kind pflegt während einundzwanzig 
Tagen, wo die Frau zu Haufe verweilen muß, drei⸗ bis vier- 
mal gewajchen zu werden, und zwar im folgender Ordnung. 
Nach Verlauf der eriten fieben Tage wird das Kind mit 
falzigem Schwarztheewafler, nach abermals ficben Tagen mit 
Salzwafler, am Ende der britten fieben Tage mit Milch— 
waſſer und endlich mit Muttermilch, gewafchen, mit welchen 
Waſchungen ſich der Mongole fürs ganze Leben begnügt. 
Der Nugen diefer Wafchungen fol, wie die Mongolen ans 
geben, darin beftehen, daß fie das Kind vor Vlattern und 
Hautausichlägen [hügen. Die Unvermögenden fäugen ihre 
Kinder felbft bis zum dritten oder vierten Jahre. Die 
Reichen pflegen ſehr häufig die Kinder ihren Untergebenen 
behufs Erziehung zu übergeben, wobei fie denfelben zugleich 
eine qute Melktuh fchenken, mit deren Milch fie das Kind 
mittelſt eines Ochſenhornes tränten, 


Aus allen Erdtheilen. 


223 


Aus allen Erdtheilen. 


Einiges über Peking und beffen Umgebung. 
(Nach Armand TDarit,) 


Wie in allen alten Städten Chinas, fo find and in Peking 
die Strafien ſehr fchlecht und faum mit einem Gefährt zu 
paſſiren. Obgleich mit großen Steinen gepflaitert, jo werden 
fie doch fo jehr vernadhläffigt, daß tiefe Löcher jedes Fuhr— 
werk in Gefahr bringen. Man ziebt es daher vor, auf Maul- 
efelm zu reiten oder fich in einer Sänfte, welde von Men: 
ſchen oder auch von Mauleſeln getragen wird, fortichaffen zu 
laſſen. Letzteres geſchieht regelmäßig bei einer Reiſe von 
Peking nach Tſchang-kia-ton, da es unmöglich ijt, über die 
in der Strafe lagernden Stein: und Kieſelhaufen mit einem 
Räderfuhrwerk hinwegzulommen. Kameele werden allein von 
den Mongolen und zwar nur innerhalb der Grenzen ihres 
Landes benugt. 

Die Thore von Peking find des Nadıts über geſchloſſen. 
Unter denjelven bat ſich eine größere Zahl von Kleinhändlern 
etablirt, welche faft ausſchließlich Neifentenfilien feilbieten. 
Es find gewöhnlich ganz arine Leute, welche die North zu 
diefem Geſchäfte getrichen hat. Selbft im Sommer tft ihr 
Berdienft gering; im Winter aber haben fie große Noth zu 
leiden, Hilfe gewähren ihnen, wie überhaupt allen armen 
und obdachlofen Leuten, die Ki-maostiens, d. h. Herbergen, 
in deren genen ſehr geringe Vergittung Betten, mit Hühner: 
federn gejtopft, gegeben werben. 

Die Breife der Lebensmittel find ſehr billig, fo daß auch 
der Arme, wenn er auch oft jchwer zu leiden hat, doch ſelten 
Hungers ftirbt. Dazu lommt, da in Zeiten der Noth die 
Regierung und vielfach auch wohlhabende Leute Speiſen — 
in der Negel gelochten warmen Hirjebrei — vertheilen lafjen. 
Die Armen in Peking follen cine befondere Genoſſenſchaft 
mit Vorftehern und geordneter Verwaltung bilden. 

Deffentliche Aufzüge find in Peking, wie überhaupt in 
China, ſehr belicht; fie finden immer mit befonderm Bomp 
bei Beerdigungen und bei Berheiratbungen ftatt. Stets wird 
die Braut im feierlicher Weile ihrem künftigen Gatten zu: 
geführt. Die geſchloſſene Sänfte, in welcher die junge Dame 
getragen wird, wird ftets von Muſik begleitet. Nie hat ihr 
Gbegatte zuvor Gelegenheit gefunden, fie näher keunen zu 
lernten; faum ihre Öefichtszüge bat er geſehen. Nicht allein, 
daß fait alle Frauen — die wohlhabenden ohne Ausnahme — 
ſich ſehr Hark ſchminken, jondern fie lichen es auch, den Kopf 
mit einem Schleier, ‚in der Megel von weißer, rotber oder 
blaner Farbe, dicht zu verhüllen. 

Das Klima in Peking zeigt eine außerordentliche Negel- 
mäßsigkeit. Im Sommer berricht eine anhaltende, nur durch 
beftige Winde unterbrochene Trodenbeit, Am Frübiahr und 
Herbit ift das Wetter ſtets Mar und bel. Man zählt nur 
0 Negentage. Regelmäßig Ende Juli beginnt es zu regnen. 
Die Winde find oft fo heftig, daß dichter Staub aufgewir— 
belt und durch ihn die Sonne verdunfelt wird; dies ift be 
ſonders bei Nordwind der Fall. In Peking pflegt man zu 
lagen: Der Winter bringt Nord-, das Frühjahr Oft:, der 
Sommer Sid: und der Herbit Weſtwind, und im Allgemei: 
nen it dies richtig. Plötzliche Temperaturveränderungen find 
felten. Einem langen Sommer folgt regelmäßig ein langer, 
aber milder Winter, Froſtwetter fommt mit dem November, 
aber erft im December gefrieren die Gewäſſer. Im Dlärz 
löft fih das Eis. Die Wärme fteigt im Sommer auf 40°, 
die Kälte fällt jelten bis zu — 18°, ſchwanlt vielmehr zwi- 
ſchen —8 und — 12,. 

Die Ebene, in der Peling liegt, erſtreckt ſich im Dften 
und Süden in eine unabſehbare Ferne; im Weiten und Nor- 


dem ift fie durch eine Berglette begrenzt, an deren Ausläufer 
die Sommerreſidenz des Kailers eng⸗-ming-ynen liegt. 

Ginförmigkeit ift der vorherrichende Charakter; jo weit 
das Auge reicht, findet es nirgends einen angenehmen Halte: 
puntt; fein Wald, Feine Hede, kein Buſch, felten ein Baum 
erfreut den Blid, Städte und Dörfer giebt es zwar in 
Menge, fie bieten aber kein freundliches Bild; es find immer 
Gruppen Heiner niedriger Gebäude, welche jelten mehr als 
ein Stodwerf baben und cher den Namen von Hiltten als 
von Hünfern verdienen. Einzeln liegende Wohnungen giebt 
es nicht. Sie würden den Dieben eine zu günftige Gelegen— 
heit zum Stehlen bieten. 2 

Bäume und Laubholz ficht man nur in der Nähe der 
Wohnungen und der Begräbnißplätze. Sie beftehen regel: 
mäßig ans den wenigen Arten von Rüſter, Trauerweide 
und Bappel. Die einzigen Fruchtbäume find Birnen, Aepfel 
und Aprikofen; feltener wird der Weinftod gefunden, wel- 
den man im Winter mit Erde bededen muß. 

Nach dem Negen im Monat Juli ſproßt mit Ueppigkeit 
das Getreide, und die ganze Ebene ift mit Culturpflanzen 
bededt. Vorzugsweile werden Weizen, Reis, Gerjte, Mais, 
mehrere Arten Hirfe, Buchweizen, Erbien, Bohnen, ſüße 
Kartoffeln, Senf, Rieinus, Baumwolle und Mohn (Opium) 
gebaut. Die einzige Futterpflanze ift die gemeine Luzerne. 
Als Gemitje zieht man: Kohl, Zwiebel, Rübſamen, Spinat, 
Beterfilie, Möhren, Lattich, Nadies, Kerbel, Beifuß und 
einige Suppenfränter. Außerdem bemugt man die Wurzeln 
und Knollen zweier in den Siümpfen wachlenden Bilanzen. 

In der weiten Ebene kommt es vor, daf der Keijende 
einer wunderbaren Erſcheinung benegnet. Gegen bie Sonne 
gewendet glaubt er am Horizont Gewähler zu bemerken, in 
denen fi) Bäume und Dörfer ſpiegeln. Je mehr er fich 
aber dem Orte nähert, defto weiter entfernen fich die Bilder 
und ſchließlich verihwinden fie ganz. Alles war nur opti- 
ſche Täufchung, die jelbft Vögel anlodt. 

Die Berge, welde die Ebene im Welten und Norden 
begrenzen, find nur von mäßiger Höhe und ganz entwaldet, 
Oft find ſie in einen leichten, blauen Nebel gehüllt, welcher 
ſich in den Wolfen verliert. Sie führen Kohlen, deren Ab— 
bau jeit undenflichen Zeiten ſchon betrieben wird *). Die 
nächiten Minen liegen nur wenige Meilen von Beling entfernt. 
Die Kohle ift ſehr hart, aber ſchwer entzündbar. Auch eine 
Oelquelle findet fih zu Tichaistang, etiwa 8 bis 10 deutliche 
Meilen’ von Being. Die Qualität ift gut; wegen der fchlech- 
ton Wege kommt indeh nur wenig zu Marlte. j 

Die Benugung der Kohle in der Stadt hat David zu 
einer intereffanten Beobachtung Gelegenheit gegeben. Ihm 
war es aufgefallen, daß fich das Terrain der Stadt über das 
der Ebene erbebe. Wie er mun glaubt, ift die Erböhung 
bauptjächlich das Ergebniß der angehänften Nice von ver: 
brauchten Kohlen, die um fo größere Nidjtände zuridlaffen, 
weil man fie, behufs befferen Brennens, mit Lehm miſcht. Der 
Strafenboden umterfcheidet fich auch von dem der Ebene, 
Aermere Lente durchwühlen den Strafenjtaub, um Heine 
Steinchen zu ſuchen, welche zur Anfertigung des Porcellans 
verwendet werden. In der Ebene findet man fie nicht. 
=) Weber die chinefifchen Koblen und Soblenfelter, wohl bie 
reichten der Etde, werben wir binnen Surem durch Baron von 
Richthofen bie zuverläffiaften Auftlärungen erhalten. Er hat faft 
alle Kohlenfelver Chinas auf feinen mehrjährigen Reifen berührt, 
und feine Sammlung von KHanpflüden iſt ſicher die vollftänkiafte, 
welche eriftirt. Der erfte Theil feines auf vier Bänke berechneten 
Reifewwerfes foll noch in dieſem Jahre erfcheinen. 





224 


Bon der englifhen Rorbpolerpedition. 


Am Sonntag den 29. Auguſt kehrte die „Valorous*, 
welche die beiden Erpeditionsichiffe nach Grönland begleitet 
hatte, nah Plymouth zurück, und ſchon am folgenden 
Diendtag hielt der bekannte englifhe Geograph Elements 
R. Markham vor der geographiichen Section ber zu Briftol 
tagenben „British association for the advancement of seien- 
ces* einen Vortrag über ben bisherigen Verlauf der Erpes 
bition. Danach waren die beiden Erpeditionsichiffe „Alert“ 
und „Discovery“ nach einer langen ſtürmiſchen Weberfahrt 
am 6, Juli in Godhavn am Sübende der Infel Disco ans 
gelangt, wo die „Valorond“ ſchon zwei Tage lag. Das Ein: 
ihiffen von Esfimohunden, das Hinüberfchaffen von Kohlen 
und Proviant von der ‚Valorous“ auf die beiden anderen 
Fahrzeuge und wiſſenſchaftliche Arbeiten verichiedener Art 
nahmen zchn Tage in Anspruch, worauf die Reife nach Nor: 
den fortgefegt wurde. Am Abend des 17. Juli wurden bie 
beiden Schiffe zum fetten Male geleben, wie fie mitten zwi— 
fchen Eisbergen im Waigat, dem Meeresarme zwilchen Disco 
und dem Fejtlande, ihren Weg nach dem Pole hin nahmen. 
Die letzten zuſammen verlebten Stunden werben folgender: 
maßen beichrieben: . 

Donnerstag den 15. Juli Nachmittags 4 Uhr 45 Minu- 
ten verließ die Expedition Godhaun, die „Discovery“ von 
der „Alert* bugfirt, die „WBalorous* hinterdrein. Die „Krähen: 
nefter“ waren am ihrem Plate und die Boote lagen nicht 
mehr auf ihren Schlitten, wie bei ber Ueberfahrt über den 
Atlantiſchen Ocean, jondern waren alle in die Höhe gewun⸗ 
den. Die Oberfläche der Disco-Bay war wie ein Spiegel 
und über und über mit riefigen Eisbergen von der phan- 
taftifchften Geſtalt bebedt, während im Norden die Bafalt- 
felfen der Südküfte von Disco fih erhoben, bie auf kohlen- 
haltigen, gelben Sandjteinen ber Miocenperiode lagern. Um 
Mitternacht fuhr die „Alert“ an der dem Lande zugelehrten 
Seite eined prachtvollen, blendend weißen Eisberges bin, von 
deſſen Spite eine ganze Wolke von Möven anfflog. Auf ber 
andern Seite gipfelte der Berg in einer Spige von 200 Fuß 
Höhe und unter derfelben Hatte er einen mächtigen Thor: 
bogen, deſſen innere Seiten tiefblau waren, während ber 
Himmel dahinter hochroth und golden leuchtete. Während 
wir noch dies prachtvolle Schanfpiel bewunderten, fam durch 
das Eisthor hindurch die „Valorous* in Sicht und hob ſich 
mit ihrem dunkeln Rumpfe und den ſchlanken Maften vom 
Himmel ab. Eine Stunde fpäter lag dichter Nebel um uns, 
der erſt gegen Morgen verichwand und einer ruhigen See 
und einem wolfenlofen Himmel Platz machte. Links erſchie—⸗ 
nen die hohen Bafaltfelfen von Disco und das mit Eisbergen 
erfüllte Waigat, geradeaus die hohen Berge ber Nourfoal: 
Halbinfel und rechts die Gneisklippen von Arve Prins Island. 

Um 4 Ubr des nächiten Morgens follte die „Valorons* 
im Waigat auf Disco landen, um nach Kohlen zu graben, 
und die Entdefungsichiffe zwei Stunden fpäter aufbrechen. 

Yet mußten alſo die Nordpolfahrer von den letzten ihrer 
Landsleute Abichied nehmen. Um 1 Uhr Nachmittags anferte 
die „Walorous* an den fohlenführenden Klippen anf Disco; 
von ihrer Höhe hatte man eine prächtige Ausſicht auf den 
die Eisberge entſendenden Toſſulatel-Gletſcher brüben auf 
dem Feſtlande, und zwiſchen den ſchwimmenden Eiscoloffen 
erſchienen hin und wieder die beiden Schiffe, wie ſie unter 
vollen Segeln das Waigat auf feiner Nordſeite hinunter: 


Inhalt: Am Nordgeftade der Adria. IT. (Mit drei Abbildungen.) — 


Aus allen Erdtheilen. 


fuhren. Um 5 Uhr Nachmittags bißte die „Balorons* auf 
allen drei Maften das Signal: „Lebt wohl! Gute Heim: 
lehr!“ auf, das lange unbeachtet blieb, biß endlich die Antwort 
„Dante fhön" auf der „Discovern“ erichien. Eben follten fie 
hinter einem Vorgebirge von Disco verſchwinden, ald wir 
um 6%, Uhr noch ein wechlelweifes Signalifiren zwilchen 
beiden bemerften; dann ſank plöglich ein dichter Nebel auf 
das Wafler und verbarg fie unferen Bliden. Das war das 
Lebte, was man von der arltifhen Erpedition gejehen hat. 


Der Bandel Japans. 

Nach dem officiellen japanifchen Blatte „Sozei Rio“ be: 
trug im Jahre 1874 der auswärtige Handel der ſechs er: 
öffneten Häfen Jokohama, Kobe, Dfaka, Nagafati, Hakodade 
und Niigato 17,954,166 Pen Gold oder etwa 74 Millionen 
Mark. Zwei Drittel der Ausfuhren fanben über Jolohama 
ftatt. Dagegen wurden Waaren im Wertbe von 21,650,497 
Den als eingegangen declarirt, welche fomit die Ausfuhren 
beträchtlich übertreffen. Unter den Ausfuhren figuriren zu: 
nächſt Thee, dann Seide und Grains von Seidenranpen, 
Kupfer, Sepia. Eingeführt wurden Leinwand zu Hemden, 
Kattune, Muffeline, verarbeitetes Eifen, Zuder. Mehr als 
für 7 Millionen Den Ausfuhren gingen nad Amerika, 
für 9%, Millionen nach Ebina, für 3,200,000 nach England, 
für 2,700,000 nad Frankreich, für 647,000 nad Italien. 
Der Reft nach anderen Ländern. Was die Einfuhren 
betrifft, fo entfallen 10 Millionen Den auf England, 8,200,000 
auf China, 1,600,000 auf Frankreich, 1 Million auf die Ver: 
einigten Staaten, 680,000 auf Deutſchland, 22,000 auf In— 
dien und 177,000 auf andere Länder, 

* # % 

— Das afiatifhe Rußland fol eine neue abmini- 
ftrative Eintheilung erhalten, mit deren Feftftellung eine beim 
Minifterium des Innern in St. Petersburg niedergeſetzte 
Specialcommiffion befchäftigt ft. Man beabfichtigt, die ruffi- 
fchen Befigungen im zwei Haupttheile zu gliedern, deren 
Grenzlinie ſich aber nicht von Norden nad Siden, fondern 
im Wefentlichen von Weften nah Oſten erftreden fol. Die 
erfte Gruppe würbe die Gouvernements Orenburg, fa, 
Tobolst, Tomst, Jenijeist, Irkutsl und Jaluték umfaſſen, 
während die zweite Gruppe aus brei Generalgouvernements 
beftehen wirde, von denen das erfte bie Steppenländer im 
Sidweften mit dem Centralfit in Omsk, das zweite Turfe: 
ftan mit den Bezirken am Syr- und AmuDarja, Samar: 
fand und Tien-Schian, Eentralfig Tafchlend, das dritte, 
gänzlich davon abgetrennte, die Länder am Amur, Centralfit 
Blagowelchtichhenst, umfaſſen würde. Als Princip einer der: 
artigen Abgrenzung läßt fich micht leicht ein anderes erfen: 
nen, als daf die Gebiete der erften Gruppe älterer Befis, 
zu regelmäßiger Verwaltung geeignet, die Länder der zwei: 
ten Gruppe neuer Erwerb mit noch nicht ganz geficherten 
Grenzen und darım mehr auf militärifche Verwaltung ans 
gewieſen find. 

— Nach amtlichen Abfhägungen beträgt ber Werth ber 
Stadt San Francisco, wie fie fteht und liegt, mit dem 
Grund und Boden, allen Baulichkeiten, Mobilien und baa- 
rem Gelde, in dieſem Jahre 267,483,769 Dollars (gegen 
261,079,093 im Borjahre). E3 entfallen davon auf Grund 
und Boden 126,350,235 D., auf Immobilien 42,558,165 D., 
Mobilien M,761,841 D. und baares Gelb 7,814,208 D. 


Vorgelchichtliches ans dem Poſeuſchen und 





anderen Gegenden des flavifchen Dften Europas. Nach ſlaviſchen Onellen mitgetheilt von Albin Kohn. Mit zwei Abbil⸗ 
dungen.) — Skizzen aus Chile. Von Dr. meb. Georg Thiele. IV. — Ein ungarischer Sprachforſcher in der Mongolei. 
Bon Hermann Bambery. I. — Aus allen Erdtheilen: Einiges über Peking und deifen Umgebung. — Bon der englis 
jchen Norbpolerpebition. — Der Handel Japans. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 26. September 1875.) 


Nedarteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftraße 13, III Tr. 
Drud und Verlag von Friedrich Bieweg und Sohn in Braunſchweig. 


Hierzu eine Beilage: Literarifcher Anzeiger Mr. 8. 








Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und thnologie. 


Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit yahmännern und Künftlern herausgegeben von 


Dr. Nihard Kiepert. 





Vraunſchweig 


Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Nummern, 
Preis pro Band 12 Mark, Einzelne Nummern 50 Bf. 





1875. 


Am Nordgeftade der Adria. 


IV. 


Versi. — Digtano. — 


Etwa 7', Kilometer oder eine deutfche Meile in gera- 
ber Linie nördlid) von Pola — flir den Wanderer iſt der 
Weg etwas länger, weil er den tief int Yand einſchueidenden 
Bufen von Pola ungehen mug — liegt hart am Strande 
Fajana, ein armer, umbedeutender italienifcher Ort, der 
aber, wie jaft alle feine Nachbardörfer längs dieſer Küſte, 
einen guten Anfergrund und einige (feluden und „Trabacoli* 
zum Transporte von Holz und Steinen bejigt. Dorthin 
gelangt mar auf einem der Heinen Yloyddampfer ; dann 
aber muß man zu Fuße gehen oder ein Reilthier benugen, 
um Peroi zu erreichen, das 3 Kilometer nördlich von Fa 
ſaua abfeits vom Meere liegt. Der ſchlechte, fteinige ‘Pfad 
iſt auf dem dilrren, unfruchſbaren Felsboden faum zu erten: 
nen; von Pflauzenwuchs ift wenig zu fehen, und von den 
mit loſe gefcichteten Steinmauern umgebenen Aderfeldern 
iſt die dlirftige Ernte an Horn und Mais ſchon eingeheimft; 
aber die ftrahlende Sonne, das blaue Meer und der Marc 
Horizont diefer Geſtade lafjen den Cindrud des Tobdten, 
Traurigen im Wanderer sicht aufkommen und rufen im ihnn 
flets wieder die Gedanken an das nahe Italien wach. 

Bald ſteht man vor den erften Häuſern von Peroi, das 
zum Diftricete von Dignano gehört und von Montenrgrinern 
und ſchismatiſchen Griechen bewohnt wird. 1645 ließ der 
Toge Giovanni Pezzaro von den Boche di Lattaro und 
aus Montenegro eine Anzahl Familien kommen, um diefen 


Blebus XXVIII. Nr, 15. 


Der Golf von Buccari. 


von der Peft entvölferten Landſtrich wieder zu bebauen. 
Urſprünglich follten fie ſich in Salvore am Buſen von Trieft 
niederlaffen, aber Peroi behagte ihnen beffer, da hier bie 
Natur in der That an die Schwarzen Berge erinnert. Ge— 
gen die Belehrungsſucht der Franzisfaner fchiigte fie die 

egierung; fie hatten ihren Popen mitgebradjt, bauten ſich 
eine Kirche und bilden noch heute in einer Stärfe von 400 
bis 500 Seelen eine ſchismatiſche Inſel inmitten einer ganı 
römifch:tatholifchen Bevöllerung. Auch in ihrem Aeußern gleis 
chen fie noch ganz ihren Yandöleuten drunten im Süden; ftolz 
im Benehmen, ſchlank und kräftia, dunfelhaarig, von and: 
nehmender Reinlichteit, Gaftfreundfchaft und Wohlthätigfeit, 
An harte Arbeit gewöhnt, Fönnen fie vom Ertrage ihrer 
Felder bequem feben ; alle ihre Nachbaru übertreffen fie an 
Sittlichkeit und Neligiofität ebenfo fehr, wie an Schönheit 
der Kleidung und Glite der Yeibesnahrung. Die Stiche 
bietet von außen nichts, im Innern wenig Außergemöhn- 
liches. Schlecht nur wollen die fteifen Heiligen der reich 
vergoldeten Ilonoſtaſis (fo heißt im griechifchen Kirchen die 
bildergefchmitdte Scheidewand zwifchen dem Allerheiligiten 
und dem übrigen Theile des Tempels) zu der modernen ſpa— 
nischen Wand, welche die Sacriſteithür verbirgt, umd zu 
der Commode a la Louis XV, paſſen, die die Stelle eines 
Altard vertritt. Davor celebrirt der junge, blafle, magere 
Pope, defien Bild wir geben, von Kindern in grellfarbigen 


2) 


226 


Sewändern unterftügt. Sein langer, ſchwarzer Bart wallt 
auf die Bruft und die Dalmatifa (Meßgewand) aus groß: 
geblumtem, perfischem Stoffe herab, umd giebt feinem Ant» 
Lig nur noch mehr dad Ausfehen eines Kieberfranfen. 

Die Yeute von Peroi find, wie gefagt, ſehr religiös und 
beobachten die Faften ftreng; an den großen Feſttagen füh- 
ren jie Nationaltänze und Nationalfpiele auf; aber ihre 
Nationaltradjt haben fie aufgegeben: nur im der Kopf 
bededung und dem Bartfchnitte unterjcheiden fie jich von den 
anderen Süd⸗Iſtrianern. Die Brautwerbung findet bei 
ihnen am legten Sonntag vor Weihnachten ftatt: an dies 
fem Tage begiebt ſich der (freier umeingeladen in das Eltern: 
haus feiner Erwählten und bittet um ein Abendeſſen. Wird 
er gut aufgenommen, fo kehrt er eine Woche ſpäter wieder, 
bringt aber das Abendeſſen felber mit, und gefällt er auch 
diefes Mal, jo erfcheint er zum dritten Mal in Gefellichaft 
feiner Eltern und des Popen und bringt den Ring und ein 
paar Schafe. Nachdem diefe verzehrt find, wird der Tag 
der Hochzeit beftimmt, und es beginnen die überaus umftänd- 
lichen Vorbereitungen dazu, an denen fid) das ganze Dorf, 


Am Nordgeftade der Adria, 


deffen Einwohner natürlich alle mit einander verwandt find, 
betheiligt. 

Fünf Kilometer Weges in öſtlicher Richtung, alfo land- 
einwärts, bringen uns über ein cbenfo fteiniges und un- 
frudjtbares Gebiet, wie vorher zwiſchen Faſana und Peroi, 
nad Dignano. Es ift gerade große Meſſe, und wir tre 
ten im die mächtige, weißgetündhte, noch aus venetianijcher 
Zeit ftammende Kirche. Die das Hauptichifi erflillende 
Menge zeigt feine bunten Farben, fondern erjcheint ebenfo 
ſchwarz, wie die Gläubigen in unferm Norden. Alle 
Frauen tragen ſchwarzwollene Kapuzen, wie die franzöfifchen 
Bäuerinnen; aud) die Männer haben nichts Auffälliges in 
igrer Tracht. In den Seitenſchiffen figen, fnien, liegen auf 
den Stufen der Altäre flaviſche Yandleute aus der Nachbar: 
ſchaft, etwa 30 an Zahl, von jedem Alter und Geſchlechte 
und in allen möglichen Kleidern. Ganz vorn befindet ſich 
ein arınes, franles Weib, die ihr Knabe in einem elenden 
Wägelchen im die Kirche gezogen hat. Handförbe und Yebens- 
mittel liegen zu dem Füßen der Andächtigen, die ebenfo ge 
Heidet find, wie die Leute von Pifino (ſ. „Globus“ XXVIL, 





Bope der montenegriniichen Colonie in Peroi. 


©. 373), nur mit einigen Abweichungen in der Farbe der 
Kappen und dem goldenen Filigranſchmucke. Verläßt die 


Menge die Kirche, jo falten die Frauen ihre Schleier zu: | 


fammen und tragen fie über dem Arme; unter der dunlel» 
gefleideten Schaar leudyten dann die grünen Kappen der 
aufgebotenen Bränte hervor, wie Smaragden in der Sonne. 


Dignano lebt nur vom Aderbau und der Ausfuhr von 
etwas Brennholz; man baut Oliven, Gerſte und ein wenig | 


Wein; was man fonft zum Yeben braucht, wird von Trieft 


oder von Ralien her eingeführt. Doc; macht der reinliche, | 


freundliche Ort weit mehr einen ftädtifchen und wohlhäbigen 
Eindrud, als die meiften großen Gentren im Innern des Yandes. 
Vor den Thüren figen hübjche Mädchen mit filbernen Filigran- 
nadeln im Haare, im dunkelen, vorn mit gebaufchten weißen 
Til befegten Miedern, beladen mit Ketten und Schmud, 
fo wie fie unfere Abbildung zeigt. 

Wir verlaſſen hier unfern Führer Yriarte, um ihm jpäs 
ter vieleicht im Quarnero, in Dalmatien und Montenegro 
wieder zu begegnen und folgen einem andern mad) dem am 
tiefften einichneidenden Meeresarme des nahen Fiumaner 
Golfer, um and) die Natur diefer Kiüſten kennen zu lernen, 





Bänerin von Dignano. 


lungen betrachtet haben. Es ift fein geringerer, als der 
Erzherzog Yudwig Salvator von Toscana, dem die 
Yündertunde eine Reihe trefjlicher Monographien und wir 
die nun folgenden vier charakteriftifchen Yandichaftsbilder ver- 
danlen. Seit einer Neihe von Jahren durchjegelt der Erz 
herzog, ein Meifter des Zeichenftifts und ein warmer Na- 
turfreund, die verfchiedenften Theile des Mittelmeeres, deſſen 
Küftenländer eine Geſchichte aufzuweiſen haben, wie feine 
anderen auf Erden, fteigt hier und da ans Yand, zeichnet, 
ftudirt — und legt bald darauf die Frucht feiner Fahrten 
in fürfilich ausgeftatteten Bänden feinen Freunden und im 
liberaler Weife auch den geographiichen Gefellichaften vor. 
So folgte auf zwei mächtige Foliobände, die in Wort und 
Bild die Balearen behandelten, ein dünnes Duobezheftchen 
mit Beduten aus Tunis; Yarnafa auf Cypern hat ſei— 
nen Griffel gereizt, dann der Meerbufen von Arta, an 
deffen Mündung bei Actium einft die Schidjale der halben 
befannten Erde fich entjchieden; die Kaimenen, jene vul« 
canifchen Infeldyen im meerbededten Krater von Santorin, 
zulegt die Syrten und Tripolis, Zu diefer ftattlichen 
Reihe von in Tert und Abbildungen — diefe find gleidyfam 


nachdem wir bisher meift ihre Bewohner und derem Auſiede | Facſimiles, da fie meift nad) den Originalzeichnungen auf 


Am Nordgeftade der Adria. 227 


—— 111 
\ 
\r/ 





laviſche Bauern im der Kirche von Dignano. 


& 
= 


77700 








228 Am Nordgeftade der Adria. 


Holz photographirt und dann fofort gejchnitten werden — kunft Herbeifügren. Bon der Abtretung Fiumes und des 
gleich werthvollen Schriften gehört auch das 1871 erjchier croatiſchen Küſtenlandes an die ungarische Monarchie datirt 
nene: „Der Golf von Buccari»PortoRs Bil- | der Beginn diefer neuen Aera. In wenigen Monaten (— der 





der und Skizzen.“ Berfafier fchreibt im 
Nicht weniger ala 53 — = — — — März 1871 —) wer: 
Bilder, 14 Pläne und —— den bereils die wich⸗ 
2 Karten zieren die — — | tigften Spitzen mit 
118 Seiten Text, die : —— Leuchtthurmen beſetzt 
einen der lleinſten, = fein und zwei Bahnen 
aber nicht unbebeu- vonNorden und Often 


tendften Winfel Des 
fterreich® in eingehen- 
der, liebevoller Weiſe 
ſchildern. Bis in die 
neueſte Zeit war der 
ſchöne Golf von Fiume 
mit der Bucht von 
Buccari vernadjläf: 
figt, faſt vergefien. 
Niemand dachte dbar- 
an, was er den Rö— 
mern geweſen; die 
Verſuche Karls VI. 
und Napoleon’s 1., 
ihn zu heben, gingen 
mit ihren Urhebern 
u Grunde. „Kein 
euchtihurm wies den 
Seefahrern den Weg 
zu diefer großen und 
weiten Rhede, umd 
feine Eifenbahn lei⸗ 
tete hierher den Han⸗ 
del des in commer⸗ 
cieller Hinſicht brach 2 r Buccari » Porto 
liegenden Hinterlan ⸗ Re Sie iſt fo zu 
des. Erft das Ber Am Abbange des Gavranic. jagen der Hafen, den 
ftreben der Ungarn, die Natur jelbft im 
fid) bis an das Meer auszudehnen und diefes für die Wohl- | Grunde der breiten Rhede angelegt hat. Durch drei Mündungen 
fahrt eines größern Yandes unentbehrliche Element zu ge | fan man aus dem offenen Meer in den Golf von Fiume 
winnen, folte für den Golf von Fiume eine glüdlichere Zu: | und aus diefem in jenen von Burccari gelangen; wenn man 


ber (— erftere von 
Trieft und Yaibad), 
leistere von Agram, 
beide jet längft er⸗ 
öffnet —) die Pros 
ducte der durchſchnit⸗ 
tenen Gebiete dem 
Solje von Fiume zus 
führen. eine gün- 
ftige Yage eröffnet ihm 
überdies die Ausficht, 
ſich binnen kurzer Zeit 
zum Stapelplag des 
dalmatinifchen Han- 
dels mit den Übrigen 
Theilen der auftro- 
ungariſchen Monar: 
chie aufzuſchwingen. 
Unter allen Punk⸗ 
ten des Fiumaner Bu⸗ 
ſens giebt es aber 
feinen wichtigern, wie 
die tiefe von Bergen 
eingefaßte Bucht von 











en 





Balle grande di Sereica. 


fi) aber vor dem Eingang diefes letztern befindet, vermag 
das Auge durch feine jener Mindungen das offene Meer zu 
entdeden, jo reiht ſich couliffenartig Berg an Berg, Inſel 


an Infel, um diefen herrlichen Golf zu umglirten. Und fo 
groß ift die Täuſchung einer völligen Abgeſchloſſenheit des 
Golfes, daß man ſich am windftillen Sommertagen, wenn 





\sOOQYIE 





Am Nordgeftade der Adria. 229 


die Wogen fchlummern, viel eher auf ben Gewäſſern eines 
Landſees, denn auf dem Meere zu befinden wähnt,“ 
Bon unferen Illuſtrationen zeigen drei die ganze wilde 


und doch fo anziehende Natur diefes aus Fels und Meer 
zufammengefegten Winkels: den Berg Gavranic, ber ſich 
füdlid) von der Einfahrt in den Golf über Porto Nö er: 








Bon den Höhen hinter Buccari. 


hebt, die ihm gegemüberliegende Bucht Balle grande di 
Geröica und einen Ueberblick über den ganzen Bufen von 


den Höhen hinter Buccari, welches im norbweftlichen 


Winkel deffelben gelegen if. Die Stadt ift faft in Form 
eines Dreiecks gebaut und zieht fich in biintem Durdjeinauder 
don Treppen, Felsblöden und engen Gäfchen einen Hügel 








Das Schloß von Buccari. 


hinauf. Die Häufer find meijt von riefigen Schornfteinen | Gebäuden ift vor allen das Schloß, eine Grlindung ber 
überragt, ihre Bauart ift einfach, faft roh; denn häufig ift | Familie Frangipani, zu nennen, das die Buccaraner Ca⸗ 
ie Befiger auch zugleich, ihr Exbauer gewefen. Unter den | ſerma nennen, weil es eine Zeit lang und auch jegt noch 





230 


dann und warn Militär im feinen öden Zimmern aufnimmt. 


Hermann Bamberg: Ein ungarischer Sprachforicher in der Mongolei. 


der Yandfeite aus mahnt dagegen das Schloß noch vollfom- 


Es iſt ein ftattlicher, unregelmäßiger Baur, der aber vom | men an jene alter&grauen Zeiten, denen es feine Entftehung 


Meere aus, wo man feine unanfchnlichite Seite erblidt, wie 
ein einfaches Haus am Ende der Ortfchaft erſcheint. Bon 


verbanft,“ 


Gin ungarifher Sprachforſcher in der Mongolei. 


Von Hermann Vambery. 


Bei Sterbefällen und Begräbniffen herrſchen bei den 
Mongolen folgende Sitten. 
Bei ſchweren Krankheiten nimmt der Diongole zu einem 
Arzte feine Zuflucht. Fruchtet aber die Arznei nicht, fo 
läßt er einen andern Priefter zu ſich rufen und durch ihn 
Gebete verrichten, da ein arzneifundiger Yama, wenn ein an- 
derer vorhanden ift, für Niemanden zu beten pflegt. Bringt 
auch das Gebet feine Heilung, fo wird abermals ein Prie- 
fter gerufen, welcher dem Kranlen folgende Troftrede zu hal 
ten pflegt: „Nachdem Du num bis jet hienieden geweilt 
haft, ift Deine irdiſche Lanſbahn befchloffen, und Du wechſelſt 
das Leben. Fur Dich ift mun alles, was auf dieſer Welt 
Dir lieb und theuer war, wie Dein theueres Weib, Deine lie- 
ben Kinder, Vieh, Gold, Silber, Bruder und Schweſter 
werthlo® geworden; was für Dich num wahren Werth beſitzt, 
ift der Priefter und die drei Kleinode: Buddha, die Religions: 
wiflenfchaft und das Prieftertfum. Bete, unjerer eingebent, 
inniglid); nichts von diefer Welt fol Dich dauern; fiehe, im 
wonnevollen Yande Dewadfin wartet Deiner, Die feine Rechte 
reichend und feine Yinfe am Nabel haltend, mit vor Freude 
ſtrahlendem Geſichte, der lichtumfloſſene Abid und fpricht: 
Komme!“ Der Kranke nimmt ſodann, wenn er noch 
ſprechen lam, von feiner Frau, ſeinen Kindern und Ges 
ſchwiſtern mit folgenden Worten Abſchied: „Ich kann ferner- 
bin nicht mehr hienieden unter Euch verweilen, der Tob 
hat meinem Yeben eine Grenze gefegt, meine Zulunft ift 
herangenaht, meine Vergangenheit ift abgelaufen, gebt mir 
Mitch und frische, gelbe Butter.“ Nachdem er davon ges 
noffen, fährt er in feinem Abſchiede fort: „Ic habe auf- 
gehört, von nun an mit Euch zu effen und zu trinken, Euch 
überlaffe ich mein Yebensgliid, meine Zukunft aber übers 
antworte id) dem Lama, dem Burlhan und den drei Kleino— 
den.“ Nach diefen Worten richtet der Kranke auf feinem 
Yager den Blid nach Weften; die ihm Umgebenden zinden 
vor der Statue des Burkhan eine Lampe und Räucherwerl 
an, währenddem der Kranke vertieft in den Belchrungen 
des Yama und betend, mit dem rechten Daumen das Yod) 
feines rechten Ohres zuftopft, mit dem Mittelfinger aber das 

‚rechte Naſenloch zuhält, die linfe Hand auf das Hüftbein 
legt, und fo, die Füße zufammenziehend, ftirbt. Dabei 
winjcht der Lama dem Geifte des Verblichenen mit folgen- 
den Worten Süd und Segen: „So ſchwinge denn alfo 
die Geigel der Vergebung, befteige das Roß der Tugend, 
fattle es mit dem Sattel des reinen Gewiſſens, lege ihm an 
die Zügel des Segens, und eile in das umendliche Neid, der 
Geiſter (Saghovod).“ 

Der Berftorbene bleibt hierauf drei Tage in berfelben 
Hütte, für die Familie wird eine andere Hütte aufgefchlagen, 
in welcher das Bolt die finnlofen und eben darum recht ers 
greifenden ſechs Silben: „om mani padme hum* herfagt, 


II. 


und wo alich der Priefter drei Tage hindurch Religions: 
bücher und GHlaubensartifel ftudirt. Der Priefter fchreibt 
die genannten fechs Silben mit tibetanifchen Buchſtaben auf 
Papier oder Yeinwand, welches Schriftitüd Manyi oder 
Manya genannt wird und das mittelft eines dünnen Sta— 
bes auf den Giebel der Todtenhlitte geftedt wird. Der das 
Geremoniel verrichtende Priefter geht jobann fir die Leiche 
einen Begrübnißplatz erbitten, und zwar pflegt derſelbe für 
vornehme Leute auf der Spige eines Derges, für alle ande- 
ren aber an deſſen Abhange ausgefucjt zu werden. Dieſes 
Erbitten, welches auch Platznehmen genannt wird, befteht 
barin, daß der Priefter auf dem betreffenden Plage mit gel- 
bem Zwirne ein Stüd Erde ausmißt, um welches er jodann 
mit einem Horne einen Kreis zieht und in deffen Mitte er 
die priefterliche Opferſchale, Oſchin genannt, hinftellt. 
Die Erben des Verblichenen legen auf diefen Plag: neun 
Bündel Räudyerferzen, neun Schalen, neun Khadale, neun 
Schafe, neun Pferde, cbenfo viele Kameele und Rindvich, 
ferner neun Bündel Nadeln, welche Gegenftände der Priefter, 
welcher den Platz erwählt hat, erhält, der, nachdem er bie 
Gegenftände in Empfang genommen , an deren Stelle neun 
irdene Bomben und ein Eleines, mit verfchiedenen Erz— 
ſtücken gefülltes Weihwaſſer-Krügchen hinfest. 

Sodann wird die Leiche im ein großes, weißes Peinwand- 
ſtück gehiillt und auf ein Kameel gelegt, welches von zwei 
nahen Berwandten des Verftorbenen, 3. B. vom älteften 
Sohne und einem der Brüder, geführt wird, Die Befanns 
ten und der Priefter eilen indeß auf den Begräbnißplatz 
voraus, ſchlagen dafelbft ein Magkham (eine pyramiden- 
förmige 49 auf, zünden Feuer an, und machen ſich an 
die Bereitung von Epeifen, währenddem fie immerfort die 
erwähnten fech® Silben ausrufen, und der Priefter Gebete 
verrichtet. Nachdem Speife und Trank zubereitet, eſſen und 
trinken fie, brechen dann die Hütte ab und gehen nad) Harfe, 
Die ſodann angelangte Yeiche legen die zwei Fuhrer des Ka- 
meeles auf den bezeichneten Plag nieder, und pflanzen das 
mit ſich gebrachte Mani auf einen blinnen Pfahl auf. Mad) 
den Führern des Kameeles kehrt auch der Prieſter zurüd, 
wo er jodann die erfteren mit Weihwafjer, in weldies Saf- 
ran und Zucker gethan wird, Arfian genannt, wäſcht, mit 
Näucherwverk räuchert, um fie gleichſam von etwaiger Peft 
zu reinigen. Nachdem er nun jedem noch eine Schale Milch 
verabreicht hat, beſcheult er fie mit einem großen Seiden 
thadal. 

Ein todtes Kind, welches noch nicht gehen lonnte, ſtecken 
die Mongolen ganz einfach in einen Sack und ſetzen es auf 
einem befahrenen Wege aus. Auf gleiche Weiſe verfahren 
fie mit Kindern, die zwar ſchon gehen founten, aber das 
fiebente Febensjahr noch nicht erreicht, mit dem Unterſchiede 
jedoch, daß fie ſolche auf einen weniger frequenten Weg 


Hermann Bambery: Ein ungariſcher Sprachforſcher in der Mongolei. 


niederlegen,. In den Sad thuen fie zum Kinde verſchiedene 
Obſtarten, Knieknochen vom Schafe, die Schweiffpige eines 
Schafes und eine Meine Schale. Die hier befchriebene Art 
des Begräbniffes ift die, wie fie vorfchriftgemäß fein fol; 
jedoch wird, wo fein Lama fid) in der Nähe befindet, bei 
einem Todesfalle gewöhnlid; von der Familie das Zelt ab» 
gebrochen und die Yeiche unberührt zurlidgelaffen. Ja bei 
graffirender Krankheit wartet man beim Kranken gar nicht 
den Tod ab, fondern flicht das Zelt, unbekümmert, ob Bater 
oder Mutter, Gemahl oder Gattin hulflos zurüdbleibt, 
Betradjten wir nun flüchtig die religiöfen Anſchauungen 


des mongolifchen Boltes, „Es liegt nicht in meiner Abſicht,“ 


fagt Bäliut, „hier die Ölaubensbetenntniffe des Buddhismus 
darzulegen, da hierzu ein forgfältigered Stubium von Nö— 
then geweſen wäre, al$ ic) darauf verwenden konnte, ich will 
vielmehr hier nur im Allgemeinen von der veligiöfen An— 
ſchauung des mongoliſchen Bolfes das mittheilen, was ich 
gelegentlich, wahrgenommen.“ Der Unterricht, den der Mon— 
gole im Allgemeinen genieft, ift ein ſehr geringer, wie dies 
bei eimem Wandervolfe, vorzüglich aber in einem alten 
Klima, auch nicht anders möglich it. Beim Karalhum, 
ichwarzen oder gewöhnlichen Dienfchen, befteht der Unterricht 
darin, dak der Water, Yama oder Bruder das Kind ein we: 
nig jchreiben und lefen lehrt. Bon der Religion weiß jeder 
Mongole nur die vier Glaubensartifel, welche die Eltern 
dem Finde mittheilen. Fernern Unterricht in der Keligion 
erhalten fie von den Yamas, die hier und da die Hütte zu 
befuchen pflegen; doch bejtcht derfelbe durchaus nicht aus 
einem ſyſtematiſchen Unterrichte, da felbft der Lama mit fei- 
nem Religionsfyfteme in den meiften Fällen nicht im Kla— 
ven ift. Unter folden Umftänden ift es micht zu verwun— 
dern, daß das mongolifche Volk felbft von den primitivſten 
religiöfen Begriffen nur jehr wenig im Kopfe hat. So hat 
Niemand einen Haren Begriff von dem Königsfohne Buddha, 
weldyer gewöhnlich „sigemuni burkhan baksi sakia- 
muni*, d. h. göttlicher Lehrer, genannt wird. In der 
allgemeinen Spradje entſpricht das Wort „burkhan“ unferm 
Worte „Gott“ ; indeß aber verfteht der Mongole darunter 
durchaus nicht das, was der Chrift unter dem Worte „Sott* 
begreift. Bon einem allmächtigen Schöpfer oder einer Schöpfung 
fpricht der Mongole nie. Die „Burkhanen“ find nad) der 
Anficht der Mongolen die mächtigjten Geifter, welche einft 
in menfchlicer Geftalt auf der Erde lebten, oder zur Beför- 
derung des Heil ber in der „Welt des Kreislaufes“, „ort- 
schilong* genannt, febenden Wefen leben werden, Der 
Glaube an die Seelenwanberung ift allgemein, daher man 
auch das Wohl aller Lebenden befördern muß, nicht nur das 
der Menſchen, fondern auch der Thiere, da deren Seele von 
ber menfchlichen durchaus nicht verfchieden ift. Die Seele 
des Menſchen ift nach ihnen durchaus feine neu entftandene, 
fondern nur die abermalige Erſcheinung der Geifter und 
Seelen früherer Menſchen und Thiere. Die Seele des gu— 
ten Menſchen verjlingt fid) in einem andern Menfchen zu 
dem Bwede, die Lebenden zum Seile zu führen, die Seele 
des ſchlechten aber wird darum in einem Thiere aufs Neue 
geboren, damit fie die im ihrer frühern menschlichen Geftalt 
begangenen Sünden bliße. 

Auf diefem Principe beruht der Transmigrationsglaube 
vom tibetanifchen „Dals Yama“, d. h. dem „meeresgrofen 
Priefter*, wie and) vom Oberpriefter der Mongolei, dem 
Khureni⸗ gegen⸗ khutulu (dem glanzumftrahlten Würdenträ- 
ger), nad) welchem Glauben in den erwähnten zwei Ober» 
prieftern immer eine und diefelbe burkhanifche Seele thront, 
d. h. daß beim Abfterben derjelben zum Wohle der Menſch— 
heit ihre Seelen nicht die Welt verlaflen, fondern nur die 
äuferliche Hülle wechfeln, indem erftere jogleidy in einen ans 


231 


dern menschlichen Körper wandern, welder im Momente 
des Todes geboren wird. So vernahm ich, daß vor flinf 
Jahren ein fehr junger, etwa 20 bis 24 Jahre alter hures 
niſcher Khutuku farb, deifen Seele in ein im Augenblide 
feines Sterben geborenes tibetaniſches Kind überging. Den 
wiebergebovenen Khutut wollen fie in diefem Kinde dadurch 
erfennen, daß an eben dem Körpertheile des Knaben eben 
ein foldyes Zeichen aufgefunden wird, wie es die khureniſche 
FPriefterichaft dem Khutuku auf irgend einen Körpertheil beim 
Sterben aufgedrüct hat. Nachdem nun die fhurenifche Geift- 
lichkeit die Sterbezeit des Khutulu, wie auch das geheime Zeis 
hen plinftlic, und genau aufgezeichnet, wurde eine Geſandt 
ſchaft von höheren, verläßlichen Brieftern nad) Tibet geſchickt. 
Die vor fünf Jahren ansgefchidte Geſandtſchaft fand num auch 
in der That den Khutuku wieder, welchen fie als filnfjähriges 
Kind ſammt den Eltern zu Ende des Frühlings diefes Jahres 
nach Khuren bringen und wo man den unjculdigen Kna— 
ben unter dem tobenden Jubel des Bolfes auf den Thron 
des Khutuku jegen wird, welchen er aber eben jo unſchuldig 
wieder verläßt, da ihm jegliche Gelegenheit zur Entfaltung 
und Entwidelung der Natur benommen wird, und jeder 
menſchliche Trieb in ihm gewaltfam unterbrüdt wird. Denn 
was fann wohl aus einem Kinde werden, dem außer Speife 
nnd Tranf alles, alles entzogen wird, dem jeder gefellige 
Berlehr, mit Ausnahme der Eltern und Yamas, verſchloſſen 
it und bleibt ? ? 

Außer den genannten hohen Geiſtlichen giebt es bei den 
Mongolen nod; andere wiedergeborene Briefter, welche immer 
die Oberhäupter irgend einer Srieftergenoffenfchaft find. Zu 
folhen werden gewöhnlic, diejenigen Söhne der Chane ges 
wählt, denen feine große weltliche Macht in Ausjicht fteht. 
Es muß alfo natlirlic immer ein früher verftorbener, ges 
lehrter und berühmter Vorfteher einer Prieftergenoffenfchaft 
in der Familie des Chans zur Wiedergeburt gelangen, und 
wird ſodann dem fürſtlichen Sohne der Glaube an diefe 
Wiedergeburt derart eingeprägt, daß derfelbe mit ihm groß: 
wächft und mit feinem Bewußtſein innig verfchmilzt. Aus 
dem Glauben an die Seelenwanderung folgt aud), daß es 
bei den Mongolen als große Sünde gilt, Thiere zu fchlagen 
oder zu töbten. Der Yama darf überhaupt gar fein Thier, 
ja nicht einmal gewiſſe ihn mofeftirende Inſecten tödten. 
Es gehörte zu den Nebenbefchäftigungen meines geiftlichen 
Vehrers, während des Unterrichtes den erwifchten zahlreichen 
Flöhen, welche die Mongolen mehr als Yäufe verabichenen, 
einen Laufpaß zu ertheilen und fie wieder in Freiheit zu 
fegen. Die Yaten töbten wohl Thiere, verrichten aber für 
deren Seelen ein inbrünftiges Gebet, daß 3. B. die Geis 
fter die Seele des armen Schafes nicht mehr auf die Welt 
verfegen, fondern zu fic, nehmen mögen. Als größtes Ber 
gehen betrachten fie die Fiſcherei, da ein ſolches Thier zu 
tödten, welchem der Menjc jo wenig Sorgfalt zuwendet, 
und das, im einem ganz andern Elemente lebend, für den 
Menſchen ganz und gar unfchädlich ift, die größte Gewiſſen— 
loſigleit ift. 

Wer bereits Beſchreibungen von der Mongolei gelefen 
hat, begegnete ſchon ficherlid) der Schilderung der ald „Obo“ 
befannten, zumeift auf Bergen, im der Nähe von Straßen 
gelegenen Steinhaufen. Diefer Gebrauch der Aufführung 
von Steinhaufen ift noch ein Ueberbleibfel der alten Nature 
oder Schamanen:Religion. rider hatte zur Aufführung 
eines foldien Steinbaufens der Schamane den Plat ausges 
ſucht, und es fiel die Wahl darum auf Berges- ober 
Hitgelsfpigen , weil fie glaubten, daß die Schuggeifter des 
Ortes, zu deren Ehre diefe errichtet wurden, auf einem 
erhabenen Orte wohnen. In der Nähe von Straßen wurs 
dem fie aber darum aufgeführt, damit auch Keifende in der 


232 


Page feien, Steine, Yumpen und Haare von der Mähne bes 
Pferdes hinzuzufügen, wodurd; auch fie des Schutzes biefer 
Geifter theilhaftig werden. Bor der Annahme des Bubdhis- 
mus brachten die Einwohner der betreffenden Ortichaft zu 
einer beftimmten za im Jahre bei diefen „Obos*, als 
den Tempeln der Geifter, feierliche Opfer dar. Diefes be 
ftand darin, daß ein Thier, gewöhnlich ein Ochſe, Widder 
'oder eine Ziege getödtet wurde, von deren Fleiſche man ein 
Mahl bereitete, jodann das Herz und die Haare des Thieres 


Georg Thiele: Skizzen aus Chile. 


in Stüden um den „Obo* herumhängte und endlich den 
legtern mit Hautſtreifen umzog. Ta gegenwärtig aber 
nad) den Gefegen des Buddhismus das Tödten der Thiere 
eine Sünde ift, fo ift wohl die Aufführung von Steinhaus 
fen noch gebräuchlich, das Opfern jedoch ift unterfagt, und 
tommt aud) nicht mehr vor. Heute wirft einfad) jeder Vor— 
überzichende einige Steine: darauf, der Yama hingegen pflegt 
mit tibetanifchen Buchſtaben auf Papier oder Leinwand ge« 
ſchriebene Gebete dort zu laffen. 


Skizzen auß Chile. 
Von Dr. med. Georg Thiele. 


Bon Valparaifo nach Santiago. 


Balparaifo, eine nicht ebem vorzugsweiſe anziehende 
Stadt, liegt am Hintergrumde einer faft viereckigen Bucht, 
deren breiter Eingang nad) Norboften fieht. Der Hafen ift 
daher bei Nordſtürmen eim recht gefährlicher Ort für die 
Schiffe und es geht dabei mie ohme das eine oder andere 
Unglüd ab ). Der Verkehr mit den Schiffen vom Yande 
aus und das Laden ift dann unmöglich. Vom jeemännifchen 
Standpunfte aus ift alfo Balparaifo ein recht ſchlechter Ha— 
fen. Sehr angenehm für den Neifenden ift es aber, daß 
er ehr tief ift, die Schiffe alfo dem Ufer recht nahe liegen, 
und man feinen langen Weg braucht, um aufs Schiff zu 
gelangen. 

Das Ufer ift wie überall am der ganzen Weftfüfte öde 
und, etwa 50 Fuß vom Wafler entfernt, fo fteil anfteigend, 
dag man nur zu Fuß hinauffommen lann. Die Stadt zer 
fällt in zwei Theile, einen langen, ſchmalen, zwiſchen — 
und der erſten Higelveihe ſich hinſtredenden, und einen zwei⸗ 
ten, der auf ber erften Hügelreihe und in den Schluchten 
zwiſchen derfelben hineingebaut ift. Die untere Stadt bildet 
den Sefchäftstheil. Hier befinden fich alle öffentlichen Ges 
bäude, die Comptoirs, bie Läden, die Hotels, die Waaren⸗ 
häufer u. ſ. w. Diefer Theil gleicht ganz einer europätfchen 
Stadt. Die Häufer find alle mehrftödig, von europäifchen Stil, 
und zwar einfach, doch durchgängig von recht hübfcher Bauart. 
Mandye Gebäude find in der That recht geſchmackvoll. Was 
Plafterung, Trottoir, Straßenreinigung und Beleuchtung 
anlangt, jo Übertrifft dies, wenigftens im größern Theil 
der untern Stadt, das, was man in einer großen Zahl euro⸗ 
päifcher größerer Städte findet. Cine Pferdeeifenbahn ver: 
bindet das Südreftende, wo der Yandungsplag ift, mit dem 
Nordoftende, wo die Eifenbahnflation ſich befindet. Im der 


*) Ein folches bar ſich ganz kürzlich, am Montag, ten 24. Mai 
1875, in beieutenbem Umfange zugetragen. Das Ummetter hatte ſich 
am Montag durch eine gelinde, aber beſtandig aus dem Morten 
webente Brife angezeigt; gegen 2 Uhr Nachts wuchs der Wind zum 
Eturm, der währen des ganzen Montags ohne Unterbrechung ars 
dauerte und pwiſchen 2 und 4 Uhr Nachmittags feinen Höbepunft 
erreichte. Der flete Begleiter des Mordwindes, tüchtiger Regen, bielt 
während ber ganzen Zeit an. In Kolge ber nordweſtlichen Richtung 
des Sturmes war der ganze Hafen in ein fdräumentes Mogenmeer 
verwandelt. das viele fer geforbert bat, Es ertranfen gegen 50 
Menſchen; völlig unter gingen acht Schiſſe, darunter die dhilenifche 
Rriegscorwette „Wemeralda”, und eine noch größere Anzahl von Fahr⸗ 
geugen wurden mehr oder weniger eruftlich bavarirt. Ned, 


übrigen Stadt find der Cerre de Concepeion und noch zwei 
andere im der Mitte gelegene die Wohnpläge der reicheren 
Bewohner Balparaifos. Hier finden fich recht hübfche Wohns 
häufer und einige größere Gärten. Die übrigen Theile der. 
Stadt find von der ärmern Bevölferung bewohnt und gleichen 
ganz den anderen chileniſchen Städten. 

Bon der See aus betrachtet fieht VBalparaifo ganz mas 
ferifch aus. Rechts hat man eine Heine Yandzunge mit eini⸗ 
gen Forts und einem Wachtthurm; Links, wetter im Hinter: 
grunde, liegt Vina dei Mar, im eine fehr niebliche grüne 
Vegetation eingehillt; geradeaus die untere Stadt, recht 
weiß und jauber in der hellen Sonne glänzend; gerade im 
Mittelpunkte das Gebäude der Intendencia mit den Zoll 
gebäuden und dem vieredigen Yandungsplag. Darliber erhe: 
ben ſich die Hügel, deren mittelfte mit jchönen und großen 
Gebäuden und einigen prachtvollen Gärten bededt find. 
Darüber erfcheint eine zweite höhere Reihe, die aus einer 
rothen Erde befteht, welche im Sommer ftellenmweife mit Grin 
bedeckt ift. Links fieht man in der Gntjernung größere 
Berge, die ſchon dem Küftengebirge angehören und eine lange 
Zeit des Jahres mit Schnee bebedt find. Kommt man dann 
in bie Stadt felbft, fo findet man außer einer recht reinlichen, 
faubern Stadt nichts Beſonderes; man hat nicht einmal 
einen Spaziergang. Die Plaza, die fonft überall als Pror 
menabe dient, ift Hein und hat nur zwei Öffentliche Gebäude, 
das Theater, das ziemlich niedrig, und eine Kirche, die im 
fehr einfachem Stil erbaut ift. 

Was die commercielle Bedeutung von Balparaifo anlangt, 
fo ift daffelbe befanmtlich nicht nur für das ganze Yand Chile, 
das im der That cultivirtefte in Südamerifa, jondern audı 
für die ganze Weftfüfte das Hauptdepot für den europäifchen 
Verkehr. Die Einwohnerzahl beträgt 80,000 bis 90,000, 
Das Bemerkenswerthefte ift das Vorherrſchen der Ausländer 
in Balparaifo, hauptſächlich Engländer und Deutſche, die 
natlrlich dem Ort eine europäifche, von den Übrigen jlid« 
amerifanifcen Städten gänzlich verſchiedene Phyfiognomie 

eben. 

x Wenden wir ung nun zur Neife von Balparaifo nad) 
Santiago, fo ift zunächſt zu bemerfen, daß der alte Weg 
dahin über Caſa blanca in das Thal von Melipilla, 
eine Ansbuchtung der großen Hochebene des mittlern Chile, 
führte, welches Thal, in der Richtung von Südoft nad; Nord- 
weit ſich erftvedend, der Küfte ſehr nahe kommt. Aus dieſem 


Georg Thiele: Stiggen aus Chile. 


Thal fommt man dann jüdlic von Santiago auf die Hoch— 
ebene und von da ohne Schwierigkeit nad) Santiago. Wie 
ein Blid auf die Karte zeigt ift diefer Weg ein bedeutender 
Umweg, allein mit Ausnahme einer nicht ſehr hohen Kette 
der SKüftencordillera bei Caſa blanca hat man feinerlei 
Berge zu pafjiren, und andere Terrainfchwierigkeiten eriftiren 
ebenfowenig. 

Als man aber die Eifenbahn bauete, entſchied man ſich 
für einen andern Weg, von dem im „Chile iluſtrado* zu 
lefen ſteht, daß er für fürzer und weniger koſtſpielig erachtet 
worben fei, ald der von Melipilla, eine Behauptung, welche 
bei ben enormen Terrainfchwierigfeiten, die diefer Weg bietet, 
unbegreiflich erfheint. Im dieſem Yanbe wird jedoch, noch 
häufiger als in Europa, die öffentliche Wohlfahrt den Inter 
eſſen befonbers einflußreicher Perſonen nachgefegt, wenigſtens 
ift dies gejchehen im Jahre 1852, wo die Bahn gebaut wurde. 
Da das Thal von Quillota die werthvollſten Yändereien 
vieler Santiaguiner und Balparaifiner enthält, auch jehr 
viele induftrielle Unternehmungen bort gegründet find, fo 
wurde die Eifenbahn über Quillota geführt. Heute iſt bie 
Sache anders. Damals erftredte ſich die Cultur über Quil— 
lota hinaus (dem feine Nahbarfchaft mit Balparaifo zu gut 
fan, über welches ſämmtliche Cultur Chiles ihren Eingang 
genommen hat) höchſtens bis Santiago. Heute ift Melipilla 
ein landwirthſchaftlich viel bedeutenderer Ort als Quillota, 
weil das Thal viel größer und wafferreicher ift und auch im 
unmittelbaren Zufammenhang mit dem übrigen aderbau« 
fähigen Areal Chiles ſteht. Da mun bie jegige Eifenbahn 
nad) Santiago nur ein Geleiſe hat, welches dem Bertehr 
durchaus nicht mehr genügt und die Anlegung eines neuen 
Seleifes auf der alten Strede ber Erbauung einer neuen 
Eiſenbahn gleichtommen würde, fo denkt man jegt vernlinf- 
figerweife daran, das neue Geleis über Melipilla zu legen. 

Was die jegige Eiſenbahn betrifft, fo ift in manden 
Dingen nicht zu Magen. Die Courierzlige fahren eben fo 
ſchnell wie bei uns, die Wagen find bequem , die Preife bil- 
lg, die Fahrt fehr pittoresf. Ueber die Güterbeförderung 
wird aber jehr geflagt und mit ber Sicherheit ded Betriebs 
ift es ſehr ſchlimm beftellt. Ich glaube nicht, daß es in 
Europa eine Bahn giebt, auf welcher fo viel Unglück paſſirt 
wie auf diefer; mertwürdigerweiſe ift der Menfchenverluft 
dabei ſehr unbedeutend oder gleich, Null. Ich war in einer 
Woche zweimal von Santiago aus in Balparaifo; als id) 
das erfte Mal zurlidfuhr, blieben wir, eines verunglüdten 
Zuges wegen, fünf Stunden in Tiltil liegen, einem ſchau— 
tigen Ort, der bloß aus Eifenbahnftation und einigen Schilf- 
hütten befteht. Bon Lebensmitteln war natürlic, feine Spur, 
ebenfowenig von Getränfen, höchſtens Sumpfwafler. Das 
zweite Mal wollte ic) mit bem 10.Uhr-⸗Zug fahren, wählte 
aber fchließlich doch den 8⸗Uhr-Zug und das zu meinem 
Side; denn der erftere Zug hatte wieder in ungefähr ber- 
jelben Gegend nicht 5, fondern 16 Stunden bis zum andern 
Morgen zu warten, bis die Bahn wieber hergeflellt war. 

Gewöhnlic verläßt man Balparaifo mit dem Convierzug 
um 8 Uhr, um etwa um 1 Uhr in Santiago anzufommen, 
Die Bahn fährt zuerft am Rande der Bucht von Balparaifo 
nad) Norden weiter, bei zwei Heinen Orten, Bina del Mar 
und Salto, haltend; beide befigen viele Gärten und Land⸗ 
häufer, die reichen Balparaifinern gehören. Im Sommer 
wohnen viele Balparaifiner hier; auch geht man Sonntags 
hierher, um fich zu amäfiren. Hinter diefen Orten lenkt 
man dann ins Gebirge ein umd führt in einer engen und 
gewundenen Schlucht lange Zeit aufwärts. Die Berge find 
war bewachſen, fehen aber dabei dürr und wüſtenhaft aus. 
Kud ihre Vegetation hat einen todten Anftrich ; nur einzelne 


Palmengruppen bringen etwas Leben hinein. Im Grunde 


Globus XXVIII. Nr, 15. 


233 


befindet ſich ein Flußbett, das, fo oft ich auch dort gefahren 
bin, nie einen Tropfen Wafler enthielt, im Winter jedod) 
ohne Zweifel ein reigender Strom iſt. 

Gegen 91/, Uhr erreicht man das Thal von Fimade 
und Quillota. Das ift ein langes und gewundenes, aber 
recht fchmales Thal, welches hier mitten im Gebirge zu Geis 
ten des Fluſſes Aconcagua liegt. Bon Norboft nadı Stid- 
weft ſich erfivedend ift es mach beiden Richtungen völlig ab⸗ 

eſchloſſen, nur der Fluß bricht ſich durch tiefe Schluchten 
ea Bahn weiter. Das Thal ift ſehr freundlich und man 
begreift, daß es der Lieblingsplag vieler Yeute geworben ift. 
In feinem untern Theile bieten die Berge nichts Befonderes, 
im nördlichen umgeben es jchroff auffteigende Segel von 
einer der Schneefoppe ähnlichen Formation und fügen fo das 
Großartige zum Lieblichen. Chile liegt bereits in der ſub⸗ 
tropifchen Zone; biefes Thal erfreut ſich jedoch einer fehr 
gefchügten - und eines ſehr gleichmäßigen Klimas, jo daß 
hier in ber That Früchte zur Reife tommen, die fonft nur 
in Peru, das heißt dem Aequator 100 Meilen näher, gedeis 
hen. Dies ift vor allen Dingen die Cherimoya (Anora 
Cherimolia), eine Frucht, die von Bielen fitr die vorziig- 
Lichte der Welt erflärt wird. Sie hat die Größe und Form 
eines recht tüchtigen Apfels und eine grüne Schafe, die man 
mit dem Meſſer abjchält. Darunter kommt ein gelbröth— 
licher Brei zum Vorſchein, der von einer Anzahl ſchwarzer 
erbfengroßer Samentörner durchſetzt if. Diefer Brei ift 
nun das Eßbare und ift fehr ſüß, jüßer als irgend eine Frucht, 
bie ic) kenne, mit einem leichten Aroma von Erdbeeren und 
einem ganz ſchwachen Harzigen Beigef—hmad. Außerdem 
wachfen da Luckmas (Iucuma mammosa?), mit Stacheln 
befegte Birnen von ziemlich, fadem Geſchmack, jehr ſchöne 
Drangen u. f. w. 

Der erfte Ort im dieſem Thale ift Lim ache, beftchend 
in einer über einen > Raum zerftreuten Mafje von 
Villas, induftriellen Etabliffements x. Im Sommer leben 
hier viele Leute wie bei uns in den Bädern und klimatiſchen 
Eurorten. Quillota liegt nicht weit vom Nordende bes 
Thales und fol nad) dem „Ehile iluftrado“ 10,000 Eins 
wohner haben, was jedoch als jehr übertrieben erſcheint. Der 
Ort fieht von der Eifenbahn aus fehr einfach, aus. Bon 
Quillota aus fteigt die Bahn, in ſehr frummen Curven an 
die fteil abfallende Wand der Berge angellebt, das Flußthal 
weiter hinauf, — eine ängftliche Fahrt für furchtſame Ges 
mither. Wenn man auf der Thalfeite zum Fenſier hinaus: 
ficht, ficht man gar feinen Bahndamm mehr, fo ſchmal ift 
er hier; die Kante des Waggons ſchwebt an einzelnen Stel- 
len fon tiber dem Abhange. Zuweilen fieht man unter 
dem Waggon Stüden Erde hervorkonmen und den Abhang 
hinunterrollen. So kommt man allmälig gegen 11 Uhr 
nad) Flaillai, für die Conrierzüge die letzte Station vor 
Santiago. Bon MHaillat ab wendet fid) die Bahn nad) San- 
tiago füdöftlidh, während fie bis hierher norböftlich ‚geht. 
In ber gleichen Richtung weiter geht von hier eine Zweig: 
bahn nad) San Felipe, der Hauptſtadt der Provinz Acon⸗ 
cagua, von wo aus man jegt eine Eifenbahn über den Paß 
von Uspallata nad; Buenos Ayres bauen will. Bon 
Llaillai weg geht es in eine wilde Fels- und Bergmaffe von 
Hochgebirgocharalter hinein, Tunnel nad) Tunnel; der Glanz⸗ 
punkt ift die Puento de los Maguis, eine zierliche 
Pfeilerbrüde über eine emorm tiefe und fteile Schlucht. Das 
Intereffantefte ift, daß dieſe Brüde den Theil einer Curve 
ausmacht, d. h. die Brüde ift krumm, befdjreibt einen hori= 
zontalen Bogen, — bie erfte Brlice von der Art, bie id) in 
meinem eben gejehen. Endlich minder die Bahn in einen 
Heinen Zipfel der Hochebene von Santiago; doch fährt man 
von hier nod) eine Stunde. Diefer Theil ift wenig bevölfert 


30 


234 
und ſchlecht bebaut. Allmälig aber wird die Ebene breiter 


und es zeigen ſich überall ſchöne große Gärten. Endlich 
werden bie bie Oftfeite des Thales begrenzenden Berge der 


— 


Emil Schlagintweit: Die englifhen Himalaya-Beſitzungen. 


Cordillera central ſichtbar und man fährt in bie Vorftadt 
von Santiago ein; doch vergeht nod) !/, Stunde, che man 
bis zum Bahnhof gelangt. 


Die englifhen Himalaya-Befigungen. 
Bon Emil Schlagintweit, 


I 


Durch) feine Befigungen im Himalaya ift England von 
feinem oftindifchen Reiche aus unmittelbar Nachbar von 
China geworden. Die Erwerbung diefer Landſchaften beginnt 
im mittlern Himalaya 1816 mit Kamaon; 1835 wird 
wmittelft Kaufes von Sikkim im öftlihen Himalaya Fuß 
gefaßt; die glüidlice Beendigung des Silhkrieges machte 
1346 Kaſchmir zum gefügigen Vafallen und eröffnete ben 
Engländern den Weiten diejes mächtigen Gebirges. Hatte 
die Erwerbung von ſtamaon und Sikfim zunächſt den Zweck, 
Nepal, das fich einer einheitlichen und verhältnigmäßig 
geordneten thatfräftigen Negierung erfreut, von Kaſchmit 
und Bhutan zu trennen durch Einfchiebung engliſchen Gebie— 
tes zwiſchen diefe Staaten, jo wird doch durd) die Feſtſetzuug 
der Europäer im Gebirge der Verwaltung Britifhe Indiens 
eine neue Richtung gegeben. Waren die Ebenen Hindoftans 
vor Dahrtaufenden durch einen Strom ariſcher Einwanderer 
der hohen Cultur gugefligrt worden, welcher fie ſich ſchon in 
einer Zeit erfreuten, im welcher ihre Stammesbrüder in 
Deutſchland ihr Leben noch in Höhlen und auf Pfahlbauten 
tümmerlich frifteten, fo wurde der Himalaya mit feinen aue- 
gebehnten Gulturfläcen , feinem gefunden, der Körperconfti« 
tution der Europäer höchſt zuträglichen Klima, obwohl er 
noch nicht das Ziel einer europäiſchen Maffeneinwanderung 
wurde, das Feld, auf welchem Unternehmungsgeift der Res 
gierung wie Privaten bie größten wiſſenſchaftlichen Erfolge 
erzielte, welche die engliſche Verwaltung in Oftindien auf- 
zuweifen hat. Wo fonft dichtes Geftrüpp ober die ärmliche 
Hütte eines Eingeborenen ftand, erheben ſich jetzt volfreiche 
Städte (Dardihiling, Simla, Kangra), meilenweit 
reiht ſich in beglinitigten Yagen Billa an Villa, 

Nicht geringer ift die ſtrategiſche und handelspolitiſche 
Bedeutung des Gebirges. Im Verbindung mit den nördlich 
fi anjchliegenden Bergfetten des Karaforum und Kun— 
Lün *) bildet die Gebirgsregion im Norden von Hindoftan, 


*) Wie ungemein feicht fh Fehler und Irrthümer in ber Geo— 
grapbie feifegen, beweiſt biefer Name Künslün, beſſet Kwen— 
fun. Auf allen Karten der Gbinefen, ben einzigen, welche darin 
competent find und fein können, bezeichnet dieſer Name nichte weiter 
als cin bobes Gebirge over einen Bergſtock unweit ber Quellen dee 
Hwang ⸗ ho, etwas nörtlih von tem Zufammenjluffe bes Naptichitus 
ulansmuren mit em Mursuffu over obern Zangstiesliang, 
einer Stelle, welde als weſtlichſter Punkt des ruſſiſchen Reiſenden 
Priewalsti neuerdings Bedtutung für innerafiatifche Geogta⸗ 
phie erlangt bat, Wenn man nun feit nicht langer Zeit, um einen 
Geſammtnamen verlegen, tie nördliche Parallelkette des Karaforum 
(76 bis 800 öfl. %. von Greenwich) Künzlin genannt bat, fo 
bat Dies genau diefelbe Berechtigung, als wenn man ven Balkan 
Arsrat, die Porenäen Pintus nennen wollte, Daß Einzelne no 
weiter gegangen find und, den falichen Namen Künslün mit bem echten 
verbinbend, durch ganz Innerafien eine mächtige Gebirgsfette unter 35% 
nördl. Br, ſich bindurdhzieben laffen, bat vollends feine Berechtigung. 
Die Pantiten des Golonel Montgomerie baben jüngit jene Stelle 
überfhritten und nur leichte Terrainanſchwellungen, aber keine Hoch ⸗ 
gebirge dafelbit gefunden. Rev. 


bie jegt unter bem Namen Hochaſien zufanmengefaßt zu 
werden pflegt, mit feinem Areal von 3,13 Mill. Quadrat: 
filometer (56,500 Duabratmeilen) eine fefte natürliche Schutz ⸗ 
wehr gegen jeden Angriff von Gentralafien her; die Schwie⸗ 
rigfeiten der Ueberfteigung mit einer Armee werben nahezu 
unüberwindlich, wenn dem Himalaya dereinft eine jeiner Aus⸗ 
dehnung und Anbaufähigfeit entjpredjende Zahl von Bewoh— 
nern zugeführt ift. Dem Handel ift im weftlichen Himalaya 
bereitd eine neue Bahn wiedergewonnen; der Berkehr mit 
Kaſchgar und Oftturfeftan, der jahrzehntelang ganz 
barniederlag, verfligt Über verbejferte Wege und ift der Be— 
drüdungen überhoben, welche fonft den Gewinn der Händler 
verzehrten. Im mittlern und öftlichen Gebirge weigern die 
Örenzftaaten und China Kaufleuten und Reiſenden indifcher, 
gelhweige denn europäifcher Abkunft freien Durchzug durch 

ibet nach, den reichen Uferländern ded Dang-tjesfiang; aber 
Indien rüftet ſich, diefe Yänder mit feinen Waaren zu ver- 
fehen, ſobald eim glüdlicher Umftand das Durdizugsland 
eröffnet. Bis zum Kamme der Grenzpäſſe find Saumpfade 
angelegt, wo der Neifende bisher nur mit Yebensgefahr ent⸗ 
fang ziehen fonnte; Greuzbehörden werden auf einjamen, 
ſchwierigen Poften unterhalten, welche Nachrichten einziehen 
und dem Grenzverkehr jeglichen Vorſchub leiften. 

Die Nachrichten über die engliſchen Mafregeln zur Auf: 
ſchließung des Himalaya und zur Ausnugung feiner natürs 
lichen Hülfsquellen, ſowie die Ergebniffe der 1872 durch- 
geführten erften Volkszählung find aus den indiſchen, auf 
dem Gontinente felbft im öffentlichen Bibliothelen feltenen 
Berwaltungsberichten noch nicht in unfere geographiſchen Lehr · 
bücher gedrungen; fie follen hier landſchaftlich geordnet vor⸗ 
geführt werden als ein Beitrag zur Kunde Oftindiens, wie 
fid) feine Orenzländer in der Zeit der Eifenbahnen und Te« 
legraphen unter den Anftvengungen der engliſchen Regierung 
geltalteten, welche bemüht ift, orientalische Migwirthichaft 
durch gefunde europäische Berwaltungsgrumdfäge zu erſetzen. 
Die Darftellung geht von Often nach Welten und umfaßt 
die Landjhaften: 1. Duars; 2. Dardſchiling; 3. die Tarai; 
4. Kamaon und Garwhal; 5. Simla, die Sommerrefidenz 
bes — — 6. den Pandſchab · Himalaya (Kan⸗ 
gra, Spiti, Lahol); 7. Kaſchmir. 


1. Die Duars. 


Die Duars (Dooar, and; Doar, verderbt aus Sanskrit 
dhwära, Thor, Zugang), in dem amtlichen Berichten „die 
Striche unter dem Öebirge der Berwaltungsbezivte Kutſch 
Behar (Dichatpaiguri) in Bengalen und Goalpara in Affam“, 
find die dicht bewaldeten Vorberge des Himalaya mit dem 
an ihrem Fuße an 10 Kilometer weit ausbreitenden 
Gerölllager, das von dichten Unterholz beftanden ift, ftellen- 
weile von Hodywald überragt, Sie werden durch Kämme, 
die ſich von der Hanptfette des Himalaya im füdlicher Rich— 


Emil Schlagintweit: Die engliihen Himalaya =Befigungen. 


tung herabjenfen, in Lüngsthäler gefchteden, die vom tief eins 
hnittenen Flüffen a an find, Man zählt 18 folcher 
ängsthäler oder Duars; 11 zwiſchen Tiſta und Santos 
bilden die weftlichen, bie übrigen bis zu 91%/,° öſtl. L. v. Gr. 
die öftlichen Duars; die daran öſtlich ſich anfchliegenden wur⸗ 
den den Oberhäuptern ihrer Bewohner (ben Radſchas von 
Tauong, Tſchar, Nau :c.) unter Verabreichung eines Heinen 
Yahresgehaltes unter der Bedingung belaſſen, ihre Unter: 
tbanen von Angriffen auf die Coloniften der Ebene abzu: 
halten. Die Grenze der öftlichen Duars wurde ummittelbar 
nad) dem Sriege mit Bhutan (1866) vermeflen, 139 Kilo 
meter lang befunden und mit 47 Grenzfteinen vermarft; 
für die weftlichen Duars erkannte Bhutan erft 1872 an, 
daß die Grenze nicht am Fuße, fondern auf dem Kamme ber 
erſten Hügelreihe entlang laufe. — Die Kammhöhen liefern 
nur Holz und Weidegang; bei der Erwerbung der Duars 
waren diefe Nutungen fo vorherrfcend, daß im den weite 
lichen Duars nur 121 Quabratfilometer in Cultur genoms 
men waren. Die Erwartung, daß ihre ausgedehnten Län⸗ 
dereien flir den Abflug der anfchwellenden Millionen der 
Bengalbevölferung dienen würden, hat ſich volllommen beredjs 
figt erwiefen; große flächen find jegt mit Taback angebaut, 
der bisher nur Ausfuhrgegenftand des ſüdlichen Indien war, 
Große Pflege ließ die Kegierung den Waldungen angebeihen; 
europätfche Fichten find mit Erfolg gepflanzt, ebenfo bie 
werthvollen inbijchen Baumarten bes Teak und indifchen 
Gummi (heus elastica). 

Ueber Areal und Bevölterung giebt der Boltszählungs- 
bericht für 1872 folgende Auffchlüfle: 

Areal: öftliche Duard 4820 Quadratkilometer (87 
Quadratmeilen); weſtliche Duars 4867 Duabratlilometer 
(88 Quadratmeilen). 

Häuſerzahl: 6888 bezw. 14,196; Einwohnerzahl: 
37,047 bezw. 90,680, im Ganzen 127,727; fomit beträgt 
bie Dichtigkeit 8,3 bezw, 18,7 auf den Quadratkilometer 
oder 426 bezw. 1030 auf die Duadratmeile, Die Bevöl- 
ferung hat unter ber englifchen Verwaltung bereits Zuzug 
aus der Ebene erhalten; denn auf bemfelben Naume, auf 
welchem 1864 29,133 Menſchen nad; Häuſerſchätzungen 
gezählt wurden, ergab der Cenſus von 1869 54,177. 

Eine genaue Zählung nad) Religion und Nationalität 
liegt nur fir den Bezirt Bara (Bura, Bagja) im ben weft: 
lichen Duars vor (12,564 Einwohner); es fanden fid) 9350 
Radſchbanſi (Hindus der Religion nad); 2512 Meticd, 
Diangars (d. i. Gebirgsbewohner) und andere Aboriginer 
(Berehrer der Geifter und Naturerſcheinungen), 605 Mo— 
hammedaner, 67 Bhutanefen (Bubbhiften). 

Die Radſchbanſi find zahlreich) im ber vorgelagerten 
Ebene und bilden nach Oberft Dalton, dem genauen Ken» 
ner der Bölfer Bengalens, fammt Met ſch und anderen Gebirgs- 
bewohnern einen Zweig des volfreihen Kotſch Stammes, 
deren Führer Hadſcha um 1500 n. Chr. im diefem Theile 
Bengalens ein mächtiges Königreich, gegrlindet hatte. Ihr 
Aeußeres zeigt „ein flaches, faſt vierecliges Geſicht; dunkle 
fchief ftehende Augen, das Haar ſchwarz und gerade, nur bei 
Einigen gefräufelt ; Nafe flach und kurz ; Wangenbein ftarf vor« 
ſtehend; Barthaar fehlt faft gänzlich; Stirn niedrig; Körper: 
farbe vorherrſchend dunkel. Da ihre Verwandten, bie Kat⸗ 
ihari, Metſch und Garo, gelb oder leicht braum, ihre 
Nachbaren im Dften, Weften und Norden noch heller find, 
fo müffen fie ihre dunklere Hautfarbe durch Vermiſchung mit 
füdlichen Stämmen erhalten haben, Sie paſſen nicht zu den 
Böltern Affams, fie find umähnfic dem indo » chineſiſchen 
Volteftamme, und ich betrachte fie deswegen als Glied bes 
dravidiichen Volkes; fie find wohl ein Zweig der großen 





255 


Bhuiha-(Buinhar-)Familie, die auch von Anderen ala 
Urbewo hner des heutigen Behar angefehen werden, und be 
wohnten einft die Gangesebenen, bis die Sonnens und Monds 
dynaſtien der arifchen Indier in Behar (etwa um 1400 v. Chr.) 
bie Königreihe Magadha und Methila gründeten.“ Ihre 
Sprache ift eim Dialeft des Bengali; ihre religiöfen Ge— 
bräuche weichen vielfac, von dem orthodoren Muſter ab und 
bewahren viele Reſte alter, abergläubiſcher Vorſtellungen. 
Die Radſchbanſis find ſeßhaft und fleigige Aderwirthe; No— 
maden und dem Raubbau ergeben durch Abbrennen von 
Waldımgen find dagegen die Metjch; fie Lieben, verſchieden 
von den Radſchbauſis, beraufchende Genußmittel und follen 
im Aeußern Aehnlichleiten mit den Bölfern von Nordbirma 
zeigen. Fieberluft fcheint ihr Lebenselement, denn am lieb⸗ 
ften halten fie fich in den fumpfigen Nicberungen des Tarai 
auf, die den Fuß des Gebirges begleiten, 

Die wichtigfte Aufgabe der —— Berwaltung iſt 
Aufrechthaltung der Sicherheit gegen Einfälle der Bhuta— 
nefen. Bhutan hatte von alter Zeit her an den Stellen, 
wo die Fluſſe aus dem Gebirge treten, Befeftigungen ange- 
legt; 1779 lehnte Lord Haflinge die Uebernahme biejer 
Befeftigungen ab, um den jungen Befig Bengalens nicht 
aud) noch gegen fampfluftige Gebirgsbewohner vertheidigen 
zu müſſen. die Befignahme von ganz Affam (1838) 
machte es winfchenswerth, die öftlich des Sankos-Fluſſes 
ſich erftredenden 11 Duars zu gewinnen; fie wurden 1841 
gegen eine Yahresrente von 20,000 Mark gelauft. Weft« 
lid) des Santos wurde 1842 Ambari Talafata gegen 
eine Jahreörente von 4000 Mark erworben, um die Ufer 
lanbichaften der Tifta und den Zugang nah Sikfim zu 
fihern. Bis 1856 blieben bie Beziehungen zu Bhutan 
befriebigenb; von da an rüftete die Regierung Räuberbanden 
aus, welche Menfcen und Eigenthum aus britifchem Gebiet 
fortführten. Seit Februar 1860 ftellte die oſtindiſche Re— 
gierung die Auszahlung der Jahresrenten ein; Bhutan riftete 
und bie gröbliche Berlegung des Gefandtichaftsredhtes am 
engliichen Geſandten Aſhley Eden führte zur Broclamation 
vom 12, November 1864, durch welche die Aunerion ſümmt—⸗ 
licher Duars zwiſchen Zifta und Sankos-Fluß, ſowie im 
Oſten der Grenzfeftungen von Dalingfota, Paſakha und 
Dewangiri auögefprocden wurde, was ber Frieden vom 
11. November 1866 gegen Bezahlung einer Jahresrente von 
100,000 Mark „unter Wohlverhalten“ fir alle Zeiten ge- 
nehmigte. Zur Aufrechthaltung des Friedens ift das 38. 
eingeborene Infanterieregiment (circa 600 Dann) nad) 
Baxa Dewa (in 731 Meter Erhebung Über dem Meere 
auf einer Anhöhe itber dem Raidak⸗Fluſſe) verlegt und die 
Polizeimannfchaft, die fonft als Civilinftitut organifirt ift, 
mit Geitengewehr und Feuerwaffe ausgeftattet. Wie noth ⸗ 
wendig diefer Schuß ift, zeigte das Yahr 1872; als damals 
die Grenze wegen der Züchtigung der Luſchai von Militär 
entblößt werben mußte, forderten die Bhutanefen von eng— 
liſchen Unterthanen an der Grenze Abgaben und ihre Regie» 
rung erhob allerlei Schwierigkeiten, bis bie Grenzangelegen⸗ 
heiten wieder georbnet werden konnten. Noch erlibrigt bie 
Eröffnung der früher ſtark benupten Handeloſtraße durd) 
Bhutan nad Tibet. Im Bertrag vom 25. April 1774 
hat Oftindien Bhutanefen den zollfreien Verkehr mit den 
Märkten des nördlichen Bengalen eingeräumt; aber nicht 

elang es unter der erbärmlichen Verwaltung und der Hab- 
—* der Großen, Indien den Zugang nach Bhutan zu ver— 
ſchaffen; felbft der Bhutia, mit regem Handelsgeiſt ausgeftat- 
tet, betheiligt fich lieber außer Yandes an Geſchäften, um ſich 
feines Gewinnes nicht beraubt zu fehen. 


30 * 


236 


Die Dleneb-Erpedition von Czekanowski und Müller. 


Die Dlenef-Erpedition von Czekanowski und Müller. 


Die kaiſerlich ruffifche Geographiſche Geſellſchaft hat 
unlängft ihren Jahresbericht pro 1874 publicirt. Ihre 
Tätigkeit iſt danach eine erfolgreiche gewefen; ein weſent⸗ 
licher Antheil daran gebührt der Faiferlichen Megierung, 
welche die Zwede der Geſeilſchaft ftets in liberalfter Weife 
durch Gelbunterftügungen fördert und von welcher in&bejon- 
bere die ocalbehörben und durch biefe wieder die Einwohner 
angewieſen werden, ben Erpebitionen der Gefelljchaft mög: 
lichſte Unterfiigung zu gewähren. 

Nachdem wir früher eingehendere Mittheilungen über 
bie Keifen des Zoologen Milludo-Mallai, auch Einzel- 
nes von ber umfangreidien AmusDarja-Erpedition des 
Yahres 1874 gebracht haben, wenden wir und heute zur 
einer Erforfchungsreife, welche im Auftrage der Gefellichaft 
in den faft unbefannten Norboften Sibiriend, in das Fluß: 
gebiet der Olena (Olenel), gerichtet geweſen ift (vergl. 
„Slobus* XXVII, ©. 192 und 255), Zweck der Erpe- 
dition war befonbers, ben Lauf jenes Fluſſes feftzuftellen, und 
2 womöglich bis zu feiner Mündung bis in das nördliche 

ismeer zu verfolgen. 

Die Aufgabe ift gelöft. Der Danf bdaflir geblihrt ber 
Energie der Herren Czekanowski und Müller fowie 
ihrer Reifebegleiter, welche treu bei ihnen ausharıten. Dr. 
Ezefanowsti war fllr die ſchwierige Expedition der geeigs 
nete Mann, Lüngere Zeit am Bailalſee internirt, widmete 
er ſich ir wiſſenſchaftlichen Studien (zu großem 
Bedauernift das von ihm gefammelte Material während des 
Aufftandes der Polen verloren worden), unternahm dann im 
Auftrage der ruffischen Geographiſchen Geſellſchaft mehrere 
Reifen in verfchiedene Theile Sibiriens, vollendete die geo- 
logische Erforjchung des Gouverneinents Irtust und hatte im 
Jahre 1873 bie Expedition zur Erforfchung der Niſhnaya 
Zungusfa (d. i. die untere Tungusfa) von Kirensl an der 
Lena aus geleitet, wobei zum eriten Male durch aftrono» 
mifche und topographifche Aufnahmen der Yauf bes Fluſſes 
feftgeftellt worben if. Ihm, als einer anerkannt wiſſen-⸗ 
ſchaftlichen Capacität, war die Flihrung der Expedition an 
vertraut, welche beftand aus dem Aftronomen Müller und 
den Herren Kſenfhopolsti und Nachwalnych, die mit 
ihren Sammlungen naturwiſſenſchaftlicher Objecte und den 
bon ihnen gefertigten Aufnahmen ſchon 1878 zurlicklehrten. 
Ezekanowsht und Miller unternahmen nun allein die Er: 
forfchung der Dlena, eine Aufgabe, deren Schwierigfeiten 
bie der Expedition von 1873 bei weitem üüberftiegen haben. 
Nachdem man ſechs Wochen zur Beichaffung der nöthigen 
Bedlirfniſſe aufgewendet hatte, wurde die Reife am 16. (29.) 
Februar 1874 von Ferbodotfchon an der Niſhnaya Tuns 
gusfa angetreten. Zur Begleitung hatten die Reiſenden mır 
einen Kofaden und einige Tungufen, welchen legteren die 
150 zur Reife erforderlichen Nenthiere gehörten. Wegen 
bes tiefen Schnees ging das Borrüden nur langjam von 
Statten. Häufig mußten ledige Kenthiere erft den Schnee 
fefttreten, um ben Menſchen und ben beladenen Thieren die 
Möglichkeit des Durchlommens zu eröffnen; vielfach mußte 
Raſt gemacht werden, um der Expedition die nöthige Erho— 
fung zu gewähren und es ihr zu ermöglichen, die erlittenen 
Schäden an den Schlitten audzubeilern. Anfänglich folgte 
man der Nifhnaya Tungusta; von da ab aber, wo fie ihren 
nördlichen Yauf in einem fcharfen Knick nach Weſten wendet, 
einen Nebenfluffe derfelben, dem Kopofit, im faft nördlicher 
Richtung bis zu feiner Duelle. Mehrmals überjchritt man 


nun die Wafjerfcheide zwiſchen Lena und Tungusla d. h. Ye: 
niffe. Als man zur Wawa hinabftieg, an deren Quellen 
das DOfterfeft gefeiert wurde, fam man im das Gebiet des 
Wilui und damit in das der Lena; fehrte baranf in das bes 
Jeniſſei zurüd, indem man zum Zuru gelangte; und fcließ- 
lich wieder bei der Ueberfteigung des maffiven, wenig geglie- 
berten und im Allgemeinen fteilen Gebirges Anaon in den 
Bereich; des Wilui. Hier erreichte man zunächſt den See 
Sirungna. Bisher hatte man feine Menfchen gefehen ; 
mit Zuperficht hoffte man hier, ſolche zu treffen. Die Hoff- 
nung wurde getäufcht. Wohl fand man Spuren ihrer fril- 
hern Anweſenheit: Lagerftellen, Speicher , Fifchfanggeräth- 
ſchaften, trodene umd grüne Rindenſtücke (die Tungufen 
efen den feinen Splint) aber feine Menfchen. Bon der 
bisher faſt nördlichen Richtung wandte man ſich mehr weit- 
lich (WN-W.), um an den See Jakongna zu gelangen, 
an welchem nad) den Mittheilungen der Bewohner der Niſh⸗ 
naya Tunguska ſich ftets Eingeborene aufhalten follten. 
Unterwegs überfchritt man den Wilui an feinem Oberlauf, 
derſelbe hatte dort fchon eine Breite von 177 Fuß. Hier 
war man, weil einige Leute in Folge des blendenden Schnees 
von einer Augenentziindung befallen waren, zu einer dreis 
tägigen Raft gezwungen. Als ber See Utitit (65° 57' 
nördl. Br.) erreicht war, wurde ein weiterer Aufenthalt von 
vier Tagen nothwendig, weil fid) ein mächtiges Schneege- 
ftöber erhoben hatte und bie Müdlehr der Leute, welche zur 
Auffuchung der Eingeborenen abgefandt waren, abgewartet 
werben mußte. Auch fie hatten feine Menfchen gefunden. 
Einzelne Hütten (Balagane), in denen Eisſchollen die Fenfter- 
fcheiben vertreten, und einige verwehte Schlittenfpuren gar 
ben unzweifelhafte Kunde von ihrer frühern Anweſenheit 
während des Winters. Die BVerlegenheit war jet groß. 
Gzefanowäti hatte mit Sicjerheit darauf gerechnet, daß in 
Gemäßheit der Befehle des Generalgouverneurd von Dft- 
fibirien die Cingeborenen von der bevorftehenden Ankunft 
der Erpedition in Kenntniß gefegt und zur Hulfsleiſtung 
aufgefordert worden feien und ſolche leiften würden; allein 
unter den gegebenen Umftänden mußte man annehmen, da 
die Eingeborenen ohne Keuntniß geblieben feien. Seit dem 
Berlaffen der Niſhnaya Tungusfa, d. h. feit zwei Monaten, 
hatte man feine Menſchen zu Geficht belommen. Man bes 
hielt alfo die nordweftliche Richtung bei umd gelangte zu 
den Seen Nalongna, aber auch hier wurben feine Men- 
ſchen gefunden. Man war vollftändig rathlos, wo man 
ben Olenek, von welchem keine Karte eriftirte, fuchen follte. 
Czekanowsti ſandte deshalb einen der die Erpedition beglei- 
tenden Tungufen, Namens Golje Kaplin, mit dem Auf- 
trage ab, wenn möglich den Olenek oder wenigftens einen 
Menſchen aufzufinden. Kaplin war ein zuverläffiger Menſch, 
verftand ſich wohl zu orientiren, hatte im Jahre zuvor 
(1873) die Berfammlung der Tungufen an ber Mündung 
des Ilimpei im die Tunguska befudht und dort einige, 
wenn auch nur dürftige Nachrichten über die Gegend zwi: 
fchen der Tunguska und dem Olenel erhalten. Schon nad) 
24 Stunden fehrte er mit dev Nachricht zurück, daß er den 
gefuchten Strom gefunden zu haben meine. Gern ſchenkte 
man ihm Glauben. 

Nach dem Abkommen, welches mit den den Zug beglei» 
tenden Tunguſen getroffen worden war, hatten fie feine 
Verpflichtung zur weitern Stellung der Reuthiere, indem 
man gehofft hatte, hier von den Eingeborenen andere Thiere 


Die Olenet:Erpedition von Czekanowski und Müller. 237 


zu erhalten. Jetzt war ihre fernere Dienftleiftung unent- 
behrlich, wen nicht die ganze Expedition fcheitern follte. 
Als diefe in Anfpruch genommen wurde, erflärten bie beiben 
braven Zungufen Peter Golje Kaplin und Beter 
Uwotſchan Kaplin, Letzterer fogar ohme weitere Mehr- 
forderung, fich bereit, bet der Expedition zu bleiben und nad) 
Kräften diefelbe zu umnterftügen *). Das Opfer, welches fie 
brachten, war nicht gering. Sie mußten ſtets 80 brauch⸗ 
bare Thiere bereit halten umb zu diefem Zweck — theils um bie 
franfen und mlden zu erfegen, theils um diefe die tiefe 
Schneebede für die beladenen Thiere fefttreten zu laſſen — 
mindeftens 150 Std mit ſich führen. Niemals haben ſich 
diefe beiden Leute das Geringfte zu Schulden kommen laſſen, 
waren ſtets willig und unverdroſſen, und behandelten aud) 
das Gepäd mit befonberer Sorgfalt. 

Nachdem man nun eine niedrige Waſſerſcheide Überfchrit- 
ten hatte, gelangte man an einen ziemlich ftarfen, nad) N.=D, 
fliegenden Fluß. Da man diefen für den Olenek hielt, 
folgte man feinem Laufe bis zum 28. April (11. Mai), 
am welchen Tage, weil die Renthiere zu kalben anfingen, 
Halt gemacht werden mußte. Ein Lager (unter 66% 261/,' 
nördl. Br.) wurde errichtet. Fünf Wochen brachte man hier 
zu, um das Aufgehen des Eifes auf dem Fluſſe abzuwarten. 
Die Zeit wurde benugt, um ein ſtarles Boot 2. zimmern, 
auf welchem man ben Olenek bis zu feiner Mündung in 
das Eismeer hinabzuſchwimmen gedachte, 

Am 7. (20.) Juni ſchien endlich der Fluß ſchiffbar zu 
fein und man begann die Fahrt. Es zeigte fid) aber bald, 
daß der Fluß noch zu fehr angejchwollen war, um eine ru⸗ 
hige und fichere Fahrt zu 'geftatten. Nachdem man etwa 
10 Werft zurlicgelegt hatte, legte man an, umam Ufer Halt 
zu machen und dort das Fallen bes Fluſſes abzuwarten. 
Das erfte, was man bei der Landung fand, war — eine 
Hütte, aus welcher, durch die Menfchenftimmen dazu ver- 
anlaft , ein alter Tungufe heraustrat. Sofort wurde ihm 
von allen Seiten die Frage zugerufen: „Wo befinden wir 
und? Am Dienet?* — „Nein,“ Tautete bie Antwort, 
„nicht am Dlenel, fondern am Monyero, der in die Cha 
tanga mündet, während der Dlenet weiter nad) Nordoften 
fließt." Auf längeres Zureden erklärte ſich der 9jährige 
Greis bereit, die Expedition nach ber nüchſten Stelle bes 
Dienel zu führen. Man verweilte hier zwei Tage. Die 
Padjattel wurden wieder in Ordnung gebradjt, das jet 
nutzloſe Boot aufgegeben, umd nachdem Czelanowski mög- 
fichft genaue Nachrichten über den Lauf des Olenel und des 
Monyero von dem alten Tungufen eingezogen hatte, ber 
Weg wieder zu Lande angetreten. Man z0g nad) D. und 
R-D., überfchritt die Waflerfcheide, und fam den 26, Juni 
(9. Juli) an den wirklichen Olenel und zwar an dem Punkt, an 
welchem die Tom ba in denfelben mlindet (670 18’). 17 Tage 
hatte ber durch tägliche Regengliſſe beſchwerte Marfch ges 
dauert. Die erfte Arbeit, weldye vorgenommen wurde, war 
das Zufammenfügen eines Floffes, denm flir den Bau eines 
Bootes fehlte es an Zeit, weil man eilen und die furze 
Sommerzeit benugen mußte, um den Olenek hinabzufahren. 
Gzefanowsti fandte von hier! den erften umd legten Bericht 
nad) Peterdburg und begann Ende Yuli die Fahrt, im ber 
Hoffnung, an den Ufern des Olenel jegt, als während der 
Zeit, in welcher die Günſe maufern, Eingeborene zu finden. 

Die Krummungen des Fluffes, jeichte Stellen und Sand- 
bänfe erſchwerten ein vafches Fortlommen. Alle Augenblide 
ſaß das Boot feft und konnte mitunter nur durd) YAusgra- 
ben einer Rinne flott gemacht werben. Anfangs traf man 

*) Für tiefes Verhalten haben fle von ber Laiferlich ruſſiſchen 


Geograpbifchen Geſellſchaft als Belohnung zwei prächtige Gallatafr 
tane zum Gefchent erhalten, 


gar feine Einwohner, fpäter einzelne Familien, die im weis 
ten Entfernungen, oft mehr als 100 Werft von einander 
lebten. 

Sie waren fehr mißtrauifch gegen die Reiſenden und 
verweigerten ihre Hulfe, ein Beweis daflir, daß fie Seitens 
der Behörden von der Ankunft der Expedition nicht in 
Kenntniß geſetzt worden waren. Ws nun ſchließlich ein 
widriger Wind eintrat und die Neifenden zwang, au Land 
zu gehen und das Herbftlager aufzufchlagen, was am 15, 
(28.) September unter 70% 281/, nördl. Br. in ber Nähe 
bed Standortes einer Nomadenfamilie geſchah, fandte Eze= 
tanowäti die ihm von dem Generalgouverneur eingehändig- 
ten offenen Befehle an die Vorſteher des Bezirks (Uluß), 
damit die Eingeborenen Anweiſung erhielten, der Erpedition 
ihre Unterftügung zu gewähren. Da er inbeffen wenig 
Hoffnung hatte, daß die Befehle ihren Beftimmungsort je 
erreichen wurden, jo benutzte er eine ſich ihm darbietende 
Gelegenheit , ſechs Humbdeichlitten zu erwerben. Dieſe wur: 
den mit dem möthigen Inftrumenten, Lebensmitteln und 
Neifeutenfilien bepadt und — während das übrige Gepäd 
bei den Tungufen im Lager zuritdgelaffen wurde — machte 
er am 30. September (13. Oct.) mit Herrn Müller fid 
auf den Weg und Beide wanderten zu Fuß am Olenel hinab. 
Am fiebenten Tage diefer Fußreiſe follte ihnen eine nicht 
erwartete große Freude zu Theil werben. 

Jene an den Vorſteher bes Bezirks abgefandten Befehle 
waren nämlich in die Hände eines Herrn Rjäſchetnikow 
gelangt, welcher früher während der Erpebition des Baron 
Mapydell in das Land der Tſchuktſchen ein Pilet in Ko— 
liymst commandirt hatte, jet aber an ber Lena lebte, von 
wo aus er nach Weiten bis zur Anebara und dem Po— 
pigai Handel trieb. Aus Reſpeet vor der faiferlih ruf- 
ſiſchen Geographifchen Geſellſchaft und als früherer Theil 
nehmer einer wiſſenſchaftlichen Expedition fand er ſich vers 
anlaft, felbftthätig einzutreten, und bies um fo mehr, ale 
er wußte, daß zur Zeit fein Mitglied der Behörde an dem 
fonftigen Stationsort anwefend fei, denn es war gerade 
die Zeit, wo die Borräthe für den Winter befchafft und die 
Fallen für die Pelzthiere aufgeftellt werben mußten. Ohne 
Zögern fuchte er den Uelteften der Jakuten, Beter Atſch— 
kafſow Chatygin, welcher bei Siltach an der Lena lebte, 
auf und beftimmte diefen, ohne erft die Behörden in Ans 
ſpruch zu nehmen, der Erpedition zur Hülfe zu eilen. 
Atſchtaſſow, ein wohlhabender Mann und im Befig zahl- 
reicher Wenthiere, machte ſich mit ben nöthigen Thieren 
fofort auf den Weg, und erreichte Cyelanowäti und Müller 
am fiebenten Tage ihrer Fußtour. Bon nun waren diefe aller 
Sorgen ledig. Der Jakute und feine Begleiter Übernahmen 
alle Mühen, welche es koftet, die Tundra in fpäter Yahres- 
zeit zu durchziehen. Unter deren Beiftand gelang es denn 
aud) der Erpebition, am 20. October (3. Nov.) die Mitn« 
bung des Dlenel zu erreichen. 

Von dort begab man ſich mad, Siktach an ber Lena. 
Atſchlaſſow lehnte jede Belohnung ab, und, um hinter feis 
nem Beifpiel nicht zuriidzubleiben, übernahmen die Mitglie- 
der der in Siktach gerade verfammelten Behörde ohne jede 
Berglitung den Transport der Erpedition bi an bie Grenze 
ihres Bezirls. Ueber Werdojanst, wo ſich ber Kreis— 
hauptmann wegen ber nicht geleifteten Hllfe vielmals ent- 
jchuldigte, erreichten die beiden verdienten Reifenden am 9. 
(22.) December Balutst und am 5. (18.) Januar 1875 
Irkutst. 

Die Refultate der ausgeführten Erpedition laflen fid) 
kurz im Folgendem zuſammenfaſſen. 

1. Gzelanowsfi hat vom Beginn der Reife an bis zu 
dem Punfte, an weldem ihn Atſchkaſſow erreichte, eine 


238 


Rontenaufnahme angefertigt. Diefe Zeichnung, bie gefam- 
melten Reifenotizen und die zahlreich eingezogenen Erlundi⸗ 
gungen enthalten alle Elemente zur Herftellung einer voll- 
Ränbigen Karte des durchreiften Gebietes. 

2. Müller beſtimmte die geographifche —* und Höhe 
von 48 Punkten und führte 24 barometrifche Nivellements 
aus. Außerdem hat er 3. vielfache Beobachtungen über ben 
magnetifchen Pol gemacht, und, was von befonderm wiſſen ⸗ 
fchaftlichen Intereffe ift, gefunden, daß der fibirifche Pol 
größter magnetifcher Intenfität nicht, wie es nad Gauß' 
Theorie der Fall fein follte, in 719 nördl. Br und 
1370 öftl. 2. von Ferro, fondern etwa 64 bis 65" nördl. Br. | 
und 1300 öftl. L., d. h. um 79 füblicher und ebenfoviel Grad | 
weftlicher, als nad, Gauß, liegt. 

4. Die von Miller innerhalb je 24 Stunden dreimal, 
an Ruhetagen ftündlid) vorgenommenen Beobachtungen er- 
gaben, daß im der Zeit von Ende Februar bis Mitte Yuli 
das Marimum der Temperatur 2892’ C. (umd zwar unter | 
651/026" nördl. Br), das Minimum — 45° E, (unter | 
61!/, nördl. Br.) betrug. Schneller Temperaturwechſel 
zeigte ſich häufig. 

5. Die nördliche Berbreitungsgrenze ber verfchiebenen 
Baumarten war überſchritten worden. Zuerſt verſchwand 


Aus allen Erdtheilen. 


die Silberpappel (60° 50’ nördl. Br.), dann die Weißtanne, 
demnächft die Prunella vulgaris (etwa 63°). Die Ejdhe, 
die Erle, die Birke ftiegen bis 66° nördl. Br., dort aber 
nur noch als Strauch, hinauf. 

6. Soweit der tiefe Schnee Zeit umd Gelegenheit zu 
ologifhen Unterfuchungen geftattete, waren ſolche von 
zefanomwäti vorgenommen worden. Bon ber Tungusfa 

bis zum Lager am Monyero fand er auf allen fd} ien 
Stellen ſtets Trappgefteine, weiterhin filurifchen Boden, 
durch welchen fich der Trapp gewaltfam Bahn gebrochen, 
theils ſich iiber bie Oberfläche ergoffen Hatte, theils auch in 
Adern duchgebrungen war. Weiterhin zeigte ſich ſiluriſcher 
Mergel und dann Kohlenformation. 

Zum Schluß bemerken wir, daß, wie neuere Nachrichten 
melden, Czelanowsli den urjprünglich abgelehnten ehren— 
vollen Auftrag der kaiſerlich ruffishen Geographijcen Ge— 
fellfchaft, zur Ergänzung feiner Arbeiten im Jahre 1875 
eine neue Forſchungsreiſe in das nördliche Sibirien anzu— 
treten, angenommen hat, auf welcher ihn freilich Herr Müller, 
welcher augenblidlich die Seitens der Gefelljhaft für 1875 
in Sibirien angeordneten Nivellements ausführt, nicht bee 
gleitet. Wir durfen hoffen, über die Nefultate diefer Er« 
pebition binnen Kurzem weitere Nachrichten zu erhalten. 


Aus allen Erdtheilen. 


Die Umgegend von Saloniti. 


Nicht viel Über eine Meile nörblich von Salonifi, dag von 
den Slaven Solun, von ben Türken Selanik genannt wird, 
nimmt ſchon das Territorium der Bulgaren feinen Anfang. 
Die nächiten Dörfer in nordweftlicher Richtung find Dudular 
und Araplij. Dieſe zwei Ortichaften ſowie alle anderen im 
Thale de untern Wardar machten auf Herrn Jlitſch, einen 
ferbijchen Offizier, der fich längere Zeit in der Umgegend von 
Saloniki aufbielt und deſſen Neijefchilderungen die Skizze 
entnommen ift, einen eigenthümlichen Eindrud. In denfelben 
und beinahe in allen übrigen in jenem Landftriche, aufer 
unmittelbar an der Slilfte, wo bie Griechen ſeßhaft find, woh— 
nen Bulgaren. Diefelben erkennt man fogleich an ihrer 
Sprache und ihrer Tracht, blauen Hofen, wollenen Jacken und 
dem rothen Fes mit dem ſchwarzen Tuche auf dem Haupte. 
Yu Salonifi ficht man fie gewöhnlich mit einigen ärmlichen 
Pferden durch die Stadt reiten, fie bringen Obft oder Gemüſe 
auf den Markt und ihre Frauen fchreiten neben den Pferden. 
Ihre Dörfer haben ein düſteres Ansehen: fo zu fagen nicht 
ein einziger grüner Baum belebt die aus Schlehdorn verfer: 
tigten Umzäunungen ihrer mit Stroh bebedten Hütten. Und 
im Allgemeinen fcheint das ganze äußere Ausfehen biefer 
Natur und diefer Leute den Stempel des äuferften Elends 
und eines mühſeligen Lebens an fich zu tragen. Wohl ſieht 
man ar der Küſte bier und da einige grünende Eypreffen- 
bäume, unter denen der Wanderer in der Sommerhige gern 
ausrubt, doch weiter von der Küfte verſchwinden fie gänzlich 
und der Blick fchweift über gelbe Wiefen ober über die mit 
Geſtrilpp bewachlenen Anhöhen des Gebirges Chortatic. 

Auf dem Wege nach Araplij begegnete der Reifende einer 
großen Karawane befabener Kameele. In jener Gegend bes 
dient man ſich ihrer ziemlich oft. 

As der Reilende mit feinen Begleitern in der Nähe des 
Dorfes Alibadihalar an eine Quelle kam, fand er bei 
berjelben bulgariiche Hirten, die eine Menge Ochſen aus dem 
Dorfe hierher zur Träne getrieben hatten. Die Hirten ers 
mahnten den Reifenden, das Waffer aus der Quelle laugſam 


zu teinfen, da baffelbe voll Bintegel wäre. Er ſah nur einige 
derfelben am Grunde der Quelle und er wehrte es nicht, 
daß feine Pferde mit diefem Waffer ihren Durft löſchten. 
Doch ſchon am Abende begann den Pferden Blut aus dem 
Munde zu rinnen und dies danerte fünf Tage bindurd. So 
lange plagte man fi), bi8 man den Mund der Pferde gänz- 
lich von jenen kleinen Blutſaugern geläubert hatte, Mit Ver: 
wunberung fragte ber Reifende bie Hirten, wie es füme, daß 
fie und ihre Schſen feinen Blutegel binunterfhlürften; fie 
antworteten ihm, daß fie fich fchon daran gewöhnt hätten. 
Diefe Duelle ift 500 bis 600 Meter von Alihadſchalar 
entfernt. 

Wie alle Neifenden beklagt fich auch Herr Ilitſch über 
die türkiihen Straßen und die türliſchen Gaſthäuſer. Nach 
mühſeligem Marfchiren bei fengender Hise und dichtent Staube 
muß man fih am Abend mit einer Zwiebel, einem Stitd 
Ichimmeligen Brote und einem Biffen alten Käſes begnügen. 
Die Nacht bringt man im Sommer fo zu wie es eben geht, 
hinter der Mauer eines balbverfallenen Han’s, liegend auf 
feiner Strohmatte, bededt mit der Pferdedecke und den Sat: 
tel unter dem Kopfe. Doch vergift man das am Morgen 
fehr leicht, wenn man nur nicht des Nachts aufftehen mußte, 
um einen verirrten hungerigen Eſel wegzutreiben, der ermattet 
fih an die Füße des müden Wanderers anlehnt, "um aus- 
zuruhen. 

Der Reiſende hatte bei ſich die Karte des Drin- und 
Wardarthales, die Prof. Kiepert in Berlin nad) den Angar 
ben des öfterreichifchen Confuls v. Hahn ausgearbeitet hat. 
Er rühmt die Brauchbarkeit diefer Karte und wirft ihr nur 
einige unbedeutende Mängel vor. 

(Die Umgegend von Salonifi gehört noch bente zu den 
unbefannteften Theilen Europas: wir willen in vielen Land: 
ftrichen Afrilas oder Inneraſiens beffer Veſcheid, als in diefer 
durch ihre einstige Blüthe und ihre geichichtlichen Erinnerungen 
bochberühmten Gegend. Kaum daß wir einige dürftige Nach 
richten über die beiben einft von griechiichen Pflanzftäbten 
dicht bededten weitlichften Halbinjeln des Chalcidice, Kaſſandra 
und Longos, befigen, von dem Innern ganz zu ſchweigen. 


Aus allen Erbtheilen, 


Noch mehr terra incognita ift das Land weiter im Norden 
zwiſchen Wardar und Karafır, den alten Arios und Strymon. 
Dort gab e8, wie Herobot erzählt, zu König Xerres’ Beiten 
fablbauern, die im Prafias-See hanften; dort wurden reiche 
überbergwerfe betrieben, die dem macedonifchen Könige 
täglich ein Talent (1200 Thlr.) abwarfen; bort gab es einen 
Stein, der ım Feuer brannte (Steintohlen). Von alle bem 
bat die Neuzeit noch nichts wieber aufgefunden. Es wirb 
mit eine Hauptaufgabe ber eben neu errichteten bentichen 
archäologifchen Schule zu Athen fein, diefen Gebieten ihre 
Aufmerkfamkeit zuguwenden und zu ihrer Erforfchung nach 
Kräften beizutragen. Es find dort noch ungehobene Schäge 
mancherlei Art zu finden; kam doch erft unlängft in Wimaly, 
faft vor den Thoren Salonifis, eine mächtige griechiſche Ju- 
fchrift zu Tage, welche die interefjanteften Aufſchlüſſe über 
Ereigniffe der altrömifchen wie der byzantiniſchen Epoche 
gleichzeitig lieferte, Red.) 





Kleinftäbtiihes Leben in Portugal. 

Mr. 3. Latouche hat Fürzlich in London „Reifen in 
Portugal" veröffentlicht, denen wir folgende intereffante 
Schilderung aus diefem wenig gefannten Lande entnehmen. 
Er erzählt: 

Die größeren Landftäbte haben ganze Straßen voller 
Herrenhäufer, in denen Jahr aus Jahr ein Familien fort 
vegetiren, welche gerade Geld genug haben, um obne Arbeit 
leben zu lönnen. Solches Leben koſtet aber nur wenig. Ein 
großes Hans mit einem Kohlgarten babinter, mit weißge- 
tiluchten Wänden, teppichlofen Fußböden, einem Dutzend höl⸗ 
zerner Stühle und ein oder zwei Brettertifchen: das ift Alles, 
Kein Herb, fein Ofen weder im Wohns noch im Schlaf: 
zimmer, feine Vorhänge am den Fenftern, keine Tiſchtücher, 
feine Bilder an den Wänden, feine Spiegel, kein Tifch, der 
in bunter Unordnung Bücher, Zeitungen, Zeitfchriften und 
Handarbeiten trägt, keine Blumenvafe, fein Porcellan, feine 
Uhr, keine Bronze, — nichts, nicht3 von dem hundert Heinen 
Sächelchen, welde bei und den Geſchmad reip. das Fehlen 
beffelben bei dem Hausbefiger documentiren und unferen 
Wohnungen ihren individuellen Charakter und ihren Neiz 
verleihen. Das Fehlen aller diefer Dinge kennzeichnet die 
äuferft traurigen Behaufungen der Mittelclaſſe in Portugal. 
Als Belhäftigungen der Frauen wäre nur Nähen, Plaudern, 
Meffchören und ftundenlanged Aus-dem-Fenſter-Gucken zu 
nennen. Bon dem kurzen Kirchgange abgefehen, zeigt fich die 
vortugiefiihe Fran faft nie auf der Strafe. Die Männer 
bummeln zwiſchen den Verkaufsläden herum, rauden zahl: 
loſe Papiereigarretten und halten in der Mittagshitze ihre 
Siefte. Scheint die Somme, fo ftehen fie gruppenweiſe an 
den Straßeneden, mit anfgefpannten Sonnenſchirmen in der 
Hand; im Winter hängen fie jich einen Shwal um die Schul: 
tern, der genau jo dreiedig zufammengelent ift wie ihn uns 
fere Damen tragen. So will es die Mode, und fie wird 
beibehalten, fo viel auch die Spanier ihre Nachbaren deshalb 
verfpotten. In diefen Städten giebt es nie eine Neuigkeit — 
und ſieht man einmal zwei Männer in eifriger Unterhaltung 
anfcheinend über einen Gegenftand von immenfer Wichtig: 
feit begriffen, und gelingt es Einem, dem Gegenftand des 
Geipräches zu erhorchen, fo ift es ſicher, daß das, was den 
Einen zur Verzweiflung brachte oder ihn in Begeifterung 
verfegtte, weiter nichts war, als daß der Preis eines Pfun- 
des Tabad um ein paar Pfenuige geftiegen ober gefallen ift. 
Sie haben nicht einmal Moden, über welche fie nachdenken 
önnten; denn Jung und Mit Meidet ſich ganz gleich, nur 
daß die jungen Männer furchtbar enge Schuhe tragen, welche 
ihnen ihre Spaziergänge und Wanderungen fehr unbequem 
machen müſſen. Indeſſen haben die jungen Männer noch 
eine wichtigere Beſchäftigung als die ift, enge Stiefel zu tra— 
gen, nämlich die zahmfte Form der Liebe in der ganzen Welt 
auszuüben. Das geſchieht mit fo viel Anftandegefühl und 


239 


in fo platonifcher Weile, daß felbft die ftrengfte Gonvernante 
nichts dawider haben könnte. Denn ‚die jungen Herren be 
weiſen ihre Zuneigung nur dadurch, daß fie vor dem Haufe 
der Angebeteten ſich aufpflanzen, während dieſe beifällie aus 
bem Fenfter ſchauen. Und damit hat die Sache ein Ende, 





Chokand. 


Im vorigen Bande des ‚Globus“ S. 191 war der Chan 
von Ehofand als Finanzkünftler geichildert worden, d. h. als 
der babgierigfte, graufamfte Tyrann, den man fich denfen 
fann, Mebrmals hatte fich das nequälte und geichundene 
Volk gegen Chudojar-Chan erhoben, aber ftet3 war es ihm 
mit Hillfe feiner europäiſch einerercirten Soldaten gelungen, 
diefe Empörungen nieberzumwerfen. Auf die fürchterlichite 
Weiſe wurden dann die Näbdelsführer beftraft, ganze Fami- 
lien vor den Augen des Tyrannen erläuft, den Vornehmiten 
vor den Balaftpforten die Köpfe abgefchnitten. Dies dauerte 
fo lange bis der Chan feine Söldner nicht mehr bezahlen 
fonnte; und al3 diefe im Juli von ihm abfielen, brach der 
Aufruhr unter Abdurrhaman Awtobatſchi los. Der Chan 
floh mit feinem Harem in die ruffiiche Geſandtſchaft und um: 
ter deren Schutze anf ruſſiſches Gebiet nach Chodichend. Aber 
damit hatten die Chokander nicht genug; fie brachen in die 
ruffiichen Befigungen ein, um die dortige Bevöllerung auf: 
zuwiegeln. Wiederum fah fih Nufland genöthigt, zu den 
Waffen zu greifen. Die feindliche Hanptabtheilung in einer 
Stärke von 5000 Mann wurbe gefchlagen, der Sturm auf 
Chodſchend abgewehrt und dann zum Angriff übergegangen. 
Augenbliclich befindet fih der Generalgouvernenr von Zur: 
keftan, von Kaufmann, fchon auf dem Mariche gegen Chor 
fand felbft. 

Trefflich find übrigens die Bemerkungen, mit denen ber 
Golos“ diefe Nachrichten begleitet (Nat.:Ztg. 1875, Nr. 418): 
„Beigen übrigens nicht alle diefe Nachrichten, wie leicht die 
Ruhe in den an unſere Befigungen grenzenden Chanaten ge: 
ftört wird und wie fchwer es bei allem guten Willen ift, 
fich ein filr alle Mat von einer angreifenden Politik im Orient 
loszufagen, deren Nothwendigkeit man in England fo gut 
begreift, ſobald es fih um Oſtindien handelt, und die fich in 
der Sprache einiger Parlamentsredner mit einem Schlage in 
„unaufhaltfame Eroberungsiuft“ verwandelt, fobald auf die 
ruffifchen centralafiatifchen Beſitzungen bie Rede kommt? Jede 
Erregung in den Chanaten fpiegelt fih mehr oder weniger 
einflufrreich auch im unferen Befisungen ab. Kanu man 
faltblütiger Zuſchauer folcher Unordnungen bleiben und mit 
Chanen Geremonien machen, die nicht im Stande find, die 
Ruhe in ihren Ländern aufrecht zu erhalten und bie recht: 
mäßige Erfüllung der mit ihnen um gemeinfamer Bortheile 
willen geichloffenen Verträge fiherzuftellen? Es fcheint uns, 
daß es am der Zeit ift, zum Nusen der Chofander und 
Kaſchgarer jelbft mit der vermeintlichen Unabhängigkeit beider 
ein Ende zu machen, da diejelbe in Wirklichkeit eine Duelle 
unaufhörliher Wirren und Erhebungen ift. Diele Chanate 
find von der Natur ſehr reich ausgeftattet, und es wiirde 
fowohl der eingeborenen Bevölkerung ald and ber ganzen 
gebildeten Welt unzweifelhaften Nuten bringen, wenn biefe 
Gegenden europätfcher Cultur erichloflen würden.“ 





Uruguay. 

Ueber die gegenwärtigen Buftände in diefem fübamerifa- 
nifchen Staate fchreibt die „Allgemeine Deutſche Zeitung für 
Brafilien* in Nro. 56 vom 17. Juli 1875: i 

Das in ewigen politifchen Convulſionen befindliche Laub 
liegt im Augenblid fo darnieder, daß an einem Auflommen 
ohne fremde Einmiſchung ſehr zu zweifeln ift. 

Es ift ein Sammer, die jebigen Verhältniſſe eines Lan— 
des anzufehen, welches durch feine Lage und feine überaus 
günftigen Bodenwverhältniſſe berufen it, eine hervorragende 
Stellung unter den ſüdamerikaniſchen Staaten einzunehmen, 


240 


Die gegenwärtige Regierung bed Don Petro Varclla, | 
durch einen Gerwaltftreich gegen bie vorherige unter Ellanri 
and Ruder gelangt, hat gleich nach ihrer Inſtallirung au: 
nächft eine Anzahl von Gegnern deportirt und auf einem 
elenden Segelfahrzeuge nach Havana geſchickt. Auf ihrer Reife 
hatten diefe Ansgewiefenen zunächſt bie Hoffnung, in Brafi: 
lien an Land gelangen zu können, mußten indef bis nach 
Euba fortfegeln. Dort angelangt, wehrte man ihnen die 
Ausſchiffung und nad) den in den legten Tagen angelangten 
Telegrammen find Schiff und Ausgewieſene in Charlefton 
angelangt. Mittlerweile fanden eine Anzahl von Pronun: 
ciamientos gegen die Regierung Varella ftatt, welche fämmt- 
lich geicheitert find. Es fcheint nur eine fähige leitende Kraft 
zu fehlen, um das jetige Gouvernement zu ftürzen. 

Die finanziellen Schwierigfeiten des Landes veranlaßten 
die Regierung Varella's zu den tollföpfigften Maßregeln uud 
diefe haben zum Bruche der geachtetften Banfen und Handelss 
geichäfte beigetragen. Neue Emijfionen von Papiergeld find 
das Rettungsmittel, welches die Regierung verjucht ; das 
Vertrauen ift indeß bis auf Null gefallen, Gold ift nur mit 
96 Procent Agio zu haben. Ein Verſuch, auf die Börfe zu 
driüden, brachte hervor, daß die überwiegende Zahl der Makler 
ſich ftreichen ließ. Alle Mittel, um dem derretirten Zwangs: 
cours für das Papiergeld effectiv zu machen, Icheiterten und 
der Handelsftand trat denfelben mit einem Compromiß gegen 
über, welcher die Negieruug zu Verzweiflungsichritten treibt. 
Gegen die Unterzeichner des „Kompromiffes* wurden neue 
Gewaltmafregeln gebraucht: Gefängniß und Geldftrafen, 
Alles ohne Erfolg. Die Negierungsblätter und unter ben- 
felben die „Zribuna” (von Montevideo) verlangen energijche 
Maßregeln gegen die Unterzeichner, 3. B. die Beſchlagnahme 
aller Güter derjelben. Daffelbe Blatt jagt, „in Kürze werde 
es nöthig fein todtzufchlagen, um zu leben” (matar para 
vivir). Alle Material: und Zeugwaarenhändler erhielten eine 
Ordre der Regierung, bad Papiergeld für den ausgebrüdten 
Goldwerth in Zahlung zu nehmen, bei Strafe der Verhaf— 
tung. An der Börfe werden Eransactionen in Gold ver: 
boten und ift daffelbe nur mit 96 Procent privatim zu haben. 
Eine Anzahl von Handelshäufern ſchließen ihre Geſchäfte und 
liquidiren. 

* * 2 

— Mr, George Smith, über deſſen Entdeckungen und 
Schriften auf dem Gebiete der Keilinſchriften wir mehrfach, 
äuletst in Bd. XXVII, S. 172 ausführlich, berichtet haben, 
bat vom Vorftande des britifchen Mufeums den Auftrag er: 
balten, feine Ausgrabungen in Ninive wieder aufzunehmen, 
und gedenkt im October nach dem Orient abzureifen. Sein 
neueftes Werk über den ‚Chaldäiſchen Bericht von der Sint: 
fluth* befindet ſich unter der Preſſe und wird nächitens erfcheinen. 

— Aus Japan kommt die Nachricht, daf eine mächtige 
Sandbant ſich plötzlich vom Meeresboden bei Kaſuska erbob 
und der gegen 50 Fuß tiefe Hafen von Mito im einer ein: 
zigen Nacht ſich anfüllte, fo daf die Oberfläche des Sandes 
etwa 3 Meter böber liegt als der frübere Meeresſpiegel. 
17 Schiffe lagen gerade im Hafen, welche insgefammt enter: 
ten und im Sande begraben wurden. Wahricheinlich hat 
eines der am jenen Kitften häufigen Erdbeben diefes Phäno— 
men erjengt. 

— Die Einwanderungsausweife von allen Häfen 
der Vereinigten Staaten weilen für das mit dem 30. 


Aus allen Erbtheilen. 


Juni 1875 abgelaufene Verwaltungsjahr eine Geſammtzahl 
von 227,277 Einwanderern auf, gegen das Vorjahr eine Ab: 
tabme von 85,962 Seelen. 139,880 waren männlichen, 87,497 
weiblichen Geſchlechts. Davon famen aus Deutſchland 47,760, 
Irland 37,955, England 40,098, Canada 18,654, China 
16,438, Frankreich 8315, Rußland 7982, Schottland 7309, 
Defterreich 6352, Norwegen 6098, Schweden 5573, Jtalien 
3570, Neu-Schottland 2874, Dänemark 2636, der Schweiz 
1894, New Braunfchweig 1505, den Azoren 1176, Cuba 1134, 
Huftrafien 1097, Polen 948, Ungarn 776, Portugal 763, 
Belgien 608, Spanien 570 und Wales 449. Nur die Eins 
wanderung aus China hat zugenommen, faft alle anderen 
genannten Länder ftellten in den Vorjahren ein größeres 
Contingent. Die Haupturfache diefer Abnahme liegt in dem 
Mangel an Beihäftigung und der Verringerung der Löhne 
in den Vereinigten Staaten. So bat zum Beijpiel der Lohn 
der Feldarbeiter gegen 1869 um 22 Procent abgenommen 
und beträgt jetzt nur mehr 12 Doll. 40 C. per Monat eins 
ichliehfich der Koft. Am niebrigften find die Löhne in den 
Süpdftaaten. (Mat.:$tg.) 

— Ron demnäcft ericheinenden engliſchen Reife: 
werten find namentlich hervorzuheben: Dr. Bellew, deſſen 
Werk tiber Balutſchiſtan, Afghaniſtan und Berfien (From the 
Indus to the Tigris) wir umlängft lobend erwähnten, fchil- 
dert unter dem Titel: „Kashmir and Kashghar“ die Ge— 
fandtfchaftsreile von Sir D. Forſyth zu dem Beherrſcher von 
Oſtturkeſtan (1873 bis 1874). Dr. Anderfon, Director des 
Judiſchen Muſeums und Profeffor der vergleichenden Ana: 
tomie in Galcntta, beichreibt als Angenzeuge die beiden engli- 
fchen Erpeditionen nach Weſt-Munan, die des Major Sta- 
den und des Oberften Horace Brown, welche beide wenig 
mehr erreichten, ala eben die Grenze des chinefifchen Reiches 
zu überfchreiten. Der Earl of Dunraven erzählt unter 
dem Titel: „The Great Divide* feine Erlebniffe von 1874 
in dem unſeren Lefern wohlvertrauten Gebiete des obern 
Nellowftone; während der befannte Nordpolfahrer James 
Lamont über die Entvedungs: und Fagdfahrten, welche er 
in den Jahren 1858, 1859, 1869, 1870 und 1871 im nörb- 
lichen Eismeere ausführte, in „Spitzbergen aud Novaya 
Zemlya, with the adjacent Seas“ berichten wird. Bon be 
fonderm Intereſſe für den Ethnologen verfpricht ein Bud 
zu werden, weldes den Paſtor W. W. Gill zum Verfaffer 
bat und eine Vorrede von Brofeffor Mar Müller bringt: 
‚Mythenund Gefänge des ſüdlichen Stillen Oceans.“ Gil, 
der lange Jahre auf den Infeln jenes Meeres zugebracht hat, 
ſammelte diefelben and dem Munde ber Eingeborenen und 
verwendete viele Miübe auf eine Vergleichung der verichiede- 
nen vorhandenen Verfionen. Generalarst Gordon, welcher 
foeben Birma befuchte, arbeitet an einem Bericht iiber den 
Handel, die Zoologie, Botanik, Ethnologie u. ſ. w. diefes für 
engliiche Intereffen jett jo wichtigen Landes. 

— In den beiden mericaniichen Staaten Mihoacan 
und Guanajato treiben revolutionäre Banden ihr Unweſen 
mit Sengen, Bremen und Plündern, wie fie jüngft den Ort 
Acatringan völlig zerftört haben. Die Regierung bat noch 
immer feine energilchen Mafregeln getroffen, um jenem Trei- 
ben, unter weldhem namentlich) die Bewohner von Michoacan 
ſchwer leiden, ein Ende zu machen, und ihre wenigen 
Truppen, die gegen die Rebellen im Felde fteben, fcheinen 
die Kampfweiſe derfelben adoptirt zu haben, indem fie die 
Randerien von San Juanito einäfcherten. 


Inhalt: Am Nordgeftade der Adria. IV. (Mit fieben Abbildungen.) (Schluß) — Ein ungarischer Sprachforſcher in 


der Mongolei. Von Hermanı Bambery. I. (Schluß) — Skizzen ans Chile. Bon Dr. med. Georg Thiele V. — 


englifchen Himalaya-Befigungen. Bon Emil Schlagintweit. 


Die 
I. — Die Dienet-Erpedition von Czekanowski und Mül: 


ler. — Aus allen Erdtheilen: Die Umgegend von Saloniti. — Kleinſtädtiſches Leben in Bortugal. — Chokand. — 
Uruguay. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 24. Scptember 1875.) 


Medarteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lintenftrafe 13, II Tr. 
Truf und Verlag von Friedrich Vitweg und Sohn in Braunſchweig. 


* 
N 


Band XXVM. 


Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 





Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit Fahmännern und Künſtlern herausgegeben von 


Dr. Ridhard Kiepert. 


Braunſchweig 


Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern, Monatlih 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Rummern 50 Bf. 


1875. 








Der Markeſas-Archipel. 


IT. 


Der Hafen von Waitahı liegt am ber Weſtkliſte von 
Tanata und in der Nähe deſſelben bemerkt man die Ruinen 
des Forts, welches nad) der Beſitznahme der Infel, am 1. Mai 
1842, erbaut wurde. Bei Ankunft de8 „Vaudreuil“ 
tar gerade ein amerikanischer Walfifchjäger befchäftigt, Waſ⸗ 
fer einzunehmen. Die ganze an der Bay wohnende Bevöl- 
ferung jand fid) ein, 

Gewöhnlich gehen die Eingeborenen faft ganz nadt, nur 
mit dem Hami, einem Sthick baumwollenen Zeuges, ober 
mit der Tapa befleidet, welde um die Yenden gejchlagen, 
zwifchen den Beinen durchgezogen und hinten mittelft einer 
Schleife mit fliegenden Enden befeftigt wird. Die Tapa 
wird von den Eingeborenen aus der Rinde gewiſſer Bäume 
gefertigt, indem man diefe mit einem Holzhammer bearbeitet. 
Am ſchönſten wird fie auf der Infel Futuna bergeftellt, 
wo man es verfteht, derfelben vecht geſchmackvolle Mufter zu 
geben. In diefem Zuftande wird fie Sipoi genannt. Bei 
Ankunft des „Baudreuil* Hatte die Benölferung ihre Feft: 
fleider angelegt und zwar nicht diejenigen, welche fie ſelbſt 
derfertigt,, fondern theils europäische Stüde, die fie ſich bei 
irgend einer Gelegenheit zu verſchaffen gewußt hatte, teils 
die leichte Tracht von Tahiti. 

Die Marfefaner haben, wie alle Eingeborenen Poly: 
nefiens, fchlichtes Haar, welches fie mit einem Stoffbande 
in der Weife zufammenfaflen, daß auf jeder Seite des Kopfes 
eine Wulft oder eine Art Meinen Horns gebildet wird. Die 
Stirn ift frei und die ſchwarzen Augen find ſehr ausdrudd- 
vol. Die Männer find regelmäßiger gebaut wie die Frauen 

Globus XXVII, Nr. 18. 


und ihre Züge find marfirter. Hat man fid) erft am die 
Tättoroirung gewöhnt, fo fieht man unter biefem bizarren 
Scmude oft ſehr ſchöne Leute. 

Faſt alle rafiren den Körper und einen Theil des Kopfes. 
Auf den Infeln des Archipels, mo das Raſirmeſſer noch un: 
befannt ift, bedient man ſich zu diefer Operation eines aus 
Haifiſchzähnen gefertigten mefjerartigen Inftrumentes ober 
einer Glasſcherbe. Die Greife laflen den Bart wachſen, 
meiftens aus Speculation, da das weiße Barthaar zum An— 
fertigen von Schmud fehr theuer verkauft wird. Jouan, 
der mehrere Jahre hindurch das Amt eines Nefidenten befleis 
dete, kannte einen alten Franzoſen, der von einem Häupt⸗ 
linge nur feines weißen Bartes wegen unterhalten wurde. 

Manche der Eingeborenen flechten die Haare an einer 
Seite des Kopfes und durchziehen fie mit den Zähnen des 
Meerfchweins oder mit Glasperlen, ein Zeichen, daß fie 
irgend einen Act der Rache auszuführen oder einen Feind zu 
töbten haben. Die Berpflichtung zur Nache ift erblich, gleicht 
aljo gemau der corfiicen Vendetta. 

Im Allgemeinen bleibt der Kopf ohme jede Bedeckung, 
zuweilen jedoch wird ein hornartiger, aus Blättern bergeftell» 
ter Kopfpug getragen. 

Als Pailhes das Haus der katholiſchen Miffion erreichte, 
wurden in demfelben geiſtliche Lieder im der Spradje der 
Eingeborenen gelungen. Es fand gerade die Vertheilung 
der Preife in der von dem franzöfiichen Miffionär geleiteten 
Schule ftatt. 

In den Hütten der Eingeborenen, in die man ohne bes 

81 


242 


fondere Einladung eintreten kann, befindet ſich nur ein fehr 
geringes Mobiliar. Ar der Dee hängen große, mit Tapa 
überzogene Bündel, welche die Feſttleider enthalten, Körbe 
mit den aus Hahnenfedern angefertigten Diademen, Lampen, 
hergeftellt aus den Nüflen der Alenrites tribola und als 
Docht mit den Rippen von Kolosblättern verjchen, Fiſcherei ⸗ 
geräthe, Waffen, Holzgefähe verſchiedener Größe, Beile, Fla— 
{chen und andere europäifche Utenfilien. 

Die Eingeborenen, welche die Gegend von Tashufı 





Der Marleſas-Archipel. 


auf der Infel Hiwma-Da bewohnen, find ſehr Händelfüchtig, 
namentlich dann, wenn der Kolosbranntwein oder die Spis 
rituoſen, die fie ſich von den Kliftenfahrern oder Walfiid)- 
jägern faufen, ihren Einfluß üben. 

In Taio-Hae, wohin der „Vaudreuil“ zurüdtchrte, 
fah man einen Bogel, den die Eingeborenen Upe (Serresius 
galeatus) nennen und welder den weftlichen Theil von 
Nuku-Hiwa bewohnt Er gehört zu den Tauben, hat die 
Größe eines Meinen Huhns und ein grünliches Gefieder und 


94 
i 














Er, 


Sirieger, Frau und Greis auf den Markeſas. 


wird zubereitet fin einen Leckerbiſſen gehalten. Im Innern 
der Infel befindet ſich eine hier und da mit fleinen Seen 
verfehene Hochebene. 

Dort trifft man eine große Menge von Ziegen, Ab— 
fönmlinge derjenigen Thiere, welche Porter im Jahre 1813 
auf Nuku-Hiwa zurüdlieh. Ste haben fid reichlich vers 
mehrt, Dank dem furdjtbaren Berbote des Tapır oder Tabır, 
mit dem ihre Tödtung belegt wurde, 

Die Königin der Infel bewohnt eine gut eingeric)- 


tete Hlitte im Weften ber Bay, umgeben von pradjtvollen 
Bäumen. Sie ift eine Frau von mittlerm Alter und von 
anmuthigem und gefälligem Aeußern. Ihre rechte Hand 
iſt ein Meiſterwerl der Tättowirung. Ihr Name it Wactö, 
fie ift die Wittwe von Te-Moana, der im Dahre 1853 
zum Chriftentfume überging, und felbft eine fanatiſche An- 
hängertn ber fatholiichen Kirche. Ihr wird ein Theil der 
Venſion ausbezahlt, die ihrem Gatten von der franzöſiſchen 
Regierung ausgeworfen worden war. In feiner Jugend 


Der Marleſas-Archipel. 


war Te⸗Moana fehr wild und fah fich eines Tages in 
Folge eines gegen ihn ausgebrochenen Aufſtandes genöthigt, 
Zuflucht auf einem englifchen Schiffe zu fuchen, das ihn 
nach London brachte, fiebte es jpäter nicht, von diefer 
Reife zu fprechen, während beren er mandje eines Häuptlings 
nicht wilrdige Behandlung erfahren mußte. Hatte man ihn 
doch ſogar im Yondon flir Geld fehen laſſen. 

Das Klima der Markefas-Infeln gilt, obgleich, e8 warm 
und feucht ift, für fehr gefund. Der Wechſel zwifchen der 
trodenen Dahreszeit und ber Regenzeit ift nicht immer be 
ftimmt begrenzt. Es regnet gewöhnlich; in den Monaten 
Mai, Ium und Juli, während im November und December 
die Vegetation durch große Dürre zurückgehalten wird. Im 
manchen Jahren erreicht die Trodenheit einen foldyen Grad, 
daß die Bäche wafferleer werden und die Frilchte nicht zur 
Keife gelangen. Dann tritt Hungersnoth ein, wenn bie 
Eingeborenen nicht bei Zeiten für große Vorräthe von Popoi 
gejorgt haben. 

Die Martefaner find ziemlich, ſchweigſam, und wenn fie 
ſprechen, fo geſchieht ſolches in einen tiefen Bafje und indem 





243 


fie die einzelnen Silben ihrer Sprache ſcharf betonen. Auch 
die Frauen und Kinder haben verhältnigmäßig fehr kräftige 
Stimmen. Die Sprache felbft ift einer der unausgebildetſten 
Dialekte Bolynefiens, fie enthält viele k und eine große Menge 
von Nafjaltönen. Auf der füdöftlichen Infelgruppe ift fie 
weniger hart, da hier an die Stelle des k das n tritt und 
das fcharf afpirirte h dburd) ein f erfegt wird. Selbft unter 
den Stämmen ein und derfelben Juſel herrſcht bezüglich ber 
Sprache Verſchiedenheit. 

Ueber die großen Feſte, welche die Eingeborenen bei be— 
ſtimmten Gelegenheiten feiern, hat Jouan in feinen Diemoi« 
ren Mittheilungen gemacht. 

Es iſt nicht zu verwundern, daß in einem fo warmen 
Klima die Bewohner zur Trägheit neigen und zwar um jo 
mehr, als die Natur Alles thut, um ihnen die Sorge fllr 
ihren Unterhalt zu erfparen. Nur der Reiz des Berguligens 
und zumeilen bie Cigenliebe ift geeignet, dieſe ſchweigſamen 
Menſchen aus ihrer Mpathie aufzurltteln. Oft bejchäftigt 
fi, ein Stamm drei bis vier Jahre hindurch mit den Bors 
bereitungen zu einem Feſte, welches aus Anlaß des Todes 


Bi — — 
Tre — 


Anthropophagen. 


eines Häuptliugs, oder der erſten Tättowirung eines Yüng- 
lings von hohem Nange, oder der Einweihung irgend eines 
vollendeten Werkes, wie z. B. einer Piroge, eines Haufes, 
gefeiert werden fol. 

Der alte Gebrauch, „den Keflelhaten aufzuhängen“, wird 
genau beobachtet und man begeht bei diefer Gelegenheit ein 
deft, eine Koika, zu welchem die befreundeten Stänmme 
geladen werden. Im Dfen gebratene Schweine, Banianen 
und Fiſche werden vorher zubereitet umd am Vorabend mit 
großer zFeierlichleit und unter wilden Geheul auf den öffent: 
lichen Pla gebracht. Der Tag des Feſtes ſelbſt wird durch 
die Weifen des Stammes beftimmt, gewöhnlich füllt er in 
die Zeit, wo der Mond im erften Viertel fteht. Die Nacht 
hindurch jchläft man wenig. Die kräftigen Männer ver« 
weilen, indem fie fingen und Kava genießen, in den am 
Plage liegenden Hätten, während die anderen fowie die 
Frauen und Kinder ihre Anzüge herrichten. Die Kinder 
befonders fpielen eine große Rolle bei ber Koila. Tage, 
ja oft Momate vorher reibt man fie mit dem Safte geiler 
Pflanzen ein, um ihre Haut zu bleichen, dann badet und 


wäjcht man fie umd hierauf Heidet man jie an. Einige wer 
den in mehr als hundert Meter Tapa eingewidelt, während 
der Kopf mit einem Diaden von Turteltauben« oder Papa- 
geienfedern uud daritber mit einer vollftändigen Müge von 
weißen Barthaaren geſchulickt wird. Die Rucſeite des 
Kopfes wird mit einem Stück Tapa in der Weiſe verhüllt, 
daß eine Art Cocarde in der Preite eines Meters entfteht. 
Bei Tagesanbrud; ertönen die Trommeln auf dem öffent 
lichen Plage und ihr Yärmen wird mit einem furchtbaren 
Geheul begleitet. Die Geladenen finden fich nun auf dem 
‘Plage ein, die rauen fegen ſich auf die Paepae (die Platt: 
formen, auf denen die Hütten ftehen), während die Männer 
einen Kreis bilden, um unter Trommelbegleitung die Thaten 
und die Bindniffe des Stammes zu befingen. Dabei ſchlagen 
fie die Hünde an einander oder auf die Yenden, oft jo hei: 
tig, daß Blutstropfen durch die Haut dringen. Dieſe Ge— 
fänge und Gefliculationen eigen das Ulaula, Der Sefang 
bejteht in einer monotonen Recitation, zuweilen durch Geheul 
unterbrocdyen. Nimmt man dazu das wilde Ausjchen ber 
BVetheiligten, von denen manche am Gürtel mit Heinen Stei- 


81” 


244 


nen gefüllte Menfchenfchädel tragen, ſowie bie ſchreckliche 
Mufit, jo ift es begreiflich, daß der civilifirte Zuſchauer eine 
Gäuſehaut befommen fann, wie es ben erſten Sciffern 
erging, welche die Infel befuchten. 

Im dieſem Augenblicke langen die Kinder an, jebes von 
einem Manne getragen umd begleitet von jungen Mädchen, 
weldye in ihren Händen die Zipfel de8 Tapa-Gewandes hal- 
ten, mit dem fie befleibet find. Neue Matten werden auf 
ben Boden ausgebreitet und auf diefe werden die armen 
Kleinen gefegt, welche im ihrer dichten Umbiillung bide 
Schweißtropfen vergiefen und die Arme wie Caftagnetten- 
fchläger ausftredten, ein Vergleich, der um fo mehr zutrifft, ale 
an den Fingern Heime Bitjchel von Federn und weißen Bart: 
haaren befeftigt find, 

Im einiger Entfernung, auf einer beſonders dazu her 
gerichteten Erhöhung, haben ſich die Muſiler niedergelaſſen, 
meiftens Greife, welche ohne irgend welchen Tact in ein aus 
einer großen Muſchel gefertigtes Horn ftoßen. An der Seite 
berfelben befinden fich junge Yente, die Löwen bes Feſtes, 
welche das Privilegium haben, die fie umgebenden Frauen 
zum Laden zu bringen, Sie heißen Navenade, was ſich 
durch das ſpaniſche Gracioso am beften liberfegen läßt. 
Ihre Bekleidung ift beinahe 
diefelbe wie die der Kinder 
und auch bei ihnen werden 
die Einreibungen mit Kolos⸗ 
öl nicht gefpart. Zuweilen 
führen unbekleidete Frauen 
Tänze auf. Es macht einen 
widrigen Eindrud, häßliche, 
nur mit einem von ber Ma— 
gengegend bis unter ben 
Nabel reichenden Gürtel aus 
Tapa befleidete Matronen in 
der Weife tanzen zu fehen, 
daß fie mit geſchloſſenen 
Knien in regelmäßigen Zwi⸗ 
ſcheuräumen fpringen. 

Diefes ift der öffentliche 
Theil der Koifa, deſſen An- 
blif, wenn man das Er: 
ſcheinen ber verſchiedenen 
Stämme unter dem ſchatti— 
gen Dadje der gewaltigen Bäume, die impofante Tracht ber 
Männer umd die Eleganz der Frauen zufammenfaßt, viel 
Anziehendes hat, was nur durch das wilde Geſchrei der 
Feiernden abgeſchwächt wird. Alles geht jo ernfthaft her, 
daß man faum glauben follte, bie Betheiligten fünden Ver— 
gnügen an dem, was fie feit Monaten vorbereitet hatten. 

Auf einer Seite des Plages ift eine Art von Altar errich-— 
tet, welcher mit Laubwerk und rohgearbeiteten Statuen ger 
fchmüdt ift, von denen die eine einen fipenden Mann, bie 
andere eine riefige Eidechſe darftelt. An diefem Altare wer: 
den oft die Schädel der getödteten Feinde niedergelegt, 

Nach einigen religiöfen Ceremonien verfiindet ein Herold 
den Berfammelten, daß die Koifa zu Ehren biefes oder jenen 
Stammes, dieſes oder jenes Hänptlings abgehalten werde, 
welcher Schweine, Popoi u. ſ. w. befige, Darauf findet die 
Vertheilung der Speifen unter die Gelabenen ftatt, während 
biejewigen, welche das Feſt geben, nicht eflen und an dem— 
felben überhaupt nicht THeil zu nehmen ſcheinen. Die Säfte 
nehmen dasjenige, was fie nicht verzehren, mit nad; Haufe. 

Nach diefer Bertheilung beginnen die Gefänge und das 
Heulen in verftärktem Maße aufs Neue und währen bis 
gegen 1 Uhr Nachmittags, um welche Zeit man, wie ger 
wöhnlid), Sieſta hält. Nach gepflogener Ruhe nimmt das 


17 












“ 


Er? 


— * N: —— 


Nicht entzifferte Inſchrift einer Inſel des polyneſiſchen Archipels. 





Der Marleſas-Archipel. 


Feſt ſeinen weitern Berlauf und dauert ſo gewöhnlich drei 
Tage und drei Nächte hindurch. Der Kaba und überhaupt 
bie geiftigen Getränfe, wenn man fi) beren verichaffen 
fonnte, werben nicht gefehont, ſo daß ſchließlich die Orgie eine 
vollftändige wird, 

Während der Dauer der Koila ift es micht geftattet, ge« 
gen die Theiluehmer irgend einen Act der Feindſeligleit aus- 
zuführen. Geſchähe ſolches dennoch, jo würde der veligiöfe 
Zwed der feier micht erreicht werden, Zuweilen wird übrie 
gend dieſes Verbot nicht geachtet, wie im Jahre 1856, wo 
ein biutiger Krieg auf der Juſel Ua-Uta die Folge war. 
Auf den Snfeln, wo fich der abenbländifche Einfluß noch nicht 
geltenb gemad)t hat, find mit der Koifa im gewiſſen Fällen 
Menſchenopfer verbunden, an deren Stelle auf Nuku- 
Himwa die Opfer von Meerfhildfröten, Hunden und Schweis 
nen getreten find. 

Die Eingeborenen lieben, außer bei ſolchen Feſten, weber 
Demonftrationen noch das Geſpräch. Hat man fie mit 
„Kaohal“ (Guten Tag) begrligt und ift nian gefragt wors 
den, woher und wohin, fo hat die — ——— 
ihr Ende erreicht, Anfangs find fie wie alle Wilden miß- 
trauiſch, diefes Miftrauen aber ſchwindet zufehends, fobald 
fie diejenigen, von benen fie 
befucht werden, genauer ken⸗ 
nen gelernt haben. Sie find 
fehr gaftfrei und fanft, aber 
— um biefen Ausdrud zu ges 
brauchen — negativ, umb 
man darf bei ihnen nicht die 
Gefühle civilifirter Böller 
fuchen. Liebe, Freundſchaft, 
Sinn fir Familienbande, 
furz alle Regungen des Her: 
zens und der Seele find bei 
ihmen nicht zu finden. Der 
Tod des Vaters betrlibt den 
Sohn durdjaus nicht, die 
Mutter jieht gleichgültig ihr 
Kind fterben, welches vom 
Augenblide der Geburt an 
fremden Händen überlaffen 
bleibt. Nur phyſiſche Noth 
vermag die Einzelnen zu 
berbinden und zu gemeinfamem Handeln zu bewegen. 

Kaum fühlt ſich eine rau guter Hoffnung, fo befchäftigt 
fie ſich auch ſchon mit der Frage, wer ihr Sind adoptiren 
fol. Selten nämlich werben die Kinder von den Eltern 
erzogen, wie denn Überhaupt eine Familie nad} abendländifchen 
Begriffen nicht eriftirt. Es if diefe Sitte wahrjcheinlich 
aus dem Bedlirfniffe entfprungen, Verbindungen mit anderen 
Familien und anderen Stäumen zu fehließen, um ſchwierige 
Streitigleiten innerhalb der Berwandtſchaft leichter beilegen 
zu können. Außer den Aboptionen neugeborener Kinder 
finden foldye auch’ zwifchen Leuten jeden Alters und jeden 
Geſchlechtes ftatt. Nichts ift gewöhnlicher, als daß ein Kind 
ſich Vater oder Großvater eines Greifes nennt. Die Neffen 
werden als wirkliche oder aboptirte Kinder bes Ontels oder 
der Tante angefehen. Die Bezeichnungen zwifchen den Bettern 
find diefelben wie zwifchen den Brüdern, Der Mann nennt 
feine Schwägerin Behine (rau, Gattin) und zwar in 
Folge einer alten Sitte, welche ihm in Abweſenheit feiner 
eigenen Frau Rechte auf diefelbe einräumt, 

Die Freundſchaft wird dadurch gewichtiger und ſtürker, 
baß die freunde ihre Namen austaufchen. Der gewöhnliche 
Fremd, Ehoa, hat nur ein Recht auf einfache Zuvorfom: 
menheiten, während man demjenigen, mit welchem man den 


G. Fritſch über die Ova-herero. 


Namen getaufcht hat, dem Ikoa (auf den ſuüdweſtlichen In— 
fein: Inoa), michts abſchlagen lann. Diefer Gebraud) 
bient dazu, um ſich Protectionen, Bündniffe im Stiege, 
Schuß auf der Reife x. zu ſichern. 

Die Ehe beruht auf einem einfachen Uebereinfommen 
zwifchen Dann und Frau und man trennt ſich, wie man ſich 
verbunden hat. 

Die Geburt eines Kindes ift von feiner Ceremonie be 
gleitet. Sobald das Neugeborene das Licht der Welt erblidt, 
wird es in kaltem Wafler gebabet, während man die Mutter 
eine Schale durch Heiße Siefelfteine erwärmter Popoi eſſen 
läßt. Auch für das Sind bildet die Popoi fortan das ein 
zige Nahrungsmittel, weshalb es ſchon ſehr früh entwöhnt 
wird, An feinem Orte der Erbe dirften die Kinder gllid: 
licher fein als hier, da fie unbedingt treiben lünnen, was fie 
wollen, weshalb man fie auch felten weinen hört. 

Die Polygamie kommt wenig vor, nur einige Häupt« 
linge haben mehrere Frauen, während man jehr häufig Weis 
ber findet, bie mit zwei Männern in vollfter Eintracht leben. 

Dean hat die Marfefaner oft der Graufamteit beſchuldigt 
und mand)e Borfälle ſchienen diefen Borwurf zu rechtfertigen. 
Aber, betradjtet man die Umftände genauer, jo muß man 
zugeben, daß fie im den meiften Fällen nur ein Wieder: 


245 


vergeltungsrecht übten. Wie viele Eingeborene z. B. wur— 
den durch Walfifchjäger gewaltfam entführt, deren Mann: 
ſchaft nicht vollzählig war, wie oft wurden die Verträge 
muthrwillig gebrochen, die von den Seefahrern mit ihnen ges 
ſchloſſen wurden! 

In Taio-Hae, wo die Franzoſen ſeit 1842 ſeſten Fuß 
gefaßt haben, haben ſich die Sitten der Eingeborenen bedeu⸗ 
tend geändert, fo daß fie die umgänglicyften und beften Men— 
ſchen geworden find. An den Orten freilich, wo die Schiffe 
nicht häufig verkehren, find fie mißtrauiſcher und wilder ger 
blieben, fo daß nıan vor ihnen auf der Hut fein muß. 

Auch die Menfchenopfer und der Cannibalismus find 
auf Nuku-Hiwa verſchwunden, während fie auf den übri— 
gen Infeln, wenn auch nur im vereinzelten Fällen, noch fort- 
beftehen. Bier verzehrt man indeß bie wenig zahlreichen 
Gefangenen und die erlegten Feinde auch mur mehr, um 
eine gewijfe Bravour zu beweifen, als wie aus Lieb: 
haberei. Dieſes erklären die Eingeborenen felbft und viele 
derfelben verwahren ſich nachbridlid; gegen den Borwurf, 
jemals an ſolchen Weiten Theil genommen zu haben. Der 
böfe Ruf, in ben fie gerathen find, beruht zum großen Theil 
auf den Verleumdungen, welche die Bewohner der einen Ins 
fel gegen die der andern ſchleudern. 


©. Fritſch über die Ovasherero. 


Seitdem wir unferen Lefern bie legte Probe aus Gu— 
ſtav Fritſch's claſſiſchem Werke über die Eingeborenen 
Sübdafritas (Breslau 1872, Ferdinand Hirt), vorlegten, 
hat fich daffelbe bei der Parlfer geographiichen Ausitellung 
im verflofienen Sommer gerechte Anerkennung erworben und 
ift in der vierten — der ethnographifchen — Abtheilung mit 
einem erflen Preife geehrt worden. Die Preisvertheiler als 
Ganzes haben Dancherlei prämiirt, wofür einzelne unter ihnen 
die Verantwortlichleit ablehnen dürften — galt dod bie 
Stimme der Türkei oder Portugals oder Norwegens genau 
fo viel, wie die Deutfchlands, Englands oder Rußlands! —, 
aber die ſe Belohnung ift eine wohlverbiente. Denn jened 
Bud) hat in ein Völfergewirre, das vordem vielfach mifver- 
ftanden wurde, Klarheit und Ordnung gebracht und zwar 
noch in der legten Stunde, che ber immer ſtärker werdende 
Strom europäifcher Einwanderer bie letzten Reſte jener dem 
baldigen Untergange geweihten Boltsftämme hinwegführen 
wird, Im Wort und Bild hat Fritſch die verfchiedenen 


Zweige des KHaffern- und des Hottentotenvolfes nad) ihrer |. 


phyſiſchen Befchaffenheit, ihrem Außern und ihrer Yebens- 
weiſe dargeftellt, um dem Anthropologen der Jetztzeit oder 
fpäterer Eooden, wenn jene Völker ſchon zu dem ausgeftor 
benen gehören, ihr Conterfei zu bewahren, weldes weiter 
verwendbar ift zur Förderung der Erlenntniß über Ent: 
ftehung und Entwidelung des menſchlichen Geſchlechtes über: 


pt. 

Den nordweftlichften Zweig der großen fldafrifanifchen 
Abantus (oder Kaffern:) Familie bildet ein Bolt, welches 
in der Gapcolonie Bieh-Damara heißt, ſich felbft aber 
Dvasherero, d. i. das fröhliche Volt, nennt. Durch Hins 
zufligung des Wortes „Vich“ wird es von den Berg-Da- 
mara unterſchieden, die ihm urjprnglich ftammfrend wa— 
ren. Diefe letzteren nennen ſich felbft mit dem Hottentotens 
wort Hau⸗koin (tedjte Menſchen) und ſprechen auch einen 
dem Rama (Zweig der Hottentotenſprache) zugehörigen 


Dialekt, waren aber nad, Fritſch's Anficht urfprünglich wer 
der Hottentoten noch Herero, 

Möglicherweife tünnen die Berg: Damara überhaupt 
feinen ÄAnſpruch auf nationale Originalität erheben. Indem 
die Strömungen der fübafrifanifchen Stämme im Often der 
MWüfte Kalahari ſudwärts gingen, im Norden berfelben 
weitlic, vom Süden her durd) die von den Europäern ver— 
anlafte Stauung wieder nordwärts, fo bildeten die Grenz— 
biftricte des Kalahari, als Centrum dieſes Völkerwirbels, 
eine Art Aſyl für Flüchtlinge aller Arten von Stämmen, 
die nicht, wie die Buſchmänner, in der Wüfte jelbft zu leben 
vermochten. Auch mit legteren konnten Bermifchungen nicht 
fehlen, und es entjtand fo jener eigenthlimliche ſchwankende 
Habitus, wie ihn die Berg: Damara zeigen. 

So ift Fritſch's Erflärung; andere Anfichten wie bie 
Anderfon’s, welcher fie für die Ureimwohner des Yandes 
hält, oder Dofaphat Hahn’, der fie für Neger erklärt, 
fcheinen geringere Beachtung zu verdienen. 

Unfer Holzſtich (S.246) ift mad) Fritſch gerade durd) den 
Mangel eines beftinmten Charakters gekennzeichnet : es läßt 
ſich darliber mehr Negatives als Pofitives jagen. Ebenſo— 
wenig ald ed Dvasherero find, können fie als Hottentoten 
oder Bufcdmänner angefehen werden. Stellt man dagegen 
farbiges Gefindel aus Gegenden zufammen, wo die Nefte 
ber genannten Racen der Bevölkerung beigemijcht find, alfo 
aus der Gapcolonie oder den Boer⸗Freiſtaaten, jo erhält 
man ganz ähnliche Bilder. 

Die Berg-Damara find ein Volk von fehr ſchwankender, 
meift unvortheilhafter Leibesgeftalt, Durchſchnitisgröße unter 
dem Mittel, von dunkler, ebenfalls fehr variirender, durch 
Schmutz entjtellter Hautfarbe. Ihre Gefichtözlige ähneln 
bald diefem, bald jenem Stamme. Ihre einzige Beſchäfti— 
gung fcheint der Vichdiebftahl zu fein, den fie von ihren 
felfigen, unzugänglicen Schlupfwinkeln aus mit großem Er« 
folge betreiben. 


246 


Die echten Damara im Often der Walfifch-Bay find 
ben eben gejchilderten fehr unähnlich; von hohem Wuchſe, 
dabei ſchlank umd ebenmäßig, aber an Kraft mittelmäßig 
ftarfen Europäern nicht gewachjen. Die Haare werden lang 
getragen und im ihrer Neigung, fich zu einzelnen verfilzten 
Strähnen zu ordnen, durch Hineinfchmieren von Fett und 
Ddererde (wie bei den Somali, Galla und Bedja Nord: 
afrifas) beglinftigt, fo daß fie um den Kopf einem dichten, 
frangenartigen Behang bilden. 

ie Frauen find Heiner, unbedeutender, meift von vollen, 
gerundeten, oft plumpen Formen. Die befler entwidelte 
Nafe, die hohe Kopfform, die weniger mafjive Kieferpartie 
und die nur mäßig aufgeworfenen Lippen nähern die Herero 
dem faufafifchen Typus mehr an, als die meiften anderen 
Südafrifaner. Doc, ift der ganze Geſichtsausdruck ftumpf 
und indolent. Die dunfelen Augen find von angenehmen 
Ausjehen, die Badenlnochen treten nur mäßig hervor, das 
Kinn ift marfirt ohne auffallend zugefpigt zu fein, der Mund 
iſt Igroß. 
Nicht ſchlechter begabt, als die Ubrigen A-bantu, ſtehen 


G. Fritſch über die Opa-herero. 
fie doch allen an Thatkraft und Zuverläffigfeit nach, und 


bas haben gerade bie Männer am meiften erfahren, welche 
die größte Vorliebe fir dies Volt hegten, wie Anderfon, der 
es von der Tyrannei der Namaqua befreite, aber, in einem 
Kampfe mit denjelben verwundet, hülflos von feinen Schlig« 
Lingen liegen gelaffen wurbe, bis ihm fein freund Green 
rettete, oder wie die beiden Hahn, welche lange als Miſ— 
fiomäre unter den Herero lebten, aber ſchließlich doch am ihnen 
verzweifelten. Es ift nicht fo ſehr Vosheit, als ihre Neigung 
zur Fröhlichkeit, die ſich ſchon im ihrem Namen ausfpridht, 
und ihre Schlaffheit, welche fie treulos und unzuverläjfig 
macht. Leicht beleidigt und aufgebracht, find fie auch Leicht 
verföhnt. Die Kindesllebe fol nad) 3. Hahn fo entwidelt 
bei ihnen fein, daß ſich Eltern beim Verlufte ihrer Kinder 
felbft tödten, eine um fo auffallendere Erſcheinung, als der 
Sclbfimord unter allen A-bantu zu den allergrößten Selten» 
heiten gehört, Derfelbe Autor ſchreibt ihnen befonderes 
mechaniſches und Sprachtalent, aber wenig Ortsfinn, eine 
jolide und haushälteriſche Yebensweife, aber Hang zur Yüge 
und Sinnlichkeit zu, Eitelfeit rechnet er zwar nicht zu ihren 





Berg: Damara. 


Fehlern, aber fie find, ihrem Putze nad) zu urtheilen, der: 
felben doch eben fo unterthan, wie alle ihre Stammesgenoffen. 

Die Männer tragen um die Yenden einen Fellſchurz von 
unregelmäßiger Geftalt, weldyer durch einen fonderbaren 
Sürtel gehalten wird. Derfelbe befteht aus feinen, Tünft: 
lich, geflochtenen Riemchen von endlofer Yänge, die ſich immer 
wieder durch) einander fchlingen, bis das Ganze einen dicken 
Wulſt bildet. Nur bei ſchlechtem Wetter bedient ſich der 
Herero eines Fellmantels zum Schutze des fonft nadten 
Oberförpers. Um die bloßen Beine ſchlingt er unterhalb 
der Knie Schnüre, die mit langen Gehängen von Öilasforal- 
len :c. verziert find. Der Hauptpug der Wohlhabenderen 
befteht jebod) in einer langen, vom Naden her über den 
Rüden bis auf die Kniefehlen herabhängenden Schnur von 
Elfenbeinfugeln, deren Größe vom der einer Heinen Nuß bis 
zu der eincd mäßigen Billardballes allmälig wächſt. Auch 
Schnüre mit feinen eifernen oder fupfernen Kugeln dienen 
ben Männern als Hald- und Oberarmbänder. 

An der Frauentracht ift das Merlwürdigſte die eigen 
tbümliche, auf unferer Abbildung dargeftellte nationale 


Herero, Fran und Mann. 


wöhnlid; aufgerollten Yeder verfehen, das dann als dider 
Wulſt über dem Geficht liegt, während es aufgelöft wie ein 
Schleier herabhänge, Im Naden hängt ein Geflecht von 
Lederſtreifen, die mit Blechſtüdchen, Glaslorallen u. ſ. w. 
verziert find, bis zur Taille herab, während zwei oder drei 
lange, fteife Ohren, offenbar eine Nachahmung irgend wel: 
cher Thierart, ſenlrecht nad) oben ſich erheben. Die Reir 
cheren tragen dazu ein Mieder, weldes ganz aus anein: 
ander gefügten Neihen runder, in der Mitte durchbohrter 
Stüdden von Straußeneierſchalen beſteht. Ein Fellſchurz 
um die Yenden und ein lederner Karoß um die Schultern 
vollenden das Goftüm der Herero⸗Frauen. 

Die Bewaffnung der Herero weicht von derjenigen 
der übrigen A-bantu fehr ab und deutet auf ihre geringe 
Streitbarteit. Bogen und (ſchwach vergiftete) Pfeile, die die 
friegerifchen Zulu verachten, fowie den plumpen, oft ganz aus 
Eiſen beftehenden Speer handhaben fie mit geringer Ger 
ſchiclichteit; beſſer ſchon die Wurfleule. Schilde fcheinen 
fie nicht zu führen. Ihre Geräthe beicränten fid) auf 
Melfeimer und Schüiffeln, einige rohe, irdene Töpfe, Kala- 


Haube, eine ftarfe Yederfappe, vorn mit einem weichen, ge | baflen, hölzerne Yöffel und als Wafjerbehälter zurechtgemachte 


Eine Erpedition gegen die Branntweinhändler im amerikanischen Nordweſten. 


Straußeneier. Den Tabad rauchen jie aus der in Slid- 
afrifa gewöhnlichen Wafferpfeife, die aus einem Antilopen+ 
horn mit eingefligter furzer Thonpfeife gefertigt ift. Ihre 
Hütten find halbkugelfürmig und beftehen aus einer Anzahl 
im Kreife eingepflangter nad) der Mitte herumtergebogener 
und zufammengebundener Stöde, deren Zwiſchenräume mit 
Geſtrüpp und daraufgefchmiertem Lehm oder Kuhmiſt aus- 
gefüllt werden. 

Viehzucht ift die wichtigfte Beichäftigung diefes Volfes, 
gegen welche der Aderbau fehr zurücktritt. An ihrem Vich 
hängen fie mit ſchwärmeriſcher Yiebe ; ihr Geſpräch und ihre 
Gedanken find faft ftets bei ihren lieben Ochſen. Wie es 
die Fürſorge für diefelben erheiſcht, fo wechſeln fie ihren 
Standort. Das Familienhaupt, welches einen freien Weide— 
plag zuerft befegt, wird dadurch Herr Über das Wafler, 
und Spütertommmende bedürfen zur Niederlafiung feiner Er 
laubniß. 

In der Familie ift Polygamie Sitte, wenn auch viele 
armen Männer ſich mit einer Frau begnügen. Daneben 
findet jich aber auch Polyandrie, „ Omapanga“ genannt, 
was eine Art der Werbrüderung deſſelben Geſchlechtes be— 
zeichnet. Sind Männer in biefem Berhältniffe zu einander, 
fo haben fie ihre Frauen gemeinfam; handelt es fich um 
Weiber, jo bedeutet Omapanga, daß fie gewohnheitägemäß 
und mit Wifien und Willen ihrer Eltern Unzucht mit eins 
ander treiben, 

Das Schwanfende und Imdolente im Charakter der Her 
rero ift der Grund, daß fie nicht, wie die Kofa und Zulu, 
ein gemeinfames Oberhaupt haben. Ihre Häuptlinge haben 
meift nur eine Heine Schaar unter fich, deren Unterthänig- 
feit noch dazu eine ſehr mißliche ift. Gewinnt ein anderer 
Häuptling an Anfehen, jo ftrömen dieſem die Leute in 
Menge zu. Darum auch das geringe Hinneigen der Macht: 
haber zum Deſpotismus. Alle Strafen, die das Herfommen 
vorſchreibt, trefien nur das Vermögen des Schuldigen: felbft 
Hererei wird nicht mit dem Tode beftraft. Aber bei ihrer 
geringen Machtfiille halten die Häuptlinge fehr auf Wirde 
und äußere Etikette, wie fic dies z. B. in den Ceremonien 
beim Empfange von renden zeigt, welche geduldig außer 
halb der Umzäunung des Ortes zu warten haben, bis ihre 
Anwefenheit gemeldet und vom Häuptling die Erlaubniß 
zum Eintritt ertheilt ift. Er empfängt dann den Beſuch 
feierlich in feiner Hütte und reicht ihm zur Bewillfonmmung 
eine Scyüffel mit ſaurer Milch, von welcher der Gaſt trot 
der Kruſte von Schmug anf derfelben tapfer zulangen muß. 

Die einzelnen Familien, „Eyanda*, d. i. Herkunft, ge: 
nannt, find durch ceremonielle Aeußerlichkeiten kaſtenartig 


247 


von einander geſchieden. Diejelben bezeichnen ſich als „die 
Berwandten der Eonne*, des „Regens“, des „Baumes“ ꝛtc. 
und haben befondere ihnen heilige Pflanzen als Embleme, 
Die Eyanda erbt von der Mutter auf die Kinder. Jene 
Aeußerlichteiten beftehen z. B. in dem Verbot, diefes oder 
jenes Thier zu effen, in beftimmten Berhaltungsmaßregeln 
bei Naturerſcheinungen, in der Berehrung gewiſſer, irgend» 
wie ausgezeichneter Stüden Vieh u. f. w., und ſcheinen dazu 
zu dienen, das Andenfen an die Zufammengehörigfeit aufs 
recht zu erhalten. 

Die Herero verehren die Ahnen, umter denen zuwei⸗ 
len einer befondere Achtung genicht, und glauben, daß bie» 
felben, Mo⸗luru geheißen, ihnen ſchaden oder nügen lönnten. 
Um fie ſich günftig zu ftimmen, bringt der Familienvater 
reſp. der Häuptling ihnen Opfer, wobei amuletgeichmitdte 
Stödcen von dem der betreffenden Eyanda heiligen Baume 
die Ahnen repräſentiren. Doch ift dies nur ein finnlicher 
Anhalt, um die Gedanken auf die unfichtbaren Mo-kuru zu 
richten, fein Fetiſch- oder Götzendienſt. 

Eine große Bedeutung bejigen, weil die Erzeugung des 
Feuers durch Neiben trodener Hölzer liberaus mühſam it, 
die Feuerſtellen und namentlic, die vor der Hütte des Häupt- 
lings. Die Pflege der letzteren ift der Tochter deſſelben an- 
vertraut; ihr Erlöfchen würde als ein großes Unglüd bes 
trachtet werden. Wechjelt man den Wohnplas, jo hat die 
Häuptlingstochter das Feuer nad) der neuen Stelle überzus 
führen; und der Vater giebt dem Sohne, welcher ſich eine 
eigene Familie gründet, ebenfalls von dem Feuer feiner 
Hütte einen Brand für die nee Herdftelle mit. 

Was fonft von ihrer Verehrung eines Baumes, den 
fie „Urvater“ nennen, von ihrem Glauben an Geiſtererſchei⸗ 
nungen in Thiergeftalt, an Hererei und Amulete u. |. w. 
berichtet wird, zeigt, daß hier wie bei den anderen Stämmen 
die religiöfen Anſchauungen nirgends confequent durchdacht 
find, fondern dag äußere abergläubifde Gebräude 
den eigentlichen Kern ihrer fogenannten Re— 
ligion bilden, 

Es würde hier zu weit führen, die große Menge von 
Einzelheiten über ihre Sitten und Gebräuche bei der Geburt, 
dem Mannbarwerden, der Verheirathung und dem Tode, 
welche Fritich gefammelt hat und im objectiofter Weife be- 
leuchtet und erflärt, mitzutheilen. Wir fünnen nur unfere 
Lofer, welche ſich Hierfür intereffiven, immer wieder von 
Neuen bitten, das Originalwerl zur Hand zu nehmen, das 
nicht minder anziehend und beiehrend ift, wie die rühmlichſt 
befannten Schriften von Heuglin, Schweinfurth, Rohlfs oder 
Mohr. 


Eine Erpedition gegen die Branntweinhändler im amerifanifhen Nordweften. 


r. a. Der Regierung von Canada ift fürzlich ein Be— 
richt übergeben worden, welcher den einfachen Titel Expe- 
dition of the north-west mounted police trägt, 
Es handelt ſich um einen Fleinen Kriegszug, den der Oberfts 
lientenant French zur Ausrottung der Whrsfyhändfer unter 
nahm, die unter den Indianern im „großen einfamen 
Lande“ fich niedergelaffen hatten, dort zum Untergange der 
Rothhaute das Ihrige beitrugen, Schändlichteiten aller Art 
vollführten und gefchütst durch die weite Entfernung von Ger 
fe und Recht ein völlig unabhängiges Dafein führten. Die 
canadifche Regierung, welcher Lord Dufferin — befannt 


durch feine Nordpolarreife in der Yacht Foam *) — vorftcht, 
hat durch die Entfendung'diefer Erpedition in preiswiirdiger 
Weife den Anfang damit gemacht, Ruhe und Ordnung in 
einem Landſtriche herzuftellen, dem alle Schreden des Indianers 
frieges drohten. Die Sadje, um die es fic handelt, ift fol 
ende, 

i Im Jahre 1873 wurde eine beträchtliche Anzahl friebli- 


Bericht über eine Neife nach 


+, Briefe aus hoben Vreitegraten, 
Braunschweig. Friedrich 


Jeland, Ian Mayen und Epigbergen. 
Viemeg und Sobn. 1880. 


248 


cher Aifiniboine- Indianer von amerifanifchen Schnapshändlern 
ermordet. Sie hatten ihr verheerendes Gift, den Pandes- 
gefetsen zuwider, ſchon längere Zeit, unerreicht vom Arme ber 
Gerechtigkeit, am die Nothhäute verkauft, fich zu Herren des 
Yandes aufgeworfen und am Bow» und Belly-Kiver be 
feftigte Stationen angelegt , vom denen aus fie die Affiniboi- 
nes und die Schwarzfuß-Indianer brandfchagten. Völlerei, 
Unordnung, Mord, Tobtichlag waren die Folgen der Brannt- 
weinvertheilung, hier wie fiberall in Nordamerif.. Da 
beſchloß die camadifche Regierung, diefen Dingen ein Ende 
zu machen und betraute den Oberftlieutenant French mit der 
Ausrlftung einer Expedition, die aus völlig militäriſch dis- 
ciplinirten berittenen Boliziften beftand. Sowohl in Toronto 
als im Fort Barry (Manitoba) wurde die Truppe ein— 
geübt und dann vom Winipegfee aus gegen Welten vor- 
geſchoben. Die Truppe, dreifundert Dann ftarf, war mit 
zwei leichten Kanonen verfehen und führte einen bedeutenden, 
farawanenartigen Train mit, der ans Ochſenwagen, Schlacht · 
vich, fandwirthfchaftlichen Geräthen , Mähemofthinen ıc. be 
ftand, da ein Theil der Mannfchaften dauernd angefiedelt 
werden follte und daher mit Allem verfehen fein mußte, was 
zur Grlmdung einer Nieberlaffung im fernen Welten gehörte, 
Auf dem Marſche nahın der Train oft eine Yänge von 3 bis 4 
englifchen Meilen ein. 

Der erſte Theil des gegen Welten, auf die Felſengebirge 
zu, gerichteten Marjches führte Über befanntes, von der enge 
lich » amerifanifchen Grenzcommiffion aufgenommenes Ter⸗ 
rain mit reichlihem Graswuchs, in dem ed an Nahrung für 
das Vieh nicht fehlte. Bei Fa Roche Percé am obern 
Laufe des Souris« oder Mouſe-River (befannt durch 
Palliſer's Neife 1857) wandten fie ſich nördlich im wenig 
befanntes Gebiet, wo oft die Nahrung für die Zugthiere 
fehlte, furchtbare Gewitter die Märſche unterbradjen und auf 
weite Streden erft Wege für die Karawanen gebahnt werben 
mußten. Zuweilen erjcienen Indianer und Mifchlinge im 
Lager, um von der großen Macht der bewafineten Brannt« 
weinhändler und der Stärke ihrer Forts zu berichten. Man 
marfchirte den ganzen Juli und Auguſt und traf am 11. 
September am Zuſammenfluß des Bow- und des Belly- 
River ein. Beide Ströme entfpringen am Felſengebirge, 
vereinigen ſich bei 112% weftl. %. v. Gr. und bilden den Süd- 
Saskatſchewan. Drei verlaffene Blodhäufer deuteten darauf 
hin, daß bier die Schnapshändler ihr Quartier aufgejchlagen 
hatten; fie felbft waren verſchwunden und nur die leeren 
Woistyfäffer deuteten ihre ſchündliche Thätigfeit an. 

Die Jahreszeit war jest ſchon weit vorgerlidt; im ver 
floffenen Jahre war hier bereit8 am 20. September Schnee 
gefallen und eine Entfernung von faft 1000 englifchen Meis 
len trennte die Expedition von den Niederlaffungen am Red— 
River. Kleine Abtheilungen wurden ausgefandt, um den 
obern Yauf der beiden Fluſſe zu erforfchen, um Büffel zu 
jagen, die num in colofjalen Herden von vielen Taufenden 
fildwärts wanderten, und um eine Verbindung mit Fort 


Emil Schlagintweit: Die engliſchen Himalaya-Befigungen. 


Benton im Montana am Miffouri zu eröffnen. Bom leg- 
tern Orte bezog man Borräthe, die in dem neu errichteten 
Fort am der Bereinigung des Bomw- und des Belly-River 
aufgeftapelt wurden. Eine Abtheilung der Erpebition unter 
Lieutenant Macleod blieb hier zur, um die Wiederaufnahme 
des Branntweinhandels zu verhindern, während das Gros 
am 22. September ſich zur Heimkehr anſchickte. 

Bereitö lag auf den Bergen der Schnee und um ben 
Weg abzufürgen war es nothwendig, eine weite Strede zu 
durchwandern, wo wenig (Futter zu finden war und Prürie- 
feuer ihren verheerenden Einfluß geltend gemacht hatten. 
Gleich nad) dem Aufbruch hatte die Expedition den impofan« 
ten Anblif einer füdwärts wandernden Biffelherde von 
70,000 bis 80,000 Stüd; dann aber ſchien alles Leben zu 
erftarren und das „große einjame Yand“ mit allen feinen 
Binterfchreden trat vor den Heimziehenden auf. Die Kälte 
wurde im November fo ftreng, daß es ſchwer wurde, vor- 
wärts zu fommen und das Bieh am Yeben zu erhalten. Im 
November noch wırde Manitoba wieder erreicht. 

Was die zuridgebliebene Abtheilung unter Lieutenant 
Macleod betrifft, jo erbaute dieſelbe ein Fort und eröffnete 
friedliche Beziehungen zu den Schwarzfuß- Indianern, eine 
Anzahl der entflohenen Schnapshändler ein und ftellte Ruhe, 
Ordnung und Vertrauen in einem Diftrict her, wo bislang 
Trunfenheit, Mord und Raub an der Tagesordnung waren, 
Die Indianerhäuptlinge felbft zeigten ſich ungemein danfbar 
für den Wechfel dev Dinge; fie konnten nicht genug Schauder⸗ 
geſchichten von den Branntweinhändlern erzählen, die ihnen 
ihre Pferde und Weiber genommen und die jungen Yeute 
zum Trunf verführt hatten. „rüber,“ jo brüdte ſich ein 
Häuptling aus, „kroch der rothe Dann auf der Erde, jett 
kann er wieder frei umd aufrecht gehen.“ Macleod ſchildert 
dieſe Indianer als friedfertig, intelligent und ber Anfiedelung 
von Weißen in ihrem Gebiete nicht abgeneigt. 

Diefer Zug weit gegen Weften durch die Wildniß zu dem 
ausgefprochenen Zweck, Ruhe und Ordnung in einem ver 
lafienen Gebiete herzuſtellen, gefchiet und mit Erfolg durch⸗ 
geführt, ift ein Beweis dafiir, was mit gutem Willen erreicht 
werden fann, ein vollftändiger Gegenfag zu dem in ben Ber: 
einigten Staaten eingeführten Verfahren, wo die Indianer- 
kriege erſt beendigt fein werben, wenn die Rothhäute gänzlich 
verfchwunden find. Auf den bisher erreichten Reſultaten 
fußend beginnt die canadiſche Regierung mit der Befiedelung 
des Weſtens und der Anlage zahlreicher neuer Forts. Im 
Fort Pelly (am Affiniboine) ift ein Gouverneur für den 
Weiten ernannt worden; die Expeditionen eines Pallifer, 
Milton, Cheadle und Burton beginnen Früchte zu tragen, 
und wie jegt Manitoba am Red: River organifirt ift, fo wer⸗ 
ben aud) die fruchtbaren, noch wüft liegenden Laudſchaften 
am Saslatſchewan einer gedeihlichen Zukunft entgegengehen, 
zumal wenn fie erft von der nördlichen Bahn durchfchnitten 
werben, die dereinft vom Fort Garry nad) Britiſch Columbia 
führen foll, 





Die englifhen Himalaya-Befigungen. 
Von Emil Schlagintweit. 


2, Dardſchiling oder Britiſch-Siklim. 


Der 16. Diftrict der Präfidentfhaft Bengalen ift aus 
Sebietötheilen des nördlich) anftoßenden Gebirgsftaates Sif- 


fim gebildet. 1817 übernahm die Oftindifche Compagnie 
das Protectorat über Sitfim, um zu verhindern, daß es von 
Nepal ſich angeeignet wilde; am 1. iyebruar 1835 überlich 
der Radſcha den Engländern in den Umgebungen des Haupt» 


Emil Schlagintweit: Die englichen Himalaya = Befigungen. 


orted Dardſchiling ein mit ber Spige gegen Bengalen gerich- 
tetes dreiediges Std Landes von rund 1200 Quadratlilo⸗ 
meter zur Anlage einer Gefundheitsftation, und dieje bewil- 
ligten dem Fürſten daflir eine Jahresrente anfangs von 
6000, dann von 12,000 Marl. Dadurch, daß die oft» 
indische Regierung die Sklaverei abſchaffte und den Sklaven- 
handel verbot, welcher in allen Nachbarländern noch heute 
fleißige Bürger plöglich der Gefangenfchaft ausſetzt, zogen 
ſich maſſenhaft Anfiedler in das nenerworbene Gebiet; bei 
der Uebernahme des Yandes zählte ed faum 100, 1849 bereits 
über 40,000 Einwohner, während jegt mehr ald das Dop- 
pelte auf derfelben Fläche wohnen. Der Aufſchwung, den 
die neue Colonie nahm, erregte die Eiferfucht des frühen 
Fuürſten umd feiner Räthez die Auswanderung wurde bes 
ſchränkt und Goloniften auf englifchem Gebiete gewaltſam 
entführt. Bertragsmäßig follte Siffim die Geraubten nicht 
bloß herausgeben, fondern auch die Thäter betrafen; die 
Dinweifung auf diefe Beſtimmung beantwortete der Radſcha 
mit dem Borfchlag, die gemachten Sklaven gegen indiſche 
Unterthanen auszutaufchen, und er glaubte 1849 diefe For⸗ 
derung endlich dadurch erreichen zu können, daß er ben ber 
fannten englifchen Naturforſcher Hoofer mit feiner Beglei- 
tung troß der vorhergegangenen Zuſichtrung freien Geleites 
feftnahm und nur gegen Bewilligung feiner alten und einiger 
neuen Forderungen freigeben wollte, Die Herausgabe wurbe 
durch eine militäriiche Expedition erzwungen, die Jahresrente 
eingezogen und das engliiche Gebiet im Welten erweitert, fo 
daß es von num an nicht mehr nur mit einer Spige, fon- 
dern breit mit bem Tieflande zufammenhängt. Eine größere 
Machtentfaltung wurde zehn Jahre fpäter nöthig, um die Ber 
wohner Siffims endlich, von Einfällen und vom Wegführen 
englifcher Unterthanen abzubringen. An der Epige von 
2600 Mann drang Oberft Gawler bis zur Hauptftadt 
Tumlong vor, legte die Wälle nieder, und der Radſcha ſah 
ſich am 28. März 1861 zu einem aus 23 Artileln beftes 
henden Handels- und Allianzvertrag genöthigt, welcher aud) 
eine neue Örenzregulivung vornahm; jeither wurde die Ruhe 
nicht mehr geftört. 

Entfprechend ber Bodengeftaltung und den Unterſchieden 
in Klima, Producten umd Bevölterung ift der Diftrict in 
zwei Polizeibezirte (Thana) eingetheilt: die Tarai oder die 
jumpfige Niederung am Fuße des Gebirges und das Ge— 
birgsland (Hill territory). Folgende Ziffern ergab der 
Genfus von 1872: Areal: 3194 Quadratkilometer (55,8 
Quadratmeilen), und zwar Hill Territory 2485 Quadratlilo⸗ 
meter, Tarai 709. Zahl der Häufer: 7753 bezw. 11,111; 
Einwohnerzahl: 46,727 bezw. 47,985, zufammen 94,712; 
der Religion nad) treffen auf 100 Einwohner im Hill Terri- 
tory 63,3 Hindus, 2,2 Mohammedaner, 2,9 Buddhiften, 
1,2- Chriften, 31,4 Bhuten, d. i. Geifterverehrer (Aborigis 
ner), während in der Tarai 84,8 Hindus, 10,9 Mohammes 
daner und 4,3 Aboriginer gezählt wurden. 

Das Gebirgeland wird von einer Maffe von Gebirgs— 
zlgen ausgefitllt, die fich von den hohen Schneebergen in ber 
füdlichen Hauptfette des Himalaya, insbefondere dem mäd)- 
tigen Gebirgeftod ded 8579 Meter hohen Kantſchin— 
tſchinga, herabziehen; diefe Gebirgäglige erreichen auf bri» 
tifchem Gebiete mod; Höhen von 3000 bis 3750 Meter und 
find bis zur Höhe von 3500 Meter noch mit Wald befleidet. 
Nadte Abhänge find felten, obgleich fie meift fteil find; flache 
Thäler und größere Ebenen fehlen. Ausläufer gehen ab» 
wechjelnd von jeder Kette ab; die Nebenzweige von der Oft 
feite eines Höhenzuges freuzen ſich an ihren Enden mit denen 
von ber Weftfeite eines andern, und fo entſtehen querlaus 
jende Thäler, die hinfichtlich ihrer Lage, Temperatur und 
Feuchtigkeit viele Verſchiedenheiten darbieten. Hanptfluß ift 

Globus XXVIII. Nr. 16, 


249 


bie Tifta; ihre nördlichen Ouellflüffe find die Gletſcherbäche 
vom 5667 Dieter hohen Gebirgsftod Bhomtjo; in Sitkim 
vereinigen ſich mit ihr im größeren oder Meineren Winfeln 
zahlreiche zwifchen den Ausläufern des Gebirges entfprin- 
gende wafjerreiche Bergftröme, die ſich ihr Bett tief einge 
ſchnitten haben. 

Das Klima wird vor Allem durch den warmen bunft- 
gefhwängerten ſüdlichen Luftſtrom beftimmt, dev andauernd 
von Dia bis October weht umd in dem übrigen Monaten als 
Strömung der feuchten Atmofphäre vorherrſcht. Diefer 
„Seewind“ legt die Hauptmafje feiner Feuchtigleit auf 
dem Rüden ber Sintfchallette nieder, welche im Süden 
der Station Dardſchiling bis zur Höhe von 2620 Meter 
auffteigt; er hat von hier an nördlich 120 bis 160 Kilo- 
meter Alpen zu beftreichen,, ehe er die ganze Waldfläche bes 
feuchtet hat, die ſich bis Tibet hinzieht, und der Wind wird 
beöwegen um jo teodener, je näher er dem Hauptlamme des 
Himalaya fommt. Bon großer Bedeutung fir das Klima 
ift fobann die Dauer und Kraft der Bodenausftrahlung. 
Legen der ftändigen Bewölkung des Himmels und der flar- 
ten vom Boden auffteigenden Nebel, wodurd) bei der ſchlangen⸗ 
fürmigen Geftalt der Flußbetten niedere Luftftrömungen den 
ganzen Tag von den Haupt» und Seitenthälern heraufiteigen, 
it die Sonne in der Regenzeit felten fidhtbar; im Sommer 
find fternendelle Nächte faft unbefannt und nur im December 
und Januar die Kegel. Unter diefen Einflüffen ift die mitt: 
lere Yahrestemperatur niedriger als in gleichen Höhen der 
weltlichen Himalayas Provinzen; fie beträgt in der Station 
Dardidiling (2184 Meter über dem Meere) 12,40 E, 
(= Veran, nad) Anderen 13,19 E.) und die durchſchnittliche 
Regenmenge 328 Gentimeter im Jahre; Schnee bleibt im 
Winter nirgends liegen, 

Der Diftriet ift nach den gründlichen geologifchen Auf 
nahmen der legten Jahre gerabezu arm an werthvollen Mi- 
neralien. Die vorfommende Steintohle ift ſehr ſchlecht, 
der Graphit arm an SKohlentheilen; einige Eiſenſchmelzen 
find bei Silhbar; Kupfergänge wurden an mehr als einem 
Dugend von Dertlicjkeiten aufgefunden, aber die Lager find 
wenig mächtig und bringen der Regierung jährlich nur 700 
Mark an Pacht; lohmender vwerfprechen die Kalfgruben zu 
werden; an Baumaterial liefert dagegen der Diftrict nur 
Sanpfteine von zweifelhafter Dauerhaftigfeit. Dafür wurde 
der Diftrict gelungene Berfuchsftation für die Anpflanzung 
von Thee, der Teal- und Chincdonabäume, der Ipecacuang, 
Brechwurzel, und anderer wichtiger Gewächfe, die bisher im 
Himalaya noch feinen Standort hatten. 

Die Humusſchicht, aus Sand und Schiefer gemifcht, ift 
meift loder und förnig und wechfelt zwiſchen 15 bis 45 
Gentimeter Tiefe; fie ift überaus ertragreich und leicht zu 
bearbeiten. Die Eingeborenen bauten nur Gerealien; Reis 
reift noch bei 1200 Meter, Kartoffeln (von den Engländern 
eingeführt) bei 2000 Meter, für Weizen feinen 1675 Meter 
die oberfte Grenze zu bilden. Die Eingeborenen führten ein 
Nomadenleben, nahmen zwei oder vier Ernten von einer 
durch Abbrennen gerodeten Stelle, dann wandten fie ſich ans 
deren Stellen zu und überliehen das feld wieder ber natlir— 
lichen Beſtockung mit Geftrippe, Die erften Anfiedler be» 
fchränften fich darauf, die Umgebungen von Dardſchiling mit 
Billen nad) englifchem Muſter zu bededen; feit aber 1841 
der erjte Theeftrauch gepflanzt und 1846 das erjte Pfund 
Thee in den Handel gebracht ift, änderte fic das Ausſehen 
des Yandes. Jetzt wird jedem den Anbau lohnenden Fled— 
chen Fand nachgefpürt und feine Rodung vollzogen. Das 
Eigenthum an * und Boden ſteht nach indiſchem Rechte 
der Krone zu; anfangs wurde den Coloniſten Land gegen 
Erbzins überlaſſen, deſſen Höhe mit jedem Bewerber verein⸗ 


32 


250 


bart wurde; unterm 7. Mat 1859 wurde öffentliche Ber- 
fteigerung gegen Erbzins vorgefchrieben, und nur vorüber 
gehend wurde zum alten Syſtem übergegangen. Anfangs 
fehlte es beim Güterverfauf am Borficht hinſichtlich der Feit- 
ftellung der Grenzen; wiederholt wurde als ödes Land ver- 
kauft, was nur zeitweife brach lag und bereits feinen Herrn 
gefunden hatte; 1860 war dies die Folge vieler Proceſſe 
und einer berechtigten, jetzt befeitigten Unzufriedenheit unter 
den Eingeborenen. Der Aufwurfpreis für 1 Hectare ift zu 
25 Mark feſtgeſetzt, wird aber für beffere Lagen in ben Aucs 
tionen bedeutend Überfchritten ; die Nodung foftet 400 Marl 
und die ganze Ausgabe einer Thecanlage, bis fie eine Ernte 
abwirft, wird per Hectare zu 1500 Marf veranicdjlagt. Hör 
ben von 600 bis 1800 Meter fagen der Theeftaube am 
meiften zu; fie gedeiht aber noch bei 2100 Meter, Cine 
Hectare trägt im Mittel 6250 Theeftauden — die Zwifchen- 
räume wechſeln von 1,2 bis 1,5 Dieter —, im vierten Jahre 
ift die Staude ertragsfähig. Der Ertrag Hat fich unter 
bejleren Bewirthichaftungsarten von 137 (1869) auf 242 
(1872) Kilo vom Hectar gefteigert. Die Theecultur erfor- 
dert viele Arbeiter, die Ernte wird auch nicht auf einmal, 
ſondern in durchſchnittlich 20maligem Abpflüden der Blätter 
erhalten. 1872 waren bei den Gulturen beichäftigt 43 Eu: 
ropäer, 9493 Eingeborene (größtentheils Murmi und Nepa- 
leſen), darunter 202 als Auffeher. Der Arbeitslohn ift bes 
deutenb höher als für gewöhnliche Tagearbeit und wechſelt 
nad) dem fhertigfeiten des Arbeiters zwiſchen 10 bis 16 
Mark im Monat. Ueberaus hoch find die Gehalte der euro- 
päifchen Gefchäftsführer; hatten ältere Ausweife Gehalte von 
400 bis 800 Mark im Monat angegeben, jo rechtfertigt der 
Gouverneur von Bengalen den Antrag, bie Beamtenbefol- 
dungen aufzubefjern mit dem Hinweis, „daß der Leiter einer 
Actientheepflanzung im gefunden und angenehmen Klima 
von Dardiciling beſſer bezahlt ift als die Diftrictsbeamten, 
die Über Millionen von Menfchen gebieten“ und 2332 Mart 
im Monat beziehen. 1860 waren 3765 Hectaren zu Thee⸗ 
pflanzungen erworben und rund 2100 angebaut; 1872 was 
ten 22,000 Hectaren hierzu verfauft und 7978 angelegt; 
das Erträgniß an Thee war damals 23,500, 1872 1,2 Mil 
lionen Kilo Thee; in ber legten Saifon (1874) aber ſchon 
1,8 Millionen Kilo, Die beftehenden Uctiengefellfchaften 
— meift aus Beamten und Penfioniften zufammengefegt — 
erzielen Dividenden bis zu 8 Procent, ihre Actien werben 
an der Calcutta-Börfe mit ſchönen Prämien gehandelt. Die 
Trodenvorrichtungen und die Bearbeitung der Ernte find 
noch) nicht vollfommen ; die Pflanzer find aber eifrig in Ber- 
beiferungen und Annäherung ihrer Waare an das befte cine 
fiiche Fabrikat. 

Die Kaffeeculturen mußten aufgelaffen werden; hier 
fir ift das füdliche JIundien der richtige Standort. Im Ber- 
fuchsftadium befindet fi noch die Ipecacuana- Pflanzung 
bei Dardſchiling, dagegen haben die Verſuche mit Chin» 
honabäumen die Probe beftanden, Ende 1874 waren 
3, Milionen diefer Bäume, meift von der das rothe 
Chinin gebenden Suceirubrafpecies *), gepflanzt und geben 
ſchon jo viel Ertrag wie Abfälle, daß es möglich wurbe, den 
Eingeborenen diefes wichtige Arzneimittel zu Spottpreifen 
abzulajlen. Die Waldungen, die 81,000 Hectaren bebeden, 
find mit Erfolg um Teafbäume und europäifche Nabelholz« 
arten bereichert worden. 

Die Bevölferung ſcheidet fi) nad) dem Cenſus von 1872 
in 419 Europäer, 1 Amerifaner, 136 eingeborene Chriften, 


25,781 Nepalefen ; den höheren Hindutaften gehören 10,028 


*) Siebe eine Abbildung biefer Pflanze in Ob. XXV biefer Zeite j 


fhrift, ©. 242. 


Emil Schlagintweit: Die englifchen Himalaya» Befigungen. 


an (1002 Brahmanen, 8972 Radichputen), landwirthichafts 
liche Arbeiter und Diener giebt es 11,570, Handwerfer und 
Hanbelsleute 5129, Mohammebaner 6248, halbhinduifirte 
Aboriginer 24,829, Aboriginer 14,088. Unter ben Aboriginers 
ſtämmen find ethnographiſch am intereflanteften die Lept— 
ſchas (3952); fie find Sikkim eigenthlimlich und werden von 
allen Forſchern wie nach ihrer eigenen Tradition als die erften 
Bewohner und einftigen Herren des Landes betrachtet. Ihr 
Aeußeres *), ihre Sprache und Sitten weifen auf tibetifchen 
Ursprung hin. Sie find Mein, aber gedrungen von Wuchs: 1,42 
Meter ift der Durchſchnitt der Größe. Das Geſicht ift flach, 
die Stirn niedrig, Nafenfattel wie bei Tibetern flach und 
tief, jo daß er im Profil über die Wölbung des Auges ſehr 
wenig hervortrit. Große Sorgfalt verwenden fie auf ihr 
Üppiges Haar, Männer und rauen flechten es; von Chas 
rafter find fie fehr gutmüthig und wahrheitsliebend, ala Ges 
tränf lieben fie einen aus Hirſe bereiteten beraufchenden Trant. 
Ueberaus gewandt find fie in Führung des Kugdi (Kug-gri), 
dem Worte und der Sadje nadj ein gefeiimmtes Deffer n der 
Form eines kurzen Säbels, mit weldem fie bie bieten 
Bambusrohre abhauen und aus ihnen in unglaublic, kurzer 
Zeit eine wohnbare Hütte Herftellen. 

Die einzigen Dörfer im — Sinne des Wortes 
find außer dem Hauptorte Dardſchiling die Huttenreihen filr 
bie Arbeiter in dem verſchiedenen Theepflanzungen, einige 
Handeldorte im füdlichen Theile des Diftrictes, wie Khar— 
fiang (Kurſeong, 1477 Meter über dem Meere), wo zur 
Zeit noch der Telegraph endet, und einige berühmte Tempels 
orte im Norden, darunter insbefondere Pemiongtſchi 
(1996 Meter hoch), einft der Sig der Sikfimregierung, jegt 
das größte bubbhiftifche Hlofter im Bezirle. Im Uebrigen 
wohnt die Bevölkerung neben ihren Adergründen in weit 
aus einander liegenden Holz» und Bambushütten, die wie die 
wenigen Dörfer der fchädlichen Dünfte wegen über, nicht 
in den Thälern , auf den Anhöhen ftehen. Dardſchiling 
(der Name ift tibetaniſch und bedeutet „weit verbreitetes 
Meditationseiland“) Liegt auf dem Norbrüden des Sintfchal« 
feitenfammes der Hauptfette; fein Weichbild umfaßt fünf 
Quadrattilometer und der Ort erinnert im feiner Anlage an 
meiften an Obermais oberhalb Meran: die Häufer liegen 
zerfireut zwifchen Gärten und find entftanden, wo gerade 
Ausficht, eine Quelle oder hübfche Feljen- und Baumgruppen 
die Anlage begüinftigten. Zuſammenhängendere Häuferreihen 
finden ſich nur im Mittelpunkte im dem Umgebungen ber 
Kirche und des Amtsgebäudes des oberften Givilbeamten. 
Der Höhenunterfchied zwiſchen dem niederften und höchſten 
Haus (dem Obfervatorium in 2183 Meter Höhe) beträgt 
rund 100 Meter. Der Ort (Station genannt) liegt, dei 
Krümmungen ded Weges nad) gemeilen, 78 Kilometer vom 
Fuße des Himalaya entfernt und ift Sig der oberften Civil: 
verwaltung des Bezirks und ihrer Organe, Garnifon für 
eine Bergbatterie, ein Detachement europäifcher Infanterie 
und Neconvalefcentendepot für erkrankte Krieger, deren durch: 
fchmittlich 150 untergebracht find, endlich Sig einer fehr 
na evangelifchen Miſſion. Als Gefundheitsftation wird 
der Ort noch eine größere Bedeutung erlangen als bisher, 
denn nad) neueren ftatiftischen Erhebungen weist Dardiciling 
unter ben zahlreichen Gefunbheitsftationen DOftindiens die 
geringfte Sterblichkeit auf — nur 2,4 Procent im Ganzen 
und 12 Procent der Spitallranken —; catarrhalifche Ent: 
zUndungen fowie Cholera, welche 1875 im mittleren Hima— 


‚ laya in Simla fo viele Opfer forderten, find hier noch nie 
‚ aufgetreten. Zur Unterbringung der Reconvalefcenten find 


*) Vergl. bie Abbildung eines Leptſcha aus Siffim in Band XXV, 
©, 244, 


Georg Thiele: Skizzen aus Chile. 


in 2150 Meter Höhe fiinf große Gebäude aufgeführt, beren 
jedes 250 Dann faßt, dann ein Familienhaus fir Soldaten« 
frauen und Kinder ſowie ein wohleingerichtetes Srantenhaus, 
Die ortsanwejende Bevölterung beträgt durchſchnittlich 3157 
Verfonen; ihre Zahl fteigt aber im Sommer um viele Hun- 
derte und im diefer Zeit entiwidelt fih ein Badeleben in 
enropäifchem Sinne, belebt durch Feſtlichleiten und Eins 
ladungen zu Ehren der ammefenden hohen Würbenträger. 
Die dort erfcheinende Zeitung, „Darjiling News“, erhebt ſich 
dann über die Bedeutung eines Pocalblattes, Gafthöfe und 
Penfionen find zahlreich ; ſchon feit 1863 fehlt es auch nicht 
an einem Fremdenführer, verfaßt von Hauptmann Hathorn; 
über fo Hohe Preife, wie wir fie in Simla kennen lernen, 
wird noch nicht geflagt. Die Befucher find meift europäifche 
Beamte und Kaufleute aus Bengalen, insbejordere Calcutta 
und den Gangesftädten. 

Gegenwärtig beanfprucht die Neife nad Dardſchiling 
von Galcutta 3 bis 4 Tage, Man fährt auf der Galcutta> 
Eiſenbahn bis zur Station Sahibgandfc am Ganges und 
jegt nad) Karagola über diefen mächtigen Fluß auf großen 
Fähren. Hier beginnt die „Sanges- und Dardiciling-Weg* 
genannte Kunſtſtraße; mit Ausnahme des Mahanadbi find 
fämmtliche Flußübergänge überbrüdt; der alte Reitweg ift 
in der Ebene fir Wagen, im Gebirge für Karren fahrbar 
bergeftellt, wird hier aber bei dem ſtarken atmofphärifchen 
Niederfchlage ungeachtet zahlreicher Bruftwehren durch Erd⸗ 
rutſche oft bejchädigt und zeitweife ungangbar gemadjt. Ver: 
ihieden von den Alpen zieht der Weg nicht in den Thälern 
empor, fondern kreuzt die Ausläufer des Gebirgsfammes, 
fo daß die Reife ftets bergauf bergab geht; es geichieht dies 
weniger der vielen Flußwindungen wegen als ber ungejunben 
Ausdünftungen von den Thalſohlen. Eine andere viel für: 
zere Richtung wird dem Verkehr gegeben, wenn die Bengal- 
Nord⸗ Bahn vollendet ift, welche von Calcutta gerade nördlich 
zieht umd über Bogra, Rangpur, Dſchalpaiguri bis Titalja 
am Fuße des Himalaya fortgefegt wird; dann wird Dard- 


251 


ſchiling von Calcutta im zwei Tagen erreicht werden fünnen. 
Während der Hungersnoth in Behar find die Erdarbeiten 
auf diefer Bahn nahezu vollendet worden. 

Der Perfonens wie Wagenverkehr zwifchen Britiſch-Sil⸗ 
fim und den großen Handelöplägen am Ganges ift noch fehr 
unbedeutend ; nad Auffcreibungen an einer Zählftelle nahe 
dem Ganges verkehrten auf der Kunſiſtraße nach bem Ge— 
birge nur 20,519 Perfonen und 1,5 Millionen Kilo Waa— 
ren. Cine jprungweife Zunahme wäre zu erwarten, wenn 
es gelänge, engliſchen Kaufleuten nad) Tibet Zugang zu vers 
ſchaffen. Der directe Weg von der Bay von Bengafen nad) 
Lhafſa, der Hauptftadt Tibets, und von dort weiter nad) 
dem fldweftlichen China geht über Dardſchiling; die Ueber 
ſchreitung des Gebirges macht ſchon jest, wo jenfeits der 
englifchen Grenze nichts für Befeitigung von Verlkehrs— 
ftörungen gethan wird, verhältnigmäßig wenig Scywierig- 
feiten und ift durchgehends für Yaftthiere benugbar, was 
anderwärt® nicht immer der Fall ift. Allein die chineſiſchen 
Behörden geftatten Europäern unter feiner Bedingung den 
Eintritt, und Nepal, iiber deflen Gebiet der Weg ftellenmeife 
zieht, nährt nicht nur, um den beftehenden Zuftand aufrecht 
zu erhalten, diefe Eiferfucht, fondern belegt die Händler mit 
hohem Durchgangszoll. Die oftindifche Regierung hat oft 
in der legten Zeit neue Anftrengungen gemadjt, um biefe 
Hinderniffe zu befeitigen; fie ftieß aber auf den alten 
Widerſpruch und zu einem Umfchlag ift flir die mächfte Zeit 
feine Ausfiht. Dardſchiling bleibt fomit vorerft noch auf 
Ausnugung feiner Mimatologifchen Berhältniffe für eine rich. 
üige Auswahl mugbringender Handelsgewächſe angewiefen. 

ar es unter der Verwaltung feines ehemaligen orienta- 
lichen Befigers als eine armfelige, von Wilden bewohnte 
romantische Gebirgsgegend befannt, fo hat es fid) unter einer 
umfichtigen europäifchen Regierung unter Aufwendung nam ⸗ 
haften Grivoteapitalee den Ruf eines fruchtbaren, fleißig 
bebauten Guktwrftriches erworben, reich an alpinen Natur« 
ſchönheiten und fegensvoll als klimatiſcher Curort. 


Stizzen aus Chile 
x Bon Dr, med, Georg Thiele. 


’ v1. 
Santiago, — Bon Ehimbarongo bis Talca. 


Santiago liegt anf einer großen Hochebene, die gegen 
Norden geſchloſſen iſt, gegen Süden durd) einen engen Durd)- 
gang mit dem Thale von Raucagua zufammenhängt und 
bier auch eine Communication mit dem Thale von Melipilla 
hat, Es ift beiderfeits von hohen Bergen eingefchloffen, von 
denen die öftlichen einen großen Theil des Jahres mit Schnee 
bebedt find. 

Die Stadt felbft hat etwa 125,000 Einwohner und 
entbehrt durchaus nicht hübſcher Partien und fchöner Gebäube, 
auch hat fie, vielleicht die einzige Stadt Südamerifas, die 
ſich diefen Lurus erlaubt, Vergnügungsorte, Parts :c. in 
ihrer Umgebung. Im Großen und Ganzen macht fie jedoch 
auf den, der von Südamerika nur die Hafenpläge geſehen 
hat, einen frembdartigen, eben ganz fübamerifanifchen Eindrud, 
und auch den in Balparaifo lebenden Europäern, die mits 
unter jahrelang nicht Über Quillota hinaustommen, kommt 


Santiago, wenn fie es zum erften Male fehen, höchſt — jpa- 
nifch vor. 

Die Stadt zerfällt in drei Theile: einen nördlichen, am 
rechten Ufer des Mapocho, einen mittlern, zwijchen Ma- 
pocho und Alameda, und einen füblichen, auf der Sudſeite 
der Alameda. Alameda und Mapocho laufen einander pas 
rallel von Oft nad) Welt. Der füdliche Stadttheil ift der 
ausgedehntefte und bewölfertfte, bietet aber gar nichts der 
Erwähnung Wertes dar; der nördliche ift nur Vorſtadt; 
ber mittlere Theil ift der wichtigfte und alfo nicht bloß in 
topographijcher Hinficht das Centrum der Stadt, Der Ma— 
pocho hat ein fehr breites Flußbett, das aber im Sommer 
gänzlich waſſerlos ift, da ihm fein weniges Waſſer faft alles 
oberhalb zur Bewäflerung der Felder entzogen wird, Im 
Winter und Frühjahr dagegen ift er häufig fehr waſſerreich 
und reifend, fo daß er die Stadt zu wiederholten Malen 


32” 
J 





252 


verheert hat. Er ift daher, fo weit er die Stadt durchzieht, 
auf der Südfeite mit Mauern eingehegt. Es führen über 
denjelben drei Brliden, davon die mittlere von Stein denen 
ähnlich ift, wie fie ſich in vielen altdeutfchen Städten finden, 
mit Nifchen, welche Heiligenbilder enthalten. Bon der Mitte 
derfelben hat man eine herrliche Ausficht auf die Corbillera. 
Oeſtlich und weſtlich von diefer führen noch zwei hölzerne 
Britden über den Fluß, von denen aber nur die eine ftabil 
ift, d. h. aud) bei Hochwaſſer ftehen bleibt. 

Die Alameda — ein unvermeiblicher Beftandtheil im 
jeder ſpaniſchen Stadt — zeichnet fih in Santiago durch 
ungewöhnliche Breite und Länge aus; die legtere reicht nahe 
am ®/, einer deutſchen Meile. Sie befteht aus vier Reihen 
Pappeln, die ganz fo arrangirt find wie „die Linden“ in 
Berlin, In der Mitte befindet ſich ein breiter Weg flir die 
Fußgänger, beiderſeits zwei fchmale Fahrwege, in denen hier 
die Seleife der Pferdeeifenbahn laufen, dann zwei breite Fahr⸗ 
wege und ſchließlich die Trottoirs. Im obern öftlichen Theile 
der Alameda finden fid dann noch einige Nondels mit Blu: 
men :c, eingeftreut, ſowie Standbilder hauptſächlich der Hel- 
den aus dem Umabhängigfeitöfriege. Die weftliche Hälfte der 
Alameda ift jehr vernadjläffigt und die Gebäude, die fie hier 
umgeben, zum Theil erbärmlich. Der öftliche Theil ift jedod) 
gut gepflegt und man findet hier ſchöne Häufer, aber feine 
Berfaufsläden, fondern mit wenigen Ausnahmen nur Privat» 
gebäude. Zu den Ausnahmen gehört das Univerfitäts» 
gebäude, das ſehr gefchmadvoll im neuern Stil aufgeführt 
ift, ſowie didjt dabei das Hospital San Yuan be Dios, 
von außen eben fo jämmerlich wie von innen. Handel und 
Wandel beſchränken fich auf zwei Straßen, die Calle Ahu— 
mada und Calle del Eftado, bie von der Alameda in 
der Gegend der legtgemannten beiden Gebäude nad, dem Ma- 
pocho führen. Beide führen dann über die Plaza, etwa 
in der Mitte zwoifchen Alameda und Mapocho. Die Plaza 
ift ein vierediger Plag mit einem Brummen in der Dlitte, 
der von recht hübſchen Blumenanlagen umgeben ift. Die 
Oſtſeite fchließt das Portal Mac Clure, ein liberdedter 
Bogen; die Gebäude, die den Hintergrund beffelben bilden, 
find ziemlich einfach. Die Südfeite bildet das Portal Fer— 
nandez Conda, deſſen Hintergrund ein höchſt impofantes 
und geichmadvolles Gebäude, das Grand Hotel de Santiago, 
ausmacht. Im der Mitte des Portals ift eim Eingang in 
die Paſaje Bülnes; dies find zwei ſich freugende überdeckte 
Bazare (wie die „Paſſage“* im Berlin), weldje ſich zwifchen 
dem ganzen Biertel, das die vier vechtwintelig ſich ſchneiden⸗ 
den Straßen Calle dei Ejtado, Ahumadu, de Hucrfanos und 
de la Compana bilden, hinziehen und von jeder biefer Stra- 
fen einen Eingang haben. Bei gutem Wetter ift die Plaza, 
bei ſchlechtem die Pafaje der Hauptipaziergang der Santias 
giner. Die Nordfeite der Plaza bilden die Intendencia (die 
Kegierungsgebäube) und ein Privatgebäube, beide ziemlid) 
einfach; die Slidfeite die Kathedrale und der erzbiſchöfliche 
Palaft. Die Kathedrale ift außerordentlich einfach und er» 
mangelt ſelbſt der Thlirme, die bei einem Erdbeben eingeftürzt 
find, der erzbifchöfliche Palaft dagegen ift ein fchönes und 
impofantes Gebäude. 

Etwas nördlich von ber Plaza de Armas liegt die Plaza 
de abaftos, ein Meiner Plag mit dem Mercado publico, 
der überdeckten Markthalle, einem großen, biübjchen und be» 
quem angelegten Gebäude. Oeſtlich von der Plaza de Armas 
biegt ein Meiner Plag, die Plazuela de Compania, in 
deren Mitte die Kirche ftand, die im jener berlihinten Feueré⸗ 
brunft von 1859 mit dem größten Theile der darin befind- 
lichen Menſchen, meift Weibern, verbrannte. Heute fteht ein 
Denfmal an der Stelle der Kirche. Sonftige intereifante 
Gebäude befigt Santiago außer einigen recht gefchmadvollen 


— 


Georg Thiele: Stizzen aus Chile. 


Privathäufern wenig; das einzige noch erwähnenswerthe ift 
der alte Regierungspalaft, der heute ale Münze dient. Dies 
ift ein ganz altes Gebäude, noch im Jeſuitenſtil, aber groß 
und maffiv und macht in einem Yande, wo monumentale 
Bauwerke jo felten find, einen guten Eindruck. Charat: 
teriftifch fiir die frithere Zeit der ewig ſich wieberholenden 
Nevolutionen ift, dag man dem Palaft gegenüber eine große 
Gaferne gebaut hat. 

Der ee de Santa Lucia ift eim ſehr fteil aufitei- 
gender ifolirter Fels, noch im Wefttheil der Stadt gelegen, 
gar nicht weit von der Plaza de Armas, Zur Spanierzeit 
ftand ein Gaftell darauf, das aber nach dem Unabhängigfeits- 
kriege gefchleift wide. Jetzt hat man ihn im einen Ber 
guügungsort verwandelt und mit großen Koften Pflanzungen 
und Wege angelegt, die mit der Zeit recht hübſch zu werden 
verfprechen. Vorläufig hat man von dem Hlgel eine pradht- 
volle Ausficht auf die Stadt und das ganze Thal. 

Eine weitere Promenade ift der Parque de Coufino, 
weit draußen vor der Stadt, an ihrem Südende gelegen. 
Er ift eine Schentung des Mannes, deſſen Namen er führt 
und vorläufig noch im Entftehen begriffen, wird aber eben: 
falls mit der Zeit eine hübſche und weitläufige Promenade 
werben, 

Am DOftende der Stadt, micht weit von der Eiſenbahn, 
findet fic ferner der botanifche Garten, Klein aber hübſch. 
Das ift fo ziemlich) der einzige Play in Santiago, wo man 
Schatten und dichte und große Bäume findet; zur Sommers: 
zeit ift er daher auch ſtets fehr beſucht. Nebenan wird gegen 
wärtig (October 1874) das Gebäude für die Induſtrieaus- 
ftellung gebaut. — Außerdem macht man zumeilen Ausflüge 
nad; dem zwei Leguas entfernten Badeorte Apoquindo. 
Es ift aber herzlich langweilig da und außer einem Hotel 
mit fehr hohen Preifen, einer Kirche und einigen Bäumen 
nichts zu ſehen. 

Was der Stadt ihren jpecifiich fildamerifanifchen Charaf: 
ter giebt, ift die Bauart der Häufer, die zum größten Theile 
einjtödig find, aber eine enorm lange front haben und in 
vierediger form erbaut find, in der Mitte einen großen vier: 
eigen freien Play, Patio genannt, Die größeren Häufer 
haben dann hinter dem erften noch einen zweiten Patio, zu- 
weilen auch einen dritten. Das ift chileniſche Bauart, in 
Montevideo war fie ſchon etwas anders, Die Patios und 
zwar ftetö die hinteren find zum Theil in Meine Gärten ver- 
wandelt. Man kann fic, vorftellen, welch ungeheuern Raum 
die Stadt bei diefer Bauart einnimmt; vom Cerro de Santa 
Lucia aus erfceint fie wie ein großer Garten, in den eine 
Menge Häufer hineingebaut find. Schatten ift indeß in 
diefen Gärten nicht zu viel zu finden. Die Häufer find 
dabei meift von außen fehr einfac und häufig farbig ange: 
malt, die Fenſter Mein und ſpärlich; über jeder Thür ift eine 
große Fahnenſtange angebracht. Die Straßen erhalten durd) 
das Alles einen eigenthimlichen lebloſen Anftrich, find auch 
ziemlich unbelebt im Verhältniß zu anderen Großſtädten, — 
dabei die vielen Reiter, alle der untern Claſſe angehörige 
Leute in der „Manta“ (Reitmantel). Dies Alles bringt 
den von Valparaiſo verfchiebenen Eindrud zumege. 

Im Uebrigen ift die Stadt jauber; Straßenpflafter, 
Trottoirs, Beleudjtung (Gas) find gut, namentlich in den um 
die Plaza de Armas ſich gruppirenden Straßen, in benen 
die quten Familien wohnen. Pferbeeifenbahn und Omnibus, 
recht gute und billige Drofchlen find die Communicationsmuittel, 
Das Leben hier ift ſehr theuer. Eine Familie fann auf an- 
ſtändigem Fuß nicht qut unter 4000 Pejos (a 4,35 Darf) 
jährlich leben und bei nur einigermaßen erhöheten Anjprü- 
dien kommt man ganz gewiß auf 5000. Dazu regiert hier 
der Borschmheitstenfel. Damit die weiblichen Mitglieder 


Georg Thiele: Skizzen aus Chile. 


beftändig in feidenen Kleidern und franzdfifchen Schmuchkſachen 
paradiren können, um Equipage zu halten und im Sons 
mer aufs Yand oder ind Seebad gehen zu fünnen — bie drei 
Dinge, die hier zum high life gehören —, legen fid) bie 
Leute beträchtliche Entbehrungen in anderer Hinficht auf und 
leben das ganze Jahr hindurch von Bohnen. 

* he * 

Zwiſchen Santiago und dem filbwärts davon gelege— 
nen Ehimbarongo (unter 34?/,° jüdl. Br.) giebt es ein Stüid 
Wald zu pafliren, das injofern fein Urwald mehr ift, als 
die Bänme viel zu Hein und entfchieden jpäterer Anpflan- 
zung find. Nichtsdeftoweniger ift diefer Wald fo dicht, daß 
man taum hindurchtommt. Es ift Alles Yaubholz, Yäume, 
die vom Boden an belaubt und von allerhand Kletten und 
Schlingpflanzen durchſchlungen find. Das Ganze bietet für 
Einen, der an beutjchen Wald gewöhnt ift, einen ganz 
ſonderbaren Anblid. Bei Chimbarongo fah ic) ein Gefährt, 
das hier im Süden fehr häufig ift, einen Ochfen-Omnibus, 
Gehen darf hier im Süden Niemand. Cine Kutſche, um 
die Leute von den Eiſenbahnſtationen ins heimathliche Dorf 
zu fahren, ift für diefelben zu Eoftipielig, alfo Odyjen-Oms 
nibus! Das Ganze fieht genau wie eim zweiräderiger 
Badelarren aus. Inwendig find Stühle hingeftellt, auf 
denen die Leute Plag nehmen. Der in Chimbarongo war 
ſchon ein veredelter Omnibus: grünangeftrichen, am der 
Thür eine Gardine, und die Ochſen gingen im ſcharfen 
Schritt. Sie find aber häufig fehr viel einfacher. Zwei 
bis drei Bretter auf einem Baumſtamm befeftigt, der als 
Achſe dient und durch zwei Muhlſteine geftect wird, die die 
Räder vorftellen; dann mit Hülfe von Neifern und Steden 
eine Yeinwanddede darüber gefpannt, dies iſt das einfachſte 
Gefährt, wegen feines gräßlichen Quietſchens vom VBolkswitz 
Chanihito (Ferkelchen) getauft umd unter diefem Namen 
allgemein bekannt. 

Hinter Chimbarongo dehnt fich die Ebene allmälig aus; 
die Gordillera central zur Linken, die Cordillera de la cofta 
zur Rechten treten immer mehr zurlid. Die nächte Stadt, 
die man erreicht, ift folglich ſchon größer. Dies ift Curich, 
Hauptftadt ber gleichnamigen Brovinz und bis jet (Sep⸗ 
tember 1874) Endpunft der Cifenbahn. Bon hier geht es 
mit der Kutſche weiter, für die ich Schon in Santiago Billets 
genommen. Da Gurico noch feine Droſchlen bejigt und 
ein Gaballero unmöglic in einem Chanihito nad) der Stadt 
fahren fann, fo wartete die Kutjche am Bahnhof, um uns 
vorläufig zum Hötel de (a Paz zu bringen, wo wir über— 
nachteten. Das Hötel war für hiefige Zuftände recht gut. 

Im Uebrigen läßt ſich von Curicé nicht viel jagen. Es 
ift ein ftilles Yandftädcen von etwa 6000 Einwohnern, für 
hiefige Begriffe recht fauber gebaut und gut gepflaftert. Des 
Abends bejuchten wir das Theater, da zufällig eine Truppe 
hier war. Lin großes Gebäude hatte man mit allerdings 
ſehr einfachen Mitteln zu einem ganz pallenden Theater 
umgewandelt. Der Beſuch war zahlreich, und was bie 
Eleganz der Damen betrifft, Seidentleider, Schmud ꝛc., fo 
war dies unbedingt mehr, als man in einem beutjchen Hof: 
operntheater zu jehen befommt, wenn man die geringe Uns 
zahl der Beſucherinnen berücjichtigt. Gegeben wurde ein 
hochtragiſches Schauerſtlick: „Die Söhne Eduard's“, das 
den befannten Stoff aus der engliſchen Geſchichte behandelt. 
Tas Spiel war herzlich ſchlecht und flirchterlich outrirt. 
Richard III, hatte einen entjeglichen Budel und die Köni- 
gun fluchte wie ein betrunkener Matroſe, wofür fie den uns 
getheilten Beifall aller Zuſchauer erntete, 

Als wir am andern Morgen aufbrachen, fanden wir die 
Tour nicht fo ſchlimm, als man fie uns in Santiago ges 


253 


ſchildert Hatte. Die Wagen find gut und fallen nur durch 
ihre enorm hohen Räder auf, ein Umftand, der feinen guten 
Grund hat. Gefahren wird nur im Galopp, fo daß man 
eben fo ſchnell forttommt wie ein Reiter; der Weg ift Über: 
all eben und breit und gut gehalten; er hat nur einen Uebel⸗ 
ftand, den ich gleich erwähnen werde. In der Negenzeit 
ift er allerdings ftellenweife ſehr fothig und im Hochſommer 
riffig und fehr ftaubig. Allein diesmal war er im Großen 
und Ganzen fehr gut. Die Hauptichwierigfeit jedoch bieten 
die Flüſſe. Diefe find im Sommer nidyts weiter als kleine 
Bäche oder liegen auch ganz troden; nach heftigen Regen- 
güffen und im Fruhjahr, wenn der Schnee ſchmilzt, find es 
aber colofiale Ströme, die mit einem fehr ftarten Gefälle 
dahinbraufen. Jeder Fluß nun fließt in einer jehr breiten 
und fteil abfallenden Schlucht, die er bei Hochwaſſer voll» 
ftändig erfüllt. Auch die winzigften Bäche erfordern daher 
enorme Brüden, oder vielmehr würden fie erfordern, denn 
an den Koften derfelben ift bisher jeder Vorſchlag, die Wege 
zu beffern, gefcheitert. Jetzt endlich, wo die Eifenbahn er: 
baut wird, miffen natürlich alle diefe Schluchten überbrückt 
werden. VBorläufig aber muß die Kutſche nod Schluchten 
und Fluß durchfahren. 

Unmittelbar hinter Curics fommt man durch einen gut 
bebauten Landſtrich; die Straße ähnelt unferen Chauffeen, 
nur daß fie viel breiter if. Nacdem man dann drei bis 
vier Bäche zum Vorgeſchmack paffirt hat, fommt man an 
einen der libelberäichtigtiten life, den Lontus, der die 
Grenze zwifchen der Provinz Talca und Euricö bildet. 
Er fließt im Grunde einer fehr tiefen Schlucht, in mehrere 
fleine Bäche zertheilt, und man braud)t lange Zeit, bis man 
am jenfeitigen Rande der Schlucht wieder heraustommt, 
Bir fanden ihn niedrig; wenn er hoch ift, müffen die Paſſa— 
giere an einer Stelle, wo die Schlucht eingeengt ift, auf 
einer Art aus Seilen geflochtener Hängebrüde hinitber- 
gehen. Wie man dann den Wagen hinliberbefördert , ift 
mir unflar. 

Bald gelangt man nad; Molina, einem Heinen Ort 
von ungefähr 1200 Einwohnern, und hier wird zum erften 
Mal umgejpannt. Hinter Molina wurden wir bis zum 
nächſten Umfpannungsort verhältniginäßig wenig mit Flülſ⸗ 
fen gequält. Das Yand wird allmälig öder, und der Ort, 
wo wir umfpannten, war nur durch einige Meine Schilfhüt 
ten bezeichnet. Gleich darauf paffirten wir den Rio Claro 
mit vieler Mühe. Der Fluß ift ſehr fteinig und die Räder 
fuhren immer zwifchen den Steinen feit, fo daß wir dreimal 
umfehren mußten und erjt zum vierten Male mit großer 
Mühe durchkamen. 

Zwiſchen Rio Claro und Talca liegt ein Landſtrich 
von ſehr ödem Auoſehen. Ich glaube nicht, daß der Boden 
hier unfruchtbar ift, denn das für die Eifenbahnbämme auf- 
geworfene Yand fah bei dem leichten Regen ſchwarz wie 
Sartenerde aus; es mangelt wohl nur an Waller, Diefe 
Fläche liegt bedeutend höher als das übrige Yand, fo daf 
man fie nicht vom Fluſſe aus bewäſſern kann. Es ift eine 
platte fläche, mit einem kümmerlichen Grasteppid; bewach— 
fen und einem Baum, der etwas liber Manneshöhe erreicht 
und im Abftänden von 20 Fuß von einander bie ganze 
Ebene, jo weit dad Auge reicht, überzieht. Ein Weg eriftirt 
hier nicht, man fährt eben im den alten Geleifen weiter; 
doch ift der Boden etwas elaſtiſch, ſo daß man ſchuell vor— 
wärts kommt. Die Kuſtencordillera iſt jo weit entfernt, 
daß man fie nicht mehr ſieht. Noch einmal werben die 
Pferde gewechſelt, und hinter dieſer Station lommt man 
dann wieder in bebautes Land. Talca liegt ſehr tief 
(85 Meter body), und in diefer großen Senfung ber Ebene 
ſammeln fich eine Menge Heinever Fluſſe, die zum Gebiete 


254 


des Maule gehören, des obgleich mur zweitgrößten, doc 
wichtigften Strome Chiles, in den auch der Rio Claro 
fließt. Sowie man den Rio Pengua paffirt, hat die Ges 
gend ein ganz anderes Ausfehen: selber und Dörfer wech— 
jeln in fteter Folge. Am baumlofen Horizont fieht man 


Aus allen 


Meuer Proceh im Gewinn bed Goldes, 


Die bisherige Methode, dem goldhaltigen Quarz das 
Gold zu entnehmen, erforderte ſtets Wafler. Der Quarz 
wurde im Waſſer geftampft und lief, im Waller aufactöft, 
über die Vlankers und Onetfilberrinnen, welche den Bold: 
ftaub, der feiner als Mehl iſt, auffangen und fejthalten, 
Duedfilber verliert im Waſſer einen beträchtlichen Theil fei- 





trodenem Wege berzuftellen und hat gegenwärtig in der 
Nähe von Forbestomwn eine Mühle von der Capacität von 
10 Tonnen Quarz per Tag im Gange, im welcher er feit 
Monaten auf trodenem Wege den dortigen Quarz, ber jeit 
Jahren in den anderen Müblen dajelbft erprobt ift, ver: 
arbeitet. Er bat fait in jedem Falle 50 Procent mehr Bold 
gewonnen ald es auf naſſem Wege möglich if. Sein Ber: 
fahren beſteht darin, dab er den Quarz troden jerjtampft, 
worauf er ihm im ein ſich drehendes Faß bringt, worin er fich 


Goldwäſche im Caucathale. 


Aus allen Erdtheilen. 


lints eine Gruppe Pappeln, die ein Meines Städtchen, Na— 
mens Pelario, bezeichnen. Die Straße wird nun immer 
breiter, und endlich fommt man gar nicht mehr aus den 
Häuferreihen heraus und befindet ſich bald darauf in ber 
Vorſtadt Talcas. 


Erdtheilen. 


ner Gold anziehenden Kraft, und die Folge davon ift, daß 
mehr als die Hälfte des im Quarz enthaltenen Goldes unter 
dem jehigen naffen Proceß verloren acht, und daß der auf- 
gehäufte, durdy die Mühle gegangene Quarzſtaub nicht felten 
nach Jahr und Tag bei einer zweiten Bearbeitung durch die 
Mühle mehr Goldertrag liefert ala das erfte Mal. 
Almann B. Paul, ein erfahrener Quarzminer, bat feit 
Jahren ſich mit dem Problem beichäftigt, eine Reduction anf 


felbft zu feinerm Bulver verarbeitet. Hierauf kommt dieſes 
Duarzpulver in ein anderes Faß, welches genügend Ducd: 
ſilber enthält, daß der Quarz ein Brei wird, Dieles Faß 
wird burd die Mafchinerie wiederum in rafche drehende Be: 
wegung verjeht, und bie Friction erhitzt die ganze Maſſe, wo— 
durch die Anziehungskraft des Duedjilberd erhöht wird. 
Außerdem entiteht ein elektrifcher Umlauf, welcher ebenfalls 
dem Proceß der Antalgamation behilflich ift, während er ordi⸗ 
näre Metalle abſtößt. Aus dielem zweiten Faß wird die 


Aus allen Erdtheilen. 


Maffe herausgenommen und in einem Bade zum erſten Mal 
in Contact mit Waffer gebracht, wo alle Unreinlichkeiten ent: 
fernt und das Amalgam durchgewalchen wird, worauf in der 
bisher üblichen Weile das Dnedjilber in der Retorte ver: 
dampft wird und das Gold zurücbleibt. Der nene Prozeß 
fol mur etwa 11, Dollar per Tonne mehr koften als die 
bisherige Art und Weife, 





Aus Brafilien. 


Die mit den Vorarbeiten zur Aufnahme einer geolo: 
giſchen Karte vom Kaiferreich beauftragte Commiſſion ift am 
10, Juli diefes Jahres nach der Provinz Pernambuco abge: 
reift, um mit ihren Arbeiten zu beginnen. Diefelbe beſteht 
aus folgenden Herren: Profeffor Hartt, Chef; Dr. Elias 
Jordao, Adjutant des Chefs; Dr. Francisco de Paula Frei- 
tad, Practicant, und Marc Ferrez, Photograph. Zur Com: 
milfion gehören ferner die Geologen Nathbun und Derby, 
die fich augenblidlich noch in Nordamerika befinden. 

— Die mit Unterfuhung der Nebenflüffe des Amazonen: 
ſtromes betrante Commiſſion bat auf dem Urubn Sciff- 
brud) gelitten. Ein Windſtoß erfaßte dad Segel des Bootes, 
in dem fich diefelbe befand, und ſtürzte cd um. Sümmtliche 
Infaffen fielen ind Wafler; da aber glücklicherweiſe alle gute 
Schwimmer waren, fo gelang es ihnen, ſich zu retten. Die 
Juſtrumente jedoch gingen ſämmtlich verloren, welcher Um: 
ftand die Rucklehr der Commiffion nach Manaos nöthig machte, 

— Bon den am Tapajoz gelegenen, von Gapızinermön: 
den geleiteten Indianerbörfern wird berichtet, daß, feit Diele 
in lebhaften Verkehr mit der hriftlichen Bevölkerung der 
Umgegend getreten find, Neid, Zwietracht, Habſucht und an— 
dere Lafter bei ben Indianern fich in erfchredendem Maße 
eingeniftet haben, und daß biefe infolge deſſen einer völligen 
Eorruption entgegen gehen. 

— Dem Relatorium des Aderbauminifterd entnehmen 
wir folgende ftatiftiichen Notizen über die Colonien der Pro- 
vinz Rio Grande do Sul: 

Die Eolonie S. Feliciano bat 35 von 84 Verfonen 
bewohnte Eoloniepläge. Die Bevölkerung befteht ang 81 Fran- 
zofen und 3 Schweizern, die ihre Producte nur unter großen 
Schwierigleiten nad bem 38 Kilometer entfernten Camaquum 
abjegen können. Da die Coloniften auf ihrem Wege dahin 
über den Fluß Subtil müffen, fo hat ber Präfident dort 
eine Fähre anlegen laflen. 

Die Eolonie Santa Cruz ift von 7500 Seelen be: 
wohnt ; fie führte im Jahre 1874 für 520 Contos (k 1500 Mark) 
ans nnd nur fir 350 Contos ein. 

Die Negierungscolonie Santa Maria de Soledad® 
zählt jest 2034 Einwohner, worunter 750 Deutſche. Aus: 
geführt wurde 1874 fir 81 Contos und eingeführt filr 
40 Contos. Die Niederlaffung hat eine gute Verbindung 
mit ber Stadt S. Leopoldo, außerdem werden die Eoloniften 
binnen Kurzem ihre Producte auf dem Cahyfluffe fortichaffen 
föunen. Im Bau begriffen find 6 Capellen. Augenblicklich 
eriftiren 2 Regierungds und 4 Privatſchulen. 

Die Colonie S. Ungelo zählt 1862 Einwohner, wors 
unter 1030 Deutſche und 832 Brafiliener. Die Colonie er- 
portirte während des gleichen Zeitraums für 66 Contos und 
importirte für 41 Contos. Auf der Colomie befinden ſich 
ein katholiſches und zwei proteftantiiche Bethäuſer. 

Neu Petropolis ift von 1284 Verfonen bewohnt, unter 
denen ſich 1015 Proteſtanten befinden. 

Monte: Alverne ift von 561 Seelen bewohnt, wor: 
unter 72 Defterreiher und 15 Holländer. Ausgeführt wur: 
de für 87 und eingeführt fir 33 Contos. 

Die Meine, aber an fruchtbaren Ländereien reiche Colo- 
nie Conde d'Eu zählt nur 74 Einwohner; es herricht dort 
noch empfindlicher Mangel an Berbindungswegen. 

(Allgemeine Deutiche Zeitung für Brafilien.) 


255 


Aus Auftralien und der Südfee, 


H.G. Nach den amtlichen Mirenftatiftifen lieferten die 
Goldfelder der auftraliichen Colonie Victoria im Jahre 
1874 einen Ertrag von 1,105,115 Ungen Gold, gegen 1,162,492, 
1,218,094 und 1,290,844 in ben drei Vorjahren, Während 
fich im Jahre 1866 die Zahl ber Digger noch auf 73,577 
belief, war fie im Jahre 1873 auf 52,057 und im Jahre 1874 
auf 46,512 gefunfen. Darunter befanden fich 12,056 Chine⸗ 
fen, welche meiſtentheils im Alluvium beichäftigt waren. Das 
Areal des goldhaltigen Bodens, welches bearbeitet wurde, 
umfaßte 1063 engliihe Duadratmeilen und die gefammten 
Minengeräthichaften hatten einen Werth von 2,078,936 Bf. St. 
An Silber wurden 11,906 Unzen gewonnen, welche bis 
auf 760 Unzen ans dem in der Minze geichmolzenen Golde 
ftammen. 

Aus der Colonie Südauftralien wird und unter bem 
Datum des 16, Juli gemeldet: 1) daß auf Beſchluß des 
Parlaments im nachſten Jahre eine Volkszählung ftattfinden 
tolle; 2) dab im Parlamente der Antrag auf Zahlung von 
Diäten an die Mitglieder mit großer Majorität verworfen 
worben; 3) daf im Adelaide mit nächftem October eine zweite 
deutſche Zeitung, unter der Redaction ded Dr. Hübbe, eines 
Hamburgers, erfcheinen werbe, 

‚ —InBeftauftralien ift in der Nähe vonRochurne, 

Nicol Bay, Alluvialgotd entdeit worden; ferner wird gemel: 
det, daß im der letzten Saifon dreibundert Tonnen Berl: 
mufcheln (ber Preis ſchwankt zwiſchen 250 und 230 Bf, St.) 
erportirt worben, und dab eine Eifenbahn von Fremantle 
über Perth nach Guildford, eine Entfernung von ungefähr 
sweiundzwanzig engliichen Meilen, projectirt werde, 
— Endlich wird nun auch die Eolonie Weftauftralien 
in das auftralifche Telegraphennetz gezogen werden und diefelbe 
demzufolge mit allen Erdtheilen in telegraphifche Verbindung 
treten. Die Regierungen von Weft: und Südauftralien laffen 
nämlich jest, mit parlamentariiher Bewilligung, an der 
Meeresfüfte entlang bis an die refp. Grenze, welche fo ziem: 
lich genau durch Port Eucla gebildet wird, einen Telegraphen 
sieben. In Sübauftralien ift der Regierungsfeldmeffer R. 
R. Kunden mit der Feftftellung der Linie beichäftigt und 
bürfte die Arbeit wohl zwei Jahre in Anſpruch nehmen. 
Die Errichtung auf der erften Strede von Port Augufta bis 
Fowler's Bay, über Franklin Harbour, Coffin's Bay, Venus 
Bay und Streaf Bay, eine Länge von 540 Miles, ift bereits 
gegen 18 Pf. St. 16 Sh. pro Mile in Verdung gegeben, 
d. b. die Regierung liefert die Pfähle, den Draht und die 
Iſolatoren, während der Contrahent das Material an Ort 
und Stelle zu Ihaffen und aufzuftellen hat. Much die weit: 
auftralifche Regierung bat auf ihrer Seite die Arbeiten be: 
reits vergeben. Dort follen höfgerne Bfähle zur Verwendung 
kommen. 

— Die Colonien Nen:Siüd-Wales, und Neu-See— 
land haben mit den Rhedern John Elder in Glasgow und 
John Macgregor in Leith einen Contract abgeichloffen , nach 
welchem letztere für den Zeitraum von acht Jahren die Poit: 
bampferverbindung zwiſchen diefen Colonien und San Frau⸗ 
cisco gegen Zahlung einer jährlichen Summe von 89,950 Doll, 
übernehmen. Die Fahrten find fo regulirt, daf der Poft- 
dampfer jedes Mal von Otago Meu-Seeland) aus auf San 
Francisco läuft, dagegen zurück direct auf Sydney, und foll 
auf beiden Touren in Ktandaon (Fidichi-Infeln) und in Ho: 
nolulu (Sandwic:Infeln) angelegt werden, Bon und nad 
Kandaon foll diejenige ber beiden Colonien, wohin der Volt: 
dampfer auf ber betreffenden Fahrt nicht gebt, durch einen 
befondern Nebendampfer bedient werden. Die Dampfboote, 
fünf an der Zahl, mitffen wenigftens 2500 Tonnen vegiftrirt 
fein und elf Knoten in der Stunde zuritdlegen. Im näch— 
ften November follen die Fahrten ihren Anfang nehmen. 
Auf der großen auftralifchen Ueberland-Tele- 
graphenlinie find jest von Port Darwin ab jüdlich bis 


256 _ 


Tennant's Ereef, 619 Miles, der zerftörenden weißen Amei— 
fen wegen eiferne Pfoften, anftatt der ursprünglichen hölzer— 
nen, eingefeßt und follen bis in die Nähe von Barrow’s 
Greef, 766 Miles, fortgeführt werben. 

— Auf der Telegraphenftation Alice Springs, 
937 Miles füblich von Port Darwin, unterhält die füd- 
auftralifche Regierung eine Herde Schafe von über MOO Stüd 
und wird von hier aus das Perfonal auf den Telegrapben- 
ftationen de3 Innern von Auftralien mit Schlachtvich ver: 
forgt. 

Rumanifdes. 

Die Wälder in Rumänien nehmen ein Fünftel des 
geſammten Areals der vereinigten Fürſtenthümer ein, d. i. 2 
Diillionen Hectaren. Im Gebirge ift noch der Urwald zu 
Haufe, der unberührt geblieben ift. Er beſteht beinahe nur 
aus Fichten, Föhren und Buchen. Leider find jedoch die 
rumäniichen Waldungen fich felbit überlaflen, die rationelle 
Waldeultur trat dort nody nicht in ihre Rechte ein. Troß ber 
guten Onalität des rumäniſchen Holzes ift der Holzimport 
ein bedeutender; an demfelben betheiligt ſich im erfter Linie 
die Bulowina. Auch das Bauholz wird zum größern Theil 
importirt, Bretter beziebt man jogar aus Tirol und Steier- 
marf, 

Wein: und Obftban in Rumänien. m den leiten 
Jahren bemerft man in Rumänien eine ftetige Vermehrung 
der Weingärten. E3 werben jetzt jährlich 300: bis 900,000 
Hectoliter Wein producirt. Im Allgemeinen ift feine Qua: 
lität gering, doch erzeugen die Hilgellandichaften am Saume 
der Karpathen einen ziemlich auten und baltbaren Wein. Zu 
ben beiten Weinforten gebören die aus Dragofhani, Rotne, 
Dijal:Mare und Obobeihti. 

Die Pflege der Obſtbäume macht bingenen feine Fort: 
fchritte. Im Allgemeinen läßt ſich von der Obftcultur jagen: 
wenig und ziemlich ſchlecht. Am meiften werden die Plan: 
men+gepflegt, aus denen man die Zujla, einen untergeord- 
neten Branntwein, bereitet. 

Der rumäniſche Handel. Das Verhältniß zwilchen 
dem Import und Export fanıt wegen des großartigen Schmug— 
gels, ber Überall an den Grenzen Numäniens florirt, trot: 
dem der Staat ein ganzes Heer von Beamten zur Inter: 
drückung deflelben unterhält, nur ammäbernd durch Zahlen 
ausgebriidt werden. Im Mittel beläuft fich die Ausfuhr auf 
a Dill. Frances (rumärifch Leu), die Einfuhr auf 160 Mill. 
Frances, jo daß der Werth der eritern die letztere mit 40 Mill. 
Franc überfteigt. Unter den Ausfuhrproducten nimmt das 
Getreide, und bier wieder der Weizen, von dem im guten 
Jahren fiir 140 bis 150 Mill. Francs ausgeführt wird, die 
erfte Stelle ein. Doch eben diejes Umftandes wegen ift die 
GErportzahl großen Schwankungen unterworfen, da fie haupt: 
fählih vom Ausfall der Ernte abhängt. Weiter werden noch 
ausgeführt Reps, Gemüfe, Branntwein, Mehl, Lein, Vieh 
MNinder, Schafe, Schweine), Wolle (nah Dejterreih und 
Frankreich), Thierhäute, Talg, Schweinefett, Pöckelfleiſch, 
rohe Seide, Stein: und Meerſalz, robes und rafinirtes Ber 
troleum (in die Türkei). Ueber das Meer werden Producte 
für 125 Mill. Fraues ausgeführt, auf Oeſterreich entfallen 
40 und auf die Türkei 35 Mill. Frances. Eingeführt werden: 
Holz, Kerzen, Caviar, Häringe, Obit, Del, Tabad, Droguen, 
Spirituofen, Weine (die einbeimiichen find im Allgemeinen 


Aus allen Erbtheilen. 


von geringer Onalität), Zuder, Käſe, Farben, Wachs, Colo— 
nialwaaren, Metalle, Kohle, Leber und Yederwaaren, feidene, 
wollene und baummollene Stoffe, Samen, Kautichuf, fertige 
Kleider, verichiedene Modewaaren, Bücher und Papier, 
Meöbelwaaren, Wagen, Lehrmittel, Maſchinen, Töpferwaaren, 
Glas und Vorcellan. An der Einfuhr betbeiligt fich Oeſter— 
reich mehr als alle übrigen Staaten zulammengenommen. 
Aus England werden Wollwaaren, Eifen, Koble und Colonial: 
waaren eingeführt; aus Frankreich Zucker, Wein, Seiden: 
waaren, feine Wollitoffe, Möbel und Modewaaren; aus der 
Levante Obit; aus Rußland Leder- und Metallivaaren; aus 
Holland Zuder und Häringe; aus Deutichlaud Ei ſenwaaren, 
Luxusſachen, Parfüms, Baummwoll- und Wollwaaren und 
Maſchinen. 

Sowohl der Ein» als auch der Ausfuhrhandel liegt nicht 
in rumäniſchen, ſondern größtentheils in fremden Händen. 
Der Unternehmungstrieb iſt bei den Rumänen ſchwaäch ent: 
widelt und wo dieſer fehlt, da kann von feinem Handel die 
Rede fein. 


* * «* 


— Auf der diesjährigen Briſtoler Verſammlung der 
Britiſh Aſſociation“ beſchäftigte ſich die Abtheilung für 
Anthropologie beſonders mit den primitiven und zuerſt 
aus Centralafien eingewanderten Völkern Indiens. Zu ihnen 
gehören die Weddas in Ceylon, welche Mr, Hartiborne 
zum Theil nach eigener Anſchauung beichrieb, Sie zerfallen 
nach ibm im die beiden Claſſen der Dichengel- und der Dorf: 
Wedda. Erftere leben in den großen Wäldern des Oſtens 
der Inſel ohne Wohnftätten und ohne ein Suitem von Ader- 
bau. Ihre geistige Anffafiungsgabe, ihre Gedächtnißkraft ift 
faft gar micht entwickelt; fie können nicht zählen, haben nicht 
einmal Zablwörter und find jeglicher Religion bar. Wahr: 
ſcheinlich find fie der einzige wilde Stamm, weldyer eine 
ariſche Sprache ſpricht. 

— Umfaſſende Ausgrabungen ſind kürzlich von Oberſt 
Lane For in Cißbury Camp, nördlich von Worthing in 
Suffer, einem den Archäologen durch des Oberſten frübere 
Unterfuchungen wohlbefannten Plate, vorgenommen worben. 
Es wurden fo zahlreiche bearbeitete Feuerfteine von For— 
men, die zwiſchen den paläo- und neolitbiichen Typen fich be- 
wegen, dort gefunden, daß man zu der Anſicht meigte, daß ſich 
daſelbſt eine Werfftatt von Fenerfteingeräthen befunden babe. 
Es find dort einft Schachte durch den feiten Kalkitein getrie- 
ben und Gänge längs eines Lagers von Feuerſtein ausge: 
höhlt worden, um das Rohmaterial zu erhalten. Der nächſte 
Zweck der Nachforſchungen, bei weldhen das Skelet einer 

ten britischen Dame gefunden wurde, war feitzuftellen, ob 
jene Schachte oder die Verfchanzung von Cißbury Camp 
älter feien, und es hat ſich berausgeftellt, daß die Schachte 
bei weitem früher angelegt wurden. 

— Bei den im Hügel Borum-Eſhöi in Jütland 
vorgenommenen Ausgrabungen bat Prof, Engelbardt zu 
Anfang September ſchon die dritte, in einem ansgehöblten 
Eichenſtamme begrabene Leiche gefunden. Der Sarg fol 
uneröffnet an das altnordiihe Mufeum in Kopenbagen ge: 
fendet werden. 

— In Merico ift im Laufe des Juli dieſes Jahres 
die Bahn von Vera Eruz nad) Jalapa dem Verlehr über: 
geben worden, 


j Inbalt: Der Markefas:Nrchipel, 111. (Mit drei Abbildungen.) (Schluß) — ©. Fritich fiber die Dva-berero' 
(Mit zwei Abbildungen.) — Eine Erpedition gegen die Branntweinhändler im anterifaniichen Nordweſten. — Die enali: 


ſchen Himalaya-Befisungen. Von Emil Schlagintweit. IL — 
— Uns allen Erdtbeilen: Neuer Brocch im Gewinn des Goldes. (Mit einer Abbildung.) — 


Skizzen aus Chile, Bon Dr. med, Georg Thiele. VI. 
Mus Brofilien. — Aus 


Auftralien und der Südſee. — Rumäniſches. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 10, October 1875.) 





Redacteur: De. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lintenfirafbe 13, IN Tr. 
Trud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sobn in Braunſchweig. 


Mit befonderer Berüchfichtigung 





FR 
m] 


der Anthropologie und Ethnologie. 


Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 


Dr. Rihard Kiepert. 





Braunf chweig 


Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlich 4 Nummern. 
" Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Pf. 





1875. 


Aus Georg Schweinfurth’3 Reifen in Innerafrika. 


vır®). 


Mit Abd⸗es-Sammal nah Eiden. — 


Weiler, Aderbau, Bierbrauerei der Niam:niam. — 


Ihre Hundezucht und Menſchen⸗ 


frefferei. — Ihre Liebe zur Mufil und zu ihren frauen. — Die Fürften des Landes. — Der „Blattfrefier“. — Em neues 
Stromgebiet. 


In ben unten angeführten früheren Aufſätzen über 
Schweinfurth’s epochemacjenden Wanderungen „im Herzen 
von Afrita“ Haben wir nad) einander unferen Yefern die 
Negerftämme der Schilluf, Nuchr, Dinfa, Bongo und Mittu 
vorgeführt. Wir fahren heute im diefen ethnographifchen 
Schilderungen fort, indem wir wegen aller übrigen Reife: 
umftände und Reifeerlebniffe nochmals auf des Forſchers Ori⸗ 
gimalwert (Im Herzen von Afrifa. 2 Bde. YVeipzig 
1874. F. A. Brodhaus) verweifen als eine der angiehend: 
ften, wiflenfchaftlich bedeutenditen Reifebejchreibungen der leg» 
ten Jahre, die wohl auf lange Zeit hin für das bejuchte Ge— 
biet die Haupt, wenn nicht die einzige Quelle bleiben wird. 

Als Schweinfurth von feiner Nundtour durch das Yand 
der Mittu, welche den December 1869 und einen Theil 
des Januar 1870 in Anſpruch genommen hatte, zurücklehrte, 
blieben ihm nur 14 Tage Zeit, um alle feine Yorbereitungen 
für die Reife nad) dem erſehnten Lande der cannibalifchen 
Niam:niam zu treffen, die unter dem Schuge des fühnften 
aller dortigen Stlavenhändler, des inzwiſchen verftorbenen 
Abd»es-Sammat, vor ſich gehen follte. Unter allen war 


*) Bergl. „Globus“ XXVI, ©. 273, 289 u. 305, und XXVII, 
©. 81, 97 m. 113, fowie die gu Bd. XXIIl gehörige Karte der 
Schweinfutth'ſchen Reilen, 


Blohbus XXVIII. Ne. 17. 


er am weiteften gegen Süden vorgedrungen und hatte ſchon 
zu wiederholten Malen den großen weſtwärts ftrömenden 
Fluß im Monbuttulande überjchritten; als er nun dem Reis 
fenden 30 bis 40 auferlefene Träger aus dem Bongovolfe 
lieferte, ihm und feine Leute acht Monate lang aufs Vortreff: 
lichſte verpflegte und allen feinen Wilnjchen wegen etwaiger 
Nebenereurfionen ftets willfahrte, durfte diefer wohl befennen, 
daß noch nie ein europäischer Korfchungsreifender in Innerafrifa 
über ähnliche Bortheile wie er verfligt. Dem günftigen Schich— 
fal, daß er in Gegenden, wo es keine anderen Transportmittel 
als die Köpfe der Eingeborenen giebt, fiber 30 Träger allein 
für. bie Fortſchaffung der naturhiſtoriſchen Sammlungen bes 
faß, danfen bie europäifchen Mufeen ihre Bereicherung, 
und Alles das that jener fühne Abenteurer nicht um Lohn, 
oder auf Befehl der äghptiſchen Negierung , jondern Lediglich, 
aus perfönlicher Zuneigung und um die Tugend der Gaſt—⸗ 
freundichaft im ihrem edelften Sinne zu entfalten. 

Am 29. Januar 1870 brach Schweinfurth zu feiner 
benfwürbigen Reife von der Seriba Sfabbi (6'/," nördl, Br.) 
im Bongolande auf, Da fich dem Abd = cd> Sanımat'jchen 
Zuge nod) eine Compagnie des Großhändlers Ghattas 
von etwa 500 Trägern und 120 Bewaffneten angeſchloſſen 
hatte, jowährte es biß zum Mittag, che die im Günſemarſche 
einherziehende Kolonne jo weit abgerlict war, daß unjer Reis 


33 


— — 


258 Aus Georg Echweinfurth’s Reifen in Innerafrika. 


fender felbft aufbrechen fonnte. Ein Schaf war am Palli- 
ſadenthor der Seriba gefcjlacjtet worden und beim Ausziehen 
fenfte der Fahnenträger der bewaffneten Abtheilung feine 
Fahne itber das Opfer, daß fie mit einem Zipfel in das Blut 
tauchte, wobei die Ublichen Gebetsformeln gemurmelt wurben. 
„So ift diefe rothe Fahne des Islam in der That eine Blut: 
fahne, und blutig umd biutdlirftig find die Sprliche, die aus 
weißem Zeug auf diefelbe geftidt werden,“ 

Nachdem man vier Tage im genau füdlicher Richtung 
fortgezogen war, überfcritt man am fünften den Ibba, den 
Oberlauf des wohlbefannten Tondj, und betrat damit das 
Gebiet des erften Niamniam-Häuptlings Nganje. Doch foftete 
es mod; einen anftrengenden Marſch durch eine Grasvege— 
tation von folder Ueppigfeit, wie fie unfer Botaniker an 


feiner zweiten Stelle gefchen, ehe er das Dorf des Häupt- 
lings erreichte. Die Hütten *) find rund und mit einem 
weit vorfpringenden Kegeldach verfehen, welches hier von 
auffälliger Höhe und Spigigfeit erfcheint, wohl um den 
Negen abzuhalten und den Rauch beffer abzuleiten. Schon 
von Weiten erfennt man die „Mbanga“ eines Flirften an 
den vielen Schilden, welche an Bäumen und Pfählen auf 
gehangen find; dameben hält eine Kriegerſchaar Tag und 
Nacht Wache, um fofort zur Hand zu fein, wenn Ueberfälle, 
Handftreiche zur Ermordung des Fürſten ober dergleichen 
vorfommen follten, oder ſich plöglic, eine Elephantenherde in 
der Nähe zeigen follte, Im legterm Falle müfjen die nöthi— 
gen Signale gegeben werden, um alle Männer ſchleunigſt zu 
verfammeln; denn die Jagd auf jene nlglichen Thiere ıft 





























































































































N hi 
1 I) } Mar. 


IB ange > 7 

















Dorf der Niam:niam. 


„ein Staatsgeſchäft erften Nanges, wobei es ſich um den 
Erwerb von vielen Gentnern Elfenbein handelt und aud) 
gelegentlich an taufend Gentner Fleiſch erbeutet werden 
fönnen.*“ 

Leder Niamniam-Weiler — Städte oder Dörfer fennt 
diejes Voll nicht — hat neben den Hütten zum Wohnen und 
Kochen und denen zum Schlafen zahlreiche Setreidefpei- 
der, wie fie unfere Bilder zeigen. Man darf daraus aber 
nicht ſchließen, daß diefer Stamm ein vornehmlich aderbau« 
treibender fei; denn nur die Weiber bebauen das Feld, eine 
bei der großen, faft unerfchöpflichen Fruchtbarleit des Yandes 
nicht fonderlich ſchwere Mühe, während die Männer lediglich 
der Jagd obliegen, Gebaut wird außer etwas Mais befon- 
ders Eleufineforn (Eleusine eoracana), aus weldem man 
ein Setränt zu bereiten verficht, das wirklich gegenliber dem 


\ „gejäuerten Kleiſter*“ des abyifinifchen Tocuffo und der ägyp: 


tiſchen Bufa den Namen „Bier“ verdient. Daffelbe ift 
völlig Mar, rorhbraun gefärbt, aus richtig gemalztem Korne 
bereitet und von angenehmer Bitterfeit, weldye durch die dunkle 
Schale des Korus erzeugt wird, die andererfeits dem Mehle 
und der davon bereiteten Polenta einen fehr widerwärtigen 
Beigeſchmad ertheilt. Die Niammiam find dermaßen dem 
Biergenuſſe ergeben, daß von den drei Kornſpeichern, die 


*) Ueber die Niamsniam, ihr Meußeres, ibre Cultur und ibre 
Menfhbenfreiferei bat Dr. Shweinfurtb felbit im XXIII. Bande 
biefer Zeitfihrift S. 1, 25 und 39 ausführlib und unter Beigabe 
von Abbildungen ihres Gefichtstupus und ihrer Warten berichtet. 
Wir bitten unfere Lofer, jemer teefflicen Arbeit, melde durch unfere 
beutigen Illuſtrationen mehrfach erläutert wird, nochmals ibre Auf: 
mertſamteit gu witmen. 

















Aus Georg Schweinfurth's Reifen in Innerafrila. 259 


durchſchnittlich auf jedes Wohnhaus kommen, nur zwei fir 
das zum Speifen erforderliche Korn beftimmt find, der dritte 
aber ganz mit ſolchem im gemalztem Zuftande angefüllt ift. 

Bon allen Hausthieren ziehen fie außer Hühnern nur 
Hunde, von einer fpigähnlichen, fehr zur Fettbildung nei» 
genden Race, mit kurzen, glatten Haaren, großen, ftet8 auf: 
gerichteten Ohren, lurzem, dlirrem, nach Urt ber Ferkel auf- 
gerolltem Schwanz, von ledergelber Farbe und fpiger Schnauze. 
Man hängt ihnen aus Holz gefchnittene Gtoden um den 
Hals, angeblich zu dem Zwecke, daß fie ſich nicht im Grafe 
der Steppe verlaufen. Dies wäre ein großer Verluft fir 


ihre Beliger, welche nichts fo fehr lieben als Hundefleifch, 
belanntlich der erfte Schritt zur Unthropophagie, welchem 
aber die Niamsniam längjt den zweiten und alle fibrigen | 





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beſitzt. Ihr Lieblingsinftrument ift ein Mittelding zwiſchen 
Harfe und Mandoline, mit aluſtiſch richtig gebautem Re— 
fonanzboden, wie Bogenfehnen frei ausgefpannten Saiten, 


die aus feinen VBaftfäden und Giraffenihwanzhaaren fabri- | 


cirt find, und funftvoll gefhnigtem Halsende, wie es unfer 
drittes Bild zeigt. Ein murmelndes, näfelndes, weinerliches 
Recitativ begleitet das ewige Einerlei der Accorde, aus wel— 
dem fich kaum eine beftimmte Melodie heraushören läßt, 
defien Genuß ſich aber ein richtiger Niameniam ftundens, 
ja tagelang, ohne zu ermitben, ja ohne felbft trog feiner jon« 
ftigen Gefräßigteit nad) Speife und Trank zu verlangen, 
überlaffen fann. „Arm im Arm fah ich nicht ſelten freunde 
fi) diefem ftillvergnligten Genuſſe der Kunſt hingeben, unter 
beftändigem Sclittelm ihres Kopfes dem Schwirren der 
Saiten folgend. Die Mufit erfreut ihr Gemüth und bei den 


Betreidefpeicher und Hunde der 


' haben folgen laſſen. Schweinfurth hat in dem oben ange» 

führten Auffage einige Beifpiele dieſer fchanerlicen Sitte 
| mitgetheilt, die zwar von manchen Individuen verabjcheut 
| wird, aber doch bei der Mehrzahl gang und gäbe ift, follte 
fie fich auch mie auf den Gebrauch von Menſchenfett befchrän« 
ten, das umfer Reifender felbft lange genug im feiner Yampe 
hat brennen müflen! Mertwuürdig ift es, daß ein Volk, das 
fi) mit den Zähnen feiner verfpeiften Opfer fchmitdt, im 
Kriege Feinde jeden Alters und im Frieden einzeln ftehende 
verftorbene Landsleute auffrißt, ja fich nad) der Angabe der 
Shartumer Kaufleute nicht fchenen fol, Leichen auszuſcharren 
und die halbverfaulten Ueberrefte zum zweiten Male in jeis 
nem Vaude zu begraben, daß ein ſolches barbarifches 
Bolf eine große Vorliebe für die ideale Kunſt der Mufit 









































Niamsmiam. 


| feintönenden Klängen ihrer Mandoline mögen aud) die ſei— 
I neren Saiten ihres ‚Innern zuweilen in Schwingung ge- 
rathen.* 

Eine zweite Lichtſeite im Charakter der Niam-niam iſt 
ihre große Liebe zu ihren Frauen. 
Gelegenheit, viele derfelben in der Seriba des Sfirrur, 
bie etwa ?:,° ſüdlich von dem oben erwähnten Weiler Nganje's 
liegt, kennen zu lernen. Diefer Sfurrur, von flrſtlichem 
Geblüte, war früher Soldat in Abdees Sammat's Dieniten 
gewefen, wie viele andere Niamniam-Krieger, die alddann bie 
fefteften Stügen feiner Macht abgaben, und war von ihm 
zum ftellvertretenden Häuptling über ein 700 Quadratmeilen 
großes, wohlbevölfertes Gebiet eingelegt worden, nachdem der 
feligere Herricher getödtet, weil er dem Eifenbeinhandel des 
Kenuſiers feindlich eutgegengetreten war, In der „Dibanga“ 


33 + 





Schweinfurth hatte ' 


260 Aus Georg Schweinfurth’s Reifen in Innerafrika. 





Wennepai und Yawolufa fpielen auf der Mandoline, 


Aus Georg Schweinfurth's Reifen in Irmerafrifa. 


dieſes Sfurrur weilte unfer Neifender oft und mit vielem 
Vergnügen, weil er dort ftets etwas Neues zur Erweiterung 
feiner Landeskenntniß entdedte. Stets fand er dort am Hofe 
des Bicchäuptlings eine größere Anzahl von Cingeborenen 
verfammelt und aud) an Frauen fehlte es nicht; denn Sfurs 
rur befaß einen großen Harem und eine Menge dienender 
SHavinnen. Die Stellung der Frauen bei den Niam⸗niam 
ift eine bedeutend andere als bei den meiften heidniſchen 
Negervöltern Afrilas. Während die Frauen der Bongo und 
Mittu gegen den Fremden zutraulich, ja zubringlich find, ift 
das Nianıeniam Weib zuriidhaltend, vermeidet die Begeg— 
nung mit dem Fremden und macht entweder, um ihm zu 
vermeiden , große Umwege, ober läßt ihn mit abgewanbtem 
Geficht vorüberziehen. Es mag das in der großen Eiferfucht 
der Männer ihren Grund 
haben, welche an ihren Weis 
bern mit einer Liebe häns 


261 


erhalten aber oftmals einen Theil de8 von den Sklaven— 
händler dafiir gezahlten Preifes. 

An äußeren Abzeichen, abgejehen von dem Vorrechte, das 
Haupt mit Thierfellen bededen zu dürfen, fehlt es den Für⸗ 
ften, die einzig und allein an ihrer folgen und herausfor- 
dernden Haltung beim Gchen und ihrem wilrdevollen Bes 
nchmen zu erfennen find. Um jo unerklärlicher ift es, daß 
fie die von ihnen gefällten Todesurtheile eigenhändig voll- 
zichen, ja mitunter in förmliche Raferei verfallen, dem erften 
Veften unter ber Menge eine Schlinge um ben Hals werfen 
und ihm mit dem hafigen Trumbaſch (dev Häuptling auf 
©. 262 hält dieſes Säbelmeffer in der Hand) den Todes— 
fteeich in den Naden verfegen. Manche freilich behaupten, 
daß fie diefe Wuthanfälle nur Ban, um dem Volke ihre 

dacht itber Peben und Tod 
fo recht ad oculos zu bes 
monftriren, 





gen, welche unter Bölfern 
auf ähnlicher Stufe des 
Naturzuftandes geradezu beis 
ſpiellos erſcheint. Um ein 
in Sefangenfchaft gerathenes 
Weib zu befreien, wendet 
der Mann alle jeine Kräfte 
auf, und im Kampf mit 
den Nubiern eröffnen ſich 
dem letztern auf diefem Wege 
ſtets die ergiebigften Eifen- 
beinguellen. Wer fih in 
den Befig von weiblichen 
Geifeln zu ſetzen verfteht, 
wird im Kriege von dieſem 
Volle jedes Zugeftändniß zu 
erzwingen vermögen. 

Trog dieſer charakteri« 
ftifchen Eiferfucht fiel es 
Schweinfurth nicht ſchwer, 
den Befehl von Sſurrur aus: 
zuwirten, daß einige feiner 
Frauen ihm behufs Zeich—⸗ 
nung figen follten. Dabei 
wurde aud) das nebenftchende 
Portrait genommen, 

Die fouveränen Fürften 
der Niameniam, Bjäüng 
genannt, deren es im gan ⸗ 
zen Yande 35 von fehr ver 
ſchiedenartiger Machtfülle 
geben ſoll, haben den Ober: 
bejehl im Kriege, an dem 
fie aber merfwirdiger Weife 
nicht perſönlich Theil neh⸗ 
men. Statt jelbft in die Schlacht zu gehen, warten jie 
bei ihrer Mbanga den Ausgang des Gefechtes ab, um 
fhlimmftenfals mit ihren Weibern und Scägen ſich in 
Sumpf oder Steppe zu verbergen. An Steuern kommt 
ihnen außer dem geſammten erbeuteten Elfenbein die Hälfte 
des erlegten Wildes zu, Im den weftlichften Theilen bes 
Niam⸗ niam⸗ Landes (wir wiſſen feit Kurzem durd) die von 
Dr. G. Nachtigal eingezogenen Erkundigungen, daß die 
Niom-niam oder Sandeh ſich von bem Striche an, wo 
Schweinfurth ihre Wohnfige durchzog, noch über 9 Breiten: 
grade ober gegen 140 beutfche Meilen weit gegen Welten 
erſtreden), im Heften alfo, wo auf Koften unterdriidter Völ⸗ 
ter der Sflavenhanbel mit Darfur blüht, müflen die Eltern 
ihre Abgaben in Geftalt ihrer Söhne und Töchter entrichten, 








Eine von Sfurrur’& Frauen. 


Nach dem Tode eines 
Furſten folgt ihm fein Erſt⸗ 
geborener, während deſſen 
Brüder unter bem Titel 
„Bähnki“ mit dem Befehl 
Über einzelne Diftricte bes 
lehnt werden. Schr häufig 
erfennen aber die Bähn- 
fiß die Oberherrſchaft des 
Diäng nicht an und erklä— 
ven ſich für unabhängig, 
und die Folge davon find 
die zahllofen Fehden, Ueber— 
fälle und Hinterhalte, welche 
das ganze Land in einen 
großen Kriegsſchauplatz vers 
wandeln. 

Beim weitern Bordrins 
gen gegen Gliden, wobei 
Schweinfurth, ohne es frei: 
lid im jenem Augenblicke 
zu willen, die Waſſerſcheide 
des Nu überſchritt, näherte 
man fich dem Gebiete Kö⸗ 
nig Uando's, welcher einft 
den Chartumern befreuudet, 
durch ihre unllugen Plün- 
dereien jaufgebradjt worden 
war und nun ihnen den Uns 
tergang drohte, Raſch ent 
ſchloſſen lieh ſich Abd-es⸗ 
Sammat die Revolver des 
Weißen und wagte ſich ba« 
mit, nur von einer Fleinen 
Leibwache umgeben, in das 

feindliche Yager. Sein fedes Auftreten imponirte bort, 
\ und die Niam⸗niam Uando's benahmen ſich zunächſt äuferft 
freundlich: große Trinfgelage feierten die Verſöhnung und 
der König felbft ftattete dem Reiſenden einen Beſuch ab, 
wobei dieſer und feine Leute ihn noch mehr einſchlichter⸗ 
tem und ihm feine feindliche Haltung und feine Knaus 
ferei mit Yebensmitteln vorwarfen. Das wirkte; bald dar- 
auf bradıten Diener eine Anzahl großer Zöpfe mit ab» 
ſcheulich ftinkendem Inhalte angejhleppt: es war ein an+ 
gebramntes, räucheriges Nagout von Kaldaunen eines zwei 
hundertjährigen Elephanten, fehr zähe und mit fehr viel 
Hautgoät,. Nicht nur Schweinfurth, fondern felbft die Nubier 
wiefen dies Pradhiftiid niamnianiſcher Kochkunſt zurid, 
aber nur um fo mehr befeftigte er dadurch die Anficht, welche 

















% 


262 Ein Beſuch des Grabes des Confucius und des heiligen Verges Zai. 


ſich die Wilden über fein Boranifiren zurechtgemacht hatten. 
Er blieb ftundenlang allein im Walde, riß überall Zweige 


und Blüthen ab, kehrte oft 
mit zufriedenen, heiterm Ge: 
fichte von feinen Ausflügen 
zurück, wies das treffliche 
Elephantenfleiich von ſich: er 
mußte alfo ein Vegetarianer 
reinſten Waſſers fein, der 
feinem Hunger nad, Grin: 
futter im den prächtigen Wäl- 
dern des Niam:niam-Landes 
Genüge thun konnte, wäh: 
rend fein Heimathland gewiß 
fein einziges Blatt, feinen 
Baum und feinen Straud) 
hervorbringt! Und fo er: 
hielt er denn den Spignamen 
„Mbarif-päh“, d. i. Yaub« 
freffer, der ihm bei allen ſei⸗ 
nen weiteren Reiſen geblie- 
ben ift. 

Wie ſchon bemerkt, iiber: 
ſchritt Schweinfurth bei die 
fer letztern Wanderung die 
ſudweſtliche Waflerfcheide des 
Nil, was ihm nicht mit ei: 
nem Schlage, jondern nur 
langjan und almälig klar 
wurde. Ein ganz neuer Ve— 
getationstypnd trat nun auf, 
dem noch fein Reiſender im 
Nilgebiete begegnet war, maf+ 
fige Didichte von Panda» 
nus, die ihm der erſte ficht: 
bare Fingerzeig flir das Ber 
treten eines neuen Stroms 
gebieted und ein ungweifel: 
hafter Hinweis auf die Flora 
der afrikanischen Weitküfte 
waren. ben dahin *) deu⸗ 
tete das Vorkommen von 
Schimpanfeihädeln auf 


*, Eine vollftintige Zuſam⸗ 
menflellung aller Wegiebungen, 
melde Schmweinfurtb zwiſchen dem 
Niamsniam: und Monbuttulande 
einerfeits und der meRafrifanir 





Ein Bähnki Miam-niam-Chef). 





den Pfählen, die zum Aufhängen ber Jagd- und Kriegs- 
trophäen dienen umd bei feinem Weiler der Niam-niam fehlen 


(vergl. das Bild ©. 258). 
Zur Gewißheit wurde diefe 
Anficht aber erft, als er bei 
weiterm Bordringen den Fluß 
Uelle überjchritt, welcher weft» 
wurts ftrömt und eine Waſſer · 
maffe hinabwälzt, die nach 
Schweinfurth’8 Anſicht feinem 
andern Fluſſe als dem Ober⸗ 
laufe des in ben Tſadſee 
mündenden Schari angehö- 
ren fann, 

Neuerdings find nun aber 
Dr. Nachtigal's Forfhuns 
gen und Erfundigungen im 
Süden von Wadai und Darfur 
befannt geworden (Zeitfchrift 
der GSefelljchaft flir Erdkunde 
zu Berlin, Bd. X, Tafel 2) 
und dieſe ſetzen genau unter 
derjelben Breite, wie Schweins 
furth feinen Melle, den müchti- 
gen, an Flußpferden und Kro⸗ 
fodilen reichen und den Schari 
an Wajlermafle itbertref- 
jenden Bahar Kuta an, 
der nach Weften in das Pand 
der Fellata ſtrömen fol. Da⸗ 
nach, wäre es alfo nicht ganz 
unmdglich, dag Schweinfurth 
im Quellgebiete nicht des 
Schari, fondern eines der gro- 
gen wmeftafrifanifchen Fluſſe 
Monate eifrigften Sammelns 
und Stubirendzugebradjt hätte. 
Ob dies aber der Ogowe, ober 
der Congo ift, oder welcher 
fonft, diefe Frage kann bei uns 
ſerm heutigen Standpunkte 
der Kenntniß von Innerafrila 
Niemand eutſcheiden. 





ſchen Kuſte andererfeits fand, ſiebe 
in: „Der gegenwärtige Stand der 
deutichen Erpedltion im äquator 
tialen Weſtafrila 11." „Olobus* 
Br. XXVI ©. 346, 


Gin Beſuch des Grabes des Gonfucius und des heiligen Berges Tai. 


Die Provinz Schan-tung ift file die Chineſen unge: 
führ dat, was Paläftina für die chriſtlichen Wölfer und für 
die Iraeliten ift. Bier ift Confucius geboren und bes 
graben, und von bier aus hat ſich feine Lehre über das 
übrige China verbreitet. Das Grab des Lonfucius und 
den nahe gelegenen heiligen Berg Tat befucht zu haben, ge⸗ 
hört denn auch fur vornehme Chinefen zum guten Ton, 
und im dem entlegenften Gegenden Chinas begegnet man 
Reiſenden, deren Ziel jene Derilicdhfeiten find. 


I. 


Nachſtehender Neifebericht ift den Briefen eines jungen 
Medienburgers an feinen Bater, den Herrn C. W. Stuhl» 
mann, langjährigem Mitarbeiter bes „Globus“, entnom: 
men, Herr Stuhlmann jr. ift feit längerer Zeit Beamter der 
chineſiſchen Seczölle, und er machte die Reife in Geſellſchaft 
des Dr. 9. Fritſche, Vorftand des kaiſerlich ruſſiſchen 
Obfervatoriums in Peling. 
Reife eine größere Anzahl geographifcher, magnetifcher und 


Dr. Fritfche hat auf biefer 


bppfometrifcher Veftimmungen gemacht und hieriiber auch 


Ein Beſuch des Grabes des Confucius und des heiligen Berges Tai. 


in dem von der faiferlich ruffischen Alademie der Wiflen- 
haften zu Peteröburg herausgegebenen Repertorium filr 
Meteorologie berichte, Dr. Fritſche erwähnt denn aud) 
dort feines Begleiterd und bemerkt, daß derfelbe ihm durch 
feine Kenntniß der chineſiſchen Spradye und durch feinen 
angenehmen Charakter das Reifen fehr erleichtert habe. 
Laſſen wir nun den Reifenden felbft reden. 

Im Auguft 1871 kam Herr Dr. Fritſche aus Peling 
nad) dem Hafenort Tſchi-fu, und da er die Abficht hatte, 
das Innere der Provinz Schan-tung zu beſuchen, und dieſes 
auch feit länger mein Wunſch war, jo einigten wir uns, 
die Reife gemeinfchaftlic zu machen. Folgendes wurde feft- 
geftellt. Unſer erſtes Ziel follte Tfirnansfu, die Haupt: 
ftadt von Schan-tung, fein, welches in weftfüdweftlicher Ridy 
tung etwa 1200 Li oder 75 deutiche Meilen von Tſchi⸗fu 
liegt. Bon dort wollten wir nad) Kit-fu gehen, wo ſich 
das Grab des Confucius befindet und das 390 Yi oder 23 
deutjche Meilen ſudlich von Zfienansfu gelegen if. Bon 
hier aus follte ein Abftecdyer zum heiligen Berge Tai ger 
macht werden. Dann wollte mein Reifegefährte nördlich), 
quer durchs Yard, nach Being gehen, ich aber auf einer füd> 
lichern Route zurlid nach Tſchi⸗fu. 

Zwei Veförderungsweifen ftanden uns zur Auswahl. 
Entweder konnten wir uns der von den Chinefen gewöhnlic) 
als Weifewagen benugten zweiräderigen Karren bedienen, 
oder aud) der fogenannten Schautzus. Diejes find große, 
unferen ehemaligen Portechaiſen ähmelnde Sänften, welche 
ftatt von Menſchen von zwei Maulthieren getragen werden, 
und der größern Bequemlichleit wegen eutſchieden wir uns 
für fie. Um jpäteren Steeitigleiten vorzubeugen, wurde 
mit dem Maulthierverleiher ein fchriftlicher Contract abge» 
ſchloſſen, der jenen verpflichtete, mic) durch feine Thiere und 
Leute im Laufe von ſechs Wochen nad) dem gedachten Dert: 
lichkeiten und nach Tſchi⸗-fu zurüdbringen zu laffen, gegen 
eine Zahlung von 50 Dollars. Für den Transport ber 
Anftrumente des Dr. Fritſche wurde dann nod) extra ein 
ſtarles Maulthier gemiethet und ebenfo für unfere Diener 
zwei Reitefel. 

Vom jhönften Wetter beglinftigt, traten wir am 31. Aus 
guft unfere Reife an. Bald lagen die Berge, welche Tjchirfu 
nad) Süden umfränzen, hinter und und wir zogen abwech— 
felnd durch fruchtbare, aufs Sorgfältigfte angebaute Thäler 
und rauhe Hochlande auf der wohlunterhaltenen Heerftraße 
fort. Gegen Mittag kamen die neuerlichſt zuweilen aud) 
von Europäern beſuchten Scweielquellen am Fuße der 
Airfhanstang-fFelfen in Sicht, und nun gelangten wir 
allgemad; in ein mit großen Granitbroden liberfäetes Hod)- 
land, deſſen zahlreiche Thäler und Schluchten überall Bäche 
und Uuellen durdyraufchten und deſſen dürftige und ſpora— 
bijhe Bewaldung fat nur aus Cypreſſen beftand. 

Nachdem wir etwa 7 deutfche Meilen zurlidgelegt, nah» 
men wir Nachtquartier im Wirthahaufe eines Heinen Dorfes, 
Diefes glidy denen aller Meinen hiejigen Ortfchaften, das 
heißt, es beftand aus einem von halboffenen und ganz offe- 
nen Baraden umgebenen Hof, worin es die Säfte ſich nad) 
Gefallen bequem machen mögen. Da mein Diener bereits 
gute Erfahrungen in ber europäifchen Kochtunſt befaß, jo 

hatten wir aus ben mitgebradhten Borräthen ein vorzügliches 
Abendefjen, und demnach fühlten wir uns, troß des jchlech- 
ten Obdachs, ganz gemlithlic. 

Da ich in den Hötelräumen mehreren Scorpionen und 
Ratten begegnet war, ſchlug ich mein Nachtlager in der 
Sänfte auf. Kaum hatte ic) das gethan, als unter Rufen 
und Geſchrei und Schellengeflingel eine Karawane von etwa 
50 Maulthieren ihren Einzug in den Hofraum hielt, welche 
Waaren nad) Tſchi-fu bringen wollte. Trog des Yärmens 


263 


ber, Treiber und des Echreiens ihrer Thiere fchlief ich jedoch 
bald ein, machdem ich vorher noch meine Schlafjtelle gegen 
unmwilltommenen Beſuch durd) eine Barricade von Baum— 
wollballen gefichert hatte, 

Am Morgen erwacend fand ic; mid; naf und kalt. Es 
regnete ftart, und die Sänſte hatte ein Ve. Ich ſuchte 
meinen Gefährten auf, und wir gingen zu unferen Beglei- 
tern, welche uns fagten, daß jo lange der Regen andauere, 
wir nicht weiter reifen könnten. Inzwiſchen verwandelte 
das Regnen fic in ein Gießen und unfer Hof in einen 
See, aus dem bald nur noch einzelne Reihen hoher Steine 
hervorragten. Die Dächer der Baraden wurden von Mi— 
nute zu Minute undichter und aud die Wände begannen 
den Regen durchzulaſſen, denn obgleich es im norböftlichen 
China ſchöne Bruchfteine im Ueberfluß giebt, find alle klei— 
neren Privatbaulichteiten aus ungebrannten Yehmiegeln 
aufgeführt. welche Regen und Winterfroft bald zu Ruinen 
werden laffen. Da ich nun nicht Neigung fpürte, mich 
während der Nacht durch zufammenftürzendes Dachwerk er- 
ſchlagen zu laſſen, fo kroch ic), als es Vettgangszeit gewor- 
ben, wieder in meinen Schautzli, nachdem ic) ihn zuvor auf 
die noch am höchſten aus dem Waffer ragenden Steine hatte 
fegen laffen. Yange nod) hielten mid, das Plätfchern des 
Regens, die lagen der Treiber und die Unruhe ihrer Thiere, 
denen das Waſſer theilweife bereits bis unter den Baud) 
ftand, wach. 

Am mäcften Morgen hatte das Regnen aufgehört und 
bald wurde aud; der Himmel Har. Raſch wurden unfere 
Thiere bepadt, und faft den ganzen Vormittag zogen wir 
an ben Ufern eines durch dem geftrigen Regen ungemein 
reigend gewordenen Gebirgäwaflers hin. Die bald hligelige, 
bald bergige Landſchaft zeigte fi am vielen Stellen mit 
aufs Sorgfältigfte gehegtem, in ſchnurgeraden Linien ger 
pflanztem Nadelholz beftanden, und Höhen und Päſſe waren 
vielfahh von Thürmen gekrönt, oder durch Mauern mit 
Schießſcharten gejperrt, die größtentheils während der Kämpfe 
mit den Rebellen errichtet worden find, Wir trafen auch 
mehrere Gebäude, ja ein ganzes Dorf an, das durch die 
legten Regengüffe zur vollftändigen Ruine geworden war. 

Am nädjten ittage gelangten wir in die große 
Ebene, welche ſich zwifchen dem Bufen von Pestichi-li und 
den von Weft nad) Dft ftreichenden Gebirgen ausbreitet und 
die zu den fruchtbarften und dichtbevölfertiten Diftricten des 
nördlichen Chinas gehört. Die Yanditraße, auf der wir 
fortzogen, war jo vortrefflich, wie eine unferer großen Chauf- 
jeen, und bald famen die Tempel und Mauern von Hwangs 
bien in Sidit. 

Auf den erften Anblid hat eine große oder größere ine: 
fiiche Stadt etwas jeher Maleriſches. Die riefigen Thore, 
gekrönt mit zierlichen Heinen Tempeln, bie vielftödigen Pa- 
goden mit ihren Dächern von buntfarbigen Porcellanziegeln, 
die alten Monumente, weldye, unferen Triumphbogen ähnlich), 
in die Straßen oder den öffentlichen Plägen vorgebaut find, 
die offenen Berkaufsläden, welche ſämmtlich mit viefigen 
Wahrzeichen und Firmenſchildern von allen nur möglichen 
Formen und Farben gejchmidt find, diefes Alles präfentirt 
ſich ſeltſam und erregt die Neugier. Bald wird man aber 
deſſen gewohnt und felbft überdrüſſig, denn alle chineſiſchen 
Städte ähneln fid), ala hätte nicht bloß ein und daſſelbe 
Zeitalter, fondern auch ein und derfelbe Meiſter fie gebaut. 

Weiterziehend hatten wir vielfach, Gelegenheit eine von 
mie in Schanghai bereits gejehene, in Tſchi-fu und 
Hongkong aber nicht übliche Beförderangmweife von Men— 
ſchen und Waaren zu beobadjten. Es ift die durch Schieb- 
farren, welche fid) von denen, die bei uns im Gebrauch jind, 
durch ein vier Fuß im Durdjmefjer haltendes Rad unter: 


264 


ſcheiden. Seitwärts diefes Nades befinden ſich zwei Bretter, 
auf welche die Paſſagiere ſich fegen oder die liter beſeſtigt 
werden. Reiſende Kaufleute laſſen ſich jo mit ihren Waa— 
ten von Ort zu Ort farren, frauen mit ihren Kindern zu 
entfernten Befuchen und unbemittelte Studenten legen dar: 
auf ihre Reife zum Eramen nach Beling zurlid, Sind der 
Paflagiere mehrere oder ift fonjt die Befradjtung ſchwer, fo 
wird vorn ein zweiter Mann, aud) wohl ein einer Gfel 
vorgejpannt. Die Menschen, weldye das Karren beforgen, 
find durchweg ſtämmige Gefellen und nur mit dem Noth: 
wendigften befleidet. Dennoch troffen fie von Schweiß, und 
ich glaube, daß auf der Erde faum cine auftvengendere Ars 
beit als die ihrige verrichtet wird. 

Allenthalben war man mit dem Einbringen der zweiten 
Ernte, hauptfächlic, Hirfe, Bohnen und Erbſen, beſchäftigt. 
Mehrfach ließ ich mich im längere Geſprüche ein und fand 
immer, daß die Leute fich höflicher und beſcheidener bezeigten, 
ald das meiflens Seitens unferer norddeutfchen Yandarbeiter 
der Fall if. Angebettelt oder fonft beläſtigt wurden wir 
von Niemand, obſchon Jedermann ſichtlich erftaunt war uns 
zu jehen und auch dariiber, daß ich ihre Sprache verftand. 
Die, mit denen ich redete, boten mehrfach mir ihre Pfeifen 
zum Rauchen an, aud) von ihrem Getränk und ihren Speifen. 

Früh am 3. September erreichten wir die große Stadt 
Lai⸗-tſchau-fu, berühmt wegen der in der Uimgegend wachjen- 
den herrlichen Weintranben, die bis Tſchi-fu und weiter ver 
führt werden, und ihrer Fabrilen in Geifenftein, Aus diefem, 
der in der Nähe gebrochen wird und bald grau, bald röth— 
lich gefärbt ift, werben, oft mit ſehr geſchicter Benugung 
der in die Steinmaffe eingefprengten dunkleren Flecke und 
Adern, zahllofe Heine Zierrathen, IThierfiguren, Theetöpfe, 
Kaften, Becher und ſelbſt Flöten gefchnigt und gedrechſelt, 
und zwar Manches recht geſchmadvoll. Wie alle chine— 
fiichen Städte ift auch diefe befeftigt und der breite Stadt: 
graben, der ganz mit blühendem Yotus überzogen war, ger 
währte ein herrliches faft tropifches Bild. Wir paffirten 
eine neue, ſchöne, aus einem einzigen fehr weitgejpannten 
Bogen beftehende Brücde und weiter ein altes, ungewöhnlich 

toßartiges Thor. Die Stadt felber bietet jedoch wenig 
ejonderes, objchon fie vielleicht wohlhabender ift und auch 
reinlicher gehalten wird, auch ein beſſeres Straßenpflafter 
hat, al8 die meiften großen hiefigen Stäbte. 

Unfer Nachtquartier nahmen wir in Sin-ho, das an 
einem jegt faft waflerlofen, verfallenen, großen Ganale liegt, 
über welchen eine mehr alt vierhundert Fuß lange Brüde führt. 
Ueberhaupt find im meuerer Zeit manche der großen Waflerr 
firaßen aufs Weuferfte vernacjläffigt, wie es denn auch 
außer Frage ſteht, daß China, feit es ſich den Europäern 
und dem europäifchen Handel hat öffnen müſſen, weder in 
der allgemeinen Cultur noch an Wohlftand fortgefchritten 
ft. Die nä acht brachten wir in Honsting zu, wo 
fid, inmitten der Stadt, anf einem fteilen Hügel, ein ſchon 
von Weitem in die Augen fallender taviftiicher Tempel bes 
findet. Die Taviften find eine durch ganz China weit 
verbreitete veligiöfe Secte, fo eine Art Spiritualiften. Ahr 
Gründer war Yaostzii, eim Zeitgenofle von Gonfucius, 
und ihre Priefter ruhmen fich eines tiefern Berftändniffes 
der Maturfräfte und behaupten eine befondere Gewalt 
über die böfen und guten Geiſter zu befigen, ſolche rufen 
und bannen zu können. 

Ein alter freundlicher Priefter führte mich im Tempel 
umber und hinderte auch nicht, daß ich von ſelbigem eine 
Zeichnung machte. Faſt alle chineſiſchen Tempel find nad) 
einem Baufyften errichtet. Sie beftchen immer aus eiment 
Complex von Gebäuden, die, ähmlic, wie unfere öfter, ein 
gegen ihre Umgebung abgefchlofienes Ganzes bilden. Der 


Ein Beſuch des Grabes des Gonfucius umd des heiligen Berges Tai. 


gewaltige aus mächtigen Quadern errichtete Unterbau des 
Tempels in Hon-ting hat eine Höhe von etwa ſechszig 
und eine Yünge und Breite von mehr als breihundert Fuß. 

Am ſechsten September paffixten wir Weishien, eine 
größere Fabrifftadt, in der namentlich die Schanstung-Seiden: 
ftoffe befonders gut verfertigt werden, Im Wirthshaufe, das 
verhältnißmäßig comfortable war, fpeisten wir aus der 
Küche des Wirth: mit Eiern abgequirlte Hammelfleifchbrühe 
und gebadene Fiſche. Da man uns erzählt hatte, daß ſich 
in der Stadt ein befonders fehenswerther Tempel befinde, 
beſchloſſen wir ihu aufzufuden. Wir waren aber faum 
einige hundert Schritte gegangen, als uns eine folde Waffe 
von Neugierigen umbrängte, daß mein Begleiter feine Yuft 
mehr hatte weiter zu gehen, und fo fehrten wir in das nahe 
am Thor gelegene Wirthshaus zurüd. In diefem Theile 
Chinas find Europäer noch eine ſehr feltene Erſcheinung. 

Am Abend des neunten Septembers erreidjten wir die 
Provinzialhauptftabt Tfi-nansfu und fanden in ber Bor: 
ftadt ein Bam gutes Quartier. Am andern Morgen ließen 
wir uns in Sänften zu einem amerifanifchen Diethodiften- 
miffionär tragen, deſſen Adreſſe man uns in Tichisfr ge 
geben. Es war Sonntag, und wir fanden unfern Freund, 
der feit zwei Dahren hier am Plage arbeitet, bereits in 
chineſiſcher Prieftertracht und in fabbathlicer Stimmung. 
Indeflen nahm er uns doch freumdlic; auf und lud uns 
auch zum Frühftüd ein, das wir jedoch, da nadı chineſiſcher 
Sitte alle Schüffeln die penetranteften Ktnoblauchsdlifte ath: 
meten, dankend ablehnten. Nachdem wir uns noch kurz 
über die Schenswürdigfeiten der Stadt informirt, nahmen 
wir herzlichen Abſchied. 

Die vorhin verſchloſſenen Läden waren jetzt ſämmtlich 
geöffnet. In ununterbrochener Reihe laufen dieſelben zur 
Seite der Hauptftraßen hin, die verſchiedenartigſten Gegen: 
ftände, nicht ohne Geſchick drapirt, zur Schau ftellend. Ich 
jah darunter englifche Woll- und Baummollenftoffe, Stahl: 
und Eiſenwaaren, dagegen von deutſchen Erzeugniſſen nur 
Zundhölzer. Ueberall herrſchte ein lebhafter Verkehr, und 
unſere Träger hatten oft Mihe, uns durch das dichte 
Menſchengewuhl hindurch zu tragen. Zwiſchen den Haupts 
ftraßen ſchlängeln und winden ſich zahllofe enge Gäßchen, 
mit denen verglicen die des berüchtigten Hamburger 
Sängeviertels gerade, breit und fauber zu nennen find, 
Wieder in unferm Wirthshaufe angelangt, ließen wir uns 
gebadene Fiſche und herrliche Pfirfice und Weintrauben 
gutjchmeden, und dann traten wir in unferen Sänften eine 
neue Nundreife an. 

Zunüchſt befuchten wir die Hauptmofchee der hier 
zahlreichen Mohammedaner. Es ift dies ein großes Ge- 
bäude im chineſiſchen Tempelftil, das inwendig weiter feinen 
Schmud zeigt, als daß die Säulen und Wände von oben 
bis unten in arabifchen Schriftzeichen mit Sprüden des 
Koran bededt find. Ein Mann, welcher der Küfter fein 
mochte, begrüßte uns und redete und Arabiſch an. Auf 
Chinefifch erwiderte ich, daß ich ihn nicht verftände und bat 
ihn, mit mir in diefer Sprache zu reden. Er erftaunte ficht: 
lich und noch mehr, als ic, ihm fagte, daß wir feine Mo- 
hanmedaner, fondern Chriften wären, Er fragte danu, ob wir 
Kaufleute oder Mifjionäre feien, und als ich beides verneinte, 
wunderte er fi) aufs Neue, ſchien aber auch zu zweifeln, 
als ich nunmehr verfuchte, ihm Über ben Zwed unferer Reife 
aufzuflären. Als endlich mein Begleiter ihn mit einer Mlei« 
nen ruffifchen Silbermünze befchenfte, lannte feine Ergebeu—⸗ 
heit faum Örenzen. . 

Ein langer Marfc quer durch die Stadt bradjte und 
danı zu einem ganzen Compler von Tempeln, ähnlich zu— 
fammen ans und ineinander gebaut, wie man es in man- 


E. dv. Boed: Ein Beitrag zur Beurteilung des ſthechuaſtammes in Peru und Bolivia. 


chen unferer alten Biſchofsſtädte mit lirchlichen und geift- 
lichen Gebäuden jieht. Ju einem rings umſchloſſenen fried 
bofartigen Hof zeigte fich in der Mitte ein großes, hübſch 
verziertes, fteinernes Balfin, welches ein Flußarm durchſtrömte 
und aus dem in gleichmäßigen Abſtänden mehrere Meine 
Springbrunnen in die Höhe ſchoſſen. ine Menge gut 
gelleideter Chinefen vertrieben ſich in der kühlen Oertlichteit 
die Zeit mit Rauchen und Kartenfpielen ober hörten eimem 
Märchenerzähler zu. Unfere Untunft erregte allgemeines 
Aurffehen, und als ich unvorfichtiger Weife meine Fähigkeit, 
Chinefifch reden zu können, hatte merten laffen, waren wir 
bald von einem dichten Schwarm neugieriger Frager um— 
drängt. Auch Hier wollte man nicht glauben, daß wir zu 
wiſſenſchaftlichen Zweden reiften, was nämlich ſich gar nicht 
mit der Philofophie der vornehmen Claſſen Chinas, die 
jedes Idealismus bar find und deren Wünfche und Beftres 
bungen nur auf materiellen Febensgenuß, namentlich) auf 
vieles und fettes Eſſen gerichtet find, zufammenveimen läßt. 
Auf dem Nücwege zum Wirthshaus fahen wir nod) 
eine Miffionsanftalt, deren Arbeiter franzöfifche und 
ſpaniſche Franzisfener find. Ihrer Erzählung nad) haben 
fie bereits Biele befehrt, was id) jedoch ganz und gar be— 
var Das chriſtliche Dogma paßt für die chineſiſchen 
bensauſchauungen wicht, und das der Katholiken noch we— 


265 


niger als dasjenige der Proteſtanten. Einen Gott, der aus 
freiem Willen ſich ſelber zum Beſten der Menſchheit kreuzigen 
läßt: das geht jedem Chineſen über alle Kraft des Glaudene, 

Nach eingenommenem Mittagsmahl erhielten wir einen 
ſeltſamen Beſuch. Ein Mann mit ftarfem Badenbart und 
fremdländifcher Kleidung trat bei uns in Begleitung jenes 
Mannes ein, mit dem wir im der Mofchee geredet. Auch 
er ſprach uns Arabiſch am und verwunderte ſich auch ent⸗ 
fchieden, als wir ihn nicht verftanden. Dr. Fritſche vers 
fudjte es num mit Ruſſiſch, allein vergeblich, und fo mußten 
wir wieder zum Chineſiſchen unfere Zuflucht nehmen, wovon 
jebod) der Äyremde nur wenige Worte verftand, Der mitge: 
fommene Küfter mußte aud) nicht viel, da wiederum deſſen 
Kenntnig des Arabiſchen eine höchſt kümmerliche war. Ends 
lid, brachten wir heraus, daß unjer Gaft ein Buchare fei, 
der ſchon länger in China reiſte und jegt nach Schanghai 
wollte. Er fragte uns, ob wir Velenner des Islam wären 
und aud) er verwunberte ſich jehr, als wir ſolches vernein« 
ten. Was eigentlich der Zweck feiner Reifen, blieb uns 
bunkel, doc, ſchien es uns fpäter, daß er in mohammebani= 
ſcher Miſſion macen möge. China wird zur Zeit von 
religiöfen Gefchäftsleuten aller Art durchſtreift, unterwühlt 
und in Unruhe gebracht. Den meiften Erfolg follen noch 
die Mohammedaner haben. 


Ein Beitrag zur Beurtheilung des Khechuaſtammes in Peru und Bolivia. 


Als nad) der Entdedung des transatlantiichen Feitlandes 
im 15. Jahrhundert fic, dem eroberungsluftigen Europa ein 
weites Feld geöffnet, fanden die lühn und raſtlos vordringens 
den GEntdeder dafelbft zwei Völferftämme vor, weldye in Ans 
betracht der höhern Bildung und des geordneten Staatswefens 
nicht wohl ald Wilde angejehen werden fonnten: nämlich bie 
Aztefen in Merico und bie Unterthanen der Incas in Peru, 
Während im nördlichen Theile Amerifas die eingeborenen, 
auf miederer Culturſtufe ſich befindenden Jägerſtämme vor 
ben Fortjchritten der Weißen immer weiter nad) den unwirth— 
lichen aber wildreichen Jagdgründen im Weften zuriicdwicen 
und der angelſächſiſchen Race ihre ſchönes, fruchtbares Yand 
überließen, hatten die romanischen Eroberer in den beiden 
obgenannten Eulturreichen nicht wur den materiellen Wider 
ftand ihrer Bewohner, die mit Recht ſich den Eindringlingen 
widerjeten, zu überwinden, ſondern fie mußten vor Allem 
ſich bemühen, die feftgewurzelten religiöfen Einrichtungen und 
politifchen Iuftitutionen umzugeftalten und die patriotifchen 
Erinnerungen ihrer nationalen Größe und Bedeutung aus 
dem Gedächtniſſe der Unterjochten zu verwifchen, ba fie nur 
zu wohl erfaunten, welch bedeutenden Einfluß die von Gene: 
ration zu Generation vererbten Traditionen von früherer 
nationaler Selbftändigfeit auf die mit voher Gewalt und 
Graufamfeit niedergehaltenen Bolfsftämme üben mußten. Zu 
unterfuchen, welche Urfachen dazu beitrugen, die Durchführung 
diefer Pläne in Mexico zu erleichtern, liegt außerhalb unferer 
Abſicht, aber der bemerkenswerthe Umftand, dag eine Aus: 
rottung des Nationalgefühls und ber Nationalfpracye im 
Imcareiche bis jet noch nicht gelungen, diirfte wohl als Be— 
weis fiir die Pebenskräftigkeit und zähe Standhaftigleit einer 

Globus XXVIII. Nr. 17. 


Von E, von Boed in Cochabamba. 


Nation gelten, welche den umftlirgenden Beitrebungen ber 


Eroberer durch Jahrhunderte einen unüberwindlichen paffiven 
Widerſtand leiftete und dadurch VBeranlaffung gab, daß bie 
weltfundigen Sendboten Loyola's den weiſen Entſchluß faß- 
ten, ihre Vehren und ihr Benehmen fo viel ald möglid, der 
Dentweife diefes Volkes anzupaffen, feiner Sprache ſich zu 
bemächtigen und durch biefelbe den Lehren bes Chriftenthums 
leichtern Eingang zu verichaffen. Wenn es nun einerfeits ein 
unbeftrittened Verdienft diefes Ordens ift, den grammatifas 
Lifchen Bau der Sprache erforscht und die Schönheiten berfel« 
ben begriffen zu haben, jo ift andererfeits nicht abzuleugnen, 
daß fein religiöjer Eifer viel dazu beigetragen hat, die Origis» 
nalität und Reinheit der Sprache zu entitellen, indem die Miſ— 
fionäre ſich Mühe gaben, alle ſolche Worte und Rebeweifen 
daraus zu entfernen, welche im irgend einer Weife auf bie 
urfpräinglichen veligiöfen Ideen und Anfchauungen der Nation 
Bezug hatten, und baflir andere unterzuſchieben, die den 
chriſtlichen Lehrbegriffen angemeſſen waren, woflie wir im 
Yaufe diefer Abhandlung mehrere Beweife beizubringen ges 
benfen. 

Sprache. Die Spradje der Indier, welche in der Ger 
gend von Guzco oder Cozco wohnend zuerſt ſich dem Scepter 
der Inca unterwarfen, heißt „Khechua“, welches Wort eigent- 
lic, „gemäßigtes Klima“ bedeutet im Gegenfage zu „Puna“, 
„faltes Klima“, und jenen Namen führten die um Cuzeo 
angefiebelten Stämme. Cuzeo war der Schauplag der größ- 
ten Pracht und Herrlichkeit des Incareiches, aber auch Zeuge 
feines traurigen Unterganges, als bie legten der Incafpröß- 
linge unter den Scwertftreichen der fpanifchen Genfer vers 
bluteten und jelbft zarte Frauen umd Kinder diefer Familie 

34 


> 


266 


graufam hingefchladhtet wınden (Ende des 18. Jahrh.). Diefe 
Stadt und Provinz ift es auch heute noch, wo die Khechua 
am reinften und beiten geiprochen wird, während in den ſild⸗ 
lichen Provinzen Perus und befonders in Bolivia die Sprache 
fo jehr mit ſpaniſchen Elementen vermifcht ift, daß die reine 
Khechua in jenen Gegenden gar nicht mehr veritanden wird. 
Die Bildungsftufe der Khechua-Indier zu Zeiten der Incas 
dürfte vielleicht nicht mit Unrecht mit der Civilifation der 
heroifchen Periode des alten Hellas verglidien werden, in 
welcher die Könige und Fürften in großer Einfachheit lebten 
und literarifcye Beftrebungen ſowie jede Art von Schulbildung 
faft unbefannt waren, woher es auch fam, daß die Sprache zu 
jener Zeit nie ſymboliſch in Schrift und Zeichen verkörpert 
wurde, weil fie im Munde des Volfes lebte und ihre literas 
rischen Erzeugniſſe, 3. B. Gefege, religiöfe und heitere Volfe- 
weifen, von Mund zu Mund fic) fortpflanzten. Wie die Tha— 
ten ber alten Heroen durch die von Stadt zu Stadt wandernden 
Rhapfoden befungen wurden, fo gab es aud) im Incareiche 
Dichter und Sänger, derem Lieder von Geſchlecht zu Geſchlecht 
ſich fortpflanzten, ohne daß fie je ſchriſtlich aufgezeichnet wors 
den wären. Bis jetzt ift es von allen Gefchichtsfchreibern als 
Thatſache anerfannt, daß die peruaniſchen Indier zur Zeit 
der Incas weder Buchſtaben noch Zeichenſchrift gelaunt und 
angewendet haben. Unentſchieden ift bis jet mod) die Frage, 
ob die fogenannte Knotenſchrift oder Khipus bloß zur 
Aufzeichnung numerifcher Daten diente oder wirflid, ein Erſatz 
für Buchſtaben und Zeichenfchriit war. Prescott in ſei— 
ner Geſchichte der Eroberung von Peru (I, 4) ift der Anſicht, 
daß diefe Knotenſchulre eine Art numerifcher Zeichen für 
gewiſſe Ereigniſſe, gefegliche Beſtimmungen u. |. w. feien, 
eine Anficht, welcher auch mein verftorbener Freund Tſchudi 
in der Borrede zu feiner Khechua-Grammatit ſich anſchließt. 
Jedenfalls ift aber mit dem Aussterben der mit diefer Aufs 
zeichnungsweije betrauten Beamten, der fogenannten Khippuca- 
wayof, das Berftändniß diefer Schriftweife fir die Nachwelt 
gänzlich verloren gegangen *). 

Dagegen aber findet man am verſchiedenen Plägen in 
Peru eine Menge großer und Kleiner Steine bededit mit einer 
Art Hierogigphen oder Zeichenfchrift, von deren Urjprung 
die Geſchichte feine Erwähnung thut. Unweit Arequipa 
in einem Gebirgszuge, genannt „Ya Coldera“, finden fid) 
rechts und lints auf dem Wege nadı Bitos Hunderte von 
Steinen, auf denen ſolche Zeichen eingegraben. Rivero und 
Tſchudi in den „Antiqguedades Peruanas*“, Marfham und ans 
dere Reifende erwähnen diefer Thatjache, und ich ſelbſt Habe diefe 
Stelle im Jahre 1861 befucht. Die Steine gehören meiſt 
zur devoniſchen Formation und einige derfelben find fonor 
wie Klingjtein, die darauf gezeichneten Figuren find meiſtens 
Sonnen, zadige Blige, Schlangen, rohe Umriſſe von Men⸗ 
ſchen und Thiergeftalten, Eidechſen, Hirſchgeweihe und ver: 
ſchiedene unſymmetriſche und nicht zu entziffernde Ger 
bilde. Der italienische Gelehrte Dr. Antonio Raimondi, 
welcher feit einer langen Reihe von Jahren ſich mit dem 


*) Man vergleiche hiermit, was K. Ritter (Aſien IV, ©. 
505) nach dyinefischen Quellen von ven Sifan im noͤrdlichen Tibet 
ſiehe Seite 268) berichtet: „Diefe Sifan koͤnnen weder leſen 
noch ſchreiben; machen fie aber unter ſich einen Vertrag, fo bin- 
ten fie Stride an Holzitüde mit fo viel gefchlungenen Kno— 
ten, als bie Zahl ker getroffenen Webereinfunft beträgt. Diefe 
autifsaftarifche Knotenſchrift, Kiel eng bei den Gbinefen genannt, 
d. b. gelnotete Strike, wird auch ten Tufan überhaupt beigelegt, 
und ebenfalls ten Ghinefen der älteften Zeit, als dieſe noch 
nicht efwärts bis zum Meere fortgerüdt waren, fontern noch ihre 
Sige nur in Honan und Schenfi hatten. Das Document jener 
Knotenſchrift ift den Sifan ber beiligfte Conttact.“ Ob dieſe 
alteſte Schriftart Gentralafiens fib noch heute bei ten Eifan finder, 
darüber berichten leidet Prfcdhewalsti, der dieſelben zulept befuchte, 
nichte, Ner. 


E. v. Boeck: Ein Beitrag zur Beurtheilung des Khehuaftammes in Peru und Bolivia. 


Studium der peruanischen Naturgejcichte und Ethnologie 
bejchäftigt, befuchte auf meine Anregung diefen Ort im Jahre 
1864 und war anfangs unjchläffig Über das wahrfcheinliche 
Alter diefer Zeichen, bis er jpäter in fehr alten und vorbem 
nie geöffneten Ghrabmälern ganz genau diejelben Figuren auf 
großen Steinen eingegraben fand und dadurch der Anficht 
fi) anſchloß, daß diefe Zeichenjchrift einer der Incadynaftie 
vorhergehenden Periode angehören dürfte, wie fo manche ardhi« 
teftoniiche Dentmäler auf der Infel Titicaca und ber Halb- 
infel von Tiahuanaco. 

Dem Philologen bietet das Studium biefer Sprad)e gro: 
Bes Intereſſe, da eine foldye Symmetrie der Conftruction, 
ein fo großer Reichthum am Formen und eine fo ſchmieg- 
ſame Fleribilität, fei e8 für Wortableitung, fei es für Bildung 
rg Begriffe nur in wenigen lebenden Spradjen angetrof: 
en wird. 

So lange die Frage Über die ethnologiſche Abftammung 
der amerilaniſchen Urvölker wiſſenſchaftlich ungelöft bleibt, 
wäre es Berwegenheit, ſich in Hypotheſen zu ergehen, wel 
dem der bis jest befannten Sprachftämme die in Amerila 
gejprochenen Zungen angehören, jedoch läßt eine tiefer ein« 
gehende Vergleihung des Baues der Khechua mit anderen 
befannten Spradjen entfernte Analogien mit indogermanifchen 
Sprachformen entdeden, eine Behauptung , die nur mit gro 
ger Vorſicht ausgefprochen werden darf, um nicht etwa eine 
Schlußfolgerung auf verwandtſchaftliche Abftammung oder 
Entwidelung darauf begründen zu wollen. 


Spradjvergleicdende Bemerkungen; Eigenthüns 
lidjteiten der Khechua. 


Der Mangel eines beftimmten und unbeftinmten Arti— 
fels, analog dem Yatein, erzeugte die Nothwendigkeit für die 
verſchiedenen Wortfälle eine —“ mit Endbuchſtaben 
oder Endſilben zu ſchaffen; und ſo finden wir außer Genitiv, 
Dativ und Accuſativ einen Ablativ oder, wie Tſchudi ihn 
nennt, einen Ylativ, der durch Anhängung jener Redetheile 

ebildet werden kann, welche in anderen Sprachen Präpo- 
fitionen heißen, hier aber richtiger Poftpofitionen genannt 
werden follten. 

Aehnlich der englifchen Sprache kennt die Khechua auch 
feine grammatikaliſchen Gejdjlechter der Hauptwörter, wenn 
fie nicht lebende Weſen bezeidinen, ja das Fürwort der drit« 
ten Perſon ift nur eines für beide Gefchlechter. 

Die Mehrzahl der Hauptwörter kann auf ſechs verſchie⸗ 
dene Weifen gebildet werden und ſcheint eine ſolche Mannig- 
faltigfeit zu beweifen, daß die Indier ſcharf zwiſchen den 
verſchiedenen Begriffen unterfcieben, die wir uns in ber 
Mehrzahl verlörpert denken. It die Mehrheit durch ein 
Zahlwort ausgedrüdt, jo bleibt die Pluralpartifel „cuna“ 
ganz weg. Zuſammengehörige Dinge und Begriffe haben 
eine befondere Michrzahlbildung. 

Analog der griechiſchen und der araucanifchen Sprache findet 
fid) die Dualformation durch Vorfegung einer Doppelpartitel, 

Aus einem concreten Hauptworte kann ein abftractes 
gebildet werben durch Anhängung des Infinitives cay „fein“, 
analog mit der deutjchen Ableitungsfilbe „heit“, 3. B. runa 
„Menſch“*, runacay „Menfchheit“, d. h. Menſch fein. 

Analog mit vielen indogermaniſchen Sprachen ift der 
Gebrauch des Infinitives als Hauptwort, 3. B. rimay, das 
Sprechen, die Sprache, mieuy, das Eſſen, die Speife. 

Die Zufammenfegung der Hauptwörter ift ganz ähnlich 
wie im Deutjchen und Englischen, indem ftets der beftimmende 
ober Sonderbegriff dem allgemeinen vorgejegt wird, während 
in den romanischen Sprachen die entgegengeſetzte Wortftellung 
angewendet wird, 3. B. Handthlir: huasi punen, puerta 
de casa. Todtenhaus aya-huasi. 


€. v. Boed: Ein Beitrag zur Beurtheilung des Khehuaftammes in Peru und Bolivia. 


Unferem deutſchen Worte „macher*, „meiſter“* zur Bezeich- 
nung von Berufsarten, Handwerken, Gefchäften, Aemtern ıc. 
entipricht ganz genau das Wort camayok (von der Wurzel 
cama, machen, fchaffen, ordnen), pir&acamayok, Maurer: 
meifter, khippucamayok, Beamter der Knotenſchrift. 

Werfen wir noch einen Blid auf die mannigfaltigen ab— 
ftracten Begriffe, woflir ſich reine Khechuaworte vorfinden, 
fo künnen wir uns Überzeugen, daß die Nation an fchönen 
Ideen keineswegs arm war, 3. B. k'apacay, Artigkeit, na- 
paeunaeuy, Begrüßung, Compliment, huaylluy, Zärtlichkeit, 
munay Liebe. Ebenſo reich iſt die Sprache an bezeichnenden 
Worten für Haß, Abſcheu, Schrecken u. ſ. w. 

Die Ausbildung des Zahlenſyſtems nach dem Decimal- 
princip ift gleichfalls ein Beweis fir den höhern Cultur- 
ſtandpunlt diefer Nation im Vergleich zu anderen, denen daſ— 
felbe unbefannt geblieben. Die Zahlen von 10 bis 20 wer: 
den aus der Grundzahl 10, chunca, und der entipredjenden 
Ordnungszahl gebildet, 3. B. 11 chunca hukniyok, 10 ber 
erfte; bie Zehner aus der Grundzahl mit chunca, 5. B. iscay- 
chunca, zwei Zehner (20). 

Die Fürwörter theilen ſich in zwei Claſſen, ſolche, die 
allein ſtehen, wozu die perfönlichen, anzeigenden und fragen: 
den gehören, und im ſolche, bie dem Worte ftets angehängt 
werben, wozu bie befiganzeigenden und das Fürwort „jelbft“ 
gehört. Die befiganzeigenden Flrwörter, welche zum Theil 
zur Beugung der Zeitwörter gebraucht werden, können 
mancherlei Modificationen erleiden, und ift ihre Anwendung 
für den Fremden etwas ſchwierig. 

Die complicirte Beugung der Zeitwörter, wie fie in den 
alten und zum Theil aud) in den neueren Khechuagramma-— 
tifen vorfommt, dürfte wohl größtentheils das Wert von Ber» 
fafjern fein, welche alle lateiniſchen Ausdrudsformen in 
Khechua wiedergeben wollten; daflir jpricht aud) die That 
fache, daß die Heutige Volksſprache die Conjugation fehr ver: 
einfacht hat und manche Zeitformen gar nicht mehr darin in 
Anwendung fommen. Gewöhnlich wird im erzähfenden 
Stil die dem Parfait defint entſprechende Aorifizeit gewählt 
und häufig fogar das Präfens ftatt des Futurs in Anwen 
dung gebracht. Ein befonderer Reichthum der Sprache liegt 
in den Participien, von denen wir ein Präfens, Präteritum 
und Futurım vorfinden, 3. B. munak, der Liebende, mu- 
naspa, der geliebt wird oder geliebt worden iſt, munana, der 
geliebt werden wird, außerdem beſitzt die Sprache zwei Gerun · 
Dialformen: munaypak, um zu lieben, munaspa, durch oder 
beim Lieben, das jogenannte Supinum ift gleid) dem Par— 
ticip des Präſens. Die Subjunctiv- und Optativformen 
bringen angenehme Abwechſelung in die Nebeweife und erin- 
nern häufig an griechiſche Sagconftructionen,, 3. B. tacay- 
man, id) möchte ſchlagen, rurrorue, Um eine Probe der 
Anwendung des Subjunctiv zu geben, citiren wir folgende 
Stelle aus einer von Avendano veröffentlichten Predigt, die 
uns zugleich ein Beifpiel der eigenthlimlichen Comparativform 
giebt. Der Redner jagt, daß alle Menſchen, Weiße, Indier 
und Neger von Einem Elternpaare abftammen und fährt dann 
fort: Huküinenna huküincunamantapas ashuan yurak 
captinea (wörtlich: die einen vor dem andern mehr weiß 
daß fie find) chayca intimanta haman (fo fommt das von 
der Sonne). 

Die Attributivbeiwörter oder Adjectiva werben ohne Auss 
nahme ihrem Hauptworte vorgefegt, ganz wie im Deutſchen 
und Englifchen. Eine unerfchöpfliche Quelle zur Bildung 
neuer Wörter oder zur Umgeftaltung, Beichränfung oder Ers 
weiterung des Sinnes von Haupt umd Zeitwörtern bilden 


267 


bie zahlreichen Partikeln, die bald eingejchaltet, bald dem 
Worte angehängt werden, theils einzeln, theils mehrere zu« 
gleich im beftimmter Reihenfolge. Der einfache Buchſtabe 
„3“ dem Subject angehängt bedeutet „man fagt daß*, 
> 2. huh huaynas mana alli eousayniok: „Man erzählt, 
daß ein junger Dann, der ein ſchlechtes Leben führte,“ 

Als Hauptgrundfag fowohl für die Wortfolge als für 
bie Sagordmung gilt die Regel, daß der regierte Redetheil 
oder Sag ſtets dem regierenden voranftehen muß, ſomit jebe 
Rede mit den Nebenfägen beginnen und mit dem Hauptſatze 
ſchließen muß; 3. B. id) habe den Mann begegnet als id) 
bon Euzco fam. Nöca Cozcomanta hamuk chay runacta 
tineurcani, Nur in der Poefie find Ausnahmen von diefer 
Regel erlaubt. 

Bollsharafter, Der niedere Bildungezuftand ber 
jegt lebenden Indier berechtigt ung feineswegs zu dem Schluffe, 
daß die Borfahren einer fo tief ftehenden Nation niemals 
auf höherer Culturftufe fich befunden haben fünnen; ober es 
müßte uns aud) erlaubt fein im Hinblid auf die jegt lebens 
den arabifchen Naubs und Hirtenftämme Nordafrifas in Abs 
rede zu ftellen, daß die glorreiche Hera der Ommajaden umd 
Abafjiden eine Fabel fei und niemals eriftirt habe 

Die grenzenlofe Selbſtſucht der Spanischen Eroberer heifchte 
ur Rechtfertigung der vielen graufamen Mafregeln, womit 
he biefe Stämme zu unterdrüden fuchten, daß die Nation der 
Indier in den Augen des jpanifchen Mutterlandes und ganz 
Europas als ein in bie größten Later und tieffte fittliche 
Erniedrigung verfunfenes Bolt dargeftellt wurde, obgleich die 
feit Jahrhunderten beftehenden weiſen Staatseinrichtungen, 
die trefflichen Geſetze über Aderbau, Bewäſſerung, Abga- 
ben u. j. w. und das Vorhandenfein großartiger ardjitefto- 
nifher Monumente mit derartigen übertrieben ungünftigen 
Schilderungen einen ſchwer zu erflärenden Widerſpruch bil» 
deten. 


Jede Nation unterliegt denſelben pfychologiicen Geſetzen 
wie die Einzelwefen, aus denen fie befteht, und find bei der 
Heranbildung und Erziehung eines Volfes diefelben richtigen 
Principien einer gefunden Bädagogik zu beobachten, wie bei 
der Heranbildung des jungen Menſchen. Zu engherzige 
Einſchränkung, fortgejegte verächtliche Behandlung, ungerechte 
und willfürliche Beſtrafung, Erdrüdung des edlen Selbft- 
gejühles dienen dazu, dem Kinde alle jene Yafter und Fehler 
anzuerziehen, die wir am ihm vielleicht mit Unvedjt voraus« 
fegen und zu befämpfen wähnen. Cine ſolche verkehrte Er— 
ziehungsweife beobachteten die ſpaniſchen Eroberer und befol« 
gen noch heutzutage die republifanifchen Negierungen, welche 
die Indier als ummindig vor dem Gehege erklären und fie 
gewiffermaßen als eine zum Dienen geborene, weit unter ihnen 
ftchende Menſchenclaſſe betrachten, deren Arbeitse und Err 
werböfraft auszubeuten das einzige Beftreben der Regierenden 
bildet. In Folge dieſer schlechten Behandlung wurde ber 
Imdier falſch, Heimtüiciich, verjchlagen und arbeitsſcheu. Die 
chriſtliche Religion hatte ihm feinen tiefen Gefühlsglauben 
genommen und nur Unverftändliches bafiiv gegeben. Er, 
einft der Herr diefer Yänder, ift nun der mißhandelte und 
verachtete Paria, faft gänzlich vechtlos dem Weißen gegens 
liber, den ex haft, aber deſſen Macht ex fürchtet. 

Auf meinen häufigen Reifen und bei meinem längern Aufe 
enthalte auf den Yande habe ich hinreichend Gelegenheit gehabt, 
die machtheiligen Charakterfeiten des Indiers lennen zu lers 
nen, aber auch nicht ſelten mic; überzeugt, daß, wenn man 
diefe Nation richtig behandelt, fie zu Beſſerm herangezogen 
werden Fünnte, 


34* 


268 


Albin Kohn: Schilderungen innerafiatiicher Zuftände. 


Schilderungen innerafiatifher Zuftände, 
Bon Albin Kohn. 


Zwei Erbtheile find es vornehmlich, Afienund Afrika, 
welche heute die Aufmerkjamkeit Aller auf ſich lenlen, weil 
beide fo fehr viel Neues, Unbelanntes, ja theilweife Unges 
ahntes bieten. Hervorragend jedod) dürfte man das Intereſſe 
nennen, welches Aſien beanſprucht, da es nicht bloß ein 
wiflenjchaftliches und commercielles, das vorerft nur nod) zu 
Forſchungen im Innern Afrilas anreizt, ſondern zugleich 
ein eminent politiſches und eulturhiſtoriſches iſt. Denn nicht 
genug, daß das Innere Aſiens in den letzten Jahren der 
Schauplatz tiefgreifender politiſcher Ereigniſſe geweſen iſt, 
fo können wir auch, ohne gerade Propheten zu fein, mit 
aller Wahrfcheinlichfeit vorherfagen, daß dort in nicht ferner 
Aufunft Ereignifie ftattfinden werden, deren Tragweite heute 

ar nicht, auch nicht annähernd, zu berechnen iſt. Und dad) 

ift diefer Erdtheil, im den alle Forſcher die Wiege der Civili- 
fation der Menjdjheit verfegen, in feinem Innern noch faſt 
eben fo unbefaunt wie das Innere Afrikas, jo zwar, daß 
auch dort moch ebenfo gut wie im letztern neue, bis jet 
wenigften® ganz ober faft ganz unbelannte Bollsſtämme zu 
entdeden find. 

Unferm Jahrhunderte war es vorbehalten, der Willens 
Schaft Yänder und Erdtheile zu erfchliegen, wie ſich defjen 
nicht viele andere Zeitalter rlihmen können. Man beguiigt 
ſich, feit unfer großer Humboldt die Bahn gebrodyen hat, 
nicht mehr damit, die von den Fluthen des Oceans befpül- 
ten Küften der verſchiedenen Erdtheile kennen zu lernen und 
mit ben fie bewohnenden Volksſtämmen Verbindungen anzu: 
inllpfen; nein, man dringt fühn in Wälder und Wiften 
ein und beftrebt ſich nicht allein fie lennen zu lernen, ſon— 
dern wendet alle Mittel an, um fie in den Kreis unferer 
Civilifation hineinzuziehen, fie an deren Vortheilen theil« 
nehmen zu laffen, Zu ſolchen Forſchungen gehört, wie ich 
diefes in meinem bei Otto Spamer erfcheinenden Werte 
(Sibirien und das Amurgebiet, von Albin Kohn 
und Richard Andree, Thl. I, ©. 240) hervorgehoben 
habe, Muth, Ausdauer, beifpiellofe Aufopferung und Selbſt⸗ 
verleugnung, und deshalb kann die Menſchheit den Männern, 
welche ſich ihnen freudig unterziehen, nicht genug dankbar 
fein. Sie find die Apoftel und Märtyrer ber Wiſſenſchaft! 

Außer Deutfchen und Engländern, die fid) fchon ſeit 
längerer Zeit in hervorragender Weife in dieſer Beziehung 
ausgezeichnet haben, beteiligen ſich im meuerer Zeit auch 
Ruffen an den großen Entdedungen der Neuzeit, und wir 
verdanfen ihnen Aufichlüie tiber Gegenden, welche feit 
Marco Polo fein Europäer geſehen ar und von denen 
wir häufig nicht mehr als Fabeln, nicht jelten aber auch 
gar nichts willen. 

Bon Jahr zu Dahr tauchen in jenen geheimmißvollen 
Gegenden Immer: und Oftafiens, welche durch hohe Gebirge» 
fetten und fandige Wüften von uns gejchieden find und ſich 
in einer Entfernung von nahezu eintaufend Meilen von 
und befinden, neue or auf, von denen wir bis dahin 
feine Ahnung hatten, und die felbft in bedeutend größerer 
Nähe noch vor wenigen Jahren vollfommen unbefannt waren. 

Wie lange ift e8 her, daß „ Oftturfeftan*, von dem 
jest fo oft in Zeitungen gefprochen wird, durch englische und 
ruſſiſche Forſcher in feinem weſtlichen Theile uns erſchloſſen 


I. 


worben ift? Wer hat einen Begriff von dem ungeheuren 
Fandftriche, welcher zwifchen den centralafiatiichen Gebirgen 
und der großen djinefifchen Mauer liegt ? Und doc) gehört 
auch jene Gegend dem Menſchen, ift von der Natur für ihn 
geſchaffen, auf daß er im ihr aubeite, ſchaffe, fich feines Da · 
jeind erfreue und zum Wohle bes ganzen Geſchlechtes wirke. 
Es find befondere Ruffen, welde uns in jene unbelann- 
ten, geheimnißvollen Gegenden führen, und ihnen ift dies 
leichter als anderen Nationen, da die Grenzen des ruffifchen 
Reiches in den legten Jahrzehnten mehr und mehr gegen 
jene Gebiete vorgefchoben worden find, und Rußland felbft 
das größte Intereffe daran hat, Land und Leute jo gemau 
wie möglid) kennen zu lernen. In meuerer Zeit hat ſich 
um die Ericliefung jener fernen Gegenden Stabscapitän 
Prichewalski verdient gemacht, deſſen Mittheilungen ich 
in den folgenden Schilderungen benugen werde. Die erfte 
diefer Schilderungen ift eine ethnographiſche, welde 
uns mit einem in den legten Jahrhunderten faft vericholle- 
nen Bolkoſtamme befannt macht, die zweite ift eine focial- 
politifche, welche uns ein jchredenerregendes Bild von 
dem focialen und politischen Zuftänden des himmlischen Rei: 
+ dies macht, defien Herrſcher fich jtolz „den Bruder der Sonne, 
ben Onfel des Mondes, den Beſchützer ſämmtlicher Sterne 
und den König des Himmels, den Bogdo-Chan nennt“, 


1. Die Tanguten. 


In den hochqelegenen Gebieten weftlic von der chine⸗ 
fifhen Provinz Kan-fır lebt ein Volkeſtamm, defien Namen 
wohl fo mandyer Europäer das erfte Mal hören mag; «8 
ift das der Stamm der Tanguten, von den Ghinejen 
Sifan genannt *), welder, obgleich die Gegend, in der er 
hauſt, gewöhnlich zur Mongolei gerechnet wird, von ben Ber 
wohnern des eben genannten Landes in Sprache, Sitten, 
Gebräuchen, Lebensweiſe, Charakter und Körperbau grund⸗ 
verſchieden iſt. Wir wollen uns mit Prſchewalski dieſes 
Bolt näher betrachten. 

In der eben bezeichneten Gegend, im Baffin des Sees 
Kutku-Nor (des Blauen Sees der Mongolen), welchen bie 
Tanguten Zort-Gumbum und die Chinefen Zin⸗Chai 
(das Blaue Meer) nennen, bemerft der Reifende ſchon aus 
der Ferne Schwarze Zelte, welche er in der Nähe als die 
Wohnungen menſchlicher Welen erkennt. Dieſe Zelte ber 
ftehen aus vier in die Erde geftedten Stangen, welche mit 
grobem und faft wie ein Sieb durchfcheinendem Tuche aus 


*) Si⸗fan, d. i. Fremdlinge des Weſtens“, fann feiner Zur 
fammenfegung gemäß natürlih alle weſtlichen Barbaren bebeuten, 
menn 8 auch anfänglich mur diejenigen am Kulu-Nor in fib bes 
arift, welche den ersten chinefifchen Bewohnern des heutigen China 
in den Provingen Schen⸗ſi und Kansfu genau im Welten wohnten. 
Später wurbe der Name fürmärts ausgedehnt, und wenn beute von 
Eifan gefprodien wird, jo verfteht man darunter meift nur bie „Bar: 
baren” an und innerhalb der nortwerlicen Grenzen ber Provinz 
Eyestihwan. 

Tangus (Ritters Aften IV, S. 182) if bie mongolifche Vers 
brebung des Namens ber Tangebiang, eines urſprünglich tibes 
tanifihen, dann wohl mit Turlſtaͤmmen vermiſchten Volles, das einit 
eine glängente politifhe Rolle in Inneraften geipielt bat, pwiſchen 
200 und 1200 n, Gbr. ein ſelbſtändiges Reich ausmachte und erſt 
1227 beim vierten Anfturme Tſchingis⸗Chant unterlag,  Meb, 


Albin Kohn: Schilderungen innerafiatiicher Zuftände. 


Yalhaaren überbedt find. Diefe Tuchdecken find mittelft 
Schleifen und Pflöden am Boden befeftigt. Im faft wage 
rechten Dache diefer Zelte ift eine Definung gelaffen, deren 
Breite ungefähr !, Dieter, deren Länge gegen !/, Meter 
beträgt und die als Schornftein dient. Unter dieſer Deff- 
nung wird nämlich ein beftändiges euer unterhalten, das 
ebenjo zur Erwärmung bes Wohnraums, ald auch zur Zus 
bereitung der ärmliden Nahrung der Bewohner dient. Die 
Deffnung wird für die Nacht und wenn Regen broht ger 
ſchloſſen. Dem Eingange gegenüber fteht, wie in den Jur⸗ 
ten der Mongolen, eine Urt Altar mit verſchiedenen Heiligen» 
bildern (Burchany), welche wahrſcheinlich die Aufgabe haben, 
die neben ihnen auf dem bloßen Erdboden liegende geringe 
Habe der Bewohner zu bewachen und zu bejchligen. An 
den Seitenwänben befindet ſich die Yagerftätte der Bewoh—⸗ 
ner, die einfach aus hingeftreuten Baumzweigen, welde hin 
und wieder mit halbverfaulten Filzdecken bedect find, befteht 
und dem auf ihr Yiegendan kaum vor ber Bodennäſſe jchligt. 
Es ift gewiß, daß im Bau des Hamfters, ber mit dem Tan—⸗ 
guten das Land bewohnt, mehr Drdnung, Comfort und 
Reinlichfeit herricht, als im Zelte des Tanguten. 

Nur in dem waldreicen Theile von Kansfu fieht ber 
Reijende häufig ftatt der ſchwarzen Zelte hölzerne Häuschen, 
welche ſtark an die Bauten der ärmeren Rufen in Sibirien 
erinnern. Diefe Häuschen (Fanfa), welche hauptſächlich da 
errichtet werden, wo die Tanguten mit Chinefen vermifcht 
leben, werden aus rohen Baumftämmen erbaut, die ohne 
jeglichen Berband auf einander gelegt werden. An eine Bear⸗ 
beitung diefer Baumſtämme wird nicht erft gedacht. Die 
etwaigen Spalten, welche infolge der Unebenheiten und 
Krümmungen des Baumateriald entftehen, werden mit Lehm 
verklebt und das ebenfalls aus Baumſtämmen gefertigte ebene 
Dad) mit Erde bedeckt. Ein Holzfugboden wäre Yurus 
und deshalb wird ein folder auch nicht erft gemadt. Der 
Fanſabewohner ſchläft wie der Zeltbemohner auf einer elen- 
den Streu aus Zweigen. Immerhin bietet jedoch eine Fanſa 
weit mehr Bequemlicdjkeiten als ein Zelt; zum Mindeften 
ſchützt die erfte ihren Bewohner gegen Wind, Regen und 
grimmige Kälte, vor welchen bie durchſichtige Zeltdecke den 
Menschen nicht zu behüten vermag. 

In diefen der Schatra des Zigeuners Ähnlichen Wohnun- 
gen lebt ein Menſch, deſſen Aeußeres dem des Zigeuners ſehr 
ähnelt. Er ift von mittlerer Größe, breitchulterig und fräfs 
tig gebaut, hat ſchwarzes Haar, ſchwarze Brauen und einen 
eben ſolchen ſiarlen Bart und ſchwarze, gewöhnlich große 
Augen, deren Schnitt nichts Mongolifches hat. Die Naje 
ift gerade, eine Adler- oder aud, Stülpnafe gehört jedoch 
nicht zu den Seltenheiten. Die Lippen find did und oft 
aufgeworfen. Die Badenknochen ftehen zwar häufig hervor, 
doch nie fo ſcharf und im die Augen fallend wie bei ben 
Mongolen, und das Geficht ift im Allgemeinen länglich und 
nicht flach, der Kopf rund und die Zähne, wie auch bei den 
Nordafiaten, ausgezeichnet weiß. Die Hant- und Gefichte: 
farbe ift dunfel. Die Frauen ber Tanguten find, wie dies 
ja fo ziemlich überall der Fall ift, etwas ſchwächer gebaut 
und ihr dunkler Teint ift etwas matt, Während das Haar 
des Schnauz · , Baden- und Knebelbartes bei den Mongolen 
und Chinefen fehr ſchwach ift, hat der Tangute einen fräf- 
tigen Boll- und Schnauzbart, den er jedoch immer rafixt. 
Ebenfo rafirt er auch fein Kopfhaar, läßt aber im Ghenide 
ein Buſchel jtehen, aus dem eine Flechte gemacht wird. Doc 
bie Lamas der Tanguten barbiren, wie ihre geiftigen Con« 
fratres bei den Mongolen, den ganzen Kopf. 

Die Frauen der Tanguten tragen langes Haar, das fie 
ſcheiteln und an den Seiten des Kopfes flechten. Die Flech— 
ten find nicht dic, baflir aber trägt jede Frau ihrer an jeder 


| 


269 


Seite des Kopfes fünfzehn bis zwanzig. Die eleganteren 
Zangutinnen flechten Glasperlen, feidene Bänder und ber 
leichen ins Haar, was jedoch nicht hindert, die auf dem 

pfe herrfchende Unreinlichkeit und das Ungeziefer zu ſehen. 
Außer diefem Haarſchmucke bedienen ſich die Tangutinnen 
auch noch chinefifchen Röthels, um fich zu ſchminken, und 
biefen Röthel erfegen fie im Sommer durch Erdbeeren. Doc) 
hat Pricdewalsti das Schminken nur in der Provinz Ran-fu 
bemerkt; die Weiber in der Gegend bes Rutu-Kor und 
Zaidam *) bedienen fich feiner Mittel, um ihre Hautfarbe 
zu verunftalten und ſich jelbft unenntlich zu machen. 

Diefe Schilderung paßt jedoch nur auf die Tanguten, 
welche Kansfu bewohnen. Die Stämme, welche in der Nies 
derung des Kulu⸗Nor, im öftlihen Theile von Zaidam und 
in der Duellengegend des Gelben Fluſſes Haufen und „ Chara⸗ 
Zanguten*,d. 5. ſchwarze Tanguten, heißen, zeichnen ſich 
durch bedeutendere Körpergröße und dunklere Hautfarbe aus, 

Wie dur) feine phyſiſchen Eigenfchaften, ebenſo unters 
fcheidet fi) der Tangute auch durch feine geiftigen und be 
ſonders durd) feinen Charalter von dem Mongolen. Letz ⸗ 
terer iſt bekanntlich feig und ohne Energie, während der 
Tangute einen für einen Aſiaten nicht unerheblichen Grad 
von Muth und Energie befigt, Eigenſchaften, welche bei den 
Chara-Tanguten in Raubluft ausarten. Auch in Bezug 
auf Intelligenz überragt der Tangute den Mongolen, den 
ic, and eigener Anſchauung zu den am wenigften intelligen- 
ten Racen zähle, welche ic; gefehen und mit denen ic) ver» 
fehrt habe. Beſonders liberragt der Tangute aus der Ge 
gend von KHuku-Nor und Zaidam ben Mongolen an geiftiger 
Befähigung. Daflir aber fteht nach Prſchewalsli der Tangute 
in Bezug auf Gaftfreundfchaft miedriger als der Mongole, 
ben ich jelbft wiederum als nicht eben ſehr gaſtfreundlich ken ⸗ 
nen gelernt habe. Möglich, dag meine Erfahrungen, welche 
id) im diefer Beziehung unter den Buriaten, einem mongo- 
liſchen Voltsftamme, gemacht habe, nicht ganz auf den Mon« 

olen in der Wüfte paffen ; immerhin dlirfte aber der Unter 

ich nicht zu bedeutend fein, und dann ftände der Tangute 
in Bezug auf Gaſtfreundſchaft auf der möglichft niedrigen 
Stufe. Dazu ift der Tangute jehr liſtig und befigt eine 
leidenfchaftliche Vorliebe für den Handel. Den Heinften 
Dienft läßt er ſich bezahlen und er fucht bei jeder Gelegenheit, 
felbft von feinem Stammgenoffen, den möglichſt hohen Preis 
für feine Dienftleiftung oder Waare zu erhalten. 

Einen hervorragenden Charakterzug des Tanguten bilbet 
fein unbegrenzte Mißtrauen gegen fremde und hierin unters 
fcheidet er fich nicht eben vortheilhaft von anderen halbwilden 
Bolksſtämmen Nord« und Centralaſiens. Während Tataren, 
Buriaten, Tungufen und Jakuten, mit denen ic) in Sibirien 
in Berührung gelommen bin, ja fogar ftolge Tſcherkeſſen 
und Tſchetſchenzen gern Aufſchluß über Alles gaben, worlber 
ich fie fragte, und gern fahen, wenn id; mir verfchiedene Worte 
ihrer Sprache notirte, fich fogar herzlich freuten, wenn id} 


„‚Ipäter das Uufgefchriebene mit fehlerlofem Accente las, ja 


fogar nichts dagegen hatten, daß ic an ihnen Schäbelmef- 
fungen vornahm, mußte ſich Prihewalsti ungemein in Acht 
nehmen und jeden Schein, daß er Notizen fammele, forge 
fältig vermeiden, denn diefes würbe ihm für immer die Mög- 
lichkeit, irgend eine Beobachtung zu machen, geraubt haben. 
Ein ſolches Vorgehen wirbe mit Bligesichnelle unter ſämmt⸗ 
lichen Tanguten befannt geworden fein und dann hätte ber 
Neifende gewiß nichts mehr gefehen und gehört. Diefes 


) Zaibam ift eine ausgedehnte, fumpfige, von Prichemalsfi 
durchkreugte Hochebene fühwehlih von dem auf allen Karten zu 
findenden KukusNor, melde fih nach Angabe der Eingeborenen gegen 
Nortweften bis zu dem Lob-Nor, em Sammelbecken faſt aller 
Gewãaſſet Ofturfeflans, erſtreden foll, Ned, 


270 


beifpiellofe Mißtrauen ift aud) Urſache, warum die linguiftif 
Ausbeute Prichemalsti's verhältnigmäßig gering ausgefallen ift. 

Trog dieſer Mängel feines Charakters fcheint ber Tau— 
gute im Umgange einen gewiſſen Grad von Eleganz zu beob- 
achten, denn er bewillfommmet ben fremden mit horizontal 
vor ſich geftredten Händen und dem Hufe: „Alfa temm,“ 
d. h. Willlommen, Herr! Das Wort „Alta“ bedeutet fogar 
fo viel wie unfer „gnädiger Herr“! Nicht genug am biefer 
Bewilllommnungsformel muß ber fremde, der die Velannt- 
ſchaft eines Tanguten macht, beſonders wenn er eine Perfon 
bon einiger Bedeutung ift, ein Gefchent annehmen, das in 
feidenem Stoffe beftcht. Der Werth diefes Geſchenkes wird 
nad, dem Range ber befchenften Berfon und der Zuneigung 
bes Geſchenlgebers bemeſſen. Das Beſchenlen der Gäfte, 
felbft befannter Perſonen, ift tangutifche Sitte, 

Bei den Tanguten ift die Monogamie Grundſatz, jedod) 


Aus allen Erdtheilen. 


verfahren fie hierbei nad) dem Beifpiele der jüdifchen Pa- 
triarchen: fie halten ſich fo viele Concubinen, als fie eben 
wollen, was jedoch keineswegs die Eiferfucht der eigentlichen 
Ehefrau zu erweden jcheint. Im Gegentheile mag dieſe 
ufrieden fein, wenn ihre Gemahl ihr eine weitere Rivalin 
in die Hlitte oder ins Zelt denn dadurch kommt ihr 
felbft eine frifche Kraft zu Hülfe, weil ja den Tanguten 
frauen alle häusliche Arbeit obliegt. Bemerkenswerth ift 
übrigens, daß bei den Tanguten der Frauenraub erlaubt ift, 
der jedoch mit der geheimen Zuflimmung der Geraubten aus— 
geführt wird. Die geraubte Frau gehört dem Räuber, der 
jedod) verpflichtet ift, ihrem vorigen Manne ein, häufig be» 
deutendes, Abftandögeld zu zahlen. Die Frauen find, und 
diefes ift hier hervorzuheben, im häuslichen Leben gleichbe- 
rechtigt mit den Männern, was bekanntlich bei anderen afiar 
tifchen Bölfern und Stämmen nicht der Fall ift. 


Aus allen Erdtheilen. 


Geſchichte der Anfiedelungen auf ben Milobaren. 


Im Jahre 1711 landeten zwei Jeſuiten auf den Inſeln, 
um die Bevölkerung zu befehren. Nacd einem Aufenthalt 
von zwei und einem balben Fahre wurden fie getübtet. Die 
einzigen Nachrichten über fie finden ſich in wenigen Briefen, 
die noch erhalten find. 

Im Jahre 1754 gründeten die Dänen ihre erfte Nicder: 
laffung. Soldaten und Waffen wurden in hinlänglicher Zahl 
dorthin gebracht, aber man hatte wicht für gejunde Wohnun— 
gen und gefunde Ernährung geſorgt. Nach Verlauf von 
einigen Jahren hatten Trunkſucht, Mangel an tüchtigen Offi- 
zieren und Streitigkeiten mit ben Eingeborenen dem ganzen 
Verſuch der Coloniation ein Ende gemacht. 

Im Fahre 1768 begannen Herrubuter eine Belch- 
rung der Eingeborenen. Sie erhielten zwar einige, aber nur 
geringe Unterſtützung von der dänischen Regierung; nur mit 
Mihe konnten fie fich halten. Fieber und ungeſunde Nah: 
rung brachten ihnen viele Leiden. Nachdem der Tod die 
größere Zahl binmweggerafft hatte, wurde die Milfion im 
Jahre 1787 aufgehoben. Die Belehrer ftarben fo raich hin⸗ 
weg, daß fie nicht einmal Zeit achabt hatten, die Sprade 
der Eingeborenen zu erlernen. Während der Anweſenheit 
der Herrnhuter war die Öfterreichiiche Fregatte „Joſeph 
und Maria Therefia* angekommen und hatte von dem Hafen 
Nancorwry Beſitz genommen; da aber die Kolonie, welche man 
zu gründen angefangen hatte, dem Untergange nabe war, 
fo jandten die Miffionäre die Coloniften nach Tranquebar. 

Während der Jahre 1737 bis 1807 bielt die däni— 
fche Regierung eine Befagung auf den Juſeln. Von 1807 


bis 1814 batten die Engländer, die damals mit Dänemark 


Krieg führten, die Infeln in Befis genommen; 1814 wur: 
den diefe an Dänemark zuriidgegeben, aber erft im Auguſt 
1831 wurde eine nene Colonifation begonnen. 

Der Mann, welchen die Nufgabe anvertraut wurde, war 
Nofen, ein hoher dänischer Beamter evangeliſchen Glaubens. 
Er hatte Kraft und Energie und widmete fich mit Eifer ſei— 
nem Werke Widerwärtigfeiten und Unglücksfälle ftellten 
fich feinem Streben entgegen. Fieber veruriachten viel Leiden 
und häufig fehlten aute und gelunde Nahrungsmittel. Ohne 
Zweifel würde er dennoch jein Ziel erreicht haben, wenn er 
bei den Offizieren in Trauquebar gleichen Eifer und eine 
gleiche Ausdauer gefunden hätte. Im November 1834 wurde 
er zurückgerufen. Nod bis 1837 vegetirte die Anfiedelung 


fort. Im Jahre 1845 machte Dänemark nochmals den Ber: 
fuch, die Inſel zu colonifiren, allein da die Sache nicht in 
die geeigneten Hände gefommen war, mißglüdte der Verſuch 
vollftändie. Die „Balathen*, welche auf ihrer Reiſe um die 
Welt bei der Colonie landete, ließ dort einige Offiziere zurüd, 
aber Leben und Geld waren umſonſt aufgewendet. 

Die Bemerkung möge bier eingelchoben werden, daß auf 
der „Galathea* auch Dr. Rink fich befand und wir ibm 
eine gute Beichreibung der geologiichen Beſchaffenheit der 
Inſeln verdanken. Er ift derfelbe Däne, welcher nähere Nach— 
richten über die Bevöllerung von Grönland gefammelt bat. 
Im Jahre 1848 gab Dänemark die Befigungen gänzlich auf. 
Die Nitobaren hatten keinen europäiſchen Herrn mehr. 

Wir fommen nun zu dem neneften Verfuch der Engländer. 
Bei einer Unternehmung wie bie Cofonifation der Nikobariſchen 
Infeln ift, muß mit befonderer Sorgfalt und mit ftrengem 
Ernft geprüft werden, ob ſich ein günftiges Refultat erwarten 
läßt. Den nen Untommenden droht vor Allem das Ichredliche 
Sumpfficber, welches bei den früheren Verſuchen viele Opfer 
gefordert hat. Das Geſchick aller früheren Coloniften war 
Tod und Verzweiflung und alle Niederlaffungen, die gegrün- 
det wurden, haben aufgegeben werden müflen. Dies hat die 
Vergangenheit vollftändig bewieſen; deffenungenchtet it hierin 
noch nicht der Grund zu finden, daß die jett verjuchte Unter: 
nehmung ebenfalls ohne glildlichen Erfolg bleiben müſſe. 
Bei den früberen Verfuchen fehlten die nöthigen Bedürfniſſe; 
für gefunde Wohnungen war nicht geforgt und die Zahl der 
Coloniſten eine zu geringe, insbefondere aber mangelte eine 
genitgende Verbindung mit dem Mutterlande, In den eriten 
Jahren der Anfichelung war audy die Sterblichkeit auf den 
Andamanifchen Inſeln jehr groß, jetzt ift Port Blair der Ort, 
welcher zur Berftellung der Gefundbeit vorzugsweiſe gewählt 
wird. So wird es auch mit den Nifobariichen Juſeln wer: 
den, wenn die Entwäfferung volftändig ausgeführt, das Land 
um die Anfiebelung eultivirt und die Sumpfluft befeitigt ift. 

Dampfichiffe unterhalten eine regelmäßige Verbindung. 
Alle Bedürfniffe werden von der Regierung in ausreichen: 
dem Maße gewährt und find von guter Beſchaffenheit. 

Gelingt es ber Regierung, die Heine Strafcolonte fo ein: 
zurichten, daß der Aufenthalt der Geſundheit unschädlich ift, 
dann werden Aubauer aus Penang nicht fehlen. Die nene 
Unfiedelung wird gebeiben und emmporlommen, da die Inſeln 
an der großen Handelsftraße liegen, welche der Bengaliſche 
Meerbufen bildet. Auf dieſem Gewäffer berrichen zu Heiten 


Aus allen Erdtheilen. 


furchtbare Stürme. Es giebt aber dort feinen andern Hafen, 
in weldem die Schiffe Schub fuchen und finden könnten, als 
Nancomwrn. Gegen alle Winde ift diejer Hafen gefichert, 
welcher ſowohl von Oſten al3 von Welten einen leichten Ju: 
gang bat. Ohne große Schwierigfeiten können Dods ange: 
legt werben, da hinreichend tiefes Waller an geſchützten Orten 
füch findet, Die Kokosnuß giebt den Anftedlern Gelegenheit, 
einen einträglichen Handel zu beginnen, aber im weitern 
Berlauf der Zeit werben Baumwolle und Gewürze die Haupt: 
bandelsartitel werden. Efbare Vogelnefter, welche von den 
Ehinefen zu hoben Breifen gekauft werden, werden ſchon jett 
mit Vortheil verwertbet. Guano, der in den unter der Über: 
fläche gelegenen Höhlen von Katichall gefunden wird, lann 
jur Düngung der Ländereien mit großem Nuten verwendet 
werden. Die Baummwollpflanze gedeiht, fie ſcheiut von beſſerer 
Dmalität zu fein als die indilche. Bergreis, deſſen Anbau im 
Jahre 1872 verfucht wurde, lieferte reichlichen Ertrag. Baus 
material ift im Weberfluß vorhanden. Es fteht daher mit 
Grund zu hoffen, daß im Laufe der Zeit die Nilobariſchen 
Infeln eine blühende Eolonie werben. 


Aus Brafilien. 


Die Provinz Goyaz zählt Mitte 1875 160,305 Ein: 
wohner, worunter 149,743 Freie und 10,652 SHaven. Aus 
riften giebt e8 19, Aerzte 15, Lehrer 176, Kaufleute 4374, 
Aderbauer 13,210 und Handwerler 4340, 

— Die Provinz Amazonas zählt 57,610 Einwohner, 
mworunter 31,470 männlichen und 26,140 weiblichen Geichlechts. 
Weiße giebt es 11,2111 (darunter 2156 Fremde), Mulatten 
und Indianer 36,333. Schwarze 1336, Sklaven find in der 
Provinz 996. 

— Man macht jest in Brafilien Verſuche, die Indianer 
an ein fehhaftes Leben zu gewöhnen, und hat bis jet jchon 
einigen Erfolg aufzuweiſen, wie folgende Nachrichten aus 
der Provinz Parana reip. Amazonas beweiſen. 

In 5. Jeronimo, dem Baron von Antonina zugehörig, 
leben 147 Indianer, die ſich mit Aderbau beichäftigen. Der 
Director diefer Niederlaffung ift der Pater Cruz de Cemittille. 

Ein anderer Beiftlicher, Namens Tb. Caftelnuovo, diri- 
girt die Niederlaflung von S. Pedro de Alcantara, die von 
%5 Indianern (474 Coroados und 403 Cahyguas) bewohnt 
wird. Diefelben erzeugten im vorigen Jahre Milho, Reis, 
Gummi, Zuder und Bramıtwein im Betrage von 5250 
Milreis. 

In Baranapanema haben ſich unter der Leitung des 
Bater PVieira de Araujo 208 Cayohas- Indiauer angeſiedelt, 
die Milbo, Bohnen und Neis pflanzen. 

— An Purus und am Rio Negro in Amazonas haben 
fich mehrere Indianerftämme niedergelaffen ; die Anſiedelun— 
gen ftehen unter der Leitung von Brafilianern, deren Ziel ift, 
den Wilden Geſchmack am Aderbau beizubringen. 

— Nah dem legten Berichte des Ackerbauminiſters be: 
trägt die Zahl der in Brafilien eingewanderten Deutſchen 
und ihrer Kinder etiwa 130,000 Seelen. Mau rechnet, daf 
die Regierung für Einwanderung überhaupt bisher etwa 
60,000 bis 70,000 Contos oder 30 bis 35 Millionen Thaler 
aufgewendet hat, worin natürlich auch die für Einwanderer 
anderen als deutichen Uriprungs ausgegebenen Summen 
mit inbegriffen-Äind. Die Refultate der nicht deutſchen Ein: 
mwanderung find jeboch ganz Mäglih: Staliener, Engländer, 
Nordamerikaner verliehen die Colonien, zogen in die Städte, 
machten ſogar theilweife Nevolten, jo daß bie Negierung mit: 
unter frob war, wenn fie diefe unrubigen Elemente mit 
neuem Koſtenaufwande wieder los werben konnte, Die zanl- 
reich eingewanderten Vortugiefen ziehen ſich mit geringen 
Ausnahmen in die Städte, wo fie, wie die Jtaliener in den 
2a: Plata-Staaten,, vorzüglich dem Kleinhandel obliegen, bei 
ihrer Sparfamkeit bald ein Vermögen erwerben und damit 
meiftend in ihr Mutterland zurückkehren. Es trägt dies 


271 


allerdings zur Hebung von Handel und Wandel bei, aber 
es ift nicht das, was Brafilien beſonders für feine weiten 
Stroden unbebauten Landes braucht, eine aderbantreibende 
Bevölkerung, wie fie namentlich Deutichland und die Schweiz 
fiefern. Darum fommt die Regierung immer wieder und wieder 
auf die deutſche Einwanderung zurild, ohne fonderlichen Erfolg 
dabei zu erzielen. Denn wenn auch die füdlichite Provinz Rio 
Grande do Sul, wo eine dentiche Bevölkerung von 80,000 
Seelen lebhaften Aderbau und Handel treibt, und vielleicht 
nod Santa Catharina für deutſche Einwanderung geeignet 
fein mag, fo doch nicht die mehr nach Norden, d. b. dem 
Aequator zu gelegenen Theile des Reiches, und es iſt 
feineswegs ein egoiftiiches Iutereſſe, was die deutiche Regie: 
rung veranlaßt, der Auswanderung dorthin nicht geradezu 
Vorſchub zu leiften. 


Aus Auftralien und der Sübfee. 


H. G. Erſt vor ungefähr achtzehn Monaten wurde die 
Station Barrow’3 Creek am Ucberland-Telegrapben, 
1207 Miles nördlich von Adelaide in Südanftralien, von den 
Eingeborenen meuchlings überfallen und dabei der Telegraphens 
inſpector Stapleton und einer feiner Gehülfen getödtet. Eine 
übnliche Kataftrophe wird jest von der Station Daly Wa- 
tere, 1605 Miles nördlich von Adelaide und 368 Miles 
fitdlich von Port Darwin, berichtet. Der dortige Juſpector 
E. 9. Johnſton hatte fih mit zweien jeiner Leute Namens 
Daer und Richards am 29, Juni diefes Jahres auf vierzig 
Miles von der Station entfernt, um nad) weggelaufenem 
Vieh zu ſuchen. Sie famen an den Noper: Fluß, fanden 
die Eingeborenen ſehr freundlich und lichen fich dadurch ver: 
leiten, von der nöthigen Vorficht abzuſehen. Als Johnſton 
im Fluſſe badete und die beiden Anderen gleichgültig numbers 
wanderten, wurden fie plöglih fberfallen und mit Speeren 
beworfen. Johnſton ward im Unterleibe mit einem giftigen 
Speere tödtlich verwundet und ftarb am nächften Tage, da: 
gegen waren Daer und Ridards, ebenfalld am der Bruft und 
Naſe verwundet, im Stande, die Station zu erreichen, wo 
fie ihrer Genefung entgegengehen. Die füdauftraliiche Res 
gierung hat jofort von Dam Ereef aus, ungefähr hundert 
Miles füdlich von Port Darwin, wo Goldfelder find, eine 
Anzahl Gendarnen nnd andere Leute, bis an die Zähne be 
waffnet, mach dem Roper-Fluſſe abgeihicdt, um die Mörder 
aufzufuchen und ein ſchweres Strafgericht über ſie zu halten. 

— Auch die Eolonie Neufecland foll jegt in das 
große Telegraphenneh unseres Erdballes gezogen werben, 
Nachdem frühere Unterhandlungen wieder abgebrochen wer: 
den mußten, iſt jet mit der Eaſtern Ertenfion Telegraph 
Company in England ein Contract abgeſchloſſen, nach wel: 
chem diefe Geſellſchaft die Legung eines Kabels zwilhen Syd⸗ 
nen und Neufceland binnen zwölf Monaten übernimmt, gegen 
Zahlung einer jährlichen Subfidie von 7500 Bf. St. auf den 
Zeitraum von zehn Jahren. Davon übernimmt Neufeeland 
zwei Drittel und Nenfüdwales ein Drittel. Eine Depefche 
von zehn Worten joll 7 Sb. 6 P. koſten. 

— Aus Nenfeeland kommt die Nachricht, da in Ma— 
tata und an der Oſiküſte entlang die Kinder der Eingebore: 
nen in außerordentlicher Menge an den Mafern fterben. Die 
Eingeborenen find durch abergläubiiche Vorftellungen wie 
paralyfirt. Sie wenden feine Mittel der Heilung an, fon: 
dern laffen die Kinder dahinfterben. 

— Es ift merhwürdig, daß König Kalobau, nachdem er 
die Oberberrichaft der Fidichi-nieln an England abgetreten, 
8 fein mußte, welcher die Maſernepidemie nach diefen Infeln 
verjchleppte. Er wurde auf der Niüdreife von Sydney, wo 
er dem Gouverneur, Sır Hercules Robinſon, einen Beſuch 
abgeftattet, von den Mafern, welche zur Zeit in den auftra- 
liſchen Golonien herrſchten, befallen. Kam auch Kakobau 
mit dem Leben davon, indem er, durch gute Freunde beein: 
Hußt, fich dem ärztlichen Anordnungen fügte, jo bat er doch 


272 


dabei fo gealtert, daß fein Haar weiß geworben. Die Kraul⸗ 
beit verbreitete ſich berartig unter die Eingeborenen, baf 
viele Taufende dem Tode erlagen. Nach den neueften Nach— 
richten ſollen mindeftens dreißigtaufend Eingeborene, aljo 
ungefähr der vierte Theil der Bevölkerung, weggerafft fein. 
Ganze Dörfer und Städte, ja Infeln find faſt ansgeftorben. 
Auf der Inſel Ovalaı mit 1500 Eingeborenen ftarben nicht 
weniger als 507 oder reichlich 33 Procent. Die Ungft wirfte 
ebenfo töbtlich wie die Epidemie. An eine Beerdigung wurbe 
häufig nicht mehr gebacht. Ende Juni dieſes Jahres hatten 
die Maſern zwar noch nicht gänzlich aufgehört, waren aber 
doch im ftarker Abnahme begriffen. 

Es ift auffällig, daß gerade Krankheiten, welche fich ſonſt 
anderswo recht gut controliren lafjen, die Bolynefier von Zeit 
zu Zeit decimirt haben. In biefer Weile find 3. B. die Eins 
geborenen der Sandwich⸗Juſeln im Laufe der letzten hundert 
Jahre von 400,000 Seelen auf 50,000 gefunfen. 

Der zum erften Gouverneur der Fidſchi-Inſeln er 
nannte Sir Arthur Gordon begab ſich Mitte Juni diefes 
Jahres von Sydney ans an feinen Beftimmungsort. Seine 
Ercellenz wird, da noch feine Reſidenz für ihn da ift, auf 
dem eigend dazu eingerichteten Kriegsſchiffe „Barraconta”, 
welches vor Levuka, Inſel Dvalan, vor Anker liegen joll, 
feine Wohnung nehmen. 

Die junge Colonie Scheint Schon die Aufmerkſamkeit von 
Eapitaliften in England, Eeylon und Mauritius auf ſich zu 
ziehen. Im Juni diefes Jahres wurbe von biefer Seite der 
Kauf von 70,000 Acres Land abgeichloffen, um theils zu 
Plantagen, theild als Weideland verwendet zu werden. Auch 
hören wir von einem andern Kaufe von 50,000 Acres Land, 
welche mit Schafen und Rindvich beſetzt werden follen. 

Der Dampfer „St. Dfuth" hat die Reife von England 
nach Melbourne über das Cap der Guten Hoffnung, einfchlieh- 
lich einer Verzögerung von breißig Stunden, welche durch 
Einnahme von Koblen auf der Infel St. Vincent verurfacht 
wurde, in dem Beitraume von 44 Tagen 33 Stunden zurück- 
gelegt. Es ift dies eine der kürzeſten Reifen, welche auf 
biefer Tour bisher erreicht wurden. 


* *%  % 


— Ein Telegramm aus Hammerfeft berichtet über ben 
Ausgang der Nordenfkjöld’ichen Erpedition nach Nomana; 
Semlya folgendermaßen: „Die Expedition erreichte am 15. 
Auguft die Mündung des Jeniſſei, von wo Nordenſtjold, bes 
gleitet von Sundftröm und Stupberg, am 19. Muguft abe 
reifte, um zu Lande über Sibirien nah Schweben zurüdzu: 
gehen. Die Mitglieder ber Erpedition kamen mit dem 
Erpeditionsihiffe „Bröven* beute (26. September) in Han: 
merfeft an und führten reiche naturbiftoriiche Sammlungen 
mit fi. Wichtige hydrographiſche Arbeiten find ausgeführt. 
Alles wohl“ 

Der ruſſiſche Oberftlieutenant Soſnowski, deſſen 
Reiſen in der weſtlichen Mongolei wir unlängft beiprachen 
und ber augenblidlich auf einer Reife von Hansfau am 
Dang-tie-fiang nach Chami am Oſtende des Thian-fhan und 
Sibirien begriffen ift, hat am 30. März auf dem Han-Fluſſe 
Schiffbruch gelitten und dabei viel von feinem Gepäd, eine 
Anzahl Silberbarren und Waffen eingebüßt. In Han⸗tſchunq⸗ 
fr, wo er fiber einen Monat verweilte, wurde er von ben 
Behörden auf das Freundlichſte aufgenommen und erhielt an 
Stelle der verlorenen neue Empfehlungsbriefe an die Beam: 


Aus allen Erbiheilen. 


ten von Schen-fi und Kan-ſu. Am 20, Mat follte er von 
Hantihung-fu zunächſt nach Lan⸗tſchau-fu, der Hauptftadt 
von Kanu am Gelben Fluſſe, aufbrechen. 

— Die Londoner Zeitung „Daily Telegraph“, welche 
zufammen mit bem ‚Newyork Herald" eine Expedition zur 
Erforſchung Centralafritas unter Führung des befannten 
Stanley ausgeſandt hat, hat von demſelben Nachrichten 
unter dem 1. März und 15, Mai biefes Jahres erhalten und 
wird biefelben aleichzeitig mit dem Newyorker Blatte publis 
ciren. Einftweilen wird nur mitgetbeilt, daß bie Erpebition 
in 103 Tagen die Strede von 720 englifchen Meilen bis zum 
Victoria Nyanza zurüdgelegt, daß Stanley benlelben bes 
fahren, bei einem Kampfe mit dem Stamme der Watura 21 
Mann und durch Fieber zwei feiner weißen Gefährten ver: 
loren hat. Da von den im jenem vorläufigen Berichte ge: 
nannten Namen keiner auf ben Karten Spele's, Bater'd oder 
Wakefield's aufzufinden ift, vermuthet man, daß ſich die Er- 
pebition längs des bis jegt unbefannten Dftufers des Sees 
binbewegte. 

— Indianerangriff auf Dr. Hayden’ Vermeſ— 
fungscorps. Nahe der Grenzlinie von Colorado, Utah 
und Meumerico fand am 14. Auguft ein Gefecht siwifchen 
einem Theil von Hayden's Vermeflungspartie und einer 
Bande von Sierra Lafalle Utes ftatt, welches 21 Stunden 
dauerte. Die Amerilaner famen zwar ohne körperliche Ver 
legung davon, verloren aber ihr ſümmtliches Gepäck und ben 
größten Theil ihrer Proviſionen. 

ie Neuporfer Zeitung „Daily Chronicle“ enthält dar: 
über Speciafitäten, datirt Parrott City, 23. Auguſt. Daraus 
gebt hervor, daß Mr. James L. Gardner, Geograph und 
erſter Aſſiſtent der Hahden-Vermeſſung, vor dem diebiſchen 
Charakter der Ute-Indianer gewarnt worden war, weshalb 
er feine eigenen Leute mit Mr. Gannet's Partie vereinigte, 

Um 14. Auguſt wurden fie bei dem Uebergang über bie 
Wüſte ſüdlich gegen Pierra Abajo auf verrätheriſche Weiſe 
von einer Partie Indianer, welche ſich für Freunde aus— 
gaben, angegriffen. Zwei Leute, Adams und Kelley, welche 
ſich in der Nachhut befanden, waren glücklich genug, durch 
die erſte Salve der Indianer nicht getödtet zu werden. 

Mehrere Geometer, mit Büchſen bewaffnet, hatten 13 
Mann und 18 Padthiere zu vertheidigen. Der Platz war 
ohne Waſſer und von Felſen von 1000 Fuß Höhe umgeben 
und verengte fich ſüblich zu einer engen Schlucht (Canon), 
wo die einzige Duelle in ber Wüfte war, und dies ift ber 
Pag, wo die Indianer die Partie hatten tübten und das 
Gepäck hatten ftehlen wollen. 

Bon allen Seiten unterhielten die Indianer den Angriff 
big Mitternacht. Unsere Leute fochten, durch das Gebitich 
friechend, auf Indianerweife. Die Indianer wurden zurüd— 
getrieben und nur ein Maulthier war gefallen. Am nächjten 
Morgen wurde das Gefecht fortgefett. Die Amerikaner fuch: 
ten andere Auswege, welche aber jedesmal raſch von den 
Indianern befegt wurden. Nach längeren Kämpfen forcirten 
die Amerikaner ihren Weg die Canon empor. 

Die Indianer geriethen zwiſchen zwei Feuer und nadı- 
dem mehrere gefallen waren, zogen fie fich feige ind Gebüſch 
von wo aus fie ein Feuer unterhielten, Die Vermeſſungs— 
partie rückte rafch vorwärts und erreichte eine Onelle, eine 
Wohlthat für die fo ſehr angeftrengten Maulthiere. E8 gin— 
gen vier Maulthiere, dad Gepäd und die Inſtrumente ver: 
foren. 


Inbalt: Ans Georg Schweinfurth's Reifen in Iumerafrifa, VII. (Mit fünf Abbildungen) — Ein Befuch des 
Grabes des Confucius und des heiligen Berges Tai. — Ein Beitrag zur Benrtheilung des Khechnaftammes in Peru und 
Bolivia, Von E. v. Boed in Cochabamba. I. — Schilderungen innerafiatiicher Zuftände Won Albin Kohn. 1. — Aus 
allen Erdtheilen: Geichichte der Anfiedelungen auf den Nifobaren. — Aus Brafilien. — Aus Auftralien und der Sidfee. — 


Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 16. October 1875.) 


Redacteur: Dr. R. Kiepert ın Berlin, ©. W. Lindenftraße 13, III Tr. 
Drud und Berlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunfhweig. 


Mit befonderer Berüchfichtigung der 





Anthropologie und Elhnologie. 


Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit Fachmännern und Künſtlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 





Braunſchweig 





Jahrlich 2 Bände, Jeder Band enthält 24 Nummern, Monallich 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Mark, Ginzelne Nummern 0 Bf. 


1875. 








Aus Georg Schweinfurth’3 Reifen in Innerafrika. 


VIII. 
Andienz bei König Munſa, — Das Volk der Monbuttu. 


Nachdem der Melle überfchritten war, befand ſich Schwein» 
furth auf MonbuttusSebiet, und mach einem weitern Tage: 
marjche nahe bei den Wohnorte König Munſa's, weldyer 
ſchon von dem fonderbaren Freuſdling gehört hatte, Noch 
größer aber als deffen Neugierde den Weißen zu fchen war 
feine Freude, den gelichten Abdes · Sanmat ſchon zum dritten 
Male in feinem Lande begreifen zu lönnen. Die Elfenbeins 
ausbeute eined ganzen Jahres fonute er nun gegen das ihn 
fo werthvolle Kupfer austauſchen. Auch den Kenufier litt 
es nicht länger beim Gros des Handelszuges; alle bei Er: 
richtung des Lagers zu trefienden Anordnungen überlieh cr 
feinen Hauptlenten und eilte felbft mit den vajch zusammen: 
gerafiten Geſchenken voraus, um den König zu begrüßen und 
ihn vor Allem eine ganze Sammlung großer Kupferſchüſſeln 
zu libergeben, welche fortan nicht mehr zum Auftragen von 
Speifen, fondern als Tonwerkzeuge gewaltiger Art in den 
großen Hallen der Monbuttu-Reſidenz dienen follten. Am 
folgenden Tage, den 22. März 1370, wurde and dem Wei: 
Ben Audienz ertheilt. Schon frlih Morgens war Abdes— 
Sammat wieder aus dem Yager zu feinem föniglichen Freunde 
hinübergeeilt; aber e8 wurde Mittag, che er Schweinfurth 
benachrichtigen ließ, dag es Zeit ſei zu erfcheinen. Diefer 
legte nun den längſt vergeffenen ſchwarzen Tuchrock an und 
ſchwerbeſchlagene hohe — um durch die größere 
Wucht der Tritte um jo impofanter zu erſcheinen (freilich 

Globug XXVIII. Nr. 18. 


beftärkten fegtere nur den Glauben dev Monbuttu, daß der 
Europäer Bocksfliße beſitze und fie damit verbergen wollte); 
hinter ihm drei trugen vier Schwarze Blchfen, Revolver 
und Lehnſtuhl und feine Chartumer Diener die für dem Kö— 
nig beſtimmten Geſchenke. In feierlichem Zuge ging es 
auf die zweitärößte der königlichen Hallen zu, die, am beiden 
Giebelſeiten offen, LOO Fuß im der Yänge, 50 in der Breite 
und 40 in der Höhe maß, auf einer dreifachen Reihe von 
Fichtenſtämmen ruhte, jonft aber ganz aus den Blattichäften 
der Weinpalme (Raphia vinifera) errichtet war, Durch 
ihre elegante Yeichtigkeit und dabei Widerftandsfähigkeit gegen 
die Wuth der tropischen Drcane war fie ein wahrer Triumph 
der Baulfunſt, und europätiche Architelten könnten Achnliches 
nur erreichen, wenn fie Fiſchbein als Material nähmen. 
An dem cinen Ende der Halle jland der königliche Seſſel, 
einjtweilen noch leer; denn fein Beſitzer befand ſich im Ha— 
vem und ließ fich von feinen Frauen falben, jrijiren und 
herausputzen. Unweit des Thrones ließ Schweinfurth feinen 
Seſſel aufftellen und wartete, bis nad) etwa einer Stunde 
Hörnerflang und Boltsgefchrei etwas Außergewöhnliches ver: 
Hindeten, Aber noch war es nicht der Herrſcher, ſondern man 
brachte nur feine Schäge an fupfernen Langen und Spießen 
ud fehmlicte damit ein raſch aufgeſchlagenes Gerift. Grit 
als die Aufitelung der Prunfwaffen vollendet war, erſchien 
er ſelbſt. Voran ſchreiten Muſikanten, welche auf colofjalen, 


35 


274 


aus ganzen Elephantenzähnen verfertigten Hörnern blafen 
oder roh gehänmerte Öloden aus Eifenbledy Schwingen. Den 
Blick gleichgültig vor fich hingerichtet naht ſich der rothbrauue 
Monarch, gefolgt von einer Schaar feiner Yieblingsweiber, 
in Bug und Haltung wild, romantisch, malerifch. Ohne ben 
Fremden eines Blides zu würdigen, wirft er fih auf bie 
niedrige Thronbank und betrachtet feine Füße. Da ſaß er, 
von dem gejagt wurde, daß er täglich Menſchenſleiſch eſſe, 
mit Ringen und Ketten uud anderm fremdartigen Schnude 
an Armen und Beir 


Aus Georg Schweinfurth's Reifen in Innerafrila. 


Dann begannen Productionen der Hofkünftler, ald Horn⸗ 
bläfer, Spaßmacher und Sänger, und ſchließlich hielt der 
König felbft eine halbſtündige Rede, während weldyer der 
Keifende Gelegenheit fand, die beigegebene Skizze deſſelben 
zu fertigen. Darm verabfchicdete derjelbe ſich, vom Hunger 
getrieben, von jenem, welcher bedauerte, jo arm zu fein umd 
ihm nichts für feine Geſchenke bietem zu lönnen. Entzitdt 
von dieſer Beſcheidenheit bat der Naturforfcher nur um einen 
Scimpanfe und ein Guineafchwein (Potamochoerus peri- 

cillatus), beides tm 





nen, Hals und Bruft — 
geziert, einen tiefi- 
gen, mit rothen Pa> 7; 
pageienfedern dreifach 
beſetzten und bebuſch 
ten Strohhut auf 
dem Haarchignon, an 
der Stirn einen gro- 
Gen, kupfernen, blanf 
polirten Halbnond, 
fingerdicle Kupfer 
ſläbe in den durch— 
bohrten Ohrmuſcheln. 
Sein ganzer, ur: 
fprüinglid) hellbrau⸗ 
ner Körper war durch 
die landesübliche Ein⸗ 
reibung mit Farb⸗ 
holzſchninle roth— 
braun geworben; 
eben damit war aud) 
fein Gewand, ein fein 
bearbeitetes Stüd 
Feigenrinde, gefärbt, 
Diefer Stoff war jo 
forgfältig behandelt 
worden, daß er ganz 
das Ausichen von 
ſchwerenn Moire ans 
tique erhalten hatte. 
In ber Rechten 
ſchwang Munja ala 
Scepter den fichel- 
förmigen Monbuttu: 
fübel, hier nur eine 
Yuruswaffe aus reis 
nem Kupfer, Er 





mochte 40 Jahre F 
zählen und war von E 
ſchlankem, hohem, | 


fräftigem Wuchfe, \ 
wie jeder Monbuttu. 
Eine ſaſt lautaſiſche 
Naſe und orthogna⸗ 
thes Profil ſtimm⸗ 
ten wenig zu den 
dick aufgeworfenen Negerlippen, dem wildſinnlichen Feuer 
feiner Augen und dem gewaltthätigen, graufamen Zuge um 
feinen Mund, Dabei beſaß er eine merkwürdige GSelbft: 
beherrfchung und Zurlidhaltung: eine geraume Zeit ließ er 
verftreichen, ehe er dem noch stie gefehenen Weißen mit bem 
bie auf die Schulterm herabwallenden Haare und der fonder- 
baren Tracht eines Blides wilrdigte, und während feine 
Weiber Ausrufe des Entzlidens beim Anblide der wirklich 
werthuollen Schweinfurth'jchen Geichente nicht unterdrüden 
konnten, blieb er ungerührt und faft gleichgültig. 


a el nn 







Munfa, König der Monbuttu. 


— — Monbuttulande häu⸗ 

N fige Thiere. Der Kö— 

f nig verfprad; fie jo- 

& "\ fort, aber trog mehr: 

fahen  Grinnerne 

mußte Schweinfurth 

ohne die gewünſchten 

Thiere feine Rückreiſe 
antreten, 

Drei Wochen ver 
weilte er im dieſem 
Yande, während be» 
| ven er mehrfad; Aus 
dienzen hatte und 
täglich) Leute aus dem 
Bolle um ſich vers 
ſammelte, die ihm 
Früchte und Blitthen, 
Thierjelle und Tier: 
ſchüdel und vor At: 
lem Menfchenfchäbel 
bradhten, die Ueber: 
reſte ihrer Schmaufe- 
teien, denn die Mon. 
buttu ſind noch ſchlim⸗ 
miere Menſchenfreſſer 
als die Niam-niam. 
= Bon 200 Schadeln, 
= welche er fo erhielt 
| — meift waren es 
ſolche von jüdlicher 
wohnenden Stämes 
men —, lonute er 
| nur 40 brauchen; die 
>| Übrigen waren, um 
Ei das Gehirn herans- 

= nehmen zu fünnen, 

zerſchlagen. 

Das von den 
| Monbuttu bewohnte 
Gebiet liegt ungefähr 
zwifchen 3% und 4° 
nördl. Br. und 28° 
und 290 öfll, &. v, 
Or, iſt aber bei feis 
ner Kleinheit fo ſtart 
bervohnt (250 Menſchen auf die englifche Quadratmeile), daß 
Scweinfurth die Zahl des gefammten Volles auf etwa 1 
Milion ſchätzt. Die Monbuttu Haben zwei Oberhäuptlinge, 
Degberra im Dften und im umfangreicern Welten Rune, 
ben Sohn Zifibo's, welcher 1857 von feinem Bruder, eben 
jenem Degberra, erſchlagen wurde und bie dahin das gamze 
Volt beherricht hatte. Beiden ftehen ihre Brüder reſp. Söhne 
als Unterfönige zur Seite, Eine zwei Tagereifen breite Greng⸗ 
wildniß trennt ihr Land gegen Norden und Nordweſten von 
demjenigen der Niamsniam. Gegen Süden wohnen im 


u 


Aus Georg Schweinfurth's Reifen in Innerafrifa. 


weiten Halbfreife eine Anzahl Bölter von typiſcher Negerrace, | 


von den Monbuttu mit dem verädhtlichen, ihre tiefe Cultur⸗ 
flufe andeutenden Gefammtnamen „Mommwu* bezeichnet. Zu 
dieſen Negerm gehört aber nicht das Zwergvolt der „Alta“, 
über welches wir demnächft ausführlicher berichten werben. 
Das Yand der Monbuttu ift durd) feine herrliche Vegetation 
ein irdifches Paradies. Durchſchnittlich 2300 bis 2500 Pa— 
rifer Fuß hoch, bietet daffelbe einen beftändigen Wechſel von 
tief eingefchnittenen Bäcen und Flüffen und fanft anfteigen- 
den Höhen dar. Endloſe Bananenpflanzungen bededen die 
Thalgehänge und längs der zahlreichen, ftets waflererfüllten 
Bäche und Flüſſe bildet die ſchönſte aller afrilaniſchen Pal— 
men, die Oelpalme, ausgedehnte Haine. Das quellenreiche, 
einem vollgeſogenen Schwamme gleichende Land iſt ganz mit 


— — 
—— 


275 


dem jungen und noch immer in Fortbildung begriffenen 
Rafeneifenftein bedeckt, welcher fchon im Niam-niam-Gebiete 
auftrat und, weit gegen Silben und Welten ſich erftredend, 
den größten Theil des centralafrifanifchen Hochlandes ein- 
zunehmen fcheint. 

Aderbauer fan man die Monbuttu eigentlich nicht nen« 
nen, denn fie vefp. ihre Weiber, denen dieſe Beſchaftigung 
obliegt, thun nichts, als die Schößlinge der Banaue, ihrer 
Hauptnahrung, die Wurzellnollen des Maniok, der Batate, 
Dam und Colocaſie in die vom Regen befruchtete Erbe zu 
legen, um des reichiten Ertrages ficher zu fein. Angepflanzt 
wird, gleichfam als Gartengemitfe in der Nähe der Wohnun: 
gen, ber Mais, Sefam, die Erdnuß, das Zuderrohr und na» 
mentlich der virginifche Tabad. 





Das Monbuttupaar Netoln und Bunfa, 


Gewebte Stoffe befigen die von der Außenwelt abge- 
fchloffenen Monbuttu nody nicht; der Baft eines Feigen- 
baumes (Urostigma kotschyana), deſſen abgefcjälte Rinde 
ſich nad) drei Jahren wieder erneuert und der darum bei 
jeder Monbuttuhlktte angepflanzt ift, wird zu einem dauer: 
haften, wollenartigen Zeuge verarbeitet, wie es auf Munſa's 
Porträt den mittlern Theil des königlichen Yeibes einhült. 
Außer Hunden und Hühnern ziichten fie fein Vieh; die Jagd 
auf Elephanten, Büffel, Wildſchweine und Antilopen, dann 
auf den grauen Papagei, Perlhühner, Frankoline und Trap- 
pen liefert ihnen die Fleiſchnahrung. Auf ihren Kriegs— 
zügen erbeuten fie oft große Mengen von Ziegen; die Fiſche 
ihrer Fluſſe vergiften fie mit einem Kraute, das fie anbauen, 
und zu allem diefen Ueberfluffe, oder vielmehr troß ihm, freſ⸗ 
fen fie ſchließlich auch Menſchenfleiſch, den Inbegriff aller 


ihrer culinarifchen Senüfle, welchen fie fich namentlich bei 
ihren Naubzügen gegen Süden im Yande der „Mommu“ 
verichaffen. Das Fleiſch der im Kampfe Erſchlagenen wird 
auf dem Schlachtfelde vertheilt, dann gebörrt und nad) Haufe 
geichleppt; die Gefangenen werben heimgetrieben und fpäter 
wie eine Vichherde Stüd fir Stüd abgeſchlachtet; die erbeu- 
teten Kinder bilden als beſonders zarte Delicatefien den Aus 
theil des Könige. Obwohl Schweinfurth felbft nur zweimal 
Gelegenheit fand, Leute beim Herrichten von Menfchenfleifch 
zu überraſchen — es wurde während der Anmefenheit der 
Fremden alle Dienfchenfrefferei möglichft verheimlicht, weil 
man ihre Übneigung dagegen fannte —, fo gaben doch na- 
mentlic, jene ſchon erwähnten 200 Schädel, welche man ihn 
brachte, das ficherfte Zeugniß für diefe grauenhafte Unfitte 
der Monbuttu ab. Und dabei find diefelben eine edlere Race 
36 “ 


276 


von Menfchen, im Befite eines gewiflen Nationalftolzet, von 
Urtheilöfraft, von mehr Berftand und Vernunft als die mei 
ften anderen Afrikaner, zuverläffig als Freunde, von friegeris 
ſcher Tüichtigfeit und haben ein wohlgeordnetes Staatswejen! 

Der König ift hier mächtiger als bei den Niamsnianı ; 
denn aufer dem gefammten Elfenbein, wie dort, erhebt er 
Abgaben von den Erträgniffen des Bodens. Stets umgiebt 
ihn feine Leibwache und ein Troß von Trabanten; in allen 
Diſtrieten und Ortfdyaften hat cr feine Beamten und Bors 
ſteher. Bier Hofchargen haben die Aufficht über die Wafe 
fen, die Geremonien und Feſte, die Magazine und Speife- 
vorräthe, den Harem, während ein fünfter Reichsrath als 
Dolmetscher fungirt. Achtzig junge Frauen, welche ebenſoviele 
Hütten um den königlichen Palaſt bewohnen, bilden den 
beichräuftern Harem, während die älteren und die Frauen feir 
nes Vaters, event. auch die eines verftorbenen Bruders, welche 
er nad) afrifanifcher Potentatenfitte ala Erbſchaft Überminmt, 
eine weit größere Zahl ausmachen und in den nächſtgelegenen 
Dörfern haufen. Zu feiner Hofhaltung gehören, wie wir bei 
Schilderung der Audienz gejehen, Hornbläjer und Trompeter, 
Eunuchen und Spaßmacher, Sänger und Tänzeru. ſ. w. In 


F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan. 


andere lauter Thierſchwänze, Felle, Zähne, letztere auf lange 
Schnüre gereiht, Alles zum Ausfchmiden des Königs bes 
ftimmt, wenn er vor feinem Bolfe wilde Tänze zum Beften 
giebt; die Ruſtlammern bergen Haufen von Säbelllingen, 
Hadmeflern und zufammengefcunürte Pade von je 200 bis 
300 Yanzen, im Kriegsfalle zur Vertheilung an die Wann- 
ſchaſten beftimmt, Unter vegendichten Dädern ruht der 
Borrath an Korn und PBroviant, defien Eintheilung deu Kö— 
nig ſelbſt überwacht. 

Aus alle dem geht hervor, daß dies Volk einen monar« 
chiſch eingerichteten Staat befigt, wie es nur wenige von 
gleicher Bedeutung in Innerafrika geben mag, und für den 
das halb mythiſche Reich des mächtigen Muatajamwo, deſſen 


| Einfluß wahrſcheinlich bis hierher gereicht hat, das Vorbild 


der Bercitung der königlichen Mahlzeit, die er ſtets allein, mie | 


in Sefellichajt Anderer verzehrt, wechſeln fich feine Frauen ab. 
Was erübrig läßt, wird in eine eigene Örube gefcjlittet: es 
darf von feinem Andern mehr berührt werben. Für jede fei« 
ner Berrichtungen hat er eine eigene Hiitte; für feinen Put 
— Garderobe lann man laum jagen — fogar mehrere. Da 
enthielt die eine nichts als Hüte und Federſchmuck, eine 


abgegeben haben mag. 

Bon den Niam-niam umnterfcheiden fic) die Monbuttu 
zunächſt durch hellere Hautfarbe , welche der des gemahjlenen 
Kaffees gleicht, während die der Niam-niam an die Tafel: 
chocolade erinnert, dann durch geringere Muskelfillle, weit 
ftärtern Bartwuchs und durch das häufige Bortommen blond» 
haariger, ſehr hell gefärbter Individuen, Albinos, deren An- 
zahl der Neifende auf etwa 5 Procent der gefammten Bes 
völferung ſchätzt. Zu diefen gehörte aud) der auf unjerm 
zweiten Bilde dargejtellteBunfa, ein Sohn König Munſa's. 
Alle diefe Naceneigenthüntlichkeiten fcheinen auf eine Ver: 
wandtjchaft mit der großen Bölfergruppe der Fulbe am Se— 
negal hinzudeuten, welche ja nad) eigener Ausfage öftlichen 
Urfprungs find, 





%. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan. 


III. 


Wir hatten unfere frauzöſiſchen Reiſenden auf ihrer mu— 
thigen, fir die Kenntniß Hinterindiens wie des Sudweſten 
Chinas epochemachenden Reiſe in Tung-tfchuansfu vers 
laſſen, welches auf dem rechten Ufer des Nangstje-fiang zwi— 
ſchen 26% und 27° nördl, Br. und unter 103° öſtl. L. v. Gr. 
gelegen iſt. Der Gejundheitszuftand des Commandanten 
be Yagröe hatte fich inzifchen durch die Entbehrungen und 
Strapazen der Reife und die jortdauernde Erregung des 
Geiſtes jo verſchlimmert, daß er den Dberbefehl an Garnier 
abtreten mußte. Er hätte feinen beffern, tüchtigern Mann 
zur Seite haben lönnen; unter feiner Führung beginnt ein 
wahrhaft heroifcher Zug in das Mebellenland, welches das 
mals den ganzen Weſten der Provinz Yılinnan umfaßte. 
Die dinefifhen Beamten der Stadt gaben ſich natürlid) die 
benfbarfte Mühe, von dem gewagten el abzureden; 
man kenne nicht die Gefinnung der mohammedaniſchen Me 
gierung in Tasli, die Wege dorthin feien von Näuberbanden 
bedroht, die Ortſchaften wüft und ausgefogen, die Franzoſen 
würden Hungers jterben u. ſ. f. Und als das nichts fruch— 
tete, ſtedien fie fich hinter den Vrovicarius, Mr, Fenouil, 
welcher in einem langen Briefe feine Landsleute erſuchte, 
ſich nicht ſolchen Gefahren auszufegen, jondern fi) am Ans 
blicle des Yang-tie-fiang unweit Tung-tichuan genligen zu 
lafjen; 15 Tagereifen weiter oben fei es ja immer noch der 
jelbe Fluß; was ulltze es aljo, jo weit zu gehen, wenn man 
ihn in größerer Nähe fehen lönnte. Diefen zwar gut ges 

\ 

*) &, Eeite 33 und 49 dieſes Vandes. 


= 
meinten, aber von wenig jo zu fagen geographiſchem Gifte 
eingegebenen Rath befolgte nun Garnier freilicy nicht, ließ 
ſich vielmehr von feinem kranken Chef einen ſchriftlichen Be— 
fehl auöftellen, worin der Hauptwerth der ganzen Reife nach 
Weften auf eine etwaige Erreichung des obern Mekhong 
(bier Yan-tjang-kiang geheißen, vergl. ©. 198) gelegt wird, 
und brach am 30. Januar 1868, nody während der Yufı» 
barteiten, Feuerwerle und Weite des chineſiſchen Neujahrs 
(25. Yannar), auf. Der ganze Zug beftand aus 4 Euro: 
piern, 2 Tagalen und 3 Annamiten, alle gut bewaffnet, in 
iemlicher Geſundheit und eutſchloſſenen Muthes; dazu 9 
Träger für das möglichft eingefchränfte Gepäck. 

Zuerst ging es über eine wohlangebaute Ebene hin; 
bald aber begann der fteile Abftieg, von deſſen Höhe man 
in dem Meere von Bergen, das den ganzen Horizont erfüllte, 
einen tiefen Einſchnitt geblidte: es war das Thal des Yang- 
tjesfiang, der hier den Namen Kinsticha-fiang, d. hGold⸗ 
fandfluß, führt. Nirgends zeigt fidh der dem chineſiſchen 
Volke eigenthümliche Geiſt des Coloniſirens und des Han- 
delns mehr als bei diefen Handelsftragen im Gebirge, welche 
einen gewaltigen Aufwand an Zeit und Geld erforberten, 
aber ohne jede Staatsunterftügung von einigen Gemeinden 
oder Kaufmannsvereinigungen zu Stande gebradjt wurden 
(ſ. die Abbildung diefer Straße auf ©. 54). Um 31. Jar 
nuar ſah Garnier in der Ferne zum erften Male dic Waſ— 
fer des Blauen Fluſſes, der erfte Europäer feit Marco Polo’s 
Zeiten, weldyer ihn jo weit von feiner Mundung berührte. 
In jener Nacht jclief er im Flecken Mong-ku, der nur 


F. Garnier’: Schilderungen aus Nünnan, 


— - ss 
—— 


3 





Hi: ee 
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IK 





%c 


Altar einer chineſiſchen Pagode, 





278 


200 Meter über dem Strome liegt. Hier herrſchte wieder 
tropifche Vegetation (Bananen, Zuderrohr) und tropiſche 
Wärme, während man noch früh Morgens oben auf dem 
Plateau empfindlich gefroren hatte. Schon hier begannen 
die Schwierigkeiten: fein chineſiſcher Beamter zeigte ſich, 
feine neuen Träger waren e haben und Garnier mußte die 
alten um bedeutend höhern Yohn für die nädhiten fünf Tages 
reifen wieder miethen. Um nach Ta-lı zu gelangen, mußte 
man hier die große übliche Ausbiegung des Blauen Fluſſes 


— 
— 


— 





F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan. 


(zwiſchen 100° und 104° öftl. L. v. Gr.) kreuzen; die erſte 
widjtigere Stadt, welche man nördlich, des Kin-tichasfiang 
ar war das eben jene fünf Tagereifen entfernte Hwei⸗ 
istfchan. 

Am 1, Februar führte eine ftändige Fähre unfere Rei— 
fenden über den 200 Meter breiten Strom; bei 20 Meter 
fand Garnier noch feinen Grund, Aber flußab und flußauf 
hindern bald Stromfcnellen die Schifffahrt. Mit dem jens 
feitigen Ufer betrat er die Provinz Sz'-tſchwanz ebenfo 





Ita, Frau und Wann, 


fteil ging es num wieder bergauf und nad) 4'/, Stunden 
fharfen Steigens lag der Fluß 1200 Meter unter den Rei: 
fenden, nur noch ein ſchmales, blaues Band, aber in horis 
zontaler Entfernung kaum einen Büdfenfhuß von ihnen 
entfernt. Yange Reihen von Saumthieren und Fußgängern 
fliegen vom Fluſſe hinauf auf die eiſiglalte Hochebene, wo 
die im Thale fo brennende Sonne ihre Kraft verlor. Die 
folgenden Tage ging es ftetig bergab und bergauf auf gefahr: 
vollen Wegen, die der num fallende Schnee noch halsbredyen- 


der machte. Um die Anftrengungen etwas zu verringern, 
faufte Garnier drei Pferde; mehr zu thun erlaubte ihm die 
in der Gaffe der Expedition eingetretene Ebbe nicht. Sie 
mußten eben ihren Geldbeutel mehr ſchonen als ihre Beine, 
um nicht den chineſiſchen Behörden mit Borgen allzufehr 
zur Yaft zu fallen. 

Am 3. Februar wurde der höchſte auf diefer ganzen Keife 
erreichte Punkt itberfchritten; das Barometer wies auf mehr 
als 3000 Meter, Die Wilden, welche diefe Höhen bewoh- 


F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan. 


nen, lachten beim Anblic der Fremden; nie waren ihmen fo 
ſchnurrige Menſchen vorgelommen. 

Endlich eröffnete ſich in der Ferne das Thal von Hwei— 
listihau. Trotz des Alles bededenden Schnees war der 
Verkehr auf diefer Straße ziemlich bedeutend: alle Augen: 
blide tamen Transporte von Salz, Kohlen, Pelzwert, Kupfer, 
Farbefloffen und Arzueiwaaren den Franzofen entgegen, wäh— 
rend mit Baumwolle und Baummollenftoffen belabene Ka— 
rawanen in berjelben Richtung, wie fie, zogen. Hwei⸗li⸗iſchau 
beſaß darum auch, troß der immer nod) andauernden Feſt- 
lichkeiten zu Ehren des Neujahrs, ganz das Ausſehen eines 
lebhaften Haudelsplatzes; fabricirt werden dort alle Gegen: 
ftände, welche man beim Reiten, Fahren und Reiſen ge 
braucht, außerdem Gefchirre von Kupfer, von welchem Dies 
talle Gruben in unmittelbarer Nähe der Stadt eriftiren. 





279 


Auch bier liegen es ſich bie Behörden angelegen fein, 
vor der Fortſetzung der Reife zu warnen. Um nun reinen 
Wein über die Zuftände im Yande der mohammebanischen 
Rebellen eingefchentt zu erhalten, jandte Garnier einen Vo: 
ten mit der lateinisch gefchriebenen Bitte um eine Zufanmens 
tunft an dem eingeborenen yrifllihen Pater Lu, welcher 
unweit ded Zuſammenfluſſes des Ya⸗lung und Yangstje 
wohnte, und am den ihn der Provicar in Tungstichuan em: 
pfohlen hatte. 

An 7. Februar ging es weiter, nachdem der Aufenthalt 
in dem Marftorte benugt worden war, um das Reitzeug zu 
ergänzen, Uber trog der größten Aufnterffankeit der Frau— 
zofen hatten die verſchmitzten Chinefen es doch verftanden, 
alte zerriffene Pferdedecken (deren Tuch ruſſiſches Fabrikat 
war) und zerbrochene Gebiſſe ihnen in die Hände zu ſpielen. 


Dan: tie: Tupen. 


Schon am zweiten Tage ging es bedeutend bergab in wär— 
mere Luſtſchichten, welche nicht wenig zur Erholung ber Reis 
jenden beitrugen, welche in Dong«pusfo drei Tage rafteten. 
Es ift das ein großer Markifleden, 10 Kilometer vom Yang⸗ 
tfe entfernt und damals, wie die ganze Yinie des Wang-tie, 
von ben Kaiſerlichen ſtark befegt, weil die Rebellen kürzlich 
einen allerdings verunglidten Borftoß gegen die Provinz 
Sy-tjhman gemacht hatten. Won dort aus beſuchten bie 
Franzoſen am 10. Februar die 14 Kilometer entfernte Cons 
fluenz des Ya⸗lung und Yang⸗tſe zu Pferde. Hier ift der 
legtere nicht von jo teilen Felſen wie bei Mongstu einge 
ſchloſſen; vielmehr führt ein fanfter Abhaug an fein Ufer 
hinab, während der Ya⸗lung durch eine wilde, unzugängliche 
Felsoſchlucht brauſt. Beide Ströme hatten damals bei ihrem 
Zufammenfluffe eine faft gleiche Waflermenge; aber die Con: 





figuration dr Berge läßt doch ſofort den Mang-tje als den 
Hauptſtrom erfennen, 

Am folgenden Tage eridyien Pater Lu, ein junger, 
feiner, aber jchener Mann, und gab keineswegs fehr befrie- 
digende Aufjchlüffe Uber den weiten Weg, Die birecte 
Strafe nad) Tasliefu war zwar niemals für die Kaufleute 
verſperrt gewefen, aber noch immer hatten die Aufftändifchen 
Leute mit leeren Händen zurlückgeſchidt. Augenblidlich fei 
jedoch die Straße ſehr umficher und von Lebensmitteln ent: 
blößt. Zudem erfah Garnier aus den Mlittheilungen bes 
jungen Priefters, daß es ihm unmöglich fein witrbe, mit 
Vermeidung der Mohammebaner big an den Überlauf des 
Mekhong vorzudringen; denn nörblid von jenen ſäßen bie 
wilden Man⸗iſe oder bie Liſſu (f. Über dieſe S. 198), welche 
feinen Fremden in ihr Yand eindringen ließen. Garnier 


280 5. Garnier's Schilderungen aus Nürman. 


beſchloß alfo, den Lowen im feiner Höhle aunfzufuchen umd in | Ortes. Am folgenden Tage war Markt; in Menge ftie: 
Taslisfi jelbft fich die Erlaubniß zu holen, bis an den Miefhong | gen die wilden Bergbewohner dazu herab und boten reich- 
vordringen zu bürfen. lidyen Stoff zum Studium neuer Typen und neuer Tradı- 

So ging es denn weiter, erft auf einer Fähre über den | ten. Diefe Gegend ift reich an Mifchbevölferungen: da find 
Harlung-fiang, der aus dem fernen Norden lommt, dann | zuerft die Pa⸗y, welche mit den Yaos in Beziehung ftehen 
amt linfen, nördlichen Ufer des vielfach; gewundenen und ſich und welche mit den Stämmen der Telu, Tern, Arru, 
mehr und mehr einfchneidenden Phang-tfe-ttang hinauf, deffen | Didſchn, Yır-tfe vom Ya-lung bis zum JIrawaddi hin das 
Beſchiffung die ſich von Zeit zu Zeit wieberhofenden Riffe Yand inne haben, Andere Stämme von ganz verfchiedener 
und Stromfchnellen unmöglich machen. Nur Baumflämme | Herkunft und Sprache feinen fich den Urbewohnern mehr 
aus den großen Wäldern um Yirkiang werden auf ihm | zu nähern: es find die I-Tia, auch Pelolo oder weiße 
hinabgeflößt und auch diefe zerjchellen mitunter am den | Yolo genannt, welde einen Zopf wie bie Chinefen tragen, 
Felſen. und deren Frauen dad Haar im zwei Flechten theilen; dann 
Vor Ma— ſſchang beſuchten die Franzoſen Gruben, die | die Heſlolo oder ſchwarzen Yolo, die ſich mit ihren langen 
finmittelbar amı Fluſſe liegen und eine ſchlechte Kohle liefern, | Haaren für befler als jene halten; endlich die wildeiten von 
welche nur in Geftalt von Koles zu verwenden geht, Der | allen, die Liſſu und Man⸗iſe. Einige diefer Stämme ſchei 
Gebrauch dieſes Brenmmateriald erheifcht die Anlage von | nen entſernt mit Tribus des nördlichen Aſſam verwandt zu 
Scerufteinen, feit langer Zeit die erſten, welche die Rei- : fein, vielleicht auch mit den indifchen Kol uud den Mon 
jenden zu fehen befamen. Die Chriſten des Ortes holten | von Pegu. Die Namen, welche fie von ben Chineſen er: 
die Aufönmlinge zu Pferde ein, und in zahlreicher Gaval: | halten, haben nur eine fehr umbeftimmte Bedeutung und 
cade zogen fie zufammen durch die einzige, lange Straße des | dinften faum ald Grundlage einer erufthaften Elaſſiſicat ion 








Ansicht auf den Kin-tſcha-kiang auf dem Wege nadı Ta-li, 


dienen. So bedeutet I Barbar, Frembling, und kia Fa: | Am 16. Februar wurde der Blaue Fluß wieder überjchrit- 
milie, Race; und mit Yolo bezeichnen fie fat alle micht | tem und bald auf feinem füdlichen Ufer die Höhe von 2000 
chineſiſchen Bölterfchaften ihres Neiches. Diefe Namen wer: | Meter (Masichang liegt nur 300 Meter hoch), die Durch: 
den aber von den betreffenden Tribus wie eine blutige Be: | fchmittserhebung der dortigen Hochebene, erreicht. Wie groß 
leidigung betrachtet. Die Lolo nennen fich felbit Tu-tia | bier fchom die Unficherheit und die Furcht der Bewohner 
Autochthonen, Eingeborene) oder TZfjchin-fi (filtern). Das | war, beweift der Umſtand, daß die Leute eines Meierhojes, 
Wild der beiden Ita auf &. 278 zu zeichnen foftete Hru. den ſich die Franzoſen zum Nachtquartier erjchen hatte, 
Delaporte große Mühe und UWeberredungstunft, weil die | bei ihrem Nahen flüchtefen. Nur ein altes Weib blieb zu: 
Wilden glauben, daß jede Perfon, deren Züge abgenommen | rlid, mit deren Hilfe die Entflohenen beruhigt und zuriid- 
werden, töbtlich frank wird, erufen wurden. Nun wollte Hr. de Carnö die Pferde 

Ju der Umgegend von Ma-fchang giebt es zahlxeiche füttern und als Krippe einen jener leeren Särge wählen, 
Wölfe, welche im Winter, von Hunger getrieben, die Vich- | die fic) in allen chinefiihen Häufern finden und den Be— 
böfe heimſuchen. Darum find hier Steinfdloß- und Per: | wohnern im Voraus als werthvollſtes Geſchenl von Freun: 
cuffionsgewehre fehr gefucht, während man von Yunten- | den dargebradjt werden. Als aber der Dedel den Bemü— 
flinten nichts wiſſen will, da ber Wolf felbige fofort wit: | hingen des Fremden Widerftand leiftete, bat die Hausherrin 
tern foll. mit Thränen in den Augen, davon abzujtehen: der Befiger 

Neue Träger wurden gemiethet, ebenfo eim zuverläffiger | des Sarges war darin gebettet. 
Reiſemarſchall, der jchon den franzöfifchen Prieftern in jener Am folgenden Morgen ging es zuerft durch Fichten- 
ii gedient hatte, officielle Beziehungen beſaß uud es | wälber, dann durch ein Dorf der I-fia, deren Häufer, In- 
verftahb, mit den Manbarinen ein Wörtchen zu fprechen. | duftrie und Culturen ſchon ſtarken, chineſiſchen Einfluß zeig: 


e 
) 


\ 


Ein Beſuch des Grabes des Gonfucius und des heiligen Berges Tai. 


ten, und am Abend betrat man zuerft mohammedantjches 
Territorium. Die Gegend mar ſchwach bemohnt, aber 
pittorest. Die Abhänge waren bewaldet umd blühende Rho— 
dodendren und Gamelien wiegten fi) über den Schluchten 
ber Gießbüche. 

Am 19. Februar erreichten bie Reiſenden wieder bie 
directe Straße von Hong-pur-fo nad; Tali, von ber fie abs 
—— waren, um das weſtlicher gelegene Ma⸗ſchang zu 

ſuchen. Sofort war der Weg wieder mit Handelskarawa⸗ 
nen belebt, welche famen und gingen, und bald darauf er 
reichte man das erfte Zollhaus der Mohammedaner, welches 


281 


im wohlbevölferten Thale des norbwärts zum Pangstfesfiang 
fließenden Pe-masho lag. Mit neugierigen Bliden vers 
folgten die Soldaten bie ungewohnten Erfcheinungen, richte: 
ten aber an fie kein fragendes Wort. Und als im Nacht: 
quartier ein untergeordneter Offizier heftig und immer hefs 
tiger die Päfle der Frauzoſen forderte, verweigerte fie ihm 
Garnier entjchieden, feſt entichlofien, nur mit hohen Wir: 
benträgern ber Nebellen zu verkehren und fic von den klei— 
nen nicht einfchlichtern zu laſſen. Er jeßte feinen Willen 
burch und fonnte am folgenden Morgen unbehelligt feine 
Reife weiter nad; Weften fortjegen. 


Ein Beſuch des Grabes des Confucius und des heiligen Berges Tai. 


I. 


Am andern Morgen ftellte Dr. Fritſche feit, daß 
Tſi-nan-fu in der Breite von 36% 40,4" und 117% ı' 
öftl. v. Or. liegt. Dann zogen wir weiter und vom einen 
Hügel warfen wir noch einen NRüdblid auf die Stadt und 
erftaunten über ihre gewaltige Größe. In einer völligen 
Ebene Tiegend wird Zfirman-fu im Norden von zwei jents 
recht auffteigenden hohen Felſen überragt. Weftlich, kaum 
eine Meile von und entfernt, floß der jegige Hauptarm des 
Hoang-eho, in den Geſchichtobüchern Chinas „die Sorge 
des Reichs“ geheißen. Oftmals die Tiefebene durch Ueber 
ſchwemmungen verwüſtend, hat er den untern Theil feines 
Laufes bald in den Golf von Pe—tſchi⸗li, bald nach Suden 
ins Gelbe Meer gewendet und mehrfach ſollen Millionen 
Menſchen das Opfer feiner Launen geworben fein. Bor 
etwa zehn Jahren durchbrach er die während der Rebellion 
vernachläffigten Eindeichungen in ber Nähe von Kaisfung-fu, 
der Hauptitadt der Provinz Ho-nan, und ſich nördlich 
wendend und dem großen Canal burchjchneidend verband er 
fic mit dem Tastfimg-ffluffe und in deſſen unendlich er- 
weitertem Bette wälzt er jest die Hauptmaffe feines Waſſers 
dem Pe⸗tſchi⸗ li⸗Golfe zu. 

Nachdem wir einige Meilen fortgegogen, gelangten wir 
wieder in —— In dem Meinen Dorfe Kai-fhan 
machten wir Mittag, und hier fand ich einen ganz in Granit 
gehauenen Brunnen, deffen Tiefe 150 Fuß beträgt. Im den 
Rand des umfaſſenden Gefteins haben die zum Heraufziehen 
der Eimer benugten Stride, wohl im Laufe von Jahrtau— 
fenden, zolltiefe Rillen eingefchnitten. 

Bon Kai⸗ſchan zogen wir auf einer großen, ehemals 
prächtigen, jegt aber ftarf verfallenen Heerjtraße weiter und 
bald gelangten wir in eine romantiiche Gebirgsgegend: 
fchroffe Felspartien, jchäumende Gebirgswafler, ſchattige 
Berghänge und fonnige Waldlichtungen und in ben ſorgſam 
angebauten Thälern Meine freundlich gebaute und reinlich 
gehaltene Dörfer und wohnlich ausfehende Weiler, halb ver 
ftedt unter mächtigen bunten Cypreſſen und mit Frllchten 
beladenen Obftgärten. 

Spät am Abend erreichten wir das Derthen Wanste- 
tihen und übernadjteten in dem überaus ärmlichen Wirths- 
Haufe. Zum Abendbrot und Fruhſtück genofjen wir außer 
Kaffee'nur köſtliche Weintrauben, welche im mädjfter Nähe 
gewachſen waren, Mit Sonnenaufgang weiter ziehend, 
tamen uns gegen acht Uhr Morgens hohe Berge in Sicht. 
Es war bies der Taisfchan, an deſſen Nordfeite wir uns 
befanden, und ihn im weitem Bogen umziehend erreichten 
wir gegen ein Uhr Nachmittags die an feinem füdlichen 

Globus XXVIN. Nr. 18. 


-dafjelbe Ziel wie wir hatten. 


Fuße liegende Stadt Tairan-fu. Wir legten unfer Ge: 
päd in einem Wirthshauſe nieder und mietheten ſofort zwei 
Sänften oder vielmehr Stühle, von denen jeder durch zwei 
Männer, die ein Referveträger begleitete, getragen wurde. 
Auf einem mit colofalen Granitquadern gepflaftertem Wege 
gelangten wir raſch an den Fuß des heiligen Berges und 
langfam begann jest das Auffteigen. 

Der Weg wurde bald fteiler und von Zeit zu Zeit 
zeigten fich breite fteinerne Treppenſtufen. Im tten 
eines künftlich gepflanzten Eyprefjenhains und an unzähligen 
großen und Heinen Tempeln, Monumenten und Bogenthoren 
vorbei ging es weiter in die Höhe. Ein hübjcher Waſſer- 
fall kam zu Geficht, der aus einem weiten Felsbeclen, wel- 
es lunſtlich gefchloffen ift, geſpeiſt wird. 

Bald hatten wir jenen Punkt erreicht, wo ber Gage 
nad) Confucius bei Befteigung des heiligen Berges wie- 
der umgelehrt fein fol, und iſt zum Andenken hieran eim 
Meiner Tempel errichtet. Ich verließ jegt den Tragſtuhl 
und ging und ftieg den Trägern nad. Etwa eine Stunde 
fpäter erreichten wir ein zur Bequemlichkeit der Wallfahrer 
errichtetes Theehaus, und nachdem wir uns da etwas erquidt, 
weibeten wir unfere Blide an der herrlichen Ausſicht. Tief 
unter und, nach Süden zu, lag eine unabfehbare, fonnens 
beſchienene Ebene, mit nicht zu zählenden Städten und Dör- 
fern, mit vielfarbigen Fruchtfeldern und durchzogen von 

hlreichen Flüſſen, Bächen und künftlichen Waſſerſtraßen. 
—* der andern Seite zeigte ſich, getrennt durch ein dunf- 
les Thal, die höchſte Spige des Berges, zu ber ſich die in 
ber Sonne glänzenden Stufen einer granitenen Riefentreppe, 
ähnlicd, einer ungeheuren Schlange, in bie Höhe wanden. 

Unfere Träger drängten zum Weitergehen, und bald ge 
langten wir in das vorhin ſchon gefehene von Klippen und 
Höhen umfchloffene Thal, welches dicht mit uralten Eypref« 
fen bewachfen ift. Einfam und ftill war es hier, fein Thier, 
fein Bogel zeigte ſich, und felbft die zahlreichen frommen 
Bettler, die uns bis in die Höhe des Theehauſes mit Ditt- 

ängen, Schreien und Jammergeberden begleitet und ver⸗ 
olgt hatten, waren verſchwunden. 

Der Fuß des hödjften Gipfel war nunmehr erreicht, 
und nod; fteiler ging es jegt auf der großen Gteintreppe 
bergauf. Ganz erichöpft machten wir im eimem zweiten 
Theehauſe Station, wo wir zwei Mandarinen trafen, welche 
Sie erzählten, daß fie in 
Szestichuan, einer im äußerften Weſten Chinas gelegenen 
Provinz, zu Haufe ſeien. Später gedachten fie nad; Tſi— 
nan⸗fu zu gehen und auch bie nördlichen Seehäfen zu beſuchen. 

36 


282 


Inzwiſchen begann es zu dunkeln. Wir ftiegen wieber 
bergauf: Über ums glängte der Scheitel bes Berges im 
legten Abendfonnenfchein, unter uns ſchickten bie Thäler ihre 
weißen Nebel hinauf, Unfer Weg wurde jegt eine ununter« 
brochene folge riefig hoher Treppenftufen, am deren einer 
Seite, an fteinernem Pfeiler befeftigt, ſich eine ftarfe eiferne 
Kette ununterbrochen in die Höhe zog. 

Die Sonne war untergegangen. Ein heftiger Wind ers 
bob ſich und Hilllte und in dichte Nebelwollen. Eiſig kalt 
wurde es und die Frühe wurden mir fchwer wie Blei. In 
die Sänfte mochte ich jedoch mid) nicht ſetzen, weil ic, ben 
Trägern in der Dunkelheit nicht traute. Mit Aufbietung 
meiner legten Kräfte fchleppte ich mic; bis zu einem Tem⸗ 
pel, wo wir zu libernachten beſchloſſen. Die Mandarinen 
nahmen hier von uns Abſchied, da fie ihr Gepäd und ihre 
Borräthe mad, einem noch etwas höher liegenden Punkt 
voraudgefandt hatten. 

Im einen Meinen rauchgeſchwärzten Anbau fchlugen 
wir unfer Nachtquartier auf. Mein Gefährte ſchlief fofert 
ein, ich aber wachte noch lange. Der Wind war jet zu 
einem Orcan geworben und im gewaltigen Strömen ſchoß 
ber Regen nieder. 

Am Morgen hatte der Sturm ausgetobt, aber die ganze 
Gegend war in Nebel gehlillt. Da keine Ausficht war, daß 
das Wetter fich ändern werde und Dr. Fritſche ſich oben« 
ein erinnerte, ba der in Talsanefır zurlickgelaſſene Chrono 
meter aufgezogen werbe müffe, gab er die weitere Befteigung 
des Berges auf, nachdem er mir zuvor Barometer, Thermo: 
meter und den Apparat zum Soden des Waffers übergeben 
hatte. Nicht ohne Beſorgniß fah ic) ihn dann die fchllipfe 
rigen Treppenftufen hinabfteigen und im Nebel verſchwinden. 

Ic) fuchte nun meine Belannten von geftern auf und 
fand fie unweit des höchften Gipfels in eimem großen tavifti« 
fchen Tempel, mit dem Morgenimbiß bejchäftigt. Sie luden 
mid) zur Theilnahme ein, und da ich außer einigen Cales 
nichts genofien, ließ ich mir den Thee, das Brot und bie 
Eier gut ſchmeden. Da keine Ausficht auf Menderung des 
Wetters war, machten wir uns gleich nach Beendigung des 
Frühftüds an die völlige Befteigung des Berges. 

Ein junger Priefter war unfer ihrer. Nachdem wir 
eine Biertelftunde geſtiegen, und ich hierbei Gelegenheit ger 
habt hatte zu bemerken, daß meine Lederſtiefel für derartige 
Ercurfionen eine weitaus ſchlechtere Fußbelleidung als die 
Filzſchuhe der Chinefen waren, erreichten wir einen Fleinen 
Tempel, im defien Hof die höchſten Felsſpitzen eingefchloflen 
find. Dort machte id) die mir aufgetragenen wiſſenſchaft⸗ 
lichen Notirungen und hat ſich danach für den Tai⸗ſchan 
eine Höhe tiber dem Meer von 1545 Metern ergeben. 
Hierauf begab ich mich im den Tempel, wo ic; meine Be 
gleiter mit Andachtslibungen befchäftigt fand, Diefe beftan- 
den in ſtummen Berbengungen, Wendungen und Drehungen 
bes Körpers dor dem nichts weniger als ſchönen und ſiarl 
derwitterten Gögenbilbern, und das Ganze bot ungefähr ben 
—8 Anblick, wie ein in Arbeit beſindliches heilghinnaſtiſches 

nftitut, 

Nachdem meine Gefährten ihren religiöfen Bebltrfniffen 
genligt hatten, begaben wir und nad) jenem Tempel zurüd, 
wo wir am Morgen gefrüihftiict hatten. Im dem Hauptſchiff 
beffelben wurden jegt eine Menge Wachskerzen angezitndet, 
und nun ging es an ein neues Verbeugen, Drehen und 
Grimaffiren. Inzwiſchen fchlenderte ic) in den umliegenden, 
theils ſchon zu Ruinen gewordenen Baulicjfeiten umher, in 
deren Mauern viele große, aus Kupfer getriebene Gedent⸗ 
tafeln, zum Theil von fanberer Arbeit, eingelaffen find und 
zwifchen denen hier und dort auf halb verfunfenen Poftas 
menten ganz ähnliche große Steinunen ftehen, wie man fie 


Ein Befuch des Grabes des Confucius und des heiligen Berges Zai. 


bei uns zur Rococozeit in Gärten und auf Brüdenbaluftra- 
ben aufftellte. Nunmehr hörte ich ganz nahe Flötenblafen: 
eine jener uralten, höchſt einfachen, aber unendlich melancho⸗ 
lifchen Melodien, an denen die chineſiſche Muſik fo reich ift. 
Die Töne rührten von einem uralten weißhaarigen Priefter 
her, der auf einer umgeftürgten, zwifchen Farrenkräutern fat 
vergrabenen Säule wie ein Bild der Vergänglichteit ſaß. Un— 
bemerkt von ihm brücte ich mich an eine Wand und Laufchte 
den Tönen und dachte dabei, wie viele Fußtritte wohl dazu 
are haben möchten, die vor mir liegenden granitenen 

hürfchwellen fo tief auszutreten. Seit viertaufend Jah-⸗ 
ven wird biefer Berg in der Gejchichte Chinas als hochheili= 
ger Ort genannt, 

Meine Mandarinen waren inzwiſchen auch hier fertig 
geworben und einer Fam mich zu fuchen, daß wir bie Rück⸗ 
fehr antreten möchten. Wir festen und im unfere Sefjel 
und nunmehr eilten die Träger im Lauf und Sprung mit 
uns hinunter, Bald gelangten wir in warmen Sonnens 
ſchein und nad einigen Stunden waren wir in Taisan-fu. 

Beim Cingange in die Stadt verabſchiedeten fich die 
Mandarinen mit vielen Complimenten. Ic, begab mich in 
unfere Herberge, wo ic; meinen Begleiter fand, und nachdem 
ic) eine tüchtige Mahlzeit im Pfirfichen,, Apfelfinen und 
Beintrauben gehalten, die eine Süße, Saftigfeit, Größe 
und Aroma bejaßen, wie ich es bis dahin nicht fr möglich 
gehalten, fühlte ich mich wieber völlig frifh. Diefe köſt— 
lichen Frücte werden an den füdlichen Ausläufern des Tair 
ſchan gezogen. 

Wir befuchten nod ben inmitten der Stadt auf einem 
riefigen Unterbau von Granitquabern gelegenen Tempel, 
in welchem fich viele Monumente, theil® aus Holz, theils 
aus Sandftein, theild aus Kupfer gearbeitet, befinden, auch 
allerlei Bilder, in denen die Menſchen ähnlich jchlanf und 
langhändig und ohme Beobachtung aller perjpectivifchen Ge 
fege dargeftellt find, wie auf manchen unferer alten Kir)» 
lichen Bilder, Dann fegten wir und wieder in umfere 
Schantzüs und traten bie Weiterreife an. 

Gegen Abend kamen wir in eine große Ebene und nahe 
men unfer Nadjtquartier in dem Orte Ta⸗wau-ku. Am 
näcjften Morgen paffirten wir auf einer langen gut erhal» 
tenen Brüde den Taswausluß. Zu Eonfucius’ Zeiten 
bildete biefer die Grenze zwiſchen dem Ländern Tſi und Pu, 
welche in der ältern Geſchichte Chinas viel genannt werden. 
Es ift ein tiefes und reigendes Gewäſſer und dient jetzt da- 
zu, ben großen Canal zu fpeifen. In dunkler Nacht erreich« 
tem wir Kitefur, das alte Lu. 

Mit dem Wirth der verhältnißmäßig guten Herberge 
nahmen wir fogleic, wegen eines Führers für morgen Rüd- 
Sprache, und vom fchönften Wetter begüinftigt traten wir am 
nädjften Morgen zu Fuß die Wanderung zu ben heiligen 
Grabftätten Chinas an. 

Dicht vor der Stadt, vergraben in einen Hain von ur 
alten Cypreſſen, fteht der Tempel des von Confucius oft 
genannten und ald Muſter von Tugend und Weisheit ges 
priefenen Herzogs Tſch au. Er lebte etwa 1150 Jahre vor 
Chriftus, und fein Bruder, den er durch feinen Einfluß und 
feine Talente unterftügte, gründete um 1121 v. Chr. bie 
ZTichau- Dynaftie, welche China lange Zeit beherrſcht hat. 
Eine Allee von Denttafeln und mächtigen Bäumen führt 
auf das Hauptgebäude zu, in welchem die in übermenſchlicher 
Größe und im figender Stellung gearbeitete Statue des Her · 
zogs Tſchau ſich zeigt. Sie ift roh aus hartem Holze ger 
ſchnitzt und aud) die Bemalung ift äußerft primitiv, jo dag 
das Werk, abgefehen von feinem ſehr hohen Alter, fein Inr 
tereffe bietet. Rechts und links von diefer Figur fiehen die 
Frau und der Sohn des Herzogs von gleicher Beſchaffen- 


Ein Beſuch des Grades des Gonfucius und bes Heiligen Berges Tai. 


beit. Weiter war im den öden Räumen nichts zu fehen; | 
' gelegenen großen Tempel des Confucius. Es iſt diefes ein 


und weiterfchreitend gelangten wir an einen Pla, welcher 
ben Namen Wönslistang, das heißt „Halle der erkun— 
digten Schicklichkeit“, trägt. Hieran müpft ſich folgende 
in den Büchern des Confucius erzählte Geſchichte. 

ALS der Meifter den Tempel betrat, erlundigte er ſich 
aufs Genauefte nad) den dort geübten Ceremonien und Ges 
bräucden, Einer ber Prieſter meinte, es fei jonderbar, daf 


Jemand, der fortwährend Anderen in dergleichen Unterricht 


ertheile, ſich hiernach erlundige. Confucius erwiederte: 

„Eine der von mir gelehrten Regeln iſt eben die, über alle 

ſolche Angelegenheiten möglichſt genaue Nadjrichten einzus 
iehen.* & nüchtern wie diefe, Klingen faft alle chineſiſchen 
toralhiftorien und Sentenzen. 

Im einem dachloſen, zerfallenen Hintergebäube zeigte 
man und noch ein duch Schmug faft unfenntlid, geworde⸗ 
ned Bildniß des Confucius, welches in Relief aus dem 
Stein herausgearbeitet ift und aus Yebzeiten des Meifters 
datiren fol. Wir gingen dann weiter nad) dem eine halbe 
Meile öftlich gelegenen Grabe des Kaiſers Shau-hau, 
welcher um 2500 v. Chr. gelebt haben ſoll. Daflelbe liegt 
hinter einem dem Helden zu Ehren errichteten Tempel, in 
einem von hohen Mauern umfchloffenen Hof und wird von 
gewaltigen Eyprefien überfchattet. Die Chinefen nennen es 
den Berg von zehmtaufend Steinen; es bildet auffallenber 
Weife eine Pyramide, deren Höhe etwa dreißig Fuß beträgt, 
während jede Seite fünfundvierzig Fuß mißt. Die Pyra- 
mide fommt in ganz China nicht weiter als Baulicfeit vor. 

Zurüdtehrend pafjirten wir ben Begräbnißplatz des 
Son⸗Hwumy, des Yieblingsichlilers des Confucius, und feiner 
Nachlommen. Unter uralten Bäumen befinden ſich Zaufende, 
größtentheild verfunfene und verwitterte Örabfteine; denn 
es ift Sitte, daß alle Nachlommen berühmter ober vorneh- 
mer Chinefen neben ben Gebeinen ihres Ahnen beftattet 
werben, und eim jeder folcher Begräbnißplag bildet ein uns 
verlegbares ‚Heiligtum. Ueber Felder und Wiefen erreich- 
ten wir dann den großen Baumgang, weldyer zum Grabe 
des Confucius führt. 

Die Cypreſſe ift der Lieblingebaum ber Chinefen, und 
aus diefen und zwar aus Eremplaren, welche bis funfzehn 
Buß im Umfange haben, befteht die Alle. In derfelben 
befinden ſich verfchiedene maſſive Brüden und mehrere präd)- 
tig gejhmüdte, triumphbogenartige Monumente, Endlich 
gelangten wir an einen ummauerten Pla, deſſen Pforte 
bei unferm Nahen gefchlofien wurde. Obſchon der Durd), 
gang fonft frei ift, konnten wir doch die Deffnung erft nadı 
langem Handeln und nachdem wir ein Trinfgeld von etwa 
15 Sgr. jpendirt, erreichen, und wir wurden jehr ärgerlich, 
als ſich das gleiche Gaunerſpiel bei den noch folgenden zwei 
Pforten wiederholte. Endlich waren wir am Ziel. 

Am Rande eines Cypreſſenwaldes, von mächtigen Bäu« 
men überfcyattet, bezeichnet ein etwa vierzig Fuß hoher Erd» 
hügel die Begräbnißftätte, und am dbemfelben iſt eine gewals 
tige, oben abgerundete Gebächtniftafel aufgerichtet, welche 
auf einem von Drachen getragenen Sodel ruht, Das ganze 
Denfmal ift höchſt einfach und zeigt nichts von jenen 
Schnörkeln, welche gewöhnlic, hinefifchen Kunfterzeugniffen 
eigen find, imponirt aber eben dadurch und durch die Größe 
feiner Berhältniffe. Nicht weit davon befindet ſich das 
Grab des Sohnes des Confucius Li und feines als Philo- 
fophen berühmten Enfels Szu⸗Tzu, weldyer der Berfaf- 
fer eines der fogenannten vier claſſiſchen Bücher if. Noch 
eine Maffe anderer Familiengräber find nahe herum, und 
auch noch viele andere Grabfelſen, wie denn überhaupt die 
Gegend um Ku-fu dafjelbe für China ift, was die Weit- 
minfterabtei fir England. 


1} 





283 


Am Nachmittag befuchten wir den innerhalb ber Stabt 


riefiges Gebäude und übertrifft an Pracht und Ausdehnung 
weit alle chineſiſchen Baulichteiten, welche ich bisher gefehen 
habe, Herrliche aus einem Stüd beftehende Steinfäulen, 
auf denen rieſige fich um fich felber windende Drachen in 
Relief heransgearbeitet find, und vieredige Pfeiler mit aufs 
Sauberfte und Naturwahrfte ausgeführten Oravirungen von 
Dlumen und Blättern ſchmücken die Fagade und tragen das 
Dad. Im Innern finden ſich die Bildſäulen des Confus 
cius und feiner bebeutenderen Schliler, alle figend bargeftellt 
und theilweife matlirlic und gut gearbeitet. Auf einem 
großen Poftament oder Altar liegen und ftehen eine Menge 
gotte&dienftlicher Geräthe, denen zum Theil ein Alter von 
2000 Jahren zugefchrieben wird. Selbige find theils von 
Silber, theild von Kupfer und Eifen, theils von Porcellan, 
Thon, Horn und Elfenbein, und die darauf befindlichen 
Figuren und Zeichnungen ähneln zum Berwechjeln denen, bie 
man auf den jegigen chinefifchen Kunfterzeugnifien fieht. 

Neben dem Haupttempel befinden ſich eine Maſſe Neben« 
tempel und Capellen. Einige find den Eltern, andere andes 
ren Verwandten des Weifen gewidmet, und in der einen 
befinden fic drei im große Marmortafeln gravirte Porträts 
von ihm, die ihn ald jungen Mann, im reifen Alter und 
als Greis darftellen. Weiterhin find einhundertundzwangzig 
Marmortafeln in die Wand eingelaffen, welche Scenen aus 
dem Leben des Meifters darftellen und gleid) nad) feinem 
Tode verfertigt fein follen, 

Noch durdhichritten wir eine wahre Unzahl lirchlicher 
Gebänbe, von denen einzelne nur durch Brüden zugänglid, 
find. Da wir feinen Zmwed derjelben erkennen konnten, 
empfanden wir bald einen verwirrenden und töbtlich ermll⸗ 
denden Eindrud und ganz erfchöpft langten wir fpät am 
Nacymittage wieder im Wirthähaufe an. Kl-fus Lage ift 
von Dr. Fritſche, wie folgt, beftimmt: Breite: 35% 36,2; 
öftliche Yänge von Greenwich: 117° 0,2, 

In Küsfu vefidirt aud) das Haus Confucius, deſſen 
Bamilienhaupt kaiſerliche Ehren geniegt und vom großen 
Haufen noch Höher geachtet wird, als der Kaiſer felber. 
An feinem Hoflager befindet ſich die Elite der chineſiſchen 
Philoſophen und Philologen, und gemeinjam mit legteren 
ftellt er die neu einzuführenden Schriftzeichen fef. Ob— 
ſchon man von folden bereits vierundzwanzigtaufend bejigt, 
werben dennoch faſt alljährlic eins oder mehrere neue hinzus 
gefelt. Der Palaſt, worin diefer Here mit feiner gelehr- 
ten Umgebung hauft, ift ein Conglomerat ungeheurer Bau« 
lichteiten, welche wohl an funfzig preußiſche Morgen bededen ; 
in das Innere bim ich jeboch nicht eingebrungen. Noch 
wurde mir ein Geſchichtchen von dem Herrn erzählt, wor 
durch der Erzähler einen Beweis für bie Confucius'ſche 
Erbweisheit erbringen wollte, und da es echt chinefifchen 
Geift athmet, theile ich es mit. 

Der jegige Confucius reifte vor längerer Zeit nad; Per 
fing, um ben Kaiſer zu befuchen, was ihm nämlich), zu jeder 
Zeit geftattet ift. Beim Eintritt in das kaiſerliche Gemach 
wiberfuhr ihm aber die Verdrießlichkeit zu ftolpern und platt 
auf die Erbe zum fallen. „Es jcheint,* rief die anweſende 
Kaiferin ihm zu, „daß umfere Thürftufen doch Höher find, 
als die eurigen,“ — „Das mag fein,“ entgegnete ber Ge 
fallene, „aber die meinigen find dauerhafter.“ Man muß 
voiffen, daß hohe Thurſchwellen zu haben, ein Privilegium 
chineſiſcher Vornehmheit ift, und waren denn auch in dem 
vorhin erwähnten Tempel des Confucius biefelben zwei Fuß 
hoch und anderthalb Fuß breit. Daß feine Schwelle bauer- 
hafter,, durfte der Gefallene deshalb jagen, weil fein Ge— 
fchlecht ſchon feit dreitaufend Jahren hochberükmt in China 

36* 


284 Albin Kohn: Schilderungen 
ift, während bie jet regierende Dynaſtie erft vor einigen 
hundert Jahren aus dem Dunkel hervortrat, 

Am nächften Morgen traten wir die Rüdreife an. Im 


innerafiatifcher Zuftände, 


Kai⸗ſchan trennte ſich Dr. Fritfche vom mir, um die große 
Straße nad) Peking einzufchlagen. Am 30. September er 
reichte ich wieber Tichi-fi. 


Schilderungen innerafiatifher Zuftände. 
Bon Albin Kohn. 


u. 


Die Tanguten find, wie ihre Nachbarn, die Mongolen 
und (im Süden) die Tibetaner, eifrige VBerehrer Buddha’s, 
und, wie alle auf niebriger Bildungsftufe ftehende Völter, 
unendlich abergläubiſch. Sie glauben an Heren und Wahr 
fagerei und vertrödeln, wie manche höher civilifirte Völker, 
ihre Zeit mit Proceffionen, denn jeder rechtgläubige Tangute 
hält es für feine Pflicht, möglichft oft nad) Yafja zu pilgern, 
um dort Buddha und feinen Stelvertretern auf Erden feine 
Huldigung und mehr noch fein Opfer barzubringen. Fana— 
tifer führen diefe Wallfahrt nad) dem innerafiatifchen Bati- 
can alljährlic, ein Mal aus, doc) ift hervorzuheben, daß in 
den von Tanguten bewohnten Gebieten weniger Tempel und 
Klöfter eriftiven, als in anderen Gegenden, wo der Bubdhas 
cult herrſcht. a genießen die Yamas und Higenen 
(Möndye) bei den Tanguten diejelbe Verehrung wie bei den 
Mongolen und man begegnet ihnen auf Schritt und Tritt. 
Sie leben Übrigens, wie andere Sterbliche, größtentheils in 
fchwarzen Zelten, und zeichnen ſich vielleicht nur dadurd) vom 
gemeinen Manne aus, daß fie ſelbſt nicht an das glauben, 
was fie lehren. 

Nach Vermikin Herrfcht bei den am Kofjogolfee auf ber 
Stibfeite des Sajangebirges wohnenden Urjänden bie 
Eitte, ihre Todten nicht zu begraben, und denfelben Gebraud) 
findet man auch bei den Tanguten, welche die Leichen ihrer 
näcjten Verwandten gleich nad) deren Verſcheiden ohne weis 
tere Geremonie in den Wald oder in die Steppe tragen und 
fie hier den Geiern und Wölfen überlaffen. Mir ſcheint es, 
daß biefer Brauch eine logiſche Folge des Glaubens an die 
Seelenwanderung fei, denn biefer Glaube ſetzt doch eine ſchnelle 
Vernichtung des alten Leibes voraus, die durch Begraben der 
Leiche verzögert wird, 

Die Unreinlichleit gehört wohl zu ben Nationaleigen- 
{haften der Tanguten; fie herrfcht in Speife und Trank, in 
Kleidung und Wohnung und ift grenzenlos. Die Geſchirre, 
in denen man die elenden Speifen zurichtet und aus denen 
man fie genießt, werben nie gewaſchen. Die hölzernen Schüf- 
felchen werden, nachdem ihr Inhalt verzehrt worben ift, aus— 
geledt, und dann verwahrt Jeder feines zwiſchen der Kleidung 
und dem Körper, wo es von Parafiten wimmelt. Gelbft 
nachdem er den blutigen Kampf mit diefen beendet hat, wäſcht 
ber Tangute jic nicht die Hände, fondern nimmt ohme Ekel 
das zu feiner „Dfiamba“* nöthige Material, fmetet e8 und 
verzehrt es, ohme fich einen Augenblid zu befinnen. Ebenſo 
wird auch beim Melken verfahren. Die Tangutenfranen 
und Mägde wafcen den Thieren nicht die Euter, reinigen 
wicht die Milchgefäße und das aus ungegerbtem Schaffelle 
gemachte Butterfaß wird nie einer Ausfplilung unterzogen, 
Wohl nur zufällig wird der Schmug vom Tanguten ent» 
fernt — wenn er von einem heftigen Negen im freien über» 
rafcht wird ; ſonſt ift ev waſſerſcheu. 

Die Hauptbefhäftigung der Tanguten ift die Viehzucht, 


und nur in ben Gegenden, in welchen fie mit Chinefen ver- 
mifcht leben, treiben fie ein wenig Aderbau, doc, wird diefer 
wie jene mit ber größten Nadjläffigfeit betrieben, denn eine 
grenzenloſe Faulheit gehört mit zu den Charaltermerkmalen die⸗ 
jes Volksſtammes. Stundenlang vermögen Erwachſene wie 
Kinder am Herde zu figen, wo fie nichts weiter thun als 
Thee trinfen. Da wegen der noch bis vor Kurzem im norb- 
öftlichen Theile von China wüthenden Revolution ber Ziegel- 
thee im Yande ber Tanguten fehr theuer ift oder war, jo hat 
man ein Surrogat geſucht und diejes in den Blitthentöpfchen 
einer gelben Zwiebel und eines von Prſchewalsli nicht näher 
bezeichneten Graſes gefunden, Diefe Materialien werben 
gejammelt und in Donfyr, einer 20 Werft weftnordweftlich 
von Sisning-fu, der Hauptftadt von Kan⸗ſu, gelegenen Stadt, 
in hierzu beſonders eingerichteten Fabrilen gepreft. Die efel- 
hafte Brüge von biefem Fabrilate wird von den Tanguten 
unter dem Namen „Dontyrider Thee“* genoffen, jeder Gaft 
wird umerbittlich mit diefem Getränke bewirthet. 

Eine nothwendige Zugabe zu dieſem Thee bildet bie 
„Diamba*, eine Mifchung von Gerftenmehl und Ziegel- 
thee, von ber eine Handvoll hineingeworfen, mit ſchmutzigen 
Händen zu einem Zeig verarbeitet umd nun genoffen wird. 
Bei dem Reichen wird diefem Teige Butter und frifcher Käſe 
(Quart), „Zihurma“, hinzugefügt. Fleiſch ift bei Keichen wie 
bei Armen eine Seltenheit und man ſchlachtet ungern ein 
Schaf oder ein anderes Stüd Vieh, um jein Fleiſch zu ge— 
nießen. Wie der Mongole genießt auch der Tangute erft 
das Fleiſch feiner Hausthiere mit Appetit, wenn fie gefallen 
find; fonft verkauft er fie lieber, um ein Stückchen Silber 
zu erhalten umd es aufzubewahren. Zu den Lieblingsſpeiſen 

ehört auch ber ‚„Takyr“, d. h. faure und dann getochte 

ich, in welcher aljo der Käfeftoff geronnen if. Ehe man 
aber dieje Lieblingsfpeife bereitet, wirb die Sahne herab- 
geſchöpft und zur Butterbereitung aufbewahrt. 

Einfach und unrein, wie Wohnung und Epeife, ift auch 
die Kleidung ber Tanguten. Gie ift, je mad) der Jahres⸗ 
zeit, aus Tuch ober Schaffellen gefertigt. Die Sommer: 
fleidvung ber Männer und rauen befteht aus einem grauen 
Rode, welder bis ans Knie reicht, aus langen Stiefeln 
eigener ober auch chineſiſcher Arbeit und aus einem kleinen 
grauen Filzhut mit breiter Srämpe. Hemden und Beins 
kleider find derzeit im Yanbe der Tanguten noch nicht Mode; 
man behifft ſich ohne diefe Yurusartitel, in Folge deſſen auch 
im Winter der Pelz auf bloßem Leibe getragen wird. Nur 
ber Reiche trägt unter dem Oberkleide noch ein Kleid aus 
blauem, chineſiſchem Baummollenftoffe, was als ungemöhn- 
licher Yurus und Eleganz betrachtet wird. Ein Kleid aus 
Seide, das bei den Mongolen jo häufig gejehen wird, ift bei 
den Tanguten eine ungeheure Seltenheit. Das Kleid wird, 
ſowohl im Winter wie im Sommer, nur auf den linfen Arm 
gezogen; ber rechte Arm ift immer frei, e8 müßte denn fein, 


Albin Kohn: Schilderungen innerafiatiicher Zuftände. 


daß der Froſt den Tanguten während einer Reiſe zwingt, 
auch den rechten Arm im ben Mermel zu fteden. Die Klei—⸗ 
dung wird häufig mit Dachsfellen verbrämt, welche aus Tibet 
importirt werben; ich habe biefelbe Urt der Verzierung ber 
Kleider in ber Buriatenfteppe zwifchen Dajotzk und ber Lena 
efunden und glaube, daß fie, wie das Dachefell jelbft, aus 
Fibet ftammt. Auch der Ohrring im linlen Ohre fcheint 
zu den Tanguten und Mongolen von auswärts importirt 
zu fein. Er ift immer groß, von Silber und mit einem 
rothen Granat verziert. Zum Staate der Weiber gehört 
noch ein breites Handtuch, daS mit weißen, mehr als einen 
Zoll breitem Bejage verjehen ift und über die Schulter ges 
hängt wird. Diefer Befag wird aus Muſchelſchalen ange 
fertigt, die eine von der andern zwei Zoll entfernt. Zur 
Bollendung bes Damenputes gehören mod, rothe — wenn 
auch falſche — Korallen, welchen Luxus ſich jedoch nur die 
reichen tangutifchen Damen erlauben können. 

Ich habe ſchon angedeutet, daß die Viehzucht die Haupt- 
befchäftigung der Tanguten if. Man hält — von Ziid- 
tung in unferm Sinne des Wortes kann ja bei den rohen 
Bolfsflänmen nicht die Rede fein — Pferde und Rindvich 
in geringer Zahl, Schafe (uicht der Fettſchwanzrace ange» 
hörig, welche bei anderen Afiaten fo beliebt ift), vor allen 
Dingen aber den Pad (Bos gruniens), Diefes Thier ift 
das charakteriftiiche Hausthier der Tanguten und wird in 
den Bergen von Alafchan *) im großer Anzahl gezüchtet. 
Der Yad braucht Gebirge und reiche Weiden und diefe findet 
er in dem Gebirgsgegenden, weldye die Tanguten und zum 
Theil auch die Mongolen bewohnen. Ohne große Waller 
maffen kann der Yad nicht beftehen, denn er ift nicht waſſer⸗ 
fchen, wie fein Herr, ſondern badet gern und ift ein audges 
zeichneter Schwimmer. Selbſt mit einer Laft von mehreren 
Pud ſchwimmt er über reißende Gebirgäftröme. 

Diefes Tier ift für den Tanguten das, was fltr den 
Wuſtenbewohner das Kameel. Es dient als Keit- umd Yaftthier 
und liefert dem Tanguten Fleifh, Haar und Milh. Bei 
dem Mangel an ordentlichen Straßen leiftet der Yack als 
Reit» und Faftthier dem Tanguten außerordentliche Dienfte. 
Mit fiherm Schritte geht er Über ſchmale Fußfteige hinweg, 
welche an Abgründen vorbeiführen und höchſtens für dem 
Steinbod pafjirbar erfcheinen. Der Mad ift von der Größe 
eines gewöhnlichen Nindes, von ſchwarzer ober ſchwarzbunter 
Farbe. Weiße Thiere gehören zu den Seltenheiten. 

Pricheronlsti wundert fih, daß der Pad, trotzdem er wahre 
ſcheinlich ſchon feit Jahrhunderten in Sklaverei lebt, noch 
immer viel Wildheit in feinem Charakter bejigt, was er durch 
feine ſchnellen und geſchickten Bewegungen und durch feine 
Wibderfpänftigleit, welche das Belaften bes Thieres erſchwert, 
u welchem folglic, viel Geduld und Gejchid gehört, beweilt. 

ns wird dieſer Ueberreft von Wildheit im Charakter des 
Dad nicht wundern. Auch die Thiere unterliegen dem Ein- 
fluffe der Eivilifation, und die Erfahrung lehrt, daß, je höher 
der Zuchter fteht, defto ebler und fanfter auch feine Zuchtungs⸗ 
producte find. Auch das von unſerm Bauern gezlichtete 
Pferd, ja fogar fein Hund find ftörrig, wiberfpänftig und 
biffig, dabei aber auch ungelehrig und dumm, während biefe 
Thiere, wenn fie aus der Hand eines gebildeten Zuchters 
ftammen, fromm, gelenfig und von edlem Charakter find. 
Der Abel und die Bildung des Menſchen, ja fein individuel- 
ler Charakter werden von ihm auf die von ihm gezlichteten 
Hausthiere Übertragen, und deshalb glaube ich, da, wenn 
der Yad in unfere Gebirgägegenden, bejonders nad; Sachſen, 


) Alaſchan ift das Sand unmittelbar weſtlich von dem unge⸗ 
—— Bogen, den ber Hwang⸗ho oder Gelbe Fluß nach Süden dee 
teibt. 


285 


verpflangt werden twilrbe, er auch feine wilden Eigenfchaften 
im Verlaufe einiger Generationen verlieren wurde. 

Herr Prſchewalski bemerkt, daß bei den Tanguten und 
Mongolen auch Baflarde von Yad und Rind vorkommen und 
daß die Producte diefer Kreuzung fehr gejucht find. Leider 

iebt ber genannte Reiſende micht an, ob die Baftarde von 

ind und Mad fruchtbar find, Ich Habe zwar felbft Ab⸗ 
fömmlinge von Yacks gefehen, hatte aber keine Gelegenheit 
Pr * ben hier berührten Gegenſtand Aufſchluß zu ver⸗ 
ſchaffen. 

Die Induſtrie der Tanguten reducirt ſich auf ein Mi— 
nimum, denn fie beſchrünkt ſich auf das Drechſeln von höl— 
ernen Schuſſeln und Schuſſelchen, deren man ſich zur Aufs 

wahrung von Butter beim Speifen bedient, und auf das 
Spinnen von Yachaaren, Wolle und Aehnlichem, um das zu 
Zeltdecken und Kleiderftoffen nöthige Garn zu bereiten, wel 
ches die Tanguten nicht jelbft weben, fondern von Chinefen 
weben laſſen. Zum Spinnen bedient man ſich eines 1 bis 
1?/, Meter langen Rockens und einer Spindel; man fpinnt 
nicht allein zu Haufe, fondern auch während des Sehens, 
und es haben dieſe Gewohnheit die Tangutenfrauen mit den 
Buriatinnen gemein, welche beftändig Darmfaiten zum Nähen 
der Pelze und Unty (Fußbekleidung) drehen. Selbft bie zur 
volltommenen Ausrüftung eines Tanguten nöthigften Sachen, 
der Feuerſtahl und das Heine Mefler, welches er auf dem 
Rüden im Gürtel trägt, der Tabacksbeutel und die Kleine 
Pfeife, welche an feiner linken Seite hängen, fowie der lange 
und ſehr breite Säbel, mit welchem er ſtets bewaffnet it, 
flammen von außen und alle biefe Gegenftände werben theuer 
bezahlt, 

Ich habe ſchon im Eingange gejagt, daß der Tangute 
mit bem Mongolen, in deſſen Nähe er lebt, nicht verwandt 
if. Diefes beweift nicht nur die Phyfiognomie, ſondern auch 
die Sprache, im welcher die Eonjonanten und einfilbigen 
Wörter eine hervorragende Rolle ſpielen. 

Um dem Leſer felbft die Möglichkeit zu bieten, einen klei⸗ 
nen Vergleich zwijchen der tangutifhen und mongolifchen 
Sprache anzuftellen, füge ich hier die Zahlwörter beider Boltd- 


ftämme bei. Sie lauten: 

Deutſch. Mongoliſch. Tangutiſch. 

eins — — nige — dit 

zwei = deojor = ıi 

drei = jurba — fm 

vier = burba —= bidd 

fünf —= taba = m _ 

fh 5 = fordu — tichod 

fieben — bollon — bjum 

acht = najma — oͤſchiat 

neun = juſſo = rgjiu 

zehn = arba — zilu⸗ tamba 

elf — arba-nige — ziu⸗chzil 

zwolf — arba⸗chojor — ziu⸗ni 

wanzig — chorgi = ni ⸗ tſchi⸗ tamba 
reißig — lotſchy = ſum⸗ tſchi- tamba 
vierzig — butidy — bidopsticdi-tamba 
funfzig — tubje = rnop⸗ tſchi⸗ tamba 
ſechszig — ſiaret —= tihol-tidhietamba 
ſiebenzig — talla = bjumstjhi-tamba 
achtzig — maje — bidiat-tichi-tamba 
neunig = jars = rgjup-tichistamba 
hundert — zu —, rdſchja⸗ tamba 

ontſchus 

tauſend —= —— rtun · ty achzeil. 


Noch auf einen Unterſchied in den Gewohnheiten der bei · 
ben jo nahe bei einander lebenden Vollsſtämme muß ich zum 


286 


Schluſſe hinweiſen. Die Tanguten bauen immer mehrere 
Yurten an einem Orte, fo daß ihre Unfiedelung einem Dorfe 
nicht ganz unähnlich ift, während die Diongolen ſich immer 
in einiger Entfernung von einander, aljo einzeln, anfiebeln, 
und während der Mongole ausfchlieglich die dürre, unfrucht« 
bare Wüfte auffucht und die Feuchtigkeit flieht, fucht der Tan- 
Er feuchte Orte umd fürchtet bie Wuſte wie feinen größten 

nd. Diefe Gewohnheit fpiegelt ſich auch in dem belieb- 
teſten Hausthieren der beiden Volfsftämme wieder. Denn 
während der Mongole das „Schiff der Wuſte“, das ges» 
nügfame Kameel, über Alles liebt und allen anderem 


Aus allen 


Die ruffifhe wiſſenſchaftliche Expedition nad Hiffar. 


Diefe auf Seite 14 dieſes Bandes von und erwähnte 
Erpedition ift Mitte Juni auf ruffiiches Gebiet zurüdgekchrt, 
nachdem fie während 40 Tagen die Landichaft Hiffar, den 
gebirgigen Dften des Chanats Buchara, durchjogen und die 
felbe, die noch nie von einem wiſſenſchaftlichen Reiſenden be 
treten worden war, erforfcht hat. 

Herr P. Lerch giebt in Carl Röttger's „Ruffiicher 
Revue“ — einer Zeitſchrift, welche das dankenswerthe Ziel 
verfolgt, den Deutfchen die leider fo wenig gefannten und 
gewürdigten Arbeiten ruſſiſcher Gelehrten, wenn "auch nur 
auszugds und andeutungsweife, zu vermitteln — nach ber 
„Zurfeftanifchen Zeitung* einen vorläufigen Bericht darüber, 
welcher freilich nur wenigen ober vielleicht Niemandem ganz 
Mare Vorftellungen von dem durchreiften Gebiete verichaffen 
dürfte, Daſſelbe ift zudem noch auf Feiner eriftirenden 
Karte richtig dargeftellt, weil bie biher vorbandenen Nach: 
richten äußerst dürftiger und verwirrter Natur waren. 629 
n. Chr. betritt der Erfte, der uns Nachrichten binterlaffen 
hat, das Land: der buddhiſtiſche Chinefe Hinen-tbjang ; vier: 
sig Jahre fpäter dringen die Araber ein, aber auch ihre 
Nachrichten, wie die des el-Jagübi und des Ibn-Khordadbeh 
aus dem 9. Jahrhundert, find dürftig. Im folgenden Jahr: 
hundert fließen die Onellen ſchon reichlicher: es find bie 
Werke der beiden einander befreundeten Geographen Is— 
tachri und Ihn-Haugul, zu denen der noch nicht veröffent: 
lichte Mogadeffi fich gefellt. Endlich im 15. Jahrhundert 
durchreift der erfte Europäer die Wefthälfte des fraglichen 
Gebietes, Clavijo, der Gefandte Heinrich's II. von Ca— 
ftilien an Timur. Dann find es noch perſiſch ober 
türkifch abgefaßte Reiferonten und Erfundigungen, welche 
neuere Reifenbe, wie Meyenborff, Macartney, Burnes und 
N. Chanikow, einjogen — wie man fieht lauter dürftiges, 
zerftreutes, ſchwer oder gar nicht zugängliches Material —, 
aus dem fich die bisherige Kunde von. Hiffar, dem Berglande 
—— Samarkand und Balch (dem alten Bactra), zuſam-— 
menfchte, 

Se aber dilrfen wir, hoffentlich bald, eine zuverläffige 
Karte des bezeichneten Landes erwarten, welche auf vierzehn 
von dem Aftronomen Herrn Schwarz beftimmten geographi- 
ſchen Pofitionen und ben von den Herren Majew und 
Wiſchniewski mit Uhr und Compaß aufgenommenen 
Marichronten beruht. Der Weiten bes Landes wurde in 
zwei Richtungen, von Norden na Süden (von Karſchi nach 
dem Ama) und dann twieder vom Amu nad den nördlichen 
Bergen zu, bie es vom ruſſiſchen Serafihangebiete trennen, 
burchlrenzt. Huf dem erftern Wege durchzog die Erpebition 
den berlibmten Paß des „Eifernen Thores*, jetzt „Ziegen: 
baus* von den Ummohnern genannt, von welchem nur ber 


Aus allen Erbiheilen. 
i Hausthieren vorzieht, ift der Tangute gleichfam mit dem 


waflerliebenden Pad verwachſen, ohne ben er kaum eriftwen 
könnte, 

Die Tanguten haben eine Art automomifcher Verwaltung ; 
fie wählen ihre Beamten aus ihrer Mitte. ebenfalls find 
fie aber von China abhängig und gehören zum Verwaltungs: 
bezirte des Aınban (Gouverneurs) von Kansfu, deſſen Reji- 
hr Sirningefu ift. Nach der Eroberung diefer Stadt durch 
bie Aufftändifchen wohnte ber Amban längere Zeit in Dſchun⸗ 
lin, aber im Herbfte des Jahres 1872 fehrte er mit den 


| dinefifchen Truppen in feine eigentliche Nefidenz zurld. 


Erdtheilen. 


hineftiche Pilger und der ſpaniſche Gefandte berichten. Der 
erjtere, Hinenstbfang, erzählt, daß die Engſchlucht durch ein 
eijenbejchlagenes und mit Gloödchen behängtes Doppelthor 
gelperrt fei, wovon der adıt Jahrhunderte ſpüter des Weges 
daherziehende Clavijo nichts mehr bemerkte. Beide ftimmen 
aber darin überein, daß der Paß eine fefte, faſt uneinnehm:- 
bare Pofition und eine merlwürdige Natureriheinung fei. 

Dann befuchten die Ruſſen alle nur einigermaßen wich: 
tigen Städte im Norden des Landes, wobei namentlich bie 
befonders unklare Hydrographie diefes letzten und weſtlichſten 
aller rechten Oxuszuflüſſe ins Reine gebracht wurde, nicht 
ohne dafı baufällige Brüden und eisfaltes Waller der reißen: 
den Bergftröme Leben und Gefumdheit der Erpeditionsmit- 
glieder mehrfach geführdet hätten. ; 

Es hatte anfangs im Plane gelegen, bis zu dem Punkte 
vorzudringen, wo fich zwei Hauptquellarme des Amu, der 
füblichere Pandſch und der nörblichere Surchab oder Wachſch, 
vereinigen, um denfelben aftronomifch feftzulegen. Wlein 
ſchon vorher erkrankten außer zwei Koſacken zwei der rufftichen 
Forfcher in Kurganstube am Fieber; einer von ihnen, der 
Topograph Wiſchniewski, litt obendrein noch an Rheu— 
matismus des Kopfes und der Füße, cine Folge von Er— 
kältung, welche er ich theils beim Durchreiten der waller: 
reichen Bergflüffe, theils durch die Einwirkung der falten, 
Ichneidenden Winde, bie aus den Bergſchluchten ſtrömen, 
zugezogen hatte. Diele Einwirkungen find jo ftarf, daß ſelbſt 
viele der Eingeborenen trotz der Belzichlafröde, welche fie 
den ganzen Sommer hindurch tragen, an Rheumatigmus 
leiden. Die Rufen kehrten alfo, ohne jenen wichtigen Punkt 
erreicht zu haben, durch den ſüdlichen Theil des Landes Hiffar 
über Schehrilebs nah Samarkaud zurid. 

Daß ihnen dies nicht gelungen ift, ift um fo mehr zu 
bedauern, als im Jahre vorher zwei indiſche Entdedungs⸗ 
reifende im engliichen Auftrage das nleiche Gebiet erforicht 
haben, ohne daß fie beide von einander, noch auch anſchei⸗ 
nend die Ruffen von ihnen etwas gewußt haben, was zur 
Folge gehabt bat, daß ihre Neiferouten fich nicht berühren, 
vielmehr immer noch cin wahrſcheinlich nur eine Zagereife 
langes, unerforichtes Stüd Landes übrig geblieben ift. Zur 
erft ging nämlich ein die englische Erpebition des Oberften 
Gordon begleitendber eingeborener Weifender, „Munfbi 
Abdul Luthan“, von Kila Pandſcha, dem äußerten weit: 
lihen Punkte Gorbon’s (ſ. Globus“ XXVI, S. 281), den 
Oxus binab, bis er bei Kila Wamar die Confluenz feiner 
beiden Hauptquellftröme, des Pandſch und des Murghab, er- 
reichte, wobei er die Hanptorte ber Landichaften Schignan 
und Rofchan beitimmte, 

Wenige Wochen fpäter erreichte ein anderer Indier, be— 
kannt unter bem Namen „Havildar*, d. i. r, von 
Süden, von Kabul und den Päſſen des Hindufufch her, dem 


Aus allen Erbtheifen. 


Mittellauf des Oxus, wurde aber bei dem Verfuche, längs 
deflelben nach Kila Wamar und weiter vorzudringen, zwei⸗ 
mal von den bortigen Meinen Machthabern gehindert, und 
mußte, obne des Munhi äufßerften Bunft, von welchem er 
übrigens nichts wußte, erreicht zu haben, über Kulab, Kuba: 
dian und andere feitbem durch die Ruffen beftimmten Bunkte 
nach dem Bamian-Pafie und Indien aurüdkehren. 

Dies Jahr endlich haben die Nuffen von Weften her 
ein guted Stüd des noch unerforichten Gebietes für die 
Kartographie erobert, wiederum ohne von ben eben erwähn⸗ 
ten beiden Indiern zu wiffen. Doch dienten ihre Aufnahmen 
und Beftimmungen dazu, wenigitens den Weg des einen, 
des Havildar, feftzulegen. Möge es nicht lange mehr dauern, 
daß auch das lehte, Meine, moch übrige Stüd des Oxuslau— 
fes ans der bisherigen, es umgebenden Duntelheit hervor: 
trete | 





Leichardt⸗Spuren. 

G. In der Colonie Weſtauſtralien hat man wieder einmal 
Hoffnung, Über das Schidfal des längft verichollenen Dr. 
Leicharbt und deſſen Forihungserpebition Aufklärung zu ers 
balten. Ein gewilfer Mr. Fane, welcher im Champion:Bay- 
Diftricte Schafherben zu weiden hat, unternahm im April diefes 
Jahres von dort aus einen Ritt von dreihundert engliichen 
Meilen nach Often zu, um wo möglich neue Weidepläge auf- 
zufuchen. Er ſtieß am Ende feiner Reife auf eine Anzahl 
vorn Fingeborenen, mit denen fich freundlich verkehren lich 
und die auch etwas mehr Intelligenz befaßen, wie ſonſt bei 
ihres Gleichen der Fall ift. Sie erzählten, daß vor langer 
Zeit vier Weiße auf Pferden dort eingetroffen feien, ſehr er: 
ſchöpft, weil e8 ihmen an Waſſer fehlte. Sie, die Eingebo: 
renen, hätten fih aus Furt verborgen gehalten, aber doch 
immer aus dem Hmterhalte die fremden beobachtet. Nach— 
dem dieſe eine Weile vergeblich nach Waſſer umbergeforicht, 
bätten fie fi anfcheinend von einander trennen wollen, und 
einer, wahrfcheinfich der Häuptling, wäre daran gegangen, 
Die noch übrigen Lebensmittel unter die Vier zu vertheilen, 
dabei aber fo aufgeregt geworben, daß er den Meinen Reſt 
Mehl muthwillig auf den Sand umbhergeftreut hätte. Dar: 
über fei eine Schlägerei entftanden, in ber Zwei — and) ber 
Häuptling — erichlagen worden. Diefen hätte man dann um: 
ter einen Steinhaufen begraben und ihm allerlei Papiere 
mit in® Grab gegeben. Die lebenden Zwei hätten nun ihr 
Suchen nah Waſſer fortgeſetzt, aber Feines gefunden und 
tmären auch umgelommten, 

Mer. Fane war für ben Augenblick nicht im der Lage, 
von dem Anerbieten der Eingeborenen, ihn an den Ort zu 
führen, wo ber weiße Häuptling begraben liege, Gebrauch zu 
machen, und trat den RUdweg an. Allein er wird ſchon in näch⸗ 
fter Zeit, in der Begleitung eines ihm von der weſtauſtraliſchen 
Regierung beigegebenen bewährten Polisiften, zu den Einge— 
borenen aurlidtehren und fich den Ort von ihnen zeigen laf- 
fen. Mr. Fane hat das vollite Vertrauen im bie Wahrheit 
obiger Ausfagen. 





Siftorifhe Denkmäler in Marokko. 

Bor Kurzem befucte Mr, Trovey Bladmore bie 
maroflaniichen Städte Nebät und SIä, beide an der Küſte 
des Ullantifchen Oceans etwa unter 34% nördl. Br. gelegen, 
und hatte dort und in der Umgegend Gelegenheit, prächtige 
Nefte mauriſchen Kunftfleißes zu ſtudiren. Namentlich er- 
regte die verlaffene Stadt Schella fein Imtereffe. Diefelbe 
liegt nur 2 englifche Meilen lanbeinwärts am Wabi Bu— 
Negreg und enthält die Grabftätten der Diymaftie Beni: 
Merin, welche vom Beginne des 13. bis in die Mitte bes 
16. Jahrhundert? über Maroffo geberricht bat. Noch vor 
wenigen Jahren war ed Ehriften bei Zobesftrafe verboten, 
fich innerhalb der Mauern diefer Tobtenftabt betreffen zu 
laſſen. 


287 


Oyne ſchützendes Dach und als völlige Ruinen ſtehen jetzt 
Maufolenm und Moſchee da; die Höfe find mit großen Bän: 
men, mit Geftriipp und Unkraut überwachen und die Riffe 
in den Wänden dienen zahllofen Raubvögeln zur Niftftätte, 
Aber man erkennt noch die einftige Pracht diefer Gebäude 
und vermag auf vielen Denktmälern Dank ihrem trefflichen 
Material (weißem Marmor) die von üppigen Schlingpflan- 
zen bedecktten Infchriften au erfennen und zu entziffern. 

Namentlich eines berfelben wird von den Eingeborenen 
und bejonderd dem weiblichen Theile derfelben mit großer 
Verehrung betrachtet. Es ift eine in die Wand eingelaffene 
Marmortafel, 2%, Fuß hoch und 1, Fuß breit mit einer 
Inſchrift in erhabenen Buchftaben, oben und an ben Seiten 
mit ſchön gearbeiteten Arabeslen und Schnörkeln verziert. 
Auf der einen Seite ift ein 4 Zoll ſtarkes Loch durch bie 
Tafel gebohrt worden, woburd eine Anzahl von Buchftaben 
und ein Theil der Verzierungen vernichtet wurde. E3 herrſcht 
bier die Sitte, daß ſchwangere Frauen zu der Tafel wall- 
fahrten, eine Hand in die Oeffnung legen und dabei Gchete 
für eine glüdliche Entbindung ſprechen, welche gewöhnlich 
ber Erfüllung gewiß find. Dem allgemeinen Glauben nach 
liegt ein Sultan mit zwei fehr fruchtbaren Franen unter dent 
Steine begraben. Da aber die Mauren in Allem, was ihre 
Gefchichte und ihre Denkmäler anlangt, große Unwiffenheit ver 
rathen, und nur eine geringe Kenntniß des Nrabifchen dazn 
gehörte, um zu erkennen, daß die Tafel nur von einer Ber: 
fon zu berichten weiß, fo nahm Mr. Blackmore einen Abllatſch 
von dem Denlmale und theilte ihn in London einem Fachgelehr⸗ 
ten, bem Mr, Rien vom britiihen Deufeum, mit, Nach deſſen 
Lefung ift es das Grabmal eines ber mächtigften Fürften 
von Maroffo, des Emir el-Mumenin Abu Hakub Yuſſuf, 
welcher im den mauriſchen Annalen unter dem Namen 
„Schüger des Geſetzes Gottes" und wegen feiner großen 
Groberungen auf afritanifhem Boden befannt ift, während 
fein Vater Abu Yuſſuf glückliche Feldzüge in Spanien unter: 
nommen hat. Ein gleichzeitiger Schriftiteller, der Imam 
Abd-el-Halim, erzählt, daß jener Monarch in Tlemfen, das 
er acht Fahre lang zu erobern verfucht hatte, von einem jei- 
ner Eunuchen am fiebenten Tage bed Monats Dulkadah 706 
(1926 umferer Zeitrechnung) ermordet und in Schella begra- 
ben worben fei. Die in Schella aufgefundene Grabplatte 
und der auf ihr angegebene Todestag, welder mit dem bes 
Geſchichtsſchreibers übereinftimmt, beweilen bes letztern 
Glaubwürdigkeit. Wie aber das Loch in den Stein gelom— 
men und die Sage und der Mberglaube von ihm Beſitz er- 
griffen hat, weiß Niemand zu erflären. 

Nah „The Athenaeum“ Nro. 2499.) 
* * x 

— Dberft R. 2. Playfair, engliiher Generalconful 
in Algier, berichtete auf der mebrerwähnten Briftoler Gelehr- 
tenverfammlung über feinen Beſuch des Didebel Muräs 
(latein. Mons Aurasius) im Süden von Conftantine. Nach 
jeder Eroberung des Landes diente dieſer mächtige Gebirgs— 

od den Einwohnern als Zufluchtsort. Die Sprade der 
Gebirgsbewohner ſoll noch voller lateinischen Worte fteden ; 
fie bedienen fich bed gewöhnlichen Sonnenjahres an Stelle 
des Monbdjahres ihrer mohammedaniſchen Unterjodher und 
bezeichnen die Monate fait mit denfelben Namen (b. h. den 
römilchen) wie wir. Den 25. December feiern fie unter 
dem Namen „Mulid*, d. i. „bie Geburt”, ald Feſt; lauter 
Anklänge an die römifche und nachfolgende chriftliche Epoche 
Nordweſtafrilas. 

Ebendaſelbſt wurde ein Bericht bes Lientenant Chippen— 
dall, eines der englifhen Offiziere, melde augenblicklich 
unter Oberft Gordon das afrikaniſche Seengebiet an ben 
Sildgrenzen der äghptiſchen Herrichaft erforichen, verleien. 
Bon Duffels, einer äguptifchen Station gleich oberhalb der 
Rataralten des Weißen Nil, brach die Erpedition am 26. Fe 
bruar 1875 nah Süden auf, um das Gebiet mit feinen 


238 


Wafferläufen zu unterfuchen , ebe ein Dampfer auf bem Al- 
bert Nyanza vom Stapel gelaffen wurde Ueber Faloro 
im Madilande erreichte fie den Nil bei einem Dorfe ber 
Kofchi wieder, welches noch drei Tagereilen vom Ser entfernt 
ift. So weit das Auge reichte, dehnte fih vor ihr gegen 
Sübdmwejten, allo im der Richtung zum See bin, eine flache 
Ebene aus, welche dem Häuptlinge des Dorfes zugebörte. 
Derfelbe erzäblte dem Engländer, daß der Nil, noch che man 
das Seeufer erreicht, fich in zwei Arme tbeilt, die er ala 
zwei verſchiedene Ströme anzufeben ſchien. Der eine der 
jelben füme von Magungo und gehöre dem aus Baler’s 
letztem Feldzuge befannten Kabba Rega, dem Könige von 
Unyoro; der andere füme aus „dem Großen See“ ſd. i. U: 
bert Nyanza) und biete ſtets offenes Fahrwaſſer zu demiel: 
ben. Diefelbe Nachricht von zwei verfchiedenen Flußarmen 
ift ſchon früher den Kanflenten der ägyptiſchen Stationen 
zugegangen. 

Der Albert Nyanza ſcheint demnach an feinem Nord— 
ende ein Delta zu haben, durch deſſen verſchiedene Arme der 
Weiße Nil nach Norden ſtrömt. Wenn Sir H. Rawlinſon 
den zweiten Arm für den Ausfluß des Tanganyikafees (dem 
Lukuga) hält und den „Großen See” des Koſchi-Häuptlings 
für den Tanganyifa felbft, der weit iiber 100 deutſche Mei: 
len füblicher licgt, fo können wir einftweilen den Grund bie: 
fer Vermuthung nicht recht anafindig machen. 

— Die bobe Tatra in den weftlichen Karpatben hat 
in diefem Jahre ſchon im September ein umfafjendes Schnee: 
gewand angelegt. Die Bären, denen dadurch ihre Nahrung 
verfümmert wurde, ftiegen tiefer herab im die Felder der 
„Soralen“ (d. h. der polnischen Bergbewohner) und richteten 
auf denfelben großen Schaden an. In Folge beffen wurden 
Jagden auf diefelben veranftalte. Der einem Deutſchen, 
Herrn Eichhorn, gehörige Sammelpunkt an der Tatra, von 
wo ans auch jene Jagden veranftaltet wurden, Bafopane, 
war in dem abgelaufenen Sommer von 500 länger oder für: 
ser weilenden Gäſten befucht, und foll im nächſten Jahre mit 
einer neuen Wafjerheilanftalt bereichert- werden. Die „Tatra: 
Geſellſchaft“, welche in den letzten Monaten zu Zakopane und 
Krakau Sitzungen abhielt, hat beichloffen, beim galizischen 
Landtage darauf anzutragen, dab der Weg von Nowy-Targ 
nach Zakopaue zur Landesftraße erflärt und demzufolge in 
beſſern Zuſtand verfest, und daß in Zalopane während des 
Sommers eine Telegraphenftation errichtet werde. Aus ihren 
eigenen Mitteln wird die Geſellſchaft, die ſchon Erkleckliches 
für Zugänglihmahung der Tatra gethan hat, zunächſt noch 
folgende Arbeiten ausführen: Im Thal der Fünf Teiche, 
und zwar am fogenannten Großen Teiche, in der Höhe 
von 5400 Fuß nad Kotiſtka's Meffungen, ſoll im näch— 
ften Jahre eine Schutzbaude and Granit errichtet werben, 
ebenfo eine aus Holz im Mostofathal; bei Zawrat follen 
neue Steige im Burzhnowothal angelegt und bie Zufluchts— 
bütte beim Meeredauge (Morski oko) fowie der Weg da: 
bin ausgebejfert werden. Zum beſſern Schuse ber Gemfe 
und des Murmelthieres foll beim ungarifchen Reichetag 
ein ähnliches Jagdverbot andgewirft werben wie es der galis 
ziſche Landtag bereits beichloffen hat. — Die fortgefegten 
ebenjo umfichtigen wie energiichen Bemühungen der Tatra: 
oefellichaft werden um jo mehr Anerkennung finden, je mehr 
dies großartige Hochgebirge auch außerhalb des Kreiſes feis 
ner polnischen und ungarischen Anwohner die verdiente Ber 
achtung gewinnt, 


Aus allen Erdtheilen. 


Wir beungen biefe Gelegenheit, um auf ein Meines, un: 
längft erfchienenes Buch aufmerffam zu mahen: Dr. Scher: 
ner’8 Tatra-Führer (Breslau 1875. U. Goſohorsky's 
Buchhandlung). Im Form einer allerdings häufig zu leb- 
baft fchildernden und allzu fubjectiven Reifebeichreibung ge: 
balten, ift e8 doch vermöge feines Heinen Formats, feiner 
geringen Stärke, der vielen praftiihen Winfe und Rath— 
fchläge, welche mit den Reifevorkehrungen beginnen, das ganze 
MWerkchen durchziehen und erjt auf der legten Seite enden, 
und ber beigegebenen Maren und überfichtlien Koriftla’- 
ſchen Karte (mit farbig unterichiebenen Nivenufcichten und 
zahlreichen Höbenangaben) jehr geeignet, den Wanderern, deren 
alljährlich eine immer größere Zahl diefem Heinen, herrlichen 
Alpenlande mit feinen zahlreichen Seen ſich zuwendet, als 
rathender und belehrender Begleiter zur Seite zu fteben. 
Mit dem Beſuche von Krakau und dem Salzbergwerfe von 
Wieliczla beginnend führt es und um das geſammte Gebirge 
im reife berum und geleitet uns zu feinen „Meeraugen* 
und auf feine bis iiber 8300 Wiener Fuß anfteigenden Berg: 
ſpitzen. Unferes Wiffens ift e8 der erfte berartige Führer 
und füllt jomit wirklich eine Lilde ans, 

— Die deutjche Preſſe in der argentinischen Repu— 
blik, in welcher fich etwa 5000 Deutfche befinden, ift folgender- 
maßen vertreten: in Buenos:Ayres ericheinen 3 Blätter, 
ein „Argentinifch-Dentiches Wochenblatt" und die „Deutjche 
La Plata Zeitung“, beide dreimal wöchentlich, und die mor 
natlich ericheinende, vortreffliche „La Plata Monatsfchrift ; 
wozu noch der in Santa Fe einmal wöchentlic herausgege— 
bene „Argentinifche Bote” kommt. 

— Aus Walker's „Statiftifchem Atlas der Vereinigten 
Staaten” erfieht man, daß in der Waldregion des Territo: 
riums Wafhington die jährlihe Regenmenge 60 Zoll und 
darüber beträgt. In dem Waldgebiete zwiſchen Minnefota 
und Maine variirt der Negenfall zwiſchen 28 und 40 Zoll, 
genau diefelbe Deenge, die in den fait baumlofen Prärien 
mweitlich von Chicago fällt. Der nörbliche, dicht bewalbete 
Theil der Halbinfel von Michigan hat genau fo viel Negen- 
fall, wie ber faft baumlofe Süden von Minnefota. Ununter- 
brochene Prärien dehnen fih zwiſchen dem Miſſiſſippi und 
Alabama aus, und zugleich berrfcht hier der ſtärkfte Megen- 
fall im Dften ber Sierra Nevada. Kurz es ergiebt ſich bier: 
aus, daf ein Zufammenbang von Wald und Regen nicht fo 
ohne Weiteres gefolgert werden darf, Daſſelbe tft der Fall 
mit dem Verhältniß zwiſchen Wald und den Sturmcentren. 
Denn während die Gegend häufiger Sturmcentren in Rorb- 
Michigan, Neuyork und Maine ftark bewaldet ift, iſt der 
Sturmbiftriet im öftlichen Nebraska faft baumlos zu nennen. 

— Imn der Umgegend von Lackno (Ludnow) erkrankten 
zwei Gärtner und ein Knabe unter Symptomen, die denen 
der Waſſerſchen ähnelten, nachdem fie Bfirfichen gegeſſen hat⸗ 
ten. Die Leute erflärten fihh die Sache ſehr einfah: man 
batte unter dem Pfirſichbaume einen Hund von Paria be: 
erdigt; daher die Erkrankung. 

— Der keltifche Dialekt, welcher auf der britischen Juſel 
Man fich erhalten hat und ‚Manx“ heißt, befigt eine Liter 
ratur von etwa 25 'gedrudten Büchern, einſchließlich Bibel 
und Gebetbuh, Balladen und Erzählungen, und wird von 
ungefähr einem Drittel der gefammten Inſulaner, deren Zahl 
ſich nach dem legten Cenſus auf 54,042 beläuft, geſprochen. 
Nur Danr und kein Engliſch verftehen davon 300 Indivi— 
buen. * 


Inhalt: Aus Georg Schweinfurth’s Reifen in Innerafrika. VIIL (Mit zwei Abbildungen) — F. Garnier’s 


Schilderungen aus Rinnan. IM. (Mit vier Abbildungen.) — 


Ein Beſuch des Grabes des Confucius und des heiligen 


Berge Tai, II. (Schluß) — Schilderungen innerafiatifcher Zuftände, Von Albin Kohn. IT. — Aus allen Erbtbeilen : 
Die ruſſiſche wiſſenſchaftliche Erpedition nach Biffar. — Leichardt:Spuren. — Hiftorifche Denkmäler in Maroflo. — Ber: 


Ichiedenes. — (Schluß der Redaction 16. October 1875.) 


Nedasteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftraße 13, II Tr. 
Drud und Verlag von Friedrich Bieweg und Sohn in Braunfchweig. 


Band XXvm. 


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Mit befonderer Berüchfichtigung 


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N 4) Ir 





jer Anthropologie und Ethnologte. 


Begründet von Karl Andree. 


In Verbindung mit Fachmännern und Künftlern herausgegeben von 
Dr. Rihard Kiepert. 





Braunſchweig 








Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Nummern, 
Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Rummern 50 Pf. 


1875. 





Karl Andriee. 


Karl Theodor. Andree wurde am 20, October 1808 zu 
Braunſchweig geboren, in einer Zeit, als diefe alte Hanſe— 
ftadt Hauptort des zum Königreich Weftfalen gehörigen 
Dferdepartements war. Der Knabe jah noch die Ausſchrei⸗ 
tungen der Franzofen in feiner Baterftadt, und die Erinne- 
rungen aus diefer früheften Jugendzeit blieben nicht ohne 
Einfluß auf feinen ftramm mationalen Charakter, der in 
feinem ganzen Thun, in allen feinen Schriften ſich ſcharf 
audprägte, Seine Eltern waren im Stande, dem einzigen 
Kinde die Erziehung zu geben, welche die frühzeitig hervor: 
tretenden Geiſtesanlagen des Sohnes zu ihrer Enmwidelung 
verlangten. Schon mit dem vierten Jahre ging er in die 
Scyule und mit junfzehn Jahren war er reif zur Univerji- 
tät, aber feiner großen Jugend halber mußte er mod) volle 
zwei Jahre in Brima ausharren, bis er Dftern 1826, nadh: 
dem er die erſte Genfur mit Auszeichnung echalten und die 
lateiniſche Abgangsrede gefprodyen, nad} Jena abging. In 
einem ganz ungewöhnlichen Maße hatte der biutjunge Muſen⸗ 
fohn die alten Claſſiler inne; er ſprach ein vortreffliches 
Yatein und konnte noch in feinem fpäten Yebensalter halbe 
Stüde des Sophofles oder Aeſchylus auswendig, wie er 
denn dem Studium der Alten bis an jein Ende treu blieb, 
fo daß er nach den anjtrengenden Arbeiten des Tages fie 
zur Erholung Abends im Bette las und mit feiner Kennt— 
niß derfelben oft Philologen von Fach in Erftaumen jegte, 

Die lebendigfte Erinnerung an feine Studentenzeit ijt 
ihm bis am fein Vebensende geblieben; ja er lichte es ſich 

Globus XXVIII. Nr. 19, 


I. 


mit Mufenföhnen über ftudentifche Berhältniffe von ehemals 
und heute zu unterhalten, mit einem fo vegen Intereſſe, als 
ob er ſelbſt noch Student fer. Bei Gelegenheit des 300jäh« 
rigen Yubelfeftes der Univerfität Dena hat er feine Studien: 
zeit in der „Sartenlaube* (1858) unter dem Titel „Er- 
innerumgen eines alten Jenenſers*“ in der anmuthigften 
Weife und mit einer Friſche gefchildert, die von feinem nim⸗ 
mer alternden Gemlithe Zeugniß ablegte. Da erzählt er, 
wie ihn fein Vater mit eigenem Gefährt von Braunſchweig 
über Könnern und Halle nad) Jena fuhr und ihm den gans 
zen langen Weg Woral predigte, was fid) daraus erklärt, 
dag Andree damals erſt fiebzehn Jahre alt war. Bewaffnet mit 
Jahn's „Deutſchem Volksthum“ — ein Buch, das auf ihn 
einen tiefen Eindruck machte, und von den er viele Seiten 
in der marfigen Sprache des Alten auswendig wußte — 
rüdte er in Jena ein. „Auf nicht weniger als vier Uni— 
verfitäten habe ich ftudirt,“ jchrieb er 1358, „deren Veben und 
Eigentplimlichleiten kennen gelernt, auf allen gute Dinge 
gejehen uud jehr heitere Tage in jugendlicher Luſt verbracht; 
id) tenne noch ein halbes dugend andere Hochſchulen, aber 
feine ift mir fo lieb gewejen und geblieben ala Jena.“ 
Unter den Lehrern wirkten vor allen anderen Yuden und Fries 
auf ihn ein. Bon Luden's anregenden Vorträgen über bie 
deutfche Geſchichte bemerft Andree: „Soldye geweihte Stun: 
den vergißt man nie, ihr Ton klingt durch das ganze Yeben 
und dad Gemüt bleibt danfbar für den Dann, welcher in 
des Yünglings Herz jo edle Antriebe ſlößt.“ Neben Yuden, 
837 


290 


deſſen ganz befonderes Wohlwollen er gewann, hörte er 
namentlich Fries. 

Zu jener Zeit war gerade die Burſchenſchaft wieder zur 
fammengetreten, nachdem fie fi) von den erſten Scylägen 
der Demagogenverfolgungen erholt hatte, Andre, ſchon auf 
dem Gymnaſium mit Burſchenſchaftern aus feiner Heimath 
in Verbindung fichend, ſchloß ſich denfelben an und wurbe 
bald ein eifriges Mitglied des engern Kreiſes, ein Schritt, 
der für die Geftaltung feiner Febensverhältnifje von entjchies 
denem influffe fein follte, denn durch die Verfolgungen 
und Unterfuchungen, im welche er ſpäter wegen feiner Theil: 
nahme an der Burſchenſchaft gerieth, wurde ihm eine vegel= 
mäßige Laufbahn in Staatsdienften abgeſchnitten und er 
auf das feld der Publiciftit gedrängt. Schon nach einem 
Jahre verließ er Iena, um in Berlin die Koryphäen feis 
ner Wiſſenſchaft zu hören, Ritter, Nanfe, Bocdh und 
Gans. Auch Raumer's und Hegel’s Vorlefungen, 
Schleiermacher's Vorträge über Dialeftif und jene, 
welche U. v. Humboldt über phyſiſche Geographie hielt, 
hat er bejucht *). Nach anderthalbjährigem Aufenthalte in 
Berlin bezog Andree die Göttinger Hochſchule, Heeren's 
und Otfried Müller’s wegen, aber das ganze Göttinger 
Treiben von damals fagte ihm jo wenig zu, daß er ſchon 
nach einem halben Jahre fein geliebtes Jena wieder auffuchte, 
Bon den älteren Univerjitätsfreunden wurde ev herzlich be: 
willfommnet, von den jüngeren förmlich angeftaunt wegen 
eines Wiſſens und einer Beredtjamfeit, die in der Studenten: 
welt ganz ungewöhnlid, waren, Damals nahte die Kata— 
ftrophe von 1830; bie Borgänge in Fraufreid; nahmen die 
allgemeine Aufmerffanteit in Anspruch, aljo auch jene der 
Studenten in Jena. Andree hatte ſchon damals politiſche 
Studien auf hiftorifher Grundlage getrieben, fid) mit Volks— 
wirthſchaft, Völkerrecht und Statiftif bejchäftigt; er war in 
der Burschenschaft derjenige, weldjer die Begebenheiten im 
Einzelnen wie im Zufammenhange am beften lannte und 
am ſicherſten überblicte. Er verftand die für manche nicht 
eben klaren Formeln von Budget, Minifterverantiwortlichkeit, 
Oppoſition der 221 Mar zu machen. Nad den Aulitagen 
war er gewiſſermaßen Profeſſor der Studentenſchaft, denn er 
mußte öffentliche Vorträge improvifiren. Dev Stand 
des Redners war entweder auf dev Treppe des Burgfellers, 
dieſem berühmten Burſchenhauſe, oder der Brunnen auf dem 
Markte. Bon dem legtern verkündete Andree den Ausbruch 
der Yulirevolution; fein Gönner Yuden hatte ihm den „Gon- 
ftitutionnel“ zugeſchickt, welcher die überraſchende Nachricht 
brachte. Der Bote war unferm Profeflor auf dem Markte 
begegnet. Bon da an erläuterte Andree täglich mit umer- 
müdlicher Ausdaner den Fortgang der Ereignijle in Frauk— 
reich, und wenn er aufhörte, begleitete ihm die aufmerlſame 
Auhörerichaft, die ihren Dank durd) Hurrah und Schwenten 
der Miügen äußerte, dorthin, wo der im Augenblick voltsthiim- 
lichfte Yehrer ſich mit „Erlanger“ oder „Wöllniger* erquidte. 

Mit dem Doctorhut zog Andree im Herbſt 1830 von 
Jena fort um fich zum Docenten vorzubereiten. In feiner 


*) Als 1869 der Dresdner Verein für Erkfunde eine Feier aus 
Anlaß des huntertjäbrigen Jubiläums von Humboldi's Geburt were 
anftaltete, hielt Antree die Feſtrede, mober er ſich über die Ane 
tegungen, die er als Student von Humbolet empfangen, folgender 
maßen auslieh: „Une nun ber Zauber feiner mündlichen Net! Es 
war, als ob man den alten Meftor hörte, vom teilen Lippen ja bie 
Rede füher denn Honig floßl Wer, gleih mir, das Glück gehabt 
bat, Humboldis Vorträge über phyſitaliſche Geographie zu hören, 
dem ging ein neues Keben auf, der erbielt Antriebe, die nie erlöfchen 
fönnen, Der Vortrag war lebbaft, fpannend, wunderbar ergreifend; 
ganz im Gegenſate zu ven feines Freundes Karl Mitter, ber lange 
ſam, methodiſch und wenig um bie äftberifche Form befümmert feie 
nen Gegenſtand erörterte.” 


Karl Andree, 


Baterftadt arbeitete er Vorträge aus, die er in Tübingen 
zu halten gedachte. Diefen Ort hatte er gewählt, um mit 
füddeutfchen Berhältniffen vertrauter zu werden. Vorher 
verweilte ex erſt einige Zeit in Leipzig, gab eine Bearbeitung 
von Malte-Brun’d und Chodzko's Polen heraus und eröff- 
nete damit feine ſchriftſtelleriſche Laufbahn *). Im Tlibin 
gen würde ihm die Erlaubniß alademiſche Vorträge zu 
haften nicht verweigert worden fein. Allein er umterzeich- 
nete einen Proteft gegen die befannten Bundesbeſchlüſſe von 
1832 und gerieth in eine ſchiefe Stellung. Der Aufenhalt 
in Schwaben war aber für ihm in vieler Beziehung ante 
gend und beftimmend, Er gewann Art und Weſen in 
Siübddeutfchland Lieb und namentlich Verſtändniß für dem 
ſchwäbiſchen Stammescharafter; die Züge ſchwäbiſcher Aus: 
wanderer machten damals einen unauslöſchlichen Eindrud 
auf ihn und Ienkten feinen Bli auf die neue Welt, wie 
er das jpäter in der Vorrebe zu feinem Buche „Amerika“ 
ausgeſprochen hat. 

Damals war Franz Grund in Schwaben; mit ihm 
verkehrte Andree täglid) und wurde durch diefen äußerft ge: 
wandten Mann in die Eigenthümlichkeiten der politijchen 
Verhältnifje Nordamerifas eingeweiht. 25 Jahre fpäter 
hat dann der befannte Weltreijende Bayard Taylor aus 
Neuyorl in der dortigen „Tribune“ druden laſſen, daß felbft 
in den Vereinigten Staaten wohl nur fehr wenige Männer 
feien, weldje namentlich auch die politiichen Verhältniffe und 
die Parteibezeichnungen bis in die feinften Einzelnheiten Hins 
ein jo genau kennen, wie diefer Deutfche, der niemals amerir 
fanifchen Boden betreten habe. In Stuttgart lernte Andree 
manche hervorragende Mitglieder der wilrttembergijchen 
Oppofition kennen; es war damals die Zeit heftiger Wahl- 
fümpfe und der Polendurdyzüge. Auch Wolfgang Men- 
zel, der damals ein einflußreider Dann war, und Ernft 
Mind; gehörten zu feinen Belannten; die Schwächen des 
Letztern hat er nie verfannt, aber die Zuvorlommenheit und 
Aufmerkfamfeit, welche der vielfach angefeindete Geheime 
Hofrath ihm ſtets bewies, glaubte er feinerfeits mit Freund» 
lichfeit gegen einen im Grunde freifinnigen, obwohl fans 
guinifchen und nicht gerade dyarafterftarten Mann ermie- 
dern zu müſſen. 

Andree ging nad) Braunfchweig zurüd, warf ſich mit 
Eifer auf das Studium amerifanifcer Werte und überſetzte 
damald Adilles Murat’s Briefe über die Bereinigten 
Staaten und die Darftellung der Grundſätze der republifas 
nischen Regierung, wie fie in Amerifa vervollfommnet wor⸗ 
den ift. Mit Achilles Murat unterhielt ev einen Brief- 
wechjel; er ſchickte dieſem Sohne des Königs Joachim deutſche 
Bucher nad) Talahafjee und erhielt hingegen Zufchriften 
aus den Fichtenmäldern und Palmenhainen jFloridas. Im 
einem dieſer Briefe ift die für einen Napoleoniden interej+ 
fante Aeußerung enthalten, daß Deutſchland vollgikitiges 
Anrecht auf die ihm entfremdeten Yande am linken Rheins 
ufer habe, Andree hatte feine Begabung für wifjenfchaftliche 
Vorträge ſchon früher dargethan, in Brauuſchweig wünjd)- 
ten einflußreiche Männer ihm eine Profeffur am der höchſten 
Bildungsanftalt des Herzogthumes, dem Collegium Garolis 
num, zu verjchaffen, und gewiß wäre ihm und ihr damit 
gedient geweſen. Andree hatte inzwiſchen 1834 eine liebens- 
wirdige Braut zum Altar geführt und das Ideal der mei» 
ften dentichen Gelehrten, eine „Staatsanftellung mit feſtem 
Brot“, ftand ihm im Ausficht. Aber — der junge Gelehrte 
war Burſchenſchafter geweſen. Bei Friedrich Steger 


*) Polen in geographiſcher, geſchichtlicher und culturbiftorifcher 
Hinfiht. Nah Malte-Brun und Ehodzto. Mir einer Karte, Leip⸗ 
sig. Schumann. 1831. 


Karl Andrer, 


{geftorben 1874 als Rebacteur ber „Europa*, befannt als 
Ueberfeger zahlreicher Reiſewerle) waren von der Braun— 
ſchweiger Polizei Papiere mit Beſchlag belegt worden, aus 
denen hervorging, daß Andree auf der Umiverfität mit Burs 
ſchenſchaftern befreundet war, Gin folder Mann erfcdjien 
mindeften® compromittirt, wo nicht gar ftaatsgefährlich, bejon- 
ders als er von Preußen aus denuncirt wurde. Sein Ans 
geber war derſelbe, welcher in der Demagogenunterfuchung 





KALFTHAH 


⸗— 
4 
—— 






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FAR, 


a1) 
47 
{ 
7, 








291 


eine wahre Gelebrität erlangte, denn er hat eine außerordents 
liche Menge von Leuten, die vollfommen unjchuldig waren, 
in Unterſuchuugen verwidelt und zum Theil dadurch um ihr 
Lebensgllick gebracht. Diefer Angeber, jegt in Neutort 
lebend, war 1848 als Abgeordneter in der Berliner Nas 
tionalverfammlung einer der rabiateften Köpfe auf der aller: 
äußerften Linten. Damals ſchrieb er aus freien Stüden 
an Andree, diefer möge ihm die falſche Anklage verzeihen, 





— Karl Andree, 


denn der preußische Inquifitor habe ihn in Verzweiflung und 
um ben Berftand gebradjt, und fo habe denn er, der Denun: 
ciant, um nur nicht länger gequält zu werden, Alles aus« 
gefagt, was man nur habe hören wollen. Andree war de— 
nuneirt, in Köftvig bei einer Berfanmlung thlvingifcher 
Demagogen den Borfig geführt umd hocjverrätherifche Re— 
den gehalten zu haben. Nun konnte er freilich mit leichtefter 


war Burſchenſchafter gewefen, wie Taufende e$ waren, aber 
fonft hat er nie einer geheimen oder überhaupt einer Verbin- 
dung, ja im ftricten Sinne niemals irgend einer Partei 
angehört und bei feiner fcharf ausgeprägten individuellen 
Feftigfeit hat er ficherlich wohl daran gethan, zu fördern, 
was ihm recht und gut fchien, im Uebrigen ſich aber feine 
volle Unabhängigkeit zu bewahren. Zu jener falfchen Ans 


Mühe fein Anderswo beweifen, aber verdächtig blieb er. Er | Mage fam noch eine andere, viel abſcheulichere. 


57 * 


292 


Am 3. Mai 1834 erſchienen plötzlich drei ihm völlig 
unbefannte Polen in feiner Wohnung: Oberft Mitulowaty, 
ein Galigier Namens Trembeztyund ein dritter, Pawlowätn. 
Der Letztere überbrachte eine Dentnlnze mit angeblichen 
oder echten Grüßen von Cutter Fergufon in London, und 
dankte für die geleifleten Dienfte, welche Andree flüchtigen 
Polen auf ihren Durchzügen gewährt habe. Diefe angeb- 
lichen Dienfte beftanden darin, daß Andree einige Male 
wandernden Polen, die ſich in bebürftigfter Yage befanden, 
eine Geldunterftügung hatte zufommen laflen. Daraufhin 
begründeten die Drei eine Zumuthung eigener Art; fie wünſch⸗ 
ten, Andree möge eine Unterfilgungscaffe für polnifche 
Reifende verwalten, die dazu erforderlichen Gelder werde man 
ihm demmächft zuweilen. Pamwlowäty rühmte ſich, daß er 
als Gefangener in Wiätla dem General Srufowiedi, als 
einen Berräther an Polens Sache, öffentlicd ins Geſicht 
geipien habe. Es fei ihm gelungen aus dem Innern Ruß- 
lands nach Yondon zu entfliehen, wo er ſich einen Paß vers 
ſchafft habe, der auf den Namen eines Kaufmanns Ordon 
auggeftelt fei. Später hat Andree aus vollkommen zuverläfr 
figer Quelle erfahren, daß dieſer engliſche Paß dem Paw— 
lowäfy, der eigentlich Maitowäty hieß, von einer gewiſſen 
ruſſiſchen Sejandtfchaft in Deutſchland ausgeſtellt worden 
fei, von welcher er Gelder bezog, und an die er liber alle 
Bewegungen ber polnifchen Flüchtlinge Bericht erftattete. 
Das ganze Wejen diefes Mannes mißfiel Andree in dem 
Maße, daß er die Unterredung mit dem Polen kurz abbradı, 
mit der Bemerlung, er lönne fid) um fo weniger auf irgend 
welche Verpflichtungen einlaffen, da er übermorgen heirathen 
wolle. Mißvergnügt entfernten ſich die Polen, aber nadı 
wenigen Tagen fam eine Neclamation aus Berlin, in wels 
der Andree angefdjuldigt wurde, ein fehr thätiger Agent ber 
polnifchen Auswanderung zu fein und mit revolutionären Ber: 
einen in Deutſchland lebhafte Verbindungen zu unterhalten. 
Es war fehr human von den braunſchweigiſchen Gerichten, 
daß jie den zwiefach Angefchuldigten auf freicm Fuße lichen, 
Aber die Unterſuchung währte Jahre lang und erjt 1838 
wurde Andree von allen Anjculdigungen durchaus freige: 
fprochen. Dener Maitowaty Pawlowsty war ein ruſſiſcher 
Spion; gr wurde fpäter von polnischen Emigranten auf der 
Grenze des damaligen Freiſtaats Krakau erdolcht. Die Pa— 
piere, welche man bei ihm fand, find in Paris veröffentlicht 
worden. Bene Demagogenunterfuchung und das Zufanımens 
treffen mit dem Polen betradjtete Andree als Slüdsjälle in 
feinem Yeben. Seine Abneigung gegen alle geheimen Ber: 
bindungen wurde dadurch noch gefteigert, und er jah ſich auf 
ſich felbft und feine eigene Kraft verwiefen, da einem, wenn 
auch platterdings unſchuldigen, immerhin aber politifd) ver- 
dächtigen Manne der Staatsdicnft damals verjchlojfen war. 
Freilich wurden ihm die erften Jahre feines Cheftaudes 
durch ſolche Umannehmlicjkeiten nicht erleichtert. 
Schriftſteller, bearbeitete damals das große geographiice 
Wert von Balbi, ging 1837 nad) Yeipgig und hatte ſich 
dort eben eine gute Situation errungen, als ihm vom Rhein 
her der Ruf kam, die Redaction der „Mainzer Zeitung“ 
zu Übernehmen, die feither von Männern wie Wegel und 
Lehne herausgegeben worden war. 

Bon nun am beginnt in Andree's Leben und Wirken 
ein neuer Abſchnitt. Es ift feine Periode als politifcher 
Dournalift. Er ging im Sommer 1838, nachdem er kurz 
vorher feine völlige Freiſprechung erwirkt hatte, nach Mainz. 
Dort war der Boden ſchlüpfrig genug. Die ſpecifiſch fatho- 
liſche Partei fah den norddeutichen Proteftanten ungern, ber 
franzöfelnde Pıberalismus jener Zeit, der auf Thiers ſchwor, 
betradjtete den ftrammsdeutfchen Wann aus dem Norden 
mit Mißtrauen; der Troß ehemaliger Napoleoniſcher Sol: 


Er wurde * 


Karl Andree. 


daten wollte von dem Deutſchgeſinnten nichts willen. Mit 
allen drei Parteien hatte Andree feine Fehden auszumachen 
und ſich durchzutämpfen. Das hat er tapfer genug gethan 
und in dem langen und manchmal fehr heftigen Streite 
nicht einmal eine Niederlage erlitten. Am 15. Auguft 1838, 
am Öutenbergs- oder Napoleonstage, mußte er ed mit ans 
fehen, daß im ber beutfchen Bundesfeftung von Mainzer 
Bürgern Züge veranflaltet wurden zu Ehren des „Kaifers“, 
und daß die „Veteranen“, trunfene und nicht trunfene, das 
Vive l’Empereur! erfchallen liegen. Bon jenem Tage an 
erflärte er der Franzöſelei in der cidevant bonue ville 
de Mayence $rieg für immer! Hatte doch ſogar ein höhe« 
rer ftädtifcher Beamter einen alten Söldling, der als Yeib- 
mameluf Ruftan verfleidet war, hinten auf feinem Wagen 
und beim Feftmahl hinter feinem Stuhle ftehen! Ja es 
erregte Yubel, daß der Nachäffer des Mamelucken ſich auf 
die Thlirfchtwelle des ehemaligen Fouriers gelegt hatte! Ober: 
flächlich betradjtet Fönnte ein foldyes Pofjenfpiel nur als 
eine Albernheit erfcheinen, von höherm nationalen Geſichts— 
punfte erblidte Andree mit Recht darin eine Schmach, die 
auch ſchwerlich anderswo möglich gewefen wäre, als in ber 
unter dem Krummſtab verknöcherten, nachher von den Fran— 
zofen zerftampften und wie Brei zerquirlten, endlich einem 
Kleinſtaate zugetheilten Mainzer Bevölterung. Bon Darm- 
ftadt her war damals nichts gefchehen, das in Mainz; Sym— 
pathien hätte ermweden können; das Gefühl, ehemals, wenn 
aud) nur 20 Jahre lang, einem großen Ganzen angehört zu 
haben, war noch lebendig , obgleic, diefe Angehörigkeit eine 
erniedrigende Fremdherrſchaft in fich ſchloß. Andree hatte 
anfangs ſchwere Tage; man überfchättete ihm mit anonymen 
Drohbriefen, ftellte ihm in vielen Blättern ald Feind der 
rheinischen Rechtsinftitutionen Hin, die Ultrafatholiten be» 
nugten diefe Stimmung, jelbft von der Kanzel herab erfuhr 
er Angriffe, ohne ſeinerſeits eine Controveröfanzel zur Vers 
fügung zu haben ; er war von der Cenſur eingeengt. Aber 
er blicb unmwandelbar feit, fam tagtäglid) auf fein Thena 
zurück und diefe Ausdauer, weldie ohnehin von fefter Leber» 
zeugung eingegeben war, imponirte'am Ende; man fing an 
fie zu achten. Allmälig hatte fich ein Kreis von älteren 
und jüngeren Männern ihm angefchloffen, und Andree ſich 
bereits Teften Boden erworben, ald das Jahr 1840 herein« 
brach und ben franzöſiſchen Kriegslärm bradjte. In diejer 
Vewegung war unfer Publicift gerade auf dem linfen Rhein: 
ufer auf dem redjten Plage und immer friſch auf dem Po— 
iten. Bon den leitenden Artikeln, welche er damals täglid) 
in die „Mainzer Zeitung“ ſchrieb, gehören mauche zu dem 
Beften und Eindringlicjiten, was überhaupt unfere Zeitungs: 
prefje aufzuweifen hat. Pectus est quod disertum faeit. 
Andree war es, ber Nicolaus Becker's unbeachtetes oder vers 
geſſenes Rheinlied in alle Welt verfandte. Ihm lag an 
dem bichterifchen Werth oder Unwerth dejielben wenig; ex 
hatte mit richtigen Treffer oder Tact heransgefühlt, daß es 
als ein wirffamer Hulfsgenoſſe für die gute deutſche Sache 
gegenliber frenider Anmaßung Dienfte leiten werde. Und 
das ift auch ber Hall gewejen. Die Stimmung in dem 
leicht erregbaren Mainz war inzwifchen derart geworden, 
dag Nilolaus Beer gerade aus dieſer Stadt einen filber- 
nen Ehrenbecher erhielt, und da an dieſer Gabe ſich mandje 
beteiligten, die früher Audree's erbitterte Gegner waren, 
Vielleicht und hoffentlic, wird eine fünftige Zeit nicht mehr 
begreifen fönnen, was es heißt, unter Genfur ſchreiben und 
doch dabei ſich nicht verbittern laffen und ein inneres Maß- 
halten bewahren, Andree hat hier amı Rhein die große Be: 
ftimmung deſſen erfüllt, der das öffentliche Wort führt: er 
hat die Menſchen richtig und vaterländiſch empfinden gelehrt, 
und wenn heutigen Tages nur noch in verichollenen Per: 


F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan. 


ſönlichleiten am Rhein eine äffiſche Ausländerei herrſcht, 
vielmehr das warmblütige Weſen des Rheinlandes zum 
feften Anſchluſſe an die nationale Geſammtheit fich beftinmt 
hat, fo gebührt dem unabläffigen Wirlen Andree's ein we: 


293 


fentliches Berdienft hiervon, wie noch heute rheinifche Patrio- 
ten vielfach) bezeugen und im nächſten Artikel noch näher bes 
gründet werben foll, 


F. Öarnier’s Schilderungen aus Yünnan. 


IV. 


Raſch ſtieg der Weg aus dem Thale des Pe-ma—ho in 
demjenigen eines kleinen, weſtlichen Zufluſſes in die Höhe, 


wo Schneefall die Reiſenden überrafchte. Hier und da ſtand 


an den Kreuzwegen ein Galgen, an dem ſich traurig ein 
Leichnam im Winde fchanfelte, während gegenliber ein riefie 
ger Bambus mehrere menfchlice Köpfe trug. In Schaf> 
jelle gehüllte Liſſu zeigten fid) ab und zu auf den Berges: 
abhängen, den Bogen in der Hand und auf der Suche nach 
Biſamthieren. Nach einem langen und beſchwerlichen Marſche 
erreichte man das hochgelegene, eleude Dorf Pe-yusti, deſſen 
niedrige Hütten mit ſteinbeſchwerten Brettern gededft waren, 
die dem fallenden Schnee überall Durchlaß gewährten. Es 


war ſchwer, fir die Nacht eine trockene Schlafftelle zu fin- 
den. Mm folgenden Tage überſchritt der Zug die nahe an 
3000 Meter hohe Wafferfcheide und begann zum Peryens 
tſin⸗Fluſſe hinabzufteigen, welcher, wie alle auf biefem 
Marſche gefreuzten Fluſſe, zum P)angetfe-fiang fließt, der 
etwa 21/, bis 3 beutjche Meilen im Norden diejed Weges 
feine fiefeingefhnittene Thalfpalte hat. Als er diefes engere 
Flußgebiet auf der jenfeitigen Waſſerſcheide wieder verlieh, 
fat) man Herrlich geficderte Amherſtfaſanen auf dem Schnee 
ruhig herumſpazieren. Niemand kannte damals die Art und 
Jeder war einftweilen der Anſicht, daß man eine neue Vogel 
art entdedt habe. Oben auf dem Paß ſtaud ein Kleiner 





Am Salgen, auf der Straße nach Ta-tı. 


Beobachtungspoſten, welcher willig geftattete, daß ſich die 
Fremden an feinem Feuer erwärmen, che fie ſich an den 
Abftieg nad) der Etadt Ping-tſchuen-tſchau machten, 
Die Ebene, in welcher diefelbe gelegen ift, bot den traurigſten 
Anblid der Zerflörung dar; die zahlreichen Dörfer am Fuße 
der Berge lagen alle in Edjutt und Telimmer und nur 
hier und da hatten die Einwohner begonnen, mit Holz und 
Siroh mothdärftig ihre Behauſungen wieder herzuitellen. 
Ihr Erftes war jedoch geweſen, jedes Dorf mit einen Erd— 
wall zu untgeben und ſpaniſche Reiter zu legen, die fie aus 
zugefpigten, jungen Fichtenſtämmen heraeftellt hatten. 

Die Stadt Ping:ticuenstfchan, am Ende der Ebene und 
am Ufer des Ta-lacho gelegen, war in gleicher Weife zer: 
flört; nur ihre Citadelle hatte ſich jchen aus dem Schutte 
erhoben und erſchien mit ihrem wafjergefüllten Graben als 


Beobadytungsftation der Mohammedaner. 


ftarfe Feſtung in einem Yande, wo die Belagerer meiftens 
mar fiber grobe Musketen verfügen. Kaum waren die Frem⸗ 
den im dem beſten Wirthshaufe der Stadt eingefchrt, fo 
ericien der Befehlshaber derfelben mit mehreren Offizieren; 
Garnier legitimirte fich bei ihnen mit dem Briefe des Lao— 
papa (f. oben ©. 53) und gewann durd) einige Geſchenke 
ihr ganzes Bertrauen, fo daß fie ihn feine Reife ruhig fort- 
jegen ließen. 

Ein ftarfer Tagemarſch hinauf auf die Berge und hinab 
in das Thal des nächiten Yang-tſe-Zufluſſes brachte bie 
Franzoſen nach Piang-kio, dem entjeglic verwüſteten 
Wohnorte eines eingeborenen chriſtlichen Prieſters Namens 
Fang. Sein Haus war das einzig bewohnbare im ganzen 
Orte; eine geräumige Scheune mußte der Heinen Chriften 
gemeinde als Verſammlungsort dienen. Die Unterhaltung 


294 


mit Yang war ſchwierig, weil diefer das Collegium, von Bulo 
Pinang ſchon lange hinter ſich und fein Yatein, in welcher 
Sprache ſich die Frauzoſen wegen mangelnder Kenntniß des 
Shinefiichen jtets mit den einheimischen hriftlichen Geiſtlichen 
unterhielten, ziemlich vergeflen hatte. 
mochte er in wenigen traurigen 
Worten den jammervollen Zur 
ftand des Yandes zu Schildern, 
das gleichzeitig den Einfällen der 
Weißen von ga, der Rothen 
von Kiau⸗ya⸗pin und Ma⸗ſchang 
und der wilden Bergvölfer, welche 
anfangs mit den Mohammeda⸗ 
nern gemeinfchaftlide Sache ge: 
macht hatten, nun aber mit ihnen 
im Kampf fagen, audgefegt war. 
Schon zum vierten Male mußte er 
damals fein Haus wieberherftellen. 

Am näcten Tage ftiegen bie 
Framofen über das Gebirge hin- 
über nach Tustuistfe, wo fie ein 
frauzöſiſcher Pater, Dir. Leguil⸗ 
der, nad) elftägigen, ununter- 
brodyenen Wanderungen (dev 
längfte Marſch feit ihrer Abreife 
von Saigon) gaſtfreundlich em: 
pfing und ihnen in feiner beque- 
men Wohnung die jo nöthige, 
lurze Ruhe und Raſt gewährte. 


Im wenigen Worten fegte er den Ankömmlingen die | zahlreichen Gärten und Dörfern beſetzte Ebene. 





Mohammedaniſcher Briefter in Ta⸗li. 


F. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan. 


yusesogen ; aber der Screen, den fie verbreiteten, hielt jeden 
usbruch der Unzufriedenheit darnieder. Nur einige Yolo« 
Häuptlinge im Gebirge leifteten ihnen Widerftand und zu 


‚ ihmen hatte ſich Pater Leguilcher mit feinen Ehriften ſchon 
Aber dennoch ver» | mehrmals geflüchtet. Doc ſchien ihm das Empfehlungs- 


fchreiben des Lao⸗papa ein ges 
nügender Freibrief beim Sultan 
von Tarli zu fein und er felbft 
beſchloß, die Expedition dorthin 
zu begleiten, um für ſich und 
feine Gemeinde bei dieſer Gele- 
enheit Zugeftändniffe von den 
Prebellen zu erlangen. Ein Bote 
wurde vorangeſchickt, um das Ent= 
pfehlungsſchreiben und die Bitte 
um eine Audienz nach der mo— 


hammedaniſchen Reſidenz zu 
überbringen. 
Nach vierundgwanzigftündiger 


Raſt giug e8 weiter und am 29. 
Februar erblidte man von einer 
Paßhöhe zum erflen Male ben 
See von Ta⸗li, Del-hai, eine 
der herrlichften Ausfihten wäh- 
rend ber ganzen Reiſe. Eine 
mächtige, jchneebebedte, Gebirgs⸗ 
fette erhebt ſich im Hintergrunde ; 
vor ihr die blauen Waſſer bes 
Sees und zwifcen beiden eine mit 
Ein fu 


Lage der Dinge aus einander. So lange ſchon der mohams , Abftieg bradjte die Expedition am die Ufer des ſchönen Wafler- 


mebanifche Aufftand dauerte, hatte er feine Anweſenheit im 
Yande möglichft verheimlicht. Die Erprefjungen und Grau— 
famfeiten der Rebellen hatten ihnen den allgemeinen Haf 


EN) ı u" 





fpiegels, deſſen Nordende fie umgehen mußte, um Zasli zu 
erreichen. Aber auch hier wieder umgaben bie üppigen Fel— 
der und Pflanzungen nichts als gräßlich verwuſtete Orts 





Liſſu, Mann und Frau. 


ſchaften. Zwei Stunden fpäter ſtand fie vor den Thoren 
der Feſtung Diangstwan, welche, am Nordweſteude des Sees, 
da wo die Berge dicht am denfelben herantreten, gelegen, den 
Weg völlig jperrt. Der Mandarin des Ortes ließ den 
fremden melden, daß er fie nicht cher weiter ziehen laſſen 
fönnte, als bis die Antwort des Sultans eingetroffen fei; 


und fo waren fie gezwungen, in einem Heinen Gafihaufe der = 
Vorſtadt einftweilen Unterkunft zu ſuchen. Uebrigens war 
die Neugier und Zubringlichteit des Volles bei Weitem micht 
fo läftig als im kaiſerlichen Antheil von Mnnan; nur daß 
den Franzofen durch Bermittelung der eingeborenen Chriſten 
Pater Leguilcher's allerlei beunruhigende Gerlichte über ihre 


d. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan. 


Zuhmft zu Ohren famen und das Unternehmen Delaporie's, 
das herrliche Seepanorama zu zeichnen, lebhaften Argwohn 
hervorrief. Dem Allen wurde ein raſches Ende gemacht, ala 
am nächſten Tage eine giinftige Antwort von ZTa-li eintraf, 
und der Mandarin wegen der durch ihn verſchuldeten Ber: 
ſaumniß um Entſchuldigung bat. 

Am 2, März ging cd weiter. Ienfeits ber laufe von 
Hiang-fwan dehnt ſich eine herrliche Ebene längs bes Weit: 
ufers des Sees aus, im deren Mitte Tarlirfu liegt und die 





295 


im Glen durch einen gleichen Engpaß mit der Vefte Hias 
Avan ihren Abſchluß findet. Dieſe beiden Etädte find die 
wahren Schlüfjel zu Tarli; werden fie gut verteidigt, fo 
kann man fich ber Stadt nur zu Waller nähern. Kine 
große, mit Steinplatten belegte Straße flirt ſchuurgerade 
auf die Hauptftadt los, Als man, von 10 Soldaten gelei- 
tet, auf ihr entlang fich nad) Süden beivegte, drangen von 
Neuem beumruhigende Serlichte zu den Ohren der Neifenden: 
alle Chriſſen des Paters machten ſich heimlich davon, und 


> Pas “- 
—— — 


Waarentransport in Pünnan. 


jelbft auf die Träger mußte man ein wachſames Auge haben, 
damit fie nicht davonliefen. Um 31/, Uhr Nadymittags zog 
die Erpebition glüdlidy durch das Nordthor in die Stadt ein. 
Sofort ſammelte ſich eine unabjehbare Dienfchenmenge und 
begleitete fie auf der langen Straße, welche die Stadt von 
Norden nad) Süden durchzieht. Im Mittelpunfte der Stadt 
erhob fich eruſt umd büfter die zinnengefrönte Burg des Sul⸗ 
tans; bort traten zwei Mandarinen auf die Fremden zu, um 
mit ihnen zu unterhandeln. Den kurzen, dadurch entjtehenden 


Aufenthalt benupte ein Soldat, einem der Franzoſen die Müge 
vom Kopfe zu reißen, wahrjheinlih, damit der Sultan, 
welcher von oben herabſchauen follte, leichter fein Geſicht ſehen 
könnte. Ein Fauftfchlag war die Antwort auf den Angriff und 
fofort entftand ein unbeicreiblicher Yarm und Aufruhr. Mur die 
entichloffene Haltung der Franzofen und ihrer Begleiter und das 
Dazwilchentreten jener beiden Mandarinen verhinderte joforti- 
ges Blutvergießen, und ohne Zwifchenfall erreichten die Frans 
zofen das ihnen angewiefene Quartier am Slidende der Stadt, 


hilderungen aus Yiinman. 


— 
— 
= 


Sarnier's 


> 
I. 


296 


roh 299 Jo ng) 


ee 








F. Garnier’s Schilderungen aus NYünnan. 


Alles ließ ſich zumächft gut an*: ein vornehmer Mandar 
rin erfchien als Abgejandter des Sultans, erfundigte ſich 
nach Herkunft und Zweck der Fremden, beſprach mit ihnen 
das Geremoniel der nachgejuchten Audienz, meldete die Ber 
ſtrafung jenes frechen Angreifers, kurz entziidte fie durch 
feine Zuvorfommenheit und Liebenswürdigleit. Am folgen» 
den Morgen, ald Garnier gerade beſchäftigt war, alle über 
den Lan ⸗iſan ⸗ kiang (oben Mekhong) eingezogenen Erkuns 
digungen zufammenzuftellen und darauf feinen weitern Reifes 
plan zu bauen, wurde Pater Leguilcher zum Sultan geholt. 
Erft gegen Mittag kehrte er beftlirgt zurlid: die Stimmung 
bei Hofe war umgefchlagen; der Sultan weigerte ſich, die 
Franzofen zu empfangen und fandte ihnen ben Befehl, fol 
genden Tages fein Reich auf demjelben Wege, auf welchem 
fie gefommen, zu verlafien. Kein Zweifel, daß die militä- 
rifche Umgebung des Herrſchers, welche den rein wiſſenſchaft⸗ 
lichen Zweck der Fremden nicht zu verftehen e, in 
ihren Reifen, Aufnahmen und Beobachtungen nur auf Er— 
oberung des Landes gerichtete Maßnahmen erblict und dem 
Sultan —— plötzlichen Sinnesänderung veranlaßt hatte. 

Der Befehlshaber der der Expedition beigegebenen Escorte 
erhielt die Weifung, diefelbe am folgenden Tage nad) Hiang- 
fvan zurädzuführen; durch Geſchente beftimmte ihn Garnier, 
noch vor Tagesanbrud; aufzubrechen und den Weg durch bie 
Stadt felbft zu vermeiden, um dadurch jedem Zufammenftoß 
mit der famatifirten Menge auszuweichen. Um 5 Uhr Mors 
gens ſetzte ſich der Zug in Bewegung, Alles in größter Ord⸗ 
nung und die Gewehre in Bereitichaft. Es ging zum nahen 
Südthor hinaus und an der öſtlichen Mauer entlang; faft 
ohne Aufenthalt wurden die 32 Kilometer bis Hiang-fman 
zurüdgelegt. Denn es lag Garnier daran, diefen Engpaß, 
der jedes Entrinnen unmöglich) machen fonnte, im Rüden 
zu haben. Als ihm darum der Offizier der Begleitmannſchaft 
auf höhern Befehl vor der Fetung warten hieß, lehnte er 
biefe — Gaftfreundfchaft des Sultans danfend ab, durdjzog, 
ohne auf die Gegenrede zu achten, die gefährliche Stelle und 
machte erft jenfeits derjelben Halt. Eine neue Begleitmann- 
{haft und zwei beauffichtigende Mandarinen, weldye ihm der 
Befehlehaber der Feſtung ftellen follte, wies er ſchroff zurlid 
und zog noch am felben Tage, um zu beweifen, baß er ſich 
bie freiheit feiner Handlungen bewahrte, bis Maja am 
Nordende des Sees. Ja, ald unterwegs Herr Delaporte 
eine Goldbarre von 1500 Franken Werth, die Hälfte ihrer 
ganzen Baarfcaft, verlor, ließ er umlehren und ſuchen, leis 
der ohne Erfolg. 

Der Verſuch, fie feitzuhalten und ihnen eine Auffichts- 
mannſchaft aufzunöthigen, wiederholte ſich noch einmal bei 
der Gitadelle von Kwangstia-ping; aber auch er wurde 
zurüdgemwiefen, und fo erreichten fie endlich das hochgelegene 
und leicht zu vertheidigende ZTustuistfe, Pater Leguilcher's 
Heimath, wo fie zwei Ruhetage machen konnten. 

Trog der denkbar unglinftigften Umfiände und ber Haft, 
mit weldyer die ganze Reife ausgeführt werden mußte, ift 
ed Garnier doch gelurigen, interefjante Nachrichten über Yand 
und Leute einzuziehen. 

Der Handel des weftlichen Theiles von Rinnan ver 
folgte vor dem mohammedaniſchen Aufftande zwei Haupt: 
wege, den einen über Teng-yuöstichau und Bhamo am Yra- 
waddi nach Birma und einen zweiten nadı Tibet. Nach 
Birma wurden Rhabarber, Kupfer, Flintenfteine, Moſchus 
und Gold erportirt, und dafür Baumwolle eingeführt. Die 
Karawanen brachen von Hiasfvan am Sübende des Sees 
von Ta-li auf und brauchten zwei Tage bis Yun-tichang, 


@lobus XXVMI. Nr. 19. 


297 


ſechs bis Tengeyuöstihan und neun bis Mo⸗fu, wo fid eine 
von China abhängige Zollftätte der Pa⸗y *) befindet, Sie⸗ 
ben weitere Tagereifen bradıten fie nad; Bhamo, Birma 
erhob von den eingeführten Producten in Ava den Zehnten 
in Geld oder Waaren, während China in Mo-fu die Yadung 
Baumwolle mit %/,, Tael befteuerte. So ſehr ſich die Mo- 
hammebaner auch bemühten, diefe Handelsſtraße offen zu 
halten, fo hatten doch die Unſicherheit ihrer Herrſchaft und die 
Plüindereien der Kalhyen zur Folge, daß dieſelbe faft gänzlich 
verödete, Die Bewohner Yunnans holten nun die Baum 
wolle, deren fie beburften, zum größten Theile aus dem Ins 
nern Chinas, verfuchten auch, diefelbe in den wärmeren 
Theilen ihres Landes ſelbſt anzubauen. So hatte ſich wäh— 
rend des Aufſtandes ein neuer Handelsverkehr von Ta-li 
nach Sy’etjchwan gebildet, den die Rebellen wohl oder übel 
beglinftigen mußten. Geinen Unterthanen hatte der Sultan 
von Ta⸗li zwar die Auswanderung verboten und befohlen, 
ſich als Zeichen der Unabhängigkeit die Haare wachjen zu 
laffen; aber die chinefifchen Kaufleute konnten unbeläftigt 
ab und zu gehen und ihren angeftammten Zopf ruhig weiter 
tragen. Der Befehlehaber von Pin⸗iſchuen, der erſten mo— 
hammedanifchen Stadt, hatte ftrengen Befehl, die Karawa⸗— 
nen zu fchligen; und wurden biefelben ausgeplündert, fo 
mußten die dem Drte des Leberfalles nächftgelegenen Dörs 
fer den Schaden erfegen, und mehr als den Schaden, denn 
auch der Mandarin wollte dabei profitiren. 

Wie fid) diefe Berhältniffe jet geftaltet haben, nachdem 
ber mohammebanifche Aufftand in Strömen Blutes erftidt 
worden ift, läßt fich nicht angeben, Der Berfuch der Eng- 
länder, daritber ſich Klarheit zu verfchaffen, hatte ja befannt« 
lid) einen vollftändigen Mißerfolg und kann leicht zu einem 
Kriege mit China führen, ber fpäter ober früher kommen 
mu 


— Sy⸗tſchwan wird Thee von Pu⸗ðl (Po-örh) und 
Salz ausgeführt; von dort holt man Baumwollftoffe, Kurz« 
waaren, Porcellan, grobes Steingut, Schirme, Hüte u. h w. 
Aus Tibet kommen die bittere Arzneiwurzel Kwang⸗lien, Lein⸗ 
wand, Hirfchgemweihe, Bären und Fuchspelze, Wachs, Harze, 
Nußöl, was alles in Wesfi Steuer zahlt, Dafür erportirt 
Nünnan dorthin frei von Steuer Three, Baumwollenzeuge, 
Neisbranntwein, Zuder und Kurzwaaren. 

Die indufteielle Production Yunnans, welche namentlid) 
in Metallen bedeutend war, lag während des Aufftandes 
natürlich jehr darnieder. Kupferminen werden befonders zu 
Fong-pau, Tartong und Pe-yang betrieben; auch Gold, Sil- 
ber, Quedfilber, Eifen, Blei und Zinn werden gefunden, ans 
geblich auch Platin; Gold gilt zwölfmal mehr als das gleiche 
Gewicht Silber. In Ho-fing wird Bambuspapier, im Thale 
von Pien-fio Zuder, in Ho⸗tſchang eiferme Keſſel und Beden 
fabrieirt. Die Jagd auf das Mofchusthier ernährt haupt« 
fächlic, die Bergbewohner; auch Efelefleifc wird hoch geſchätzt 
und in großen Mengen verzehrt. 


+) Pa⸗y if der Name eines den Laos verwandten Wolfen, tele 
chea durch ganz Dünnan zjerftreut anzutreffen if. Man finder fie for 
wohl bier im Weften ber Proving als im Süden, wie aud am Zu⸗ 
fammenfluß des Yaslung und Dangstfe (fiche S. 279 u. 280). Ihre 
Schrift und ihre Gieilifation ſcheinen fie von Tibet erbalten zu ha— 
ben, ſonſt aber mit den friedliebenten und fanften Austie, Telu (Te« 
long), Didſchu und Arru, welche pwiſchen 27% und 30° noͤrdl. Br. 
am obern Irawaddy, Salmen und Melhong figen, in nahen Bezire 
bungen zu ſtehen. Ubbe Desgotins, ber genaue Kenner Tibet, ber 
fchreibt 5. B. bie ‚Häufer der Zustfe genau fo wie Garnier die ber 
Pa⸗y im Süden Yunnans. Bon lepteren geben wir auf ©. 296 
eine Anſicht. 


298 


Aus Georg Schweinfurth’s Reifen in Innerafrifa. 


Aus Georg Schweinfurth’3 Reifen in Innerafrifa. 


IX. 


Das Volk der Monbuttu. 


Während den Weibern der wenige Aderbau, die Ernte, 
das Verfertigen der Töpfe zufällt, Holzſchnitzerei und Korb⸗ 
flechterei von beiden Geſchlechtern geübt wird, liegt den Däns 
nern, abgejehen von Jagd und Krieg, nur das Schmieden 
ob. Alle freie Zeit bringen fie in Mußiggang, mit Tabad: 
rauchen, Plaudern und Muficiren zu. Beide Gefchlechter 
verfehren mit großer Zwanglofigfeit unter einander. Ya, die 
Frauen der Monbuttu find geradezu zudringlich, vorlaut und 
ſchamlos; ihre Männer legen auf ihre ehelidye Treue wenig 
Werth, wie ſich Schweinfurth täglid) im Yagerleben der Nu— 
bier Überzeugen fonnte. Während die Männer bei den Dinfa 
fid) mit ihrer Nadtheit als Zeichen der Männlichkeit brüiften 
und die Weiber ſich dort mit zwei langen Fellen hinten und 
vorn umbüllen, während Bongos und Mittufrauen ſtets 
grünes Yaub im Gürtel tragen und die zuchtigen Weiber der 
Niamsniam einen Fellſchurz haben, ift es Hier umgefehrt: 
bie Monbuttu hüllen ſich vom Knie bis zur Bruft hinauf 
in den oben befchriebenen Nindenftoff und ihre Weiber find 
faft jeder Bebeddung bar und tragen außer einem handgroßen 
Stüd Bananenlaub an der Gürtelſchnur nur, wenn fie aus— 
gehen, einen fußbreiten, grobgewebten Streifen Zeuges über 
dem Arme, welcen fie ſich beim Nieberfegen quer über den 
Schoß legen (f. das Bild der Netolu auf S. 275) und wo- 
mit aud) die Mütter ihre Kinder auf dem Rüden befeftigen. 
Ihren Männern gegenüber beanfpruchen fie einen hohen 
Grad von Selbftändigfeit und Umabhängigfeit. Dies zeigte 
fid) namentlid), wenn der Reifende irgend eine Merhvltrdig- 
feit zu faufen begehrte; ftets erhielt er von den Männern 
zur Antwort: „Frage meine Frau; der gehört es.“ 

Die Weiber tättowiren ſich Bruft und Rüden mit bands 
artigen, nad) den Achſeln laufenden Streifen und bemalen 
ſich in den verfchiedenften Muftern den Leib mit Gardenia- 
ſaft. Bald wählen fie dazu Sternchen und Kreuze, bald 
Blumen und Bienen, bald zebraartige Streifen, bald Tiger 
fleden und gejcedte Mufter von unregelmäfiger form, bald 
marmorirte Adern und ſchachbrettartige Karrirung u. |. w. 
Dei großen Feſtlichteiten fucht die eine frau es der andern 
in Erfindungsgabe zuvor zu thum. Zwei Tage hält diefer 
Pug vor; alsdann wird er forgfältig abgerieben und durch 
einen neuen erjett, 

Die Männer beftreichen dagegen den ganzen Leib gleid)- 
mäßig mit einer Mifchung aus fett und gepulvertem Roth— 
holz. Die Friſur ift bei beiden Geſchlechtern diefelbe: ein 
langer, chlindriſcher Chignon, aus den durch ein Rohrgeflecht 
gehaltenen Haaren des Scheitelö und Hinterfopfes beftehend, 
während die Haare des Vorderfopfes, oft durch fremdes Haar 
vermehrt, in diinne Fäden zufanmengebreht und von Schläfe 
zu Scläfe quer über die Stirn gelegt werden. Die rauen 
fteden in den Chignon Kämme aus Stacheljchweinborften und 
Nadeln, während die Männer ihm mit dem federgeſchmückten 
Strohhute bedecken (j. das Bild auf S. 275). Die ganze 
Mode erftredt ſich alfo auf den Kopfputz; die einzige Ber: 
ftümmelung des Körpers befteht — abgefehen von der bei 
allen heidnifchen Negervölfern Aequatorialafrikas feit alten 
Zeiten —— Beſchneidung — darin, daß ſie die 
innere Ohrmuſchel durchlöchern und einen kupfernen Stab 
von Cigarrengröße hindurchſtecken. 


Der Monbuttukrieger führt, was in Afrika ſelten vor- 


fommt, außer Schild und Lanze noch Bogen und Pfeile; 


außerdem im Gürtel ficelartige Meſſer oder große Doldye 
und fpatelförmige Hackmeſſer, die er ſich felbft mit großer 
Kunftfertigkeit ſchmiedet. Die rothe Eifenerde, welche einen 
großen Theil JInnerafrikas bededt, liefert dem Monbuttu- 
ſchmiede den Rohſtoff in Menge; ein Meißel giebt der Waffe 
ihre Contour umd ein Meiner jchmiedeeiferner Hammer 
— alle ihre Nachbarn bedienen ſich ftatt deflen eines Stei- 
ned — die nöthige Schärfung. Unſere Feilen erjegt ihm 
ein feinförniger Sandftein oder eine Öneisplatte, um bie 
Lanzenfpigen und Meſſer zu wegen und zu ſchärfen. Außer 
den Lanzen- und Pfeilfpigen und den Meflerklingen, deren 
Formen eine faum glaubliche Mannigfaltigfeit aufweifen, 
verftehen die Monbuttu auch zierliche Eifentetten herzuftellen, 
welche zum Schmucke dienen und in Feinheit und ormvoll- 
endung mit unferen beften Stahlletten wetteifern können. 

Wie groß der Werth ift, den fie dem Kupfer als Prunk⸗ 
metall beimeſſen, haben wir bereit# früher geſehen; es ift 
nicht unwahrſcheinlich, daß dies Erz von den Minen Angolas 
und Loangos her den Weg zu ihnen gefunden hat. Sonft 
aber fennen fie fein Metall, weder Gold noch Silber, weder 
Zinn noch Blei. Doch fließt Schweinfurth aus gewifien 
Angaben auf das Vorkommen von Platin in ihrem Lande. 

Die große Ausbildung der Schmiedelunſt, welche ihnen 
die im jenem Theile Afrilas fonft ganz unbelannten eins 
ſchneidigen Meſſer liefert, führte zu einer größern Entwider 
lung der Holzfhnigere. Mit den winzigen Schneiden 
ihrer Meinen Beile, beffer gefchärften Eifenkeile, fällen fie 
durch Taufende von Streichen die riefigen, 6 bit 8 Fuß im 
Durchmeſſer haltenden Nubiaceen fo geſchickt, daß die Hieb · 
fläche wie mit einem Meſſer durchgeſchnitten erjcyeint. Das 
weiche, riſſeloſe Holz derfelben wird zu Schüſſeln, Schemeln, 
Bauten, Booten und Schilden verarbeitet. Die Boote wer- 
den aus einem einzigen Stamme hergeftellt und erreichen bie 
10 Meter Länge und 1°/, Meter Breite. Die hölzernen 
Signalpaufen mit einem nad) oben gerichteten Schallfpalt 
fehlen in feinem Monbuttudorfe. Bon der größten Mannig« 
faltigfeit find die Schemel, deren ſich nur die Frauen bedic+ 
nen, und die, wie alle Übrigen Gegenſtände, ſtets aus einem 
Blocke gearbeitet find: oben eine freisrunde, ausgehöhlte 
Sitzſcheibe, die durd einen zierlich gefchnigten Stiel auf einem 
runden oder edigen Fuße ruht. Die Lehnen dazu werden 
apart aus Beräftelungen junger Bäume gefertigt und hinter 
dem Seſſel aufgeftellt. 

In der Töpferei nehmen die Monbuttu mit die erſte 
Stelle unter den afrikaniſchen Völlern ein, deren Producte 
fonft nur henfellofe Urnen find. Sie übertreffen ihre Nadı- 
barn jowohl in der Qualität des Thonsgals in der Form 
vollendung ; namentlich auf die Waſſerflaſchen verwenden fie 
große Sorgfalt und ftatten fie mit Henfeln oder fymmetrifchen 
Eindriden aus, in welche die feflhaltenden Finger zu liegen 
fommen, ober machen ihre Oberfläche durch eingerigte Fi— 
guren und Linien rauh, damit die Hand nicht abgleite. 

Tabadspfeifen haben fie nicht; denn die durchbohrte Rippe 
eines Bananenblattes dient ihnen als Rohr, ein zufanımen« 
gewideltes, mit Tabad gefültes Blatt ald Kopf. Körbe 


Albin Kohn: Schilderungen innerafiatifcher Zuftände. 


und Matten werden aus Rotang geflochten; Paften in Trag« 
törben auf dem Riten fortgeichafft, da der complicirte Kopf⸗ 
pug ein Tragen vermittelft des Kopfes nicht zuläßt. 

Die größte Kunftjertigkeit bekundet dies Bolt aber im 
Häuferbau, namentlic, in der Errichtung der oben geſchil⸗ 
berten Hallen des König Munfa, welche mit der Ausdehnung 
Heiner Bahnhofshallen Yeichtigkeit des Stils und folide Baus 
art verbinden. Ihre Wohnhäufer find von geringer Größe, 
meift 15 bis 20 Fuß breit und 25 bis 30 Fuß lang, mit 
weit vorfpringendem Dache, welches ans Stroh, Gras oder 
Rinde befteht und durch eine Filterung von Bananenblättern 
wafjerdicht gemacht wird, Die Wände find 5 bis 6 Fuß 
hoch, geſchloſſen und aus berjelben frütterung und Rinden- 
dede vermittelft feingefpaltenen ſpaniſchen Rohrs zuſammen ⸗ 
genäht, ganz wie an ber äquatorialen Weftküfte Afrikas. 


299 


| Diefes Material giebt den Häufern und Hallen eine aufere 
ordentliche Widerftandsfähigteit gegen die Gewalt der Elemente. 
Eine bequeme Thüröffnung gewährt Licht und Luft den eins 
zigen Zutritt und wirb durch ein folides Brett gefchlofen. 
Im Innern befinden ſich in der Regel zwei Abtheilungen, 
von denen die hintere als Borrathsfanımer dient. 

Dörfer und Städte in unſerm Sinne giebt es bei den 
Monbuttu nicht; nur Munſa's Refidenz verdient den Namen 
eines großen Dorfes. Die Häufer reihen fi, familienweife 
als Weiler gruppiert, zu langen, von Delpalmpflanzungen 
| unterbrochenen Ketten an einander, den Einſchnitten der 
‘ Wafferläufe folgend. Von legteren werden fie durch Bananen: 
| gebitfch gejchieden, während nad) der Höhe zu die Bataten« 
2. Colocaſiafelder, weldye trodenern Boden erfordern, an- 
ſtoßen. 








Schilderungen inneraſiatiſcher Zuſtände. 
Von Albin Kohn, 


IN. 


2. Die mohammebanifce Revolution in Nord— 
weſt⸗China. 


Gegen 1862 draug aus dem fernen Oſten Aſiens die 
Kunde nach Europa, daß dort ein furchtbarer Aufſtand aus— 
gebrochen fei, der dem Reiche der Mitte den Untergang drohe. 
Da im weitern Verlaufe ein Name ertönte, der faft wie 
„Jeſus“ Hang, jo Initpften ſchon die Zeloten, welche bie 
ganze Menfchheit nach ihrer fyagon ſelig machen möchten, vers 
ſchiedene Hoffnungen an diefe Schilderhebung , und ich hatte 
jelbft einige Male Gelegenheit zu hören, dag man ſich freute, 
wenn die Nachricht fan, daß die Empörer wiederum einen 
Sieg errungen, eine Stadt erobert und ihre Bewohner nieder⸗ 
gemegelt hätten. Es follte dies Alles ad majorem Dei glo- 
riam gefhehen fein, und man betrachtete den ganzen Auf- 
fand als ein Zeichen, daß fich endlich Gott aufgerafft habe, 
um China wegen des in ihm herrfchenden Heidenthums zu 
—— für die Verbrechen, welche ſeine Bewohner bislang 

angen haben, zu beſtrafen und die ganze Gegend feinem 
beiligen Geſetze zu unterwerfen, d. h. zum römischen Katho— 
lieismus zu befehren, Ich hörte diefe Anſicht häufig von 
römifch-Tatholifchen Prieftern ausſprechen, mit denen ic) in 
jener Zeit vielfach, zu verkehren Gelegenheit hatte. Es fcheint 
übrigens, daß man ſich nicht allein in Europa, fondern fogar 
in dem zumächft interejfirten Himmliſchen Reiche vom Auf: 
ftande feinen Maren Begriff zu machen vermochte und daß 
ſich überhaupt erft jet der wahre Sadjverhalt, mit ihm aber 
auch die Zerrifienheit und innere Fäulniß im fernen Driente 
erfennen läßt. 

Bon zwei Seiten, von Süd und Welt, zogen fid) dro- 
hende Wolfen über dem Blumenreich der Mitte zufammen, 
welche die Kegierung von Peking erzittern machten, wenn 
fie überhaupt von ber ihr drohenden Gefahr unterrichtet ge= 
weien if. Zum mindeften war die Herrfcaft der Mand— 
ſchudynaſtie und ihrer Stammgenoſſen bedroht. Es ift 
fogar anzunehmen, daß die Regierung in Peking auch, heute 
noch nicht vollftändig über die Page der Dinge unterrichtet 
ift, zum wenigften nichts Sicheres über die Nevolution im 
Süden weiß, wo die fogenannten Taipings die Fahne des 


Aufruhrs erhoben hatten. Ueber die Verhältniffe im Nord« 
weften bes Meiches hat der ruſſiſche Stabscapitän Prices 
walsti fehr eingehende Auffchlüffe veröffentlicht, mit denen 
ich die Yefer des „Slobus“, wenn auch nur inhaltlich, bekannt 
machen will, ” 

Die mohammedanifche Infurrection im nordweſtli 
Theile Chinas hatte gleich im Anfange Ausfichten auf Er— 
folg im Kampfe wider die mandſchuriſchen Herrfcher. Da 
es den Aufftändifchen jedoch an einer einheitlichen, gediegenen 
Führung und an einem beftimmten Plan fehlte, fo begnüig- 
ten fie fic mit Scheinerfolgen, welche nicht dazu dienen fonn« 
ten, die Bevölferung, welche auf der ungeheuern Fläche weft 
lic, der chinefifchen Mauer und des obern Theils des Gelben 
Fluſſes wohnt und welche von den Ruſſen „Dunganen“, 
von den Chinefen „ChojsChoj“ genannt wird, vom dji- 
neſiſchen Joche zu befreien. Diefe Bevölferung gehört ber 
mohammebanifchen Secte der Sumiten an, zerfällt aber 
ihrerfeits in verſchiedene Secten. 

Nachdem es den Aufftändifchen gleich im Anfange ges 
lungen war, das chineſiſche Joch abzufchüitteln, begnügten fie 
ſich mit Meinen Streifzügen, weldye nur die Beraubung ber 
friedlichen Bevölferung, nicht aber das Zertrilmmern des 
Mandfchurenjocdhes zum Zmwede hatten. Cine natürliche 
Folge hiervon war, daß fie häufige Niederlagen erlitten, als 
die Chinefen wieder die Offenfive ergriffen, und das mit 
Mühe eroberte Terrain allmälig wieder einbüßten. Sie 
jegten fich gleich) anfangs in dem Befig ber Städte Sir 
ningsfu, Tetung und Su⸗tſchau, deren Eroberung ihnen 
jelbft unerwartet fam, über die fie gleichjam verblüfft was 
ren, und es fcheint, daß fie, von diefem unerwarteten Erfolge 
beraufcht, vergaßen, daß Biel zu thun fei, fo lange nicht 
Alles gethan if. Während vieler Jahre hat eine Karte des 
Befigftandes der Dunganen (ic; werde mich diefer Bezeich— 
nung der Choj⸗Choj ausfchließlich bedienen) und Chinefen 
das wunderfamfte Bild, das man ſich in ftaatliher Hinficht 
denlen fanın, dargeboten, denn nicht allein, daß die Befiguns 
gen beider im langen und ziemlich, breiten Streifen parallel 
neben einander liefen, fo waren noch im ben Streifen ber 
Dunganen chineſiſche Enclaven und in den chineſiſchen Streis 


593% 


300 


fen Enclaven ber Dunganen, und feine ber ſich befämpfen- 
den Parteien ergriff emergijche Mittel, um ben Gegner aus 
dem Befige zu verbrängen. 

Wenn die Dunganen ben Krieg mit Energie geflihrt 
hätten, fo hätten fie unzweifelhaft bebeutende und dauernde 
Erfolge errungen, denn ihnen fam nicht allein, wie wir 
fehen werben, die bekannte Feigheit und grenzenlofe Demor 
ralifation der chineſiſchen Soldaten, fondern aud) bie Zus 
neigung der Mohammebaner des eigentlichen Chinas zu 
Hitlfe, und auf dieſe konnten fie mit voller Gewißheit zählen. 
Diefe Hilfe wäre aber ehr —— denn man 
zählt im eigentlichen China bis 4 Millionen Bewohner, 
weldye den Glauben des arabifchen Propheten befennen, und 
die ſich vor ihren Landéleuten durch eine große Portion 
Muth und Energie auszeichnen. Ein —— einheit ⸗ 
liches Vorgehen hätte, wenn auch nicht die Vernichtung des 
Himmlischen Reiches, jo doch gewiß den Fall der Mandſchuren⸗ 
herrfchaft zur folge gehabt. 

Außer diefem begingen die Dunganen noch einen andern 
ſehr großen fehler; fie thaten nicht das Mindefte, um bie 

uneigung und womöglich aud) ben Beiftand der im ber 

üfte haufenden Mongolen, welche erbitterte Feinde ber 
chinefischen Herrſchaft find und fie nur mit verbiffenem In: 
grimme ertragen, zu gewinnen; im Gegentheile wütheten fie 
gleich im Beginne des Aufftandes eben fo gegen die Mongo- 
len wie gegen die Chinefen, und brachten hierdurch bie No: 
maden gegen ſich auf. 

Ale diefe den Erfolg fichernden Bedingungen hätte eine 
einheitliche Führung zu würdigen und auszubeuten verftanden, 
aber dieje fehlte den Aufftändiichen. In Sining-fu, Sur 
tſchau u. ſ. w. waren felbftändige und von einander unab- 
hängige Führer. Wenn die Dunganen ungeachtet diefer Zer: 
riffenheit e8 im Jahre 1869 dennoch vermodht haben, Ordos 
und Ala⸗ſchan trog der am Hwang-ho ftehenden 70,000 
Mann zählenden chinefifchen Armee zu erobern und zu vers 
wüften, was wäre ihnen nicht gelungen, wenn Plan und 
einheitliche Führung dageweſen wären? Im Yahre 1870 
fiel Utjafutaj, im darauf folgenden Jahre Kobdo, bie 
Hauptpläge der weftlichen Mongolei, und im Jahre 1873 
Bulun-tocho j in die Gewalt der Dunganen, die fie rlids 
ſichtslos verwüfteten, In dem beiden erftgenannten Städten 
befanden ſich jogar anfehntiche chineſiſche Garnifonen, welche 
ſich jedoch vor den Empörern verftedten und nicht den ger 
ringften Widerftand leifteten. 

Wer von den hier aufgezählten Erfolgen auf die Tapfers 
feit der Dunganen fliegen wollte, würde einen Trugſchluß 
machen. Sie find eben ſolche Feiglinge wie die Chinejen 
und nur da bis zur Verwegenheit zudringlich, wo fie wiſſen, 
daß fie feinen Widerftand finden. Alle Raubzlige und Kriege 
der Dunganen wider die Chinefen bafirten auf der Annahme, 
dag — ein Hafe den andern einſchüchtern, ein Fuchs ben 
andern liberlifien werbe. Deshalb aud) wurde ber Dungane 
ein reißendes Thier, wenn es ihm gelang, einen Sieg zu errin⸗ 
gen, und der Chinefe vergalt, gegebenen Falls, Gleiches mit 
Gleichem. Der Sieg der einen wie ber andern Partei hatte 
immer Mord und allgemeinen Raub zur Folge. Der Bes 
fiegte mußte über die Klinge fpringen, und deshalb fannte 
man im Sriege der Dunganen mit den Chinefen keine Ge- 
fangene und feine Begnabigte. 

Ein dunganifcher Heerhaufen muß aber thatfächlich eine 
wahre Carricatur eines Heeres geweſen fein, gut zum Raus 
ben, Morden und — flüchten. Er wurde aus den ver- 
fchiedenften Stämmen recrutirt und häufig war die Hälfte 
gänzlich unbewaffnet. Die anderen waren theild mit Yanzen 
oder Säbeln, theils aber, und zwar in geringer Anzahl, mit 
Luntenflinten bewaffnet. Bei jeder Abtheilung befanden ſich 


Albin Kohn: Schilderungen innerafiatifcher Zuftände, 


Greife, Weiber und Kinder, welche nur auf die Flucht bes 
Feindes warteten, um zu rauben, und mit dem Raube unter 
bem Schuge der Bewaffneten zu entfliehen, An Difciplin, 
bie ja erft aus der Menge ein Heer macht, war nicht zu 
denlen. 

Das Monſtröſe und Lächerliche der Kriegsführung ber 
Dunganen dürfte ein Beifpiel illuftriven. Wir wollen Hierzu 
die Belagerung ded Tempels Tſcheib-ſen, wo Prſchewalsti 
auf feiner Reife längere Zeit verweilte, wählen. 

Diefer Tempel ift von einer quadratifchen Lehmmauer 
umgeben, welche gegen fieben Meter hoch ift und deren jebe 
Seite eine ungefähre Länge von 40 Klaftern hat. Im ber 
Mitte jeder der vier Mauerfeiten wie aud) in den vier Win« 
feln befinden ſich Heine Thürmchen, welche eine Beſatzung 
von 15 bis 20 Mann beherbergen. Die Mauer ijt mit 
einem Bretterdache, das nach innen und außen abfällt, vers 
fehen. Außerhalb diefer Befeftigung befinden ſich ringe 
herum gegen hundert Hütten (Fanſen), welche ebenfalls von 
niederen Lehmmauern umgeben find. Innerhalb diefer Feſte 
ift nicht einmal ein Brummen vorhanden und deshalb muß 
das Waffer aus einem Bache geholt werben, ber außerhalb 
der Befeftigung fließt. 

Im Sommer des Jahres 1868 näherten ſich einige 
Taufend Dunganen dieſem Plage, um den Tempel zu zer- 
ftören. Die Bertheidiger, deren Anzahl ſich auf taufend 
Mann belaufen mochte, waren ein Gemiſch von Chinefen, 
Mongolen und Tanguten. Bei Annäherung bes Feindes 
verließen alle die Fanſen und begaben fid in die Haupt» 
befeftigung; die Dunganen bejegten die erfteren ohne Wider- 
fand zu finden und begannen auch ſogleich den Sturm der 
Hauptfefte. Zrog der elenden Berfafiung, in weldyer ſich 
diefe befand, zeigte fie ſich hinreichend widerſtandofähig gegen- 
über den Sturmwaffen ber Dunganen, welche einfache Brech⸗ 
ftangen anwendeten, um eine reiche in die Yehmmwand zu 
machen. Kine Folge hiervon war, daß der erfte Sturm 
mißlang. Indeſſen war die Zeit zum Theetrinfen heran- 
gerüdt und dieſe Beſchäftigung it file jeden Ehinejen fo 
wichtig, daß er ihrethalben jelbjt eine faft gewonnene Schlacht 
unterbricht. Da die Dunganen in diefer Beziehung den Chi- 
nejen vollfommen gleich find, fo eilten auch fie in das ein 
Kilometer entfernte Yager zurüd, Die Belagerten, welche 
ja ebenfalls ihr Yieblingsgetränf zu fic nehmen wollten, 
ftürgten num mit ihren Waflergefäßen zum Thore hinaus 
und ſchöpften, Angeſichts des Feindes und ohne vom dieſem 
daran verhindert zu werden, fo viel ihnen für den Augenblick 
nöthig war, bereiteten hierauf ihr Getränk und fchlärften es 
in aller Seelenruhe. Tags darauf wiederholte ſich diefelbe 
Scene; man ftlrmte vergebens die Fefte und eilte davon, 
als die Zeit hierzu gelommen war, um ben Thee zu bereiten 
und zu trinten. Im diefer Weife wurbe das chineſiſche Saras 
gofja während voller ſechs Tage angegriffen und vertheibigt. 

Diefes muß dem in die oftafiatischen Verhältniſſe nicht 
Eingeweiheten ganz unglaublid, erfcheinen; aber wer die uns 
endliche moralische Fäulniß, welche in China herrſcht, wie 
Stabscapitän Prihewalsti mit eigenen Augen gejehen hat, 
der muß fich auch jagen, daß andere Berhältnifie kaum mög- 
lic find, Wer aud) würde es glauben, daß die Dunganen, 
trog der bittern Feindſchaft, die zwifchen ihnen und den Chi« 
nejen herrſchte, mit den letzteren Handelsverbindungen unter» 
hielten? Und doch jah man die Dunganen aus Tetung 
fleißig die Märkte des Kloſters Simni beſuchen und mit den 
dortigen Higenen (Mönchen) die freundſchaftlichſten Bezie · 
hungen unterhalten. In Simni, das nur 60 Kilometer von 
Tetung entfernt ift, waren die Dunganen nicht als Räuber 
gefürchtet. Daſſelbe Verhältniß fand zwifchen den Dun: 
ganen von Zu⸗nau⸗tſchen und dem Chuſchon (Häuptling) 


€. dv. Boed: Ein Beitrag zur Beurtheilung des Khechuaftammes in Peru und Bolivia. 


von Kulu-⸗Nor, Mursfasfal, ftatt, der ihnen Vieh aus der 
Gegend des Sees Kufu-Nor lieferte. 

Solche VBerhältniffe können mur in China bereichen, deſ⸗ 
fen Regierung erft aus dem Traume ober beſſer aus dem 
Dufel erwachte, als fie fah, daß ganz Oftturkeftan, das Land 
am Tian ⸗tſchan und ber größte Theil der Provinz Kanzfı 
verloren war; nun erft bejchloß fie alle Mittel aufzubieten, 
um der Revolution das Eindringen ins eigentliche China 
unmöglich zu machen. Zu diefem Behufe ſchuf fie eine Ber- 
theidigungslinie auf der natlirlichen Grenze, nämlicd, an dem 





301 


obern Laufe des Fluſſes Hwang-ho, welche fie mit einer 
Armee von 70,000 Mann befegte, die ald Garnifon der 
Städte Kuku⸗choto, Bautu, Dyn⸗chu, Ning-hiasfu, Lan- 
tſchan · fu und anderer verwendet wurde. Außerdem wurden 
auch die Beſatzungen der Städte in der Provinz Kansfu, 
welche noch nicht im die Gewalt der Dunganen gefallen wa— 
ren, verftärtt. Hierbei ließ man es im Anfange bewenden 
und es reichte hin, da fic die Dunganen auf einfache Raub: 
zige beichränften, welchen bie chineſiſchen Garnifonen, geſchützt 
durch) ihre Lehmmauern, ruhig zufcauten. 


Ein Beitrag zur Benrtheilung des Khechuaftammes in Bern und Bolivia. 
Von E, von Boeck in Cochabamba. 


u. 


Neligiöfe Anjhauungen und Gebräude der 
alten Indier, 


Wenn wir und in den Werfen ber Hiftorifer, wie z. B. Press 
cott, über bie religiöfen Ideen und beſonders Über den Sonnens 
dienft der Inca-Nation unterrichten wollen, fo können wir 
und nur ein umbeftimmtes in Dämmerung gehülltes Bild 
des religiöfen Glaubens und Fühlens dieſes Soltes ſchaffen 
und möglicherweife zu der nicht volllommen richtigen Anſicht 
gelangen, als ob die Indier Perus befonders erhabene reli- 
giöfe Anfichten gehabt und denfelben in bedeutungss und 
finnvollen Geremonien Ausdrud gegeben. Allerdings ift 
nicht in Abrebe zu ftellen, daß der Sonnenglauben erhaben 
und auf tiefgehende Beobachtungen der Natur gegrlindet ift, 
daß die Sonnenfejte im Monate Raymi oder December mit 
großer Weierlichleit begangen wurden, aber eben fo ent 
ſchieden mlffen wir anerfennen, daß die göttliche Verehrung, 
welche einer großen Menge von Naturwejen und Naturkräften 
erwiefen wurde, uns an die alten Völker Griechenlands er» 
innert, beren Götterwelt Schiller jo meifterhaft befungen, 
dag er ums faft vergeffen macht, wie nahe diefer Glau— 
ben am Fetiſchdienſt der Afrifaner vorbeiftreift und bei— 
nahe in denfelben übergeht. 

Diefer Anficht ſcheinen auch die hriftlichen Sendboten 
gewejen zu fein, welche in den Inca:Pändern das Evangelium 
prebigten, denn fie bemlhten ſich die ſchon vorhandenen relis 
giöfen Ideen theil® gänzlich auszurotten, theils zu chriftianis 
firen; zu diefem Zwecke fubftitwirten fie den Begriff Dios 
für pacharurak und pachacamak, den Weltenſchöpfer ober 
Beltenbauer, und erflärten das Wort Gottes im Credo durch 
honakpachap caypachap rurak, „des Himmels und 
der Erde Mader“. Dem umfafenden Begriff sonch, 
Herz, Geift, Seele, wurde das lateiniſche anima untergeſcho⸗ 
ben; die Priefter oder Huillcas wurden sacerdotes und eine 
Menge techniſcher theologifcher Ausdrüde in die Sprache ein« 
geführt, für welche ſich feine entjprechenden Worte in ber 
jelben fanden. 

Unter den Begriff huaka fielen alle Gegenftände, die 
durch ihren eigenthüümlichen Urfprung, ihre befondere Form, 
ihren Zived u. f. w. eine gewiſſe veligiöfe Achtung verdienten, 
fo daß Brescott(I, 3) mit Recht behauptet: daß dieſes Wort 
bald einen Tempel, bald eine Grabftätte, bald irgend einen 
merholirdigen Naturgegenftand bedeutete; zu ben leßteren gehö⸗ 
ven Mißgeburten aller Art, Naturphänomene, Quellen, bie 


als große Bäche aus den Felſen hervorbrechen, fteile Berg: 
wände und beſonders die Hausgötter, bie faft in jeder Hütte 
ihre geheiligten Altüre beſaßen. 

Faft alle wichtigen Ereigniffe im häuslichen Leben wur: 
ben von religiöfen Gerenonien begleitet. Die ſchwangere 
Frau riucherte ſich mit Erde aus den Begräbnißplägen, um 
ſich und ihre Kinder vor gewiffen Krankheiten zu bewahren. 
Beim Eintritt der Knaben in ein bejtimmtes Alter wurbe 
der rutuchieu und beim Mannbarwerden der Mädchen der 
k'ieuchieu feierlich begangen und dazu gewifle Gebete ge: 
ſprochen. 

Bor dem Ausjäen ber verſchiedenen Früchte richtete man 
an die Götter folgende Worte: Ah huacacnna, huilleacuna 
sarayok micuinioyk, cay sarallayta yachacuchipuay 
amatak huakllipuancachu. „O ihr Götter und Herren 
des Maifes und der Speifen, laffet diefen Mais gedeihen 
und behlitet ihn vor Schaden.“ 

War große Ditrre eingetreten, fo nahm man feine Zu- 
flucht zu den Wolfen und dem Meere, der großen Mutter der 
Gewäſſer, veranftaltete Feſte zu Ehren der Bäche und Quel- 
fen und betete zu ihnen: O Mutter Quelle, Bach oder See, 
vertrodne nicht und fpende mir dein Waſſer ohne Aufhören: 
Ah pukin mama, cochamama ama chakispa tanispapas 
unuykicta cacharimuy. Aehnliche veligiöje Ceremonien 
begleiteten die Ernte, den Hausbau und das Brauen des 
Maisbiered. 

Bor der Reife empfahl ſich der Indier dem Schutze fei- 
ner Huacas oder Hausgötter; tranf während derjelben vom 
Wafler des Fluſſes, den er zu Überfchreiten hatte, bamit bie 
Fluthen ihm nicht fortriffen. Beim Ueberfchreiten ber Berge 
wurben auf dem Gipfel Steine aufgehäuft, die Haare aus 
dem Augenbrauen ausgezogen oder geflochtenes Stroh aufs 
gedreht, um ſich den Schub des Berggottes zu fihern und 
glückliche Neife zu haben. Diefer Gebraud) wird felbft heut- 
zutage noch beobadjtet und führen bie aufgehäuften Stein- 
mafjen wie die Berggipfel den Namen Apadjifta oder Apas 
chefta, von den Spaniern häufig corrumpirt in Pacheta, ein 
Name, der „Zufanmengetragenes“ bedeutet. 

Traf der Indier auf dem Wege eine Schlange oder einen 
großen Schmetterling, jo glaubte er fterben zu müflen, wenn 
er nicht biefelben tödtete, fein Cocapriemchen darauf ſpuckte 
und mit bem linfen Fuße darauf trat. 

Auch bei diefer Nation finden wir die jo häufig bemerkte 
Thatſache, dag der Menſch gewaltigen Naturfräften gegen- 


302 
über ſich hülflos fühlend denjelben göttliche Verehrung 
erweift. Zum Donner betete man: „Goldener Donner, 
gewaltiger Donner und Lärmmacher, komme mit Waflerguß 
und Regen.“ Um Hageljchlag abzuwenden wurbe Yärm ges 
macht und Salz ins Feuer geworfen. Zur Sonne betete 
man: Inti yaya (Vater Sonne), punchaup yaya (Bater 
de8 Tages) causachihuay (gieb mir Yeben), An die Erde 
richtete der Indier, welcher zum Cocabau nad) den heißen 
Gegenden ober Yungas ging, folgendes Gebet: „Pachamama 
casikespillatak tiachihuay, huacaychahuay Aputinya, 
huaynatinya mallkiyok ollillacta mallkiyta cocayta 
yachacuchipuay; mamacoca, hochacoca Amaru macha- 
chuay tucullaykipas cuay cuaychik.* — „O Mutter Erbe, 
erhalte mich gefund, laß mid, wohnen und beſchütze mic, 
große Herrin, jugendliche Herrin! Göttin der Pflanzen, laſſe 
meine Coca gedeihen; Mutter Coca, Waldescoca, Amaru 
(große Scjlange) machakuay (habe Mitleid mit mir).* 
araus geht hervor, daß die große nicht giftige Schlange, 
welche Baz:Soldan (Geografie del Peru I, 169) Uritu« 
machalay nennt, wahrjceinlic die Boa nurina L., als Göttin 
des Waldes galt. 

Beim Eintreten einer Mondfinfternig (in Khechna: Killa- 
oncoy, Krankheit des Mondes) war es früher und ift es 
zum Theil jegt noch Gebrauch unter den Indiern, einen ge: 
waltigen Lärm zu machen, wozu eine Art Trommeln gerührt 
wurde; um vieles Geſchrei hervorzubringen, wurden die 
Weiber geſchlagen, die Hunde und Schafe in bie Ohren ge 
Iniffen und dabei folgende Worte gefprochen: „DO, Mutter 
Mond, fieh, die Männer ſchlagen ihre Weiber und Hunde, 
daß fie fchreien, erbarme did) ihrer.“ 

Den Träumen und ihrer Auslegung wurde eine große 
Bedeutung gegeben: eine Brüde bedeutet Abſchied und Tren— 
nung; Fiſche verkünden Betrumfenheit für den folgenden Tag; 
Falten und Geier deuten auf Nachtkommenſchaft; Fang von 
Vögeln droht mit Angft und Schreden; Holz vom Khenua- 
baume verfpricht Reichthum am Kleidern u. f. w. 

Berwandt mit beutjchem VBoltsaberglauben ift der Inhalt 
folgender Frage des Beichtfpiegels des Defuiten Juan Perez 
Boca-negra, aus weldyem wir die meiften der hier erwähn: 
ten Gebräuche entnommen: „Wenn dir die Obren flingen, 
fagft du, daß Jemand von dir ſpricht? Wenn das rechte 
Ohr, fagft dur dann: man spricht Gutes von mir? Wenn 
das line: man jpricht Schlechtes von mir?“ 

Die Gefclechtsliebe fpielt auch hier im Vollsleben eine 
nicht unbedeutende Rolle, Liebestränfe und Yiebeszauber find 
allgemein befannt und werben von den Zauberern oder Herens 
meiftern (umu, cauchuk, uillca) verfertigt und verbreitet; 
die berlihmteften Piebeszaubermittel waren die huacankis, 
von denen e8 mehrere Arten gab; bald waren es Meine befon= 
ders geformte Steindyen (carhuayanchis), bald Pflanzen, 
3. ®. die chachacuma oder Stereoxylon resinosum, bald 
eigenthämlich zufammengefnüpfte Stride (khessca), die uns 
umvillfärlic an die im Mittelalter gebräuchlichen Liebes- 
Inoten erinnern. 

Wenn zwei Piebende auf ihrem Wege einer Matte, 
Schlange ober Kröte begegneten, jo bedeutete es Scheidung 
und Trennung. Wenn der Kleine Zaunfönig den Ruf chec- 
chec hören läßt, fo fprechen bie Yente von ben beiden Liebens 
ben, klingt aber fein Geſang wie chillillilliu, fo ift ihre Liebe 
noch ein Geheimniß. Singt der huaychu, eine Art Wurger 
(Thamnophilus), zur rechten Seite des Weges, fo hat man 
Glud in der Piebe, Unglüd aber, wenn er zur Linken fingt, 

Im Allgemeinen hält ber Indier auch jet noch treu an 
dem Glauben feiner Väter, hat die chriftlichen mit Gewalt 
ihm aufgebrungenen religiöfen Anſchauungen nur höchſt ober- 
flächlich ſich angeeignet und legt den Geremonien der fatho- 


E. v. Boed: Ein Beitrag zur Beurtheilung des Khechuaſtammes in Peru und Bolivia, 


liſchen Kirche wohl meiftens eine ganz andere Bedeutung 
unter, als biefelben wirklich haben. Diefer Umftand ſowie 
die Vorliebe fiir lärmende eftlichleiten und die unliberwind- 
liche Neigung des Indiers zum Trumf erflären zur Genüge, 
weshalb in den indianischen Dörfern die katholifchen Kirchen: 
fefte mit vieler Pracht begangen werden und weshalb mancher 
Indier flr feine Berhältniffe bedeutende Ausgaben macht, 
um ſich die Würde des alferez oder Bannerträgers der Kirche 
ober eines Heiligen zu verichaffen, woraus ber Clerus ſich 
eine ergiebige Erwerbsquelle zu eröffnen verftand. Derartige 
Feſte dauern oft Tage und Wochen umd enden meiftens in 
ben roheften Trinfgelagen, wovon fat jeder Reifende, der 
biefe Gegenden befucht, Augenzeuge fein" Tann, 

Daß aber das Andenken am die alte Glorie der Incas 
dymaftie und der Schmerz Über deren Untergang noch im 
Gedäctniffe Vieler fich lebendig erhalten, daß Überhaupt das 
Seelenleben dieſer Nation nicht immer fo ideenarm und ges 
fühllos gewefen, wie man im Hinblid auf den gegenwärtigen 
ſittlich und geiftig herabgelommenen Zuftand der Indier 
anzunehmen beinahe berechtigt ift, umd wie bie fpanifchen 
Eroberer und Glaubensboten allgemein glauben zu machen 
fi) bemühten, Dagegen fpricht der Inhalt vieler gefühls- und 
empfindungsreicher Lieder, die jetzt noch im Munde des Vols 
fes leben und aus deren Menge wir nur folgende Elegie auf 
den Schatten des Inca unferen Leſern als Mufter vorführen: 


Imapuyun hacaypuyun 
Yanayaspa huasiycaman, 
Yayap Inca huakfninchu 
Parapi tucuspa hamun. 
Chuillaycu patata purin, 
Sonc’oybin llakayaspa, 
Hic’un-hic’un hua kachiman 
Huakoni paypi yuyaspn. 
Llantuyanpis mancharini 
Sonc’oypa llantunachus üispa 
Maymanpas payhuan purini 
Sonc’oyta nac’arichis pa. 

(Freie Ueberſetzung.) 
In diefem dunkeln Wollenſchleier, 
Der ſchwarz die Hütte mir umzieht, 
Des Vaters Inca Thräneunfluth 
Vielleicht im Regen niederftrömt. — 
Wenn die Schwelle er beicreitet, 
Zudt das Herz in mir zufammen, 
Und TIhränenftröme endlos fließend 
Möcht ich weinen, fein gebenfend. 
Vor diefem Schatten bebe ich, 
Vielleichts ift'S feines Herzens Schatten. 
Wo immer mit ihm ich wandle 
Bin tief betrübt ich in der Secle, 


Diefe leicht hingeworfenen Umwiffe und Schilberungen 
des ſprachlichen und veligiöfen Weſens der Khechuas haben 
feinen andern Zwed als die Aufmerfjamkeit der gelehrtem 
Welt mehr und mehr auf einen Theil Amerikas zu lenken, 
ber noch ein unermeßliches Feld für wilienfchaftliche For— 
ſchungen bietet. Es möge mir erlaubt fein darauf hinzu— 
weifen, daß die amerifantsche Geſchichte, Geologie, Ethnogra⸗ 
phie und zum großen Theile aud) die Geographie trotz der 
bedeutenden Leiltungen Humboldt's und unzähliger Reifender 
dennoch jehr wenig gefannt und von wenigen Fachgelehrten 
mit ber nöthigen Muße und Grlndlichleit durchforſcht worden 
find und daß demnach noch ein ungeheures Feld für wijlen« 
ſchaftliche Unterſuchungen aller Art offen geblieben ift. Wäre 
es num nicht wänjchenswerth und bei den jegigen Verlehrs— 
mitteln fehr leicht ausführbar, daß in Deutſchland fich eine 
Sefelljchaft zum Zwede wiſſenſchaftlicher Forſchungen in Ame- 


Aus allen Erdtheilen. 


rifa bildete und mit diefer Arbeit eine auserlefene Commiffion 
tüchtig gebildeter Fachmünner beauftragte, welche die verichies 
denen Länder Amerifas vom ehemalig ruffiichen Amerifa an 
bie zum Borgebirge „Horn“ gründlich durchzuſtudiren fich 
zur Aufgabe jegen müßten. Da diefes Studium ſämmtliche 
Zweige des Wiffens umfafjen müßte, fo würden die Nefuls 
tate um fo werthvoller ausfallen, je glücklicher die Wahl der 
Commifjionäre geweſen und je beffer diefelben filr diefe Auf- 
gabe fich vorbereitet Hätten. Imsbefondere wäre zu wlinichen, 
daß Gelehrte, die in Oftafien, Japan und China gereift, mit 
dem Studium der Sprachen, Anthropologie und Ethnologie 
ſich zu bejchäftigen hätten, um auch micht die leifeften Spu— 
ten etwaiger Berwandtichaften zwiſchen Oftafien und Weft- 
amerika unbeachtet zu laſſen. Der praftiice Nutzen für 
Handel, Gewerbe und Heiltunde würde gewiß reichlich die ge- 
machten Ausgaben aufwiegen. Indem ich die weitere Aus: 
führung diefes Planes Männern von wiſſenſchaftlichem Rufe 
und anerkannt politiichem Einfluſſe überlaffen muß, bes 
gullge ich mic, in diefen wenigen Worten einem Gedanfen 
Ausdrud gegeben zu haben, der vielleicht genügenden Uns 
Hang findet, um einer weitern Prüfung und Begründung 
unterworfen zu werden. 

(— €3 will uns jcheinen, daß die gelehrten Kreiſe Deutſch⸗ 
lands augenblidlih mit anderen Fragen zu ſehr beichäftigt 
find, als daß fie dem oben ausgeiprochenen Gedanken ſchon 
jet näher treten lönnten. Daß fie den berührten Gegenſtand 
nicht ganz aus dem Auge laffen, beweift die augenblicliche 
Auweſenheit Profeffor A. Baftian’3 im Nordweften von 


303 


Südamerita (Peru, Ecuador, Columbia), wo er Ausgrabun: 
gen veranftaltet, archäologische und ethnographiſche Gegen- 
ftände erwirbt, ſammelt und forfcht mit einem Eifer und 
einer Umficht, wie jie wohl nur diefem reifeerfahrenen Manue, 
ber bei den Bewohnern aller fünf Erdtheile trefflichen Ber 
ſcheid weiß, zu Bebote fteht. Aber Deutichland bat auf wif- 
ſenſchaftlichem Gebiete, abgejehen von der noch offenen Nord: 
polarfrage, zunächft die Pflicht, die fo mutbig und zuverfichtlich 
begonnene, jest etwas ind Stoden gerathene Erforſchung 
Gentralafrilas wenn auch nicht zu Ende, fo doch zu 
einem vorläufigen befriedigenden Abichluffe zu führen. Un 
ben Amerikanern felbft, zunächſt denen der Vereinigten 
Staaten, it es, die Gefchichte, Ethnographie und Geographie 
ihres gefammten Continentes zu erforschen, und daß fie Diefe 
Aufgabe theilweiſe recht wohl erfaßt haben, daß es ihnen 
nicht an Fähigkeit wie an materiellen Mitteln dazu fehlt, 
beweilen Dr. Hayden's geologiich:geographiiche Forihungen 
in den Feliengebirgen, beweilen Whitney's Aufnahmen im 
Californien und Nevada, beweift Hubert Howe Ban- 
croft's umfangreiches Werk über die einheimifchen Nacen 
der pacifiſchet Staaten Nordamerikas, von welchem ſoeben 
der dritte Band, Mythen und Sprachen bebandelnd, erſchie— 
nen ift; beweiit das Smithlonian Inftitute, beweift die 
unlängit mit 300,000 Dollars andgeftattete wiſſenſchaftliche 
Stiftung des reichen Nenyorfer Sonderlings James Le— 
nor uf. w. — Einzelne deutiche Gelehrte werben ſich wohl 
ftets mit der Kunde Amerikas beichäftigen; eine Geſell— 
Ichaft fiir diefen Zwed zu ftiften, ſcheint uns jet nicht an 
der Zeit zu feim Red. —) 


Aus allen Erdtheilen. 


Die Veteröburger Bevölferung im Jahre 1869 im Ver: 
gleich mit der Berliner im Jahre 1867. 


A.K. Nah Wilſon betrun im Jahre 1869 bie Zahl 
derjenigen Perſonen, welche in BVetersburg vom Familien: 
baupte ernährt werden, etwas mehr als ein Drittel der gan: 
zen Bevölkerung, während fie im Jahre 1867 in Berlin mehr 
als die Hälfte betrug. Die Zahl der Dienftboten in Peters: 
burg überftieg die in Berlin um 28,000. Berfonen; in Peters— 
burg waren überhaupt 104,000 Diener jeglicher Art, während 
ihrer in Berlin nur 58,000 waren. Mit Handel und In— 
duftrie, mit Fuhrweſen (zum Transportiren von Laften, Laft- 
träger, Tagelöhner an der Börſe u. ſ. w., ſchwere und leichte 
Fuhrwerle, Eifenbabndiener, Boten bei den Behörben u. ſ. w.) 
und mit Speifewirtbichaften beichäftigten fich in Peteräburg 
hauptſüchlich dem Arbeiterftande angehörende, während in Ber: 
fin ein bedeutend größerer Procentſatz der ganzen Bevölle— 
rung in Fabriken und mit Handwerlen beichäftigt war (in 
Berlin 33 Procent, in Petersburg nur 28 Proc). In Be: 
tersburg war die Zahl der ſich jelbitändig ernährenden Frauen 
nicht nur im Verhältniß zur ganzen weiblichen Bevölkerung, 
was fchon durch die größere Anzahl verheiratheter Frauen 
in Berlin bedingt wäre, fondern auch abfolut und fait in 
jeder Branche der Beichäftigung größer. Diefes Uebergewicht 
bat feine beiondere Bedeutung in Bezug auf höhere Beichäf: 
tigung, fo daß 3. B. in Petersburg gegen 1000 Frauen mehr 
als in Berlin ſich mit Erziehung und Unterricht befaßten 
(2660 in Petersburg und 1680 in Berlin), während in Ber: 
lin in Bezug auf Männer, die ſich mit Erzichen und Unter 
richten befaßten, im Vergleiche mit Petersburg das umge— 
fehrte Verhältniß ftattfand. In Vetersburg waren auch mehr 
Frauen mit Ertheilen ärztlicher Hülfe und mit Siranfenpflege 
als in Berlin beichäftigt (2012 gegen 851). Ebenfo befanden 





fich in Petersburg auch mehr rauen im Staatsbienfte als 
in Berlin (136 gegen 19). Die Zahl der unter der Rubrik 
„Wiffenihaft, Literatur und Kunſt“ verzeichneten Frauen 
übertog in Veteröburg die Zahl der in Berlin in der glei: 
chen Rubrif verzeichneten (971 gegen 485). Indem Wilfon 
zur Glaffification der Bevölferung und ihrer Beihäftigung 
mach den Alter übergeht, weift er, wie auf eine allgemeine 
Thatlache, darauf hin, daß die Zahl der Kinder, welche in 
Vetersburg mit Handel befchäftigt find, weit größer als in 
Berlin war (10,000 genen 4000), trotzdem die allgemeine 
Zahl der Kinder unter 14 Jahren in Peteräburg nur 17 
Procent der ganzen Bevölferung betrug, während fie in Ber: 
lin 28 Procent ausmachte. 


Die Late Eyre Erploring Party. 

H.G. Wir haben bereits in Bd, 27 (Nro.2, S.31) des 
„Globus“ auf die nach dem Lafe Eyre, Colonie Sidauftra: 
fien, ansgefchidte Forfchungserpebition unter der Führung 
des Geometers J. W, Lewis aufmerkfam gemacht, Dielelbe 
hat ihre Aufgabe beendet und traf Ende Juli wieder in Ade: 
laide ein, wo den Mitgliedern am 29. deffelben Monats auf 
einem ihnen zu Ehren veranftalteten öffentlichen Banfette ein 
ausgezeichneter Empfang zu Theil ward. Das Refultat diefer 
Forſchungsreiſe ift im Wefentlichen wie folgt, 

Es wurde das große Gebiet erforicht, welches vom ſüd— 
lichen Ende des Lake Eyre bis zum 25. Breitengrade reicht 
und zwiſchen den öftlichen Lüngengraden 136% und 1349 30° 
v. Gr. liegt. Der Lake Eyre, in dem man einen mächtigen 
Waſſerſpiegel zu finden wähnte, welchen man mit dem mit 
genommenen Boote befahren wollte, erwies fich als ein gro: 
ber Moraft, der an den Stellen, die man näher umterfuchte, 
in der Tiefe von 1 bis 3 Fuß auf lehmigem Grund ruhte, 


304 


Seine Länge mift 120, feine Breite meiftend 30 engl. Mei- 
fen. Am fchmalften wird er nah Norden, am weiteften nach 
der Mitte zu, und im Süden verengert er ji in dem Maße, 
daß die legten 20 engl. Meilen faft wie ein befonderer See 
ericheinen. Das Landgebiet im Norden und Oſten des Lafe 
Eyre war bis dahin völlig unbekannt, und daher wandte 
Dir. Lewis diefem Theile feine befondere Aufmerkſamkeit zu. 

Der Barcoo oder Cooper's Creek verliert, 7 Miles 
unterhalb Lale Kopperamana, in einer großen Salzbuſchebene 
fein Bett, läuft hernach wieder weſtnordweſtlich anf eine 
Marich zu und milndet daranf in den Lake Eyre. Die Ge: 
gend, durch welche fi) der Barcoo auf dieſer Strede ſchläu— 
gelt und in der Sandbügel mit Ebenen abwechſeln, war im 
Ganzen ziemlich aut bearaft. Died war. weniger der Fall 
von Breitengrade 239 50° bis zum füblichen Ende des Sees, 
wiewohl auch bier dann und wann ſchön benrafte Ebenen 
anftraten und Heine Seen, von denen zwei fogar Süßwafler 
enthielten, aufgefunden wurden. 

Am nördlichen Ende des Lake Eyre entdedte Mr. Lewis 
einen ſehr beträchtlichen Waſſerlauf, zur Zeit troden, welchen 
er in nordöſtlicher Nichtung auf 200 Miles verfolgte und 
näber erforichte. Die fo pailirte Gegend, in der viel Sand: 
hügel, oft mit leiblihem Graswuchs beftanden, vorfamen, 
war ihrem Werthe nach jehr verſchieden. Von Wichtigkeit 
ift, dab jo ziemlich überall Wafferlöcher und ſelbſt Onellen 
eriftirten, im erfteren einige Male ſogar Fiſche. Manche 
Streden Landes wurden zu beiden Seiten ber Reiferoute 
angetroffen, welche vortreffliche Weiden fir Vichherden abge: 
ben werben. 

Der der Reifegefellichaft als Sammler beigegebene F. W. 
Andrews bemerkte auf dem Bankette im feiner Nede: „In 
den Gegenden, welche wir bereift haben, war im den letzten 
zwei Jahren fein Regen gefallen; folglich waren Fauna und 
Flora jelten und ſchwer aufzufinden. Es ift mir indeh doch 
gelungen, manche neue Erempfare mitzubringen.“ 

Die angetroffenen Gingeborenen zeigten friedliche Ge: 
ſinnung. 





Georgia. 


Der Staat Georgia, ſeit Jahren von der Herrichaft der 
Garpetbagger befreit, nimmt einen höchft erfreulichen mate- 
riellen Aufihwung Im Jahre 1865 betrug das dortige 
ftenerbare Eigentbum 126,634,879 Doll., jest beträgt c# 
237,092,000 Doll. ; dafjelbe bat alfo jeit dem Kriege um mehr 
als 50 Procent zugenommen. Georgia hat jekt 35 Eiſen— 
bahnen mit einer Gejammtlänge von 2300 Meilen. Die 
Staateichuld beträgt nur noch 2,000,000 Doll, Und der 
Staat hat dabei 3,600,000 Doll. in Baumwoll: und Woll- 
Ipinnereien angelegt. 

Während viele Baummollipinnereien im Norden jett gar 
nicht oder nur die halbe Zeit arbeiten, find die jungen Fa— 
brifen diefer Art in Georgia in voller Thätigkeit und arbei- 
ten Schon deshalb mit Gewinn, weil fie das Rohmaterial aus 
nüchſter Nähe, alſo viel wohlfeiler, beziehen. Danf dem ra: 
fchen Aufihwung der Induſtrie in Georgia wird bejonders 
Atlanta immer mehr zu einer jchr bedeutenden Gewerböftadt. 

Neben dem Baummwollbau kommt jett and) der Getreide: 
bau immer mebr in Georgia empor. 

Georgia litt im Bürgerfriege außer Virginien vielleicht 


Aus allen Erdtheilen. 


am meiſten. Kat fich doch in ihm ein Haupttheil bes Krieges, 
befonders der Sherman'ſche Feldzug von Chattanooga nach 
dem damals dem VBerberben preiägegebenen Atlanta und ber 
vereherende Marſch nach der Meerestüfte, abgelpielt. Den- 
noch ift Georgia heute wohlhabender als vor dem Kriege, 
Diele zauberhafte Wirkung bat daſelbſt die befreite und freie 
Arbeit, denn man arbeitet in Georgia wirklich tüchtig. 
* * % 

— Das Smithſonian Inſtitut in Waſhington hat 
eine ſehr intereſſante Sammlung prähiſtoriſcher Steinſachen 
von den Santa Barbara-Inſeln ans Californien erhalten. 
Dieſelben wurden in Gräbern gefunden und ſollen theilweiſe 
auf der Weltausſtellung zu Philadelphia ausgeſtellt werden. 

— Wie das norwegische Blatt „Finmarkspoften* mit— 
tbeilt, bat Capitän Gunderfen, Führer des Schiffes „Re 
gina“, welches am 3. d. M. in Hammerfeft angekommen iſt, 
anf Novaja Semlia einen koſtbaren literariichen Fund ge 
macht. Auf der Rücdreiſe von der Fiſcherei fegelte Gunderſen 
am nörblichften Theil der Infel entlang und fam bei dieſer 
Gelegenheit in den Eishafen hinein, wo der Holländer Ba- 
rent während bes Winterd 1596/97 feinen Aufenhalt genommen 
hatte. Bei einer Unterfuchung der Ruinen fand Gunderfen 
ein von Barent geführtes Journal, welches den Zeitraum 
vom 1. Juni bis 29. Auguft 1580 zu umfaflen ſcheint. Das 
Papier hat fich ſehr qut erhalten, fo daf die Schrift voll: 
fommen leferlich ift, die Handichrift dagegen iſt ſehr ſchwer 
zu entziffern. Da das Journal einen Abſchnitt aus 1580 
enthält, fo muß Barent es von einer frübern Reife mitger 
bracht haben; über feinen Aufenthalt im Eishafen dürfte 
man wohl nicht erwarten können, Aufzeichnungen darin zu 
finden. 

— Eine Portion fogenannten „tönenden Sandes* 
von der hawaiiſchen Iufel Kaui ift ber californifchen Altar 
demie ber Wiſſenſchaften eingefendet und von Mr. J. Blafe 
umterfucht worden. Gr fand in dem meift kalligen Körmern 
zahlloſe Höhlungen, deren Reſonanz er den Tom zufchreibt, 
welcher beim Schütteln des Sandes entiteht. Im feuchten 
AZuftande verliert derfelbe diefe Eigenschaft, wahrſcheinlich 
weil alsdann die Heinen Höhlungen mit Waſſer angefitllt find. 

— Der amerifanifche Conful auf Enpern, General Ces— 
nola, deffen Alterthümerſammlung hochberühmt ift, bat fürz- 
fich bei Episfopi, dem alten Kurion, an der Sitdfüfte der 
Injel ein altes Grab von ungewöhnlicher Größe öffnen lal: 
jen und in demfelben einen goldenen Scepter im Gewicht 
von ungefähr 5 (!) Kilogramm, ſowie goldene Armbänder 
und eine goldene Halskette gefunden. Die Armbänder tragen 
Juſchriften, wie es fcheint im kypriſchen Charakteren. D 
Fund foll nach Amerika geſchidt werben. (Alla. Zta.) 

— Unlängft haben Leute von Cuenca in Ecnador 
Huacas“, d. b. Indianergräber, geöffnet und eine beträchtliche 
Menge von goldenen, Eupfernen und fteinernen Figuren ge: 
funden, auch einige Aexte von gebärtetem Kupfer und einen 
mit Hieroglyphen bemalten Schild. Pater Rencorcet in Onito 
bat davon gegen 3000 Gegenſtände gefantmelt. 

— It der argentinischen Republit wurde im September 
die Bahnftrede Mercedes : San Luis eröffnet. Die Bahn nad 
Tucuman wird fo gefördert, daß im nächiten März ein Glei— 
bes mit ihr gefcheben kaun. 


Inbalt: Karl Andree. I. (Mit einer Abbildung.) — F. Garnier’8 Schilderungen aus Munan. IV. Mit 


ſechs Abbildungen.) — 


Ans Georg Schweinfurth’s Neifen in Annerafrifa.. IX. — 


Schilderungen innerafiati- 


ſcher Zuftände, ‚Von Albin Kohn. IH. — Ein Beitrag zur Beurtheilung des Khechuaſtammes in Peru und Bolivia, Bon 
E von Boed in Cochabamba. II. (Schluß) — Aus allen Erbtbeilen: Die Petersburger Bevölkerung im Jahre 1369 
im Vergleich zu der Berliner im Jahre 1867, — Die Lake Eyre Erploring Barty. — Georgia. — Verſchiedenes. — (Schluß 


der Redaction 23. October 1875.) 





Rebacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenſtraße 13, IM Tr. 
Driud und Berlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunfchmeig- 


Hierzu eine Beilage: Profpeetus, betreffend Rußland im 19. Jahrhundert von Theodor von Lengenfeldt. 
Verlag von Wedekind und Schwieger in Berlin S. W. 


Se 


Band XXVI. 


Mit befonderer Berüchfichtigung ; 
Begründet von 





der Anthropologie und Ethnologie. 


Karl Andree. 


In Verbindung mit Fachmännern und Künſtlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 











Braunſchweig 


Jährlih 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Nummern 50 Pf. 


1875. 





Karl Andree 


Einer feiner alten Freunde aus jener Zeit, jet ein ans 
geſehener Richter des höchſten deutſchen Gerichtähofes, charak— 
teriſirt Andree's patriotiſches Wirken in Mainz folgender: 
maßen: „Damals war in meiner lieben rheinischen Heimath 


noch ein ziemliches Std franzöfifcer Sympathien lebens 


hräftig, in ber ältern Generation verkörpert durch die Bete— 
ranen ber napoleonifchen Armeen, in der mittlern und jüngern 
Generation genährt durch die fosmopolitifchen Freiheitsideen, 
welche in ber Yulirevolution von 1830 ihren Ausbrud ges 
funden hatten. Dan rühmte vielfach, Frankreich, weil es 
die Grundſätze des Liberalismus in feiner Conftitution for« 
mulirt habe, jei berufen, die Völfer, wenn auch im Wege 
ber Eroberung, zu beglüden. Man glaubte mit der Preß- 
freiheit auf dem Papier, mit einer cobdificieten Conftitution 
nad) englifchem oder beſſer nad) franzöfischen Mufter, öffent: 
lid mündlichen Gerichtsverfahren :c. fei Alles fiir das 
Voltsgliid gewonnen, vergaß aber dabei, daß ein gefundes 
freies Staatsweſen ſich nicht nad) der Schablone geftalten 
läßt, jondern nur auf Hiftorifcher und nationaler Grundlage 
ſich Schritt für Schritt allmälig entwidelt. ° 

„Andree mit dem gefunden, vorurtheilsfreien Blick, ges 
tragen von feinem veichen hiſtoriſchen und volfswirthichaft- 
lichen Wiſſen, griff, dieſe Hurzfichtigeit erlennend, alle poli- 
tüüchen Fragen von ber richtigen praktiſchen Seite an.! Sein 
treues deutſches Herz und jein heller Verftand fagten ihm, 
daß das deutſche Volt mit feinem Gemüth und feiner Intelli- 
genz einen eigenartigen Weg nationaler Entwidelung zu 
gehen habe, daß aus jeiner großen Vergangenheit die lebend: 

Globus XXVIII. Nr. 20. 


II. 


| kräftige Zufunft in Kaifer und Reid) erblühen müfle. Er 
tnupfie fein politifches Wirken an gegebene Berhältniffe an. 
Unverdroffen griff er, auf die oft Hleinften Keime befjerer 
Zuftände feine nationalen Hoffnungen ftügend, nach dem 
zunächſt Erreichbaren, indem er auf das große und ferne Ziel, 
welches auf dem eingefchlagenen Wege erreicht werben fünne, 
in prophetifcher Weife hinwies. Ich erinnere mid) mod) 
immer mit Freuden, wie eindringlich er auf die Erweiterung 
des Zollvereind zu einem nationalen Bande durch fefte Dr: 
ganifation hinwirlte, wie er auf einheitliche Rechtsgeſetz⸗ 
gebung, einheitliche Ordnung der Preßgefeggebung unter 
Sewährung der Preffreiheit, Schöpfung einer deutſchen 
Kriegsflotte im der ihm eigenen anziehenden und berebten 
Darftellungsweife hinarbeitete. Dabei jtand ihm die glüd« 
liche Begabung zur Seite, daß feine maßvolle Ausdrucks- 
weile es dem Senfor unmöglich machte, die Publication zu 
unterdrüden. Ein großes Berdienft erwarb er ſich "dem 
rheiniſchen Zeitungslefer gegenüber namentlic, dadurch, da 
er ed verſtand, ihm an der Hand ber Geſchichte Har zu mas 
chen, wie die hochgepriefenen Gitter eines verfaffungsmäßigen 
Rechtsſtaats, öffentlich-mündliches Gerichtsverfahren, Ges 
ſchworenengerichte, echt deutſche Einrichtungen ſeien, welche 
und nur in der Zerfahrenheit des deutſchen Staatswejens 
während des Auflöfungsprocefles des alten Reichs verloren 
gingen. Mit einer ganz befondern Borliebe behandelte er 
namentlich die Förderung einer deutſchen Kriegsflotte und 
das zu einer Zeit, während Andere an dieſes nationale Ins 
ftitut noch lange nicht dachten. Die Artifel, in welchen er 
39 


306 


Karl Andree, 


Deutſchlands maritime Macht zu Zeiten der Hanfa fdhils I niffen des Jahres 1870 die Goethe'ſchen Worte im Munde: 


berte, gehören zu dem anziehendften, die ich tiber dieſen 
Gegenftand gelejen habe. 

„Wenn auch anfangs mit feinen Meinungen im ben 
Nheinlanden unter der freifinnigen Partei ziemlich ifolixt, 
dauerte es doch nur kurze Zeit bis zur Würdigung und Aner: 
fennung feiner publiciftiichen Thätigleit. Man lernte ihn bald 
verftehen, ihm fchägen, ihm Bertrauen zuwenden. Das 
letztere, wohlverdient durch den hohen fittlichen Exruft, mit 
dem er feinen Beruf auffagte, erwarb ihm treue Freunde 
und Gefinnungsgenoffen, deren Zahl ſich ftetig mehrte. Ein 
Beweis feines belangreichen Wirtens war es, daß die Main- 
zer Zeitung aus dem engen Bereich eines Yocalblattes in 


den Kreis der einflußreichen füddeutichen liberalen Pre: 


organe eintrat, daß die Zahl der Leſer von Quartal zu 
Quartal ftändig zunahm. 

„Was Andree in Mainz begonnen, das hat er in glei⸗ 
cher Ueberzeugungstreue ald Nebacteur der Oberbeutfchen, 
der Kölnifchen und ber Bremer Zeitung mit edler patriotis 
ſcher Begeifterung fortgefegt. 

„Es war mir oft geradezu unbegreiflich, wie er in 
Mainz gearbeitet hat. Der ganze politijche Theil der Main: 
zer Zeitung war, abgejchen von hier und da ihm fpärlich 
zufommenden Cingelbeiträgen, fein alleiniges Werft. Tag 
‘für Tag Yeitartifel, Umgeftaltung der thatſächlichen Mit: 
theilungen anderer Blätter; daneben eine zahlreiche Torre 
fpondenzthätigfeit fir größere Blätter, als die Augsburger 
Allgemeine, die Kölnische Zeitung u. f. w. Und bei alle 
dem für das eigene Blatt nur Berfitgung über befchränfte 
Mittel und manche ärgerlice Schwierigkeit Seitens des 
Verlegers. 

„Mit der aufricjtigften Ueberzeugung dürfen wir uns 
fagen, daß mein lieber dahingejcjiebener Freund an dem 
heute für das deutſche Vaterland Erreichten in politischer 
und focialer Beziehung ehrlich und wirkungsvoll mit allen 
feinen geiftigen Kräften gearbeitet hat und daß er ſich dabei, 
was im öffentlichen Leben jo felten, ein unbefledtes tadellos 
reines Gewiflen bewahrt hat, Darum fei auch feinem 
öffentlichen Wirken nur ein gelegnetes Andenken geweiht!“ *) 

Und biefe ftramm deutſche Gefinnung, er hat fie fich mit 
ber gleichen Friſche bewahrt bis an fein Yebensende, davon 
geben feine zahlreichen Schriften ben Beweis, in denen 
immer und immer wieber der nationale Geſichtspunkt hervors 
gehoben wurde. Heute freilich erſcheint diefes faft felbftver- 
ftändlic — Andree aber ſchrieb und wirkte in dieſem Sinne 
zu einer Zeit, ale das öffentliche Yeben bei uns noch erftarrt 
darnieder lag und nationale Gefinnung faft verpönt war, 
„Das deutſche Vaterland Über Alles!“ fchrieb er unter fein 
1847 in Bremen evfcienenes Porträt. Seinem Deutfchen 
fann denn aud) die Wiederaufrichtung von Kaifer und Reich 
eine tiefere, innigere Freude und Genugthuung bereitet has 
ben, als unferm Andree, der nun den Traum feiner Jugend 
verwirklicht ſah, und häufig hatte er bei den großen Ereig- 


*) Ganz ähnlich urtheilte Berthold Auerbacd, der ihm von 
Tübingen ber eng befreundet war, als er Andtee's Hinſcheiden ver» 
nahm: „Wenn ter Wein im Glafe ift, wer denlt da noch der Mühe 
des MWeinbauern und ber forgenfchweren Witſerungewechſel? Das 
befte Wachethum der Mbeinlante, der neue feſte vaterländifche Geiſt 
it von Antree gepflegt, gebegt und gegen die Unbill ter böfen Zeit 
und des elenten Kleinftaarentbums gefhügt worden in unabläffiger 
Arbeit. Solche Arbeit erfcheint nicht in fihtberen Dentmalen, fie 
it eben eingemauert in dem großen Bau. Ich venfe aus Taufenders 
lei heraus an jene Neujahrenacht, da Miles ſich in privaten Wüns 
ſchen um Mitternacht erging, da erbob ſich Andre, und id böre 
noch feine mächtige Stimme, wie er erflärte, daß jegt wieder in 
biefer Stunde eine deutſche Jollſchranke falle und ein weiterer Schritt 
zur Einheit Deutfchlande gerban fei. Das iſt nur ein Einzelnes — 
aber c8 ift chen aus feiner Waterlandafcele,” 


„Was in der Jugend man wünſcht, hat man im Alter bie 
Hülle,“ 

Nach vierjähriger ehrenvoller und erfprießlicher Wirt: 
ſamleit folgte Andree einem Rufe ald Redacteur am bie zu 
Karlsruhe erfcheinende Oberdeutiche Zeitung. Hier bot 
fi) feiner Beobadjtung ein intereffantes Feld dar. Die 
Augen von ganz Deutichland waren damals auf die zweite 
badijche Kammer gerichtet, fie ftand als Vorkämpferin ber 
liberalen Sadje da und hatte eine - geringe Zahl hervor= 
tagender Männer in ihrer Mitte. Schon war das ganze 
Stantöleben in Baden franf, es lagen fo viele Wiederſprüche 
nebeneinauder, die Perfünlichteiten ftanden ſich jo ſchroff 
gegenüber, es war im der ganzen Gituation fo viel Schiefes 
und Halbes, daß Klare, befonnen prüfende Köpfe die Lebers 
zeugung gewannen, eine ruhige Entwidelung des Knäuels 
fei faft micht denkbar. Die Oberdeutjche Zeitung nahm es 
fich, heraus, im ber feinften form unbeftreitbare Wahrheiten 
zu fagen; ihre beiden Hedacteure, Giehne und Andree, faßten 
die Dinge praftifc, auf und waren flir Illuſionen von Rechts 
und Links unzugänglid. Die Oberdeutſche Zeitung ftand 
auf dem Boden der Berfaflung, fie verlangte Mafregeln, 
durch welche die badiſchen Zuftände conſolidirt werden joll- 
ten ; fie gefiel aber weder dem leitenden Miniſter noch der 
Oppofition, befonders auch deshalb, weil fie die falfche Stel: 
lung der Staatäbiener in den Kammern beleuchtete, mit 
ftrenger Yogit Confequenzen zog und das eigentlich birger- 
liche Element, nicht einen parlamentarifchen Bureaufratis- 
mus, in den Kammern einflußreich fehen wollte. Daß in 
der Oberdeutfchen Zeitung die Interejfen der beutfchen Ins 
duftrie mit großem Talent und völliger Sachlenntniß vers 
treten wurden, ift auch von ihren Gegnern anerkannt wor« 
den, Ueberhanpt hat man fpäterhin diefem Blatt, das in 
ftaatsmännifchen Kreifen glei) von Anfang am nicht ohne 
Gewicht war, um fo mehr Gerechtigkeit widerfahren laſſen, 
da die Folgezeit mit ihren Ereigniſſen die Auffafjuug feiner 
Redaction ald die richtige erwiejen hat. 

Andree fand in Karlsruhe Gelegenheit, das Syftem ber 
bamaligen Regierung, wie die Taktit der Oppofition und 
des Minifteriums gründlich fennen zu lernen. Er war ber 
Erfte, weldyer in einer Reihe von Aufjägen iiber badifche 
Verhältniffe in der Kölnifchen Zeitung die Unhaltbarteit 
aller diefer Zuftände darlegte. Diefe zu jener Zeit viel 
befprochenen und befämpften Artikel, über deren Verfaſſer 
mannigfacde Muthmaßungen aufgeftellt wurden, haben, man 
kann fagen buchftäblich, ſchon 1843 vorgezeichnet, wohin die 
gejchraubten badifchen Verhältniſſe endlich führen wlirden, 
und ber Scharfblid bes ruhig erwägenden Publiciften, der 
ſich feiner IUufion hingab, hat Recht behalten. Sie hatten 
zur Folge, daß Andree 1843 eine Berufung nad) Köln er 
hielt, um dort die Stelle eines erften Redacteurs des größ- 
ten cheinifchen Blatts zu übernehmen. 

Bevor er mad) der rheiniſchen Metropole abreifte, fpielt 
eine bemerfenswerthe Epifode in fein Leben hinein. Die 
Oberdeutſche Zeitung war Eigenthum des Herrn Morik 
von Haber, eines geborenen Karldruhers, ber, nad) lans 
ger Abweſenheit in fremden Yanden in feiner Vaterſtadt in 
den höchſten Kreiſen mit Auszeichnung und Wohlwollen 
empfangen, eine Stellung einnahm, die Manchen nicht ge: 
nehm war, weil fie mit verfchiedenen Plänen fich nicht in 
Einklang bringen ließ. Nach und mad) zeigte ſich gegen 
Herrn von Haber in einzelnen Streifen eine Feindſeligkeit, 
die alled Maß und jeden Anftand fberfchritt und den Be: 
' weiß lieferte, wie blinder Haß und Intrigne jebes Gefühl 
auch der allergewöhnlichften Schicklichleit abhanden fommen 

laffen. Dan weiß, zu welder Sataftrophe im Sommer 


Karl Andre. 


1843 diefe Haber’fche Angelegenheit führte (Demolirung des 
Haber’jchen Haufes durch den Pöbel), bei weldyer es übrigens 
darauf abgejehen war, im weit höhere Sphären töbtliche 
Streiche zu verfegen. Jene Karlsruher Kataftrophe zeigte 
auf das Deutlichite, wie anardifc die Dinge waren. Ans 
dree war mit Herrn von Haber gut befaunt, aber keineswegs 
fpeciell befreundet. Als er diefen Dann gehetzt ſah wie 
ein Wild, preißgegeben den demoralifirten Behörden, die der 
Meuterei hätten fteuern mlffen, und verlaffen von allen 
feinen Freunden, von welden in den Tagen der Noth aud) 
nicht einer Hitffreich war, ging Andree zu ihm, erflärte, daß 
er ihn für einen auf unmilrdige Weife Gefränften halte und 
feinerfeits Alles aufbieten wolle, ihm zu feinem Rechte und 
zur Genugthuung zu verhelfen. Und diefes Berfprechen hat 
er getreulich und uneigennügig erfüllt. Er Märte das von 
Haber’s Gegnern planmäßig getäufchte Bublicam binnen 
Kurzem über die wahre Sadjlage auf, wirfte dem ſchwer 
Berfolgten ein Aſyl in Mainz aus, machte ihm mit feinen 
dortigen Freunden befannt, verfchaffte ihm einen Secundan» 
ten und einen tüchtigen Rechtsbeiſtand, half ſchlau angelegte 
Pläne vereitelm und vertheidigte ihn in der Preife jo wirf: 
fam , daf die Intrigue in ihrer vollen Nadtheit bloßgelegt 
und die Verfolger Herrn von Haber die allerbiindigfte Ehren⸗ 
erflärung geben , ſich jelber aber damit das Zeugniß aus. 
ftellen mußten, daß alle ihre Behauptungen auf erfonnener 
Unwahrheit beruhten. Bekanntlich wurde ein Hauptwerf- 
zeng der Intrigue, ein Herr von Saradjagasliria, von Haber 
bei Worms im Zweifampf erſchoſſen. Das war jenes 
„Sottesurtheil*, welches die Gegner hervorgerufen hatten *). 

An der Spitze bes bedeutendſten rheiniſchen Blattes ſie⸗ 
hend, mit deffen Eigenthümer, Joſeph Dumont, eng befreuns 
det, hätte Andree hier eine fegensreiche Thätigfeit entwideln 
können, hätten nicht katholiſche Einflüffe und die unberechen- 
bare Cenſur ihm vielfach lahm gelegt, fo daß er bald ſich 
wieder von Köln fortjehnte, Bemerkenswerth find bie Bes 
ziehungen, welche er in Köln mit den Leitern der flamifchen 
Bewegung, mit Confcience, De Laet Vleefchhoumer ıc., ans 
Inüpfte, deren Beftrebungen gegenüber dem franzöfifchen 
Elemente er eifrig unterftügte, wenn er, der plattdeutfche 
Mann, ſich auch nie verhehlte, daß die Flamingen nur eine ge— 
deihliche Zukunft im Anſchluſſe am die hochdeutſche Sprache 
haben könnten. Verſchiedene Anerbietungen nach Süddeutic- 
land zu fommen lehnte Andree ab und folgte 1846 einer 
Berufung nad) Bremen, hauptſächlich wohl um den Seehandel 
und die trandatlantifchen VBerhältnifie gründlich lennen zu ler: 
nen, nachdem er mandjes Jahr am Rhein den induftriellen 
paichungen fo ununterbrochene Aufmertfamfeit zugewandt 
hatte. Schon damals waren feine Anfichten und Urtheile 
bei den Gewerbetreibenden vom nicht geringem Gewicht. In 
Bremen hat er feit 1846 die amerifanifchen Angelegenheiten, 
den Welthandel und die maritimen Intereffen ins Auge ger 
faßt. Die Bremer Zeitung war unter feiner Leitung ein 
fo reichhaltiges und jo mufterhaft abgefaßtes Blatt, wie wir 
deren in Deutſchland nur wenige haben, Aber Andree 
ſcheint am Ende des allerdings fehr aufreibenden Redigirens 
gründlich melide geworben zu fein. Nach des Tages Arbeit 
verfehrte er in Kreiſen praktifcer Männer, die halben Nächte 
wibmete er ben gelehrten Studien, bei denen ihm oft die 
aufgehende Sonne überrafchte. Ueberhaupt war er fein 
ganzes Yeben lang von einem Fleiße befeelt, der diejenigen, 

*) Die damaligen öffentlichen Zuftände in Baden erfcheinen im 
Lichte der Haber'ſchen Sache höchſt jammerlich. Die „Verhandlungen 
der Straflammer des beffifchen Kreisgerichts zu Alzey vom 8. und 
9. März 1844 gegen Morit von Hader, Duell betreffend“ (Franfs 
furt a. M., Garl Jügel 1844) find eim intereffanter Beitrag zur 
deutſchen Cultur⸗ und Hofgeſchichte der wierziger Jahre, 


307 


welche fein Schaffen fahen, geradezu in Erftaunen verfegte. 
Es ijt erklärlich, daß im einem foldien Manne der Drang 
lebendig war, ſich einer zerfplitternden Thätigkeit zu entzie- 
hen und mit größeren zufammenhängenden Arbeiten ſich zu 
beſchtiftigen. Er war eben daran, feine reichhaltigen geo- 
graphiſchen und Hiftorischen Vorarbeiten zu fichten, als die 
Februarrevolution ausbrach und auch im deutſchen Morben 
die Geuillther fo heftig erregte, daß für einen Publiciſten, 
der jo lange Jahre immitten der Politif und der praftiichen 
Gewerbs· und Handelsintereffen geftanden Hatte, jene Ruhe 
und Muße nicht zu finden war, nach welder er fo lange 
ſich gefehnt. Noch einmal wurde er Redacteur und zwar 
(1848 bis 1852) im feiner Baterftadt Braunſchweig, wo er 
die von Eduard Vieweg begründete „Deutfc)e Reichs- Zeitung” 
im durchaus gemäßigten Sinne leitete. 

Die deutjche Bewegung erfuhr jenen Rüdjchlag, wel» 
den Andree voraus ſah und verflindete, als man Monate 
(ang über Grundrechte debattirte, ftatt zu rechter Zeit, ge- 
meinſchaftlich mit ben Regierungen, binnen kurzer Frift über 
eine beutjche Verfaſſung ſich zu ge was bis Ende Mai 
1848 allerdings im Bereiche der Möglichkeit gelegen hatte. 
Andree ſchrieb dann, unbetheiligt am aller Politik, fein Buch 
über Nordamerifa *. Es hat nach kurzer Zeit die 
zweite Auflage erlebt und fo allgemeine Anerlennung gefun: 
den, daß alle weiteren Bemerkungen überflüffig wären. Ins 
terefjant ift aber, daß bei den vielem Beſprechungen, welche 
das ausgezeichnete Buch in Amerika felbft erfuhr, manche 
amerilaniſche Kritiler annahmen, der Verfaſſer fei jahrelang 
im Yande jelbft gereift und habe dafjelbe beobadjtet. Sie 
ftellten die Auffaſſung Andree’s, namentlic fiir englifche 
Reifende, als ein Mufter zur Nachahmung hin, 

Wenn aud) in dem Bierteljahrhundert, welches feit der 
Beröffentlihung dieſes Wertes verfloſſen ift, gar vieles im 
den Bereinigten Staaten ſich geändert hat und das Buch 
dadurd) theilweife veraltete, jo find doc) viele Capitel def+ 
jelben auch heute noch geradezu claffiic zu nennen, wohin 
mir namentlid) jene gefcjichtlichen Inhalts und den ethno+ 
graphiſchen Theil rechnen. Das Bud), feinem Freunde 
Hermann E, Ludewig in Neuyork gewidmet, der einer der 
ausgezeichnetften Kenner der Indianerſprachen war, ift noch 
voller Bewunderung für amerifanifche Zuftände, die wäh. 
vend der ſchwlllen Neactionsperiobe in Deutjchland das Ideal 
fo vieler Patrioten waren. „Es liegt,“ ſchrieb Andre in 
der Vorrede, „gegenüber ben wellen und faulen Zuftänden 
der Alten Welt umendlic, viel Erhebendes und Tröftliches 
im Hinblide auf den Norden Amerikas, wo fich eim neues 
Leben in wunderbarer Kraft und Uppiger Friſche entfaltet.“ 
Seit jener Zeit hat Andree die nordamerifanifchen Verhältniſſe 
nicht mehr aus den Augen gelafjen und fie mit einer Sorg— 
falt ftudirt, die ihn zum völligen Beherrſcher der geringften 
auf das politifche Yeben der Vereinigten Staaten bezüglichen 
Einzelheiten machten, jo daß jehr häufig Amerikaner über 
die Fulle feiner Kenntniſſe in das größte Erftaunen geries 
then , wenn er mit ihnen über ihre Heimath ſprach. Die 
Anfichten freilich, welche er 1851 im feinen Buche Uber 
Nordamerika entwidelte, erfuhren allgemach und namentlid) 
feit dem Blirgerkriege eine gründliche Umwandelung. Er 
trat offen auf die Seite der in ihrem Rechte verlegten Std» 
ftaaten, die er aus tieffter Ueberzeugung im der deutſchen 
Preſſe faft allein vertheidigte, er kennzeichnete im Voraus 
den fittlihen Verfall, der in den politiihen und focialen 
Verhältniffen der Union ſich anbahnte und dedte die zahl 
reichen Krebsſchäden im ftaatlichen, finanziellen und gefell- 

*) Morkamerifa in geograpbifchen und geſchichtlichen Umriſſen. 
Mir befonderer Derüdichtigung ter Gingeborenen und der inbianie 
ſchen Alterthümer. VBraunfhweig. Wertermann 1851. 810 ©. 


39* 


308 Aus Georg Schweinfurth's Reiſen in Innerafrifa. 


ichaftlichen Peben der AUngloamerifaner in zahlreichen Auf> | gabe diefer Zeitfchrift von dem Gedanken aus, daß die viel- 
fägen feines „Globus“ unnachſichtig auf. Als eine Fort: | fachen Beziehungen, welche Deutjcland und Amerila ver- 
fegung feines Werkes über Amerika ift die Zeitfchrift „Das | Imüipfen, ein befonderes Journal zur gründlichen Erörterung 
Weſtland“ zu betrachten, cin „Magazin zur Kunde ameri« | der Berhältniffe der Neuen Welt wohl redjtfertigten. Die 
laniſcher Verhältniffe“, welches er 1851 bis 1853 (4 Bände) | Auswanderung, die Geſchichte, die Alterthlimer und Bölter 
in Bremen herausgab und im welchem ein wahrer Schat | kunde Amerikas wurden hier in volfsfahliher Darftellung 
werthooller Abhandlungen über den ganzen amerifanifchen | erörtert und den Reifen wie den großen politiichen Borgän- 
Gontinent niedergelegt if. Andree ging bei der Heraus | gen rege Aufmerffamfeit zugewandt. 





Aus Georg Schweinfurth’s Reifen in Innerafrifa. 


X Die Alla. 
Mit einer Aupfertafel 


Schon als Schweinfurt noch in Gefellichaft feiner nu ' größebetragen, ein langer, weißer Bart ihr Geficht ſchmücken, 
biichen Gefährten auf dem obern Nil ſüdwärts ſchwamm, | wie das der deutjchen Kobolde. Mit guten Yanzen bewaffr 
hatte er häufig den Geſprächen derfelben gelaufcht und mandye | net follten jie den Elcphanten unter den Yeib ſchlüpfen und 
mal von einem Zwergvolfe erzählen gehört, das im Süden | ihn durch Stidye in den Bauch leicht tödten; ben Händlern 
der Niam:niam wohne, Drei Fuß jollte höchftens ihre Körper | verkauften fie viel Elfenbein, und Scebberdigintu, d. h. Yeute 





| = 














Abd⸗es ⸗Sammat bringt einen Alla berbei, 


mit |pannenlangem Barte, wurden fie genannt. Je weiter | mehr zu überzeugen, ald daß es vereinzelt vorfommenbe pa- 
unfer Reifender gegen Süden vordrang, um fo häufiger ftieß | thologifche Erjcheinungen feien, wie fie im Mittelalter und 
er auf Männer, welche ihm jene Naturmwunder ald Augens | biß im die meuere Zeit hinein auch am europäifchen Höfen 
zeugen beſchrieben, wie diefelben bei den wilden Königen als | vielfach, vorfamen. Schweinfurth gedachte zwar fofort der 
Hofnarren gehalten würden, freilich ohme ihn dadurch von | Erzählungen der griecdhiichen Autoren, welche vom Vater 











D, 
MAG , 
VAETLDPELLPLPELT. 


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Aus Georg Schweinfurth's Reifen in Inmerafrita. 


Homer an bis auf den der Mugufteifchen Zeit angehörenden 
Seographen Etrabon von Meinen, in Innerafrika lebenden 
Menſchen oder Pygmäen (d, h. Fauſthohe) zu berichten wif- 
fen. Daß aber in ihren vielfach mit fabelhafter Aus— 
ſchmliclung verbränten Berichten ein Kern von Wahrheit 
liege, daß es wirklich eine ganze Reihe von Vollsſtämmen 
gäbe, deren durchſchnittliche Körpergröße weit unter das mitt- 
lere Maß der befannten Bewohner von Afrifa heruntergefit, 
davon follte er fich erft bei König Munſa durch den Augen- 
fein überzeugen. 

Er hatte dort ſchon mehrere Tage zugebradjt, ohne die 
vielbefprachenen Zwerge zu Geficht befommen zu haben; nur 
feine Leute hatten fie gejehen, ohne fie indeß dem Forſcher 
vorzuführen, Denn „fie fitechten fich“, hieß es. Da erſcholl 
eines Vormittags lauter Jubel durch das Lager; Abd-es- 
Sammat hatte die Heinen Peute beim Könige überraſcht und 
fchleppte nun trog alles Sträubens ein ſeltſames Männlein 
vor das Zelt des Rei⸗ jun 
fenden. Daffelbe hodte 
auf feiner rechten 
Schulter, hielt ängft- 
lich feines Trägers 
Kopf umllammert und 
warf ſcheue Blicke 
nach allen Seiten. Es 
war nicht leicht und 
nur durch raſch her⸗ 
vorgeframte Geſchenle 
zu erreichen, ben llei⸗ 
nen Beſuch zum Sitzen 
zubringen und ihm mit 
Hilfe von Munfa’s 
Hofdolmetfhh Muth 
und Zutrauen einzus 
flößen. Was im 
Laufe von zwei Stun- 
den geichehen fonnte, 
das geſchah nun von 
Schweinfurth's Seite: 
er wurde gemeflen, 
porträtixt, gefüttert, 
bejchenft und bi® zur 
Erjhöpfung ausge⸗ 
fragt. 

Sein Name war 
Adimofu und er war 
bas Haupt einer Fa⸗ 
milie, welche durch 
Munfa etwa eine halbe Stunde von der Reſidenz entfernt 
angefiedelt worden war. Denn diejer, welcher einen Theil 
des Volfes, das fich ſelbſt „Alla“ nennt, beherrſchte, liebte 
es, die Pracht feiner Hofhaltung durch Kepräfentanten aller 
erreichbaren Naturmertwürdigkeiten zu erhöhen. 

Acht Namen von Alfa- Stämmen, die im Süden des 
Monbuttu⸗Landes, etwa zwifchen 1° und 2% nördl, Br., wol 
nen, zählte ihm Adimolu auf, aud) die Nanıen von einigen 
ihrer Könige; als aber der Keifende nach den von anderen 
Forſchern erfundeten Zwergvölfern Innerafrikas, nad) Ken— 
fob und Betfan u. |. mw. fragte, riß dem Befuche die Geduld, 
und er fprang auf, zum Zelte hinaus, Aber dort wurde er 
durch die ſich drängenden Schaaren der neugierigen Nubier 
und Bongoträger aufgehalten und wohl oder übel mußte er 
ſich dazu verstehen, einige Waffentänge zum Beften zu geben. 
Wie die Monbuttu gefleidet und bewaffnet erregte ex bei feiner 
Kleinheit (11, Meter maß er nur), bei feinem großen 
Hängebaudy und feinen furzen, dürren Säbelbeinen eine 






— 


Der Alla 





309 


grenzenloſe Heiterkeit, als er mit unglaublicher Sprungfraft, 
Gewandtheit und Lebhaftigleit des Gefichtsausdruds feine 
Tänze aufführte. Reich bejchenft trat er endlich den Rück— 
weg an und ſchon folgenden Tages reizte fein Beifpiel feine 
Yandeleute, ben Fremden aufzufuchen, der einmal mehrere 
Hunderte von Alla-Kriegern zugleich — wenn auch nur 
flüchtig — zu fehen jo glüdli war. Munfa fchentte ihm 
fogar ein fünfzehnjähriges Individuum dieſer Race, den hier⸗ 
neben abgebildeten Nſewus, welcher leider auf der Heim⸗ 
reife in Berber in Folge einer fehrantenlofen Unmäßigleit 
bas Zeitliche jegnete, vorher aber dem Reifenden Gelegen« 
heit genug bot, feine Eigenthümlichkeiten zu ſtudiren. 

Die Alla fcheinen eines jemer Zwerguölfer zu fein, welche, 
mit allen Anzeichen einer Urrace ausgeftattet, ſich längs des 
Aequatord quer durch Afrika erftreden, und Über welche uns 
eine Reihe von Erkundigungen und die Berichte von zwei 
Augenzeugen, du Chaillu und A. Baftian, vorliegen *), 
daft alle Angaben 
ftimmen darin liber« 
ein, daß dieſe Völler 
nicht eigentliche Zwer⸗ 
ge ober verfümmerte 
Individuen feien, ſou⸗ 
dern fich nur durch die 
im Durchſchnitt ges 
ringere Körpergröße 
fowie buch einen 
vöthlichern ober hel« 
lern Ton der Haut⸗ 
farbe von den ume 
wohnenden Stämmen 
unterfcheiden. Hierher 
gehören die Obongo du 
Chaillu's oder Ba- 
bongo Baſtian's an 
der Weſtluſte; weis 
ter landeinwärts die 
von Koelle erkundeten 
Kentob und Belfan 
am großen Libaſee 
weit im Süden von 
Bagirmi, dann bie 
Schweinfurth'ſchen 

Alta, weiterhin halb» 
wegs zwiſchen dem 
obern Wil und ber 
Oftfüfte die Verifimo 
und nördlich von ih« 
nen die Dolo, alles Heingeftaltete Stämme im Norden und 
Süden des Aequators, die vom Atlantifchen bis zum Indi— 
ſchen Ocean reichen, eine Kette von unfteten und ihrer völligen 
Auflöfung entgegengehenden Völferreften von unvolltommenfter 
Racenbeſchaffenheit, Reſte einer im Ausfterben begriffenen 
Urbepölferung, den Buſchmännern Südafrikas ähnlich. Alle 
dieſe Völler ſcheinen racelich zufammenzugehören; G. Fritſch, 
welcher die Buſchmänner fo eingehend jtudirte, ſtimmt darin 
mit Schweinfurt, dem Kenner der Alkas, überein **). 


Nſewus. 








*) Eine Zuſammenſtellung derſelben fiche in Schwtinſurth's „Im 
Herzen von Afrila Il, S. 142.” und in den „Mittbeilungen aus 
3. Beribes’ geographifcher Anftalt“ 1871, ©. 139 |. Ueber Bar 
ftian’s Bericht firbe Globus“ XXV, ©. 380, Ueber vie Miani’- 
ſchen nach Eutopa gelangten Alta firbe Globus“ XXVI, S. 27. 

*) Schweinfurth, Im Herzen von Afrita 11, S. 147. „Fritſch, 
tem mir ein muſtergültiges Werk über bie eingeborenen Völfer Sübs 
afrifas verdanten, madıte mich zuerft auf die große Aehnlichteit aufs 
merlfam, melde meine Aflabilder mit dem Topus ber Buſchmänner 
verrietben.* 


310 


Nach Fritich ift die Durchſchnittogröße der echten Buſch- 
männer 1,44 Meter; die beiden Aftas- Individuen, welche 
Schweinfurth gemefjen hat, waren 1,235 und 1,34 Meter 
hoch und nie hat er einen ſolchen über 1,5 Meter gefehen. 
Ihre Farbe, der von ſchwach gebranntem Kaffee gleichend, 
ift genau diejenige der Bufdmänner. Ihr Haupthaar ift 
ſchwach entwidelt; fie tragen zwar den langen Strohhut ber 
Monbuttu, aber auch ihren mächtigen Chignon nadyzuahmen 
verbietet ihnen ihre furze, braune Kopfwolle. Bartwuchs 
fehlt, wie bei den Buſchmännern, gänzlich, fo daß der Rei— 
fende meint, die von den Nubiern ihm gejchilderten, langs 
bärtigen Zwerge müßten wohl feine Alfa fein. Die auf 
fallendfien Merkmale derfelben find ein verhältnigmäßig 
großer Kopf, der ſich auf einem ſchwächlichen und dünnen 
Halfe hin umd her wiegt, große Abweichungen in der Schulter: 
partie von der gewöhnlichen Bildung anderer Negervölfer, 
ein aufjälliges Ueberwiegen. der Yänge des Oberförpers in 
Berbindung mit langen Armen, ein mach oben zu plöglid) 
und flach verengter Bruſtkorb, deffen untere Apertur fich ber⸗ 
mäßig erweitert, um einem Hängebauche (dem ſogenannten 
„Armoed-Benz“ der Buſchmänner) als Halt zu dienen, wel« 
cher ſelbſt beiahrten Individuen das Ausfehen arabifcher und 
ägyptifcher Kinder verleiht. Im Folge des letztern Merk: 
mals haben faft alle Alfa eine außerordentlich ftarfe, fait 
C-förmige Ausfchweifung der hintern Körpercontour. Waft 
alle diefe Eigenichaften find nad; Fritſch auch an den Buſch- 
männern *) aufs Deutlichfte zu finden. Dazu fommen edig 
vorragende Gelenke, plumpe, großicheibige Knie, einwärts 
geehrte Füße und ein watichelnder, wadelnder Gang, aber 
Hände von einer bewunderungswürdigen Zierlichteit. Die 
größte Eigenthümlichteit dieſes Volkes Liegt jedody im Ban 


Fritſch, Die Eingeborenen Sübafrifas (aus deſſen Atlas wir, 
Dant ter Areunblichkeit des Berlegers, Heren Hirt, unferer Nummer 
ein Blatt mit Buſchmaͤnnertypen beilegen Fönnen), &.403, Anm. 2: 
„Nachrichten, welde Schweinfurtb von friner Reife in bie Niamr 
niam⸗Lander mitbringt, erſcheinen von ganz befonterer Wichtigfeit 
für die Frage über nörtliche Verwandte der Buſchmänner. — Eeine 
Beschreibungen der Alta ſowie mitgebrachte Porträts derſelben ers 
innerten mich fo lebhaft an die Buſchmänner, daß ich gegründete 
Hoffnung habe, es fei in benfelben ein newer Heft diefer Ureinwohner 
tes fübafrifanifchen Gontinents gefunden.” 

*) Meral, über diefelben die von G. Frirſch häufig angegogenen 
und gelobten Auffäge von Theophilus Hahn im „Blobus" Br. 
XVIII, &. 65, 81, 102, 120, 140 u. 153, 





Peruaniſche Alterthümer. 


bes Schädels: ein hoher Grad von Prognathie, ſchnauzen · 
artige® Borfpringen der Kiefer, ſchwache Kinnprominenz, 
eine breite, fugelähnliche Schädelwölbung und tiefe Einfen- 
fung der Nafenbafis. Es find das diefelben Merkmale, 
welche die Bufchmänner von den Hottentoten unterjcheiden; 
einer ſolchen Uebereinftimmung gegenüber erfcheinen die phy« 
ſiognomiſchen Abweichungen der Alfa vom Buſchmannsypus 
geringfügig. Die größte ift, daß die Buſchmänner Heine, 
zufammengefniffene Augen, die Afta aber große, breitgefpal» 
tene und offene befigen, eine Abweichung, welche Schweinfurt 
auf den Einfluß der ebensweife und auf Himatifche Urſachen 
zurlickzufühhren geneigt ift. Dagegen haben beide Stämme 
die auffallend große Ohrmuſchel — ein Körpertheil, welcher 
bei der Negerrace im Allgemeinen ſehr zierlid und regel- 
mäßig geftaltet ift —, die weit vorragenden Yippen mit fpalt: 
artigen, nicht aufgeworfenen Rändern, den wechjelvollen Aus- 
drud des Mienenfpiel® gemein, 

Die Alta, ein vollendetes Yägervolf, find an Sinnen» 
ichärfe, am fchlauer und wohlberechneter Gefchidlichteit und 
Deweglichteit den Monbuttu weit Überlegen, aber aud) an 
Bosheit und Grauſamkeit. Sie haben eine wahrhaft teuflifche 
Erfindungsgabe, Fallen zu ftellen und dem Wilde Schlingen 
zu legen, und nichts machte dem jungen Nſewus mehr Vers 
gnügen, als Thiere zu quälen, Hunde mit Pfeilen zu ſchie— 

nu, f. w. 

Ihr einziges Hausthier ift das Huhn und es ift merf- 
wiirdig, daß ein Mofait aus Pompeji, welches Schweinfurth 
im Nationalmufeum zu Neapel fah, die Pygmäen darftellt, 
umgeben von ihren Häuschen und Hüttchen, alles voll Hüh- 
ner! So ummwahrfcheinlidy wäre es demnach nicht, daß die 
Alten genauere Hunde von dem afrifanifchen Zwergvolle ge- 
habt hätten, ' 

Während die Bufchmänner von allen ihren Nachbarn als 
gemeinfchädliche Unholde bitter gehaßt umd verfolgt werben, 
fiel den Alta ein befferes Yoos. König Munfa hat fie unter 
feine befondere Obhut genommen und verfieht fie, wenigſtens 
die in feiner Nähe angefiedelten, mit Speife und Trant (Bier 
und Bananenwein), wofür ihm diefe Kochſalz als Tribut 
liefern, das im ganzen Gebiete des Bahr-el-Ghaſal und bei 
den Niamsniam und Monbuttu nicht vorfommt, und den 
bequemeren Monbuttu bei der Jagd die wichtigften Dienfte 
leiften. . 


Pernanifhe Alterthümer. 


Wenn auch nicht abgeſchloſſen, fo fchien doch die perua— 
nische Alterthumskunde in ihren wejentlichen Örundzügen ge- 
fihert. Both Ondegarbo (1550) bie Rivero und Eiaudi 
und Mariano Felipe Paz Soldan, der 1868 jchrieb, 
ſtimmten alle Schriftfteller darin überein, daß die alten 
Culturreſte, die Meberbleibfel der Prachtbauten, die Gold⸗ 
und Thongeräthe, die in Peru gefunden werben, Werke der 
Incas feien. Die Geſchichte Berus fpielt fi) ab zwiſchen 
Manco Capac, dem erften fagenhaften Inca, und dem ler 
ten von den Spaniern geftürzten, Atahualpa. Nun kommt 
Thomas 9. Hutchinſon, ber befannte weſtafrikaniſche 
Reiſende, zulegt britifcher Conful in Callao, und ſucht die 
alte Anſchauung über den Haufen zu werfen, indem er zu 
beweifen verfucht, die erhaltenen peruanifchen Alterthümer 


* 


feien vorincaifc) *. Wir wollen es verfuchen -feine An« 


fichten im Zufammenhange mit den bisher geltenden vors 
zutragen. 
Wie ſich gegenwärtig die ſüdamerikaniſchen Indianer in 
phyſiognomiſch ſcharf begrenzte Stämme trennen, fo fchieben 
ch in früheren Zeiten auch die Pernaner des Gebirges und 
der Küfte in beftimmte Racen; aber durd) die immer weiter 
ſich ausdehnenden Kriegözlige der Jucas wurden fie allmäli 
mit einander verfchmolzen Die Incas befolgten —* 
das Syſtem, die Nationalität der beſiegten und unterjochten 


*) Two years in Peru; with explorations of its antiquities. 
2 Vols, London 1874, und Anthropology of prehistorie Peru im 
Journal of the anthropologienl institute, April 1875, ©. 438. 


Peruaniſche Alterthümer. 


Nationen ganz zu verwiſchen, um ſchneller und ſicherer ihrer 
völligen Unterwerfung ſicher zu ſein; ſie hoben daher den 
Kern der Stämme aus, um ihn ihren Heeren einzuverleiben, 
ſchidten neue Anſiedler in die eroberten Provinzen und führe 
ten dort ihre Sprache, ihre Religion ein. Dadurch gingen 
almälig die einft jo fcharf getrennten Stämme in einander 
über, fo daß fchon bei der Ankunft der erften Spanier, als 
das Inca-Reich feing größte Ausdehnung erreicht hatte, die 
verjchiedenen Stänme als ſolche nicht mehr exiftirten, und 
wir feine Nachrichten darüber hätten, wenn nicht glüdlicher- 
weife die alten Gräber mit ihren Schäbeln uns von ber 
Bergangenheit erzäßlen würden. 9.9. von Tſchudi hat 
fi) während feiner erften Reife in Peru (1838 bis 1842) 
ſeht viel Mühe gegeben, über die anthropologiſchen Berhält- 


niffe der Urbewohner Perus Maren Aufſchluß zu erhalten; 


da aber feine Traditionen dariiber vorhanden find, fo mußte 
er ſich am die Ueberrefte halten, die er mühfean aus den älte: 
ften Gräbern hervorſcharrte, und die dort gefundenen Schädel 
gaben ihm ficherere Thatſachen an, als es Geſchichte und 


311 


Ueberlieferungen vermocht hätten *). Nach Tſchudi's Unter 
ſuchungen war Peru in früheſter Zeit von drei großen iu 
ihrer Schädelbilbung fehr verfchiebenen Stämmen bewohnt. 
Die heutige Craniologie witrde in der Charafteriftit dieſer 
Schädel allerdings eine andere Vezeichnungsweife als die 
veraltete, von Tichubi angewandte, gebrauchen, indeffen ift 
feine Befchreibung der Schädel immer noch bezeichneud genug, 
um die Unterſchiede fcharf erkennen zu laſſen. 

Der erfte Stamm nahm bie ganze Küftenregion zwi— 
ſchen dem Despoblabo be Tumbez und der ausgedehnten Wüſte 
Atacama ein und erftredte fich landeinwärts bis an ben Fuß 
ber Cordillere. Die Schädel diefer Race haben bie Form 
einer abgeftumpften Pyramide mit nad) oben gerichteter Ba— 
fis; ihr gerader Durchmeſſer verhält ſich zum queren wie 
1:1, der Camper'ſche Geſichtswinkel beträgt 779, die Neis 
gung des Schuppentheild des Hinterhauptbeins zum Horis 
zonte ift 820, die Neigung des Stirnbeins zum geraden 
Durcdmefler ift 68%. Bon Biefen CS chädeln fommen Barie« 


täten und künftliche Deformationen vor, Die verfchiedenen 





Monolitb:Bortal bei Tiahuanaco, Dftfeite (reftaurirt), Nah Rivero und Tiehndi. 


Abplattungen find indeffen nur Familienauszeichnumgen, denn 
in jedem Grabe fommt nur eine Art vor, während zuweilen 
faum ein paar Hundert Schritte weiter im einem andern 
Grabe anders abgeflachte Schädel ſich finden, Tſchudi nennt 
diefe Race den Stamm der Chinas oder Yungas; feine 
Sprache war die Yunga. Unvermifcht fonımt biefer Stamm 
gegenwärtig nod) in einigen Thälern der Provinz Yauyos 
und in mehreren Dörfern der Kuſte vor. 

Der zweite Stamm bewohnte das Hochland von Mittel; 
peru, beſonders die Departements von Junin und Ayacucho. 
Die Schädel haben die Form eines ſchiefen Kegels, deſſen 
vordere Fläche bedeutend verlängert ift; fein gerader Durch— 
meſſer verhält ſich zum queren wie 1: 1,5; der Camper'ſche 
Geſichtswinlel beträgt 69°, die Neigung des Schuppentheils 
zum Horizonte 60°, die des Stirnbeins zum geraden Durch⸗ 
meffer nur 23%, Dieſen im feiner Schäbelbildung fo fehr 
ausgezeichneten Stamm nennt Tſchudi Huancas, nad) dem 
wilden Bolfe, das das jegige Thal von Yanja bewohnte. 
Seine Sprache war bie Chinchayſuo. Auch er kommt noch 
unvermijcht im einigen Familien des Departements Junin vor. 


Der dritte Stamm bewohnte die ausgedehnte perus 
bolivianifche Hochebene, ſüdlich vom Gebirgsknoten von Aſan⸗ 
garo. Die Schädel bilden ein ziemlic regelmäßiges bogen: 
fürmiges Gewölbe, Der gerade Durchmeſſer verhält ſich 
zum queren wie 1: 1,3; der Camper' ſche Geſichtswintel mißt 
68", die Neigung des Schuppentheils des Hinterhauptbeins 
zum Horizonte 55°, bie des Stirnbeins zum geraden Durch— 
meſſer 45% Diefer Stamm, der der Uymaras, gab der 
Dynaftie der Incas das Dafein, die int Verlaufe von weni: 
gen Jahrhunderten alle übrigen Stämme unter ihr Joch 
beugte; feine Sprache war die Kechua, in ben fidlicheren 
Gegenden die Aymara. In einigen ſudperuaniſchen Der 
partementsd (Puno und Cusco) kommt diefer Stamm 
noch im feiner urfprünglicen Reinheit vor. Wigenthiim- 





*) Ueber bie Urbewohner von Peru. Bon Dr. 3.9. von Tſchudi 
in Müller's Archiv für Phyſiolegie 1845, ©. 98 bis 100. — Pe- 
ruvian antiquities by Mariano Edward Kivero and Joh James 
von Tschudi, Newyork 1859, p. 26—40. EEs iſi dies bie engli— 
ſche Ausgabe des großen 1851 zu Wien erfarienenen ſpaniſchen Wer— 
fes der genannten Autoren.) 


312 


lic, ift den Schädeln aller drei Stämme das fogenannte 
Os Incae. 

Die Bevölferung von Peru hat ſich feit der Eroberung 
durch die Spanier auf eine faft unglaubliche Weife vermin: 
dert. Wenn man die Befchreibung dev Kriegsheere lieſt, 
die den Incas zu Gebote ftanden, wie fie ein Xeres, Go— 
morra, Garcilaſo und die übrigen älteren Hiftoriographen 
ſchildern, oder wenn man die Ruinen ber Rieſenbauwerke 
und die der zahllofen Städte und Dörfer, die fich durch ganz 
Peru erftreden, betrachtet, fo begreift man faum, wie es 
möglic; war, daß ſich das Yand im Zeitlaufe von drei Yahr: 
hunderten fo ſehr entwölferte, Während es zur Zeit der 
Eroberung noch ein Leichtes geweſen jein foll, eine Armee 
von 300,000 Dann aufzuftellen und noch ein anderes eben 
fo großes Reſerveheer zu bilden, lann die heutige peruauifche 
Regierung bei aller Auftrengung fauın 10,000 Soldaten 
verfammeln, und ganz Peru zählt nur 2'/, Millionen Ein— 
wohner. 

Wie ſich die Urbewohner von Bern durch die Schädel: 
bildung unterfchieden, jo waren fie aud) ſprachlich getrennt, 


— 





Peruaniſche Alterthümer. 


Um Cugeo wurde das Kedua (Quichua) geſprochen, weldyes am 
allgemeinften verbreitet war und daher la lengna general vou 
den Spaniern genannt wurde. In den Hochländern von 
Mittelperu, bei den Huancas, war die Chinchayſuyo gebräudh- 
lic); die Indianer der ganzen Kitite, dem Stamme der Chun— 
chos angehörend, fpradyen Yunga, die in dem Theile von 
Mlittelperu, der jegigen Provinz Yauyos entſprechend, die 
Kaului⸗Sprache; die Gebirgsbewohner des nordöftlichen Peru 
bis an den Huallaga die Yama (Dialekt der Aymara); die 
auf dem Hochlande von Quito die Quitena. Der Kechua⸗ 
Sprache ift ein glinftigeres Loos zu Theil geworden als den 
Spradjen der anderen unterjochten Nationen; fie wird nodj 
heute jo allgemein und mit derfelben Neinheit geſprochen 
wie zur Inca⸗Zeit, und zwar nicht bloß von armen Inbia- 
nern, fondern auch von Abfömmlingen der Spanier aller 
Claſſen in der Sierra, Andianifche Ammen und Dienft- 
boten wirken hier beftiimmend auf die Sprache der jpanifchen 
Abtömmlinge ein, wie diefes ja auch andermwärts der Fall ift. 

Wir find nun im Allgemeinen über die verfchiebenen 
Stämme orientirt, welche Peru vor der Anfunft der nier 


Be EAN TT ) TEBEE 





Monolith-Bortal von Tiahuanaco, Weſtſeite (reftaurirt). Nach Rivero und Tſchudi. 


bewohnten, und können uns den Alterthilmern zuwenden, 
weiche fie binterließen. Belaunt als die größten und be- 
wunderungswirbigften Werke find die mächtigen, mit Stei- 
nen audgelegten Heeritraßen, welche durch das ganze Neid 
von Cuzco nad Quito führten. Diefen mlfjen bie außer⸗ 
orbentlichen Wafjerleitungen, durch welche traurige Yand- 
wüſten und fterile Berge in fruchtbares Yand verwandelt 
wurden, an bie Seite geflellt werden. Nicht weniger Ber 
wunberung als diefe fllr das allgemeine Befte erbauten 
Riefenwerke verdienen die ungeheueren Paläfte, Feftungen 
und Tempel, von denen noch großartige Ueberrefte vorhanden 
find. Die Mauern biefer Gebäude wurden aus Quader⸗ 
feinen aufgeführt, die jo fein bearbeitet und mit folder Ge- 
nauigfeit auf einander gefltgt find, baf die Verbindungsftelle 
gitien je zwei Blöden nicht das Einfchieben eines Bogens 

apier geftattet. Diefe Steine waren von fehr beträdjtlicher 
Größe; man findet ſolche, die 4 bis 5 Meter lang, 2’, 
bis 3 Meter hoch und eben fo breit find; nicht alle waren 
vieredig, fie wurben auch polygonifcd, und ſphäriſch zugelchnit- 


ten, wie diefes die außerſt interejjanten Nuinen des Palaftes 


von Limatambo zeigen. Um fo mehr aber erregen dieſe 
Bauten unfere Bewunderung, ald wir willen, baß fie ohne 
eiferne Inftrumente errichtet wurden. 

Um einen Begriff von diefen Bauten zu geben, haben 
wir nad) dem Atlas des Werkes von Nivero und Tſchudi die 
merkwürdige Monolithpforte von Tiahuanaco fanmt 
ihren Einzelheiten in Holzſchnitt ausführen laflen. Süd- 
öftlich von dem Dorf (12,930 Fuß Über dem Meere) erblidt 
man die berühmten Ruinen. Nach der irn erhielt es 
feinen Namen durch den Inca Yupanqui. Gin Chasqui 
oder Fußbote aus Cuzco hatte hier mämlich eine wichtige 
Nachricht dem Inca berreicht; erftaunt über die Schnellig» 
keit des Voten fagte ihm der Monarch Tia Huanaco! (Halt 
an, Huanaco!), indem er auf die Schnelligkeit dieſes Thieres 
anfpielte. Natürlich hat dieſe Etymologie nicht mehr Werth 
als ähnliche andere, Es find zwei fünftfiche Hügel, auf 
demen wir die Nuinen finden. Steigt man den erften, Puma: 
punca (Löwenthlir), hinan, fo trifft man große bearbeitete 
Steinplatten; je höher man hinaufgelangt, defto zahlreicher 
werden fie und find gegen bie Spige hin majjenhaft auf 


Peruaniſche Alterthümer. 313 


gehäuft und don den verfcjiebenften formen; bafb vieredig, 
bald rechteckig, bald Meine, bald große ſehr forgfältig bearbei« 


Desaguadero > werben, Auf welche Weife gefhah nun 
tete Stüde. Häufig fommen Quadern mit Einſchnitten wie 


diefe Fortſchaffung? Es fehlen uns alle Nachweiſe bar: 
fiber; wahrſcheinlich fand er auf Walzen ftatt. Aber melde 





für Site vor. Außer enorme Menfchen- 
biefen find eine Menge mafle und welche Zeit 
von einfachen oder beaniprucht bieles Un⸗ 
doppelten in Stein ges ternehmen. Es erin⸗ 


hauenen Rinnen da, 
lurz eine ungeheuere 
Maſſe von vollkom— 
men gut gearbeitetem 
Material, wie es in 


nert dieſes vollftän« 
dig an die Fortſchaf⸗ 
fung der ägyptiſchen 
Coloſſe, 3. B. der 
Bildſäule Ramſes II, 


den Steinbrüchen nad) die wir, von colojla« 
einem ganz genau fen Menſchenmaſſen 
ausgearbeiteten Plane gezogen, noch in alt: 
behauen wird. Die ägyptifchen Abbildun« 
rößte Steinplatte, bie gen dargejtellt finden. 


ſchudi auf Vuma 
pınca maß, hat 744 
Gentineter Yänge und 
472 Eentim. Breite, 
Welche Beſtim⸗ 
mung mochte wohl 
diefes riefenhafte Ma⸗ 
terial haben? Ohne 
irgend pofitive An— 
haltepunfte vermuthet 
Tichubi, daß es zur 
Errichtung eines fehr 
großen Opfertempels 
hierher gebracht wurde. 
Die Steine ſind Gra⸗ 
nit und im Cerro de 
Clapia bei Zepita ge⸗ 


Noch wmehr ats 
das Fortſchaffen die 
ſer gewaltigen Steine 
ſetzt ums die vollen: 
dete technifche Ausfuüh⸗ 
rung der Steinmetz 
arbeit in Erftaunen, 
Auf welche Weite fie 
ohne Eifen den harten 
Granit bearbeiteten, 
iſt noch räthielhaft, 
am meiſten Wahr ⸗ 
ſcheinlichleit hat die 
Anficht für ſich, daß 
die legte Politur der 
Steine mit feinem 
Steinmehl bewertftel: 





brochen, dort behauen ligt wurde. Am mei» 
und erſt fpäter nach Meinende Gottheit. Detail vom Monolith-Bortat. ften reißt und aber 
Tiahuanaco geſchafft zur Bewunderung hin 


worden. Die Entfernung beider Punkte betrug 12 Leguas. | der einheitliche Plan, nach dem day Material behauen wurde. 
Auf dem Transporte mußten die Steine Über den Rio Der Architelt, von dem der Entwurf zu dem Gebäude aus: 





Details vom Monolith: Portal. 


ging, muß ein hodjbegabter Mann gewefen fein. Er hatte 

fein Bapier , feinen Bleiftift, feinen Zirkel, um {ine Pläne 

mit minutiöfer Genauigkeit auszuarbeiten, vMleicht hat er fie 
Globus XXVM. Nr. 20. 


nur flüchtig mit Pflangenfäften auf Lamahäute entworfen, 

aber bie ganze Gliederung ded Baues bis im bie geringjte 

Eingelheit mußte ftets feinem geiftigen Auge vorſchweben; 
40 





314 Albin Kohn: Schilderungen inneraſiatiſcher Zuftände. 


er mußte bie Dimenfionen und Formen der einzelnen Steine | zerfchlagen wurden, Mitten zwifchen beiden Hügeln nun er- 
den Arbeitern in den Steinbrlichen felbft angeben, feinen | hebt fic das merlwürdige monolithiſche Portal, Ueber 
Gehlilfen nur durch Worte feine Ideen audeinanderjegen, | der sag mager E ift auf der ordern oder Oſtſeite 


die ganze Conſtruction Mar machen. in der Mitte des Gefimfes die weinende Gottheit mit 

Nach der Tradition wurde der Niefenbau durch die Er- dem Strahlenfopfe;, unter den Strahlen unterſcheidet man 
oberung des jegigen vier Schlangen. Auch 
bolivianifchen Hoch⸗ in jeber Hand hält die 
landes dur Inca F — — — * Figur eine gekrönte 


Schlange und neben 
dieſein Hauptbilde find 
mehrere Reihen fon« 
berbar ſchreitender 
Geſtalten, theils mit 
Menfchens, theils mit 


Yupanqui unterbror 
den und fpäter micht 
niehr fortgefegt. Die 
Eultur und Bildung 
der Bewohner biefer 
Gegenden war zum 





mindeſten eben fo hoch Thierlöpfen, ange. 
ald die der peruani⸗ Emm 2 bracht, wie unfere 
i t iche zei 4 
u Details vom Monolith-Portat, Na * 
ſenwerk wie das, deſ⸗ ſeite ſind im Ge 


ſimfe auf jeder Seite je zwei viereclige Fächer wie Fenſter 
eingenteißelt und neben dem Durchgange je ein länglich 
vierediges Fach. Das Thor hat in 
der Breite 372, in der Höhe 236 
Centimeter, jo weit es aus der Erbe 
hervorſteht. 

In demſelben Stile wie die Sculp⸗ 
turen am Monolithportal ift auch der 
Coloſſalkopf gehalten, den ſchon 
Pedro Gieca de Leon erwähnt und 
der früher aud) hier bei Tiahuanaco 
lag. Er ift 102 Gentimeter lang 
und Über ber Stirn 60 Centimeter 
breit, Im Jahre 1842 wollte ihn 
Präſident Valivian vach La Paz brins 
gen laſſen, vermochte ihn aber nur 
zwei Leguas weit bis zum Dorfe 
Ylocolloco zu fchleppen, wo er, da «8 
an den zum Weiterſchaffen nöthigen 
Transportmitteln fehlte, liegen blieb. 
iv, Tſchudi, Reifen in Sitdamerifa, 
V, 287.) 

Die ganze Gegend von Tiahua- 
naco iſt von umnterirdifhen Gängen 
gefrenzt, aus denen die Erbe zum 
es bloß Trummer von zerſchlagenent Bau der beiden Hügel Pumapımca 
Kochgeſchirr der hei den Bauten be— und Apacana geholt wurde. Diefe 
ichäftigten Arbeiter waren, noch wenis Kopf von Tiahuougco. Nach Kivero und unterirdiſchen Baue find großartige, 
ger, daß hier eine Töpferei beftand. Tſchudi jetzt theilweiſe verfchlittete Werte, 
Vielleicht ſtauden die Scherben in Ver⸗ welche den vorhin erwähnten ober: 
bindung mit einem Opferdienſte, bei dem die Opfergefüße | irbifchen ſich ebenblrtig an die Seite ſiellen. 


fen Anfänge wir in dem maflenhaft angehäuften Mate 
rial anjtaunen, konnte nur durch einen fouveränen Willen, 
der rückſichtslos Über ungehenere Men⸗ rn 

ſchenkräfte gebietet, ins Leben gerufen 
werdet. Wer war der Autokrat? 
Oper follten allen Traditionen ent 
gegen die Incas die Urheber dieſes 
Werles jein? Letzteres jcheint wenig 
MWahricheinlichkeit für fich zu haben, 
denn die Steinarbeiten von Tiahua: 
naco find in einem von dem perua— 
nischen gänzlich verſchiedenen Stil 
ausgeführt. Die hiftorifche Tradition 
giebt uns feine Auskunft. Wir ftehen 
in Tiahuanaco auf einem Boden voll 
Rüthjel, 

Der zweite künftliche Hitgel, Apas 
cana (leichtes Gewölt) genannt, ift 
länger und höher als jener von Puma⸗ 
punca. Seine Abhänge find gleich: 
falld mut Quadern bededt, die zu 
einem Rieſenbau gehörten. Außer— 
dem ift der Boden mit Millionen 
von gebrannten Topfſcherben übers 
fürt. Es ift nicht anzunehmen, daß 








Schilderungen innerafiatifher Zuftände, 
Bon Albin Kobn. 


IV. 


Den Werth der hinefischen Armee wird folgende haraks | diefer Leidenſchaft. Ohne Opium kann ſich fein chineſiſcher 
teriftiiche Schilderung Mar machen. Militär aud) nur einen Tag behelfen, und man raucht ihn 
Lor allen Dingen ift jeder chineſiſche Soldat Opium» | nicht allein in der Caferne und während des Marjches, fon« 


4: raucher und aud die Offiziere Huldigen ohne Ausnahme ! dern jogar in dem Augenblide, wo man fi) gegenüber dem 


Albin Kohn: Schilderungen innerafintijcher Zuftände. 


Feinde befindet. Die Folge hiervon ift Erſchlaffung, phy- 
ſiſche und geiftige Abgeftumpftheit und Unfähigkeit, Strapa- 
zen zu ertragen. Diejer eine Umftand wiirde dem Untergang 
einer Armee nach fich ziehen, wenn eim energiicher Gegner 
ihr gegenüber ftände, Doc; ift das Opiumranchen nicht ber 
einzige Mangel der chineſiſchen Armee. An Difiiplin und 
Uebung ift nicht zu denten; das Ausftellen von Vorpoften, 
das Ausfenden von Patrouillen behufs Necognofeirung des 
Feindes fennt man nicht, Um Nachricht Über feine Stellung 
zu erhalten jendet man Spione aus und nad) deren Auss 
jagen richtet man die Operationen ein. Zum Marſche wäh. 
rend eines Regens oder fonftigen Unwetters, noch mehr aber 
während der Nacht, kaun eim chineſiſcher Soldat nur bei 
ZTodesftrafe gezwungen werben. Während des Marſches 
reitet übrigens die Infanterie eben fo wie die Cavallerie, 
häufig aber wird fie auf Wagen meiter befördert. Fuß. 
märjhe find in ber chineſiſchen Armee unerhörte Dinge. 
Aud) feine Waffen trägt ber chinefifche Soldat während des 
Marſches nicht bei ſich; Flinten und Langen werben auf 
Wagen ober Kameele geladen und bejonderd transportirt. 
Die Waffen beftehen übrigens in Säbeln, Yuntenflinten ober 
englifhen Gewehren alter Conftruetion. Hin und wieber 
findet man auch alte englifche oder ruſſiſche Doppelpiftolen, 
weldye legteren wahrſcheinlich am Amur erhandelt werden. 
Der Marſch eines chineſiſchen Kriegers ift eigentlich nur eine 


— 
auım iſt eine chineſiſche Heeresabtheilung ins Quartier 
elommen, fo zerjtreut fie fid), um bei den —— des 


xtes zu ſtehlen und zu rauben. Hühner, Ferlel, Mehl, 
Heu u. ſ. w. werden mit Gewalt zuſammengeſchleppt und 
man hauſt im eigenen Lande wie im einer eroberten, von 
Feinden bewohnten Gegend, Die Offiziere genieen mit den 
Soldaten die Frlichte des Raubes, wenn fie auch nicht direct 
rauben, Klagen werden nicht angenommen, ja die ruhigen 
Bewohner wagen fie nicht laut werben zu laflen und find 
froh, wenn fie für ihre Perſon mit heiler Haut davonfommen. 

Das Verfahren der djinefifchen Armee während des 
Marſches und in den Standquartieren ift den Bewohnern 
ſehr wohl befannt umd deshalb brechen auch die Mongolen, 
fobald fie erfahren, daß ſich eine Militärabtheilung ihrem 
Aule nähert, fogleich ihre Yurten ab, um ſich einige hundert 
Kilometer von ihrem früheren Wohnorte niederzulaffen, oder 
fie fliehen mit ihren Herden und ihrer Habe in unzugäng- 
liche Gebirgsſchluchten. 

Eine Folge diefer Art Verproviantirung der Armee ift, 
daß diefe ſich beftändig auf dem Marſche befindet. Nachdem 
nämlicd; der Ort, wo eine Armeeabtheilung in Garnifon fteht, 
und feine Umgegend ausgefogen ift, ziehen Meine Abthei- 
lungen in entfernter liegende Gegenden, um zu fouragiren, 
wobei fie fic häufig auf mehrere Tagemärfche vom Stand: 
quartiere entfernen. Einen Theil des Raubes erhalten die 
Offiziere. Doch hiermit begnügen ſich diefe nicht. Vom 
Unteroffizier bis hinauf zum Corpscommanbeur denkt jeder 
nur daran, wie er die Staatscafje beftehlen und betrügen 
fann, und diefes ermöglichen hauptjächlid; Defertionen und 
Sterbefälle; für Deferteure und Berftorbene bezieht der Corps: 
commandeue noch lange mach ihrem Ausſcheiden aus ber 
Armee die vorgejchriebenen Emolumente. Deshalb ift es 
auch leicht erflärlic, warum die Defertion in der chineſiſchen 
Armee ungemein entwidelt ift, und man fagt, daß die 70,000 
Mann ftarfe Armee, welche von der Regierung nad) dem 
Hwang-ho gefendet worden ift, thatſächlich faum 30,000 
Dann gezählt hat. Im Peking weiß man freilich hiervon 
nichts; es wird dorthin nicht berichtet, weil man die Ver- 
ontwortlichkeit fürchtet und die Emolumente fir die Fehlen⸗ 
den jo lange wie möglich beziehen will, 


315 


Die graufamen Strafen, welche hin und twieder gegen 
Marodeure und Fahnenfllichtige angewendet werden, können 
ber moraliſchen Verlommenheit der Armee nicht abhelfen, 
Denn ein Marodeur todtgeprügelt ift, finden fich gleich 
zehm andere, und kaum ift ein Deferteur erhängt, jo wirb 
aud) ſchon das Verſchwinden einer ganzen Mafje gemeldet. 
Die Strenge bes Gefeges ift gegenüber der allgemeinen Vers 
derbniß machtlos. 

Charalteriſtiſch ift die unglaubliche Feigheit der Chine- 
fen, auf welche, wie ic; mebenbei bemerken will, bie vom 
Gouverneur vom Irkutst im Jahre 1868 am den Bailaljee 
gejendeten und dort theilweife zur Erbauung des „Weges 
ums Meer“ (Krugommorskaja doroga) verwendeten Polen 
ihren Aufftands- umd Fluchtverſuch bauten, wie mir von Ber 
theiligten erzählt worben if. Der „Natschalnik legionu 
wolnych polaköw w Syberyi* (Borgejegte der Yegion 
freier Polen in Sibirien) Scharamowitſch hatte, in Erinne- 
rung der Siege, welde einige Taufend Engländer 
und Franzoſen über große hinefifche Armeen bavongetragen 
haben, feinen mit der Weltlage gänzlich unbefannten Gefähr- 
ten eingerebet, baß taufend muthige und halbwegs bewaffnete 
Polen die ganze chineſiſche Armee vor ſich hertreiben und 
bis Peking kommen würden, ohne auf ernftern Widerftand 
zu ftoßen. Hätte übrigens ber Herr Natſchalnik, ftatt mit 
feiner Wilrde wie ein Kind zu fpielen und in Märfchen und 
Eontremärfchen die Zeit zu vergeuden, dem reiten Augen⸗ 
blif wahrgenommen, ſich der im Hafen von Poſſolsk befind: 
lichen beiden Dampfer bemächtigt, auf denen fich 2000 neue 
Gewehre und Munition, fiir die Nuffen am Amur beftinmt, 
befanden, und ſchnell feinen Marſch nad Kjachta ausgeführt, 
wer weiß, ob nicht wenigftens einige hundert Polen ſich mit 
ber chineſiſchen Armee hätten meſſen und ihre Kriegätlichtig« 
feit und ihren Muth auf die Probe ftellen können. 

Die Taktit einer chinefifchen Armee ift fehr einfach; man 
rechnet, indem man von ſich auf den Gegner jchließt, auf 
deſſen Einſchüchterung. An einen muthigen, gleichzeitigen 
Angriff wird nicht gedacht. Die Armee wird in einem gror 
Gen Halbfreife aufgeftellt, um ben Feind zu umeingen, und 
nun beginnt das Sciefen aus einer Entfernung, welche 
häufig die Tragweite der chinefifchen Waffen um das Zehn: 
fache Überfteigt. Nach jedem Schuſſe wird ein furdhtbares 
Gejchrei erhoben, weldyes die Wirkung des Feuers unterjtügen 
fol. Diefe wahrhaft kindiſche Taktif mag gegen einen Feind 
chineſiſchen Kaliber ganz gut fein; ein geordnetes, wohl: 
diſciplinirtes und muthiges, wenn auch wenig zahlveiches Heer 
ift feines Sieges von vornherein gewiß, felbjt wenn es ein 
zahllofes chinefisches Heer vor ſich hat. 

Wenn man noch bedenkt, daß die Bewegungen der ine: 
ſiſchen Armee ungemein langjam find, weil fie immer nur 
in Echelons marſchirt, fo wird man ſich auch erflären lönnen, 
warum überhaupt die Operationen gegen die Dunganen fo 
langjam vorſchritten. Deshalb and) fam das aus 25,000 
Mann beftehende Corps, welches die Pelinger Regierung 
Anfangs 1872 zur Eroberung von Sining-fu abfendete, erſt 
im Juni deffelben Jahres in die Provinz Kan-ſu und bejegte 
die Städte Nim⸗bi und Ujam-bu, welche gegen 40 bis 50 
Kilometer von Sining entfernt find. Da ſich diefe Helben- 
truppe vor allen Dingen daran machte, die Gegend auszu— 
plündern, fo hatten auch die Dunganen Zeit, in Sining gegen 
70,000 Dann zufanımenzuziehen. Im September famen 
endlich die chineſiſchen Truppen vor Sining an, deſſen helden- 
mithige Bertheidiger, trog ihrer ungemein numeriſchen Ueber 
legenheit, ſich vorfichtig hinter den Befeftigungen verbargen. 
Mehr um Lärm und Schreden denn als um Schaden anzu— 
richten hatten die Chineſen vier alte europäifche Geſchlitze, 
welche von je ſechs Maufthieren gezogen wurden, aus Peking 

40 * 


316 


mitgebracht. Diefe Gefchlige waren, auf daß fie ſchon von 
Beitem gefehen wirden, mit rothem Seibenzeuge umwidelt, 
und es war Nichtcombattanten bei Todesftrafe verboten, ſich 
ihnen zu nahen. Dean hatte old Munition fir diefe Ge— 
ſchutze ſowohl Bolltugeln als aud) Öranaten, welche legteren 
der Belagerungdarmee — ganz zufällig — einen unge 
heuern Dienft erwiefen haben. Während eines Angrifies 
fielen nämlid) einige Granaten in bie Stadt, wo fie plagten, 
und, trogbem fie feinen Schaden anridteten, die Dunganen 
mit Schred erfüllten. Um das Unglüd voll zu machen, 
nahmen einige Dunganen eine Oranate, welche nicht geplagt 
war, beſchauten fie von allen Seiten mit ber größten Ber« 
wunderung und beſchloſſen fie zu entleeren. Zu dieſer Ope⸗ 
ration verfammelte fid) eine große Menge Neugieriger, da 
man aber umvorfichtig zu Werke ging, plagte die Granate 
und ihre Splitter verlegten und töbteten viele meugierige 
Gaffer. Die Hauptwirlung diefer Granate war jedoch bie 
Panik, welche die Erplofion zur deg hatte, und ſie allein 
ſicherte den Chineſen den —— inige Tage nach dieſem 
Vorfalle drangen fie in einen Theil der Feſtung ein, wäh: 
vend die Dunganen ſich ſchon in einer andern Befeftigung 
eingefchloffen hatten, 

Um diefe Zeit gelangte die Nachricht von ber Bermäh- 
fung des Bogdo-Chans cchineſiſchen Kaifers) ins Lager der 
Chinefen. Die Operationen gegen ben Feind wurden fofort 
eingeftellt; es wurde ein Theater eingerichtet und andere 
Feftlichteiten begangen, um das hochwichtige Ereigniß wurdig 
zu feiern. Während einer Woche dauerten ohne Unter» 
bredjung Theatervorftellungen, Feuerwerle und ähnliche Yuft- 
barfeiten, wobei matirlic der größte Theil der Soldaten 
und Offiziere betrunfen war, oder vom Opiumrauſche betäubt 
dalag. Wenn damals ein emergifcher Führer an der Spike 
ber —— geweſen wäre, oder wenn ſich hundert Mu— 
thige gefunden und einen Ueberfall gewagt hätten, fo wäre 
die chinefifche Armee verloren geweſen. Nidjts von alles 
dem gefchah. Die Bertheidiger von Sining hielten ſich 
ruhig hinter ihrer Lehmmauer, trogdem fie jehr wohl wuß- 


Die Eolonie Südauftralin am Schluffe des Jahres 1874. 


ten, daß ihrer im Falle eines Sieges ber Chinefen der Tob 
harrte 


„Hierin,“ jagt Prſchewalski, „befteht eben die moralifche 
Fuulniß bes Oftens, da der bortige Menſch felbft den thierifchen 
Inftinet der Selbfterhaltung überwinden fann und fid) überall, 
wo er ſich felbft überlaffen ift, als unglaublicher Feigling 
zeigt. Endlich geräth diefer Feigling in eine Lage, aus ber 
er feinen Ausgang fieht, und dann wird er apathifc und 
geht, wie ein umverniinftiges Thier, zur Schladjtbant,“ 

Nach den oben beſchriebenen Feſtlichleiten begannen die 
Chinefen wieder ihre kriegeriſche Thätigkeit und die Stadt 
fiel bald ganz in ihre Hände, wonad) ein allgemeines Maſſacre 
begann. Augenzeugen erzählten Herrn Prſchewalsli, daß, 
nachdem die Chinefen vom Morden der Einzelnen ermlldet 
waren, fie ganze Haufen Dunganen, ohne Unterjchied des 
Alters und Geſchlechtes, in die Berge trieben und von ber 
Höhe in Abgründe ftürzten. So follen gegen zehntaufend 
Menfchen ermordet worden fein. 

Später eroberten bie Chinefen auch die Städte Senshuan, 
Yusfanstfchen und Tetung, wo nur diejenigen Aufftändifchen 
Gnade erhielten, welche ſich bereit erflärten, der Lehre Mo— 
hammed's zu entfagen und die Lehre Buddha's anzunehmen, 
Diele Dunganen wanderten nad) Weften aus, in Gegenden, 
wo Mohammedaner wohnen. 

Heute ift die inefifche Regierung des mohammedanifchen 
Aufftandes am der Weftgrenge des Reiches volltommen Herr 
—— und nur Oftturkeftan ſteht ihr drohend gegenilber. 

it dieſem bürfte fie, da der unternehmende Emporlömmling 
Jakub-Beg an feiner Spike fteht, kein leichtes Spiel haben. 
Zum Heile der Menfchheit — fagen wir es nur offen — 
wäre es gar nicht zu wünſchen, daß auch hier China fiege, 
ba bie Füulniß des chinefischen Volles und feiner Regierung 
bie, wenn auch umcivilifirten, fo doc, nicht verfommenen Be: 
wohner Oſtturleſtans anſteden würde. Bom Standpunkte 
der Civilifation aus wäre es nur zu wlnfchen, dag Rußland 
Oſtturkeſtan, wenn auch nicht annectiren, fo doch als Bafallen- 
ſtaat feiner Botmäßigfeit unterwerfen möchte. 





Die Eolonie Südauftralien am Schluffe des Jahres 1874. 


H.G. Die Colonie Südauftralien datirt vom 28. Decem⸗ 
ber 1836. Im engern Sinne, d. i. wie fie urfprünglich ans 
gelegt wurde‘, reicht fie von der füdlichen Meeresfüfte bis 
26° füdl. Br. und umfaßt einen Flächenraum von 383,328 
englifchen Quadratmeilen oder 245,329,920 Acres Land. 
Mit dem fpäter dazu gelommenen „No Man's Fand“ und 
dem „Northern Territory* enthält fie 914,730 englifche 
Duadratmeilen oder 585,427,200 Acres. 

Davon waren bis zum 3, März 1875 erft 5,712,773 
Acres in Privatbefig Übergegangen, und darunter befanden 
ſich wieder 1,208,303 Acres, welche auf Credit verkauft 
waren. ine englifche Ouabratmeile begreift 640 Acres 
und 571 Aeres find gleich 905 preußiſchen Morgen. 

Die Bevöllerung belief fi) am 31. December 1874 
auf 204,883 Seelen, von denen 104,995 dem männlichen 
und 99,888 dem weiblichen Geſchlechte angehörten, und hatte 
fid) damit um 6808 gegen das Jahr 1878 vermehrt. 
Vertheilt man die Aderzahl der eigentlichen Colonie auf 
diefe Bevölterung, fo würden 1197 Aeres auf den Kopf 
entfallen. Nach fpäteren officiellen Angaben zählte die Co- 
lonie am 1. April 1875 überhaupt 205,485 Seelen und 
die City of Adelaide, Hauptftadt, 28,015. 


Geboren wurden 7696, und zwar 3913 männlichen und 
3783 weiblichen Geſchlechts, oder 39,32 pro Tauſend ber 
Bevölkerung, gegen 7247 oder 36,92 im Vorjahr. Mit 
Tode gingen ab 3434 (1912 männlich und 1522 weiblich), 
d. i. 17,28 pro Taufend, gegen 2631 oder 13,08 im Jahre 
1873. An den Maſern, welche nicht bloß in Sudauſtra⸗ 
kien, fondern in den ſämmtlichen Colonien Auftraliens und 
auf ben Fidſchi⸗Inſeln epidemieartig auftraten, ftarben 2830 
Perſonen. Auch Dysenterie (211), Diphtherie (97) und 
Typhus (76) forderten viele Opfer, Es verheiratheten 
ſich 3222 Perfonen, und davon waren 228, meiftentheils 
in der Colonie geboren, nicht im Stande ihren Namen zu 
fchreiben und zu leſen. 

Die Eingeborenen, welche nach dem Cenſus vom 2. April 
1871 auf 3369 fummirten, zählen gegenwärtig faum noch 
3000, Im Jahre 1874 ftarben 104, während nur 59 
geboren wurden. Der Yungenkfrankheit, welde unter ihnen 
ſehr verbreitet ift, unterliegen immer viele. Ihr völliger 
Untergang ift bloß eine Frage der Zeit. 

Die Bevölkerung von Südauftralien nimmt, ungleich 
ber in den anderen Colonien, nur langfam zu. Die Ein- 
wanderung aus Europa wird zwar dadurch jehr erleichtert, 


Die Eolonie Südauftralin am Schluffe des Jahres 1874. 


daß Perfonen beiderlei Gefchlechts im Mlter von zwölf bie 
vierzig Jahren nur 4 Pf. St. an Paflagiergeld fitr die 
Reife zu entrichten braudyen, während bie filbauftralifche 
Regierung den Neft auf fic nimmt. Ueberdies hat legtere 
Agenten, denen ein befonberer Fluß der Rede zu Gebote 
fteht, nach England gefchidt, um dort Rumdreifen zu machen 
und auf Meetings die Yeute für Auswanderung nad, Süd— 
auftralien zu bearbeiten. Allein dies Recept entjpricht doch 
nicht den gehegten Erwartungen, und diejenigen, welche ge> 
folgt find, erheben nur zu oft, nachdem fie bei ihrer Ankunft 
in Yuftralien aus ihren vofigen Träumen erwacht find, die 
bitterften Klagen über das, was ihnen vorgejchwindelt wor« 
den. Um in einem Klima, wo bas Thermometer bis auf 
35 R. im Schatten fteigt, gegen mäßigen Lohn an Eifen- 
bahnen zu arbeiten, dazu braucht man nicht nad) Auftralien 
audzumanbern. 

Nachdem alle Verſuche in Großbritannien, Leute zur 
Auswanderung nadı Südauftralien zu bewegen, einen nur 
geringen Erfolg gehabt, will man es jegt mit Deutſchland 
verfuchen. Das Parlament von Südauftralien wird 2 Mill. 
Pf. St. für öffentliche Bauten, namentlid, für Eifenbahnen, 
bewilligen und da follen num unfere gefunden und Fräftigen 
Urbeiter — denn nur foldye will man — bie Bahnen fer- 
tig bauen helfen. Hoffentlich wird die Reichsregierung bie- 
fem Treiben fcharf auf die Finger fehen. 

Die Einwanderung belief fi) im Jahre 1874 auf 5443 
gegen 4548, und die Auswanderung auf 3312 gegen 3172 
im Borjahre. Die erftere weift mithin ein Mehr von 2131 
auf, Im Folge der Wiederaufnahme ber vorermähnten affi- 
ftirten Einwanderung and Europa fonnte ſich in den beiden 
legten Jahren die Einwanderung wieder numerifd) über die 
Auswanderung heben, während in den fünf voraufgehenden 
Iahren dies Berhältnif ein umgelehrtes war. 

Die öffentlihe Nevenue der Colonie fteigerte ſich im 
Jahre 1874 auf 1,003,005 Pf. St. gegen 937,649 Bf. St. 
im Jahre 1873. Aus den Zöllen flofjen 370,439 Bf. St. 

gen 362,246 Pf. St., aus dem Verlauf und aus ber 
Fente von Kronland 68,071 Pf. St. gegen 70,797 Pf. St, 
aus dem Poft» und Telegraphenweien 74,067 Pf. St. gegen 
75,080 Bf. St., aus den Eifenbahnen 144,588 Pf. St. gegen 
155,354 Pf. St. im Borjahre u. f. w. Dagegen beliefen 
ſich die öffentlichen Ausgaben auf 1,051,621 Pf. St, gegen 
839,152 Pf. St. im Jahre 1873. Die jährliche Verzin- 
fung der öffentlichen Schuld, welche in runder Zahl auf 
21/7, Mil. Bf. St. angefchwollen war, gegen 2,174,900Pf. St. 
im Jahre 1873, erforderte 136,561 Pf. St. gegen 
119,304 Pf. St. im Vorjahre. 

Der Import der Colonie im Jahre 1874 bezifferte ſich 
auf den Werth von 3,878,455 Pf. St. Davon wurden 
zum Betrage von 534,580 Pf. St. rererportirt, fo daf in 
der Golonie felbft eine Einfuhr von über 3,538,875 Pf. St. 
verblieb oder, auf die Bevölferung repartirt, 16 Pf. St. 6 Cd). 
pro Kopf, gegen 3,527,163 Pf. St. im Vorjahre. Die 
Hauptartifel des Imports bilden Schnittwaaren, Eiſenwaa- 
ren, Schuhzeug, Zuder, Thee, —— und Proviſionen, 
Spirituoſen, Biere, Nutzholz und Kohle. Aus Großbritan⸗ 
nien warb davon im Betrage von 2,019,900 Pf. Et. oder 
9 Pf. Et. 19 Sch. 8 P. pro Kopf der Bevölferung einge 
führt, gegen 2,121,000 Pf. St. oder 10 Pf. St. 13 Sch. 
10 P. im Borjahre. 

Der Erport ftellte fi) auf den Werth von 4,439,063 Pf. St. 
und entfallen davon 3,868,275 Pj.St.,d.i. 18 Pf. St.19 Sch. 
pro Kopf, auf Stapelproducte, gegen 4,285,192 Pf. St. 
im Jahre 1873. Zu legteren zählen in erfter Reihe Weizen und 
Mehl (erportirt wurde flir 1,212,243 Pf. St. gegen 
1,692,738 Pf. St. im Vorjahre), Wolle 1,762,987 Pf. St. 


317 


gegen 1,617,589 Pf. St.) und Kupfer (693,886 Pf. St. 
gegen 768,522 Pf. St.); dann auch Talge (38,512 Pf. St. 
gegen 63,711 Pf. ©t.), confervirtes Fleiſch (28,241 Pf. St. 
gegen 38,228 Pf. St.), Häute (18,729 Pf. St. gegen 
11,962 Pf. St), Wein (17,399 Pf. St. gegen 
10,834 Bf. St.) u. ſ. w. . 

Dom Regenfalle im fogenannten Winter, ber ſich aber 
eher mit unferen rauhen Herbfitagen vergleicyen läßt, hängt 
der Ausfall der Ernten ab, Nach forgfältigen meteorologis 
ſchen Beobachtungen belief ſich ber durchſchnittliche Regen: 
fall in der City of Adelaide von 18339 bis Ende 1874 auf 
21,153 Zoll, Das Jahr 1874 war ein ziemlich trodenes 
mit nur 17,173 Zoll. Das bisher maffefte Jahr (1851) 
tegifteirt 30,653, das trodenfte (1859) nur 14,460 Zoll. 
Die eigentliche Regenzeit beginnt mit April und endet mit 
September oder October, 

Sübdauftralien ift ein Agriculturland, in welchem vors 
zugsweife Weizen producirt wird, und war lange Zeit bie 
Kornfammer der Übrigen auftralifchen Colonien, in benen 
der eigene Bedarf noch nicht erzielt wurde. Dept hat 
fid) das imfofern geändert, als wenigftens Victoria und 
Tasmanien nicht mehr zu importiren brauchen und auch in 
ben anderen Colonien ber Weizenbau in viel größerm Ums 
fange betrieben wird, Was außer Weizen an Gerfte 
(13,724 Ucres mit 208,373 Buſhels) und an Hafer 
(2785 Ueres mit 40,701 Bufhels im Jahre 1874/,,) 
gebaut wird, ift nicht von großer Be 

Im Jahre 18%4/,;, — die Agrieulturftatiftit fchließt 
in Auſtralien mit dem 31. März bes Jahres ab — 
waren 839,638 Acres mit Weizen beftellt oder 54,854 
Acres mehr ald im Borjahre (vor zehn Jahren waren es 
erſt 410,608), und wurde ein Ertrag von 9,862,693 Bu- 
fhels, d. i. 113/, pro Were, erzielt, gegen, 6,178,816 und 
8,735,912 in ben beiden Vorjahren. Nach Abzug der 
nädjften Ausjaat und des eigenen Confums in der Golonie 
dürfte ein Ueberſchuß von 7,312,693 Bufhels oder 182,817 
Tonnen Mehl flir den Erport verbleiben. ( ig Pfund 
Weizen machen einen Bufhel aus, und vierzig (8 rech⸗ 
net man auf eine Tonne Mehl — 2000 Pfund.) Yeider 
hat es mit dem Abfage feine Schwierigkeit, ſofern nicht hohe 
Getreidepreiſe in Europa herrfchen, welche den Erport dahin 
möglich machen. Gewöhnlich bleibt dem Farmer nur ein 
fehr geringer Gewinn übrig. Im Juli 1875 ward ber 
Bufhel Weizen, frei nad) Port Adelaide geliefert, mit nur 
4 Sc. oder 4 Mark bezahlt und die Tonne Mehl mit 
10 Pf. ©t. 5 

Der Biehbeftand der Kolonie Hatte fi) am 31. März 
1875 wieder erheblicd; vermehrt. Pferde waren 93,122 
gegen 86,323, Hornvich 185,542 gegen 174,381, Schafe 
6,120,211 gegen 5,617,419, Schweine 78,019 gegen 
63,702 und fjebervieh 498,256 gegen 495,175 im Bor 
jahre vorhanden. 

Mit dem öffentlichen Schulwefen ift es gar ſchlecht bes 
ftellt, doc, fängt man endlich an, zumal feitdem der begabte 
Dr. Emil Jung aus Berlin zum Schulrath ernannt wor 
den, nützliche Neformen vorzunehmen. Der Schulunterricht 
foll in Zukunft, nad) einer minifteriellen Vorlage, welche 
Ende Juli diefes Jahres im Parlamente berathen wurde, 
fäcular, obligatoriſch und für diejenigen Kinder, deren Eltern 
nicht in der Yage find, Schulgeld zu zahlen, frei fein. Ein 
großer Procentjag der Bevölterung kann weber leſen nod) 
ſchreiben. 

Die Zahl der öffentlichen Schulen, an denen größten- 
theils Pehrer von fehr geringer Befähigung wirken, belief 
fi) im Jahre 1874 auf 320 gegen 315 im Borjahre, 
mit reſp. 17,426 und 17,222 Sculfindern. Der durdj- 


318 Georg Thiele: Skizzen aus Chile. 


ſchnittliche monatliche Schulbeſuch ftellte ſich auf reſp. und durch Bewilligungen von Seiten des Parlaments ift 

13,774 unb 13,404. es möglich geworden, am fünften April diefes Jahres eine 
Durch die Yiberalität patriotifcher Coloniften — der | Univerfität in Adelaide zu eröffnen. Der Anfang der Vor— 

Großlaufmann und Squatter Honorable Mr. Thomas El: | Iefungen wurde freilich nur mit elf Studenten gemacht, un 

der und Capitän W. W. Hughes, Minenbefiger und Squats | ter denen ſich fieben (!) junge Damen befanden. 

‘ter im Adelaide, fchenkten ein Jeder 20,000 Pf. St, — 


Stizzen aus Chile 
Von Dr, med, Georg Thiele. 


vo. 
ET 


Nächſt Santiago und Balparaifo ift Talca bie gröfite 
Stadt des Landes, mit ungefähr 25,000 Einwohnern *), 
fteht aber in feiner äußern Erſcheinung hinter den Süften- 
ftäbten, in denen die zahlreichen Ausländer einen etwas vers 
edelnden Einfluß ausgelibt haben, zurüd. Das wird ſich 
jedoch bald ändern, wenn mit Ende 1875 die Eifenbahn, 
bie e8 mit Santiago auf der einen und mit Concepcion auf 
ber andern Seite verbinden foll, vollendet jein wird. Thea- 
ter und Gagfabrif find gleichfalls ſchon im Bau begriffen. 
Im Uebrigen hat Talca eine ſehr wohlhabende Umgebung 
und nährt ſich von Aderbau und Viehzucht, deren Producte 
über den Hafen Conftitucion verſchifft werben. 

Zalca ift der natürliche Mittelpunft eines großen und 
ſchönen Stlides Yand; fein Einfluß erftredt fid) aber noch 
darüber hinaus, bis nad) Chillan, wo man ſchon etwas 
in den Rayon von Concepcion lommt, und im Norben 
bis Euricö, das fo zu fagen das Ende des Santiaguiner 
Gebietes repräfentirt. Talca felbft liegt am weftlichen 
Rande der großen Hochebene, jo daß bie erſten Hligel des 
Küftengebirged unmittelbar an der Stadt beginnen. Vom 
Maule liegt es noch vier Leguas öftlich, aber inmitten 
zweier Meiner Waffer, die ihren Abflug zu ihm nehmen, des 
Yircai, der etwa eine Legua nördlich von der Stadt bleibt, 
und des Eftero Pibuco, der an der Südoflfeite hinflieft. 
Ein noch Mleinerer Bach, der Baeza, fließt mitten durch die 
Stadt. Die Stelle, an der die Stadt 1742 erbaut ift, ift 
eine der tiefften der Hochebene (85 Meter hoch), jo dag man 
fid) Über den Wafferreichthum nicht wundern fann. Die 
Stadt it von 35 Meinen Canälen durchzogen, die dem Pir 
duco entftammen und al® Abzugscanäle dienen. Jedes 
Haus ift von einem folden Std (Acequia im Spanifchen) 
durchfloſſen, — eine ſehr große Bequemlichkeit! 

Die Stadt zerfällt in zwei Theile, einen nördlich von 
ber Alameba gelegenen und einen füblichen; der mörbliche 
Theil ift nur Vorſtadt. Die Alameda (Allee) ſelbſt läuft 
gerade von Weſt nah Oft. Am Weftende ift die Ausficht 
durd) die Hügel des Kütftengebirges abgefchloffen, das Dft« 
ende gewährt eine jehr ſchöne Ausficht auf die Corbillera. 
Die Alameda ift angelegt wie alle derartige Allen in Sid: 
amerika; fie ift gut gepflegt, liegt hoch und giebt deshalb 
bes Abends einen fehr angenehmen Spaziergang, jelbft wenn 


) Bappäus (Handbuch der Grographie und Etatiftif) giebt 
ihe nur 15,000 bis 16,000; der Genfus von Gbile vom 19. April 
1885 nur 17,900 Ginwohner. Ob fie ſich ſeitdem wirflid um ein 
Drittel wermebrt bat, iſt bei dem Meblen authentiſchet Macrichten 
nicht zu conftatiren. Nerv, 


in der untern Stadt bie Luft drückend iſt. An der Alameda 
felbft wohnen nur wenig reichere Yeute. Das Centrum der 
Stadt bildet die Plaza de Armas, zugleich ber tieffte 
Theil. Diefelbe enthält einen Brunnen in der Mitte, ift 
mit Bäumen bepflanzt und giebt fo einen recht hübjchen Spas 
ziergang. Dreimal wöchentlich fpielt Hier von 7 bis 8 Uhr 
Abends die Mufit des Batallon civico (eine Art Landwehr), 
die im der That ſehr gut ift, Übrigens eine Ausnahme in 
Chile, das am fchlechter Muſik überreich ift. 

Deffentlihe Gebäude von einigermaßen fehenewerthem 
Aeußern befigt Talca feine. Selbſt die Kirchen, an denen 
es feinen Mangel leibet (Talca ift amerfannt die frömmſte 
Stabt Ehiles), find äußerſt einfach. Die Thirme der Igle— 
fia de la Matriz haben das allgemeine Schidjal derſel⸗ 
ben in Chile gehabt, nämlich dag man fie, lediglid; aus 
Furcht vor dem Erdbeben, nicht in bie Höhe führte, wie fie 
der Anlage der Kirche entiprechen würden. Auch die Häu— 
fer find meift fehr einfach: es giebt in ZTalca nur zwölf 
zweiftödige Häufer ; dafür find fie gewöhnlich in der Fläche 
fehr ausgedehnt. Die Straßen waren bis jegt faſt alle noch 
nad) dem alten fildamerifanifchen Syſtem gepflaftert, d. h. es 
war nur ein Rinnften da, und diefer befand fid) in der 
Mitte der Strafe, derart, daß vom Trottoir an die Straße 
fchräg nad; der Dlitte abfällt, eine abfcheuliche Mode, deren 
Unzweckmäßigleit Jeder einficht, auch wenn er nicht zur 
Negenzeit ſich im füdamerifanifhen Städten aufzuhalten 
braucht. Augenblicklich werden jedoch alle belebteren und 
von den befferen Claſſen bewohnten Strafen nad) europäis 
ſchem Syftem umgebaut, enge a ar mit 
Petroleum und ift noch fehr mangelhaft. ie Drofchten 
find gut und billig, wie überall in Chile. 

Som commerciellen Standpunft aus betrachtet ift Talca 
natürlich eine wichtige Stadt. Alles, was es jedoch an 
Verlaufsläden und dergleichen befigt, ift auf einer Straße 
zufanmengebrängt, ber Calle dei Comercis, und zwar 
in der Ausdehnung von ber Plaza de Armas bis zur Plaza 
de Abaftos; beide Pläge dienen ebenfalls hauptſächlich als 
Bazar. Die Plaza de Abaftos ift der Sammelplag der 
kleinen Krämer, wo die Pandleute ihre Einfäufe machen; in 
ihrer Mitte befindet fic, die Recova, die Verfaufshalle für 
Lebensmittel ꝛc. Der Handel erſtredt fid) natlirlich über 
alle Gebiete, und es ift hier in Talca fo ziemlid; Alles zu 
haben, was man will, und man iſt mit Gegenftänden des 
täglichen Lebens in der That gut verfchen. Charalteriſtiſch 
ift es hingegen filr das Yand, daß es hier feine Buchhand- 
lung giebt; jelbft Buchbinder eriftiren nit. Mufitalien 


Aus allen Erbtheilen. 


dagegen kann man an vielen Stellen befommen, ehenfo 
Pianos. Möbel find fertig zu haben; außerdem giebt es 
bier zwei deutſche Tifchler, die beide vortrefflich arbeiten, ber 
eine mit folder Eleganz, daß feine Möbel felbft in Berlin 
und Dresden eine voriheilhafte Beurtheilung finden würden. 
H äth, Geſchirr, Mehl, Reis, Thee und Alles, was in 
diefe Kategorie gehört, liefert uns außer anderen Hanbluns 
“gem die Filiale eines großen Geichäftes in Valparaiſo, die 
die ganze Weftlüfte mit diefen Artikeln verforgt. Mit Mor 
diſtinnen ift Talca reichlich, gefegnet und an Seidenkleidern 
und ähnlichen Dingen hat es folden Ueberfluß, wie in 
Deutfchland kaum im doppelt fo großen Städten ſich findet, 
ebenfo an Goldſachen und Uhren. 

Der Erport Talcas befteht hauptfählih in Viehzucht: 
producten, in Charqui (gefalzenes und gedörrtes Ochfenfleifch), 
Häuten, fett und Weigen. Der Transport diefer Dinge 
geichieht auf großen Karawanen von Ochjenwagen bis Per 
rales, wo fie auf den Kahn gebracht werben und zu Fluß 
nad; Conftitueion gehen, von da mit Segel oder Dampf 
nach Valparaiſo. Die Poſt befördert die Paffagiere zur 
Sommerzeit in einem Tage von Talca nad) Santiago. 
Außerdem führt eine Straße nad) dem Süden (Linares ꝛc.) 
ebenfalls mit täglicher Verbindung. ine große Straße 
führt von hier über Lircai, Pelarco nad) dem Often, direct 
nad; der Cordillera zu, wo ſich die Haupthaziendas der Pro- 
vinz befinden. Cine andere geht weſtlich über Pencahue 
nad, einigen im Küftengebirge zerftrent liegenden ärmlichen 
Orten und nad) Conftitucion. 

Das Capitel „geiftiges Leben* nimmt in Talca einen 
fehr Heinen Raum ein. Es giebt hier eine Art Gymnaſium, 
das fich bis jetzt Hamptfächlich durch die Unordnungen, bie 
darin vorgefommen find, ausgezeichnet hat. Ein Theater, 


319 


ein ganz hübſches Gebäude, ift fertig und einige ganz gute 
Borjtellungen habe id) darin gefehen. Nächitens follen wir 
eine Schaufpielergefellichaft befommen; bis jegt hatten wir 
nur Zarzuela, d.h, Operetten. Ein Club de Talca eriftirt; 
das befichtefte feiner Zimmer ift indeß das Billardzimmer. 
Das Lefecabinet enthält außer Balparaifiner und Santia- 
guiner Zeitungen nichts. Zeitungen erfheinen drei in Talca, 
eine davon fogar täglich. 

Eine Umgegend nach unferen deutjchen Begriffen giebt 
es eigentlich bei Talca nicht, d. h. es giebt wohl eine, man 
hat aber feinen Anlaß fie aufzufuchen und etwa dort zu 
verweilen. Die Straße nad) dem Süden ift eine große 
Strede weit mit Heinen Grundftiden, Gärten und Häufern, 
befegt, jo daß man glaubt gar nicht aus der Stadt heraus« 
gelommen zu fein. Auch die Straße nad) dem Norden ift 
recht hübſch, ba man hier an einer Reihe größerer Hacien« 
das vorüber fommt. ine Meine Stadt mit etwa 1000 
Einwohnern findet ſich ferner am Dftende Talcas, nody von 
ihm getrennt, wird aber demnächſt im baffelbe einverleibt 
werben. Die Bewohner find jeboch lauter arme Leute und 
ihre Wohnungen Lehmhäuſer. Werner findet fich Hier im 
Oſten die Pamıpa, der Ort oder die Wiefe, mo das große 
Nationalfeft des 18. September abgehalten wird. In ber 
Umgegend befinden fid) noch, Heinere Dörfchen, eingelne grö- 
Bere Etabliſſements ꝛc., meiſt im recht hübfche und dichte 
Begetation eingehüllt. Aber Sehenswerthes iſt nichts da, 
und wer durchaus einmal Landluft genießen will, der fährt 
ober reitet irgendwo in das Gebüfc, hinein, it umd trinkt 
feine mitgebradhten Lebensmittel, macht ſich jelbjt Muſil und 
tanzt dazu oder treibt ein paar Guitarrenfpielerinnen dazu 
auf und ehrt bei Sonnenuntergang nad) Talca zuräd. 
Das ift ber Verlauf eines Pidnid in Talca ! 


Aus allen Erdtheilen. 


Der Eanal zur Bewafferung der Bungerfteppe. 


Die „Turkeftaner Nachrichten“ bringen folgende inter 
ante Einzelnbeiten iiber den Beginn der Arbeiten an bie: 
ſem Canal: „Nach dem Projecte fol derfelbe mit dem Waſ⸗ 
fer des Sur: Darja gefüllt werden, einen lichten Durch: 
ſchnitt von 400 Quadratfuß haben und in der Secunde 1200 
Cubikfuß Waſſer durchlaffen, das eine im Dreifelderiuftene 
bewirtbichaftete Fläche von 120,000 Defjätinen, von denen 
immer 40,000 befüet fein Fönnen, zu bewällern vermag. Das 
Blatt jagt ferner, da die Bewäſſerung der Hungerfteppe 
den Bewohnern des Ehodichenter Kreijes ungebeuren Nuten 
bringen wird, denn bort ift wegen Waffermangels fehr wenig 
Boden, der productiv if. Wie groß das Bedürfniß nach 
Bergrößerung der bewäſſerten Flächen fir die Bewohner des 
benachbarten Rayons von Ura-Tübinſk ift, erhellt daraus, 
dab man dort nicht Erde, ſondern Waller verkauft. Außer— 
dem wird auch der Rayon von Dſchiſak von der Bemwälle 
rung der Hungerfteppe Nuten ziehen. Als die Bewohner 
von Dichifat vom Beginnen der Arbeiten zur Durchleitung 
bes Flußarmes hörten, famen fie und baten, daß ihnen er: 
laubt werde, alle Arbeiten auf ihre Koften auszuführen ums 
ter der Bedingung, daß ihnen das Eigenthumsrecht an bem 
bewäflerten Boden ertheilt werde. Wenn wir binzufitgen, 
daß in dem an die Hungerfteppe grenzenden Serafſchansker 
Kreiſe alle überbaupt der Bewällerung fähigen Stellen cben- 
falls ſchon bewäffert find, fo daß nur die Hochebenen („Tichul*) 
ohne Wafler jmd, und daß die culturfähige buchariiche Dale 


von Jahr zu Jahr mehr verfandet, fo wird man die große 
Wichtigkeit der jet begonnenen Canalarbeiten begreifen, welche 
120,000 Deßjätinen des Ichönften Bodens, ber jet aus 
Waflermangel unfruchtbar daliegt, productiv machen werden. 





Die Mafern auf den Fidfhi-Infeln, 

Die neueften Nachrichten ans Fibichi über die Mafern: 
epidemtie, welche dort jo ungeheure Verheerungen angerich: 
tet, lauten wahrhaft ſchredlich. Ein feit fünfundzwanzig 
Jahren daſelbſt anſäſſiger Engländer giebt uns folgende Be: 
ichreibung: 

Es ift zwar der Procentjag der an den Mafern geftorbe- 
nen Eingeborenen noch nicht amtlich fejtgeftellt, allein es be— 
fteht fein Zweifel darüber, daß in ben vier Monaten, wo die 
Epidemie ihre reiche ‚Ernte hielt, mindeſtens vierzigtaufend 
der Krankheit erlegen find. Die Bevölkerung bat fih um 
ein Drittel vermindert. Wenige ftarben eigentlich au ben 
Maſern, die meiften erlagen Krankheiten, welche als ſeeun— 
däre Erjcheinungen nachfolgten, wie Dysenterie, Yungencon: 
geftionen u. f. w. Dem Mangel an Nahrungsmitteln, ja dem 
Hungertode fielen aud) Tauſende zum Opfer. Alle Thätig: 
feit, aller Verkehr war eingeftellt. Dan kounte ganze Stäbte 
palfiren, ofme irgend einen Eingeborenen auf ben Straßen, 
welche bald mit Gras bewachfen waren, anzutreffen. Wenn 
man ein Haus oder eine Hütte betrat, jo ſah mar da Män— 
ner, Frauen und Kinder alle durch einander liegen, Einige 
von der Krankheit befallen, Andere in der Seelenangft, wie 


320 Aus allen 


der Andere fterbend, Diejenigen, welche noch die Kräfte dazu 
hatten, verinchten den Selbftmord, der aber nicht immer ge: 
lang. Als die Epibemie ihren Höhegrad erreichte, wurden 
vier und fünf Leichen in ein Grab geworfen, manchmal jogar 
im Erdboden des Haufe oder wenigften® dicht danchen, 
ohne weitere Ceremonie, verſcharrt. Die Begräbniffe wur- 
den mit Eile betrieben, und es ift ſehr wahricheinlih, daß 
nicht Wenige lebendig ind Grab kamen. In vielen Fällen 
ftarb die ganze Familie aus — Mann, Frau und Kinder. 
In einem Dorfe waren alle Männer, in einem andern alle 
Frauen tobt. „ 

Die Seeleneindrüde, welde die Epidemie unter den Ein: 
geborenen hervorrief, äuferte fich verfchieden. Es darf mıcht 
Wunder nehmen, daß Mande ihre Götzen vergebens um 
Hülfe anflebten. Einige Stämme im Innern, welche erft 
kürzlich das Chriftenthum angenommen batten, hielten dafür, 


daß die Krankheit durch ihre neuen Meligionslebrer über . 


fie gelommen fei, ſchickten diefe fort und traten wieder zum 
Heidenthum über, Mitunter war man auch nahe daran, 
grauſame Rache an ihnen au nehmen und fie zu tödten. In 
einem Falle begrub man ran und Kind eines Lehrers, 
welcher zugleich mit feinem Vater an den Mafern gejtorben 
war, lebendig, um dadurch denfelben Einhalt zu thun. 

Aber während gar Manche bei ihren Leiden dem alten 
Aberglanben wieder zuficlen, fo foll doch auch ein großer 
Theil der Eingeborenen fich mit Seelenſtärke ins Unvermeib- 
liche gefügt haben und unter bem Einfluffe des Chriftenthums 
geftorben fein. (2?) 

Unfer Correſpondent ſchließt mit den Worten: Es ift 
unmöglich, die Einzelheiten diefer großen Fidichiplage ohne 
Sympatbie und Bedauern zu hören und zu fefen, um fo 
mehr, als es wohl aufer Frage fteht, daß die Epidemie nie 
den intenfiven Grad der Ausbreitung würde gefunden haben, 
wenn die Pocalbehörden von vornherein größere Umficht und 
Vorficht beobachtet hätten. Es ift aber einmal das Loos ber 
Menſchen, immer erft durch Schijalsfchläge belehrt zu werben, 

Es ift merkwürdig, daß die Mafernepidemie ibre größte 
Verbreitung in ber öftlihen Gruppe des Archipels, alſo in 
dem frühern fogenannten Laugebicte, fand, Im Monat Juli 
war fie jedoch dort dem Erlöjchen nabe, 

. °*: 8 

— Borarlager. In Südealifornien ift nach dem 
„Scient. Amer.“, und zwar in dem verlaffenen Bette eines 
Sees, „Todesthal* genannt, ein erftaunlich großes mehrere 
Fuß mächtiges Lager von jehr reinem WBorar entdedt wor: 
den. Eine Verbilligerung des Borar würde demfelben eine 
fehr vergrößerte Verwendung in der Technik- fihern — leider 
iſt zu fürchten, daf obige Nachricht fo amerilaniſch aufge: 
pufft ift, wie es ähnlich vor ein paar Jahren mit einem 
gleichfalls in Nordamerika gemachten Borarfunde geſchah. 
Ueber das angeblich unerſchöpfliche Borarlager in Nevada 
entnimmt Gehe's Drognenbericht dem „San Francisco Com⸗ 
mercial Herald", daß dort Vieles, was man erit fir Borar 
gehalten, als aus anderen Salzen, Magnefin ıc. beftchend 
gefunden wurde und nicht die Koften des Abbaues lohnt. 
Die jährliche Production in jenen Küftenftrichen des Stillen 
Oceans wird auf etwa 2000 Tons geſchätzt. 

— Wie in den Vereinigten Staaten von Nordamerifa, fo 
nimmt auch in der Argentina die Rüdwanderımg von Tag 
zu Tag größere Verbältniffe an. An einem einzigen Tage 


Inhalt: Karl Undree, II. — 


Aus G. Schweinfurth’s Neifen in Innerafrila. X. 


Erdtheilen. 


haben ſich Fürzlich 1000 Perfonen nad) Europa und 300 bis 
400 nad Nio de Janeiro eingelchifft. 

— Bevölkerung der Städte in Wisconfin. Nad 
der kürzlich in Wisconfin vorgenommenen Staatszählung' bat 
Milwaufee 100,798 Einwohner, Ofhloih 16,000, Fond du Lac 
15,308, Racine 13,300, 2a Croſſe 11,012, Janesville 10,114, 
Madilon 10,098, Watertowi 9524, Green Bay 015, She 
boygan 6328, Appleton 6736, Manitowot 6718, Beloit 4602, 
Portage City 4336, Vlatteville 4060, Sparta 3745, Beaver 
Dam 3455, Berlin 3340, Menafba 3170, Monroi 3250, Fort 
Howard 3550, Prärie du Chien 3170, Sparta 2565, Fort 
Walhington 2943. 


Vom Büchertiſche. 

Die zweite deutfche Morbpolarfabrt in den Jahren 1869 
und 1870 unter Führung des Capitäns Karl Kol- 
dewey. Volksausgabe. Bearbeitet von Dr. M, Linde- 
mann und Dr. O. Finſch. Leipzig, F. U Brodhaus 
1875. Mit 54 Flluftrationen und 4 arten. (5 Lieferungen 
zu 1 Marf.) 

Von der ſehr richtigen Anficht ausgehend, daß die officielle 
Beſchreibung diefer Nordpolarfahrt wegen ihres Umfangs 
und hohen Preijes nur Werigen zugänglich ift, daft aber an 
der Ausrüſtung der beiden Schiffe , Germania“ und „Dana“ 
fich ein jchr großer Theil des deutichen Volles mit Beiträgen 
betbeifigte und dadurch gewiffermaßen ein Anrecht auf be— 
queme Kenntnifnahme der erlangten Reſultate ſich erwarb, 
bat ber rührige Verein fiir die deutſche Nordpolarfahrt in 
Bremen eine billige Ausgabe jenes Berichts veranftaltet und 
die Bearbeitung berielben zwei Männern anvertraut, deren 
Namen auf dem Gebiete der Rolarforichungen einen guten 
Klang befigen. Die Namen der Bearbeiter wie der verlegen: 
den Firma find die befte Bürgichaft dafür, daß dem Publi- 
cum hier nur auserwäblt Gutes geboten wird; wir Können 
in ihrem wie im Intereſſe der Sache dem Buche mur die 
weitefte Verbreitung wünſchen. Dafjelbe fonnte zu feiner 
gelegenern Zeit das Licht erbliden als gerade jest, wo das 
Deutsche Reich den hier behandelten Fragen näher zu treten 
gewillt fcheint. Denn die in der erjten Hälfte des October 
ftattgehabten Verhandlungen der von Reichs wegen berufenen 
Nordpolarcommiſſion baben zu dem Beſchluſſe geführt, daß 
die Erforfchung der arktifchen Gebiete für alle Zweige ber 
Naturkunde von großer Wichtigkeit fei, und daß man zunächſt 
fefte Beobachtungsftationen dort oben anlegen millle, von de— 
nen ſpäter Vorftöße zu Wafler und zu Yande ihren Ausgang 
nehmen könnten. Ws Baſis für diefe Operationen, bie, 
wenn möglich, ſchon 1877 ihren Anfang nehmen, und an 
denen ſich zu betheiligen die übrigen intereffirten Seejtaaten 
aufgefordert werben follen, wurde das Gebiet zwiſchen Oft: 
grönland und Weitipisbergen bezeichnet, und die Hauptitation 
der Deutjchen wäre im unmittelbaren Aufchluffe an 
die Ergebniffe der zweiten deutſchen Nordpols 
erpebition anf ber Oſtküſte Grönlands zu errichten, mit 
Nebenftationen anf der Anfel Jan Mayen und der Wejtküfte 
von Spitbergen. ‚ 

Ein beſſeres Hilfsmittel, daS deutiche Volk über die 
hoffentlich bald auch von feiner Regierung angeftrebten Ziele 
zu orientiren ald das vorliegende Werk dürfte ſchwerlich eri- 
ftiren: es foll nicht nur das Geſchehene darftellen, es wird 
auc für das Kommende wirken, 


(Mit einer Kupfertafel und 


zwei Abbildungen.) — Peruauiſche Alterthiimer. I. (Mit ſechs Abbildungen.) — Schilderungen innerafiatiiher Zuſtände. 


Bon Albin Kohn. IV. (Schluß) — Die Colonie Sidanftralien am Schluſſe des Jahres 1874. — 


Skizzen aus Chile. 


Von Dr. med, Georg Thiele. VII. — Aus allen Erdtheilen: Der Canal zur Bewäſſerung der Hungerfteppe., — Die 
Maſern anf den Fidſchi-Juſeln. — Verſchiedenes. — Vom Büchertiſche. — (Schluf der Redaction 30. October 1875.) 





Medacteur: Dr, N. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftraße 13, III Tr. 
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig. 


Mit befonderer Berüchfichtigung d 





Begründet von Karl Andree. 


In Verbindung mit Fahmännern und Hünftlern herausgegeben von 
Dr. Richard Kiepert. 


Braunſchweig is > Tune, dom su 


Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Bf. 


1875. 


Karl AnDdree. 


II. 


Im Herbfte 1851 wandte ſich Andree abermals nad) 
Bremen , wo ber Handeläftand das Bedürfniß fühlte, ein 
Organ zu ſchaffen, das die Intereffen des deutſchen Sees 
handel& vertrat, diefe mit dem innern Lande vermittelm und 
in weiteren Seifen ein Berftändniß commercieller Angelegens 
heiten verbreiten ſollte. Diefes „Bremer Handeleblatt* wußte 
er von Anfang an zu allgemeiner Adıtung und Beachtung 
zu bringen; er beurtheilte die gefammiten Dandelsverhältnifie 
in ihrem Aufanmenhange jo Har, wußte eim ungeheures 
Material jo Überfichtlich zu verarbeiten und lichtvoll zu ſich— 
ten, daß es jehr bald als eine Autorität anerfannt wurde, 
Auch in der Preffe wurde gefagt, daß durch jenes „Handels: 
blatt* das vormalige Zollvereinsblatt von Friedrich Yift in 
würdiger Weife erjegt worden fei. Uebrigens jah ſich Un, 
dree in diejer neuen Wirffamkeit infofern gelähmt, als der 
Bremer Handelsftand, überrafcht vom Beitritt des Steuers 
vereind zum Zollverein, ſich nicht klar wurde, welche Stel« 
lung für die Hanfeftadt fortan die geeignete fe, Andree 
hatte von vornherein erllärt, daß er entſchieden flir die 
nationalöfonomifche Einigung von ganz Deutſchland eintre- 
ten würde; er hatte feit langen Jahren manche Yanze filr 
den Zollverein gebrochen, Andree ließ ſich nicht irre machen 
und blieb bei dem, was er für das Richtige erfannte. Als 
der Streit zwifchen Oeſterreich und Preußen wegen des 
Septembervertrags am bitterften war, ſetzte er auseinander, 
auf welche Baſis hin allein eine Berftändigung und Aus: 
gleihung möglich fei und gerade auf die von ihm damals 
angegebenen Grundlagen hin ift denn auch viele Monate 

&lobus XXVIII. Rr. 21. 


fpäter die Auegleichung erfolgt und feitdem hat ſich, wie 
Undree vorausjagte, Bremens Baunnuollenhandel grokartig 
gefteigert. Mit deifelben Beharrlichfeit ſprach Andree feine 
Ueberzeugung aus, daß ein Anfchluß Bremens an den Zoll: 
verein für beide Theile vortheilgaft fein werde. In Folge 
eines Uebereinlommens ließ Andree die Stellung Bremens 
zum Zollverein im Handelsblatt unerörtert, aber er war 
nicht verpflichtet, den zahlreichen Freunden des Zollvereins 
in Bremen den erbetenen Rath vorziienthalten. Daran 
nahmen Gegner des Zollvereins Auftoß, fie meinten auf 
Andree einzumwirten, wenn fie verlangten, ex folle fortan 
den Freunden det Anſchluſſes nicht mit feinem Rathe an 
die Hand gehen, und gaben zu verftehen, daß er alsdann bie 
Yeitung des „Hanbeläblattes“ nicht werde behalten können. 
Diefe im Hinblid auf den Charakter Andree's ſchlecht be: 
rechuete Zumuthung hatte feine anderen Folgen, ald daß 
Undree erflärte, er lajje nach wie vor feine Freiheit ſich von 
Niemand beeinträchtigen, und jo fahen denn die Gegner zu 
ihrem eigenen ausdrüdlicd, ausgefprochenen Bedauern fid) 
in bie Nothwenbigfeit verſetzt, ihre Drohung zu bewahrheiten. 
Damit war Andree's Thätigkeit fir dad „Handelsblatt“ been: 
digt; dem ausdrücklich ausgeſprochenen Wunfche, diefelbe 
fortzufegen, hat er, wohl mit Necht, nicht entfprechen wollen, 

Wir müffen hier einen viel beſprochenen Gegenſtand er: 
wähnen, da er zu grundfalſchen Anfichten und Urtheilen 
über Andree führte, die nur aus einer ungeniigenden Kennt— 
niß der Sachlage hervorgingen. Andree hatte von Zeit zu 
Zeit in culturpolitifchen Wuffägen über Amerika in der 

41 


322 


Augsburger Allgemeinen Zeitung auch die fogenannten 
Spiritualiften und Syfologiften, Knodings und Rappings 
erwähnt und die Syfteme hirmverbrannter Phantafien iiber 
die jogenannte Geifterwelt erörtert. Plöglic begann zu 
Oftern 1853 in Bremen das fogenannte Table moving 
zu graffiren ; auch Andree ſah dafjelbe mit an, und ſchrieb 
dann jenen Artikel in der Allgemeinen Zeitung, der fo un: 
geheure Bewegung von Palermo bis Lappland, von Sibirien 
bis Portugal erregte, Er hatte die Sache ala „Tiſchrücken“ 
bezeichnet, ſich aber begnügt, die Thatfache und feine Wahr: 
nehmungen zu conftatiren, ohme dann weiter jemals eine 
Zeile darliber druden zu laffen oder überhaupt der Sache, 
weldye von ihm ausdrüdlic „als Stoff für Alademifer 
und die Gelehrten des Kladderadatſch“ bezeichnet worden 
war, weitere Aufmerkſamkeit zu fchenten. Es ift aljo durch. 
aus abſurd, wenn „ein Teutſcher“ in den Heidelberger Jahr⸗ 
blichern ihn einen „Agitator und Mifjionär* des Tiſchrückens 
nannte, 

Mit der Aufgabe der Rebaction bes Bremer „Hanbeld« 
blattes“ beginnt eine ganz meue Periode im Leben Andree's. 
Die bewegte Zeit lag Hinter ihm; er hatte in ihr Deutfch- 
land in allen feinen Theilen und auch die Nachbarländer 
befucht, aber gerade die Mannichfaltigkeit feines bisherigen 
Urbeitens brachte es mit fic), daß diefer Gelehrte bei einer 
ohnehin ſcharf ausgeprägten praktifchen Begabung vor Ein« 
feitigteit und Berftodung bewahrt blieb und mit Freiem, une 
beirrtem Blicke die Dinge anſchaute. ine Concentrirung 
feiner Thätigkeit auf eine Wiſſenſchaft begann bei ihm erft, 
als er bereits im reifen Mannesalter angelangt war, zu 
einer Zeit, wenn Andere ſchon am die Ruhe denfen. Audree 
war bald funfzig Jahre alt, als er, den Journaliſten ab: 
ſchüttelud, fic) ganz und gar auf die Yänder- und Völkerkunde 
warf, die, auf Grundlage feiner reichen hiftorifchen und 
wirthichaftlicen Studien, ohnehin fein Lieblingsfad) gewe ⸗ 
fen war. Faſt ein Bierteljahrhundert lang konnte er noch 
jegensreich auf diefem Felde wirten, und es läßt fich dreift 
behaupten, daß wenige in Deutfchland mehr als er für bie 
Popularifirung der Erdkunde gethan haben, daß es feinem 
unermüdlichen Wirken weſentlich mit zu danfen it, wenn 
diefelbe heute zu einer. ebenbürtigen Stellung unter den Fadı- 
wiſſenſchaften gelangte und ihr die Katheder nicht mehr ver- 
ichloffen find. Seine journaliſtiſche Gewandtheit kam ihm 
hierbei ungemein zu ftatten; er war fern vom fteifen Pro: 
feſſoreuthum wie von feuilletoniftifcher Koketterie, übertrug 
nie in feinen Werfen abftracte Ideen auf die Thatjachen, 
fondern entnahm den — Dingen ihr Geſetz. Andree 
war Meiſter in der ppirung, und viele ſeiner Auffäge 
find Kunftwerke eigener Art, Ergebniffe einer in fich gefchlof- 
fenen, veicherfüllten und dentmächtigen PBerfönlichkeit, groß 
im Blide und überzeugend durch ſchlagende Thatſachen wie 
durch Schärfe der Dialektik. 

Mit geringen Unterbrechungen wohnte Andre, der zum 
Conſul der Republit Chile für Sachſen ermannt war, feit 
1854 in Dresden, das er lieb gewann — wenn aud) der 
Geift der Bewohner ihm wenig zufagte — und wo bie ge« 
rade auf dem Gebiete der Erdkunde fo reichen Schläge der 
großen Bibliothek ihm eine willtommene Ausbeute für feine 
Studien boten. Er begann damit, eine Reihe auslänbifcher 
Werke durch Bearbeitungen auf deutſchen Boben zu ver- 
pflanzen, etwa in der Art, wie im verfloflenen Jahrhundert 
dies Sprengel, Bertuch, 3. R. Forfter thaten *). An der 


*) Wanderungen durch tas Gpinefifche Neid. Bon Huc und 
Babet. (Keipgig 1855.) — Wanterungen burd die Mongolei nadı 
Tibet. Bon Hue und Gabet. (Leipzig 1855.) — Die afritanifche 
Wüfte und das Land der Shwargen am obern Nil. Von D’@sraprac 
te Lautute. (Seipgig 1855.) — Die Staaten von Gentralamerifa. 


Karl Andre, 


Begräindung der „Zeitfchrift für Allgemeine Erdkunde“, die 
feit 1853 in Berlin unter Gumprecht's Rebaction erſchien, 
hatte er lebhaften Antheil genommen und neben Dove, 
Ehrenberg, Kiepert, Nitter, Wappäus und Petermann wurde 
fein Name als Herausgeber genannt; er lieferte für diefelbe 
zahlreiche kleinere Beiträge ſowie eine längere Abhandlung 
über die Torresftrage, Neuguinea und den Luiſiadearchipel, 
Gegenden, die damals erft die Aufmerkfamkeit zu erregen be— 
gannen und auch heute noch wicht ganz aus ihrer Ber 
ſchleierung hervorgetreten find. Immer getren dem geſteckten 
Ziele bleibend, geographifches Wiſſen in größeren Kreiſen 
zu verbreiten, wurde Andree auch (mit dem brafilianifchen 
Keifenden Waldemar Schulg und Sophus Ruge) Gründer 
des Vereins für Erdkunde zu Dresden (1863) und deſſen 
erfter Präfident. Jahrelang hat er hier ungemein anregend 
gewirft — er verftand es eben fo gut zu ſprechen wie zu 
ſchreiben — und nicht wenig zu den Aufblühen des Vereins 
beigetragen. ine weitere Frucht feiner Studien waren die 
„Seographiichen Wanderungen“ (zwei Bände, Dresden 
1859), eine Reihe meifterhaft gefchriebener Eſſays, weldye, 
meift an brennende Tagesfragen anfuüpfend, auf geogras 
phifcher oder ethnologiſcher Grundlage ſolche Stoffe behan— 
delten, welche die öffentliche Aufmerkamfeit in Anſpruch nahs 
men und ſich auf die Geographie der Cultur und des Ver 
lehrs bezogen. Hier entwidelte Andree ſchon in der vom 
1, October 1858 datirten Borrede das Programm, welchem 
er in feinen fpäteren Arbeiten treu blieb und das er naments 
lic) auch, in feinem „Globus“ durchführte. „Wer Völker 
charalteriſtilen giebt, muß zugleid, in das politische Gebiet 
hinübergreifen. Denn vorzugsweife auch im Staatsleben 
tritt die eigenthümliche und oft ſehr ſcharf begrenzte Naturs 
anlage und Begabung eines Volls hervor. Die Gegenfäge, 
welche wir bei dem verfchicbenen Stammgruppen und Böls« 
fern finden, liegen manchmal theilweife in geographiſchen 
Bedingungen und Berhältniffen, zumeift aber im Blute 
ſelbſt. Eine Staatswiffenfchaft, die erſprießlich wirfen will, 
hat das anthropologiscdethniiche Element in den BVölfern 
künftig forgfältiger zu beachten, als feither im Allgemeinen 
geichehen ift; fie muß eine fichere Grundlage auf dem Boden 
der Völkerkunde fuchen und zu individualiſiren verftehen.“ 
In dem Eſſay „England und die Engländer“ führt er dann 
das Thema über die Anlagen und Begabungen der großen 
Menſchenſtämme und den Gegenſatz verſchiedener Nationale 
haraltere weiter aus, entwidelt er die Ausbreitung und Bor: 
züge der germanischen Böllerfamilie. Dem gegenüber ftellt 
er — zur Zeit der Höhe Napoleon's III. — das weniger 
ſchmeichelhafte Bild „Frankreich und die Franzojen“; er 
entwidelt, lange ſchon, bevor Bambery mit feinem ceterum 
censeo auftrat, die Beziehungen der Rufen und Engländer 
in Inneraſien und giebt uns eine Reihe höchſt anziehender 
Bilder aus der Umgeftaltung des Weltverlehrs der Neuzeit: 
„Der Canal von Suez in geographifcher, commercieller und 
handelöpolitifcher Bedeutung“, „Die Euphratbahn und ihre 
Bedeutung“, „Das Erwachen der Südfee*. Das find The: 
mata, die heute zu dem abgetretenen gehören, als Andree 
aber im Anfange der fünfziger Jahre über fie fchrieb, waren 
fie frifch, und er prognofticirte mit wahrem Seherblide vieles 
voraus, was jegt nad) Verlauf von zwanzig Jahren ſich als 


Von €. G. Eauier. (Leipzig 1856.) — Yucenos Apres und die 
argentinifchen Provinzen. Mach ten neueſten Quellen von Karl 
Andre, (Keipgig 1858.) — Eüpafrila und Madagadlat gefchildert 
durch die neueren Entdeckungereiſenden, namentlich Xioingitone und 
Ellis, (Zeipgia 18650.) — Burten’s Reifen nah Medina und Melta 
und in das Somalilane nah Härrär, (Keipsig 1861.) — Die Er— 
pebitionen Burton’s und Spefe's von Sanflbar bis zum Tanganpila 
und Nyanja⸗See. (Keipgia 1861.) 


Karl Andrer. 


völlig richtig herausgefiellt Hat. Much die „Negerfrage“, 
welcher er allzeit rege Aufmerkfamfeit zumandte, wird in 
dem Aufſatze über Liberia erörtert, welcher gegen Karl Nit- 
ter's humaniftifche Auffaſſung diefer fogenannten Republik 
eifert. Andree war, wohl zumeift durd) Nott und Gliddon's 
„Types of Mankind“ beeinflußt, ein Anhänger jener ane 
thropologifchen Schule, welche in den verfchiedenen Racen 
ebenfoviele verfciedene Species des Menſchen jehen, er war 
ein Gegner der Einheit unferes Geſchlechts und verharrte 
anf dieſem ältern Standpunkt bis zulegt. Diefes auf bie 
Neger Übertragenb, ſprach er denſelben höhere Entwidelungs» 
fähigfeit ab. In Zufammenhang mit diefen Anſchauungen 
vermochte er ſich auch nie mit der Theorie Darwin's zu 
befreunden. 

Die Grundung des „Globus“, welcher bald eine ger 
achtete Stellung unter den geographiſchen Zeitichriften ein ⸗ 
nehmen jollte, fällt in das Jahr 1861. Das neue Jour— 
nal, welches bald an Boden gewann und fpäter auch Nach— 
ahmungen hervorrief, erfchten zumädjit im Verlag des Biblio 
graphifchen Inftituts in Hildburghaufen, ging aber, während 
der Kriegsereignifle des Jahres 1866, im jenen von 
Fr. Vieweg & Sohn in Braunſchweig über. Damals mans 
gelte es noch ſehr an geographifchen Schiftftelern, die erſt 
jest häufiger zu werben beginnen, und fo mufte denn Ans 
dree einen großen Theil des Inhalts felbft fchreiben; aber mit 
feiner immenfen Arbeitsfraft überwältigte er auch dieſe Auf- 
gebe und erft vom Jahre 1863 an fand er in feinem Sohne, 

ichard Andree, ber in feine Fußtapfen trat, eine regels 
* Hulfe. Für die Leſer des „Globus“ iſt dieſe flüch- 
tige Lebensſtizze gefchrieben, wir brauchen ihmen die Zeit 
fchrift, welche Andre faft vierzehn Jahre lang mit großer 
Hingabe und Liebe, ſtets frifch und mit nie erfaltendem Eifer 
redigirte, nicht näher zu charalteriſiren. Er hat fie budj- 
fäbli bis an fein Yebensende fortgeführt, denn wenige 
Tage vor feinem Tode, während die Hände bereitd zu er 
ftarren begannen, machte ev noch Bleiftiftnotigen flir diefelbe 
zurecht. Andree ging bei feinem Progranım davon aus, 
daß die Mitteilungen in geichmadvoller form und möglichft 
mannichfaltig geboten werden müßten; bie geichichtlichen, 
gewerblichen und commerciellen Berhältniffe der Gegenwart 
wurden von ihm am der Hand der Yänders und Völkerkunde 
erläutert und ein befonderes Gewicht auf die Culturanthropo⸗ 
logie gelegt, die er vortrefflich zu behandeln verſtand. „Diefe 
Eulturanthropologie ift recht eigentlich eine Wiſſenſchaft des 
Fortſchrittes; fie wirkt im Interefie der wahren Humanität, 
der echten Philanthropie, weil fie gegen alle Menfchengrup: 
pen, denen fie nur zummthet, was diefelben von Natur aus 
leiften können, austheilende Gerechtigkeit übt.“ 

Wir haben wiederholt in diefer Skizze den unermliblichen 
Fleiß und die große Arbeitäfraft Andree's hervorheben Tün- 
nen, die er fchon entwidelen mußte, da er fein vermögender 
Mann war, Während er, allerdings mit großer Yeichtigfeit 
und Schnelligkeit, ſchrieb — feine gleichmäßig ſchön gefchrie- 
benen Manuffripte zeigten nur felten Gorrecturen — und 
bis fpät in die Nacht hinein die zahlreichen Zeitichriften und 
neuen Werke durchftudixte, fand er neben der Herausgabe 
des „Globus“ noch Zeit, fein Hauptwerk zu ſchreiben, mit 
dem er die lange Reihe feiner Bücher abſchloß. Die Bor« 
rede zu feiner „Seographie des Welthandels* *), zur 
gleich Widmung an den Bremer Burgermeiſter Dr, Dud: 
wig, ift vom September 1861 datirt, und das ftolze, aber 
gerechtfertigte Wort Terram mente peragro jhmüdt ben 
Titel. Man kann dreift jagen — und die Kritik hat dies 


*) Geographie des Welthandel, Mit geihichtlichen Erläuteruns 
gen. Zwei Bänte. (Stuttgart 1862 bis 1872.) 


323 


vollauf beftätigt —, daß Andree mit diefer Geographie des 
Welthandels eine durchaus neue Behanblungsweife bes 
Gegenftandes eingefchlagen, daß er auf geographifcher Grund» 
lage eine Phnfiologie des Welthandels ſchuf. Die gefamms 
ten Berhältniffe des Berfehrslebens, ber Gitteraustaufch und 
der Handelöbetrieb, ihre Wirkungen auf Länder und Völler 
werden im ihren verſchiedenen Berzweigungen und Bewegun« 
gen dargeſtellt. Mit der Schilderung der neuen Zeit im 
Weltverlehr beginnt der Verfaſſer; er kennzeichnet die Stel- 
lung des Kaufmanns innerhalb deffelben, und zählt dann 
bie verſchiedenen Urten des Handelsbetriebes auf, wobei 
3 B. der „ftumme Handel“ in feiner Ausbreitung über die 
ganze Erde verfolgt wird. Der Abfchnitt über das Geld 
und die Werthmeſſer zeugt wieder von der großen Belefen- 
heit Andree's, dem die Berguidung feiner vollswirthſchaft⸗ 
lichen und geographifchen Kenntniſſe hierbei glücklich zu ſtat— 
ten fan. Die Meflen und Märkte, der Karamanenhandel 
in allen feinen Berzweigungen und den verfchiedenen Erb» 
theilen, der Welthandel auf dem Ocean — wobei Capitel über 
die Gefahren der Seefchifffahrt, den Seeraub, über die Ein« 
wirfungen ber Krankheiten auf den Handelsverlehr eingefcho- 
ben find —, das Weltmeer und deſſen Theile werden hier 
in der ausführlichften und fachtundigften Weife ftets lesbar, 
mie troden beſprochen. Mit der Aufführung der geographi- 
ſchen Berbreitung der wichtigften Hanbelderzeugniffe und 
deren Schilderung fliegt der erfte fait 700 Seiten ftarfe 
Band. Der ziveite, faft 1000 Seiten ftark, behandelt dann 
bie einzelnen Erdtheile. Mit Recht konnte Undree fagen, 
daß er in feiner Literatur einen Anlehnungspunft oder ein 
Borbild für fein Werk fand; der ganze Aufbau und die Ber 
handlungsweife gehörten ihm. An Gewiffenhaftigfeit und 
redlichem Fleiße ließ er es bei der ganz auf Quellenſtudien 
beruhenden einftimmig von der Kritik anerkannten Arbeit 
nicht fehlen, deren zweite nothwendig gewordene Auflage er 
nicht mehr herftellen follte *). 

In einer Pebensflizze Andree's, die 1859 in bem von 
feinem Freunde Friedrich Steger redigirten Ergänzungs- 
Eonverfations:?erikon erichien und die aud) wir flir feine 
Yugendgefchichte hier benupten, da fie höchſt wahrſcheinlich 
auf eigenen Aufzeichnungen Andree'8 beruht, wird von ihm 
gejagt: „Von Charakter brav und uneigennügig, im Lebens 
verkehr ſehr ficher und allzeit rejolut, dabei einfach und ans 
ſpruchslos, feiner Ueberzeugung und feinen Freunden treu 
wie einer, hat ex ſich ſtets nach allen Seiten hin unabhängig 
zu halten verftanden und durch feine unermldfiche Thätigfeit 
auch eine äußerlich günſtige Stellung zu erringen gewußt.“ 
Er konnte an feinem Pebensabend auf ein reiches, ſchönes, 
wiewohl vielbewegtes Leben zurüdfchauen. Die Gattin war 
ihm bereits 1864 vorangegangen, mit feinen drei Kindern 
ftand er im innigſten Verlehre und wahre Freude bereitete 
es ihm, am Sohne nicht nur den leiblichen Erben, fondern 


auc) einen Nachfolger in feiner Wiffenfchaft zu haben. ‚De 


*) Statt vieler wollen wir nur ein fremdes Urtheil über dieſes 
Wert bier erwähnen, vie Befprebung von H. Gaidoz in ber Revue 
eritique (3. juillet 1875); er fagt unter Anberm: La plupart des 
glographies commerciales se bornent A decrire l’itat prösent: M. 
Andree #largit ce cadre pour y faire entrer l'histeire et l’ethno- 
graphie, pour montrer les rapports du commerce avec le génie 
et la vie des peuples, avec FPhi-toire de leur industrie: il entre 
mömne dans les details linguistiques, par exemple sur ces jargons, 
nombreux sur notre globe, qu’on peut appeler apr&s lui les 
„langues commerciales“. En un mot, d’un sujet söndralement 
traitä avec söcheresse et d'une lecture plus instructive qu’ attra- 
yante, M. Andree a su fnie, par le melange de la göographie 
commereiale avec l'histoire de ce commerce, avec la vie de la 
eivilisation, un ouvrage & la foix scientißque et curieux, Bien 
des points touch#s dans cet ouvrage Achappent à notre compe- 
tence, mais la methode semble meriter tout &loge, 


41* 


324 


große ftattliche Mann mit dem interefjanten Kopf, der trotz 
der echt niederſächſiſchen Ablunft eher ein franzöſiſches Ger 
präge zeigte, war fein Pebelang fräftig und gefund geweſen; 
das Wort vom gefunden Geifte im gefunden Körper bewahr: 
heitete fich bei ihm. Auf diefes körperliche Befinden bauend 
und unbefannt mit Krankheit, vernacjläffigte er ein Blajen- 
leiden, das bei rechtzeitiger Behandlung wohl nicht tödtlich 
verlaufen wäre. Es war bereits zu fpät, als er im Yuli 
1875 fid) nad) Bad Wildungen begab, um Heilung ober 
Pinderung dort zu fuchen. Am 10. Auguft, Mittags um 
1/,12 Ur, hauchte er fein reiches und ſchönes, ganz ber 
Wiſſenſchaft und feinem theuren Baterlande gewidmetes Yer 
ben in den Armen feines Sohnes aus. Auf dem ftillen 
Friedhofe des alten malerifchen Städtchens, auf den Burg 
Wildungen und die bewaldeten Berge herabſchauen, ift die 
Stätte, wo „ein Herz in Staub zerfällt, das groß und mädı- 
tig einft geſchlagen“. 

Alle, bie Karl Andree nahe ftanden, beflagen es tief, 
daß er nicht dazu fam Crinnerungen aus feinem Yeben 
nieberzufchreiben. Bei feinem fo bewegten und vielfeitigen 
Leben war er mit einer Reihe der bedeutendften Männer in 
innigen Verlehr getreten; und e8 waren merkwürdige Men- 
fchen aus allen Ständen, die er in einem faft fiebzigjährigen 


Aus Georg Schweinfurth's Reiſen in Innerafrifa. 


Leben kennen gelernt, von denen er, ein Meifter im Erzähs 
len, ftundenlang feffelnd zu berichten verftand. An einen 
Redacteur, zumal jo einflußreicher Journale, wie Andree jie 
leitete, trat eine ganz andere Maſſe Sterblicher heran, als 
an Menschen, die in anderen Berufszweigen wirken. Seine 
wiſſenſchaftlichen Beziehungen reichten liber Land und Meer, 
zumal nach Amerifa hin. Er war correfpondirendes Mit— 
glied der Ethnological und der Historical Society in 
Neuport, ber Sociedad de los amigos de la historia na- 
tural del Rio de la Plata zu Buenos Ayres, der f. k. geo- 
graphifchen Geſellſchaft zu Wien, der Geſellſchaft für Erd— 
kunde zu Berlin, der Tael en letterkundig Genootschap 
zu Brüffel; Ehrenmitglied der naturforjchenden Geſellſchaft 
Vargasia zu Caracas, der naturforſchenden Geſellſchaft zu 
Emden, der öfonomischen Geſellſchaft und des Vereins für 
Erdkunde zu Dresden. 

Auf der Karte verewigen zwei neuentdeckte Infeln im 
hohen Norden feinen Namen: die 1870 von ber Heuglin- 
zeigen Erpedition aufgefundene Andree-Infel im Deictow⸗ 
Sunde der Edge-Injel (Spigbergen) und die von ber öfter- 
reichiſchen Nordpolarerpedition 1874 im Auftri-Sunde des 
Franz⸗ Joſefs⸗Landes entdedte Andree⸗ Inſel. 


Aus Georg Schweinfurth's Reiſen in Innerafrika. 


XI. 


Die Rüdreife 


Am 12, April 1870 trat Schweinfurth ſchweren Herr 
zens den Heimweg nad) Norden an: es war ihm wohlbe: 
kannt, welche großen Fragen der Erdkunde, diejenigen näm- 
lid) nach dem Urfprunge und Laufe des Binus, Ogowe und 
Kongo, durch weiteres Vorbringen nad Süden zu löfen 
waren, und es ift feine feite Ueberzeugung, daß ein einzelner 
Keifender, wenn nicht von allzu Uppiger Leibesbeſchaffenheit, 
die gleichbedeutend wäre mit ficherm Aufgefreffenwerbden, un- 
angefochten den Melle ſtromabwärts marjchiren und fo die 
Räthfel der innerafrifanifchen Hydrographie löſen könnte. 
Da lam es ihm freilich hart an, auf halben Wege umzu— 
fchren. 

Gegen Mittag erft fette fi der Zug in Bewegung; 
benn Abd-ed-Sammat hatte dort eine Seriba zu errichten 
beichloffen und die Auswahl der bei den Menſchenfreſſern 
zurlidzulafienden 28 Dann Bejagung war bei dem ewigen 
Remonftriren der Nubier ein ſchweres Stüd Arbeit, Nur 
dierAusficht auf veichen Lohn und luſtiges Yeben mit den 
zugänglichen Monbuttus-Weibern bewog zulegt die Widerſtre— 
benden zum Bleiben. Dann ging es nordwärts. Aber ſchon 
nad) wenigen Tagemärichen trafen fie auf die Sriegserflä- 
rung des zubor nur ſchlecht verfühnten Niam-niam-Fürſten 
Uando (f. oben S. 261); von einen Baumafte hingen ein 
Maistolben, eine Hlihnerfeder und ein Pfeil herab. Es ift 
diefelbe Weife, deu Krieg zu erflären, wie fie einft bei dem 
Stythen und noch jegt bei den Yiffu in Ylinnan (vergl. ©. 
199 dieſes Bandes) gebräuchlich ift. Kin Verſuch, das 
feindliche Gebiet zu umgehen, jdjeiterte daran, daf die von 
einer Concurrenzcompagnie aufgehegten Cingeborenen feine 
Kühne zum Ueberfegen über den Kibali, den Oberlauf des 
Uelle, ftellen wollten; der Zug von Nubiern und Trägern 


mußte umfehren und Feindesland betreten, Mehrere Tage 
dauerten die Gefechte mit den A-Banga, in denen bie über: 
legenen Feuerwaffen zwar einen leichten Sieg davontrugen, 
aber Abd-es-Samımat ſelbſt ſchwer verwundet wurde und 
der größere Theil des bei Munſa erworbenen Elfenbeins ver · 
loren ging; als es ihnen jedoch gelang, einige Niam-niam— 
Frauen als Geiſeln zu erwiſchen, war die Gefahr vorüber, 
und am 1. Mai lagerten fie am Nabambiffo (etwa 4° 50’ 
nördl. Br.) und erholten ſich von den audgeftandenen Stra- 
pazen und erlittenen Wunden. Cine neue Seriba wurde 
dort errichtet und der Obhut des Neifenden und der Recon— 
valefcenten anvertraut, während Abb-es:Sammat mit feinen 
Soldaten wieder umfehrte, um die Niamsniam für ihren 
Verrath zu zlichtigen. 

Jetzt begann eine Zeit der Hungerleiderei für Schwein» 
furth, dem täglid nur ein kleines Hühnchen von Rebhuhn— 
größe und ein Fladen von bitterm, hartkleiigem Eleufinebrot 
zu Gebote ftand, Wie fich feine Bongoträger durchhalfen, 
war ihm ein völliges Nüthfel. Da fam ein alter, großer 
Termitenbau ben ———— zu Hulfe: in jeder Nacht, 
weldye auf einen ftarfen Regen folgte, belebte er ſich mit 
Myriaden fettleibiger geflügelter Termiten, dig mit leichter 
Mühe ſcheffelweiſe gefammelt werden konnten, und theils in 
ber Pfanne geröftet, theils zu Del gefotten eine fehr er- 
wunſchte Aushlllfe bei dem gänzlichen Fettmangel abgaben, 
Nicht felten führte fie umfer Neifender mit vohem Korne 
gemischt handvollweife zum Munde, ald wären e8 Mandeln. 
Endlich aber wurden die Pebensmittel fo knapp, daß er 
— zumal Abd:es-Sammat länger als verabredet war auss 
blieb, — einen mehrwöcentlicden Ausflug nad Often zum 
Berg Baginje und der Quelle des Diur unternahm, welcher 


chweinfurth's Reifen in Innerafrifa. 


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Aus Georg | 





MÖUKMUFZRONANT IK 10q cutaaghaa auoaaſaabvg ApıdVT, 





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326 


ihm mancherlei Neues zeigte und vor Allem zu ejjen vers 
ſchaffte. 

Als er am 1. Juni zurücktehrte, Hatte ſich Manches 
zum Beſſern gekehrt: Küxbiffe und Mais waren gereift, die 
Perlhühner waren in die Gegend gezogen, überall fproßten 
wohlfchmedende Pilze aus der Erde, furz der Ueberfluß war 
jo groß, daß an mandyen Tagen nur Perlhuhnleber und 
Champignons des Reifenden Mahlzeit ausmachten. Bald 
fehrte auch Abd⸗es Sammat ziemlich unverrichtefer Sache 
zurück, worauf der unterbrochene Marſch weiter nach Norden 
fortgejegt und am 24. Juni der Tondj überfchritten wurde. 
Hier theilte fich die Karawane: während der größere Theil 
der Soldaten und Träger die alte Richtung beibehielt, machte 
Schweinfurth im der Gejellichaft des Kenuſiers noch einen 
Abſtecher nad) Often zu den Grenzen des Mittu-Landes, der 
nöthig war, um die dort aufgejtapelten Eifenbeinvorräthe 
zu holen. Dies gab ihm Gelegenheit, über den Stamm und 
das Yand der Babudur, denen er ſchon häufig als Skla— 
ven im den Seriben begegnet war, Nachrichten einzuzichen. 
Died Bolt lebt nur noch in zwei, 60 Meilen von einander 
entfernten Enclaven am Nordoſt⸗ 
rande ded Niam-nianı s Gebietes. 
Da ihre Sprache ſich bei ben 
Monmon im Süden der Monbuttu 
wiederfinden joll — Babudur-Stla- 
vinnen fonnten ſich nachgewieſener⸗ 
maßen mit jemen verfländigen —, 
jo ift es wahrſcheinlich, daß fie 
von ihren füblichen Berwandten 
durch eim öftliches Borrliden der 
Niameniam und Monbuttu getrennt 
wurden, Die eine Hälfte der Ba- 
budur, der Schweinfurth bei dieſem 
Ausfluge nahe kam, ift auf ein 
Stlick Yandes von faum 16 deut⸗ 
ſchen Duadratmeilen befcränft und 
rings von den Raubzüigen der Char⸗ 
tumer Händler wie der Niamsniams 
dürften bedrängt, weldje dies Ge: 
biet wie ihre mit Bich und Korn 
gefüllte Borratholammer betradı: 
ten. In Folge deffen ift die Volls— 
dichtigfeit, aber auch ihre Vertheie 
digungsfähigfeit eine auferordente 
lich große; die Babuckur find uns 
gemein kriegeriſch und hartnädig 
und wehren jich, im die Enge getrieben, bis aufs Blut. Da 
fie noch obendrein der Menfcenfrefjerei ſtark huldigen, fo bes 
gnügen ſich ihre Angreifer gewöhnlich mit der raſch geſam— 
melten Beute und laſſen ſich auf feine Verfolgung oder Unter 
jochung der Feinde ein. 

Die Babuckur find ein Volk von typiicher Negerrace und 
jehr dunkler Hautfarbe. Die Sflaven ihres Stammes find 
anftellig im Haus und von milden Temperament, ausdauernd 
und tlichtig zu jeder Arbeit, aber durchweg von mittlerer 
Körpergröße, von ımangenchmer, anusdrudslofer Geſichts— 
bildung und von ſolchem Freiheitedrange, der weder durd) 
Wohlleben noc durch liebevolle Behandlung zu überwinden 
iſt, befeelt, daß fie bei jeder Gelegenheit davonzulaufen ſuchen 
und durch Feſſeln und Doch gefichert werden müſſen . 

Sobald die Frauen die erfte Jugend Hinter ſich haben, 
find fie abſchreckend häßlich, zumal fie ihre ohnehin unregel⸗ 





*) Das beigegebene Porträt zeigt eine folde Sklavin am ges 
flechtenen Keberriemenftride mit dem Häglicben Gefichtsausbrudf der 
Gefangenſchaft. 





Babudur-Sklaviu. 


Aus Georg Schweinfurth's Reifen in Innerafrika. 


mäßigen Züge noch Hinftlich verunftalten: alle verheira- 
theten Weiber durchſtechen, wie man auf dem Bilde fieht, 
nicht nur die Ränder der Ohrmuſchel, fondern auch die Lip⸗ 
ven, die obere wie die untere, mit einer ganzen Reihe von 
Grashalmen, die etwa 1 Zoll lang find. Solder Halme 
figen je 20 Stüd in eben jo viel Yöcern an dem genannten 
Störpertheilen. Auch die Najenflügel werden, wie von den 
Vongo:-Weibern, auf ähnliche Weife tractirt. 

Am 29. Juni trennte fi) Schweinfurth von feinem Gaft- 
freunde, welcher noch feine Seriben im Mittu-Pande befichen 
wollte, und marjchirte in fünf Tagen mit wenigen Begleitern 
nad) der Hauptitation Sjabbi, wo er feine in anderthalb 
Jahren angehäuften Brieffhaften vorfand umd einige Tage 
raftete. Dann brad) er mit frischen Trägern nach Norden 
auf, um zu den ihm nachgefchidten, langerfehnten Borräthen 
zu gelangen; denn ringsum berefchte wieder der Hunger fo 
jehr, daß die Träger während des fünftägigen Marſches nad) 
Ghattas' Hauptjeriba buchjtäblic nur von wilden, ausges 
grabenen Wurzeln lebten. Als er nad) achtmonatlicher Ab- 
wejenheit diefes fein altes Standquartier wieder erreichte, 
fand er es in weit größerm Flore 
als vorher: große Waldſtrecken was 
ten neu ausgerodet, Dörfer umd 
Weiler ringsum entjtanden, eine 
Menge Bongo zur Anfiedelung ge: 
zwungen worden. An 600 Behau« 
jungen follten hinzugefommen fein 
und aud) innerhalb der Umpfählung 
waren immer dichter die Gtrohr 
und Bambushütten und die Son- 
nendäcer emporgewachien, während 
hohe Steohzäune die einzelnen Ge- 
höfte von einander ſchieden und nur 
wenige Fuß Breite fiir die Gaſſen 
übrig ließen. Bei Unfang ber 
\ vegenlofen Zeit begann aud) die 

JFurcht vor Feuersgefahr unſern 
Reiſenden zu quälen. Er ſollte 
| nicht umſonſt geflicdhtet haben. 

Er hatte den Reſt des Jahres 
mit Heineren Ausflligen verbracht, 
fi) dann zu einer zweiten Reife ins 
Niam:nian-Land gerliftet und ſaß 
am 1. December 1870 beim Brief» 
fchreiben, als plögli um die 
Mittagftunde der Ruf eines Bongo: 
„Poddu, pobdu!* (db. h. Feuer) erſcholl. Nur drei Hütten 
weit- von ihm ſchlug die gierige Flamme aus der Spitze 
eines Kegeldaches empor und der beftändige Nordoft mußte 
fie gerade auf feine Behaufung zuführen. An ein Ret— 
ten feiner Habfeligfeiten, die über 100 Trägerlaften aus- 
machten, war nicht zu denken; raſch ſchleuderte er wenigftens 
die Tagebücher in einen Holzfaften umd ließ fie von den 
Dienern nad) dem freien Plage der Seriba fdjleppen; aber 
bald verjagte dev Brand die Menfcen auch von dort und 
erfaßte die ihm nur für Minuten entriffene Beute, die Reife 
journale und Notizen faft der ganzen bisherigen Wanderun- 

en! Mur eine halbe Stunde dauerte das Wüthen der 
Flamme; dann eilten ſchon die Leute mit Krügen vol Waf- 
fersherbei, um wenigſtens einen Theil der glimmenden Korn— 
vorräthe in den thönernen „Gugas“ zu retten. Aber was 
hatte fie in diefer kurzen Zeit alles vernichtet! Ohne Klei⸗— 
der, ohne Waffen und Inftrumente, ohne Three und Chinin 
ftand Schweinfurt) vor dem Haufen Kohle, in den die Frucht 
mehrjähriger Reifen verwandelt war, eine ganze Aus- 
rüftung für die zweite projectirte Niamsniam-Keife, viele 


Aus Georg Schweinfurth’s Reifen in Innerafrifa. 


Sammlungen von ber erjten, namentlich die von Anfecten 
und eg a niſſen des afrikanischen Kunſtfleißes, alle 
meteorologischen Beobachtungen, darunter an 7000 Barometer: 
ablefungen, die Notizen liber 825 Neifetage, alle Körper 
meflungen und Bocabularien, alles, alles war in wenigen 
Vlinuten unwiederbringlich dahin. Bald darauf lam noch 
die Hiobspoſt, daß diejenigen Händler, welche ſich bereits 
wieder nach dem Süden aufgemacht hatten, eine vollſtändige, 
blutige Niederlage erlitten hätten; und damit war auch die 
Ausficht auf die zweite Niam⸗niam-Reiſe ganz abgeſchnitten. 

Es ift eines der größten Verdieuſte dieſes energiſchen 
Reifenden, daf er, als das Unglüd von allen Seiten fo auf 
ihn einftürmte, den Muth nicht verlor, ſondern ſich raſch zu 
neuem Handeln entichloß. Es wäre nuglos geweſen, fich 






327 


neue Kleider, Waffen, Inftrumente, Papier u. ſ. w. von 
Aegypten ſchiden zu laffen; denn fie hätten länger ale Jahres; 
feift gebraucht, um ihm zu erreichen, und ihr Eintreffen über⸗ 
haupt war mehr als zweifelhaft. Aber andererſeits lag noch 
über cin halbes Jahr vor ihm, ehe er mit den Handelöbarten 
bie beabfichtigte Rückreiſe auf dem Nil antreten konnte; und 
in den beiden einzigen ihm gebliebenen Koffern fand er drei 
holofterifche Barometer, einen Azimuthcompaß, Dinte, 
Schreib» und Zeichnenmaterialin. So war doch wenig: 
ften® fo viel gerettet, um die Arbeiten wieder aufnehmen zu 
lönnen, und tritben Sinnes fing er von Neuem an zu beob» 
adıten und zu ſammeln und das Geſehene durch Schrift und 
Zeichnung feſtzuhalten. Zunächſt fiedelte er von den miß- 
trauiſchen Nubiern über nach Kurjcut-Ali's Seriba jenfeits 


Hütten der Kredi. 


des Djur, wo er offenen Credit hatte und ſich wenigitens 
nen einkleiden konnte. Don bort unternahm er am Nenjahrs- 
tage 1871 eine neue Wanderung nach Welten, die ihn Über 
30 deutſche Meilen weit in die Gebiete der Golo und Kredj 
führte und von ber er troß des Fehlens jeder Uhr eine ges 
naue Karte zu entwerfen vermochte, Er zählte nämlich mit 
unermlidlicher Geduld feine Schritte, weldye beim wandern: 
den Menſchen (wie ſich ein Feder beim Marſchiren auf einer 
mit Ruthen» oder Kilometerfteinen verjehenen Chauſſoe leicht 
überzeugen kann) ein ſehr zuverläffiges Yängennaß abgeben, 
weit conftanter als bei Thieren, z. B. Kameelen, die, wenn 
angetrieben, nicht die Zahl, fondern bie Yänge der Schritte 
vergrößern. Ye 100 Schritte, die bei ihm je nach Beſchaf⸗ 


Notizblatte ein Strich gemacht; die zweiten 500 martirte 
ein Querſtrich. Dazwifchen trug er die übrigen Bemerkun- 
gen über Wegerichtung und Terrain ein. Auf ſolche Weiſe 
hat er auf jener legten Wanderung bis zur Meſchera 11/, 
Millionen Schritte gezählt. 

Bor Allem lernte er dort die Kredj kennen, die in viele 
bunt durch einander mwohnende Stämme getheilt find, das 


haßlichſte Volt von allen, die er gejehen, und zugleich von 





fenheit des Weges zwiſchen 0,6 und 0,7 Meter variiten, 


bezeichnete ein Finger, waren 500 voll, jo wurde auf dem 


geringerer Intelligenz als alle Nachbarn. Ihr Körper ift 


' plump, jchwerfällig, ohne Ebenmaß umd unter Mlittelgröße, 


der Haarwuchs dürftig, die Yippen dider zaufgemorfen und 
der Mundſpalt breiter, als bei dem Übrigen Negervölfern 
jenes Gebietes. Don Farbe find fie fupferroth und heller 
als die Bongo und Niamıniam. Die Bauart ihrer Hütten 
ift eine ſehr vernadjläffigte; die meiften entbehren volftändig 


328 


eines Unterbaued und beftchen nur aus dem breiten, fegel- 
fürmigen Grasdache, welches über ein forbartiges, reifrock⸗ 
ähnliches Gerlift gededt ift, fo daß fie an die Hütten ber 
Kaffern erinnern. Ingeniöſer find ihre Kornſpeicher, lorb⸗ 
artige Bauten, die auf Pfählen ruhen und von einem berfels 
artigen, großen Korbdache Überdeft werden. Drinnen ruht 
anf Pfählen das riefige, thönerne Kornreſervoir, und darunter 
befindet ſich eine Derrichtung, wo vier Sklavinnen zugleich 
dem Geſchafte des Hornmahlens miittelft Reibfteinen obliegen 
fönmen, die jo aufgeftellt find, daß der zerriebene Brei in eine 


Peruaniſche Alterthümer. 


gemeinfame, in der Mitte befindliche und mit feftem Thon 
umfleidete Sammelgrube fließt. — 

Adıt Tage dauerte noch der Marſch von Ghattas' Seriba 
nach der Mejchera, dem Einfchiffungsplage, von wo Scwein- 
furth am 26, Juni 1871 nach Norden abjegelte. Am 21. 
Juli erreichte er Chartum, den Endpunft des Telegraphen, 
der alsbald bie frohe Kunde feiner Rucklehr nad; Europa 
überbradjte, und nad) einer Abwejenheit von 31/, Dahren 
betrat er ſchließlich am 2, November in Meſſina wieder euro« 
paiſchen Boden. 


Peruaniſche Alterthümer. 


Die Feſtungen der alten Peruaner geben ebenfalls einen 
hohen Begriff von ihrer Baukunſt; fie waren mit Wällen 
und Gräben umgeben, die größeren durch die Feſtigleit ihrer 
Mauern, die lleineren durch ihre ſchwer zugäugige Yage ges 
fchligt. Ihre Zugänge waren meiftens unterirdiſch, auch 
ftanden fie mit den Paläften und Tempeln, wenn ſolche in 
der Nühe waren, durch geheime Gänge in Berbindung. 
Diefe unterirdiichen Gänge find mit vieler Umſicht angelegt, 
in der Regel haben fie Meterbreite und find von Mannes— 
höhe, dann verengern fie fich plöglich und find an der Seite 


mit zadigen Steinen ausgemauert, jo daß man nur von ber 
Seite ſich zwiſchen ihnen durchdrängen kaun. Alles war 
darauf berechnet, die Schätze aus den Tempeln und Paläſten 
nad) den Feſtungen zu wetten und ben Feinden bie Verfol- 
gung zu erfchweren. Außer den allmälig verfchwindenden 
Ueberreſten der Feſtung von Cuzeo find die bebdeutendften die 
von Galcahilares und Huillcahuaman; weniger interefjant 
find die des Chimcandyu in Manfiche, bei Trurillo, da fie 
nicht aus gefcnittenen Steinen, fondern aus Yuftziegeln 
aufgebaut find. 





„Aumara-Statuette." 
b’Orbigny. 


Rad 


Die meiften alten Indianerdörfer der Sierra liegen auf 
Anhöhen, Hügeln, Bergipigen und ſcharfen Bergrücken, bie 
jegt ganz fteril find, da fie der frühern künſtlichen Bewäſſe— 
zung entbehren; fie find faſt immer nad) Often gerichtet, 
damit die Bewohner ihre Gottheit gleich beim Erſcheinen 
am Horizont fehen konnten. Alle größeren Ortſchaften 
hatten im Centrum einen vieredigen Plag, wo bie Tänze 
angeführt wurden; von diefem laufen immer mehr oder 
weniger vegelmäßige Strafen nad} den vier Himmelsgegen» 
ben. Die Bauart der Hänfer war ſehr verfchieden, und 
man findet neben den Paläften mit 20 bie 25 Fenſter Front 


Sphinyartige Statue vom Ziticaca-Ser, Rad, d'Orbignh. 


die Heinften und armfeligften Hlitten. Die von den Reifen» 
ben geſchilderten thurmartigen Wohnungen der Departements 
Junin und Ayacucho erinnern und am bie heute noch von 
den SKaufafusbewohnern (3. B. den Swanen) errichteten 
Wohnhäuſer, welche jedes eine Feſtung für ſich darjtellen. 
Auch in dem peruanifchen Hochlanden deutet alles auf ge» 
waltige Kämpfe hin, von demen leider nur wenig befannt 
geworden ift. Daß es fich aber um Racenlämpfe hier hans 
delte, erſcheint ſehr wahrſcheinlich. 

Die alten Peruaner beerdigten häuſig ihre Todten in 
den Wohnungen und verließen dann die Hütten — ein weits 


Peruaniſche Alterihümer. 


verbreiteten Gebrauch, der in der Südſee und bei vielen 
Böllern des öftlichen Aſtens uns wieder begegnet. Wie in 
den Gräbern wurde dann auch hier cin großer Theil des Ge⸗ 
räthes mit vergraben, Diefe verlaffenen Hausftätten und 
die Gräber find denn aud) die wid: 
tigen Fundorte peruaniſcher Alters 
thümer, zu denen neuerdings fich 
noch die Guanolager geſellt haben, 

Bei den verlaſſenen Häufern fin⸗ 
det man gewöhnlicd) folgende Anorb- 
nung: Unter einer etwa 70 Gen» 
timeter hohen Schicht Erde befindet 
fi, der wohlerhaltene Cadaver, mei« 
ftend, aber nicht immer, in figender 
Stellung; räumt man eine zweite 
eben jo hohe Schicht Schutt weg, 
jo ftößt man auf die Haudgeräthe, 
als Koch⸗ und Waffertöpfe von Thon, 
Gefäße von Flaſchenkürbis, Dagd- 
und Fiſchzeug, Waffen ıc Unter 
diefer Lage folgt häufig eine dritte, 
in der die Gold- und Silbergefäße 
und die Hauegögen liegen, Die 
Hole find ans Thon, Stein, Holz, 
Kupfer oder aud edelen Metallen. 
Die erfteren find hohl, flachgedrüdt 





Belleideter Zorfo, 


- md meiftens mit bemalten Geſichtern; die fteinernen aus 


Granit, Porphyr, Sanbdftein; fie find mafjiv und oft meter 
hoch. Die goldenen Gögen find immer hohl, aber ohne irgend 
eine bemerfbare Spur, wo fie zufanımengelöthet wurden; ihre 


Nach d'Orbignyh. 


329 


Größe iſt verſchieden, es giebt ſolche die Pfund wiegen; 
die ſilbernen find dagegen immer mafjiv. Alle dieſe Götzen 
haben eine ähnliche Phyfiognomie , einen unverhältnigmäßig 
großen Kopf, meiftens aber mit einer eigenthümlichen Kopf⸗ 
bebedung, eine lange, oft ſtarl ge⸗ 
bogene Nafe, große, edige Augen 
und lange Ohren. Sie find entweder 
in anfrechter oder hodender Stellung. 

Die Altertgimer, welche in der 
Ungebung von Ya Paz gefunden 
werben, als im einer von Aymaras 
bewohnten Gegend, zeigen einen eigens 
thimlichen Charakter, Sie find uns 
gleich roher, gleichſam ſchematiſch und 
erinnern zum Theil an die primitiv: 
jten Holzſchnitzwaaren Nürnbergs, 
wie 3. B. die „Aymaraftatuette“, 
die wir nach Alcide d’Orbigny 
mittheifen, „Es zeigt fich hier,“ 
bemerkt der verdienftuolle Frauzoſe, 
eine vein hieratifche Eculptur; die 
Priefter flihrten diefe einfachen Fir 
guren maſſenhaft aus und überlie- 
ferten fie den halbbarbarifchen Völ— 
fern in ben Anden als ein Sym— 
bol, deſſen Bedeutung uns wohl 
ſtets unbekannt bleiben wird.“ Auch das ſphinxartige Ges 
bilde, das wir im Holzſtich reproduciren, gehört mad) dem« 
felben Autor diefer rohern Epoche peruaniſcher Alterthlimer 
au, wenn fid) aud hier bereits ein Fortſchritt in der Ber 





tom Titicaca - See, 





Veruaniſche Geſichtsvaſe. 


handlung des Geſichtes zeigt. Ebenſo iſt der belleidete Torſo, 
an den die Muſter des Gewandes intereſſiren, weſentlich 
beſſer gearbeitet. 

Globus XXVIII. Nr. 21. 


Prächtige, ausdrucksvolle Köpfe finden wir dagegen oft 
an den Waſſergefäßen angebracht, welche der Incazeit zuge» 
jchrieben werben. Bereits „Ölobus* XXV, ©. 40 haben 

42 





330 


wir eine Anzahl peruaniſcher Gefichtsurnen abgebildet, die 
zum Theil Wehnlichfeit mit jenen aus Pommerellen zeigen, 
während bie meiften von einem höhern Geſchmacke und einer 
größern Kunftfertigteit Zeugniß ablegen, als die europäifchen 
Urnentöpfer befaßen. Auch die fchöne Geſichtsvaſe, die wir 
heute bringen, beweift, wie vortrefflic bie alten Peruaner zu 
mobelliren verstanden, denn das Geſicht ift volllommen lebens: 
wahr und erjcheint wie cin Porträt, Alle peruanischen Ge: 





Gegenflände aus der Be 
Na 


utdinjon. 


1. Hupferner Meißel. 2. Flöte aus Anoden. 8. Tabadäpfeife. 
6. Holzerne Schäfiel 


4. Mahlftein mit Yäufer. 5. Terracottafigur. 
in Bogelgeftalt. 


find in der Regel von rothem ober ſchwarzem, glänzendem 
Thone; die für den täglichen Gebrauch in den Häufern 
waren von verjchiedener, mäßiger Größe; bie zum Aufbes 
wahren des Chichabieres aber jehr voluminös. In einigen 
nit Gyps wohl verjcjloffenen hat man Chicha gefunden, 
die über 300 Jahre alt und fehr beraufcend war. Auf 
ben Gefäßen aus Flaſchenkürbis find in ber Kegel abens 
teuerlihe Figuren einge: 
fchnitten. Nicht felten were 
den große und Heine goldene 
Bedjer von getriebener Ar⸗ 
beit gefunden, an denen eben 
fo wenig als an den Gbtzen 
eine Löthnaht entdedt wer: 
den kann. Unter den Waf- 
fen find beſonders die ſtei⸗ 
nernen Beile bemertens: 
werth; fie haben auf dent 
diefern Ende eine Rinne, die 
in den Stiel gelegt und an 
dieſem mit Kiemen befeftigt 
wurde, Schmucdgegenftände, 
als Ohr», Nafen- und Yip- 
penringe, Halöfetten, Na— 
dein, Arms und Fußſpan⸗ 
gen, waren im der Regel aus Gold und mit bunten Mu— 
icheln verziert.» Die Scepter der Incas waren fehr Funft- 
reich aus Gold gearbeitet, bie der Kazifen aus „Kupfer. 
Hölzerne Gefäße oder Nole findet man felten. Es fcheint, 
als ob den alten Indianern die Bearbeitung bes Holzes 
ſchwerer gewefen fer als die der Metalle und Steine. Die 
Peruaner nennen alle in den alten Gräbern gefundenen 
Segenftände Huaqueros, von Huaca in Kechua — Grab, 


Thönerne: Waflergefäh, 62 
Fuß tief unter duano gefunden. 


Nah Hutchinſon. 


räbnigftätte von Pahacamäc. 





Peruaniſche Alterthümer. 


ſichtsvaſen dienten als Waſſer- und Trinfgefäße. Man hat 
letztere indefien no in den mannigfachften formen gefun- 
den. Häufig ftellen fie zufammengelauerte fragenhafte menfch- 
liche Figuren dar, umb viele von biefen find ſehr obfcön. 
Die meiften haben zwei Deffnungen, eine zum Einfüllen, 
die andere zum Ausgießen des Waflers; bei vielen hört man 
beim Fullen einen fehr weichen, flötenden Ton von der durch 
die andere Defimung entweichenden Luft. Diefe Gefäße 


em 
£ 





KR 9 
Steinernes Gotzenbild, 
62 Fuß tief unter 
Guano gefunden, 


Rah Hutchinſon. 


Die Gräber, die Beifegung der Leichen, deren Behand- 
lung nad) Art der Mumien find fchon fo oft geſchildert 
worden, daß wir fliglich hier dariiber weggehen können. Das 
gegen verdienen die in großer Menge, namentlich in der 
Küftenregion, vorhandenen Tumuli unfere Beachtung. Hut⸗ 
chinſon, dem wir hier folgen wollen, hat ihnen feine be+ 
fondere Aufmerkſamleit zugewandt und vergleicht fie mit den 

j Mounds des Miffiffippi- 

— thales. „Unter den lehtzte⸗ 
ren werden ſolche von 1000 
Fuß Umfang und 70 Fuß 
Höhe, andere von 2000 
Fuß Umfang und 90 Fuß 
Höhe erwähnt. Das find 
jedoch nur Feine Mounds 
egenüber jenen, bie ich bei 

ans und zwiſchen 
Lima und Callao gemefjen 
habe, Die Spige des fünft- 
lichen Hligeld von Pacha⸗ 
camtäc, 200 Fuß über ber 
Baſis gelegen, bildet ein 
Plateau von zehn Quadrat⸗ 
ader Größe, während die 
Mounds von Pando und 
Ocharan bei Weitem die von Squjer aus dem Mifjiffippi- 
thale befchriebenen Erdhligel übertreffen. Jener von Pando 
ift 108 Fuß hoch, 278 Ellen lang, 96 breit und umfaßt 
14,640,000 Gubiffuß Material. Die Verminderung über 
diefe Fülle wird noch erhöht, wenn ich hinzuflige, daß ein 
fehr großer Theil des Mounds aus lufttrodenen Ziegeln ber 
fteht, deren jeder 6 Zoll lang, 4 breit und 21/, die if. 
Noch merfwlirdiger erjcheint, daß viele diefer Ziegel die Spur 





Wlachgedrüdter Pin: 
guin aus dem Guano 
von Guanape. 
Nah Hutdinjon. 


Peruaniſche Alterthümer. 


ven menfchlicher Finger tragen. Es war eine großartige 
Idee, einen fo ungeheuern Hügel zu errichten.“ 

Squier bemerft von ben Miſſiſſippi Mouuds, daß viele 
in der Form von Kreifen ober Viereden errichtet wurden 
und daf diefe Figuren trog ihrer Größe mit mathematifcher 
Genauigkeit ausgeführt find. Bei eimem ift jede Eeite ger 
nau 1080 Fuß lang. und die eingefchjloffene Fläche beträgt 
27 Ader. Einer der Kreiſe hat gerade 700 Fuß Durd) 
meſſer; auch die Ellipfen waren äußerft genau conftruirt, 
Ein Wert, welches die Meberrefle einer zwei Miles langen 
Steinmauer zeigt, bedurfte zu feiner Herftellung eine Dil- 
lion Eubiffuß Steine; eim Erdwerk aber über drei Mil- 
lionen Cubilfuß Erde. 

Hutchinſon weiſt und aber viel großartigere Werke in 
Peru nad. Der Erdhligel von Iuliana oder Ocharan bei 
Chorillos erhebt ſich 95 Fuß, hat eine mittlere Breite von 
155 und eine Fänge von 1284 Fuß. Er wurbe von einem 
äußern Wall umgeben, deſſen Seiten 2448 beyw. 2100 Fuß 
maßen, der jet aber größtentheils zerftört ift. Die Mif- 
fifippi-Mound-Erbauer müflen, wie Squier hervorhebt, etwas 
von Geometrie verftanden haben; die Maße der peruanifchen 
Mounds find nach Hutchinfon ſtets Multipla von zwölf und 
er fieht hierin eine frühe Kenntnig des Zodiecus. Während 
aber die Miſſiſſippi ⸗ Mounds, fofern fie Begräbnißflätten wa- 
ven, ftets nur ber einem Leichname aufgefchlittet wurden, 
find die perwanifchen wahre Friedhöfe mit Taufenden von 
Leichen, deren jede ihren befondern Ruheplatz in dem gemein 
ſamen Hügel hat. 

Nach Hutdinfon find alle diefe Werke vorincaifch und 
auch Raimondi *) nimmt dieſes von den Mounds am 
Ylullan, bei Caraz und Pumacayan an; diefer frühern Epoche 
gehören nad) ihm auch die Ueberreſte des Palaftcs von Dial: 
pajo an, welchen die Spanier den Namen Castillo de cala- 
veras (Schädelichloß) gegeben haben. Es zeigt vier große 
elliptifche Manern, die in der Mitte auf dem höchften Punkte 
des Mounds zwei eigenthitmlich geftaltete Häufer einfließen. 
Alles Mauerwerk ift vom ungeheneren unbehauenen Stein 
blöden aufgeführt, die indeſſen doch eine platte Oberfläche 
bilden, da alle Zwiſchenräume und Fugen mit Meinen Stei- 
nen ausgefüllt find. Die äußere Mauer hat vier Thüren 
von elliptifchen Durchmefler. Am Eingange ift fie vier 
Ellen dick; fie bildet hier eine Veftibule, die mit glattber 
hauenen Algarobaftämmen gededt ift. 

Noch 12,000 Fuß über dem Meere, bei Parärä (b. h. Muhl⸗ 
ſtein in Aymara), wo faſt beſtändig Schnee liegt, fand Hut- 
hinfon Ruinen von Forts. Noch wunderbarer erſcheinen 
ung die Befeftigungen von Lipa auf den Höhen von Paja- 
candha, norböftlic von Andamayo, und bie dortigen Gräber, 
welche Raimondi (S. 182) ſchiidert. Zerftreute, ohne Zur 
fammenhang daliegende Steine zogen 1859 hier die Auj- 
merhjamfeit der Bewohner an; fie geuben nad) und fanden 
Grabfammern von prächtig behauenen Dioritquadern, deren 
rößter gegen 4 Meter lang und 3 Meter breit war. Der 


) EI Departemento de Ancachs y sus riquezas minerales por 
A, Raimondi, publiendo por Enrique Meiggs. Lima 1873. 


331 


Sandftein, der fic) gut bearbeiten läßt, um fo mehr fällt es 
auf, dak man den Diorit aus weiter Ferne hierher holte, 
um dad Grab zu bauen. In der Grabfanımer felbft fand 
man feinen Körper, wohl aber in Heinen Nifchen eine Ai 
je Kinderknochen und goldene Gefäße von vortrefflicher 

rbeit. Degt machten ſich Schaggräber daran, ringsum 
den Boden zu durchwühlen, und es wurde dabei noch man- 
er wertvolle Fund zu Tage gefördert. Ein „Steinfarg* 
tam zu Tage, der Schatzgräber hörte etwas darin Happern 
und freute ſich bereits auf die Silberbarren, bie er darin 
vermuthete, Als er den Dedel öffnete, fand er den „Sarg“ 
gefüllt mit Tarucahörnern (dem Geweih von Cervus an- 
tiensis). 

Um ſcharfe Perioden der peruanifchen Archäologie aufs 
zuftellen, fehlt es jegt wohl noch an genligenden Örundlagen, 
fo viel tüchtige Leute aud) auf diejem Felde gearbeitet haben. 
Der Stoff ift noch nicht gehörig gefichtet; darin dürfte Hut- 
dinfon Recht haben, daß nicht alles Gefundene auf Ned) 
nung der Incas zu fegen if. „Wir wiſſen wenig mehr von 
der vorgeſchichtlichen Anthropologie Perus, als daß feine 
Einwohner wunderbare Arbeiter waren, fie hatten, fo viel 
bekannt, feine gejchriebene Spradje, die Felsinſchriften aus« 
genommen, welche jedocd noch micht entziffert find, die 
Duipus (Knotenſchrift) aber gehörte den Incas an. Doc) 
kannten die vorgejchichtlichen Peruaner bereits den Gebrauch 
der Metalle und Yegirungen, fie fabrieirten und färbten 
Stoffe, waren gefdjidte Töpfer, wenn ihnen aud) die Dreh: 
fcheibe unbefannt war. Bon ihren Waffen kennen wir Keu— 
len, Bogen, Pfeile, Schleudern.“ 

Nach Hutchinſon hat aud) der berühmte Pahacamäc- 
Tempel mit den Incas nichts zu thun, desgleihen nicht die 
Alterthlimer, welche er im Guano fand und von denen wir 
nad) jginem Werte „Two years in Peru“ hier einige ab- 
bilden, Bis . einer Tiefe von 35 Fuß wurden unter den 
Guano der Chinha-Infeln verfchiedene in Holz geichnigte 
Hole aufgefunden; ja in 62 Fuß lagen unter reinem Guano 
noch ein Steinbildnig und fteinerne Waflertöpfe. Noch 
fünftlerifcher geftaltet find die „königlichen Embleme und 
Hausgögen* aus Holz, die ebenfalls in den Guanolagern, 
in einer jedoch nicht genau beobadjteten Tiefe, gefunden wur— 
den, Auf den Guañapa-Inſeln entdeckte man unter einer 
32 Fuß mächtigen Guanoſchicht den Körper eines Pinguin, 
der durch die Prefiung der auf ihm lagernden Maſſe zu der 
Dide von nur einem halben Zoll zujammengequetict war 
und doc) noch, wie die Abbildung zeigt, ſich gut erkennen 
ließ. Unter diefem Vogel lag noch ein Stüd Zeug. 
Schluſſe, die anf das Alter von Gegenfländen gezogen wer 
den fünnen, weldye unter geologiſchen Ablagerungen ausge 
graben werden, find immer unſicher und müſſen mit der 
größten Vorſicht aufgenommen werden. Wir können bie 
Zeit nicht beftimmen, welche zur Unhäufung von 32 oder 
62 Fuß Guano nothwendig war; jedenfalls aber vüden die 
Funde im Guano in eine fehr frühe Zeit hinauf. Daß man 
fehr vorfidhtig bei der Altersbeftimmung folder Dinge fein 
muß, ergiebt fic daraus, daß unter den 1872 von Hutdin« 
fon bei Ancon aufgefundenen Schädeln und Alterthlimern 
ſich auch ein ganzer Maulthierhuf befand, der natürlich, nicht 
über die ſpaniſche Zeit hinaufreicht. 


42* 


332 


vd, Reinsberg-Düringsfeld: Die Bäume im ficilianifhen Vollsglauben. 


Die Bäume im ficilianifhen Volksglauben. 


Von Freiheren von Reinsberg-Düringsfeld, 


Während die Pieder und Märchen des ficilianifchen Bolts 
zahlreiche Ziige aus heidniſcher Zeit enthalten, ftammen die 
Ueberlieferungen, die ſich an Bäume Inüpfen, im Sicilia- 
nifchen fait ſämmtlich von chriftlichen Yegenden her. Der 
Volfkemund fpricht fogar am häufigften und liebften nur von 
folchen Bäumen, melde in unmittelbaren Beziehungen zum 
Leben des „Meifters* ftehen, wie Jeſus Chriftus in den 


dortigen Sagen genannt wird, und felbft Giuſeppe Pitre in | 


Palermo, der unermüdlichite Forſcher und gründlichfte Kenner 
der Traditionen, Glaubensmeinungen und Seiftesänßerungen 
der Bevöllerung Siciliene, Hagt in einem an den befannten 
Profeffor Angelo De Gubernati® in Florenz gerichteten Briefe 
über „die ficilianische Vollsbotanik“, daß er in Betreff der 
Baumverehrung auf Sicilien beinahe nichts gefunden habe, 
was ſich auf vorchriftliche Erinnerungen zurüdführen ließe. 

Die beim Bolt im höchften Rufe ftehenden Bäume find 
die Palme, der Feigenbaum, der Franzofenholzbaum, 
die Tamariéke und ber Delbaum. 

Bon der Palme oder parma giebt es viele Legenden. 
Unter ihrem Blätterbache fuchte auf der Flucht nach Aegypten 
die Heilige Familie Schug und Labung und ihre Zweige ſenk⸗ 
ten ſich niederwärts, um den am Fuße des Stammes Kur 
henden dichtern Schatten zu bereiten. Als Maria, von den 
ſchönen Früchten amgelodt, die fie hoch über ſich erblidte, 
heimlich den Wunſch ausſprach, nur vier der Datteln zu 
haben, um damit ihren vor Durft und Müdigkeit brennenden 
Mund zu fühlen, bog die Palme ſich plötzlich fo tief, daß 
die Mutter Gottes mit Gemächlichfeit die Früchte pflücken 
und verzehren fonnte, Dadurch gerührt, fegmete Jeſus 
Chriſtus die Palme und wählte fie zum Heilmittel für die— 
jenigen aus, welche dem Tode nahe find, indem er erflärte, 
daß er felbft mit Palmenzweigen triumphivend in Jeruſalem 
einziehen wolle, 

Ihrem hohen und majeftätifchen Wuchje verdankt die 
Palme eine Art Vorzug auf dem Gebiet ber Licbespoefie: 
fie wird nämlich gern zur Bergleihung bald der Yiebften, 
bald des Liebſten angewandt. 


Schöne Liebſte mit den blonden Flechten, 
Hoch und prachtvoll gleich der ſchönen Palne, 


heißt 8 in einem Liede, und in einem andern, welches ganz 
die Gluth des Südens ausathmet, fügt fogar die Schöne auf 
einer Palme, um Datteln zu pflüden, und ihr Piebhaber 
brennt vor Schnfucht, fie herabfteigen zu fehen. 

Aus einer fprüchwörtlichen Nedensart geht der fonderbare 
Glaube hervor, daß, wer eine Palme pflanzt, nie Früchte 
von ihre pflätcht, weil fie erft nach hundert Jahren tragen foll. 

Der Delbaum ift gleich der Palme ein Sinnbild des 
Friedens und fpielt wie fie am Palmfonntag eine große Rolle. 
Die ftatt der Palmen geweihten Delzweige werden „Palmen“ 
genannt und Dellaub wird an diefem Tage maljenhaft in bie 
Städte und Dörfer gebradjt. Die Fiſcher ſchmucken mit ihm 
ihre Barlen, die Fuhrleute ihre Sättel und die Landleute 
fteden Zweige in ihre befäeten Felder, um diefe zu fchügen 
und fruchtbarer zu machen. 

Der Franzoſenholzbaum ift Heilig und traurig zu— 
gleich, weil fein Holz einft zum Kreuze Chrifti diente, 





Am Feigenbaum hat fi Judas gehangen, deshalb 
blüht er nie. Eine andere Sage behauptet jedoch, der Baum, 
welcher Judas zu diefem Zwed gedient, fei fein iFeigenbaum, 
fondern eine Tamariste geweſen und zwar bie tamerix 
africana, welde man auf Sicilien vruca neunt. Bor 
Chriſti Geburt war fie ein großer, ſchöner Baum und fo 
ftart in ihren Aeften, daß Judas Iſcharioth im feiner Ber- 
zweiflung, den Meifter verrathen zu haben, fie auffuchte, um 
fi an ihr zu erhängen. Bon dem Yugenblide an ward 
aber die Tamariske immer niebriger und Heiner, bis fie zu⸗ 
letzt bloß als häßlicher, mißgeftalteter Strauch wuchs, der 
heutiges Tages zu der Vergleichung dient: „Tintu comu la 
vruca,* elend wie die Tamariske, die nicht einmal zum Ber: 
brennen taugt, fo daß man fprüchwörtlich jagt: „Du bift 
wie das Holz der Tamarisfe, das weder Aſche noch Feuer 
giebt.“ (Si’ comu lu lignu di la vruca, chi nun fa n& 
einniri n& focu.) 

Die Seele des Judas iſt dazu verdammt worden, ewig 
in der Luft herumzulreiſen und mur, jo oft fie eine Tama« 
riöfe ſieht, anhalten zu müflen, um zur Strafe ihren Körper 
zu erbliden, der ihr an einem Afte hängend erſcheint. 

Manche behaupten jedoch, der Berräther am Meifter 
habe fein tranriges Leben weder am Feigenbaum noch an 
ber Tamariste, fondern am fogenannten wilden Johannis» 
brotbaum (cereis siliquastrum) geendet, der deshalb and) 
gewöhnlich, wie in ganz Italien, Judasbaum (arvula di 
Giuda oder di Giuden) heißt. 

Flie minder bedeutend, wenngleich ebenfalls für heilig, 
gelten die Pinie, die Pappel, die Myrthe, der Holluns 
ber und einige andere Pflanzen. 

Die Pinte fteht in großer Achtung, weil fie nicht nur 
den Weihrauch zu den kirchlichen Ceremonien liefert, ſondern 
auch an das Yefusfind mahnt. Denn wenn man einen 
Pinienzapfen nimmt, die Frucht ausjchält und ben innern 
Kern der Nuß ſenlrecht durchichmeibet, jo nimmt man, wenn 
man recht hinficht, das Abbild einer Hand wahr, und das 
ift die des Jeſuskindes, im Begriff zu jegnen. 

Der Grund diefer Erfcheinung beruht jedoch nicht etwa 
auf einer Zufälligleit oder einem launenhaften Spiel ber 
Natur, fondern hängt wiederum mit einer Legende zufammen. 
Als nämlich die heilige Familie auf ihrer Flucht nach Aegyp⸗ 
ten einen Ort zum Ausruhen fuchte, näherte fie ſich einer 
Lupinie, die unweit des Weges ftand. Wie die Tamarisfe 
war auch die Lupinie zu jener Zeit mod) ein ſchöner Baum, 
der überdies äußerſt wohljchmedende Früdjte tung, Die 
Pupinie weigerte fich indefien egoiftifch, die armen Flüchtlinge 
unter ihrem Schatten aufzunehmen, und zog ihre breiten 
Zweige fo zuſammen und an den Stamm heran, baf bie 
Keifenden unbedeckt blieben und trog ihrer Müdigkeit die 
fchmerzhafte Wanderung fortfegen mußten. Bald darauf 
erblidten fie eine Pinie, unter welche fie fid) begaben, und 
diefe breitete ihre fchönen Zweige möglichft weit aus und 
verbarg liebevoll das Kind. 

Seit jenem Tage genoß die Pinie der Begünftigung, 
bie Hand des Chriftusfindleins zu jeigen und immer mehr 
zu wachſen, während die Yupinie dazu verdammt wurde, ſich 
nicht über eine Spanne hoch von der Erde zu erheben und 
fortan fo bittere Früchte zu fragen, wie fie jegt hat. 


v. Reinsberg-Düringsfeld: Die Bäume im ſicilianiſchen Vollsglauben. 


Die Bappel, wie bie Myrihe, der wilde Delbaum, 
der Mänfedorn, die Gänfediftel, das Lungenkraut 
und der Boley dienen zur Ausſchmückung der Weihnachts: 
frippen und werben ſchon deshalb geſchätzt. Bom Poley 
(mentha pulegium, ſicilianiſch puleju) erzählt man nod) 
außerdem, daß er in der Chriftnacht gerade um Mitternacht, 
wenn bas Jeſuskind zur Welt gefommen, wieber blühe, ohne 
gelim zu werden, was in der Johannisnacht wirklich vor« 
fommen fol, 

Bon ber Myrthe heißt e8 ſpruchwörtlich: Cei nni 
voli murtidda p’ apparari li Santi! (mir brauchen 
Myrthe, um die Heiligen auszufchmüden!), weil man zum 
Schmud der Heinen Altäre und Capellchen der Heiligen die 
Zweige von Myrthen und Orangenbäumen verwendet, Aus 
den letzteren macht man auch einer alten Gewohnheit gemäß 
die großen Feftguirlanden um die Bilder von Maria Himmels 
fahrt während der erſten fünfzehn Tage im Auguft, und 
um die Bilder Maria's und Joſeph's mwührend der legten 
acht Tage vor Weihnachten, in denen die herumziehenden 
Dirdelfadpfeifer ihre vier ober fünf Stüde abfpielen. 

Dagegen pflegten bis vor wenigen Jahren am Feſte ber 
heiligen Rofalia in Palermo die Knaben aus ben Bolks— 
claffen zum Zeichen der freude und des Jubels ſich Kopf 
und Bruft über und über mit Zweigen vom Hollunder 
oder savucu (lateiniſch sambucus nigra) zu ummwinden und 
ſich an den Schläfen Schellen oder Heine Glöckchen zu be 
feftigen, um mit den Nennpferden zu wetteifern. Noch heu— 
tiges Tages prangen an diefem Feſte alle Straßen der Stadt 
mit grünem Rohr, woran Abends bunte Papierlämpchen 
gehängt werben. 

Da man glaubt, daß grünes Rohr bie giftigen Schlan- 
gen „bindet“ und töbtet, während man fie mit fnotigen 
Stöden vergebens ſchlägt, ohne bies zu erreichen, fo nimmt 
man gern einen Gtodf aus grünem Rohr, wenn man im 
Sommer durch Felder oder Berge geht. Dürres Rohr 
aber wird an bie Grenzen eines Beſitzthums geſteckt, weil 
es dieſes avitatu oder unberührbar und heilig machen fol. 

Die Eypreffe (ficilianifd) nucipersicn) ift der Haupt- 
trauerbaum; nad) ihm folgt die Trauerweide oder arvulu 
piancenti, weinender Baum, und die Bappel, deren Holz 
in der Gegend von Acireale für geweiht gilt und deshalb 
zu Heiligenjtatuen bemugt wird, Mit diefen Bäumen ums 
pflanzt man die Kichhöfe im Sieilien, ohne jeboch, wenn 
fie vereinzelt ftehen, ihnen eine lible Vorbedentung zuzufchrei- 
ben. Auch die Gärten ber Bettelmönchklöſter find mit Cy— 
preffen umgeben, 

Laut dem Eprlihwort: 

Ce’'ö tant ervi all’ orti, 
E ce'& la rosamarina pi li morti 
(e8 giebt foviel Kräuter für den Garten umd es giebt den 
Rosmarin fiir die Todten) 


gilt der Rosmarin ebenfalls für eine Trauerpflanze. Im 
den BVolfserzählungen ift er ben Feen heilig, weshalb die 
in Schlangen verwanbelten Königstöchter vor jeder Verfol— 
gung ficher find, fobald fie eine Rosmarinſtaude erreichen 
und berühren können. In einem Märchen, welches G. Pitrs 
in feiner vortrefflichen Sammlung ficilianifcher Märchen, 
Sagen und Erzählungen *), der bejten und reichhaftigiten 
Italiens, unter Nr. 37 de8 1. Bandes mittheilt, kommt 
fogar eine Königstochter als Nosmarinpflanze zur Welt und 
nimmt erft fpäter Menſchengeſtalt an. 


*) Fiaba, Novelle e rarconti popolari sieiliam. Palermo 1875. 
4 Vol. 


333 


Nicht minderer Beglinftigung Seitens ber Feen erfreuen 
ſich der Nuß- und Fohannisbrotbaum. 

Den legtern betrachten die Feen geradezu wie ihr Haus, 
in dem fie wohnen, und den Nußbaum Lieben fie ebenfalls 
als Aufenthaltsort, befonders des Nachts. In Salaparuta 
ift ein mit großen Nußbäumen dicht bewachſener led, der 
mit heiliger Scheu betrachtet wird, weil dort die Feen in 
Unzahl haufen, und mod; heutiged Tags wagt einige Stun: 
den nach dem Ave Maria Niemand dort vorliberzugehen, 
aus Furcht, unter einem biefer Bäume behert zu werben. 

In Santa Ninfa wird der fogenannte Nußbaum von 
Bonaventa wegen gewiſſer Geifter, die fid) in ihm aufhalten 
follen, am meiften gemieden, und der Name diejes Baumes, 
deffen Bedeutung die Landleute nicht fennen, ift offenbar eine 
Erinnerung an den berühmten Nußbaum von Benevento, 
das Stelldichein der fditalieniichen Hexen. Da der Baum 
für bebert gehalten wird, müſſen um fo mehr auch feine 
Fruchte daflir gelten, und namentlich werden einer Nuß mit 
drei Kernen die wunderbarſten Kräfte zugeichrieben. 

Wer eine ſolche Nuß in der Tafche hat, befigt die Macht, 
vor Blig und Donner, vor Beherung und Zauber aller Art 
zu fügen, die Entbindung einer Frau zır befchleunigen, 
aus Streit und Handgemenge ſtets ſiegreich hervorzugehen, 
und wer eine foldye Nuß verzehrt, wird vom Wechſelfieber 
befreit. 

Allgemein verficert man, ber Nußbaum fei der Gefunb- 
heit des Menſchen jchäblich, und vom Yohannisbrotbaum bes 
haupten die Bewohner von Borghetto, daß Feder unfehlbar 
fterben müffe, der das Unglüd habe, von ihm herabzufallen, 

Auch theilen beide Bäume mit dem Maulbeerbaum die 
Eigenfcaft, den Blig anzuziehen, und namentlic, in Santa 
Ninfa (Provinz Trapani) und in Cianciana (Provinz Gir- 
genti) hütet ſich Jeder ängftlich davor, bei einem Gewitter 
unter einem dieſer Bäume Schub zu fuchen. 

Der Yorbeer ift in ber Ueberlieferung der Gelehrten 
wie des Volls den Dichtern heilig, weil dieje in der Vorzeit 
zugleich Seher und Weiflager waren, und der Lorbeer urs 
ſprünglich die Kraft verlieh, das Berborgene zu ſchauen. 
Darum ift er auch das Sinnbild der Zauberkunſt und die 
Zauberer pflegen fid) aus feinen Zweigen Kränze um bas 
Haupt zu winden und mit feinen Blättern die Kleider und 
Gewänder zu ſchmiicken. 

Die Tanne dagegen, welche die Botaniker abies pec- 
tinata nennen, wird vom Bolfe als Heilmittel für Bezau— 
berte oder von Geiſtern Befefjene angefehen und heißt deshalb 
arvulu eaccia-diavuli, Teufelvertreibbaum, arvulu cruci- 
eruci, Kreuzfrenzbaum, oder arvulu di S. Filippu, St. Phi- 
lippsbaum, Eigenthümlich ift der Glaube, daß der Yor- 
beer vor Blig und Wetterſchlag ſchützt, und als befonders 
heilig wird er in ©. Cataldo (Provinz Caltanifetta) ans 
gejehen, wo fi) am 7. December jedes Jahres die Abgeorb- 
neten zum Feſt der Madonna, der höchſten Schutheiligen 
der Gemeinde, in die Umgegend begeben, um große Aeſte 
und Zweige von Porbeerbäumen zu hofen und in mächtigen 
Bindeln in die Stadt zu bringen. Dort gehen fie in das 
Haus eines der Abgeordneten, fteigen im die oberen Stockwerle 
und werfen von ben Balconen aus ihre grlinen Schäge auf 
die Yeute hinab , die fid) maffenhaft vor dem Haufe verfams 
melt haben und ſich drängen, einen Zweig davon zu erhafchen. 
Wem es gelingt, der bindet ſogleich Schleifen, Franſen und 
Tledchen von Seide jowie Orangen daran und nimmt mit 
dem fo verzierten Aſt in der Hand Theil an der Brocefjion, 
welche am Nachmittag ftattfindet und bei welcher die fänmts 
lichen jogenannten Hlite oder cappeddi, d. h. Abgeordnete, 
Priefter und Vornehme, Zweige ftatt brennender Kerzen 
tragen, 


334 


Ein anderer wunderbarer Baum iſt der Pfirſichbaum, 
in welchen mit Kröpfen Behaftete nur in der Dimmelfahrte« 


oder Johannisnacht hineinbeigen birfen, um ihr Uebel los | 
zu werden, weil die Rinde dieſes Baumes alle ſchlechten 


Säfte von Drifenfranfen und Kehlfüchtigen einfaugen foll. 

Wenn jedoch der Baum im folge des Biſſes nicht ab» 
ſtirbt und vertrodnet, ift feine Geneſung des Kranken zu 
erwarten. 

Bom Dleander fchnigen die Yandleute vom Aetna Stöde 
für die Greife. Deshalb pflegen fie auch dem Alten, der 
bei der vollsthümlichen Darjtellung der heiligen Familie am 
19. März den heiligen Joſeph vorftellt, einen Dleanderftod 
in die Hand zu geben. 

Der Beinftod ift den Weinteinfern lieb und werth, 
aber zum Schild für Weinfcenten nimmt man hier und da, 
wie in Acireale und im anderen Gemeinden am Aetna, 
Epheu, an vielen Orten einen Dlivenzweig oder noch häu« 
figer einen Yorbeerzweig. 

Der wilde Feigenbaum, in Toscana „Vaterunfers 
baum“ genannt, heißt auf Sicilien arvulu di pacenza, 
Geduldbaum, oder bloß Pacenza, Geduld, und gilt flir das 
Symbol der Umtrene der Frau gegen den Dann, weshalb 
man von einem betrogenen Ehemanne fagt: er ift pacinziuzu, 


Aus allen 


Ueber die „Volkspoeſie der Lappländer” 


erftattete Here W. J. Niemirowitih:-Dantichenfo der 
taiſerl. ruſſ. Geographiſchen Geſellſchaft in ihrer Sigung vom 
12, October 1874 Bericht, dem wir Folgendes entnehmen: 
„Es bat die Anficht geberricht, daß die Yappländer (ruf: 
ſiſch Lopary“) weder Volkslieder, noch Sagen, noch ſonſt 
etwas einer Volksliteratur Achnliches, wie andere Völker, 
befigen. Dank den Bemühungen des Herrn Dantſchenko hat 
es ſich herausgeſtellt, daß die Lappländer eine ihnen eigen: 
tbiimliche Volkspoeſie befisen, fich jedoch vor ruſſiſchen Zu: 
börern zu fingen jchämen , oder fie wohl gar ſelbſt nicht leu— 
nen wollen und ftatt ihrer Ueberſetzungen ruffiicher Lieder 
fingen. Die Lappländer haben felbit zugeftanden, daß bei 
ihmen jchon Liederfammler aus Schweden und Finnland ge: 
weſen find und Vieles aufgeichrichen baben, fie baben dieſen 
Sammlern jedoch nur ruſſiſche Lieder vorgefungen; bie or: 
tbodoren Beiftlichen aber, welche in bejtändiger Verbindung 
mit den Lappländern find, verzeichnen ihre Lieder nicht. Das 
erste rein Iappländiiche Lied hat Herr Dantichenfo in Iman— 
dra gehört, wo der Lappe Baſilius Moſchnjakow ihm lapp- 
ländiiche Worte ing Nuffiiche überfett hat, Immer baben 
nur Frauen gefungen, während die Männer ausſchließlich 
erzäblten; den alten Weibern wurde vor Allen das Singen 
überlaffen. Die Lappländer haben jelbft verfichert, daß jest 
nur noch Bafılins Barchatow allein alte Yieder fenne; Andere 
kennen ſolche micht mehr, Die alten Lieder ſind, wie die 
Pappländer verfichern, bejier al& die neuen, weil Gott Yapp- 
land damals mehr liebte. Die Mehrzahl der Sagen behan— 
delt die Einfälle der Tſchudjeh, welche mit Schwerter jodh: 
ten (bie Lappländer vertheidigten fich mit Bfeilen), und die der 
Schiſcheier. Schr intereffant waren die Erzäblungen vom 
wunderbaren Kinde 2), welches ein Lappländer ans einer 


i) Ueber tiefen Volleſtamm vermweife ich auf Abtheilung 1, Seite 9 
meines bei Otto Spamer in Leipzig erfebienenen Buches: „Sibir 
rien und bas Amurgebiet” von Albin Kobn und Richard 
Anbdree. 

2) Man vergleiche dieſe Sage mit dem, wat Dr. 5.8. Schwarg 


Aus allen Erdtheilen. 


| ober noch deutlicher: dienu d’aviri la Pacenza davanti la 
porta! (werth, den Geduldbaum vor der Thür zu haben!). 

Diefe Redensart ift befonders am Aetna fehr üblich, wo 
die Yandleute aud) das Vorurtheil hegen, daß, wer vor dem 
‚ Dohannistag (24. Juni) unter einem Baume ſchläft, lrank 
‚ oder behert wird. he man ſich niederlegt, muß man daher 
‚ einen Zweig abbredyen, um den Baum „zur Aber zu laſſen“ 
(sagnari l’arvulu), weil Aderlaf überhaupt im Stande 
ift, die ſchlinme Wirkung eines menfchlichen oder Ubermenſch⸗ 
lichen Wejend zu neutraliſiren. Auch die Wärwölfe (fici« 
lianiſch lupi minari, oder lupunärii, mannäri), weldje, wie 
das Bolt jpricht, am „Mondübel* leiden, können unfhädlic) 

emacht werden, wenn man fie während ihres Zuſtandes mit 

irgend einem fpigen Gegenſtand fticht, bis Blut lommt. 

Wenn ein Obftbaun längere Zeit nicht trägt, fo geht 
in Ueria (Provinz Mefjina) am Charſamstag unmittelbar 
nach der Auferstehung Chriſti der Befiger, begleitet von einem 
Nachbar, mit einem Beil hinaus, um ihm abzubauen. Beim 
erſten Schlag verwendet fich der Nachbar für den Baum und 
‚ bittet den Befiger, noch ein Jahr zu warten, che er ihm das 
| Leben nehme, und der Beſitzer läßt ab und bewilligt dem 
‚ unglüdlichen Baume nod) ein Jahr, in der Hoffnung, ihm 
| wieder des Lebens und des Lobes wlirbig werden zu jehen. 





Erdtheilen. 


Schlucht gebracht bat, und von feiner Aehnlichkeit mit der 
Tſchudj. Wenn der Sturm wüthet, jagt der Lappländer, daß 
die Tichudj daberbrauft. Die Tſchudj bat ſich in Berges: 
ſchluchten geflüchtet und kommt jegt noch oft aus dem Felſen 
hervor. Auch die Sage vont Kampfe dreier Helden mit ber 
Tſchudi, welche faft immer, felbft in Sagen von mytbiichem 
Charakter, eingemifcht wird, iſt nicht ohne Intereſſe; in ihr 
ift das Motiv der Verrath, welchen die Frau des Helden 
begangen bat und das in den Ueberlieferungen fo vieler Böl: 
fer °) vorfommt. Bei den Yappländern findet man auch als 
Motiv das „Anthun*, welches vom Tenfel berfommt; auch 
bat fich bei ibmen die Tradition erhalten, daß weftlich von 
Kola „kranke Lappländer“ wohnen; es ift jedoch unmöglich, 
die Bedentung diefer Ueberlieferung zu ermitteln. Nach ört: 
lichen Erzählungen bat der Kaiſer Peter die Yappländer jehr 
geliebt; er hat ihnen Geſetze über den Fiſchfang gegeben und 
dieſe liegen, zur Sicherheit mit Lanzen durcftochen, an ver: 
borgenen Drten. Im Allgemeinen konnen jegt nur noch alte 
Weiber die altertbiümlichen Geſänge, wie 3. B. von der 
Waflerjungfran + mit dem goldenen Kamme und vom che 
maligen Gotte, den man jet Teufel nennt Dieſem Gotte 
wurden Wentbierhörner 5) geopfert. Während der Annahme 
des Ghriftentbums wurde der lebte Haufen folder Opfer: 
börner ins Meer geworfen, infolge deſſen ein furchtbarer 
Gewitterſturm mit Bligen entſtaud und Bott entflob im einem 
Wöllchen auf die Berge. Jetzt bat ſich diefer Gott in vier 
Krühen verwandelt und wohnt in ben Bergen.“ 
Albin Kobn. 


in feinem: „Der heutige Volfsglaube und das alte Heitentbum,” ©. 
58 über ten goͤttlichen Düngling und was er überhaupt über bie 
„wilde Saab" faat. 

3) Unter Anteren auch des polnifchen Volfes, 

*) Diele Sage bat auch unter den Lithauern geberrfcht, und Adam 
Mickiewicz bat fie in feinem Gedichte „Switegianfa” erbalten. 

d) Sollte dieſem Brauche micht der bei anteren Möltern berr 
fhente Brauch, ten Teufel mit Hörmern gu malen, entſprechen? 


ie Aus allen 


Die auftralifhe Eolonie Victoria, 


Victoria zählte am 31. December 1874 eine Bevöllerung 
von 807,756 Seelen und hatte damit im Verlaufe des Jahres 
einen Zuwachs von 17,264 erhalten. Am 31. März 1875 
ftellte fich die Seclenzabl auf 810,422, wovon 440,140 dem 
männlichen und 370,282 den weiblichen Geſchlechte angebör- 
ten. Dazı kommen noch au Eingeborenen 1553. Won die: 
fen waren 557, d. i. 302 männliche und 255 weibliche, auf 
den ſechs Stationen Corranderrt, Lake Hindmarſh, Lake Eon- 
dab, Lake Wellington, Framlingbam und Late Eyers, welche 
unter ber fpeciellen Gontrole des „Board for the Protection 
of the Aborigines“ in Melbourne ftchen, freiwillig angefiedelt. 
Es beftehen auf diefen Stationen Schulen für die Kinder, 
und die Erwachienen werden mit ländlichen und häuslichen 
Arbeiten zweckmäßig beichäftigt. Im biefer Weile ward im 
Jahre 1874 ein Ertrag von 2643 Pf. St. Werth erzielt, der 
aber für den Unterhalt der Auftalten nicht ausreichte. Das 
Fehlende gewährte die Staatscafle. 

Die öffentlichen Einnahmen aus dem Finanzjahre vom 
30. Juni 1874 bis dahin 1875 fummirten auf 4,132,118 
Bf. St., gegen 4,065,123 Pf. St. im Vorjahre. Eingangszölle 
lieferten 1,628,284 Pf. St., Acciſe 75,714 Pf. St., Ertrag 
„ aus Kronlandverfauf und Reuten 941,875 Pf. St., Eifen- 
bahnen 921713 Pf. St, Volt und Telegrapben 198,325 
Bf. St. u. 1. w. Dagegen berechneten fich die Ausgaben auf 
4,325,277 Bf. St. 

Der Zotalerport des Jahres 1874 bemißt den Werth 
von 15,441,109 Bf. St., gegen 15,302,454 Pf. St. im Jahre 
1873. Dagegen ftellt fich der Import auf 16,953,985 Pf. St. 
gegen 16,533,855 Pf. St. j 

Die wichtigften Erportartifel der Colonie bilden Wolle 
und Gold. Die Wollansfuhr datirt vom Jahre 1537 mit 
514 Ballen (a 340 Pfund), ftien im Jahre 1547 auf 30,029, 
im Jahre 1857 auf 60,520, im Jahre 186667 (das Wolljahr 
zählte jet von Detober zu October) auf 175,216 und im 
Jahre 1873/74 auf 265,540 Ballen im Werthe von 6,173,506 
Bf. St., den Ballen durchſchnittlich mit 23 Pf. St. 5 Sc. 
berechnet. Die erften zehn Donate des Jahres 1874/75 ergo: 
ben eine Wollausfubr von 295,705 Ballen; diefelbe wird ſich 
aber in den beiden fehlenden Monaten, da die Saifon fo gut 
wie vorüber ift, nur noch um ein Geringes erhöhen. — Da- 
gegen bat der Golberport in dem Ichten Jahren eine con 
finnirliche Abnahme erfahren. Im Jahre 1874 lieferten die 
Goldfelder der Colonie einen Ertrag von 1,102,614 Unzen 
— die Unze zu 3 Pf. St. 18 Sch. —, gegen 1,249,407 und 
1,817,102 in dem beiden Vorjahren. 

Am 31, December 1874 waren von dem Areale ber Co: 
lonie erft 15,583,028 Acres in Privatbefis übergegangen, das 
Uebrige verblieb noch ald Kronland. Davon befanden fich 
am 31. März 1875 im Ganzen 1,011,790 Acres unter Gul- 
tur oder 46,803 mehr als im Vorjahre. Unter Weizen ſtan— 
den 332,935, mit einem Ertrage von 4,850,135 Buſchels (ü 60 
Pfund Gewicht) oder 14,6 vom Acre. Mit Hafer waren 
114,921 — Ertrag 2,121,612 Buſchels (& 45 Pfund) — und 
mit Gerfte nur 29,505 Acres — Ertrag 619,596 Buſchels 
{a 40 Bfund) — befäet. 

Die Zahl der im Jahre 1874 beförderten Briefe beziffert 
ſich auf 15,739,888, die der Zeitungen auf 6,966,918 und die 
der Padete auf 1,269,322. 

Die durchſchnittliche jährliche Negenmenge in Melbourne 
ergiebt für die letzten dreißig Jabre 27,230 Zoll. Die größte 
Regenmenge fiel im Jahre 1849 mit 44,250, und die geringjte 
im Jahre 1865 mit 15,94 Boll, 


Keclimatifation europäifher Singvögel in den Vereinig⸗ 
ten Staaten, 

Die Verfuche mit der Acclimatiſation von enropäilchen 

Singvögelm in dem Vereinigten Staaten find bis jetzt nur 


Erdtheilen. 335 


theifweife neglüdt, doch find die Nefultate ermutbigend genug, 
um zu weiteren Experimenten anzulpornen. Am meiften ift 
in diefer Beziehung bis jegt in Cincinnati geichehen, wo 
Taufende von Dollars für diefen Zwech aufgebradht wurden. 
Bon den dort importirten enropäifchen Vögeln hat ſich unter 
Anderm die prüchtige Feldlerche, der Buch» oder Edelfinf, 
der Zeifig, die Kohlmeife, die auch im Winter bleibt, und 
der Inftige Staar gehalten. Manche- andere Arten, die ſich 
verflogen haben, mögen im anderen Gegenden der Vereinig— 
ten Staaten, wahrfcheinlich etwas nördlicher, eines Tages 
wieder zum Vorſchein fommen. Von ben in St. Louis im: 
vortirten Vögeln (Buchfinfen, Diftelfinfen, Zeifigen, Hänflin- 
gen, Kohlmeifen und Feldiperlingen) find blof die vor vier 
Jahren importirten fogenannten Feldipagen, die aber auch in 
den Häuſern niften, geblieben, und haben fich ganz aufier- 
ordentlich vermehrt. Sie find in der Stadt wie in der Um: 
gegend an einzelnen Plätzen, 3. B. im Jackſon Bart, Lafayette 
Bark und Arſenal Bart, ſchon ſehr zahlreih. Die itbrigen 
importirten Vögel haben ſich nad ihrer Freilaffung etwa 
4 bie 6 Wochen im Lafayette Vark gehalten, aber trotzdem 
fie paarweiſe zu fehen waren und luſtig fangen, nicht genüftet. 
Sie find wahrscheinlich norbwärts gewandert. 

Die Experimente follten fortgefegt werden. Sie haben, 
von den wirklichen Nefultaten ganz abgefeben, unter Anderm 
jetzt ſchon auch dad Gute gehabt, daß die Öffentliche Meinung 
ſich mehr al& früher für den Schutz der Vögel, der einbeis 
mijchen wie der importirten, geltend macht. 

* * %* 

— Die höchſte Kunſtſtraße Deutſchlands, abge: 
ſehen von den Alpen, wird eine Chauſſee werden, welche von 
Hermsdorf unterm Kynaſt im Hirſchberger Thale am Rieſen—⸗ 
gebirge über den Kamm dieſes legtern nad) St. Peter in 
Böhmen erbaut werben fol und zu welcher die Vorarbeiten 
auf preußifcher Seite in den leiten Wochen auf Anordnung 
bes Handelsminifteriums in Berlin begonnen haben. Bon 
Hermsdorf bis Agueſendorf wird bie bereits beſtehende Fahr: 
ftrafie als Chauſſee berzuftellen, von letztgenauntem Dorf ans 
aber eine vollftändig neue Straße auf den an jener Stelle mehr 
als 1300 Meter (etwa 4000 Fuß) fich erhebenden Rieſenkamm 
in der Mühe der Peter: und Spindferbaude und von dort 
auf öfterreichiicher Seite über die „Sieben Grinde* hinab 
bis zu dem durch feine herrliche Lage berühmten und als 
Sommeraufenthalt vielbefuchten - Dorfe St. Peter bezw- 
Spindelmühl im Efbgrunde zu führen fein, wo bie neue 
Chauffee in die von Hobenelbe ber bereits fertig geitellte 
Beraftraße einmiünden wird. Das Elbthal wird von ber 
Strafe ungefähr in der Höhe von 300 Meter (2400 Fuß) 
erreicht werden. Um bie Straße bequem fahrbar zu machen, 
foll die Steigung das Verhältniß von 1:13 bis 14 nicht 
überfchreiten. Die Baufoften werben natürlich ſehr bedeutend 
fein umd im die Hunberttaufende geben; indeſſen darf man 
diefelben nicht ſcheuen, da der Localverkehr der beiderfeitigen 
Ortichaften ſchon jetzt wenigſtens in der ſommerlichen Ton: 
riftenzeit fehr anfehnlich it und raſche Steigerung verfpricht. 
Bit jett ift das Niefengebirge noch von Feiner Kunſtſtraßze 
überbridt: die nächfte Chauſſee zwiſchen Schlefien und Böh— 
men, die vom Hirichberg mach Reichenberg führt, zieht ſich 
zwiichen dem Rieſen⸗ und dem Jiergebirge bindurdh. Bier: 
bei jei noch erwähnt, daß fich von derielben anf der böhmi- 
{chen Seite bei Harrahsdorf eine am der Mummel aufwärts 
führende, im Ausbau begriffene Straße abzweigt, welche eben: 
falls die Richtung auf das obere Eibtbal bei St. Peter ein- 
hält. So wird das ſchöne Niefengebirge, das höchſte Gebirge 
Mittel: und Norbdeutichlands, von beiden Seiten bequem zu: 
gänglich gemacht. 

— Die brafilianische Regierung bat auf den Colonien 
der Provinz Rio Grande do Sul Stedlinge von Dliven- 
bdumen vertheilen laflen, in der Hoffnung, diefe wichtige 
Pflanze daſelbſt mit Leichtigkeit zu acclimatifiren. 


356 


— Am Ende des Jahres 1874 befanden fich im Gebiete 
der Vereinigten Staaten, wie uns Poor's ſtatiſtiſches Eifen- 
batmbandbuch lehrt, 75,623 Meilen Eifenbabn im Betriebe, 
genen das vorbergebende Jahr eine Zunabme von 1940 Meilen, 
die geringite Vermehrung, welche ſeit 1807 ftattgefunden hat. 

Die Summe, welde im Gefammt:Eiienbahngeihäft an- 
gelegt ift, wird Manchen in Erftaunen ſetzen. Sie beträgt 
4,221,763,549 Doll., d. b, etwa das Doppelte der National: 
ſchuld. Auf jene Summe find ald Grumdbetriebscapital ein: 
gezahlt 1,900,097,456 Doll., während 2,230,756,108 Doll. 
Schulden find, welche bauptfählich in Bonds befteben. An 
Dividenden wurden im letzten Jahre 66,042,942 Doll. oder 
circa 3%, Procent des Grundcapitals, an Zinſen auf die Schulden 
etwas Über 5 Brocent im Betrage von 121,523,016 Doll, bezahlt. 

— Bis Mitte Juli find im Lanfe des Jahres 1875 ſchon 
15,807 GChinejen in San Francisco angelommen, während 
die bedeutendſte frühere Einwanderung eines ganzen Jahres 
(1872/73) nur 19,368 aufwies. 

— Communismus. Die dentiche religiös communiſti— 
ſche Colonie der Inſpirationiſten in Amana, 74 Meilen weitlich 
von Davenport, Jowa, zählt jetzt auf ihrem 26,000 Acres um: 
faſſenden Gebiete 1450 Seelen. Sie iſt ein Ableger der ältern 
Eolonie Eben-Ezer bei Buffalo. Die Familien wohnen einzeln 
in Meinen Häusern, man ſpeiſt aber (jchr aut) in gemeinfamen 
Speiſehäuſern. Die Gemeinschaft als folche ift durch Ader: 

‚bau und Gewerbe ſehr wohlhabend geworden; fie beiteht 
meift aus Süddeutſchen und hält an der Gütergemeinichaft 
unverbrüchlich feit. 

Was fie an Tuch fabricirt, wird theils in der Colonie 
felbjt, theild an die ummwohnenden Bauern abgeſetzt. Mit 
Flanellen, wollenen Handſchuhen und Strümpfen treibt fie 
einen einträglichen Handel, und dieſe Fabrikate finden ihren 
Weg fogar auf den Neuyorker Markt, Ihr commumiſtiſches 
Gepräge erbielt die in Süddeutjchland und der Schweiz ge: 
gen Ende des 17. Jabrbunderts aufgetauchte Secte der In— 
Ipirationiften erft in Amerika. Sie find Chriſten, glauben 
aber zugleih an fortwährende göttliche Inſpiration bevor: 
zugter Mitglieder ibrer Secte. Geiftiges Oberhaupt derjelben 
ift ein altes Weib (von 0 Jahren), Barbara Heynemann, 
welche ſchon feit ihrer Jugend von Bott inipirirt zu fein glaubt. 


Vom Büdertifde. 
Unter dem Titel: 
Drei Monate in der Libyihen Wüfte 

liegen uns bie eriten drei Lieferungen eines nenen Werkes von 
Gerhard Rohlfs vor (Erfter für ein größeres Publi— 
cum beftimmter Theil ber „Erpedition zur Erforſchung der 
Libyfchen Wüſte“ in circa 5 Yieferungen, jede mit 4 Tafeln 
zum Preife von 3 Mark. Verlag von Theod. Fiſcher, Caffel 
1575), welches uns die Erlebniffe der unter der Leitung die: 
les berühmten Afrifareifenden unternommenen Erpedition 
zur Erforihung eines eventuellen Verbindungsweges von 
Aegypten aus nach dem Weſten zu den Daſen der Sabara 
reſp. nach Südweſten in das Innere des Erdtheils jchildert. 
Daß diefe Erpedition leider in der Hauptſache mur ein nega— 
tives Reſultat gehabt, iſt ja längft allgemein befannt. Uner— 
fteigliche und endloje Sanddünen von 100 bid 150 Meter 
Höhe haben der Kraft der Kameele die Grenze geftedt und 
fomit den Entdedern Halt geboten. 

Wenn trogdem die Erpedition und deren Schilderung in 


Aus allen Erdtheilen. 


vielfacher Beziehung hochintereſſant iſt, ſo iſt das um ſo mehr 
perſönliches Verdienſt des Verfaſſers. Zunächſt iſt er es 
geweſen, der durch ſeinen Namen und durch die vermittelnde 
Unterjtütung des Generalconſuls v. Jasmund in Cairo bei 
dem Chedive ein ſolches Intereſſe erwedt hat, daß berielbe 
zur Ausführung des Unternehmens 4000 Bf. St. bewilliate, 
Dieje reiche Dotation ermöglichte die Ausrüstung einer Erpe: 
dition, wie fie im gleich vollendeter Weile wohl noch nie vor: 
ber dageweſen. Zunächſt betheiligte fi) der Paldontologe 
Dr. 8. Zittel, Prof. Jordan, Lehrer der Geodäſie, und 
der Botanifer Prof. Aſcherſon, um die wilfenfchaftlichen 
Forihungen nad allen Richtungen ficherzuftellen, und wur: 
den diefelben noch unterſtützt durch den Vhotographen Re— 
mels, welder troß aller Schwierigkeiten anf der Neile eine 
große Samımlung der gelungeniten Bilder aus dieſer Willten- 
welt mitgebracht bat, von denen eine Auswahl dem Buche 
beigegeben find. 

Die große Erfahrung, welche der Leiter der Expedition 
in Wüſtenmärſchen ſchon beſaß, veranlaßte denlelben, für die 
Ansrüftung 500 Eifenblechkaften mitzunehmen zum Trans: 
port des Trinkwaſſers für die Menſchen und in zweiter 
Linie auch für die Kameele; es baben fich diefelben aufs Befte 
bewährt. Die Expedition brach am 7. December 1873 von 
Cairo aus auf, ging per Eifenbabn bis Minich und von da, 
ver Dampfer nah Sint. Dort wurde die eigentliche Kara: 
wane organifirt und am 17. December aufgebrodyen. Zunächſt 
wurde in dreisehntägigem Wüſtenmarſche die Oaſe Farafrah 
erreicht, nad kurzem Aufenthalte der Weg nah der Oaſe 
Dachel angetreten, dielelbe am 7. Januar 1874 erreicht und 
dafelbft Standauertier anfgeichlagen. Diefer Vunkt fteht mit 
Siut in regem Narawanenverfehr und eignet fich fomit am 
beften zur Operationsbafis für die eigentliche weftliche Wüſten⸗ 
entdedung. Dieſelbe wurde denn auch ſchon am 16. Januar 
damit begonnen, daß Jordan mit einer Meinen Erpedition 
vorandging, um einige Stapelpläge für Waller und Futter 
anzulegen. Diefer war es, der nach einigen Tagemärſchen 
Schon am 28, die umüberfteiglichen Sanddinen unter 25% 10‘ 
nördl. Br. und 27020 öſtl. 8. v. Gr. antraf. Da fich diele 
Dinen durch verfuchsweiles Vorbringen zu Fuß auf zwei 
Tagemäriche ausgedehut fanden, ihr Ende dort immer noch 
unabſehbar erichien und die Kameele wicht einmal auf den 
erften diefer Dünenwälle von lofeftem Sande binanfzubringen 
waren, mußte, als der Leiter der Erpebition einige Tage 
fpäter dafelbft eintraf, der Entichluß gefaßt werden, das weft: 
liche Bordringen aufzugeben, und wurde dam eine nordnord⸗ 
weftliche Richtung parallel den Dünen eingefchlagen, die in 
14 Tagen abjoluter Wüftenwanderung nah Sinah (Daſe des 
Aupiter Ammon) führte. Die troftlofe Einförmigkeit diefer 
Märiche, welche ſelbſt auf die Gemüther jo begabter Men: 
ſchen einen unvermeidlich deprimirenden Eindrud gemacht, 
empfinden wir bei der Pectüre dieſes Werkes nicht, da der 
Berfafler in geſchicktteſter Weile theils die Nefultate der wiffen- 
Ichaftlichen Erforſchungen im Gebiete der Geologie und Bo: 
tanil einflicht, theils die Leſer unterbält durch Mittheilungen 
über die Lebensweiſe und Eigentbiimlichkeit der dortigen 
Dojenbewohner und Vergleichungen mit denen der Bewohner 
des Niltbales und der Beduinenſtämme zu beiden Seiten dei: 
felben. Auch diefer Punkt findet in den beigegebenen Photo: 
graphien feine VBerüdjichtigung. 

Nach Allem wird das bald vollendete Work ala eine 
Zierde der deutichen Reifeliteratur betrachtet werben müffen. 


Indhbalt: Karl Andre, IM. (Schluß) — Aus Georg Schweinfurtb's Reifen in Iunerafrifa. XI. (Mit drei 
Abbildungen.) (Schluß) — Bernanifche Altertbümer. II. (Mit acht Abbildungen.) (Schluß) — Die Bäume im ſicilianiſchen 
Volfsglauben. Bon Freiberen v. Reinsberg-DPüringsfeld. — Ans allen Erdtheilen: Ueber die „Wolläpoefie der Lapp— 
länder‘. — Die auftraliiche Colonie Victoria. — Acclimatiſation europäticher Singvögel in den Vereinigten Staaten. — Ver: 
ſchiedenes. — Vom Büchertiſche. — (Schluß der Redaction 6, November 1875.) 





Netackur: Dr, N, Kiepert ım Berlin, ©. W. Lindenſtraße 13, II Zr, 
Drud und Berlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunfchweig. 


? 


Band XXVIN. 
ar 


Mit befonderer Berüchfichtiaung 





der Anthropologie und Ethnologıe. 


Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 








Braunſchweig 





* 


Beſondere Aufmerlſamleit wandten die franzöſiſchen Rei— 
fenden, namentlich Garnier ſelbſt und Dr. Thorel, der Eth— 
nographie der durchwanderten Länderſtrecken zu. In der 
großen Zahl von Aufſätzen, welche der ‚„Globus“* von feinem 
20, Bande an liber diefe epochemachende Entdedungsfahrt 


- brachte, ift diefer Wiffenszweig ftets befonders betont umd 


durch zahlreiche Racentypen iluftrirt worden. Wir wollen 
bier noch eine kurze Ueberficht Über die verſchiedenen Völfer- 
ſchaften, mit welchen die Erpebition früher in Berührung 
fan, der Schilderung der wilden und Miſchſtämme Yürgans 
voranfchiden. Drei Nacen, eine gelbe, eine fchmarze und 
eine braune, bewohnen das durchwanderte Gebiet. Die er» 
ftere, die mongolifche, ift die verbreitetfte und zerfällt in ſechs 
Zweige: ben annamitifchen, welcher den ganzen Often und 
Süden von Hinterindien bewohnt, den lambodſchaniſchen im 
gleichnamigen Königreiche zwiſchen Franzöſiſch- Cochinchina und 
Siam (f. die Topen in Bd. XXII, S. 210), den laotischen im 
mittlern Melhongthale (ſ. die Typen in Bd. XXI, S. 34 u. 
35), den ſiameſiſchen im Gebiete des Dienamftromes, ben birma— 
niſchen in den Thälern des Salwen und Yrawaddi (j. Bd. 
XXV, ©. 132) und endlich den chineſiſchen im Reiche der 


Mitte. Dem legtern Zweige fcheinen die Haren (Sarjen) 


am mittlern Salwen, weldje fid) von jeder Vermiſchung frei 
hielten und von denen wir auf S. 338 u. 339 Typen beis 
fügen, am nächften zu kommen. 

Als diefe VBölterfchaften aus ihren Urfigen in Hochafien, 
bon dort, wo die Quellen der Ströme liegen, deren Unter: 
lauf fie geute bewohnen, nach Süden vordrangen, ſtießen fie 


Globus XXVIII. Nr. 22, 


Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Nummern 50 Pf. 


1875. 





F. Garnier’3 Schilderungen aus Yinnan. 


V. 


auf Ureinwohner von dunklerer Färbung, die fie entweder 
verdrängten oder mit denen fie ſich vermifchten. Dieſe zählt 
Dr. Thorel dent orientalifchen oder malayo « polynefiichen 
Zweige ber fchwarzen Race zu. Es find lauter vereinzelt 
vorkommende Stämme, welche nur die (ziemlich milden) Sit» 
ten und zum Theil die Spradye mit einander gemein haben. 
Abweichend von anderen Wilden haften fie an der Scholle, 
befümpfen ſich gegenfeitig wenig und bebauen das Land, 
namentlich auf Bergen und Hügeln, wobei man aber nicht 
glauben darf, daß fie durchweg von den einwandernden Laos 
und Annamiten dorthin gedrängt worden fein. Vielmehr 
find die höher gelegenen Theile Überall von einer diden und 
ſehr fruchtbaren Thonlage bededt, deren Ergiebigkeit die des 
Alluvialbodens in den Thälern weit übertrifft. Bis zu drei 
Malen ernten fie ihren Bergreis, deſſen Anbau fehr geringe 
Mühe verurfacht; daneben pflanzen fie etwas Mais, einige 
Kürbisarten, Tabak, Baumwolle, was ein Viertel des Jah— 
res in Anspruch nimmt. Die übrige Zeit faulenzen fie und 
werden dabei did und fett, bis die Vorräthe zu Ende find 
und der Mangel fie zwingt, auf die Jagd zu gehen. Den 
zahlreichen Hirichen des Landes ftellen ſie dann nach, aber 
auch Eidechfen, Kröten und Ratten und den vielen ebaren 
Wurzeln, Ihre Civilifation, obwohl auf ziemlich tiefer 
Stufe befindlich, ift doch höher als 3. B. die der Aufiralier, 
Ihre Sitten, ihre Perfönlichkeit haben nichts Abftogendes. Ihre 
Kleidung beichränft ſich im Süden auf einen einfachen Echurz. 
Ihre Unwiſſenheit geht jo weit, daß fie ihr Lebensalter nicht 
lennen und ohne Hilfe von Steinchen oder dergleichen wicht 
43 


338 


über 10 zu zählen vermögen, trogbem fie feit Jahrhunderten 
neben verhältnigmäßig civilifirten VBölfern, wie Annamiten, 
Kambodichanern und Yaos, leben. Diefe behandeln fie mit 
einem gewiſſen Wohlwollen, namentlich wenn jie ihre Stla- 
ven find. Alle diefe Völker haben neben dem gemeinfamen 
Namen, weldyen ihnen die civilifirteren Nadjbaren geben: 
Mois (annamitifch), Penang (tambodſchaiſch), Chas (lao« 
tisch), Lolo (chineſiſch), eine zahllofe Menge von Stanım« 
namen, bie noch lange micht alle befannt find, Zu diefen 
Bölterfchaften gehören die Wilden von Stung Treng (abge- 
bildet Bd. XX, ©. 17), von Muong Lim (Bd. XXVI, ©. 


d 
J 


w- 


Karen. 


nannten ſchwarzen Polos, wahrſcheinlich die Uxbewohner 
Nlinnans, welche Dr. Thorel in zwei Unterabtheilungen zer: 
fallen läßt, nämlich Wilde von „oceanijchen Typus“ und 
Wilde von „laulaſiſchem Typus“. Diefe verſchiedenen Völ: 
fer gruppieren fi) in Südchina derart, daß die Thäler von 
Chinefen, Yaos und den von ihnen abftammenden Miſch— 
bevölferungen befegt find, auf halber Vergeshöhe neben Chi: 
nejen die Wilden von oceaniſchem Typus und oben auf den 
Gebirgen bie vom fogenannten faufafiichen Typus haufen. 
Von dem oceanifchen Typus geben die beigefügten Porr 
teäts eines Mannes und einer Frau von Ban-fon-han im 
Eden Ylinnans eine Vorſtellung. Diefer Typus weicht 





F. Garnier’s Schilderungen aus Yinnan. 


98), von Ta-lan (Bd. XXVIII, ©. 35 und 53) u. f. w. 
Noch größer aber als im Yaoslande ift die Mannigfaltigkeit 
der wilden Stämme im Siden Chinas, wo ihrer in den 
Provinzen Yünnau, Sy:tfcuan und Kwei-tſchau nicht wer 
niger als 40 verſchiedene Stämme haufen inmitten von Laos, 
Tibetanern, Tonking-Feuten, Mandſchu, Chinefen und felbft 
mohammedaniichen Arabern, welche einft von der Pelinger 
Regierung herbeigerufen wurden, um jene wilden Bergvölfer 
zu unterſochen. Diefe legteren gehören zwei Nacen au: 
1. die weißen Polo, mit gelblichem Teint, welche mit den 
Laos zufammenhängen, und 2, die bunfler gefärbten, joges 


Mann. 


von dem im Süden Hinterindiens bedeutend ab, weil hier 
im Norden viele Kreuzungen mit den Nachbarvölfern ftatt- 
gefunden Haben, weldye den Phyfiognomien etwas Mongo: 
liches und dem ganzen Bolfe etwas Civiliſation verlichen. 
Sie find ſeßhaft und beftellen das Fand, wie Chinefen und 
Laos. Die dritte, braune, Race find die ſchwarzen Folo, 
weldye ausjchlieglid; auf den höchſten Partien der Gebirge 
Südchinas haufen und den Indogermanen (beffer Ariern) 
im ihren Zügen und der Weife, ſich zu Heiden, gleichen fol» 
len, weldye legtere von derjenigen der unmvohnenden Indo— 
chineſen gänzlich abweicht. Auf den erften Blid, jagt Dr. 
Thorel, ift man von ihrer Aehnlichkeit mit den Zigeunern, 


F. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan. 


welche ja aus Indien ftammen, Uberraſcht. Aber fie unter 
ſcheiden fich von denfelben durch ihre Seßhaftigleit und ihren 
Aderbau. Sie find groß und ftarf, mit hervortretenden 
Formen und Muskeln, von breiten Schultern; ihr Peib ift 
nicht vierfchrötig umd durchweg von gleicher Dide wie bei 
den meiften Imdochinefen, fondern hat Taille, was mament- 
lich den Bewegungen der rauen eine große Geſchmeidigleit 
verleiht. Die Gliedmaßen find gut proportionirt, die Beine 
gerade, die Waden gut entwicelt; bie Farbe rußbraun, wes 
niger ſchwarz, als bei dem Hindus und den unvermifchten 
Wilden vom oceanifchen Typus. Der Gefihtsausdrud iſt 


339 


energifch, aber ohne Wildheit und Härte, dabei ausdrudd- 
voller als bei den Mongolen ; die Gefichtszlige treten hervor, 
das Profil ift gerade, das Autlitz oval und die Stien ziem⸗ 
lich hoch, gerade und oben ein wenig zurlicweichend. Häufig 
fieht man einen ganz ftattlichen, ſchwarzen Bart, auch an 
den Baden, was bei den Mongolen eine große Seltenheit 
it. Ihre Augen ftehen horizontal und find gut geöffnet, 
aber ftehen etwas eng zufammen; fie liegen tief und find 
von ftarken Augenbrauen befchatte. Die Nafe ift weder 
groß, nod) an der Wurzel platt, ſondern meift gerade, mits 
unter gefrimmt, ohme indefjen der der Europäer vergleichbar 





Karen. 


zu fein, Die Baden ftehen wenig hervor, der Mund ift 
von mittlerer Größe, mit nicht dicken Yippen. Niemals find 
die Kinnbaden prognathiich. 

Die Frauen diefer Wilden (dies Wort im inne ber 
Chineſen gebraucht, welche ja auch die Europäer Barbaren 
nennen) find die wohlproportionirteften in ganz Hinter 
indien, und ihre Größe, Geftalt und Kraft fteht im richtigen 
Berhältniß zu der der Männer; fie find groß, ſtark und von 





guter Taille, 
Die Energie dieſer Stämme, welche nur auf den höchften | 
Theilen der Gebirge zwifchen 2200 und 3500 Meter Höhe 
leben und zu denen die Fillu (j. das Bild eines Liſſupaares 
oben auf 8.294), die Man⸗tſe (vergl. S.279, wo ficben Man: 


Frau. 


tſe⸗Köopfe dargeftellt find, fowie die Abbilbung auf S. 341), 
die Miaustfe u. |. w. gehören, hat fie den Chineſen furchtbar 
gemacht. Obwohl in eine große Zahl einzelner Stämme 
zerfallend, die wegen der ſchlechten Berbindungswege unter 
einander wenig Berfehr und Beziehungen unterhalten, bilden 
fie doch eine einzige große Familie, deren einzelne lieder 
ſich auf faft allen hohen Gebirgen des Südens und Weltens 
von China finden. 

Wenn Thorel im Weitern aus der Kenntniß, melde 
diefe Völler im Striden, Melten, Käfebereiten u. |. w. be» 
figen, Künſte, die den Chinefen unbefannt find, folgert, daß 
diefelben zu anderen Völkern als den Chinefen, wahrjchein- 


lich zu oſtindiſchen, Beziehungen gehabt haben, jo uillſſen 


43 * 


340 


diefe Vermuthungen doch erft durch nähere, namentlich ſprach · 
liche Forfcungen größern Halt gewinnen, ehe man berechtigt 
ift, diefen Yolo, Man⸗tſe u. |. w. arischen Urſprung zu vins 
biciren. 

Wir haben ſchließlich die Mifchbevölferungen Sid» 
chinas zu betrachten, deren es vielerlei giebt, da in China 
das Fehlen eines Adels und das von Kaſtenvorurtheilen den 
Kreuzungen verfchiedener Stämme wenig Hinberniffe in den 
Weg legt. Während man alfo oft ganz reine Stämme trifft, 
wie 3. B. um Hweis⸗li-iſchau (S. 279), kann man eben fo 


dir, 
Br 


) 


— —— Pit 
— * 


„ 


. 





— — 





F. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan. 


oft, namentlich im den Städten, die Bewohner unmöglich 
einer beflimmten Race zuweiſen. Aber neben einer umend« 
lichen Menge von Varietäten, die vielfachen Schwankungen 
unterworfen find, haben fich auch fefiftehendere Mifchtypen 
herausgebildet, wie die Bewohner von Zung-tihuan, bie 
Min-kia in der Ebene von Tasli, von benen wir ©. 342 
einige Porträts beifligen, die Anwohner des Sees Sche⸗ping 
in Sud-Nnnan und die Penti. 

Minzkia und Pen-ti-bewohnen zufammen das Oftufer 
des früher beſchriebenen Sees von Tarli. Während die le- 


= = — * 


Wilder Mann von Bau⸗—kfon hau. (Sudgrenze von Yünnan.) 


teren aus einer Bermiſchung von Laos mit ſchwarzen Lolos 
hervorgingen, wobei das laotiſche Blut Überwiegt, ſiammen 
die Min fia von chineſiſchen Anfieblern, welche nad; Grobe 
rung des wetlichen Yünnan durch die Generale Chubilais 
Chau's (1255) aus der Umgegend von Nan-fing hierher 
verpflangt worden find. Dies iſt mach Garnier ihre eigene 
Angabe, Nach Dr. Thorel, Garnier's Begleiter, wären es 
dagegen Producte einer Kreuzung zwiſchen Yaos und fehwar: 
zen Lolos. Gr jagt ausdrüdlid (in F. Garnier, Voyage 
d’exploration en Indo-Chine II, p. 329 f.): „Ihre 


Civififation ift von der der Chinefen völlig verſchieden und 
bietet große Analogien mit der der Laos. Der Eindrud, 
welchen man bei ihrem Anblide empfängt, ift der einer gros 
fen Aehnlichteit mit den Laos und gewiffen faufafischen 
Typen und der einer geringen Analogie mit ben Chinefen.* 
Diefen MWiberfpruch vermögen wir wicht zu (fen ober zu 
erflören; nur giebt Garnier ebenfalls eine ſtarle Beimiſchung 
von laotiſchem und Ureinwohnerblut in den heutigen Min-kia 
zu. Er meint, diefelben hätten aber noch mehr von bem 
urfprünglichen Chinefenblut bewahrt, al® die Pen-ti, welche 


F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan. 341 


in der Ebene von Teng⸗tſchwan am Nordende des Sees von 
Bei legteren herricht der Brauch, daß ber 


Ta⸗li figen. 
Bater am Geburtätage feines älteften Sohnes feinen frühern 
Namen verliert und nun einfach) „der Vater von N. N.“ 
beißt. Diefe Sitte foll ſich 
auch allmälig bei den Chine⸗ 
fen einbürgern. 

Die Minskia wurden von 
den reinen, echten Chinefen 
mit Verachtung behandelt, wor⸗ 
aus eine Feindſeligleit zwiſchen 
beiden entitand, welche dem 
mohammebanifchen Aufftande 
nicht wenig zu Gute Tam. 
Anfangs genoffen die Minsfia 
von beiden Seiten Neutralität, 
bis die Pladereien und Grau: 
famleiten ber Rebellen ihnen 
die Waffen in die Hand drüd- 
ten. Unter einem Häuptling 
Tong behaupteten fie lange 
Zeit mit Cl das Feld ger 
en die Mohammebaner, bis 
Tas im Jahre 1866 fiel 
und feine Familie mit ber 
beifpiellojeften Wuth von den 
Siegern vertilgt wurde. Als © 
Garnier die Sie der Min: 
fia durchzog, gehorchten fie zit: 
teend dem Sultan inTaslisfu. 

Weiter öftlic, um Tung⸗ 
iſchuan⸗ fu und zwiſchen Mafhang und Ngasdarfi, fand 
Garnier das Mifchvolf der I-kia (vergl. ©. 280 und die 
Abbildung auf S. 278), die bei den Chinefen Per (meiße) 


Polo heißen, was aber micht in dem ethnographifchen Sinne 





Wilde Frau von Bau-kon-han. (Sitdgrenze von Munan. 


Dr. Thorel’s zu nehmen ift. Sie gehören nicht dem gelblich 
gefärbten und ben Yaos verwandten Stamme an, den er 
„weiße Polo“ nennt, fondern find, wie ſchon bemerft, ein 
Mifchvolf, 


Sie tragen den chineſiſchen Zopf und Gaben 
unter Ihretgleichen das meifte 
von chinefiicher Civiliſation 
angenommen. Ihre Frauen 
fledjten das Saar im zwei 
Zöpfe, ummideln den Kopf 
mit einem feinen Turban 
und tragen, abgefehen von 
den Schuhen, das Goftitm der 
chinefiichen Bäuerinnen. Die 
ta find gute Nderbauer, 
von abergläubifchen, furcht- 
ſamem Sinne, und ſchämen 
fi) ihres Urfprunge. So 
wie es angeht, wandeln fie 
ſich in Peneti um. 
Manrtje traf Garnier 
auf den hohen Gebirgen zwir 
{chen Mong-ku und Hweislie 
tichau, welche dieſem noch 
nicht unterworfenen Volke 
zahlreiche , unzugänglidye 
Schlupfwinkel barbieten. Die 
Manstfe in der Nähe von 
Hwei-li-tfchau haben feit Kur: 
zem angefangen, ſich das 
Borderhaupt zu jcheeren. Die 
Mbrigen Haare werden auf 
dem Scheitel zu einen Knoten gefchlungen, um den ein Stüd 
Zeng gewidelt wird. Die Frauen haben die fonderbare 
Gewohnheit, ein Feines Körbchen voll Baumwolle, an wel- 
em die mit der linfen Hand zu drohende Spindel befeftigt 


dirsrh 





Man⸗tſe, Frau und Mann. 


it, ans Ohr zu hängen, wie man auf S. 279 amt zwei 
der dargeftellten Manstje-Söpfe fehen lann. Ihre Religion 
ift nicht der Buddhismus; fie haben aber Priefter und eigene 
heilige Bilcher. 


Huch Liſſu, deren Hauptmaſſe viel weiter wejtlich ſitzt, 
fand Garnier auf feinen Wege nadı Tasli: einige Dörfer 
unweit Tustwi-tfe zahlten ihnen Tribut, um ihre Herden vor 
den Räubereien dieſes unbändigen Dägervolfes zu ſchlitzen. 


342 


Sifan wohnen öftlich von den’oben erwähnten Mianstje, 
auch füdlich vom Yang-tiesfiang, wo fie die Franzoſen bei 
Kan⸗tſchu-tſe (j. nächſten Artikel) trafen; fie Yuldigen noch 
immer ben zügellofen Sitten, welche ſchon im 13. Jahrhundert 
Marco Polo's Unwillen erregten. 





Pa 1777) Rose 


Erneſt Giles’ neuefte Neifen in Auſtralien. 


Die Tibetaner bewahren noch zahlreiche Beziehungen 
zu Yinnan, wovon ein Theil einft zu ihrem Reiche gehörte, 
Im 9. Jahrhundert war nämlid) das Königreich von Ta⸗li 
oder Nanstjchau eine Zeitlang von dem tibetanifchen Reiche 
der Tusfan abhängig. Unter jenen Beziehungen find cinige 


Min-kia⸗Typen. 


religiöfer Art, So liegt etwa 21/, deutſche Meilen füdlich von 
Tustuistfe eine Stalaftitengrotte, die auf Chineſiſch Sche-tong 
(„Steinhöhle*) heißt, und dorthin kommen zu gewiſſen Zei— 
ten des Jahres zahlreiche tibetanifche Pilger, welche die Reife 
als Bettler zurüdlegen. Diefe Höhle, aus welder Man 


Salpeter geivinnt und in welcher während des mohammeda= 
nischen Aufftandes mehr als 100 Familien eine Zuflucht 
fanden, ift einer der heiligiten Orte des Landes. Der Eins 
gang joll impofant fein und ihr Inneres gleidyt an Höhe 
einem Kirchenſchiffe. 


Erneſt Giles’ neuefte Neifen in Auftralien. 


I. G. Unter den auſtraliſchen Reifenden der Gegenwart 
find wohl die hewvorragendften Oberft Warburton, John 
Forreſt und Erneft Giles. Wir haben ſchon öfters Ges 
legenheit gehabt, über ihre Reifen zu berichten. Heute haben 
wir wieder Beranlafjung, uns über eine neue Reife oder 
eigentlid, über zwei von Erneſt Giles zu verbreiten. 

Zur Einleitung mögen einige Worte über die auftra- 
liſchen Squatters oder großen VBiehherdenbefiger dienen. Ge— 
ben die fern gelegenen Diftricte der Colonien gute Weide: 
vläge ab, fo werden fie fiher von den Squatters mit Bieh 
bejagt. Das wilde Gras nährt vortrefflih. Sie erhalten 
in Südauftralien — und dieſe Colonie intereffirt uns hier 


insbefondere — ein großes Areal auf 14 und 21 Jahre zu 
einem geringen Preife in Pacht. Die Weiden find nad) 
drei Claſſen bonitirt. Man zahlt für die englifche Quadrat» 
meile eine jährliche Nente von 2 Sh. 6 P. bis 1 Pf. St. 
(2!/, bis 20 Mark) und hat auferdem von den Herden für 
jedes Schaf eine jührliche Abgabe von 2 bis 6 P. (20 bis 
60 Pig), umd für jedes Haupt Rindvieh eine ſolche von 
1 bis 3 Sh. (1 bis 3 Mark) zu entrichten, Immer ift 
aber damit die Bedingung verknüpft, daß, wenn das verpad)- 
tete Areal für Agriculturzwede verlangt wird, der Squatter 
bei fechömonatlicyer Kündigung weichen muß. So treibt 
der Yandbebauer den Squatter vor fich hin in ben wilden 


Erneft Giles' neuefte Reifen in Auftralien. - 


„Bush“ und diefer muß fic) in weiterer ferne nad) nenen 
BWeideplägen umſehen. Der Squatter ift der Pionier, ja 
man fann fagen: der fliegende Ulane, welcher das unbe: 
fannte Borland erforscht. Die geographiſche Wiſſenſchaft 
verdankt ihm viel, jehr viel. 

So geſchah es nun wieder, daß zwei veiche fülbauftralifche 
Squatters, Mr. Thomas Elder und Price Maurice, 
den Erneſt Giles engagirten, um in ihrem Intereſſe einen 
großen Block Yand, weldyer ſich von dem fogenannten 
Youldeh Sandpill Water — 135 Miles norbnord: 
weitlich von Fowler's Bay gelegen — bis zur Höhe des 
Late Torrens erftredt, zu bereifen und Nadjricht darüber 
zu geben, ob in diefer bis dahin völlig unbekannten Gegend 
gute Weidepläge eriftiren. 

Giles vollendete diefe Reife Mitte April diefes Jahres. 
Sein Bericht concentrirt ſich in Folgenden. 

Mit zwei Gefährten machte er fich zu Anfang Mir 
1875 von Fowler's Bay aus (32° füdl, Br, und 132038 
öftl. L. v. Gr.) auf den Weg. Gr hatte drei Pferde und 
zwei Kameele und war gut verprobiantirt und anderweitig 
ausgerüftet. in dort ftationirter Gensbarm Namens T. P. 
Richards erhielt Erlaubniß, die Reifenden bis zu dem ihm 
befannten Youldeh zu führen, und verfchaffte ihnen hier einen 
Eingeborenen, welcher ſich Jimmy nannte und den Weg zu 


Stellen, wo Wafler zu finden war, weiter zeigte. Man verlieh - 


Youldeh am 24. März. Es ging num zunächſt 64 Miles 
oftfüdöftlich nadı Pylebung, wie ein von dem Eingeborenen 
mit vieler Kunſt im Thonerde angefertigtes Waſſerbaſſin 
hieß, und von da 30 Miles in derfelben Richtung nach White» 
gin, einem Kleinen Felfen mit wenig Waſſer. Faſt genau 
nordöftlich davon und 100 Miles von Pouldeh entfernt 
gelangte man zu einer intereffanten Aushöhlung, Wynbring 
von Iimmm genannt, in einem mächtigen Granitfelfen, wel 
her 50 Fuß hoch war und 3 Acres Yand bebedie. 

Ude dieje genannten Orte lagen im bichteften Serub, 
und dabei lagerte das tobte Unterholz fo mafjenhaft, daß das 
Fortlommen ımit großen Scwierigfeiten verbunden war. 

In Wynbring verabicdhiedete ſich der Eingeborene. Er 
weigerte fich weiter mitzugehen, weil barliber hinaus die Welt 
ein Ende habe, oder, wie er fi) ausdrüdte: „Von hier ab 
ift nichts, gar nichts.“ Giles und Genoffen waren aber 
anderer Meinung und traten die Weiterreife an, erkannten 
jedoch ſehr bald, dag der Eingeborene nicht fo ganz Unrecht 
batte, Sie geriethen nämlich in eine ganz erichrerfliche 
Dornenmwüfte hinein, wie fie ſchlimmer nicht gedacht werden 
laun, und die 220 Miles andauerte. Diejelbe theilte ſich 
gewiffermaßen durch einen offenen Strich Land von 30 Miles 
Weite in zwei Wüften. Im der weftlichen, die dichter be 
wachſen war, und melde Giles die Richard Defert bes 
nannte, konnte man fich wenigitens noch ſpärlich Waſſer aus 
einigen Löchern in Felſen und in Thonerde verſchaffen. Aber 
dies hörte im der Öftlichen, weldje dem Keifenden Roß fo 
viel Elend bereitet hatte und die Giles daher Roß Defert 
taufte, gänzlich auf. 

Tag für Tag hatte man unter bremnender Sonnenhige 
mähtige Sandhügel zu Überfchreiten und ſich durch Serub 
und Spinifer hindurchzuarbeiten. Die drei Pferde erlagen 
bald dem Durfte und den Anftrengungen und ohne die Ka— 
meele hätten die Reifenden daſſelbe Schickſal theilen millſſen. 
Zu ihrem Glüde fanden fie zur Zeit, als die Waflerfäde 
völlig leer geworden, ein Thonloch auf, aus welchem die 
Kameele getränft und die Säde wieder angefüllt werden 
fonnten, Die Entfernung von Wynbring bis zu diefem Thon- 
loche betrug 220 Miles und man war damit aus der Wifte 
heraus, Man hatte diefe lange Strede, trog aller Schwie- 

rigleiten, doch in acht Tagen zurüdgelegt. Eile that Noth. 


343 


Das Forttommen wurde jegt leichter. Man berührte 
den Rand des Yale Torrens und traf am 14. April bei 
Finniß Springs am leberlandtelegraphen ein. 

Giles Tann fic nicht rUhmend genug über feine Kamcele 
ausfprechen, welche dev Gefellfchaft das Yeben retleten. „Es 
find wunderbare Geſchöpfe,“ ſchreibt er, „und ich habe nie 
in meinen Leben Gott für irgend etwas inniger gedankt und 
gepriefen, al$ gerade für diefe Thiere,* 

Weideland wurde natürlich nicht aufgefunden, wie über: 
haupt fein Yand, welches irgendwie Gulturzweden bienen 
fünnte, 

* ” * 

Giles kehrte num wieder im die angeſiedelten Diftricte 
zurüd, allein fein Forſchungsgeiſt ließ ihm feine Ruhe, Es 
befeelt ihn ein Lieblingsgedanfe, der ihm nie verläßt und an 
deſſen Ausführung er fein Leben gejegt hat. Es ift dies bie 
Bereifung des unbefannten Weftens, welcher fid) zwijchen 
den Golonien Cüdauftralien und Wejtauftralien in großer 
Breite ausdehnt. Wir wiffen, dag Oberſt Warburton 
diefe terra incognita im Jahre 1874 zwar durchkreuzte, 
aber hoc) oben amı Dafover River, dem Hungertode nahe, 
anlangte. Wir wiflen ferner, daß John Forreft ehr bald 
darauf von Weftauftralien aus dieſe geflirdhteten Yänder- 
fireden am 26, Breitengrade entlang paſſirte. Beide Rei: 
jende wollten eine füdlichere Richtung innehalten; allein die 
gewaltigen Schwierigkeiten, weldye fi} vor ihnen aufthlirms 
ten, trieben fie höher hinauf. Giles hat ſich nun zur Auf: 
gabe geftellt, diefe große Reife in dev Richtung zwifchen 29° 
und 30° ſudl. Br. auszuführen. 

Erfreulicherweife ift fein Gönner, der öfters erwähnte 
Mr. Thomas Elder in Adelaide, ein hochherziger Mann. 
Er intereffirt ſich nicht bloß für gute Weidepläge, ſondern, 
als wahrer Mäcenas, dient er der Wiſſenſchaft, wie er oft 
genug bewiefen (jo fchenkte er an die in Adelaide zu griin- 
dende Univerjität 20,000 Pf. St.), mit feinen reichen Schätzen 
willig und gern, 

Durch die Yiberalität des Mr. Elder ift es unferm Giles 
möglich geworben, die große Weftreife anzutreten. Elder hat 
die Koſten der vollftändigften Ausrliſtung auf fic genommen. 

Giles verließ am 23. Mai diefes Jahres in der Bes 
gleitung von Jeſſe Young und T. Tietfins, zwei mit 
dem Bujchleben wohl vertrauten Herren, Port Augufta in 
320 30* füdl. Br. und 137940’ weit, L. v. Gr. Er führte, 
geftägt auf frlihere Erfahrung, nur Kameele mit fich, welche 
von zwei Afghanen und einem ſchwarzen Knaben bedient 
werben. 

Man zog zumäcft mad) Norden bis zum Elizabeth 
Greek, welcer auf der Weftfeite des Lale Torrens einmiln- 
det, und von da weſtlich nach dem Yale Gairdner, in dei: 
fen Nähe ſich genügend Waſſer vorfand. Hinter diefem See 
ging es aber los, deun man fiel in die große Dormwälte ein, 
welche unfern Giles auf der letzten Neife fo jehr geplagt 
hatte, Um dariiber zur Gewißheit zu gelangen, ob beun 
dieſe Wuſte überall gleich erbärmlic und werthlos fei, follte 
Giles diefelbe zunüchſt mod) einmal bis Youldeh bereifen, nur 
dabei eine andere Tour nehmen als früher. 

Aber die Wilfte war überall gleich ſchrecklich. Die Rei 
fenden hatten es bloß mit hohen Sandhügeln, mit dichtem 
Serub und mit ftacheligem Spinifer zu thun, und Wafjer war 
außerordentlich jelten und fpärlih. Nur in der Mitte der 
MWiüfte ftiegen fie auf einen Felſen, wo es genügend Wafler 
für die Sameele gab. Zwei diefer Thiere mußten giftige 
Pilanzen gefrefien haben und erkrankten zum Schreden der 
Sefellichaft, als man 70 Miles vom legten Waſſer entfernt 
war; glüdlicherweife aber curirte fie der Treiber durch 


344 " 


Medicamente in zwei Tagen, während welcher man ruhen 
mußte. 

an war froh, endlich Youldeh — in 27 Tagen von 
Elizabeth Creel ab — erreicht zu haben. „So eine Sorte 
Gegend wlinfcden wir nie wieder zu fehen,* ſchreibt Mr. 
Young an Thomas Eider. 

Es galt nun, nad) Norden oder Nordweiten zu einen 
geeigneten Ort aufzufuchen, wo fic) ein Depöt einrichten ließe, 
von welchem aus dann weiter nad) Welten recognofeirt were 
den konnte. Mit diefer Aufgabe wurden Young und Tiet⸗ 
fins in Begleitung des ſchwarzen Knaben betraut und fie 
reuffirten über alle Erwartung. Es wurden in der denkbar 
ſchönſten Gegend, bebedt mit herrlichem Graswuchſe und 
unzähligen Immortellen, zwei Heine Weiher, welche die Um: 
gegend drainirten und in demen ſich gutes, trinfbares Waf- 
fer befand, emtdedt. Der eine lag 80 Miles nördlid) und 
der andere 100 Miles norbnordweftlid) von Youldeh ent: 
fernt. Den legtern nannten die Eingeborenen, welche man 
dort antraf und die fehr zugänglich waren, Oldabinna. 

Giles war Über dieſes glinftige Reſultat nicht wenig erfreut 
und beſchloß, ehe ev von da aus weiter vorrlidte, den Mr, 


Die 


Albin Kohn: Die Mongolen. 


Elder von diefem glücklichen Anfang zu benachrichtigen. Dies 
geſchah und Briefe, zugleich mit den Sammlungen, weldye 
man bisher angelegt hatte, wurden in die zunächſt liegende 
Anſiedelung der Colonie Südauftralien zurlickgeſchickt, um 
nad) Adelaide befördert zu werden. In der botanifchen 
Sammlung, welche ſich bereits im ben Händen des Botas 
niferd Dr. v. Mitller in Melbourne befindet, jollen meh: 
rere ganz neue Arten enthalten fein. 

Giles wollte in den erſten Tagen des Monat Auguft 
nad) Westen zu vorrliden. Wir dirfen wohl mit Sicherheit 
auf ein Gelingen diefer großen Reife gefaßt fein. Giles, 
Noung und Tiettins find ausgezeichnete Buſchleute, wie wes 
nige in ber Colonie; ihnen dienen Sfamecle „the mainstays 
of explorers* ; und was von befonderer Wichtigkeit ift, nad) 
der Menge Regen, welche gerade in diefem Jahre in Siib- 
auftralien gefallen ift, läßt fi wohl annehmen, daß and) 
biefelben Breitengrade nach Welten zu reichlid damit ver— 
fehen fein werden, In den erfien acht Dionaten diefes Jahres 
fielen ſchon über 22 Zoll, die größte Menge Regen, welche 
feit Gründung der Colonie, mit Ausnahme des Jahres 1851, 
beobachtet wurde. 


Mongolen 


Von Albin Kobn, 


In meinen Jugendjahren ſah ich in einer Kloſter⸗ 
firche ein Bild, das eine Schlacht zwiſchen ke Rit⸗ 
terp, wenn ich nicht irre waren es Volen, und ein on⸗ 
golihorde darſtellte, und es hat ſich die Tradition erhalten, 
dag die Kirche und das SHofter auf der Stelle ſtehen, auf 
welcher die Mongolen befiegt worden find, Es ift dies das 
Klofter Paradies, hart au ber Grenze der Mark. 

Ich hielt das Bild für eine Schöpfung der Phantafie 
des Malers, welcher es fic vielleicht zur Aufgabe geitellt 
hatte, eine Hiftorische Thatſache durch den Pinſel zu verewis 
gen, dem es ſich jedoch) nicht um diarafteriftifche Treue 
der dargeftellten Typen handelte. Die Phyfiognomien 
der fümpfenden Mongolen, ihre Bewaffnung, ihre Kleidung, 
prägten jic meinem Geifte ein und verlofchen nie wieder, 
Als ich im Winter 1866 in der Gegend von Nifchnylldynet 
im fernen Oftfibivien, tief in Pelze gehlillt, gen Often fuhr, 
da flogen plöglich auf leichtem Schlitten GSeftalten an mir 
vorllber, die mir wie die Geifter derer erfchienen, weldye ich 
in meiner Jugend im Kampfe mit ftahlbepanzerten europäi- 
ſchen Rittern bildlich dargeftellt gefehen hatte. Ich traute 
meinen Augen kaum. Ein Schlitten voll diefer Erſcheinun⸗ 
gen flog hinter dem andern an uns vorliber, und ich konnte 
nic nicht enthalten, meinen in Folge der grimmigen Kälte 
maulfaulen „Sämfchtichyt* (Fuhrmann) zu fragen, was das 
zu bedeuten habe. „Eto Burjaty“ (das find Buriaten) 
war die furze Antwort. Der Maler hat alfo ein treues 
Bild derer hinterlaffen, welde Dfteuropa verwliſtet haben 
und ganz Europa in eine Steppe zu verwandeln gedachten, 
in der fie ihre Pferde, Rinder, Fettſchwanzſchafe und Ziegen 
hüten und fid) in wilder Unthätigkeit umhertummeln wollten. 

Etwas jpäter hatte ich Gelegenheit diefe Buriaten oder, wie 
fie hier der fibirifche Muffe aud) verkürzt nennt, „Bratskije“ 
in ihren Jurten und ihrer Steppe zu belauſchen, viele ihrer 


Sitten, Gewohnheiten, Tugenden und Untugenden, ihren 


Glauben und Aberglauben fennen zu lernen und mid) zu 
überzeugen, daß Rotted’s Prophezeiung, es können aus den 
Wihten und Steppen des fernen Aſiens neue Bölferftröme 
Europa Überfluthen und feine Civilifation bedrohen, jeglicher 
Bajis ermangelt und darum nie in Erfüllung gehen wird. 
Id) habe diefem Mongolenſtamme in meinem bei Otto Spas 
mer in Yeipzig gedrudten Werke (Sibirien und das Amurs 
* von Albin Kohn und Richard Andree, Abthl. I, 

. 67 u. f.) einen Nefrolog gewidmet, denn er ift durch ein 
unerbittliches Naturgefeg zum Ausiterben verdammt, da er 
für unfere Civilifation nicht gefchaffen ift, das Gute, das 
in ihr ift, nicht faßt und von ihren Auswüchfen, denen er ſich 
mit Leidenſchaftlichteit hingiebt, bahingerafft wird. 

Aus ich den Nekrolog der fibirifchen Buriaten ſchrieb, 
war ich immer noch der Anficht, daß fie nur Verwandte, 
nicht aber leibliche Brüder der Mongolen find, welche 
jenſeits der ruſſiſchen Grenze in der Wüfte haufen und ein 
Nomabdenleben führen, das jeglicher Civilifation, jedem Fort · 
fchritte des menſchlichen Geiftes widerſtrebt. Es ſcheint, 
daß ich mich im dieſer Hinſicht geirrt habe, denn Stabscapi⸗ 
tän Prſchewalski, der, glüdlicher als ich, die Mongolen in 
ihrer eigentlichen Heimath, in der Wilfte, beobachten konnte, 
giebt eine Schilderung von ihnen, weldye ganz der meinen 
gleicht, trogdem er, wie er fagt, den eigentlichen, urwildhfigen 
und unvermifchten Mongolenftamım der „Chaldas“ zu 
feinem Bilde figen läßt. Es dürfte dem freunde ethnogras 
phiſcher Schilderungen angenehm fein, die nähere Belannt- 
ſchaft des echten Mongolen, wie ihn Prſchewalsli beichreibt, 
zu machen. Er giebt folgende Schilderung des Chalchas⸗ 
Mongolen. 

Ein breites, flaches Geſicht mit hervorragenden Baden» 
fnochen, eine Blattnafe, Heine, ſchmal aufgejchligte Augen, 


Albin Kohn: Die Mongolen. 


ein ediger Schädel, große, vom Kopfe abftehende Ohren, 
ſchwarzes, hartes Haar, das im Barte fehr fparfam wächft, 
dunkle, fonnverbrannte Hast, endlich ein gedrungener fernis 
ger Körperbau von mäßiger, oft aber aud) mehr als mäßis 
ger Größe, — dieſes find die äußeren charalteriſtiſchen Merk- 
male jedes Chaldyas. 

In anderen Öegenden der Wüfte, fagt Herr Prſchewalski, 
haben die Mongolen bei Weiten nicht die Neinheit des Nas 
contypus, wie in der Chaldya, bewahrt. Der äußere, fremb- 
ländifche Einfluß hat ſich vor allem ſtark im füdöftlichen 
Theile der Mongolei geoffenbart, der feit ſehr lange mit 
China grenzt. Und wenn das Wanderlchen des Nomaden 
ſich ſchwer mit den Culturbedingungen eines anfähfigen Bolfs« 
ſtammes vereinigen läßt, jo haben es doch die Chineſen im 
Laufe von Dahrhunderten vermocht, auf einem oder dem an- 
dern Wege ihren Einfluß auf die wilden Nachbarn in einem 
foldyen Grade auszuüben, daß die Mongolen jegt ſchon in 
den Gegenden, melde unmittelbar an der großen Mauer 
liegen, halb dyinefirt find. Es ift wahr, daß der Mongole, 
nit feltenen Ausnahmen, auch dort noch in feiner Filzjurte 
wohnt und feine Herde hltet; aber ſowohl durch fein Aeuße⸗ 
res als auch, und zwar im einem noch höhern Grade, durd) 
feinen Charakter unterſcheidet er fich ſchon jehr ſtark von 
feinem nördlichen Yandsmanne und ähnelt weit mehr einem 
Chinefen. Das rohe, flache Geſicht Hat ſich bei ihm, im 
Folge der häufigen ehelichen Verbindungen mit Chinefinnen, 
in die vegelmäßigere Phyſiognomie des Chinefen umgewau— 
beit, und in feiner Kleidung und häuslichen Einrichtung hält 
es der Nomade für Eleganz und Würde, wenn er den chine— 
ſiſchen Ton nachahmt. Selbſt der Charakter des Nomaden 
ift hier ſehr ftark verändert: ihm lodt durchaus nicht mehr 
die wilde Wüfte jo am, wie die dichtbevölferten Städte Chis 
nas, in denen er ſchon mit den Bequemlichkeiten und Ber 
gulgungen eines civilifirtern Lebens Bekanutſchaft gemacht 
hat, Aber indem die Mongolen mit ihrer Bergangenpeit 
brechen und ſich im Chinefen umwandeln, nehmen fie von 
ihren Nachbarn ausſchließlich die ſchlechten Charaktereigen- 
ihaften an, bewahren aber dabei die fchlechten Eigenſchaften 
ihres jrühern Lebens. Cie werden ſchließlich Ausgeburten 
werden, welche der chineſiſche Einfluß demoralifirt, aber nicht 
auf einen höhern Standpunkt erhoben hat. 

Wie die Chinefen vafiren auch die Mongolen ihren 
Kopf, wobei fie im Genicke foviel Haare ftchen laffen ala 
nothwendig find, um ausihnen eine fange Flechte zu machen. 
Die Yamas rajiren aber den ganzen Kopf, wozu jowohl fie 
als aud) der Yaienmongote ſich chineſiſcher Meſſer bedienen, 
nachdem jie vorher das Haar, um es zu erweichen, mit war— 
men Waſſer anfeuchten. Bärte und Schnauzbärte tragen 
weber Lama noch Yaie; fie wachfen ihnen auch jehr ſchlecht. 
Die Sitte, Flechten zu tragen, ift von den Mandſchuren nad) 
China verpflanzt worden, als fie gegen die Mitte des ſechs— 
zehnten Jahrhunderts das Himmiliſche Neid) eroberten. Seit 
diefer Zeit wird die Flechte al ein Zeichen der Unterwürſig— 
feit unter die Dynaſtie Da-tſyn betrachtet, und dieſen 
Schmuck müſſen alle (?) China unterworfenen Völler tragen, 

Die Mongolinnen rafiren ihr Haar nicht, jondern mas 
hen aus ihm zwei ‚Flechten, welche fie mit Bändern, Korals 
len oder Slasperlen verzieren, und vor zu beiden Seiten 
der Bruft tragen. Die verheiratheten Frauen tragen häu— 
fig nur eine Flechte und laſſen fie dann hinten herabhängen, 
Das Haar belegen fie mit filbernen Blechen und rothen Ro: 
tallen, welche bei den Mongolen fehr hoch geichägt werden. 
Dei den ärmeren Mongolinnen vertreten Glasperlen bie 
echten Korallen; die Bleche aber werden gewöhnlich aus Sil 
ber, jelten nur aus Kupfer gefertigt, Ein folder Bug wird 
auf dem Obertheil der Stirn gelegt. 

Globus XXVIN, Nr. 22. 


345 


den Obren zwei große filberne Ohrringe, am den Fingern 
Ringe und an den Armen Armbänder getragen. 

Die Kleidung des Mongolen befteht in einem langen, 
fchlafrofähnlichen Rode, der gewöhnlic, aus blauem chiueſi— 
ſchen Baummollftoffe gefertigt iſt, chinefifchen Stiefeln und 
einen niebrigen Hute, deſſen Krämpe nad) oben gebogen ift. 
Hemden und Umnterfleider tragen die Nomaden gewöhnlich 
nicht. Im Winter ziehen fie warnte Beinkleider und Schaf- 
pelze an, und ben Kopf bebeden fie mit einer warmen 
Müge Der Eleganz wegen werden die Sommerlleider 
häufig aus chineſiſchem Seidenſtoffe gefertigt. Außerdem 
tragen bie Beamten noch Abzeichen ihrer Würde. Sowohl 
der Sommerrod als auch der Pelz find immer meittelft 
eines Gurtels in der Taille umbunden, an weldem ent- 
weder an der Geite oder hinten die flir einen Mongolen 
unentbehrlichen Gegenftände, der mit Tabak gefüllte Beus 
tel, bie Pfeife und der Feuerſtahl, hängen. Außerdem haben 
die Chaldyas immer noch eine Doje mit Schnupftabad zwi— 
fchen Leib und Oberrod fteden, denn das Anbieten eimer 
Prife gehört zum erften Bewillfommmen des Gaſtes. Der 
Hauptjtolz des Nomaden befteht in feinem Neitzeuge, das 
oft mit Silber verziert. iſt. 

Das Kleid der Frauen ift von einem etwas andern 
Schnitte als das der Männer, und fie tragen es ohne Glir—⸗ 
tel; dafiir haben fie aber einen kurzen Ueberwurf ohne Aer— 
mel. Uebrigens ift die Kleidung und die Friſur des Haars 
beim fchönen Geſchlechte in dem verichiedenen Theilen ber 
Mongolei verſchieden. 

Die allgemeine Wohnung des Mongolen ift die Filzjurte, 
„Gyr“, welde auch in allen Gegenden der Mongolei ganz 


"gleich ift. Dede Jurte ift rund, mit einem conifchen Dadhe, 


in weldem ſich eine Deffuung befindet, die gleichzeitig als 
Rauchfang und Fenfter dient, Das Gerippe zu diefer Yurte 
wird aus Stangen gemacht, welche größtentheils aus ben 
waldigen Gegenden von Chalcha geholt werden. Die Stan- 
gen werden oben zufammengebunden, dann fo ausgefpreizt, 
daß fie einen Kaum von 4 bis 5 Meter Durchmeſſer ums 
fchließen, ferner noch mit Yeinen mit einander verbunden und 
endlich mit Filz bededt. Nur die Stangen, welche den Eins 
gang bilden, werden nicht mit Leinen mit einander verbunden. 
An eine derfelben wird eine Thür befeftigt, die gegen einen 
Meter hoch und faft eben fo breit ift. Die Höhe der Yurte 
beträgt immer gegen 1'/, Meter. 

Ueber die Wände und die Thür werben Stangen gelegt, 
deren dünne Enden mittelft Schleifen an die Wände befeftigt 
werden. Das freie Ende diefer Stangen wird in die Löcher 
eines Freisförmig gebogenen Neifes geftedt. Diefer etwa 
einen Meter hohe und 11/, Meter im Durchmeſſer haltende 
Segel dient als Obertheil der Yurte, d. h. als deren Rand) 
fang und Fenſter. 

Erſt nachdem das ganze Gerüſt der Jurte aufgeftellt ift, 
wird es mit Filzdecken umfleidet, die im Winter verdoppelt 
werden. Auch die Thür und der Kamin werden mit Filz: 
beten belegt und dann ift die funftlofe Wohnung fertig. 
Im Innern und zwar im der Mitte diefer Wohnung befin: 
bet jich der Herd; gegenliber ber Thliv werden die Heiligen: 
bilder („Burhany“) und neben ihnen die verſchiedenen 
Schätze aufgeftellt, Rings um den Herd, auf dem den gan— 
zen Tag hindurd) das Feuer micht erlifcht, werden Filzdeden 
ansgebreitet, welche zum Sigen und Schlafen dienen. In 
ben Jurten der Reichen werden hierzu, Statt Filzdeden, theure 
Zeppiche verwendet. Außerdem werden auch die Wände der 
Jurte des Reichen, befonders aber der Fitrften, mit Baummoll« 
oder Seidenftoffen behängt und in diefen pflegt auch ein Bretter 
fußboden zu fein. ir das wenig verinderlice Leben des 


Außerdem werben in ; Nomaden ift die Jurte eine durch Nichts zu erſetzende Woh— 


44 


346 


nung. Man Tann fie fchnell auseinander nehmen und in 
eine andere Gegend trandportiren, und fie gewährt bei alle 
dem Hinlänglichen Schutz gegen Kälte und Unwetter. Wenn 
das Feuer auf dem Herde brennt, iftes im Innern der Jurte, 
ſelbſt während fehr ftarfer Fröſte, hinlänglic; warn. Flir 
die Nacht wird der Kamin mit Filzdecken zugededt und das 
Feuer ausgelöſcht. Dann ift zwar in der Jurte feine befonders 
hohe Temperatur, aber fie ift immer noch höher als im Sol⸗ 
datenzelte. Im Sommer fügt die Filzdecke einer ſolchen 
Wohnung die Inſaſſen volftändig gegen die Hitze, ja felbft 
gegen bie heftigften Regen. 

Im gewöhnlichen Yeben der Mongolen fällt dem Reifen: 
ben vor allen Dingen ihre unbegrenzte Unreinlichkeit auf. 
Während feines ganzen Lebens wälcht der Nomade nicht ein 
Mat feinen Körper; ſehr felten, und auch diefes nur auss 
nahmsweife, wäſcht fic, einer Hände und Geficht. In Folge 
bes beftändigen Schmuges wimmelt die Kleidung der No- 
maden von Ungeziefer, das fie, ohne ſich durch die Gegen- 
wart eines fremden ftören zu laffen, tödten. Man kann 
alle Augenblicde jehen, wie ein Mongole, manchmal auch ein 
Beamter oder wohl gar ein angefehener Lama, fein Kleid 
oder feinen Pelz umkehrt, die zubringlichen Infecten fängt 
und fogleich mit dem Tode beftraft, indem er fie auf feinen 
Borbderzähnen zerdrüdt. 

Die Unreinlichkeit und der Schmutz, in welden die No: 
maden leben, find theilweife von der Scheu vor dem Waſſer 
und jeglicher Feuchtigkeit bedingt. Nicht genug, daß der No— 
made um feinen Preis durch ein Gewüſſer geht, in dem man 
fi) faum den Fuß naß machen kann, er vermeidet auch aufs 
Aengſtlichſte feine Yurte in der Nähe eines feuchten Ortes, 
3. B. einer Duelle, eines Baches oder Sumpfes, zu erbauen. 
Die Feuchtigkeit Ubt auf ihn einen ebenfo verderblichen Eins 
fluß aus, wie auf das Kameel, was nur durch die Augewöh- 
nung des Organismus an ein trodenes Klima erflärt wer— 
ben fan. Der Mongole trinkt auch nie ungefochtes, kaltes 
Waſſer, fondern erfegt e8 immer durch ein aus Ziegelthee 
gelochtes Getränt. Diefe Waare erhalten die Mongolen 
von den Chinefen, umd fie haben ſich fo leidenſchaftlich an 
fie gewöhnt, baf ohne biefelbe fein Nomabe, fei es Mann 
ober Fran, auch nur einige Tage leben kann. Während des 

anzen Tages, vom frühen Morgen bis zum fpäten Abend, 
Mehr der Keſſel auf dem Herde, und die ganze Familie trinkt 
ohme Unterlaß Thee, und bewirthet damit vor allen Dingen 
jeden Gaft. 

Die Zubereitung des Thees findet In der efelhafteften 
Weife ftatt: das Gefäß, ein gußeiferner Keffel, in welchem 
man den Nectar braut, wird mie einer Reinigung unterzogen, 
felten nur wird das Innere mit trodenem „Argall*, 
d. h. mit Ererementen vom Rinde oder Pferde, ausgerieben. 
Zum Kochen wird gewöhnlich; Salzwafler genommen, und 
wenn man ſolches nicht hat, wird das gewöhnliche Waſſer 
während des Kochens gefalzen, Nun wird der Ziegelthee 
mit eimem Meſſer gefrlimelt oder in einer Stampfe zer 
ftoßen, und eine Handvoll diefes Pulvers ins kochende Waf: 
fer geworfen, dem nod) einige Taſſen Milch zugefetzt wer: 
den. Um den Ziegelthee, der hart wie Stein ift, zu erwei— 
hen, wird er vor feiner Verwendung während einiger 
Minuten auf heißen „Argall“ gelegt, wodurch er weder an 
Geſchmack noch an Aroma gewinnt. Num ift er zum Ser— 
viren fertig. So zubereitet dient der Thee jedoch nur als 
GSetränf, ungefähr wie bei uns der Kaffee oder die Chocos 
lade, oder aud) wie ein fühlendes Getränf. Um aus ihm 
eine gehaltvollere Nahrung zu machen, ſchuttet der Mongole 
in fein Schliffelchen mit Thee eine Handvoll geröfteter Hirſe 
und legt, um die Delicateffe vollftändig zu machen, ein Stüd 
Butter oder rohen Kurdjulfettes (von der Fetidrüſe, welche 


Albin Kohn: Die Mongolen. 


das mongolifche Schaf an der Schwanzwurzel entwidelt) 
dazu. Diefes wird dem Lefer einen Begriff über das Elel— 
hafte der Speifen geben, weldye die Mongolen in unglaub: 
licher Menge vertilgen. Im Yaufe des Tages genießen fie 
zehn, ja funfzehn Schüſſelchen ſolchen Thees, deren jede den 
Inhalt unferes Glaſes hat; dieſes ift jelbit für eine junge 
mongolifche Dame etwas ganz Gewöhnlidyes; die erwachlenen 
Männer genießen doppelt fo viel. Man ißt und trinkt 
Übrigens den ganzen Tag, wenn es jeden beliebt, da bei den 
Mongolen feine beſtimmte Zeit für die Mittagstafel jeftge- 
fett ift. Hierbei ift noch zu bemerken, daß das Schüffeldyen, 
aus dem die Nomaden ihren Thee trinken oder effen, perſön— 
liches Eigenthum deſſen ift, ber ſich deffelben bedient, Auch 
diejes Gefäß wird mie gewafchen, fondern nach dem Gebrauche 
ausgeleft und dann in den Bufen geftedt, wo ganze 
Schwärme Umgeziefers Haufen. Die Schliſſelchen dienen auch 
häufig zum Prunk, und man findet beim Reichen filberne 
von chineſiſcher Arbeit. 

Neben dem Thee bildet die Milch in verfchiedener Form 
die beftändige Nahrung bes Mongolen; aus ihr werden But- 
ter, Schaum, „Arefa* und Kumys bereitet. Schaum wird 
aus füßer Milch bereitet, die man über gelindem Feuer focht; 
fpäter läßt man fie fich fegen, um fie hierauf, nachdem man 
die Sahne abgejcöpft hat, zu trodnen. Um den Gefchmad 
zu erhöhen, wird diefem Gebräue häufig geröftete Hirfe hin— 
zugelegt. (Diefer „Schaum“ ift wohl das, was die Buria- 
ten in der Steppe von Dajogst „Burdjuf* nennen und das 
id) an anderen Orten befchrieben habe.) Die „Area“ wird 
aus faurer Milch, von welcher die Sahne abgejcöpft wurde, 
bereitet und ift etwas dem Quarke Aehnliches. Aus ihr 
fabricitt man den „Arell*, eine Art Heiner, trodener Käſe— 
ftiddhen. Der Kumys, mongoliſch „Taraſunn“, wird 
aus Stuten- oder Schafmild) bereitet, Während des ganzen 
Sommers ift er das Hauptbewirtfungsmittel, fo daß die 
Mongolen ſich gegenfeitig unaufhörlid, befuchen, um den Ta- 
raſunn zu probiren, mit dem man fid) gewöhnlich benebelt. 
Alle Nomaden haben Übrigens eine große Borliebe für jpi« 
rituöfe Getränfe, obgleich die Truntjucht bei ihnen durchaus 
nicht ein fo allgemeines Yafter wie in civilifirten Gegenden 
ft. Schnaps erhalten die Mongolen von den Chinejen 
in China felbft, wohin fie mit den Slarawanen kommen, oder 
auch von chinefischen Srämern, weldye im Sommer durd) 
die ganze Mongolei ftreifen, um verfchiedene Waaren gegen 
Wolle, elle und Vieh untzutauſcheu. Diefer Handel bringt 
den Chinefen großen Gewinn, da fie die Waaren gewöhnlid) 
auf Credit geben und bei biefer Gelegenheit ungeheuere ‘Pros 
cente fordern, und obendrein die eingetaujchten Gegenftände 
zu ſehr niedrigen Preifen berechnen. 

Obgleich, wie wir gefehen haben, Thee und Milch wäh. 
rend ded ganzen Jahres die Hauptfpeifen der Mongolen bil- 
ben, fo haben fie doch, bejonders in Winter, eine wichtige 
Beifpeife zu ihnen. Es ift diefes das Hammelfleiſch, cin 
befonderer Lederbiſſen jedes Nomaden, jo daß er, wenn er 
eine Speife als jehr ſchmackhaft bezeichnen will, jagt: „So 
ſchmackhaft wie Hammelfleiih!* Das Schaf wird aber 
auch wie das Kamel zu den geheiligten Thieren gezählt. 
Uebrigens dienen alle Hausthiere als Embleme dev Würde, 
jo daß mit den vom Schafe, Pierde, Kameele hergeleiteten 
Eigenfchaftswörtern felbft einzelne Specien von Bflangen 
und Thieven bezeichnet werden. So wird beijpieldweile die 
Tfuja „Jama-artza“, die Ziegenartze, ber Weis 
„Chony-Schuljuſyn“ (etwa Schaf ⸗Korn) genannt. Der 
lederfte Theil des Schafes bleibt wohl der „Kurdjut® 
(die Fettdrüſe des Schwarzes), Die mongolifcen Schafe 
mäften fich, ſcheinbar fogar auf einer ſehr magern Weide, 
dermaßen, daß ihr ganzer Yeib mit einer Fetthlille von nahezu 


Nordenſtiöld's Erpedition nad) Novaja-Semlja und in den Bufen des Jeniſſeh. 


einem Zoll Dide umgeben wird. Je fetter aber das Thier 
ift, defto mehr entpricht e& dem Geſchmacke des Mongolen. 
Schr bezeichnend ift Übrigens die canmibalifche Art des 
Schlachtens der zum eigenen Bedarf beftimmten Schafe. 
Die Mongolen ſchlitzen dem Thiere den Bauch auf, fahren 
mit der Hand ind Innere, erfaffen das Herz und drücken 
es fo lange, bis das Thier verendet. Dom gefchladhteten 
Schafe geht Übrigens fein Broden verloren; felbft die Därme 
werden verbraudt. Sie werden ausgeleert und ohne vorher 
ausgewafchen zu werden mit Blut gefüllt. So werden fie 
num gefocht und als Würfte verjpeift. Man muß freilich 
einen Mongolenappetit und Mongolennerven befigen, um 
dieſe Würfichen zu genießen. 

Die Gefräßigfeit des Mongolen ift unglaublid;; er kann 
während eines Gelages nicht weniger als 5 Kilo Hammel« 
fleifch verzehren. Es finden fid) Gourmands, welche wäh— 
rend eines Tages einen genen Hammel mittlerer Größe 
verjpeifen! Während einer Keife ift ein Hammelviertel die 
gewöhnliche tägliche Portion für einen Menſchen; dabei wird 
noch öfonomifc, gelebt. Dafur aber ift der Mongole aud) 
im Stande, mehrere Tage ohne jegliche Speife zu leben; 
wenn er aber and Effen fommt, dann ift er aud), im wah» 
ren Sinne des Wortes, für fieben. 

Das Hammelfleiſch wird zum gewöhnlichen Berfpeifen 
immer nur gelocht; gebraten wird auf einem Spieße aus 
ſchließlich das Bruftftüd, welches ein Yederbiffen der Mon« 
golen ift. Wenn die Mongolen während des Winters auf 
Reifen find und das Fleiſch hart gefrorem ift, wird es halb 
roh genofien. Man fchmeidet zu diefem Behufe immer eine 
blinne, halbgelochte Fleiſchſchicht ab umd läßt das Uebrige 
meiter fochen. Im alle ber Eile aber legt der Nomade 
ein Stüd unter den Sattel des Kameels, auf weldem er 
die Reiſe macht, um es gegen ben Froſt terug Von 
bier wird nun das Fleiſch während des Marjches Kervor- 
gezogen und ohne Rüdjicht auf die an ihm Mebenden Kamel 
haare und den Geruch, den es angenommen hat, mit dem 
größten Appetite verzehrt. Die Schöpfenbrühe wird vor ben 
Nomaden wie Thee getrunken; mandmal wird etwas Hirfe 
ober in Nubeln geformter Teig hineingethan. Bor dem Eſſen, 
wenn die Schliffelchen jchon gefüllt find, werfen die Lamas 
und die Frommen aus der ärmern Volksclaffe Kleine Stüd- 
hen als Opfer ins Feuer, oder in Ermangelung des Feuers 
auf die Erde. Um von flüffiger Speife ein Opfer zu brins 


347° 


gen, wird der finger in biefelbe getaucht und dann abge: 
fchüttelt, ohne Rückſicht darauf, wohin die Tropfen fliegen, 

Die Mongolen nehmen alle ihre Speifen mit den Hänr 
den, um fie dem Munde zuzuführen, trogdem jene fr ges 
wöhnlic, ſehr ſchmutzig find. Das Fleiſch wird in großen 
Stüden in den Mund gebracht, fo viel, als eben in demfel- 
ben Plag ift, in ihn genommen und der Reft vor dem Munde 
mit einem Meffer abgefchnitten. Die Kunochen werben fo 
rein benagt, daß auch fein Fäferchen an ihnen verbleibt, ja 
einige werden fogar zerfchlagen, um das Mark herauszu- 
betommen. Das Sculterblatt vom Schafe wird, nachdem 
das Fleiſch verzehrt ift, immer zerbrochen; es ganz zu Laffen 
wird als ſchwere Sünde betradjtet *). 

Außer Hammelfleifh, das als bevorzugte Speife betrad;- 
tet wird, genießt der Mongole auch Ziegenfleiſch und Pferde» 
fleiſch. Seltener als diefes wird Rindfleifch und am feltens 
ften Kameelfleiſch gegefien. Die Lamas genießen fein Pferdes 
und Kameelfleiſch, aber weder fie noch aud) ihre Landsleute 
verachten das Fleiſch gefallener Thiere, befonders wenn fie 
etwas fett find. Brot kennen die Mongolen nicht, obgleich 
fie die chineſiſche Semmel nicht verachten; mandjmal baden 
fie jedod) zu Haufe Fladen und machen Nudeln aus Weizen: 
mehl. In der Nähe der fibirifchen Grenze efjen die Mons 
golen ſchon Roggenbrot; doc; weiter im Inmern der Mon— 
golei kennen fie es nicht umd die Mongolen, denen Capitän 
Prichewalsti Zwiebad aus Roggenbrot gegeben, fagten ger 
wöhnlich, nachdem fie ihn probirt hatten: „Gin foldyes 
Efien hat nichts Angenchmes an ſich; man Mappert bloß mit 
ben Zähnen.“ 

Fiſche und Vögel werben von den Mongolen, mit fehr 
wenigen Ausnahmen, nicht gegeilen; fie halten eine folche 
Speife für unrein. Ihr Efel geht jo weit, daß einft ein 
Fuhrer des Capitäns Pridjewalsti, als diefer auf dem See 
Kulu⸗ Nor eine Ente verzehrte, vor Ekel zu bredjen begann. 
Derfelbe Mongole ift in unglaublichem Schmuge aufgewach— 
fen, aß mit Gleichmuth Fleiſch von gefallenen Thieren und 
ungewaſchene Hammeldärme, umd doch fonnte er den Ans 
blid, daß ein Europäer eine Ente genoß, nicht ertragen. Das 
ift die Macht der Gewohnheit. 


*) Ebenfo balten ea bie Bewohner der Mark Brandenburg für 
unrecht, die Schalen ber vergehrten Gier gang zu laſſen: tas betrefs 
fende Huhn würde ja dann micht mehr legen! 


Nordenftiöld’8 Erpedition nah Novaja-Semlja und in den Bufen 
des Jeniſſey. 


A. K. Der Profeffor Nordenffiöld berichtet in einem 
Briefe (abgebrudt im „Journal de St. Peteröbourg*) an 
Herrn Oscar Didfon in Gothenburg Folgendes tiber feine 
Reife nad) Novaja-Semlja und in den Bufen bes Jeniſſey, 
welche er auf der Macht „Proeven“ ausgeführt hat: 

„Die Nacht „Proeven“ verließ am 8. Juni 1875 den 
Hafen von Tromſoe, remorquirt von einem Kleinen Dampfer; 
aber wibrige Winde zwangen uns fogleic, im Sunde zwifchen 
Carlſoe und Nennoe Unter zu werfen und wir mußlen hier 
fünf Tage verbleiben. Deshalb konnten wir erft am 14. 
Juni weiter reifen, um durch die Enge von Fugloe das hohe 
Meer zu erreichen. Am 17. umfcifften wir das Nordcap 
und fteuerten nun direct auf Novaja-Semlja. 


Während des Frühlings und im Anfange des Sommers 
it die Weftküfte diefer Doppelinfel bis zu einer gewiſſen 
Entfernung vom Lande mit einem Gürtel compacter Eis: 
maflen umgeben, im welchem faft nirgends ein Durchgang 
eriftirt. Später verfchwindet er jedoc und es bilden ſich, 
wie häufig gemachte Erfahrungen beweifen, ziemlich fruh 
zwei Paflagen. Diefe Löcher find dann nur mit einer bün- 
nen Schicht ſchwimmenden Eifes bededt und fie verbinden 
dann gegen Weften den Ocean mit dem offenen Wafler, das 
ſich längs der Küfte Hinzieht. ine diefer Paſſagen öffnet 
fid) gewöhnlich gegenüber dem „Matotſchkin-Schar“ (dev 
Meerenge, melde das „neue Land“ im zwei Infeln theilt), 
während fich die andere gewöhnlich auf der Höhe des Cap 

44* 


348 


„Sjewero-GufinnoiMig* (Mord-Gänfe-Cap) öffnet. Die 
erftere entfteht im folge der heftigen Strömung, weldje die 
Enge durchfließt. Ich wählte die zweite Pafjage, welche wir 
am 22, Juni durchjegelten, wobei wir nicht eben mit bedeu— 
tenden Schwierigkeiten zu lämpfen hatten, und wir warfen 
fieben Tage nad) unferer Abfahrt von Carlſoe an der Küſte 
von Novaja-Semlja in einer Heinen, wenig gefchligten Bucht 
unmittelbar im Norden des Gänfecaps Anter. 

Während der Durchfahrt fondirten wir, jo oft es das 
Wetter erlaubte, und ftellten Beobachtungen über das Thiers 
leben im Meere, iiber die Temperatur des Waflers in ver- 
ſchiedenen Tiefen u. ſ. w. an und hatten dabei Gelegenheit, 
uns zu überzeugen, da man im dieſen Gegenden fehr reiche 
und für die Naturwiſſenſchaft koftbare Gegenjtände finden 
fanıt. 

Nachdem wir zwei Tage an der bezeichneten Stelle gele- 
gen hatten, lichteten wir wieder die Anfer und ſteuerten gegen 
Nord, bei welcher Gelegenheit wir bald hier, bald dort, je 
nachdem und dev Ort günftig ſchien, anhielten. Vom 25. 
bis 28. Juni verweilten wir im der Kleinen Bucht von 
Karmafully, vom 2. bis 6. Yuli in der Bucht Beſi— 
miennaja (Namenlofe), vom 7, bis 13, Juli an verſchie— 
denen Punkten des Matotjhlin-Schar. Das Meer war 
nahezu frei von Eis; wenigftens war dies bis zu dieſem 
Punkte der Fall; aber im Norden des Matotjchlin - Schar, 
weldjes das Kariſche Meer mit dem zwifchen Novaja-Senlja 
und Spigbergen belegenen Theile des Ocean verbindet, zo— 
gen ſich Bänte hin, weldye ſich fait bis an die Hüfte erftred« 
ten; diefes zwang die Expedition, ihr Project, gegen Norden 
die Süfte entlang zu jahren, aufzugeben. 

Dagegen war das Eis im dem weftlichen Theile des 
Matotichlin-Schar gebrochen und wir glaubten anfangs in 
der Richtung nad) Often vordringen zu können. Nachdem 
wir im diefer Abſicht bis nad, Tſchiralina gefegelt waren, 
unternahm ich von hier aus eine Bootfahrt in das Innere, 
um das Eis dort zu unterfuchen. Während derfelben Zeit 
beftieg der Docent Yundftroem einen Berg, deſſen Höhe 
über 1000 Meter beträgt und von dem aus er die ſchönſte 
Fernſicht genof. 

Das Refultat unferer Unterfucdjungen war, daß wir con- 
jtatirten, daß der öftliche Theil der Meerenge von ununters 
brochenem Eiſe bededt ift, weldyes hinreichend did war, um 
noch lange dem Einfluffe des Nordpolſommers widerſtehen 
zu lönnen. Unter diefen Umftänden glaubte ich nicht warten | 
zu dürfen, bis ſich auch hier eine Durchfahrt eröffnete; da 
es mir unmöglich ſchien gegen Norden vorzudringen, beſchloß 
id) das Glid in einer andern Richtung zu probiren, durch 
die Karaſtraße oder durd) die Enge von Jugor in das Kara— 
meer zu dringen, indem ic) entweder die Nord: oder die Süd» 
füfte der großen Waigatfch-Infel entlang ſchiffte. 

Wir verliehen den Matotichlin- Schar am 13. Juli und 
gelangten am 25. in die Sfaraenge, nachdem wir vorher amt 
14, in der Stodda-Bucht, wo wir ſchöne Berfteinerungen aus 
der Yuraformation fanden, Anker geworfen und ebenfo am 
16. beim nördlichen Gänfevorgebirge, am 18. beim jitdlichen 
Gänfevorgebirge und am 21, beim Koftinny- Schar geantert 
hatten, 

Die Karaenge (Kariſche Straße) war durch Eis ver- 
ſchloſſen und der Wind, weldyer wehete, als wir hier anfa« 
men, war zu heftig, als daß wir daran hätten denfen können, 
irgendwo Unter zu werfen. Cs herrichte in diefen Gegen⸗ 
den vom 26. bie 30. Juli ein furdhtbarer Sturm und wir 
ſchätzten uns glücklich, an der Südfüfte der Waigatſch- Inſel 
eine Zuflucht zu finden. 


Am 26. Juli warfen wir gegeniiber dem Grebenyj— | 


Vorgebirge Anker. Der Sturm war fo heftig, daß wir erjt 





Nordenjtiöld’s Expedition nach Novaja-Semlja und in den Buſen des Jeniffey. 


am 30, Juli ein Boot ins Meer lafjen konnten, um auf die 
Infel zu gelangen, im deren unmittelbarer Nähe wir uns 
befanden. Wir machten auf Waigatſch eine reiche Ernte 
von Verfteinerungen der obern Silurſchicht, weldye ein gro= 
Ges Interefle für die ſchwediſchen Geologen hatten, da fie 
ſehr den Verfteinerungen von Gothland gleichen. Auf der 
Waigatic- Infel fanden wir das erjte Mal Sampojeden, 
welche beim Anblide unſers Fahrzeuges im ihren hohen, 
eigenthümlich geformten und mit 3 bis 4 Renthieren bes 
ſpannten Schlitten an die Küſte gefommen waren, Wir 
baten die Samojeden, als fie den Wunfch hierzu äußerten, 
mit uns an Bord zu fommen und nahmen fie hier fo gajt- 
freundlich wie möglich auf. 

Während unjers Aufenthaltes auf der Weſtſeite der Juſel 
Novaja-Semlja ftudirten wir mit allem Cifer die geolo— 
giichen, zoologiſchen, botanischen u. ſ. w. Berhältniffe dieſer 
Gegend, und viele unſerer Anhaltspunkte boten dem wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Stabe unſerer Expedition, Gelegenheit, reiche 
Materialien zu ſammeln, die vielleicht vollſtändiger find als 
diejenigen, welche irgend ein früherer Forſcher geſammelt hat. 

Indem wir beffered Wetter abwarteten, verblieben wir 
beftändig auf der Südjeite der Waigatſch-Inſel. Der Nord: 
oftwind hörte jedoch nicht auf mit großer Heftigfeit zu wehen 
und mußte, wie wir vermutheten, große Eismaſſen in den 
füdlichen Theil des Karameers treiben, fo daß uns für diefen 
Fall wenig Ausſichten verblieben, nod) in diefem Sommer 
weiter gegen Often vorzudringen. Ich entſchloß mid, trog- 
dem, das Unternehmen zu wagen, und wir verfuchten es am 
31. Juli, in die Enge von Jugor einzulaufen. Kaum war 
ven wir jedoch am Eingange derjelben, jo entjtand eine Wind: 
ftille, welche und wiederum nöthigte, Anker zu werfen. Dies 
ſes geſchah nicht weit von der Stelle, wo ſich während der 
Sommermonate eine große Anzahl von Kufjen und Samo— 
jeden aus Puftofcherst verfanmelt, um zu jagen und zu 
fiſchen. Die Norweger haben diefen Ort „die Stadt ber 
Samojeden“ benannt. 

Am folgenden Tage unterfuchte id) im Boote die Vers 
hältniffe der Meerenge und ordnete an, daß uns das Schiff 
folge, fobald dies möglidy fein wiirde. Erſt am 2. Auguft 
begann es die Reife und gelangte, Dank einer ſchwachen 
Briſe und jtarfen Strömung, an das andere Ufer der Meer: 
enge, wo ic; mein Zelt aufgeichlagen hatte. Ich begab mid) 
ſogleich an Bord und eine ftarfe Strömung trieb uns gegen 
das Karameer. Wir pafjirten giüdlich die Enge und bei 
unferm Einfaufen ins Karameer fanden wir es volllommen 
eiöfret. 

Wir ftenerten gegen die Mitte der Halbinfel, welche das 
Karameer vom Obigolf ſcheidet und die bei den Samojeden 
Jalmal heißt. Der Wind war beftändig ſehr ſchwach, was 
unfere Geduld auf eine fehr harte Probe fiellte, aber uns 
auch als Yohn hierfür erlaubte, unſere wiſſenſchaftlichen 
Unterfuchungen Uber das Yeben im Meere durch Fiſchen mit 
dem Schleppuetze fortzufegen, Unjere Nege verſchafften uns 
eine unerwartete Fülle der verſchiedenſten Meerthiere, von 
denen ich vorzüglich die riefigen Gattungen der Iſopoden, 
eine große Menge von Amphipoden, einen großen, ſchönen 
Alecto, Ophiceriden von ungewöhnlicher Größe, Ajteriden 
von ausgezeichneter Schönheit und Mollusten nenne, 

Bei diefer Gelegenheit muß der bemertenswerthe Um⸗ 
ftand angeführt werden, daß das Waller auf der Oberfläche 
des Meeres in diefer Gegend faft ganz füß üt, fo daß es 
tödtlich auf diejenigen Thiere wirkt, welde im geſalzenen 
Waller in der Tiefe des Oceaus leben. Deshalb ftarben 
and) die Thiere, welde wir von Boden des Meeres herauf: 
brachten, größtentheils, fobald wir fie in Wafler jegten, das 
von der Oberfläche geſchöpft war. 


Die „Hertha“ in den oftafiatiichen Gewäſſern. 


Wie wir es ſchon an dev Weftfüfte von Novaja-Senlja 
gethan, beftimmten wir aud) hier mit Hülfe der Thermo» 
meter von Negretti und Zambra, wie auch der Thermometer 
von Gafella die Temperatur des Meeres, nicht allein an 
feiner Oberfläche, ſondern and) in verſchiedenen Tiefen. Dieſe 
Beobachtungen haben uns ſehr intereflante Reſultate gelie— 
fert, welche für eine Menge Fragen in Betreff der Richtung 
der Meeresftrömungen in diefen Regionen, die bis jegt aus 
Mangel anderer Hilfsmittel hauptſächlich nad) der Tempe- 
ratur an der Oberfläche des Meeres erklärt werden mußten, 
entjcheidend fein werden. Zahlreiche Beobachtungen, welche 
id) längs der Weftflifte von Novaja-Senlja, vom Matotſch- 
fin: Schar bis an die Meerenge Yugor und von hier um 
das Cap Grebenyi bis zu 751/49 nördl. Br. und 82° öſtl. L., 
ferner noch bi® zur Mündung des Jeniſſey gemacht habe, 
haben mir unzweifelhafte Beweife dafür geliefert, daß bie 
Temperatur der Oberfläche diefes Meeres in Folge des Eins 
fluffes der Temperatur der Luft, des benachbarten Eifes und 
des hinzuftrömenden füßen und warmen Waflers des Ob 
und Jeniſſey fehr oft verändert wird. Die Temperatur bes 
Waſſers bis zu einer Tiefe von zehn Faden bleibt faſt ganz con- 
ftant zwifchen — 1° und 2° G, (Wenn man eine Flaſche mit 
Waſſer, das von der Oberfläche geſchöpft ift, bis zu dieſer 
Tiefe hinabläßt, jo gefriert e8 in der Flaſche.) Es eriftiren 
aljo in diefen Gegenden feine warmen Strömungen, weldye 
Einfluß auf die — — des Waſſers bis zu einer ge— 
wiſſen Tiefe haben könnten. Wir haben ſehr häufig mit 
Hilfe des ausgezeichneten und zu diefem Behufe vom Pro- 
feffor Elmann conftruirten Apparates Meine Quantitäten 
Waſſer aus der Tiefe herausgefhafft, und ich bin überzeugt, 
dag am Boden des Meeres die im Waſſer aufgelöfte Salz- 
menge conftant ift. Ich fonnte dies übrigens nad) meiner 
Rüdtehr mit Sicyerheit durch Analyfen des Waſſers feftftellen. 

Am 8. Auguft befuchten wir auf einige Stunden bie 
Norbweftfüfte der Halbinjel Jalmal, wo wir aftronomifdye 
Beftimmungen vornahmen, was wir übrigens ſchon häufig 
auf der Weftküfte von Novaja-Semlja und in der Meerenge 
Iugor gethan hatten, Wir bemerkten Fußtapfen von Men— 
ſchen, von denen einige barfuß gegangen waren, und fahen 
audı Spuren eines Schlittens. Am Ufer war aus Renthier-, 
Pholen · und anderen Knochen ein Altar errichtet. Auf dies 
ſem Knochenhaufen ftanden zwei aus Treibhol; grob aus- 
gehauerre Götterbilder, deren Augen und Mund ganz frijc) 
mit Blut beftrichen waren. Knochen von Renthieren und 
weißen Bären waren an Stöden, die mit Hafen verfehen 
waren, aufgehängt. Ganz nahe am Wltare befand ſich ein 
Herd, auf dem das Feuer unlängft erlofchen war, und das 
neben lag ein Haufen Reuthierknochen; deutliche Anzeichen 
eines Opferfeſtes. 


349 


Nach einigen auf dem Yande verbradjten Stunden jteuer- 
ten wir gegen Norden, bis id) au unermeßliche Eisbänte 
fam, durch welche nicht hindurch zu fommen war. Es war 
dies unter 75030" nördl. Br. und 70% 30° öftl. Y. Ic 
fegelte deshalb am Rande des Eiſes im der Richtung 
nad Dften und wendete mich endlich gegen das nördliche 
Ufer der Ieniffeymündung, wo wir am 15. Anguft unter 
Aufhiſſung der ſchwediſchen Flagge Anker warfen. Wir 
find alfo an ein Ziel gelangt, welches feit Jahrhunderten 
große Handelövölter vergebens angejtrebt haben. 

Als wir und dem Hafen näherten fahen wir einen Bär 
ren, weldjer an der Küfte in Geſellſchaft einiger Nenthiere 
weidete; er verlieh fie jedoch bald, um ſich im einiger Ent: 
fernung miederzulegen. Ehe wir noch die Anker geworfen 
hatten, landete Dr. Theal in einem Boote, um den Bären 
zu fchiegen. Er mäherte ſich ihm friecend, aber der Bär 
bemerkte ihm ſogleich und ſtürzte fich auf den Jäger. Gin 
Schuß aus einem Remington traf ihn in die Stirn, durch— 
drang jedoch nicht den Schädel, fondern ftreifte ihm nur der 
Fänge nad) zwifchen den Augen. Da kehrte der Bär um 
und ergriff die Flucht, wurde jedoch von einer zweiten Kugel 
getroffen, welche ihm die Yunge und den obern Theil des 
Herzens durchbohrte. 

Ich betrachte diefen Vorfall als eine gute Borbebeutung: 
ber Där hat während Yahrtaufenden hier als alleiniger Herr 
geherrfcht, jegt ſoll feine Herrſchaft in diefen Regionen enden, 
Man wird zahlreiche Schiffe diefe Gegenden befuchen fehen, 
weldye den Handel zwiſchen Europa und den unermeflichen 
Yandftrichen im Baſſin des Irtyſch, Ob und Jeniſſeh unter— 
halten werden.“ 

Nach dieſem lyriſchen Erguſſe, der wohl durch die ſchönen 
Erfolge, welche ein Ergebniß der nillhevollen Expedition 
waren, gerechtfertigt erſcheint, giebt Norbenjfiöld Einzelheiten 
von feiner Reife über Jeniſſeyek und das europäiſche Ruß-— 
land, um zu Lande nach Schweden zurüczufehren, während 
ber „Proeven“ nach Norwegen zurädfuhr. 

In einem zweiten, vertraulichern Briefe an Herrn Did: 
fon fagt er, daß er feine Reife als von auferordentlidyem 
Erfolge gekrönt betrachtet, da er in die Miindung des Jeniſ⸗ 
fey gelangt ift, wohin vor ihm große Erpebitionen, welche 
von Holländern, Engländern und Rufen ausgefendet worben 
find, nicht gelangen konnten, weil fie nicht die rechte Jahres- 
zeit zum Reifen im diefen Gegenden gewählt hatten. 

„Ich habe die innige Ueberzeugung,“ ſchließt Herr Nordens 
jtiöld, „daß jegt eine Hanbelsftrage geöffnet ift, deren Wichtig« 
feit ſich jeder leicht vorftellen fann, wenn er das Terrain 
betrachtet, das 'das Baſſin des Ob, Irtyſch, Jeniſſey und 
ihrer Nebenflüffe bildet.“ 


Die „Hertha* in den oftafiatifhen Gewäflern. 


Die von dem Hydrographifchen Bureau der faiferlichen 
Abniralität zu Berlin unter Dr. von Boguslamwsti’s 
Leitung heransgegebenen „Annalen der Hydrographie und 
maritimen Meteorologie“ *) haben ſich feit ihrem kurzen 
Beftehen (dev laufende Jahrgang ift ihr dritter) bedeutend 
gehoben und dem Geographen ſchon umentbehrlic, gemacht. 


*) In Gommiffien bei E. S. Mittler und Sohn. 
Hefte. Jahrlicher Pranumerationspreis 3 Mart, 


Jahrlich 12 


BVortrefflih und äußerft banfendwerth ift 3. B. die eben ge— 
troffene Einrichtung, größere zufammenhängende Aufnahmen 
fremder Marinen den deutichen Yeferm im Karte und Text 
vorzuführen, wie in Nro. 13 und 14: die Klein⸗Kei— 
Gruppe nad) den Aufnahmen ber königlich italienifchen 
Corvette „Vettor Pifani*; in Neo. 15 und 16: die 
ausgebehnten Arbeiten Ihrer Britiſchen Majeftät Schiff 
„Shearwater“ an den Kuüſten der Infel Sanfibar und 
denen des gegemüberliegenden Feſtlandes von der Panganis 


350 


Bay im Norden bis Nas Kimbidſchi im Süden, beide Ber 
fchreibungen von ſchönen, durch U. Welder gezeichneten 
Karten begleitet. Zu dieſen fremden Urbeiten gejellen fid) 
aber natlirlicher Weife aud) die Leiftungen deutſcher Schiffe, 
wie namentlic, die Tieffeeforfchungen der „Gazelle“ im 
Atlantifhen Ocean, welche diejenigen des „Challenger“ in 
erwänfchter Weife ergänzen, die demnächſt erfcheinende Auf: 
nahme ber Kerguelen-Infel im füdlichen Indifchen Ocean 
durch dafjelbe Schiff, welches die deutſchen Gelehrten zur 
Beobachtung des Venusdurchgangs am 9. December 1874 
dorthin gebracht hatte. Bejonders reiche Beiträge zur 
Meeres und Kliſtenlunde liefern ſodann die in den oftafia- 
tifchen Gewählern ftationirten und ſich dafelbft einander ablö- 
fenden Schiffe, wie die „Arcona*, die „Ariadne“, die 
„Hertha, Letztere Hatte unter dem Befehle des Corvetten« 
capitänd Knorr am 28. October 1874 den Kieler Hafen 
verlaffen, um die „Arcona“ auf der oftafiatifchen Station 
abzulöfen. Die Reiſe über Madeira, Rio de Janeiro, Cap 
der Guten Hoffnung und die Sunbaftraße bis Singapore, 
wo fie am 11. März d. 9. eintraf, bot nichts, was hier 
hervorzuheben wäre, Während des Aufenthaltes in letzterm 
Hafen beſuchte Capitän Knorr am 18. ag © auf Einlas 
dung des unabhängigen mohammedaniſchen Maharadichah 
von Johor (oder Dſchohor?), deffen Verkehr mit dem rufe 
ſiſchen Naturforfher Miklucho-Maklai wir unlängft 
(S. 189) gefchildert haben, mit der „Hertha“ diefen vier 
Stunden von Singapore gelegenen Hafen am gleichnamigen 
Fluſſe, welcher für den deutfchen Handel von zunehmender 
Wichligleit geworden ift, und erfreute ſich nicht nur dort 
einer jehr zuvorlommenden Aufnahme von Seiten des Sul: 
tans, fondern erhielt auch von biefem den Europäern zuge: 
thanen Herrfcher einige Tage fpäter einen Gegenbeſuch. 

Am 25. März fegte „Hertha“ ihre Reife über den 
SulusArhipel und die Philippinen nach Honglong 
fort. Unterwegs wurden einige Pläge angelaufen und meh— 
tere nicht umwichtige und neue Nachrichten geſammelt, bie 
eine weitere Verbreitung wohl verdienen. 

Vom 30. März bis zum 3. April hielt ſich „Hertha“ 
bei Labuan auf, einer Meinen Infel in 5° 16’ nördl. Br. 
und 115915’ öftl. ®, an der Norbwetliifte von Borneo, 
welche ſich in engliſchem Beſitze befindet, und deren Haupt- 

wed darin befteht, als Gefängnigort fir nicht europäifche 

erbrecher aus den Colonien von Honglong und Singapore 
zu dienen. Un dem Nordende der Infel find Kohlengruben 
vorhanden, deren Ausbeute jedoch nad) den 1872 von 
der „Nymphe* dort eingezogenen Erkundigungen früher 
bebeutender als heutigen Tages gewefen fein Er Fremde 
Schiffe können wenigſtens dort nicht ſicher auf Verſorgung 
mit Kohlen rechnen, wie „Hertha“ ſelbſt erfuhr; zudem 
fehlt es an dem nöthigen Einrichtungen zur Heranfchaffung 
und zum Cinnehmen dieſes Feuerungsmaterials. Die 
an ber Husgiebigkeit jener Lager entitandenen Zweifel 
haben das Wachsthum der Colonie und ihren wirthfchafts 
lichen Auffhwung gehemmt; und ohne diefen hat der Ort 
feine Bedeutung, weder für dem Verkehr noch auch für die 
englische Regierung. Selbft Wafjer und Proviant find in 
dem Hafen, welcher natürlich zufolge der bei den Engländern 
fo beliebten Dlannigfaltigteit bei Namengebung „Victoria“ 
heißt, nur in fehr geringen Mengen vorhanden, 

Bon Labuan aus fegelte die „Hertha“ durd) die Balä- 
bac-Straße in die Sulu · See zwiſchen Borneo und den Philip- 
pinen, anferte in dem Hafen von Sandälan und blieb 
bort vom 11. bis 14. April, Diefer Hafen liegt an ber 
in die Nordofttüfte Borneos einfchneidenden , gleichnamigen 
Bucht, welche einige Aehnlichteit mit der von Rio de Janeiro 
hat, und bildet eine unter engliſchem Schuß ftehende Nieders 


Die „Hertha“ in den oftafiatiichen Gewällern. 


laſſung, welde an die Eingeborenen leichte Baumwollen— 
ftoffe und Waffen verhandelt, Das Yand felbft gehört dem 
Sultan von Sulu, deſſen Anerbieten, ſich unter preußiſchen— 
Schutz ftellen zu wollen, im Jahre 1867 fo viel unnöthige 
Aufregung verurfachte. 

Die Infel Sultı felbft, die Hanptinfel des nad} ihr be- 
nannten Ardjipels und Sig des Sultans, der augenblidlid) 
mit den Spaniern in Krieg ſich befindet, fonnte wegen der 
Blodade der Infel durch das fpanifche Geſchwader nicht be- 
ſucht werden, wohl aber die Pangutarang-Öruppe 
deſſelben Archipels, niedrige, dicht bewaldete Infeln, von 
denen eine, Tubigan, näher umterfucht wurde, um ſich über 
das PVorhandenfein von Trinkwaſſer und von einem dort 
angegebenen Flügchen Gewißheit zu verfchaffen. Die ſich 
auf die ganze Küfte und genligend landeinmwärts erftredende 
Unterſuchung ber flachen Koralleninfel, deren Umgebung 
abgelothet wurde, ergab die Grundloſigleit jener Nachricht. 
Die deutfchen Offiziere fanden dagegen überall bei den von 
den Eingebovenen bei Annäherung ber Boote verlaffenen 
Hlitten Heine, in die Erde gegrabene Löcher, weldye, als 
Eifternen dienend, ihren geringen Borrath an Trinf- (Negen-) 
Waſſer enthielten. Da die ganze malahiſche Bevölferung 
in das Didicht geflohen war, konnte fein Verkehr mit ihnen 
ftattfinden, 

Bon dort ging es nach der ſpaniſchen Stadt Ifabela 
auf der Inſel Bafilan, welde, an bem füdlicden Ausgange 
der Meeresenge zwiſchen Bafilan und Malamavi gelegen, 
Sig des Gouverneurs der Infel umd feit dem Sriege gegen 
Sulu der füblichfte Stationsort der ſpaniſchen Flotte bei den 
Philippinen ift. Ihre Yage an dem welligen Weftabhange der 
nur 180 Meter hohen, aber dichtbewaldeten Hligel, deven dunk- 
les Grin nur in der Nähe des Ortes hier und ba von hels 
leren Lichtungen und gelblichen Kofospalmen unterbrochen 
wird, zu beiden Eeiten eines ziemlich jteil abfallenden tiefen 
Thaleinichnittes, gewährt ein recht anmuthiges Bid, Das 
Flügen Paſanhan ergießt ſich mit buchtartig erweiterter 
Mündung aus dem Thale in die Meerenge, derem feichte 
Barre aber die Einfahrt verbietet. 

Die umgefähr 5000 bis 6000 Seelen betragende ma» 
layiſche und chinefifche Bevölferung lebt zwar nur in Bam⸗ 
bushüitten, welche, ſoweit fie der erftern gehören, der mas 
layifchen Sitte gemäß, möglichft nahe dem Wafjer oder auch 
in demfelben ftehen, jo daß fie von ber Fluth beſpült und 
gereinigt werben; doch verräth die bei den meisten derſelben 
bemerfbare größere Sorgfalt des Baues einen gewiſſen Grad 
von Wohlſtand. 

Die eingefchloffene Lage des Hafens ſchützt ihn zwar 
gegen jeden Seegang; da aber auch der Wind abgehalten 
wird, jo war für die „Hertha“ der Aufenthalt daſelbſt bei 
nur 30° E. im Schatten ein durch die Schwüle ſehr er 
ſchlaffender, und fie vertaufchte ihm nach jechstägigem Aufent: 
halte gern mit dem auf ber offenern Nhede von Jam 
boanga, weldes auf der Sübweftipige der nur halb in 
ſpaniſchem Befige befindlichen großen Inſel Mindanao 
liegt. Proviant ift dort reichlich zu Haben; dod; bedarf man 
zum Schlachten von Hornvieh, ebenſo wie in Iſabela, der 
Erlaubniß des Gouvernements. Auch Waſſer ift in jeder 
Menge aus den von den Bergen durch die Stadt geleiteten 
Flußchen zu erlangen; doc muß es, da es am Tage zum 
Wafchen und Baden benutzt wird, des Nachts zwiſchen 
Mitternacht und 5 Uhr Morgens geholt werden. Da es 
außerdem beſonders mach Negenglifien viele pflanzliche und 
erdige Beimengungen enthält, jo it ein Filtern des Waſſers 
vor dem Gebrauch jowohl aus gefundheitlichen Rüchkſichten 
als aud um die Wafferfaften rein zu halten zu empfehlen. 

Bon hier ging es durch die Mindoro-See in das Cen- 


Aus allen Erbtbeifen. 


351 


trum des Philippinen⸗Archipels nad) der Stadt Zebu auf | vorgegangen, bilden einen großen unb wichtigen Bevölferunge« 


der gleichnamigen Infel, wo ber erſte Weltumfegler, Fer: 
nando Magelhaeus, am 27. April 1521 bald nad) fei« 
ner Yandung im Kampfe für den ihm befreundeten Fürſten 
von Zebu gegen deſſen Feinde fiel. Auf dem Ende einer ind 
Meer vorjpringenden Yandzunge bezeichnet ein weithin ficht: 
bares, großes Dental von weißem Stein die Stelle, wo er 
fein thatenreiches Yeben beſchloß. (Vgl. „Globus“ XXVII, S. 
362, wo der Beſuch des „Challenger* in Zebu gejchildert ift.) 

Die Stadt Zebu ift die ältefte der Philippinen und Liegt 
auf einer weiten, gut bebauten und durch zahlreiche Anpflans 
zumgen geſchmlickten Ebene, am Fuße des fich durch die ganze 
Yänge der Infel (120 Seemeilen) hinziehenden Höhenrüdens, 
und zwar ungefähr in der Mitte ihrer nordſüdlichen Er— 
ftredung und etwas ſüdlich von ihrer breiteften Stelle 
(15 Seemeilen), Trog ber hier herrſchenden großen Hige wird 
der Aufenthalt im Folge der trodenen Umgebung als recht 
gejund gelobt. Die Stadt it Sit eines einen Theil der 
ſudlichen Philippinen umfaflenden ſpaniſchen Gouvernements 
und zugleic; Marineftationgort. 

Die hauptſächlich malayische und chineſiſche Bevölkerung 
der fehr ausgedehnten Stadt zählt gegen 30,000 Seelen 
(der „Challenger“ giebt ihr 35,000); die Meftigen, aus 
Verbindungen der Weißen und Chinefen mit Malayen her: 


theil, weıl ſich in ihren Händen der eigentliche Wohlftand 
der Infel befindet, während die Kaufhäuſer der Weißen und 
Chineſen ihre Chefs im Auslande haben. Die Hltten der 
armen und meift vom Fiſchfange lebenden Malayen bilden 
am Strande ben weftlichen Theil der Stadt, während hin- 
ter denfelben, weiter landeinwärts, wie in den übrigen Rice 
tungen, gute Straßen mit maffiven Häufern und Gärten 
zahlreicher angetroffen werben. Die Stadt befigt ferner eine 
fehr jchöne, geräumige Caferne, mehrere große Pläge, zwei 
große, fchöne Kirchen und ein Lazareth. Der am Hafen 
gelegene Stadttheil ift hauptfächlic dem Handel gewidmet, 
der demjenigen von Ilo-Jlo gleichgeachtet und nur von 
dem von Manila übertroffen wird. 

Die Ausfuhr befteht hauptiächlih aus Zuder, Flache, 
Tabad und dem Gewebe der Ananasfafer ; die Einfuhr er 
firedt ſich auf alle Art europäiſcher Artitel, Kohlen und 
Reis, An diefem Ort wurden nur vier Deutfche angetrofs 
fen, darunter ein Apotheler, wie überhaupt faft alle Apothe- 
fer auf den WBhilippinen (und auch in anderen Yändern, 
3. B. in Rußland) Deutſche fein follen. 

Am 7. Mai verließ „Hertha“ Zebu, trat ber Manila, 
wo fie vom 13. bis 17. Mai verweilte, die Weiterreife nad) 
Honglong an und ging dort am 27. Mai vor Anker. 


Aus allen Erdtheilen. 


Die Rordfahrt der „Bandora” und Nachrichten von der 
englifhen Morbpolerpebition. 


As wir in Nr. 14 unferer Zeitſchrift unferen Lefern die 
Nachrichten mittbeilten, welche dad Begleitſchiff „Valorond* 
von ber englifchen Norbpolerpebition zurüchbbrachte, nachdem 
es diefe am 17, Juli bei der Inſel Disco verlaflen hatte, 
glaubten wir von derjelben mindeftens bis zum nächlten 
Sommer Abichied nehmen zu müſſen. Der unerwartet frü— 
ben Nüdkchr des ebenfalls auf arktifche Entdeckungen aus: 
gefandten Schiffes ‚Pandora“ und dem Eifer feines Capi: 
täns, Mr. Allen Poung, danken wir es, went wir unſere 
Nachrichten bis zum 27. Juli vervollftändigen können und 
vor Allem die wichtige Thatſache erfahren, daß die Erpedi: 
tion die von allen Schiffen fo gefürchtete Melville-Bay glüd: 
lich paſſirt und jenjeit der Carey-Inſeln, fo weit dad Auge 
reicht, offenes Meer vor fich hatte. 

Wie befannt, hatte Pady Franklin, die Wittive des be: 
rühmten Scefahrers, bis zu ihren Tode troß mehrfacher 
mißglüdter Verſuche die Hoffnung nicht aufgegeben, Papiere 
und andere Neliquien ihres Mannes aufzufinden, und fo 
war es ihr noch zuleßt durch die Unterſtützung des vermö— 
genden, als arktiſcher Serfahrer bewährten Capitän Allen 
Monng und des wohlbelannten Herausgebers des ‚„Newyork 
Herald", Mr. James Bennett, gelungen, das Schiff „Pan: 
dora® von ber engliſchen Admiralität für ihre Zwecke zu er: 
werben. Sie jelbit erlebte das Auslaufen des Schiffes nicht 
mehr, aber Gavitän Moung, der in Energie und unermüdli— 
dem Intereſſe für das Schidjat Fraullin's ihr würdiger 
Nachfolger geworden ift, vollendete die Ausrüſtung und übers 
nahm jelbit das Commando der „Bandora*, die am 26. Juni 
Portsmonth verlieh. Er fegelte an der weftlichen Küſte Grön- 
lands ohne alle Schwierigkeiten die Baffins-Bay hinauf bis 
zu den Carey Infeln, auf denen, wie verabredet, die englifche 
Norbpolerpedition fiir ibn und er fiir jene Briefe zurüd- 
lafien ſollte. Noung fand zwar drei Steinhanfen, wie fie in 
jenen Gegenden dazu dienen, die Stelle niedergelegter Briefe 


anzuzeigen; zwei davon rührten jedoch von Walfiſchfängern, 
einer von der „Nefolute* und „Aififtance* ans dem Jahre 
1560 ber. Da er fomit glaubte, daß die Ervedition durch 
Nebel oder Sturm verhindert geweſen fein müfle, dort zu 
landen, jeßte er feinen Weg nad feinem eigentlichen Ziele, 
dem King-Williams-Land, weitwärts dur den Lancafter: 
Sund und die Barrow:Strafe fort. Am 25. Auguft am Ein: 
gange ber Madftod:Bay ſahen fie die Jacht „Mary“, welche 
bier im Jahre 1850 von I. Roß verlaffen wurde, nachdem 
fie auf das Ufer gesogen war; fie war in ſehr gutem Zu— 
ftande und einige Heine Reparaturen würden nach Moung’s 
Anſicht genligen, fie wieder volllommen feetüchtig zu machen. 
Einen weit fchlimmern Anblid gewährte dagegen das danchen 
ftcehende „Nortbumberland-Honfe*, ein Provianthaus, das 
ebenfalls im Jahre 1850 vom „Nortb;Star* (Capitän Sau: 
ders) errichtet worden war; es war von Eisbären attaquirt 
worden, die auf entſetzliche Weile in den aufgefpeicherten 
Vorräthen gehauſt hatten und mit dem, was fie nicht ver: 
schren fonnten, ihr Spiel getrieben zu haben ſchienen. Alles 
war in der größten Verwirrung durdjeinander geworfen, bie 
Zengftoffe, Strümpfe sc. zerzauft und zerriffen; dabei war 
Schnee in das Innere gedrungen, der dann im Sommer 
geichmolzen war, wm wiederum im Winter zu Eis zu ges 
frieren, fo daß fich im Laufe der Fahre eine vier Fuß hobe 
Eisſchicht gebildet hatte, die den ganzen Boden bededte. 
Houng lieh, was noch brauchbar war, gefalzenes Fleiſch 
Mehl und Zucker jowie mehrere Kiften mit Zeug, die, weil 
fie mit eifernen Reifen beichlagen waren, der Zerftörung 
entgingen, wieder in Orbuung bringen und das Haus ver- 
wahren und febte, nachdem von der ganzen Scenerie Photo: 
praphien und Skizzen aufgenommen waren, feinen Weg fild: 
lich durch die Peel-Straße fort. Mehrfach wurde er hier 
von diderm Eife nur vorübergehend aufgehalten, aber am 
13. Auguſt fette bei der Roquette-Inſel undurcdringliches 
Padeis, das auer über die ganze Straße von Küfte zu Küfte 
eine felfenfefte Mafle bildete, dem weitern Vorbringen ein 
Biel. Schweren Herzens, nicht mehr weit von dem Punkte, 


352 


wo er fiher Spuren von Franklin zu finden hoffte, mußte 
fih Pong zur Umkehr entſchließen, ald das Eis am 3. Sep: 
tember unter dem Einfluffe eines ftarfen Südwindes nach 
Norden zu rüden begann; er binterlich auf der Inſel unter 
einem Steinbanfen einen Bericht feiner Fahrt und jegelte 
auf demſelben Wege, den er gekommen war, wieder heim: 
wärts. Auf der Rückkehr unterlieh er es jedoch nicht, noch 
einmal die Carey-Inſeln anzulaufen, um fie einer abermali: 
gen genanen Prüfung zu unterziehen, und diesmal gelang 
es dem Scharfe Auge des Lieutenant Lillinafton, auf der 
pie von SouthEaft-Fsland unter einem Steinhaufen eine 
Zinnbüchſe zu finden, die die gefuchten Briefe enthielt. Die 
an die englische Admiralität gerichtete Depeiche des Capitän 
Nares von der „Alert“ lautet folgendermaßen: 

ot. Maj. Schiff „Mlert" bei den Carey-Inſeln, 

27. Juli 1875, 

„Mert” und „Discovery* find um Mitternacht hier an: 
gekommen und werden um 6 Uhr Morgens nach dem Smith: 
Sund aufbrechen, nachdem ein Depot von Lebensmitteln und 
ein Boot zurüdgelaffen find. Wir verliehen Upernavit am 
Abend des 22. und die Brown-Inſeln am 23, c. Nachdem 
wir das mittlere Eis während einer Windftille palfirt hat: 
ten, gelangten wir am 25. uach Cap Port, Die Saifon ift 
eine ſehr offene und wir haben alle Ausſicht, eine hohe Breite 
zu erreichen. An Bord beider Schiffe iſt Alles wohl. 

G. ©. Nares, Capitän der königl. Marine, als 
Commandenr der Erpebition." 

Weitere Briefe des Capitän Markham beftätigen in glei: 
der Weile die außerordentlich günftigen Eisverhältniſſe. So 
weit das Auge reiche, jei die Fahrt frei; die Temperatur des 
Waſſers fei eine verhältnißmäßig ſehr hohe und bis jett ſei 
noch fein Treibeis gefehen, das dider als 12 Zoll wäre; 
kurz, die Hoffnungen feien die beten, direct bis zum Mord: 
vol vorzudringen. 

Wenn nun auch diefe Hoffnung etwas fangwinifch fein 
dürfte, fo beftätigen doch allerdings die Erfahrungen Young's, 
der Gegenden erreichte, in die vor ihm nur das Schiff Me. 
GElintod’8 vorgedrungen ift, ald auch die Nachrichten von der 
engliichen Expedition einen außergewöhnlich milden Winter, 
und wir haben allen Grund, der hoffentlich glüdlichen Nid: 
lehr der legtern mit Spannung entgegenzufeben. 





Huldigung auf den Fidfchi-Infeln. 

j Der erfte Gouverneur der num engliſchen Colonie des 
Fidichi-Archipeld, Sir Arthur Gordon, traf am 25. Juni 
dieſes Jahres anf dem Kriegsſchiffe „Bear“, Commodore 
Goodenough, von Sydney aus in Levufa, Juſel Ovalau, ein, 
wo er von den Europäern ſowohl wie von den Eingebore: 
mer mit Auszeichnung empfangen wurde, Und intereffirt 
befonders die öffentliche Vorftellung des Erfönigs Kaloban 
oder, wie er jetst heißt, des Vuni Valu, welche am 29,-Zuli 
ftattfand. 

Um Mittag zogen Levuka- und Ban-Eingeborene, ein 
Feder eine Gabe Mans) in ihren Händen haltend, im Gänfe 
marſche vor dem Gouvernenr vorüber und riefen ibm dabei 
ihren ehrfurchtsvollen Gruß: dun woh! dua woh! zu. Den 
Schluß des Zuges bildeten zwölf Anserwählte, in weiße 
tapa (Baummollzeug) gefleidet und mit Blumengewinden ge- 
ſchmiickt, welche drei mächtige Schildkröten bitter fich ber: 


Aus allen Erbtheilen. 


Haufen aufgeftapelt waren, gelegt. Hierauf erfchien der Vuni 
Valu in einfachen Nationalcoftim vor dem Gouverneur, gefolgt 
von feinem mata ober Herold, welcher eine Magonamwurzef 
trug, das Symbol der Freundfchaft, des Friedens und der 
Unterwürfigfeit. Der alte Herr, deffen Haupthaar zwar bie 
Maiern, von denen er gleich zu Anfang beimgefucht wor: 
den war, völlig aebleicht hatten, ſah doch ſonſt auffällig wohl 
aus. Es begleiteten ihn feine beiden Söhne Ratu Abel und 
Ratu Joſeph, ſowie eine Anzabl von Häuptlingen. Indem 
er ſich dem Gouverneur näherte, legte er die Hand auf die 
Nagonawurzel und ſprach mit lauter Stimme: „Dies iſt 
unsere Gabe an Dich, Gouverneur; wir find beute froh und 
glücklich. Dies ift unfere Gabe an Did, Gouverneur; möge 
Fidſchi glücklich ſein!“ Er brach dann ein Stiid von ber 
Magona ab und legte es in die Hand des Gouverneurs, 
Diefer antwortete mach Fidfchifitte: „Ich nehme es an; möge 
Fidſchi glücklich Fein.“ 

Der Gouverneur Ind hierauf den Vuni Valu mit Be- 
gleitung ein, ihm in die Negierungsgebände zu folgen. Nach 
einer kurzen Unterhaltung verabjchiedeten fie ih. Der Er: 
fönig bielt dann an die Eingeborenen, welche in der Anzahl 
von ungefähr fünfhundert verlammelt waren, folgende Anrede: 
„Hört mich an, JhrjPeute von gali vuka Levuka und gali 
vuka Bau! Der Gouverneur ift angelommen. Ich bin 
heute glitcltich, weil ich ihm gefeben habe. Seine Ankunft iſt 
zum Wohle von Fidſchi. hr werdet dem Geſetze zu gehor: 
chen haben. Geſetz ift ein gutes Ding, es ift Jedermanns 
Aufluchtsort. Vor dem Geſetze find Meine und große Leute 
gleich. Jeder von Euch ift verautwortlich für das, was er 
thut. Geborcht dem Gouverneur, denn er ift der Repräſen— 
tant der Königin. Unfere Herrſchaft iſt vorüber, fie ift an 
die Königin übergegangen. Ich bin glüdlich, daß der Gou— 
verneur bier iſt. Dies find meine Worte an Euch, Ihr Leute 
von Bau und Levuka.“ — Damit war der Borgang zu Ende 


* * 2 


— Das ſtatiſtiſche Büreau berichtet, daß im Monat 
Juli d. J. in dem Hafen von Neuyork 9262 Emigrauten 
eingetroffen ſind, darnuter 5152 männlichen und 4110 weib: 
lichen Geſchlechts. Im Monat Juli 1874 kamen 15,6% Ein— 
wanderer an, darunter 8648 männlichen und 6956 weiblichen 
Geſchlechts. Dies zeigt einen Ausfall in diefem Jahre von 
6672 Perſonen. 

— Die Beuölferung Berlins, welche 1675 10,000, 
1775 100,000 Seelen ſtark geweſen fein foll, bat fich nad 
abermals einem Jahrhundert wiederum auf das Zehnfache 
geſteigert. Denn mach amtlichen Aufichreibungen hatte fie 
ichon im Monat Auguſt 1875 unter Hinzurechnung der Strom: 
und Mititärbevölferung die Ziffer von einer Million über: 
ſchritten. 

— Aus Goondiwindi in der auſtraliſchen Colonie Queens⸗ 
fand, einem im Süden an der Grenze von Neuſüdwales ge: 
legenen Städtchen, wird berichtet, daß 25 Miles von bort die 
Maſernepidemie nunmehr auch unter den Eingeborenen aus: 
gebrochen fei und große Verheerungen unter den hülfloſen 
Geſchöpfen anrichte. 

— Im Hafen von Honolulu bat fih ein Schwarm rother 
Fiſche gezeigt, was ftets als Vorzeichen des Todes einer 
füniglichen Perſönlichkeit betrachtet wird. König Kalakaua 


zogen. Dieſe wurden daum zu den Mans, welche in einen | joll im Folge dieſes Aberglaubens wirklich ernftlich erkrankt fein. 
. Inbalt: F. Garnier's Schilderungen aus Minnan. V. (Mit ſechs Abbildungen.) — Erueſt Giles' neueſte Rei: 
fen im Auftralien. — Die Mongolen. Bon Albin Kohn. I. — Nordenſtiöld's Expedition nach Novaja-Senlja und 


in den Bufen des Jeniſſey. — Die „Hertba* in den oftafiatifchen Gewäflern. — Aus allen Erdtbeilen: Die Nordfahrt 
der „Pandora* und Nachrichten von der engliichen Norbpolerpedition. — Huldigung auf den Fidichi-Iufeln. — Verſchiede— 


nes. — (Schluß der Redaction 13, November 1375.) 





Netackur: Dr. R. Kiepert ın Berlin, ©. W. Lindenſtraße 15, II Tr. 


Trud und Verlag von Friedrich Bieweg und Sohn in Braunfihweig. 


Band XXVII. 


Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 





Begründet von Karl Audree. 
In Berbindung mit Fahmännern und Künſtlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 





Braunschweig 


Jährlich 2 Bände, Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Nummern. 


1875. 





Preis pro Band 12 Mark, Einzelne Nummern 50 Pf. 





F. Garnier’3 Schilderungen aus Yünnan. 


v1 


Nach zwei Ruhetagen in Turtutstie, der Station des 
Pater Leguilcher, machte fich die franzöſiſche Expedition wie⸗ 
der auf den Weg, nicht ohne den Pater mitzunehmen, welcher 
fid) nad} dem unglüdlichen Ausgange in Tarli feines Yebens 
dort nicht mehr ficher fühlte und mit rliärenden Worten von 
feiner Chriftengemeinde Abſchied nahm. Am 15. März 
befanden fie fich nach raſchem und anftcengendem Marche 
wieder auf kaiſerlich chineſiſchem Gebiete; der Widerſtand, 
welchen die mohammedanifce Zollwache dem Entweichen des 
ihr mohlbefannten Vaters entgegenfegen wollte, wurde mit 
Gewalt liberwunden. Folgenden Tages verliehen fie bie 
Straße, welche fie früher von Ma⸗ſchang hergeführt hatte 
und fchlugen dem geraden Weg nach Hong:pusfo ein, auf 
welcjenn fie bald dem Kleinen, aber gerade fehr belebten Fleden 
Tichangsfin erreichten. Die Behörden empfingen fie dort 
aufs Freundlichſte und wünſchten ihnen Glück zu ihrer Mid: 
fehr aus Tasli. Es war gerade Marft, zu dem von allen 
Seiten die Bergbewohner herabgeftiegen waren. Das hatte 
ein folches buntes Durcheinander hervorgebracht, daß man 
eine ganze Scafa verſchieden gefärbter, eigenthlimlicher Men: 
ſchen hätte zufammenftellen fünnen, von dem intelligent 
breinfchauenden, behenden chineſiſchen Tajchenfpieler an, 
welcher einen großen Menſchenhaufen um ſich verfammelte 
und mit feinen Späßen und Künſten unterhielt, bis zu den 
alten Weibern der Bergbewohner, welche trunken von Brannt: 
mein ihre Hanfgewebe zum Kaufe ansboten. 

Am folgenden Tage hatten die Franzoſen das gleiche 
S chaufpiel im Dorfe Kan⸗tſchu⸗iſe, welches 2500 Meter 

Globus XXVIII. Nr. 23. 


hoch auf dem andern Abhange des Gebirges liegt: Dort 
fpielten neben den Chinefen : und Min-tia Si-fansfsrauen 
mit ihren eigenthilmlichen Baretts, die mit filbernen Ketten 
und Troddeln verziert find, eine große Rolle, Bon da flie: 
gen fie in einem warmen und wohlangebauten Thale nad) 
Sen:o:fai hinab, wo der Flirft von Sche⸗lu-li (b. i. die 16 Fa— 
milien oder Tribus) vefidirt. So heißt der Yandftrich, deſſen 
Mittelpunft die Stadt Ta-yau-hien if. Der eingeborene 
Häuptling diefes Hien, Peng-tferyang, hatte bei Beginn des 
mohammebanifchen Aufltandes die Großen des Landes zit: 
fammenberufen, fie zum Widerftande angefeuert, Soldaten 
ausgehoben und die Aufftändifcyen auf Schritt und Tritt 
befämpft. Zwei Mal mußte er nad Sz'tſchwan flüchten; 
ftet3 aber nahm er den Kampf wieder auf, big der Sul: 
tan von Ta-li in einen jtillfchweigenden Waffenſtillſtand 
willigte, wodurch fir ihm ber Handelsverlehr mit Sy’ 
tſchwan fichergeftellt wurde, und andererſeits das Thal 
des Pe⸗ma⸗ho vor den Verwäflungen der Mohammedaner 
gefhigt war, Peng-tfespang felbft machte den Fremden 
feine Aufwartung, weil ihr Beſuch in Tasli als muthvolles 
Wageftüd angeſehen wurde, und biefelben obendrein faifer: 
liche Puſſe bei ſich führten. Die Häupter der Pandichaft 
wollten nun ihre Verdienſte um diefelbe während der Res 
bellion belohnt fehen, und da fie den Franzoſen Einfluß 
am Hofe zu Peling zutrauten, baten fie biefelben um 
glitige Protection. Pengstfe:yang unterfliigte diefe Bitte; 
während die einheimischen Chriften gleichfalls Garnier's 
Schutz anflehten: man wollte fie zu Beiträgen für Erhal- 
4 





wurde ihm micht fchwer, fie von dieſer Tare zu befreien. 

So jehr fie auch Peng-tferyang um längeres Bermeilen 
bat, damit fie ſich perſönlich von feiner trefflichen Verwal: 
tung und dem blühenden Zuftande der Stadt Überzeugen 
fönnten, fo verließen fie diejelbe doch am folgenden Morgen, 
durch zahlreiche Flintenfalven geehrt. Ueber einen Berg 
ging es hinliber zum Blauen Fluß, und noch am felben 


Yonnnnnnmnnhrt 


Am 3. April traf Garnier in Tung⸗tſchuan ein und 
beſchloß fofort, den Körper des Enticlafenen nad) fran- 
zöſiſchem Grund und Boden zu übertragen. Und das war 
bei der Schwere der chineſiſchen Särge, dem Zuſtande der 
Straßen und der gebirgigen Beſchaffenheit Münnans feine 
leichte Sache. Die chineſiſchen Behörden unterftügten ihn 
aber mit Rath und That, wie ſchon vorher den verftorbenen 
Commandanten und den bei ihm zuritdgebliebenen Mir. Jou— 
beit. Garnier jandte des⸗ 
halb als Zeichen feines Dan 
tes dem chineſiſchen General 
einen fleinen Lefaucheur-G a: 
rabiner, welcher diejem ſchon 
lange ausnchmend gefallen 
hatte, wofür der General, 
der gegen bie Mohammeba- 
ner zu Felde ftand, einige 
Tage fpäter einen höflichen 
Danfbrief und einen fchönen 
Nappen ald Gegengeſchenk 
ſchickte, ganz gegen feinen 
fonftigen Charakter, der mehr 
zum Nehmen als zum Ge: 
ben geneigt war und wenige 
Donate jpäter der Grund 
feiner Abjegung wurde. 

Das Grab de Lagrée's 
wurde alſo geöffnet, in ein 
Kenotaph verwandelt und 
mit einer framzöfifchen Inſchrift verjehen, und daun ver 
ließ die Expedition am 7. April Tungstfcduan, im Gans 
zen 14 Perfonen (5 Europäer, 9 Unnamiten :c.) jlarf, von 
denen die Hälfte am Fieber litt und auch der Reſt am 
Ende feiner Kräfte fi befand. Es galt zu eilen; denn 
die Megenzeit rlidte heran, die fie nicht mehr in den Ber- 
gen überrajchen durfte. Um bei Zeiten Sü-tfhau, den 
Anfangspunt der Schifffahrt auf dem Yang⸗tſe⸗kiang, zu er: 


%. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan. 


en Theaters und der Pagoden zwingen! Es | Tage erreichten fie Hong-pu-fo, wo fie von durchziehenden Sol- 


‚ daten vage Nachrichten Über die in Tungetichuan Zurlids 


| 


St:fan:Tupen in Kan⸗tſchu⸗tſe Münnau). 








Befeftigte Dörfer auf den Höhen. (Straße nad Lau-wa-tang). 


geliebenen einzogen, von denen manche trübe genug lauteten, 
aber durch andere bald Yigen geftraft wurden. Trotzdem 
beſchleunigte Garnier den Marſch und erhielt in Mong⸗ku 
die wirkliche Nachricht vom Tode feines Chefs, des Fregatten- 
capitäng Doudart be Lagree. Er war am 12. März 
feinem Lebggleiden erlegen. 


reihen, ließ Garnier mitunter die erfchöpften Annamiten 
auf Tragftühlen vorwärts fchaffen. 

Der Weg führte in nördlicher Richtung über ein Platcau, 
wo fie einer Karawane von Kaufleuten aus der Provinz 
Kiang-fi begegneten, deren Einwohner befanntlich die größ- 
ten Reifenden unter den Ghinefen find und die meijten 
großen Safthäufer in den Städten und auf den Yandftraßen 
unterhalten. | Den von dem Behörden von Zung-tihuan 
erlaffenen Befehlen gemäß 
mußten alle Mandarinen in 
den Markıfleden längs des 
Weges in den fremden bie 
Sale bes Kaifers und bie 
Sefandten eines befreunde: 
ten Volles chren. Leider 
tonnte aber Garnier ſich nicht 
entichließen, dieſer hohen 
Stellung gemäß feinen Auf: 
zug, fein Coſtüm u. ſ. w. 
einzurichten. Wie zuvor mar⸗ 
ſchirte er zu Fuße, meift 
dem großen Zuge weit vor« 
aus, da er behufs Herftel« 
lung feiner Reifelarte einen 
gleichmäßigen Schritt beibe: 
halten und alle Blaubereien 
und Zerftreuungen vermei« 
ben mußte. Incognito und 
allein durchzog er die Dörs 
fer, ſtets mehr mit Uhr und Compaß beſchäftigt, als mit 
den Ausbrücen der Neugier der Einwohner; während fein 
Pferd hinten die Ermübdeten trug und nur bei feierlichen 
Gelegenheiten von ihm beftiegen wurde. Das führte aber 
mandmal zu ergöglicen Bermechjelungen. 

So wartete am 8, April der Mandarin des Meinen 
Stäbthens Yesticyesfin, ein Offizier mit dem blauen Knopf, 
weit vor dem Orte auf die Ankunft des angemeldeten hohen 


; F. Garnier’s Schilderungen aus Yünnan. 355 


Gaftes. Bon einer zahlreichen Escorte umgeben harrte er 
zur Seite der Straße, während ber Gegenftand feiner Auf- 
merkfamfeiten nach feiner Gewohnheit der Karawane weit 
voraus geeilt war und froh, der läftigen Geremonien lebig 
zu fein, des Weges zu Fuß daher kam. Die Chinefen hielten 
ihn fie den Ouartiermadjer und wigelten und lachten weid- 
lich über fein bärtiges Geſicht und feinen fonderbaren, halb 
enropäifchen, halb chineſtſchen Aufputz. Der aber ging ruhig 
weiter und verſchwand bald in den Straßen des Städichens, 





während ber Mandarin immer weiter wartete und vergeblich 
die Träger und fonftigen Perfonen des inzwiſchen heran: 
gelommenen Zuges fragte, wo Nganstashen (fo latıtete Gars 
nier's chineſiſcher Name) ſich befände. Endlich kam Pater 
Vequilcher , welcher ihn durch Aufklärung des Sadjverhaltes 
im bie größte Beftürzung verfegte. Der Mandarin glaubte 
natürlich, der mächtige Fremde fei durch fein und feiner 
Leute Betragen aufs Tiefſte verlegt, und eilte Hals Über 
Kopf zu Garnier, um ihn durch Entfchuldigungen und Ge: 


Miau:tie von Ta-fivang. 


ſchenle zu verfühnen. Der lachte natürlich herzlich tiber die 
ganze Geichichte, umd der erfreute Mandarin begleitete am 
andern Morgen die Abreife der Karawane mit lintenfalven, 
welche diesmal ihre Adreſſe nicht verfehlten. 

Am 9, April wurde auf einer Fähre ber Ngiö-usnan 
überfchritten, am 10. wurden bei Dlastfausfu Yager von 
Torf und Anthracit paffirt und dann die große, nur 
von einigen Hugelletten unterbrocene Ebene von Tfdan- 
tuirg betreten. Im Nachtquartier, einem Heinen Dorfe, 


harrte cin niederer Mandarin ihrer Ankunft, ber von 
Tihan-tung dorthin gefchidt worden war. Dieſe Stabt 
ift der politische Hauptort von einer der drei Unterabthei⸗ 
lungen (Tau) der Provinz Yinnean, vom Zorng-Tau 
oder dem öftlichen Tau. Am 11. April hielten bie Fran— 
zofen dort ihren Einzug, herzlich von einem Unterbeamten 
empfangen, da der Gouverneur des Tau und ber nmädıft 
höhere Beamte (Fu) wegen eines Tobesfalles in ihren Far 
milien, wie es bei ben chimefifchen Beamten Sitte ift, auf 


45* 





N. Sarnier’s Schilderungen aus Yünnan. 


Schlucht des Hwang-fiang auf der Strafe nach Lau-wa⸗tang. 





Alterthümer aus Utah und Galifornien. 


längere Zeit ſich von den Gefchäften in das Privatleben 
zuräcgezogen Hatten. Beim Tode des Vaters ober ber 
Mutter dauert diefe Zurligezogenheit drei Jahre! 

Die Neugier und Zudringlichkeit der Menge wurde bier 
bald jo läftig, dak fie von dem Beamten eine Wade ſich 
ausbaten und das Ankleben einer polizeilicdien Bekanntma— 
chung, welche den Zutritt zu ihrem Haufe unterfagte, erwirkten. 

Tſchau⸗tung ift, wie alle chineſiſchen Städte von gleidyer 
Bedeutung, von einer rechteckigen Mauer mit Baftionen um- 
geben. Beträchtliche Vorſtädte fegten nach Norden, Often 
und Weften de an den betreffenden Thoren mundenden 
Strafen fort. Die Stadt war nie den Mohammedanern 
unterworfen, und ihre Einwohner find von einem glühenden 
Haſſe gegen jene befeelt. Als ihnen einmal ein Commans 
dant, der Anhänger Mohanmed’s war, von dem Faiferlichen 
General zugejchiet wurde, jagten fie denfelben trog feiner 
Betheuerungen, daß er treu zu Kaiſer und Neid) ftehe, zum 
Thore hinaus. Alle diefe Städte von Yünnan haben ein 
unabhängiges, felbftändiges Weſen, eine Folge der Blut 
mifchung dafelbft mit den Ureinwohnern, Scon die Anna- 
len der Mongolendynaftie gedenfen der Leute von Tſchau—⸗ 
tung, Tung⸗tſchuan und Usting, die damals zu Ende des dreir 
zehnten Jahrhunderts ſich jelbft verwaltende Fürſtenthlümer 
bildeten, welche jede Gelegenheit benugten, das od) des Vice» 
fönigs von Niünnan abzuſchütteln. 

In der Umgegend von Tjchaustung leben wilde Stämme, 
Namens HwansMiau, „gleichen Urſprungs mit den Miau- 
tſe. Die die Stadt umgebende Ebene ijt eine der größten, 
welche Garnier im der ganzen Provinz fah, und gut anges 
baut, namentlid; mit Mohn zur Opiumbereitung. Sie ift 
reich an Torfe und Anthracitlagern, leidet aber Waller 
mangel, ba die feinen fie ducchzichenden Bäche zu einer 
beftimmten Dahreszeit faft troden daliegen. Die Stadt ift 
eine der wichtigften Handelsftationen auf der Route zwiſchen 
Yünnan und dem übrigen China. Niefige Transporte roher 
Baumwolle, englifcher oder einheimifcer Baummollenzeuge 
und von Salz aus Sz'tſchwan kreuzen ſich dort mit den 
Metallen (befonderd Zinn und int) von Tung-tichwan, 
den Arzneiwaaren aus Weit-Nünnan und Nord» Tibet und 
den Neftern bes Infectet Coceus Sinensis, welches Wachs 
liefert. Diefes Thier erzeugt ſich auf einer Ligufterart in 
den Gebirgen Münnans und Sy-tihwans und wird dann 
auf andere geeignete Baumarten in wärmeren Gegenden 
verpflanzt, was mit großer Schnelligleit gefchehen muß, das 
mit die eben ausgekrochenen Thierchen unterwegs nicht ſter— 
ben. Sie werden in großen, mehrfach abgetheilten Körben 
transportirt, und ihre Träger legen dabei oft 30 bis 40 
BWegftunden hinter einander zurid, um nicht den Yohn ihrer 
Mühe einzubligen. 

Wenig nördlid, von Tichaustung verläßt man die Ebene 
und befindet ſich nach Ueberjchreitung einer niedrigen Hügel⸗ 
reihe am obern Ende eines engen, gewundenen Thales, das 
von allen Seiten von oft fpigen Kallbergen eingeſchloſſen 
wird, Zahlreiche Dörfer beleben den Thalgrund; andere 
liegen, wie unfer Bild es zeigt, auf den Höhen, von Zinnen« 
mauern eingefaßt. Die ganze Gegend ift mad) einander 


357 


von ben Manstje, den Mohammedanern, den Miaustfe, den 
Taiping, den Straßenräubern und den zu ihrem Schutze 
abgefandten faiferlihen Truppen geplündert worden. Uber 
trogdem und trog ber vielen Ruinen ringsum fcheint die 
Devölferung dicht zu fein, und der Verkehr ift lebhaft. Die 
Landſchaft wird immer wilder und romantiſcher; die Kalt 
felfen der Thalwände geftalten fi) zu weißen Nadeln und 
flarren, jo meit der Geſichtskreis reicht, gen Himmel; 
hier und da raufchen Wafferfälle herab und rufen auf den 
nadten Felswänden etwas Vegetation hervor, die aber mehr 
und mehr einen europäifchen Charakter annimmt. So zeige 
tem fich 3. B. Kirſch- und Apfelbäume Plötzlich verſchwin— 
bet der Bad), deſſen Yauf die Erpedition folgte; das Thal 
hat ein Ende, der Horizont erweitert fid: 600 Meter tiefer 
öffnet fich ein neues, breites und bewaldetes Thal, zu welchen 
eine in den Fels gehanene Treppe im Zidzad teil hinab» 
führt. Gier verließen die Neifenden das Blatcan von Nüinnan 
und ftiegen in die niedrigeren, warmen Wegionen des Yang— 
tjesGhebietes hinab, Am Fuße des jähen Abſtiegs bricht 
der Strom wieder jchäumend aus einer tiefen Höhle hervor 
und vereinigt fid) bald darauf mit einem großen, von Weiten 
fommenden Fluß. Noch am felben Abend erreichten jie 
Ta-kwang-hien, ein kleines, romantisch am Fluſſe (dem 
es feinen Namen giebt) gelegenes Städtchen, bejien Häufer 
ſich oberhalb und unterhalb feiner langen Hauptverkehrs— 
ftraße amphitheatraliich am Bergabhange hinziehen. Beim 
Mandarinen bes Ortes, der, obwohl Civilbeamter, doch für 
feine Berdienfte um Belimpfung der Rebellen den Soldaten: 
hut trug, fanden fie die zuvorfommendfte Aufnahme. 

Am 17. April ging es weiter, immer nad, Norden an 
Fluſſe hinab, bei Kwang-hosfi Über eine ſchwankende, von 
ftarten Eiſenletlen getragene Gängebrlide, die erfte diefer 
Urt, weldje fie in China Überſchritten. 

Miansrtfe bewohnen die Berge zu beiden Seiten. In 
großer Höhe über dem Wege fieht man auf den überhän— 
genden Felſen ihre trefflich betellten Felder und begreift 
nicht, wie der Pflug dorthin gefchafft werden fann, 

Bald darauf fällt von Often her ein großer Strom, vicls 
leicht die Hauptader des ganzen Flußgebietes, in den Tas 
fwang- Fluß; er lommt von Sin-faistfe herab, deſſen Silber- 
bleiminen in ganz China berühmt find. Bor dem Kriege 
befchäftigten die dortigen Pumpwerke allein 1200 Arbeiter. 
Am 20. Aprit langte die Expedition in Yaurwartang ar, 
einem Meinen Städtchen mit viel Handel und einer großen 
Hängebrüide, wo der Fluß fchiffbar wird und die aus P)lins 
nan fommenden Metalle eingejchifft werden. Die leichten 
Waaren ziehen den Landweg nad) Süstfcau, dem Yang- 
tſe⸗Hafen, vor, weil auf dem Fluſſe ein mehrmaliges Ums 
laden erforderlich it. Dort ſchiffte ſich auch unfere Exper 
bition in einer großen Barfe ein, welde von den Chineſen 
mit geoßer Gefchidlichkeit durch die Stromſchnellen gejtenert 
wurde In zwei Stunden gelangten jie jo nach Pusölstu, 
wo Garnier mit einigen Begleitern wieder aus Yand fticg, 
um einen kurzen Seitenabftecher zu dem apoftolifhen Vicar 
von Yünnan zu machen, während die Uebrigen mit dem Ger 
päde die Flußreiſe fortfegten. 


Alterthümer aus Utah und Ealifornien. 


In der erften Iluftration geben wir Abbildungen einer 
Anzahl Pfeiljpigen von Fenerftein und Obfidian, welche der 
Franzoſe 8. Simonin theils in Utah, theils in Californien 


gefunden und dem archäologiſchen Muſeum in St. Germain 
en Laye übergeben hat. Als er von Great-Salt-Fale-City 
nad, Weften zum Ufer des Salzjees wanderte, ftieß er halbs 


358 Alterthümer aus Utah und Galifornien. 


wegs anf einen Tumulus, der ihn zur nähern Unterſuchung | worden und wurde ihm don einem Indianeragenten zuvor 
anveizte. Als er den Sand wegicdarrte, fand er aud) bald | kommender Weife nach Paris nachgeſchickt. Ein zweites 
Pfeilfpigen aus Kieſel, Carneol und Obfidian, calcinirte | Eremplar, ebenfalls mit Reibefeule, 'weldyes fich im Befige 
Thierknochenſplitter, Refte von Mufcheln und Meine Ringe | eines Indianerdolmetſchers befand, war dem Eigenthlimer 
aus Thon; jerner Stücken von grobem Thongeſchirr, Mühl | um feinen Preis feil, feitdem er gemerkt hatte, daß foldhe 
fteinen, Walzen und Neibefeulen aus hartem Sandftein oder | Sadjen Werth beſäßen. Er hat es aber dod) fpäterhin fir 
Granit, aber feine Spur von Metall, Die heutigen Ins | theueres Geld an einen Profeſſor des Smithjonian:Infti- 
dianer haben weder eine Tradition noch eine Sage, weldye | tution, der auf eine wiſſeuſchaftliche Reife in den Weften 
fid) an diefen Hügel Enlipfte, und es ift deshalb wohl mög: | ausgefandt war (wahrjceinlich Herrn P. Schumacher) ver- 
lich, daß derjelbe einer frühern Vevöllerung feinen Urfprung ; kauft. Das in Frankreich befindliche Stüd befteht aus 
verdankt. Folgenden Tages ließ Cimonin den Tumulus | einem röthlichen, quarzhaltigen Sandfteine, der als Unterlage 
von Arbeitern ſyſtematiſcher und gründlicher in Angriff mehe | diente, und einer granitenen Keule, welche auf jenem hin« 
men, aber nirgends fand er andere Ueberreſte als bei jeinem | und herbewegt wurde und demfelben eime leicht eingebogene 
erften Berſuche. Seine anfänglic, gehegte Bermurhung, daß | Oberfläche gegeben hat. Ein ähnlicher Reibftein ift in den 
er es mit einem Örabhügel zu thun habe, fand feine directe | Torfmooren von Abbeville (Departement Somme) gefuns 
Beftätigung. den worden und iſt gleichfalls im Befige defjelben Muſeums. 

Unter allen von dort fiammenden Öegenftänden des Noch heutigen Tages zerquetſchen die californiſchen Ins 
Mufeums nimmt eine Mühle (wenn man fo jagen darf) | dianer die ihnen zur Nahrung dienenden Eicheln in Steins 
oder ein Mörfer zum Zerquetſchen des Maiſes deu erften | mörfern; ja fie nehmen ſich oft gar nicht die Mühe einen 
Play ein. Er war fchon vor Simonin’s Ankunft gefunden " einzelnen Stein dazu herzurichten, fondern benugen den natür- 

“a 





Pfeilſpihen von Feuerftein und Obfidian, gefunden am Großen Salzſee in Utah und am Borar-See 
in Californien. (Matitrliche Größe.) 


lichen Fels, um auf ihm die Früchte zu zerreiben. Letzterer Von jenen Ureinwohnern ſcheint auch eine Grabhöhle 
zeigt dann mac) ftetiger Benugung an der betreffenden Stelle | herzurlihren, welde Simonin am füblichen Ufer des Salz- 
halbrunde Höhlungen, wie man ſolche häufig längs der | fees, micht allzuweit von jenem Tumulus, befuchte. Ste liegt 
Schluchten und Bäche des Yandes antrifft. Ebenſo verfer: | etwa 100 Meter iiber deu Wafferfpiegel und ift ſchwer zu 
tigen auch die heutigen Indianer noch ihre Pfeilfpigen aus | finden, weil wilde Pflaumenbäume die Spalte im Geftein 
jenem vulcaniſchen Glas, dem ſchwarzen Obfidian, und in | verdeden. Ihre Höhe wechſelt zwiſchen 10 und 20 Meter, 
Ermangelung deffelben aus Flaſchenglas oder Eifen; aber | ihre Breite zwiſchen 2 und 3; der Boden iſt erdig, fandig 
feine Kunde hat fic unter ihmen erhalten von den Urein« | und ein wenig feucht. Hinten verengt fie ſich zu einem nies 
wohnern ihres Yandes, welche die Kieſel- und Obfidvianwafe | drigen Durchſchlupf, der im eine ziemlich geräumige Kammer 
fen, die Porphyrmörſer u. ſ. w., die man heute dort in der | führt. Simonin felbft fand nichts mehr darin; ihr Inhalt, 
Erde findet, verfertigt und in die Oranitfelfen der Sierra | zwei Stelete, war icon herausgenommen worden, Einer 
Nevada jene fonderbaren Zeichen eingegraben haben, von | der beiden Schädel diente im Theater der Salzſeeſtadt bei 
welchen unſer zweites Bild eine Borftellung gewährt. Ders | den Hamlet: Aufführungen als Nequifit, wurde aber mit ben 
gleichen find neuerdings von einem Mr. Heury de Groot in | andern zuſammen bereitwillig dem Fremden überlaffen und 
Freono County an den Felſenwänden eines engen Caions | von diefen dent Parifer Mufeum geſchenkt. Beide find 
im großer Anzahl entdeft worden. Diefelben follen mehrere | bradjgcephal; der eine, anſcheinend ältere, rlihrt von einem 
Acres Dberfläcye bededen und etwa einen halben Zoll tief | Manne her und hat auf den Sceitel einen Buckel ober 
eingegraben fein. Beſonders häufig findet ſich der aud) in | Auswuchs; die Stirn ift ſchmal, der Prognathiemus fehr 
unferer Abbildung vorkommende Kreis mit einem Punkte in | ausgeprägt, Zeichen einer tiefftchenden Race, 

der Mitte, Eine befonders merholirdige Stelle, wo Borzeit und 


Alterthümer aus Utah und Galifornien. 


Gegemmart ſich in Herftellung derjelben Waffen aus demfel- 
ben Stoffe berühren, befuchte Simonin nörblih von San 
Francisco etwa unter dem 39. Breitengrade, Dort liegt 
am Tftfuße des Küftengebirges (Coaſt Range) der Clear 
Lake, bdefien zwei Arme eine Halbinfel mit dem Borax— 
fee umſchließen. Derfelbe bebedit den Boden eines Kraters, 
ift etwa 100 Hectaren groß und nur einen Meter tief, 
Eine Eruptiomafle von Obfidian trennt ben Borarfee 
vom Clear Yale. Den Boden des erjtern bilbet eine Schlamm: 
WR: auf welcher die VBorarkruftalle anſchießen, die eine 
am Ufer ftehenbe Fabrik ſammeln läßt, trodnet und reinigt 
(jährlich circa 500 Tonnen Ausbeute), In diefer Schlamm 
ſchicht hat man jene oben abgebildeten Pfeile und Yanzen- 
jpigen gefunden, die den Urbewohnern der Gegend zur Er- 
legung des grauen Bären gedient haben mögen. Der 
Leiter jener Fabrik fchenkte fie dem franzöſiſchen Forſcher. 
Und noch heute beuten die Indianer, die auf dem Unfeln 
und an ben Ufern des „Klaren Sees“ haufen, wie die friis 
beren Anwohner deilelben en Dbfidianbrud) aus, um 
ihren Pfeilen die ſchneidig ige zu geben. 





Hieropkuphen auf Granit am Duba-Fluffe in Californien. 


iſt. Auch auf dem Feſilande find diefe Geſchirre weniger 
häufig, als bie Mörfer , ohne Zweifel wegen der Schwierig: 
teit ein berartiges Gefäß herzuftellen. Diefelben find übris 
gens fo praftifch zum Kochen, daß felbft heutzutage mod) die 
Spanier erpicht barauf find, eind zur erhalten, um ihre 
flüffigen Speifen darin zu lochen. Auf ftarte Raucher läßt 
die aufgefundene Anzahl von Pfeifen (28) fchließen, wenn 
man die Gewohnheit ber heutigen Indianer, ſtammweiſe aus 
einer Pfeife zu rauchen, aud) jener ausgeftorbenen Bevölle— 
rung vindieiren darf. Natürlid konnten nicht alle Fund- 
gegenftände aufbewahrt werden, da viele durch die Zeit, durch 
die Wirkung der Näfle des dariberliegenden Erdreichs und 
ſelbſt trog aller Vorſicht beim Ausgraben zerbrochen waren, 
Groß ift die Mannigfaltigkeit der Fiſcherei- und Yagbuten: 
filien auf den Infeln; unter anderen fand ſich ein fehr finn- 
reich aus Knochen ftatt aus der gewöhnlichen Mufchel ver» 
fertigter Angelhalen. Die Gräber lieferten eime reiche 


359 


Ganz ähnliche Funde, wie hier Simonin, hat ein anderer 
von dem Smithfonian-Inftitution ausgefandter Forſcher, der 
oben erwähnte Herr Paul Schumacher *), etwas weiter 
füdlich gemacht. Derfelbe unterfuchte zulegt die Infelgruppe 
an der füdlichen Hüfte Californiens und einen Theil des 
Feſtlandes, wo er gleichzeitig mit einer Ingenieurabtheilung 
von ber Lieutenaut Wheeler'ſchen Expedition operitte, die damals 
unter der Leitung Dr. Yarrow's ftand und das gleiche Ziel 
hatte, nämlich die Entdeckung und Aufſuchung prähiftorifcher 
Alterthlimer für die demnächſt zu eröfinende Weltansftellung. 
Herr Schumacher grub ungefähr 3500 Gfelete aus, von 
denen es ihm gelang, 300 unverfehrte Schädel zu erhalten. 
Mörfer fand er 127, die in Geſtalt und fogar in der Ars 
beit große Verſchiedenheit zeigen ; die einen find glatt, andere 
tünſtlich mit Diufcheln verziert, während einige jogar gut 
gearbeitete Basreliefs aufweifen. Weiter fanden fih 57 
größere und Meinere, durchweg gut geglättete Schalen aus 
Serpentinftein, 23 forgfältig gearbeitete Töpfe aus Mag- 
nefiaglimmer, ein Küchengeräth, welches auf den Inſeln, 
wo auch das Material dazu nicht vorkommt, jelten zu finden 





ra 


Auswahl von Muſchel- und Perlenfhmud, wenigſtens 80 
verfchiedene Sorten und über 25,000 Stüd; ferner fteinerne 
Fingerringe, über ein Dugend Pfeifen und halb fo viel Flö— 
ten aus Knochen, ein hölgernes Schwert, deſſen Heft reich 
mit eingelegter Mufchelarbeit verziert war; viele Frucht 
meffer, einige darunter 11 Zoll lang, Speer» und Pfeil: 
fpigen ıc., Ganoemodelle aus Stein, mechanische Werkzeuge 
aus Stein und Knochen, Knochenſchnitzereien jeder Art und 
viele andere höchſt intereflante Gegenftänbe. 


Herr Schumacher bereitet fich jegt in San Francisco 
v einem Ausflug nad) Oregon vor, um dort ebenfalls 
achgrabungen anzuftellen, 





*) ©. defien Mrtifel: „Die Erzeugung der Steinwaffen“ im 
Globuse Op. XXVIl, S. 248; über „Rjöflenmöbbinge und alte Gra— 
ker in Galifornien” Vd. XXVI, S. 365. 


360 


Albin Kohn: Die Mongolen. 


Die Mongolen 
Bon Albin Kobn. 


II. 


Die ausdſchließliche Beihäftigung der Mongolen und die ; Taufchhandel; der Handel nad; außen befchränft ſich auf 
einzige Quelle ihres Wohlftandes ift die Viehzucht. Der | Peling und auf die dinefischen Nachbarftädte. Dort bringen 


Neicdhthum des Menfchen wird dort nad) ber Anzahl feiner 
Biehherde beftimmt. Am meiften werden Schafe gehalten, 
dann lommen Pferde und Kameele; Rindvieh und Ziegen 
find nur in geringer Zahl vorhanden. Jedoch ift es auch 
von den Umftänden abhängig, ob ein Mongole überwiegend 
die eine ober die andere Thiergattung hält. Bei den Mon— 
golen in der Chalcha werden die beften und meiften Kameele 
gehalten; im Gebiete der Zacharen hat man Ueberfluß an 
Pferden; in Ala-Schan werden vorziiglic Ziegen gehalten, 
während man in Kuku-Nor den Mads vor dem Rinde den 
Borzug einräumt, 

Die reichte aller Gegenden der Mongolei ift Chalcha, 
deren Bewohner im Wohlitande leben. Trogdem vor Sur: 
zem eine Vichfeuche unzählige Stücke Vieh dahingerafft hat, 
fanıı man doch nod) immer unliberfehbare Herden antreffen, 
welche einem Cigenthlimer gehören. Man findet jelten 
einen Bewohner der Chalcha, der nicht einige Schafherden 
hätte, Ju der Mongolei ſieht man felten ein Schaf ohne 
Fettſchwanz; mur im Süden, befonders in Ordos und Ula« 
Schan, macht das Fettſchwanzſchaf dem Breitſchwanzſchafe 
Plag, während in Kuku-Nor eine Art gehalten wird, die ſich 
durch ‚ihre gegen anderthalb Fuß langen, fchraubenförmig 
gewundenen Hörner auszeichnet. 

Der Nomade, welder feinen ganzen Unterhalt, Speife, 
Kleidung und Wohnung, feiner Herde verdankt und mit ihrer 
Hülfe nod) hübſches Geld verbient, das theild aus dem Ber- 
faufe von Vieh, theils auch aus dem großen für den Trans: 
port von Waaren durch die Wüfte zu erlegenden Summen 
vereinnahmt wird, widmet feine ganze Aufmerkſamkeit feinen 
Hausthieren, während die Sorge fir feine eigene Perfon und 
jüür feine Familie eine untergeordnete Rolledpielt. Das Ueber» 
ſiedeln auf einen andern Weideplag wird ausſchließlich durd) 
den Mugen, den es dem Vieh bringen wird, bemeſſen. Wo 
es dieſem wohl ift, d. h. wo es reichlich Futter und Träne 
findet, fiedelt fi) der Dlongole an, ohne auf andere Um— 
fände Rüdficdt zu nehmen Das ganze Wiſſen des No: 
maden hat nur anf jein Vieh Bezug und feine Geduld mit 
dieſem iſt bewundernswürdig; das widerfpenftige Kameel 
wird in feinen Händen ein unterihäniger Yaftträger und das 
halbwilde Zteppenpferd ein gehorfames und ruhiges Reit: 
thier. ° Der Nomade liebt feine Thiere und hat Mitleid mit 
ihnen. Gr fattelt um feinen Preis ein Kameel oder Pferd 
vor einem beftimmmten Alter und er verkauft für feinen Preis 
ein Yanım oder ein Kalb, da er es für Sünde hält, fie in 
der Jugend zu Schlachten. 

Die Juduſtrie fpielt bei den Mongolen eine fehr unter: 
geordnete Holle und beichränft ſich auf die Production der: 
jenigen Gegenſtände, weldye zum Hausgebraude durchaus 
nothwendig find. Man gerbt alſo Yeder, macht Filzdecken, 
Zättel, Zäume und Bogen; jelten nur verfertigt man ſich 
Meſſer und Feuerſtahl. Alle anderen Segenftände des häuss 
lichen Bedarfs fauft der Mongole von den Chinefen und in 
jehr geringer Menge von ruſſiſchen Kaufleuten in Kjadıta 
und Urga. Bon Bergbau ift bei den Nomaden keine Rede, 
Der Binnenhandel in der Mongolei ift jaft ausſchließlich 


die Mongolen ihr Vieh fowie Sal, Felle und Wolle zum 
Verkauf hin und nehmen Manufacturwaaren als Bezahr 
lung an. 

Unbegrenzte Faulheit ift ein Hauptcharafterzug des 
Nomaden; das ganze Leben dieſes Menſchen vergeht in 
Nichtsthun, das durch die Bedingungen des wandernden 
Hirtenlebens beglinftigt wird. Die Pflege der Herbe bildet 
die einzige Sorge des Mong und diefe nimmt durchaus 
nicht feine Zeit im Anſpruch. Pferde und Kameele gehen 
ohme jede Aufficht in der Steppe umher und kommen nur 
im Sommer, einmal bes Tages, zum Brunnen, um zu teins 
ten, Das Hlten der Kühe und Schafe ift eine Obliegenheit 
der Frauen oder der herangewachjenen Kinder. Bei den 
reichen Mongolen, deren Biehherden nach Taufenden zählen, 
werben gemiethete Hirten gehalten, welche ſelbſt arm find 
und feine Familie haben. Das Mellen der Herde, das Sanı- 
meln der Sahne, Buttern, Kochen und die anderen häuslichen 
Arbeiten gehören faft ausſchließlich zu den Pflichten der Haus- 
frau. Die Männer thun gewöhnlich nichts und reiten von 
Morgens bis Abends von einer Jurte zur andern, um Thee 
oder Kumys zu trinfen und mit dem Nachbar zu plaudern, 
Die Jagd, welde die Nomaden befanntlich leidenſchaftlich 
lieben, dient bis zu einem geroiffen Grade dazu, die Yange- 
weile zu vertreiben, Die Mongolen find aber, mit feltenen 
Ausnahmen, ſchlechte Schützen und haben feine guten Ge: 
wehre. Selbft eine Yuntenflinte findet man felten bei ihnen, 
und oft vertreten fie Pfeil und Bogen. 

Beim Beginn des Herbftes erleidet das Faulenzerleben 
der Diongolen eine Aenderung. Sie fammeln dann ihre 
Kameele, nachdem diefe fid) genug umbergetummelt, und 
bringen fie nad) Kalgan oder Kulu⸗Choto, um fie dort zum 
Transporte zu vermiethen. Im Kalgan nimmt man Thee, 
um ihn nad) Kjachta zu transportiren,,in Kuku⸗Choto Pro- 
viant flir die chinefiiche Armee in Uljafutaj und Kobdo, Der 
dritte, Heinfte, Theil der Kameelherde wird zum Transpor« 
tiren von Salz, das ſich auf den Salzfeen der Mongolei 
bildet, verwendet; es wird im die dhinefifchen Grenzftäbte 
gebradjt. So werben aljo während des Herbftes und Win: 
ters ſämmtliche Kameele befchäftigt und bringen ihren Eigen« 
tbümern ungeheuern Gewinn. Fu Anfange des April hört 
der Transport auf; die abgemagerten Kameele werden wieder 
in die Steppe getrieben und ihre Eigenthilmer überlaffen fid) 
der Ruhe in gänzlicher Unthätigteit. 

Diefe Faulheit zwingt den Mongolen, immer zu reiten 
und forgjam jede Bewegung zu Fuß zu vermeiden. Selbſt 
auf einige hundert Schritte bemüht ſich der Mongole nicht 
zu Fuß, ſondern befteigt gewiß jein Pferd, das deshalb auch 
beftändig gefattelt vor der Jurte angebunden fteht. Auch 
feine Herde Hiktet der Nomade reitend und während feiner 
Reife mit der Karawane fteigt er höchſtens dann vom Ka- 
meele, wenn ihm der bittere Froſt hierzu zwingt; aber aud) 
dann geht er nur einen, höchſtens zwei Kilometer. Bom be: 
ftändigen Reiten find fogar die Beine des Nomaden etwas 
gebogen, und er umfaßt den Sattel mit den Schenleln jo 
feft, als ob er an ihn angewadjjen wäre. Das wildeſte 


Albin Kohn: Die Mongolen. 


Steppenpferd richtet gegen einen Neiter, wie der Mongole 
ift, nichts aus. Wenn der Nomade auf feinem Renner figt, 
ift er thatfächlic in feinem Elemente; er reitet mie Schritt, 
felten Trab; er fliegt immer wie der Wind durch die Steppe. 
Aber der Mongole kennt und liebt fein Pferd. Ein guter 
Kenner oder Paßgänger ift fein größter Stolz und er ver- 
fauft ein folches ‘Pferd auch in der größten Noth nicht. Zu 
Fuße gehen ift eine Schande bei den Mongolen, ſelbſt wenn 
es nur bis zur Jurte des nächſten Nachbars wäre, 

Bon der Natur mit einem fräftigen Körper ausgeftattet 
und von Jugend auf an Beſchwerden gewöhnt, erfreut ſich 
der Diongole einer ausgezeichneten Sefundhet. Ohne auszu⸗ 
ruhen zicht er mit feinen mit Thee belabenen Kameelen durd) 
die Wüfte, trogdem alle Tage eine Kälte von dreißig Grad 
herrſcht und ein bejtändiger Nordweftwind weht, der die 
Kälte noch fühlbarer macht, Und doc hat der Nomade, 
während er von Kalga nad) Kjachta veift, den Wind immer 
von vorn und fit bis funfzehn Stunden täglic; auf dem 
Kamecle, ohme von ihm herabzufteigen. Mean muß wirklich 
aus Eifen fein, um eine folche Reife zu ertragen. Der Mon- 
gole macht aber während des Winters die Reiſe einige Male 
hin und zurlid, was im Ganzen oft fünftaufend Kilometer 
ausmacht. Doch diefer Menſch mit feiner eifernen Geſund⸗ 
heit wird ein ganz anderer, wenn er zu einer andern Beſchäf⸗ 
tigung genöthigt wird. Ohne furdytbar zu ermüden fann 
er feine zwanzig oder dreißig Kilometer gehen; wenn er auf 
feuchtem Boden libernachtet, erfäftet ex ſich, wie ein verzär- 
teltes Stadtlind, und er verflucht fein Geſchick, wenn er zwei 
oder drei Tage ohne Ziegelthee verbringen muß. 

Es ift diejes die Folge der pafliven Gewohnheit. Geiſtige 
Energie erwacht nie in ihm, wenn er auf Widerwärtigfeiten 
ftößt; er fucht nur nach Mitteln ihnen auszuweichen, nicht 
fie zu befümpfen. Hier findet man nicht den elaftifchen, 
münnlichen Geift des Europäers, der fähig ift, fi) an Alles 
anzupaffen, mit allen Beſchwerden zu lämpfen und fie zu 
bejiegen. Nein; vor uns befindet jich der unbewegliche, con: 
fervative Charakter des Afiaten, voll Apathie gegen Alles, 
wenn er erft durd) Befchwerden bezanbert ift, und fremd jeder 
activen Energie. 

Eine zweite charafteriftiiche Cigenfchaft des Mongolen 
ift die Feigheit, welche ſich unter der Herrſchaft Chinas, 
deflen Regierung den friegerischen Geift der Nomaden fyfte: 
matifch getöbtet hat, dermaßen entwidelte, daß der heutige 
Meongole durchaus feinen Borfahren, welche ſich durch wil— 
den Muth ausgezeichnet haben, unähnlicy if. Die unbe 
grenzte Feigheit hat ſich in ihrer ganzen Blöße während der 
Einfälle der Dunganen gezeigt. Kaum erſcholl der Ruf: 
„Ehojschoj!*, da ergriffen fie auch die Flucht und dachten 
nicht ein einziges Mal an Widerftand, obgleicd) fie alle Chan- 
con des Erfolges im Kampfe mit den Dunganen für fid) 
hatten. Die Mongolen fahen ruhig zu, wie die Dunganen 
Ordos und Ala-Schan verwüſteten, Uljaſutaj und Kobdo 
einnahmen und Chalcha einige Male verheerten. Urga hat 
nicht die Tapferkeit der Mongolen, ſondern eine Heine rufs 
ſiſche Befagung gerettet, welche die ebenfalls feigen Duns 
ganen nicht anzugreifen wagten. 

Dem Mongolen ift eine gewiſſe Schärfe des Geiſtes 
nicht abzwiprechen, die ſich jedoch nur durch einen hohen 
Grad von Ueberlegung, verbunden mit Lift, Falſchheit und 
Betrug, kundgiebt. Diefe lepteren Eigenfchaften find aber 
hauptjächlich. in den an China grenzenden Gegenden ent 
widelt. Unter den reinen Mongolen ift die moralifche Bers 
fommenheit hauptſächlich Eigenſchaft der Priefter. Der ger 
wöhnliche Mongole, oder, wie er fich felbft nennt, ber „ Charas 
hun“, d. i. der fchwarze Menſch, ift dort weder durch die 
chineſiſche Nachbarſchaft, mod; durch die lamaitiſche Moral 

Globus XXVIII. Nr. 23. 


361 


verborben und deshalb ift er gut und offenherzig. Doch 
auch das Bischen Intelligenz, das dar Mongole befigt, hat 
eine fehr eimfeitige Richtung. Er, der Sohn der Wüſte, 
findet ſich in ihr felbft in der vergweiflungsvollften Lage zu⸗ 
recht, jagt jede atmofphärifche Veränderung voraus, findet 
das verirrte Kameel oder Pferd, indem er den unbedeutend: 
ften Spuren folgt, und entdedt wie durch Inſtinct einen 
Brunnen, Wenn man jebod; mit biefem Menfchen über 
etwas fpricht, das über feine gewöhnliche Thätigkeit hinaud- 
reicht, da hört er mit weit geöffneten Augen zu, läßt ſich 
einen und bdenfelben Gegenftand wiederholt erklären, felbft 
wenn es ein ganz unbebeutender ift, und man ift jicher, daß 
er ihm nicht begriffen hat, trotzdein er das Gegentheil ver- 
ſichert. Die Stumpfheit des Mongolen kann einen aus 
der Faſſung bringen, und es zeigt fich bei einer foldyen Ger 
legeneit, daß man ein Kind vor fich hat, das zwar neu- 
gierig, aber dabei unfähig ift, fich ganz gewöhnliche, alltäg- 
liche Begriffe anzueignen. 

Die Neugierde des Mongolen kennt häufig feine Creme 
zen, Wenn der Reifende einer Karawane begegnet, ba fom- 
men bie Führer derfelben von allen Seiten an ihn heran, 
ja häufig ftürzen fie im vollen Yaufe einige Kilometer herbei, 
um ihm nach der üblichen Bewilllommnung: „Mendu!l“ 
(Willlommen, Herr!) zu fragen, wonach und wohin er reift, 
was er mit fich führt, ob er nicht verkäufliche Waare hat, 
wo und zu welchen Preife er die Kameele gekauft hat u. ſ. w. 
Ein Frager löft den andern ab und alle fommen mit den 
gleichen Fragen. Noch Schlimmer iſt's auf den Halteplägen. 
Es begegnete Herrn Prſchewalski häufig, daß er, che er 
noch feinen Kameelen die Laft abgenommen hatte, von Mon» 
golen umringt war, bie feine Sachen begafften, betafteten 
und in hellen Haufen in fein Zelt drangen. Nicht bloß die 
Waffen, fondern auch ganz gleichgültige Gegenftände, 3. B. feine 
Stiefel, Scheere, das Vorhängeſchloß jeines Koffers und 
andere Heine Sachen erregten ihre Neugier, und die Gäſte 
drangen im ihn, ihnen dieje Sadyen zu ſchenlen. Das Fra— 
gen nimmt fein Ende. Jeder Neuhinzugelommene beginnt 
mit derfelben Frage und fordert biefelben Aufſchlüſſe, welche 
der eben Abgefertigte an den Reifenden geftellt und von ihm 
erhalten hat. Die früher Gekommenen erklären den fpäter 
Kommenden das Gefehene, jeder ſucht es zu betaften und wo 
möglic, auch zu entwenden. 

Auffallend ift, daß fi die Mongolen immer nad) ben 
Weltgegenden orientiren; fie bedienen fich hierzu nicht der 
Worte „Nedjts, Yints“, für die ihre Sprache feinen Ausdrud 
hat, fondern fagen, die Sache liegt „öftlich oder weſtlich“ 
vom Fragenden. Hierbei ift zu bemerken, daß die Nomaden 
ihre Vorderjeite als „Sb“ bezeichnen, jo daß bei ihnen Oft 
auf der linfen Seite des Horizontes liegt, Alle Entfernums 
gen bezeichnen die Mongolen durch die Zeit, welche nöthig 
it, um fie veitend, ſowohl auf dem Kamtele als auf dem 
Pferde, zurlidzulegen, Wenn man aljo einen Mongolen 
nad) der Entfernung dieſes oder jenes Ortes fragt, fo ant- 
wortet er: „So umd fo viel Tage mit dem Kameele und fo 
und fo viel zu Pferde,“ wozu er jedoch häufig moch hinzus 
fügt: „wenn Du fehnell® oder „wenn Du langfam reiten 
wirſt.“ Nun ift aber die Schnelligkeit der Thiere an ſich 
eine verſchiedene. Im Chalda nimmt man an, daß ein 
belaftetes Kameel täglich 40 Kilometer, ein Neitpferd aber 
60 bis 70 zuriidlegen Tann, während die Kameele von Kuku— 
Nor nur 30 Kilometer täglic; zurüclegen. Ohne Laſt legt 
ein Kameel ſtündlich 5 bis 6 Kilometer zurlick. 

Die Zeiteinheit des Mongolen ift der Tag; einen klei— 
nern Zeittheil, z. B. die Stunde, kennt der Nomade nicht. 
In der Mongolei bedient man ſich übrigen® bes in Peling 
gedructen chinefischen Kalenders, der ins Mongolifche übers 


46 


362 


fegt it. Man rechnet in Folge deffen nad) Mondbmonaten, 
von denen einer 29, die Übrigen 30 Tage haben. In Folge 
diejer Zeitrechnung bleibt jährlich eine Woche übrig; man 
gleicht den Unterfchied dadurch aus, dag man alle vier Jahre 
einen Monat einſchaltet. Man verlegt dieſen Schaltmonat, 
nad) der Weifung der Pelinger Aftrologen, auf den Sommer 
oder Winter ober auf eine andere von ihnen vorgefcriebene 
Jahreszeit. In einem Scaltjahre pflegt in Folge biefer 
Einrichtung in der Mongolei (und in China) ein doppelter 
Januar, Juni u. ſ. w. zu fein. Der Yahresanfang fällt 
auf den erften Tag des „Zagan-far“, bes weißen Mo— 
nats. Bon bdiefem Monate ab wird auch der Frühlings- 
anfang gerechnet und die Berehrer Buddhas begehen den 
weißen Monat als einen einzigen Feiertag. Außerdem 
werben noch gefeiert der I., 8. und 15. jedes Monats und 
dieſe Feiertage heißen „ Zertgn“. 

Zur Bezeichnung größerer Zeiträume bedient man fich 
einer zwölfjährigen Periode, im welcher jedes Jahr den Na« 
men eines Thieres trägt. So ift das erjte Jahr das Jahr 
„Chulugun* (ber Maut), das zweite das Jahr Ukyr 
(der Kuh), das dritte das Jahr Bar (bes Tigers), das vierte 
das Jahr Tollaj (des Hafen), das fünfte das Jahr Yu 
(des Dradjens), das zwölfte das Jahr Gadyaj (des Schweine). 
Einen weitern Cyelus bilden 60 Jahre, mit dem man un« 
gefähr das bezeichnet, was wir ein Zeitalter oder Jahrhundert 
nennen. Wenn man einen 28 Jahre alten Mongolen fragt, 
wie alt er ift, fo fagt er, daß mun fein „Hafenjahr* ift, 
d. h. daß er nun ſchon zwei volle Perioden (zu 12 Jahren) 
lebt und von der dritten das vierte Jahr erreicht hat. 

In der ganzen Mongolei herricht eine Sprache, die 
jedoch; je nach dem verfchiedenen Gegenden im verjchiedene 
Dialekte zerfällt, die fich im Bezug auf Ausſprache oft der» 
maßen untericheiden, daß e8 dem Nordmongolen nicht immer 
leicht ift, ſich volftändig mit dem Südmongolen zu verftän: 
digen. Ja es giebt im einer Gegend Worte, welche in einer 
andern unverftändlic find. Ich will des Beifpiels halber 
nad Prſchewalski nur einige folder Worte anführen. In 
Chalcha heißt die Naht „Schuni*, der Schafbod „Choni“, 
der Abend „Udyſchi“, die Theelanne „Schadu*, die 
Milch „Su*, der Belz „Dell“; im Ala⸗ſchan heißen die— 
felben Gegenftände in der angegebenen Reihenfolge Su, 
Choj, Aſchyn, Debyr, Iufu, Dybyll. Außerdem ift 
audı das Südmongoliſche weicher als das Nordbmongolifche, 
in Folge deſſen im erftern häufig das S des legtern in Ch 
und das E in Tſch umgewandelt wird. 

Im Allgemeinen ift Prſchewalski der Anficht, daß bie 
heutige mongolifche Sprache verdorben und zwar in einigen 
Gegenden mit tangutijchen, in anderen mit chineſiſchen Wor- 
ten vermifcht ift. Die mongolifche Schrift ift der chineſiſchen 
ähnlich; die Mongolen ſchreiben von oben nad) unten und 
zwar von linfs mad) rechts, Sie haben auch eine ziemliche 
Anzahl gedrudter Bücher, welche fie der Regierung von Per 
fing verdanken, die gegen Ende des vorigen Jahrhunderts 
durch eine hierzu befonders eingejegte Commifjion viele ine: 
ſiſche Werte ins Mongolische überfegen ließ. Es find dieſes 
befonders Bücher hiftorifchen, belehrenden und religiöfen Ins 
halts. Auch das mongolifhe Recht ift in mongolifcher 
Sprache abgefagt und wird in Proceßſachen dem Mandſchu—⸗ 
gejege gleich geachtet. In Peking und Kalgan find Schulen, 
in denen Mongoliſch gelehrt wird. Die Kunſt des Leſens 
und Schreibens ift Übrigens in der Mongolei ein Privileg 
der Furſten, Ebdelleute und Lamas. Die leteren lernen 
auch Tibetanifh. Das gemeine Bolt ift des Leſens und 
Schreibens unkundig. 

Die Mongolen, ohne Ausnahme des Geſchlechtes, find 
ſehr geſprächig. Bei der mit Thee gefilliten Schüflel mit 


Albin Kohn: Die Mongolen. 


jemanden zu plaudern ift ihnen ein Öauptvergnügen, Eine 
Folge davon ift, daß jede Nachricht faſt mit ber Schnelle einer 
telegraphifchen Depeche von Drt zu Ort gelangt und die 
Kunde von einem Reiſenden bildet ſchnell in allen Winkeln 
dev Mongolei, natitrlich mit obligaten Uebertreibungen, das 
Tagesgefpräd. Ju der Unterhaltung ift Übrigens der Mon— 
gole artig; er nennt felbit Seinesgleichen „Nodor“, Herr, 

Das Boltslieb des Mongolen ift immer traurig und fein 
Juhalt bezieht ſich gewöhnlich auf die Helbenthaten der Vor— 
fahren. Das Lied vom „ſchwarzen Füllen“ (Dagndara) 
hört man Überall, Am häufigften wird während der Keife 

efungen, doc, hört man auch im der Jurte nicht felten ein 
ied erſchallen. Die Weiber fcheinen weniger mujilliebend 
u fein als die Männer, denn man hört fie nur jelten ein 
iedchen anſtimmen. 

Das Loos der Mongolinnen ift nicht beneidenswerth. 
Der an fi enge Horizont bes Nomadenlebens verengt ſich 
für fie nur nod) mehr. Da die Mongolin völig vom Manne 
abhängig ift, verbringt fie ihr ganzes Yeben in der Jurte, 
wo fie mit den Kindern und der Hauswirthſchaft befchäftigt 
ift. Die freie Zeit benupt fie zum Nähen der Kleider oder 
zur Unfertigung eines Putzes, wozu in der ganzen Gegend 
von Chalcha chineſiſcher —Sú ù verwendet wird, Dieſe 
Handarbeiten der mongoliſchen Frauen ſollen oft ausgezeich— 
net ſchön fein, ſowohl in Bezug auf Gejchmad als auf Aus ⸗ 
führung. 

Der Mongole hat nur eine von Geſetze als ſolche an- 
erfannte Ehefrau, doch ift es ihm erlaubt, Kebsweiber zu 
nehmen, die mit ber Ehefrau gemeinſchaftlich leben und bei 
deren Heimführen keine befonderen Ceremonien ftattfinden. 
Die eigentliche Frau wird als die Vorgefegte betrachtet und 
fie ſchaltet in der Jurte. Die von ihr erzeugten Kinder 
haben alle Rechte des Vaters; die Kinder der Kebsweiber 
werden als auferehelic, betrachtet und haben fein Recht am 
Erbe, doch fann mit Erlaubniß der Behörde ein ſolches Kind 
aboptirt werben. 

Bei wictigeren Eheſchließungen kommt nur die Geburt 
des Mannes in Betracht; die Abftammung ber Frau ift 
gleichgultig. Außerdem ift aber auch zu eimer glüdlichen 
Ehe durchaus nothwendig, daß ſowohl der Bräutigam als 
auch die Braut unter einem glüdlichen Planeten geboren 
feien, worliber die Aftrologen zu beftimmen haben. Dft wird 
das Nichtzuſammentreffen zweier ſolcher Planeten die Ur: 
jache, daß eine geplante Heirat nicht zu Stande fonımt 
(vergl. dagegen ©. 221). 

Der Bräutigam muß für feine Braut einen „Kalym“, 
einen Kaufpreis, geben, der in Vieh und Kleidern, häufig 
auch im Geld beiteht und oft beträchtlich ift; die Frau erhält 
als Mitgift eine Jurte und was zu ihrer Einrichtung noth: 
wendig it. Im Falle einer Beruneinigung zwiſchen Dann 
und Frau, auch aus bloßer Gaprice, kann der Mann die 
Frau wegjagen; doch auch die Frau hat das Recht, den 
Mann, dem fie nicht liebt, zu verlaſſen. Im erften falle 
hat der Mann kein Recht, den für die Frau gegebenen Kalym 
zurlidzufordern, und behält nur einen Theil der Mitgift; im 
zweiten muß die Fra einen Theil des für fie gegebenen 
Biehes zurüderftatten. Nach der Eheicheidung ift die Mon: 
golin frei und kann einem andern Dlanne ihre Hand ſchen— 
fen. Diefe Sitte ift die Duelle vieler Liebesgefchichten, welche 
fi) in der ftummen Wlfte ereignen, ohne je als Sujet zu 
einem Romane verwendet zu werden. 

Was die moralifchen Eigenjchaften der Mongolinnen 
betrifft, fo muß man zugeftehen, daß fie gute Mütter und 
gute Wirthinnen find; ihre eheliche Treue ift jedoch micht 
ohne Makel. Die Unzucht ift hier übrigens allgemein und 
geben ſich ihe nicht allein verheiratete Frauen, fondern audı 


Albin Kohn: Die Mongolen, 


Mädchen Hin. Es ift diefes übrigens in der Mongofei fein 
Geheimnig und wird nicht ala Verderbniß betrachtet. 

Im häuslichen Leben hat die Frau des Mongolen faft 
gleiche Rechte mit ihm; aber in äußeren Ungelegenheiten, 
3. B. was das lleberfiedeln an einen andern Ort, das Ber 
zahlen einer Schuld, den Anlauf eines Gegenftandes betrifft, 
ift des Mannes Wort Geſetz und er fragt die Frau nicht 
um ihre Einwilligung. Doch ereignet es ſich auch, daß eine 
Mongolin nicht bloß in der Jurte, fondern auch außerhalb 
berfelben regiert und den Mann unter bem Pantoffel hält. 

Bon Schönheit in unferm Sinne fann bei den Mongo- 
linnen nicht die Rede fein. Race, Lebensweile, Klima und 
Unveinlicheit bedingen ſchon einen vollftändigen Mangel an 
Zartheit der Züge. Doc ereignet es fic hin und wieder, 
daß man im der Jurte eines Fürſten ein recht ſchönes Ges 
ſicht zu fehen befommt. Die glückliche Befigerin eines fol 
hen ausnahmsweiſen Gefichtes wird gewiß von zahlreichen 
Anbetern umlagert, denn auch den Nomaden zieht das ſchöne 
Geſchlecht an, wenn es wirklid) dieſen Beinamen verdient, 
Eine merlwürdige Erjcheinung ift, daß in der Mongolei die 
Zahl der Männer die der Frauen bedeutend überwiegt, was 
(wohl nur theilweife) von ber Ehelofigkeit der Lamas herrührt. 

Der Mongole ift ein guter Familienvater, der feine Kin— 
ber innig liebt. Wenn er irgend etwas erhält, das getheilt 
werden kann, fo vertheilt er es gewiß gleichmäßig unter bie 
ganze Familie, felbft auf die Gefahr hin, daß jedes Mitglied 
nur, wie dieſes z. B. bei einem Stückchen Zuder der Fall 
ift, ein winziges Brödchen erhält. Die älteren Familien- 
lieder genießen eine große Hochachtung; ihr Rath, ja ihr 

hl wird immer aufs Pünftlichfte ausgeführt. Der No- 
mabe ift ungemein gaftfrei. Man kann dreift in jede Jurte 
eintreten umd eines freundlichen Empfanges, einer Bewir- 
thung mit Thee ficher fein; für einen guten Befannten findet 
der Hauswirth jederzeit einen Schnaps oder Kumys, ja er 
ſchlachtet ſogar gern ein Schaf für ihn. 

Wenn der Nomade einem Reijenden begegnet, begrüßt er 
ihn auch fogleic, mit dem Rufe: „Mendu, Diendurfesbejna !* 
„Herr! Herr! fer gefund!* Hierauf wird der Fremde mit 
einer Prife Tabad bewirthet und nun folgen die ragen: 
„Dallsfesbejna?* „Tasferbejna?* Bift Du, ift Dein 
Bieh gefund? Die frage nad) der Gefundheit des Vieh 
ftandes ift übrigens beim Diongolen die Hauptſache; er fragt 
erjt, wie fich die fetten Schafe, Pferde und Kameele, und 
dann wie ſich ihr Befiger befindet. In den verjciebenen 
Gegenden des Landes haben zwar bie Bewilllommnungs— 
phrafen eine verfchiedene Form; man fragt 3. B. in Orbos 
und Aa-Schan: „Amursfe?* (Bift Dir gefund?), in Kulu⸗ 
Nor ruft man: „Temu!“ (Sei gefund!), das die tangu— 
tifche Begrüßungsformel ift; die Bedeutung ift jedod) immer 
diefelbe. 

In Folge diefer Bewilllommmungsfragen ereignen ſich 
häufig, wenn fie am Neulinge gerichtet werden, recht ergötz 
liche Scenen. So erzählt Prſchewalski von einem juns 
gen ruſſiſchen Offizier, der vor Kurzem erft aus Petersburg 
nad Sibirien gefommen und vom dort nach Peling mit 
einer Miffion gefendet worden war, folgende Anekdote. Auf 
einer mongoliſchen Halteftation, wo die Pferde gewechſelt 
werden mußten, famen fogleid, die Mongolen herbei und 
fragten ihm aufs Ehrfurchtvollſte, ob ſich fein Vieh wohl be— 
finde! Als der den Offizier begleitende Kaſal ihm die Fras 





363 


gen feiner Gaftfreunde, ob feine Kameele und Schafe fett 
find, mitteilte, fchitttelte er verneinend mit dem Kopfe und 
ließ den Frageftellern antworten, daß er gar fein Bich habe. 
Die Mongolen konnten aber durch nichts überzeugt werden, 
daß ein gut ſituirter Mann, der Überdies noch Beamter war, 
ohne Schafe, Kühe, Pferde oder Kameele eriftiren könne. 
Prſchewalsti wurde felbft fehr häufig aufs Eingehendfte be» 
fragt, unter weflen Aufſicht er feine Herden gelaſſen, als 
er die weite Reiſe unternahm, wie oft zu Haufe dieſe ober 
jene Delicatefle genojfen wird, wie ſchwer bei und ein Kurd⸗ 
jut ift, wie viel gute Reitpferde und Paßgänger er befigt, 
wie groß bie Zahl feiner fetten Kameele ift n. |. w. 

In Sidmongolien herrſcht mod) eine andere Eitte; ber 
Gaft wird mit einem Gejchenke, das „ Chadat* heißt, nicht 
groß ift, die Form eines Handtuches hat und aus Seidenftoff 
befteht, bewillfommmet, muß aber ein gleiches Gejchent geben. 
Diefe Chadaks, deren Werth Übrigens verjchieben ift, werden 
von ben Chinefen gelauft und in Chalcha, wo fie Übrigens 
nur felten zu Geſchenklen verwendet werden, ftatt Geldes 
benugt. 

Kaum ift die Berwilllommnungsceremonie beendet, fo 
beginnt auch ſchon die Bewirthung, und es gehört zum quten 
Tone, dem Gafte vor allen Dingen eine brennende Pfeife 
zu reichen. Beim Weggehen werden gewöhnlich feine Cere— 
monien gemacht; man fteht einfad, auf und verläßt die Jurte. 
Den Gaft bis an fein vor der Jurte angebundenes Pferd 
zu begleiten wird als bejondere Auszeichnung betrachtet, die 
gewöhnlich nur den Lamas und Beamten ertviefen wird. 

Obgleich kriechende Unterthänigkeit und Despotismus bei 
den Deongolen im höchſten Grade entwidelt find, jo daß ber 
Wille eines vorgefegten Beamten gewöhnlich Geſetz ift, herrſcht 
doch neben diefer ſtlaviſchen Unterwürfigteit eine große reis 
heit im Umgange zwijchen den Mongolen und den Beamten, 
Wenn ein Mongole einen Beamten erblicdt, fällt er aufs 
Knie, um ihn zu bewillfommmnen und ihm feine Unteythänig« 
feit zu bezeugen. Doch bald ftcht er auf, jegt ſich neben 
ihn, unterhält fich mit ihm und ſchmaucht feine Pfeife. Bon 
Jugend auf gewöhnt, fid) durch nichts geniven zu laſſen, 
erträgt er nicht lange einen Zwang, fondern folgt jchnell 
feinen Gewohnheiten, Wenn der Meifende ein Neuling it, 
jo erfcheint ihm diefes als ein wichtiges Zeichen der Freiheits- 
liebe des Mongolen; fpäter erſt überzeugt er jich, daß diejes 
nur ein Ausbruch der wilden Nomadennatur ift, bie nur freie 
Ausübung Findifcher Gewohnheiten verlangt, jonft aber mit 
ber größten GMeichgüftigfeit den ſchwerſten Drud des Des 
potisums erträgt. Der Beamte, neben welchem jigend der 
Mongole eben vertraulich, feine Pfeife geraucht hat, lann ihm, 
ohne einen Appell an einen höhern Beamten zu fürdten, 


' einige Schafe nehmen, ja jogar ihn prügeln, 


Die Käuflichkeit und Beftechlichfeit ift in der Mongolei 
wie in China im höchften Grade entwidelt; man lann ſich, 
wenn man den Beamten beftochen hat, Alles erlauben; ohne 
dieſes geht nichts durch. Die himmelfchreiendften Berbrechen 
bleiben unbeftraft, wenn ber Verbrecher den Beamten eine 
entfprechende Summe in die Hand drüdt, wogegen bie ger 
rechtefte Sache verjpielt wird, wenn man den ichter nicht 
befticht. Dieſe Fäulniß herrſcht in der ganzen Verwaltung, 


vom „Chojcyn“ (unterften Schreiber) bis hinauf zum ge» 


bietenden Fürften. 


46 * 


364 


Hafjentamp: Die prähiftoriichen Alterthümer des nordiſchen Muſeums in Kopenhagen. 


Die prähiftorifhen Alterthümer des nordifhen Mufeums in Kopenhagen. 
Von Dr, Haſſenkamp. 


I. Die Dentmäler aus der Steinzeit und Bronzeperiode. 


Unter allen europäifchen Yändern ift das Heine Düne: 
mark vielleicht dasjenige, welches am meiften für die Erfor— 
hung feiner Alterthliner gethan hat. Während z. B. in 
Deutjdjland die einzelnen Regierungen nod) heute den ar» 
chäologiſchen Forſchungen ziemlich, fern ftehen und die Privat: 
leute aus Mangel an Mitteln meistens nicht mehr thun 
fönnen, als für die Confervirung etwaiger Zufallsfunde 
Sorge zu tragen, hat in Dänemark der Staat jelbjt den prä« 
hiftorifchen Forſchungen ein veges Intereffe entgegengebradit; 
alljährlic; bewilligt die Bolfsvertretung bedeutende Summen, 
um eine fyftematijche Ausgrabung und Erforfchung des Yans 
des zu ermöglichen, und daß diefe Summen im ter richtigen 
Weiſe verwandt werden, dafür blirgt jdjon der Umſtand, 
daf das Haupt der dänischen Alterthumsforicher, Worjaae, 
feither als dänifcher Cultusminifter thätig gewefen ift. Alle 
Funde wurden dem Muſeum für nordiſche Alterthümer in 
Kopenhagen liberwiefen und jo ein Yuftitut geichaffen, mit 
dem, was Reichhaltigfeit der Sammlung, Klarheit und Ueber: 
ſichtlichteit der Anordnung angeht, kaum ein auderes derar— 
tiges Muſeum wetteifern kann, 

Deshalb dürfte es vieleicht nicht unpaſſend fein, bie teie 
hen prähiftoriichen Funde jener Sammlung aud) in dieſer 
Zeitfchrift furz zu darakterifiven. Zunächſt ift es als eine 
Eigenthitmlichteit der däniſchen Funde zu bezeichnen, daß in 
ihnen eine genaue Scheidung zwiſchen der Steinperiode, der 
Bronze: und Eifenperiode zu Tage tritt, während 3. B. in 
Deutjchland Steinwerkzeuge, Bronzefachen und Eifen neben 
einander oft in demfelben Grabe gefunden werden, hier aljo 
eine derartige Scheidung nicht vorgenommen werden fann, 
Der Grund biefer Verſchiedenheit ift wohl hierin zu finden, 
dag, während durch Deutichland ſchon früh Handelsleute 
hindurdzogen, welche den Handel mit den Sitden und Std» 
often vermittelten und Deutjcland mit Culturergeugniffen 
diefer Yänder verforgten, in Dänemark derartige Handels: 
verbindungen mit dem Süden viel ſpäter auftreten, daß fid) 
alſo Hier vielmehr eine einheimifche und darum eigenartige 
Cultur entwideln fonnte. 

Die älteften Eulturerzeugnifle, welche in dieſem Mufeum 
vertreten find, find dem jogenannten Kjiökkenmöddinger, 
den Haufen von Klichenabfällen, entnommen, welche, aus weg— 
geworjenen Muſchelſchalen, Knochen und Fiſchgräten ſowie 
aus Steinwerkzeugen und Topfjcherben gebildet, ſich an der 
Ofttüfte von Jutland und auf einigen dänischen Inſeln fine 
den. Nur Schalen von eßbaren Mufcheln fommen in jenen 
Dümmen vor und zwar ift am häufigften vertreten die eßbare 
Aufter, die wegen des geringen Salzgehaltes der Oſtſee heute 
nicht mehr in diefem Meere vorkommt. Da nun nicht ans 
zunehmen ift, daß die Aufter in damaliger Zeit importiert 
wurde, jo muß man vielmehr zu dem Schluſſe kommen, daft 
die Oſtſee damals einen weit größern Saljgehalt gehabt 
habe wie in der Öegenwart; dies fünnen wir aber nur danıt 
fir möglich halten, wenn in damaliger Zeit, als jene Winjchel- 
dämme angehäuft wurden, der Occan einen freiern Zutritt 
zur Oftfee gehabt hat, wenn alfo die Kiftenbildung des nörd« 
lichen Dütlands eine wefentlic andere gewefen war wie in 
der gegemwärtigen Zeit. Bon Thierknochen bieten die Klicjen: 


abjälle namentlich, den jetzt gänzlid, ausgeftorbenen Urochſen, 
ferner den Biber, der läugft aus Dänemark verſchwunden 
ift, dann den Hirſch, das Reh und das Wildſchwein dar; 
das einzige Hausthier jcheint der Hund gewejen zu fein; die 
Vearffnocdyen der Thiere find künſtlich geipalten, ein Beweis, 
daß das Mark jchon jenem Bolfe als Yederbifjen galt. Die 
Steinwerfzeuge, die ſich in jenen Uufterhaufen vorgefunden 
haben, find aus Feuerſtein roh zugehauen, ohne eine Spur 
von Ölättung; fie haben verſchiedene Geftalt und dienten 
theils als Horte, Meißel und Schaber, theils als Yanzen« 
und PBfeiljpigen ; Knochengeräthe wurden ebenfalls gefunden, 
namentlich Pfriemen und Ahlen ſowie cin fammartiges Ge« 
räth aus demjelben Stoffe. 

Daß die Anfänge der Keramit nicht unbelaunt waren, 
zeigen die Scherben grober Gefäße, die aus einem ftark mit 
Sand vermengten Thone mit der bloßen Hand geformt und 
an der Sonne getrocknet zu fein ſcheinen. Doch muß man 
daraus nicht ſchließen, daß der Gebrauch des Feuers un« 
befannt gewejen ſei, vielmehr weifen große, vom Rauch ge- 
ſchwärzte Steine darauf hin, daß fie ald Theile eines Feuer: 
herdes dienten. 

Etwas jünger als die stjöftenmöddinger | find die Hüften 
funde, die zu Bejter-Egesborg in Seeland gemacht 
wurden. Hier fand man mafjenhafte Steinwerfzeuge, na 
mentlich fogenannte Schaber , die zum Abſchaben der Thier— 
häute, zum Trennen des Fleiſches von den Knochen dienten, 
ferner Beile, Meſſer und Meißel, und zwar jede Art von 
Werkzeugen oft in Hunderten von Eremplaren. Neben ſchön 
ausgearbeiteten Stüden finden ſich oft mißlungene und uns 
fertige Eremplare fowie zahlreiche Abjälle und Spähne von 
Feuerſtein; alles dies liefert den Beweis, daß wir es hier 
mit einer Werkfftätte von feuerfteingeräthen zu thum 
haben, daß alfo jene Werkzeuge im Lande ſelbſt fabricirt 
wurden, Ganz ähnliche Werkjtätten müſſen auch auf den 
Heinen Injeln Hejjeld und Anholt im Sattegat geweien 
fein; denn auch hier treten, wie die Sammlungen des Mur 
ſeums darthun, die Steingeräthe jo maſſenhaft auf. 

Wie die Menſchen, welde die Mufcheldämme aufhäuften, 
ihre Todten zu bejtatten pflegten, wiſſen wir nicht; denn die 
älteften Grabdenlmäler Dänemarks, deren es zwei verſchie— 
dene Arten giebt, gehören ſchon einer ſpätern Periode an, 
in welcher die Steingeräthe ſorgfältiger und zum Theil ſchon 
vollſtändig geglättet find. Die eine Gattung von Grab» 
denfmälern jind die ſogenanuten Dettenftuben oder Rieſen— 
ftuben, Familiengrablammern, deren Boden mit flachen Steis 
nen belegt ift und die ein länglicher, mit einem Steinfreis 
umfaßter Eröhügel bedeckt. Verſchieden davon jind die viel 
Heineren Dolmen, Grabfammern, weldye von mehreren auf: 
recht ftchenden Steinblöden in der Weife umgrenzt werden, 
daß der innere Raum eine faſt cylindrifche Sejtalt hat; große 
erratifche Blöde bilden die Deden dieſer Grabftätten, die 
meiſt nur eine Leiche bergen. Im Junern der Grablammern 
fanden ſich nun zahlreiche Meſſer, Dolche, Aexte, Meigel und 
elegante Yanzen» und Pjeiljpigen aus Feuerjtein, forgjältig 
geglättete Hämmer aus Granit, oft von jehr jchöner Form; 
auch entbehte man eirunde Oramitgeräthe, die mit einer rings 


Hafſenkamp: Die prähiftorifchen Alterthümer des nordischen Mufeums in Kopenhagen. 


herum gehenden Rinne verfehen waren und in denen man 
Nesjenter zu erbliden meinte; nad) unjerm Erachten haben 
auch diefe Gegenftände als Hämmer gedient, wenigftend be- 
figt das Kopenhagener ethnographiſche Muſeum noch einen 
Hammer aus Neufeeland, der ganz diefelbe Form aufzumweifen 
hat. Gin Theil der Steinfadyen ift abſichtlich zerbrochen, 
wahrſcheinlich in Folge eines auch noch heute bei einzelnen 
wilden Völkern, z. B. bei den Afgonkin- Indianern, bereichen: 
den Uberglaubens, daß jeder Gegenftand eine Seele befigt, 
welche bei dem Zerbrechen ins Jenſeits wandert, daß aljo 
durch das abſichtliche Bernichten einer Steinart diefelbe in 
den Stand geſetzt wird, ihrem Beſitzer ins Denfeits zu fol- 
gen. Außerdem finden fich in den Grabkammern Ahlen und 
Piriemen aus Knochen und zwar aus Schafknochen, ferner 
Perlen aus Bernftein, der während der Diluvialgeit ans Yand 
gejchmwenmt wurde. Urnen und Töpfe haben ſich nur we: 
nige gefunden und diefe wenigen Exemplare find aus einem 
grauen Thone geformt und die eingerigten höchft einfachen 
Berzierungen find oft mit weißem Kaliglimmer ausgefilt. 
An den Begräbnißflätten feinen zum Theil auch Yeichen- 
mahlzeiten gehalten worden zu fein, wenigftens hat man im 
Samfingerhügel bei Kallundborg auf Seeland einen 
Dolmen gefunden, Über befjen Grablammer eine 3 Fuß 
mächtige Schicht von Speifeabfällen entdedt wurde. Hier 
fand man neben Kohlenüiberreften Muſchelſchalen und Fiſch— 
gräten, nameutlich zahlreiche oft fünftlich zerjpaltene Kno— 
dien von Bierfüßern, befonders von Ochſen, dem Schafe, 
Schweine und Hunde. Ueberrefte von wilden Thieren zeigten 
ſich feltener und es waren eigentlicd nur das Reh und der 
Fuchs vertreten — ein Beweis für den Culturfortichritt feit 
der Periode der Kjöftenmöddinger, wo nur ein Hausthier, 
der Hund, eriftirte; auch Topfſcherben, Knochen: und Stein: 
geräthe fanden ſich dajelbit. 

Nod) interejjanter war eine Entdedung, die man im einer 
Steinlammer zu Borreby machte; hier fand man neben 
Werkzeugen aus lintftein, Perlen und Topfſcherben zahl- 
reiche menſchliche Knochen, die gleichfalls künſtlich gefpalten 
waren, ein Beweis dafür, dag man in damaliger Zeit Leichen 
jſchmäuſe jeierte, bei denen den Gannibalismus gehuldigt 
wurde. 

Ungefähr gleichzeitig ift eine Reihe von Ader- und 
ne die größtenteils in Bittland, zum Theil 
aber auch auf den Inſeln gemacht wurden, Auch hier fand 
man jene forgfältig geglätteten Granithämmer, jene gezahns 
ten, als Sägen dienenden Juſtrumente, forgfältig bearbeitete 
Flintharpunen und Pfeilfpigen, auf denen bisweilen Berzier 
rungen eingerigt find, zahlreiche Yerte und Meffer und dar- 
unter eim im feiner Art einziges Eremplar, ein fichelförmiges 
Dieffer mit Handhabe, wie es bis jest nod) nie anderswo 
gefunden iſt. Namentlich aber find jene Moorjunde für 
die Kenntniß der Schmudjachen wichtig; fo entdedte man 
im Aggers- Moor bei Lemvig ein graues vierhenfeliges 
Thongefäß, welches gegen 1800 Perlen und Schwucgegens 
fände enthielt, und im einem Torfimoore im Amte Rau— 
ders fand mau beinahe 4000 Bernfteinftüde, die theils roh, 
theils ſchon zu Perlen verarbeitet und zum Theil ſchou mit 
Berzierungen verfehen waren. 

Wie fir alle anderen europälfcyen Yänder, jo bildet auch 
für Dänemark die Anwendung der Bronze eine epoche— 
machende Veränderung. Zwar verſchwinden die Stein 
inftrumente nicht jofort volljtändig; jo wurden z. B. Hämmer 
noch lange aus Stein geformt; die ſchueidenden Duftrumente 
dagegen wurden nunmehr aus Bronze gegoflen und and) zu 
Schutzwaffen, dem Helme und Schilde, fowie zu Schmud- 
gegenftänden wurde dieſe Metallmiſchung verwandt; um diefelbe 


Zeit jcheint duch das Gold bekannt geworden zu fein, das | 


365 


theilweife maffiv zu Schmuckſachen, teilweife in dünne Blätt- 
den ausgehämmert zur Berzierung von Waffen diente, 
Gleichzeitig mit ber Einführung der Metalle ſcheinen aud) 
andere Veränderungen vor ſich gegangen zu jein; jo vere 
ſchwindet die Veftattung in Steinfammern und ftatt deſſen 
tritt im der ältern Bronzeperiode die Beerdigung im Holz— 
jürgen (fogenannten Tobtenbäumen) auf, während man in 
der jpätern Bronzezeit die Yeichen zu verbrennen pflegte. 
Fir jene Epodye find namentlich intereffant die Funde zu 
Borum Estöi bei Aarhus, wo man in einem Erdhügel 
einen rohen ausgehöhlten Eichenſtamm und in diefem eine 
weibliche Leiche entdeckte, deren Kleidung, Dank dem confer: 
virenden Moorboden, vollfländig erhalten war. Man fand 
nämlid) wollene eng anliegende Kleider, die alſo die Nach— 
richt des Tacitus von dem veste non Aluitante sed stricta 
et singulos artus exprimente der Germanen betätigen, 
ferner zwei fchmale wollene Gitrtel und zwei geflochtene 
Haarnege, Bon Bronzegegenftänden fand man im biefem 
Grabe eine Hejtnadel, zwei Armringe, Fingerringe und einen 
Kopfring, endlidy auch — und dies ift eine merhwitrdige 
Zuthat bei einer weiblichen Yeiche — einen Doldy, deflen 
Handhabe aus Horn hergeftellt war. Ganz ähnliche Funde *) 
madjte man auf dem Treenhöt und Kongshöi bei Banı- 
drup in Jutland und bei Bolderslen in Schleswig, indem 
man auch hier Yeichen in wollener Tracht entdedte. Auch 
die Beigaben waren ähnlich; man fand Bronzejchwerter in 
Holzicheiden, die zum Theil ſchön verziert waren, Doldıe, 
jene mit Schaftlappen verſehenen Bronzebeile, die man Pal- 
ftäbe nennt, fpiralförmige Bronzeringe und Gewandnadeln 
aus demjelben Metall. Thongeſäße zeigten ſich nicht, wohl 
aber runde Schachteln aus Baumrinde und Holzgefäße, 
welche zum Theil fternförmige, durch eingenietete Zinnnägel 
hergeftellte Verzierungen aufweifen. Ungefähr in diefelbe 
Zeit fallen viele einzelne Waffenfunde aus Yitland und 
Seeland; fo entdeckte man namentlic) ſchöne Norte aus Bronze, 
bie, über einen Kern von gebranntem Thone ſehr dünn ge» 
gofien, zuweilen noch prächtig verziert find und fo eine hohe 
Stufe der Gießlunſt repräfentiren; ferner fand man viele 
bronzene Yanzen: und Peilipigen, die mitunter mit Rinnen 
zur Aufnahme des Giftes (?) verfehen find, auferdem Ges 
wanbnabeln und fpivalförınige Ringe, dann Ortbänder von 
Schwertern, Glirtelhaten und namentlich große Bronze 
fcheiben von etwa 6 Zoll Durchmeſſer, die mit langen Stie- 
len und innen mit Snöpfen verfehen find, über deren Ber 
ftimmung bis jegt aber nod) nichts Sicheres angegeben wers 
den fann. 

Während in der ältern Bronzezeit, wie wir oben anges 
geben, die Yeichen in Baumfärgen beerdigt wurden, ſcheint 
in einer etwas ſpätern Zeit der Yeicenbrand Sitte geworden 
zu fein, und zwar wurden anfangs die Knochenüberreſte in 
Steinfiften geborgen. Dabei fam es auch oft vor, daß man 
Steinfammern aus der Steinzeit ausräumte und zur Aufs 
nahme von Knuochenüberreſten herrichtete. Dies ſcheint 
3 B. bei einem Grabe zu Maglehbi auf Seeland der Fall 
gewejen zu jein, wo man in einem Heinen runden Dolmen 
eine Steinfifte mit verbrannten Knochen und daneben ein 
Diadem und eine Doldjklinge aus Bronze entdedte, Höchſt 
merkwürdig ift aud) der Fund aus Hvidegaard bei Kopen— 
hagen; im einer Steinfifte entdefte man eine Thierhaut und 
auf diefer eine Menge von gebraunten Menjcentnochen, 
welche angenſcheinlich in einen wollenen Mantel eingehlillt 
waren, Neben diejen Knochen fand man ein Bronzeſchwert 








*) Vergl. tarüber den zufammenfaflenden Artikel von 3. Mes» 
borf: ‚Ueber die in Holftein und anderwärte gefundenen Moorleichen“ 
im „Globus“ XX, ©. 139 ff. 


366 


in einer Holzfcheide, die mit Leber überzogen war, eine bron⸗ 
zene Gewandnadel und eine längliche Ledertaſche, welche einen 
höchſt fonderbaren Inhalt aufwies: man fand nämlid) darin 
einen hölzernen Wihrfel, eine Vogelflaue, einen Nattern- 
ſchwanz, eine durchbohrte Schnede, eim Lederbeutelchen mit 
Meinen Steinen angefüllt und ähnliche Dinge, Aus diefen 
merfwürdigen Beigaben fann man mit Recht fchließen, daß 
der Beftattete entweder Arzt ober Zauberer geweſen fei. 

Erjt fpäter fcheint man die Knochenliberrefte in Grab» 
urnen geborgen zu haben; allgemein war diefe Sitte nie- 
mals, wie denn das bänifche Muſeum überhaupt nur ver- 
hältnigmäßig wenige Urmen aufzuweifen hat. Die Urnen 
haben faft alle diefele Geſtalt; fie find aus grauem, ftarf 
mit Sand vermifchtem Thone geformt und meiit ohne be 
fondere Berzierungen; nur eine Urne, die zu Robbedale 
auf Bornholm gefunden wurde, ift merkwürdig genug, befon- 
ders aufgeführt zu werben; fie gleicht einer Art von Bienen- 
forb und Hat die Deffnung nicht oben, fondern an der Seite, 
fo daß man augenfcjeinlich ficht, daß ber Verfertiger diejes 
Gefäß einem runden Haufe mit Dad) und Thür nachbilden 
wollte. Stleinere Gefäße mit der Graburne jugleich beizu— 
fegen war in Dänemark nicht Sitte. Dagegen fanden ſich 
in den Urnen oft Beigaben, Nadeln, Spangen und Schwer: 
ter aus Bronze, die bisweilen, fei e8 um Raum zu fparen, 
fei es in Folge des ſchon oben berüßrten Aberglaubens, ab« 
fichtlicdy umgebogen waren. Auch Miniaturgegenftände aus 
Bronze begegnen uns als Tobtenbeigaben, die dann wohl 
eine ſymboliſche Bedeutung beſaßen. 

Im diefe fpätere Bronzezeit find wegen ihrer feinen Ars 
beit md ausgebildeten Ornamentif eine Reihe von Metall: 
fachen zu fegen, welche meiftens in den Mooren Yütlands 
und Falſters gefunden wurden. Hierher rechne ich zunächſt 
jene prachtvollen Bronzevaſen, die mit getriebenen Orna— 
menten verjehen und deren einzelne Theile zufammengenietet 
find, ein Beweis dafür, daß die Kunft des Löthens damals 
noch unbefannt war. Ferner find befonders erwähnenswerth 
bie großen Blaſehörner, von denen nicht weniger als zehn 

efunden wurden. Cie find etwa 4'/, Fuß lang und ihre 
orm ift ungefähr einem römifchen S ähnlich; eine Bronze 
fette läuft vom Mundſtücke bis zur Schallöffnung und die 
Ringe diefer Kette find meift mit Heinen Bogelgeftalten ver: 
ziert; der Zwed jener Hörner war entſchieden Fein anderer, 
als der, in der Schlacht das Eignal zu geben. Intereſſant 
find auch die Bronzemeffer, welde uns die Weiter: 
entwidelung der Ormamentif ſchön charafterifiren; während 
in der frühern Zeit ſich nur arabesfenartige Verzierungen 
an den Vronzegegenftänden befanden, begegnen uns bei ben 
Meflern der jpätern Zeit Bilder von Thieren und Gegen» 
ftänden,; namentlich find oft Darftellungen von Schiffen, 
Fischen u. f. w. eingrabirt, während bie Handhaben der 
Meſſer felbft fehr Häufig in Thierköpfe, namentlich im bie 
von Pferden und Echwänen, ausgehen. Auch das menjch- 


Aus allen Erdtheilen. 


liche Antlig wird in der fpätern Bronzezeit als Ornament 
verwandt und zwar namentlich an Obhrgehängen, an Griffen - 
von Meſſern und an den Knöpfen von Schmudnadeln; merk: 
wirdiger Weife tragen alle diefe Köpfe einen und denjelben 
Typus: es find plattgebräicdte Geſichter mit hervortretenden 
Kinnbaden und großen, oft noch mit Ningen gezierten Ohren; 
vom germanifchen Typus weichen diefe Köpfe entſchieden ab 
und fie fcheinen vielmehr auf einen mifrocephalen Boltsftamm 
hinzudenten. Ich möchte daher biefe Bronzefachen als im: 
portirt bezeichnen ober zum Mindeften annehmen, daß fie, 
werm auch von einheimifchen Meiftern, fo doch wenigitens 
nad) einem fremden Vorbilde angefertigt wurden. 


Denn daß mar wirklich, im Lande Bronzegeräthe anfer 
tigte, beweifen andere Funde: man entdedte Borräthe von 
Metallarbeiten, zerbrochene Bronzeringe, Schwerter, 
Meffer und Sägen, die zum Einſchmelzen beftimmt waren; 
anderwärts fand man große Maſſen geſchmolzenen Metalles 
und Barren aus Bronze; noch intereffanter find die thöner« 
nen Gußformen fir Sägen, Palftäbe, Meſſer und Nadeln, 
die im Lande zerjtreut gefunden wurden und uns ben Beweis 
liefern, daß wenigftens die gewöhnlichen Geräthe und Schmuds 

egenftände im Lande felbft angefertigt wurden. Auch die 
vbeitung des Goldes hatte im diefer fpätern Bronzezeit 
bedeutende Fortſchritte gemacht; jo befinden fic, im Muſeum 
elf goldene Schöpfgefüße, die, alle in einer Bronzevafe ver 
borgen, in einem Moore auf Flhnen ausgegraben wurden; 
fie haben alle eine zierliche, elegante Form und find zum 
Theil reich mit Ormamenten verfehen. Ganz ähnlich war 
ber Fund, den man auf der Heinen Infel Munfö machte: 
auc bier wurden fechs goldene Schalen, die unter einem 
großen Steine verborgen waren, entdedt. Alle diefe Funde 
liefern und einen Beweis dafür, daß der Gebrauch diefes 
eblen Metalles in damaliger Zeit feineswegs felten war, 

Die Knochen- und Beingeräthe finden felbftverftänd: 
lich in damaliger Zeit geringere Verwendung; doch enthält 
das Muſeum aus diefer Bronzeperiode auch mod) Pfriemen 
und Angelhalen aus Knochen und namentlich ift auch ein 
Fund aus Viborg intereffant, wo man majlenhafte freuzs 
fürmige, oft noch verzierte Knöpfe aus Bein emtdedte; zahl- 
reiche Stüde waren noch nicht vollendet, unbearbeitete Seno« 
den und Abfälle fanden fid) daneben, jo daß die Vermuthung 
nahe liegt, daß wir es hier mit einer prähiftorischen Werts 
ftätte für Beingeräthe zu thun Haben. 


Endlich müfjen wir nod) erwähnen, daß ſich auch oft in 
den Mooren Seelands und Flihnens kuchenähnliche Maffen 
vorfanden, ald deren Hauptbeftanbtheil Birfentheer ermittelt 
wurde. Was Zwed dieſer Theerluchen geweſen ift, ift frag: 
lich; doch haben fie wahrſcheinlich zum Sitten von Thon- 
gefäßen gedient; vielleicht wurde aud) ein Yad aus ihnen 
bereitet, mit dem Schilde, Ledergegenftände und Achnliches 
überftrichen ward. 


Aus allen Erdtheilen. 


Zuftande in den fpanifchen Nepublifen Amerikas. 


Wir baben ſchon oft darauf hingewieſen und es durch 
zahlreiche Beiipiele belegt, wie ſehr die ſämmtlichen ſpaniſchen 
Republiken Mittel- und Südamerikas mit wenigen Ansnahmen 
an ber ihnen fo werthen volitiichen Inftitution der Revolu— 
tion feithalten und wie wenig demnach ihre Milchlingsbevölfe- 


rung geeignet ift, ſich ſelbſt ober andere zu regieren. Eine kurze 
Ueberficht über die Nevolutionen, Pronunciamentos, Rebel: 
lionen u. ſ. w. der paar legten Monate dürfte beredter für 
jene Anficht iprechen, als lange Auseinanderſetzuugen. Um 
im Norden anzufangen, To finden augenblidlih in nicht 
weniger als fünf von den etlichen und zwanzig Staaten des 
merifaniihen Staatenbundes, Rebelliofen ftatt, näm- 


Aus allen 


lich in Nucvo Leon, wobei einige intime freunde des Prä— 
fidenten der Republil die Hauptrollen fpielen follen, ferner 
in Jalisco, Michoacan, Guanajato und Ehiapas. Die Ein: 
zelheiten diefer biutigen Prügeleien — man fann fie nicht 
anders bezeichnen — intereffiren wenig; es ſei nur bemerkt, 
daß die Aufrührer in Chiapas, ebeufo wie die von Nucvo 
Leon zu den Liberalen gehörig, von dem Nacbarfreiftaat 
Gmatemala ber eingebrochen find und von dort ber Inter: 
ftügung erhalten baben ſollen. (Schuldenlaft Mericos bei 
9,400,000 Einwohnern 140 Millionen Mark) *). 

In dem fonft rubigen und auch finanziell gut geftellten 
21, Millionen Mark Schulden bei 600,000 bis 700,000 Eins 
wohnen) San Salvador ift im letzten Juni in Folge der 
Hebereien der Prieſter ein Ichredlicher Anfrubr vorgefommen. 
Die Regierung batte die Verleſung eines den Gelesen feind- 
lichen Hirtenbriefes des Biihofs in San Miguel verboten. 
Der durch Brandreden der Prieſter anfgehetzte Böbel ftürmte 
das Gefängnif, befreite 200 Verbrecher, ermordete faft die 
ganze Garnilon und viele angeſehene Bürger und ftedte 
fchließlich 16 Häufer in Brand. Glücklicher Weile befand 
ſich das engliſche Kriegsſchiff „Fantome* im der Nähe; es 
landete feine Marinefoldaten, welche im Vereine mit Re: 
oierungstruppen den Aufruhr unterdrückten. Charakteriſtiſch 
für denſelben, welcher für über + Millionen Mark materiellen 
Schaden angerichtet bat, ift der Umftand, daß man in ben 
Taſchen mehrerer gefallenen Rebellen Reiſepäſſe fand, welche 
folgendermaßen lauteten: 

„Petrus, öffne dem Inhaber die Himmelspforte; derſelbe 
ift für die Neligion geftorben.” Die Bälle waren „Georg, 
Biſchof von Sa Salvador* unterzeichnet und mit dem Sie— 
gel des bifchöflichen Sprengeld von San Salvador verieben, 

Wir kommen zum Staatenbunde Columbia, welcher 
bei rund 3 Millionen Einwohner 100 Millionen Mark 
Schulden hat. Dort haben unlängft Einwohner bes Staa: 
te8 Magdalena genen die Bundesregierung ſich empört und 
deren Truppen Schlachten zu Waſſer und zu Lande geliefert. 
Die erfte Schlacht fand bei Camarones ftatt; die „Seeichlacht” auf 
dem Magdalena bei Teneriffa zwifchen einem Negierungeichiff 
und einer Infurgentenbande auf den Fahrzengen „Vigilante* 
und „Murillo*. Nach den neueſten Nachrichten ſcheint dieler 
Kartoffelfrien fein Ende erreicht zu haben. Die gegenwärtige 
Landesregierung wird allgemein als eine guteanerfannt und 
thut nach Kräften Alles, was die Production des Landes 
beben könnte; da aber alle Einkünfte, welche bauptfächlich in 
den Zöllen und den Erträgen der zahlreichen Salinen be: 
ſtehen, bebufs Dedung der zu zahlenden Zinfen verpfändet 
find, fo bat fie wenig Mittel zur Verbefferung der Verwal: 
tung und zur Hebung des Landes zu verwenden. 

Ecuador it derzeit derjenige Staat, wo die Jeſuiten 
die größte Macht entfalten. Diefelben betrachten das Land 
als ihre Domäne und wußten es dahin zu bringen, daß ber 
Vräſident Garcia Moreno jährlich eine beträchtliche Summe 
dem Veteröpfennige zuwandte *), obwohl die Stantsjchulden 
bei einer Einwohnerzahl von etwa 1,200,000 Seelen 40 Mil: 
lionen Mark betragen und angenblidlich weder Zinſen noch 
Amortiiation bezablt werden. Nur mit Widerftreben werden 
fih Nenierung und Volk dazu bewegen laffen, den den Frem— 
den gegenüber eingenangenen Verpflichtungen nachzulommen. 
Als unlängst Moreno wiederum auf fünf Jahre zum Präfiden- 
ten erwäblt wurde, nabm bie Gegenpartei — man fann jich 
die That ſchwer aus anderen Urſachen erklären — zum poli- 
tifchen Morde ihre Zuflucht. Moreno blieb todt; aber fein 


* In biefen Summen find nie bie Schulten ter einzelnen Pros 
vingen und Städte mit einbegriffen. 

*) Suatemala machte es anders, als unlänaft zum Schrecken 
der Regierung und Landesvertretung fich drei Jefuitenpatres im Lande 
nieberließen. Die erftere fcheute vor Gemaltmaßregeln zurüd, fo 
lange ſich jene rubig vechielten; aber letztete beſchloß fofort die Aus« 
mweifung der unmillfommenen Gäſte, bemwilligte ihnen jedoch als 
Schmerſens⸗ und Zehrgelt für unterwegs 1500 Dollars, 


Erdtheilen. 367 


Nachfolger Don Luis Antonio Salazar, der natürlich nicht 
ans freier Wahl hervorging, tritt in feine Fußſtapfen; Brei: 
und Rebefreiheit eriftiren nicht, ausgenommen wenn man die 
Tugenden Moreno's und der Jeſuiten rühmt. 

Aus Beru (bei 27, Millionen Einwohner 120 Millionen 
Marl Schulden, die zum Theil durch die nen aufgefundenen 
Guanolager gededt ericheinen) ift von mehreren Aufftänden 
zu melden. Der erſte von Mitte Juli hatte feinen Grund, 
wie fo häufig, in Hetzereien der Prieſter. Der Anftifter, ein 
alter Rebell Namens Arevalo, hatte fich Schon des maritimen 
Gndpunftes der ſüdperuaniſchen Eiſenbahn, Mollendo, be- 
mächtigt und dort geplündert und fuhr dann per Bahn nach 
Arequipa, wo er bei der unrubigen Bevölkerung eines guten 
Empfangs ficher zu fein hoffte, als ihn unterwegs eine An- 
zahl Voliziften anbielten, feine Bande zeriprengten und ibn 
tödteten. Vierzehn Tage fpäterfam es in Arequipa bei einer 
Wahl zum Aufruhr; Blut floß und die Rebellen waren, 
freilich nur kurze Zeit, im factiichen Beſitze der Macht, 
Schließlich begaben fich auch die Indianer von Puno auf den 
Kriegspfad, kehrten aber bald auf demfelben um, jo dafi 
augenbliklich Peru vollftändiger Ruhe genießt, abaejchen von 
den Aufregungen der bevorſtehenden PBräfidentenwahl, bie 
jeden Augenblick zu neuen Blutvergießen führen können. 

Chile, welches durch feine geordneten finanziellen und 
politifchen Verhältniſſe, durd) feine Fortichritte in der Civili- 
fation, durch die Verbefferungen auf materiellem uud ideellem 
Gebiete fich die allgemeine Achtung erworben hat, hat augen: 
blidlich unter einem ausgebreiteten Banbditentbum zu leiden. 
PBrächtig berittene und bis an die Hähne bewaffnete Räuber 
fuchen einzeln oder in Banden die abgelegenen Haciendas 
auf und plündern und morden; felbft in Santiago ift ſchon 
ein Raubanfall vorgefommen Im Congreß bat man als 
Gegenmittel alles Ernſtes über die Wiedereinführung der 
Prigelitrafe verhandelt — natürlich unter Proteſt der Geift- 
lichkeit, weld)e das Recht, diefe Strafe zugudictiren, für fich 
alfein in Auſpruch nimmt — und im Publicum denlt mar 
an Einführung des „Lynchen“. 

Aus der Argentina ift mur eine Heine „Unordnung“ 
in der Provinz Santiago del Eſtero zu melden. 

Wenn wir zum Schluffe wegen des jammtervollen Ju: 
ftandes von Uruguay anf die ausführliche Notiz auf Seite 
239 diefes Bandes verweilen, und bei Baragıay confta- 
tiren, daß es wegen günzlicher Erfhöpfung in Folge des 
Lopez'ſchen Krieges in völlige Lethargie verfunfen iſt und 
feine Revolution mehr zu Stande bringen Tann, weil eben 
die Menfchen dazu fehlen, jo haben wir unfern tranrigen 
Rundgang durch Spanifch: Amerika beichloflen. 


Die Karelen bes Gouvernements Olonei. 


Im Gouvernement Dlonez (pr. Money) lebt eim dem 
Weſteuropäer wenig belannter, der finuischmongoliichen Race 
angehörender Vollsſtamm, der ſich zwar über einen großen 
Flächenraum ausbreitet, aber wenig zahlreich it. Es ift dies 
der Stamm der Karcelen ober Korelen, über weldye wir im 
„Bolos" („Die Stimme") folgende intereffante Notiz finden: 
„Im Gonvernement Olonez find ungeheure Flächen von den 
Karelen bewohnt, Mebr als die Hälfte dieſes Vollsſtammes 
untericheidet fich im häuslichen Leben und in Gewohnheiten 
durchaus nicht von den Ruſſen. Hier find beftändig Hunger: 
jahre. Wührend mehr alt ſechs Monate des Jahres effen 
die Karelen nur Brot, dad mit Stroh und Kiefernrinde ge: 
menge ift. Im den Dörfern der Karelen find Kirchen, und 
wo feine ift, ift eine Capelle. Hiſtoriſch ftebt feit, daß fie 
bereits feit 700 Jahren das Ehriftentbum angenommen baben. 
Trogdem haben fie für die Monate keine Bezeichnung. , Sie 
nennen die Feiertage nicht nach den heiligen Ereigniffen oder 
nad) den Namen der Heiligen, fondern nach irgend einer 
wirtbichaftlichen Eigentbiimlichfeit. Während des einen Feier: 
tages muß man Eier und Käje im die Kirche bringen, wäh: 





368 


rend des andern eine Meblipeife aus Roggenmehl, während 
eines dritten wiederum müſſen die Pferde vor die Kirche 
getrieben werden u. ſ. w. An den Sauptfeiertagen fommen 
die Karelen in die Kirche oder Gapelle, „itellen dem Feier— 
tage, deſſen Benennung fie nicht fenmen, ein Lichtlein* (db. b. 
fie opfern ein Wachslicht von der Länge und Dide eines 
Bleiitiftes, das angezündet und am einen Leuchter aellebt 
wird) und verlaffen fie bierauf fofort, ohne dem Wottesdienite 
beizuwohnen, um fich in der freien Luft, in der Nähe der 
Kirche oder Capelle mit dem Kochen von Schöpienfleifch und 
dem Verzehren deſſelben zu befallen. Die Knochen werden 
immer übers Dach geworfen. Nach der grobfinnlichen Auf: 
faffung der Karelen „dient man dem freiertage* durch Kochen 
und Ehen bejier als durch Betheiligung am Gebete während 
des Gottesdienſtes. Es ericheint wahrhaft unglaublich, daß 
während eines fo langen Zeitraumes, während deſſen die 
Karelen bekehrt find, nichts für die religiöſe and ökonomiſche 
Entwickelung dieſes guten und wenig zahlreichen Vollsſtam— 
mes geſchehen iſt ). Man kann nicht jagen, daß die Frage, 
die Kunſt des Schreibens und Leſens bei ihnen einzuführen, 
nicht erhoben worden jei; aber die Bemühnngen batten eine 
falſche Nichtung. Man beganı damit, die liturgiſchen Bücher 
in Fareliicher Sprache zu druden; trobdem wollten und wol: 
Ten noch jetzt die finniſchen Karelen von diefer Ueberſetzung 
nichts wiffen. Diejenigen, welche leſen können, fanfen eine 
finniſche Ausgabe. Später, vor ungefähr zehn Jabren, wurde 
ein Farelifcheruffiiches Gebetbuch, mach der Ueberſetzung des 
Herren Tichonow, hberansgegeben. Bei den Karelen Schul; 
bildung in ihrer Sprache einführen und verbreiten zu wollen, 
iſt unbedingt Fruchtloje Bemübung. Es wäre binreichend, die 
Aufmerkiamfeit, wenn auch nur auf den Landftrich zu len— 
fen, welcher ſich zwiſchen den Flüſſen Swir und Kondalakſä 
hinzieht, am ruſſiſche induſtrielle Auſiedelungen grenzt und 
von Karelen bewohnt iſt. Den Bedingungen des Bodens 
und Klimas entiprechend, hat ſich in diefer Gegend eine In— 
duſtrie entrwidelt, welche den ärmlichen Aderbau unterſtützt. 
Die Bevöllerung dieſes Landftriches lann man in drei Claf: 
fen tbeilen: in die Claſſe der Induftriellen, welche ſehr wohl: 
habend it: in die der Aderbauer und in cine gemiſchte, 
welche beide arm find. Won diefer Bevölferung verjtchen 35 
Procent in Folge der Handelsverbindungen, welche mit den 
Rufen amterbalten werden, die ruſſiſche Sprache und Fünnen 
Ruffiich leſen. Andere 35 Procent, welche die ſehr armen 
Karelen des nördlichen Theils des Gonvernements (bes Krei⸗— 
fes Kemsk und Powjeney) bewohnen, fommen, um zu jagen, 
im die angrenzenden von Rufen bewohnten Gonvernements, 
wo fte fich ohne Weiteres ganz gut mit der ruſſiſchen Sprache 
vertraut machen. Es bleiben ſonach noch gegen 30 Brocent 
Karelen, welche auch halbwegs kurze in ruſſiſcher Sprache 
verfaßte Gebete mechaniſch lefen können, Auch unter diejen 
findet ſich nicht nur fein einziger Burſche, fondern auch fein 
einziges Mädchen, welche nicht gegen zehn ruſſiſche Lieder, weun 


*, Wer die rufſiſchen Popen, befonbers die, welde in bie nörd⸗ 
lichen Gegenten des Landes geſendet werden, kennt, ber wirb nicht 
erflaunen, dab fie während vieler hundert Jabre nichts zur Bildung 
der armen Karelen beigetragen baben, im Gegentheil wird er ſich 
wundern, baf das Volk durch fie nicht demoraliſirt worten iſt. Uns 
wiflentere Hlaubensverfünter ala tie alten Poyen find fintet man 
höchſtens in Mordafien; «8 find biefes bie Schamanen. Uebrigene 
beweiſt obige Gorrefponteng, daß nicht ber chriftliche Glaube allein 
Nölfer cieilifirt, ſondern menfhlibe Bildung fie auf eine böbere 
Stufe erbebt. A. K. 


Aus allen Erdtheilen. 


auch mit Radebrechung einiger Worte, andwendig wühten. 
Selbſt wenn ſich die Harelen mit einander in ihrem Fdiome 
unterhalten, bört man genen OH Procent ruſſiſcher Ausdrücke, 
die nur durch den kareliſchen Accent unverständlich werben. 
Hierzu fommt noch, daß ſich im der bezeichneten Gegend von 
Jahr zu Jahr die Induſtrie (Eifen: und Holzinduftrie) mehr 
bebt, was noch mehr zur Verbreitung der ruſſiſchen Sprache 
und Schulbildung beiträgt. Die Karelen find alle nüchtern, 
arbeitfam und lernbegierig und deshalb würde die Grün— 
dung von Schulen allein binreichen, um aus dem Karelen 
einen Ruſſen zu machen.“ 


* * * 


— Durch die Zeitungen lief vor Kurzem die Nachricht, 
daß Oberftlientenant Sosnowsfi (vergl. ©. 272) jhom von 
feiner wiſſenſchaftlichen und commercicllen Reiſe durch China 
beim Saiſan-Poſten im Semipalatinsfer Kreiſe wieder ein: 
getroffen fei. Das ift falſch; denn wicht er ſelbſt, ſondern 
nur ein bon ihm mit Briefen abgelandter Kofatenunteroffizier, 
Namens Barlow, ift auf rufftichem Gebiete angelangt. Der: 
jelbe wurde in Lan-tichau-fu, der Hauptſtadt der Provinz 
Kann und Centrum des Nbabarberbandels, erpedirt und 
fegte ganz allein den Weg über Chami, Barkul und Kutichen, 
eine Strede von über 300 deutichen Meilen, in 50 Tagen 
zurid. Diefe Kühnheit ift um jo bewundernswertber, als 
die Gebiete, durch welche die Straße führt, erft kürzlich von 
den rebelliichen Dunganen geſäubert und jegt mit dem nicht 
um ein Haar befferen kaiſerlichen Truppen erfüllt find, Doch 
fand er bei den Behörden überall die beite Aufnahme. Be: 
fonders zeichnete ſich darin General Tio-tiung-tan aus, der 
mit fonveränen Rechten ausgeitattete Gouverneur von Kai: 
fü, Diungarien und Oftturkeftan (fo weit es noch chineſiſch 
if), Nach menschlichen Ermeſſen ſcheint demnach Sosnows- 
ki's weitere Reife, derentwegen ſchwere Bedenken obwalteten, 
gefichert zu fein. Er ift dann der erſte Europäer, welcer 
uns über das Dftende des Tian-Ichan (Bimmelsgebirge) be: 
richten wird. 

— Die Lorbeeren, weldye der „Newport Herald“ anf geo— 
arapbifchem Gebiete durch feine Expeditionen in die arktiſchen 
Gewäſſer und nach Annerafeifa erntet, laſſen andere ameri- 
faniiche Zeitungen nicht ruben. So zeigt ein Blatt an: 
Okefenokee. Dieſes große „unbefannte Land“, beitchend 
aus Sümpfen, Inſeln, Seen, Flüſſen, die Heimath der Bären, 
Hiriche und Alligatoren, der berühmte Zufluchtsort der Semi: 
nolen und die Onelle des Suwannee, des berühmten Stro— 
mes des Geſanges, wird nüchſtens durch eine mehrmonatliche 
theure Erpedition auf Koſten der „Eonftitution" in Atlanta 
(Georgia) erforicht werden, mit reichen Reſultaten in Wiſſen— 
ſchaft, Poeſie und Abenteuern. Diefes Blatt, monatlich fo 
und jo viel Dollars .... jollte in feiner Familie der Ver 
einigten Staaten feblen* :c, sc. Uns foll es Wunder neh: 
men, ob und welche wiſſenſchaftliche Nefultate die Expedition 
aus dem großen, 50 dentjche Meilen von Atlanta entfernten 
Sumpfe auf der Örenze von Georgia und Florida mit beim 
bringen wird. 

— Eine Compagnie von Capitaliften in Melbourne bat 
eine öftlich von Champion Bay unter 25°30 Br. gelegene 
Anfelgruppe von der weitanitraliichen Regierung in Pacht 
genommen, am dort Filchereion und andere Jnduftriesweige 
mi Kulis zu betreiben. 





Republiken Ameritas. — Die Karelen des Gouvernements Olonez. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 20, No: 


vember 1875.) 


Medarteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftrafe 13, IN Tr. 
Drud.und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig. 


Hierzu eine Literarifche Beilage von Ferdinand Hirt und Sohn in Leipzig. 


Band XXVIN. | F 






r Inthropologie und Ethnologie. 


Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit Fahmännern und Künſtlern herausgegeben von 


Dr. Rihard Kiepert. 








Braunſchweig 


Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlid 4 Rummern. 
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Pf. 





1875. 


ne 








%. Garnier's Schilderungen aus Yünnan, 





% 


vo 


Auf dem kurzen Wege mad) Long-fi, dem Sige des apo- 
ftofifhen Vicars von innan, bewunderten Garnier und 
feine Begleiter die vericjiedenartigften romantischen Yand- 
Ichaftsfcenerien. Bon den KHaltwänden des Thales ftürzten 
ſich zahlreiche Bäche herab und zerftiebten, ehe fie den Boden 
erreichten; ftufenweife bauten ſich Feine Hochflächen iiber 
einander auf, mit reichen Saaten und lachenden Dörfern 
bedecdt. Plöglich endete das Thal mit einer Felswand von 
über 100 Meter Höhe, Über welche ein Waflerfall herab- 
rauſchte. Im Zickzack ging es fteil bergauf, und oben ange 
langt fahen fie mit Freude die franzöſiſche Fahne von dem 
Haufe des Biſchofs Ponſot, ihnen zu Ehren, herabwehen. 
Freudenfchüffe begrüßten ihr Nahen und brachten ihre Pferde 
in Galopp. Wenige Augenblide fpäter jchüttelten fie dem 
ehrwürdigen Prälaten, welcher Frankreich noch unter der 
Regierung Karl's X. verlajien hatte, die Hand. 

Diefe katholiſche Niederlaffung hat, ſowohl was Sidyer: 
heit als Berbindungsiwege anlangt, eine günftige Yage und 
ift von ſtarlen Ballifaden umgeben, welche im Vereine mit 
der Energie und ben europäischen Waffen der Inſaſſen noch 
alle Räuberbanden diefer fo ftart von denfelben heimgeſuch⸗ 
ten Gegend fernhielten. Auch gegen die zahlreichen Bären 
und Leoparden der umliegenden Berge find fie von Nugen. 

Einige Kilometer öftli von Long-tizliegt auf dem Oft 
abfalle einer Hügelreihe und hoch über dem Flußbette des 
Hwang-fiang das Seminar und die Schule der Miffion, 
welche ziemlich ftart befucht werden, Dort üben ſich die 
jungen Priefter, welche von Frankreich aus zur Verftärtung 

Globus XXVIII. Nr. 24. 


ber Zahl der Miffionäre nachgefandt werden, einige Zeit 
lang in dem fo ſchwierigen Gebrauche der hinefifchen Sprache. 
Die Dienfte, welche fie der Givilifation dort leiften, follen 
ganz achtbare fein; aber Garnier fann doch nicht umhin, 
ihnen etwas mehr Energie und Aufmunterung von Daheim 
zu wünſchen, damit fie auch der Wiſſenſchaft einige Aufr 
merkfamkeit widmen möchten. Und diefer Wunſch iſt voll- 
lommen berechtigt; denn jene Priefter figen feit zwei Jahr: 
hunderten inmitten einer vollftändigen terra incognita, ohne 
bisher auch nur den geringften Anfang gemacht zu haben, 
das Dunkel, das über ihrer jegigen Heimath noch ruht, aud) 
nur ein wenig zu erhellen, 

Wenn der Präfident des diesjährigen internationalen 
geographifchen Congreſſes zu Paris, da Nonciöresler 
Noury, im feiner Eröffnungsrede dem Miffionär ald einem 
ber regften Förderer des geographifchen Wiffens neben dem 
Seemann umd dem Gelehrten einen bejondern Plag ein- 
räumte und ihn einen Pionier, einen der tapferften Solda- 
ten der Civilifation nannte, fo gebührt dem Herren in Pong:fi 
— nichts von dieſem obendrein mehr als anfechtbaren 

obe 


In jener Schulanſtalt, Tſcheng-fong-ſchang genannt, er⸗ 
hielt Garnier von den Miffionären einen ganz jungen, fürz« 
lid; in einer Höhle gefangenen Bären, im welchem ber 
befannte Zoologe Abbe David einen Ursus Tibetanus 
erfaunte. Derfelbe wurde von den Annamiten der Expedi— 
tion jubelnd willlommen geheißen und mit Zärtlichkeiten 
überhäuft,. Durch feine Gemanbtfeit und Klugheit unter: 

47 


F. Sarnier’s Schilderungen aus Nünnan. 


rem 





Befeſtigte Wohnung des Biſchofs von ünnan zu Long-Fi. 


TR 


F. Garnier's Schilderungen aus Yünnan. 371 


hielt er die Gefellfchaft während der weitern Reife, erlag 
aber in Suez der großen, langandauernden Hige während 
der Fahrt durch das Rothe Meer, Insgefammt giebt es 
drei verfchiedene Bärenarten in jenen Gebirgen, welche die 
Shinefen Chenuhiong, Pau-hiong und Ten-hiong nennen. 
Pegtere Art, deren Namen der „Menſch-Bär“ bedeutet, ift 
die gefährlichfte; von ihr werden eine Menge der abenteuer: 
lichſten Geſchichten erzählt. Der Ten-biong, heißt es, 
katın den Gang und die Stimme eines Menſchen nachahmen 
und lodt dadurch Wanderer, welche jeinen freundlichen Wors 
ten vertrauen, in feine Behanfitng, wo er ihnen ben Garaus 


2 
m 25. April verließ Garnier mit feinen Begleitern 


welcher hier die Grenze zwifchen Ylinnan und Sy' tſchwan 
bildet, hinab, wo ihm die Barke erwartete und in 11/, Stuns 
ben nach Sing-tang hinabführte. Dort machen Strom« 
fchnellen ein Umladen nöthig und haben, eine Bevöllerung 
von Laflträgern und Schiffen im Gefolge. ine halbe 
Stunde weiter ftromab unterbrad; bie 27/, Kilometer lange 
„Stromſchnelle der neun Drachen“ (Kiu-long-tang) wicher« 
wm, num aber zum letzten Male, die Fahrt. Am folgenden 
Morgen tiefen fie glüdlih im den Mang-tfesfiang ein 
und landeten nad) weiteren 3°/, Stunden in Su-tſchau-fu, 
welches am Einfluſſe des großen von Tſching⸗tu-fu, Sz'⸗ 
tſchwans Hauptftabt, herabfommenden Mingstiang liegt und 
etwa 150,000 Einwohner zählt. Durch ihre Lage fteht fie 


Tſcheng · fong⸗ ſchang und ftieg zum nahen Bwangsfiang, | fowohl mit Nünnan als mit Sy'-tſchwan in dem regflen 





Schulgebäude der Miffioen in Münnan zum Ticheng-fong-fhang. 


Handelöverfehr, welcher natürlich damals durch den moham- 
medanifCen Aufftand ftark gelitten hatte. Der Stillftand 
des Bergwerlsbetriebes in Yunnan hatte den Preis bes 
Kupfers auf das Doppelte gefteigert, fo daß jet 100 djine- 
ſiſche Pfund 18, anftatt wie früher 8 bie 9 Taëel fofteten. 
Ebenſo war das Opium von Minnan im Preife geftiegen, 
während ber Anbau diefes Giftes obendrein den viel nüg: 
lichern des Reiches gefcmälert und auch den Werth biejes 
legtern Artikels in die Höhe getrieben hatte. 

Trogbem herrſchte aber ein reges Leben und Treiben in 
der Stabt, wo gerade eine Menge Offizierdafpiranten zum 
Eramen verfammelt waren, welche an den eben angelangten 
Barbaren ihr Müthchen zu fühlen fuchten. Solchen Mäns 
nern, bie eine fo weite Reife ungefährdet zurüdgelegt hatten 
und bis zu dem geflicchteten Eultan in Tarlı vorgebrungen 


waren, ihre Verachtung beweifen zu fönnen, das machte das 
Herz der jungen Krieger höher ſchwellen. Die VBehörben 
hatten fo etwas wohl vorausgejehen und ben Franzoſen einert 
grimmigen Thlixhiter beigegeben. Trotzdem verſchaffte fich 
einer der Fuühnriche unter irgend einem Vorwande Zutritt 
zu der Pagode, melde den fremden als Wohnung diente, 
drang in denjenigen Theil, wo Garnier arbeitete, und gab 
ſich die größte Mühe, vor den Augen einiger Diener und 
chineſiſchen Soldaten, alle Regeln dyinefifchen Anftands mit 
Füßen zu treten, um dem Barbaren feine Geringihägung 
zu erfennen zu geben. Der aber forderte ihn höflich auf, 
fid) davon zu machen: ein höhniſches Lachen war feine Ant 
wort, Und als ihn Garnier zur Thür hinausbugfiren 
wollte, griff er ihn an. Da aber fprangen zwei von Gar« 
nier's Unnamiten hinzu und padten ihn bei der Kehle. 


47* 


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Stanlen’s 


Er ſchäumte vor Wuth, ſtieß tauſend Drohungen aus un 
bat ſchließlich um Gnade. Aber Garnier ließ, raſch ent- 
ſchloſſen, die Beleidigung ſelbſt zu —5* einige Zuſchauer 
eintreten, vor ihren Augen dem Miſſethäter ein Dutzend 
kräftiger Ruthenhiebe hinten aufzählen und ihn alabann zum 
Tempel hinausbeförbern. 

Das machte matitrlich großes Auffehen, und während 
bie gie Leute die Beitrafung ſehr milde fanden, 
ſchwuren bie Cameraden des Gezuchtigten Rache: drohende 
Anfprahen wurden an die Mauern geheftet, worin alle 
mutigen Leute aufgefordert wurden, das Ihrige zu thum, 
damit die übermüthigen remben nicht lebendig aus ber 
Stadt herausfämen. Die Stabtbehörben ließen es dabei ganz 
an der Zuvorfommenheit und Hulfsbereitſchaft, welche dies 
jenigen in Yilnnan ausgezeichnet hatte, fehlen, jo daß bie 
Franzoſen nur auf ihre eigene Kraft angewiefen waren. 
Der Angriff ließ nicht lange auf fic warten: als fie fi 
am 5. Mai eben mit ben in ber Stabt anwefenden französ 
ſiſchen Miffionären zu einem Abſchiedseſſen niedergefegt 
hatten, ftürmte ein Vollshaufen heran, pochte an bie Thore 
des Tempels und verlangte nach Ngan-ta:yen (Garnier), 
an weldyen foeben eine Botſchaft aus Yilnnan angelangt fei. 
Unerſchrocken ließ diefer einen der Thorflügel öffnen, trat 
hinaus und verurfachte durch feine Frage, wo benn der Bote 
fei, ein momentanes Stillſchweigen. Gleich darauf aber 
ftürgten ſich 4 ober 5 mit Langen, Stöden, ja jelbft Sitz⸗ 
bänfen bewaffnete Kerle auf ihn; aber ebenfo raſch wurden 
neben ihm einige Bajonnette feiner treuen Annamiten jicht: 
bar, bei deren Unblid die Angreifer fofort Kehrt machten. 
Aber die Unnamiten fegten hinter ihnen her und ruhten nicht 
eher, als bis auch der legte Mann des BVolfshaufens von 
der num todtenftillen Straße verjagt war. 

Garnier miethete num zwei Diehunfen , eine für die 
Offiziere, die andere flir die Mannſchaft und nahm, nachdem 
am 8. Mai De Yagree’s Sarg angefommen und an Bord 

ebracht worben war, von den Miffionären, namentlich von 
—— Reiſegefährten, Pater Leguilcher, den herzlichſten Ab- 
ſchied. Von Shetſchau⸗fu an befand er ſich auf befanntem 
Gebiete ; big dorthin hatten fchon die Engländer unter Blafi- 
fton den Blauen Strom erforfdjt und aufgenommen, Hier 
endete alſo bie eigentliche Forſchungsreiſe der muthigen 
Franzoſen; Plagen und Mühen hatten ein Ende, und ruhig 
und gemäclic, konnten fie fid) von dem Fluſſe bis nad) 
Schanghai hinabtragen laſſen, vorliber bei der endlofen Reihe 
volfreiher Städte, Fleden und Dörfer, vorüber bei den 
zahlreichen Schiffen, welche von fingenden Menſchen den zu 
jener Jahreszeit wallerarmen Strom hinaufgezogen wurden. 

Unterhalb Sitihau fahen fie zahlreiche Höhlen im 
Kalte der Thalwände, welche einft den hier haufenden Mans 
tie zu Vegräbnißftätten gebient haben. Ohne Unfall er- 
reichten fie Tſchung— fing-fu, ben Mittelpunkt des Han 
dels in Sy’tjchman mit einer Einwohnerzahl von 300,000, 


oria Nihanza. 373 






© fie wiederum von ber Meuge bedro 
Sarg des Commandanten De Yagre 
Died war um fo beleidigender, als ft 
den Todten eine große Achtung an deu Tag ae } 
Aber auch Hier griff Garnier fo energiſch ein, rg der eins 
gefhüchterte Vollshaufen alsbald von weiteren Demonſtra— 
tionen abließ. Der Reichthum diejer günftig gelegenen 
Stadt ift fprüchwörtlich; derfelbe lönnte fi) aber, ebenſo 
wie ihre Bevölferung, nach Garnier's Anficht vergehnfac 
fobald die —— und phyſiſchen Hinderniſſe fg 
dem, welche jetzt noch der Ausdehnung bes Di 
tehre bis Hierher im Wege ftehen. Denn der 
hat zwar unterhalb Tihungsfing-fu Stronfd 
Engen, welche der Schifffahrt läftig fallen, abe 
nicht deratz find, daß fie den bdirecten Werte 
Meerestüfte bis faft au die Grenzen Tibets 
machten. 9* 
Einen Theil ber bedeutendſten und längften bie 
gen ftellt unfer Bild dar; fie liegt werig unterhalb Ste 
tihausfu und wurde vom 23. bis 25. Mai — * 
Mächtige Felſen von Granit oder Baſalt engen den Strom 
von beiden Seiten ein, fo baß feine Breite weniger als 
100 Meter beträgt und feine Tiefe bedeutend wächſt. Seine 
Geſchwindigleit ift gering; die Treidelpfade an beiden Ufern 
hören wegen ber Steilheit derjelben auf. Aber faft beftän« 
dig wehende Oftwinde erfegten zu jener Jahrezeit die Men« 
fchenkraft und trieben die Dſchunken den Strom hinauf. 
Bald fpiegelt dad ruhige Wafler die metalifch glänzenden 
Felſen wieder; bald fchäumen die Wogen wild auf und bre- 
hen ſich an plöglic auftaudenden Klippen. Mitunter 
frönen zierliche Ihürmmchen die fpigen Kaltfelfen, ober es 
beleben von Bäumen beſchattete Pagoden die milde, öde Yand- 
ſchaft. Ab und zu fallen heftige Bindflähe von den Felſen 
aufs Wafler und zwingen die Dihunfen vor Anfer zu gehen. 
Denn die Strömung ift zu ſchwach, um gegen conträren 
Wind vorwärts zu helfen. 

Am Abend des 25. Mai erreichten fie den Beginn der 
großen Ebene von Jetſchang, nachdem fie ein ganzes Jahr 
in den Bergen zugebracht hatten, Yet wurbe ber Fluß jo 
breit, baß fie jelbft dem widrigen Wind zum Segeln bemugen 
konnten. Ohne Aufenthalt ging es ftromab, bis am 5. Juni 
der Anker vor Han-kau fiel, demjenigen Orte, bis zu wel: 
dem die Schifffahrt auf dem Pangstfe freigegeben iſt. 
Hier empfing fie der franzöfifche Conful mit offenen Armen. 
Obgleich noch mitten in China befindlich, hatten fie doch 
nun europäische Bequemlichkeit und europäisches Weſen um 
ſich; hier begann die Freude Über die glückliche Rucklehr, 
die Begrüßungen feiten® der Landéleute. Ein Heiner, flinfer 
Dampfer nahm die Erpedition auf und bradjte fie im zwei 
Tagen nah Schanghai. Um 29. Juni 1868 langte fie 
in Saigon, weldes fie am 6. Juni 1866 verlaffen hatte, 
wieder an. 












Stanley’s Erforfhung des Victoria Niyanza. 


(Na feinen Briefen im „Daily Telegraph“ vom 15. und 18. October und 15. November 1875.) 
Mit einer Karte. 


Von Henry M. Stanley, der befanntlic im Auftrage 
des Yondoner „Daily Telegraph“ und des „Neroyort Herald“ 





in Gentralafrifa reift, liegen drei Briefe vom Wictoria- 
Niyanza-See (wie er deufelben nad) der Ausſprache der Eins 





Stantey's Erfügie 
Faber im Gegenſatze zu Spele's „Nyanza* 
März, 12. bis 14. April und 15. Mai 
ih vor. Das Edjidjal biejer Briefe ift ein 
ir em zwei derfelben von einem ſchwarzen 
uf awabili« Händ ler mit einer Elfenbeinfarawane vom See 
durch die gefährliche Wildniß nach Zanzibar befördert wur⸗ 
den, während der Oberſt Erneft Yinant de Bellefonde 
von Sordon’s ägyptifchem Erpebitionscorps, den Stanley 
anza traf, den dritten übernahm. Auf dem Ruckwege 
Fr jedod) von den Bari (?) überfallen und mit 36 Ber 
enmordet, und die zerriffenen und blutbeflekten Pa— 
EDidicht geworfen, wo fie erft fpäter von einen 
Sordon'$ zufällig gefunden wurden, Als Haupts 
Forſchungen Stanley's zeigt fid), daß der Niyanza 
Höhe von 3808 Fuß gegen Spefe's Angabe von 
E), deiien Ufer er, mit Ausnahme der Südweſtecke, in 
t — Boote befuhr und genau aufnahm, nicht, 
Öingftone nach den Ausſagen Eingeborener berichtete, 
® fünf Seen beſteht, ſondern daß Speke's Behauptung, 
nad) welcher er ein einziges großes Waſſerbeclen bilde, bie 
allein richtige fei. ferner entdedte Stanley den gegen 350 
engliſche Meilen langen Shimeeyur (Schimiju) Fluß, ber, 
unter 5°13° S. entipringend, als größter Zufluß des 
Niyanza ſomit die füdlichfte befaunte Hauptquelle des Nils 
bildet. 

Der erfieBrieffchildert Stanley’ Marfd) von Mpwapwa 
in Uſagara, unter 6'/,° ſuüdl. Br. und 36'/,% öſtl. L. v. Gr, 
bis wohin die letzten Nachrichten über ihn reichten (ſ. „Glo- 
bus® XXVII, ©. 192), nad) dem Niyanza. Mit feinen 
drei europäifchen Vegleitern und mehreren hundert Negern, 
von denen die Wanguana (Freie von Zanzibar) militärisch 
organijirt waren, während die Pagazis (Träger) die Yaften, 
darunter das and einander genommene Boot und viele Tauſch⸗ 
artifel, trugen, drang er unter vielen Neibereien mit den Ein- 
geborenen durch Nord-Ugogo vor. Heftige Kegenftitrnte 
machten die Wege unpaffirbar, fo daß viele feiner Yeute aus 
Krankheit und Ermattung zuriidbleiben mußten. Als er am 
letzten Tage des Jahres 1874 die Weftgrenze von Ugogo 
erreicht hatte, verlieh er nad) zweitägiger Raſt den alten Weg 
nad) Unganyenbe, welchen er jchon 1871 und 1872 zurüd- 
gelegt hatte, und fegte den Marjch auf gänzlich unbekannten 
Pfaden Über ein faſt ebenes, bewaldetes ‘Plateau nach Norden 
fort. Er fand, daß daffelbe ſich 300 engl. Meilen lang 
von Muanzır bis zum Niyanza erſtreckt und die Landſchaften 
Uyanzi, Unmyanyembe, Uſuluma, Urimi und Iramba und 
fomit den ganzen Theil Ceutralafrikas zwischen dem Rufidſchi— 
Thal im Süden und dem Niyanza im Norden umfaßt; die 
Höhe deſſelben wechjelt zwilchen 3800 Fuß im Oſten bis zu 
A500 Fuß im Welten, und an feiner Stelle ergaben die 
Aneroiden eine größere Elevation ald 5100 Fuß über dem 
Meere. Die Oberfläche diefes Plateaus ift von den fitnfs 
monatlichen tropiſchen Regengüſſen tief zerriſſen und zer 
Flüftet, der dlinne, mit lofem Sand vermiſchte Alluvialboden 
ift fajt ganz fortgefchmenm, fo daß liberall der harte Stein« 
boden von Granit, Gneis⸗ und Porphyrfragmenten am der 
Oberfläche erfcheint, 

Am dritten Tage bdefertirten ſämmtliche gemietheten Wa 
gogo⸗Flihrer, der ſchmale Pfad verſchwand unter einem Ya: 
byrinth von Glephantene und hinocerosfährten, und nur 
mit Hilfe des Gompajles drang die Expedition mühfan 
durch ein Dieicht von Alazien und Kiefeneuphorbien vor- 
wärts, Waſſer und Yebensmittel gingen aus und am finfe 
ten Tage mußte fchlechterdings vor Erſchöpfung Halt ges 
macht umd zwanzig der ſtärlſten Leute mach dem 29 engl. 
Meilen nordweitlich gelegenen Sung voransgefcidt werben, 
um Nahrung zu kaufen. Auch die Jagd war fruchtlos; nur 





















oria Niyanza, 


| zwei junge Löwen wurden gefunden, Als letztes Mittel 
| Seite Stanley einen eifernen Koffer mit Waffer übers feuer, 
und nahm aus den medicinifchen Borräthen flinf Pfund 
Hafergrüige und drei Vlechblichlen Nevalenta Arabica, mwors 
aus er einen Brei fochte, mit dem iiber 220 Mann geflittert 
wurden. Nach 48 Stunden fehrten feine Boten von Suna 
mit Getreide zurlick und an bdemfelben Abend wurde bie 
Grenze des Dſchungels erreicht, in dem acht Mann ihr Ende 
gefunden hatten. 

Am nächften Tage erreichte die Expedition felbft bie Land⸗ 
ſchaft Suna in Urimi, nad) einem heißen Marfche über 
eine breite Ebene, Die dortigen Eingeborenen zeichneten 
ſich durdy männliche Schönheit, edle Proportionen und — 
gänzliche Nadtheit aus; nur die Weiber, welche Kinder trur 
gen, hatten Ziegenfelle um. Dagegen waren alle fehr arg« 
wöhnifd und taufchten nur wiberwillig ihre Vebensmittel 
egen Tuche und Perlen ein. So erſchöpft waren Stanley’s 

eute, daß meitere ſechs Hier ftarben, und Ruhr, Diarrhbe, 
Bruſt- und Fußfranfheiten fich bei den Uebrigen einftellten. 
Zrogbem durfte, der zweideutigen Haltung der Eingeborenen 
wegen, bloß vier Tage geraftet werden; aber nur dadurch, 
daß fämmtliche Soldaten Yaften zu tragen übernahmen, 
konnte der Marſch durch dag offene und wohlbebaute Urimi 
fortgefegt werden. Am 17. Januar wurde Chiwyu (Tichimju) 
erreicht und hier farb der junge Engländer Edward Po— 
cod, ber ſchon feit Suna in der Hängematte getragen wer: 
den mußte, am Typhus. Die beiden mitgenonmenen Pebo- 
meter zeigten die vierhundertfte Meile feit Berlafjen der Küifte 
an; Stanley befand ſich jegt am Fuße der Wallerfcheide, 
von ber ſämmtliche Bäche norb- und norbweftwärts ın den 
Niyanza, das große Baſſin des Weißen Nile, fließen, Nod 
zwei Tage führte der Marſch durch Urimi; bei Mangara 
wurde Kaif Halle, ein alter Begleiter Stanley's auf der 
Suche nad) Yivingitone, von den Warımi abgejchnitten und 
in Stüde gehauen; es war dies bie erfte feindliche That der 
Eingeborenen. 

Um 21. Januar erreichte die Erpebition den Bezirk 
Ituru in Nord:lleimi und campirte bei dem Dorfe Tin 
yata, in einem breiten Thale gelegen, mit 2000 bis 3000 
Einwohnern, durd) das der Leewumbu (Liwumbu) weftwärts 
fließt, welcher ſämmtliche Heine Ströme vom Süden aufnimmt, 
fo daß er felbft im der trodenen Zeit gegen 20 Fuß breit 
bleibt. Die Eingeborenen bradjten Milch, Eier und Hühner, 
der die Stelle eines Königs vertretende Zauberboctor ſogar 
einen fetten Ochſen, woflir Stanley fie doppelt mit Zeugen 
und Perlen bezahlte, dabei aber mit Argwohn bemerkte, daß 
fie feine in der Sonne zum Trodnen geöffneten Waaren: 
ballen mit Begierde betrachteten. Am dritten Tage waren 
alle feine Yeute bei ihren verfchiedenen Beſchäftigungen zer» 
ftreut, als plöglid) aus den 200 Weilern und Dörfern des 
Leewumbu- Thales der Kriegsruf der Waturu: „Hehu, 
A Hehu!* (die letzten Silben langgedehnt) Jaut und durch⸗ 
dringend ertönte. Das von nur dunnem Buſchwerfgehege um: 
gebene Lager lag zum Glück auf 50 bis 60 Yarde weit 
offenem Terrain; nach Weften erftredte ſich meilenweit eine 
breite Wildniß, nad) Norden, Uften und Ziiden war das 
ganze Yand von Dörfern und bebauten Feldern mit ba: 
zwiſchenliegendem Bujchwert bededt. In kurzer Zeit war 
das Yager von unzähligen Waturu-Kriegern in vollem Kriegs- 
Heide umringt, mit Bogen, Pfeilen und Speeren bewaffnet, 
auf den Köpfen Federn, Zebra⸗ und Öiraffenmähnen. Wäh- 
rend Etanlıy feine Begleiter fammelte, Munition austheilte 
und durch einen Dolmeticher erfolglos mit den Wilden unter: 
handeln lieh, erſchien einer feiner Yente ſchwer verwundet im 
Yager und berichtete, daß fein Begleiter, mit dem zufanımen 
er Holz im Buſche gefucht hatte, von einem Dutzend Speere 





Stanley's Erforih 


durchbohrt fei. Zu gleicher Zeit drangen die Waturu vor 
und jandten einen Pfeilregen im das Yager, worauf augen: 
bliclich 6O mit Snider-Öewehren bewaffnete Wanguanas 
Soldaten ald Tivailleurs vorgingen und mit der erjten Salve 
die Wilden in die Flucht jagten, während Stanley ſchleunigſt 
eine hohe Dornenhede um das Yager und aus den Theilen 
des Booted eine fette Zufluchtöftätte bauen ließ. Auf fein 
Hornſignal fehrten die Tirailleurs von der Verfolgung zurlid, 
nachden fie ben Feinden einen Berluſt von 15 Zodten und 
vielen Berwundeten zugefügt. Am folgenden Morgen jedoch 
erfchienen die Waturu wieber im verftärkter Anzahl, worauf 
Stanley vier Abtheilungen unter erprobten Führern in ver: 
ſchicdenen Richtungen durch das Thal fandte mit dem Befehl, 
alles Vieh zu nehmen und ſämmtliche Dörfer in Brand zu 
fieden. Bald verkinderen Rauchwollen in drei Himmels: 
gegenden bid auf acht Meilen Entfernung den Erfolg diefer 
Tattit, während die Waturu ic) überall zurlüidjogen. Doch 
follte der Sieg nicht billig exrfauft werden, denn eine der 
Abtheilungen, die fich zu weit von den anderen entfernt hatte, 
wurde von den Wilden umzingelt, und bis auf dem mitge- 
gebenen Yäufer niedergemacht. Als die Soldaten am Abend, 
mit Vieh und Getreide beladen, ins Yager zurlidfchrten, zeigte 
die Namensverlefung einen Verluſt von 21 Mann, gegen den 
feindlichen ven 35. Auch am dritten Tage wurde die Zer— 
ftörung der verrätherifchen Ortfchaften fortgefegt und erſt am 
vierten z0g die Erpedition, mit fech&tägigen Provifionen be— 
laden, nordweſtwärts aus dem jegt ftilen und vauchenden 
Thale ab. 

Nach drei Tagen wurde die Landſchaft Jramba erreicht 
und zwiſchen Mgongo Tembo und Mombiti trodenen 
Fußes die 40 Meilen breite fogenannte YumamberrisEbene 
pafjirt, die, 3775 (?) Fuß Über dem Meere und nur wenige 
Fuß Über dem Niyanza gelegen, während ber Maſika oder 
Regenzeit zweifelsohne einen großen Seitenarm des letztern 
bildet. Nach Durchdringung des weſtwärts gelegenen Walr 
des und Dicklichts kam Stanley in dem dichtbevöllerten und 
viehreichen Ufufuma an, das fid) im einer Reihe wellen- 
förmiger Ebenen, von zerklüfteten Hügelfetten durchzogen, 
vor ihm auödehnte. San; allmälig führte die Neigung 
durch die Diftricte Mombiti, Ufiha, Mondo, Sengerema und 
Marya des Reiches Ufukuma zum Niyanza hinunter, und 
am 27. Februar diefes Jahres wurde ber See ſelbſt bei dem 
Dorje Kagehyi am Sudoſtuſer im dem Diftricte Uchambi 
und Ujufuma erreicht. Als Stanley am Tage nach der An: 
tunft über feine Leute Mufterung hielt, fand er, daß von 
mehr als 300 Mann, mit denen er die Hüfte verlajlen hatte, 
nur noch 2 Europäer und 166 Wanguana Soldaten und 
Träger vor ihm ftanden, jo daß er in weniger als vier Mo— 
naten durch Krankheiten, Ermattung, Hunger, Defertion und 
Krieg gegen 150 Afrikaner und einen Europäer, alfo etwa 
die Hälfte, verloren hatte. Der Marſch von 720 Meilen, 
zu bem bie Araber neun Monate oder ein Jahr gebraucht hät- 
ten, wurde in bloß 103 Tagen, mit Einſchluß der Aufent- 
halte, vollendet. 


Die beiden anderen Briefe enthalten Stanley's Schil- 
derung feiner Rundfahrt auf dem Niyanza-See, der erften 
eines Europäerd, denn Spele und Grant fahen nur Meine 
Theile feines Ufers, Am 8. März verließ er, nur mit den 
nöthigften Inftrumenten verfehen, in dem zufammengefetsten 
Segelboote „Lady Alice*, mit einer Maunſchaft von elf 
auserlefenen Leuten und einem Führer, fein Yager bei Ka— 


FRE Victoria Niyanza. 





gehyi, das er unter der Aufficht 
Am Südufer nad Often entlang fahrende, 

in der Südoftede des Sees eine ungeheuere Bay, die er 
Speke-Golf benannte. Derfelbe iſt 25 Meilen breit und 
gegen 65 Meilen lang und enthält die Mlindung des oben 
erwähnten Shimeeyu⸗Fluſſes, des Hauptzufluſſes des Nhauza. 


Es iſt dies derſelbe, den Stanley bereits als — in 


Bezirk Ituru traf, und der nach einem Laufe von, ie 
len in Ulufuma den Namen ——— ‚un noch 










weiteren 100 Meilen ſich mit dem Yumaßıbeii 
den und dann als Shimeeyu ſich in den Spe 
gießen. Stanley giebt ihm eine Gefanmttlär 
bis 370 Meilen und hält ihn file den ſüdlicht 
des Nil. Die eine Meile breite Mündung Meg 
33° 33’ öftll, & und 2035’ ſudl. Br.; weiter o 
er ſich bis auf 400 Yarde. Auch der Nuana-f 


flach und fumpfig auslaufende Dftende des Spele-Goſſe, 
auf deſſen Südufer die Heinen, von unabhängigen Häupt- 
lingen regierten Bezirfe Sinna und Magu liegen. Auf 
der Oftfeite des Shimechu erftreden ſich die rauhen, dünn— 
bevölferten Hligelfetten von Maganza und Manafu, 
das Paradies der Elephantenjäger, während an der Mün— 
dung des Nuana die finfteren und ſich abichliegenden Bewoh: 
ner von Wiregedi und die ſchlanken, mit langen Meſſern 
und Speeren bewaflneten Watutwa leben, deren Sprache 
ſich von der der Wajila, ihrer Nadybarn in Mangſu, unters 
ſcheidet. Auf der Norbfeite des Golfs liegen die Fahlen 
Berge und Flächen von Schafchi, von denen nur ſchmale 
Streifen am Ufer Gebitfh und Röhricht tragen. Am Weſt- 
ende dagegen erhebt ſich die große, an Vieh und Elfenbein 
reiche Infel Uferewe, vom Feſtlande durch die enge Rugeſhi— 
Straße getrennt. Die Walerewe, unter ihrem Könige 
Lufongeh, bewohnen noch mehrere andere Inſeln, bejiten 
viele Canoes und find ein unternehmendes und handel 
treibendes Boll. Auf der nördlich von Ulerewe gelegenen, 
18 Meilen langen Infel Ukara find die Eingeborenen der 
Magie und dem Zauberdienjt ergeben. Stanley fuhr nicht 
durch die Rugeſhi-⸗Straße, fondern umfegelte Ukerewe und 
näherte ſich wieder dem Feſtlande bei dem 3000 Fuß hohen 
Tafelberge Majita, der, auf allen Seiten von niedrigen, 
braumen Flächen umgeben, von Spefe irrthümlich Mazita: 
Infel benannt wurde. Bon hier an (10 50' fldl.) erftredt 
fic) die von tiefen Buchten und Bayen eingeferbte Hüfte des 
großen Reiches Ururi bis zu 0°40" fübl. Br. direct mach 
Norden. Das im viele Diftricte zerfallene Reich, deren Nar 
men Stanley auf feiner Karte angiebt, befteht aus großen, 
flachen Ebenen, auf denen zahlreiche Biehherdeu weiden, Uns 
ter den vielen in den Ste fallenden Strömen ift der Shirati 
ber bedeutendfte. 

Nördlich von der tief ins Pand einjchneidenden Kavi« 
rondosBan, in die fid) der Gori ergieft, erheben ſich die 
über 3000 Fuß hohen Berge des Reiches Ugegeya, des 
Eldoradod der Elfenbein: und Stlavenjäger. Die furdt- 
ſamen und argwöhnifchen Eingeborenen, die oft von Streif- 
zügen ihrer ſüdlichen Nadjbarn, der Waruri, heimgeſucht 
werden, erzählten von der wunderbaren Landſchaft Sufa, 
15 Tagereijen nach Oſten, wo niedrige Hügel Rauchwollen 
und manchmal Feuer ausftogen, Yangjanı fegelte die „Yadı) 
Alice* im Schatten des riefigen Goſhi-Berges auf dem 
Feſtlande und ber eben fo hohen Ugingo-Inſel zur Linlen 
durch die todtenftille, ruhige Straße, die von den Eingebos 
renen mit abergläubifcher Furcht betrachtet wird. Weiter 
nördlich landete Stanley am zwei Heinen, von üppiger Ve: 
getation bededten Bafaltinjeln; auf einer derfelben, davon 
Bridge Island benannt, entdedte er eine natürliche Stein 





Stanley’s Erforfi 


ite und 15 Fuß Höhe, während 
Meine Höhle als Aufenthaltsort fir 
Nachdem der Aequator paffirt war, wurde 


ctoria Riyanza. 


unter 34049’ öſtl. L. der öftlichfte Punkt des Niyanza im 
der infelreichen und tiefen Nalidimo-Bay erreicht, deren 
nadte Bewohner beim Anblid des Bootes entflohen. Bor 






b 
au 
Fiſcher diente, 








_32 { tl.dlv. — 


= Tkunga 
— Wwye | 
— ‚Nase ara 


Utschnuhifge © 


= 
ww 
= 
ad 














Der Victoria-Niyanza-See nach Stanley. Maafftab 1 : 2,800,000. 


dem ſich hier ergiegenden Ugoweh-Flufſe wurde die „Lady 


Alice* von mehreren Flußpferden in die Flucht geichlagen, 


———— größere Dorfgruppen als irgendwo anders 
fand, 
um bei dem Bezirle Mahata, wo Stanley eine dichtere 


—* einem verrätheriſchen Angriffe der an Eis 
bogen und Stirn mit Meinen Landmuſcheln gejchmidten 





Stanley’s Erforfhung des Victoria Niyanza, 


Eingeborenen zu entgehen, die mit Speeren, Bogen und 
Schleubern bewaffnet am Ufer im Hinterhalt lagen. 

Das darauf folgende Baringo zeichnet ſich wieder durch 
hohe Hügel, Kegel und Plateaus aus, die nach Often flach 
verlaufen. Das ebene, vom Yagama durdhfloffene Unyara 
umfaßt die Norboftede des Niyanza, bie, von ben 
Infeln C haga und Uſuguru eingejchloffen, einen feparaten 
See bildet. Bon den friedlichen Eingeborenen, deren Spradhe 
fid) gänzlich von der in Uſukuma, am Südende, unterfcheibet, 
erhielt Stanley Lebensmittel und Gemitfe. Jetzt wandte ſich 
die „Lady Alice“ weftwärts, um an der Norbfüfte, am den 
Ufern des Reiches Ufoga, entlang zu fahren. Auch dieſes 
zerfällt im viele Bezirke, zu denen die zahlreichen Infeln am 
Ufer gehören, unter denen Uvuma die größte if. In ber 
Nähe derfelben wurde das Boot von dreizehn großen Canoes 
mit über hundert bewaffneten Sriegern umringt, die unter 
denn Vorwande, füße Bataten umtaufchen zu wollen, ſich der 
„Lady Alice“ zu bemächtigen fuchten, aber durch Stanley's 
große Elephantenbüchfe, die ihmen mehrere Todie und den 
Canoes vielen Schaden beibradjte, in die Flucht gejchlagen 
wurden. Weiter mweftlich ftellte fich bald eine bemerfbare 
Strömung nad) Norden ein und fpäter lief das Boot in ben 
breiten, Ujoga von Uganda trennenden Napoleon-Canal, 
durch den der Bictoria-Nil, der Ausflug des Niyanza, feinen 
Weg nad) Norbweften nimmt. Nah Einnahme aller Segel 
ließ Stanley das Boot bis auf eine halbe Meile oberhalb 
der ſchon von Spete gefehenen Ripon- Fälle rudern, deren 
reißende Stromjchnellen ſich wilbihäumend an den Gneis— 
und Hämatitfeljen des Flußbettes brachen. Nach Berlaflen 
des Ausfluffes führte die Fahrt weiter nad) Welten an den 
unregelmäßigen Ufern des Reiches Uganda entlang, Im 
Ukafu landete Stanley und fchidte Boten an den König 
Mtefa ab, um ihm die Ankunft eines Europäers zu melden. 
Der in diefer Gegend von Spele gejehene Yuajerri- Fluß 
(in ber Kiſawahili⸗Sprache wörtlich: „ſtilles Wafler*) hat 
feine Eriftenz; doch fand Stanley in ber 12 Meilen breiten 
und 8 Meilen langen Murdifon-Bay (nicht Creek) eine 
regelmäßige, zwei Stunden lange Fluth und Ebbe während 
des Morgens. Nach diefer Bat) wurde die „Fady Alice* 
von einer Canoeflotte des Königs geleitet, und am 4. April 
flieg Stanley, von 2000 Eingeborenen mit Flintenſalven 
und Fahnenſchwentlen begrüßt, bei Uſawara, dem Lager deö 
Königs, ans Yand. Satafiro, der Hauptmufungu oder 
Beamte von Uganda, führte ihn im fein Quartier und brachte 
ihm 16 Ziegen, 10 Ochſen und viele Fruchte und Lebens- 
mittel als Geſchenk des Könige. 

Am Nacmittage wurde er durch eine SO Fuß breite und 
eine halbe Meile lange Straße geführt, die auf beiden Sei⸗— 
ten von Trommlern, Pfeifen,» Gomaſchlägern, Fahnen» 
trägern und Kriegern, über 3000 an der Zahl, eingefaßt 
war. Am Ende berfelben faß der König im Schatten des 
Andienzhaufes auf feinem Throne, einem Armſeſſel einheis 
mifcher Arbeit, im Halbfreife von einem Hundert feiner gros 
Ben Häuptlinge, Kriegsführer, den Söhnen von Provinz- 
ftatthaltern und Höflingen umgeben, ſämmtlich in reicher 
Fe Tracht, während hinter ihm feine Leibwache von 
200 Mann und die königlichen Schild, Speer: und Gewehrs 
träger ftanden. Als Stanley ſich näherte, ftand der König 
auf, und als beide ſich ſtumm die Hände drlidten, erhob ſich 
— betäubender Lärm von Trommeln, Pfeifen und Gewehr⸗ 
falven. 

Mteſa, König von Uganda, Ufoga, Unyoro, Ufui und 
Karagwe, einem Reiche von 360 geographifchen Meilen 
Fänge und 50 Meilen Breite, mit 2 Mill, Unterthanen, 
ift gegen 34 Jahre alt, hoch und ſchlank, aber breitſchulterig, 
mit großen Augen und einem angenehmen Geficht voller 

Globus XXVIN, Nr. 24. 


377 


Intelligenz und Milde, mehr einem Araber von Mustat, 
als einem Eingeborenen Centralafritas gleih. Seine Ma- 
nieren und Geberden find anmuthig, artig und freundlich, 
was um fo auffallender ift, als Stanley erſt der vierte Eu: 
ropäer war, den er ſah. Spele und Grant fanden ihm im 
Iahre 1861 als rohen, eitlen Wilden und Heiden; vor vier 
ober fünf Dahren aber ift er mit feiner ganzen Umgebung 
zum Islam übergetreten, Mleidet und beträgt ſich arabifch und 
bat alle früheren täglichen Blutbäder von Männern und 
Weibern und fonftige graufame Strafen abgeſchafft. Stanley 
behauptet, ihm einige Dbeen des Chriſtenthums, die zehn 
Gebote, Baterunfer u. ſ. w., beigebracht zu haben und fordert 
in Mtefa’s Namen mit genauen Inftructionen und den ver— 
lodendften Berfprechungen engliſche Miffionäre auf, nad 
Uganda, als einem lohnenden Urbeitsfelbe, zu fommen *), 

Der König befand fic mit feinem enormen Gefolge feit 
vierzehn Tagen in Uſuwara auf der Bogeljagd. Am Tage 
nad) Stanley’s Ankunft fand eine große Flottenrevue von 
834 Ganoes mit fiber 2500 Kriegern ftatt, die Wettfahrten 
und ausgezeichnete Manöver ausführten. Am folgenden Tage 
führte der König felbft die flotte die Murdifon-Bay hinauf, 
um feinem Gaft feine Geſchicklichteit als Bogeljäger zu zeir 
gen; am britten fchofjen bie Truppen nad) der Scheibe und 
am vierten marſchirte ber König mit Stanley und allem 
Gefolge nad) Ulagalla, der Kibuga oder Hauptftabt feines 
Reiches, ab. In der Nähe derfelben erweiterte fich ber Weg 
von 20 bis auf 150 Fuß Breite und reichbebautes Land 
zeigte fich auf allen Seiten. Die töniglichen Gebäude, hoch 
und luftig aus Gras und Rohre gebaut, das Dad; von ftar- 
ten Baumſtämmen geftügt und im Innern mit Leinwand 
betleidet, Liegen auf einem Hügel, über dem auf hoher Stange 
eine große Flagge wehte. Ringsum laufen freisförmig fünf 
Reihen Pallifaden mit runden Höfen und eine gegen 200 
Fuß breite Straße, von der ſechs oder fieben Wege ftrahlen: 
fürmig ausgehen, an denen bie Hütten und Gärten liegen; 
die genaue Yage der Stadt ift unter 32°49'45” öſtl. L. und 
0° 32’ nördl, Br. 

Am vierten Tage nad) Stanley’s Ankunft in Ulagalla 
langte ber erwähnte ägyptifche Oberft de Bellefonds an, um 
in Gordon's Auftrage einen Handeldvertrag zwiſchen Mteſa 
und dem Chedive abzuschließen. Am 17. April verlich Stan- 
ley in der „Yaby Alice* vom zehn großen Canoes des Königs 
begleitet wieder die Murdifon-Bay und fegte feine Umſchif⸗ 
fung des Niyanza fort. Bei feinen aftronomifchen Beob- 
achtungen fand er, daß Spefe ſich bei faſt allen feinen 
Breitenbeftimmungen an der Ugandarslüfte um 14 Meilen 
irrt **), An der Weftkitfte, an der er jegt nad; Süden ente 


*) Diefer lodenden Aufforkerung wird bie „Ghurb Miſſionarv 
Society" um fo cher folgen, ala ibr bereits zu ben Koften biefer 
Unternehmung von zwei Anbelannten 3000 refp. 5000 Pf. Et. 
jugegangen und von ihr arceptirt worden find. 

**) Bergen diefe wie mandhe andere Behauptungen und Angaben 
Stanley’s, namentlich gegen die durch Hörenfagen breeinflußten, ers 
tlärt ſich Richard Burton (Geographical Magazine, Novembre 1875, 
p- 354 und Athenäum Mr. 2509 S. 712) fehr entichieren. Xieuter 
nant Gameron hat nämlich eine Anzahl von Spele's Breitenbeftims 
mungen an Ort und Stelle geprüft und ben Fehler faft niemals größer 
ala eime englifche Meile gefunden. Auch daß Stanlen in 58 Tagen 
über 1000 Meilen Seefüfte aufgenommen haben will, erregt ibm 
Vebenfen. So weit alfo Spele 1858 und Spele unb Grant 1861 
die Süd: und Morblüfte des Sees mittel guter aftronomifcher Beob⸗ 
achtungen niedergelegt haben, muß fie nach Burton's Anficht auf 
unferen Karten in alter unveränterter Form feſtgehalten werten. 

Als weiterer Grund zu Zweifeln fommrt binzu, daß die im dem 
dritten Briefe (erft am 15. November publicirt) enthaltenen aftıo= 
nomlſchen Beſtimmungen Stanley’s häufig mit feiner Karte nicht 
flimmen. Trogvem geben wir biefelbe, fe wie fie uns vorliegt, ohne 
fie an die früberen Routen und Kartenfliguen eines Speke, Grant, 
Baler oder Long angufchliefen und anzupaffen, was mit genügenber 


48 


378 


lang fuhr, erreichte er unter 0016’ nördl. Br. die Mündung 
bes bedeutenden Katongo-fsluffes, wo ihn die zehn Canoes 
der Waganda verließen, um nad) der 12 Meilen vom Feſt— 
lande entfernten Infel Safe, der größten des Sees, hinüber- 
zufahren. Acht Meilen weiter ſüdlich fand er den Amionge— 
Fluß, aber bei weiten der größte ber Weftfüfte ift der Ka— 
gerah, der in Karagwe Kitangule heißt und 40’ fdlic vom 
Aequator mlndet. Bis an fein Morbufer reicht Ugunge, 
füdlic, fängt Ufongora ar. 

An biefem Punkte angelangt fliegen Stanley’s Berichte 
plöglic,, denn die Karawane Singoro's, der dieſelben beför- 
dern follte, befand ſich bereits unterwegs. Nach einigen nur 
angebeuteten jchlimmen Abenteuern, über die und die Namen 
auf ber Karte „Schlacht Bucht“ und „Zufluchts -Inſel“ 
feine nähere Aufklärung geben, jcheint er mit Auslaffung der 
Sidweftede des Sees mit feinem Voote quer Über den brei« 
ten Niyanza gejegelt und am 5. Mai in fchlechtem Zuſtaude 
wieder in feinem Lager bei Kagehyi angelangt zu fein. Hier 
fand er, daß Frederick Barker zwölf Tage vorher am 
Fieber geftorben war und ihm fomit nur noch ein einziger 
Sicherheit etſt geſchehen kann, wenn Stanley’s einzelne Beobachtungss 
elemente vorliegen. Nur find nach feinen Berichten der Rartenffigge 
einige Namen mehr als fie urfprünglich enthielt, eingefchrieben worden. 


Albin Kohn: Die Mongolen. 


weißer Begleiter, Francis Pocod, der Bruder des im Chiwyu 
begrabenen Edward, blieb, Auch die Erpebition war ber 
Auflöfung nahe, denn die Nachricht des Kampfes mit den 
Canoes der Wawuma war als Gerücht des völligen Unter 
gangs ihres Führers zu ihnen gedrungen. 

- Während feiner 5Stägigen Rundfahrt um den See legte 
Stanley über 1000 Meilen in der „Lady Alice“ zurüd; 
bie größte von ihm gefundene Tiefe ift 275 Fuß, doch Hatte 
er noch nicht die Mitte des Sees fondirt; täglich nahm er 
er Obfervationen mit bem Seehorigont — zwifchen feinen 

ager und Mteſa's Hauptſtadt allein 37 —, mad) welchen 
fowie mit den an der Weftfüfte genommenen er die erfte 
zuperläffige Karte des Niyanzafees, freilich ohne die Südweſt ⸗ 
ede, entworfen hat. 

Als unmittelbar vor ihm liegende Arbeit giebt er vor 
Allem die Vollendung der Seeaufnahme an, um dann, nad) 
einem zweiten Beſuche bei Mtefa, direct weſtwärts nach dem 
Albert Niyanza zu marfchiren, um uns auch ber diefen und 
bann ben Tanganyifa endgültigen Aufſchluß zu geben. Mit 
Ungeduld fehen wir dem weiteren Briefen des kühnen Reifen» 
ben entgegen und wunſchen von Herzen, daß es ihm vergönnt 
fein möge, fein großes Werk zu Ende zu flihren. 

Franz Birgham. 


Die Mongolen. 
Von Albin Kohn. 


III. 


Im Bezug auf Religion gehört der Mongole dem Bubdhis- 
mus an, der feit unvordenllichen Zeiten (wohl von Tibet 
aus) zu ihm importirt wurde. Doch herricht neben dem 
Yuddhaculte aud) viel Schamaismus, der ja befanntlic, in 
Aſien, befonders im Norden, weit verbreitet iſt. Der Buddhis⸗ 
mus, deſſen höchftes Ideal faule Beſchaulichkeit ift, paßt 
ganz zum Grundcharalter bes Mongolen und hat einen furcht» 
baren Ascetismus erzeugt, welcher den Nomaden von jebem 
Fortſchritte fernhält und ihn anreizt, in nebulöfen und ab ⸗ 
ftracten Ideen liber die Gottheit und das Leben im Jenſeits 
das Ziel des menfchlichen Dafeins zu ſuchen. Diefe Grund» 
füge des Buddhismus find von ſchlauen Prieftern als chriſt⸗ 
liche Sagungen nad; Europa verpflanzt und ihre Auslibung 
zu einem Gott wohlgefäligen Thun geftempelt worden, 

Wie die römische Kirche hat auch die des Buddha eine 
auserwählte Sprache, in weldyer die Correfpondenz mit der 
Gottheit ftattfindet; es ift dies die tibetanifche, in welcher in 
ber Mongolei der Gottesdienft abgehalten wird, trogdem fie 
häufig ſelbſt die Yamas nicht verftehen. Auch die „Heiligen 
Bücher“ find im tibetanijcher Sprache verfaßt; ‘viele find 
jedod) ins Mongolifche Uberſetzt; doch dürften noch manche 
in ber Urfpradje vorhanden fein, da ſich die Zahl der Bände 
bes „Hantſchur“, des wichtigſten veligiöfen Buches, auf 
108 beläuft. Diefe Maffe von Bänden eines einzigen Wer« 
fes jcheint jedod) eine Art Encyklopädie zu fein, denn fie 
enthält nicht allein veligiöfe Abhandlungen, fondern auch 
hiſtoriſche, mathematifche, aſtronomiſche u. ſ. w. In den 
Tempeln wird gewöhnlich dreimal täglich Andacht gehalten, 
und zwar Morgens, Mittags und Abende. Zur Andacht 
werden die, Öläubigen durch Trompetenfchall, der mittelft 
einer großen Meeresmuſchel hervorgebracht wird, eingeladen. 
Wenn ſich Zuſchauer und Acteure, Gläubige und Lamas im 


Tempel verſammelt haben, fegen ſich die legteren auf ben 
Fußboden oder auf Bänke und fingen pfalmodirend Gebete 
aus den heiligen Büchern. Bon Zeit zu Zeit wird diefer 
monotome Geſang durd) einen lauten Ruf des ältern Yamas, 
ben alle Anweſenden wiederholen, unterbroden. Hierauf 
wird in beftimmten Momenten getrommelt ober es werben 
Metallteller an einander gefchlagen, was ben allgemeinen 
Lärm vergrößert. Cine folde Andacht dauert Häufig meh- 
rere Stunden, Bei feierlicheren Gelegenheiten erfcheint der 
„Kutuchta“, der Oberlama, ber immer, wie ein fatholi- 
fcher Bischof, anf einem Throne fit und fic wie diefer von 
den unteren Lamas beräuchern läßt. Wenn er im feinem 
Oberpriefterftaate dafigt, wendet er fein heiliges Antlig den 
Heiligenbildern zu, die er inbrünftig betrachtet, Daß bie 
frommen Männer ſelbſt nicht wiffen, was fie von ihrem 
Gotte wollen, dafür ift der befte Beweis das lurze Gebet: 
„Om mani padme hum,* das feiner von ihnen Herrn 
Prſchewalsli zu überfegen vermochte. Und trogdem foll es, 
nad) den Verſicherungen der Lamas, der Inbegriff aller 
bubbhiftischen Weisheit fein und ift die Infchrift aller Tem⸗ 
pel *). 

Außer den gewöhnlichen Tempeln find noch in den Jur⸗ 
ten, befonderd wenn jie in größerer Entfernung von jenen 
erbaut find, „Dugumen“, d. h. Altäre, errichtet, vor denen 
die Gläubigen die vorgefchriebenen Gebete verrichten. Man 
findet aber auch auf Höhen und Gebirgszligen große Stein« 
haufen, „Obo“, weldye zu Ehren bes Berggeiftes — ber 
unferm fchlefifchen Rubezahl verwandt zu fein ſcheint — 
aufgefchüttet find. Jeder vorlibergehende Mongole hält es 
für feine heilige Pflicht, diefen Obo durch Hinzufügen eines 


*) Berl, darüber „Slobus" XXVI, ©. 185. 


Albin Kohn: Die Mongolen. 


Steines zu vergrößern und außerdem dem Geifte auch noch 
fonft ein Opfer, fei es ein Yäppchen ober ein wenig Kameel⸗ 
haare, zu bringen, Bei größeren Obos werden von ben 
Lamas im Sommer Andachten verrichtet und das Bolt ber» 
fammelt fi zu benfelben, wie das latholiſche zu den Ab» 
läfien. i 
Das Haupt der buddhiſtiſchen Hierarchie ift belanntlich ber 
Dalai Lama (wörtlid „Oceanpriefter*), der in Lhaſſa 
in Tibet feine Reſidenz hat und thatſächlicher Souverän bie 
ſes Landes ift, trogdem er bem Bogdo-Chan in Peling alle 
drei Yahre einen Heinen Tribut zahlt. Diefer muß Übri⸗ 
gend, wie die Fürſten Europas während des Mittelalters 
dem Papft, feinen geiftlichen Vaſallen in guter Yaune zu 
erhalten fuchen, denn ein Wort von ihm würde hinreichen, 
fämmtlihe Nomaden zu bewaffnen und aufs Blumenreich 
der Mitte zu flitrgen, das kaum im Stande wäre, den fana— 
tiichen Nomaden, welde zwifcden dem Himalaya und der 
fibirifchen Grenze wohnen, Widerftand zu leiflen. Die 
Stimme des Dalai Lama ift Gottes Stimme; auch er ift 
unfehlbar, ja er ift fogar unfterblid). 

Ihm glei; an Heiligkeit, wenn auch nicht an politischer 
Bedeutung, it der „Banztfin-erdeni* und biefem folgt 
der „Kutuchta“ inlirga, welchem dann die Kutuchten oder 
Higenen in den verfchiedenen Tempeln der Mongolei und in 
Beling folgen. Ale dieſe Herren fterben nicht; alle find 
irbifche Incarnationen irgend eines Heiligen, und fie wechſeln 
bloß den Körper, wie andere Sterbliche einen abgetragenen 
Rod wechſeln und mit einem neuen vertaufchen. Ihre Seelen 
fuchen, wenn fie den ſchwach gewordeuen Körper verlaflen, 
einen jüngern, fahren in diefen hinein, die Yamas finden ihn 
dann gewiß wieder und führen ihm im feine Gemächer zurüd, 
Natürlic, giebt der junge Dalai Yama, der ermeuerte Ban 
tſin · erdeni und Kutuchta, ſich den ihm ängftlich fuchenden 
Lamas dadurch zu erkennen, daß er irgend etwas thut, was 
er ſchon früher gethan hat. Die Ungläubigen jagen, daß 
die Intriguen bes Pekinger Hofes bei dieſem Auffinden bie 
größte Rolle fpielen und daß in folge deſſen immer der 
junge Hohepriefter in Yamilien, welche feine Bedeutung und 
feinen Einfluß befigen, gefucht und gefunden wird. 

Der Einfluß der gefammten Priefterfchaft auf die rohen 
Nomaden ift grenzenlos. Ihn anzubeten, feinen Segen zu 
erhalten, ja nur ben Zipfel feines Rockes zu berlihren ift 
das größte Glüd, defien man — jedod) nur für ſchweres 
Geld — theilhaftig werden fann. Deshalb aud) find die 
Tempel in der Mongolei, befonders aber bie größeren, uns 
geheuer reich, denn zu ihnen ftrömen fromme Pilger aus allen 
Gegenden der Mongolei, und mit leeren Händen barf feiner 
Iommen. Der Hauptſtrom der Pilger geht natürlic) jedoch 

Lhaſſa; fie kommen, trog ungeheuerer Schwierigfeiten, 

ie fie zu überwinden haben, in großen Karawanen, denn 
es ift nicht nur eim Glüch, fondern auc ein beſonderes Ber- 
bienft, mac) dem tibetanifchen Rom zu lommen. Der Auf— 
ftand der Dunganen hat während eines Zeitraumes von elf 
Yahren dieſe Pilgerfahrten unterbrochen, fie haben ſich aber 
gleich nach feiner Unterdrückung wieder ernduert, Prſche⸗ 
walsfi macht eine intereffante Bemerkung über die Fröm« 
migfeit der Pilger, Judem er nämlich die Pilgerfahrten 
beichreibt und mittheilt, daß fich auch Frauen an biefen Wall: 
fahrten betheiligen, fagt er, daß diefe im Allgemeinen went: 
ger Frömmigkeit heucheln als die Männer. Es herrſcht alfo 
dort, im Vergleiche mit dem, was bei und vorgeht, das ums 
gefehrte Verhältnif, da es bei und immer mehr Betfchweftern 
als Betbrüder giebt. Diefes kommt wahrfcheinlic daher, 
daß die Frauen in der Mongolei die ganze Hauswirthſchaft 
verjehen und beshalb wenig Zeit haben, fid) mit religiöfen 
agen zu befaflen. Iu_den an China grenzenden Gegenden 


ber Mongolei ift jedoch die Frömmigkeit meit geringer als 
im Innern der Miifte, 

Die Zahl der „Chumarats“ ober Yamas, d. h. ber 
Geiftlichen, ift fehr bedeutend. PBrihemwalsti nlaubt, daß 
mindeſtens ein Drittel, wenn wicht die Hälfte jünmtlicher 
männlicher Mongolen biefem Stande angehören, ber leine 
Abgaben zahlt und Feine Pflichten, aber ungeheure Mochte 
hat. Es ift gar nicht ſchwer, Lama zu werben. Die Eltern 
beftimmen ihren Sohn in früher Jugend fiir diefem Vebens« 
beruf, vollziehen am ihm die Tonfur, indem fie ihm dem gan 
zen Kopf rafiren und ihn von nun ab roth oder gelb Hei 
den. Diefes ift das äußere Zeichen ber hohen Beftinmmug 
ihres Sohnes, welder dann in einen Tempel gegeben wird, 
wo ihn alte Yantas in der buddhiſtiſchen Theologie umters 
richten. Bei einigen Tempeln erften Ranges, wie in Urgä 
und Gumbum, find befoudere Schulen, gleihjam Semi- 
narien, welche Facultäten nachahmen, errichtet. Nach Been- 
digung der Studien auf einer ſolchen Hochſchule wird der 
junge Mann etatsmäßiger Lama bei irgend einen Tempel 
ober — Arzt. 

Um zu höheren Würben zu gelangen hat der Yama ein 
beſtimmtes Eramen in der Lehre Buddha's zu beftehen und 
fid) den firengen Mönchsregeln zu unterwerfen. Die Lamas 
jind in vier Rangſtufen getheilt, welche: Kamba, Gelun, 
Gezull und Dandi heifen und ſich durch gewiſſe Abzeichen 
in der Kleidung unterſcheiden, auch befondere Functionen 
während des Gottesdienſtes verrichten. Der höchſte Rang 
ift der ded Kamba oder Kjanba. Er wird direct vom 
Kutuchta geweiht und kann felbit die Yamas niedern Ranges 
weihen; er hat fomit Biſchofsrechte. Doch auch ber Ku— 
tuchta muß alle, auch die niederen Weihen, empfangen, aber 
er fteigt weit fchneller hinauf als andere Sterbliche. 

Außer den Perfonen, welche gewifle Pflichten im Tempel 
und dem mit ihm verbundenen Kloſter zu erfillen haben, 
leben in ihm noch viele (oft Hundert, ja taufend) Lamas, die 
nichts zu thun haben, al& zu beten. Sie werden ausſchließ⸗ 
ih von den Opfern der Gläubigen unterhalten. Aber es 
giebt auch Lamas, welche nur von ihren Eltern bie oben bes 
ſchriebene Weihe erhalten haben, in keiner Schule geweſen 
find und weder fchreiben noch lefen fünnen. Sie tragen ihr 
rothes Habit, werden „Yama* titulirt und diefer Titel giebt 
ihnen ein Recht auf die Achtung. 

Alle Lamas find zur Ehelofigkeit verpflichtet. Diefe anor- 
male Einrichtung führt zur Immeoralität, die aud unter 
den verfchiebenjten formen in der Mongolei in voller Blüthe ift. 

Um die Achnlichleit des Buddhismus mit dem Katholis 
cismus zu vollenden, hat er auch Monnen, unter weldye 
Frauensperfonen in einem beftinmten Alter aufgenommen 
werben. Sie erhalten die Weihe, rafiren fic) den Kopf und 
miüffen ſich verpflichten, ein fehr ftrenges Leben zu flihren. 
Wie die Lamas können aud) fie gelbe Kleider tragen. Solche 
Nonnen, welche „Schabganzfa* heißen und ziemlich häufig 
getroffen werben, werden unter den alten Wittwen recrutitt. 

Die Lamas find eine wahre Peft fiir die Mongolei, da 
fie wie wahre Parafiten auf Koften ber Übrigen Benölferung 
leben und durch ihren Einfluß das Volt verhindern, aus ber 
tiefen Unmiflenheit, im ber es lebt, herauszufommen. Ob- 
gleich aber bie religiöfe Ueberzeugung bei ben Mongolen fo 
tiefe Wurzeln gefchlagen hat, fo hat fie doch nicht vermodht, 
die Entwidelung des Uberglaubens zu verhindern. Der 
Mongole träumt auf Schritt und Tritt von verfchiederen 
Zeufeln und Herengefchichten. In jeder unglinftigen Naturs 
erſcheinung fieht er die Thätigfeit eines böfen Geiftes, in 
jeder Krankheit feine Wirkfamkeit. Das tägliche Leben bes 
armen Nomaden ift eine Reihe von abergläubifchen Gebräus 
den. So z. B. behauptet er, daß man während eines ber 


48* 


380 


wölften Himmels und nad) Sonnenuntergang weder Milch 
verfaufen noch auch verfchenten darf, fonft entſteht Biehſterben. 
Daſſelbe Unglitt foll ſich ereignen, wenn fid) Demand auf 
die Schwelle der Jurte jet. Es ift Sunde, während des 
Een auf den Haden zu fügen; in Folge deflen betrifft einen 
sin ein Unfall während der Reife. Vor der Reife über 

u spredyen ift nicht erlaubt, denn eine Folge hiervon 
R vehter oder Schneewehen. Auch der Name des 
Daterd md der Dlutter darf nicht genannt werden — e8 
ie dies eine jcwere Sünde. Nach der Heilung eines Stlides 
Biel; darf während dreier Tage nichts geſchenlt oder verkauft 

Doc; diefe und andere VBorurtheile bilden nur einen ge 
Kugen Theil des unter den Mongofen herrſchenden Aber: 
glaubens; man muß ſich felbft überzeugen, wie weit unter 
ihnen das Wahrfagen und Zaubern verbreitet ift. In dieſer 
Kunft ben fich nicht bloß die Schamanen und Lamas, fon: 
dern ſehr häufig auch gewöhnliche Sterblicye, mit Ausnahme 
der Frauen. Das Wahrfagen geichieht gewöhnlich mit Hülfe 
lamaitifcher und chineſiſcher Rechenknechte und werden babei 
natürlich verfchiedene Beſchwörungsformeln nicht gefpart. 
Wenn ſich dem Mongolen ein Std Vieh verirrt, wenn er 
feine Pfeife verloren hat, jo eilt er auch glei, zum Wahrs 
fager, um zu erfahren, wo er das verirrte Stülck Vieh, die 
verlorene Pfeife ſuchen fol. Wenn der Nomade eine Reife 
antreten fol, jo läßt er ſich gewiß vorher wahrfagen, und 
wenn Ditrre eingetreten ift, fo beruft der ganze „Chofcun“ 
(Kreis) den Schaman umd giebt ihm ſchweres Geld, auf daß 
er nur ja den Himmel zwinge, die nöthige Feuchtigfeit auf 
die Erde zu werfen. Wenn der Mongole plöglic Frank 
wird, fo fucht er gewiß feinen Arzt auf; er ruft einen Lama, 
der die Teufel durch Veen von Ghebeten aus dem filndigen 
Feibe vertreiben fol. 

Hunderte von Malen überzeugt fi) der Nomabe, daß er 
arg betrogen und belogen worben ift, und dennoch wird hier: 
durch fein lindiſcher Glaube nicht wantend, Wenn e8 den 
Betrliger nur einmal gelingt, das Wichtige , oder etwas, das 
als richtig gedeutet werden fann, zu treffen, fo vergift man 
alle feine Irrthumer und falfchen VBorherfagungen und fein 
Ruhm erklingt von einem Ende der Wüfte zum andern, 
Daß Übrigens die Wahrfager ihre Propezeiungen geſchickt 
einzurichten, aud) den Befrager vorher über alles, was ihnen 
zu wiffen nothwendig it, auszuhorchen verftchen, liegt in der 
Natur der Eadje. Uebrigens lügen biefe Yeutchen ſich fo 
in ihre Macht, Größe und Wiſſenſchaft hinein, daß fie ſelbſt 
innigft an ihre übernatiirliche Kraft und Wiſſenſchaſt glauben. 

Ein Begräbniß der Leiche des verstorbenen Mongolen 
findet nicht —* fie wird aus der Jurte geworfen den wil— 
ben Bierflißern und Naubvögeln zu willfommener Nahrung *). 
Die Yamas geben nur für Bezahlung die Himmelsgegend 
an, im welde der Kopf zu liegen kommen fol. Nur die 
Leichen der Flirften und wichtigeren Yamas werden begraben 
oder verbrannt. Im erflen Falle wird auf dem Grabe ein 
Steinhligel errichtet. Für die Seelenruhe des Verftorbenen 
werben 40 Tage lang für eine beftimmte Bezahlung Gebete 
verrichtet. Der Arte, der dieſe Gebete nicht bezahlen lann, 
geht natürlich der aus ihnen refultirenden himmlischen Freu— 
den und Gnaden verluftig. Fir die Fürften, deren Hinter: 
biiebene reiche Geſchenke an verſchiedene Tempel ſenden, wer 
den dort zwei oder brei Jahre lang Andachten, welche unferen 
Seelenmeſſen entſprechen, abgehalten. 

Der von Charakter gute wenn auch aus Religioſität 












*) Ebenſo ſchleiſen die Kalmücken zwiſchen Wolga und Don 
ihre Tedten am Laſſo in die Steppe und überlaffen fie dort den 
Raubthieren. Siche Jahresbericht des Frankfurter Vereine fir Geo— 
grapbie und Statiftif. 1875, S. 82. 


Albin Kohn: Die Mongolen. 


leicht und abergläubifche Mongole wird zum wilden Thiere, 
wenn er feinen Leidenſchaften ben Zügel ſchießen läßt. Die» 
fes bewies das Verfahren der Mongolen mit den gefangenen 
Dunganen, Derfelbe Mongole, der noch geftern fürchtete 
ein Sanım zu ſchlachten, weil er es flr eine ſchwere Sünde 
betrachtet, ſchnitt heute einigen Dunganen mit ber größten 
Ruhe die Köpfe ab, wenn fie in feine Hände fielen, und 
ſchonte weder Alter noch Geſchlecht. 

Der Buddhismus lehrt bekanntlich die höchſten mora— 
lichen Grundfäge, trotzdem hat er aus dem Mongolen eben 
fo wenig einen Menſchen gemacht, wie diefes andere foges 
nannte geoffenbarte Religionen gethan haben. Cs ift bis 
jet feiner gelungen, das Thier aus dem Menſchen zu ver 
treiben, weil ihnen die Form über das Wefen geht, Nur 
der wahren Givilifation gelingt e8, itberafl den Menſchen zum 
Menſchen zu machen, und diefe ift nicht von Offenbarungen 
abhängig. Nicht mit dem Kreuze und Weihmedel, nicht mit 
Erzählungen über Wunder , welche fi) im Himmel und auf 
Erden ereignet haben follen, wird ber Mongole der Menſch- 
heit einverleibt, ihm Liebe zur Meinlichleit, Mäßigkeit, zum 
Fleiße und zur Menfclichkeit beigebracht werden; ev muß 
in eine neue miaterielle, intellectuelle und moralische Welt 
verjegt werden, und dann wird es micht erſt diefes oder jenes 
Gebetes, in einer beitimmten Anzahl hergeleiert, bebürfen, 
um ihn auf die Stufe zu erheben, auf der allein ein menfcjens 
würbdiges Dafein möglic; iſt. Ihn aus der Apathie, in ber 
er dahinſchwindet, heranszureißen, dazu bedarf es eines mäch- 
tigern Hebels, ald irgend einer Glaubensformel, bie alle als 
Hauptgrundfag die Gefangennahme des Geiſtes, die Ber— 
nichtung bes freien Denkens aufitellen. 

Den Schluß des Capiteld des Heren Prichewalsti 
Über die Mongolen bildet eine furze hiſtoriſche und politifche 
Skizze, der ich Folgendes entnehme, 

Die Mongolei wurde gegen Ende des 17. Jahrhunderts 
von China unterworfen, deſſen Negierung dem Yande eine 
geregelte Verwaltung gegeben hat. Die innere Verwaltung 
ift den eingeborenen Fürften überlaſſen, über welche jedoch 
von Peling aus eine ftrenge Aufficht geitbt wird, Im Mi: 
nifterium der auswärtigen Ungelegenheiten werben alle die 
Mongolei betreffenden Sachen eutſchieden; dem Bogdo-Chan 
werben die wichtigften zur Entfcheidung vorgelegt. In abe 
miniftrativer Beziehung ift die Mongolei in Fürſtenthümer, 
„Aimakam?“, und diefe in Sreife, „Chofhunm“ (wörtlid 
„Heldzeichen“), geteilt. Somohl die Aimafams wie aud) 
bie Chofhuns werden von erblichen Fürſten regiert, welche 
Bafallen des Bogdo-Chans find. Sie haben kein Recht, 
mit irgend einer auswärtigen Regierung Berbindungen ans 
zufnüpfen, 

Die Gehlllfen der Fürſten find die „Tozolaftihys 
deren Titel ebenfalls erblich ift. Ihre Zahl ift verichieden ; 
fie beläuft fid) auf einen bis vier im jedem Kreiſe. Der Fürft 
des Choſchun ift zugleid; Konmandirender der Truppen ſei⸗ 
nes Kreiſes, wozu er wiederum zwei Öchülfen, „ Mepren: 
tſchangin“, hat. Mad) ihnen folgen die Regiments: 
commanbeure (Zfchalan » tſchangin), die Escadronchefs 
(Somunstichangin) u. f. w. er Gommanbeur der be 
waffnetenz Macht eines Aimalam ift der „Dzjan ⸗ dzjun“, 
immer ein mongoliſcher Furſt. Die Fürften eines Choſchuu 
find verpflichtet, ſich alljährlich zu einer Art Landtags— 
verfammlung einzufinden, zu deren Vorfigenden einer der 
Furſten gewählt wird, den der chineſiſche Kaiſer betätigt. 
Diefe Yandtagsverfammlungen, die ſich nur mit inneren An- 
gelegenheiten zu befaſſen haben, ftehen unter der Aufficht 
eined Gouverneurs der chineſiſchen Grenzprovinzen. Mande 
Gegenden der Mongolei haben indeß ſchon eine ganz dines 
ſiſche Verwaltung erhalten. 


Hafjentamp: Die prähiftorifhen Alterthümer des nordiſchen Mufeums in Kopenhagen. 


Die mongoliſchen Fürften find in fechs Rangftufen ge- 
teilt. Den Titel erbt nur ber ältefte legitime Sohn nad) 
zurlidgelegtem neunzehnten Lebensjahre. Trogdem die Wurde 
erblich ift und die meiften Fürften von Dſchengis⸗Chan ab» 
zuſtammen behaupten, unterliegen fie ber Beftätigung des 
hinefiichen Kaifere. Im Falle feine ehelichen Kinder vors 
banben find, lann der Fürft feinen Titel einem feiner außer- 
ehelichen Söhne oder einem Verwandten übertragen, mozu 
jedoch ebenfalls die Bewilligung des Kaifers nothwendig ift. 
Die übrigen Kinder eines Firften werden als gewöhnliche 
Edelleute betrachtet. Hierdurdy wird einer Bermehrung ber 
Fürften (ihre Zahl beträgt ohmedies zweihundert) vorgebeugt. 
Dagegen vermehrt fich die Zahl der Edelleute mit jedem Jahre. 

Politiſche Bedeutung haben bie Filrften nicht; fie find 
der Pelinger Oberbehörde untergeordnet und beziehen ihren 
Gehalt vom Bogdo-Chan, von dem auch ihre Rangerhöhung 
abhängt. Um biefe Herren auch durch Familienbande an 
Ehina zu Inlipfen werben ihnen häufig chineſiſche Prinzefs 
finnen zur Ehe gegeben, Alle drei oder vier Jahre muß 
jeder Fürſt im Peking erfcheinen, um dem Kaiſer feine Ehr— 
furcht zu beweifen. Bei diefer Gelegenheit überreicht er ihm 
in ber Form eines Gefchentes feinen Tribut, der gewöhnlich 
in Kameelen und Pferden beſteht. Hierflir erhält er Gegen⸗ 
gejchente, welche in Silber, Seide, Meidung u. ſ. w. beftehen 
und immer weit mehr werth find als bie mitgebrachten. Im 
Allgemeinen muß China alljährlich zur Berwaltung der Mon- 
golei bebentende Summen zuzahlen, doc wird hierdurch die 
Weftgrenge des eigentlichen Chinas vor den Einfällen der 
unrubigen Nomaden gefhügt. 

Die Bewohnerzahl ber Mongolei wird auf zwei bis drei 
Millionen gefhägt. ebenfalls ift fie in feinem Berhält: 
niffe zum Flächenraume, den das Land einnimmt. Die no: 
madiſche Lebensweiſe, die Ehelofigkeit der großen Anzahl von 
Lamas, das ausfchweifende Leben und die aus ihm refulti- 
renden geheimen Kraufheiten, ſowie Typhus und Boden, welche 
fehr häufig unter den Mongolen graffiren, find hinreichende 
Urfachen einer fehr langſanen Vermehrung der Bewohner. 


381 


Das ganze Bolt ift im vier Stände getheilt; fie heißen 
Fürften, Edellente (Tajei), Geiftlichleit und Voll. Die drei 
erften Stände haben viele Rechte; ber vierte Stand ift eine 
Art halbfreier militärischer Bevölkerung, welche Gemeinde: 
und Militärpflichten zu erfüllen hat. Die mongolifchen Ge— 
fee find vom der Regierung in Peling zufammengefaßt und 
geordnet worden, Nach diefem Geſetzbuche müflen ſich alle 
ölrften richten, Nicht fonderlich wichtige Angelegenheiten 
werben var! althergebrachtem Brauche entjchieben. Der 
mongolifche oder kennt Geldftrafen, Verbannung und Todes- 
firafe. Fürs gewöhnliche Bolt ift außerdem durd) Pritgel- 
ftrafe geforgt, welde auch fiber degradirte Adelige und 
Beamte verhängt wird. Abgaben werden vom Bolte an 
bie Fürften gezahlt und fie beftehen ausſchließlich in Bich. 
Bei befonderen Gelegenheiten, z. B. bei der Durchreiſe des 
Fürften, bei der Berheiratfung eines feiner Kinder m. f. w., 
werden noch außerordentliche Sammlungen veranftaltet. Die 
Geiftlichkeit zahlt feine Abgaben und China erhält von den 
Einkünften Überhaupt nichts, Die bewaffnete Macht der 
Mongolei befteht ausjchlieglich aus Cavallerie; 150 Fami⸗ 
lien bilden eine Schwabron und jedes Familienglieb ift vom 
achtzehnten bis fechözigften Jahre dienftpflichtig, jedod wird 
immer von brei männlichen Gliedern der familie eins vom 
Militärdienfte befreit. Jeder Krieger muß ſich auf eigene 
Koften ausrüften, erhält jeboch bie Baffen, welde in langen 
Langen, Säbeln, Bogen und untenflinten beftehen, vom 
Staate. Im Ganzen muß die Mongolei 284,000 Mann 
ftelen. Die Flrften und ihre Gehlilfen follen häufig Re— 
bifionen anftellen; diefe führen jeboch zu nichts, ba fie durch 
Beftechungen abgemacht werden. Der faule Mongole befticht 
lieber den Beamten, als daß er zum Dienfte geht. Diefes 
ift der chineſiſchen Regierung theilweife fehr angenehm, da, 
wie die Erfahrung lehrt, im Folge diefer Umgehung des 
Militärbienftes der friegerifche Geift der Nomaden volltom: 
men findet und fie alfo dem himmlischen Reiche immer 
weniger gefährlich, werben. 


Die prähiftorifhen Alterthüimer des nordifhen Mufeums in Kopenhagen. 
Bon Dr. Haſſenkamp. 


I Die Eifenzeit. 


Die Verarbeitung des Eifens fcheint ben Dänen erft dann 
befannt geworben zu fein, als bie Hanbelsverbindungen mit 
dem Süden lebhafter geworden waren, und wir find fo glüds 
lich, die Zeit, in welcher das Eifen allgemein zur Anwendung 
famı, ungefähr beflimmen zu fönnen; denn während in den 
Gräbern, welche nur Brongegeräthe aufweifen, ſich feine Spur 
von römijcher Cultur zeigt, treten bei den Funden der Eifen- 
zeit oft römifche Statuetten, Gefäße und namentlic) 
Münzen auf, und da die älteften in bänifchen Gräbern 
gefundenen römiſchen Silberdenare dem Ende des zweiten 
nachchriſtlichen Jahrhunderts angehören, jo dürfen wir mit 
Recht vermuthen, daß um diefe Zeit das Eifen ſchon allge 
meine Berwendung gefunden hatte, 

Da benugte man das Eifen zunächſt zu Schwertern, 
die ‚fihj auch in der Form von den Schwertern der Bronze 
zeit bedeutend unterſcheiden. Denn im Gegenfage zu ben 
kurzen Bronzeſchwertern find die der Eifenzeit lang und breit, 


bald einfchneidig, bald zweijchneidig und in der fpätern Eifen« 
zeit oft damascirt, während die Griffe meift aus Holz, oft 
aber aud) aus Silber hergeftellt waren. Ebenſo haben fid) 
zahlreiche eiferne Yanzenjpigen gefunden, und zwar find 
jelbft die Holzfchäfte diefer Lanzen bisweilen noch erhalten, 
fo namentlich) in dem Funde zu Kragehul-Moor auf 
Fühnen, wo die Holzichäfte eine eigenthlimliche, aus in eins 
ander geflochtenen Schlangen beftehende Verzierung aufwei⸗ 
fen. Ferner fand man mehrfache Helme, Sporen, Schild- 
budel, Mefjer, Herte, Meißel, Sägen und ähnliche 
Gegenftände aus bemjelben Metall. 

Die Bronze wurde felbftverftändlich immer noch nebenbei 
benugt und namentlich bei allen den Gegenftänden, wo es 
auf eine feine Ornamentit und größere Zierlichleit anlam. 
&o find die Fibeln und Nadeln aus Bronze hergejtellt, 
ebenfo die Ringe und Halsbergen; mehrfache Beſchläge 
zu Trinkhörnern hat man aus demjelben Metalle gefuns 


382 


ben; endlich hat das nordiſche Mufeum eine Reihe von ſol⸗ 
hen Bronzegefäßen, die ſchon aus ber Eifenzeit herrühren 
und oft durch ſchöne Ornamentit ausgezeichnet find. 

Aber nicht allein durch das Auftreten des Eifens unter: 
ſcheidet ſich diefe Periode von ber vorigen; noch andere Stoffe 
find zu erwähnen, die damals’ zuerjt in Dänemark verwandt 
wurden. So wird das Silber zuerft während ber Eifenzeit 
in Dünemarf verarbeitet und es ift dies um fo merholir- 
diger, weil die drei unter fi am meiften verwandten (?) 
Nationen, bie Yetten, Slaven und Germanen, im Namen bes 
Silbers (littauifd) sidübras, altpreußiſch scraplas, ſlaviſch 
screbro und gothiſch silubr) übereinftimmen und man ba 
ber bermuthen jollte, daß in jener Zeit, als Letten, Slaven 
und amem ein Volk bildeten, das Silber ſchon befannt 
g je Wir fehen bei der Erwähnung von Silber» 
geräthen denjenigen ab, welche deutlich einen fremden 
Urfprung zeigen, und führen nur das auf, was auf einen 
einheimischen Kunftbetrieb hinweift, Da nennen wir zunächſt 
zwei Becher aus Silber, die zu Himlingdie gefunden 
find und deutlich einen barbarifchen Urfprung verrathen. Sie 
find 5 Zoll hoch und mit breiten Bändern verfehen, die im 
Feuer vergoldet find; verziert find fie mit getriebenen Figu— 
ven, die ſowohl Thiere als menfchliche Köpfe darftellen, aber 
nur bie rohen Anfünge ber Kunſt repräfentiren. Außerdem 
fieht man mehrfache Silberbeſchlüge, Ringe und namentlich) 
einen intereffanten Silberhelm, der aus einer Geſichtsmasle 
und einem Kopfftüde befteht und im Moore Thorsbjerg 
in Angeln gefunden wurde. Jedoch ift es immerhin mög- 
lich, da diefer Helm gleichfalls durch den Handelöverfehr 
nad) dem Norden fanı. 

Auch das Glas erfcheint erft während der Eifenzeit in 
ben bänifchen Funden, und zwar fcheint biefer Stoff zum 
größten Theile nicht in Dänemark verfertigt, ſondern durch 
den Handel in das Land gelommen zu fein. Ein Theil 
ſcheint indefjen im Land felbft fabricirt zu fein, wenn auch 
frembdartige Mufter vorfchwebten. So Hi es namentlich bei 
einem zu Himlingdie gefundenen gläfernen Horne und bei 
einem ebendafelbft entdecten Pocale wahrſcheinlich, daß beide 
im Lande ſelbſt verfertigt wurden. 

Ueberhaupt zeigt ſich im der Eiſenzeit eine bedeutend hö— 
here Eultur, wie in ber vorhergehenden Periode. Schon 
damald hatte man wohlgebaute und volftändig ausgerüftete 
Rubderboote; fo befist das norbifche Mufeum das Modell 
eines derartigen Bootes, das im Nydam-Moore in Schles: 
wig ausgegraben wurde; im bdiefem Canoe befand ſich neben 
dem nöthigen Schiffögeräthe noch eine Anzahl von Waffen, 
Langen, wertern, Holzbogen, ein Holzlöcher und eine 
Reihe von römischen Silbermlinzen, deren ſpäteſte aus dem 
Jahre 217 ftammt, fo daß wir hieraus die Zeit ungefähr 
beftimmen können. 

Intereffant find auch die vielfahen Pferdegefhirre 
und Wagengeräthe, die man aus biefer Periode in Däne- 
mark aufgefunden hat. So entdedte man im Moore Thors: 
bjerg Zügel, Gebiffe, Trenfeftangen, daneben auch Holzs 
reden, Haden und ähnliche Ackergeräthſchaften. Der große, 
auf Koften des Muſeums ausgegrabene Moorfund von 
Bimofe auf Fühnen wies gleichfalls Bruchftüde von Reit 
zugeln und von einem Gebiffe auf, auch unbefchlagene Wagens 
räder wurden ebendafelbft gefunden. Weiche Yeute pflegte 
man mitunter ſammt Pferden und Wagen zu beftatten, und 
fo fand man im einer Grablammer bei Söllefted auf Füh- 
nen gleichfalls ein prächtig ausgeftattetes Pferdegeräth, Ge 
big, Zügel, Schnallen, Nägel und namentlid) ein Mähnen- 
joch, das reich, mit Metall ausgelegt ift und mastenähnliche 
Berzierungen aufweiſt. Als eine befondere Eigenthlimlid;- 
feit der Eiſenzeit muß auch der Umſtand betrachtet werben, 


Haffentamp: Die prähiftorichen Alterthühter des nordijhen Mufeums in Stopenhagen. 


daß damals zuerft eine eigenthümliche Schrift auftrat, die 
nordifchen Runen, weldye der ganzen Bronzeperiode durd)- 
aus fremd find, Diefe Runenſchrift geht ziemlich hoch hin- 
auf, bis in die römifche Zeit: jo hat ſich bei dem ſchon mehr: 
fad erwähnten Funde zu Himlingdie meben vollftändig 
römiſchen Gefäßen und Geräthen auch eine bronzene, mit 
Silber belegte Gewandnadel gefunden, auf welcher in 
Runenfchrift das Wort Harifo eingerigt ift, ein Name, ber 
entſchieden auf den Befiger oder Berfertiger der Nadel hin: 
weift. Derartige Namen finden wir num öfters auf Erzeug« 
nifjen des nordiſchen Kunſthandwerks eingerigt: fo ift auf 
einem Golddiademe, welches zu Straarup in Jütlaud 
gefunden wurde, der Name Yuthro eingerigt, und auf einer 
Scnalle zu einem Schwertriemen, die bei dem großen 
Moorfunde zu Bimofe ausgegraben wurde, findet fich gleich. 
falls ein Name mit Runen gefchrieben. Yängere Rumens 
inſchriften bezeichnen indefien eine fpätere Epoche. In bie 
Eifenperiode, wenn auch in eime fpätere Zeit derfelben, fällt 
auch die erſte Ausprägung von Münzen im Dänemark, 
Diefe älteften Münzen find die goldenen Bracteaten, 
bie nur auf einer Seite geprägt und mit Dehren zum Tra« 
gen verjehen find, bie alfo mehr als Amulete denn als eigent- 
liches Tauſchmittel dienten, Bon diefen Bracteaten muß 
man eine doppelte Art unterfcheiden. Die einen find barba- 
riſche Nahahmungen römischer Münzen und zwar find die 
lateiniſchen Buchftaben ohne Sinn und Berftändnig nach⸗ 
gebildet; die anderen zeigen einen gewiſſen Fortſchritt; an 
die Stelle der verſtändnißlos nachgebildeten lateiniſchen Pets 
tern treten Rumeninfchriften und auch das römische Kaifers 
bild wird durch Figuren aus der nordiichen Götterfage ver- 
drängt. 

Fragen wir und nun, wie in ber Eifenzeit Dänemarfs 
die Veftattung der Leichen geween if. Man wird ſich er 
innen, baß in der älterm Bronzeperiode die Leichen im 
ZTodtenbäumen beerdigt wurden, daß dagegen in der jpätern 
Zeit der Leichenbrand Ublich ward. In der Eifenzeit halten 
fi) Beerdigung und Verbrennung das Gleichgewicht 
und je nach ber Gegend war die eine oder andere Beftattungs- 
art Üblih. So wurden in Seeland die Yeichen unver 
brannt im natrlichen Hligeln geborgen, und fein Steinfreig, 
überhaupt kein Merkmal bezeichnet die Grabesſtelle. Den 
Zodten wurden zahlreiche Gegenftände theils einheimifcher, 
theils römischer Cultur, Gefäße der verfciedenften Art, 
Schmudgegenftände, Kämme und Aehnliches, felten aber Waf- 
fen und Pferdegefchirr beigegeben. In Jütland wurden 
dagegen bie Leichen meiftens verbrannt und bie Knochenliber- 
refte in einer Steinfifte aufbewahrt, und zwar liegen die ver⸗ 
brannten Knochen meift nicht direct in der Kifte, fondern 
find zunähft in Graburnen geborgen. Die Urnen, die 
das nordiſche Mufeum aus Iittland befigt, find aus röths 
lich · grauem Thone und ohme Anwendung der Töpferfcheibe 
geformt und ähneln fehr denjenigen Urnen Norddeutſch— 
lands, die in ben Steingräbern gefunden find; wie dieſe 
haben auch die jütifchen Urnen nur eine Art der Ornas 
mentif, die durch Punktirung bewirkte Mäanderlinie; 
von ben gejhmadvollen Urnen der oſtdeutſchen Flachgräber, 
die auf einen ſlaviſchen Urfprung hinzudeuten fcheinen, unter« 
fcheiden ſich diefe jitifchen Urnen auf den erften Blick. Wie 
der anders find die Grabfunde der Injel Bornholm be- 
ſchaffen; auch Hier herrſchte der Leichenbrand, doc; wurden 
die Knochenüberrefte nicht in Urnen geborgen, auch nicht in 
Steinfiften gebettet, fondern man warf die Knochen ſammt 
den Beigaben ziemlic, unregelmäßig in freisrunde, nicht ſehr 
tiefe Gruben. Die Beigaben waren hier ziemlich mannige 
fach; neben Schmuckſachen und Werkzeugen wurden hier den 
Todten auch Waffen, namentlich abfichtlich gebogene Schwer- 


Aus allen Erdtheilen. 


ter, Schildbuclel, Sporen und ähnliche Gegenftände mitge- 
geben; auch Gefäße finden ſich im diefen Bornholmer Brand- 
gruben und zwar meift ein größeres, oft abfichtlich zerfchlagenes 
Bronzegefäß und mehrere Hleinere Henkelgefäße und Schalen. 

Schon mehrfach, haben wir der Moorfunde von Bi. 
mofe, Thorsbjerg und anderer gedacht; dieſelben find fo 
umfangreich, daß man unmöglich annehmen fann, bie Gegen⸗ 
ftände feien nur zufällig in den ehemaligen See gefallen; 
man muß vielmehr am eine abfichtliche Verſenkung denen. 
Dies wird noch durch andere Umftände beftätigt: man ent« 
befte oft große Holzhaden, Taue und Pfähle, mittelft deren 
die einzelnen Segenftände Fünftlic in den See niedergerammt 
waren. Auch iſt ein Theil der Gegenftände abſichtlich ver» 
bogen, namentlich, Schwerter und Schildbudel, die Bronze 
gefäße find zerbrochen, fo daß man mit Recht vermuthen 
darf, es ſei im jenen Funden eime abſichtlich verjenfte Kriegs- 
beute zu erbliden, die den Göttern geweiht war, und deren 
einzelne Theile in folge deffen unbrauchbar gemacht wurben, 
um fie anderen irdifchen Zweden zu entziehen. Auch Men— 
fchen pflegten mitunter in Seen verfenft zu werden und 
intereffant ift in diefer Hinficht ein Fund, der zu Haralb- 
faer in Ditland gemacht wurde; hier entdeckte man im einem 
Moore Hleidungsftüde und Felle, die auf einem weiblichen 
Stelete lagen, welches mittelft eines Holzhalens in dem Moore 
feftgerammt war. Auch hier fann man annehmen, daß wir 
es mit einer den Göttern geweiheten Sriegsgefangenen zu 
thun haben; wenn wir inbeffen die Stelle in der Germania 
des Tacitus „corpore infames caeno ac palude iniecta 
insuper erate mergunt“ vergleichen, fo lönnen wir aud) 
eine andere Bermuthung aufftellen und annehmen, daß wir 
bie Leiche einer durch Verſenkung beftraften Berbrecherin vor 
uns ſehen. 

Nocd haben wir de® Spuren einer auswärtigen fremben 
Guftur, fo weit fie fi) während der Eifenperiode in Däne- 
mark zeigt, nachzugehen: ſchon oben haben wir erwähnt, daß 
ber ältern Eiſenzeit zahlreiche Ueberrefte römiſcher Cultur 
angehören, welche fich namentlich in den Gräbern von See⸗ 
land gefunden haben. Da führen wir zuerft jene intereflan« 
ten römifchen Glasgefäße aus den Funden von Varpes 
lev, Himlingdie und Ballöby an, die um fo intereffanter 
find, weil fie eine ganz eigenartige Technik verrathen: bie 
einzelnen Figuren — es find meift Früchte und Blumen, 
doch wurden aud) zu Thorslunde Gefäße gefunden, welche 


383 


Glabiatorenfämpfe und Thierjagden barftellten — find näm- 
lich in einer eigenthlimlichen veliefartigen Weife aufgemalt, 
wie e8 bei den fonft aufgefundenen antifen Glasgemälden 
gewöhnlich nicht der Fall if. Daneben ficht man römifche 
Bronzegefäße (Schöpftellen, Caſſerolen und andere), welche 
bisweilen noch ben Stempel des Fabrilanten aufweifen. 
Intereffant find auch die großen Brongeeimer, bie zu 
Himlingdie aufgefunden find und um deren Kante eine 
Thierjagd eingravirt ift, ferner zwei filberne zu Vallöbh 
gefundene Becher, bie gleichfalls mit Thierfiguren geſchmückt 
find; an berfelben Stelle fand man aud) Gefäße aus ber 
terra sigillata, bie mit Nelieffiguren geſchmückt und mit 
einem römiſchen Fabrilſtempel verfehen find. Namentlich 
find aber wichtig die römiſchen Bronzeftatuetten, die 
man an verjchiedenen Stelen Dänemarks entdeckte; fo ift 
zunächft die etwa 10 Zoll hohe Statue eines nadten, ftehen- 
den Junglings zu erwähnen, die durch ihre kunſtvolle Arbeit 
fofort in die Augen fällt, ferner ein mit der Lanze bewaff- 
neter Krieger, eine Bronzehand, die zu einer lebensgroßen 
Statue gehörte, und eine wahrfcheinlid dem 3. Jahrhundert 
angehörige Benusfigur. Daß auch zahlreiche römische Mins 
zen in Dänemark aufgefunden find, haben wir ſchon oben 
erwähnt; die älteften gehören dem 2, Yahrh. an und fie 
erſtrecken ſich abwärts bie zur Mitte des 4. Yahrh.; fo find 
3. B. auf einem Felde bei Brangstrup auf Fühnen 46 
römifche Golbmlinzen gefunden, bevem jlingfte aus bem Jahre 
351 ſtammt. Mit der Völlerwanderung hört die Handels: 
verbindung zwifchen Dänemark und dem Süden auf und erft 
wieder im 6. Jahrh. fcheinen neue Beziehungen angelnüpft 
worden zu fein; im dieſe Zeit fallen die byzantiniſchen 
Goldfolidi, deren Auftreten die fogenannte mittlere Eiſen⸗ 
zeit charafterifirt; mit dem 8. Jahrh. finden zahlreiche ara- 
bifche und kufifche Münzen in Dänemark Eingang und 
gleichzeitig fcheint eine Maſſe frembartigen Silber» 
Ihmuds nach dem Norben eingeführt worden zu fein; fo 
entbedte man in Beftervedfted auf Ytland, in Seierby 
auf Seeland, in Baalfe auf Falfter und in mancherlei 
anderen Orten zahlreiche, entjchieden auswärtige Schmud- 
fachen, die in Berbindung mit arabifchen MUnzen des 9. und 
10. Yahrh. gefunden wurden. Damald waren aber Däne⸗ 
marls Bewohner ſchon im den Kreis der Hiftoriichen Völler 
eingetreten und es gehört daher die Charakteriftif diefer ſpä— 
teren Funde nicht mehr im den Bereich unferer Stige. 


Aus allen Erdtheilen. 


Das füdöftlihe Californien. 


Seit 1870 läßt die Regierung der Vereinigten Staaten 
durch eine Anzahl von Expeditionen die im Gebiet der Felfen- 
gebirge liegenden, noch wenig ftndirten Territorien unter 
Leitung des Lientenant Geo, M. Wheeler erforfchen. 
Rachdem im vorigen Jahre Utah, Colorado, New-Merico und 
Arizona befucht worden waren, wurde 1875 das ſüdliche 
Californien vorgenommen, Darüber bringt jeht die „Los 
Angeles Poft" aus der Feder von Dr. Loew, ber zur 
Wherler:Erpebition gehört, Mittbeilungen, welche den furcht: 
baren Gontraft zwilchen dem gelegneten Küftenftrih und den 
endlofen Wüſteneien des californifchen Hochlandes in ein 
fo grelles Licht jtellen, daß man an ihrer Wahrheit zweifeln 
lönnte, wenn fie nicht eben das Reſultat ber ſorgfältigſten 
wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen wären. 

Am 20. Juni trat Lieutenant Bergland's Abtheilung, 


in der ſich außer dem Dr. Loew noch der Triangulator 
Thompfon, ber Topograpb Birne und der Meteorolog 
G. Haljon befanden, ihre Entdedungsreife von Los An: 
geled aus an umb Fehrte am 3. October wieder dorthin zurück. 
Die von ihr eingefchlagene Route war mit wenigen Worten 
folgende: Bon Los Angeles Über den Cayonpaß nach dem 
Mohave River, deffen Lauf fie bid zu dem Punkte folgte, 
wo er in der Wüſte plöglich ſpurlos verſchwindet; von dort 
nach Jvanpab, einem unbedentenden Minenpläschen an der 
Grenze von Nevada, dann nach Cottonwood Island, einer 
6 Meilen langen Inſel im Colorado: Fluffe, die von ben 
Bayute-Indianern bewohnt wird. Dem Laufe bes Colorado 
bis nach Galville, einer verlaffenen Mormonenanfiebelung 
im nörblichen Arizona, folgend gelangten fie über die Berge 
an den Rio Virgin; von hier nad Arizona und in bie 
minenreichen Hualapais Mountains. hr nächſtes Ziel war 
Fort Mohave, das weitere die Umgebung von Fort Yuma 


384 


am Rio Colorado und in ber fühöftlichften Ede von Ealir 
fornien, von wo fie, eine direct weſtliche Richtung einjchlagend, 
nadı dem Dry Lake gelangten, dem Bett eines großen Binnen: 
fees, deffen Boden 0 Fuß unter dem Meereäipiegel gelegen 
und mit Muſcheln aller Art bebedt ift; von Dry Lafe über 
den San-Gorgonio-Paß nah San Bernardino, von San 
Bernardino zurüd nach Los Angeles. 

In unserm ganzen großen Nordamerika, jagt Dr. Loew, 
giebt es kaum einen andern Landſtrich, der weniger erforicht 
und befannt wäre, wie die Südoſtecke von Californien, und 
die unendlichen Schwierigkeiten, welche fich dort auf Schritt 
und Tritt den Reiſenden entgegenftellen, laflen uns noch 
jegt in vieler Beziehung über den wahren Charakter beffels 
ben in Zweifel. Es ift eine Wüfte im weiteften Sinme des 
Wortes, in welcher das Thal des Mohaves und Colorado: 
Fluſſes die einzigen grünen Dafen find. Die unerträgliche 
Hite, die im Sommer nicht felten auf 125% F. und barüber 
fteigt, die gewaltigen Sandftürme, welche in ihrem Charakter 
allein dem Samum der Sahara vergleichbar find, der anfer: 
ordentliche Waffermangel, die kahlen, in gewillen Abftänden 
von einander ſich erbebenden Bergzüge, kurz das ganze Ge: 
präge dieſes Landftriches , das nebenbei ein Fünftel des ge 
fammten Californien ausmacht, ruft dem Neifenden das Bild 
der großen afrifaniichen Wüfte vor fein geiftiges Auge. 
Welch’ ein wunderbarer Gegenfag zu ben blühenden Fluren 
des Los:Angeles:Thales, von dem er kaum mehr als 100 
Meilen entfernt iſt! 

Kein lebendes Wefen, als höchftens eine Eidechſe oder 
eine Anzahl gefchäftiger Ameifen weit und breit zu erbliden, 
fein grüner Strand, feine buntfarbige Blume unterbricht die 
Einförmigkeit des Bodens. Und doc ift auch das Pflanzen- 
reich hier vertreten wie das Thierreich, wenn gleich nicht 
weriger armfelig, denn ein paar blüthen- und blätterlofe 
Stengel find Alles, was wir bavon erblidten. Aber das 
Mineralreich liefert der Wiſſenſchaft eine reiche Ausbeute, 
und die intereffanteften Sammlungen, namentlih von vul⸗ 
canischen Gefteinen, haben ihren Weg von Hier aus mac 
Waſhington gefunden. 

Auf ihren Märfchen beftändig der Gluth einer unbarn- 
berzig fengenden Sonne ausgeſetzt, mußte die Abtheilung 
des Lieutenant Bergland durchſchnittlich 30 bis 40 Meilen 
täglich zurüdlegen, um zu den Quellen zu gelangen, bie fie 
nur dann richt zu verfehlen ficher fein konnte, wenn fie ge 
wiffenhaft den Indianerpfaden folgte. Und wenn fie es ge: 
fuuden hatte zeigte es fich häufig ſalzig oder bitter. 

Die wenigen einigermaßen befiedelbaren Dafen werden 
von Indianern bewohnt, und zwar haben die drei bedeuten: 
deren Stämme der Pajutes, Eheinehucvis und Mohaves fih 
in dem Thale des Golorabo-Fluffes niebergelaffen ; ans der 
Sprade biefer ſowie aus derjenigen von vier anderen Stäm- 
men ift es dem Dr, Loew gelungen, ein VBocabularium von 
400 Wörtern zufammenzuftellen. 





Die Late Wyre-Erpebition, 
welche wir in Mro. 19. diefer Zeitichrift beſprachen, beglei: 
tete der Naturſorſcher 5. W. Andrews. Wir verdanfen 
ibm folgende Heine Mittbeilungen. „Im Warburton⸗Fluſſe 
ober, wie man gewöhnlicher jagt, im Salt Greek, nörblid 
vom Lake Eyre, entdedten wir bei einer plötlichen Biegung, 
welche dieſer Wafferlauf macht, indem er feine nordweſtliche 


Aus allen Erbtheilen. 


Richtung verläßt, eine teichartige Ausbreitung im Umfange 
von vierhundert Dardd. Die Tiefe konnten wir nicht er: 
mitteln, da es uns an dem dazu nötigen Werkzeugen fehlte. 
Wir nannten dieſen Heinen Teich „the Fiſh-hole“, weil er 
und zu einer Zeit, wo wir großen Mangel an Lebensmitteln 
batten, mit den fchönften Fiſchen reichlich verforgte. Derſelbe 
wird offenbar durch Duellen gefpeift, denn fein Waſſer war 
frifch und weich, während es an anderen Stellen des Fluf- 
ſes, wo noch welches vorhanden war, einen falzigen Ge— 
fchmad hatte. Die vielen Lagerpläge der Eingeborenen, 
welche bier gefunden wurden, beuten darauf bin, daß ber 
Teich ein permanenter if. Die Intheriihe Miffionsftation 
am Late Kopperamanna (hat feine Erfolge aufzuweiſen) 
macht auch ihrem Aeußern nach feinen günftigen Eindrud, 
Man ſieht nichts weiter als eine alte Hütte und eine Palli- 
faben-Einhegung in einer bürftigen Gegend. Nur in ber 
Ferne bemerkt man etliche Bäume, fonft nichts weiter als 
Heine grafige Stellen. Der See liegt dort gewöhnlich troden, 
wie in ben letzten ficben Monaten wieder der Fall geweſen 
war. Zum Trinken ift das Waffer nicht tauglich, da es 
ſehr Ichäbliche Eigenſchaften beſitzt. Der Lake Berrigundi 
repräfentirt ein imponirendes Waflerbett mit niedrigen Bän- 
men, welche feinen Rand befegen, und mit einer Hügelkette 
im dintergrunde. Die Eingeborenen hegen eine abergläu— 
bifche Verehrung gegen diefen Ort und jehen die Anwefen- 
beit vom Weifen in beffen Nähe als eine Entweihung an. 
Bor zwei Jahren wurbe hier der Auficher eines „Run“, 
welcher ſich hingewagt hatte, ermordet; und es ift immer 
mit Gefahr verbunden, die Gegend zu betreten. Wir bielten 
daher fcharfe Wache, um und gegen etwaige Angriffe der 
Eingeborenen zu ſchützen. Auch diefer See, wie überbaupt 
alle Gewäffer, welche wir bereiften, war dem Austrocknen 
nahe. Der freiöförmige Late Mulyinburrina, nicht weit 
vom Late Madinlay, ift beträchtlich Heiner als der Lake 
Perrigundi, bat aber fonft eine ganz "ähnliche Lage. Enten, 
Schwäne und andere Waflervögel gab es in Menge, und 
sahlreiche Lager der Eingeborenen,, welche faft ausſchließlich 
vom Fiſchfang lebten, umgaben den See. Die Myriaden 
von Mosquitos machten den Aufenthalt bier keineswegs 
angenehm.“ 
* * % 


— Pr. Lepkowski, Profeſſor der Krakauer (Jagello— 
niſchen) Univerfität, iſt vom Cultusminiſter zum General: 
conſervator fämmtlicher vorhiſtoriſchen Denfmäler 
Galiziens ernaunt worden. 

— Ein reicher Auſtralier, Mr. Samuel Wilſon, in der 
Colonie Victoria hat au die Univerſität Melbourne ein 
Geſchent von 30,000 Bf. St. gemacht. 

— Am 2oa-Fluffe, der Südgrenze von Bern, find be- 
deutende Lager von Gold, Silber und Kupfer (von letsterm 
Metalle auch in Billaque bei Tacna) gefunden worden ; ebenjo 
Anzeichen, welche beweifen, daß felbige ſchon von dem erften 
Spaniern auögebeutet worben find. 

— In den Wäldern des Rio Negro (brafifianifche Pro- 
vinz Parangh ift unter dem Namen „St. Thomas de Bapan- 
dura® eine Niederlaffung gegründet worben, um dadurch 
vielleicht die fich dort herumtreibenden 3000 bis 4000 Bugres⸗ 
Indianer zur Anfiedelung und zu einer geregelten Lebens 
weife zu bewegen. 


IE BEER ER LESSAHINSE DEE DIES PAR LEE 

Inhalt: F. Garnier's Schilderungen aus Pünnan. VII. (Mit drei Abbildungen.) (Schluß) — Stanley’s 
Erforfchung des Victoria Niyanza. (Mit einer Karte) — Die Mongolen. Bon Albin Kohn. II. Schluß.) — Die prä: 
biftorifchen Alterthümer des nordiſchen Mufenms in Kopenhagen. Bon Dr. Hafſenkamp. II. (Schluf.) — Aus allen 
Erdtbeilen: Das jüdöftliche Californien. — Die Lale-Eyre-Erpedition. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 27. No- 


vember 1875.) 





Medacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftraße 13, II Tr. 
Drud und Verlag von Friedrich Bieweg und Sobn in Braunſchweig. 


Hierzu eine Beilage: Literarifher Anzeiger Mr. 9. 


Band XXIX. 





Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnolonie. 


Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 





Braunſchweig 


Jaährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatli 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Mark, Einzelne Nummern 50 Pf. 


1876. 





— —⸗ 





Die Wüſte Atacama 


Unter allen ſUdamerikaniſchen Staaten hat Bolivien weit 
aus die unglinftigfte geographifche Yage: während alle ande» 
ren mehr oder minder große Kiüftenftreden mit mehr oder 
minder trefflichen Häfen in ihrem Bejige haben und felbft 
das jest entwöllerte und verwüſtete Paraguay tief drinnen 
im Binnenlande ſich eines großen, ſchiffbaren Stromes er- 
freut, welcher in der Zukunft fein gutes Theil zur Hebung 
des unglüdlicen Landes beitragen wird, iſt Bolivien faft 
von jedem Berfehr mit der Außenwelt wie. abgejchlojien. 
Dort, wohin feine Ströme fließen, nach Norden, Often umd 
Südoften, ift es durch breite, nur von Indianern betvohnte 
Wildniſſe und Planos von den nächſten, aber immer noch weit 
entfernten Handelsplätzen gefchieden, und jene Ströme tragen 
feine Schiffe, entweder weil Riffe und Felsbänle, wie im 
Madeira, einem der mächtigiten Zufliiife des Rio das Ama— 
zonas, denjelben unüberrwinbliche Hinderniſſe entgenenftellen, 
oder weil die Indolenz der Anwohner fich noch niemals ern ſt 
Lid; um ihre Schiffbarfeit gefümmert hat, wie dies bis vor 
Kurzem mit den nad, Südoſten laufenden Zuflüſſen des 
Paranä, dem Bermejo, Pilcomayo und Otuquis der Fall 
geweſen if. Und wie dem Yande die VBerbindungsiwege mit 
dem Atlantifchen Ocean fehlen, fo auch die mit dem Paci- 
ſiſchen. Nur ein kurzes Stüd von deſſen Küfte nennt es 
fein, ohne einen einzigen gepflegten Hafen obendrein und 
außer durd; einen hohen Gebirgswall noch durch einen breis 
ten entſetzlich öden und waflerlofen Wüſtenſtrich von dem am 
beiten bevölferten und probuctivften Theile der Republik ge- 
ſchieden. Daß diefe unglinftigen natlürlichen Bedingungen 


Globus XXIX. Mr. 1. 


von größter Bedeutung flir den materiellen und fittlichen 


Zuftand der Bewohner gewejen find, ift leicht begreiflid- 
Dalence, der erfte Statiftifer Boliviens, beginnt den Abe 
ſchnitt über den öffentlichen Unterricht in feiner Statiftif der 
Republif mit dem bezeichnenden Worten: „Ich befenne frei, 
daß mir bei der Redaction dieſes Paragraphen die Feder 
aus der Hand fällt, weil er in unzweifelhafter Meife dem 
——— Fortſchritt darthut, den wir feit der Erlangung 
unferer Unabhängigkeit in der Aneignung menſchlicher Kennt 
niffe gemacht haben.“ (Wappäus’ Handbuch der Geographie 
und Statijtif I. 3. Abth. ©. 706.) 

Die Kunſt des Leſens ift wenig verbreitet, alfo auch die 
Scwiftitellerei und die Journaliftif, während die Poeſie allein 
in Blüthe ftehen fol, ein Verhältniß, welches her ciwilifirten 
Völkern das umgelehrte zu fein pflegt. Der Ha ' ji aus 
bedeutend, die Ausbentung der reichen Metallfdyage gegen 
frliher fehr gefunfen. Während unter den wenigen Gemers 
ben, weldje betrieben werden, die früher fehr bedeutende 
Wollene und Baummvollemveberei in Abnahme begriffen ift, 
fcheint die Zahl derjenigen, welche Branntewein und Chicha 
bereiten und ausſchenken, in fteter Zunahme begriffen zu fein; 
und während das fruchtbare Yand eine Menge für den Welte 
handel wichtiger Artifel, wie Kaffee, Zuder, Cacao, Baum⸗ 
wolle, erzeugen fönnte, muß e8 im Gegentheil nod Nahrungs» 
mittel importiren und fann nichts als das in jenen Yändern 
fo beliebte Reizmittel der Coca ausführen. 

Es fehlte aber, namentlich im dem legten Jahren, nicht 
an Vorſchlügen und Projecten, um die Republit mit der 

1 


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Die Wüfte Atacama. 3 


Außenwelt in Berbindung zu bringen, ihre ungehobenen 
Reichthumer auf diefe Weife dem Weltverkehre zuzuführen 
und das ftodende Yeben dort in Bewegung zu jegen. Cine 
Geſellſchaft bildete fich, um die Steamffineden des Madeira 
mittelft einer Eifenbahn zu umgehen und dadurch eine fegen: 
bringende Handelsjirage nach Brafilien, nad) dem Amazonens 
ſtrom, zu ſchaffen. Die Ingenieure Keller: Feuzinger haben 
die Vorarbeiten zu dieſem leider noch wicht im Angriff ges 
nommenen Bau andgeführt; ber „Globus“* hat im jeinem 
25. und 26. Bande ausführlich von ihnen berichtet. 
Ebenfo giebt «8 eine Gejellfchaft zur Befahrung des Rio 
Bermejo, deren erfter Dampfer gegen Ende des Jahres 1873 
lüdlich diefen Fluß 720 engliſche Meilen bis Esquina 
Sun: hinauffuhr und fo deifen Braudjbarfeit als Wafler- 
ſtraße endgliltig feftftellte; während im Juni 1874 der Nord: 





(pr. Mechiljones). Hatten ihm ſchon beim Yanden die zahl- 
reichen Vorrichtungen zum Deftilliven und Trinlbarmachen 
des Seewaſſers auf einen ber größten Mängel dieſes Gebie⸗ 
tes aufmertſam gemacht, fo gab ihm dieſer furze Ritt einen 
noch viel deutlichern Begriff von deflen Dürre und Unweg ⸗ 
famteit. Echon nad) zweiftlindigem Marfche verlangten feine 
Gefährten nad; Ruhe, weil der entſetzlich fteinige, abjchüfjige 
Weg ihnen fo arg zugefegt hatte. Wie der ganze Yandftrich 
nichts als Sand bietet, aber fein Waller, keine Bäume, feine 
Wege, fo beftchen aud die — Unſiedelungen nur aus 
Holzhäufern. Wie unfer Bild zeigt, ift Mejillones, damals 
ein Dorf von 200 Einwohnern, ein keineswegs verlodenber 


*) Dal. The Geogeaphival Mogazine I, 1874, S. 17 u. 305. 


amerifaner Commander Cilley ein Gleiches für den Rio 
Otuquis nachwies *). Ob feitdem biefe wichtige AUngelegen- 
— weitere Schritte nad) vorwärts gemacht hat, iſt uns nicht 

annt. a 

Endlich Hat man auch im den legten Jahren daran ger 
dacht, der Republik Bolivien nad; Weiten zum Stillen Ocean 
hin einen Verkehrsoweg zu fchaffen; mit den Vorarbeiten zu 
diefem letztern, welche der frangöftfche Ingenieur A. Brefjon 
machte, follen ſich bie nachfolgenden Zeilen beſchäftigen. 

Im März 1870 begab derfelbe ſich nach Eiibamıcrita, 
unähft als Mitglied einer halb wiſſenſchaftlichen halb 
ee Commiſſion, welche die Guanolager und Metall: 
ichäge des bofivianifcen Kuſtenlandes unterfuchen follte. 
Nach vierzigtägiger Heife landete er in Cobija und ritt 
von dort längs der Hüfte nach dem unfernen Mejillones 





Changos-Yudianer mit Baljas⸗Flößen. 


Aufenthalt; ja es hatte trog der „hunneras“ (Guanolager) 
in der Nähe fiir jene Commiffion jo wenig Anziehendes, 
daß dieſelbe ſich ſchon nad) 24 Stunden wieder mit dem 
gerade anlegenden Dampfer nach Balparaifo davon machte 
und Mr. Brefjon mit fieben Kiſten voll Neagentien und 
Inftrumenten allein zurückließ, mittelft deren ex den Guano 
und die Mineralien der Umgegend nad) Herzensluft unters 
fuchen konnte, Aber der gezwungene Aufenthalt dort erwwedte 
in ihm die Ueberzeugung, daß Mejillones fein ganz verlo- 
rener Boften fei, vielmehr, wenn die Sache richtig angegriffen 
wird, ſich mit der Zeit zu einem blühenden — ————— 
entwicleln könne. 

Weſtlich von dem Dorfe zieht ſich der Abfall des 800 Meter 
hohen Morro de Mejillones weit nach Norden in den Ocean hin: 


1? 





4 


ein und bildet fo einen herrlichen, von feinem Felſen, feinem 
Riffe gefährdeten Bufen, deſſen Oberfläche ftets ruhig und 
faft unbemegt if. Yangfam rollen die niedrigen Wogen 
an den fandigen Mufchelftrand; der Höhenunterjchied zwiſchen 
Ebbe und Fluth beträgt kaum 1 bis 1!/, Meter, Nie ſtürmt 
oder donnert ed, während in der heißen Jahreszeit fortwäh- 
rendes Wetterleuchten die Nacht erhellt. Bei Tage ftrahlt 
der Himmel in ewigem Blau: ſeit Menſchengedenken fiel 
nur einziges Mal Kegen; es war im Mai 1848, Dabei 
hat ber ein beneidenwerthes Klima: die Beobachtungen, 
welche Breflon zwei Jahre lang anftellte, ergaben als Mittel 
der Tagestemperatur im Fruhling 25,7%, im Sommer 27,6°, 
im Herbſt 25,8% und im Winter 25,2%, alfo ein Schwanlen 


von nur 2°, während bie entfprecjenden Durchichnitte ber 


r*7 2 
1 


Die Wüfte Atacama. 


Nadıttemperatur 16,4", 15,9", 16,1° und 14,8% betragen, 
jo daß man allerdings innerhalb 24 Stunden einen zwei 
maligen Würmennterfchied von 10 bis 119 burdjmachen 
fan. i 

An diefer Bay ſichen die niedrigen, meift einſtöckigen 
Holzhäufer von Meiillones, deren beffere, in ihre Theile ger⸗ 
legt, von Balparatjo oder den Vereinigten Staaten her eins 
geführt wurden und dem Baron de Kiviere ihre Aufftellung 
verbanfen. Diefer Franzoſe foll ſich um den Ort wohl 
verdient gemacht haben; er war es, der zuerft die Öuanolager 
der Umgegend ausbentete, eine Holzmole zur Aus- und Eins 
ſchiffung der Paflagiere und Gitter errichtete, das Zollhaus 
und die Wohnungen der Beamten baute, Natürlich fehlt 
auch hier eine Meerwaſſerdeſtillation nicht; ihr Product war 





Atacamenos und Aymaras. 


das erfte der bofivianifchen Induſtrie, welches Breſſon zu | 
fehen befan, das erfie, welches der Ort fabrieiren muß, 
wenn er überhaupt beftehen will. 

Nachdem er feine chemischen Unterſuchungen des Guano 
und feine Nachforſchungen nad; Metallen möglichſt raſch 
beendet hatte, veifte auch er nad) Balparaijo, feinen bavon- 
gegangenen Gollegen nad. Der Dampfer legte häufig an, 
mitunter dreimal des Tages, ſtets bei einjamen, elenden 
Bäfen. Intereffant aber war ihm bie Yandung bei Papoſo, 
einem kleinen Dörfchen in der nördlichften chileniſchen Pros 
vinz Atacama, weil er dort die Befannticaft der Changos 
(ipr. Tichangos) machte, eines mertwurdigen Neftes der alten 
Bevölterung des Yandes. Diefer den Araufanern verwandte 
Stamm bewohnt die Käfte des Stillen Oceans von Caldera 
im Süden bis Mejillones, etwa 5 Vreitengrade, zählt aber 


faum noch 250 bis 300 Iudividuen, weldye zumeift ihre 
Mutterfprache, das Arauco, mit dem Spanifchen vertaufcht 
haben, Sie find, von einigen Bergwerlsarbeitern abgefehen, 
Fiſcher, die ſich bei, oft brakiſchem, Waffer eine Hütte aus 
vier Walfifchrippen — foldye bietet der Strand in Menge — 
und Sechundsfellen oder alten Segeln zujammenfliden. 
Drinnen bildet die ganze Ansftattung ein Sclaud) aus 
Robbenfell zum Aufbewahren des Trinfvaflere. Zum Fiſch- 
fange jahren fie auf Balfas; c& find das zwei neben eins 
ander befeftigte, aufgeblafene Sechundsfelle, deren Spigen 
wie bei Schnabelſchuhen nach oben gerichtet find, Auf den 
die beiden Schläuche verbindenden Querleiſten liegt ein drit- 
te8 Fell, und darauf figend oder hodend wagt ſich ber 
Change weit in das Meer hinein. Einſt war diefer Stamm 
den Zueas von Peru unterthan, und aus jener Zeit ſtammt 


Die Wülte Atacama. 5 


ihre Gewohnheit, Coca zu fauen, welche fie ſich gegen ger 
trodnete Fiſche im den Städten des innern Yandes eintaus 
hen. Sie ſchreiben dem Kauen der Gocablätter bie 
Eigenſchaft zu, die Kräfte des Menſchen auch ohme Zuflih⸗ 
zung von Speife zu erhalten, oder richtiger wohl, die Nerven 
zu reizen und anzufpannen. In der That vermögen bie 
Indianer, wie die Soldaten und Maulthiertreiber, ohne 
Nahrung zu ſich zu nehmen, lang andauernde Marſche in dem 
heigen Triebfande zurlichzulegen, wenn ihnen nur das Priem- 
hen im Munde nicht fehlt. Im regelmäßigen Zwifchen- 
räumen legen fie die getrodneten Gocablätter in die linle 
flache Hand, feuchten fie mit der Zunge an, thun mit einem 
Stäbchen ein Stüd Kalf oder Ylıpta (alfalifcher Teig aus 
der Aſche des Quinoa-Cactus) darauf, um eine in den 





Blättern enthaltene Säure zu neutralijiren, rollen das Ganze 
zu einer Kugel zufammen und ſchieben es vergnügt in den 
Mund. Fir den nicht von Yugend auf daran gewöhnten 
Europäer hat dies Kauen jedoch unangenehme Folgen. 
Den Changos find die nördlich von ihnen figenden 
Atacamenos, ebenfalls gering an Zahl, wahrſcheinlich ver— 
wandt, infofern als beide zur araufanifchen Race gehören, 
wenn auch die wenigen Worte aus beiden Sprachen, welche 
Breffon zu ſammeln vermochte, durchaus nichts Achnliches . 
zu befigen fcheinen. Das färffte Indianervolf iu Bolivia 
ift das der Aymara, welche fih am reinfien in der Gegend 
des Titicaca · Sees und auf dem wetlichen Theile der Hodhe 
ebene erhalten haben. d'Orbigny fchägt ihre Anzahl auf 
etwa eine viertel Million, die ihrer Miſchlinge (Dreftigen) 


Vaqueand und Arriero, 


auf 130,000. Breſſon findet dies Volk fehr häßlich; nie 
fah er ein anziehendes Geſicht, nie eine annuthige Gewan— 
dung. Das Hauptftiid derfelben ift die Montera, ein Hut 
von ber Form eines Biuntentelches, deffen Rand etwa 2 Fuß 
mißt, Dazu fommt eine Anzahl Röde von ſchwarzer ober 
dunfelblauer Farbe und im verfchiebener Anzahl je mad; dem 
Alter und den Bermögensumftänden des Befigers; ein 
Wamms vom felben Stoff und ein Halstuch, deſſen Enden 
auf der Bruji von einer Spange zufanımengehalten werden. 
Beide Geſchlechter flechten das Haar in eine Menge von 
Strähnen, welche einzelm ober zu einem Zopfe zufammens 
gebunden auf den Naden herabhängen. 


In Balparaifo hatte Breffon wenig Erfolg; er erhielt 
dort michts, als feine Entlaffung, und erft nad) mehrmonat- 


licher Pauſe konnte er nad) Mejillones zurückkehren, um Vor- 
Studien für eine die Wüfte Atacama durchichneidende Eiſen⸗ 
bahn zu machen. Am 25. März 1870 hatte Don Hofe 
Diaz Gana, der geſchickteſte und berühmteſte aller „Catea- 


dores“ ober Erzſucher, der in Dienften bes oben erwähnten 


Baron de Riviere ftand, reiche Gilberadern in der Wie 
entdedt, welche jofort ganze Ströme von Unternehmungss 
luftigen herbeilodten. Hunderte von Expeditionen machten 
ſich aus Chile und Bolivien auf, Taufende von Conceſſions- 
bewerbungen liefen ein, mächtige Geldeompagnien bildeten ſich, 
und man beſchloß, die Erzlagerftätte in der Wüfte mit der 
Kuſte durch einen Schienemveg zu verbinden. 

Sana, welchem diefer Glüdsfall zu verdanfen war, ift 
der König aller Cateadores, die ebenſo unerfchrodene Reiſende 
als erfahrene Bergleute find. Auf einem Maulthier reitet 


6 Die Wüfte Atacama. 


der Cateador ohme Führer, nur mit einigen frugalen Yebens: 
mitteln und etwas Wafler verjehen, im die Wifte hinein, 
Sein ganzes Handwerkäzeug befteht in einer Heinen Bade, 
einer Stahlzange, einem Endchen Yicht und einem Yöthrohr, 
Ihn leitet fo zu fagen ein inftinctives Ahnen, oder beſſer die 
zahlloje Maſſe feiner früheren Beobachtungen und Erfah: 
rungen; das allgemeine Ausjehen der Gegend, ihre beftändige 
Farbe oder zufällige Färbung, bie 
bradas, jener abjchüj- 
figen Schluchten, 
welde die Wülfte 
durchziehen, die Art 
der Felstrummer und 
vor allen das Bor⸗ 
fommen von Schwer» 
ſpath, deflen Spur 
er beiler, wie ber 
gelehrtefte Minera- 
loge verfolgt, Aber 
trog feinem durch⸗ 
dringenden Auge, 
feiner unermüdlichen 
Geduld und Aus: 
dauer wird der 
Cateador häufig ger 
täufcht und hat ſol⸗ 
dien Fund, wie deren 
einer Dir. Breffon 
in die Utacama zu⸗ 
vüdrief, oft mehr 
dem glüdlicdhen Zu⸗ 
falle als feiner Ge— 
ſchidlichleit zu ver: 
danlen. 

Nachdem Breſſon 
die ganze Küſte, jo 
weit ſie zu Bolivia 

gehört, unterſucht 
hatte, lam er zu dem 
Schluſſe, daß Mejil 
lones der beſte Aus— 
gangspunlt fur die 
zu erbauende Eiſen— 
bahn ſei. Sein an⸗ 
derer der fünf Lan⸗ 
dungspunkte auf jes 
ner Steede konnte 
fih an Sicherheit 
des Anferplages und 
an Seräumigfeit des 
mit Häufern zu bes 
bauenden Terrain == 
mit Mejillones mes * A — 
fen. Obendrein hatte 
die Auffindung jener 
Silberadern den Platz ſchon ſehr achoben: die Häuferzahl 
hatte ſich fofort verdoppelt und die Bevölferungszahl war 
auf 2000 angewachjen, Um nun die Wültenreife mit Er: 
folg zu unternehmen , galt es einen geeigneten Baqueano 
zu finden, Nichts ift ſchwieriger, als in der Wüſte beſtimmte 
Richtungen einzuhalten, weil ſich durch die Wirkung der 
heftigen Winde unabläffig ihre Oberfläche verändert. Tritt 
heftiger Sudwind ein, jo färbt ſich der Horizont gelblic) 
roth; die Sonne wird verhüllt; von den Spigen der Dilnen 
erheben ſich gelbe Sandwollen. leid) darauf werden ganze 
Wogen von Sand und Kies die Süidabhänge aller Ter- 






lm 4 


E17} 


D 
8 


Beſchaffenheit der Que | dem 


er Wüſtencactus. 





rainerhöhungen emporgetrieben und fallen auf dem ent 
gegengefegten Abhange in Cascaden herab, wobei fie ein 
ziſchendes Gerauſch hervorbringen, wie ber Dampf beim Entwei» 
chen aus einem Yocomotivfeflel. Hat fid der Wind gelegt, 
jo hat ſich die ganze Landſchaft vollftändig verändert; wo 


| früher ein niebriger Hügel ſich erhob, ragt nun ein fegel- 


förmiger Berg empor. Nur ein Menjch kann ſich in 
Labyrinth neuer Bodenerhebungen zurechtfinden, der 
Vaqueano; von ihm 
hängt das Schichſal 
der Saramanenzlige 
ab. Er beflihlt und 
beriecht nicht nur den 
Erdboden, nein, er 
fojtet ihn auch, um 
ſich zurecht zu finden. 
Natürlid, läßt er ſich 
au durch den 
Stand der Sonne, 
beziehungsweife der 
Sterne leiten, na— 
mentlihh des Gen- 
tauren, der Magel⸗ 
laniſchen Wolfen, 
des Orion, worin 
die Indianer den 
Laſſo eines jagen« 
den Gottes erbliden, 
und vor allen durch 
das fühlidhe Kreuz, 
weldyes allen Böls 
fern der füblichen 
Hemifphäre wie eine 
Uhr zur Beitein 
theilung und Oriens 
tirung dient. Dabei 
it er fühn und 
tapfer, ehrlich und 
rechtſchaffen, lalt⸗ 
blutig und geſchickt, 
verſteht ſich trefflich 
auf die Behandlung 
von Krankheiten und 
Wunden, forgt na» 
mentlid für die 
Laſtthiere mit großer 
Umſicht und begnügt 
ſich bei ſolch anfiren- 
gendem Yeben mit 
wenigen Biſſen und 


einigen Schluden 
: " : ar: ! Waſſers. 
re Ta Eine faft ebenfo 


wichtige Perfjönlid) 
feit wieder Baqueano 
ift der Arriero, welcher dem langen Zuge der mit Yebens- 
mitteln, Waſſer und Gepäck beladenen Maulthiere voraus- 
reitet und namentlich für ihr Geſchirr zu forgen hat. Der 
Packſattel befteht aus mehreren Hammelfellen, melde mit 
einem großen Vederriemen feftgefchnallt werden. Jedes Thier 
trägt 2 bis 3 Waffertönuchen, welche 35 bis 45 Liter halten, 
oder eine entſprechende Laſt Pebendmittel. Diefe find in 
Säde von ungegerbtem Yeder (petacas) gehüllt, welche mit 
Laſſos, jenen gedrehten Yederriemen, am Saumfattel feft- 
gebunden werden. Auch die Menfchen fatteln dort zu Lande 
ihre Thiere mit Fellen, auf welche der Recado, ein Holz 


B. Denede: Die neuvorpommerfchen Hüften. 


gerüft, zu liegen fommt. An legterm hängen zwei riefige 
hölzerne Steigbügel und hinten der Yaflo, den aber der in 
feinem Gebrauch ungeübte Eurgpäer beſſer durd) Halfter 


7 


erſetzt, welche außer allerhand Kleinigkeiten einen Revolver 
und eine Flaſche voll Kaffee und Cognac zur gelegentlichen 
Stärkung bergen. 


Die neuvorpommerſchen Küften. 


Bon B, Denede in Barth. 
Dit einer Karte. 


Wo nicht Steillüften, wie auf Rügen, einen fihern Damm 
und Wall gegen die Angriffe der falzigen Fluth bilden, fon- 
dern wo weicher Moorboden und fandiges Gelände viele Mei— 
len weit nur wenige Fuß hoch über dem Meeresipiegel ſich 
erheben, da nagt die gierige Fluth unabläſſig am Ufer und 
fordert alle Thatkraft und Berechnung der Strandbewohner 
heraus, um nur dem status quo aufrecht zu erhalten. Der 
felbe wird indeffen durch Ereigniffe, wie die befannte Sturnt= 
fluth vom 13, November 1872, ernftlic gefährdet. Durch 
ſolche gewaltfamen Sturmläufe, unternommen, um durch 
Ueberrafchung das zu erobern, was durch jahrelanges heims 
liches Wühlen, Nagen, Spitlen nicht erreicht werden fonnte, 
fol die alte erbarmungslofe Feindin, die See, bereits in 
vorgefchichtlicher Zeit die Niederungen hinter dem Dark und 
dem Zingſt in Befig genommen und fo den Saaler, Boot: 
fteber und Barther Bodden nebft der Grabow gebildet haben. 
Ic verweife behufs der Drientirung auf die beigegebene 
Karte (S. 8). 

Der mit Hligeln und ftattlichen Waldungen bededte Bo— 
ben der Halbinfel Dark befigt gegenwärtig noch die größte 
Widerftandsfähigkeit.. Nur die Ränder des Bierecks find 
zeitweifen Ueberfluthungen ausgeſetzt. Anders verhält es ſich 
mit der faft gänzlich flachen Infel Zingft. Diefelbe wurde, 
wie auch auf unferer Karte durch Schattirung angedeutet ift, 
während der großen Novemberfluth gänzlid) unter Waller 
geſetzt. Die Dünen der ganzen Süftenjtrede wurden hinweg: 
geſchwemmt; nur die große, etwa 40 Fuß hohe Düne Kien- 
ort hielt Stand, ſowie auch die hodhgelegene Kirche von Pre— 
. rom (in Oft-Prerow) vom Waſſer nur befplilt wurde. Alle 
übrigen menfchlichen Behaufungen der Infel: der Flecken 
Zingft mit etwa 1500 Seelen, das Fiſcherdorf Straminte, 
der Weiler Pramort, die der Stadt Straljund gehörigen 
Pachthöfe, Alles ftand bis zum Dadje der meiftens ein 
ftödigen Häufer im Waſſer, doch nicht im ruhig fliehen: 
den, fondern inmitten wild brandender Meereswogen, die mit 
einem Drude die Fenſter in die Stuben hineinwarfen , mit 
einem Schlage die fteinerne Füllung aus dem Holzfachwerle 
der Scheumen und Wohnhäufer ftürzten. 

Außerdem hatten die niedriger gelegenen Theile des Dar: 
ßes viel zu leiden. So das Dorf Weft-Brerow, welches am 
ſchwerſten heinrgefucht wirrde, und wo auch mehrere Menjchen 
das Leben verloren; ferner die Umgegend bes Leuchtthurmes 
auf Darfer-Ort. An diefer ausgeſetzten weit hervorragens 
den Yandjpite jcheint das furchtbare Naturereigniß im bejon- 
der& überwältigender Geftalt aufgetreten zu fein. Die Wafjer- 
mafle, welde, vom Orcane getrieben, gegen die Küſte ſich 
warf, brachte grbbebenartige Erfcheinungen hervor, Der 135 
Fuß Hohe Leuchtthurm nebſt dem angebauten maffiven Wohn- 
haufe begann zu wanlen. Drei Männer vermochten mit 
Yufbietung aller Kraft eine Thür nidyt zu öffnen, da das 
umgebende Gebälk aus dem rechten Winkel gewichen war, 
und eine von dem beherzten Thurmwärter von einem Feuſter 


I. 


aus unternommene Lothung ergab ein Abweichen der Thurm ⸗ 
wände um mehrere Grade. — ferner wurde der Vordarß 
mit dem Dorfe Ahrenshoop gänzlich überfchwenmt, während 
das höher gelegene medlenburgifche Fiſchland — zum großen 
Güde für die bedrängten Ahrenshooper — mit Ausnahme 
ber Dörfer Alten» und Neuenhagen, welde vom Binnenwaſſer 
her etwas zu leiden hatten, faft gänzlich verfchont blieb, Da: 
gegen war die fchmale, — Bass im Sliden des 
Fiſchlandes verſchwunden, und man fheint anfangs gezwei- 
felt zu haben, ob das Meer feine Eroberung wieder heraus: 
eben, oder ob es diefelbe, wie 1305 mit dem flblichften 

heile der Halbinfel Möndgut auf Rügen geſchehen, flie 
immer behalten werde. Nach dem Ausſpruche eines body 
geftellten Sadyerftändigen würden in biefem alle die das 
hinter belegenen Küften bet jedem Hochwaſſer der größten 
Gefahr ausgefegt geweſen fein. 

Die ſüdlichen Geſtade der vier zufammenhängenden Meer: 
bujen wurden von der großen Fluth nicht verſchont. In 
ber Bartheniederung drang biefelbe eine halbe Meile weit 
lanbeimvärts bis zu den Dörfern Divig und Frauendorf 
vor. Noch einige Monate fpäter ſah man einige coloffale 
Erdſchollen, 5 bis 6 Cubifmeter groß, in der Nühe des 
Dorfes Planitz, ein Undenten, welches die See zurüchgelaſſen. 
Die Etadt Barth war in eine Halbinfel verwandelt, nur 
durch einen ſchmalen Zugang im Often mit dem Feſtlande 
verbunden. Die Vorſtädte ftanden größtentheils 4 bis 5 Fuß 
tief im Waſſer. 

Eine höchſt empfindliche Folge der großen Ueberfluthung 
war die Vermifchung des Trinfwaffers mit Seewaſſer. Biel 
ſchwerer noch war die VBerfandung vieler Aeder und Wiefen, 
ſowie die faft gänzliche Vernichtung des Viehſtandes zu ertra- 
gen. Doch wurde durch Abſchöpfen das Brunnenwafler all» 
mälig wieder geniegbar, und das verlorene Vieh, der ver- 
borbene Ader wurden aus den Unterftügungsfummen erfegt. 
Daß viele Wald» und Obftbäume abftarben, welche längere 
Zeit mit dem Salzwaſſer in Verligrung gelommen waren, 
ſchien von geringerer Bedeutung. ine länger nadjwirtende 
und darum ſchlimmere Folge war bie eingetretene Entmus 
thigung aller Inſel ⸗ und Halbinfelbewohner, deren viele ſich 
ſchon mit dem Gedanken vertraut zu machen fuchten, ihre 
dem Untergange gemweihete Heimath verlaffen zu müflen. 
Zahlreiche wohlhabende Scyiffer lberfiedelten von Prerow 
und Zingft nad) Barth) und halfen Diiethen und Yebensmittel- 
preife fteigern. . 

Es mußte etwas gefchehen — das fah Iedermann —, 
um die gefährdeten Borlande nachdrücklich zu ſchützen und in 
bewohnbarem Zuftande zu erhalten, und es find auch ſowohl 
von der königlich preußifchen wie von ber großherzoglich 
medlenburgifchen Regierung Mafregeln ergriffen worden, 
welche Ausſicht auf guten Erfolg verfpredien. Auch die 
Stadt Barth ift felbftändig vorgegangen und hat das Ihrige 
gethan, um zukünftigen Eventualitäten vorzubeugen. 


8 B. Denede: Die neuborpommerfchen Hüften. 


Aehnliche Naturereignifle hatten, wie ſchon erwähnt, bes 
reits zu verfchiedenen Malen diefe Kiften heimgeſucht. Uns 
zweifelhaft iſt es, daß die Juſel Zingft mod; vor einigen 
hundert Jahren eine öftliche Verlängerung des Darfes war 


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etwas weiß, im verhältnißmäßig fpäter Zeit ftattgefunden, 
daflir ſpricht die topographifche Merkwitrbigfeit, daß die Kirche 
der anfehnlicyen Ortſchaft P.lerow, von nur wenigen Häus 
fern umgeben, anf dem öftlichen Ufer des Prerower Stromes 
liegt, während der Hanpttheil des Fledens das weltliche 
Ujer einnimmt, Die hereinbrediende See muß die Kirche 





und durd; eine große Fluth, weldye den Durchbruch bei Pre 
row, jegt Prerower Strom genannt, bildete, aus ihrem Zu— 
fammenhange mit dem Darf gelöft wurde. Daß diefe Ka— 
taftrophe, von weldyer übrigens hier zu Yande Niemand mehr 


Neu. errichteter Aunssendeich, 
EEE Am 13. Nor 18 YR überschwenmtes hanıt, 


— Alte Dünen; 


Dammfarten 


von dem Orte getrennt haben; ſonſt wäre bei dem praltiſchen 
Sinne unferer Strandbervohner diefe Abfonderlichfeit uner- 
flärbar. — Außerdem zeigt die Infel Zingft noch Spuren 
früherer Durchbrüche, welche jedoch mad) der Seefeite hin 
(vergl. die Karte) wieder geichloflen worden find, 

Solcher Durchbrüche, d. h. foldyer tiefen Lucken im der 


Albin Kohn: Die franzöfiiche Venuserpedition auf St. Paul. 9 


Küfte, welche das Meer während der Novemberfluth vor 
drei Fahren geriſſen hatte, und die, dem Prerower Strome 
ähnlich, felbft nach dem Zuriidtreten des Waſſers fahrbare 
Ganäle bildeten, weldye die See mit dem Vinnengewäfler 
verbanden, fanden ſich meines Willens auf preußifchen Ges 
biete zwei (bei Oft-Prerom und bei Ahrenshoop), auf medlen- 
burgiichem Territorium fitdlid) von Wuftrow drei. Die 
Übrigen als „Durcjbrüche* bezeichneten Stellen enthielten 
nad) der Fluth fein Waffer mehr und boten mehr oder wer 
niger den Anblit der auf dev gefammten flachen Küften: 
ftrede hinweggeſpülten, früher etwa 10 Fuß hohen und nun 
faft gar nicht mehr über den Meeresfpiegel hervorragenden 
Dünen dar. Die erfte Aufgabe des Küftenfchuges war c#, 
diefe Durchbrüche zu fchließen. Dies geſchah durch Verſen— 
fung von Faſchinen, mit Steinen beſchwert, auf welcher 
Unterlage ein dünenartiger Sandwall mit breiter Bafis auf- 
gethürmt wurde, defien Kamm man mit einem doppelten 
Flechtwerle (einem fogenannten Fangzaune) verfah, dazu 
bejtimmt, den von der See angeſchwemmten und vom Winde 
am Ufer Hinanfgetriebenen Sand feftzuhalten und jo zur 
Erhöhung und Berftärkung des Bollwerks beizutragen; bie 
innere Seite wurde mit Strandhafer bepflanzt. Derartige 
Fangzäune wurden überall anfgeftellt, wo die Dinen ver: 
ſchwunden waren; und ſchon jegt find ganz nennenswerthe 
Anfänge einer Dünenbildung bemertbar. ’ 

Eine zweite, noch durcchgreifendere Küftenfchugmaßregel 
beitand in der Errichtung eines großartigen, mit Hafen be- 
Hleideten Erdwalles (des jogenannten Außendeiches), der pa- 
vallel mit den Dünen in einiger Entfernung hinter denfelben 
(auf der Karte durch eine punktivte Linie bezeichnet) die ganze 
Fänge der Inſel Zingft durchzieht, und an welchen mehrere 
hundert Arbeiter aus der Dart, Sclefien und Pofen den 
ganzen Sommer 1873 hindurch arbeiteten. Der alte Außen— 
deich erreichte (forwie der die Schugwehr gegen den Bodden 
bildende „Binnendeich") eine Höhe von kaum 5 Fuß, wäh: 
rend das neue Erdwerk bei einer Bafis von 30 Fuß Breite 
12 Fuß hoch fich erhebt. Zum Abſchluß gelangte diefes 
Werk durch die im November 1874 erfolgte Schließung des 
Vrerower Stromes, welcer mithin aufgehört hat, als Strom 
au eriftiren, und in eine Bucht verwandelt worden ift, wie 
denn auch die bisherige Infel Zingft nunmehr als Halbinfel 


* 


bezeichnet werden muß. — Der Widerſtand, welchen die 
ſtarle Strömung den Arbeiten entgegenſetzte, war ſchwer zu 
überwinden. Vier Fuß ſtarke, mit Granitblöcken beſchwerte 
Faſchinen, die man in der Mitte verjenfte, wurden hinweg» 
geriſſen; man jah ſich genöthigt, die Arbeit an den Seiten 
zu beginnen. Gegenwärtig ftcht das ftattliche Werk vollendet 
da, faft 100 Meter lang, 4 Meter hoch, an feinem mörd- 
lichen Fuße vom einem breiten Gürtel gewaltiger Granit 
blöde eingefagt, zur großen Beruhigung aller Gemüther, 
da bei jedem Hochwaſſer zunächſt vom Strome her Gefahr 
drohete, 

Eine dritte Maßregel befteht tu dev Anlage einiger hun⸗ 
dert „Bühnen“, welche fich von öftlichften VBorjprunge der 
Infel Zingft bis in die Gegend des Fleckens Zingft an der 
Küfte entlang ziehen. Sie beftehen aus Pfahlreihen, welche 
im vechten Winkel zur Hüfte ins Meer hinausgeführt und 
zwifchen weldyen Reifig und Dovngebüfc, befeftigt worben 
find, dazu beftimmt, dem angeſchwemmten Sand feitzuhalten 
und auf diefe Weife ein Wachen des Yandes herbeizuführen. 
Bloße Pfahlreihen exiftirten ſchon feit Fahren, dod) entſpra— 
hen fie ihrem Zwede keineswegs. Die Hüfte nahm trogden 
an manchen Stellen ab, muß Überhaupt ſchon feit geraumer 
Zeit in der Abnahme begriffen geweſen fein, da zahlreiche 
Wurzelftöde ertruntener Bäume unweit des Uferrandes ficht- 
bar find. Da diefe Bäume nur auf feltem Boden über 
dem Wafferfpiegel gewachſen fein können, fo ift man gezwuns 
gen, eine größere nördliche Ausdehnung des Yandes in frü- 
herer Zeit anzunehmen, womit die heutigen Beobachtungen 
liber das Zurlichveichen der Kliſte durchaus übereinftimmen. 
Es ift mithin ſchwer verſtündlich, wie noch neuerdings ein 
Beſucher des Eilandes (in zwar jehr gelehrter, doch wenig 
ſachgemäßer Weife) den Zingft „ein Product der jüngften 
Periode der Erdgefchichte* nennen und von „Sandalluvio: 
nen* (durch welche die Inſel entitanden fein follte) ſprechen 
fonnte, da doc die ganze Kuſtenformation nicht auf 
Zunahme durch Neubildungen, fondern vielmehr auf ftetige, 
wenn auch langjame Abnahme hinweiſt. Die jehr ähn- 
lichen Berhäftnifje der flacheren Theile der Infel Rügen, 
welche ſelbſt noch im Hiftorifcher Zeit eine mehr abgerundete, 
weniger zerfreſſene Maſſe bildete als jegt, bieten cine über- 
zeugende Parallele. 


Die franzöſiſche Venusexpedition auf St. Paul. 
Bon Albin Kohn. 


Fern von uns im füdlidyen Ocean, faft in der Mitte 
zwifchen dem Vorgebirge der Guten Hoffnung und Auftralien, 
liegen einige Infeln, welche felbft auf guten Karten nur als 
fleine Pünktchen verzeichnet jind. Sie find als Amfterdam 
md St. Paul befannt und von den Seefahrern gefitrchtet 
und gemieden; denn wenn auf dem ganzen, endlojen Ocean 
Ruhe, vielleicht gar eine gefürchtete Windftille herrſcht, tobt 
an den ungaftlichen Geſtaden diefer Eilande der Sturm und 
Wafferberge ftürzen ſich auf die fteilen Küften, als ob fie die 
Heinen Infeln verfchlingen wollten. So mandyes gute Schiff 
ift, wie vor ungefähr fünf Jahren die „Megära“ mit 
800 Paffagieren an Bord, hier untergegangen, und wohl 
wenigen war es, tie biefen Reifenden, vergönnt, nad) län« 

Globus XXIX. Mr. 1. 


germ Aufenthalte auf dem wüften Felſen die Heimath wie: 


der zu fehen. Wenn man eine Specialfarte diefer Felfen- 
neſter, befonders der Injel St. Paul, betrachtet , jo glaubt 
man ein Bild des jogenannten „Kopernikusmeers“ auf dem 
Monde vor fich zu haben, und es wird auch dem Laien in 
der Geologie Har, daß er auf das Bild eines Kraters jchane, 
deſſen Pava und Schaden Suppen und Spigen von 200 
bis 300 Meter Höhe aufgethürmt haben. 

Hier hat wohl Taufende von Jahren ein withender 
Kampf zwifchen Feuer und Waſſer geherricht, das gewiß nach 
und nach den Sieg davontragen wird. Dem immer von 
Neuem ftirmt es gegen die Schöpfung des Feuers an, ja 
es ift ſogar ſchon im dem Herd deijelben, in den Krater felbft, 


‚2 


10 


eingedrungen und hat es ausgelöſcht, um forthin am ber 
vollftänbigen Zerftörung der Schöpfung Pluto's zu arbeiten 
und fie im der Tiefe ded Meeres zu begraben. 

Diefes Felfeneiland, das nur von patagonifchen Fettgänfen 
(Aptenodytes patagonica), verwilderten Ziegen, Katzen 
and mit diefen in größter Harmonie lebenden Ratten bewohnt 
wird und im Anfange der vierziger Jahre vom polniſchen 
Einigranten Adam Dlieroslansti, dem Bruder des befannten 
polnischen, badiſchen und jicilifchen Erdictators Ludwig Mic- 
roslamsti, für die franzöfifche Regierung in Befig genommen 
wurde, bie es aber bald aufgegeben hat, weil e8 überhaupt 
unbewohnbar ift, hatte die franzöfifche Akademie der Wiſſen— 
fchaften für das Jahr 1874 als vierte Station zur Beob- 
achtung des Durchganges der Venus durch die Sonne aus- 
erfehen und an die Spitze der dahingefendeten Expedition den 
Commandanten Mouchez geftellt. Zwei von diefen Erpe- 
ditionen hatten die Beftimmung, das feltene Ereigniß auf 
ber nördlichen Halbkugel, und zwar in Peking und Motohama, 
zu beobachten, während zwei andere auf der füblichen Halb- 
fugel in Campbell und St. Paul ftationirt waren. Au— 
erden waren jedoch noch zwei Hülfsmiſſionen entfendet, 
von denen die eine in Numea, die andere in Cochinchina ſta— 
tionirt war. Die Afademie der Wifjenfchaften hatte zwar 
fchon im dem für Frankreich jo verhängnigvollen Jahre 
1370 eine Commiſſion eingejegt, welche unterjuchen jollte, 
in wie weit ſich Frankreich an dem bevorftehenden wiſſenſchaft⸗ 
lichen Wettlampfe der civilifirten Völlker betheiligen ſoll; trotz⸗ 
dem müſſen wir zugeftchen, daß die wiſſenſchaftliche Expe— 
dition überhaupt nur Dank der Energie des im Jahre 1873 
zum Präfidenten der Commiffion ernannten, in der Wiflen- 
ſchaft cine Hervorragende Stelle einnehmenden Secretärs 
der Akademie, Herrn Dumas, zu Stande gelommen ift. 

Lange vor der Abfahrt bereiteten ſich die Mitglieder der 
für St. Paul beftimmten Erpebition für die ihrer harrenden 
Aufgabe vor. Da befonders die Photographie bei ber Beob- 
adjtung der Erſcheinung eine wichtige Rolle fpielen follte, 
welche jie auch, wie ja jet ſchon befannt, glüclich gelöft hat, 
fo wurde der berlihmte Phyſiler Fizeau, deſſen Name mit 
der Erfindung der Daguerreotypie innigft verfmüpft ift, beauf- 
tragt, die nad) St. Paul gefendeten Mitglieder der Expedition 
im die Scheimmißfe der Photographie einzumeihen und fie mit 
dem Gebrauche dev eutſprechenden Inftrumente vertrat zu 
machen. Die Expedition bejtand, außer dem ſchon genann— 
ten Mouchez, aus dem Herren Turquet, Cazin, Velain, 
de l'Islte und dem Schiffearzte Dr. Rochefort. 

Die einfane, nahezu 1000 Meilen von jedem Continente 
entfernte Inſel, weldye, wie ſchon gejagt, ein wulcanischer 
Kegel mit eingefallenem Krater ift, erhebt fich gegen 230 
Meter über die Oberfläche des Meeres und ift gänzlich, ums 
ſruchtbar. Cutblößt von jeder Spur frudjtbaren Erdreiches 
und ohme jegliche Quelle fügen Waſſers ift diefer Felſen 
für Menſchen unbewohnbar und nur zum Aufenthalte für 
Pholen und zum Brutplag verſchiedener Meeresvögel geeignet, 

Sie wird auch nur von Fiſchern von den Neunion« In: 
feln befucht, weldye anf dem nadten Felſen ihre Beute, den 
Kabljan (Stodfiid), jalzen und trodnen. 

Die Stlieme find an dem Geſtade diefer Felfeninfel immer 
ſehr häufig; befonders häufig aber find fie im Juni, um die 
Zeit der Tag⸗ und Nachtgleiche, und um diefe Zeit war es 
eben, daß die Expedition auf St. Baul landen follte. Cs 
giebt auch fturmfreie Tage; fie find aber jehr jelten und auch 
danı verhindert ein dichter Nebel, der beftändig von dem 
Eilande auffteigt, die Fernficht. In keiner Gegend der Erde 
find, nad) der Berficerung des Herrn Mouchez, die Stürme 
jo gewaltig wie an der Hüfte von St. Paul. Die Wellen 
des Meeres erheben ſich zu einer im anderen Gegenden un— 


Albin Kohn: Die franzöſiſche Venuserpedition auf St. Paul. 


befannten Höhe und umkreifen die ganze Infel, welche zu 
Hein ift, um einem Schiffe Scyug gegen die wüthenden Wo- 
gen zu gewähren. Mad) den von Mouchez vor feiner Ab- 
reife beim Director ber meteorologifchen Station in Yondon, 
Heren R. Scott, und fpäter bei den Fiſchern der Inſel 
Reunion eingezogenen Erfundigungen durfte er nur geringe 
Hoffnungen auf ein günftiges Nefultat fir die ihm über: 
tragene Miffion haben, denn er erfuhr, daß der Himmel von 
April bis November, während weldyer Zeit der Wind von 
Suͤdpole weht, jtets mit Wolfen bedeckt ift, während wiederum 
in den Sommermonaten, trogdem dann ein warmer Wind 
vom Wequator fommt, der ganze Felſen in dichten Nebel 
gehillt iſt. Im Ganzen hatte die Erpebition nur auf 8 bis 
10 heitere Tage unter 100 Tagen zu redjnen ; und, wie ſich 
Herr Moudyez fpäter felbjt zu Überzeugen Gelegenheit hatte, 
man erhält diefe Summe nur, wenn man einzelne ſchöne 
Stunden vieler Tage zufammenzählt. 

Gegen Ende Juli 1874 reife Herr Mouchez mit jeinen 
Begleitern von Paris ab und ſchiffte ſich und jeine Inſtru— 
mente am 2. Auguft auf dem Padetboote „Amazone“, 
welches durch den Suezcanal nach China fteuerte, ein. Am 
14. Auguſt fam bie Expedition nad) Aden, wo fie die „Ama: 
zone“ verließ, um mit ihrem Gepäd auf den „Dupleir“ 
überzufiedeln, der fie am 30. Auguft nad, St. Denis auf 
der Infel Reunion bradjte. Hier lag das Transporiſchiff 
„la Dives*, welches der Marineminifter fir die Dauer 
der Expedition unter die Befehle des Herrn Mouchez geftellt 
hatte, und auf welchem derjelbe jchon einen Theil der für die 
Expedition beflinmten Ausräftung vorfand. Das Schiff 
war zur Reife nach St. Paul bereit, doch hielt e8 Herr 
Mouchez fir nöthig, noch einige Tage mit der Abreife von 
St, Denis zu zögern, um die Chronometer zu reguliven, ber 


ſtimmte aber als Tag der Abreife den 8. September. Die 


Fiſcher, welche alljährlicy nad) St. Paul kommen, und der 
Capitän der „Dives* riethen zwar, die Abreife der Expe— 
dition um einen Monat zu verzögern, da nad) ihren Ver— 
ficherungen es unmöglich fein würde, in diefer Jahreszeit auf 
der Inſel zu landen und das bedeutende Material ohne 
Schaden auszuſchiffen; aber eine foldye Verzögerung ſchien 
Herrn Mouchez für die Vorbereitungen zur ae 
ſchüdlich und deshalb beſchloß er an feiner Dispofition nicht 
zu ändern. Die „Dives“ lichtete am feftgejegten Tage die 
Anker, nahm in St. Maurice die Kiften, im welchen fich die 
Inftrumente befanden, vom „Dupleir* an Bord und verlich 
am 9. September St. Maurice, um direct nach Et. Vaul 
zu ſteuern. Die Reife bis dahin dauerte Funfzehn Tage und 
verlief bei gutem Wetter. Noch ald das Schiff gegen 20 
Meilen von der Infel entfernt war, hegte Herr Mouchez 
die Hoffnung, daß es ihm vergönnt fein würde, an einem 
der dort jo feltenen ſchönen Tage zu landen; da machte ſich 
der ftörende Einfluß, welchen die feinen, ifolirt im Oceane 
liegenden Infeln auf die fie umgebende Yuft ausliben, geltend, 
und gab ſich am 22, September in einem heftigen Windftoße 
fund. Es begann ein ununterbrochener Hagel und Regen, 
dichter Nebel verhilllte den Horizont, das Meer ging hod) 
und man war genöthigt, das Schiff zu wenden, weil man 
fürdhtete, auf die Infel geworfen zu werden, ohne fie zu jchen. 
Gegen Mittag erlaubte ein heiterer Augenblid, St. Baul im 
Nebel zu fehen, und Herr Mouchez ließ auf den Ankerplatz 
zufteuern, gegen welchen übrigens das Schiff vom Winde 
und ben hochgehenden Wogen mit großer Gewalt getrieben 
wurde. Gegen Sonnenuntergang wurde die Nordipige der 
Inſel umſchifft und einige Augenblide fpäter in einer Ent- 
fernung von 400 Meter von der jchroffen Küfte, wo das 
Meer den Krater durchbrochen hat, der Anler fallen gelaffen. 
Die Infel, welche für lange der Aufenthaltsort der Erpedi- 


Richard Andree: Rüdjchläge aus der Givilijation, 11 


tion zu werden beftinmt war, bot einen unbefchreiblich düſtern 
und wilden Anblid. Es war faft Nadjt geworden; bie fteile, 
ſchwarze Hüfte ragte Über das Schiff empor und war ihrers 
feits von ſchroffen Bergkuppen überragt, deren ſcharfe Spigen 
die mit ungeheurer Schnelligkeit Über fie und Über das Schiff 
dahinfliegenden Wolfen zerriffen. Der Wind, von Hagel 
und Regen begleitet, ftärzte in heftigen Stößen in bas vom 
Krater gebildete Baffin und erhob hier Waſſerſäulen von 
15 bis 20 Meter Höhe, welche ſich wie Wajlerhofen drehten. 
Im erften Augenblide waren die Beobachter verſucht zu glau— 
ben, daß fie einen waſſerſpeienden Krater vor fich haben, 
Die „Dives“ beugte ſich unter den Windjtößen, fiel bald 
auf die eine, bald auf die andere Seite und zerrte an ihrem 
Anker, trogdem das Meer wegen der Nähe der Küuſte ziemlid) 
ruhig war. Aber man fah ungeheuere Wogen wenige Kabel 
längen vom Schiffe ſchäumen und am Horizonte bemerkte 
man riefige Sturgwellen; jo beſchränlt war der Raum, wo 
das Schiff einen zweifelhaften Schutz gefunden hatte. 

Auf der dem Schiffe entgegengefegten Seite des Kraters 
bemerfte man bie verjchwonmenen Umriſſe zerftörter Hlits 
ten, von denen das Dad) heruntergeriffen war, und am Ufer 
lagen zahlreiche Trlinmmer von Schiffen, welche hier geftrans 
det find. Wahrlich feine angenehme Vorbedeutung für die 
Erpedition. In der Mitte des engen Canal, welcher ins 
Baljin führt, lag das ungehenere Gerippe der englifchen 
Fregatte „Megära“ fait ganz auf dem Trochnen. Vom 
Binde und Meere zerbrödelt lag e8 da, umgeben von Trüims 
mern, am denen ſich die Wogen des Meeres wie an einem 
Haufen von Felſen brachen. Das Schiff hatte feit drei oder 
vier Jahren allen Stürmen Widerftand geleiftet und follte 
erjt untergehen während eines Sturmes, welcher auch flir die 
Erpedition gefahrdrohend geweien ift. Der phantafiereichite 
Künftler wäre nicht im Stande gewejen, das Bild der Zer- 
ſtörung, weldyes fid) den Bliden der Reifenden darbot, zu 
erſinnen. 

Nach einer Nacht voll Bangigkeit, während welcher ſich 
Herr Mouchez Über die Gejahren und Schwierigleiten der 
Lage Redyenjchaft geben konnte, ging er ſogleich, als der Tag 
anbrach, ans Land. Zwiſchen zwei Wellen gelangte er über 
das das Kraterbaſſin abjperrende Felſenriff und betrat den 
Boden auf der Nordſeite der Hüfte, in der Nähe dev Ruinen 
der Hütten. Der erhabene Anblid des Baffins erregte Ers 
ftaunen und Bewunderung; der Neifende befand ſich auf dem 

x 


Boden eines freisrunden Abgrundes, deflen Durchmeſſer 1000 
Meter beträgt umd deſſen ſenkrechte Wände eine Höhe von 
300 Meter haben. Diefe Wand ohne Stridlleiter zu erklin- 
men ift eine Unmöglichteit, 

Die einzige Ebene, auf welcher die Errichtung eines Ob« 
fervatoriums möglich war, ift ein mit Gerölle beſäeter Plap; 
er ift die Spur des Weges, den das Meer genommen, um 
in den Krater zu dringen, und es war immer noch ziweifel: 
haft, ob auch diefe Ebene nicht während eines Sturmes von 
den Wogen überfluthet werben würde. 

Herr Mouchez ſah fich die größeren Hütten an, um bie: 
jenige zu finden, welche mit ber geringften Mühe veparirt 
werden fönnte. Als er ſich einer berfelben näherte, hörte er 
zu feinem Erftaunen ein feltfantes und verwirrtes Geräuſch 
und plöglic; fah er fid im der Nähe der Thür von einer 
Herde Ziegen, wilder Katzen, Ratten und Mäufe überfallen, 
welche aus ihr herandftiirgten und mad) allen Richtungen 
flogen. Hieraus ſchloß er, daß dies die am beften erhaltene 
Hütte fei, und ohne weiter zu fuchen machte er ſich daran, 
fie von den Unfauberfeiten, welche fich in ihr befanden, zu 
reinigen, um aus ihr die Hauptwohnung aller Mitglieder der 
Erpebition zu machen. 

Die 800 Sciffbrüdigen der „Megära“ haben ſolche 
Hütten in jeder Biegung des Felfens erbaut und im Augen- 
blicke ihrer allem Anſcheine nach plöglichen Abreife haben fie 
eine große Menge von Gegenftänden zurüdlafien milſſen, 
welche num in allen Richtungen zerſtreut umherliegen. Das 
ganze Terrain ift mit Tönnden, gefüllten Kiften, Maften, 
Rollen, Seilen, Kücengeräthen, diverfen Möbeln u. |. w. 
bedeckt. Der Anblid diefer Gegenftände, weldye beredte Zeu- 
gen eines großen Unglüds find, erfüllte die Mitglieder der 
Erpebition mit Mitleid; trotzdem freuten fie fi, fo uner: 
wartet viele zum Comfort nöthige Gegenflänbe vorzufinden, 
weldje immer noch, trotzdem jie durch ein dreijähriges Liegen 
in freier Luft befchädigt waren, eimen bedeutenden Werth 
hatten. Herr Mouchez fand ſogar in einer Kiſte, welche in 
einer Hütte ftand, einige hundert Bände der vorzüglichſten 
englifchen, franzöfifchen und deutſchen Philofophen des 18. Jahr: 
hunderts, theologifche Werke, das canonifche Recht in Groß⸗ 
folio und andere, Seit vielen Jahren fcheinen die Ratten 
ausschließlich diefe Bibliothek befucht zu Haben, weldye faum 
für Stodfifchfänger, oder Seeleute, die hier Schiffbruch ge 
litten haben, beſtimmt geweſen ift, 


Rüdfhläge aus der Givilifation, 
on Richard Andree, 


Iener Schulmeifter, der ſelbſtbewußt das Wort ausfprad): 
"Geben Sie mir einen jungen Wilden, und mit Hllfe 
unferer Pädagogit verwandte ich ihm im einen durchaus 
civilifirten Menſchen“ ift nur der Vertreter dev weitverbrei- 
teten Unficht, dag es einzig der Erziehung und günftiger 
Umgebung bebirfe, um aus Naturmenfchen Culturmenſchen 
zu geftalten. Und fo, wie man Individuen umwandeln zu 
fönnen glaubt, jo auch ganze Bölterjchaften auf pädago- 
giſchem Wege, wobei man von einem abftracten Menſchen 
ausgeht, der nicht eriftirt und den Grundſatz „Eines ſchickt 
ſich nicht für Ale“ außer Acht läßt. Unfere Eivilifation 
paßt fr uns, aber übertragen auf andere Racen hat fie 
gewöhnlich Karricaturen zur Folge; das Kaiſerreich Son 


louque's ift ein Zerrbild, fo gut wie die Republik Liberia, 
wie bie Majeftäten Bomare und Kamehamen. Cs ift nicht 
erſt nöthig, hier, um mit Guftine zu reden, die Tunche des 
Moslowiters abzufragen, um den Tataren zu finden, die 
Sache liegt offentundig zu Tage und Feine Beichönigung 
der Piendophilanthropen vermag darüber hinwegzuhelfen. 
Die angeftellten Givilifationserperimente halten auf die 
Dauer nicht vor, wenigftens dann nicht, wenn die europäische 
Schablone auf andere Racen übertragen werden fol, Wie 
die Vebenäbedingungen der großen Völferftämme und ihre 
phyſiſchen Merkmale verſchiedene find, jo auch ihre geiftigen 
Anlagen, und dieſe entwideln ſich in eigenthümlicher Art, 
laſſen ſich nicht gewaltiam in den Givilifationsftad prefien, 
.2* 


12 


am wenigften plöhlich, wenn wir auch eine allmälige ms 
wandlung unter veränderten Bebingungen und Einflüffen 
teineswegs leugnen. Doch wird das Reſultat, infolge vors 
handener natürlicher Anlagen, ftets ein anderes Eulturprobuct 
fein, als wir Europäer nad) jahrtaufendelanger Arbeit es 
lieferten. 

Es fpricht ſich diefes deutlid, im Verhalten ber Iudivi⸗ 
duen aus, welche gleichſam mittelft Dampf in unfere Sphäre 
hineingepreßt wurden. Man nahm einen Naturmenfchen 
aus dem Nefte wie einen jungen Papagei und lehrte ihn 
ſprechen, wie wir jprechen, man fleibete ihn wie wir, freute 
ſich darliber, wenn er die filberne Gabel in die Yinfe und 
das Mefler in die rechte Hand nahm, eine Beethoven’iche 
Sonate fimperte und äuferlicd den Gentleman herausbiß. 
Schaute man aber den Dingen tiefer auf den Grund, fo 
trat der Schwindel zu Tage Wir wollen feinen großen 
Werth auf das Thun und Treiben des halbeivilifirten Schahd 
von Perfien an den europäifcen Höfen legen, deſſen Zim— 
mer jedesmal, nachdem fie von der Majeftät benutzt waren, 
einer grlindlichen Erneuerung beburften, aber das Leben 
eines feiner conftitutionellen Brüder in der Südſee fordert 
ſchon cher zu Betrachtungen in unferm Sinne auf. 

Die Sandwichs-Inſulaner find nun durch amerifanifche 
Miffionäre, jo fagen diefe wenigftens, völlig civilifirt, damit 
aber auch auf den Ausſterbeetat gejegt worden. Sie ſpre— 
hen bald alle Englifch und ſtolziren in europäiſchen Kleidern, 
lernen leſen und ſchreiben. „Saum aber fommen fie nad) 
Haufe, jo wird fchnell alles ausgezogen und auf einen Haus 
fen geworfen, um frei und nackt ſich's fo viel wie möglich 


bequem zu machen und von bem erlittenen Zwang gehörig | 


auszuſchnaufen. Selbſt der (verftorbene) König Kame— 
hamea V., der fich doc, die Welt etwas angeſehen umd als 
Prinz eine europäifche Erziehung genoffen hat, ift froh, wenn 
er fid) den Augen der Weißen entziehen lann, um im feinem 
Tivoli, einer bequemen großen Strohhlitte, dreiviertel Stun« 
den von Honolulu entfernt, ungefchoren und im beneidens: 
werthen Negligse feine Sanaten- Mahlzeit zu genießen, fo 
daß man glauben könnte Jemanden zu fehen, der fich eben 
die Schwimmhoſen anzog, um zu baden“ *). 

Die Gefchichte von dem Feuerläuder Jemmy But: 
ton, weldje Fitzroy und Darwin berichten"*), ift ein höchſt 
lehrreiches Beifpiel für den Rückſchlag aus der Civilifation. 
Jemmy, der nebſt zwei Yandsleuten in England erzogen 


| 


worden war, hatte jich äußerlich ganz englifirt, jprad) und | 


fchrieb Englisch, war Überhaupt ein gebilbeter Jüngling. 
Mit dem „Beagle* kam er im December 1832 nad) feiner 
fenerländifchen Heimath zuriick umd wurde hier von feinen 
Yandöleuten erkannt, die ihn einluden bei ihnen zu bleiben. 
Jemm verftand nur noch wenig von ihrer Sprache und, fo 
fagt Darwin, ſchämte ſich außerdem feiner Landsleute von 
Herzen. Aber er blieb im Yande, trotzdem er alle Vortheile 
der enropäifchen Cultur hatte fchägen gelernt und wurde 
wieder zum Feuerländer, zu einem echten Mitgliede jenes 
durd; die Ungunſt phyſilaliſcher Verhältniife fo tief auf der 
Scala der Menjchheit ftehenden Stammes, daß Darwin in 
ihnen faum „Mitmenjchen und Bewohner derjelben Erde“ zu 
erfennen vermag, 

Gewöhnlich ſchließen die Geſchichten von fogenannten 
Givilifirten, welche wieder in die Wildniß gingen, mit den 
Worten: Man hat nie wieder etwas von ihm gehört. Ich 
finde aber doch; einen Abſchluß fir Demmmy Buttons Ge— 
fchichte. Parker Snow, der 1855 in den Ganälen des feuer: 


*) Bechtinget, Ein Jaht auf den Sandwicht-Inſeln. Wien 1889. 
©. 108. 

++) Gharles Darwin’s Naturwiſſenſchaftlicht Reifen. Deutſch von 
Dieffenbach I, 224. 





Nidard Andree: Rückſchläge aus der Givilifation. 


landes freuzte, hat Jemmy Button im Beagle-Canal wieder 
angetroffen *). Demmm fam zu Boot auf Snow's Schiff. 
„Der Mann, den id) vor mir fah, war cin rohee, zottiges, 
abſchredend ausſehendes Wefen und in jeder Beziehung gleich 
feinen Brüdern. Und dod) ift diefe felbe arme Greatur ein 
Yieblingsgöge in ber engliſchen Heimath gewejen, wurde dem 
Könige vorgeftellt und als ein vollendeter Menjd nad) 
Feuerland zurlickgeſchickt. Ich konnte mich bei feinem Ans 
blie vor Erftaunen faum erholen, während er im gebrodhes 
nem Englifch mic, vergnügt begrüßte. Jedenfalls war es 
bewundernswilrdig genug, daß er überhaupt nod) einige Kennt · 
niß des Englischen befaß, doc) hatte er gerade bie Wörter 
behalten, welche eine ſchlechte Bedeutung haben. Der Ans 
blick verfcyiedener Dinge an Bord rief aber wieder Wörter 
in ihm wach, und allmälig konnte er das, was er wollte, 
bezeichnen und feiner wunderbaren Reife zu den weißen Men⸗ 
fchen Erwähnung thun.“ Als er Frau Snow fah, wurbe 
Jenumy Button galant und fagte: „Ah! Inglis ladies vary 
pretty — vary pretty!* Auch erinnerte ex fid) feines frühern 
Erziehers, Dr. Wilfon, und des Capitäng Figroy. Yenınıy 
hatte zwei Weiber und kehrte vergnügt wieder in fein elendes 
Fewerländerleben zurüd, Noch jchlagender ift das folgende 
Beiſpiel. 

Ein weſtauſtraliſcher Auſiedler nahm, wie Augu— 
ſtus Oldfield, ein vortrefflicher Kenner der weſtauſtraliſchen 
Schwarzen, berichtet **), ein nur wenige Tage altes ſchwarzes 
Mädchen, defien Mutter getöbtet worden war, im feine 
Familie auf, erzog es mit feinen eignen Kindern und in der 
nämlichen Weife wie diefe. Ma hielt die Kleine fern von 
allem und jedem Verkehr mit den Schwarzen und allem 
Anfcheine nach machte fie in dev Erziehung vortreffliche Fort- 
ſchritte. Als das Mädchen herangewadjfen war, fand man 
fein ganzes Weſen und Betragen geradezu mufterhaft und 
gab fic der Hoffnung Hin, durch diefes Mädchen einen 
wohlthätigen Einfluß auf die Schwarzen ausüben zu lönnen. 
Am Ende brach jedoch der Inftinet nach einem wilden Yes 
ben umwiderftehlic, hervor. Eines ſchönen Tages warf die 
mufterhafte Jungfrau alle Kleider fort und entlief mit einem 
ſchwarzen Yiebhaber in die Wälder, trotzdem fie mit einem 
Engländer verheiratet war, mit dem fie anfangs aud) ganz 
glücklich gelebt Hatte. Der weiße Gatte fegte den Flüchtlingen 
nach, holte fie auc) ein, wirrde aber auf Antrieb der Frau 
von dem Entflihrer erniordet. 

Klaproth erzählt verſchiedene Beifpiele, wie Tſcher— 
feifen, die man ſchon völlig ruſſificirt glaubte, wieder in ihre 
Berge zurüdeilten, alles Ruſſiſche abftreiften und ganz wieder 
nad) Art der Väter lebten. 

Der Oberft Jomael Ataſchuka, Ritter des Georgeordens, 
welcher viele Dahre in Petersburg gelebt hatte, Ruſſiſch und 
Franzöſiſch ſprach, lebte zwar in Georgiewst an der Kuma, 
hielt ſich aber jeine Frau in einem Dorfe der Kabardah und 
ließ feinen Sohn dort ganz tjcherkejfiich erziehen. Temir 
Bulak Ataſchuka wurde im feiner früheften Jugend nach 
St. Petersburg gefchidt, dort im Bergcadettencorps erzogen, 
diente in einem Dragonerregimente bi® zum Hauptmann 
und fehrte im fein Vaterland zurücd one ein Wort von feie 
ner Mutterſprache zu wiſſen. Und doc, vergaß er feine 
ganze Erziehung, lebte mit den Tſcherleſſen als Tſcherkeß 
und hat niemals es zugeben wollen, daß feine beiden Söhne 
in Rußland erzogen werben follten ***). 

Ban der Stell, Gomvernem am Gap der Guten 
Hoffnung im vorigen Jahrhundert, ließ einen jungen Hottens 


*) Transact. Ethnol, Soc, I, 265. (1861.) 

**) Transact. Ethnol. Sor. II, 223, 
+, v. Klaptoth, Meile in ten Raufafus und nach Geotgien. 
Halle und Berlin 1812. 1, 572. 


Die Miffionsanftalten für Eingeborene in Südauſtralien. 


totten von frühefter Kindheit an ganz auf europäifche Weife 
in der Capſtadt erziehen, Er emtwidelte ſich vortrefflich, 
lernte mehrere Sprachen und wurde im amtlicher Eigenſchaft 
nad Judien geſchickt, wo er ſich recht brauchbar zeigte. 
Zurüdgetehrt nad) der Capſtadt traf er mit mehreren feiner 
Verwandten zujammen und nun wurde die urfprlingliche 
Natur wieder jo lebhaft im ihm wach, daß er den europäifchen 
Fug abwarf und ſich einen Karoß umbing. So trat er vor 
den Gouverneur Ban der Stell hin und überreichte ihm in 
einem Padet feine europäifchen leider. „Ich entjage diefen 
Kleidern auf immer, ic) bin entjchloffen in den Sitten, den 
Sebräucen und der Religion meiner Vorfahren zu leben 
umd zu fterben, Nur bitte ich um die einzige Gnade, daß 
Ihr mir das Halsband und den Hirfchfänger als Andenken 
laft.* Sprach's und war für immer verſchwunden *). 
Tſchudi **) erzählt eine ganz ähnliche Geſchichte von 
einem Botofudenfuaben, der in Bahia eine jehr jorge 
fältige Erziehung in einer dortigen Familie genoß, und nad) 
dem er die vorbereitenden Schulen zur Zufriedenheit jeiner 
Lehrer abfolvirt hatte, an der Umiverfität als Hörer der 
Medicin immatriculirt wurde. Mit Glück vollendete er hier 
feine Studien und erhielt den Grad eines Doctors ber Me: 
dicin. Nachdem diejer botofudifche Doctor medicinae, ber 
übrigens durch ftete Melancholie ſich auszeichnete, einige 
Monate jelbjtändig in Bahia practicirt hatte, verſchwand er 
plöglich aus diefer Stadt, Mehrere Jahre fpäter erhielten 
feine Pflegeeltern die verbürgte Nachricht, daß er wieder in 
die Wälder zurliclgetehrt fer, und nachdem er mit feinen 


13 


Kleidern die leiste Spur von Givilifatton abgejtreift hatte, 
nun mit Bogen und Pfeil den Kriegern feiner Nation folge, 

Was ift aus Richard Brenner's einſt vielgerlihimten 
Djilo, dem Gallaknaben, geworden, der in Merjeburg eine 
gute Erziehung genoß und feine Entwidelungsjahre in einem 
deutſchen Haufe durchmachte? Die warıne, überaus lobende 
Schilderung , die Dr. Brenner von ihm entwarf *), ift lei» 
der zu Schanden geworden. Bjilo ift zuricdgelehrt und 
hat, wie die neueften Nacjrichten befagen, die Eivilifation 
wieder abgeftreift. 

Es ift dies eine Neihe wohlverblirgter Beiſpiele aus 
Amerika, Auftralien, Afrifa, deren merkwürdige Ueberein— 
ftimmung uns ficher zu denken giebt. Entrückt dem gefell- , 
fchaftlichen Zwange Europas, zeigt felbft der Europäer uns 
zweifelhaft Neigung in Naturzuftände zurüczuverjallen, wie 
das Beifpiel vieler Matrojen in ber Stidfe Ichrt, welche, 
von ihren Fahrzeugen davon laufend, ein Yeben unter den 
Infulanern und nad, deren Weife unferer Civilifation vor: 
zogen. Die umvermittelte Uebertragung der legtern auf den 
Naturmenfchen führt zu keinem Ziele; unter den Zwang 
dev Weißen fanın wohl eine Zeitlang diefelbe äußerlich auf: 
recht erhalten werden, Überläßt man aber Naturvölfer wie 
Individuen bderfelben fich ſelbſt, jo tritt dev Rückſchlag ein. 
Eine Entwidelungsfähigteit der Betreffenden leugnen wir bamit 
feineswegs; wir find nur der Anficht, daß dieje im eigens 
artiger Weife erfolgen muſſe und micht ſich durch künſtliche 
Pfropfung herftellen laſſe. 





Die Miſſionsanſtalten für Eingeborene in Südauſtralien. 


Mitgetheilt von einem alten Auſtralier. 


H.G. Die Zahl der Eingeborenen in den angefiedel- 
ten Diftricten der Colonie Sidauftralien, welche fid) nad 
dem Genfus von Jahre 1861 ‚nod) auf 5046 Köpfe belief, 
war mad} der Volkszählung vom 2. April 1571 (die nächſte 
wird erft im April 1876 ftattfinden) auf 3372 gefunfen, 
und gehörten davon 1833 dem männliden und 1559 dem 
weiblichen Gefchlechte an. Nur 259 derfelben waren bei 
den Goloniften in Dienft getreten, die Uebrigen ſchweiften 
nad) wie vor in der Wildniß umher. 

Die Eingeborenen ftehen unter dem befondern Schuße 
der Regierung („Aboriginal Department“). An verschiedenen 
Orten der Golonie find fogenannte Native-Depots errichtet, 
und die Beamten, welche darüber zu verfügen haben, heißen 
„Subprotectors of Aborigines*. Die Eingebovenen werden 
— regelmäßig am Geburtstage der Königin, aber auch zu 
anderen Zeiten — mit Kleidung und wollenen Deren ver— 
forgt, erhalten die ihnen nöthigen Werkzeuge und auch Fchend« 
mittel, wenn fie daran Mangel leiden, und empfangen ärzts 
liche Behandlung und Medicamente, jo weit dies bei ihrem 
wandernden Yeben in der Wildniß angeht. Für diefe Zwecke 
bewilligte das füdauftralifche Parlament im Jahre 1874 
wieder die Summe von 3750 Bf. ©t. 

Die Eolonie zählt drei Miffionsanftalten für Eingeborene, 
weldye von Privaten geftiftet find und durch Subferiptionen, 
fo weit es nöthig ift, unterhalten werden. Außerdem hat 

*) Nocon’s Reife nach Matagasfar, Deutſch von Georg Forkter. 
Berlin 1792. ©. 12. 

**) Meifen durch Sütamerika II, 286. 


die Regierung ein anliegendes Areal von angemefjenem Um— 
fange —* Aderbau und Weiden geichenft und das Parla- 
ment bewilligt in dev Negel alljährlich eine Geldſubſidie. 

Die ältefte und noch jet befuchtefte Anftalt diefer Art 
iſt die Poonindie, an der weltlichen Hüfte des Spencer Gulf. 
Man wählte dieſe Ortslage, um die dort verſammelten Eins 
geborenen von ihren in den angefiedelten Diftvieten umbers 
ftreichenden Stammesgenoffen zu ifoliren. Sie wurde im 
Jahre 1850 von dem Ardyidiaconus Mr. Hale gegründet, 
welcher ein dortiges Schäfereianwefen mit 5000 Schafen an- 
kaufte und fich mit fünf verheirateten Paaren und einen 
einzelnen Manne — e8 waren dies lauter Eingeborene von 
der damaligen „Government School for Natives“ in Ade— 
laide — dahin begab. Die Regierung liberwies diejer An— 
ftalt, außer einem Jahrgelde von 300 Pf. St., eine foge- 
nannte Rejerve, wie ſolche bei der urſprünglichen Vermeſſung 
der Colonie überall für Eingeborene, um ſich darauf anzu: 
fiedeln, ausgelegt wurden, ohne daß diefe je davon Gebrauch 
machten. Auch die „Society for the propagation of the 

Gospel“ gab die Mittel fiir den Ankauf von weiteren 160 
Heres Yand ber. 

Eine Capelle ward erbaut und ein regelmäßiger Unter 
vicht fir Frauen und Kinder eröffnet, ine Schule für 
Eingeborene im Port « Lincoln » Diftviete, weldye der deutſche 
Mifjionär Schürmann dort feit einiger Zeit geleitet hatte, 
ward mit dev Poonindie-Miſſion verſchmolzen. Im Uebri— 


*) ‚Globus“ XVIII, S. 161. 


14 Die Mifjionsanftalten für Eingeborene in Südauftralien. 


gen verrichteten nur Cingeborene, mit Ausnahme einiger 
gelibten Hände, welche amleiteten, ſämmiliche Arbeiten auf 
der Farm und der Schäferei. 

Im Jahre 1856 verlieh der vortrefflice Hale die Miſ— 
jion, um als Biſchof der englifchen Kirche nach Perth, der 
Hauptitadt von Weftauftralien, überzufiedeln, Seine Schöp- 
fung gerieth num in Berfall, die Zahl der Eingeborenen 
nahm merklich ab und das Parlament zog zulegt das Dahr: 
geld zurüd. Die Station wurde zwar nicht verlajfen, viel- 
mehr dauerten die Arbeiten darauf behufs ihrer Ausnutzung 
fort; allein der Zwed, die Eingeborenen zu civilifiren, fiel 
doc) weg. 

Erft vor ungefähr zehn Jahren, als der Lordbiſchof von 
Adelaide, Dr. Auguftus Short, mit noch zwei anderen 
Coloniften, denen die Belehrung der Eingeborenen befonders 
am Herzen lag, zu Curatoren der Poonindie-Miſſion ernannt 
wurden, ward die Anftalt ihrem urjprünglichen Zwecke wies 
der überliefert. Man traf dabei die Anordnung, daß bie 
Eingeborenen, anfer Yebensunterhalt, noch Zahlung für ihre 
Yeiftungen erhielten. 

Die Anftalt fteht jest unter der Leitung bes Reverend 
R. W. Holden und macht angeblich gute Fortſchritte. Die 
Tages: und Abendidjulen follen, nach der Berfichernng der 
Guratoren, befriedigende Nefultate aufweifen, Und die Eins 
geboveuen lernen nicht bloß niglich arbeiten, ſondern fie wer: 
den auch in der Muſik und dem Gefange unterrichtet, wie 
Überhaupt in denjenigen Arten von Vergnügungen, welche 
unter den Weißen beliebt find. So fpielten fie kürzlich mit 
den Primanern der St. Peters Collegiate School in Ade— 
laide eine Cricket-⸗Partie mit vieler Fertigkeit. 

Die Zahl der in Poonindie befindlichen Cingeborenen 
belief fid) Ende Juni 1875 auf 75 oder 13 weniger als 
im Vorjahre, d. i. 35 Erwachſene, 28 Schullinder und 12 
Säuglinge, Ihr gutes Betragen wird rühmend hervorgehoben. 

Eine zweite Miffionsanftalt exiftirt am Point Maclay, 
an der Oftfeite des Yafe Alerandrina, in welchen ſich befaunts 
lid; der Murray-Fluß vor feiner Mündung in den Ocean 
ausbreitet. Sie ift die Stiftung der „Aborigines Friend's 
Aſſociation* und ſteht unter deren befonderem Schutze. Die 
Yeitung liegt feit Dahren dem Reverend George Taplin 
ob, einem würdigen alten Herrn, welcher großen Eifer flir 
das Werk an den Tag legt. 

Die Affociation erhielt im Jahre 1874 vom Parlamente 
eine Unterftügung von 500 Pf. St., welche, zuſammen mit 
frehvilligen Subferiptionen und dem Ertrage aus der großen 
Farın der Anftalt, die jährliche Revenue bildeten. 

Gar manche der Eingeborenen, welche hier erzogen wer 
den, follen ihre wilde Yebensart aufgegeben haben und auf 
Scäfereien und armen Anftellung ſuchen. Mr. Taplin 
rühmt im feinem öffentlichen Berichte von März diefes Jah: 
res das gute Betragen auf der Miffion. Es wohnten dort 
zur Zeit vierzehn Familien in eigenen Heinen Häufern und 
die Sculfinder und jungen Leute waren im Schulgebäude 
untergebracht. 

Die dritte und jüngfte Anftalt führt den Namen „Boor: 
fooyanna Miffion* und liegt am Boint Beasce auf der 
Wejtfüfte von Yorke Peninſula. Sie ijt die Stiftung der 
„orte Peninfula Aborigines Friend's Affociation“ und fteht 
unter der vortrefflichen Yeitung des Reverend W. J. Kühn 
und defien Frau und Tochter Selina, Herr Kühn gehört 
ber mährifchen Brlidergemeinde an und war frliher-auf einer 
von diefer abhängigen Miffionsanftalt im fogenannten Yafes 
Diftricte in Far North ftationirt, welche aber, weil dort feine 
entipredjenden Erfolge erzielt wurden, wieder — ward, 
Hier in Voorfooyanna hat ſich ein günftigerer Wirkungskreis 
für ihn aufgethan, 


Im Jahre 1872 brad) auf diefer Anftalt eine bösartige 
Epidemie (Lungenkrankheit) aus und Biele ftarben. Dies 
hatte zur folge, daß die Eingeborenen ein Vorurtheil gegen 
diefe Miſſion gewannen, das aber wieder überwunden tt. 
Die durchſchnittliche Zahl der Eingeborenen, welche ſich dort 
aufhält, beträgt jet 45, und die fämmtlichen Arbeiten mit 
Einfluß der häuslichen, weldye die Mädchen beforgen, wer- 
den von ihnen ausgeführt. Die Kegierung ſchenlte der An: 
ftalt in dieſem Jahre wieber ein beträchtliches Stüd Yand, 

Jemand, der die Miffion vor wenigen Monaten befuchte, 
giebt uns folgenden Bericht: 

„IH war erftaunt Über die vorzügliche Einrichtung und 
Blüthe diefer Anftalt. Die Eingeborenen zeigten während 
des Gottesdienſtes große Audacht und ihr Geſang war erhe- 
bend. Ich ließ mir die Schulhefte vorlegen, weldye Fleiß 
und Sorgfalt verriethen, und geftehe, daß manche Handjchrift 
ganz wohl einen Vergleich mit der im den füdauftratischen 
Burgerſchulen aushält. Daß der unwiſſende Wilde ſich hier 
der Sphäre der intelligenten Civilifation nähere, darüber mag 
ber Sfeptifer fein Haupt bedenklich ſchütteln, aber dennoch 
bleibt es Thatfache, daß die Boorfooyanna-Miffion nicht bloß 
Erfolg verfpricht, fondern daß der Erfolg vor Augen liegt. 
Frau Kühn, welche überhaupt große Berdienfie um die An- 
ftalt hat, ſcheint im der Arzueilunde wohl bewwandert zu fein, 
denn an dem Tage, wo ich dort war, kamen Cingeborene 
aus einer Entfernung von 14 Miles gewandert, um ſich 
Mebicamente — der eine gegen Dysenterie und der andere 
gegen Mafern — verabreichen zu laſſen. Sie verficherten, 
daß fie ſchon früher von Frau Kühn geheilt ſeien.“ 

Der Protector of Aborigines, welcher die Anftalt im 
März diefes Jahres befuchte, berichtet: „Ich fand im den 
Häuschen der Eingeborenen, von denen jegt mehrere fertig 
find, eine außerordentliche Reinlichkeit. Sie fcheinen diefen 
Comfort, gegenüber dem erbärmlichen Yeben im Wurley, recht 
wohl zu würdigen.“ 

Bon hohem Intereffe war eine Hochzeit im „High Life“, 
welche zu Anfang bdiefes Jahres auf der Miffionsanftalt ge— 
feiert ward und deren Schilderung wir unferen Leſern nicht 
vorenthalten wollen. 

Prinz John, der Sohn und anerfannte Erbe von Ton, 
dem Könige der Morfe-Peninfula-Eingeborenen, war Willens, 
feine farbige Braut zum Altare zu führen. Schon deu Tag 
zuvor wurben die königlichen Eltern in einem Cinfpänner, 
wobei der hohe Bräutigam den Kutſcher fpielte, herbeigeholt. 
Sie befanden ſich etliche Miles davon im königlichen Wurley 
und hatten eben ein Känguruh verjpeift und rauchten zum 
Dejert die liebe „backie (Tabak) pipe“. Auf der Miſſion 
angelangt repartirten ſich die Majeftäten und logirten daun 
bie Nacht über im Hotel „Zum freien Himmel“, 
et Einige Notizen über die hohen Herrſchaften dürfen nicht 
ehlen. 

König Tom iſt ſchon an Jahren vorgerüdtt und ziemlich 
ergraut. Zu feinen Unausſprechlichen, die jedod offenbar 
viel zu enge waren, hatte er ein geftreiftes Muſter gewählt. 
Defto beſſer aber paßte ihm fein Nor, welcher die wohl: 
geformten Berhältnifle feines Körpers in vortheilgafter Weile 
hervortreten ließ. Darüber trug er ein wollenes Hemd, 
erimean shirt, von tadellofer Reinheit. Schuhe incommıos 
dirten feine breiten, flachen Füße weiter nicht, und die große 
Zehe legte offenes Zeugniß von ihren vielen thätigen Dien- 
ften im „Kampfe ums Dafein“ ab. Ein Diadem oder fon- 
ftige Infignien königlicher Abftammung zierten ihn ebenfalls 
nicht, an deren Stelle machte ſich aber ein Fräftiger Wuchs 
gefräufelten Haares bemerkbar, weldyes, zum Zeichen abfo- 
Iuter freiheit, ein fehr verwildertes Ausjchen hatte. 

Die ſchweigſame Königin ift ein ſchönes Eremplar ihrer 


Die Miffionsanttalten für Eingeborene in Südauftralien. 15 


Race, von mehr ald mittlerer Größe. Sie bewies, daf bie 
verbreitete Meinung: die lubras (trauen) der Eingeborenen 
feien die Sclaven ihrer Männer, grundfalfd jei, denn als 
ihe hoher Gemahl ihr befahl, eine Heine Strede weit zu 
gehen umd einen Auftrag auszurichten, erflärte fie ihm rund⸗ 
weg, er möge felber gehen, und fiehe da! der Autolrat ges 
horchte. Ein alter Mifanthrop hat fid einmal dahin geüus 
hert, daß fo etwas eines ber ficherften Zeichen der Civili— 
fation und der Veredelung des weiblichen Geſchlechtes fei. 

Die Braut war eine Ehre ihres Stammes und der Lieb— 
ling auf der Miffionsanftalt, wo fie mehr denn ſechs Jahre 
verlebt hatte. Sie fonnte leſen und ſchreiben. 

Der Bräutigam war von mittlerer Figur und repräfen- 
tirte eine edle Species de8 Genus „homo“ vom zweiten 
Sohne Noah's, nur daß fein Blut merklich heller floß. 

Eine intereffante Scene fand am Hodjzeitstage um neun 
Uhr Morgens ftatt, als König Tom mit Frau Gemahlin 
den Palaft infpieirten, welcher eben fertig geworden war und 
dein jungen kronprinzlichen Paare zur Reſidenz dienen follte. 

Die oblonge Form deffelben maß, bei entſprechender Höhe, 
378 Zoll in der Länge und 168 Zoll in der Tiefe. Beim 
Eintritt ins Innere gewahrte man genau in ber Mitte 
— nad) echt englifcher Sitte — den Speifetifch; über dem 
Kantine fiel der Sims, mit Schmud- und Nippfadyen reich: 
Lich, beſetzt, auf, zu dejien beiden Seiten wieder Regale an- 
gebracht waren, auf denen ſich Küchengeräthe und ähnliche 
UÜtenfilien präfentirten. Cine ſchöne eiferne zweiſchläfrige 
Bettjtelle, ein Waſchtiſch mit Spiegel und verfciedene Site 
bildeten das übrige Material. Nachdem der königliche Vater 
ſich all diefe Dinge gehörig angegudt und namentlich die 
Mefjer und Gabeln mit befonderer Aufmerkfamteit geprüft 
hatte, vief er verwundert aus: „All same as white fel- 
low!“ (Ganz wie bei weiße Yeute!) Und bald darauf 
trug ex feinem innern Wunfche Rechnung und äußerte: „Me 
like one house too!“ (Sch auch fold; Haus möchte haben!) 

Das Intereſſe unferer Leſer wird fic erhöhen, wenn fie 
erfahren, daß der Prinz John, unter der ardjiteftonifchen 
Leitung des Herrn Kühn, felber ber Banmeifter feines Hau- 
ſes war und daß er ſich die ganze innere Einrichtung deilel- 
ben aus Erſparniſſen, welche er während feines Aufenthaltes 
auf der Anftalt gemacht, angejchafft hatte. Und dabei ver 
blieb ihm immerhin noch eine hübſche Bilanz, um damit 
gelegentliche Bedürfniſſe zu beftreiten, 

Kurz vor Beginn der kirchlichen Einfegnung wurde bie 
Königin ins Miffionshaus gerufen und ihr ein neues Kleid 
angethan, mit ſchöner Schleife vor der Bruft, was die Be- 
wunderung und den Beifall ihres Gemahls in hohem Grade 
wachrief. Cie aber ſchwieg. 

Der Morgen war außerordentlich fchön und auf der 
Miffion ging's gar lebendig her. Töpfe, Pfannen und an- 
deres Geſchirr kürrte unter den fchnellen Griffen der übers 
gludlichen ſchwarzen Mägde, und Pfeifen und Gefang be: 
gleiteten die Arbeit. Um elf Uhr zeigte das Schulzimmer 
eine außerordentliche Ummandelung. Site waren hufeifen- 
fürmig für die Zuſchauer aufgefiellt. Die Königin nahm 
zur Rechten des Pultes Play, und der König, welcher die 
Braut führte, lich fich, nachdem ex diefelbe der Fürſorge von 


drei Brautjungfern anvertraut hatte, ebenfalls dort nieder, 
Zur Linken des Pultes ſaß Frau Kühn mit ihrer Tochter 
und im ihrer Nähe fah man eime Anzahl junger Mädchen 
(Eingeborene), deren jedes ein Bouquet frifch gepflidter Biu- 
men in der Hand hielt. Dafjelbe bemerkte man an Knaben 
auf der entgegengefegten Seite, 

Die Trauung beforgte Herr Kühn, unter der Aſſiſtenz 
des Reverend R. G. Bayley von der Independentengemeinde. 
Der Bräutigam fprad; mit Marer, voller Stimme und in 
gewwinnender Weife, während die Braut die Controle fiber 
ihre Geflihle vollftändig verlor und bitterlic; weinte. Frau 
Kühn trat ihr zur Seite, erfaßte ihren Arm und flößte ihr 
wieder Muth ein. 

Als die Trauung beendigt und die Gratulationen vor— 
über waren, Überreichten die Mädchen, geführt von Fräulein 
Selina Kühn, der Prinzeſſin die Blumenfträuße, während 
die Knaben die ihrigen dem Prinzen darbradıten. 

Es wurden dann felbftverftändlic, Erfrifchungen in Menge 
angeboten und aud) reichlich Gebrauch davon gemacht. Hier— 
auf fuhr die Hodhzeitsgefellichaft nach der Victoria-Bay, wo 
ein Boot ihrer wartete, amd beſchloß jo die Freuden des 
Tages. — 

Der Verſuch anf diefen Mifftonen, die Eingeborenen an 
ſeßhafte Thätigleit zu gewöhnen, lann am und filr fich nur 
den volljten Beifall finden, und Ehre den Männern, welche 
mit ihren Frauen in die Wildniß wandern, um fich biefer 
Aufgabe zu unterziehen. Aber es iſt eben weiter nichts als 
Verſuch. Die auftralifchen Wilden find der Givilifation | 
nicht zugänglich) und wenn fie in dieſelbe treten, fo bleiben fie / 
immer nur unmlindige Kinder, die ſtets controlirt fein wol- 
len, So lange ein tüchtiger Dann an der Spike folder 
Anftalten fteht, werden ſich ſchon Eingeborene einfinden, aber 
die Mehrzahl wird nicht fonrimen, wenigftend nicht lange 
bleiben, fondern wieder fortſtreichen, jobald ihnen gewiſſe 
Wunſche befriedigt find. Zu einer felbftändigen Schhaftig- 
feit, zu einem Handeln mit Verſtand und Umficht im Ber- 
fehe mit den Weißen werden fie nie hevangebildbet werben, 
Und indem fie bleiben wollen, ja müffen, was fie find: ein 
herumftreichendes faules Bolt, das nur arbeiten will, fo lange 
der Magen knurrt, ift ihre Untergang gewiß. Ihr Yand, 
welches ihr Dagdgebiet war, wird ihnen von den einwandern« 
den Weißen genommen, das Wild wird verjagt und Noth- 
zuftände vefultiren daran für fie Der Genuß von Tabad 
und Spirituofen, welche fie leidenfchaftlid, lieben, wirkt aufs 
Schädlichfte auf fie. Allerlei Krankheiten werben von den 
Weißen auf fie übertragen, nameutlich auch böje gefchlecdt- 
liche, die fie hinvaffen oder verfiechen, und, um dies noch an« 
zuführen, die Fruchtbarkeit der Frauen nimmt unter diefen 
veränderten Derhältniffen merflid) ab. In Tasmanien find 
die Eingeborenen ſchon gänzlich ausgeftorben, in den ange 
fiebelten Diftricten der Golonien auf dem auftraliichen Con— 
tinente nehmen fie im auffälliger Progreffion von Lahr zu 
Jahr ab, in glei, vapider Weife auf Neufeeland, und die 
Fidſchi⸗Inſeln haben ebenfalls einen fehr raſchen Anfang dar 
mit gemacht. Was ung die Miffionäre Über ihre erzielten 
Erfolge mitteilen, find oft nur die frommen Wünfche, welche 


ſie hegen. 


16 Aus allen Erdtheilen. 


Aus allen Erdtheilen. 


Die Macleay’ihe Erpedition nah Neu-Guinea. 


F. B. Diefelbe verlich Sydney mit großem Eclat im 
vergangenen Mai auf dem Schiffe „Chevert“, kehrte aber im 
Detober dieſes Jahres gänzlich desorganifirt dorthin zurlid. 
Der „Sonth Auftralia Regifter" bringt folgende intereſſante 
Ginzelnbeiten über die Erpedition: Am 30, Auguſt wurde 
am Nordufer der Torres:Straße ein großer Ichiffbarer Fluß 
entbet und Barter River getauft. Seine Mündung war 
andertbalb engliſche Meilen breit und feine Tiefe ſtellenweiſe 
bis 12 Faden. Die von großen Bänmen bededten Ufer 
waren flach, ſumpfig und ungelund Das Schiff fuhr 13 
Meilen den Fluß hinauf und anferte bei Sonnenuntergang ; 
während der Nacht wurde, der Eingeborenen wegen, ftrenge 
Wade gehalten. Am Morgen landeten die Erforſcher an 
den 20 Fuß hohen Ufern von BVfeifenthon, wo jie Fuhtapfen 
von GEingeborenen fanden und Rauch in der Entfernung 
faben; auch Spuren von Wildſchweinen waren häufig. Hier 
war der Fluß eine halbe Meile breit und von 5 bis H Faden 
tief; die Lage war unter 8938 ſüdl. Breite und 141050 
öftl. Länge, Da es nicht gerathen jchien, mit dem „Chevert“ 
weiterzufahren, ſetzte die Meine Dampflaund „Ellerngowan*, 
die durch bewealiche Drahtnetze vor Wurfgeichoffen geſchützt 
war, die Fahrt weitere 31 Meilen den Fluß hinauf fort, 
Herrliche Scenerie zeigte ſich auf beiden Seiten; ſchöne 
Gruppen Bambusrohrs und Niefenfarren mit Blüthen von 
30 bis 35 Fuß Fänge und ſchwarzen Rückenrippen wechielten 
mit offenen Stellen tropiſcher Waldlandichaft in Schatti- 
rungen aller Farben. Ein Canoe mit einem einzelnen Ein- 
geborenen zeigte fich, der aber, fobald er die Fremden er- 
blickte, unter das dichte Buſchwerk des Ufers ſchoß und ver- 
ichwand. Viele Nebenflüffe und Seitenarme wurden paſſirt. 
An dem Yufammenfluß mit einem andern großen Stromte, 
44 Meilen von der Mindung, wurde zum zweiten Male 
gelandet und viele Pflanzen: und Erbproben gefammelt; bie 
Bambusbänme hatten bier vier Zoll im Durchmeſſer. Auch 
wurde friiches Waſſer gefunden, indem dasjenige im Fluſſe 
noch immer brakiſch war. Die Ufer faben herrlich aus; den 
Kokos ähnliche Balmen wuchien 40 bis 60 Fuß body dicht 
am Rande des Waffers, auch zeigten fich die hoben Stämme 
und das blanc Yaub des Eucalyptus globulus überall. Von 
bier wurde cin Heined Boot einen Seitenfluß binaufgefchidt, 
das nadı einer Fahrt von 12 Meilen eine gegen ſechs Aeres 
große Anpflanzung entdedte, die von ſtarkem Gehege umgeben 
war und Fame, ZIuderrohr und Tabadspflanzen enthielt. 
Aber nirgends waren Gingeborene zu chen. Die „Ellen: 
gowan" erreichte im Ganzen eine Entfernung von 91 Meilen 
von der Mündung nnd befand jich in Wahrheit im Innern 
einer Terra incognita, Der Strom wurde viel enger und 
das Wafler ganz ſüß. An diefer Stelle angelangt wurbe 
wieder eine Entdedungstonr and Land gemacht. Paradies: 
vögel zeigten ſich im großer Anzabl, und wurden drei der- 
ſelben geſchoſſen. Eine große Schlange der Boa-constrictor- 

Species von 151, Fuß Länge wurde getödtet und beim 
Deffuen ein großes männliches Känguruh im Innern ge: 
funden. Kopf und Schwanz derfelben wurden abgelchnitten 
und zum Dampfer mit zurückgenommen. Vorgefundene 
Spuren von gelpaltenen Klauen berrübrend waren offenbar 
zu groß für wilde Schweine und wurden für diejenigen von 
Buffeln gebalten, obgleich feine der leßteren gefeben wurden. 
Zwei riefige Vögel flogen m mit großem Lärm vorüber; fie 


mußten mindeſtens 16 bis 18 Fuß zwiſchen dem ans: 
gebreiteten Flügelſpitzen meſſen. Sie hatten bunfelbraune 
Körper mit weißer Bruft, langem und geradem Schnabel 
uud langem Hald, Die nad ihren aefenerten Kugeln batten 
anfcheinend Feine Wirkung, obgleich fie unzweifelhaft trafen. 
An einem Baume, drei Fuß im Durchmeſſer, wurde cite 
große Menge geſchmack- und gerudlojen, aber brennbaren 
Harzes gefunden. Nachdem zum Beweis der Entdedung 
eine Photographie der Königin Victoria im die Ninde eines 
Riefenbaumes eingefiigt worden war, wurde die Rüdfahrt 
angetreten und die Mündung am 8. September wieder erreicht. 
Der oben erwähnten Page nach ſcheint dieſer Fluß derſelbe 
zu fein, der ſchon von dem enalilchen SKriensihirfe „Alu“ 
entdectt amd mach deinjelben benannt wurde, jedenfalld war 
diefes aber die erfte Befabrung befjelben durch Europäer. 


Die Fauna des Kaſpiſchen Meeres. 


Dscar Grimm bat in von Siebold's nnd Kölliker's Zeit: 
ſchrift einen Bericht über feine Unterſuchung der Fauna des 
Kaspiſchen Meeres mitgetheilt, welcher böchit wichtige neue 
Thatlachen enthält, die auch in geographilcher Beziehung von 
Bedentung find, da fie einen Schluß anf die Bildung diefes 
Meeres zulaſſen. Er brachte zwei Monate in Balu an der 
Weſtküſte und einen Monat auf einem Dampfer zu, der mad) 
Grasnowodst hinüberfuhr, die Balkanbai befuchte und dann 
über Enfeli und Lenkoran nach Bakı zurückkehrte. Während 
diefer Fabrten wurbe tüchtig mit dem Schleppnetze bis zu 
einer Tiefe von 150 Faden gearbeitet und cine große Aus: 
beute an Meeresthieren erbalten. Wir erwähnen 6 neue 
Fiſche (Gobius und Benthophilus), 20 Arten Mollusten, 
darunter 4 Cardium:, 4 Adacna- und 3 Dreyffena-Arten ; 
35 Gruftaceen, namentlich colofiale Formen von Gammariden 
und Würmer. Die öſtliche, an die fandigen Steppen gren« 
zende Hüfte war fait frei von Meeresthieren, wad Grimm 
dem fortwährend ins Meer gewehten Sande zufchreibt. Da- 
gegen war die Wejtküfte, wo bis 517 Faden gelothet wurden, 
ungemein reich au tbieriichem Leben. Auf einen Zug des 
Scharrnetzes in 108 Faden Tiefe wurden in der Nähe Bakus 
350 Eremplare Gammariden, 150 Stiid Idothea entomon, 
50 coloffale Mysis, 6 Exemplare Fiſche und zahlreiche Mol- 
lusken erbentet. 

Im Ganzen wurden 120 Arten gefunden, darumter nicht 
weniger als achtzig neue, bisher in der Wiſſenſchaft un— 
bekannte, und es ift mit Sicherbeit anzunehmen, daß bei 
fortgeſeztem Arbeiten mit dem Scharrnehe, namentlich im 
größeren Tiefen, noch viele neue Arten entdedt werben. Die 
bereits bekannten Meertbiere zerfallen in zwei Claſſen: 
1. folche, die von noch eriftirenden oder ſchon ausgeftorbenen 
Arten abjtammen oder mur jchr wenig von folchen Arten abs 
weichen, die in benachbarten, Meeren leben; 2. ſolche, die mit 
Arten anderer Meere identiſch find. Die letzteren find befon- 
ders ausdauernde und zählebige Species, wie Sabellides octo- 
eirrhata, Mysis relicta und Idothea eutomon, Es ergiebt 
fich die Berwandtichaft der Fauna des Kaspifchen Meeres 
mit den Faunen des Schwarzen Meers und Aralſees, jowie 
bes nördlichen Eismeers. Die mit dem letztern ijt näher als 
mit dem Schwarzen Meere, denn Phoca, Coregonus leueich- 
thys und andere wicht im Schwarzen Meere eriftirende For: 
men find dem nördlichen Occan und Kaspiſchen Meere ges 
meinfam. 








Inhalt: Die Wüfte Macama. 1. (Mit fünf Abbildungen.) — B. Denecke, Die nenvorpommericen Küſten. 1. Mit eine einer 


Starte.) — Die franzöfiiche Venuserpedition auf St. Paul. 


Bon Albin Kohn. I, — Rüdſchläge aus der Givilijation. Bon 


RAndree. — H.G. DieMilfionsanftalten für Eingeborene in Südauftralien. — Aus allen Erdtbeilen: Die Macleay'- 


ſche Erpedition nach Neu-Guinea. — Die Fauna des Kalpiichen Meeres. 


(Schluß der Redaction 11. December 1875). 


— — — — — — — — — — 


Medacteut: Dr. R. Kiepert in Berlin, 


W. Eintenftrafe 13, 11 Tr. 


Drud und Verlag von Friedrich — und Sohn in Braunſchweig. 


Hierbei ein Proſpect, betreffend Werke von Albert Nichter im Verlage von Fr. Brandſtetter in Leipzig. 


fu — 





a 


Anthropologie und Ethnologie. 


Begründet von Karl Andree. J 
In Verbindung mit Fachmännern und Künſtlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 





Braunſchweig 


Dahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlih 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Dart. Einzelne Nummern 50 Pf. 








Die Wüſte Atacama 


11. 
Was den Reifenden in Sidamerifa jelbft anlangt, fo ift, | vend der größten Hite zu raften, die Sprunggelenfe bes Thies 


wie befannt, der wichtigſte Beſtandtheil feines Anzuges der 
Poncho, ein vierediges Stüd im lebhaften Karben geitreiften 
Zeuges, in der Mitte mit einem Loche, durch weldyes man 
den Kopf ftedt. Es giebt fie vom ganz gewöhnlichen wolle: 


nen an, die zum Theil deutſche Nachahmung find, bis zu den | 


theuerften von Guanacohaar oder Vigognewolle, weldye 150 | 
Troß und Gepäd behindert, brach er in der Mitte des Jahres 


bis 500 Franken foften. Im rohen Zuftande find diejelben 
hell: oder dunkelbraun; die Frauen, welche fie weben, haben 
aber auch eine Menge von geheimen Mitteln, fie mit Streis 
fen im den leuchtendften Farben zu verfehen. Jeder Keifende 
führt zwei Ponchos mit fich, einen dünnen und einen zweiten 
von dider, warmer Wolle; denn, wie wir oben geichen haben, 
ift der Wärmeunterfchied zwiſchen Tag und Nacht ein fehr 
bedeutender, und während letterer ſtrahlt die Erde jo viel 
Wärme gegen den Himmel aus, da die Temperatur zumei: 
len unter den Gefrierpunft finfen lann. 

Hohe Keiterftiefel von gelbem Yeder und ein Strohhut 
dervollftändigen die Tracht der Einheimischen, zu welcher Eu— 
ropäer noch ein kurzes Wamns und eine leinene Wefte hinzu: 
fügen. Die Einheimifchen tragen viefige Sporen von Eifen 
oder Silber, deren Näddyen 6 bie 10 Gentimeter Durdymeljer 
haben. Breſſon zog die europäifcdyen Sporen vor, ebenjo 
ftatt des alljeitig empfohlenen Maulthieres ein gutes chiles 
nifches Pferd, das bei gleicher Genügſamleit und Sicherheit 
bedeutend größere Schnelligkeit befigt. Co legte er auf dem 
feinigen z. B. in 47 Stunden 200 Meilen in der Wüſte 
zurlick, wobei er nur die Borficht gebraudjte, zwei Mal wäh. 

Globus XXIX. Nr. 2, 


tes mit Cognac und filh Morgens beim Aufbruche feine 
Hufe mit Fett einzureiben,. Zu einer ſolchen Leitung wäre 
ein Maulthier unfähig. 

So gut beritten, ausgerüftet und nur von wenigen Peus 
ten begleitet, meift nur von feinem Gehülfen Belte und ſei— 
nem trefflichen Baqueano Almendar, von feinem großen 


1871 zu feinen Wüftenmärfchen auf. 

Die Wirte Atacama beginnt im Süden am Rio Copiapo 
unter 27020" jüdl. Br. und reicht gegen Norden bis an den 
Rio Yon, der unter 211/40 in den Stillen Ocean mitndet, 
bejigt alfo eine nordfüdliche Ausdehnung von ſechs Breite 
graden und dabei eine mittlere Breite von 1 bie 17/,%, Die 
fer große Raum ift noch wenig erforfcht; im Winter 185°,,, 
hat unjer Yandsmann Dr, Philippi ihm im Auftrage der 
chileniſchen Negierung, welde damals Anfprüce auf alles 
Gebiet ſudlich vom 23. Breitengrade erhob, durdykreuzt und 
namentlich den am Fuße der Gordillera gelegenen Theil ung 
beſſer als zuvor befannt gemacht. Seitdem ſcheint aber 
nichts für feine nähere Keuntniß gefchehen zu fein; denn 
Breſſon klagt über die ſchlechten Karten, weldye er durch feine 
Arbeiten ſehr verbefjert zu haben behauptet. In dieſem 
Raume ftoßen die Örenzen der vier Republiken Veru, Bor 
livia, Argentina und Chile zufammen; der zweiten eignet 
jedod) der größte Theil der Wüfte. Zwei Drittheile derjelben 
beftehen aus Sand und Fleinen edigen Steinen, welche ihren 
Urfprung der mechaniſchen Zerftörung der Felſen verdanten; 

3 


18 Die Wüſte Atacama. 


das letzte Drittheil, Arenales geheißen, iſt mit einer Miſchung 
aus Sand und zahlloſen Meermuſcheln bededt. Letzterer 
Unftand ebenſo wie die Sodaſalzlager an den tieſſten Stellen 
der MWiifte beweifen, daß diefelbe einft vom leere bebedt 
war, deſſen Wogen den Fuß der Anden bejplilten. 

Bei näherem Studium unterfcheidet man fünf auf einan⸗ 
der folgende und ungleich, ftarfe Hebungen des Yandes, wie 
nod 1824 eine jehr mertliche Hebung der chileniſchen Kliften 
ftattgefunden Hat, Infolge deſſen befteht die Wüſte aus 
einer Reihe fandiger Hodjebenen, welche durch immer höher 
und höher anfteigende, ſelſige Hligelreihen von einander ges 
fchieden find und folgendermaßen benannt werden: 


2, bie Corbdilleradela Cofta, Borphychligel von etwa 1100 
Meter Höhe, welche der zweiten Hochebene als Halt dienen; 
3. die Gordillera Central, fteinige Berge, 1525 bis 


Abhang nad) dem Innern von Volivia bin fanft geneigt if. 
Tiefe Configuration erflärt fofort den Umftand, daß das 
Yand nad; Oſten hin eine Menge wafferreicher Ströme ent» 
jendet, während die Atacanıa diefelben entbehrt umd zu ewi⸗ 
ger Trodenheit verdammt ift. 

Nur eim einziger Fluß durchſchneidet den bolivianiſchen 
Antheil der Wüfte, der Rio Loa, welcher die Örenze gegen 
Peru bildet und an feinen Ufern die größte Dafe, Calama, 
befigt *). Dort ift fein Waſſer noch teinfbar, während es 
weiter ftromab fo von ſchwefel- und falpeterfauren Salzen 


+) Vergl. über die mewerbings am feinen Ufern gefuntenen 
Mineralfbäge „Globus" Be. XXVIII. 


1. die | 
‚ Euefta, an das Meer anftogend, 350 bis 400 Meter had; | 


1560 Meter hoch, öftlich von welchen ſich die dritte Hoch⸗ 
ebene erftredt, die durchſchnittlich 2745 Meter Höhe hat. 
Der Boden ber legtern iſt mit edigen Porphyrbroden bes 
dedi, welche fich aud) noch weiter hin an den Abhängen der 
Gordillera Real finden, deren mittlere Erhebung 4500 
bis 4600 Meter erreicht. Ihr Vorkommen in fo bedeuten» 
der Höhe hat man bis jet micht erklären können. Dieje 
legte, vierte Kette begrenzt die Atacama-Wüſte im Dften 
mit ihren unzähligen, ſchneebedeckten Gipfeln, zwiſchen denen 
ſich hier und da ein rauchender Bulcan erhebt, wie derjenige 
von Atacama, der Yincancau, Toconado, Illascar, Ylullas 
yacı u. |. w. Nie zeigt aber diefe Slette jene ausgeprägten 
Spigen und jchroffen Nadeln, wie man fie in dem Alpen 
und Porenäen fieht, ale Gipfel find vielmehr abgerundet 
oder coniſch umd von regelmäßiger Form. Nach der Wüſte 
zu fallen die Cordilleren fehr fteil ab, während der öftliche 





Der Rio Poa in der Schlucht von Chiuchiu. 


geſchwängert ift, daß nur die Maulthiere es trinken können, 
und auch biefe nur in Meinen Mengen, Geht man von Ga; 
lama firomauf, jo gelangt man nad) einem Wuſtenmarſche 
von 7°/, deutſchen Meilen zue Quebrada von Chiudiu, 
dem „arten der Wüfte*, dem einzigen Plage in der. That, 
wo ſich eine verhältnigmäßig reichliche Vegetation findet, 
Bäume, felbft angebaute Hülfenfrlichte. Chiuchiu ſelbſt ift 
noch der wohnlichſte Ort im der ganzen Wuſte; befchreiben 
braucht man ihm sicht, weil er und überhaupt ale Drte in 
der Atacama genau fo ausihauen wie Mejilloned. Die 
Heinen Oaſen, welche ihr Daſein ſchwachen Rinnfalen bra— 
tiſchen Waſſers verdanken, haben eine viel armfeligere Veger 


‚ tation, einen Meinen Strand) (Atriplex deserticola) und 


Die Wüfte Atacama. 19 


einige Kräuter, die jo Mein und winzig find, daf man fie 
weder als Brennmaterial nod zum Yüttern der Maulthiere 
benugen fann. 

In einer diefer Dafen am nördliden Ende eines faft 
15 Meilen langen Salzfumpfes liegt die Hauptftabt der 
amerifanifchen Sahara, San Pedro de Atacama, 2665 
Meter hoch. Die Häufer insgefammt, das des Präfecten 
nicht ausgenommen, beftehen aus Lehm und find weitläufig 
gebaut, Atacama ift eigentlid) fein zufammenhängender Ort, 
fondern eine häufig von Wüftenfand und Kies unterbrochene 
Reihe von Häufern und Gärten; nur in der unmittelbaren 
Nähe der Plaza am norböftlichen Ende des Ortes giebt es 
regelmäßige Straßen. Am Horizont erheben ſich die Cor— 
dilleren, unter denen ber Bolcan de Atacama bervorragt. 
An ihrem Fuße in einer Entfernung von etwa 12 deutſchen 
Meilen entjpringt das Bächlein, welches den Bewohnern 
Trinfwafler liefert umd einigen Pflanzenwuchs hervorruft, 
welcher das Halten einiger Maulthiers, Yamas und Bigogne- 
herden erlaubt. Erjtere werden zum Waarentransport von 
Cobija nad) den argentinifcden Provinzen Salta und Yujuy 





Cateador im fein Zelt trat und ihm im Geſpräche auf eine 
von ihm emtbedte Schlucht in der mächften Gebirgélette auf: 
merffam machte, welche geeignet wäre, um bie projectirte 
Eifenbahn hindurcchzufiihren. Das war dem Franzoſen eine 
willfommene Nachricht, und am nächſten Morgen um fünf 
Uhr ſaßen beide im Sattel, Breffon in ber Abficht, am felben 
Abende, fpäteftens am folgenden Morgen zurlidzufehren und 
darum nur mit einer Büchſe Gardinen, zwei Schifftzwie- 
baden und einer Flaſche verdunnten Kaffees verfehen. Nach 
ſechsſt ündigem Ritte befanden fie fid) am Eingang ber Que— 
brada von Naguayan, wo fie Abſchied von einander nahmen: 
der Cateador ritt zur Hüfte zuriid, während Breſſon die 
Richtung nach dem befprochenen Paſſe zu einfchlug. Den 
ganzen Tag behielt er fie bei und befand fich Abends acht 
Uhr inmitten einer weiten von Höhen umgebenen Sandebene; 
er erfannte wohl die von dem Mericaner bejchriebene Gegend, 
aber nad) einigen ſcharfen Saloppen zwang ihn die Dunkel» 
beit und der Hunger zum Haltmachen. Raſch war das 
Pferd abgejattelt, die wenigen Nahrungsmittel verzehrt und 
bald darauf fchlief der Reiſende, in feinen dien Poncho ge: 


verwendet, welcher dem Haupterwerbszweig der Einwohner 
bildet. Bon San Pedro de Atacama, früher Atacama Alta 
genannt, führt eine jener berühmten Incaftraßen nad) Co— 
piapo im Chile, aber nicht ein mit Steinen ausgelegter Heer: 
weg, wie er Cuzco mit Quito verband, fondern nur ein Pfad 
von 1!/,; Meter Breite, welcher von Steinen und Sand 
gereinigt und nicht etwa mit Mücficht auf die fpärlichen 
Wafferpläge oder die größte Wegfamfeit und geringfte Stei> 
gung angelegt worden war, fondern einzig mad) dem Grund · 
fate, eine fchnurgerade Verbindung — Längs die⸗ 
ſes „Camino del Inca“ findet man in der Nähe der Cor— 
dilleren jene Apadecta genannten Steinhaufen, welche kürzlich 
in diefer Zeitfchrift (Bd. XXVII, ©. 199) von Ridard 
Andree ausführlic, beleuchtet worden find, 

Breſſon folte nicht lange darauf warten, die Gefahren 
ber Wuſte lennen zu lernen, Gegen Ende des Jahres 1871 
war er mit topographifchen Arbeiten in demjenigen Theile 
der Atacama beichäftigt, welcher „Yaguna Seca“ (Trodener 
See) heißt und etwa 8 beutfche Meilen nordöftlic, von Me— 
jillones liegt, als ein ihm ſchon befannter mericanifcher 





7. 


Platz und Kirche in San Pedro de Atacama. 
s 


twickelt, den Sattel unter dem Kopfe. In der Nacht wehte 
ein ſcharſer Süidoftwind, der ihm vor Froſt fo zittern machte, 
baf er ſchon bei Tagesanbruch wieder zu Pferde ſaß. Aber 
als er feine Spur vom geftrigen Tage fuchte, zeigte es fich, 
daß fie der Nachtwind verweht hatte, und zu feinem größ— 
ten Schreck war aud) der mitgenommene Compaß verloren, 
Suden und langes Ueberlegen war bei fold, kritifcher 
Lage nicht angebracht; er ſetzte aljo fein Pferb in Galopp . 
und durchſuchte ben ganzen Tag Quebradas, Engpäjle, 
Schluchten und Hügel, Aber nirgends bie geringfte Spur, 
bie ihn auf den richtigen Weg hätte bringen lönnen; nad) 
allen Seiten hin ftets diefelbe einförmige und abwechſelungs— 
fofe Wüfte! Zu Ende ging der Tag, der nichts gefördert, 
nur bie Kräfte des Thieres erſchöpft hatte. Mit brennender 
Kehle — der Hunger quälte ihm nicht jehr — legte er ſich 
ge. zweiten Dale auf den Wuſtenboder nieder. Am britten 
age endlich fand er gegen Abend eine deutliche Spur von 
zahlreichen Faftthieren, auch fo viel Mift, um ſich in der 
darauf folgenden falten Nacht ein Feuer anzumachen. Das 
Pferd, deſſen Kräfte ſchon bedenklich abgenommen hatten, 


9. 


20 Die Wüfte Atacama. 


fchmiegte ſich eng am den fchlafenden Reiter, der, umt die 
Spur nicht wieder zu verlieren, ſich quer über dieſelbe gelegt 
hatte. Am mächften Morgen folgte er ihr langjam und 
mühjelig, das erſchöpfte Pferd am Zügel führend, in der 
Richtung, die nach feiner Anficht zur Küfte führte. Die 
Mittagshige brachte im Verein mit der Ermüdung ſchon 
Hallucinationen hervor; er glaubte Keiter, baumbeſchattete 
Häufer, Seen und Fluſſe zu fehen, er fing an zu taumeln 
und mußte wieder fein Pferd befteigen, das im langjamen 
Schritte die ſcharf und deutlich, ausgetretene Spur verfolgte, 
die des Verzweifelnden einzige Hoffnung war. Nachmittags 
ſtießen fie auf ein Maulthierjlelet, neben dem nod) ein Waſſer— 
fäßchen und ein Sad Gerfte lag. Aber das erftere war 
leer und den Inhalt des zweiten wollte das verburftende Thier 
nidjt berlihren. 

In der Nacht werte es feinen Herrn durch leiſes Wichern 


Er an 





und ruckartige Bewegungen, fo daß diefer ſchon feinen treuen 
Gefährten durd) den Tod zu verlieren glaubte und damit die 
Möglichkeit der Rettung. Aber bei näherm Zufehen waren 
ed nur Aeußerungen feiner Furcht. Nings im Kreiſe faßen 
nämlid; in einer Entfernung von etwa 200 Schritt eine 
Menge von Condors mit funfelnden Augen, welche durch 
ihren Imftinet zu dem bemmächft fallenden Laſtthier geführt 
werden. Gin paar Revolverjchüifie ſcheuchten fie auf, aber 
bald darauf ließen fie ſich etwas weiterhin wieder nieder und 
bildeten nun nur einen weitern Kreis, deilen für fie jo ans 
ziehender Mittelpuult Roß und Neiter blieben, Breſſon 
durchwachte den Reſt der Nacht, den Nevolver in der Hand 
und fein treues Pferd fireichelnd und beruhigend. Bei Tages- 
grauen vitt er weiter, während die unheimlichen Vögel ver- 
ſchwanden. 





Ein Tambo in den Cordilleren. 


Reiter auf fic) zufommen, Er war ſchon geneigt, diejelben 
* wieder für Ausgeburten feiner Phantaſie zu halten; aber ala 
fie näher famen, erfannte er in ihnen Einheimiſche auf ſtar— 
fen, argentinifchen Maulthieren. Sein eigenes Pierd ſetzte 
ſich ohne Hilfe der Sporen in jehnellere Bewegung und eine 
halbe Stunde fpäter begrüßte er feinen Baqueano Almendar, 
welcher, um das Scidjal feines Herrn bejorgt, ſich aufge— 
macht hatte, ihn zu fuchen, und war gerettet. 


“ * 

Breffon kam fchließlich durch feine Reifen und Aufnah- 
men zu der Ueberzeugung, daß durch die Atacama ganz gut 
ein Schyienenftrang gelegt werben lönnte, der aber, um recht 
nüglich zu fein, wontöglic bis auf die Hochebene Bolivias, 


bis nach Sucre und Ya Paz verlängert werden mlßte. Die 
Ausjührbarkeit diefes Planes hing davon ab, ob ſich im der 
Nähe des Minendiftrivtes Caracoles, bis wohn die Bahn 
zunächſt flihven follte, ein Paß fünde, in weldyem bie Andens 
fette überfchritten werden lonnte. Es waren alfo aud) dort 
Terrainftudien nöthig, fir welde San Pedro de Atacama 
der natlirliche Ausgangspuntt war. Nachdem er ſich dort 
mit guten Maulihieren, hinlänglichen Yebensmitteln und 
einem zuverläffigen Arriero verjehen, eilte er in ſtarlen Mär- 
ichen dem Fuße der Gordillera Real zu und erreichte ohne 
allzuviel Anftrengung auf einem vielfach gewundenen Wege 
die Höhe von 3887 Dieter, wo ein Anflug von Vegetation 
und Heine Bäche ſich zeigten. Im diefer Höhe fand er auch 


Die Wüfte Atacama. 21 


in Granit and Porphyr einen Paß, welcher feinen Wünſchen 
entſprach und jegt im Winter felbft (es war Ende Auguft 
und erft Ende September beginnt in jenen Gegenden ber 
Fhling) practicabel war. In demelben lag ein „Tambo“, 
eines jener Zufluchtähäufer für Neifende, die mod) ans ber 
Incazeit ftammen. Dort ſchlug, er fir die Nacht fein Yager 
auf und durchitreifte, den Garabiner im Arme, die Schluch— 
ten, um barometriſch ihre Höhe zu beftimmen. Als er heim: 
kehrte, hatte er Gelrgenheit, die Wirkung der Trodenheit der 
Luft zu beobadjten: feine Nägel, Haupt und Barthaare zer 
brachen bei der geringjten Berührung, die Haut der Yippen 
fprang auf, das herausfliegende Blut trodnete fofort, das 
Holz an feinen Inſtrumenten warf ſich und felbft bie Hufe 
einiger Maulthiere riſſen auf. 

Am folgenden Morgen ging es früh weiter; aber bald 
mußte Breflon den Eifer feines Arriero zügeln, weil ſich in 





Folge der rafchen Gangart bei einigen der Thiere Anzeichen 
von „soroehe* ober „puna* (Bergkranfheit) bemerkbar 
machten. Diefelbe hatte, ald man die Minen der Atacama 
abzubanen anfing, fo viele Opfer unter dem Faftthieren ge— 
fordert, daß die Quebradas mit Cabavern und Efeleten von 
Pferden und Maulthieren wie befüet waren. Diele Krank— 
heit, welche man allgemein der Verdünnung der Luft und 
Abnahme des Luſtdruds zufchreibt, ruührt von einer Entzie⸗ 
hung des Sanerftofjes aus dem Wlute her; ihre Symptome 
find bei Menſchen und Thieren ziemlich gleich: der Puls * 
geht fchneller, Störungen bes Gehirns und der Nexven tre— 
ten ein, man fühlt Zittern, Schlagen der Kopfpulsader, « 
Hämorrhagien, Gfel vor Speifen, aber brennenden Durft, 
die Zunge ift troden, das Gehen fällt Einem ſchwer und 
man hat Schmerzen in den Hüften und Knien. 

Unjer Reifender fühlte nur leichte Athmungsbeſchwerden 





Ein Hacendado und fein Malordomus. 


und ftieg, nachdem er den Paß ftudirt hatte, froh in ein be 
waldetes Thal hinab, wo er in einem elenden Rancho jagen: 
ber Indianer gaftfrenndliche Aufnahme fand. Einer berjel- 
ben führte fie weiter nach Oſten, wo fie nad zwei Tagen 
die Hacienda bes Don Manuel SS... aufnahm. Dieſe 
Hacienden find große Yandgüter, oft ausgedehnter als ganze 
franzöfifche Arrondiffenients, aber nur zum Meinen Theil 
angebaut: Ihr Eigenthlimer, der Hacendabo, ift ein 
wahrer Feudalherr mit richterlichen Rechten liber feine Yeute, 
der feine Befigung nur ab und zu, meift zur Erutezeit, ber 
fucht und alddann das emropäifcye Coſtiüm, das er im ber 
Hauptftabt trägt, mit dem lamdesüblichen (Hut von Stroh 


oder Bigognefilz, furze Weite, Poncho, Kanonenftiefel und 
große filberne —— vertauſcht. Sein Roß iſt mit Fellen 
geſattelt, welche ſchwerfällige, hölzerne, mit Silbernägeln bes 
fchlagene Steigbligel tragen; der gefladytene Zaum iſt mit 
Eilberringen verziert und von gleichen Metall ift der Sattel- 
tnopf, das Stirnftiid und das Gebiß. Die Schönheit des 
Pferdes entfpricht natürlich feinem Schmucke. Während der 
Hacendado in ber Refidenz fic aufhält, vertritt ihm ein Ver- 
walter, meift ein unwiſſender, am alten Scylendrian hängen« 
der Menſch, welcher von neuen Erfindungen in ber Yand- 
wirthſchaft nichts willen will. Ihm ift der Majorbomus 
untergeoröget, berjenige Beamte, welcher bie ländlichen Ur- 


22 


beiten beanffichtigt, mit braunen, fonnenverbranntem und 
energiſchem Geſicht. Es ift alfo genau die gleiche Rangfolge, 
wie bei uns: Gutsherr, Infpector, Meier, 

Um Aullagas-See (3700 Meter hoch), in welchen ber 


Rihard Andree: Neugranabinifche Alterthümer. 


Titicaca⸗See durch den Desaguadero jeine Gewäſſer ergießt, 
beſchloß Breſſon feine Tour im Hochgebirge und fehrte dann 
in den Minenbifteiet der Wüfte Atacama zurüd, 


Neugranadinifhe Alterthümer. 


Von Richard Andree. 


Die füdamerifanifhe Nepublit, welche wir gewöhnlich 
noch als Neu⸗Granada bezeichnen, erhielt im Sabre 1861, 
als Mosquera Präfident war, die Bezeichnung Los Eſtados 
Unidos de Colombia und wird daher ſchlechtweg Colum ⸗ 
bia genannt. Im ihr finden wir mannigfache Spuren ver- 
ſchiedener Culturepochen, nicht nur Alterthümer aus der 
Zeit der vielgenannten Chibchas oder Muyscas. Schon in 
der früßeften Periode der Cultur, deren Sig das Thal des 


1. 


obern Magbalenaftroms ift, im Diftriete von Timana, treffen 
wir auf Steinbauten und Goldarbeiten, über deren Urheber 
ein jo ausgezeichneter Kenner füdamerifanifcher Alterthiimer 
wie William Bollaert *) durchaus nichts zu fagen weiß. 
Die Dentmäler von Timana beftehen aus Steinftatuen, 
Dpfertafeln mit Darftellungen von Sonne und Mond, 
Steinplatten, auf denen Thierzeichen eingemeigelt find und 
bie mit dem Kalender des jüngern Volls in Neu-Granada, 





Irdene Gefäße aus Gräbern bei Turbaco. 


mit bem der Chibchas, Verwandtſchaft zeigen. Aus derfelben 
„zimanäperiobe* ftammen wohl aud) die fteinernen 
Thiergeftalten von Neyba (gleichfalls am obern Magdalenen- 
fteome), welche Pumas, Jaguare, Affen, Guanacos, Fröſche 
darſtellen. Velasco, den Bollaert citirt, Bemerft im 


Geräthichaften aus Gräbern bei -Turbaco. 


feiner „Hiftoria de Quito“, dag „das alte Volf in bie 
fem Theile des Laudes die Helfen mit Hieroglyphen, Thier- 


*) Antiquarian, Ethnological and other researches in New- 
Granada etc. London, Trübner 1860. 


Richard Andree: Neugranadinijche Alterthümer. 23 


figuren, Blumen und Zeichen, bie wie Ziffern ausjahen, 
bededtte.“ Aber wie gejagt, liber das Bolt, welches diefe von 
Bollaert „vorchibchaiſch“‘“ genannten Werke ſchuf, wiſſen 
= nichts. Wbbildungen bringt das angezeigte Wert auf 

el 41. 

Das Volt, welches die Spanier auf der Hochebene von 
Bogota antrafen, gehört einer fpätern Periode an. Die 
Bezeichnung Cundinamarca oder Cumdirumarca für das 
hier beftehende Reich ift eime fpätere und irrthümlich von 
Herrera (lib. VII, dec. 5) eingeführte. Es ift ein zufammens 
geſetztes Quichuawort, von cuntur — Condor und marca 
— Land, alfo „Fand des Condor“; bei den Eingeborenen hieß 
es Theuſaquillo. Wie das Volk ſich felbft nannte, ift uns 
befannt. Die Bezeichnung Chibchas, die von den Spaniern her» 
rührt, wurde der Hauptgottheit Chibchacum entlehnt ; daneben 
gilt der Name Muyscas, was einfach Denfchen oder Bolt 
bedeutet. Die frlühefte Tradition der Chibchas berichtet, 
daß der Mond der Satellit der Erde und Bogota von einem 
barbarischen Stamme bevölfert war. Da fam von Dften 
her ein weißer alter Mann mit langem Bart, der hieß Bo- 
chiea (aud; Nemquetaba und Tuba), der fammelte das Bolt. 
Bochica hatte ein Weib; doc als fie ihm ungehorfam war, 
verwandelte er fie in den Mond. Ehe er felbft verfchwand, 
fegte er zwei Häuptlinge ober Verwalter ein; einen Zipa 
für die bürgerlichen und einen Zaque für die geiſtlichen Ber 
hältniffe. Aehnlich benannte Häuptlinge vegierten das Yand 
bis zur Unfunft der Spanier *). 

(8 die Spanier (1533) erſchienen, ſollen acht Millionen 
Indianer das Fand bevöltert haben, während jegt feine drei 
Millionen Menſchen, die Ablömmlinge der Spanier ein: 
begriffen, dort leben. Die Tempel der Chibchas, in denen 
die Sonne verehrt wurde, waren große Gebäude aus Stein; 
das Volk balfamirte die Leichen der Häuptlinge und begrub 
mit ihnen zahlreiche Goldgegenftände, die jegt ald Tunjos 
befannt find, Weihegaben, die durch Guß hergeftellt wurden 
unb vielleicht Darftellungen Bochicas find. Gold wurde 
auf dem Wege des Handels bezogen und dafür Cal; aus: 
getauscht. Humboldt hat noch ſolche Steinfalzgräber bei 
Zipaquira befucht. Neben den Golbarbeiten waren befons 
ders Gefäße und Bildniffe aus Thon häufig, Von ber 
plaftifchen Hunftfertigleit des Volles zeugt unter anderen ein 
in Granit gearbeiteter Menſchenkopf, deſſen Abbildung Hums 
boldt in feinen Monuments mitgetheilt hat und ber mehr 
fünftleriichen Gefchmad verräth, als die gewöhnlichen anderen 
amerifanifchen Sculpturen. Auch aus den alten Kalendern, 
die uns erhalten find, ift die Cultur der Chibchas erfichtlich. 
Diefelben hatten ein priefterliches, ein bürgerliches und ein 
landwirthicjaftliches Jahr von je fiebenunddreißig, zwanzig 
und zwölf bis dreizehn Monaten. Einſchaltungen bradjten 
diefelben immer wieder miteinander in Uebereinftimmung 
und orbneten ben Gyelus der Feſte. Humboldt hat bie 
Einzelheiten, wie diefe Einſchaltungen und bie verſchie— 
denen Zeiteintheilungen angeordnet waren, genau dargelegt. 
Die Kalender find in harten Stein eingemeigelt von penta: 
onaler Form und zeigen namentlich die Sinnbilder bes 
Froiches und der Schlange. Der Froſch gilt ſymboliſch für 
Waſſer und Regen, wie Bollaert angiebt**); er hieß in der 

*) Näheres bei Müller, Amerikanische Urreligionen. Bafel 
1855. ©. 423. 

++) Memoirs reml befor the unthropologienl Society of London. 
Vol. IL 125. (London 1866.) 


Chibchaſprache ata. Ata bedeutet ald Zahlwort aud) Eins 
und wird figuvativ durch einen ins Waſſer fpringenden 
Froſch dargeftellt. Wir kommen weiter unten J dieſe 
Kalender zurüüd. 

Zu Tunja (nördlid) von Bogota) find neuerdings alte 
Ruinen von Steingebäuden aus der früheften Chibchazeit 
entdeckt worden, die vier bis fünf Ellen lange Steinpfeiler 
aufweifen, Dreigehn folder Pfeiler find in einem Kreiſe 
von fünfzig Ellen Umfang aufgeftelt; in ihrer Nähe findet 
man noch die Ueberrefte von neunundzwanzig anderen Pfei- 
lern und in einem dichten Forſte nahe dabei auch die alte 
Werkftätte, indem dort noch zahlveiche angefangene Wert: 
ſtücke liegen. E. Uricoechea, welcher 1854 zu Berlin ein 
Memoire über die neugranadinifcen Alterthlimer in ſpaniſcher 
Sprache veröffentlichte, jagt von den Chibchas: „Meteor 
gleich verſchwand diefe Nation. Sie ging denfelben Weg, 
wie viele andere eingeborene Bölker Amerikas, fie ward mit 
dem Schwerte ausgerottet, fie erlag dem chriftlichen Fanatis— 
mus und dem fpanifchen Golddurſte. Ihre Civilifation iſt 
für uns verloren — verloren ihre Sprache, das Volk ver 
ſchwunden.“ 

So bleiben uns außer ſpaniſchen Berichten nur die Alter— 
thlimer erhalten, welche und noch einen Begriff von ber 
Cultur des untergegangenen Boltes geben fünnen. In ums 
jeren Mufeen befinden ſich nur wenige; eine Anzahl fans 
melte in neuerer Zeit der franzöſiſche Reiſende Dr. Saf— 
fray, deſſen Beſuch Neu-Granadas ins Jahr 1869 fällt *), 

Dei Turbaco, nahe Cartagena, bei dem durch die be: 
fannten, von Humboldt geſchilderten Schlammpuleane berühm 
ter Orte fand Saffray eine reiche Sammlung Chibdja= 
alterthümer bei dem dortigen Geiftlihen. Sie ſtammien 
aus Gräbern und beftanden theils aus irdenen Vaſen, von 
verfchiedenen Formen (auch „Geſichtsurnen“) und in Thier- 
geftalten, theild aus Goldornamenten, wie die Priefter fie 
trugen. Hier bei Turbaco (indianiſch Yurmaco) ftand der 
Tempel der Bulcane, weldyer dem Cemi oder dem Geifte 
der Öenefung geweiht war. Seine zwölf Priefter trugen als 
Standeszeihen einen großen Goldgürtel und ein Diadem 
aus demfelben Dietalle, in der Nafe ein fichelförmiges Gold» 
srnament umd am Halſe eine runde Platte, auf weldyer der 
Froſch dargeftellt war, Dem Gotte der Genefung war der 
Tempel darum geweiht, weil hier die Kranfen Scylamm- 
bäder an den Bulcanen gebrauchten. Die erwähnten Gold: 
— befinden ſich in der Sammlung des Geiſtlichen von 

urbaco. Saffray erwähnt darunter den Goldgürtel, wel⸗ 
cher ſo fein und regelmäßig gearbeitet iſt, als wäre er auf 
einem Stredwerle hergeſtelltz die Platte mit dem Froſche 
hat vier Zoll Durchmeſſer, auch die Sichel für die Nafe ift 
vorhanden und dazır eine Art Ecepter, mit becherförmiger 
Erweiterung am Knopfe, aus der zwei Bögel herausſchauen. 
Die Ihongefäße diefer Indianer, berichtet Saffray, waren 
mit gemalten Figuren geſchmückt und mit einem fat unzer- 
ftörbaren Firniß überzogen. Ihre Goldarbeiten beftanden 
aus einer Yegirung von Gold und Kupfer (Tumbago), 
welche fie jelbft Guanin nannten. Oviedo bemerkt: „Ihre 
foftbaren Bajen, aus den Früchten der Higuera geformt und 
mit goldenen Henleln verjehen, find fo ſchön, daß fie gleich 
zum Gebraud, des Königs dienen könnten.“ 


*) Le Tour du Monde. Lirraison 605 M Danach viele 
Schilterungen im 22., 23., 24. und 26. Bande tiefer Zeitſchrift. 


24 B. Denede: 


Die neuvorpommerjchen Küſten. 


Die neudorpommerjden Küften. 
Bon B. Denede in Barth. 


II. 


Wie weit die behufs des Kuſtenſchutzes ergriffenen Maß— 
regeln zum Ziele führen werden, kann vielleicht ſchon in 
einigen Jahren ſichtbar hervortreten *). Thatſache iſt, daß 
ſeit der Schließung des Prerower Stromes bereits eine ſchnell 
zunchmende Berfandung der Preromwer Bucht bemerlbar wird, 
da die ftarte —— vom Laude her, welche den ange— 
ſchwemmten Sand ins Meer zurücführte, aufgehört hat, daß 
aljo ein Wachſen des Yandes zwifchen Darger-Ort und Pres 
vom erwartet werden fanı, Der Leuchtthurmwärter (weldyen 
der Peer ſich als einen wohlunterrichteten, ruhigen Mann 
von ſcharfer Beobachtungegabe und langjähriger Erfahrung 
vorzuftellen hat) fagte mir, er hoffe die Zeit noch zu erleben, 
in welcher man von Darfer-Ort nad; Prerow in gerader 
Linie werde fahren oder gehen fünnen. — Sonderbar fünnte 
es erfcheinen, daß, während die Bucht verfandet, die davor 
liegende Barre abnimmt. Diefe verdankte jedoch ihren 
—— dem Zuſammentreffen des Prerower Stromes und 

der Meereswellen. Da nun der erfte ber beiden Factoren 

zu wirfen aufgehört hat, fo wird ber Sand der Barre bei 
Darfer-Ort von der vorherrichenden Meeresftrömung im bie 
Bucht hineingetrieben und dort abgelagert. 

Schwerer zu erflären ift das Auwachſen des Yandes auf 
der Weftfeite des Leuchtthurmes. An diefer Hüfte haben 
bereits feit Jahren vorfchriftsmäßige tägliche Yothungen ftatt- 
gefunden, die nur bei ftärmifchen Wetter ausgeſetzt wurden. 
Jahrelang war das Reſultat derſelben mit geringen Schwan: 
kungen daſſelbe geblieben, bis plötzlich zur höchſten Ueber« 
raſchung der Beamten feit dem November 1874 — alfo jeit 
dem Verſchluſſe des Prerower Stromes — bie Waſſertiefe 
merlwurdig ſchnell abnahm. Im November in einer Ent⸗ 
fernung von 1000 Mietern vor der Küſte noch 30 Fuß be— 
tragend, war diefelbe bis zum JAuli diefes Jahres — alfo 
in adıt Monaten — auf 12 Fu reducirt worden, ein höchſt 
merfwirdiges Factum, weldjes nur die im die Gcheimnifie 
der Strömungen Eingeweiheten zu erklären vermögen, 

Es wird aus dem bisher Geſagten einleuchten, daß fehr 
Vieles gefchehen ift, um den Zingſt jowie den öſtlichen Theil 
des Darßes gegen die Angriffe der See ficerzuftellen und 
diefe Schutzwehren der dahinter belegenen Küſten zu confers 
viren. Auch die Stadt Barth bat Taufende aufgewendet, 
um duch langgeſiredte ſtattliche Erdwälle ihre nördliche Front 


n Ob biefelben fib bewähren, müſſen große Stürme zeigen. 
Während des am 14. Tetober d. I. aus öſtlicher Richtung webens 
ten Sturmes haben zwar bie Buhnen an ber Zinafter Küſie ſich 
erprobt; denn nach amtlich angefellten Grmittelungen find ivon 
1838 Buhnen nur 2 zgerftört; bie übrigen fine erhalten und zum 
Theil wirflich verfander hätten alfo ihrem Zweckt entſprochen). Bon 
30,000 Pfäblen find nur 78 Stud duch tie Wogen berausgerifien 
worden, Dagegen bat ſich ber Berfchluß des Durchbrudes im Sü— 
den tes Fiſchlandes ala unzulänglich erwiefen; er it am 14. Deto— 
ber binweggefhwenmme; Oftfee und Botden haben ſich vereinigt und 
tas Fiſchland von ter Verbindung mit Nibnig abgeſchnuten. — 
Die Haltbarkeit des neuen Aubendeiches auf Zingft wird neuerdings 
ftark angesweifelt, da die Mäufe mährend tes legten Sommers bie 
Auffhättungen an vielen Etellen burbwühlt haben. — Alle dieſe 
Vortommniffe zeigen zur Genüge, daß neh mehr gethan werten 
muß, wm bie neuvorpommerfchen und mecflenburgifhen Borlante 
und tur fie das Binnenland nachtrücklicer su ſchühen. Aber was 
thun? — Die Zingfter Bauten haben bereits circa 80,000 Thaler 
gefoftet, und — Gementwälle wiürten Millionen verfhlingen. 


unangreifbar zu machen. Den ſchwächſten Theil der Ans 
griffslinie, welche das Borland dem Meere barbietet, bildet 
ohne Zweifel noch der Bordar mit Ahrenshoop und die 
mecklenburgifche Küfte von *2* bei Dierhagen. Be— 
ſonders mißlich erſcheint die Situation bei Ahrenshoop. — 
Wenn irgendivo fo hat hier die Küfte jAhnell abgenommen ; 
überall find die ſchan erwähnten Baumreſte ſichtbat. Inter⸗ 
eſſaut war es mir, im Uferfande den faft zu Stein verhär- 
teten mächtigen Wurzelftod eines Eibenbaumes oder Tarus 
zu finden, der früher im dem deutſchen Wäldern heimiſch 
war, gegenwärtig aber jaft gar nicht mehr angetroffen wird. 
Das Dorf Ahrenshoop liegt in nächjter Nähe des Mee— 
tes, nur durch Dünen von demfelben getrennt. Während 
der Novemberfluth verſchwanden diefe Diinen mehrere hun— 
dert Schritte weit gänzlid) und die ganze Bevölferung floh 
auf das benachbarte fteil anfteigende medienburgijche Ufer. 
Einen wirklichen Durchbruch fand ich nur an einer Stelle; 
doch iſt derſelbe deſto gründlicher. Noch gegenwärtig zieht 
er in Geftalt einer tiefen, ſandigen Ninne, etwa 20 Meter 
breit, mitten durch die Ortfchaft, ein trübfeliges memento 
mori fir die armen Bewohner. Der Verſchluß, der nur 
aus einer künſtlichen Dune mit Fangzaun befteht, ift wenig 
geeignet, das abhanden gefommene Gefühl der Eicjerheit 
wieder zu eriveden, zumal da die See während der November: 
fluth jechs Meter Yandes annectirt und nicht wieder heraus: 
gegeben hat, jo daß die alte Feindin abermals einen tüchtigen 
Sprung näher geritdt ift. Auch find bis jet durchaus Feine 
Erdwälle (wie auf Zingft) vorhanden. Nur ein „Binnen: 
beich“ ift als Schutzwehr gegen den Bodden aufgeführt wor: 
den. Doch trägt diefer nur dazu bei, die Einwohner noch 
mehr zu beumruhigen, da im Falle eines Hereinbruches der 
Se, wie die Ahrenshooper jagen, nad) der Boddenfeite hin 
dem Waſſer der Abflug verfperrt fe. „In fünf Minuten 
ift dann das ‚ganze Yod) voll; ie ſchnelle Flucht ift unmöglid) 
und wir müſſen alle ertrinfen.* — ben jo wenig wie der 
Vordarß hat die medlenburgifche Yandenge im Silden des 
Fiſchlandes Erdwerle und Buhnen aufzuweifen: nur die 
Durcbrüche find gejchloffen und die hinweggeſchwemmten 
Dunen fo viel wie möglid erneuert worden. Ob dieſe Vor: 


Echrungen die Waſſerprobe beſtehen können, muß die Seit 


lehren. Möchte nie eine Zeit fommen, in weldyer Dark 
und Fiſchlaud auf unferen Starten als Injeln figuriven. 
* 


* * 

Ueber die Bodenverhältniſſe des öſtlichen Zingſtes jagt 
ein Yandesfundiger: „Auf einem Saudboden von ſierilſter 
Beſchaffenheit hat ſich eine 4 bis 6 Zoll ftarte moorartige 
Begetationsdede gebildet, die, mit Salz imprägnirt und mit 
Torfmoofen, Haidefräutern und Geftrüpp überzogen, erft 
durd anhaltende Arbeit für geregelten Wirthicaftebetrich ge- 
wonnen ift, Was auf den weiten Haidefläcen dem Getveides 
bau dient, find vereinzelte Stücke Yandes, die nur durd) ans 
geftrengte Cultur für den Anbau von Gerealien nutzbar 
gemacht worden. ine Specialität iſt der Anbau der Ci— 
orienwurzel.“ 

Dafjelbe gilt auch von einem großen Theile der übrigen 
Vorlande bis in die Gegend des Dorfes Tierhagen. Cine 
Ausnahme bildet das Fiſchland, weldyes mit feinem ſchweren 


B. Denede: Die neuvorpommerſchen Hüften. 


Lehmboden als einzig im feiner Art bafteht. Much haben 
einzelne Theile des mit fehöner Kiefernwaldung dicht bedeck⸗ 
ten Darßes recht ftattliche Eichen und Buchen aufzuweiſen, 
ein Zeichen, daß auch hier befierer Boben vorhanden ift. 
Die fumpfigen Niederungen find meiſtens mit Erlen ber 
wachſen. 

Es iſt der Mühe werth, in ſchönen Sommertagen auch 
diefe für dem Fremdenverlehr, der an ihnen vorliber nach 
Rügen fluthet, fo entlegenen Küftenftriche einmal aufzufuchen. 
ae können fie fi) an malerischen Effecten weder mit 

tubbenfammer noch mit Arkona meſſen, dod fehlen ihnen 
keineswegs die landſchaftlichen Reize. Unter den alten 
Eichen des „Freeſenbruchs“ bei Zingft, mit dem Blide auf 
das blaue Meer, träumt ſich's wunderfchön, wenn die nahe 
Brandung ihr monotones Lied dazu raufcht; und ber freund 
der Waldeinfamfeit, der bie liberflillten Badeorte flieht und 
es borzieht, mit einigen Dutzend genügfamer Familien die 
primitiven Babevorrichtungen von Zingft und Prerom zu 
benugen, findet den tiefften Waldfrieden in den Wäldern des 
Darfes, wo der Fiſchadler ungeftört horjtet, der Edelfalle 
geräufchlo® durch die Baummipfel neben dem ftillen grlinen 
Waldwege gleitet, und nicht felten fogar noch ein Sechszehn⸗ 
ender in ber Lichtung äfend umberfpazier. Dem Freunde 
von Wafferpartien aber ift reichliche Gelegenheit geboten, auf 
einem kleinen Dampfer von Barth nad) Zingft und Prerow 
Abenteuer zur See zu erleben, wenn er es nicht vorzieht, 
einem tüchtigen Fährboote fich anzuvertrauen, wie fie aud) 
die Verbindung zwifchen Bootftede und Wied, Ribnig und 
Wuſtrow vermitteln, und ſich bei einer fteifen Brije aus 
Oſten von den Sprigwellen ein wenig abkühlen zu laſſen. 

Das Intereffantefte indeffen, das diefe Vorlande dem 
Freuiden zu bieten haben, wirb ftets der Kampf des Men- 
ſchen mit dem Deere fein, — auch ein Kampf ums Da-+ 
fein. Und in diefem Falle um fein ärmliches Dafein. — 
Wer durch die theils jandigen, theil® mit einer leichten Gras: 
narbe bededten Dorfftrafen von Zingft und Prerom wan- 
dert, findet zwiſchen ben anſpruchsloſeren, meiftens mit Schilf 
gebeten, mit Theeranftrich verfehenen Fiſcherhlitten und 
altweftphälifchen Bauerhäufern, die unter einem Strohdache 
Bohnräume, Ställe und Scheunen zufammenfaflen, der land- 
hausartigen Gebäude genug, bie, von Schwarzpappeln, Eichen 
und Weiden beſchattet, aus ihren blanfen Spiegelicheiben 
fo gemitthlich und zugleich etwas ariftofratifch auf die Blumen- 
ae vor der Thlie herabfchauen und auf bedeutenden 

ohlftand fliegen laſſen. Die Novemberfluth erträntte 
nicht nur die Schweine bürftiger Fifcherfamilien und ſchwemmte 
ihren ärmlichen Hausrath hinweg: fie jpielte auch mit zahl: 
reichen eleganten Nußbaummöbeln und bradjte Pianinos 
nenefter Conftruction zum Schwimmen, Diefen Wohlitand 
verdanken Zingft und Prerow nicht dem magern Boden, ber 
fie trägt, ſondern dem oft jo feindlichen Meere. 

So oft ic, dieſe Gegenden befuchte, wurde in meiner 
Erinnerung ein im „Chlobus* (Band IX, Jahrgang 1866) 
abgebrudter Auffag lebendig, der, von einem medlenburgifchen 
Particulariften gejchrieben, mit der äußerften Geringſchätzung 
von den benachbarten preußiſchen Verhältniſſen redete, welche 
in feiner Schilderung dem medlenburgiichen Fiſchlande zur 
Folie dienen mußten. Endlich beſchloß ic), ſelbſt zu fehen, 
um urtheilen zu können. 

Der Eindrud, welden im Juli diefes Jahres das Fiſch— 
land auf mic, machte, war allerdings, obgleich ic) vorbereitet 
war, ein — Ich hatte den ſandigen, menfchen- 
leeren Küftenftrih vom Leuchtthurme an durchwatet und 


Globus XXIX. Ar. 2, 


25 


ftieg aus dem niedrig zwifchen Sand und fumpfigen Wiefen 
belegenen, nichts weniger als ftattlichen Ahrenshoop auf das 
hügelige Lehmplateau des Fifchlandes hinauf, das mir, wie 
jenem begeifterten Lobredner, als ein mecklenburgiſches Eldo⸗ 
rado erfcheinen mußte. Dort Sand, Kiefern und Erlen— 
gebifch, menjchenleere Einöde und endlich die, wenn aud) 
fauberen, doch dlrftigen Hätten eines Stranddorfes; hier 
— mie durch eine Couliffenverwandlung — lippige Korn⸗ 
felder, umfangreiche Bauerhöfe, von jhönen Obftgärten um: 
geben und von mannshohen Maxern aus Feldfteinen gegen 
die Fahrftrage abgeſchloſſen. Zwiſchen riefigen Bäumen, 
welche die Dächer der alten ſchönen Höfe befchatten — ein 
herrliches Bild für ein Molerauge! — ſchimmern die blaue 
Fluth ded Boddens und die fernen blänlichen Umriſſe ber 
Höhenzlige und Wälder des Feſtlandes hindurch, während 
nad) Welten über wogende Kornfelber hin das Auge auf dem 
fernen Horizont des großen Waſſers, wo in weiter Ferne 
einzelne Segel gejpenftergleich vorüberhufchen, vergebens einen 
Ruhepunlt fucht. 

So ziehen fic) die beiben Dörfer Alten» und Neuenhagen 
ziemlich dreiviertel Meile weit hinab und hinauf am Bodden 
hin, im handgreiflichen, aber ſehr begreiflichen Gegenfate zur 
benachbarten preußiſchen Einöde, — An Neuenhagen ſchlie— 
Ben ſich in faft ununterbrochener Folge bis in die Nähe von 
Wuſtrow die gemiüthlichen, fauberen Ruheſitze emeritirter 
Schiffer mit Obft- und Blumengärten und Flaggenſtangen, 
benen in Zingft und Prerow zum Verwechſeln ähnlich, wie 
überhaupt die Bevölferung, wenn auch politifch getrennt, in 
ihren Anſchauungen und ihrem Charakter auf merkwürdige 
Weiſe übereinftimmt. — Wuftrom, der Hauptort bes Fiſch- 
landes — darin muß id) dem Mecklenburger beiftimmen — 
ift ein Unieum. Seine neue Kirche wiirde vielen Heinen 
Städten Ehre machen; und bie beiden Gafthäufer (eigentlich 
„Krüge“) des Ortes mit ihren ftattlichen Fronten und ums 
fangreichen Seitengebänden dürften leicht Gegenftänbe bes 
Neides flir manchen Gaftwirth in einer Mittelſtadt werben. 
Auch Hier finden jich große Bauerhöfe, untermiſcht mit com« 
fortablen Privatwohnungen bemittelter Seeleute; und vor 
dem Orte am Parmin erhebt ſich in einem fchattigen Parte 
eine Billa im größten Yandhausftile, wie fie kaum anjehn- 
licher an den villenreichen Geftaben bes Genfer Sees zu 
finden fein dürfte. y 

Soweit er alfo das Fifchland lobt und erhebt, gebe ich 
bem erwähnten medlenburgifchen Patrioten R Diefer 
Wohlſtand ift gewiflermaßen mit Händen zu greifen. Doch 
fann ich es micht billigen, daß der Herr der dürftigen Ver— 
hältnifie des Vordarßes als eines Mafftabes zur Beurthei- 
lung der materiellen Yage der preufifchen Borlande überhaupt 
(alfo auch ber Ortfchaften Zingft und Prerom) ſich zu bes 
dienen liebt. Gegen diefen Maßftab muß id) proteftiren. — 
Daß auch auf mecklenburgiſchem Boden in Sand und Sumpf 
weder Mandeln noch Apfeljinen wachen, zeigt zur Genlige 
die medlenburgifche Wüfte zwiſchen Wuſtrow und Dierhagen, 
wo weder Baum noch Straud) wachſen will, und bie am 
bradigen Boddenwaſſer ſich hinziehenden fogenannten Wiefen 
ein grobes, ſaftloſes Product liefern, welches mur für das 
einheimische Vieh genießbar if. Diefe Strede ift ein wlir- 
diges Seitenſtück zur preußifchen Wüfte bei Ahrenshoop. 

Weizenboden im Lande Barth jedoch mit feinen reichen 
Gütern und wohlhabenden Bauerdörfern braucht einen Bers 
gleich mit dem mecklenburgiſchen Fiſchlande auch nicht zu 
ſcheuen. 


26 


Albin Kohn: Die franzöfifche Venuserpedition auf St. Paul. 


Die franzöfifhe Venuserpedition auf St. Paul. 
Bon Albin Kohn, 


Ein Hauptübelftand ift, wie ſchon oben angedeutet, daß 
ſich auf der Infel feine einzige Quelle mit trintbarem Wafler 
befindet, während auf ihr eine große Anzahl warmer Quellen 
emporfprubelt, Einige diefer Quellen haben jo heißes Waf- 
fer, daß man Hummern, deren man unzählige in der Nähe 
der Infel fifcht, im ihm fieden fan. In der Nähe ber 
Wohnungen ift der Boden in der Tiefe von wenigen Centis 
metern heiß und die Naturforjcher der Erpedition haben in 
ber Tiefe von 1,50 bis 2 Meter eine Wärme von 200° E. 
gefunden. Im Falle der Expedition Brennmaterial gemans 
gelt hätte, wäre fie alfo nicht in große Berlegenheit gerathen. 

Dean bemerkt übrigens auf der ganzen Inſel nur eine 
ſehr ärmliche Vegetation, Die größte Pflanze bildet eine Art 
Yaubfarren, das Blechnum australe, einige Gräſer, unter 
ihnen auch unfer befanntes Wollgras (Holcus lanatus), 
und verjchiedene Mooſe. Im den Spalten und Riffen, 
welche ſich im Laufe der Zeiten unter dem Einfluffe der tor 
benden Elemente gebildet haben, haben ſich Spongien eins 
geniftet, welche vertorft find, und eben auf diefen Torfmafjen 
wuchert das Wollgras und neben ihm eine Gattung Rispen- 
gras (Poa Novarae) und andere. In den verfchiebenen 
Höhlen, an denen das vulcauiſche Geſtein reich ift, haben fid) 
Moofe angefiedelt, deren Sporen wohl von den Stürmen 
hierher getragen wurden. Die Hauptpflanzen ber Felſen⸗ 
infel, die Yaubfarren, find faum im Stande, ben zahlreichen 
Fettgänfen, welche auf der Infel brüten und, fo lange fie ſich 
auf dem Yande befinden, durchaus micht menſchenſcheu find, 
weil fie eben nicht im Stande find vor ihm zu fliehen, einie 
gen Schutz zu verleihen. Wie Herr Bölain jagt, wurden 
diefe Thiere früher dort fehr häufig ihres Felles wegen ex: 
legt, da es — wahrfcheinlich fo weit es den Bauch betrifft, 
der mit feinen feibenartigen Federn bebedt ift — als Pelze 
werk gefucht war. Als die „Dives* bei St. Paul anlangte, 
waren eben die Fettgänfe mit dem Ausbräten ihrer Eier be- 
fchäftigt, und es ift nur zu bewundern, daß diefe Thiere trotz 
ihrer außerorbentlichen Unbehülflichkeit die höchften Punlte 
der Hüfte zum Niften aufjuchen, welche fie alle Tage mit der 
größten Mühe erklimmen miffen und wo fie den Angriffen 
der Kaubvögel fo fehr ausgejegt find, welche auf den benad)- 
barten Felſenlämmen ihre Horſte haben, 

Während Herr Mouchez mit dem Ausladen der Effecten 
befchäftigt war, erhob ſich wieber ein heftiger Sturm, der 
Hagel und Scnechloden brachte; das Meer ging ziemlich 
hoch und die Boote lonuten nicht ohne Gefahr über die Barre 
fahren. Plötzlich riß ein Windftoß die „Dives* vom Unter 
und trieb das Schiff von der Inſel; doch gelang es einen 
zweiten Anker zu werfen, Das Schiff wiberftand dem Sturme 
und alle mit dem Ausladen befchäftigten Perfonen fehrten 
am zweiten Abend, wie am erſten, auf dafjelbe zurlich; nur 
einer, von der Seekrankheit ergriffen, zog es vor, im einer 
ber aufgeräumten Hlitten zuridzubleiben. 

Um folgenden Tage entftand wiederum ein heftiger Sturnt, 
infolge defien jede Communication mit der Infel unmöglid) 
war, Der Himmel war bedeckt, der Regen fiel ohne Unter 
laß und das Getöfe, welches die ſich am der ſchroffen Helfen: 
füfte brechenden Wellen verurfachten, war fo groß, daß man 
fein eigenes Wort nicht hören lonnte. Das Meer war be- 


I 


det von Schaum, das Schiff war beftänbig bewegt und 
zerrte am Anker. Es war dies ein langer Tag ber Bejorg- 
niß und der gezwungenen Unthätigfeit. Abends wurde der 
Sicherheit wegen eim zweiter Anker mit 120 Meter Kette 
ausgeworfen, da der Bewegungsapparat des Schiffes nicht 
zum MWiberftande gegen bie tobenden Wogen verwendet wer⸗ 
ben konnte. 

Her Mo glaubte, daß der Sturm endlid den höch⸗ 
ften Grab erreicht hätte und ſich nun legen werde; doch er 
hatte ſich geirrt. Am Morgen nad) einer in Bangigfeit 
verbrachten Nacht fam ein Windftoß, infolge deilen eine 
Anlerlette riß; eine Biertelftunde darauf zerriß auch die zweite. 
Die „Dives“, die fomit drei Anfer verloren hatte, wurde vom 
Orean ergriffen und ins Meer hinausgettieben. Man hatte 
bald die Infel aus den Augen verloren und war genöthigt, 
das Schiff zu wenden, um mit der hochgehenden See zu 
treiben. Die langen Ketten hingen am Bordertheile bes 
Schiffes und es bedurfte einer jechsftindigen, ſchweren Ars 
beit mit Vorrichtungen, welche die Kraft der Winden ver- 
dreifacdhten, um die Setten aus dem Meere an Bord zu 
bringen. | ' 

Während dreier Tage wüthete der Sturm umd Herr 
Mouchez verlor bereits die Hoffnung, den Durchgang ber 
Venus aufSt. Paul beobachten zu können, in weldem alle 
er die Beobachtung auf der Südoftfpige von Auftralien vors 
nehmen wollte; doch wollte er dieſes nur im äußerften Falle 
thun. Er kämpfte hartnädig gegen die empörten Elemente, 
denn er fühlte, daß von feiner Standhaftigfeit und Ausdauer 
der Erfolg der ihm übertragenen Miffion abhing. Diefe 
Ausdauer wurde auch herrlich belohnt. 

Schon am 28. September legte fi ber Sturm ein wes 
nig und Herr Mouchez lie die Maſchine Heizen, um zu las 
diren. Indem er von der geringften Aenderung des Wetters 
Nuten zu ziehen wußte, gelang «8 ihm, trogbem ihm am 
30, eine Belle das Stahlfeil am Steuerrade zerfprengte, am 
1. October gegen 9 Uhr Morgens nad) einem breitägigen 
Laviren die Imfel wieder zur fehen und bem legten Anker, 
den die „Dives* Hatte, dort fallen zu laffen, von wo fie vor 
acht Tagen vom Sturme hinweggeriffen worden war. Kaum 
war ber Anter ins Meer gelaffen, da erfchien auch ſchon ber 
auf der Infel zurückgelaſſene Reifegefährte, welcher im höch⸗ 
ften Grade bewegt und erfremt war, das verloren geglaubte 
Schiff und deſſen Paflagiere wieder zu fehen. 

Ein glüdlicher, volltommen unerwarteter Zufall wollte, 
daß nad) diefem furdjtbaren Sturme, der ſelbſt das Gerippe 
ber „Megära* mit im die Tiefen des Meeres geriffen hatte, 
die Einfahrt in den Krater paffirbar war. Deshalb auch 
wurden wenige Minuten nad) der Ankunft alle Boote von 
ber „Dives“ insg Meer gelaffen, mit Kiften, Kaften und 
Gepäd beladen umd in der im Voraus beftinmten Orbnung 
and Land erpebirt. Während des ganzen Tages wurde mit 
fieberhafter Thätigleit gearbeitet; man fannte den Werth 
jeder Minute und deshalb legte jeder Hand ans Werl, Man 
fuhr ans Yand und zurück mit folder Eile, daß bis zu Sonnen- 
untergang faft alle 2: m mit ben Inftrumenten und ande» 
ren Öegenftänden am Yande waren, wo fie, wie es cben ber 
Zufall brachte, aufgeftapelt lagen, Nach dieſer mlhevollen 


Albin Kohn: Die franzöſiſche Venuserpedition auf St. Paul. 27 


Arbeit fchliefen die Reifenden das erfte Mal in der auf ber 
Inſel improvifirten Hütte, mit dem beruhigenden Bewußt · 
fein, daß fie an diefem Tage dem ſchwierigſien und gefahr: 
vollſten Theil ihrer Aufgabe vollbracht hatten, die noch am 
Abende des vorigen Tages dem Scheitern nahe war, Sept 
gg Sa Erfolg der Erpedition nur noch vom Wetter des 
9. Decembers ab. 

- Die „Dives“ war zwar am folgenden Tage wieder ge- 
zwungen, ihren Anlerplatz zu verlaffen und ſich von der Infel 
zu entfernen, doch kehrte fie bald zuritd, fo daf der Reſt ber 
mitgebrachten nothiwendigen Sachen trog des ſchlechten Wet: 
ters ans Land gejchafft werben fonnte. Nachdem dieſes ge 
ſchehen, fendete Herr Mouchez das Schiff auf die Inſel 
Reunion mit der Weifung, im December wieder zu kommen 
und die Mitglieber der Erpedition abzuholen. Diefe machten 
fi) nun vor allen Dingen an die Ausbefferung ihrer Hlts 
ten, an die Aufftellung ihres Apparates zur Deftillation des 
Bralwaſſers, um aus ihm trinkbares Waſſer zu bereiten, an 
das Aufftellen eines Ofens u. f. w. Plögliche Winbftöße, 
welche von ben Höhen herabftürmten, riffen die Dächer von 
ben Hütten, zerftreuten die Tritmmer und zwangen bie auf 
der Yufel Gebliebeuen ihre Arbeit immer wieder von Neuem 
zu beginnen. Hierzu Fam noch ber beftändige Hagel und 
Regen. Uber feiner der Mitarbeiter des Herrn Mouchez 
verlor den Muth und die Energie. Bald hatten die impro« 
vifirten Arbeiter die nöthige Erfahrung gefammelt und nadı 
einigen Tagen hatten fie die Freude, ihre Ausbauer vom 
Erfolge gekrönt zu fehen. Die Hütten wurden fertig und 
trogten hinfort dem Sturme, Hagel und Regen. Bald fan- 
den ſich aber auch in ihnen Ratten, Mäufe und verwilderte 
Kagen ein, welde zum Staunen ber Mitglieder ber Erper 
bition in der größten Harmonie mit einander lebten und 
gemeinſchaftlich Jagd auf Eier und jegt auch auf die Vor— 
räthe der Menſchen machten. 

Nachdem für das Unterfommen geforgt war, madjten fi) 
bie Herren an ihre eigentliche Arbeit. Die Naturforjcher 
unterfuchten die Flora und Fauna ber Infel, analyfirten das 
Geftein und das Waffer und machten Präparate, um fie mit 
nad; Europa zu bringen, oder machten fic mit den optifdyen 
Inftrumenten vertraut, weldye fie am 9. December benutzen 
follten. Außerdem wurde ein Obfervatorium erbaut. Im 
Allgemeinen befferte ſich jedoch das Wetter nicht und man 
fah ſehr felten ben blauen Himmel im Wafjer des Kraters 
wiederſpiegeln. Wie alle hohen und ifolirten Inſeln hinder · 
ten audy die Felſen von St, Paul die Wolfen am Fluge und 
zwangen fie fid) anzufammeln. Uber diefe Infel hat noch 
eine fir den Aftronomen im höchften Grade bedauernswerthe 
Eigenfchaft. Die zahlreichen warmen Quellen, welche das 
Baffin umgeben, entwideln beftändig eine große Maſſe 
Dampf, welcher wie aus einem Keflel emporfteigt und ſich 
zu Nebel verdichtet, fobald er mit dem falten Winde von Sit 
den in Berührung kommt Die Octoberftiiene zerftreuen 
zwar diefe Nebel ziemlich fchnell, aber während der Winbdftille 
im Sommer bilden fie einem dichten Schleier, welcher bie 
Ausficht aufden Krater beftändig verfchließt und ben Himmel 
felbft dann noch zu fehen ‚verhindert, wenn ringsum bas 
ſchönſte Wetter herrjcht und einige hundert Meter von ber 
Infel ſich die Sonne im Meere fpiegelt. 

Diefe Umftände waren für den 9. December unglüd: 
verheißend. Nur bie eine Hoffnung hielt den Muth bes 
Herrn Mouchez und feiner Begleiter aufrecht, daß ſich der 
Haube der Fifcher an den glüdlichen Einfluß des Mondes 
bewahrheiten wiirde. Diefelben behaupten nämlich, daß wäh- 
rend des Neumondes immer, wenn auch mur flir furze Zeit, 
ſchönes Wetter eintrete, und Here Mouchez hatte zweimal 
Gelegenheit fich davon zu überzeugen, daß die VBorherfagun: 


gen jener Leute zutrafen. Der 9. December fiel aber gerade 
auf den Tag des Neumondes. Am 17. November wurben 
außerdem bie Mitglieder ber Expedition durch Nachrichten 
aus Europa erfreut; die Schifferbarke ‚ Fernand“ von der 
Inſel Röunion brachte ihnen Briefe aus Franfreih. Se 
mehr fich jedoch ber verhängnißvolle Tag näherte, befto mehr 
ſchwanden die Ausſichten auf ein Gelingen. Das Wetter 
ſchien ſich verfchlechtern zu wollen, denn das Barometer be» 
gann vom 6, December an zu finfen und am 8. December 
fiel der Regen in Strömen; das Meer ging fo gewaltig hoch, 
daß es eine Fiſcherbarke, welche an ber Inſel Unter geworfen 
hatte, von biefem losriß. Sie verſchwand im ber fFerne. 
Trogbem Herr Mouchez am Gelingen ber ihm geftellten 
Aufgabe zweifelte, that er Alles, um vom einen etwaigen 
glnftigen Augenblicke Nugen ziehen zu lönnen. Gegen Mitter- 
nacht beendete er feine Vorbereitungen zur Aufnahme, denn 
bie 250 Daguerreotypplatten, weldye er mitgenommen hatte, 
konnten erft im legten Moment polirt und empfindlich ge- 
macht werben. 

Schon glaubte Herr Mouchez, daß die Wetterregel feiner 
malgafchifchen Fiſcher diesmal täufchen werde, dba fprang 
gegen drei Uhr Morgens der Wind plöglicd; von Nordoſt 
nad; Nordweft um, was eine bedeutende Beſſerung bes Wet⸗ 
ters im Gefolge hatte. Es hörte auf zu regnen; ber dunfle 
Schleier, welcher den Himmel verbedte, zerriß; bie großen 
Maſſen von Nebel und die niedrigen Wolfen wurben bon 
einer ftarfen Brife zerftreut, flogen ber den Zenith der 
Beobachter, und diefes erlaubte den letzteren den blauen Him⸗ 
mel zu fehen. Auch das Barometer begann ein wenig zu 
fteigen. Mit Sonnenaufgang eilten Alle an die Inſtru- 
mente, bie letzten Vorbereitungen waren ſchnell beendet und 
um 6'/, Uhr, d. i. eine halbe Stunde vor Beginn des Durch: 
ganges, war jeder auf feinem Poften, bereit feine Aufgabe 
zu erfüllen, 

Here Mouchez war am achtzölligen, Herr Turquet amt 
jechszölligen Inftrumente, Herr Völain, der mit dem Ge— 
brauche optifcher Inſtrumente fehr vertraut ift, hatte eine 
feine aftronomifche Lumette von brei Zoll; er hatte ſich auf 
dem höchſten Punkte der Inſel placirt. Die Herren Cazin 
und Rochefort mit ihren Gehülfen waren beim photographifchen 
Apparate, 

Bei Beginn des Durdiganges bemerkte man die Erfcheis 
nung noch zwifchen zwei Wolfen; je weiter jedoch die Venus 
auf der Sonnenſcheibe vorrlidte, defto feltener wurden bie 
Wolfen und nad) ungefähr einer Biertelftunde, als die Hälfte 
des Planeten noch außerhalb der Sonne war, waren aud) bie 
Wolfen verjchwunden, der Himmel durchſichtig und die Bilder 
erjchienen in der größten Reinheit. Here Mouchez bemerkte 
plöglich die ganze Scheibe der Venus, umgeben von einem 
blaffen Lichte, das im der Nähe der Sonne glänzender war 
als auf dem anferhalb Liegenden Bogenabſchnitte des Plas 
neten, 

Der Himmel war indeß fo rein und Mar geworben, baf 
Herr Mouchez Über diefe auf St. Paul ungewöhnliche Er« 
ſcheinung erjtaunte, aber auch fürchtete, daß jeden Augenblid 
Wolfen, Regen, Nebel und Sturm wiederlommen könnten, 
Doch hielt das ſchöne Wetter bis elf Uhr an, fo daß ber 
Durchgang unter den glinftigften Umftänden beobachtet wer- 
ben konnte. Doch von da an begannen ſich wieder am Hims 
mel Wolfen zu ſammeln, was die Aufnahme ber vierten 
Durdgangsphafe erſchwerte. Gegen Mittag konnte kaum 
noch der Durchgang der Sonne durch den Meridian, behufs 
genauer Beſtimmung der Zeit des Durdigangs der Venus, 
aufgenommen werden. Die Sonne war ſchon faum. mehr 
fihtbar und wenige Minuten darauf ſturzte aud) ſchon der 
Regen in Strömen hernieder und Nebel und Sturm gewan ⸗ 


4* 


28 Zur Stulifrage. 


nen wieder die Oberherrſchaft. Der Sturm der vorigen 
Nacht ſchien fich nur gelegt zu haben, um frifche Kräfte zu 
fammeln, oder um ber Erpedition die nöthigen fünf Stunden 
zu ihren Beobachtungen zu gönnen. Er begann hierauf, um 
wiederum 36 Stunden zur toben. 

Die „Dive“ war am 8. December nad) St. Paul 
zurädgefehrt und anterte gegen 400 Meter vom Obferva- 
torium. Der Capitän des Schiffes, Herr Duperrs, fein 
Stab und die Schiffsmannſchaft waren die einzigen Zeugen 
des Herganges; fie hatten dem Berlaufe mit Bangigteit zıt- 
gefehen. Als die Beobachtung beendet war, hißte die „Dis 
ves“ die Flagge Frankreichs auf und verfündete den Erfolg 
der franzöfifchen Erpebition auf St. Paul mit fünf Kanonen« 
ſchuſſen. 

Nach der glücklichen Löſung der Hauptaufgabe verſuchte 
es Herr Mouchez noch, genau die geographiſche Lage der 
Felſeninſel zu beſtimmen, was ihm jedoch nicht gelang, trotz ⸗ 
dem er gerade deshalb noch einen ganzen Monat auf ihr ver— 
blieb. Der Neumond im Januar brachte feine glinſtige 
Uenderung des Wetters hervor, ſondern machte die Wetter 
prophezeiungen der Kabljaufiicher zu Schanden. Doch bradjte 
biefer einmonatliche Aufenthalt der Wiflenfhaft einen andern 


Nutzen, denn er wurde zur Unterfuchung der InfelAmfter- 
dam verwendet, wohin Herr Mouchez die anderen Mitglieder 
der Erpedition ſendete. Wenngleid) diefe Herren mehrere 
Tage in der Örotte verteilen mußten, welche fie fich auf der 
Amſterdaminſel zum Aufenthalte erwählt hatten, da dichter 
Nebel jede Ercurfion unmöglich machte, fo haben fie doch 
manchen wichtigen Aufſchluß über diefes immerhin wenig 
befannte Eiland mitgebracht. So fanden fie dafelbft einen 
Straud) (Phyliea arborea), welcher fonft nur von Triftan 
d’Acunha befannt ift, eine für die Pflangengeographie höchſt 
werthuolle Thatjache. : 

Am 4. Januar 1875 ſchifften ſich endlich die Mitglieder 
der Expedition ein, um St. Paul zu verlaflen, wo fie zum 
Andenfen an ihre Thätigfeit aus großen Felfenftüden ein 
Dentmal in Form einer Pyramide errichteten, welche eine 
Höhe von 9 und einen Umfang von 24 Meter hat. Sie 
wird nad abermals hundert Jahren eine Expedition zur 
Beobachtung des Durchganges der Venus durch die Sonne 
zu gleicher Ausdauer und gleicher Tätigkeit ermuntern, welche 
die franzöſiſche Erpedition unfers Jahrhunderts unter der 
Leitung Mouchez' zum glüclichen Ziele geleitet haben. 


Zur Sulifrage 


Lima, im Juli 1875. 

Bei Gelegenheit ber Ausbeute der neu entdedten Guano⸗ 
lager im Süden von Peru ift auch die Kulifrage wieder an- 
geregt worden. 

In Europa wird aus philanthropifcher Abficht häufig 
fehr viel gefehlt gegen das Intereſſe fänmtlicher bei dere 
gleichen Fragen Betheiligten und größtentheild aus Mangel 
an Kenntnig der Verhältniffe, welche um fie richtig beurthei- 
Ien zu fönnen, nicht nur an Ort und Stelle ftudirt werden, 
fondern auch mit analogen an anderen Punkten verglichen 
werben mliflen. 

In Californien tritt die Chinefenfrage aus einem 
Stabium im das andere, Herbeigewlnſcht, gefucht, bewill- 
fommmet, gebraudjt und für nützlich erfannt, find die Kulis 
dort jet Gegenftand der Anfeindung feitens berer, welche 
ſich des bequemen Mittels, der Striles, zur Erreichung ihrer 
Abſichten durch jene beraubt fehen. Petitionen über Petir 
tionen mit vielen Tauſend Unterfchriften bededt (eine der— 
jelben zählte 22,211) verlangen vom Congreß eine Beendi- 
gung ber Einwanderung von Chinefen, d.h. eine Verdrängung 
derfelben vom Arbeitsmarkte, weil fie zu — billig arbeiten. 

Man follte glauben, jo etwas fei nur in Amerifa mög: 
lich; aber auch in anderen Welttheilen treten ähnliche Sym⸗ 
ptome auf. 

In Auftralien wehrt ſich die Arbeiterclaffe wenigſtens 
ebenfo energisch gegen die Concurrenz der eingewanderten 
Kulis, wie in San Francisco. Der — eines 
Minenſtrikes bei Bictoria durch Annahme von Chineſen 
feitens der Bergwerkseigenthlimer wurden fogar Barricaden 
entgegengejeßt — und bie Preisverderber mußten weichen, 

ar erfichtlich ift ans ſolchen Vorgängen, die ſich hun— 
bertfältig wiederholen, daß die Kulis felbft da, wo weiße 
Arbeitskräfte vorhanden find, wohlfeiler und gewinnbringen+ 
ber zu verwenden find, als erftere; aber ihre Verwendung 
findet Hinderniffe am Widerftand der Weißen, die ohne 
Rüdficht auf das Wohl des Ganzen gewaltfam auf Erhöhung 
der Löhne, Herabfegung der Arbeitszeit und leichtere Erlan— 
‘ gung von Genußmitteln dringen. 


Das mehr oder weniger leicht erzwungene Nachgeben 
ber Arbeitgeber führt dann auf bie abichitffige Bahn, auf 
ber fein Halten mehr ift, bis zu dem Punkte, auf welchen 
die Calamität in den Vereinigten Staaten heute gelangt ift, 
und die in Europa auch Unheil genug angerichtet hat. Die 
Arbeitslöhne waren und find eben zu hoch! Wie aber, wenn 
ſich billigere fänden ? Wohl finden ſich deren. Die Chine- 
fen, weldye ſich bei ſehr nlidhternem Leben glüdlic fchägen 
wirden, in ihrem Baterlande die Hälfte des im anderen 
Yündern gezahlten Lohnes zu verbienen, weil fie nicht bes 
Aufwandes bedürfen, dem ein weißer Arbeiter beanſprucht, 
wandern gern aus, wenn ihnen die Möglichkeit geboten wird, 
mehr ala da wo fie geboren find zu erwerben. 

- Die an vielen Stellen des Himmlifchen Reiches herr 
fchende Uebervölkerung, welche fogar unter gewiſſen Umftäns 
den den Kindermord ungeftraft hingehen läßt, zwingt die 
ärmeren Bewohner zur höchſten Entwidelung ihres Scarf- 
finne, um fi) das tägliche Brot, das bischen Keis, zu er 
obern und fo das Dafein zu friften. Bon Kind auf an 
ftetige Beichäftigung gewöhnt, genügſam im höchſten Grade, 
aber doch ihrer traurigen Situation bewußt, find die Chiner 
fen, namentlich die ber weitern Umgegend von Macao, 
gern bereit, den heimathlichen Boden oder den Quadratmeter 
Waſſer, auf dem fie wohnen, zu verlaflen und nad) Ländern, 
deren Himatifche Verhältniſſe und Producte denen ihrer Im» 
gebung gleich oder ähnlich find, in Maſſen auszumandern, 
um da mehr zu erwerben als zu Haufe. 

Daß fie in Gegenden, wo fchon weiße Arbeiterclaffen ı 
niederer Stufen eriftiren, großen Bedrängniſſen, ja fogar 
Berfolgungen entgegengehen, die ſich erft nad) und nach ent« 
wideln und drohender werden, wiffen fie freilich nicht. Das 
weiße Proletariat, on zeitweiſes Terrorifiren nach oben ge 
wöhnt, wendet daſſelbe Princip auch nad) nnten an, wenn 
es feine Forderungen bedroht ficht. 

Mögen fic die Berhältniffe in folchen Ländern, wie die 
erwähnten, auch gejtalten wie fie wollen, feinenfalls hat die 
Einwanderung ber Kulis die Productionsfähigfeit vermindert, 

It jene aber dort wenigftens wünjchenswerth für größere 


Zur Kulifrage. 29 


Entwidelung der natürlichen Hülfsquellen, fo ift fie nothe 
wendig, unumgänglich nothwendig fllr bie Yänder, in welchen 
feine einheimijche Bevölferung eriftirt, die darauf angewiefen 
ift, ihren Unterhalt durch Arbeit zu verdienen. 

Diefes ift namentlich im wärmern Amerika der fall, 
Bevöllerung für ſich allein liefert micht immer Arbeiter, 
Faſt in gang Sübamerifa ift nördlic des Wendekreiſes 
(mern wir von einigen Stämmen Bolivias und Perus 
abjehen) auch nicht ein einziger Indianerſtamm vorhanden, 
den man zum Arbeiten hätte brauchbar machen können; fie 
find und bleiben Wald» und Fifchernomaden, In den Tropen« 
zonen biefes Erdtheils reichen dreizehu Bananenbäume, deren 
Früchte in ben verfchiedenen Monaten reifen, hin, um einen 
Indianer mit feiner Familie zu ernähren; der Wald Liefert 
ihm das Haus, und der Erlös zweier Arbeitstage im Monat 
Glasperlen zum Schmuck und ausländische Lurusartifel. 
Warum fol er mehr arbeiten, wenn es gar noch unter feinen 
Nachbarn für erniedrigend gehalten wird, um Lohn einem 
Weißen zu Helfen? Glucklich mögen fie fein, den Begriff 
von Arbeit nicht zu kennen, und in ihrer Unfähigkeit, ben 
Eindrud des Beiſpiels anderer in fid) aufzunehmen; aber 
brauchbar find und werben fie nicht; cher gehen fie unter, 
Ya hierzu bebarf es bei vielen nicht einmal der Nöthigung 
zu leichter Defchäftigung. Bei mehreren friedlichen Horden 
der Norbwefttüfte Amerikas reichte das Einführen fogenann- 
ter zwedmäßiger Kleidung und Schlafens unter wollenen 
Deden hin, um Siechthum heworzurufen, Kein Verlehr 
mit weißer Bevölferung, feine Blattern, fein Feuerwaſſer, 
feine Syphilis war nöthig — der leiſe Hauch der Civilifa- 
tion genligte, fie langfam, aber unabwendbar Hinfterben zu 
machen. Und diefe Stämme waren fchon feßhaft; der Ins 
dianer ber Prärie, der Savana würde diefes Stadium erfl 
noch durchlaufen müffen; bei diefen beginnt dad Einrliden 
in den Ausfterbeetat daher um wenigftens eine Generas 
tion früher. 

Einheimifche Arbeitsfräfte waren und find alfo nicht vor: 


handen und nicht zu bilden aus den dortigen Elementen. 


Der Neger wurde herangezogen; die SHaverei trat auf, 
berem heutige Auffaffung bis vor kaum Hundert Jahren noch) 
nicht vorhanden geweſen. Selbft in England, das der ärgfte 
und erbarmungslofefte Sklavenhändler war, traten anfangs 
nur bie wohlwollenden Männer einzig gegen die Gräuel, 
die bei der Berfchiffung vorfamen, auf; die Aufhebung er 
folgte, und bie erwarteten wohlthätigen Refultate blieben nicht 
allein aus, fonbern kehrten fich in das Gegentheil um. Die 
Eolonien wurden ruiniert und die Neger befinden ſich wo 
möglich noch ſchlechter. Die Infeln und Küftenländer des 
Golfs von Merico liefern die traurigften Beweiſe Hierfltr. 
Der freie Neger arbeitet nicht cher, als bis er fic dazu ger 
zwungen fieht in einer nicht mehr zu umgebenden Weiſe, 
und fich ſelbſt Uberlaſſen vergißt er ſogar alles, was man 
ihm gelehrt hat. Das Zurückgehen der Republit Yiberia 
ift ein fehlagender Beleg hierfir, Zum. Unheilanrichten 
bleibt er aber befähigt (Haiti, Sädftaaten der Norbamerifa- 
nifchen Union sc.), wogegen feine Berwendbarfeit zu freier 
Arbeit unter den Tropen täglich abnimmt, Der freie Neger 
bleibt eben, jo viel es irgend angeht, Aftifaner und wird es 
unter Umftänden immer mehr. Ueber Racenanlage und bie 
verjchiedene Begabung zum Arbeiten ift der Ausipruch aller 
derjenigen, die Gelegenheit hatten, ein vorurtheilfreies Urtheil 
durch eigene Beobachtungen im verſchiedenen Welttheilen fid) 
zu bilden, von dem fehr richtigen W. L. Diftant’s („Slobus* 
XXV, 379) nicht abweichend. Unter den vier Nacen ift der 
Neger nur als Save zu gebrauchen, und der Chinefe, als 
freier, aber contractlich gebundener Arbeiter; die anderen beis 
den Racen liefern mit geringen Ausnahmen fein nittzliches 


Material. Die einzige Hitlfe befteht aljo in dem Heran— 
ziehen von Kulis nach den Gegenden, wo Weiße nicht arbeis 
ten lönnen; und die Erfahrung zeigt, daß beide Theile dars 
aus Bortheil ziehen. Der Chinefe hat großen Erwerbsfinn, 
gebeiht in Berührung und im Verkehr mit dem Europäer 
und denkt, wie biefer an die baldmöglichſte Rückkehr *). 

Die Anwendung des bisher Geſagten ergiebt fpeciell für 
den fübamerifanifchen Continent ein Refultat, das ſich in der 
Praxis ſchon volfländig und N bewährt hat, und das 
von deutjchen Beobachtern (den Offizieren von S. M. Schiff 
Augufta) durchaus beftätigt wird. „Die Colonie Britifd) 
Guyana, diedurd; die Abjchaffung des Sklavenhandels dem 
Untergange nahe war, ift durch Einführung von Kulis als 
Arbeiter wieder aufgeblüht und hat eine große Zuhunft vor 
fih. Das auf diefe Weife entftandene Verhältniß hat ſich 
für beide Theile als gewinnbringend bewährt. Das Yoos 
dieſer Leute hat ſich unter der Protection des Staates fehr 
erträglic; geftaltet. Sie find gut untergebracht und haben 
einen verhältmigmäßig geringen Arbeitsdienft. Viele Hun— 
dert haben aber im folge der Weife, wie die Protection gegen 
bad berechtigte Intereſſe der Befiger gelibt wurde, Guyana 
mit großen Geldfummen verlafjen.“ 

n Brafilien wird baffelbe ftattfinden; denn wie foll 
fid) die Eultivirung und Bevölkerung der reichgefegneten 
nörblichen Provinzen diefes Kaiſerreichs weiter ausführen 
laſſen, wenn das Sklaventhum erlifht? Cs ift nicht abzu« 
jehen, durch wen die Ürbeitsleiftungen der Neger, fobald bie 
Feſſel der Yeibeigenfchaft von ihnen genommıen, erjegt werden 
wird, und wie befannt, werben jet feine Sklaven mehr ges 
boren. Erfahrungsmäßig arbeitet der freie Schwarze nicht 
freiwillig, und er braucht nicht zu arbeiten, da er in jenen 
Ländern überall feinen Febensunterhalt ohne Arbeit findet. 
Europäifche Einwanderer thun feine Stlavenarbeit fir An« 
dere, und außerdem ift ihnen das Klima verderblich; alſo 
erjcheint bie Huliiberfiedelung das geeignetfte Mitte. Bes 
treffende Berhandlungen find Hierzu auch fchon angeknüpft. 
Und fo, wie hier und dort, auch in Peru. 

Auch da ift der Boden reich gefegnet, aber das Klima 
wegen der Nähe ber Anden ein bei weiten befieret, als in 
Drafilien, Aud) da ift er nicht allein ergiebig genug, alle 
feine Finder zu ernähren, fondern er befigt noch Naturreich- 
thumer in unendlicher Menge, welche nur auf Hände warten, 
um nugbar gemacht zu werden; und emropäifche Einwandes 
rung, die wegen großer Entfernung ſehr ſpärlich fich zeigt, 
verſchwindet im dem großen Yande aus ber Reihe derer, die 
fle Geld dauernde mechaniſche Hulfe leiften, indem ſich die 
Immigranten fehr bald felbft unabhängig machen, oder weil 
die Privatleute, welche fie aus Nordamerifa ober Europa 
kommen ließen, vorziehen, fie raſch anders und beffer denn 
als Handarbeiter zu befchäftigen. 

Wie aber nun die chinefifche zur bremmnendften Frage 
gewordene Einwanderung von Kulis einrichten und in 
Fluß halten? 

Ein Chinefe, der nur fo viel befigt, um feine Ueberfahrt 
nad) Callao, San Francisco oder Melbourne zu zahlen, 


*) Im Bericht über den internationalen Congreß ter geographiſchen 
MWiftenfchaften zu Paris ſagt Ar. v. Hellwalb: Immer mebr 
brach fi bei ter Mebrbeit die Erkenntniß Bahn, daß ter Europäer 
zur Verrichtung ſchwerer Arbeit in ten Tropen ungeeignet fei und 
bödhftens mit feinem materiellen und geiftigen Kapital fih an ber 
Kolonifationsarbeit betheiligen fönm. Hindu und Gbinefen — 
dies ward fo zjiemlib allgemein anerfaunt — find bie zur Goloni⸗ 
fation ber Trepenländer geeignetſten Racen. Mit diefer Erklenntniß 
dünft ums ein wichtiger Schritt im der Auffafſung des arfammten 
Golonialwesens geſchehen und dieſes mannbafte Aueſprechen einer 
gegen tie herlömmliche Phrafe anlämpfenden Wahrheit wird ein 
bleibenbes Werbienft des Pariſer Gongrefles bilten. 

(Das Ausland 1875. Nr. 38, S. 752.) 


30 Zur Kulifrage. 


braucht ben vaterländifchen Boden nicht zu verlaffen; aber 
Hunberttaufende, um nicht zu jagen Millionen, löütnen an 
einem Tage nur von dem Verdienſte des verflofienen leben 
oder hungern; und tritt num gar eine Calamität, wie Miß- 
ernteetwa, ein, fo ftirbt ein bedeutender Procentfag im Elend, 
und dad menſchliche Unglüd präfentirt ſich in grauenvollfter 
Weife, und im Binnenlande noch entjeglicher, als in den 
Küftenftädten, wo durch maritimen Verkehr mehr Mittel für 
Milbthätigkeit vorhanden find. Namentlich folde Jahre 
begünftigten anfangs die Maffenauswanderung ſehr. 

Seitens der Regierungen der Staaten, weldye der Kulis 
beburften, konnte und kann fir die Förderung ber chineſiſchen 
Einwanderung jedoch direct weniger geſchehen, als für bie 
bon Europäern oder Nordamerifanern, wie z. B. ermäßigte 
oder Foftenfreie Paflage, um dem Preis der legtern nad; und 
nad; abverdienen zu laſſen; alle ſolche Mittel find den Chi- 
nejen gegenüber nicht anwendbar ; denn als Oftafiaten ift 
ihnen ein gegebene® Berfprechen auch nicht allzuheilig, und 
im falle einer Ortöveränderung ift faum bie Identität einer 
Perfon nachzuweiſen, indem die Aehnlichkeit unter Indivi« 
buen von annähernd gleichem Alter umb gleicher Statur zu 
groß ift. Fur einen entlaufenen John Chinaman finden ſich 
an einem andern Punkte ftet viele, von denen Niemand 
fagen faun, ob einer von ihmen der entlaufene ift, jo daß 
für die Negierungsbeamten keine Möglichkeit vorhanden ift, 
die Koften der ausgelegten Ueberfahrt wieder einzutreiben. 
Anders bei Weißen. in folder aus einem Staate mit 
einigermaßen geordneter Verwaltung fann fid heutzutage 
faum irgendwo auf die Dauer verleugnen ober verbergen. 
Es gehört dazu ſchon der brafilianifche Urwald, das Innere 
Afritas oder das öde Binnenland Auftraliens; anßerdem 
fann man überall feiner habhaft werden; bei zwanzig Chi⸗— 
nefen wird man aber ſtets irren, Außerdem find uns chine ⸗ 
ſiſche Sprache und Namen durchaus fremb und noch unzu—⸗ 
gänglid). j 

Die Beihaffung von Kulis nad) Peru muß daher Privat- 
leuten überlaffen bleiben, und hieraus ergiebt fid) ſehr Vieles, 
tiber das mit großem Umrecht von Theoretifern der Stab ger 
brochen worden ift. 

Der peruanifdye Gruudbeſitzer bedarf für die Cultur feis 
nes Landes Jahr aus Yahr ein fo ziemlich derfelben Menge 
von Arbeitern. Der äuferft fruchtbare Boden vergilt unter 
einem durch die Humboldt-Strömung und hohe Berge ges 
mäßigten Klima mit großer Dankbarkeit alle aufgewanbte 
Mühe, und die verhältnißmüßig fehr ſchwache Bevölterung 
liefert deshalb aus ihren unteren Schichten nur wenige 
Fohnarbeiter. Der Geringfte hat genug, um feines Dafeins 
froh zu werben, und mit Recht kann man fagen, baf jeder, 
der etwa dort wie überhaupt in Sildamerila, Hungers ges 
ftorben ift, Gold in der Taſche gehabt hat; denn mur im 
menfchenleeren Gegenden fann fi) das ereignen, und in 
folche treibt der Forſchungsgeiſt nur Nepräfentanten ber 
höhern Stände. Ein Armer betritt nicht aus eigenem Ans 
triebe ihm fo fern liegende Regionen. 

Arbeitermangel machte ſich ſchon feit vielen Jahren zum 

rößten Nachtheile des Yandes im hohen Grade geltend, 

Dazu haben die Eiſenbahnbauten in Peru bie Taglöhner, 
welche etwa gegen hohen Lohn noch aufzutreiben geweſen 
waren und zu welden aud; Chile ein großes Contingent 
geftellt hat, angezogen. Die Reis⸗, Zuder- und Baunt- 
wollencultur lann ſich alfo nur auf die Ehinefen, die flir 
ländliche Arbeiten ganz geeignet find, aber für Berg: und 
Eifenbahnbau keine himreichenden Kräfte befigen, ftügen. 

Die Großgrundbefiger traten alfo zufammen und errich— 
teten in Macao jelbft Bermittelungsbureaur. Dort verdin- 
gen ſich die Chinefen für einige Jahre, um ihre Ueberfahrt 


throp, 


zu on und für etliche weitere gegen den lanbesüblichen 
Tage Hierbei darf nicht überſehen werden, daß bie 
Schiffe von Callao aus in Ballaft nach China gehen müf- 
fen, weil die Einrichtung für Hunderte von Paſſagieren feine 
Waarenladung zuläßt. Große Bequemlichkeiten find freilich 
nicht zu ſchaffen; wer aber wohlhabende, freie Kulis in Lima 
hat wohnen und fchlafen fehen, betrachtet ein ſolches Schiffe- 
innere boch mit anderen Augen, als ein abftracter Philan- 


Während ber Ueberfahrt find die Kulis im Anfang 
meift unter ſich im Hader; es finden fich viele ftreitflichtige, 
und ihr Mißmuth wird noch durch die Reiſe bebeutend vers 
mehrt. Die nöthigen Sicjerheitsmaßregeln, die während 
ber ganzen Paflage genau inne gehalten werden müffen, tra 
gen auch in der erften Zeit nicht dazu bei, ihren Aerger zu 
vermindern. Die anfänglicien Selbftanflagen verwandeln 
ſich bald in Vorwilrfe gegen die Gefährten; Unruhe entfteht 
und fann nur durch energifches Dazwifchentreten der Mann⸗ 
fchaft befeitigt werden. Die oftafiatifche Wildheit aber macht 
fi, obwohl feine Gegenftände, die als Waffen dienen könn⸗ 
ten, in ihrem Bereiche find, doch geltend, und bie anfäng- 
lichen Streitigkeiten, bie ſich in Fauſtlämpfe, Enwlirgen und 
Beißen anfgelöft hatten, werden fpäter erbitterter, wo dann 
Schritte gethan werben müffen, unter denen auch Unfchulbige 
mit zu leiden haben. Matürlic, wird dadurd das Verhält- 
niß zwifchen der Mannſchaft des Schiffes und den Kulis 
ein immer gefpannteres; eim bivectes Verſtändniß mit ben 
Unrugeftiftern ift unmöglich, weil fein Theil des andern 
Sprache verfteht, und fo fleigert ſich die gegenfeitige Anti- 
pathie. Wer aber glaubt, daß es Capitäne gäbe, welche nur 
aus übler Yaume oder aus Neigung die armen Kulis an 
Bord peinigten, fann bloß aus den Scyauerfcenen der Ro- 
mane und Piratengefchichten es gelernt haben. Schon die 
eigene Sicherheit bed Lebens am Yande, nachdem die Chine- 
fen e8 betreten haben, zwingt die Mannſchaft möglichſt alles 
zu vermeiben, was ihnen die blutige Vergeltung eines Kuli 
bringen könnte, en eim ſolcher feine Rache verber- 
gen, um fie im günftigen Augenblide auszuführen. Man hört 
aber in Gallao und Yima, wo doch fehr viele Ehinefen unter 
ber Bevölferung find, faum von einem Mordanfall durd) 
einen biefer auf Seeleute, die auf Kuliſchiffen fahren. Wohl 
aber vreignet es ſich nicht felten, daß ein gelber Chinaman 
einen Capitän anhält, ihn begrüßt und in gebrochenem Spar 
niſch erzählt, er habe die Fahrt mit ihm gemacht ıc., aber 
ſehr oft Halb verftimmt geht, weil ihm der Capitän nur ant: 
worten fann, daß es wohl möglich fei; daß er ſich aber nicht 
mehr beftimmt erinnere u, f.f. 

Eine Milderung des ſtrengen Syftems an Bord eintrer 
ten zu laffen, nachdem ſich Zeichen einer ſchnellen Beruhigung 
eingeftellt, ift im höchſten Grade gefährlich. Diefe ift fehr 
häufig der Borbote eines Orcans. Schon mehrere Capitäne 
haben mit den Ihrigen das größere Maß von freiheit, wel- 
des fie ihren Kulis an Bord zugeftanden, nachdem dieſelben 
ſich anfcheinend vertragen hatten, durch ihr Leben bezahlen 
muſſen, ohne daß aber deshalb nur einer von jenen feinem 
Berderben entronnen wäre. Todesftrafe fchredt weder den 
Betroffenen noch feine Gefährten. Sie glauben fofort wie- 
ber lebend in ihr Land zurildverfegt zu werben, wenn ihnen 
in fremder Erde das Dafein genommen ift. 

Es bleibt alfo nichts übrig, als am Tage der Einſchiffung 
ſchon ein fo ſtrammes Regiment einzuführen, das nur in 
höchft geringfügigem Grade Modificationen geftattet. Nur 
in ber eifernen Confequenz des Feſthaltens an dem, was 
für nothwendig erfannt war zur Erreichung bes vorgeftedten 
Ziels, liegen die Bedingungen des Gelingens. Natirlicher 
Deife liegt es im Intereſſe des Capitäns, feine Chineſen 


Aus allen Erdtheilen. 31 


in mögfichft großer Anzahl und in möglichſt guter Geſund⸗ 
heit landen zu laffen; denm das große Kifico, das er gegen 
fi felbft und feine Auftraggeber als Mitbetheiligter Über» 
nommen bat, fchließt ſchon aus, dag er feinen Berbienft 
durch unnöthige Graufamleit und ſchlechte Behandlung der 
Anvertrauten fchmälere. Hierbei ift nur der Standpunkt 
des Gewinns ind Auge gefaßt worden; der der Menſchlich— 
feit, welchen man in Europa immer als Hauptgrund philan« 
thropifcher Veftrebungen anfilhrt und der in fo unberechtig ⸗ 
ter Weife von dort immer hingeftellt wird als nicht eriftivend 


bei denen, bie viel mit Menfchen niedriger Stellung, aus- 
ſchließlich als Gebieter, zu verlehren haben, ift hier, nament- 
lich im fpanifchen Südamerila, ein mindeftens eben jo hoher 
als dort, wo durch faft tägliche Berührung mit der großen 
Mifere des Pauperismus das Mitleid ſich abftumpft, aber 
nur, um ſich mac) fernen Gegenden hinzumenden, von denen 
einfeitige Berichte das zu Haufe bei Seite geſetzte Gefühl 
wieder zum Durchbruc)e bringen. Es ift eben derſelbe Fall, 
wie bei den chriftlichen Miffionen, wo auch der biblifche 
Balken und Splitter. zuc Anwendung fommt. 


Aus allen Erdtheilen. 


Ermordung des Commodore James Graham Goodenougb. 


- R. 6. Man wird fich erinnern, daß vor zwei ober drei 
Jahren der melanefilhe Biſchof Vatte ſon, ald er die Heine 
Inſel Nulapı in der Santa⸗Cruz-Gruppe befuchen wollte, 
bei feiner Landung von den Eingeborenen, in deren Cauoe 
er ſich vertrauensvoll hatte and Land fegen laſſen, meuch— 
leriſcher Weife getöbtet wurde. Der Grund ift mie aufgeflärt 
worden. Wahrſcheinlich war Blutrache dabei im Spiele, 
indem die Infulaner für ein beſonderes Unrecht, welches 
räuberifche Schiffe (kidnapping) an ihrem Volke begangen 
hatten, Race nehmen wollten. 

Ein gleiches Schidjal hat nun den Commodore Goo be: 
nough des britifchen Kriegsſchiffes Pearl, welcher die in 
Sydney ftationirte ottille commanbdirte, betroffen. 

Die „Pearl“ verließ Mitte Juni 1875 Sydney, um 
den zum erften Gouverneur der Fidſchi-Inſeln ernannten 
Sir Arthur Gordon an feinen Beftimmungsort zu bringen. 
Bon da begab ſich der Commodore auf eine Rundreiſe in 
der Südfee, um genauere ſteuntniß der Infelbewohner zu 
gervinnen und freundliche Verbindungen mit ihmen anzu— 
nüpfen und zu befördern. Er fand überall wohlwollendes 
Entgegentommen, bi er am 12, Anguft nah Santa Cruz 
fam, ber größten unter ben fünfzehn Juſeln des gleichnamti- 
gen Archipels. Als der Commodore hier landete, war eine 
beträchtliche Anzahl Eingeborener am Strande verfanmelt, 
welche eine freundliche Gefinnung erheuchelten, Geſchenle an: 
nahmen und fich in Taufhhandel einliehen. Daraufhin be: 
fuchte der Commodore mit einigen Offizieren und Matrofen 
ein in unmittelbarer Nähe liegendes Dorf. Man batte, um 
Mißtrauen zu vermeiden, ſämmtliche Waffen im Boote lie: 
gen lajlen. Da plötzlich traf ein Pfeil den Commodore in 
der linken Seite und ein zweiter am Kopfe, und außer ihm 
wurden noch fünf Matrofen verwundet. Erſt ald man die 
Boote erreichte und nun ſcharf geichoffen wide, wobei zwei 
Eingeborene fielen, ergriffen diefe die Flucht. Nachdem das 
Kriegsſchiff das Dorf eingeäſchert hatte, nahm es einen ſild⸗ 
lichen Cours, um die Verwundeten in ein kühleres Klima 
zu bringen. Allein der Commodore ftarb am %. Auguſt; 
am Tage zuvor der Scemann Edward Rayner und am 
Tage nachher der Seemann Frederick Smale. 

Am 24. Auguft fand das Begräbniß der Gefallenen in 
Sydney ftatt; es war bad ehrenvollſte und glänzendſte, 
welches Auftralien je gefehen batte, 

Der Commodore, einer ber tüchtigften höheren Marine: 
offiziere, ftarb in dem jugendlichen Alter von 44 Jahren. 
Im hinefichen Kriege ward er wegen feiner Bravonr beim 
Angriffe auf Canton zum Commander ernannt. Nicht 
minder auögezeichnet war er ald Menſch. Er war ein echter 
englifcher Gentleman und erfreute fi) der höchſten Achtung 
in allen Kreifen der Geſellſchaft. Für die Südſee Inſulaner 
zeigte er eine befondere Theilnahme ‚und gerade er war es, 


welcher den ſchändlichen Menichenranb, der in ben letzten 
Jahren fir Fidſchi und Queensland in ber Südfee betrieben 
wurde, mit aller Energie und Strenge unterbrüdte Er 
binterläßt eine Wittwe und zwei Knaben. Die Nomiralität 
in London fchidte, im befondern Auftrage der Königin, an 
biefe am 27. Anguft eine Beileibsdepeiche, und in Sydney 
—— man, dem Commodore ein öffentliches Denkmal 
zu ſetzen. 


** 4 


— Der König von Siam, ein Freund der Aſtronomie 
und verwandter Wiffenfchaften, bat die Herausgabe einer 
kurzen Encyclopädie feines Meiches angeordnet, zu welcher 
er ſelbſt die Vorrede fchreiben will. Es foll darin die Ge— 
ſchichte, Geographie, Literatur, Verfaffung u. |. w. von Siam 
abgehandelt werden; von befonderm Intereſſe werben Bocar 
bularien einiger wenig befannten Dialekte von der öftlichen 
Grenze bes Landes fein. 

— Mit der Bitte um Veröffentlichung gebt uns folgende 
Notiz zu, welcher der „Blobus* um fo williger feine Spal: 
ten öffnet, als er felbft auf bildliche Darftellungen ans frem- 
den Ländern und aus ihrem Bolls: und Thierleben großen 
Werth legt und darin ein micht zu unterſchätzendes Moment 
zur Verbreitung richtiger Anjchauungen ficht. 

„Die von dem verjtorbenen Thier: und Laudſchaftsmaler 
Robert Kretfchmer binterlaflenen vielen hundert Aquarell: 
und Bleiftiftzeihnungen gehören nuftreitig au den beiten 
Leiftungen ber deutichen Kunft auf oben bezeichneten Bebieten. 
N. Kretſchmer bat eine lange Reihe von Wanderjahren, wäh— 
rend deren er faft alle Länder Europas, das Nilthal in 
Hegypten, die Steppen und Hochgebirge Abeſſiniens perföns 
lich lennen lernte, redlich dazu bemust, ſeine Sti her 
mit einer wahren Ueberfülle des foftbarjten Materiald zu 
verjehen. Daffelbe findet fich in drei ftarfen Mappen in groß 
Folio niedergelegt, von denen das zoologiſche, die Sänge- 
thiere, Vögel, Amphibien und Fiſche betreffende feinem Inhalte 
nad Blatt für Blatt von Profeffor Robert Hartmann 
in Berlin genau fatafogifirt worden ift. Dieſe zum Theil in 
beftechender Farbenpracht größtentheils nad lebenden 
Eremplaren bargeftellten Thiere überraſchen durch ihre 
ungemeine Naturtreue, durch die Anmuth ber ſtets glücklich 
aufgefaßten Stellung, durch die Schönheit, die Zartheit der 
Detailausführung. Diefe zoologiihe Sammlung ift wohl 
werth, in irgend einer größern Staatsfammlung dem wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Publicum zugängig gemacht zu werben. 

„Die herrlichen Landicaftöfcenerien aus einigen der 
Ihönften Theile Afrikas, die Vegetationsbilder aus der abef- 
finifhen Tropenwelt, die Borträts und Gruppen äthiopifcher, 
äghptiſcher und türkifcher Eingeborener, welche der geniale 


32 Aus allen 


Künftler binterlaffen, würden jede öffentliche Sammlung eines 
jeden Landes zieren. 

„sntereffenten fteht das Verzeichniß dieſer 
Aauarellen und Bleiftiftzeihnungen zu ſammenge— 
ftellt von Prof. R. Hartmann in Berlin unentgelt- 
lich zu Dienften, und wollen fich diefelben zu diefem Behuft 
an die Erpedition der „Jluftrirten Zeitung“, an Seren Otto 
Spamer in Leipzig oder an die Wittwe, Frau Erneitine 
Kretſchmer, Infelftraße Nr. 14 in Leipzig, wenben.* 

„Der Ankanf diefer umvergleichlichen Hinterlaſſenſchaft, 
welche zugleich das einzige Erbtbeil einer trauernden Wittwe 
und mehrerer noch umverforgter Kinder bildet,“ jo enbigt 
Profeffor R. Hartmann in Berlin feine empfehlende Einfeis 
tung zu dem erfchienenen Kataloge, „kann kunſtſinnigen Bes 
börden und privaten Kunftmäcenen nicht dringend genug 
anempfohlen werden.“ 

— Waldverwüſtung in der argentinifchen Re: 
publif, Weber die wie im der ganzen Welt fo auch in 
der Argentina graffirende Waldverwüſtung ſchreibt Ang. Kahl 
in der oft von und erwähnten „La Plata Monatsjchrift* : 
„Banmlos darf man die Pampa (am Rio Segundo, füdlich 
von Cordoba) nicht nennen; vereinzelte Talas (Celtis) 
und Quebrachos in Abitänden von 100 bis 20 Schritten 
bebeten fait das ganze Gebiet. Diefe Spuren einftiger Ber 
waldung Ichwinden indeß mehr und mehr; die Vampa— 
brände im Berein mit ben Eingeborenen, welche feine Für: 
forge fennen und immer nur füllen, obne für Nachwuchs zu 
forgen, werben auch diefe bald vernichten. Ja, bei diefem 
Syftem wird es überhaupt eine Frage, ob die Wälder in 
ber Provinz noch ein paar Menfchenalter andauern, 

Der mütlichfte allee Bäume am Rio Segundo, der Al— 
garrobo (Prosopis duleis), ift zugleich der am meiften vor: 
fommende; in einer Entfernung von 1 bis 2 Meilen vom 
Rio Segundo bildet er allein ausgedehnte Waldungen, bie 
fi) viele Meilen weit hinziehen. Seine dem Johannisbrot 
ähnliche und ähnlich ſchmeckende Frucht, deren der Baum 
eine große Menge liefert, gewährt dem Menfcen eine ange: 
nehme Nahrung, fei fie roh oder gemahlen als Brot (Patay) 
zubereitet genofjen. Auch weiß der Eingeborene aus derfel- 
ben ein angenehmes, beranfcendes Getränt (Mlojo) ſowie 
Syrup herzuftellen, Für die Viehzucht ift der Baum von 
großem Werth; die Frucht wird von den Thieren außer: 
ordentlich gern gefreflen und macht fie in kurzer Friſt fett. 
Außerdem ift das Holz des Baumes für Bauzwede koſtbar; 
es ift zäh und hart wie Eifen und fault nur äußerſt lang: 
ſam. Um fo mehr ift es zu bedauern, daß ein fo nützlicher 
Baum nicht achegt wird; anftatt für feine weitere Verbrei— 
tung Sorge zu tragen, wird er von den Eingeborenen uns 
barmberzig niedergehanen, um zu — Srenerbolz bemutzt zu 
werben.“ 

— Die füdanftraliihe Regierung will verfuchen, 
aus Deutichland einen Strom der Auswanderung nad 
ihrem Lande, wo man namentlich für zu erbauenbe Eijen- 
bahnen Arbeiter braucht, ins Leben zu rufen, nachbem der 
Verfuch, in Großbritannien durch dahin geſchictte fogenannte 
„Lecturers*, welche den Leuten parabiefiiche Schilderungen 
über Südanftralien entwarfen, mehr oder weniger Fiasco 
gemacht, anf alle fälle den gebegten Erwartungen nicht ent- 
fprochen hat. Belagte Regierung hat, zur Rorbereitung dar: 


Erdtheilen. 


auf, eine Broſchüre: „Anleitung für Answanderer nach Ade- 
laide, Südauftralien, Adelaide 1874" anfertigen laflen, welche in 
Dentichland gratis vertheilt werden ſoll. Uns liegt ein Eremplar 
vor, auf fehr gebuldigem Papiere gebrudt. Darin ftehen 
gar manche Dinge zu leſen, die man eben glauben muß, um 
fie fiir wahr zu halten, Wir könnten einen langen Aufſatz 
darüber und dagegen fehreiben, wollen uns aber für heute 
damit begnügen, die Preife fiir Lebensmittel au berühren, 
welche in Mdelaide „Tämmtlich billiger fein jollen als in 
Dentichland.“ Zu dem Ende geben wir die Preife wie fte 
wirklich im Juli dieſes Jahres in Adelaide gezablt wur: 
ben, und da mag Iman Selber vergleichen. Gin Brot (zwei 
Pfund) koſtete 3 Sgr., ein Pfund Mehl 1%, Spr., Rinb- 
3%, bis 6%, Sur., Hammel: 21, bis 5 Ser, Kalb- 5 bis 
6%, Sar., Schweinfleilh 6 bis 6%, Spr., Schinfen 12 Sar., 
Speck 10 Sgr., ein Huhn 20 Sar., eine Gans 1 Thaler 20 
Sar. bis 2 Thlr, ein Puter 2 Thlr. bis 3 Thlr. 10 Ser., 
ein Paar Tauben 15 Spr., Butter 15 bis 181%, Sar., Käſe 
10 Sar., ein Dutend Eier 15 Sur, ein Quart Mild 3%, 
bis 5 Sgr., 14 Pfund Kartoffeln 10 Sgr. u. ſ. w. Wenn 
man diefe Preife mit denen in Dentichland vergleicht, fo be: 
greift man nicht, wie diejelben ſämmtlich billiger fein follen. 
Gemüſe und Früchte (werm man etwa Weintrauben aus: 
nimmt) find erheblich theurer als in Deutfchland, 

— Lientenant Cameron, welcher von der Londoner 
geographiichen Gejellfchaft 1873 ansgefendet wurde, um Li: 
vingftone aufzufuchen und ihm Hülfe zu bringen, bat gfüd- 
lich den afrikaniſchen Kontinent von Often nach Welten burdh- 
meflen und im November 1875 bie portugiefifchen Befigungen 
an der Küfte des Atlantiſchen Oceans erreicht. Am 21. Fe— 
bruar 1874 fangte er am Tanganhikaſee fait auf berfelben 
Ronte, wie vor ihm Stanley an; durch eine Anzahl Breiten: 
und Höhenbeftimmungen legte er feinen Weg fo gut als mög- 
Lich feſt. Bor Udſchidſchi Vanbte er die noch daſelbſt befind- 
lichen Tageblicher und Karten Livingftone'® nach England 
und führte dann vom 18, März bis zum 9. Mat 1874 eine 
vollftändige Aufnahme der fildlichen Hälfte des Rieſenſees 
aus, wobei er am 3, Mai den Lukuga, den Ausfluß bes 
Tanganyika nach Weften, vermutblich zum Congo hin, ent- 
deckte. Siebenzehn Tage fpäter fuhr er denſelben hinab nach 
Weiten und entſchwand jo auf länger ald 1%, Jahr ben 
Biden der Welt. Schon wurden Beforgniffe um das Schie: 
fal des kühnen, tüchtigen Reifenden laut, als am 16. Decem⸗ 
ber 1875 folgende Depeſche von dem emalifchen Conſul Hop: 
fins in Loanda beim Muswärtigen Amte in London ein- 
traf: „Sientenant Cameron, R. N., Livingftone Eaft Coaſt 
Gentral African Expedition, langte am 19. Movember in 
Loanda an. Kam in Benguela berans. Alles wohl." Haft 
aleichzeitig erbielt Sir Henry Rawlinſon von dem Reifenden 
das Telegramm: „Alles gut abgelaufen; wurde durch wibrige 
Umftände gezwungen, die Congoronte zu verlaffen, habe aber 
Waſſerläufe zwiſchen Jambefi und Congo verfolgt.” 

Ein Blid auf die Karte zeigt, da Cameron auf diefem 
Wege Gebiete durchwandert bat, von denen und zwar nicht 
jede Kunde fehlt, welche aber theils nur erkundet, theils von 
nur werig gebildeten oder wenig berichtenden Neifenden, wie 
den Pombeiros, Grasa, 2. Magyar betreten wurden, fo daß 
wir näheren Nachrichten mit Spannung entgegenfeben dürfen. 


Inbalt: Die Wüſte Atacama. II. (Mit vier Abbildungen.) — Richard Andree: Nengranadiniiche Alterthümer I. (Mit 


zwei Mbbildungen.) — B. 


Denede Die neuvorpommerſchen Küften. IT. (Schluf.) — Die franzöfiihe VBenuserpebition auf 


St. Paul. Ron Albin Kohn. I. (Schluß) — Zur Kulifrage. I. — Aus allen Erdtheilen: Die Ermordung des Commodore 
James Graham Goodenough. — Verſchiedenes. (Schluß der Nedaction 18, December 1875.) 


Nedarteur: Dr, R. Kiepert in Berlin, &, W. Lintenftraße 13, IN Tr. 
Druf und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig. 


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Begründet von Karl Andree. 
In Berbindung mit Fachmännern und Fünftlern herausgegeben ‚von 


Mit befonderer Berüchfichtigun 


Dr. Ridard 





Braunſchweig 


Preis pro Band 12 


Die Wünſte 


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Jahrlich 2 Bände, Jeder Band enthält 24 Rummern. Monatlid 4 Rummern. 


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r Anthropologie und Ethnolonie. 


Kiepert. 


Mark, Einzelne Rummern 50 Pf. 


1876. 








Atacama. 


III. 


Der officielle Name des Silberminenbezirls iſt Cara— 
coles, d. i. Schnecken, jo genannt nach den zahlreichen Am— 
moniten und Belemniten, welche ſich in dem die foftbaren 
Adern einſchließenden Gefteine finden. Der Ort, welcher 
fi) bald im Mittelpunfte der Minen bildete und ſchon eine 
wahre Stadt geworben ift, heißt la Placilla. Garacoles 
befteht in einer 350 biß 600 Meter hohen Berggruppe in- 
mitten einer großen, fandbigen Hochebene. Es find röthlich- 
gelbe, vegetationslofe Kegel (cerros) und Ketten (serranias) 
von Porphyr, deren allgemeine Richtung eine norbfübliche 
mit geringer Abweichung gegen Often if. Die Ubhänge 
der Gerros find fteil; eine Menge von Unebradas durch⸗ 
ziehen das Ganze nad) allen Richtungen, fchneiden ſich und 
berzweigen ſich zu einem verwidelten Netz von Schluchten 
und Sclünden. Die größten derfelben führen zu Gruppen 
von Minen, wie die Quebrada de fa Placilla zur Mine 
Defeada, welche mehr als ein Viertel der ganzen Eilber- 
andbeute liefert. 

Das Klima ift hier ebenfo troden und gefund wie im der 
Wüfte, nur Dank der größern Höhe und der häufigen, von 
ben Cordilleren kommenden kalten Winde weit weniger heiß. 
Legtere haben ftets biefelbe Richtung und werben deshalb 
von einzelnen Minen bei der Kondenfation bes verlorenen 
Dampfes benugt. 

As Brefion Caracoles im Juli 1870 zum erften Male 
befuchte, ſtand dort nur eine Hütte von lofe auf einander ges 
ſchichteten Steinen, ein Zelt des Entdeders Don Joſé und 
fein eigenes. Bon 1871 datiren die erften Anfänge einer 


Globus XXIX. Mr. 3. 


Ortſchaft; jegt gab es ſchon mehrere folder Steinhütten, bei 
denen alte Teppiche oder Segeltuch die Stelle des Daches 
vertraten, welches in jenem faft vegenlofen Gebiete nicht for 
lider zu fein braucht. Die Mehrzahl der Einwohner lebte 
jedoch unter Zelten vom jeberlei Geftalt und Größe, welche 
höchſt unregelmäßig hier und da aufgefchlagen waren. Das 
Ganze bot einen erbärmlichen Anblid dar. Zu Anfang des 
Jahres 1872 hatte la Placilla jchon fein heutiges Ausfehen 
angenommen und zählte eine Bevölferung von 1500 Seelen. 
Ueberall erhoben ſich Häufer, matlirlic von Holz wie die in 
Mejillones, doch aud) einige von galvanifirtem Eiſenblech. 
Die Quebrada felbft gab den Straßenzug und die Bauflucht 
der Gebäude an. Auch ließ die bolivianifche Regierung für 
ben Unterpräfecten, feine Beamten und einiges Militär ein 
Unterlommen errichten. 

1873 gründeten ſchon Hanblungshäufer aus den Kuſlen⸗ 
ſtädten, namentlich von Balparaifo, in dem Minenorte Zweig-⸗ 
geſchäfte; Gaſthäuſer entſtanden, deren eines ſogar einen 
Theaters und Ballſaal flir 150 bis 200 Perſonen beſaß, 
Biürgerfteige wurden gelegt und die Gasbeleuchtung vertraten 
die Yaternen, welche jeder Hausbefiger allnächtlich an feine 
Thir hängen mußte. Noch beftanden die Gebäude nach wie 
bor aus Holz und Blech. 

Bei Breſſon's letztem Beſuche im Jahre 1874 war la 
Placilla bereits eine Meine Stadt von 2300 Einwohnern, 
mit ordentlichen Wohnhäufern, regelrechten ſich rechtwinklig 
fchmeidenden Straßen, wie das in Städten fpanifchen Urs 
fprungs Sitte if, Ein vierediger Play nimmt die Mitte 

5 


34 


Hl ai! | 


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Die Wüfte Atacama. 





La Blacilla im Jahre 1873, 


Die Wüſte Atacama. 35 


bes Ortes ein; am ihm befindet jich die Unterpräfechtr und 
daneben eine Heine Kirche, deren Erbauung aus freiwilligen 
Beiträgen zu Stande fam. Kurzum, im einem Zeitraum 
von vier Jahren hat ſich Hier mitten im der Wllfte eine Heine, 
aber gut bevölferte und wohlhabende Stadt entwidelt; bort 
zu leben wlirde gar nicht jo unerträglich fein, wenn erft die 
oben befprodjene Eiſenbahn vollendet wäre, 

Außer diefem Städtchen befigt aber Caracoles noch meh- 
tere hier und da zerjireute Dörfer, deren eines, das am Ein— 

ange der Tuebrada de la Placilla liegt, Magazine der 
Sn commercial de Caracoles und ſogar ein chileniſches 
Conſulat enthält. 

Die metallpaltigen Yagerungen von Caracoles beftehen 
in mächtigen, zufammenhängenden Adern und enthalten nur 
eine Heine Zahl von Mine: 
ralien, die ſich metallurgiſch 
leicht behandeln laſſen und 
von einer derartigen cher 
miſchen Zufammenfegung 
find, da in dem gereinigten 
Erze der Procentſatz des 
Silbers den aller anderen 
Metalle bei Weiten über— 
wiegt. In dem ganzen 
Diftriet, welcher bei 5 
deutichen Meilen Yänge eine 
Breite von durchſchnittlich 
2 Meilen hat, find nicht 
weniger ald 40,200 Gru⸗ 
benconceifionen ausgegeben 
worden, von denen jreilic, 
aus verfchiedenen Grlinden, 
unter denen der Mangel 
von guten Berkehräwegen 
einer der größten ift, nur 
400 bis 500 wirflid, aut 
genugt werden, Gin Tau⸗ 
ſend ift ſchon einmal bear 
beitet, aber vorläufig wier 
ber aufgegeben worden, und 
weitere zwei Taufend wers 
den von den Staatäbehörden 
als eriftivend anerkannt, 
weil fie die vom Geſetze 
vorgefchriebenen Schadjte 
befigen. Natürlich werden 
augenblicllich nur die amı 


geſetzte Welle. Das zu Tage beförderte Erz wirb auf bie 
„Cancha“, einen mit Steinplatten belegten Hof am Aus- 
gange des Stollens, gejchlittet, wo Arbeiter unter fteter Auf: 
ficht eines Majordomus die wertvollen Stüde von ben un— 
bemmgbaren ſcheiden. Erſtere werden im vier verſchiedene 
Claſſen gefondert und mittelft ſchwerer Hämmer in nußgroße 
Stüce geſchlagen. Bis 1872 beſaßen nur bie beiden Vlinen 
Defeada und Merceditas Stampfmafcinen, welche durd) ein 
Söpelmerk getrieben wurden, während jet ſchon in den be= 
deutenderen Minen Dampfmafchinen amerilaniſchen ober 
englifden Ursprungs arbeiten. Infolge deſſen ift micht nur 
bie Ausbeute geftiegen, fondern es find auch die Föhne her: 
untergegangen, ud während 1870 und 1871 ein barretero 
(Bergmann) monatlic, 240 Reichdmarf, ein canchero (Zer⸗ 
fleinerer ber Ürze) 160 
zer, Eee und ein  carrelonero 
(Gouhrmann) 260 erhielt, 
fo zahlt man ihnen jetzt 
nur reſp. 160, 120 und 
240 Reichsmark. Dazu 
muß man aber noch bie 
Nahrung und täglid uns 
gefähr acht Liter Erinf- 
waſſer rechnen, welche 
jeder Arbeiter erhält, und 
welche die Koſten pro Kopf 
and Monat um etwa 100 
bis 125 Mark erhöhen. 
Natirlicherweife ift das 
einzige Ausfuhrsobject von 
Caracoles Silber» und 
mitunter auch Kupfererz. 
Man hat auch ſchon an 
Ort und Stelle ſowie im, 
der Nähe die Erze zu ver 
arbeiten begonnen, wie in 
Garacoles, Galama und 
Chiuchiu; aber die Schwie⸗ 
tigleiten, Erze und Sohle 
zu transporiiren, fowie der 
hohe Preis des Waſſers und 
die großen Pöhne werden 
diefe Unternehmungen wohl 
faum zur Cutwidelung 
fommen laſſen. Solche 
Etabliffenrents können nur 
in den Küftenftäbten gebei« 
hen, wo man Kohle und 





leichteften zu bearbeitenden 
Minen und diejenigen, wel- 
che la Plaeilla am näcjten 
liegen, abgebaut, Ihre Erze müſſen mindeſtens 50 bis 60 
Mark Silber (a 230 Gramm im Werthe von 40,4 Reicht: 
mart) ergeben, weil fie fonft wicht den theuern Transport an 
die Küſte ertragen könnten, 

Trog aller diefer Hinberniffe beträgt heute die momatliche 
Ausbeute der gefammten Minen mehr als 23,000 Kilo: 
gramm feinen Silbers. Anfangs war ber Abbau ein fehr 
urmwüchfiger: man höhlte in der Richtung der Ader einen 
Gang aus, welden man mit rohen Stufen verſah, dann 
einen ziveiten damit parallelen mit rechtwinkligen Abzwei⸗ 
gungen, fo daß immer vierfantige Pfeiler ftehen blieben, denen 
man mit Hulfe des Pulvers zu Leibe ging. Auf den Rüden 
don Menfchen wurde das gewonnene Erz zu Tage geichafft; 


Bohlen-mit Kerben dienten als Leitern, Noch zu Ende bed | 


Jahres 1372 beſaßen nur vier Minen einen ſenkrechten 
Schacht und mur zwei eine von Maulthieren in Bewegung 





Bergmann in Garacoles. 


Arbeitöträfte leicht und 
billig zur Haud hat, 

Ter Handel von und mac dem Bergwertabifteict ıft 
ſchon ziemlich bedeutend; importirt werden namentlich Ma— 
ſchinen und Dafchinentheile, Steintohlen, Trinkwaſſer, Gerfte, 
gepreßtes Heu, Nahrungsmittel, Getränke, Kleidungsſtüide, 
Zelt: und Hausgeräth, und zwar gefchieht der Transport 
von der Küſte her im Wagen, welche bei ber Rucklehr Erze 
mitnehmen. Nur Trinfwaffer findet ſich in größerer Nähe: 
es wird aus einer Entfernung von 5 bis 6 deutjchen Meilen 
von Maulthieren entweder in feinen Tönnchen herbeigefchleppt 
oder in Waſſerwagen herbeigezogen. Man hat es in zwei 
Dualitäten ; die erfte loftete vor zmei Jahren 1 Mark pro 
3 Liter, jet halb fo viel, während die zweite Sorte viel 
billiger ift, aber brakifch jchmedt und felbft etwas Magrıefia 
und fchwefeljaures Salz enthält. Diefe Waſſerzufuhr wirb 
von drei Concurrenzgeſellſchaften beforgt. 

Die Kohlen für die Dampfmaſchinen werden aus Chile 


5* 


36 Die Wüfte Atacama. 


oder jelbft aus England bezogen, Doc ift das gewöhnlichſte 
Feuerungsmaterial die „lena“, eine Miſchung aus Holz und 
trodenem Cactus (quisco), welch legterer aus einer Entfer- 
nung von 10 bis 12 deutſchen Meilen hergeholt werben muß. 
Denn nur dort, in ben Bergen von Atacama und in den 
Altos de Pingo-Pingo und de Puquios findet man bdenfelben 
in genügender Menge, einzeln ober in Gebüfchen, und oft 
5 bis 6 Meter hoch (f. die Abbildung auf S. 6). Er iſt fo 
troden, daß ein Fußtritt genligt, ihm abzubredyen; ben 
Wüftenwanderern leiſtet er oft die größten Dienfte, aber 
er findet fich nur auf 700 bis 800 Meter hohen Felehöhen. 

Das Heu und die Gerſte — Hafer kennen die füdameri« 
laniſchen Pierde und Maulthiere nicht — fommen aus Chile 
und der Ürgentina; aus ber letztern Nepublif auch das 
Schlachtvieh, welches einen langen, mühjeligen Weg aus 
feiner Heimath durch die öftlichen Provinzen Bolivias, über 
die Anden und die Wüſte zurlidzulegen hat und meift in 
abgetriebenem Zuftande am feinen Beſtimmungsorte anlangt. 
Mafdinen und Werkzeuge werden aus England und den 





Bereinigten Staaten, Manufacturwaaren, Lebensmittel, 
Weine und Liqueure aus Europa, Hülfenfrlichte, Obft, Ge: 
flügel, Eier und Mehl aus Chile und Peru bezogen. 
Die Unternehmer dieſer Transporte mitjfen mit großen 
Kofien mitten in ber Wuſte Vorrathähäufer mit Yebend: 
mitteln und Wafler unterhalten für die Wagenzüge, welche 
in einer Anzahl von 15 bis 60 Karren unter Beitung eines 
„Capataz* die Fahrt unternehmen. Cinige Karren mit 
epreßtem Heu folgen gewöhnlich dem Zuge, um im Noth« 
Falle einem iberlafteten Gefährt einen Theil der Ladung 
abzunehmen, In Folge des Sandes und des mitunter fteis 
len Anftiegs können dieſe mit vier Thieren befpannten Wa— 
gen bein Hinauffahren nur 735 bis 825 Kilogramm, beim 
Hinabfahren dagegen 900 bis 1150 laden. Erſieres dauert 
vier bis ſechs, letzieres drei bis filuf Tage, Fiir die Stra- 
pozen, welche die Thiere während biefer Fahrt erdulden, 
fprechen am deutlichſten die zahllofen Stelete, welche an dem 
Wege liegen. 1872 koftete der Transport eines ſpaniſchen 
Tentners Waare (zu 46 Kilogramm) von Mejillones nad) 


— — ——— 
—— —— * 


Eiſenbahnzug in der Wilfte Atacama. 


Caracoles 32 Mark, von Antofagafta nad) Caracoles 20 
Mark, in umgelchrter Richtung halb fo viel, Jetzt find bie 
Preife wohl etwas niedriger, aber doc noch immer fehr 
hoch, wenn mar bedenkt, daß es dreimal fo viel foftet, einen 
Gegenftand von der Kuſte mach dem 18 deutſche Mei: 
len entfernten Caracoles, als mittelft Dampfſchiffes nach 
Europa zu ſchiclen. Etwa 650 Wagen und 4000 Mauf- 
thiere vermitteln diefen Verlehr durch die Witte. Diele 
dur) ein paar Focomotiven und Eifenbahnwagen zu erfegen 
war Breſſon's Beftreben; aber die Ausführung feines Pla« 
nes ftieß auf mehr Hinderniffe, als feine oben geſchilderten 
Vorarbeiten dazu. Die Negierung ging nicht auf Baron 
de Riviere'$ Vorſchläge ein, fondern ertheilte einem Andern 
die Genehmigung zum Eifenbahnbau, welche bald wieder auf: 


gehoben werben mußte, weil deflen Project unausführbar war. 
Dann wurde eine andere Geſellſchaft conceffionirt, welche 
Antofagafta ald Unsgangspuntt gewählt hatte: nach Verlauf 
von zwei und einem halben Jahre waren erft 10 Kilometer 
biefer Bahn vollendet, und 1875 fah ſich die Geſellſchaft 
am Ende ihres baaren Geldes und mußte ſämmtliche Ars 
beiten einftelen und alle Ingenieure entlajfen. Trotz dieſer 
Miperfolge hofft Breſſon doch an die baldige Verwirklichung 
feines Lieblingsgebantend ; und daß bdiefelbe in der That dem 
Lande von unberechenbarem Nugen fein wide, haben wir 
uns in der Einleitung darzulegen bemüht, und es beweifen 
dies in specie bie focben angeführten Einzelheiten fiber die 
Transportverhältniffe in der Mlifte, 


Rihard Andree: Neugranadinische Alterthümer. 37 


Neugranadinijhe Alterthbümer. 
Bon Richard Andree, 


Heredia, der Gründer Cartagenas, ſchildert eine alte 
Begräbnißftätte im Thale des Rio Zönu (Sinu, Staat 
Bolivar), die durch große Sorgfalt ihrer Anlage und Reich— 
tum der in den Gräbern enthaltenen Gegenftände ſich 
auszeichnet. Er drang bis zum Sige des Kazilen Finzemi 
vor, wo er ben Tempel ausrauben ließ; hier fand er 24 
hölzerne mit Goldblech bededtte Götenbilder, zwifchen denen, 
je zu zwei und zwei, Matten ausgejpannt waren, in welche 
die Gläubigen ihre Opfergaben niederlegten. Ringsum waren 
die Bäume mit goldenen Gloden behüngt. Gin Knabe 
verrieth den Spaniern auch die Begräbnißftätte, die von 
uralten Geibabäumen befchattet war, melde die Eroberer 
nieberfchlugen. Die Erdhitgel, die nahe bei einander lagen, 
waren bald conifch, bald rechtedig geformt. Starb ein In: 
diarer, fo grub man ein Loch in die Exde, welches groß ges 
nug war, um die Peiche aufzunehmen, der man außerdem 


Waffen, Koftbarkeiten, Krüge voll Chicha, Maislolben, 
Mühffteine und, war es die eines Häuptlings, felbft Stlas 
ven und Frauen mitgab. Ueber dem Ganzen errichtete man 
alsdann den Tumulus. Unter den Gegenftänden, die num 
hier am Zenu gefunden wurden, bemertt man namentlid) 
Thiergeftalten aller Art. Im ganz neuer Zeit ift dort aud) 
ein geſchnitztes Std Holz gefunden worden, auf dem Tänze 
und Spiele in meifterhafter Ausführung dargeftelt find. 
Die altindianifchen Grabhügel in Neu-Granada find jest 
unter dem Namen Guacas befannt, wohl nad) den zahle 
reichen Hügeln im Guncathale des Staates Antioquia. 
Neben den ſchon erwähnten Thon» und Goldſachen find ber 
ſonders aud) die Funde von Interefle, welche und Auffchlüffe 
über das Arbeitsverfahren der Indianer geben. Im All: 
gemeinen und ſchon von Alters her ift in Neu-Granada 
der Glaube verbreitet, daß die Indianer einen Pflanzenfaft 





1 Nalenring. 2 Bruftverzierung. 3 Haarzange. + Stichel. 5 Zweck unbefannt. 6 und 7 Ringe, 3 Berlen. 
9 Schuurrbart. 


kannten, mit deifen Hlilje fie das Gold jo geſchmeidig wie 
Wachs machen fonnten, denn nur jo erklärt ſich das Bolf 
heute die feinen Goldarbeiten. Bei Buritica fand man 
die Defen und metallurgifchen Werkzeuge der Indianer; fie 
verftanden zu löthen, wußten Yegiwungen herzuftellen und 
benugten Stichel, die noch erhalten find, bei ihren Arbeiten. 
Der Chronilenſchreiber Cieza de Yeon, ein durchaus glaube 
wärbdiger Mann, erzählt und, daß fie fic der Wagen und 
Gewichte bebienten, um ihr Gold zu ſchätzen. Sein Zweifel 
fann gegen diefe Angabe auflommen, wenn wir bedenfen, 
daß die Wage auch bei den alten Peruanern im Gebrauch 
war. Das Floß, weldies 1525 Bartolomeo Nutz, der 
Pilot Pizarros, an ber peruanifchen Hüfte antraf, hatte 
Segel aus Baumwolle, und die Kaufleute an Bord führten 
Bagen bei fid, um das Gold zu wiegen, gegen weldjes fie 
ihre Waaren an Bord austaufchten. 


In Antioquia giebt es Leute, die ſich ſpeciell mit ber 
Durchſuchung der alten Grabhligel beichäftigen und fchon 
nach wenigen Schlägen mit der Hade in die Erde an der 
Beichaffenheit des Grabes wilfen, ob daſſelbe Alterthitmer 
enthält oder nicht. In den einfacheren Gräbern ruht der 
Körper, umgeben von plump geftalteten Urnen, im Hinter: 
grunde einer runden Yushöhlung von etwa zwei Meter 
Durchmeſſer und 3 bis 4 Meter Tiefe, In diefen Gräbern 
findet man felten Koftbarfeiten. Die Erde, aus welder 
diefe Höhlung gebildet ift, beficht aus einer andern Art, als 
bie umgebende. Iſt der beigejegte Indianer eine wichtige 
Perfönlichkeit, ein Häuptling oder dergleichen gewefen, fo 
zweigt ſich von dem eigentlichen Grabe eine kurze Gallerie 
ab, die nad) einer oder mehreren anderen Grablamm ern führt. 
Die Gräber von diefer Art find es, weldye die ſchönen Ba: 
jen und Werthgegenftände bergen. 


38 


Richard Andree: Neugranadinische Alterthümer. 


Irdene Gefäße and Grabhügeln bei Antioguia, 





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Nihard Andree: Neugranadiniiche Alterthümer. 


Gräberfunde bei Antioquia. 


1 Lanzenipise. 2 und 3 Porphyrbeile. 4 Kiſtchen aus Serpentin. 5 Durchbohrter Smaragd. 





Hohle Vaſe ohne Deffunng. Sötenbild, Gürtel. 
= Goldene Geräthe aus dem Tempel von Sogamona. 


39 





6 Wirbel aus Borphyr, 


40 Riherd Andree: Neugranadiniiche Alterthümer. 


Saffray veranftaltete in der Umgegendb Antioquias ver« 
ſchiedene Ausgrabungen, wobei er zwei Yanzenfpigen aus 
behauenem, aber nicht polirtem Feuerſtein, Wirtel aus Por: 
phyr, eine Büchfe aus hartem Serpentin, die, wie der Dedel 
mit einfachen Reliefornamenten verziert war, Porphirärte 
und einige durchbohrte, abgerundete und unvollkommen polirte 
Smaragde fand. Bei verſchiedenen indianifchen Völlern 
war der Smaragd cin heiliger Stein. Im Thale von 
Manta (Peru) ftand ein Tempel, in dem man einen Sma- 
ragd verehrte, ber fo groß wie ein Straußenei gewefen fein 
fol. An chriſtliche Kirchenbereicherung anflingend und den 
überall gleihartigen Ton der Priefter kennzeichnend ift fol- 
gende Geſchichte. Die Priefter erzählten den Gläubigen, 
daß diefer wunderbare Stein die Mutter aller anderen Sma— 
ragde jei, und daß diefe Mutter ihre Kinder außerordentlich 
liebe ; man fönne ihr feine größere freude bereiten, als wein 
man ihr ihre Kinder bringe, damit fie mit ihnen zuſammen 
wohne. Auf diefe Weife häuften fie eine colofjale Menge 
der edlen Steine an, welche den Spaniern in die Hände 
fielen. Diefe aber zerichlugen die großen Steine, um ſich 
über ihre Tmalität zu verfihern. Die Emaragdgöttin aber 
entfloh, feit man ihren Tempel beraubt hatte. Im Neu— 
Granada eriftirte jedoch die Smaragdverehrung nicht. Doch 


ſchrieb man diefem edlen Steine eine himmlische Abkunft zu, 
von der die Chibchatradition Folgendes erzählt, Als Nem- 
quetaba, der weiße Mann mit dem langen Barte, nad) Bo» 
gota den Feldbau und die erften Elemente der Civilifation 
brachte und dann wieder verſchwand, heirathete eine feiner 
Töchter die Sonne. Aus diefer Ehe entftand ein wunderbar 
fchöner Smaragd, Die Smaragdgruben Neu-Cranadas 
wurden bislang nicht ausgebeutet; erſt feit dem 1. April 
1875 hat die Regierung die Benutzung berjelben freiges 
geben *). Die bebeutendften fiegen bei Mufo, unfern von 
den Quellen des Rio Sogamoya, der in den Magdalena 
fält. Bon dort ftammt auch dev 18 Ungen wiegende Sma— 
vagd des Madrider Mufeums, 

Schon das bisher Mitgetheilte genügt, um die Cultur 
der Chibchas zu fennzeichnen; fie ftanden neben den Meri- 
fanern und Pernanern ald das dritte Culturvolt des alten 
Amerifa da, welches mit Unrecht neben jenen beiden, wenig- 
ſtens in den gewöhnlichen Darftellungen , iibergangen wird. 
Todticlag, Raub, Inceft wurden ftrenge bei den Chibchas 
beftraft. Was das letere Berbrechen betraf, jo ſchloß man 
die Schuldigen in eine Höhle ein, die mit giftigen Reptilien 
und Infecten gefüllt war, Die Faulen wurden gezwungen, 
ſich wie die Weiber zu Heiden und mit diefen zu arbeiten. 





Kalender der Chibchas. Nah Saffray. 


Der Dieb wurde ausgepeiticht. Cine Frau, die im Ber: 
dachte der Untreue ftand, wurde verurtheilt Pimentpfeffer zu 
eſſen; geftand fie ihr Verbrechen ein, jo gab man ihr zu 
trinfen, um den brennenden Durft zu löſchen und überlieferte 
fie dann dem Nachrichter. Ertrug fie aber die Pein einige 
Stunden lang, jo wurde fie für unſchuldig erklärt *). 

Ic möchte auf diefe Strafe die ganz bejondere Aufmert: 
famfeit lenken. So viel ich weiß, ift diejes der einzige 
uns befannte Fall von der Anwendung der Gottes— 
urtheile in Amerifa So weit verbreitet und fo alt fie 
in der Alten Welt find, vom Eideswaſſer der Juden an bis 
zu der grauenhaften Ausdehnung, welche die Orbalien in 
Arika befigen, fo wenig fommen ſie in der Neuen Belt vor. 
Bom ethnographiſchen Standpunkte aus glaube ich daher, 
daß diejem Vorkommen der Gottesirtheile bei den Chibchas 
die größte Beachtung zu fchenten ift. 

Schr ausgebreitet waren auch die Handelsbeziehungen 
der Chibchas. Sie verkauften auf Credit, fie hatten wirt 
liches Geld — Goldſcheibchen von gleicher Größe und glei: 
chem Gewichte —, hatten Wagen und ein entwickeltes Zahlen» 
ſyſtem. Die Chibchas zählten nad) den Fingern der Hände, 


*) Saffrap im Tour du Monde Vol. XXVI, p. 83. Siche 


auch „Auslane” 1872, ©. 389. 


Ata, Bosa, Mica, Muyhica, Hisca, Ta, Cuhupcua, Su- 
huza, Aca, Übehihiea und ftellten ihre Ziffern folgender 
maßen dar: 


1. Ata 
. Cohupeun _ 


6. Ta 


%oy 
& u ine 9 8. Suhuza 
> 3. Mica N — 
= 4. Muyhica 
E) 10. Ubehihica 
5. Hisca 
— 20. Gusta. 


) Bol, „Ueber bie Golumbifhen Smaragden* in Zeitfcr. 
ter Geſ. f. Erdt. gu Berlin X, 5. 38 bis 62. 


N. Latkin: Sibiriiche Zuftände. 


Ueber zehn fügten fie die Zahl des Quibicha (Fuß) bei 
und jagten Quihicha Ata, Quihicha Bosa u, ſ. w. Zwau— 
zig hieß Guéta (Haus). Alle diefe Zahlennamen corres 
fpondiren mit den Mondphaſen, den Arbeiten des Ackerbaues, 
den veligiöfen Gebräuden, in der Weife, daß ihre Zählung 
innig an ihren Kalender ſich anſchloß. 

Einen ſolchen Kalender, wie wir ihn ſchon oben erwähn- 
ten, hat auch Saffray in Bogota aufgefunden. Er beſteht 
aus Stein und zeigt im Ganzen zehn im Relief ausgeflihrte 
Bildwerke: zwei menfchliche Figuren, zwei mit Pfeilen ger 
fpicte Köcher, zwei Körbchen mit einem feimenden Korn, 
zwei Fröſche und zwei Figuren, derem nähere Bezeichnung 
wir nicht geben fünnen. Wber der Schlüfjel zu diefem Ka— 
lender fehlt; daß es überhaupt ein Kalender fei, fchließt 
Saffran aus der Zahl zehn, welche durch die verſchiedenen 
Symbole dargeftellt wird, denn bie Zehnzahl ftand nad) ihm 
in genauer Verbindung mit dem Mondjahre und dem aftro- 
nomifchen Jahre der Ghibchas. „Geben wir,“ fagt Saffran, 
„den zehn Fingern die zehn Namen der Zahlen, Der Saat- 
monat, welcher mit bem Beginn der Regenzeit zufammenfällt, 


Sibirifde 


1. Statiſtiſches. 


Von 8, Latin. 

Die intereffanten von Herrn Rowinsky verfaßten Berichte 
über Oftfibirien geben und ein trauriges Bild der gefelligen 
und dlonomiſchen Zuſtände diefes von der Natur fo reich 
bebachten Landes, das wohl eine ganz befondere Aufmerkfam: 
keit verdiente. Diefes enorme Territorium, für deflen äußerfte 
- Grenze wir das uflurische Yand annehmen wollen, kann 
jedes Klima, mit Ausnahme des tropifchen, aufweiſen; feine 
Ausbreitung ift fo groß, daß bie äußerften nörblichen, zur 
Bevölterung und Eultur nicht geeigneten Landſtriche abge: 
rechnet, noch über 55,000 Quadratmeilen, die ganz geeignet 
find, eine große Bevölkerung aufzunehmen und zu ernähren, 
übrig bleiben. Demnach bevölfert ſich Sibirien ſehr langſam 
und entwidelt ſich noch langiamer. Nehmen wir an, daß 
während ber erften Zeit der Bevölkerung beffere Refultate 
wohl ſchwerlich zu erwarten waren, fo ift auch in den leiten 
20 Jahren, während welcher das europäiiche Rußland im 
feiner Entwidelung fo ſehr vorgefhritten, Oftfibivien trotz 
der Erwerbung des Amur und der öftlihen Häfen im Stil: 
len Ocean von dieſem Fortſchritte nicht berührt worden und 
befindet fich in demjelben Zuftande wie ehedem; dieſes gilt 
auch mit wenig Ausnahmen vom Handel und Gewerbe. 

Betrachten wir den Zuwachs der Bevölferung, fo jehen 
wir auch darin den anormalen Zuftand des Yandes ; diejelbe 
nimmt troß der Menge dahin gefchidter Anfiedler und Bers 
brecher verfchiedener Kategorien wie aud) der freiwilligen 
Auswanderer nur fehr langfam zu. Was den natürlichen 
Zuwachs der Städtebevölferung anbetrifit, jo wäre derſelbe, 
dieſe Üiberfchicte Bevölferung nicht eingerechnet, ganz unbe 
beutend oder auch gar nicht vorhanden. So z. B. zählte 
man im jeniffeifchen Souvernement im Jahre 1863 323,000 
Einwohner; im Jahre 1867 nad) einer genauen Zählung 
351,000; im Jahre 1872 375,000 Einwohner; folglid) 
belief fich der Zuwachs von 1863 bis 1872, alfo während 
eines Zeitraums von neun Jahren, auf rund 50,000, Dabei ift 

Globus XXIX, Nr. 3, 


4l 


wird jebes Jahr zwei finger weiter fallen, ald ber finger, 
welcher als Ausgangspunkt gedient hat, fo daß im dritten 
Jahre, um das aftronomifche Jahr mit bem Meondjahre in 
Uebereinftimmung zu bringen, man einen Mond, d. h. einen 
Finger, einfchalten muß. Dieſer Schaltmonat heit bei den 
Chibchas Cuhupeua = tauber Mond. 

„Beginnen wir mit-Ata. Die Indianer vepräfentirten 
Ata in ihren Hieroglyphen mit einem Froſch, dem Symbol 
des Waffers, oder einem fpringenden Froſch, der den Beginn 
des Jahres andentet, Nennen wir num diefen Monat Ja— 
nuar 1870, fo fehen wir, daß der Januar 1871 auf Mica 
fällt, das ift der dreigehnte Mond nad) Ata. Januar 1872 
correfpondirt mit Hisca, dem dreizehnten Mond nach Mica 
und Januar 1873 fällt mit Sahuza zuſammen, mit dem 
Meondmonat, welcher dem Schaltmonat Cuhupeua folgt. 
Das bürgerliche Jahr der Chibchas hatte zwanzig Monate; 
man mußte im dritten Mondjahre einen Monat einfchieben, 
damit die 37 Monate ein aftronomijches Jahr bildeten. 
Das Volk aber wußte nichts von dieſer durch die Priefter 
erfundenen Einfchaltung.* 


Zuſtände. 


nicht außer Acht zu laſſen, daß während dieſer Zeit im Gou⸗ 
vernement an 40,000 Anfiedler und Verbannte eintrafen, 
folglich die Vergrößerung der Einwohnerzahl feine natitrliche 
war. Daſſelbe fehen wir in anderen Gegenden Sibiriens, 
fo 3. B. im irtutstifchen Gouvernement und im transbaifal 
ſchen Gebiet: in beiden waren im Jahre 1861 an 718,000, 
im Jahre 1867 an 792,800 und 1870 810,000 Einwohs 
ner, Geſetzt, daß während dieſer Zeit ſich die Anzahl ber 
Einwanderer auf 80,000 belief, fo beträgt der natürliche 
Zuwachs der Einwohnerzahl faum 12,000, aljo weniger 
als 1000 im Jahre. Nehmen wir den Zuwachs der Städte 
bevölferung in Betracht, fo erhalten wir diefelben Reſultate 
wie bei der Yandbevölferung der Provinzen, Im Jahre 
1871 belief fic die Einwohnerzahl in Irkutsk auf 32,245; 
1872 auf 32,790; 1873 auf 31,812 und 1874 auf 32,085. 
Der natürliche Zuwachs der Einwohnerzahl beträgt während 
der letzten 20 Jahre nur 1430, alfo im Ganzen 71 im 
Jahr. In Kraßnojarsk waren im Jahre 1861 8780 Ein: 
wohner, zwei Jahre fpäter nad) der Zählung 9997, 1867 
11,238 und 1874 12,974. Dem Scheine nad) ift dies 
ein bedeutender Zuwachs, doch verhält es ſich in der That 
anders, Es ermeift fi, daß 1866 in der Stabt 413 Ger 
burten und 336 Sterbefälle ftattfanden; 1868 410 Gebur⸗ 
ten und 404 Sterbefälle, d. h. daß für beide Jahre der 
Zumadjs ber Bevölkerung ſich auf 84 belief. Während 
deffen find vom Jahre 1827 bi 1868 nad) Oftfibirien an 
220,000 Berfonen beiderlei Geſchlechts überfiedelt worben ; 
rechnet man die vielen infolge der legten Infurrection ver— 
bannten Polen wie alle freiwillig dahin Ausgewanderten, jo wird 
ber auf diefe Art vergrößerte Zuwachs wohl 300,000 betragen. 

Woher ift denn die Vergrößerung der Bevölkerung eine 
fo geringe? Unmöglich liegt diefem Umftande nur die Uns 
wifienheit der Einwohner hinſichtlich des hygieniſchen Ver— 
fahrens zu Grunde und die aus biefem Umftande hervor« 
gehende große, beinahe 50 Procent betragende Sterblichkeit 
unter ben Kindern, obgleich diefes ſicherlich auch den Zuwachs 
der Bevölkerung beeinflußt ; doch fehen wir dies auch Häufig 

6 


42 N. Latkin: Sibiriſche Zuftände, 


in Rußland, Ic) glaube, daß der Grund daflir hauptſüchlich 
ein moralifcher ift, der fich durch die große Zahl nach ©i- 
birien verbannter Verbrecher, die ſich alljährlich) auf 8000 
beläuft, und durch die im Vergleich zum enropäifchen Rußland 
Heine Zahl der Ehen erflären läßt. Co fallen auf 100 
Bewohner Sibiriens 0,65 Procent Ehen, während in Ruß— 
land 1 auf 100; daher auch in Sibirien auf 100 Perfonen 
3,70 Procent Geburten und in Nufland auf diefelbe Zahl 
5 Procent. Dies Alles beweift, daß infolge des großen Zu- 
branges einer lafterhaften VBevölterung die örtlichen Einwoh— 
ner dem ſchlechten Einfluß diefer moraliſchen Anſteckung 
nicht entgehen fonnten; dieſe Verfchidten am ſich tragen we— 
nig zur Bermehrung der Ehen und folglic, auch der Gebur— 
ten bei; verhältnigmäßig ift alfo der Procentjag der Sterbe- 
fälle in Oftfibirien ein fehr großer: er beträgt 3,40 auf 
100 Einwohner. Die große Menge verbannter Verbrecher, 
die politiihen Verbrecher ausgenommen, hat auch dem Yande 
wenig Nugen gebracht; nur wenige von ihnen widmen fid) 
dem Aderbau und nur infolge des Mangels an Bevölkerung 
in Sibirien nimmt man fie zu Arbeitern, wobei aber aud) 
wieder zu bemerken ift, daß fie in Staatsfabrifen und Berg- 
werfen wohl wenig often, hinſichtlich aber der fie verwenden ⸗ 
den Privatperjonen keineswegs billig und dabei nicht mit 
den beften Eigenfchaften ausgeftattet find. Aus all diefem 
geht hervor, daß es von großem Nutzen für Sibirien fein 
wärbe, wenn die Verſchidung der Berbredjer dahin eingeftellt 
wilrbe, da jedenfalls der Schaden, den ihr moralifcher Einfluß 
auf das Volk ausübt, den Nuten , den fie durch ihre Arbeit 
dem Lande bringen, überwiegt. 

In welchem traurigen Zuſtande ſich dafelbft das Schul⸗ 
weſen befindet, iſt einem jeden belannt; wohl iſt es nirgends 
in ganz Rußland damit ſo ſchlimm beſtellt. So hat das 
jenifſeiſche Gouvernement fir eine Zahl von 335,000 Ein— 
wohnern nur 58 Schulen mit 1700 Scillern; das irkuts— 
fiiche für 378,000 Einwohner 82 Schulen mit 3373 Unter: 
richt erhaltenden Knaben und Mädchen und das ganze Oft: 
fibirien 283 Schulen mit 8610 Schülern, und das auf eine 
Bevölkerung von 12 Millionen! Es genügt, darauf hin: 
zuweiſen, daß in der von allerhand Militär- und Staats: 
beamten überfüllten, intelligentejten Stadt Iufutst, der Haupt: 
ftadt Oftfibirieng, nur der dritte Theil der ganzen Bevölferung 
ſchriftlundig ift; die Stadt hat 32,085 Einwohner, dabei 
im Ganzen 19 Schulen mit 2000 Unterricht erhaltenben 
Kindern. Im anderen Städten, mit Ausnahme von Nifchnes 
Ubinst, wo auf 3300 Einwohner 285 Lernende fallen, fteht 
ed noch fchlimmer; jo fommen im Städtchen Ilimsk auf 
542 Einwohner nur 4 Schliler. — Man ift der Meinung, 
daß die Gründung der in Tomst projectivten Univerfität 
Sibirien von großem Nuten fein werde. Ich will dies 
nicht beftreiten; doch glaube ich, daß fir dieſes Geld gut 
organifirte Bolls oder Handwerksichulen, ſowie Gymnaſien 
für Knaben und Mädchen den Yande weit nützlicher wären. 

Die Induftrie Oftfibiriens ift aud), ungeachtet der vor- 
handenen großen Reichthümer, ſchwach entwidelt, jo daß das 
Land in Allen von der ruffiichen Manufactur abhängig ift; 
fogar das fich im Ueberfluß vorfindende und überall north: 
wendige Eifen wird wenig verarbeitet, und erft in den letten 
fünf Yahren find zwei Eiſenfabrilen entſtanden, die Aba- 
tam’sche und bie Nilolajew'ſche, wo dies Metall in großer 
Menge verarbeitet wird, aber immer noch nicht hinlänglic,, 
um bie Einwohner vom thenern uralſchen Eifen zu befreien, 
Eben fo wenig genügt die Salzſiederei, ungeachtet der im 
Ueberfluß vorhandenen Salzjeen und Salzquellen, den dor 
tigen Beditrfnifien. 

Selbft die Goldwäſcherei nimmt infolge großer Verar— 
beitungen und Erfchöpfung vieler Bergiverfe, trog neuer, reis 


cher Goldentdeckuugen am Amur und im jakutötifchen Di- 
ftrict, allmälig 5 Betrachten wir bie Erfolge der legten 
Jahre im jeniffeifchen Gouvernement, fo ftellt ſich die Aus« 
beute an Gold wie folgt: 2 
1861 mit 16,550 Arbeitern 604 Pud 20 Pfund 
1863 „ 14,360 9 
1871 „ 14,260 a 422 
1873 „ 11,990  „ 357 „ 

Im atſchinsliſchen und minuffinstifchen Kreife wurden 
1871 mit 2600 Arbeitern 84 Pud Gold und 1873 mit 2250 
Arbeitern 63 Pud Gold gewonnen, während 1861 mit 3665 
Urbeitern 109 Pud und 1863 mit 3900 Arbeitern 106 
Pud 20 Pfund Gold gewonnen wurden. Es ift wohl wahr, 
daß feit dem Berfalle der Soldwäfcherei im jeniffeifchen Gou— 
vernement diefelbe fic im den Diftrieten Irlutst, Sabaifal 
und Amur entwidelt hat, doch ift aud) dort im legter Zeit 
eine allmälige Abnahme derfelben merklich. So erhielt man’ 

im Irlutsliſchen Diftriet 

1871 mit 5455 Arbeitern 761 Pub Gold 
1872 „ 5900 » 627 a 
1873 „ 6325 534 „ 
im Nertfcinstifchen Diftrict 

1871 mit 4500 Arbeitern 155 Pub Golb 
1072 „ 470 „ 17 „ 
1873 „ 2900 u 114 = 

in den Diftrieten von Werchne-Udinst und Bergufin 

1871 mit 1740 Arbeitern 83 Pub Gold 
1872 „ 2240 „ 3 „ 
1873 „ 1720 „ 9 5 

Selbft im amurſchen Diftricte fängt die Goldwälcherei 
fi) allmälig zu vermindern an, obgleich fie immer noch reich 
genug ift; fo erhielt man: 

1871 mit 850 Arbeitern 173 Pub Gold und 
1873 „ 105 „ 102 „ 
was freilich noch fein ſtichhaltiger Beweis ıft. 

Im primorsfifchen Difteict wurde die 1872 eröffnete 
Goldwäſcherei im felben Fahre wieder aufgegeben, da man 
mit 125 Arbeitern nur 41/, Pub Gold gewann. Im je 
niffeiichen Gouvernement wäre diejes ein fehr gutes, 50 Proc. 
betragendes Nefultat, dort aber, wo jeder Arbeiter von 800 
bis 1000 Rubel Foftet, ift das ein fehr unbefriebigender Erfolg. 

Die Branntweinbrennerei nimmt in Oftfibirien nad) 
der Goldwäſcherei den wichtigften Pla ein; bald nad) Erlaf 
der neuen Geſetze darliber entftanden eine Menge Fabrifen 
in ganz furzer Zeit; fo giebt es deren jetzt fieben im jenif» 
ſeiſchen Gonverneinent, die an 35,000,000 Procent reinen 
Spiritus, und im irfutsfifchen Gouvernement adjt, bie 
30,000,000 Procent reinen, gar fein Wafler enthaltenden 
Spiritus liefern. 

Die übrigen Branchen der Induſtrie find in Eibirien 
nod) wenig beachtet, obgleich Vielerlei noch mit Vortheil ge« 
trieben werben könnte, wenn das Yand nicht Mangel an 
guten Technilern und Sachkundigen litte; übrigens wird fo 
Mandyes auch dadurch vernachläffigt, daß die Goldwäſcherei 
durch die Möglichkeit einer ſchnellen Bereicherung alle Capis 
talien und Arbeiter an ſich zieht. 


2, Die Deportation nad) Sibirien. 
Von Albin Kobn. 

Ueber dieſen Gegenftand enthält die Zeitfchrift „Sibir* 
einen Artikel des Admirals Posjet, welder die Aufmerf- 
famteit eines größern Leſerkreiſes verdient. Der Admiral, 
der jelbft einige Dale Sibirien bereift hat und zulegt mit 
dem Großflirften Aleris dafelbft geweſen ift, macht die ruf> 
fifche Regierung darauf aufmerffam, daß es durchaus nicht 
mehr zeitgemäß fei, Sibirien, ein unermeßliches Yand, das 


n 
n 


und 


und 


und 


Zur Aulifrage. 43 


ben 21/,fachen Umfang des europäifchen Theiles des ruſſiſchen 
Kaiferreich® Hat umd deſſen Reichthumer noch lange nicht 
entdeckt und erforfcht find, mit dem Abſchaume einer Bevöl« 
kerung von mehr ald 70 Millionen zu überſchwemmen und 
anzufteden. Sibirien ift heute nicht mehr daſſelbe Yand, 
welches es war, als es von der Regierung zur Colonie von 
BVerbrechern gemacht worden if. Damals ſchloß es mit 
Kamtſchatka und dem Ochostifchen Meere ab, war fat aus— 
ſchließlich von wilden, nomadifirenden Bolksſtämmen bewohnt 
und hinter ihm lag der wüfte, unermeßliche Stille Ocean, 
deſſen Oftfüfte ebenfalls wit und unbefannt geweſen ift. 
Sibirien (und Weflamerila) war damals ein öbes, wenig 
bevölfertes Yand. Dept aber, nachdem Rußland durch Er- 
werbung des Amurgebietes an den Stillen Ocean vorge 
drungen ift, der jich immer mehr im ein zweites, ungeheures 
Mittelmeer verwandelt, in einer Zeit, in welcher China und 
Japan aus einer Jahrhunderte langen Yethargie erwachen 
und ſich raſch entwideln, ift e8 Zeit, Sibirien ben nieder- 
drüdenden Stempel des „Verbrecherlandes“ zu nehmen und 
es in neue, ber Entwidelung günftige Berhältniffe zu ftellen. 
Die Verbrecher, welche feit zwei Jahrhunderten hingefandt 
werben, üben einen höchſt beflagenswerthen, weil zerjegenden 
Einfluß auf die Bevölferung aus. Die Deportirung ift die 
Wurzel aller Uebel, der Grund zu gerecitfertigten Kla— 
gen der Berwaltungsbehörden und die Urſache des Mangels 
an nüglichen und verwendbaren Arbeitern. Die Regierung 
befolgt bei der Deportirung der Verbrecher einen doppelten 
Zwed: die Strafe und die Vefferung der Deportirten. Der 
erfte Zweck wird erfüllt; die Strafe ift eine furchtbare; aber 
ber zweite Zwed, die Veſſerung, bleibt gänzlich, unerfüllt, fo 
lange das jegige Syſtem beibehalten wird. Schon die lange 
Reife in ber Gefellfchaft von Verbrechern nimmt dem Be- 
ftraften den legten Reſt fittlichen Gefühls und verwilbert ihn 
gänzlich. Auch die Wohnungsräume, die Pebensart, die 
Arbeit fönnen feinen guten Einfluß auf ben Deportirten ha- 


ben. Die Zwangsarbeiter finden meiftens in ben Gold— 
wäfchereien (fann nur von Nertfchinst gelten, da weftlich und 
öftlich von Irkutsk die Goldwäſchereien im Privatbefige find 
und mit Hülfe freier Arbeiter ausgebeutet werden) Berwen- 
dung, da die Silberbergwerfe (weldye den Beamten felbft nicht 
hinreichende Mittel zur gefegwibrigen Bereicherung boten) 
faft ganz eingegangen find, Admiral Posjet hat perſönlich 
die ustjfartifchen Wäſchereien befucht, wo 2000 Deportirte 
arbeiten follen. Bon diefen 2000 Menfchen lagen 200 am 
Storbut im Lazareth und 300 (nur?!) waren entflohen. 
Die Arbeiten wurden langſam, faul und verbrofien ausge 
führt, Alle Gefängniffe Oft: und Weftfibiriens find mit 
Deportirten, Sträflingen, eingefangenen Flüchtlingen (Brad- 
jagen) und Angeflagten überfüllt. Letztere erwarten oft 
jahrelang ihr Urtheil und verlaffen das Gefängnig ald durch 
und durch demoralifirte, unverbefierliche Verbrecher. 

- Um ber foftematifchen Corruption der Bewohner Sibis 
riens ein Ende zu machen, bleibt nichts übrig, als das Straf 
ſyſtem zu ändern, wie ja auch England aus Rüdficht auf 
feine Colonien die Deportation aufgegeben hat. 

Der „Sibir* bemerkt leider zu den Ausführungen des 
Admirals, wie er jagt aus guter Quelle, daß die abminiftra« 
tive Reorganifation Sibiriens wegen finanzieller und anderer 
Erwägungen auf unbeftimmte, wohl gar auf lange Zeit ver- 
jchoben fei. Diefe euphemiftifche Bemerkung bedeutet, in gut 
Deutſch überfegt, daß es den Beamten nicht paßt, eine Aen- 
derung eintreten zu laflen; denn nicht genug, daß jeber 
Beamte und Offizier in Oftfibirien doppeltes Gehalt bezieht, 
bietet ihnen, wie ich in meinem bei Otto Spamer in Leipzig 
erichienenen Werke ausführlich gezeigt habe, das Syftem der 
Deportirung und das Arbeiten mit Sträflingen in ben 
„Sawods* (Fabriken) Gelegenheit zur Bereicherung. Selbſt 
die überflillten Gefängniffe find — Vorwerfe fiir die Beam: 
ten, vom Natzieratel (Auffeher) und Smotrytjel (Infpec« 
tor) bis hinauf zum Gouverneur. 


Zur Rulifrage 


II. 


Das Meifte des oben Geſagten Liege ſich nun freilich 
auch auf einen Negertransport, wie ſolche früher ftattfanden, 
beziehen ; aber der Unterſchied ift doch ein bedeutender. Der 
Chineſe verläßt freiwillig fein Baterland, der Neger unter 
den entjelichften Yeiden, mißhandelt, gezwungen und alle 
Hoffnungen hinter ſich laſſend. Die Vergeltung für graite 
fame Behandlung hat der Menjcenfleifhfligrer nicht zu 
fürchten, denn ſchwerlich befommt ihn einer der Schwarzen 
fpäter wieber zu Geſichte; wohl aber muß der Kulifahrer 
bedad)t fein, möglichſt wenig Groll bei feinen Chinefen mit 
viel gefährlicdern Charakter zurüchzulaſſen. 

Ein weiterer wichtiger Umftand wird in Europa auch 
häufig ignorift oder überjehen. Der Seeweg von China 
nad, Peru ift fünfmal länger ald der von Afrikas Weftküfte 
nad) Brafilien, und über das Doppelte deſſen von Afrika 
nad) Weftindien. Die Entbehrungen, die aljo ein kräftiger 
Schwarzer während einer verhältnigmäßigen kurzen Ueber: 
fahrt auszuhalten vermag, wilrden einen bebeutend ſchwächern 
Chinefen bei doppelter bis fünffacher Reiſedauer vernichten 
lange vor Beendigung derfelben. 

Soviel über die jogenannten Schrednifie der Behand- 
lung einer „Kuliladung“, wie man fie in Europa zu nennen 
beliebt, 


Die Bewohner des Himmliſchen Reiches kommen nun 
and Land, freuen fid) des feften Bodens unter ihren Flißen, 
der frischen Nahrungsmittel und athmen auf. Natürlich 
bleiben fie nicht länger, als unumgänglich nöthig im Hafen, 
fondern gehen meift in befonderen Eifenbahnzügen von Callao 
aus nad) dem Innern, nad) den Plantagen ihrer Arbeit- 
geber. Hierbei find nun Erzählungen von ber gewaltjamen 
Trennung von Brüdern, Verwandten und Freunden in ben 
Bereich der Fabeln zu rechnen; die Anzahl, deren jeder Guts- 
befiger bedarf, ſchließt ſchon derartiges aus. Diefe fehen 
im Gegentheil jo viel als möglich darauf, daß ihre Chinefen 
bei guter Laune und Geſundheit find und bleiben, und ein 
Zerreißen der Bande, die nicht auf einem Yafter beruhen, 
wäre graufam, unnöthig und verderblich. 

Mit der Ankunft von einigen hundert Arbeitern beginnt 
nun auf dem Yandgute ein Jahr der größten Dlühfeligfeiten 
für den Befiter und das Beamtenperfona. Wenn Woh- 
mungen und Schlafftätten hergerichtet und bie erften Tage 
für das Unterfommen im Anſpruch genommen waren, jo 
bedarf es von mun an einer außerordentlichen Thätigkeit, 
um die Neulinge an ein regelmäßiges Leben, an die durch- 
aus nothwendige Neinlichteit und an ein wenig Ordnung 
und Gehorfam zu gewöhnen. Selbſtverſtändlich muß aud) 

6* 


44 


Nachts eine große Wachſamleit ſtattfinden, denn ſehr häufig 
haben einzelne ihre an Bord begonnenen Händel nur fnspen- 
dirt und nehmen fie am Lande blutig wieder auf. Bon 
Gluͤck kann der Gutsbefiger reden, wenn er ſchon im der 
erſten Zeit diejenigen Friedenſtörer, welche bösartig find, 
aus feiner Schaar herausfinden lann, um fie einer andern 
Abtheilung einzuverleiben. Aber auch diefes hilft nicht immer. 
Früher hat man fie wohl einfach fortgejagt oder nad, Lina 
geichict und im Freiheit geſetzt; aber diefes Heilmittel war 
oft noch ſchlimmer als die Krankheit. Sobald die übrigen 
folches erfuhren (und an verborgenen Communicationen fehlt 
es den Yiftigen nie), verfuchten fie auf demfelben Wege ihres 
Contractes ledig zu werden, und bald hatte man es nicht 
mehr mit einzelnen Individuen, fondern mit einer einzigen 
compacten Maſſe zu thun, die im günftigiten Falle ſich 
total inert verhielt. Ein freundliches Zureden ift dem Aſia— 
ten gegenüber ein Zeichen der Schwäche, der Furcht, das 
Alles verderben lann — man denke ſich nun die (Folgen einer 
derartigen Situation, wenn es nicht gelingt, ihrer Herr zu 
werden, denn die Maſſe bleibt nicht pafjiv, die Gährung 
fprengt die Schranfen , die geringfte Zufälligkeit kann zum 
Funken werben, der ind Pulverfaß fält. 

Ein anderer Anftoß zur Unzufriedenheit liegt aber*aud, 
in einem entnervenden Yafter. Fälle, bei denen eine gewiſſe 
Anzahl als anfcheinend unpäßlich am Tage von der Arbeit 
—— und von ihren Mitarbeitern reichlich über bie 
hnen gereichte Krankenkoft mit Nahrung verjehen werben, 
find gar nicht felten. Sie nehmen die Stelle von Bienen« 
föniginnen ein. Hiefige Aerzte aus dem Innern wiſſen viel 
davon zu erzählen. Fragt aber ein philantkropifcher Englän- 
der, der noch feine Hacienda befucht hat, hier in Lima einen 
durch diefes Yafter erblindeten, oder verfrüppelten, ober ausfägig 
gewordenen und fortgejagten Kuli, woher fein Siechthum 
ftamme, fo antwortet ihm diefer ficher nicht: „Yon Activität, 
Baffivität und Kombination von beiden;* fondern e8 waren 
Peitichenhiebe, Hunger, Halseifen und brutale Grauſamleit, 
bie den Unglüdlichen zu einem Jammerbilde gemacht haben. 
Und der „Yondon and China Telegraph* befommt 
einen fulminanten Artikel gegen die Kulifflaverei, die Ha» 
cendados, die Kegierung umd die Gefammtinftitutionen des 
Landes, welcher das Loos ber Negerſtlaven unter britifcher 
Herrſchaft noch als ein Eldorado der Kuliwirthicaft gegen: 
überftellt; und die herzzerreißendften Auftritte in Callao, 
gleich nach der Landung, wo eine während der Leberfahrt 
etwa erfannte Königin gezwungen wird, Abfchied zu nehmen 
von ihren Getreuen, ftellen dann den Familienjammer vor. 

Ich habe nod) vor Kurzem einer folchen Scene im Hafen 
beigewohnt, die auch einen rothhaarigen Sohn Albions neben 
mir, der aber weder Chinefifch noch Spaniſch verftand, mit 
tieffter Indignation erfüllte, bis er endlidy erfuhr, um was 
es ſich handle; es mußte ihm aber erft von mehreren Seiten 
beftätigt werben, bevor er fein Verdammungsurtheil Über die 
„slaveholders“ anfcheinend milberte, 

Auf den Haciendas ftößt eine derartige in Callao leicht 
vorzunehmende Purification dagegen auf größere Schwierig: 
feiten, und find die Hauptträger des Giftes nicht ausfindig 
zu machen, jo bleibt als Heilmittel neben ärztlichen Beiftand 
nur das Zwingen zu angeftrengtefter Arbeit übrig, Bon 
da am erholen ſich denn auch die Kulis ſchneller; aber ob- 
wohl fie gelehrig find, dauert es doch wohl ein ganzes Jahr, 
ehe fie ſammtlich ihre Gelehrigkeit offen anwenden, um die 
Berrichtungen fo auszuführen, wie man es ihnen gezeigt hat 
mit umendlicher Geduld und Ansdaner, und mancher zeite 
raubende Wechſel muß ftattfinden, ehe die einzelnen die 
Stelle einnehmen, in welcher fie am meijten zu leiften ver- 


mögen. 


Zur Kulifrage. 


Dis dahin hat ſich ihre Zahl ſchon nicht unbeträchtlich 
vermindert; einige find bem Yafter erlegen, andere entlaufen, 
wieder andere unbrauchbar wegen der durch nichts zu bre» 
enden Störrigfeit, und fo ſchwindet dann der Factor, auf 
den gerechnet war, durch Chinefen mehr und billige Kräfte 
zu erhalten, immer weiter; aber der, überhaupt Kräfte 
zu haben, erhält fi und das ift ſchon ein Gewinn, wenn 
ſich derfelbe auch erſt nach Berlauf einiger Zeit zeigt. 

Mittlerweile ift neuer Nachſchub nothwendig oder wlin- 
ſchenswerth geworden und angelommen. Auf diefen übt 
natürlid die Stimmung ber vorhandenen Landsleute vom 
erften Moment an einen entſcheidenden Einfluß aus. Sind 
fie unzufrieden, fo entfteht eine Wechſelwirkung, die in ihren 
Folgen nicht allein jeden Nugen in Frage ftellt, fondern 
auch den Ruin der ganzen Organifation nad) ſich ziehen kann. 

Trifft es fich aber, daß ein Theil ber fleißigften und 
fparfamften Kulis gerade zu einer foldhen Zeit austritt, um 
als freie Arbeiter anf derſelben Hacienda ſich anzubauen 
oder von einem benachbarten Befiger ein Stückchen Yand in 
Padıt zu nehmen, oder nad) einer Stadt zu ziehen, um dort 
bie Keijekoften nach Haus wieder zu verdienen, jo vereinfacht 
ſich die Introduction der Neulinge fehr, und es zeigen ſich 
ſchon weniger unter ihnen als foldye, welche fid) darauf 
ftügen, daß ihnen Speife und Tranf werben muß, ob fie 
arbeiten oder nicht, Daß man in einzelnen Fällen nicht 
auskommen konnte, ohne durch körperliche Züchtigung ein 
Exempel zur ſiatuiren, iſt auch leider allzurichtig, aber — dent 
man doch ſogar in England daran, die Prügel gegen Bru—⸗ 
talitätsvergehen wieder einzuführen — und bei freien Brir 
ten —, während wir bier ſicher nur bie weniger guten 
Repräfentanten des chineſiſchen Pöbelüberfluffes befommen, 
bie auch zu Haus nicht anders zu regieren waren. Daß 
man aber hieraus in Europa folgert, daß die peruanifchen 
Kulis jo ſchlimm oder noch ſchlimmer, als Sklaven, behan- 
beit wirben, ift unverantwortlid); denn wie fann man vore 
ausfegen, dag Jemand, deſſen Guterwerth nur von der An« 
zahl Yeute abhängt, die er zur Bewirthſchaftung feines Bodens 
aufbieten kann, diefen auf muthwillige Weiſe thöricht zu 
vermindern trachten jollte dadurch, da er die Arbeiter, bie 
ihm viel Geld und Mühe gekoftet haben, mißhandelt und 
zum Dienen unfähig macht. Außerdem liegt Mar auf der 
Hand, daß fein Gutsbefiger fein wohlverftandenes Intereffe 
fo jehr hintanfegen wird, daß er ſich die Möglichkeit abs 
fchneidet, flir feine abgehenden Arbeiter gleich brauchbaren 
Erjag zu erhalten; denn die neu angelommenen Kulis poten« 
ziren nur die Stimmung, welde fie vorfinden , diefelbe mag 
gut oder ſchlecht fein. 

Soweit wäre aljo anzunehmen, daß die Berichte über 
Kuliſtlaverei zum allermindeften außerordentlich übertrieben 
find; aber mehr als das, fie find unwahr, und Beweife fin- 
det man überall in Peru vom Gegentheil der behaupteten 
ſchlechten Behandlung der chineſiſchen Arbeiter. Doc muß 
ich, da das Wort „Kulifflaverei“ uns hier häufig in euro⸗ 
pälfchen Zeitungen entgegentritt, aud; noch Ciniges über 
unfere frühere Sklaverei einfchalten. 

Es ift befannt, daß unter dem fünf eurdpäifchen Natios 
nen, welche Golonien durch Sklaven bearbeiten ließen, die 
Spanier es waren, welche ihnen die menſchlichſte Behand« 
lung zu Theil werden ließen. Diefer Umſtand ift auch bei 
der Aufhebung der Sklaverei in den Staaten der Weftküfte 
Sidamerifas der Grund gewelen, daß fich diefe fociale Re— 
volution vollzog, ohne nur irgend welche momentane Bewe 
gung bervorzurufen. Die meiften der Emancipirten, beſon⸗ 
ders aber die Hausfllaven, blieben ruhig bei ihren Herren; 
benn fie wußten ja aus eigener Anſchauung, daß fie es 
„draußen“ nicht bejjer haben wilrben; ja viele fühlten ſich 


Zur Aulifrage. 


unglüdlich, daß fie das Haus und die Familie oder das Gut, 
wo- fie geboren und aufgerwachfen waren, ſich verheirathet und 
Kinder erzogen hatten, verlaflen follten ; fo daß eine Menge 
ber fortgefchteften fogar in aller Küirze zurlidtam, befonbers, 
wenn fie im äußern Leben Entbehrungen oder harte Worte 
hatten hinnehmen mitffen. Heute noch findet man im Ins 
nern von Peru, Bolivia und Chile Haushalte, bie eine Anr 
zahl Diener befigen, welche ohne beftimmten Lohn zu erhal 
ten dem Ganzen gleichſam wie Feibeigene angehören, und es 
wird im jeber Weiſe fitr fie geforgt. Sie arbeiten um Nah: 
rung, Kleidung und Wohnung. Nicht felten aber bringt 
auch ein früherer Sklave, nahdem er einen felbftändigen 
Haushalt gegründet und feine Familie ſich ſtark vermehrt 
hat, Kinder in das Haus feines frühern Herrn, ober die 
Frau ein Mädchen zur Herrin, damit diefe das den Söhnen 
ober Töchtern des Hauſes werden, was fie felbft dem Herrn 
oder der Herrin geweſen find — Leibeigene, 

Beifpiele der rührendften Anhänglichfeit finden ſich täglich, 
und noch vor wenigen Jahren wies die Erecution der Stus 
benten in Havanna ein foldyes von Sflaventreue bis in den 
Tod auf. Ein Sklave ließ ſich mit feinem jungen Herrn 
erſchießen, den er als Kind auf den Armen getragen. Skla⸗ 
ven oder folche freiwillig Peibeigene, die ganz gleiche Tradie 
tionen haben, betrachten ſich aber auch, wenn fie mit ihrem 
Herrn etwa nad; Europa kommen, mit ganz anderen Augen 
Pr die find, mit denen fie auf die gemietheten Diener herab» 
chen. 

Wer ſolche Berhältniffe fennt, d. h. tiefer in fie einge 
drungen ift, hat ficher ſchon oft die Worte vernommen: 
„Jener ift ein bezahlter Diener; ihn wechfelt man, wie ein 
Hemd! Mic, aber kann Niemand fortichicen; ich gehöre 

ier — 


her. 

Und ſolchen Thatſachen gegenüber, welche den hiſpano— 
amerifanifchen Charakter in diefer Richtung jo klar fennzeich« 
nen, wird num über grauenhafte Behandlung der Chinefen 
in Peru von Lenten gefchrien und gefchrieben, die die Si— 
tuation nur von Hörenfagen kennen, Der Nationalharal- 
ter einer Bölfergruppe ändert fid) doch wohl nicht innerhalb 
einiger Jahrzehnte! 

Daf vor 1860 ein junger Wuſtling aus dem Norden 
ber Vereinigten Staaten, der fid) plötzlich durch den Tod 
eines entfernten finderlofen Berwandten im Süden im ben 
Befig eines großen Gutes und eines Sflavenftandes von 
Hunderten verfegt fieht, diefe als fein unumfcränftes Eigen: 
thum betrachtete und aus Uebermuth und Aerger Grauſam— 
feiten beging und begehen lich, weil er nicht meben feinen 
Schwarzen aufgewacjlen war und fie nicht ſchätzen gelernt 
hatte, ift wohl erflärlic); aber das fpanifche Südamerika 
kannte und kennt nichts derartiges, 

Seit der Einführung der Kulis hier ift num ein Jahr— 
zehnt verflofien und man kann die Nefultate überſehen. Es 
geht und wie Britijch Guyana, wenn aud nicht mit ber: 
jelben Schnelligleit. Ebenſo ift der Nüdfluß der Chinefen 
nad; ihrem Himmlifchen Reiche nicht fo bedeutend wie dort. 
Die vielen freien Kulis, welde man in den größeren Stäb- 
ten Perus findet, wo fie einen Faden befigen ober irgend ein 
anberes ſcheinbar Meines Geſchäft treiben, ober an ber Küſie, 
wo man fie als Matrofen, meift als Köche antrifft, feuern 
die Neuangelangten an, ihrem Beifpiele zu folgen, und fo 
bildet ſich nad) und nad) ein eigenthitmficher Auwadıe ber 
Bevölferung Perus heran; denn faft alle diejenigen, welche 
dahin ftrebten, nach Erwerb eines Heinen Capitals zuriid- 
zufehren, haben fid, bis zum Erreichen dieſes Ziels jo ein- 
gewohnt und eingewöhnt, daß fie zu bleiben vorziehen. Und 
betrachtet man ihre Geftalten gegen die von „friſch Impor- 
tirten“, fo ftellt ſich eim redyt bedeutender Unterfcieb zu 


45 


Gunften ber erfteren heraus; Peru bietet ihnen beffere Nah— 
rung als China, oder wenigftens reichlichere. 

Wer die Strafen von gewiſſen Stabtvierteln in Pima 
durchwandert, kann viele Hunderte von chinefiichen Gefchäfts 
hen umd Läden fehen, namentlich; aber Kochbuden, welche 
eine ganze Reihe von Gerichten barbieten, die einem Chriften 
freilich nicht zufagen würden; denn fein zubereitete Ratten, 
Bundefricaflöe und dergleichen reizen unfern Gaumen nicht; 
wohl aber werden fie von den Kulis, bie in ber Nachbar— 
Schaft als ZTagelöhner ober Handwerker oder Hausdiener 
bejchäftigt find, mit Wohlbehagen zur Effenszeit verfpeift, 

Erfundigt man fich bei foldhen Leuten, ob fie nad, China 
zurüdfchren wollen, fo fommt zwar keine directe Verneinung 
diefer Frage hervor; aber man findet ſehr bald heraus, daß 
fie nicht daran denken, Peru zu verlaffen und ſich der Heis 
mathlichen Mifere, Prügelftrafe und Tortur wieder freiwillig 
zu nähern, 

Die Regierung überwacht die Behandlung der gemiether 
ten und freien Chinefen mit möglichft ſcharfem Auge. Schon 
ie eigenes Interefie zwingt fie dazu, abgefehen von ben 
Humanitätäprincipien. Ein Kuliaufſtand, wenn aud nur 
partiell, witrbe nur ſchwer zu unterbrüden fein; denn fiehen- 
bes Heer ift nicht raſch genug an die bebrohten Punkte zu 
ſchaffen, und die Miliz bedarf aud) längerer Zeit, um ein- 
greifen zu lönnen. j 

Wäre nur ein Viertel der Graufamfeiten, deren unfere 
Gutsbefiger im Auslande beſchuldigt werden, wahr, jo läge 
bei den Sechszigtauſenden von gemietheten und freien Kulis, die 
wir haben, auf den Haciendas fein Stein mehr auf dem andern. 

Freilich würde es den Behörden noch leichter fein, ihre 
Intervention da, wo fie nöthig wäre, mit Erfolg anzumen« 
den, wenn bie chinefifche Sprache und Religion ſich nicht 
eines Eindringens in diefelbe entzöge; jedoch ift dieſer Um⸗ 
ftand, der anfangs fehr hemmend war, ſchon fo ziemlich bes 
feitigt, weil die älteren Kulis Spaniſch gelernt haben und 
als Dolmetfcher dienen. 

Die Kulis erhalten für acht Jahre freie Station, Woh- 
mung, jährlich zwei vollfländige Anzüge und 8 Dollars 
— 32 Marl monatlid. Diefe Daten find im Bergleich 
zu dem was man in Deutjchland zahlt, hinreichend, um zu 
beweifen, daß feinerlei Erprefjung und Uebervortheilung 
ftattfinbet, 

Denn die Regierung aljo die Immigration von chine— 
fifchen Arbeitern unter folhen Bedingungen nicht allein 
duldet, fondern auch protegixt, fo thut fie mur ihre Pflicht 
dem Lande gegenüber, und es zeigt von großer Kurzſichtig · 
feit, fie zu verurtheilen ohme die Lage zu kennen. 

Die chineſiſchen Beamten, weldye feit 1870 öfters hier 
eingetroffen find und das Innere des Landes bereiften, 
müffen doc; nicht fo unglinftig, als das prilde philanthro- 
piſche Europa, ſich ausgeſprochen haben; denn fonft würden 
nicht die legten Verträge zwifchen Peru und China, die ulis 
einwanderung ep Stande gelommen fein *). 

Wie viele wichtige Arbeiten wären nicht hier, wie in 
Californien, ohne die Anwendung von dhinefischer Hlilfe 
direct oder indirect durch Freimachen anderer ſchon vorhan- 
dener Kräfte, unmöglich gewefen — und nun, nachdem das 
weiße Element dort erjtarkt ift, will man fie wieder vertreis 
ben. Schwerlic, wird ein folder Fall bei uns eintreten; 
wir find für Jahrhunderte noch überreich an Yand, aber 
biutarm an Bewohnern. 

ebenfalls befinden ſich die Chinefen in Peru viel beſſer 


*) Im Zumi 1875 bat ber peruanifche Congreß jährlih 160,000 
Dollars für eine regelmäßige Dampferverbindung pwiſchen China 
und Perw bewilligt, um bie freie Ghinefeneinwanderung zu fördern. 

Rev. 


46 Hermann Meier: Skizzen aus Seeland. 


als zu Haufe, als in Auftralien, Brafilien und Californien; 
man lyncht, man bett, man tödtet fie nicht wie in legterm 
Lande, und man behandelt fie nicht granfam, wie jo oft bes 
hauptet worben ift; ihre Herren würden fich dadurd) ſelbſt 
ſchaden, fie würden ihren Nationalcharafter verleugnen und 
fie wiirden von der Regierung beftraft werben. Denn man 
bedarf ihrer zur Entwidelung ber Hllfsquellen des Landes. 

Wohl aber ſcheint ed, daß man in Europa eine neue 
Auflage von „Onkel Toms Hltte* nöthig hat und ben 
Schauplag dafilr doc yicht gut mach Yändern verlegen Tann, 
deren Berhältniffe durchſichtiger find, als die des Innern 
von Peru, das noch nicht jo durchforſcht ift, wie die Küſten⸗ 


gegenden anderer Kontinente, welche Kulis aufgenommen 
be 


tt. “ 
Welchen Einfluß die Vermiſchung ber vierten Race mit 
ben. dreien fchon hier vorhanden gewefenen auf fünftige 
Generationen haben wird, ift noch nicht zu beurtheilen; 
brauchbare Menſchen aber, welcher Race fie auch angehören 
mögen, find uns ftets willlommen. Jeder intelligente und 
arbeitfame Einwanderer wird von Peru mit offenen Armen 
empfangen und fann, wenn er nicht mit einer großen Schul« 
denlaſt das Land betritt, fehr bald bei verhältnigmäßig 
bequemem Leben zum Wohlitand gelangen. 
Nicolas Rufde. 


Skizzen aus Seeland. 
Bor Hermann Meier in Emden. 


* 


Der Untergang von Reimerswacl, 


Wer eine miederländiice Landſchaft im ihrer ganzen 
Eigenthümlichfeit kennen und ſchätzen lernen will, ber befuche 
in erfter Stelle Seeland, Er durchlreuze die Gegend, laſſe 
fi) nieder an den Herd der Yanbleute, verfchmähe die Her 
bergen der Dörfer nicht uud folge der freundlichen Einladung 
in die Salons der Degliterten. 


Wir beftiegen in Antwerpen das nad Bliffingen 
beftimmte Dampfſchiff. Kräftig trennte es die Wellen bes 
ſtets breiter werdenden Fluſſes. Vor und die weite Waſſer- 
fläche, links und rechts bämmernde Ufer, Die Eonnenftrah- 
len tanzten und glänzten auf den murmelnden Wellchen des 
föniglichen Stromes; der frifche Seewind wehte uns Klih— 
lung ins Antlig und vor uns breitete fid) ein endlofer Horis 
zont and. Ab und zu jah man einzelne vothe Dächer, die 
ſich um einen fpigen Thurm gruppirten; eine Stadt, ein 
Dorf ſchimmerte im der Ferne und verftedte ſich gleichſam 
hinter niedrige, grüne Deiche: das Land ift hier nichts, 
das Waller alles. Der Strom ift ſchön, wenn der leichte 
Schaum feiner filbernen Wogen von der Sonne geküßt wird; 
er ift furchtbar, wenn fein dunleles Waſſer ſich aufthürmt, 
und der Menſch in feiner Ohnmacht weichen muß. 


Im Wappen Seelands heißt e8: „Luctor et emergo* 
(„Ringen und Siegen“)! Diefe treffenden Worte befagen 
die ganze Geſchichte dieſes Landes, diefes Volles. Luetor 
et emergo, — das war Seelands Loos und Beftimmung 
von Anfang bis heute. Trog aller Wunden und Berlufte, 
trog aller Angft und Noth ift Seeland noch heute da. In 
dem weiten Bufen, wo Rhein, Maas und Schelde ihre Waſ— 
fer vereinigen, findet man viele Injeln und Sandbänfe. Sie 
find nad) und nad) entftanden, und Jahrhunderte lang be 
durfte es, die grame weiche Sandflädye dem Ocean zu ent« 
reißen. Nach und nad) erhöhte ſich die Meine Stelle, fie 
beffeidete fich mit Orlin; aber in dem hohen Schilf hauſte 
lange noch die liftige Otter; auf den feuchten Weiden hüpfte 
der Kibitz und niftete die Lerche; und Über den Waſſern und 
den gelben ſandigen Ufern ſchwebte die Möve in weiten Krei—⸗ 
fen. Von höherm Leben noch feine Spur. Es fam der 
Menſch; er filchte, weidete feine Rinder, pfliigte den Boden ; 
verfcheuchte die thierifchen Feinde, baute ſich feſte Wohnun- 
gen, errichtete feine Altäre, vermehrte fich und kämpfte mit 
den Wogen des Oceans, bis diefe Haus und Hof vernichteten 
und die Bewohner auf ben Boden des Meeres betteten. 


Aber der Kampf hatte begonnen, um nicht mehr zu enden. 
Fuß um Fuß entriß man in jahrhundertelangem Streit dem 
Meere. Aus dem fchlammigen Anwachs wurden Polder; 
die Jufeln vergrößerten ſich, die breiten Ströme wurden 
ſchmale Flügchen; das Feſtland breitete fich immer mehr aus, 
und fiets Meiner wurde das Gebiet der See. Wo früher 
das Salzwafjer braufte und die Schiffe fuhren, da prangen 
jegt Häufer mit Gärten und Wiefen, dort grajen die Rins 
der, dort wogt das goldgelbe Korn! 

Uber das Meer ift ein (Feind, der nimmer ſchläft, der 
feine Ruhe geftattet, der immer bereit ift, das zuräczunehmen, 
was er mur gezwungen hergegeben hat. Seeland kennt feine 
Kraft, es kennt die Gewalt feiner Wafler, bie es an allen 
Seiten umringen, bie feine Infeln einschließen. In dem 
Gedächtniß feiner Bewohner lebt noch die Erinnerung an 
manchen jchredensvollen Tag, am mancde lange Nacht. 
Wenn die aufgewühlte See mit donnerndem Kriegsgeſchrei 
ihre Wogen gegen die zitternden Deicye jagte, bis fie end— 
lic, brachen und zerriffen und das wilde Waller triumphirend 
ins Yand hineinftrömte, um in einem Augenblide alles zu 
vernichten, was veger Fleiß und zähe Geduld erarbeitet hatte, 
dann wurde aus dem fruchtbaren Yande wieberum eine fal- 
zige Fläche. 

Aber das Ringen begann von Neuem, und um die 
Frucht jahrelanger Arbeit, die oft in wenigen Augenblicken 
verloren ging, auch nur theilweife wieder zu erlangen, be— 
durfte es nicht felten Jahrhunderte. Noch jegt ſieht man 
viele traurige Denkmäler folder Siege des unbezähmten 
Elements: die grauen Flächen, halb Schlamm, Halb Waſſer, 
die ſich nur von Zeit zu Zeit faum über die Wellen erheben ; 
die weichen Sandbänke, in denen der Fuß, wenn er fie uns 
vorfichtiger Weiſe betritt, oft rettungslos verfint. Man 
nennt dies „ertrunfene® Yand*, Es ift eine nadte Wildniß, 
eine namenloje Fläche, die weder dem Lande noch dem Waj- 
fer angehört. Uber Geduld nur, auch hier wird ber 
ſchlitzende Deich den reifenden Anwachs umfchliegen, auch 
hier wird der Menſch fein verlorenes Eigenthum zurlickneh⸗ 
men; dann wird wieder Leben und Wohlſtand blühen, bis — 
ja bis das Alles vielleicht nochmals verſinkt, um abermals 
feine Auferſtehung zu feiern. Luctor et emergo! 

Eine der treffenditen Epifoden im dieſem langen Ningen 
ift wohl der Untergang von Reimerswael, der uralten 
Stadt an ber norböftlichen Küfte von Sud⸗Beveland, 


Hermann Meier: Stizyen aus Seeland. 47 


an dem linken Ufer der Oftichelde +). Allmälig vom Weis 
fer zum Dorf, vom Dorf zum Flecken geftiegen, wurbe es 
1374 vom Grafen Herzog Albrecht von Bayern zum Range 
einer Stadt erhoben und mit einer Mauer umgeben, Gie 
gewann raſch an Macht und Wohlftand und gehörte bald 
u den ftimmberechtigten Städten Seelands, die das Recht 

tten, Deputirte in die Regierung der Örafjchaft zu enden. 
Troß vieler Übermüthigen Verirruugen und Uppiger Freiheits 
fucht blieb ihr doch die Gunft der Pandesherren bewahrt. 
Zu Anfang des 16. Jahrhunderts hatte fie ihre Glanz: 
periode erreicht; 1525 vergönnte ihr Kaiſer Carl V., daß 
ihre Schöffen ftatt dreimal wöchentlich, im Jutereſſe der Kauf: 
leute täglich Gericht abhalten durften. Gewiß ein Beweis 
für dem lebendigen Verkehr der blühenden, reichen, üppigen 
Handelsſtadt. Reichlich 20 Jahre fpäter, 1549, huldigte 
man in ihren Mauern König Philipp mit Pracht und Pomp 
als Grafen von Seeland: aber fon damals hatte fie der 
erfte Schlag des unerbittlichen Scidfals getroffen, welches 
fie endlich verderben ſollte. 

Der 5. November 1550 war wieder einer jemer fchred: 
lichen Tage in der Geſchichte Seelands, an dem ein heißer 
Kampf mit dem unverföhnliden, unermüdlichen Erbfeind 
durchgefochten werben mußte. Diesmal galt. er befonders 
Süd-Beveland, welches faft ganz iberftrömt wurde, und 
von dem man einen Theil den Wellen zurüdgeben mußte. 
Der erteunfene Theil von Sud-Beveland, welches nod) heute 
feinen Rüden eben Über das Waffer erhebt, zeugt noch ftets 
von diefem fchweren Tage. Freilich blieb diesmal die Stadt 
mod; verſchont, aber fie verlor ihr ganzes äußeres Gebiet 
und damit eine der Hauptquellen ihres Beftehens: bie 
Saline Aber der grimmige Feind ruhte nicht. Im 
Jahre 1551 wiederholte er feinen Angriff; der Deich, der 
die Stadt und den unmittelbar daran grenzenden kleinen 
Bolder ſchützte, fiel ihm zum Opfer; das Waller ftrömte in 
die Stadt, ftieg bis 12 Fuß hoch in die Kirche, verwüſtete 
eine ganze Straße und vernichtete alle Seewehren. Freilich 
wurde mit Mühe und großen SKoften der Deich wieber her 
geftellt ; faum aber war es gefchehen, ald am 2. und 3.No- 
vember 1555 ein neuer Sturm den Deich zerftörte und bie 
ganze Umgegend unter Waffer ſetzte. Darf es uns Wun— 
der nehmen, daß die Bürger von Neimerswarl den Muth 
finfen ließen und den Deic) nicht wieder erneuerten? Da 
lag fie num, die dem Untergang geweihte Stadt inmitten ber 
Waſſer, nur noch durch ihre eigene Ringmaner. befchligt. 
Aber biefe Mauer — fie mochte im Stande fein, gegen feind« 
liche Banden Schug zu verleihen, war aber gegen den Feind, 
ber jet die Stadt bedrofte, zu ſchwach. Wiederum in Sa: 
nuar, im Jahre 1557, blies der heulende Orcan das Zei— 
den zum Sturm. Da rüdten fie heran die wilden Reiter 
ſchaaren, die ſchäumenden Wogen, und warfen fi mit 
unmiberftehlicher Gewalt auf die erjchlitterte, bebende Mauer. 
Was half Widerftand? Die Mauer ftürzte zufammen, ber 
fiegende Feind rafte in die Stadt und verwüſtete in wenigen 
Stunden Kirchen und Klöfter, das Rathhaus und den größ- 
ten Theil der Häuſer — das ſchöne Reimerswael glich faft 
einem Scutthaufen. Trotzdem gab man den Muth nicht 
gänzlich, auf, raſch legte man die Hand ans Werk und baute, 
was zu bauen war. So flieg fie wieder empor, die ſchmäh— 
lich mißhandelte Stadt. Aber fiehe! am 31. Auguft des 
folgenden Jahres legte eine Feuersbrunſt drei Viertel ber 
Stadt in Aſche. Die traurige Geſchichte ift noch nicht zu 
Ende. Im Februar 1561, im December 1563 ermeuerte 
der alte Feind feine Angriffe und hinterlich jedesmal die 
gräßlichen Zeichen feines Siege. Wettungslos und hülfs 


*) @lobus XXVII, ©. 129. 


108 gab die arme Stadt den ungleichen Kampf auf. Ihren 
unvermeidliden Untergang vor Augen , ohnmächtig denfel- 
ben abzumenben, baten fie die Regierung von Seeland, den 
königlichen Statthalter, den Prinzen von Oranien, um Hülfe. 
Man ſchloß das Ohr für den Nothſchrei der Sterbenden und 
gab nur die fühle Ermahnung, ſich jelbft zu helfen, wie man 
am beften fünne. Sich felber helfen! Aber ihr fehlte alles, 
denn von ihrem frühern Wohlftande war feine Spur mehr 
u finden; nur faum und mit großer Mühe lonnte fie den 

eſt ihres arınfeligen Dafeins gegen ben Feind verthridigen, 
den fie jegt auf Gnade oder Ungnade überliefert war. Und 
diefer, jetzt feiner Beute gewiß, beeilte ſich nicht; er hatte 
feine Haft, um die verlorene Stadt zu verderben: mit ſpöt⸗ 
tifcher, neckender Grauſamleit überließ er fie ihrem unvers 
meiblichen Yoofe, ihrem langen Todeskampfe. Von nun 
an feine neue Waſſerfluthen mehr, feine gewaltigen Kämpfe 
auf Leben und Tod: nein, ein langſames Hinfiehen, bes 
fördert durch andere Unglüdejchläge. Es waren ſchwere 
Zeiten für Holland angebrochen und Seeland erhielt davon 
nicht den geringften Theil. Sud⸗-Beveland von den Spa» 
niern befegt, aber von allen Seiten durch die Schiffe der 
Genfen umringt und bedroht, litt ſchmerzlichſt unter der Yaft 
des Krieges. Am Ende des Yahres 1573 griff eine Abthei⸗ 
lung ber Geufenarmee Reimerswael an und befegte es nad) 
kurzem Widerflande. Aber was wollte man mit ber erobers 
ten Feftung machen? Sie felbft zu halten, war unmöglich, 
dem Feinde wollte man fie nicht überlaffen, und fo wurde 
die arnıe Stabt von der rohen Bande in Brand geftedt und 
dann wieder verlaflen. 

Seitdem ſank fie allmälig tiefer und immer tiefer. Ohne 
äußere Wehr, entvölfert, zu einem Heinen Dorf zufanmmen- 
geſchmolzen, verzichtete fie in ihrer tiefften Erniedrigung auf 
den Hang einer Stadt, auf ihr Necht, mit dem vier anderen 
Städten Seelands an der Regierung Theil zu nehmen. Im 
Elend und Armuth friftete fie ihr fümmerliches Dafein bis 
zum Jahre 1631. Im September diefes Jahres wurde in 
dem benadjbarten Slaal das merhwlrdige Gefecht zwiſchen 
der fpanifchen und ftaatifchen Flotte geliefert, im der eine 
große Anzahl Spanier gefangen genommen wurde. Etwa 
4000 derfelben legte man in das abgelegene Dorf, welches 
einft Reimerswael gewejen war, aber die wenigen, armen 
Dewohner verließen num ihre Wohnftätte und zogen meiftens 
nad; Tholen. Die einft fo blühende Stätte blieb num den 
Winden und Wogen zum Naube, bis endlich 1634 auf Be« 
fehl der Generafftaaten die Pflafterfteine — dies war alles, 
was von ber frühen reichen Handelsſtadt zurüdgeblieben 
war — in öffentlicher Auction filr etwas mehr als 1000 Gul⸗ 
den verfauft wurden. 

Das war das Ende von Neimerswael; für fie galt die 
alte Devife nicht; fie hatte gerungen, aber fie war befiegt. 
Und nod) heute, wenn zur Ebbe die gelbe Saudfläche ſich 
troden legt, ertennt man die Stelle, wo einft bie Stadt ftand, 
die Fundamente der weggeſplilten Häufer, die Richtung der 
verſchwundenen Straßen. 

Diefe Stadt ift nicht die einzige, die im folder Weife 
bier unterging. Unter der ruhigen, lachenden, ftrahlenden 
Oberfläche diefer breiten Wafler fchläft mander Ort, man— 
ches Dorf, mander Weiler. Doch was aud in dem harten 
Kampfe verloren ging, mehr noch wurde erhalten und ger 
wonnen. 

Das Bolt, das diefe Gegend bewohnt, trägt den Stem⸗ 
pel feines Landes, Es ift offen und gerade, freiheitslichend 
und unverzagt bis zur Bermeflenheit, unternehmend und 
Hug. So hat e8 ſich in den beften Tagen feiner Geſchichte 
gezeigt und auch jet noch hat es diefe Tugenden nicht ganz 
verloren. Bon Kindesbeinen an mit bem Waſſer vertraut, 


48 


welches fie von allen Seiten umgab, fühlten die behenben, 
kräftigen Bewohner fid auf dem Meere ebenfo heimifch, wie 
auf dem Lande: Fiſcherei, Seefahrt, Handel, auch Kaperei 
waren vom jeher ihre liebſten Beſchäftigungen. Matrofen 
von hier bildeten einen großen Theil der Flotte; eine ganze 
Reihe der ausgezeichnetſten Seeoffiziere und Geehelben 
ftammte aus Seeland. In den bangen Jahren des adhtzig- 
jährigen Krieges blieben die Bewohner Seelands nicht zus 
rüd, und diefe Gewäfler und Infeln waren Zeugen mancher 
Heldenthat, manchen blutigen Kampfes, Mit ihren leichten 
Booten ſchwärmten fie = den Flüſſen und längs der Kü— 
ften umher, fie faßten den Feind, wo fie ihn fanden. Auch 
auf diefen Gewäſſern hat es in jenem achtzigjährigen Kriege 
geſchäumt, gebonnert und geſtürmt; unter allen biefen Strö: 
men, Flüſſen und Bächen ift faft fein einziger, der wicht 


Aus allen Erdtheilen. 


mehr als einmal von dem Blute der Freunde und Feinde 
voth gefärbt wurde, So wurde ber der See entrungene 
Boden, der ftetS vom Untergange bedroht und darum aud) 
fo innig geliebt wurde, aud) von dem Joche der Fremden 
befreit. Denn folder unvechtmäßige Zwang ift unerträglid) 
für den Augen freien Mann, der nach jahrhundertlangem 
Ringen mit der Natur fich feine Heimath felbft erichaffen 
hat. Es waren gewaltige Feinde, diefe Waflerlöwen, und 
daß nicht mit ihren zu fpotten, haben Spanien, England 
und Frankreich erfahren. Aber e8 waren auch treue Freunde, 
bie das Herz auf der Zunge trugen, deren empfänglic)es 
Genlith Für die ebelften und fanfteften Eindride ſtets offen 
war. Es waren echte Söhne ihres Landes: einfach umd 
freundlich, matirlid) und fanft; aber zum Horn gereizt, 
war ihre Kraft eben jo furchtbar, wie ihre Rache ſchreclich. 


Aus allen Erdtheilen. 


Aus Sübdauftralien, 


— Die werthvollfte Kupfermine auf dem auftralifchen 
Continente ift die auf Yorle Peninſula, Süd-Anftralien, ge: 
legene Moonta. Dielelbe bat feit ihrer Entdeckung im 
Jahre 1862 ihren Befigern bereits einen Neingewinn vor 
912,00 Pf. St. abgeworfen. Das Bergwerk liegt auf Kron- 
landgebiet, und der Pachtcontract, welcher in dieſem Jahre 
ablief, wurde, nach den Beftimmungen des Minengeletes, 
auf weitere vierzehn Jahre gegen Zahlung von 10,320 Pf. St. 
verlängert. 

— In Sübdauftralien ſcheinen fich leider die Jeſuiten 
und das Nonnenmwelen zu verbreiten. Am 5. September 
wurde im Kenfington bei Adelaide der Grunbdftein zum 
Mutterhaufe der „Sifters of St. Zoleph* gelegt, die ſich 
nicht bloß auf Südauftralien beſchrünken, jondern auch in 
den übrigen Golonien Filiale ftiften wollen. 

— Im füdauftraliichen Parlamente wurde am 8, Sep: 
tember 1875, bei Erörterung einer Geſetzesvorlage gegen 
Sittenlofigkeit, die Erflärung abgegeben, baf ein Zwölftel 
der ganzen 28,030 Seelen betragenden Bevölferung der Haupt: 
ftabt Adelaide ſyphilitiſch inftcirt fe. Man berief ſich da— 
bei auf das ausbrüdliche Zeugniß des dortigen renommirten 
Arztes Dr. Peel, jowie auf die gravirenden Ausjagen des 
Bolizeivorftandes. Wenn das wahr ift, jo wäre ja Mdelaide 
gewiffermaßen mit Sodom und Gomorrha vergleihbar! Wir 
find über diefen Wechſel nicht wenig erftaunt. Ju früberen 
Jahren, ald wir noch in Adelaide lebten, galt diefe Stadt 
— und das mit vollfommenem Rechte — im Allgemeinen für 
einen Ort ftrenger Sittlichfeit und guten Unftandes, und 
zeichnete fich in diefer Bezichung vor anderen größeren Städ- 
ten Auftraliend, namentlich Sydnen, vortheilbaft aus. 

— Nah officiellen Angaben mehrt ſich der Bauperis- 
mus in Siüdauftralien in bedenklicher Weile. Am 30. Juni 
1875 belief fich die Zahl derer, welche aus öffentlichen Mit- 
teln erhalten oder unterftügt wurden, auf 2554 gegen 2426 
im Vorjahre, bei einer Bevölkerung von 206,476 Seelen. 
Dies würde einen Procentfat von ungefähr 1Y, ergeben. 

— Das Minifterium, welches fi unter Führung des 
eminenten Staatsmannes Mr, James P. Boncant „das 
Ministerium der progreffiven Bolitif" nennt, erhielt vom Parla⸗ 


mente die Bewilligung au einer neuen Anleihe in der Höhe 
bon 3 Mil. Pf, St. Davon follen 2,200,000 Pf. St. für 
den Bau von 550 Miles Eifenbahnen mit einer Spurweite 
von 31, Fuß verwendet werden, welche theils in ben joge: 
nannten Far Nortb, nörblic von Port Anguſta, theils über 
die Rupferminendiftricte nad) der mordweftlichen Biegung des 
Murray Fluffes (ald erfte Station einer Eifenbahnverbindung 
zwiſchen Adelaide und Sydney) führen follen. 

— Das in Privatbejit übergegangene Kronland ift feit 
dem Jahre 1569 von 21'/, auf 28"/, (im Ganzen 5,930,020 
Acres) und das unter Eultur befindliche Land von 424 auf 
61, Acres (im Ganzen 1,350,000) pro Kopf der Bevölkerung 
geftiegen. 

— Die Regierung hat mit der „Cable Eonftruction and 
Maintenance Company“ in London einen Contract abgelchlof- 
fen, demzufolge legtere im nächlten Jahre cin Kabel zwiſchen 
Gape Jervis, an der Südipige des Hindmarih:Diftrictes, und 
der Kangaroo Island legen wird. 

Leihhardt:Spuren. Der Arzt Eduard Schneider in 
Tambo, einem Heinen Flecken am Barcoo⸗Fluſſe im Mitchells 
Diftricte, Colonie Queensland, berichtete im Auguft 1875 an 
den Botaniker Dr. Müller in Melbourne, man babe jenfeit 
Tambo im wilden Buſch ein Grab entdedt, in welchen bei 
der Eröffmeng Knochenreſte fich befunden, die Weißen m: 
gehört hätten. Vor nicht langer Zeit wäre nicht weit davon 
eine Pulverflaiche aufgefunden, und etliche Bäume im der 
Nähe hätten die Juſchrift L. L. — Unter folchen Umſtänden 
darf man wohl annehmen, daß dort zwei Gefährten der 
Leichhardt’ichen Erpedition geftorben und begraben feier. 

Barrar. 

Wie bald Aeghpten von der Erlaubniß des Sultans, fich 
um Peila herum mach Belieben Land ammectiren zu dürfen 
(1. Bd. 28, ©. 157), durch die Beſetzung des Kaffeelandes von 
Harrar Gebrauch machte, ift jeit einigen Wochen dur die 
Tagesblätter bekannt, Yet erfabren wir dur dag „Bay 
reuther Tageblatt", daß das erſte Handlungshaus, welches 
in dem neuen afrifaniichen Plage ein Comptoir errichtete, 
ein deutſches ift. Es ift die Kairiner Firma „Koh, Mino 
u. Comp.“, welche dem Kaffee, Gummi, Myrrhe, Elfen— 
bein n. ſ. w. des Somallandes feine Aufmerkfamfeit zumen- 
den will. 


Inbalt: Die Wüſte Atacama. III, (Mit drei Abbildungen.) Schluß.) — Richard Andree: Neugranadiniiche Alterthümer IT. 
Mit neun Abbildungen.) (Schluß.) — Zur Kulifrage. II. (Schluß) — N. Latkin und Albin Kohn: Sibiriihe Zuftände. — 
ermanm Meier: Skizzen aus Seeland. I. — Aus allen Erdtbeilen: Aus Sidauftralien. — Harrar. (Schluß der Redacion 


5. December 1875.) 


Redacteut: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. ®. Lindenftraße 15, III Tr. 
Drud und Berlag von Friedrih Vieweg und Sohn in Braunfchmweig. 





der Anthropologie und Ethnologie. 


Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 





Braunfchweig 


Yährlih 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlih 4 Rummern. 
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Rummern 50 Bf. 





1876. 








Am Grabe des Entdeders,. 
Von Franz Birgham. 


An einem Januarabend des Jahres 1875 verließ ich auf 
dem Meinen Schooner „Uilama* (die weiche hawaiiſche Aus- 
ſprache des englifchen Namens William) den Hafen von 
Honolulu, der Hauptitadt des Königreichs der Sandwich— 
infeln, um nad) Hawaii, der größten und füdöftlichften Inſel 
des Urchipels, hinliberzufahren. 

Der Cours führt in gerader Linie nach Südoſten, wobei 
die „Windward“ :Injeln Molofai, Yanat, Kahulawi und 
Maui lints liegen bleiben; die Entfernung beträgt gegen 150 
Seemeilen, 

Der Schooner war fehr Hein; die Cajlite, mit zwei Bet— 
ten Über einander auf jeder Seite, hatte faum ſechs Fuß im 
Quadrat, jo daß der feine Eßtiſch kaum Play fand. Ich 
war ber einzige „Cabin*-Paffagier, doch befanden fich außer 
dem Gapitän, einem intelligenten hapa-haole (wörtlic) 
Halbfremder, Sohn eines Weißen und einer Hawaiierin), 
feinen fieben oder acht Kanala-Matroſen und dem dyinefifchen 
Koch mod; gegen ein Dugend eingeborener Paflagiere an 
Bord, die nad, einem Beſuche der Hauptftabt nad) ihrer 
Heimathsinfel zurlidklehrten. Die Paflage fir dieſelben bes 
trägt bloß zwei Dollars, doc, müſſen fie fich ihren Poi, 
die Nationalfpeife, felbft mitbringen und auf Ded cams 


piren. 
Obgleich die Ueberfahrt durch Gegenwinde oder gar Wind⸗ 


ſtille oft auf ſechs bis acht Tage verlängert wird, hatten wir 
zum Glucdk 4 Norboftbrife und fahen in der dritten 
Nadıt das Yeuchten des Vulcans Mauna Yoa vor und am 


Himmel. Am frühen Morgen lag die „Uilama“ im Hafen, 


Globus XXIX. Nr, 4. 


von Kailua vor Anker, einem auf fahler Lavafläche am Fuße 
bes todten Bulcans Hualalai liegenden Orte, und es wurde 
ein Boot voll Paffagiere und Fracht auf dem breiten Saud- 
ufer gelandet. Mit leichtem Winde fette ber Schooner lang: 
fam die Fahrt an bem vom vielen Dörfern und Kolospalmen 
bebecften Ufer fort und bog.erft gegen Mittag in bie zwölf 
Meilen füdlicher gelegene Kealafeatua- Bay, mein Reife: 
ziel, ein. 

Diefe, die fchönfte Bay Hamatis, Liegt faft in der Mitte 
ber Weftfüfte der Iufel und fchmeidet, gegen zwei Meilen 
(engl.) breit, mit geraden Ufern tief ins Land hinein. Ein 
faft ſenkrechter Pali (Abhang, Abfturz) von 500 Fuß Höhe 
ichließt fie auf der Yandfeite ab und macht jede Landung an 
den vom weißen Schaum ber brandenben Wogen bedeckten 
Helfen unmöglic; auf beiden Seiten dagegen läuft das Yand 
in niebrigen lächen ſchwarzer Lava aus, fpärlich mit Grup⸗ 
pen von Kolospalmen und ftahligen Cactus: und Ricinus- 
ſiauden bededt, zwifchen denen man hier und da die dunfels 
grauen Hütten einiger Kanaka-Dörfer erblidt. 

Einer neuern Theorie zufolge ift die Bay ein nad) 
bem Deere offener, enormer, hier verfunfener Krater, und 
zwar leiht das fenfrechte, alle Merkmale anderer hawaiiſcher 
Krater aufweifende Bali auf der Landſeite, ferner eine quer 
über die Einfahrt zur Bay laufende Sperrbanf ober Untiefe, 
fowie auch die bedeutende Tiefe des Waſſers diefer Anficht 
viel Wahrfcheinlichleit, um fo mehr als auch wirklich ein 
Heiner Zavafegel zwei Meilen nördlich bei dem Orte Nawawa 
am Meeresufer ſieht. 

7 


50 Franz Birgham: Am 
Mittlerweile hatte die „Uilama“ die Gegel eingenommen 
und war langfam bis zu der fehon im „Globus“ (XXII, 
©. 287) erwähnten Boje getrieben, an die fie mit Ketten 
befeſtigt wurde. Diefelbe beftcht aus einem großen, rothe 
angeftrichenen Dampffeffel, der, waſſerdicht gemacht, mitten 
in der Bay feftgeanfert liegt. Das Boot wurde herunter 
gelaflen, die flir dem Hafen beftimmten Paffagiere und Waa- 
ren hineingebradjt und bald ſchoß es mit und, durd) die Fräfr 
tigen Arne von vier unferer braunen Matrofen gerudert, 
bem finfen (mörblichen) Ufer zu, auf das Dorf Kaawaloa los. 
Daſſelbe befteht, wie alle Meinen hawaiiſchen Ortſchaften, 
aus einer Anzahl Hütten, funftvoll aus Pili-Gras oder Lau— 
halas (Pandanuss) Blättern geflodyten und von Kokospalmen⸗ 
gruppen und Mauern aus unbehatenen Yavaftiiden umgeben. 
Auf der nad) links auslaufenden Yandipige fteht ein Meiner 
Leuchtthurm, defien Licht (eine Oellaterne) aber nur in Nädı 
ten, im denen der fleine interinfulare Dampfer „Kilauen“ 
ersvartet wird, die Einfahrt beleuchtet. Auf dem Fleinen 
hölgernen, mit Steinen gegen bie Brandung beſchwerten Werjt 
ftand eine Gruppe Eingeborener, fowie aud) einige weiße 
Anfiedler diefes die Bay umfafienden Diftrictes Kona. 


Grabe des Entdeders. 


Mir fliegen ans Fand. „Auf dieſer Stelle,“ fagte der 
neben mir ftehende Capitän der „Uilama“, und deutete auf 
einen großen, flachen Lavaſelſen, ber dicht zur Yinfen des 
MWerfts, theilmeife von der hohen Fluth bededt, im Waſſer 
lag, „auf diefer Stelle ftand vor 96 Yahren Capitän Coot 
und rief feinen etwa hundert Schritt vom Ufer, dort auf dem 
Waſſer liegenden Booten zu, ihm abzuholen, während feine 
Meatrofen auf meine Fandeleute am Ufer hier feuerten. Da 
ſtieß ihm ein Häuptling fein Meſſer in den Rüden und als 
er mit dem Geſicht in diefe Waflerladyen hier fiel, warfen 
ſich die übrigen Krieger auf ihn und erfchluger und ertränt: 
ten ihn vollenba.“ 

Auf feiner dritten Weltreife hatte Cook am 18. Januar 
1778 den von ihn Sandwichsinſeln benannten hawaliſchen 
Ardyipel entdedt (befanntlic; wird diefer Name auf Hawaii 
nicht mehr anerfannt). Bon den Cingeborenen, die ciner 
alten Tradition zufolge ihren Gott Lono auf einer ſchwim- 
menden Infel erwarteten (noch heute bedeutet im der Yandes» 
fpradje moku fomohl Infel ale Schiff) und denfelben 
in Goof zu fchen glaubten, wurbe er als übernatürliches 
Weſen behandelt. Im folgenden Jahre zurückkehrend blieb 








a — 


Coot's altes Denkmal auf der Inſel Hawaii, Originalſtizze von Franz Birgbanı. 


er mehrere Monate in dieſer, der gefchügteften Bay Hawaiis, 
liegen, um feine Schiffe auszubefiern. Jedoch durch feine 
maßlofen Forderungen von Vebensmitteln, durch Krankheiten, 
welche mittlerweile den Eingeborenen durch feine Echiffes 
mannfcaft mitgetheilt worden waren, ſowie durch rlidfichte- 
loſe Behandlung ber kahunas (Priefier) zog er fich bald 
den Haß der fonft frieblichenden Kanalas zu. Als er end- 
lic) das Holzwerk eines Tempels auf dem Eidufer der Bay 
als Brennftoff abbrechen lieh und am 14. Februar den ober: 
ften Häuptling als Geifel für ein ihm geftohlenes Boot von 
Kaawaloo auf fein Schiff führen wollte, erhob ſich das Rolf 
gegen ihn. eine legten MAugenblide, wie fie von feinen 
Begleitern dargeftellt werden, dürfen als zu befannt voraus: 
gelegt werden, um bier eine Wiederholung zu finden, dages 
gen blirfie die hawaiiſche Werfion berfelben, wie fie mir an 
Ort und Stelle mitgerheilt wurde, den meiften Leſern neu fein. 

Nach derjelben führte Cook den König, einen fehr alten 
Mann, an der Hand auf fein Boot zu, um ihm am Bord 
feines Schiffes zu nehmen. Da drängen ſich die hawaiiſchen 
Krieger vor ihn, um beide zurüdzuhelten, und einer ber 
aliis (Häuptlinge) faßt Coof, der als mwerlegbar ange- 
ſehen wird, feft am Arme. Unwillkürlich ſchreit der Capi- 
tan vor Schmerz auf.» „Was?“ ruft der Eingeborene, „Tu 


weinft, Du fühlft den Ehmerz? Die bift alfo doch fein 
akun (Gott)!“ und fiößt ihm das von den Engländern 
felbft eingehanbelte Eifenmeffer in den Rüden. 

Dis vor wenigen Jahren ftand noch dicht am dene Fel— 
jen, auf dem ber große Weltumfegler feinen fegten Arhem 
aushauchte, der Stumpf der Palme, in deren Schatten er 
fiel. Mehrere engliſche Kriegsichiffe, die den Ort befuchten, 
befeftigten Supferplatten mit Namen und Tatun am dem: 
felben. Später fand ich dieſen Etunpf als Guriofität in 
Woodward's Mufeum in San Francisco aufgeftellt; die Plat 
ten waren an cine andere Palme genagelt worden. 

Etwas zur Redyten und zuriid vom Ufer fieht cin Denf- 
mal zum Andenken an ben Entdeder. Daſſelbe wurde im 
November 1874 von Ihrer Majeftät Kriegéſchiff „Scout“, 
das zugleich die engliſche Expedition zur Beobachtung bes 
Venusdurdgangs nad) dem erwähnten Kailug brachte, hier 
aufgeftellt. Es ift dies ein hübſcher, 25 Fuß boher belief 
aus Kinftlichem Sandftein und trägt auf der dem Landunge 
plage zugewandten Seite des Mlirfel® die (englische) In 
ihrift: „Zum Gedähtnig an den großen Meltumjegler 
Gapitän James Coot R. N., der biefe Infeln am18. Januar 
A. D. 1778 entdedte und in der Mähe dieſer Stelle am 
14, Februar A. D. 1779 fiel. — Dieſes Dentmal wurde 


Frarz Birgham: Am Grabe des Entdeders. 


im November 1874 von einigen feiner Panböleute er- 
richtet.“ 

Mittlerweile waren einige Pferde herbeigeholt worden und 
unter ber trührung eines jungen, Fräftigen Kanalas verließ 
ih den Yandungsplag, um auf dem breiten, ben Abhang 
hinanfführenden Wege auf die andere (Sib-) Seite der Bay 
B gelangen. Rechts erhob ſich das ſenkrechte Pali voller 

öcer und Höhlen, in demen früher die Todten, mit Striden 
von oben herabgelaflen, beigefegt wurden; daher auch ber 
Name der Bay: ke-ala-ke-akun, „ber Weg der Geifter“. 
Links erſtredte fich das Ufer als kahle Yavafpige ins Meer. 
Nichts bezeugt befler die verheerende Wirkung vulcanifchen 
Feuers, als dieſe in allen Schattirungen von Schwefelgelb 
bis Duntelblau und Schwarz ſchillernden, im jede benlbare 














Eoof’3 neues Drafmal” anf der 


und Schilde zu ſchützen juchten, indem jie die Kugeln nicht 
fannten, fondern nur den Feuerftrahl ans den Musleten fir 
tödtlich hielten. Und bier wurde der Leichnam in Stücke 
getheilt, nicht etwa, wie ſelbſt heute noch vielfach irrehlimlich 
geglaubt wird, zum werde des Cannibalismus (deun die 
Hawaiier waren nie Unthropophagen), fondern weil es uralte 
Eitte bei ihmen war, die Peichen ihrer großen Häuptlinge, 
und als ſolchen jahen fie Coof noch immer an, zu zertheilen, 


das Fleiſch von den Knochen zu trennen und die einzelnen | 


Theile jeparat zu begraben oder in Höhlen beizuſetzen. 

Auf dem fanft geneigten Plateau über dem Pali ange 
langt ritten wir raſch an dem Rande des legtern entlang 
nad der andern Seite ber Bay. Von biefer Höhe gejehen 
erichien das Wafler derfelben jo Mar und durchſichtig, daß 
man bei bedeutender Tiefe und auf weite Entfernung vom 
Ufer die Steine deutlich auf dem Boden wie durd) eine hell: 





51 


Form gefloffenen und zerborflenen Pavafelien. An einer 
Stelle hatte eim fpäterer Pavaftrom fic über einen ältern 
Abhang ergofien und bildet jegt fo zu fagen einen verfteinerten 
Waſſerfall. 

Etwa eine viertel engliſche Meile vom Ufer ben Berg 
hinauf fteht bicht am Wege das alte Eoof-Denfmal, ein rohes 
Deauerviered aus unbehauenen Yavablöden, in beffen Mitte 
fich eine Stange mit einer Kupferplatte erhebt, deren Infchrift 
berjenigen auf ben Obelisk gleich ift, mur daß Hier das Da- 
tum der Errichtung 1320 lautet. 

Auf diefe Stelle nämlich zogen fich die Eingeborenen mit 
dem Leichname des erfchlagenen Gapitäns vor dem verhee⸗ 
renden {Feuer der Engländer zurüc, vor dem fie fid) vergeb- 
lich durch Vorhalten ihrer mit Waſſer angefeuchteten Matten 





— 


Inſel Hawaii. Originalſtizze von Franz Birgham. 


grüne Glasſcheibe ſehen lonute. Drüben ging es dann auf 
einem fehr fteilen und ſchmalen Wgee an der fait ſenlrechten 
Seite des Abhangs nad) dem Dorfe Napupu auf dem Süb- 
ufer der Day hinunter. Daffelbe ift viel größer als dag 
gegenliberliegende Kaawaloa, enthält aud) einige Holz⸗ und 
fogar Steinhäufer und hat cine proteftantifche Kirche und 
Schule aufzuweiſen. 

Auch hier finden ſich noch Merkmale ans Coof's Zeiten. 
Ein großer, regelmäßiger Haufen Lavaſteine von 20 Fuß 
Höhe und 100 Funk im Quadrat Größe bezeichnet noch heute 
die Stätte des alten Heiau (heidniſchen Gögentempels), dej- 
fen Zerftörung durch Cook endlich die Geduld der Hawaiier 
brach, und mehrere freisrunde Löcher in zwei demnach über 
hundert Yahre alten Kotospalmen wurden mir als von den 

Kugeln herrührend bezeichnet, mit denen bie englischen Schiffe 
nad; dem Morde die Ortſchaften der Bay beſchoſſen und von 
7. 





52 Die Betichuanen. 


denen mir auch eine gegen 30 Pfund ſchwere in einer Hütte 
als Neliguie gezeigt wurde, 

Faſt ſammiliche Theile des zerftüdelten Leichnams ihres 
großen Flhrers wurden ſpäter den Engländern ausgeliefert 
und von denfelben, in feine Matten gehüllt, im bie tiefen 
Wafler der Bat) verfentt. Die genaue Stelle des legten 
Ruheortes Cool's ift demnach unbefannt, fein Andenten erhal: 
ten aber die Monumente am Ufer, und wenn diefe vergangen 


find, wird noch das Journal feiner Entdeckungen das befte 
und bauerndfte Dentmal des großen Weltumſeglers bilden. 

Mit Sonnenuntergang verließ die „Uilama* die Bay 
und fuhr mit der günftigen Abendbrife weiter die Infel ent« 
lang; ich blieb aber nodj einige Zeit in Kona zurlid und 
trat dann meine Reife über Yand nad, dem 105 Meilen 
entfernten, auf dem Südende der Infel Hawaii gelegenen 
activen Krater Silauen an. 


Die Betjduanen*) 


Das ſtämmereichſte unter den dunkel pigmentirten Böl- 
fern Südafrikas ift bas der Betſchuanen (Berchuana fchreibt 
Prof. Fritſch, wo ch als c mit folgender Afpiration zu fpre- 
chen ift), zwar ungmweifelhaft zur großen Familie der A-bantu 
gehörig und bem eigentlichen Kaffern verwandt, aber doch 
fchon feit Jahrhunderten eine gefonderte Stellung einnehmend, 
wie viele phyfiognomische und ethnographifche Unterſchiede 
erfennen laſſen. Es fcheint, dag fie erft fpiiter, als die Kaf- 
fern, ausfdyließliche Bewohner Sübafrilas geworden find. 
Bon ihren Nachbarn, den Zulu und Ovasherero, weſentlich 
unterfchieden, zeigen alle, felbft bie amt entjernteften ftehen« 


Bufchmänner und Ba-falahart beim Fleiſchzerlegen. 


Grenzen unficherer, da ſich hier die Matabele zwifchen die 
Betichuanenftännme einfchieben, während im ſten das 
Beden des Ngami⸗Sees ein Gebiet gemifchter Benölferung 
bildet, weil dort Ovasherero, Namaqua und Betichuanen zus 
fanımenftoßen. Diejes gewaltige Gebiet ift aber einerfeits 
nur jehr dünn bevölfert, mährend anbererfeits ber ganze 
Oſten durch die beiden Freiſtaalen der Boeren in Befik ge 
nommen worden ift. 





den Stämme dieſes Volles eine gewiſſe charakteriſtiſche Ueber⸗ 
einſtimmung untereinander, bie fich ſchon in ihrem Gefanmt- 
namen („chuana* — ſich gleichen, mit dem Pluralpräfir 
„Be*, alfo „Leute, die ſich ähnlich, gleich find“) ausdrüdt. 
Diefes Gefühl nationaler Aufammengehörigleit ift um fo 
auffallender, als die einzelnen- Stämme Hunderte von Meis 
len von einander wohnen. Denn das Gebiet derjelben er- 
ftredtt fich vom Orangefluß im Süden bis an den Zambefi 
und von dem Kathlamba-Gebirge im Often bis zur Wüſte 
Kalahari, indem es fo den geſammten Kern des Continen« 
tes füdlih vom Zambeſi umfaßt. Im Norboften find die 


—— 





Dieſe öſtlichen Stämme faßt man unter dem Namen 
ber Ba-futo zufammen, die weftlicyen als Kalahari: Zweig ; 
und zwilchen beiden figt auf beiden Seiten det Yimpopo 


*) Bilder und Tert (im Auszuge) find und gürigk von dem Wer ⸗ 
leget, Hm. #. Hirt in Breslau, zut Verfügung geflellt aus Tem 
ſchon öfter im „Blobus” beſprochtnen Prachtwerke „Die Eingeborenen 
Süpdafrilas, erbnograpbifch und anatomiſch bejchrieben ven Guſſt a v 
Britfch, med. Dr, x.“ 


Pie Betſchuanen. 53 


bie hinauf gegen feine Ouellen eine wittlere Gruppe, die 
der Basfoin. Jede diefer Gruppen zählt eine ganze Reihe 
augehöriger Stämme, deren Bezeichnungen nicht, wie bei den 
Koffern, nad) den Häuptlingen gebildet werben, ſondern meifl 
nad einem Thiere, das einen nationalen Charakter für fie 
bat und mit deffen Namen zuweilen aud) der betreffende 
Häuptling angeredet wird. So erfcheinen unter den zwölf von 
Fritſch aufgeführten Stämmen der Weſt-Betſchuanen die 
Ba-tlapi (Fiſchwoll), Basthatla (Affenvolf) und Bastuena 
(Krokodilsvolf); umd unterden elf Zweigen der öftlichen Be— 
tſchuanen, derem bedeutendfier die jegt von England abhän— 
gigen Ba-futo find, die Bastau (Volt des Löwen), Ba-puti 
(Bolt des Duiker [Cephalophus mergens]), Ba-phiring 
{Bolt des Wolfed), Ba⸗tloung (Voll des Elephanten) und 
Bastfetfe (Boll der Tſetſe⸗Fliege). Fritſch ſchätzt die Ge« 
fammtftärte der weftlihen Betſchnanen auf 160,000 See— 
len, die der öftlichen und der Ba⸗koin auf 75,000, während 
der officielle englische Cenfus für das Ba⸗futo⸗Land allein 


des Kopfes rings herum rafirt ober kurz gefchoren werben, 
auf dem Scheitel aber ſtehen bleiben und, durch eine Berlen» 
ſchnur zufammengehalten, in eine gegen 6 Gentimeter hobe, 
dichte Maſſe verfilgt werben, Diefelbe macht den Cindrud 
einer Krone und erhält durch das Einſchmieren einer Por 
mabe aus fett und gepulvertem Titaneifen größere Confiftenz. 

Das mwecfelndite Moment in der äußern Erſcheinung 
diefer Stämme ift die Gefichtöbildung; die befte Entwides 
lung und größeſte Negelmäßigfeit darin zeigen die Ba-futo, 
deren Fühles Gebirgsland ihnen die günftigiten Bedingungen 
für die Körperentwidelung bietet. Nirgends aber geben die 
Frauen wegen ihrer unterdridten Stellung und der ilber: 
mäßig ſchweren Arbeit gute Typen für die Race ab, noch 
feltener anjprechende. Die Refte der öſtlichen Stämme, 
welche nur noch ein fimmterfiches Dafein unter den Boeren 
friften, erreichen auch im ihrer äußern Erſcheinung keines— 
wegs das gute Ausfehen der Ba⸗ſuto. Dagegen laffen fie 
bielfad) ihre Herkunft aus nördlicheren Gegenden erkennen 
umb zeigen dann eine Gefichtsbildung, welche auf das Leb: 


erwa 75,000 Bewohner (Fritſch nur 40,000) annimmt. 
Rechnet man hierzu noch etwa 70,000 flr die Stämme im 
Norden und Nordoften des Transvaal, fiber welche feine ge- 
nügenden Angaben vorliegen, fo beträgt die Totalftärte ber 
Vetfdyuanen 300,000 bis 340,000 Seelen. ine gleiche 
Bevölferungsdichtigfeit wilde man etwa erhalten, wern man 
ein Drittheil der Bewohner Berlins ſich fiber ganz Deutſch- 
land zerftreut wohnend benft. 

Während den Kaffernantlig ein Ausdrud von Kraft, 
Frog und Wildheit innewohnt, fo fpridjt ans ben weicheren 
Zügen der Betſchuanen Sanftmuth, Gefügigkeit, häufig auch 
Schlaffheit. Die Figur iſt ſchlant, die Haltung häufig 
etwas gebeugt, die Musculatur nur mäßig entwidelt. Ber 
fchaffenheit und Pigmentirung der (ſehr dunkel oder ſchwarz 
braunen) Haut ſowie das die, verfilzte Haar gleidyt ganz 
dem der Kaffern, melde in Band 26, ©. 80 geichildert 
worden find. Cine bejondere Geſtaltung zeigt bie Friſur 
ber Betſchuanenfrauen, bei denen die Haare an den Seiten 





Frauen und Kinder der Ba-fnöna, Victualien zum Verlauf bringend. 


baftefte an diejenige der Stämme nörblih vom Acquator 
erinnert. Als legten der zwölf Stänme der Weft-Berichua- 
nen führt Fritſch den der Barlala auf, der dem Namen 
eines Stammes eigentlich nicht verbient, ba er nur eine 
unterbrüdte Claſſe der Bevölferung ift, welche Mitglieder 
ber verjchiedenften Stämme in ſich begreift. Sie befigen 
darum auch feine burchgreifenden charakteriftijchen Unterjchiede, 
nur daß der Mangel und das Elend, welchem fie unterwors 
fen find, ſich in der ſchwächlichen Entwidelung des Körpers, 
der geringern Größe, bürftigen Musculatur und den auf- 
getriebenen Bänden jüngerer Individuen ausdrüdt. Aus 
den flupiben, häßlichen Geſichtern leuchtet nicht nur die 
Noth, ſondern aud) die Unterbrüdung hervor: DBa-lala heißt 
„die Armen* ; da fie an den Grenzen der Kalahari-Wüfte 
hanfen, nennt man fie auch Ba-falahari, In unjerm erften 
Bilde ift der halbwüchſige Knabe in aufredjter Stellung fitr 
ben Habitus derſelben typiſch, befonders durch die eigenthlim- 
fiche GSeftaltung des Bruftforbes und Unterleibes, 

Der größern Weichheit des Charakters der Betſchuanen 


54 Die Betjchuanen. 


entſpricht ſowohl der Umſtand, daß ſich nur ausnahmsmeife | Woher und Wohin die eingehendjte Erörterung gefunden 


in Folge feindliher Angriffe oder des Aufrufes eines ener- 
giſchen Führers in ihnen ber kriegeriſche Geift regte, als 
aud) eine große Empfänglicjfeit und Neigung für Fremdes 
fowie geringere Widerftandäfraft gegen äußere Einflüffe. 
Sie Äffen gern europäifche Kleidung und Sitten nad), neh» 
men leicht wenigftend die äußeren Formen des Chriftenthums 
an und zeigen in ben Schulen ber Miffionäre Eifer und 
viel Anſtelligleit. Größere Bildung macht fie aber nur 
durchtriebener, nicht befler; die großen Hoffnungen, weldye 
man auf die europätfche Erziehung bei den beiden Söhnen 
des Ba-futo-Häuptlings Moſcheſch ſetzte, haben ſich, wie dies 
faft ftets der Fall ift, nicht verwirklicht. Da es den Ber 
tichuanen nicht am natürlichem Berfiande fehlt, jo lann man 
ihnen leicht ein ziemlid, bedeutendes Maß von Kenntniſſen 
beibringen. Wunderbar tft 
befonbers ihre Ortsfinn, nicht 
infofern,, als fie ſich in ihrem 
Heimathlande zurechtfinden 
können, ſondern daß es viele 
Perfonen giebt, welche genau 
die Richtung zu zeigen wiffen, 
in welcher England — in 
ihrer Sprechweiſe gleichbedeu- 
tend mit Europa —, die Cap⸗ 
ftadt, Port Natal, die Wal: 
fiihbay u. ſ. w. liegen, obwohl 
fie nie über die Inlandbiftricte 
hinauegelommen find. „Daß 
hier wirllich geographiiche Ans 
ſchauung vorlag (fagt Fritſch), 
fonnte ich leicht durch das 
Verftänduig feftftellen, welches 
fie flir eine Karte von Afrifa 
jeigten, „Dies Papier, wor: 
auf das Yand gefchrieben fei* 
galt ala eine ganz bejonbere 
Mertwilrdigfeit unter meinen 
Reifeutenfilien, ich wurde häu- 
fig darum angegangen, es her⸗ 
vorzuholen, und nachdem ich 
es einmal dem mic) beglei⸗ 
enden Mo⸗chuana (Sing. von 
Be⸗chuana) explicirt hatte, 
übernahm es dieſer, bie Harte 
weiter zu bemonftriren, Er 
fand fid) ohne Schwierigfeit in 
die Berhältnifie und bie Be— 
zeichnungen, während ich mid) 
aus früherer Zeit wohl erin« 
nere, baf ich) einft vergebens ver⸗ 
fucht habe, daffelbe einem alten 
Führer im Harz deutlich zu 
machen.“ 

Ehrlichkeit ift bei ihmen wenig zu finden; aber es ver 
einigt fich mit ihrer Verfchlagenheit und Betrügerei eine ges 
wifle Bonhommie, fo dag man ihnen wegen der Unver— 
ſchämtheit kaum böje fein fan. Neigung zu harmlofer 
Fröhlichteit und Geſelligleit herrſcht bei ihmen wie bei den 
anderen Bantıu-Wölfern; ftundenlanges Beifammenjigen un« 
ter Scherz und Gelächter ift eime beliebte Unterhaltung. 


Kommt ein Fremder hinzu, fo ift er verpflichtet, alsbald 


auszuframen, was er irgend an Newigfeiten mitgebracht hat, 
und ift er zu Ende, jo ſucht man auch feine Neugier zu bes 
friedigen. Selbſt bei Begegnungen auf der Reife fünnen 
die Leute nicht bei einander vorbeigehen, ohne daß das 





Waffen der Betſchuanen. 


hätte. Der Gedanke, was nad) den: Tode aus ihnen wird, 
timmert die Betſchuanen nicht; es eriftirt aber nad; ihren 
Begriffen noch eine Claſſe iberirdifcher Weſen, Basrini ger 
heißen, weldye mit den Schatten der Verftorbenen zufammen« 
hängen, Schon oben wurde bemerkt, daß die Betſchuauen 
feit einigen Jahrhunderten von den Kaffern abgezweigt ge 
lebt und unter dem Einfluß ihrer Nachbarn manche Cigen« 
thlimlichfeiten angenommen haben, die jenen fehlen. Cie 
bilden dadurch wie durch ihre Geſichtsbildung ein vermit- 
telndes Glied, welches uns zu ben centralafrikauiſchen umb 
felbft nördlichen Stämmen hinliberführt. 

Schr auffallend ift zunächſt die Berſchiedenheit der 
Tracht: während der echte Kaffer von feinem ganzen Kör— 
per nur die Glans penis bebedt, verhült der Betſchuane 

die Genitalien Torgfätrig mit 

einer ledernen Binde und 
ſchämt fich, diefelbe in Gegen · 
wart Fremder abzulegen. Das 
mit ift er aber auch völlig be= 
fleidet, und nur zum Schutze 
gegen die Witterung tragen 
beide Geſchlechter den ledernen 
Karoß, meift von Ochſenhaut, 
der mitunter mit bunten Fell⸗ 
ftreifen verziert if.  Häupte 
linge lieben es, Yeopardenfelle 
zu tragen, bie Frauen ber Rei⸗ 
chen foldye vom Silberfchatal 
ober der rothen wilden Sage, 
die Männer die Felle der von 
ihnen erlegten Gnus und Harte» 
beeſts, deren Schwänze man 
als Zierrath hinten daran häns 
gen läßt. Verheirathete frauen 
tragen eine Pelzmüge, meilt 
aus dem grünlichgrauen Well 
einer Schatalart; dazu einen 
aus gegerbten Fellen bereiteten 
Schurz, welcher den mittlern 
Theil des Körpers bis an die 
Knie bedeckt, und unter dem⸗ 
felben einen kleinern, welcher, 
mit gedrehten Schnüren und 
Sladperlen verziert, nur bie 
Genitalien dedt und bei Kin— 
bern und herauwachſenden Mäd- 
chen oft das einzige Kleidungs- 
ſtuick if. Sehr Häufig tragen 
Mütter nur den Schurz und 
auf dem Oberleibe ein Trager 
tuch, in welchem ihr Spröß- 
ling hauſt. Auf dem zweiten 
Bilde ift letzteres an der fünften Perſon von rechts zu ſehen; 
die Unmwefenheit des Gäuglings verräth nur eim Kleines 
Füßchen über der Hüfte ber Trägerin. Bon Schmud wer 
den bei den Weſt-⸗Betſchuanen Glasperlenftränge und Schnitre 
größerer Ölastorallen, deren Form und Farbe jehr der augen- 
blicklichen Mode unterliegt, um die Fußknöchel (bei Kindern 
um die Hüften) ſowie Amulete um den Hals getragen, 
während die Oſt⸗Betſchuanen Metalidrähte, Kupfer-, Mef- 
fing-. und Eifenringe rejp. Spiralen um Hald und Ertremi» 
täten vorziehen, 

Die Waffen der Betſchuanen, Streitart, Dolce, Yanzen, 
fir fid) allein hinſichtlich ihrer äußern Furchtbarleit betrady- 
tet, laſſen dies Volk, freilich ganz mit Unrecht, als ein krie⸗ 


Hermann Meier: Skizzen aus Seeland, 55 


geriiche® erfcheinen. Aber fie find viel mehr wegen ihrer 
Gefchidlichteit in Herftellung der Waffen, als in Führung 
berfelben zu bewundern. Als die gefchidteften unter allen 
Arbantır verftehen fie aus Nafeneifenftein Roheifen zu er 
zeugen, Wie viele andere Stämme Innerafritas bauen fie 
einen Kohlenmeiler auf ebener Erde ober in einer Vertie⸗ 
fung, von wo thönerne Röhren radienförmig nad, außen 
führen, um von allen Seiten mittelft Blaſebälge einen ftar- 
ten Luftſtrom hineintreiben zu fönnen. inige zerfleinerte 
Erzſtlicke, welche in der Mitte aufgehäuft find, fommen fo 
durch andauerndes Erhitzen allmälig zum Scmeljen und 
werben im unreines Roheiſen verwandelt, welches dann durch 
Hämmern und wiederholtes Exhigen weiter gereinigt wird 
und dadurd; eine große Zähigleit erhält. Das dritte Bild 
zeigt die Waffen, melde daraus mittelft primitiver Hämmer 
oder Steine hergeftellt werden und unter denen das unit» 
vollfte Erzeugniß der mit Widerhafen und Zähnen verfcjie- 
denfter Art und Anordnung verfehene Speer ift. Der fchred- 
lichfte ift jedenfalls der zur rechten Hand, deſſen kreuzweis 
nach oben und unten gerichtete Widerhafen weder ein Zus 
rüdzichen noch ein Durchſtoßen der Waffe durch dem feind- 
lichen Körper erlauben, fondern biefelbe im der einmal 
erzeugten Wunde fefthalten, Uber bei dem wenig friegerifchen 
Geifte der Betſchuanen ift die Furcht vor ihren kunſtreichen, 
granfamen Waffen unter den Siüdafrifanern nur eine ges 
ringe, und diejelben haben ihre Unterdrüdfung nicht zu 
hindern vermocht. 

Charakteriftifch flir die Betjchuanen find ferner bie 
Streitagt, die Dolchmeſſer in Scheiden, die Kiris, d. h. Keu— 
len zum Werfen und Schlagen aus Holz oder Rhinoceroshorn, 
in beiden Fällen mit zierlichen, bei diefem Bolle jehr belieb> 
ten Schnigereien verziert. Außerdem führen ihre Krieger 
mitunter Bogen und ‘Pfeile, welche fie aber wohl nicht jelbft 
verfertigen, ſondern meift den Buſchmännern des Landes 
abgenommen haben. Trotzdem fie fo unter allen Südafri- 
fanern die vollftändigfte Auswahl von Trutzwaffen befigen, 
jegen fie doch williger als irgend ein anderer Stamm bier 
felben bei Seite und greifen nad dem Feuergewehr, in 
defien Fuhrung fie aber nur eine fehr mäßige Fertigkeit 
entwideln. Sie ſchleppen ſich mit dem wunderbarften Flinten⸗ 


zeuge und machen trog ber Koftfpieligfeit der Munition 
gern Uebungsjchüffe nach Wild in unerreichbare Fernen. 

Als Bertheidigungswaffe tragen die Berfchuanen Schilde 
von Ochfenhaut, weldye bei geringer Länge verhältnigmäßig 
breit jind und an den Seiten flügelförmige Borſprünge be» 
figen, zwiſchen denen jederſeits eine tiefe Ausbuchtung bleibt. 
Der Stod des Schildes trägt häufig Federputz oder Fell— 
ftreifen. Bei manchen Stämmen, 3. B. den Basfuto, ift 
diefe Form nicht gebräuchlich, fondern nur ein Baar langer 
feitlicher Vorſprünge am obern Ende des kleinen Echildes, 
die einen Kreisbogen bilden. Ueberhaupt haben ſich die 
Ba⸗ſuto den reinen Betſchuanentypus weder in ihren Pers 
fonen noch in Kleidung oder Bewaffnung bewahrt. Ihre 
nahe Berührung mit den fremden Stämmen der Nachbar: 
ſchaft fowie die Aufnahme fremder Elemente hat fie veran— 
laßt, ſich Martches von denſelben anzueignen, was ihnen 
ursprünglich nicht zufam, ſowie anderes umzugeftalten, fo 
daß fie ein Mittelglieb zwiſchen den eigentlichen Kaffern und 
den Betſchuauen, zu welchen legteren fie jedoch) gerechnet wers 
den, bilden. Am auffälligften ift ihre Annäherung an die 
Kaffern jedoch, Hinfichtlic der Bauart der Wohnungen. 

Die typifche Hütte dev Basfuto ift von derfelben flachen 
Bienenlorbgeftalt, wie bei den Zulu und Roſa, ducchichnitt: 
lic, fogar gebrüdter, als die Hlitten der letzteren, und ber 
bei dieſen zuweilen vorhandene Heine Vorbau mit dem Ein— 
gang ift bei den Basfuto noch länger und niedriger, fo daß 
man nur friechend in das Innere gelangen kann und Yicht 
und Luft faft ganz abgefchnitten find. Der Feuerplatz gegen« 
über dem Eingange, bie hölzernen Stügen mit daran hän— 
genden Waffen, die Geräthſchaften und Geſchirre im Hinters 
grunde finden ſich in der Hlitte des eigentlichen Kaffern wie 
des Basfuto. Es geht daraus hervor, daß man bei Fragen 
ber Zugehörigkeit zu diefem oder jenem Wolfe einzelnen Mo— 
menten, wie hier der Behauſung, nicht allzu große Beben: 
tung beimeffen darf, und daß ein einzelnes Miontent, nament- 
lid ein äußerliches, übertragbares, wie die Wohnung ift, nicht 
genligt, fonft zufammengehörige Stämme zu trennen. Denn 
nad den Hütten zu urtheilen, wären die Basfuto den eigent: 
lichen Kaffern zuzuzählen und nicht den Betfchuanen, während 
die allgemeine Betrachtung nöthigt, fie legteren einzureihen. 


Stizzen aus Seeland. 


Von Hermann Meier in Emden. 


Blijfingen 


Bliffingen macht feinen angenehmen Eindrud, In 
den Straßen, auf den mit hübfchen Bäumen bepflanzten 
Plägen ift es ftill; aber die Liebhaber der altholländiſchen 
Architektur werden hier manchen Giebel finden, der von dem 
friſchen Kunftfinn, von dem naiven Geſchmack der Bäter 
Zeugniß ablegt. Den Bauftil unferer Tage, die langen 
Reihen einförmiger, weiß oder gelb bemalter Häufer, fucht 
man bier vergebens. Die herrjchende Farbe ift hier bunfel- 
roth mit allen Abweichungen, die die Zeit dazu geben fann, 
und wechjelt durch Ornamente in weißem ober grauem 
Stein, Die bunt gefärbten Häufer mit ihren phantaftifchen 
fpigen Giebeln, die nad Geſchmack oder Laune, nicht immer 


nad dem Schönheitsfinn geziert find, ſehen malerifch genug 
aus, befonderd wenn die Somnenftrahlen durch das Yaub 
fpielen und mit warmen Tinten Licht und Schatten auf bie 
Mauern werfen und die rothen und gelben Steine färben. 
Noch bis vor furzer Zeit ftand vor jedem Haufe eine 
hölzerne Banf, die des Abends nach vollbrachter Arbeit die 
Hausbewohner zum Eigen und Rauchen, zum Ausſehen und 
Plaudern verfammelte, 
Städten, das nachbarliche Yeben verſchwunden ift, find auch 
diefe Bänfe himveggeräumt. Jeder lebt jegt fo viel mie 
möglich fütr ſich ſelbſt; ift der allernächſte Nachbar nicht zu⸗ 
gleich zufälliger Weife ein guter Bekannter, jo fünmert man 


Seitdem aber hier, wie in anderen - 


56 


fic nicht um ihn, Bor Zeiten eriftirte hier noch ein echtes 
Volföleben, welches ſich in allerlei Formen offenbarte und 
ſich zu zahllojen Mittelpunften zufammenzog. Jeder hatte 
feinen Kreis, in dem ex ſich bewegte, mit dem er wirkte und 
mit dem er durch perjönlidye Erinnerungen, durch traditios 
nelles Jutereſſe, durch Sympathie, durch gemeinjchaftliches 
Streben eng verbunden war. 
der innige organische Aufammenhang der Geſellſchaft ift 
zerriffen. Man fühlt diefen Mangel, aber es wird große 
Mühe foften, den neuen Knoten zu ſchlingen. 

Bliffingen hatte gute alte Tage. Es flihrt im feinem 
Wappen eine filberne Flaſche oder rufe, zur Grinnerung 
an die Flaſche des heiligen Willibrord, die, wie Einige glau— 
ben, noch jegt auf dem Rathhauſe aufbewahrt wird. Das 
it natürlich num Cage, da es jehr zweifelhaft iſt, ob das 
alte Bliffingen damals ſchon beftand. Bliffingen hat nicht 
nöthig ſich eine zweifelhafte Vergangenheit zu ſchaffen. Cs 
hat ſich durch eigene Thaten in der Gedichte des Yandes 
einen ruhmreichen Namen erworben, ben ihm niemand bes 
fireiten kann. . 

Es war in ben erften Tagen des Aprils 1572. Briel 
war faum erobert, als man den Verſuch machte, auch in 
Bliſſingen eine Revolution hevvorzurufen; aber Alba fannte 
den großen Werth diefer Feftung, die die Mündung der 
Schelde beherrfchte, und hatte ſchleunigſt die erforderlichen 
MVeaßregeln ergriffen, um es gegen einen etwaigen Angriff 
zu ſichern. Nach langen Kämpfen befreite ſich Bliſſingen 
von der ſpaniſchen Herrſchaft und war die erfte niederländiſche 
Stadt, die aus innerfter Ueberzeugung, ohne fremde Hilfe, 
die Spanier vertrieben und fich den Oraniern zugefellt hatte. 

Wie jede gute Stadt des Mittelalters zwei große Puntte 
hatte, um die ſich das religiöfe und politische Yeben concen« 
trirte, fo hat auch Bliffingen Kirche und Rathhaus. 

Die alte oder große Kirche wurde 1328 unter der Re— 
gierumg des Grafen Wilhelm III. gebaut und Et. Jalobus 
gewidmet. Heid allen fatholifchen Kirchen, die fpäter für 
evangeliiche Zwede eingerichtet wurden, hat auch diefe ihren 
eigentlichen Charakter verloren, weil jeglicher Zuſammen- 
hang zwiſchen der urfprünglichen Einrichtung und der jegigen 
Beſtimmung des Gebäudes fehlt, und ift dies um fo aufs 
fallender, da man einen Theil der Kirche durd) eine Mauer 
für die Engliſch-Episcopal-Gemeinde abtreunte. 

An diefer Kirche fteht ein jpäter gebauter Thum, an 
dem einft de Ruyter fein von Heinrid; Smidt fo ſchön ber 
ſchriebenes Kunſtſtück ausführte, welches ihn von der Seiler 
bahn anf die Flotte brachte. 

Die Erinnerung an den großen Seehelden ift hier mod) 
nicht ganz erlofhen. Bor etwa 30 Jahren errichtete man ihm 
eine Bildfäule, deren Antlig ftatt der See der Stadt zuge 
fehrt ift. De Runter ift bei den Holländern ein populärer 
Held geblieben. Dies verdankt er nicht nur feinen militärie 
ſchen Fähigkeiten, feinem Kriegsgenie, fondern vorzugsweije 
feinem Charakter als Menſch. Er war der echte Typus 
des alt holländiichen, lernigen Bürgerftandes, in dem ſich 


Das alles hat aufgehört: - 


Hermann Meier: Stizzen aus Seeland. 


alle Tugenden und guten Eigenfchaften diefes Standes voll- 
fommen wieder finden, ohne daß die eigenthiimliche Kehrſeite 
ſolchen Charakters ganz fehlt. 

Die anderen Kirchen Bliffingens lafjen nichts von fid) 
jagen ; dafjelbe gilt von dem jegigen Rathhauſe, einem ein« 
fadjen Gebäude, welches fiir feinen jetzigen Zwed nicht bes 
ftimmt war, Früher hatte Bliffingen auch in diefer Ber 
ziehung ein ftattlicheres Gebäude, welches 1594 nad) dem 
Mufter des Antwerpener Rathhaufes gebaut wurde umd 
länger als zwei Jahrhunderte der Stolz der Stadt war. 
Es verfchwand in den bangen Tagen vom 13. und 14. 
Auguft 1309, als die Stadt von den ngländern bombar« 
dirt wurde. 1795 erhielt die Stadt cine franzöfiiche Ber 
fagung, und als Napoleon, noch als erfter Conſul, fie befuchte, 
hatte jein genialer Blick die maritime und ftrategiiche 
Wichtigkeit diefer prächtigen Hafenftadt fofort erlanut. Auf 
jeinen Befehl wurden Feſtungswerle angelegt, Caſernen, 
Magazine, Werften gebaut, Bliffingen in eine Waffenjtadt 
umgewandelt. In dem Bertrag vom 11, November 1807 
trat der König von Holland die Stadt an Frankreich ab, 
und num wurde mit voller Kraft an den Werfen fortgear- 
beitet, Aber auc die englijde Regierung hatte ihr Auge 
auf diefen Punkt gerichtet. 

In den erften Tagen des Auguſt 1809 erſchien ihre 
Flotte vor Vliffingen; nad) einigen vergeblidien Berhand- 
lungen begann am Nadymittag des 13. Auguft das Bom— 
bardement, welches mit jehr Heinen Paufen bis zum 15, 
Auguft Nachts 2 Uhr anhielt und einen entſetzlichen Scha: 
den anvichtete, Drei Kirchen, das Nathhaus und eine 
Menge anderer Gebäude waren entweder vernichtet, oder 
rettungslos bejcädigt und feine 20 Häufer waren unver 
lest geblieben. Bliſſingen fiel in die Hände der Engländer, 
die es aber bald wieder räumten; bis zum Frühjahr 1814 
blieb es dann im Beſitz der Franzoſen. 

Auf dem jegigen Rathhauſe zeigt man außer der erwähns 
ten Flaſche des Wilibrord einen filbernen Bedjer , der von 
audgewanderten franzöfifchen Calviniften, die in einem Kel— 
ler ihren Gottesdienft hielten, beim Abendmahl gebraucht 
fein fol. Auch befindet ſich hier der filberne Thurm, den 
Friedrich Heinrich dem Bliſſinger Schneidergefellen Pieter 
Janſſen ſchenkte. Diefer war es, der fid) am frühen Mor« 
gen des 14. September 1628, noch bevor ſich die Stadt 
ergeben hatte, im Herzogenbuſch einfchlic und die Fahne der 
Dranier auf den Thurm der St. Johannekirche aufpflanzte. 

Dem Rathhauſe gegenüber fteht das Bilderhaus, fo 
genannt nad) den Statuen, mit denen der Giebel dieſes in 
einem mehr oder minder pſeudo⸗claſſiſchen Stil aufgeführten 
Gebäudes geichmidt ift. 

Man hat in Bliffingen die Hoffnung auf eine befjere 
Zufunft nicht aufgegeben. Vieleicht bringt der neue Canal 
zwiſchen Fliffingen und Middelburg und die Eifenbahn, die 
es jegt mit dem europälfcen Bahnnetz verbindet, neues 
Leben. Auch an natlirlichen Bedingungen dazu fehlt es nicht. 





M’Farlane’s und Macleay’3 Erpeditionen nah Neuguinea. 


1.6. In Eomerfet, 8 Miles füdöftlic von Cape Port, 
der nördlichſten Spige der auſtraliſchen Colonie Queensland, 
befindet ſich unter der Yeitung des Reverend S. M' Farlane 
eine von der London Mifjionary Society abhängige Mi: 


fionsanftalt. Diefer wilrdige Herr, welchem der Miffions- 
dampfer Ellengowan von 500 Tonnen, geführt von Gapitän 
Rancie, zur freien Verfügung fteht, hat auch die Verpflich- 
tung, die Zweigmifjionen in der Torreoftraße und auf Neu 


M Farlane's und Mackeay’s Expeditionen nad Neuguinea. 57 


guinea alle zwei oder drei Monate zu controliven und den 
dortigen Miffionslehrern die möthigen Pebensmittel und ans 
dere Bedlirfniffe zuzuführen. 

Auf feiner legten Bifitationsreife hatte M' Farlane wies 
ber auf einer 5 Miles von der Südweftlüfte von Neuguinea 
gelegenen Heinen Infel, welche den Namen Boigoo führt, 
eine Miſſion eingerichtet. Dies Eiland liegt einem auf Neu— 
guinen in 908’ jübl, Br. und 142018’ öftl, &, mindenden 
und bisher unbelannten Fluſſe gegenüber, Die Miffions- 
lehrer wünfchten dieſen anfcheinend fehr bedeutenden Waller: 
lauf fennen zu lernen, unternahmen deshalb in Begleitung 
mehrerer Eingeborenen von Boigoo eine Fahrt borthin und 
befuhren den Fluß 15 Miles weit. Hier aber firchteten fich 
bie Eingeborenen und wollten nicht weiter vordringen, fo daß 
man umfehren mußte. 

Die Lehrer berichteten über ihre Fahrt an M' Farlane, 
und Lesterer war fofort entſchloſſen, auf feiner nächſten 
Imfpectiondreife ben Strom näher zu erforfchen. Diefe trat 
er mit Mir. O. C. Stone aus London und Mr, Orfney 
aus Melbourne am 25. Auguft 1875 an. Nachdem man 
mehrere Miffionen auf den Leeward-Inſeln befucht hatte, 
erreichte man ſchon am 30. Auguft Boigoo, Zwifchen dieſer 
Infel und der Mündung des Fluſſes breitet ſich ein fehr 
verfchlungenes Neg von Sandbänken und Korallenriffen aus. 
Der Dampfer Ellengowan hatte aber eine Länge von 90 
Fuß und war darum ungeeignet, eine derartig gefährliche 
Stelle ohne Weiteres zu befahren. Es ging daher ein feines 
Boot voran und fondirte. Die Tiefe wechſelte fortwährend 
von 2 bis 13 Faden, Capitän Rancie ift jedoch ein in den 
Gewuſſern ber Torresftraße wohlerfahrener Seemann, fo daf 
ber Dampfer am 1. September Nachmittags 2 Uhr bei der 
Mitndung glüclich eintraf. Diefe war 11/, Mile breit und 

igte eine Tiefe von 13 Faden. Während fi an dem 

eftitfer eine Y/, Mile lange Sand- und Moraftbant hins 
zog, bot das Oftufer einen vortrefflichen Landungsplatz dar. 
Das eigentliche Fahrwaſſer behielt noch eine Breite von ?/g 
Mile. Der Dampfer ging langfam und vorfichtig hinauf. 
40 Miles oberhalb der Mündung erreichte man eine Stelle, 
wo fich der heftig ſtrömende Fluß in zwei einzeln bem Meere 
zueilende Arme theilt. Der Strom fließt hier nad; Sud— 
weiten; die Richtung des Dampfers war aljo eine norböft- 
liche. Von diefem Punkte ab verringerte ſich nach Ungabe 
des Salinometers der Salzgehalt des Waflers merklich; auch 
die Ufer wurden viel höher und die Qualität bes Bobens 
der anliegenden Gegend beſſer. Die Mangroves hörten auf 
und die Ufer waren mit einer ſtammloſen Palme bekleidet. 
Das Fand war mit einem langen aber groben Graſe be 
wachen und mit Bäunten, unter denen- die Eucalypten vor 
herrjchten, dünn bewaldet. Die Vögel wurden zahlreicher 
und freuten fich im unmelodifchen Tönen ihres Dafeins, 
und die Luft füllte fi mit fügen Gerlichen an. Die todte 
Monotonie des untern Stromlaufes war zu Enbe. 

Nach einer Fahrt von 60 Miles kam man zu einer aber- 
maligen Gabelung, wo der feinen Lauf von Nordoſten her 
beibehaltende Fluß einen Seitenarm füdwärts zum Meere 
entjenbet. Letzterer wurbe mit einem Boote nur auf wenige 
Miles befahren, dann drehte man um und fehrte zum 
Gabelungspunkte zurlick, welder „Ellengowan Yunction“ 
(wäre wohl richtiger als E. Forking bezeichnet worden) ger 
tauft wurde, Dort blieb der Dampfer vor Anker liegen, da 
der Hauptftrom weiter aufwärts für ihm zu ſchmal wurde. 
Man fuhr denfelben alfo im Schiffsboote nad) Norboften 
hinauf und zwar am erften Tage bis zur Höhe von 18 Mi: 
les, wo fic Ebbe und Fluth noch bemerkbar machten. Die 
Reife war intereffant. Bei jeder Biegung des Fluſſes lam 
etwas Neues zum Borfcheine, fei es ein einmindender Fluß, 

Globus XXIX. Nr. 4, 


oder ein Bad, ein Wafferfall oder ein See. „Es ſcheint 
mir gar nicht unwahrſcheinlich,“ bemerkt M' Farlane, „daß 
diefer Fluß oder doch wenigftens einige feiner Nebenflüffe 
(befier Nebenarme, denn man hat eö Hier augenfcheinlich mit 
einem großen Delta zu thun) mit dem Fly River oder ans 
deren Wafferläufen des Golfs in Verbindung ſtehen. Dann 
würde ſich auf diefer Fahrſtraße das Hochland des Innern 
zu allen Jahreszeiten erreichen laffen, während dies auf dem 
Fly River nur zur Zeit der Nordweſtſaiſon möglid, wäre, 
Ich beabfichtige, mit dem „Ellengowan* im ungefähr zwei 
Monaten ben Fly River, foweit e8 möglich ift, näher zu ers 
forfchen.“ Auf diefer Ercurfion num war es, daß man nicht 
weit vom Ufer zwei verlaffene Hütten auffand, und in deren 
Nähe eine 6 Aecres Land haltende Plantage, welche durch ein 
4 Fuß hohes, forbartiges, fchönes Geflecht eingehegt war, 
und in ber Tabak und Zuderrohr cultivirt wurden. Auch 
Spuren vom wilden Eber wurben bemerlt. Es war indeß 
wegen eines läftigen Rohres, welches maffenhaft vor- 
fam, nicht gut möglich, weiter ind ‚Innere vorzu⸗ 
dringen. Da man fidh nicht auf Uebernachten eingeri 
hatte, fo ruderte man zum Dampfer zurüd, im ber Abſicht, 
noch eine zweite Fahrt höher hinauf zu unternehmen. Dies 
gejhah am zweiten Tage, wobei man bis zu einem Punkte 
gelangte, welcher 25 Miles von Ellengowan Junction, b.i. 7 
Miles jenfeit des Endpunktes der erftien Fahrt, lag. Zwar 
zeigte das Waffer mod) immer eine Tiefe von 2 Faden, 
allein mächtige Bäume, welche in den Fluß gefallen waren, 
verſperrten die Weiterreife. Im anliegenden Buſch gab es ſehr 
viel Barabiesvögel von kaffeebrauner Farbe, Kopf gelb und 
Hals fmaragdgrin, aber bei ihrem fehr rafchen Fluge konnte 
man nur drei davon ſchießen. Man ſah hier aud) einen 
gewaltigen ablerartigen Vogel, welcher im Fluge eine Breite 
bon ungefähr 18 Fuß meflen mochte und ein Geräuſch ver» 
urfachte, als hörte man eine Locomotive. Gewiſſe Spuren 
glaubte man auf Büffel deuten zu müffen. Sehr auffällig 
war es, daß fich nirgends Eingeborene bliden ließen, wie 
man überhaupt auf ber ganzen Fahrt nur ein einziges Mal 
einen ſolchen zu Geſichte befommmen hatte, wenngleich in ber 
Ferne öfters Rauch fichtbar war, Die Hütten, auf welche 
man gelegentlich ftieß, waren immer verlafien. M' Farlane 
benannte diefen großen Fluß nad) einer reichen Dame in 
Dundee in Schottland, welche großes Intereffe für das 
Miffionswejen bethätigt, den Barter River, Die Ent: 
fernung von Ellengowan Junction bis zur Mündung des 
Fluſſes wurde, da man jetzt das ficere Fahrwaſſer fannte, 
in neun Stunden zurüdgelegt und bie Rildreife nad) Somers 
fet dann fofort angetreten. 

Die Entdedung biefes wichtigen Fluſſes fteht mit ber 
Macleay: Erpedition auf dem Barlſchiffe Chevert in gar 
feinem Zufammenhange: „Ic war nicht wenig überraſcht,“ 
fchreibt M' Farlane, „bei unferer Ankunft in Somerfet die 
Macleay-Erpedition, auf ihrer Rucklehr von Neuguinea, ans 
zutreffen.“ Eine telegraphifche Depefche, welche am Abende 
vor Abgang des europäiſchen Poftbampfers am 9. October 
von Brisbane in Adelaide eingetroffen war, gab verzeihlicher 
Weife zu dem Irrthume von einem Zufammenhange zwifchen 
beiden Reiſen Beranlaffung. (Hiernach ift die Notiz auf 
©. 16 diefes Bandes zu verbefiern. Ned.) 


Die Macleay-Erpedition nad) Neuguinea. 


Die von bem reichen Squatter Macleay in ber Eolonie . 
Neu-Sid: Wales ausgerüftete Erpedition nad) Neuguinea 
verlieh, wie wir ſchon in Bd. 28 des „Globus“ ©. 95 ber 
richtet haben, am 18. Mat 1875 auf bem Barkſchiffe Che- 
vert, geführt von Eapitäin Edwards, ben Hafen von Syd⸗ 

8 


58 M' Farlane's und Macleay's Erpeditionen nad) Neuguinea. 


ney. Zum Sciffsperfonale zählten 20 Perfonen, während 
der Erpebition 10 angehörten. Dieje waren Williom Mac— 
leay, Capitän Onslow, der Schiffsarzt Dr. James, vier 
Zoologen und drei Botaniler. Da es ſich außer ber geos 
graphiichen Erforſchung von Neuguinea nantentlich aud) um 
Sammlungen auf dem Geſammtgebiete der Naturwiſſen— 
ſchaften handelte, jo wurden auf der Hinreife ſchon mehrere 
der vielen Meinen Juſeln, welche ſich an der Dftküfte von 
Queensland bis zu Cape York hinaufziehen, beſucht. Am 
18, Juni langte man in der Somerjet-Anficdelung an, 
wo man bis zum 26, verblieb, Die Sammlungen, weldye 
man hier machte, waren jedod) wenig lofmend. Die Um: 
gegend war dicht bewaldet und der aus cifenhaltigem Sands 
ftein beftehende Boden von der erbärmlichiten Sorte. Die 
Anfiedelung jelbft verdient faum den Namen und befteht aus 
weiter nichts als einer obrigkeitlichen Perſon, mehreren Con: 
ftablern, einem Kaufmanue und etlichen Miffionären. Die 
Yort-Halbinfel mit Vieh zu bejagen verfuchte erft ein Squat- 
ter; aber der Verſuch mißlang und das —*— Horn⸗ 
vieh treibt ſich jetzt verwildert umher. Die Annahme, daß 
Somerſet als Freihafen bald eine commercielle Bedeutung 
erlangen werde, war faljch, Erſt die feit ungefähr 18 Mor 
naten weſtlich von Cape York entftandenen Perlfiichereien, 
welche ſich bis am die Küfte von Neuguinea Hinziehen und 
gute Erfolge aufweifen, werden für Somerjet von Wichtig— 
eit fein. 

—* fegelte num von Cape York auf das 60 Miles ent⸗ 
fernte Warrior Island, eigentlich nur eine vegetationslofe 
Sandbant von geringer Ausdehnung, aber deunoch der Wohn- 
ort der zahlreichſten und fräftigiten Nace auf den Injeln 
der Torresſtraße, welche auch den Geſammthandel des Archi- 
pels in Händen hat. Am 28. Juni ging man dann an bie 
Küfte von Neuguinea und zwar zunüchſt am bie ſchon bes 
fannte Mündung des Katow-Fluſſes. Der Wind war 
günftig und das große Warrior Reef, welches fait ohne 
Unterbrechung von Warrior Island bis an die Küſte von 
Nenguinen in der Nähe der Briftow-Infel läuft, ſchlitzt gegen 
heftigen Seegaug. Nach Verſicherung des Piloten Yoe, 
eines Eingeborenen von Warrior Island, weldyen man dort 
an Bord genommen hatte, follte die Fahrt frei und offen 
fein; allein während man noch 12 Miles vom Feſtland 
entfernt war, gerieth man, bei einer Tiefe von nur 2 Faden, 
in eim außerordentlich verfchlungenes Negwert von Kiffen. 
Es koftete fehr viel Mühe und Arbeit, ſich durch diefe gefähr- 
liche Stelle durchzuſondiren, bis man 1!/, Mile vor der 


Mündung des Katow Niver und einem Dorje der Eins‘ 
geborenen, mit Namen Mohatta, gegenüber vor Anker gehen 


fonnte, 

Am nächften Morgen kamen zwei Canoes, mit 12 Dann 
in jedem, an Bord, geführt von Maino, dem Häuptlinge von 
Mohatta, und von Ocota, dem Häuptlinge eines 3 Miles 
weiter weftlich gelegenen Dorfes. Obgleich fie mie zuvor 
ein Schiff von ſolcher Größe wie die „Chevert“ gejehen 
hatten, fo zeigten fie doch von vornherein das vollfie Zus 
trauen. Ihrer Einladung, ans Land zu fommen, leiftete 
man im der Zahl von 22 Perfonen bald darauf Folge und 
wurde von den älteren Männern bes Dorfes, weldye auf 
einer yioßen neuen Matte gelagert waren, freundlich em · 
pfangen. 

Das Dorf beftand aus fieben Häufern, jedes 90 bis 
100 Fuß lang, 6 Fuß hoch und mit grobem Stroh bebedt, 
An beiden Enden waren fie offen und an den Seiten liefen 
Schlafplätze entlang. Jedes Haus mochte ungefähr fünfzig 
Perjonen fafien, fo daß denmad; die gefammte Bevbllerung 
des Dorfes fid auf 350 belaufen hätte. Die Eingeborenen 
waren fräftige, wohlgebaute Geftalten, pechſchwarz und mit 


jübifchen Nafen, aber ohne die hervorfiehenden Kinnbacken 
der Auftralier. Das wollige Haar wuchs in Bitfcheln, wel- 
che®, wenn länger geworden, ſich zu compacten Ringelchen 
formt, die fie dann nicht felten abſchneiden, um fid) daraus 
eine Art Perrlicke zu maden. Die Männer gingen voll» 
ftändig nackt. Manche hatten ſich die Schultern markirt 
und Alle die Ohrlappen in allerlei wunderliche Formen zer 
theilt. Diefe feltfame Sitte fanden unfere Reiſenden zuerft 
unter den Eingeborenen von Cape Öreenville in 12° jüdl. Br. 
und 1430 13° öftl. L. und dann wieber am Cape York und 
auf Infeln der Torresftrage. Sie ſchießen mit ihren gewals 
tigen Bambusbogen und Pfeilen von 4 Fuß Länge noch auf 
120 Yards mit vollfter Sicherheit; und ebenfo find fie vor« 
treffliche Seeleute und fchiffen mit ihren langen Canoes, 
welche fie fi) aus den Stämmen mächtiger Korallenbäume 
anfertigen, weite Streden. Die rauen ließen fich wenig 
fehen; doch lernte man fo viel, daß fie nichts weniger als 
Schönheiten waren. Während den Männern die Jagd, die 
Fiſcherei und der Kampf zufällt, haben fie alle übrigen Ar— 
beiten zu verrichten, wie Holzhauen, Waffertragen u. ſ. w. 
Sie waren um die Yenden leicht bededt und fanden ein ber 
fonderes Wohlgefallen an fchmitdenden Federn um Knie und 
Aenkel. Dem Cannibalismus ſcheinen diefe Papuas nicht 
zugethan zu fein, wiewohl man in ihren Häufern Schädel, 
als Zierrath aufgeftellt, bemertte. 

Die umliegende Gegend blieb ſich überall glei. Man 
fonnte vom Schiffe aus bie Kuſtenlinie auf 30 Miles Über: 
ſchauen, allein durchweg diefelbe Gleichförmigleit, nämlich 
fumpfige Ebenen ohne die geringfte Steigung, jo weit das 
Auge reichen lonnte, und mit Bäumen verichiedener Art und 
Größe bededt. 

Am nächften Tage wurde die Befahrung des Katow- 
Fluſſes in dem Heinen Dampiboote, welches man mit ſich 
führte und das durch aufgeftellte Drahtnege aud) gegen et- 
waige Wurfgefchofle der Kingeborenen gefchligt war, ſowie 
in dem Rettungsboote mit zufommen 20 Perfonen unter: 
nommen. Die beiden oben erwähnten Häuptlinge befanden 
fid) ebenfalls in der Geſellſchaft. Der Fluß zeigte bei ber 
Mündung eine Breite von 200 Yards, verringerte fic) jedoch 
bald auf 6O und dann auf 30. Die erften beiden Miles 
pajfirte man dichten Mangrovewald; hernach bedeckte ſich 
das Ufer mit einer ſchönen, bis zu 50 Fuß hohen Palme, 
während dahinter ſich der ſumpfige Wald ausbreitete. Schon 
bei der Entfernung von 9 Miles ſtieß man auf einen im 
Fluſſe querliberliegenden Baum, weldyer die Fahrt verfperrte, 
und alle Anftrengung, dies Hinderniß mit Aerten aus dem 
Fluſſe zu entfernen, blieb erfolglos, Man mußte aljo um: 
fehren, wäre aber nun bald mit den Eingeborenen der durd)« 
fahrenen Gegend, bei denen man nicht zuvor die Erlaubniß, 
ihr Gebiet zu betreten, eingeholt hatte, in böſe Collifion ger 
rathen. 

Am nähften Tage ſchickte der Häuptling Maino Depus 
tirte an diefe aufgebrachten Eingeborenen ab, um fie von der 
Abficht der Reifenden zu unterridjten, und letztere fügten aller« 
lei Geſchenle bei. Dadurch wurde Alles wieder ausgeglichen 
und man fonnte eine zweite Fahrt unternehmen, um das 
Hinderni im Fluſſe aus dem Wege zu räumen. Allein 
audı diefer Verſuch blieb umfonft. Da man nun weder zu 
Lande noch zu Waſſer ins Inland gelangen konnte, jo blieb 
nichts anderes übrig, ald am 10. Juli den Katowe Fluß zu 
verlaſſen. Macleay wollte nad) der Mündung des Fly 
Fluſſes fahren, um von hier aus weitere Forſchungen an- 
zuftellen; allein der Gapitän Edwards weigerte. ſich aufs 
Entſchiedenſte, eine foldye gefährliche Klippenfahrt, jo lange 
der Sitdoftpaflat anhielt — und das dauerte bis October —, 
zu unternehmen. 


C. €. Stuhlmann: 


Ungern entjchloß ſich nun Macleay zu einem Beſuche an 
ber Oſtluſte des Gulf of Papua und zwar bei Hall Sound, 
Diefer Sund liegt zwiſchen Yule Island und dem Feftlande, 
eingefchlofien von hohen Felſen und bietet den größten Schife 
fen die volllommenfte Sicherheit, 

Nıle Island ift 6 Miles lang und eine jehr gefunde 
und fruchtbare Inſel. Es hält ſich dort feit Kurzem der 
italienische Naturforſcher D’Albertis auf, um naturwiflen« 
ſchaftliche Sammlungen anzulegen. Man verfuchte nun ben 
dort einmündenden Ethel- Fluß, wie ihn Capitän Moresby 
benannte, zu befahren, allein man hatte faum 12 Miles 
u fo zwang bafjelbe Hinderniß, welches man auf 
dem Katow⸗Fluſſe angetroffen hatte, zur Umkehr. 

Macleay beſchreibt die Gegend folgendermaßen: „Bis 
auf einige Miles von der Küfte herrichen dichte Mangroves 
fümpfe, von Salzwaſſerereels durchſchnitten; und hier ift die 
Bevölterung ziemlich zahlreih. Dann fteigt die Gegend an 
und ift mit Eucalypten und Korallenbäumen dunn bemalbet. 
Dahinter, ungefähr 10 Miles von der Kite, wird es aber 
fehr gebirgig und im der Ferne erhebt fich eine mächtige 
Gebirgslette. Man ficht an hellen Tagen deutlich im Weiten 
den Mount Yule und im Often den Mount Owen.“ Hier 
gab es auch feine Bapuas mehr: diefe Eingeborenen waren 
bharmlofe, furchtſame Menfchen, mit einer Färbung ins Gelb: 
i Ihr Haar, nicht mehr wollig, wurde meiſtens in 
Chignons getragen. Man bemerkte unter ihnen eine gewiſſe 
Cultur, indem fie in der Anfertigung von Thonwaaren, 
Netzen und Tuchen aus Faſern große Geſchicklichkeit beweiſen. 
In ihren Häuſern herrſchte auffallende Neinlicheit und es 


Chineſiſche Märchen. 


eriftirte fogar eim befonberes Haus für den Empfang von 
Fremden. 

Bei Yule Island endete die Erpedition. Es herrſchte 
in der Geſellſchaft feine Einigfeit mehr, und Dlacleay hielt 
es für das Befte, den Aufbrud) anzuordnen. Man lief auf 
der Rücklehr in Somerfet wieder ein, wo der Sciffsarzt 
Dr. James und die Herren Pollard und Knight, Erſterer ein 
Ausftopfer von Thierbälgen, Letzterer etwas in der Botanik 
bewandert, blieben, um nad, Neuguinea zurüczufehren und 
die Erforfchung des Innern mit Energie wieder aufzunehmen, 
Un diefelbe Zeit war auch der Miffionsdampfer Ellengowan 
in Somerjet eingetroffen und ber Kev. S. M' Farlane, wel- 
cher in mächiter Zeit eine Meife nach Port Moresby beab- 
fichtigte, war fehr gern bereit, die eben — drei For⸗ 
ſcher dahin mitzunehmen. „Port Moresby,“ ſchreibt 
Dr. James, „it nur 25 Miles von einer ausgedehnten 
Gebirgäfette, über welcher fi) Mount Owen, Mount Stanley 
und Mount Yule aufthürmen, entfernt, und biefe Gegend 
wurde nie zuvor von cinem Reiſenden befucht.“ 

Bon einer Unnerion Nenguineas ober einer Anſiedelung 
dafelbft räth Macleay entſchieden ab, Er nemut die Projecte 
auftralifcher Koloniften"Iuftige Hirngefpinnfte, die nur zum 
Berderben und Untergange derer, welche die Uusführung 
übernehmen wollten, ausfallen müßten. Die Eingeborenen 
feien auf ihre territorialen Rechte außerordentlich eiferfüchtig 
und einen Krieg mit ihnen anzufangen wiirde eine eben fo 
ungerechte als in ihren Folgen bedeulliche Sache ſein. Das 
gegen ift Macleay der Anficht, daß ſich ein Verkehr mit ihnen 
ohne Schwierigkeit wilrde einleiten lafjen. 


59 


Chinefifde Märden 


Bon C. E, Stuhlmann in Swatow. 


Nachftehende Märchen find aus dem Buche Liao Chat 
Chih J überfegt. Der Berfaffer deſſelben, BPu-Sung-Ling, 


lebte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in der Pro= 


vinz Shantung. 
große Vorliebe für Sagen, Märchen und Geiſtergeſchichten 
under ſammelte eine große Menge derfelben unter dem oben 
angeführten Titel. 
ſich im Himmliſchen Neiche einer ganz ungemeinen Beliebt: 
heit, und zwar nicht bloß wegen des darin behandelten Stof- 


Schon im früher Yugendzeit hatte er eine | 


Das Bud, Liao Chai Chih I erfreut | 


mand noch jo vertraut mit dem Trinken fein, fobald er einige 
Gläſer des Gehräues zu ſich genommen hatte, war er ftärfer 
beraufcht als jemals zuvor. In folge deſſen erfreute ſich 
der Weinhändler einer weit ausgebreiteten Kundſchaft und er 
ward von Tage zu Tage reicher. 

Eines Morgens fand er neben dem Gährbottich einen 
ſchlafenden Fuchs liegen, ber fich in dem Weine beraufcht 


‚ hatte. Eiligſt machte er fid) Über ihn her und nachdem er 


fes, ſondern auch wegen der Kürze, Klarheit und Eleganz 


der Schreibart. Nadjfolgende drei Geſchichtchen nehmen in 
gewöhnlicher chineſiſcher Schrift nur einen Raum ein, wel- 
chen man bequem mit zwei Händen bededen fan, So weit 
es mir überhaupt möglicd war, habe ic; wörtlich überjegt 
und namentlich mir nicht irgend welchen Zuſatz erlaubt. Ich 
habe gerade nadjjtehende Geſchichten ausgewählt, weil bie 
beiden erften den in Europa, namentlich auch im den alt: 
fächfifchen deutichen Yändern, noch heute im Bolfsglauben 
lebenden Erzählungen von Werwölfen verwandt find, die 
dritte aber nad) meiner Unficht eine neuere chineſiſche Ueber— 
arbeitung der alten Sage von der Grundung Carthagos ift. 


1. Ein Weinhändler zu Nanfing. 


In der Stadt Nanfing lebte vor Zeiten ein Weinhänd- 
fer, welcher feinem Wein, wenn er ihn geungſam hatte gäh— 
ren laſſen, mebit einem veichlichen Waſſerzuſatz allerlei betäu« 
bende Kräuter beizumifden pflegte. Mochte num aud) Je— 


ihm die Füße gefuebelt, » dachte er daran ſich nach einem 
tüchtigen Meſſer umzuſehen, als das inzwiſchen erwadhte 
Thier recht flehentlic zu bitten begann, ihm fein Leid zu 
thun. Der Weinhändler gab den Bitten nad) und Löfte die 
Danden. Nunmehr aber verwandelte ſich plöglic) bas Thier 
in einen Menſchen. 

Dem Weinhändler war es befannt, daß in derfelben Gaffe 
eine Familie wohnte, deren ältefter Sohn eine Frau ges 
heiratet, von der es hieß, daß fie zur Machtzeit oft von 
Flichſen heimgefucht und bedrängt werde. Somit fragte er 
feinen neuen Belannten, ob er etwa jener Fuchs fei, ber fich 
nächtlich zu der jungen Frau zu ftehlen pflege, und als fol« 
ches bejaht wurde, bat der Weinhändler, welcher wußte, daß 
jene eine nod) ſchönere Schwefter hatte, dem Fuchsmenſchen, 
ihm doch bei diefer auch nächtlichen Eingang zu verſchaffen. 
Der Fuchsmenſch machte erft viele Einwendungen. Endlich 
aber gab er dem ungeftimen Drängen nad) und hieß ihm 
mitfommen. 

Sie famen zu einer Feloſpalte, aus welcher der Fuchs 
alsbald einen Mantel aus grobem Tuch hervorzog. „Diejes 


5* 


60 Richard Andree: Mythen und Sprachen in den Pacifijchen Staaten Ameritas. 


Kleid,“ fagte er nunmehr, „hat meinem verftorbenen Bruder 
gehört, fobald dur es anziehft, gewinnft du die Kraft, alle 
deine Abfichten ausführen zu lünnen, „Der Weinhändler 
warf den Mantel um und ging vorläufig heim. 

Zu Haufe bemerkte er, daß die Gabe des Fuchſes ihn 
fr Jedermann unſichtbar made, denn erft nachdem er den 
Mantel abgelegt, fahen feine Hausgenoffen ihn. Darliber 
war er fehr er und ſchleunigſt ſuchte er den Fuchs auf, 
und beide begaben ſich zu der Wohnung der beiden ſchönen 
Damen. Als fie jedoch hier eintraten, gewahrten fie an ber 
Wand einen Talisman, ein auf Papier gemaltes brachen: 
artige® Ungethum. Bei diefem Anblick erjchrat der Fuchs 
und weigerte ſich weiter zu gehen, weil, wie er fagte, der 
Talisman von gewaltiger Kraft fei und er Unheil befitcchte. 
Damit trat er zuriid und verſchwand. 

Yangfam und zaghaft ſchritt nunmehr der Weinhändler 
vorwärts. Da jedoch jet der gemalte Drache fich plötzlich 
in einen wirflichen verwandelte und an der Mauer aufges 
richtet mit erhobenem Kopfe und weit aufgerifjenem Rachen 
ſich geberbete, ald wolle er auf ihm Losftärgen, nahm auch er 
Reißaus. 

Es hatte ſich nämlich begeben, daß jene Familie bei einem 
bubbhiftifchen Priefter, welcher aus dem fernen Weften ge- 
fommen war, Hilfe gegen die Nachftellungen der böfen Geiſter 
gejucht hatte, und von diefem war der ftarfe Talisman an 
die Wand gehängt worden. inige Tage nad) bes Weins 
händlers erfolglofem Beſuch traf jener Priefter bei der Fa— 
milie ein, um im Haufe, unter Vornahme von allerlei ma— 
gifchen Künften, einen Altar zu errichten. Die Nachbarn 
liefen bei dieſer Ceremonie in großer Dienge herbei und 
unter ihnen auch der Weinhändler. Plöglicy wurde diefer 
todtenblaß und rannte entfegt von dannen, als wenn Jemand 
ihn verfolge und greifen wolle. Kaum hatte er feine Ihr 
erreicht, als er zur Erde ftürzte und fich ſtrads in einen 
Fuchs verwandelte, an deffen Körper und Beinen noch bie 
menschliche Kleidung hing. Man wollte ihn tödten, fein 
Weib aber bat flehentlich ihn leben zu laſſen und der hinzu« 
gefommene bubbhiftifche Priefter befahl, ihm ins Haus zu 
bringen. Hier reichte man ihm Eſſen und Trinfen, aber 
in wenigen Tagen war er todt, 


2. Der Fuchs im Kruge. 


In einen gewiſſen Dorfe lebte einmal eine rau, welche 
viel von einem Fuchſe verfolgt und beläftigt wurde und alle 
angewandten Mittel wollen nichts helfen. Endlich bemerkte 
fie, daß der Fuchs, wenn er ihren Schwiegervater nad) Haufe 
fommen ſah, fid) in einem großen Kruge zu verfteden pflegte, 
welcher hinter der Thür jtand, und hierauf baute fie im Stils 
len ihren Plan. 


Eines Tages, da ber Fuchs ſich wieder in das Gefäß 
begeben hatte, nahm fie raſch etwas Baummolle und ver- 
ftopfte damit die Oeffnung des Kruges. Hierauf fegte fie 
felbigen in einen großen Reel, worin fie Waller goß und 
unterheizend brachte fie ſolches bald zu einem luſtigen Auf- 
brodelm umd kochen. Als nun der Krug immer heißer 
wurde, begann der Fuchs zu ſchreien und flehte die Frau an, 
doch feine Graufamkeit zu begehen, Sie verhielt ſich jedoch 
völlig fchweigend, während der Fuchs immer lauter und 
erbärmlicher fchrie. Endlich verhielt er fi fill. Man 
öffnete jegt den Krug umd unterfuchte ihn, Alles was ſich 
darin vorfand, war ein Häufcen Haare und einige Tropfen 
Blut. 


3. Der Teppich der rothhaarigen Männer. 


Ehebem war es ben rothhaarigen Männern (gemeinhin 
wurden in früherer Zeit die Holländer fo genannt) geftattet, 
mit China Handel zu treiben. Ein Küftenauffeher jedoch, 
weldyer der Meinung war, daß bie Fremden zu zahlreich 
werben möchten, verwehrte einft denfelben zu landen. Jene 
baten darauf inftändigft, ihmen doch ſolches zu geftatten und 
fie fagten ſchließlich, daß ihnen ſchon ein Fleck Landes von 
ber Größe eines Teppiches gemüge. Der Auffeher, welcher 
dachte, das fei nicht viel, gewährte hierauf ihre Bitte. So— 
mit wurde ein Teppich ans Land gebracht, der anfcheinend 
nur jo groß war, daf zwei Beute darauf Pla hatten. Als 
berfelbe jedoch) ein wenig aus einander gezogen wurde, fonn- 
ten vier oder fitnf darauf ftehen, umd wie diefe ihn nur hin 
und her zu reden begannen, wuchs fein Umfang immer mehr 
und leichzeitig auch die Zahl der rothhaarigen Männer. 
Der Teppich erreichte bald die Größe eines Ackers und die 
Zahl der Menfchen wuchs auf über hundert. Diefe zogen 
nunmehr ihre Scywerter und fielen über die Einwohner her, 
welche ſich deſſen gar nicht verfahen. Nachdem fie das Fand 
in eimem Umfreife von mehreren Meilen völlig verwüſtet 
hatten, zogen fie wieber ab. 


E 2 
J * 

Die franzöſiſchen und anderen Jeſuiten, welche zu Ende 
des 17. und im Anfang des 18. Jahrhunderts China ſtark ins 
Auge gefaßt hatten, jahen die Handelserfolge der proteftan- 
tischen Holländer mit großer Abgunſt an, und nicht unmög« 
(ich dürfte es fein, daß obige Erzählung ihmen ihren Urfprung 
verdankt, oder auch daß Pu-Sung-Ving die von ihnen ge- 
hörte Geſchichte von der Königin Dido und der Ochfenhaut 
jo feinen Yandsleuten voltsthimlicher und imtereffanter zu 
machen geglaubt hat. Zaubergeſchichten find an ſich bei den 
Chinefen jehr beliebt, und es verlegt ihren Nationalftolz we- 
niger, wenn eigene Niederlage und freinder Erfolg ſich auf 
Zauberei gründet, als auf Schlauheit und Ueberliftung, worin 
fie ſich ſelber unübertreffbare Mufter dünken. 


Mythen und Sprachen in den Pacififhen Staaten Amerifas *). 


R. A, Wie die beiden erften früher im „Globus“ be 
ſprochenen Bände diefes außerordentlich, umfangreichen Wer: 
fes ift aud) der vorliegende mit der gleichen enormen Sach— 
fenntnig, mit demfelben Riefenfleige gearbeitet. Man kann 


dreift jagen, daß Bancroft's Buch, dem mod) zwei weitere | 


| By Hubert Howe Bancroft. 


maßen eine große Bücherfammlung erſetzt. Es ift, wenn 
ber Ausdrud erlaubt, eine comprimirte Bibliothef. Der 
Autor, dem eine großartige Bücherſammlung zu Gebote ftand, 


*) The Native Races of the Pacific States of North America, 
Vol. 11, Myths and Languages. 


Bande folgen, eine Bibliothef im Kleinen bildet und gewiſſer | Yrıpyia, #. W. Brodbauf, 1975. 


Richard Andree: Mythen und Sprachen in den Pacifiſchen Staaten Amerikas. 61 


hat feit Jahren fein Ungenmert darauf gewandt, das Thats 
fähliche aus derfelben auszuzichen und dann wohlgeords 
net, Mar und lichtvoll guuppirt, wiederzugeben. Daß er 
Hypotheſen und Epeculationen möglichſt bei Seite ließ, fün- 
nen wir ihm nur Dank wiſſen. So befchäftigt ſich der erfte 
Band mit den Naturvölfern der Pacifiſchen Yänder Nord« 
amerifas von der Eismeerfüfte bis zur Yandenge von Darien, 
der zweite behandelt die alten Culturvölker Mexicos, Yuca— 
tand und Mittelamerifas, der dritte vorliegende endlich bringt 
Mythen und Spradıen. 

Wir können natlirlich nicht auf den Gefammtinhalt bes 
800 Seiten umfajfenden Bandes eingehen, wollen aber dem 
Lefer einen Ueberblid deffelben geben umd einige Einzelheiten 
hervorheben. Er beginnt mit den reichen Schöpfungsfagen 
der pacififchen Bölfer, wobei er hier und ba über die geſteck⸗ 
ten geographifchen Grenzen Hinandgreift und hinausgreifen 
muß. Diefe geographijcde Begrenzung, welche die Ameri« 
faner im Often und Süden ausſchließt, ift unſerer Anficht 
nach ein Fehler des Buches, denn jie ift nirgends genau 
burdyzuführen und it eine gezwungen, So werden die 
Mayas in Yucatan, welche ſicher nicht in den angenommenen 
Rahmen gehören, mit behandelt, da jie neben den Culture 
völfern Mericos nicht fehlen durften, und auch die Civili- 
fation der legteren entwidelte fic nicht an den Geftaden der 
Südfee, fondern auf ben Hocebenen des Innern. 

Gerade die Schöpfungsfagen bieten vielfache Anklänge 
an Mythen der alten Welt, ohne daß hieraus aber auf einen 
Zufammenhang der Völfer auf der öftlicdhen und weftlichen 
Erdhälfte gefcloffen werden dürfte. Das Neuer wird oft 
anf liſtige Weife höheren Mächten abgemonnen. Die 
Quiches in Guatemala erhielten es von dem Gotte Tohil 
gefchentt. Als Regen und Hagel die koftbare Gabe wieder ver« 
löfchten, baten fie abermals darum. Da ftampfte der Bott mit 
feinen Sandalen, und es entjtand von Neuem, Bei nord» 
amerifanifchen Indianern ftiehlt ed der Cohote, ber Prärie- 
wolf, weldjer überhaupt eine große Rolle a la Neinede fpielt. 
Bei den Navajos find noch Fledermaus und Eichhörnchen 
Genofien bes Coyote bei der Schaffung des Feuers, Der 
Coyote befeftigte einige Splitter Kienholz an feinen Schwanz, 
rannte durch das Feuer, wo das Holz fich entziindete und 
floh mit feiner Beute davon. Über er wurde verfolgt und 
mußte die Splitter fallen laffen, die num von Fledermaus 
und Eichhörnchen den Navajos gebracht wurden. Viele Völ— 
fer glauben von Thieren abzuftammen. Ich finde diefen 
Glauben in Grönland, bei den Tungufen, Ainos, Aſchanti ıc. 
So erzählen aud) die Potoyantes: Es war einmal eine Zeit, 
in welcher noch feine Menfchen eriftirten; nur Coyotes wa⸗ 
ren vorhanden, Wenn einer derfelben ftarb, jo entftanden 
aus dem Körper zahlreiche Heime Thiere. (Wie ans dem 
Leichnam des Riefen Ymir, der im Ginnunga-Gap vermo- 
derte, ſich Maden entwidelten, die zu Zwergen wurden.) Die 
Kleinen, aus ber Leiche des Coyote entftandenen Thiere war 
ten aber Geifter, die, nachdem fie einige Zeit auf dem todten 
Coyote umhergekrochen waren und verſchiedene Geſtalten ange: 
nommen hatten, Flügel entwidelten und zum Monde hin: 
ſchwebten. Da aber die Erde in Gefahr ftand, entvölfert 
zu werben, fo hielten die alten Coyotes Rath, wie dem ab⸗ 
geholfen werben fünne. Sie famen überein, daß von jet 
ab alle Leichen zu verbrennen feien, und fo entſtand der 
Brauch die Todten zu verbrennen, der bei den Potoyantes 
noch herrfcht. Diefe gefcheidten Coyotes nahmen aber nad) 
und nach menjchliche alt an, in der Weife, daß erſt ein 
Ohr, eine Zehe, eine Hand anthropomorphijirt wurde und 
fo fort, bis ein Menſch daftand. Leider ging bei biejen 
Proceffe and) der ſchöne buſchige Schwanz verloren, was 
bie Potoyantes tief beflagen. 


i feftlichen Gelegenheiten 


aber, wenn fie tanzen, ſtecken fie ſich einen Coyoteſchwanz 
an und erinnern fich dabei ihres Stammvaters, 

Die univerfelle Sintfluthtradition (von der wir aller- 
dings auf afrilanifdhem Boden wenig wilfen) fehlt 
bei den Bölfern am Geſtade des Stillen Weltmeers nicht, 
und abermals fpielt dabei der Coyote eine hervorragende 
Rolle, wenigftens bei den nördlichern Völlern. Die Papas 
gos am Rio Gila erzählen, daß die erfte glückliche Zeit 
durch eine große Fluth abgefchloffen wurde, in der alles Yebende 
unterging. Nur der Gott Montezuma — nicht zu ver— 
wechjelm mit den beiden mericaniſchen Herrſchern Montes 
zuma — und fein Freund, ber Cohote, entgingen dem Tode. 
Der Coyote hatte nämlich die Fluth verfündigt und Monte: 
zuma in folge deſſen ein Canoe erbaut, in welchem beide 
ſich retteten. Montezuma war num begierig zu erfahren, 
wie viel Land übrig geblieben fei, und fchidte den Coyote 
nad) allen vier Windrichtungen aus; im Suden und Welten 
tcaf er bald auf das Meer, etwas länger hatte er zu reifen, 
bis er im DOften dad Waſſer fand, während er vom Norden 
mit der Kunde heimfehrie, hier fei nur Land zu fehen. 
Unterdeffen aber hatte der „große Geift* mit Hilfe Monte— 
zuma's die Erbe wieder mit Menſchen und Thieren bejievelt. 

Der maiven Anfchauung der nordamerikanifchen Ein: 
geborenen gemäß konnten die unfcheinbarften Weſen welten- 
fchöpferifch auftreten. So lafjen die Tacullies in Britifch- 
Columbia die Biſamratte Schöpfer fein. Die flache Erde 
war nad) der Taeully⸗Ktosmogonie zuerft mit Wafler bebedt; 
auf diefem ſchwamm, Nahrung ſuchend, die Bifamratte hin 
und her. Da fie feine fand, holte fie ein Maul vol Schlamm 
vom Grunde, den fie am der Oberfläche wieder ausfpie. 
Das wiederholte fie jo lange, bis daraus eine Inſel ent 
ftand, aus der ſich allmälig die ganze Erde bildete. Auf 
unerklärte Weife wurde dieſe Erde aber überall bevölfert, 
bis eim großes Feuer über fie hinraſte und alles Lebende, 
zwei Menfchen ausgenommen, zerflörte. in Mann und 
eine Frau verbargen fi in einer tiefen Felſenhöhle und 
bevölferten die Erbe wieder. 

Univerjell, wie die Sintfluth, erfcheint auch die Berehrung 
der Himmelsförper ober wenigſtens eines höhern in ben- 
felben wohnenden Wefens. So dürfen wir und nicht wun« 
dern, wenn wir den Sonnendienft bei den civilifirten 
wie uncivilifirten Bölfern Amerilas wieber antreffen. Die 
wilben Chichimelen, oder jene Abtheilung der wilden Stämme 
Mericos, welche Alegre mit diefem Namen belegt, erfannten 
die Sonne als ihre Gottheit an und baffelbe war bei dem 
Bolte des Nayarit-Yandes der Fall. 

Im civilifirten Merico wurde die Sonne unter dem 
Namen Tonatiuh (die Sonne ald Körper) und als Naolin 
(die Sonne in ihren vier Bewegungen) verehrt, Sie wurde 
dargeftellt als ein von Strahlen umgebenes menſchliches 
Geficht oder auch ald ganze Figur, dann öfter verwechſelt 
mit dem Gotte des Feuers. Nah Miller (Amerikanifche 
Urreligionen) waren der Sonnengott und der höchſte meri« 
caniſche Gott, Teotl, fogar identiſch. Fand eine Sonnen: 
finfterniß ftatt, fo waren die Mericaner nicht wenig beuns 
ruhigt, da fie glaubten, irgend ein Wefen beleidige und pei« 
nige fie. Ein allgemeiner Schreden entftand, die Weiber 
weinten und die Männer liefen umber, um Leute mit hellem 
Geſichte und weißem Haar (Albinos) aufzufuchen, die der. 
Sonne dann geopfert wurden. Man wähnte, daß wenn die 
Berfinfterung total würde, alles Licht ein Ende nähme und 
in der Finſterniß Dämonen herabftiegen, um die Menſchen 
zu verfchlingen. Die Tlascaltelen hielten Sonne und Mond 
für Mann und Frau; zankten diefe fi, dann entftand Ber- 
finfterung. Der auch anderwärt® vortommende Gebrauch, 
Lärm zu fchlagen, wenn die Sonne ſich verfinftert, hatte 


62 


in Amerifa denfelben Grund: man wollte das böfe Weſen, 
welches fie bedroht, dadurch zurlidichreden. Nach Ribas 
glaubten die Sinaloas, dag eine Mondfinfterniß durch den 
auffteigenden Staub einer Schlacht verurſacht würde. Der 
Mond fümpfte mit feinem Feinde. Die Sinaloas ſchlugen 
dann, um letztern zur fchredten, gegen die Wände ihrer Häu« 
fer und ſchoſſen Pfeile gegen den vermeintlichen Gegner ab. 

Kometen hießen bei den Mericanern eitlalinpopoca, 
der raudyende Stern. Ihre Erfcheinung wurde als ein all« 
gemeines Unglüd angefehen, der Peſt, Dürre oder Tod eines 
Flirften folgte. Man jcligte fid) gegen die fchäblichen 
Strahlen des Kometen. 

Auch im den Anſchauungen über das Waſſer und 
heilige Quellen treffen wie auf Uebereinftimmungen 
mit der alten Welt. Es ift das urſprünglichſte der Elemente 
bei den Amerikanern, und aus dem Urocean taucht die Erde 
auf. Wafler ift der erfte Ermährer des vegetabiliſchen Le— 
bens, die Grundbedingung der Fruchtbarkeit — von hier ift 
nur ein kurzer Schritt, win anzunehmen, daß es die Mutter 
alles Lebendigen fei, Nach Sahagun fagt, während der 
mericanischen Taufe, die Hebamme zum Neugeborenen: „Chal- 
ehiuhtlieue, die Göttin des Waſſers ijt deine Mutter,“ 
Mericaner, Mayos und andere Amerifaner hatten lange vor 
Ankunft der Chriften eine Art Taufe, bei welcher dent Waſ⸗ 
fer entfündigende Eigenfchaften zugefchrieben wurden. Wer 
bei den Navajos eine Leiche trug, war umrein und mußte 
durch Waſchen ſich reinigen. Die Zuñis (MNeumerico) 
hatten eine dem Regengott geheiligte Quelle, aus der lein 
Thier trinken durfte. Alljährlich wurde fie mit heiligen 
Gefäßen gereinigt, uralten Bafen, die vom Gejchlecht zu 
Geſchlecht ſich forterbten und die in Reihen auf dem Dlauer- 
franz der Quelle aufgeftellt waren. Der Froſch, die Hlap- 
perſchlange und die Schildfräte, dem Schliger der Duelle 
heilige Thiere, waren auf den Vaſen abgebildet *). 

Überglauben, der mit Erdbeben verknüpft ift, findet 
fic) bei den Mericanern, welche der Erbe mütterliche Fune— 
tionen zufchreiben. Site führen ihre Kinder ins Freie und 
ſprechen dabei (nach Sahagun) „das Erdbeben wird dich 
wachſen machen“. Der Gegenftand ift von Intereſſe und 
es verlohnt fich der Mühe einmal die Anfchauungen ber 
Bölfer in diefer Beziehung zufammenzuftellen **). 

Thiere find vielfach; heilig. Die Californier bei San 
Diego verzehren fein Fleiſch von großen Thieren, da fie in 
ihnen die Seelen ihrer Borfahren vermuthen. „Wildpretefjer* 
ift bei ihnen ein Borwinf. Bei den Moquis verwandeln 





) Eine Abbildung diefer Quelle finten wir bei Möllhaufen. 

**) Binige Beiträge wollen wir bier liefern, Der kamtſcha- 
balifhe Geiſt Tüd. der, vom feinem Hunde Kofaia gegogen, auf 
einem Schlitten fährt, it ber Utheber des Erdbebens. Gr führt 
unter der Erde, und wenn fein Hund ſich bie Flöde oder den Schnee 
abfhüttelt, entitcht das Etdbeben (Steller, Kamtſchatta, ©. 267). 
Nach ver norbifhen Motbologie entitcht es aus den Zuckungen ves 
gefeſſelten Loli, wenn Gifttropfen auf fein Antlig mieberfallen. Den 
Andern entftebt Etdbeben, wenn einer ber acht Flepbanten‘, bie den 
Erdball tragen, feiner Laſt mübe, einmal das Haupt fchüttelt. Die 
Japaner jagen, wenn die Etde bebt: Es iſt wieder ein Walfiſch 
unter unferem Lande fortgelrochen ;" bie Tabitier: „Gore ſchüttelt 
die Erde ;* die Letten: „Drebfuls prügelt bie Orte, daß fie zittert,“ 
gerate wie die Öriechen ihren Pofeiton 'Ervroaiyeiog nennen (Grimm, 
D. M. 475). Bei den Kabarbinern it ein Held (Prometheus) an 
den Glörus angelettet ; wenn er feine Ketten ſchüttelt, bebt die Erbe 
(Baſtian, Geograph. und Etbnol, Bilder, ©. 74). Auf Jakunthoe 
ſchüttelt Gott im Zerne fein Haar oder er meigt das Haupt zur 
Gere, wodurch die Erſchütterung entjtcht (Schmidt, Vollsleben ber 
Neugriehen I, 33). Bei den Negern am Niaffafee fällt ein Stern 
ins Meer, das firtent aufmallt und durch feinen Wellenſchlag Pie 
Erde erfchüttert (Day. Livingſtone's legte Neife, S. 134). Nah 
ter Vorftellung des Königs von Daheman badete ſich ber Geiſt feines 
Vaters im Meere, als 1862 das Erbbeben von Hera an ber Gold⸗ 
tuſte ſtattfand (Burton, a Mission to Gelele Il, 25) u. f. m. 


| 





Richard Andree: Mythen und Sprachen in den Pacifiſchen Staaten Ameritas. 


fich die Geftorbenen in Bären, Hirfche und andere Thiere. 
Die Tinneh verzehren feine Wölfe, Füchfe, Naben u. ſ. w,, 
weil diefe von den Peichen ihrer ausgeſetzten Todten ſich nähren. 

Der größere Theil des vorliegenden Bandes ift den 
Göttern, übermatirlichen Wefen und deren Verehrung ge» 
widmet, doch müfjen wir hier auf das Buch felbft verweiſen, 
um nod) einige Worte ber die Sprachen fagen zu lönnen. 

Weit gereifter als die Cultur der Amerifaner erſcheinen 
ihre Sprachen. Durch die ganze Fänge und Vreite der 
„beiden Amerifas“ zeigen die Sprachen der Eingeborenen 
einen größern Reichthum und feinere Ausbildung als man 
bei dem Gulturgrade, in weldyem die verſchiedenen Stämme 
gefunden wurden, vorausjegen durfte. Die wenigen Pins 
guiften, welche fic bisher mit den amerifanifden Spradjen 
befchäftigten, haben etwa folgende Ihatfachen zu Tage ge 
fördert: Es eriftirt zwiſchen allen Spradyen Amerilad vom 
Norden bis zum Süden eine Verwandtſchaft; alle haben ge 
wife ihnen eigenthlimliche Mertmale und find gut von allen 
übrigen Sprachen der Erde zu unterfcheiden. Wenn aud) 
einige diefer Merkmale bei einigen Sprachen der alten Welt 
ſich wiederfinden — namentlich bei den fogenannten Tura— 
niern — fo find doch nirgends auf unferm Planeten die 
Uebereinftimmungen in ber Sprache mit ſolcher Perſiſtenz 
über ungeheure Räume und durch zahlreiche Stämme ver 
breitet, wie in Amerifa. Nirgends giebt es Sprachen, bie 
jo verfchieden untereinander und doc wieder fo gleich find 
wie hier. So zahlveid, und verſchieden aber auch die einzel- 
nen Sprachen in Amerifa erſcheinen, fo gelingt es doch bei 
eingehenderem Studium, diefelben in große Gruppen zuſam⸗ 
menzufaflen. Dabei aber find die amerilaniſchen Spras 
Se wie Whitney fagt, die allveränderlichften der ganzen 

elt. 

Ein Heſonderes Mertmal ift das häufige Vorlommen 
langer Wörter. Selbft das Otomi, die einzige Sprache 
Amerilas, die monofyllabifc; genannt werden kann, enthält 
eine Anzahl vergleichsweife langer Wörter. Diefes Con« 
ſtruiren uns endlos lang erſcheinender Wörter findet in allen 
amerifanifchen Sprachen mit großer Leichtigkeit ſtatt. Der 
Eingeborene der neuen Welt jagt oft, vielleicht nur von 
einem Zeichen oder einer Geberde unterftütt, das in einem 
einzigen Worte, wozu ber Curopäer einen ganzen Satz 
braucht. Er padt die größtmöglice Anzahl von Ideen in 
die compactefte Form zufammen. Diefe lingwiftiiche Eigen« 
thilmlichleit wird von Duponceau als polyſynthetiſch, von 
W. von Humboldt als agglutinativ, von — als holo» 
phraſtiſch bezeichnet. So dritdt der Azteke Brieffrancatur 
mit amatlacuilolitquiteatlaxtlahuilli aus, was wörtlich 
überfegt bedeutet: „Die Zahlung, welche für Fortſchaffung 
eines Papiers empfangen wurde, auf welches etwas gefchries 
ben iſt.“ Die Tſchilares gehen darin noch weiter. Wini- 
tawtigeginaliskawlungtanawnelitisesti: „Sie werben zu 
jener Zeit beinahe aufgehört haben, Dir und mir Gunftbe- 
zeugungen dargebradjt zu haben“. Webuplicationen und der 
Gebrauch des Dual find gleichfalls in den amerifanifchen 
Sprachen häufig. 

Die größeren Sprachfamilien werden meiftens im Binnen- 
lande angetroffen, während am der Küfte, namentlich der 
Nordweftläfte, die Sprache in zahllofe Bruchftäde zertrüns 
mert iſt. Hier herrſcht reine babyloniſche Verwirrung. 
Brancroft jagt: „Es ift keineswegs unwahrſcheinlich, daß 
Malayen, Chinefen oder Japanefen, oder alle zufammen ein 
mal im heutigen Nordamerila in folder Anzahl erſchienen 
find, um die Sprache materiell zu beeinfluffen; doch ift, das 
Eslimo ausgenommen, bis jegt feine afiatifche oder euros 
paiſche Sprache in Amerika gefunden worben; noch find Ber 
wandtichaften mit irgend einer Sprache ber Welt entdedt 


Aus allen Erdtheilen. 


worden, die genügend exfchienen, um eine Zufanmengehörig- 
feit mit anderen Bölfern zu begründen.“ 

Was den erften Theil des Satzes betrifft, fo wäre hier 
eine Begriindung wahrlich am Plage geweſen; denn auf das 
allerdings beftätigte gelegentliche Verſchlagen japanifcher 
Dſchonken durch den Kuroſiwo nad) der Nordweſtkliſte wird 
Bancroft feinen Ausfpruc doch nicht wohl ftügen wollen; 
und was den zweiten Theil, die verwandtſchaftlichen Bezie— 
hungen, betrifft, welche von half ledged scientists ausge— 
fprodjen worden fein follen, fo wird dod; wohl darunter 
nicht Ahlquift zu verftchen jein, der nachwies, daß bei den 
Mordvinen die Verbalflerionen und objectiven Berfonalprono« 
mina nad) mericaniſchem Mufter auf das Dichtefte verwebt find. 

Völlig recht hat Bancroft, wenn er die Phatafien Na— 
jera's, des jonft verdienten Abb Braſſeur and Burburg in 
Tranzöfifcp- Flandern, und des half crazed Yord Kings: 
borough geikelt. Ex ftellt jelbft dann eine Reihe von ame— 
rilaniſchen Wörtern zufammen, die in der Bedeutung wie im 
Klange mit afiatifchen und europäiſchen faft völlig überein 
ſtimmen, ohme daß ein Linguift darauf verwandtfchaftliche 
—— gründen lönnte. Für das deutſche „ja“ haben 
wir im Shafta ya; für „tomm“ das Komantſche kimm; 
für „Kopf“ das Cahita koba; für „weinen“ das Cora 
vyeine; für „thun® das Tepehnana duni; fir „nichts, 
nein“ das Tſchinuk nixt, nix. Für das griedifchexögeg 
das Tarahumara colatschi; für undeiv das Cora muate; 
für porn das Cafita cuna. Für das lateinifche hie, 
vas in Tepehuana hie, vase, für mucor das Cora mucuare; 
für lingua das Moqui linga; für vallis das Kalapuja 
wallah; für toga, manus in Kenai togaai und man. für 


63 


das franzöfifche casser in Tarahumara cassnialer; für 
tätonner das Tepehuana tatame. Für das ſpaniſche 
hueco das Tarahumara hoco; für tuétano dag Cora tutana. 
Für das italienijche cosi das Tarahumara cossi; für das 
arabiſche ächar das Tarahumara ajare; für das has 
waiifcdhe po (Nadjt) das Sekumne po. Im Sanstrit 
da (gieb) ıft im Cora ta; eke (eins) im Miztafifchen ec; 
für mä (micht) fteht im Tepehuana mai und im Dlaya ma; 
für masa (Monat) im Pima mahsa (Mond); für tschan- 
dra (Mond) im Kenaifchen tschane; fir pada (Fuß) das 
Sefumme podo (Bein); für kamä (Viebe) das Schofconi 
kamakh (lieben); für pa (trinfen) im Kizh pan. Für das 
malayifce täna (fragen) haben wir im Tepehuana tani; 
für hurip (leben) und tabah (jdlagen) im Cora huri und 
taba; für homah (Haus) im Shafta oma und fo fort. 
Bei der außerordentlichen Zerfplitterung der Spradyen 
in Amerika verfielen die Eingeborenen, um fid) unter eine 
ander verftändlic) zu machen, auf die Zeichenfpradye. Das 
Mertwürdigjte dabei ift, daß bdiefelben Zeichen von Alasta 
bis Merico und noch jüdlicher benugt werden, Um den Na+ 
men feines Stammes zu bezeichnen wird der Flachkopfindianer 
feine Hand aufs Haupt legen; der Krähenindianer das lies 
gen eines Vogels nachahmen und der Nez Percs mit dem 
Finger auf die Nafenfcheidewand deuten. Feuer wird durch 
ein Anblajen, Waſſer durch eine fchöpfende Bewegung ber 
Hände und die Geberde des Trinfens, Handel durch cher 
einanderfveuzen der Zeigefinger bezeichnet. Zum weitern 
Verſtändniß haben ſich denn auch Jargons heransgebildet, 
wie das Slavé am Yufonfluffe und der Oregon⸗Dialelt. 





x 


Aus allen Erdtheilen. 


Mene Erpebition nad der Nordküſte von Sibirien. 


A. k. In der Sigung der Petersburger Geſellſchaft zur 
Aufmunterung des Handels und der Induſtrie vom 15. De: 
cember 1875 wurde die Mittheilung gemacht, daß ein Ano: | 
uymus 25,000 Nubel zur Ausrüftung einer Ervebition ge: 
ſchenkt babe, welche eine Handels- und Schifffahrtsſtraße 
längs der Nordküſte Nuflands und Sibiriens zu den Mün— 
dungen der großen fibirischen Ströme, event. bis zur Behrings- 
ftraße im wiſſenſchaftlicher Weile fuchen und unterſuchen joll. 

Bon mehreren anderen Seiten waren gleichfalls beträcht: 
liche Summen, zuſammen 26,000 Rubel, eingenangen. Bro: 
feffor Nordenſkjöld, welcher durch feine glückliche Fahrt 
bis zum Buſen des Jeuiſſey (f. Globus“ XXVIL, 5.347 ff.) | 
den Anſtoß zu diefen Unteriuchungen gegeben bat und dafür 
der Gegenitand enthufiaftiicher Ovationen in Rußland ger 
worden ift, weil man ſich — vielleicht etwas übereilt — eine 
große Entwidelung des fibiriichen Haudels von jener neuen | 
Waſſerſtraße verjpricht, hat ſich bereit erflärt, die auf min: 
deftens drei Jahre berechnete Reife im nächiten Sommer an— | 
zutreten. Diefe Ankündigung, ſowie die Nachricht, daß der 
engliiche Capitän Wiggans die maritime Leitung übernom— 
men habe, wurbe von ranfchendem Beifalle begleitet. 

Der Präfident der Geſellſchaft, Herr Pogrebow, hat 
die Bürgermeifter von Tiumen, Tobolsk, Krasnojarst, Tomsf, 
Selaterinenburg und Irkutsk Namens der Gejellihaft und 
im Intereſſe des ruſſiſchen Handels erfucht, das mationale 
Unternehmen nach Kräften zu unterftilen. 


Antwerpen als Markt für auftralifche Wolle. 


H. G. Die auftraliihen Squatters haben es fatt, mit 
ihrer Wolle einzig und allein auf den Londoner Markt an: 





gewichen zu fein. Sie wollen der City dies Monopol, wel 
ches jo ſehr zu ihrem Nachtbeile ausgebeutet wird, entreißen 
und Antwerpen zu einem Centralmarkte für den europäiichen 
Gontinent erbeben. 

Es ift immer, fowohl für den Verkäufer von Rob: 
producten als für den Fabrikauten, vortbeilhaft, wenn beide 
in möglichit unmittelbare Verbindung treten. Die hundert: 
tanfend Ballen auftraliicher Wolle, welche der Continent 
Europas mindeftens alljährlich importirt, brauchten den Um— 
weg Über London, wie jeyt der Fall ift, nicht zu nehmen. 

m dies zu vermeiden, hat man in Auftralien allgemein 
Antwerpen in Vorſchlag gebracht, welches fich fchon dadurch 
empfichlt, dab es feit Jahrhunderten ein wichtiger Stapel: 
vlah für Wolle war, in früheren Zeiten für engliiche und 
ipanifche, und Später für ſüdamerikaniſche, Cap- und ruſſiſche 


' Wollen. Im Jahre 1574 wurden dort 281,577 Ballen zum 


Verkaufe geftellt, freilich wenig gegenüber London. — Daun 
ift Antwerpen als neutraler Hafen den politifchen Störungen 
weniger anögefet, liegt ſehr günſtig und hat Eiſenbahnen 
ins Inland nad allen Richtungen bin. 

Der Käufer part die Koften der Fracht von London 
aus und die dortigen fehr hoben Commiſſionsgebühren; er 
taun diefen Marktplatz leichter befuchen und feine Einkäufe 
felber machen. Dieſes betrifft namentlich das induftrielle 
Belgien und das anliegende Frankreich. 

Außerordentliche Vortheile erwachſen aber für ben au: 
ftraliichen Squatter. Der in London geltende Gebrauch, 
vom Gewichte der Wolle einen nicht unbeträchtlichen Abzug, 
zum Scaben des Verläufers (draught), zu maden, über 
welchen in den legten Jahren als völlig ungehörig foviel 
hin⸗ und hergeftritten wurde, füllt in Antwerpen weg, und 


% 


64 Aus allen Erdtheilen. 


Hunderte Ballen Wolle, welche in London nur zu 34,205 
Pfund berechnet werden, würden fich in Antwerpen auf 
34,524 Pfund ftellen. Die Auctionsgebühren und Koften 
für Pagerung* belaufen ih in London für jede hundert 
Ballen auf 24 Pf. St. 19 Sch., in Antwerpen nur anf 11 
Pf. St. 11 Sch., und die Berfiherung gegen Feuer in London 
auf 5 Pf. St. 55c,, in Antwerpen auf 1 Pf, St. 18 Sch. 
10 P. Kurz, unter der Annahme daß an beiden Pläsen 
derfelbe Preis renlifirt wird, würde in Antwerpen auf je 
hundert Ballen ein Mehr von 32 Pf. St. 11 Sh.3 2. er— 
zielt werden. Das find wichtige Gründe für den auftre- 
liſchen Squatter, fein Augenmerk auf Antwerpen zu richten. 

— Mr. Alvan S. Soutbwortb, Secretär der Ameri— 
fanifchen Geographifchen Gefellichaft, bat unter dem pom— 
pöſen Titel: „Viertaufend Meilen afrikaniſcher Wanderun— 
gen“ ein Buch geichrieben, das Antereffantes nur wenig, 
Neues fait gar nicht enthält, bis auf feine ftatiftiichen An— 
gaben, die neu und intereffant zugleich find. Denn er giebt 
nicht nur die Anzahl der menschlichen Bewohner des äghpti— 
ſchen Sudan (36 Millionen Seelen, etwas zu hoch gegriffen, 
ftatt der 10%, Millionen, die derjelbe in der That bat) und 
die Menge der Hausthiere, auch diefe etwas boch zu 1), 
Millionen Kameele, 6 Millionen Stid Rindvieh und zabl- 
loſe Schafe; nein‘, er verfteigt ſich auch zu einer Schägung 
ber wilben Beftien. Das Londoner „Athenäum*, welchen 
wir diefe intereffanten Data entnehmen, ſchlägt den äghpti— 
hen Sudan zu der Zeit ald Mr. Soutbwortb fchrieb, zu 
circa 550,000 englischen Quadratmeilen an und bat fich dann 
die Mühe genommen, die Anzahl lebender Weſen pro engli- 
ſche Quadratmeile, deren 21%, auf eime deutiche gehen, zu 
berechnen. Danach lebten auf einer engliichen Duadratmeile 
65 Menichen, 3 Kameele, 11 Stück Rindvich, 5154 Affen, 
2727 Zöwen, 2727 Antilopen, 55 Elepbanten und 5 Krokodile. 
Wenn das wahr wäre, meint das englifche Blatt, dann könnte 
fich dort vor lauter Fillle weder Menich noch Thier bewegen. 

— Der Berfuh, welchen die brafilianifche Regierung 
vor zehn Fahren machte, den pernaniihen Quinabaum 
einzugewöhnen, ſcheint geglüdt zu fein. Die Pflanzung des 
Staates in Therefopolis befindet ſich wenigſtens in blühenden 
Zuftande und ebenfo beweilen Heinere Privatanlagen, daß 
der Baum auf den höher gelegenen Strichen der Provinz 
Rio de Janeiro gut fortfommen kann. 

— In San Paulo in Brafilien erfchienen 1846 nur zwei 
Zeitungen; 1875 ift deren Zabl auf 39 gewachſen, von mel: 
hen zwei täglich und die übrigen wöchentlich zwei Mal er: 
ſcheinen. 

— Die Löhne in der Colonie Victoria normirten in 
October dieſes Jahres wie folgt. Dienſtmädchen (ehr geſucht) 
erhielten 30 bis 36 Pf. St. und eine Köchin 35 bis 60 BF. St. 
pro Jahr; ein Koch 30 bis 0 Sch. und ein Kellner 25 bis 
35 Sch. pro Woche bei freier Station, Ohne Logis und Koft 
empfingen Tifchler 8 bis 10 Sch, Hufſchmiede 8 Sch, Bäder 
Zbis 9 SH, Schuhmacher 8Sch., Ziegler 9 Sch., Maler und 
Safer 9Sch., Gärtner 6 bis 7 Sch., Sattler 6 bis 8 Sc, 
Klempner 7 bi89 Sch, Uhrmacher 12 bis 14 Sch., Goldarbeiter 
10 bi812 Sch, gewöhnliche Arbeiter (bei achtftiindiger Arbeit) 
6 Sch. pro Tag, Schneider 1 Sch. pro Stunde, Eiſenbahnarbei— 
ten IP. pro Stunde. 


— Aın 2. September 1875 fand in Melbourne bie Er: 
Öffnung der zweiten (bie erfte im Jahre 1866) intercofonialen 
Induſtrieausſtellung ftatt. Die Zahl der Ausfteller — auch 
Singapore und Japan find vertreten — beläuft fih auf 
4500, deren Gegenftände auf einem Raume von 78,000 Qua⸗ 
dratfuß verbreitet find, Die Ausftellung legt ohme Zweifel 
ein rühmliches Zeugniß von dem rapiden Fortſchritte der 
Eolonien ab. 

— Die Goldfelder der Colonie Victoria haben feit einer 
Reihe von Kahren in ihren Erträgen immer mehr nachge— 
laffen. Auch in diefem Jahre ift der Golderport in den er— 
ften neun Monaten (bis zum Detober) wieder auf 506,571 
Unzen gefunfen, gegen 804,192 im gleichen Zeitraume des 
Vorjahres. Unter den Golddiftrieten von Victoria behaupten, 
wenn ſchon ebenfalls im ſtark abnehmender Weije, bie Sand- 
hurft: oder Bendigo-Goldfelder den erften Rang. Diefelben 
begreifen ein Areal von 6 Miles in der Länge und 4 Miles 
in der Breite, und die bortigen Allnvial- und Quarzminen 
baben von November 1851 bis Ende Anguft 1875 im Gar 
8,212,326 Unzen, zum Werthe von 33 Millionen Pfund 
Sterling, geliefert. Es läßt fih aber ohne Ueber: 
treibung annehmen, daß der Goldertrag fih auf 45 Millio- 
nen Pfund Sterling fummirt, da ein beträchtlicher Theil 
des aufgefundenen Goldes nicht an die Banken von Sand- 
burft zum Verlaufe gelangte. Das reichjte Jahr war 1853, 
welches mit 661,749 Ungen notirt wird, während das Jahr 
1874 einen Ertrag von nur 313,965 ergab und das Jahr 
1875 bis Ende Auguft auf 188,000 Unzen ſank. 

— In Anftralien ift gar Manches anders als bei ung. 
Die Gemeinde der Unitarier in Melbourne hat zu ihrem 


"Seiftlichen eine junge Dame, welche fih Miß Turner nennt. 


Diejelbe befand fih im Dectober leihweiſe bei der Gemeinde 
der Unitarier in Adelaide, die bier eine recht hübſche Kirche 
befigen, und hielt öffentliche Vorträge über „Il— used Men‘. 
Schr freundlich von dem Fräulein !! 

— Mit September ging die Wollfaifon, wie das in Au— 
ftrafien Gebrauch ift, zu Ende. Die Colonie Victoria erpor: 
tirte in dieſem verfloſſenen Jahre 303,530 Ballen Wolle 
a 340 Pfund, gegen 265,540 im Jahre 1873/74, Neu-Sübd- 
Wales 117,92 gegen 112,230, Südauftralien 98,859 gegen 
83,551 und Tasmanien 27,195 gegen 24,082, 

— Die Eolonie Weftanftralien zäblt eine Bevölke— 
rung von 26,350 Seelen und bie Hauptftabt Perth von 
5000, Der Import im Jahre 1874 ergab ben Werth von 
400,631 Pf. St. und der Export den von 367,417 Pf. St. 
An Perimufceln wurden für 58,938 Pf. St. und an Perlen 
fir 6000 Bf. St. erportirt. 

— Das Parlament von Queensland hat eine neue An: 
feihe von 1,69,300 Pf. St. genehmigt. Davon jollen 
766,600 Bf. St. auf Eifenbahnbauten, 325,000 Pf. St. auf 
freie Einwanderung aud Europa, 125,000 Pf. St. auf Ver: 
befferung der Häfen und Flüfe, 80,000 Bf. St. auf Anle: 
gung von Telegrapben , 49,000 Pf. St. auf Chauffeen und 
Brüden, 78,00 Pf. St. auf Wafferzufitbrung u. |. w. ver: 
wendet werben. 

— Auch im nördlichen Oneensland find die Malern 
unter den Eingeborenen mit Heftigkeit ausgebrochen und fol: 
len ſchon iiber hundert daran geftorben fein. 


Anhalt: Franz Birgbam: Am Grabe des Entdeders. (Mit zwei Abbildungen.) — Die Betſchnanen I. (Mit drei 
Abbildungen.) — Hermann Meier: Skizzen aus Seeland. I, (Schluß), — M' Farlane's und Macleay's Erpeditionen 
nah Neuguinea. — E. C. Stublmann: Ehinefiiche Märchen. — Richard Andree: Mythen und Sprachen in den Pacifi— 
ſchen Staaten Amerikas. — Aus allen Erbtheilen: Neue Erpedition nad) der Nordküfte Sibiriens, — Antwerpen als 
Markt für auftraliiche Wolle. Vermischtes, (Schluß der Nedaction 1. Januar 1876.) 


Redacteur: Dr. R. Riepert in Berlin, S. W. Lindenfraße 13, II Tr. 
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunfhweig. 


frhle,r - u Ätıs fe si 
⸗ 


— — 


Band XXIX. | 





Mit befonderer Berüchfichtiaung der Inthropologie und Ethnologie. 
Begründet von Karl Andree. 
In Berbindung mit Fachmännern und Künſtlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 


— — — — — — — — — —— — — 


Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlich 4 Nummern. 1 8 7 6 





Braunſchweig Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Nummern 50 Pi. 


— 40, * rm — — U u > 








Die Betfhuanen. 


I. 


Die Betſchuanen-Hllite hat eine ganz andere Bauart, | Wohlhabenderen ift durch eine Querwand oder eim freis- 
als fonft in Sübdafrifa von den Eingeborenen angewandt | rundes Geflecht ein feparater Schlafraum abgefpertt. Um 
wird, und ähnelt durchaus dem Toqul des nördlichen Afrika. | jede einzelne oder mehrere einer Familie gehörende Hlitten 
Bei ihr ift im Gegenfage zu dem bienentorbähnlichen Ges | ziehen ſich Dorngehege von über Mannshöhe; in letzterm 
flechte, das dem eigentlichen Kaffer zur Wohnung dient, Falle ift dev eingefchloffene Naum oft durch radiale Zäune, 
zwiſchen Wand und fegelfürmigem Dache zu unterjcheiben. | welche bis an die Hanpthlitte heramveichen, in einzelne Ab- 
Der Grundriß ift auch hier ein Kreis von nur wenigen | theilungen getvennt, die als fyrauenwohnungen, Borraths- 
Metern Durchmeſſer; daranf erhebt ſich die aus Yehm und | behäfter u. f. w. biemen. Die Zugänge find nur ſchmal und 
Fachwerk beftehende Wand bis zu einer Höhe von noch nicht | unregelmäßig je nad) Laune geftellt, jo daß eine ganze Stabt 
2 Meter. Auf die Wand ift ein Dad gefegt, aus Schilf- ein wahres Fabprinth von engen Zugängen wird, in Benen 

ras, welches mit Streifen roher Haut an die Eparren ber ſich der Unkundige nur mit Mühe zurecht findet. 
Feige wirb, beftehend und von einem in der Mitte befindlichen Die Mitte des ganzen Orts nimmt der von befonders 
Holzpfeiler getragen. An den Seiten überragt das Dad | dichten und feiten Heden eingerahmte, runde Viehplatz ein, 
bie Hauptwanb jo weit, daß es fic dem Boden bis zu hal» | am weldyen ſich ein zweites Rundel mit breiten, offenen Zu« 
ber Mannshöhe nähert; dort wird es wieder von einigen | gängen, ber Rathsplatz (Khotla), ſchließt. Auf der beige: 
Holzftügen gelragen umd bildet fo eimen fdhattigen Gang | fligtem Abbildung, welche Gamojhopa, den Hauptort der 
rings um bie eigentliche Hütte. Diefer Umgang wird ges | Ba-khatla, darftellt, erfennt man feine Stelle an dem gro» 
wöhnlid, durd einen zweiten, nur ?/, Meter hohen Lehmwall, Ken Baum in ber Mitte, in deflen Nähe fich die Hütte bes 
ber die Zwifchenräume zwifchen den Stügen ausfüllt, nad) | Häuptlings erhebt, 

außen hin rk Ein ovales Loch von weniger als Charalteriſtiſch ift in diefem Bilde! das Neg von Fuß ⸗ 
Mannshöhe führt im die Hütte hinein, welcher fonft jede | ftegem, welche zu den engen Eingängen des Ortes führen, 
Thür, Fenſter oder Nauchfang fehlen. und bie unregelmäßigen ebenfalls von Dornheden eingezäun: 

Den Feuerplatz ftellt eine flache, ſchüſſelförmige Vertie- ten (zur Zeit abgeernteten) Culturflächen im Mittelgrunde, 
fung im Fußboben unweit bes Eingangs mit etwas erhabes Nur Vornehmere und Häuptlinge ſchmücden die Wände 
nem Rande dar; der Rauch entweicht durch das Eingange- | ihrer Hütten mit weißen, rothen oder ſchwarzen Berzierun« 
loch ober erfitlit, wenn biefes in der Nacht mit einem ge» | gen, die abwechjelnde Felder, Yiniirungen und dergleichen dar- 
flochtenen Dedel zugefegt ift, den Raum, der meift das | ftellen und, wenn es hoch fommt, mit rohen und ungefchid« 
einzige Gemach der ganzen Behaufung ausmacht. Nur bei | ten Thiergeftalten. 


Globus XXIX. Nr. 5. 9 


. 


66 Die Betichuanen. 


Eigenthitmlic find ben Betfchuanen die Vorrathehitten, 
welche die riefigen Thongefäße, Töpfe mit enger Mündung, 
voll Getreide zu fchligen beftimmt find. Wir finden dieſe 
Sitte der Getreibeaufbemahrung — die Kaffern verbergen 
ihre Ernten in Gruben, bie, meift in einer Ede bes Bich- 
fraal$ angelegt, mit einem flachen Steine zugebedt und mit 
Miſt betreut find — nördlich des Yequator in den „us 
gas“ der Djur und Dinfa („Globus“ XXVIII, ©. 326), 
jenen enormen, 5 bis 7 Fuß hohen, aus Hädfel und Thon» 
erde geformten Krugen und Urnen, wieder, 

a8 dritte unferer Bilder zeigt eine Anzahl der gewöhn⸗ 
lichſten Gefchiere, wie fie bei den Betſchuanen in Gebrauch 
find, aber auch im ähnlicher Geftalt bei den verwandten 
Stämmen zur Anwendung fommen. An bem größten Ge— 
fäße, einem jener irdenen Getreidbebehälter, bemerft man 
Fluße, welche den Inhalt gegen weiße Ameifen, Kormwlirs 
mer u. ſ. mw. fügen ſollen. Die obere Definung wird 
mittelft einer flachen, irdenen Schüffel verwahrt, und die 
dann mod) ſich zeigenden Rigen verfchmiert. Ebenſo haben 
die Kochgefüße (in der Figur links) ihre Dedel, während 
die Wafler» und Viertöpfe (in der Mitte des Bildes) offen 
ftehen bleiben. Handmühlen in Geftalt flaher Steine, mit 
einem Hleinern walzenſörmigen als Neibefeule, Löffel, Holz: 
ſchuſſeln, Melteimer und Kalabaſſen hat der Betjchuane mit 
den eigentlichen Kaffern 
gemeinfam; eigenthum⸗ 
Lich ift ihm aber ber 
Holzmörfer mit der dop⸗ 
pelten Keule (gamz 
rechts), welcher zum 
Stampfen bes halbweich 
gelochten Safferlornes 
oder des Mais dient. 
As Sige bemupt er 
meist nur erhöhte Stel: 
len des Fußbodens, in 
felteneren Fällen fleine 
dreifußige Schemelchen ; 
das in ganz Afrifa vers 
breitete hölzerne Kopf⸗ 
fifien finder fid) auch 
hier. 

Die Aderbaugeräthe 
der Betjchuanen find 
äußerft primitiv; eine ovale Hade ift das einzige Werkzeug zur 
Beftellung des Feldes. Dazu fommt etwa noch ein Wander- 
ftab, ein Milchſack aus ftarfen Hätten, in welchen auf den 
Biehpoften die Milch gefammelt und von den Hirten nad) 
der Wohnung des Herrn gebradjt wird, und ein Meiner Quer 
fat aus dem ungertrennten elle Meiner Säugethiere, der 
gewöhnliche Reifebegleiter eines Mannes, welder feine ganz 
zen Keichthlimer enthält. 


Die Arbeitstheilung zwiſchen den Gefchlechtern ift im 
Weſentlichen bei den Berfchuanen diefelbe, wie bei den Zulu: 
Kampf, Dagd und Viehzucht find Sache des Mannes, Hauss 
bau, teldbeftellung und Bereitung ber Nahrungmittel liegen 
der Frau ob. Wie wenig fie den Krieg lieben, iſt ſchon 
erwähnt; um fo geſchickter zeigen fie fi in der Jagd, im 
Anftellen von Keſſeltreiben und Errichten großer Fallgruben 
(Hopo), die ihnen reichliche Beute liefern, da ihr Yand nod) 
heute reich an allerlei Wild ift. Die Einführung der Pferde 
und Feuerwafſen hat aud) hier manches geändert; legtere 
find in großer Zahl anzutreffen, während die vielbegehrten 
Pferde fast insgefammt alljährlich von ber Himatifchen Krant- 
heit hingerafit werden, 





Strafe reiner Barfucnaftadt 


Betſchuanen große Summen fir ein gutes Jagdpferd an, 
das doch wahrſcheinlich nur einige Monate ausbauert; „ger 
falgene* Pferde, d. h. ſolche, die den Unfall einmal Uberſtan⸗ 
den haben und nun ſich halten, find nur flr Häuptlinge 
erſchwingbar. Doch find fie allefanımt weder gute Reiter 
noch geſchickte Schligen. 

Der Ertrag der Jagd iſt den Betſchuanen, abgeſehen 
vom dem Fleiſch und den leicht verkäuflichen Straußenfedern 
und dem Elfenbein, auch deshalb erwünſcht, weil die Häute 
bei ihnen eine ſehr ausgedehnte rg | finden. Sie 
find unter allen Südafritanern die größten Meifter im Prä- 
pariren von Fellen und der Herftellung von Fellmänteln. 
Die fehr umftändlide und mühevole Arbeit des Wallens 
mittelft ber Hände und Fliße, woran fich bei größeren Fel— 
len mehrere Berfonen beiheiligen, wird mit einem eigenthlim- 
lichen, einförmigen Summen begleitet, welches das Vergnü« 
gen wejentlich vermehrt, und wirb mit einem Eifer und einer 
Energie ausgeführt, welche biefen Leuten bei jeder andern 
Gelegenheit fehlt. Zwifchendurd werben bie Häute mit 
adftringirenden Baumrinden behandelt oder mit Fett einge 
trieben, bis fie die gehörige Weichheit erlangen. Dann folgt 
das Aufammenfügen und Ausbeflerm der beim Töten bes 
Thieres und beim Walfen der Haut verurfachten Löcher, 
was bei foftbareren Fellen mühevoller und zeitranbender 
als das Serben ift, aber 
fo geſchickt ausgeführt 
wird, daf die eingeſetz 
ten Stüde auf der haa⸗ 
rigen Seite faum zu ers 
lennen find. 

Als weitere Arbeit 
der Männer ift nur 
noch zu mennen das 
Warten und Melfen des 
Viehes und das Abridy- 
ten der Ochſen zum 
Ziehen, Reiten und Yalt: 
tragen, weldyes um jo 
häufiger ftattfinder, als 
das Yand flir Pferde fo 
ungefund iſt. Schnitzerei 
und Schmiedehandwerl 
betreiben nur einzelue 
bejonders Gefchidte. 

Der Bau der Hütte fällt faft ganz dem weiblichen Ge: 
ichlechte zu; kaum dag der Mann die ftärfften Hölzer fällt, 
herzuträgt und aufrichte. Seine rauen müflen den Thon 
zum Fußboden herbeifchaffen und Ineten, das Fachwerk der 
Wände und dad Sciljdad; herrichten und den Umſaſſungs— 
zaun flechten, wie das vierte Bild zeigt. Noch ſchwerer als 
diefe doc) nur felten wiederkehrende Arbeit lafter die Ber 
ftellung der Felder, weldye im Betſchuanengebiete weit aus- 
gebehnter find, als ſonſt in den Eingeborenen-Diftricten Sid» 
afrifas, auf den Frauen. Da muß der Boden vom Unkraut 
gereinigt, der vor den Feldarbeiterinnen ausgeftreute Samen 
untergehadt, die Felder mit Dornen umzäunt und die Saa« 
ten bewacht werben. Gebaut wird hauptjäclich das Kaffer · 
torn (Sorghum caffrum); der von den Europäern einge 
führte Mais verbreitet ſich erſt almälig ; außerdem kommen 
noch Zuderrohr, Kürbiß, Bohnen und Tabad vor, Dann 
gilt es, die Aehren zu trodnen, in großen Borrathetöpfen 
zu fammeln, mit Stöden auszubrefchen und von der Spreu 
zu reinigen, Man ift die gelochten Körner ganz oder ſtampft 
fie zu einem dien Brei ober mahlt fie zu Orlige; das aus 
dem Kafferlorn von den frauen bereitete Bier ift ſchwach, 


Trotzdem legen bie leichtfinmigen | tribe und vöthlidjgrau, aber bei den Eingeborenen ſehr be— 


Dick Betſchuanen. 67 


fiebt. Seim Genuß gehört zu den ſchönſten Vergnügungen 
der Betſchuanen, welche fonft darin ſchlecht beitellt find. 
Denn mur felten führen fie jene großen Kriegstänze ber 
Kaffern aus, wohl aber lieben fie mimifche Tänze und na— 
mentlich die Mufif ihrer Heinen Rohrflöten, der einfaitigen 
Tumo, welche mit einem Stäbchen geſchlagen, und der gleich— 
falls einfaitigen Leſiba, welche mit bem Munde, wie unfere 
Maultrommeln, gefpielt werden, Unter den europäifchen 
Inftrumenten bevorzugen fie die Zieh. und Mundharmonila, 
deren getragene Töne ihrem Geſchmack am meiften zufagen. 
den rauen raubt bie ſchwere Arbeit des Tages nicht 
die Luft an nächtlichen Tänzen, wobei fie ſich nach eintöni« 
gen, gefungenen Melodien unter tactmäßigem Zufammen- 
ſchlagen der Hände in Reihen bewegen, während eine Bor: 
tänzerin einige Schritte den Uebrigen vorausjchreitet. 


























Die Betfchuanen haben zwar Polygamie, aber nicht in 
jehr ausgedehntem Maße. Verfönliche Neigung fpielt dabei 
oft eine Rolle; und während die Ba-futo ihre rauen vom 
Bater kaufen, erwerben fie die weftlichen Betſchuanen durch 
Sefchente theils an die Branteltern, theild am bie Braut 
felbft, wodurd; die ganze Sache ihren unmiirdigen Charalter 
verliert und die frau, trog aller auf ihr ruhenden Arbeits- 
laft, doch über den gefauften Sklaven erhoben wird. Eine 
nimmt natürlich, als „große Frau“ die erfte Stelle ein, und 
aus ihrer Hütte geht in Häuptlingsfamilien der Thronfolger 
hervor. 

Das ganze öffentliche Yeben gründet fich auf die Familie, 
deren Oberhaupt patriarchaliſche Gewalt befigt ; die Familien 
einer Gemeinde ftehen unter dem „Monemotje* , einem 
Manne von höherm Anfehen, und alle diefe wieber unter bem 




















Gamoſhopa, Stadt der Ba-khatla. 


unumfcränften Stammeshäuptling , welcher nur durd) bie 
Gefahr, aus feiner eigenen familie einen Nebenbuhler zu 
erhalten, von allzu großer Willlur und Gewaltthätigkeit ab- 
gehalten wird. Die Meinung ber angefehenften feiner 
Stammesgenofjen, der Ba-tala, ift ſtets für ihn von großer 
Wichtigkeit, wenn er auch, mitunter derjelben trogt. Zur 
Erledigung aller Regierungsangelegenheiten bient ber Raths« 
plag, die Khotla, wo der Häuptling ſich täglich einige Zeit 
aufhalten muß, um die Bitten und Slagen feiner Unter- 
thanen zu hören. Es bremnt dort gewöhnlidy ein Meines 
Feuer, um welches ſich einige Yeute feines Gefolges aufzus 
halten pflegen, um ihn beim Eintreffen wichtiger Meldungen 
oder Fremder fofort zu benachrichtigen. In den Mittages 
ftunden ift die Khotla am einfamften, während um Sonnen: 
untergang aus allen Theilen des Stammgebietes fie eine 
Menge Leute erfüllt und der von den Angefehenften umgebene 
Häuptling dort Rechteftreitigkeitem erledigt. Die Buße bes 


fteht meift in einer gewiffen Menge Bieh, von weldem ein 
Theil dem Häuptling zufält. Es fehlt aber nicht an Bei⸗— 
fpielen, daß gewaltthätige Herrfcher mitunter wegen kleinerer 
Bergehen oder nur auf bloßen Verdacht hin felbft die Tobes- 
firafe verhängten. Dieſes plögliche Hervorbredjen der inne- 
wohnenden Barbarei durch die Dede von Gutmithigteit 
fann man bei längerm Verweilen unter den fcheinbar fo 
friedfertigen Beiſchuanen öfters beobachten. 

Nächſt dem Häuptlingen genießen die Doctoren das 
größte Anfchen. Es find das Zauberer und feine Briefter, 
wie Viele gemeint haben; denn e8 kann feine Priefter geben, 
wo von einer Gottheit feine Rebe ift, wie bei den Betſchua⸗ 
nen. Der „Mosrimo*, welchen Unkundige für einen Bet: 
ſchuanen · Gott erflären möchten, ift urſprunglich nichts als 
eine Art Kobold, der Unfug trieb, der aber weder mit gött« 
licher Macht ausgeftattet noch als von Anfang an beftehend 
gedacht wurde, fondern mit den Menſchen und Thieren zu: 


9* 


68 Die Betichuanen. 


gleich aus einer Höhle des Ba-koin-Fandes hervorging, wo 
noch feine Fußſpuren Pr fehen find. Wenn dann jpäter bie 
Miffionäre an diefen Glauben anfnüpften und dem Do-rimo 
auch gute Eigenfchaften vindicirten, fo erflärt ſich das leicht 
aus ber Schwierigkeit, ihren Zuhörern bie ganz neue Idee 
der Gottheit beizubringen. Nichts wird im dem trodenen 
Betſchuanenlande fehnlicher verlangt als Regen und darum 





find unter allen Zauberboctoren bie Regenmacher bie ange: 
fehenften. Bei ihrem mannigfaltigen Hofuspofus ift ftets 


das Tödten von Vieh nöthig, nicht als Opfer für höhere, 
regenſpendende Weſen, fondern angeblich um bem Thiere 
irgend ein zur Beſchwörung erforderliches Organ zu ent: 
nehmen, im Wahrheit aber, weil der Kegendoctor von dem 
ihm Überlaffenen Fleiſche gemächlich Ieben will. Unglaub- 














Geſchirre der Betſchuanen. 


lich iſt die Einfalt, mit welcher ſich die gefoppten Leute von 
dent Betrliger hinhalten laſſen; ſchlägt aber Alles fehl, fo 


wendet fich der Grimm und die Rache derfelben umerbittlih 
gegen ben vom Gluck verlafjenen Duadfalber. 





Berihuanenfranen beim Zanflechten. 


, Wie alle Asbantu, glauben auch die Betſchuanen an aller- 
lei Zaubermebicinen und fnmpathetifche Mittel, ohne daß 
dabei der Zauberboctor ins Spiel tommt. So tragen fie 
ihre Zauberwärfel (Litaala) bei ſich, welche fie unter ber 
flimmten Ceremonien auf die Erde werfen und aus beren 


Stellung zu einander fie Fragen an das Scidjal beantwor« 
ten und verborgene Dinge erforfchen; jo fauen fie an ber 
ftimmten Wurzeln und Hölzern, um ſich gegen böfe Ein- 
fliffe zu jchligen und fo fort, Auch die Sitte, welche unter 


den A⸗bantu faft völlig verloren, aber bei ben" Koi-toin jehr 


Albin Kohn: Zur Prähiftorie Polens. 69 


in Gebraud) ift, an beflimmten Stellen am Wege Steine zu 
häufen, ift erwähnenswerth. Als Erllärung derfelben wird 
angeführt, daß die Wanderer durd; das Hinzufligen eines 
Steines, auf welchen fie vorher fpuden, zu dem Haufen am 
Wege fi) in der Hütte, welcher fie zuftreben, eine gaftliche 
Aufnahme zu fichern glauben *). 

Durch Zaubermittel (Moldino) wird der vom Blitz ges 
troffene Ort entfühnt, werden Krankheiten geheilt, werben 
die ausziehenden Krieger gegen die feindlichen Waffen gefeit, 
die Saaten gegen bie Heufchreden umd die Unwetter geichligt. 
Dazu zindet man Feuer an und wirft allerlei wunderliche 
Dinge hinein, deren Rauche die gewünſchte Wirkung zuge 
fchrieben wird. Diefer Rauch reinigt auch alles, was mit 
dem Tode und den Todten zu thun gehabt, den, der den 
Leichnam berührt oder das Grab gegraben hat oder ber auch 
nur ein maher Verwandter bes Ban gemwefen iſt. 
Selbſt die aus dem Felde zuridgefehrten Krieger waſchen 
ſich und ihre Waffen in feierlicher Weife. 

Natürlich fucen die Häupilinge ſich möglichſt kräftige 


„Molemo* zu verſchaffen und verwahren dieſelben in Kuh⸗ 
hörnern. De größer die Meinung ift, welche ein Häuptling 
von der Kraft feiner Zaubermittel zu verbreiten verfteht, um 
fo mehr ift er gegen Angriffe der Nachbarn gefchligt. Bor 
dem Ausziehen in den Krieg giebt er feinen re Aufgüffe 
davon zu trinken ober fprigt fie damit an, und das hilft 
genau fo viel wie in Deutjſchland ein gefundenes Hufeiſen. 


— * 

Es würde zu weit führen, wollten wir dem Autor in 
feiner Schilderung bes täglichen Lebens diefer Stämme von 
der Geburt bis zum Begräbniß folgen. Ein Auszug, wie 
wir ihm geben fonnten, gewährt nur eim ſchwaches Abbild 
der Haren, wilfenfchaftlichen und mit reichlichen Belegftellen 
verfehenen Darftellungsweife des DVerfaflers, welcher ben 
A-bantı und Koiskoin ein literarifches und artiftisches Denk: 
mal gefegt hat, wie es zur Zeit faum ein anderes Naturvolf 
beſitzt. Wir können unferen Leſern nur empfehlen, die Ori— 
ginalwerke zur Hand zu nehmen; reicjlicher Belchrung dürfen 
fie gewiß fein, 


Zur Prähiftorie Polen‘ 
Von Albin Kobn. 


Zu den reizendften Gebieten Polens gehört wohl unſtrei⸗ 
tig die Gegend von Ojcow, „die polniſche Schweiz“, 
im fogenannten „S®rafauifchen“, jogenannt weil dieſer Land⸗ 
ftric nicht weit von Kralau liegt. Anmuthige Thäler wech— 
feln mit wilden Felſenhöhen, im welchen ſich viele Höhlen 
befinden, von denen die Tradition fagt, daß fie während der 
Einfälle ber Tataren den Bewohnern als Aufluchtsftätten 

edient haben. In einer diefer Höhlen verftete fich eine 
Seitlang der vor feinem empörten Bolte flüdjtige König 
Wladislaus der Kurze (Lokjetet, der Ellenlange), und 
fie wird bis heute die „Höhle Lotjetet' 6“ genannt. 
Bon ben vielen Höhlen der Gegend find jedoch erft zwei in 
archaologiſcher Hinficht genauer unterfucht, jo daß noch fehr 
viel in ihmen zu fuchen und zu finden übrig geblieben ift. 
Was bis jegt Über diefe beiden Höhlen, die Mammuth- 
höhle und die Wjersghomer Höhle, befannt ift, ver« 
danfen wir dem eifrigen Wlterthumsforfcher Johann 
von Zamisza, der auch in diefem Fahre wieder eine Nad)- 
grabung veranftalten wollte, aber durch die Eigenthlimer 
ber beiden Höhlen, die Herren Giaputowicz, daran ver 
hindert worden ift. Diefelben glauben ein Recht auf bie 
Wunde zu haben, welche Herr von Zawisza während der vier 
Jahre, die er zur Unterſuchung der Höhlen verwendete, ge- 
macht, trogdem er die Ausgrabungen auf feine Koften und 
ohne die geringfte Beihiilfe der Eigenthämer ausgeführt hat, 
die feinen Sinn fir wiſſenſchaftliche Unterfuchungen zu 
haben jcheinen. Möglich, dag dem Herrn von Zawisza das 
Bergrecht zu Hllfe fommt und daß er ſich auf Grund bej- 
fen wieder an feine fruchtbare Arbeit wird machen können. 

Im Folgenden werde ich, nach Herrn von Zawisza's Bes 
fchreibung, den Yefer mit den beiden oben genannten Höhlen 
und den in ihnen gemachten Funden befannt machen. 

Herr von Zamisza hat diefe Höhle deshalb Mammuth- 


*) Vergl. darüber R. Andree, Die Steinbaufen. „Globus“ 
XXVI, ©. 183 und 199. 


höhle genannt, weil er in ihr gleich während feines erften 
Befuches viele Knochen und Zähne diefes untergegangenen 
Thieres gefunden hat, Sie liegt im Hauptthale von 
Wijers zchow und zwar an deſſen Südfeite, und der Eingang 
zu ihr befindet ſich gegen 17 Meter über der Thaljohle, welche 
im Sommer troden ift. Der Berg gehört der Juraforma- 
tion an, und viele Bäche entfpringen ihm. Ueber dem Eins 
gange zur Höhle, der 6,30 Meter hoch und 5,25 Meter 
breit ift, ift das Gewölbe eingefallen. Die übrig gebliebenen 
Feloſtucke bilden über dem Eingange einen Bogen. Weiter« 
hin ift eine umfangreiche Deffnung, durch welche hinreichend 
Licht einfällt, wm den vordern Theil der Höhle zu er— 
hellen. 

Am Eye bededt eine Y/, Meter mächtige Schicht 
Culturerde die Oberfläche der Höhle; weiterhin nimmt die 
Mächtigkeit diefer Culturfchicht ab, bis fie endlich faft ganz 
verſchwindet und Kaltbroden, welche vom Gewölbe ſtammen 
und Höhlenlehm weichen, welche einen Feuerherd bedecken. 
In der Mitte diefes Herdes liegt ein großes, ebenfalls von 
der Dede herabgefallenes Feleſtück, um welches herum in 
der Tiefe eines Biertelmeters ſich der Herd befindet, welcher 
fi) dur Kohlen, gebrannte Erde, gefpaltene Knochen, 
Werkzeuge aus Feuerſiein, Knochen und Schmucfachen aus: 
zeichnet. Unftreitig hat man es hier mit einer menſchlichen 
Wohnftätte, der des Höhlenbewohners, zu thun. Der Feuer⸗ 
herd ift 1,25 Meter tief und gegen 5 Meter breit, wobei 
jedod; der Stein in ber Mitte mitgerechnet ift. 

Nachdem Herr von Zamwidza gegen 0,50 Meter tief ges 
graben hatte, ftieß er auf Werkzeuge aus Feuerſtein, welche 
zwar anfangs Hein, aber niedlich und fauber bearbeitet wa⸗ 
ren. In der Tiefe von einem Dieter fand er ſchon drei 
Mammuthzähne, Splitter von Stoßzähnen und größere, 
aber weniger fauber bearbeitete Werkzeuge. Gefpaltene Kno⸗ 
chen und Bühne verschiedener Thiere lagen dort neben Wert» 
zeugen aus Stein und Knochen. Auf dem Herde ift feine 
Schichtung, auch fein Stalagmit beobachtet worden. Den 
gänzlichen Mangel an Stalagmiten muß man der Troden- 


70 Albin Kofpn: Zur Prähiftorie Polens. 





Fig. 11. Fig. 4. 





Sig. 6. Fig. 9. 





Albin Kohn: Zur Prähiftorie Polens. 71 


heit ber Höhle zuſchreiben, welche durch feine Spalte mit 
dem obern Theile des Berges verbunden ift. 

Der Herd ift vom heutigen Eingange ber Höhle gegen 
drei Meter entfernt; die größte Breite des hinter dem Herde 
— Theild der Höhle beträgt 13 und feine Tiefe 19 

eter. 


Aus beiden Winkeln der Höhle führen zwei Corribore. 
Der linke ift 3,25 Meter breit und 1,80 Meter hodh, 14 
Meter lang, der redjte 1 Meter breit, 6 Meter hoch und 
ebenfo lang. Der erfte diefer Corridore hat augenfceinlic, 
als Magazin zur Aufbewahrung von Knochen, Renthier- 
und anderen Hörnern und von Werkzeugen gebient. Man 
bemerkt in ihm feine Spur eines Herdes, und fein Boden 
ift mit einer dünnen Schicht fetter Erbe bededt, in Folge 
befien man gleich beim erften Stiche mit dem Spaten oder 
der Brechſtange auf Schienbeine vom Mammuth ftieß. Diefe 
Knochen zerfielen leider, trog der Sorgfalt, weldye auf ihr 
Ausgraben verwendet worben ift, als fie einige Stunden an 
der Oberfläche gelegen hatten, bei der leifeften Berlihrung 
in Staub; nur die maffiven Theile der Knochen, ein Theil 
des Beckens, ein ſehr beſchädigter Stoßzahn und Stitdchen 
großer Knochen wurden eine Beute des Forſchers. 

Die herausgeſchafften Knochenſtlicke, Zähne und Hörner, 
welche jowohl auf beim Herde als auch fonft in der Höhle 
gefunden worden find, hat Profeflor Oscar Frans, einer 
unferer größten Geologen und Paläontologen, und Anton 
Slöfarsti, Profeffor der Naturwiſſenſchaften an der God): 
ſchule in Warſchau, näher beftimmt. Nach ihnen gehören 
fie folgenden Thiergattungen an: Dem Mammuthe, Ele- 
phas primigenius, drei Individuen; dem Höhlenbären, 
Ursus spelaeus, fehr reich vertreten; dem gewöhnlichen Bäs 
ren, Ursus arctos, in einem Exemplare; dem Glenthiere, 
Cervus alces, jehr zahlreich; dem Hirfche, Cervus elaphus, 
ſehr jelten; dem Reh, Cervus Capreolus, fehr felten; dem 
adamitiſchen Pferde, Equus caballus adamitieus, jehr 
häufig; dem Wifent, Bos priscus, felten; dem Wildſchwein, 
Sus, ſelten; dem Polarfuchſe, Canis lagopus; dem gewöhnr 
lichen Fuchſe, Canis vulpes; dem Wolfe, Canis lupus; 
dem Haſen, Lepus timidus; dem Dadjje, Meles taxus; 
bein Eichhörnchen, Seiurus vulgaris; der Maus, Mus; 
der Gans, Anser. ferner fand er dem Knochen eines Wafler« 
vogels, mit Einfdpnitten verziert (Figur 1) und einige durch— 
löcerte Zähne, welche wohl als Schmuck dienten oder Tro— 
phäen, vielleicht aud, Amulete waren. 

Sehr intereffant find die Zierrathen, welche in ber 
Mammuthhöhle gefunden worden find. ine derfelben ift 
eine an beiden Enden koniſch zugeftugte Walze aus Dammuth- 
zahn (Figur 7). Ein Ende iſt durchlöchert, in der Mitte 
ift eime tiefe Rinne, welche wahrſcheinlich dazu diente, diefes 
Schmudftäd zu befeftigen. Un den Enden find leichte Reis 
fen vertieft eingearbeitet, und zwar am jedem Ende genau 


fieben. Die Länge diefes wichtigen Zeugen menſchlicher 
Thätigfeit beträgt 10 Gentimeter, ber dickſte Durchichnitt 16, 
der dünnfte 7 Millimeter. Herr von Zawisza meint, daß 


diefes Stüd vielleicht ein Amulet, oder das Zeichen ber 
Würde eines Troglodytenhäuptlings geweſen ift. 

Die Figuren 1 u. Sftellen ebenfalls Zierrathen dar. Das 
in Figur 1 dargeftellte Std ift das Bein eines Waffers 
vogelö, auf vier Seiten mit Einfchnitten verfehen. Ju zwei 
gegenüberliegenden Seiten find 27, in den zwiſchen ihnen 
liegenden 23 Einſchnitte oder Kerben. Die Länge dieſes 
Stüdes 8 Gentimeter, der Dickendurchmeſſer 61/, 
Millimeter. ine Seite der Deffnung ift ftart abgenugt, 
was wahrjceinlic, vom Reiben auf einer rauhen Schnur, 
an ber es wurde, herrührt. Figur 8 ift eine Perle 
aus Cups, 4 Gentimeter lang. Die größte Dice beträgt 


14, die Meinfte 12 Millimeter. Auch diefes Stüd ift, wie 
das vorige, von der Schnur, auf welche es gereiht war, auf 
einer Seite ſtark abgerieben. 

Die inden Figuren 2, 3, 4, 5, 6, 9 und 10 dargeftellten 
Gegenftände find wahrſcheinlich ebenfalls Schmuckſachen ges 
weſen und an Schnüren getragen worden, Es find zwei - 
Bärenzähne, ein Wolfezahn, ein Fuchszahn, ein Hirſchzahn, 
ein Elenthiergahn und ein mit einer halbrunden Vertiefung 
verjehenes, geglättetes und abgerumdetes Std Mammuth— 
zahn. Figur 11 ift ein Stüd einer Nadel, mit einer Vers 
tiefung der Yänge nad. Ein verfteinertes Stüd einer Tere- 
bratula biplicata lag auf dem Herde. 

An den Hörnern eines ſehr großen Renthiers find 
Spuren von Einſchnitten mit einem fteinernen Inftrumente, 
und die Rippen vom Mammuthe wie auch) zugeipiste Höre 
ner und Knochen anderer Thiere dienten den Troglodyten 
als Pfriemen, Nadeln und Werkzeuge, mit denen fie den 
Thieren die Felle abzogen umd glätteten. Wozu die Zahn: 
krone des Mammuths (Figur 12) gedient haben mag, iſt 
wohl heute ſchwer zu entſcheiden. 

Die in der Mammuthhöhle vom Heren von Zawisza 


-| gefundenen und hier befchriebenen Gegenftände ermöglichen 


den Vergleich, des Lebens der vorhifterifchen Bewohner Pos 
lens mit denen anderer Gegenden Europas. Bis jegt waren 
und nur die Menfchen befanut, welche in ber Periode des 
Manmuths und Menthiers Höhlen bewohnt haben und 
deren Spuren in den Ouartärfchichten ber Ebenen Frank 
reiche, Schwedens, Englands, Belgiens, Suddeutſchlands und 
Mährens gefunden worden find. In der Wjerszchower Höhle 
waren Zroglodyten aus der Zeit der polirten Steinſachen 
befannt; jegt erjt fönmen wir mit Beftimmtheit erklären, 
daß der gebirgige Theil Polens in der früheften Epoche be— 
wohnt geweſen ift. Hieraus zieht Herr von Zawisza den 
Schluß, daß die Gelehrten, welche behaupten, ber Menſch 
fei aus Aſien nach Europa eingewandert, hier eimen wich 
tigen Fingerzeig über den Weg, ben er genommen unb auf 
weldyer Stufe der Civilifation er fich befunden hat, finden. 
Den legten Theil des Schluffes können wir umbedingt gel 
ten laffen ; der erfte ift fehr ſtark angezweifelt und ditrften 
ihm neuere Entdeefungen endlich gänzlich in die „Geſchichte der 
Studien über die Herkunft des Menſchengeſchlechtes“ verweiſen. 
Meiner Anficht nach wird die Annahme Heinrid Baum: 
gärtner’s („Die Weltzellen*, S. 136), daß das Menſchen⸗ 
geichlecht nicht in einer Weltgegend entftanden ift und nicht 
von einen Menjchenpaare abſtammt, fondern durch eine Meta— 
morphofe, die über die ganze Erde ging, weil die Bedingungen 
hierzu gerade in der entſprechenden Periode gegeben waren, 
entjtanden iſt, fich immer mehr Bahn brechen, da fie eben mit 
unferer ganzen heutigen Naturanſchauung mehr harmonirt 
als die Annahme des ewigen Wanderns ganzer und immer 
ſehr zahlreicher Völker, welche hinreichten, ganze Exbtheile 
zu füllen, und ihrer Abftammung von einem Elternpaare. 
Noch ganz gegen das Ende der Mammuthperiode und 
während der Kenthierperiode hatten auch die Troglodyten 
Polens keine Hausthiere. Noc findet man feine Spur 
eines Hundezahns unter den gefpaltenen Thierknochen. Auch 
Lehmgefäße kannten fie damals noch nicht ; aber fie verftan- 
ben es ſchon, Knochen zu bearbeiten, und dafiir zeugen euer 
fteinfägen verfchiedener Art und Größe, welche in fehr gros 
Ber Zahl in der Mammuthhöhle gefunden worden 
find, j 
Die in der Mammuthhöhle gefundenen Steinwerkzeuge 
unterjcheiben fid), wie beifpielsweife die fyiguren 13 und 14 
zeigen, nicht von den in anderen Gegenden Europas in ben 
quartären Anſchwemmungen entdedten; es jcheint ſogar, daß, 
wie wir ſpäter ſehen werden, zwiſchen den verſchiedenen 


72 Albin Kohn: Zur Prädiftorie Polens. 


Givilifationsepochen, der des Reuthiers und polirten Steines, 
feine bedeutende Unterbrechung ftattgefunden hat. 

In der Mammuthhöhle haben aber während zweier 
Perioden Menfchen gewohnt, und zwar während der Periode 
des Mammuths und der ded Renthiers. Erſt eine unbe— 
fannte Kataftrophe, durch welche der Eingang in die Höhle 
vernichtet worden ift, hat fie gezwungen, einen andern, weni · 
ger gefahrvollen Aufenthalt zu jucen. An Material zur 
Anfertigung ihrer Werkzeuge fehlte es den Menſchen in der 
Gegend nicht. In der obern Schicht des weißen Juras 
fanden fie jehr große Stilde grauen und dunfeln, burchjid)- 
tigen Feuerſteins im Ueberfluſſe und fie verarbeiteten ihn an 
Ort und Stelle, wie die langen und regelmäßigen Splitter 
beweifen, welche dort umbherliegen. Tiefe Regelmäßigleit 
aber kann nur erzielt werben, wenn man ben Ehein frisch 
fchlägt, fo lange er noch die Bruchfeuchtigfeit beſitzt. Auch 
Hämmer, fogenannte Nucleen, verichiedener Größe wurden 
in großer Anzahl gefunden. Daß biefe Hämmer gebraucht 
waren, barauf deuten ihre rauf und uneben gewordenen Scitens 
flächen und Schärfen hin. 

Den Charakter der Epoche, in welcher die Mammuth- 
höhle bewohnt geweſen ift, bezeichnen die gefpaltenen nos 
chen verſchiedener Thiere — man fpaltete fie, um das Darf 
herauszubefommen — fowie auch die gefundenen Zähne und 
Hörner. Die Werkzeuge und Zierrathen aus Mammuths 
Inodhen follen, nad) Seren von Zawisza, beweifen, daß ber 
Menſch gleichzeitig mit dem Mammuthe gelebt und feine 
Stoßzähne frifch gehabt hat, da diefe Zähne, wenn fie lange 
in der Erde gelegen haben, zur Verarbeitung untauglich wer 
den. Cine Ausnahme von diefer Hegel machen bie foljilen 
Mammuthzähne, welche mit den Thieren, denen fie angehören, 
in den Tundren Nordafiens eingefroren find und jegt nad) 
und nad) ausgegraben werden, . 

Herr von Zawisza zählt die Mammuthhöhle, von wel 
cher wir hier jprechen, zum Typus der Höhlen von Ya Ma- 
deleine (in der Dordogne), deren Bewohner, nad) Lyell, 
ſchon im Stande waren, rohe Darftellungen von Thieren 
zu machen. Nach Prof. O. Fraas finden fid) die meiften 
Knochen in folgender Ordnung in der Mammuthhöhle: des 
Viren, Pferdes, Nenthiers und Elenthiers; die Knochen 
anderer Thiere find weniger zahlreich. Leber die Knochen 
des jehr großen adamitifchen Pferdes, welche in der Mam- 
muthhöhle entdeckt worden find, äußert ſich Prof. Fraas da« 
bin, daß Knochen diefes Thieres ähnlicher Größe bei Cann ⸗ 
ftabt und Wiesbaden gefunden worden find, welche der 
Epodje des Mammuths angehören, daß er aber in ber 
Mammuthhöhle feine Spur vom feinen Steppenpferde, dem 
Zeitgenojien des Nenthiers, gefunden hat. 

Prof. Fraas will den Knochen einiger Thiere, 3. B. des 
Nehes, Wildfchweines, der Gans, ja fogar des Menfchen, 
oben bezeichnete Alter nicht zugeftehen. Die Menfcen- 
tuochen fand Herr von Zawisza Übrigens auf der Ober- 
fläche des Bodens der Höhle. Die Thierlnochen konnten 
Wölfe und Füchſe in fehr jpäten Zeiten ins Innere der 
Höhle hineingefchleppt haben; indeß find ſolche fpät herbeige- 
fchleppte Knochen ſowohl an der Farbe wie auch an der 
Härte leicht zu erkennen; deshalb ift auch beim Nachgraben 
die größte Aufmerkfamkeit auf die Yage, auf die Schichtung 
zu richten, im denen bie Knochen gefunden worden find. 
Nicht der friſchſte Knochen ift das Charakterzeichen der Epoche, 
ſondern die Yage, im welcher fich die älteften befunden haben, 
und die Werkzeuge, neben denen fie gelegen. 

Die Drammurhhöhle, welche Herr von Zawisza befchreibt, 
gehört alfo unbedingt in die Reihe derjenigen Höhlen, welche 
zur Zeit des Mammuths und Renthiers bewohnt geweſen 


find. Es fehlt, um den Vergleich mit dieſen Höhlen voll» 
ftändig zu machen, nur ein Menfchenfchädel. 

Eins fält jedoch im der hier befprochenen Höhle auf: 
die Menge großer Mammuthknochen. Der Urmenjd hat 
gewiß die großen Knochen, welde wenig Mark enthielten 
und nicht mit großen Fleiſchmaſſen umfleidet waren, nicht 
in feine Höhle geſchafft, fondern auf der Stelle liegen laſſen, 
auf welcher ihm das Jagdglück das Thier im den Wurf ges 
bracht hat, Die Menge großer Mammuthknochen in den 
Höhlen dürften den Beweis liefern, daß das Mammuth zur 
Zeit, als die Höhle bewohnt geweſen ift, ſchon eine Selten« 
heit war, deflen einzelne Theile, wenn fie auch nicht viel 
Nahrungaftoff enthielten, man in die Höhle fchleppte, um 
ſich mit ihnen zu brüften. Diefer Anficht find auch fran- 
zöfifche Forſcher, wie Dupont und Caſſalis de Fondouce, 
weldye deshalb auch die Nenthierepoche, deren Typus bie 
Höhlen von Ya Madeleine find, nach ihren geologifchen 
Merkmalen ans Ende der Uuartärperiode, d. h. in bie Zeit 
verlegen, in welcher in Folge der Veränderung des Klimas 
auch die Yage der Öletjcherthäler endgliltig verändert worden 
ift, in Folge deſſen auch die Thiere, welche jet in Mittels 
europa ausgeftorben find, auszumandern begatinen. In der 
untern Schicht der Höhle, wo Waffen aus der reinen 
Mammmthperiode gefunden worden find, find auch nur große 
Mammuthfnochen im gefpaltenen Zuftande gefunden worden, 

Herr von Zawisza wirft die wichtige frage auf: „Wo 
haben die Troglodyten der Mammuthhöhle ihre Todten be- 
graben, ba der gänzlice Mangel geipaltener Menſchenkno— 
chen den Beweis liefert, da jene Bewohner feine Menicen- 
freffer gewejen find ?* Nun meint Herr von Zawisza zwar, 
daß die Mammuthhöhlenbewohner gewiß ihre Tobten im 
anderen bis jegt nicht entdedten Höhlen begraben haben, 
deren fehr viele — wie ich ſchon oben angedeutet habe — 
in dem Gebirge von Ojcowo und Dlfus; vorhanden find. 
Diefen Schluß fanın ich nicht gelten laſſen, fondern ich muß 
behaupten, daß die Menſchen jener Periode ihre Yeichen gar 
nicht beerdigt haben. Um Pietät fir die Dahingefchiedenen 
zu hegen, und infolge deſſen daran zu benfen, ihnen die 
legte Ehre zu erweifen, fei es durch Begraben, Verbrennen 
oder Einbaljamiren, mußte fic der Menſch erft zu einer 
verhältnigmäßig fehr hohen Stufe der Bildung emporges 
ſchwungen, er mußte, glaube ich, ſchon metaphyſiſche Ber 
griffe erlangt haben und von Prieftern überzeugt worden 
fein, daß die Seele um fo länger fortlebe, beſonders aber 
im Denfeits Ruhe habe, je länger der Yeib, den fie bewohnt 
hat, in irgend einer Weife, fei es auch nur als Afche in einer 
Urne, aufbewahrt wird. Wenn es heute noch in Europa 
und Afien Bolteflämme giebt, welche die Yeichen ihrer Ber: 
ftorbenen ohne Geremonien aus ber Jurte hinaustragen und 
fie den Wölfen, Füchſen und Geiern als willfommene 
Beute überlaffen — ich erinnere hier nur an die Urjändhen, 
Mongolen und Tanguten fowie an die Kalmlicken zwischen 
Don und Wolga —, fo ift nicht einzufehen, warum unjere 
uralten Höhlenbewohner, deren LER gewiß noch nicht 
den der heutigen Papuas erreichte, ihre Todten mit größerer 
Pietät behandeln, fie durchaus begraben follten. Ich glaube, 
daß diefe meine Annahme den Mangel an Menſchenknochen 
in allen bis jet entdedten einft von Menfchen bewohnten 
Höhlen beſſer erflärt als andere bis jet im diefer Beziehung 
aufgeftellte Hypotheſen. Die bis jegt in bem verſchiedenen 
Mammuth: und Renthierhöhlen gefundenen Menſchenlnochen 
find zufällig im fie hineingefommen, wenn fie auch vielleicht 
von den Höhlenbewohnern felbft im ihre Wohnung hinein 
gebracht worden find, Unangenehm mag diefer Mangel an 
Funden von Menfchenknochen, befonders von Schäbeln, für 
den Forſcher fein, der fo gern wiſſen möchte, welcher Menjcen- 


Albin Kohn: Zur Prähiftorie Polens. 


race der Höhlenbewohner angehört hat, was er ohne Schädel 
nicht ermitteln fann. So wichtig aber auch die Beantivors 
tung diefer Frage fein mag, jo viel Aufichluß ſolche Schädel 
auch über den Wechſel, welcher in Europa in vorhiftorifchen 
Zeiten vorgegangen ift, geben würden, fo fünnen wir uns 
dod) über ihren Mangel bis zu einem gewiſſe Grade tröften; 
die von ihnen erhaltenen Ueberrefte, ihre Waffen, Werkzeuge 
und Schmuckſachen beweiien, daf die Troglodyten Europas 
u einer Race gehört haben, weldye auf einer ſehr niedrigen 
fe geiftiger Eutwidelung ftand und aller Wahrjcheinlidy- 
feit nad) nicht die Race ift, zu welcher der jet im der Gegend 
von Ojcow wohnende Menſch gehört. Er gehörte unftreitig 
zu der primitiven Menſchenrace, die am Fuße der Gebirge 
entftand und, indem fie zu ihren Gipfeln hinaufſchaute, ſich 
aufrichten lernte, um fie zu betrachten und dieſes jo lange 
wiederholte, bis fie den Himmel über ſich und das geblidte 
Gehen auf Händen und Fügen vergaß; diefelbe Race, von 
welcher Roffi fagt: „Yon Anbeginn meiner topographifchen 
Studien habe ich gejchloffen, da; der Menſch in der Qinartär: 
periode in der Nachbarfchaft der Gebirge gewohnt hat und 
fid) nidyt in den Ebenen anfiedelte.“ („De mes ätudes 
topographiques, j'avais conelu que ’homme de la pe- 
riode quaternaire habitait dans le voisinage des mon- 
tagnes et ne s'etablissait pas dans les plaines.“ Con - 
gres international d’anthropologie 1867, 
p. 109). ber er überfchaute, die Stirn ftolz zum Firma 
mente erhoben, gleicyjam die künftige Größe des Ge— 
Schlechtes (micht der Mace) ahnend, die vor ihm liegenden 
Ebenen, welche jedoch eine höhere Race bewohnen und be: 
bauen follte. In der Mammuthhöhle bei Ojcow wohnte der 
Menſch, dem die ſchaffende Natur zugerufen hat: „Erhebe 
dich, und geh!“ 

Wir wollen, nad) diefer Heinen Abſchweifung, mit Herrn 
von Zawisza die zweite, weſtlich und in einer Entfernung 
von 577 Meter von der Mammuthhöhle gelegene Wjersz: 
chower Höhle betrachten, welche er das erſte Mal im Jahre 
1871 und fpäter noch in den beiden folgenden Jahren unters 


t hat. 

Diefe Höhle war in der Quartärperiode von Menfchen 
nicht bewohnt, denn, trogdem in ihr eine große Anzahl von 
Steinwerkzeugen gefunden worden find, jo zeigt doch die Be— 
arbeitung diefer enftände, daß fie einer fpätern Beriode 
und zwar der des polirten Steins angehört. Außerdem lies 
gen noch andere Beweiſe dafür vor, daf die Wjerszchower 
Höhle während der Quartärperiode nicht von Menichen bes 





wohnt, gewiß aber von Öyänen beſucht worden ift. DieYage | 


der Höhle ift nämlich eine derartige, daß bei einer Anftauung 
des Waflers im Thale daſſelbe in die Höhle eindringen 
konnte, Deshalb konnte fie nicht zur Wohnftätte für Men 
ſchen in jener Periode dienen. Dagegen ift es augenscheinlich, 
daß fie von Hpänen befucht geweien ift, denn Herr von Za— 
widza hat in ihr einen Reiß- und einen Backenzahn dieſee 
Thieres, wie auch Knochen von Bären, Reuthieren und das 
Horn einer Antilope gefunden. Beim Herde aber, der fich 
in dieſer Höhle befindet, fand er feine Spur vom Höhlen: 
bären und Renthiere, aber Scherben von thönernen, aus jveier 
Hand gefertigten Gefäßen und zwar mit Hierrathen, und 
dieſes beweift, daß die Wjerszchower Höhle erft viel fpäter 
von Menjcen bewohnt geweſen ift. 

In der Höhle felbft, zu der drei Eingänge vorhanden 
find, fcheinen fi mehrere Herde befunden zu haben, welche 
als fie Herr von Zawisza unterſuchte, mit Flußſchlamm 
und Süßwaflermufcheln bebedt waren, was darauf hinweilt, 


daß jelbft während der Periode der polirten Steinwerfzeuge das 


Globus XXIX. Pr. 5. 


73 


Waſſer häufig in die Höhle drang und ihre Bewohner zwang, 
ſicherere Stätten aufzuſuchen. 

Auf eine eingehende Beſchreibung der von Herrn 
von Zawisza in dieſer Höhle gemachten Funde kann ich 
hier füglich verzichten, da fie den in den Höhlen Weſteuropas 
gemachten, befonderd fo weit es die fteinernen Werkzeuge 
betrifft, ganz ähnlidy find, und dieſes verleitet mich zu dem 
wohlbegrlindeten Schluffe, daß in der Höhle von Wjerszchow 
ganz diefelbe Menfchenrace gewohnt hat, welche gleichzeitig 
mit ihr die Höhlen Belgiens, Frankreichs u. f. w. bewöltert 
hat. Ein Fund ift jedoch von Wichtigfeit. Herr von Za— 
wigza hat in ciner 4 Meter haltenden brunnenartigen Ver— 
tiefung im Innern der Höhle zwei menfchliche Stelete 
gefunden, deven Knochen jedody nicht beiſammen lagen. Die 
beiden Schädel diefer Stelete hat er Herrn Profeſſor 
Birchow gegeben, der den einen in feinem Gephalinder 
mit 73,9 (dolichocephal), den zweiten mit 76,9 (mejocephal) 
bezeichnet hat, 

Ic habe gleich im Anfange gejagt, daß in der Gegend 
von Ojeow noch michrere Höhlen find und führte, aufer 
den beiden bejchriebenen, auch noch die Königshöhle oder die 
Höhle Yoljetets an. Außer diefen find jegt ſchon theilweiſe 
unterfucht die Ojcower Höhle, im weldyer wenig Ueberrejte 
von Thieren, die Näuberhöhle, in denen viele Knochen 
jet lebender Thiere gefunden worden find; die beiden Höh— 


| len von Saspowo (Sonsporo), welche ſich unter der Kirche 


des Dorfes dieſes Namens befinden, und in welchen ſich ein 
Piriemen aus Pierdefnodyen und ein Rudiment eines Ju— 
ftrumentes aus Feuerſtein, aber kein Herd und feine Kno— 
chen fanden, und die Jerzmanower Höhle, im welcher die 
Kinnlade eines ſehr großen Höhlenbären lag. Alle diefe 
Funde hat Herr von Zawisza während feiner Ausflüge 
gemacht, und wir glauben, daß diefer unermüdliche Forſcher 
noch viel zur Aufklärung der Vorgeſchichte Polens beitragen wird. 

Ucberhaupt muß ich hier bemerken, daß eine genaue 
Kenntniß und fritifche Unterfuchung der Sitten, Gebräuche, 
Sewohnheiten und vor Allem der Sagen bes polnischen 
Bolfes fehr viel Yicht über die wahren Urbewohner verbreiten 
würde. Eine ſolche Keuntniß würde und viel weiter zurlid- 
führen, als bis zu den Scythen Herodot's, Über die hinaus 
jelbft unfere befjeren polnischen Forſcher nicht recht wollen, 

Mag immerhin der Scythe der Urahn bes heutigen 
Lechiten (Polen), ja ſelbſt ſämmtlicher flaviſchen Stämme 
ſein — worüber ſich doch noch ſtreiten ließe —, vom Troglo⸗ 
dyten, der die Ojcower und andere Höhlen des chemals 
großen Polenreiches bewohnt hat, ftammt er nicht; ja er 
ftammt nicht einmal von der weit ſpätern Race der Yacufters 
bewohner, welche, wie ich dies in einem fpätern Artikel dar: 
thun werde, die Race ber Troglodyten beerbt, ja theilweife wohl 
in fic aufgenommen und mit ihr vermiſcht und eine neue, 
aber immer noc wicht die ſlaviſch-polniſche Race hervor« 
gebracht hat. Die Verwandtfchaft der europäiſchen Troglos 
dyten mit den Mongolen dürfte durch die noch heute bei dem 
legteven herrſchende Sitte, die Knochen zu fpalten, um ihren 
Inhalt zu genießen, iduftrirt werden. Solche Umftände, 
welche übrigens erſt jegt entdedt werden, dürfen bei archäo— 
logiſchen Unterſuchungen nicht überfehen werden; fie find 
wichtiger, als es auf den erften Anblick ſcheinen mag, denn 
Heine Fehler und Gewohnheiten, die nicht leicht auffallen 
und deshalb auch nicht leicht verbeſſert und abgeftellt werben, 
vererben ſich leichter als große, in die Augen fpringende, an 
deren Bejeitigung gleich beim Beginne der Civilifation (die 
ja in gewiſſer Beziehung eine Selection bei der Zucht ift) 
gearbeitet wird. 


iv 


74 


H. v. Lankenau: Stremouchow's Reife nah Buchara. 


Stremoudow’s Reife nah Budara. 
Nach dem Tagebud des Neifenden aus dem Ruffischen bearbeitet 
von 9, v. Lankenau. 


Zu Ende des Jahres 1873 wurde von dem Emir von 
Buchara, Seid-Mufaffar-Eddin, eine Geſandtſchaft nad) 
St. Petersburg abgefertigt, die erſt im Mai 1874 nad) 
Taſchtend zurlickkehrte, um ſich von dort weiter nach Buchara 
zurlickzubegeben. Der Beſuch der kaiſerlichen Reſidenz wie 
die huldreiche Aufnahme daſelbſt hatten auf die rohen Bu— 
charen einen ungewöhnlich tiefen Eindruck gemacht. Nach 
ihren eigenen Worten ſahen ſie in St. Petersburg ſolche 
Wunder der Welt, wie fie ſich ihre fühnfte Erwartung nicht 
hatte vorftellen fönnen. Gin derartiges Yob europäijcher 
Eivilifation verdient um fo mehr hervorgehoben zu werben, 
da fich die Afiaten durchgehends nur höchit felten hevablafien, 
ihr Erftaunen über irgend etwas im Abendlande zu äußern. 
Aus Furcht vor Verachtung und ſchwerer Strafe betrachten 
fie daher Alles ihnen Fremde, Umbelannte mit fcheinbarer 
Steichgültigkeit und Mißachtung. 

Die befagte Gefandtichaft führte eine bedeutende Menge 
foftbarer Geſchenle, vom Kaifer von Rußland für ihren Emir 
beftimmt, mit fi. Um berfelben weitere Ehrenbezeugungen 
zu erweifen, wurde mir von unſerer Regierung aufgetragen, 
die Sefandtichaft bis Buchara zu begleiten, wo id; dem Emir 
vom turfeftanijchen Generalgonverneur wie vom Generals 
lientenant Kolpalowely Grüße und WFreundichaftsverfiche- 
rungen überbringen follte. 

Die Nachricht von meiner Beftimmung ſchien dem budjas 
rischen Geſandten nicht angenehm zu fein; ex fürdhtete, bei 
feinem Herrn in Ungnade zu fallen, daß er uns Un: 
gläubige mit ins Land bringe. Trog der libertriebenen 
Höflichkeit, die er gegen mich beobachtete, war doch feine Un- 
zufriedenheit erſichtlich. Bei der Uubeftändigfeit und Grau— 
famfeit des Emird war er meiner Aufnahme in Buchara 
wegen beforgt, wie aud), ob Seine Hochgeſetztheit (Titel der 
afiatischen Chane), der Emir, mit feinem Wirken in St. Peters: 
burg zufrieden fein werde. 

Am 15. Mai machte ich mich, nachdem die Arben (zwei 
räderige Karren) mit ben faiferlichen Geſchenken und unfe: 
ten wie den bucharischen Effecten vorausgejendet worden war 
ren, mit Herrn Wilkins nad) Sfamarfand auf, um der 
buchariſchen Sefandtichaft den Weg dorthin zu erleichtern und 
dem General Abramow, Chef des ferafjchanstifchen Bezirks, 
beren Ankunft anzutündigen, 

Der Weg von Taſchtend bis Sfamarkand wurde von 
uns glüdlich zurücgelegt. Die Städte Tſchinas, Dichifaf und 
Sfamarfand, die Steppe Murfarabat, die Pforten Tamer- 
lan's u. ſ. w. werde ich micht weiter bejchreiben, da fie zur 
Senüge aus fo vielen anderen Neijeberichten befannt jein 
dürften. So fange ich denn meine Erzählung mit unferer 
Abreife von Sjamarfand an, 

Dort erfuhr ic, daß der Emir von Buchara ſich in der 
Stadt Schaar befinde; da num Abbul-Kadir, der Geſandte, 
und ich ums zuerft demfelben vorzuftellen hatten, fo wurde 
der Beſchluß gefaßt, daß wir ung Über die Berge nad) der 
Stadt Kitab und vom dort nach Schaar begeben wollten, 

Die Neuheit einer fo weiten Reife zu ‘Pferde, die Aussicht, 
einen der unabhängigen Staaten Mittelafiens näher kennen 


I. 


zu lernen, der mir nur aus Büchern und Erzählungen be: 
fannt war, endlich aud) die eigenthlimlichen Berhältniffe, 
unter denen ich diefe Reife vollbringen folte, hatten meine 
Neugier bedeutend rege gemacht. Endlich, am 20. Mai, wa- 
ven die langwierigen Vorbereitungen der Afiaten, ihre vielen 
leeren Geremonien beendigt und wir verliefen Sfamarfand. 
Unfere Karawane breitete fic) fiber einen großen Raum aus. 
Ihr Beftand war folgender: Abdul-Kadir-Bi, Tolfaba (mir 
litärifcher Rang, jo viel als Oberſt) und Gefandter des 
Emir; feine zwei Secretäre, der Mirfa und Uraf, und ber 
Mirfa und Miirachur (Stallmeifter) Wachab, die auf Befchl 
des Emirs der heimtehrenden Geſandtſchaft nach Taſchlend 
entgegengeritten waren; 30 buchariſche Dſchigiten (das Wort 
Dſchigit bedeutet: Krieger, verwegener Burſche, kühner Reis 
ter; man braucht die Dfchigiten als Couriere, Leibwächter, 
auch als Poftillone); ich, Herr Wilkins und der als ruſſiſcher 
Regierumgsbeamter mir zucommanbdirte Herr Tſchapiſchew; 
ferner der Tatar Mullah Chairulla-Junuſſow, mein Privat- 
fecretär und Dolmetjcher, unfere Dſchigiten Kamalu, Ssid- 
Ali und Ufta, 10 uralſche Koſacken nebjt ihrem Wachtmeifter 
(Urädnit), 11 Arben nebſt Vegleitern und ein Kurbaſch 
(Bolizeibeamter) aus Sfamarfand mit 5 Gehülfen, die und 
bis an die buchariſche Grenze begleiteten umd jo lange wir 
im ruſſiſchen Gebiet waren, die Anordnungen fin Unter: 
tommen, Unterhalt u, ſ. w. zu treffen hatten, 

Es war ein buntes, maleriſches Bild, diefe aus Reitern 
in europäifchen und aſiatiſchen Trachten zufammengejegte 
Menge. Die Bucharen haben zu Pferde ein ganz anderes 
Anfehen als zu Fuß. Trog ihres ſchweren Turbans, ihrer 
langen bunten Chalate, ſchlafrodähnlicher Gewänder, deren 
fie oft zwei, drei über einander tragen, figen fie fehr gewandt 
auf ihren hohen bequemen Sätteln. Bei den Vornehmeren 
waren die Pferde mit jhawlartigen, ſchweren feidenen Deden 
behangen, Sattelzeng und Zaum mit bunten Edelſteinen, 
meift Turliſen, Uberſäet. Verwegen fegen ſie über Gräben, 
hohe Barrieren umd andere Hinderniffe. Die Pferde find 
meift Paßgänger; Biele hatten Turtmenenhengfte, die ihren 
Reiten an Öewandtheit, Ausdauer und Kühnheit nicht nach⸗ 
ſtehen. 

Mich ſetzte zumeiſt der Comfort in Erſtaunen, mit wel⸗ 
chem ſich Abdul · Kadir auf der Reiſe zu umgeben wußte. 
Auf der ganzen Tour reichten ihm die Tſchelimtſchi (diefelben 
rauchen ihrem Gebieter den Tjchelim, eine Art Kaljan oder 
Waſſerpfeife, an) alle Uugenblide den Tſchelim, ohne daß er 
den — feines Pferdes auch nur im Geringſten gehemmt 
hätte, Gewöhnlich geht der Tſchelim von Hand zu Hand 
dem Range nad); er erfrifcht den Mund, indem er ihm feucht 
erhält, was in den Steppen bedeutend dazu beiträgt, die 
Ermüdung zu ertragen. Sobald die Zeit zur Abhaltung 
des Gebeis (Namas) gelommen war, breitete man fogleid) 
die Namas⸗dſchai, d. h. die bei demielben gebräuchlichen Tep⸗ 
piche, aus. Auf den Yagerplägen wurden fehr raſch und 
gewandt die bunten Zelte aufgeſchlagen, die Vorhänge aus: 
gebreitet, die Teppiche und Kiffen hingelegt und eim reiche 
liches Mahl aufgetragen. Hierbei war allein die arme 


H. d. Lankenau: Stremouchow's Reife nach Buchara. 75 


Dienerſchaft zu beklagen, bie trotz ihrer Mudigkeit noch aus 
Furcht vor Strafe die geringſten Launen ihrer verwöhnten, 
ſtrengen Gebieter erfüllen mußte. 

So hatte z. B. Abdul-Kadir⸗Bi die Gewohnheit, ſich, for 
bald nur Halt gemacht wurde, umzukleiden und auf den Tep- 
pichen und Kiſſen faul hinzuftreden, während die Dichigiten 
ihm den mliden Yeib waſchen und reiben mußten. 

Nachdem wir 3 Taſch (die buchariſche Taſch, d. h. Stein, 
ift 8 Werft — 11/, Meile; man mißt fie auf folgende Weife: 
gewöhnlich, führt während der Reiſe des Emirs ein Dſchigit 
fein Pferd und zählt die Schritte. Wenn er fo 12,000 
Schritt gemacht at hält er an, ruft „Taf“ und legt einen 
großen Stein auf den Punkt. Dann folgt ein zweiter Dſchi⸗ 
git und zählt weiter und fo fort) durch eine herrliche hügelige, 
von zahlreichen Bergwäſſern durchſtrömte Gegend zurück 
gelegt Hatten, ſchlugen wir unſer Nachtlager im Kiſchlal 
Sfadagan (Kifchlat bedeutet Winterwohnung, Dorf, über- 
haupt jebe nicht befeftigte Anfiedelung) am Fuß der Dſchams⸗ 
tiichen Berge auf. Nachdem wir unfere Kräfte an einem 
reichen, auf einheimifche Weife bereiteten Mahle geftärkt, 
legten wir uns am Ufer eines murmelnden Bergitroms bei 
hellem Monbdfchein zur Ruhe. Bon hier and und weiterhin 
in jedem Nactlager wurden Dicigiten an den Emir ger 
ſchickt, ihm umfere bevorfichende Ankunft zu melden. 

Um folgenden Tage genofjen wir, nachdem wir einen 
fangen Marſch von fait 4 Taſch zurüdgelegt hatten, zum 
legten Mal unfer Mahl auf ruffifchen Boden. Hier vers 
ließ uns unfer Kurbaſch, der nad) Sſamarland zurückkehrte; 
nachdem wir dann noch bis gegen Abend 2 Taſch gemacht 
hatten, gelangten wir über die Berge von Schehrifjebs an 
den Kiſchlak Kifil-Hutan und befanden und nun auf bucha- 
rifchem Gebiet. Bon hier an forgte mach Yandesfitte die 
buchariſche Regierung für unfern Unterhalt und unfer Fort 
foınmen, und zwar auf die ausgejuchtefte Weife, wenn man 
das Yand in Anbetracht zieht, das wir jet durchzogen. Der 
Gefandte ftellte uns fein eigenes Zelt zur Verfügung, in 
welchem buchftäblich jeder freie Raum mit ben verſchiedenſten 
Schuſſeln und Erfriſchungen befegt war. 

Nun folgte ein fehr befchwerlicyer, 4 Taſch langer höchſt 
romantiſcher Weg zum Kiſchlak Ak-Bugai über tiefe Abs 
gründe, längs fteiler Felſenwände, durch enge Scyluchten und 
reißende Bergwafler, den wir zwar mit Mühe und oft Yebend« 
gefahr, jedoch glüdlich zurliclegten. Abdul-Sabir bemühte 
ſich ſelbſt höchſt gewiſſeuhaft um unfer Gepäd, feiner Wichtig 
feit wegen. Unterwegs famen uns von Zeit zu Zeit vers 
fchiedene Deputationen aus anderen maheliegenden Kiſchlalen 
entgegen, Abdul⸗Kadir zu feiner glücklichen Nüdtehr Glück 
zu wünfcen. Die Abgefandten fprangen, jobald fie nur 
unfern Zug bemerften, cilig von den Pferden, näherten ſich 
tief gebiteft und unterwärfig dem Gefandten und küßten ihm 
die Hände; diefe Ceremonien nahmen uns ſiets viel Zeit, 
waren aber nicht zu vermeiden, 

Auf halbem Wege nad) Als Bugat erwartete uns ber 
jüngfte Sohn des Begs von Kitab, der mir freundlich die 
Hand ſchüttelte und mir mittheilte, daß er froh und glücklich 
liber den ihm gewordenen Auftrag fei, mix entgegenzureiten, 
mich zu begrüßen umd Süd zu meiner Ankunft auf buchas 
rifchem Gebiet zu wlnfcen. Ich eriwiederte ihm natitrlid) 
durch ähnliche Reden, worauf ſich der junge Beg mit feinen 
50 heraudgepugten Reitern, alle in buntfarbigen Chalaten 
und auf prächtigen Roflen, und anſchloß und weiter begleitete, 

In Ak-Bugai wartete unſer bereits ein ganzes Heer 
Diener mit einem Daftardjan (eigentlich Tafeltuch; fo heißt 
die Bewirthung von Gäften) von nur — 50 verſchiedenen 
Gerichten: Früchte, Braten, Wildpret, Fiſche und Süßigkeiten 
aller Art, Erzeugniffe der bucharifchen Kochlunſt. 


Nach kurzer Ruhe gab ich das Zeichen zum Aufbruch. 
Am 22. Mai war der Himmel bewölkt und ein heftiger 
Wind wehte, was fonft hier zu dieſer Zeit nur felten ift. 
Unfer Weg, befonders durch die Makrit-Tan-Schlucht, war 
höchſt beſchwerlich. Im Kiſchlal Makrit erwarteten uns 
wieder eine Menge Bewohner, alles Usbelen, mit Bewirthung. 
Ungeachtet mir diefe ſchon zuwider war, durften wir fie doch 
nicht ausfchlagen, um die Leute nicht zu beleidigen. Hier 
war ich nun der zufällige Zeuge einer Scene, die fundgab, 
auf welch eimer niedrigen Stufe moraliſcher Entwidelung 
das buchariſche Bolk noch ſteht. Ein Usbel Hatte ſich ger 
weigert, Hulfspferde zum Hinaufbefördern unſers Gepäcks 
auf die Berge zu ſtellen, wozu er ja auch eigentlich durchaus 
nicht verpflichtet war. Für ſolch einen Ungehorſam beſchloß 
man ihn ſogleich zu beſtrafen. Der junge Beg warf ſich 
felbft zuerst auf ihn und fchlug ihm aufs Unbarmberzigite 
mit der Nagaifa (kirgififche Peitſche). Auf diefes Zeichen 
ftürzte ſich Alles anf den Umglidlichen, felbft ſolche, die noch 
einen Augenblid zuvor friedlich neben ihm gefeflen hatten; 
dann King man ihm au dem Armen auf und ließ ihn fait 
eine Biertelftunde in diefer Yage. Damit noch nicht zus 
frieden band man ihm wieder los, um ihm zu eimer noch 
härtern Strafe abzuführen. Der Usbel aber ſchien nur dies 
fen gunſtigen Augenblick erwartet zu haben; er warf raſch 
feinen Schlafrock ab, erfletterte behende einen ziemlich hohen 
Zaun, fprang wie ein Verzweifelter auf der andern Seite 
hinab und entfam feinen minder gewandten Verfolgern. Ins 
tereffant war es nun die Wuth des jungen Begs darüber 
zu fehen, daß das Opfer feiner Graufanıfeit enttommen war. 

Nachdem wir mod) einige Zeit lang durch Berggegenden 
geritten waren, bot fich unferen Augen das wahrhaft fiber: 
vafchende Bild des ungeheuern Thals von Schehrifiebs bar, 
das feinen Namen, das grüne, volllommen vedjtfertigt. Das 
ganze Thal beſteht aus einer dichten Mäfle des herrlichiten - 
Grüns, Gärten und Felder, zwijchen weldem die Städte 
und Kifchlats die dunkelen Flecken, Bäche und Flüſſe aber 
die hellen bilden. Im der Ferne erhebt jic der Thurm von 
U-Sarai, das Schloß der Stadt Schaar, das noch aus den 
Zeiten Tamerlan's ſtammt. 

Nachdem wir noch 2 Werft zurüdgelegt hatten, blieben 
wir zur Nacht im Kifchlat Ulus, etwa 8 Werft von der Stadt 
Kitab im einem eigend für und eingerichteten Haufe mit gro— 
fem Garten. Die Bewohner des Orts begrüßten uns aufs 
Freundlichſte. Erſt am folgenden Morgen jollten wir in 
die Stadt einziehen, da nadı dem legten Abendgebet (Namac- 
Chuftan, von 8 bis 9 Uhr) die Thore geſchloſſen und Nie- 
mand mehr in die Stadt gelaflen wurde, 

Trotz unferer Müpdigfeit wurden wir genöthigt, verſchiedene 
Empfangsfeierlichteiten durchzumachen und nur mit Mühe 
gelang es uns, diefelben abzufürgen. Beim Schimmer einer 
Menge Talglicyter Äpielte die Muſik, einige Burſcheu huben 
einen Tanz an, Yieder ertönten, begleitet von den Klängen 
der Yutara, einer zweifaitigen Guitarre, bis wir uns erſchöpft 
nicberiegten. 

Kaum hatten wir und am 23. Mai angelleidet, als be- 
reits Abdul Kadir bei und erfchien und uns mittheilte, wir 
möchten ung auf den Empfang zweier vom Entiv abgeſand— 
ten Würbdenträger vorbereiten. Zugleich bot mir der Ge— 
fandte feine Dienfte am, um mich mit dem gebräuchlichen 
Geremoniel befannt zu macen, damit ich feinen Verſtoß 
gegen die örtlichen Gebräuche begehe. Ich dankte ihm für 
fein Anerbieten, benugte es aber nur wenig, ba mir die 
buchariſchen Eitten und Gebräuche bereits wohlbefannt was 
ren. Mit großer Wichtigkeit erfchienen nun in prächtigen 
Brocatchalaten die Wilrdenträger des Emirs, der Tofjaba 
(Oberft) Dſchalil⸗Bi und der Udaitſchi (Kammerherr) Dr: 

10* 


76 9. v. Lankenau: Stremouchow's Reife nad) Buchara. 


pafarsBi. Im Namen des Emirs begrüßten fie mich und 
wänjchten mir alles Öute, was id) ihnen auf gleiche Weife 
beantwortete; dann machten fie mir den Borjchlag, gerade 
in das Schloß zu reiten, wo mid) ber vegierende Beg Abduls 
Gafar felbft zu empfangen wünfche, Unter großem Zujammens 
ftrömen der Bevölferung titten wir nun dahin, wobei bie 
Kurbaſchi das Volk mit Stöden vor uns aus einander trie- 
ben. Bor dem Schloſſe ftanden die Earbafen (Soldaten, 
reguläre Infanterie) in vothen, und die Topſchi in grünen 
Uniformen mit entfalteten Fahnen zu beiden Seiten des Wer 
get. Als wir erfchtenen, fing die Mufif zu jpielen an und 
das Commando: „Präfentirt das Gewehr!“ erſchallte in 
ruſſiſcher Sprache. Im Schloſſe empfing und der Beg von 
Kitab, ein chrwürdiger Greis, im Namen des Emirs aufs 
Freundlichſte und äußerte mir umter Anderm, wie es ihm 
ſehr angenehm fei, den Sohn eines hohen ruffifchen Witrdens 
trägers bei ſich zu empfangen, Nach einer längern Unter 
haltung folgte wieder ein gigantifches Daftardıan (Mahl), 
dann die unvdermeidlichen Geſchente; für mid) ein Pferd nebft 
Dede und Sattelzeug und feidene Stoffe. Dem Wange 
nad) wurden aud meine Begleiter alle ohne Ausnahme be 
fchenft. Der Gebrauch, einander bei jeder Gelegenheit Ge— 
fchente zu machen, ift fo durch ganz Gentrafafien verbreitet, 
dag eine Verweigerung derjelben eine tödtliche Beleidigung 
wäre. 

Da man den Emir bald in Kitab erwartete, fo fonnte 
man und im Schloſſe felbjt nicht aufnehmen und väumte 
uns Europäern allen zufammen ein Privathaus ein, während 
dem Gefandten ein zweites angewieſen wurde, wofelbft man 
auf das Zuvorkommendſte flir alle unfere Bedürfniffe forgte. 
Kaum haiten wir nun unfer Hauscoſilim, die und verlie- 
henen Chalate, welche uns als Schlafröcke dienten, angelegt, 
was den Bucharen ungemein gefiel, als bereits ein paar 
bübfche junge Burſchen erfchienen und und ihre Tänze (Ba— 
fem) producirten; man ließ uns feine Zeit zum Ausruhen 
und dachte nur daran uns zu beluſtigen. 

Am Morgen des 24. Mai hörten wir in der Ferne 
Militärmuſik, die batd durd) Kanonenſchüſſe und lautes Volfe- 
geſchrei, on welchem die Stöde der Kurbaſchi den meiften 
Antheil hatten, übertäubt wurde: man begrüßte fo den Emir 
bei feiner Ankunft, Wald darauf erfchien auch ein Abge— 
fandter dejjelben, der ung feine Grüße brachte und und mit: 
theilte, derſelbe fei jo froh geweſen, unfer Eintreffen zu ver- 
nehmen, daß er ſich ſogleich jelbft von Schaar nad Kitab 
auf den Weg gemacht habe ung zu empfangen: „Er möchte 
vor Freuden and feinem Hemde heransipringen, um uns 
nur ſchueller zw ſehen,“ waren die Worte, die der Emir und 
jagen ließ. 

Meine Antwort war cin Danf jr feine Theilnahme 
und die Bitte, mir täglich von feinem Befinden Nachricht 
ertheilen zu wollen u. ſ. w. 

SHeichzeitig mit mir befand fic ein Abgefandter unfers 
Generals Abramow im Kitab, den jedod; die Bucharen nicht 
zu mir ließen, fo wie der Geſandte des Gebieters von Kabul, 
Schir⸗Ali-Chan. Diefer Yegtere begleitete den Emir auf 
allen jeinen Reifen. ö 

Ich halte es nicht für überfliſſig, hier einige Worte fiber 
die Beziehungen Bucharas zu Afahaniftan und Rußland ein: 
zufügen. Diefe Beziehungen Bucharas oder richtiger des 
Emirs wechſeln beftändig und hängen davon ab, welche Seite 
demfelben gerade gefährlicher und drohender erſcheint; dieſer 
wendet ſich dann Muſaffar zu. Sid) auf ihm zu verlafien, 
wäre im höchſten Grade thöricht; er ift ſiets bereit, aus einen 
ergebenen Freunde ſich in dem töbtlichiten Feind zu verwans 
dein. Gin ſolches Schwanten im feiner Politit geht aus 
einer eigenen, ſchwanlenden Stellung hervor, Wer nur in 


Buchara geweſen ift, hat fich leicht Überzeugen können, auf 
weldyem unfichern Grunde die Macht des Emirs ruht. 
Seiner höchſt graufamen, wanfelmüthigen Regierung hat er 
es zu danken, dag im Volle auch nicht die geringfte Sym- 
pathie fiir ihm herrſcht, fo da er jich fortwährend in Gefahr 
befindet, feine Macht, feine Reichthumer, ja fein Leben ein 
zubüßen. So lange feine Unterthanen fortfahren werben, 
apathiſch fein Joch zu tragen, wird auch feine Macht dauern; 
er ift aber unrettbar verloren, wenn fie aus ihrem Traum 
leben erwachen follten. Auf jo unficherm Boden fußend fann 
er eben fo wenig auf den Beiſtand feiner Nachbarn rechnen 
und jo muß er denn fortwährend feine Zuflucht zu Intris 
guen, Betrug und Hinterlift nehmen und zwiſchen den Hinder⸗ 
niflen, die ihn von allen Eeiten umgeben, bin: und herlavi- 
ven. Weſſen Einfluß ftärter, der wird aud) den Emir auf 
feiner Seite haben, 

Die Mifgunft und feindliche Geſinnung der Wighanen 
gegen die Ruſſen ift bekannt. Wahrfcheinlich wird dieſelbe 
noch mehr durd) die Aufhegungen der Engländer verſchlim— 
mert, und jo find denn die Afghanen beftändig bemüht, dem 
Emir von Buchara feindlich gegen die Rufen zu ſtimmen. 
Ihre beharrlichen Forderungen unterjtägen fie durch ver- 
fchiedene Drohungen. Da fie num nod) bisher die Macht 
der ruſſiſchen Waffen nicht erfahren, fo verlaffen fie ſich auf 
die Tapferfeit ihres Heeres, weldjes, nebenbei gejagt, ziemlich) 
gut orgamifirt it, und fuchen den Emir beftändig damit zu 
ſchreden, daß, wen er ſich micht mit ihnen verbinde, fie in 
fein Gebiet eindringen wärden. Die Afghanen, die ſich mit 
mir zu gleicher Zeit in Buchara befanden, haben diefes felbft 
gegen den Mullah Junuſſow, den fie irrthümlich fir einen 
Bucharen hielten und von dem fie nicht wußten, daß er mein 
Neifebegleiter war, ausgeſprochen und noch binzugefügt: 
„Unfere Truppen werden ftets und liberal die Ruſſen ſchla— 
gen.“ Der hafenfligige Muſaffar ftand ſchon mehr als 
einmal im Begriff, den Forderungen der Afghanen nady 
zugeben und fic) zum Feinde Rußlands zu erflären; fo noch 
unlängft während des Krieges gegen Chiwa. Auf den Rath 
der Aighanen wollte dev Emir den ruſſiſchen Erpeditiond- 
truppen die zugefagten Lebensmittel nicht jenden, wodurch er 
biefe in die größte Berlegenheit gebracht hätte; ſodann beab⸗ 
fichtigte er, eine afghaniſche Armee in fein Yand zu laſſen, 
mit deren Hilfe ev einen Licberjall auf Sſamarland hätte 
wagen fünnen, Dem in Buchara fid, aufhaltenden Tataren 
Karataew, wie auch den bedentendften bucharifchen Kaufleuten, 
die fich zur ihm begaben, gelang es jedoch, ihm von feinem 
Vorhaben abzubringen, indem fie ihm vorftellten, in welche 
Gefahr er fid) und das ganze Yand dadurch bringe. „Rufe 
land ift zu ſtark und zu mächtig," fagten fie ihm, „einen 
augenblicklichen Erfolg magſt Du erringen, wirft aber jpäter 
nur um jo ſchwerer zu leiden haben, lannſt Yand und Yeben 
einbüißen.“ Dieſe Vorftelungen machten den Emir wieder 
unfchlüffig, ev Invirte weiter nnd die Afghanen fehrten, ohne 
etwas erlangt zu haben, nad) Haufe zuritd, 

Jedes Jahr fommt nun eime neue afghaniſche Geſandt ⸗ 
ſchaft nach Buchara mit neuen Vorſchlägen und neuen Dro— 
hungen. Auch ich fand gerade eine ſolche dort, die den Emir 
auf allen feinen Reiſen begleitete, ohne daß es ihr auch die 
ſes Mal geglüdt wäre etwas zu erringen. Sie waren, wie 
ich erfuhr, gefommen, wieder in den Emir zu dringen, ihr 
Heer durch das bucharifche Gebiet durchzulaſſen, und bemüht, 
den glänzenden Empfang, den er mir bereitete, zu hinter» 
treiben. Ihre Intriguen mißlangen jedoch. Muſaffar war 
Aüberglücllich fiber die Ehre, die der weiße Zar ihm und fei- 
ner Geſandtſchaft erwieſen hatte, und empfing demzufolge 
die Aighanen falt, gab ihmen Feine feierliche Audienz, lieh 
ihnen uur lärgliche Geſchenke verabreichen, verbot ihnen in 


Nelrolog 1875. 77 


ben Städten umherzureifen und umgab fie mit einer Menge 
Spione, die jeden ihrer Schritte bewachen mußten. Wie es 
fcheint, hat der Emir nad) fo vielen bitteren Lehren endlich 
begriffen, daß es vortheilhafter fir ihn und fein Land ift, 
Rußland zum Freund als zum Feind zu haben. Ob num 
aber biefe feine jetzige Gefinnung auch dauern werde, muß 
die Zeit lehren; bei einem Charafter wie dem des Mufaffar 
ift es ſchwer, für ihm bürgen zu wollen. So viel ift ſicher, 
daß die vornehmiten Bucharen überzeugt find, früher oder 
fpäter mitfje Buchara Rußland zufallen und daß fie fehn: 
füchtig den dann für fie folgenden glüdlichen Tagen entgegen: 
fehen, die fie der Gewalt eines graufamen Despoten ent» 
iehen. 

: Ic fahre in meiner Erzählung fort. Heute erſchien 
Abdul · Kadir⸗Bi, der Gefandte, freudeftrahlend und zufrieden 
bei uns; er hatte ſich foeben feinem Gebieter vorgeftellt und 
war von diefem höchſt guädig empfangen worden; jede Angft, 
jede Gefahr war vorliber. Große freude hatten dem Emir 
die prachtvollen faiferlichen Geſchenke gemacht. Bon nun 
an erſchien bald diefer, bald jener vornehme Buchare und 
fuchte uns auszuforfchen, befonders der zweite Secretär des 


Sefandten, ber dem geheimen Auftrag erhalten hatte, uns 
auszufpioniren. Alle unjere Worte, jede unferer Beweguns 
gen wurbe aufgejchrieben und täglich dem Emir mitgetheilt. 
Heute Abend wurde und eine befondere, ganz eigenthlms 
liche Ehre zu Theil: der Emir ſchidte uns zu unferer fpeciels 
fen Verfügung während unferes Aufenthaltes in Kitab feine 
Hoftänger (hubſche Knaben), feinen erften Moslarabaſa (Hof: 
narren), feinen Chodfcha-dichebadfcht (Adjutanten, deffen Amt 
darin beftand, dem Emir alle möglichen Klatſchereien der 
Stadt und des Hofes zu hinterbringen) und feine Mufifans 
ten. Ein Bafem (Feſt mit Tanz und Mufit) wurde nun 
beim Lichte chineſiſcher Yaternen, die wir mitgebracht hatten 
und die die Bucharen in Entzliden verfegten, arrangirt; 
geduldig, auf unferen Teppichen liegend, mußten wir zufehen, 
jo fberbrüffig wir aud) ſchon aller diejer fogenannten Ber 
nügungen waren. Bon diejer Zeit an hatten wir in jedem 
iſchlak, im jeder Stadt biefelben Tänzer, diefelbe Mufit, 
biefelben Tafchenfpieler- und Jongleurlünſte zu bewundern, 
die ung oft felbft die Nacıtruhe raubten. Was war da zu 
thun, die bittere Schale mußte bis zum Boden geleert werden. 


Netrolog 1875. 


Andree, Karl, der Begritnder des „Globus“, geft. 10. 
Auguft. Vergl. den ausführlichen Nekrolog im vorigen 
Bande Nro. 19, 20 und 21. 

Argelander, Profefjor der Ajtronomie und Director 
der Sternwarte zu Bonn, jtarb am 17. Februar. 

d’Arrest, Dr. Heinrich Ludwig, Aftronom, geb. 13. Juli 
1822 in Berlin, ftudirte dajelbft unter Ende, wurde 1848 
Profeffor in Yeipzig, 1857 in Kopenhagen, hier zugleid) 
Director des Obſervatoriums. Er entdeckte verjchiedene Ko— 
meten und am 21. October 1862 den Meinen Blaneten Freia; 
fein Haupiſtudium richtete ſich aber auf die Nebelfleden, für 
deren jpectralanalytijche Unterfuchung er im Webruar 1875 
die große Goldmedaille der Yondoner Royal Aftronomical 
Society erhielt. Er farb am 14. Juni 1875 zu Kopen- 
hagen. 

Re Marie-Amand- Pascal d'Avezae de Caftera 
Macaya, franzöfischer Geograph, geb. 18. April 1800 zu 
Zarbes, geft. den 14. Januar 1875. Sein erſtes Wert 
befchäftigt fich mit feiner engern Heimath: „Essais histo- 
riques sur le Bigorre“ (1823). 1833 lieft er vor ber 
Parifer Atademie über Mungo Park’s aſtronomiſche Poſi— 
tionen in Afrifa und ſeitdem hat er eine große Anzahl Schrif⸗ 
ten befonders über alte und mittelalterliche Geographie und 
Geſchichte derjelben veröffentlicht, fo 1844 „Esquisse géné- 
rale de l’Afrique et l’Afrique ancienne*, 1848 „Les 
iles d’Afrique“, 1860 „Apergu historique sur la Bous- 
sole ete.“, 1863 „Coup d'oeil historique sur la pro- 
jection des cartes de geograpbie*. 1852 gab er ben 
alten Geographen Acthiens mit Commentaren heraus; auch 
mit Columbus’ Leben beſchäftigte er fid) viel. In der Pa— 
riſer Geographiſchen Gefellichait war er 1833 bis 1835 
Seneraljecretär, 13 Mal Bicepräfident und 6 Mal Bor: 
figender; er war Mitglied des Inftitut de France und Mit: 
fifter der Parifer Ethnologiſchen Geſellſchaft. 

Baines, Thomas, englifcher Künftler und Meifen- 
der, begleitete 9. C. Gregory 1855 bis 1856 auf feiner 
norbauftralifchen Expedition, Yivingftone 1858 bis 1859 
am Zambeji, machte dann 1861 bis 1862 eine Reife von 


der Walfifch-Bay nad) dem NgamisSee und ben Victoria- 
fällen und befuchte 1869 und 1870 im Intereffe einer Berg: 
werfögefellfchaft die Tatis Soldfelder und die Gebiete ber 
Matabele und Maſchona. Gr veröffentlichte verſchiedene 
Artifel im Journal of the Royal Geographical Society, 
deren Ränme zahlreiche Bilde rund Slizzen von feiner Haud bes 
wahren, und ſchrieb „Explorations in South-West-Africa“ 
(London 1864) und „Victoria Falls of the Zambesi* 
(London 1866), lepteres 10 Anſichten dev Fälle mit bes 
fchreibendem Terte enthaltend. Er ftarb im Jumi 1875, 

Bleek, Dr. Wilhelm, der erfte unter den Erfor— 
fhern und Kennern der ſudafrilaniſchen Sprachen, Sohn 
eines befannten Theologen, geb. 1827 in Berlin, ſtudirte ba= 
felbft und in Bonn und befchäftigte ſich ſchon im feiner Doctor: 
differtation (1850) mit den füdafrifanifchen Spradyen. 1855 
bereifte ev Natal und Kaffrarien, wo er mehrere Monate in 
den Hätten ber Eingeborenen lebte, um deren Sprache und 
Sitten zu ſtudiren. 1857 ftellte ihn dev Gouverneur der 
Capcolonie, Sir ©, Grey, ale Dolmetſch an; als derfelbe 
feine werthvolle Bibliothek der Colonie ſchenlte, wurde Bleel 
Curator derjelben. Bei einer Reife nad, Europa (1869) 
gelang es ihm, von der englifchen Givillifte ein Yahrgehalt 
zu erhalten, welches ihm ermöglichte, ſich ganz der Fort: 
führung feines Werles „A Comparativo Grammar of 
South African Languages“ zu widmen. Der Tod liber- 
rafchte ihm am 17. Auguſt 1875, als ex an einem Wörters 
buche der Buſchmann⸗-Sprache befchäftigt war. Außerdem 
ſchrieb er „De nominum generibus linguarum Africae 
Australis“, „The Languages of Mozambique“, „Reinede 
Fuchs in Afrifa* und „Fabeln und Märchen der Einge- 
borenen*, 

Dufour, General, der hochverdiente Schweizer Mir 
litär, welchem fein Heimathland den Ruhm verdankt, unter 
allen Staaten der Erde die befte Karte des eigenen Gebietes 
zu befigen, ftarb hochbetagt am 14. Juli zu Genf. 

Findlay, Alexander George, englischer Hydrograph 
und Geograph, geb. 6. Januar 1812 in Yondon, geft. 3. 
Mai 1875 in Dover, gab zuerft Land- und Seekarten und 


78 Netrolog 1875, 


Atlaſſe Über alte und neue Geographie heraus, wurde aber 
nantentlich durch feine Segelanweifungen befannt, deren erſte 
ba® „Directory for the Coasts and Islands of the Pa- 
cifie Ocean“ (1851) iſt. Als fein Verleger Laurie 1858 
ftarb, übernahm er dejien Geſchäft, aus weldem eine große 
Anzahl anderer nautifcher Publicationen hervorging, fo ber 
jonders die vielgebraudten „Six Nautical Directories for 
the whole World“ und zahlreiche Seekarten, In Zeit 
ichriftsauffägen behandelte er vielfach Fragen über Meeres— 
frömungen, LeuchtthüUrme, Polarangelegenheiten, ſodann aud) 
über JIunerafrika, wie er aud) die treffliche Karte im Journal 
der Yondoner Geographiſchen Geſellſchaft (Bd. 29) zu Bur— 
ton's und Spele's Reifen gezeichnet hat. 

Lady Franklin, die Gattin des berühmten englifchen 
Nordpolfahrers, geb. 1792 (nach Anderen 18057), bereijte 
ſchon als Mädchen einen großen Theil Europas, verheirathete 
fi) am 5. November 1828 und befuchte dann mit ihren 
Gatten auf feinen Dienftreifen das Mittelmeer, Aegypten, 
Syrien und Griechenland, dann Ban+Diemens-Yand und 
Auftralafien. Am 18. Mai 1844 verlieh Sir John mit 
den Schiffen „Erebus“ und „Terror* England auf Nimmers 
wiederfehen. Drei Jahre fpäter wurden Sir John Richard— 
fon und Sir James Roß ausgefendet ihn aufzuſuchen, lehr⸗ 
ten aber umverrichtetee Sache heim. Yaby —*8* aber 
ſetzte die Abſendung einer neuen Expedition unter Sir Belcher 
durch, welche in Verbindung mit Rae's Forſchungen Sir 
Franlklin's Schidfal feitftellte. Da die englifche Regierung 
nun bie Abfendung weiterer Schiffe verweigerte, rilftete fie 
jeldft den „or“ unter M'Clintock aus, welder im Herbfte 
1859 die auf King-William's-Land gefundenen Documente 
über den erften Theil der Franklin'ſchen Expedition und fei- 
nen Tod heimbradhte. Die Yondoner Geographifche Gefells 
ſchaft erfannte ihr dafür die goldene Medaille zu. Später 
-unternahm Lady Franklin noch große Reifen durch Ame— 
rifa, Alten und Afrifa und Hat ihr Intereſſe an ark— 
tifchen Forſchungen bis zulegt betätigt (vergl. „Globus“ 
XXVIII, ©. 351). Sie ftarb am 18. Juli 1875 in ihrer 
Beſitzung in Phillimore Gardens, 88 Yahre alt. 

Goodenough, James Graham, engliſcher Seeoifi- 
zier, geb. 3. December 1830, wird 1873 im Mai Commo- 
dore der auftralifchen Station, verfaßt 1874 einen werth— 
vollen Bericht über die Fidſchi-Inſeln und thut die erften 
Schritte zur ihrer Beſitzergreifung durch England, führt April 
1875 Aufnahmen in der Infelgruppe der Neuen Hebriden 
aus und wird am 12, Auguſt 1875 von den Eingeborenen 
der Santa-Cruz⸗ Juſel mit Giftpfeilen geſchoſſen. Er ftarb 
am 20. Auguft in Sydney und wurde daſelbſt am 24. beer⸗ 
digt. GBergl. den laufenden Baud ©. 31.) 

Holcombe, Vieutenant der englifchen Armee, bejchäfr 
tigt mit der Aufnahme der Naga Hills im mordöftlichen 
Indien, wurde dajelbft am 1. Februar 1875 von den Ein: 
geborenen ermordet, welche feinen Kopf als Trophäe ent: 
führten. 

Klun, Dr. Vincenz, öfterreichifcher Geograph, geb. am 
13. April 1823 zu Laibach, trat zuerft bei ber Staatsbud)- 
haltung ein, widmete ſich aber dann dem Lehrfache. Anfangs 
Profeſſor in Zara, wurde er 1857 Lehrer der Geographie 
und Statiftit am der neubegründeten Handelsafademie in 
Wien. Gleichzeitig habilitirte er ſich an der Umiverfität als 
Privatdocent und wurde zweiter Secretär der Geographiſchen 
Geſellſchaft. Daneben veröffentlichte er noch zahlreiche Ar: 
beiten auf dem Gebiete der von ihm vertretenen Willen 
ſchaften. 1867 im den Yandtag und Reichsrath gewählt 
vertrat er aufs Energiſchſte die Sadıe der Deutſchen in Krain 
gegen die Slovenen, Nachdem er unter dem Miniſter Ple— 
ner auf kurze Zeit dem Handelöminifterium angehört hatte, 


zog er ſich nach Luzern zurlick; feit Mitte 1874 befchäftigte 
er fich wieder in Wien mit literarifchen Arbeiten. Er ftarb 
am 15, Juli zu Karlsbad. 

Kellett, Sir Henry, englifher Viceadmiral, trat 
1822 in die Marine und erlernte feit 1825 unter Capitän 
Owen von der „Eben“ die Bermeflungstunft, welche er faft 
ein Bierteljahrhundert hindurch praftijch ausübte. Die Hüften 
Afrikas, des Mittelländiſchen Meeres, Portugals und vor 
Allem Chinas und des Stillen Oceans waren der Schau- 
plag feiner mugbringenden Thätigfeit. Im Kriege gegen 
China zeichnete er fich fo aus, daß er binnen zwei Jahren 
von Lieutenant zum Capitän aufrldte, Niemand kanute 
die Wefttüfte Amerilas von 72% nördl. Br. bis zu 33° 
judl. Br. fo gut wie er; vom Guayaquil-Fluß bis zur Ban- 
couver⸗ Infel verbanfen wir meift ihm ihre Aufnahme. 1848 
und folgende Jahre betheiligte er ſich mit dem „Herald“ 
an ben Nachforſchungen nad) Sir John Franklin und ent: 
dedte im Augufl 1849 die Herald» und Plover + Infeln 
(Wrangel:Land) nordweſtlich von der Behring-Straße. 1852 
erhielt er den Befehl über die „Refolute“ bei der von Sir 
€, Belcher commandirten Norbpolerpebition, auf welcher der 
Norden der Parry-Infeln erforscht und die Mannſchaft des 
„Invefligator* gerettet, aber die Schiffe im Eiſe zurlüd« 
gelaffen werben mußten. 1854 bis 1859 war Kellett Con- 
modore der weftindifchen Station, 1864 bis 1867 Admiral- 
Superintendent of Malta Dodyard, 1869 bis 1872 Com- 
mandeur der chimefifchen Station. Bon dort zog er fid 
nach Clanocody bei Elommel zurlick, wo er am 1. März 
1875 ftarb. 

Linant de Bellefonds, Ernejt, ein Sohn des 
berühmten Linant de Bellefonde, deſſen Arbeiten über Aegyp⸗ 
ten weit befannt find, ftand als Oberft bei Gordon's äghp⸗ 
tifcher Expedition nad) Centralafrita und unternahm im Jas 
nuar 1875 eine Reife zu König M'tefa am Victoria Nyanza, 
wo er mit Stanley zufammentraf (vergl. „Slobus“ XXVIL, 
Nro. 24), deſſen einen Brief ex überbringen follte. Auf der 
Rucklehr nach Norden wurde er von den Eingeborenen jchon 
nahe am Ziele zwifchen Dufild und Kerri mit 40 feiner 
Leute erjchlagen, da ihm die Munition zur Bertheidigung 
mangelte. Sein Bruder Augufte war ſchon im Jahre 
vorher in dem jetzt verlaffenen Gondoloro gejtorben. 

Logan, Sir William Edmond, engliſcher Geologe, 
geb. 1798 in Montreal, geft. Juni 1875 in Gaftle Malgwyn 
in Bembrofefhire. In Edinburgh erzogen, wurde er Kauf 
mann, widmete fich aber bald ganz der Geologie. Seine 
erften Arbeiten beichäftigen ſich mit den Kohlenfeldern des 
jüdlichen Wales und des weftlichen England. 1841 unter 
juchte er diejenigen von Pennfylvania und Nova Scotia, 1842 
die paläozoifchen Geſteine Canadas. 1843 wurbe er Generals 
director der geologijchen Aufnahme von Canada; feine jähr- 
lichen Berichte über biefelbe haben feinen Namen in beiden 
Hemifphären befannt gemacht. 

Lyell, Sir Charles, der berühmte englifche Geo 
loge, geb. 14. November 1797 zu Kinnordy in Forfarſhire, 
geit. den 21. Februar 1875. Erſt nad) feiner 1819 ab- 
geichloffenen Studienzeit zu Orford wendete er fid) der Geo» 
logie zu, jchrieb zahlreiche Aufjäge voll fcharfer Beobachtung 
in das „Journal der „Geological Society“ und veröffent- 
lichte 1830 den erften Theil jeiner berühmten „Principles 
of Geology*, weldye bit jegt Über ein Dutzend Auflagen 
erlebten. Zahlreiche Reifen führten ihu durch große Theile 
Europas und Amerilas, welchen legtern Kontinent er 1841 
und 1845 beſuchte. Ex ſchrieb darliber „Travels in North 
America, with Geological Observations on the United 
States, Canada and Nova Scotia“ (1845) und „Second 
Visit to the United States of North America“ (1849). 


Netrolog 1875. 


1846 wurde er in den Adelsftand, 1864 von Lord Palmer · 
fton zum Baronet erhoben. 

Margary, Auguſtus Raymond, der fühne Neifende, 
welcher zuerft auf dem Landwege von China nach Birma 
gelangte, warb am 22. Februar 1875 zu Manwein im weſt— 
lichen Yinnan ermordet. Margary war den 26. Mat 1846 
in Belgaum, Bombay, geboren, betrat die diplomatische Yauf- 
bahn und ward, da er vorzüglich mit der dinefifchen Sprache 
vertraut war, als Dolmetjcher bei der englijchen Geſandſchaft 
in Peking angeftellt. 1870 und 1871 war er Dolmetfcher 
in Tam-fui auf Formofa. Im Auftrage des engliſchen Ger 
fandten Wade brach er im Auguſt 1874 von Schanghai aus 
auf, um durch die Brovinzen Hunnan, Kweitſchau und Pitn- 
nan am die weftliche Grenze Chinas vorzubringen und dort 
die Ankunft der Expedition unter Oberft Horace Browne zu 
erwarten, welche von Bamo am Jrawaddi ab den Hanbeld- 
weg nad) dem weftlichen China eröffnen wollte. Ganz allein, 
nur von einem chinefiichen Secretär und zwei Dienern be— 
gleitet, führte Margarı feine ſchwierige Aufgabe aus und 
langte am 15. Januar '1875 in Bamo an, das er ſchon 
am 23, wieber verlief. Bald darauf wurde er ermordet, 
ohne daß die Gründe bis heute anfgeflärt wären. 

Mauch, Sarl, der energifche deutjche Afritareifende, 
dem wir eine beffere Kenntniß ber Länder zwiſchen Natal 
und dem Zambefi und die Entdeddung der füdafrifanifchen 
Goldfelder verdanten, geb. 7. Mai 1837 zu Stetten im 
Württemberg, geft. 4. April 1875 in Stuttgart. Eine eine 

ehende Würdigung feiner Entwidelung und feiner Leistungen 
f „Globus“ XXVII, ©, 278 ff. (mit Porträt). 

Meadows, T., früher englifcher Conful in Schanghai, 
zuletzt Dolmetfcher der peruaniſchen Gefandtichaft in Peking, 
ftarb Ende Auguft in Tientſin. Er ſchrieb The Chinese 
and their Rebellions, viewed in connection with their 
national philosophy, ethica, legislation and admini- 
stration (Yondon 1856). Er mar einer der beften Kenner 
Chinas. 

Müller, Johann, Profeflor an der Freiburger Umniver- 
fität, befannt als Berfafjer fehr verbreiteter Lehrblicher iiber 
Phyſik, deren eines, das Lehrbuch der fosmischen Phnfif, in 
4. Auflage, noch jüngft im „Globus“ (Bd. XXVIII, Nro. 
2 und 3) ausführlicd, befprodyen wurde. Geb. am 30. April 
1809 zu Kaffel, ftarb er am 3. October 1875 in Freiburg. 
Seine eigentlichen wiſſenſchaftlichen Forſchungen beziehen fich 
auf die Lehre vom Licht, Galvanismus und Magnetismus. 

Munzinger, Werner, berühmter Afrifareifender, geb. 
1832 in Olten, Sohn eines Schweizer Bundesrathes, ftu- 
dirte in Bern Naturwiſſenſchaften und Gedichte, in Mün- 
hen und Paris orientaliſche Sprachen und trat 1852 in ein 
Handlungshaus in Cairo. 1854 war er Chef einer Handeld- 
erpedition nad) den Rothen Meere, wobei er ein Jahr in 
Maſſaua verweilte. 1855 fehrte er wieder dorthin zurück, 
um fich in den norbabeffinifchen Grenzländern oftafrifanischen 
Studien zu widmen, deren Refultat die Heine, aber Auffehen 
erregende Schrift „Sitten umd Recht der Bogos“ (Winter 
thur 1859) war, Munzinger nahm darauf 1861 und 1862 
an der deutjchen Erpedition nad) Innerafrifa unter Heuglin 
Theil, übernahm nach des Letztern Rücktritt die Leitung und 
bereifte dabei die Yänder zwiſchen Maſſaua und Chartum. 
1863 fehrte er mad) Europa zurüd und ließ 1864 feine 
„Oftafrifanifchen Studien“ (Schaffhaufen), 1865 ein „Vo- 
cabulaire de la langue Tigr&“ (Leipzig) erfcheinen. In 
letzterm Jahre wurde er zum englifchen Conful in Maſſaua 
ernannt, in welcher Eigenfchaft er ſich 1867 im Kriege gegen 
König Theodor don Abeſſinien hochverdient machte. 1868 
wurde er franzöſiſcher Conful, 1870 Bey und ägyptifcher 

von Maſſaua, wo er ſich um Ausbreitung der 


79 


Civilifation und Erforfchung der Grenzgebiete Abefjiniens 
große Berdienfte erwarb, jo namentlich 1871, wo er bie 
Gebiete der Habab und Beni-Amer bereifte. 1875 follte 
er als Paſcha mit 350 Mann und 2 Kanonen von Tad— 
ſchurra aus in Abefjinien eindringen, wurde aber im Novem: 
ber unterwegs von den Gallas verrätheriic ermordet. Mit 
ihm fiel außer 230 feiner Soldaten fein Freund Haggen— 
mad)er aus Brugg, welcher 1874 von Berbera im Somalis 
Lande eine Reife gegen Süden bis Yibaheli (3% 40° nördl. Br.) 
unternahm. 

New, Charles, englischer Miffionär und Afrikas 
reifender, geb. Januar 1840 in Fulham, anfangs Schiffs— 
bauer, dann Mifjionär, ging Ende 1862 nad) Mombas in 
Oſtafrila. Während feines neunjährigen Aufenthaltes da- 
felbft machte ex verschiedene wichtige Reifen in das Innere, 
jo 1866 zweimal in das Gebiet der Galla, das zweite Mal 
zufammen mit Wakefield. 1871 reiſte er über den Ger 
Jipe nach dem Kitimandfharo, defien Schneefuppe er am 
14. Auguſt zuerft erreichte. Auf dem Rilckwege befuchte er 
ben bis dahin unbekannten See Tſchala. 1872 kehrte er 
auf einige Zeit nach England zurüd und ſchrieb dort „Life, 
Wanderings and Labours in Eastern Africa®, Im 
Mai 1874 nad) Zanzibar zurlickgekehrt, veifte er alsbald 
nad) Uſambara und von da nad) Diombas. Im December 
deſſelben Jahres brach er nad) Tſchagga auf; auf dem Küd: 
wege von bort erlag er am 14. Februar 1875 in Duruma 
unweit der Miffionsftation Ribe der Dyfenterie. 

Oates, Frant, geb. 6. April 1840 zu Meamvood Side 
bei Leeds, ftudirte in Orford, bereifte 1872 Nord: und Mittel- 
amerifa als Zoolog. 1874 Güdafrifa, erreichte die Victoria- 
fälle des Zambefi, ftarb aber am 5, Februar 1875 im Ma- 
tabele-Pande am Fieber (vergl die ausführlichere Notiz in 
Bd. XXVII, ©. 14). 

Omalius d’Halloy, Jean-Baptifte-Qulien, berlihmter 
belgiſcher Geolog und Ethnograph, geb. am 16. Februar 
1783 zu Lüttich, ftarb im hohen Alter von 92 Jahren am 
15. Januar 1875 zu Brüffel. Die hervorragendften wiffen: 
ſchaftlichen Gefellfhaften Europas nannten dieſen Neftor 
der Naturwiſſenſchaften ihr Mitglied oder Ehrenmitglied und, 
wenn er and) in den legten Jahren nicht mehr ſchriftſtelleriſch 
thätig war, jo wirkten doch feine zahlreichen früheren Schrif · 
ten nod) immer nad. Sein Leben war gleichmäßig zwiſchen 
Politif und Wiſſenſchaft getheilt. Nachdem er feit 1807 
die niederen Aemter eines Maire von Steuvre und Brai— 
bant, eines Unterintendanten von Dinant, eines Öeneraljecre: 
tärs in Lüttich befleidet, war er 1815 bis 1830 Gouver- 
neue ber Brovinz Namur, 1848 bis 1868 Bicepräjident 
des Senates. 1808 ſchrieb er den „Essai sur Ja geologie 
du nord de la France", einen der Ausgangspunfte der 
ftratigraphifchen Geologie, und wurde in Folge defien von 
Napoleon I. mit der Bearbeitung einer geologiſchen Karte 
von Frankreich betraut, welche 1813 vollendet war, ‚aber 
erft 1823 erjcien. Nach 18jähriger Pauſe jchrieb er 
„Elements de Geologie“ (1831), „Introduction & la 
Geologie (1833), „Pröcis elömentaire de Göologie* 
(1843), „Abröge de Göologie“ (1863), ferner „EIG- 
ments d’ethnographie* und zahlreiche Auffäge im Jour- 
nale de physique, in den Annales des mines de France, 
den Memoiren der Franzöfifchen Geologifchen und in den⸗ 
jenigen der Anthropologifchen Geſellſchaft und im Bulletin 
ber belgiſchen Mtademie. 

Sherard Osborn, englijder Contreadmiral und 
Nordpolfahrer, geb. ben 25, Upril 1822, ftarb den 6. Mai 
1875 in Pondon. 1887 tritt er in bie Marine, kämpft 
in Hinterindien und China, befucht dann Glidamerifa und 
den Stillen Ocean, commanbirt 1850 bei Auſtin's Nord⸗ 


80 Netrolog 1875, 


polfahrt ein Schiff und nimmt 1851 an der Erſorſchung 
von Prince of Wales Yand Theil. Seitdem blieb er ftets 
ein warmer Fürſprecher arktijcher Expeditionen; 1852 er— 
fchien fein Bud; „Stray Leaves from an Arctic Jour- 
nal“, 1853 bis 1855 führte er wieder daffelbe Schiff, den 
„Pioneer“, in den Wellington-Canal und unternahm ausge- 
dehnte Schlittenreiſen, zeichnete fi) während des Krimm— 
frieges aus und ging 1857 nad) China, wo er an der Weg: 
nahme der Taku-Forts theilnahm und die Eröffnung der 
Yang-tfe-Schifffahrt durchfegte. 1859 fehrte er auf Halb» 
ſold nach England zurüd und ſchrieb zu feinem Pebensunter- 
halte viele Auffäge über Marinefachen und oftafiatifche An« 
gelegenheiten, aud) „The career, last voyage and fate of 
Sir John Franklin“. 1861 finden wir ihn mit einem 
Schiffe vor Veracruz, 1562 in chinefifchen Dienjten zur 
Unterdilifung des Piratenwelens, 1865 als Agent und Or: 
ganifator der Great Indian Peninsular Railway Com- 
pany in Bombay, 1867 bis 1573 als Director ber Tele- 
graph Construction and Maintenance Company, um 
die er ſich durch Legung vieler Kabel fehr verdient machte, 
Schon 1865 begann feine Agitation fiir eine neue engliiche 
Nordpolfahrt, die er 1872 von Neuem aufnimmt und zwar 
mit ſolchem Erfolge, daß die Regierung fid, zur Abfendung 
der beiden Schiffe „Alert“ und „Discovery“ entichloß. Doch 
noch vor deren Abgang nad) Norden ftarb er plöglich mit- 
ten in den Arbeiten und Discnffionen über diefe Erpedition. 
Sein 1856 zuerst erfcjienenes Buch „The Discovery of a 
Nord-West-Passage by H.M. S. „Investigator“, Cap- 
tain R. M’Clure* erlebte 4 Auflagen; eine Gefammtaus« 
gabe feiner früheren Schriften erſchien 1865 in 3 Bänden. 

Peschel, Ostfar, Profefjor der Geographie an der 
Univerfität Yeipzig, geboren 17. März 1826 zu Dresden als 
Sohn eines Dffizierd und Vehrers an der Cadettenſchule, 
geftorben zu Leipzig am 31. Auguſt 1875. Cr ſtudirte da» 
felbft und in Heidelberg 1845 bis 1848 Rechtswiſſenſchaft, 
trat dann nach kurzem Hufenthalte in Berlin in die Nebac 
tion der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ und übernahm 
1854 diejenige des „Ausland“. 1858 erſchien feine „Ges 
ſchichte des Zeitalters der Entdedungen*, 1865 die „er 
ſchichte der Erdkunde bis auf A. von Humboldt und Karl 
Ritter“, 1870 „Neue Probleme der vergleichenden Erdkunde“ 
(2, Aufl. 1876). 1871 zum ordentlichen Profeſſor ber 
Geographie in Leipzig ernannt, gab er 1875 feine „Böller- 
kunde* heraus, von welcher nad wenigen Monaten eine 2, 
Auflage nöthig wurde. (Vergl. „Slobus* XXVII, ©. 176.) 
Eine intereffante Biographie von feinem Nachfolger in der 
Nedaction des „Ausland“, F. von Hellwald hat den Titel 
„Dar Peſchel. Sein Leben und Schaffen.“ Mit dem 
photographifchen Bildniffe Peſchel's. Augsburg 1876 (Lam: 
part & Gomp.). 

Reuschle, ®rofeflor der Mathematit und Berfaj- 
fer mehrerer geographiichen Handbücher (Handbuch der Geo: 
graphie oder Neuefte Erdbeſchreibung, 2 Bde.; Elementar- 
Geographie, 3. Aufl.; Die Phyſil der Erde; Bejchreibende 
Geographie, 4. Aufl. 1872), geboren am 12, December 1812 
zu Stuttgart, ftarb daſelbſt am 22. Mai. 

William Winwood Reade, belannter Wirifa- 
teifender, geb. 26. December 1838 in Murrayfield bei Erieff, 
ftudirte in Orford, befuchte, duch Du Chaillu's Schilderuns 
gen des Gorilla veranlaft (vergl. beſonders „Globus“ 
XXVI, ©. 367), 1862 bis 1863 zum erften Male die 
SabumGegend in Weftafrifa und befchrieb feine Erfahrun— 
gen und Entdeckungen in „Savage Africa® (London 1864). 


Nach einigen Fahren des Studiums, vornehmlich der Mebi- 
cin, ging er 1868 bis 1870 in das Hinterland von Sierra 
Feoneund bis an den Oberlauf des Niger und leitete freund 
liche Beziehungen der Eingeborenen mit der Negierung jener 
Colonie ein. Hierbei zeigte er, daß der Niger nur 250 engl. 
Meilen von Sierra Yeone in demfelben Gebirge, wie der 
Senegal und Gambia entjpringe und ſchon 100 Meilen 
weiter ftromab ſchiffbar ſei. Er befchrieb dieſe Reife in 
„The African Sketch Book“. Im Aſchantikriege war er 
Eorrefpondent der „Times“, machte mit dem 42. Regimente 
die Schlacht von Amoaful und bie Sr von Kumaſſi 
mit, holte fid) aber bei den Strapazen den Keim zu eimer 
Lungen: und Herzfranfheit, weldyer er am 24. April 1875 
erlag. Seine legten Bücher find „Comassi“ und „The 
Outeast“, 

Timkowski, ber ältefte von allen ruſſiſchen Rei—⸗ 
fenden in China, geb. 1790, ftarb im Februar 1875 zu 
St. Petersburg. Er machte fid) einen Namen durch bie 
Beſchreibung feiner 1820 bis 1821 unternommenen Reife 
durch die Mongolei nad) Peling. Diefes 1823 erfdjienene 
und auch ind Deutſche überfegte Buch hat bis heute wenig 
von feinen Verdieuſten verloren. Berdient machte er fid) 
ferner durd) den Beiftand, welden er in feiner officiellen 
Stellung in Peling den Arbeiten des ausgezeichneten Sino⸗ 
logen Pater Hyacinth Bitſchurin angedeihen ließ. 

von Uslar (Baron, Peter), ausgezeichneter ruffifcher 
Militär und Sprachforſcher, geb. am 2. September 1816 
in Kurowo bei Wyſhui-Wolotſchol (Gouv. Twer), trat 1833 
in die Militäringenieurſchule und war zulegt Generalmajor. 
Nach einer Reihe von militär-ſtatiſtiſchen Arbeiten wandte 
er fich, mit der ethnographiſchen Beſchreibung des Kautaſus 
beauftragt, linguiſtiſchen Forſchungen über die Spradyen und 
Dialekte diefes Gebirges zu, welche durch Anton Schiefner's 
Bermittelung allgemein zugänglid) gemadjt wurden, Gr 
ftarb am 20. Juni 1875 im feinem Geburtodorfe. Der 
„Slobus* Hat auf Seite 108 ff. des vorigen Bandes eine 
ausführliche Würdigung feiner Arbeiten gebracht. 

Wilkinson, Sir John Gardner, geb. 1797 zu 
Hardendale in Weftmoreland, widmete ſich frith dem Stu: 
dium der äghptiſchen Alterthlimer an Ort und Stelle, ver» 
öffentlichte 1827 bis 1828 „Materia Hieroglyphica“, 1830 
„Auszüge aus hieroglyphiſchen Monumenten“, 1833 „The- 
ben und Altägypten“ und 1837 fein reich illuftrirtes Haupt⸗ 
werf über ägyptiidye Kunft: „Sitten und Gebräuche der alten 
Aegypter“ in 3 Bänden, denen 1841 zwei weitere folgten. 
Dann jchrieb er außer vielen fürzeren Abhandlungen „Aegyp: 
ten und Theben“, populär gehalten; 1858 drei Memoiren 
„Ueber Dalmatien und Montenegro*, „Die Yenypter zur 
Zeit der Pharaonen* und „Ueber farbe und die Noth 
wendigfeit der Verbreitung des Gefchmads in allen Glaffen“ ; 
von ihm rührt auch der äghptologiſche Theil der großen 
englifchen Herodot-Ueberjegung her. Er farb am 29. Oc+ 
tober und wurde in Ylanbovery begraben. 

von Willemoes-Suhm, Dr. Kubolf, Zoolo 
feit 1871 Docent und Affiftent am Zoologifchen Inftitut im 
Münden, dann feit Ende 1872 zum wiſſenſchaftlichen Stabe 
bes Profefjor Wywille Thomfon bei deſſen Weltumfegelung auf 
dem „Challenger“ gehörig, ftarb am 13, September 1875 
auf der Fahrt von den Sandwich⸗gInſeln nad) Zahiti an 
Bord jenes Schiffes, im 29. Yebensjahre. 

(Zufäge einzelner Daten und Nachträge für die Jahre 
1875 und 1874 folgen im einer jpätern Nummer.) 


Juhalt: Die Betichuanen II. (Schluß. Mit 4 Figuren.) — Albin Kobn: Zur Präbiftorie Bolens. Mit 14 Abbildungen. — 
9. v. Laukenau: Stremouchow’s Reife nah Buchara I. — Nefrolog 1875. (Schluß der Nedaction 8. Januar 1876.) 


Nedackeur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lintenftraße 13, III Tr. 
Drud und Verlag von Friedrih Bieweg und Sohn in Braunſchweig. 


SS 4 
Band XXIX. 


Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 





. Begründet von Karl Andree, 
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 


Braunſchweig 


Yährlid) 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlih 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Pf. 


1876. 


— — — 





Rebatel's und Tirant's Reiſe in der Regentſchaft Tunis, 


So nahe das Reich der alten Karthager den Küſten 
Fraukreichs und Italiens liegt, fo leicht und raſch es von 
dort au& mit ben Dampfjchiffe erreicht werden kann, fo häufig 
es auch von Gelehrten und Touriften befucht und mitunter 
befdjrieben worden ift, fo große Yüden beftchen doch noch 
heutigen Tages in unferer Kenntniß fowohl des geographis 
ſchen Details als der dort zahlreich vorhandenen Alterthümer. 
Es eriftirt wohl eine große Karte, welche von Difizierem des 
jranzöfifchen Generalftabes zufammengeftellt worden ift, aber 
jie zeigt zwifchen dem nicht allzu dichten Netzwerke ber Reiſe— 
tonten eine gewaltige Menge weißer Stellen, welche durch 
ihre Beobadytungen auszufüllen ſich nachfolgende Reiſende 
bis heute wenig Mühe gegeben haben. Ebenſo gewöhnlich 
wie diefe Vernachläſſigung einer unſchwer zu erfitllenden 
Pflicht ift aber nachher die wohlfeile Klage fiber die „ſchlech— 
ten Karten“, weldyer man in Neifebefchreibungen fo oft bes 
gegnet und bei deren Vorbringen der Betreffende nie bebenft, 
wie er felber feinen Antheil von Schuld am dem vorhandenen 
Mangel trägt. Was die Alterthiimer anlangt, jo ift Tunis 
darin wohl eines der vielverfpredjenditen Gebiete im alten 
Nömerreihe. Nachdem Carthago 146 v. Chr. Geb. in 
Trümmer gefunten war, genoß das Yand länger als ein hals 
bes Yahrtaufend dauernden Frieden und blühte bald herrlich) 
wieber auf. Unter Auguſtus erftand ſogar die Hauptftadt 
wieder aus Schutt und Afche, wenig gegen Weften von ihrer 
‚urfprünglicen, aber bei der ZJerftörung verfludhten Stelle; 
ſchon Strabo kennt fie als blühendes Gemeinweſen und He— 
rodian nennt fie die zweite Stadt im ganzen weiten Reiche, 

Wlobus XXIX. Nr. 6. 


I. 


Und wie der Hauptort jo das Fand, das allein an anderthalb: 
hundert Bifchoffige zählte und das erft wieder ſchwere Drangs 
fal zu erleiden hatte, als 429 n. Chr. Geb. unfere Yandeleute, 
die Bandalen, unter Geiferich® Führung landeten, Völlig 
befiegelt wurde fein Untergang aber erft 21/, Yahrhundert 
fpäter, als die Araber verheerend Uber Nordafrila hinzogen. 
Damals erft, in der Mitte des fiebenten Säculums, wurde 
Garthago endgültig zerftört — wir willen nicht aus welchem 
Örunde — und am feine Stelle trat das weiter landein- 
wärts gelegene Tunis. Die Ruinen der alten tyrifchen 
Gründung dienten nun den umliegenden Stäbten als Stein: 
bruch: jelbit bis nach Ya DValette auf Malta wurde das 
werthvolle Baumaterial verfchleppt und die Wände der Mor 
fcheen und Häufer von Tunis follen jo manches herrliche 
antife Architefturftüd, fo manden Juſchriftenſtein bergen, 
darunter vielleicht die wichtigften hiftorifchen Denkmäler, die 
ber Forſchung badurd) entzogen werben, 

Diefe Schätze zu heben wird es nod; mandjer Kreuz— 
und Querfahrten in bem jämmerlich herabgelommenen Yande 
bedürfen; denn bis jet ift, von Carthago abgefehen, wo 
Beule und Dawis Ausgrabungen veranftaltet haben, erſt ein 
Heiner Anfang dazu gemacht worden, So hat vor 15 Jah— 
ren der franzöfifche Archäologe Victor Gusrin, fo vor Kurs 
zem ber beut/che Profeffor Wilmanns das Yand durchwandert, 
und befonders anziehende Schilderungen, namentlich auch des 
Vollslebens, verdanken wir Heinrid) von Malkan (Reiſe 
in den Regentichaften Tunis und Tripolit, 3 Bde. Leipzig 
1870). 

ıl 


82 Rebatel's und Tirant’s Reife in der Regeniſchaft Tunis. 


Den Zielen und Zweden diefer Männer galt nun zwar 
die Unternehmung ber Doctoren Tirant und Rebatel zunächft 
nicht; fie haben aber bei ihrer 1874 unternommenen, ledig: 
lid) der Botanik gemidmeten Reife auch anderen Dingen ihre 
Aufnerffamteit zugewenbet, wie die von dort mitgebradjten 
Photographien, welche wir zum Theil in dieſem und den fol 
genden Artikeln in Holzſchnitt wiedergeben, zeigen. Eine 


Commiſſion des Inftitut de France hatte Inftructionen aus: 
gearbeitet, welche ihnen befonderd den Beſuch von Talah im 
Suden des Landes empfahlen, wo nad; mehrfachen überein: 
flimmenden Angaben von Europäern und Cingeborenen alte 
Summibäume ftehen follten, deren nörblicjtes Vorkommen 
daſelbſt verificirt werden follte. 

Tunis liegt am weftlichen Ende einer großen, faſt ganz 





Der Bardo, Regierungsgebäude bei Tunis. 


geichloflenen Meeresbucht, el-Bahıra genannt, welche nur 
durch einen ſchniglen Arm mit dem Mittelmeere in Berbindung 





des Beys, bei welchem bie Dampfer anlegen. Won dort führte 
eine hurze Eiſenbahn engliſchen Urſprungs unſere Reiſenden 
längs des Uberſchwemmten Nordufers des Bahira nad) der 
Hauptitadt. Die Yanditrafe war völlig vom Waſſer bededt ; 
nur lange Reihen von Flamingos und Stelzenläufern ver: 





fteht. Am Nordufer diefes kurzen Cauals liegt Goletta, ein 
Städtchen von 3000 Einwohnern mit einigen Puftfchlöffern 


I 


ne 
a N Te. 


Ter Löwenhof im Barbo, 


fehrten auf ihr und liefen ſich durch das Pfeifen der Loco— 
motive in ihrer Gemüthlichteit nicht ſtören. Auf dem Bahn- 
hofe von Tunis jagt man der Givilifation Yebewohl; wie 
itberall in den Häfen des öftlichen Meittelmeeres ftürzt ſich 
Sefindel, hier Araber und Neger, ſchreiend und gefliculivend 


Nebatel!s und Zirant’s Reife in der Negentihaft Tunis, 


auf den Anfönmling, der, von jo viel fremden, orientalifchen 
Erfcheinungen überrafcht, ſich widerftandslos und ftaunend 
fein Gepäd aus den Händen nehmen läßt und dem ober ben 
trinfgeldbebürftigen Trägern folgt. Doch ſchließlich gelang 
es den Franzoſen, ſich und ihr Gepäck in dem franzöfijchen 
Geſandtſchafishauſe fo zu jagen in Sicherheit zu bringen. 
Was die Stadt felbft anlangt, fo verweifen wir hier nur 
auf Maltzan's trefjliche und ausführlicye Beichreibung, welche 
die erjten fünfzig Seiten des oben angeführten und bes 
Deftern im „Globus* beſprochenen Werkes ausmacht. Auch 
wird mancher unſerer Leſer nicht ohme Intereſſe deſſelben 
Autors lebenswahre „Schüderungen aus Tunefien* („Glo⸗ 
bus“ XVI, S. 8, 29 und 41) umd die Artifel „Zur Keun— 
zeichnung der Zuftände in Tunis“ („Globus“ XXI, ©. 
153, 171 und 188) wieder zur Hand nehmen. 

Etwa eine halbe deutjche Meile nordweſtlich von Tunis 
entfernt liegt der Bardo oder Negierungsjig, welcher eine 
Heine Stadt von Paläften, 
Wachthäuſern, Wohnungs: 
gebäuben, Werfjtätten und 
Bazars fir jic) bildet, eigne 
Mauern und Thore be: 
figt und gegen 2000 Ein- 
wohner fallen fol. Dort 
wohnen nicht nur die fehr 
zahlreichen lieder der fürjt- 
lihen Wamilie, fondern 
auch an hundert Beamten: 
familien, und außerdem 
umfchliegt der Bardo noch 
die Militärſchule, aus wel- 
cher faſt alle hohen Beamten 

hervorzugehen pflegen. 
Malgan ſchildert uns dieſe 
Palaſtſtadt folgendermaßen 
(Reife in den Regentſchaften 
Tunis und Tripolis, ©, 
155 f.): 

„Der Bardo iſt nicht 
nach einem einheitlichen 
Plane oder in einem ein: 
zigen Stile erbaut, ſondern 
jedes Jahrhundert, jeder 
regierende Furſt hat hier 
durch einen neuen Anbau 
oder Umbau ein Andenken 
hinterlajlen, jo daß die höch⸗ 
fte Buntheit der Erfcheinuns 
gen die Folge diefer Mofait- 
architektur bildet. Keines diefer vielen Gebäude ift im einen 
rein zu nennenden Stile errichtet. Einige zeigen fid) Übers 
aus einfach), ſelbſt dürftig, andere architektonisch geſchmückt, 
jedoch im einem Stile, von dem es zweifelhaft ift, ob man 
ihn ſchön nennen und in welche Kunſtrichtung man ihn ver— 
weifen fol. Dennod) ift der Eindrud des Ganzen fein uns 
günftiger und jedenfall® ein origineller, obgleich, derjenige 
eine Enttäufhung erfahren wiirde, welcher ſich etwas echt 
Drientalifches zu fehen verſpräche. Die Architeltur bildet 
eben eine Miſchung von orientalifchen und europäiſchem 
Renaiflanceftil. 

Mehr orientalifh als europäifch nimmt fid) freilich die 
Einfahrt aus. Hier fahren wir durd) eine Reihe von Bogen- 
gängen, an deren Seiten ganze Reihen jener niſchenartigen 
Duden angebracht find, welche einen arabiſchen Sſuq oder 
Bazar bilden. Ein Bazar in den Vorhallen einer fürft» 
lichen Reſidenz ift etwas dem Drient Eigenthlimlider. Da 





Mohammed ed:Sadik, Bey von Tunis. 


83 


aber die Nefidenz eine Heine Stadt bilbet, deren Einwohner 
natürlich das Bedürfniß eines Marktes empfinden, fo erfcheint 
die Unvefenheit diefer Kaujhallen im jouveränen Schlofie 
etwas Erklärliches, ja Nothwendiges.“ Diefer Zugang führt 
in einen großen, von Arcaden eingejchlofjenen innern Hof, 
auf welchen ein zweiter eben folder, der Yöwenhof, folgt, 
fo genannt von acht marmornen Löwen, welche zu beiden 
Seiten einer zu ben Gemächern des Beys führenden Treppe 
aufgeitellt find. Auch diefem Hof fchmiden Säulenhallen, 
bie ftreifenweife ſchwarz und weiß angeftrichen find und recht 
gut jene zweifarbigen Mofaiten italienischer, namentlich tos⸗ 
canifcher mittelalterlicher Bauten nachahmen. An den beiden 
Fängsfeiten diefes Hofes liegen Gerichtsfäle, deren Wände 
nit foftbaren Marmorftiden ausgelegt find. Oberhalb der 
Treppe zieht fich eine Halle hin, „welche vielleicht in ihrer 
Ausſchmuckung am reinften den orientalifcen Stempel bes 
wahrt hat. Die Arcaden und die Dede der Halle zeigen 
ſich nämlich mit jenen feis 
nen, einem Spigengemebe 
ähnlichen Studverzierungen 
liberdedft, welche wir in der 
Alhambra in Granada be 
wundern und bie dem mau⸗ 
riſchen Bauftil auch noch 
heutzutage angehören, ob⸗ 
gleid) natüirlid) die Ausfüh- 
rung weit hinter jenem 
Vorbilde aus der Slanzzeit 
des Maurenthums zurück⸗ 
fteht. Die Araber nennen 
diefe Urt von Deckenſchmuck 
Noqſch Hadyd, d. h. unge: 
fähr „ein fcharfausgepräg- 
tes Gemalde“, eine höchſt 
richtige Benennung, wen 
man ſich erinnert, daß diefe 
ſcharfmarlirten Öypsfiguren 
im urſprünglichen Alham ⸗ 
braſtile bunt bemalt was 
ten.“ 

Die Prunfgemäcer des 
Scloffes enthalten durch⸗ 
aus nichts, was der Er- 
wähnung werth wäre; es 
find gejchmadlofe Nach— 
ahmungen ähnlicher euro- 
päifcher Räume mit Con⸗ 
folen, Variſer Penditlen, 
falſchen Blumenfträußen 
unter Glasglocken und zahlreichen Porträts früherer Beys 
und ihrer Minifler, ſowie europäifcher Negenten und 
Prinzen. 

Der Bey, deffen Porträt wir geben, ift ſchwach und 
darafterlos, lebt Lediglich feinen Bergullgungen, welche eben 
nicht die reinften und idealften fein follen, und fümmert fid) 
um Staatsgefchäfte gar nicht. Die fielen dem fchlauen 
Griechen Chasnadar Muftafa zu, der das Fand 30 Jahre 
lang auf das Schamlofefte ausfaugte, bis es dem frangöfifchen 
Geſandten, Bicomte de Ballat, vor einiger Zeit glüdte, ihn 
zu ſtürzen. Frankreich war der tumefifche erfte Miniſter 
feit lange ein Dorn im Auge geweſen; aber Jahre lang war 
es ben verftedten und offenen Bemühungen des franzöfifchen 
Conſuls nicht gelungen, bie Abfegung feines Feindes zu 
erreichen, Ein Freudenſchrei flog durch das ganze Yand, 
als die Kunde von derfelben ſich verbreitete. Tunis illuminirte 
am felben Abend; alle Städte gaben Feſte, und felbft in den 


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Rebatel’s und Tirant’s Neife in der Negentjchaft Tunis. 


Mofceen foll Ballat's Name als der eines Wohlthäters 
des Yandes im Gebete genannt worben fein. 

„Man ann ſich feine Borftellung davon madyen,“ 
fchreibt Rebatel, „bis zu welcher Höhe die Placereien 
umd die Vergeubung in Tunis gediehen waren. Die Steuer 
erheber wurden vor den Thoren der Stadt von angeblichen 
KRäuberbanden, die von jemem ſaubern Finanzminiſter in 
Scene gefegt und von feinem Sohne befehligt waren, ange 
halten und ausgeplündert. Nebenbei bemerkt gerirte ſich 





85 


biefer Sohn als Beſchützer der Wiſſenſchaften, er beſaß allein 
das Recht, im ganzen Lande Ausgrabungen vorzunehmen, 
und er hatte als Nefultat derfelben ein kleines Mufeum von 
Ucchitefturreften und Imfchriften zufammengebradht, die 
Malgan, wie er im feinem Buche ausführlich erzählt, nur 
nad; langen Berhandlungen abzeichnen durfte. — Schließlich 
wurde aber das allgemeine Drängen und der franzöſiſche 
Einfluß fo ftart, daß der Bey feinen alten, lieben Diener 
preisgab, ihm verurtheilte, dem Staatsſchatze zwanzig von den 








Arabiſche Frauen und Soldat in Tunis. 


vielen unterfchlagenen Millionen France zuridzuerftatten 
und ihm die feidene Schnur zuſchickte. Die Todesftrafe 
wurde ihm zwar geſchenlt, aber abgefegt war und blieb Chas- 
nadar umd lebte ald Gefangener im feinem eigenen Haufe in 
Tunis, befjer von dem Haſſe feiner früheren Unterthanen 
als von Soldaten und Gefängnigwärtern bewacht. Seine 
Eriftenz ift für die Regierung eine wahre Verlegenheit, ja 
im Falle er frei füme, eine Gefahr. Denn feine Reich— 


thumer find troß jener gewaltigen, ihm auferlegten Buße 
noch unermeßlic und beftehen theils in Depofiten bei euro» 
päifchen Banfen, theil® in ausgedehnten Yänbereien, welche 
fein Tunejer zu kaufen wagt, fo lange nod) der einft all» 
mächtige Minifter einen Athemzug in der Bruſt hat. 

Ob alle Aenderungen, weldye ſeitdem eingetreten find, 
dem Lande und feinen Finanzen auf die Beine helfen wer: 
den, ift immerhin fraglich. Der neue Minifter, Chaiveddin 


86 9. v. Lankenan: Stremouchow's Reife nach Buchara. 


Chasnadar, ein Schwiegerſohn des Geſtürzten, ſoll mehr 
europaiſche Begriffe Über Ehrlichkeit und Anſtand beſitzen; 
die Zölle ſtehen unter einer aus Engländern, Franzoſen und 
Ialienern gemischten Commiſſion und die Finanzen unter 
Mr. Leblanc, einem Mlitgliede derfelben. Aber man mag 
von Reformen reden fo viel man will, Orientale bleibt Orien— 
tale, und die tliefifche Wirthſchaft ift diefelbe in Tunis wie 
am Vosporus, in Kleinaſien wie in Syrien. Thatſache ift 
nur, daß Tunis 150 Millionen Francs auswärtige Schul— 
den hat und daß die jährlichen Einkünfte faft ganz darauf⸗ 
gehen, die Zinfen jener für das Yand enormen Summe zu 
bezahlen. 

Ehe wir unfere Neifenden auf ihren weiteren Fahrten 
begleiten, jeien noch einige Worte über einen in Tumis felbft 
fehe ftart (mit 30,000 von circa 120,000 Seelen 
Sefammtbevölferung) vertretenen Volloſtamm, den der Ju— 
den, gejagt, von deren merlwürdigen Trachten, die von denen 
in Algier und Marokto gänzlid, abweichen, unſer Bild eine 
Vorftellung giebt. Die Körperfillle namentlid, dev rauen, 
die ſchreiendſten, brennendften Farben der Kleider, dazu die 
Verſicherung, daß die alten Juden der Leberlieferung zufolge 
genau chenfo gefleidet gewefen feien, alles zuſammen läßt 
den fremden, welchem diefe Goftime zum erſten Dale ente 
gegentreten, diefelben mit einer großen Berwunderung und 
Neugier betradjten. Der moraliſche Werth der Tunefer 
Auden ift aber durchaus ein hoher, fteht vielmehr tiefer als 
derjenige der dort anſüſſigen Franfen, die an Ehrlichkeit, 
Anftand und Rechtſchaffenheit keineswegs als Mufter auf: 
geftellt werden fünnen. Der jahrhundertlange harte Drud, 
den nicht nur die Fürſten, fondern das ganze Volk auf fie 
ausübten, hat hier wie überall den nachtheiligſten Einfluß 
auf die Sittlichteit der Inden gehabt; und wenn diefer Drud 
neuerdings auch ſehr nachgelaſſen hat, jo hat ſich doch diejer 
Stamm nicht jofort von den folgen der frühern Ungerechtig— 
keit loswmachen Können. Maltzan erzählt die durch ein in 
feinem Befige befindliches comfulariches Actenſtüchk beftätigte, 
faft unglaubliche Thatſache, dag noch im Jahre 1868 nicht 
weniger als ſiebzehn Tunefer Juden ungeftraft ermordet wur · 
den, ohne daß irgend Jemand, felbft nicht einmal ein Gon- 
ſul, dagegen Widerſpruch erhoben oder die Beitrafung der 
Mörder zu fordern gewagt hätte. 

Unter folcher Tyrannei fanfen dann die Juden tiefer und 
tiefer, und Vieles, was bei ihren Glaubensgenoſſen in höch— 
fter Achtung gehalten wird, ſank bei ihnen zur leeren Förm— 
lichkeit herab oder ging ganz verloren, Ihren Sottesdienften 
fehlt die Feierlicheit, dev Ernft, die Ruhe und Wurde ſowohl 


ſeitens der Rabbiner wie feitens ber Zuhörer, deren Knaben 
— Frauen dilrfen dort dem Gottesdienfte nicht beiwohnen — 
lärmend die heilige Stätte durchtoben. Das beliebtefte Ges 
bet enthält die ſchwerſten Berwlinſchungen gegen ihre Unter 
drücer, die Araber und Spanier insbejondere, jowie gegen 
alle Chriften und Veohammedaner im Allgemeinen, Wlle 
Monate einmal ertheilt der Rabbiner Abobıtion nicht nur 
für begangene, fondern nad) Tetzel's Weife auch fiir zufünfe 
tige Sunden, Geldfchulden einbegrifien, die ſich der Tuneſer 
Jude nad; erhaltener Losſprechung zu bezahlen weigert. 
Trog ihrer großen Unreblichkeit und Betrligerei in allerlei 
Geldgeſchäften und Waarenlieferungen, namentlic; im 
Berkehre mit der Regierung und dem Yandvolfe, welche 
einzelnen Individuen zu großem Reichthume verhalfen, ift 
doch die Mehrzahl der dortigen Duden entſetzlich arm und 
unwiſſend geblieben und Liefert der Proftitution in ihrer nies 
drigften und ſchändlichſten Form ein erfcredend großes Cons 
tingent, während in wohlhabenderen Streifen die Familien— 
bande eben fo feſt find wie in Europa. Diefe Armuth treibt 
fie zu den wiedeigften Beſchäftigungen, zum Stiefelpugen, 
was in dem fothigen Tunis eines der efelhajteften Geſchäfte 
ift, zwingt fie, die widerlichjten, ſchmutzigſten Gerichte zu 
verzehren u. ſ. w. Trotzdem verleugnen fie nie oder höchſt 
felten ihren Glauben, fo daß die chriſtlichen Mifjionäre dort 
ſchlechte Gefchäfte machen. Und doc; befigen fie eine treff« 
liche Eigenfchaft, welche ihre Glaubensgenoſſen in anderen 
Ländern auszeichnet, faft gar nicht: das fefte Zufammen- 
halten, die Vereitwilligfeit, fich einander zu helfen und für 
einander einzuftehen, ift hier der Sucht, den Glaubensgenoſſen, 
ja jelbjt den Verwandten zu übervortheilen und zu betrügen, 
gewidyen, Und das fennzeicnet nicht nur das jüdifche Pro- 
letariat von Tunis, fondern auch die wohlhabenden und reis 
den Schichten. 

Im Ganzen aber kommt die Tuneſer Judenſchaft gut 
fort, materiell wie numerifch, namentlich feitdem es ihr 
erlaubt wurde, auch außerhalb ihres Ghetto, hier Hära ger 
nannt, zu wohnen. Ganze, früher nur von Arabern bejegte 
Stadtteile find jetzt jubaifirt, und viele Bazare, die einft 
ausſchließlich Mohammedanern gehörten, find jegt in Befig 
der Yuden, deren höhere geiftige Begabung ihnen den Sieg 
über die apathifchen und induftriclofen Araber verleiht. Wenn 
auch in Zufunft die einen in demfelben Maße zunehmen, 
die anderen ſich vermindern, wie in den legten Jahrzehnten, 
fo müffen in nicht allzulanger Zeit die Juden ganz iberhand 
nehmen und die Araber verſchwinden. 


Stremouchow's Neife nad) Buchara. 
Nah dem Tagebuch des Neifenden aus dem Nuffiichen bearbeitet 


von 9. v, Lankenau. 


Am 25. Mat ftellten wir und endlich in Uniform dem 
Emir vor. Unjer Ritt zum Schloß in Begleitung des Ger 
fandten geichah unter denfelben Geremonien, wie beim Be— 
treten der Stadt ; mr die Menfchenmenge war heute bedeu- 
tend größer, fo wie die Zahl ber fpalierbildenden Truppen, 
Am Eingang des Schloſſes empfingen uns eine Menge 
Hofbeamter, die alle, ängftlich auf den Zehen gehend, nur 


moniels durch Abdul-Kadir benachrichtigte und diefer end» 
lich, daß der Emir bereit fei, uns zu empfangen, Mich er- 
griffen zwei Udaitſchi unter den Armen, obgleich ich ihnen 
fagte, ic) fünne ebenjo gut allein gehen, die Herren Wilfins 
und Tſchapiſchew wurden jogar faſt ins Schloß getragen, 
und Abdul-Kadir begleitete uns als derjenige, der uns vor« 


. \ zuftellen hatte. 
leiſe zu fprechen wagten. Nach längerem Ordnen des Gere | 


In einem großen und hohen Saale, deffen hölzerne Did: 


9. v. Lankenau: Stremouchow's Reife nad) Buchara. 87 


und Wände mit verjchiedenen buntfarbigen, recht gejchmad: 
vollen Arabesten verziert waren und im welchen ſich eine 
Menge Wandfchränte aller Größen und ohne Thüren be 
fanden, empfing uns Seid-Mufaffar-Eddin. Das Koftbarfte 
in diefem Gemache waren die dicken jchönen Teppiche, bie 
ben ganzen Fußboden bedeckten. Wir machten dem Emir 
beim Eintritt in den Saal eine Berbeugung auf europäiſche 
Weiſe, nad) einigen Schritten eine zweite und endlich, als 
wir uns ihm gegenüber befanden, noch eine dritte. Die 
Berrenhingen aber, bie der Gefandte und einige andere ung 
begleitende Würdenträger mit ihren Leibern anftellten, waren 
fo knechtiſch entwlrdigend und dabei wieder jo komiſch, daß 
wir Mühe hatten erufthaft zu bleiben, Nun verſchwanden 
der Gejandte und die Bucharen, während Mufaffar uns der 
Keihe nad) die Hand reichte und uns ein Zeichen gab, uns 
zu fegen. Da wir jedoch feine Stühle im Saale fahen, 
mußten wir uns ſchon auf buchariſche Weife, mit unter: 
geichlagenen Beinen, auf ben Teppich niederlafien. Ich bes 
nugte den erjten Augenblick eines feierlichen Schweigens, mir 
den Beherrſcher Bucharas, das Haupt der Mufelmänner 
Gentralafiens, näher zu betrachten. Klein von Wuchs, aber 
ungemein did, jaß er in einem einfachen jeidenen Chalat, 
ohne irgend ein Abzeichen feiner Würde, auf ein paar ſeide— 
nen Kiffen. Trotz feines ſchwarzgefärbten Haare, Bartes 
und Brauen, trog feiner gefchminften Wangen, Augen und 
Stirn, erfannte man in diefen ſchlaffen Zügen leicht einen 
Meunſchen, der gewohnt war, feine Kräfte in finnlichen Aus: 
fchweifungen zu erfchöpfen und zu vergeuben. Vielleicht war 
er früher einmal Hübfch geweſen; jegt aber, im feinem 56. 
Yahr, war fein Geficht jehr unangenehm. Yangjam und 
mit ſehr leifer Stimme — fein fetter Hals erſchwerte ihm 
das Sprechen — begrüßte er mid), wünfchte mir Glid zu 
meiner Ankunft in feinem Reiche, im welchem er mic, bat 
zu thun als ob ich zu Haufe wäre, und erlundigte fich nach 
dem Befinden meines Kaifers, des kaiſerlichen Hauſes und 
ber ruffifchen Generale. Ich antwortete ihm im ziemlich, 
langer Rede, wie es Gelegenheit und Sitte erforderte, und 
endigte mit dem Wunſche eines langen freundfchaftlichen 
Berfehrs unferer Länder. Meine Rede, wie ic, aus feinen 
Mienen erſah und auch jpäter beftätigt erhielt, war ihm ſehr 
angenchm geweſen, und es erfolgten von feiner Seite Ber: 
fiherungen feiner unverbräcjlihen Freundſchaft für Nuß- 
land und den Kaifer. 

Nun begann Herr Wilfins feine Nede, was den Emir 
fehr in Erftaunen fegte, da in Gegenwart eines Höhern 
ein Yüngerer in Buchara nicht reden darf, ohne vorher dej- 
fen Erlaubniß erbeten zu haben, und-erfuchte den Emir um 
feinen Beiftand zur Erlernung der Seidenzucht, welchen ihm 
diefer auch huldreichſt zufagte. 

Nach uns wurden dem Emir noch meine Dichigiten und 
Kafalen, dod) nur von der Treppe aus — weiter lieh 
man fie nicht —, vorgeftellt und die Audienz war beendigt. 

Nachdem wir den Saal verlafien hatten, beglückwünſchte 
uns der ganze Hof, daß der Emir und jo überaus gnädig 
empfangen habe, und man überreichte uns deflen Geſchenke 
an Chalaten und feidenen Stoffen, und mir und Herrn 
Wilkins überdies Pferde mit brocatfeidenen Deden und til 
fifenbebedtem Sattelzeug. Ich erhielt zwei Pferde, einen 
Chalat, den der Emir felbft einmal vorher angelegt hatte 
und einen feiner prachtvollen Yeibgürtel. 

Als man von mir verlangte, ich folle den Chalat num 
auch anziehen und im demfelben durd; die Stadt nad) Haufe 
reiten, wie es fälfchlicdjerweife früher umfere Landsleute in 
Buchara gethan hatten, ſchlug ich dieſes rund heraus ab, in: 
dem ich ihnen erklärte, daß ich über meines Kaifers Uniform 
die eines andern Monarchen nicht anlegen dürfe, denn der 


Chalat hat bei ihnen die Bedeutung der Uniform, Meine 
Begleiter und ich warfen fie nur über unfere Schultern, fo 
lange wir im Schloſſe waren, draußen nahmen wir fie fo- 
gleich, ab. 

Dem Gefandten war es gelungen, den Emir zu über: 
zeugen, daß er ihm in der Verwaltung des Reichs unent- 
behrlich fei, und er war file den Augeublick der Gunſtlin 
dejjelben geworden. Bon diefer Stunde fing er denn * 
an, alle die zu verfolgen, die dem Emir näher ftanden und 
Zutritt zu demfelben hatten, den er ihnen mach Kräften zu 
erjchweren fuchte, was ſich im der Folge aud) auf uns er» 
ſtreckte. 

Während am 26. Mai Herr Wilfins ausgeritten war, 
den Seidenbau und das Ausbrüten ſowie die Behandlung 
der Naupen näher fennen zu lernen, begab id; mid) in Be— 
gleitung der Kaſalen und zweier Kurbaſchi in die Stadt, 
um diefe zu befehen. Cine hohe Mauer an den Eden mit 
zahlreichen Thürmen ſchließt die nicht große Stadt Kätab 
ein. Eine zweite Mauer im Mittelpunkt derfelben umgiebt 
das Schloß deö regierenden Beg. Mitten in der Stadt bes 
findet fid; der Bazar, Das Thal ringsum ift mit einer 
Menge Kiſchlals, Gärten und Weisfeldern Überfäet, durch 
welche fich die Flüſſe Al-Darja und Kitab-Darja ſchlängeln. 
Noch befuchte ich das höchſt traurig und unordentlid aus 
jehende buchariſche Yager, deſſen Soldaten mich jedoch jogleid) 
militärisch begrüißten. 

Am 28. Mai fragten mic, mehrere Bucharen, wann 
ich abzureifen gebenfe. Diefe Frage wiederholte ſich von 
nun an täglich, und id) antwortete beftändig: „Sobald es 
Seiner Hochgefegtheit genehm fein wird.“ Ich merkte, wie 
ic; Abdul-Kadir unbequem wurde und wie er mid) weit 
weg wunſchte; wie er es jedod nicht wagte, anderweitig ge— 
gen mic) vorzugehen, obgleic; er beftändig zu fürchten ſchien, ich 
möchte dies ober jenes, was mir vielleicht zu Ohren fomme, 
bei Gelegenheit einer weitern Audienz dem Emir mittheilen. 
Aeußerlich war er jedoch die Liebenswürdigkeit felbft und wie 
um ben Finger zu wideln. 

An 30. Dat erſchallte die gellende Stimme des Aſantſchi 
(Geiftlicher) , der die Gläubigen zur eier des Namas— 
Dſchuma rief. 

Unter dem Zufammenftrömen des VBolts und in Gegen- 
wart aller Truppen feiert der Emir, umgeben von feinen 
MWürdenträgern, diefen Namas, worauf er das Heer in Gere» 
monialmarſch bei ſich vorbei mafchiren läßt. Wenn man 
bie bucharifchen Soldaten und deren Bewaffnung fieht, fo 
begreift man ben Rath wohl, den der Tatar Karataew dem 
Emir gab, diefe Truppen, die ihm gar feinen Nugen brin- 
gen können und bedeutende Ausgaben verurſachen, bis auf 
eine Heine Peibwade, ein paar Compagnien, abzuſchaffen; 
eine reguläre Gavallerie giebt es nicht, die irveguläre wind 
nur zu Sriegdzeiten zufammenberufen, Cine Artillerie giebt 
e8 zwar; man wird fie aber, ihrer Untauglichleit wegen, auf- 
löfen. Die Kanonen werden jet nad) und nad) zu Miün« 
zen umgejchmolzen; in ganz Buchara find faum noch 100 
Sejchlige vorhanden. Die jegigen meift aus perfifhen Skla— 
ven bejtehenden Soldaten (Sarbafen) haben rothe und blaue 
Jaden, die Offiziere weiße Kaftane und Chalate. Die Waf- 
jen find alt, ungleich, theils mod) Feuerſtein-, theils Pifton- 
gewehre und meift unbrauchbar. 

Was nod) an Disciplin und Ordnung geblieben, die 
Mufit und die ruſſiſchen Commandowörter, ftammt von 
einem fibirifhen Kafaten Popow her, der in buchariſche Ge— 
fangenjchaft gerathen war und der, um dieſer zu entgehen, 
Mufelmann und unter dem Namen Dsman-beg der Refor— 
mator des dortigen Militärwefens wurde. Er lehrte den 
Bucharen das Kanonengießen, Flinten ausbeflen, führte 


88 9. v. Lankenau: Stremouchow's Reife nach Buchara. 


gleiche Uniformirung ein und Militärmuſikl. Sein Ende 
war ein gewaltfamer Tod. Auf Grund eines falſchen Do- 
euments, in welchem er eine Verſchwörung gegen den Emir 
angezettelt zu haben beichuldigt wurde, ließ ihn Mufaffar 
erdroffeln und beraubte ſich jo feines nliglichften Diener. 

Wenn das bucharifche Heer ins Feld zieht, jo verſchießt 
es bereitd vor Unnäherung des Feindes feine Patronen, in 
der Ueberzeugung, diefen durch Knall und Pulverdampf in 
Schreden zu jagen, jo daß, wenn jener wirllich heranfommt, 
alles beim erften Angriff den Rüden fehrt und das Weite 
fucht. Die in Sold Bucharas ftehenden Afghanen allein 
halten mutbig aus, fämpfen und fterben ziemlich tapfer. 
Um die Berlaufenen wieder zu ſammeln, braudt man ein 
ziemlich ſonderbares Mittel: man fchenft nämlich jedem 
unverwundet Zurüdfehrenden einen Ghalat — ohne dies 
wäre das tapfere Heer nicht wieder zufammenzubringen. Die 
Verwundeten erhalten nichts — warum ließen fie ſich auch 
verwunben ! 

Eine Niederlage koftet dem Oberbefehlähaber gewöhnlich 
das Veben, der unfehlbar des Verraths beſchuldigt und ohne 
Weiteres getöbtet wird. 

Endlich am 2, Juni brachte uns Abdul-Kadir die ange: 
nehme Nachricht, dag wir nad) 1'/, Stunden ſchon nad) 
Schaar abzureifen hätten, wohin uns der Emir zu folgen 
gedächte. So beeilten wir und denn und, nachdem wir noch 
allen Yeuten unſerer Bebienung anfehnliche Geſchenke an 
Chalaten u. f. w. gemacht hatten, befanden wir uns bald 
auf dem Weg nach jener Stadt, der uns durd cine gut bes 
baute Gegend und viele Anfiebelungen führte. Als wir in 
die Stadtthore hineinritten und auf dem großen Plag kamen, 
der die Citadelle umgiebt, fanden wir eine Ehrenwache aufs 

eftellt und eine große Menfchenmenge, die uns wie wilde 
Thiere anftarrte. Unter dem Schall der Muſil betraten 
wir das Thor des Schlofles, wo und der Oberbefehlshaber 
der Truppen, Dervlet:bi, entgegenfam. Diefer und ein an« 
derer Würdenträger, ein Berwandter des Emirs, Abduls 
farim-diwan-begi (Diwansbegi, Mitglied des Diwans, Reiche» 
raths), ein SOjähriger Greis, führten und num in die gro— 
ben Säle von Al-Sarai, dem Schloß des berühmten Timur. 
Der Greis begrüßte mic, auf eine fehr eigenthitmliche Weife, 
er fogte: „Berühmte Leute verftchen einander leicht und 
ſympathiſiren flets mit einander, So bin denn aud) ich, der 
höchſte bucharifche DBeg und Wurdenträger, außerordentlich 
erfrent, den Sohn des befannten ruſſiſchen Großveziers bes 
grüßen und mit ihm Freundſchaft jchließen zu können.“ 
Da id) die Schwachheit des Alten bemerkte, verjäumte aud) 
ich nicht, ihm alles mögliche Liebenswürdige zu fogen, was 
ihm fehr zu ſchmeicheln ſchien. Seine und dargebradhten 
Geſchenke waren ſehr koſtbar und überreichlich. 

Das ganze Haus eines Verwandten des Beg war und 
zur Wohnung angewiefen, und ich beeilte mic das alte 
Schloß Al-Sarai zu befehen, das, obgleich ſchon ftellenweije 
fehr verfallen, jedenfalls ein bemertenswerthes hiftorijches 
Dentmal if. Soldye majeftätifche Bauten werden jegt nir— 
gend mehr in Gentralafien aufgeführt, Die Höhe ber 
Mauern umd Thürme, die Mannigfaltigfeit und Schönheit 
der Emailverzierungen der Wände, aus buntfarbigen in die 
Wände eingelegten Kacheln, deren glänzende farben fich noch 
bis heute erhalten haben, die Dauerhaftigleit und Feſtigleit 
der alten Architektur, dienen als unleugbarer Beweis des 
frühern blühenden Zuftandes und Reichthums Gentral- 
aftens, Die Stadt Schaar war die Geburtöftätte Timur's. 
Hier war ed, wo er einft beim Kokebur& (ein jehr gefähr- 
liches Jagdrennen, bei welchem die Reiter einander einen 
Ziegenbod wegzureigen ſuchen; der Sieger gilt als der befte, 
fühnfte Reiter) ſich den Fuß brad), in Folge deſſen er denn 


auch Timursleng oder Timursaffat (dev Lahme, Hintende) 
genannt wurde. Bon einem der Thürme berichtet die Sage 
als Beweis, weldy blinden Gehorſam und welde Ergeben- 
heit Timur's Untertanen für ihn hatten, daß als er eines 
Tages diefen Thurm beſuchte und auf der Zinne defjelben 
faß, wie er es liebte, die herrliche Umgegend zu bewundern, 
einer feiner Diener ihm eine Bittfchrift überbrachte. Der 
Wind jedod) entriß feinen Händen das Papier und warf es 
zu den Füßen bes Thurmes nieder, Timur äußerte den 
Wunſch, mar möge die Bittſchrift raſch aufheben. In dem: 
felben Augenblide auch ftürgten ſich vierzig feiner Freunde, 
die ihn umgaben, ohne ein Wort zu fagen, hinab feinen 
Wunſch zu erfitllen; alle vierzig aber famen um, feinen ges 
lang es das ‘Papier zu überbringen. Beſtürzt über ein fols 
ches Unglück ſoll Timur fogleicd, ben Thurm verlaffen haben 
und nie wieder auf denfelben zurlicdgefehrt fein. 

Am 3. Juni benachrichtigten uns Kanonenſchüſſe, daß 
der Emir angelommen ſei und das Schloß betreten habe. 

In Begleitung eines zahlveichen Gefolges beſuchten wir 
heute die Stadt, die manches Interefiante aufzuweiſen hat. 
Außer dem Al-Sarai lafjen ſich noch einige Mofcheen, Grab» 
denfmäler von Heiligen, der große fteinerne, mit VBogengän- 
gen verfehene verdedte Bazar und endlich die Feſtung, die 
für eine der fefteften in Buchara gilt, anführen. 

In Schaar wurden mir endlich Abdul-Kadir's Intris 
guen, die meine wehtere Zufammenfunft mit dem mir zu 
verhindern fuchten, unerträglich. Ich erfuhr dies von vielen 
mir Wohlgefinnten, unter anderen auch von dem Mirfasllraf, 
dem zweiten Secretär des Gefandten, einem Fugen und 
ehrenhaften Manne, der großen Nuten hätte ftiften können, 
aber feiner Offenheit wegen nicht beliebt war. Ich Lie in 
Folge diefer Eröffnungen den Gefandten wiffen, daß wenn 
er fortfahre mir feindlich entgegenzutreten, ich Böſes mit 
Böfen vergelten und meiner Negierung die nöthigen Mit 
theilungen darliber machen werde, daß aber meine Meinung 
fei, er thue im eigenem Intereſſe beifer, ſich mit mir anf 
freundfchaftlichen Fuß zu fegen; mir fiele es nicht ein, feinem 
Einfluß beim Emir hindernd entgegenzuwirten. Ich war 
verfichert, meine Worte würden ihm treulich mitgetheilt wer: 
den ; und wirlich erfchien derjelbe bereits am folgenden Tage 
mit neuen Freundſchafts- und Ergebenheitöverficherungen ; 
ihm war erfichtlicy wicht behaglidy in meiner Gegenmart. 
Auch Hier bemerkte ich, wie id) von Spionen umgeben war; 
befonders mißfielen den Bucharen meine öfteren Abfendungen 
von Dfchigiten mit Briefen nadı Samarland. Wie groß 
aber aud) ihre Neugier war, die Briefe, die ich erhielt und 
abfertigte, wagten fie nicht zuritdzuhalten oder zu öffnen. 

Als ic am 10, Juni faſt den ganzen Tag im Garten des 
Neffen des regierenden Begs, Allajar-begstoffaba, zubrachte, 
der mich durch Muſit, Gefang, großartige Bewirthung u. |. w. 
zu unterhalten fuchte, erfältete ich mic) fo heftig, daß id) 
mid; recht unwohl flihlte und den folgenden Tag im Bett 
zubringen mußte. Meine Krankheit verjegte Alle in große Be: 
ftürgung, und als man diefe dem Emir berichtete, fam dem: 
felben fogleich der Gedanke an eine Vergiftung. Er erfchrat 
darüber fo heftig, daß er erflärte, ex werde, wenn ich nicht 
bald wieder befjer werben follte, alle, denen er befohlen über 
mic; zu wachen, aufs Strengfte beftrafen, vor Allem natürs 
lic) den armen Allajar-Beg. Allen fiel daher auch ein gros 
er Stein vom Herzen, als ich mid, am 12. wieber wohler 
fühlte und wieder einen Heinem Spazierritt durch die Stadt 
machen fonnte, 

Nun famen am 13. eine Menge Berfonen, ſich nach mei: 
nem Befinden zu erkundigen, was mir ſehr lieb war, da id) 
jo mandyes Wiſſenswerthe erfuhr, ohne daß es Verdacht er: 
regte. Huch Abdul-Kadir erichien und theilte mir mit, dag 


Gameron’s Briefe über feine Reife quer durch Afrika. 


der Emir mir morgen eine Audienz bewillige, da er mid) 
zu fehen wünſche. So waren wir denn bereits am 14. Juni 
des Morgens um 9 Uhr in voller Uniform und harrten bes 
Augenblids, der uns zu dem Beherrſcher der Gläubigen füh- 
ren follte. Endlich, nachdem ic; mehrere Dale zu Abdul⸗ 
Kadir gefchict hatte, der uns wieder vorftellen follte, erfchien 
diefer um 3 Uhr Nachmittags, mit Entfchuldigungen, daß 
der Emir, der durch viele Gefchäfte abgehalten und ermildet 
gewefen fei, uns erft jegt empfangen fünne. Die Vorftel- 
lung widelte fi nun auf die gewöhnliche Weife ab, wobei 
uns der Emir noch mittheilte, daß er ficher darauf vechne, 
und nod) einige Mal in, der Stadt Buchara zu fehen und 


89 


baß er beöwegen auch feinen Aufenthalt in Schaar ablürze; 
unterbefien möge ich e8 mir in feinem Reiche wohl fein laf- 
fen und mid) überall ungehindert umfehen. 

So reiften wir denn, nachdem uns Abdul-Kadir wieder 
reiche Geſchenke des Emir überbracht und uns mitgetheilt, 
diefer werde uns bald folgen, am 15. Juni nach Buchara ab, 
Der Gefandte, der uns dahin begleiten follte, trug heute in 
feinem prächtigen Turban, einem &ejchent feines Gebieters, 
einen Berat (Dantrefcript) deſſelben, der ihn zu gleicher Zeit 
für den glücklichen Erfolg feiner Sendung nad) Peteröburg 
zum Datdja (Öeneralmajor) ernannte. 


Gameron’8 Briefe über feine Reife quer durch Afrika. 


Im Folgenden Tegen wir unferen Leſern eine wörtliche 
Ueberfegung der beiden wichtigen Briefe des kühnen Reifen 
den vor, welche am 10. Jannar vor der Yondoner Geogra— 
phifchen Geſellſchaft verlefen wurden. Wir geben diefelben 
ausführlich), weil fie die Handeläverhältniffe im Innern des 
Continents erkennen laffen und zugleid) zeigen, mit welchen 
Schwierigkeiten und namentlid) Zeitverluft ein Neifender dort 
zu kämpfen hat. Dies ift nicht unwichtig zu erfahren, fofern 
es wirklich noch Dr. Pogge, dem Reiſenden der deutſchen 
afritanifchen Geſellſchaft, gelingen follte (was nad) jo viel 
Scidjalsihlägen faum noch zu hoffen ift), in das Reid) des 
Muati Yanwo einzubringen. Wenn es auch Cameron nicht 
gelungen ift, dem Yualaba abwärts bis zum Deere zu folgen 
und fo diefe Frage endgültig zu löfen, wenn er felbft nicht 
einmal dem Ausfluffe des Tanganyifa» Sees, dem Lukuga, 
gefolgt zu fein fcheint, wenn er vielmehr zulegt weit, weit 
füdlich, von dem unbelannten Kerne des Continents dahin; 
und belanntere Gebiete betrat, die uns durch Livingftone un 
Magyar ſchon vor 20 Jahren erſchloſſen wurden, fo hat er 
doch vorher gewaltige Streden unbelannten Landes durch— 
meffen und, was vor Allem hoch anzufchlagen ift, wiſſenſchaft⸗ 
lich feſtgelegt. Das ewige Hin= und Herfchieben der Fluß- 
adern auf den Karten hört num auf: Cameron’s Route ift 
die fefte Grundlage für jedes weitere Unternehmen geworden 
und eine Gontrole für feine Vorgänger, Möge Niemand 
vor dem Gewirre der Flußnamen am Ende des zweiten Brie- 
fes erfchreden: ſchon jetzt ift es möglich, einen Theil derfelben 
mit früher (von Livingſtone) ertundeten zu identifieiren und 
fich ein rohes Bild des Flußſyſtems jener Gegenden zu ent 
werfen. Yivingftone war es nicht befchieben, feine legten, 
großen Reiſen ſelbſt ind Reime zu arbeiten, und darum find 
viele feiner Erkundigungen unflar geblieben; menſchlichem 
Ermeflen nad) wird fein junger Nachfolger glüdlicher fein 
und uns in Bälde die ſehnlichſt erwarteten Nefultate feiner 
glängenden Unternehmung vorlegen können. (Red.) 


I 


An den Präfidenten Sir — — der 
Royal Geographical Society. 


Britiſches Conſulat, Loanda, 22. November 1875, 


Ich habe die Ehre, Ihnen die wohlbehaltene Ankunft der 
FivingitonesOfttüfteneErpedition an der Weftküfte zu melden. 
Sie finden beiliegend Briefe, die id) vor langer Zeit ſchrieb 
und abſchickte und wieder überholte, fowie die Aufzeichnung 
eines Theiles meiner Route, einige Aufriffe und verfchiedene 
Auffäge, die ich im Iumern anfertigte. Ich lann augen 
blidlich nicht viel ſchreiben, da ich mich eben erft von einem 

Globus XXIX. Nr. 6. 


Storbutanfall erhole, der ſich an dem Tage einftellte, an dem 
ich bei Katombela, dem Catumbella der Portugiefen, die Küſte 
erreichte. Meine Thermometer find wohlbehalten; natlirlich 
müffen fie bei meiner Rucklehr in Kew wieder geprüft wer ⸗ 
den. Ich werde hier bleiben müſſen, bis e8 wärmer in Eng« 
land ift, da, fo gern ich das liche Vaterland wieberfehen 
möchte, es Unrecht wäre, ſich wegen ein oder zwei Monaten 
neuer Krankheit anszufegen. Das Innere A im Ganzen 
ein pradjtvolles und gefundes Yand von unfäglichen Reid) 
thum. Ich beige eine Feine Probe guter Sohle; andere 
Minerale, wie Gold, Kupfer, Eifen und Silber, find reichlich 
vorhanden, und bin id) überzeugt, daß mit einer Mugen und 
freigebigen (nicht verfchwenberifchen) Capitalauslage eines der 
größten Syfteme inländiſcher Schifffahrt der Welt nugbar 
gemadjt werden könnte umd binnen 30 oder 36 Monaten 
die unternehmenden Capitaliften, die fic der Sache annähr 
men, zu belohnen beginnen witrde. Es ift mir unmöglich, 
jegt viel zu fehreiben, aber während ich hier bin, werde id) 
arbeiten und behalte deshalb meine Tageblicher, Skizzen n. ſ. w. 
hier, damit bei meiner Rüdtehr nad) England die Arbeit ſchon 
vorgeichritten ift. 

Ic erhielt zwei Privatbriefe hier, aus denen ich erfehe, 
daß die Geſellſchaft Willens ift, die gemachten und mod) be 
vorftehenden Koften der Expedition zu tragen, und daß eine 
Sammlung fir mic oder vielmehr zum Beſten der Erpe- 
dition gemadjt worben ift. Ich wagte Alles und fegte Alles 
aufs Spiel. Ich fagte mir, daß das engliſche Voll und die 
Geſellſchaft nie Iemanden im Stich laſſen wird, der fein 
Möglichites getan hat, und ich bin ftolz und froh, daß mein 
Vertrauen gerechtfertigt war und daß, von Ihrer Majeftät 
an, ganz England Teilnahme an dem Werk genommen hat, 
dem ich mein Leben zu widmen hoffe. Eine zweite Erpebition 
wilrde ich im Stande fein, mit doppelter Bequemlichkeit und 
den halben Koften diefer auszuführen. Muscatnüffe, Kaffee, 
Semſem, Bodennlifie, Delpalmen, ber Dipafır (ein ölliefern- 
der Baum), Reis, Weizen, Baumwolle, alle Erzeugnifie bes 
füdlichen Europas, Gummi, Copal und Zuderrohr find bie 
botanischen Erzeugniſſe, die einen Gewinn abwerfen würden; 
Weizen wird erfolgreich von den Urabern angebaut, fowie 
auch Zwiebeln und von der Kuſte gebrachte Fruchtbäume, 
Ein 20 bis 30 Meilen langer Canal durd) ein flaches und 
ebenes Land wiirde die beiden großen Syſteme des Congo 
und Zambefi vereinigen, die jegt jchon während der Regen: 
zeit duch Waller in Verbindung ftehen. Mit einem —* 
capitale von 1 bis 2 Mill. fe St. witrbe eine große Ge— 
ſellſchaft, falls richtig geleitet, wie geſagt in etwa drei Jahren 
Afrika geöffnet haben. Was die diplomatifchen Schwierig. 
feiten fein würden, kann id) natitrlich nicht jagen; aber es 

; '12 


90 


ſcheint mir, als ob fie bei weiten größer als bie phnfifchen 
fein würden. 
Ich bin, geehrter Herr, Ihr ergebener 
B. Yovett Cameron, 


II. 
An den Secretär der Royal Seographical Society. 


Scha Kelembö, am Fluſſe Lumcji*), in Lovale, 
11081 {,Br., 200 27° 6.0,,7. Sept. 1875. 


Ich bitte Sie, dem Präfidenten und den Mitgliedern der 
Geographiſchen Geſellſchaft die nahe Ankunft der Expedition 
unter meinem Befehl an der Weftlüfte mitzutheifen. 

Es ift mir jegt unmöglich, in die Einzelheiten des voll« 
bradjten Wertes einzugehen, aber obgleich ich lange nicht das 
erreichte, was id) zu vollbriugen gedachte und mit beherzteren 
Vegleitern vollbracht hätte, hoffe id), daß es ſich bei meiner 
Ankunft in England herausftellen wird, daß id, bedeutend 
zur Aufhellung des über afrifanifcher Geographie herrſchen⸗ 
den Dunfels beigetragen habe, und ſich auch die großen, aber 
unvermeidlichen Koften rechtfertigen werden. Id) nehme an, 
daß Sie ſchon lange meine Karten und Briefe aus Ufiji**) 
erhalten haben und gebe hiermit einen flüchtigen Bericht des 
feither geichehenen Wertes. 

Zuerft ging ich von Ujiji nah Nyangmwe, wie ich glaube 
auf demfelben Wege, den Livingſtone nahm. Ich fand, daf 
er Nyangıs ***) 90 Meilen zu weit nad) Weiten gefegt hat 
und da von dort aus der Yualaba, weit entfernt feinen weft 
lichen Yauf in einen nördlichen zu verwandeln, in Wirllich— 
feit die Richtung nad; Norden verläßt und fid) nadı Welten 
wendet. Weiter unten im feinem Yaufe wurde er mir als 
nad) Weft-Sid-Weften fließend gefchildert. Einige der Ara 
ber waren weit nad) Nord-Nord-Oſt bis Ulegga gelommen 
und hatten durch die Eingeborenen von ägyptifchen Händlern 
gehört, aber mie etwas über den Albert Nyanza, obgleich 
einige ihm Fannten, wenn ich über denfelben aus feliheren 
Reifen nad) Karagus ꝛc. frug. Ich neige mich zu der Ans 
ficht, daß er viel Heiner als nach Sir Samuel Baler's Zeich— 
nung tr). 

Ein Fluß, den Ausſagen nad) jo groß wie der Yualaba 
bei Nyangwoͤ, ergießt ſich von Norden in denfelben eine kurze 
Strecke tiefer unten, fowie auch andere bedeutende Flüſſe von 
Norden her; möglicherweife ift jener Fluß, der Yowa, der 
untere Yauf des Buri. Der Yualaba ift bei Nyangws nur 
1400 Fuß (2000 nad} Yivingftone) über dem Meere oder 
500 Fuß tiefer als der Nil bei Gondoloro (1273 Fuß nad) 
den neueften Meffungen Ned.) und flicht durch die Mitte eines 
enorm weiten Thale, welches den Waſſerabzug diefes ganzen 
Theiles Afrilas in ſich aufnimmt und die Fortſetzung der 
Thäler des Luapula und Lualaba bildet. 

Ich gab mir in Nyangms große Mühe, Canoes zu er— 

*) MWabrjcheinlich it dies Liringitones Lomerje, ein Zuftuß 
bes Leembua, der feinerfeits in den Kafabi (Volke) flieht. Yivinge 
ſtoue ſeht feine Duelle etwa in 210 öftl. L. ®r. und 119 für. Br.; 
er freugte ibm bei feiner Rückteiſe von Loanta nach Yınbati 1855. 


* Her. 

**) Diefelben filtern vie Meile bis dorthin und tie Aufnabıne 
bes fürlicden Theile der Tanganpilafers und crfchienen in ten 
Proceedings ter Noy. Geograph. Soc. Mer, 

“er, Die Karte zu Livingſtone's lehter Reiſe Tepe dieſen feinen 
weitlicditen Bunte im Laube der milden Manynema in 2005’ 
öl, 8, und 4° 10° für, Br (Vgl, „Globus“ XVII, ©. 85.) 

Mer. 

7) Tiefelbe Anſicht theilt auch Oberſt Herten, wie Eir Nam 
linfon in feiner Gröffmumgsrere ter Non. Öhenrend. Sor. vom 15. 
Nov. 1875 berichtet. Danach hätte ter Albert Nyanza feine arößte 
Erſtreckung in ter Richtung von O. nach W., nicht von S. nad 
N. und reichte nicht über den Arquator ſüdlich hinaus. Mer. 





Cameron's Briefe über feine Reiſe quer durch Afrika. 


fangen, aber ohne Erfolg. Ich glaube, daß meine eigenen 
Leute, die fich durch die Erzählungen der dortigen Araber 
und Wamerima hatten gehörig ängftigen lafjen, viele der 
Schwierigkeiten veranlaßten; nachdem ic; einige Zeit im 
erfolglojen Verfuchen, Boote zu erlangen, zugebradht hatte, 
ging ich mit Hamed ibn Hamed (alias Tipo-tipo), der von 
feinem fejten Yager nad) Nyangwe gefommen war, um einen 
Krieg zwijchen den Nyangwe-Händlern und dem ihm befreun⸗ 
beten Häuptlinge Ruſſung beizulegen, nach feinem Lager, um 
von dort aus womöglich nad dem Sce Sanforra vorzus 
dringen, von dem ich auch) in Nyangme gehört hatte und zu 
dem mit Hofen bekleidete Händler in großen Segelfchifien 
fonmen follten, um Palmöl und Staub in Federlielen, viel- 
leicht Goldftaub, zu kaufen. 

Aber als id) in Tipostipo's Lager anlangte, verweigerte 
mir der Häuptling am andern Ufer des Yomami *), dem ich 
(ba er früher Tipostipo nicht geftattet hatte, im fein Yand zu 
fommen) um Erlaubniß bat, fein Gebiet zu durchkreuzen, 
den Durchmarſch, indem er mir jagen lich, daß, falls ich käme, 
er mich befriegen wilrde, Da aljo diefer Weg gefperrt war, 
marjchirte ich mit drei Waruafüihrern, die Tipo-tipo mir gab, 
nad; Süden ab, um Kaſongo's, des größten Häuptlings 
von ganz Urua**), Stadt, nad) welder portugiefijche Händ- 
ler kommen ſollten, zu erreichen, in der Hoffnung, von dort 
einen Weg nad) dem See zu finden. Als ich bei Kaſongo 
(in Kilema) anlangte, fand ich dort einen Araber, Jumah 
ibn Salim (Jumah Merikani), der mic) ſehr gütig und gafte 
freundſchaftlich behandelte, und einen ſchwarzen Händler aus 
Bihé (in Benguela), Namens Joſé Antonio Alviz, der mir, 
als id) anlam, fagte, daß er im 14 oder 15 Tagen abreifen 
wolle, mehrere feiner Leute aber mit Kafongo im Krieg feien 
und daß, falls ich einige Seen in dev Nähe beſuchen wolle, 
er einen Monat warten würde, Ich reiſte ab und beſuchte 
Mohrya, einen feinen, vom Regen gefpeiften See, der an 
fcheinend von dem Übrigen Waſſerſyſtem iſolirt ift, da er nur 
den Abjlug eines Heinen Baffins aufnimmt und feinen Aus- 
fluß hat, welcher aber interejlant ift, da er ordentliche Pfahl: 
dörfer wie jene im Realmah enthält. Bei meiner Rüdtchr 
vom Mohrya fagte Alviz, dag ev nod) auf Kaſongo warte, 
worauf ich Kaffali (oder Kikonja) und Kowamba, zwei 
Seen an den wirklidyen Yıralaba, zu erreichen ſuchte, aber 
verhindert wurde, den Yovoi zu überjchreiten und mich mit 
einem entfernten Anblide der Kaſſali begnügen mußte. 

As ich zurücklehrte, fand id, dag Kafongo während 
meiner Abweſenheit dagewejen, und wicder fortgegangen fei, 
aber Befehle zurüdgelafien, wenn ich zurüdläme, ihm Voten 
zu Ichiden, da er mich fehen wolle. Ich fand, daß Alvi 
alle feine Yaften gepadt hatte und, wie er fagte, mir * 
Kaſongo's Rudlehr wartete, un gleich abzureiſen, denn wenn 
Kaſongo ankäme, würde es zwei oder drei Tage dauern, ſich 
von ihm zu verabſchieden, und dann wilrde er jo raſch als 
möglic, nad) Bihe reifen, da ihm die Vorräthe fehlten. Zus 
erſt fagte er, er wünſche feinen Vertrag mit mir zu machen, 
da er gerade wie ein Europäer fei, und das was er fage, 
wahr jei, obgleich ich ſchließlich fand, dag er der hartnädigfte 
und grundloſeſte Luügner fei, den ich je getroffen. 

Nach ungefähr ſechs Wochen erſchien Kaſongo, und dann 
verlangte Senhor Alviz einen gefchriebenen Contract über 
feine Bezahlung, und mußte ich einen Vertrag mit ihm abs 
fchliehen, im dem ich mich verpflichtete, bei meiner Ankunft 
in Yoanda ihm 400 Dollars zu bezahlen, wobei ich jedoch 
ausdriicklich feftfegte, daf auf dem Wege fein Aufenthalt zu 


+) Auch Leeli genannt, und won Livingſtone erlundet, mad welchem 
er ben Lintolu⸗ (Tſchebugo⸗ See durchitremt. Ret. 
**Das Land Rua Liviugſtones. 


Gameron’s Briefe über jeine Reife quer durch Afrila. 9 


Handels oder anderen Zwecken ftattfinden dürfe, welche Bes 
dingung ich ihm gemau erklären ließ, woraufer fragte, woher 
denn Verzögerungen fommen könnten, und 68 Tagemürſche 
als die zur Erreichung Benguelas nöthige Zahl angab, in 
dem er behaupete, jeden Tag bis 3 oder 4Uhr Nachmittags 
zu marſchiren umd nur ein Mal in 12 ober 14 Tagen zum 
Ankauf von Lebensmitteln anzuhalten. Ich fertigte dieſen 
Vertrag dreifach; aus; eine Copie übergab ich Jumah ibn 
Salim mit anderen Briefen mad) Zanfibar, eine behielt ich, 
und die dritte gab ic; Alviz. 

Ein paar Tage jpäter hörte ich, daß Alviz ſich verpflich— 
tet habe, ein Haus für Kaſongo zu bauen, und als ich mid) 
bei ihm Über diefen Bertragsbruch beflagte, leugnete er es 
ab; jedoch; nach einigen Tagen jagte er, fein Hauptführer, 
ein Deulatte, der Sohn des Major Coimbra in Bihé, gehe 
nach einem Orte 2 oder 3 Tage vorwärts, um ein Haus 
für Kaſongo zu bauen, aber daß es nur eine Arbeit von 3 
biß 4 Tagen fein würde, da fein eigenes Haus, nach deffen 
Muſter diefes gebaut wetden folle, in 4 Tagen vollendet 
wurde. 


Nach weiterer Verzögerung kam Coimbra von einem ganz 
andern Orte zurück, indem die Geſchichte von feinem Haus: 
bau fich als ungejchminfte Füge herausſtellte, und jegt wurde 
mir gejagt, daß die ganze Karawane abreifen und, bein 
Paffiren des Weges, das Haus bauen würde. Ich machte 
große Anftrengungen, Yente, Gewehre und Pulver aufzutrei- 
ben und zu dem See Sanforra durcchzudringen, aber Kaſongo 
weigerte fi, mic hingehen zu laſſen, und von dort fom- 
mende Leute fchilderten den Weg als während der Negenzeit 
unpaffirbar, jo daß ich mic) in den Aufenthalt wegen des 
Hauſes fügen mußte. Gerade che ich Jumah ibn Salim’s 
Ort verließ, hörte ich, dap ein Theil von Alviz's Leuten in 
einem Orte Namens Kamjola fei, und daß Alviz auf fie 
warten würde. Zuerſt leugnete er es, aber natürlich ftellte 
es ſich jchließlich ald wahr heraus. 

Wir verließen Jumah ibn Salim gegen Ende Februar 
und machten einen Bummelmarſch nad, Totöla, wo das 
Haus gebaut werben follte, wobei wir fünf Mal lagerten 
und 3 oder 4 Tage auf dem Wege Halt machten, während 
beladene Männer die Entfernung in zwei Tagen zurüdlegen 
lönnen, und Leute mit nichts ald Gewehren fortwährend in 
einem Tage von einem Ort zum andern gehen. 

In Totöla angelangt, wurden einige Leute nad) Kanyola 
abgeſchickt, und fagte man mir, daß fie in 12 bis 14 Tagen 
zurücd fein würden. Das Haus wurde gebaut, aber ein 
großer Theil der Urbeit fiel auf meine Yeute, und es dauerte 
gegen 20 Tage, nad) deren Ablauf noch immer feine Nach— 
richten von den Kanyofasteuten angelangt war. Ich bat 
Kafongo um Ganoes, um den Yomämt hinunter wieder in 
den Yıralaba zu gelangen, aber er fagte, es gäbe zwei Wege, 
die id) nehmen Könnte, nämlid, entweder Alviz zu begleiten, 
oder bei Jumah Merilani zu bleiben, bis er abreife. 

e Trog Allem erjchienen die Kantofa-Yente nicht vor 

Ende Mai, und mittlerweile erlaubte Alviz dem Coimbra 
(oder Kwarumba, wie er hier genannt wird, und der ein 
ausgeſuchtes Mufter eines abgefeimten Schurken ift) mit 
Kafongo einen Raubzug auf Eflaven zu machen, wobei ex 
fid) aber dagegen verwahrte, auf ihm zu warten, falls er 
länger als die Kanyola⸗Leute ausbliebe. Als legtere au— 
famen, gab e8 einen furzen Aufenthalt, wm auf Kafongo zu 
warten, der ein paar Tage nad) ihnen ohne Kwarumba zu 
rucklehrte. 

Während dieſes Aufenthaltes paſſirte es einem meiner 
Leute, das Lager in Brand zu ſetzen, jo daß unſer ganzer 
Theil und ein paar Hütten von Alviz's Yeuten wiederbrann- 


‚zu laſſen. 


ten, Zum Glhudk gelang es mir, obgleich nur mit Haares- 
breite, meine Karten und Tagebücher zu retten, 

Die Leute des Alviz, deren Hütten verbrannt waren, 
verlangten die lächerlichſten Entſchädigungen für Dinge, die 
fie ald verbrannt ausgaben, weldye aber meiftens gar nicht 
eriftirt hatten. Ich fagte Alviz, daß ich Willens fei, Alles 
wirklich Verlorene zu bezahlen, aber nicht ſolche Dinge, die 
nie vorhanden gewefen feien. Ex erwiederte, die Leute miß- 
ten entjchädigt werben, oder fie wilden fein Elfenbein ſteh— 
len, wenn er in Bihs anlange. Ich ſagte ihm, ev möge fie 
bezahlen, ich würde aber in Yoanda gegen die Forderung 
protefticen. Er verweigerte aud) jede Entſchädigung flr die 
meinen Yeuten und mir während der Berwirrung geftohlenen 
Sachen. Hierauf marſchirten wir zum Yunga Mändis, 
einem Unterhäuptling Kaſongo's, ab, wo wir in 10 Tagen 
anlangten, und wo mir bann gefagt wurde, wir müßten 
3 Tage zum Anfauf von Yebensmitteln warten, um Uſſambi 
zu durchlreugen. Am 3. Tage langte eine Heine Karawane 
unter Aufficht des Sklaven eines in Dondo, bei Yoanda, 
wohnenden Weißen an, und nun wurbe ein weiterer Tag 
verlangt, um diefelbe mit Yebensmitteln zu verforgen. Am 
Abend des vierten Tages fragte ich, ob Alles fertig fei am 
Morgen abzureifen und erhielt eine bejahende Antwort. 
Trogdem fagte man mir um 7 oder 8 des Morgens, daß 
noch Leute in Totöla zurlidgeblicben feien und Alviz nicht 
ohne fie abreifen wiirde, 9 ſchlug Laärm, und wurden 
Leute zurückgeſchickt, um fie zur Eile zu treiben, Während 
wir auf diefe Yeute warteten, faßte id; Bartian, den die 
Aufficht führenden Sklaven der Dondo-Sarawane, ab, ber 
fi, erbot mir den Weg mad dort zu zeigen und fagte, Alviz 
hätte ihn in Totela oder bei Jumah Meritani daran ver: 
hindert, die® zu thun, doch wollte er jegt ein paar Tage 
warten, um zu jehen, ob Alviz ſich in Bewegung fegen würde 
ober nicht. Nach 18 Tagen bei Yunga Mändis gingen 
wir, Dank meinem energijchen Drängen, etwas vorwärts, 
aber beim erjten Lager liefen einige Sklaven fort, und wurs 
den wir einen Tag zurücgehalten, während die Eigenthlimer 
fie fuchten, und am nächiten Morgen wurde mir gefagt, daß 
während der Nacht die Nachricht von Kwarumba angelangt 
fei, daß er im Yaufe des Tages eintreffen würde und wir 
auf ihn warten ſollten. Kwarumba erjchien an jenem Tage 
mit einer Reihe von 40 oder 50 erbärmlichen Weibern, die 
er aus verfchiedenen von ihm mit Kafongo zerftörten Dör- 
fern gefammelt hatte. Seitdem haben wir ziemlich gut 
marſchirt, mit gelegentlicyen Halten, wm entlaufene Sklaven 
zu fuchen, Nahrung zu kaufen und um Alviz Handel treiben 
Obgleich er bit zum Ende mir betheuerte, daß 
er nicht auf Kwarumba gewartet habe, fondern auf andere 
Leute, deren Freunde ohne fie zu marfchiren ſich weigerten, 
forderte Alviz als Entichädigung für feinen Aufenthalt 
Sklaven von Kwarumba. 

Ich werde die ganze Frage von Alviz's Forderung gegen 
mich Ihrer Majeftät Conſul in Loanda und dem dortigen 
portugiefiichen Gouverneur übergeben und mid) deren Ent: 
ſcheidung unterwerfen. Wir follten Benguela gegen Mitte 
October erreichen, und falls Alles gut gebt, follte ich zu 
Weihnachten in England fein. 

Und jest am den geographiſchen Theil des Gegenftandes, 
von dem ich "augenblicklich nur eine Skizze zu geben im 
Stande bin, und deffen voller Bericht deshalb bis zu meiner 
Ankunft in England warten muß. 

Von Nyangws zu Kafongo war meine Koute hauptſäch— 
lic, die öftliche Seite des Yomami hinauf, welcher ein Neben. 
thal zu dem großen bes Yualaba bildet, 

Der Yomämi hat feine Verbindung mit dem Kafjabs, 
wie die von Keith Johnſton herausgegebene Karte angiebt, 


12* 


92 Cameron's Briefe über feine Reife quer durch Afrika. 


fondern ift ein befonderer und unabhängiger Strom. Er 
nimmt viele Bäche von DOften her auf, aber feine er 

Fluſſe auf diefer Seite; von Weften empfängt er 

wenbi, der aus dem Ili-See (wahrſcheinlich Livingſtone's 
Late Lincoin) kommt, der die beiden bedeutenden Fluſſe Lu— 
bivanzi und uwenbi in fi) aufnimmt. 

Der Yualaba, als folder von den Pombeiros erwähnt, 
ift der wahre Lualaba, und die Pa « feiner Quellen mag 
als u wie auf ihren Nouten notirt, angeſehen 
werben. fließt dann nach N. N. D. durch zwei große 
Seen, den Lohemba und Kaflali, und nimmt im einem 
dritten Heinern, Namens Kowanba, den Yufira von S. S. O. 
auf*). Zwiſchen dem Yufira und dem wahren Lualaba 
liegt Katanga, eine an Gold und Kupfer reiche Landſchaft, 
mit einem’ wunderbaren Ueberfluß an Wild, falls die Ber 
richte wahr find. ine kurze Strede oberhalb des Zus 
fanmenflufies des Lualaba mit dem Yufira liegen zwei andere 
Seen, Kattara und Kinmwera, aber id, war nicht im Stande, 
ihre Verbindungen und Lagen mit Bezug auf das Übrige 
Wafferfyften genau zu beſtimmen, doch glaube ich, daß 
Kattara weſtlich vom Yufıra und Kimwera zwifchen demfelben 
und dem Lualaba liegt. 

Oberhalb des Sees Kafjali empfängt der Lualaba den 
Luburi, oder Luwuli, und Yufıya, und ber Lovoi fällt in 
das untere Ende des Kaffali. Unterhalb des Kowamba 
fließen die vereinigten Flüffe, jegt gleichermaßen als Kamo— 
rondo oder Yualaba befannt, durch eine Kette Feiner Seen, 
von Süden an KHahanda, Ahimbs, Bembs und Ziwambo, 
und nehmen dann Pivingftone's Yıralaba auf, der eigentlich) 
Luowa heit, aber von den Arabern gewöhnlich Lualaba 
genannt wird; unterhalb des Zuſammeüfluſſes fließen die 
vereinigten Flüffe durch den Yanjifee (Livingſtone's Ulenge) 
und weiter bei Nyangws vorbei, wo der Name des Lualaba 
von den Arabern in Ugarrowwa corrumpirt wirb**), 

Der Kamorondo empfängt vom Often, vom Süden ans 
fangend, den Kalamehongo (wahrſcheinlich Cavula Ngango 
der Pombeiros), Mana, Mkotwo, Sajamba und Kifuvulungo; 
und vom Welten Luvijo, Kuwi, Yofanzi und Luvunguwi, 
alles bedeutende Ströme, 

Unterhalb der Bereinigung des Luvwa mit dem Samos 
rondo fallen folgende Ströme in den Lualaba von Oſten 
her, ehe er den Yanjifee erreicht. Der Yumbit, wahrfchein- 
lic) der von mir als Luwika auf dem Wege nad Nyangius 
paſſirte Fluß, oberhalb der Vereinigung der Liambanji und 
Lukuga, legterer aus dein Tanganyilafee ausſtrömend. 

Unterhalb des Yanjijees empfängt der Lualaba von Often 
her den Luama und Yulindi, neben vielen Heineren Strömen; 


jenfeits Nyangıwes vom Norden den Yila, den Yindi ***) und’ 


den Lowa; letzterer joll fo groß wie der Lualaba bei Nyaugwo 
fein, und zwei große Ströme, beide Namens Lulu, aufnehmen, 
Zwiſchen Nyangws und Yomämi fallen der Luvubu und 
Luwil 7) oder Kaſuku von Süden her in den Hauptſtrom. 
Jenſeits des Yubivanzi fließen zwei große Flüffe, der Luilhu 
und Buzimäni, nördlid in den Sanforrajee, 

Seitdem wir Kajongo verließen, paſſirten wir den Lovoi, 
die Quellen des Pomäni, den Luvembi; unter 23% 20° $, 
den Pulofi, unter 23° 10" den Luwati, beides große Ströme, 
die in den Lulna fallen, deſſen Quellen wir unter 23V, 
pafjirten; dicht bei den Quellen des Yulua trafen wir auf 
Waſſer, welches dem zweiten afrikaniſchen Fluſſe, dem Zam⸗ 


*) Diefe Seen entfpreden Lieingflone's Bangweolo (Bemba), 
Moers Data und Kamolento (Lui). Rev, 

**) Auf manchen unferer Karten iſt der Urengeſee unterhalb 
jenfeit Nyangws angegeben. Rev. 

"+, So aud bei Liwingſtone Lira und Lindi. 
+) Lufubu und Luiwe bei Livingſtone. 


Rev, 
Red. 


ulduft, deſſen Quellen unter 23° öſtl. L. und 11° 15° 
ea r. gelegt werben können, während der Lulua unter 
239 öftl. und 119 ſudl. entjpringt *), Seitdem kreuzten 
wir ein großes Tafelland mit zahlreichen Flüffen, von denen 
manche dem Haffabs und andere dem Yiambai, oder Yiambeji **) 
wie die Eingeborenen ihn nennen, zufließen, — Drei Märſche 
lang blieben wir auf dem linfen Ufer des Luméji und find 
foeben von den großen Ebenen herabgelommten. Der Yumseji 
ift ein fehr bedeutender Strom und ein Zufluß des Yocna, 
deſſen Quellen ich weiterhin zu kreuzen hoffe, und der im 
den Liambai fällt. 

Der Kafjabs blieb während der legten 11 Märſche, in 
denen wir eine meiſtens weftliche Richtung beibehielten, 
in einer Entfernung von 7 oder 8 bis 20 Meilen nördlich 
von und. Der Kaſſabé wendet ſich nach Norden umter 
etiva 22° öſtl. %., indem er zwilcen den Grenzen von 
Poväle und Ulanda entlang läuft. 

Ic bin faum im Stande, einen Berſuch zu machen, die 
Namensvenwirrung aufzuklären, die and der unfinnigen 
Verzerrung und Berftümmelung der einheimifchen Namen 
durch die portugieſiſchen Miſchlinge entfteht, fondern halte 
es für das Befte, damit bis zu meiner Ankunft in England 
zu warten. Indeſſen kann ich fagen, daß das Yuvar der 
Portugiefen unſer Urua und auch das Urua der Eingeborenen 
iſt. Lovals ift ein ganz verſchiedenes Land, das zwiſchen 
20 und 22° öſtl. L. liegt, und von einer verſchiedenen 
Race bewohnt wird, die eine gänzlich verjchiedene Sprache 
bat. 


Rr kann nichts über die Mofigamba + Berge erfahren, 
obgleich, ich) öfters danach gefragt habe, fondern es wird mir 
immer gefagt, daß es feine wirklichen Berge dieffeits des 
Kwanza (oder Coanza) gäbe, obgleich der Mittellauf bes 
Kaſſabs durch ein mäßiges Hügelland fliegt. Ich werde 
dies an umferer nächſten Saltejtelle beenden, von wo aus 
Alviz Leute voranſchiden wird. 


Ehikumbis, bei Peho, Land Kebofws, 17. Sept. 1875. 


Seitdem ich Obiges ſchricb, haben wir weitere fünf 
Märſche gemacht, indem wir die Ortfchaft Sha Slelembs am 
10. diefes vertießen und eine gute Strecke unſeres Weges 
zuriidlegten. Wir paffirten zwei Ströme, die nordwärts 
dem Kafjabs zufließen, aber die Zeichnung meines Weges 
bis hierher wird bejfer, als ich es befchreiben fan, Alles 
zeigen, was wir gejehen haben. Wir find forben im ein 
hügeliges Yand gelangt, obgleich wir ſchon vorher, ſeitdem 
wir Sha Stelembs verließen, bedeutend geftiegen find, 
wenn auch fir das Aug⸗ das Land anſcheinend dieſelbe 
Höhe behielt. 

Ich höre, daß wwiſchen Bihé und der Küfte Störungen 
vorgefallen, aber die Erzählungen der Eingeborenen find jo 
unbeftimmt und gewöhnlich fo falſch, daß id) nicht weiß, 
was ich glauben fol. Ein Bericht erzählt, daß eine Ges 
ſellſchaft mit 6000 Gewehren von den Balundas zurüd- 
getrieben und beraubt worden fei; aber die Angabe, daß 
6000 Gewehre einen Platz wie Benguela verlaffen konnten, 
ift offenbar falfch, und ebenfo falſch, daß irgend eine Nation 
auf diefer Yinie in Afrika eine ſolche Macht hätte ſchlagen 
fönnen. Um die Ummahrfcheinlichfeit zu vergrößern, wird 
behauptet, daß ein weißer Händler fich unverfehrt von Ben- 
guela nad) Bihé durchgefchlagen habe, und wird der wahr: 
icheinliche Urſprung diefer Erzählung fein, daß die Ein- 


*) Alſo bedeutend weſtlichet, als bisher nach L. Day an · 
genommen wurde. Red 
++) Dberlauf des Zambeſi. 


Aus den Verhandlungen der Parijer Anthropologiſchen Geſellſchaft. 93 


geborenen ihn in der Nacht berauben wollten und einer 
oder zwei erfchoffen wurden, falls fie überhaupt einen Urs 
ſprung hat. 

Natitrlicd, kann ich jet nicht entjcheiden, auf welche Weife 
dies meine bevorftehenden Bewegungen beeinfluffen wird, 
aber die Balımdas jollen fowohl auf dem Wege nad; Yoanba 
wie auf dem nach Benguela fein; vielleicyt werde ich einen 
Umweg madyen müfjen, um nad) Yoanda zu gelangen, aber 
ich denke, ich werde den directen Weg nad) iind offen 
finden, da es einen Handelsweg geben muß, und Leute in 
Bihé Karawanen auf eigene Rechnung zum Bienemvadjö- 
handel hierher fchicken, und fie einen Markt zum Verkauf 
deffelben finden müſſen oder anders ihr Handel zum Still 
ftand kommen wide, und der einzige ihnen befannte Markt 
Benguela ift. 


P. 8. Ic} glaube nicht, vor Ende October in Benguela 
einzutveffen und hoffe, Sie werden fo gütig fein, die Yorbs 
Commiffioners dev Admiralität zu bewegen, meinen Urlaub, 
der gegen Mitte November abläuft, bis zum Ende des 
Jahres oder, falls nöthig, noch weiter zu verlängern. 

* 


* 

Den letzten telegraphiſchen Nachrichten nach befand ſich 
Cameron noch am 20. December wohlbehalten in Loanda, 
indem er vor feiner Abreiſe nach England erſt die 57 Bes 
gleiter, mit denen er den Continent durchkreuzte, zu Waſſer 
um das Cap der guten Hoffuung nad) Zanfibar, ihrer Heis 
math, zurüdichiden wollte, wozu fich noch, Feine Gelegenheit 
zu finden fchien. 

Franz Birgham. 


Aus den Verhandlungen der Pariſer Anthropologifhen Geſellſchaft *). 


Hamy über babylonische Typen. — Nationalitätsbeftimmung der Bun auf den äghptiſchen Denkmälern. — Ausdehnung 
des altägyptiſchen Einfluffes in Afrifa bi8 zum Sambefi? — Eine clafjiihe Bemerkung von Quatrefages. — Nochmals 
die mifrocephalen „Aateken® und ihre Geſchichte. 


R. A. Wie in der Berliner oder Londoner Anthropologifchen 
Gejellihaft nehmen auch im der fehr rührigen, 474 Mit: 
glieder (darunter 206 in Paris) zählenden franzöfifchen 
Scjweftergefellfchaft die Verhandlungen über Schädel und 
Ausgrabungen vorgefchichtlicher Alterthämer einen fehr bes 
deutenden Raum ein. Die Berichte über Graniometrie und 
Ausgrabungen, die Überall eine große Aehnlichteit zeigen, find 
eine wenig erquidliche Leetüre; namentlich bei den legteren, 
wenn es fich um Ausräumung von Knochenhöhlen, Unterfur 
Hung von Driftablagerungen mit Feuerſteingeräthen u. ſ. w. 
handelt, glaubt man den Bericht anderweitig ſchon gelefen zu 
haben. Die Wichtigkeit diefer beiden Difciplinen fol dadurch 
nicht im mindeften angetaftet werden; ber Fortſchritt ift hier 
aber nur ein fehr langjamer, er wird überhaupt nur möglich, 
wenn eine große Neihe von Thatſachen geſammelt und gefichtet 
vorliegt, die mit einander verglichen werden können. Da 
aber die Anſtellung eines ſolchen Vergleichs außerhalb unſe— 
rer Berichterftattung liegt, fo baſſen wir bei derfelben Cranio- 
metrie und vorgeſchichtliche Alterthumslunde aufer Act und 
wenden und dem librigen ehr reichhaltigen anthropologifchen 
und ethnologifchen Mlateriale zu. Die Erläuterungen und 
Disenffionen, welche fich in Paris an die einzelnen Vorträge 
fnüpfen, find meift ſehr lebhaft, Es liegt felbftverfländlic, 
in der Natur der Sadıe, daß diefelben von fehr verſchiedenem 
Werthe find, da der Redende nicht immer gleich genügend 
vorbereitet fein kann; aber anvegend find diefelben allemal, 


da gerade in Paris eine Anzahl tüchtiger Anthropologen; 


wie Broca, de Mortillet, Quatrefages, Topinard, Hanıy, 
Lenormant :c., regelmäßig an den Sigungen und Debatten 
theilnimmt, 

Gehen wir auf Einzelnes ein. E. T. Hampy legte der 
Geſellſchaft Photographien der einzigen bisher gefundenen 
menschlichen Darftellungen aus den Nuinen von 
Babylon vor (S. 34 bis 36). Es find im Ganzen nur 
vier gefunden worden, Zwei Alabafterbüften, deren cine 
unter dem Namen des Königs Nebo geht, derem andere cine 
Divinite infernale vorftellt, find in ihrer archaiftifchen Aus: 
führung nicht geeignet, ethnologiſche Schlußfolgerungen dar 
auf zu bauen. Die beiden anderen aber, ausgezeichnete 
Profildarftellungen, laffen fofort erfennen, daß es ſich um 


einen nicht femitifchen Typus handelt. Die eine, auf ſchwar—⸗ 
zen Stein eingravirt, ift das Porträt des Königs Marbut- 
Idin⸗Ache (12. Jahrh. v. Chr.). Er zeigt unterfegte Figur, 
Heine, aufgeſtülpte Nafe, vorfpringende hohe Baden: 
luochen — alles Kennzeichen, wie fie bei den Aſſyriern nicht 
vorkommen. Die andere in Terracotta eingegrabene bei 
Senfereh gefundene Zeihnung wird der lebten Periode des 
alten Chaldaerreiches zugefchricben und zeigt denfelben Typus, 
Es ift ein Mann aus dem Volke, der eine große Dogge 
führt. Alle vier Originale befinden fich im britifchen Mu— 
feum und find wiederholt von Rawlinfon, Nott und Glid— 
dom :c. abgebildet worden, aber ftets mit afjyrifchem Profil. 
Diefe unrichtigen Darftellungen waren bie Urfache, bag man 
Niniviten und Babylonier ſtets al& zu derfelben ethnologiſchen 
Gruppe gehörig betrachtete. Nach Hamy (und ebenfo nad 
Lenormant) waren die alten Babylonier jedoch feine Semir 
ten, fondern gehörten, wie die Körpermerlmale beweifen 
— wenigjten® nad) beit einzigen erhaltenen Darftellungen —, 
zur finno-ugrifchen Gruppe. Indeſſen will Hamt ein end» 
—— Urtheil nicht abgeben, bis er die Schädel „der alten 
ktadier oder ihrer Nachkommen“ ftudirt hat. - 

Ein ganzes Refultat ift hiermit nicht gewonnen. 
Seit der Entzifferung der Keilinſchriften ift die Frage nad) 
der Nationalität der Chaldäer, über weldyer jo lange Duntel 
ſchwebte, in ein helles Licht geriikt. Die Bevöllerung Ba- 
byloniens war durchaus feine einartige. Zwei Schichten lager« 
tem Über einander, Wir wiſſen jegt — und hier machte ſich 
namentlid Eberhard Schrader verdient —, daß bie eigent- 
lichen Schöpfer der Cultur des Yandes die fogenannten Affa- 
dier waren, die wegen bes agglutinivenden Esaratters ihrer 
Spradye zu den uvalaltaifchen Völkern geftellt wurden. 
Stimmen nun die Körpermale, wie Ham zeigte, mit dem 
Linguiftijchen Ergebniffe überein, fo ift eine neue Beftätigung 
für die Feſtſtellung der Nationalität der alten Babylonier 
gewonnen *). 

Der gleichfalls häufig erörterten Frage nad) dem auf 


*) Bulletins de la Soeists d’anthropologie de Paris. Janv. 
— Juin 1875. 

*, Gegen das „Turaniertbum" der Babylonier ift Haltop 
aufgetreten. „Ausland“ 1874, ©. #41. 


94 Aus den Verhandlungen der Parifer Anthropologiigen Gejellichaft. 


ägpptifchen Dentmälern dargeftellten Menſchen— 
racen wendet ſich derfelbe Forſcher S. 214 bis 224 zu. 
Die Darftellungen in dem Grabe von Rechmara bei Scheid) 
abd⸗el⸗ Qurnah (Theben), welche der Engländer Hoslins ent» 
derfte, geben ihm Anlaß zu ethnologiſchen Betrachtungen, die 
wenigftens zum Theil Widerſpruch veranlafjen milfjen. 

Die Gemälde im Grabe von Rechmara ftellen unter 
anderen Scenen auch die befannte Tributleiftung an Thuts 
mes II. dar, auf welder afiatifche, wie afrilaniſche Völler 
mit gleicher Genauigkeit abgebildet find, Wan ficht das 
Bolt der „Bun* den ägyptifhen Schreibern Tribut ablier 
fern. Dieſe Pun erfcheinen auch auf den Basreliefs des 
Tempels von Deirsel-Bahari. Ihre Züge erinnern am fes 
mitifche, aber die Pun find weit dunkler, als fonft die Se— 
miten von den ägyptifchen Kitnftlern dargeftellt werben, has 
ben plumpere Züge und Wangeneinfchnitte, wie fie als 
Stanmesnarben jet mod) bei den Sudannegern vorkommen. 
Hamm ſieht die Bun für ein Miſchvoll an, „bei dem fyros 
arabifche und migritiiche Elemente ſich miſchten. Einige 
Figuren find echt femitifd,, unter dem ſehr dunfelen Dienern 
aber, welche die Geſcheule tragen, find Mulatten (?) und 
echte Neger vertreten.“ Das Yand der Pun war aljo von 
Arabern und Negern bevölfert; das läßt mehr auf afrika 
niſchen als arabijchen Boden ſchließen. Die Araber übers 
ſchwemmten die ihrem Yande gegenüberliegenden afrilaniſchen 
Küften, Neben dem Häuptling der Pun ift in Deir-el-Ba— 
hari auch eime rau abgebildet. Es ift ein wahres Fett 
monftrum, ausgezeichnet durch vollendete Steatopngie. Priffe 
d Avesnes und andere Aegyptologen haben in biefer „Porträts 
figur“ einen ausgezeichneten Fall von Elephantiafis erfennen 
wollen. Chabas aber traf das Richtige, daf er darauf hin- 
wies, wie ſolche fette Weiber noch jegt eine Hauptzierde des 


- Harems der Negerflrften fein. Spele (Journal of the 


discovery of the source of the Nile p. 209) fdildert bie 
Frau Wazezeru's, des Bruders des Königs von Karagwe: 
„Sie konnte nicht aufftehen und fo bie waren ihre Arme, 
daß von ihmen das Fleiſch gleich lockeren Puddingen herab- 
hing.“ Ringsum ftanden zahlreiche Milchtspfe. Wazezeru, 
auf feim dides Weib zeigend, fagte: „Sie ift das Kefultat 
diefer Milchtöpfe; von Jugend auf hielten wir ihr die Töpfe 
an den Mund, denn es ift bei Hof Mode, recht fette Weiber 
zu befigen.“ Bon Steatopygie ift aber hier feine Rede. 

Denn nun Hamıy behauptet, Steatopygie fei eine ganz 
befondere Eigenfchaft der Somalifrauen, jo vermögen wir 
ihm hier micht zu folgen, zumal er feinen Ausspruch nicht 
belegt. Sie ift am häufigften bei den Hottentoten- und 
Buſchmannsfrauen (Fritſch, Eingeborene von Südafrifa, ©. 
230. 349); Burton erwähnt mit feiner Silbe Steatopygie 
bei den Somal. Auf diefe Körpereigenihaft nun den Beweis 
gründen zu wollen, daß die Pun die heutigen Somal feien, 
ſcheint mindeftens bedenflich. Hamy ftügt feine Anficht aber 
weiter damit, daß die Tributgegenftände, welche die Pun ab« 
liefern: Ebenholz, Elfenbein, Gold, Straufenfedern und 
Straufeneier, ein lebender Yeopard und Pavian, in jener 
Gegend zu Haufe find. Im Gefolge der Pun auf den Ger 
mälden des Grabes von Rechmara kommt auch ein Stein 
bod vor, der im Sinat, in Abeffinien, in den norboftafrifar 
nischen Hochlanden überhaupt, lebt. Alles Dargeftellte paßt 
übrigens unferer Anſicht nad) auf Sübdarabien, wo eine 
frühere dunlelfarbige Bevölferung von einer fpätern hellen 
überlagert wurde. 

Neben den Bun treten auf den Gemälden des Grabes 
von Rechmara aber auch Neger auf, deren Farbe jenen kupfer- 
röthlichen Anflug zeigt (nögre rouge), wie er bei den Stäm- 
men im Gebiete des Weißen Nils vorfommt. „Die Ans 
weſenheit von tributzahlenden Negern mit dunfelrother Haut 


"Freänfelter Haarwuchs ift derfelbe wie bei den von 


auf einem Denkmal der achtzehnten Dynaſtie beweift, daß 
Aegypten ein Territorium unterworfen hatte, welches jenfeit 
des achten Grades nördlicher Breite liegt, vorausgefegt, da 
ſich die Grenze zwiſchen den zwei Negergruppen (ſchwarzen 
und rothen) ſeit 36 Jahrhunderten nicht weſentlich geändert 
hat. Sie deutet wahrſcheinlich — unter demfelben Borbe— 
halte — auf noch weiter nadı Süden ausgedehnte Grobe 
rungen, denn die Neger des Grabes von Rechmara find rö— 
ther, als die Niamsniam, die Dor ꝛc.“ 

Die Scylüffe Hammy's werden jet wild und ſpringend; 
er läßt die Aegypter über den Sambefi hinaus, ja bis zur 
Süudſpitze Afrikas ihren Einfluß oder ihre Kenntniß aus 
dehnen, Die ägyptifhen Armeen find fehr weit in biefer 
Richtung vorgedrungen. Auf der Siegesinichrift Seti's I. im 
Tempel von Soleb werden die Pafunga genannt, ein Name, 
der sans doute mit dem der Bafınga correfpondirt, deren 
Yand Livingftone auf feiner Karte nördlich vom Yaufe des 
Sambefi eimzeichnet (Livingſtone ſchreibt Übrigens Baſenga). 
„Auf dem Dentmal im Youvre läßt Amenhotep III. zu feinen 
Füßen Neger in Ketten legen, deren Namen: Arka, Maluis, 
Mataxelha, Sahaba fid) durd; die modernen der Altes, 
der Macuas, der Matabele, der Saab (sie) wiedergeben läßt.“ 
Saab est le vocable génoral des Hottentots, ſchreibt Hay 
(S. 221); dieſe eine Bemerlung genügt, um zu zeigen, daß 
er mit fitdafrifanifcher Völkerkunde nicht ſehr vertraut ift und 
daß er beffer ſolche wilde Identiſicationen, wie die hier mit- 
getheilten, unterlaffen hätte. Aber er will fie ſchließlich für 
nichts weiter als zufällige Anklänge angefehen wiſſen, und 
damit fünnen wir ibereinftimmen. Zuletzt behandelt er nodj 
die blonden blauäugigen Rotennu der ägyptijcen Dentmäler, 
bie erfte und ältefte Darftellung eines ariſchen Volles, 
und die Kefat, in denen man übereinſtimmend die Phönizier 
erkennt *), 

Die unter dem Namen der „Azteken“ vor mehr als 
zwanzig Jahren in Deutichland belannt gewordenen beiden 
Mitrocephalen haben die Parifer Geſellſchaft ſehr lebhaft und 
wiederholt bejchäftigt. Topinard giebt (S. 39) fehr genaue 
Meffungen diefer beiden ald Marimo und Bartola bezeich— 
neten Individuen; Hamy ſchildert dieſelben nad) eigener 
Unterfuchung und ftellt die reiche Literatur über diefelbe zu⸗ 
fammen, dabei Leubufcher's Auffag in Froriep's Notizen 1856 
den Borzug einräumend. Er ftellt Vergleiche mit den Sculp- 
turen von Palenque an und glaubt dort mifrocephale Idioten, 
gleich Marimo und Bartola, zu jehen, die im irgend einer 
Weife Verehrung genoſſen, wie Idioten noch jetst bei vielen 
Bölfern für heilig angefehen werben. 

In der lebhaften Discnffion bemerite der vortrefjliche 
Broca, daß die ethnifchen Merkmale beider Individuen — von 
der Mifrocephalie ganz abgefehen — weber jene der Neger 
noch der Eingeborenen Amerikas feien. Er geht fie einzeln 
durch und findet, da Marino und Bartola Zanıbos, Mifch- 
linge von Indianern und Negern, feien. Ihr feiner, ges 
Spir und 
Martins gefchilderten Cafuzos, die auch Mischlinge von Ne— 
gern und Indianern find. „Als man diefe beiden Menſchen 


*) Eine Discuffton ſchloß fih an dieſe dantentwerthen Mit: 
theilungen nicht an. Mur de Quatrefages machte eine Bemer: 
fung, die für diefen andermeitig verdienten Antbropologen zu charal ⸗ 
teriftifch ift, ala daß wir fie nicht bierber jegen Tellten, Il remarque, 
que l'interprötation suggerbe par M. Hamy vient ä l’appui de ce 
qu’a rapport& röcemment un voyageur qui aurait rencontr& des 
ruines &gyptiennes dans l'interieur de l’Afrique orientale. „Un 
voyageur” fann nur Mauc fein; daß aber diefer die Nuinen von 
Simbabje — dieſe allein fünnen gemeint fein — für ägyptiſch 
ausgegeben hätte, if eine Enttedung Quatrefager', melde aufs Neue 
den Bewels liefert, wie diefer wiederholt mit Yeichtfinn an miffen« 
ſchaſtliche Fragen berantritt. R. A. 


Aus allen Erdiheilen. 


vor etwa zwanzig Jahren in Europa zuerft zeigte, waren fie 
noch Kinder und wurden fie Bruder und Schweſter ause 
gegeben. Heute erflärt man, daß fie nicht mit einander ver» 
wandt waren und hofft aus ihrer Berrinigung großen com: 
merciellen Nugen zu ziehen, Man hat fie durd) einen eng- 
liſchen Geiftlihen trauen laflen. Diefe Ehe wird aber ftets 
eine platoniiche bleiben, denn fie bejigen Feinerlei Gejchlechts- 
trieb und die Organe des Mayimo find im Zuſtande eines 
fehr jungen Knaben.“ 

Ein in einer fpätern Sigung von Quatrefages mitge: 
theilter Artikel der „Gaceta del gobierno del Salvador“ (abs 
gedrudt im „Athenäum frangats*“ 1855, S. 626) giebt 
ung Auslunft Über die zuerft von dem befaunten Barnum 
herumgeführten Kinder. „Wir erflären,* jagt die genannte 


Aus allen 


Das Kirchenwefen in der Eolonie Südauftralien. 


11.6. In der Colonie Sübdanftralien fanı man auf 
achtzehn verjchiedene Manieren jelig werden; cs muß allo 
doch wohl dort ein rechtes gelobtes Land, ein Paradies auf 
Erden ſein. Wan denke: achtzehn Façous zum Himmel zu 
gelangen. Welche Auswahl! 

Bis zum Jahre 1851 umterftüßte der Staat dies viel- 
köpfige Kirchenweſen im der Weile, daß jede diefer Facons, 
je nach dem Ausweile des Cenſus, für jedes ihrer Mitglie: 
der, groß und Hein, jährlich drei Schillinge oder Mark aus 
der Staatscaſſe bezog. Vom Jahre 1851 ab lieh der Staat 
dies Seeleninterefle fallen; fein Säckel ſchloß ſich, und der 
Bentel der einzelnen Gemeinden mußte fich aufthun und alle 
Sproffen der Himmelsleiter ans eigenen Mitteln beforgen 
und verforgen. Dennoch haben fi die Gotteshäuſer der- 
artig in der Colonie gemebrt, daß am Schluffe des Jahres 
1574, bei einer Bevölkerung von 204,623, auf je 350 Seelen 
eines entfiel. Zehntauſend Goloniften bekannten ſich als 
firchenlos ; fie wollten univerjeller fein und huldigten, Sofern 
nicht gedankenlofer Indifferentisinus ihr Element war, ent: 
weder pantbeiftiichen Lehren oder waren ſpecielle Anhänger 
der Darwin⸗Haeckel ſchen Schule. 

Diefe achtzehn Secten wurden zu Anfang des Jahres 
1875 wie folgt notirt : 

1. Die biſchöfliche Hoc: oder ſchlechtweg englische 
Kirche, mit einem jährlichen Einfommen aus Grundbeſitz von 
23,000 Pf. St., ſteht unter dem Lorbbiichofe von Adelaide, 
bat 71 Kirchen und 33 andere Näume für Gottesdienit, 50 
Geiſtliche und 140 Paienprediger, und zählte nach dem letzten 
Genius im Ganzen 50,549 Seelen. 

2, Die Iatbolifche Kirche, ebenfalls unter einem in Ade- 


faide anſäſſigen Biſchofe, befitst, einjchlichlich einer Kathedrale, | 


12 Stirchen und Gapellen mit 35 Prieftern, unter welchen 
die Jeſuiten natürlich nicht fehlen, und 28,668 Zuge— 
hörigen. 

3. Die Westen-Methodiften, unter einem Präfidenten 
in Adelaide, verfünen über 160 Kirchen und 101 andere 
Locale mit 36 Weiftlichen und 20 Yocalpredigern. Ihre 
Stärke ift 27,075. 

4. Die Lutberaner, welche zuerſt unter dem altlutheri— 
ſchen Paftor Kavel, welcher gar ſtrenge Kirchenzucht (jelbft 
mit einer Armenfünderbant) hielt und deshalb wohl auch von 
Manchen der lutheriſche Papſt genannt ward, aus Schlefien 
einmwanderten, befigen 35 Kirchen und 18 andere Räume, 20 
Geiftliche und zäblen ihrer 15,412, 


5. Die Preebyterianer, unter einem Moderator in Ade— 


35 


Zeitfchrift, „im unferer Eigenfchaft als Gentro-Ameritaner 
genugfam unterrichtet mit der Geographie unſeres Yandes, 
daß die Stadt Irimaya mit ihren Thürmen, Schlöffern und 
goldenen Minarets ein Märchen aus 1001 Nacht iſt. Diefe 
Kinder find weder Lilliputer, weder Aztelen, noch Gegenſtände 
der Verehrung, noch Eingeborene von Jrimaya, noch gehören 
fie zu einer beſondern Menſchenrace; fie ſtammen auch nicht 
aus Guatemala. Sie find im Dorfe la Puerta, Departes 
ment San Miguel, von einer Mulattin geboren, welche nod) 
em drittes, chen fo mißgeftaltetes Kind beſaß. Ihr Urſprung 
wurde in einem Proceſſe völlig Margeftellt, welchen der erſte 
Käufer gegen einen Dieb führte, der fie zugleich mit anderen 
Schauftüden, mit welchen jener veifte, entführte.“ Jeden— 
falls ift aber aud) indianifches Blut in diefen „Aztefen“. 


Erdtheilen. 


laide, beſiten 15 Kirchen und 17 andere Plätze für Gottes: 
dienft, und 11 Geiſtliche, bei einer Stärke von 13,571. 

6. Die Congregationaliften oder Judependenten, unter 
einem Borfigenden: 36 Kirchen und 10 andere Räume, 
35 Geiftliche und eine Anzahl Laienprediger, 7969 Mitglieder. 

7. Die Bibel-Ehriften: 36 Gapellen, 21 Geiftliche, 
106 Localprediger und 7758 Mitglieder. 

8, Vrimitive Methodiften, "cine der rührigften Secten : 
I 
| 
| 








106 Gapellen, #1 Interimsräume, 23 Geiftliche, 106 Laien 
prediger und 5207 an Zabl. 

9, Die Baptiften: 27 Kirchen und 11 andere Räume, 20 
Geiftliche und eine Anzahl Laienprediger, 8731 Seelen. 

10. Die Ehriftlichen Brüder: 5 Capellen, 3 Geiſtliche 
mit Affiftenten and 1188 Seelen. 

11. Die Methodiſtiſche Neue Connexion 
in Adelaide, ein Geiſtlicher und 363 Seelen. 

12. Die Unitarier: cine Kirche im Adelaide, ein Geiſt— 
licher und 662 Seren. _ 

13. Die Herrnhuter: eine Kirche in einer Yandftadt und 
210 Seelen. 

14. Die „Sefellichaft der Freunde‘: 2 Räunme amd 
92 Seclen. 

15. Die Neue Jeruſalem-Kirche oder Smwedenborgianer: 
eine Gapelle in Adelaide, ein Vorleſer und 137 Seelen. 

16. Die Kirche Ehrifti: 21 Räume, Laienprediger und 
40 Seelen. 

17. Die Broteftanten im Allgemeinen, ohne nähere Angabe. 

18, Die Inden: eine Synagoge in Adelaide, cin Wab 
biner und 435 Ecelen. 

Dazu würden dann noch die Univerfaliften und Indif— 
ferenten kommen, welche feine Kirche und Feine Geiftlichen 
baben, aber gegen 10,000 züblen. 

Man ficht alfo, wie bequem die Sidanftralier es dem 
Menſchen machen. 


eine Kirche 


H. 6. Die Eoloniften der Colonie Victoria, deren Be 
völkerung fich am 30. Juni 1875 auf 813,558 Seelen belief, 
müſſen durftige Kehlen haben, Es wurden dafelbft im Jahre 
1874/75 nicht weniger als 19,653,531 Gallonen Bier, welche 
in der Colonie gebraut waren, confumirt. Dazu lommt noch 
das aus England in bedeutender Onantität importirte Ale 
und Porter, Auch der Weinbau macht in diefer Colonie 
ante Fortichritte. Im Jahre 1574,75 (das ift von März au 
Märy) waren 3510 Acres mit 5,549,561 Weinſtöcken bepflanzt. 

' &s wurden 110,997 Center Weintrauben gewonnen und 
davon 90,055 zu Wein und Branutwein verwendet. Matt 
| felterte 577,193 Gallonen Wein. 


96 Aus allen Erdtheilen. 


Die Thätigkeit einiger polnifchen Forſcher. 

A. K. Wir entnehmen Warfchauer Zeitungen folgende 
Notiz: „Vor elf Jahren begannen die Herren Dybowski 
und Godlewséki im Aion cine Neibe von Arbeiten, obne 
in ibren mühevollen, koftipieligen und oft achährlichen Be: 
mübungen bie auf den heutigen Tag aufzubören. Viele ihrer 
Funde find ine biefige Gabinet gefommen. Beide Herren hat 
die warme Liebe zu den Wiffenfchaften aufrecht erhalten und 
erwärmt in den hungrigen und Falten Wititen; ung, die wir 
ihrer Thätigkeit zugeſchaut baben, drängt fich, ohne daß wir 
es wollen, ein Wort der Anerkennung in die Feder. 

Dubowski und Godlewsti begannen ihre Arbeiten jen: 
feits des Baikalfees, in der Gegend von Daralun, jpäter 
haben fie fie durch Unterfuchungen in den Gewällern des Onon 
bei Alſcha und in denen des Argun bei Zuruchajtuja ver: 
vollftäudigt. Am Jahre 1568 ſiedelten fih unfere Natur: 
forſcher am füdweitlichen Baikalufer im Dorfe Kulltuf an. 
Dort haben fie während mehr als drei Jahren die Fiſche und 
andere Waffertbiere ftndirt, welche im ricfigen See leben. 
Sie baben mit vieler Mühe und nicht geringen Koften Vor: 
richtungen couſtruirt, mit deren Hülfe fie fogar Tiefenmef: 
fungen im Bailalfee bis zu der bis jeht nicht bekannten 
Tiefe von 140 Meter ausführten. Im Jahre 1870 gingen 
diefe unermüdlichen Arbeiter an den Amur, unterfuchten die 
Ufer dieſes Niefenftroms und fiedelten ſich auf einige Zeit 
bei der Mündung des Uſſuri an. Indem fie den Fluß bin: 
auf gingen, gelangten fie an den See Chanka. Von da 
reiften fie an die Küften des Docans bis nah Wladiwo— 
ftof, von wo fie wieder an den Uffuri zurlidfchrten, um 
fich bier ganz dem Studium der Fauna der Gegend zu widmen. 

Die Frucht dieſer elfiährigen Arbeit ift cine reiche 
Sammlung, welche das hieſige Cabinet erhalten bat; au 
Vögeln ift es allein ans diefer Duelle mit nahezu 400 
Gattungen bereichert worden und mit ihnen befam es auch 
eine große Collection Eier. Außerdem baben die beiden Forscher 
dem Gabinete eine große Anzahl Säugetbiere, Reptilien, 
Amphibien und Würmer gefendet. Unter den Säugethieren 
zeichnen fich beſonders einige Tiger vom Uſſuri aus, 

Belondere Aufmerkſamkeit verdient eine Collection Filche, 
welche Dybowski's Licblingsftudium bilden, aus dem Baikal— 
fee, dom Onon, Argun, Amur, Uſſuri, dem Chanfafee und 
von der Küſte des Großen Oceans. 

Wir dürfen bierbei eine in ihrer Art einzige Samm— 
lung nicht mit Stillichweigen übergeben; es ift dieſes eine 
Sammlung von Gammariden (Flohlrebjen) aus dem Bai- 
falfee. Bis jet hat man nur einige Gattungen gekannt; 
Herr Dybowski hat ihre Zahl anf mehr als 120 gebracht, 
diejelben ſehr genau beichrieben, und jein Werk hat in Europa 
allgemeine Anerkennung gefunden. 

Das Cabinet erhielt außerdem reiche Sammlungen, 
welche die Grafen Branidi von ihren drei Reifen in Nord— 
afrika mitgebracht umd ihm gefchenft baben. In das Jahr 
150344 fällt die erfte Reife, welche die Brüder Conitantin 
und Alexauder Branidi mit dem Profeſſor Waga ausge: 
führt haben; die zweite Meile vollbrachten fie im Winter 
1560/67 allein, und von der legten, auf der jie der Dr. 
Diiedzidi begleitete, find fie unlängſt erft zurüchgekehrt. 
Außer diefen Herren bereifte auch der Cuſtos des Zoologiſchen 
Cabinets, Herr von Taczanowski, Nordafrika." 


Inbalt: Rebatel's und Tiraut's Reife in der Regeutſchaft Tunis. 1. 


Das Northern Territory. 

H. G. Ein Bort-Darwin-Correfpondent Nordanftralien) 
berichtet darüber wie folgt. 

„Ein Fortſchritt in der Auſiedelung unferer Bajtoral- 
gegend ift endlich gemacht, Bei Port Ejfington ift eines der 
Rund (Triften) mit Vieh bejagt worden, und noch andere 
follen nächſtes Jahr bejest werden. Die Gründung ciner 
„Horje-ihipping- Company“ für den Markt in Indien ift im 
Werke, wird aber, wenngleich ſchon ein großer Strich Land 
für diefen Zwed erworben ift, wohl erft nach etlichen Mo: 
naten ind chen treten. Daß die füdauftraliiche Negierung 
beabfichtigt, Bort Darwin zum Freibafen zu erbeben, bat 
bier große Befriedigung hervorgerufen, (Dies iſt mittler: 
weile im weiteften Sinne des Wortes geſchehen.) Port Dar: 
win dürfte fich jet im zehn Jahren (wohl zu ſanguiniſch 
gehofft?!) zu der Bedeutung von Singapore emporarbeiten. 
Wäre diefer wichtige Schritt ſchon vor drei Jahren getban, 
fo ſtände es ſicherlich wicht jo Schlecht mit uns. ine andere 
Nachricht aus Mdelaide, daß mit der Regierung von Queens— 
land verhandelt werden jolle, aus dem großen Ucherfluffe der 
dort einwandernden Chineſen eine Anzahl nach Bort Darin 
zu jenden, bat allgemeinen Unwillen erregt, (Diefer freilich 
im Parlamente geftellte Antrag wurde vom Minifterium be: 
fümpft und fiel durch.) Diefe Leute find für uns ſehr über: 
flüſſig. Die Kutis, welche vor zwei Jahren aus Indien 
bierber importirt wurden, baben fich in keiner Weile bewährt. 
Sie erhalten zwar nur geringen Lohn, leiften aber auch deito 
weniger in der Arbeit. Die hergeſchidten Chincfen würden 
bald herausfinden, daß ſich Arbeit in Lohn nicht fo gut be: 
zahlt macht wie die freie Arbeit auf den Goldfeldern, und 
da würden fofort diejelben ſchlimmen Verhältuiſſe zwiſchen 
ihnen und den Europäern zum VBorichein kommen, wie jebt 
auf den Balmer-Diggings in Oueensland. Wenn die Mutter: 
colonie Südanftralien darüber murrt, daß unfere junge Au— 
fiedelung ſchon über 200,000 Bf. St. an fie ſchulde und 
darım Willens it, bedeutende Einichränkungen in den bie 
figen öffentlichen Ausgaben eintreten zu laffen, jo mag fie 
immerbim mit der Verringerung der viel zu zahlreichen öffent- 
lichen Beantten den Anfang machen. Man bedenke, daf wir 
faum 250 Köpfe zählen und dennoch 62 Beamte haben! 
Balmerfton befist 3. B. fo viel Poliziften wie eine Stadt 
mit 15,000 Seelen nötbig hättet” (ine junge Anfiedelung, 
welche von wilden Eingeborenen umgeben it, braucht aller: 
dings wohl mehr Bolizei als unter anderen Verhältniſſen 
nöthig ift. Ueberdies pflegt fich auch in einer jungen Colonie 
eine ziemlich zufammtengewürfelte Geſellſchaft mit mancher 
Zweidentigkeit einzufinden.) 


— Von der Anleihe in Höhe von 11,750,000 Bf. St., 
welche die Colonie Nenfecland unter Zinsgarantie des eng: 
lichen Parlaments im Jahre 1870 — namentlich für Eifen: 
bahnbauten und freie Eimvanderung aus Europa — contra: 
birte, waren bis zum 30, Juni 1875 im Ganzen 7,739,415 
Bf. St. verausgabt und weitere fällige Verpflichtungen be: 
ftanden noch in Höhe von 2,531,933 Pf. St. Es verblich 
mithin eine Bilanz von 1,478,064 Pf. St. Die öffentliche 
Schuld der Colonie belief ſich, abzüglich des auf 1,074,610 
Pf. St. angewachlenen Tilgungsfonds, Ende Juni 1375 auf 
17,671,106 Pf. St., zu deren jührlicher Verzinfung 835,150 
Bf. St. erforderlich waren. Dies wirde, wenn wir die Be: 
völferung der Colonie am 30. Juni 1875 auf 355,000 Seelen 
anfegen, eine Schuld von 50 Bf. St. pro Kopf der Bevöl— 
ferung ergeben. 


Mit 5 Abbildungen.) — 9. v. Yanfenan: 


Stremouchow's Neife nach Barbara. II. — Cameron's Briefe über feine Reife auer durch Afrika. — Aus den Verband: 
fungen der Pariſer Anthropologiichen Geſellſchaft. I. — Aus allen Erdtbeilen: Das Kirchenweſen in der Colonie Sit: 
anftralien. — Die Tätigkeit einiger polniſcher Forſcher — Das Northern Territory. — Berichiedenes, (Schluß der Re— 


daction 15. Jannar 1876,) 





Hedasteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lintenftrafe 13, IN Tr. 
Drud und Verlag von Frietrih Bieweg und Sohn in Braunſchweig. 


Frfil er 


Mit befonderer Berüchfichtigung der 


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Anthropologie und Ethnologie. 


Begründet von Karl Andree. 


In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 
Dr. Rihard Kiepert. 


Braunſchweig 





Jährlich 2 Bände, Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlich 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Marl. Einzelne Nummern 50 Pf. 





1876. 














Rebatel's und Tirant's Reife in der Negentfhaft Tunis. 


Am 10. März 1874 verliegeg unfere beiden Reifenden, 
denen ſich Herr Doumet:-Adanfon zugejellt hatte, das frans 
zöfifche Gefandtihaftshaus in Tumis. Auf Befehl des 
Behs war ihnen eine auserwählte Begleitungsmannfdaft, 
welche mit ihren Köpfen flir die Sicherheit der Fremden 
zu haften hatte, geftellt und Amras ausgehändigt worden, 
d. h. Befehle an die Bewohner ſämmtlicher, vorausfichtlic) 
1% befuchender Ortſchaften, der Erpedition Unterkunft und 

ebensmittel zur Verfügung zu ftelen. Die Bedeckung, aus 
vier Mann unter einem Shaufe (Unteroffizier) beftehend, 
verftand ihren Dienft vortrefflid und wurde feinen Augen: 
blick mitde, für die ihrer Obhut anvertrauten Reifenden zu 
forgen. Der Schaufch war der alte Hadich Ben Bu Bahr, 
ein Algerier von der maroffanifchen Grenze, welcher einft 
unter Abd⸗el⸗Kader gefochten hatte; gweiter im Commando 
war Mahares, dem die ganzen Unterhandlungen mit den 
Eingeborenen zufielen, weil der Schaufd) wegen feiner frem: 
den Herkunft den Dialekt der —— Stämme ſchwer 
bemeiftern lonnte. Zwei Wagen, jeder mit vier Pferden 
befpannt und von einem Malteſer kutſchirt, follten die Reis 
fenden nebft ihrem Dolmetjcher und dem Gepäde bis Sjates 
an der Meinen Syrte bringen, Ob dies Unternehmen glüden 
würde, war nochzweifelhaft, denn die Regen waren im jenem 
Yahre ungewöhnlich reichlich gefallen und die Straßen, wenn 
man anders von ſolchen Ausflüffen der Gefittung in Tunis 
reden darf, follten fich in einem entfeglichen Zuftande befin- 
ben. Gleich die erfte Strede entlang dem Südufer des 
Bahira war in einen völligen Sumpf verwandelt, in wel 


Globus XXIX. Nr. 7. f 


I. 


chem man fein Anzeichen eines Weges entdeckte; querfeldein 
und über Abzugsgräben hinweg ging die holperige Fahrt 
zu der fteinernen Brüide liber den Wed Miliana, einer 
der wenigen Proben diefes Zweiges der Baukunſt, welche 
in der Regentſchaft eriftiren. Ein jchöner Dlivenhain wurbe 
paffirt, der Standort eines der perfiichen Flora angehörigen 
Eyelamen , und darauf nad vier Stunden Fahrens und 
Scwimmens ber durch warme Scwefelquellen befannte 
Ort Sammamsel-Anf am Meereöftrande erreicht. Der 
Bey beſitzt im diefem vom den Yandeseingeborenen ftart 
bejuchten und ſehr geſchätzten Badeorte ein großes Haus, 
welches während der ſchönen Jahreszeit von feinen (Frauen 
zum Landaufenthalt benugt wird. Bon da ging es am 
Fuße des Dicebel Bu-Karnin nad) Südojten weiter; 
die weit nad) Norboften vorfpringende und im Cap Bon 
(Ras Addar) endigende Halbinfel blieb zur Linlen liegen, 
Immer fchlechter wurde dev Weg, das Stoßen der Wagen 
immer ftärker, und als der erſte derfelben mit den Reifenden 
eben den Wed Tunis paffirt hatte, verkündete ihnen das 
Gefchrei der Begleitmannichaft, daß hinten ein Unglüd paf> 
firt ſe. Der zweite Wagen war umgeworfen, und hatte 
feinen Inhalt, den Dolmetſcher, den maltefischen Kutſcher, 
das Gepäd, die Lebensmittel, das Pflanzenpapier in wiften 
Durcheinander im Koth und Waller gebettet. In Krom— 
baliya, einem elenden Flecken von 600 bis 700 Einwoh— 
nern, 35 Kilometer von Tunis, wurde das Nadıtquartier 
genommen. Es ift das eime jener Ortjchaften, welche zu 
Beginn des 17. Jahrhunderts von den aus Spanien ver- 


13 


98 


triebenen Mauren gegründet wurben und zu großer Blüthe 
gelangten, bis bie Indolenz und Trägheit der ummohnenben 
Araber die einft fo fleißigen und intelligenten Cinwanberer 
anftecte und den Ort bis zu feinem jegigen Zuftande her 
unterbradhte. Zwei Straßen voll Mift und Unrath, Kleine, 
niedrige Hauſer, das ift Krombaliha. Nur ein Gebäude, 
das Dar⸗el-Bey, zeigt ſchöne mauriſche Architeltur und 
Studverzierung, alles aber von dider Schmutzkruſte bedeckt 
und im ſehr verfallenem Zuftande. 

- Ans folgenden Tage brachte eine jechäftündige Reife un: 
fere Geſellſchaft wieder and Meer nad; Hammamet, Zwei 
antile Trummerſtätten, welde Malgan auf derfelben Straße 
unterfucdhte und deren eine, Hanfdyr Medden, ſogar die 
eines ehemaligen Bifchofsfiges ift, was freilich noch feinen 
fihern Schluß auf feine einftige Wichtigfeit geftattet, ver 
mocjten den Botanifern fein Intereſſe abzugewinnen ; weit 


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TT— 





Rebalel's und Zirant’s Reife in der Regentſchaft Tunis. 


mehr ſchon die Salicornien und Salfolen, welche die ſandi 
Ebene rings um Hammamet bededen. Der Ort felbft ift 
klein, befigt einen ſchlechten Hafen, fleinerne Häufer und 
etiva 3000 Einwohner, welde durch Hanfcultur, Leinwand⸗ 
weberei und den Ertrag ihrer Olivengärten einen gewiſſen 
Grad von Wohlhabenheit, wenigftens im Berhältnig zu an- 
deren Städten in Tunis, befigen. 

Bon dort führt der Weg itber eine traurige Ebene nach 
Süden hin; zur Pinken das Meer, zur Mechten ein langge- 
firetter, flacher See, deſſen Größe je nad) der Häufigkeit 
und Menge bed Regens zu wechjeln fcheint. Denn wäh. 
rend ihm bie oben erwähnte franzöſiſche Karte als ein ganz 
Meines Waſſerbecken von nur 5 Kilometer Fänge angiebt, 
fanden ihn Rebatel und Tirant mindeftens ſechsmal länger. 
Mehrfach trifft man auf diefer Straße auf Reſte des Alter» 
thums und der Biyantiner Zeit; da liegen die Kuinen des 


Suſa. 


antifen Putput, ferner eines berühmten Grabmals, das bie 
Araber „Kasrel-Menära*, d. h. Leuchtthurm, nennen, da 
liegt Hergla, das alte Horrea Coelia, mit feiner bnzantinie 
ſchen Citadelle und mancherlei Heineren altrömifchen Reſten. 
Weniger das Studium dieſer Antiquitäten, als die 
ſchlechte, ſumpfige Beſchaffenheit des Weges hatte unſere 
Reiſenden ſo aufgehalten, daß ſie gegen Abend einen ihrer 
Spahis voranſchiclen mußten, um den Kaid von Suſa von 
ihrer Ankunft zu benachrichtigen. Denn unbarmherzig wer⸗ 
den die Thore aller befeftigten tuneſiſchen Städte um 7 Uhr 
Abends geichloffen und unter keinem Borwande vor Sonnen⸗ 
aufgang wieder geöffnet, ſo daß es eine ganz befonbere Ver: 
günftigung war, als fie diefelben noch um Halb 9 Uhr Abends 
geöffnet fanden. Suſa macht entichieden einen wohlthuen⸗ 
ben, angenehmen Eindruck in dieſem Yande des BVerfalles. 
Mauern, Thore, Befefligungsmerke find gut im Stande ; 
der Drt weift mehrere recht ftattliche Neubauten auf; ber 
nicht unbeträditliche Handel verfammelt ftets eine Anzahl 
von Schiffen auf der Rhede, kurz das Ganze hat ein Ir 
civilifirted Ausfehen. Die Stadt zählt innerhalb ihrer 
zinnengelrönten Mauern 3000 Einwohner, darunter etwa 
1000 Yuben und 500 bis 600 Maltefer und Sicilianer. 
Durd) unebene, gewundene Gaſſen führte der Weg zu 
dem Hochgelegenen Haufe des Bey (Dar⸗el · Bey), von defien 


Terraffe unfere Anficht ber Stabt aufgenommen ift, und 
wo ein herrliches, Mahl der Antömmlinge harte. Nur 
war nad) dortigem Gebrauche, bie Freuiden zu ehren, jebe 
Schüfiel, jelbft Kaftanien und Kartoffeln, fo entjeglid, ftart 
gepieffert, daß bie Gerichte faft unberührt wieder abgetragen 
werden mußten. 

Beim Durchwandern der Stadt fiel den Reifenden das 
hüübſche, polychrome Portal der Citadelle auf und die fran- 
zöfiichen Commandos, mit welchen ein Offizier Reeruten 
die erften Begriffe der Kriegäfunft beibrachte. Der Handel 
ber Stadt iſt ziemlich bedeutend, mamentlich mit dem Del 
der Umgegend und dem Weizen und der Gerfte der landein- 
wärts gelegenen Übene von Kerwan. Aus dem Süden des 
Landes fommen Karamanen mit Peinewand, Datteln und Del; 
zur See geht Getreide nach Tunis, Malta und Sicilien. 

Bei Sufa verließen bie Franzoſen die Meerestüfte, um 
den geradeften Weg quer durch das Land nad) der Hafenftabt 
Sfales zu nehmen. Etwa halbwegs, circa 70 Kilometer 
ſudlich von Sufa, erhebt ſich mitten im der fahlen Müfte 
gewaltig und maſſig das Amphitheater der aus Cäfar's afris 
fanif—hem Kriege befannten Römerftabt Thysdrus, neben wel: 
chem die aus feinen Triimmern und Quadern erbauten Hütten 
bes heutigen Araberdorfes el-Djem wie Maulwurféhügel 
ſich ausnchmen. Nur wenig Heiner in feinen Dimenfionen 


Rebatel'3 und Tiran's Neife in der Regentidhaft Tunis. 





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Amphitheater zu el⸗Djem. 


100 Rebatel's und Zirant’s Reife in der Regentſchaft Tunis, 


als das berühmte Veroneſer zeichnet ſich das afrifanische ; Kern Coloſſeum in Non durch das Fehlen jedes modernen 
Amphitheater vor jenem durch die Erhaltung eines großen | Reftanrationsverfuches; vor dem in Pola, das wir unlängft 
Theile der Fagade und ihres Schmudes ans; vor dem arö- | (Bb. XXVII, ©. 212) in Wort und Bild unferen Pefern 


zu. u Orer— 





S fales. 


vorführten, dadurch,“ daß feine drei Stockwerke alle gleich hoch was in Pola nicht der Fall iſt, wo das dritte, niedrigſte 
und mit demfelben architeltoniſchen Schmucke verziert find, | Stodwerk der Säulen und Arcaden entbehrt. Der Stil ift 





— — — — — — 


Straße in Sfales. 


vorwiegend forinthijch, doch mit Uebergängen zum eigentlichen , haben niederreigen laſſen, weil ſich fortwährend aufrühreriche 
gemijchten Säulenftil; er iſt wegen des Fehlens jeder Ueber | Stämme darin verſchanzten, wie ja auch das Colofjeum den 
lieferung das einzige Moment, um die Erbauungszeit diefes ſich befümpfenden römifchen Adelsgeſchlechtern als feite Burg 
Dentmald zu bejtimmen. Man jet fie gegen Ende des gedient hat. Jene Breſche ift dann mit der Zeit von den 
zweiten oder Anfang des dritten nachchriſtlichen Jahrhunderts | fteinebediirftigen Ummohnern immer mehr und mehr verbreis 
an. Der weftliche Theil des riefigen Gebäudes liegt ganz | tertworben, fo daß heute von den urfprlinglicen 64 Arcaden 
in Trümmern; um 1700 jol Mohammed Bey drei Arcaden | faft der dritte Theil fehlt. Maltzan erzählt eine längere 





9. vd. Lankenau: Stremouchow's Reife nad Buchara. 


Epifode ans der Geſchichte diefes Monumentes, wie c& um | 
690 den Berbern unter einer priefterlichen Königin Damiya 
Jahre hindurch Schu gegen die Üübermächtig andringenden 
Araber gewährte, bis Verrath diefe letzte Feſte der Ureinwohner 
au alle bradıte. 

Gleich hinter el» Diem beginnt die Wüſte mit fpärlichen 
Buſcheln Halfagras (Muerochloa tenaeissima), aus weldem 
recht hübjche, gemuſterte Matten geflochten werden, und Urtes 
mifia. Kein Strauch, fein Baum unterbricht dieſe Einöde, 
weldje von den Stämmen der Sſawaſſa und Methalyt durch— 
zogen wird und bis circa 7 Kilometer vor Sfakes reicht, 
wo die reichen Gärten diefer Stadt beginnen. Undurchdring- 
liche Opuntienheden umgeben hier die Palmen und Delbäume, 
die Weinftöde, Mandel⸗, Feigen-, Apricofen- und Pfirjid)- 
bäumte, die Rofen» und Jasminſträuche, in deren Mitte ſich 
neben dem lebenjpendenden Brummen regelmäßig ein hohes, 
mit Terrafjen verfchenes Yandhaus erhebt. Die Palmen 
werden nur zur Bereitung des Palmweins gepflanzt; denn 
die Nähe der Heinen Syrie macht die Negen waſſerreicher 
und mildert die Sonnenftraßlen, fo daß die Datteln nicht 
reif werden und nur zum füttern ber Pferde und Kameele 
verwendet werden fönnen, 

Ein ſchmaler, fandiger Streif Yandes trennt dieſe aud- 
gedehnten, der Wuſte abgerungenen Gartenanlagen vom den 
Mauern der Stadt, deren arabiiches Quartier 12,000 Eins 
wohner, darunter 2000 Juden, birgt, während die gefammte 
Bevölferung feines Weichbildes die Zahl von 40,000 Seelen 
erreichen fol. Dieſes Centrum von Südtunis befigt fünf 
Moſcheen und eine Citadelle, weldje vor einigen Dahren den 
Banu Sayd in die Hände fiel. Diefelben aber befreieten 
nur ihre Gefangenen und zogen dann eiligft im ihr Gebiet 
am Scyott:el-iiraum zurüd. Nur zwei Thore befinden ſich 
in der Mauer des Araberviertels; das eine führt in das eben: 
falls umwallte Frankenquartier und wird alle Tage bei 
Sonnenuntergang, Freitags auch während der Gebetszeit 
geſchloſſen. An Einwohnern beherbergt das fränkiſche Bier— 
tel 700 Seelen, meiftens Sicilianer, Maltefer und europäi« 
firte Juden, welche fich des Schutzes eines der hier zahlreich 
vertretenen Conjularagenten erfreuen. Beſitzt doch, felbjt 
San Marino und Monaco bier einen Bertreter! 

Ein Telegraph von circa 350 Kilometer Yänge verbindet 


101 


die Stadt mit Tunis. Nach Malgan’s Schilderung hatte 
der dortige Handel durch die wahnfinnigen Steuern, welche 
die Regierung plöglich einführte, zu feiner Zeit einen argen 
Stoß erhalten. Aber nad) Angabe unferer Franzoſen ift 
ber Berlehr mit Malta, Tunis und Italien wieder ziemlich 
bedeutend; Stapelartifel find die trefflichen Datteln aus der 
Landſchaft Djerid im Stiden des großen Ecjott-el-AFiramn, 
die Teppiche und Burnuſſe von Gafja und der Juſel Djerba, 
Olivenöl von Sahel, Halfa aus der umliegenden Wuſte, 
Schwämme aus der Syrte und endlich das in Tunis und 
Sonftantinopel vielbegehrte Jasmin⸗ und Roſenöl aus den 
Gärten der Stadt ſelbſt. Einen Hafen befigt Sfakes nicht, 
aber eine fehr ficere Rhede, welche von der fogenannten tu— 
neſiſchen Flotte als Winterftation benugt wird und ftetd von 
größeren und Hleineren Schiffen wimmelt. in einziges 
franzöſiſches Haus (Colombel von Paris). beichäftigt 3. B. fiber 
400 Boote beim Schwammfifcen, 

Malgan ftellt den Bewohnern der Stadt, den Sifägffiyn, 
ein fehr glnftiges Zeugniß ans. Obwohl die gläubigften 
und ftrengiten Mohammedaner in ganz Tunis, find fie ruh— 
tig und arbeitfam und pflegen jeden Induftriegweig, dem die 
Verhältnifle zu pflegen erlauben. Ein Beweis daflir find 
die blühenden Gärten rings um die Stadt, denen fait all- 
jährlich neue hinzugefügt werben. Und neben der Gartens 
cultur betreibt jeder Bürger noch irgend ein Handwerk oder 
einen Handel. Dabei herrſcht ein gewifler Fanatismus; 
hier beſuchen ſchon die Kinder die Moſcheen, welche nirgends 
jo voll find wie hier; an Koran-Schulen herrfcht Ueberfluß 
und die Zahl der Heiligengräber ift Yegion. Selbit die 
Frauen follen hier Mae ar ihre religiöfen Pflichten ers 
füllen, denen fie anderswo felten nachlommen. 

Eine andere Eigenthlimlichfeit der Bewohner von Sfates 
ift ihre Ausfchließlichkeit gegen alle fremden Elemente: in 
Sfates foll fein fremder Moslim profperiren; bald findet er 
ſich fo ifolirt, daß er den Staub von feinen Sohlen fchüttelt. 
In allen anderen Städten Nordafrikas werben gewiſſe Hand» 
werfe durchweg von Fremden ausgeübt. In Sfates ift das 
nicht der Fall: felbft die Vadelnechte, die nad) Malyan von 
Tripolis bis Maroffo überall dem Saharaftamın der Beni 
Miab angehören, find hier Einheimifche. 


Stremouhow’s Reife nad) Buchara. 


Nach dem Tagebuch des Reifenden aus dem Ruffiichen bearbeitet 
von 9, v. Lankenau. 


III. 


Auch wir hatten vor unferer Abreife eine Menge Ge- 
ſcheule zu madjen gehabt und waren jest, nachdem alle Ab: 
fchied&ceremonien glücklich beendigt, auf dem Wege nach der 
2 Meilen von Schaar entfernten Stadt Tſchirultſchi. Unſer 
Weg fchlängelte fid) die ganze Zeit über am Ufer des Kafcıfas 
Darja hin, Am folgenden Tage hielten wir während der 
brennendften Sonnenhige bei Tſchim Kurgan, was foviel als 
Dornhügel bedeutet und es and) in der That ift. Selbſt 
die Jurten dev Usbelen konnten uns nicht hinlänglich gegen 
die drũckende Hige ſchützen. Nach weiteren 3 Taſch erreid)- 
ten wir die einſtmals ftarke, jest verfallene Feſtung Tſchima, 
wo wir ibernadhteten. Schon um 2 Uhr des Dlorgens wa: 


ven wir wieder unterwegs und kamen einige Taſch weiter 
bei der Stadt Karfd)i an, 

An ben Thoren derfelben begrüßte uns der ſich bei Seid— 
Alram · Chan, dem Sohne des Emir und Beg von Karſchi, 
befindende Mentor deffelben. Diefe Stadt ift eine der älte- 
ften des Yandes und breitet ſich Über eine bedeutende Fläche 
aus, hat eine Menge ziemlid, hoher Häufer — die man 
übrigens in Gentralafien nur nod) in alten Städten findet — 
und einen bedeten Bazar. Sie ift der reichfte und bedeu⸗ 
tendfte Ort Bucharas und der Mittelpunkt eines ausgebehn- 
ten Handels. Am 18. Juni ftellten wir uns dem ſehr 
ſchweigſamen und milrriſchen Beg vor, bei welcher Gelegen« 


102 


heit wir and) den Sohn des Emirs fahen, der, obgleich erſt 
18 Jahr alt, doch fchon alle Zeichen bucharifcher Werderbts 
heit fichtbar zur Schau trägt. Sein aſchgraues, welfes Ge— 
ficht mit den hohlen dunfelen Augen, fein erſchöpftes Aus— 
fehen, feine zufammenhangslofe findifche Rebe zeigen deutlich 
die Abweſenheit von Vernunft und Sittlichkeit. Er machte 
auf uns einen betrübenden Eindrud, um fo mehr da man 
ficht, wie er von feinem Mentor, der in feinem Namen das 
Gebiet verwaltet, in Schreden gehalten wird. 

Ber Karſchi führte uns eine fteinerne Brüde über den 
Karichla-Darja und dann ein höchſt beichwerlicher Weg nad) 
Karfan, einer vormals blühenden, durd) ihren Bazar berügm 
ten, jetzt verfallenen Feſtung. Bei der folgenden alten Stadt 
Chodſcha-Mubarel fließtder Kafchla-Darja nach Süden und 
verläuft im Sande. Unterwegs trifft man eine große Menge 
bededfter Brunnen (Sfardoba), die von dem berühmten Emir 
Abdullah⸗Chan, überall wo nöthig, angelegt find. Ohne 
diefe wäre das Reifen durch die unendlichen Sandwüſten 
des buchariſchen Gebietes eine Unmöglichkeit, 

Chodſcha⸗Mubarek liegt am Rande der Wifte Karſchi, 
welche wir am 21, Duni betraten. Nachdem wir 3 Taſch 
zuriifgelegt hatten, ruhten wir an dem großen Brunnen von 
Tſchuli-kalira. Bei diefem Brummen ift ein Schuppen ers 
baut zum Schutze gegen die Sandftirme der Wüſte. Mehr 
als einmal hat man Urſache, dem vorforgenden weiſen Emit 
beim Paſſiren diejer unwirthlichen Gegend dankbar zu fein. 
Unitberjehbar breitete fich vor uns die Wüfte aus, deren 
Sandhügel und Gruben durch die Winde beftändig eine an: 
dere Geſtalt annchmen; nur hier und da ftredt ftachelichtes, 
am Boden kriechendes Geſtrüpp feine Spigen aus dem 
Sande hervor. Dem Wanderer zeigt, wenn er ein gelibtes 
Auge hat, oft nur ein verweſendes Stelet die Richtung, die 
er zu nehmen hat. Stellenweife fommt man auf feften, 
von den zahlreichen Salzpfligen gebildeten Boden, der troden 
im Sommer, im Winter ſumpfig ift. 

Nachdem wir bei dem eine Taſch von Kalira entfernten 
Brunnen Buſatſchi ausgeruht hatten, machten wir ung um 
Mitternacht wieder auf den Weg. Unſere ‘Pferde hatten es 
in dem fandigen Boden fehr ſchwer, während wir gleichfalls 
gegen den heißen Wind und den feinen Sandftaub zu kämpfen 
hatten; endlich aber, als wir einen höhern felfigen Berg ers 
Hommen hatten, eröffnete fich uns ein wunbderherrliches Pa- 
norama, Bor uns rechts breitete fid) inmitten grüner 
Felder und Gärten ein fchöner großer See aus, während 
in der Ferne, hinter den Bäumen, ſich die Thürme, Mo— 
ſcheen, Medrefich und Schlöffer der großen berühmten 
Hauptſtadt Buchara erhoben, 

Um unfern feierlichen Einzug in die Hauptftadt halten 
zu fönnen, mußten wir zuerſt in einen Heinen Kiſchlak, in 
einiger Entfernung vor der Stadt, anhalten, Auf der legs 
ten Taſch waren uns bereits eine Menge Reiter entgegen— 
gekommen, und zu begrüßen; und wir durften jet nur, wie 
es das Geremoniel verlangt, langjam reiten. Endlich wa— 
ren wir in einem der Sommerluſtſchlöſſer des Emirs, das 
uns für die Zeit unſeres Aufenthalts angewiefen war, und 
fonnten uns von unferer langen, beſchwerlichen Reife erholen. 

Das Schloß bie Taltjcha (griimer Hügel) und lag vor der 
Stadt. Seine zahllofen, mannigfaltigen Balcone, Gallerien 
und Heinen Fenſter waren mit Schnitzwerk verziert, die vier 
len verschiedenen Heinen Höfe mit Springbrunnen erinnern 
fehr an die alten Teremäs (Frauengemächer) unjerer Bor 
jarengeit. In den Zimmern find feine Möbel, wohl aber 
eine reiche Auswahl dider Teppidye und weicher jeidener und 
fammetner Kiffen aller Art, runder, länglicher und vier: 
ecliger, die diefe vollauf erfegen. Die geſchmackvoll model» 
lirten Verzierungen an den Wänden und die buntfarbigen 


9. v. Lantenau: Stremouchow's Reife nach Buchara. 


Muſter am ben Zimmerdecden gaben den Gemächern einen 
eben fo orginellen als heiten Anſtrich. Der auf europäifche 
Art planirte ziemlich große Garten jchligt durch feine jhön- 
befaubten Bäume vor der brennenden Sonnenhitze. An 
einem plätjchernden fühlenden Springbrunnen war für uns 
ein dem Emir gehörendes prächtiges Zelt aufgeſchlagen. 

Um 23. Iumt wurden wir dem KHufchbegi (erften Minis 
fter) des Emirs, Muhammed-bi-Inaf, feierlichſt vorgeftellt. 
Diejer, von Geburt Verſer, war vormals Eflave und ver 
dankte feine Erhöhung der Bermählung mit einer verabſchie 
beten dran des Emirs. Der ftattlihe Vezier nahm uns 
durch feine Gefprädhigfeit und Mumnterfeit ganz für ſich ein, 
und wahrſcheinlich würde er noch aufrichtiger geweſen fein, 
wenn nicht unfer doppelzüngiger Gefandter ihm hinberlich 
gewefen wäre, Nachdem wir ihm fitr feine Gaſtfreundſchaft 
gedankt und die Erlaubniß erhalten Hatten, die Stadt unge: 
hindert befuchen zu dürfen, nahmen wir von ihm Abſchied. 
‚Hierbei bat er mid; ihn entjchuldigen zu wollen, wenn er 
vor Nüdfehr des Emir mir feinen Beſuch mehr machen 
fünne, da er als temporärer Commandant der Stadt Bu: 
chara die Stadt nicht verlaffen dürfe. Ich dankte ihm und 
fagte, ich würde mir erlanben ihn dort felbft aufzufuchen. 

Un diefem Tage befuchten mic, die Bevollmächtigten 
unferer ruffischen Kaufmannſchaft. Sowohl von dieſen wie 
auch von anderen wurden mir Über den hiefigen Handel ver- 
ſchiedene Mittheilungen gemacht, von denen ic) einige hier 
wiedergeben will. 

Da die Handelöfteuern eine der Haupteinnahmen des 
Emirs ausmachen, fo eriftirt eine ganze Arniee von Steuer« 
beamten (Safetjchi), deren Haupt der Sohn des Kuſchbegi 
(Minifters) ift, der zugleic, das Amt eines Nentmeifters des 
Emirs befleidet. Die eingeführten Waaren werden in ein 
zu biefem Zwecke erbautes Karawanſerai niedergelegt, wel» 
es einem Pächter vermiethet ift, dem die Kaufleute, aufer 
der gewöhnlichen 21/, Procent betragenden Steuerabgabe, 
noch für das Aufbewahren der Waaren zu zahlen haben, 
wobei eine große Willkür herrſcht. Eine Menge Seidens 
würmercocon® gehen über Afghaniftan und Indien nad) Eng: 
land. Außer den verfciedenen Läden — man zählt allein 
in Budjara deren 200 mit Kattun, Wollen und Seiden⸗ 
waaren — und Karawanferais findet man noch eine Menge 
Bazare in verfchiedenen Städten, die bedeutendften in Bus 
chara, Karſchi und Hiffar. Cine Zeitlang liefen die eng- 
liſchen Waaren den rufjiichen den Rang auf allen Märkten 
Bucharas ab; jept find fie gänzlich durch die ruffifchen ver« 
drängt, da dieſe, wenngleich weniger gut, body bedeutend 
billiger find; die englifchen Metallwaaren allein erhalten 
fid) noch einigermaßen im Preiſe. 

Die Buchären bezahlen ungern baar; fie lieben es, oft 
auf ziemlich lange Zeit, Waaren auf Credit zu nehmen, was 
für die Ruſſen doppelt vortheilhaft ift, da fie außer den 
erhöhten Preifen noch ihre Zinjen für die Zeit des Wartens 
anrechnen. Im Allgemeinen find die Bucharen ehrlich im 
Zahlen; felten aber halten fie den Termin der Zahlung ein. 
Ir fegter Zeit find jedoch aud) unter ihnen Banferotte vor- 
gekommen, was natürlic) dem Handel mit ihnen ſchadet. 

Kurz nadı meiner Ankunft im Buchara machte ich mit 
dem in Sfaratow gebürtigen Tataren Karataew, ber hier 
den Namen Usta-Ali führt, nähere Belanntichaft. Er iſt 
Rußland, feinem alten Baterlande, noch immer fehr zuge 
than und hat, obgleich er beim Emir nur die Stelle eines 
Hofuhrmachers befleidet, doch einen bedeutenden Einfluß. 
Ohne die Gefahr zu berücdfichtigen, die für ihm daraus er- 
wachſen lönnte, machte er mir verfchiedene wichtige Mittheir 
lungen über Yand und Peute. Ali Muhammed Karataew, 
der Sohn eines Kaufmanns aus Chmalinst im Sfaratow- 


9. vd. Yanlenau: Stremouchow's Reife nad) Buchara. 


fchen Gouvernement, war, da er feine Gildeſteuern nicht 
länger hatte bezahlen können, ald Saramanenführer des 
Kaufmanns Rachim⸗bai nad) Buchara getonimen, um dieſem 
bafelbft eine Getreidemühle einzurichten, während ex zu gleis 
her Zeit ſich mit feiner Fieblingsbefchäftigung, der Uhren- 
fabrifation, Geld zu verdienen fuchte. Als dann Nacim-bai 
eftorben war, wollte Karataew wieder nad) Rußland zurüds 
ehren; der Emir Naßrulla jedoch, der Vater Mufaffar’s, 
der im ihm einen dem Yande nüglichen Dann erfannt Hatte, 
hielt ihn mit Gewalt zurüd. Da er nun Niemand fand, der 
fid) für ihm Hätte bemühen können, jo waren feine Bitten 
vergebens, und er mußte bleiben. Auch der jegige Emir ers 
laubt ihm die Rucllehr nicht aus denjelben Gründen, und 
fo lebt er denn bereits 20 Jahre hier, während welcher 
Zeit er Manches, Gutes und Böfes, hat durchmachen miüfjen. 
Die große Uhr am Schloßthor von Buchara ift fein Wert, 
er war oft Dolmetfcher beim Emir, den er auf allen Feld— 
zugen begleitete, ex commandirte-fogar einmal deſſen Artil- 
lerie, doch nur kurze Zeit, da man feine Unfähigkeit zu bie: 
fem Poſten bald erkannte; dann war er wieder Hofuhrmadher, 
gerieth in Ungnade, Armuth und Elend, bis er jegt wieder 
feit längerer Zeit ſchon der erfte Dolmetſcher des Emirs 
geworben ift und einen großen Einfluß auf diefen hat. Sei- 
ner Anhänglichleit an Rußland verdankt man, daß feiner 
Zeit viele ruſſiſche Gefangene, unter anderen die Herren 
Struve und Gluchowsli, dem Tode entgingen. Mehr als 
einmal gelang es dem Alten, den Emir vom Kriege gegen 
Rußland zurüczuhalten, und jetzt ließ er ſich auch nicht ab» 
halten, trog der AUnfeindungen mehrerer buchariſchen Hofleute, 
mid) zu befuchen. 

Ic) hatte vom General Kolpafowäti den Auftrag erhal« 
ten, verfchiedene Ungelegenheiten mit dem Kuſchbegi (erften 
Minifter) zu befprechen, und fo begab ich mic) zu diejem. 
Obgleich der Empfang höchſt zuworkommend war, fo konnte 
ich doch feine beftinnmten Antworten von demfelben heraus: 
bringen. Die Bucharen find höchſt mißtrauiſch und vermeis 
den gern gerade und offene Erklärungen; fie ſuchen ſich 
immer eine Hinterthür offen zu halten. Da fie ftets glaus 
ben, man wolle fie betrligen, jo ſchweigen fie ftets oder ant⸗ 
worten durch nichtöfagende Phraſen. Daß bei ſolchen Ber 
hältniffen ein raſcher Geſchäftsgang oder die Entjcheidung 
einer Sache faft eine Unmöglichkeit wird, ift erklärlich. 
Während Abdul-Kadir ſich unfern ergebenften Freund nannte, 
fuhr er beftändig fort gegen und zu intriguiren ; fo fuchte er 
jet wieder und vor Rücklehr des Emirs ans Buchara zu 
entfernen, was ihm jedoch nicht gelang, und da der Emir 
ung jelbft wiffen ließ, wie er uns durchaus noch in Buchara 
zu empfangen wünſche, jo mußte unfer alter Geguer wieder 
einmal feine Taftif verändern und feine Verleumdungen 
und Anfhwärzungen einftellen, um nicht ſich ſelbſt zulegt 
nod) eine Grube zu graben. 

Am 29. Juni befuchten wir den eine Taſch von Bus 
chara belegenen Kiſchlak Bogoeddin, wo ber bekannte muſel⸗ 
mãnniſche Heilige gleichen Namens begraben liegt und wo— 
hin beftändig eine Menge frommer Pilger wandern, 
befonder& viele freche Bettler, deren Zudringlichkeit man ſich 
kaum erwehren kann. Bor allem ift die hiefige im mauri— 
ſchen Stil erbaute Moſchee jehenswerth mit ihren hoben 
Säulen aus grauem Marmor, dem prachtvoll verzierten 
Blafond und den großen Kronleuchtern ruſſiſcher Fabritation. 
Das Grabmal des Heiligen gleicht den übrigen bucharifchen 
Maufoleen, ift mit einem Gitter eingefaßt, an welchem ſich 
eine hohe mit Roßſchweiſen uud einer Menge alter Yappen 
und Fähnden verzierte Stange erhebt. Auf demfelben liegt 
eine mit Gebeten und Koranfprüdyen bededite Diarmorplatte. 

Die Bevölterung des Kiſchlak beſteht größtentgeils aus 


103 


Nachkommen des Heiligen. Die Chodſchi nahmen uns ſehr 
freundlich auf, daflir hätten uns aber die Bettler in Stüde 
zerriffen, wenn uns nicht unfere Poligeiescorte beſchützt hätte. 
Ich lieh Hier wie anf dem Ruckwege, wie es Gebrauch, Geld 
unter das Bolt werfen; es ift died unumgänglid) nothwendig, 
um fic das Volk günftig zu ſtimmen. 

Unfere Regierung hatte dem Emir Samen amerifanifcjer 
Baumwolle zuftellen laffen, um die buchariſche Baumwolle 
zu verbefiern, die mehr und mehr audzuarten beginnt, dba 
man fie jo wenig pflegt. So beſuchten wir denn den reis 
chen buchariſchen Kaufmann Manfur-bai, der vielfach in 
Rußland gewefen war. Er zeigte uns bei ſich ziemlich gut 
gerathene amerifanifCye Baummolle.. Darauf befahem wir 
feine Sammet- und Seidenfabrifation, fanden aber alles in 
noch ziemlich primitivem Zuſtande. 

Die Thäler von Mijanfal und Scyehrifjebs, als den 
Fluſſen am nächſten, find auch die fruchtbarften. Die Rolle 
bes ägyptifchen Mil vwerfieht Hier der Sarafſchan, der den 
ganzen gleichnamigen Kreis vor Ditrre rettet. Die Bewäſſe- 
rung der Fänbereien durch Canäle ift im Ganzen nur mangels 
haft zu nennen; jo geſchieht e8 denn, dag in manchen Jah— 
ren das ganze Yand unter Wafler fteht, in anderen wieder 
nur einzelne Felder bewäfjert werden fünnen. Da der Haupt: 
ftrom des Sarafſchan fid) innerhalb des ruſſiſchen Gebiets 
befindet, jo fällt die Vertheilung feines Waflers unferer 
Regierung anheim, die jo den bedeutenden Bortheil hat, daß 
fie den Bucharen das Waller abjdjneiden kann, was dieje 
in die verzweifeltfte Yage bringen wilrde. Es liegt aljo im 
Vortheil der Bucharen, im guter Freundſchaft mit einem fo 
gefährlichen Nachbar zu leben. Diefer Frage wegen finden 
denn auch faft jedes Jahr Unterhandlungen zwiſchen ben 
beiden Regierungen ftatt, zumal in ben legten Jahren dem 
ſarafſchanſchen Gebiet mehr Waſſer nöthig geworden, da die 
Zahl feiner bebaueten Felder ſich aljährlid, vergrößert hat. 
Der General Abramow hat zu dem Ende einen Beamten 
dahin gefendet, dem biefer Zweig ſpeciell befannt, un die 
Waſſerfrage zu gegenfeitiger Befriedigung zu löfen. 

Ic) benutzte fleigig meine freie Zeit, um die Stadt Bu: 
hara näher kennen zu lernen, was mir, Danf dem Zuvors 
fommen der Bucharen, ohne jonderliche Schwierigkeit aud) 

elang. 

’ Bon draußen betrachtet hat die Stadt einen gefälligen, 
felbft imponirenden Anblit, imwendig aber verliert ſich die 
Schönheit der meiften alten Gebäude in den fehr engen - 
Straßen, Heinen Plägen und zwifchen den fie umgebenden 
anderen Hänfern. Die Straßen find ſchlecht gepflaftert, die 
vielen unorbentlich durcheinander geworfenen großen Steine 
in denfelben erſchweren felbjt das Reiten in denfelben; die 
bei trodenem Wetter ftaubigen, bei Regenwetter ſchmutzigen 
GCanäle find grögtentheild mit dunfelem, trlibem Waſſer ge: 
füllt, weldyes, da die Bucharen allen möglichen Kehricht und 
fonftigen Unrath hineimwerfen, fortwährend bie Yuft ver: 
peftende Miasmen eutwidelt, jo daß ein Spazierritt durch 
die Stabt in heißer Jahreszeit nur höchſt unangenehm auf 
die Geruchsnerven wirft. Als Beweis der friihern Blüthe 
bes Yandes gelten die zahlreichen Denfmäler, die durch Größe, 
geichmadvolle Berzierungen und originelle Ardjiteftur nit» 
unter geradezu in Staunen verſetzen. In Buchara allein 
befinden fi) bis 200 Medrefjes (Neligionsichulen) und 
einige hundert Mojcheen. Das Schloß des Emirs in der 
Stadt ſowie feine 14 auferhalb der Stadt ſich befindlichen 
Sommerpaläfte find meift neue Gebäude. In dem einen 
berjelben befinden ſich die Weiber und Kebsweiber ded Emirs, 
ihrer mehr ald taufend. 

Am 4. Juli verließen alle ſich in der Stadt befindlichen 
Truppen biefelbe, um den Emir zu begrüßen. Da das Schloß, 


104 


in welchem wir wohnten, ſich auf dem Wege befand, den er 
einfchlagen mußte, jo hielt der Beherrſcher des Yandes bei 
einem andern Schloſſe (Schirbudun, in welchem ſich feine 
Frauen befanden) an, weil es mac) dortigen Begriffen uns 
höſlich geweſen wäre, bei uns vorbei zu reiten; wohl aber 
auch, weil er, der in beftändiger Furcht lebte und jeden fr 
feinen Feind hielt, erſt ficher fein wollte, daß nicht irgend 
ein Anfchlag gegen fein Feben im Werke fei und zuvor bie 
Berichte aller jeiner Spione hören wollte. 

An diefem Tage machte ich nod) die Belanntſchaft eines 
unferer Renegaten Uxepjew, der hier in Abdurrachim um: 
getauft war, Um dem Tode zu entgehen, dem er daducd) 
verfallen war, dag man ihn, den ruſſiſchen Handlungsreifen- 
den, in flagranti bei einem buchariſchen Weibe ertappt hatte, 
mußte er 7000 Zenga erlegen und wurde gezwungen Mu— 
hammedaner zu werden. Außerdem benutzte der Emir feine 
tritiſche Yage, verheirathete ihm gegen feinen Willen an eine 
Eingeborene, nahm ihn als Dolmetſcher zu ſich und gab ihm 
den Namen Abdurrachim Abdullina. Yange befand ſich 
Urepjew bei Mufaffar und nahm feit 1859 an allen feinen 
Feldzügen Theil; fo lernte diefer gewandte und Huge Menſch 
alle Sitten, Gebräuche und Sprache der Bucharen gründlich) 
fennen. Det ift er feines Dienftes als Dolmetſcher ent: 
laffen und nährt fich nur mit Mühe durch Meine Handels: 
geichäfte. Sein Heimweh hatte ihm ein paar Mal verleitet, 
Öluchtverfuche zu machen; man paßte ihm jeboch ſcharf auf 


Aus den Verhandlungen der Parifer Anthropologiſchen Geſellſchaft. 


und feine Pläne wurden ftets vereitelt. Schwerlich wird es 
ihm und Karataew je gelingen, wieder nad) Rußland zurüd: 
zufommen, da der Emir ein beſonderes Vergnügen daran 
findet, ruſſiſche Flüchtlinge in Buchara zuridzuhalten, 
Manche haben es bereits verfucht, felten ift jedoch Jemandem 
die Flucht gelungen, 

Am 8. Juli endlich hatten wir beim Emir die letzte 
Abſchiedsaudienz, in welcher ich ihm meinen warmen Dank 
für feine Gnade und Aufmerkffamfeit ausdrüdte, verſprach, 
alles Gute, das uns zu Theil geworden, meinen Vorgeſetz ⸗ 
ten mitzutheilen, und mic zur Ausführung von Aufträgen 
feinerfeits erbot. Er ſchien durch meine Rede gefchmeichelt 
und befriedigt und bat mich feine aufrichtigften Grüße und 
die Ausdelide feiner tiefften Ergebenheit gegen das ganze 
faiferliche Haus meinen VBorgefegten zu überbringen. Am 
Schluß feiner Rede jedoch fligte er hinzu, daf ich dem Gere: 
ral Kolpalowsti mittheilen möge, daß er ſich ſehr beleidigt 
fühle, wie diefer feinen Worten feinen Glauben beigemefien 
und Beweife für diejelben durch mich habe fordern laſſen. 
Er bezog ſich hiermit auf meine Verhandlungen mit feinem 
Kufcbeet über verschiedene gefchäftliche Angelegenheiten, 
deren Entſcheidung die Bucharen, wie gewöhnlich, weit hinaus: 
gejchoben hatten. Ich fuchte ihm zu beruhigen, was mir 
auch anjcheinend gelang. Die unvermeibliche Vertheilung 
von Geſchenlen beſchloß die Audienz. 





Aus den Verhandlungen der Parifer Anthropologiihen Geſellſchaft. 


Die behaarten Menichen in Birma, — Gewicht und Volumen der menſchlichen Zähne, — Die Miſchlinge in Cochiuchina. — 
Das Incabein und Unterfuchung einer peruaniſchen Fötusmumie. — Einfluß des Klimas von Algerien auf verſchiedene 
Völlkerſtämme. — Ueber die Bevölkerung Californiens. 


R. A. Ganz behaarte Menſchen find feine Seltenheit 
mehr. Die befannte Tänzerin Julia Paftrana war wenigitens 
im Seficht und am Naden ganz behaart. Auch der „Homme 
chien“, der Ruſſe Andrian Jeftitſchew und fein haariges 
Söhnden, weldyes die Erblicjfeit der Behaarung beweift, 
gehören hierher. Sie wurden vor einigen Jahren in Europa 
gezeigt und find auch im dem illufteirten Seitichriften abge» 
bildet worden. 

Durch Darwin, der Crawfurd's und Yule's Berichte 
fritiſch analyfirte, ift die hanrige Familie aus Birma in 
weiteren Hreifen, befannt geworben. Hamy war im Etande, 
ber Geſellſchaft Photographien derfelben vorzulegen und einige 
nähere Mittheilungen über die Entftcehung der Familie zu 
machen. Crawfurd und Yule jahen und beſchrieben den 
haarigen Birmanen Schwe:Maon und feine gleichfalls ganz 
haarige Tochter Maphun, Als Hule die legtere beſuchte, 
war de von ihrem Manne und zwei Knaben, ihren Kindern, 
begleitet. Der ältere von beiden, etwa vier Jahre alt, zeigte 
nichts Auffallendes, während der jüngere, nur 14 Monate 
alte, welcher noch an der Mutterbruft war, ſchon behaarte 
Ohren und einen Bart hatte. Sechs oder fieben Jahre 
fpäter, 1852 oder 1853, photographirte Kapitän Houghton 
Mutter und Kind, Wir finden diefes zum Manne gereifte 
Kind zufammen mit der Mutter Maphun und dem Groß: 
vater Schwe-Maon wieder auf einer neuerdings aufgenoms: 
menen Photographie von Browne und Shepperd, die in Holz: 
ſchnitt in der Zeitſchrift Ya Nature Nro, 86 wiedergegeben 
ift. Die beiden älteren haarigen Leute find ſchon genügend 


befchrieben. Der jungſte erfcheint auf der neuen Abbildung 
volljtändig behaart; Naje, Ohren, Wangen, alles ift mit 
einem dichten Haarwulft überzogen. Es ift alfo hier die 
dritte Generation vorhanden, in der volljtändig der abnorme 
Haarwuchs (heveditäre Hypertrichoſe) auftritt. 

Die Zahnbildung ift für den Anthropologen von Iuters 
eſſe, infofern ſich in derjelben einige Abweichungen befunden, 
welche als Racenmerkmale aufgefaßt werden können. Uber 
diefe Abweichungen find noch wicht genügend ftudirt und 
durch Vergleiche dargethan worden. Coudereau hat ſich nun 
mit dem Gewichte und dem Bolumverhältnifje der 
Menſchenzähne beſchäftigt, wobei er auf eine Arbeit von 
John Graham in der „Medical Times and Gazette* vom 
9. Januar 1875 verweift. Das Gewicht der Zähne ficht 
ftets im Verhältniffe zu deven Volumen, da ihre Dichtigeit 
ftets die gleiche ift. Die nachſtehende Tabelle giebt die Mit- 
tel fire jede gleichartige Zahngruppe. 

Untere Schneidezähne . 0,699 Grm. 0,327 Eub.-Eent. 


Obere Schneidezähne 1,062 „ 0,507 M 
Untere Spigzähne . 1,159 „ 0,557 " 
Dbere Spigzähne 1386 „ 0655  „, 
Untere Weisheitszähne . 2,069 „ 0087 „5 
Obere Weisheitszähne . 2,073 „ 0,9883 5 
Untere Badzähne 2,099 „ 0,99  „ 
Obere Badzähne 2,164 1,032 „ 


Dieſe Zahlen fiellen das Mittel einer genitgenden Anzahl 
von Wägungen dar, wm einen Durchſchnitt zu ergeben, Be 
trachtet man die Zahlen, jo findet man, dag das Gewicht der 


Aus den Verhandlungen der Parifer Anthropologiſchen Geſellſchaft. 


Zähne der obern Kinnlade das jener der untern überwiegt; 
daß ferner der Unterjchied zwiſchen den correfpondirenden 
Zähnen der beiden Kinnladen ſich von vorn nad) hinten zu 
vermindert. Der mittlere Unterjchieb zwiſchen den oberen 
und unteren Scneidezähnen beträgt 246 Milligrammı; zwi⸗ 
ſchen oberen und unteren Spigzähnen 226 Milligramm ; 
zwijchen den Badzähnen ift der Unterſchied nur 64 Millis 
gramm. Der Unterſchied zwißchen den ſechs vorderen Zähnen 
der Ober» und Unterfinnlade beträgt 1 Gramm 905 Millie 
grammı, während der zwiſchen den Badzähnen der Ober» und 
Unterfinnlade nur 136 Milligramm ausmacht. 

Die franzöſiſchen Colonien liefern der Gefellfchaft natür⸗ 
lid) danfbaren Stoff in Menge. Aerzte, Offiziere, Beamte, 
welche in benfelben ftationirt find, fenden ihre Berichte nad) 
Paris, wie das auch von Seiten der Engländer in den Co— 
lonien geſchieht, welche die Yondoner Anthropologiſche wie 
Geographiſche Geſellſchaft reichlich, unterftügen. Die englifchen 
wie franzöfifchen Vereine find durch den Colonialbeſitz ihrer 
Länder und Deutjchen gegenliber im diefer Beziehung im 
Vortheil, Namentlich) aus Cochinchina kommen reiche Bei 
träge, und wir möchten hier auf die ethnographifchen Berichte 
von Mondieres (S. 110 bis 118) und Meorice (S. 139 
bis 151) hinweifen, Vegterer behandelt unter andernt bie 
Miſchlinge in Indo- China, die zwiſchen Annaniten und 
Kambodianern, Annamiten und Malayen, Annamiten und 
Hindus entftehen, Jene zwiſchen Annamiten und Chineſen, 
die ſehr zahlreich find, eigen Minuongs. ie folgen in 
der Haartracht und Kleidung meift den Chinefen, find größer 
als die Annamiten, Heiner als die Chinefen, aber lebhafter 
als letztere. Die Nafe ift weniger abgeplattet als bei den 
Annamiten. Intereffant ift das neue im Entftehen begrif: 
fene Miſchlingsgeſchlecht zwiſchen Franzoſen und 
Annamiten; fie ſcheinen dem Klima gut gewachſen und 
ertragen namentlic, die ſtarle Sonne gut. Die Kinder aus 
biefer Miſchung find recht tüchtig; die Naſe ift etwas kurz, 
doch nicht zu platt, die Haare haben einen faftanienbraunen 
Anflug; der Teint ift jehr hell; die Augen find annamitifc. 
„Hier liegt vielleicht ein Deittel der Coloniſation vor, weldes, 
richtig geleitet, von guten Folgen fein kann.“ 

Die Anthropologen haben jehr viel über das fogenannte 
Incabein (Os incae) der Peruaner gefchrieben, weil man 
in ihm ein gutes Racenmerkmal dev Peruanerſchädel zu er⸗ 
fennen glaubte, während fonft die Graniologie für die Eins 
theilung der Menſchenracen nur wenig Sicheres leitete. 
Das Os incas ift ein großer dreieckiger Knochen des Hinter 
hauptes, welcher, zwifchen den Yambda-Nähten eingefchlofien, 
dem obern Theile der Hinterhauptbeinichuppe entipricht, von 
deren unterm Theile er durch eine abnorme Naht getrennt 
ift, welche die Baſis des dreiedigen Knochens bildet. Der 
Engländer Bellamy, Rivero und Tſchudi ftellten den Satz 
anf, diefer Knochen ſei den Peruanern eigenthümlig); das ift 
indeflen nicht der Fall und das Incabein (aud) os inter- 
parietale genannt) ift auch bei anderen Völfern nachgewieſen 
worben. 

Die Frage, wann das abnorme Incabein beim Menſchen 
entfteht, war bisher eine offene. Daß fie jegt entjchieden wer« 
den konnte, ift Broca's Berbienft in dem bier mitgetheilten 
Aufjage Über die Mumie eines peruaniſchen Fötus 
(5. 133 bis 138), Bei dem großen Erdbeben, welches bie 
Stadt Arica zerftörte, wurde auch der alte Kirchhof völlig 
aufgewühlt, und der franzöſiſche Marinearzt Bourru fand 
hier Gelegenheit, eine ſehr große Anzahl Schädel ſowie Mus 
mien neu⸗ und zu frühgeborener Kinder zu ſammeln, welche 
in der befannten peruaniſchen Weiſe in Stoffe eingewidelt 
waren. Cine ſolche Fötuemumie hat nun Broca unterfucht 
und an ihr die Bildung des Incabeins nachgewieſen. 

Globus XXIX, Nr. 7. 


105 


Algerien iſt die Cruxr der Franzofen. Wan weiß wie 
langjam der Fortſchritt der Colonifation dort ift, wenn auch 
in neueflee Zeit entſchiedene Zeichen einer Beflerung dortiger 
Zuftände ſich bemerkbar machen. Die Frage der Acelima- 
tifatiom fpielt hierbei eine große Holle, und es ift das Ber: 
dienft Ricoux's, Unterfudungen darüber angeftellt zu haben, 
wie die verfchiedenen in Algerien angefiedelten 
enropäifchen Bölterfhaften mit Nitdjiht auf das 
Klima gedeihen (S. 369 bis 373). Seit langer Zeit 
überwogen bort bei den Franzoſen die Sterbefälle über die 
Geburten. Während Italiener, Spanier, Maltefer und bie 
zu einem gewiffen Grade die Provengalen ſich kreuzten und 
verniehrten, verminderten fich die Nordfranzoſen, von ber 
Zuwanderung natürlid) abgeſehen. Seit 1865 indeilen ift 
hier ein Umfchlag zum Beflern bemerklich, da die im Yanbe 
geborenen Franzoſen in Wirlſamleit treten. Es iſt jet 
wenigftens das Gleichgewicht zwiſchen Geburten und Sterbe» 
fällen hergeftellt. „Was die Deutſchen betrifft,“ fagt Ricour, 
nachdem er die Spanier, Italiener und Malteſer behandelt 
hat, „fo ift es unbeftreitbar, daß fie im Algerien nicht aus: 
dauern, wenigftens nicht im der befonders betrachteten Um— 
gegend von PHilippeville. Ihre Sterblichkeit ift 56 auf 
1000, während die Zahl der Geburten nur 31 auf 1000 
iſt.“ Fur die Elſaß-Lothringer, die man nach Algerien lodt, 
liegt hierin ein bedeutſamer Winf, 

Schließlich erwähnen wir ein Nefums von Ren de Sb 
mals über Hittel's Wert „Ihe Keffources of California“, 
San Francisco 1875 (fechöte Auflage). Es enthält auch 
werthuolles ethnographiſches Dlaterial; neben den anfäfjigen, 
aderbautreibenden, viehzlichtenden und Wein kelternden civie 
Lifirten Indianern im Siben Californiens werben bie arıns 
feligen Shojhonees des Nordens geſchildert. Cie find 
ein Yägervolf, das aud) Fiſchſang treibt, Wurzeln gräbt und 
Heufchreden verzehrt. Diefe Unglädlichen, von den Weißen 
aus ihrem Befige vertrieben, rauben Bich, Es entfteht Krieg 
darüber und bie Eingeborenen werden becimirt. Zu ber 
Ausrottung durch Pulver und Blei gefellten ſich die Ber- 
wäftungen, welche der Branntwein anrichtet. Und fie find 
trogdem eine Fräftige Race. Obgleich, in ſchlechten Hlitten 
wohnend ift ihnen Erfältung unbelannt; ein um die Schul 
tern geworjenes Hirſchfell dient als Kleidung; mit nadten 
Füßen fchreiten fie durch den Schnee dahin, während Algons 
finer und Jroleſen ſchützende Mocafjins tragen. Kindermorb 
ift bei den Shofhonees häufig; fie ziehen die Knaben auf 
und tödten die meijten Mädchen, Stirbt eine Frau, welche 
ihr Kind noch nährt, fo begräbt man den Säugling mit ihr. 
Die Shofhonees, noch 50,000 Seelen zur Zeit der Einwans 
derung der Weißen, find auf 7000 Köpfe herabgefunfen. 
Ihr Loos ift befiegelt. 

Die Mericaner und Spanier, welche zur Zeit der ſpa⸗ 
nifchen Herrſchaft fich in Californien nicderließen, brachten 
wenig Frauen mit umd heiratheten Indianerinnen, Es ent 
ftand ein Mifchlingsgefcjlecht, außerlich ſchön, im Ganzen 
gutmiithig, aber arın und unwiſſend und von glühendem Haſſe 
gegen die überlegenen Yanfees erfüllt, Sie find meiftens 
Biehzlichter und bleiben ftat ionär, während die neu eindrin 
genden Chineſen ſich bereichern. Man zählt in Californien 
9380 Mericaner und Spanier, welche nicht im Lande gebos 
ren find. 

Die Chinefen zählten 1870 fon 49,310 Seelen. Wie 
gehaßt und verfolgt fie find, darf als befannt vorausgeſetzt 
werben, und daß diefer Haß aus ähnlichen Gründen ent« 
fpringt wie bei uns der Judenhaß — der auf ethnologifcher 
Grundlage beruft —, ift gleichfalls zur Genlige erörtert. 
„Ale hriftlichen Semeinfchaften find verbunden gegen dieſe 
armen Leute und bie Geiftlichen haben gegen die Duldfamteit 

14 


106 
geprebigt, welche fie in den Bereinigten Staaten ges 
nießen 


Uebrigens ift es mit diefer Duldſamkeit nicht weit her. 
Die Geſetze, welche den Neger hätſcheln, der doch tief unter 
dem nüglicyen Chinefen fteht, find legterm immer feindfelig 
gewefen. Freilich die 50 Dollars betragende Chinefentage, 
conform den mittelakterlichen Judenſteuern, ift für ungejeg- 
lich erklärt worden und erft feit der Annahme des neuen 
Geſetzbuches ift das Zeugniß eines Chinefen gegen einen 
Weißen zuläfjig. Man duldet fie einfach, Vom Rechte der 
Naturalifation, das dem verlaufenften Schwarzen zufteht, 


Albin Kohn: Die Ruinen der alten Städte Meſched und Mefterian, 


find die Chinefen noch heute ausgeſchloſſen. Ihre im Yande 
geborenen Kinder jedoch, gelten ald Staatsbürger und haben 
das Stimmrecht. „Ungeachtet ber von der Yocaltegierung 
ausgehenden Hinderniffe, der Nichtswürdigleit der Bevölferung, 
der Unduldſamleit der Frommen wie der Nichtfrommen madıt 
die Emancipation der Chinefen große Fortſchritte.“ 

Zu der Mifhung mit Indianern und Negern tritt, wer 
nigſtens in beu weftlichen Staaten, jene mit Chinefenblut. 
Die Miſchungsreſultate auf geiftigem, gefellichaftlichent und 
ftaatlichen Gebiete in den Vereinigten Staaten find abzu— 
warten. Nihard Andree. 


Die Ruinen der alten Städte Mefhed und Mefterian. 
N Von Albin Kohn. 


Unfer geographifcher Horizont erweitert fi von Tag zu 
Tag und mit ihm auch unfere Geſchichtslenntniß. Abſicht- 
lich unternommene Entdedungsreifen und kriegeriſche Erpes 
bitionen tragen das Ihre dazu bei, viele bis jegt noch leere 
Stellen auf unferen Karten zu füllen und mit Namen aus- 
zuftatten. Auch früher ſchon machten Helden und Eroberer 
Züge in Wüften; fie thaten dies aber wohl laum in ber Abr 
ſicht, die Wilfenfchaft zu bereichern, dem Handel neue Wege 
zu erjchliegen und der Civilifation neue Gebiete für ihren 
Einfluß zu überweifen. Der Wiffensdrang trieb zwar aud) 
fchon im gramen Alterthume einzelne Forſcher in ferne Ges 
genden und zu unbefannten Völkern, und wir verbanfen 
ihren Notizen jo manche Aufſchlüſſe; aber diefen Neifenden 
ftand außer ihrem fcharfen Berftande faft fein techniſches 
Hülfsmittel zu Gebote, mittelft deſſen fie ihre Entdedung jo 
zu jagen für ewige Zeiten hätten firiren können. 

Anders heute. Unfere Forscher find mit Allem ausge— 
tüftet, was die Neuzeit erfunden, um ihre Entdeckungen ber 
Wiſſenſchaft zu fichern, und die modernen Heerführer dringen 
in Wüften ein, um dem Handel neue Bahnen zu eröffnen 
oder alte Karawanenſtraßen gegen Näubereien halbwilder 
BVoltöftänme zu ſchützen. Auch fie machen gelegentlic, Ent« 
dedfungen, welche in unfere geographiichen und hiftorifchen 
Werle eingetragen und zulünftigen Geſchlechtern überliefert 
werben. 

Zu den neueren von Militärerpebitionen gemachten Ent 
defungen gehören die Städte Mefterian und Meſched, liber 
welche wir in den „Nachrichten der laukaſiſchen Abtheilung 
der Faiferl. ruſſiſchen Geographiſchen Geſellſchaft“ (1875, 
ro. 1) eine kurze Notiz finden. Was wir bisher über fie 
mußten, ift wenig genug. 

Schon Ritter erwähnt im achten Theile feiner „Erb: 
funde*, ©. 364, der VBenterfung Conolly’s, welder im 
Jahre 1838 eine Keife vom Atrel bis Chiwa machte und 
auf feinem Wege die Ruinen zweier Städte fand. Witter 
fagt hierüber: „Auf dem Wege dahin ritt er an den Ruinen 
einer alten verwüfteten Stadt aus gebrannten Badjteinen 
vorüber und jah auf ein paar Anhöhen nur im Nebel Baus 
werke, die man ihm Ruſtans Feſten nannte.“ Später er 
wähnt Blaramberg in feiner „Statiftifchen Ueberſicht Per- 
fiens im Jahre 1841° diefer Ruinen und jagt, daf fie 
außer von Conolly noch im Yahre 1836 von einer Abthei« 
lung der perfischen Armee befucht worden feien. 

Endlich thut diefer beiden Städte Stebnidi in feinem 
„Redenicaftsberichte Über die Reife ins transkaspiſche Yand 


im Jahre 1872* Erwähnung. Bei der Bejchreibung der 
ehemaligen fünftlichen Bewäſſerung durch Canäle, deren einer 
in der Nähe des Flußlüberganges Jagly am Atrek beginnt 
und ſich gegen Nordweit in die Steppe hineinzieht, fagt Steb- 
nidi: „Man erzählt, daß ſich ein Graben in diefer Rich— 
tung gegen 60 Werft bis an die Ruinen hinzieht, welde 
Meiched-Mefterian genannt werden und ſich an dem Brun« 
nen Daſch⸗wjerdy befinden. Ebenſo wird erzählt, daß dieſe 
Ruinen aus „Kjumbeten“ (Denlmälern) und anderen 
Ueberrejten beftehen, die aus gebrannten Ziegeln erbaut 
waren.“ 

Schon im Anfange unfers Jahrhunderts vernahm man 
die Namen der Ruinen Mejchedi-Diefterian, denn der Gardes 
capitän Murawiew IV. hat diefelben ziemlich genau in feiner 
Karte des Chanates Chiwa und bes turkmeniſchen Küften« 
ſtriches eingetragen. Noch ift zu bemerken, daß aus ben Be: 
richten des ruſſiſchen Conſuls Balulin in Afterabad hervor 
geht, daß die hier beſprochenen Ruinen den Vewohnern von 
Aſterabad unter dem Namen Mefchedi-Mlisrian *) befannt find. 

Dies ift aber aud) Alles, was wir überhaupt bis jet 
über die beiden verfchollenen Städte wußten. Sie ſchwebten 
wie eine Fata Morgana vor den Blicken des Geographen, 
erſchienen wie ein Problem vor dem Hiftorifer, das an ihn 
die ragen richtete: „Wann find wir erbaut? Welches 
Volt hat in uns gewohnt? Womit hat es fid) befchäftigt? 
Wann und infolge weldyer Kataftrophe ift es untergegans 

en %“ 


? 

Wenn auch das Nachfolgende noch keineswegs volle Aırt- 
wort auf die ſoeben geftelten Fragen giebt, aljo noch nicht 
das hiftorifche Problem löſt, fo beginnt doch das Dunkel zu 
ſchwinden und an feine Stelle ein thatfächlic)es, ſehr erfreu⸗ 
liches Bild zu treten, das wir dem Berichte des Generals 
Lomakin verdanken. 

Derjelbe war mit einer Abtheilung Truppen zu einer 
Recognofeirung des Usboi auögefendet worden. Nachdem er 
von Mulla« Kari bis zum Brummen Bugdanly 145 Werft 
zurüdgelegt hatte, machte er eine fiebentägige Raft, welche 
ihm erlaubte, die intereffanten Ruinen ber alterthiimlichen 
Städte Mefterian und Meſched genau in Augenſchein zu 
nehmen. 


Der erfte diefer Orte befindet ſich 361/, Werft vom 


*) Dies bedeutet Grabſtätte ber Leute von Misr, d.h. Megnp: 
ten,“ alſo einen Ort, wo muhammedaniſche Nreappter (wahrſcheinlich 
gefallen und) begraben worden find, Rt. 


Aus Nordamerika, 


Brunnen Bugdanly und zwar in füböftlicher Richtung von 
ihm. Der Weg zu den Ruinen ift immer eben und hart, 
Wenn man einige Werft von Bugdanly in der angegebenen 
Richtung gegangen ift, trifft man die Ruinen der Kleinen 
Feſtung Kiljchit- ala, welche aus einem großen, aufgejchüt: 
teten Hügel beftehen, der mit Mauern gekrönt war. Von 
diefer Feſtung zieht ſich eine ununterbrochene Reihe ähnlicher 
Befeſtigungen eimerfeitd über Mefterian auf Tſchat an der 
Mündung des Sumbar in den Atrel zu, andererfeits aber 
gegen das Kaspifche Meer und den „Öriinen Hügel“, welcher 
nörbficher liegt als der „Weiße Hligel* und Tichitiicdljar. 
Diefe Feſtungen beichligten gleichſam den ungeheuern, ſich 
an ihnen hinziehenden Waſſergraben. 

Die Stadt Meſterian ſelbſt beftand aus einer Feſtung, 
die mit einem großen Wafjergraben umgeben war. Hinter 
diefem erhob ſich ein Erbwall, auf welchen zwei Reihen hoher 
Mauern folgten, die aus ausgezeichnet gebrannten, mehr als 
1/5 Arſchyn im Quadrat haltenden Ziegeln erbaut waren. 
An den Eden der Mauern befanden fid) einige Thlrme; die 
Feſtung ſelbſt bildet eim ununterbrochenes Biereck, deſſen 
Seiten 300 bis 560 Klafter lang waren, ſo daß die Feſtung 
nahezu eine Oberfläche von einer Quadratwerſt einnahm. 
Diefe ganze Fläche fowie auch ein Raum von circa 2 Werft 
um die Feſtung herum ift ganz mit Haufen derjelben aus: 
gezeichneten Ziegel bedeckt; es find dies die Ruinen ehema« 
iger ftäbtifcher Gebäude, deren Fundamente hin und wieder 
noch heute zur fehen find. Außerhalb der Feſtung entgingen 
dem gänzlichen Ruine nur das Stodtthor und ein Theil der 
Moſchee des Heiligen Schir« Kabir, welder nod) heutigen 
Tages vom Bolfe hochverehrt wird und bem man eine Menge 
Wunder zufchreibt. Im der Feſtung jelbft befinden fic in 
halb zerftörtem Zuſtande zwei Minarete, jedes gegen 13 
Klafter Hoch und 3 Klafter im Umfange, ein Schloß oder 
eine Moſchee, Wafferpumpen und Baffins, Man muß ans 
nehmen, daß die Minarete über 20 Klafter Hoc, gewejen 
find; ihr Oberbau ift herabgeftürzt; im ihrem Innern führt 
eine Wendeltreppe nad) oben. Alle diefe Bauten erfreuen 
durch ihre leichte Architektur und durch ihre künſtleriſch voll« 
endeten Fagaden, welche aus dauerhaften, fteinharten Ziegeln 
erbaut, mit gemalten Kacheln, glänzenden Borbüren, vers 


107 


ſchiedenfarbigen Tafeln, Arabesten und Inſchriften von höchſt 
ausgezeichneter Arbeit gefchmiidt find. Die mit verſchiedenen 
Farben gemalten gegen Y/,; Arſchyn großen Buchſtaben find 
mit Kacheln und Blumen verziert. Es haben ſich einige 
große Obftbäume mit jegt fpärlichen Früchten erhalten; 
—* weiß Niemand davon, daß hier einſt Orten geives 
en find. 

Was die 5 Werft von Mefterian (die Eingeborenen nens 
nen die Stadt Meftorian) belegene zweite Stadt, Meſched, 
anbetrifft, fo war fie eine Stadt der Todten. ine unges 
heure Fläche ift mit Ruinen bededt, welche von theilweife 
noch erhaltenen Capellen, Denkmälern, Monumenten und 
Moſcheen herrüßren, unter denen wiederum eine Moſchee 
fowie das Grab bes heiligen Schir-Kabir befonders gezeigt 
werden. Noch heutigen Tages fommt eine große Pilgerzahl 
aus allen Weltgegenden hierher, um dem Heiligen ihre Ehr« 
furcht zu beweifen, gerade jo wie mad) der perfiichen Stabt 
Meſched. Die Moſchee des heiligen Schir⸗Kabir ift immer 
mit Teppichen gefchmüdt, welche Gaben der frommen Pilger 
find. Im ihr fteht ein verſchloſſener Kaften mit verfchiedenen 
a Buchern, hängt eine Yampe und ftehen einige Gefüße 
zu Wafchungen, wenngleich hier Niemand feft angefiebelt ift 
und aud) in der Nühe fein Stamm nomabifirt. 

Die Befcjreibung der Feſtungen in der Gegend von 
Mefterian erinnert mich zu jehr an die Kremlins von Moss 
fau, NifhnyNowgorod, Tſchebolſara, Swiask und Kafan, 
als daß ich es unterlafjen fönnte, auf diefe von den Tataren 
erbauten weiten hinzuweifen und meine Meinung dahim zu 
äußern, daß aud) wohl die „Sremline* von Dieflerian, wie 
die Stadt ſelbſt und die benachbarte Stadt der Todten, 
Meſched, von den Tataren in ihrer Glangperiode, vielleicht 
von dem mächtigen Chanen von Aſtrachan, erbaut, fpäter 
aber von den feine Stüdte Liebenden Mongolen, wenn 
auch nur theilweife, zerftört worden find, Wo ift die reiche, 
gebildete Bevölkerung geblieben ? Werben einft die Infchrifs 
ten die frage nach der Nationalität, bie Gräber die über 
ben Untergang eines Gulturvolfes beantworten? So viel 
ift gewiß, ſchon wir ſchauen nicht, wie Conolly im Jahre 
1838, wie durd) einen Nebel auf zwei untergegangene herr 
liche Städte, 


Aus Nordamerifa 


Politifche und jociale Zuftände in den Vereinigten Staaten. 


B. Bei allen in dev amerikanischen Republik vorhandenen 
Mängeln und Schäden bleibt die ruckſichtsloſe Unerfchroden: 
heit, mit der die dortige Preffe die Betrligereien und Corrups 
tion aller Parteien auſdeckt, eine anerlennenswerthe That: 
face, die denn auch, mehr ald in irgend einem andern Yande 
der Welt, zur Bloßftellung und Beftrafung der Schuldigen 
führt. Gegen Präfident Grant ift, aufer feinem micht 
wegzuleugnenden Nepotismus und Gejcenfannehmen, das 
ſich vielleicht auch vertheidigen ließe, nie dev Schatten eines 
Verdachts aufgekommen; auch die Mitglieder feines jegigen 
Gabinets find im Ganzen tlichtige und fähige Männer; da- 
gegen ift er vor Kurzem infofern wenigftens hart geftreift 
worden, als fein eigener Privatjecretär, General Babcod, 
angeflagt wurde, Vetrligereien gegen das Steueramt Bor- 
ſchub geleiftet zu haben. Im vergangenen Dahre wurde 


nämlid) in mehreren weſtlichen Städten, vorzliglid) in 
St. Louis, eine Berfhwörung zwiſchen den dortigen Bereinige 
ten-Staaten-Steuerbeamten und einer großen Anzahl bedeus 
tenber Branntweinbrenner, unter denen ſich leider auch meh— 
rere deutjche Namen finden, durch den höchſt achtbaren 
Schagamtfecretär Briſtow aufgededt, welche durch Umgehung 
der bedeutenden Stener der Regierung große Berlufte bei: 
bradite. In genauer Befolgung eines Ausſpruchs des 
-Präfidenten, „keinen Schuldigen entkommen zu laſſen“*, ver— 
hängten die Gerichte ſummariſche Strafen über die ſchuldig 
Erwieſenen, unter denen der Bundescontroleur der Brennereien 
von St. Youis, Macdonald, auch zu mehrjähriger Zuchthaus: 
ftrafe verurtheilt wurde. Die Unterfucungen dauern noch 
fort. Gegen General Babeock wurde nun die Anklage er: 
hoben, daß er vor Anfang des Proceſſes vermittelft telegras 
14* 


108 


phifcher Depeſchen verſchiedenen der bebrohten Beamten 
Warnungen habe zugehen laffen, bie ihm, vermöge feiner 
einflußreichen Stellung in Wafhington, zu Gebote ftanden 
und feine Theilhaberichaft an ber Verſchwörung ahnen laſſen. 
Man muß eingeftehen, daß er foweit Alles gethan hat, was 
man von einem unfchuldig Ungeflagten erwarten fünnte, in 
dem er gleich nach dem erſten Gerüchten feiner Schuld, ale 
Offizier der Armee, den Bräfidenten um ein Sriegsgericht 
zur Unterfuchung feines Berhaltens bat, vor dem er feine 
Unfchuld zu beweifen verfprad,. Bor Zufammentritt defiel- 
ben erhoben aber die Großgeſchworenen in St. Louis bereits 
eine formelle Anklage gegen Babcod, auf deffen Wunſch denn 
das Kriegegericht ſich auflöfte, um das Ergebniß der gericht» 
lichen Unterfuchung abzuwarten. Einen offenbaren Miß- 
griff beging freilich der Präfident, als er auf Anrathen fei- 
nes Cabinets den fpeciellen Bundesanwalt in St. Lonis, 
Henderfon, der die bisherigen Unterfuchungen gegen bie 
Branntweinbetrliger mit anerfannter und erfolgreicher Fähigs 
feit geleitet hatte, feiner Stelle enthob, weil derfelbe in einer 
feiner Gerichtsreden ſich eine grundlofe, gehäffige Beſchuldi— 
gung des Präfidenten hatte zu Schulden fommen laffen; da 
aber, wie Grant jelbft fagte, er nicht auf der Anklagebant 
jäße, ferner die Großjury, der die formelle Anklage obliegt, 
ihm einen Brief mit dem Ausdrud ihres vollfommenen Ver— 
trauens hat zufommen laffen, und auch ber Nachfolger bes 
Staatdanwalts ein allgemein geadhteter Advocat, ja jelbft 
Mitglied der Oppofitionspartei ber Demokraten ift, dürfte 
e8 ſchwer zu entfcheiden fein, wer eigentlich Unrecht hat. 
Die Unterfuchung gegen Babeod findet im Januar ftatt. 
Das Enttommen William M. Tweed's, des befann- 
ten Hauptes des Tammany-Rings, der die Stadt Neuyort 
um mehrere Millionen Dollars beftahl, wirft ein ungleid) 
flareres Licht auf die Beſtechlichkeit amerifanifcher Beamten. 
Nachdem Tweed im Jahre 1871, nad der Bloßſtellung 
feiner Betrligereien in der „Nero Mort Times“, durch die 
überwältigende Majorität der ehrlichen Wähler feiner und 
feiner Partei Macht beraubt, vor ein Gericht geftellt und 
zum Zuchthaus verurtheilt worden war, gelang es ihm nad) 
theilmweifer Abblißung feiner Strafe ſich nad) dem Neuyorlker 
Scyuldnergefängniffe verfegen zu laffen, wo er auf Grund 
von Proceljen zur Zuriiderftattung des geftohlenen Geldes 
feftgehalten wurde, Nach dem Schwinden jeder Hoffnung 
einer endlichen Freiſprechung oder auch nur eines Aufbrins 
gens ber erforderlichen Bitrgfchaft von drei Millionen Dol— 
lars beſchloß er die Flucht, die ihm beim Beſuche feiner 
Familie in feinem eigenen Haufe, der ihm im Begleitung 
von zwei Unterfcheriffs geftattet wurde, and) gelang. Nach 
dem verdüchtigen Berichte legterer bat er um Erlaubniß, 
feine Frau im obern Stod aufzufucen, um — troß ſeines 
Alters und einer falftaffähnlichen Figur — ſpurlos zu 
verfchwinden. Alle Anftrengungen der Polizei, die, durch 
die außgefegte Belohnung von 10,000 Dollars zu befondern 
Eifer angefpornt, feinen Stein zur Wicderherbeiichaffung 
des berühmten Hlächtlinge im Neuyork und den Nachbars 
ftädten umgewendet ließ, haben font zu feinem Reſultat 
geführt. Die Andignation ift natürlich ſehr groß; der tlidj- 
tige Gouverneur Tilden des Staates Neuhork hält den 
Obericheriff perfönlich haftbar fir feinen entlommenen Ges 
fangenen, Seitdem das Gericht von Tweed's Auftauchen 
in Havanna, wo freilich fein Auslieferungsgefeg ihn gefähr- 
den könnte, ſich als unbegräindet erwiefen, glaubt man all- 
gemein, daß er fich noch in ber Stadt felbft bei einem feiner 
vielen früheren Parteigänger verſteckt halte, und daß ſomit 
noch immer Ansficht auf feine Entdedung vorhanden jet, 
um fo mehr als fein Aeußeres durch die Garricatuven der 
illuſtrirten Zeitungen jedem Kinde in Neuporf bekannt ift. 


Aus Nordamerika. 


Daley Hall, früherer Major von Neuyorf, und als fol: 
her auch, freilich erwiefenermaßen nur paſſives, Mitglied 
des Tammany- Rings, ein ausgezeichneter Redner und Ad: 
vocat, ift vor Kurzem auch als Schriftfteller und — Schau⸗ 
fpieler aufgetreten, indem er auf ber Bühne des Park: 
theaters in der Hauptrolle (der eines unfchuldig angeflagten 
Bankcaffirers) eines felbfiverfaßten Stüdes mit, nebenbei 
bemerkt, nur mittelmäßigem Erfolge erfchien. Beſondern 
Eindrud machte der vierte Act, in weldem der Exblirger- 
meifter in der Kleidung eines engliſchen Sträflings auftrat; 
doch enthielt fi) das ſehr gewählte Publicum aller anzüg« 
lichen Kundgebungen. Als Beweis eines wachjenden Ge— 
techtigfeitägefühls in dem bisher durch feine unbeftraften 
Morde berüchtigten Neuyork dient die am 17. December 
ftattgefundene gleichzeitige Hinrichtung am einem Galgen 
von drei ber Ermordung eines deutlichen Haufirers über- 
führten Negern. 

Ein nicht zu entfchuldigender Fehler des Präfidenten 
Grant ift die Hartnädigfeit, mit der er feine perſönlichen 
Freunde felbft nach Aufderung ihrer Corruption in ihren 
öffentlichen Stellungen beibehält. Ein eclatantes Veifpiel 
liefert der jegige amerifanifche Gefandte in London, Gene- 
ral R. C. S,, ber, ſchon vor Jahren einer Verbindung 
mit den Emma + Minen +Betrligereien angellagt, nie eine 
überzeugende Bertheibigung geliefert hat, und deſſen lite: 
varifche Tätigkeit fid) auf eine in London erſchienene An- 
leitung des amerifanifchen Kartenfpiels „Poter* beſchränlt. 
Einen neuen Corruptionabeweis dieſes Muſter-Geſandten 
liefert ein ſoeben veröffentlichteer Contract, den ein Her 
Wiard, fein damaliger Theilhaber in einer Gefchligfabrit, 
im Juli 1871 mit einem gewiſſen Machado abſchloß, wel: 
her Pegterer eine Forderung von 350,000 Dollars wegen 
zerftörter Schiffe an bie englische Regierung hatte und ſich 
verpflichtete, Herrn Wiard ein Drittel der geforderten 
Summe auszuzahlen, falls diefelbe während General S.'& 
Anweſenheit als amerikaniſcher Gefandter inYon: 
bon und Danf feiner Bermittelung erlangt wide. 
Wiard liberfandte S. den Contract ohne Weiteres , und bie: 
fer, ftatt ihm mit Entruſtung zurlidzuweifen, erwiederte 
wörtlich wie folgt: „Ic werde ſehen, was ſich thun 
läßt, doch hätte mein Name nicht fchriftlich erwähnt were 
den follen. Diefer Brief ift nur für Sie und muß vers 
brannt werden.“ Obgleich fein gejchäftliches Lebereinfont: 
men zwifchen Beiden erwähnt wird, kann man doch feine 
eigenen ——* ziehen, und iſt jeder weitere Commentar 
dieſer ſaubern Angelegenheit überflüſſig. Der geſammte 
einflußreiche Theil der amerilaniſchen Preſſe, voran die aus— 
gezeichnete „New York Tribune“, verlangt einſtimmig die 
Abſetzung des Geſandten, deſſen hohe Stellung in London 
fie als Schande für die Republik anerlennt. Dagegen wird 
die Ernennung Herrn Seward's, des Neffen des verftor- 
benen Staateminifters, zum Gejandten in China einftinmig 
als Anfang einer wlrdigern Bertretung im Auslande bes 
grüßt. Im der Hauptſtadt Wafhington hat ſich, wie ge: 
wöhnlich beim Zuſammentritt eines neuen Congrefjes, eine 
Menge von Stellenjägern eingefunden, die den Sprecher 
und die Beamten des Nepräfentantenhaufes um die von 
ihnen zu vergebenden Stellen umlagern, Obgleich die ganze 
Anzahl der Ernennungen fid) nur auf 300 beläuft, follen 
fi) gegen 10,000 Bewerber eingeftelt haben, unter denen 
ſich auch viele felihere Congreßmitglieder befinden, die ſich 
felbft mit untergeordneten Stellungen begnügen würden. 
Ueberhaupt beſaß die große Mehrzahl der Mitglieder meh— 
rerer der legten Congrefle weder ſtaatsmünniſche Nenntnifie 
oder Fähigkeiten, noch jelbft einen guten Auf, dod) unterliegt 
es feinem Zweifel, da der jetiige (der 44.) Congreß aus 


Dr. med. Georg Thiele: Skizzen aus Chile. 


einer beffern Claſſe Leute befteht. Zum erften Mal jeit 
1860 find die Demokraten wieder im Nepräfentantenhaufe 
in der Mehrheit; aud) fangen die Südftaaten an, ihre früs 
here wichtige Stellung in der Geſetzgebung des Landes ein 
zunehmen. Sollte, wie man vorfchlägt, die Führung der 
Indianerangelegenheiten, ftatt wie bisher durd) den Secre- 
tär des Innern, dem Sriegsdepartement übergeßen werben, 
fo ditrften auch die ſchamloſen Betrligereien ber Agenten, bie 
übrigens dem legten Secretär Delano ſchließlich feinen offi- 
ciellen Kopf gekoftet haben, einer beſſern Verwaltung Platz 
machen. 

Eine vom culturhiftorifchen Standpunkte aus interejfante 
Erſcheinung ift die angenblidlich in den Vereinigten Staa- 
ten unter Yeitung der „Evangeliften® Moody und Sanfeny 
graffirende „Betjeuce*. Gleich dem vor einigen Jahren 
verbreiteten „Branntweinkrenzzug* zieht fie von Stadt zu 
Stadt und hat augenblidlicy, nad großen Erfolgen in Neus 
york und Brooflyn, in Philadelphia Standquartier genom- 
men. Die ungeheure Halle eines frühern Bahnhofs ift in 
ein mehrere Taufend Leute jafjendes Bethaus mit Sitzreihen 
verwandelt worden, das bei den drei täglichen „Meetings“ 
jedesmal überfüllt ift. Herr Moody hält die meiftens er 
mahnenden, dabei ganz confeffionslofen Anveden, während 


109 


welcher viele feiner Zuhörer in religiöfe Aufregung gerathen, 
aufjpringen und um fpecielle Gebete für ihre Seelen bitten; 
dazwischen fingt Herr Sanfey Sirchenlieder und Palmen. 
Der Andrang ift nicht allein aus dev Stadt ein fehr großer, 
fondern es fommen die Leute auch meilenweit per Eifenbahn 
aus der Umgebung herbei, fo daß oft 8000 Menfchen auf 
einmal verfanmelt find. Zweihundert Thürftcher, deven 
jeder ein Kirchenmitglieb, ohne Rüchſicht auf die Confeffion, 
fein muß, weifen ihmen die Sitze an; eine eigene Kliche und 
Eßzimmer verforgen fie mit Speifen. Neben der Kanzel 
figt der Oberthürſteher und dev Sergeant der in der Halle 
poflirten Poliziften; telegraphiiche Yeitung führt von dem 
Tiſch des erftern zu dem Anffeher dev Heizung, den Wäch— 
tern der beiden großen Thliren, die im Feuerfall augenblid- 
lich geöffnet werden fünnen, und zu der Feuerwehr, die beim 
erften Signale zur Hand wäre Gin nahes Ende diefer 
Epidemie ift nody nicht abzufehen, da die „Evangeliften“ 
bie meiften anderen großen Städte des Landes mit ihren 
„Erwedungen* zu beglliden beabfichtigen. Auch iiber diefen 
dem Europäer unverftändlichen pietiftijchen Auswuchs fan 
man mit dem großen Briten jagen: „Though this be 
madness, yet there's method in it.* 


Stizzen ans Chile 
Von Dr. med. Georg Thiele. 
vIIL.*) 


Finares ift die erfte größere Stadt an der großen 
Strafe von Talca nad) dem Süden. Die Entfernung bes 
trägt 15 Leguas (8!/, deutſche Meilen), und bei trodener 
Straße legt man den Weg in 4 bis 5 Stunden zurüd, 
während er zur Regenzeit entweder ganz unfahrbar ift oder 
die dreifache Zeit foftet. Der erſte Theil des Weges bie 
zum Maule, eine Strede von 4 Leguas (26 Yeguas 
== 15 deutsche Meilen), iftin mancher Hinficht der ſchlimmſte. 
Die Ebene fenkt ſich allmälig und ift von mehreren Schluch— 
ten unterbrochen, in die der Wagen hinunter umd wieder 
hinauffahren muß. Am Grunde findet man einige bei 
Regenwetter ſtark angejchwollene Bäche. Dieſe Pafjagen 
find in dem zähen naſſen Lehmboden recht jchlimm. ber 
bie ſchlimmſten Stellen waren doch fiir uns auf der ebenen 
Fläde. (Es hatte ungewöhnlicher Weife nod im Septem- 
ber ein paar Tage ftarf geregnet, fo daß für zwei Tage der 
Verlehr gänzlich unterbrochen geweien war.) Halbe Stun: 
den lang abwechjelnd mit der redjten und dann mit der lin— 
fen Seite des Wagens durch Löcher ſich arbeitend, in die 
unfere großen Kutſchenräder bis zur Hälfte hineinfielen, 
natürlich ftets im Galopp, fauften wir dahin, bald gegen 
einander, bald gegen die Wände ober Dede der Kutſche zu« 
fammengefchütielt , während dabei alle Augenblide am Wa— 
gen oder am Geſchirr etwas entzwei ging, fo daß wir ges 
legentlich 10 Minuten Halt machen mußten. Dabei goß 
nod) immer der Regen in Strömen. Fenſter gab es im 
Wagen nicht, fondern lederne Vorhänge, die vor die Yufen 
gezogen werden mußten; da dieſe aber nicht gut ſchloſſen, 
jo waren wir bald mit einer gleichmäßigen Krufte von Koth 
überzogen. Auf dem Niücwege konnte ich mich überzeugen, 
daß die Gegend nichts Beſonderes bietet. Kurz hinter Talca 
bleibt die Straße mit Meinen und großen Höfen dicht beſetzt. 

* &, Bb. XXVI, 8,106 u. 124, U. XXVII, ©. 205. 218. 
232. 251. 318. 


Später hat man zur Rechten ganz nahe die erſten Hügel 
des Küftengebirges, links untiberfehbares Weideland, und 
dahinter die Corbillera central, Gegen 2 Uhr erreichten 
wir den Maule Um eim enblofes Gewirre von ange 
ſchwollenen Bächen abzufchneiden, fuhren wir über eine Kleine 
Hligelreihe weg und dann in das Flußbett hinab. Un feis 
nen äufßerften Grenzen ftehen einige Ranchos (Schilfplitten); 
dann führt man über groben Kies und Steine nod) etwa 
5 Minuten, bis man am Nande des Waſſers anlangt. Die 
Gegend gewährt hier für Iemanden, der noch nicht an ſüd⸗ 
amerifanifche Scenerie gewöhnt ift, einen fonderbaren Aus 
blid, Der Fluß ſelbſt hat eigentlich) gar fein rechtes Fluß- 
bett. Auf der linken Seite allerdings ift es ſcharf begrenzt 
durch ein fast ſenkrecht abfallendes Ufer von mäßiger Höhe. 
Rechterſeits dehnt fich aber cin großes Steinfeld aus, Hin und 
wieber mit von Gras bewachjenen Flächen abwechfelnd, Meine 
Teiche dazwiſchen, auc einige Ranchos darauf, und bas 
Ganze von Kleinen Bäcen durchfloffen. Ohne Zweifel ift 
das Ganze früher ein großes Flußbett gewefen und gelegent- 
lich mag es auch) heute noch unter Umftänden eime große 
Wafjerfläche bilden. Flir gewöhnlic aber ift der Fluß auf 
den Waſſerarm am der linken Seite der ganzen Senkung 
beſchränlt. Bei höherm Waflerftand nimmt er dann an 
Breite zu, das Steinfeld an feiner rechten Seite in größerer 
oder geringerer Ausdehnung überfluthend, Stromaufwärts 
fieht man in die große Ebene hinein, die in verſchiedener 
Richtung von Waſſerarmen durchkreuzt wird; ſtromabwärts 
fieht man dem Fluß ſich in dem Hligelm des Küftengebirges 
verlieren, das hier dem Fluß entlang einige Ausläufer hat, 
fo daß man an der Stelle, wo die Ueberfahrt ftattfindet, 
rechts und links von Hügeln umgeben iſt. In ber Ferne 
fieht man einige Pappelalleen , fonft beficht die Vegetation 
auch der Higel aus nichts als Gras, Agaven, Cactus und 
einigen fpärlichen Espinoſträuchern. Letzteres ift eine Pflanze, 


110 


die ganz die yorm und Bauart unferer großen Yaubholz- 
bäume (Eiche, Yinde) hat, dabei aber nie Über doppelte 
Deannshöhe erreicht, 

Der Fluß feloft ift wicht breit, auch nicht ſehr tief, fo 
daß Reiter ihn bei niederm Wafferftande zu pafjiren wagen. 
Bei der großen Schnelligkeit aber, mit der jeine bleigrauen 
Fluthen dahinfchiegen, befördert er doch eine große Wafler: 
menge zum Meere, Die Paflage gefchieht auf großen flachen 
Booten, au einem windigen, vegnerifchen Tage, wie und befcheert 
war, eine äußerſt unerquidliche Partie! Alles ift maß, von 
Schutz feine Spur, höchſtens ein wenig hinter dem Wagen, 
der auf ein paar großen Ballen, die liber die Ränder der 
„Yance* gelegt oder befeftigt find, gerollt wird. (Die 
Lanche ift nicht eine Fähre, fondern ein wirkliches, ſehr breis 
tes und fehr flaches Boot.) Die Pferde müflen ebenfalls 
hinein, und es ift ganz interefiant, zu fehen, wie dieſe Thiere, 
ſelbſt folche, die diefe Fahrt noch mie gemacht haben, aus 
dem Waller (demm das rechte Ufer ift fo feicht, daß das 
Boot nicht am feften Yande anlegt) Über den Mand des 
Vootes hinweg und in daſſelbe hineinfpringen, und wie rus 
big fie fich, fo dicht zroifchen Wagen und Dentihen gebrängt, 
verhalten. Bei diefer eriten Fahrt Über den Maule, die ic) 
machte, wurden noch bie Paſſagiere von den Bootöleuten 
auf dem Rüden ins Boot getragen, damit fie ſich die Fße 
nicht maß machten. Bei einer zweiten Fahrt fand ich ſchon 
eine Berbeflerung: man hatte aus Holz eine Heine Yandungs- 
brüide verfertigt und auf Mäder gefegt, fo daß man troden 
aufs Boot gehen konnte. Die Fuhrleute ziehen num im 
Wafler watend die Lanche eine Strede weit jtromauf, dann 
ftoßen fie fie ins tiefere Waller, um rubernd das andere 
Ufer zu gewinnen. Dabei treibt der ſtarle Strom das 
Boote aber weit hinab, jo daß man ein großes Stüd unter: 
halb der Stelle, wo man ſich einfchifft, am andern Ufer ans 
fonmt. . 

Nach der Ueberfahrt ging es dann mit neu vorgelegten 
Pferden weiter in die Provincia de Maule (dev Maule 
bildet die Grenze) hinein. Der Weg war von hier bis Vie 
nares befjer, fandiger und härter, die entjeglichen Löcher in 
der Straße waren Seltener; dafür hatten wir eine andere 
Beſchwerde: die linfe Seite des Fluſſes ift reicher an gro- 
ken und Heinen Nebenfliäffen aller Art, Bier, nahe am 
Fluſſe, war es nod) nicht jo ſchlimm wie hinter San Jans 
vier. Alle Ungenblide kamen wir am einen Fluß oder 
Bad, alle ſtark angeſchwollen und, wo die Straße freuzte, 
breit ausgedehnt, wie ein Heiner Teich). Bon Brüden war 
feine Spur, wir mußten immer fo hindurch, die Pferde faft 
ftets bi an den Bauch im Waffe. Zwei Leguas vom 
Fluſſe paffirt man San Janvier, ein Dertdhen von 1000 
Einwohnern, jehr neuen Urſprungs; eine Yegua fpäter ge— 
langt man nad, Villa Alegre, einem Dertchen gleichen Um: 
fange, dem Mittelpunkt einer ſchönen, reichen und wichtigen 
Gegend. Anı rechten Ufer des Yoncomilla, ded größten 


Aus allen 


Aus Neufeeland. 

— Die öffentlihe Revenue des Finanzjahres 1874/75 
(daffelbe ſchließt mit Ende Juni ab) besifferte 1,605,003 
BE. St., gegen 1,420,218 Pf. St. im Vorjahre, alio eine 
Zunahme von 184,755 Pf. St. Dazu würden noch Aue: 
ftände im Betrage von 96,357 Bf. St. und ein Ueberfchuß 
von 205,500 Bf. St. aus dem Vorjahre zu rechnen fein, jo 


Aus allen Erdtheilen. 


Nebenfluffes ded Maule, gelegen, bezeichnet man diefe Gegend 
gewöhnlic) wit dem Namen Yoncomilla. Diefer Neben 
flug ift von dem Seehafen Conftitucion (der an der 
Mündung des Maule liegt) bit Hierher für Boote fchifibar, 
ein fehr wichtiger Vortheil in einem Yande, wo Wege etwas 
Seltenes und Fracht etwas fehr Koftfpieliges ift. Die ganze 
Gegend iſt ein —— von Haziendas der verſchieden⸗ 
ſten Größe, meiſt Eigenthum reicher Leute aus Talca und 
Santiago, die im Sommer gewöhnlich hier wohnen. 

Nach weiteren vier Leguas gelangten wir dann glücklich 
an den ſtark angefhwollenen und bedenklich laut —— 
Putagan, gleichſam zur Vorbereitung alle Viertelſtunden 
einen Heinen Fluß paſſirend. Am Fluſſe ſelbſt wurde uns 
geſagt, es ſei eben ein Wagen durchgefahren, und ſo rislirten 
wir es ebenfalle. Der Fluß, an und fur ſich ein kleines 
Ding, ift amögezeichnet durch die vothe Farbe feiner Wafler 
und durch den Umitand, daß er fchnell anwächſt und wieder 
finkt. An der Stelle, wo bie Straße ihn kreuzt, läuft er 
in zwei Armen. Der erfte war nicht allzutief, den zweiten 
aber zu pafjiren war in ber That ein etwas gewagtes Un— 
ternehmen. Die Strömung war fo ſtark, daß unfer ſchwe⸗ 
rer Wagen etwas fchräg geitellt wurde, dabei das Waſſer 
jo hoch, daß daflelbe den Pferden (allerdings eine kleinere 
Race als die europäifchen) bis an den Rücken ftieg und in 
den Kutſchlaſten unſeres ſehr hohen Wagens Hineinlief, jo 
daf wir die Beine hoch heben mußten, um nicht naß zu 
werden. Doc) kamen wir glüdlid hinüber. 

Das Yand zwiſchen Yoncomilla und Linares ift 
ziemlich einfam; auch Aderfelder ſieht man wenig, nur un 
geheure Weideftreden. Während man bei Talca ziemlid 
dicht am KHüftengebirge hinfährt, befindet man ſich hier im 
ber Mitte einer großen Hochebene, die von hier bis San 
Carlos ihre größte Breite erreicht. Doch iſt fie hier nicht 
mehr fo eben, fondern enthält einzelne zerſtreute Hligel 
und Feine Ketten. Andererſeits fcheinen auch die tiefen 
Schluchten zu fehlen, in denen die Bäche der obern Hälfte 
die Ebene durchfließen, obgleich es an Waffer durchaus nicht 
mangelt. Der Weg von hier ab bis Linares iſt gut; mur 
eine große Wiefe war ihres Lehmbodens wegen recht jchwie- 
rig zu paffiven. Außerdem mußten wir einmal bei einem 
erbärmlich Heinen Bache ausfteigen, weil der Kutſcher er- 
Härte, wegen eines Loches in demfelben, an der Stelle wo 
der Weg ihn kreuzt, fei es umficher für die Paffagiere, im 
Wagen zu bleiben, Wir paffirten ihn denn zu Sub, mit 
feiltängerifcher Geſchicklichleit ber einen Meinen hinliberge⸗ 
legten Balten, mit einer langen Robrftange (caüa de Co- 
stilla) ung ftligend. Nach einer ftrapazenveichen Fahrt von 
nahezu 10 Stunden langten wir Abends 7 Uhr maß, 
ſchmutzig, müde und hungerig in Yinares an, um in dem 
einzigen, aber ziemlich erbärmlichen Hötel dafelbt, über wel- 
ches ſelbſt die Öbilenen Hagten, abzufteigen. 


GErdtheilen. 


daß damit bie Nevenue des Jahres 1874/75 auf 1,906,800 
Pf. St. anſchwoll. Bringen wir davon die Ausgaben mit 
1,756,414 Pf. St. in Abzug, To endigt das Finanzjahr mit 
einen Plus von 120,446 Bf. St. Aus dem Verlaufe von 
Kronland waren nur 773,805 Pf. St. eingegangen , beträcht: 
lich weniger als im Vorjahre. 

Der Finanzminifter nimmt an, daß die Revenue bed 


Aus allen Erdtheilen. 


laufenden Finanzjahres fich auf 2,476,195 Bf. St. belaufen 
werde, vorausgeſetzt, daß das Parlament, wie inzwifchen ges 
ſchehen, die Couföderation der neun Provinzen, aus welchen 
Nenfecland jebt befteht, aufhebt und an deren Stelle die ein— 
heitliche Colonie mit einer Coloniafregierung fett. Die 
Ausgaben calculirt der Minifter auf 2,406,600 Bf. St. und 
würde damit ein Ueberſchuß von 70,793 Pf. St. verbleiben. 

Was die Befeitigung der Provinzialeintbeilung anlangt 
— Nenfeeland zerfällt bekanntlich in neun Provinzen , deren 
jede ihr eigened Provinzialparlament und einen befondern 
Subgonverneur, Superintendent genannt, befigt und in ihren 
Localangelegenbeiten eine volle Selbftändigfeit ausiibt —, fo 
follte nad) der vom Minifterium dem Parlamente vorgelegten 
Bill an deren Stelle die einheitliche Colonie mit bloßer 
Diftrietseintheilung treten. Die Debatte, welche am 10. Scp: 
tember in der Aflembiy begann, bielt drei Wochen an, wobei 
die Oppofition alle möglichen parlamentarifchen Kniffe zur 
Anwendung brachte. Das Nefultat war, daß mit 55 gegen 
% Stimmen die „Abolition of Provinces“ angenommen ward, 
doch erreichte die Oppofition das Angeftändniß, dab die Bill 
erft am Tage nach der lebten Sigung der nädften Parla- 
mentsverfammlung zur praftiichen Geltung kommen Soll. 

— Ein ſehr heftige Erdbeben, in der Richtung von 
Nord nah Sitd, fand am 14. September Abends 11 Uhr in 
Gisborne an der Dftfüfte von Neuſeeland ftatt. Auch in 
Wellington und Blenheim wurden ftarfe Erdſtöße veripirt. 

— Wie die Goldfelder auf dem auftraliichen Continente 
in ben legten Jahren in ihrer Ergiebigkeit erbeblich abgenom— 
men haben, fo iſt dies auch anf Neuſeeland der Fall. In 
den eriten ſechs Monaten des Jahres 1875 belief fich bie 
Soldansfuhr nur noch auf 176,639 Unzen, im Betrage von 
704,893 Pf. St., während ſich der Export in demfelben Zeit: 
raume des Vorjahres auf 201,033 Unzen zum Werthe von 
801,666 Pf. St. ftellte. 


Aus Hawali. 

In Bd. XNV. diefer Zeitichrift Nr. 4, 5, 6 und 38) 
wurden unter dem Titel „Streifziige auf den Sandwichinfeln“ 
eine Reihe von Schilderungen veröffentlicht, zu denen uns 
in banfenswerther Weile Hr. Franz Birgham, welder 
die letzten zwei Jahre auf jenem Archipel gelebt und fich mit 
feiner Natur und feinen Bewohnern völlig vertramt gemacht 
bat, eine Anzahl von Verbefferungen und Nachträgen einge 
fendet hat. Wir laffen diefelben bier mit Angabe der betref- 
fenden Seitenzahl in jenem Bande folgen. 

©. 49. Bon den 11 Juſeln der Gruppe find 7 bewohnt 
(nicht refp. 12 und 8). 

©. 51. Der höchſte Punkt der Diamant-Spite (Diamond 
Head, Leahi) ift mach Negiernngsvermeffung 761 Fuß über 
dem Meere (nicht 3000) und dauert das Erfteigen demnach 
hbchſtens Stunde (micht 11). Ihre innere Ebene bat feine 
100 Fuß Tiefe (ftatt 300), 

S. 51. Koko Head (nicht Cocoa Head) ift fait die Oſt-, 
nicht Südipige der Inſel Dahn. 

S. 52. Der Königsmantel wurde aus den Federn des 
Meinen Vogels Mamo gefertigt, der im gebirgigiten Theile 
Hawaiis lebt und nur mit vieler Mühe auf Leimruthen ges 
fangen wird. Der ſonſt ſchwarze Vogel liefert bloß zwei gelbe 
Federn unter dem Flügel, fo daß unzählbare zur Verfertigung 
eines Mantels gehören. Uebrigens giebt es derem nicht bloß 
einen, fondern mehrere; diefelben find gewöhnlich 4 Fu lang 
und unten 12 Fuß breit uud werben auf 50,000 Dollars 
geichägt (micht eine Million Francs). In der ethnograpbiichen 
Abtheilung des Berliner Diufeums befindet fich ein ſehr jchör 
ned Exemplar; bei einem Brande des Haufes der Prinzeſſin 
Luka in Honolulu im vergangenen Jahre wurden mehrere 
serftört, ein anderer wurde beim Tode des Königs Lunalilo 
auf Befehl deſſen Baterd zum Leidweien der Hamatier ala 
Umbüllung der Leiche mit in den Sarg gelegt; dem für den 
Thron benutzten wird König Kalakaua nüchſtes Jahr zur 


111 


Bhiladelphia:-Ansitellung jchiden. Heute werden, der großen 
Mühe und des Zeitanfwandes wegen, Feine mehr gemacht 
auch fehlen die Vögel und die geſchidten Arbeiter. 

©. 52. Der Wahliprud; des Königreichs Hawaii lautet 
(itatt des angegebenen): „Ua mau fe ea o fa aina fa pono!* 
(Mechtlichkeit it das Leben des Landes!) 

S. 65, Erft im Jahre 1810 (micht 1789) wurde die ganze 
Gruppe unter Kamehameha vereinigt. 

©. 68. Der Name Honoruru wird nie für die Haupt: 
ftadt gebraudıt. 

©. 65. Das Grabmal Kamehameha's, das ald „das 
Allerbeiligfte und deffen Tabu (anf Hawaiiſch eigentlich Kapu) 
als unverlchlich* beichricben wird, lag in Keilug dicht vor 
meinem Hauſe. Es ift nur noch ein zerfallener Steinhaufe 
und wird mar moch als jolcher angejehen. 

& S. 08, Der zweite Kamehameha hieß Liholiho, micht 
iolio. 

S. 69. Aſyle, Zufluchtsftätten hiefen Puuhonuas. Das- 
jenige von Honaunan, deffen Mauern noch volllommen er: 
halten find, war auf allen Seiten eingefchloffen, fo daß der 
Flüchtling über die Mauer ind Innere gelangen mußte. 

©. 70, Das Bali ift 6 engliſche Meilen von Honolulu; 
den Abjticg bildet jett ein breiter Fahrweg, — Der Malo 
ift fein „Lurzes Beinlleid', fondern ein fchmaler, 3 Narbe 
langer Galicofteeifen, der um die Hüften gebunden, aber auch 
jegt nur beim Schwimmen und Fiſchfang benutzt wird. — 
Das Wort „Aloha“ (eine Achtungsbezengung) ift allge: 
meiner Gruß und bedeutet ‚Liebe“. Ich liche Dich!" 

©. 83. Die Befchreibung des Brettſchwimmens ift un- 
verftänblich. Der Kanaka fchwimmt mit feinem Brett ins 
Meer hinaus, bis er die Stelle erreicht, wo die Brandung 
anfängt. Danı wirft er fich mit dem Brett auf die gerade 
überftiirzende Welle und kommt pfeilfchnell auf dem Rücken 
derſelben, von feinem Brett getragen, ans Ufer gefchojien. 

S. 34. Die Jagd auf verwildertes Rindvieh wird wohl 
taum als „Lieblingsiport” getrieben, jondern ihrer Deühfelig: 
keiten und Gefahren wegen wirb ihr bloß von profeffionellen 
Bullodshooters der Hänte wegen gehuldigt. — Das Biligras, 
aus dem die Hütten geflochten werben, iſt faft ausgeſtorben und 
ſehr felten. — Wilde Hunde leben auf Hawaii nur auf dem 
öden Gipfel des Manna Ken und greifen nur wildes Vich 
oder einander an; auf Dahn giebt es feine mehr. 

S. 55. Die Ueberfahrt von Honolulu nach Kauai mit 
dem Boftdampfer ift angenehm und dauert nur eine Nacht, 

©. 857. Die Ungaben über die Bulcane find falſch. Der 
höchſte ift der Maung Kea, neueften Vermeſſungen nach 18,805 
Fuß hoch. Derfelbe ift amögeftorben. Der Krater Mokua— 
weoweo auf dem Gipfel des Mauma Loa ift jeit Januar 
1873 in Thätigkeit. Der Kilauen ift fein felbjtändiger 
Bulcan, fondern bildet einen Nebenfrater auf dem Süd» 
oftabhange des Mauna Loa, 3970 Fuß über dem Meere. 
Der Berg auf der Weit: (nicht Norb:) Seite heißt Hualalai, 
aljo weder Hurarari noch Hualafi. — Da der Kilauea bloß 
29 engliſche Meilen von Hilo entfernt liegt, iſt es merlwür— 
dig, baf Herr v. Variguy 13 Stunden lang untertvegs war, 


Die Beamten-Arnee in Wafbington. 

William Hoynes von La Croſſe, Wisconfin, berichtet 
an ben „Republican and Leader", daß die Anzabl der 
Regiernngsangeftellten in Wafhington auf 15,000 bis 16,000 
Perſonen geſchätzt würde, darunter etwa 5000 Frauenzims 
mer und 3000 Meger. Die Frauenmwirtbichaft ſei nicht 
mehr in dem Maße unanftändig wie früber, aber es fei 
immer noch Vieles faul, Der geringite Gehalt für einen 
Clerk betrage 1200 Dollars, aber viele derfelben brädhten 
ihren Gehalt auf 5000 bis 7000 Dollare. Dafür hätten 
diejelben nur 6 Stunden des Tages zu arbeiten, von Mor: 
gens 9 Uhr bis Nachmittagg 3 Uhr. Diele Leichtigkeit 
der Urbeiten umb der angenehme Gehalt brächte ſtets eine 
Armee von Aemterfuchern nach der Regierungsftadt, und es 


112 


wäre ein beftändiges Intriguiren und Drängen nad den 
Stellen von unten nach oben. Es fer dieſes ein Skandal für 
das Fand und eine Schande für die Nepublif, Um bemfelben 
abzubelfen, hätte der Congreß die Gehalte aller Beamten 
ſchon längit um die Hälfte reduciren jollen. Im Dienjte der 
Regierung ftänden gegenwärtig ebenfalls nicht weniger als 
5000 Spione, weldye im Antereffe des Schafamtes und im 
Zollamt verwendet würden. Herr Hoynes beflagt ebenfalls 
das Unvepublifanifche und Degradirende eines ſolchen Dien- 
ftes, obwohl er die Nothwendigkeit der Sache noch zugiebt. 

— Die beiden deutichen Naturforiher Wilbelm Reiß 
und Alphons Stübel, welche fich ſchon feit Jahren der 
Erforihung des Nordweſtens von Südamerika, der Republi- 
fen Eoluntbia, Ecuador und Bern widmen, find jetzt auf den 
Umazonenftrom nach Brafilien binabgefahren, um fich bem 
Süden des Continents zuzumenden. . 

— Die bolivianiſche Regierung bat einem Mr. Daniel 
Moadhman auf 50 Jahre eine Gonceffion für Ganalifirung 
und Beichiffung des Desaguadero ertheilt. Die dazu nö: 
thigen Arbeiten müſſen in fech® Jahren vollendet fein. Da 
dieler Strom, welcher aus dem Titicacafee in einem 35 deutiche 
Meilen langen Laufe in die Laguna de Aullagas jich ergieft, 
bei langſamer Strömung eine beträchtliche Tiefe befist, fo 
Icheint das Unternehmen leicht ausführbar zu fein. Es würde 
dadurch das große, abflußlofe Desaguadero-Becken eine leichte 
Verbindung mit dem Ocean gewinnen, da vorn dem Hafen 
Puno am norbweftlichen Geſtade des Titicacafees ſchon feit 
Jahr und Tag die Eiſenbahn über Aregquipa nad der Küfte 
des Stillen Dceans binabführt, Puno felbft aber dann bequem 
zu Waſſer erreicht werden könnte. 

— Bei Ehillan im der chileniſchen Provinz Nuble ift 
eine ungemein ergrebige Kupferader gefunden worden; Pro— 
ben ergaben 90 Brocent des fchönften Kupfers, das die Re— 
publit aufzuweiſen bat. 

— Amerikaniſchen ftatiftifchen Berichten zufolge leben in 
den Vereinigten Staaten erchufive Alaska noch 278,963 In— 
dianer, eine Zabl, welche auf wirklicher Zählung beruht, und 
welche nur 9 entfernte Stämme mit etwa 50,000 Seelen nicht 
in fich begreift. 42,000 männliche Indianer, faft alles Fa— 
milienbäupter,, leben jett vom Ertrage ihrer Mrbeit. 19,902 
Familien find civilifirt und wohnen in Häuſern, während 
vor fünf Jahren nur 10,320 ſeühaft waren. Much die Indianer: 
friege nehmen laugſam ab; nur mit den Cheyennes und Co: 
manchen fanden im legten Jahre feindliche Zufammenftöße ftatt, 





Statiſtiſcher Atlas Galiziend, Lodomeriens und 
des Großherzogthums Krakau. (Atlas statystyczuy 
Krolestwa Galieyi i Lodomeryi z wielkiem Keiestwem 
Krakowskiem.) 

Unter diefem Titel ift bei Stauropigansfi in Lem: 
berg im ſechs Blättern eine ftatiftiiche Darftellung Galiziens 
erfchienen, welche die Vertheilung der Bevölkerung, die Dich: 
tigkeit der Unftedelungen im den einzelnen Gegenden, die Ber: 
theilung nad) Nationalität, Religion und Geſchlecht darftellt, 
Karte I. verfinnlicht die Dichtigkeit der Bevöllerung, und 
ba finden wir, daß nach Abzug der Hauptftädte Lemberg, 
Sirafau und Tarnowo der Kreis von Wieliczka, wo das 
berühmte Salzwerl einer großen Menſchenmenge lohnende 
Belchäftigung bietet, am dichteften bevölkert ift, denn es kom: 
men bier anf die Duddratmeile 7444 Bewohner. Eben fo 
dicht bevölkert ift der Kreis von Bochnia, wo die gleichen 
Urjachen auch gleiche Wirkungen hervorgerufen haben, denn 
auch Bochnien ift durch feine Salzgruben berühmt. Neben 
diefen beiden Streifen fpielt der Kreis Binla eine hervorra- 
gende Rolle, deun im ihm blühen vorzitglich Induſtrie, Han: 
del und Gewerbe, welche hauptfählich von Dentichen gehegt 


Aus allen Exrdtheilen. 


und gepflegt werben. Der Ipärlichft bevölkerte Kreis ift der 
vor Nadworna und Koſſow, im füdöftlichen Zipfel des 
Landes, Dem Dichtigkeitöverbältuifle der Bewohner eutipricht 
auch die Dichtigkeit der Anfiedelungen (Blatt IL). Wieder 
finden wir im den Streifen Wieliczfa und Bochnia über 
100 Anfiedelungen, im Kreiſe Biala bis 100 Anfiedelungen 
auf 10 öfterreichifchen Onadratmeilen, während wiederum in 
den Kreifen Nadworna und Koſſow nur bis 10 Anſiede— 
lungen auf der gleichen Fläche getroffen werben. 

Ganz diejem Verhältniſſe entſprechend iſt auch die et hno— 
grapbiiche Vertheilung der Bewohner (Blatt III, IV, 
und V.). Während im weftlichen und norbweitlichen Theile 
des Landes der polniſche Stamm 32 bit 98 Proc. der 
Bewohnerzahl ausmacht, bilden die Nutbenen im Süden 
und Süboften (und im reife von Jaworowo, aljo nahezu im 
der Mitte des Landes) eine commpacte Maffe von mehr ald 
75 Proc. der Gefammtbewohner; die Juden aber bewohnen 
bauptjächlich die öftlichen und norböftlichen Kreiſe, wo fie ein 
Eontingent von 21 bi& 13 Proc, der Einwohnerzahl bilden. 
Doch Haben fie vorgejhobene Enclaven in Kollomvyia, 
Drobobycz und Tarnowo, wo fie chenfalls bis 21 Proc, 
der Gefammtberwohner ausmachen. In einem großen Theile 
des Landes beträgt ihre Anzahl nicht volle 5 Proc. der Ber 
wohnerzahl. 

Ein intereffantes Bild bietet das Blatt VI; es ftellt 
die Bertheilung der Geſchlechter dar. Es zeigt uns, 
daß im den Kreilen Biala, Byrice, Wadowice und 
Myslenice, alſo in dem reifen, im welchen die Induftrie 
am blühendften ift, auch das weibliche Gelchlecht überwiegt ; 
denn dort kommen auf je 1000 Männer 1101 bis 1082 
Frauen, während in dem meiften Sid- und Süboftkreifen 
nicht ganz 97 Frauen auf 1000 Männer fommen. Im gro: 
sen Durchicmitte ift die Zahl der Frauen in Weitgalizien 
größer als die der Männer, während in Oftgalizien das Ver: 
hältniß ein umgekehrtes iſt. 

In Bezug auf das Glaubensbekeuntniß zeigt und 
der dem Atlaſſe beigefügte ftatiftiiche Nachweis, daß der Kreis 
Krakau von 97 Proc. römischer Katholiken und 3 Proc. Juden 
die Stadt Krakau von 65 Proc. der erjteren und 34 Proc. 
der letsteren) bewohnt it. Die wenigften Juden wohnen in 
den Kreifen Zywiec, 1 Proc. neben 98 Proc, römischer 
Katholiten, Mysleniec und Nowptarg, 2 Proc. neben 
98 Proc, römischer Katholiken. Im Kreiſe Bohorodizany 
finden wir 83 Proc. griechiſcher Katholiken, während in 17 
Kreifen des Landes, das im Ganzen in 74 Kreiſe getheilt 
ift, kein griechifch-Tathofifcher Bewohner lebt. 

Als einen Maugel der vor ung liegenden Arbeit müffen 
wir bezeichnen, daß in ihr die Ehriften evangelifchen Befennt- 
niſſes nicht beritdjichtigt find, trotzdem deren bekanntlich vedht 
viele in Balizien leben. Man, muß, um annähernd den Pro— 
centfag, welchen fie bilden, zu finden, zum Addiren und Sub: 
trahiren jeine Zuflucht nehmen; 3 B. im Kreife Biala leben 
91 Proc, römisch-katholiicher und 5 Proc. jüdischer Bewohner, 
zuſammen 96 Broc., und da in diefem Kreiſe gar feine gric: 
chiſche Katholilen wohnen, jo muß der Reit von 4 Proc. auf 
die evangelifchen Bewohner entfallen. Durch eine gleiche 
Operation finden wir in Lemberg 3 Proc., in Kralau nur 
1 Proc. Evangeliicher, während im Rzeszower und Kralauer 
Landkreiſe gar Feine Ichen. 

Ebenſo vermiffen wir im dieſer Arbeit Aufſchluß über 
die Belchäftigung der Bewohner; wir fuchen vergebens nach 
den Gegenden, im welchen der Ackerbau vorherrſcht und in 
denen die Induſtrie überwiegt. Diele Angaben ſcheinen uns 
bei grapbiichen Darftellungen der Statiftif eben fo mic 
tig eg die Darftellung der Nationalität, des Belcuntnif- 
fes u. ſ. w. 


Inbalt: Rebatel's und Tiraut's Reife in der Negentfchaft Tunis, IT. (Mit vier Abbildungen.) — 9. v. Lan: 
fenan: Stremondorw’s Reife nach Buchara. II. — Aus den Verhandlungen der Varifer Anthropologiſchen Geſellſchaft. 
11. (Schluß) — Albin Kohn: Die Ruinen der alten Städte Meſched und Mefterion. — Aus Nordamerifa. I. — Dr. med. 
Georg Thiele: Skizzen aus Chile, VII. — Aus allen Erdtbeilen: Aus Nenfeeland. — Aus Hawaii. — Die Beamten: 
Armee in Waſhington. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 22, Januar 1876.) 





Nebarteur: Dr. 0. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftraße 13, II Tr. 
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig. 


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Band XXIX. 


ER, N 2 


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Mit befonderer Berüchfichtigung 





der Anthropologie und &thnologie. 


Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit Fahmännern und Künſtlern herausgegeben von 
Dr. Richard Kiepert. 








Braunſchweig 


Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Bf. 


1876. 





Nebatel’3 und Tirant's Reife in der Negentfchaft Tunis. 


II. 


Niemand fol den ganzen Süden von Tunis bejfer kennen 
und bejfer dort gekannt fein, als Herr Mattei, franzöftfcher 
Confularagent und zugleid, Vertreter des oben erwähnten 
Parifer Hauſes Colombel. Im ande geboren, mit feiner 
Sprache und feinen Gebräuchen wohlbefannt, hat er bort 
einen großen Einfluß, felbft bei den nomadifirenden Stämmen 
der Banu Sayd und der Urgamma. Sein Name ift von 
Farafrah in der Libyſchen Wüfte bis zu den Dafen Alge— 
tiens wohlbefannt ; ja jelbft in Maroffo fol man ihn hören. 
Nichts konnte darum unferen beiden Votanifern erwünſchter 
fein, als daß ſich Mattei ihnen zum Neifebegleiter nach Gaffa 
anbot, einer Dafe etwa 250 bis 300 Kilometer weſtlich von 
Sfales, und die Karawane organifirte. Bon nun an war 
es nicht mehr möglich, wie bisher, im Wagen zu reifen; 
Pferde für die Perfonen, Kameele fiir das Gepäd traten an 
feine Stelle. 

Am 21. März wurde die Weiterreife angetreten, welche 
zunächft faft zwei Tage lang in jübweftlicher Richtung unfern 
vom Meeresftrande entlang führte. Nachdem die fruchtbare 
Zone der Gärten durcjritten war, begann die öde Sandwüſte 
mit einzelnen Fleclen von Vegetation, weldye ſahariſchen Cha- 
raller hat und aus einer Heinen Zahl von Species einjäh- 
tiger Pflanzen bei einer gewaltigen Zahl von Exemplaren 
beiteht, fo daß nach und mad) bei weiterm Bordringen andere 
Arten überwiegen, 

Der Erdboden ift wie ein Sieb von den Löchern ber 
ſchlauen, ſcheuen Springmäufe durchlöchert, was für die Pferde 
äußerjt läftig if. 

Slobus XXIX. Nr. 8, 


Um 4 Uhr —— wurde das erſte menſchliche Ob⸗ 
dach, das elende Dorf El-Mahares, erreicht und dabei 
im Zelte übernachtet. Andern Tages ging es friihzeitig wei- 
ter, weil der nächſte Lagerplat, Sidi⸗Mahedeb, nicht we: 
niger als 75 Kilometer entfernt war. Das Yand blieb jo 
öde wie zuvor, faum daß ſich hier und da ein paar ſchwer 
zu bejcjleihender Trappen zeigten. Etwa halbwegs beim 
Bir⸗el⸗ Kelba (Hundsbrunnen) famen ihnen einige Reiter ent⸗ 
gegen, bie von dem augenblidlichen Aufenthalte befreundeter 
Beduinen zu berichten wußten — das war das ganze Leben, 
was bie Keifenden ben Tag über zu fehen befamen. Der 
Stamm ber Mahedeba, bei weldem fie übernachteten, ift ein 
friedfertiger und dankt feinen Urfprung (er zählt 6600 Ser 
fen) einem einzigen Heiligen, ift alfo deumad) von Adel und 
im ganzen Lande hoch angefehen, jo hoch, daß ihm die Re: 
gierung feine Steuern abnimmt, fondern nur verlangt, daß 
er die aus bem Dattellande Dfcherid nach Sfafes ziehenden 
Karamwanen gut aufnimmt und unterftügt, Und dieſer Pflicht 
fommen die Mahebeba in herzlicyer Weife nad), auch deu 
Freinden gegenliber, welche fofort nach ihrer Ankunft in Sidi 
Mahedeb Gelegenheit fanden, ihre ärztliche Kunft am einem 
von ber geflicchteten Hornviper gebiffenen jungen Weibe mit 
Erfolg audzulben. Daß die Kunde von diefer Heilung ihnen 
überall voraneilte umd ihnen von nun an alle Kranken, 
Menfhen und Thiere, zuführte, ift felbftverfländlid. Ein 
Tag wurde bei den bdanfbaren Mahedeba mit Heinen Auss 
flugen, mit Sammeln von Pflanzen und Thieren und mit 
der Jagd auf wilde Tauben, Hafen und Rebhlihner verbracht; 


15 


114 


dann ging es in nordweſtlicher Richtung weiter auf den üher 
1000 Meter hohen Berg Bu-Hedma los, erſt Über ödes, 
nur von Gazellen belebtes Yand, dann durd; die Sebcha 
Nail hindurch. Sebcha heißen dort zu Yande Niederungen, 
weldye im Winter unter Wafler ftehen; Scott find aus: 
getrodnete Salzjeen, Dhäya oder Gera'a ausgetroduete Süß» 
wafferbaffins, Gerara oder Geryir Bodenfenkungen, in die 
ſich ein Wadi verliert. Die Beicaffenheit der Oberfläche 
wechſelt im diefen Niederungen vom feinften, beweglichſten 
Sande bis zum weichen oder harten Schlamm, auf weldem 
oft Sodas oder Magnefia-Efflorescenzen aufliegen,. Wenn 
man auch die Entfichung der großen Sebchas weiter im Sit 
den , weldye unter dem Spiegel des Mittelländifchen Meeres 
liegen, durch die Annahme ehemaliger Binnenmeere erklärt, 
fo ift die® doch für die Sebcha Nail unnöthig, weil die Gieß⸗ 
bädye des Bu⸗Hedma, welche zeitweilig die Sebcha erreichen, 
über fteinfalzhaltigen Boden fließen. Zudem findet ſich auch 
im ihr nicht die Spur einer Seemuſchel, welche auf ein ein« 
ftiges Meer fchließen ließe, und ihre Oberfläche erreicht eine 
Höhe von 78 Meter Über dem Spiegel des Mittelmceres. 


Rebatel's umd Tiran!’S Reife in der Regentſchaft Tunis. 


1!/, Stunden dauerte der Marfch Über ihren weichen Bo- 
ben; einige Stunden fpäter zeigte ſich der erſte der geſuchten 
Gummibäume An einem Gießbache bei römifchen Trlim« 
mern wurde Halt gemacht und die botaniſche Unterfuchung 
begonnen, als deren Refultat ſich ſpäter herausftellte, daß der 
Gummibaum des Thales Talah die Acacia Sayal ift, welche 
fid) von denen Arabiend wie de8 Senegal unterfcheidet, Das 
Thal Talah zieht ſich wohl 30 Kilometer weit am Fuße des 
Bu⸗Hedma hin; aber die Bäume ſtehen fo weit von einan: 
der, da ihre Geſammtzahl zwar vielleicht 40,000 Stüd 
erreicht, von einem eigentlichen Walde aber Feine Rede fein 
kann. Eben fo ſchlecht ſteht es mit der Ausbeutung diefer 
nüglicen Pflanze: die Nomaden bemugen ihr Holz zur 
Feuerung, das ausgeſchwitzte Harz wird von den Regengliflen 
und den Thieren zerftört. Der Gebirgsftot des Bu⸗Hedma 
nimmt den Kern des unbelannteften Theiles von Tunis ein, der 
bis dahin nod) mie befucht worden ift, weil ihn rings Wüften 
umgeben, in denen die faft ſtets in Kebellion begriffenen Ha: 
mama (im Norden) und die Banu Sayd (im Süden) ſich 
herumtreiben. Im Weften von Gafja, im Often vom Wed 





el⸗Lebu, dev bei dem oben erwähnten Hundebrunnen ing Meer 
fällt, begrenzt, erreicht er in feinen höchſten Spigen ca. 1300 
Meter Höhe. In enger Schlucht durchbricht ein ftark falziger 
Vadı die Felfen und verliert ſich in der Sebcha Nail. Es paßt 
teefflich zu der Wildheit der ganzen Scenerie, daß ſich dort im 
den verftechteften Winkeln noch Refte vorfinden von den Hlit: 
ten und den Arbeiten von Maroffanern, die daſelbſt nad) 
dem Stein der Weifen gefucht haben. Auch einige anſchei— 
nend nicht tiefe Höhlen zeigten ſich dort, weldye näher zu 
unterfuchen den Reiſenden die Zeit fehlte. Bald wird das 
Thal weiter, ein ſchilſbewachſener, nur von Wildſchweinen 
bewohnter Sumpf nimmt feine Breite ein. Ein Anftieg von 
drei Stunden bringt fie zu altrömifchen Bergwerksichachten 
und einem großen Scladenhaufen: die Alten gruben hier 
auf Gold, wie der Mineningenieur Fuchs, der bald nachher 
mit Herrn Mattei den Bu-Hedma befuchte, nachgewieſen hat. 
Auch noch andere Spuren haben die einftigen Herren der 
Welt hier in Geftalt von Thermenüberreften zurüidgelaffen. 
Die Stelle war und ift mod, heute vortrefflidy zu YBadean- 
lagen geeignet, weil auf einem Raume von 20 bie 30 


t 
v 


Quadratueter hier drei verjchiedene Mlineralquellen empor: 
fteigen, eine eifenhaltige, eine ſchwefelige und eine falzige. 
Alle drei vereinigen fich fofort zu einem Bächlein mit ſehr 
unangenehm ſchmeckendem Waſſer. 

Bon dort kehrten Rebatel und Tirant am ben Ausgang 
der Schlucht zurlid und durchzogen das Thal Talah in feiner 
ganzen Fänge. Daſſelbe zieht ſich längs bes Bergftodes des 
Bu⸗Hedma nad) Weſtſüdweſten hin und erhebt fich dabei von 
circa 100 Meter Höhe, weldye es am Ausgange jener Schlucht 
mißt, bis zu 186 Meter. Gegen Abend, als fid) der Zug 
einigen‘ Duars oder Zeltlagern der Nomaden näherte und 
eben ein trodenes Wadi (hier Wed genannt) mit den legten 
der Sayal-Afazien durchritt, erhoben ſich plöglich am Hori⸗ 
zonte Staubwollen. Sofort befahl der Mahedeba-Flihrer 
u halten und jagte allein voraus, um zu jehen, was es gäbe. 
Die Sache erklärte fic) folgendermaßen. Das Web, weiches 
die Karawane eben durchſchritten, bildet einen Einfchnitt in 
den Bergen und wird darum von den mächtigen Hamauia 
benutzt, ungefehen ſich an die Herden der Ninifcha heran 
zuſchleichen und dieſelben plötzlich zu überfallen. Für 


Rebatel's und Zirant's Reiſe in der Regentſchaft Tunis, 115 


eine ſolche Razzia war die franzöfifche Karawane gehalten | nördlich von jenen bis gegen Kerwan, die Hafen zwiſchen 
worden und fofort hatten die Hirten jene Staubwolfen auf: | EidirMahedeb (f. oben) und Babes, die Medfchar und Fara- 


gerwirbelt, welche den Beni · Amram oben auf den Bergen, den 


ſchnellſten Läufern und geſchickteſten Schügen in der ganzen | 


Regentfchaft, das verabredete Eignal gaben. Es dauerte 
nicht lange, fo eilten diefelben aud) von allen Seiten im Yauf- 
fchritte herbei, dem fie über 10 Kilometer weit fortfegen kön: 
nen, ohne zu ermüden oder in Schweiß zu gerathen. 


Beni-Amram fofort zu ihren 
verlaffenen und ſchutzloſen 
Duars zurüdfehrten, ein bes 
redtes Zeichen für bie borti- 
gen Zuftände, Beim Wei- 
termarjche ftieß die Karawane 
zuerft auf die Schäfer, welche 
bas Allarmzeichen gegeben hat: 
ten; bie armen Schluder hat⸗ 
ten ihr einziges und befted Ya . 
ſitzthum, ihre Deden, raſch im 
Sande vergraben, um fie den 
Feinden zuverbergen. Weiter- 
hin hatte fich der ganze Stammı 
der Ararſcha in Schlachtord⸗ 
nung aufgejtellt, die Reiter in 
der Mitte und zu beiden Sei⸗ 
ten hinter jedem Baume und 
jeder natürlichen Dedung das 
Fußvolk. Plötzlich jagten die 
Neiter auf ihren herrlichen 
Säulen heran und jchoffen als 
Zeichen der Freuudſchaft ihre 
elenden Gewehre nach der 
Erde hin ab. Dann umdräng⸗ 
ten fie alleden ihnen wohlbe- 
fannten Herrn Mattei umd 
begrüßten ihn herzlich. Der 
E:treit, welcher fid) jofort unter 
den drei Häuptlingen darum 
erhob, in weſſen Duar die 
Arfömmlinge lagern follten, 
wurde zu Aller Zufriedenheit 
dahin entſchieden, daß ich 
dieſelben genau in der Mitte 
zwiſchen den drei Zeltlagern 
ihr Nachtquartier bereiteten. 
Die tuneſiſchen Nomaden 
zerfallen im zwei große Hälf: 
ten, die unabhängigen Va- 
ſchia, durd; die Bamı-Sayd 
(oder Syd) repräfentirt, und 
die Regierungspartei der Ah— 
finia, deren Hauptvertreter 
die Hamama find *), An dieje 
beiden Haupftänme jchließen 
fidy die anderen je nadı Stim- 
mung und augenblicklichem Intereſſe an, fo an die Banır-Zayd | 
die Methalyt um el⸗Dſchem und Sfates, die Zfuafiil Sſawaſſa) 


*) Wir müſſen hierbei wieder auf Malgan verweiſen, welcher 
in Anbang I. feines gmeiten Bantes nach den beiten Tiuellen un 
eigenen Grmittelungen eine übersichtliche Statiit ven Tunis, feinen | 
Städten und feinen Nomaden grgchen bat, Auf S. 417 bie #25 
fine ſammiliche Nomatenftimme mit übren Interabesbeilungen, Yayer: 
plägen, ber annähernden Seelengabl uud den Namen ihrer Gheft 
Afür Das Jahr 186%) aufgefuührt. Wefontern Werth erhält Dice 
Line dadutch. daß auch Dr, Nachtigal gu ihren Queſlen achört, 


Zum | 


Glucke —— ſich beide Parteien raſch, worauf die 





Nomadenweib mit ihrem Kinde 


ſchiſch nördlich von den Hamama bis an die algieriſche Grenze. 
Ihnen ſtehen auf Seite der Hamama gegenliber die Dſchelaß 
im Centrum des Yandes fdöftlih von Kerwan, 28,000 
Seelen ftarl, die Urgamma im äußerften Cliden, etwa 25,000 
Menſchen zählend, und einer der kriegeriſchſten und mächtig 
ften Stämme des Yanbes, die Atara bei Dſchandſchiß, und 
die Neſat. Ebenfo hält in einzelnen Städten und Diftric- 
ten, wie in Gabes, im Dfcherid 
und Sahel, die eine Partei zu 
den Hamama, bie andere zu 
den Banu⸗Sayd. 

Falſch wäre e8, zu glauben, 
daß die jogenannteXegierungs- 
partei nun auch wirklich den 
Bey immer anerfennt. Die 
Regierung unterftligt nur mit 
ihrem Namen die Hamama, 
um vor den Banı » Sand 
Ruhe zu haben und beide zu 
befchäftigen. Verlangt fie aber 
Steuern, jo weigern fich def- 
fen die einen wie die anderen, 

Die ein Blid auf die 
Karte lehrt, wohnen die feind- 
lichen Stämme in einem ziem⸗ 
lichen Durcheinander, was die 
ewigen Razzias und Lieber: 
fälle fehr beglinftigt. 5 bie 
50 Neiter bei Heinen, 200 
bis 250 bei großen Unter: 
nchmungen ſchleichen ſich an 
ben feindlichen Duar heran 
und fuchen demſelben das Vieh 
fortzutreiben ; nicht felten ent⸗ 
fernen fie fich dabei 150 bis 
200 Kilometer von ihrem 
Gebiete. Die Ueberrafhung 
und Schnelligkeit nacht dabei 
Alles; Häufig genug werben 
aber die Küuber von den 
Vejchädigten eingeholt und 
der Kampf beginnt, ber troß 
der ſchlechten Waffen fo mans 
ches Opfer fordert. Bei gro- 
Ben Ueberfällen bleiben oft 
200 und mehr am ‘Plage. 
Darum legt jeder Bebuine, 
der auf ſolche Streiferei aus- 
zieht, cine Unterhofe an, daß 
im fchlimmften alle fein 
Yeichnam nicht völlig nadt in 
der Wilfte liegen bleibt. 

Geht einem Stamme dabei 
Vieh verloren, fo merkt er 
ſich die Zahl der Hammel und Kamecle genau; er erhält ja 
Erſatz dafitr, fo wie er ſelbſt oder jeine Verbündeten den 
Näubern oder deren freunden Gleiches mit Gleichem ver« 





welchett vor feinen epochemachenden Reifen lange Zeit ala Atzt in 
Tunis lebte und die Negierungsteuppen auf ihren Zugen gegen die 
Au ſtãnt iſchen bealeitste. Zu bemerken if, daß Dort Die Hamama 
ne ihren Rebenſtammen, jufammen im einer Stärke von 0,000 
Zerlen, ala „Faft immer in Mebrllion begriffen“, von Dr. Nebatel 
une Firant aber als „Neaierungspartei* bezeichnet werden. Dieſer 
Widerspruch wirt von lebleren dech nur theilweife erklärt. 


15 * 


116 Rebatel's und Tirant’s Reife in der Regentichaft Tunis. 





Tuneſiſche Nomaden. 


Rebatel's und Tirant's Reife in der Negentichaft Tunis. 


gelten. An Grund zu Repreſſalien und ar Gelegenheit zum 
Pulververfnallen, dem Hauptvergnügen der Bebuinen, fehlt 
es alfo nie. 

Bon den Duars der Araſſcha fteigt das Thal bis zu 414 
Meter an; dort ſcheidet ein Paß das Bafjin von Talah 


117 


und ber Sebcha Nail von demjenigen, welches bie Dafen 
El-Gettar und Gaffa umſchließt. Zwei Stunden ging 


es teil nach ber erftern (222 Meter) hinab, El⸗Gettar 
(der Nanıe bedeutet „Brunnen, welde durch Siderwafler 


gefpeift werben“) hat, wie alle Dafendörfer, eine doppelte und 





El Gettar. 


dreifache, aber theilweife eingeftürgte Erdumwallung und zum 
Seine Quellen 
find unterirdiſch; primitive, von Kameelen in Bewegung 
geſetzte Maſchinen fchaffen das zur Bewäflerung nöthige Naß 


größten Theile elende, zerfallene Häufer. 


auf die Oberfläde. Der dortige Palmenhain nimmt einen 
Raum von circa 3 Kilometer Länge und 500 Meter 
Breite ein. 


Ueber dem Orte erheben ſich die fenkrechten Felswände 








Der Dſchebel Arbet, 


bes Dſchebel Arbet bis zu 1100 Meter Höhe, deifen Ve: 
fleigung (natürlich durch eine Seitenſchlucht) die Franzoſen 
auszuführen beſchloſſen, fo viel auch die Einwohner bes Ortes 
und felbft ihr Chalyſa (VBorftcher) davon abredeten und bie 
Ungugänglichteit der Bergfpige behaupteten, Ohne namhafte 


Schwierigleiten erreichten fie in drei Stunden den Gipfel, 
beftimmten mittelft des Barometers feine Höhe und erfrenten 
fic) dann der prächtigen Ausſicht. Im Oſten ficht man bie 
Hitgel bei Gabes, weiterhin die Höhen im Zripolitanifchen, 
im Süden den jalzigen, ſchimmernden Schott Faraun, den 


118 


Capitän Roudaire und Herr von Leſſeps mohl niemals, wie 
fie beabfichtigten, in ein Binnennteer verwandeln werden, 
und den walbbededten, wildreichen Dichebelsel-Berda, gegen 





H. v. Lankenau: Stremouchow's Reife nach Buchara. 


Norden den Hauptgipfel des Arbet ſelbſt, der vom Gettar 
aus nicht ſichtbar ift, die Berge von Kerwan und von Tebefia 
im Algerien und tief unter fich den Palmenhain von Gaffa. 





Stremouchow's Reife nah Budara. 


Nach dem Tagebuch des Neijenden aus dem Ruſſiſchen bearbeitet 


von H. v. Ranfenau. 


IY; 


Was die Vevölferung Bucharas betrifft, jo zerfällt diefe 
in drei fcharf von einander geſchiedene Völlerſchaſten: die 
Usbelen, die Tadſchils und die Dſchuguten (Duden). 

Die Uöbelen, rein türkifcher Abkunft, find, obwohl ber 
herrſchende Stamm, arm und 
ftehen meist auf einer ſehr 
niedern Stufe geifliger Ent 
widelung und weit hinter, den 
fchlauen und gewandten Tad 
ſchils zurück; nichtödeftoweniger 
verdienen ſie den Vorzug vor 
jenen, da fie gutmäthig, oſfen 
herzig und ehrlich find. Sie 
leben alle in feften Anſiede— 
lungen und beſchäftigen ſich mit 
der Landwirthſchaft; nur we 
nige treiben Handel. 

Die Tadſchils bilden ben 
bei weiten zahlreichjten Theil 
der Bevölterung. Im höchſten 
Grade bemoralifirt, ſcheuen ic 
vor feiner Wahl der Mittel 
zurlid, um nur zu ihrem Ziel 
zu gelangen; fo gelten Befte- 
dung, Betrug, Spionirweſen 
und Denunciation bei ihnen fikt 
erlaubt. Berwandiſchaft, Ehre, 
Patriotismus, ja felbft Reli— 
gion find ihnen Nebenfachen ; 
ihre Haupiſache allein ift, ſich 
Keichthüimer, auf welche Weife 
es auch fei, zu erwerben und 
Kang und Würden zu erjchlei- 
chen, um ihre Untergebenen bes 
driiden und fie fo viel als ir 
gend möglich ausſaugen zu können (wohlverfianden rede 
ich hier nur von den Tadſchils in Budara). 

Die verächtlichften und bedrückteſten von allen find jedoch 
die Dſchuguten (Duden). Sie leben nur in den Städten, 
befigen nicht die geringften bürgerlichen Rechte, find fogar 
an eine gewiſſe Tracht gebunden, dürfen nicht reiten, weder 
einen Turban noch helle Farben tragen, fondern nur dunfel- 
farbige Chalate anlegen, die mit einem Heinen Tuch ober 
einem Strick als Gurtel zugehalten werden, während ein 
Kleines Käppden aus dunfelfarbigen Tuch ihren Kopf be 
deddt. Einen Dſchuguten zu verhöhnen, zu beleidigen ailt 
für feine Sünde, Und trog alledem ertragen dieje Juden, 
jo vielen ihrer Glaubensgenoſſen darin ähnlich, geduldig 
allca Unrecht, verbeugen ſich Triechend vor ihren anderen 


Inder in 








Pandsleuten und — bleiben dem Glauben ihrer Bäter tren! 
Sie harren ergeben auf beflere Tage, Ihre ganze Hoff ⸗ 
nung ift auf die Cinverleibung Budjaras in Rußland ge: 
richtet, die, wie fie feſt überzeugt find, früher oder fpäter 
geſchehen wird, Ueberall wo 
nur in entralafien die Rufr 
jen Befig ergriffen haben, er: 
ſcheinen auch fogleid die Duden 
in großer Anzahl. Lie be 
ichäftigen ſich hier zu Yande 
mit dent Berfauf von Seiden— 
ftoffen, befonders mit der Sei- 
benfärberei und — mit Wucher⸗ 
geſchäften, worin fie Übrigens 
mit ben Indiern *) ſtark con: 
curriren. Auch bier, wie über: 
all, ſollen fie im Befig großer 
Reichthlimer fein. 
Außer diefen Bölferfchaften 
leben in Buchara noch Indier, 
Afghanen, Perſer (meiſt Stla- 
ven), Kirgiſen, Karalalpalen, 
Turkmenen und Tataren, meiſt 
Schliler der Medreſſes und 
Flüchtlinge aus Rußland, 
Eigentliche Yandbewohner 
find nur die Tadſchils und die 
Usbeken; die fibrigen laflen ſich 
in den Städten nieder oder füh: 
ven cin Nomadenleben. Da 
die verſchicdenen Völterfchaften 
ſtels in großer Uneinigfeit unter 
einander leben, fo vermehrt dies 
die hier zu Yande fchon jo gro: 
fen Intriguen aller Art. Aus 
der Maſſe der Bevölferung ragen zwei verjchiedene Eile: 


Zurtejtan. 





*) Mir geben mebenftchent das Bild cines Hintu, wie es Wer 
refchagin iſ. Globus? Be. XIV, ©. 1, 17, 33) in Talent 
geichnete. Ueber die Hintu in Turleſtan läßt er ſich folgenter: 
mahen aus: Sie mußten vor Ankunft ber Ruſſen eben jo viel 'von 
ken Herren tes Landes ausftchen als tie Nuten. Ihre Zahl iſt ger 
king, um fo größet iber Ehätigfeit und ihr Wuchtt. 200 bis 300 
procent find für fie mäßlae Zinien. Eo gelangen fir zu großem 
Reichthum, zumal fie keinen Aufwand machen. Dhne Arau leben 
fie in ten Karamanferaien, jeter in einer Meinen, dunkelen, aber 
reinlichen elle, eſſen fein Fleiſch, trinten nur Waſſer und bereiten 
ſich ihte Mablzeiten ſelbſt. Dabei find fie Fauatiler im ihrer Res 
ligiom und jerbrechen jete Wallerpfeife, jetes Gefchire, was ein 
Antersgläubiger in ibrer Wohnung berübrt bat, Auf ter Etim 
tragen Diefe brongefarbigen, fchönen Leute verfchirdene Zeichen, wie 
das Bild der Sonne oder dr& Feuers. 


H. vd. Lanfenau: Stremouchow's Reife nach Buchara. 


mente: bie Krieger (Sipaj) und die Geiſtlichkeit (Scheiti) 
Hodſchi, Saidi u. ſ. w.), hervor. Befondere Vorrechte ha- 
ben diefe Stände gerade nicht, da alle von dem Willen und 
der augenblidlichen Yaune des Beherrſchers des Landes ab- 
hängig find; jo fann man denn mit Recht behaupten, daß 
es in Buchara feine Kafteneintheilung gebe. 

Da den Sipajs der innere und äußere Schug des Lan⸗ 
des obliegt, fie auch eine Menge Aemter befleiden, fo befiten 
fie ein großes Lebergewicht über den Bürger. Die Geift: 
lichen wieder, welche die religiöfen Berrichtungen zu beforgen 
haben, find zugleich die Träger der mujelmännijchen Gelehr⸗ 
ſamleit. Da jedod) diefe ſowohl ats jene nur fir ihre per— 
fönlichen Intereſſen leben, fo verjehen fie ihre Aemter nur 
nachläffig und obenhin, und fo geräth Heer, Berwaltung, 
Religion, mit einem Worte Alles immer mehr und mehr 
in Berfal. Ueberall herrſcht Stodung und Demoralifation 
im fogenannten „heiligen Bucara*, dem Centrum bes 
Mohammedanismus in Afien. Sollte man es glauben, daß 
in der That der volllommenſte Unglaube neben grobem Fana— 
tismus, der ſich freilich auch nur gegen die Frembgläubigen 
ausfpricht, überall zu Tage tritt; daß die religiöfen Gere- 
monien nur noch äußerlich erflillt werben, daß fpirituöfe 
Getränke, jelbft Wein, Hafarbfpiele, die greuliche, unntoralische 
Claſſe der Yotterbuben, der Batſchi und Weiber faft der 
einzige Zeitvertreib bed Bucharen geworben find, der ſich 
vormals durch ungewöhnliche Sittenftrenge auszeichnete ? 

Während num fo die höhere Geſellſchaft ihre Zeit in 
Ausihweifungen, Intriguen und erniebrigenden Scmeiche: 
feien gegen Obere verbringt, feufzt das Volk unter einem 
faft unerträglichen, despotischen Joche. Selten fpricht einer 
von Muſaffar's Unterthanen Gutes von ihm; überall wird 
er verwänfcht, gehaßt. Angefichts deſſen fragte ich mid) 
nicht felten, wie es wohl möglich fei, daß bei ſolchen Zur 
ftänden ſich diefer immer nod) auf dem Throne halte, 

Theils hat wohl der ſittliche Verfall des Voltes eine 
Apathie unter demfelben hervorgebracht, die alles geduldig 
fiber ſich ergehen läßt, hauptſächlich aber ift der Hang zur 
Intrigue, der alle Claſſen der Geſellſchaft gleichmäßig be- 
herrſcht, die Urfache, daß Alles dem entſetzlichſten Despotis« 
mus ruhig erträgt. Ein jeder wartet auf den Augenblid, 
der auch ihn erhöhen fan; ber gemeine Mann verliert nie 
die Hoffnung, ein hoher Wiirdenträger zu werden — tojtet 
e8 dem Emir ja nur ein Wort, ihn dazu zu machen! Was 
ſchadet es, daß er auch micht die geringitie Kenntniß von 
einem Amte befigt, feine Bildung noch Erziehung genoffen, 
der Wille des Herrfchers entjcheidet ja Alles! So fürchtet 
ein Jeder den Andern, weder Freundſchaft noch Verwandt 
ſchaft gelten, jeder erntet nur die Frucht feiner Intrigue. 
Und durch diefe widerliche, unmoraliſche Politit erhält ſich 
Muſaffar auf feinem Thron. 

Ein Beifpiel, wie ein Buchare im Stande ift, Alles 
preiszugeben, nur um fein Biel zu erreichen, ift unfer Ge— 
fandter Abdul · Kadir⸗bei, der doc im Peteräburg war, über 
die Einrichtung einer geordneten, europälfchen Regierung, 
die er ſich erflären ließ, ganz eutzuckt fchien, der die Vor— 
theile der Bildung und Civilifation in nächfter Nähe erfen« 
nen fonnte, Saum nad) Budyara zurüdgetommen, entblödete 
er fich nicht, dem Emir feine geliebte Tochter zu verkaufen, 
mur um den Rang eines Datſcha (Generals) und fo Ein- 
flug auf den Emir zu erlangen. Mir wurde nod) he 
daß er auch beabfichtige, feinen jüngften Sohn dem Emir 
als Batſchi zu deſſen widermatiirlichen Beluftigungen anzu= 
bieten; er laffe ihm bereits verfchiedene Künſte lehren, um 
ihn dazu vorzubereiten! De nun, zu glauben ift das wohl, 
und ſolche u find hier durchaus nicht felten! 

Der Emir, der alle diefe Dinge jehr wohl kennt, und 


119 


bem nicht unbefannt ift, wie wenig er im Volfe beliebt ift, 
umgiebt ſich mit einer großer Leibwache, ohne die er fich mie 
zeigt. Mit diefer reift er auch im Yande umher, und wehe 
der Provinz, die er bejucht; fie wird von ihm und feinem 
zahlreichen Gefolge geradezu gebrandſchatzt. Wer feinem 
grenzenlofen Egoismus in den Weg tritt, wird vernichtet. 
So ift Mufaffar durch Beraubungen, Confiscationen und 
andere Einnahmen, die er ſich zu machen weiß, fehr veid) 
geworden. Seine Scäte liegen in einem großen Gewölbe 
feines Schlofjes, das er viermal im Jahre revidirt, 

Seine Zeit verbringt Mufaffar faft ausſchließlich unter 
feinen Weibern, Batſchis, Mufitanten und Maskarabaſen 
(Hofnarren); nur eim geringer Theil derjelben ijt den Re— 
gierungsgefchäften gewidmet. Obgleich er über taufend Wei— 
ber und Kebsweiber hat, jo fcheint ihm das noch zu wenig; 
bie, deren er überdrüffig, werden verfauft (auch mir bot 
man vier ſolcher verabjchiedeter Weiber flir 150 Rubel eine 
jede an), oder er fchenft fie, als ein Zeichen feiner befondern 
Gnade, Leuten aus feiner nächſten Umgebung; fo find ja 
auch der Kuſchbegi (Minifter) und deſſen Sohn mit früheren 
Frauen ded Emirs verheirathet. Außerdem werden ihm 
fortwährend eine Menge neuer Frauen gebracht; die wenig: 
ften fauft er, meift erwirbt er fie durch Hinterlift oder Ge» 
malt. Kein Inguifitionsgericht kann fid) an Grauſamleit 
und Erfindungsgabe neuer Martern mit Seid-:Mufafjar: 
Eddin vergleidien. Die hauptſächlichſten Strafen, die er 
aufzuerlegen liebt, find: die Wanzengrube, der Brummen 
und der Thurm. 

Die Wanzengrube befindet ſich im Schloffe zu Bu: 
chara und hat die Geſtalt einer ftehenden Flaſche, deren 
Boden ſich alfo unten, der Hals oben befindet. Der Ge: 
fangene wird an einem Strid in diefe mit efelem LUngezies 
fer gefüllte Grube hinabgelaffen, und es ift ihm unmöglich 
aus berfelben heranszufommen, Wan bringt die Unglids 
lichen, die zu diefer Strafe verurtheilt werden, zweimal täg- 
lid, an die Yuft, um fo ihre Qualen zu verlängern. Wäh- 
vend ich im Buchara war, jaß ein junger Dann, der Sohn 
eines verdienftvollen Bels, bereits ein Jahr in berjelben. 
In Folge der gänzlichen Erfchöpfung feiner Kräfte und des 
Blutverluftes litt er bereits an einer Gehirnerweichung und 
fah feinem Ende entgegen, Der Emir beargwohnte ben 
Bater des Unglüdlichen, ihm übervortheilt zu haben und ließ 
deshalb dem Alten auf Vebenszeit ins Gefängnig werfen, 
den ganz unfduldigen Sohn im die entfegliche Grube; ihr 
Vermögen wurde natürlich von ihm eingezogen. 

Der Brunnen ift 38 Fuß tief; der Boden befjelben 
mit fpigen Pfählen und Yanzen überfäet, auf welde man 
die Unglüdlichen von oben hinabftärzt, deren entjtellte Yeich- 
name dort liegen bleiben und verweien, 

Der 60 Ellen hohe runde Thurm, ber von einem Fir 
gifenhäuptling vor langen Jahren erbaut worden, ift ein 
mit zahlreichen, bunten Schnörfeln und Infchriften aller Art 
verziertes Gebäude. Bon feinem Gipfel ſtürzt man die 
Verurtheilten auf das breite Steinpflafter unten hinab; die 
etwa nur Verſtümmelten — was jedoch felten vortommt, 
ba die auf diefe Weife Herabgeſtürzten meift auf der Stelle 
tobt find — verenden dort auf die jämmerlichſte Weije. 

Die beiden erften Etrafen erleiden nur hocgeftellte Pers 
fönlichfeiten ; die legtere ift fr gemeine Verbrecher. 

Außer diefen eriftiren noch andere ebenfo gräßliche Stra: 
fen, als: Gefängniffe ohne Licht, im denen die Gefangenen 
verhungern mlffen, wenn ſich nicht mitleidige Seelen ober 
Verwandte finden, die ihnen Nahrung ſchicken; Torturen 
aller Urt, ald: Berjengen und Braten auf glühenden Ro— 
ften, Abhauen von Händen, Füßen, Nafen und Ohren, Aus- 
ftechen ber Augen, Ausreißen dev Nägel, Haare und Zungen 


120 


und andere Scheußlichkeiten mehr. Die einfachite Todesart 
ift die des Durchſchneidens der Gurgel oder des Kopfabſchla— 
gens. Für Ehcbruch ftraft man das Weib, indem man es 
bis an den Gürtel in die Erde eingräbt und dan fteinigt. 

Oft werden Hunderte und Taufende von Menſchen auf 
einmal getödtet, jo nad) der Einnahme von Hiffar 5000 
Perfonen. Obgleich in meuerer Zeit die Strafen nicht mehr 
fo häufig vorlommen als vordem, jo fehlt es doch leinewegs 
an einer Menge unfchuldiger Opfer, die der Paune und 
Habfucht des Emirs Veben und Vermögen zum Opfer brins 
gen müffen. 

Sehr traurig fieht e8 in Buchara noch mit der Gerichts: 
barleit aus; nur der erhält Recht, der dem Nichter am meir 
ften zahlt. Cine allgemeine Kegel eines jeden Beamten iſt, 
fo viel zufammenzuraffen und zu erpreflen als nur irgend 
möglich, um nöthigen Walls ſich die Gunft des Stärkern, 
Höhern erfaufen zu fönnen. Als gefeglicer Grund flir 
Veftehung und Sportelwefen gilt der alte Gebrauch, bei 
jeder Gelegenheit Geſchenle zu machen. Natürlich ift es da 
wieder der Emir, dem bie meiften und reichſten Geſchenke 
dargebracht werden; nur dadurch läßt ſich feine Gnade er: 
werben, da er das Yand als fein Eigenthum anſieht. 

Stirbt irgend ein Beamter, fo müſſen ihm die Erben 
ein genaues Verzeichniß des Nachlaſſes bereichen, und er 
entſcheidet dann, ob und wie viel er ihnen laſſen will; wehe 
dem, der es verfuchen follte, ihm durch Falfche Angaben zu 
täufchen, da feine Spione meift genam unterrichtet find, wie 
viel der Berftorbene Hinterlaffen hat. 

Durch einen günftigen Zufall erfuhr ih, was man fid) 
hier von der eigentlichen Herkunft Seid-Muſaffar-Eddin's 
erzählt, und was wirklich begrlindet fein fol. Die Geburt 
eines Knaben wird in Buchara ftets mit großem Gepränge 
gefeiert, hingegen die eines Mädchens fir eine Ungnabe 
Gottes angefehen. Als nun das Lieblingsweib des Emirs, 
Nasrulla-Bogadur-Chan, eines Mädchens genas, fo entſchloß 
fi) die arme Frau, Ungnade, ja vielleieht ein Tobesurtheil 
ihres ſtrengen Gebieters fürchtend, zu einem Betrug: fie 
erfaufte die Frau eines Zimmermanns, die mit ihr zu gleie 
cher Zeit niedergefommmen, aber eine® Sohnes genefen war 
und vertauſchte deren Kind mit dem ihrigen. Die Tochter 
Nasrulla's lebt bis Heute arm und unerfannt in Buchara 
bei ihren Pfenboältern,; während deren Sohn, ftatt Zimmer: 
mann, unumfchräntee Beherricher im Lande geworden ift. 
Roh, ungebildet, dabei hafenfüßig, verfprad) er ſchon feit fei- 
ner frliheften Dugend wenig Gutes für die Zufunft, Seine 
Jugend verfloß in finnlichen Genüflen, was ohne Unters 
brechung noch bis heute fortdauert. Sein Erzieher Abbul- 
Karim hatte ſchon früher jede Hoffnung verloren, ihm zu 
beſſern; die ausfchweifende Geſellſchaft, im der er ſich allein 
zu bewegen pflegte, hatte den nachtheiligiten Einfluß auf 
feine geiftigen Fähigkeiten. Nur die niedrigiten Schmeich— 
ler und Imtriganten hatten Zutritt und Einfluß bei ihm. 
So foımmt ed denn, daß er nur mit Mühe Geſchriebenes 
entziffern fan. Der frligere Chan Nasrulla liebte ihm mie 
und wollte ſchon den Abdul-Arhatschan, den Sohn einer ſei— 
ner Töchter, zum Thronfolger ernennen, wurde jedoch durch 
ben Tod daran gehindert. So lange übrigens fein Bater 
lebte, mußte Mufaffar-Eddin fich noch zuriidhalten; nach 
deſſen Tode ließ er jedoch feinen böfen Neigungen vollen 
Yauf. Mufaffar's Nachlommenjcaft it jehr bedeutend, Die 
meiften Städte find im Beſitz feiner Söhne. Der ältefte 
Sohn lebt nad) feinem unglücklichen Aufftand gegen den 
Bater jegt in Kaſchgar. Bon den fibrigen liebt er ben 
Bel von Kermine, wie es fcheint, am meiften, den er auch 
zu feinem Nachfolger beftimmt haben fol. Wie alle, fo 
fürdtet der Chan auch feine Kinder, befonders nad) dem 


D. dv. Yanlenau: Stremouchow's Reife nad) Buchara. 


Aufftande des älteften, und fofehen ſich diefe gleichfalls fiets 
von feinen Spionen umgeben, 

Obgleich der Sflavenhandel officiell in Buchara verboten 
und das Karawanferai, wo diefelben vormals verfauft wurden, 
von der Regierung geldtchien worden ift, beichäftigen ſich 
body eine Menge Menfhen mit diefen gewinnbringenden 
Geichäft in Privathäufern. Wie vordem find die Turtmes 
nen die Hauptlieferanten dieſer Waare, deren Näubereien 
und Ueberfälle nur wenig nachgelaffen haben. Die meiften 
Sklaven find Perfer, von denen ein großer Theil ins bucha— 
riſche Heer eingereiht wird, Beſonders groß aber ift der 
Handel mit Weibern; durch Liſt und Gewalt bemädhtigt 
man ſich ihrer, felbit auf ruſſiſchem Gebiet. Unglaublich 
ſchlau wiſſen es die Agenten anzufangen, ſich theils durch 
Kauf, meift aber durch Ueberfall, mit und ohne Wiſſen der 
Eltern und Berwandten, ſchöner Mädchen und Frauen zu 
bemächtigen. Mit diefem Handel befcäftigen ſich vor Allen 
die Tataren und werden darin heimlich vom mir felbft 
unterjtügt und beſchutzt. 

Am ſchwierigſten wurde es mir, die Ueberfahrtöftellen 
über den Amu⸗Darja zu erfahren; die Bucharen thaten alles 
Mögliche, mic, dabei irre zu leiten, bis endlich Karataew 
meine Zweifel löfte. Es befinden fich diefe Stellen am 
rechten Ufer alle in den Händen der Bucharen, während anı 
linten Ufer einige den Afghanen gehören. Bei der Stadt 
Tſchardſchui, durch welche die Karamanen nach Mefchhed 
ziehen, ift der eine Punkt; drei weitere find bei Uft, Tſcher— 
iſchel und Burdalik, welche bucharischen Kaufleuten für ein 
Pachtgeld von 133,000 Tenga (die bucharifche Tenga, eine 
Silbermünge, etwa — 55 bis 57 Piennige) überlaffen ift. 
Selten nur gelingt e8, bie Turkmenen zum Zahlen für bie 
Ueberfahrt zu bringen ; gegen dieſe ift die bucharifche Regie— 
rung vollfommen Die Regierung hat nur die 
Verwaltung der wichtigften Ueberfahrtsſtelle bei der Stadt 
Kerfi, wo der Bereinigungspunft einiger Karawanenwege 
ift, für ſich behalten. 

Augenblidlicd, fol der Emir damit umgehen, verfchiedene 
Neformen zu einer beflern Verwaltung und einer Erleichte⸗ 
rung ber Yage feiner Unterthanen vorzunehmen, wobei ihm 
Karataew thätig zur Hand geht. Was davon zu erwarten, 
wird die Zukunft lehren; Gott gebe, dag es nicht, wie biäher 
alle jeine Pläne, pia desideria bleiben, Ein Haupthinder: 
niß bleibt immer feine beftändige Furcht: Rußland werde, 
durch die Reichthümer Bucharas verlodt, ohne Zweifel dies 
ſes einmal annectiren. Ich kehre jegt zu meiner Reiſe zurlid. 

Aui 9. Juli, nad) einem lururiöfen Abfchiebsmahl von 
Seiten der hiefigen ruffifhen Kaufmannfhaft, traten wir, 
in Begleitung des Mirfa Waffid), des erſten Serretärg bes 
Minifters, eines fehr Mugen, redlichen und Liebenswirdigen 
Menſchen, der uns bis zur ruſſiſch-buchariſchen Grenze bes 
gleiten follte, unfere Ruckreiſe an und übernachteten im Kiſch- 
lat Kujul-Maſar. Wie auf der Herreife famen uns audı 
jetzt Überall verfchiedene hohe Beamte, uns zu begrüßen, ent: 
gegen, Am 10. Juli beraten wir die waſſerloſe Sand- 
wüfte Male. Anfangs waren wir vom Wetter begünftigt ; 
die Hite war nicht übermäßig und ein leichter warmer 
Wind milderte die Kühle der Nacht, die in der Steppe recht 
empfindlich zu fein pflegt. Zu unferm Unglüd erhob ſich 
ein Sandſturm mit allen feinen Screden, Der feine Sand- 
ftaub drang in Nafe, Augen und Ohren; die Pferde bebten 
und ſchnaubten vor Angft ; der Sturm war fo heftig, daß wir 
einander nicht Hören und nur mit Mühe unferen Führern 
folgen lonnten. So wird man leicht begreifen, mit welchem 
Genuß wir die Thore eines Meinen Karawanſerai betraten, 
das, nachdem wir 3/, Taſch hinter uns hatten, in der klei⸗ 
nen, mitten in der Steppe liegenden Anſiedelung Male 


Nordenjtjöld’s Erpedition nad Sibirien 1875. 


(im Ganzen nur 30 Häufer) liegt. Die Anfiedelung mit 
ihrem hohen, weithin fichtbaren Wachtthurme zeugt von der 
Liebe Abdul⸗Chans fiir Schöne Bauten, wie flr feine Sorge 
falt um das Wohl der die Wüfte Bereifenden, 

Am 11. Juli machten wir noch, von einem äußerſt hef- 
tigen Winde verfolgt, 21/, Taſch durch die Steppe und er- 
reichten die Stadt Hermine Sie ift ſtarl bevölfert und 
theilt fich im dem neuen und dem alten, faft ganz duch die 
Kirgifenliberfälle zerftörten und verödeten Theil. Die Yage 
berfelben, an den Ufern des Saraſſchan, ift reigend; im 
Hintergrumde erheben fich die dunfelen Nuratinstifchen Berge. 
Ueber der Stadt thront die alte fagenreiche Burg; was uns 
betraf, jo nahm ung der Bet im feinem Sommerſchloſſe 
freundlich und gaftfrei auf, 

Am 12. Juli empfing uns ‘der 15jährige Bel, Seid» 
Abdul · AchatChan, der Lieblingeſohn des Emire. Der kluge, 
ſehr entwickelte und gewandte junge Mann machte auf uns 
den glinftigften Eindruck; ev iſt der volllommene Gegenſatz 
feines Bruders, des Bels von Karſchi. Nachdem er und 
zum Sitzen Stühle angeboten hatte, was fonft durchaus in 
Buchara ungebräuchlicy, erfundigte er fich nad) dem Kaiſer 
und den rufjifchen Generalen und fragte und nach Vielem 
in Rußland, unferen Antworten mit Spannung folgend. 
So lange wir uns in feinem Gebiete befanden, überhäufte 
er und mit Aufmerlfamleiten aller Art und ließ und zu 
Ehren einen Baſem (Tanz, Mufit u. f. w.) aufführen. 

Von einem großen Gefolge begleitet machten wir am 18. 
Juli weitere 3 Taſch, bis zu der Stadt Taſch-Köpri und 
dann noch einen Taſch weiter bis zur Stadt Siabdin 
Zijaieddin), wo uns' wieder der vegierende Bel entgegen lam. 


121 


Auch diefenicht große, aber befeftigte Stadt liegt am reißen⸗ 
den Saraffchan, Der Bel ift bereits näher mit den Ruſſen 
befannt und hat manches Europäiiche von ihnen angenom- 
men; feine Fragen über Politit nahmen fein Ende, umd er 
fuchte auf die ſchlaueſte Weife von mir zu erfahren, welches 
wohl eigentlich, Nuklands wahre Abſichten hinſichtlich Bu— 
charas feien; begreiflicherweife war ic, im meinen Antworten, 
die mich leicht Hätten compromittiren Fönnen, ſehr vorfichtig. 
Am Abend gab er uns beim Fackelſcheine ein nach aſiatiſchen 
Begriffen prächtiges Schauſpiel. 

Um 14. Yulı nahmen wir endlid) von unferm buchari⸗ 
fchen Reifebegleiter, dem Mirſa Waſſich, Abſchied, dem ich 
noch ein Schreiben an den Emir mitgab, in dem ich mic) 
höchſt lobend und amerfennend über diefen ausgezeichneten 
Sccretür des Minifters ausſprach und zugleich hinzufügte, 
wie id) feiner, des treueften Dieners des Emirs, bei meinen 
Vorgefegten danlend gedenken werbe; es gejchah diefes haupt⸗ 
ſächlich, um ihm vor jeder Verfolgung und Unfeindung bei 
feiner Rucklehr zu fchligen. Unter dem Knalle von Flinten« 
falven, die ung zu Ehren die Luft erfchlitterten, verließen 
wir Siaddin und trafen am Abend im SKifchlat Mir, der 
legten Örenzftation Bucharas, ein. 

Nachdem wir dann am 15, Juli die Höhen von Sari— 
bulat — befannt durch die dort erfolgte, vollftändige Nies 
berlage der Bucharen — überschritten hatten, befanden wir 
und endlich in Katty⸗Kurgan. Hier verließen ung un— 
fere Bucharen, und wir feßten uns in die und bereitd er— 
wartenden bequemen Tarantaflen, um unfere Reife nad) 
Samarland fortzufegen. 


— — — — 


Nordenſtjöld's Expedition nad) Sibirien 1875. 


Im Anſchluſſe an Norbenftjöld's Bericht Über feine Reife 
von Tromfd bis zur Mündung des Ieniffei (f. „Globus“ 
XXVII, ©. 347 ff.) entnehmen wir dem Protofolle bes 
„Vereins fiir die deutſche Norpolarfahrt in Bremen“ (38. 
Verfammlung am 10. Januar 1876) folgende intereflante 
Beſchreibung der Rückreiſe dev Erpeditionsmitglicber, welche 
den Jeniſſei aufwärts bis Deniffeist ftattfand. Zunädhft 
berichtet Prof. Nordenftjöld aus Tomst, den 13. October 
1875, an Oscar Didfjon: 

Nordenjtjöld trat am 19. Auguft in Begleitung der 
Doctoren Pindftröm und Sturberg fowie von drei Fang- 
männcen als Mannſchaft in dem zu dem Zwecke in Norwe: 
gen erbauten Norblandsboote „Anna* feine Fahrt dem Je— 
niffei ftrommaufwärts an. Mit Brot, Kaffee, Zucker und 
Butter war man auf ſechs Wochen, mit Conferven und Salzs 
fleifch auf vierzehn Tage verſehen. Das Fahrzeug war aber 
noch außerdem durch Kleider, Zelte, Diatragen, Inſtrumente ꝛtc. 
derart belaſtet, daß es ein Glüd war, in der erſten Zeit einen 
nur mäßigen Gegenwind zu haben, Zunächſt ging die Fahrt 
durch die an der Mündung belegenen fogenannten Nord: 
oftinfeln (Sewerowoftotihnie Oftrowil), Bemerlens— 
werth ift, daß die verfcjiedenen Straßen zwiſchen diefen In— 
feln eine genügende Tiefe felbft für größere Fahrzeuge zu 
haben jcheinen, wen es auc) hier und da an flachen Stellen 
nicht fehlt. Während einer Segeljahrt von 42 Stunden 
wurde nur zweimal gelandet, nämlich zuerft bei einer Yand- 
zunge nahe einer 50 bis 60 Fuß hohen Doleritflippe auf 
dem öftlichen Ufer des Ieniffei, mit Jewremow Kamen 


Olobus XXIX. Nr. 8, 


auf den ruſſiſchen Karten verzeichnet. Hier fpazierten drei 
Eisbären zwifcen den Felfen. Sie liegen ſich durch das 
am Ufer zum Kaffeelochen entzitndete Bivouacfeuer nicht flös 
ven, An diefer Stelle wurden die legten Exemplare von der 
Meeresfauna gefanmelt. Die Vegetation war hier im Gegen: 
fag zu Nowaja Semlja ſehr küUmmerlich. Geſträuche und 
ſelbſt die Zwergbirke fehlten vollftändig und der Boden zeigte 
nicht einmal überall eine Grasnarbe. An der zweiten Yan« 
dungoſtelle, Kreftowsloje, traf man eine jegt verlaffene 
Anfiedelung (Simovie, d. i. Sommers und Winterwohnung). 
Sie beftand aus drei Häufern, deren Dächer mit Torffoden 
belegt waren und die eine Menge aller Hausgeräthichaften, 
beraubter Räume enthielten. Cs war eine Fiſchfangſtation, 
bie wegen der Schwicrigfeit, Proviant hierherzuliefern , wie⸗ 
der aufgegeben worden if. Der üppige Graswuchs in der 
Nähe war offenbar durch den Dinger der Fiſchreſte hervor- 
gerufen. Bei Cap Schaitansfoj fam man am 21, Aus 
guft an. Hier wurde übernachtet und man traf hier eine 
Menge reifer Sumpfbrombeeren. Auch Kronsbeeren fanden 
fi, doch nur in geringerer Menge, ferner die Zwergbirke, 
und es wurde biefer Play wiſſenſchaftlich auch dadurch wide 
tig, daß Dr. Sturberg hier die erften Land» und Suß⸗ 
waſſermollusken (Thyſo) antraf. Nach einer kurzen Raſt 
ſegelten wir durch Klippen nach einer weit in den Deniffei 
hinausfpringenden Yandzunge, Sopotjchnaja Korga, wo 
ebenfalls zahlreiche Refte von Gebäuden eine frühere dauernde 
Niederlafiung nachwiefen, und eine Anzahl Fuchsfallen, von 
welchen eine noch aufgeftellt war, uns vermuthen ließen, daß 
16 


122 


hier mod) jet ab und zu Jäger haufen. Maffen von Treibs 
holz fanden ſich, chaotifch über und durch einander gefchichtet, 
und es war mlhevoll, fich einen Weg zu bahnen. Die Stämme 
nächſt dem Waſſer zeigten fich noch friſch und nutzbar, mäh+ 
rend die weiter landwärts liegenden Hölzer ſchon halb oder 
gan verfault waren. Auf der Halbinfel fanden wir viele 
Sußwaſſerteiche, die von Heinen Fiſchen (Stichlingen) und 
Süfwaffereruftaceen wimmelten. Sonſt war die Gegend 
fehr thierarm; den Botanilern bot jie verichiedene Gräfer 
und Waflerpflanzen. Wegen ftarfen Windes und hoben 
Sereganges konnten wir erſt am 23. Abends weiterfegeln, 
Wir nahmen unfern Cours auf Goltſchika, die nördlichſte 
Anfiedelung am Oſtufer des Deniffei, allein wegen der hef- 
tigen Dunung getranten wir und nicht hier zu landen, fons 
dern nahmen unfern Cours bei gutem Winde nad; dem jen- 
feitigen (Weft«) Ufer, wo wir ebenfalls eine Simovie ver- 
mutheten; indeß auch hier vermochten wir nicht zu landen, 
fondern kehrten wieber nad) dem Oftufer zurück, hatten indeß 
dabei das Mifgejchid, in eine fiber Untiefen ftart brandende 
See zu gerathen, aus welcher gefährlichen Yage uns nur das 
Schnell aufgefetste Segel mit Hilfe des ftarten Windes rettete, 
Am Morgen fahen wir am Ufer eine Heine Hlitte, konnten 
aber wegen der Dünung nicht landen. Dies gelang und 
erft, nachdem wir eine Strede weitergejegelt, an der Mlins 
dung des Meinen Flüßchens Mefentin in den Jeniſſei. Bald 
nachdem wir das Yand betreten hatten, erblidten wir zwei 
Menschen, welche begleitet von einer Schaar Hunde Sumpf- 
brombeeren ſuchten. Sie ſchienen uns auszuweichen, doch 
holten wir fie ein. Es waren Ruſſen und von einem Kauf: 
manne zu Deniffeist als Fiſcher fiir die Simovie Goltſchila 
angeftelt. Nordenjtjöld ſchlug dem jüngern der beiden, 
dem Kofaden Feodor, welcher der Gegend lundig zu fein 
ſchien, vor, als Führer bis nad) Dudinka zu dienen. Feodor 
nahm den Vorſchlag jofort an; ala Yohn wurden 50 Eilber- 
rubel ausgemacht; jedoch mußte er zuvor von feinem 30 
Werft von Goltſchila wohnenden Herrn Erlaubniß einholen. 
Er verfprad; am nächſten Abend zurliczufehren. Die Zwiſchen⸗ 
zeit benugten wir zu naturwiſſenſchaftlichen Beobachtungen 
und fanden wir unfern Ort nur 4 ſchwediſche Meilen füdlich 
von unſerm legten Binonacplage gelegen. Das Thal bes 
Mefenfin ift gegen die Nordwinde gejchliet und hat baher 
eine verhältnigmäßig reiche Vegetation. Gleich bei der Yan« 
dung fielen ung zwei Ellen hohe Sträucher von Alnus fruc- 
tieosa auf und unter diefen geſchützt wuchſen Sanguisorba, 
Galium, Delphinium Hedisarım, Veratrum; Ealirarten 
waren hier ziemlich hoch angefchofien, der Graswuchs war 
üppig und die Sandhügel mit vielen neuen Pflanzenformen 
(Dianthus, Oxytropis, Thymus und anderen) gefchmtlidt. 
Im Sande fanden wir hier und da Schalen von Schneden, 
welche Arten angehörten, die wir im Kariſchen und Obis 
Jeniſſeiſchen Meere lebendig angetroffen haben. Am 26. 
Auguft kehrte unfer Bote zuriid, Er brachte noch fünf 
Rufen aus feiner Gegend mit, die wir in unferm Zelte gaft- 
lich, bewirtheten. Sie erzählten uns, daß bei Goltfchita noch 
ein Auffeher mit drei Arbeitern zum Betriebe des Fiſchfangs 
und der Jagd ſich aufhalte, während in Swerewo, am 
andern Ufer, nur noch ein alter Mann mit feinem Sohne 
haufe, alle nördlicher gelegenen Anfiedelungen aber verlafien 
feien. Dagegen lämen Samojeden, Dolganen und Jaluten 
fehr oft von der Tundra zum Flußuſer hinab. Diefe Stämme 
feien aber neuerdings durch die Poden ſtarl decimirt. Bei 
Ichönen ruhigen Wetter fuhren wir nun weiter nad) Cap 
Goſtinoi. Während diefer Fahrt bemerften wir zum erften 
und zum legten Male am Jeniſſei Schnee, welcher ſich vom 
Winter her in einer Schlucht am Ufer erhalten hatte. Hier 
trafen wir aud) in den Eandanfhwenumungen den erften 


Nordenjtjöld's Expedition nad) Sibirien 1875. 


Granitblod, Auch hier war die Vegetation reich, wir fanden 
die Aderbeere (Rubus arcticus), zwei Ellen hod), Angelica 
und andere Pflanzen. Nach einftündiger Mittogsraft fegel: 
ten wir weiter und landeten bei Nacht und Nebel am 27. 
Auguft an der flachen Mündung des Jalowiewa. Kaum 
fanden wir Treibholz genug, um unfer feuer an einer Stelle 
anzuziinden, wo zahlreiche Fiſchreſte uns angeigten, daß hier 
ein bedeutender Störfang betrieben wurde. Die nächte Raft- 
ftätte war eine fehr anmuthige auf einem der zahlreichen 
Eilande, weldye mit Brilowitſch-Juſſeln bezeichnet werben 
und zwifchen dem 69. und 70. Breitengrade belegen find, 
Die zwei Anftedelungen waren jegt, wo ber Fiſchfang vor: 
über, verlaflen ; vor einem Monat mußte bier, nach den zahl« 
reichen von uns vorgefundenen Fiſchgeräthſchaften zu urtheis 
len, veges Leben geherrjcht haben. Am 28. Auguft ruderten 
wir zwifchen vielen üppig grlinenden Infeln mit fteilen Ufer 
hindurch. Bei den Nitandrowfchen Infeln trafen wir 
endlich Fiſcher, die gerade die Netze aufzogen; ich kaufte 25 
Pfund Fiſche (Mulfunen und Tſchiren) für einen Silber: 
rubel, wobei zu beachten, daß wir als Fremde jedenfalls den 
höchſten Preis zahlten. Der Jeniſſei iſt berühmt wegen jet: 
nes Reichthums an wohlſchmeckenden Fiſchen, und ich bedaure 
nur, daß wir bei unſerer Unbekanntſchaft mit der Fiſchzucht 
es nicht unternehmen mochten, befruchteten Rogen mit nad) 
Haufe zu nehmen, um diefe Fischarten, namentlid) den Blaus 
följen, in unferen Flüſſen heimijch zu machen. Auf dem 
Wege von Dudina nad) Jeniſſeisl ließ ich aber doch einige 
Eremplare der vorfommenden Fiſcharten in eine mit Spiri— 
tus gefüllte Tonne legen und diefe wird mir über Petersburg 
zugefandt werden. Wie die meiften Bewohner des untern 
Jeniſſei, fo halten ſich aud) die Fiſcher auf den Nifandrows: 
Infeln viele Hunde. Cs find eine Art grönländijcher Zug: 
hunde, fie werden im Sommer zum Schleppen der Boote be- 
nugt und im Winter zu allerlei Zugdienften verwendet. Bei 
längeren Reifen durch unbewohnte Streden find die Hunde 
nicht zu benugen (wie dies ſchon Middendorf bemerkt), es 
müßten denn Jagd und Fiſcherei das möthige Futter liefern. 
Statt ihrer verwendet man Nenthiere. Die Weiterfahrt war 
wiederum vom Wetter begiinftigt. Mittagsftation in einer 
verlaffenen Anfiedelung auf der Inſel Sopotſchnoi. Bei 
Cap Makſuninskoi befucdhten wir eine Samojedenfamilie, 
die in ihrem Zelte von Fellen haufte und Fiſcherei trieb, um 
Wintervorräthe zu gewinnen. In Tolftoi Noß fanden wir 
eine wohleingerichtete Niederlaffung, die Leute hörten mit 
Staunen und höchſtem Intereſſe unſete Neifeberichte. 0 
Meilen nördlich von dieſer Niederlaffung fanden wir einen 
Gedenkſtein auf einer Grabjtätte Ein hierher verbannter 
politifcher Verbrecher hatte ſich durch Erhenken ben Tod ge- 
geben und die Yeute Hatten ihm für heilig erflärt, Die 
erfte Mahnung an die focialen Berhältniffe Sibiriens! Man 
fagte uns, daß bis hierher die Deniffeidampfer kämen und 
der letzte für diefes Jahr vor flinf Tagen weiter gedampft 
fei, wir würden ihn aber noch einige Meilen flußaufwärts 
antreffen. Sofort bradjen wir auf und waren fo glüdlic, 
nad; 26ftündiger Fahrt am 31. Auguft 9 Uhr Morgens 
den Dampfer zu treffen. Der Führer deffelben war ein 
Kaufmann, Iwan Michailowitſch Iarmenieff, er nahm und 
mit allem nur erdenklichen Wohlwolen auf. 

Die Gothenburger Handels und Schifjfahrtszeitung vom 
31. December vorigen Jahres bringt einen weitern Bericht 
von Dr. A. Sturberg liber die Fahrt von Dudina, [bei 
welchem Flecken der Jeniſſeidampfer am 31. Auguft erreicht 
wurde, bis nad) Denifjeist. Die Entfernung zwiſchen 
beiden Orten beträgt 125 ſchwediſche Meilen. Der Bugjir- 
dampfer fuhr langſam und hatte unterwegs vielfach; Aufent- 
halt; er brauchte daher zu der ganzen Fahrt 25 Tage, Am 


Georg Thiele: Stizzen aus Chile. 


4. September wurde nämlich die Fahrt von Dudina aus 
angetreten, welches auf 69% 15’ nördl. Br. liegt, Yeniffeist 
am 30, September und Krasnojardf (etwa auf 56'/,'nördl. Br.) 
am 6. October erreicht, Dudina ift ein armfeliger Flecken 
mit etwa einem halben hundert Bewohnern. Zwiſchen den 
Heinen Fenftern der Häufer und dem Erbboden find zum 
Schutz gegen die im Winter oft grimmige Kälte Erdwälle 
errichtet. “ 

Die Natur ift öde und troftlos; wenige Nadelholzbäume 
erheben fich hier und da in den Tundren. Aderbau kann 
nicht betrieben werden. Im Sommer gewähren der Fiſch— 
fang, im Winter die Jagd ben nöthigen Unterhalt. Haus— 
thiere, Pferde und Kühe find eine große Seltenheit. Wir 
machten die Bekanntſchaft des vornehmften Kaufmanns von 
Dudina, Sotnikoff, zweier Geiftlichen, eines Polizeibeam- 
ten und eines aus dem Kaufafus verbannten Unglücklichen. 
Ale empfingen uns mit der gewöhnlichen fibirischen Gaft- 
freundfchaft, indem fie uns Paftete und Wein, Thee und 
Eigarretten vorfegten. Auch zeigte und der Kaufınann inter: 
ejfante Naturalien: Mammuthzähne, ſubfoſſile Scneden 
aus den Tundren und Mineralien, die Sotnikoff jelbft aus 
dem Norilgebirge (öftlidh von Dudina), wo er bedeutende 
Steinfohlen» und Kupfererzlager befigt, gewonnen hatte. Bei 
unferer Abfahrt freuten wir uns nicht wenig, ben öden Tun« 
dren Lebewohl jagen zu lönnen, denn auf die Dauer ift ihr 
Anblid in hohem Grade peinlich. Die Ufer auf beiden Sei— 
ten boten fpäter durch Waldung ein freundlicheres Bild, Die 
Fahrt war, wie gejagt, eine entfeglic, langſame; wir fuhren 
freilich; Tag und Nacht, da wir aber an einer Menge Star 
tionen mehrftindigen Uufenthalt hatten, fo legten wir in 24 
Stumden nicht mehr wie 5 ſchwediſche Meilen zurüd. Dies 
fer öftere Aufenthalt gab uns andererfeits Gelegenheit, Aus: 
flüge zu machen, auf denen wir unfere Sammlungen bereis 
cherten und mit den halb und ganz wilden Bewohnern ber 
Ufer zufammentrafen. Zwiſchen Dudina und Turuchansk, 
auf einer Strede von 57 Meilen, finden ſich 16 bewohnte 
Pläge, acht auf jedem Ufer, Meiſt find diefe Niederlafjuns 
gen nur Hein und beftchen aus zwei bis drei ärmlichen Häu- 
fern. Zwei derfelben zeichnen fich befonders aus: Tchans 
deiska hat eine ſchöne Lage auf der Höhe und ift umgeben 
bon gutem Yaubwald. Selimaninäfoje heißt die andere, 
befannt als BVerbannungsort der Skopzen. Einige Werft 
füblich davon erhebt fid) am rechten Ufer das gottgeweihete 
Klofter Troizkoi. Eine der von uns zunächft berüßtten 
Stationen war Niſchnei Imbaték, bewohnt von ruſſi— 
ſchen Anfieblern und jeniffeisfischen Oftjäfen. Hier hatten 
wir noch warmes Wetter und Regen. Dann folgten fühle 
Tage und zwifchen dem 61. und 62, Vreitengrade trat der 
erfte Nacjtfroft ein. Südlich von der Mündung der mitt: 
lern Tungusta in den Jeniffei wird der Fluß ſchmaler 
und die Ufer fteigen bis zu 300 Fuß Höhe ſenkrecht auf. 
An diefer Stelle hatte der Heine Dampfer ein ſchwieriges 
Fortlommen und währte bie Fahrt in biefen Stromengen 


123 


einen ganzen Tag. Die Ufer waren meift fahl und fandig. 
Die fibirifche Yärche, die Führe und die Zirbelliefer waren 
die vorherrfchenden Bäume; hier und da famen auch bie 
Weide, die Pappel und die Birke vor. Am Ufer erblidte 
man von Zeit zu Zeit meift aus Birkenrinde gefertigte Zelte 
der Oftjäfen, deren Bewohner uns mit ihren langweiligen 
Gefichtern angafften, und auf dem Strome trafen wir von 
Hunden flugaufwärts gezogene Boote, Sechs Meilen ſüdlich 
von der erwähnten Mündung der mittlern Tungusfa, etwa 
60° nördl, Br., machten wir am linfen Ufer Halt, um 
Feuerungsmaterial, Holz fir den Dampfer, zu holen. Hier 
konnten wir den fibirischen Urwald ſehen und beſuchen. We— 
gen der vielfach umgeweheten Baumftänme war faum eins 
zudringen. Die Kiefern hatten ungefähr eine Stärke von 
2 Fuß. Das, Sebüfch der wilden Johannisbeere und der 
Vogelbeere, ſowie Farrenkraut, deſſen Stämme 2 Fuß Höhe 
erreichten, fülten den Zwiſchenraum vollſtändig. Kaum 
bürfte außer in den Tropen eine jo reich entwidelte VBege— 
tation wiederzufinden fein. Diefelbe läßt auf die große 
Fruchtbarleit des Bodens fliegen. Bon hier aus zeigt fid) 
die Gegend ftromaufwärts mehr bevölkert, was wohl daher 
fommen mag, daß feit den Zeiten Jermal's dieſer Theil des 
Jeniſſei, fowie die oberhalb Denifjeist milndende Angara we 
gen ihrer Goldhaltigfeit bekannt find. Einige Dorfichaften 
find foger ziemlich zahlreich bevölkert und hat beinahe jedes 
Dorf feine kleine Kirdye. In einem der von und befuchten 
Dörfer trafen wir eine Familie, welde, im Sande gelagert, 
ihre aus Fiſchen beftchende Mahlzeit, Braffen und Sterlet, 
lochte. Die Alten, befonders die Frau, waren äuferft häß- 
(ih, von Statur Hein, mit faſt unnatitrlich Heinen Händen 
und fiberhaupt feinen Gliedern, das Haar ſchwarz und glatt, 
die Augen intenfiv rothbraun. Eines der Meinen Finder, 
ein Knabe, hatte äußerſt lebendige bräunliche Augen, ber: 
haupt ein jehr interefjantes Geſicht, alle waren bodenlos 
ſchmutzig und in Lumpen geht. Die Stabt Feniffeist, 
das Ziel unferer Dampfichifffahrt, erreichten wir am 30, 
September. Unſere Anfunft wurde durch Kanonenſalven 
begrüßt. 


* 
* * 

Der „Berein für die deutſche Nordpolarfahrt“ hat feit 
dem befchloffen, jelbftthätig in die wiſſenſchaftliche Erforfhung 
des Nordens von Sibrien (vergl. auch „Slobus* XXIX, 
©. 63) einzugreifen und im kommenden Sommer zwei Ger 
lehrte mad) dem Mimdungsgebiete des Ob und Jeniſſei ab⸗ 
zufenden, Die Wahl ift auf zwei Zoologen, den Dr. D. 
Finſch, Confervator der Bremer Mufenms- Sammlung, 
und den befannten Dr. Brehm gefallen, Als Dritter im 
Bunde wird Graf Waldburg- Zeil, der Begleiter Th. von 
Heuglin’s auf deſſen Nordpolteie mitgehen. Da bie Bereins- 
cafle augenblidlich nicht ganz über die erforderlichen Mittel 
en fo wollen verſchiedene Vereinsmitglieder Vorſchüſſe 
eiften. 


Skizzen auß Chile 
Don Dr, med. Georg Thiele. 


” 


Das ganze Fand zerfällt in Abtheilungen, die nad) Boben- 
befchaffenheit, Klima, Producten und dergleichen beträchtliche 
BVerfchiebenheiten bieten. Im nördlihen Theile (Chaña⸗ 


IX. 


ral u. ſ. mw.) kann von Landwirthſchaft feine Rede fein; dort- 

hin muß jeder Sad Mehl und jedes Bund Heu erft per 

Schiff gebracht werden. Die jüdlihfte Yandesabtheilung 
16* - 


124 


umfaßt die Provinzen Baldivia, Ylanquihue und Chiloe, 
Hier ift der Winter noc milder als im Deutſchland, der 
Sommer aber Fühler; dabei fällt das ganze Jahr hindurch 
eine große Maſſe Regen. Der Getreideban ift infolge deſſen 
befchräntt; doc; gedeihen viele Früchte und befonders Kar— 
toffeln, mit denen Chiloe die ganze Weftfüfte verſorgt. Vich- 
zucht wird in Baldivia in beträchtlichen Maßſtabe betrieben. 
Das Hauptgefhäft diefer drei Provinzen ift inbeffen der 
Holzhandel, wie ſich bei den angeführten klimatiſchen Ber- 
hältnifien erwarten läßt. Grund und Boden find jehr billig 
zu haben, da das Yand nod) wenig bevölfert ijt und die Re— 
gierung die Einwanderung fehr begünftigt. In Valdivia 
hat das deutſche Element das Uebergewicht, oder vielmehr 
Baldivia ift */, deutich, fo ſtark ift die Einwanderung hier 
gewefen. Die Leute leben hier in Heinen Farmen, wie es 
etwa in Nordamerika ift. Indianer leben zerſtreut in Vals 
divia und Llanquihue, friedliche Yeute, mit denen noch nie 
etwas Umangenehmes paſſirt ift. 

Bom Norden find diefe Provinzen getrennt durch das 
Gebiet der unabhängigen Araucanier, jehr ftreitbare In: 
bianer, mit denen die Regierung feit Dahren einen Örenz« 
frieg führt. Aller Berfehr von Valdivia nad) dem übrigen 
Lande geht per Schiff. An der araucanijchen Küfte eriftiren 
nur einige Anfiebelungen, ausjdjlieklid, dev Ausbeutung von 
Kohlenminen gewidmet. 

Dann folgen die Provinzen Concepcion, Nuble, 
Manle, Talca, in denen VBodenproducte und Klima denen 
Deutſchlands am ähnlichften find. Die Grenze gegen Nor- 
den bildet ber Fluß Maule. Im Winter giebt c& ein wenig 
Schnee, zuweilen auch, namentlid) gegen die Gordillera zu, 
eine dünne Eisdecle. Regen giebt es im Winter reichlich, 
zumeilen aud) im Sommer ein wenig. Die Fluſſe haben 
ftets Waſſer. Die Bodenproducte find diefelben wie im ſüd⸗ 
lichen Deutſchland. Weizen wird im enormer Menge von 
hier exportiert, ferner Wein, Bohnen sc. Viehzucht ift am 
ftärkfien in Talca. Hier herrfcht die Haciendenwirthfchaft. 
Grund und Boden wurden zur Zeit der Eroberung an bie 
Generäle und Hofbeamten vertheilt und fo ift ber Girund- 
befig im wenig Händen, Seit der Unabhängigfeit find in 
deſſen eine Anzahl Haciendas dismembrirt worden. An ber 


Begräbnißgebräudje der ö 


Albin Kohn: Begräbnißgebräuche der öſterreichiſchen Süpdilaven. 


füblichen Grenze von Nuble, das am nächſten an der Cor 
dillera Liegt, leben eine Menge deutjcher Aderbauer in einen 
armen, die fehr gute Geſchäfte machen. Dies, nämlid) 
die Südgrenze von Nuble, ift die einzige Gegend, wo ber 
Indianer die Anſiedler nod) etwas beunruhigt, doch im Gan— 
zen wenig. Sch weiß, daß im diefen Provinzen Biele qute 
Geſchäfte mit Pachten von Haciendas gemacht haben; doch 
gehört dazu Kenntni des Yandes und der Spradye. Arbeits- 
kräfte find fpärlich zu haben, jedoch billig; auch find die Chi— 
lenen fleißige Arbeiter. Die Comunmicationsverhältnifie 
find neuerdings ſehr verbeffert, indem eine Eiſenbahn das 
Innere des Yandes mit dem Hafen verbindet und auch die 
nach Santiago bis zum Jahre 1876 fertig werden fol. 

Nördlich von Maule folgen dann Curicö, Coldagua, 
Santiago, Balparaifo uud San Felipe. Hier ift 
weniger Regen und die Fluſſe führen nur im Winter und 
Frühjahr Waller; Schnee giebt e8 nur ausnahmeweiſe. Der 
Weizen ift and hier noch die Hauptwohlftandsquelle.. Die 
Vegetation hat indefjen bereits einen etwas tropiſchen An— 
ſtrich; ſchon wachſen einige Palmenforten wild. In den 
geichligteften Thälern gedeihen Früchte, die fonft nur in Pern 
wachſen. Santiago und Balparaifo find die beiden 
reichjten Provinzen. Der Anſiedler findet jedoch hier ſchwer 
Pag; das Yand ift zu ſtark bevölfert im Berhältniß zu den 
übrigen Provinzen und der Arbeiter ſchon anfpruchsvoller 
infolge des großen Bedarfs in den Hauptitädten. 

Dann folgt die Provinz Coquimbo, berühmt wegen 
ihres ewig ſchönen Wetters; doch regnet es hier noch im 
Winter, Bon Yandwirthichaft ift fon wenig die Rede, da 
die Hälfte des Yandes wüſt if. Auch die bebaute Hälfte 
trägt mehr Wein und Früchte, als eigentliche Aderbaupro- 
duete. Das Hauptgeihäft ift der Kupferbergbau. 

Endlich folgt die Wüfte Atacama, in der nur am zwei 
Plägen, Copiaps und Huasco, Aderbau getrieben wird. 
Die Arbeitskräfte find indeſſen infolge der hohen Löhne, 
welche die Minen zahlen, fo ſchwer zu haben, daß das ein- 
geführte Mehl zc, billiger ift als das an diefen Orten felbft 
erzeugte. Bon Regen ift nördlich von Coquimbo feine Rede 
mehr, In Caldera erzählten mir die Leute, daß es vor 10 
Jahren (alfo 1864) einmal eine halbe Stunde geregnet habe. 


fterreihifhen Südflaven. 


Von Albin Kohn. 


Der befannte Kenner flavifcher Altertgimer und Drien- 
talift Berezin hat in den „Nachrichten der Kaiſerlich Kufs 
fiichen Geographiſchen Geſellſchaft“ folgende Schilderung 
jüdflavifcher Gebräuche veröffentlicht, zu denen id) mir einige 
kurze Bemerkungen hinzuzufügen erlaubte. 

Die Begräbnikgebräuche der öſterreichiſchen Südflaven 
tragen viele Spuren des Heidenthums am ſich; fie zeugen 
von einem fehr engen Begriffe vom Tode und vom Yeben 
jenfeits bes Grabes. So jehen wir, daß fid) die Südflaven 
das gewöhnliche Ende des Lebens, ben Tod, diefes allgemeine 
Naturgefeg, durch gewiſſe Zufälligfeiten, verſchiedene Sombi- 
nationen, welche, wie leicht denkbar, auf ſehr wankender 
Grundlage beruhen, zu erklären fuchen. Wenn ein Hund 
vor einem Haufe heult und trog Pritgel nicht aufhört zu 
heulen, fo bedeutet diejes nad) dem Boltsglauben, daß irgend 
einer der Hausbewohner im Kurzem fterben wird. Wenn 


zwei Perfonen in einem Haufe plöglich fterben, jo ftirbt ger 
wiß noch ein dritter im ihm im demfelben Jahre. Der Krante 
erliegt gewiß der Krankheit, welche ihn am Freitag befallen 
hat. Der Vater und die Mutter, denen ein Kind geftorben 
ift, dürfen nicht eher frisches Obſt genießen, bis fie ſolches 
nicht armen Waifen zur Erinnerung an die Seele ihres Kin: 
des gegeben haben; andernfalls würde das verftorbene Kind 
im Jenſeit nicht Früchte des Paradiefes erhalten und wäre 
gezwungen, an feinen Fingern zu nagen, infolge deſſen es 
bittere Klagen wider feine Eltern erheben würbe, 

Während einer Krankheit berufen die Südflaven gewöhns 
lid „weile Männer“ (Snadar, von snatj, willen) oder weile 
Frauen (Snacharla). Diefe rohen Aerzte finden immer, daß 
der Kranke von „böfen Augen“ getroffen worden ift, und 
beginnen ihn mit allen möglichen Mitteln zu tränfen, die 
aus den verſchiedenſten Kräutern und Wurzeln zubereitet 


Albin Kohn: Begräbnißgebräuche der öfterreichiichen Südſlaven. 


werden. Am Ende, wenn die Natur des Kranken die Sranf- 
heit nicht befiegt, verfticbt dann freilich der Kranfe. Nun 
wird die Leiche jogleich gewafchen, es werden ihr die Feiertage» 
tleider angezogen, worauf fie auf einen mit einem weißen 
Tiſchtuche bededten Tifc gelegt wird. Wenn der Verjtor- 
bene noch umverheirathet war, wird er mit einem Kranze 
aus weißen Roſen geichmidt. Auf einer Seite des Todten 
werden brennende Wadjslichter (je nad) den Bermögensver« 
hältniffen zwei, drei, vier und mehr) aufgeftellt, während zu 
den Füßen ein Gefäß mit Weihwaſſer Play findet, im wele 
chem ſiatt des MWeihwedels ein Strauß Hinmelsichlüfiel- 
chen ſchwimmt. Jeder Beſucher erfüllt die legte Pflicht 
gegenüber dem Berjtorbenen, indem er ihm mit Weihwafier 
befprengt, darauf niederfniet und für feine Seelenruhe ein 
Gebet herfagt. Man beeilt ſich auchh, aus dem Haufe des 
Berftorbenen alle Hausthiere, wie Hunde und Hagen, zu 
jagen, denn, jagt der Aberglaube, wenn cin ſolches Über die 
Leiche fpringen wilrde, jo würde des Berftorbenen im zu« 
künftigen Peben die Kolle eines Werwolfes *) warten: furct- 
bar, aufgedunjen von Blut, wird er aus feinem Örabe er⸗ 
ſtehen, um kleinen Kindern das Blut auszuſaugen und die 
Ruhe der Erwachſenen, welche von der Arbeit des Tages 
ernrüdet find, zu jtören, Während der Zeit, während welcher 
der Tobte im Haufe liegt, erflingt dreimal täglich der trau— 
tige lang der Glocke vom Kirchthurme des Dorfes, wodurch 
der ländlichen Bevölterung in Erinnerung gebradjt wird, 
daß wiederum einer aus ihrer Mitte vor den Thron des 
Höchften berufen worden ift. Indeß bringt aud) der Doris 
tifchler den Sarg, in dem fi), wie es der Aberglaube will, 
einige Spalten befinden. Die Verwandten und Belannten 
verfammeln ſich dann im Haufe des Verftorbenen, verrichten 
Gebete für die Ruhe der Seele des neuerſcheinenden Sklaven 
Gottes und unterhalten ſich über ihn, wobei jedoch nur feiner 
guten Eigenſchaften gedacht wird, 

Bei der Yeiche wird nun von Weibern ein lautes, oft 
herggerveißendes Weinen und Schluchzen erhoben. Häufig 
tommen dieſe Weinerinnen, welde in Slavonien „Poloj» 
nice“ (Zodtenweiber) und an der Kuſte von Dalmatien 
zwifcen Spalatound Tran „Narytatiche* **) (Klageweiber) 
heißen, aus anderen Dörfern herbei. Sie erhalten fiir ihr 
Weinen einen beftimmten Lohn und hierfliv vergießen fie 
heiße Thränen, wobei fie in allbefannten Reden ihre unend- 
liche Trauer über den Berluft des ihnen jo theuern Menſchen 
zu erfennen geben. Dieſe Reden werden mad) einer befann« 
ten Schablone gehalten; erft wird gejagt, womit fid) der Ver— 
ftorbene befchäftigt hat, dann werden Lobeserhebungen her 

zählt und dann folgt ein Troft für die im Haufe des 
—— Anweſenden. Hierbei muß noch bemerkt were 
den, dag, wenn ein Kind geftorben ift, feine eigene Mutter 
nicht weinen darf, denn, fagt dev Aberglaube, ihr Kind ftarb 
ja frei von Sünde, feine Seele ift in eine befjere Welt ent- 
flohen, wozu alfo weinen ? 

Der Aberglaube verbietet, das Grab einen Tag vor dem 
Begräbnifle jertig zu machen; das Bolt glaubt fteif und feft, 
daß, wenn das Grab auc nur während einer Nacht leer 
fteht, jo muß im Yaufe des Jahres ein Familienglied fterben. 
Deshalb aud) verfammeln fich ganz früh am Tage, an wel« 
chem das Begräbniß ftattfinden foll, die Bekannten des Ver— 
ftorbenen auf dem Kirchhofe, um das Grab zu machen, Es 
wird Branntwein und Speife mitgenommen, mit denen jeder, 
dem man begegnet, bewirthet wird. 


*) Der Werwolf entftcht nach dem unter dem polnifchen Bolfe 
berrichenden Aberglauben durch Beberen oder Verfluden. Die 
Gigenfhahten bes polnifchen Werwolfes find aber denen des fübe 
flawifchen gleih. Doch darüber fpäter. 

**) Bon „narykat”, poln. „narzekac”, Klagen. 


125 


Nun kommt der Seiftliche in das Haus des Verftorbenen; 
nad) kurzem Gebete ſetzt ſich der Yeichenzug in Bewegung 
und geht langjam der Dorffirche zu. Wenn der Sarg ge: 
fahren wird, werden gewöhnlich an den Gejchirren zwei Tu— 
her, ein weißes und ein ſchwarzes, befeftigt, So lange der 
Zug fid) bewegt, läutet auch die Todtenglode auf dem Kirch— 
thurme. 

Un der Spige des Zuges wird das Kreuz, das ſich jonft 
hinter dem Altare befindet, getragen, auf das gewöhnlid) ein 
Tuch oder Handtuch des Verftorbenen gelegt wird, was ans 
deuten foll, daß er ein treuer Sohn der Kirche geweſen ift. 
Nun folgen paarweife die Dorfbewohner mit brennenden 
Lichtern und Hinter ihnen geht der Geiſtliche, dem zwei 
Kirchendiener aſſiſtiren. Einer der legteren trägt ein Gefäß 
mit Weihwaſſer, der zweite eine brennende Kerze. Dept erit 
folgt die Yeiche im Sarge auf der Bahre oder auf einem 
Wagen. Hinter dem Sarge gehen die Verwandten und 
Freunde des Verjtorbenen paarweije, voran die Männer und 
dann die Frauen. Der Zug bewegt ſich in derjelben Ord⸗ 
nung aus der Kirche auf den Begräbnißplatz. Fur den 
u. und das Vegräbnig nad) chriſtlichem Brauche 
zahlen die Bewohner dem Geiftlichen gewöhnlich eine Kleine 
Summe Geldes, welde in Srema „Samrjdtina“ *) (für 
den Todten) heift. 

Vom Begräbnifplate zurückgekehrt waſchen fich die Dorfs 
bewohner, ehe fie ins Haus eintreten, die Hände, und nehmen 
dann mit einer Feuerzange eine glühende Kohle, weldye fie 
hinter jic; werfen. Nun geht's ans Mittagsefjen. Diefes 
Mittagsejjen, von den Südflaven „Karmina* (von karmitj, 
füttern) genannt, findet entweder im Haufe des Berftorbenen 
oder aber in der Wohnung eines fehr nahen Verwandten 


-ftatt. Die Hauptfache bei diefem Mahle ift ein vothes Tuch 


mit Nüffen, welches auf dem Tiſche ausgebreitet wird. Wäh— 
rend bes Effensd werden gewöhnlich fromme Lieder für die 
Ruhe des oder der Verftorbenen, zum Ruhme irgend eines 
Heiligen u. ſ. w. gelungen. Da es aber auferdem noch 
Sitte it, Toafte auf die Gefundheit irgend eines Paares, 
;. ®. eines Mannes und feiner Frau, eines Bräutigams und 
jeiner Braut, auszubringen, fo werden während folder Todten- 
mahle auch Toafte irgend eines oder einer Heiligen ausge 
bracht und zum Kuhime des heiligen Joſeph oder ber heili« 
gen Unna u. f. w. getrunlen. Es wird übrigens während 
eines ſolchen Feſteſſens auch auf die Gefundgeit Lebender 
getrunfen, wenn man irgend einer Perfon befondere Achtung 
erweifen will, Da der Geiftliche des Ortes („Plowan“, 
dem polnischen „Pleban“ verwandt) während dieſes Feſteſſens 
bie erſte Stelle an ber Tafel einnimmt, jo trinfen die Uns 
wejenden auch auf feine Gejundheit und gleichzeitig auch auf 
die Gefundheit einer Heiligen. Nach jedem Zoafte becilen 
ſich die Anweſenden die Gläſer zu leeren, die mit Branntwein 
gefüllt find, Während des Eſſens werden übrigens zu dies 
jem Behufe verfaßte Yieder gefungen, Stellen aus den Evan: 
gelien hergefagt und verſchiedene Geſchichten und Yegenden 
geiftlichen Juhalts erzählt. Nach dem Mittagsmahle werden 
unter den Anwejenden Nie und Früchte vertheilt und mit 
biefem endet ber Begräbnißtag. Während diefes ganzen 
Tages bemühen ſich alle recht traurig und niedergefchlagen 
zu jcheinen. 

Während des Jahres find drei Erinnerungstage („Datja“) 
und zwar 1. nad) Verlauf von vierzig Tagen; 2. nad) Ver« 
lauf eines halben Jahres und 3. nad) Verlauf eines Jahres. 
Hierzu wird gewöhnlich eine befondere Zeit gewählt und man 
hält fie entweder am Sonnabend oder Sonntags in ber 
Frühe ab. Die nädjften Berwandten laden hierzu die weis 


*) Bon „samjer“, veritorben. 


126 


teren Berwandten und Freunde mit ben Worten ein: „Kommt 
Abends (oder Morgens), des BVerftorbenen zu gedenten,“ 
Zur bezeichneten Zeit fommen alle anı Grabe des Berftor- 
benen zufammen und der Seiftliche weiht eine Speife (Kutja, 
bedeutet eigentlich das Mahl am Weihnadjtsabende). Hierauf 
begeben ſich alle Geladenen zum MWittagsmahle, während 
beifen Gefänge für bie Ruhe des Sklaven Gottes (ober der 
verftorbenen Sklavin) angeftimmt werden. Zum Schluſſe 
fingt man: „Ya! vergebe Gott feiner (oder ihrer) Seele 
alle Sünden !* 

Bei den griechijch-fatholifchen Serben find zwei Tage 
der Erinnerung an alle Verftorbenen gewidmet und zwar 
acıt Tage vor Beginn der großen Halte, welche Woche die 
„Allerjeelenwoche* heifit, und vor der „Peter'ssrfafte* (welche 
drei Wochen vor dem Peter-Paul’3-Tage beginnt). Bei den 
römiſch⸗katholiſchen Chorwaten ift nur ein Erinnerungs- 
tag — der 2. November. Gewöhnlich gehen die armen 
Bewohner des Dorfes am Borabend des Erinnerungstages 
in den Kirchturm, um zu läuten, und hernach gehen fie zu 
den Bewohnern der Dörfer, um zu beiteln. Während des 
Erinnerungstages wird in allen Häufern mit Bernftein ges 
räuchert, die Bewohner gehen im die Kirche und geben dem 
Geiſtlichen Zettel und Bücher mit den Nanten aller ihrer 
verftorbenen Verwandten. Wenn der Geiftliche während 
der Andacht diefe Namen vorzulefen beginnt, zlindet jeder 
der Anwefenden ein Licht an. Nach Beendigung der Seelen: 
mefje geben alle auf die Gräber ihrer Verwandten, ftellen 
die Lichter auf die Öhrabhligel, wo fie bis Abends brennen. 
Alle Ceremonien, welche während der Gedächtnißtage beob- 
achtet und ausgeführt werden, nennt man „Saduſchnize“ 
(für die Seelen). Aber außer diefen Tagen der Erinnerung 
an alle Berjtorbenen haben die Stidflaven noch einen, der 
diefelbe Bedeutung hat: es iſt dieſes der zweite Montag 


Die Schwiegermutter. 


nad) Oftern. An diefem Tage wird Speife auf die Gräber 
gebracht, um dem herrfchenden Aberglauben *), daß nämlich 
der Leib einige Male aus dem Grabe zurückkehren kann, 
genug zu then. An diefem Tage wird auch viel Almofen 
für die Ruhe der Seele gegeben und die Geiftlichen lefen 
kurze Gebete auf den Gräbern der Verftorbenen. Nadjdem 
dieſe Gebete beendet find, beginnt die Unterhaltung fiber die 
Dahingefchiedenen, wobei man ſich gegenfeitig verfchiedene 
Vorfälle aus ihrem Leben erzählt. Diefe Erinnerung Heißt 
„Drudichptichalo* (Freundeserinnerung, von „Drug“, ber 
ud). 


Im der Nähe des Dorfes befindet ſich gewöhnlid; der 
Begräbnigplag, auf welchem jeder Familie ein befonderer 
Plag eingeräumt ift. Kleine mit Raſen belegte Erdhügel, 
um die gewöhnlich Trauerweiden oder Ahornbäume gepflanzt 
find, bilden die Gräber, deren einziger Schmud ein hölzer- 
nes, mit den Nationalfarben, weiß, blau und roth, ange 
ftrichenes Kreuz iſt. In einigen Orxtjchaften lann man an 
den Ausſchmückungen, mit denen die Kreuze behängt find, 
erkennen, ob unter ihnen ein verheiratheter Dann, eine Ehe: 
frau oder eine Jungfrau ruht. Im erften Falle wird das 
Kreuz mit einem Säbel oder fonft einem bie Tapferkeit be+ 
zeichnenden Embleme bezeichnet, im zweiten mit einem Stlide 
Zeug bededt und im dritten wird Flachsgarn ober dieſem 
Achnliches ans Kreuz gehängt. Auf einigen alten Gräbern 
werben auch hin und wieder große behauene Steine errichtet; 
dieje Grabdenfmäler haben gewöhnlich einen Durchmeſſer 
von civca 1%/, Meter und eine Höhe von etwa 1 Meter, 


*) Lnter ten Ruſſen in Sibirien ſcheint ein äbnlidher Aber: 
glauben zu herrſchen. Auch fie geben auf ben Kirchhef und nehmen 
Schuͤſſelchen voll gefochten Reis, mit Heinen Rofinen und geftefenem 
Zucker gewürzt, mit ſich und verzehren diefe Eprife am Grabe des 
Merftorbenen. Man nennt diefes die „Cominka“ (Erinnerungen). 


Die Schwiegermutter. 


Mit einer merkwürdigen Uebereinſtimmung haben bie 
Sprichwörter aller Böller an der Schwiegermutter etwas 
auszufegen und es mag bei civilifirten oder bei Naturvöltern 
fein: ftets ift das Verhältniß zwiſchen Schwiegermutter und 
Schwiegerſohn, beziehentlichh Scywiegereltern und Schwiegers 
kindern, ein gefpanntes, fo daß bei einigen Völfern beide 
Theile völlig von einander gefchieden find und niemals in 
Berlifrung mit einander gerathen, ein eigenthümlicher Ger 
brauch, der faft identifch in Amerika, Afrika und Auſtralien 
ſich nachweisen läßt. 

Schon im deutſchen Sprüdjworte wird die Schwieger- 
mutter wenig galant behandelt. „Schwiegermutter — Teufels« 
unterfutter* oder „Schwiegermutter — Tigermutter* heißt 
e8 da und der Siebenblirger Sachſe Hagt: „Et äs nit gät 
mät der Schwijer un enem Däſch ſetzen.“ Man wünjcht 
die Schwiegermutter weit weg: „Die befte Schwiegermutter 
auf der Gänfeweide“ und der Engländer jagt: „Mother- 
in-law and daughter-in-law are a tempest and hail- 
storm.* Der Albaneje fürchtet jelbft das Wohnen in der 
Nähe der Schwiegermutter, wie fein Sprilchiwort beweift: 
„Die Schwiegermutter nahe der Thür it wie der Mantel 
beim Dornbujche“ *). 


*) Reinaberg- Düringafeld, Die Frau im Spruchworte. Leipzig 
1882, &. 194 — Wander, Deutfches Sprühmwörtersterkon s. v. 


Auch in allen indiſchen Sprüchwörtern, namentlich den 
canarefifchen, fpielen Schwiegermutter und Schwiegertodhter 
als Gegenfäge eine Nolle *) und die Kolhs in Oftindien, 
welche leicht beleidigt und mit dem Aufhängen fehmell bei der 
Hand find, fingen ım Spottliede : 

Wenn die Schwiegermutter Dich auch ſchimpft, 
Ja nicht, Mädchen, ja nicht 
Hänge Dich dann auf **). 

Das Berhältniß, welches zwiſchen Schwiegereltern und 
Scwiegerfindern, namentlich zwijchen Schwiegermutter und 
Schwiegerfohn, bei den Kaffern befteht, wirft im höchſten 
Grabe hinderlic auf die Entwidelung des Familienlebens. 
Nach diefer bei den Amaloſa Ufushlonipa genannten Eitte 
darf die Fran ihren Schwiegervater und feine männlichen 
Verwandten im auffteigender Linie weder anfehen noch mit 
ihnen beifammen fein, noch auch ſelbſt ihren Namen aus 
fprechen, jo daß fie gezwungen ift, neue Wörter zu bilden, 
um die Stammfilbe des gefürchteten Namens zu vermeiden. 
In ähnlicher Weife fitcchtet der Mann den Anbli feiner 
Schwiegermutter, geht ihr nach Möglichleit aus dem Wege 
und vermeibet das Ausfprechen ihres Namens, doch ift er 


*) K. Graul, Reife in Oftinvien I, 208. 


++) Nottroit, Die Gofnerihe Miffton unter den Kolbe. Halle 
1874, ©. 130. 


Die Schwiegermutter. 


binfichtlich ihrer weiblichen Verwandten in auffteigender Linie 
nicht gebunden *). 

Nach Fritſch liegt diefer Sitte die Furcht zu Grunde, 
das Verbrechen der Blutſchande auf fich zu laden, wäre es 
auch nur in Gedanken. Durch ſolche Schuld glaubt man 
den bejondern Zorn der Geiſter der Verftorbenen auf ſich 
herabzubeſchwören und hiktet ſich ſchon aus diefem Grunde 
davor, ohme daß große trafen darauf gefegt zu fein brauchten. 

Auch in Wadai leben, wie mir Dr. Nachtigal mittheilt, 
Schwiegereltern und Schwiegerfinder durdaus getrennt und 
iſt der Bertehe zwiſchen Schwiegermutter und Schwiegerſohn 
durchaus nicht geftattet. 

Der Gebraud), der Schwiegermutter auszuweichen, muß 
ſich nördlich durch Afrila hinziehen, denn Mohammed el 
Tunfi, der von feinem Vorkommen bei den Kaffern nichts 
weiß, jchreibt ihn aud; dem Volfe von Darfur zu. Er ift 
aber genau fo wie bei den Kaffern auc bei den Bogos, 
femitifchen Stammes, vorhanden. „Der Gatte ficht niemals 
das Geſicht feiner Schwiegermutter und beide hikten ſich ein- 
ander zu begegnen. Die Frau ſpricht niemals den Namen 
ihres Gatten noch ihres Schwiegervaters aus; ber Gatte 
fpricht nie den Namen feiner Schwiegermutter aus“ **), 

Wird hier, auf afrifanifchen Boden, diefelbe eigenthüm⸗ 
liche Eitte und and) erklärlich durch Uebergang oder Ent: 
lehnung, jo fann davon feine Rede fein, wenn wir fie bei 
jüdamerifanifchen Völlern wiederfinden, Cs ift verbirgt, 
daß, bei den Ranqueles» Indianern der argentinischen 
Pampas die Schwiegereltern ganz getrennt von den Schwieger⸗ 
jöhnen leben und dag diefe ſich gegenfeitig weder berühren 
noch anfprechen dürfen ***). Der Grund ift hier jedoch ein 
anderer al$ derjenige, welchen wir bei den Kaffern erwähn- 
ten. Die Ranqueles bringen unter anderen Opfern dem 
Gotte Gualitſchu auch Menſchenopfer bar und zwar werden 
ihm gewöhnlich alte Weiber geopfert. „ft die alte rau 
num gar die Schwiegermutter des flirforglihen Familien 
vaters, fo geſchieht das Opfern mit befonderm Gufto, denn 
die Indianer glauben, daß der Gualitſchu ein fpecielles Ber 
gungen daran finde, in dem Körper folder Frauen feinen 
Sig aufzuſchlagen.“ Jedenfalls wird das Mordopfer erleich 
tert, wenn Schwiegerfohn und Schwiegermutter einander 
fremd geblieben find. Bei den Araufanern barf bie 
Schwiegermutter jahrelang nach der Verheirathung ihrer 
Tochter den Schwiegerfohr nicht anfehen, doch darf fie mit 
ihm ſprechen, wenn jie ihm den Rücken zuwendet oder durch 
einen Zaun von ihm gefchieden ift 7). 

Derjelbe ‚merholirdige Gebrauch ſcheint durch ganz Au» 
ſtralien zu gehen, wenigjtens habe ich ihm in Victoria und 
Weftauftralien nachweiſen können. Bon Bictoria berichtet 
W. Stanbridge FF): „Die Schwiegermutter oder Gnalwin— 
turrt erlaubt unter feinen Umftänden, daß ihr Gnalwin oder 
Schwiegerſohn fie anſieht; ift er in der Nähe, jo verſieckt fie 


Fritſch. Die Gingeborenen Sütafrifas, Breslau 1872, ©. 114. 
**) W. Munzinger, Sitten und Recht der Boget. Winterthur 
1859, S. 63. 
**) A. Kahl, Die Ranaueles- Indianer. Yar-Plata: Monatsfchrift, 
danach „Mobs“ XXV, ©, 280, 
7) E. Reuel Smith, The Arauenninns. Newvork 1850, p. 217, 
it) Transart,. Ethnol. Soe, I, 280 (1861). 


127 


ſich und bei ihren Ausgäüngen macht fie große Umwege, wenn 
fie weiß, daß er ihr begegnen könnte, aud) bededt fie ſich 
außerdem forgfältig mit ihrem Mantel. Dr. Mc Senna, ar» 
gentinifcher Conful in Melbourne, giebt an, daß derfelbe 
merkwilrdige Gebraud) von den Eingeborenen am Ya Plata 
beobachtet werde* (j. oben). 

Flir Weftauftralien ift der ausgezeichnete Kenner der 
dortigen Schwarzen, A. Oldfield, unfer Gemährsmann *), 
„Unter den Watfchandies und vielleicht aud) unter anderen 
Stänmen befteht ber merhwitrdige Gebrauch, daß eim neu— 
verheivatheter Mann feine Schwiegermutter (Abracurra) eine 
gewiſſe Zeit lang nicht anfehen darf. Nähert fie fi, fo 
muß er ſich zueliczichen, und follte er ihr Kommen micht 
bemerfen, jo warnt ihn ein Öefährte und zeigt ihm die Rid)- 
tung an, aus ber fie naht. Er entfernt fid) dann ohne 
zurlidzubliden in der entgegengefegten Richtung und verftedt 
ſich hinter einem Buſche oder Baum, bis es ihr gefällig ift 
fich zu entfernen, wovon ihn feine Kameraden fofort benach— 
richtigen. Ich war nicht im Stande den Urſprung biejer 
Sitte zu erforfchen oder die Strafen, die auf ihre Mißachtung 
gelegt find,“ 

Die Sadye ift alfo im Pictoria und Weftauftralien die- 
felbe, nur mit dem Unterſchiede, daß Schwiegerfohn und 
Schwiegermutter bie leidende Rolle wechſeln. 

Keinedwegs fehlt es an Spuren einer ähnlichen Sitte in 
Afien, die wenigftens eine eigenthlimliche Scheu oder großen 
Reſpect der Schwiegerlinder vor den Schwiegereltern ver- 
tathen. Spenfer St. John bemerkt **), daß bei den Dajals 
der Schwiegerfohn dem Bater feiner Fran größern Reſpect 
bezeugt als feinem eigenen Vater. Er behandelt ihn höchſt 
ceremomiell, ſpicht niemals deflen Namen aus, igt niemals 
mit ihm von berfelben Schüſſel oder trinft aus derfelben 
Scale, noch wagt er es mit ihm auf derfelben Matte zu 
figen. Und anflingend hieran lautet der Bericht Adolf 
Erman’s von dem, was er im einer jafutischen Jurte jah: 
„Die Finder waren in derfelben ganz ohne Kleider und auch 
die Frau, die bis um Mittag geichlafen hatte, trug jegt nur 
ihre kurzen Hoſen und blieb mit nadtem Überleib, während 
ic, im der Jurte verweilte. Nach jakutiſcher Sitte liegt 
hierin nichts Anftößiges, denn nur vor ihrem Schwiegervater 
und vor den Älteren Brüdern ihres Mannes ift es den rauen 
verboten ſich auf dieſe Weiſe zu entblößen“ ***). Alſo aud) 
hier ein beſchränkendes Verhaltniß zwiſchen Schwiegervater 
und Schwiegertochter. 

Dei ber Beurtheilung folder überraſchender und eigen: 
thlimlicher Uebereinftimmung bei räumlich weit getrennten 
Völfern lann man nicht vorfichtig genug fein, Sollen wir 
hier gleich, wieder die bequeme Entlehuungstheorie hervor—⸗ 
juchen? Daß ſolche Gebräuche jpontan entjtehen, ſcheint uns 
weit mehr Wahrjcheinlichkeit für fich zu haben und liegt auch 
in der Natur der Sache begründet, 

Richard Andree. 

) Transact. Ethnol. Soc. IN, 251 (1865). 

**) Life in the forests of the far enst. London 1862, Vol. I, 





p. 51. 
+, Arolf German, Meife um Die Erbe, 1. Abtbeil. 2. Band. 
i ©. 317. 


128 


Aus allen Erdtheilen. 


Aug allen Erdtheilen. 


Die deutihe Eolonifation in Palaftina 


Die Anfänge diefer von einer wilrttembergiichen Secte, 
dem „Tentpel*, unternommenen und gebeibenden Anſiedelung 
datiren aus dem Jahre 1869, Man ging dabei planmäßig 
und bebachtiam zu Werke, da zwei frühere Colonien, eine 
deutiche in Sammnich bei Nazaretb und eine amerikaniſche 
bei Jaffa, wegen ungenügender Mittel zu Grunde gegangen 
waren. Man nabm alio zuerſt Bedacht auf Beſchaffung ge— 
nigender Geldmittel, dann auf die Auswahl geſunder Oris— 
lagen und fing Mein am, um wicht bei einem etwaigen Fehl— 
ichlagen Alles zu verlieren, Schon im Serbfte 1569 enthielt 
die Golonilationcaffe über 200,000 Mark, zu 9 Zchntbeilen 
Einlagen der Mitglieder. 1870 befanden ſich in Jeruſalem 
25 Seelen, meift Handwerker; ebenſoviel in Beirut, Hand: 
werker und Dienftmädchen ; ſodann eine Ackerbaucolonie von 
70 Berfonen bei Haifa und eine ebenfoldye von 60 Perſonen 
darumter anch viele Handwerker bei Jaffa, nördlich von den 
herrlichen Citronen: und Npfelfinenpflanzungen, welche Diele 
Hafenjtadt Jeruſalems von drei Seiten umgeben. 

Aus den Verbandlungen der engliſchen ‚Paleſtine So— 
eiety* erfchen wir jest, daß fich trog der türfijchen Miß— 
wirtbichaft, des ungewohnten Klimas nnd mancher anderer 
bindernder Factoren jenes Unternehmen feitdem gedeiblich 
eitwidelt und vergrößert bat. Schon zählt es an 1000 Ser: 
len in ſechs Niederlaffungen, über welche einige nähere Au— 
gaben bier folgen. In Jeruſalem ift der „Tempel“ durch 
Miller, Schloſſer, Tiidyler, Krämer, Sattler, einen Bäder, 
Schlächter, Holzhändler sc. vertreten, welche ſich, früher über 
die ganze Stadt zeritreut wohnend, feit einigen Jahren etwa 
20 Minuten Tüblich von Jeruſalem im Thal Rephaim, wo 
David die Bhilifter ſchlug, einer neben dem andern nieder: 
gelaſſen haben. Ahr Meines Dorf zicht fich in gerader Linie 
iu beiden Seiten der alten römischen Strafe nach Gaza bin. 
Lebhaften Antheil nehmen die Dentihen an dem aufblühen- 
den Handel von Jaffa, wo die Handlung von Breiich dem 
bofzarmen , aber fteinereichen gelobten Lande die Hölzer vor 
Trieft, Kleinaften und Macedonien herbeiſchafft. Bon dieſem 
Holze ift in Tiberias cin Boot erbaut worden, welches Korn 
auf dem Jordan transportiren ſoll; auch ein mebrtädiges 
Haus mit gedielten Fußbbden ift davon in Jeruſalem errichtet 
worden, two bis dahin nur Gebäude mit ſteinernen Wölbuns 
nen nad) arabifcher Weile eriftirten. In Gaza, Nablus u. |. w. 
bat das Grofbandlungsbaus von Duisberg nm. Comp. feine 
Filialen. Eine tägliche Verbindung zwiichen Jaffa und Je— 
rufalem iſt gleichfalls von den Deutſchen ins Leben gerufen 
worden und leidet nur an dem entſetzlichen Auftande der 
Straße, welche 1569 fir die fürftlichen Befucher des heiligen 
Grabes zwar in guten Stand geſetzt wurde, feitden aber 
elend verfallen ift. Unter gewilfen Bedingungen wollen bie 
Dentichen dies wichtige Verkehrsmittel wieder herſtellen; 
aber ob dies Mirerbieten von den edlen Beberrichern und 
Ausfangern des Yandes wird angenommen werben, ſteht noch 
dahin. 

Die Colonie Sarona bei Jaffa litt anfangs unter der 
ſumpfigen Beichaffenbeit ihres Bodens, welche zwar wenig 
Producte, aber Fieber erzeugten. Das bat ſich allmälig ge— 





a ——— — — — — — — — — — 


beſſertz die Weinſtöke (Meben vom Nedar) tragen gut, die 
Maulbeerbäume gedeihen und veriprechen der geplanten 
Seidenraupenzucht Erfolg, der Handel mit Ierufalem wirft 
auch einiges ab und das Dörfchen macht mit feinen 2000 
Baumen (mo fieht man jo viele anderswo in Paläftina zu: 
fanmen?) einen freundlichen Eindrud, Bei Haifa wohnen 
350 Berfonen in 50 Häuſern und baben den vorher mit 
Dorn und Brombeeriträuchen bewachſenen Abhang des Kar: 
mel in ihrer Näbe in einen trefflichen Weinberg verwandelt. 
Eine Seifenfabrit, Oelmüble, Holzichnigerei trägt viel zu dem 
Gedeiben der Anfiedelung bei. An Nazareth wohnen nur 
ein paar Familien; der Baumeifter Schuhmacher führt dort 
zwei Bauten, für eim lateiniſches Hospiz und für eine von 
einem Engländer negründete arabiiche Schule, aus. 

Herr Hoffman, welcher die ganze Leitung dieſes Unter: 
nehmens in Händen bat, giebt den Geſammtwerth aller 
Tempelbefigungen auf mehr als eine Million Marf an und 
räth der dazu ſehr disponirten engliſchen Geſellſchaft, auch 
ihrerſeits die Coloniſation des gelobten Landes zu fördern. 
Man müßte fruchthare und geſunde Ländereien dazu aus— 
wäblen, wie die Mündungen des Kiſon und des Nahr Audſche 
(bei Jaffa), die Umgebungen von Caeſarea und Tyrus u. ſ. w,, 
industrielle Anjtalten errichten, wie ®etreide:, Del: und 
Seifmühlen, dann beſonders Oliver, Wein und Cocons zu 
gewinnen Suchen. Auch ein Bankgeſchäft, das ben arabijchen 
Fellabin zu mäßigen Zinſen Geld vorihöffe, würde ſowohl 
den Engländern wie den unter hartem Wucher leidenden 
Eingeborenen Nutzen bringen. 

Die „Paleftine Society" nahm diefe Mittbeilungen uud 
Natbichläge mit großem Intereſſe entgegen und beſchloß, die 
Gultivirung des bradjliegenden Landes in Paläftina nach 
Kräften zu fördern. 

** x 

— Rußland bat befammtlich unlängſt durch Tractat von 
Japan die ganze Juſel Sachal in abgetreten erhalten und 
ibm dafür die Felsinfeln der Kurilen überlaflen. Dieſer 
Tauſch ift zu Anfang des Nabres ausgeführt worden. Ta: 
bei find 650 Bewohner Sachalins den abzichenden Napa: 
tefen nad Süden gefolgt, während auf den freilid nur 
ſchwach bewölferten und nur wegen der dort hauſenden See 
ottern werthvollen Kurilen bloß 72 Eingeborene wohnen ge 
blieben find. Alle Uchrigen wandern anf ruſſiſches Gebiet 
aus, weil fie Chriften find, und ihre Handelsinterefien fie 
dorthin zieben. 

— Wie das „Athenäum“* meldet, ift anf den Azoren 
ein ſehr wertbvolles Manufcript entdeckt worden. 1570 von 
Francisco de Souza verfaßt, berichtet c& über die Beſiede— 
fung des Nordens von Amerika (dev „Terra Nova do Ba- 
calhao“ oder des Neuen Stodfiichlandes‘, d. b. Neufund⸗ 
lands) durch Auswanderer von Oporto, Avciro und der Intel 
Terceira. 

— Dem neulich vorgenommenen Cenfus von Süd: 
Carolina zufolge beträgt die Bevöllerung dieſes Staates 
995,447 Seelen. Darunter befinden ſich 78,180 Weiße 
und 110,153 Farbige, welche im Beſihe des Stimmrechts find, 
fo daß die Farbigen eine ganz überwiegende Mehrheit haben. 





Inbalt: Rebatel's und Tirant'd Reife in der Negentichaft Tunis. III, Mit fünf, Abbildungen.) — Stremoucow's 


Reife nach Buchara. Bon 9. v. Lankenau. IV. (Mit einer Abbildung.) (Schluß) — 
Sibirien 1875. — Skizzen aus Chile, Bon Dr. med. Georg Thiele IX, — 
Südflaven. Bon Albin Kohn. — Die Schwiegermutter. Bon Richard Andree. — 
ſche Golonilation in Paläſtina. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 29. Januar 1576.) 


Nordenitjöld'g Expedition nad) 
Begräbnißgebräuche der Öjterreichiichen 
Aus allen Erdtbeilen: Die deut: 


Netacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lintenftrafe 13, II Tr. 
Drud und Berlag von Friedrid Vieweg und Sohn in Braunfchmweig. 


Hierzu eine Beilage: Kiterariiher Anzeiger Nr. 1. 





Mil befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 


— 


Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit Fachmännern und Künſtlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 


Braunſchweig 





Jahrlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monallich 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Bf. 


1876. 


Rebatel’8 und Tirant's Neife in der Negentfhaft Tunis, 


IV. 


Gafja, die ſchönſte Dafe der tuneſiſchen Sahara, wird 
durch eine 18 Kilometer breite Sandwlifte ohne Baum oder 
Brunnen von El-⸗Gettar geſchieden. Aber ſchon von Weiten 
verräth eine dunkele Yinie von Palmen am Horizonte den 
Reichthum und die Fruchtbarkeit des Ortes, der auch in der 
römischen Geſchichte feine nicht unwichtige Rolle gefpielt hat. 
Damals lautete der Name Capfa, was im Phönitiichen fo 
viel als „die gefchloffene, umwallte Stadt, die Feſtung“ bes 
deutet. Wegen ihrer Befeftigungen und ihrer durch die um⸗ 
liegenden Wüften geſchutzten Yage hatten fie die numidiſchen 
Könige zu ihrer Schagfammer gemacht; aber als Jugurtha 
die Römer zum Sriege gereizt hatte, vermochten die Einöden 
doc; nicht den ſiegreichen Marius abzuichreden, Im ſechs 
tägigem Marſche durchzog er, wie Salluft erzählt, die Wiifte, 
näherte ſich unter dem Schutze der Nacht der nichts ahnenden 
Stadt, ſetzte fich am folgenden Morgen durch Ueberrumpelung 
in ihren Befig und überlieferte fie den Flammen, weil er fie 
nicht auf die Dauer behaupten follte. Erſt 50 Jahre fpäter, 
25 v. Chr., annectirte Rom das Königreich Numidien end- 
gültig. Da erhob fich auch Capſa wieder aus den Trlim- 
mern und blühte, Tant feiner trefflichen Yage und feiner 
reichlichen Quellwaſſer, wieder auf; erhielt fich aud) durd) 
bie ganze Zeit der Araberherrfchajt bis heute. Jetzt behauft 
bie Stadt in ihren einftödigen, aber geräumigen Häufern 
etwa 4000 bis 5000 Einwohner, von denen ein Viertel 
Juden find. Biel Mertwirdiges hat fie an Bauten nicht 
aufzumweifen, wenigſtens nicht dem Europäer, weldyer das 
halbe Dugend vorhandener Mojcheen nicht betreten barf. 

Globus XXIX. Nr 9, 


Bon antiken Nejten eriftiren hur zwei Bäder; antik find auch 
die Grundmauern der Citadelle, während zum Aufbau ihrer 
Wände alte Werfftücde, Säulentronmeln und »Capitäle, Ins 
ſchriftſteine u. j. w. in Menge verwendet wurden, Die 
Citadelle ift im Uebrigen ein riefiges, ſtarl befeftigtes Ger 
bäude, welche auf ihrem Hofraume allein zwei Moſcheen ein 
fließt und ihre eigenen Quellen befigt. Sie könnte ein 
ganzes feines Heer beherbergen, wird aber nur von ein paar 
arımfeligen Soldaten bewohnt, die ihre vielen müßigen Stun: 
den mit Strümpfeftriden verbringen. ” 

Der Palaſt des Ben ift nur ein gemwöhnliches Wohnhaus, 
den nur der Umſtand, daß es an der Stelle römifcher Bäder 
erbaut ift, ein Interefle verleiht. Zwei ober drei warme, 
wenig mineralhaltige Quellen von 31 bis 32° C. entjprin- 
gen inmerhalb des Ortes umd bilden einen förmlichen Bad). 
Dicht am Haufe des Bey Liegt die größte antife Anlage, 
heute Tarınyleel-Bey, d. h. Bad des Bey, genannt: zwei 
offene Bafjins von 10 Meter Seitenlänge, ohne Gewölbe 
und Dad; und nur durch Mauern, welche antile Inschriften 
tragen, gegen zudeingliche Blide geſchützt. in Gewölbe, 
welches eine Brlide trägt, verbindet dieſe beiden Wafler- 
behälter, weldye das Männer: und das Frauenbab genannt 
werden und den Bewohnern Gafſas zur Reinigung ihrer 
Feiber und ihrer Wäſche dienen. Als die Nacht dem Trei⸗ 
ben dort ein Ende gemadjt hatte, fonnten aud) unfere Rei— 
fenden, die im Haufe des Bey abgeftiegen waren, ſich in den 
lauen Fluthen den Schweiß und Staub der vorhergehenden 
Tagemärſche abſphlen. 


17 





Rebatel's und Tirant's Neife im der Regentichaft Tunis. 


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Dafe Gafla. 


Rebatel's und Tirant's Reife in der Regentihaft Tunis. 


> Das andere Dad liegt bei der Citadelle und dient ber 
jüdifchen Bevölkerung; da Oftern herannahte, jo ftrömten die 
jüdischen Frauen und Kinder in Dlenge herbei, fich zu rei- 
nigen, In diefen warmen Gewäſſern leben zahllofe Schaaren 
von Fiſchen und ſchwarzen Schlangen, von denen die Frans 
zofen viele Exemplare einfammelten und dem Pyoner Muſeum 
überwiefen. Es hat fid) dort gezeigt, daß die Schlangen 
einer neuen Species des Genus Tropidonotus, die Fifche 
dem Genus Chromis angehören. Zu bemerken ift, daß cin 
englifcher Naturforscher, Zriftam, einen analogen Fiſch, ben 
er im Tuggurt gefunden hat, flir den leiten Leberreft einer 
Fauna anfchen möchte, welde vor der Tertiärzeit das bie 
Sahara bededfende Meer bevölferte. In der That zeigen 
auch beide Fische, bie von Gaffa und von Tuggurt, Senn» 
zeihen mariner Arten; andererfeits aber ift dagegen einzus 
wenden, daß man diefelben noch nicht im foffilen Zuftande 
in den Schichten jener Epoche gefunden hat. 
Hier in Gaffa, von wo fie wieder nad) Norden zuriüds 
fehrten, befanden ſich die Reiſenden an der Schwelle bes 
berlihmteften Dattelandes auf Erden, des Dſcherid oder 





131 


Balad-el-Dicherid, d. h. Yand der fahlen Palmenzmeige, 
wohlverftanden fahl an Blättern, von denen viele Kberflüffige 
abgefchnitten werben, um bie Frlichte zu um fo größerer Ent- 
widelung tommen zu laflen. Die Dattelpalmen erheben ſich 
in den etwa 30 größeren und Meineren Dafen biefes Gebietes 
bis zu 80 und 90 Fuß Höhe und bilden mit ihren graziöfen 
Federkronen gleicfam das Dad; eines Treibhaufes, in deſſen 
Schatten die Fruchtbäume des jüdlichen Europa eine bort 
ungelannte Entrwidelung erreichen. Da fchlingt ſich die Wein- 
rebe um den Delbaum, da gedeihen Mandeln und Pfirfichen, 
Aprifofen, Pflannten und Aepfel neben Feigen, Öranaten und 
Drangen. Gleichſam als dritte, unterfte Schicht bededit dann 
noch eine Menge lieblicher oder nüglicher Gewächſe den Bo- 
den biefer geſegneten Dafen, die im März und April, wenn 
das Alles blüht und ſproßt, von einen zauberhaften Dufte 
durchweht find. Immerhin bleibt aber die Palme das fchönfte 
und nitglichite Gewächs: fie Liefert jeme Föftliche Frucht, 
welche bis nach Acgypten verführt wird und fo ganz von den 
unreif abgepfliidten Datteln, welche nach Europa fommen, 
verfchieden ift. Aus den DBlattrippen werden Hirden, Mat 








ten, Körbe, Säde und Stride geflochten; der Stamm wird 
zu Balfen und Brettern verarbeitet, die bei der Herftellung 
der Häuſer und Brunnen Berwendung finden; die Haare 
der Wurzelblätter und des Stammes dienen zum Auspolftern 
der Sättel und werden zu groben Stoffen verwebt; der Saft 
alter, gefappter Palmen wird friſch oder gegohren genofien, 
die Kerne werben den Pferden und Kameclen gefüttert. 

So wird faft jedes Teilchen des Baumes benußt, deſſen 
Cultur im Dſcherid allein der Regierung jährlich, nicht wer 
niger als 1,550,000 Fraufen einbringt. 2,617,000 Frans 
ten zahlen die gefammten Oelbäume ber Regentſchaft, die bes 
Dſcherid einbegriffen, an Steuern. Die Fruchtbarleit Teg- 
terer Landfchaft ſcheint unbegrenzt zu fein; ohne Ruhepauſe 
herrſcht hier ein ewiger Fruchtwechſel. Die hauptjächlichiten 
Nugpflangen, welche gezogen werben, find Henna, Tabad, 
fpanifcher Pfeffer, Erbſen, Melonen, Gurten, Kiürbiffe, 
Waſſermelonen, Portulaf, Tomaten, Eieräpfel, Zurderrütben, 
Kümmel, Koriander, Weizen, Öerfte u. ſ. w. 

Neben feinem vegetabilifchen Reichthum ift Gafſa auch 
ein inbuftrielles Centrum, Die ummohnenden Hamama 


Nömilces Bad in Safla. 


liefern die rohe Wolle, welche zu großen Deden und Burs 
nuffen verarbeitet wird. Erſtere foften an Ort und Stelle 
50 bis 160, legtere 45 bis 50 Franken, in Tunis ſchon das 
Doppelte. Die Mißwirthſchaft Chasnadar Muftafa’s Hatte 
dem Orte freilich hart zugefegt und bereit$ mehrere wohl« 
habende Leute am den Betteljtab gebracht; nad) dem oben 
erzählten Sturze des Gewaltigen feheint ſich aber Vieles wies 
der zum Beflern zu fchren. 

Nach drei Ruhetagen in Gaffa traten unfere Botaniker 
den Nüdweg nad) Sfafes an, welcher im ziemlich gerader 
Richtung nördlich von dem Gebirgsftod des Bu Hedma ents 
lang führte. Ganz zufällig entdedten fie dabei, daß es eine 
alte, bis dahin unbekannte römiſche Straße fei, längs deren 
fie dahin zogen, bei zahlreichen Triimmern von Befeftigungen, 
Eiflernen u. ſ. w. vorbei. Anfangs geht es 20 Kilometer 
auf der Straße nad, Tunis gegen Norboften; bann wenbet 
ſich der Weg nad; Oſten in eine öde Sandwüſte hinein, in 
welcher man bald auf Schwefelquellen mit Reften antiler 
Thermen ſtößt. Die Brunnen auf diefem Wege find ſpär⸗ 
lic und bieten meift nur Ubelſchmeckendes Wafler bar, fo daß 


142 


132 


Karawanen ihn felten benugen, zumal er auch durch das 
Gebiet ber räuberifchen Hamama führt. Bei einer Unter: 
abtheilung diefes Stammes, den Aulad Afis, blieb die Ges 
felfchaft in der erften Nacht; aber obwohl jene Duars zu 
den reichften des Yandes gehörten, verweigerten fie doc) den 
Fremden jede Speife und jeden Trant, Am folgenden Tage 
wurde bie Hige jo groß, daf fie ihrer ermatteten Thiere hals 
ber gezwungen waren, ben Said der Aulad Afis felbft um 
Gaftfreundfchaft anzugehen. Ahmed ben Ali entſprach auch 
dem auf ihn gefegten Vertrauen, nahm die Fremden freund« 
lich) auf und fchladjtete Hammel auf Hammel, um fie die 
empfangene Beleidigung Seitens feiner Stammesgenoflen 
vergeffen zu machen. Erſt um 11 Uhr Nachts ging es wei: 


Rebatel's und Tirant's Reife in der Negentjchaft Tunis. 


der verweigerte ihnen ein Duar der Hamama Speife und 
Tranf und nad) zweiundzwanzigftündigem Marjche waren fie 
gezwungen, durftig und hungerig auf dem Wuſtenſande zu 
camıpiren. Am folgenden Morgen ftießen fie nad) einem 
Ritte von wenigen Kilometern zwar auf einen Brunnen, der 
aber 56 Meter tief war. Es foftete Mühe gemug, den Eimer 
voll warmen und obendrein ſchwefeligen Waſſers heraufzu: 
ſchaffen, das aber von den Pferden nicht verichmäht wurde. 
Daneben erhebt ſich ein elegantes und vollfommen erhaltenes 
römijches Mauſoleum, in der weitern Umgebung zahlreiche 
Trümmer, anſcheinend von einen Friedhofe und einem ver: 
ſchanzten Lager, wie auch die Straße weiterhin fortwährend 
durch antile Reſte hindurchfllhrt. Nachdem fie noch auf ber 


ter zum trodenen Wed-el-Yeben und denfelben hinab, Wie- | legten Nachtftation bei der Quelle Harſer Eſchal im Schupe 





Zaghuan. 


prächtiger Oelbäume einen Samum überftanden hatten, laug— 
ten fie am 6. April wieder in Sfafes an, froh, bon ben räus 
berifchen Hamama nur unfreundlich und nicht ſchlimmer bes 
handelt worben zu fein. 

Widrige Winde Hinderten die Neifenden am Beſuche der 
Infel Dicyerba und zwangen fie, nad) Tunis zurlickzutehren. 
Sie wählten dazu einen ziemlich unbetretenen Weg, der etwas 
mehr landeimwärts führte als ihre Hinreife. Bon Herrn 
Mattei während der erften Tagereife begleitet, erreichten fie 
zunächſt die Zelte der Methalit, deren Haupt Si-Salah» Ems 
barel, ein glühender Verehrer und Vertheidiger des herrſchen⸗ 
ben Bey, fie gaſtlich aufnahm. Mit Stolz zeigte ex ihnen 
die Wunden, welche er im Kampfe für die gute Sache des 
Bey empfangen hatte, die dafitr erhaltenen Geſchente, fein 
Streitroß, feine Damascenerfäbel, ja ſelbſt feine (rauen und 


Negerinnen, nicht ohne fie auf den Werth dieſes Beweiſes 
von Vertrauen aufmerffan zu machen. Wichtiger war cs, 
daf er vermöge feiner genauen Ortöfenntniß ihnen Rath: 
fcjläge für die Weiterreife ertheilen fonnte. Kerwan zu bes 
fuchen wiberrieth er, weil diefe Stadt, angeblich, im Beſitze 
ber Reliquien von Mohamnıcd’s Bartſcheerer, als heilig gilt, 
und ihre fanatifchen Bewohner und die zahlreichen Pilger da⸗ 
felbft einem Franken den Aufenthalt leicht verleiden Fünnen. 
Diefe Winfe waren den Neifenden um fo nüglicher, als fie 
von nun an ihre urfprlinglich projectirte Route verließen 
und dadurch ihre officiellen Amras (Empfehlungsfchreiben) 
unwirtſam machten, Trotzdem wurden fie weiterhin ohne 
die Amras herzlicher und gaftfreundlicher aufgenommen, als 
mit denfelben weiter im Silden von den Hamama. 

Um Kerwan zu vermeiden wurde etwas nad) Often aus 


Rebatel'E und Zirant'S Reife in der Regentſchaft Tunis. 


gebogen, wodurch die Geſellſchaft genäthigt wurde, die Sebcha 
Sidisel-Hani oder von n zu überfchreiten, beren 
Triebfand, an manchen Stellen ganzen Karawanen den Unter: 
gang droßt. Dieſes trodene Seebeden mißt an feiner breis 
teften Stelle 36 Kilometer, an dem Punkte, wo es die Fran⸗ 
zofen durchzogen, aber nur 14. in wahrer Orcan brad) 
während der Paffage (08 und erſchwerte die nöthigen Bors 
fihtsmaßregeln gegenüber den gefährlichen Stellen. Doch 
erreichten fie glüdlich das andere Ufer und die Heine Capelle 
des Eidisel-Hani, welde der Sebcha den Namen gegeben. 
Diefelbe liegt auf einem Hügel, der auf drei Seiten von einem 
Heinen See umgeben ift, den wilde Enten und anderes Waſſer⸗ 
geflügel beleben. Nun wird auch die Vegetation ftärter; 
meilenmweit dehnen fich herrliche Gerftenfelder aus, deren 


133 


gr bie Pferde niebertreten, da an Pfabe nicht zu dene 
fen ift. 
Bon dort ritten fie gerade auf ben Dſchebel Zaghuan 
108, waren aber nicht wenig erftaunt, als ihnen plöglic, ein 
mindeftens 30 Kilometer langer, fiſchreicher Suißwaſſerſee, 
von welchem feine Karte etwas weiß, ben Weg verfperrte 
und fie zwang, nad; Dften zum Meere hin auszubiegen. 
Diefem Umftande, den fie anfangs faft bedauerten, verdant: 
ten fie jedoch am folgenden Morgen eine intereffante Ente 
befung: unweit ded Fußes des Dichebel Zaghuan ftießen 
fie auf etwa 250 bis 300 trefflid erhaltene Dols 
men, welde auf einem Viereck Yandes von circa 500 Meter 
Seitenlänge ſich erheben. Jedes einzelne diefer vorgejchicht 
! lichen Monumente ift von DOften nad) Weſten gerichtet 





und von einem 6 bis 7 Meter im Durchmeſſer haltenden 
Kreife in die Erde verfenfter Steine umgeben. Nur bei 
wenigen ift der obenliegende Stein herabgeftlirzt. Leider 
hatten bie beiden Franzoſen feine Zeit, diefe merhwirbis 
gen Refte näher zu unterfucen. Altes, was fie thun konn 
ten, war, ihre Lage für zuflinftige Forſcher genau auf der 
Karte zu firiren. 

Nun sing es hinauf in die Berge, wo bei einer ſchönen 
Duelle zu Mittag Halt gemacht wurde. Römiſche Ruinen 
und prächtige Johannisbrotbäume umgeben fie; herrlich ift 
die Ausficht auf das Meer bei Hamamet und ebenfo herrlich 
mundet das Bergwafler nach den fchwefeligen Quellen im 
Suden des Landes, Der weitere Weg bis Zaghuan ift ein 
wahrer Spazierritt in einem Parle; fortwährend flihrt er 
durch einen Wald von Yebensbäumen (Callyotris quadri- 


Römisches Thor in Zaghuan. 





valvis), dem größten im der ganzen Regentfchaft, welcher 
40,000 Hectaren Landes bebedt. 

Zaghuan (Malgan fchreibt Sarhuan) liegt auf einem 
Borhligel des nad) der Stadt benannten Gebirges und bietet 
mit feinen laufenden Bergwaflern und feiner frischen Bege— 
tation dem von Süben Kommenden ein überaus anzichendes 
Bid, Somohl wegen feiner natlirlichen Reize als wegen 
feiner Refte aus der Römerzeit wird der Ort viel beſucht. 
Von Hier führte im Alterthume ein Aquaduct das Quellwaſſer 
nad) Carthago ; franzöfifche Ingenieure haben neuerding® die 
Reſte defielben benutzt, um eine Yeitung nach Tunis herzu— 
ftellen. Wo diefe beginnt, etwa eine halbe Stunde von der 
Stadt den Berg hinauf, befinden ſich die Hefte eines Tem- 
pels, der wahrjcheinlich einer Waffergottheit gewidmet war, 
und einer Bogenhalle mit 13 Nifchen, die einft Bildfänlen 


134 


gefült hatten. Bon legteren janden die Franzoſen noch 
Hägliche Reſte. Weiter unten ftand ein Nympheuheiligthum 
und eine Treppe verband bie beiden Anlagen. In Zaghuan 
ſelbſt ift nur ein Meiner, alter Thorbogen erhalten, durch 
welchen Rebatel und Tirant die Stabt wieder verliefen. 
Sie folgten aber nicht der geraden Straße nach Tunis, 


Dr. Bühler’s Reife nah Kaſchmir. 


fondern zogen durch die Berge auf beſchwerlichen Pfaden 
uach Nordoften zum Dſchebel Nejas, d. i. Bleiberg, den 
fie in drei Stunden beftiegen. Bon feiner TOO Meter hohen 
Spitze hat man eine prächtige Ausficht nad, Nrden Über 
Tunis, den Bardo, die Bahira, bie Bayen von Tunis und 
Hanmmamat und bie dazwiſchen liegende Halbinfel des Nas 




















Johanuisbrothaum. 


Addar, während im Suden die Berge von Zaghuau und 
Kerwan den Blid begrenzen. Beim Abftieg trafen fie auf 
bie ſchon im Alterthume bearbeiteten Bleiminen, weldyen der 
Berg feinen Namen verdankt, und lenkten bald darauf in die 
und ſchon befannte Strafe zwiſchen Hamman:el-Auf und 
Zunis ein. Das auf ber-Hinreife fo hinderlice Waſſer 
hatte ſich inzwischen verlaufen und fo lonnten fie raſch und 


trodenen Fußes noch am felben Abend die Strecke bis Tunis 
zurliciegen, das fie nad; einer 48tägigen, erfolgreichen Wan: 
derung wieder betraten. Nach einem eingehendern Beſuche 
der Ruinen von Carthago, in denen, nebenbei bemerkt, fürz 
fi) wieder der Franzoſe de Sainte-Marie Ausgrabungen 
veranftaltet hat, lehrten fie am 28, April nad) Frankreich 
zurlick. 


Dr. Bühler's Reiſe nad) Kaſchmir. 


Schon mehrere Blätter gaben kürzlich die Nachricht, da 
Dr. Georg Bühler von der englijchen Regierung behufs 
wiſſenſchaftlicher Unterfuchungen im verfioiienen Herbite nad) 
Kaſchmir geſendet ſei; und fo iſt es vielleicht erwünſcht, ſchon 
jebt einige Details dieſer Neife, welche uns aus feinen Brie— 
fen vorliegen, zu öffentlicher Keuntniß gelangen zu laſſen. 

Vorab einige Notizen Uber dem Neijenden felbit: Dr. 


Bühler, geboren 1837 in der Graffchaft Hoya, hielt ſich 


nad) vollendetem Studium der Philologie zu Göttingen, 
wofelbft er aud) promovirte, mehrere Jahre in Paris” und 
London auf, widmete jich dort vorzugoweiſe der Sprachver⸗ 
leihung und dem Sanstrit, war dann in Windjor bei 

tbnumg der föniglichen Bibliothek befchäftigt und hatte ſich 
gerade in Göttingen als Docent habilitirt, als er vornämlid) 


Dr. Bühler’s Reife nad Kaſchmir. 


durch Mar Müller in Orfordeine Stelle am College zu Bon: 
bay erhielt. Dort war er von 1863 an mehrere Jahre 
als Profeffor des Sanskrit thätig und hatte langbärtige 
Brahminen in ihrer heiligen Sprache zu untermweifen. 

Nachdem er hier feine Tuchtigleit im Lehrfache erprobt, 
wurde er als regierungsfeitiger Schulinfpector des Gudſcherat 
(nordweftlich von Bombay) über etwa 1200 Schulen der 
Eingeborenen angeftellt. ‘ 

In dieſer —* hatte er bei ſeinen jährlichen 
Rundreiſen reiche Gelegenheit, die Antiquitäten und Biblio— 
thefen diejes uralten Culturſtaates zu durchforſchen und 
machte glüdliche Funde mit wichtiger wiſſenſchaftlicher Aus: 
beute. 1870 war er auf Urlaub hier anmwefend und Fonnte 
ber Berliner Univerfität mancherlei Antiquitäten, vornämlich 
alte Münzen, überweifen. Nachdem Dr, Bühler durch feine 
Mitwirkung an einem indiſchen Codex juris und andere 
Arbeiten die Aufmerlſamleit der englifchen Regierung auf 
fich gezogen, wurde er im verfloffenen Sommer mit ciner 
Reiſe nad) Kaſchmir beauftragt, um dort vornämlich nad) 
alten Infcriften und Handfchriften zu forſchen, deren Auf- 
findung, Entzifferung und Beurtheilung ihm nad) feiner 
mehrjährigen Praxis befonders zugetraut werden durfte. 

Der erfte feiner Briefe datirt Ende Auguft aus Srina— 
gar, der Hauptſtadt Kaſchmirs. Von Bombay, fchreibt er, 
reifte ich am 21. Juli ab und erreichte Yahore nad) dreitägis 
ger Fahrt auf der Eifenbahn. Unterwegs machte ich in 
Alahabad zwölf Stunden Paufe, um eine befreundete Fa— 
milie wie auch die unterirdifchen Tempel zu befuchen. In 
denn bebeutenditen wächſt ein berühmter Feigenbaum, ber 
uralt ift und ſchon von einem Pilger (dev Chinefe Fa-hien 
ift gemeint) befchrieben wird, ber Indien ums Jahr 400 
n. Chr. beſuchte; ev befteht aus zwei ftarfen Stämmen, die 
jeber etwa 4 Fuß im Umfange haben umd aus einer ges 
meinfamen, gewaltigen Wurzel hervorlommen. Beide ganz 
mit gelbfahlen Blättern bedeckt, reichen nur bis zur Dede 
des Gebäudes, etwa 10 Fuß hoch, und find dort gefappt. 
Der Tempel befteht aus mehreren langen Gängen und vier 
eigen Räumen, die mit alten Götterbildern angefüllt find. 
Die Mauern find nad) cyelopifcher Urt aus Quadern ohne 
Mörtel erbaut. Hinter dem Feigenbaume ift die Mündung 
eines Ganges, gerade groß genug, um einen Mann hineins 
kriechen zu laffen; er foll bis nad) Benares zum großen Tempel 
des Viſchveſchvar führen, natitrlic eine Fabel. Ic fragte 
den Priefter, ob er je darin nach Benares gelrochen wäre; 
darauf meinte er, das ginge wegen der Schlangen und Scor- 
pione nicht. 

In Yahore mußte ich einige Tage bleiben, um meine 
Reifeausräftung zu vollenden. Bon Bombay hatte ich nur 
einen Bebienten, einen Agenten und meinen großen Hund 
Yandz mitgebracht, an Gepäck bloß Kleider und Bucher. 
Deshalb miethete ich hier noch einen Kod und einen Hunde: 
jungen, der auch fonft noch allerlei verrichten wollte; ich 
faufte Tiſche, Stühle, Teller, Schliffeln zc., verfah mich mit 
Sodawaſſer, Wein, Spirituofen, Medicin, Eonferven und 
zwei Heinen Zelten. Diefe Angelegenheiten verzehrten meine 
Zeit fo ziemlich. 

Meine englijhen Bekannten waren zubem alle in den 
Bergen; die eingeborenen freunde, welche ich dort voriges 
Jahr kennen lernte, erwieſen ſich jedoch fehr dienfteifrig, 
bis zum Uebermaß: der alte Ajtrolog des letzten Sith— 
fünigs verfammelte mir zu Ehren alle Vandits (Brahminen) 
und Gelehrten. Da gab es fchöne Neben in Sansftit. 

Am Morgen deö 29. ging es weiter nad) Norden, wo 
mein erſtes Ziel die Stadt Gudfcherat war, alfo benannt 
von dem Hirtenvolfe der Gudſchars, das auch unſer weit- 
liches Indien colonifirt hat. Einen Theil des Weges fonnte 


135 


ich noch per Bahn abmahen, da die Regierung die Linie 
nad) Peſchaver an der Grenze von Afghaniftan bauet und 
bis an den Tſchinab ſchon vollendet hat. Im ſechs Stunden 
war ich in Wezirabad; dort frühftücte ich im Pofthaufe 
und ging nach dem Fluſſe, wo die Regierung im Monſun 
Boote und in der trodenen Zeit eine Schiffbrüde hält. Der 
Fluß ift beinahe 2 englifche Meilen breit und ſehr reißend, 
fo daß die Ueberfahrt 11/, Stunden dauerte. Dann ging es 
zu Fuß bis zum nächſten Dorfe, vom wo mich zwei raſche 
Pferde in einer Stunde nach Gudſcherat brachten. Dort 
hielt mich ein Regenwetter von 24 Stunden auf, fo daß 
ich bis zum 31, liegen bleiben mußte; doch fand ich zum 
Trofte eine gute Bibliothek und einige alte Münzen. Bon 
hier gingen meine Sachen auf Ponies nach Bimber (Bhim— 
bar) *),39'/, engl. Meilen weit entfernt, der erſten Station 
auf der Noute nach Kafchmir fiber den Per-Pöntſchal-Paß. 
Ich felbft benugte Extrapoſt. Das Pendſchab ift hier eine 
flache und dürftig bebauete Ebene; nichts ift langweiliger 
als die Tone von Ambala nad; Gudjcherat, obſchon im Aus 
guſt das Yand ein wenig grün war. Die Dörfer haben 
vieredige Steinhänfer mit platten Dächern und find hier 
mo möglid) noch ſchmutziger, als im weftlichen Indien. Die 
Leute find im graue Wolle oder Baummolle gehüllt, jehr 
arm und vernachläſſigt. Im Pendichab lebt ein Mann mit 
Familie von 10 Mark per Monat, im Gudſcherat bei Bom⸗ 
bay braucht er doch ſchon 20 Mark; hier bettelt dafür auch 
alles, Kurz vor Bimber (ſchon in Kaſchmir) hört das flache 
Land auf; der Boden wird wellig und bald fieht man bie 
Vorberge des Himalaya, Es befindet ſich hier ein gutes 
Pofthaus des Radſcha von Kaſchmir, und von Gudſcherat 
aus wird eine Wirthſchaft unterhalten. Auf mic, wartete 
dafelbft ein Wafil des Radſcha, der mid) auf der Reife zu 
begleiten hatte. 

Nachdem ich deffen und des Tehſildar (Amtshauptmann) 
Befuc empfangen und meine Ordres gegeben hatte, ftärkte 
ich mich ein wenig, und dann ging es auf einem Pony Über 
die erften Vorberge des Himalaya, den Aditöt (Adhi Dhaf) 
nad) Saidabab (14 engl. Meilen), während meine Sachen 
durch 25 Kulis getragen wurden. Dieſe Por⸗Pöntſchal- 
(Pir⸗Panjal⸗) Route iſt eine ſehr alte; Albar eroberte Kaſch⸗ 
mir 1583 und er, wie ſeine Nachfolger, beſuchten das Thal 
alljahrlich in der heißen Jahrszeit über 100 Jahre hindurch, 
weshalb der Weg etwas geebnet und ſtellenweiſe in die Fel⸗ 
fen gehauen, aber nicht einmal flr Saumthiere genügend ift, 
benn an den gefährlichen Stellen hat man die Mühe ges 
ſcheut. Albar ließ auch Seräis (Wirthshäufer) bauen, deren 
Ruinen noch ftehen, und der jegige Fürſt hat daneben Poft- 
häufer zur Bequemlichkeit aufgefiihrt, fo daß die Stationen, 
die man jegt macht, noch ganz diefelben find, wie vormals. 

Alſo hinauf ging es zum Aditöl, einem fanft anfteigen- 
den Bergrüden von etwa 1700 Fuß Höhe. Es hatte die 
Nacht geregnet, und von allen Seiten fanıen tiefe Ströme 
herunter; ich war deshalb, oben angelangt, recht naß und 


lief zu Fuße den Berg himumter, um nicht ein Fieber davon 


u tragen, Die Vegetation des Berges ift tropifcd und 
Dattelpalnten find nicht felten. Auf diefer Seite ging es 1000 
Fuß abwärts nad) Saidabad, Dort hatte ich die Freude, 
den Bruder eines guten Freundes, Captain N., zu treffen, der 
auf einer zweimonatlicen Jagdtour im Gebirge begriffen 
war und SO Meilen meines Weges ging. So reiften wir 
folgenden Tages nah Nauſchera (Naufhahra), wieder 
über eine Dergfette und dann hinab nach einem Platcan. 


Unterwegs war ein fehr angeſchwollener Flug zu pafficen ; 


*) Die in Klammern beigefügten Namen geben die Schreibart 
ber engliſchen Karten. 


136 


unfere Ponies wurden dabei an beiden Seiten geführt, wir 
ſchürzten uns möglidhft auf und wurden doch naß, da das 
Wafler jajt bis an den Rüden des Pferdes reichte. 

Am 3. Auguſt famen wir nad) Tihänegös (Changes), 
dem Yauf des Fluſſes folgend, Über gefährliche Berghänge, 
die bis in das Flußbett ragten ; auch dort gab es nod) einen 
Wirth. Die Tour des 4. war noch bedenklicher: fteile Berg» 
partien umd Waflerpaffagen. Unſer Ziel war Rad— 
ſchaori, eine alte Stadt, in einem reizenden Thale gelegen 
und von zwei Strömen umfloffen. in Pofthaus gab es 
hier nicht; man logirt in einem Thurme des alten Palaftes, 
einem miferabeln Loche. 

Bislang war das Wetter meift warm geweſen und die 
Sonne hatte mir die rechte Hand arg verbrannt; nun aber 
waren wir auf einer Höhe von 4000 Fuß angefommen, 
und es ward fühl. In Radſchaori Hatte ich Beſuch von 
einem richtigen Kaſchmir-Pandit, einem der ſchönſten Leute, 
die ich je geliehen habe; fein Kopf glich auf ein Haar ums 
feren Ghriftwötöpfen. Am 5. ging es durch lauter Reis— 
felder und Wafler nadı Thana; der Ort liegt am Fuße 
des 9000 Fuß hohen Nöttan Per (Natangebirge) in einer 
wahren Alpenlandſchaft. Der Anblid der Wolken, die, von 
ber Sonne beftrahlt, fid) an den Bergen hinſchlängelten, 
war pradtvoll. 

Am 6. galt es, den Berg felbft zu überfteigen, erft in 
einer Schlucht hinauf, dann im ſcharfen Zichzad um den 
Gipfel herum. Leider fonnte ic) außer den nächſten Bäus 
men nichts fehen, da der Morgen nebelihh war. Abwärts 
war der Weg fehr jchlecht, lauter Pfutzen aufgeweichten 
Lehmes, und Überdies mußten wir marſchiren: erft 3000 
Fuß abwärts, dann durch eine Schlucht von einem Wildbach 
durchſtrömt bis nadı Baramgala. Hier trennte ich mic 
von meinem Gefährten und reifte andern Tages allein weis 
ter, zunächft an einem Fluſſe entlang, welcher auf der Strede 
von drei Meilen 32 Mal vermittelft Cedernholzbrücden zu 
überjchreiten war. Es regnete ben ganzen Weg, und um 
mich nicht zu erfälten, ging id) bis Poſchiana. Ein Poft- 
haus gab es hier nicht, ich frühſtückte in einer Kafchmirhlitte 
und trodnete mich am euer. Da bald hernach die Sonne 
hervorlam, madjte id; mich um 1!/, Uhr wieder auf den 
Weg, um den Par Pöntjchal felbft zu überfteigen, deſſen 
Paßhöhe 11,400 Fuß beträgt. Der Sonnenfhein erwies 
fid) aber al$ trügerifch, denn bald vegnete es wieder heftig. 
Der Weg flthrt zuerſt drei deutfche Meilen längs des Wild» 
baches, hält fid) aber oft 800 Fuß über demfelben; bald 
aufe, bald abwärts fleigend kommt man dann an den Fuß 
des Bergriefen, dejjen Anſtieg jo fteil ift, daß man ftellen- 
weife den Hals des Pony umarmen muß, um nicht herunter 
zu fallen. An einigen gefährlichen Stellen, wo die Straße 
nur drei Fuß breit im den Felſen gefprengt ift und in fchar- 
fen Biegungen hart am Abgrunde Hinführt, ftellte ſich der 
Fuhrer auf diefe Seite und ſchob das Pferd an den Felſen. 
Um 4 Uhr war ich oben, in firömendem Negen und bei 
eifigem Winde, jo daß id) vom Pony — *— ſo raſch als 
möglich etwa eine deutſche Meile, nad) Alliabad (9800 
Fuß hoch), hinunterlief. Bald fühlte ich mich völlig erwärmt 
und ganz wohlig, obſchon die dünne Luft fcongeftionen 
verurſachte, jo daß ic) zur Verwunberung meiner Yeute aus 
Veibesträften fang. Das Haupt de8 Berges war von Wol⸗ 
fen verhüllt und Fernſicht gab es nicht ; doch die Vegetation 
am Wege, lauter europäifche Blumen, war fehr ſchön. 

Aliabad ift ein altes Karawanferai der Moguls und 
war von einem Kajchmirregimente in Beſchlag genommen, 
jo daß ich den Oberften aus den beften Zimmern weifen 
laffen mußte (denn als Negierungsbeamter darf man ſich 
{don ſolche Freiheiten nehmen). Bald fagen wir dann um 


Dr. Bühler’s Reife nah Kajchmir. 


das Kaminfeuer und trodneten uns, ba ber Dampf von 
den Kleidern aufftieg. Um 7 Uhr fam mein erfler Laſt⸗ 
teäger mit Branntwein, Sodawafjer, etwas Brot und zwei 
Eiern; das war Alles, was ic) zu eſſen befam, bi8 mir um 
11 Uhr Abends ein halb rohes fbein gebracht wurde. 
Ic, fchlief dann auf einer mit Striden überzogenen Bett 
ftelle, welche mir der Oberft lich, und auf meinem Sattel 
als Kopftiffen den Schlaf des Gerechten. Den 8. Auguft 
ruhte ich mic, hier von ben überftandenen Mühen, ließ auch 
meine Sachen auspaden und trodnen, aber o weh über bie 
fchönen Bücjereinbände, alles verborben! Tags darauf ging 
es hinab durch anheimelnde, Fiebliche Wälder von Tannen, 
Eichen, Erlen, Ulmen, Wallnuß:, Yepfel- und Birnbäumen 
nah Hirpur. Am 10. erreichte ih Shippian (Shape 
Yan) umd jendete von dort meine Yeute voraus. Ein jlnf- 
ftündiger Ritt, meift durch fruchtbare Aderfelder, bradjte 
mich zu der langen Bappelallee, die nach der Hauptſtadt 
Schrinögger (Srinagar) führt, wo ein ſchönes Haus, das 
an der Bitaftü gelegen ift, mich aufnahm. 

Ein zweiter Brief vom 31. Auguſt ſchildert un feinen 
Aufenthalt dort. Ohne Schaden für meine Gefundeit, 
meldet er, habe id; die angreifende Reife Überftanden und 
fand unterwegs ſchon des Interejfanten fehr viel, Ich fahre 
hier oft im meiner Gondel (denn Wagen giebt e8 gar nicht) 
durch die Stadt *) und auf den Dhäl (Dal-See), um den 
Sonnenuntergang zu genießen. Die offene Geite biefes 
Sees ift dem Welten zugefehrt und die untergehende Sonne 
beleuchtet dann zuerft die Wafferfläche, welche mit Heinen 
Infeln, voll dichter Yotuswälder, wie ber Inder fingt, be- 
dedt ift, vergoldet die Dörfer mit ihren grlnen und 
die alten Luftfchlöffer der Moguls, bis fie zulegt mit ihren 
Strahlen an den Bergen binauffpielt, die fi) Hier 1500 
Fuß über den Spiegel des Sees erheben das Schaufpiel 
ift einzig ſchön, doc) find mir im weftlichen Kaſchmir dem⸗ 
nächſt noch ſchönere Stellen verheißen. 

Die ganze Scenerie hat manche Aehnlichleit mit ben Al- 
pen, auch die Bauart der meift hölzernen Häuſer; doch miſcht 
fi) dann immer der tropifche Charakter mit ein: wenn die 
Aepfel und Birnen, die Birken und Ulmen an den Norden 
erinnern, jo bezeugen ber Reis und die Baumwolle den Sü« 
den. Die Bewohner zerfallen in Pandits und Mohammer 
daner. Erſtere, etwa 40,000 an der Zahl, find trotz vieler 
früherer Berfolgungen durch die Moslims jet doch wieder 
bie bevorzugte Clafie, da die Regierung des Ranavirſiamha 
(Rönbirfingh) fie und ihre Kühe heilig hält. 

Diefe Brahmanen theilen fi in Geſchäftsleute, die Per- 
ſiſch ſprechen, und im die eigentlichen Pandits , die Ganstrit 
lernen, gegen 1300 Familien mit 5000 Geelen ftart. Der 
eigentlichen Gelehrten werben nicht viel über hundert fein, 
welche, als der rechte Adel des Yandes, vielfach, große Schön- 
heit zeigen. Un ihren Frauen wird biefelbe noch mehr ges 
ruhmt; ihre farbe ift mattgelb, nicht weiß; doch läßt bie 
Haut das Blut durdjfchimmern. Die Mohammebaner da« 
gegen find zumeift häßlich; höchflens unter den lindern, 
befonders den jungen Mädchen bis zu 15 Jahren, finden 
ſich einige hübfche. 

In ihren Gewohnheiten find beide Claffen einander ähn- 
lich, vor Allen darin, daß fie die ſchmutzigſten unter allen 
Drientalen find, die ich je geſehen. Wie ich höre, erreichen 
viele ein hohes Alter, und das frühe Verwelten und Abfter- 
ben der Männer, wie es in Indien eriftirt, ift hier unbe⸗ 
fannt; die Frauen dagegen werben früh häßlich. Auffallend 


) Eine Schilderung von Erinager nah Wilbelm Lejcan nebk 
Abbildungen finden unfere Leſer in Band XIX, ©. 273 ff. diefer 
Zeitfchrift. 


Theodor Kirchhoff: Kreuz- und Querzüge in Ealifornien. 


war mir no, daß fich bei den Mohammebanern vielfach 
eine curioſe Krankheit von firemaartigen Auswüchfen findet, 
von demen fie oft halb bedeckt find. 

Meine Arbeit hier ift vornämlic die, Bibliothelen und 
fonftige Documente, die fic auf die Geſchichte beziehen, zu 
durchforfchen. In Srinagar giebt es über 80 Häufer mit 
Bücherfammlungen. Da die Leute meift arm find, dazu 
vom Radſcha zu mir gefchit werben, fo hat es wenig 
Schwierigkeit, nicht nur jegliches burchzufehen, ſondern aud) 
alles, was man wünfcht, zu laufen oder abjchreiben zu laf- 
fen. In 14 Tagen habe ich etwa 40 Bucher gefauft und 
nahe an hundert den Schreibern zu copiren gegeben. Unter 
den Erwerbungen finden ſich viele Euriofitäten und Novis 
täten, 3. B. prächtige Manufcripte auf Birfenrinde gefchrie- 
ben, von denen ich jetzt mehr als ein Dutzend gewaltiger 
Bünde, die zum Theil 400 bis 500 Jahr alt find, befige. 
Diejelben find nicht fo fchön, wie die Palmblarthandichriften 
der nördlichen Dichainas, noch fo alt, doc; find fie jehr fel- 
ten ; ich glaube, fie fommen nur noch hier unb da in Drifja 
vor. Die Kunft, die Birkenblätter zu präpariven, ift jegt 
verloren gegangen und gebraucht man neuerdings Papier, 
das hier in jehr ſchöner Qualität verfertigt wird. Gefchrie- 
ben find jene Manufcripte mit einer Dinte, die aus urina 
bovis und geftoßenen Mandeln zuſammengekocht ift. 

Für Muſil werde ich neue Lieder über Nadſchardſchana sc. 
mitbringen, hoffentlich aucd, die Melodien; im Munde ber 
Sänger und Frauen lebt fowohl ber alte buddhiſtiſche Pa— 
triard) des erften nachchriſtlichen Jahrhunderts, als auch der 
große König des achten noch immer. 

Zu meinen Forfchungen Habe ich etwa 21/, Monate 
Zeit, und bin deshalb fehr befchäftigt. 

Im dritten Briefe vom 7. October berichtet Dr. Büh— 
ler, daß er in einigen Wochen bie Rückreiſe antreten werde 
und reiche wiffenfchaftliche Husbeute gemacht habe. In dieſe 
Detaild mögen wir ung um fo weniger einlaffen, da die 
Funde mur für Fachmänner von Interefie und wir der offis 
eiellen Mitteilung nicht vorgreifen dürfen *). Ueber feinen 


*) @ine Ueberficht über feine Wücherfunde und deren Wichtigkeit 


137 


Anfenthalt im Thale von Kaſchmir ſchreibt er weiter: 
Mein Haus liegt an der Vitaftä, dem Hydaspes ber Grie- 
hen ; dahinter Felder umd Dörfer, die fid) in der Entfernung 
von drei deutſchen Meilen immer mehr erheben, und une 
mittelbar dahinter fteigt bie riefige Kette bes Per Pöntjchal 
auf, deren Häupter von ewigem Schnee bededt find, Seits 
wärts hinter dem Garten erhebt ſich 1000 Fuß hoch ber 
Gopädrithron des Salomon, defjen Spige mit einem Tem- 
pel gekrönt ift, dann folgt ein Dhöl (Meiner See) mit den 
tieblichiten Partien und dann eine Bergfette nad) der an— 
dern von wilden Schluchten durdjzogen. Zum Zwed ber 
Erſorſchung des weftlichen Kaſchmir machte ich neulich einen 
weitern Ausflug, wie gewöhnlich zu Waſſer. Ich ließ brei 
Kiſti (große Boote) kommen und nahm mein Meines aud) 
mit. Jene find etwa 50 Fuß lang und 8 breit, haben 
einen flachen Boden und die Seitenwände ſenkrecht aufge: 
nagelt; Schnabel und Hintertheil heben fid ein wenig aus 
dem Wafler, find aber ftumpf und über das Ganze ift ein 
Strohdach gefügt. Vom Dache bis auf den Rand hängen 
Rohrmatten, die das Boot zu einem Zimmer geftalten; in 
der Mitte ift eine Barricade von Kiften und noch ein Bor— 
hang, der die Schiffsmannſchaft von der Herrſchaft abſchließt. 
Solch ein Fahrzeug ift eine rechte Arche Noah, um jo mehr, 
da bie Schiffer mit Familie Jahr aus Jahr ein darin leben, 
In dem größten dieſer Fahrzeuge nun wohnte ich mit dem 
treuen Sandy; das zweite nahm meinen Koch und zwei Ber 
dienten auf, im dritten ſaß ein königlich laſchmiriſcher Sol: 
dat, ald meine Ehrenwache, und ein dortiger wirklicher Pan« 
dit nebſt feinem Koch und Diener, Der Bandit ift nod) 
jung, aus einer vornehmen, aber verarımten Familie ſtam—- 
mend, genannt Radjchänafa, d. h. „beinahe ein König“. 
Sein Stammbaum geht über 1000 Yahre hinaus; trotzdem 
dient er mir, dem ſtammbaumloſen Fremden, für jage und 
jchreibe zehn Thaler monatlid) (wovon er mit Familie und 
Dienern herrlic; und in Freuden lebt). Das ift die Macht 
bes Kali, des eifernen Zeitalters, wie er felber jagt. 


giebt ein imtereffanter Artilel in ber Beilage von Nr. 30 der Augs- 


‚burger „Allgemeinen Zeitung“ vom 30. Januar 1876 (S. 439). 


Kreuz und Querzüge in Californien. 
Bon Theodor Kirchhoff. 


Die Thäler in der Umgebung von San Francisco, — Das Klima von Californien. — Californiſche Landichaftsbilder. — 

Eine Fahrt anf der füblichen Pacifichahn. — Drigineller Bauplan für eine neue Stadt. — San Mate. — Plötzlicher 

Wechſel im Klima. — Belmont und feine Sommerpaläfte — Vergnügungsgärten der Deutſchen. — Menlo Bart, — 

Die Canada dei Reymundo. — Die Waſſerkunſt im Pillareitos Canon. — Landſchaftliche Reise des Santa-Llara-Thales, — 
Die projectirte Sternwarte auf dem Mount Hamilton. 


Die Stadt San Francisco ift in einem weiten Halb: 
freife, deſſen offene weftliche Seite das Stille Meer bilbet, 
von einem Sranze überaus fruchtbarer Thäler umgeben, welche 
beim Goldenen Thor ihren natürlichen Ausgangspunkt 
finden. Gen Norden ‚an die Ufer der San-Pablo-Bay 
grengend, liegen die Thäler von Sonoma und Napa, bes 
rühmt geworden durch ihren Weinbau; am öftlichen Ufer der 

San-francidco-Bay lagern fid) um den Fuß 

Mount Diablo die anmuthigen Thalgründe von Cons 

Globus XXIX. Nr. 9. 


tra Cofta, gefhmlidt mit endlofen Obftgärten, wohlculti- 
virten Farmen und reizenden Hainen, und jenſeits jener 
Hochwarte des Golblandes erftreden fid) die, Hunderte von 
Meilen langen, breiten Thalebenen von Sſcramen to und 
San Ioaquin, deren umerfchöpflicher Alluvialboden ben 
Flotten von Klipperſchiffen, welche alljährlid, den Hafen von 
San Francisco verlaflen, ihre nach Hunderttaufenden von 
Tonnen zählenden Ladungen von Weizen liefert, womit das 
gefegnete Californien zur Kornlammer von Albion geworben 
18 


138 


iſt. Im Süden liegt das an Cerealien nicht minder reiche 
Santa-Clara-Thal, deſſen Berzweigungen — bie frucit- 
baren Thäler des Salinas und Pajaro — ſich bis nad) 
ber Bay von Monterey erftreden und das man paflend 
als den Garten ber californifchen Handelsmetropole bezeich- 
nen kann. 

Der Reifende, welcher San Francisco verläßt, um eines 
jener Thäler zu befuchen, wird bereits nad) einer Fahrt von 
wenigen Meilen in ein fo verändertes Klima gelangen, als 
fei er von den Geftaden der Norbfee plöglic an die Ufer 
bes Adriatifchen Meeres verfegt worden. Die Inlandthäler 
Galiforniens, durch anjehnliche Höhenzitge von dem Küften- 
fteichen getrennt, in denen feuchte Nebel und kalte Seewinde 
das ganze Jahr Über vorherrfchend find, erfreuen ſich nach 
ber Regenzeit des Winters einer milden Durchſchnitts - 
temperatur, dagegen find fie im Sommer intenfiv heiß und 
teoden. Während nad) dem Eintritt der trodenen Jahres⸗ 
zeit häufig dichte Seenebel Über die auf einer fandigen Halb» 
infel erbaute große Handelsftabt am Goldenen Thore wolfen= 
ähnlich Hinfliegen und unangenehme falte Winde ben Staub 
und feine Sandtheile in Menge durch die Straßen wirbeln, 
breitet fich über das Inland ein reiner Azurhimmel aus und 
es ift dort eine milde, wahrhaft italienifche Luft. Die in ber 
Ferne liegenden Gebirgszüge find in eim duftiges Blau ges 
hullt; in der parkühnlich mit Eichen gefchmlidten Landſchaft 
liegen grüne, ſchwellende Hligel und meilenbreite, wogende 
Weizenfelder, und die faft tropifche Farbenpracht ber Flora — 
die mit duftenden weißen Blüthen förmlich bedeckten Mandel— 
bäume, die Pfirfichbäume in ihrem Lieblichen rofigen Gewand, 
Heliotropen und Geranien, 6 bis 10 Fuß hoch, die mit buns 
ten Blumen förmlich befadenen und Heinen Bäumen zu ver⸗ 
gleichenden Fuchfien, bie Pracht der Rofen und von Hunder- 
ten anderer Blumenarten, die in Deutſchland nur in Treibs 
häufern gedeihen — entzücdt das Auge. Wer nad ber 
Regenzeit die romantifchen Borberge (foot hills) der Sierra 
Nevada oder bie kaum minder herrlichen, prächtig bewal⸗ 
deten Küftengebirge durchftreift hat, wo die raufchenden Bäche 
durch blühende Thalgründe herabbraufen, und die laue und 
bod; die Nerven gleichſam ftählende Luft eingeathmet hat, 
wird gewiß Californien als eines der ſchönſten Länder auf 
diefem Erdball preifen. Beſucht er jedoch diefelben Gegen- 
den nach wenigen Monaten wieber, fo wird er in ber alddann 
in ein monotones Braun gefleideten Landfchaft, wo ihn eine 
glühende Sonne verjengt, fein früheres Paradies ſchwerlich 
wiedererlennen. 

Californien ift ein Land ber Contraſte und derſelbe Wech⸗ 
ſel des Klimas, der in faſt jeder Jahreszeit zwiſchen San 
Franeisco und dem Innern herrſcht, findet hier wiederum 
fein fpecielles Gegenftüd. Daß fich unter fo bewandten 
flimatifchen Abnormitäten die Neifenden, welche Californien 
zu verjchiedenen Jahreszeiten befucht Haben, in ihrem Uxtheil 
über diefes Yand ſchnurſtrads widerſprechen, ift nicht zu vers 
wundern. Selbſt auf die Stabt San Francisco findet bies feine 
Anwendung; denn bleiben dort, mas häufig vorfommt, die 
Serwinde und Nebel einige Tage aus, fo ift das Wetter da- 
felbft eben fo ſchön wie in den gejchligten Inlanbthälern. 
Viele preifen daher das pradjtvolle Klima von San ffrans 
cisco, während andere es ald das Nonplusultra von einer 
unangenehmen Witterung bezeichnen; der Eine befcjreibt mit 
enthufiaftifcher Feder die lachenden — Fluren, die end⸗ 
loſen wogenden Weizenfelder, die Blumenpracht der weiten 
Thäler des Inlands, während ein Anderer dort nur fonnen- 
verbrannte Flachen, mit Staub bedeckte Bäume und grans 
braume Hügel geſchaut hat; Diefen entzüden die Drangen- 
haine von Yos Angeles, die faftig grünen Triften des füd- 
lichen Californien, das milde Klima und die landſchaftlichen 


Theodor Kirchhoff: Kreuz- und Uuerzüge in Californien. 


Reize von Santa Barbara, wogegen Jener nur von Dafen 
in einer Wuſie redet. 

Mein Ausflug ins Santa: Clara» Thal fand im 
Frühjahr ftatt, und wenn ic; jet ben Yefer einlade, mich nach 
jenent herrlichen Flecke der californifchen Erde zu begleiten, 
fo möge er dieſes wichtige Jahresdatum dabei ja nicht außer 
Augen laffen! 

An einem fröftelnd Fühlen und windigen Nachmittage 
des Monats April (1875). befand ich mich am Depot ber 
fadlichen Pacifichahn, welche zur Zeit bis nach Soledad 
im Salinasthal — 142 englifche Meilen füdlih von San 
Francisco — befahren wird, um per Dampf durch das Thal 
von Santa Clara nad der califomifchen „Gartenſtadt“, 
dem 50 englifche Meilen von San Francisco entfernten Sarı 
3ofs, zu kutſchiren. Bald ließ die Pocomotive ihr ſchrilles 
Abſchiedsſignal ertönen und hinaus ins freie rollte der Zug 
aus den langen Bahnhofsgebäuben, feine Richtung nad, Si: 
ben nehmend. 

Hinter und liegen bie Häufer von San Francisco, weit 
zerftveut über die ſchwellenden Hligel, und ein Blid nad) 
rlichwärts zeigt und den langgeftredten dunfeln Bergrüden 
des Tamalpais, deſſen bereits von mir beftiegene waldige 
Höhe mit einer Erhebung von 2597 Fuß von Norden her 
direct auf das Goldene Thor herabſchaut. Im den vor den 
Winden gefchlitten Thalgründen haben ſich nahe am ber Eifen- 
bahn italienische und chineſiſche Gemiifegärtner zahlreich an- 
gefiebelt. Zwiſchen den grünen Beeten blinfen die Irri— 
gationsgräben,, denen das Wafler aus artefifchen Brunnen 
durd) Meine Windmühlen zugeführt wirb, um den Pflanzen 
die für ihr Gedeihen hier fo umentbehrliche Feuchtigleit auch 
in der trodenen Jahreszeit zulommen zu faflen. Spargel, 
Dlumentohl, Radies, Erbſen, Bohnen, Tomaten u. f. w. 
bringen die fleigigen Gartenbefiger and im Winter täglich 
auf die Märkte von San Francisco und ziehen hier im Freien 
zu jener Jahreszeit Gemlifearten, die in Deutſchland noch 
ım Mai des Schuges von glasbededten Wärmebeeten beblir: 
fen. Zwiſchen den vielfad; fattelähnlic eingefchnittenen 
Höhenzligen blinft zur rechten Hand ein Stid vom Ocean 
zu uns heriber, verſchwindet aber bald wieder vor unferm 
Blick; zur Linken begleiten ung die feeähnlichen Gewäfler ber 

roßen San⸗Francisco · Bay, die vom den weißen Segeln 
eichter Fiſcherboote und Küftenfahrer belebt ift. Denfeits 
berjelben und die grünen Hügel von Contra Cofta über- 
ragend ftredt der 3856 Fuß hohe Mount Diablo feine 
in ein duftiges Blau gehlillte Doppelfuppe hoch empor im 
ben fonnenfiaren Aether. Erſt im vergangenen Sommer 
hatte ich feine felfige Warte in Geſellſchaft einer fröhlichen 
Touriſtenſchaar erllommen und ſchaute vom dort oben die 
weite Bay wie auf einer Landkarte mir zu Füßen und das 
Thal von Santa Clara, das wir jegt mit Dampfeseile durch» 
fliegen, in verſchwimmender Ferne vor mir ausgebreitet. Der 
Bergriefe ift mir ein alter lieber Belannter, der mir einen 
fröhlichen Abſchied nachwinkt und ein baldiges Wiederfehen 
erwartet, 


Während der erften Stunde” unferer Fahrt bleibt bie 
nähere Umgebung uninterefjant und nur die vielen Ausläufer 
der mit Wald gefchmitdten entfernteren Berge, welche uns 
rechter Hand begleiten und die ein bläulicher Duft umlagert, 
gewähren dem Ange angenehme Ruhepunkte. Die Ufergelände 
der Bay dagegen find fiach und fumpfig, die Halteftationen 
an der Eiſenbahn unbedeutend und ein kalter Wind bläft mit 
vollen Baden Über das Flachland, fo daß es die wenigen 
dort wachfenden Bäume felbft zu frieren fcheint. Achtzehn 
englifhe Meilen von San Francisco wurde im der Nähe 
ber Eifenbahn eine neue Stadt mit Namen Burlingame 
von mehreren unternehmenden Gapitaliften projectirt, deren 


Theodor Kirchhoff: Kreuz und Querzüge in Californien. 


Anlage etwas —— noch nie Dageweſenes haben ſollte. 
Die innere Einrichtung ber Stadt ſollte nämlich fertig, es 
follten bie Straßen gepflaftert, die Trottoirs gelegt, Abzug& 
canäle, Waſſer⸗ und Gaswerke eingerichtet fein, ehe es Häu- 
fer und Bewohner gab, Im einer nahen Baumanlage waren 
bereits behufs fpäterer Berpflanzung eine Million Schößlinge 
auögejegt, und Alles in Allem ſchon mehrere hunderttauſend 
Dollars für die Vorarbeiten verausgabt worden, als ber 
plögliche Tod Ralſton's, Präfidenten der Bank of California 
und lichebers jenes genialen Plans, dazwiſchentrat. Unter 
den Millionären von San Francisco hat fich Niemand ge- 
funden, der fein Wert vollenden will. Das Yand, auf dem 
Burlingame erbaut werben follte, ift bereits als Aderland 
verpachtet worden, und jene Million junger Bäume wird jegt 
zum Berfaufe ausgeboten. 

Sobald der Bahnzug das 20 englifche Meilen von San 
Francisco entfernte freundliche San Mateo paffirt hat, 
wo die Kothholjtannenwälder (red woods — Sequoia 
sempervirens) beginnen, die ſich jübwärts bis nad dem 
Thale des Bajaro (pr. Pachcharo) erftveden, treten wir 
in ein ganz anderes Klima. Plötzlich ift es Frühling ge- 
worden und bie Fuft weht milde; flinf Meilen weiter, bei 
Belmont, ift es bereitd warmer Sommer. Die Gegend 
ift Hier paradiefifch ſchön und die Menjchen find bemitht, ihr 
durch Bauten von ſchmucken Billen und durch freundliche 
Anlagen immer neue Reize zu verfhaffen. Aus den Fenftern 
der ſchnell dahineilenden Dampfwagen gewahrt der Reiſende 
jedoch nur den geringern Theil der natürlichen Schönheiten 
diefe® Yandes. In leichtem Gefährt fahre er feitab von ber 
Eifenbahn durch die parfähnlichen Oruppen von faftig grlinen 
Lebenseichen und dunfeln Lorbeers und Madronenbäumen 
nad) Eryftal Springs mit feiner ländlicheidyllifchen Um- 
gebung, die den ſchönſten Partien des Thüringer Waldes 
vollftändig ebenblirtig ift; ober er befteige ein Roß und reite 
gemächlih anf romantiſchen Gebirgspfaden unter riefigen 
Rothtannen Über die Coaſt Range bis an das Geftade des 
Stillen Meeres, nah Half Moon Bay und Pescabero, 
und er wird die Erfahrung machen, dag nur ein biöchen 
Geſchick und Unternehmungsgeift dazu gehört, um im ber 
Nähe des ftaubigen San Francisco wunderbar ſchöne Orgen- 
ben zu entdeden. 

Bei Belmont haben verſchiedene californifche Millionäre 
ſich palaftähnlicde Sommerfige erbaut, deren glänzende Ein- 
richtung felbjt den Wohnungen europäifcher Kröſuſſe zur 
Zierde gereichen würde, Die Pferde frefien dort z. B. aus 
Marmorkrippen und logiren bei Weiten beffer als die Mehr: 
zahl gewöhnlicher Menſchenlinder. Die Befiger jener 
prächtigen Billen find für ihre Gaftfreiheit berlihmt gewor- 
den, was in Californien, wo biefe Carbinaltugend zum 
Grundcharalter des Boltes gehört, viel heigen will. Weniger 
anfpruchsvoll als in ben Siten jener Reichen geht es im 
Sommer öfters in dem Parts und Bergnügungsgärten bei 
Belmont zu, wo bie Deutfchen von Can —— gern 
Picnics abzuhalten pflegen. Statt zu rauſchender Muſil, 
beim lange Hunderter von Kerzen und umgeben von fürfts 
lichem Reichthum auf parfettirten Fußböden zu tanzen und 
zu banfettiren, wird hier auf einfachen Brettern unter dem 
tiefblauen Himmel Californiens und umgeben von grünen 
Eichen beim Klange von Geigen und Hörnern gewalzt und 
an langen umgehobelten Tiſchen ober auf dem Rafen im 
Schatten ber Bäume getafelt, gezecht und gefungen, daß es 
nur fo eime Luft ift. Die Milionäre beneiden vielleicht gar 
in ihren Paläften umfere fröhlichen deutſchen Sangesbrüder, 
deren Lieder alsdann jubelnd durd) die lauen Sommerlüfte 
zu ihnen herlibertönen! 

Ein reigendes Landjchaftsgemälde eröffnet fi dem Auge 


139 


bei Menlo Park (32 englifche Meilen von San Francieco), 
wo bie Geldariftofratie der großen Golbftadt ein Kleines Pa- 
radies gefhafen hat. Im einem Umkreiſe von einer eng« 
lichen Duabratmeile liegen dort ein Dutzend prachtvoller 
Sommerfige in einem natürlichen Eichenparke —— Von 
breiten Kieswegen umgebene, wohlgepflegte Gartenanlagen, 
hinter deren weißen Staleten ſich eine Blumenpracht von 
halbtropiſchem Glanze entfaltet, geben Zeugniß davon, da 
deren Befiger einem cultivirten Geſchmack Huldigen. Im 
ber nicht weit entfernten Coaft Range liegt die „Canada 
del Reymundo“, ein von hohen Bergen eng umfchlofienes 
Thal, das zu den romantifchften und Lieblichften in Califor- 
wien gehört. Das Gebirge ift dort mit Nothholztannen, 
Lorbeer, Madronas, Ahorn und Lebenseichen dicht beftanden; 
im Thalgrund reihen ſich bebaute Felder und Gärten an 
einander, zwiſchen denen bie freundlichen Farmhäuſer, von 
Baumanlagen umſchattet, zerftreut Ye Bon ben waldigen 
Höhen a pr Hare Bäche in das Thal hernieber, die Bö— 
el fingen im Laubwerl der Bäume und Frieden und MWohls 
Aanb haben Hier eine bleibende Heimftatt gefunden. Im 
Pillarcitos Canon, das nur einen kurzen Spaziergang 
von ber Eifenbahnftation entfernt ift, hat bie „Spring Valley 
Water Company“ ihr Waflerrefervoir erbaut, von wo San 
Francisco mit Waffer verforgt wird. In einem künſtlichen 
Eee find dort 1,300,000 Gallonen Wafjer aufgeftaut wor« 
den, welches in Röhren mad, der Stadt geleitet und durch 
biefelbe vwertheilt wird, Der Damm, weldier das Waller 
ftaut, ift 96 Fuß Hoc; er hat am Grunde eine Breite 
von 450 und oben von 20 Fuß bei einer Länge von 540 


Fuß. 

Bei Menlo Park überſchreiten wir die Grenze bes 
Countys von San Mateo umb treten in das Gantas 
Clara-County. Bei der Weiterfahrt wird das Auge nicht 
müde, aus den Fenftern der dahinfliegenden Waggons in bie 
reizende Landſchaft hinauszufcauen. Ueberall auf den Fel- 
dern ſtehen bie breitgeäfteten Tebenseichen parkähnlich zer- 
freut, zwifchen denen Weizen und Gerfte gebaut wird, oder 
das Heu in duftenden Schwaben abgemäht auf grünem Bo+ 
ben baliegt. Bei ftattlichen Farmhäuſern eilen wir vorliber, 
erbliden durch lange Allen von Eichen hin und wieder die 
ſchimmernden Fluthen der Bay und erfreuen uns an ben 
von bläulichem Dufte umlagerten Höhen der Coaft Range 
in ihrem dunfeln Mantel von Rothholztannen: im Weſten 
find es die Gebirge von Santa Cruz, im Südoſt überragt 
ber Gipfel des Mount Hamilton *) dem Höhenzug. Ge: 
gen Abend paffiren wir bas Städtchen Santa Clara; bald 
darauf begrüßt uns im Strahle der finfenden Sonne ber 
hohe Kuppelthurm des Cowrthaufes von San Iofe und 
wir find in der „californifchen Gartenftadt*. 


*) Der belannte Millionär James Lid, welder unter anderen 
in Galifornien für gemeinnügige Iwede gemachten fürſtlichen Ge— 
ſchenlen bie Summe von 700,000 Dellars Gold für den Bau einer 
Sternwarte mit darauf zu errichtendem Riefenteleitop ausgefegt bat, 
äußerte am 4. September v. J. im einer brieflihen Gingabe ten 
Wunſch, daß biefes Teleftop nicht, mie zuerft beabfichtigt, auf einer 
Lanbzunge am See Tabon auf ter Sierra Nevada, fontern auf 
dem Gipfel des Mount Hamilton aufgeftellt werte, und wird 
die feine Schenkung verwaltende Gommifflen zweifelsohne jenem 
Wunſche willfahren, Der Mount Hamilton, ber höchſte in ber Coaſt 
Range liegende Berg, erhebt ih 4440 Buß über tem Meeres» 
fpiegel, fein Gipfel iſt ſteta frei von Mebeln, gewährt eine unbe: 
fhränfte Rundſchau über einen ungebeuren Aläcdenraum und eignet 
ſich gang vorzüglich für bie Errichtung einer Sternwarte. Die eins 
sige Bebingung, welde Lit zu diefem Worfchlage gemacht bat, ift 
die, daß das Gounty von Santa Glara eine gute Wagenftrafe von 
Sarı Jofs nad der zu erbauenden Sternwarte berflellen Soll, ‚gu 
melden Zwede die Supervifors bes County die nachſte Ergislatur 
um Genehmigung zur Ausgabe von Bends im Bettage von 50,000 
Dollars, erfuchen wollen. 


18* 


140 


Mas ſich das Volk in Oftfriesland von Werwölfen und Waalridern erzählt. 


Mas fi das Volk in Oftfriesland von Werwölfen und Waalridern 
erzählt. 


M. Unter fieben Brüdern ift ein Wermwolf (Mann: 
wolf), unter fieben Schweftern eine Waalrider (geifter- 
hafte Reiter, ar > bas Alpdrüden verurfachen; Reiter der 
Todten. Diefer Glaube reicht had) ins Heidenthum hinauf. 
S. K. Simrod, Deutfche Mythologie, S. 465). So fagt 
der Aberglaube unferes Volles. b fich folder mur auf 
das fogenannte leichte Volk bezieht und ob dieſes leichte 
Bolt die Ureinwohner Oſtfrieslands waren, ift nicht mehr 
zu”enticheiden. Diefe wohnten in Höhlen unter der Erde 
oder im hiigelartigen, von Erbe gebanten Wohnungen 
und wurben deshalb LUndereersten (Eerdmantjes) genannt. 
Sie waren von Meiner Statur, ungemein leichtfüßig, fo daß 
fie mit einem Pferde in die Wette laufen fonnten, Wußer- 
dem verftanben fie e®, mechanifche Arbeiten jo geſchickt anzu« 
fertigen, daß die „Gothen“ glaubten, das ginge nicht mit 
rechten Dingen zu. Auch verftanden fie es, ſich unfichtbar 
zu machen, den Dingen eine andere Form und ein ganz ans 
deres Ausfehen zu geben. 

Als z. B. die Frau eines Undereerslen einft in Kindes: 
nöthen war und nicht gebären fonnte, lief der Mann in der 
Verzweiflung zur Hebamme der Gothen und bot ihr eine 
reiche Belohnung, falls fie füme und feiner Frau Beiftand 
und Hulfe leifte. Sie folgte ihm und erfitllte feine Wirnfche; 
diefer warf ihr dankbar drei Goldlumpen in den Schoß. 
Aber das Weib, von Neugierde getrieben, öffnete unterwegs 
ihre Schlirge und fand flatt der Goldklumpen — Pferde— 
feigen darin. 

Voller Entrüftung warf die Frau die Roßäpfel von ſich; 
befann fich aber bald eines andern und nahm einen heil 
des Geſchenles mit fich, um zu Haufe den Be beweifen 
zu können. Dort war matürlic alles blankes Gold, aber 
ber fofort aufgefuchte Reſt war verſchwunden, denn das ihr 
unfichtbar gefolgte Männlein hatte die verſchmähte Gabe 
twieber zu ſich genommen. 

Die Wermwölfe mußten ſich zeitweilig in einen Wolf ver- 
wandeln, aber diefe Zeit ftand nicht im Kalender und war 
ihnen ſelbſt nicht befannt. Sie verloren dann nicht nur 
ihren äußern Habitus, fondern erhielten auch die feelifchen 
Triebe dieſes Raubthiers. Der Wolf war überhaupt unferen 
heidnifchen Vorfahren die perfonificirte Verſchlingungswuth. 
So wird z. B. der Mond beftändig von dem Wolf „Hati* 
verfolgt, welcher die Mondfinfterniß erzeugt. 

Aber immer hat der Werwolf ein Vorgefühl bes bevor- 
ftehenden Wechſels, er Tann einige Vorkehrungen treffen, 
feine Umgebung warnen und fie mit Gegenmitteln verfehen, 

Ein glüdlic, verheiratheter Berwolt fuhr mit feiner 
jungen Frau an einem trüben Herbfttage durch einen Wald. 
Als er einem hohen Erdwalle entlang kam, hielt er plötzlich 
an, übergab feiner Frau das Yeitfeil, ftieg aus und bat fie, 
ein wenig zu harren. Zu gleicher Zeit machte er fie dar 
auf aufmertfam, daß im Walde viele Raubthiere hauften 
und falls ein ſolches füme, follte fie nicht erjchreden. Flir 
alle Fälle follte fie aber ihren rothen Unterrod bereit halten 
und damit den Räuber ins Geficht fchlagen, bis er feine 
Wuth daran ausgelaſſen habe. 

Damit fprang er vom Wagen und verfchwand hinter 
dem Walle. Die Frau blieb auf dem Wagen figen, hatte 
aber dem Rathe ihres Mannes zufolge dem Unterrod ab« 
geftreift und zur Hand gelegt, witterte aber keinerlei Gefahr, 


ba fie meinte, ihr Mann habe mit der Warnung nur ges 
iger, wie er ſolches ſchon häufig gethan. 

ber recht bald wurde ihre Aufmerffamkeit auf den Wall 
gelenkt: fie hörte ein unheimliches Knurren, ein unterbrlüd: 
tes Heulen und einen Augenblid darauf ftand auf der Kappe 
des Walles ein gräulicher Wolf. Mit einem Sage ift er 
am Wagen, öffnet den Rachen und droht mit feinem jurdjt- 
baren Gebiſſe die Frau zu faflen und zu zerreißen. ber 
in dem YUugenblide, da ber Wolf ſich aufbäumt, um einen 
Satz auf fie auszuführen, wirft fie ihm ihren ſchweren, co» 
then Rod liber den Kopf, in dem er ſich verwidelt und dann 
in feiner vollen Wuth dieſen in Heine Streifen und Fetzen 
zerreißt. Befriebigt entfernt er fich unter ftetem Umfehen 
über den Wal. Bald fommt der Mann wieber zurüd, 
nimmt die Zügel zur Hand und fährt weiter. Er ſah freie 
fi; etwas bleich und Zi aus, fonft war aber 
nichts an ihm zu bemerken. tz nachher, als er ſich ums 
wendete, um mit feiner Frau zu fprechen, entbedte dieſe zu 
ihrem großen Schreden die rothe Wolle ihres zerfetzten 
Unterrodes zwiichen feinen Zähnen, und hatte nun die trau« 
rige Gewißheit, daß ihr Dann ein Wermwolf fei. Wenige 
Wochen nachher war fie eine Leiche. 

Die Waalrider treiben ihr feindliches Weſen zur Nacht: 
zeit, im der fie befonders Junglinge und junge Männer 
ängftigen und quälen, aber auch die Pferde in den Ställen 
dermaßen mißhandeln, daß fie mager und Hinfällig werben. 

Gegen dieſe giebt es verfchiedene Borfichtsmaßregeln, 
don denen folgende drei ftets von Wirkung fein follen. 

Sehr zu empfehlen ift: den Niemen, der zur Aufhebung 
ber Klinke von außen am biefelbe befeftigt ift, aus ber Kam⸗ 
merthlir zu ziehen und das Riemenloch mit einem Pfropfen 
zu verschließen. Zweitens find die am Abend ausgejogenen 
Pantoffeln umzuwenden und fo zu ftellen, daß fie mit der Spitze 
nicht dem Bette zugewendet ftehen; denn die mächtliche 
Befucherin muß, wenn fie das Bett des Schlafenden bejtei- 
gen will, zuvor die Füße in die Pantoffeln deſſelben fteden. 
Stehen nun diefelben verkehrt, jo ift das ein Strich durch 
die Nechnung, denn fir alle dienftbaren Wefen des Fürſten 
der Finſterniß ift es ein firenges Geſetz, nichts zu verrücken 
oder zu verändern. Es ift ihmen unterfagt, ihrem eigenen 
Willen zu folgen und ift ihnen für jede nächtliche Störung 
der beftimmte Weg vorgezeichnet, auf dem fie ihre Opfer 
bejchleichen dürfen. Der Böfe liebt die frummen Wege, 
und darum arbeiten feine dienftbaren Geiſter in verfchiedenen 
Windungen vom Fuß bis zum Kopfe. 

Drittens darf man weder auf dem Bauche, noch auf dem 
Rüden, noc) auf der linlen Seite liegend einfchlafen. Ber: 
gift man diefe Vorſichtsmaßregel, fo hat die nächtliche Fein 
din freies Epiel. Gleich der Here kann fie durch Schorn- 
ftein, Fenfter, Thliren, Risen einfehren; daß fie aber durch 
das oben bezeichnete Riemloch schlüpfen muß, ift allgemein 
befannt. Hat fie aber ihren Beſuch beendet und will fich 
wieder entfernen, jo ift ihr das unmöglich, wenn das Riems 
loch mittlerweile verftopft ift. Und das ift ein Beweis, daß 


| fie mit der Here feine Verwandtſchaft hat. 


Nachdem fie ihr Opfer erreicht, brüct fie daſſelbe wie 
mit einer centnerſchweren Laſt; fie hält es feft umftridt, daß 
es weder Hand noch Fuß rühren, mod; fi) irgend wie be 
wegen fann, Der Hals wird ihm zugefchnitrt, der Aihem 


Was ſich das Volt in Oſtfriesland von Wermölfen und Waalridern erzählt. 


vergeht ihm — es glaubt erftiden zu müflen Cs will 
freien, um Hilfe rufen, aber die Stimme verfagt ihm 
ihren Dienft, es faun feinen Laut hervorbringen. 

Die Waalrider geht davon, bie Qual ift beendet, der 
Gemarterte ift jchweißbededt, der Athem kehrt zurüd — er 
lebt noch. 

Es war zur Zeit der Heuernte, das Wetter war uns 
glinftig, denn es hatte viel und heftig geregnet und in Folge 
davon waren die Gewäſſer angefchtwollen und hatten hier 
und dort bie Wiefen überjchwenmt. Auf einer großen Wiefe, 
die an einem flüßchen, lag, war auch das Heu gefährbet, 
ba der Fluß, zu einem breiten Strome geworben, bereits be» 
beutende Streden eingenommen hatte und noch immer wuchs. 
Man hatte fich den ganzen Tag bemliht, das Heu zu bergen 
und wollte die Arbeit am folgenden Tage fortfegen. Gin 
Mann zog esvor, auf der Wieſe zu bleiben umd die Hütung 
der Geräthe zu übernehmen. Mittlerweile war das Wetter 
beffer geworben, der Himmel war mwolfenleer und der Mond⸗ 
fchein zeigte nur eim leifes Bewegen der Blätter, Der Wär: 
ter war in ber Nähe des Waſſers auf einem Heuhaufen faft 
eingefchlafen, als die hellen Klänge eines fröhlichen Gejan- 
es an fein Ohr ſchlugen. Diefer fam aus einer weiblichen 
Behle und war fo filberrein, fo wunderbar, fo ergreifend, 
wie bie der Lorelei am Rhein. Die Klänge famen von jen- 
feit des Waffers, und unfer Wärter hatte ſich immer weiter 
aus feinem Verſteck hervorgewagt, um die Sängerin zu er⸗ 


fpähen. 

Endlich entdedte er einen Heinen ſchwarzen Punkt auf 
dem Waſſer, der fich feinem Ufer näherte. Diefer erwies 
ſich gar bald als ein leichtes, rundes Gefäß, welches ber 
Sängerin als Fahrzeug diente Es landete; ein Feines 
flintes Weibchen fprang heraus, brachte ihr Fahrzeug unter 
einen Heuhaufen in Sicherheit und ging dann eiligft davon. 
Kaum war fie verſchwunden, als der mengierige Dann aus 
feinem Berftede hervorkroch, das Fahrzeug der zauberifchen 
Sängerin zu unterſuchen. Er fand ein — Sieb, Er ver: 
ſteckte es in einen entfernt ftehenden Haufen und legte ſich 
dann wieder fchlafen. Beim Erwachen hörte er ein Magen» 
bes Wimmern. Es war die Sängerin, die Waalriberin, 
die von ihren nächtlichen Gefchäften heimfehrte und tiber ben 
Berluft ihres Fahrzeuges Hagte. Sie fand den Mann in 
feinem Verftede und bat ihn fo flehentlich, fo bezaubernd 
um Zurüdgabe ihres Eigenthums, daß diefer es ihr überließ. 
Mit Bligesichnelle ſchiffte fie fich ein und war im Nu hin- 
übergefahren. 

Wie bei diefen räthjelhaften Weſen alles leicht und un— 
zuverläffig ift, fo aud) ihre Gewänder, die aus Zauberfäden 
und Luft zu beftehen feinen. Wer eine Waalrider beim 
Gewande erfaſſen will, der greift in die Luft; wer fie bei 
den Haaren zu erfaflen vermag, ber hat fie gefangen. 

Ein junger kräftiger Burke lag fchlaflos auf feinem 
Lager. Er fühlte ein unheimliches Weſen zu feinen Füßen, 
weldyes feitwärts an ihm hinauftroc und ſich endlich auf 
ihn warf. Er erfafte jie bei den Haaren und hielt troß 
alles Sträubens feſt. Die Waalrider lispelte: Fät (faffe) 
mi nich in de Haar, füt mi in de Kleer (leider), ik 
bin klein Jantje van Leer! Cr aber beywang fie, ſchlug 
einen Pfropfen ins Riemenloch der Kammerthlir — fie war 
gefangen. Sie wurde des Burfchen Frau, gebar ihm einige 
Kinder und führte mit ihm eine ruhige und zufriedene Ehe. 
Aber eines Tages ſprach fie: Wat klingen de Klokken 
in Engeland ! Ich höre nichts, erwiederte er. So ziehe 
nur den Pfropfen aus ber Thür, dann wirft du es fchon 
hören. Er that's und fie entfloh ohne Zögern durch das 
Riemloch, ohne jemals wiederzufehren. 


hufs Püftung) hereinſchlüpfen. 


141 


Die alten häßlichen Waalrider lommen nicht in die Kam⸗ 
mern der Menfchen, fondern quälen die Pferbe der guten 
Leute in ben Ställen. Dort ift in manden Nächten ein 
furdjtbarer Lärm. Die Pferde ſchnaufen, ftanıpfen, fragen, 
raſſeln mit den Ketten, fchlagen aus — machen mit einem 
Worte einen Höllenlärm. Dann find die Waalrider in 
voller Arbeit. Niemand wagt fi) aladann in den Stall, 
ift doc die Nacht feines Menfchen Freund und könnte nicht 
der Feind alles Guten dort fein Weſen treiben ? 

Unfere guten Landleute hüten ſich denn auch ſehr vor 
ſolcher Gefahr. Alles, was fie zu thun wagen, iſt aus ger 
ficherter Entfernung dem Böfen oder feinen Abgefandten, 
den alten, widerwärtigen Weibern, einen Accord anzubieten, 
worauf nie fofort Beſcheid ertheilt, aber doch am nächſten 
Tage wortlos die Verficherung gegeben wird, daß er vers 
nommen und acceptirt fei. 

Im einem Haufe wütheten vor Zeiten die Waalrider all« 
nächtlich im Stalle auf entjegliche Weife. Den guten Leu: 
ten ging das Schidjal ihrer Pferde ſehr zu Herzen, und 
fie wollten gern Abhülfe ſchaffen, nur wußten fie nicht, wie. 
Endlich entjchloß fich die beherzte Hausfrau und rief aus 
der Wohnftube ind Hinterhaus, mo ſich am legten Ende ber 
Pferdeſtall befindet, hinaus: Ridet nich mager, ridet 
fett; kömt morgen un hält ’n good Stück Speck ! 
Eine Antwort erfolgte nicht, aber am nächſten Morgen kam 
ein altes, rummes, Weib und bat um — Speck. Das war 
ben doch deutlich genug, Sie befam, was fie verlangte 
und mehr, Der Vertrag war damit ratificitt. 

Sp groß war der Glaube unferer Vorfahren an bie 
Heiligkeit und Unverletzlichleit der Verträge, daß man felbft 
bem Teufel in diefen Punkte nicht mißtraute. Und der Bas 
ter der Lüge redhtfertigte hier das Bertrauen: im Stalle 
wurde es ruhiger, bie Pferde wurden nad) und nad) glatt 
und fett. 

Daß tro guter Fütterung und binlänglicher Pflege die 
Pferbe umter dem Einfluß dev Waalrider leiden, unterliegt 
feinem Zweifel, wenn man weiß, daß fie in ihren Mähnen 
unauflöslihe Berfhlingungen, feine Flechten, wunderliche 
Knoten zeigen , die ein matitrlicher Menſch nicht zu verfer- 
tigen vermag, Nur die Kunftfertigteit und Zauberei bes 
„leichten Bolfeg“ lann folches unter dem Beiftande des Bö- 
fen hervorbringen und wieder entwirren. 

Naber Od war ein leidenfchaftlicher Entenjäger. Ob 
ex gelegentlich aud; anderes Wild ſchoß, wollen wir unent- 
ſchieden laſſen. So viel aber ift gewiß, daß er, wenn bie 
Enten famen ober gingen, bei Mondſchein ſiets in feiner 
Entenhütte lag. Eines Abends aber, als ber Mond erft 
gegen Mitternacht aufging, warf er ſich im Hinterhaufe auf 
die Streu, mehr um zu ruhen und bie Zeit zu verbringen, als 
um zu ſchlaſen. Bald war er aber eingefchlummert, als ein 
Pochen auf dem Dache ihm werte. Es war als wenn große 
Bögel fich da niederliefen. Er riß die Augen auf und fah 
mehrere menjchenähnliche Geftalten zum m. (eine 
runde Oeffnung in der niebern Lehmwand am Kuhftall ber 
Der böfe Feind war mit 
einer Schaar Weiber dort; jener flug feuer und zündete 
ein Yicht an, das er an einen Pfahl befeftigte. Darauf zog 
er aus ber weiten Hoſentaſche die Geige hervor und fpielte 
die wildeften Melodien, die feine Begleitung in der tollften 
Weiſe durch Sprünge, Walzer u. ſ. w. ausführte. 

Nach einiger Zeit lam die Nachbarin und ſagte ſchmei- 
chelnd: Där is Naber Ocke ook noch! Danı erlöfchte 
das Licht und die faubere Geſellſchaft zog wieder durchs 
Stiepgatt ab und davon. 


142 


Aus allen Erdtheilen. 


Aus allen Erdtheilen 


Bu Eameron’s Neife. 


Bie aus Sir H. Ramlinfon’s Mittheilungen in 
den Situngen ber Londoner Geographiſchen Geſellſchaft vom 
10, und 24. Januar hervorgeht, befindet fich letztere ſchon 
im Befize von Karten und Beobachtungen Cameron's, 
welche bit Sha Kelembi (i. oben S. 91) reichen. Die Karte 
ift Schon in den Händen bes Lithographen und wird mit 
dem nächjten Hefte der „Proceedings“ erfcheinen, wie denn 
überhaupt jede von Cameron einlaufende Nachricht fofort an 
die Deffentlichleit gebradjt wird. Erſt nach Oſtern wird der 
verbiente Mann in Lonbon erwartet; zuvor will er noch 
zwei Monate auf Madeira fih an ein Fühleres Klima zu 
gewöhnen juchen. 

Aus den Erläuterungen, welche Sir Rawlinfon an bie 
Berlefung der Cameron'ſchen Briefe Mnüpfte, wollen wir 
einftweilen nur Weniges hervorheben, was die von Living: 
flone nur erfundeten hydrographiſchen Verhältniffe ändert. 
Als Hauptauelle ift nach wie vor der den Bangweolo: und 
Moerofee durchfließende Strom, der Luowa (bei Livingftone 
Webb's Lualaba), anzuſehen, welcher weiterhin den Lanji— 
Landſchi⸗/ See und Nyangwe paſſirt. Oberhalb des Lanji 
empfängt er dem gleichfalls von Süden kommenden „eigent⸗ 
lichen“ Lualaba, den die Pombeiros kreuzten, aber fälſchlich 
nach Süben fließen ließen. Derſelbe durchſtrömt zuerſt drei 
große, dann vier Meine Seen und empfängt unterwegs den 
Lufira (bei Livingftone Frere's Lualaba). Obwohl ihm 
allein der Name Lualaba zulommt, kann er als kürzerer 
Strom doch nicht ald Hauptquelle betrachtet werden, wie 
dies die Eingeborenen zu thun fcheinen. Unterhalb Nyangwe 
empfängt der Lualaba von Norden her den Lowa, deſſen 
Foentification mit dem Buri (Schweinfurtb’s Uelle) einft: 
weilen noch etwas fraglich erfcheint, und von Sitden ber den 
Lomamte (bei Livingftone Young's Lualaba), an beffen öft- 
lichem Ufer Cameron binaufzog und deffen Quelle er zwiſchen 
99 und 109 füdl. Br, überfchritt. Letzterer Strom hat gar 
feinen Zufammenhang mit Graça's und Magyar’ Kaſſabe, 
wie man biäher glaubte, 

Die Frage, zu welchem Strome dies riefige Quellgebiet 
gehört, wird inzwilchen wieder lebhaft erörtert, und während 
die Meiften es ala dasjenige bes Kongo betrachten, bält es 
der mit dem Ogowe fo vertraute Walker für das bes 
Ogowe. Denn, meint er, ba der unterste Punkt, welchen 
Cameron am Lualaba erreichte, immer noch 600 engl. Mei: 
len vom oberften bekannten Punkte des Kongo entferut iſt, 
fo laun man noch feine hinreichend ficheren Sclüffe auf das 
Zwiſchenliegende thun, und dem von den Eingeborenen er: 
baltenen Nachrichten darf man auch nicht zu viel trauen, 
Da ift es denn freilich doppelt beflagen&wertb, daß ber Mar: 
quis de Compiögne und Her Marche durch ihren Kampf 
mit den Dfyeba (Dfbeba) (1. Bd. XXVI, ©. 879)bie weitere 
Erforichung des Ogowe flir ſich felbft und Dr. Lenz unmög: 
lich gemacht und der Deutſchen Afrifanifchen Gefellichaft die 
vielverheißendfte Eingangspforte in das Innere des Conti: 
nents verfperrt haben. Im Gegenfa zu jener franzöfifchen 
und zu Stanley’s biutiger Unternehmung begrüßen es auch 
die englilchen Wlätter mit großer Genugthuung, dab Gamer 
ron mie zur Flinte gegriffen bat, nm mit Gewalt durchzuſetzen, 
was gütlichem Worte nicht gelang. Nachdem er einmal bie 
weit ind Innere reichenden Handels- und Verkehröverbält- 
niffe erkundet und durch fein nobeled Verhalten das Zu— 
trauen ber Händler gewonnen bat, wirb es feinem Nachfolger 
gewiß ungleich leichter fallen, dort fein Erforſchungswerk 
fortzuführen; während andererfeits die von Weißen in Afrika 


begangenen Morbthaten nur zu leicht am ihren fpäter des 
Weges ziehenden Landsleuten gerächt werben ober benfelben 
das Land ganz veriperren. 

Wenn Sir Nawlinfon aber aus dem Umftande, daß an: 
geblich weder Livingftone noch Cameron von dem einft fo 
berühmten Muata Janwo nichts erwähnen, ſchließt, daß 
deſſen Reich aufgehört habe zu exiſtiren und daß das Reich 
Urua unter Kaſongo an ſeine Stelle getreten ſei, fo wird 
ſolche Anficht von den Ausſagen des eben aus jenem Theile 
Afrikas jheimgekehrten Lieutenant Lux widerlegt. Derjelbe 
bat die ausführlichſten Erkundigungen über jenen blutdurſti— 
gen Potentaten und die zu feiner Hauptitadbt führenden Stra- 
ben, fowie über den Kaſſabi-Kongo von ſolchen, die dort ger 
weſen, eingezogen, fo dab man auf feine näheren Mittheilun- 
gen mit vollem Rechte geipannt fein dar 

Wie bedeutend Camerou's wiſſenſchaftliche Leiftungen 
übrigens find, geht aus folgenden Zahlen hervor. Auf feiner 
Reife legte er von Zanzibar bis Benguela im Ganzen 2953 
englifche Meilen, davon circa 1200 über nie betretenen Bo- 
den, jurüd. Bis Lunge Mandi’s Dorf, noch 810 Meilen 
vor Benguela, beftimmte er durch 706 Längen: unb Breiten: 
beobadjtungen 85 Rofitionen. Bon Höhenbeftimmungen machte 
er nicht weniger ald 3718, gewöhnlich drei jeden Tag, und nad 
ihren Ergebniffen konnte er Profile des durchwanderten Lan: 
des anfertigen. Wenn man bedenkt, daß bisher die Karten: 
zeichnung von jenem Theile Innerafrikas auf einer einzi— 
gen Monbbeobachtung in Udſchidſchi berubte, wird man den 
Werth von Cameron's Leiftung ermeflen können, welder in 
Nyangwe deren 61, in Kiſenga gar 142, in Kanyenyi 35 ı. 
anftellte. Wahrbaftig, das „Geograpbical Magazine‘ bat 
Recht, wenn es feinen Aufſatz über den Reilenden (Februar: 
nummer 1876) mit ber Verficherung ſchließt, daß ben Karto: 
graphen wenig zu wünſchen übrig bliebe, wenn alle Reifen 
ben fo arbeiteten. 


Ein japanefifhes Kriegäfhiff in San Francisco. 

F. B. Die San Franciscoer „Ulta* bringt eine Ber 
fchreibung der japanefiichen Corvette „Tfufuba*, die amı 14. 
December dort anlangte. Es ift dies das größte Schiff der 
Nation, das den Pacific gefreuzt hat. Die japaneftiche Ma: 
rıme ift noch ſehr jung und ift erft feit drei Jahren von 
einiger Wichtigfeit; fie befteht jetzt and zwölf guten Schiffen, 
von denen vier als Schulichiffe dienen. In Tokio ift eine 
gute Marinenfademie mit denfelben Unterrichtseinrichtungen 
wie die amerifanifche in Annapolis. Die Gabetten kommen 
fünf Jahre lang auf Schulſchiffe, um dann im reguläre 
Kriegsichiffe verfegt zu werden. Die „Ifufuba* ift das größte 
der Schuliciffe und macht jährlich eine Reiſe; vor zwei 
Jahren fuhr fie nach China, vergangenct Jahr nach Formoſa 
und diefes Mal nach Amerila. An Bord findet man feine 
wefentliheren Unterichiede von einem amerikanischen Schiffe, 
abgefehen von den Offizieren und Matrofen. Sie wurde 
vor fünf Jahren vom der engliſchen Regierung gekauft, be: 
fteht aus Teakholz, faht 1033 Tonnen und bat eine Ma: 
ſchine von 300 Pferbefräften. Sämmtlidre Cajüten, Hänge: 
matten n. f. w. find geräumig und reinlid. Der Gapitän 
beißt T. D. Ito, der erfte Lieutenant Fukumura; im Gan- 
zen find 25 Offiziere, 36 Cadetten, 232 Matrofen und 17 
Marinefoldaten an Bord. Die einzigen Weißen an Borb 
find drei Engländer, ein Kanonier, ein Hochbootsmann umd 
ein Seemann, die die britiiche Marine ald Juſtructoren auf 
Wunſch der japanefiichen Regierung beurlaubt bat. Die Ma: 
trofen follen fo thätig und wirkſam fein als irgend eime weiße 


Aus allen Erdtheilen. 


Mannichaft; die Befehle, Signale u. |. w. find ganz nad) 
englifchem Mufter, Bei der Einfahrt in den Hafen hatten 
Alle ihre Uniformen an, die denen ber amerifaniihen Ma— 
rime ähnlich find; viele der Offiziere ſtizzirten das Land und 
fragten über jeden ihmen nen ericheinenden Gegenftand. Bei 
der Alfatrazinfel jalutirte das Schiff die amerikanifche Flagge 
mit dem Nationalfalut, den das Fort erwiederte. Die Bes 
waffnung befteht aus zwölf meilingenen 50: Pfündern, bie 
in Kagoſchima in Japan gegoſſen wurden und alle auf dem 
obern Berded ftehen. In der Rüftungsfammer finden ſich 
130 Suydergewehre, 60 Revolver, 60 Hirfchfänger und zwei 
ſechspfündige Feldgeſchütze. Die „Tiukuba* verlieh Sina- 
gowe, den Anferplag von Tokio (Mebdo), am 6. November 
und bleibt etwa einen Monat bei Sarı Francisco liegen, um 
die dortigen amerifanifchen Kriegswerfte bei Mare Island 
und andere ſehenswerthe Bunkte zu beiuchen. Die Offiziere 
wünfchten auch die atlantilche Küfte zu befnchen; doch ver- 
weigerte ihre Regierung diefes Mal die Erlaubnif. 





Einfluß der guten m. auf die Zahl der Ber: 
rechen. 

M.P. In Slavonien beſteht ſeit zwei Jahren ein ärzt⸗ 
licher Verein, der ſich nach dem Muſter ähnlicher deutſcher 
Vereine organifirt bat und in ber Landeshauptſtadt Eſſek 
(Nav. Dfiek) jeden Monat feine Sigungen bält. In der No— 

ing 1875 verlas Dr. Kal iwoda feine intereflan- 
ten ftatiftifchen Betrachtungen über den Zuſammenhang der 
Anzahl der Verbrechen mit dem Gebeiben ber Weinrebe und 
der Pilaumen. Diele Betrachtungen erſtreden fih auf ben 
Zeitraum von fünf Fahren; das Material zu denfelben lie: 
ferte ihm das Lönigl, Kreisgericht in Eſſel, deſſen Sprengel 
das ganze Comitat Beröcgze (av, Wiromitiga) mit 831 O Mei: 
len und 163,105 Einwohnern umfaßt. Die ermittelten Zah— 
fen zeigen, daß fich die Anzahl der Verbrechen im Anfang 
jeben Herbftes zu vermehren beginnt, daß fie in dem folgen: 
den Monaten bis Ende Januar unverhältnißmäßig wächſt, 
um im Februar jeden Jahres außergewöhnlich abzunehmen 
und zwar nicht nur in Bezug auf die Zahl, fondern auch 
auf die Qualität der Verbrechen. 

In dem der Betrachtung unterworfenen fünf Jahren 
ſchwanlt die Zahl der Verbreden in den Sommermonaten 
unb zwar von Anfang März bis Ende Juli zwilchen 28 
und 37, wäcft im Auguft auf 42 und ſchließt Ende Januar 
bes folgenden Jahres mit 80 ab, Dr. Kaliwoda giebt als 
nächfte Urfache diefer ungewöhnlichen Vermehrung ber Ber- 
brechen in den Wintermonaten den Umftand an, daß zu bie 
fer Zeit die meiften Hochzeiten gefeiert werben nnd in diefelbe 
auch die großen kirchlichen Feiertage fallen, bei welchen Ge— 
legenbeiten und Feierlichkeiten das Voll am meiften fich bem 
Genuſſe alkoholiſcher Getränke hingiebt und baburc im be- 
raufchten Zuftande zum Verbrechen verleitet wird. Die 
Mißachter des Geſetzes ruhen nicht nur in den Sommer: 
monaten; fie thun es auch im Winter, wenn die Pflaumen 
und ber Wein mißrathen. Gedeihen jedoch die Pflaumen 
und fchüttet fich der Segen Gottes über die Weingärten 
ans, dann wirb die Urfache des Verbrechens permanent. In 
folhen gejegneten Jahren wächſt die Zahl der Verbrechen 
gegen die Sicherheit bes Lebens außergewöhnlich. 
So gab es 3. B. im Janunar 1871 (bad Jahr 1870 war ein 
gutes Weinjahr) 33 folder Fülle, während im Jahre 1872, 
wo die Weingärten und Pflaumen im Borjahre mißrathen 
find, in demfelben Monat nur 15 vorlamen; im Januar 
1873 gab es nur 10 folcher Fälle, ebenfovie) im Jahre 1974 
und im Jahre 1875 gar nur 7. Diefe Unverhältnißmäßig: 
feit in der Zahl der (ichweren) Verbrechen fpringt noch mehr 
in die Augen, wenn man ben Monat September der Jahre 
1871, 1872, 1873 und 1874, die im Allgemeinen für die 
BWeinreben und Pflaumen wenig glnftig waren, mit bem 
September des Jahres 1875, welches Ueberfluß an allem, 


143 


namentlich aber an Branntwein und Wein brachte, vergleicht. 
In den genannten Jahren war für diefen Monat die Zahl 
ber ſchweren Verbrechen reip. 4, 18, 8, 5 und 1875 famen 
ihrer 32 vor, barımter 27 Morde. Der Monat October lie: 
ferte für diefelben Jahre 5, 8, 11, 14 fälle, hingegen der 
October 1875 folder 48. Es ift wohl zu erwarten, baf 
Dr. Kaliwoda feine intereffanten ftatiftiichen "Betrachtungen 
weiter fortfegen wird. Um die Ueberficht zu erleichtern , ge: 
ben wir zum Schluffe folgende Heine Tabelle: 








Zahl der Berbredjen 
gegen die Sicherheit 
bes Lebens 







Jahr Ernieerträgnik 


Sept. 





” 
* 
” 
” 
” 








Ein Begräbnißplag der Sachſen. 

A. K. Seit einigen Monaten werben in der Grafſchaft 
Warwid mit der größten Sorgfalt topographifce Arbeiten 
ausgeführt, welche für die Vorgefchichte dieſes Lanbftriches 
von Bebentung zu werben verfprechen. Nach dem „Stanbarb* 
ift es Mufgabe dieſer Unterfuhungen, die Geſchichte der Graf: 
ſchaft vor deren Eroberung aufzubellen umb fo viel wie mög- 
lich die Angaben über Warwidibire, welche fih in Orberic 
Bital, in der ſüchſiſchen Chronik und in ben etwas mytho- 
logiſchen Chroniten befinden und welche von ben alten Ge- 
ſchichtsſchreibern als hiſtoriſche Thatfachen angenommen wor; 
den find, zu verificiren. 

Die arhäologifchen Unterfuchungen erftreden ſich auf die 
ganze Länge der, wie angenommen wird, von DOftorius 
Scapula durch Forts befeftigten Linie zwiſchen den Flüffen 
Avon und Severn und haben bis jet die Thatfache aufge: 
klärt, daß, während die Stationen an der großen Grabes- 
ftraße fih in regelmäßigen Abſtänden von einander befinden, 
die Sachen an der großen Watling-Strafe, im Mittelpunkte 
Englands, fich micht fo verhahten. Man bat zahlreiche Ueber⸗ 
refte von Befeftigungen, Wällen und ein vollftändig gut erhal- 
tenes ae bei Barmoor Wood, in der Nähe von Elaperdon, 
entde 

Dieſe Nachforſchungen wurden begonnen, als eben zu: 
fällig ein ſächſiſcher Begräbnifiplag am Ufer des Moon, un: 
gefähr eine Meile von Warmwid, entdedit wurde 

Die Sachſengräber, melde vor Kurzem zu Longbridge 
geöffnet worben find, gehören einer ältern Periode an. Es 
ift bemerlenäwertb, daß alle ſächſiſchen Alterthümer in War: 
widihire ausſchließlich am Ufer des Avon, oder an den rö: 
mifchen Militärftraßen, weldye an den Grenzen dieſer Graf: 
Ichaft eriftiren, gefunden worden find, Der Begräbnißplas 
bei Longbridge wurde zufällig entdedt, als man nach Kies 
grub. Weber den Gräbern war nicht bie geringfte Spur einer 
Erhöhung; wenn folde Erhöhungen je eriftirt haben, fo fün- 
nen fie während der Ueberſchwemmungen des Avon von fei- 
nen Fluthen hinweggeſpült worden fein. Die Leichen waren 
ungefähr zwei englifche Fuß tief in der Erbe begraben. 

Man hat bei diefer Gelegenheit fehr verfchiedene Gegen: 
ftände gefunden; fie find jedoch denen glei, welde man ge 


144 


Aus allen Erdtheilen. 


wöhnlich in Sachiengräbern findet. Diefelben laffen daranf | ein zerlegtes Dampfſchiff und feine ganze Ausrüftung mit 


fchließen, daß der Boden fein gewöhnlicher Begräbnißplag 
war, fondern daß bie Beftattung in ber Eile, nach einer kurz 
vorher gelieferten Schlacht, ftattgefunden bat; deun uur einige 
Leichen waren mit dem Kopfe nach Diten begraben, viele and 
in einer andern Richtung. Die coniſchen Erhöhungen, welche 
fi im der Mitte der Schilder befanden, fcheinen nicht auf 
die Bruft gelegt worden zu fein, wie dies gewöhnlich der 
Fall ift; es ift übrigens mit Beſtimmtheit erſichtlich, daß 
einige Leichen mit größerer Aufmerkſamleit beftattet worden 
find als andere. 

Es wurden auch viele Skelete gefunden, welche ohne alle 
Ordnung über eımander nelagert waren, ein Umftand, welcher 
in anderen Fällen zu der Annahme verleitet hätte, daß dieſe 
Stelete den Leichen von Sklaven angehören, welche den Göt- 
tern geopfert worden find. Was die Körper felbft anbetrifft, 
fo gehörte eines der am beften erhaltenen Skelete einem juns 
gen kräftigen Manne von ungefähr 23 bis 24 Jahren an. 
Er mißt über ſechs Fuß. Seine Zähne waren unbeſchädigt und 
das Kinn etwas bervorftcehender ald gewöhnlich. Dieje Ueber: 
einftimmung der unteren Kinnbackenknochen bemerlte man 
durchweg ; viele Skelete zerfielen leider ober zerbrachen, wenn 
man fie aus dem Grabe nehmen wollte 

Bei den Leichen wurden Mitteltheile von Schilden, 
Schilde, Lanzenſpitzen, Agraffen, Meſſer, ein Schwert und 
eines jener befondern Siegel, die man nur in Sachlen: 
gräbern antrifft, gefunden. Alle diefe Sachen werben, nadı- 
dem man fie vorher beim Vereine für Alterthümer ausgeſtellt 
haben wird, wahricheinlih im Mufeum zu Warwid unter 
gebracht werben. 

* * % 

— Nordpolfahrten. Die engliſche Admiralität hat 
mit dem erfahrenen Nordpolfahrer Allen Young (vergl. 
Globus“ XVIII, ©. 351) ein Webereinfommen dahin ge: 
troffen, daß fich derfelbe im kommenden Sonmer nad Smith’s 
Sonnd begiebt, um dort womöglich von der engliſchen Exper 
bition unter Nares und Markham Nadricht zu erlangen. 

Im nächten Frühjahr foll ferner eine nordamerifanifche 
Fahrt nach Norden angetreten werben, um nach Reften der 
Franktin’ichen Erpedition zu ſuchen. Ein Schiff dazu iſt 
ſchon gekauft, und der bekannte Esfimo Hand zur Begleitung 
angeworben worden. Nur erfahrene Seeleute follen zur 
Theilnahme zugelaffen werden, und jeder muß feine Ausga- 
ben felbft beftreiten. 

— Im diesjährigen dänifchen Budget ift die gewiß nicht 
unbeicheidene Summe von jährlich 1100 Reichsmark angeſetzt, 
um die auf Geologie und Gletſcherkunde Grönlands ge 
richteten Forschungen Dr. Rink's, Dr. Brown’s, Steenftrup’s 
und Nordenſtjbld's fortzuführen und zwar im Süden des 
Landes, da das Gebiet nördlich vom 67. Breitengrade ſchon 
befannter if. So gering die geforderte Summe und fo inter- 
eflant die dafür zu veranftaltenden Forichungen find, jo wird 
doch befürchtet, daß der allzu fparfame Landtag die Forderung 
ablehnen könnte! 

— Auf S. 47 des vorigen Bandes erwähnten wir der 
Erpebition, welhe unter E. D. Moung'3 Führung von 
Livingſtone's fchottifchen Freunden ausgeſendet wurde, um 
an dem Sübufer des Sees Nyaffa eine Miffionsftation „Lir 
vingitonia* zu gründen. Soeben ift nun ein Telegramm in 
London eingelanfen, wonach es Moung glüdlich gelungen ift, 


Inhalt: Rebatel's und Tirant's Reife in der Regentichaft Tunis. IV. (Schluß) — 


Hiülfe von 700 Trägern über die Murchiſon-Waſſerfälle im 
Schire (dem großen Nebenfluffe des Zambefi, welcher aus 
dem Nyaſſa-⸗See lommt) binwegzuihaffen Der Dampfer 
ſchwimmt ichon auf dem See, deffen Anwohner ebenfo wie 
die des Schire-Fluſſes ſich gegen die Engläuder freundlich 
zeigten. Zur gleicher Zeit ift eine zweite englische Gefellichaft, 
beftehend aus Bilchof Steere, Mr. Alfreb Bellville und Ans 
deren und begleitet von bem beiden trenen Dienern Living: 
ſtone's, Tihnma und Sufi, nach dem norböftlichen Ufer dei- 
felben Sees unterwegs, um bei dem freundlich gefinnten 
Stamme der Adſchao gleichfalls eine Miffionsftation zu er: 
richten. Die Erpedition verließ Janzibar im September vori⸗ 
gen Jahres und wollte von der Lindy-Bay, nörblich von der 
Mündung, aus in das Innere vorbringen. 

— Dr. Hermann v. Barth, befannt als Berfafler von 
„Ditafrifa von Limpopo bis zum SomälisLande* (Leipsig, 
bei DO. Spamer), ſowie durch feine Bearbeitungen ruſſiſcher 
Reijeberichte, bat fich im Auftrage der portugieſiſchen Regie— 
rung zur geologiihen Erforſchung des Landes nach Angola 
begeben. Ende Januar 1876 war er in Liffabon eingetroffen. 

— Der ‚Publisher's Circular* veröffentlicht eine Sta— 
tiftit der im abgelaufenen Jahre auf dem englifchen Bücher: 
markte erfchienenen Werke. Ihre Geſammtzabl beträgt .5218, 
davon 3577 nene, 1330 neue Auflagen und 311 aus Amerika 
importirte. Auguft mit 274 und September mit 236 Publi⸗ 
cationen find die ftillften Monate, denen der Weihnachtsmo— 
nat mit 1102 al& lebendigſter gegenüber ftebt. Daflelbe Ber- 
hältniß zeigt fh, wenn man a. B. einen der fruchtbarften 
literarifchen Zweige, das Gebiet der Theologie, Predigten, 


“ Bibelforfchung :c., betrachtet. Er ift im Gangen mit 784 


Nummern, davon 556 neuen, vertreten, und auch hier ftebt 
den unfruchtbaren Sommermonaten Auguft und September 
mit reſp. 40 und 37 Erzeugniſſen der December mit 158 
Nummern gegenüber. An Novellen und Erzählungen er: 
fhienen zufammen 99 Stück; aud bier tritt bie 
größte Anſpannung im December mit 215 Nummern 
auf. Der Januar finft auf 64, und im Februar erreichte 
die Production mit 39 ihren tiefften Stand. Poeſie und 
Drama find mit 371 Nummern vertreten; das in England 
ſehr beliebte und gepflegte Gebiet der Reifebeichreibungen 
und geographiichen Werke mit 383 Erſcheinungen, nämlich 
227 Novitäten, 73 neuen Auflagen und 33 aus Amerika im- 
portirten Werken. Bei weiten bie ergiebigften Monate ma, 
ren November (54) unb December (58); darauf folgt die Zeit 
von April bis Juli mit refp. 36, 27, 37 und 39 Nummern. 
Die, beiden Perioden voraufgehenden Monate waren verhält: 
nigmäßig rubig: Januar 16, Februar 14, März 18 und 
Auguft 19, September 16, October 19 Productionen. 

— Nach den neueſten ftatiftiichen Ausweiſen befist Bu— 
tareſt 15 Knaben- und 15 Mädchenſchulen, außerdem eine 
höhere Handelsſchule. Die Erhaltung aller dieſer Schulen 
foftet der Stadt jährlich 94,826 Frans. Im Schuljahre 
1874/65 wurden biejelben von 2550 Schülern und 1256 Scil- 
lerinnen beſucht, die Handelsſchule hatte 156 Zöglinge. 
Bukareft hat 78 Kirchen. Die Stadt wird mit 3712 Leucht⸗ 
gasflammen und 1421 Petroleumlampen beleuchtet. 

— Im Jahre 1872 gab es in Ungarn 1084 Spiritus: 
fabriten. Bis Ende 1874 hat fich ihre Zahl um 230 ver 
mindert. Nun beabfichtigt man eine Reformirnng der 
Spiritusftener. 


Dr. Bühler’s Reife nah 


Kaſchmir. I. — Kreuz: und Querzüge in Californien. Bon Theodor Kirchhoff. I. — Was ſich das Volf in Oft: 
friesland von Werwölfen und Waalridern erzählt. — Aus allen Erdtheilen: Zu Cameron's Reife, — Ein japaneſiſches 


Kriegsichiff in San Francisco, — Einfluß der guten Weinjahre auf die Zahl der Verbrechen. 


— Ein Begräbnißplag der 


Sachſen. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 5. Februar 1876.) 


Redacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenſtraße 13, III Tr. 
Druck und Werlag von Friedrih Bieweg und Sohn in Braunfdhweig- 


BEE 


Mit befonderer Berüchfichtigun 





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EN var) ir " 


der Anthropologie und Ethnologie. 


Begründet von Karl Andree. 
In Berbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 
Dr. Richard Kiepert. 


Braunschweig 


Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Rummern. Monatlih 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Bf. 





1876. 











Eine Befteigung des Mauna Hualakai auf der Inſel Hawaii. 
Von Franz Birgham, 


Der drittgrößte der hohen die Inſel Hawaii bildenden 
Maunas (Berge) ift der Hualalai, den neneften Regierungss 
vermeffungen zufolge 8275 Fuß hoch. reine vulcanifche 
Tätigkeit ift vielleicht noch nicht gänzlich erlofchen, denn 
der legte Ausbruch fand im Jahre 1800 ftatt. Derfelbe 
ergoß ſich nach Weften ins Meer, bildete die große Yandipige 
Lae Mano und die Bay von Kailua und zerftörte viele 
Plantagen, Hütten und Fiſchteiche. Ich unternahm feine 
Befteigung zweimal; und dba man auf diefem Nitte (denn 
man fann im Sattel den oberſten Gipfelfrater erreichen) 
Selegenheit findet, die charakteriftischen Eigenthüulichkeiten 
hawaiiſcher Fauna und Flora ſowie die Bodenbeichaffenheit 
der Weftjeite der Infel fennen zu lernen, dürfte wohl eine 
Beſchreibung der Tour von Intereſſe fein. 

Im December 1874 wohnte ic) gerade in dem am Fuße 
bed Berges gelegenen Hafen Kailua, als das Kriegsichiff 
„Scout“ die englifhe Expedition zur Beobachtung des 
Venusdurchgangs dorthin brachte. Als einziger Weißer des 
Ortes, temporärer Poftmeifter, fowie aud) der Landesſprache 
fundig kam ich während ihres dreimonatlicen Aufenthalts 
vielfach mit den Engländern in Berührung, und als ſich dies 
felben, nad; theilweife mißlungener Beobachtung des Durdı- 
gangs, zur Abreiſe rüfteten, beichloß ich mod), vorher mit 
einem derjelben, Herrn A., die Befteigung des Hnalalai zu 
unternehmen, um fo mehr, als der von Kailug ums nicht ficht» 
bare active Bulcan Mauna Yoa zu jener Zeit im ftarfer 
Thätigfeit fein follte. 

Globus XXIX, Ne. 10, 





Bor Sonnenaufgang ritten wir raſch auf Heinen Pferden 
hawaiifcher Race auf breitem Wege am Meere entlang und 
erreichten bald das Heine Dorf Kaumalumalu. Bon die 
fem follte früher einmal ein Weg, die fogenannte Judd-Noad, 
in gerader Yinie nach Oſten, quer durch die Mitte der Inſel, 
zwiſchen die beiden großen Maunas nad) der Stadt Hilo 
an der Oſiküſte gebaut werben. Derſelbe wirrde auch bis 
zum jechszchnten Dleilenpfoften vollendet (eigentlich aber bloß 
bis zum fünfzehnten, denn mit großer Naivetät wurde der 
erfte Meilenftein fchon am Meeresufer gefegt), dann aber 
die Arbeit wegen Mangels an Mitteln (obgleid) nur Sträfe 
linge zur Arbeit verwendet wurden) eingeftellt, fo daß jetzt 


‚ mod) gegen 40 engliſche Meilen unpaffirbarer Einöde zwiſchen 


dem Endpunfte und Hilo liegen und der 90 Meilen (diefe 
und die Fuß ſtets englifche) längere Küftenweg zur Reife 
benugt werden muß. Wenn endlid, einmal die Vereinigten 
Staaten Befig von dem Archipel nehmen werben, wird wohl 
auch die Vollendung diefes Weges, fowie andere nlgliche 
Neuerungen ftattfinden. Auf diefem gegen ſechs Fuß breiten 
Wege traten wir die Befteigung des großen zwiſchen den 
Maunas gelegenen Hocdplateaus an. Die ganze Weftfüfte 
der Inſel bildet ein 1 bis 2 Meilen breites Cavafeib, bejien 
ſchwarzes Geſtein des mangelnden Regens wegen fehr lang— 
ſam zu fruchtbarer Erbe verwittert und mur dichte Kokos— 
palmenhaine auf dem Sandufer, einige grüne Algarobabäume 
mit ihren langen, ſüßen Schoten, und ppen des Rieſen⸗ 
cactus trägt, den die Kanafas Pabipi (Ochſenmauer) nennen, 


10 


146 


weil eine Hede derfelben eine für jedes Thier undurchdring ⸗ 
liche Einfriedigung bildet. Zahlreiche dem Eingeborenen ge: 
hörige Ziegenherden, durch die verfchiedene Befchneidung der 
Ihren ihren Befigern kenntlich, weideten an bem fpärlich 
in Spalten und Rifien wachſenden Gras und furzen Staus 
den. Eine Meile vom Ufer titten wir geblidt durch ein Meines 
Thor in dee Mauer, die der erfle Kamehameha hier bauen 
ließ. Bon dem Seefahrer Bancouver hatte er nämlic) mehrere 
Stüd Hornvieh erhalten, bie ſich bald ſehr ſtark vermehrten. 
Um diefelben am der Küfte zu halten und fie am Einbrechen 
in die ma ufa *) gelegenen Kalo⸗ (Taro) und Batatenfelder 
zu verhindern, wurde aus unbehauener Yapa dieſe coloflale 
Mauer aufgeführt, die von Kiholo 25 englifche Meilen 
lang bis zur Realafeafua»Bay ber Küſte parallel ents 
lang läuft. Dept vieffadh in Verfall, zeigt fie am ben noch 
erhaltenen Stellen eine Höhe von 12 bis 15 und eine Breite 
von 4 bis 6 Fuß. Oberhalb berfelben ftellte ſich ſchon we: 
niger ſpärliches Gras und — Rhicinus: (Caftordl-) 
Stauden mit ihren großen Samenfernbüfcheln ein, während 
Anpflanzungen der herrlichen Ananas mit ihren fpigen, 
dolchahnlichen Blättern und die Nanken der faftigen, dunlel- 






































Franz Birgham: Eine Befteigung des Mauna Hualalai auf der Infel Hawaii. 


grünen Waffermelonen, welche Pflanzen am beften auf diefem 
nadten, heißen Seftein gedeihen, zu beiden Seiten des Weges 
lagen. Derfelbe führte jegt fteil den erften gegen 1500 Fuß 
hohen Abfag hinauf, auf deſſen Höhe angelangt wir einen 
legten Blid auf die lange Küftenlinie unter uns warfen, 
mit ihren vielen zwifchen Palmen gelegenen Ortſchaften und 
forgfam mit Steinen eingefaßten Fotse (künftlichen Fiſch⸗ 
teihen). Dann nahm uns ein dichtes Gunvageblifc mit 
feinen goldgelben, ſäuerlichen Frlichten auf, und die Ausſicht 
anf das Meer verſchwaud hinter der Bodenerhebung. Das 
undurchbringliche Didicht des Feigenbuſches, aus bem bie 
duntellila richte hervorblidten, und das dunfele Yaub und 
die hellvothen Beeren des Kaffeebaumes ftellten ſich ein, von 
den maffiven Kronen hoher Koa- (Acacia falcata) und 
Kukuis (Alehrites triloba) Bäume üherſchattet, und als wir 
die zwei Meilen vom Ufer gelegene obere Alanui (Re: 
gierungsiweg um die Infel) freuzten, befanden wir und mits 
ten in dem breiten Gürtel des hawaiiſchen „Bufces“. Hier 
und da ftand die Kleine Orashlitte eined Eingeborenen, von 
Kelofeldern, Bananen» und Papaiaftauden umgeben. Ein 
paar Krähen zogen raſch vorliber und eine große Eule 309 























um 
— — 
— Pi 


Ruinen des Umi-Tempels auf dem Kalaika-Plateau mit dem Mauna Kea und dem Maung Loa. 


ihre Kreife in der Luft Uber ums. Immer fteiler und abs 
fchliffiger wurde der Weg, nur millhſam arbeiteten fich die 
Pferde in die Höhe, auf dem feuchten Geftein fortwährend 
ausgleitend; riefige Obia- und Mamanibäume, ats beren 
eifenhartem Holz der Hawaiier ſich früher Yanzen und Sen: 
len ſpitzte, fchloflen jeden Sonnenſtrahl aus, und ber ſchwere 
Thau auf den gefiederten Blättern der riefigen Farrenbäume 
(Cibotium Chamissonis), zwiſchen denen der Weg faft ganz 
verfchtwand, durcchnäßte und bis auf die Haut. 

Nach dreiftindigem, langſamem Vorbringen hörte endlich 
die Steigung auf und raſch galoppirten wir auf offenes Yand 
hinand. Der zehn englifche Meilen breite Vegetationsgürtel 
war paffirt und wir hielten, 4000 Fuß über dem Meere, am 
Rande des weiten, zwiſchen den drei großen Bergen Hawaiis 
ſich erſtreclenden Plateaus Kalaila. Schnurgerade lief vor 
und der jetzt ebene, mit kurzem Gras bewachjene Weg direct 


*) In Folge der Botengeftaltung feiner Heimath gebraucht der 
Kanala zu jeder Rihtungsbeftimmung die Bezeichnungen ma ula 
den Berg binan) ober ma kai (um Meere binunter), die er auch 

i der geringfügigften Gelegenbeit, 5. ®. zur Ortsbeffimmung felbft 
in ter Hütte, auf dem Pferde oder im Canet anwendet. 


nad Often, während ſich zur Rechten dev große Dom bes 
Mauna Loa, zur Linken der fattelförmige Hualalai und 
in der Mitte der zerflüftete Püden des Mauna Kea auf: 


Die vor uns liegende, wellenförmige Ebene beftand zum 
großen Theil aus grobförnigem, rothem Sanbboben, wahr: 
ſcheinlich uralter, verwitterter Yava, an manchen Stellen von 
fpäteren grauen Lavafeldern bedeckt; nur das niedrige Buſch 
werk der rothen Ohelobeere, einer andern weißen Art und 
wenige verfrlippelte Obia- und Mamanibäume hatten hier 
Burzel gefaßt. Am Rande des Waldes dagegen ftanden 
noch zahlreiche Gruppen der foftbaren Sandelholzbäume, aus 
beren hellbraunem Holz ein paar Einſchnitte den herrlichen 
Geruch; entloden, jedod nur junge Stämme Denn die 
großen wurden vor Jahren abgeholjt, während der Nachwucht 
jegt als Kroneigenthum gejchüigt wird. Während die Pferde 
raſch auf dem ebenen Wege entlang galoppirten, wobei der 
Hualalai zur Linken blieb, liefen mehrere Wildſchweine, bie 
fi) Hier in großer Zahl von Wurzeln und Beeren ernähren, 
rafch über den Weg, zahlreiche Schwärme ber wilden hamaii- 
jhen Gans (Manu nene) flogen vorüber, und meinem 


Franz Birgham: Eine Beteigung des Mama Hualalai auf der Infel Hawaii. 


Begleiter gelang e8 fogar, einen ſchönen Truthahn (Palahu) 
mit dem Revolver vom Baume zu ſchießen. Ueberall waren 
unzählige Schaf: und Ziegenfpuren im Sande zu fehen. 

Am fünfzehnten Meilenſteine hielten wir an dem neben 
dem Wege gelegenen Ruinen des älteften hawaiiſchen Heians 
(geibnifchen Opfertempels), des fogenannten Hoa Umi, ber 
der Tradition zufolge vor Jahrhunderten von dem fabelhaften 
Könige Umi hier, faft im Mittelpimft der Infel, erbaut wurde. 
Im Sreife um ein vierfeitiges Gemäuer ftehen acht gegen 
20 Fuß hohe Steinhaufen, welche die eben fo vielen von Umi 
beherrfchten Diftricte Hawaiis darftellen follten. Der Tempel 
im Innern war dem Kriegsgotte Kaili geweiht. 

Jetzt verliehen wir ben und erreichten nad) kurzem 
Galopp querfelbein, wobei die Pferde oft durch die dünnen, 
dem rothen Sande umterliegenden Lavakruſten (Pahochoe) 
einbrachen, die Rand) bes Amerikaners Wall, ber diefe ganze 
Hochebene ſowie den Hualalai als Weidegrund für feine nad) 
Zanfenden zählenden Schafherben benutzt und mit feiner 
eingeborenen frau und mehreren Gchlilfen der einzige Ber 
wohner biefer unermeßlichen Flächen ift. Neben dem hibs 
ſchen, von vielen Schafhlirden umgebenen Wohnhauſe flieht 





147 


auch das runde Gebäude zum Scheeren und Prefien ber 
Wolle, von ber er jedes Jahr gegen 30,000 Pfund nad) 
Honolulu verfendet. Wir wurden freundlich in diefem un- 
ferm Nachtquartier empfangen und fonnten uns freuen, daf- 
felbe vor Sonnenuntergang erreicht zu haben, denn in bem 
gleich darauf ſich einftellenden dichten Nebel hätten wir uns‘ 
fehlbar den Meg verloren, wie benn aud) vor Jahren einmal 

i Europäer auf dem Bualalai verfhollen find und wahr⸗ 
—* ihr Ende in einem der vielen Krater oder Höhlen 
des Berges gefunden haben. Seltſam erſchien es uns, auf 
biefer tropifcdhen Inſel die Nacht bei hochflammendem Feuer 
und unter bien Decken zugubringen, denn bei biefer Erhe— 
bung (4200 Fuß) herrfchte draußen eine fchmeidende Kälte, 
Als ic, am frühen Morgen bei hellem Mondfcein zum Fen« 
fter hinansfah, hob fich die blog 20 Meilen entfernte, riefige 
Kuppel des Dauna Loa dunkel vom Himmel ab, während 
bie Wolten über feiner Spige, wie bei einer enormen Feuers: 
brunft, den dunlelrothen Schein feines Gipfellraters bald 
hellaufleuchtend, bald bläffer reflectirten und bie weiten Schnee 
felber auf feinem Rüden im Mondſcheine gligerten, 

Bor Sonnenaufgang waren wir wieder im Sattel und 












































Der Bipfeltrater des Hualalai. 


titten in Begleitung Herrn Wall’s, der fid) und zum Flihrer 
angeboten hatte, gerade auf den Berg zu. Denn jegt hatten 
wir noch, auf pfadlofen , rauhem Geftein, die Steigung ber 
legten 4000 Fuß, den ſchwerſten Theil der Erfleigung, vor 
und Bei dem Ritte liber die rothe Sandfläche faßten die 
uns begleitenden großen Hunde mehrere Wildſchweine ab, 
die Wall raſch abſtach, denn, wie er ums verficherte, fügen 
diefelben durd; Zerftörung des Futters ſowie durch Tödten 
der jungen Schafe und Zidlein jeinen Herden vielen Schaden 
u. Als die Sonne ſich tiber dem fägenfürmigen Rüden bes 

ana ſtea zeigte, hatten wir wieder ben Mand des Plar 
teaus erreicht und begannen langſam, einer hinter dem ans 
dern, auf der Oftfeite die rauhen, fahlen Pavafelder des Hua⸗ 
lalai zu erfteigen, 

Bald jedoch; zeigten fi; auf allen Seiten alte Krater 
und Eruptiofegel, in Gruppen oder einzeln, denn im Gegen» 
fage zu ben meiften anderen hawaiiſchen Vulcanen, bie bloß 
einen Gipfelfrater befigen, ift ber ganze Rucken bes Hualalai 
mit Nebenkratern aller Größen bededt. Ich befenne mic) 
unfähig, die Mannigfaltigleit der formen biefer erlofchenen 
vulcaniſchen Herde zu ſchildern, die ſich in jeder Nichtung um 
une erhoben, bald als regelmäßige Sandfegel mit ſanft ab- 


fallenden Seiten, bald als kreisrunde Krater mit faft fent- 
rechten Abhängen, ſpärlich mit verfriippelten Mamanigebiifch 
bewachſen, oder als tiefe Keflel, durch deren zerflüftete Seis 
ten ſich die Lava einen Weg gebahnt und als feuriger Bad; 
ergojien hatte. Dazwifchen zeigten fich die Oeffnungen zahl: 
reicher Höhlen, bie iunnelförmig meilenweit in den Berg 
hineinlaufen. Yangfam feuchten die Pferde über die dazwiſchen⸗ 
liegenden Yavafelder in bie Höhe, deren rauhe, fpigige Ober- 
fläche ihre Hufe werwunbeten; hier und da wurde eine ebene 
Sandfläche mit verdorrtem Gras oder lurzem Bufcwerf paf- 
firt, und an einer Stelle kreuzten wir ſogar ein Meines aus- 
getrocknetes Seebecken, auf deifen fruchtbarem Boden hohes 
Schilfgras und dichte Pandanusgruppen ftanden, Der Gipfel 
des Berges blieb anfcheinend immer in berfelben Entfernung 
vor uns, bis ihn einige mit kurzen Farren bewachfene Krater 
verdedten. Diefelben umgehend kletterten die Pferde im Zide 
zad einen noch gegen 500 Fuß hohen Kegel rothen, groben 
Sandes hinan, dem kurzes Buſchwerk mit rothen Blüthen 
und Beeren ſtrichweiſe bedeckte. Auf ber Höhe deſſelben an- 
gelangt, fanden wir und endlid auf dem erften ber beiben 
Gipfel des Berges; noch ein furger Galopp durch die leichte 
Einfentung nad) dem andern hinüber und wir hielten auf 


19* 


148 


der Spike des Hualalai, während ein wunderbares Panorama 
ſich zu unferen Fügen ausbreitete. 

Weit gen Norden hob der 10,000 Auf hohe Haleafala, 
„das Haus der Sonne*, auf der über 60 Meilen entfernten 
Infel Maut luftig und blau feinen Gipfel fiber den ihm um- 
lagernden Wolfengürtel. Gegen Weften und Etiden begrenz« 
ten die beiden großen, ſchneebedeckten Maunas mit ihren 
unermeßlichen, duntelen Abhängen, Schluchten, Ebenen und 
Lavafeldern den Horizont; zwiſchen ihmen breitete fich bie 
graue, eimtönige Fläche von Kalaifa aus, Nördlich dedte 
die großen Waimea Plains ein Wollenmeer, das, vom 
Winde gepeiticht, in erregten Wogen und Wellen umbertrieb, 
während hier und da ein höherer Kegel bed Hualalai ſich 
infelartig daraus erhob, Im Welten dagegen erftredte ſich 
die Kuſtenlinie der Inſel wie auf der Yandfarte weit unter 
uns, vom Kohalaberg im Norden 60 Meilen lang bis zum 
legten Südweftausläufer des Maung Yoa, des Lae⸗Kawili, 
der im fühnen, 30 Meilen langen Halbbogen von Gipfel 
bes Bulcans fid) zum Meere hinabjenfte. Scharf hob ſich 
der ſchwarze, ftarre Yavaglirtel der Küfte mit dem uns näher 
gelegenen, grünen Yaubmeer ded Buſches von dem hellblauen 
Meere ab, weit im Norden glänzten als weiße Pünktchen die 
Häufer von Kewaihae; faft umter und, im gerader Luftlinie 
nur neun Meilen entfernt, erfannten wir.die Kirchthürme 
von Kailua und weiter füdlich markirte ein tiefer Einfchnitt 
ins Yand die Bay von Kealalkealua. Ein heller, in der 
Sonne filbern glängender, unregelmäßiger Streifen, der fid) 
faft vom Gipfel des Mana Yon, den Norbabhang dejjelben 
hinunter, durch die Senlung zwifden Dauna Kea und Hua— 
lalai hindurch, nördlich von legterm bis ans Meer hinab- 
fclängelte, war der große, liber 40 Meilen lange Yava- 
ausbruc; von 1859, der Kiholo verwiftete. Deutlich erfannte 
man auf dent Gipfel des Mauna Loa die dunfelen Streifen 


Dr. Bühler’: Reife nach Kaſchmir. 


älterer Ausbrliche, die unmittelbar ans dem Srater über: 
gefloffen und ſich kurze Stveden den Abhang hinab ergofien 
hatten, während unheilverheifend eine ſchwere, ſchwarze 
Naucwolfe liber dem Gipfel, der Behaufung der Göttin 
Pele, hing. Der weſtliche Horizont des Stillen Meeres 
hatte ſich anfcheinend bis zum Niveau des Auges gehoben 
und zerfloß, ſcheinbar einen tiefen Keſſel bildend, mit dem 
Himmel, fo daß ein auf weiter See fegelnder Schooner in 
den Wolfen zu ſchweben ſchien. Lautloſe Stile umgab uns, 
während wir im warmen Sonnenſchein hielten, und mir 
das Summen einiger felbft auf diefer Höhe ſich aufhaltender 
Fliegen und das Blöfen der Schafherden in den Wäldern un: 
ter und drang ſchwach zu uns herauf. 

Wie ſchon erwähnt bildet der Gipfel des Hualalai einen 
Sattel, zwiſchen deſſen beiden fast gleich hohen Segeln aus 
vothem Sande die beiden Krater des frühern Vulcans liegen, 
der größere mit gegen 500 Schritt Durdjmeffer, mit ab: 
ſchüſſigen Seiten und bis auf 300 Fuß Tiefe mit Geröll, 
Schlacken und Yavatrümmern angefült. Auf dem höhern 
Gipfel fteht ein Gerliſt mit einer Flaggenftange, die als 
Signalpunft für trigonometrische Bermeflungen der Juſel 
dient; die früher daran wehende, ſechs Fuß lange Signal: 
flagge ift freilich bis auf einige Wegen von dem wüthenden 
Winde abgeriffen, 

Auf dem Ruckwege ftiegen wir die Oftfeite des Berges 
hinunter, wobei wir diefelbe Scenerie von Kratern, Kegeln, 
Yavafeldern, Sandflähen, Höhlen, Keffeln und Schluchten 
pafjirten und langten erft gegen Abend fehr ermüdet nach 
zwöffitiindigem Mitt bei Wall's Ranch an. Am folgenden 
Morgen verabfcjiedeten wir uns von unferm freundlichen 
Wirth und Flihrer, ritten die Judd Road hinunter und lang- 
ten gegen Mittag wieder in Kailtta, unferer temporären har 
waitichen Heimath, an, 





Dr. Bühler’3 Reife nad) Kaſchmir. 


Am Abend des 19. September fegten vier Ruderer hin— 
ten und einer vorm meine Kiftt in Bewegung. 

Die Stadt zieht fich etwa eine Stunde weit an beiden 
Ufern der Bitaflä hin, welche durch fieben Prien verbuns 
den jind. Zwiſchen der erften und ziveiten befindet fid) der 
Palaft des Radſchah, eim zweiftöciges Gebäude mit zwei 
Heinen, runden Thürmen, die ald Balcone dienen und auf 
deren einem ich meine erfte Audienz erhielt. Dann folgen einige 
ſchlechte Tempel rechts und links und weiterhin ein Hügel 
mit einer Feſtung, früher „Sitz des Vradgemna“, jetzt 
„Berg des Viſchnu“ genannt. Hinter der Stadt iſt zu bei⸗ 
ben Seiten flaches, eingebeichtes Land. 

Die Nacht wurde durchgefahren, und ich erwachte in 
Schadipur. Die Sonne war eben aufgegangen und das 
Gras von Than beneßt; umter ſchönen Ulmen trank ich mei: 
nen Cacao und beftieg dann das Meine Boot. Unterhalb 
jenes, auf dem linken Ufer gelegenen Dorfes befindet ſich 
ein Eichyerheitscanal (der Norucanal), der auf weiten ms 
wegen durchs Yand führt und fünf dentiche Meilen weiter fich 
wieder mit der Vitaftä vereinigt. Gegenllber dem Dorfe 
mündet der von Dften kommende Sindha, ein Namensvetter 
des Indus, in jene, und im Zuſammenfluſſe liegt eine künſt 
liche Inſel, Pradſchag, die ſehr heilig if. Den Sindha 


num ließ ich mic, eine Stunde weit nad) einem Neinen See 
hinanfrudern, zu dem er fi, aus den norböftlidien Bergen 
hervorgefommmen, erweitert. Ich hatte meine Flinte bei mir, 
um Becafjinen zu ſchießen, die hier nebſt Enten fehr zahl» 
reich find, erbeutete aber nur eine der legteren, da ſchon eine 
Jagdgeſellſchaft vor mir ausgefahren war. Zum Frübftüd 
war ic; zurlid und fuhr auf dem Fluſſe weiter nach Mär 
näsböl (Manas-Bal-Ser), wo man aberyals in einen 
engen anal abbiegt und plöglich einen See vor ſich ſieht, 
der auf der Nord-, Oſt- und Weftfeite von Bergen einger 
ſchloſſen iſt. Im Norden, dem man entgegenfährt, thürmen 
fich mächtige Künme auf, an den Seiten niedrigere. - Die 
untergehende Sonne beleuchtete eine wunderbarihöne Scene: 
das kryſtallhelle Waſſer lieh den Grund des Sces mit jeinem 
Tang und den Fiſchen dazwiſchen erfennen, auf der Fläche 
ſchwammen zahlreidye Lotus mit ihren tellergroßen, rothen 
Bllithen, an den Ufern majeftätifche Baumgruppen mit 
Dörfern und den Ruinen alter Sclöffer der Moguls ab- 
wechſelnd; id) fuhr langſam in meiner Shifari dahin, hinter 
den Kiſtis her. Als wir, um fir die Nacht anzulegen, dem 
Fande naheten, hörte ich das Plätjchern eines Wallerfalles, 
der von den nördlichen Felſen herumterftürgt. Am folgen 
den Morgen beſah ich den nahen buddhiftiichen Tempel, der 


Dr. Bühler's Reife nah Kajchmir, 


ein curiofes Doppelpyramidendad; hat und halb in das Waſ— 
fer gefunten ift. Die Rüdfahrt zur Vitaftä nahm den Tag 
fo ziemlich in Anſpruch, denn es geht bei diefen Fahrten 
fein langſam; ich war erſt fünf beutjche Meilen von Srina- 
gar entfernt, 

Tages baranf wollte ich den Wallerſee befuchen, eines 
der bedentendften Gewäſſer, ebenfalls an drei Seiten von 
hohen Bergen umgeben, hinter denen noch höhere, ſchneebe 
dedte Ruppen hervorſehen: die Berge von Dardiftan, welche 
die Verbindung mit dem Hindukuſch bilden, Die Hälfte 
des Sees ift durch Anſchwemmungen fehr feicht geworden 
und mit der Edhringäranuß bedeft, einer merkwürdigen 
Waſſerpflanze, die fich durch Meine, mit Luft geflilte Bla: 
fen oben erhält und eine dreimafterähnliche Frucht hervors 
bringt. Ihr nußähnlicher 
Kern wird alljährlich, gefan+ 
melt, getroduet und zu Mehl 
zerrieben gegeſſen. 

Bon der Oftfeite kam ich 
in den See und fuhr um eine 
Yandfpige nach Norden. Gier 
iſt er durch rothbeinige, filber: 
graue Mlöven, Enten und 
Stelzfüße belebt, deren ich 
einige erlegte. Hauptfählich 
hatte ich es auf eine 1 Stunde 
öftlicd vom Einfluffe der. Bis 
taftä belegene heilige Inſel ab: 
gefehen, welche gleich Ceylon 
Lanka“ genannt wird und in 
deren berlihmten alten Tem: 
pelruinen ich eine Inschrift zu 
finden hoffte, Hierin ward ic} 
freilich getäufcht, doch waren 
die Säulenrefte dorifcher Ord⸗ 
nung, wie auch eine alte 
Mofchee immerhin  fehens- 
werth. Die Infel mit nur 
500 Schritt im Umfang, war 
aber fo lebendig voll von 
ſchönen ſchwarzen und blauen 
Libellen und Mogfitos, die 
mid; arg plagten, daß id) 
mic) freuete, ala id; meinte 
Unterfuchungen vollendet und 
quer Über den See nad) dent 
Ausfluffe der Bitaftü fahren 
tonnte, eine langwierige Urs 
beit, über die es Mittag 
wurde. Dort traf ich nad) 
einigem Warten die großen 
Boote und erquichte mich durch ein Frlihſtück und eine Nad)- 
mittagsruhe. Als ic) erwachte, waren wir in Sopur, 
einer ziemlich bedeutenden Stadt, die zwei Pofthäufer hat. 
Sie wurde vor 1050 Jahren von einem Ingenieur, einen 
echten Autodidakten, gebauet, der aber im Deich und Waſſer⸗ 
bau Großes leiftete. Auf originelle Weife erweiterte er bie 
Bitaftä. Das weftliche Kaſchmir war damals fo verfumpft, 
daß es wenig anbaufähiges Land gab und in folge davon 
Thenerung eintrat. Er erkannte bald, daß «8 nur darauf 
anfäme, das Bett bes Fluſſes zu reinigen und fehnellen Ab⸗ 
fluß des Waflers zu erzielen. Zu dem Ende ließ er fich 
mehrere Säde Rupien vom Könige Avantivarman geben 
und vergrub das Geld an dem feichteften Stellen vor aller 
Leute Augen. Alsbald ftrömten eine Dienge Bauern und 
fonftige Arme zufammen, um die Schätze zu heben, was 


1 





Details vom Vlartand: Tempel, 


149 


ihnen aber nur durch Entfernung des Gerölles und Schlame« 
mes gelang, fo daß das Flußbett im ber Kltze auf billige 
Weife grundlich gereinigt ward. Nachher bauete er mehrere 
Ganäte auf dem linfen Ufer der Bitaftä, die bei Hochwaſſer 
ſich flillen. und den Ueberfluß auf Umwegen nad) Bärämulä, 
dem Thore Kaſchmirs, führen. Nach diefem Orte fuhr ich 
folgenden Tages. Der Fluß windet fid) zwiſchen Deichen 
zuerft im flachen Yande; dann treten rechts die Berge ſehr 
nahe, und ſchließlich iſt man ganz von ihnen umringt. 
Denfeit der Stadt wird die Landſchaft wunderbar ſchön; das 
Flußbett wird immer mehr eingeengt und große Steine ras 
gen daraus hervor, an denen das Waffer raufchend vorbei: 
ſchießt. Weiterhin giebt es auch Wafferfälle, da das Bett 
bei Barämulä etwa 5000 Fuß body liegt und 180 engl. 
Meilen weiter die Ebene des 
Vendſchab beginnt, die nur 
wenige hundert Fuß über dem 
Meeresſpiegel erhaben iſt. 

Ant andern Tage wanderte 
ich fiber die Stätte des alten 
Huſchkapura, weldes ums 
Jahr 25 v. Chr. von dem 
fchthifchen Könige Hufchka ge: 
grlindet wurde. Die Ruinen 
liegen auf dem linten Ufer 
der Bitaftä, und die Felder 
find noch im Umfange von 
einer Stunde mit Steinen und 
Topfſcherben bedeckt. Nach 
Bäramuläa, welches früher 
Varähamula, d. i. „Urfprung 
des als Eber geborenen Bifch: 
nu“, hieß, zurüdgelehrt, be— 
ſuchte ich fehenswerthe Tem- 
pel, beſonders einen bed 
Sciva, „des Herrn ber Pe- 
gionen“, auch buböhiftifche 
Klöſter, und fand gute Bild: 
fäulen nebft einer Infchrift. 
Tas Meifte haben jedoch die 
Mufelmänner am Ende des 
14. Yahrhunderts zerftört. 

Bon hier ab machte ich 
mich auf den Ruckweg, der 
recht langjam von ftatten 
ging, da die Boote ſtromauf 
gezogen merben nillſſen. Ich 
wählte eine andere Route 
durch mehrere Canäle und er: 
wähne nur, daß id) am 30, 
September wieder in Srina⸗ 
gar eintraf; auf dev ganzen zehntägigen Reife war ich übri— 
gens auch fonft nicht mußig geweſen, fondern collationirte 
täglid; 4 bis 5 Stunden und arbeitete an einer kaſchmiri— 
chen Wortſammlung. Bei meiner Wbreife werbe ich eine 
ähnliche Tour im Often des Tales machen. 

Zum Schluß noch ein paar Worte iiber den Mahü« 
radſcha (Fürften) von Kaſchmir. Zuerſt befuchte ich ihm 
bei meiner Ankunft; er empfing mich auf dem Balcon fei- 
nes Palaſtes, der fiber der Bitaftä hängt. Nur drei Stühle 
befanden ſich dort, einer fir ihn, ber andere für feinen Sohn 
und der letzte für mid); der Divan, Oberrichter :c., alle muß- 
ten ftehen. Er unterhielt ſich wohl eine halbe Stunde mit 
mir und wünſchte, id; möge mit ihm feine Hochſchule be— 
fuchen, bie weiter unten in ber Stabt liegt. Wir fuhren in 
feinem Boote hin und eramintrten gemeinſchaftlich im Sans- 


150 


frit und Mathematit. Einige Schikler waren recht gut; ich | 


fragte 3. B. weshalb — a.— b — + ab fei. „Oh,“* ant- 
wortete der Gefragte, „zwei Negationen machen eine emphas 
tische Bejahung.“ Dbfjchon die Antwort zeigte, daß ber 
Knabe die rechte Definition nicht kannte, machte fie feinem 
Berflande doch alle Ehre. Wir ſaßen bis 8 Uhr Abende 
zufammen, Der Radſcha, der fehr gut Sanskrit verfieht, 
war begierig zu Hören, was ich wüßte, und ich freuete mich, 
feine Neugier befriedigen zu fünnen,. Seinen älteften Sohu 
mußte ich in ber Grammatit eraminiven, wobei berjelbe 
glänzend durchfiel. 

Das zweite Mal fah ich den Fürſten beim Stapellauf 
eines Meinen Dampfichiffes, das die englifche Regierung ihm 
geichentt hatte. Daflelbe war in Gtüden heraufgebradht, 
und am Ufer des Dhöl (Sees) 
bei der Stadt zufammen- =. 
gefegt worden, Inder Nähe 
waren Zelte aufgefchlagen, 
und alle Europäer, deren 
fonft 300 hier ſich aufzu« 
halten pflegen, nebſt etwa 
hundert Eingeborenen einge 
laden. Es war ein Schraus 
bendanpfer von etwa 40 
Fuß Länge, der von der Ge⸗ 
mahlin des Reſidenten regel · 
recht getauft und unter Ka- 
nonendbonner ber Fluth Uber: 
geben wurde. Als man ihn 
num gleich probiren wollte, 
ging es nicht recht von flat- 
ten, weil der See hier voll 
Tang ift, Ucher alle dem 
war es dunfel geworden und 
wir begaben uns nad) ben 
Scalinar- Gärten, in ein 
altes Yuftichlof des Albar, wo 
dad Diner ftattfand. Alles 
war glänzend illuminirt und 
fah prächtig aus; mit dem 
Eſſen war es aber nicht fon: 
derlich beftellt, and; gab es 
nur wenig Stühle und Meſ⸗ 
fer und Gabeln. 

Zum dritten Male war 
ich zu einer Feſtlichleit am 
1. October geladen, weldhe 
im Palafte dicht bei ber 
Stadt ftattfand: Diner mit 
voraufgehendem Natſch⸗ Bal · 
let und laſchmiriſchem Con⸗ 
cert. Nur 14 Perſonen waren erſchienen, da ſchon viele 
Europäer abgereiſt waren; der Radſcha war ſehr liebens⸗ 
würdig und ich mußte am feiner linken Seite ſitzen, da 
der Nefident ordnungsmäßig die Rechte einnimmt, Das 
Diner fiel diesmal beſſer aus; auch ward mir eine lange 
Unterhaltung mit dem Fürften zu Theil. Was diefen be 
trifft, fo ift er etwa 45 Jahre alt, neigt zur Corpulenz 
und ift gegen 51/, Fuß groß, fehr gutmüthiger Natur, ohne 
bejchränft zu fein, und bildet durch feine Mäßigfeit eine rühns 
liche Ausnahme unter den indiſchen Fürſten; ich darf ihn 
einen fehr achtbaren Mann nennen. Drei Söhne hat er; 
fein Vater verrieth dem eigenen Landesherrn an den Silh 
und erhielt dafür Kafchmir gegen Zahlung von 8 Millionen 
Markt. Er felbft ift von der englijchen Regierung abhängig, 
wie alle biefe Fürften hier. — (Soweit der dritte Brief.) 


—— 


Ri 
N, 
e 
wi 
N 
— 





Details vom Martaud⸗Tempel. 


Dr. Bühler's Reiſe nach Kaſchmir. 


Der vierte datirt aus Ramban im Himalayagebirge vom 
28. October. Auf der Ruckreiſe von Kaſchmir begriffen, 
benutze ich die freien Abende, um meine Reiſeberichte forts 
zufegen; ich beginne mit bem legten Aufenthalte in Erina- 
gar, der nad) dem legten Ausfluge noch etwa brei Wochen 
dauerte. Es murde bort recht falt und alle Berge bebediten 
fih mit Schnee ; wir hatten unten im Thale auch eine Woche 
hindurch Regen, ſchließlich Härte er ſich zum prachtvollen 
Herbftwetter auf. Eigenthümlich machte es ſich, dag in 
folge der Nacıtfröfte das Laub der Bäime gelb wurde und 
zu fallen begann, dergleichen hatte ich in Indien nie erlebt. 

Die europdiſche Colonie licytete fi) immer mehr und 
zulegt blieben nur noch in vier Häufern Leute zurüd. Am 
20, October zog ich in drei Booten aus, mein Pandit und 
ein laſchmiriſcher Sänger be- 
gleiteten mich. Da die Fahr⸗ 
zeuge ſehr langſam firomanf 
gingen, machte ich mod; zu 
Pferde einen Ummeg nad; 
Kunmoh, dem Geburtsort 
eines berühmten Dichters, 
mit guten Ruinen und In« 
fchriften. Nahe bei diefem 
Drte fangen bie wichtigen 
Saffranfelder an, die ſich 10 
Meilen bie Wantipur hin- 
ziehen und um dieſe Zeit, 
während ihrer Blithe, ftreng 
bewacht werben, Ihre Euls 
tue ift Monopol des Mahä- 
radſcha doc; verſchaffte mir 
ber Bandit eine Blume, 
welche von der Größe einer 
Malve, von fügem Dufte und 
lilafarben ift und gelbe und 
rothe Staubfäden hat. 

Bei Rampur famen wir 
wieder an den Fluß. Diefer 
Ort trägt feinen Namen von 
einem alten kaſchmiriſchen 
Miniſter Radma (daher er 
eigentlich Radmapura heißt), 
zählt 15,000 Cimmohner 
und befigt eine Britde über - 
die Bitaftä. Er ift ſehr zer» 
fallen und ſchmutzig, bie 
Häufer, eine maffive Caferne 
ausgenommen, aus Holz mit " 
Lehmfteinen. Der Marſch 
behnte fic bis in den Abend 
aus, und wir fangen 
Unterhaltung kafchmirifche und deutſche Lieder um die Wette. 
Endlich aber wurde es recht falt, der Wind pfiff empfindlich 
von ben ſchneebededten Bergen herüber, und felbft der Ueber 
zieher nligte nicht viel. Ueberbies mußten wir Stunde 
auf die Boote warten. Endlich famen fie und mit ihnen 
warmes Abendejien; da fehrte bald bie Behaglichkeit zurüd. 

Am folgenden Morgen ging es zwiſchen langweiligen 
Deichen nad) Lattapur (Patıpur), vor 1100 Yahren bie 
Nefidenz eines großen Königs (Lulitädiza), was bis 2 Uhr 
währte, da die Schiffe von Menfchen gezogen werden muh⸗ 
ten. Weil ich nur eim ſchmutziges Dorf ohne irgend welde 
Merlwurdigleiten fand, fo beftieg ich, abermals einen Klepper, 
um bie recjtö gelegenen Berge zu befuchen und Jagd nad) Tſcha · 
fera& zu machen, einer Art Rebhühner, aber halbmal größer 
als diefe, grau von Gefieder, nur um bie Augen und unter 


Dr. Bühler’s Reife nah Kaſchmir. 


ben Flügeln orangegelb mit ſchwarzen Streifen, mit rothem 
Schnabel und Füßen und ungewöhnlic, kurzen Flügeln. 
Diefer Vogel fpielt eine große Rolle in der indifchen Poefie, 
befonders feiner wirklich ſchönen Augen und feiner Nahrung 
wegen, welche in Mondftrahlen beftehen fol. Er hält ſich 
in den Bifchen der Bergabhänge auf und ift ſchwer zu ers 
legen; bald mußte id) 300 bis 400 Fuß aufwärts, bald 
ebenfoviel abwärts Mettern, um ihrer anfichtig zu werben, 
und dann waren fie doch jo wilb, daß fie bei 80 bis 100 
Schritt aufflogen und alsbald zwifcen den Steinen und 
Buſchen höchſt gewandt fortfchlüpften. Obſchon ihrer viele 
ba waren, gelang es mir nach zweiftiindiger Arbeit doch nur 
ſechs davon zu erlegen. Während ber Jagd hatte ich mich 
Wantipur zugewandt, und als id) aus den —* herab⸗ 
ſtieg, traf ich glücklich mein Roß bereit. Mein Weg flihrte 
mic der Bitaftä entlang Uber eine Stunde durch Trlimmer 
der alten Stabt Avantipura (ums Jahr 800 n. Chr. ers 
bauet), jegt nur noch ein Dorf. Bon ben Ruinen ift allein 
der Porticus eines alten Tempels erhalten, den man eben 
fo gut ein Pyloros nennen könnte; denn es ift eine gewal- 
tige Steinmaffe, etwa 40 Fuß hoch, die den Eingang in den 
Tempelhof bildete, Auch haben ſich um einige Quellen, auf 
Kaſchmiriſch „Nagas, d. i. Schlangen“, genannt, die alten 
Einfaffungen erhalten. Nachdem dies wenige Sehenswerthe 
in Augenſchein genommen war, brachte id) den Abend in 
meinem Boote mit Muſik und Handſchriften zu. 

Das Ziel des folgenden Tages, Bidfhbihära (Bij 
Bihara), war nur drei deutſche Meilen weit, die aber doch 
unfere ganze Zeit in Unfprud nahmen. Der Weg war erft 
ziemlich, eintönig, aber hernach kamen wir an einem berühm« 
ten Hügel vorbei, ber einft eine uralte Stadt und Feſtung 
trug, jeßt aber kahl dafteht. Von Hier ab wird die Scenerie 
fehr ſchön, bemwaldete Ufer und rechts immer mäher rlidende 

Berge. Die Stadt felbft hat eine aus Tannenftämmen 
hergeftellte Brüde, bei weldyer wir an einem Ulmenhaine 
anlegten. Hier fand id; einen meuen Tempel, ein wahres 
Sceufal von Ardjiteftur, und um demfelben viele alte Pins 
gams und Götterbilber. Der Ort iftfo heilig, daß es heißt, 
täglich finde dort wenigftens ein Menſch Erlöfung. Fru— 
her war Bidjchbihära der Ruheſitz mehrerer kaſchmiriſchen 
Könige, welche ſich einem beſchaulichen Peben hingaben, Hier 
hatte ich Gelegenheit, viele alte Münzen zu faufen, welche 

in großer Dienge auf dem vorhin erwähnten Hligel gefun- 
ben werben, darunter einige intereffante und feltene, z. B. eine 
fehr alte Minze der buddhiftifchen Könige von Kabul mit 
dem „Baume der Erlenntniß“. 

Der nüchſte Tag führte mic; nach Jslamabad, an das 
Ende meiner Wafferreife, da die Bitaflä weiterhin nicht 
ſchifſfbar iſt. Bon dort ab ritt ic), nachdem meine Bootd« 
leute abgelohnt waren, etwa flinf englifche Meilen noch Mars 
tand, um die berühmtefte Ruine des Kaſchmirlandes zu 
jehen. Es ift dies ein Sonnentempel, von hohem aber un: 
belanntem Alter, ſehr gut erhalten, Er liegt auf dem nord» 
öftlichen Hochplateau und ift aus grauem Schiefer gebauet, 
der ſtarl abblättert. Zumächft fommt man an ein Thor, von 
gewaltigen 30 bis 40 Fuß hohen doppelten Pyloren gebil- 
det. Zu beiden Seiten läuft als Einfriedigung eine 15 Fuß 
hohe Mauer von cyclopifchen Wlöden herum, an der ſich an 


151 


ber Innenſeite eine Säulenhalle, doriſcher Ordnung und 
canellirt, befindet. Diefer Hof bildet ein Biereck, welches 
an den Langfeiten 150, an der Front und hinten 70 Schritt 
mißt: mitten barauf erhebt fich der gewaltige Tempel etwa 
50 Fuß hoc, aus gleichmäßig foliden grauen Blöden erbauet. 
Er befteht aus dem Pronaos, dem dahinter liegenden Adyton 
und zwei Geitencellen, die etwa 4 Fuß davon abfichen. 
Er wird ein flaches Dach gehabt Haben; die verſchiedenen 
Eingänge find fehr hoch und breit, durch eigenthümlich kaſch— 
miriſche Bogen geſchloſſen, die Seitenwände haben enter 
von gleicher Form. Ein mit Figuren bedeckter Sims läuft 
um die Außenfeiten gerade liber dem Fundamente, die innes 
ven Wände zeigen auch Spuren von Sculptur, doc) find die 
Geftalten wegen des blätternden Materiales verwiſcht. Dies 
ift das großartigfte Bauwerl, das id) in Indien gejehen habe, 
und welches fichere Spuren von griechiſchem Cinfluffe, 
3 B. in den Säulen, zeigt. 

Nun galt es die eigentlichen Vorbereitungen zur Heims 
reife zu treffen. Der Abjchied von meinen treuen Begleiter 
wurde mir ſchwer, mein Bandit vergoß fogar TIhränen. 
Dir blieb nur der eble Lansz, und wir beide reiften am 
25, October nad) Bernäg, wo die Vitaftä entquillt, welche 
von einem Serai des Ichangir eingefaht und fo ſehr mit 
Forellen gefüllt ift, daß das Waſſer ſchwarz davon erfcheint. 
Dieſelben gelten für heilig und darum freſſen ſie ſehr zahm 
aus der Hand alles, was man ihnen bietet, auch Papier 
und Kupfergeld, wie ic) jelbft zum Spaß probirte. Die 
Vitaftä fließt als ſtarker Bach aus dieſem Bafjin und vers 
einigt fich bald mit anderen Waffern, die von den benad)bar« 
ten Bergen herniederftrömen., Tags darauf hatte ich den 
Bönihäl (Banigal), welcher 4000 Fuß über Kaſchmir und 
9200 Fuß über dem Meere liegt, zu Überfteigen, meift zu 
Fuße, da mein Roß jämmerlich war. Auf der Höhe des 
Berges nahm ich Abjchied von Kaſchmir und ſchaute noch 
einmal mit meinem Glaſe nad) dem Zaltsi-Sulaiman, uns 
ter dem ich zwei Monate gewohnt. Meine Nücdreife ift 
von dem fchönften Wetter begünftigt, aber die Pfade find 
überaus rauh. Ich reite zwar, wo id) kann, aber das geht 
felten an und hinunter muß ich immer laufen, Geſſern 
ging es über einen Pak von 10,000 Fuß und vorgeftern 
durch ein Thal, wo der Himmel nur ſechs Spannen breit 
zu jehen war, und dann wieder 3000 Fuß aufwärts, wo der 
Weg oft nur drei Fuß breit am Felſen hinlief; da verging 
mir das Neiten. Geſtern befam id) aud) mal zur Abwech— 
jelung Abends nichts zu effen, und heute fehlt mir der Tels 
ler, ich muß die Suppe aus dem Kochtopf eſſen. So geht's 
auf Reifen, es ift nicht alles rofig, aber die ſchöne Bergluft 
giebt frifchen Muth, vieles zu ertragen. 

Hier ſchließt der Leßte Bericht, der am 7. December 
vorigen Jahres in Hannover anlangte *). 


- 


*) Dr. ©. Bühler ift ſeitdem wieder auf die Handſchriften— 
ſuche nah Rafhmir gegangen, Später will er Dibamı (Jummeo), 
Natfchputana und Malwa beiuchen. Er bat wieder manches Neue 
gefunden, J. B. ein 400 bis 500 Jahre altes Rigveda⸗Manuſcript 
mit bisber unbelaunter Accentuation, Theile bes Kathala, von wels 
ben bisher nur eine Handfhrift im der Berliner Bibliorhel bekannt 
war u. f. m. 





152 Paul Aiherfon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforſchung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874. 


Die. Rohlfs’fhe Erpedition zur Erforſchung der Libyfhen Wüſte 


im Winter 


1873.1574. 


Von Paul Afcerfon, Mitglied der Expedition *). 


I 


Wenn man bie inftructiven von H. Kiepert **) ver 
öffentlicdhten Karten „Zur Entdetungsgefchichte bes Innern 
von Afrila* betrachtet, fällt es fofort in die Augen, daß 
einer ber größten, noch völlig unerforichten Flachenräume 
diefes geheimnißvollen Sontinents durch den nördlichen Theil 
der Libyſchen Wuſte eingenommen wird. Ein noch viel grö- 
Beres Sebiet, als das auf biefen Karten weiß gelaffene , „iR 
indeß noch mie von einem Europäer betreten worden. 
ganze ungeheure Wiritenfläche, weldye ſich von der en 


i Ar ea 


von Kairo nach Murfuf im Norden bis Uadai und Dar: 
For im Süden, von Feſan und der Boruuftraße im Wer 
ften bis zu den agyptiſchen Daſen und der Straße von 
Chargeh nah Dar- For im Often erſtreckt, hatte bis 1565 
noch, fein europäifcher Reiſender berihrt; erſt in den legten 
— iſt durch die verzweifelten Züge Nadtigal’ 8 nad) 

Tibeſti und Borku ein gewaltiges Stüd diejes jungfräus 
lichen Gebiets der Erdkunde erſchloſſen. Ein noch viel 
größeres bleibt indeſſen völlig unbetannt, und felbft die Mod- 


nm 

Fayun Erki 

— — der Expeditiors- \n 
Nitglusder. 

Dr Send, Dünen. 


Dir Zuhlen geben Höhrnt, resp. | 
— in Alster. em. 


a, 
[> 


Irmmdoruen 





— Auzrurit. vum Talkgen 2 Kafıng da, Arrpaiy: 


Skizze zur Ueberficht der Rohlfs'ſchen Erpedition in die Libyſche Wüſte. 


jabrah von Dialo (Augila), jene UUhnen Handelsreifenden, 
welche wie ihre Gollegen von Rhadames den größten Theil 
ihres Yebend auf Wüflenmärfchen zwiſchen Nordafrika und 
dem Sudan verbringen, wiſſen nur einige durftige an 
über die Straße von ihrer Dafe über Kufara und Wan« 
janga nach Uadai zu machen, welche vor mehr als einen 
halben Jahrhundert einer der Ihrigen, Schehaymah, im 
Auftrage des Sultans Sfabun von Uadai unter den größ« 
ten Gefahren und härteften Entbehrungen eröffnete. Im | 


) Der Verfaffer verläßt Mitte Februar Berlin, um ſich in Ges 
Felihaft feines Freundes Schweinfurtb zu einem vier bis ſechs— 
mödsentlichen Aufenrbalte mach ber einen Cafe (Vebarieh) zu begeben 
und ort naturwiſſenſchaftlichen dbotanifchen und geolugifden) Stu- 
dien obzuliegen. 

* en ber GeſtlUſchaft für Erttunte au Berlin VAN, | — — 
1973, Taf. IV. | 





der Entdedungsgefcicte Afrikas verdienen dieſe beiden 
Männer, welche der verdienftvolle Gresnel *) geiftreich als 
den Columbus und den Ferdinand der Libyſchen Wüſte be- 
zeichnet, gewiß einen hervorragenden Play. Noch weniger 
wiſſen wir über die ie Uadai und den ägyptifchen 
Dafen ftattgehabten Verbindungen; wird doch jogar die 
Haubmwitrdigfeit der und bdarliber zu Gebote fichenden ſpär 
lichen Nachrichten von maßgebender Seite, wenn auch mit 
Unrecht, bezweifelt; jedenfalls willen wir nichts Über die 
Natur der von biefem Berbindbungswege durchſchnittenen 
Yanbditriche. 

Dean mußte ſich daher in geographiſchen Kreiſen leere 
ten Erwartungen bingeben, ald es um die Mitte des Jah— 
red 1873 befannt wurde, daß Gerhard Rohlfe, der 


*) Bulletin de la soch@te de geogruphie 3. sör. komme XI, p. 35- 


Aus allen Erdtheilen. 


Heffen-Darmftadt und Norwegen vertreten find und Italieniſch, 
Engliſch, Franzöſiſch, Norwegiſch, Deutjc in mehreren Nitan« 
con und Mifchiprachen verfciedener Art gefprochen werden. 

Mit ganz befonderer Liebe Hat fic der Autor im bie 
Charaktere der Hunde vertieft und fie ftudirt. Ihre Liſten 
und Pfiffe, ſich der Arbeit zu entziehen und ſich verbotene 
Genüffe zu verfhaffen, werden da eben fo getreu ung vor- 
geführt wie nachher ihre Berdienfte am die Erforfchung des 
anfgefundenen Yandes, Nur der ausdauernden Kraft diefer 
treuen Thiere verdanfte Payer die Ueberfchreitung des 82. 
Breitengrades. „Ueberall auf Erden ift der Hund der treue 
Freund des Menſchen, und das nicht geringe Maf feiner 
Kraft und Einſicht weiht er feinem Dienfte. Aber umter 
allen biefen Geſchöpfen ift das Leben eines arktifchen Schlitten« 
Hundes gewiß das beſchwerdeureichſte. Sein Zelt ift faum 
der Borwand eines Obdaches, fein natürliches Seid deckt 
den größten Theil bes Jahres hindurch dider Reif; treibender 
Schnee verhüllt ihn gänzlich, zollhoch lagert ſich derjelbe auf 
feinem fell, wenn er ihn auch beftändig abzufchlitteln fucht. 
Muhſam ſchöpft er Athem, Hunger nagt in feinen Gin: 
geweiben und die wunden Füße färben die Schneebahn gleich, 
einer röthelbezeichneten Trace, Oft mitiien diefe armen Thiere 
bei großer Kälte im Schnee ftillhalten; dann heben fie im⸗ 
mer fo viele Pfoten, als es ohne umzufallen möglich ift, im 
die Höhe und wechjeln fie unaufhörlich, um fie micht zu 
erfrieren. Die beiden Hunde aber, die uns nad) dem äufßer- 
ften Norden begleiteten, gehörten zu den prächtigften Ger 
ſchöpfen, welche jemals zu ähnlichen Unternehmungen ver« 
wendet wurden, umd wenn ich der großen Dienfte gebenfe, 
die fie uns hier wie nachher auf dem Nüdzuge nad; Europa 
erwieſen, fo erflillt es mich mit aufrichtigem Schmerz, daß 
ein jo trauriges Ende ihrer harrte“ (5. 315). 

Ueber dreiviertel Jahr waren fie ſchon in ihre Scholle 
eingefchloffen und ihre höchſte Hoffnung war ſchon nicht mehr 
die Eutdeckung meuer Yänder, fondern nur nod) die Errei—⸗ 
hung Sibiriens. Uber alle Befreiungsverfuche während des 
kurzen Sommers 1873 blieben erfolglos. Da erſchien ihmen 
am 14. Auguft in Geftalt von Reften von Hetfchermoränen 
anf einem Eiäberge das erſte Anzeichen von Yand und am 
30, Auguſt dieſes ſelbſt. Ein Verſuch, baffelbe, welches nad) 
ihrem Souverän Franz Joſeph's · Land benannt wurde, Ende 
September zu erreichen, jchlug fehl; erft am 1. November 
betraten fie es, aber zu fpät, um es noch vor Einbruch des 
nahen Winters erforſchen zu fünnen. Nur Heine Ausflige, 
bei denen aber der 80. Breitengrad üiberfchritten wurde, fonn- 
ten noch ausgeführt werben, 

Am 22. October erfchien die Sonne zum legten Male 
liber dem Horizonte und die zweite Winternadjt begann, deren 


159 


niederdrüdende Finfternig zwar ebenfo wie die der erſten 
durch geiftige Tätigkeit zu Uberwinden war, die ſich aber 
viel leichter ertragen ließ, weil die Hoffnung, das gefundene 
Land erforſchen zu können, Alle aufrecht erhielt. Als nad) 
125tägiger Nacht am 24. Februar 1874 die Sonne wieder 
amı Horizonte erſchien, faßten die beiden Commandanten 
Weyprecht und Payer dem definitiven Beſchluß, das Schiff 
nad; Beendigung der projectivten Entdeckungsreiſen zu vers 
laffen und den Ruckweg nad) Europa anzutreten. Un ein 
Aufgehen der Schollen war kaum zudenfen, ber Arzneivorrath 
gu zur Neige und der Proviant reichte fr ein weiteres 
ahr des Wartens nicht aus. 

Esift Payer’s größtes Berbienft, mittelft dreier Schlitten- 
reifen, die an Anftrengungen (z. B. hatten fie dabei den höch— 
ften Kältegrad von — 40,5 R. zu liberftehen) und Gefah— 
ren (wie das Einbrechen Zaninovich's in eine Gletſcherſpalte, 
S. 318 bis 324) ihres Öleichen ſuchen, das Franz-Dofeph's- 
Land erforfcht zu haben, um fo größer, als er und feine Ber 
gleiter mit dem vollen Bewußtſein das ſichere Schiff vers 
liegen, daß diefes fortgetrieben werden und fie alddann einem 
fichern Tode in jenen graufigen Einöden überliefern könnte, 
Und wenn fchon den ihnen Wanderern ihr Unternehmen 
über Erwarten glücklich und erfolgreich von Statten ging, 
fo räth doch Payer ſelbſt (S. 208) dringend davon ab, 
Scjlittenreifen von einem im Eife eingefchlofjenen Schiffe 
aus zu wagen. eine Erfahrungen in diefer Art des Rei- 
ſens find überaus mannigfaltig; im einem langen Abſchnitte 
entwidelt ex zum Beften feiner Nachfolger die geſammte Tech⸗ 
nit der Schlittenreifen, wie man am beten Neufunbländer 
dabei verwende, die Herbftzeit wähle, wie der Schlitten be» 
ſchaffen, bepadt und befpannt, die Kleidung, Bewaffnung, 
das Zelt, der Schlaffad u. ſ. w. hergerichtet fein fol u. ſ. w. 

Nach einer kürzern, vorbereitenden Neife wurde am 26, 
März die zweite große angetreten, welcher wir faft die ganze 
Kenntniß jenes arktifchen Yandes verdanten. 

Nach fiebzehntägiger, mühfeliger Wanderung erreichte 
Payer am 12. April unter 8295’ feinen nördlichſien Bunt, 
das Cap Fligely. 


* * 


So weit reichen die bis jetzt erſchienenen Lieferungen. 
Der Reſt, welcher die Ruckehr zum Schiffe, die britte 
Sclittenreife und die Heimkehr nach Europa behandelt, vers 
ſpricht, mamentlich was den legten Punkt betrifft, dem eben 
Beiprochenen an vielfältigem Intereſſe nicht nachzuſtehen, 
wenn e8 nicht zu liberbieten. Mit gutem Gewiſſen fünnen 
wir dies Wert als eines der beſtgeſchriebenen, fpannendften 
und belehrendften der legten Jahre unferen Pefern empfehlen. 


| Aus allen Erdtheilen. 


Aus Nordamerika. 
IL. *) 
Vranntweinbetrügereien. — Die Negere und Inbianerfrage. 

B. Noch immer fährt der Scatjecretär Briſtow fort, 
mit rüdfichtslofer Strenge die ungehenern Branntwein: 
betrügercien in dem weftlichen Staaten Fllinois, In— 
diana, Miſſouri und Wisconfin aufzudecen. Seit dem Mai 
1875 wurden bisher im Ganzen 135 Berjonen, bauptlächlich 
in den Stüdten St. Lonis, Chicago und Milwaukee, ange 
Hagt, die Bundesregierung durch Umgebnug der Stener auf 


) ©. I. auf ©. 107. 


beftillirten Branntwein betrogen zu haben, und zwar fanden 
fi darunter 29 Brenner, 41 Rectificirer, 560Negierungs: 
Stenerbeamte und 15 andere Perſonen; der Betrug fand 
entweder durch den wiederholten Gebrauch der Stempelmar- 
fen auf den Füſſern oder durch falſche Angaben der deftillir: 
ten Onantität, matirlich beides im Einverſtändniß mit den 
beauffichtigenden Bundesbenmten, ftatt. Die Verfolgung der 
Betrüger wurde Fräftig und erfolgreich betrieben, die Rädels, 
führer fummarifch umterfucht und überführt, obgleich fie fich 
durch Sewaltmittel, wie 3.8. bie ſchwere Verwundung eines 
Hanptzeugen, zu retten fuchten, ihr Eigenthum, fowie ihre 
Bürgfchaften, bis zum Werthe von drei Millionen Dollars, 


160 


mit Beichlag belegt und die Megierung damit jchadlos ge: 
halten, und die Sculdigen, darunter die oberiten Beamten, 
ins Zuchthaus geſchickt. 

Die Negerfrage ſcheint troß der Annahme der Civil 
Nigbts Bill, die dem Farbigen vollkommen gleiche Rechte 
mit dem Weißen gewährt, noch ſehr weit von ihrer Löſung 
entfernt zu fein. MNeibereien und felbit blutige Zuſammen— 
ftöße zwiſchen beiden Nacen find in den Sübdftaaten gar nicht 
felten, jo einer im Staate Miſſiſſippi, wobei 5 Weihe und 40 
Neger fielen, ein anderer in Vicksburg im Staate Tenneflec, 
wo bei einem Auflauf ein farbiger Staatsjenator von den 
Weißen erichoffen wurde. Wir brauchen ferner faum an bie 
vereitelte Verſchwörung der Neger in Georgia gegen die Wei- 
fen im vergangenen Sommer zu erinnern, ja ſelbſt in Phi— 
ladelphia, der „Stadt der brüderlichen Liebe“, kam die ſo— 
genannte Colorline zur Geltung, indem ein Neger fich eine 
Begräbnißitelle anf einem ftädtiichen Kirchhofe käuflich erwor⸗ 
ben hatte, der Vorſtand des Kirchhofs aber nach feinem Tode 
fich weigerte, die Beerdigung eines Farbigen auf einem für 
Weihe beftimmten Kirchhofe zu geftatten. Die Wittwe erhob 
Klage und bat das Gericht die Weigerung für ungefeglich 
erflärt, Falls es der demofratifchen Partei gelingen follte, 
die Stärke des ftebenden Heeres von 35,00 Mann auf ben 
Friedensfuß vor 1860 von 15,000 berabzufehen, werden auch 
die noch übrigen Negertruppen, nämlich je zwei Cavallerie— 
und Infanterieregimenter, abgeichafft werden, um fo mehr als 
nach dem maßgebenden Urtheil von Offizieren das Erperi: 
ment, Neger ale Soldaten anzuftellen, fich gänzlich erfolglos 
erwiefen hat, indem bdiefelben fich kaum zum Sarnilonsdienft 
geeignet zeigten, Auch wird die Unfähigkeit und weit verbrei: 
tete Verworfenheit der ſchwarzen Nace (in Memphis fand bie 
Hinrichtung eines Negers ftatt, ber einen Landsmann wegen 
einer Schuld von 90 Cents ermordet hatte; im Staate Mif- 
fiffippi wurden vier hoffnungsloſe Negerbranpftifter von mas: 
firten Männern aus dem Gefängniß geholt und erichoflen) 
immer mehr eingeleben, io daß beute Südcarolina der einzige 
Staat ift, der noch munter einer Negerlegislatur ſteht. Dielelbe 
ernammte vor Kurzem einen gewiſſen Moſes, der von allen 
Parteien als ein im jeder Hinficht verworfener Neger aner: 
fannt wird, zum Oberrichter des Staates, doch weigerte 
ſich der von allen befleren Elementen unterſtützte bemofra- 
tifche Gouvernenr entichieben, die Ernennung zu beftätigen. 
Eine beffere Meinung von der Fähigfeit der Race ſcheint ber 
fatholifche Biſchof von Lonifiana zu haben, indem er kürzlich 
eine Anzahl junger Neger nach Rom fandte, um fie nach ihrer 
Erziehung zu Prieftern unter ihren Landsleuten im Süden 
wirken zu laffen. 

Werfen wir einen Blid anf die oft pathetifcher Weile 
„die Mindel der Nation‘ genannten rothen Urbefiger bes 
Landes, die ſich nach nenefter Schätung auf 316,000 belau⸗ 
fen follen nümlich 100,000 civiliſirte, 135,000 halbeivilifirte 
und 81,000 noch gänzlich wilde Indianer), jo finden wir, 
duß diefelben ſich augenblidlich in weitverbreiteter Unrube 
befinden. Die Nez perges, ein Stamm in Oregon mit gegen 
80 Kriegern, machen Anftalten, die Anſiedler im dortigen 
Wolla:walla:Thale anzugreifen, fo daß bereits Gavallerie 
zum Scute der letzteren dorthin abgegangen iſt. An der 
teranifchen Grenze follen fich 300 Comanches auf dem Kriegs: 
pfade befinden, mit der Abficht, einen Einfall in den Staat 
au unternehmen. Die Daqui-Indianer im benachbarten meri- 
caniſchen Staate Sonora mifchten ſich fogar kürzlich in die 


Aus allen Erdtheilen. 


dortige Politik, indem fie fi) zu Gunſten einer revolutionä- 
ren Partei erhoben, aber von ben Regierungstruppen mit 
einen Werluft von 200 Kriegern gefchlagen wurden. Die 
friegeriichen Sioux dagegen töbteten und fcalpirten fogar 60 
ihrer rothen Brüder vom Stamme ber Dtoes, die fie anf 
ihren Jagdgründen im weftlichen Kanſas antrafen, worauf 
die Verbündeten letzterer, verfchiedene Stämme in einer Stärke 
von 1000 Sriegern, im Kriegsanzug und Malerei fih auf 
einen Nachezug gegen die Siour begaben , aber von den von 
Fort Wallace nachſetzenden Truppen bei der Buffaloftation 
abgelchnitten und zur Rückkehr nad) ibrer Refervation geswun- 
gen wurden, welchem Befehle fie jedoch erft Folge leifteten, 
ald ber commandirende Offizier im Begriffe war einbauen 
zu laſſen. Dennoch erregt die große Zahl der am diefem 
Kriegszuge Theilnehmenden große Belorgniß bei den An— 
fiedlern, die immer einen Angriff befürchten miffen, wenn 
die Otoes oder Pawunees das Jagdgebiet der Siour verlegen. 
Und endlich griff fogar eine ftarfe Truppe der wilben Apaches 
eine Abtheilung von 23 Soldaten an, die 50 Meilen jüdlich 
von Santa Fr, der Hauptitadt Neumericos, Büffel jagten, 
und wurden im dem fich entipinnenden Gefechte drei Solda- 
ten verwundet, darunter einer töbtlich, dagegen die Indianer 
nad einen Verlufte von 20 Todten in die Flucht geichlagen. 
Verftärtungen zur Verfolgung wurden nachgeſandt. 

Mittlerweile beabjichtigt das Repräjentantenbaus, die 
Verwaltung der indianischen Angelegenheiten einer ſcharfen 
Unterfuchung zu unterziehen , die wohl manche überrafchende 
Entbillungen nachziehen wird. Die Indianeragenten der 
fünf ciwilifirten Stämme im CherofeesBezirt und der Mus: 
fogee-Station im Indian Territory find entlaffen worden, 
legterer weniger Betruges halber, als wegen feines ſchamloſen 
Nepotismus, indem er die ihm untergebenen Stellen an nicht 
weniger ald ficben Mitglieber feiner Familie vergeben hatte. 
Niharb Komas, ein junger Häuptling der Ute-Judianer, die 
auf der Uintab-Referwation in Utah leben, wird feit vier 
Fahren in Wafhington erzogen und bat fich eine volllommene 
Kenntniß des Englijchen angeeignet, jo dab er jebt dem 
Gongrefausihuß für indianiſche Angelegenheiten einen aus: 
führlichen Bericht Über die verlegten Rechte feiner Landsleute 
vom indianifchen Standpunkte aus vorlegen wird; er ſchlägt 
vor, daß die Regierung eine Anzahl junger Leute der wilden 
Stämme civilifiren und erziehen läßt, um fie dann ald Dol- 
metſcher und Indianeragenten anzuftellen, auch ſpricht er ſich 
für die Nebernahme der Indianerverwaltung durch die Kriegs 
abtheilung aus. Wenn man ſich auch viel Gutes von diejer 
ala wahrſcheinlich anzuſehenden Uebertragung veripricht, fo 
wird doch wohl die Indianerfrage nicht friiher endgültig ent: 
fchieden werden, bis (tro der Kilrzlich berichteten Vermehrung 
des großen Siongftammes) die letzte Rothhaut nach den glüd: 
lichen Jagdgründen abgezogen fein wird, wo, wie man wohl 
ficher annehmen darf, kein Indianeragent Eintritt finden wirb. 

* * x 

— Nach einer Zuſammenſtellung der Hinrichs ſchen Buch: 
handlung find im Jahre 1875 im Deutſchland 314 Werle 
über Geographie und Reifen und 216 Karten, Atlanten :c. 
erſchienen gegen 369 reſp. 218 im Jahre 1874. 

— Am 22, September 1875 haben Bolivia und Ebile 
einen Vertrag geichloffen, wonach beide Staaten die au ber 
Küfte der Atacama-Wüſte zwiſchen 22 und 25° füdl. Br. be: 
legenen Guanolager gemeinfcaftlih abbauen werden. 


ci ee ne ee et — — — — 

Inhalt: Eine Beſteigung des Mauna Hualalai auf der Inſel Hawaii. Bon Franz Birgham. (Mit zwei Abbil: 

dungen) — Dr. Bühler’s Reife nah Kaſchmir. I. (Mit zwei Abbildungen.) Schluß.) — Die Rohl fs'ſche Erpedi; 

tion zur Erforihung der Fibufchen Wüſte im Winter 1873/1874. Bon Pant Aſcherſon, Mitglied der Erpebition. I. (Mit 

einer Kartenifisge.) — Kreuz und nerzüge in Californien. Bon Theodor Kirchhoff. I. — Yulius Payer's Nordpol; 

wert. — Aus allen Erdtbeilen: Aus Nordamerifa. II, — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 12. Februar 1876.) 
z 


Rebacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, ©. W. Lintenftraße 13, IN Tr. 
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig. 


Hierzu ald Beilage: Proſpectus, betreffend: Dr. Mob. Dorr, über dad Geftaltungsögefeg der Feſtlandsumriſſe und 
die fommetrifche Lage der großen Landmaſſen. Verlag der Tb. Kaulfuß'ichen Buchhandlung in Liegnig. 


Theodor Kirchhoff: Kreuz- und Querzüge in Galifornien. 155 


dem fteilen Felsrande getrennt wird. Am 19. gab und ein 
heftiger Sandfturm aus W, N, W. einen deutlichen Vorge— 
ſchnack von ben Freuden des Wüſtenlebens. Wir lagerten 
an diefem Tage ſchon am Nadjmittage bei dem koptifchen 
Klofter Dar:el-Maragh, deſſen Mönche ung als Glaubens: 
genoffen mit größter Freumdlichkeit empfingen und bewirtheten, 

Wir blieben dort auch am 20., theils um die Karawane 
völlig für die Wüftenreife vorzubereiten (das Füllen der 
Wafferkiften nahm allein einige Stunden in Anſpruch), 
theils um eine Auswahl unter unſerm Gepäd zu halten, 
von dem Alles, was für den Marſch bis Dacjel entbehrlich 


ſchien, direct nad) dieſer Dafe erpebirt wurde. Am 21, 
blieben wir nur noch wenige Stunden im der Ebene bes 
Nilthals; bald wandte ſich die Straße einer thalartigen, 
weiten Einfenfung des Felsufers zu, in welche wir auf alls 
mäligem, fandigem Anftiege eintraten; bald war ung beim 
Rudblick nur nod) ein Kleiner, dreiediger Ausſchnitt des grüs 
nen Thalbodens ſichtbar; noch einige Schritte weiter und 
auch diefer war verfchwunden, Der Augenblick, an dem wir 
und auf Monate von dem Ufern des heiligen Stroms vers 
abſchiedeten und in die lebensfeindliche Wuſie einzogen, wird 
ung Allen unvergeßlich bleiben. 


Kreuz- und Querzüge in Galifornien, 
Von Theodor Kirchhoff. 


San Jofe, die californifhe „Bartenftadt", — Das Schidjal der panifch-mericanifchen Race in Ealifornien. — Ruud— 
ſchau vom Dom des Conrtbaufes in San Joe. — Ein blühendes Gemeinweſen. — Das Städtchen Santa Clara. — 
Die „Alameda*. — Das Santa-Clara-, College“. — Gilroh und feine Tabatsinduftrie. — Die „Bilroy Hot Springs*, — 


Das County von Santa Clara. — Erdbeerenzucht und Obfttransport über den Continent. — 


Agricnlturverbältniffe im 


Santa-Glara-Thale. — Die Quedfilberminen von Neu: Almaben. 


Die Stadt San Zofe ift von allen Inlandſtädten Ca— 
Liforniens die freumdlichfte, und jeder Fremde, der diefelbe 
befucht hat, ift entzlidt von ihrem heitern Ausſehen. An 
den breiten Straßen, die mit Asphaltgehwegen verfehen find, 
ftehen ſchmucke Häufer, worunter Banfgebäude in großftäbti- 
fchen Stil. Die Privatwohnungen find von grünen Bäu— 
men umſchattet umd die Stadt liegt wie in einem großen 
Garten — daher ihr Name. Die an den mit Blumen 
förmlich überladenen hohen Fuchſien auf und ab ſummenden 
Kolibris find dem Fremden eine befonders liebliche Erſchei— 
nung. Der Ort hat einen vorwiegend füblichen Charakter, 
dem aber der rlihrige Geſchäftsſinn der Umerifaner den Stem- 
pel neuern Forſchritis, wie er vorzugsweife, nördlichen Lün— 
dern eigen ift, aufgedrüdt hat. Die arbeitsunluftigen Spa: 
nier und Mericaner, welche bis zum Jahre 1846 in San 
Joſö das vorherrfchende Boltselement bildeten, haben den 
raſtlos thätigen Angloamerifanern und den Deutſchen dort 
volftändig das Feld räumen miljfen, Die wenigen ftehen 
gebliebenen Adobehäufer nehmen ſich neben den eleganten 
Neubauten wie Denkmäler einer taufendjährigen Vergangen- 
heit aus, Wehnliche Culturbilder, und in noch viel grellerm 
Contraſie als hier, gewahrt der Neifende in allen füdcalifor- 
nischen Städten, Die träge und gleichlam foffile fpanifch- 
mericanifche Nace muß vor der fich in frifcher Jugendkraft 
tummelnden neucaliforniſchen verfchwinden. Im Yaufe we— 
niger Jahrzehnte wird von den bereits in Staub fallenden 
Mauern der alten Adobewohnungen leine Spur mehr zu 
ſehen fein und nur die uralten, ſolider gebauten Miffiond- 
ficchen werden längere Zeit als Denkfteine einer dann ganz 
verfchollenen Race itbrig bleiben. Im einem fo rapid wie 
Californien ſich entwidelnden Yande ift ein Stehenbleiben 
des Alten, des ſich Weberlebthabenden, gerade jo undenkbar 
als die Möglichkeit, den Zeiger der Weltgefcjichte nad) ritdte 
wärts zu ſchieben. Spanier, Mericaner und Indianer und 
ihre Gebräuche und Sitten, ihre Spradje, Wohnungen u. ſ. w. 
find in diefem Bande dem Untergange geweiht, Angloame— 
tifaner und Deutjche, welche das reiche Erbe jener verlotter- 


ten Nationalitäten angetreten haben, wirken jegt im einem 
kurzen Jahre mehr für die Cultur in Californien, als jene 
während der ganzen Zeit vorhergehender Yahrhunderte fertig 
brachten. 

Ein anmuthiges Bild der caliſorniſchen Gartenſtadt und 
ihrer Umgebungen bietet ſich dem Beſchauer von dem 115 
Fuß hohen Dom des in byzantiniſchem Stil erbauten Court: 
haufes, eines Gebäudes, deflen Herftellung die Summe von 
300,000 Dollars in Anfprud; genommen hat. Wie in 
einem weiten Park, voll von Lufthäufern, Liegt Einem die 
Stadt, von dort aus gefchen, zu Fllen, durchſchnitten von 
breiten cauffirten Straßen, welche mit präcjtigen Baum: 
alleen befegt find. In der Nähe der Stadt und zu beiden 
Seiten derſelben fchlängeln fid) die von grlinen Weiden ein: 
gefaßten Gewäſſer des Guadaloupe und des Coyote nad) 
der Bay hinüber. Das Thal von Santa Clara mit feinen 
breiten, wohleultivirten Aeckern und Obftgärten, überſäet mit 
vereinzelt wachjenden Eichen und hier und da mit Hainen 
und freundlichen Wohnhäufern geſchmlickt, erſtreckt ſich, im 
einer Breite von etwa 15 engliſchen Meilen zwiſchen den 
bewaldeten Höhen der Coaſt Range und dem Gebirge von 
SantaCruz und Neu-Almaden, ſudwärts bie nad) Gil» 
roy und nordwärts bis zur großen San-Franucisco-Bay, in 
deren jchimmerndem Gewäſſer fich die dunlele Kuppe von 
dem volle 10 deutjche Meilen entfernten „Goat Island“ 
von hier aus deutlich erkennen läge. Die pradjtvolle Ala— 
meda, cine 31/, englifche Meilen lange Allee von uralten 
gigantifchen Weiden und canadifchen Bappeln, welche die 
Städte San Joſé und Santa Clara mit einander verbin« 
bet, bildet einen hervorragend ſchönen Punkt in dem Uberaus 
anmuthigen Yandicaftsgemälde, das von einem warmen, 
wahrhaft italienischen Simmel überwölbt ift. 

Die Stadt San Joſé, welche gegenwärtig an 14,000 
Einwohner zählt — worunter etwa 1500 Deutjche —, bildet 
den Sommeranfenthaltsort für viele reiche San Franciscaner, 
die das herrliche milde Klima hierher lodt. Invaliden, welche 
den rauhen Winden und Neben an der Hüfte und der großen 


a) * 


156 


Hige im Innern bes Pandes —— wollen, ſinden im 
Sommer in der caliſorniſchen „Gartenſtadt“ einen dev ges 
jundeften Pläge. Die Gebirge von Santa Cruz dienen dem 
Orte als Schutzwehr gegen die Seenebel, welche nur ſpora⸗ 
diſch von der Bay herüberziehen und ſich im Santa-Clara- 
Thale ſelten auf unangenehme Weiſe bemerlbar machen. 
Auf beiden Seiten der großen Bay, über Dakland und 
direct nach San Francisco, hat San Joſé Eifenbahnverbin: 
dung mit der californifchen Handeldmetropole und kann mit 
Leichtigleit viermal im Tage von dort aus erreicht werben. 
Die mit allem neuern Comfort eingerichteten Hotels find im 
Sommer ftets von Fremden überflilit, in den breiten chauf⸗ 
firten Straßen fahren Pferdebahnwagen und elegante Equi— 
pagen auf und ab, und der Plag hat alsdann fat das Aus— 
ſehen eines fajhionablen Courortes, 

Eau Joſé ift eine wohlhabende Stadt — ohne Schul: 
ben. Im vergangenen Jahre lagen im Stadtſchatze 56,000 
Dollars baar; gewiß ein beneidendwerther Ausweis ſtädtiſcher 
Finanzen! — Ein halbes Dugend ftattlicher Schulhäufer, 
zwei ſchöne Marithallen , das Conrthaus und andere öffent- 
liche Gebäude gehören der Stadt, Der Ort befigt Gas— 
und Wafferwerfe, Dampffenerfprigen, ausgezeichnete Schus 
fen — worunter die „Univerfity of the Pacific“, die „Academy 
of Notre Dame“, deren Anlage eine halbe Million, die 
Staatönormalfchule, deren Gebände 200,000 Dollars geloftet 
haben, und jieben Freiſchulen; ferner ein Dugend Kürchen, 
drei Banfen mit prachtvollen Bauten, drei tägliche und vier 
Modzenzeitungen, eine Wollenwaarenfabrit, fünf Wagen: 
fabrifen , drei Mehlmühlen, drei Brauereien, eine bedeutende 
Handſchuhfabrik und vericiedene andere Manufactuven, Der 
Werth des Grund und Bodens beträgt an der Hauptitraße 
500 Dollars per Frontfuß. Im unmittelbarer Nähe der 
Stabt find 11,000 Ader mit Obftbäumen bepflanzt und 
500 artefiiche Brunnen liefern das zum Beriefeln nothwen— 
dige Waſſer zu jeder Jahreszeit im Ucberfluß. 

Dos Städtchen Santa Clara, die ältere Schweſter— 
ftadt von San Joſe, ift mit dieſem durch die bereits genannte 
„Alameda“ verbunden, eine pradjtvolle Allee von riefigen 
fuorrigen Weiden und Pappeln, welche vor nun circa hun« 
dert Jahren von den alten Padres angepflangt wurbe. Frü— 
her verbanden ſich die Kronen der mächtigen Bäume oben 
zu einem Laubengange. Um jedoch die alternden Bäume 
vor zu frühen Abfterben zu fügen, ift man genöthigt ge: 
wefen, die Zweige theilweiſe abzuſchneiden und die Kronen 
hier und da zu fappen, wodurch jene Allee einen Theil ihrer 
ehemaligen Pracht eingeblißt hat. Aber immer noch ift bie: 
felbe eine „grüne Avenue“, die in Amerifa cinzig in ihrer 
Urt daſteht. Durch die ganze Läuge der „Alameda* läuft 
eine jede halbe Stunde befahrene Pferdeeiſenbahn und etwas 
abfeits reihen ſich Villen, ſchmucke Farmen, Yuft: und Blumen: 
gärten an einander, von San Joſé bis nad) Santa Clara. 
Der Stolz von dem etwa 2000 Einwohner zählenden Städt: 
dien Santa Clara ift das „Santa Clara College“, eine von 
Iefuiten gebildete Schule und cine der beften an der paci= 
fiichen Küfte. Die Schller werden dort fowohl in claffifchen 
Studien ald im technischen Fächern unterrichtet. Die che— 
miſchen und aftronomifchen Apparate der Anftalt find vor 
züglich und auch ein reichhaltiges Wiufeum befindet ſich in 
derfelben. Das vor zwanzig Jahren eröffnete „College“ 
nimmt den lag der alten Miffion ein, welche im Jahre 
1777 gegründet wurde. Bon den Miffionsgebänden ift die 
Kirche, in welder die Indianer ehemals chriſtliche Andacht 
übten, in etwas venovirter Form ftehen geblieben und bildet 
—— jetzt einen Theil des modernen Santa-Clara- „Col: 

ge“ 


Der zweitgrößte Ort im Santa Clara-County ift die 30 | 


‚Theodor Kirchhoff: Kreuz- und Querzüge in Californien. 


englifche Meilen ſüdlich von San Yojs an der Eifenbahn 

liegende Stadt Gilroy, welcher Plag durch den in feiner 

Nähe betriebenen Tabadsban an diefer Hüfte allgemein be- 

fannt if. Die bei Gilroy liegende Tabadsfabrif, „conso- 

lidated Tobaceo Company of Gilroy“, befigt ein Capital von 

. Mill, Dollars und giebt 254 Arbeitern, meift Chinefen, 

Veihäftigung. Das Hauptfabritat find Cigarren, die jedoch 

leineswegs das Aroma von Havannacigarren haben, ſondern 

vielmehr in Californien in einem ähnlichen Ruf ftehen, wie 

es Pfälzerfraut in Deutfchland hat. In neuerer Zeit wurs 

den größere Partien von Gilroycigarren nad) Auftralien 

verfandt, und ſteht es zu hoffen, daß unfere britiſchen Freunde 

wicht fo verwöhnt find wie wir Galifornier, und unſerm 

Tabadsproducte Geſchmack abgewinnen mögen. Der Haupt: 

abſatz fiir Gilroycigarren fand bis jegt nach den öftlichen 

Staaten ftatt, da die Yanlees mehr auf Billigkeit als auf 

Aroma des Krautes Nüdficht zu nehmen pflegen. Mebit 

dem Tabadsbau find es die 14 —* von Gilroy in einem 

felfigen Canon liegenden mineralischen Heilquellen „Silroy 

Hot Springs", welde dem Orte auswärts einen Namen 
verschafft haben. Das Waſſer jener Quellen it ftart mit 
Eifen, Magnefium, Schwefel, Arfen und Alaun verfegt und 
gewährt eine Radicalcour für rheumatiſche Yeiden. Die Lage 
jener Heilquellen ist hochromautiſch. Ein braufender Ward 
bad) ſtrömt durch die pittoresfe Schlucht umd ſtürzt fich im 
raufchenden Cascaden über Felstriimmer chalwärte, Mur 
wenige Schritte von dem Hotel und den anfehnlichen Babe 
rauuilichteiten verfegen den Bejucher in cine urwilde Gegen, 
wie c8 nur wenige als Geitenftiid auf diefem Continerite 
iebt. 

Das County von Santa Clara, deſſen Regierungsfig in 
San Hofe ift, hat eine Yänge von 51°, und eine Durdy 
ichnittöbreite von 34 englifcen Meilen, mit etwas über Die 
Hälfte Thalland. Seinen Namen führt e8 nach der bereits 
genannten unter mericanifcher Herrfchaft gegründeten Driffion 
Santa Clara, Die Verölterung des Countys beträgt gegen: 
wärtig etwa 30,000 Seelen, der Werth feines Grumdeigen: 
thums wurde im Jahre 1873 bereitd auf 31,322,426 Dol- 
lars abgeihägt. Die Hauptproducte des Thales find Eerealien, 
namentlicd Weizen und Gerſte ſowie Obſt- und Gartenfrüchte, 
weldye legteren dort zu enormer Größe gedeihen. Um mit 
Zahlen zu reden: Es befinden fid) gegemwärtig 172,573 
mit Weizen beftellte Aeres im County, die einen Durdjjchnitte: 
ertrag von 11/, Mill. Bufhel per Jahr geben. Weinftöde 
giebt e8 1,182,093, Aepfelbäume 104,373, Pfirfichbäume 
45,336 im County. Die Seidencultur dagegen befindet ſich 
noch in ber Kindheit und beſchränkt ſich auf die Zucht von 
Gocons. Nectarinen, Quitten, Upritofen, Pflaumen, Kir- 

fchen, Wallnüffe, Daulbeeren, Weintrauben, Mandeln u. |, w. 
— Sowohl halbtropifdye Frlichte als ſolche der gemäßigten 
Zone — gedeihen dort auf das Ueppigſte. Die Erdbeeren: 
zucht, weld;e 2000 Chinefen beim Pflüden der Beeren Be: 
ſchäftigung giebt, wird im Santa-Clara-Thale in großarti- 
gem Mafiftabe betrieben. Während mehrerer Monate im 
vergangenen Jahre vericiffte ein Erdbeerenhändler in San 
oje täglich 6000 Pfund Erdbeeren nad) San Francisco 
und erzielte damit einen Neinertrag von 15,000 Dollart. 
Die größte Erdbeerenfarm im County gehört einem Herrn 
Pierce im der Nähe von Santa Clara, der mit ihrem Betrieb 
ſchon in einem Jahre 46,000 Dollars eribrigt hat. 

Einen bedeutenden Aufſchwung haben im den legten Jah— 
ven die Sendungen von californiſchem Obft nad) den öftlichen 
Theilen der Union genommen, und nimmt hierin das County 
von Santa Clara unter allen Counties im Staate den erfien 
Plot ein. Man rechnet, daß von San Joſé allein in die- 
fem Jahre 80 Frachtwaggonladungen von Birnen, jede Yas 


Theodor Kirchhoff: Kreuz⸗- und Querzüge in Galifornien. 


dung zu 20,000 Pfund, nad) dem Dften geliefert wurben. 
Die Obſtwaggons werben contractlich fir 550 Dollars per 
Wagen mit den Paſſagierzügen befördert und zwar täglid) 
während der Saifon abwechielnd je zwei mad Chicago, 
St, Louis, Neuyork, Philadelphia, Bofton, Cincinnati, Pitts- 
burg, Wafhington, Louisville, Neuorleans und Baltimore, in 
welchen Städten das californifche Obft, welches das in den 
öftlichen Staaten gezogene ſowohl an Größe ald an Quali— 
tät bei Weiten übertrifft, to des durch die hohen Trand+ 
portloften enorm erhöhten Preifes einen rafchen Abſatz findet. 
Das zur Berfendung nad) dem Often beftimmte Obft wird 
auf das Sorgfältigfte unterfucht, ob es feine faulen Theile 
hat, und alles derartige wird fireng ansgeſchieden. Die für 
gut befundenen Früchte werben einzeln in Papier eingewidelt, 
dann im Kiſten, die mit Puftlöchern verfehen find, verpadt 
und biefe in eigens für den Obfttransport eingerichtete Wag · 
gons geftellt. Außer Birnen und andern Baumobft find es 
die befieren Sorten von californifchen Tafeltrauben, die man 
nad) dem Dften verfcidt. Da der Transport nur ſechs 
Tage in Anſpruch nimmt, fo erreicht das fo verfandte Obſt 
feinen Beftimmungsort in vorzliglichem Zuftande, Die legte 
Sendung Aberland findet um Mitte October ftatt, ehe der 
Froft im den Gebirgen eintritt und das Obft auf dem Trans- 
port fchädigen künnte, 

Der im Santa-Cfara-Thale für Agriculturzwecke geeige 
netfte Boden ift das Ichmige, fogenannte „ Abobeland“, 
welches bei veichlicher Bewäfferung unerſchöpflich zu fein 
fcheint. Dem Mangel an natürlichen Wafferläufen hat man 
durch zahlreiche artefiiche Brunnen abzuhelfen gewußt. Mit 
dem Pflügen beginnt man hier, wie überall in Californien, 
in der Regel nach dein erften Regenfall im October, da der 
Boden font zu hart ift, um von der Pflugfchaar Leicht durd) 
brochen zu werben. Auf noch mie geadertem Boden ift das 
Pflügen faft fo leicht als auf ſolchem, der bereits unter Eul- 
tur gebracht wurde, da es hier feine ſchwere Grakdecke giebt, 
wie auf den weftlichen Brärien. Weizen wird von November 
bis April gefäct; die Ernte beginnt im Juni, Im trodenen 
Jahren pflegt man Weizen, Gerfte und Hafer in den Halmen 
als Heu zu ſchneiden, weil diefes alddann einen größern 
Marktpreis bringt, als ſich durch eine voraussichtlich geringere 
Kornernte erzielen liege. Mafdyinen find in Californien 
beim Aderbau in ausgebehnteftem Gebrauch. Da im Som- 
mer zur Erntezeit feine Gefahr vor Regengüffen ift, fo pflegt 
man den auf den Feldern durch Dreſchmaſchinen audges 
drofchenen Weizen dort oft wochenlang in Süden liegen zu 
lafjen, ehe er in Speidyer gebracht oder nach San Francisco 
verfchifft wird. Die auf den Stoppelfelbern in Menge ba- 
liegenden weißen Säde geben einer californifchen Landſchaft 
zu jener Jahreszeit einen ganz eigenthümlichen Anſtrich. Das 
Klima des Santa-Clara-Thales ift ein ſolches, wie e8 fid) 
ber verwöhntefte Sübländer nicht angenehmer wünſchen fönnte. 
Froft ift im Winter, hier die Negenzeit, eine Seltenheit. 
Wegen feiner Nähe an San Francisco und der ausgezeich— 
neten Communicationswege — zu Waſſer durch die Bay, 
zu Lande durch) die es im feiner ganzen Fänge durchſchnei— 
dende Eiſenbahn — hat das Ganta-ClarasThal eine im 
Vergleich mit anderen Pandftrichen Californiens hohe Cultur 
erreicht. Während armen von 1000 Aeres in anderen 
Theilen diefes Staates Fein genannt werden, gehört eine 
Farm von 200 Acres im Santa:-Clara-Thale ſchon zu den 
größeren. Eine forgfältigere Bodencultur ift hier die natlir- 
liche Folge der mehr gleichmäßigen Bertheilung des Yandes 
unter Heinere Anfiebler geweien, und dev Werth des Bodens 
ift verhältnigmäßig hoch. armen in einer Entfernung 
von fünf englifchen Meilen von San oje haben z.B. einen 
Werth von 150 bis 200 Dollars per Here. Das Yandicafte- 


157 


gemälde mit den breiten Feldern und ſchwellenden grünen 
Hligeln umd den parkähnlich darauf zerftreuten Eichen und 
Hainen, mit dem Duft einer ſüdlichen Zone darüiberlicgend, 
in der Ferne die bewaldeten Höhen der Küftengebivge, ift 
entzlidend ſchön. 

Eine etwas eingehendere Beſprechung verdienen noch die 
etwa dreizehn englifchre Meilen in füblider Richtung von 
San Yofe im Gebirge liegenden Eilberminen von Neu - Al: 
madsn. Ehe die Weißen ins Yand kamen, bemugten ſchon 
bie Indianer den röthlichen Zinnober als Schminke für ihre 
Kriegähelden, unterließen aber nach und nad diefen Gebrauch, 
weil das im der Farbe enthaltene Queckſilber Hautentzüns 
dungen verurfachte. Durch die Indianer erfuhren die Mexi— 
caner bereits im Jahre 1824 die Yage der Zinnoberhöhle, 
aber erft im Jahre 1845 erkannten diefe das Geheimniß des 
in dem röthlichen Erze enthaltenen Queckſilbers. Den Anglo- 
amerifanern blieb es vorbehalten, die Minen aufzufchliegen. 
Ein langwieriger Landproceß über den Grund und Boden 
bei Neu» Almadön verzögerte jedoch die Bearbeitung der Mi— 
nen, bis das Obergericht der Bereinigten Staaten den Beſitz⸗ 
titel zu Gunſten der gegenwärtigen Inhaber eutſchied; aud) 
verftand man zuerſt nicht, das Erz vortheilhaft zu bearbeiten, 
fo daß die Minen, ftatt Gewinn abzuwerfen, den Eigenthü— 
mern eine Duelle bedeutender Berlufte waren. 

Die Hauptausbeute der Quecſilberminen von Neu-Al- 
maben batirt von Jahre 1850, als ein einfacher Grobſchmiied 
einen neuen Heductionsproce erfand, und man gufftählerne 
Retorten einführte. Die Quedjilberdämpfe werden bei dier 
ſem Proceß in einer Kammer, die durch eine durchlöcherte 
Mauer mit den Heizungsöfen in Verbindung fteht, conden- 
firt. Eine ſolche Kammer ift jedesmal im ſechszehn Räume 
getheilt, welche durch Wände getrennt find, die abwechfelnd 
nicht ganz bis an die Dede und nicht ganz bis an den Bo— 
ben reichen. Die Duedfilberbämpfe, welche aus dem Schmelz: 
ofen durch die durdjlöcerte Scheidewand in die Gondenfir- 
fammer dringen, ſieigen in der erften Abteilung in die Höhe 
und treten, durch einen Yuftzug fortgetrieben, durch die obere 
Berbindungsöffnung in den zweiten Raum; bier fallen fie 
wieder zum Boden herab, dringen von unten im die zweite 
Abtgeilung, fteigen aufs Neue empor und gelangen durch bie 
nüchſte obere Deffnung in den dritten Raum und fegen fo 
ihren langfamen Zickzacklauf bis zur legten Kammer fort. 
Auf dem Wege fühlen ſich die Dämpfe ab und das Qued: 
filber fett fic, wie Thau an den Wänden feit oder tröpfelt 
in Kugelchen auf den Boden. Durch Meine Röhren wird 
es in einem langen Trog aufgefangen, der feinerfeits in 
einen Keſſel mitndet, weldyer das flüffige Metall aufnimmt. 
Die Dämpfe läßt man ſchließlich hinter der letzten Condenſir- 
kammer über einen mit Wafjer gefüllten Behälter ftreichen 
und kuhlt fie durch einen zerftäubten Waflerftrahl völlig ab. 
Hierdurch verdickt ſich der letzte Reſt von Queckſilber, che bie 
ganz von ihm entblößten Dämpfe durch die Schornſteine ins 
Freie entweichen fünnen. Gelegentlich, werden die Wände 
in den Kammern vollftändig reingeblirftet und Nuß und 
Vermillon forgfältig davon entfernt, Das jo gewonnene 
Quedfilber wird in eifernen Flaſchen von je 67!/, Pfund 
verpadt und gewinnt man im Durchſchnitt 153 Pfund ge: 
teinigten Mercurs aus einer Tonne (= 2000 Pfund) 
Zinnobererz. Es find in Neu-Alınaden vierzehn folcher Res 
buctionsöfen im Gange, Das Erz wird aus einem lber 
1000 Fuß langen Tunnel, der eine Breite und Höhe von 
10 Fuß hat und im den ein Gewirr von Meinen Schachten 
und Stollen mündet, gewonnen. Die Ghrubenarbeiter (te- 
näteros) transportiven das Erz in ledernen Süden, die mit 
einem Riemen um die Stirn befeftigt ſind, ähnlich wie die 
Indianerfrauen Holziceite und Mehlſäcke zu tragen pflegen, 


158 


aus den Stollen und Schachten nad) dem Haupttunnel, von 
wo es auf Eifenbahnfarren zu Tage geichafit wird. 

Dis zu Anfang der fiebziger Jahre produeirten die Qiued- 
filberminen von NewAlmaden jährlich 48,000 Flaſchen ges 
reinigen Mercurs und es fanden dort 1025 Arbeiter ftetige 
Veihäftigung. Gegenwärtig beträgt die Zahl der Arbeiter 
aber kaum mod; 400 und ed werden weniger als 20,000 
Flaſchen pro Jahr produeirt. Die Urfache diefer geringern 
Ausbeute liegt im der abnehmenden Ertragsfähigkeit der 
Minen; aber immer mod; liefert Neu-Almaden die Hälfte 
von dem in Californien und faft den vierten Theil von dem 
auf ber gay Erde gewonnenen Queckſilber. Im Ganzen 
producirt Californien jegt jährlid) gegen 3 Mil. Pfund 
Duedfilber ; die Minen von Almaden in Spanien liefern 
2 Mill, die von Nria in Krain etwa 1 Mi. Pfund, Der 


Julius Payer's Nordpolwerl. 


californiſche Zinnober enthält 70 Thle. Queckſilber, 11 Thle. 
Schweſel und 19 Thle. fremden Metalls und erzielt einen 
Neinertvag von 12 Procent; der von Almaden (Spanien) 
befteht aus 36 bis 41 Thln. Quedfilber, 16 Thln. Schwer 
fel und 43 bis 48 Thln. fremden Metalls; der von Idria 
aus 51 Thln. Duedfilber, 8 Thln. Schwefel und 44 Thln. 
fremden Metalls. Die Minenarbeiter von Neu-Almaden 
beftehen aus einem Conglomerat von vielen Nationalitäten, 
unter denen Mericaner und Gornifhleute vorwiegend find, 
eine uncultivirte und zanffüctige Bevölferung, die in einer 
aus rohen Holzhäufern erbauten fogenannten Stadt oben auf 
bem Berge zufammenwohnt und ihr fauer erworbenes Geld 
am Zahltage fo ſchnell als möglich mit Spielern, Bumni— 
lern und ſchlechten Weibern zu verjubeln pflegt. 


Julius Payer’s Nordpolwerf *). 


R. K. Bon ben 20 bis 24 Pieferungen, auf welche die- 
ſes epochemachende Buch berechnet ift, liegen uns zur Stunde 
11, alfo etwa die Hälfte, vor, welche uns vollauf in den Stand 
fegen, ein Urtheil über daffelbe abzugeben, oder, da daſſelbe 
alfeitig ſchon gefällt ift, unfere Leſer wenigſtens auf den 
ungewöhnlicen Werth dieſer Beröffentlichung aufmerkſam 
zu machen. Ohne die in der deutſchen Preſſe und in den 
Fachjournalen enthaltenen Beurtheilungen zu erwähnen, wols 
len wir nur anführen, daß das Bud, Ende November bereits 
in mehr als 30,000 Eremplaren verbreitet war, Und zweis 
tens beeilt fid) die an Werken tiber Nordpolfahrten gewiß 
nicht arme englifche Literatur durch Ueberjegung vom biefer 
wichtigen Erſcheinung Befig zu ergreifen, „Die Erzählungen 
von der Trift des „Tegetthoff* — fagt das Athenaeum (Nro. 
2515, ©, 59) — zu dem bis dahin unbefannten Franz: 
DofephrYand und von dem wunderbaren Entfommen der 
Beſatzung, melde ihr Schiff im Eiſe laffen mußte, geben 
einen Roman von ungewöhnlichen Intereſſe ab, jelbft unter 
den Schilderungen arktiſcher Forfchung.“ 

Nur in den roheſten Umriſſen war bis jet der Verlauf 
der merhwirdigen zur Hälfte unfreiwilligen Reiſe aus furzen 
Dournalartifein bekannt; das todte Gerippe der bisher dar: 
über publicirten Berichte und Karten hat jegt Yeben erhalten, 
das ihm Payer's lebendiges Wort und lebenswahrer Griffel 
eingehaudyt. Wir lernen eine ganz ungewöhnliche Befähigung 
zu populärer Darftelung hier lennen, welche dem Wifjen- 
Ichaftlichen, dem Praftifchen nicht ausweicht und fich doch 
häufig zu Hochpoetifchem Schwunge erhebt. Dazu fommt 
die bedeutende Anzahl trefflicher Holzſchnitte, alle an Ort 
und Stelle von dem Verfaſſer nad) der Natur gezeichnet, 
denen man es anfieht, da da nicht die Phantafie ihr gutes 
Theil geholfen hat, wie das bei engliſchen Werten fo häufig 
ber Fall ift, um etwas Intereffantes, Aufregendes, Packendes 
zu Stande zu bringen, Wie weiß Payer's kunſtleriſcher 
Blick den wenigen Motiven, Felfen, Eis und offenes Wafler, 
und der wenigen Staffage (24 Männer, 8 Hunde, Eisbären 
und Bögel fpielen dabei die Nollen) immer wieber und wie: 


*) Die öfterreichifhrungeriihe Norbpolerpetition in ben Jabren 
1872 bis 1874 nebſt einer Skizze ber zweiten deutſchen Norbyolr 
erpedition 1860 bis 1870 und ter Polarerpebition bon 1871 von 
Julius Bader. Mit mehr ale dundert Slluftrationen und Kunfts 
beilagen. Wien #875, Alfter Hölder. 8. Im vierichntägigen Lie⸗ 
ferungen k 50 Bi, 


der neue Seiten abzugewinnen, fo daß uns das fünfzigfte 
Bild noch genau cben jo intereflant erſcheint als das erfte! 
Auf das Herrlichfte der arktifchen Landſchaften, die pracht: 
vollen Töne und Farben in allen Abftufungen, muß ev obens 
brein noch im Holzfchnitte verzichten. Die der elften Yieferung 
beigegebene Karte des Kaiſer-Franz-Joſeph-Landes ift ein 
—* zierlicher und geſchmackvoller, dabei deutlicher Aus— 
ührung. 

Allbelannt iſt, wie der unglückliche „Tegetthoff“ am ſel— 
ben Tage (21. Auguſt 1872), am welchem er ſich vom „De: 
björn“ des Grafen Wilczek trennte, vom Eiſe befegt wurde 
und nit ber Scholle willenlos längs der Küfte von Nowaja 
Semlja nad) Nordoften getrieben wurde, wie aus den Ents 
defern an Bord unfreiwillige Paflagiere des Eifes wınden. 
Da half fein Sägen, fein Sprengen mit Pulver: die Scholle 
hielt ihre Beute feit, feſt wahrſcheinlich bis auf den heutigen 
Tag. Und die Winternacht nahte und mit ihr die Kälte und 
die Yangeweile, zu deren Belämpfung Schule mit der Mann: 
ſchaſt abgehalten und babyloniſche Thürme von Eisſihcken 
aufgeführt wirden, Am 13. October fingen die Eispreflun- 
gen an, die namentlich im Januar eine flirchterliche Stärke 
und Häufigfeit erreichten, fo daß es faft Hlirger geivefen wäre, 
die Ruhetage aufzuzählen, als diejenigen des Anfruhre. Das 
fürdhterliche Brüllen und Pfeifen und Bewegen des Eiſes 
„bereitete ihnen ein eben, deſſen geiftige ie den furcht⸗ 
barften Höllenfhilderungen entfprochen hätten.“ Da hieß 
es jeden Augenblict bereit fein, um mit einigen Borräthen, 
Waffen u. ſ. w. das bedrohte Schiff fofort verlaffen zu fönnen. 

Wird es dann wieder ruhiger, fo gewähren eine ange: 
nehme Abrwechfelung die Bärenjagden, weldye von unferen 
Keifenden zu einer fürmlichen Kunſt ausgebildet wurden und 
die für Nordpolfahrer wegen des friſchen Fleiſches, das fie 
liefern, fo überaus wichtig find. Ein ganzes, hodjinterefjan- 
tes Gapitel ift ihnen allein gewidmet, den Vebensgewohnbeiten 
ber Thiere und der Perfchiedenheit ihres Charakters in ver: 
ſchiedenen Teilen des Eismeered, Wohl lann Keiner beſſer 
darüber unterrichtet fein als Payer und Weyprecht; haben 
fie doch nicht weniger als 67 Eisbären erlegt und verzehrt 
und weit Über 100 gejagt oder gefehen. 

Dann werden ergöglice Edjilderungen ans dem Yeben 
und Treiben der Mannfchaft eingeflochten und das bunte 

‚ Durdjeinander von Nationalitäten an Bord geſchildert, wo 
| Tyrol, Steiermart, Mähren, Böhmen, Ungarn, Dalmatien, 


Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforſchung der Libyſchen Wüſte im Winter 1873/1874. 


erfahrenfte unter den Afrifa-Keifenden unferer Zeit (Da: 
vid Pivingftone befand fid; damals nicht mehr unter den 
Lebenden, wenn aud) die Todesnachricht erjt gegen Ende des 
Jahres nad) Europa gelangte), ſich die Erforſchung ber Liby— 
ſchen Wüfte zur Aufgabe geftellt habe. Der gefeierte For— 
fcher war durch feine Reife von der Cyrenaica nach Alexan— 
drien, auf welder er durch feine Barometerbeobachtungen 
mit größter Wahrfcheinlichfeit eine ungeahnte Yängens 
—— des Depreſſionsgebietes der Ammons-Oaſe faſt 
von ber Großen Syrte bis in die Nähe der Nilmündungen 
nachwies, auf eine weitere Ausdehnung feiner Forſchungen 
nach Süden hingeleitet worden. Auf die mächtige Fürſprache 
des damaligen deutſchen Generalconfuls, Dr. v. Jasmund, 
hatte der Chedive von Hegypten mit guoßartiger Freigebigkeit 
die Mittel fir diefe Reife bewilligt, Dies war um fo erfreu« 
licher, als es fich bei der Unternehmung, wie fie von Rohlfs 
geplant wurde, nicht nur um einen fühnen Borftoß, der auch 
einem einzelnen mit den befcheidenften Mitteln ausgerüfteten 
Pionier gelingen kann, fondern ebenſo fehr um eine genaue 
wiſſenſchaftliche Erforſchung des zu durdhreifenden Gebiets 
handelte. Durch die reichen Mittel und bei der kurzen, auf 
wenige Monate beredjneten Dauer der Reife war Rohlfs 
in der Yage, ſich mit einem Stabe von Fadıgelehrten zu uns 
geben, die fich ſämmtlich ſchon durch anerkannte Yeiftungen 
einen geachteten Namen erworben hatten; der audgezeichnete 
Paläontolog Brof. Zittel von Münden und der nicht mins 
der hochgeichägte Geodät Prof. Jordan von Karlsruhe 
wurden für die Erpedition gewonnen, und gern folgte der 
Schreiber diefer Zeilen, obwohl in der Wüfte gerade nicht 
auf eine reiche naturgefdyichtliche Ausbeute zu rechnen war, 
der Einladung feines Freundes Rohlfs, die Reife ald Bo- 
tanifer mitzumachen. Als Photograph begleitete dieſelbe der 
gleichfalls ſchon durch hervorragende Yeiftungen auf dem Ges 
biete der Yandichaftsphotographie bewährte Ph. Nemele. 
Ebenfo wie auf die Auswahl des Perfonals konnte auf die 
des Materials die größte Sorgfalt verwendet werden, und 
ebenfowenig wie dort trat hier die Koftenfrage hindernd in 
den Weg. Der größte Theil der Uusrkftung wurde von 
Rohlfs in Paris und Yondon angefauft; der ausgebehnte 
Colonialbeſitz umferer weftlichen Nachbarn, die häufigen Feld⸗ 
züge in überfeeifchen Yändern bringen es mit fid), daß dort 
ftets Nachfrage nad) Reiſeausrüſtungen ift, und derartige 
Segenftände in erprobter Preiswlirdigkeit vorräthig zu fin: 
den find, während ſie bei uns erſt mit großem Zeitverluſt 
und vielleicht nicht jo praktiſch Hergeftellt werden könnten. 
Die Parifer Zelte haben ſich namentlich ausgezeichnet bes 
währt, während allerdings die fonft fehr gut gearbeiteten 
Feldſtühle und Tische den Strapazen eines mehrmonatlichen 
Kameeltransports und den Mißhandlungen farbiger Diener 
kaum bis zu Ende der Expedition Widerftand geleiftet haben. 


Bei diefer Gelegenheit wurden auch eine Anzahl IThermo- 


meter und Aneroide bei den erften Firmen in Yondon und 
Paris angelauft, während die von Yordan zu aftronomifchen 
und geodätifchen Meffungen benugten Inſtrumente mit Aus: 
nahme eines Meßrades (Berambulator) von Caſella deut: 
ſchen Werfftätten entftammen. Ebenſo ging auch ber Theil 
der Ausrlftung, welcher am meiften Auffehen erregte, 500 
Waſſerkiſten von ftarkem Eiſenblech zu 50 Liter Inhalt, 
aus einer beutfchen Fabrik, Stieberig und Miller in Apolda, 
hervor und hat fid), wie hier gleich bemerkt werden fol, 
vorzüglich, bewährt. Die Berproviantirung, theils in Deutſch- 
land, theils erft in Aegypten beichafft, war ebenfalls auf das 
Sorgfültigfte erwogen, fo daß während der ganzen Dauer 
der Erpedition fiir eulinarifche Genitjfe nicht nur ausreichen, 
ſondern mitunter felbft im Iupuriöfer Weife gejorgt war. 
Es möge mir hierbei eine Bemerkung geftattet fein. In 
Globus XXIX, Nr. 10, 


153 


unferen geordneten Verhältniſſen ift es wohlfeil, über ben 
materiellen Sinn der Neifenden, die ftetd von Eſſen und 
Trinfen reden, im fittliche Entrüftung zu gerathen oder über 
ihre Yerferhaftigfeit die Nafe zu rüumpfen, wenn unter den 
mitgenommenen Vorräthen auch Yurusnahrungsmittel, wie 
feine Gemlife ıc., figuriren. Wer indeß einige Monate aufers 
halb der enropätfchen Civilifation gelebt hat, kann ermeffen, 
einen wie wichtigen Einfluß zufagende Koft auf die Sefunds 
heit und die gute Yaune des Europäers ausiibt, Es wird 
ſelbſtverſtündlich fein Mann von Ehrgefühl und fachlichen 
Intereſſe anftehen, ſich unvermeidlichen Entbehrungen zu 
unterziehen; indeß wie im der jeßt jo wichtig gewordenen 
militärifchen Hygieine die Sorge flic das materielle Wohl 
der Mannſchaft die erfte Stelle behauptet, fo muß es aud) 
jedem Leiter einer Erpedition wie dem einzelnen Neifenden 
nicht nur geftattet, jondern geboten fein, die Entbehrungen 
der gewohnten Genliſſe auf das möglich geringite Maß zu: 
rückzuführen. Died gilt nicht nur in Bezug auf die Ernäh— 
rung. Schweinfurth fchreibt dem Umftande, daß er fait 
jede Nacht entlleidet ſich vollftändiger Ruhe hingeben konnte, 
den wichtigiten Antheil an feiner felten unterbrodhenen Ru— 
ftigfeit zu; und auch wir haben unfere vortrefflichen Feld— 
betten zu jchägen gewußt, 

Eine andere Frage der Reiſetechnil möge bei diefer Ge— 
legenheit kurz befprodjen fein; ich meine die Mitnahme curo- 
päifcher Diener. Mein foeben genannter Freund Schwein: 
furth, der faft alle feine Reifen ohme europäiſche Begleitung 
zurlidgelegt hat, iſt ein entfchiedener Gegner derfelben, und 
in der That fprechen die meiften Erfahrungen, weldye auf 
längeren, mehrjährigen Reifen und namentlich unter ungline 
ftigen Mimatifchen Berhältniffen gemacht wurden, mehr ge- 
gen als für die Verwendung von europäiſchem Dienftper- 
fonal. Fälle, wie die eines Richard Yander, der nicht 
nur mit eigener Anfopferung bei feinem fterbenden Herrn 
bis zu Ende ausharte (fir mich eine der ergreifendften 
Epifoden in der Geſchichte afrifanischer Reifen), fondern 
defjen Aufgabe fiegreic, durchführte, gehören jedenfalls zu 
ben jeltenen Ausnahmen. In der Regel wird felbft ein gut 
gearteterv Europäer durch das Gefühl der Ueberlegenheit 
fiber die Eingeborenen und feiner vermeintlichen Unentbehr: 
lichkeit zur Unbotmäßigfeit verleitet und das geringere, bem 
Ungebildeten eigene Maß moralifcher Kraft läßt ihn früher 
ben Schadlichteiten des Klimas erliegen. In unferm Falle 
lag die Sache indeß gang anders. Mit Ausnahme von 
Rohlfs war keiner von uns der arabischen Sprache mächtig; 
in den wenigen Monaten wäre e8 daher laum ausflihrbar 
geweſen, Eingeborene zu den technifchen Hülfsleiſtungen ab» 
zurichten, deren wir Alle, mehr ober weniger, bedurften, 
Wir zogen es daher vor, deutſche Diener zu engagiren, und 
hatten alle Urſache, mit der Wahl diefer jungen Yente zufrie— 
den zu fein. Obwohl fie faft Ulle zum erſten Male von 
der heimathlichen Scholle in fo abweichende Verhältniſſe 
famen, fanden fie ſich mit Veichtigleit hinein und haben durch 
ihre Tlichtigfeit ihren Antheil zum Gelingen des Unterneh. 
mens beigetragen. 

Mitte November 1873 verließen wir die deutſche Hei— 
math und am 27. langten wir im Hafen von Alerandrien 
an. Wir hatten hier eine zweitägige Ouarantäne zu über- 
ftehen, im Angeſicht des räthjelvolen Contineuts, ben wir 
faft ſämmtlich noch nie betreten hatten, gewiß eine harte Ge— 
duldsprobe! Ein dreitägiger Aufenthalt in der Stadt des 
großen Alerander genügte, um unfere Gefchäfte zu erledigen, 
welche außer in der Vervollftändigung unferer Ausräftung 
namentlich in der zollamtlichen Abfertigung und Weiter: 
beförderung unferes ungeheuren Materials, weldyes mehrere 
Gifenbahmwaggons jilllte, beftanden. Im Kairo hatten wir 


20 


154 Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforſchung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874, 


ebenfallg keinen langen Aufenthalt. Rohlfs nahm hier eine 
Anzahl Nubier in Dienft, denen fpäter in Siut noch drei 
Neger hinzugefügt wurden; fein getreuer Kanuri-Reger Bus 
Belt, den er in Tripolis aus der Sklaverei befreit hatte, 
und der 1869 mit ihm die Reife durd) die Cyrenaica nad) 
Alerandrien gemacht Hatte, ftellte ſich ihm wieder zur Berr 
fügung. Auch diefe farbigen Diener bewährten ſich, mit 
einer Foäter zu erwähnenden Ausnahme, ald brauchbar. Wir 
hatten in der Hauptjtadt Aegyptens die Ehre, dem Chebive 
vorgeftellt zu werden und einer Sigung des Inftitut ögyp- 
tien beizumohnen, in welcher Rohlfs feinen Reiſeplan aus« 
einander ſetzte. Von Oberäggpten aus gebachte er die Ex— 
pedition nad) den Hah-Dafen zu führen und wollte von einem 
Punkte derfelben (das am weiteften nad) Weſten vorgeichobene 
Farafrah erfchien uns damals am geeignetften) quer durch 
die Wüfte die nod) von feinem Europäer befuchte Dafe 
Kufara (wie oben bemerkt, auf der Straße zwiſchen Djalo 
und Uadai gelegen) zu erreichen fucen, Außerdem bezeich 
nete er als Hauptaufgabe der Expedition die Erforſchung 
der Höhenverhättnifle der Libyſchen Wiifte. Die Mitglieder 
des Inftituts, al8 deren Wortführer der Ehrenpräfident def- 
felben, der berühmte Aegyptologe Mariette- Bey, auftrat, 
empfahlen uns befonders die Erforfchung des Bachr-bela-ma, 
Unter dieſem arabischen Namen, weldyer Fluß, Yandfee oder 
Meer ohne Waſſer bedeutet (das Wort badır, in der Mehr: 
zahl behär, bezeichnet Überhaupt ein größeres Gewäſſer), fins 
det ſich auf allen bisherigen Karten cine flufbettartige Ter- 
rainbildung verzeichnet, melde, von der Oaſe Dachel aud« 
gehend, an der Heinen Dafe (Uah-el-beharieh), wo fie einen 
gleichnamigen Zufluß aufnehmen follte, vorüberziehend, fich 
gegen das Nildelta erftvedt, An der Eriftenz dieſes Bachr⸗ 
belasma zweifelte vor unferer Expedition Niemand, und 
ebenfo war die Anficht in allgemeiner Geltung, daß er ein 
älteres Bett des Nils darftelle, obwohl die obere Abzweigung 
eines ſolchen nicht befannt ift. Der Nachweis der Nichte 
eriftenz dieſer „geographifcen Seeſchlange*“, wie fie Rohlfs 
bezeichnend nennt, darf wohl als eins der wichtigſten Ergeb- 
niffe unſerer Reife gelten. 

Am 7. December begab ſich die Expedition von Gifeh, 
der Kairo benachbarten Station der oberäghptiſchen Eiſen⸗ 
bahn, nach Minieh und ſchiffte fich am folgenden Mittage 
auf einem vom Chedive uns zur Verfügung geftellten 
Dampfer nad) Siut ein, welche anfehnliche Stadt wir am 
10. Abends erreichten. Auf diefer Fahrt wurden wir durch 
die Fürſorge des Yandesheren anf das Reichlichſte bewirthet ; 
es war, als ob man und vor dem Aufbruch in die Wüſte 
alle Genüffe des civilifirten Yebens noch in vollften Maße 
gewähren wollte. In Siut verweilten wir eine volle Woche. 
Zwar waren ſchon 35 Kameele fir unfere Erpebition ans 
gelauft, 65 andere von den benachbarten Araberftänmen 
beider Nilufer gemiethet, indeß erforderten die Berhandlungen 
mit dem die legteren begleitenden Perfonale mehrere Tage, 
zumal ſich Nohlis’ Plane unerwartete Schwierigfeiten ent- 
gegenftellten. Zunächſt ergab ſich die unwilllommene Noth— 
wendigleit, für den ganzen Wüſtenmarſch, bis zum nächſten 
Stapelplage, Samcelfutter mitzunehmen. In der weftlichen 
und mittlern Sahara ift dies nach Rohlfs' Erfahrungen nur 
ausnahmsweife erforderlich; jonft reicht Uberall die unter- 
wegs angetroffene Vegetation zur Ernährung diefer genlig⸗ 
ſamen Pafithiere aus, Die Vermehrung unferes Gepäds 
um 2500 Kilo Saubohnen — 15 Kameelslaften — war 
gerade feine angenehme Ueberraſchung. Dann ftellte es fid) 
als unausführbar heraus, Farafrah zum Hanptftapelplate 
der Expedition zu machen, Diefe Heine von nur 80 Kami- 
lien bewohnte Dafe bietet nicht die nöthigen Subfiftenzmittel; 
außerdem ift das dortige Gemeinweſen, welches von feinem 


am Orte befindlichen Negierungsbeamten geleitet wird, völlig 
in den Händen der fanatifchen djriftenfeindlichen Secte der 
Senuffi, jo daß felbft für die Sicherheit der Expedition und 
ihres Eigenthums nicht hinreichende Gewähr geboten zu wer ⸗ 
den ſchien. Viel geeigneter erſchien in jeder Hinficht bie 
größere, gut bevöfferte und wohlhabende Dafe Dadjel, in der 
auch durch den dort refidirenden ägyptifchen Gonverneur bie 
Berbindung mit der Negierung des Chedive gefichert war. 
Doch beſchloß Rohlfs, nicht direct von Siut nach Dachel 
auf der bereits von Edmonſtone und Drovetti 1819 
zurliclgelegten Straße zu gehen, ſondern zog es vor, den 
Meg über Farafrah zu nehmen. war ift ſehr wahrſchein⸗ 
lich, bereits 1824 der talentoolle, aber unglüdliche Reifende 
Pacho von Farafrah zum Nilthal bei Siut auf der von 
uns begangenen Straße zurlicgefehrt *), doch ift Über feine 
Neife nach den ägyptiſchen Dafen fo gut wie nichts befannt 
geworden; immerhin fonnte diefe Strede als unerforfchtes 
Gebiet gelten, und hätten wir auf ihr den auf den Karten 
verzeichneten Badyr-bela-ma, falls er eriftirte, Freuzen müffen. 
Durch die energifche Intervention der ung zur Seite ftehen- 
den einheimischen Autoritäten, namentlich des uns von Che- 
dive als Gejhäftsführer bie zum Aufbruche in die Milfte 
beigegebenen Privatſeeretürs Sr. Hoheit, Siver-Effendi, 
und des Sohnes des deutſchen Konfularagenten, Heumius 
Uaffifrel-Chajjat**), gelang es, alle diefe Schwierigkeiten 
zu fiberroinden, und am 17. Nadjmittags konnten wir das 
Hauptquartier vom Bord des Dampfers, den wir bis dahin 
bewohnt hatten, nad) dem Saramanenlagerplage Rumelah 
bei Siut verlegen. Unſere Karawane beftand, da die ur 
fprüngliche Zahl noch hatte erhöht werden müſſen, aus 105 
Kameelen umd wurde von gegen 100 Männern begleitet. 
Wir fünf Mitglieder mit unferen fünf deutfchen und zehn 
farbigen Dienern bildeten das eigentliche Berfonal der Erpe—⸗ 
dition; die Uebrigen waren Sameeltreiber, den um Siut 
nomadifivenden oder vielmehr am Rande des Nilthals ange- 
fiebelten Bebuinenflämmen angehörig, von denen übrigens 
nur die des Linfen Nilufers als echte femitifche Araber, in 
ihrem körperlichen Typus weit von den das Nilthal bewoh— 
nenden Hamitifchen iellahin, den Nachkommen ber alten 
Aegypter, abweichend, zu betrachten find, während bie foge 
nannten Araber des rechten Nilufers vielmehr arabifirte 
Hamiten, nähere Verwandte der Nubier und Biſcharin find. 
Der vierzehntägige Wuſtenmarſch, welchen wir mit dieſen 
Leuten zurlidlegten, bot hinreichende Gelegenheit zu ethno- 
graphiſchen Studien ; wir lönnen indeß von ihrem Charal- 
ter fein günftiges Zeugniß ablegen. Zu loben ift nur die 
Sorgfalt, mit der fie ihre Kameele behandeln; in diefer Hin« 
ſicht vermißten wir fie ſpäter oft ſchmerzlich, weil unfere 
braunen und ſchwarzen Diener darin feine Uebung bejaßen; 
im Uebrigen waren wir herzlich froh, von ber Gefeifehaft 
diefer zänfifchen, habgierigen, unzuverläffigen, ebenſo praf- 
lerifchen als feigen Menſchen befreit zu fein, welche ſich 
unter einander nicht minder belogen und betrogen, ala jie 
ung bei jeber Gelegenheit zu übervortheilen fuchten. Die 
erften beiden Tagemärfce wurden noch im Niltgale zurid- 
gelegt, da die Strafe, weldje wir verfolgten, erft eine beträdht: 
liche Strede nördlich von Siut, dem Orte Mör gegenüber, 
das Plateau der Libyſchen Wüfte erfteigt. Der Weg zog 
ſich ftets in der Nähe des Culturterrains entlang, welches 
durd; einen etwa 4 Silometer breiten Wihftenftreifen von 





* Pacho, Relation d'un voyage dans la Marmarique ete. 
p- II. ter vorangefchicten, von Larenaubicre verfaßten Ginleitung. 

*) Leider iſt dieſet boffnungsvelle junge Dann, dem die Erpe ⸗ 
dition für bie tluge und energiiche Vertretung ihret Intereſſen waͤh⸗ 
rend der Wuſtenreiſe großen Dank ſchuldet, ſeiſdem einer jahen Kranl: 
beit erlegen. 


Mit befonderer Berüchfichtigung 





* 
es 


der Anthropologie und Eihnologie. 


Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 
Dr. Nidard Kiepert. 





Braunschweig 





Jährlich 2 Bände. Jeder Band enthält 24 Nummern. Monatlih 4 Nummern. 
Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Pi. 


1876. 





Aus Innerafrika. 


Wir legen unferen Lefern heute die Karte von Lieute— 
nant B. Lovett Cameron's Reife quer durch Afrika vor, 
den wichtigften und interejlanteften Zuwachs zu unferer 
Kenntniß jenes Erdtheiles, welchen das legte Jahr gebracht 
hat. Die von der Yondoner „Royal Geographical Society“ 
veröffentlichte Karte, welche ihrerfeits ſchon nad) der Ori— 
ginalzeichnung des Neifenden verkleinert wurde, ift in einem 
etwa 2'/, Mal größern Mafiftabe (in 1:29,000,000) ent 
worfen, als die unferige, welche trotzdem die wichtigften Re— 
fultate Mar darlegt. Es war unmöglich, in einem weniger 
als halb jo großen Mafftabe die fünmtlichen Heinen Quells 
flüffe, welche der meiſtens nahe den Waſſerſcheiden fich dahin: 
ziehende Neifeweg überſchreitet, wiederzugeben oder auch nur 
alle Punkte zu verzeichnen, deren geographijche Breite ber 
ſtimmt wurde, Beträgt doch deren Unzahl auf der verhälts 
nigmäßig kurzen, in gerader Entfernung circa 60 deutſche 
Meilen meſſenden Strede vom Dftufer des Tanganyifa-Secs 
bis Nyangwe allein über 30! Schon auf S, 142 wurde 
auf diefe ausgedehnten aftronomifchen Beobachtungen Game» 
ron’s aufmerkfam gemacht. So weit feine Aufnahmen uns 
jegt vorliegen — wie es aud) auf der Karte durch vers 
fchiedene Bezeichnung angegeben ift, reicht das Detail der 
Route nur bis Sha Kelembi, von wo der auf S. 90 des 
„Globus“ abgedrudte Brief datirt ift —, find ſechs Punkte 
(durch Unterfireichung hervorgehoben) nach ihrer Yänge und 
Breite feftgelegt: Kawele im Udſchidſchi; Mangara; 
Nyangwe, Yivingftone's weſtlichſter Punkt, welches um 
eirca 25 Minuten nach Often gerlicdt wurde; Kilemba, die 

Globus XXIX. Pr. 11. 


Hauptftabt von Urma und Kaſongo's Reſidenz; das nahe 
dabei gelegene Totela, wo der Neifende durch den Haus— 
bau fo große Verzögerung erfuhr, und Kiſenga. Das find 
von nun an, vielleicht auf viele Jahre hinaus, die Firpunkte 
innerafritaniſcher Kartenzeihnung, denen Alles, was frlihere 
Neifende berichteten und zeichneten, und vielleicht Vieles, was 
Spätere aus jenem Yande heimbringen werden, angepaßt 
werden muß. An eimzelmen Stellen ift diefe Zurechtichies 
bung ſchon durch Cameron felbft geichehen : das ganze Tan- 
ganyifa-Beden und das zuerft von Yivingftone vom Auguſt 
1869 bis in den Herbft 1871 durdpvanderte Ugubha und 
Manynema-Gebiet hat weientliche Veränderungen erfahren, 
während der von Cameron nicht berlihrte obere Yauf des 
Livingftone'fchen Lualaba, reetius Yuvwa, mit feinen beiden 
großen Seen, dem Bangweolo und Moero, ſeine urſprüng— 
liche Darftellung beibehalten hat. (Die dafelbft von Living— 
ftone 1867 bis 1868 und 1872 bie 1873 ausgeführten 
Routen find ergänzungsweife auf unferer Karte mit Punts 
ten eingetragen.) 

Während im Manyuema:Yande eine Verſchiebung nad) 
Oſten ftattfand, fo werden die Quellgebiete des Kaſſabe und 
bes Yiambai (Zambefi) und damit Kübele, des Dluata 
Yanwo's Reſidenz, alfo das Neifegebiet der Pombeiros 
(1806), Graça's (1846), Y. Magyar’s (1850), Yiving- 
ſtone's (1853 bis 1856) (auch dieſe Reife, ift durch eine 
punftirte Linie auf unferer Harte angedeutet) um etwa einen 
Breitengrad nach Welten geſchoben, beides ein neuer Beweis 
für die alte Wahrnehmung, daß Neifende, welche feine aftros 


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Aus Jnnerafrila. 


nomiſche Beobachtungen anſtellen, ſondern ihre Routen nur 
nach der darauf verwendeten Zeit veranſchlagen, leicht in den 
Fehler verfallen, die zurlickgelegten Entfernungen zu überſchätzen. 
Um die Bedeutung von Cameron's Yeiftung richtig zu 
wlirdigen und um überfchen zu können, welch großes Stüd 
bed unbefannten Innern von Afrika er uns erſchloſſen hat, 
braucht man auf unferer Karte nur die Namen der wenigen 
Reifenden ſich aufzufuchen, welche am weiteften im biefen 
Kern des Continentes — ſind*) Da iſt Tudey, 
der 1816 auf dem Kongo nur bis 141/,° öſtl. L. vordrang, 
Grandy im Lande Kongo (vergl. „Globus“ XXVII, ©. 
108), dann Pivingftome mit feiner großen zweimaligen 
Neife quer durch den ganzen Erdtheil, P. Magyar, Graca 
und die Bombeiros (vergl. „Slobus* XXIV, ©. 318), 


163 


Cameron hat inzwifchen feine eingeboremen” Begleiter 
zu Schiffe nach der Dftklifte zurlidgefendet und ift Mitte 
Januar von Benguela nad) Madeira abgefahren, fo daf er, 
falls er dort feinen längern Aufenthalt macht, in nächfter 
Zeit in England eintreffen würde. Immerhin wird ed aber 
noch ein Weilchen dauern, ehe er feine ausſlihrliche Neife- 
beſchreibuug vollendet haben wird, eine Paufe, welche wir 
benugen wollen, um einen Rückblick auf Yivingftone's fette 
Reifen zu werfen, welche bisher im „Globus“ (XXVII, ©. 
77 und 88) nur kurz beſprochen wurden. 


* 
* Es 


Am 22. März langte Livingftone von Zanzibar zu 
Schiffe mit 14 Yaflthieren non verfchiedenen Gattungen, die 





Livingſtone's Haus in Zanzibar. 


er im Gebiete ber Tietfefliege hinfichtlich ihrer refpectiven 
Ausdauer erproben wollte, vor der Mitndung des Rovuma 
an. Da diefelbe aber einen fehr fchlechten Anterplag dar- 
bot, jegelte er nördlich mach der Minfindani-Bay und 
betrat dort am 24. März afrifanifcyen Boden. 14 Tage 
fpäter brach er mit einem Flihrer ins Innere auf. Die 
Nähe des Indischen Dceans, die große Feuchtigleit der Yuft 
erzengt eine unendlich üppige Vegetation mit vielen, oft 
dornenbeſetzten Schlingpflangen, durch welche ſich der Zug 





*) Man vergleiche darüber befonders „Mlobus“ XXIV, S. 7 bis 
9. As bier einichlagenbe Auffäge aus den legten Bänden unferer 
Zeitfchrift wären außerdem noch zu nennen; XXVI, ©, 331 u. 345 
und „Die Entwickelung unferer Kenntniß von der innerafrifanifchen 
—— Von — Andree,“ Mit ſecht Kärtchen. XXVII, 

241 bie 246. 


nur langſam fortbewegte. Ja, es mußten ſchließlich Ein- 
geborene vom Stamme der Malondé gemiethet werden, 
um mit ihren fcharfen Sidjelmeflern den Kameelen einen 
halbwegs gangbaren Pfad durch das Geftripp zu bahnen. 
An 14. April wurde der Novuma erreicht, unweit der Stelle, 
wo im Jahre 1861 der „Pioneer* hatte umfehren milſſen. 
Aftronomische Beobachtungen wurden aber noch immer durch 
die dampfige Luft gehindert. Nun ging es gegen Weſten 
am Norbufer bes Rovuma hinauf. Wald zeigten fich die 
verberblichen Folgen des Sklavengaudels in der Feindſelig- 
keit des einen Stanımes gegen ben andern, im dem Mif« 
trauen ber Eingeborenen, der fpärlichen Bevölferung und 
dem Mangel an Lebensmitteln, eines immer die Folge des 
andern. Die Maksa bes Norbufers, ausgezeichnet durch 
eine halbmondförmige Tättowirung an der Stirn, leben in 


21° 


Navy uolgvpbpuant uaaeguyg no 






























































































































































ZZ ee en 
—— = ZT — 
































Aus Innerafrika. 


fteter Fehde mit den Mabiha des Südufers, und fie beibe 
mit allen Stämmen in der Nunde bis weit weitlic vom 
Nyaſſa⸗See zittern vor den räuberifchen Zulu oder Mazitu, 
Bald nachdem Fivingftone am 12. Mai die Infel Nya— 
matolol&, wo er 1861 mit feinem Boote umgelchrt war, 
pafjirt hatte, zwang ihn der Mangel, auf das Eidufer hin« 
überzugehen, Gern hätte er feine wejtliche Richtung bei ⸗ 
behalten, um das Nordende des NyaljasS ces zu erreichen ; 
aber der fchr gebirgige Charakter des dazwilchen liegenden 
Landes und die ewigen Einfälle der Mazitu, mit denen er 
felbft ein Heines, glüdlic, ablaufendes Nencontre hatte, zwan« 
gen ihn, gegen Südweſten hin vom Novuma abzubiegen. 
Entfeglich ift es, wie die arabifchen Stlavenhändler hier 
haufen (es ift dies ihre große Strafe zur See hin); und 
wenn fie auch, fobald fie Livingſtone's Nahen bemerkten, 
nit ihrer lebenden Waare feitwärts ins Geftrlipp abbogen, 
um, felbft unbemerkt, ihn vorliberziehen zu laſſen — die überall 
umberliegenden Joche oder Gabeln, die um den Hals der 
Gefangenen gelegt werden, die Veichen ber an Bäume ge 
bundenen und ihrem Scidjal überlaffenen Kranten zengten 
auf Schritt und Tritt von ihren Sceuflicjfeiten. Und 
überallfjim veicht ihr verderblicher Einfluß, weiter, als Living: 
ftone jelbft gewandert iſt, er, der midyt wie Schweinfurth 
fluger Weiſe vermittelft, fondern meift trog diefer ſoge— 
nannten Eljenbeinhändler vordringen wollte und darum in 
feinen Unternehmungen fast ftet® von ihnen achindert wurde. 
Indem er vom Novuma abbog, betrat er das Yand der 
Waiyaus, großer, ſtämmiger, ausdauernder, luftiger und 
friegerifcyer Leute, welche eim gejundes, wohl bewäflertes 
und bewaldetes, auch gut bevölfertes und angebautes Land 
von einer Meereshöhe zwiſchen 2000 und 3400 Fuß (engl.) 
bervohnen. Aber trog des Anbaues waren Yebensmittel noch 
immer theuer, da die Yente durch die Sflavenhändler mit 
den als Zahlungsmittel geltenden Zeugen, ‘Perlen und ders 
gleichen Bedlirfniffen wohl verjehen werden. Zunächſt hatte 
er eine Woche lang eine menfchenleere Gegend zu burdhzie- 
hen; ererreichte glüdlic) Matala's Stadt in reizender, frucht · 
barer Gegend, wo Taback, Mais, englifche Bohnen u. f. w. 
von den Arabern eingeführt worden find und trefflich gedei— 
en. Hier machte er zwei Wochen Raſt und erlabte ſich, 
von einem arabiſchen Händler freigebig unterjtägt, an dem 
ungewohnten Seplätfcjer dev Wafferfälle und an der fchönen 
Bergluft, che er die 3400 Fuß hohe Waſſerſcheide über: 
ſchritt und in acht Tagen zum Nyafja-Sce hinabftieg, 
wo ihn die trefflichen Fiſche und das Baden im Sce erfreute. 
Ein Berſuch, den See jelbft weiter nördlich zu überschreiten, 
wurde durch die arabijchen Händler, denen die beiden einzigen 
vorhandenen Boote gehörten, aus Eiferfucht vereitelt, und 
fo mußte er zu Fuß um das Eitdende des Sees herumman« 
dern, deſſen Weſtuſer er ſchon 1861 bie 1863 erforſcht hatte, 
Der Stamm am Sldufer, Mangandſcha genannt, ift 
bedeutend umgänglicher, als die tapferen, aber roheren 
Waiyaus. Ihre Kleiderfioffe, Geräthe und Waffen find 
ſehr gut und gefchmadvoll gearbeitet; in allen häuslichen 
BVerrichtungen find fie fehr gefchidt; aber an Muth und 
Tapferkeit ftehen fie ihren Nachbarn nach. Im Weiten, oben 
auf dem hohen Gebirge, der Kirk Nange, figen die Ma— 
ravi, mit den Secanwohnern in Fehde begriffen. Nur mit 
Mühe gelang es, Träger aufzutreiben, um Anfang DOctobers 
das Gepäd hinauf auf das in jeinen Päflen 4000 bis 
5000 Fuß hohe Gebirge zu ſchaffen. Yuft und Landſchaft 
find wieder entzlickend ſchön. Zadig und ſchroff erheben ſich 
die Berggipfel noch 2000 bis 3000 Fuß höher, laſſen aber 
zwifchen fi) Naum genug zum Anbau. Wald und Wild 
find wenig vorhanden, veigende Thiere ſcheinen ganz zu fehlen; 
nur Bogen und Pfeile find in Gebrauch. Im Felle Hüllen 


165 


fic die Männer, in gewebte Stoffe die Frauen, Jedes Dorf 
ift eine politifche Einheit für ſich. Noch mie find arabiſche 
oder portugieſiſche Händler bis in dieſe Berglandfchaft bins 
auf gedrungen ; in Folge wovon Fivingftone nie auf miß- 
trauiſche Gefichter ſtieß und überall die freigebigften Ges 
fchente an Yebensmitteln erhielt. 

Weiterhin, wo der Weg durch weniger hohes Gebiet 
führte, wurde das Wild (Elenn, Elephanten, Büffel) wieder 
zahlreicher; mächtige Jagdzäune, um es in Gruben zu trei— 
ben , wie im Betſchuanenlande, zeigen ſich. Aber damit ift 
auch das Yand wieder den Einfüllen der Mazitu ausgeſetzt, 
und fowie der Meifende am 31. October den in den 
Loaugwa fließenden Leué überſchritt, befand er ſich aud) 
wieder im Gebiete der Stlavenhänbdler. 

Raſch fiel der Weg zur völligen Ebene von nur 1800 
Fuß Meereshöhe ab. Alle Dörfer in derfelben waren ftarf 
verpallifadirt; Yebensmittel zu erhalten war unmöglid), denn 
Alles war von den Mazitu geraubt, und der Schreden vor 
ihnen iſt dort in Afrika nicht geringer, als der der Perſer 
vor den Turkomanen in Choraffan. Jede auffteigende 
Staubwolfe fett hier wie dort die anfäfligen Dorfbewohner 
im die größte Erregung. Ende October war der erſte Res 
gen gefallen, jegt im December hörte er felten auf. Das 
zwifchen aber brannte und ſtach die Sonne um fo mehr. 
Und die großen Wälder der Loangwa-Ebene, die einft ein 
Seebeden gewefen war, gewährten dann feinen Schu und 
Schatten, denn ihre Blätter hingen wegen der Hitze ſenlrecht 
herab, amd die Sonnenftrahlen trafen den Boden. Der 
Yoangıwa wurde überjchritten, der in 7000 Fuß Höhe oben 
im Hochlande Tſchibale entipringt, und längs der fteilen 
Aluvialufer DE NYyamazi ging es hinauf auf das Gebirge, 
das die Portugiefen Muringa, d. h. eben „Gebirge“ 
nennen, und das die Scheide macht zwijchen den Zuflüffen 
des Zambefi und des Yıralaba (alfo wahrſcheinlich des Kongo). 
Die Tſetſe, die fic in der Ebene unten wieder eingeftellt 
hatte, verfchwand; dichte Wälder bededten das Gebirge, das 
an 6000 Fuß und darüber anfteigt. So geſchickt aber find 
die Pfade in dieſer Berggegend angelegt, daß fie faſt eben 
verlaufen und feicht zu begehen find. ben im Gebirge bei 
Tſchitembo im hungriger Gegend machte er zu Neujahr ein 
paar Tage Halt. Er befand ſich jegt im Yande der Babija, 
in Pobifa. Es ift ein armfeliges, elendes Volk, den Ba— 
bemba untertfan, mit runden Köpfen, Etulpnafen und 
fpiggefeilten Zähnen, den Buſchmännern ähnlich, von deren 
Blut etwas in ihmen fteden mag. Sie bauen nur fehr wes 
nig Getreide und leben meift von Frlichten, Pilzen, Wurs 
zen, felbft Blättern. Yivingftone mußte hier fo hungern, 
dag er einen Monat fpäter ſelbſt über feine Magerkeit 
erichraf. 

5370 Fuß hoch ift der Paß, welcher ihm ins Gebiet des 
Yualaba, das er bei Lebzeiten nicht wieber verlafjen follte, 
hinüberführte. Bis an 7000 Fuß erheben fic zu beiden 
Seiten die Berge aus weißem und blafrothem Dolomit. 
Hier defertirten ihm zwei Waiyaus mit feiner Mebdicintifte, 
ein Mißgeſchick, welches wahrjceinlich zu feinem Tode jehr 
mit beigetragen hat. Und hätte er ſich noch ordentlich er- 
nähren fönnen! Uber die Babifa begehrten feine Zeuge nicht; 
die herrlichen Wälder ihres Yandes liefern ihnen ja Borfen- 
Heider in Hülle und Flle. 

Das Stromgebiet, in welches er jett, Anfang 1867, 
hinabitieg, war ſchon vor ihm von portugiefifchen Reiſenden 
bejucht und entdeckt worden, unter denen namentlich Yar 
cerda (1798) und die Majors Monteiro und Gamitto 
(1831) hervorzuheben find. Seiner von ihnen aber drang 
weiter nad) Norden vor als bis Kazembe's Stadt; ihre Bes 
richte waren ſchwer zugänglic, und wenig befannt, jo daß 


166 


diefe Gegend meeift falſch dargeftellt wurde, Livingſtone ift 
aljo immerhin als der vornehmlichite Eutdecker diefes mäd}- 
tigen Quellbedens und Reſervoirs anzufehen. 

Fur diefes Mal hielt er fic nicht lange im demfelben 
auf; er üiberfchritt fchon am 28. Januar den Tſchambeſe, 
den oberften DOuellſtrom des Luvwa, ohne damals ſchon die: 
ſes Verhältniß zu erlennen, und betrat damit das Gebiet 
der friegerifchen Babemba und nad) drei Tagen Molemba, 
das nahe 5000 Fuß hod) gelegene Dorf ihres freilich nur 
nominellen itrften Tſchitapangwa. Ihre Unabhängigkeit 
zu zeigen, ſchloſſen die verpallifadirten und mit Gräben um« 
zogenen Dörfer ihre Thore vor den Ankömmlingen, die jegt 


indgefammt nur noch zehn Dann ftark waren, und erft wenn | 





iz - 
v — — 


mehr als 2000 Fuß tief unter ſich die blauen Gewäſſer des 
Liemba-Sees, wie ber ſüdliche Theil des Tangammifa 
heißt, erblidte. Einen ganzen Monat hielt er ſich im diefer 
lieblichen Gegend auf; unweit bes reizenden , von den edjten 
Delpalmen der Wefttüfte befchatteten Dorfes Bambete 
hatte er fein eigenes Hlttenlager, wo er den ringsum von 
jäh abſtürzenden Felſen eingefaßten Liemba alltäglich bewun— 
derte und ſtudirte. Aber auch dieſes Paradies iſt den Ein— 
fällen der wilden Mazitu ausgelegt, und einmal entkam 
umfer Keifender nur mit knapper Noth ihren beutegierigen 
Händen, Ein Berſuch, im Mai längs des Weftufers des 
Sees nad) Norden vorzuöringen, wurde bald wieder aufger 
geben, weil diefe Straße in Folge von Zwiſtigleiten zwiſchen 
den arabifchen Händlern und den Eingeborenen zu unſicher 
war; aber bie ftatt deſſen eingefchlagene weſtliche Richtung 
erwies ſich um nichts beſſer. Es trieb ihm, den Moeros 


Aus Innerafrila. 


diefe weiter zogen, liefen die Babemba ihnen nad) und luden 
fie zum Uebernachten ein. 

Ende Februar 1867 überſtieg er die von Welten nad) 
Dften ziehende Yofanswa- Kette und betrat damit jung- 
fräulichen Boden, deſſen Gewäſſer zum füdlichen Theil des 
Tanganyila ſtrömen; hier Hatte er noch feinen Vorgän-— 

er — denn die Portugiefen waren aus dem Keſſel bes 
Ban weolo-Sers nie = Norden zu heransgefommen. 

enn er dann auch mod; mehrere Male hinaufs und 
hinabzufteigen hatte, fo hielt er fich im Ganzen auf feinem 
Marſche nach Norden doc) immer ziemlich auf derſelben 
Höhe von nahe 5000 Fuß, bie er am fetten Tage des 
März plöglich vor jäh abſtürzenden Felswänden ftand und 









J 


Uebergang über den Tſchiſera. 


See zu finden, unweit deſſen des Kazembe Reſidenz gel 
iſt und dem er für einen Theil des Nilſyſtems anfad, Bis 
Tſchitimba gelangte er noch im Mai; dort aber mußte er 
über ein volles Vierteljahr warten, weil Nfama , der müch— 
tige Fürſt des Landes Itawa, der felbft den Kazembe zit« 
teen machte, mit dem nichtonutzigen Arabern im Kampfe be 
griffen war, Derfelbe entſchied fich natürlich zu Gunften 
der arabifchen Feuerwafſen. Yivingftone fand in ihm einen 
gutmlüthigen, wohlbefeibten alten Seren, der dem Biere fehr 
zugethan war und ihm Flihrer zum See Moero anbot. 
Trotzdem entſchied er ſich daflir, mit einer arabifchen Han- 
delöpartie weiter zu ziehen. Dabei mußte der 1500 Meter 
breite Tſchiſera überjchritten werben, mehr ein Sunpf 
als ein Fluß, über deſſen Oberfläche Papyrus und andere 
Waſſerpflangen einen dichten Teppich gebildet haben. Dt 
aber zerriß diefe ſchwanke Dede unter dem Gewichte ber 


Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Expedition zur Erforſchung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874. 


Darübergehenden, jo daß ber betreffende Träger bis an 
die Bruft einſank und nur mit Mühe wieder herausgeholt 
werben konnte. So loſtete der Uebergang nicht weniger als 
1!/, Stunden Zeit. Mit einem großen Bogen gegen Nor: 
den erreichte er den von Bergen umſchloſſenen, —28 
See Moero, der das zweite Becken (von oben an gerech— 
net) im Yaufe des Luvwa erfüllt. Unmittelbar an feinem 
Norbufer treten von Dften und Welten die Berge nahe an 
einander und zwiſchen hindurd; fegt der Strom feinen Weg 
nad) Norden fort. Der See hat fandige Ufer und liegt noch 
3000 Fuß hoch. Etwas landeinwärts von feinem Saufer 
näherte ſich Livingftone der Nefidenz des Kazembe, über— 
fchritt dem breiten Kalongofi, der die Grenze zwifchen 
Nana und dem Kazembe bildet, welch letzterer ſich durch 
Eilboten von des Fremden Borriiden unterrichten lich; ber 
fuchte den Play, wo 1798 Lacerda ftarb und wurde am 


167 


Morgens ſah Fivingftone einem Theil der Leibwache Men— 
ſchen einfangen, wm fie dem Lehnäheren als Tribut zu 
ſchiclen. Aber die entjeglichen Graufamkeiten ded damaligen 
Kazembe haben fein Yand entvölfert und den größten Theil 
feiner Unterthanen zur Flucht veranlaßt. Nach Pereira 
hatte Kirsla, der fechste in der Reihe der Kazembe, ein Hecr 


von 20,000 geſchulten Soldaten, während der jetzige kaum 


24. November 1867 von jemem einft berühmten afrila= 


nifchen Potentaten empfangen. 

Seine elende Stadt lag in der Ebene, welche fich füblich 
vom Moero ausbehnt, an dem Heinen Mofwe-Sre. Des 
Häuptlings Haus ift mit 8 bis 9 Fuß hohen Schilfwänden 
umgeben ; 60 Menfchenfchädel fchmücen den Thorweg. Der 
damalige Kazembe (d. h. nad) Fivingftone „Sencral“) ift 
der zehnte in der ganzen Reihe der dem Muata Yanvo tris 
butären Fürften. Dieſes Bafallenverhältniß beftcht noch 
jetzt (man hatte es meuerdings in Frage gezogen); eines 


Die Rohlfs'ſche Erpedition zur 
im Winter 


Von Paul Aſcherſon, 


Wir befanden und nunmehr auf dem —— Fels⸗ 
plateau, welches ohne Unterbrechung den Raum zwiſchen 
dem Nilthale und den Uah-Oaſen einnimmt und nach beiden 
Richtungen durch einen ſteilen, mauerähnlichen Abſturz be» 
grenzt wird. Die Hochfläche ſelbſt iſt leineswegs horizontal, 
ſondern dacht ſich nach Oſten wie nach Weſten ſehr allınä- 
lig ab; der Felsabfall nad) den Daſen, deren Höhenunter⸗ 
ſchied vom Nilthal unter gleicher Breite nirgends 100 Meter 
erreicht, iſt weit höher als der nach dem Nilthale und macht 
von den Dafen aus den Eindruck eines anſehnlichen Gebirgs— 
zuges. Die Höhe des Plateaus ſcheint im Süden, dem all» 
gemeinen Anfteigen bes Yandes entfpredyend, weit anfehnlicher 
als im Norden; zwiſchen Maragh und Farafrah erreichten 
wir faum 300 Meter Dieereshöhe, während wir zwifchen 
Chargeh und Esneh die Höhe von 450 Meter überjchritten. 
Was die geologifche Beſchaffenheit diefer Felsplatte betrifft, 
fo befteht fie vom Delta bis in die Breite von Esnch aus 
Tertiärtalf; weiter füdlich tritt der mubifce Sandftein zu 
Tage. Die Bodenoberfläche beftcht Übrigens nicht überall 
aus anftehendem Geftein; weite Strecken find mit grobem 
Kiefe und feftem Sande (arabiſch Sferir) überſchüttet, die 
fi) ohne Zweifel auf dem Grunde des Meeres abgelagert 
haben, das in verhältnigmäßig neuer Zeit nod) die Sahara 
bededte. im weiterer Beleg diefer Anficht ift der bereits 
von O. Fraas wahrgenommene, von Zittel im ausgedehn 
teften Umfange conftatirte Salsgehalt aller einigermaßen 


1000 auf die Beine bringen fann und bettelarm ift. Die 


| Araber veradyten ihn und das bischen Elfenbein und Men— 


fchenfleifch, das er ihnen verkauft, grundlich. Gin paar 
Jahre fpäter marſchirten fie auf feine Nefidenz zu, ohne da 
feine Unterthanen ihr Kommen meldeten, riſſen die Schilf- 
wände wieder, ſchlugen ihn ohne viel Umftände tobt und 
pflanzten feinen Kopf mebft Fürftenfchnuid auf hohen Pfäh— 
len auf. Reiſende, welcher nun zuerſt wieder einen 
Kazemibe befucht, wird die Nefidenz nicht mehr an demſelben 
Plage finden; denn bei dem Tode jedes Flrften wird ihre 
Stelle weiter fort verlegt. 

Livingftone hatte übrigens einen guten Empfang und er 
hielt, was er wlnfchte, wahrſcheinlich in Folge des Empfeh— 
lungsichreibens, das ihm der Sultan von Zanzibar mitge: 
geben. Diefer Herrſcher nämlich, der auf feiner Infel nur 
fehr wenig Macht hat, genießt im fernen Innern ein großes 

| Anfehen und wird von Eingeborenen wie Arabern in jeiner 
Flagge auf eine ganz mertwürdige Weife refpectirt. 





Erforſchung der Libyfchen Wüſte 
1873.1874. 


Mitglied der Expedition. 


II. 


imbibitionsfähigen Gefteine, gleichviel welches geologiſche Al- 
ter fie befigen, während harte, dichte Kallſteine frei davon 
find, Flugſand fpielt auf deu erwähnten Felsplateau in der - 
Oberfläcenbildung nur eine untergeordnete Rolle. Wohl 
häuft ſich derfelbe, durch die Gewalt der Stürme aus dem 
weftlich gelegenen Sandmeere empor gehoben, in allen ſeich— 
ten Vertiefungen hinter jedem aud) noch fo Kleinen hervor: 
tragenden Gegenſtande, einem Steine, Knochen, Pflangen- 
büfchel, an; nirgends indeß höher als einige Genti- ober 
höchſtens Decimeter tief. Nur eine einzige ſchwach entwidelte 
Dimenreihe überfchritten wir halbwegs zwiſchen dem öftlichen 
und weſtlichen Felsrande zwiſchen Maragh und Farafrah. 
Die mit Sand überflogenen Vertiefungen find gewöhnlich 
am reichften am Vegetation, da auch die fpärlichen Nieder: 
ſchläge fi dort anfammeln; weniger Pflanzenwuchs findet 
fid) auf anftehendem Geftein und am wenigften auf dem har: 
ten Sſerirboden; die Sandbilnen find in diefen Gegenden 
völlig vegetationdlos, 

Auf diefem Plateau hatten wir in weftlicher ſchwach nach 
Suden geneigter Richtung über ſechs Tagemärſche zurlidzus 
legen. Der Sceitelpunft des Weges liegt mur etwa eine 
Tagereife öſtlich von dem Abfall gegen die Daje Farafrah. 
Der Aufftieg ift durch zahlreiche, niedrige Terraffenftufen 
marfirt, welche in der Kegel durch zahlreiche, ifolirte Hitgel 
angefünbigt werben, die alle unter ſich und mit der folgenden 
Stufe gleiche Höhe befigen und als Ueberreſte einer theilweife 


168 


zerftörten Felsplatte anzufehen find. Deshalb werden dieſe 
Hügel von den franzöſiſchen Wüftengeographen „tömoins“ 
genannt und empfiehlt fc) der Ausbrud „Zeugen“ aud) für 
die deutfche geographifche Kunſtſprache. Sie find wohl zu 
unterfcheiden von dem ihmen-im der äußern Erſcheinung Mite 
unter recht ähnlichen „Reulingen*, welche uns übrigens auf 
dieſer Reife weit feltener begegneten. Diefe ganz aus abge 
ftorbenen Pflanzenreften beftehenden Hügel entftehen dadurch, 
daß die Wüſtengewächſe, deren ich nur einige 30 Arten 
außerhalb der Dajen beobachtete, die Fähigkeit befigen, ſich 
aus dem Sande, der ſich ftets um fie anhäuft und fie zu 
verfchlitten ftrebt, wieder hervorarbeiten, fo daß ſchließlich 
hohe Hligel, gewiflermaßen die Grabhügel ihrer früheren 
Vebensperioden, entftehen. Die Tamarisfenarten bilden die 
höchſten bis 5 Meter hohen Neulinge; eine Art Algeriens 
hat deshalb von dem franzöfifchen Botanifer 3. Gay den 
Namen Tamarix bunopaea erhalten. 

Das einzige bemerfenswerthe Object auf diefer ganzen 
Strede — von einem Badhır-belasma wurde, wie fchon 
angedeutet, feine Spur angetroffen — war eine Tropfiteins 
höhle, zu der man von dem ebenen Wüſtenboden in eine 
Tiefe von 3 bis 5 Meter hinabſtieg. Auf die geologifche 
Bedentung diefer in der waſſerloſen Wuſte gewiß höchſt auf- 
fälligen Erſcheinung werde ic) noch zurlickommen. 

n 27, December Nachmittags fanden wir am dem 
fteilen Abfall zur Daſe Farafrah; tiefe, wilb zerriffene 
Felsſchluchten, zahlreiche herabgeftlirzte Blöde boten einen 
großartigen Anblid, doppelt Uberraſchend nad) der Dede und 
Einförmigfeit der durchmeflenen Hochebene, Dagegen war 
das Ausjehen der Dafenfläche wenig geeignet, Be. Erwar⸗ 
tungen zu erregen: ausgedehnte Dimenzüge, hier und da ein 
dunkler Punkt, der ſich bei der Annäherung ſchließlich als 
eine Gruppe dlrftiger Dattelpalmen und Tamaristen zu 
erfennen gab, die ein Waſſerloch, gefüllt mit trüber, bitter 
falziger Flüſſigleit, befchatteten. So war der Brunnen Ke— 
rat, an dem wir uns und unferen Kameelen am 23, einen 
Kafttag gönnten. Und doch ift das Vorhandenfein eines 
derartigen Waflerplages für den Verkehr in der Sahara von 
der allerhöchſten Wichtigkeit, Nur das Vorhandenfein der 
Brunnen in Zwifchenräunten von höchſtens 4 bis 5 Tage- 
reifen ermöglicht den Verkehr größerer Karawanen; wafler- 
lofe Streden von mehr als 10 Tagemärfchen können felbft 
die genligjamften Wüftenbewohner, die Beduinen und Tibbu, 
nicht überwinden, In diefer Hinficht eröffnet die Anwen: 
dung der eifernen Wafferkiften eine neue Aera in der Ge— 
fchichte der MWiiftenreifen. Bon Jordan's Abmarſch aus 
Dachel bis zur Ankunft in Siuah hat unfere Erpedition 36 
Tage in der Wüſte verteilt, ohme irgendwo einen Tropfen 
Quellwaſſer anzutreffen, Der Boden der Dafeneinfenfung 
bejtand aus verfchiedenen der Kreideformation angehörigen 
Schichten, weldye auch an den fteilen Nändern und auf dem 
Grunde der Dafen Dachel und Chargeh auftritt. Weſtlich 
vom Brunnen Kerani hatten wir noch eine gewaltige Dünen» 
maffe zu bewältigen, deren Ueberfteigung mehrere Stunden 
in Unfpruc nahm; auf ihren Kamme erblidten wir das 
noch) einen ftarten Tagemarſch entfernte weftliche Felsufer. 

Am 30. Nachmittags fahen wir endlich die Palmengärten 
Farafrahs als dunkele lee vor uns und eine Stunde ſpä— 
ter waren wir im Angeficht der aus unanfehnlichen Lehni— 
hütten beftehenden, von einen ebenfo unanſehnlichen, ebenfalls 
größtentheild aus Lehmmauern beftehenden Caſtell (Gaſſr) 
überragten Dorjet. 

Die Ankunft unſerer großen Karawane brachte bei der 
Einwohnerſchaft diefer Dafe, welche faft feinen friedlichen 
Verlehr mit dem Nilthal unterhält und mur von ben Bes 
wohnern der # bis 5 Tagereifen entfernten Nachbaroafen 


Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforichung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874. 


Beharieh und Dachel beſucht wird, die nur felten einmal ein 
‚Kameel mit ſich führen, einen namenloſen Schreden hervor. 
Farafrah wird auch jet mod) nicht felten von Raubzüigen 
der Nilthal:Araber heimgefucht; für eine ſolche Rhaſia oder 
gar für eine militärifche Expedition des Chedive (das Steuer: 
zahlergewiſſen der Karafrin dürfte nicht allzu rein fein) mod) 
ten wir ihnen von fern gelten, Auch nachdem unfere fried- 
lichen Abfichten feftgeftellt, wir feierlich berwillfonmmet waren 
und unfer Lager im der Nähe der Hauptgartengruppe aufs 
geſchlagen hatten, war unfer Verhältnig zu den Bewohnern 
nicht gerade das befte. Obwohl unſere Uebermadjt und aus: 
gezeichnete Bewaffnung einen gewaltfamen Angriff nicht räth- 
lid) machte, konnten wir mad) den Mienen der fanatifirten 
Bevölferung ber ihre feindliche Gefinnung nicht in Zweifel 
bleiben; ja als wir dem Borftcher der Sauiah (Religions 
ſchule) der Senuffi unfern Befud; machen wollten, den diefer 
Heilige zurlickwies, vottete ſich fofort eim Haufe zuſammen 
und die Aufregung war jo groß, daß wir von einem beab⸗ 
ſichtigten Beſuch des Gaſſr abjtchen mußten, welcher nur 
Einzelnen von uns verftohlener Weife geftattet wurde. 

Daß unter diefen Umftänden feine Ausſicht war, hier 
zuverläffige Nachrichten über die weftlic vorliegende Wiüften: 
ſtrecke zu erhalten, ift ſelbſtverſtändlich. Nach unferen jpä- 
teven Erfahrungen mußten wir ums indeß überzeugen, daß 
die Bewohner Farafrahs wie aud) die der größern Nachbar: 
oafe Dachel uns im diefer Hinficht faum etwas zu verfchwei- 
gen hatten, da fie ſich ſelbſt in fait vollftändiger Unfenntnig 
befinden. Hauptſächlich ift diefe einem Umftande zuzufchreis 
ben, welcher allen Oaſenbewohnern weitere Reifen in der 
Wüfte unmöglich macht; in feiner der von ums befuchten 
Dafen werden (mit Ausnahme vereinzelter, den Reichſten 
gehöriger, aus dem Nilthale eingeführter Thiere) Kameele 
gehalten, angeblich, weil der Stich einer in den Sommer: 
monaten häufigen Fliege ihnen verderblid, werden fol. 

Wir befhränkten die Dauer unfers Aufenthalts in diefer 
ungaftlichen Dafe auf drei Tage, welche unbedingt erforder 
lid) waren, um die Karawane für den nod) fünf Tagereifen 
betragenden Marſch nach Dachel neu zu verproviantiren. 
Selbjtverftändlich wurde diefe Zeit nad) Aräften benugt, um 
die Dafe nad) allen Nichtungen zu durchforſchen. Rohlfs 
beichäftigte ſich außer mit meteorologischen Beobachtungen 
nit ethnographiſchen Studien und ftatiftifhen Erlundigungen. 
Zittel machte einen Ausflug nad) dem zivei Stunden ent» 
fernten Felsufer; Jordan machte zaglveiche Pofitionsbeflimmuns 
gen und metcorologifche Beobachtungen, die er hier wie an ver: 
ſchiedenen anderen Punkten dev Wüſte mehrfach Tag und Nacht 
hindurch fortiegte; ich durchluchte mit meinem Diener Korb, 
einen jungen Kaufnanne aus München, der aus entomolo: 
gifchen Sammeleifer in die Dienfte der Erpebition getreten 
war, die Gürten umd Felder; Remelé machte eine Anzahl 


Aufnahmen, die ſowohl von der troftlojen Dede der Wüſten⸗ 


natur ald von der üppigen Baumvegetation der Gärten cine 
beſſere Borftellung geben, als fie die gewandtefte Feder ſchil⸗ 
bern kann. 

Indeß waren wir herzlid) froh, al& wir am 3. Januar 
friih unfere Zelte abbrachen und die Karawane fich wicder 
in Bewegung fegte. Wir ſchlugen den bereits vor 55 Yah- 
ren von Cailliaud zurüdgelegten Weg ein, beffen erſie 
Strede, bis Bir-Differ („der Brunnen der männlichen 
Palıne*), oftjüdöftlic) verläuft, während wir von dort bie 
Dachel etwa die Richtung S. S. O. innehielten. Bon dem 
genannnten Brunnen, bei dem wir die erſte Nacht zubradhten, 
hatten wir 2%/, Tagereifen zurädzulegen, ohne eine Spur 
von Vegetation anzutreffen. Dieſe Strede ift überhaupt die 
ödefte und trofilofefte, welche ich auf der ganzen Reife kennen 
gelernt habe. In ermüdender Einförmigleit zicht fich der 


Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Expedition zur Erforfchung der Libyſchen Wuſte im Winter 1873/1874. 


Weg zwifchen endlofen Diinenreihen von 50 Meter und 
mehr Höhe dahin, welche ein etwa "/, bid 1 Stunde breites 
Thal einfchließen, dejien Sohle mit ſchwarzen Kieſe bebedt 
ift und nur am vereinzelten Punkten von hervortretenden 
Kaltfelfen unterbrochen wird. Diefe Thalfohle fteigt all- 
mälig nach S. S. O. an, fo daß wir am 6, Nachmittags 
das Salfplateau, von dem wir vor Bir Keraui auf fo fteis 
lem Bade herabgeftiegen waren, ohne merklichen Aufſtieg 
wieder betraten. Am Vormittage des folgenden Tages ger 
riethen wir in ein Labyrinth der ſonderbarſten iFelögeflal- 
tungen, weldye ſich durch Auswafchung der urjprlinglich zus 
fanmenhängenden Saftplatte in vorhiftorifcher Zeit gebildet 
haben umd daher die auffallendfte Achnlichfeit mit den ebenfo 
entftandenen bizarren Felöpartien unferes Quaderſandſteins, 
3.8. der Adersbacher „iFelfenftadt*, zur Schau trugen. Zwei 
befonderd großartige Felſenthore, durch welche unfer Weg 
führte, erhielten, um der ſchuldigen Pflichten dev Dankbarkeit 
gegen unfern einflußreichen Gönner und der Pietät gegen 
den verdienftvollen Vorgänger zu genügen, die Namen Bab- 
el⸗ Jasmund und Babzel-Cailliaud. Bon dem letztern führte 
ung ein fteiler, fandiger Abftieg in ein tief eingefchnittenes, 
von waleriſchen Felswänden umſchloſſenes Thal, das nad) 
etwa einftindigen Verlauf in die Fläche der Dafe Dachel 
ausulindete, Nachdem wir um den legten, wejtlichen Fels— 
fporn, den Djebel Lifte, gebogen, erklidten wir in geringer 
Entfernung vor uns Palmenwälder und Saatfelder, weit 
ausgebehnter als in dem blrftigen Farafrah; die — 
Minarets einer anſehulichen Stadt, ald deren Vorpoſten 
zahlreiche weißgetlnchte Kuppelgräber ſich zeigten, begrüßten 
uns wahrlich in anderer Weiſe als die armſeligen Hütten 
Farafrahs, und daß auch die Bewohner uns ſtatt mit Furcht 
und Haß mit Wohlwollen entgegenfamen, bewies der fejtliche 
Empfang, den ung nicht nur die Behörden, ſondern cin gro: 
er Theil der männliden Bevölkerung bereitete. Zunächſt 
bewillfommmnete ung der ägyptiiche Gouverneur, Churſchid—⸗ 
Effendi, mit dem Arzte, einem jungen Nilthal-Griechen, 
in euvopäifcher Kleidung, beide mit dem ägyptifch gelleideten 
Schech⸗el beled (Birgermeißter) auf fchönen Pferden und 
ftattlichen Ejeln, weldye man ums zu befteigen bat. Wir 
lagerten am 7. Yanıar Abends im Angefichte der Etadt 
Gaſfr⸗Dachel, vertaufchten indeß bald unfere Zelte mit einem 
geräumigen, wenn aud) etwas verjallenen Haufe, welches 
unferer Expedition von Seiten der Negierung eingeräumt 
wurde. Die gemietheten Kameele wurden am folgenden Tage 
nad) Siut zurüdgeſandt, „nicht ohne die unerquidlichiten Ber⸗ 
handlungen mit den Vefigeru, welche von uns anſehnliche 
Balſchiſchs zu erpreſſen wußten. 

Die Erpedition ſah ſich zu einem längern Aufenthalte 
in der Dafe Dachel genöthigt. Auf der völlig unbefannten, 
auf etwa 20 Tagereifen zu veranfchlagenden Strede bis 
Kufara fonnte man nicht darauf rechnen, Waffer und Nah: 
rung für die Hameele anzutreffen. Es mußte alio flir diefe 
Bedürfnifle, felbjiverftändlicd; auch fiir die Ernährung der 
Erpebitionsmitglieder, für den ganzen Marſch, ja noch für 
die auf demfelben Wege beabfichtigte Rucklehhr Sorge getra- 
gen werden; wir fonnten ja wicht wiſſen, welde Aufnahme 
wir in diefer von den Senuffi beherrſchten Dafe finden wlir- 
den, die ohnehin ſchwerlich erhebliche Subfiftenzmittel fir 
eine größere Karawane bietet. Da wir nun kaum Vorräthe 
für 1%/, Donate mit ums führen konnten, war fchon von 
Anfang am beſchloſſen worden, ftaffelweife vorzugehen und 
durch Anlegung von Depots im geeigneten Abftänden bie 
Verproviantirung für Hin und Nüdreife zu ermöglichen. 
Allein da auch in Dachel Proviantvorräthe für Menſcheu 


Slebus XXIX. Nr. 11, 


169 


und Thiere faum aufzutreiben fchienen, fo war vor der Hand 
der Aufbruch der Erpedition nach Weiten kaum abzujehen. 
Zwar hatte Rohlſs ſchon von Farafrah aus 120 Eäde 
Bohnen aus Siut beftellt, indeß konnten biefelben vor 14. 
Tagen faum eintreffen; in der That dauerte die Beſchaffung 
noch weit länger, da der Bote, nad) afrikaniſcher Sitte ohne 
Berftändnig für den Werth der Zeit, ſich viele Tage unter- 
wegs ummöthig aufgehalten hatte. Indeß Noth bricht Eifen; 
mit Mühe und Noth wurde aud im Dachel ein Borrath 
von Reid zufanmengebracht, mit dem eim erfter Vorftoß 
gewagt werden konnte, in großer Uebelftand war es, daß 
von deu Beduinen, welche die große Karamane von Siut 
bis Dachel begleitet hatten, nur drei zu beftimmen waren, 
an dem Vormarſch nach Welten Theil zu nehmen. Wir 
hatten es hier nicht mit einer Bevölkerung unternehmender 
Wlftenreifender, wie etwa die Modjabrah find, zu thun, 
fondern mit Feiglingen, die wohl mit Uebermacht eine wehr- 
lofe Dafenbevölferung zu brandſchatzen pflegen, indef weder 
durch Geldanerbietungen noch durch den Willen des Gou— 
verneurs zu bewegen waren, ſich in die unbelaunte Gegend 
jenfeit der Dafen zu wagen. Die meiften Märfche mußten 
fomit allein mit unferen in der Behandlung der Kameele 
unerfahrenen Farbigen zurückgelegt werden, und die ſchlimmen 
Folgen blieben nicht aus; faft alle unfere Yafithiere wurden 
durch Quetſchwunden in ihrer Veiftungsfähigfeit gefchädigt, 
mehrere ganz unbrauchbar und gegen 20 gingen unterwegs 
zu Grunde. In den erften Tagen unfers Aufenthaftes in 
Dad;el hatten natürlich fünmtliche Erpeditionsmitglicher 
in ihrem Fache Arbeit.vollanf. Außer den naturhiftorifchen 
und ethnographiichen Forſchungen boten auch die Reſte aus 
dem Alterthum hohes Intereffe. 11/, Stunden weſtlich von 
der Stadt befindet ſich jegt mitten im der waflerlofen Wüſte 
ein verhältuigmäßig wohlerhaltener, ans Sandfteinguadern 
errichteter Tempel, Derzel-hedjar (das fteinerne Kloſter) ge« 
nannt, den bereits der Engländer Ed monftone, der erſte 
Europäer, weldyer die Dafe Dachel 1819 befuchte, ungefähr 
in demſelben Zuftande angetroffen hatte, wie er bet unferm 
erſten Beſuche ſich darbot. Die Ausräumung der Trümmer 
des eingeſtürzten Daches und des hineingetriebenen Flug— 
fandes ſchien ausführbar und wurde im ber That fpäter durch 
die energifd;e Thätigleit Nemele'8 bewerfitelligt *). Es wurde 
ſodann der Hieroglyphenſchmuck der Cella photographiic aufs 
genommen und haben die Hegyptologen Brugich **) und 
Yepfins ***) aus diefen Photographien den Nanten der alten 
Stadt Hedsab oder Serab (Mondftadt), deren Trümmer— 
ftätten, durd) zahlreiche Scherbenhligel bezeichnet, noch heute 
den Tempel umgeben, fowie die Epoche der Erbauung der 
felben erfannt, die unter die Kaiſer Nero, Beipafian und 
Titus fällt. Einige in der Nähe befindliche, noch nidjt völ— 
lig auögeraubte Felfengräber gewährten cine nicht unerheb⸗ 
liche Ausbeute an Schädeln, über deren altägyptifchen Typus 
ſich Birhow Fr) und Kollmann Ft) bereits ausgeſprochen 
haben, 








*) Berl. feinen Bericht: Die Ausräumung cines äguptifcen 
Tempels in ter Daft Dachel. Jeitſchrift der Geſellſchaft für res 
tunde zu Berlin. IX. 1874 ©. 301 ff. 

**) Bulletin de inst. egyptien. Nr. 13. 1874, 1875. Wlerante. 
1875. Meberfegt in Roblfe „Drei Monate im ter Libvſchen Hüfte“. 
Kaſſel 1875, ©. 332, 

**) Zeitſchrift für aguptiſche Sprache und Altertbumsfunte 1874. 

+) Verbantlungen ter Berliner Geſellſchaft für Anthropologie 
1874, S. 121 ff. 

) Gorrefpontenzblatt der deutſchen Geſellſchaft für Anthropologle, 
Ethnologie und Urgeſchichte 1875, Nr. 7, S. 52, 53. 





22 


170 


Albin Kohn: Prichewalsti's Reife von Kiachta nach Peling. 


Pridemwalsti’s Reife von Kiachta nad) Peking. 
Bon Albin Kohn, 


Der Weg von Kiachta nach Peling ift vielleicht der von 
allen Theilen Chinas am meiften befcjriebene; ihn haben 
ſchon Timtowsti vor 55 Jahren, Fuß und Bunge etwa 
zehn Jahre fpäter, in neuerer Zeit Fritfche und Andere ges 
fehen und beichrieben, und es follte ſcheinen, daß Prſchewalski 
kaum noch eine ſchwache Nachlefe halten konnte. Dem ift 
jedody kaum jo. Bei Durdjlefung der Prſchewalski'ſchen 
Reife weht uns eime gewiſſe Friſche an, welche felbft das 
Bekannte als fait neu erjcheinen läßt, und diefes ift mit 
neuen Dingen vermischt und fo zu jagen gewürzt; beim 
Lefen diefer Reifebefchreibung fihlt man ſich hinverſetzt in 
fremde Gegenden, unter fremde Völler, ficht ihr Yeben und 
Treiben, lernt fie kennen als ob man perfönlich mit ihnen 
verfehrt hätte. Ich glaube, daß diefes die Beröffentlihung 
diefer Reife Prichewalsti's mit feinen eigenen Worten recht⸗ 
fertigt 

* * * 

Im Anfange November 1870, fagt der Neifende, Fam 
ich und mein junger Begleiter Michael Alerandrowitich 
Pulzomw mit der Poft durd Sibirien in Kiachta an, von 
wo aus wir unfere Reife durch die Mongolei und die an 
fie grenzenden Yänder Innerafiens beginnen follten. Vom 
erften Augenblice an fühlten wir in Kiachta die Nähe frem- 
der Pänder. Lange Reihen von Kameelen auf den Straßen 
der Stadt, gebräunte Mongolengefichter mit hervorſtehenden 
Backenknochen, langzöpfige Chinefen, eine fremde, unver: 
ftänbliche Sprache, Alles diefes fagte uns deutlich, daß wir 
im Begriffe find einen Schritt zu thun, der uns auf lange 
von der Heimath, von Allem was uns lieb und theuer, 
trennen fol. Es wurde uns ſchwer, uns in ben Gedanfen 
hineinzufinden, aber das Drüdende, das er an ſich hatte, 
wurde durch die freudige Erwartung des nahen Beginnes 
unferer Reife gemildert, von welcher id; feit meinen frühe: 
ften Dugendjahren geträumt hatte. 

Da uns die Bedingungen der bevorftehenden Reife nad) 
Hodafien gänzlich, unbefannt waren, fo beicjloffen wir vor 
allen Dingen nach Peling zu veifen, um von der djinefifchen 
Regierung einen Paß zu erhalten und dann erft die außer: 
halb der Mauer des himmlischen Reiches belegenen Gegen» 
den zu befuchen. Diefer Rath wurde uns von unferm da— 
maligen Gefandten in China, dem General Wlangali, er 
theilt, welcher und vom Beginne bis zum Ende der Expedition 
mit allen ihm zu Gebote ftehenden Mitteln beiftand und 
durch) feine edle Fürſorge die Erreichung des Zieles vorber 
reitete. Später und zwar gleich, auf dem erften Schritte 
außerhalb Pelings erlannten wir den ganzen Werth eines 
direct vom chineſiſchen Minifter der auswärtigen Ungelegen- 
heiten, nicht aber von Grenzcommiſſar in Kiachta ausge 
fertigten Neifepaffes. Ein foldyer gab uns in den Augen der 
Bevölferung eine höhere Bedeutung, und dies ift wichtig für 
eine Reife in China und nicht in China allein. 

Die Reife der Europäer von Kiachta nad) Peking wird 
in zweifacher Weife bewerfftelligt : entweder mit Poftpferden 
oder mit durchreiſenden mongolifchen Kameelen, nad; Berab⸗ 
redung mit deren Eigenthlimer. 

Die Poftverbindung durch die Mongolei ift durch Trac: 


I. 


tate geordnet umd zwar durch den Tractat von Tien«tjin 
(1858) und durd) den von Peling (1868). Dinch diefe 
Verträge erhielt die ruffische Regierung das Recht, für ihre 
Rechnung eine in beftimmten Terminen abzufertigende Poſt 
— Sowohl Briefe als auch Padet- und Perfonenpoft — 
von Kiachta nad) Peking und Tien-tfin einzurichten. Bis 
nad) Kalgan find Mongolen, weiterhin Chinefen Pofthalter. 
Wir haben an vier Orten Poftabtheilungen: in Urga, als 
gan, Peling und Tienstfin. An jedem diefer Orte lebt ein 
ruffischer Beamter, welcher ber Poftabtheilung, vorfteht und 
die regelmäßige kai. ei überwacht, Die Briefpoften 
chen von Kiachta und Tien-tſin allmonatlid) drei Dial, die 

adetpoften aber einmal ab, Letztere, welche auf Kameelen 
befördert werden, werden immer won zwei Kaſalen begleitet, 
die von Kiachta aus mitgefendet werben. Die Briefpoften 
werden nur von Mongolen begleitet und zu Wagen beför- 
dert. Sie fommen gewöhnlich in vierzehn Tagen von Kiachta 
nach Peling, während die Badetpoft 20 bis 24 Tage unter 
wegs if. Die Unterhaltung der Poft durd) die Mongolei 
koftet unferer Regierung gegen 17,000 Rubel; die Einkünfte 
fänmtlicher vier Abtheilungen Überfteigen nicht die Summe 
von 3000 Rubel. Zwiſchen Urga und Kalgan befteht 
außerdem noch eine Poftverbindung, weldye von den Chinejen 
ausſchließlich für den eigenen Gebrauch eingerichtet ift. Auf 
biefer Pofiftraße, auf der Grenze der Provinz Chaldias und 
zwar bei der Station Sair:uffu, zweigt ſich eine zweite Poft: 
ftraße ab, welche mach, Uljaſſutai führt. 

Außerdem hat ſich die chineſiſche Regierung verpflichtet, 
für unſere geiftlice und diplomatiſche Miffion in Peling 
vierteljährlid, ein Mal eine Baderfendung von Kiachta nad) 
Peling und zurück für eigene Rechnung zu befördern; das 
Gewicht jeder Sendung darf jedoch wicht BO Pud übersteigen. 

Bei ungewöhnlichen Vorfällen, wenn befonders wichtige 
Schriftſtücke an den Gefandten in Peking oder von diefeut 
nad) Rußland zu befördern find, können ruſſiſche Beamte 
als Couriere abgefendet werden. Davon muß aber 24 Stun: 
den vorher der chinefifche Dſargutſchei in Kiachta reſp. der 
Kriegsminiſter in Peling in Kenntniß gefegt werden, In 
diefem Falle wird eine Verfügung erlaffen, auf allen ine 
ſiſchen und mongolifchen Stationen Pferde in Bereitfchaft 
zu halten, und der Courier, welcher ſich zur Fahrt cines zwei⸗ 
radrigen chineſiſchen Wagens bedient, Tann von Kiachta 
nad) Peling, welche gegen 1500 Werft von einander entfernt 
liegen, in neun ober zehm Tagen gelangen. Für diefe Fahrt 
it feine Bezahlung zu verlangen, doc; giebt der ruſſiſche 
Beamte gewohnheitsuräßig, unter der Form eines Gejchen 
tes, drei Silberrubel. 

Die zweite Urt der Beförderung durch die Mongolei 
befteht darin, dag man in Siadjta oder Kalgan einen Won: 
golen miethet, der ſich verpflichtet, dem Reiſenden auf Kamer: 
len durd) die Gobi zu Schaffen. So reifen alle unfere Kauf- 
leute, welche ſich in ihren Angelegenheiten nach China oder 
aus China nad) Kiachta begeben. Der Reifende ſelbſt wird 
gewöhnlich in einen dyinefifchen Wagen placirt, welcher aus 
einem großen cubifchen Koffer befteht, der fich auf zwei Rä— 
bern befindet, und von allen Seiten verdedt if. Im Bor: 
dertheile dieſer Kiſte, und zwar am der Excite, befindet ſich 


Albin Kohn: Prihewalsti's Reife von Kiachta nach Peliyg. 


eine Oeffnung, die durch eine Meine Thür verſchloſſen wird. 
Diefes Loch dient dem Neifenden zum Eins und Ausfteigen; 
in der Equipage muß der Keifende unbedingt liegen und 
zwar mit dem Kopfe gegen die Pferde, da font bie Füße 
höher ald der Kopf liegen würden. Der Reifende wird, 
felbft wenn im Schritt gefahren wird, unausſprechlich zerftoßen. 

In einer folhen Equipage, die ic) zur Fahrt von einem 
Kaufmanne in Kiachta gemiethet hatte, entſchloſſen wir uns mit 
gemietheten Kamcelen durch die Mongolei nad) Kalgan zu 
reifen, Als Entrepreneur erſchien ein Mongole, weldyer einen 
Transport Thee nach Kiachta gebracht Hatte und nach frifcher 
Waare reife. Nad) langem Handeln verabrebeten wir end: 
lich, daß er und mit einem Kaſak und unferen Sadjen für 
70 Lan (1 chimefifcher Yan iſt durchſchnittlich gleich 2 rufe 
fischen Rubeln) nad) Kalgan bringen jolte. Die Zeitdauer 
der Reife war auf vierzig Tage angeſetzt, was verhältnig- 
mäßig laug war, da die Mongolen die Strede auch in fllnf- 
umdzwanzig Tagen zurüdlegen ; für eine jo ſchnelle Beför— 
derung wird aber auch weit mehr bezahlt. Ich wollte mich 
fo eingehend wie möglich mit der Gegend belannt machen, 
durch welche ich reifen wollte, und deshalb fam mir die lange 
famere Bewegung fehr gelegen. 

Als Dolmetfcdyer fr die mongoliiche Sptadye war uns 
ein Kaſal der transbaitalifchen Militärabtheilung, ein ger 
borener Buriat, zucommandirt. Cr zeigte ſich als guter 
Dragoman; er war jedoch der Sohn eines reichen Mannes 
und deshalb begann er bald, al& er während der Reife auf 
Müpnfeligkeiten ſtieß, fich fo ſtark nad) der Heimath zurüd- 
zufehnen, daß ic) im Früͤhlinge des nächften Jahres gezwun- 
gen war, ihm nad) Kiachta zu fenden, von wo aus ic) an 
feiner Stelle zwei andere Kafafen erhielt. 

Endlich machten wir und lurz vor Sonnenuntergang am 
17. November a. St. auf den Weg. Das vor den Wagen 
gejpannte Kameel zog an und beförberte uns und unfern 
gemeinfchaftlichen Freund, den aus Rußland mitgebrachten 
Schweißhund „Haut“, unferm Ziele zu. Nicht weit hinter 
Kiachta Überfchritten wir die Grenze, und famen auf mon- 
golifchen Boden, 

Die ganze Gegend zwiſchen Kiadjta und Urga, das vom 
erftern gegen 300 Werft entfernt ift, hat den Charakter uns 
ferer reicheren Baifalgegenden ; berjelbe Reichthum an Wald 
und Waller, diefelben ausgezeichneten Wiefen auf fchroffen 
Gebirgsabhängen, mit einem Worte der Neifende wird durch 
nichts an die nahe Wüſte erinnert. Die abjolute Höhe dies 
fer Gegend, von Kiachta bis zum Charagol *), beträgt gegen 
2500 Fuß; weiterhin erhebt fd, die Gegend und erreicht in 
Urga ſchon 4200 Fuß Meereshöhe. Diefe Erhebung bildet 
den Norbrand der weiten Hochebene Gobi. 

Im Allgemeinen hat die Gegend zwiſchen Kiachta und 
Urga einen gebirgigen Charakter; aber die Berge erreichen 
nur eine mäßige Höhe und haben dabei eine weiche Form. 
Es fehlen ſcharf ausgeprägte Erhöhungen und große wilde 
Felſen, die Uebergänge find wicht hoch, die Abhänge eben; 
biefes der allgemeine topographifce Charakter diefer Berg: 
züge, welche ſich alle in der Richtung von Weit nach Oft 
hinziehen. Bon diefen Höhenzligen an der Straße von Urga 
zeichnen ſich befonders drei durch ihre Größe aus; ciner 
am nördlichen Ufer des Fluſſes Iro, der zweite, mittlere, 
Manſchadai, und ber dritte in der Nähe von Urga, Mus 
chur. Nur der Uebergang Über den Manjchadai ift fteil 
und hoch, man kann ihn jedoch auf einem mehr öftlichen 


*) Gol' bebeutet Fluß unb wir immer dem Namen bes 
Fluſſes hinzugefügt, ebenfo wie das Wort „noor* (richtiger wur) 
Ste zum Namen des Sees und das Wort „vaban“ (Rüden) oder 
„ulla“, Berg. zu dem bes Höbenzuges oder Verges. 


171 


Die Dewäfferung der hier befprodyenen Gegend ift reich 
lic); zu den größeren Flüffen gehören der Fro und Charas 
ol, welche in den Orchon fallen. Diefer ift ein Neben: 
Auf der Selenga. Der Boden ift überall ein ſchwarzer 
Humms oder Lehmboden, der fchr gut zu bearbeiten ift; 
aber die Eultur hat diefe Gegend noch nicht berlihrt; erft 
gegen 150 Werft von Kiachta haben Hier amgefiedelte 
Chineſen einige Deffiätinen umgepflügt. 

Der Gebirgöftrid;, welder zwifden Kiachta und Urga 
liegt, ift auch ziemlid, waldreich. Doch weifen biefe größten- 
theils an den Nordabhängen befindlichen Wälder nicht den 
Neichthum an Umfang, Formen und Mifchung der Gattun« 

en auf, durch die ſich unfere fibirifchen Wälder auszeichnen. 

nter den Bäumen überwiegen die Siefer, die Lerche und 
Birle; außerdem findet man in geringerer Zahl die Zirbel- 
fiefer, die Eller (Elfe) und wilde Verficofträudjer. Sowohl 
in den Thälern wie an ben offenen Bergabhängen ift der 
Boden dicht mit ausgezeichneten Graſe bededt, das dem Vieh 
der Mongolen, welches das ganze Jahr hindurd) auf die 
Weide geht, Nahrung bietet, 

Im Winter war die Fauna nicht reich an Arten. Am 
häufigften jah man das graue Rebhuhn (Perdix bar- 
bata), den Hafen (Lepus toli), den Pfeifhafen (Lago- 
mys Ogotona), die überwinternde Lerche (Otocoris albi- 
gula) und eine Finfenart (Fringilla linaria), welde in 
großen Herden am Wege lebt. Die ſchöne rothſchnäblige 
Dohle (Frigilus graculus) wird immer häufiger, je mehr 
man fi, Urga nähert, wo fie felbft im Haufe unferes Con- 
ſuls niftet. Nach Ungabe der Bewohner der Gegend leben 
in ben Wäldern in geringer Zahl Rehe, Wifente, 
Wildjhmweine und Bären. Mit einem Worte, die 
Fauna der Gegend wie die ganze Natur hat mod) ganz fibi« 
riſchen Charakter. 

Eine Woche nad) unferer Abfahrt von Kiachta kamen 
wir in Urga an, wo wir vier Tage in der fröhlichen Geſell - 
ſchaft der Familie unferes Conſuls, J. P. Schiſchmarjew, 
zubrachten. 

Die Stadt Urga, der Hauptpunkt der nördlichen Mon- 
golei, liegt am Flue Tola, einem Nebenfluffe ded Orchon, 
und ift allen Nomaden ausſchließlich unter dem Namen 
„Bogdo-Kuren“ ober „Da-Kuren“, d. i. das hei 
lige Lager, befannt. Mit dem Namen Urga, der vom Worte 
„Urgo* (das Schloß) Herftammt , haben nur die Ruſſen die 
Stadt getauft. 

Die Stadt befteht au& zwei Teilen und jwar aus einem 
mongolifchen und einem chineſiſchen. Der erftere heißt eigents 
lic) Bogdo⸗Kuren, der zweite aber, der circa vier Werft öft- 
licher liegt, führt die Bezeichnung Maismaistjchen, d.h. die 
Handelsſtadt. In der Mitte zwilchen beiden erhebt fid) auf 
einer freundlichen Anhöhe in der Nähe des Tolauferd das 
zweiftödige Haus des ruſſiſchen Confuls mit feinen Flügeln 
und Nebengebäuben, 

Im Ganzen zählt Urga gegen 30,000 Einwohner, Die 
Bewohner des hinefischen Theils, weldyen aus Lehm erbaute 
„Fanſen“ bilden, find ausſchließlich chinefische Beamte und 
Kaufleute. Nach dem Geſetze ift es weder dem einen mod) 
den anderen erlaubt, Kamilien bei id zu haben und überhaupt 
fich feft anzufiedeln. Dod) die Chinefen umgehen diefes Ges 
feg und halten fid) mongolifche Wirthiunen; die mandſchu— 
riſchen Beamten aber bringen ungenirt ihre Familien mit. 

Die Hauptftelle im mongolifchen Theile der Stadt nimmt 
der Tempel mit feinen vergoldeten Kuppeln und das Palais 
des Kutuchta, des irdischen Nepräfentanten Gottes, ein. 
Diefes Palais unterfcheidet ſich Übrigens äußerlich nicht von 
einem Tempel, von denen der durch Größe und Architeltur 
ausgezeichnetfte der Tempel des künftigen Weltherrſchers, 

22* 


172 


Maidari, it. Diefes ift ein hohes, quabratifches Gebäude 
mit flachem Dache. In feinem Innern fteht auf einer Er— 
höhung die Statue des Dlaidari, unter der Form eines figen« 
den, lächelnden Mannes dargejtellt, weldjer flinf Klafter hoch 
ift und, wie man jagt, gegen 8000 Pud wiegt. Er ift aus 
vergoldetem Kupfer in Dolonsnoor, einer Stadt, welche circa 
35 deutſche Meilen genau nördlich von Peling liegt und 
deren Bewohner ſich hauptfäcjlic mit Anfertigung mongo- 
liſcher Götterbilder befchäftigen, gemacht und wurde ftlchweife 
nach Urga gebracht. Bor der Statue Maidari's fteht ein 
Tiſch mit verschiedenen Opfergaben, unter denen der gläferne 
Pfropfen einer unferer gewöhnlichen Caraffinen nicht die legte 
Stelle einnimmt; rings umher an den Wänden des Gebäu— 
des befinden ſich eine Menge anderer Heiner Götter (Burchane) 
und viele Heiligenbilber, 

Abgefchen von den Tempeln und einer Heinen Anzahl 
chineſiſcher Fanſen betehen die Übrigen Wohnungen der Stadt 
aus Filziurten und Meinen cdyinefifchen Lehmhütten. Die 
einen wie bie anderen befinden ſich immer in einer aus jpigen 
Daumftämmen gejertigten Umzäunung. Solche Umzäu— 
nungen oder Höfe find theils in einer Reihe aufgeftellt, fo 
daß fie eine Straße bilden, theils ftehen fie in vereinzelten 
Gruppen ohne jegliche Ordnung. In der Mitte der Stadt 
befindet fic der Marktplag und bier haben vier oder fünf 
unferer Kaufleute ihre Yäden, in denen fie fid) mit dem 
Detailverfanfe ruffifcher Waaren befaffen. Außerdem fahren 
fie auch Thee nad) Kiachta. 

Die gebräuchlichjte Einheit beim Taufchhandel ift in Urga 
wie in der ganzen nördlichen Mongolei der Fornithee, der zu 
diefem Behufe oft im fehr Meine Stüdchen zerfägt wird, Der 
Preis einer Waare wird nicht bloß auf dem Markte, fondern 
auch im dem Läden durch eine gewilfe Anzahl Stüde Form⸗ 
thees beftimmt. So hat 5. ®. ein Schöps einen Werth von 
12 bis 15, ein Kanieel von 120 bis 150, eine djinefifche 
Pfeife von 2 bis 5 Stüd Formthee u. ſ. w. Unſer Gelb, 
ſowohl Papiers als Silberrubel, wird von den Bewohnern 
Urgas wie überhaupt von den nördlichen Mongolen ange 
nommen, doc nehmen die legteren lieber chineſiſche Yan; 
trogdem ift der Formthee unvergleichlich mehr im Gebrauche 
und zwar hauptſächlich bei den unteren Claſſen ber. Bevöl- 
ferung, fo daß derjenige, der auf dem Markte Einfäufe machen 
will, durchaus einen Sad voll, beſſer eine Wagenladung 
ſchwerer Fornitheeſtücke mit fich führen muß. 

Die Bewohner des mongolischen Stadttheils von Urga 
find größtentheils Yamas oder Geiftliche; ihre Zahl in 
Bogdosfturen beläuft fi) auf 10,000 Mann. Diefe Zahl 
könnte als übertrieben erfcheinen, aber der Leſer wird fie 
glaubtwirdig finden, wen er hört, daß von allen Bewohnern 
der Mongolei zum mindeften der dritte Theil diefem Stande 
angehört. In Urga befindet fich eine große Schule mit drei 
Facultäten, einer theologifhen, medieiniſchen und aſtrolo— 
giſchen, im welcher Kinder, die dem Lamaftande gewidmet 
find, unterrichtet werden. 

Fr die Mongolen ift Urga in veligiöfer Beziehung die 
zweite Stadt nad) Yafja (eigentlich Lhaſſa, mongsliſch 
Mundusdfu, das ewige Heiligthum) in Tibet, weil hier 
der Kutuchta (f. „Globus“ XXVIII, ©. 378 f.) refidirt. Als 
wir in Urga waren, war jein Thron unbejett, da der große 
Heilige ein oder zwei Jahre vorher veritorben war; obgleid) 
nun fein Nachfolger in Tibet jchon gefunden war, fo fonnte 
doch die mongolijche Geſandtſchaft nicht nach Laſſa gehen, 
um ihm abzuholen, da der mohammedaniſche (dunganiſche) 
Aufftand damals ganz Kanſu ergriffen hatte, durch welches 
ber Weg von Urga nad) Tibet führt. 

Außer dem —* in Urga leben in vielen Tempeln 
der Mongolei und in Peting jelbft mod) andere Kutuchten oder 


Alpin Kohn: Pridemwalsti’s Reife von Kiadhta nach Peking. 


Higenen; in Bezug auf Heiligkeit ftehen fie jedoch niedri- 
ger als ihr geiftlicher Bruder in Bogdosfturen; wenn fie vor 
ihm erfcheinen, miäfjen fie vor ihm eben jo gut wie andere 
Sterbliche niederfallen. 

Die chineſiſche Negierung, welche fchr wohl den großen 
Einfluß der Higenen und Yamas auf das unwiſſende Volt 
fennt, bejchligt die geiftliche Dierardjie der Mongolei im wei- 
tem Maße. Hierdurch befefligen die Chinejen ihre Macht 
und paralyfiven in ctwas den allgemeinen Haß der Mongolen 
gegen ihre Unterbrlider. 

Die Higenen ſelbſt find, mit fehr wenigen Ausnahnten, 
in geiftiger Hinſicht ſehr beicränfte Yeute. Bon Jugend 
auf unter die Bormundichaft der Yamas und ihrer Umgebung 
geftellt, find fie der Möglichkeit, ihren Verſtaud, wenn auch 
nur in praftifcher Beziehung, zu entwideln, beraubt. Die 
Ausbildung felbit der allerwichtigften Heiligen beſchrünlt ſich 
auf das Leſen des Tibetanifchen und dev Bücher der Lamas, 
und auch diefes nur im eimem ſehr befchränkten Maße. Bon 
Jugend auf gewöhnt, ſich ſelbſt für lebendige Götter zu hal 
ten, glauben jie innigft an ihre göttliche Abkunft und an ihre 
Biedergeburt nach dem Tode. Die Higenen, mit denen wir 
während unſerer Reife zu ſprechen Gelegenheit hatten, fagten 
nie: „wenn ic fterbe“, fondern „wenn ic umgebo- 
ren werde“. Die geiftige Beichränftheit der Higenen, 
welde den Yamas die Herrſchaft fichert, wird von dieſen 
mit dev größten Eiferfucht überwacht, fo daß, wenn einmal 
ein begabtes Kind zu diefer Stellung erhoben wird, es von 
feinen Wächtern vergiftet wird. Man fagt, daß diefes Yoos 
befonders häufig die Kutuchtas in Urga infolge der Hegereien 
der chineſiſchen Regierung trifft, welche flirchtet, eine irgend» 
wie felbftändige Perfönlichteit an der Epige der geiftlichen 
Hierarchie der Mongolen zu jehen. 

Der Kutuchta von Urga hat ungeheuere Reichthümer, 
da er, unabhängig von den Opfern der Gläubigen *), über 
1500 Leibeigene verfügt, welche um Urga und in der nörds 
lichen Mongolei wohnen, Alle diefe Yeibeigenen find ihm 
unmittelbar unterworfen und bilden die fogenannte „ 
binen-Abtheilung* **). 

Das äußere Anfehen des mongoliſchen Theils von Urga 
it ſchmutzig bis zum Ele. Alle Unreinlichkeiten werden 
auf die Straßen geworfen, auf denen die Menſchen nicht nur 
während der Nacht, fondern auch am Tage ihre natürlichen 
Bedlirfniffe verrichten. Auf dem Marktplage kommt hierzu 
nod) ein Haufen hungriger Bettler. Einige von ihnen, ber 
fonders arme, alte Weiber, fiedeln ſich hier fogar dauernd 
an. Es läßt fich kaum etwas Efelhafteres als diefes Bild 
vorjtellen. Ein hinfälliges oder verftünmeltes Weib legt 
ſich in der Mitte des Bazars nieder und auf fie wirft man 
als Almoſen alte Filzdecken, aus denen fic die Yeidende cine 
Höhle macht. Ihrer Kräfte beraubt verrichtet fie hier auch 
ihre Bebirfniffe und bittet, bededt von Haufen von Parar 
fiten, die Borütbergehenden um eine Gabe. Im Winter fan: 
melt der Wind einen Schneehügel auf diefem Yager an, unter 
dem die Leidende ihr bebauernswerthes Yeben führt. Selbft 
dev Tod erſcheint ihr im furchtbarer Geftalt. Augenzeugen 
erzählten uns, daß, wenn die legten Augenblide der Unglüd- 
lichen nahen, ſich um jie herum Herden hungriger Hunde 
verfammeln, weldye einen reis bilden und abwarten, big die 
Agonie geendet, dann aber auch ſogleich herbeifpringen, um 
das Geſicht oder den Körper zu beriechen und ſich zu über: 
zeugen, ob die unglückliche Alte ſchon wirklich verſchleden if. 
Aber jiche da, fie beginnt wieder zu athmen ober ſich zu 


*) Zu Neujahr (im Februar) und zum Feſte des Maidari (im 
Juli) verfammeln fib in Urga gegen bunderttaufen® Pilger. 
**, Bon Schabinta, bie Wirtbin. 


EB. Stuhlmann: Das Weib im plattdeutf—hen Sprichwort. 


rühren, die Hunde entfernen ſich wieder von ihr, um ihre 
frühere Stelle einzunehmen, und warten geduldig auf ihr 
Opfer. Kaum verkündet jedoch der letzte Athemzug das Ende 
ihres Lebens, fo verzehren auch die hungrigen Thiere den 
Yeichnam und das jegt leere Lager wird bald von einer ähn⸗ 
lichen Alten eingenommen, ährend Falter Winternächte 
ſchleppen gefundere Bettler ſolche alte Weiber aus ihrem 
Lager heraus, werfen fie auf den Schnee, wo fie erfrieren, fries 
chen ſelbſt in die Höhle hinein und retten fo ihr elendes Dafein. 
Aber dieſes ift noch nicht das ganze Bild vom Leben in 
der heiligen Stadt. Der Wanderer ſieht noch efelhaftere 
Scenen auf dem Begräbnigplage, welcher dicht an Urga liegt. 
Hier werden die Leichen nicht begraben, jondern unmittelbar 
den Hunden und Raubvögeln zum Berzehren hingeworfen. 
Ein folder Ort macht einen erſchütternden Eindrud; er ift 
mit Knochenhauſen bededt, Über welche wie Schatten Herben 
von Hunden wandern, die ſich ausfchlieglid; von Meuſcheu— 
fleifch nähren. Kaum ift eine frifche Leiche hingeworfen, da 
beginnen auch ſchon diefe Hunde im Bereine mit den Krahen 
und Habichten an ihr zu zerren, fo daß nach einer oder höch— 
ftens zwei Stunden michts mehr übrig ift. Die Berehrer 
Buddha's fehen es fogar fiir cin gutes Zeichen an, wenn 
der Menſch ſchnell verzehrt wird; fonft war nad) ihrer Mei⸗ 
nung der Meuſch während feines Lebens Gott nicht ange 
nehm. Die urgifchen Hunde find in dem Maße an ſolche 
Speife gewöhnt, da fie während der Zeit, während weldyer 
eine Yeiche durch die Straßen der Stadt auf den Begräbniß ⸗ 
a: getragen wird, unbebingt mit den Verwandten bem 
eichname folgen; oft fommen felbft die Hunde aus der Jurte 
bes Berftorbenen. 
Die Regierung von Urga und gleichzeitig der beiden öftli» 


173 


dien Aimalane (Chanate) von Chalda, d. h. Nordmon- 
goliens (Tufhetu uud Syſſen), befindet ſich in den 
Händen zweier Ambane oder Gouverneure. Der eine von 
ihnen ift immer ein Mandſchu und wird aus Peking gefen- 
det, der zweite aus der Zahl der mongolifchen Furſten des 
Yandes ernannt. Die beiden anderen Aimafane von Chalcha 
(Didafaltu und Sain=noin) find abhängig vom Ober: 
commandeur von Uljaſſutai. 

Wenngleich, die mongolifchen Chane, die Beherrfcher diefer 
Aimalane, die ganze innere Berwaltung ihrer Chamate leiten 
und das Recht vegierender Fürſten haben, fo find fie doch den 
chineſiſchen Verwaltern untergeordnet, welche fehr jorgfältig 
die ſchwankende Herrichaft des Reiches der Mitte über die 
Nomaden hüten. 

Während unferer Anmwejenheit in Bogbdo « Kuren hörte 
man überall firchterliche Gerlichte von den Dungauen, jenen 
aufftändifchen Mohammedanern, welche forben Uljaffutai aus- 
geplündert Hatten und mit bemfelben Looſe Urga bebroften. 
Die Furdt wegen des Schidjald der Stadt, weldye in den 
Augen der Nomaden fo wichtig ift, nöthigte die Chinefen, 
2000 eigener Soldaten hierher zu fchaffen und nod) gegen 
1000 mongolifcher Soldaten anzufammeln. Bei der be: 
kannten Feigheit diefer beiden Kriegerſorten boten fie wenig 
Garantie für die Sicherheit des Dres, Diefer Umſtand 
zwang unfere Regierung zur Sicherung unferes Confulates 
und zum Schuge unferes Theehandeld eine bedeutende Mili- 
tärabtheilung (gegen 600 Mann Infanterie, fowie Kafaten 
und zwei Gefchlige) hierher zu fenden. Dieſe Abtheilun 
verblieb länger als ein Jahr in Urga, und ihr iſt es ledigli 
zu verdanken, baß es die Aufftändifchen nicht wagten, Bogdo- 
Kuren anzufallen. 


Das Weib im plattdeutfhen Spridwort. 
Von C. ®. Stublmann. 


Wer die plattbeutfche Sprache kennt, dem lann nicht 
entgangen fein, daß ſolche viel reicher an Spridwörtern 
und vor Allem an ſprichwörtlichen Nedensarten ift, als die 
hochdeutſche, und daß in jelbigen meift eine realiſtiſchere, 
naturwüchfigere Vebensphilofophie zu Tage tritt und fie 
häufiger von der Scjale eines derben, gefunden Humors 
umgeben find, als das bei den hochdeutſchen der Fall it. 
Während nur wenige hochdeutſche Sprichwörter erifticen, 
welche ſich nicht auch und zwar häufig in einer kürzern und 
fernigern Faſſung im Plattdeutfchen finden, find zahlreiche 
plattdeutjche im Gebrauch, welche der Hochdeutjche nicht 
fennt, und mit den ſprichwörtlichen Redensarten ift daſſelbe 
in noch verftärttem Mage der Fall. Manche dieſer leg: 
teren dürften ſich auch kaum ins Hochdeutſche übertragen 
laſſen, wenigftens nicht, ohme dabei den beften Theil ihrer 
Naivetät und ihres Humors einzubüßen. 

Nachftehend beabfichtige ich die mir felbft aus dem 
Munde des Boltes befannt gewordenen plattdeutichen 
Sprichwörter und Redensarten, welche das Weib zum Gegen⸗ 
ftande haben, vorzufiären und kurz zu beſprechen. Möge 
man am der durch und durch realiftiichen Auffaffung des 
Lebens, namentlich auch des Lebens zwiſchen Weib und 
Mann, welche ſich in der weitüberwiegenden Mehrzahl aus: 


ſpricht, leinen Anſtoß nehmen. Der Dichter ſoll idealiſiren, 


der Ethnolog dagegen die menſchlichen Verhältniſſe und 
Febensäußerungen jo darzuſtellen ſuchen, wie fie in Wirk— 
lichkeit find. In den plattdeutſchen Sprichwörtern und 
Redensarten ift num aber vorwiegend die Quinteſſenz der 
Lebensanſchauungen eines der tlichtigften Theile unferer Na- 
tion, nämlich die des nieberdeutfchen Bauernſtandes, nieder: 
elegt, und fomit verdienen diefe wohl in einer Zeitſchrift 
* Ethnologie beſprochen zu werben, ſelbſt auf die Gefahr 
hin, daß einzelne Leſer Anftögigleiten herauswittern, anderen 
aber theilweife jene idylliſchen Bilder zerftört werden, welche 
fie fich, im Folge der Lectlire plattdeutfcher Gedichte und 
Romane, von dem Leben und der Denkweife der betreffenden 
Vollsclaſſe zurecht gemacht haben. 


* 
* * 


Wie wohl allen Naturvöllern ſolches eigen, ſieht der 
Plattdeutſche die Geburt eines Sohnes für einen wichtigern 
und erfreulichern Vorgang des Familienlebens an, als die 
Geburt einer Tochter. Während es betreffs der Söhne 


heißt: 
ß Givt Gott Jungens, givt he ok Büxen (ofen), 
heißt es von den Töchtern: 


174 


Vehl Dierns, vehl Sorgen, 
Wenn nich hüt, so morgen — 
und 
Vehl Dierns un grot Goarns (Gärten) maken den 
Buern arm. 

Die Sorgen, weldje die Töchter machen, begielt noch ein 
anderes Spridywort: 

Jung Dierns sünd swörrer to höden ſſchwerer 
au hüten) as ein Schepel Flöh. 

Diefes hat zumächft darin feinen Grund, daß fie einer: 
feits ſehr eitel und leichtgläubig find, dann aber ihnen aud) 
eine große Portion Yüfternheit, Sinnlichkeit und auch Wan- 
lelmuth betreffs ihrer Yicbesneigungen beiwohnt. 

Zur Eitelfeit haben fie übrigens Grund: 

Hübsch Dierns kleidt Allens, macht Hinnerst 
ok vörn sitten, 
Jung Blod, geiht över God; 
und 
Sülvst den Düvel sien Grotmoder wier smuck, 
as se noch en jung’ Diern wier, 
Uebrigens heißt es aud): 
Sülvst en Tunpahl (Baunpfahl) lett sik up- 
putzen, 
und da man Put gern felber ficht und ihm Anderen gern 
zeigt, jo lehrt ein Wort: 
Jung Dierns beden (beten) am leivaten vörn 
Speigel; 
ein anderes aber: 
Nich Jede bedt, de to Kirch geiht. 
Hübfc hält ſich aud) eim jedes junges Mädchen, und feine 
besfallfige ihr gemachte Aeußerung tarirt fie für Ueber- 
treibung, Schmeichelei oder gar fiir Spott: 
Seg en Mulapen, dat he hübsch is, he glövrt't Di. 
* 
* * 

Auf die jungen Männer und den Verkehr mit ihnen 
gehen auch ſchon zeitig alle Wunſche, und zuweilen wers 
den ſelbſt in folchen ihrer Handlungen Huldigungen gefun- 
den, die leichthin ganz anders gedeutet werden könnten : 

Mudder, säd jen Mäten, nu mögen mi de 
Mannslüd all liden, se hebben mi hüt mit 
Dreck smäten. 


Bei alledem wird jedod und obſchon ein allgemein cur- 
firendes Sprichwort lehrt: 
Bet an’ne Knei 
let frei — 
wenigften® zuerft eine gewiſſe Schuchternheit und Zurlid« 
haltung fofetfirt. 
Nu denn, säd dat Mäten un wull nich Ja seg- 


gen — 
und 
Ik scham mi to gruglich, säd de lütt Diern 
un höll en Twiernsfaden (Zwirnsfaden) vör de 
Ögen. 
Indeflen : : 
Stöt mi nich dahl, säd de Diern, doar läg se 
. all — 
und 


Davör is so god, as doarin. 

Eine Beruhigung gewährt dann das Wort: 
Wenn all Kugeln drapen dädn (träfen), 
wull de Deubel Soldat sin. 


+ 
* * 


C. W. Stuhlmann: Das Weib im plattdeutſchen Sprichwort. 


In Folge deſſen dürfen aber auch von andern Theile 
nicht zu heifelige Forderungen geftellt werden und geſchieht 
es dennoch, fo erfahren fie eine motivirte Abweifung: 

löpst tom ierstenmal bi mi, säd de lütt Diern, 
un verlangst en Jumfernschaft ? 
‚_ Mebrigens foll, wenn einmal es doch jo weit gefommen 
ift, die Zeit aud) ausgenugt werben: 
Späs möt dreben warn (getrieben werben) un 
wiert ok man in'n Berr (Bett). 

Dei alledem ift aber aud das plattdeutjche weibliche 

Herz wanfelmlthig und zur Veränderung geneigt, Heißt ed 


Ol Leiv rust't nich un harr se ok all söben 
Joahr in'n Rönnsteen legen — 

fo hat andererjeits die Erfahrung gelehrt: 

Herrengunst un Aprillenweder, 

Mätenleiv un Rosenbläder, 

Wörpelspill un Koartenglück 

Aennern sik all Ogenblick, 

Wird jedoch, was auc nicht felten vorfommt, der Ges 

liebte abtritunig, jo tröftet ſich die Verlaſſene mit dem 
Wort: 


Uem ein Räuw (Rübe) steiht de Grapen nich 


lerrig — 
ober: 
De Grapen finnt ok wohl sien Räuw — 
Hätt de Möhl (Mübfe) man Water, so fin'n sik 
ok wol Gäst. 
* 2 * . 
Fir die Ehe thut es, dom Mädchen micht fonderlich an 
ihrem Anſehen Abbruch, wenn ihr ſchon 


Hans Wurst den Böhn (Boben) utdanzt hett, 
zumal die Erfahrung lehrt: 
Lustig Dierns, tamme (jahme) Husfruen — 


und ein anderes Sprichwort betreffs eines vor der Ehe ger 
borenen Kindes tröftet: 
Wo Flass is, doar is ok wol Schäw. 
Indeſſen heißt es doc, audy: 
Tucht un Ihren sall man mihren (mehren); 
ferner: 
Allens wardt für Geld makt, blot kein Jumfern- 
schaft 
und 
Jumfernfleisch is zwar kein Backavt (Badobft), 
schmeckt aewer likes »öt (dennoch füh). 
* nd * ’ 
Jung Dierns möten lustig sien 
heißt es, doch foll wiederum diefe Fuftigkeit ſich nicht allzu- 
laut und lärmend äußern, zumal die Erfahrung lehrt: 
Kreihend Höner selten göd Eierleggerr. 
Da bie jungen Mädchen fröhlich, und luſtig fein jollen, 
hält denn auch der Plattdeutjche nichts auf eine allzu blaſſe 
oder gar bleiche Geſichtsfarbe. 


Beter dat se schient, 
As dat se quient 


fagt er und verftcht er unter dem „ſchient“ eine übermäßig 
vothe Gefichtsfarbe, welche der Betreffenden auch den Namen 
eines „Vlößert* (Bluſe — Fenerpfanne auf Leuchtthürmen) 
einträgt, unter dem „quient* aber jenen Zuftand, welcher im 
Hochdeutſchen als Bleichſucht bezeichnet wird. Einem Mäd- 


Aus allen Erdtheilen. 


chen, das nicht fröhlich und dum Lachen geneigt ift und eine 
bleiche Gefichtsfarbe hat, foll ein junger Mann denn aud) 
aus dent Wege gehen: 
Vör grienend Pier un vör Dierns, de nich 
lachen mögen, nimm Di lieker Wies’ in Acht. 
Die Pferde „grienen“ (ladjen), bevor fie beißen wollen, das 
heißt fie zichen alsdann die Oberlippe aufwärts. 
* 


* * 
Dei der Heirat wird zwar auch wohl auf die Schön: 
heit gefehen und das Sprichwort lehrt: 
Schön Blomen un schön Mäten stahn nich 


lang — 
mehr aber doc auf Glüdsgüter, gleiches Aiter und wirth: 
ſchaſtliche Tuchtigleit. Im Hinficht hierauf heißt es: 


175 


Arm Lüd ehr Kalver (Kälber) und riek Lüd’ 
ehr Döchter kamen bald an’n Mann — 


God makt Blod — 
Das heißt hübſches Anſehen und gutes Herlommen. Weiter: 


Liek God, lieke Joahr 
Geben dat beste Poar. 


Ein beträchtlicher Unterfchied in den Jahren wird dagegen 
geradezu gefährlidy gehalten: 

En oll Klipp, 

En niges Schipp, 

Dat’s nix nütt — 
und 

Oll Mann, jung Wiew, 

Slechten Tiedverdriev (Zeitvertreib). 


Aus allen Erdtheilen. 


Aus Nordamerika, 
II. 
Die Ehineſen - und Diormonenfrage *). — Alatla. — Vetfeude. — 
Nemmworter Statifil. 

B. Seitdem die erften Chinefen im Jahre 1850 nach 
Galifornien kamen, bildet die Frage ihrer Einwanderung 
eines der wichtigften Probleme der amerikanischen Bolitit. 
Bor Kurzem bat die californifche Lenislatur eine Denlſchrift 
an den Congreß abgefaßt, in der fie denfelben angeht, bie 
Verträge mit China in bloße Handelsverträge zu verwandelt 
und das Einftrömen chineſiſcher Einwanderer zu verhindern. 
Auf beiden Seiten ließe ſich viel fagen, doch ift es ſchwer 
einzufeben,, wie die Einwanderung verhindert werden kann. 
Auf der einen Seite des Meeres liegt ein mit Hunderten 
von Millionen Einwohnern überfülltes Reich, auf der an- 
bern ein ſpärlich bewohntes Land mit Hunderten von Mil- 
tionen arbeitsbebürftiger Acres Land: es liegt in der Natur 
der Sadıe, daß die gedrängte Bevölkerung in das verbältniß: 
mäßig leere Land binüberflieht. Es ericheint wie die ge 
rechte Vergeltung für die gewaltfame Aufſchließung bes Rei- 
ches der Mitte durch die laukaſiſche Race. Und dies können 
Geſetze um fo weniger verhindern, als bie amerilaniſche Con: 
ftitution feinen Unterſchied in Betreff von Race, Religion 
und Farbe geftattet. Auch geben die Meinungen der Ame— 
rifaner jelber über diefe frage auseinander. Wer, wie Schrei: 
ber dieſes, durch Aufenthalt in Californien ſelbſt geſehen, 
wie bartnädig Capitaliften und Arbeitgeber bie chinefiiche 
Einwanderung, die ihnen billige Arbeitskräfte liefert (die 
ganze Central Bacific Railroad wurde von Chinefen gebaut, 
fast alle Wäfchereien, Küchen und Dienftbotenftellen im Staate 
befinden ſich in chinefiichen Händen), als Grundlage des cali: 
fornischen Wohlftandes vertbeidigen und barin von dem gro— 
fen Dampfergejellichaften, die in der Einwanderung eine 
dauernd fließende Goldquelle finden, unterftütt werden, und 
wie ebenſo energiich die weißen arbeitenden Claſſen, die es 
unmöglich finden, gegen die wie Thiere lebenden, genügſamen 
Chineſen zu coucurriren, die ſich mit einem Lohne begnügen, 
bei dem ein Weiher verhungern müßte, die mongolifche Ein: 
wanderung als Fluch fir das Land und die kaukaſiſche Race 


*) Man vergleiche hierzu Th. Kirchhoff, Die Ehinefen in Sarı 
Francisco „Blebus“ XXIV, ©. 237, 250, 268, wie überhaupt bie 
legten Jahrgänge, in denen dieſe Brage wiederholt befprochen wurke, 
fo befonders XVI, ©. 127. XVII, S. 47, 208. XVII, ©.32, 46. 
XXI, ©. 288 und XXIN, &. 271, 272. 


angreifen, der wird bald einfeben, daß diefe frage vor ihrer 
endgültigen Löfung noch ehr viele Schwierigkeiten verurſachen 
wird. Zuvörderſt foll ein Geſetz die Einfuhr chineſiſcher 
Weiber, die in halber Sklaverei faft ausnahmslos zu un— 
nennbaren Zwecken nach Ealifornien gebradyt werden, ju ver: 
hindern ſuchen. Mittlerweile bringt Dampfer auf Dampfer 
Hunderte der fchligäugigen Einwanderer berüber, von dbemen 
im Jahre 1675 allein 18,144 landeten (während ber letzten 
13 Jahre im Ganzen 119,087, darunter bloß 4406 Weiber), 
fo daß in San Francisco jegt über 20,000 leben, deren un: 
beichreiblich überfüllten und unſäglich ſchmutzigen Häuſer 
eine fortwährende Bedrohung der Stadt durch Feuersbrünſte 
und epidemiſche Krankheiten bilden. 


Wenden wir und zu ber von ihrer Löfung weiter als je 
entfernten Mormonenfrage, fo finden wir auch da einen uns 
befriedigenden Zuftand. Nachdem in der Salzieeftadt ein 
Bundesrichter endlich einen hervorragenden Mormonen, Ael— 
teften der Kirche, der Vielweiberei Ichuldig gefunden und 
demgemäß verurtbeilt bat, ift dem Congreß eine Bittichrift 
jugegangen, die, von 22,626 Frauen von Utah unter: 
zeichnet, demfelben erſucht, die Auti-⸗Polygamie-Geſetze von 
1862 zu widerrufen ober wenigftens die Ausführung derfel- 
ben zu verbinbern, und fich dabei auf die Conftitution ſtützt, 
die feine Gelege zur Verhinderung der freien Ausübung 
irgend einer Religion duldet. Ferner berufen ſich die Ber: 
theidiger des Mormonismus auf einen Artikel im Friedens 
vertrag von Öuabalupe-Hidalgo von 1848, in welchem Mexico 
für die Bewohner der an die Vereinigten Staaten abgetre— 
tenen Provinzen, darunter Utah, vollkommene Religionsfrei- 
beit ſtipulirt, die demnach auch die Mormonen, die jich be: 
reitö im Jahre 1847 im Thale des großen Salzſees nicber: 
gelaffen hatten, für fich beanfpruchen. 


Die Annerion Alastas bat fich bisher keineswegs ala 
Segen für die Vereinigten Staaten erwielen. Den letzten 
Nachrichten zufolge beichäftigt fich die ganze Bevölkerung der 
jämmerlihen Eingeborenen, fowie die 40 in Sitfa anfälfigen 
Weißen mit beimlihem Branntweinbrennen zum Privat: 
gebrauch, jo daß die Abfchaffung der Meilitärregierung und 
die Uebernabme der Eivilverwaltung durch den benachbarten 
Staat Dregon fehr geratben erfcheint. General Howard, der 
Militärcommandeur des Columbia-Departements, erbebt in 
einem Specialbericht über Alaska die Auflagen gegen bie 
Alaska Commercial Company, daß fie durch ihre geheim ge: 
baltenen ungefeglihen Operationen Millionen verdient, daß 


176 


fie jährlich viel mehr Scehunde tödtet als ihr Contract er: 
laubt, daß ihr Betrug der Regierung durch große Beſtechungs— 
fummen geheim gebalten wird, daß fie feine Privatunterneh: 
mungen in dem ganzen Territory geftattet, und daf fie die 

Bewohner der Scehunds:Injeln in halber Sklaverei hält. 

* Die im erften Artikel erwähnte ‚Betſeuche“ unter ber 
Leitung der „Evangeliften" Moody und Sanfey ift in Phila— 
delphia zum erfolgreichen Schluß gelangt. An manchen Ta: 
gen war das 14,000 Perſonen fallende Gebäude gänzlich ge— 
füllt, bei einer Berfammlung waren genen 11,000 Damen 
zugegen, von denen 40 aufftanden, um für ſich beten zu laffen. 
An verfchiedenen Tagen wurde für die Kinder von Phila— 
belpbia, für Trunfenbolde, für Ungläubige, für Schwach: 
finnige u. ſ. w. gebetet, wobei Herrn Moody’s Beredtiam: 
feit viele feiner Zuhörer bis zu Thränen rührte und Männer 
auf der Gallerie aufftanden und ihre Erlebniſſe zum Beften 
gaben. Im Ganzen wurden während neun Wochen 248 
Gebetverſammlungen abgehalten, die zufammen von 900,000 
Perfonen befucht wurden. est werben die „Erwedungen“ 
in der Stadt Newyork fortgeiegt, wo fie jehr paflender Weife 
in dem frühern Barnum'ſchen Hippobrom, einem der größten 
Berfammlungsgebäude der Stadt, ftattfiuden. 

Einige der neueſten ftatiftiichen Angaben über die Stadt 
Newyork für dad Fahr 1875 mögen von Autereffe fein. Die 
neue Zählung ergab eine Einwohnerzahl von 1,046,037 See: 
leu, die Schuld beträgt ‚91 Millionen Dollars. Es ftarben 
während des Jahres 30,590 Berfonen, darunter 19 am Son: 
nenftich, 1177 durd; Gewalt oder Unfall, 152 durch Selbft: 
mord und 178 durch zufälliges Ertrinfen. Von 91,009 von 
ber Polizei arvetirten Perfonen wurden 56,655 verurtheilt, 
darunter 25 wegen Brandftiftung und 75 wegen Todtſchlag; 
5200 verlanfene Kinder wurden während des Jahres von 
der Polizei ihren Verwandten zurückgebracht, während bei 
1373 Feuersbrünſten Eigentum zum Werthe von faft 3 
Millionen Dollars zerftört wurde. Es landeten im Jahre 
1875 34,544 Ginwanberer (darmmter 23,925 Deutſche) im 
Hafen von Newyorl, was eine Abnabıne von 55,000 gegen 
das vorherige Jahr und von 145,000 gegen 1873 ergiebt. 


Ueber die Seelenzabl der größeren Städte des deut: 
fhen Reiches. 


Nach der Zählung vom 1, December 1875 find zwar bald 
nach diefer Zählung in ben Tage&blättern verichiedene Mitthei: 
kungen gemacht und eine Menge von Ziffern abgebrudt worden ; 
inbeffen haben diefe Angaben zahlreiche — bei der Raſchheit 
der Jufanmenftellung der Zäblungsergebniffe ſehr erflärliche — 
Irrthümer and mehrfache für den genauern Beobachter auf: 
fällige Lücken enthalten, die bis zur Stunde im der Tages— 
preffe noch der Berichtigung und Ausfilllung harren. In— 
zwiſchen haben wir uns bemüht, die Refultate der Rolfe: 
zählung wenigſtens fir die gqröfieren Städte bis zu 30,000 
Einwohnern herab zu fichten und die Reihenfolge dieſer 
Stüdte zu ordnen, Mit Ausnahme der Städte Machen und 
Frankfurt a. D., deren am 1, December ermittelte Seelenzahl 
in den Zeitungen nicht zu weiterer Kenntniß gekommen ift, 
und der Städte Kaffel und Mes, über welche feine ficheren 
und vollftändigen Angaben vorliegen, fo daß wir in Betreff 
diefer vier Städte uns auf eine annühernde Schätzung be 
Ichränfen müffen, ift die Vollszahl der vier größten deutſchen 
Städte mach dem vorläufigen, bei manchen darunter fogar 
nah dem befimitiven amtlichen Zählungsrefultat zu unferer 


Aus allen Erdtheilen. 


Kenntniß gelangte und cs läßt ſich die Reihenfolge fo ficher 
feftftellen, daß nur ganz unbedeutende Abänderungen derfel: 
ben mehr möglich find. Dem nachſtehenden Verzeichniß, wel- 
ches die Ordnung der Städte mach ihrer Seclenzahl enthält, 
ſchicken wir nur noch die Bemerkung voraus, daß die für 
Hamburg angegebene Zahl nur die Bevölkerung der innern 
Stadt mit den Vorftädten St. Georg und St. Pauli ohne 
alle „Bororte* bezeichnet und thatlächlich durch die Hafen: 
bevölferung um etwa 3000 Seelen erhöht wird, wührend bei 
Magdeburg zur Altitadt mit Sudenburg — 83,102 Ein: 
woher — nicht bloß die Neuftadt — 24,524 Einwohner —, 
fondern auch das anftoßende Budan — 10,777 Einwohner — 
binzugezäblt ift. Die Militärbevölferung ift überall mit ein: 


gerechnet, 
Einwohner Einwohner 
1, Berlin... . 08621 26. Poſen 10,790 
2. Hamburg. - . 81,146 97. Halle. . ... 60,16 
3, Breslau . . . 240,471 38, Dortmund . . 57,697 
4. Dresden . . . 1,378 39. Mühlhaufeni.E, 57,554 
5. München... . 198,450 30. Augsburg. . . 56,616 
6. Köln... ... 135,518 31. Ejien. . . . - 51,2% 
ſdazu Deug . 14,515) 32. Kaſſel (?). . 55,000 
— (1871 Eivil . 48,500) 
— 150,088) 33. Main . . 50,581 
7. Leipgig . . + + 126,412 5, Me 18.000 
8. Magdeburg . - 124,233 Givit. 37.205) 
9. Königsberg . . 119,127. Crfu R —— 
urt 4740u7 
10. Hannover... 18508 Sr ger I 
(day Linden. ars) PU Görlig . . . . 45,074 
’ ei 37, Manubeim . 15,638 
129,976) 38, Botsdam . . » 45,07 
11. Frankfurt a. M. 101,582 39. Wiirgburg - - 45,010 
12. Danzig. - - -» ons 40, Frankfurt a. DO. 45,0003 
18, Stuttgart . . 5 (1871 Eiwil . 40,003) 
{mit Bezirk . 107,575) 41. Lübed . . » 11,330 
14, Straßburg . . 9,257 42, Starlörube . 44,159 
15. Bremen . 08,285 43. Wiesbaden . . 42,079 
16, Nürnberg. - - MOB 44. Stiel... 37,156 
17. Barmen . . . 86,266 45. Duisburg. . . 37,371 
18, Altona...» . 31080 46. Darmitadbt . . 87,148 
19. Stettin. . . . 81,682 47. Roftod.... 4,188 
(m, Auß.Bez. 108,635) 48, Elbing . - - +» 33,000 
20. Elberfeld... 30,588 49. Zwidan . 31,756 
21, Diffedorf . . 30,557 50. Negenäburg. . 31,525 
22, Yadıen . . » . 80,000? 51. Freiburg i. B. 81,108 
4871 Civil . 73,143) 52. Liegnitz. . . 831,017 
28, Chemnitz. » 78,058 53, Bromberg. . 30,000 
24. Brammfchweig. 65,960 54 Um. .... 30,116 
25, Sirefed. - . . 623,810 


Am mächften zu 30,000 kommt Osnabrüd mit 20,535 
Seelen. 

. * * * 

— In der öſterreichiſchen Grenzſtadt Semlin wurden 
beim Graben einer Eisgrube in der Tiefe von 2 Klaftern 
230 Stüd Golbmiinzen, jede 2 und mehr Ducaten ſchwer, 
anfgefunden. Diefelben, alte römische Münzen, müſſen mac 
der Anficht des Dr. Schafarik in Belgrad die unmismatilche 
Sammlung eines reihen Römers gebildet haben. Sie tra: 
gen verichiedene Infchriften; darunter giebt es Münzen von 
Nero, Domitian, Germanicus, Titus, Bespafianus, Sep: 
timius Severus, Diocletinnus, Trajanus, Marcus Aurelius, 
Valerianus ıc. 


Inhalt: Uns Junerafrifa. I. (Mit einer Karte und drei Abbildungen.) — Die Moblfs ſche Erpedition zur Gr: 
forschung der Libyfchen Wüſte im Winter 1873/1874. Bon Baul Aſcherſon, Mitglied der Expedition. II. — Brichpewalsti's 
Reife von Kiachta nad Peking, Von Albin Kohn. I. — Das Weib im plattdeutſchen Sprichwort. Bon C. W. Stuhl— 


mann. J. — Aus allen Erdtheilen: Aus Norbamerika. III. — 


Ueber die Seelenzabl der größeren Städte des deutlichen 


Reiches. — Berfchiedenes. — (Schluß der Redaction 19, Februar 1876.) 





Nebacteur: Dr. N. Kiepert ın Berlin, S. W. Lintenftraße 13, II Tr. 
Druck und Verlag von Friedrich Bieweg und Sohn in Braunſchweig. 





Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 
Begründet von Karl Andree. 


In Verbindung mit Fahmännern und KHünftlern herausgegeben von 
Dr. Richard Kiepert. 


Braunfchweig 


Preis pro Band 12 Mark. Einzelne Nummern 50 Pf. 








Aus Innerafrifa 


Im Januar 1868 brad) Pivingftone wieber nad) Nors 
ben auf und machte zuerft einen Vorftoß gegen Welten, um 
die merkwürdigen unterirbifchen Höhlen im —8 Rua (Came⸗ 
ron's Urua), von demen er viel gehört, zu erreichen; aber der 
Häuptling, der am der Uebergangsftelle iiber den Yualaba 
ſaß, war ob feiner geringen Gefchente empört und jagte ihn 
zurüd; nad) Norden zu in der Richtung nad; dem Tans 
ganyifa-See war alles Yand bis Mannshöhe überfchwenmt; 
er faßte alfo den Entfchluß, wieder zum Kazembe zurlid- 
utehren und den Bangweolo zu erforſchen. Davor aber 
Färchteten fich feine Lente und meuterten. Nur flnf blieben 
treu umd kehrten mit um. Ueber Erwarten gnädig war ihr 
Empfang, als fie im Mai wieder bei dem graufamen Flir⸗ 
ften eintrafen. Ohne weitere Hinderniffe erreichten fie das 
Nordufer des Sees. Weit hin dehnt ſich nad) allen Seiten 
die baumlofe, fumpfige, ſchwammige Ebene um das centrale 
Waflerbeden , das Livingſtone noch immer für den Quellſee 
des Nil hält. Diefe ganze große Mulde ift wie mit Feuch— 
Nigfeit gefättigt; rings herum lagert das, was Liviugſtone 
„ Schwämme* nennt. Es find das !/, bis 1 engl. 
Meile breite und 2 bis 10 und mehr Meilen lange Wafler- 
reſervoirs eigenthümlicher Art, die überall vortommen, wo 
eine Ebene fich gegen eine enge Spalte zwiſchen Bergen ober 
Hügeln abdacht. Die verwitternde Vegetation bildet nicht 
Torf, fondern eine 2 bis 3 Fuß dide, fette ſchwarze Erbe, 
welche oft auf einer Schicht weißen Sandes ruht. In der 
heißen Dahreszeit fpaltet die Erde nad) allen Richtungen 
2 bis 3 Zoll breit tief auseinander und trodnet zufammen ; 


Globus XXIX. Nr. 12, 


II. 


ſowie die erften Regen fallen, faugt fich zunächſt der Sand 
voll, die Erde wird allmälig beim Fortſchreiten der Regen— 
zeit zu weichen Moraft, wird aber durch jene enge Spalte, 
welche nur einer immerwährenden ftarfen Quelle ben Aus: 
gang geftattet, am Abrutfchen gehindert, Segen dann die 
ftärferen Regen ein, fo find dieſe Schwämme außer Stande, 
noch mehr Feuchtigkeit anzunehmen, und die Fluſſe und Seen 
treten über ihre Ufer, Einen ſolchen für die phyfifalifche 
Geographie Afritas Uberaus wichtigen Schwamm im größs 
ten Maßſtabe bildet der 3688 Fuß hoch gelegene Bang« 
weolo»- See, auf weldem Yivingftone am 25. Yuli eine 
Waſſerfahrt in einem 45 Fuß langen Canoe antrat. Zwei 
ber ſechs flachen, im See gelegenen Infeln wurden befucht, 
aber eine weitere Erforfchung des Sees durch die Bootsleute 
vereitelt. Ohne das Sudufer erreicht zu haben, mußte halb« 
wegs wieder umgefehrt werben. 

(8 er im October wieder nad) Norden vordringen 
wollte, fand er die denkbar größte Verwirrung, hervorgebracht 
durch die Einfälle der Mazitu und Zänfcreien der Araber 
mit den Eingeborenen. Schleunig mußte er in der Gefell: 
[haft der Händler fich im die Berge retten und auf Um— 
wegen den Kalongofi und das Nordende des Sees Mocro 
erreichen. Aber die aufgebrachten Cingeborenen folgten 
ihnen nad) und blodirten jaft drei Wochen ihr Lager. Nach 
nicht unblutigen Gefechten fam eine Art Frieden zu Stande, 
und Mitte December fehen wir Pivingftone auf dem geraben 
Wege nad) dem Tanganyifa begriffen. Hier aber ergriff 
ihn Krankheit, die ihm dermaßen mitnahm, daß er nicht nur 

23 


178 


feine Notizen machte, fonbern fogar die Wochen und Monate 
tage zu zählen vergaß und ſchließlich getragen werben mußte. 
Bon der Beichaffenheit dieſes Gebietes erfahren wir nichts. 

Am 14. Februar 1869 erreichten fie das Ufer des Tan- 
ganyika, einen Monat fpäter langten fie in Udſchidſchi an, 
wo Yivingftone wenigftens einige ber früher beftellten Bor- 
räthe fand; 62 von feinen SO Trägerlaften waren freilich 
geſtohlen. Mit Reinſchrift feines Journals und Schreiben 
von zweiunbbierzig Briefen, die mie ihre Beftinmung er- 
reichten, verbrachte er bei ftetig fortichreitender Befferung den 
halben März, April, Yuni und halben Juli 1869. nun 
brad) er wiederum auf, um ben großen, im Weiten des 
Manyuema-Landes firömenden Fluß, von dem fo viel die 
Rebe in Udſchidſchi ging, zu erreichen. 





Aus Innerafrila. 


Am 15. Juli landete er auf dem Weftufer des Sees 
und zog von bort nad) Nordweſten. Der Weg, welcher zum 
Theil mit demjenigen Cameron’s zufammenfällt, führte faft 
ftetig bergab durch eine ſtark amgebaute, liebliche Gegend. 
Große Kaffavafelder und Delpalmen überall. Sehr bald 
befand er ſich unter dem Niveau des Tanganyita. Nur als 
er dem großen Bogen des Yubamba (Cameron’s Rubumba) 
abſchuitt, mußte er ftark bergauf und bergab, aber wieder, 
wie am Weftufer des Nyaſſa⸗Sees, auf geſchickt angelegten 
Wegen, Damals war eben das Manyuema:Yand dem Elfen- 
beinhandel eröffnet worden; Gefchäfte glängender Art waren 
da noch zu machen, 18,000 Pfund bes koftbaren Products 
hatte eben ein Unternehmer zurlidgebradgt. Im hellen Hau— 
fen ftrömten bie Händler, diefe Peft Afrikas, herbei, um 





Jagd auf Sofo-Affen. 


ihren Antheil am Gewinne zu erhaſchen. Aber ihre Raub: 
luft und Gewaltthätigleit brachte die Manyuema gar bald 
auf und forderte ihre töbtliche Rache heraus, 

Am 21. September langte Yivingftone in Banıbarre 
an, wo einer der mächtigſten Häuptlinge ſaß. Ein Berfud), 
von dort aus gerade gegen Weiten vorzudringen und den 
Lualaba zu erreichen, jcheiterte. Nur 10 englifche Mei— 
len vorher mußte er umfehren, weil das Yand ringsum, 
durch das Plündern der Araber gereizt, in Gährung war, 

de des Jahres ging er mit einem der Händler in 
weitem Bogen nach Norden, und bezog im Februar 1870 
Winterquartiere in Mamohela, welches etwas nördlich von 
Gameron's Koute liegt. Dort hielt er ſich bis in den Juni 
hinein auf, mit Sammeln geographiicher, ethnographiſcher 
und naturhiſtoriſcher Notizen befchäftig. Am 26. Juni 
Borftoß gegen Weften mit nur drei Begleitern. Aber der 


große Warlerreichthum des Bodens verurfachte ihm eine 
ſchwere Fußlrankheit, ſo daß er nach Bambarre zurückkehren 
muß. Ueberhaupt ſchildert er das Gebiet in Folge feines 
Waſſerreichthums und feiner üppigen Vegetation als fehr 
ungefund. Achtzig Tage lang lag er mit feinen kranlen 
Füßen darnieder, zulegt von hejtigem Fieber geplagt ; eıft 
am 10, October 1870 ging er zum erften Male fpazieren, 
Nun hatte die Negenzeit wieder begonnen, und faft ofme 
Refultate ſchloß das unglüdlide Jahr 1870, abgefehen von 
den ethnographiichen, die er durch langes Zuſammenleben 
mit dem merkwürdigen Volle der Manyuema erlangte. Am 
4. Februar 1871 trat endlid eine Wendung zum Beflern 
ein; zehn Leute langten von der Küfte her an, die er ſich 
von Udſchidſchi aus beſtellt hatte, und balb darauf ers 
neuert er zum vierten Male den Verſuch, den Lualaba zu 
erreichen, diesmal endlich mit Erfolg, Am 30. März cv 


Aus Irmerafrika. 


reichte er durch abwechſelnd hligeliges und ebenes Land den 
Marftplag Nyangwe in offener, mit Bäumen befetter Ge · 
gend, im einer Meereshöhe von 1400 Fuß (fo Cameron; 
nach Fivingftone 2000) und fah ummittelbar daran ben 
18,000 Fuß breiten, infelreichen Riefenftrom feine Wellen 
vorbeiwälzen. Ihn zur Aberfchreiten, gelang ihm nicht; alle 
Anftrengungen , ein Boot zu mieten, wurden von ben Arar 
bern vereitelt. Hier in Nyangwe, wo ſich faft wöchentlich 
an 3000 Frauen zum Marfte verfammelten, hielt er ſich 
bis gegen Ende Juli 1871 auf und zog namentlich über den 
Welten umfangreiche Erfundigungen ein, 

Die Manyuema (d. i. „MWaldleute*) find ein fchöner, 
ſtattlicher Schlag Menſchen von Hellbranner Farbe, und 


gehören zu dem großen [Nbafrifanifchen Spradjftamme, der ! 


179 


Bantu⸗Familie. Gegen den Reiſenden zeigte fi) das Bolt 
zwar fehr neugierig, aber ſtets gutmilthig, ehrlich und gefällig 
(menigftend vor ber durch die Araber verfchulbeten Katar 
ftropfe). Im ſchroffen Gegenſatz * ſteht ihre bis auf 
die Spitze getriebene politiſche Zerſplitterung, ihre ewigen 
Fehden unter einander, ihre zeitweilige Menſchenfreſſerei und 
die grauenhafte Leichtiglkeit, mit welcher die ſchwerſten Morde 
veritbt werben, 

Intereſſant ift, was Livingſtone Über die im Manhuema⸗ 
Lande vortommenben Soto-Affen (wahrſcheinlich Schimpan- 
fe8) unter den 24. Auguft 1870 in fein Tagebud) einge- 
tragen hat. „Geſtern — fo ſchreibt er — wurden vier Sofos 
erlegt, die ein großer Grasbrand aus ihrem gewöhnlichen 
Berſtecke hervorgeſcheucht hatte; fie lamen in die Ebene und 
































Das — 















































—— —. we 


. » — 


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Kinderſpiele in Unjanjembe, 


murben dort von Speeren durchbohrt. Cie gehen oft auf- 
recht, legen aber babei die Hand auf den Kopf, als ob fie 
ben Körper ftitgen mißten. Sieht man ben Sofo fo, dann 
erſcheint er als ein umbehlilflicher Geſelle, als ein krummbeini⸗ 
ger, didbauchiger Schuft, der auch fein Fünkchen von Gent 
leman an ſich hat, Andere Ihiere, z. B. die Antilopen, 
find anmuthig, und es macht Vergnügen ihnen — 
mögen fie ruhen ober ſich bewegen; ebenſo find die Menſchen 
hier wohlgebaut, gefchmeidig und Hübfc anzufegen; aber ein 
Sofo, befonders wenn er groß ift, könnte als ein paſſendes 
Modell zum Bilde des Teufels dienen. Die abjchenliche 
Beftialität feiner Erſcheinung kann mir den Appetit rauben. 
Sein hellgelbes Geficht aeg! einen häßlichen Backenbart und 
a Anfäge eines Kinnbartes. Die Stirn ift niedrig, 
die n find groß umd abftehend; ber große hunbeäifmliche 


Mund hat Zähne, die etwas entfernt Menſchenartiges haben; 
nur die Hundszähne zeigen durch ihre große Entwidelung 
das Thier. Die Hände oder beffer die finger gleichen denen 
der Eingeborenen, Das Fleiſch der Füße ift gelb und wirb 
von den Manyuema mit folder Gier verzehrt, daß man ben 
Eindrud erhält, als wäre dieſelbe die erfte Stufe ihres Gan- 
nibalismus geweſen.“ 

Manche ſchildern den Solo als ſehr Hug; er beſchleicht 
die Eingeborenen bei der Arbeit, ſtiehlt Kinder und erflet- 
tert mit denfelben Bäume Legt man ihm aber Bananen 
bin, fo kommt er herab und Holt fie ſich, wobei er das Kind 
fallen läßt. In Bambarre lebten damals zwei Männer, 
deren einen ein Sofo beim Honigſammeln überraſcht und 
gefangen, dann aber wieder loegelaſſen hatte, Der andere 
fehlte auf ber Jagd einen diefer Affen mit dem Speere; die⸗ 

23% 


180 


fer ergriff die Waffe, zerbrad; fie und begann mit feinem 
Feinde zu ringen. Wber ehe noch auf deflen Gejdjrei „der 
Solo hat mic) gefangen“ feine Gefährten zu Hitlfe fommen 
fonnten, biß ihm der Affe die Fingerſpitzen ab und entfam 
heiler Haut. Das Thier ift fo liftig und fo ſcharfſichtig, da 
man ihm ſich nicht von vorn nähern fann, ohne daß ed etwas 
merft. Es wird daher auf der Jagd immer nur von hinten 
durchbohrt. Immerhin ift der Solo aber nicht jo furchtbar 
wie eine der großen Sagenarten umd gleicht im Kampfe mehr 
einem unbewaffneten Menſchen. Sie näherten fid) oft Yi« 
vingftone'8 Pager und verriethen ſich dabei durch Yaute, wie 
fie Fuchshunde ausftogen. Yeoparden bejwingt diefer Affe, 
unterliegt aber dem Löwen, Seine Nahrung find milde 
Frlichte und Bananen. Sie leben in Herden von etwa zehn 





Aus Innerafrika. 


Stlid, jedes Männchen mit feinem Weibchen, in deſſen Be: 
fig er von feinen Genoffen gefhügt wird. Sie trommeln 
angeblich, auf hohlen Bäumen und heulen dabei, faft wie die 
Eingeborenen bei ihrer Mufit. Bor Speeren haben fie zwar 
feine Furcht, gehen aber Bewaffneten gern aus dem Wege. 
Wird er verwundet, jo padt er feinen Angreifer beim Hand: 
gelent, beißt ihm die Finger ab und ſpuct fie aus; auch 
verfegt er ihm Ohrfeigen und Biffe, ohme jedoch die Haut 
dabei zu durchdringen. Den Speer zieht er ans der Wunde 
und ſucht durch Dineinftopfen von Blättern und Gras das 
Blut zu ftillen. Frauen und unbewaffnete Männer beläftigt 
er nie, und darum jagen die Manhuema: „Soto ift ein 
Menſch; es ift michts Böfes in ihm;“ ja fie glauben, daß 
ihre begrabenen Todten als Sofos wieder auferjtänden. 





Livingitone's Tod (1. Mai 1873). 


Hatte doc; ein ſolcher getödteter Affe Ohrlöcher befefien, wie 
ein Menſch! 

Sp gern Fivingftone weiter nad) Weiten vorgedrungen 
wäre zu dem von ihm erfundeten Pomami, nad) den Kupfer 
minen von KRatanga ı. f. w., er wurde ganz plöglich, durch 
unnüge Graufamteiten der Araber gegen die Eingeborenen 
und deren Feindſeligkeit, zur Rückehr gezwungen. Um 20. 
Juli 1871 trat er den Ruckweg nach Udſchidſchi an. Nur 
mit der größten Vebensgefahr entfam er den Hinterhalten 
der in Wuth verſetzten Manhuema. Der Weg war genau 
derfelbe, wie zwei Jahre zuvor auf dem Hinmarſche. 

Von diefem Augenblicke an verlieren feine Tagebücher 
ihren Reiz; fie werden immer kürzer und einfilbiger, immer 
ſchwerer und ſchwerer Laftet die Krankheit (Fieber und na- 
mentlic, ein Hämorchoiballeiden) auf dem ermatteten Reifen- 


ben, die Kataftrophe kommt immer näher und näher. Die 
ganze Reife von Nyangwe nad) Udſchidſchi, die Beſchiffung 
des Nordendes des Tanganyifa, die Wanderung bis Kafe in 
Unyammefi — Reifen, welche fich iiber fieben Längen- und 
mehr als drei Breitengrade erftreden, alfo über ein Yünder- 
gebiet, wie zwiſchen Berlin und Königsberg , ober wie zwi- 
ſchen Berlin, Wachen und der Norbfee, und welche einen 
Zeitraum von fieben Monaten in Anſpruch nahmen, füllen ein 
einziges, kurzes Capitel feines Journals von 25 Seiten. 
Und unmittelbar darauf folgt noch ein langweiliger, halb- 
jähriger Aufenthalt in Safe, 

Als Livingftone frank und erichöpft am 23. October 
1871 von feiner Reife nad) dem Lualaba in Udſchidſchi wie- 
ber eintraf, fand er zum größten Schreden alle feine Bors 
räthe geftohlen und ſich dem bittern Mangel preisgegeben. 


Höhlenfunde. 


Da erfchien fünf Tage darauf, gerade zur rechten Zeit, 
Stanley, reich mit Vorräthen ausgerüftet und abgefandt 
von Mr. Bennet, ben verfchollenen Forſcher aufzufuchen 
und erlöfte benfelben von drohender Noth. Uneingeſchränk- 
tes Pob verdient feine Energie, mit der er, der Reporter, bie 
Udſchidſchi vordrang, und die reichliche Hilfe, die er wie ein 
deus ex machina gerade zur richtigen Stunde unferm Dul- 
der zu Theil werden ließ. 

Ueber die Reife zu Waller, welche Fivingftone in Stan- 
ley’8 Begleitung nad, dem Nordende des Tanganyifa aus- 
führte, berichtet erfterer in fehr dirftiger Weiſe; ausführs 
licher Stanley in feinem Bude „How I found Living- 
stone.“ Das Hauptrefultat derjelben beſtand befanntlich in 
dem Nachweis, daß der See nad) Norden hin feinen Abfluß 
hat und wegen der Höhenverhältnifle nicht haben kann. 
Cameron war es vorbehalten, im Luluga den lange ge 
fuchten Ausflug des viefigen Waſſerbeckens zu entdecken. 

Ende December 1871 fuhren beide Reiſende zuerft ſUd⸗ 
lic) bis Urimba (in etwa 5° 50° füdl, Br. am Oftufer des 
Tanganyita) und wandten fi) von da landeinwärts gegen 
Oſten. Häufig von Fieber geplagt, erreichten fie am 15, 
Februar 1872 Kafe in Unyanyembe, wo Stanley fein 
Möglichftes that, um Pivingftone zur Heimfehr nad) England 
zu bewegen, allein vergeblich. Es blieb alfo dem Amerikaner 
nichts Anderes übrig, als den Doctor mit allerlei Waaren 
und Auschftungsgegenftänden zu verfehen, und mit den Brie- 
fen, Depefchen und Tagebücern deflelben und feinem innig- 
fien Dante im März 1872 die Nüdreife nach der Küfte an» 
zutreten. 

Erft im Auguft Tangten die von Livingſtone beftellten 
Diener, 57 an der Zahl, von der Küfte an. Dann ging 
es dieſelbe Straße bis faft an den See zurüd und längs 
deffen Oftfüfte auf dem leichteflen und wildreichjten Wege 
durch) die ‚reich angebante Landſchaft Fipa nad) dem Süd— 
ende befielben, wobei feftgeftellt wurde, daß der Tanganyifa 
in diefer Gegend nach Often zu feinen Ausfluf befigt, Weiter 
wurde auf dem alten Wege von 1867 gegen Süden, dann mit 
weitem Bogen nach Welten raſch eine hungernde Yandichaft 
durcheilt. erfte Tag des neuen Jahres (1873) ſah ihn 
wieber in die Sumpfebere des Bangweolo Hinabfteigen. 
Seit zwei Monaten ſchon hatte die Regenzeit eingefett ; 
Tag und Nacht goß es in Strömen vom Himmel herab; 
aftronomifche Beobachtungen waren abfolut unmöglid,. Die 
ganze Gegend war in ein unabſehliches Gewäſſer verwanbelt. 
Das Herumirren und Waten im Waffer mußte den ohnehin 
ſchon kranken und obendrein Mangel leidenden Reiſenden 

änzlich von Kräften bringen. Faſi täglich war bie untere 

älfte feines Peibes total durchnäßt, und dieſer Zuftand 
danerte vom Anfang des Jahres bis in den April hinein. 
Warum er nicht trodnere Striche zu erreichen ſuchte, bar- 
über giebt er uns feine Auskunft. Immer nahe dem eigent- 
lichen Seeufer, ftatt höher hinauf an den Bergen ging ber 
Zug langfam um die DOftfeite des Sees herum, zulegt von 
Juſel zu Imfel auf Booten, überfchritt Ende März den 
Tſchambeſe nahe feiner Mündung in ben Bangweolo und 


181 


erreichte endlich in der legten Hälfte April am Südufer 
trodneres Yand, Aber mit den Kräften des Reifenden war 
es zu Ende. Bom 22, April an konnte er nur noch das 
Datum einfchreiben ; zu Weiterm war er zu ſchwach. Er 
verfuchte auf dem legten ihm gebliebenen Efel zu reiten, aber 
er fiel vor Mattigleit herab. Da machten feine Leute eine 
Art Tragbahre und trugen ihn weiter. Denn noch immer 
lebte in ihm der alte Entdeclertrieb. Er befand ſich ja jetzt 
am Fuße jener berühmten, fange von ihm gefuchten Wafler- 
fcheide, und noch in ben legten Tagen erfundigte er fich nach 
ihrem wichtigften und intereffanteften Punkte, jener Stelle 
weit im Welten, wo nahe bei einander vier ſtarke Quellen 
entfpringen und raſch zu mächtigen Strömen, dem Yufira, 
Lulua, Yunga und Yiambai (oberer Zambefe), anwachſen fol- 
fen. Am 27. April trug er die legten Worte in fein Tage: 
buch ein; am 1. Mai 1873 in früher Morgenftunde ift er 
in betender Stellung geftorben in Tjchitambo’s Dorfe Nala 
am Sibdufer bes Bangmweolo, 

Seine Diener faßten dann den heldenmüthigen Entſchluß, 
nicht nur alle Habjeligkeiten des Verſtorbenen, fondern auch 
feine Leiche mad; der Küfte zu transportiven und führten 
dieſen Entſchluß mit Liſt, Berfchlagenheit und Muth und 
felbft unter Kämpfen durch. Die Yeiche wurde nad) Eng- 
land übergeführt und dort am 18. April 1874 in ber chren- 
vollften Gruft bes Landes, in ber Weftminfter-Wbtei, beigefegt. 

Jenem muthigen Berhalten der Diener ift es zu dan— 
fen, daß des umermüblichen Reiſenden Tageblicher gerettet 
wurden und vor etwa Jahresfrift in England herausgegeben 
werden fonnten. Wären fie gleich viel lesbarer geworben, 
wenn es ihrem Berfaffer vergönnt geruefen wäre, fie felbft 
zu überarbeiten und in Buchform zu bringen, fo bilden 
fie doch immerhin eines der werthvollften und interefjan- 
teften Bücher, welches die gefanmte Literatur liber Afrita 
aufzuweifen hat, und darum ift es mit Dank amzıterfen- 
nen, daß fid) in Dr. Joſef M. Boyes ein Leberfeger 
deſſelben gefunden hat, deſſen Aufgabe in einer möglichjt 
treuen und gewiffenhaften Verdeutſchung beftand. Das war 
aber nicht fo leicht wie es den Anſchein haben möchte. „Yi- 
vingftone — fagt derfelbe in feiner Borrede — fchreibt 
fein claſſiſches Englifch, und feine Gewandtheit im ſchrift⸗ 
lichen Ausdrude konnte natürlich, nicht durch feinen vieljäh- 
rigen Aufenthalt in der afrifanifchen Fremde gewinnen. Er 
ift von Haufe aus ein ſchlichter praftifher Mann und fchlicht 
und zur Sache, oft knapp und ſtigzenhaft bis zur Unver⸗ 
ftändlichfeit ift auch fein Stil.“ Diefe Aufgabe hat Bones 
redlich gelöft und aud) die Berlagshandlung (Hoffmann und 
Campe in Hamburg) hat das Ihrige gethan, um das Wert 
in guter Ausftattung, die, was Karten, Porträt, Illuſtra- 
tionen und Facfimiles anlangt, genau der englifchen Originals 
ausgabe entipricht, erfcheinen zu laſſen. So fünnen wir die 


"Boyes’jche Ueberfegung „Letzte Reife von David Yivingftone 


in Gentralafrifa von 1865 bis zu feinem Tode 1873 
(Hamburg 1875, bei Hoffmann und Campe, zwei Bände, 
Royals8°, Preis 20 Mark) unferen Leſern als ein anzies 
hendes, inhaltreiches Reiſewerl beftens empfehlen. 


Höhlenfunde. 


Die merfwürbigften Ueberreſte, welche der vorgeſchichtliche 
Menſch in den von ihm bewohnten Höhlen uns hinterlaſſen 
hat, find die gejchnigten Nenthiergeweihe und die auf Schie- 


fer, Elfenbeinſtücken und dergleichen eingefragten Figuren. 
Da man folde bis vor Kurzem faft mur im franzöfifchen 
Höhlen, namentlich aus Perigord umd fpeciell ans ben Thür 


182 


lern der Dordogne und ber Vezoͤre, aber aus keinem andern 
Sande kannte, jo wurden dieſe äußerft naturgetreuen, faſt 
fünftlerifchen Zeichnungen von Thieren mehrfad, als unter 
geſchoben angezweifelt, bis der Hinweis auf ähnliche Yeiftuns 
gen der gleichfalls auf einer niedrigen Civilifationaftufe fte- 
henden Bufchmänner und Loango-Neger und gleiche Funde in 
der Thayinger Höhle nördlich von Schaffhaufen diefe Zwei- 
fel befeitigten. Auch an die Walroßzahnſchnitzereien der For 
jäfen fann man erinnern, ſowie an jenen Jakuten-Künſtler, 
der aus einem Mammuthzahne eine Dofe fchnigte und darauf 


Höhlenfunde. 


Renthiere und Bären völlig naturgetren barftellte (f. die Ab- 
bildungen auf ©. 247 von Bd. XXV. des „Globus“). 
Seit 1864 wurden jene franzöfifchen Höhlen von Lartet 
und Chrifty unterfucht und dabei famen die in Rebe ftehen- 
ben Kunftproducte zuerft zum Borfcheine. Ans einem Stüd 
Elfenbein ſchauen die deutlich erfennbaren Umrifje eines Ochſen 
hervor; eim zweites zeigt ein kniendes Renthier in gefälliger 
Darftelung, den Kopf emporgerichtet, jo daß das Geweih 
auf den Schultern ruht und der Rüden des Thieres eine 
glatte Fläche für einen Griff bildet, der indeſſen fir eine 





Auf Knochen 2* Zeichnung 
vom braunen Bären, 


gewöhnliche europäifche Hand zu Hein wäre. Auf einem 
dritten Stüde fteht ein Mann nahe bei einem Pferbelopf 
und dicht daneben ift ein aalartiger Fiſch. Auf der andern 
Seite deffelben Cylinders find zwei Wifenttöpfe fo deutlich 
gezeichnet, daß Jedermann fie erfennen muß, der je einen 
Bifon gefehen hat. Bei einem vierten hat der Künſtler die 
natürliche Arummung einer der Sproffen benugt, um daraus 
den Kopf und die charakteriftiich gebogenen Hörner eines 


Pierbeföpfe auf Braunlohle eingerigt. 


Steinbods zu fehnigen; auf einem fünften endlich befinden 
ſich Pferdezeichnungen, in denen die aufgefträubte Mähne und 
ber ungepflegte en mit bewunderung&wirbigem Geifte 
dargeftellt find, Die Köpfe allein ericheinen ganz unvers 
hältnigmäßig groß; aber ein neuerdings im Lyoner Mufeum 
aufgeftelltes Pferdeffelet aus der paläolithiichen Station zu 
Solutr& beweift, daß dies nicht der Fall ift, indem diefes 
Skelet durch; den maffigen Kopf und den fleinen Rumpf aus: 





Kopf vom Moſchusochſen, geihnigt. 


gezeichnet ift. Ferner fanden fic, auf hartem Schiefer ein- 
gerigte Darftellungen von Renthier, Rieſenhirſch, Edelhirſch 
und wahrſcheinlich and, vom Nashorn. Die merkwürdigſte 
Abbildung aber ift die eines Mammuth auf einem Stüde 
von jeinem eigenen Stoßzahne, wie auch der Hirſch meift auf 
Hirfchgeweih, das Renthier auf Renthiergeweih zur Darftel- 
fung gelangt ift. Die eigenthümliche Kriimmung der Stoß: 
zähne und die lange Mähne, Eigenfchaften, die den jegt 
lebenden Elephanten abgehen, beweifen, daß der Künftler das 
Original kannte umd mit ihm zugleich gelebt hat. Daß 


Auf Knochen gerigte Zeichnung vom Fuchs. 


bedeutende Forjcher wie Dawlins und Lubbodk in den heuti« 
gen Eslimos die Nachlommen jener alten Höhlenbewohner 
Frankreichs erbliden, ſei nebenbei erwähnt. 

Im Jahre 1874 wurden nun in einem großen Theile 
der mörblichen Schweiz neue Knochenhöhlen entdedt umd 
unterfucht, ald deren ergiebigfte fich die von Herrn C. Mert 
aufgefundene und erforjchte Thayinger erwies. Unter den 
3000 Pfund Thierfnochen, welche fie enthielt und die aus- 
ſchließlich von wilden Thieren herrühren, fanden ſich ebenfalls 
Zeichnungen, welche eine nicht geringe Gefchidlichleit ber 


Höhlenfunde. 


Berfertiger zu Tage treten laſſen. L. Rütimeyer (Archiv 
für Authropologie 1875, Bb. VIII, ©. 123 ff.) hat die 
Thiere, von denen die gefundenen Reſte herrllhren, in ver» 
ſchiedene Kategorien getheilt. Zu denen, weldye noch heute 
das Flachland der Schweiz und ihrer Umgebung bewohnen, 
rechnet er Wolf, Wildlage und Fuchs; zur heutigen Alpen: 
fauna den braunen Bären, den Luchs, das Murmelthier, die 
Gemſe, den Steinbod und den Alpenhafen. Vom Büren 
fand fich beiftehendes, zwar plumpes, aber naturgetreues Bild, | 
„an deſſen Herkunft mitten 
aus dem Höhleninhalt nicht 
zu zweifeln iſt, obſchon es 
erſt lange nach der Entlees 
rung der Höhle in dem übrig: 
gebliebenen Schutt die Ge— 
duld eines fpäten Achren- 
leſers belopnte.“ 

Eine heute vorwiegend 
orientalische Thierwelt ver: 
treten Bamfter und wildes 
Pferd, welches leptere in 
etwa einem halben Dugend 
vortrefflicher Abbildungen er 
halten iſt, weldye über das 
äußere Ausſehen deſſelben 
Aufſchluß geben. Ueberall 
ſteht die Mähne in die Höhe und bededt das Kinn ein langer 
Bart, wie überhaupt das ganze Thier langhaarig ift, was 
befonders in einer Zeichnung auf Renthiergeweih hervortritt, 
Zu den werthvollſten Funden gehören die hier wiedergegebenen 
beiden Pferdelbpfe, welche auf den beiden Seiten eines und 
deflelben Plättchen® von Braunfohle mit wenigen Pinien eins 
gerigt find, 

Einer vierten Gruppe, Thieren von heutzutage ameri— 
laniſchent Gepräge, gehören 
unter den Thayinger Fund⸗- 
ſtüclen Refte von einer Fuchs» 
art umd einem dem canadis 
ſchen ähnlichen Hirſche an, 
während Renthier, Mojchus: 
ochſe, Eisfuchs und Fjalfraß 
(d. h. Felſenbewohner) bie 
polare Thierwelt vertreten. 
Reſte des Moſchusochſen 
ſind nicht erhalten, aber eine 
aus Renthierlnochen ges 
ſchnitzte Darftellung deſſel⸗ 
ben, welche deutlich die an 
der Baſis breilen und Uber 
das Profil des Kopfes hins 
ausragenden Hörner, melde 
fid) von ihrer Wurzel an 
raſch abwärts und nach vorn 
wenden, erfeunen läßt. Daf 
dieſes polare Thier einft bei 
Thayingen haufte, verliert an 
Beſonderlichleit durch den 
Umſtand, daß auch ſein Ges 
noſſe im Hohen Norden, der Eisſuchs (Canis lagopus), 
in Reſten von etwa 90 Individuen unter den Knochen der 
Höhle vertreten iſt. „Daß er in der Bhantafie der Dien, 
ſchen eine große Rolle fpielte, darf uns daher nicht verwun- | 
dern. Er fehlt auch) nicht in den Bildern, und der Humtor, | 










44 * 
— 


* 





EN 
EUR 20 
m ——— 


— 





ber uns aus dem mit den flüchtigſten Zügen auf das un— 
günftigfte Material, eine fpröde Bifonrippe, eingerigten 
Bilde entgegenblict, macht dein Künftler, dev es angefertigt, 


y. | 
— 


ed Se 


Weidendes: Nentbier, auf Renthiergeweih gezeichnet. 





Buſchmann⸗Jeichnungen. 


183 


* größere Ehre, als bie trefflichen Profilporträts des 
ferdes.“ 

Mehr als drei Viertel aller Knochenreſte gehören aber 
dem Renthiere an, welches den Höhlenbewohnern Nahrung 
und Kleidung lieferte und deſſen Geweih verhältnigmäßig 
leicht zu bearbeiten ift. Sein Wunder alfo, wenn mit die 
ſchönſſen Zeichnungen, wie die mebenftehende, ſich dieſes un— 
entbehrliche Geſchpf zum Vorwurf nahmen. Wo finden 
wir heute — fragt Nütimeyer — den Künftler, der mit die: 
fen paar Yinien auf fo un» 
bequeme Tafel, wie die nie⸗ 
drige, gewölbte und dabei 
rauhe Flache einer Reuthier⸗ 
ftange, Bilder von fo viel 
8 Anmuth und Wahrheit hin⸗ 

mic? Die Sidi in 
\ "der Fuhrung der Linien, bie 
SEX & ——— oder gar von 
* irgend einer Art von Cor⸗ 

— rectur, welche freilich ſchon 

N durch die Beichafienheit des 
Materials ſich verbot, fauın 
etwas verrathen, ift als ein 
gemeinfames Kennzeichen al: 
ler diefer Darftellungen be 
fonders hervorzuheben. 

Eine fecöte und letzte Gruppe von Säugethieren aus 
jener Höhle, deren Bewohner, mebenbei gefagt, wohl die 
Zeichenlunſt, nicht aber die Töpferei ausgelibt zu haben ſchei— 
nen, bilden Urochs (Bos primigenius), Bison priscus, der 
Borfahr des ee und europäifchen Wifent, ein 
Löwe (Felis spelaca), dad Mammuth (Elephas primi- 
genius) und das fogenannte ſibiriſche Nashorn (Rhinoceros 
tichorhinus), während die feltener Ueberrefte von Vögelu 
dem Kolkraben, Fiſchadler, 
Singſchwan, einer Gänſeart 
und dem Schneehuhn ange: 
hören. 

* ° + 


zum Vergleiche mit die» 
fen Erzeugniſſen eines vor- 
geſchichtlichen Stammes le⸗ 
gen wir unſeren Leſern in der 
legten Figur Buſchmanns⸗ 
Zeichnungen vor, welche dem 
oft von uns erwähnten 
Fritſch'ſchen Werte: „Die 
Eingeborenen Sidafritas“, 
nachgebildet find. „Es ift 
ſchwer zu begreifen, — fagt 
Fritih (a. a. D. ©. 4257.) 
— wie ein Bol im Zus 
ftande der Verkommenheit, 
im Berzweiflungstampfe für 
feine Eriftenz gegen Menſch 
und Thier eine Kunſt betrei⸗ 
Den follte, weldye es im Zus 
ftande der behaglihen Ruhe und des Lebensgenuffes ver 
nadjläfjigte.“ Was der Buſchmann zeichnet, find zwar feine 
Gemälde, aber auch nicht unbedeutende Kritzeleien; „es prägt 
ſich in den Figuren eine ſcharfe Auffaſſung und treues Ges 
dächtniß für die Formen aus, weldye zuweilen mit bewune 
derungsmwärdig fiherer Hand und großer Leich— 
tigfeit wiedergegeben find.“ _ 

Die Wände der Grotten und ſlach umherliegende Blöde 


NL 
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184 


Albin Kohn: Lupandin's Aufnahme im Usboi 1875. 


find oft mit Figuren ſörmlich bededt und das Gebiet, anf | werden, verläßt Boyd Dawkins den Boden der Thatfachen 


welchen fie vorfommen, reicht vom Cap der Guten Hoffnu 
duch die ganze Colonie und über den Orangefluß na 
Norden hinaus. Auf einem Höhenzuge unweit Hope-Tomn 
fah Fritſch Taufende von verſchiedenen Thiergeftalten, oft 
20 und mehr auf einem Blocke. Diefe Figuren wurben 
entweder auf einem dunkel angelaufenen Felſen mittelft eines 
härtern, ſcharfen Steines außgefragt und erfcheinen dann Hell 
auf Dunkel, oder fie wurben farbig auf helle Felſen gemalt. 
Zur Anwendung famen dabei ein Ichhaftes Roth, braune 
Odererde, Weiß, Schwarz und auch Grun. Von Schiffen 
abgeſehen wurden nur lebende Weſen dargeſtellt, beſonders 
Eland, Springbock, Gemebod, Strauß, Elephant, Rhino—⸗ 
ceros, Pavian u. ſ. w, dann vom dem zahmen Thieren Ochſen, 
Hunde und neuerdings die erſt von den Coloniſten eingeführten 
Pferde, endlich Eingeborene, Voeren und Soldaten. Die 
Leichtigleit, mit weldyer die Buſchmänuer die Arbeit ausflihr- 
ten, verräth fich in dem Umſtand, daß fie diefelbe Figur, 
welche ſich ihrem Gedächtniß einmal eingeprägt hat, zuweilen 
neben einander wieberholentlich barftellen, bis dadurch ganze 
Reihen entftehen, und die Sicherheit der Hand erfennt man 
an der merkwitrdigen Aehnlichteit, welche jede der folgenden 
mit ber erften Figur hat, 
* — 

Zum Schluſſe erlauben wir uns, unſere Leſer auf ein 
ſoeben erſchienenes Buch hinzuweiſen, welches auf den oben 
behandelten Gegenſtand Bezug hat, die Ueberſetzung von 
Prof. W. Boyd Daifins’ „Cave-hunting*, weldye unter 
dem Titel „Die Höhlen und die Ureinwohner Europas von 
W. Boyd Dawkins, Profeffor der Geologie am Owens’ 
College in Mancheſter. Aus dem Englifchen übertragen 
von Dr. J. W. Spengel* bei E. F. Winter in Leipzig 
und Heidelberg erfchienen, mit farbigem Titelblatt und 129 
Holzichnitten illuftrirt und von feinem Geringern als von 
Prof. Dr. Oscar Fraas beim bdeutfchen Publicum einge 
führt wird. Beſſer als jede Beſprechung unfererfeits ift 
das Fraas'ſche Borwort geeignet, unfere Leſer mit dem Cha« 
rafter diefes Buches befannt zu machen, und wir heben ded- 
halb einige Stellen aus demjelben heraus. So heißt es 
dort: „Wo Andere fo gern von ihrer Phantafle hingerifien 


nie und geht nie anders als ficher auftretend mit Ruhe und 
Gründlichkeit zu Wer. Auch im der vorliegenden Schrift 
unterfucht Berfaffer zuerft die Naturgefchichte der Höhlen und 
fommt da zu der einzig richtigen, natürlichen Erklärung, bie 
gegenliber den abenteuerlichen Anfchauungen, 3. B. der Bel: 
ier, ganz wohltuend wirkt, indem fie die Entftehung der 
Höhlen tein nur der mechanischen Wirkung des Regenwaſſers 
und der chemiſchen Wirkung ber Kohlenfänre zufcjreibt. Auf 
diefer Grundlage ſammelt Verfaſſer die Thatfachen der 
Höhlenfunde, für die Taten in England meift perfönlid) eins 
ftehend, für die auferenglifchen Höhlen wenigftens ftets den 
Gewährdmann citirend, 

„Der Mangel gerade der deutichen Höhlen und Höhlen: 
funde bildet zwar eine nicht zu leugnende Lücke, die aber dem 
ganzen Werk umd der principiellen Behandlung des Stoffes 
feinerlei Eintrag thut.“ Und weiterhin: „So wird ficher: 
lich Jeder gern die Höhlenjagb mitmachen, zu der Boyd Daws 
fins einlabet, und mit Vergnügen die unterirdiſchen Bilder 
ſchauen, die er uns vor Augen führt. Mit gefpanntem 
Intereſſe folgen wir ihm im den Hellnpot (Höhlentopf) ober 
in die Höhle von Ingleborough, befehen die Höhlengräber 
und Kammergräber in den Bergen von Wales und freuen 
ung der Schädel» und Knochenmaße, mit denen Prof. Busl 
das Buch bereichert. Es ftimmen im Wefentlichen die Re— 
fultate des gelehrten Berfaflers über die alten Menfchenracen 
mit den in Deutfchland gewonnenen Anfichten überein, baf 
wir es in ber Vorgeſchichte und im Pleiftocin wicht mit ari⸗ 
ſchen Bölfern zu thun haben, die ſich übrigens im ihrer 
Spradje und in dem dumfelhaarigen Bewohnern von Well: 
und Südeuropa erhalten haben. Auf fie fließen danm bie 
vorgeſchichtlichen Dolichocephalen, die mit Gerealien und Haus- 
thieren aus dem Oſten kamen, zunäcjft von der Jagd lebend 
in dem rauhen Klima Europas zur glacialen Zeit. — Wir 
fließen mit der Ueberzeugung, daß, wie man Herrn Boyd 
Dawlins dankbar fein muß für die Mare Ueberſicht in ber 
Höbhlenfrage , fo aud) dem Ueberfeger des vorliegenden Wer 
les und dem Verleger allen Dank ſchuldig ift, daß fie ein 
fo verdienftvolles Buch den deutfchen Kreifen näher gerückt 
haben.* 


Lupandin’3 Aufnahme im Usboi 1875. 
Nach dem Ruffifchen von Albin Kohn, 


Die Ruffen, welche nun ſchon feit 160 Jahren bemüht 
find, in Gentralafien eine halbwegs geordnete Yage dev Ber 
hältniffe, wenigftens aber gefidyerte Handelswege zu ſchafſen, 
da doch einmal, und gewiß noch für lange, Gentralafien das 
Hinterland der ruffiihen Induftrie bleiben wird, fefjelten 
immer die Wiflenfchaft an ihre nach Gentralafien gefendeten 
Militärcolonnen, und dieſem Umftande verdanken wir wich 
tige naturwiſſenſchaftliche Aufjchlüffe über Gegenden, welche 
wir lange Zeit hindurch nur durch den Schleier der Mythe 
und Sage betrachtet haben. Eine Unterſuchung des alten 
Amu · Darja⸗Flußbettes folgt der andern *). Der letzte, wel- 


*) Die Grforfhung des Usbei oder frodenen Amu⸗Laufes hat ſchon 
sweimal, in ten Jahren 1864 und 1870, die KRaiferl, Ruffiiche Geos 
grapbiide Geſellſchaft befchäftigt. Eiſt 1871 aber drang Matloſow 
von Krasnomodst bis zum Brunnen Topiatan (etwa in 55/,0 öſtl. 





cher Bermeſſungen des fagenhaften Flußbettes vorgenommen 
hat, ift der Topograph Yupandin; er hat feine Arbeit in 


£. Greenm.) vor, im folgenden Jahre, in Begleitung von Siewere 


und Stebnidi, bis zum Brunnen Jgdv beinahe 570 Hl. L. Gr. 
und 40" nörtl. Br) Durch Höbeumeffungen und aftronemijce 
Beobachtungen wurde das trodene Bert niedezgelegt. Stebnidi’s fhöne 
darauf bafirte Karte ift in Petermann’s Geograpbifhen Mittkeilune 
gen 1873, Tafel 15 reprobucitt. Bon der andern Seite, von Chiwa 
ber, werfolgte 1873 Oberſt Gluchewskli ven Ueboi fahr zwei Yängens 
grade weit bis zu den Seen Sarypsfampfch (42° nörtl. Br. und 379 
öl. %. Gr.). Es blieb fomit ein unerforfchtes, ziemlich genau von 
Norden nad Süden verlaufentes Stück ven zwei Breitengraden (jmir 
ſchen 40° und 420 nördl. Br.) oder circa 30 deutſchen Meilen Lange 
übrig, treffen Nivellitung im Jahre 1874 anläßlich ber großen Amus 
Darja-Frpedition wegen velitifher Werbältmiffe mit zu erreichen 
war, Grit 1875 unternahm Gleneral Lomakin feinen befannten Zug 
zum Usbei und ins Atrels@ebiet (f. „Globus XXIX, E. 106), 


Albin Kohn: Lupandin’s Aufnahme im Usboi 1875. 


dem Zeitraume vom 11. bis 21. Juni vorigen Jahres aud- 
eführt, 
. Ich entnehme feinem Berichte in den „Nachrichten der 
lautaſiſchen Section der Kaiferl, Ruſſiſchen Geographifchen 
Geſellſchaft“, Bd. IV. (1875), Nro. 1 folgende Thatfachen. 

Er begann feine Meflungen vom Brunnen Bala-Iichem 
aus, der etwas nörblicd; vom Igdy liegt, welchen der Leſer 
leicht auf jeder Karte Centralafiens findet. Bon Bier aus 
ging er num immer im alten Eteombette, von den Turlmenen 
„Usboi® genannt, hinauf bis mad) Iwanef, das ungefähr 
12 Werft nördlich von jenem liegt. Das Ufer des alten 
Flußbettes ift Har zu erfennen an feinen theils fandigen, 
theils lehmigen, aber immer fteil abfallenden Rändern. Wo 
diefe lehmig find, find fie auch immer ſalzhaltig. Die Ber 
getatiom ift im biefem Theile des alten Flußbettes eine ſehr 
dilrftige. Sie befteht aus einigen Specien Saranl, dem 
Deifuß, einer dem Riedgrad ähnlichen Pflanze, und 
der Benedicten» oder Nelfenwurz (Geum urbanum). 
Doch ift hier die Vegetation noch bedeutend reicher als auf 
einer weiten Strede des rechten Ujers beim Brummen Bala— 
chem, wo auch diefe wenigen Pflonzengattungen nicht zu 
finden find. Bon Bala-Pichem geht's über Torpani oder 
Kyſhl⸗dſcha⸗ lir, wo ein Brunnen ift, nad) dem Brunnen 
Gjetſch-Gjeldy, den die Turkmenen während bes fegten 
Krieges zugeichlittet Hatten, angeblich um die Jomuden zu 
verhindern in ihr Yand einzufallen, und den fie eben jegt, wo 
Lupandin feine Mejfungen vornahm, aufgruben und reinig« 
ten, Gegen 11 Werft füdlich von GerfcGjeldy tgeilt ſich 
das Flußbett, und die Turfmenen nennen das linke, welches 
in gerader Yinie an den genannten Brunnen führt, Usboi. 
Diefer Theil bietet viel Intereffontes, Anfangs nämlich, 
zieht fich das Bett zwifchen fteilen, ſandigen Ufern hin, welche 
ſich zu mehr als 20 Klaſter Höhe erheben; der Boden bes 
Bettes ift jalzhaltig und am einigen Stellen mit Saraul- 
fträuchern bedeckt. Stellenweife ift e8 wiederum fteinig und 
findet man hier Vlättergyps und Süßwaſſermuſcheln, welche 
legtere wohl beweifen, daß bier einft Flußwaſſer ſtrömte. 
Das Bett ift zwar im der hier bejchriebenen Gegend etwa 
ſechs Werft weit vom Sande verfchlittet, doch erjcheint es 
nad, Ueberſchreitung dieſes Alluviums wieder und giebt ſich 
deutlich durch dem falzigen Grund zu erfennen. Nach Zurlid: 
gung biefer Sandftrede findet man auch wieder weniger 
hohe Ufer, denn dieſe üÜberfchreiten nicht die Höhe von drei 
Klaftern. Wenn die Vegetation von Ianel bis Gietſch- 
Gjeldy auch micht reicher an Specien ift, als wir fie von 
Bala-Iſchem bis Iwanck gefunden haben, fo hat fie doch be- 


wobei jene Lüde ausgefüllt worden it (ſ. „Globus“ XXVIII, ©. 
174). Wir behalten uns vor, unferen Leſern bie ganze, To wichtige 
Usboirätage demnähft nah ven neueſten biſtoriſch-philolegiſchen umd 
naturmwiffenfchaftliben Forſchungen eines te Goeje, Saͤwer zow, Bar: 
bot de Marny ausführlicher vorzulegen, Für tie Daſe Chiwa ſelbſt 
if einftweilen, bis das grofie von den Ruſſen 1873 und 1874 ger 
fammele Material verarbeitet und erfbienen fein wird, die Karte 
von Heinrich Kiepert in Yieutenant Stumm’a „Ruffiscer 
Feldzug gegen Ehiwa“ (Tafel IE.) zu empfehlen. Was die erfor 
ſchende Karamane anlangt, fo beſtand dieſelbe aus einem Tech 
nifer, einem Hantelsagenten und 32 Turfmenen und führte 34 Nas 
meele und 12 Pierte mit fib. Der Ehen von Ghima that Alles, 
was in feinen Rräften ftand, um tem Unternehmen förterlich zu 
fein, Auf feinen Befehl begab ſich vr Beg von Keneslirgendich 
mit 60 berittenen Oekbegen nad Sary-Kamuſch und wartete das 
felbR 20 Tage auf die Erpedition, fanbte ihr auch zwei Mal 12 
mit Trinkwaffer beladene Kameele gu, was derſelben fehr zu Statten 
fam. Mies ſich bie Kunde von diefem auten Verhältniß zu den Ein⸗ 
geborenen verbreitete — ein Yabr zuvor mußte ja ter Jar ker une 
ker denfelben berrfchenten Gäbrung halber tas Wetreten bes chimens 
fifben Territoriums unterlagen — begaben ſich alsbald vier große 
Karamanen von Krasnomorst auf den achtzehntägigen Marſch nad 
Chiwo, mas feit 10 bis 12 Jahren nicht mehr vergeleommen war. 
Red. 


Globus XXIX. Nr. 12. 


185 


beutend mehr Individuen aufzuweiſen. Cigenthlimlich ift es 
jedoch, daß fich die Pflanzen am linten Ufer des Flußbettes 
halten und das rechte meiden, denn auch auf der zweiten, fos 
eben befchriebenen Strede ift das vechte Ufer jeder Vegetation 
baar, während das linfe von ihr häufig fehr dicht bededt ift. 

Bom fogenannten Salzfee, eigentlich; einer ganzen Reihe 
von Salzen, welche heute den Süßwaſſerſtrom erfegen und 
von fern einem Fluſſe täufchend ähnlich fehen, bis nahe an 
den Brummen Tſcheryſchli zieht fic, am linken Ufer des Usboi 
die fandige Hügellette Kum-Kir hin, der e8 wohl im Ber: 
eine mit den Winden zugufchreiben ift, daß hier eine große 
Strede des alten Flußbettes verfandet ift. Immerhin ift 
daflelbe jedoch deutlich zu erfennen, wenn ſich das Ufer auch 
ftellenweife nur zwei, ja mandjmal nur eine Klafter Über der 
Sohle erhebt. Weiterhin, wo der Sandberg Kum⸗Kir vers 
fchwindet, find die Ufer noch weit niedriger, ja fait ganz flach 
und erft gegen 250 Klafter vom Brumnen Tſcheryſchli, wo 
wiederum Sandhligel and Bett treten, wird auch das Ufer 
wieber höher. 

Lupandin ift der Unficht, daß durch den von ihm vom 
Brummen Tſcheryſchli ab unterſuchten Theil des Usboi mit 
Leichtigkeit Waffer geleitet werden fann. Selbft die im Bette 
angehäuften Sandhügel feien fein Hinderniß, da fie dem An— 
drange des Waſſers nicht zu widerftehen vermögen, fondern 
von ihm weggeflihrt werden wlirden. 

Wichtig für die Erforihung des Weſens bes Usboi ift 
die Ausfage der Turlmenen, daß in Jahren, in denen ber 
Amu Hochwafler führt, diefes bis ungefähr 40 Werft au 
Tſcheryſchli vordringt und fic dann auf einige Werft ver: 
breitet, Zwei Führer Yupandin’s, Nerjes:Mergen und Alla: 
Werdi, erzählten ihm fogar, daß im dem vierziger Jahren 
Waffer, wenn auch nicht in großer Menge, aus dem Amu 
in den Usboi gelaffen wurde; der Wafferftand betrug damals 
felbft in den tiefften Stellen nur eine Ktlafter. Trotz dieſer 
geringen Tiefe behielt es vier Jahre lang feinen füßen Ges 
ſchmack und wurde erſt dann bralig. Der Chan von Chiwa 
fol das fernere Einlaffen des Waſſers, wie Ali-Werdi bes 
hauptet, verboten haben, weil es den Turkmenen, welche da⸗ 
hin famen, zu blutigen Naufereien Veranlaſſung gegeben hat. 

Unfer Gewährtmann machte noch eine wichtige Entdedung, 
welche ben bisherigen Forjhern entgangen zu fein ſcheint. 
Er entdeckte nämlich gegen 32 Werft nördlich von Tſche— 
ryſchli einen mohammedaniſchen Begräbnißplag, welcher be 
weifen dürfte, daß einft am alten Flußbette ein turtmenifcher 
Aul geftanden hat. Vielleicht auch haben fich feine Bewohner 
oder frühere Bewohner der Gegend mit Landbau beichäftigt ; 
denn noch heute find deutliche Spuren von Ber und Ents 
wälferungsgräben und Waflerrefervoiren, die freilich jeßt 
eben jo walferleer find wie das Flußbett jelbft, vorhanden. 

Der allgemeine Charakter des Uoboi bis hinauf zum See 
Sary-Kamyſch ift num folgender: Die Ufer find mit feltenen 
Ausnahmen fteil und fandig, während die alte Flußſohle, 
wenn auch häufig mit Flugſand Überjchlittet, aus ſalzhaltigem 
Yehm befteht. Ueberall trifft man auf Muſcheln, welche 
zeugen, daß einft hier ſüßes Waſſer flo. Hin und wieder, 
wie 3. B. in der Nähe von Kapiljarn-Kul (Brunnen umweit 
des gleichnamigen Sees, welcher mit dem Sary-sauıyid) 
duch einen Arm verbunden ift), finden fich bedeutende Boden» 
vertiefungen im Bette feldft und hier ſammeln ſich nad) gro: 
Gem Regen bedeutende Mengen Wafjers an, weldjes längere 
Zeit feinen füßen Gef—hmad behält. Das Waffer verdunftet 
nad) und nad, wird brafig und verschwindet endlich ganz. 
Selbft unfer Topograph fand eine ſolche Vertiefung, aus 
der das Waſſer ſchon gänzlich verdunftet, deren jalzhaltige 
Lehmſohle jedoch noch feucht war, was baflir ſprach, daß fie 
noch vor Kurzem unter Waller geftauden hat. Auch der 

24 


186 


falzige Boden des Usboi bei Kapiljarn-Kul zeugte dafür, 
daß ihn unlängſt Waſſer bededte, ja daß es im Bette gefloj- 
fen ift, denn viele Saraulfträude waren ausgeſplilt und lagen 
in ber Richtung? der Strömung. Selbſt friſche Mufcheln 
hat Lupandin im biefer Gegend und zwar ſowohl in alten 
Riefelgräben als aud) im Usboi felbft gefunden, und dieſes 
dürfte die oben angeführten Angaben der Turkmenen mod) 
mehr beftätigen. 

Endlich fommt man, dem Usboi folgend, an den Salzſee 
Kapiljarn⸗Kul, der nach Angabe der Turkmenen, wenn im 
AnuDarjasArıme Waffer ift, einen bedeutenden Umfang hat. 
Doch auch zur Zeit feiner Aufnahme durch Yupandin hatte 
er die refpectable Fänge von circa 11 Werft, bei einer mitt: 
fern Breite von 2 Werft, Obgleich auch hier die Ufer des 
alten Flußbettes ziemlich hoch find, find fie doch nicht ab: 
fhiffig und werden von falzhaltigem Lehm gebildet, aus 
dem auch eigentlich, der ganze fogenannte Salzjee Kapiljarn- 
Kul beftcht, wenn eben im Usboi fein Wafjer vorhanden ift. 

Bei Kapiljarn-Kul durchſchneidet der Gebirgszug Ka— 
piljar⸗Kir den Flußarm, woburd; ein Thor gebildet wird, das 
die Breite des Usboi auf 252 Klafter beichräntt. Bon die: 
fen Thore bemerft man in der Richtung des Kapiljarn- Sul 
am Ufer mehrere Terrafjen, welche der Anficht Yupandin’s 
zufolge von dem; ungleihmäßigen Waſſerſtande berühren. 
Diefe Anficht beftätigten übrigens die turfmenifchen ihrer 
des Topographen, welche ihm mittheilten, daß das Waſſer in 
diefem See fowie im See Sary Kammſch in den vierziger 
Jahren viel höher ftand als in diefem (1875) Jahre und 
der Unterſchied mindeftens 3 Klafter betrage. Die Tiefe 
des Sees zu unterſuchen war bis jegt nicht möglich, und ift 
dieſes auch Yupandin, trog aller Mühe, die er ſich gegeben 
hat, nicht gelungen. Selbſt annähernd kann tiber diefe nichts 
mitgetheilt werden, da aud) die Turkmenen hierliber feinen 
Aufjchluß zu geben vermöchten. 

Die terrafienförmigen Ufer ziehen fi in der ganzen Länge 
des Kapiljarn⸗Kul hin, weldyer auf den Karten von 1871 
ald „Betendal · Gol* bezeichnet ift; fie find falzhaltig und 
ganz am Ufer finden fid) bedeutende Tiefen. Auch am 


Erneft Giles' neuefte Reife durch den Weften Auftraliens. 


Ufer des Sees Sary Kamyſch bemerkt man diefelben Zeichen 
eines —— Waſſerſtandes. Beſonders markiren 
dieſen wechſelnden Waſſerſtand die Muſcheln, welche auf den 
verſchiedenen Tereaſſen, die ſich von dem eben genannten See 
bis zum Brunnen Tſcheryſchli hinziehen, liegen. Eine genaue 
Angabe Über die Verbindung bes Usboi mit dem Sary-Sla- 
much See ift nicht möglich. Yupandin hat feine in die Aus 
gen fpringende Anzeichen diefer Berbindung gefunden. Cr 
meint, daß das Waſſer des Sees, felbft während feines höd)- 
ften Standes, nod) gegen 3 Werft vom Brunnen Sary-Ka— 
nich entfernt bleibt, von dem aus er im Flußbette weiter 
hinauf zog. Nordöftlic, vom Sary-Kamyſch⸗See, in der 
Nähe des Brunnens Djetichfa, erreichen die feljigen Ufer bes 
Usboi eine Höhe von 30 Klafter, während das Bett jelbit 
von falzhaltigem Lehm gebildet wird. Dort theilt ſich das 
Flußbett im zwei Arme, deren nördlichen Lupandin erforichte, 
während der fitdliche wahrſcheinlich die gefuchte Verbindung 
zwifchen Usboi und Sary-Kamyſch herſtellt. 

Ueber die Vegetation am Usboi und im feinem Bette 
habe ich ſchon oben das Nöthige gefagt ; fie verändert ſich im 
Allgemeinen wenig; zum Mindeften vermehren ſich die Spe- 
ciem nicht. Bei Dietfchka wird fie mur üppiger, deun der 
Saraulftaud; erreicht hier ſchon eine Höhe von. mehr als einer 
after. Dieſes mag wohl dem Umftande zuzufchreiben fein, 
daß der legtgenannte Brunnen fchon fehr nahe am gewöhns 
lic) gefüllten Arme des Amu-Darja, der ſich ja ſudweſtlich 
tiber Urgendſch hinauszicht, Liegt und die Atmojphäre ber 
Gegend ſchon mit mehr Feuchtigkeit geſchwängert iſt. 

Wenn, was zu wünſchen ift, es Rufland gelingen follte, 
das Flußbett wiederum mit fließendem Waſſer zu füllen, 
fo würde dadurch, wenn audj.nicht eine Waſſerſtraße nad} 
Innerafien, jo doc ein Strich Culturlandes, der gewiß auf 
die Givilifirung ber Bewohner der Witfte vom bedeutendften 
Einfluffe werden witrde, gefchaffen werden. Der Boden ift, 
nad) Allen, was wir über ihn willen, culturfähig, denn er 
befteht größtentheils aus — wenn aud) falzhaltigem — 
Lehm, der durch Beriefelung mit Flußwafler in jenem Klima 
leicht in ertragsfähigen Boden umgewandelt werden Tann. 


Erneſt Giles’ neuefte Reife durch den Welten Auftraliens. 


H.G. Wieder einmal ift die jchredliche Wüfte, weld)e, 
wie wir jegt wiſſen, jid) unter allen Breitengraden zwifchen 
den änferften weftlichen Anfiedelungen der Colonie Sid» 
aufiralien und den vorgeſchobenen Poften der angrenzenden 
Schweſtercolonie Weftauftralien ausbreitet, von einer Heinen 
Truppe muthiger Erforfcher durchkreuzt worden, die, um die 
Worte unſers Gewähräimannes zu gebrauchen, „litterally, 
not figuratively, went forth with their lives in their 
hands“ (buchſtablich, nicht bildlich, mit ihrem Yeben im der 
Hand vorwärts wanderten). 

Diefe Heine Truppe ift feine andere als die von dem 
rühmlichit befannten Auftvalienreifenden Mr. Erneft Giles 
—— Es iſt die vierte Reife in den unbekannten Weſten 

uftraliens, welche biefer gefeierte, fühne Forſcher nunmehr, 
feinem Programme gemäß, glüdlid) beendet hat, und über 
deren unter günftigen Aufpicien begonnenen Anfang wir 
ſchon frliher Mittheilungen bringen fonnten (vergl. „Globus“ 
®d. XXVII, ©. 342 ff.). 

Der Oberft Warburton war freilich, der Erſte, welchem 
es vom April 1573 bis zum Januar 1874 gelang, vom 





Mittelpunkte des Continents aus den Weiten Auſtraliens 
bis zur Hüfte zu durchforſchen; allein es geſchah zwiſchen dem 
23. und 20. Breitengrade in einer nordweftlichen Richtung 
und die Reife endete am De⸗Grey-Fluſſe. Ihm folgte vom 
April bis zum September 1874 John Forreſt, 4 bis 5 
Breitengrade füblicher, aber im umgefchrter Richtung von 
Weſten nad) Often, fo ziemlic; am 26, Breitengrade entlang. 
Die Route unſers Giles liegt zwißchen dem 29. und 30, 
Grade, d. h. etwa 30 deutfche Meilen nördlid; von der Süd» 
füfte des Continents. 

Es wäre uns lieber gewefen, hätten Giles und Gefährten 
zum Yohne für ihre Mühen, Yeiden und Entbehrungen uns 
Über die Auffindung von ſchönen Yandfeen, begraften Land 
ſchaften mit Hügeln, Flüſſen und Urwäldern berichten fün 
nen; allein diefen Dank kennt ber ungaftlicye Weften Auftra- 
liens nicht. Was die Keifenden vorfanden entfpricht ganz 
der Vermuthung, die wir im Voraus hegten, und beftand in 
weiter nichts als der traurigften, erbärmlichften, troftlofeften 
Wildniß, in weldyer auf Hunderten von Miles kein Tropfen 
Waſſer zu finden war, einer Wildniß, eben jo monoton wie fteril. 


. Erneft Giles’ neuefte Reife durch den Weſten Auftraliens. 


Wir ergänzen zunächſt unfere früheren Angaben. Die 
Neifegefelichaft zählte fünf Weiße: Mr. Erneft Giles 
als Leiter, Mr. W. H. Tietlens als Zweiten im Commando, 
Mr. Yeſſe Young als Obfervatar und Naturkundigen und 
die Leute U. Ro umd P. Nicholls. Der Aighane Saleh 
biente al& Kameeltreiber, und außerden begleitete die Erpe⸗ 
dition noch ein intelligenter fchwarzer Knabe aus der Colonie 
Sübdauftralien, der fid) Tommy nannte und den Reifenden 
von großem Nugen war. Man befaß adıtzehn Kameele, 
die ber, wie wir ſchon wifjen, um die Erforfchung des auftra- 
tischen Kontinents hodyverdiente Thomas Elder in Adelaide, 
welcher ja überhaupt die ſämmtlichen Koften der Erpebition 
beftritt, geliefert hatte. 

Wir fchloffen unfern frühern Bericht über den Anfang 
diefer Neife mit der Auffindung eines ungefähr 120 Miles 
von Youldeh entfernten Waſſerloches mit fchöner Umgegend, 
das die dortigen Eingeborenen Oldabinna hiefen. Die 
Gegend, welche man von Youldeh bis dahin zu paſſiren hatte, 
trug einen trodenen, fandigen Charakter an ſich. Bon Olda— 
binna aus wandte man ſich weftlich und entdeckte, machbem 
man 160 Miles gereift war, erft wieder in 29% 27’ ſudl. Br. 
und 128940’ öftl, 2, v. Gr. einen Deid) (dam) der Ein- 
geborenen, im weldem ſich zwar zur Zeit reichlich Waſſer 
vorfand, das aber nicht permanent war. 

Vest folgte der Theil der Reife, wo die Erſorſcher am 
meiften zu leiden hatten. Man reifte 16 Tage lang und 
legte 323 Miles zurlick, ohne auch nur einen Tropfen Wafler 
zu finden. Das Quantum, weldyes man von jenem Deiche 
mit fid) genommen hatte, ging auf die Neige und man befaß 
nur noch achtzehn Gallonen des flüffigen Elementes. Ya, 
man hatte ſchon den ſchweren Entſchluß gefaßt, ſechs Kameele 
zu töbten, wodurch dann das weitere Vorrliden ohne Zweifel 
fehr behindert worden wäre. Da wurde am Morgen des 
fiebenzehnten Tages der willlommene Ruf: „Wafler! Waf- 
fer!* vernommen. Es war in 30% 27 ſudl. Br. und 1239 24’ 
öftl. %., wo man in einer fonft armjeligen Gegend eine herr 
liche Quelle mit permanenten Waſſer entdedte. Das fleine 
Waſſerbeden hielt im Durchmeſſer 50 Fuß und erhielt ben 
Namen „Victoria Spring“. Hier ließen fich, ſeitdem 
man die angefiedelten Diftricte der Colonie Siidauftralien 
verlaffen hatte, die erften Vögel — «8 waren Tauben — 
bliden, 

Giles — „Nachdem wir in 16 Tagen 323 Miles, 
ohne einen Tropfen Waſſer zu finden, gewandert waren, 
ftieg in meinem Freunde Tietkens in ber Nacht der Gedanke 
auf, daß im der Nähe Waller vorhanden fein müjfe. Er 
hielt fid) davon fo feft überzeugt, daß er am nächſten Morgen 
den Knaben Tommy auf feinem eigenen Kameele nad) einem 
unfern gelegenen Sandhügel voranſchickte, um zu recogno» 
feiren, ob ſich dort nicht Eingeborene aufhielten. Tommy 
fehrte ſehr bald zurüd und überbradjte die frohe Meldung, 
daß er 2 Miles vom Lager eine ausgezeichnete Quelle ent 
dedt habe.“ 

Nachdem man dort etliche Tage der Ruhe gepflegt, um 
fid) und die Kameele für neue Strapazen zu kräftigen, brach 
man wieder auf und paffirte meiftentheil® ſandige Ebenen, 
bis man 7O Miles weftlich zu einem Felſen gelangte, wel 
hen man „Pigeon Rod“ benannte und wo fid) durch 
Graben hinreichend zufammenfiderndes Wafler gewinnen ließ. 
Nach einem Marche von weiteren SO Miles erreichte man 
in 29057’ ſudl. Br. und 118° dftl. L. v. Gr. dem bereits 
befannten Mount Churchman oder Seelabbing, auf 
welchen fchon frühere Reifende, wie Gregory und Forreſt, 
ihr Ziel richteten (vergl, „Petermann’s Mittheilungen“ 1875, 
Tafel 18). 

Nach kurzer Raſt ging die Neife von hier nad) dem 120 


187 


Diiles entfernten Guru, wobei man den Yale Moore, 
eine flache Salzlagune, im Süden zu umgehen hatte. Die 
Eingeborenen, weldyen man hier begegnete, zeigten ſich ſehr 
freundlich; aber die Guru: MWafferlöcher waren leider aud« 
getrodnet. Giles lenkte nun das Ende feiner Reife in ges 
rader Richtung auf Perth, die Hauptftadt von Weftauftralien. 
Je näher man den angefiebelten Diftrieten der Colonie fam, 
deſto befjer wurde der Sharatter des Landes, wiewohl man 
immer noch hier umd dort auf ſchwer paflirbare Dieichte 
von Scrubs ſtieß. Schon 17 Miles weiterhin traf man 
auf einem dem Mr. Clark gehörigen Run, nicht weit von 
den Wongan Hills im Gtenelg-Diftricte, eine Schäferhütte 
an und lonnte fich hier mit befjeren Yebensmitteln verforgen. 
Welche Wohlthat! Weld angenehmer Wechſel für die Rei— 
jenden! Hatte man doc; feit einem Monate eigentlicy nur 
von „Fowan*:Eiern gelebt, die von einem dem englifchen 
Faſane nicht unähnlichen Bogel herrühren, ber in Auftratien 
gewöhnlid, „Malle hen* heißt. Man fand ben Tag liber 
wohl an 30 bis 40 Stüd, und wenngleic, etwas pilant, fo 
ſchmedten fie doc; den Reiſenden ganz vortrefflic. 

Vierzehn Miles hinter Mr. Clart's Nun erreichte man 
die Station des Der. Yefroy, welcher die Fremden aufs Gafts 
freundlic;fte aufnahm und bewirthete. Die übrige Reife 
nad Perth zu, wo man am 18. November anlangte, wurde 
in furzen Tagestoyeen zurüdgelegt und glich einem Triumph⸗ 
zuge. Ueberall wurden fie von den Colonijten mit Freuden- 
ne empfangen, aufs Herzlichite begrüßt, feſtlich mit dem 
Beſten bewirthet und mit fchmeichelhaften Adreſſen bedacht. 

Die Gefellfchaft hatte ſich auf der ganzen Reife recht 
guter Geſundheit erfreut, und die Harmonie unter ihnen war 
nie in irgend einer Weife geftört worden. „Wenn fid) Des 
mand im einer erfchredlich wüften Wildniß befindet,“ bemerkt 
Giles, „200 und 300 Miles und noch weiter vom Wafler 
entfernt, und wenn auch feine Ausficht vorhanden ift, welches 
aufzufinden, da könnte wohl an Einen die Frage herantreten, 
ob es weiſer fer, noch weiter aufs Ungewiſſe vorzudringen 
oder lieber umzufehren. Auf diejer ze Reife find wir 
325 Miles durch Wiften gezogen, ohne einen Tropfen Waf- 
fer zu emtbeden, aber dennoch dachte fein einziger unter ums 
je. an Rüdkehr.“ Und an Der, Elder fchreibt Giles: „Ich 
war entjchlojjen, diefe Reife auszuführen oder dabei zu unter- 
liegen und nie wieder heimzufchren. Im dieſem Entſchluſſe 
lag der Erfolg.* 

Während ber fünf Monate, welche dieſe beſchwerlichſte, 
im Uebrigen monotone und an Ereigniffen arme Reife von 
den fetten angefiedelten Diftricten der Colonie Sidauftralien 
ab biß zu denen in Weftauftralien in Anſpruch nahm, wur⸗ 
den überhaupt 2575 Miles zurüdgelegt, während die gerade 
Linie ungefähr 1600 Miles meſſen dürfte. Zu Anfang 
fam man Über erbärmlichen faltartigen Boden mit Didicht 
von Mallee oder Serub. Dann nahm die Gegend einen 
wellenförmigen, fandigen Charalter an, theils F theils 
mit Serub bedeckt, und die Niederungen waren häüfig nıit 
einer glänzenden Salzkruſte überzogen, welche andeutete, daß 
fid) dort in früheren Zeiten das Bett eines Salzſees befunden 
habe... Höhen von irgend welcher Bedeutung wurden zwiſchen 
Mount Finde in Eubauftralien (in 31° füdl. Br. und 

+1330 10° öftl. L.) und Mount Churchman in Weftauftralien 
nicht angetroffen. Es war eine unfruchtbare Wuſtengegend, 
weldye wohl jeder Culture, die man ihr octroyiren möchte, 
fpotten wird, Und darum zeigte ſich auch oft auf weiten 
Strecken nicht das geringfte thierifche Leben; es herrſchte eine 
unheimliche Todtenftille. Nur felten bemerkte man an Stel⸗ 
len, wo ſich ein wenig Wafler befand oder ſich befunden hatte, 
Spuren von Känguruhs, aber diefe Tiere felbft kamen 
nicht zu Gefichte. Es iſt bekannt, daß dieſe Beutelthiere 
24* 


188 


aus jehr weiter Ferne nad) Waſſer herbeitommen, und wohl 
mochten die Spuren, welche immer nad) Nord oder nad) 
Süd liefen, von ſolchen herrühren, die aus beiler begraften 
Gegenden hierhergeeilt waren, um ihren Durft zu ftillen. 

Eingeborenen begegnete man auf der langen Reife wenig. 
Nur in 120930 öftl. 9. wurden die Keifenden, gerade als 
fie ziemlich erichöpft ein willtommenes Waſſerloch aufgefun- 
den hatten, plöglich von einer Truppe von 70 bis 80 Eins 
geborenen in fo entjchiedener Weife angefallen, daß fie fid) 
ungern gezwungen fahen, von den Schießwaffen Gebrauch 
zu machen. Nachdem die ſchwarzen Söhne der Willjte bie 
unangenehmen Wirkungen der Flinten an ſich erfahren, ergrif⸗ 
fen fie heulend die Flucht und beläftigten die Reiſenden nicht 
weiter. Sonftige Zufammenftöße dieſer Art famen nicht vor. 

Die Kameele bewiefen fid) zu allen Zeiten und unter 
allen Umftänden wunderbar und ohne fie — mit Pferden — 
hätte man das Ziel ficherlich nicht erreicht, Nur zwei von 
den achtzehn gingen unterwegs verloren: eins ftarb und ein 
anderes mußte zurückgelaſſen werben, weil es zu ſchwach war 
um zu folgen, Giles ſchreibt: „Die Entfernungen, welche 
die Kameele ohne Waller zurüclegten, waren zum Theil 
enorm, und ihre Ausdauer auf der langen Strede von 325 
Miles war in der That erſtaunlich.“ Aus Perth berichtet 
man und: „Die Kameele des Dir. Giles find jest bie 
Löwen des Tages in unferer Colonie, wo man nichts weiter 
kennt als Schafe, Pferde, Rindvieh und Künguruhs. Es 
find gelehrige und ruhige Thiere und fie verrathen leineswegs 
Zeichen ihrer eben beendeten ſchweren Reife. Befondere 
Aufmerkfamfeit zieht ein junges Kameeltalb auf fich, welches 
furz vor ber langen waflerlofen Strede geboren wurde,“ 

Zum Scjluffe werden einige biographiſche Notizen über 
unfere Reifenden wohl von Intereſſe fein. In der Colonie Sid: 
auftralien ift dev Name Giles ein fehr verbreiteter, und 
höchft angefehene Familien dafelbft führen denfelben. Mit die- 
fen hat aber unfer Giles keinen verwandtſchaftlichen Zuſammen⸗ 
hang. Er umd die übrigen Mitglieder feiner Familie wan— 
derten vor Yahren aus England nad; Melbourne aus und 
leben dort noch meiftentheils. Giles felbft verbrachte dann 
längere Zeit im fernen Buſch, nahm fowohl in Neu-Süde 
Wales als in Queensland Weideland in Pacht und verdiente 
durch Verkauf von Vieh etliche Hundert Pfund. Hier in 
der Wildniß bildete fich in ihm der Wunſch aus, im noch 
entferntere, völlig unbefannte Gegenden Auftraliens einzus 
dringen umd fie zu erforfchen. Sein Augenmerk war babei 
auf Weftauftralien gerichtet. Es vergingen indeß Jahre, 
bis fich diefer fein Wunſch verwirklichte, da es ihm an den 
nöthigen Geldmitteln, welche für ein ſolches Unternehmen, 
foll es gelingen, immer nicht unerheblidy find, fehlte. Ends 
lich ſchlugen ſich fein Schwager, Mr. ©. D. Gill, und ber 
Regierungsbotanifer Dr. Müller, beide in Melbourne anſäſ⸗ 
fig, ins Mittel, und Giles brachte feine erſte Reife im Jahre 
1872 zu Stande, Allein er fonnte nur 250 Miles vom 
transcontinentalen Telegraphen ab in den unbefannten Wes 
ften vordringen, da feine beiden Gefährten, Carmichael und 
Robinfon, des Neifens in ſolcher Gegend müde wurden und 
ihn verließen. 

Mit befferen Mitteln ausgerliftet, trat Giles im Auguſt 
1873 feine zweite Reife in den Weiten an, und hier begleis 
tete ihn, wie auch fhon auf manchen anderen Heineren Tou« 
ren in Clidauftralien, die unbeachtet blieben, fein Freund 
W. H. Tietkens, welher die eben vollendete vierte Expe—⸗ 
dition mitmachte. Wir theilen hier eine Stelle aus der Rede 
mit, welche Giles auf dem in Perth ihm zu Ehren veran« 
ftalteten Feſteſſen hielt und die auf feine zweite Reiſe Bes 
zug hat. Wir lernen daraus bie Größe ber Leiden und 
Gefahren kennen, welcher ein Entdedungsreifender im uns 


Erneft Giles’ neuefte Reife durch den Weften Auſtraliens. 


gaftlichen, auſtraliſchen Buſch ausgejegt ift. Die Stelle lau- 
tet: „Mein Freund Tiettens und ich haben zwar oft genug 
Müpfeligfeiten und Yeiden zufammen erbuldet, aber niemals 
wieder ſolche, wie auf unferer zweiten Entdefungsreife. 
Unfere eben beendete war, trog all ihrer großen Beſchwerden, 
doch nur gewiflermaßen eine Vergnligungstour zu jener. 
Bei einer Öelegenheit verließen ic und ein anderes Dlit- 
glied unferer Gefelichaft, mit Namen Gibfon, das Lager, 
um einige nach Weften zu gegen Sandhügel zu recog« 
nofeiren. Mein unglädlicher Gefährte, welchem ich nad) 
Berluft feines Pferdes das meinige gegeben hatte, fam nie 
wieber zum Vorſchein, und ich hatte in der glühenden Son- 
nenhige — das Thermometer ftand im Schatten nie unter 
25 R. — und mit einem leeren Waflerfaffe auf dem 
Rüden mehr denn hundert Miles zu Fuß nad) dem Lager 
zurlidzumwandern. Mein ganzer Vorrath an Lebensmitteln 
beftand in elf Stüdchen geräucherten Pferdefleijches, je im 
Gewichte von ein und einer halben Unze, welche ich roh ver» 
zehren mußte, weil ich fein Waſſer hatte, um fie zu lochen. 
Meine Yage war eine fehr precäre, da ic) mid, 60 Miles 
vom Wafler und SO Miles von den Yebensmitteln entfernt 
befand, Um die Sache noch ſchlimmer zu machen, hatte ic) 
über ein fehr fteiniges Terrain zu wandern. Ich befam dar 
bei ſchlinmne Füße, und ſo glich mein Fortlommen mehr einem 
Scnedengange. Einmal fonnte ich ein Meines fterbendes 


Wallabee (Halmaturus), weldyes die Mutter aus ihrer 


Taſche weggeworfen hatte, erhafchen. Den Augenblid als 
ich es ſah, ſchoß ic wie ein Adler darauf los und verſchlang 
es mit Allem, was darum und darin war.“ 

Im Uebrigen verweifen wir auf unfere Berichte im 
„Stobus“ (B.XXVI, ©.282, und Bb.iXXVI, ©. 48), 
welche wir feiner Zeit uber die Entdefungsreifen des Mt. 
Erneft Giles geliefert haben. 

Der ebenfalls nod; junge Mir. W. H. Tietfens hat 
höhere Schulen befucht und will jegt einen Lebensberuf er⸗ 
wählen, welcher ſicherer und einträglicher ift als der, wels 
cher ſich mit der Erforſchung unbefannter Wildniffe befaßt. 
Er beabfichtigt ſich ale höherer Feldmeſſer und Kartenzeich— 
ner auszubilden. 

Dir. Yeſſe Young ift ein vornehmer und reicher Herr 
aus England umd hielt fi) zur Zeit, als Wr. Giles feine 
legte Reife unternehmen wollte, bei feinem freunde, dem 
Mr, Thomas Elder, auf. Er ging als —— mit 
und vertauſchte auf einige Monate den luxuriöſen Comfort, 
an den er gewöhnt ift, mit den Strapazen des auftralijchen 
Buſch, geftand aber am Ende der fechs Monate, dag er ji 
biefen denn doc) ein wenig anders gedacht habe. Er hatte 
genug davon befommen, Mr. Young, welcher früher in der 
englischen Marine diente, übernahm die Function eines Ob+ 
fervators und leiftete hier ausgezeichnete Dienſte. Außerdem 
war er Sammler, da er fid) mit den Naturwiflenfchaften 
ziemlich, vertraut gemadjt hat. Es gelang ihm, 800 bota» 
nische — darunter viele ganz neue — und aud) manche geo« 
logische Species zufammenzubringen. Diefe ganze Samm- 
lung ift an Me. Elder eingeliefert worben, welcher bie 
botaniſche au den Dr. Müller in Melbourne zur Claffifici- 
rung einzufenden gebentt. 

Deide Herren, Tietfens und Young, verlichen am 14. 
December vorigen Jahres mit dem europäischen Poftbampfer 
„Sumatra* von King Georges Sound aus die Colonie 
Weftauftralien, und trafen am 19, in Adelaide ein. Da» 
gegen blieb Giles mit feinen übrigen Keifegefährten und 
mit den Kameelen in Perth zuriid, um mit der nächſten vom 
Adelaide eintreffenden Poſt weitere Inftructionen von Sei⸗ 
ten des Dir. Thomas Elder entgegenzunehmen. „Ich habe 
große Fuft, wieder Über Yand mach Sidauftralien zurlid« 


6.W. Stuhlmann: Das Weib im plattveutfchen Sprichwort. 


zufehren. Ich würde dann eine mittlere Richtung zwiſchen 
dem Neiferouten von Warburton und Forreſt wählen, von 
den Quellen des Gascoyne-Flufles in ungefähr 24° 57’ fübl. 
Br. und 118° 20° öftt. 9. ausgehen und von da aus ver» 
fuchen, in möglichft gerader Pinie den weftlichften Punkt mei- 
ner zweiten Reife, weldyer in 125° öftl. 2, liegt, zu erreis 
chen.“ So ſchreibt Dir. Giles an Mr. Elder, 


189 


Damit wird diefer große auftralifche Forſcher feine fünfte 
Entdedungsreiſe antreten. Es unterliegt wohl kaum einem 
Zweifel, dag Mr. Thomas Elder feine Einwilligung dazu 
geben und die Koften der Ausrüftung wieder auf ſich neh 
men werde. Iſt es doch diefem edlen Manne bei feinem 
großen Reichthume immer von Neuem ein Bebürfnig, fir 
patriotifche Zwede große Opfer zu bringen. 


Das Weib im plattdeutfchen Spridwort. 
Von C. W. Stuplmann, 


Wirthichaftliche Tugend wird in folgenden Sprüchen 
gefeiert: 
Wer de Dierns blot up'n Danzböhn süht, de 
ward bedragen; 
Wo de Fru god wirthschaft’t, wasst de Speck 
an’n Balken, 
Deshalb heißt es denn aud): 
Wer frien will, doh de Ogen up; frien is kein 
Pierhannel (Pferbebandel) — 
bei welchem legtern nämlich das Verſchweigen gewifler, uns 
heilbarer Fehler Seitens des Verkäufers den Käufer bered)« 
tigt, den Handel rückgängig zu machen, und 
Wer ne gode Frie makt, makt ne gode Rei. 
Bei alledem kommen unglüdliche Wahlen häufig vor: 
Mätens Lachen un Weinen 
Bedrügt mennig Einen. 
Dennoch aber ift das Heirathen wenigftens zumächft immer 
eine Yuft: 
De ierst Anblick wier god, säd Adam, ns he 
Eva ünnern Rock keken harr (gegudt hatte), 
und zwar fo jehr, daß auch Heine Fehler und Abweichungen 
von der Schönheitslinie ohme fonderliche Beanftandung mit 
hingenommen werben. 
En bäten scheiv, 
Likes leiv — 
und jhlimmftenfalls: 
Bi Nacht sünd all Katten grau, 
Es findet auch jedes Mädchen Gelegenheit zum Freien: 
Is kein Pott so scheiv, he finnt sinen Stülpen, 
dann: 
De Ein mag de Mudder, de Auner de Dochter 
und 
Wat den Einen sien Uhl, is den Annern sien 
Nachtigall. 
= u * 
Aber auch betreffs dev Heirath ift der Menſch micht frei, 
fondern von höheren Gewalten abhängig. 


Ehen warn in'n Himmel slaten, orre in de 
Höll — 
und 
Wat tosamen sall, kümmt tosamen un süllt de 
Düvel ok up de Schurkoar tosamen karrn, 


Die höheren Gewalten kenuen aud feine Gerechtigkeit, 
das Wort: 


II. 


Je arger Strick, 
Je gröter Glück — 


bezielt in erfter Reihe die Erfahrung, daß leichtfinnige, lie- 
derliche Dirnen oft die beften umd tüchtigften Männer ge: 
winnen. 


* 
* * 


Wann das Mädchen zur Ehe fehreiten fol, darliber 
find die Meinungen getheilt. Während das eine Sprid- 
wort lehrt: 


Jung gefreit 
Hett kein Diern reuet — 


(ehrt ein anderes: 


Welke täuben (warten) kann, 
Kriegt den besten Mann, 


Vepteres entjpricht jedoch felten dem weiblichen Ge: 
ſchmack, um fo mehr, da es von einem Mädchen, welches, 
früher umworben, von den Freiern verlaffen ift, heißt: 


Se is vun'n Köhrböm up'n Fuhlböm kamen, 


und ein altes „unbegeben“ gebfiebenes Frauenzimmer all- 
gemein als ein Wefen angejehen wird, worliber Jedermann 
ungeftvaft fpotten darf. 
In Liebesſachen Rath ertheilen, gilt auch dem Platt- 
beutjchen für ein undankbares Gefchäft, denn: 
. Verleivte hebben en Blinddök vör de Ogen — 
um 
Rahd mi god, säd de Brud, aewer rahd mi 
nich af 


und 
Friegenmakers un Eierkakers kriegen selten en 
Dank. 


* 
* 


* 
Der Bräutigam muß ſich die Frau ſchon als Braut ers 
ichen: 
jieh Vör de Hochtied musst Du se wen’n, 
Na de Hochtied het’t en En’n, 


Das Erziehen oder Wenden hat jedoch oft feine Schwierig: 
feiten, denn: 

Ut’n Schwinsuhr (Schweindohr) wardt mi’n Dag 

kein sieden Geldbüdel — 

und ans einem Ferkel mimmermehr ein englifches Füllen. 
Indeſſen gleicht die Ehe doch manche anfängliche Verſchie— 
denheiten, und Unebenheiten aus, und e8 heißt: 

Mann un Wiew 

Ein Liew — 
und 


190 


Kamen se ünner ein Dök, 
Liehren se ok ein Spräk (Sprache). 
* 
* * 
Soll die Ehe den rechten Gang gehen, jo muß darin 


gelten: 
Mannshand haben (oben)! — 


und darf die Frau nicht die Hofen anziehen. Letzteres fol 
aber dann leicht eintreten, wenn ber Mann nicht and im 
Bette ein tüchtiger Kerl ift: 
Is kein Fru so fien un riek, 
Se is de Kauh gliek — 
und 
Seg blot Wust, säd de Fru, de Pan'n un de 
Botter stahn ümmer prat (parat) 
* 
* ⸗ 
Selber das Alter läßt die Frau den Geſchmack an den 
Liebesfreuden nicht verlieren: 
Is kein Zeeg (Ziege) so old, 
Se lickt giern Solt. 


Deshalb meint denn auch das Sprichwort: 
Kein jung Mäten nimmt en ollen Mann üm 
Gottswillen — 
obwohl die Erfahrung lehrt: 
Old und jung kinnert god. 


An eine völlige Impotenz und ein gänzliches Erjterben 
der Fleiſchesluſt glaubt das plattdeutiche Sprichwort nicht: 
Wenn de ollen Fuhrlüd nich mihr führen kön- 

nen, mögen’s giern doch noch klappen (mit 


der Veitſche Mnallen) 


Mag nich liggt up’n Kirchhof, Kann nich is 
begraben. 


Soll die eheliche Liebe rechten Beftand haben, fo ift es 
nothtwendig, daß Küche und Keller gut verforgt find, denn 
wenn auch, wer verliebt ift: 

Allens rein wegfrätt (megift), 
fo lehrt doc, ein anderer Spruch: 

De Mannslüd ehr Leiv geiht dörch de Mäg 
und zivei weitere: ‚ 


Wenn de Krüw lerrig is, gnappen sik de Pier 
(Wenn die Krippe leer ift, beißen fich die Bferbe) — 


Wenn dat Füer up’n Hierd geiht ut, 
Flügt de Leiv tom Schornsteen rut. 


Daß aber folches nicht eintritt, dazu kann die Frau faft 
noch mehr beitragen als der Mann: 


De Fru kann mihr ut de lütt Döhr drügen, as 
de Mann in de gröt rinführt, 


Um diefes Sprichwort recht zu verftchen, muß man 
willen, daß in unferen alten Bauernhäufern die Heine Thlir 
dicht am demjenigen Theile der großen Flur liegt, wo fich der 
Herd befindet. In der Küche lann aber die Frau befonders 
viel verwirthichaften; das lehrt auch ein Spruch, den man 
häufig von des Gebers oder der Geberin Hand vorn in 
die Kochblicher unferer ländlichen Wirthſchafterinnen einge: 
ſchrieben findet: 


Hi ha Avengabel, 
Kaak na’n Büdel un nich na’n Snabel. 


* 2 * 


Die Frau joll häuslich fein: 


und 


C. W. Stuhlmann: Das Weib im plattdeutſchen Sprichwort. 


Ein Fru un en Aven (Ofen) hüren in’t Hüs, 
‚Sie fol beftrebt fein, das Hausweſen im ebenen, 
gleichen Gange zu erhalten: 
En gode Fru is wat de Theerbütt an’n Wagen. 
Sie foll jede Kleinigkeit achten: 
Wat mihr wierth is as ne Lüs, 
Dat nimm up un dräg’t na Hüs — 


und unermüdet thätig fein: 


Fruensarbeid is man behänn (behende), 
Aewer nimmt kein Enn, 


Zeitig ſoll fie aud) die Töchter lehren: 
Spinn! Is man en lütten Gewinn. 


Aewer wer nich spinnen deiht, 
Bald mit bloten Hinnern geiht. 


Daß die Frauenarbeit bis zum Grabe fein Ende nimmt, 
befagt aud der nachftchende, oft gehörte, im Bezug auf unſer 
Yandvoll ungemein wahre Sprud): 

Ein oll Fru un en oll Kauh (flub), 
De sünd noch woartau (wozu). 
Ein oll Mann un en oll Pierd 
Sünd goar nix mihr wierth. 


Die Fran fol aber nicht bloß jparfam, fleifig und 
ordentlich fein, fie mu auch Regiment zu führen willen: 
Ein Fru, de nich schellt (fcilt), 
Ein Hund, de nich bellt, 
Sünd beid’ nich mihr nütt {müß), 
As en terreten Knütt (zerriffenes Stridjeug). 
In Hinficht hierauf ift es denn auch der Frau erlaubt, 
bei gewiſſen wirthſchaftlichen Vorgängen ſelbſt gegen den 
Mann kurz und barſch zu ſein, und tröſtet ſich dieſer dann 
mit dem Spruch: 
Wenn de Wiwer brugen (brauen) un backen 
Hebben se den Düvel in'n Nacken — 
und das um fo mehr, da 
Brugen un Backen nich allemal gerött. 
Die gute Frau preifen die Sprüd)e: 
Ein gode Katt un en gode Fru hollen dat Hüs 
rein. 
En Fru vun Dägt un Schick (Tugend und Ans 
Stand) 
Mann sien gröttstes Glück, 
und derjenige, dem dieſes geworden, fagt denn aud: 
Ost orre West, 


Bi Muttern ist am best, 


* 
* * 


Wie das ehedem auch ſchon Triſtram Shandy bemerkt 
hat, Fühlen ſich, ſobald die Hausfrau in die Wochen kommt, 
alle übrigen weiblichen Hausgenoſſen bedeutend mehr als 
fonft, und ſomit ift es ein ſchweres Umgehen mit ihnen. 

Kümmt de Fru to liggen, 
Hebben all Dierns dull Nücken. 


Die Frau felbft jagt jegt auch, zum Ehemann: 

Still, Du slöpst achter ! 
und diefes ift auch thatſächlich der Wall, da er dem bisher 
innegehabten Borderplag im gemeinfcaftlichen „surgbette“ 
(Bett in einem Wandverfchlage) der Mlutter wegen bes 
Nährens und Wiegens des Kindes hat abtreten miſſen. 
Nach Anficht des Sprichworts erreicht die Fran auch die 


C. W. Stuhlmann: Das Weib im plattdeutfchen Sprichwort. 
höchfte Stufe ihrer wirthichaftlichen Tüchtigfeit erit als | 


Mutter: 


De Katt liehrt ierst Musen (Maufen), wenn se 
Jung’n hett — 
und als die höchſte Liebe wird Mutterliebe gepriejen: 
Mutterleiv över alle Leiv — 
und 
Mutterleiv schuet ſſcheuet) nich Füer, nich Water. 
* 
— “ 
Vollfonmen ift jedoch nichts in diefer Welt und fo hat 
dem auch die beite ran ihre Fehler oder Schwächen: 
Kein Mäten ahn Leiv, 
Kein Joahrmarkt ahn Deiv, 
Kein Buck ahn Bart, 
Kein _Wiew alın Unart. 


Die Unarten mehren fich auch oft mit den Jahren, oder 
werden ſchwerer zu tragen: 


Wiewer sünd ierst licht, warrn aewer ümmer 
swörrer (fdjiverer), 


was meiftend auch phyſiſch, wenigftens bis zum ſechszigſten 
Dahre, der Fall if. Weiter: 

lerst ne grot Freud, 

Späderhen grot Herzeleid. 


Als Häufigfte Untugenden nennt das Spridywort: 
Schwatzhaftigkeit, Afterreden, Mangel an Wahrheitsliebe, 
launiſches Weſen, Berftellung, Unreinlichteit und wirthſchaft⸗ 
liche Untüchtigkeit. Die Schwaghaftigkeit und Läſterſucht 
bezielen folgende Worte: 

Wo Hunn sünd bleken welk, 

Wo Wiwer sünd spreken welk. 

Twei Wiwer un en Gös (Gange) maken en Markt. 

Kamen twei Wiwer tosamen, 

Wardt de drütt in de Häkel namen 

Dat Sprickwürt sall nich dregen : 

Wer vehl snackt (ſchwatzth, de möt vehl legen. 
= 


Das launiſche Weſen der Frauen firaft das Wort: 


Hunn pissen un Frugenslüd weinen, wenn se 
willn — 


und gewiffermaßen aud) das: 


Hunn Janken un Fruens Kranken duert nich 
lang. 


Frauen haben leicht die Gewohnheit, bei einem zwiſchen 
Weib und Mann entftandenen Streit ohme nähere Unter: 
ſuchung erfterem beizuipringen. Höchft treffend und male: 
riſch tadelt diefe Untugend das Wort: 

Bisst ein Kauh, hollen se all den Stiert to 
höchten. 

Das Biffen, weldyes zuweilen eine Kuhherde über 
kommt, beſteht darin, daß alle Thiere plötzlich wie von Tolls 
heit befallen, umter wilden Gebrüll, mit hochaufgerichteten 
Schwänzen nach einer Richtung rennen. Die Urſache ſoll 
der „Bißworm“ ſein und zwar ſobald dieſer auch nur ein 
Stud der Herde geſtochen hat. 

“ 


Die Verftellungstunft der Weiber zlichtigt zunächſt das 
ort: 


Mannslüd verswigen frömd Heimlichkeiten, 
Frugenslüd de eigen; 
diejenige der Wittwen aber: 


191 


Je duller se schriegen, 
Je ihrer se wedder friegen, 
* 


* * 
Die Unſauberleit wird durch eine ganze Reihe von 
Sprichwörtern geftraft, die meiltens humoriftifcher Natur 
find, 


Nix aewer Rennlichkeit, säd de oll Fru, kiehr 
jerre Sünnabend ehr Hemd üm, 

Geiht nix newer Rennlichkeit, süd de Fru, doar 
fegt ee den Disch mit'n Bessen af. 

Rennlichkeit ist halw Leben, säd de oll Fru, 
wenn ik jichtens kaun, rühr ik de Klümp in’n 
Swienstrog an. 

Fürt mit di, rein möt ik’thebben ! säd de Fru, 
doar slög se de Saeg’ (Sau) mit'n Römlaepel 
vör'n Oars. 

Ik führ in de Kutsch, säd oll Witingsch, doar 
satt se in’'u Rönnstein. 

Rennlichkeit ist halwe Leben, säd de Diern, 
snöw sik de Näs un wascht sik Gesicht doar- 
mit. 


* “ 
Die wirthichaftliche Untüchtigkeit ftrafen folgende Worte: 
Baben (oben) fix, 
Uennen (unten) nix, 


das heißt unter einem ſchmucken Seide fchlechte Unterröde, 
zerrifjenes Hemde und entzweie Strümpfe. Weiter: 


Dat’s as jerre Fru, wull Brod spoaren, un back 
Kauken. 

Arbeit thiert (zehrt), säd de Fru, doar wüsch 

se ehr Nachtmütz. 

De ierst Noth mött bött warn, säd de oll Fru, 
haug den Backeltrog twei un makt doarmit 
Süerwater heit (Säuerwaſſer heiß). 

Wer harr dat dacht, dat wi noch so'n Nah- 
winter kriegen dedn, süd de Fru, harr en 
Uennerrock to Martini verköfft. 

Wat da sien möt, möt da sien, säd de lütt 
Diern, verköfft Feddern und Liv’n un köfft sik 
en sieden Brudkleed (en Poar sieden Danzschoh). 

— 
J— * 


It die Frau aber auch noch jo tüchtig, jo muß dennoch 
dem Mann die legte Entjcheidung in wichtigen fragen vers 
bleiben: 5 

Frugensrath un Räuwsaat geraden man all sö- 
ben Joahr — 
und 
Wo de Fru hett an de Büx, 
Doar is selten vehl un öfter nix. 
* * 

Niemals ſoll ſich jedoch der Mann dazu verleiten laſſen, 
feine eheliche Herrſchaft durch die Kraft feiner Füuſte auf: 
recht zu erhalten oder wieder erlangen zu wollen. 

Wer sien Wiew sleiht, jagt einen Deuwel rut 
un twintig rina — 
und 
Wer sleiht sien Wiew, 
Sleiht sienen egen Liew. 
® [2 

Wenn alte Frauen ſich noch jung ftellen wollen, fo 
Hleidet fie das ſchlecht: 

Wenn oll Wiewer danzen, maken se vehlen 
Stoff (Staub) 
und 


192 


Wenn ne oli Tät (Stute) as ein Fahlen (Füllen) | 


dalven deiht (Gapriolen macht), geiht’t ehr wol 
as den Esel, de wull danzen up't Jös un brök 
en Been. 

Juch! Lebensoart! reep de oll Fru, doar lag 
se up'n Oars. 


* J * 


Tas Alter als ſolches genießt überhaupt beim Platt: 
deutſchen keine ſonderliche Auszeichnung, und das plattbeutjche 
Sprichwort macht es fogar, wie das and) ſchon aus zahl: 
veichen der vorhin mitgeiheilten hervorgeht, gern zum Ziel 
feines Spottes. 


Oll Lüd sünd wunnerlich, regent gahn se to 
Heu. 


Oll Höhner sünd tag (zähe). 


Oll Schrödern is so midern (feder), süht en 
Plograd (Pflugrad) für'n Kringel an. 
Kein Zeeg so old, se lickt giern Solt. 


Aus allen Erbtheilen. 


An eine moralijce Beſſerung in alten Tagen wird auch 
nicht geglaubt: 
Wat in'n Minschen begragt (begrauct), dat be- 
griest ok in em. 
ON Pier un oll Minschen laten nich von ehr 
Nücken un Tücken. 
“ 
* ” 
Noch finden fic, einige die Frauen bezielende in Spruch 
form gefaßte phyſiognomiſche Erfahrungen, 
Kulen in de Backen, 
Schelm in’n Nacken. 
Spitz Näs un spitz Kinn 
Sitt de Deuwel in. 
Struv Hoar, struven Sinn. 
Röd Hoar un röd Ogen dögen selten wat, 


Ellernholt un röd Hoar wassen selten up'n go- 
den Bodden. 

As de Klipp (bier der Mund), 

So dat Schipp. 


Aus allen Erdtheilen. 


Die Abnahme der Bevölferung in Ungarn, 


M. P. Nah dem amtlihen Ausweife des ftatiftifchen 
Amtes in Bırdapeft bat fich die Bevölferung in Ungarn von 
1871 bis 1873 um 269,000 Seelen vermindert; von Dielen 
wurden 189,000 durch die Cholera weggerafft. Die Zahl der 
Geburten nimmt ebenfalls ab, während jene der Sterbefälle 
im ftetigen Wachen begriffen if. Nur in 27 Verwaltungs: 
bezirfen bat fich während diefes Zeitraumes die Bevölkerung 
vermehrt, hingegen bat fie fich in 52 vermindert. In jenen 
269,000 Seelen find micht diejenigen eingerechnet, die im 
Jahre 1878 aus Ungarn ausgewandert find. Die ungarischen 
Journale hat diefer Umſtand zu büfteren Betrachtungen an: 
geregt, 


Mauritius und die Sechellen. 


Die raſche Abnahme des Wohlftandes auf Mauritius 
muß Jedem, welcher diele Inſel kennt, auffällig fein. Um 
die geſunkene Productivität wieder auf die frübere Höhe zu 
bringen, bedarf es der Ausführung eines von allen Coloni— 
ſteu gebilligten Planes, welder ſich aber ohne bie Unter: 
ftügung der englifchen Regierung nicht verwirflichen läßt. Es 
bandelt fich nämlich um eine künstliche Bewäfferung im gro: 
Ben Maßſtabe und um llebernahme der Yindgarantie des 
dazu erforderlichen, wicht unbebeutenden Eapitald von Seiten 
der Regierung. Der größte Fehler, welcher jemals auf Maus 
ritins begangen wurde, war die Zerftörung der Wälder, in 
Folge deſſen jet in den Küſtengegenden, welche früher bei 
hinreichender Feuchtigleit einen jährlichen Ertrag von 6000 
Pfund Zuder vom Acre Fand ergaben, fo gut wie gar fein 
Negen mehr fällt und damit deren Fruchtbarkeit aufgehört 
bat, Das innere Hochland ift dagegen zu naß und kalt und 
liefert der dortige Acre im Durcichnitte kaum 3500 Pfund 
Zuder. Die Irrigation der nun verlaffenen Küftenplantagen 


ift das einzige Mittel, Mauritius wieder zu heben, und da 
auch Feine bedeutende matürlihe Schwierigkeiten dabei zu 
überwinden find, fo wird und muß es früher oder fpäter dazu 
kommen. 

Die Sechellen gewinnen an Bedeutung und haben ſeit 
18 Monaten ibren eigenen Legislative Council, fo daß man 
fie auf- Mauritius jest gewöhnlich die Independency“ zu 
nennen pflegt. Diefe Inſeln prodneiren Kokosnußöl faſt eben 
To ausſchließlich wie Mauritius Zuder; es ift aber erft ein 
Heiner Theil des Landes, welcher fich dazu eignet, unter Eul: 
tur gebracht. 

wir 


— Die Buchhandlung Sölöffy u. Greve in Bukareſt 
bat eine gut anögeitattete Karte von Rumänien mit bei 
Donauländern beransgegeben, Dielelbe ift eim Merk des 
Ingenieurs Maffalupu und ift nach dem neneften ftatiftiichen 
und geograpbiichen Quellen ausgearbeitet. Sie enthält jeden, 
felbft den Meinften Ort, bei den Städten ift die Einwohner: 
zahl angegeben. Dieſelbe bringt auch eine Ueberſicht der 
abminiftrativen Eintheilung Aumäniens und die Einwohner: 
zahl jeden Bezirkes. Die Karte umfaßt ganz Serbien, Sie: 
benbürgen und einen großen Theil Ungarns, 

— Die Theeausfuhr Dftindiens bat im verfloffe: 
nen Jahre beträchtlich zugenommen. Während der brei er: 
jten Quartale 1875 wurden 18,733,500 Pfund erportirt gegen: 
über 12,850,000 in der entiprechenden Periode 1847, 

— Der foeben vollendete Eenfus von Japan ergab nadı 
der „Napan Mail“ eine Gefammtbevöllerung von 33,300,675 
Einwohnern, d.h. etwas weniger als die vier deutſchen König: 
reiche Preußen, Bayern, Sachſen und Württemberg zuſammen⸗ 
genommen, und gegen bie lehte Zählung vom Jahre 1872 
eine Zunahme von 189,850 Seelen. 


Inhalt: Aus Innerafrifa. IT. (Mit drei Abbildungen.) (Schluß.) — Höhlenfunde. (Mit ſechs Abbildungen.) — 
Lupandin's Aufnahme im Usboi 1875. Bon Albin Kohn — Erneft Giles' neueſte Neife durd den Weſten Anftraliend, — 


Das Weib in plattbentichen Spridiwort. Yon C. W. Stuhlmann. IT. (Schfuf.) — 
Mauritius und die Scchellen. — 


nahme der Bevölkerung in Ungarn — 
4. März 1876.) 





Aus allen Erdtheilen: Die Ab: 
Berfchiedenes, — (Schluß der Redaction 


Nedactenr: Dr. R. Riepert in Berlin, S. W. Pintenftrafe 13, IN Tr. 
Druf und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig. 


Hierzu eine Beilage, betreffend: Landſcha 


« und Stäbtebilder aus Süd-Amerifa. Bon Louis Nofentbal. 


erlag von €. Lichtwerd in Berlin. 


Band XXIX. 


Mit befonderer Berüchfichtigung 





der 





f) 
— 


Anthropologie und Ethnologie, 


Begründet von Karl Andree. 


In Verbindung mit Fachmännern und Künſtlern herausgegeben von 


Dr. Ridard Kiepert. 


Braunschweig 








Jährlich 2 Bände A 24 Nummern. 


Durch alle Buchhandlungen und Poftanftalten 





zum reife von 12 Marl pro Band zu beziehen, 


Dr. Morice’3 Neife in 


Kaum hat ein Dampfer vor Saigon Anler geworfen, 
fo umbdrängen zahlreiche Sampangs, Kleine, den venetianiſchen 
Gondeln ähnliche Boote, das Schiff, deſſen Det fofort mit 
einer Menge Beamter und Geſchäftéleute ſich füllt, welche 
zum Empfange von Bekannten oder von Nachrichten herbeis 
eilen. Es war am 6. Juli 1872 91/, Uhr Morgens, und 
mächtige, rothgeränderte Wolfen waren am Himmel zerftreut, 
zwiſchen denen hindurch die Sonnenſtrahlen mit unglaublicyer 
Gluth die Erde trafen. Der Donar-Fluß iſt dort fo breit 
und majeftätifch, daß er den Namen einer Rhede wohl ver: 
dient. Eine Menge von Schiffen, groß und Fein, mit Rus 
dern, Segeln oder Dampflraft getrieben, beleben feine Ufer, 
und im Hintergrumbe liegt das Stationsſchiff „ileurus“, 
deſſen Kanonen der Stadt den Anfang, die Mitte und das 
Ende jeden Tages verkünden. Elende Stroh: und Lehmhutten, 
halb in das Waffer verfunfen, bedecken das rechte Ufer; ihren 
gegenüber am linken dehnt fid) Saigon aus, ganz im Vorder: 
grunde das dreiftödige, ſtattliche Cosmopolitan Hotel und 
weiterhin die grelinen Wipfel der Tamarindenbäume in der 
Rue Gatinat und den anderen Hauptverfehrsadern der 
Stadt. 

Erft um 11 Uhr konnte Dr. Morice *), der Natur 
forfcher,, welchen wir auf feinen Streifzligen durch die frane 
zöfifche Kolonie Cochinchina (Basse-Cochinchine) begleiten 


+) Seine Berichte an die Parifer Antbropelogifche Befellichait 
über vie @ingeborenen und Miſchlinge Cochtnchinas wurten ausführlich 
auf S. 105 biefed Bandes befproden. 


Globus XXIX. Ne. 13. 


I. 


1876, 





Franzöſiſch Cochinchina. 


wollen, den Fuß auf das Land ſetzen und ſeine Schritte nach 
einem ber zahlloſen chineſiſchen Läden richten, um einen „Sa- 
laco*, einen jener ſchweren, nichts weniger als zierlichen, 
aber umentbehrlichen Hüte mit doppeltem Boden zu faufen, 
welche das empfindlichere Gehirn des Europäer gegen die 
Strahlen einer tropischen Sonne fo vortrefflic) ſchützen. Dann 
erſt bezog er ein Hotel. 

Raſch follte er hier eine böfe Echattenfeite des Landes 
fennen fernen. Den Schlaf der erjten Nacht hatten ihm 
zahlreiche Mosfitos geflört, welde die durdlöcerten Gaze— 
vorhänge nicht abzuhalten vermochten. Früh erhob er fid) 
von feinem Scmerzenslager und wollte vor dem Ausgehen 
noch einmal ein paar graciöfe Ningelnattern betrachten, die 
er lebend aus Frankreich mitgebracht hatte. Aber als er 
das Commodenfach öffnete, in weldem er fie ficher verwahrt 
glaubte, eilten Yegionen von ſchwarzen Ameifen heraus — 
und die Reptilien lagen als forgfältig präparirte Sfelete da! 

In den untern Theile der Rue Gatinat, der Hauptftraße 
der Stadt, verrichteten die dort zahlreich, wohnenden Chinejen 
mit der ihnen eigenen Ungenirtheit und Schamlofigteit vor 
den Hausthüren ihre Morgenwaſchungen. 

Dunfele Kutfcher von der Malabartüfte verfolgten den 
Fremden mit dem umanfhörlichen „Wagen, Capitän! Wa- 

nt" 

Ruf: und helltaffeefarbene Jungen, deren wilbes Haar 
manchmal ein alter Marine-Infanteriehelm bedeckte, umring⸗ 
ten ihn, fo oft er vor einem Yaden ftehen blieb, fchrien „Korb, 
Capitän! He!* und ſchwangen dabei ihre großen Körbe, in 

25 


194 


denen fie alles etwa Einzufaufende nad dem Gafthaufe ſchlep⸗ 
pen wollten. 

Je weiter man ſich von der Schiffslände entfernt, um 
fo mehr fteigt die Straße an und ift von europäifchen Ger 
bäuben befegt. Da fteht zur linfen Hand das reigende, Kleine 
Palais des Directord des Innern, mitten in einem Meere 
von Grlin verfunfen; weiterhin Bureaus, die Munze und die 
Voſt. Allerdings dehnen fid) zwiſchen diefen Gebäuden uns 
bebaute Streden Landes aus, wo Bambus, Rhieinus, Stedy- 
apfel, große Lianen und mächtige Gräfer wuchern. Trotz— 
dem macht diefe Hauptitraße der fernen Colonialftadt auf 
den Beſchauer einen fehr angenehmen und anmuthigen Eins 
druchk. 
Aber es iſt dem Fremden nicht lange vergönut, in den 


Rhede von Saigon. 


auf den Markt ſchleppten. Chinefen gingen hin und wieber, 
und auf einer Poligeiwache waren neben einigen Europäern, 
Chinefen und Malabaren befonders Annamiten ängeftellt, 
die mit ihren Meinen Degen, Connenhüten, dem großen 
Chignon an der Seite des Kopfes und ihrer wichtigthuenden, 
prahlerifchen Miene urkomiſch ausjahen, 

Sehr befriedigt von den Eindrüden feiner erften Wans 
derung fehrte der Keifende in fein Hotel zurlid. Wäre nur 
nicht das peinigende Leiden des Lichen tropicus, das dem 
Europäer ben Aufenthalt in Saigon fo fehr verbittert! Faſt 
der ganze Körper bebedt ſich mit Pideln von der Größe 
eines Steduadellnopfes, welche fo unerträglic, juden, daß 
die größten Anftrengungen nöthig find, um dem Triebe, fie 
täglich Hundert Dal blutig zu ragen, zu wiberfichen. Dies 
fer Ausſchlag befüllt die Neulinge und felbft ſolche, welche 





Dr. Morice’s Reife in Franzöſiſch Cochinchina. 


Straßen der Stadt herumzufchlendern; ſchon um 8 Uhr wur: 
den bie Sonnenftrahlen fo brennend, daß Dr. Morice ums 
fehrte und die der Rue Catinat parallele, weniger belcbte 
Aue Nationale zuriidging. Auch fie bot denfelben Wechſel 
von comfortabelen Häufern, elenden Hlitten und Dſchungeln 
dar; von bemerkenswerthen Häufern enthält fie das alte 
age rd das Geſundheitsamt und die Baulidy- 
feiten des Geniecorps, 

Indier und Indierinnen, ſchwarz oder fupferfarbig, waren 
häufig zu ſehen; legtere im ſtechend gelben ober grünen es 
wänbern, einen filbernen Ring in ber Nafenfcheidewand tra- 

end und ſich durch ihren hohen Wuchs und die inıponivende 
Side der Glieder ſcharf von ben Meinen, ſchlank gebauten 
UAnnamitinnen unterfcheidend, welche mächtige Baden Waare 





aaa 
UERENBEES 


Mach einer Photographie.) 


ſchon mehrere Jahre in der Colonie zugebracht haben, beſon⸗ 
ders in ber trodenen Dahreszeit und im Anfange der Negen« 
zeit, während die erfriſchenden Regen ihn verſchwinden laſſen. 
Die Eingeborenen feinen von diejer Krankheit, gegen weldye 
es fein Mittel giebt, nicht befallen zu werben. 

Neben feinen zoologifchen Studien, welche in Saigon 
felbft auf einige Eidechſen beichränft waren, wandte Mlorice 
feine Aufmerlſamleit namentlich der einheimifchen Bevölle ⸗ 
zung zu, welche ihm anfangs mehr Widerwillen einflößte 
als feine Schlangen und Kriechthiere. Die mehr oder we⸗ 
niger flachen, meift ausdrudslofen Geſichter, die fahlen 
Augen, die Stumpfnafe und die aufgeworfenen, vom Betel 
gefdwärzten Lippen find alles andere als ſchön. Aber man 
gewöhnt ſich daran, lernt den Ausbrud vieler Gefichter Ten 
nen, vermag mehr oder weniger Häßlichfeit zu unterſcheiden 


Dr. Morice's Reife in Franzöſiſch Cochinchina. 


und findet gerader ftehende Augen und manche faft Faufafi« 
ſche Nafen. 

Die Annamiten find jedenfalls Meiner und ſchwächer als 
die Europäer, mag dies nun von einer ſchlechten Gefundheits« 
pflege ober von angeborener Schwäche herrlihren. Die Farbe 
ift bei nicht allzu gebräunten Verfonen fahl. Nur im zwei 
Dingen Übertreffen fie den Europäer: fie vermögen zehn 
Stunden lang hinter einander zu rudern und trotzen unges 
ftraft ihrer glühenden Sonne. Ihr Charakter ift der einer 
in Sklaverei, Unwiſſenheit und Faulheit zurückgehaltenen 
Race, welche dadurdy arm, gleichgliltig und furdtfam gewor- 
den ift. Die drückende Verwaltung der annamitifcen Dan: 
darinen, welche der ungleich menſchlicheren der Framoſen 
vorausging, hat alle Kraft, Wahrheitsliebe und Beweglichkeit 







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und dergleichen, zeigen eine liebevolle Nachahmung der Natur. | 
Bon einer Pflege der Wiſſenſchaſten kann man im Ernſt 
nicht reden: feine Kenntniſſe bejchränfen ſich auf eine Ans 
zahl chineſiſcher Buchſtaben. 

Ihre Lebensweiſe iſt die denlbar unzuträglichſte: fie trin— 
fen das Sumpfwaſſer unfiltrirt oder nur mit ein wenig 
Alaun verfegt, jehr felten Thee; fie eſſen mittelſt der chine⸗ 
ſiſchen Stäbdyen Neis mit ſpaniſchem Pfeffer, Gurten, Salz: 
lafe (nuoc-mam), frische und alte Fifche und ein paar Früchte | 
— das ift der geſammte Speifegettel, der wohl nur bei wenigen | 
Bölfern an Einförmigkeit Übertroffen wird. Ab und zu 
genießen fie Schweinefleiſch, weldes aber Bandwurmleiden 
im Gefolge hat; dem Reisbranntwein (sum-schum) find fie 
nicht befonders ergeben. Auszunehmen find davon die bei Eu— 
ropäern in Dienſt Stehenden, welche für deren Weine und 


195 


in dem Volfe vernichtet. Aber manche Eigenſchaft hat ſich 
doch erhalten, welche auf eine befiere Zukunft hoffen läßt: 
eine oft am Spott ftreifende Luſtigleit, die Gabe, leicht auf- 
zufaffen und zu begreifen, und merkolirdiger Weife bei ein- 
zelnen Individuen ein gewiffer Stammesftol;. 

Es ift nicht abzuleugnen, daß das Volt einer Beſſerung 
und Hebung fähig if; die Normalfchule in Saigon, wo 
Lehrer und Dolmetſcher herangebildet werden, hat in ben 
wenigen Jahren ihres Deftehens ſchon ganz hübfche Erfolge 
erzielt. Immerhin geht dem Annamiten mancherlei ab, wie 
3 B. das Gefühl für Kunſt. Seine Muſil ift für euro⸗ 
päifche Ohren unerträglid) ; Sculptur iibt er gar nicht; Poefie 
ift dürftig, der Tanz ihm gänzlich unbefannt, Nur mande 
Wandmalereien, namentlid) von Blumen, Vögeln, Infecten 






— 





—— 











Chineſiſche Kaufleute in Saigon. (Nach einer Photographic.) 


Liqueure eine gefährliche Neigung an den Tag zu legen 
pflegen. 

Die Gewänder, von denen fie fich nur trennen, wenn fie 
ihnen in Yumpen vom Yeibe fallen, fchlgen fie nicht genligend 
gegen die Feuchtigleit und Kälte der Nächte, bie fie oft auf 
den Canälen zubringen, noch auch gegen die Witterung, 


| welche in den Morgenftunden des December und Januar bei 


18°. die Eingeborenen vor Froft zittern macht. Die Folge 
davon it, daß viele Kinder in den erfien Lebensjahren der 
Bräune zum Opfer fallen und Unterleibsleiden häufig find. 

Eben jo ungefund find ihre Hütten, welche auf Pfählen 
halb im Waſſer, halb auf dem feften Yande oder im Schlamme 
ruhen. Der Neisbau und der Fiichfang haben aus dem 
Cochinchineſen eine Art AUmphibie gemacht: wenn bei Hoch⸗ 
flutg das Wafler den Fußboden feines Haufes UÜberſplllt, 

25+ 





Dr. Morice’s Reife in Franzöfiich Cochinchina. 


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Nach Photographien.) 


Strafienjugend in Saigon. 


Dr, Morice’3 Reife in Franzöſiſch Cochinchina. 


fann man ihm auf den Tifche zufammengefanert figen ober 
in ber Hängematte liegen fehen, wie er eine einförmige Mies 
fodie hinfummt oder eine fegelfürmige igarrette raudıt. 

Charakteriftiich ift fein Gang: beide Geſchlechter ſetzen 
die Füße jehr auswärts und reden dabei die Glieder in einer 
ungraciöfen Weife, wodurch eine ziemlich ſtarle Einbiegung 
bes Nidens, die vielleicht von der Gewohnheit, ftehend zu 
rudern, herrührt, noch mehr hervortritt. 

Die Heinen Kinder figen rittlings auf der mütterlidhen 
Hüfte und werden von einem 
Arme der Mutter feſtge⸗ 
halten. Beim Ausruhen 
fauern ſich die Yeute nieber, 
ohne jedoch mit den Haden 
ben Boden zu berühren, und 
verweilen oft fehr lange in 
diefer unbequemen Stel 
lung. Yängs ber Wege 
fann man fie jo figen und 
ihren Betel kauen jehen. 
Beim Klettern bedienen fie 
ſich nicht der Sie und des 
Rumpfes, ſondern fie fprin- 
gen mit einem Anlauf an 
dem Baume in bie Höhe und 
umllammern den Stamm 
wie die Affen mit bem 
Händen und der Fußſohle. 
Auch kennen fie den Kuß 
nicht: die Mutter nähert 
ihr Kleines der Nafe und 
haucht es an, anftatt es 
zu küſſen. 

Was das Abſtehen der 
großen Zehe anlangt, wor⸗ 
aus man früher ein Racen⸗ 
merfmal hat machen mwol- 
len, fo ift daflelbe fehr 
übertrieben worden. Der 
nie von einem Schuh be 
läftigte Fuß des Annamiten 
ift mohlgeitaltet, bei ben 
Männern mitunter ‘groß, 
aber bei den Bornehmen, 
und namentlich bei dem 
weiblichen Geſchlechte, aus« 
nehmend Mein. Die Zehen 
liegen niemals Über ein = 
ander, fondern entfalten 
ſich frei und einander pa= 
ralll. Nur hat bie Ger 
wohnheit, die große Zehe 





197 


den Europäern die unterwegs eingefauften Gegenftänbe nach 
— trägt. Sonſt hängt er feinen großen, dazu benutzten 

orb wie einen antifen Schild auf feine Schulter. Ein an: 
deres Mal — er den Jager, trägt ihm die Flinte, führt 
ihn in dem Gewirre von Reisfeldern und Wäldern zurecht, 


zeigt ihm das Wild auf Entfernungen, bei denen bad euro- 
päriche Auge feinen Dienft verfagt. Wie ein Jagdhund Holt 
er —— Schnepfe oder Turteltaube aus dem Schlamm 
der 


eiefelder und weiß fie felbft im dichteſten Bambus- 
geftrlipp zu finden. Um 
— — Idägbar iſt aber feine Hlilfe 
SR bei einer Begegnung mit 
einer Buffelherde. Diefe 
gewaltigen Wieberfäuer ha- 
ben ſich noch feineswegs wie 
die Eingeborenen an die 
jegigen Yandbesherren ge 
wöhnt, fondern verfolgen 
diefelben ſtets mit einem 
bittern Hafle, welcher oft 
genug zu blutigen Kataftros 
phen geführt hat. Kommt 
dem Buffel ein Weißer in 
ben Weg, fo hebt er den 
Kopf, athmet tief und ftiirgt 
fid) mit gefentten Hörnern 
vorwärte. Da aber fpringt 
ber feine Führer herzu, 
flößt einen wilden Schrei 
aus, der das Ungethüm 
zum Stehen bringt, und 
jagt ihm mit einem zweiten 
in die Flucht. Um Saigon 
herum find diefe Thiere fo 
gefürdjtet, daß ſich felten 
ein Fremder ohne einheimis 
ſche Begleitung aus ber 
Stadt wagt. 

Gilt es wiederum, auf 
ben miebrigen Böſchungen, 
welche bie Neisfelder von 
einander ſcheiden, zu wan⸗ 
dern, fo ift die Hulſe je 
ner ungen unentbehrlich. 
Ohne Zögern fpringen fie 
in ben fcheußlichen warmen 
Schlamm, halten den Frein⸗ 
den am Arm und führen 
ihn ficher bei der Gefahr 
eines unangenehmen Bades 
vorüber auf feitern Boden. 

Haben fid) die Kerlchen 











beim Halten des Gteige ERROR] 
bügel$ und des Steuer- 
ruders, beim Klettern, beim 
Auflangen hingefallener Ge⸗ 
genftände u. |. w. zu benugen, dieſem Gliede eine größere 
Freiheit und Beweglichkeit verliehen. 

Der Annamit fennt nur zwei Vebensalter: Kindheit und 
Greiſenthum. Die Jugend dauert lange, das reife Alter 
nur eine ſehr furze Zeit. 

Unter allen Boltötypen des Landes ift die Straßenjugend 
von Saigon eine der intereflanteften. Solch ein Gaſſenjunge 
ift gleichſam ein auf einen Lazzarone gepfropftes und unter 
die Tropenfonne verſetztes Pariſer Kind. Bon frühefter 
Jugend an gewinnt er feinen Lebensunterhalt damit, daß er 





Vornehme junge Cochinchineſin mit ihrer Dienerin. 
(Mach einer Photographic.) 





—X 

nun anf eine oder bie an ⸗ 
dere diefer Arten ein paar 
Gelbdſtlide verdient, jo fit« 
hen fie unter den Beran« 
den ber Stadt ihre Kameraden auf und verfpielen mit 
Karten den Gewinn des Tages. Das führt oft zu 
Schimpfereien und fehr ergötzlichen Zweilämpfen. Haben 
die beiden Geguer dem reichen Borrath, welden die anna» 
mitifche Sprache an Schimpfivörtern darbietet, erſchöpft, fo 
ſchleudern fie mit einer ftolgen Bewegung des Kopfes den 
Wuſt ihrer ſchmutzigen Haare nad) hinten umd ftürzen fich 
auf einander, Es ficht aus, als wollten fie ſich gegenfeitig 
vernichten; aber nach den erften Schlägen und etwas Herum- 
ſtoßen ift der ganze Kampf zu Ende. 


198 Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforfhung der Libyichen Wüſte im Winter 1873/1974. 


Später tritt der Junge bei einem Europäer al& „hoy“ 
in Dienft, beforgt die Küche und das Zimmer feines Herrn, 
pugt feine Waſſen und reinigt feine Kleider. Aber feine 
angeborene Faulheit, feine unverbefferliche Unreinlichteit und 
unwiderſtehliche Neigung zum Diebftaht machen ans ihm cin 
Geſchöpf, das man nur un« 
ter Berwunſchungen im feine 
Dienfte nimmt. 

Ein alter Annamit ficht 
völlig ‚anders aus als cin 
junger, Erft ſehr fpät und 
aud) dann nur ſpärlich 
wächjt ihm ein raſch weiß 
werdender Bart auf der 
Oberlippe und am Kinn, 
aber nicht auf den Baden, 
Mit großer Wurde fchreir 
tet er dann einher, ange 
than mit einem langen Ge 
wande und einem feinen 
ſchwarzen Turban, und mit 
einem Sonuenſchirme und 
einen Fächer bewehrt. Die 
Cigarrette oder das Prieme 
chen kommt nicht aus fei« 
nem Munde. Dabei ficht 
er ernit, argwöhniſch, jelbit 
mißtranisch aus, ohne in⸗ 
deſſen allen irdifchen Freu— 
den zu entfagen: jegt wilr: 
digt er den Altohol, den 
er im feiner Jugend mir 
gekoſtet hat, und ein Yächeln 
Überzieht fein finfteres Ges 
fidyt, wenn ihm ein Euro⸗ 
päer ein Glas Abfinth oder 
Wermuth oder gar eine 
Miſchung von beiden ans 


radezu häßlich, die Nafe platt, die Haut podennarbig, die 
Yippen gefchwollen und vom Betel gefärbt. Dagegen hat 
die annamitiſche Frau meift langes, ſchwarzes, ſchönes Haar, 
das fie forgfam pflegt, flechtet, mit falſchem Chignon (tap) 
ausftaffirt und mit dem feiber fehr übel riechenden Kokosöl 
einfalbt. Der Mund iſt 
meift gut geformt, bie Schul: 
tern aber find oft breit und 
plump. Die Handgelente 
und Knöchel find von gro⸗ 
ber Feinheit. 

Hußlich ift ihr Gang, 
wobei fie mit den Armen 
ſchwingt und nach rechts 
und linls ſtarl hin· und her» 
ſchaukelt. Ihre Kleidung 
beſteht in einem langen, bis 
an den Hals reichenden und 
dort geſchloſſenen Gewaude, 
das Hemd und Mod zu. 
— Zeit vertritt und bei 

rauer von weißer Farbe ift; 
einem weißen ober fchiwars 
zen Beinkleid von Galicot 
oder Seide und mitunter 
in einem rothen oder blauen 
Gürtel. Die Füge find 
meift madt, feltener mit 
Vantoffeln bebedt, deren 
Spitzen umgebogen find, 
wie unfer Bild es zeigt. Als 
Schmuck trägt fie in ihren 
meift Meinen und wohlge⸗ 
ftalteten Ohren Zierrathen 
von Bernftein oder Gold 
in Geftalt von Nägeln mit 
großen Köpfen, am Arme 
Bänder von Gold, Gagat, 





bietet. Bor Allen licht ex 
num das Held und zwar um 
feiner felbft willen. Erlau: 
ben es ihm feine Mittel 
oder fein Nang, ein Pferd zu haften, fo kennt fein Stolz 
feine Grenzen. Sein Meines, faftanienbraunes Pierd, das | 


Bornehmer Eoctindiinde, 


gewöhnlich Pak geht, behandelt er ſchlecht und forglos; trote 
dent hält es trefflich ans und Leiftet ſchätzbare Dienfte, 

Um anf die Frauen, die in der Colonie Kongaf genannt 
werben, zu lommen, fo finden ſich unter der Unzahl von häß- 
lichen aud einige Schönheiten. Ganz natürlicher Weiſe 
haben die vornehmeren Frauen anfprechendere Züge, hellere 
Haut, harmonifchere formen und feinere Gliedmaßen als 
die der Bauern und Fiſcher. Die Mehrzahl ift freilich ges | 


Die Rohlfs' ſche Erpedition zur 
im Winter 
Von Paul Ajcerfon, 





Silber, Bernflein oder gels 
bem Glas, am Fußgelent 
mitunter einen  filbernen 
Ning von Filigranarbeit 


Mach einer Photographic.) 


' und oft ein Halsband. Die Fran and dem Bolle geht bar- 


haupt oder bindet ſich ein Tuch um ben Kopf; die vornehmere 
Dame trägt einen runden, gelben Strohhut mit breiter um- 
gebogener Krämpe und flachen Dedel, von weldem eine 
dicke Trefje vom gelber Seide mit ſchwerer Pufchel bis auf 
den Stirtel herabhängt. 

Bon Charalter find fie Leichtfertig und fehr gewinnfüchtig; 
ihr Hang zum Spiel und mitunter felbft zum Diebftahl ift 
unwiderſtehlich 


Erforſchung der Libyſchen Wüſte 
1873 1874. 
Mitglied der Erpedition. 


II. 


So waren zehn Tage vergangen, ehe die erſte Abtheilung 
unſerer Ervedition mach dem unbekannten Moften aufbrechen 
fonnte. Schon bald mach unferer Ankunft hatten Nohlis 


und Zittel eine Necognofeirung in diefer Richtung aufge: 
führt; ein drei Stunden weftlidh von Gar gelegener ifolit- 
ter Tajelberg,, der, bis dahin unbenannt, den Namen des 


Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforſchung der Libyichen Wüſte im Winter 1873/1874. 


oben erwähnten englifchen Keifenden Edmonftone erhielt, 
bot eine weite Fernſicht, und ſchien von feiner Höhe aus ein 
Vormarſch von einigen Tagereifen feine erheblichen Schwie ⸗ 
rigfeiten zu bieten. Das Commando der zuerjt abgefandten 
Abtheilung wurde von Kohlis, weldyer wegen der nod) lange 
nicht gelöften Frage der Verproviantirung Dachel vorläufig 
nicht Derlaffen konnte, dem Prof. Yordan Übertragen, ber 
auch infofern für dieſe Aufgabe vorzliglic, geeignet war, als 
er durd) aftronomifche Aufnahme des Weges die Innehals 
tung ber zwedmäßigen Richtung für die nachlommenden Ab: 
theilungen ſichern kounte. Natürlid) mußte der Weg für 
die legteren forgfältig mit Steinhaufen, Balmjtöden ıc. be: 
zeichnet werden. Es war bejtimmt worden, daß unfer 
Freund nach zwei Tagereijen lagern und dann dem größten 
Theil feiner aus 20 Sameelen bejtehenden Karawane 
zuräidfenden follte, weldjer dann fojort mit einem neuen 
Transport von Waſſer und Yebensmitteln nad) Weften zus 
rüdtehren follte. 

Dies Programm konnte auc im Großen und Ganzen 
innegehalten werden, obwohl Jordan bei feinem am 16. Ja— 
nuar angetretenen Marſche auf unerwartete Schwierigkeiten 
fie. Zahlreiche jid) vom Edmonſtone-Berg nad; Süden 
herabziehende Schluchten nöthigten zu großen Umwegen und 
veranlaßten bei ihrer Ueberfchreitung oftmaliges Sthrzen 
der Kameele und Abwerſen der Ladung; auch kounte eine 
anſehnliche Dünenkette nur mit großem Zeitverluft” Über: 
fchritten werben. Auf diefer Strede fand Jordan, etwa 
eine Tagereife weſtlich von Gaßr, ein verlaffenes Yager, ver- 
muthlid) von einer Rhaſia von Barla-Arabern herrührend, 
welche erft vor wenigen Jahren die Uah-Oaſen beunruhigt 
hatten. Ein erftes Depot wurde am 18. angelegt und nad) 
zweitägigem Berweilen auf demfelben am 21. der Marſch 
fortgejegt. An biefem Tage machte Jordan einen Fund, 
der anfangs große Hoffnungen erregen mußte; er entdedte 
alte Weggeichen, welche eine jchon früher verfolgte Straße 
nad; Weſten bezeichneten und die er felbftverftändlicdh weiter 
verfolgte, Diefe Straße veranlaßte ihn, die bis dahin ein- 
geidjlagene Richtung nach Weften mit einer weftfüdiweit: 
lichen zu vertauſchen, welche ev zwei Tage inne hielt, Bor 
einer zweiten großen Dlinenmafje lagerte ev und wurde 
hier am 25. von Zittel eingeholt, der Gaßr Dachel amı 
22, verlaffen und gleichfalls mit großen Terrainſchwie— 
tigkeiten zu fämpfen gehabt hatte, Weide Reiſende ſetz⸗ 
ten am 26. vereint ihren Marſch fort; fie fanden jenfeits 
der Dilnen eine reich mit Wüftenpflanzen beftandene Ka— 
meelweide, während bis dahin fat gar feine Begetation 
bemerkt worden war. Bis hierher konnten auch die er— 
wähnten alten Allamat (Wegzeichen) verfolgt werden; bei 
weiterem Innehalten derjelben Richtung wurden fie indeß 
nicht mehr bemertt. Ueberhaupt erwieſen ſich die Terrain: 
verhältniffe bei weiterer Fortfegung der Reife jo ungünſtig, 
dag Jordan und Zittel ſchon nad) zweitägigen Marche, am 
28., auf weiteres Vorbringen verzichten mußten und Rohlfs' 
Ankunft zu erwarten beſchloſſen. Sie lagerten am Oftrande 
einer ungeheuren Dinenmafle, aus zahlreichen, parallelen, 
mehr als 100 Dieter hohen Ketten beftehend, zwifchen denen 
nicht mehr, wie bei den früheren Dünenzügen, der Sferir: 
boden zum Borfchein kam; vielmehr waren auch die Dünens 
ihäler mit Sand überjcüttet und das Ganze erichien als 
ein grenzenlofes Sandmeer, in deſſen Befchaffenheit bei einer 
eintägigen Necognofeirung nach Weften nicht die geringfte 
Aenderung zu bemerfen war, Auch die fefte Unterlage die 
fer Sandanhäufung war eine andere als der bisher von 
Dachel an beobachtete Sreidelalt; etwa eine Tagereife von 
ber Kameelweide, die mur eine geringe Ausdehnung nach 
Welten befaß, begann der nubiſche Sandftein, welcher nicht 


199 


die geringfte Spur von Pflanzenwuchs darbot; die ander- 
weitig befannte ungeheure Mächtigkeit diefer nad) Zittel 
ebenfalls der Kreideformation zuzurechnenden Bildung gab 
wenig Hoffnung, daß bei weiterm Vordringen die Landſchaft 
ſich günftiger zeigen werde. Auf diefem Sandſtein, nahe an 
feiner Oftgrenze, fand Zittel Übrigens einige Feuerfteinfplitter, 
welche ihm fofort durch ihre Uebereinſtimmung mit den in 
Europa und Nordafrila neuerdings jo vielfad; beobachteten 
fogenannten Meflern aus der vormetalliichen Zeit auffielen 
und aud) jpäter von den maßgebenden Autoritäten auf dies 
fem Gebiete als Artefacte anerkannt wurden, 

Die Nachrichten, weldye über das Bordringen unferer 
Freunde durch die zurückgeſandten Karawanen nad) Dachel 
gelaugten (die Füllung und Vorſchiebung der Depots durch 
die leer zurlid und mit Waſſer und Proviant wieder vor— 
gehenden Kameele wurde bis zu den erften Tagen des Fe— 
bruar nicht unterbrochen und nahm die Ihätigleit unjerer 
farbigen Diener völlig in Anfprudy), beftimmten Rohlfs, 
jeinen Aufbruch zu beidjleunigen. Die Richtungsabweichung 
nach Süden ſchien ihm von Anfang an bedeuflich, da dies 
felbe nicht nad) Kufara, wie Jordan anfangs hoffte, fondern 
nad; Wanjanga oder vielleicht gar divect mad) Uadai deutete, 
Landſchaften, welche bei unjerm mir auf wertige Monate be 
redjneten Reifeplane gar nicht in Frage kommen durften. 
Zwar waren die ſehnlich erwarteten Bohnen immer nod) 
nicht eingetroffen, indeß war ein für den Anfang genügender 
Futtervorrath in Dachel zufanmengebracht worden, ferner 
waren die Verlufte an Kameelen, die wir bis dahin erlitten, 
reichlich durch die Ankunft von zehn prächtigen, vom Conſul 
Uafjifseel-Chajjat in Siut für uns angefauften Thieren er— 
fegt, und, was das Wichtigfie, Rohlfs war es gelungen, drei 
unferer früheren Stamceltreiber, zwei Araber, Hadj Dladjub 
und feinen Schwiegerſohn Hadj Mohammed, ſowie den Stop: 
ten Ibrahim, fiir den Marſch nach Weſten zu gewinnen. 

So founte der Yeiter der Eyrpedition am 26, Januar 
das Hauptquartier Dadyel verlaffen. Nemelc, welcher ohne: 
him mit feinem ſchweren Apparate die weite Wuſtenreiſe, 
bei der es ſchließlich auf möglicdite Bewegungsfähigleit ans 
fam, kaum mitmachen konnte, dagegen jchon im bisherigen 
Verlauf der Reife cin hervorragendes Berwaltungtalent ent: 
widelt hatte, blieb als Depot: Commmandant in Gaßr Dachel; 
auch ich mußte much mit fcwerem Herzen entichliegen, vor: 
läufig daſelbſt zuritdzubleiben, da vorausſichtlich in der 
Lüfte feine Ausbeute für mid) zu machen war, während in 
der Dafe noch viel zur thun blieb. Doch war mir in Aus: 
ſicht geftelt worden, daß, falls reichliche Vegetation oder gar 
eine Dafe gefunden werden wide, id) der Expedition nad 
fommmen jollte. 

Rohlfs, durch die ſchlimmen Erfahrungen von Jordan 
und Zittel belehrt, ſchlug anfangs einen andern Weg 
nörblid) vom Edmonſtone ein, der ſich in der That aud) als 
leichter zu begehen erwies. Auch die Hindernifje auf der 
weitern ſchon von den erſten Abtheilungen zurlidgelegten 
Strede fonnte er mit feinen vortrefflicen Sameeltreibern 
leichter überwinden, fo dag er ohne Aufenthalt am 29. früh 
die öfter erwähnte Kameelweide erreichte. Hier wurde er 
indeß durd) einen ausbrechenden äußerft heftigen Samum 
au Weitermarjche behindert und mad)dem er durch eine zu— 
rlidgehende Sarawane mit Jordan und Zittel Flihlung ges 
wonnen, legte er auf der Kameelweide ein größeres Depot 
an, das unter Aufficht eines deutjchen Dieners (Walther 
aus Weimar) und eines Nubiers geftellt wurde. Er jelbft 
ſuchte, fobald es der immer noch wlithende Sturm zulich, 
die beiden Reifegefährten zu erreichen, welche, durch Futter 
mangel veranlagt, ſämmtliche Kameele zurlicdgelandt hatten 
und ſich daher in einer mißlichen Yage befanden. Erſt am 


200 Paul Aſcherſon: Die Rohlfs’fche Expedition zur Erforſchung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874. 


2. Februar Mittags traf er bei Jordan's und Zittel's Yas 
ger ein. Die drei beutfchen Reiſenden wurden an biefer 
bedeutung@vollen Stelle, welche ein Wendepunlt im Ges 
ſchick der Expedition werben follte, Zeugen eines im ber 
Wüfte fehr ungewöhnlichen Naturereigniffes, nämlich eines 
fat 48 Stunden ununterbrodyen andauernden Yandregens, 
welcher im diefem Zeitraum einen Niederfchlag von 0,016 
Meter Höhe lieferte. Diefer Regen, nad) welchem ber er= 
wähnte Yagerplag den Namen Kegenfeld erhielt, erftredte 
fi) über einen beträchtlichen Flächenraum; er wurde auch 
in den Dafen Farafrah, Chargeh und Dachel bemerkt, nicht 
aber in Einah, Beharich und dem Nilthale. Diefe in ber 
Libyſchen Wüfte faum erwartete Erfcheinung veranlaßte die 
getrennten Wbtheilungen ber Expedition zu nicht geringen 
gegenfeitigen Beſorgniſſen; namentlich fücchtete Rohlfs, un« 
fer nur aus Erdmauern errichteres, ohnehin ziemlich bau- 
fäliges Haus könne einſtürzen; in der That brach auch das 
Dad) eines an unfer Haus angebauten Stalles zufammen, 
ohne indeß weitern Schaden anzurichten. Auf die Bewohs 
ner Dachels machte diefer Negenfall , der ſich immerhin nur 
alle paar Jahre in diefem Maße zu wiederholen fcheint, nur 
geringen Eindrud. 

Die Lage unferer Freunde in Regenfeld war librigens, 
auch abgefehen von der unglinftigen Witterung, feine beneis 
denswerthe. Rohlfs wiederholte die ſchon vor feiner Anlunft 
von Zittel vorgenommene Kecognofcirung in etwas anderer 
Richtung, aber mit demfelben troftlofen Ergebniß; der erfahr 
rene Wüftenreifende konnte ſich der Ueberzeugung nicht vers 
ſchließen, zu der bereits Zittel und Jordan gelangt waren, 
daß ein Eindringen in das Sandmeer im weſtlicher Richtung 
ſchwerlich rathfam fei, Es wären in biefer Richtung täg- 
lid, eine Anzahl Dinenketten zu überjchreiten geweſen, ein 
Unternehmen, welches in Kurzem die Rameele, welche ſich 
nur ſchwierig im Flugſande fortbewegen und die das Er— 
fteigen fandiger Abhänge ſtets in höchſtem Maße anftvengt, 
vollftändig aufgerieben haben wirbe. Der Verluft der Ka— 
uieele würde felbftverftändlich die Ruckllehr der Expedition: 
mitglieder unmöglich gemacht, mithin fie ficherm Verderben 
preiägegeben haben. Es wurde daher beſchloſſen, ein Vor: 
dringen in ber Richtung der Dinenzilge, etwa nah N. N. W., 
zu verfucen. Vielleicht erreichte man mad) einigen Tages 
reifen das Ende der Sandregion und fonnte fi dann doch 
noch nad, Heften wenden; oder es gelang auf diefem Wege 
Siuah zu erreichen und fo immerhin bem unbefannten Ges 
biete der Libyſchen Wüfte einen Streifen von mehreren Tage 
reifen Breite obzugewinnen; im fchlimmften alle konnte 
man vielleicht öftlich abſchwenkend Farafrah erreichen. Die 
vorhandenen Borräthe geflatteten immerhin noch einen 
Wijlenmarfch von reichlich; 14 Tagen, und im diefer Zeit 
fonnte eine anfehnlihe Strede ducchmeflen werden. Auf 
bie Berbindung mit Dachel und die Nachſchiebung von Bor- 
räthen mußte indeß im jedem alle verzichtet werden, da ſich 
im Flugſande dew Weg nicht bezeichnen, alfo fein Nachſchub 
bewerfftelligen ließ. Die mit fo viel Mühe und Soften- 
aufwand angelegten Depots mußten alſo aufgehoben und 
nad) Dachel zurlidgefandt werben. Zu diefem Zweck fandte 
Rohlfs Jordan's Diener, Morlot von Mühlburg bei Karls— 
ruhe, mit einem Kameele ab, immerhin ein gewagter Schritt, 
da dem in der Behandlung diefes Thieres ungeübten Deuts 
ſchen leicht ein Unfall begegnen konnte. Es blieb indeß 
feine andere Wahl; und im der That begegnete Morlod ſchon 
wenige Stunden von Regenfeld einer Nachichublaramane, 
in deren Gefelljchaft er dann dem weitern Nüdweg unge: 
fährdet zurüdlegte. Auf der legten Strede begegnete er der 
endlich, doch noch eingetroffenen Bohnenfaramane aus Siut, 
die wir wenige Tage vorher mit ungeheuren Geldopfern und 


großem Yufwande von guten (und auch böfen) Worten dazu 
vermocht hatten, ihre Fracht bis zu dem großen Depot auf 
der Kameelweide vorzufcieben. Diefe Bebuinen ließen es 
fich nicht ansreden, Rohlſs und feine Gefährten feien in der 
Wifte umgefonmen und die Ueberlebenden verhehlten nur 
ihren Tod, um ſich ihren Nachlaß anzueignen, wie fie ALLE 
vermuthlich in foldyem Falle gehandelt haben witrben, Für 
Remeld und mic, war die wirkliche Sadjlage, wie fie fic) 
aus den von Morlock überbrachten Briefen ergab, freilich 
auch niederſchlagend genug ; diefelben enthielten für mich den 
Auftrag, eine Anzahl frifcher Kameele mit ausreichenden 
Proviante und Futtervorräthen nad Farafrah zu führen, 
welche Dafe Rohlfs auf dem RUdwege jedenfalls berühren 
mußte, und bort jpäteftens vom 24. Februar an feine An« 
funft zu erwarten. 

So wurde denn am 6. Februar jener denkwürdige Marſch 
durch das Sandmeer angetreten, der ſchwerlich in den Anna- 
len afrifanijcher Neifen feines Gleichen findet. Galt es doch 
auf eine Etrede von vier Breitengraden durch eine pfadlofe 
Einöbe, die wohl nie zuvor der Fuß eines Meuſchen 
betreten, einen Weg zu finden, ohme andere Hilfsmittel 
als die, welche dem Seemann auf offenen Meere zu Öebote 
ftehen, den Compaß und den Sertanten. Ein Berfehlen 
des Ziels, der Dupiter-Ammond-Dafe, war allerdings fo 
Leicht nicht zu beflirchten ; forgten doch die Steuerleute diefer 
Flottille von Wüjtenfchiffen, Rohlfs und Jordan, durch ihre 
in geringen Zeitabſchnitten wiederholten Peilungen dafür, 
daß die beabfichtigte Richtung genau eingehalten wurde, und 
Letzterer hielt außerdem das „Befted* in Ordnung, indem 
er jeden Abend die zurlidgelegte Wegſtrecke in die Karte eins 
trug, was mit Hilfe der täglichen Vreitenbeftimmung bei 
der Meridianrichtung des Marſches mit großer Sicherheit 
gefchehen konnte. Wäre ja der füdliche Rand des Yibyjchen 
Kuſtenplateaus (auf biefen mußte man in jedem Falle ftoßen) 
in erheblicher Entfernung öftlid oder weftlih von Siuah 
erreicht worden (daß unfere Freunde faſt genau bei diefer 
Dafe herausfamen, war ein glüdlicher Zufall, da ſich ſowohl 
die angenommene Yänge von Negenfeld ald die von Siuah 
als unrichtig heransgeftellt hat), jo war durch Rohlfs 
Ortsleuntniß von feiner cyrenäifchen Reiſe her die fofortige 
DOrientirung gefichert. Iudeß war diefe Reife immerhin ein 
ſehr gewagtes Unternehmen; es konnte jehr wohl mehrere 
Tagereifen vor Sina) durd) eine Rictungsänderung der 
Dünen die Fortfegung des Weges ſich fiir die Kameele 
ebenfo unmöglich herausftellen, ald das Bordringen nad) 
Welten von Regenfelb aus; da filr die Rucckehr nad) 
Dadjel alsdann der Proviant und das Kameelfutter nicht 
ausreichten, hätten die Reiſenden verfuchen milſſen, zu Fuße 
fortwandernd ihr Leben zu retten. Ebenſo mußte jeder 
Aufenthalt von mehreren Tagen, veranlaft durd) irgend einen 
Unfall oder Erfranfung eines Mitgliedes, der Expedition 
verhängnißvoll werden, Es fcheint mir geboten, auf alle 
dieſe glüdlicher Weife nicht eingetretenen Eventyalitäten hin 
zuweijer, da der glüdliche Ausgang eines derartigen Wag- 
niffes leicht vergeffen läßt, mit wie eruſtlichen Gefahren daſ⸗ 
felbe verfuäipft war. 

Die Karawane beftand aus 15 Kameelen; die Beglei- 
tung der Reiſenden Rohlfs, Zittel und Jordan außer den 
bereits genannten drei Bebuinen nur aus einem deutſchen 
Diener, Seller aus der Gegend von Ellwangen. Ueber 
die Einzelheiten der Reife ift wenig zu berichten. Zwölf 
volle Tagereifen hindurch zog die Karawane ſtets durch einen 
zufammenhängenden Sandocean, faft in dev Richtung ber 
Dünen, in den Thälern fortfchreitend und gelegentlich eine 
Diinenfette an der niedrigften und am wenigften fleilen 
Stelle überfteigend. Nur ausnahmeweile taudyten vers 


Albin Hohn: Prſchewalski's Reife von Kiachta nach Peling. 201 


einzelte Partien anftchenden Gefteins aus den Sande her: Endlich gelangte mar aus dem Sandmeere wieder auf 
vor; ebenjo felten wurden einzelne Pflanzen oder gar Lebende | feftes Geftein und am 19. Februar Vormittags wurde ein 
Thiere angetroffen. Bemerfenswerth war die Häufigkeit von | Allem, ein von Menfchenhand errichteter Wegweifer, bemerkt; 
Straußeneifhalen, welche bewieſen, daß diefer fcheue Vogel | doch hatte man damit nod) feine Andentung, wie weit das 
in dieſer mahrungslofen, aber vor den Nachftellungen des | erfehnte Ziel entfernt fei, und die Wegrichtung ſchien nicht 
Menſchen geficherten Einöde brütet; ferner das Auftreten | auf daſſelbe Hinzufügen. inige Stunden jpäter fam, 
von Bligröhren in großer Anzahl. Am 12. Februar wurde | offenbar durch Fuftfpiegelung gehoben, der Raud des Piby- 
mitten in der Wuſte ein Nafttag gemacht und am biefer | fchen Küftenplateaus in Sicht. Gegen 4 Uhr Nachmittags 
Sandheim genannten Stelle die Kameele aus den Wafler- | erftieg Rohlfs einen hohen Zeugen, und man fann ſich feis 
fiften abgetränft; fie hatten, feitbem Rohlfs Dachel am 26. | nen umd der fofort herbeigerufenen Gefährten Jubel vorftel- 
Januar verlafjen, fiebenzehn Tage ohne einen Trunk Waf- | le, als die agurblauen Seefpiegel, die grüinen Palmenwäl- 
fer aufgehalten! Allerdings müſſen dabei die kühle Witte: | der und die Hochburgen der Dajenjtäbte Siuah und Agermi 
rung des Februar (einmal, am 16. Februar Morgens, wurde | im Goldglanze der finfenden Sonne vor ihren Augen lagen! 
eine Temperatur von 5° C. notirt) und ber zweitägige Ne- | Wohl konnten fie im Hochgefühl der glücklich Aberwundenen 
gen in Anfchlag gebracht werben; im Hochſommer iſt auc | Schwierigkeiten und Gefahren ſich ähnlicher Genugthuung 
bei diefem genligiamen Thiere eine weit größere und häufi« | hingeben, als einft jene zehntaufend Griechen beim Anblick 
gere Zufuhr von Waſſer erforderlich. ber gelichten Thalatta ! 


Prſchewalski's Reife von Kiahta nad Peking. 
Bon Albin Kobn. 


Il. 


Bei Urga hört die Flora auf, ben fibirifchen Charakter | der Nichtung der Kiachta-Kalganer Karawanenſtraße, gegen 
zu zeigen, welchen fie in der nördlichen Mongolei an ſich die Mitte zu, bis zu 2400 Fuß, und mad) den Berechnungen 
trägt. Wenn der Reiſende über die Tola gefommen ift, fo Fritſche's fogar bis unter 2000 Fuß herabfteigt. Diefe 
hat er das legte fliegende Gewäſſer, und ebenſo auf dem , Depreffion, welche nad) Fuß und Bunge gegen 100 Werft 
Berge Ehansula gleich dahinter, welcher feit der Zeit, daß breit iſt, zieht fich micht weit nach Weſt oder Oft, wie fie 
ber Kaiſer Kangechi, der Zeitgenoffe Peter's des Großen, | auch weder von Fritſche im öftlichen Theile dev Gobi, noch 
auf ihm jagte, fiir Heilig gehalten wird, den legten Wald | von mir während meiner Reife von Ala-ſchan nad) Urga 
hinter fih. Weiter nad; Sliden, bis am die Grenzen des | durch die Mitte der Wüſte beobadjtet worden iſt. Hierbei 
eigentlichen Chinas, zieht ſich die Wuſte Gobi, „die waſſer— | muß noch bemerkt werben, daß die öſtliche Hälfte der Gobi 

| 
| 


fofe, unfruchtbare und wenig Gras gebürende Steppe“ der | weit weniger Wüſte ift als der flidliche und weftliche Theil, 
Mongolen, hin, welche in ungeheurer Ausdehnung ſich quer | welcher den höchſten Grad der Wildheit und Unfruchtbarkeit 
vor dem oftafiatifchen Gebirge, von dem Dftende des Tian» | bei Ala-ſchan und beim See Lob-noor erreicht. 
ſchan bis an das Chingan-Gebirge, hinzieht, welches die Wie oben gefagt, verſchwindet der fibirifche Charakter der 
Mongolei von der Mandſchurei trennt. Der weftliche Theil | Gegend mit feinen Gebirgen, Wäldern und Flußreichthume 
diefer Wifte, befonders aber der, welcher zwiſchen dem Tian- endgültig bei Urga, und von hier ab zeigt ſich ſchon im ber 
ſchan und der Provinz Kanfır liegt, ift bis auf dem heutigen | Nichtung nad) Süden die rein mongoliſche Natur. Nach 
Tag gänzlich unbekannt. Der öftliche Theil dagegen ift an | Zurildiegung einer Tagereife ficht der Neifende ſchon eine 
der Kiachta-Kalganer Strafe, welche diefen Theil der Wüfte | ganz andere Umgebung vor fi. Die unendliche Steppe, 
diagonal durchſchneidet, am beften erforscht. Hier haben | hier von leichten Wellen, dort von feljigen Rücken durch— 
bie barometrifchen Aufnahmen von Fuß und Bunge im | fchmitten, verſchwindet in bläulicher, undeutlicher Werne am 
Jahre 1832, ferner die Reifen Timkowéki's, Kos | Horizonte und verändert nirgends ihren einförmigen Cha- 
walewsti’s und anderer Gelehrten, welde gewöhnlich unfere | vafter. Hin und wieder weiden die unzählbaren Herden der 
geiftlichen Miffionen nach China begleiteten, omobt den topo» | Mongolen, deren Jurten man ziemlich häufig, beſonders nahe 
graphifchen Bau als and) die Natur diefes Theiles von Ajien | am Wege, antrifft. Diefer legtere ift jo gut, daß man auf 
anfgeflärt. Endlich hat uns auch bie vor Kurzem aus» | ihm fogar bequem im Tarantaß fahren könnte. Die eigent- 
geführte Reife des Aſtronomen Fritſche durch den öftlichen | liche Gobi hat noch nicht begonnen; den Uebergang zu ihr 
rich der Gobi und meine eigemen Forſchungen im ihrem | bildet der hier bejchriebene Steppenſtrich mit feinem von aus⸗ 
fnböftlichen, füblichen und mittlern Theile feine räthfelhaften, 


gezeichmetem Graſe bededten lehmigen Sandboden. Dieſer 
ſondern ſichere, auf Beobachtungen gegründete Thatfachen in Sirich zieht ſich von Urga nach Südweſt, die Kalganer 
Betreff des topographiſchen Baues, des Klimas, der Flora Straße entlang, gegen 200 Werft weit und geht dann un— 
und Fauna der öftlichen Hälfte der großen mittelafiatifchen | merklich im die umfruchtbare Ebene der eigentlichen Wuſte 
Wuſte geliefert. Gobi liber. 

Zuerft haben die barometrifchen Aufnahmen von Fuß Aber auch diefe Gegend hat mehr einen wellenjörmigen 
und Bunge bie bis dahin bei den Geographen herrſchende als ebenen Charakter, wenn fich aud) hin und wieder ganz 
Annahme von der ungeheuern (angeblich, bis SO00 Fuß be» | ebene Plateaus viele Werfte weit hinziehen. Soldye Ebenen 
tragenden) abjoluten Höhe der Gobi zerftört umd dieſelbe trifft man befonders häufig im der Mitte der Gobi, fo wie 
auf 4000 Fuß reducirt. Ferner haben die Forfchungen der- | man wiederum in ihrem nördlichen und füblichen Theile 
felben Gelehrten gezeigt, daf die abfalute Höhe der Gobi m | häufig niedrige Berge oder eigentlich Rüden findet, welche 

Globus XXIX. Nr. 18. 26 





202 


theils wie vereinzelte Inſeln, theils wie ausgeftredte Züge 
daftchen. Diefe Berge erheben ſich nur einige hundert Fuß 
über die benachbarten Ebenen und find überreid, an Felſen. 
Ihre Schluchten und Thäler find immer trodene Flußbetten, 
welche nur bei einem ftarfen Regen, und auch dann nur 
während einiger Stunden, mit Wafjer gefüllt find. In fol: 
hen trodenen Flußbetten befinden ſich Brummen, welche bie 
Bevölterung der Gegend mit Waller verforgen. Fließendes 
Waſſer findet man auf der ganzen Strede vom Fluſſe Tola 
bis am die Grenze des eigentlichen Chinas, aljo auf einer 
Linie von faſt 900 Werft, mirgende. Nur während bes 
Sommers, wenn Negen fällt, bilden fich hier auf dem leh— 
migen Ebenen zeitweife Seen, welche in ber Periode der Hige 
auẽtrocknen. 

Der Boden der eigentlichen Gobi beſteht aus grobförni: 
gem vothen Kies und Hleinem Gerölle, in welchem man ver: 
ſchiedenes Seftein, ſo z. B. manchmal Achat, findet. Stellens 
weiſe findet man Striche gelben Flugſandes; fie find jedoch 
bei Weiten nicht fo umfangreich wie im üblichen Theile 
derjelben Wille, 

Ein folder Boden ift felbftverftändlich nicht geeignet, 
eine gute Begetation hervorzubringen und deshalb ift die Gobi 
feloft arm an Gras. Es ift wahr, man trifft an der Kal: 
ganer Strafe ziemlich felten ganz entblößte Stellen, aber 
dafiir erreicht auch überall das Gras faum die Höhe von 
einen Fuß und bebedt laum den vöthlich » gelben Boden. 
Nur hin umd wieder, und zwar an den Stellen, wo Lehm 
die Stelle des Kieſes einnimmt, ober auch in den Berg: 
thälern, wo die Sommerfeuchtigfeit im Boden länger vors 
hält, zeigt fi) die Lasiagrostis splendens, von den 
Mongolen „Ayrisu“ genannt, welche hier immer buſchweiſe 
vegetirt, die Höhe von 4 bis 5 Fuß erreicht und immer hart 
wie Draht ift. Hier fiebelt ſich auch manchmal eine einfame 
Blume an, und wenn der Boden falzig ift, jo erfcheint die 
Budargana (Kalidium gracile), das belichtefte Nahrungs- 
mittel des Kameels. An allen übrigen Orten wächſt Lauch, 
niedriger Wermuth, einige Compofiten und Lasiagrostis, 
welche vorwiegend die Vegetation der Wüſte bilden. Bäunte 
und Sträudyer giebt es gar nicht. Ya, fie fönnen hier 
nicht einmal wachſen, ba außer den anderen widrigen phy- 
ſiſchen Bedingungen aud) nod) die Winter- und Fruhlings⸗ 
winde Tag und Nacht mit einer ſolchen Gewalt tiber den 
Boden dahinftreichen, daß fie jelbft den niedrigen Wermuth 
mit dev Wurzel ausreißen und größere Maſſen defielben zus 
ſammengerollt über die wüften Ebenen treibend das Wadjs- 
thum verhindern. 

In der eigentlichen Gobi trifft man unvergleichlich wes 
niger Bewohner an als in dem vor ihr liegenden Steppens 
ſtriche. Thatſächlich können aber auch nur der Mongole 
und fein immerwährender Begleiter, das Kameel, bequen 
in dieſen von Wald und Waſſer entblößten Gegenden, welche 
im Sommer von einer tropiſchen Hitze durchglüht, im Win— 
ter von einer dem Polarfrofte faſt gleichen Kälte abgelühlt 
werben, leben. j 

Im Allgemeinen hat die Gobi mit ihrem Wüftenaublide 
und ihrer Einförmigfeit auf den Neifenden einen fchweren, 
erdrlidenden Einfluß. Während ganzer Wochen zeigen fid) 
feinen Bliden immer bdiefelben Bilder: unüiberfehbare Ebenen, 
welche im Winter dem gelblichen Anflug des vertrodneten 
vorjährigen Graſes haben, oder gefurdjte Felſenrücken, oder 
endlich fchroffe Hügelreihen, auf deren Gipfel ſich manchmal 
die Silhouette der ſchnellfüßigen Deren» Antilope (Anti- 
lope gutturosa) bliden läßt. In gemefjenen Schritten 
gehen die ſchwerbelaſteten Kameele; fie gehen zehn, ja felbft 
Hunderte von Werften, aber die Steppe verändert ihren 
Charakter nicht, fondern bleibt, wie fie gewefen ift, grimmig, 


Albin Kohn: Prſchewalski's Reife von Ktiachta nad) Peling. 


unfreundlid. Die Sonne geht unter, es lagert fich ber dun- 
tele Schatten der Nacht, der wolfenlofe Himmel erglängt mit 
Diilionen von Sternen, und die Karawane hält, nachdem 
fie noch ein Wenig vorwärts gegangen, bei ihrem Nachtlager 
an. Es freuen ſich die Hameele, wenn fie vom ſchweren 
Gepäcke befreit werden, und lagern ſich ſogleich um die Zelte 
ber Treiber, welche indeilen ihr nicht ſehr gewähltes Abend- 
brot zubereiten. Noch eine Stunde vergeht, und Menſchen 
und Thiere find eingefchlafen, und rings umher beginnt bie 
Todtenruhe der Wifte zu herrſchen, ala ob im ihr wirklich 
fein lebendes Wefen vorhanden wäre. Quer durch die ganze 
Gobi, von Urga bis nad) Kalgan, eriftiren außer der Poft- 
ftraße, die von Mongolen unterhalten wird, noch einige 
Karamanenwege, welche gewöhnlich die Farawanen mit Thee 
pafjiren. An der Poſtſtraße find in beftimmten Entfernun- 
gen im Ganzen 47 Stationen vorhanden, eben fo viele 
Brumnen ausgegraben und Jurten aufgeftellt, welche unfere 
Pofthänfer vertreten; anf der Karawanenſtraße richten ſich 
die Haltepläge der Mongolen nad) der Güte und dem Um: 
fange der Weide. Uebrigens nomadiſirt bei diefen Straßen 
nur die arme Einwohnerſchaft, welche bei den wanen 
etwas zu verdienen fucht, entweder durch Betteln, ober durd) 
das Hüten der Sameele, oder endlich durch den Verkauf ge 
trodneten Miftes, des fogenannten „Argal*, welcher einen 
fehr hohen Werth fowohl für den häuslichen Bedarf des 
Nomaden als auch flir den Neifenden hat, dba er das einzige 
Brennmaterial in der Wüfte Gobi iſt. - 

Einförmig vergingen die Tage unferer Wanderung. Wir 
hatten die Richtung des mittlern Karawanenweges gewählt, 
machten uns gewöhnlich gegen Mittag auf den Weg und 
wanderten bis Mitternacht, jo daß wir täglich durchſchnittlich 
40 bis 50 Werft zurliclegten. Am Tage ging id) mit mei 
nem Begleiter größtentheils zu Fuß vor der ni her 
und ſchoß Vögel, weldye mir in den Wurf famen. Unter 
diefen wurden die Naben (Corvus corax) bald unfere err 
flärten Feinde durch ihre unerhörte Zudringlichkeit. Noch 
vor unferer Abreife aus Ktiachta hatte ich bemerkt, daß einige 
diefer Vögel an unfere Laſtkameele heranfamen, weldye hinter 
den Wagen gingen, ſich aufs Gepäck fegten, dort etwas mit 
den Schnabel ergriffen und davonflogen. Cine nähere 
Unterfuchung ergab, daß die zubringlichen Bögel eines unferer 
Säckchen mit Borrath zerriſſen hatten und nun Zwieback 
aus bdemfelben heraudzogen. Nachdem fie ihren Raub ge: 
borgen hatten, kamen fie nad) weiterer Beute wieder herbei. 
Als ſich die Sache fo anfgeflärt hatte, wurden bie Diebe 
erſchoſſen; aber Turze Zeit darauf erfchienen neue Räuber, 
um daſſelbe Loos zu teilen. So ging es fat alle Tage 
während ber ganzen Reife bis Kalgan. 

Im Allgemeinen überfteigt die Zudringlichleit der Naben 
in der Mongolei allen Glauben, Diefe bei uns fo vorſich 
tigen Vögel find Hier fo dreift, daß fie den Mongolen beis 
nahe aus dem Zelte Mundvorräthe ftchlen. Doch hiermit 
begnügen fie ſich nicht; fie fegen fid) auf den Riten der 
Kameele, weldye auf die Weide gefendet werben, und baden 
ihnen mit dem Schnabel den Budel auf. Das dumme, 
furchtſame Thier brüllt nur aus voller Kehle und ſpeit nur 
auf feinen Peiniger, welcher ſich bald erhebt, bald wieder 
niederläßt und mit dem ſtarlen Schnabel eine oft bedeutende 
Wunde macht. Die Mongolen halten es flir eine Sünde, 
die Vögel zu töbten, und verftehen e8 nicht, ſich von ihnen 
zu befreion. Man kann nichts Eßbares außerhalb des Zeltes 
liegen laſſen, es wird ſogleich von den zudringlicyen Vögeln 
geftohlen, weiche, wenn fie feine beſſere Speife finden, das 
ungegerbte Leder von den Theeliſten abreißen. 

Die Naben (und im Sommer auch die Habichte) waren 
während der ganzen Reife unfere gefchtworenen Feinde. Wie 


Albin Kohn: Prihewalsti's Neife von Kiachta nach Peling. 


oft haben fie uns nicht allein Fleiſch, fondern fogar präpa- 

rirte elle geftohlen! Aber wie viel hundert Stuck diefer 

Thiere haben auch mit ihrem Leben für ihre Zudringlichkeit 
gt! 


Bon anderen gefiederten Bewohnern ber Gobi haben wir 
nur häufig den Einfiedler (Syrrhaptes paradoxns), den 
ber ausgezeichnete Pallas am Ende des vorigen Jahrhunderts 
entdect und befchrieben hat, geieben. Erift über ganz Mittel- 
afien bis and Kaspiſche Meer umd mad, Tibet verbreitet, 
Diefer Vogel, den die Mongolen „Bolduru“ und die Chis 
nefen „Sadſchi“ nennen, hält ſich ausſchließlich in ber 
Wüfte auf, wo er ſich vom Samen einiger Pflanzenarten 
(des Meinen Wermuths, des „ Suldyyr* [Agriophylium 
gobieum] und anderer) ernährt. Bon einem größern oder 
geringern Gebeihen diefer Pflanze ift die Anzahl der Über: 
winternden Einfiedler abhängig, welche fid) im Winter in 
ungeheurer Zahl in den Witten von Alasfchan anſammieln, 
wohin fie durch den fchmadhaften Samen des „Sulchhr“ 
angelodt werden. Im Sommer erfcheint ein Theil dieſer 
Bögel in unferem Transbaifalien, wo fie Junge auabrltenr, 
Ihre Eier, drei an ber Zahl, legen fie direct auf die Erde, 
ohne weitere Unterlage; das Weibchen figt ziemlich feft auf 
ihnen, trogdem doch diefer Vogel fehr vorfichtig ift. Im 
Winter, wenn auf der mongolifchen Hochebene großer Schnee: 
fall gewefen ift, kommt dev Einfiebler, von Hunger getvies 
ben, in die Ebenen des nörblichen Chinas herab und hält 
fich Hier in großen Herden auf; faum hat ſich jedoch das 
Wetter glinftiger geftaltet, fo zicht er auch fort in bie heimath- 
liche Wuſte. Der Flug des hier beſchriebenen Vogels ift 
auffallend ſchnell, fo daß, wenn eine ganze Herde vorliber« 
geflogen, man noch aus der Ferne einen eigenthimlichen, 
fchrillenden Ton verninmt, wie während eines Sturmes; 
hierbei geben die Vögel einen kurzen, ziemlich leifen Ton von 
fi. Auf der Erde läuft der Einfiedler Sehr jchlecht, wahr: 
fcheintich infolge einer beſondern Conftruction feiner Füße, 
deren Finger mit einander verwachfen find, während die Sohle 
mit einer warzenartigen Haut bedeckt ift, was theilweife an 
die Haden des Kameels erinnert. 

Nach der Morgenfütterung fliegen die Cinfiebler immer 
einer Trünke, einer Quelle, einem Brunnen ober Heinen 
Salzjee zu. Ehe fid) die Herde mieberläßt, umkreift fie 
einige Male das Gewäſſer, um fich zu überzeugen, daß feine 
Gefahr droht. Dann läßt fie fid) ans Waffer herab, trinkt 
ſich fehr ſchnell jatt umd entflicht wieder, Die Tränfen 
werben von dieſen Bögeln ſehr pünktlich befucht; fie kommen 
oft aus weiter Entfernung, wenn fie in der Nähe kein Wafs 
fer haben. 

Die mongolifche Yerdye (Melanoeorypha mongo- 
lien), eine der größten Specien ihrer Gattung, hält fid) nur 
in den Gegenden der Sobi, wo fie die wiefenartige Steppen« 
form annimmt. Deshalb findet man die hier befchriebene 
Species nur fporabifc in der Wilfte; aber dafür ſammeln 
fidy diefe Vögel im Winter in großen aus hundert, ja oft 
aus taufend Eremplaren beftehenden Herden hier an. Am 
meiften fahen wir fie amı Südrande der Gobi; im eigentlichen 
China find fie ebenfalls, wenigftens im Winter, nicht felten. 
Sie ift der befte Sänger der mittelafiatiichen Wuſte. In 
diefer Kunſt fteht fie faft ihrer europäifchen Schwefter gleid). 
Außerdem befigt fie auch ſehr viel Talent im Nahahmen 
der Stimmen anderer Bögel und fie flickt oft deren Strophen 
in die des eigenen Liedes ein. Sie fingt, indem fie fich erhebt, 
wie unfere Yerche, aber auch oft, wenn fie auf einem hervor⸗ 
tragenden Gegenftande, 3. B: auf einem Steine, oder Erd» 
Hofe, fügt. Die Chinejen nennen biefe Lerche „Baislin*, 
lieben ihren Geſang fehr und halten fie oft im Bauer, 

Wie der Einfiedler zieht and) die mongolifche Yerdye im 


203 


Frühling nad; Norden, nad) Transbaifalien und erzieht dort 
ihre Jungen; doch bleibt ber größte Theil in der Mongolei 
zurück. Sie baut ihe Neft, wie die euvopäifche Species, in 
einer Meinen Vertiefung des Bodens und legt 3 bie 4 Gier. 
In der mongolifcen Wilfte, wo die Kälte während des gan- 
zen Frühlings abwechfelnd eintritt, niftet die befchriebene 
Lerche fehr fpät, jo dag wir am Südoftrande ber Mongolei 
im Anfange, ja fogar noch in dev Mitte Junis ganz frifche 
Eier fanden. Zum Winter fliegt diefe Species in die Ge— 
genden der Gobi, wo entweder gar fein oder doch mur weni 
Schnee gefallen iſt. Trotz der Kälte, welche hier mandma 
bis — 37,0° E. (ja jogar nad) den in Urga gemachten 
Beobachtungen mehr) beträgt, überwintern die Perchen ſehr 
gut und Halten ſich gewöhnlich im Gebifche des „Dyrifu* 
(Lasiagrostis splendens) auf, deffen Heine Samenförner in 
dieſer Jahreszeit ihre Hauptnahrung bilden. In dieſem Um: 
ftande, welcher auch an anderen Bögeln beobadjtet worden ift, 
jehen wir einem directen Hinweis darauf, daß viele unferer 
Vögel zum Winter nicht der Froft nod) Süden treibt, fon: 
dern der Mangel an Futter, 

Die mongolifche Lerche verbreitet ſich im Süden bis an 
den nördlichen Bogen des Gelben Fluſſes (41° nördl. Br.) 
und erfcheint dann, mit Vermeidung von Ordos, Ala-fchan 
und der Öchirgägegend von Kanſu in den Steppen bes Sees 
Kufu:noor. Gleichzeitig mit der befcjriebenen Species Uber⸗ 
wintern auch in der Gobi zwei andere Lerchenſpecien 
und zwar die Otocoris albigula (Alauda pispoletta?) 
und die lappländifche Lerche (Pleetrophanes lapponica). 
Diefe fegtere findet man Übrigens in größeren Herden im 
Lande der Zadjaren, d. h. am Endoftrande der Gobi. 

Bon Säugethieren, welche diefer Wuſte eigenthümlich an- 
gehören, faun man für jegt nur zwei Charakterſpecien auflih⸗ 
ren, den Pfeifhafen und die Dferen- Antilope. 

Der Pfeifhafe (Lagomys Ogotona), oder, wie die Don» 
golen ihn nennen, der „ Ogotono“ (b, b. ber Kurzſchwänzige), 
gehört zu der Gattung von Nagern, welche nach der Con— 
firuetion ihres Gebiſſes als nahe Verwandte des Hafen 
betrachtet werben. Das Thierchen felbit erreicht die Größe 
einer gewöhnlichen Matte und lebt in Höhlen, die es ſich in 
der Erde gräbt. Der Pjeifhafe wählt zu feinem Aufenthalte 
ausſchließlich eine wiefenartige Steppe, vorziiglidy wenn fie 
hligefig ift, fowie auch die Thäler im Baifalgebirge und des 
nördlichen Striches der Mongolei. Im der unfrudjtbaren 
Wifte findet man diefes Thierchen nicht, deshalb fieht man 
es in ber mittlern und füdlichen Gobi nicht. Doc; find ihrer 
ſehr viele im ſudöſtlichen, wiefenveichen Stridye der Mongolei 
vorhanden. 

Im Allgemeinen ift der Ogotono ein jehr merlwürdiges 
Thierchen. Seine Höhlen baut er immer gemeindeweife, 
fo daf man dort, wo man cine foldje Höhle gefunden hat, 
ihrer zehn, hundert, ja ſelbſt Taufende findet. Im Winter, 
wenn große Kälte herrſcht, fommen die Ogotonen, trotzdem 
fie dein Winterfchlafe nicht unterworfen find, nicht aus ihren 
unterirdiſchen Wohnungen; kaum hat jedoch die Kälte etwas 
nacgelaffen, fo kommen fie zum Borfchein, fegen ſich vor 
dem Cingange nieder, um ſich an der Somme zu wärnen, 
oder laufen ciligft aus einer Höhle in die andere. Wähsend 
diefes Treibens hört man die Stimme des Thierchens, welche 
dem Pfeifen einer Maus ähnlich, jedoch weit ftärker iſt. Der 
arme Ogoton hat fo viele Feinde, daß cr beftändig auf feis 
ner Hut fein muß. Aus diefem Grunde ſchleicht er oft nur 
in halber Körperlänge aus der Höhle heraus und vedt den 
Kopf in die Höhe, um fich zu Überzeugen, daß er ficher fei. 
Der gemeine und der Steppenfuchs, dev Wolf, Buſſarde 
(Butes ferox), Habichte, Falten, ja fogar Adler vernichten 
alltäglich) unzählbare Mengen der hier beſchriebenen Thier— 


20 * 


204 


hen. Die Geſchicklichteit der gefiederten Näuber auf diefen 
Jagden ift erftaunlich. Ich jelbft fah ſehr oft, wie ein Buf- 
fard von oben herab mit einer folchen Schnelle auf einen 
Ogoton ftieh, daß dem Thierchen nicht Zeit blieb ſich in feine 
Höble zu duden. Einmal hat vor unferen Augen aud) ein 
Adler ein ſolches Kunftftiid ausgeführt, indem er fid, aus 
einer Höhe von mindeftens 30 bis 40 Klafter auf einen vor 
feiner Höhle figenden Bfeifhafen ftärgte. Die Buffarde näh« 
ren ſich dermaßen ausfchlichlid; von Pfeifhafen, dag fie fogar 
ihre Winterquartiere in der Gobi hauptſächlich mad) der Ans 
zahl diefer Nager einrichten, Nur die befannte Fruchtbarkeit 
der legteren rettet fie vor gänzlicher Vernichtung. 

Im Charakter des Pfeifhafen überwiegt vor Allen bie 
Neugierde. Wenn er einen herannahenden Menſchen ober 
Hund ſieht, läßt er ihm auf zehn Schritte an ſich herankonte 
men und fchlüpft dann mit Bligesjchnelle in feine Höhle. 
Aber die Neugierde erhält bald das Uebergewicht liber die 
Furcht. Nach einigen Minuten zeigt ſich wiederum am Ein: 
gange der Höhle das Köpfchen des Thierchens und es fommt 
jogleich aus ihr heraus, um feine frühere Stelle einzunehmen, 
wenn ſich der Giegenftand feiner Furcht entfernt, Der Ogos 
tono hat noch eine Eigenthümlichkeit, welche auch andere 
Arten Pfeifhafen befigen; fie beftcht darin, daß dieſe Thier- 
chen fich fiir den Winter Henvorräthe beforgen, welche fie 
am Cingange der Höhle aufftapeln. Diefes Heu fanmeln 
die Thierchen gewöhnlich gegen das Ende des Sommers; 
es wird forgfältig getvodnet und in Bündel von 4 bie 5, 
manchmal aber auch bis 10 Pfund Gewicht gebradit; es 
dient dem Pfeifhafen fowohl als Streu wie als Winterfutter. 
Dft aber ift die Mühe des Thierchens vergebens und das 
Vieh der Mongolen frißt feine Borräthe auf. In diefem 
Falle muß das Tierchen fich mit dem trodenen Graſe ber 
Wüfte, welches es in der Nähe der Höhle findet, durd) den 
Winter hindurchſtümpern. - 

Auffallend ift, daß der Pfeifhafe ſehr lange ohne Waſſer 
fein fann. Nehmen wir an, daß er im Winter fich mit 
Schnee, der hier und da gefallen ift, begnägt, und im Sommer 
mit Regenwafler; wenn das legtere nicht genügt, kommt ber 
wenn auch hier felten jallende Thau zu Hülfe Aber es 
entfteht die Frage, was der Ogoton im Paufe des Frühlings 
und Herbficd trinft, wenn in der mongolifchen Hodjebene ojt 
Monate lang feine Feuchtigkeitsniederſchläge ftatıfinden und 
die Trodenheit der Luft die äußerſte Grenze erreicht. 

Das hier beſchriebene Thierchen verbreitet fic gegen Sud 
bis an den nördlichen Bogen des Hwang-ho; weiterhin wird 
es don anderen Specien vertreten, 

Ter Djeren (Antilope gutturosa) ift eine Antilopen- 
ſpecies, welche die Größe eines gewöhnlichen Rehes erreicht, 
und gehört der Gobihochebene, befonders aber dem öftlichen, 
weniger wäftenartigen Theile derjelben, eigenthümlich an. 
Doc) trifit man diefe Antilopen auch in der weſtlichen Mon— 
golei (doch niemals in Ala-fchan, wo die Wiüfte für fie ſchon 
zu wild amd zu unfruchthar ift) und am Sce Kuku-noor, 
welcher die Ziidgrenze ihrer Verbreitung bildet. 

Dieſe Antilope lebt immer in Herden, welche mandmal 
aus einigen hundert, ja taufend Stliden beftehen. Solche 
bebeutende Anſammlung findet jedoch nur an fehr futterreichen 
Orlen ftatt, Am häufigften trifft man den Dferen in Ge: 
fellichaften von 15 bis 30 oder 40 Gremplaren. Indem 
fie nad) Möglichleit die nahe Nachbarſchaft des Menfchen 
vermeiden, leben fie dody immer auf den befleren Weiden und 
wandern wie die Mongolen von einer Stelle auf die andere, 
indem fic ſich mach der Menge der Nahrung, welche ihnen 
die Weide bietet, richten. in ſolches Ucberfiedeln findet 
häufig auf große Entfernungen und zwar befonders im 
Sommer ftatt, wenn die Dirre die Antilopen auf die reichen 


Albin Kohn: Prſchewalsti's Reiſe von Kiachta nad) Peling. 


Weiden der nördlichen Mongolei, ja ſelbſt bis im die füdlichen 
Gegenden Transbaifaliens treibt. Im Winter werden diefe 
Thiere häufig vom tiefen Schnee gezwungen, einige hundert 
Werft zu wandern, um mach Gegenden zu gelangen, im denen 
— oder gar lein Schnee liegt. 

ieſe Antilope gehört ausſchließlich der Steppenebeue an 
und meidet forgfältig Berggegenden. Doch hält ſich der 
Deren auch, beſonders im Frühlinge, in hügeligen Steppen 
auf, wohin ihn die jungen grünen Bin verloden, welche 
fich hier unter dem Cinfluffe der Sonne ſchueller entwideln. 
Sebitich und das hohe Geſtrüpp der Laſiagroſtis vermeiden 
diefe Thiere mit größter Sorgfalt; nur im Mai, während 
der Wurfzeit, fonımt das Weibehen an folde Orte, um dort 
ihre Neugeborenen zu verbergen. Diefe legteren folgen 
übrigens ſchon einige Tage nad) ihrer Geburt ihrer Mutter 
liberal hin und laufen eben fo ſchnell wie die Alten. 

Die Stimme diefes Thiered famı man nur fehr ſelten 
vernehmen; die des Männchens befteht in einem furzen, ab: 
geriffenen Blölen (die des Weibchens habe id; nicht veruom: 
men). Seine Schnelligkeit iſt bewundernswlirdig; auch feine 
intellectuelle Befähigung befindet fi auf einer ſehr hohen 
Stufe der Eutwidelung. Dank diefen Eigenſchaften wird 
der Deren nur felten eine Beute feiner Feinde, der Meuſchen 
und der Wölfe, 

Die Jagd auf ben Dſeren iſt ſehr ſchwierig, ſowohl wegen 
der Vorſicht des Thieres, als aud) wegen feiner Unempfind- 
lichkeit gegen Schmerzen. In der offenen Steppe läßt ſich 
der Dieven den Däger nicht auf mehr als filnfhundert 
Schritt nähern; wenn er aber durch Verfolgung ſcheu ger 
worben ift, fo flieht ex ſchon aus der doppelten Entfernung. 
Sid) aus irgend einem Verftede auf der Ebene herbeizu: 
ſchleichen, ift auch ein fehr rielantes Unternehmen, dein dies 
fes Thier wermeibet forgfältig folde Stellen Nur im der 
bergigen Steppe gelingt es, fi dem Dferen bi® auf drei: 
hundert, im feltenen Fällen felbft auf zweihundert Schritt 
oder auf noch geringere Diftanz zu mahen; aber auch dann 
fan man nicht ficher auf feine Beute rechnen. Denn ans 
genommen, man trifft ben Deren mit einer guten Büchſe 
aus einer Entfernung von zweihundert Schritt, aber nicht 
in den Kopf, das Herz oder Ruckgrat, fo entflicht ev, felbft 
wenn er tödtlich verwundet ift, und geht oft jür den Däger 
verloren. Mit einem durchſchoſſenen Fuße flieht er noch jo 
ſchnell, daß man ihn felbft auf einem guten Pferde nicht cin- 
holen lann. Zur Jagd ift durchaus cine Blidyfe mit großer 
Tragweite und hohem Biſir nothwendig. Diefer Umftand 
ift ſehr wichtig, da beim Schießen auf bedeutende Entjernung 
die Diſtanz nicht geman angegeben werden kann und die Hu: 
gel einmal fiber das Thier himwegfliegt, ein anderes Mal 
vor ihm in die Erde ſchlägt. Ebenſo ift zur Buchſe durdys 
aus eine Stüge nothwendig, wie fie von allen fibirifchen 
Jägern gebracht wird; ohne eine ſolche Stüge ift cs unmög: 
lid, aus größerer Entfernung und wenn man lange und 
ſchnell geht, ficher zu ſchießen, da dann im Folge des jchuels 
lern Blutumlaufes die Hand die Waffe bei Weiten nicht 
fo feft hält, wie es beim ruhigen Stehen der Fall if. Mit 
einen Worte, beim erſten Schritte, den man in die afiatijche 
Wüfte thut, muß der Däger feine europäiſche Praftit ver- 
geilen und Vieles von den Jägern der Gegend erlernen, 

Die Mongolen jagen den Dferen mit ihren ſchlechten 
Lunlenflinten folgendermaßen. Im der Steppe, in welcher 
ſich viele Antilopen befinden, graben die Jäger in beftimm: 
ter Entfernung von einander Feine Löcher und zeigen ſich 
nun einige Wochen nicht in der Gegend, damit die Thiere 
fi) am die Löcher gewöhnen, welche anfangs immer cin 
großes Miftranen in ihmen erweden. Hierauf reiten die 
Jäger am die vorbereitete Stelle und fteigen in die Löcher, 


Entjtehung und Entwidelung der deutſchen Golonien Santa Eruz und Mont Alverne. 205 


während andere, ihre Gefährten, indem fie ich mad) dem | wegen ihres ſchmackhaften Fleiſches, wie auch wegen des Fel— 
Winde vidyten, die Antilopen dem Hinterhalte zutreiben, vom | les, das zu Winterfleidung benugt wird, eifrig verfolgt. 
wo aus die Thiere aus einer Entfernung von funfzig Schrit- Uebrigens tragen die Nomaden jelten ui (mit dem Haare 
ten, häufig fogar aus noch größerer Nähe, erlegt werden. | mac außen), ſondern verkaufen fie unferen Kaufleuten in Urga 
Die Treiber müffen jehr gelibt fein umd den Charakter des | oder Kiadıta, Außer der Jagd mit dem Gewehre bedienen 
Dieren genau kennen, denn fonft ift alle Mühe vergebens. | ſich die Mongolen noch anderer Mittel, um Yutilopen zu 
So darf z. B. der Reiter nicht geradezu auf die Thiere los- fangen; fie machen zu diefem Behufe aus Dyrifu (Vajiagro- 
gehen; deum im diefem Falle flürzen fie fi vorwärts auf | ftis) Ballen, welche die Geftalt von Schuhen haben. Wenn 
ihn und entlaufen oft in der emtgegengejegten Richtung. | ein Thier mit dem Fuße in einen folden Schuh tritt, fo 
Gewöhnlich reiten die Treiber weit ab von den Thieren, ſchneidet und fticht ihm derfelbe den Fuß dermaßen, daß es 
nähern ſich ihnen laugſam umd thun, als ob fie fie gar nicht | ftark zu lahmen beginnt, ja oftmals gar unicht weiter gehen 
beobachten, fie haften oft an, reiten daun wieder im Schritte in | Tann. 
einer andern Richtung und treiben fo die Herde langſam vor Auer dem Menſchen vertilgen die Wölfe fehr ftark die 
ſich her, bis fie fie endlid am die,Berftede der Schüigen bringen. | Untilopen, denn fie machen, wie die Mongolen jagen, herden- 
Die Nomaden haben noch eine zweite Art Antilopenjagd, | weife förmliche Treibjagden. Endlich herrſcht audy unter 
welche folgendermaßen betrieben wird, Der Mongole bes | den Antilopen mandmal eine Krankheit, der viele erliegen, 
fteigt ein ruhiges, zur Jagd abgerichtetes Kamel nnd reitet | wie ich mich felbft im Winter 1871 überzeugt habe. 
in die Steppe. Sobald er Antilopen erblicdt, fteigt er ab Während unferer Reife nach Kalgan ſahen wir das erfte 
und bewegt ſich, indem er jein Thier am Ziigel führt, lang: | Mal etwa 350 Werft hinter Urga Antilopen. Ich brauche 
fan vorwärts auf die Thiere zu, wobei er bemüht iſt, ſich micht zu fagen, welden Eindrud die Herden diefer von und 
hinter dem Körper des Kameels zu verſtecken und mit ihm | mie zuvor gefehenen Thiere auf uns gemacht haben. Wir 
im Tacte zu fchreiten. Die Antilopen werben anfangs | jagten zum größten Aerger unferer Mongolen, welche, gern 
ftugig, da fie aber nur das Kameel fehen, das einförmig | oder ungern, gezwungen waren, oftmals ſſundenlang mit der 
daberjchreitet und dabei graft, jo laſſen fie dem verftedten | Karamane auf uns zu warten, ganze Tage hinter ihnen her. 
Yäger auf hundert Schritt, ja jogar noch näher herankommen, | Das Murren unferer Fuhrleute erreichte den höchſten Grad 
Gegen Ende des Sommers, im der Brunftzeit, find die | und legte ſich erft, als wir ihmen das Fleiſch einer der er- 
Antilopen fehr fett und werden dann von den Mongolen | legten Antilopen fchenkten. 


Entftehung und Entwidelung der deutfhen Golonien Santa Eruz umd 
Mont’ Alverne. 


Bon Oscar Cannfatt, 


Santa Cruz mit feiner Nebencolonie Mont’ Alverne ift 
eine der enffernteren deutſchen Auſiedelungen der Provinz 
Dom Pebro Rio Grande do Sul und liegt fo zu fagen am 
äußerten Saume des Hochlandes, der Cofta da Serra, wo 
es ſich hauptſächlich von Süden nad) Norden hin ausdehnt. 

Das Gebeihen von S. Yeopoldo, jener befannten An: 
fiedelung in ber Nähe der Brovinzialhauptftadt Porto Alegre, 
bes eigentlichen Stodes der jübbrafilianifchen deutſchen Colo⸗ 
nien (1824 gegründet), mochte wohl hauptſächlich zur Ghritn- 
dung einer zweiten Colonie anregen. Auch die Gegend und 
Bodenbeichaffenheit, melde der von ©, Yeopoldo nicht un: 
ähmlic find, verlodten zur Golonifation. Nicht allzufern 
von dem fchiffbaren Jacuhy glaubte man jchließlich, in ©. 
Eruz durch den die Colonie durchfirönenden Rio Pardinho, 
welcher allerdings erſt der Schifffahrt zugänglich gemacht 
werden follte, für den Verkehr die allerglinftigiten Verhält- 
niffe gefunden zu haben. Im Jahre 1848 wurde daher die 
Gründung der Gofonie durch deu damaligen Präfidenten 
ber Provinz, Marſchall Andrea, in Ausficht geftellt und 
1849 thatjächlich mit der Golonifation durch die von cimem 
gewiffen Ingenieur, Abel da Camara, hergeftellte ſoge— 
naunte Serraſtraße und die Anfiedelung von dreischn deut⸗ 
ſchen Einwanderern daſelbſt begonnen. 

Obgleich, man zur Oeffnung diefer Serraftraße bie 


hatte, war die Herflellung ber Commmnication mit der Serra 
duch jene Straße durchaus feine Bedingung flir das. Ge · 
deihen und Emporblühen der Colonie. Beiläufig erwähnt, 
hatte der oben genannte Ingenieur, um den Beweis ber 
Vollendung feiner Arbeit zu liefern und die contrahirte 
Summe in Empfang zu nehmen, cine Carrete (brafiliani- 
ſches zweiräderiges Fuhrwert) zerlegen und auf dem Rliden 
von Maufthieren bis zum fogenannten Parebio, dein äußer— 
ften Punlte, faft auf dem Gipfel der Serra, trandportiren 
laffen, wo biefelbe zuſammengeſetzt, aufgeftelt und jpäter 
bei Nevifion ber Arbeiten dem Regierungecommiffär zur Bes 
glaubigung der Fahrbarkeit des Weges gezeigt wurde, — 
Die Straße ift feit jener Zeit zur Hälfte wieder verwachſen 
und unpaffirbar, gefdjweige daß fie als Fahrweg mad) der 
Serra benugt würde. — Den ersten dreizehn Coloniften 
folgten fchon im Februar 1850 59 andere und im Decem— 
ber deſſelben Jahres abermals 17 Perſonen. Alle diefe Co— 
foniften wurden auf dem 2,100,000 Qmadrat-®ragen (rund 
4000 preußiſche Diorgen) großen Grundſtück untergebradıt, 
welches zuerft 1822 im Bejig eines gewiſſen Joäo de Fa⸗ 
rias Nofa fid) befand, von weldyen es an den Commen— 
dador Antonio Martins da Eruz überging, um durd) 
ein Provinzialgefeg (Nr. 248 vom 25. November 1852) 
volftändig durch vorherige Erpropriation zur Provinzial- 
enorme Eumme von 80 Gontos de Reis (224,800 Aran- | colonifation verwendet zu werden, Bon jenem legten Eigens 
fen; 1 Milreis zu 1000 Reis gleid) 2,25 Mart; 1000 | thümer mag die Colonie auch den Namen Santa Ernz be 
Milreis bezeichnet man mit 1 Cotto de Reis) vergendet | lommen haben, wenn nicht, wie laum anzunehmen, der Name 


rn: 


206 


eine Neminifcenz an die frühere Totalbenennung von Bras 
filien, ald dem „Lande von S. Cruz“, fein fol. Die offie 
cielle Benennung der Povoagao von S. Cruz (des heutigen 
Stadtplages) ift „Faxinal de João de Farias“. Dieles 
Farinal oter der Stadtplag wurde in den Jahren 1852 
bis 1855 vermeflen, eingeteilt und mit Marten verjehen, 
um fo den Mittelpunft der vingsummer fich ausdehnenden 
Anficdelungen zu bilden. Das Land wurde hier nicht in 
Golonies, fondern vorzugäweie in Hausplätze eingetheilt. 
Nach Art der nordamerilaniſchen Anfiedelungen wurden 
Duadrate, abgeftedt, deren jedes eine beftimmte Anzahl von 
Hansplägen enthielt, während eines ber gleichjeitigen Vier: 
ede für einen fogenannten Pogradour Publico iu Reſerve ge 
halten wurde. 

Die 23 Duadrate haben 60 Bragen auf jeder Seite 
(1 Braga = 7,00961 preuß. Fuß) und enthalten 528 Haus · 
pläge, von denen 498 wirklich zu Privathausplägen verwen- 
det werden, während 8 davon zu Sirden und 22 als Lo— 
gradour (das heit: öffentlicher, befier Gemeindeplatz, An- 
ger) dienen folten. Die Yage des Farinals bot infofern 
einige Bortheile, als das Terrain ein etwas ebeneres war, 
als in den übrigen Theilen der Colonie, und dicht am Camp 
lag, wo eine bereits fahrbare Straße zur ftetigen Communis 
cation mit der Municipalhauptftadt Nio Pardo diente, von 
wo die Damıpfer auf dem breiten Rio Yacuhy dem directen 
Verkehr mit Porto Alegre vermittelten, 

Die Anlage der ganzen Golonie war im Allgemeinen 
eine durchaus beglinftigte. Bereits im Jahre 1851, alfo 
zwei Jahre nady Eröffnung der erften Picade, fanden ſich 
145 Perfonen ein, weldye, theils eben in Brafilien eingewan- 
dert, theils Söhne von ©. Yeopoldenfer Aufiedlern, Colonie 
pläge in S. Cruz verlangten. Um aber der fo fehnell in 
Aufnahme gelonmmenen deutjchen Colonie einen noch geößern 
und ſchnellern Aufſchwung zu verfchaffen, ſchloß der dama— 
lige Provinzial: Vicepräfident, Dr. Yuiz Alves Leite de 
Oliveiro, mit einem dort angeficdelten Deutichen, Namens 
P. Kleudgen, einen Contract ab, nad; weldyem legterer 
ſich verpflicytete, binnen zwei Jahren 2000 Goloniften her: 
beizuſchaffen. Der Erfüllung einer fold; großen Aufgabe 
traten indeffen nicht allein pecuniäre und Transportſchwie⸗ 
rigfeiten, fondern vorzugsieife die Vorurtheile der deutfchen 
Vehörden in jeder Weije hindernd in den Weg. Kleudgen 
that zwar das Möglic;fte, dod; wollte es ibm nicht gelins 
gen, den geleifteten Berfprechungen nachzufommen. Aber felbft 
die nur halbausgeführte Sache bradjte der jungen Golonie 
einen nicht unerheblichen Zufluß von Yeuten und Capitalien. 
Die Zahl der nach drei Jahren (1854) wohl hauptſüchlich 
auf Kleudgen's Veranlaſſung herübergeflommenen Goloniften 
belief fich ſchon auf die beträchtliche Summe von 891 Per— 
fonen. Die erften etwa 600 Kleudgen'ſchen Goloniften er» 
hielten Teine directen Subfidien von der Regierung; dennod) 
beliefen ſich die Koften der Provinzialregierung bis Ende 
1554 an Vermeflungsipefen, Directionsgehalten u. ſ. w. 
auf 90 Contos de Reis (252,900 Franc), jo daß jeder 
einzelne Colonift im Durchſchnitt etwa 100 Milreis (281 
trance) foftete. 

Analog den alten S. Yeopoldenjer Eoloniepicaden wurde 
©. Cruz in gleicher Weife mit Picaden (Durchhaue, meift 
geradlinig) verfehen umd in diefen zu beiden Seiten nad) 
Golonieplägen eingetheilt. Man vergegemwärtigt ſich eine 
ſolche Picade am beften durch ein langgeftvedtes Dorf, in 
weldyem nur ab und zu zu beiden Seiten der Strafe Häu— 
fer auftauchen. Die Fronten der einzelnen Looſe variiren 
hierbei meift zwiſchen 100 und 200 Bracas (700 bis 1400 
preuß. Fuß) Breite und 1000 bis 1500 Bragas (7000 
bis 10,500 Fuß) Länge. 


Entftehung und Entwickelung der deutichen Golonien Santa Eruz und Mont’ Alverne. 


Ie nad Umständen find hierbei die Picaden bald auf 
dem Rüden der Bergglirtel, bald auf dev Sohle der engen 
aber langgezogenen Thäler amgelegt, Das Bild, welches 
ein folcher Goloniecompler bietet, leidet durch die ſich jaft 
liberal gleichbleibende Anlage zwar fehr an landſchaftlicher 
Monotonie, doch ift es vortheilhaft für die Vewohner einer 
Picade. Da Leder nahe an der Berbindungaftrage wohnt 
und mit Ausnahme des Außerften Coloniſten zu beiden Sei- 
ten feines Gehöftes Nachbaren hat, ſo ift der gefellige Ber 
lehr jelbft in den entfernteften Gegenden möglich und- in 
etwaigen Fällen dev Noth ſchnell bei den benachbarten Colo- 
niften Hllfe zu finden, 

Nachdem nun erſt eine gewille Anzahl von Leuten jeften 
Wohnfig im ber menen Colonie genommen hatte, wurde bald 
daran gedacht für Kirchen und Eulen zu ſorgen. Da man 
bei den verhältnigmäßig geringen Mitteln der Gemeinde 
aber orbinirte Geiftliche zur Leberfiedelung von Deutfchtand 
nad) Brafitien in der erften Zeit nicht bewegen fonnte, fo 
wurde ein ehemaliger preußiſcher Hähnric) als proteftantifcher 
Prediger engagirt, der lange genug diefes Amt, wenn and 
nicht immer im Sinne eines wirklichen Theologen, verſehen 
hat. Der Dann ift heute Viehhändler. Der Bau einer 
Kirche ſcheiterte, obgleich 4 Contos de Reis von der Negie- 
rung 1852 dafür bewilligt waren, am dem Mangel allen 
Zufammenhaftes unter ben Deutſchen. Bon da ab erfuhr 
übrigens die Eolonie merflid, weniger Berglinftigumgen, als 
ehemals ©, Yeopoldo und jene Anſiedler. Mit den Pro- 
vinzialbecret vom 5. December 1851 glaubte man genug 
file die deutfche Einwanderung gethan zu haben. Man hatte 
nur leider dabei überfehen, daß die meiften der becretirten 
Artikel bloß auf dem Papiere ftanden, in Wirflichleit aber 
von deren Ausführung wenig zu hören und zu fehen war. 
Wir können füglid von einer Anführung mıd Kritif des 
betreffenden Gefetzes abfehen, da es längft durch andere Be— 
ſtimmungen erjegt ift, und erwähnen nur, dag Dank dem 
richtigen Urtheile des Präfidenten Sinimbuü die Einwande: 
rung durd) die verheißenden Worte der einzelnen Geſetzes— 
artite wefentlic, gefördert wurde, 

Das eigentliche Wachsthum und Emporblühen der Colo— 
nie batirt nun vom Jahre 1855 ab. Im dem Jahrzehnt 
von 1855 bis 1865 hob ſich der Goloniecompler auf den 
heutigen Stand. Im jenem Zeitraum finden wir and) zum 
erften Male nad) einander verjchiedene Directoren an der 
Spige der Colonteverwaltung ftehen, deren Namen für die 
mit den Berjönlichkeiten unbefannten Leſer faum Intereſſe 
haben dürften. Bemerlenswerth erfcheint nur der Umftand, 
daß diefe Beamten, wie es durchgehends im dem romaniſchen 
Staaten mit den meilten höheren Beamtenclaffen der Fall 
zu fein pflegt, mit der Partei, welche fid, momentan in Rio 
de Janeiro oder in Porto Alegre am Ruder befand, wechſel⸗ 
ten. Es dürfte übrigens hier am Plage fein, die Aufgabe 
und Thätigfeit eines ſolchen Goloniedivectors etwas näher 
zu erläutern. Zunächſt machte fich für die Negierung bei 
Gründung von Golonien die Nothwendigfeit geltend, in der 
Nähe des Plages oder beffer noch an dem Orte ſelbſt einen 
Beamter eimzufegen, der die Eintheilung, Bermeſſung umd 
Austheilung der einzelnen Yoofe beforgte, Dies follte die 
Dauptaufgabe des Directors fein. Nachſidem war es nöthig, 
einen höhern Beamten am Orte zu haben, der als Dolmet- 
ſcher jungirte, um die Beichwerden, Witten, Geſuche u. ſ. w. 
der hauptſächlich deutjchen Coloniften an die brafilianiichen 
Behörden zu vermitteln, da der gewöhnliche Golonift noch 
nad) Jahren nicht und im dem meiften Fällen faft nie ber 
Yandesipradye, des Portugiefifchen, fo weit mächtig wird, um 
ſich ſchriftlich verftändlid; machen zu fünnen. Ferner war 
es cine Nothwendigleit, einen eine Behörde repräfenircnden 


Aus allen Erdtheilen. 


einzelnen Beamten zur Schlichtung und Beilegung nicht zu 
vermeidender Streitigleiten zur Stelle zu haben, ferner um 
fir die zwedmäßige Anlage von Commumicationswegen und 
Brüden in der Colonie zu forgen und die Keftaurirung und 
Renopirung alter Anlagen zu Überwachen. Alle diefe Fune⸗- 
tionen wurden zuerſt den Coloniedirectoren liberwiefen. 

Im neueſter Zeit find zu biefen Wrbeiten noch eine 
Menge weitläufiger Scyreibereien gelommen, deren geringer 
Werth die Nachtheile fauım aufwiegt, welche durch die natlir- 
liche Bernadjläffigung des äußern VBerwaltungsdienftes ent: 
ftehen. In vielen Fällen befleidet auch noch der Director 
nebenbei das Aut eines Juiz de Paz (Friedensrichter) oder 
eined Subdelegado (Polizeicommiffär), was ‚wir durchaus 
nicht gutheißen fünnen, da er als folder befugt ift, Strafen 
über die Leute zu verhängen ohme jede andere richterliche 
Nebencontrole. Indeſſen läßt ſich bei der Iolirung eines 
Goloniedirectord weniger dagegen, als für Lebertragung eines 
Richteramts an feine Perfon fagen. Sehr mißlich find 
nämlich folche Poften ohme amtliche Gewalt, wo der Sit bes 
Subdelegados viele Meilen von der Colonie entfernt und 
unter den Coloniſten feine Suborbimation zu finden ift. Die 
Regelung der Verwaltung ift eben eine ungemein ſchwierige. 

Der richtigſte Weg für das Colonialregime wäre viel» 
leicht der, nach vollendeter Bermeffung und Chartirung des 
Eoloniediftrictes den Poften eines Coloniedirectors unbeſetzt 
zu laffen, ‘den anfommenden Cimvanderern aber ſchon im 
Hafen durch den Generaldirector und Dolmetjceragenten 
(dies ift der Titel des oberjten deutſchen Provinzialbeamten) 
ihr zufünftiges Colonieloos nad, Einficht von möglichft zu 
vervollfommmenden Karten anzuweiſen. Hierzu erhielte der 
nene Ankömmling eine Anweifung, nad) deren Einſicht die 
Gemeinde refp. Colonievorftand, wozu event. der ältefte oder 
zuverläffigfte Colonift am Orte gewählt wiirde, das Yand 
dem fünftigen Befiger unter Begehung der Örenzen deſſelben 
iiberwiefen. Alle übrigen Geſchäfte wiirden wir am liebften 
den Händen eines umparteiifchen und guten Subdelegaben 


Aus allen 


Die Eingeborenen von Weftauftralien. 


H. G. Der befaunte weſtauſtraliſche Reifende John 
Forreft giebt über die Eingeborcnen feiner Eolonie, welche 
er auf jeinen drei Reifen im Buſh kennen lernte, folgende 
Mittheilungen. Die Eingeborenen Weftanjtraliens zerfallen 
im die zwei großen Stämme der Jornderuß und der Ballavoof, 
welche aber wieder vielfach geipalten find. Beide Stämme 
verheiratben ich nie im fich, jondern nur unter fich (Eroga: 
mie). Gin Jornderuß beirathet nie eine Jornderuß, jondern 
nur eine Ballavoof, und jo umgekehrt. Die meiiten Streitig- 
feiten unter ihnen vejultiren daher auch aus dem Diebftahl 
von rauen, und wicht jelten werden letztere dabei verwundet 
oder getödtet, Wenn ein Ehemann ftirbt, jo vererbt ſich deſſen 
Fran auf den älteften Dann ber Familie, welcher fie emtr 
weder heirathet oder einem Andern ſcheuken darf. Sie waſchen 
ſich nicht, fondern befchmieren fich mit Oder, um die Fliegen 
abzubalten. Es iſt allgemein Sitte, fid zu tättowiren und 
Bruft und Schulter zu marfiren. Mit Ausnahme der Ein: 
geborenen, melde im ber ſüdweſtlichen Ede von Auftralien 
wohnen, wird der Ritus der Beichneidung von allen Stäm- 
men, die ich auf meinen vielen Reifen im Buſh antraf, beob- 
achtet. Es ift eine religiöfe Ceremonie, und Männer und 
Frauen trennen fich dabei auf vierzehn Tage. Die Eingebo- 


207 


anvertraut ſehen. Herr von Koſeritz, der frühere Dol- 
metjcheragent, dem wir dieſe unfere Anſicht mittheilten, meint 
indeffen, daß eine ſolche Mafregel bei der Organifation ber 
bortigen Polizei weder gefeglich zuläffig noch praftifch fei. 

a durchaus fein beftimmtes "Dienftreglement filr die 
Eoloniedirectoren beftcht, und felbft die Coloniſten bis heute 
noch nicht wiffen, wie weit die Befugnifle eines folchen Beam— 
ten gehen, fo ift e8 nicht zu verwundern, daß von Ceite 
feiner Borgefegten wie feiner Untergebenen oft Anforberun: 
gen an den Director geftellt werden, die aus Unglaubliche 
grenzen. Es ift Factum, daß einft bei dem Mangel eines 
Arztes in einem der beiden Coloniediftricte von Monte Al» 
verne oder S. Cruz dem Director von einem Coloniften zu— 
gemuthet wurde, die Entbindung feiner eben niederlommenden 
Frau zu leiten, Auch Lymphe wurde den Directoren ſchon 
rn von Seiten der Regierung officiell zugeftellt, um die 

oloniften zu impfen. Nebenbei ift der Gehalt eines ſolchen 
Directors cin fehr jämmerlicher für brafilianifche Berhälts 
niffe. Während jonft die Gelder der Provinzialcafie geradezu 
mit vollen Händen weggeworfen werben (ich erinnere bloß 
an bie Eingangs erwähnte Eröffnung der Serraſtraße), 
fucht man an diefen „Univerfalbeamten ber Colonie“ nad) 
Möglichkeit zu fparen. Durchſchnittlich erhält nämlich ein 
Provinzialcolonicdirector 1400 Milreit (etwa 1050 preuf. 
Thaler), eine Summe, mit welcher ex faum allein, geſchweige 
mit Familie ftandesgemäß eriftiven fann. Man ſcheint aud) 
bei der Dotirung diefer Stellen von dem Princip ausgegan- 
en zu fein, daß ein Regierungsbeamter fon fonft mod) 
tel und Wege finden wird, ſich auf Koften des Staates 
bezahlt zu machen, eine in Brafilien fehr verbreitete Anficht. 
Wie wir felbft aus brafilianifcen Munde vernommen, 
betrachtet man es auch nicht als Unrecht, den Staatsfädel 
zu betrügen oder zu Ubervortheilen. Der Werth des Men— 
ſchen beziffert fid, meift nadı dem Erwerb und je nach dem 
ift — wie eben die Einnahme abgefchägt wird — ein Beam: 
ter mais intelligente oder muito intelligente! 


Erdtheilen. 


renen nach dem mern am geben vollftändig nadt und 
baben von der Witterung viel zu leiden. Sie fchlafen unter 
freiem Himmel und mer in der naſſen Jahreszeit bauen fie 
ſich Heine Hütten. Es feheint mir, daß fie an cine Art hö— 
bern Weſens glauben, aber ich kann nichts Näheres darüber 
angeben. Am Südweften von Auftralien ift der Name für 
Vater und Mutter derjelbe, wie fir Gott und Sonne Bon 
einem natürlichen Tode wollen fie nichts wiſſen, fondern 
nehmen an, daf immer irgend ein Eingeborener, den fie 
daher nicht felten tödten, die Urfache deſſelben ift. Canniba— 
lismus herrſcht allgemein unter den Eingeborenen des Innern. 
Ihre Waffen find mit denen, welche in anderen Theilen Au— 
ftraliens gebraucht werden, identiſch. 


Parlamentarifhes aus Melbourne. 

U.G. Es iſt ein gutes Zeichen der Selbſterkeuntniß, 
wenn einzelne Mitglieder der anftralifchen Parlamente anfan- 
gen, fich ihrer Geſellſchaft zu ſchämen, nachdem fernftehende 
Perfonen an dem unparlamentarifchen Treiben ſchon lüngft 
Elel empfunden haben. Der politiſche Parteiunterſchied von 
Zoried und Whigs, Gonfervativen und Liberalen, eriftirt 
in Auftealien nicht, es giebt dort nur eine politifche Partei, 
wenn man fie überhaupt noch eine politische nennen barf. 


208 


Sie beruht auf dem Principe des crafjeiten Eigennutzes und 
ipaltet ſich eben darum in die fogenaunten Ins und Outs. 
Die Ins find diejenigen, welche die Negierungsfige mit deren 
Emolumenten inne haben, die Outs die, welche davon momen- 
tam ausgeſchloſſen find und jie haben wollen. Dieje ewigen 
Kämpfe machen den Varlamentarismus verächtlich , uud die 
gemeinen Scenen, welche in den Hallen, wo das allgemeine 
Volkswohl berathen werden joll, zu Tage fommen, enpören, 
So ein Scandal der Outs gegen die Ins, um ſich deren Site 
zu bemächtigen, pallirte wieder in Melbourne in der Parla- 
mentsfisung vom 30, November 1875. Ein hervorragendes 
Mitglied, Mr. Siginbotham, welchem die Vorgänge denn doch 
zu arg wurden, erhob Sich, um feine Collegen mit folgenden 
Worten zu beehren: „Es ift eine nicht anzuzweifelnde That: 
fache, daß dat Parlament in der Achtung feiner Wähler fo 
tief geſunken ift, dak man anfängt ſich zu fragen, ob nicht 
das conjtitutionelle Regime in diefem Lande Fiadco gemacht 
bat. Ich ſchreibe dieſen Zuftand jenem nichtswilrdigen Um— 
ftande zu, daß die eine Partei (d. b. die Duts) immer und 
ewig fich abmüht, die Ehre und das Anfeben der andern 
(d. b. der Ins) todt zu machen, um über derem Leichen in 
deren Site (d. i. deren Emolumente) einzuſpringen.“ 

Dies Bekenntniß ift eben jo charakteriftiich, wie es offen 
und ehrlich ausgeſprochen ift. 

Ebenfo fchreibt man aus Neuſeeland: „Das Parlament 
ift endlich prorogirt. Die lange Seſſion hat in Feiner Weiſe 
befriedigt, obgleich fie der Colonie 33,000 Pf. St. für Zah— 
lung von Diäten an die Parlamentsmitglieder gefoftet hat. 
Zwei Drittel der Sigungen wurden mit eitel Geſchwätz, Partei: 
intriguen und perfünlichen Reeriminationen verbracht,“ 


* * %* 


— Mehrfach erwähnten wir der Reiſe Soſnowski's 
von Hau⸗kau quer durch China Über Lau⸗tſchau⸗fu, Süstichau, 
Chami, Barkul und den Satfan:Poften nad Sibirien. Die 
Refultate diefer hauptſächlich im commerciellen Intereffe un: 
ternommenen Reife find anſcheinend bebeutend; fo enthält die 
in großem Mafftabe angelegte Reifebefchreibung gegen 400 
Photograpbien von Landichaften, Typen, Monumenten u. ſ. w., 
und die von Matufowsti, dem befannten Erforfcher der 
weftlichen Mongolei und Soſnowski's geograpbifchem Beglei- 
ter, aufgenommene Karte der ganzen, jo höchſt intereffanten 
Route quer über das immerafiatiiche Hochland hat eine Länge 
von nicht weniger ald 15 Faden. Alles gefammelte Material 
wird zumäcjt im Palafte des Minifters des Innern in 
St. Petersburg ausgeftellt werben. 

Prſchewalski, defien Reifen in Hochaſien unfere Leſer 
durch mehrfache Auffäse im vorigen und im laufenden Bande 
kennen, arbeitet zur Zeit in ländlicher Zurlidgesogenbeit an 
dem naturmilfenichaftlichen Theile feines Werkes, um denfel: 
ben bis zum Sommer fertig zu ſtellen. Dann will er ſich 
auf eine zweite noch größere Reife begeben, deren Ziel nichts 
Geringeres fein ſoll als die Erforihung von Mittelafien 
zwifchen Ala⸗ſchan im Oſten, Kaſchgar und Yarland im We: 
ften, dem Tian-schan im Norden und Laffa im Süden, 
Wenn er auch dies Programm unmöglich ganz ausführen 
faun, jo wäre doch fchon ein Beſuch des Lob-Sces im Een: 
trum jenes Gebietes von höchſtem Jutereſſe. 

— Nach den letzten Nachrichten von Fidfchi fcheinen 
auf Viti Levu, der größten nel diefes Archipelt, Unruhen 


im Anzuge zu fein, Im ſüdweſtlichen Diftricte von Biti Levu 


Aus allen Erdtheilen. 


herrſchte ber einflufreiche Häuptling Ratu Kimi, weicher ſich 
feiner Zeit mit Erkönig Calobau zu Gunſten der Abtretung 
des Ardipels an England verbunden hatte Aber Ratu 
Kini ftarb in der großen Maferuepibentie, und feit feinem 
Tode hat der Stamm, welchen er beherrichte, das Ebriften- 
thum wieder aufgegeben, ift zum alten Heidentbum zurüd: 
gekehrt und bat eine feindliche Stellung gegen die englifche 
Regierung angenommen. Sie hatten auch von dem Tode des 
Gommodore Goodenougb, welcher im Auguft 1875 auf Santa 
Eruz ermordet wurde, gehört und ſahen denfelben als ein 
günftiges Omen im ihrer Auflehuuug an. Unbelannt mit 
diefer Stimmung der Eingeborenen miethete im Novenber 
vorigen Jahres eine Sefeitihaft weißer Koloniften einen Nei- 
nen Dampfer, um damit von Levuka ans den Singatoko-Fluf 
hinaufzufahren und die ſchönen Plateaus feiner Ufer näher 
zu erforichen, Als man jedoch bei dem erften Dorfe anlangte, 
erfuhr man, daß Taufende der Eingeborenen, wohlbemwaffnet 
und zum Kampfe bereit, von den Bergen berabeilten. Unter 
jolhen Umftänden bielten es die Reiſenden für geratben, auf 
ihrem Dampfer eiligft nach Levuka zurüdzutehren. Vielleicht 
vermutheten auch bie Eingeborenen, daß die Weißen gefommen 
feien, um von ihrem Lande Beſitz zu ergreifen. In diefem 
Punkte haben die Eoloniften den armen Infulanern nur zu 
oft ſchon das fehreiendfte Unrecht zugefügt. 

Mau verhehlt fich in Levufa die Bedeutung einer Colli: 
fion mit den wilden Bergbewohnern wicht. Der Gouvernenr 
Sir Arthur Gordon iſt ein euergiſcher Mann und wird, 
wenn gütliche Wege — und dabei wird er ſich der Vermitter 
fung des Erkönigs Cafoban und anderer befreundeter Häupt: 
linge bedienen — nicht helfen, mit aller Energie die Bewegung 
zu bemeiftern wiſſen. 

— Die geologiſche und zugleich geographiſche Aufnahme 
von Californien ſtand unter der Leitung des berühmten Geo— 
logen Whitney, wurde aber, nachdem nur wenig von den 
Refultaten, darunter eine ſchöne Geſammtkarte von Ealifor: 
nien und Nevada, erichienen war, eingeftellt, weil der Staat 
jebe weitere Unterjtügung verfagte, zum großen Bedauern 
aller Fachleute. Um fo erfreulicher ift folgende Nachricht, 
welche die „California Staatözeitung* vom 28, December 
1875 bringt. „Unfere Academy of Sciences hat befchloffen, 
die Fortfegung des State Geological Survey der Legislatur 
zu empfehlen. Es ift eine Schande, daß bie Arbeiten über: 
haupt unterbrochen wurden, Was Prof. Whitnen geleiftet, 
ift allgemein befanut. Eine Dienge des werthvolliten Ma: 
terials für Botanik, Geologie und alle Branchen der Natur: 
geichichte liegt unbenutzt da, uud lann wegen Mangel an 
Fonds nicht gedrudt werben. Mit geringen Zuſchüſſen Fönnte 
unfer Staat ein Sammelwerk berftellen, wie es fein anderer 
Staat der Union bat. Werden diefe Bewilligungen nicht 
gemacht, gehen die Reſultate oftipieliger Arbeiten verloren, 
und alles früher ansgegebene Geld ift zum Feuſter hinaus 
geworfen.* 

— Die zur Beitrafung der eingeborenen Mörder des 
Telegrapheninfpectors Johnfton auf der Station Daly War 
ters (Sübdauftralien) nach dem Roper:Fluffe abgeſchickten acht 
Gensdarmen („Globus XXVII, S. 271), denen ſich eine 
gleiche Anzahl von Privaten angeichloffen batte, find im letz 
ten September nah Bort Darwin zurldgelehrt. Sie baben 
zwei Hänptlinge erfchoffen und drei Eingeborene als bes 
Mordes verbädtig eingefangen. Webrigens ift nachträglich 
noch einer der beiden Begleiter des Jobnfton, mit Namen 
Nidarde, an den erhaltenen Speerwunden geftorben. 


Inhalt: Dr. Morice's Reife in Franzöfiih Cochinchina. I. (Mit fünf Abbildungen.) — Die Rohlfs' ſche Er- 


pedition zur Erforfchung der Libyichen Wüfte im Winter 1875/1874, 
Von Albin Kohn. II. — 
Golonien Santa Cruz und Mont’ Alverne. Bon Dscar Cannſtatt. — 


— Prichewalsti's Reife von Kiachta nach Beling. 


Von Paul Aſcherſon, Mitglied der Erpedition. III. 
Entſtehung und Entwidelung der deutſchen 
Aus allen Erdtheilen: Die Eingeborenen von 


Beftauftralien. — Parlamentariiches ans Melbourne. — Verſchiedeues. — (Schluß der Redaction 12. März 1976.) 


Retucheur: Dr. R. Riepert in Berlin, S. W. Lindenſtraße 13, III Tr. 
Drud und Berlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunfdhmeig- 


ES ER 
] \ 
\ N s-5- 


Band XXIX. \ > 






Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 


Vegründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 











Braunſchweig 


Jährlich 2 Bände à 24 Nummern, Durch alle Buchhandlungen und Poſtanſtalten 
zum Preije von 12 Marf pro Band zu bezichen. 


1876. 





Dr. Morice’s Reife in Franzöſiſch Cochinchina. 


II. 


Eine Anzahl von Annamiten find dem Heere eingereißt: 
die Pinhtaps haben genau die Uniform der franzöfijchen 
Marinefoldaten und führen das Chaffepotgewehr. Sie wer 
den von europäifchen Offizieren commanbdirt und geben zien: 
lid) gute Soldaten ab, welche freilich unter der ungewohnten 
Kleidung und befonders dem Schuhwert, das fie bei jeder 
Gelegenheit ausziehen, viel leiden. Eine andere Truppe find 
die Matas im Dienfte der Verwaltung, mit weißen Hofen, 
nadten Flißen, großem rothen Gürtel, blauem Rod, welder 
die Nummer der Infpection trägt, zu der fie gehören, auf 
dem Kopfe einen Heinen Salaco und dem herfünmtlicjen 
Chignon. Ihre Waffen find die einheimifce Yanze und der 
Garabiner; ihr Dienft befteht im der Bewachung der In— 
fpectionen. Auch auf Kanonenbooten finden Cingeborene 
Verwendung, wo fie oft ganz gute Matrofen abgeben. 

Die monofyllabiichhe Sprache des Yandes ift zwar von 
vielen chineſiſchen Worten durchſetzt, aber davon doch grund- 
verſchieden, von jehr einfachen Mechanismus, aber von einer 
ſchwierigen, verwidelten Ausſprache, auf welche es um fo 
mehr anfommt, als manches Wort je nad) feiner Betonung 
fünf bis ſechs verfchiedene Bedeutungen hat, Merlt man 
da nicht genau auf, fo kann man leicht die ſchönſten Wort 
fpiele unabfichtlich zum Beften geben und der ſtets bereiten 
Spottfucht der Annamiten anheimfallen. 

Schon feit langer Zeit haben die portugiefifchen Prieſter 
an Stelle der chineſiſchen lateinifche Yettern eingeführt, eine 
Ummälzung, welde für den Fortſchritt und die Givilifation 
des Yandes von großem Segen werden faun, zumal aud) die 

Globus XXIX. Nr. 14. 


franzöfische Negierung an allen nur einigermaßen wichtigen 
Punkten Freiſchulen errichtet hat, wo die Kinder die lateini« 
ſchen Buchſtaben lefen und fehreiben lernen müſſen. Es 
wird jetzt ſchon wenige Kinder im Alter von 10 Jahren mehr 
geben, welche beide Künſte nicht verftäuden; und in Saigon 
erſcheint eine Zeitung in der Landesſprache, aber mit latei- 
nischen Yettern, Gia-dinh-bao (das Saigoner Vlatt) genannt, 
Bon weldyen unermeßlich fegensreihen Erfolgen eine gleiche 
Revolution in China begleitet fein würde, wo jegt ein foges 
nannter Öelehrter mehr als die Hälfte feines Lebens nur auf 
das Erlernen der Buchftaben verwendet und die meiften Leute 
diefes Standes nie bis zum eigentlichen Studium vordringen, 
hat der vielbetrauerte Krancis Garnier, der unferen Yejern 
wohlbefannte Yeiter dev Mefhong:Erpedition, mod) in feiner 
legten unvollendet gebliebenen Arbeit *) nachzuweiſen gefucht. 

Doch haben fid), freilich in täglid; abnehmender Ausdeh: 
nung, bie hinefifchen Charaktere mit einigen wegen der Ber: 
fchiedenheit beider Spradyen nöthigen Abänderungen für vies 
lerlei Handelöverträge, ſowie im Procek und diplomatischen 
Berlehre bis heutigen Tages in Gebrauch erhalten. 

Unter den Neufchöpfungen der Franzoſen behauptet meben 
den ftattlichen Balafte des Gouverneurs der jchöne botanifche 
Garten, welcher den Ficblingsfpaziergang der Saigoner bil 


*) Le röle de In France en Chine et en Indo-Chine, batirt 
Schanghai, 9, Auguſt, und veröffentlicht in ter Revue scientifique 
de la France et de N'Etranger. 2. Serie. 5. Jahrgang 1875. 
Nr. 15, ©. 338 f. 


27 — 


210 Dr. Morice's Reife in 
det und. defien ſich feine große Stadt Europas zu fchämen 
brauchte, einen hervorragenden Pla, 

Er Liegt öftlich von der Stadt, und bis zu ihm hin dehnt 
fih, von zahlreichen Reisfeldern unterbrochen, eine weite 
Ebene aus, dad „Sräberfeld* genannt, wo alle jene Schlady« 
ten ausgeläupft worben find, durch welche vor etwa einem 
Jahrhundert die Annamiten und 1862 die Franzoſen in den 
Beſitz des Landes Famen. Zahlreiche Grabhügel von Erde 
oder Ziegelfteinen erheben ſich dort, bedeckt mit Gyps ober 
Gußmörtel, auf welcen im lebhaften Farben Thiere und 
phantaftifche Blumen, fowie die Namen und Titel der dare 
unter Nuhenden aufgemalt find. Noch heute werden dort 
Yeichen begraben, was allemal mit einem gewiſſen Aufwande 
und unter zahlreicher Betheiligung®ftattfindet. Ter Sarg 


— Bar Sr 











Franzöſiſch Cochinchina. 


wird dabei im ein Heined, tragbares Häuschen von bunt be— 
maltem und barod ausgejchnittenen Papier geſetzt, welches 
von etwa zwanzig Leuten mittelft Banıbusftangen getragen 
Wird, Andere fireuen mit Gebeten bemaltcs Gold» und 
Silberpapier auf den Weg und fegen es mit Nadeln in 
Brand, und dahinter folgen die Verwandten und freunde 
des Todten, deren manche die unumgänglichen Wehflagen 
ausftoßen und ſich dabei heimlich ins Fäuftchen lachen. Denn 
dies Bolt fühlt den Schmerz nicht jo tief, um nicht bei ber 
erſten fich darbietenben Gelegenheit feiner Borliebe fir Scherz 
und Spaß nachzugeben. 

Drei Monate verweilte Dr. Morice in der Hauptftabt 
bes Yandes, während welcher Zeit er nur Heine Ausfllige in 
die nähere Umgebung unternahm, wie nad) dem zweitgrößten 


Soldaten und Reiter in Saigon. Mach Photographie.) 


Orte Scholen, der mit feinen etwa 80,000 Einwohnern 
nur 5/5 Kilometer ſüdweſtlich von Saigon liegt, aber mit 
diefer Stadt durd; eine unumterbrochene Reihe von Dörfern, 
Vandhäufern reicher chineſiſcher Kaufleute und Pagoden, welche 
As Raftpunkte dienen, verbunden if. Obwohl 1871 unter 
den 1,335,942 Bewohnern Franzöſiſch-Cochinchinas nur 
30,144 Chinefen gezählt wurden, jo nimmt dieſes Bolt den: 
noch, und befonders in und bei der Hauptftadt, einen hervor: 
ragenden Play im dortigen Handel und Wandel ein. Scholen 
ift davon der Mittelpunkt; was bort an Reis, Stoffen und 
anderen aus China erportirten Sadjen verfauft wird, übers 
fteigt alle Begriffe, ebenjo wie das Gewimmel auf den Stra= 
Ben und die Anzahl der dyinefiichen Dſchunlen und annas 
mitiſchen Samtpans. Zu den Merlwürdigleiten diefes Orts 
gehört der Krofodilpferd), ein ungefähr 20 Quadratmeter 


großer Raum anı Ufer des Fluſſes, der von flarken, langen 
Pfühlen eingehegt ift und der 100 bis 200 Krokodile ums 
ſchließt. Nebenan wird das Fleiſch vertauft, welches zwar 
lederartig ift, aber doch nicht, wie jo viele Reiſende von ihm 
behaupten, nad) Moſchus jchmedt, und von den Eingeborenen 
fehr gern gegeflen wird, Soll einer der riefigen Saurier 
geſchlachtet werden, jo nimmt man zwei Pfähle heraus, wirft 
den größten Bewohner des Teiches eine Schlinge um den 
Kopf und zieht ihm heraus. Dann feilelt man ihm mit 
Tauen aus Ipanifchem Rohre den Schwanz und bindet ihm 
die Fuße auf den Rüden und die Kinnladen an einander, 
Jenes Material hält fo feft, dag man dann das Ungethim 
ohne weitere Muhe ruhig und regelrecht ſchlachten lann. 
Eine Nachtfahrt brachte unfern Reifenden nadı Gocong, 
der Hauptjtadt eines an Meisfeldern reichen Bezirkes, wo 


Dr. Morice's Weile in 


man den wahren, landbauenden Annamiter am beften ſtu— 
diren fan. Diefer hängt vor Allem am Grund und Bo: 
den: wenn er auch in Seiten der Noth fein Land verkauft, 
fo behält er ſich doch ftets für feine Perfon oder für feine 
Kinder das Necht vor, es fpäter zurückzulaufen, eine Sitte, 
welche die Quelle unendlicher Nechtsftreitigfeiten bildet. 

Die „Infpection“ von Gocong, eine ehemalige ftattliche 
Chineſenwohnung mit prächtiger Beranda, wird von der Ort: 
fchaft ſelbſt durch einen jener zahllofen Flußarme oder Canäle 
getrennt, welche den ganzen Often und Südoſten des Yandes 
durchziehen, und fteht mit dem Orte durch eine Brlide in 
Verbindung. Unmittelbar daran ftößt das Fort, welches 
nur durch eine Hede davon getrennt ift und auf allen librie 
gen Seiten von dem Waflerlaufe und ausgedehnten Sitmpfen 


| 
| 


Franzöfiih Cochinchina. 211 
umgeben iſt. Da auch die Behauſungen des Arztes, der 
europäifchen Secretäre und des Telegraphenbeamten dicht 
dabei liegen, fo befinden fic alle ausländischen Angeftellten 
auf einem gegen einen Handſtreich geſicherten Plag. Und 
das iſt nöthig, weil an ſolchen volkreichen Orten am liebſten 
kleine Empörungen auabredyen, deren eine vor einigen Jahren 
dem europäifcen Agenten der Opiumpflanzung, der in Gor 
cong felbjt wohnte, das Leben foftete. Dort refibirt jett 
auch der einflußreiche General Tanh, das Haupt der den 
Franzoſen freundlichen Partei im Yande. Die Infpection 
von Gocong zählt 45 Dörfer und liber 33,000 Einwohner 
und befigt ausgedehnte Keisfelder, deren Fröſche die Nacht ⸗ 
ruhe mit ihrer melancholifchen Muſil fiören, Dort kann 
man alle Verricdytungen beobad)ten, welche der Reis durd)- 





Neismüble in Socony. Mach einer Photographic.) 


zumachen hat, von Enthlilſen und Schwingen an bis zu 
feiner Berarbeitung zu einem durchicheinenden, mit Anis 
förnern beftveuten Sebäd, das die Wonne aller annamitifchen 
Pedermänler ausmacht. 

Um den Weften der Colonie, die Provinz und Stadt 
Hatien, zu befuchen, bedient man fid am beften eines Dampf · 
boote8 der Compagnie Larrieu, welche von Saigon aus den 
vielfach, verzweigten Unterlanf des Melyong befahren läßt. 
Schon am Dlittage dei zweiten Tages befand ſich Dr. Morice 
in Binhrlong, der Haupfftadt einer der ſechs Provinzen, 


deren Fort von großen fchlammigen Gräben und von Pfähs | 


len geftügten Exrdwällen umgeben iſt. Aber Bambus und 
üppig wucherndes Geftrlipp dringen immer von Neuem im 
die Umwallung ein und mit ihnen giftige und unſchädliche 
Schlangen, deren nicht wenige im Fort getödtet werden. 





Dort fann man aber doch wenigften® frei athmen, audge- 
nommen zu Anfang und Ende der winterlichen Regenzeit, 
wo der Schlamm feine gefährlicdyen und efelerregenden Dünfte 
auffteigen läßt. Der Ort jelbft hat fchöne, von riefigen 
Kolosnußpalmen beichattete Strafen. Die ganze Infpection 
zählt nicht weniger als 222 Dörfer mit 162,000 Einwoh- 
nern, welche infolge der ausgedehnten Siimpfe viel vom Fie⸗ 
ber zu leiden haben. Trotzdem ift das Leben infolge der 
verhältnigmäßig großen Zahl europäischer Beamten dort faſt 
luftig zu nennen, und jelbft an einem franzöſiſchen Cafe 
fehlt es micht, deren es anferhalb Saigons nur ſehr wenige 
iebt. 

’ Um 4 Uhr Nachmittags hatte der Dampfer Schodoc 
ummweit der Yandesgrenze erreicht, von wo ein von Menfchen« 
händen gegrabener Canal, der Canal von Binhte genannt, 


27% ° 


Dr. Morice's Reiſe in Franzöſiſch Cochinchina. 


a 
a 


(Ahavabozou; au Yurg) 


buoj· quig 





Dr, Morice’s Reife in Franzöfiih Cochinchina. 


von Mefhong nach Hatien am Meerbufen von Siam hin« | 


überführt. Der Heine Danıpfer, weldyer gewöhnlid) den 
Verkehr auf diefer fünftlichen Waflerftrage vermittelt, war 
aber aufer Dienft geftellt, fo daß ſich der Reiſende mit einer 
Dichunke begnügen mußte, deren unvolllommene Ausftattung 
der Yandplage der Mostitos freien, ungehinderten Zutritt 
geſtattete. Nach einer fchredlicyen Nacht, während deren 
die Blutſauger jelbft den einheimifchen Bootsleuten Schmerzen: 
rufe auspreßten, ging das 
Boot bei Gienthau aus dem 
Ganal in einen breitern Fluß, 
über, welcher in kurzem 
Laufe ſüdwärts nad; Hatten 
fließt. Ein herrlicher Anblick 
bietet fi) dort dem Frem⸗ 
ben dar. Grin bewachſene 
Hligel umfäumen die Mee— 
restüfte; im der Ferne dehnt 
ſich Hatien auf einer Yand- 
junge aus, die im Weſten 
das infelreiche Meer, im 
Dften ein Landſer, zu bem 
fi) jener Fluß erweitert, be- 
fpült, und nad) beiden Sri» 
ten hin find die Hänfer des 
Ortes in die Gewäſſer bins 
eingebaut. Nach Oſten er- 
ſtreckt fich eine weite Ebene, 
and der ein ifolirter Salt: 
feljen, die „Värenmitge*, 
auffteigt. Der Wafferftand 
war niedrig; felbjt in dem mit 
Pfählen bezeicdyueten Fahr⸗ 
waſſer ftreifte das Boot 
mehrmals den Ghund, und 
Sandbänfe zeigten ſich, auf 
denen große Stelzenläufer ihr 
Abendbrod ſich fiſchten. Die 
plötzlich hereinbrechende Nacht 
verhüllte das reizende Bild. 

In der Inſpection fand 


Morice, wie überall im 5 
Fande, ein gern gewährtes Annamitiſcher Schaufpicler. 
Unterfommen. Das Haus 


liegt auf einem 20 Meter hohen künftlichen Hligel, der ftets 
von den Seerwinden getroffen wird umd darum einen gefunden 
Aufenthalt bietet, während in dem unten zwilchen Sumpfen 
gelegenen Ort die ſchlimmſten Fieber wüthen, welche der Reifende 
in der ganzen Golonie beobachtet hat. Die Anfpection zählt 
nur 13 Dörfer mit 5000 Einwohnern, lauter Fiſchern oder 
Aderbauern, deren Wohlftand auf dem nur hier in größerm 
Mafftabe betriebenen Anbau des Pfeffers beruht. Diefe 
Pflanze wird auf erhöhten Beeten an Stangen wie der Hopfen 
gezogen, liefert nad) fünf Jahren den erften Ertrag, bedarf 
weniger Arbeit und Hat nur von einigen Vogelarten zu fei- 
den, fo dag man ſich wundern muß, daß damit nur 50 Hee⸗ 
taren beftellt find. Im den Maisfeldern dagegen richten 
Hafen und Rebe oft große VBerwütungen an. 

Wenige Tage nach Dr. Morice's Ankunft in Hatien 
wurde am 29. Januar das annamitiſche Neujahrsfeſt Tet 
gefeiert, das mindeftens fieben Tage, bei den Reichen aber 
noch viel länger, dauert und aus einer fonderbaren Miſchung 





213 


von buddhiftiichen Geremonien, Verehrung der Manen ber 
Vorfahren, Furcht vor dem Teufel (Mlafi) und lärmender 
Freude befteht. Während diefer Tage verlafien alle einge- 
borenen Diener ihre Herren, melde zujchen fönnen, wer 
ihnen ihe Eſſen bereitet und ihre Kleider reinigt. Vor jedem 
Harfe fieht da auf einem fauber mit Matten gededten Tiſche 
Neisbranntwein in einer Heinen blauweißen Iheefanne von 
Porcellan, Thee, Betel mit den dazu gehörigen Ingredienzen, 
Arekanuß und Kalt, Fiſch, 
Nudeln, eine gebratene Ente, 
cin Scweinsviertel, Reis, 
Dananen und Orangen, alles 
ſchön mit Blumen gefchmtidt. 
Dann werden zwei Lichter 
angezitndet und die Geiler 
ber Vorfahren chrerbietig 
zum Schmauſe geladen. Auf 
einem hohen Pfahl prangt 
überdies ein Strauß, der mur 
aus zwei Blumenforten, einer 
veifcdenfarbenen und einer 
gelben, befteht. Diefe Far⸗ 
ben haben wahrſcheinlich eine 
tiefere ſiymboliſche Bedeu ⸗ 
tung, da fie Überall wieder 
fehren. Bor diefen Dpfer- 
gaben pflanzen reiche Leute 
eine Urefapalme, arme einen 
Bambus auf, an dem ein 
Hleined aus Rohr geflochte · 
nes Neft hängt. An allen 
Thüren find gelbe, rothe, vio⸗ 
fette, mit chineſiſchen Cha⸗ 
rafteren bebedte Papiere ber 
feſtigt, um den böfen Geift 
während bes neuen Jahres 
zu bannen, und alle Welt 
trägt ihre beften Gewänder. 

Dean ergögt fich mit dem 
Schleudern von Wurfſpießen, 
mit Schaufeln, mit Ballfpie- 
len, brennt unzählige Kano« 
nenfchläge los, jpielt am Rou⸗ 
fette, lauſcht der dreifaitigen 
Guitarre umd fo fort, und Jeder ſucht fein feit Monaten zu- 
fammıengefpartes Geld bei dieſem Anlaffe zu verthun. In 
den größeren Orten findet ſich zu Neujahr gewöhnlich eine 
wandernde Scaufpielertruppe ein, deren Vorftellungen fo 
leicht Niemand verfäumt, da es der Reihe nach Sache ber 
Reichen ift, diefelben zu honoriren. Die aufgeführten Stüde 
find vor Allem lärmend und mit derben Witzen ftart ge 
pfeffert; die Militärmandarinen, bie Ehemänner und nament ⸗ 
lich die Chinefen fommen darin ftets fdjlecht weg. Die 
Schaufpieler malen ſich das Geficht ſcheußlich ſchwarz an, 
um furchtbarer auszuſehen, liefern einander Einzellämpfe 
und geben heroiſche Stellungen zum Beten, die gemein 
lächerlich erſcheinen. e 

Der Annamit feiert diefes Feſt mit der größten Püntt« 
lichkeit und dem meiften Eifer. Was in dem Heinen Hatien 
vor ſich ging, ift nichts im Vergleiche mit der Feier in gror 
fen Orten, namentlich Scholen. 


Nach.einer Photographie.) 


214 


Namangan. 


Namangan. 


A. L. Kuhn beſchreibt in der Ruſſiſchen Revue (1876, 
Heft 1.) dieſe (ſchon nicht mehr newefte) ruſſiſche Erwerbung 
in Innerafien folgendermaßen : 

Das nee Grenzgebiet der muittelafiatifchen Befigungen 
Rußlands, der Bezirt Namangan, umfaßt den nordweſt— 
lichen Theil des (chemaligen) Chanats Chokand. Die geo- 
graphiſche Page diefes Bezirks ift in Mimatifcher Hinficht eine 
jehr günftige. Im Nordweten durch Berge geſchützt, ift er 
nach Siidoft durch die Flußthäler des Sfyr-Darja und Na- 
ryn geöffnet. Dieſe beiden Fluſſe bilden zugleidy im Often 
und Suden die Grenze zwiſchen diefem Bezirke und dent Chanat 
Shotand*). Der Boden ift 
ziewlich entblößt und zeigt 
im Allgemeinen nur geringe 
E puren von Vegetation; das 
Yeben und die Cultur grupr 
piren ſich in den an dem Ab- 
hange der Berge befindlichen 
Schluchten und Bertiefungen 
oder an den Ufern der aus 
diefen Bergen entjpringen- 
den Bächen oder Ganälen 
entlang, die ihren Ursprung 
aus den beiden oben genanns 
ten Flüſſen nehmen; die 
übrigen entblößten Flüchen 
beleben ſich nur zu Anfang 
de8 Frühlings. Zu diefer 
Zeit nomadijiren hier Kir— 
giien, Sarafalpafen, Kipt⸗ 
ſchalen und andere Stämme, 
deren zahlreiche Herden das 
erfte friiche Grün abweiden. 
Zu Anfang Juli ift die ganze 
Gegend ſchon ihres reichen 
Fruhlingſchmuckes entfleidet 
und bietet dem Auge eine 
traurige, von der Sontmer ⸗ 
ſonne vollftändig verbrannte, 
graugelbe Oberfläche dar. 

Auf den erften Bli hat 
biefes Gebiet das Ausfehen 
eines graugelben Meeres, mit 
auf diefem hingeworfenen 
grünen Oaſen. Bei genauerer Betrachtung diefer Dafen findet 
man, in Hinficht ihrer Cultur, einen Unterfchieb zwiſchen 
denen, die amt Ufer ber beiden Flüſſe liegen. Im den erfter 
ven, bie ihr Leben den Heinen Gebirgsbäcden zu verbanfen 
haben, ift die Vegetation reicher, befinden fid) mehr Gärten, 
die ganze Natur ift hier Uppiger, ja felbjt das Klima erſcheint 
milder. Im jenen Dafen hingegen, die an den Ufern bes 
Siyr-Darja und Naryn ſowie an den aus diefen Flüſſſen 
fommenden Ganälen gelegen find, ift die Vegetation ärmer ; 
bier finden fich viel weniger Gärten, und hier wird, mehr 
ber Getreibebau betrieben. Sonft herefcht im Allgemeinen 
im Bezirk von Namangan der Gartenbau vor, fo daß, nad) 
Ausfage der Einwohner, das ganze Gebiet das flir die Bes 
völferung nöthige Getreide nicht zu liefern vermag, fondern 

* Am 20, Februar 1876 wurde die Hauptftatt Ghofand ſelbſt 


erobert und am 11. Diirg dur Ufas tra Kaifers von Rußland das 
ganze Chanat als Bezirt Fergbäna tem ruffifchen Reiche einverleibt. 


| 





Sartre. 


daß fie gemöthigt find, ſich ſolches vom Linfen Ufer des Siyr- 
Darja kommen zu lafien. Die folge diefer Eigenthümlich- 
feit ift eim Ueberfluß an Frlichten, Obft und Gemiife, und 
der Handel mit Frlichten bietet einen wefentlichen Erwerbs 
zweig der Vewohner; nicht nur alle Städte des Chanate, 
fondern auch rufjische Ortſchaften werden damit verforgt. 

Habrifen und Werkftätten giebt es im Bezirke ſeht wer 
nige, was Übrigens nicht der Armuth diefes Gebietes zuzu— 
fchreiben ift, jondern ber Nähe ber Städte, wie Chofand, 
Margelan und anderen, die cine veiche Gewerbthätigleit be 
figen, und weil daher das Beblirfnig zur Entwidelung einer 
ſolchen nicht vorhanden ifl. 
In den mittelaſiatiſchen Chas 
naten fteht der Handel, zufolge 
der Yehre des Korand, unter 
den bejondern Schutze der 
Chane, und biefe find die 
Gründer der meiften San: 
delspläge. Der Chan Tauft 
in irgend weldem einiger 
maßen ftarf bebölferten Orte 
ein Stüd Land, baut hier 
für eigene Rechnung Buben, 
ein Karamwanferai und Nies 
derlagen für Waaren auf, 
und beftinmt einen oder zwei 
Tage in ber Woche, an wel⸗ 
chen Markt gehalten wird. 
Auf ſolche Weife entftehen 
Handelscentren, was bejon- 
ders deutlich im Chanat von 
Chofand zu beobachten ift, 
den A. L. Kuhn, auf feine 
Beobadjtungen während des 
euffifchen Feldzuges gegen 
Chotand geftügt, für ein erit 
vor furzer Zeit gegrlindetes 
Reid) Hält. 

Der Bazirt Namangan, 
einer der am ſtärkſten bevöl- 
ferten im Chanat Chofand, 
zäplt an 60 Anfiedelungen. 

Als dieſes Gebiet noch 
Choland gehörte, beſtand es 
aus ſechs Provinzen: Namangan, Tſchaartag, Kaſſan, 
Naulat, Tſchuſt und Babadarchan. ine jede Provinz 
hatte eine vollftommen felbftändige Verwaltung und hatte 
fi) nur in den Fragen der Gebietäintegrität vor dem Chan 
von Chotand zu verantworten, 

Die Bevölferung des Bezirkes beſteht aus ſeßhaft gemwor: 
denen Sarten, Usbelen umd theihweife Tadſchiken, und aus 
den nomabdifirenden Kirgiſen- und Usbeken-Geſchlechtern, 
aus Kiptſchalen, Karalalpalen und anderen Stänmen. Uns 
ter der ſeßhaft gewordenen Bevölkerung herrichen die Sarten 
vor, unter den nomtadifirenden Stämmen — die Kirgiſen. 
Die Größe dieſer Bevölferung ift jedoch, da die eingeborenen 
Behörden nicht die dazu nöthigen Daten haben, genau anzu« 
geben unmöglich. Nach eingezogenen Erfundigungen kann 
man aber die feßhafte Bevölferung auf ungefähr 25,000 
Häufer fchägen und die nomadifirende auf circa 13,000 
Zelte; im Ganzen alfo 38,000 Häufer oder Zelte ober ge- 


Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforfchung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874. 


gen 190,000 Einwohner. Was den Charafter, die Lebens⸗ 

art und die Beichäftigung der Bevölferung des Bezirkes 

Namangan betrifft, fo unterfcheiden ſich biefeben nicht im 
eringften von benen der Bewohner der ruffifchen Beſitzungen 
afchtent, bes SKreifes Kurama u, ſ. w. 

Die ſechs Provinzen hatten dem Chan von Chofand eine 
Abgabe von 150,000 Batman Korn und in baarem Gelde 
an 120,000 Rubel zu entrichten. Wenn wir diefe Natural: 
abgabe dem Geldwerthe nach berechnen, jo erhalten wir, 
wenn wir den Batman, dem Marktpreis gemäß, zu 2 Silber: 
rubel berechnen, die Summe von circa 420,000 Rubel. 
Iu induftrieller Hinficht ift, wie oben erwähnt, die Produe— 
tion bes neuen Territoriums nur fehr gering; alle Producte 
dienen nur den täglichen Yebensbebürfuiffen der Eingebore— 
nen. Als Ausfuhrartitel erfchienen während der Heriſchaft 
des Chans von Choland namanganifce Früchte, Schafe 
und Sal. Tas Salz bildet einen unerſchöpflichen Neid): 
thum des Yandes, das außerdem an Steinkohlen und Naphiha 

ic if. 

Die bedeutendften unter dem bewohnten Punkten fowohl 
in Hinfiht der Bevölkerung als aud bes Handels find: 
1. Die Stadt Namangan, der Haupthandelsmarkt des gans 
zen nordweitlicen Theiles des Chanats; fie enthält gegen 
10,000 Häufer und Liegt in einer Entfernung von 12 Werft 
vom Naryn und 8 Werft vom Sſyr-Darja. Man hält den 
Bazar von Namangan für einen der bedeutendften im gans 
zen Chanat; es find daſelbſt Über 1000 Buden, zwei Kara— 


215 


wanferais und eine Menge Baumtwollenfpinmereien; 2. die 
Stadt Kaffan mit gegen 2000 Häufern und einem Bazar; 
3. die Stadt Naufat mit gegen 3000 Häufern und einem 
Handelsmarkt, und 4. die Stadt Tſchuſt mit gegen 4000 
Häufern, einem großen Bazar, dem größten nad) demjenigen 
von Namangan, und gegen 500 Buben. Die Eimwohner 
diefer Städte beftehen aus Sarten, Tadſchilen und Uäbelen, 
Die Bazare bilden den Mittelpunkt der nomadifirenden Stämme 
des nördlichen und des weftlichen Theiles des Chanats. 

Es find mehrere Verbindungswege zwifchen dem Bezirke 
Namangan und den ruſſiſchen Befigungen vorhanden. Alle 
Wege, mit Ausnahme eines einzigen, find nur fiir Kara— 
wanenzige pafjirbar, wobei die Communication wegen der 
zu paffirinden bedeutenden Bergichluchten mit großen 
Schwierigleiten verbunden ift. Als der fürzefte Weg gilt 
der Über den Kendyr-Dowan, Um auf diefen Wege aus 
Namangan nad Tafchfent zu gelangen, braudyt man drei Tage. 

Das in den Kreis der Verwaltung des Generalgouver: 
nements don Turfeftan neu aufgenommene Gebiet wird der 
Bezirk von Namangan genannt und ift in adminiftrativer 
Hinficht in zwei Kreiſe getheilt: Namangan und Tſchuſt. 
Den Kreis Namangan bilden die früheren Provinzen Tſchaar ⸗ 
tag, Kaffan, Naufat und Namangan; den Kreis Tſchuſt 
die Provinzen Tjchuft und Babadardian. Die Verwaltung 
des Bezirkes ift auf berfelben Bafis organifirt, wie im Bes 
zit Amu-Darja. Der Chef des Kreiſes Namangan wohnt 
n Namangan, der des Kreiſes Tſchuſt in Tichuft. 


Die Rohlfs’fhe Erpedition zur Erforfhung der Libyfchen Wüſte 
im Winter 1573/1874. 
Von Paul Aſcherſon, Mitglied der Erpedition. 


IV. 


In Siuah, wo die Reifenden am folgenden Tage (20. 
Februar 1874) ihren Einzug hielten, war die Aufnahme 
Seitens des ägyptifchen Mudirs fehr zuvorlommend, obwohl 
berfelbe bei den fortbauernden Swiftigfeiten der Einwohner, 
zu welchen die veligiöfen Hegereien des Senuſſi-Ordens ein 
neues Element der Verwirrung hinzugebracht haben, fich ſelbſt 
in eimer vecht fchwierigen Lage befand. Unfere Freunde 
wurden indeß von allen Parteien refpectirt und hatten wäh: 
rend eines viertägigen Aufenthaltes volle Zeit, nicht nur ſich 
von den Strapagen diefes glorreicyen, aber anftrengenden 
Marſches zu erholen, fondern auch die nöthigen wiſſenſchaft- 
lichen Beobachtungen auzuftellen. In erfter Yinie fanden 
hier die Barometerablefungen, deren ununterbrodyener Fort 
fegung Jordan wieder die Ruhe mehrerer Nächte opferte. 
Die Höhe von Siuah hat fid) hiernach mit großer Sicherheit 
zu 28 bis 29 Meter unter dem Spiegel des Mittelmeeres 
ergeben, und ift hiermit eine der wichtigften Aufgaben , die 
ſich die Erpedition geftellt hatte, im befriedigender Weife 

elöft. 

: Selbftverftänblidh wurde von Siuah aus ein Courier 
an dem deutjchen Generalconful nach WAlerandrien gefandt, 
um die glädlicde Ankunft der Expedition zu melden. Allein 
obwohl die Eutfernung nur 16 Tagereifen beträgt, jo lieferte 
der Bote, noch dazu ein chediviſcher Beamter, die wichtige 
Depejche erft mehr als einen Monat nach dem Empfange 
ab, ein neuer Beweis, wie wenig die Orientalen jelbft in 
einem Lande, wo Dampfer und Yocomotiven verfehren, den 


Werth der Zeit zu fhägen wiſſen, und wie wenig der Weis 
fende feine Berechnungen auf die Pünktlichleit dev Cingebos 
tenen gründen darf. 

Die Reifenden bejcjloffen nunmehr, auf dem Nücdwege 
nach Dachel, welcher am 25. Februar angetreten wurde, zur 
nüchſt die jchon vor einem halben Jahrhundert von Gaillaud 
und Pacho zuriicgelegte Straße nach der Kleinen Dafe (Be- 
harich) einzufchlagen; indeß follte nur Jordan die letztere 
befuchen, thels um ihre Pofition und Höhenlage neu zu be 
ftinmen, theils um dem weftlid von Beharieh auf den Kar- 
ten verzeichneten Bachr-bela⸗ ma in Augenfchein zu nehmen, 
wogegen Rohlfs und Zittel von einem geeigneten Punkte 
aud direct nach Farafrah hinlibergehen wollten. Diefer Weg 
bot nicht geringes Intereffe, indem theils anjehnliche Gebirges 
zuge, wie das neu benannte Pacho-Gebirge, nod mehr aber 
tief eingefenfte, von malerifchen Felsrändern eingefaßte, von 
Sumpfboden oder Seen ausgefüllte Depreifionen, welche 
ſämmtlich noch unter den Meeresfpiegel hinabreichen, weit 
mehr Abwechjelung in die Wüftenlandichaft bringen als auf 
ben früher befuchten Streden. Fiir einen Ardjäologen würde 
die Aredj-Deprejfion (— 75 Meter, aljo noch tiefer als 
Siuah) vielleicht eine lohmende Ausbeute gewähren, Zahl: 
reiche Felſengräber und beutliche Spuren von freiftehenden 
Bauten, ſowie ein freilich arg verwilfteter Palmenwald beweifen, 
daß dieſe Yandichaft einjt eine wohl angebaute, ſtark bevöl- 
ferte Dafe darftellte, deren antiler Name freilich noch nicht 
ermittelt ift. Die zum Theil nod) erhaltenen Wandgemälde 


216 


der Hypogeen deuten auf eine chriftliche Epoche. Der Preis 
der landſchaftlichen Schönheit gebührt indeflen dem herrlichen 
Sittrah ⸗See (— 15 Meter), an welchem die Expedition am 
Abend des 1. März lagerte. Die Reifenden lonnten ſich 
an diefem von feltfamen Felspartien umgebenen, mit Schilf 
und Balmengebüfchen umfrängten, von zahllojen Schwärnten 
von Waflervögeln, befonders Ibiſſen, belebten Waſſerſpiegel 
nicht fatt jehen. In geologifcher Hinficht iſt die Eriftenz 
biefer ausgedehnten Salzjeen (mod größer als der Sittrah- 
See find die weſtlich von Siuah gelegenen) mitten in ber 
faft vegenlofen Wüfte ein ſchwer zu löfendes Problem. Die 
unterirdifchen Zuflüffe müflen außerordentlich reichlich fein, 
um der jo mächtig wirkenden Berdunſtung die Wage zu hal 
ten. Am Sittrah⸗See trennten ſich am 2. März früh Rohlfs 
und Zittel von Jordan, welcher die Straße nach der Kleinen 
Dafe weiter verfolgte, während die Erftgenannten die divecte 
Richtung nad) Farafrah einſchlugen. Sie hatten zunächſt 
ein Dinengewirr zu durchſchneiden und gelangten dann auf 
eine öde, fteinige fläche (Hammadah), auf welcher fie die Spus 
ren eines Weges, der möglicherweife von Aredj nach Farafrah 
führt, antvafen. Doch ſchien es nicht rathſam, diefelben zu 
verfolgen. Nach beichwerlicdyen Marſche ftanden die Keifen- 
den am 7. Morgens plötzlich am Rande der Dafeneinfenfung 
von Farafrah, in welche fie nach ſchwierigem, pfadlofem Abs 
ftiege durch ein äußert malerifches Labyrinth von ſchuee— 
weißen Kreidefelfen glüdlid hinabgelangten. Sie kamen 
noch an demſelben Abend bis in die Nähe des Dorfes Fa: 
rafrah, in weldes fie ihren treuen Begleiter Hadj Mo— 
hammed hineinfandten, um zu erfahren, wie es dort um die 
Intereffen der Expedition ftche. 

Nach Rohlfs' Beftimmung war id) am 16. Februar von 
Gaſſr Dadjel mit 17 Kameelen und anfehnlichen Borräthen 
an Bohnen aufgebrochen und am 21. in Farafrah eingetrof- 
fen, wo die Einwohner mich diesmal, obwohl ich ihnen leines— 
wege mehr durch materielle Uebermacht imponiven fonnte, 
freundlid aufnahmen. Es waren ihnen inzwiſchen Seitens 
des Mubdirats in Beharieh die firengften Strafen angedroht 
worden, fals fie der Expedition feindlich begegneten. Nach 
dem von Rohlfs für meine Ankunft beſtimmten Termine 
mußte ich erwarten, daß er fpäteftens nad) einigen Tagen 
eintreffen werde, und nußte mich baher fein langes Aus- 
bleiben, da mir von feiner Reife nach Siuah nichts befannt 
war, in die ernftefte Beſorgniß verfegen. Auch meine eigene 
Yage fing an bedenklich zu werden, da ic) nicht auf einen fo 
langen Aufenthalt gerechnet hatte und Proviant und Geld: 
mittel auf die Neige gingen, um fo mehr als ich bei der Be 
ſchaffung der Nahrungsmittel, die nur in Heinen Quanti— 
täten aufzutreiben waren, durch einen ber nubifchen Diener 
auf das Frechſte betrogen wurde. Ich beſchloß daher mad) 
Dadjel zurlidzufehren und von dort aus mit Remelé bie 
Spuren unferer Freunde fiber Negenfeld hinaus zu verfolgen. 
In Farafrah, welches ich am 5. März verlieh, hinterlich ich 
fünf Kameele und den größten Theil des mitgebrachten Fut— 
ters in der Obhut zweier Nubier, denen ich für den von mir 
allerdings kaum erwarteten Fall, daß Rohlfs dennoch bald 
eintreffen follte, einen Brief übergab. Rohlfs und Fittel, 
hierdurch von meinen Abfichten in Kenntniß gejeßt, boten 
natärlidh Alles auf, um dieſem zmwedlofen Aufbruch nad) 
Velten zuvorzufommen. Bittel, obwohl an einer Hald- 
entzündung ernftlich erkrankt, legte die Strede von Farafrah 
nad; Dachel, zu der wir auf der Hinreife 5 Tage gebraucht 
hatten, in 3'/, Tagen zurld und traf glitdlicherweife noch 
ein, che Remele und id) mit unferen Zurüftungen fertig 
geworden waren. Seiner dom uns wird jenen Mittag bes 
12. März vergefien, wo wir, plöglich durch Schüfje afarmirt, 


das fonnengebräunte Antlig des verlorengeglaubten Freundes | 


Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforſchung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874. 


über der vor unferm Haufe ſich erhebenden Dine auftauchen 
fahen, und fo in einem Uugenblide die monatlang gehegte 
ängftlidye Spannung gelöft, unfere niedergedrücte Stimmung 
in freudige Genugthuung verwandelt wurde. 

Drei Tage fpäter traf auch Rohlfs wieder in Dadyel ein, 
welcher einen Tag in Farafrah verweilt hatte und dann auf 
einer andern, etwa eine Tagereife weftlich von dem Weg 
über Bir-Differ verlaufenden Straße zurüdgefehrt war, auf 
welcher er mod) das von unferer frühern Straße nur aus der 
Entfernung geſichtete Browne-Gebirge durchzogen hatte. 

Auch Yordan fam ſchon am 16, früh in Gaſſr Dachel 
an, welches er gerade zwei Monate früher verlaffen hatte. 
Auf feiner Reife nach Beharich, die er nur in Begleitung des 
Beduinen HadjsMadjub und eines in Siuah gemietheten 
Flihrers zurlicdlegte, hatte er ben Behar-bela-ıma (dev Führer 
unterfchied einen großen und einen Meinen) als gewöhnliche 
Wüfteneinfenkungen ohne Spur eines ehemaligen Flußlaufes 
oder gar eined Zufammenhanges mit dem Nil nachgewieſen. 
In der Meinen Dafe, deren Hauptort, die Doppeljtadt Gaflr- 
Baniti, er am 6, März erreichte, verweilte er nur 11/, Tage, 
um bie nöthigen Mefjungen zu machen; der dortige Mubdir 
nahm ihn mit derjelben Freundlichteit auf, welche feine Gols 
legen in Dachel und Siuah der Expedition erwiejen hatten. 
Am 8. von dort aufgebrochen, legte er noch mehr als eine 
Tagereife in der Einſenlung der Meinen Dafe zurüd, die 
bis über den Brunnen Ain chaman hinausreidht, Die 
ſchmale Felfenbrüde, welche dieje Einfentung von der ber 
Dafe Farafrah trennt, wurde ebenfalls in etwa einen Tage- 
marſch durchzogen, und ſchon am 10. Abends lagerte Jordan 
am nmördlichjten Ende der legtgenannten Dafenjenfung, bei 
der Tiuelle Ainsel-Uadi, wo fid) eine weit mehr als der 
etwa 85 Meter Über dem Meer gelegene Ort Farafrah bis 
zur Meercshöhe von nur 25 Meter hinabreichende, reich mit 
Vegetation bededte Vertiefung findet. Am folgenden Abend 
fam er in Farafrah an und nachdem er an diefem wichtigen 
Knotenpunlte des Itinerars einen Tag auf die wiederholte 
Fängenbeftimmung verwendet, erreichte er Dachel vermittelt 
eines Eilmarfches, der ihn in drei Tagen bis an die Pforte 
der Dafe, nadı Babel: Fasınund, bradıte. 

Es möge mir noch geftattet fein, kurz darüber zu berich— 
ten, wie Nemele und ich unfern Aufenthalt in der Dale 
Dachel benugten. Erſterer war bis zur Nüdtehr der nad) 
Rohlfs' Beftimmung bei feinem Aufbruch, von Regenfeld auf⸗ 
gehobenen Depots durch die Beſchaffung von Kameelfutter 
und die Ausrüftung ber Nachſchubkarawanen in Anfprud) 
genommen, welche jehr zeitraubende und fchiwierige Verhand⸗ 
lungen mit den Behörden der Stadt erforderten. Später, 
während meines Zuges nad) Farafrah, leitete ex bie bereits 
erwähnte Ausgrabung des Tempels. Daneben behielt er 
indeß Zeit genug, um eine beträchtliche Anzahl charakterifti- 
icher Porträts, ſowie Anfichten der Gulturen, Gebäude, nas 
mentlich aber der malerischen Felspartien bei Bab⸗el-Caillaud 
und Bab-el-Jasmund, aufzunehmen, Die legterwähnte Auf⸗ 
nahme, welche ein Bivoualiren inmitten diefer öden Wüſten⸗ 
gran erforderte, mußte Memels wiederholen, da ber erfte 

erſuch durch plöglic; ausbrechenden Samum vereitelt wurde, 
welcher die fertigen Platten zerſtörte und ſogar den Apparat 
arg beichädigte. Im Kurzem war derſelbe indeß durch die 
geſchickte Hand feines Dieners Tanbert, eines ſehr auf 
gewedten Scyloffergefellen aus Apolda, wieder hergeftellt, 
und eine zweite Expedition nad) Babsel-Jasmund wurde mit 
völligem Erfolge gelrönt. Mit Recht find diefe theuer er⸗ 
fauften Blätter nicht nur als eine vollendete Leiſtung der 
photographiichen Kunft, jondern als ein wahrer Gewinn file 
die phyſitaliſche Geographie bezeichnet worden. 

Meine Bejcäftigung beftand ausschließlich in der Er: 


Paul Aſcherſon: Die Rohlfs'ſche Expedition zur Erforfhung der Libyſchen Wüſte im Winter 1873/1874. 


forſchung der Vegetation, welche befonders reichhaltig auf 
dem künſtlich bewäflerten Terrain vertreten war. In allen 
von uns befuchten Dafen zerfällt der cultivirte Boden in 
forgfältig eingefriedigte, von Lehmmauern, feltener nur von 
Dornheden umſchloſſene Gärten und im offene Felder, welche 
letztere, ausſchließlich der Cultur der Cerealien gewidmet, 
behufs der Bewäſſerung auf abhängigem Terrain ierraſſen⸗ 
artig angelegt und in kleine Beete eingetheilt find. Der 
hohe Drud, unter dem die faſt ſtets durch artefiiche Boh— 
rungen aufgefchlofjenen, aus unbelannter Ferne herfommens 
den unterirdifchen Gewäſſer zu Tage treten, geftattet es, fie 
zu beliebiger Höhe aufzuftanen oder die Brunnenſchächte an 
den höchftgelegenen Punkten anzufegen. In den Winters 
monaten, deren Temperatur ziemlich mit unſerm mitteleuro- 
päifchen Sommer übereinftimmt, cultivirt man unfere Ges 
treibearten, Weizen und Gerfle, während in ber Tropenhige 
bes dortigen Sommers Reis und Durrah gedeihen. Auf: 
fälig war mir gleich beim erften Gang in die Gärten von 
Farafrah und beftätigte ſich ftets in der folge, daß die Un— 
frautvegetation der Daſen völlig von ber des Nilthals unter 
gleicher Breite abweicht, dagegen in ihren charalteriftiichen Zit- 
gen mit der der Mittelmeerländer ibereinftimmt. Ich wurde 
daher zu der Schlußfolgerung geführt, daß die Cultur in den 
Dafen nicht aus Aeghpien, fondern von der Nordfitite Afrikas 
herftamme. Diefer Schluß, zu welchem auch Dr. Schwein« 
furth bei feinem gleichzeitigen Aufenthalt im der Großen 
Dafe durch die mämliche Beobachtung gelangte, fand feine 
vollftändige een durch) die Mittheilungen über bie 
ültefte Sefchichte der Dafen, die unfer Landemann H. Brugſch 
in der Sigung des Juſtitut gyptien am 18. April 1874 
machte *). Derfelbe hat aus den Monumenten des Nilthals 
ermittelt, daß die Dajen urjprlnglich von zwei libyſchen 
Bölterfchaften, den Samu und Tehennu, welche im Gegen- 
ſatz zu den rothen Aegyptern weiß bargeftellt und von Brugſch 
geradezu für Einwanderer aus Europa erflärt wurden, bes 
wohnt waren, die, oft mit ben Pharaomen im feindliche Be— 
rührung gerathend, endlich, vom ihnen bezwingen und ihrem 
— einverleibt wurden. 

in Ausflug, welchen ich während dieſer Zeit nach dem 
fünf Stunden ſüdlich von Gaffr gelegenen Dorfe Mut unter: 
nahm, verdient einer kurzen Erwähnung. Ich war dort der 
Saft eines wohlhabenden Grundbeſitzers Namens Hajjans 
Effenbi, der fich um dem wiethichaftlichen Fortſchritt der 
Dafe die größten Verdienfte erworben hat. Ein Fellach aus 
dem Nilthale, kam er in den 30er Jahren als Diener eines 
franzöſiſchen Ingenieurs Lefoͤvre nad) Chargeh, welcher 
beauftragt war, dort artefifche Brunnen anzulegen, eine Kunſt, 
weldye, beiläufig bemertt, im Altertfum von den Dafen- 
bewohnern im hoher Bolltommenheit ausgeübt wurde, wie 
der zu Anfang des 5. Jahrh. n. Chr. lebende Schriftfteller 
Dlympiodoros berichtet. Der junge Haffan erlernte von 
feinem Herrn das damas in Europa übliche Verfahren und 
hat ſeitdem im der Dafe Dachel, wohin er bald darauf fiber 
fiedelte, dur; Eröffnung zahlreicher Brunnen große wit 
liegende en der Cultur wiedergewonnen; ich fage 
wiedergewonnen, denn alte Feldereintheilungen, Nefte ver- 
witterter Palmftlimpfe und felbft gebleichte Gehäufe von 
Waſſerſchnecken verrathen noch am manchen jet ſtundenweit 
von den bewohnten Orten gelegenen Plätzen die frühere Exi— 
ftenz wohlangebaueter Ländereien. Haſſan Effendi, der 
Wohlthäter der Dafe, hat fic mit feiner Kunft ein anſehn⸗ 


*) Bull. de Vinst. &g. Nr. 13. 1874. 1875. Alexandrie 1875, 
pP: 92 q. Ueberfept im „Roblfs, drei Monate in ber tibufchen Wüpte”, 
©. 351 ff. 


Globus XXIX. Nr. 14. 


217 


liches Vermögen erworben und ift nicht mur durch feinen 
Geichäftsbetrieb, fondern eben fo fehr wegen feines milden, 
wohlwollenden Charakters eine cbenfo geachtete wie beliebte 
Perfönlichkeit. Unferer Expedition erwies er von Unfang 
an die größte Freundlichkeit; ic) rechne die Abende, welche 
ich in vertraulichen Geſprüche mit dieſem liebenswürdigen 
Greife, der des Franzöfifchen völlig mächtig ift, zubradhte, 
zu ben — Erinnerungen der duß Selbſt⸗ 
verſtändlich lamen wir auch auf die Wuſtenſtrede, in welche 
meine Reifegefährten damals eingebrungen waren, zu reden, 
und unaufgefordert machte mir Haffan folgende Mittheilung. 
Bor etwa 100 Jahren wurde Dadyel von Einfällen eines 
nomabijirenden Näubervolfs aus dem fernen Sudweſten heim- 
geſucht; zur Abwehr berjelben verfegte die damalige Mam— 
lufen-Regierung eine Kolonie ihres Stammes nad) der Mut 
benachbarten Ortſchaft Galamün. Diefe Mamlufen, Sur: 
bägi genannt, verlegten den Räubern den Weg, indem fie 
auf eine Strede von etwa acht Zagereifen auf bem von 
diefen benugten Wege alle Brunnen zerftörten. Seitdem 
blieb diefe Straße unbeſucht; nur einmal, zu Unfang 
ber Regierung Mohammed» Al’s, gelangte auf berfelben 
eine Karawane aus Bornu nad) Dachel. Diefe Straße 
fol übrigens noch vorhanden fein; an berfelben wurde vor 
etwa dreißig Jahren ein eifernes Inftrument gefunden, von 
deſſen Gebrauch ſich Haflan, welder es ſpäter ald Geſchenk 
an Rohlfs überließ, eine ſehr wunderliche Vorſtellung ges 
bildet hatte. Es vereinigen ſich mehrere Umftände, um 
diefe Nachrichten vollfommen — erſcheinen zu laſ⸗ 
fen. Zunähft das Zufammentreffen eines Namens und 
einer Thatjache mit anderweitig nad) Europa gelangten, Haſ⸗ 
fan Effendi aber unmöglich gänglicen Nachrichten. Er 
nannte jenes Näubervolt, welches Dachel im vorigen Yahr- 
hundert beunruhigte, Bedajat, ohne Zweifel bie Bidejat, die 
Bewohner der nördlich von Uadai gelegenen Oaſenlandſchaft 
Eimebi, deren fo lange unfichere ethnographiſche Stellung 
erft ganz neuerdings durch Nachtigall aufgeflärt worden 
ift. Werner trifft die Nachricht von der Ankunft einer Ka— 
rawane in ihrer Zeitbeftimmung in Mberrafchender Weife 
mit den Nachrichten zufammen, welche und Fresnel *) und 
MohammedselsTunfi **) über die vom Sultan Sfa- 
bun von Uadai nad) Aegypten und zwar, wie wir beftimmt 
erfahren, eimmal fpeciell nach ber Dafe Dachel gefandte 
Karawane mitgetheilt haben. In jenem eifernen Inftrument 
erkannte ich fofort eins jener in ganz Mittelafrifa gebräuch- 
lichen Wurfeifen, die in dem oberen Nilländern Trumbabj, 
fonft auch Korbadj, in der öftlichen Sahara Schangorsman» 
gor genannt werden; und zwar ſtimmt bie Form deſſelben 
auffallend mit einem der von Nachtigall ***) als Tibbu-Waf- 
fen abgebildeten überein ; mach diefem ausgezeichneten Forſcher 
erhalten die Tibbu diefe Wurfeifen hauptjählic aus Borku, 
Ennedi und Uadai, aljo gerade den Yändern, aus benen ſich 
vermuthlich Sfabun’s Karawanen recrutirten. Ich zweifle 
faum daran, da die von Jordan aufgefundene und drei Tage: 
reifen weit verfolgte alte Straße in ber That von den Raub- 
zügen der Bibdejat, fowie vielleicht von ben Uadai Karawanen 
benußt wurde. Bei ber Kameelweide wendet fie ſich vielleicht 
mehr nad) Süden, da die bis dahin verfolgte Richtung felbft 
nördlich von Wanjanga vorüberführen, außerdem im bem 
Sandocean bei Regenfeld ein unüberwindliches Hinderniß 
finden wiirde 7). 


®) Bulletin de la soc. de geogr. III, serie t. XI, p. 49. 50. 
**) Voyage au Ouaday. Paris 1851, p. 218. 219. 
“*) Zeitfchrift der Geſeliſchaft für Erbfunde zu Berlin 1870, S. 288. 
+) Vergl, darüber, was ich in „Noblis, drei Monate im ber Liby⸗ 
ſchen Wüfte”, ©. 250 ff., geſagt. 


28 


218 


Albin Kohn: Prſchewalski's Neife von Kiachta nach Peling. 


Prſchewalski's Reife von Kiachta nad) Peking. 
Ton Albin Kohn, 


Trog der Unfruchtbarkeit und der Dede der Gobi war 
ber Weg, den wir nad) Kalgan eingefchlagen hatten, von 
Karawanen, welde Thee transportirten und deren wir tägs 
(ich ſehr viele trafen, ungemein belebt. Weiter unten werde 
ich diefe originellen Karawanen befchreiben, jegt aber meine 
Beichreibung dev mongoliſchen Hochebene fortjegen. 

Als wir Chalda, den Aimat der Suniten- Mongolen, 
und gleichzeitig mit biefem den unfruchtbarften Theil der 
Gobi Hinter uns hatten, famen wir wieder in einen frucht- 
baren Strid) der Steppe, welche in Südoſt ebenfo wie im 
Norden die Mitte der wilden und üben mongolifchen Hoch— 
ebene umfäumt. Der Boden wird wieder etwas uneben und 
bebedt ſich mit ausgezeichnetem Graſe, welches den ungemein 
zahlreichen Herden der Zadar: Mongolen reiche Weide 
bietet. Diefe legteren werden als die Grenzwächter des 
eigentlichen China betrachtet, find der Reihe nad) im Dienfte 
des Staates und in acht Feldzeichen (Barmer) getheilt. Das 
Gebiet der Zacharen ift gegen zweihundert Werft breit, zieht 
fi) aber die Yänge der Hochebene entlang, von Dften nad 
Weften, wohl drei Mal fo weit, 

Da ſich die Zahar-Mongolen in beftänbiger Berllhrung 
mit den Ghinefen befinden, fo haben fie jegt ſchon nicht 
allein den Charalter, fondern auch den Typus der Mongo— 
Ien reinen Bluts eingebüßt. Da fie von ihrem Ungeftanm: 
ten nur die mongolifce Waulheit beibehalten und von den 
Chineſen nur die fchlechten Eigenschaften angenommen haben, 
jo erjcheinen fie wie Baſtarde, welche weber die mongolifche 
Geradheit noch die chimefifche Arbeitſamleit befigen. Die 
Kleidung der Zacharen ift ganz die dinefifche, und deshalb 
fehen fie auch den Chinefen ähnlich, da fie außerdem meift 
ein längliches ober bogenartig geformtes, aber fein flaches 
Geſicht Haben. Die Urfache diefer Veränderung des ange- 
borenen Typus find die häufigen Heiraten zwiſchen Zadja- 
ren und Chinefinnen; aus diefer Miſchung gehen hier die 
fogenannten „Erlidfy*, d. h. die mit zwei Yebern Ausge—⸗ 
ruſtelen, hervor. Die übrigen Mongolen, befonders aber 
die von Chalda, haſſen den Zacharen nicht minder wie ben 
Chinefen; und unfere Fuhrlente ftellten im Lande der Za— 
charen immer Wachen aus, denn fie fagten, daß die Men« 
ſchen hier lauter vollendete Diebe feien. 

Wenngleich, die Bewäfjerung des Landes der Zacharen 
immer iur eine ſehr bürftige ift, fo beginnen ſich doch jchon hin 
und wieber Seen zu zeigen, von denen der „ Angulisnoor“ 
einen fehr bedeutenden Umfang hat. Näher der Grenze der 
Hochebene findet man, wenn auch felten, einen Meinen Fluß, 
und hier beginnt dann aud) die Cultur und das anfäffige 
Leben. Chinefifche Dörfer und bearbeitete Felder jagen dem 
Reifenden deutlich, daß er die wilde Wuſte hinter ſich Hat 
und in ein dem Menfchen freundlicheres Land gefommen ift. 

Endlich zeigen fid) am fernen Horizonte die unbeutlichen 
Umriffe des Gebirgszuges, welcher die ſcharfe Grenze zwi 
ſchen der hofen, Fühlen Ebene der Mongolei und den war: 
men Ebenen bes eigentlichen Chinas bildet. Diefer Rüden 
hat durchaus einen Alpendjarakter. Steile Abhänge, tiefe 
Schluchten und Abgrlinde, ſcharfzackige Bergfpigen, manch⸗ 
mal mit überhängenden Felſen befäet, endlich dev Anblid der 
Wildgeit und Unfruchtbarkeit, — diejes der allgemeine Cha- 
ratter diefer Berge, deren Hauptrliden entlang ſich die berlihmte 


II. 


große Mauer hinzieht. Sndeß erhebt ſich das Gebirge, 
wie viele andere im Innern Afiens, welche ebenen von 
niederen Ebenen fheiden, von der mongolischen Hochebene 
aus gar nicht. Bis zum legten Schritte bewegt ſich der 
Reiſende zwifchen den Hügeln des wellenförmigen Plateaus, 
und plöglic, erjcheint vor feinen Augen ein beivundernswir- 
diged Panorama. Unten zur den Füßen bes bezauberten 
Beihauers erheben ſich, wie im phantaſtiſchen Traume, 
ganze Ketten hoher Gebirge, überhängenber Felſen, Abgrlinde 
und Schluchten, launenhaft mit einander verwirrt, und hin- 
ter ihnen find dicht bevölferte Thäler ausgebreitet, durch 
welche fid), wie filberne Schlangen, unzählbare Flüßchen 
ſchlängeln. Der Gontraft zwiichen dem, was hinter ung ge— 
blieben, und dem, was vor uns, ift überwältigend, Nicht 
geringer ift der Unterfchied im Klima. Während der gans 
zen Reife liber die mongolifche Hochebene hatten wie Tag 
für Tag Fröſte, welde bis — 37° C. betrugen und ftets 
von ftarfem Nordweſtwinde begleitet waren, obgleich nur we 
nig Schuee fiel und dieſer ſogar ſtellenweiſe gar nicht zu 
fehen war. Jetzt fühlten wir nad jedem Schritte, den wir 
vom Örenzräden machten, daß es wärmer wurde, und endlich 
hatten wir, als wir nad) Kalgan kamen, trotzdem es Decems 
ber war, das jchönfte rühlingswetter. So groß ift der 
Unterſchied zwifchen dem Klima der genannten Stadt und 
dem Punkte, von dem aus man von ber Hochebene herab- 
fteigt und deren Entfernung von einander nur 25 Werft 
beträgt. Der letztere Punkt hat eine abjolute Höhe von 
5400 Fuß, während Kalgan, das am Ausgange aus dem 
Grenzrücken in die Ebene liegt, ſich nur 2800 Fuß über dem 
Meere erhebt. 

Diefe Stadt, welche von den Chineſen Tjhang-tia- 
kau (die Benennung „Kalgan* ſtammt vom Mongolifchen 
„Chalga“, d. h. Sclagbaum) genannt wird, ſchließt dem 
Durdjgang durch die große Mauer und bildet einen wichti- 
gen Handelöplag Chinas mit der Mongolei. Hierher fom- 
nen auch unfere Tuche, Mancheſter und Pelzwaaren. In 
Kalgan leben an 70,000 Einwohner, welde ausſchließlich 
Ehinefen find, darunter viele Mohammedaner, welche in 
China allgemein als „ChojsChoj“ bezeichnet werben, 
Hier leben auch zwei proteftantische Miffionäre, und einige 
unferer Kaufleute, welche ſich mit dem Berfahren von Thee 
durch die Mongolei nad, Kiachta befaſſen. Wenngleich in 
der legten Zeit dadurch, daß der Theetransport zur See bes 
beutend zugenommen, ji) der Tranfit durch die Mongolei 
verringert hat, jo werden doch, nach der Berficherung unjerer 
Kaufleute, alljährlich noch an 200,000 Kiften Thee, jede 
bis drei Pub fchwer, von Kalgan abgefendet. Derjelbe 
loninit aus den Theeplantagen in ber Nähe der Stadt Hans 
fau am mittlern Yangetfesfiang nad) Kalgan und zwar theils 
zu Yande, theild auf europäifchen Dampfern nad Tienstfin. 
Die eine Hälfte wird unferen Kaufleuten verfauft, welche 
ihn weiter befördern, während die andere von Chineſen felbit 
nad) Urga oder Kiachta gejchafft wird. Als Fuhrleute dienen 
Mongolen, welde bei diefem Transport viel Geld verdienen. 
Die Ausfuhr findet nur im Herbfte, Winter und ganz im 
Anfange des Frühlings (bis zum April) ftatt; im Sommer 
werben alle Kameele in die Steppe gelafjen, wo fie ſich erholen, 
ſich aushaaren und frifche Kräfte zur neuen Arbeit fammeln. 


Albin Kohn: Prichemalsti's Meile von Kiachta nach Peking. 


Die Theekarawanen bilden eine ſehr harakteriftifche Ers 
fcheinung der öftlichen Mongolei. Im Frühherbfte, d. h. im 
Anfange Septembers, kommen aus allen Gegenden dieſes 
Landes lange Züge von Kameelen nad, Kalgan, welche fich 
während bes Sommers in der freien Steppe umhergetum— 
melt haben, wiederum gefattelt, um auf ihrem Ruden je 
vier Kiſten, d. h. ganze zwölf Bud Thee, durch die Wuſte zu 
ſchleppen. Dieſes ift eine — Laſt fir das mongo— 
liſche Kameel; auf ſtärkere Thiere wird jedoch noch eine Kiſte 
mehr gepackt. Die Mongolen verdingen ſich, den Thee ent⸗ 
weder direct nach Kiachta oder auch nur bis Urga zu ſchaf— 
fen, weil weiterhin Gebirge und häufig auch ſehr tiefer Schnee 
den Kameelen das Gehen erſchweren. Im legtern Kalle 
wird der Thee auf ziweirädrigen mit Ochſen befpannten 
Wagen nad) Kiachta weiter gejhafft. Ein Theil des There 
bleibt aud) im Urga zum Gebrauche für die Mongolen, 

Der Durchſchnitlspreis für den Transport einer Kite 
von Kalgan nad Kiachta beträgt drei Yan, fo daß alfo jedes 
Kameel während eines Transports zwölf Yan, d. i. 25 
Silberrubel, verdient. (Der mittlere Werth eines hinefifchen 
Lan beträgt in Kalgan 2 Rubel 8 Kopefen unferes Silber: 
geldes.) Gewöhnlich gelingt es der Karawane während 
eines Winters zwei Mal jene Strede zurückzulegen, jo daß 
jedes Kameel feinem Eigenthimer fünfzig Rubel verdient. 
Zur gehen die Karawanen gewöhnlich leer; nur felten 
bringen fie irgend eine Waare, Holz, trodene Pilze, Salz, 
Haare oder Wolle, mit. Auf 25 Sameele kommen zwei 
Treiber, welche die Thiere pflegen und beladen, fo daß die 
Ausgaben thatſüchlich ſehr Hein find, und dem Unternehmer 
ein ungeheurer Reingewinn übrig bleibt, felbft wenn wäh: 
rend des Winters einige Kameele in Folge von Erſchbpfung 
oder ſchlechtem Futter fallen. Die Karawauenkameele wer— 
den fehr oft dadurch zum Dienfie untauglich, daß fie ſich die 
Widerhufe verlegen und im folge defjen lahm werben, oder 
ſich durch nmadjläffiges Beladen den Rüden wundreiben. 
Im erſten Falle legen die Mongolen das Thier nieder und 
umnähen den wunden Fuß mit einem Stüde Leber, welches 
dem Thiere dann ald Sohle dient und zur baldigen Heilung 
beiträgt, im zweiten Falle wird das Kameel fir das laufende 
Jahr zum Transporte unfähig und man entläßt es im die 
Steppe, damit cs ſich erhole, Wenn man aud) einen bes 
ftimmten Brocentfag verloren gehender und beſchädigter Ka» 
meele annimmt, fo bringen fie dody dem Mongolen, welcher 
ihrer wenn auch nur dreißig bis vierzig beſitzt, ſehr bebeus 
tende Summen ein. Nun giebt es aber viele Kameeltreiber, 
welche ganze Herden befigen, die ihnen theils als Eigenthum 
gehören, theils aber aud; von armen Mongolen, denen es 
ſich nicht lohnt mit wenigen Thieren Transporte zu unter 
nehmen, in Pacht gegeben find. Es follte ſcheinen, daß ein 
folder Berdienft den Mongolen bereichern müßte; in Wirk 
lichkeit verhält es ſich jedoch nicht fo, und nur jelten bringt 
einer von ihnen einige Hundert Rubel mit nad) Haufe; alles 
übrige Geld wandert in die Tafchen der Chinefen. 

Diefe legteren beuten den leichtgläubigen Mongolen in 
der gewifienlofeften Weife aus. Jeder Karawane, welche im 
Herbfte nach Thee fommt, veifen einige Chinefen entgegen 
und laden ben Gigenthimer ein, bei ihnen fein Quartier 
anfzufchlagen. Diejes Quartier wird unentgeltlid, gegeben; 
Bedienung und Aufmerffankeit werden dem Gafte in vollem 
Maße zu Theil. Der ſchmutzige Mongole, mit welchem fonft 
der Chineſe nicht einmal fprechen wilde, macht es fic num auf 
der Pritfche in der Fanſe des reihen Kaufmannes bequem, 
welcher ihm entweder ſelbſt die Pfeife veicht, oder diefe ihm durch 
feinen Commis reichen läßt und felbft feine leifeften Wunſche 
erfüllt. Der Mongole nimmt Alles für baare Münze an 
und überläßt es feinem Wirthe, ſich mit dem Kaufmanne, 


— — — — — — — — en een, 


219 


deſſen Thee er zum Transporte übernimmt, auseinanderzus 
ſetzen. Hierauf aber hat der Chineſe nur gewartet. Er rechnet 
mit dem den Transport im Voraus bezahlenden Auftrag- 
geber des Mongolen in ber gewiljenlofeften Weiſe ab und 
dann bietet er dem Mongolen noch diefe oder jene Waare 
zum Kaufe an, die er mit doppelten Preifen anfegt. Wei- 
ter geht nun noch ein Theil des Geldes flir Abgaben und 
zur Beftehung der Beamten weg und ein anderer Theil 
wird verludert, fo daß am Ende der Mongole Kalgan mit 
einem ganz unbedeutenden Theil feines ungeheuren Berdien: 
fies verläßt. Einen Theil hiervon muß er dann nod) unbes 
dingt einem Tempel fchenfen, fo daß der Nomade im Frilh— 
linge faft mit leeren Händen nad) Haufe fommt, 

Der Yandtransport des Thees ift fo theuer, daß hier: 
durch der Preis des Formthees, welcher ausfchlielic von 
Mongolen und von den Bewohnern Eibiriend verbraudt 
wird, um das Dreifache des Fabrikpreiſes erhöht wird, Der 
Transport von Kalgan nad, Kiachta dauert 30 bis 40 Tage, 
je nachdem hieriber mit dem mongolischen Unternehmer abge: 
ſchloſſen wird. Dede Kifte ift urſprünglich in eine dicke wol 
lene Dede gehüllt; in Kiachta wird dieje durch eine rohe Haut 
erfegt, und dann werben die Kiſten je nad) der Jahreszeit auf 
Wagen oder Schlitten nad dem europäischen Rußland geſchafft. 

Kalgan iſt, wie geſagt, eines der Thore der großen 
Mauer, welche wir hier zum erſten Male ſahen. Sie iſt 
aus großen mit Kallmörtel verbundenen Steinen aufgeführt. 
Die Schwere eines jeden Steines liberfteigt jedoch micht 
einige Bud, da die Arbeiter die Steine augenfceinlid, in 
——— Gebirge geſammelt und auf ihren Schultern her— 
beigefchleppt haben. Die Mauer felbft ftellt in ihrem Duer: 
durchſchnitte eine Pyramide dar und hat eine Höhe von circa 
drei Klaftern bei einer Fundamentdicke von ungefähr vier 
Klaftern. An wichtigeren Punkten, manchmal jedoch im 
einer Entfernung von faum einer Werft von einander, find 
quadratifche Thürme erbaut, Sie find aus Lehmziegeln 
conftruirt, melde wechjelweife der Yänge und Breite nad) 
gelegt und mit Kalk verbunden find, Die Größe der 

hurme ift verfchieben ; die größten haben im Fundamente 
eine Ausdehnung von ſechs Klaftern und eine gleiche Höhe. 
Diefe Mauer zieht fi den Rücken des Grenzgebirges entr 
fang in bie Schluchten hinein, welche ihre Befeftigungen ver— 
ſchließen. In ſolchen Püſſen allein hat aber aud) der ganze 
Bau nur einigen Werth; im Gebirge macht ja der Charal- 
ter der Gegend das Eindringen des Feindes unmöglich; troß- 
dent ift auch hier die Dauer und zwar überall in der gleichen 
Höhe und Dide erbaut. Ich hatte jogar Gelegenheit zu 
fehen, daß diefer Bau an eine vollkommen abſchüſſige Selten: 
wand ſich anlchnte, ſich aber nicht mit diefer matitrlichen 
Mauer begnügte, fondern, einen engen Zwifchenraum laffend, 
in der ganzen oft jehr bedeutenden Fänge ben Felſen umging. 
Und weshalb wurde diefe Niefenarbeit vollbracht? Wie viele 
Millionen Hände haben an diefem Bau gearbeitet? Wie 
viele Kräfte der Nation wurden hier vergeudet? Die Ger 
fchichte erzählt uns, daß die chineſiſchen Herrſcher gegen 
200 Yahre v. Chr. Geb. den Bau in der Abſicht begonnen 
haben, das Neid, vor dem Eindringen der benachbarten No— 
maden zu fchligen. Aber die Geſchichte erzählt uns aud), 
daß die periobifchen Angriffe der Barbaren an diefer Mauer 
micht zerfchellten, da dem chineſiſchen Reiche hinter ihr ein 
zweiter, fichererer Schutz, — die moralische Kraft des Volles 
ſelbſt, fehlt. 

Uebrigens ift die große Mauer, deren Länge die Chinefen 
ſelbſt auf fünftaufend Werft angeben, und die ſich einerfeits 
tief im die Mandſchurei, andererjeits bis tief in die Gobi, bis 
an die Feſtung Kiasyi-fwan in der Provinz Kanſu 
(98° öftl. 2. Gr,), Hinzieht, in den von Peling entfernten 

25* 


220 


Gegenden gar nicht fo groß. Im der Nähe der Hauptftabt 
wurde fie unter den Augen bes Kaiſers und feiner wichtig- 
fien Würbenträger erbaut, und deshalb erſcheint fie aud) als 
ein wirkliches Riefenwerk; in Gegenden, welche ber höhern Ber 
waltungsbehörde fern Liegen, erſcheint die berlihmte große 
Mauer, welche die Europäer als eine charalteriſtiſche Eigen: 
thümlichfeit Chinas zu betrachten gewohnt find, nur als ein 
durch die Zeit zerftörter Lehmwall, deſſen Höhe drei Klafter 
beträgt. Diefes fagt Huc im der Beſchreibung feiner Reife 
durch die Diongolei und Tibet, und wir felbft hatten im Jahre 
1872 Gelegenheit, eine ſolche Mauer auf der Grenze von 
Ala⸗ſchan und Kanſu zu jehen. 

Wir blieben fünf Tage in Kalgan, umgeben von der 
größten Gaſtfreundſchaft des Herrn Matrenidi und einiger 
anderer Landeleute, welche dort Kommiffionsgefhäfte treiben 
und fi, mit dev Verfendung des Thees befafien, welcher aus 
unferen Fabrilen in Hanfau kommt. Unſere Landsleute 
wohnen außerhalb der Stadt, am Ausgange der maleriſchen 
Schlucht, durch welde man vom Grenzgebirge herabjteigt. 
Die Bequemlichkeit des Lebens außerhalb der Stadt befteht 
darin, daß man hier nicht den Schmutz und unangenehmen 
Geruch empfindet, welche ein Charaktermertmal aller Städte 
des Himmlifchen Reiches bilden. Wie alle anderen Aus- 
länder in China führen auch unfere Kaufleute ihre Gejchäfte 
nicht felbft, fondern laſſen fie durch fogenannte „Kompras 
doren“, d. h. durch Chineſen, denen fe bie Handelsgefchäfte 
mit ihren chineſiſchen Landsleuten anvertrauen, führen. 
Uebrigens find unfere Kaufleute mod) ziemlich, felbftändig 
in ihren Hanbelsoperationen, da einige von ihnen die chine⸗ 
ſiſche Sprache kennen, und meiftens mit ben mongolifchen 
Transportunternehmern direct unterhandeln, In Tienstjin 
aber und im anderen Städten Chinas, in denen den Euro» 
päern der Aufenthalt geftattet ift, ift der Komprador ein 
unmmgängliches Zubehör jedes Handelshauſes. Durch fie 
werden alle Geſchäfte abgemadjt ; und ein folcher Bertrauens: 
mann beftiehlt feinen Auftraggeber meift in fo ungenixter 
Weife, daß er gewöhnlich nad) einigen Jahren eine eigene 
Handlung gründen fanın. 

Die chineſiſchen Kompradoren, welche im Haufe des Aus— 
länders leben, lernen die Sprache deſſen, dem fie dienen. 
Die ruſſiſche Sprache wird den Chinefen am ſchwierigſten; 
wenn wir die Ausſprache und das Verbrehen der Worte 
ganz unberüdfichtigt laffen, fo hören wir dad) einen unglaub- 
lichen Satzbau, der ganz unverſtändlich ift. 

„Schnell deine Meifter ſchieße fei,“ fagte mir 
ein Kalganer Komprador, als er fah, daß ic wilde Tauben 
im Fluge ſchieße. „Deine ich werde efjen nicht effen?* 
fragte derfelbe Chinefe, als er mir etwas zu Efjen vorjegte. 
In Urga fahen wir ebenfalld einige ſolche Spracmeifter. 
Einer von ihnen fol, wie böfe Zungen behaupteten, ſich einft 
mit der Fabrikation von ruffifchen Caſſenſcheinen befaßt und 
dieſe an die Mongolen abgejegt haben. Auf unfere Frage, 
ob er ſich noch mit diefer Induftrie abgebe, antwortete ber 
Chineſe: „Wie'sgeht,jegt dein Papieren fhlecht 
fein; ſchreibe, fchreibe (b. h. der Text des Caſſenſcheins), 
wenig, wenig unfere Yeute thun kann und Geficht 
(das Bild auf dem Scheine) jehr Klug fein.“ Uebrigens 
bedarf es für die Mongolen feiner befonders künſtleriſchen 
Vollendung der Caſſenſcheine; aud wir fahen in Urga ge- 
fälfchtes Papiergeld, auf dem die Bilder aus freier Hand 
gezeichnet waren, 

Ueber die in China lebenden Ausländer äußerte der Kal: 
ganer Komprador folgende Unfiht: „Deine Menſchen 
I gleich Peslin (Engländer), Fa-gua (Franzoſen) 

ier nicht. Deine Menfhen, unfere Menſchen 
odoli (— ganz gleich), gut fein; Peslin, Fa-gua 


Albin Kohn: Pridemalsti's Reife von Kiachta nach Peling. 


ſchlecht ſein.“ Ich laffe es dahin geftellt, ob das Lob des 
Chineſen, welcher behauptete, daß wir dem Franzoſen und 
Engländern nicht ähnlich, dafür aber ganz fo find, wie die 
Ehinefen, angenehm war ober nicht, Doch befreit diefe viel- 
leicht nur perſönliche Anfchauung des Kalganer Kompradors 
die Ruffen nicht von dem allgemeinen Haſſe der Chineſen 
gegen alle Europäer, und von dem allen gegebenen Spitz 
namen „Jansguifa*, d. h. überſeeiſcher Teufel, Eine 
andere Bezeichnung hört der Europäer hier nicht, und wir 
erfuhren auf dem erften Schritte, dem wir im eigentlichen 
China thaten, wie verzweifelt ſchwer die Page bes europäi- 
ſchen Keifenden an den Grenzen bes Himmliſchen Reiches ift. 

Dank der Unterftägung unferer Landsleute in Kalgan 
mietheten wir von Chineſen zur Reiſe mad; Peking zwei 
Neitpferde und einige Maulthiere zum Transporte des Ges 
pide. Die Europäer reifen hier gewöhnlich, in Tragfefieln, 
welche von zwei Maulthieren getragen werden; wir nahmen 
jedod) deshalb Neitpferde, weil wir uns fo beffer mit der 
Gegend befannt machen fonnten, als von den verbedten 
Sänften aus. 

Die Entfernung von Kalgan nad, Peling beträgt gegen 
210 Werft, welde man gewöhnlich in vier Tagen zurüd« 
legt. Unterwegs wird in Gafthäufern gehalten, welche größ- 
tentheils von Mohammedanern, die aus Oftturfeftan hier: 
her übergefiebelt find, unterhalten werden, Fr die Jan 
guifg, d. h. für Europäer, ift der Eintritt in ein gutes Gaft- 
haus ſehr ſchwierig, und man führt den Keifenden im die 
elendeften Schänfen, wenn man fich auch überall von ihm 
das Doppelte, Dreifache, oft fogar das Zehnfache zahlen 
läßt. Hier handelt es ſich aber nicht mehr um Geld; man 
ift fehr zufrieden, dag man nur unter irgend einem elenden 
Schuppen gelaffen wird, nachdem man ſechs oder fieben 
Stunden hinter einander auf bem Pferde gefeffen und der 
nächtlichen Kühle ausgeſetzt geweſen ift. Ungeachtet deflen, 
daß der Europäer in China Alles mit freigebiger Hand be- 
zahlt, ift doch der Haß gegen die liberfeeiichen Teufel jo 
groß, daß man ung manchmal nicht zur Nacht in ein Gaft« 
haus laſſen wollte, trogdem unfere chineſiſchen Fuhrleute 
Fürfpradhe einlegten. Dies ereignete ſich befonders im ber 
Stadt Scha⸗tſchan, wo wir gezwungen waren eine ganze 
Stunde von einem Gafthaufe zum andern zu reiten und für 
ein Quartier im eimer ſchmutzigen, falten Fanſe den zehn: 
fachen Preis anzubieten. 

Auch die Unkenntniß der Sprache war für und ein 
großes Hinderniß, befonbers auf ben Stationen, wo wir um 
Speiſe bitten mußten. Es war mur gut, daß ich mir in 
Kalgan einige chineſiſche Benennungen von Gerichten no: 
tirt hatte; mit diefem Menu gelangten wir bis Peling. Ich 
weiß nicht, wie Anderen die chinefifche Kliche ſchmect, in 
welcher * Del (da die Chineſen lein Rindvieh halten 
und feine Mic und Butter genießen) und Knoblauch die 
Hauptrolle fpielen. Uns erfchienen bie chineſiſchen Speifen 
in den Safthäufern efelhaft. Diefer Ekel vermehrte jich ale 
wir in den Fleiſchbänken Eſelleulen jahen, welche zum Ber: 
kaufe feil gehalten werden, und num den gerechtfertigten Ber 
dacht hegten, daß man auch uns mit Eſelfleiſch futtere. 
Die Chineſen felbft verachten feine noch jo efelhaften Gegen: 
ftände, und einige eflen fogar Hunde. Während unferer 
zweiten Anmefenheit in Kalgan fahen wir, wie djinefifche 
Fleiſcher ein un —— lauften, das 
krank und deſſen Körper ganz mit Wunden bedeckt war; fie 
ſchlachteten es und verkauften das Fleiſch zum Genuffe. 
Gefallene Thiere werden gewöhnlich verzehrt und die Eſel, 
deren Fleiſch wir in den Fleiſchbänlen geſehen haben, find 
gewiß feines gewaltfamen Todes geftorben. Der Chinefe 
wlirde, bei dem ihm eigenthlümlichen Geige, ſich um feinen 


Albin Kohn: Prihemwalsti's Reife von ſtiachta nach Peking. 


Preis entfchliegen ein Laftıhier, das noc zu irgenb einer 
Arbeit zu gebrauchen tft, zum Schlachten zu verkaufen. Dan 
kann nun eine Borftellung von dem Appetit machen, 
mit welchen ber Europäer die ihm in chineſiſchen Gafthäus 
fern vorgefegten Speifen genießt, wenn er weiß, wie wenig 
wählerifch in dieſer Beziehung feine Wirthe find. 

Denn ber Reifende Kalgan und mit ihm bie äuferfte 
Gebirgötette der mongolischen Hochebene verläßt, breitet ſich 
bor feinen Augen eine weite Ebene aus, bie bicht bevölfert 
und audgezeichnet bearbeitet ift. Die Dörfer machen, im 
Gegenfage zu den Städten, den Eindruck der Reinlichkeit. 
Der Weg ift ftark belebt: auf ihm beivegen ſich lange Zuge 
von Ejeln, mit Steintohlen beladen, mit Mauleſeln bejpannte 
Wagen, Laftträger zu Fuß und endlich Sammler von Erere- 
menten, weldye legteren in China fo hoch gejcägt werben. 
Dan kann hier überall, jelbft die Städte nicht ausgenommen, 
erwachjene Menſchen ſehen, welche, ein Körbchen am linfen 
Arme, in der rechten Hand einen Kleinen Spaten, von Mor: 
gens bis Abends auf den Straßen und Wegen umbergehen, 
um Ercremente zu ſammeln, welche von Thieren oder Men- 
fchen ſtammen. Soldye Scenen gehen oft ins Lächerliche 
über, wenn man fieht, wie ein Chinefe bei einem Kameele 
ſteht, das fich eben entleert, und fein Körbchen mit Sorg— 
falt hinhält, damit die Excremente direct im daſſelbe hinein« 
fallen. Der gefammelte Mift wird ſowohl zur Düngung 
der Felder wie auch als VBrennmaterial verwendet. 

Gegen dreißig Werft von Kalgan, am Rande der oben 
bezeichneten Ebene, deren Boden aus ſandigem Lehm beftcht, 
theilweife aber aud) fteinig ift, befindet ſich die Stadt Siuan- 
hwa⸗fu, welde, wie alle chimefifchen Stäbte, mit einer 
erenellirten Lehmmauer umgeben ift, die ganz der Mosfauer 
„Shinefifchen Stabt* (Kitai gorod) ähnlich if. Bon hier 
führt der Weg weiter über felfige Bergrücken, durd) eine 
Schlucht im welcher der reißende und ziemlich breite Fluß 
Jang-ho flieht. An engeren und fteileren Stellen ber 
Schlucht ift der Weg durch Felſen gehauen und im Allge- 
meinen ift er felbit für Wagen gut. Wenn ber Reiſende 
Dfirmim hinter fi) hat, gelangt er wieder in eine Ebene, 
welche 10 bis 12 Werft breit ift umd ſich gegen Weft zwi⸗ 
ſchen zwei Bergrüden hinzieht. Einer diefer Rüden ift der, 
über welchen der foeben bejchriebene Weg führt, und ber 
weite, bebeutend höhere und großartigere , bildet den äußern 

and der zweiten Terraffe, über weldye hinweg die oftafia- 
tifche Hochebene ſich zur Thalebene geftaltet,, welche am ber 
Küfte des Gelben Meeres ausgebreitet ift. Thatfächlic) 
nimmt auch von Kalgan an bis zur Stabt Tſcha-dau, 
welche am Eingange zu dem eben befchriebenen Bergrüden 
liegt, die abfolute Höhe ziemlich gleihmäßig ab; doch reift 
man immer noc) über ein Plateau, das fid) hoch über das 
Meer erhebt. (Die abfolute Höhe von Kalgan beträgt 
2800 Fuß, die von Tichardbau 1600 Fuß.) Nun beginnt 
man bei Tſcha⸗dau ben zweiten äußern Rüden herabzufteis 
gen, welchen bie Chinefen Si-ſchan nennen, weldes fich 
wie die Kalganer Gebirge, nur ganz am äußern Rande des 
Plateaus, gegen die am feinem Fuße liegende Ebene hin, 
entwidelt. 

Der Weg liber diefes Gebirge führt durch die Schlucht 
Kuan-kau, welde in der Nähe von Tſcha-dau beginnt 
und fi, bis an die Stadt Nan⸗kau hinzieht, die am Aus: 
— aus dem Gebirge in der Ebene von Peling liegt. 

ie Schlucht Kuan⸗kau hat in ihrem obern Theile nur eine 
Breite von 10 bis 15 Klafter und ift von allen Geiten 
von ungeheuren, überhängenden Felſen umringt, melde aus 
Granit, Porphyr, grauem Marmor und Thonfchiefer bes 


221 


ſtehen. Der Weg, mwelder einft mit Steinplatten belegt 
war, ift jetzt —* veruachlaſſigt, fo daß es ſogar ſehr ſchwer 
iſt, ihm reitend zurückzulegen. Trotzdem fahren hier, natlir- 
lid) mit der größten Schwierigkeit, zweirüdrige chineſiſche 
Wagen und oft benugen den Weg fogar Karawanen mit 
theebeladenen Kameelen. 

Dem foeben befchriebenen Bergrliden entlang zieht ſich 
bie zweite fogemannte innere große Mauer hin, welche an 
Umfang und Gonftruction bei Weitem die Kalganer über 
trifft. Diefe Mauer ift aus großen Granitplatten aufge 
führt, auf denen aus Ziegeln eine crenellirte Mauer erbaut 
ift; auf höheren Bunkten befinden ſich Wachtthlirme, Außer: 
dem find hinter der Hanptmauer, auf Peling zu, noch drei 
Hulfsmauern erbaut, weldye in einer Entfernung von drei 
bis vier Werft eine hinter ber andern liegen und mit ihren 
Flügeln wahrjcheinlich an den Hauptbau ftoßen. Alle diefe 
Mauern verſchließen die Schlucht von Kuanstau mit ihren 
Doppelthoren; im der äußerten nach Peling zu belegenen 
Mauer befinden ſich jedoch drei Thore. Hier erblidt man 
zwei alterthimliche eiferne Kanonen, welde, wie man fagt, 
von den Jeſuiten für die Chinefen gegoffen worden find. 

Gleich Hinter den Mauern erweitert fid) die Schlucht 
von Kuan⸗kau etwas, obgleich, fie immer noch ihren wilden, 
aber dabei bezaubernden Charakter beibehält. Wildbäche 
ſtürzen fchäumend in Cascaden herab und unter überhängen- 
den Felſen erblidt man überall dyinefifche Fanſen, Wein: 
reben und Heine Gärten mit Fruchtbäumen. Endlich erreicht 
ber Neifende die Stadt Nan⸗kau, welche circa taufend Fuß 
niedriger als Tſcha-dau liegt, wenngleich fie von ber legtern 
Stadt nur 23 Werft entfernt ift. 

Die ganze Breite des Abfalls der oftafiatifchen Hoch— 
ebene vom höchſten Bunkte des Kalganer Gebirgsriidens bis 
zum Eintritt in die Pelinger Ebene beträgt hiernach gegen 
zweihundert Werft. Gegen Welten ift diefe Negion gewiß 
breiter, von einigen parallelen Gebirgsrüden durchſchnitten 
und reicht bi an den nördlichen Bogen bes Gwang-ho. Ge⸗ 
gen Often aber vereinigen fi) bie einzelnen Gebirgärikden 
zu einem breiten Maſſive, das ſich bis an den Petſchili-Bu— 
fen des Gelben Meeres hinzieht. Diefer ganze Gebirgszug 
hat von den Chinefen den Namen Tihaishan erhalten. 

Bon Nanzkaı hat man nur noch eine Tagereife bis Pe— 
fing, d. h. nicht mehr als funfzig Werft. Die Gegend ift 
ganz eben und fehr wenig über dem Meere erhoben. Peling 
felbft Liegt nur 120 Fuß Über ber Oberfläche des Meeres. 
Die Alluvialfchicht diefer Ebene befteht aus Sand und Lehm 
und ift ausgezeichnet bearbeitet. Auf jedem Schritte trifft 
man ein Dorf. Zahlreiche Gebliſche, die von Gyprefien, 
baumartigem Wacholder, Kiefern, Bappeln und anderen 
Bäumen gebildet werden und gewöhnlich die Begräbnißpläge 
anbdeuten, vermehren die Abwechſelung und Schönheit des 
Landichaftsbildes der Ebene. Das Klima wird noch wär« 
mer, jo baß hier zur Zeit unferer größten Fröfte (im Au— 
fange Januar) das Thermometer gegen Mittag im Schatten 
über O9 zeigt. Bon Schnee ift hier nicht die Rede; wenn 
er hin und wieder während der Nadıt fällt, fo thaut er ges 
wöhnlic jchon am — Tage. Ueberall findet man 
überwinternde Vögel: Drofjeln, Buchfinken, Spechte, Gold: 
ammern, Krähen, Habichte, Tauben, Trappen und Enten. 

Je mehr man ſich der Hauptftadt des Himmlifchen Rei« 
ches nähert, deſto dichter wird die Bevölferung. Die dicht 
an einander liegenden Dörfer bilden eine Stadt, jo daf der 
Reifende, ganz ohne es zu merken, an die Mauer von Pe- 
king heranfommt und in die beriämte Hauptftabt des Oftens 
einzieht. 


222 


Nilola 3. Petrowitſch: Das Stavafeft der Serben. 


Das SlIavafeft der Serben. 
Von Dr. Nikola J. Petrowitſch in Kragujeva;z. 


I. 


Die religiöfen Ideen eines Volles können vielmals den 
Mafiftab fiir feinen ganzen Culturzuſtand bilden. Der 
Menſch bildet fich in fernen Göttern ab — das Volk legt in 
die religiöfen Gebräuche und Sitten feine ganze Anfchauung. 
Bon diefem Standpunkte aus faun man die große Bedeu— 
tung der religidfen Ideen eines Volfes leicht ermeſſen. 

Wie bei allen Stämmen, fo werden auch bei den Serben 
die religiöfen Empfindungen ftets von dem gleichen innern 
Drang erzeugt, nämlich von dem Bedürfniß, fr jede Er: 
ſcheinung und Begebenheit eine Urſache oder einen Urheber 
zu erjpähen *). Wie dies fpeciell bei den Serben zu Stande 
fommt, follen uns die nächjten Zeilen zeigen. Wan darf 
aber nicht vergeffen, daf wir mit deren Schilderung in „das 
Land der Müärdyen md der Wunder“, wie Sottichild **) 
fagte, ziehen, jene® geheimnißvolle Yand an der Donau und 
Morava, welches weniger befannt ift, als die Nordküſte 
Afritas ***). Selbſt die wenigen Neifebefchreibungen (wie 
jeme von Leiſt, Bouse, Denthon, Raſch :c.) bieten für die 
genaue Kenntniß des ferbifcen Stammes entweder fehr we- 
nig oder gar nichts. Seinem Fremden gelang es, in bas 
innere Veben dieſes Volfes hineinzubliden; alle waren nur 
auf das Aeußere angewiefen. Denn der Serbe ift von Nas 
tur nicht zugänglich; am wenigſten läßt er ſich mit einem 
Fremden in ein Geſpräch über häusliche Angelegenheiten ein. 
Am eigenen Herbe ift der Serbe der größte Herr und Mor 
narch, da fagt er zu ſich „wir“ und zu einem Fremden „du*, 

Obenan fteht dem Serben die Religion. Sie ift ihm 
heilig und fo feſt gegriindet, wie das ganze Leben biefes 
Stammes. Noch heute ziehen die Serben in die blutigen 
Kämpfe „um das heilige Kreuz und die goldene 
Freiheit“; an allen ſerbiſchen Kanmen fteht aufgejchrieben : 
„Für den Glauben“. Die religiöfen Gebräuche werden auf 
dem Yande noch heute fo wie vor 500 Jahren gehalten. 
In den Etädten läßt dies alles nad); denn die Stadtein« 
wohner paflen ſich immer mehr den europäifchen Sitten an, 
und damit verliert das ganze Peben den wahren Voltscarat: 
ter. Daß aber auch in den Dörfern diefe werthvollen Ges 
bräuche mit der Zeit verfchwinden werden, ift felbftverftänd: 
lich. Es wäre ein fehr großer Schaden für die Wiffenfchaft, 
wenn dieſer Schag verborgen bleiben oder gar verloren ger 
hen jollte. Darum wollen wir einige von den vefigiöfen 
Gebräuchen und Ideen des ſerbiſchen Stammes an biefer 
Stelle treu und fo genau wie möglich ſchildern. 

„Slava* ift eine Eigenthlimlichfeit, die von allen flas 
vifchen Stämmen nur der ferbifche befigt und deren Ent: 
ftehung mod; in ben Heidenzeiten gejucht werden muß; daß 
wir es hier mit einer Art des Fetiſchismus zu thun haben, 
ift zweifellos, 

Jedes Haus hat bei den Serben feinen Beſchützer, feinen 
Heiligen, dem zu Ehren es Feftlichleiten veranjtaltet und 
Opfer darbringt. Als Patrone gelten gewöhnlidy: der hei: 
lige Nikolaus (18. December), Georgius (5. Mai), Stephan, 
Johannes (19. Januar), Spafow-dan (6. Juni); Demetrius 
(7. November), Michael (20 November) und Andreas (12. 
December), Das Bildniß diefer Heiligen hängt ftets in 


+, Dlar Peſchel, Volletlunde, &. 255, 
*) Globue“ 1866, Br.X, S. 122. — **) A. a. O. 8.123. 





einer Ede des Zimmers, und jeden Sonnabend und Sonn— 
tag breunt vor demfelben eine Hängelampe mit Oel. Auch 
das Schwören gefchieht jehr oft im Namen des Patrones ; 
man jagt gewöhnlid): „Slave mi“, oder „Tafo mi Slava 
pomogla*; d. h. „Ich fchwöre bei der Slava“ ; oder „So 
wahr mir die Slava helfe!* 

Jede Familie hat ihren Patron, den fie verehrt, und 
zwar geht diefer vom Bater auf den Sohn Über. Die Mäd— 
chen, heit es, haben feine Slava; deun jede Frau muß den 
Patron ihres Mannes verehren. Unwillkürlich erinnert dies 
an den Rouſſeau'ſchen Ausdrud: „Jede Tochter foll die 
Neligion ihrer Mutter, jede Frau die Religion ihres Mans 
nes haben.“ Auf dem Gebiete der ſerbiſchen Slava findet 
diefes Geſetz feine volllommene Geltung; die Tochter vers 
ehrt in Baterhaufe den Patron der Familie, welcher fie 
angehört; mit ber Heirat wechjelt fie Haus und Patron, 

Die ſerbiſche Stava hat zwei Seiten, von welchen fie 
betrachtet werden fann : die religiöfe und die gefellfchaftliche, 
fociale Seite. 

Betrachten wir zunächft die eritere. 

Bor dem Tage der Slava wird im Haufe von einem 
Vrieſter Heine Meſſe gelefen, worauf das ganze Haus und 
feine Inſaſſen mit Weihwafjer befprigt werden. Dazu ver: 
ſammeln ſich alle Hausgenoffen, felbft die Diener, Nach— 
mittags vor der Slava geht einer von den männlichen Mit: 
gliedern im die Kirche zu der Abendmeſſe, welche zwiſchen 
3 und 4 Uhr gelefen wird, fpendet dort für die Lampe des 
betreffenden Heiligen etwas Del, zündet zwei Wachslichter 
an, eins oben vor dem Altar für die Geſundheit der Fami⸗ 
lie, eind unten auf dem Boden für die Erlöfung der Seelen 
der Geftorbenen. So wie es Abend wird, muß die Yanıpe 
vor dem Heiligen angebrannt, und darf von diefem Augen: 
blid an bis auf dem dritten Tag nicht ausgelöfcht werben. 

Zum Stava-Tage felbit find für den Heiligen folgende 
Dpfer bereitet: eim großer Kuchen, eine Schüſſel Weizen 
mit Niüffen und Mandeln, ein wenig Wein, ein großes 
Wachslicht fir das Hans und ein Feines, welches in dem 
„Koljiwo“ (jo heißt der zubereitete Weizen) brennen foll. 
Schon um 7 Uhr Morgens muß ein männliches Mitglied 
der Familie in die Kirche gehen. Er nimmt das „Koljimo“, 
den Kuchen, das Heine Wacslicdht und Wein mit. Das 
„Koljiwo* wird in der Kirche vor dem Altar auf den Bo: 
den geftellt und in feiner Mitte das lleine Licht angezlindet. 
Der Kuchen mit dem Wein fteht in einer andern Ecke des 
Gotteshauſes. 

Nachdem der gewöhnliche Sottesdienft beendet iſt, wird 
ein befonderes Gebet fr den Heiligen, deſſen Namensfeft 
man feiert, gelefen, Dies heißt ein „Molebftwije“ halten. 

Wenn der Pfarrer dafielbe beendet hat, ſammeln ſich 
um ihn im einer Ede der Kirche alle „Swetichart“, d.h. alle, 
die einen und denſelben Heiligen haben; und der Reihe nad 
wird nun jeder Suchen zerichnitten. Dies gejchieht auf fols 
gende Weife: Der Pfarrer ſchneidet dem verfehrt liegenden 
Kuchen in vier Theile, aber jo, daß das Meſſer nicht tief 
eindeingt und ber Kuchen noch zufammenhängt. Auf den 
Kreuzungspunft der Schnitte gießt er dann ein wenig Roth: 
wein. Dann wird ber Kuchen umgefehrt, vom Pfarrer und 
den Swetfchari gebreht , wobei erfterer zwei Gebete abfingt, 


* 


Aus allen Erbtheilen. 


und alsdann fo gebrochen, daß zwei Viertel dem Pfarrer und 
zwei dem „Swetſchar“ bleiben. Der Pfarrer küßt dann 
dreimal feine Hälfte und fagt zu dem Swetſchar: „Jeſus 
fei zwijchen uns!“ worauf der Swetfchar antwortet: „In 
Ewigleit, Amen!* Dann zertheilt jeder feine Hälfte und 
fügt den andern auf die Hand. Diefer Gebrauch heißt 
„lomljenje kolatſcha“ (das Kuchenbacken). Nachdem dann 
nod) das „Koljimo“ *) mit Rothwein übergoſſen, find alle 
Eeremonien in ber Kicche vollendet. Wenn der „Swetichar“ 
nad) Haufe kommt, ift es feine erfte Pflicht, die Unwefenden 
zu grüßen und das Licht, weldyes ſchon bereit fteht, anzu 
zünden. Wenden wir uns mun zu den focialen Ge— 
bräuden, 

Schon zwei Tage vor der Slava wird im Haufe alles 
gereinigt ; die Vorbereitungen, welche ein reicher Bauer dabei 
trifft, find oft fehr groß und foftfpielig. Ein Schwein, ein 
Schaf, oftmals auch ein Kalb wird geſchlachtet, dazu ſcho— 
nungslos viel Geflügel. Daß die zu verbraucende Maſſe 
Weines nicht Mein fein darf, ift ſelbſtverſtändlich. 

Für wen dies alles? 

Zuerft muß man willen, daß die Hausleute ſelbſt an 
diefem Tage beſſer als je efien und trinfen wollen. Denn 
„die Slava fommt nur einmal im Jahre“, fagt das Volt. 


Der Serbe aber fann niemals das Glüd allein genießen 
und ohne Geſellſchaft nicht leben; er ift wirllich das Ariftote 
liſche „Geſellſchaftsthier“. Darum ladet der Hausvater 
entweder die Nachbarſchaft und einen guten Theil des Dor— 
fes ein’; oder die Betreffenden fommen ohme befondere Eins 
Ladung. Im einigen Gegenden ift das Eine, in anderen dad 
Andere die Sitte. Die Einladung muß immer einen Tag 
vor der Slava gejchehen, und zwar immer durch einen Sohn 
des Haufes, auf folgende Weife: „Der Vater läßt Sie 
grüßen und bitten, dag Sie heute Abend zu uns fommen, 
um ein wenig die Nacht abzufürzen, ein Schnäpschen zu 
trinfen; was der heilige Nifolaus gebracht hat, wollen wir 
feinenfalls verfteden. Kommen Sie — bitte, thun Sie 
es nicht anders, fondern fommen Sie!“ Diefer letzte Say 
ift bebeutjam für eine ferbifche Einladung ; mit demfelben 
ſchließt eine jede. Es will jo viel heißen als „tommen 
Sie jedenfalls“ , „Wir erwarten Sie“, ober „Sie werden 


*) Allen Heiligen wird Koljiwo geopfert, mit Ausnahme tes Michael 
und Glias, meil die Serben glauben, daß diefe gmei im Himmel 
noch leben. 


223 


uns fehr beleidigen, wenn Sie nicht fommen“. Mit dem 
einzigen Worte „Danfe* verheigt der Eingeladene fein 
Erſcheinen. 

Sp verfammeln ſich ſchon Abends vor der Slava viele 
Säfte. Jeder tritt ein mit der Gratulation; Die Slava 
foll Dir glücklich fein; viele Jahre ſollſt Du diefelbe erwar- 
ten und gefund und munter verleben!“ Die Berwandten 
bringen auch einen Apfel oder ein anderes Meines Geſchent. 
Die Anderen fagen nur: „Der Heilige fol Dir Glüd brin- 
gen.” Die Gäfte fegen fi rund um das Feuer herum 
und erzählen „aus den guten alten Zeiten“, oder ſprechen 
von ihren nächiten Abſichten. Der Domatjin (Hausvater) 
ſteht immerfort ohne Miüge da und bedient jelbft feine Säfte 
mit Branntwein. Das erfte Gläschen wird dem Aelteften 
mer doch dieſer nimmt es nicht an, fondern jagt zu dem 

omatjin: „Das Glas ift im einer guten Hand; Du follft 
und „nazdrawiti* (d. h. zutrinfen)* *), Sofort trinft der 
Hausherr ohne lange Complimente dem Xelteften mit den 
Worten zu: „Helfe ung Gott! O, Gott, gebe ums gute 
Stunden! Der Anfang des Trinfens und der Slava fol 
ung glüclich werden“ **) Der Domatjin ift in feinem 
„Zdrawize“ der Kürzeſte, denn im feinem eigenem Haufe, 
fagt der Serbe, muß man am befcheidenften fein ; im eigenen 
Haufe ift auch der Feind willlommener Gaft, dem man nie— 
mals etwas Uebeles anthun darf. 

Das Gläschen mit dem Schnaps geht zwei bis drei 
Mal herum, bis alle Säfte gefommmen find und das Abend« 
eſſen fertig ift, welches nicht fo lurxuriss wie das Mittag: 
eſſen der Slava ausfält. Sind Waftenzeiten, wie am 
Nitolaustage, fo werden Bohnen und höchftens ein Stlid 
Fiſch vorgefegt; defto ftärfer aber wird dem Weine zuge 
ſprochen. Sind die Gäfte um den Tiſch verfammelt, fo 
beten alle und zwar ganz im Stillen; nur ein Alter, der die 
Namen aller Heiligen auswendig weiß, betet laut. In Heis 
term Geſpräch bleiben die Gäfte bis um Mitternacht bei- 
ſammen; biejenigen, welche aus ber Ferne gefommen, übers 
nachten bei dem „Domatjin“. 


*) Bei den läntlihen Serben trinken Alle aus einem Glafe, in» 
tem ber Bortrinfer tem Nachfolgenden immer zutrinten (napbramiti) 
muß, meint mit einigen Werten: „Auf Deine Geſundheit!“ Bei 
den Deutſchen das „Vor: und Nachtommen“. 

*) Diefe Sprüche werten bei den Serben Idrawiza“ genannt. 
Ich werde Später von ihnen etwas ausführlicher fprecben, da biefelben 
Gigenthümlichkeiten des ferbifchen Stammes find. 


Aus allen Erdtheilen. 


Die Wallifer Eolonie am Rio Ehuput und die fchottifche 
am Port Defire in VPatagonien. 


Die Anfänge der eritern Anſiedelung am Rio Chuput da: 
tiren aus dem Juli 1565, wo die argentiniiche Regierung 
mit einem Ausſchuß der „Welib Emigration Society” einen 
Bertrag über die Einwanderung von Walliſern, ihre Dotirung 
mit Land, die politifche Stellung der Antömmlinge u. |. w. 
abſchloß. Ende Juli 1865 langten die erjten 132 Einwanderer 
am Rio Chuput (Ehupat, Chubut, ſpr. Tſchuput oc, 43,9 füht. 
Br., 65% weftl. %.) an und wurden von der Regierung mit Land, 
Sümereien, Bich und Waffen verſehen. Anfangs ging alles 
aut; mit der Zeit hatte die junge Anpflanzung aber folde 
Leiden und Prüfungen durchzumachen, daß die Regierung 
ſchon damit umging, die Leute nach Norden in das Flufgebiet 
des Rio Negro zu verpflanzen (f. „Slobus® XXI, ©. 15). 


Doch gelang es der zähen, ausdauernden Natur der Wallifer, 
alle Schwierigkeiten zu überwinden, und dies giebt die Hoff: 
nung, daß bier am Chuput der Grundſtock für eine allmälige 
Eultivirung und Bevöllerung des Südens der Republik, ſo— 
weit er überhaupt bewohnbar ift, gewonnen ſei. Diefer 
Wendepunkt war das Jahr 1373, wo fidh die Einwohnerzahl 
der Colonie allerdings auf nur 140 Seelen belief. Seitdem 
erfolgten einige günftige Ernten, Ausfuhr des Ueberfluſſes 
nad Buenos Ayres und vermehrte Zuwanderung von Lande: 
leuten, welch letzterer Umſtand zulammen mit einer ungenä- 
genden Ernte im Jahre 1575, augenblidlich einen wohl bald 
vorübergehenden Notbitand hervorgerufen bat, dem die Re: 
gierung nach Kräften abzuhelfen bemüht if. Sie ſucht im 
ihrem wohlverftandenen Intereſſe die Einwanderung möglichſt 
zu befördern. Im legten September erließ Präfident Avel- 
laneda ein Decret, welches jeder zumandernden Aderbauer: 


224 


familie koftenfrei 200 Acres Land am Nio Chuput zufpricht, 
und warf 16,000 (60,000?) Bf. St. aus behufs zwölfmonat- 
licher Unterftügung und Unterhaltung mener Aukömmlinge. 
Zugleich ift in der Kolonie ein Poftblirenu errichtet uud die 
Firma Galles u. Comp. contractlich verpflichtet worden, gegen 
eine beftimmte Subvention jährlih 9 Mal Dampfer und 6 
Mat Kutter zwilchen Buenos Ayres, der Colonie am Chu: 
put, ber zukünftigen in Port Defire und dem Nio Santa Eruz 
laufen zu laffen. Infolge deffen foll fich die wäliche Bevöl— 
ferung am Chuput in ben legten Monaten um ein Beben: 
tendes achoben haben. 

Neuerdings hat die Regierung noch andere Stellen fiir 
anzulegende Colonien auserfehen und dahin bezitgliche Con: 
tracte mit Auswanderungsagenten abgefchlofien, jo mit einem 
Mr. Bach, welcher jährlich 200 Verfonen zu fenden verspricht, 
die freic® Land und im erften Jahre alle Provifionen zu 
einem niedern Preiſe erhalten follen. Das Glasgower Hans 
Stephene u, Comp. wird am Port Defire an der pata— 
goniſchen Küſte, etwa halbwegs zwiſchen dem Rio Chuput 
und bem Rio Santa Cruz (bid an welchen befanmtlich Chile 
feine Hoheitsrechte anerfannt ſehen möchte), eine Colonie von 
140 fchottifchen Familien gründen. Sobald die beiden An: 
fiedelungen am Chuput und Bort Defire eine Bevöllerung 
von 20,000 Seelen erreicht haben, follen fie eine neue Pro: 
vinz der Republik bilden. Auch ein Dr. Borrini von Mai: 
land beabfichtigt, 500 Familien nach der Argentina zu trans: 
portiren, für welche er 300,000 Acres Land beanfprucht. 

Was den Bort Defire anlangt, fo wird derſelbe in 
der Entdeckungsgeſchichte Patagoniens öfters erwähnt. Ma: 
gelbaens befuchte ihn 1520 und Pigafetta, fein Secretär, 
erzählt von ber riefigen Größe ber dortigen Eingeborenen, 
Francis Drake anferte dort 1577 zwei Wochen lang, ehe 
er nach der Weſtküſte fuhr und Gallao und Balparaifo brand: 
ſchatzte. 1592 lag Admiral Davis im Hafen einem äußerft 
. ergiebigen Seehundöfange ob und entdedte beim Weiterfegeln 
am 12, Auguſt die Falklandsinſeln. Dann folgen eine Reihe 
von Unterfuchungen, ob fich dort eine Colonie anlegen laſſe: 
1669 Commobore Narborongh im Auftrage Karl's II., 
im felben Jahre Admiral Strong, den Wilhelm von Dra— 
nien, 1698 Admiral Beauchene, ben die franzöſiſche Re: 
gierung ſchickte. Sie alle fcheinen ungünstig berichtet zu haben, 
wenigftens hören wir nicht einmal von einem Coloniſations- 
verfuche. Jene beiden, welche die Regierung von Buenos 
Ayres 1767 und 1779 unternahm, in letztern Jahre in San 
Matias, ſchlugen beide fehl. Erſt im folgenden Jahre grün: 
bete Antonio Biedma im Port Defire und in San Julian 
die erften feſten Niederlafiungen an diefer Küfte, während 
fein Bruder Francidco das Gebiet des Rio Santa Cruz big 
an ben Fuß ber Anden und feinen großen Duellfee Capar 

chte. Allein eim Befehl des Viceklönigs hob jene An— 
fiedelungen bald wieder auf, Bon neueren Beinchern jener 
Gegend find zu nennen 18986 Darwin und Captän Fitzroy 
im „Beagle*, welcher den Rio Santa Cruz 350 Seemeilen 
hinauffuhr, dann Lieutenant Mufters (f. „Globus* XXI, 
©. 305 bis 309), Lieutenant Fielberg, welder den Capar— 
See für die argentinische Regierung erforfchte, und 1874 bie 
Herren Berg und Moreno, welde aber nur die Külte be— 
fuchten und von der Niederlaffung am Rio Santa Eruz we 
nig Gutes au berichten wiſſen. 

An verichiedenen Punkten der Küfte um Port Defire 
und anf den vor ihr liegenden Injeln giebt es Guano, deffen 


Aus allen Erdtheilen. 


Ausbeutung die Herren Stephens wohl nebenbei beabſichti⸗ 
gen. Bon ben Eingeborenen droht ihnen, nad dem guten 
Verhältniſſe der Walliſer zu denfelben zu fchließen, wohl feine 
Gefahr; ob aber genügend viel fruchtbarer Boden, Trink: 
waſſer und Holz vorhanden ift, muß die Zukunft lehren. 
Was noch neuerdings Berg über die Küſte beim Santa: 
Cruz⸗Fluſſe mittheifte, ift fo ermutbigend nicht. 
* * x 

— Die auf S. 106 geſchilderten Ruinen der Stadt Me— 
fhed-i-Misrian (fo ift wohl die richtige Form des Na— 
mens) gehören nach Sir H. Nawlinfon, dem Präſidenten der 
Fondoner Geographiichen Gefellfchaft, der Stadt Debiftan 
an, der Hauptftabt der Dahae, eines parthiſchen Wolfes, 
welches im Alterthume an der Süboftfüfte des Kaspiſchen 
Meeres, wo heute bie Jomnd-Turfmenen wohnen, baufte. Ge— 
wöhnlich von dem 80 engl. Meilen entfernten Dſchurdſchan 
abhängia, hatte Dehiftan in den erften Jahrhunderten bes 
Islam feinen eigenen „Sul“ oder König nnd Ipielte in ben 
Kriegen, welche bis auf die Zeit der tatariichen Eroberung 
zwilchen Charesm (Chiwa) einerſeits und Choraffan und 
Mafenderan andererſeits geführt wurben, beftändig eine Rolle. 
Erſt ungefähr um 1450 u. Chr. wurde die Stadt definitiv zerftört. 

— Anm 3, Februar 1876 ift zwiſchen Brafilien, der argen: 
tinischen Republif und Paraguay ein Vertrag unterzeichnet 
worben, wonach der Präfident Grant iiber das feit langer 
Zeit zwilchen den beiden leßteren Staaten ftreitige Gebiet 
nördlich vom Fluſſe Pilcomayo bis an die Grenze von Bor 
fivia entfcheiden foll, wonach die in Friedenszeiten micht zu 
befeftigende Infel Cerito an die Argentina fällt und Bra- 
filien binnen fünf Monaten feine Truppen aus ber Repu— 
bfit Baragıray zurüchzuziehen fich verpflichtet. 

— Der beitifche Colonialminifter hat dem berühmten 
Auftralienreifenden John Forreft, Inſpecting Surveyor 
der Colonie Weftauftralien, in Anerfeunung feiner großen 
Verbienfte um die Erforfchung des Innern von Auftralien, 
5000 Acres Kronland zum Geſchenke gemacht, welche er ſich 
in irgend einer von ihm beliebten Gegend der Colonie Weft- 
anftralien auswählen mag. 

— Unter ben wilden Bhils, einem nichtarifchen Stamme 
auf der Grenze von Mewar und Guzerat, ift vor einiger Zeit 
ein religiöfer Reformator, Surdſchi genannt, aufgetreten. Er 
predigt ben Glauben an einen Gott, Frieden und Freundichaft 
und nimmt feinen Anhängern einen Eid darauf ab, daß fie 
fich aller Verbrechen und Vergehen, aller geiftigen Getränfe 
und der Tödtung lebender Weſen enthalten, nur von Boben- 
probucten leben und vor der Mahlzeit fich baden wollen. 
Surdſchi bat ſchon über taufend Bhuguts (Gläubige) und brei 
Gurus (Schiiler, Apoftel) für feine Lehre gewonnen. 

— Der weſtauſtraliſche Squatter Fane hatte auf einem 
weiten Ritte von Champion Bay gegen Dften bin von Ein: 
geborenen in Erfahrung gebracht, daß noch weiter öftlich vor 
langer Zeit eine Gefellichaft weißer Neifenden umgefommen 
fei. Diefe Nachricht veranlaßte die weitauftralifche Regierung, 
den Polizisten Howard mit einigen Begleitern an jenen Ort 
zu Schicken, um nachzuforſchen. Es ift nun 320 englifche Mei: 
Ten öftlich von Champion Bay ein Lager, welches einft Weißen 
angehörte, aufgefunden worben, in deifen unmittelbarer Nähe 
Knochenreſte von menschlichen Gerippen und von Pferben zer: 
freut lagen. Damit fcheint das Schidfal der Leichharbt- 
Erpebition theilweiſe anfgeflärt zu fein. 


Inhalt: Dr. Morice's Reife in Franzöſiſch Cochinchina. II. (Mit vier Mbbildungen.) — Namangan. (Mit einer 
Abbildung.) — Die Rohlfs'ſche Expedition zur Erforfhung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874 Von Paul Aſcher— 
fon, Mitglied der Erpebition. .IV. — Prichewalgti's Reife von Kiachta nach Peling. Von Albin Kohn. IN. (Schluß.) — 
Das Stavafeft der Serben. Bon Dr. Nilola J. Petrowitſch in Kragujevaz. I. — Aus allen Erdtheilen: Die Wallifer 
Eolonie am Nio Chuput und die fchottiiche am Port Defire in Patagonien. — Verfchiedenes. — (Schluß der Nedaction 


18. Mär; 1976.) 





Medacttut: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftraße 13, IN Zr. 
Drud und Berlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig. 


Hierzu eine Beilage: Literarifcher Angeiger Ar. 2. 


Band XXIX. 


Mit befonderer Berüchfichtigung 





- 


der Anthropologie und Ethnologie. 


Begründet von Karl Andree, 
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kicpert. 


Braunfhweig 


Yahrlid 2 Bände a 24 Nummern, Durch alle Buchhandlungen und Poftanftalten 
zum Preije von 12 Mart pro Band zu beziehen, 


1876. 








Dr. Morice’s Reife in Franzöſiſch Codindina. 


11 


In Hatien fand Morice im vieler Hinficht eine reich. 
liche Ausbeute an allerlei Reptilien, Fifchen und dergleichen. 
Mertwürdig ift der Kampffiſch“, der nur 5 Gentimeter 
lang ift, dabei aber ein ausgejprochener Raufbold. Für ge 
wöhnlic, farblos grau, befommt er im gereiztem Zuftande 
ein funlelndes Ausfehen und ftürzt fich nach wenigen Minu— 
ten wüthend auf feinen Gegner, um ihm mit Biffen und 
Schwanzichlägen zu Leibe zu gehen. Die Annamiten bes 
nugen biefen Umftand, um Sampffpiele zu veranftalten und, 
wie Liebhaber anderer Zonen auf Hähne, Hunde oder Pferde, 
fo hier auf Fiſche zu wetten. 

Hatten befigt aud; Opiumpflanzungen. Der Verkauf 
diefer Drogne fteht in Cochinchina gegen eine ziemlich hohe 
Pacht nur einer hinefischen Gejellichaft zu, welche das aus- 
fchliegliche Recht der Fabrikation und des Vertriches befigt. 
Über in der ganzen Colonie und befonders längs ber Meeres- 
füfte fteht ein lebhafter Opiumfchmuggel in Blüthe, dem die 
firengften Strafen nicht Einhalt thun können. Der ſchäd⸗— 
liche und ſchändliche Opiumgenuß ift in Codindina weit 
mehr in ben Hlitten ber Handwerker, Bauern und Bedienten 
verbreitet, als in den Wohnungen der höheren Stände, 

Ehe Morice Hatien verlieh, befuchte er noch die zu Kam— 
bodſcha gehörige Inſel Puh: Quoc (Koh-Tron unferer 
Karten), eine wahre Perle bes Golfes von Siam, Ihre 
Fauna ift Höchft intereffant und begreift, von einigen giftigen 
Schlangen abgefehen, fein fchädliches Thier. Tiger z. B. lom⸗ 
men dort nicht vor. Daflir haufen in ihren Wäldern wilde 
Büffel, Eber und Hirſche. Pferde, Rinder und zahme Bif- 

Globus XXIX, Nr. 15. 


| fel find dort unbefannt, ebenfo Wagen und Reisfelder, welch 
letzterer Umſtand die Infel zu einem ausnahmsweiſe gefunden 
Aufenthalte macht. Rieſige Calaos oder Nashornvögel woh ⸗ 
nen paarweife auf den großen Bäumen, fowie einige wenige 
Affenarten. Pythonen, verfciedene Eidechſen, wie Warn» 
eidechſen und große Iguanen, und zahlreiche Sandkäfer und 
Bupreften hatten für den Naturforſcher fo viel Anziehendes, 
daß er die Infel nach einem vollen Monat nur ungern ver- 
(ieh. Die 2000 Einwohner derfelben, welche in fieben 
Dörfern wohnen, ernähren ſich hauptſächlich durch den Fiſch- 
fang. 

Auf einer gemietheten Dſchunke wurde die Nüdreife nach 
dem Often der Eolonie angetreten, welche wiederum auf dem 
moslitoreichen Canale von Binhte nach Schodot am Melhong 
führte. An beiden Flußufern, namentlid, aber am rechten, 
ziehen fich zahllofe annamitifche Hütten hin, Uber denen bie 
Erdmauern des Forts, welches die Größe einer Meinen Stadt 
befigt, emporragen, Die gleichnamige Provinz umfaßt 105 
Dörfer mit einer Bevölkerung von 89,000 Einwohnern, 
darunter 8000 Kambobfhern und 16,000 Dialayen, Meh- 
tere dort verlebte Tage und ein Ausflug nad) einem nahen 
Hügel brachten dem Neifenden die Ucberzeugung bei, daß fein 
Theil der ganzen Colonie jo reid) an Mostitos, Schlangen 
und Waflervögeln jei als die fumpfige Umgebung von Schodol. 

Flinf Tage Ruderns brachten ihn nad) dem fchon erwähn« 
ten Binhelong, und weitere drei Tage und drei Nächte 
nad; Mitho, deſſen Infpection wegen feiner Schönheit be- 
ruhmt ift, und das ebenfo wie Scholen große Srofobil- 

29 


226 


ſchlächtereien beſitzt. Der zugehörige Bezirk zählt in 182 
Dörfern 9200 Einwohner, Durch ein Gewirr von Canülen 


fchrte er über das langweir 
lige Tangsang, ebenfalls 
dem Hauptorte eines Bezirks 
(105 Dörfer mit 3600 Eine 
wohnern), nad) Saigon zurlid. 

Nach kurzem Aufenthalte 
daſelbſt brach er nach dem ſchö · 
nen, trodenen Oſten des Pan- 
des (Tayninh)auf, anfangs 
natürlich zu Wafler. 8 
war 9 Uhr Abends und tief: 
ſchwarze Nacht, als er feine 
Dſchunke in Benkün verlieh. 
Des Yandes umfundig und 
nur willend, daß er von 
feinem Ziele Tayninh nod) 
durch eine 15 Kilometer lange 
und von Tigern viel befuchte 
Strecke getvennt fei, war er 
ſchon entichloffen, bei dem 
einheimischen Tong (Dorf: 
fchulze) ein Unterfommen für 
die Nacht zur ſuchen, als er 
beim Fackelſcheine einen ihm 
ſchon befannten Yandsmann 
traf, welcher dorthin gefom+ 
men war, um Sachen filr die 
Infpection in Empfang zu 
nehmen. Dieſer bot ihm 
einen Ochſenwagen an, ber 
dankbar angenommen wurde. 
Außerdem benugt man in 
Cochinchina noch Büffelwagen 
mit vollen, aus einem Stlüde 
derjertigten Rädern, welche 
beim Fahren ein fchredliches 
Knarren und Quitſchen vorn 


fid) geben, was nach Anficht der Cingeborenen dazu dient, 
die Tiger längs der eingefclagenen Strafe in Schrecken 





Pr. Morice's Reife in Franzöſiſch Cochinchina. 


Ealao (Nashornvogelj mit feinem Jungen. 


zu fegen und zu verjagen. In vielen Theilen des Innern ift 
dies das einzige Verfehrämittel, [welches noch anf Waldiwegen 


Anwendung findet, wo Ochjen 
nicht mehr fortlommen küns 
nen. Mber beide Arten von 
Wagen find fir den Reijen- 
den höchft unbequem und brin= 
gen ihn arg zerſtoßen und er: 
müdet an fein Ziel. 
Tayninh im äußerften 
Nordoften der Colonie ift eim 
hubſch gelegener, geſunder 
Ort mit einer ſehr gemiſchten 
Bevölkerung und einem Fort 
auf einem etwa 25 Meter 
hohen Hügel. Ein geräumi« 
ges, aber nicht fehr lururiöſes 
Haus auf einer niedrigern 
Erhöhung ward dem Antömm- 
ling eingeräumt. Unten fließt 
der Strom vorbei, an wel- 
chem ſich die Hütten der Ein» 
geborenen hinziehen, die hier 
nicht mehr wie im Weiten 
aus ſchmutzigem Schlamme 
beſtehen, ſondern meiſt aus 
guten, feſten Brettern und an⸗ 
ſtatt mit Palmenblättern mit 
einem viel dichtern und feinern 
Stroh bedeckt ſind. An der 
Straße nach Benlsu liegt die 
Infpection und das Telegras 
phenamt, aufder andern Seite 
eine große Kaffeepflanzung, 
während jich dahinter ein herr- 
licher Wald Über die Ebene 
und die Meinen Granitfuppen 
in der Ferne hinzieht. Die 
höchfte derfelben (900 Meter) 


it der Nuisbasdinh, der „Berg ber ſchwarzen Frau“. 
Die Infpection zählt 42 annamitiſche und 11 kambodſchiſche 





Annamitiſche Hütten in Schodof., (Mach einer Photographie.) 


Dr. Morice’s Reife in Franzöſiſch Cochinchina. 


Dörfer mit 15,000 Einwohnern, welche wahrjheinlid, wegen 
der verhältnigmäßig geringen Menge von Reisfeldern bie 
Procehfucht der Bewohner des Weſtens nicht theilen. 
Etwas unterhalb bes Gipfels des Nui-ba:dbinh, deſſen 
nicht mühelofe Befteigung Morice in Begleitung des In- 
fpectors unternahm, erhebt ſich eine reiche Pagobe, die damals 
gerade amögebeffert wurde. Rieſige Haufen von Ziegeln 
und mächtige Blöde von Roth- und Schwarzholz (Sheun 
und Go) waren dazu aufgeftapelt. Welche Menge von Zeit 
und Kraft muß es gefoftet haben, biefe Yaften mit Menſchen⸗ 
bänden dort hinauf zu trandportiren! Der Tempel felbft 
ſteht im einer ziemlich) tiefen Höhlung, vor welder fich eine 
geräumige, damals als Bauplag benugte Terraffe mit eini» 
gen Heinen Zellen der Bonzen ausdehnt. Am Ende diejes 


hener Mann im Lande es verfüumt, von Zeit zu Zeit eine 
hubſche Summe von Piaftern dorthin zu fchiden. 

Obwohl ſich bei Tahninh nod) häufig nächtlicher Weile 
bie Stimme bes, Tigers hören läßt, ebenſo wie bei Bariah 
und Bienhoa, dem öftlichiten franzöfifchen Forts, fo gehen 
doch nur wenige Menfchenleben durch ihm verloren und 
die Zahl derfelben hat fich im letzter Zeit entfchieden vers 
ringert. Dazu mögen bie eifriger als früher betriebenen 
Jagden ber europälfchen Beamten und Dffiziere beigetras 
gen haben. Da ihm bie Wälber eine unglaubliche Menge 
von Hirschen und wilden Rindern liefern, fo fällt ihm 
nur mandmal ein Jagdhund oder ein mwagehalfiger Ein: 
geborener zur Beute. Letztern che er bem Europüer vor, 
fo daß es als Negel gilt, die Tigerjagd ſtets nur in Ge 
ſellſchaft von Annamiten zu betreiben, Das war früher 





297 


halbkreisförmigen Umgangs befindet fi; das Zimmer ber 
alten Pricfterin, welche das ganze Klofter leitet. Dort mad) 
ten ed ſich die Diener der fremden bequem, 

Wie jeder heilige Berg hat and; Nuisbasdinh feine Per 
gende und feine wunderbare Quelle, welche auf bas Gebet 
eines verdurſtenden Bonzen entiprungen fein und nod) 
heutzutage allerlei Krankheiten heilen ſoll. Sie liegt zehn 
Minuten Steigens oberhalb des Kloſters mitten im den Fel— 
fen und iſt ſchwer zu finden, Das Klofter ift das ange: 
fehenfte und reichfte im ganzen Yande. Zahlreiche Pilger 
firömen von allen Seiten herzu, um ber „Schwarzen Frau“, 
bie nebenbei gejagt dort oben nicht einmal ein Bildniß hat 
und eine rein erfundene Perföntichkeit zu fein ſcheint, ihre 
Opfergaben zu Füßen zu legen, wie denn auch fein angejer 





(Nach einer Bhotograpkie.) 


anders: während heute die Eilboten bei Tage und bei Nadıt 
ficher und ungefährdet das ganze Land durchwandern, wurden 
noch zur Zeit der franzöfifchen Befigergreifung europäifche 
Soldaten dicht bei Saigon von Tigern getöbtet umd Ein: 
geborene aus dee Mitte der Heineren Ortichaften ſelbſt her: 
audgeholt. 

Der Marktplag von Tayninh verfammelt jeden Morgen 
Vertreter verfchiedener Racen. Häufig ſah Morice bort 
Kambodfcher, die ſich fcharf von den Annamiten unters 
fcheiden dur ihren verhältnigmäßig hohen Wuchs, ihre 
dunfele Farbe, ihren dien, plumpen Unterkiefer, ihre furz 
verfchnittenen Haare und ihr paffives, ſcheues Weſen. Beide 
Bölter verabſcheuen ſich einander. Der Annamit ift flolz 
auf jeine hellere farbe, feine größere Bildung und namente 
Lich auf die zahlreichen Siege, welche er Über feinen Nachbar 

29 * 


228 


davongetragen Hat, und ftellt denfelben faum höher als den 
Moi, den wilden Bewohner der Gebirge. Der Chmer da⸗ 
gegen fieht mit feinem finfterern, — Charalter 
und feinem tieſern, religibſen Geflihl mitleidig auf den leicht- 
herzigen Annamiten herab. Ungeachtet ſeiner groben Zuge 
erinnert er ſowohl in ſeiner Sprache und Schrift, als auch 
in den herrlichen Reſten einer untergegangenen Civiliſation, 
wie fie die Ruinen von Angkor Wat *) zeigen, mehr an bie 
— als an die Indochineſen. Es iſt ein unglüdliches 

olf, das lambodſchiſche; eingezwängt zwiſchen Siam und 
Annam, weldye ihm die veichjten Provinzen geraubt haben, 
erftarrt im orientaliſchem Lehnsweſen, das feinen unabhän- 
gigen, Heinen Yandbefig auffonmen läßt, und auf den Schuß 
Frankreichs angewiefen, das ihm fein Bischen Unabhäns 
gigfeit noch aufrecht erhält. 

Die reihe Fauna der Umgegend geftattete dem Neifens 
den, eine förmliche Dienagerie anzulegen. In den Zimmern 
hatten eine Anzahl Affen ihre Käfige, deren Jungen mit der 
dort zu Lande ſchwer zu be 
ſchaſſenden Kuhmilch ernährt 
wurden. Denn eine einheis 
mifche Kuh Liefert ale 24 
Stunden nur ein Liter Milch, 
ben vierzehnten Theil einer 
enropäifchen Kuh, und auch 
das dauert nicht lange. Oben: 
dreim iſt der Milchhandel . _ 
gänzlich im den Händen von = 
Hindus und Malayen, welde 5 
das Product auf alle Weife, 
namentlih mit Kofosmild, 
verfälfchen. Die Einführung 
einer guten ſtuhrace in Cochin⸗ 
china ift eine wahre Yebens» 
frage für alle Europäer, welche 
dort wohnen miljfen: mit gu⸗ 
ter Milch könnte man jene 
gefährlichen Anfälle gewiß hei⸗ 
len oder fie ganz vermeiden, 
welche jet den Betreffenden 
zur Rucklehr nad, Frankreich 
zwingen ober ihn bei längerm 
Berweilen wegraffen. — Da 
waren ferner, zeitweilig ober 
dauernd, eine Art Zibethtage, 
ein Stachelſchwein, Wafler- 
ſchlangen, darunter eine Her: 
petonart, die fich zum Theil 
von Begetabilien nähren fol, Eidechfen und Schildtröfen groß 
und Mein, zahme Marabutftördye, ein junger malayifcher Bär, 
ben die Eingeborenen wegen feiner Borfiebe für Cüßigfeiten 
„Honigtiger* nennen, ein weibliches Schuppenthier mit ſei⸗ 
nem Jungen, deſſen Sippe zufammen mit dem Ochſenfroſche 
die Nächte mit ihrem Geſchrei erfitlit. 

Der Sammeleifer des Fremden machte bald fein Haus 

um Stelldichein der Jäger, die ſich ſchließlich gewöhnten, 
jeden Morgen, wenn fie vom Marfte kamen, dort ihr Gläs- 
hen Abfinth oder ihre Taſſe Thee zu trinfen. Zum Dante 
dafür brachten fie am lebenden Wefen, Reptilien oder Säuge: 
thieren, was ihnen in die Hände fiel, und wenn fie ein fel- 
tenes Wild fpirten, wie ben wilden Ochſen oder Condinh, 
fo führten fie den Naturforjcher auf die Fährte und brachten 
ihn zum Schuffe. Reptilien fingen vornehmlich, die Anna» 


NEN 
£. Nom JAT. 


*) Vergl. tie Abbildungen derſelben „Blobus” XX, ©. 18 bis 
22, 34 bie 37 und 54 bie 55. 





Ein Stieng. Mac einer Photographie.) 


Dr. Morice’3 Reife in Franzöſiſch Cochinchina. 


miten, welche fid) vor denfelben weniger fürchten als bie 
Kambodicher, und ſich zu ihrem Fange lets einer Schleife, 
die am Ende eines langen Banıbus befeftigt ift, bedienen. 
Selbjt Knaben betheiligten ſich dabei und bie größte Schlange, 
einen Bungarus annularıs, ſchleppte mühjelig ein Zwölf 
jähriger herbei. Allerlei Käfer, Ameifen und fonftiges Ger 
thier fehlte ebenfalls nicht. Unter ben erfteren find nament« 
lich herrlich gefärbte Bupreften hervorzuheben, die oft eine 
bedeutende Chröße erreichen. Die annamitifchen Kinder fans 
gen fie auf den Knospen des Bambus mittelft langer Stöde, 
deren Spige in Leim getaucht ift; dann binden fie ihnen 
einen Faden and Bein und laſſen fie fliegen, wie europäifche 
Finder and. Zwei der in Tayninh vorfommenden Arten, 
die eine goldgrun mit zwei Orangeftreifen, die andere gold» 
funfelnd mit einem metallifchen, violetten Anflug, dienen den 
einheimischen Frauen zum Haarſchmuck. 

Nicht weniger veic an Arten wie an Individuen find 
dort die weniger angenehmen Thiergeichlechter der Spinnen, 
Storpione und Ameijen vers 
treten, Da, eines Morgeus 
führte einer der Jäger dem 
Naturforscher fogar einen les 
beuden Stieng von Die 
Stiengs find einer ber Stäm- 
me, welde die Annamiten 
unter dem Namen ber Mois 
ober Wilden begreifen und die 
in ben Gebirgen des Norb> 
oftens und Oſtens der Colonie 
haufen. Dener Wilde war 
Hein, fünfzig Jahre alt, fon 
nenverbrannt, mit von Kunz 
zeln durchfurchtem, faſt un— 
behaartem Geſicht, das feine 
Spur von Progmathie zeigte. 
Die Ohrläppchen waren durch⸗ 
bohrt und im der Oeffnung 
jtedhte ein großes Std Bam⸗ 
bus, Don Begriffen war er 
etwas ſchwach und jchien feine 
recht Mare Borftellung von 
einer Gottheit zu haben, welche 
üße t den Stiengs ab» 
gehen fol, wenigftens nach An« 
gabe der Annamiten. That: 
ſache ift eslibrigens, daß ſich 
der Gottesbegriff, je weiter 
man fi) von Vorberindien 
nad Hinterindien hinein entfernt, mehr und mehr abſchwücht. 
Gegen Branntwein überließ der Wilde dem Keifenden eine 
mächtige, ſchwer zu fpannende Armbruft und ein Bündel 
Pfeile aus hartem Holze, welche wahrſcheinlich zumeilen ver 
giftet werben. Doc; gelang es Morice nicht, fi bie ber 
treffende Subſtanz zu verſchaffen. Die fremdartigen, euro 
puiſchen Dinge fegten den Wilden zwar in Erſtaunen, aber 
feine Furchtſamleit behielt er bei. Doch verſprach er wiederzu« 
fommen und Köpfe von Panthern und wilden Büffeln mit- 
zubringen; vor Schlangen dagegen zeigte er eine unitber« 
windliche Abſcheu. Bon feiner ſechs Tagereifen 
Wohnung hatte er einen mit Baumöl beladenen Büffellarren 
hergeführt, dem er voll Reis wieder zurückbrachte. Endlich 
verneigte er fi vor dem Europäer und verließ ihn ganz 
ftumpffinnig und wie betäubt. Eine breiftlindige Unterhaltung 
Ihien, wenn auch von Ruhepaufen unt n, bie 
geiftige Unftrengung in feinem ganzen Leben geweſen zu fein 





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} nd 


und ihn im diefen Juftand verfegt zu haben, 


Paul Ajcherfon: Die Rohlfs'ſche Expedition zur Erforfhung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874. 


Jagden auf Hirfche, deren es dort drei Arten giebt (Kon: 
fa-tong ober Panolia Eldii, Konsman oder Cervulus mo- 
schatus und Kon-ne oder Cervus Aristotelis) und anderes 
Gethier fullten die Zeit, welde Studium und Sammeln 
übrig ließ, aus. Gofuhrer einft in feinem Wagen langfam 
durch den Wald; ein zweiter mit einem Yandömanne folgte, 
Die erftidende Hige — es war 4 Uhr Nadymittagg — 
hatte fie faft in Schlaf verfegt, als fie ein Ausruf des Wagens 
lenters aufjagte. Ein ſchwarzer Koloß kam auf dem engen 
Wege dem Wagen entgegen: es war ein Rhinoceros, das 





Balaft des Gouverneurs in Saig 
theler bezahlen Horn und Blut des Thieres fehr thener. 
Ebenfo wird die Galle eines getöbteten Bären bei Quet— 
ungen als Salbe benutzt; ſchwachſinnigen Kindern giebt 
man pulverifirten Affenfchädel ein; gewiſſe Knochen vom 
Tiger verleihen Kraft; die Flattereidechfe (Draco maculatus) 
ift gut gegen Bräune u. ſ. w. 

Wenige Tage fpäter fehrte Dr. Morice nad) Saigon 
zurlick, welches ſich in den fieben Monaten feiner Abweſen⸗ 
heit merklich, verſchönert hatte. Breite Bürgerfteige aus 
Ziegeln, die auf die hohe Kante geftellt waren, ermöglichten 
auch während der Regenzeit einen bequemen Verkehr; euros 
päifche Raufläden mit Parifer Artifeln und Tabadshandlun- 
gen waren an den großen Straßen, befonders beim Polizei» 


Die Rohlfs'ſche Erpedition zur 
im Winter 


229 


nicht gefonnen fchien, den Entgegentommenben auszuweichen. 
Raſch entfchloffen wurde Feuer gegeben, was das Thier ſo— 
fort zur Umlehr bewog. Sechzig Meter weiter hin lag es 
in feinem Blute und erhielt den Gnadenſchuß. Sofort 
machten ſich num die Eingeborenen daran, die blutige Erde 
und das Blut zu fanımeln, und als fie den Befehl erhielten, 
das Thier zu zerlegen, tauchten fie noch jedes Stüd lei» 
dung, deffen fie ſich anftändiger Weife entledigen fonnten, 
in die gefchägte Flüſſigleit, die hier, wie in Afrika, für ein 
wunderfräftiges Heilmittel gilt. Die annamitifchen Apo- 








on. (Nach einer Photographie.) 
gebäude, errichtet worden, Selbſt in ben nod) ungefunden 
aliatifchen uartieren und zwifchen den djinefifchen Yäden 
ber Rue Catinat erhoben ſich ſchon einzelne europäifch ge 
baute Häufer und über ben gefammten tief oder hochgele- 
genen Gebäuden ber Stadt thronte der prächtige Palaft des 
Gouverneurs mit wehender Tricolore. Kurz der Ort, wo 
fi) noch vor wenigen Jahren nur elende Hütten am Ufer 
des Donai hinzogen, wird mehr und mehr in feinem Aeußern 
den anderen älteren europäifchen Niederlaffungen in Afien 
ähnlid). 

Am 20, September verließ Morice die Colonie, derem 
naturwiffenschaftliche Schätze er bei wieberholtem Beſuche 
nod) gründlicher zu heben gebentt. 


Erforſchung der Libyſchen Wüſte 
1873/1874. 


Von Paul Afcherfon, Mitglied der Expedition. 


V. 


Nachdem am 16. März ſich ſämmtliche Mitglieder der 
Erpedition wieder in Dachel vereinigt hatten, begannen wir 
jofort die Veranftaltungen zur Nüdreife zu treffen. Das 


ſchwere Gepäd, die reichen bisher zufammengebrachten 
Sammlungen wurden unter Leitung bes wadern Beduinen 
Hadj Madjub direct nad) Siut gefandt; wir felbft wollten 


230 


über Chargeh nach dem Nitthale gehen, theils um noch diefe 
Dafe, weldye Dr. Schweinfurth, wie ſchon erwähnt, gleich 
zeitig mit unferer Expedition zum Ziele einer Forjchungs- 
reife gemacht hatte, kennen zu lernen, theils weil Zittel zur 
— ſeiner geologiſchen Forſchungen noch die 
Ränder des Nilthals im der Gegend von Esneh zu unter: 
ſuchen wilnjdte. Am 18. brachen wir an einem herrlichen 
Morgen auf; nicht ohne Wehmuth verliefen wir bie gafts 
liche Stadt, welche unfere Expedition mehr al& zwei Monate 
beherbergt hatte. Die Staats» und Gemeindebehörden gaben 
ung eine volle Tagereife das Geleit bis Mut, wo Haffan- 
Effendi diefer ganzen, großen Gefellichaft ein luculliſches 
Mahl bereitete. Auch am 19. März, den wir noch ganz in 
der Dafe zubradjten, hatten wir ale Mühe, uns der in 
überreichen Maße angebotenen Gaftfreundfchaft der verfchie- 
denen Ortichaften zu erwehren, welche unfern Marfc in 
ungebührlicher Weife aufgehalten und unfere finanzen durch 
die unerläßlicen Backſchiſchs ruiniert hätten. Wir gelangten 
an dieſen Tage bis Beled, einer größern Ortichaft im 
öftlichen Theile von Dadjel, welches durch eine völlig wüſte 
Strecke von fünf Wegftunden von Sment, ber nächſten 
Ortfchaft in Weſt-Dachel, getrennt wird. Ueberhaupt niuß 
bemerkt werden, daß jelbft die Hleinften Dafen der Libyſchen 
Wüfte, wie Farafrah, keineswegs eine zulanmenhängende 
Fläche culturfähigen Yandes bilden, vielmehr aus einzelnen 
durch größere oder geringere Streden von lahlem Wüften- 
boden getrennten Parcellen beftehen, deren Größe von der 
Ergiebigfeit der fie bewäſſernden Quellen oder Brunnen ab- 
hängt. Das oft erwähnte Gleichniß Strabo's, welcher die 
Dafen mit den Flecken eines Bantherfelles vergleicht, wiirde 
für diefe einzelnen Vegetationsinfeln zutreffen, deren Grup: 
pen die Orts oder Gemeindebezirle darftellen, während eine 
größere Daſe wie Dachel einen ganzen Ardipelagus der: 
artiger Sinfelgruppen darjtellt. 

Etwa halbwegs zwiſchen Sment und Beled berührten 
wir eine Dertlichteit, welche durch ihre Benennung unfer 
größtes Intereife erregte, den Badır-bela-mıa von Dadıel. 
Bir fanden indeß auch hier nur eine locale Einfenfung, die 
mit einem wirflichen Flußbette nichts als den Namen ges 
mein hat; ein Zufammenhang deſſelben mit den weiter nörd⸗ 
lic) gelegenen gleichnamigen, räumlid, ebenfo beſchränkten 
Terrainbildungen fonnte nad dem negativen Befunde auf 
unferm Marſche von Siut nach Farafrah ohnehin nicht 
mehr in Frage fonmen. 

Wir verließen am 20. Mittags Tenibah, den legten 
bewohnten Ort in Dachel, und lagerten in einer Schlucht 
des Gebirgsvorſprungs, der fich von dem Plateau, welches, 
fteil auffteigend, Dachel in Nordoften und Chargeh in Nord: 
weiten und Dften begrenzt, zwiſchen beide Dafen hinein- 
fchiebt. Die füdliche Begrenzung dieſes Vorſprunges konnte, 
da Yordan’s Viſuren von Beled und Tenidah und die von 
Chargeh aus nahezu zufammenjchliegen, mit ziemlicher 
Sicherheit auf deſſen Karte *) verzeichnet werden, und fteht 
damit auch die von Rohlfs erkundete Angabe im Einklang, 
daß man von Dachel aus nad) dem Orte Beris im fld« 
lichen Theile der Großen Dafe gelangen könne, ohne einen 
Gebirgsrand zu Überfteigen,. Da durch unfere Expedition 
ein zwar allmäliges, aber beträchtliches Anfteigen des Ter- 
rains von Dachel aus nach Südweſten conftatirt wurde 
(Gaffr» Dacel etwa 120 Meter, Regenfeld 440 Meter) 
und daſſelbe nad) Schweinfurth weftlih von Sid-Chargeh 
der Fall ift, fo bedlirfen bie Höhenverhältniffe auf dem Wege 
zwiſchen Beris und der Daſe Dachel noch weiterer Feſtſiei- 
lung; ebenſo verdient die von Schweinfurth erkundete ans 


*) Petermann’s Mittheilungen 1875, Tafel 11. 


Paul Afcherfon: Die Rohlfs'ſche Expedition zur Erforfchung der Libyichen Wüfte im Winter 1873/1874, 


geblich erft 1872 aufgefundene unbewohnte Dafe weſilich 
von Sib-Chargeh *) noch eine genauere Nachforſchung. 

Am 21, Vormittags erftiegen wir auf einer wohl fchon 
tm Altertum künftlic, gebahnten Straße das Plateau und 
ftiegen ſchon am folgenden Tage in die Einſenkung der 
Großen Dafe hinab. Auf halber Höhe diejes Abftieges ber 
finder fid) der waſſerarme Brunnen AinsAmur mit einer 
unbedeutenden ZTempelruine, Am 23. Abends erreichten wir 
endlich, die Stadt Chargeh, wo wir zwei Tage vermeilten, 
welche ſich durch die gaftfreunbliche Aufnahme Seitens uns 
feres Freundes Schweinfurth ebenfo genuß- als lehrreich 
geftalteten. Remeloͤ benupte diefe Zeit, um von dem nod) 
ziemlich wohlerhaltenen Tempel von Hibis, defjen Dimen- 
fionen, wenn auch mit den viefigen der Monumente des Nil: 
thals nicht zu vergleichen, doc den Tempel von Dachel 
mehrfad) übertreffen, eine Anzahl Aufnahmen zu machen, 
aus denen die hervorragendten Aegyptologen **) bisher unbe 
fannte hiſtoriſche Thatſachen entnommen haben. Seitdem 
ift allerdings die Erforfhung der Monumente der Großen 
Dafe im ein neues Stadium getreten, da Prof. H.Brugid 
im Januar 1875 felbft mehrere Tage in derſelben zuge⸗ 
bracht hat. 

Nachdem wir am 26, März früh die Stadt Chargeh 
verlaffen, legten wir nod einen ganzen Tagemarſch in der 
Dafenfentung zurüd, erftiegen indeß am nie Tage 
Vormittags auf einem Pfade, der mit jenem Aufſtiege bei 
Tenidah große Aehnlichteit hatte, die Hochfläche. Hier 
war es, wo Zittel jene merkwürdige Kalktuffbildung mit 
eingefchloffenen, an die Flora des Mittelmeergebietö erinnern⸗ 
ben Pflanzenreften entdeckte, weldye als eim ficherer Beweis 
dafür gelten fan, daß in ber heutigen Wüſte, in einer der 
jegigen unmittelbar vorausgegangenen, geologiſchen Epoche, 
ein bei Weitem feuchteres Klima geherrſcht haben muß. 
Das Vorkommen von Tropffteinhöhlen und die ausgedehn: 
ten Erofionserfcheinungen an den Steilrändern der Dafen, 
welche zur Bildung von Felfenlabyrinthen, für bie fogar ein 
eigener arabijcher Yocalausdrud, „Charaſchaf“*, eriftirt, Ver- 
anlafjung gaben, find weitere Belege für biefe Aunahme. 
Es ift vielleicht nicht zu gewagt, den Fund von Feuerftein- 
artefacten etwa filuf Tagereifen jenfeit der Daſe Dachel 
mit diefem ehemaligen feuchtern Klima im Berbindung zu 


* 
Wir hatten auf dem Plateau noch vier ſiarke Märſche 
u machen. Am Nacmittage des 30. März wurde und die 
Nähe des Nilthals auf eine eigenthimliche Art angekündigt; 
eine mächtige, plötzlich aufwirbelnde Kaudyfäule konnte nur 
einem Fabrilſchornſteine oder dem Kamine eines Dampfers 
entftammen, und in der That lagerten wir noch an demiel» 
ben Abende nach recht ſchwierigem Abſtiege in einer fich ins 
Flußthal öffnenden Felsſchlucht. Nachdem wir noch einen 
ganzen Tag in der breiten, ſandigen Thalebene marſchirt, 
von der hier nur eim ſchmaler Streifen von ben Ueber— 
ſchwenimungen des fegenfpendenden Stromes berührt und 
mit Nilthon bededit wird, erreichten wir bei Sonnenunter- 
gang Esneh. Der Uebergang aus den Strapazen und Ente 
behrungen des Wüftenlebens zu den Geniffen der europäi« 
ſchen Civilifation, welde uns, da uns auf befondern Befehl 
des Chedive das vicefünigliche Palais eingeräumt murbe, 
hier wieder zu Gebot ftanden, war ebenfo plöglic, als wohl: 
thuend, 

Bir hatten in Esneh bei viertägigem Aufenthalte Zeit 


*) Nah Jordan in Petermann’s Mittheilungen 1875, &.207. 

++) Vergl. Lepfius, Hieroglopbifche Anfchriften in den Dafen ten 
Xarigeb um Dayilch, Zeitfbrift für äghptiſche Syrache und Alter 
tbumsfunde 1874, ©. 73 fl. 


Paul Ajcherjon: Die Rohlfs'ſche Erpedition zur Erforfchung der Libyſchen Wüfte im Winter 1873/1874. 


die natur» und culturhiftorifchen Verhältniſſe in dies 
heile Dberägyptens kennen zu lernen. 

Am 5. April ſchifften wir uns auf zwei etwas engen 
und unfauberen, zum Pafjagierdienft wohlhabender Einge⸗ 
borenen eingerichteten Nilbooten ein und erreichten am 14. 
Abends die Eifenbahnftation Rodah (die Bahn war damals 
noch nicht bis Siut vollendet), Unterwegs nahmen wir einen 
längern Aufenthalt nur in Theben, um die großartigften 
aller Monumente des Nilthals kennen zu lernen, in Denbes 
rah, um jenen noch fo wohl erhaltenen HathorsTempel zu 
befuchen, und in Siut, wo wir unfere Sammlungen an 
Bord nahmen und Jordan feine aftronomischen Beobadhtun- 
gen durch eine neue Zeitbeftimmung zum Abſchluß brachte. 
Bon Rodah führte und die ocomotive ſchnell nach der 
Hauptftadbt Aeghptens, wo wir am 15. Nachmittags ein- 
trafen. Nachdem wir mod}, wie auf der Hinreiſe, die Ehre 
einer Audienz beim Beherrſcher des Landes gehabt und in 
einer Sigung des „Inſtitut Egyptien* einen vorläufigen 
Bericht über die erlangten wiffenjchaftlichen Kefultate abge 
ftattet, verabfchiebeten wir und vom Lande der Pharaonen, 

Ic darf wohl verjichern, daß wir trog den von einer 
derartigen Reife ungertrennlichen Anftrengungen, trog der 
nothivendigen Entbehrung vieler gewohnter Genüfle, nur ans 
genehme Erinnerungen von dieſer Expedition behalten haben. 
Die ſchönen Tage, die wir an den gefegneten Ufern des 
Nils, im Schatten der üppigen Balmenhaine der Dafen ver« 
lebt, die wilde Schönheit der Felſenlabyrinthe und bie 
Farbengluth der Sonnenuntergänge in der Wüfte werden 
nie unſerm Gedächtniß entſchwinden. 

Es ſteht mir als Mitglied der Erpebition nicht zu, die 
wiflenfchaftliche Bedeutung derfelben zu wilrdigen. Ein end» 
gültiges Urtheil wird ſich erft fällen laffen, wenn das ganze 
wiflenfchaftliche Material bearbeitet und der Deffentlichkeit 
übergeben fein wird, was bei dem matırgemäß langjamen 
Vorfchreiten derartiger Arbeiten erft in einigen Jahren zu 
erwarten fteht. Bis jegt ift außer einer Anzahl Hleinerer 
Mittheilungen nur eine Sammlung von 50 Photographien 
veröffentlicht worden, zu deren Herausgabe der Chedive von 
Aegypten noch eine namhafte Summe bewilligt hat; id) 
habe dem Ausſpruche der competenteften Fachmünner, welche 
die Arbeit Nemele's als eine der dvollendetften Yeiftungen 
auf diefem Gebiete bezeichnen, nichts Hinzugufigen. {Ferner 
liegt bereits ein von Rohlfs verfaßter vollftändiger Reiſe— 
bericht vor *). 

Es wird mir indeß wohl geftattet fein, dem ungünftigen 
Urtheilen gegenliber, welche allerdings unter den anerkennen: 
den Stimmen vereinzelt über die Rohlfé'ſche Erpedition 
geäußert worben find, einige Thatfachen hervorzuheben. 
Allerdings wurde die Dafe Kufara, deren Beſuch auf uns 
ferm Programme ftand, nicht erreicht; indeß das Vorbringen 
nach diefer geheimnißvollen Dafe war keinegwegs der einzige 
und auch nicht der wichtigfte Zweck ber Erpebition. Die 
Richtung auf Kufara wurde nicht wegen der allerdings nicht 
zu verfennenden Wichtigfeit diefes Object$ gewählt, welches 
mit der größten Ausficht auf Erfolg im Norden von Aus 
djila aus aufgefucht werden müßte; vielmehr weil durch den 
dorthin gerichteten Marſch das völlig unbefannte Gebiet in 
feiner größten Ausdehnung durchſchnitten worden wäre. Es 
ift daher ungerecht, zu behaupten, daß die ganze Erpebition 
geicheitert fer oder ihren Zweck, weldyer in Wahrheit die Er» 


) Drei Monate in ber Libofchen Wüſte. Bon Gerhard Rohlfs. 
Kaſſel 1975. ©. „Blobus* XXVIII, ©. 336. 


genu 
fem 


231 


forfchung der Libyſchen Wifte war, verfehlt habe. Der 
Nachweis der Nichterifteng jenes berufenen Bachr-bela⸗ma, 
die Ermittelang der Höhenlage der Daſen, namentlich, die 
genaue —— der vielbeſprochenen Depreſſion, der 
Yupiter-Ammons-Dafe, fo genau als fie ohne ein Präciſions · 
Nivellement tiberhaupt gefchehen konnte, find wahrlich nicht 
gering zu veranfchagende geographifche Ergebniffe. Ein 
oberfläcjlicher Vergleich der Jordan ſchen Karte mit umferer 
bisherigen Kenntniß des befuchten Gebiets, wie fie z. B. auf 
dem Blatt 2, der Petermann': und Hafjenftein’fchen Karte 
von Imnerafrifa erfcheint, wird darthun, wie wejentlic ans 
ders die topographiichen Berhältniffe nad den Aufnahmen 
unferer Erpedition fid) darſtellen. Was die naturwiflen- 
fchaftlichen Reſultate betrifft, jo mußte man die Libyſche 
Wüfte vor unferer Reife im diefer Beziehung wohl als ein 
jungfräuliches Gebiet betrachten. Nunmehr darf die von 
uns befuchte Strede, obwohl natürlich dort noch Stoff ge 
nug flr weitere Forſchungen vorhanden ift, doc) in ihren 
weſentlichen Charafterzügen als aufgefchloffen gelten. Ihre 
geologiſche Aufammenfegung hat ſich als liberrafchend man« 
nigfaltig herausgeſtellt; eine UWeberfülle von größtentheils 
neuen Verfteinerungen wurde durch Zittel's Fleiß umd 
Scharfblid eingeheimft; die Vegetation der Dafen, obwohl 
natürlich, nichts weniger als reich, hat doch durch die uner⸗ 
warteten Beziehungen zum Mlittelmeergebiet Interefle er» 
langt; auch für die zoologifche Erforſchung ift wenigſtens 
ein Anfang gemacht. Fur die Meteorologie ift durch bie 
von Jordan mit größter Aufopferung an mehreren Orten 
Tag und Nacht durchgeführten Beobachtungen, wie aud) 
durch Rohlfs' ununterbrodjen fortgeſetzte Aufzeichnungen cin 
höchſt werthoolles Material zufammengebradht worden ; die 
Dʒonbeobachtungen Zittel's *) haben völlig unerwartete Refuls 
tate ergeben, deren Tragweite für diefen jungen Zweig der 
meteorologiichen Wiſſenſchaft fich noch nicht überfehen läßt. 
Selbft die Archäologie blieb nicht ohne Ausbeute, So dlir- 
fen wir wohl hoffen, daß die Rohlfs ſche Expedition zur Ers 
forfchung der Libyſchen Wuſſte einen ehrenvollen Play unter 
ben Unternehmungen unferes Zeitalters behaupten wird, 

Ganz bejonders halte ich mich aber für verpflichtet, an 
diefer Stelle auf die Umſicht des Yeiters hinzuweiſen, zu 
deſſen unfterblichen Berdienften um die Erforſchung Afrikas 
diefe Reife einen neuen Ruhmestitel Hinzugefügt hat, Hatte 
er bisher als fühner Pionier allein und mit den befcheidenften 
Mitteln durch unbekannte Länder und feindliche Bevölferungen 
fi) Bahn gebrodyen, fo hat er ſich nicht minder befähigt 
fiir die vielleicht nicht weniger ſchwierige Aufgabe bewieſen, 
eine große wiſſenſchaftliche Unternehmung erfolgreidy zu leiten. 

Durch feine weife Vorausſicht hat die Erpedition wäh« 
rend mehrerer Monate in einem nahezu von allen Hulfs— 
quellen entblößten Gebiete micht mr nie am Nothwendigen 
Mangel gelitten, ſondern in verhältnigmäßigem Ueberflufle 
gelebt ; feine Ausdauer und Erfahrung wußte die ernftlich- 
ften Hinderniffe, welche ſich unferen Abfichten entgegenftellten, 
zu tiberwinden und unter feiner ebenjo tactvollen als ener⸗ 
giichen Leitung wurde die Harmonie zwifcen den Expedi— 
fionsmitgliedern faum jemals durch vorübergehende Diffe- 
renzen geftört. Wenn daher die Wiſſenſchaft von ber 
Libyſchen Expedition einen bleibenden Gewinn zu verzeichnen 
hat, jo gebührt das Berdienft vor allen ihrem ritterlichen, 
flugen umd energifchen Führer, Gerhard Rohlfs. 








*) Sigungsbericht der königlich baveriſchen Alademie 1874. II. 
Matbematifchrphvfifalifche Glaffe, S. 215 ff. 


232 


Nitola J. Petrowitſch: Das Stavafeft der Serben. 


Das SIavafeft der Serben. 
Von Dr. Nikola I. Petrowitfch in Kragujebaz. 


Der Slava fehen alle Hansgenofjen auf den Beinen, 
mumter und gewajchen entgegen, weshalb alle folgenden Ta- 
ges jchon bei der erften Morgendbämmerung aufftehen md 
ſich zurliften. Einer von den Söhnen wird nad) der Kirche 
geihicdt, wie oben erzählt, während die Uebrigen zu Haufe 
bleiben. So wie der „Zrkwar“ (ber Kirchgänger) nad 
Haufe fommt, und die Gratulationen zu Ende find, wird 
alles fir die Mahlzeit bereitet. 

It das Wetter fchön und das Haus wohlhabend, fo 
werben auch einige Salven abgefchoffen, um der ganzen Lime 
gebung zu melden, daß die Gäfte zu der Slava verfammelt 
find. 


Die Mahlzeit ift der Hauptpunkt des ganzen Feſtes. 
Selbft der ärmſte Bauer richtet dazu viele und theure Spei— 
fen her; ja, man macht felbft Schulden, um die Slava mög: 
licht glänzend zu feiern, Eine fanre Suppe, Gemllſe, Fleiſch— 
fpeifen von verfchiebener Art je nach der Jahreszeit, Mehl- 
fpeifen und obendrein ein gebratenes Schwein oder Schaf 
find die Gerichte, von denen meift viel mehr, als nöthig 
wäre, bereitet wird. Nachdem das Licht angezlindet ift, etwa 
um 9 Uhr, fegen ſich die Säfte zu Tiſch; außerdem höchſtens 
ber Großvater des Hanfes oder der Vater, aber nur, wenn 
er fehr alt ift und einige verheirathete Söhne befigt — fonft 
barf fi der Hausvater niemals zu Tifche ſetzen. Er mit 
feiner Frau fteht immer um die Gäſte herum und bedient 
fie. Die ferbifchen Nationallieder erzählen, wie felbft der 
Kaifer Lazar bei feiner Slava die Gäfte bedient hat. 

Mit dem Eſſen fängt das Zutrinten („zdramize napijati“) 
an, welches das Feiern der Slava genannt wirb („dizati 
u flavu“). Alle ftehen auf und nehmen die Müge vom 
Kopfe; der Hausvater bringt ben Kuchen, weldyer in der 
Kirche war; jeder befommt ein Glas Wein; der Aeltefte 
fängt dann an: 

„Wir tranfen, wie wir mußten und mie wir fonnten; 
dies aber wollen wir zur Ehre der göttlichen Slava trinfen. 
Wo die Slava nur erwähnt wird, da foll fie ums immer 
helfen — Gott gebe es!“ Ale antworten: „In Gottes 
Namen!“ Dann wird das Lied von der Slava gefungen: 


„Ber Bein zur Ehre der Slava ſtets trinkt, 
Dem helfe Gott und Slava, die heilige. 

Was Schöneres, als die heilige Slava, giebt's? 
Und Eſſen, mit Ehre genojien ftets?* 


Darauf trinft ein jeder etwas Wein aus feinem Glaſe, 
oder, wo feine Gläſer zur befommen find, alle aus einem 
Scöpfgefäße, weldyes aus einer Art Kürbiß verfertigt wird. 
Bei feiner Slava dürfen die Gläſer einen Augenblid leer 
bleiben ; nad) jeder „Zbramiza* werden fie fofort wieder ge- 
fült. Das Mittagefien wird von den „Zdramwize* ſehr oft 
unterbrochen, denn die Serben leiden es nicht, daß Jemand 
ſtillſchweigend trinft. Jeder betrachtet es als feine Pflicht, 
einige Worte zu fagen; und zwar wird am meijten mit dem 
Glaſe in der Hand geſprochen. Ich denfe, dag es nicht ohne 
Intereffe fein wird, einige folde „Zdramizes“ hier anzuflh- 
ren, weil diefelben am deutlichſten den Gedanfenkreis einer 
ferbifchen Geſellſchaft charakterifiven, wobei man aber nicht 
vergefien darf, daß dies alles nur auf dem Yande gebräudh- 


II. 


lich ift. Zwar hört man die Zdrawize noch im den Städten; 
aber diefelben haben ſchon ganz europäifches Gewand angelegt. 

Die zweite Zdrawiza lautet: „Wir tranfen für die hei⸗ 
lige, göttliche Slava; jegt wollen wir dies Glas für das 
heilige Kreuz und den Slava:Namen *) trinfen. Gott foll 
ung geben, daß wir diefen Namen nod) viele Jahre feiern, 
dag wir ihn und er ums nie vergißt.* 

Die dritte Zdrawiza heißt: „Das dritte Glas ber 
Dreieinigfeit, den Pfingften. Der Pfngftag fol allen Chri⸗ 
ften im Haufe, Felde, am Waffer, im Walde, überall Helfen. 
So Gott will — Amen!“ Diefe Zdrawiza hat viel Achn- 
lichfeit mit einem Gebet und wird auch im Zone des Ges 
betes geſprochen. 

Erſt die vierte Zdrawiza wird auf die Geſundheit des 
Haudvaters und feiner Familie getrunken. Ihre Formen 
find ſehr verfchieden; mitunter —* 3. B.: „Domatjine! 
Auf Dein Wohl und das Deines Kopfes, für das Deiner 
Frau, Deiner Eltern, Deiner Söhne und Töchter, Brüder 
und Schweſtern, Nichten, Pathen und aller Deiner Ber 
wandten; flir Deine Nachtommenfchaft, welche Dir Gott 
gegeben hat; er foll Dir auch diefe alle erhalten!" Andere 
wieder fehr lang und breit, indem man im denfelben alles 
errähnt, was man feinem freunde nur wunſchen fan, jo 
dag in einer folhen Zdrawiza oft ganze Geſchichten eines 
Haufes erzählt werden. Ein Gejang befchließt auch biefe 
Zdrawiza“. 

Die fünfte wird auf das Wohl aller Nachbaren, der ein⸗ 
geladenen wie der nicht eingeladenen, getrunten; alle läßt 
man „viele Dahre leben“. Damit befchliegen die officiellen 
Trinffprliche ; aber wie jchon bemerkt, die Serben ſprechen 
bei jedem Safe Wein einige Worte, weshalb die Zdrawize 
erft beim Sceiden ein Ende nehmen. Selbft dabei trinft 
man noch eim letztes Glas mit dem Wunſche: „Auf glid- 
liche Reife, und baldiges Wiederjehen, in Freuden und Ges 
fundheit — fo foll uns Gott Helfen, Amen!* 

Das Mittagseffen dauert bis gegen Abend, d. 5. bie 
Alten figen immerfort am Tifche, während die Jungen im 
Zimmer, oder bei ſchöͤnem Wetter im Hofe tanzen oder Ges 
ſellſchaftsſpiele veranftalten. Oft ſuchen die Mädchen auch 
ihr Bergnligen für fih, im Erzählen und Singen, und die 
jungen Männer wieder in Springen, „Steimwurf“ ober 
Scheibenſchießen, wobei nicht jelten Vermundungen vorlom⸗ 
men. Natürlid werden nur Nationaltänge („Kolo“, „Mat 
ihwanfa*, „Oflroljanfa*, „Zichetworla", „Wlahinja“, 
„Moramfa“, „Srbijanfa* ıc.) ausgeführt. Entweder tanzen 
alle zufammen, oder niemand. Das Ausſchließen ift bei den 
Serben unbefannt. „Ein junger Mann muß immer tan- 
zen, eim junges Mädchen muß immer fingen wollen,* ift 
ein altes Sprichwort. Während es jo draußen luftig her 
geht, werden drinnen in der Stube der Alten Geſchichten 
aus der Vergangenheit, aus dem Befreiungskrieg, oder von 
einem befondern gechrten Helden erzählt; bis einer die 
„Gusle“ ergreift und zu derſelben ein Heldenlied vorträgt. 
Somie aber die wehmüthige Melodie beginnt, Hört draußen 


+) „Rimo ime“ heißt der Name desjenigen Heiligen, welden 
man gerade feirtt. 


Ein Märchen und ein paar Dorfgeſchichten aus Griechenland. 


ſogleich das „Kolo* auf — alles läuft in das Zimmer, um 
den „Suslar* zu hören. Die ferbifche Seele kann fich bei 
feinem andern Inſirumente fo erwärmen, als beim Klange 
der „Gusle“ *), 

Erft wenn es ſchon Abend wird, fangen die Frauen an 
ihre Männer an das Fortgehen zu ermahuen. Nach vielem 
Hin⸗ und Herreden ſteht man endlich vom Tiſche auf, und 
ftehend wird noch ein Glas zum „Abſchied* getrunfen. Dan 
nimmt von den Hausleuten Abſchied, aber nur für eine 
Nacht, denn nur die Gäfte aus der Nachbarichaft gehen fort; 
die Webrigen, welche vom weither gefommen find, bleiben nod) 
über Nacht und fegen bie Slava noch weiter fort, 


*) Der berühmte ferbifche Dichter, ber Onkel des jegiaen Fürſten 
von Montenegro, Peler Pettowitſch Njegoſch ſagt in feinem „&oafi 
Wijenag*: „In dem Haufe, wo man keine Gusle hört, giebt es feine 
Menſchen, aber auch kein Haus.” 


233 


Um ein großes Feuer herum wird das Abendeſſen ein- 
genommen, und nachher bis fpät in bie Nacht getanzt. 

Der Tag nad) der Slava, „patarize*, „okrilje*, auch 
„pojutarje* genannt, wird ebenfo wie diefe felbit gefeiert, 
nur mit dem Unterſchied, daß die religiöfen Gebräuche forts 
fallen. Es wird num gegefjen, getrunfen, getanzt und gefungen. 

Der dritte und legte Tag heißt „goftinfi dan“ oder 
„uſtawzi*“. An ihm kommen die Nachbaren gar nicht, und 
diejenigen, die aus der Ferne gefommen find, bereiten fich 
zur Abreife vor, Ein gene: Zug zieht aus dem Haufe fort, 
nachdem er drei volle Tage dort gegeffen, getrunten und ger 
jubelt hat. 

Sp endet diefes für den ferbifchen Stamm carakteris 
ſtiſche Feſt, deffen Erinnerungen zu den fchöniten aus der 
Jugendzeit gehören, 


Ein Märden und ein paar Dorfgefhichten aus Griechenland, 
Mitgetheilt von W, ©, 


1. Der Mörfer der fieben Himmel. 


Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter. Der 
mußte einft in einen großen Krieg ziehen, Da rief er feine 
Töchter zuſammen und fragte fie, was er ihnen bei feiner 
Raudlehr mitbringen folle. Die Aeltefte bat um goldene 
Armbänder ; die Zweite wilnjchte eine Halstette mit Dia- 
manten; die jüngfte Todjter aber verlangte den Mörfer der 
fieben Himmel und gelobte, daß wenn der Vater ihn nicht 
brächte, das Meer zu Eis werden folle, daß die Schiffe we- 
der vorwärts noch rückwärts fahren können. Der König 
og in den Krieg und ward Sieger. Bei feiner Rücdlehr 
wollte er das Berfprochene mitbringen ; ex kaufte Armbänder 
und die Halskette für die älteſten Töchter und erfundigte 
fid), wie er zu dem Mörfer der fieben Himmel gelangen 
könne. Da fagten fie ihm: „Du mußt einen großen Weg 
zurliclegen, che Dur zum Mlörfer gelangft, ſieben eiferne 
Schuhe wirft Du verbrauchen, und bei fieben Riefenweibern 
mußt Du vorüibergehen.*“ Da dachte der König nach und e6 
fchien ihm zu viel Mühe; er laufte ähnliche Schmuckſachen 
für die jüngfte* Tochter, wie für die älteren, und ging mit 
feinem Heere zu Schiffe. Aber mit einem Male, als die 
Schiffe mitten im Meere waren, wurde das Wafler rings- 
umher zu Eis, daß die Schiffe nicht rück-, nicht vorwärts 
tonnten. Die Sciffsleute waren erflaunt, was cd wäre, 
was fie am Weiterfahren verhinderte; doch der König erin- 
nerte jich des Gelöbniffes feiner Tochter, er flieg aus dem 
Schiffe, trennte fic von feinem Heere und ging über das Eis ans 
Yand. Die Schiffe mußten wieder ans Ufer gebracht wer- 
den und follten warten, bis ex zurüctäme. Der König lieh 
ſich num fieben Paar eiferner Schuhe machen und begann den 
Weg. Er ging umd ging und ging immer vorwärts, bis 
er ein Paar Stiefel verbraucht hatte. Da gelangte er zu 
dem erften Niefenweib, die grüßte er freundlich und fragte 
fie: „Wie muß ich gehen, daß ich den Mörſer der fieben 
Himmel erreiche?“ Das Rieſenweib antwortete: „Geh' 
nur immer fort, auf dem Wege wirft Du entweder umlom⸗ 
men ober gerettet werben; meine zweite Schwefter wird Dir 
mehr ſagen.“ Der König ging weiter, endlos weiter, und 
verbrauchte das zweite Paar Stiefel bis er zum zweiten 

Globus XXIX. Mr, 15, 


Riefenweibe kaur. Dieſe grüßte er freundlich und bat fie, 
ihm den Weg zum Mörfer der fieben Himmel zu zeigen. 
Sie aber fagte: „Dort wo Du hingehft, ift es ſchwer, hei⸗ 
ler Haut zurüdzufehren,, verbrauche die anderen fünf Baar 
Stiefel, meine legte Schwefter wird Div weiterhelfen.“ Der 
König folgte der Weifung und ging fort umd immer fort, 
bis er das fiebente Riefenweib erreichte; ev grüßte fie freund⸗ 
lich, wie ihre ſechs Schweflern. Nachdem er ihr feine Ger 
ſchichte und feine vielen Muhen erzähit hatte, jagte fie ihm: 
„Wo Du Hingehft, find viele hingegangen, aber nicht zurüd- 
gefommen; doch bleibe in meinem Kaufe, ich werde Did) in 
das Schloß des jungen Königsfohnes führen, der den Mör- 
jer hat.“ Der König blieb bei der Frau, und ging dann 
mit ihe zu dem Schlofje und vor den Königsjohn. Denfel- 
ben bat er, ihm für feine Tochter den Mörfer der ſieben 
Himmel zu geben. Der Königefohn aber hatte im feinem 
Zimmer viele Bilder von fchönen Frauen. „Ift Deine Tod 
ter jo ſchön wie eine von biefen ?“ fragte er bem König. 
„Sie it viel ſchöner!“ Da ſchlug der Königsfohn an feine 
rechte Seite, und heraus trat eine ſchöne Frau, „oft fie fo 
ſchön?* fragte er wieder, „Meine Tochter ift noch jchöner.“ 
Da ſchlug der Königsfohn an feine linfe Seite, und wieder 
erſchien eine ſchͤne Frau. „leicht Deine Tochter diefer?* 
fragte er den König, doc diefer antwortete: „Weine Tod). 
ter iſt ſchöner.“ Zuletzt ſchlug der junge König am fein 
Herz, und eine wunderfchöne Jungfrau trat hervor. „Gleicht 
diefe Deiner Toter?“ „Beinahe,“ fagte der König, „doch 
ift meine Tochter noch fchöner.“ Da fchenkte der Königsjohn 
dem König den Mörfer und fagte ihm: „Wenn Deine 
jüngfte Tochter Abends mic) fehen will, und fie ſtößt breis 
mal in den Mörfer, fo erfcheine ich ihr jogleich.“ Der Kö- 
nig begab jich nun auf den Näcdweg und gelangte glücklich 
in fein Reid. Seine Töchter begrüßten-ihn voller freude 
und fragten ſogleich, ob er auch ihre Wunſche erfllllt habe. 
Er gab ihnen das Armband, die Halskette und der jüngften 
Tochter den Mörjer der fieben Himmel, den er mit fo vie- 
len Blagen erfauft hatte; er unterwies fie, wie fie dreimal 
Hopfen mlfle, wenn fie den jungen Königsſohn fehen molle. 
Abends, ald die Tochter in ihrem Gemad; allein war, ftieh 
fie dreimal im dem Mörfer, und ſogleich ftand ber wunder⸗ 
80 


234 


fchöne Königsjohn vor ihr; es ergriff fie eine große freude, 
doch ihren Schweftern verriet jie nichts von ihrem heims 
lichen Güde. Diefe merften aber die felige Stimmung der 
jüngften Schwefter und befchloflen, den geheimen Grund da⸗ 
von zu entbeden. Einmal beredeten fie diefelbe, mit ihnen 
ein Bad zu mehmen; fie ging auch mit, und als fie eben 
entfleidet war, thaten die beiden Welteften, als ob fie das 
Waſchbedden und den Kanım vergeffen hätten, und forderten 
den Schlüffel_ zum Zimmer der jüngften Schweſter. Yegtere 
voll Verlegenheit gab ihm, und eilig begaben fid) die Schwe- 
ftern ins Schloß zurlick. Hier öffneten fie das Zimmer, 
erichlugen die Spiegel und durchwühlten und zerflörten 
Als. Da fanden fie aud) den Mörfer, und ſtießen mit fo 
großer Gewalt hinein, daß ber Königsſohn ftürmifc heraus« 
fuhr, und fi an den Trlimmern der zerfchlagenen Sachen 
verwundete. 

Die älteren Schweftern kehrten nun zum Bade zurlic, als 
wäre nichts gefchehen. Die jüngfte Schmefter eilte, kaum 
daf fie fertig war, im ihr Zimmer und fand dort die Zer- 
flörung und das Blut. Haftig ftieß fie in den Mörfer; 
da lag der Püngling im feinen Wunden vor ihr. Sie 
weinte und jammerte und bat ben Vater, ihr eine Kleidung 
nach Art der Nonnen machen zu laffen und eiferne Schuhe, 
wie der Vater fie hatte. Der König willfahrte ihr und 
gab ihr noch einen Beutel mit Gold auf bie Reife. Die 
Tochter nahm denfelben Weg wie der Vater, als fie aber 
nahe dem Schlofie war, ermldete fie, und als die Nacht fie 
ereilte, ftieg fie auf einen Nußbaum, um dort zu ruhen. 
An der Wurzel des Nußbaumes hatte eine Füchſin ihr Neft 
mit feinen Füchschen. Da hörte die Königstochter, wie die 
Fuchſin zu den Meinen Füchschen fagte: „Kinder, der Kö- 
nig des Mörfers der fieben Himmel ift in Glasſcherben ge: 
ſchlagen und liegt fchwerfrant, fein Arzt weiß ihn F heilen, 
doc ich lenne das Mittel, es ift euer Blut. er euer 
Blut nimmt und den König damit falbt, heilt ihn; dann 
gehen alle Splitter Heraus." Die Königstochter hörte genau 
zu, ftieg vom Baume und fuchte einen Topf. Dann töbtete 
fie die Fuchschen, und fing ihr Blut in dem Topfe auf. 
Damit eikte fie nad) dem Schloffe. Hier am Eingang fand 
fie eine alte frau; diefe bat die Königstochter, nachdem fie 
ihr viel Gold geſchenlt hatte, ihr den Eintritt in das (Ser 
mac; des Königs zu verichaffen, damit fie ihn gefund mache. 
Das Weib fagte: „Viele find gefommen ihm zu heilen und 
bermochten es nicht, warum willſt Du noch hinein?“ Doch 
die Königstochter ließ fid) dem König als Nonne melden, 
and ber König ließ fie zu fich hereinfonmen. Die Könige: 
tochter trat in das Gemach, machte es zu, und nachdem fie 
den König entfleidet, falbte fie ihn mit dem Blute der Füchſe. 
Sogleich gingen die Splitter heraus, und in zwei Tagen 
war der Rörigefohn ganz geheilt. Ex ſprach zu der Nonne: 
„Du, die mich geheilt, was verfangft Du für das, was Du 
mir gethan?“ — „Ich will nichts als die Gnade, dag Du 
mir verfprichft, wern Du die Hand fchon am Degen haft, 
und e8 jagt der, den Du tödten willft: Um der Nonne 
willen laß mir das Leben! — fo wolleft Du das Schwert 
wieder in die Scheide fteden, und ihm verzeihen.“ Der 
junge König gab fein Ehrenwort, und die Königstochter 
ging hinaus, zog ihr Gewand aus, und kleidete ſich jchön, 
wie die Blumen auf den Wieſen. So ging fie zum Könige 
fohn, doc; als er fie fah, ward er zornig, da er meinte, fie 
habe aus Leichtfertigfeit das Geheimniß mit dem Mörfer 
verrathen und fo fein früheres Unglüd verfchuldet, und züdte 
fein Schwert gegen fie, um fie zu tödten. Sie aber fprad): 
„Bei der Nonne, laß mic; leben!“ Da ftedte er das 
Schwert im die Scheide, und nachdem fie ihm erzählt, was 
fie durch dem Neid der Schweſtern gelitten und wie Alles 


Ein Märden und ein paar Dorfgeſchichten aus Griechenland. 


gelommen, verzieh er ihr, und behielt fie bei fih, ohne da 
fie in das Schloß ihred Vaters zurldfehrte. — Ihnen geht 
es dort wohl; und aber hier noch beſſer. 


2, Ein paar neugriechiſche Dorjgefhichten *). 


1. Es war einmal ein armer Bauer, ber hatte eine ein« 
zige Sau, welche auf feinem Hofe ſich nährte und mit ihrer 
Schnauze die Erde aufwühlte. So fand biefe Sau bei ihrem 
Wühlen einen großen Schatz, durch den ber arme Bauer zu 
einem reichen Manne wurde, Aus Dankbarkeit pflegte er 
fie mit großer Sorgfalt, gab aber der Sau, ber er Heinen 
Reichthum verdantte, fo viel und fo gut zu eſſen, daß fie bald 
zu fett wurde und darauf ftarb, Er zog ihr num ein Reichen: 
bemd an, ſetzte ihr eine fchöne Haube auf und legte fie auf 
eine Bahre; dann lud er fünf Priefter ein, die der Sau als 
Leiche das Geleit geben follten. Die Priefter kamen auch 
zu dem Bauer, fangen und lafen an ber Veiche und vers 
richteten das Begräbniß mit allen Ceremonien der Kirche. 
Nach einiger Zeit reifte der Bifchof durch feine Parodjien 
und hörte, daß eine Sau hier feierlich beerdigt worden fei; 
er rief die Priefter, ſchalt fie heftig wegen dieſer Entweihung 
ihres priefterlichen Amtes und wollte fie alle fünf abjegen. 
Da baten die Priefter und beſchuldigten den Mann, ber fie 
bintergangen, denn fie hätten nicht gewußt, daß fie anftatt 
einer Chriftin einer Sau die Ehren erwieſen. Der Biſchof 
ließ voller Zorn den Bauer zu fid) fommen und warf aud) 
ihm in heftigen Worten diefe Entweihung bes Heiligften vor: 
„Du Gottesläfterer; Schandfled der Chriftenheit, Dich ftoße 
ich) aus aus der Gemeinfchaft, hier und bort fei Dir bie 
Seligteit verloren, die Berge werben ſich verrliden, die Erde 
wird fich öffnen über diefe Frevelthat, um Dich Sünder in 
das ewige feuer, im den Höllenpfuhl aufzunehmen!! ...“ 


und fagte: 
andere, Du weißt nicht, was fie vor ihrem Tode fagte —“ 
„Sie, die Sau, ſprach mit eigenem Munde ?* fragte ftau- 
nend der Bischof. „Ja, Herr, fie ſprach viel von ihrem 
Ende und ihrem Begräbniß, fie beftimmte dem heiligen 
Bischof, der für ihre Seelenheil beten laffen wollte, 20 vene⸗ 
tiauiſche Goldgulden!“ und damit beugte fich der Bauer 
tief vor dem Biſchof. „Das ift freilich etwas Anderes,* 
meinte biefer und legte befänftigt und falbungsvoll die Hände 
zum Segen auf das Haupt des Bauern. 
* * a 

2. Eine Dorfgemeinde hatte ihren Seelforger verloren 
und follte einen neuen aus ihrer Mitte wählen, aber ver- 
gti fuchten die Bauern, fie fanden feinen, der ihnen gefiel. 

nahmen fie einen Efel, banden ihm einen Beutel voller 
Goldjtlide unter den Schwanz und führten ihm zu ihrem 
Bifcyof, daß er ihn zu dem Amte weihe. Der Bifchof ftußte 


) Es iſt ein charakteriftiicher Zug, daß trog aller Debotion, melde 
in fatholifhen wie proteftantifchen Yändern den Geiftlihen vom Volle 
entgegengebracht wird, fich daſſelbe won jeber dafür im. Stillen 
gleihfam durch allerhand meint luftigeterbe Gefchichten entfchäs 
digt, in denen es gewifle Schwächen, tie öfter am einzelnen Geift 
lichen bervortreten, carifirt, Wefonders häufig drehen ſich terartige 
Geſchichten darum, daß bei allem Prebigen gegen den Mammon von 
Sriten der Geiſtlichen ſie ſich doc felbit oft vom bemfelben fangen 
ließen. Kommen gleib terartige @rzäblungen immer mehr da ab, 
wo einmal die Verhältniffe ſich beffern, dann audı wo moterne Bil: 
bung mit dem Stoffe, den die Yiteratur und Zeitungen ſowie die 
Schulen zuführen, Plag areift, fo finden ſich doch noch überall, 
namentlih auf dem Lande, Spuren davon. Die obigen Geſchichten 
aus Griechenland find natürlich noch fehr naturmüchfig-berb, 


Hermann Bamberg: Die Dradenfteppe und der Drachenjee. 


bei dem Anblick des Eſels und trieb die Bauern mit zornigen 
Scheltworten von ſich. Da, als ber Eſel Kehrt macht, 
erblidt der Biſchof unter dem Schwanz dem Beutel mit dem 


235 


—— Golde. „Heda,“ ruft er, „kommt zurlick, meine 
inder, ber Eſel hat von vorn gefehen die Natur eines Ejels, 
aber von Hinten gefehen bie Natur eines Menfchen.“ 


— — — — 


Die Drachenſteppe und der Drachenſee. 
Don Hermann Bambery. 


Wenn Gentralafien im Allgemeinen vor 20 Jahren 
noch das ergiebige Feld fir Märchen, fabelhafte Sagen und 
unzählige geographifche und ethnographiſche Wunderbinge 
war, fo fonnte der öftliche Theil diefer ehemaligen terra in- 
cognita mit vollem Rechte Hinter dem geheimnikvollen 
Schleier einer totalen Unfenntniß der erhigten Phantafie ein 
um fo größeres Tummelfeld bieten. Schon hinfichtlich bes 
Namens herrichte eine arge Confufion und Uneinigkeit unter 
den Seographen. Man nannte es das Yand ber Sechs- 
ftädte, der Siebenftädte, die chineſiſche Tatarei und in ber 
neueften Zeit Heißt es Oftturfeftan. Cine flattliche Anzahl 
von Namen, und doch haben bie Eingeborenen flir ihre 
Hrimath feine fpecielle Benennung! Cie nennen ed Turle— 
ftan, d.h. das Yand ber Turken, ebenfo wie flir bie 
Drusländer, ja ſogar für das ottomanische Kaiſerreich 
und überhaupt für jebes von Türken bewohnte Land diefe 
Benennung gebraucht wird. 

Lange unferen Bliden verfchloffen, feit Marco Polo und 
Goetz nur in ſchwachen Umtiffen an einzelnen Punkten bes 
kannt, ift diefes öftlichfte Yand des turlostatarischen Völler— 
compleres auch in der That höchſt reich an Naturerfchers 
nungen. Koloſſal und gigantisch, find die Bergletten, welche 
es von Süden, Weften und Norden her umringen; eine der 
wunberbarften Gebirgäregionen, eine Alpenwelt mit ewigen 
Schneefeldern, deren höchſte Spigen zwiſchen 18,000 und 
29,000 Fuß Höhe über dem Meeresfpiegel variiren, zieht 
von Süboft im fanfter Krlimmung gegen Südweſt unter 
bem Namen Kün-lün *) dahin, während im Weſten bie 
12,000 bis 14,000 Fuß hohe Hochebene von Pamir mit 
dem Alai-Plateau vereint gleich einer jähen Granitmauer 
gegen Kaſchgar und Jarkend ſich hinabjenkt, und wo fchließ« 
lich im Norden das Tianfhan-Gebirge von Karafcher bis 
nad) dem 12,000 Fuß hohen Turgat⸗Diwau⸗Paß in phan« 
taftisch majeftätifchen Spigen emporragt. Hoc) und impo- 
fant, wie die Gebirgsregion, eben fo tief und fchredlich ift 
jene folofiale Thalbildung, welche unter dem Namen Tafla 
Malan oder die Große Gobi-Wüfte, richtiger aber die Lop—⸗ 
Steppe (Dradhenfteppe), vom 78. bi® Über den 95. Längen⸗ 
grad und vom 41, bis zum 37, Breitengrade ſich hinzieht, 
ine Steppe, von der wir hier nun ausführlicher fprechen 
wollen. 

Trotz ber ſeht bedeutenden Waflermaffen, welche dem 
Culturgebiete Oftturfeftang von drei Seiten her zufließen, 
erſtreckt ſich dafjelbe dennoch faum 20 bis 25 geographifche 
Meilen von den Abhängen der Berge gegen die Steppe zu. 
Der Ehoten, Jarkend, Kaſchgar, Akjai und eine bedeutende 
Anzahl anderer Ströme und Bäche werden alle unter dem 
Namen Tarim dem großen Sandmeere zugeführt und nur 
ein Heiner Theil ergießt ſich in den Lop-Nor oder Drachen- 
fee. Die genaue geographijche Yage des legtern kann vor 


*) Der ihr fälfchlich von morernen Geogtaphen beigelegt worben 
il. ©. „Globus“ XXVIII, S. 234 Anmerf. Net. 


der Hand nicht beftimmt werden, beun fein europäifches 
Auge hat ihm je gejehen. Seine Eriftenz ift und nur vom 
Hörenfagen befannt, fo wie wir im Allgemeinen die Ein- 
zeinheiten über diefe Gegend mur den Reſultaten jener Mifr 
fion verdanlen, welche die englifch-indifche Megierung im 
Jahre 1873 unter Leitung T. D. Forſyth's nad Ofttur- 
feftan gefandt hat. Bon biefen Engländern haben Einige 
ben weitlihen Saum der Dradjenfteppe gefehen, und bezeich- 
nen ſolche als eine grenzenlofe Ebene von einer dichten Krufte 
loderer Salzflächen überzogen, auf welchen nur das wilde 
Kameel Fuß faffen kann, das Pferd knietief einfinkt und der 
Menſch von dem aufwirbelnden Staube theils erftidt, oder 
von dem Glanze der ſchueeweißen Salzflächen geblendet wird. 
Diefer Sand, von weldem die Eingeborenen Oftturfeftans 
immer mit Grauſen ſprechen, ift eine Plage, deren Grauen« 
haftigkeit wohl an feinem Punkte unferes Erdballes fo jehr 
hervortritt als hier; und erft jegt iſt es mir einigermaßen 
einleuchtend, warum feiner Zeit meine Reifegefährten zurüd» 
ſchauderten, als ich ihnen von dem fegensreichen Frühlings: 
regen in der weftlichen Welt ſprach. Unter Kegen verftehen 
nämlich biefe Leute jene unermeßlich großen Wollen feinen 
Sandes, welde die Nordwinde von der Drachenfteppe her 
mit ſich führen, um mit diefen fliegenden Sandſchichten bas 
durch Menſchenfleiß der Natur abgerungene Culturgebiet 
u vernichten. Der Sand bewegt fich zumeift in halbmond⸗ 
— Dünen, und ba dieſe Naturerſcheinung ihren regel» 
mäßigen Gang bewahrt, fo fann aus der Dide der vorhan- 
denen Sandidjichten die Zeit ihres Entftehens bis auf Jahr- 
hunderte zurlick berechnet werben. Und fürwahr die ewigen 
Gletſcher der umgebenden Gebirgsregionen mußten in ver— 
angenen Jahrhunderten, vielleicht gar Yahrtaufenden in 
urfeftan einen gewiß viel breitern Gürtel bebauten 
Landes geftattet Haben, ald der jet uns befannte Flächen⸗ 
raum bes bewohnten Sechsftädtefreifes. Marco Polo erzählt 
uns von Tſchartſchan als einer ganzen Provinz mit gleich⸗ 
namiger Stadt, von dem allen aber heute feine Spur mehr 
vorhanden if. Im ähnlichem Sinne äußern ſich die orien- 
talifchen Geographen, fo oft von dem fürchterlich impofanten 
Beden diefer innerafiatiichen Alpenwelt die Rede ift. Auch 
über Chotens vergangene Glorie erhalten wir einige Auf: 
flärung, wenn wir die verheerende Natur der Sandftürme 
etwas näher ins Auge fafjen. 

Auch die Engländer Haben eine tobte Stadt, die ehemals 
Ketet Hieß, auf ihrem Ausfluge von Jengi Hiffar zum 
Schreine des Heiligen Ordum Padiſchah gefunden und etwas 
näher unterfucht *), Da die Dide der betreffenden Sand- 
ſchichten je nach Heftigkeit der Winde beurtheilt wird, fo 
mag Mirza Hayder, ber Autor bes Tarichi Rafchibi, wohl 
Recht haben, wenn er die Vermuthung aufftellt, daß biefes 


Ketek, welches im 14. Jahrhunderte zu Grumde ging, einem 


) ©. „Globus" XXVI, S. 282. Bergl. auch Bellew: Kashmir 
and Kashgar, London 1975, S. 364 bis 379, 


30* 


236 


einzigen Sandfiurme auf einmal zum Opfer fiel. Nur 
einige Menſchen follen ſich von der Kataſtrophe gerettet ha- 
ben, während die Uebrigen vom ande begraben wurden. 
Ein ganzes Herculanım und Pompeji in der Mitte Afiens! 
Ob dies ein Phantafiegebilde oder Thatſache ift, wäre ſchwer 
zu beſtimmen; wenn wir aber den Hirten und Jägern diefer 
Gegend Glauben jhenten, fo follen vom Zeit zu Zeit durch 
die von Windesfurie aufgepeitchten Sandwellen die Häufer, 
Kuppeln und Thlime des ehemaligen Ketet noch zum Bors 
Scheine fommen. Man erzählt ſich Wundermärdyen von der 
noch ganz intacten Beſchaffenheit der im ben bortigen Häus 
fern ſich vorfindenden Geräthſchaften und Möbelftiide. 
Sogar menſchliche Stelete jollen in derfelben Yage und Stel: 
lung angetroffen werden, in welcher fie von dem grauen« 
vollen Phänomen überrafct wurden. Die Schäfer und 
Wanderer ſehen diefe Wunderdinge durch den grauen Nebel 
der im Somtenfcheine gligernden, minder dichten Sanbwol- 
ten, fie merfen jich die Yage der einzelnen Thürme und Obs 
jecte; doc; ift der Sturm verbrauft und hat der Boreas 
über die Schredensftätte hinweggeraft, ſo dünkt das Geſehene 
nur eitle Bifion, denn Alles ift von Sanbblinen bededt, 
und nur längeres Nachgraben, wozu es den Schäfern an 
Muth und Ausdauer fehlt, Könnte etwaige Forſcher zum 
Ziele führen. Cine ſolche Annahme findet Herr Forſyth 
auch ganz begritmdet, indem er in feinem höchft intereflanten 
Berichte *) (S. 29) folgendermaßen fagt: „Die erfte Linie 
des hereinbrechenden Sandes mag am eim ihr im Wege 
ftehendes Haus ſtoßen und es begraben, aber bei fortgefeß- 
tem Winde werden die loderen Sanbdtheile weggefegt, nehmen 
auf dem glatten Boden ihre urfprüingliche Form an, wäh— 
rend das zeitweit Berhüllte aus der Sandwelle wieber auf: 
taucht, um von der nächitfolgenden Schicht wieder begraben 
zu werben, Und fo geht es fort, bis die ganze Maſſe bes 
beweglichen Sandes über das fragliche Gier hinwegge · 
fchritten. Nur fo iſt es möglich, daß im Yaufe der Zeit die 
begrabenen Städte Yop und Ketek im derfelben Geſtalt und 
Form wieder auftauchen, in welcher fie vor Hunderten von 
Yahren umntergegangen find; ja wären die nöthigen Daten 
zur Hand, fo ließe fid) die Zeit dieſer Wiedergeburt ſchon 
im Boraus beftinnmen. Unglüdlicyerweife fehlt jeboc hierzu 
eine genaue Kenntniß der Ausdehnung und des Umfanges 
biefer Sandftlirme ber nächften Umgebung , gefchweige denn 
in ber weiten, weiten Ferne ber gigantischen Dradjeniteppe.* 
Schon der Ort Kum Schahidan, den die Engländer 
gefehen, erinnert an eine tragische Gejchichte ähnlichen Here 
ganges, Kum Schahidan joll „die Märtyrer des Sandes* 
heißen, dem natürlich) das vorliegende tlirfiche Wort gram- 
matifalifch wicht ganz entipricht; doch wer weiß, wann und 
auf welche Weile die von der Nachwelt geheiligten Märtyrer 
der Wuth des Sandes zum Opfer gefallen find, 
Unmittelbar an diefe große Sandfteppe, durch welche fich 
nad) Norden und Süden einige Wege ziehen ſollen, welche 
fogar eine auf Sagen gegründete topographifche Nomenclas 
tur von Städten aufweift, ſchließt fid) das große Sumpfe 
gebiet des Drachenſees an. Er wird als eine ungehenre 
Fläche undurchdringlicher Schilffelder geſchildert, welche mit 
einem Gurtel von Pappeln und Tamarisken umgeben iſt. 
Dieſe Heimath ungeheurer Schwärme von Waſſervögeln 
aller Art, Mostitos, giftigen Gelſen, grauenvollen Infec- 
ten und Schlangen dient dennoch auch Menſchen zum 
Aufenthalte, die hier eim Fiſcherleben friften und mit Otter: 
und Scmwanenhäuten nach Kutichen und mad) Karaſcher 
einen ergiebigen Handel treiben. Der ganze Bezirk, welcher 
mit dem Namen Yop bezeichnet wird und an dem Eingangs 


*) Report of the Yarkund Mission, Calcutta 1875. 


Hermann Vambery: Die Drachenſteppe und der Drachenſee. 


erwähnten Tarimftrome gelegen ift, hat eine Ausdehnung 
von ungefähr 30 Tagereifen gegen Oſten und Weiten. So: 
weit das Auge reicht, ift alles unabjchbare Ebene mit Aus— 
nahme einiger Kicsfteinerhöhungen, welche zwifchen den ver⸗ 
fchiedenen Simpfen emporragen. Die Wege, welche hierher 
führen, faufen zumeift entlang dem Fluſſe, welche den Tarim 
ausmachen, und namentlich find als Ausgangspunlte be: 
kannt: Maral-Baſchi, Akfu, Kutfchen und Kurla. 

Die Bevölferung befteht aus Kara-FKalpaten, Koſchoten 
und Tunguten, nad Angabe der Cingeborenen ungefähr 
1000 Häufer mit 5000 Seelen umfaſſend. Dieje follen 
ſich vor etwa 160 Jahren hier niedergelaflen, aber jhen _ 
eine Anfiedelung wilder Menjchen (Jawa Kiſchi) angetroffen 
haben, von weldyen in den benachbarten Yändereien der Sa— 
gen gar fonderbare gämge und gäbe find. Sie follen vor- 
züglich die Geſellſchaft wilder Thiere auffuchen und mit ihren 
Hausvieh ſich in den Didichten und Sümpfen herumtreiben, 
Es find dies Heine, ſchwarze Menfchen mit lang herabwal- 
lendem, ſchwarzem Haare, die, ſobald fie einen Fremden ges 
wahren, fofort Neigaus nehmen, um ſich im Scilfe zu 
verbergen. Furchtſam im Geſellſchaft Anderer zeigen fie 
unbändigen Muth im Kampfe mit wilden Thieren, welche 
fie mit ‘Pfeil und Bogen und Art und Speer jagen. ‚Ihre 
Kleidung befteht aus einem Stoffe Namens „Yuf“, einem 
groben ftarten Gewebe, weldyes aus der Faſer einer Pflanze 
verfertigt ift umd auch in den Handel kommt. Diefe Pflanze 
führt den Namen Tofa-Tihigah, wächſt reichlich auf 
der Sandebene am Ufer der Sitmpfe und hat die für locale 
Berhältniffe recht vortheilhafte Eigenſchaft, daß die aus 
ihren Faſern gemachten Kleider gegen die Stiche der Geljen 
und anderer Infecten fchügen. Die Vereitung der Yufjafer 
ift wie Die des Flachſes bei ung. 

Die demnächſt am zahlreichſten vertretenen Bewohner 
dieſer Steppengegend find die Dolans, ungefähr 5000 
Häufer mit 25,000 Seelen umfaſſend und zum Diftricte 
von Maral-Bafchi gehörig. Dol oder dul heißt im Tata- 
rischen „arın“ oder „verlaffen“, eine ganz paſſende Benen⸗ 
nung für das Leben und die Eriftenz diefer Leute, welche 
bie veradhtetite Kaſte in der großen Familie des Tiürfenvol- 
kes bilden. Ihre Wohnungen beftehen aus länglichen, unter: 
irbifchen Lochern, die mit Schilfdächern bededt find. Dem 
Neijenden find fie and der Ferne laum wahrnehmbar ; mau 
erkennt fie erft, wenn man im ihrer unmittelbaren Nähe an- 

elangt ift. Hier wohnt der Dulan im Geſellſchaft feiner 

dien, Schafe, Ziegen und Efel, welche legteren fie in 
großer Anzahl befigen und mittelft derer jie einen bedeuten: 
den Taufchhandel mit Brennholz, Bottafche, Salz, Butter, 
Käfe und Anderm gegen Wollftoffe, Wiehl, Brot und Klei- 
dungsftüice treiben. Sie ſcheinen Abfömmlinge der Kal 
milden zu fein, doch phyſiſch ſowohl als geiftig legteren heute 
ſchon fehr unähnlidh. Herr Forjyth vergleicht fie den 
Bots von Tibet, und ſchildert jie als Hein und unanſehnlich 
von Geſtalt, mit eingezogener Stirn, abſchreckenden Geſichts— 
zügen und tatarifcher Phyſiognomie. Gewöhnlich ſprechen 
fie Turliſch, doc) unter einander bedienen fie ſich eines an 
dern Idioms, wahrfceinlic eines Gemiſches von Tatariſch 
und Kalmüdifh. Ihr ielamitiiches Glaubensbekenntniß 
fteht auf ſehr ſchwachen Füßen. So wird aud) ihre Eitt: 
lichkeit als äußerft vernachläſſigt dargeftellt, natürlich von 
techtgläubigen Moslemim, die, wie überall, aud) hier mit dem 
Vorwurf des Weibercommunismus auftreten. Die guten 
Oftturkeftaner erzählten unferen Engländern, diefe Unart fei 
in ſolchem Maße eingerifien, daß jeder Gaft gern oder uns 
gern vom Hausherrn das jus matrimonii übernehmen muß, 
und daß, wenn leßterer vor dem Gemache feiner Frau ein 
Paar Stiefel erblidt, ihm der Eintritt verfagt jei. 


Aus allen Erbtheilen. 


Nach diefem lurzen Berichte über die bis jegt mur wenig 
oder gar nicht gefannte Region der Drachenſteppe wollen 
wir noch Einiges über den Lop-⸗Köl (oder Mongoliſch 
Lop-Nor), d. h. Drachenſee, hinzufligen. Die nod) von 
feinem Europäer gefehene Waflermaffe fol auf der äußer- 
ſten öftlichen Grenze befagter Steppe fid) befinden umd ift 
wie alles nicht näher Belannte auf bie verfchiedenartigfte 
Weife gejchildert worden. N H Unsfage ded Autors des 
Tarichi-Raſchidi“* bedeckt diefer See einen Flächenraum von 
vier Monatreifen im Umfange und nimmt im Weften den 
aus China kommenden Kara⸗Moran-Strom af. Unſer 
englifher Gewährsmann, der bei den Eingeborenen , welche 
die Dertlichleit genau gefehen haben, Erkundigungen einge 
holt, fagt: „Obwohl die verfchiedenen Angaben in den De- 
tails von einander bedeutend abweichen, fo befräftigen fie 
doc) alle die Thatfache der Eriftenz diefes Sees umd 
deflen Berbindung mit dem weftlichen Sumpfen ſowie auch 
bie allgemeine Charakteriftit der Dertlichteit und der Bevöls 
ferung. Den biesfeitigen Theil des Sees hat fo mancher 
Ofttirkeftaner infolge der Kriege Jalub Chan's mit den 
Chineſen gefehen, den jemfeitigen, d. h. den weſtlichen Theil, 
jedod) fenmen auch fie nur von Hörenfagen. Sie behaupten, 
dag er ganz umnbewohnt ſei umd nur fünf Tagereifen im 
Umfange habe und an feinem öftlichen Geſtade ſich höchftens 
3 bis 4 Tage weit vordringen laſſe, da auf dem feinen und 
tiefen Salzftaube fein Menfc oder Thier gehen fan, ohne 
fmietief einzuſinken. In jüböftlicher Richtung zieht von die: 
fem See durch die ungeheure Salz» und Sandſteppe ein 
roßer Strom, weldyer in einer Entfernung von 15 bis 20 
—— verſchwindet und erſt in China zum Vorſcheine 
touintt. Im alten Zeiten fol, jo erzählt man ſich, ein jun— 
ger Dann zur Erforfchung diefes Sees ausgezogen fein. 
Nachdem er fieben Tage lang auf dem Strome gefahren 
war, fand er fid) einem Berge gegenüber und fah, wie die 
Waſſer zwifchen Helfen in eine tiefe, ſchwarze Schlucht ftlir- 
zen, Er wollte fein Boot anhalten, doch die Strömung 


237 


riß ihn mit fich in den Abgrund. Nun warf er ſich ſchnell 
auf dem Boden des Kahnes auf den Bauch; er hörte wie 
der Vorbertheil deffelben an den Wänden der finftern Paf- 
fage ſich reibt, fühlte wie Steine auf ihn niederfallen, und 
ald er hernad) wieder ind Freie gelangt war, fand er, daß 
fein Fahrzeug nicht mit Steinen, fondern mit blinfenden 
Goldflumpen befüct war, Auf der jenfeitigen Strede des 
Fluſſes begegnete umfer phantaftifcher Tatar, der die Odyſſee 
gewiß nicht gelefen hatte, auch noch Eyclopen, die ihm ſchließ⸗ 
lid) gefangen nahmen und nad) Peling verkauften, von wo 
er nach zweiundzwanzigjähriger Abwefenheit als graufaari- 
ger Mann heimlehrte. Man ficht, die Phantafie hat einen 
genügend weiten Spielraum hier ſowohl als anderorts, wo 
geographifche Unlenntniß ihren Schleier ausbreitt. Bon 
dem chinefifchen Neifenden Fashian angefangen bis zu den 
neueften werthvollen Notizen, mit welchen der gelehrte Yule 
feine Ausgabe von Marco Polo begleitet, ift fo manches 
des Intereffanten, fo manches des Myftifchen über diefe Ge— 
gend enthalten. Was die Engländer über das wunderbare 
Tiefland und den Küin-lün berichten, bringt ſchon mehr 
Wahrſcheinlichkeit, verläßlichere Daten; hoffen wir, daß bald 
die Zuftände im Lande des Emir Jalub Chan ſich einiger 
maßen confolidirt haben werden, daß die am obern Yang: 
tjesfiang unterbrochenen Forſchungen Pridjewalsfi's nad 
Weſten zu bald wieder fortgefegt und daf and) die Dradjen- 
fteppe mit dem Dradjenfee unferer Kenntniß näher gerlidt 
werden wird *). 


*) Projectirt find unferese Wilfens schon pwel Meifen in jene 
Gebiete, die eine von Prifcbewalsti (f. oben S. 208), die andere 
von Graf Szechenyi, welchet in Begleitung eines Aflronomen umb 
eines Geologen bie Umgebung bes KRulusnor umd tie Süphälfte der 
Proving Kanfu erforfchen will, um von dort eiwa zwiſchen dem 36. 
und 40, Breitengrate nad Welten vorgubringen und Keria und 
Ghotan zu erreichen. Gelingt dieſe Reiſe, fo muß durch fie bie 
Wrage des bis jept rein hypothetiſchen Rünslün= (Rwenslunz) Gebir— 
ges zwifchen Tibet und Oftturfeftan ihre Löſung finden. Ar. 


Aus allen Erdtheilen. 


Aus Nordamerika. 
IV. 
Newyorler Mortfarifiitl. — Richter Lund, 


F. B, Unter den Beinamen der großen Metropole New; 
york befindet ſich aud derjenige „Das Mörder: Paradies", 
Daß derjelbe nicht unverdient ift, beweiſen ſoeben veröffent- 
lichte ftatiftiiche Angaben über die in der Stadt verlibten 
Morde und ZTodtichläge während des Zeitraums von 1570 
bis 1875. Während dieſer ſechs Jahre fielen nämlich im 
Ganzen >31 Morde vor. Wenn nun auch diefe Anzahl bei 
einer Riefenftadt wie Newyork, in der ſich die verworfenften 
Vertreter jedes Landes der Erbe einftellen, erflärlich iſt, fo 
rechtfertigt fich doch der erwähnte Beiname um jo mehr, 
wenn wir die gerichtliche Beitrafung der Mörder ins Auge 
faffen; denn obgleich manche diejer Morde vorbedacht, viele 
ohne die geringfte Rechtfertigung, und die große Mehrzahl 
derjelben gänzlich grundlos und unveranlaft waren, jo fin 
ben wir doch, baf von ben 231 Mördern und Todtichlägern 
nur an fieben das Tobesurtheil volljtredt wurde, wäh: 
rend mehr als die Hälfte gänzlich ftraflos blieben, 
ja jogar über ein Viertel der Thäter nie vor bie 
Gerichte geftellt wurde, fei es, daß fie gänzlich unbe: 





fannt blieben oder fich erfolgreich der polizeilichen Verfol: 
gung zu entziehen wußten, fo daß alfo für jeden einzel: 
nen Mörder, der gehenft wurde, zwanzig obue 
eine Strafe irgend einer Art eutlamen. 

Muftern wir die graufigen Tabellen näher durch, fo 
finden wir, daß die Mehrzahl der Thäter Jrländer fund, und 
den Hauptbeweggrund, meben Eiferfudt und Raub, die 
Trunkenheit bildet. Als Werkzeug wird mit Borliche Piſtole 
und Meffer gebrauct; da nur ein einziger Fall von Ver: 
giftung vorliegt, fünnen wir außerdem noch annehmen, daf 
eine Anzahl Morde diefer Art mie entdedt wurden. Im 
Jahre 1870 fielen 41 Ermorbungen vor, darımter die des 
reichen Bankiers Nathan in feinen eigenen Haufe, deren 
Thäter noch heute unbekannt find, ſowie des angejebenen 
Kaufmanns Putnam, der eine Dame in einem Tramway 
gegen die Beleidigungen des Schurken Forfter zu ſchiltzen 
juchte und dafür von legterm mit dem zum Abſpannen ber 
Pferde dienenden Eiſenhaken erichlagen wurde. Durch die 
Kniffe feiner Advocaten wurde die Hinrichtung diefes Mör— 
ders um zwei Jahre nah der That hinausgeichoben. 
Hinrichtungen fanden in diefem Jahre zwei ftatt, darunter 
die eines gewiſſen Reynolds, deſſen zuwerfichtliche Behanp: 
tung nach der That: „Hanging is played out in Newyork,“ 


238 


obgleih im Allgemeinen wahr, ihm beunoch zum Stride 
"verhalf. Im Jahre 1871 famen 42 Morde und eine Hin- 
richtung vor, im folgenden jogar 55 Morde und Feine ein- 
sige Erecution. Als cause etlöbre des Jahres 1872 ift die 
Ermordung des berüchtigten James Frist Beſitzers der Erie: 
Eifenbahn, eines großen Theaters, mehrerer Hotels, Dampfer: 
linien u. ſ. w., Oberften des 9, Miligregiments) durch fei- 
nen Mebenbubler Stoles befannt. Letzterer erhielt drei Ver: 
höre, indem beim erften die Geſchworenen fich nicht einigen 
konnten (in der Umion wird das einftimmige Urtheil der 
Jury verlangt), beim zweiten er det Mordes ſchuldig befun- 
den und zum Tode verurtheilt wurde, feine Advocaten aber 
kraft einiger Formfehler einen dritten Proceß erlangten, bei 
bem er, ald des Tobtichlags fchuldig, zu vier Jahren 
Zuchthaus verurtbeilt wurde Dem bereit zum Tobe 
verurtbeilten Mörder Sharkey gelang es, aus den Newyorker 
„Zombs" zu entfliehen, und dient derfelbe jet in ber ſpani⸗— 
ſchen Armee in Cuba. Im Jahre 1873 fanden 58 Morde 
nud eine Hinrichtung ftatt, nämlich diejenige eines Kutfchers, 
ber einen andern vom Bode ſchoß, weil deffen Wagen im 
Sebränge nicht Schnell genug auswich. Unter den Ermor— 
bungen erregte bie des Schriftftellers Walworth, den fein 
eigener Sohn erfhoß, das meiſte Aufſehen; die Strafe 
war lebenslänglihes Zuchthaus. Im Jahre 1874 fiel bie 
Zahl auf 39, und fand feine Execution ftatt, während 1875 
auf 51 Morde drei Hinrichtungen kommen, nämlich die von 
drei eines gemeinfhaftlichen Mordes jchuldigen Negern au 
einem Balgen. Faſſen wir nochmals die Zahlen zufammen, 
fo finden wir, daß während der ſechs angegebenen Jahre 
von 281 Mördern und Todtfchlägern 7 gehängt wurden, 24 
au lebenslänglichem Zuchthaus und 82 zu Strafen von 1 bis 
zu 15 Jahren (dev niedrigften und höchſten Buße für Todt- 
fchlag) verurtbeilt wurden, hingegen 72 von den Gerichten 
freigefprodhen wurden, 36 enttamen, 41 gänzlich unbekannt 
blieben, 8 irefinnig erklärt und in Anftalten gefchiet wurben 
(um meiftens ſehr bald als „geheilt" entlaffen zu werben), 
10 fi) durch eigene Hand, entweber gleich nach der That 
oder im Gefängniß , bas Leben nahmen und einer vor dem 
Berhör an den während der That erhaltenen Wunden ftarb. 
Figen wir noch hinzu, daß im vergangenen Jahre der erfte 
Mord am 2. Januar und der legte am 81, Decem— 
ber vorfielen, fo wird wohl Niemand beftreiten, daß „bes 
Mörders Paradies" feinen Beinamen wohl verdient. 

Sehr natürlich, wenn auch nicht zu vertheidigen, ericheint 
es bei einer derartigen Mißachtung und Nichtigkeitserflärung 
ber Geſetze ſtheils durch die fehlerhafte Einrichtung des jeßi- 
gen Juryſyſtems, theild durch die Corruption ber Gerichte), 
daß das Volk jelbft die Beitrafung von Miffethätern in bie 
Hände nimmt und (freilich nicht in der Stadt Newyorlk, fon: 
dern hauptſächlich im Welten und Süden) an den „Richter 
Lynch“ appellirt. So fanden in der Union kürzlich folgende 
ungeſetzliche Hinrichtungen innerhalb weniger Wochen ſtatt. 
Im Staate Minnefote hängten funfsig maskirte Männer 
einen jungen Mann, der eine Fran erihoffen, an einen 
Baum; in Virginien ging es einem andern Mörder ebenfo, 
doch zeigte fich bei biefer Gelegenheit das chevalereste Gefühl 
bed Amerilaners gegen Frauen in der höchſten Potenz, in: 
dem fich in der großen Menge Niemand Willens zeigte, bie 
Mitichufdige, die Frau des Ermordeten, aufzufnüpfen. In 
VWeftvirginien wurden zwei Mörder von einem Volkshaufen 
aus dem Gefängniß geholt und an berfelben Brite erhängt, 
auf der fie die That begangen hatten; während zu derſelben 
Zeit und im unmittelbarer Nähe eine Negermenge den Mör: 
der eines ihrer Landsleute an einen Baum hängte. Im 
Staate Tenneffee erfchoffen zwei maskirte Männer zu Pferde 
mit Schrotgewehren einen gefürchteten Raufbold und frü— 
bern Gnerilla, während er fein Feld pflügte, Inden die 
Leiche aufs Pferd und warfen fie im ben Fluß, und im 
Staate Texas vollbrachte fogar eine rachelechzende Menge die 
Greuelthat, einen Neger, den Mörber eines jungen Farmers, 


Aus allen Erdtheilen. 


mit den Händen an einen Baum gebunden, auf einem 
Sceiterhaufen trodnen Holzes bei lebendigem Leibe au 
verbrennen, um dann noch bie verkohlte Leiche mit 
Biftolenkugeln zu durchlöchern. 

Zur Ergänzung der Angaben in einem frühern Artikel 
(Seite 107) ift hinzuzufügen, dab General Babcod von ber 
Beihuldigung feiner Theilhaberfchaft an den Brauntwein- 
betrügereien freigelprochen, troßbem aber vom Bräfibenten 
feiner Stelle als Privatjecretär enthoben wurde, daß ber 
Millionendieb Tweed feit dem Tage feiner Flucht ſpurlos 
verſchwunden bleibt, und daß der amerikanische Geſaudte in 
London, General Schend, nach Niederlegung feines Amtes, 
je y Unterfuchung feines Verhaltens nad Amerika be 
geben hat. 





„Die Urnen wachſen in ber Erbe” 
war früher ein allgemein verbreiteter Glaube, ber auch für 
Polen ſchon frühzeitig im einer intereffanten Geſchichte bei 
dem befannten Hiſtoriker Dlugoz (} 1489) erwähnt wird *). Im 
Jahre 1416, erzählt er, kam ber König Wladislaus nad dem 
Tode feiner Gemahlin Anna nad Schrim, wo ihn ein Bote 
des ihm verwandten Herzogs Ernft von Defterreich aufluchte, 
um perfönlide Erkundigungen einzuziehen, ob es wahr fei, 
was ein Pole Varſchewki erzählt, daß in einer Gegend Por 
lens mehrere Arten von Töpfen ganz von Natur in der 
Erbe fich bildeten (solo naturae heneficio et absque omni 
humani suffragio effingantur). Der Herzog von Oeſterreich 
wolle dies nicht glauben uud, wenn es wahr fei, es mit eige: 
nen Augen fehen, deshalb habe er ihm abgeſchictt, das Nähere 
zu erfunden. Um ben Herzog Ernſt von feinen Zmeifeln zu 
befreien, führte Wladislans den Boten nad dem Dorfe 
Nochow zwiſchen Schrim und Koften und ließ im feiner 
Gegenwart an verfchiedenen Stellen aufgraben; da fand man 
dann, heißt e8 weiter, mehrere Töpfe von verjchiedener Form 
und Qualität, durch eine wunderbare Kunſt der Natur ge 
formt, nicht anders als hätte fie ein Töpfer gemacht. Und, 
fest Dlugoz hinzu, derartiges trat an verſchiedenen Orten 
in Polen hervor. Die Töpfe find, wenn man fie aud dem 
Sande nimmt, zart und zerbrechlich, paflen aber, von ber 
Sonne dam gebärtet, zu allem menſchlichen Gebrauch (ex- 
tant ollae praedictae, cum primo de sabulo egeruntur, 
tenerae et fragiles, quae postea Solis virtute duratae, ad 
omnem humanum usum congruunt), An einer andern 
Stelle nennt er auch im dieſer Hinficht Koſielsko bei Lekno, 
fowie auch noch der Zuſatz dort bemerfenswertb ift, daß bie 
Töpfe denen ähnlich feien, die noch im Gebrauch wären 
(iis similes, quas humanus convictus habet in usu). Da 
nämlich gerabe bie in dem alten Polen auftretenden Gräber: 
funde fich durch große Marmichfaltigkeit ber Topfgeräthe aus- 
zeichnen, in Betreff deren Gebrguch bei den Leichenbeftattun- 
gen man noch faft ganz im Unklaren ift, jo führt jene 
Bemerkung zu der Frage, ob nicht auch heute noch im ab- 
gelegeneren Gegenden fich eine gewiſſe Continuität in diefer 
Beziehung fände und ein beftimmter Gebraud einzelner Ger 
fäße ſich nachweiſen ließe. Es dürfte dabei nicht bloß auf 
die polnifchen, fondern auch auf die ruffifchen Gegenden das 
Augenmerk zu richten fein, denn auch dort foll ſich, wie mir 
gefagt wird, manches Analoge finden. Eine Eontinuität tritt 
3 B. and noch ftellenmweile im Poſenſchen wie in Ober: 
fchlefien in Betreff der Spindeln hervor. Die Wirteln find 
noch von berfelben Art, wie man fie in alten Gräbern findet, 
und noch zu Anfang diefes Jahrhunderts fol der Gebrauch 
derfelben ganz allgemein gewejen fein und bis imdie Gegend 
von Frankfurt a. d. D. fich erftredt haben. 
Bofen. W. Schwartz. 


*) Ci. Joannis Diugossi seu Longini Historia Polonica. Lip 
sine 1711. 


Aus allen Erbtheilen. 


Bietoria. 

H. G. Wachsthum ift einer jungen Colonie ebenjo nar 
türlich, wie einem jungen Baume ober einem jungen Thiere. 
Eine ſchlechte Regierung in einer politischen Gemeinde kann 
ben Grad deffelben zwar abſchwächen, aber ed nie ganz unter- 
drüden. Man muß von der Colonte Victoria fagen, daß ihre 
Regierungen ber legten zehn Fahre dem Fortfchritte durch Ein: 
führung übel angebrachter Probibitivzölle einen Hemmſchuh 
angelegt haben, allein die Unerfchrodenheit und Kühnheit des 
jungen Kindes haben es dennoch, tro aller fchlechten Pflege, 
im Wachsthum fortgetrieben. Anftatt und in ein weitläuft: 
ges Expoſs einzulaffen, geben wir die nachfolgende Ueberficht, 
welche die beiden Jahre 1854 und 1874 in Vergleich ftellt. 


= 











1874 


Bevölkerung 312,307 308,4 
Revenue ..... 3,087,986 Bf. St. | 4,106,79%0 Pf. St 
Sormvich..... 640,625 956,688 
Schafe .... .. 8,406,234 11,225,206 
Ervort an Wolle | 32,865,633 Pfund | 58,446,089 Pfund 
Erport an Zalg. | 3,882,256 Pfund | 18,591,760 Pfund 
Erport an Gold. | 2,892,065 Unzen 1,012,168 Unzen 
Land unter Cultur 479,463 Acres 1,011,799 Acres 
Weisen prodncirt | 1,899,378 Buſhel 4,850,185 Buſhel 
Hafer produeirt . | 2,094,445 Bufhel | 2,121,612 Bufbel 
An anderen Ge 

realien. ..... 175,517 Buſhel 977,079 Buſhel 
Poſtämter ... . % 02 
Briefe befördert . 2,674,884 16,733,888 
Kirchen und Ca: 

vellen ..... . 187 2455 
Schulen. ..... 391 1721 
Schulkinder . 20,107 238,592 
Telegraphenlänge 0 4464 Miles 
Telegramme vers 

fandt....... 0 701,080 
Capital der öffent: 

lichen Bauten . | 10,536,528 Pf, St. | 290,466,862 Pf. St. 
Depofiten in den 

Sparbanten. . . 0 1,617,801 ®f. St. 


Bemerlen wollen wir noch, daß ber vorstehende Erport an 
Wolle das ausschließliche Product der Colonie Victoria ber 
ziffert, alfo nicht das fehr beträchtliche Onantum Wolle, wel: 
ches aus dem zur Colonie Neu-Sild-Wales gehörigen River 
—— alljährlich über Melbourne verſchifft wird, mit 

egrei 

Die Bevölkerung der Eolonie Victoria war am 30, Sep: 
tember 1875 auf 819,453 Seelen geftiegen. 





Beilar). 

Die ägyptifche Regierung ift ernftlich and Wert gefchrit- 
ten, um ben Hafen von Zeila an der Straße Bab-el-Manbeb, 
gegenüber von Aden, in ein Hanbeldemporium der oſtafrika— 
niſchen Küfte zu verwandeln. Diefer Bla war friiher anf 
allen Seiten mit einem Walle umgeben, aud gegen das 
Meer zu. Abdel Kadir Paſcha hat die Manern anf der See 
feite nieberreißen laſſen und verwendet dad Material zur 
Herftellung eines Molo, der nach feiner Vollendung cine 
Länge von 1%, engliichen Meilen haben fol. Das Meer ift 
bier fo feicht, daß es bisher felbit dem leichteften Boote nicht 
möglich war, am Ufer zu landen, und man war genöthigt 
eine weite Strede durchs Waſſer zu waten. In Zukunft 
wird man mun am Molo landen und die Stadt trodenen 


*) Bergl. „Globus" Bd, XXVIII, S. 157, und Bd. XXIX, S. 48, 


239 


Fußes erreichen fönmen. Ferner ift es die Mbficht des Che: 
dive, mittelft Baggermafchinen,, welche er aus —* bins 
ſchaffen ließ, auf der einen Seite des Molo einen Canal her: 
äuftellen, fo daß felbft große Schiffe an demfelben werben 
anlegen können. Zur Bewerfftelligung dieſer Arbeiten find 
die Danakil der Umgegend gepreßt worben, bie täglich einen 
Viertel Dollar per Kopf erhalten und mit der Peitfche zum 
Fleiß angehalten werben. Karren, Schublarren und andere 
moderne Werkzeuge find eingeführt worden, um die Arbeit 
zu erleichtern und zu fördern; und wenn alles gut geht und 
die Geldmittel nicht ausbleiben, dürfte das Werk in ein paar 
Jahren vollendet fein. Ein gewiſſer Abu Behr Schaman 
ift zum Gouverneur bed Platzes ernannt worden. Er war 
früher unter dem türfifchen Regiment Pächter der Staats: 
einfünfte. Die ägyptiſche Regierung hat nicht den Muth 
gehabt ihm zu beſeitigen, weil er einen großen Einfluß bei 
den Danakil genieht, und es daber gefährlich wäre ihm zu 
—— Ferner beabſichtigt man Häuſer, Straßen ıc. her⸗ 
zuſtellen, und man g allen Perſonen große Erleich⸗ 
terungen, die ſich bier als Handelsleute anſäſſig machen wol: 
len. Man ſagt: die ägyptiſchen Behörden haben alle zu Land 
aus dem Innern eingeführten Waaren mit einem Zoll von 
5 Proc. und alle Exporte zur See mit einem Boll von 12%, 
Broc. belegt. Der Stlavenhandel, obwohl er nicht offen ber 
trieben wird, ift doch im vollften Schwunge. Knaben werben 
mit 40 bis 60 Dollars, Mädchen mit bem boppelten Preife 
bezahlt. Nach letzteren herricht eine bedeutende Nachfrage für 
die ägyptilchen Offiziere und Soldaten, die an ben malliven 
Reizen der Danakil:Frauenzimmer keinen Gefallen finden. 
Die Shaven find meift Gallas und werden aus dem Innern 
heruntergebracht. Wenn man den noch fehr vertworrenen und 
unficheren Zuftänden des Landes Rechnung trägt, fo muß 
man fich darob wundern, daß der rechtmäßige Handeläverfehr 
ein ziemlich Tebhafter ift, und es unterliegt feinem Zweifel, 
fo heißt e8 in einer Correſpondenz aus Aden in dem indiſchen 
Zeitungen, daß Zeila, wenn man die Sache umfichtig anpadt, 
ein bedeutendes Entrepot an ber afritanifchen Kiüfte werben 
wird. Doc wird es nöthig fein, eine ftarke Garniſon daſelbſt 
zu halten; fonft wird die Stadt felbft micht ficher fein und 
fortwährende Raubanfälle auf die Kafilas (Karamanen) von 
Seite der Stämme, welche bie verfchiedenen Straßen aus 
dem Innern unſicher machen, wirden die zunehmende Wichtig« 
keit dieſes Seeplatzes bemachtbeiligen. Es giebt nur zwei 
Wege, um diefer ——— abzuhelfen: entweder muß 
man den benachbarten Stämmen, wie es die Engländer im 
Aden gemacht haben, Subfidien zahlen, ober - muß längs 
ber Hauptftraßen Militärftationen errichten. Die erftere Po- 
Titif ift zwar ein Zeichen der Schwäche, aber fie ift weniger 
foftipielig und bürfte daher ber ägyptiſchen Negierung mehr 
zufagen. (Allg. Btg.) 


Wie die Serben die Zeit eintheilen, 


P. Das Jahr wird bei dem Serben nicht nach bem Ka: 
lender, fondern ganz eigenthümlich theils in Sommer: und 
Winterzeit, theild in Faftenzeit (Pöft) und jene Zeit, 
wann Fleiſch gegefien werden darf (Mrd), eingetbeilt. Jedes 
Jahr hat vier Pöfta und ebenſoviel Mria. Gbenfo willen 
die Serben wenig von ben Monaten, fondern nur von Wo— 
chen (Mebelie), Tagen und Nächten. 

Der Tag wird auch nicht nach Stunden, jonbern anf 
folgende Art eingetheilt. Die Dämmerung heißt „Morgen* 
ober ferbiich „Zora® (jpr. fora); wenn die Sonne aufgeht, 
ift „Jutro* (mas ebenfalls Morgen beißt), um 8 Uhr 
„mali rutschak*® (Heine Mahlzeit), um 10 Uhr „weliki ruts 
schak* ober „rutschaniza® (große Mahlzeit), von 2 bis 4 
Uhr „Mittag" (podne — halber Tag), von 4 bit 6 Uhr 

„weliki zaranzi® (bie große Zeit vor der Abenddämmerung), 

von 6 Uhr bis zu Sonnenuntergang „mali zaranzi* (die 
Heine Zeit vor der Mbendbämmerung) "und ſchließlich folgt 
der Sommenumtergang (zahod sunza). 





240 


Die Nacht zerfällt in „sumrak* oder die Zeit mach dem 
Sonnenuntergang; „mrak“ ober Finfterniß; Abend ober 
„wetsche“; „wetschera“ (Abendeflen); „welike wetschere“ 
ſgroßes Abendeſſen)) „neko doba notschi® (unbeftimmte 
Zeit der Nacht); „eluho doba* oder Mitternadht; „prwi 
petli® (bie Zeit, wann die erften Hähne anfangen zu krä— 
ben); „drugi petli@ (die zweiten Häbne); „tretschi petli“ 
(die dritten Hähne); „svanutsche“ (bie Dämmerung). Es 
ift ſelbſtverſtündlich, daß auf dieſe Weife die Beit nur relativ 
beftimmbar ift, von abfoluter Zeitrechnung weiß der Serbe 
auf dem Lande noch gar nichts. Was eine Stunde ift, wii: 
fen nur diejenigen Banern, die unweit von der Stabt woh: 
nen und mit ben Städten öfters werfebren, und auch diefe 
noch nicht ganz genau. Denn dieſelben fragen niemals: 
„Wieviel Uhr ift 087", fondern: „Wieviel Stunden find 
noch bis zu der Nacht?“, oder „Wieviel Zeit haben wir 
noch bis zum Mittageffen?* 

* * x 

— Der Reverend S. Macharlane (f. oben S. 5656, 
57) bat neuerlich den Fly River, welder an ber Weſtkilſte 
des Golf of Papua mündet und biäber wegen des Wider: 
ftandes der Eingeborenen nicht erforjcht werden konnte, trotz 
der dichten und feindfeligen Bevölkerung 160 englifche Mei: 
len weit von feiner Mündung befahren und eine genaue 
Karte deſſelben nach England geihidt. An dem äußerſten 
Burnkte, den er mit feinem Meinen Dampfer „Ellengowan* 
erreichte, ftrömt der Fluß noch immer breit und tief durch 
ebenes Land, und find Berge dort noch nicht zu bemerken. 

— Die 9 Miles lange Eifenbahn von O'okiep nad 
Port Nollotb im Klein-Namagna-LandeiCapeolonie) Ht 
Mitte Jannar 1876 eröffnet worden. Beltändig langen Ar: 
beiter und Material flir BahnbanYin der Colonie an, wo man 
alljährlich 200 Miles fertig zu ftellen hofft. In vier Fahren 
würde jo Bloemfontain im Dranje-River-Freiftaat mit der 
Eapftadt durch Schienen verbunden fein. Am Neujahrstage 
that der Lieutenant⸗Gouverneur von Durban unter großem 
militärifchen und biirgerlichen Bompe den eriten Spatenftich 
an den projectirten Natal:Bahnen. 

— Die fogenannte Seegegend der Provinz Auckland bie- 
tet jo vorzügliche Naturſchönheiten, dab fie von Touriſten 
nicht bloß and Neuſeeland, ſondern auch aus den auftra- 
lichen Eolonien zahlreich befucht wird. Im November vori- 
gen Jahres wurden wieder in der Nähe von Matamata 
heiße Quellen aufgefunden, deren Heilwirfungen, namentlich 
in Bezug auf Rheumatismus, ganz anferorbentliche fein 
follen. Es dürfte wohl nicht lange mehr danern, daf die 
Seegegend in Andland zum Sanitarium für ganz Anftralien, 
im Sinne von Teplig und anderen berühmten Heilorten, wird, 

— Um 31. December 1875 wurde das mit der „Tele: 
graph Gonftruction and Maintenance Company" in London 
veraccordirte Kabel in der Länge von 45 Miles, vor dem 
Feſtlaude der Colonie Südanftralien und zwar von Nor: 
manville unweit Dankalilla an der Baditairs Paflage aus 
nach dem gegenüber liegenden Point Kingscote, zwiſchen 
der Bat of Shoald und der Nepenn Bat, auf Kangaroo 
Island, gelegt. Bon hier aus ift wieder ein Landtelegraph 
nach Cape Borda, dem weitlichften Punkte der Kangaroo— 
Infel, errichtet worden. Bon Cape Borda aus können 


Aus allen Erbtheilen. 


Schiffe, welde die Inveſtigator Strait paſſiren, um im 
den Gulf of St. Vincent zu gelangen, zuerſt geichen werden, 
und ihre Ankunft dalfo and die der europäiſchen Poſt— 
dampfer) kann auf diefem Wege fieben bis acht Stunden 
früher nach Adelaide gemeldet werden, als dies bisher ge- 
ſchehen fonnte. Der Ertrag diefer Kabel- und Telegrapben: 
linie wird zwar nur umbedentend fein, aber die indirecten 
Vortheile find um jo größer. 

— Die zur Beftrafung der cingeborenen Mörder bes 
Telegrapbeninivectors Johnſton auf der Station Daly Waters 
(Südanftralien) nah dem Noperfluffe abgeſchidten acht 
Genädarmen („Globus* XXVIII, S. 271), denen ſich eine 
gleiche Anzahl von Privaten angeſchloſſen batte, find im let: 
ton September nach Port Darwin zuridgefebrt. Sie haben 
zwei Häuptlinge erfchoflen und drei Eingeborene als des 
Mordes verdächtig eingefangen. Uebrigens ift nachträglich 
noch einer ber beiden Begleiter des Johnſton, mit Namen 
Ridards, an den erhaltenen Speerwunden geftorben. 

— Nur mit Widerftreben find die halbwegs zum Chri— 
ftenthume befehrten Einwohner der Samoa-Infeln zum An— 
legen von Kleidern zu bringen, welches bei den Milfionären 
ja als ein welentlicher Beltandtbeil des Chriftentbums gilt. 
Wer wirklich Hemd und Schube befigt, trägt diefelben bis an 
die Kirchentbür an der Hand und legt fie dort erft an, um 
fich ihrer fofort nach Beendigung des Gottesdienftes wie: 
der zu entledigen. 

— Von den Fidſchi-Inſeln wird aus zuverläfjiger 
Quelle berichtet daß Frankreich in Begriffe ftehe, von der 
Infelgruppe der Neuen Hebriden Befig zu ergreifen und 
das fir dieſen Zwedck im nächiter Zeit ein Kriegsſchiff von 
Neu:Ealedonien aus dahin abgeben werde. 


Vom Büchertiſche. 
Aus balbvergeffenem Lande. Gulturbilder aus Dalmatien 
von Theodor Schiff. (Mit Zeichnungen von K. Kliée und 
K. Zadnik) Wien 1875, 

Eine Reihe der reizendjten Cultur⸗ und Sittenbilder ans 
jenem Lande ber Felſen und des Meeres, herrührend von 
einem langjährigen und fein und jcharf beobachtenden Ber 
wohner deſſelben, der ſich häufig zu hohem dichteriichen 
Schwunge erhebt und chen fo oft gutherzige Ironie und 
feifen Spott walten läßt. Von Aberglauben und feiner 
Ausbeutung durch die niedere, entſetzlich unwiſſende Geiſt⸗ 
lichkeit weiß er Vielerlei zu erzühlen; man leſe nur „Das 
Paternofterhaus" und „Don Martine von Karakaſchitza“. 
Bom Scmuggel mad und von der nahen Türkei berichtet 
Türkiſcher Taback“, und wer es noch nicht willen ſollte, wie 
die orientaliſche Barbarei der Moslim die unglüdlichen und 
dabei fo hoch fiber den Türken ftchenden Slaven bedrüdt 
und mißhandelt, findet in „Ein türfiiches Schnupftuch“ und 
„Ein Richter in Bosnien“ dafür die grauenhaften Belege. 

Wir haben jelten ein Puch geleſen, welches wie dieſe 
hübſch illuftrirten 158 Seiten den Charakter eines Landes 
und feiner Bewohner fo anziehend und gleichſam plaftiich in 
einzelnen, dabei kurzen und nicht zufammenhängenden Skizzen 
vorführt. Nur die genanefte Bekanntſchaft und liebevolles 
Studium des zu behandelnden Stoffes lann diefes Ziel in 
ſolcher Weije erreichen. 





Inhalt: Dr. Morice's Reife in Franzöfiih Cochinchina IT. (Mit fünf Abbildungen.) (Schluß) — Die Roblie'- 


ſche Erpebition zur Erforſchung der Libyſchen Wüſte im Winter 1873/1874, Bon Paul Aſcherſon, Mitglied der Erpe— 
dition. V. (Schluß.) — Das Stavafeft der Serben. Von Dr. Nitola J. Petrowitſch in Kragujevaz. IL. (Schluß). — 
Ein Märchen und ein paar Dorfgeſchichten aus Griechenland. Mitgetbeilt von W. S. — Die Dradenfteppe und der 
Dradienfee. Von Hermann Bambery. — Aus allen Erdtbeilen: Mus Nordamerika. IV. — „Die Urnen wachen in der 
Erde‘. Bon W. Schwartz. — Bictoria. — Zeile. — Wie die Serben die Zeit eintheilen. — Verſchiedenes. — (Schluß 
ber Redaction 26, März 1876,) 





— — —— — — — — —— 


Redacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenſtraße 13, MI Tr. 
Dtud und Verlag von Zriedrich VBieweg und Sohn in Vraunſchweig. 


Dierzu eine Beilage: Profpeet, betreffend: „Adrian Balbi’s Allgemeine Erdbeichreibung, von Dr. Earl Arendts.“ 
Verlag von A. Hartleben in Wien, Peit und Leipzig. 


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Band XXIX. 





Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 
Begründet von Karl Andree. 


In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 
Dr. Richard Kiepert. 





Braunſchweig Meug— 


Bände a 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Poflanſtalten 
zum Breife von 12 Marl pro Band zu beziehen. 


1876. 


Telemffen in Algerien. 


Fährt man Morgens um 6 Uhr aus Algier mit der 
Eifenbahn nad) Weften fort, fo ift man um Dlittermacht in 
Oran. Am folgenden Tage verläßt man diefe Stadt mit 
dem Eilwagen, um in der Frühe des dritten Tages auf die 
Höhen, auf denen Telemffen liegt, hinaufzufahren. Zuletzt 
durchzieht der Weg einen ſchönen Wald hundertjähriger Oel— 
bäume, den Stolz der Einheimifchen, die demfelben auch eis 
nen geringen Namen als den des „Bois de Boulogne“ beis 
gelegt haben. Um 7 Uhr Morgens rollt der Wagen durch 
das Thor Bu⸗Medin in Telemffen ein, zuerſt in die Me— 
ſchuar⸗Allee, eine dreifache Reihe von Weißpappeln, Plata: 
nen, Alazien, Zürgel- und Zedrachbäumen, deren dichtes 
Laub im Sommer auch dem Hleinften Sonnenftrahl abhält. 
Links erheben ſich die alten Mauern des Meſchuar, der 
Feſtung von Telemffen, rechts als Kehrfeite der Minze 
ziemlich dürftige Häuſer. Dann folgt das Aerar, das Ges 
bäude der Subdivifion, die Poſt, das Telegraphenamt und 
das Ende aller Vlühen, das Büreau für den Eilwagen- 
verkehr. Das „Hötel de France“ nimmt dem durchfrorenen 
Keifenden auf, denn die Nächte find auf jenen Hochebenen 
falt, wo Orangen: und Citronenbäume weniger gut blühen 
als in dem fün? Breitengrade nördlicher gelegenen Aranjuez. 

Die größte Merkwürdigkeit des Ortes befindet ſich un- 
weit davon: Manfurah, faum zwei Kilometer nach Weften 
entfernt, Man verläßt Telemffen durch das Fezer Thor 
und erreicht bei der ausgebehnten Neitercajerne vorbei das 
gb: Waflerbehälter (Sferidfch), welches angeblich Abus 

ajchfin, der 1318 bis 1337 in Telemfjen herrichte, zur 


®lobus XXIX, Wr. 16. 


J. 


Abhaltung ya, en Seegefechte hat anlegen laflen. Ans 
dere neigen zu der wahrjcheinlichern Anficht, daß es einfad) 
Dewäfferungszweden gedient hat. Mehrfach, aber immer 
erfolglos, wurde daffelbe wieder herzuftellen verſucht; jetzt 
werden dort Necruten einerereirt, und unaufhörlich hallen 
die Wände wieder von den Uebungen der Trommler und 
Horniften, Weiter führt ber Weg durch eine liebliche Land⸗ 
ſchaft voller Dels, Feigen, Kirſch- und Nußbäume, danu 
liber den Getreidemarkt, bei einem Heiligengrabe und einem 
ZTriumphbogen aus Piegelfteinen vorbei, den Abu-Nakub 
1229 bei ber erſten Belagerung von Telemflen errichtete. 
500 Meter weiterhin beginnt die Umfafjungsmauer von 
Manfurah. 

1295 — der Flirft von Telemfjen, Abı-Said:Os- 
man, vom Stamme ber Abdsel-Wadit, einem in Ungnade ge: 
fallenen Miniſter bes Sultans Abu-Yalub Aufnahme und 
Saftfreundidaft, was für Letzteren Grund zur fofortigen 
Kriegserklärung war. Nady einer eriten, fiebenmonatlichen 
Belagerung zog er ſich zurüd, erſchien aber bald von Neuem, 
um num acht ganze Jahre vor der feindlichen Stadt auszu— 
halten. In feinem Heerlager ließ er fitr ſich einen Palaft 
errichten, fowie eine Mojchee von ungewöhnlicyer Höhe. 
Dann entftanden Mauern und in deren Schuge Häuſer, 
Karawanferais, Hospitäler, kurz eine volllommiene, vollreiche 
Stadt, derem großartige Reſte noch heute den Neifenden in 
Erftaunen ſetzen. 

Yints, d. h. im Süden, erheben ſich ſchroff die fonnen« 
vergoldeten Felſen von YallasSetti, im Vordergrunde bie 

31 


242 


alte Ringntauer mitihren vieredigen Thlirnten, aus geftampf: 
ter Erde beftehend, von grauer Farbe, wenn fie im Schatten 
kiegt, lichtgelb, wenn fie die Sonne beſcheint; im Hinter: 
grunde das hohe zur Hälfte eingeſtürzte Minaret, und zur 
rechten Hand dehnt fich weit nach Norden eine grline, von 
duftigen Bergen umgrenzte Ebene aus. Ein fteiniger Pfad 
führt zu der jet volltommen abgetragenen Moschee hinauf, 
don deren Hofraume aus man mit einem Blicke die gefanm- 
ten Mauern, welche 100 Hectaren Pandes einſchließen, 
Uberſchaut. Diefelben find 12 Dieter body und 1 Meter 
did. Merkwürdig ift, daß die Thlieme Feine Eingänge bee 
figen: fie follen angeblid, als Vorrathslammern gedient 
haben, zu denen man mitteljt Leitern hinauf und mitteljt 
Seilen hinabftieg. Wie durch ein Wunder hält fich tas 38 


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Fr — 


wird es in der Umgegend von Telemſſen, in Brea, Hennaya, 
Noögrier u. |. w., viel gebaut, trotz der Mühe, die es verur⸗ 
faht. Denn Scafale und Araber ftellen den Früchten 
geich fehr nad) und namentlich die legteren find gefürchtete 

iebe, weil fie in ihrer Gier mit der Traube gleich die ganze 
Ranle abreißen. Sobald alfo eine ſolche fid der Weite 
nähert, beeilt ſich der Befiger, fie auf dem Marlte zu ver: 
taufen. 

Ein Fußweg führt von Manſurah querfeldein nad den 
Bergen von Yalla: Setti umd zwar zunächſt zu eimer Art 
Höhlenftabt, die zwar gegenwärtig nicht mehr, wohl aber in 
früberer Zeit bewohnt geweſen ift, wie darin gefundene 
Gegenftände darthun. Farren, marcherlei Orchideen und 
Compoſiten bebedien den Bergesabhang, der iumer fteiler 
und jteiler anfteigt, bis man ſchließlich Metternd das Girab- 


Umfaſſungsmauer von Manfnrab, (Mach ciner 


Telemſſen in Algerien. 


Dieter hohe Minarct nod) aufrecht; die eine Hälfte ift von 
oben bis unten eingeftügzt. Ein Muſelmann und ein Jude 
waren die Baumeifter ded Thurmes; aber Gott — fagt bie 
Legende — fegnete wohl das Werk des Gläubigen, nicht aber 
das des Juden, und legteres ftürzte eim. 

Die alte Waflerleitung ift dagegen noch unverlegt und 
liefert noch heutigen Tages den Bewohnern des Dorfes 
Manfurah das nöthige Naß. Diefes Heine Dorf, eine baum 
beichattete Straße, deren beide Enden durch ein Thor ger 
ſchloſſen find, nimmt ſich wie ein Neft im Grünen aus. 
eine 140 Bewohner haufen meift in elenden Hiitten; doch 
giebt es dort aud) ein paar ſchöne Bauernhöfe und der Wein- 
ſtock gedeiht ganz gut. Zwar fchmedt das Gewächs etwas 
herbe, etwa wie die gewöhnlicen jpanifchen Weine; doch 


— 
N er; - —— 
J Wahr air en 





hotographie.) 


mal des Yalla-Setti erreicht. Diefer Dann hat fich dadurch 
verdient gemacht, daß er während ber Belagerung Telemſſens 
eine Ziege mit Gerſte fütterte und fie ins feindliche Yager 
hinitberjagte. Dort wurde biefelbe geſchlachtet, und als ſich 
dabei zeigte, daß die Belagerten noch ſolchen Ueberfluß an 
Vebentmitteln befigen mußten , um ihr Vieh mit Gerſte füt- 
tern zu lönnen, verzweifelten die Belagerer — wie dies von 
fo vielen Beten erzählt wird — an ihrem Erfolge und 
zogen ab, 

Bon oben bietet fich dem, welcher den rauhen Meg nicht 
geſcheut hat, eime herrliche Ausſicht auf das von dichtem Yaube 
rings umgebene Telemfjen, bie Dörfer in feiner Nähe und 
die Straße nad; Oran, Eine halbe Stunde weiterhin hat 
das Plateau ein Ende; dort zeigt der Travertin, aus welchem 
es beſteht, merlwürdig geftaltete Ghrotten und Höhlen, an 


deren Fuße ein Bach herab» 
flürgt. Gemauerte Canäle 
fangen fein Wafler auf und 
leiten es Mühlen zu, bie 
eine Über der andern an die 
Berglehne angeklebt find und 
deren mächtige Mäder den 
Schaum bis auf den Weg 
werfen. Dort geht man bei 
dem „Mühlenthurme* vor: 
bei, dem häßlichen Offiziere: 

efängniffe, und erreicht über 
—— wieder bie Stadt. 

Das Klima von Te— 
lemſſen zeichnet fid durch 
ſchroffe Temperaturüber⸗ 
gänge in ben Jahreszeiten 
ebenjo wie von einem Tage 
zum andern, ja felbft an 
einem und bemfelben Tage 
ans. Beſonders befitt der 
Sommer diefe Eigenfcaft. 
Die Ertreme find? + 36" 
und — 6° E,, alſo eine 
Tenperaturdifferenzvon 42", 
Regen fallen zahlreich; fie 
beginnen im Allgemeinen im 
Detober und dauern, von 
ſchönem Wetter unterbrodjen, 
bi in den Mai und Juni 
hinein. Die Frühjahrsregen 
und die felbft im Juli noch 
ſich einftellenden ſehr häu« 
figen Morgennebel verlei» 
hen dem Pflanzenwuchſe eine 
Dauerhaftigteit, welche im 
Gegenſatze zu der Ditrre und 
Trodenheit, die ringsum der 
Begetation ſchon im Juni 
Halt gebietet, den Fremden 
uberraſcht. 

Der Eiroffo weht nur 
felten und dann höchſtens 2 
oder 3 Tage lang; ebenſo 
find Stürme zwar von gro- 
Ber Heftigkeit, dabei aber von 
furzer Dauer. Den Don- 
ner hört man nur im Winter 
und Frühjahre nach außer⸗ 
gewöhnlic, heißen Tagen, 

In klimatiſcher Hinficht 
iſt alfo Telemſſen ficher be: 
vorzugt; allein ald Stadt ift 
fie keineswegs ſchön, wenn 
auch feit, der franzdfifchen 
Befignahme im Jahre 1842 
fit; Mandjes zum Beſſern 
gewendet hat. Damals be- 
land es aus lauter Ruinen 
und ihre Straßen glichen 
einem wahren Scindanger, 
auf welchem Thiercadaver 
in ber brennenden Sonne 
fchmorten, weithin die Luft 
mit Geftanf verpeftend, und 
wo Jedermann jegliche Un⸗ 


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Telemſſen in Algerien. 


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Thurm von Manſurah. (Mach einer Photographie.) 


243 


reinlichkeit hinwarf, deren er 
ledig fein wollte. Das In⸗ 
nere der Hänfer glich dem 
Zuftande der Straßen, Nies 
mand dachte baran, die ver⸗ 
ftopften Abzugscanäle zu 
reinigen, fo daß ſich ber 
Inhalt der öffentlichen und 
privaten Abtritte auf die 
läge und Strafen, ja 
jelbft in die Brunnen er- 
goß. DObenan in Bezug auf 
Schmuß fand das Juden ⸗ 
viertel. 

Seitdem find einige Häu · 
fer gebaut worden, aber fie 
find erbärmlich und jelten 
über ein Stochwerl hoc): 
denn Handarbeit ift theuer 
und Gyps und Holz muß 
man mit ſchweren Koſten von 
Oran fommen laffen. Nod) 
heute ift der Zuftand in ben 
verfallenen Quartieren der 
Eingeborenen fein ſehr er⸗ 
freulicher. Auf Schritt und 
Tritt ftößt man auf wadelnde 
Mauern und Ruinen. Drin- 
nen fieht es eben fo traurig 
aus: eine Matte, die als 
Bett dient, ein bemalter Holz: 
koffer (Sendut) voll Kleider 
und Wöſche, zwei bis drei 
iur Brian ein ir 
denes Kohlenbecken und ein 
paar hölzerne Schliffeln ma⸗ 
chen die geſammte Ausftat- 
tung aus, 

Unter den 18,722 Ein- 
wohnern, welche die Stadt 
1872 zählte, befanden ſich 
10,091 Mohammedaner; 
weitere 2700 leben in den 
benachbarten Dörfern (Ain- 
Buhadſchar, Ain > el: Hut, 
Uſidan, Beni⸗Uaſen, Beni« 
Meſter). Die Behauſungen 
der Juden ſind zwar in 
Hinſicht auf deren zahlloſe 
Nachlommenſchaft zu eng, 
immerhin aber beifer, aud) 
in ihrer Ausftattung, ale 
die der Mohammebaner, bes 
ren Wohlftand itberhaupt im 
Rüdgange begriffen ift. Bon 
letzteren giebt e8 in Telemſſen 
zwei grundverſchiedene, ja 
einander feindliche Claſſen, 
deren Wiberftreit der franzö⸗ 
ſiſchen Herrichaft einen nicht 
zu unterfchägenden Rüdhalt 
gab. Die einen find bie 
Kulugli, melde von tür« 
tiicdyen Vätern und arabifdjen 
Müttern abftammen, vordem 
arg verfolgt wurden und es 


31* 


Telemſſen in Algerien. 


(gdwabogoggk aaun Pug) nallınapz, 


TE Te ne mer — 





F. Birgham: Zur Indianerfrage. 


deshalb ftetd mit den fremden gehalten haben. Es find 
hochgewachſene, kräftige Leute, die beffer und reinlicher als 
ihre Gegner gelleidet find und fleißiger arbeiten, wie denn 
auch die rings die Stadt umgebenden Gärten ihrer Aus: 
dauer ihr Dafein verdanfen. Der Heine Handel ift in ihren 
Händen; fie befigen gut gehende Kramläden, verkaufen billig, 
fprechen Franzöſiſch und mitunter Spaniſch und machen als 
Schlächter den Franzoſen und Spaniern eine ftarte Con» 


currenz. 

8 die Haddar, Araber von mütterlicher und väter 
licher Seite, eine arme, herabgefommene, arbeitsfchene Menſchen⸗ 
clafje, Meiner von Geftalt, von bronzefarbigem Teint und 
ſchwarzen Haaren, während die Kulugli hellfarben und häu« 
fig blondhaarig find. Letztere ſetzen ihren Stolz darein, ihre 
Häufer neu aufzuführen, fobald es ihnen nur ihre Mittel 
erlauben. 

Sehr zahlreich (3221) find die Juden, deren Vorfahren 
fhon im ſehr früher Zeit, angeblich nad) Zerftörung des 
Onias-Tempels in Alerandrien, vielfach in Telemſſen ſich 
nieberließen. Andere folgten dann im flnfzehnten Jahr— 
hundert nach und erhielten ihre Sige neben dem fditgenden 
Gaftell Meſchuar angewiefen. Jetzt befitst dies Volk in der 
Stadt drei Synagogen, beren eine mit einer berlihmten 
Talmudſchule in Berbindung ſteht. Im Ganzen und Gro— 
Gen geht es ihnen gut; fie alle haben Ausficht, zu Gelde zu 
lommen, find intelligent und voller Saufmannsgeift, ſprechen 
alle und fchreiben wenigftens zum Theil Franzöſiſch. Ihnen 

ehören mreift bie europäifchen Käufer im der Stadt. Als 
anblungsdiener, Commis und Schreiber bei Anwälten und 
Gerichteboten jchlagen fie fic durch das Leben. 

Als neuere Schöpfungen verdienen die Bibliothef und 
das Mufeum genannt zu werben, welche beide im Gebäude 
ber Mairie untergebracht find. Erſtere zählt 2200 Bände 
und wird durch jährliche Geldbewilligungen des Stabtrathes 
fortwährend vergrößert. 

Den äuferften füböftlichen Winkel ber alten Stabt- 
ummwallung nimmt das Negerdorf mit feiner Heinen Moſchee 
ein. Der Weg, der dorthin führt, ift vom herrlichen Obft- 
gärten eingefaßt, die gegen Ende März zwar noch kein Yaub 
haben, aber von einem weiß umd rothen Blüthenmeere bedeckt 
find. Wo heute das Negerdorf fteht, ftand einft Agadir, 
die Wiege und der Vorgänger der Stadt Telemfjen. Nur 
ein Minaret von einer Mofchee und ausgedehnte Ring« 
mauern find von ber alten Stadt übrig geblieben, die im 
Verhältniffe zum heutigen Orte allerdings Hein war. Der 
Thurm ift vieredig und etiwa 40 Meter hoc); feine Verklei⸗ 
dung von glafirten Ziegeln hat er zwar verloren, ift aber 
im Uebrigen ziemlich wohl erhalten, Seine dien Wände 
enthalten zahlreiche Infchriftenfteine eingemauert, die längft 
ſchon von kundiger Hand abgefcjrieben worden find; fein 
plattes Dad; ift zugänglid, und gewährt eine hübſche Aus- 


245 


ficht, welche derjenigen von Manſurah gleicht, nur dag man 
hier tiefer in dem Yaubwalde darin ſtedt, der ringsum bie 
Stadt umgiebt. Das reichliche Quellwaſſer macht fie zu 
einer Perle von Algerien: gering gerechnet fichen 50,000 
Delbäume in ihrer Nähe. Ihre Gärten und Obftpflanzun« 
gen nehmen 670 Hectaren ein, die Weinberge 254, bewäljerr 
bares Yand 2111, Weiden 11,835; dazu befigt fie 84 grö- 
Bere oder Hleinere Reſervoirs und 349 Kilometer an Be- 
wäflerungsgräben, weldye unter Aufficht eines Syndicats 
ftehen. In ganz Algerien giebt es feinen zweiten in ähn- 
licher Weife bevorzugten Ort! Man glaubt es gern, daß 
die Bewohner nichts fehnlicher wünſchen als eine Eiſenbahn ⸗ 
verbindung mit Oran, weldje ihren vegetabilifchen Reichthum 
einen bequemen Abjat eröffnet. Feigen, Kirſchen, Birnen 
gedeihen im folcher Dienge, dag man manches Mal, um ihrer 
Herr zu werden, das Kleinvieh damit füttert. Veilchen 
wachſen hier jo maflenhaft, daß der Marft von Oran damit 
reichlich verfehen wird. Sträuße diefer reizenden Blumen, 
bie im Paris oder Nizza 25 France foften wirden, find hier 
umfonft zu haben, wenn man ſich nur biiden will; forgfältig 
in Moos verpadt gehen fie um 3 Uhr Nachmittags von Te: 
lemſſen ab und werben am folgenden Morgen in Oran verfauft. 

In dem ſchon erwähnten „Bois de Boulogne* könnte 
man fic in Europa wähnen, nicht im heigen Afrifa. Schäu- 
mend nagt das Waſſer an den alten, mit Schlingpflanzen 
fiberbedten Mauern, in deren Riſſen Feigenbäume und Tere: 
binthen Wurzel gefaßt haben, Dichter Schatten, Beilden- 
duft, ein grüner Moosteppich und das Naufchen eines fernen 
Waflerfalles laffen den Fremden vergeffen, dag er in Algerien 
weilt. Bald aber tritt man auf eine Feine, von riefigen 
Terebinthen befchattete und mit violetten Iriablumen bededte 
fläche, einen geweiheten Raum: es ift die „Ebene der finder- 
lojen rauen“, Mitunter fann man dort eine lange Reihe 
weißer Geftalten jehen: es find Frauen, die zu dem Grabe 
des Heiligen Sidi⸗Yakub wallfahrten und ihm um Frucht 
barfeit auflehen. Sonderbarer Weife hat eine jede flinf, 
ſechs Kinder bei fic, jo daß man glauben muß, daß fie ein 
fiebentes erfehnen. 

Bier folder Marabuts oder Heiligengräber giebt es in, 
Telemfien. Sidi-Makub (d. i. Herr Jalob), ber bei Juden 
wie bei Mohammebanern in gleich hohem Anſehen ftcht, 
befindet fich noch im gutem, baulichem Zuftande; Sidi-Auheb 
liegt in Ruinen, Neben dem erflern bemerft man Kreiſe 
aus loſe anfgehäuften Steinen : das find Heilige Stellen, wo 
Sidi-Yalub einzelnen Gläubigen erſchienen ift und wo an 
beftinimten Tagen der Wächter des Marabut mit Weihraud) 
beftreute, glühende Kohlen umherträgt. Es muß auffallen, 
daß die Juden bei all ihrem Kinderreichthume und trog des 
Widerſpruchs der Mohammedaner Zutritt zum Grabe Sidi- 
VYalub's zu erlangen fuchen. Wurde doch unlängft der 
Streit fo heftig, daß die Behörden einfchreiten mußten ! 


Zur Indianerfrage 
Von F. Birgham. 


Wenn nicht alle Anzeichen trügen, ſteht im Weſten der 
nordameritaniſchen Union wieder ein größerer Indianerkrieg 
bevor. Wenn ſich auch Gerüchte dieſer Art faſt jedes Fruh— 
jahr erheben, ſobald genligendes Gras für die indianiſchen 
Ponies vorhanden iſt, ſo haben ſich doch die bedrohlichen 


Anzeichen eines bevorſtehenden Ausbruchs im jüngfter Zeit 
fo bedeutend gehäuft, daß ein Zufammentreffen der Roth— 
hänte mit den Regierungstruppen binnen Kurzem ftattfinden 
muß. Als Haupt der feindlichen Bewegung gilt der junge 
Sion + Häuptling „Sitting Bull of the North“ , defjen 


246 


Bande aus mehreren Hundert meiftens wegen fchwerer Ber: 
brechen geächteter Krieger verjchiedener Siour-Stämme be: 
ſteht, die ſich weigern, auf irgend eine Reſervation zu font- 
men, und bereitö feit einiger Zeit ihr blutiges Weſen in der 
Gegend der Black Hills treiben. Dort haben ſie ſchon in 
der Nähe der Forts Peafe bei einem Ungriff auf eime 
Truppenabtheilung zwei Soldaten getödtet und flnf verwun⸗ 
det, auch eine Streifpartie von neun Mann von Fort abge» 
ſchnitten, jo daß man ohne fchleunige Hülfe die Uebermäl- 
tigung der ganzen Garniſon befürchten muß. Auch der 
befannte Siour-Hänptling „Red Cloud“ (Rothe Wolte), 
ben die Befigergreifung feiner Refervation in den erjhaltigen 
Blad Hills, die er Im abzutreten weigerte, durch Gold» 
ſucher und die darauf folgende Entzichung der Regierungs— 


F. Birgham: Zur Indianerfrage. 


rationen tief erbittert haben, ift mit mehreren humbert Krie— 
gern nach Norden abgezogen, um ſich mit Sitting Bull zu 
bereinigen, indem er erklärte, er wolle lieber auf bem Kriegs- 
pfabe Sterben, als auf der Refervation verhungern, fo daß 
die Goldgräberlager ſich in die äußerfte Gefahr von Ueber- 
fällen verfegt fehen. Auch von Omaha kommen beflimmte 
Nachrichten, daß die Stours, Cheyennes und Arapahoe-In« 
dianer ſich feit Yangem auf einen Aufſtand vorbereiten und 
zu dieſem Zwede Waffen und Munition faufen, wo fie dies 
felben nur erhalten fünnen, und dazu fogar ſüdwärts bis 
zum Indian Territory vorgebrungen find, Es ift allgemein 
befannt, daß die beften Krieger die Agenturen verlaflen ha⸗ 
ben und in den Big-Horu⸗ VPowder⸗ und Tongue-Rivers 
Gegenden an ben Grenzen der Territorien Wyoming, Dafota 





Bannack- Krieger. 


und Montana ihre Kräfte unter Sitting Bull und Red 
Cloud zum Betreten des Kriegspfades vereinigen. Auf den 
Agenturen und Refervationen find nur Kranfe, Greife, 
Weiber und Kinder zuriidgeblieben. Am meiften ift man 
um die Orenzanfiebelungen beforgt, an denen die aufftändis 
ſchen Rothhäute zuerft ihre Greuelthaten zu verüben fuchen 
werden, Daß ihre Ueberwältigung das freilich mit großen 
Opfern an Blut und Gelb’ verbundene Endrefultat fein 
wird, unterliegt um fo weniger Zweifel, als das dortige 
Terrain viel glinftiger für Iruppenbervegungen ift, ald die 
unnahbaren Yavafelder des legten Modockrieges. Bereits 
iſt eine Abtheilung von 2000 Mann der Truppen der Vereinig⸗ 
ten Staaten nad) dem zufünftigen Kriegsſchauplatz abgegan+ 
gen. Der Commander des Platte-Departements, General 
Sroof, der bekannte Züchtiger der wilden Apaches in Neur 


mierico, ift vom fort Yaramie am Platteflufle, nördlich 
von Cheyenne an der Pacifichahn mit fünf Compagnien des 
dritten Gavallerieregiments nach Norden abgezogen, während 
der ebenfalls als tüchtiger Indianerbefämpfer befannte Ge— 
neral Cuſter mit ſechs Compagnien des 7. Cavallerieregi- 
ments Fort Lincoln verlafien hat. Beide Generäle werben 
ihre Streitkräfte in der Nellowftone- und Powder · River 
Gegend weſtlich von den Blad Hills und gegen 150 engl. 
Meilen öftlid, vom BigsHorn-Gebirge vereinigen, um bort 
Eitting Bull's Bande, deren Stärke verfchiedentlich auf 600 
bis 1500 Krieger gefhägt wird, anzugreifen. Sollte bie 
Cavalleriemacht nicht ftart genug fein, jo werden Infanterie 
verftärfungen aus den Forts herbeigezogen werben. 

Aber auch in einer andern Gegend droht eim bfutiger 
Aufftand der ungufriedenen Stämme. Die Ute-Iubdianer, 


F. Birgham: Zur Indianerfrage. 


die im ſudweſtlichen Theile Golorados leben, traten durch 
den fogenannten Brunot-Bertrag eine große Strede ihres 
Landes an die Bundesregierung ab. Es ift dies eine vom 
San-JuansiFluffe bewäſſerte, äußerft ſchöne und fruchtbare 
Gegend, deren Reichthum an edlen Metallen fofort eine 
ftarfe Einwanderung von Goldſuchern verurſachte. Die 
Entfhädigung der vothen Befiger wurde auf jährlich 
25,000 Dollars feftgefegt, die nadı Wunſch des Stanımes 
zum Bortheil defielben angelegt werden ſollten. Obgleich 
nun diefer Bertrag vor zwei Jahren abgeichlofien wurde, 
und das Land jegt voller Goldgräber, Grenzſtädte und 
Minendörfer iſt, haben doch die Iudianer foweit feinen Cent 
der Kaufſumme erhalten und zwar aus dem einfachen 
Grunde, weil der Congreß die Veftätigung des Bertrags 


5* 





Waſhington*“ um Hilfe wenden mitflen. Dagegen iſt das 
indianiſche Burcan machtlos, ihmen beizuftehen, da ed aus 
obigen Gründen Über feine Deittel zu ihrer Unterftiyung 
verfügen kann, fo daß es kein auderes Hilfsmittel als die 
directe Bitte an den Congreß giebt, deſſen Entſcheidung ab« 
zumarten bleibt. 

Mittlerweile iſt es bereits auch im Judiau Territory zu 
einem blutigen Zufammenftoße gefommen. Bon einer Rand) 
35 Meilen füdlid) von Camp Supply wurden 50 Stüd 
Vieh von einem Streifzug DfagerInbianer geraubt, Der 
den Poften commandirende Major ſaudte gleidy einen Yieute- 
nant mit 150 Mann des 5. Cavallerieregimentd zur Ber: 
folgung nach, und gelang es den Truppen auch, die Räuber 
am fechöten Tage einzuholen. Das Lager derfelben war 
halb in hohem Graſe verborgen, während die Ponies auf 


247 


verweigert hat, fo daß auch Hier ein Racenkrieg wahrfcheinlich 
ift und nur mod) von dem Entſchluſſe des einflußreichen 
Ute-Häuptlings Uhelay bei Los Pinos abzuhängen ſcheint. 
Auch, anderswo finden mir Beweife für die Verwidelt- 
heit der Inbianerfrage. In Wajhington befindet ſich augen: 
blicllich eine Geſandiſchaft von acht Chippewa⸗Hüäuptlingen, 
deren 2000 bis 3000 Köpfe ſtarler Stamm im Norden 
des Territoriums Dakota, nahe der britifchen Grenze, lebt. 
Derfelbe hat nie einen Vertrag mit der Megierung gehabt 
und demzufolge weder je eine Reſervation oder irgend eine 
Unterftügung erhalten. Seine Mitglieder haben ſich bisher 
von Jagd und Fiſchfang ernährt, fehen ſich aber durch den 
biesjägrigen Mangel an Wild von einer fichern Hungers— 
noth bedroht, fo daß fie fi an dem „großen Bater in 





RER, urn 


Banıad » Indianer, 


einer nahen Anhöhe weibeten. Unter Dedung eines leichten 
Nebels gelang e8 den Truppen zu Fuß die Imdianer zu 
Uberraſchen und in bem ſich entfpinneuden Kampfe drei ders 
felben zu tödten und viele zu verwunden, worauf die Uebri- 
gen ſich in wilder Flucht zerfiventen. Cine alte Squaw 
blieb allein im Lager zurüd, das miebergebrannt wurde, 
Das geraubte Vich war ſchon vor dem Ueberfall geichlachtet 
worden, doch fielen 35 ber indianifchen Ponies in die Hände 
der Truppen. Uebrigens ift die Aufnahme des 68,000 
engl. Quabratmeilen großen Indian Territorg mit feinen 
80,000 indianifchen Bewohnern 30 bis 40 verfchiedener 
Stämme (meiftend Cherolees und Choftaws) ala Oflahoma- 
Territorium in den Staatenverbanb angeregt worden, 

Der oben erwähnte General Cuſter hat kurzlich feine 
Anſichten über die Indianerfrage ausgefprocden. Seiner 


248 


Meinung nach befteht der Grundfehler der bisherigen Politik 
darin, daß die Rothhäute als feparates Bolt, als „Nationen“, 
behandelt werden, mit denen Verträge wie mit einer frems 
den unabhängigen Macht abgejchloffen werben. Daß große 
Streden reihen, culturfähigen oder erzhaltigen Landes abge 
trennt und wilden Indianern zur Verfügung geftellt werden, 
ift nach feiner Anficht ein gleicher Mißgriff, dev bisher mur 
zu Deigbräuchen der ſchlimniſten Art, zu Raub, Mord, Krieg 
und zur Verſchwendung von Millionen Dollars geführt hat, 
Dies mühe aufhören, das indianifche Bureau abgejchafft 
und die Verwaltung der Indianerangelegenheiten der Armee 
übergeben werden, Man lafle ihnen diefelbe Behandlung 
wie Weißen und Schwarzen zufommen, halte fie innerhalb 
eines cioilifivenden Einfluffes feit, erziehe und beſchütze fie 
und lehre ihnen, das Geſetz zu ehren und ihr Brot zu ver 
dienen. Dies fei die einzige befriedigende Yöfung der In— 
bianerfrage, 

Der erfte Anftoß zu einer folhen ift nun auch durch den 
Geſetzentwurf des Secretärs des Innern gegeben, welcher 
bie bisherige Aufficht der in den Staaten Neuyork (in den 
Grafſchaften Cattaraugas, Geneffee und Niagara), Nord— 
carolina, Michigan, Dinnefota und Jowa lebenden, völlig 
civiliſirten Indianer von der Bundesregierung auf die Re— 
gierungen ber genannten Staaten übertragen will, indem 
diefe Indianer jolche Hortfchritte in der Cultur gemacht ha« 
ben, daß fie im Stande find, ſich felbftändig zu erhalten, 
und ed demnach Hug und gerecht erfcheint, ihnen die Aufficht 
und Vormundſchaft der Bundesregierung abzunehmen und 
ihnen alle Rechte und Privilegien als Bürger der Staaten 
zu gewähren, in denen fie anfällig find. Ihre Nefervationen 
fowie die vom Congreß auf Grund der Berträge zugeftande- 
nen Gelder follen ebenfalls den Staaten übergeben, aber 
ausſchließlich zum Beſten der betreffenden Stämme veräußert | 


Emil Schlagintweit: Die englifchen Himalaya-Befigungen. 


ober verausgabt werden. Auf die in den Staaten Kanfas, 
Nebrasfa und Teras auf Refervationen lebenden noch wil« 
den Indianer kann freilic, diefe Mafregel noch nidyt An: 
wendung finden. Natürlich muß vorher die Zuſtinmung 
obiger ſechs Staaten erlangt werden; der Vorſchlag ift be» 
reits den verſchiedenen Couverneuren zugegangen. Auch 
würde der Bundesregierung felbft eine große Erſparniß 
durch die diefer Uebertragung folgende Abſchaffung mehrerer 
Indianeragenten (devem augenblidlich 83 auf den Liften bes 
Minifteriums des Innern ftehen) erwachſen. Wie gejagt, 
erſcheint die Durchflihrung diefer Maßregel ald annähernd 
befriedigende Yöjung der quälenden Indianerfrage. Wenn 
die wilden Stämme durch gezwungenen Aufenthalt auf Res 
fervationen in ein bis zwei Generationen mitteft Aderbau 
und friedlicher Beichäftigungen * und civilifirt worden 
find, kann die Regierung fie ihrer Aufficht entlaffen und den 
Staaten die neuen Blirger libergeben. 

[Zu erwähnen ift noch, daß binnen Kurzem in Wafhing: 
ton der ethnographifche Theil der Arbeiten erfcheinen wird, 
weldye die unferen Lefern wohlbetannten Hayden’fchen 
Expeditionen (ſ. „Globus“ XXVII, ©.289, 305, 321 und 
337, und XXVIII, ©. 65, 81 und 97) in ben Felſenge⸗ 
birgen ausgeführt haben. Faſt 1000 Driginalphotographien 
von Indianertgpen, beren Herftellung der englifche Reiſende 
W. Blackmore angeregt hat, geben diefer Publication einen 
großen Werth. Derfelben Erpebition find auch die oben beige- 
fügten vier Typen von Kriegern des Bannadftammes zu 
verbanfen, welcher mit den Shofhones zufammen in den Felſen⸗ 

ebirgen zwei Refervationen inne hat, eine in Idaho im 
uellgebiete des Snake River, die andere in Wyoming in 
‚ demjenigen des Bighorn und Platte River (vergl. die Karte 
der Indianerrefervationen „Slobus“ XXVI, Nro. 15), Neb.] 


Die englifhen Himalaya-Beſitzungen. 
Von Emil Schlagintweit. 


u 


I. 


Die Duns, Bhabar und Tarai*). 


Die Kämme des Hauptgebirges fallen fteil zur indischen | 
Ebene ab; durchfchnittlich find beim Anftieg auf deu Kilos 
meter Entfernung 140 Meter Steigung zu überwinden, | 
Vor diefen Ausläufern des Gebirges dehnen fich von Ger 
röll angefüllte und von Walbdidicht beftandene Thäler von | 
einigen Kilometern Breite an der Thalfohle und 30 bis 60 | 
Kilometer Yänge aus, im mittlern und weftlichen Himalaya 
Duns (Thal) oder Mari genannt, die den Duars bes 
Dften entſprechen. Die von einem Bade bewäfjerte und 
vielfach verfumpfte Thalſohle liegt im Mittel 750 Meter 
hoch über dem Deere und ift der Richtung des Hauptgebirs 
ges parallel von NW, nad) SD, gerichtet. Gegen Süden 
find diefe Thäler von Sandſteinſchichten abgeichloflen, die 
ſtellenweiſe vollftändige Ketten bilden mit Gipfeln von 
1000 Meter Dieereshöhe. Bor diefen Eandfteinhügeln, 
die gleichfalls in der Richtung des Hauptgebirges ftreichen, 
breitet fi ein mit Urmwäldern bededtes Hügelland aus, 


+) &, bie früberen Artifel des „Slobus” Br.2H, S. 234 u. 248. 


Bhabar (Bhaver) genannt, das anfangs ein Plateau bil» 
det, bann 2 bis 3, fpäter durchſchnittlich 10 Meter auf den 
Kilometer Fall hat, Hier find längs der Yanderhöhungen, 
die ſich zwiſchen den Flüffen ausbreiten, die koloſſalen Rolls 
ftüce abgelagert, welche die Bergftröme aus dem Innern des 
Gebirges herabbradten, und die Trümmer aufgehäuft, 
welche unter dem Einfluſſe gewaltiger fubtropifcher Regen 
von den Bergen abbrödelten. Des poröfen Untergrundes 
wegen fehlen dem untern Theile Quellen, Brunnen fördern 
Waſſer erſt aus großer Tiefe; daflir bewäflern zahlreiche 
Flüffe, die von den niederen Abhängen des Himalaya herab: 
fommen, bieje Scutthalden. Die Fluſſe find noch Mare 
Bergftröme, deren Waffer oft wilbtofend daherfommen ; bald 
erreichen fie fanft geneigten Geröllboden, Einige Hügel» 
reihen, die gleidy den Sandſteinſchichten in der Richtung des 
Hauptgebirges verlaufen, fperren ihren Yauf; die Fluſſe er- 
weitern ſich dahinter zu breiten Teichen und bededen weite 
Streden Yandes mit Waller, Diefe Yagunen trocknen in 
der heißen Jahreszeit aus; zahlreiche Rinnfale zeigen dann 


Emil Schlagintweit: Die engliihen Himalaha-Beſitzungen. 


die Ausbreitung des Fluſſes bei hohem Wafferftande an. 
Durchſiclerung liefert ausreichende Feuchtigkeit, bis hart un« 
ter die Oberfläche ift der Boden mit Wafler getränft, Diefe 
große Bodenfeuchtigkeit treibt im Verbindung mit hoher Luft: 
temperatur eine Vegetation von tropifcher Ueppigteit, macht 
aber zugleich den Aufenthalt für Menfchen ungefund und 
nur jenen wenigen rohen Stämmen möglich, bie acclimatifirt 
find. Das ftehende Waſſer verurfacht beim Genuſſe nahezu 
mit Beftimmtheit Diygenterte, und der Schauber, der einem 
vollen Trunte folgt, artet in Fieber aus. Diefe gegen bie 
Ebene fanft geneigte Niederung in einer durchſchnittlichen 
Höhe von 200 Meter Über dem Meere ift die Tarai 
(Zarijani). Im vorhiftorifcher Zeit muß an der Stelle der 
Tarai ein meerähnlicyer See beftanden haben, aus welchem 
feftes Yand in der Form vom Inſeln hervorragte. Im 
ganzen Sidrand (Des oder gerodeted Land genannt) der 

arai und weit darliber hinaus flößt man in ber Tiefe von 
8 bis 6 Meter auf eim dickes Lager feinen Sandes ver- 
mengt mit Kies und Sußwaflermujcheln; im Diftrict Kheri 
der Provinz Audh kommen beim Graben von Brummen 
vegelmäßig große abgerundete Nollftücte hervor, wie man fie 
gegenwärtig im Flußbette der Gießbache erft 40 Kilometer 
nördlicher antrifft. Jetzt fehlt es an einer Einſenkun 
welche die Wafjer des Himalaya und ihre Ablagerungen ze 
nehmen könnte, und jo wurde die Zone am Fuße des Ge— 
birges ungefundes Sumpfland. 

Die größte Breite hat die Tarai längs Nepal, der größ- 
ten Erhebung gegenüber ; fie erreicht hier bis zu 50 Silo 
meter und nimmt an beiden Seiten bin ab. Im Dften 
findet fie ihr Ende bei Goalpara in Folge des beſſern Ab- 
fluffes der Gewäſſer in das nahe Flußbett des mächtigen 
Brahmaputra und der geringen Menge atmoſphäriſcher 
Nieberfchläge, im Weften erftredt fid) das Salzgebirge 
von den Vorbergen von Kabul her bis an den Dichilamfluß. 

Die Temperatur ift im der Tarai bedeutend niedriger 
als in der angrenzenden imbiichen Tiefebene; abfteigende 
Luftftröme, welche längs der Thäler austreten und bie jtarfe 
Ausbreitung dichten Unterholzes, das den Boden kühl erhält, 
find die Urfaden. Das Klima bewahrt jedoch indischen 
Charakter noch in ben Dune. Hier ift die fühle Jahreszeit 
(December bis mit Februar) fehr erfrifchend, felbft kalt, 
Schneefall ift unbedeutend, die Regenmenge gering. Im 
Frühjahre, der heißen Jahreszeit der Ebene (März bie mit 
Mai), nimmt die Temperatur raſch zu und wirb zeitweife 
drüdend heiß; fo zeigt Dehra Dun in 693 Meter Höhe 
mit einer ducchfchnittlichen Jahrestemperatur von 21,2° C. 
und 125 Millimeter wäſſeriger Niederfchläge im Mai 
Maxima von 32,2°C, (wo man in der Ebene 37%. hat). 
Der Regenfall ift ftarl. Die Stationen in den Vorbergen 
gr beöwegen den Aerzten nur als theilweife —*8 

urorte (semi-hill stations); ſchon Höhen von 400 bis 
500 Meter find jedoch; ber Conftitution der Europäer be- 
deutend zuträglicher, als die Ebenen; die Orte Haldwani und 
Kaladungi von 457 beziehungsweife 426 Meter Höhe haben 
während des Aufftandes von 1857 vielen Soldaten wieder 
ihre Kräfte zurlicgegeben , und die feither gemachten Erfahs 
rungen lauten fo günftig, daß die Regierung 1875 befchloß, 
an allen geeigneten Punkten längs des ganzen Nordrandes 
von Bindoftan Feine Heconvalefcentenpoften einzurichten, 
wo immer die erforderlichen Febensmittel Leicht befchafft wer 
den fönnen. Die Regenzeit (Juni bis mit Auguſt) zeigt 
weniger Regentage ald in der Ebene; erfriſchend und ziem⸗ 
lich frei von heftigen Stürmen iſt der Herbſt. 

Der Boden iſt im Des, dem Rande der Tarai, ertrag⸗ 
fähig und wird von Jahr zu Jahr mehr angebaut. Dann 
folgt ein Strich fandigen Bodens mit einer fehr dünnen 

@lobus XXIX. Nr, 16. 


249 


Rofendede; höher hinauf wird der Sand bis zu dreigehn 
Theilen mit Thon gemischt ; im Bhabar« Gebiete ift der Ader- 
boben fruchtbar, und äußerft ertragreich wird die Humusſchicht 
in den Duns, wo Thon mit Kiejelerde in richtigem Verhäli— 
niffe gemifcht ift; bie Felder liegen hier terraffenförmig über 
einander, Im den Des find 25 Procent, in ber innern 
Tarai 73, in ben Bhabar-Vorbergen 89, in den Duns bis 
zu 78 Procent ber Bodenfläche einer Gultur unfähig; die 
angebaute Fläche zahlt in ben Des bis zu 1 Mark 80 Pfennig, 
in der innern Tarai mir 24 bis 50 Pfennig, in den Duns 
2 Mark 30 Pfennig Grundſteuer. Waldungen bededen 
alle Abhänge. In der Tarai herrfcht Niederwald vor; dar⸗ 
and ragen Fräftige Eremplare Schiſcham (Dalbergia Sissu), 
Kher (Acacia eatechu), Tifoi(Nauclen candifolia) hervor; 
das Holz ber erftern wird im den großen Artillerieiwerkjtätten 
zu Fatigarh am Ganges ftark verarbeitet. Im Gebiet der 
Bhabar-Hligel herrfcht neben diefen Bäumen Sal (Shoren 
robusta) vor ; Palmen find felten ; foloffal find die Bambus» 
rohre, eine Zierde große Farrenbäume, beide treten vornehm- 
lich am Nordrande auf, In den Duns find Goniferen, un- 
ter den Laubbäumen Akazie und Deodara vorherrſchend. 
Den Holgbeftänden fügen großen Schaden die Hirten zu, 
nicht bloß durch Eintreiben zahlreicher Büffelherden, fondern 
noch mehr durch ihre Umvorfichtigleit im Anzlinden von 
Feuer, das in ber heißen Jahreszeit leicht große Streden 
des ſchönſten Waldes vernichtet; die Forſtverwaltung ift 
eifrig beftrebt, dem Mißſtande abzuhelfen. Rodung erfordert 
viel Arbeit. 

Aderbau wird durch reiche Ernten nur da gelohnt, wo 
die Mühe künftlicher Bewäſſerung nicht gefchent wird. Die 
Bevölferung ber Tarai ift hierin beifpiellos jorglos. Sid) 
felbft überlaffen bringt der Tarai-Boden in den Niederungen 
längs der Gebirgsfläffe ein langes Gras hervor, bad im 
April jeden Jahres abgebrannt wird um den jungen Chöß- 
lingen Raum zu ſchaffen, die dem Sumpfvieh zur Nahrung 
dienen. Die Wanderftämme pflügen einige Stellen roh um 
und fäen Getreide hinein; anders die Coloniften, bie hier 
jest regelmäßig in ber falten Jahreszeit von der Ebene cins 
wandern, ausgedehnte Felder mit Reis, Weizen und Getreide 
bejtellen, und Taufende von Rinbviehftüden eintreiben; die 
beiten Weiden und Adergründe Liegen am Südrande, wo bie 
Moräfte und Waflertimpel alimälig verfchwinden und bie 
Tarai im die Gulturebene übergeht. Aehnliche Culturen 
hatten auch in uralter Zeit beftanden; zahlreich ſind im ber 
mittlern Tarai die Ruinen fteinerner Häufer und von 
Brunneneinfaffungen; ſchon im 4. Jahrhundert n. Chr. Geb. 
fand jedoch der chineſiſche Pilger Fa-Hian den Anbau in 
Nord-Behar im Rüdgang begriffen. Nepaleſiſche Händler 
bringen jührlich Tarai-Keis im Werthe von 1 bie 2 Mil- 
lionen Dart in Patna zu Markt; im nördlichen Theil der 
Nordweftprovinzen lieferte 1861 die Tarai das futter, als 
dies im der Ebene wegen Dürre völlig mißrathen war, 
Der Bhabar-Stric ift der Au en wegen kein Coloni⸗ 
fationsgebiet, wurde aber in neueſter Zeit rg die Korn⸗ 
fammer für das dahinter ſich ausbreitende Gebirge und 
Hauptbezugsquelle für Cerealien der britifchen Geſundheits⸗ 
ftationen Nainital und Ranilhet. Gebirgsbewohner fteigen 
in der falten Jahreszeit hinab und kehren im Mai mit dem 
dann fchon reifen richten wieder in ihre Heimath zurück. 
Das Wafler der Bergftröme wird durch Canäle über bie 
Felder vertheilt; he die Neuheit der Cultur wurde bie 
Erlafjung wie Einhaltung von Wäflerungsordnungen er- 
leichtert, woran es jonft in Indien fehlt, und die englifchen 
Beamten halten darauf, daß die Werke jährlich erweitert 
werden. Außerorbentlic, fruchtbar find die Thäler ber Duns; 
hier werben doppelte Ernten erzielt; im engliſchen Gebiete 

32 


250 


wurde der Anbau der Theeſtaude eingeführt; er gewann hier 
jedoch geringe Ausdehnung , weil die Lagen nördlich davon 
ebenfo gute Ernte liefern und im Klima dem Guropäer bej- 
fer zufagen. 

Die Bevölkerung ift dicht im Des-Theile der Tarai 
wie in einem Theile der Duns und beziffert hier durch— 
ſchnittlich 70 Menſchen auf den Uuadratfilometer; dagegen 
fonmıt die Tarai mit 30 Einwohnern auf den Quadratlilo— 
meter gleich den Thälern im innern Himalaya; der Bhabars 
Strich erhebt fid) über die Tarai an Dichtigfeit und mähert 
ſich jener der Duns. Die Bevölferung fist fohin überall 
fo zahlreid) wie im den gefegnetiten Thälern am Stdrande 
der Alpen. Bolkreiche Dörfer und Städte giebt es am Rande 
der Tarai; in den Nordweftprovinzen zählt Kafipur 13,221, 
Dſchaspur 6753 Einwohner; in den Duns Dehra oder 
Dihrah, Hauptort des Diftvietes Defra Dun, 7316 Ein: 
wohner. Der Race nad) wiegen unter der Bevöllerung die 
vorarifchen Bewohner Hindoftans vor; fie find ber Wehr: 
zahl nad) hindwifirt, nur in der weſtlichen Tarat findet unter 
einzelnen Stämmen ftrenge Abfonderung von den Hindus 
der Ebene ftatt. Die Stammeseigenthünmlichleiten haben fich 
ftrenge bewahrt bei den Tharus; fie zählen 42,947 Köpfe 
und find nur in der Tarai anzutreffen von Hardivar amt 
Ganges bis zur Tifta, die von Sikfim herablonmt. Im 
Aeußern erinnern fie an Mongolen; ihre Sprache zeigt mit 
feinem ariſchen Dialefte Verwandtſchaft. Der Tharu iſt 
tatkräftig und vol Muth, aber von gutmuthigem Charat- 
ter, friedliebend und arbeitfan. Sie helfen fid) in den lands 
wiethichaftlichen Arbeiten aus und erledigen friedlich alle Ger 
ichäfte, die das Leben im Dorfe mit ſich bringt. Die Weiber 
find nicht verweichlicht und unterftügen die Männer in der 
Feldarbeit; fie find in hohem Grade zlichtig, dabei aber fret 
von der Zurückhaltung der Hindufrauen. Ihre Sitten find 
denen dev Hindus ganz entgegengefegt ; fie eſſen Fleiſch, ja 
ſelbſt folches von gefallenen Thieren; fie trinken Spirituofen, 
find ausgezeichnete Jäger und leben in Hltten aus Flecht 
werk und Gras. Der Verheirathung geht feine Verlobung 
voraus, fein Brafhmane * fie, fie wird zu jeder Jahres⸗ 
zeit eingegangen. Ihre Religion ift — eine Furcht 
vor böſen Geiſtern, der Gegenſtand ihrer Verehrung als 
übernatürlices Weſen ein Stuck Holz, das vor der Thür 
der Hlitte in der Nifche eines Erdhügels aufgeftellt wird; 
vor dieſem Holze legen fie ihre Todten nieder und die Be: 
gräbnißfeier bejtcht in Gebeten am die Gottheit, fie möge 
vom Haufe bie Geifter und vom Felde die wilden Thiere 
fernhalten. Mehr den Hindus nähern ſich die Tharu der 
weftlichen Diftricte; fie verehren Hindu-Gottheiten, bedienen 
fi) einer dem Sanskrit nachgebildeten Schrift und fondern 
ſich in ſechs Hanptelaflen, von denen einige fogar den heilis 
gen Strid tragen. Hinduifirt find die Bandidaras, 
ein volfreicher Stamm, der über das ganze nördliche Hins 
doftan verbreitet ift und fich bald Hindu, bald Muffalman 
nennt; fie nehmen jeden Indier in ihre Gemeinfchaft auf 
und widmen fid) in der Tarai vornehmlich, der Viehzucht, 
während ihre Genoſſen in der Ebene über ganz Indien mit 
Lebensmitteln und Kurzwaaren hauſiren gehen. Den Hindus 
gelten diefe Bandſcharas als die ſchlimmſten Zauberer; die- 
fer Furcht verdanlte Nord-Audh 1857, daß es von Maros 
deurs der rebellivenden Armee gemieden wurde. Hindus der 
höheren Kaflen find in der Tarai felten, dagegen haben ſich 
Indier verſchiedener veradhteter Kaften in der äußern Tarai 
ald Aderbauer angefiedelt. — Die Bewohner der Bhabar- 
Vorberge lieben es, fic den Gebirgsftännmen im Norden 
zuguzählen, zeigen aber durch ihre dunkle Hautfarbe, Heine 
Figur, hohe Stirn und breite Backenknochen fowie durch 
ihren Dialekt, in dem Hindu-Worte mit Theilen ihrer alten 


Emil Schlagintweit: Die engliihen Himalaya-Befikungen. 


Sprache zu einem barbarifchen Patois gemengt find, daß 
fie der nichtariſchen, fpeciell der Tarai-Bevölferung, zuzu⸗ 
rechnen find und dem dravidiſchen Volksſtamme angehören, 
Sie find weiter in der Cultur vorgefchritten als ihre Tarai— 
Nachbaren und zählen tüchtige Handwerker unter fi; ihre 
Häufer find aus unbehauenen Steinen gefligt, mit Mörtel 
beworfen und langem Gras oder Schilf eingebedt; gegen 
Dften haben fie meift eine Meine Veranda. Ihre Religion 
ift den Hindus entlehnt; eben fo find diefen ihre Sitten nach— 
geahmt. Den Duns waren die Brahmanen von Norden 
her durch die Fürſten von Garwhal — worden; 
von dort lamen auch die zahlreichen Gebirgs-Radſchputs, 
die hier den Ton angeben, eine Miſchrace aus Hindus und 
Khas oder Gorlha, einem tibetifchen Bolfe (f. im mächften 
Artikel Kamaon). Unter der englifchen Herrſchaft madjte 
bie Hinduifirung raſche Fortſchritte, weil ſich die Zahl der 
Hindus niederer Kafte mehrte, die in der Bebauung des 
neuumgebrochenen Yandes oder als Diener der Europäer, 
deren es im Diftricte Dehra Dun 1872 1061 gab, ihren 
Berdienft fanden. 

Die Großmogule mieden die Tarai ihrer Fieberluft we- 
gen, in die Händel der nördlichen Gebirgsftaaten mifchten 
fie ſich nicht gern ein; dafür war das culturfähige Yand der 
Tarai Rücdzugsort für zahlreiche —— die dort vor den 
Bedruickungen der Herrſcher im nördlichen Kamaon wie im füb- 
lid, vorliegenden Rohilland Schug fuchten. Unter der eng: 
lichen Berwaltung wurde das Gebirge durch mehrere Straßen- 
züge aufgefchlofjen. Im Often ift Bareli (160 Meter Über dem 
Deere) Knotenpunkt der von Süden heraufziehenden Chaufs 
feen. Bon bier zieht cin Strang über Pilibhit (in 192 
Meter Höhe) und gabelt hier; rechts geht der Weg nad) 
Brimdeo (Burmdeo) an der Örenze von Nepal, einer Ger 
fundpeitsftation für die Truppen in Audh und am mittlern 
Ganges, links über Kilpuri nad) Nainital in 1950 Meter 
Höhe, dem Mittelpunfte für die im öſtlichen Kamaon an= 
geliedelten Europäer. Welter als diefe Straße ift der directe 
Weg von Bareli nördlich nad, Nainita. Das weftliche 
Strafenneg hat Moradabad (199,5 Meter hoch) zum Auss 
gangspunft und geht rechts über Bazpır nad) Nainital, 
lints itber Kaſchipur nad) Ranilhet (1831 Meter hoch). 

In der Yandesverwaltung ift den Beantten für Tarai 
und die Bhabar-Vorberge größere freiheit gewährt als in 
den Duns; dort wurden auch diejenigen familien, die ſich 
angeblich auf Grund von Belehrung Seitens der Herrfcher 
von Kamaon im Befige einer gewilfen Gerichtsbarleit bes 
fanden, darim belaffen ; diefe voltsthitmlichen Riügegerichte, 
die bei der Devölferung in hohem Anfehen ftehen, erfennen 
für unehrenhafte Handlungen auch etliche Streiche mit einem 
naffen Tuce, Große AUnftrengungen erforderte es, der Heh— 
lerei von geftohlenem Vieh ein Ende zu madyen; Diebftahl 
und Eintreiben der geftohlenen Thiere in die Weiden ber 
Tarai war lohnender Erwerbözweig verfchiedener Stänme 
und Kaften gewefen, Der Diſtriet Dehra Dun ift feit 
dem Geſetz 21 von 1871 regulirt, womit in Indien ein 
englifchen Einrichtungen nachgebildetes Gerichtsverfahten ein- 
geführt wird unter Ausſcheidung eng in Civils 
fachen und ſchwereren Berbrechensfällen von der Competenz 
ber VBerwaltungsbehörden. 

Einigermaßen weltbefannt wurde Dehra ober Dihrah, 
der Hauptort des Diftrictes Dehra Dun, als Sig der enge 
liſch· oſtindiſchen Pandesvermeflungsbehörde. Hier begannen 
an 1, December 1834 die Mefjungen der nörblichften Bafis 
für die große indiſche Gradmeſſung; am 28. März 1835 
war die Meſſung diefer 11,84 Kilometer langen Bafis been« 
det und durch Zuriidimeffung, wobei die Differenz nur 608 
Millimeter betrug, controlirt; mittelft Triangulation wurde 


8. Beder: Wie verhält es fich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo? 251 


die Bafis übertragen auf zwei Spigen der Sewalif-Berge, 
die Gipfel Amfot umd Banog, welche ſowohl von der Tiefs 
ebene wie von Dehra aus fichtbar find. Seither blieb 
Dehra Dun der Sig des Großen Trigonometrifchen Ber: 
meflungsamtes (Great Trigonometrical Survey), das von 


bier feine Berichte und Karten veröffentlicht, feine Kundſchafter 
in alle Theile Innerafiend ausfendet und durch feine ftäns 
digen Beobachtungen an den Arbeiten zur Erforfchung der 
phnfifalifchen Geographie Indiens einen hervorragenden Ans 
teil nimmt. 


Wie verhält es fid) mit der Einführung des erften Tabads durd) 
Nieot und Hernandez de Toledo? 


Bon Lothar Beder, 


Der Zwed diefer Abhandlung ift, zu zeigen, daß bie ges 
genwärtig allgemein verbreitete Anficht, der Taback fei vor 
Einführung deſſelben durch Hernandez refp. Nicot der Alten 
Welt unbefannt gewefen, zu den Irrthitmern gehört, an 
denen bie Vergangenheit jo reich, ift, und bie fi), da fie an 
Gelehrten, wie U. v. Humboldt, eifrige Vertheidiger fanden, 
hartnädig bisher erhalten haben. Manche derſelben find 
erft vor Kurzem, und aud) num theilweife, aufgegeben wor- 
ben; wie 5. B. noch im Jahre 1839 Dr. Brunner in Bern 
den Stehapfel aus Südamerifa fommen läßt: eine Anficht, 
welche durch Cordus (Hist.) hervorgerufen wurde, welcher, 
nad; C. Bauhin und Neander, benjelben „Hyosceyamus 
Peruvianus“ nennt. Wie man von Charbin (Meife nad) 
Perſien) erfährt, ſchwebte noch zu feiner Zeit der Streit, ob 
das Zudercohr der Alten Welt vor 1492 bekannt geweſen 
fei; endlich ftellt Piſo jelbft nod) im Fahre 1658 die Kofos- 
palme den Erzeugniffen der Alten Welt als eine amerifa- 
nische Pflanze gegenüber. 

Die erfte ähnung des Namens Nicotiana finde id) 
in Gesner's Briefe an Dr. Deco, 5. November 1565, 
worin beiläufig gejagt wird, daß die Pflanze, die bereits den 
Aerzten in Lyon befannt fei, den Namen von einem „legatus* 
habe, der fie nach Frankreich gebracht. Der Spanier Mo— 
narbes erwähnt in jenem Jahre den Namen nicht, dagegen 
findet er ſich bei Bena und Lobel (N. stirp. adv,, Vorrede 
von 1570), Eftienne und Liebaut, fowie bei Clufius 
(ad Monardem 1574), jebod als ein auf Frankreich be- 
ſchräulter; und Yobel (Observ. 1576) unterfcjeidet, gleich den 
meiften Botanifern des 16. Dahrhunderts, bie „Nicotiana 
Gallorum“ von drei anderen ihm befannten Tabadsarten. 

Näheres Über die angebliche Einführung durch Nicot 
erfahren wir von Eftienne und Liebaut (L’agrieulture 
et maison rustique, Paris 1570), wo Pegterer Cap. 76, 
unter „Nicotiane*, fdjreibt: 

„Trotzdem die Nicotiane erft kurze Zeit befannt ift, 
behauptet fie, wegen ihrer autgezeichneten und wunderbaren 
Kräfte, den erften Rang unter ben Arzneifräntern. Da 
Niemand von denen, welche in alter oder neuer Zeit von 
der Natur der Pflanzen gefchrieben haben, ihrer gedenft, 
fo hegte ich den Wunſch, die vollftändige Geſchichte derfelben, 
wie fie mir mein gefchägter Freund, der erjte Urheber, Ere 
finder und Einflihrer diefer Pflanze nach Frankreich, mittheilte, 
für diejenigen zu veröffentlichen, welche davon reden hörten, 
aber weber das Kraut noch feine Wirkungen konnen. 

„Diefes Kraut wird nad) dem Namen deffen, der davon 
im dieſem Königreiche die erfte Kunde verbreitet, Nicotiane 
genannt; ähnlich, wie noch jett mehrere Gewächfe die Namen 
von Griechen und Römern tragen, welche fremde Nugpflanzen 


zuerft in ihre Heimath einführten. Cinige nennen es Herbe 


de la Royne, ba es, wie man nachgehends erfahren wird, 
durch den Herrn, der es zuerft erfand, der Königin gefandt 
und von bdiefer mehreren zum Anbau mitgetheilt ward. An: 
bere nennen es Herbe du Grand Prieur, ba es ber genannte 
Herr, der feine Kräfte empfahl, mehr als ein anderer ver- 
mehren Tief, Mehrere haben ihm den Namen Petum ges 
geben, welches der wahre Name des Krautes in dem Lande 
it, woher es lam; doch ift es vorzuziehen, ihm den Namen 
deſſen zu geben, der es zuerft nad) Frankreich fandte, damit 
man ihm die Ehre erweife, die ihm dafür gebührt, daß er 
unfer Land durch ein fo ausgezeichnetes Kraut bereichert 
hat. — So viel von dem Namen — nun zu ber ausführs 
lichen Gefchichte: 

„Maiftre Jean Nicot, Conseiller du roy, beſuchte 
einft, als er zwiſchen 1559 bis 1561 Geſandter (Ambassa- 
deur) Sr. Majeftät in Vortugal war, die Gefängniffe 
(? — les chartres) des Königs von Portugal, Hier ver 
ehrte ihm ein Auffeher diefer Gefängniffe (Gentil-homme 
garde d’icelles chartres) diefes als ein fremdes Gewächs 
aus Florida gebrachte Kraut. Nachdem Nicot daffelbe in 
feinem Garten hatte ziehen und ſehr vermehren laffen, hörte 
er einft von einem feiner Pagen, daß ein Verwandter bes 
legtern verſuchsweiſe dieſes Kraut auf ein Naſengeſchwllr 

elegt habe, Nicot ließ ihn 8 bis 10 Tage damit fortfahren. 

arauf heilte Nicot feinem Koche die zerfchnittene Pulsader. 
Von da an kam diejes Kraut in Liſſabon in Nuf und das 
Volf nannte es Herbe de l’ambassadeur.“ 

Nach Erwähnung anderer Euren heit es weiter: „Da 
Nicot wußte, daß die verftorhene Madame de Montignh an 
einem ähnlichen Naſengeſchwür geftorben war und die Ö'rä- 
fin de Nuffe vergebens ärztliche Hilfe gegen eine Geſichts— 
fledjte (artre) gefucht hatte, beſchloß er, die Nicotiane in 
Frankreich bekannt zu machen, und fandte fie dem Könige 
Franz II., der Königin-Mutter und mehreren Herren am 
Hofe mit der Gebrauchsanweifung.“ 

Dann folgt eine kurze Beichreibung der Pflanze, aus ber 
man (vorausgefegt, daß Liebaut diefelbe Fannte) fo viel entneh⸗ 
men kann, daß fie eine Form von Nicotiana Tabacam L. — 
entweder eine fcmalblätterige, Nie. macrophylla S., oder 
eine breitblätterige, Nic. Tabacum Schr., iſt. Nächſtdem 
wird eine Anleitung zum Anban und die arzneiliche Anwen: 
bung mitgetheilt. Pebauıt erwähnt hierbei auch, daß das 
Einziehen des Rauches durd) einen wohlverfchloffenen Trid)- 
ter viel Phlegma entferne, und dies ift wahrſcheinlich bie 
Veranlaſſung gewefen, daß der Werfafler einer neuern Flora 
von Brandenburg erwähnt, Nicot habe das Tabarraudjen 
eingeführt. 

32 * 


252 2. Beder: Wie verhält es ſich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hermandez de Toledo? 


Zum Schluſſe Heißt 8: „Dies ift die wahrhaftige Ge: 
ſchichte der Nicotiane, welche der genannte Nicot mir mind- 
lich und fchriftlich mitgetheilt hat: pour t'en faire part 
(amy Lecteur) auquel te prie rendre grace d’aussi bon 
cueur que de tout tems me tiendray son attenu et 
obligö, pour ce bien qu’ay recen de luy.“ Wozu diefe 
Lobhudeli? Muß man nicht glauben, daß der Schreiber 
dem Nicot ſehr viel verdankte und ihm viel daran lag, ſich die 
Gunft feines Gönners zu erhalten? Diefe Mittheilung 
allein konnte doch faum der Grund fein, ſich auf ſolche Weife 
auszulaffen; und ich kann mich hierbei des auch durch andere 
Betrachtungen hervorgerufenen Gedanfens nicht erwehren, 
daß Liebaut, um Nicot zu fchmeicheln, gleichfalls in der Er- 
zählung übertrieben und manches eingefchoben hat, dem Nicot 
ganz fremb war, e 

Vergleichen wir die zweite Auflage des genannten Wertes 
(1602), fo fehen wir, daß ſich die Verfaſſer bei ben Bota— 
nifern Raths erholt haben und num die von jenen befchries 
benen drei Tabadsarten anführen. Daß die zivei anderen 
gleichfalls aus Amerika gekommen wären, davon erwähnen 
fie nichts. Die Abbildung der Nicotiane, die fie num, im 
Gegenfag zum Petum femelle, Petum masle nennen, ift 
nebſt der Niefencigarre den Icones bes Lobel entnommen; 
fie ift aber, was die Blattgeftalt betrifft, nicht naturgetreu, 
denn bergleichen Blätter, weldie an der Bafis denen von 
Rumex Acetosa L. jo gleichen, wie die Hier abgebildeten, 
befigt feine mir befannte (form von N. Tabacum L. Was 
gleichfalls ſehr bezeichnend ift: der fervile Schluß fehlt in 
biefer Ausgabe, und die Erzählung wird nicht mehr „la 
veritable“, fonbern nur „la plus veritable“ genannt, was 
darauf fließen läßt, daß die Nichtigkeit derfelben in Frage 
geftellt ward, und Piebaut guten Grund hatte, diefe Uendes 
rung vorzunehmen. 

Dei mehreren der älteren Schriftfteller finden ſich An: 
gaben, welche mit denen des Liebaut nicht übereinftinmen. 
Sp nennen Geöner, Everart, Minfhew und Mag: 
nenus den Nicot einen „Vegatus*, ein Titel, welcher welt 
lichen Gefandten nicht zulommt; ElufiusDalehamp und 
andere Werzte zu Lyon nennen „D. I. Nicot* einen Org 
tor in Portugal, Tournefort einen Orator des Könige, 

Einige (Everart, C. Bauhin und Andere) erzählen, jene 
Perfon, weldyer Nicot die Pflanze verdankte, fei ein hollän- 
difcher Edelmann gewefen. Andere nennen ihn einen Ebel: 
mann der föniglichen Garde, Fairholt einen flamlänbifchen 
Kaufmann und Tournefort läßt den Holländer die Pflanze 
aus Florida bringen. Diefes Yand nennt C. Bauhin im 
Phytopinar eine Inſel. Im den Breslauer „Sammlungen 
von Naturs u. ſ. w. Gefchichten, 1718*, lieft man, Nicot 
habe die Pflanze von einem königlichen Miniſter erhalten, 
und die Henel ſche Silefiographie (1704) läßt fogar Nicot 
felbft jene 1559 aus Amerifa nach Portugal und Frankreich 
bringen, wie e8 anderwärtd heißt: 

Doctus ab Hesperiis rediens Nicotius orie 
Nicotiam retulit. 


Auch was den Ort betrifft, wo Nicot die erfte Belannt- 
fchaft mit der Pilanze machte, fo vermißt man die Ueberein- 
ſtimmung, weldye man erwarten mußte, follen nicht Zweifel 
an ber Wahrheit der Erzählung auffteigen. Everart nennt 
den Ort in Portugal „carcer regium“; bei Neander 
(Tabacologie) heit es „Carcer oder vielmehr Eirgaste- 
rion, ubi tunc Regia erat Lusitanica, wo er die Pflanze 
von einem beigifchen Edelmann, weldjer praefectus custodiae 
archivorum regiorum war, erhielt.“ Nach Neander war 
alfo die Yocalität weniger im Gefängniß als im Ergaste- 
rion d. h. im Arbeitähaus (oder eine Fabrik der portugies 


fifchen NRegie?); und wenn e8 an ſich ſchon etwas unglaub- 
lich klingt, daß ein frember Geſandter von dem Auffcher 
eines Sefängniffes eine erotifche Pflanze erhalten hätte, 
fo fteigt der Zweifel, wenn man von Neander erfährt, daß 
es ein praefectus eustodiae archivorum regiorum in ber 
Regia Lusitanica, in dem Ergasterion (oder carcer re- 
gium) geweſen fei, welcher im Befig der Pflanze war. — 
Denn was hat wohl ein folder Präfect in einem Gefäng: 
niffe zu thun? Auch das Jahr der erften Bekanntſchaft 
wird verfchieden angegeben: bald ift es 1559, bald 1560, 

Während die Meiften fagen, Nicot habe den Samen ober 
bie Pflanze ala Gefchent erhalten, läßt Faicholt ihn kaufen. 
Einige laſſen ihn das trodene Blatt, Andere den Samen ober 
die Pflanze nad) Frankreich fenden. Erasmus Franciscus 
fchreibt im „Oft: und Weftindifhen Luftgarten“, 1668: 
„Einige wollen, ein Cardinal habe das Kraut zuerſt aus 
Portugal nad) Franfreid, gebradjt.“ 

Minſhew (Minſhaeus) fagt in feinem Diction. 1617, 
ber Gefandte 3. Nicot habe 1560 ein franzöfifch-Lateinifches 
Lericon zu Piffabon verfaßt; Andere berichten, er habe 1603 
ein Wert über Shifffahrtstunde zu Paris veröffentlicht, 
worin er bie arzneilice Wirkung ber Nicotiane mittheile. 
Der Berfaffer diefes Pericons (Le grand Diction. frangais- 
latin), welches 1628 zu Rouen, mit nautifchen Aus 
drätden vermehrt, erſchien, ift aber offenbar nicht der Ges 
fandte Nicot, denn er fpricht von Letzterm, dem „Maiftre 
Jean Nicot“, als von einer andern Perfon und verweift bins 
ſichtlich der Nicotiane auf das Maison rustique, während 
man doch, wenn es felbjt iener Gefandte war, eine authen- 
tifche Mittheilung in Betreff der Umftände, die fein Bekannt⸗ 
werben mit ber Pflanze begleiteten, erwarten follte. Diefer 
Schriftteller jchreibt ſich auch nicht Jean Nicot, fondern 
M. Nicod, und den Namen der Pflanze nicht „Nicodiana®, 
fondern „Nicotiana“ ; und nennt ſich Conseiller du roy 
und Maistre des requests de l’Hötel. Wäre biefer Nicod 
— Geſandter geweſen, jo würde er jenes Werk auch 
wohl cher einem franzöfifchen Prinzen als dem Pringen 
„Georg Johann, Pfalggrafen vom Nhein, Herzog von Ober: 
und Unterbayern :c.* gewibmet und’ ficher auch nicht die Arro⸗ 
ganz gehabt haben, eine Pflanze nach fid) zu benennen, und, 
wenn Andere dies ihm zu Ehren thaten, ſolches erwähnt 
haben: eine Pflanze, die er nicht nad) Europa einführte, 
fondern von einem Holländer erhielt, deren Wirkungen und 
Anwendungen er durchaus nicht entdedte, ba fie bereits von 
Hernandez und Anderen, die fie in Amerika fennen lernten, 
befannt gemacht waren — eine Pflanze, die ſchon vorher 
Namen befaß, wie Petum und Tabaco. 

It die BVerfchiedenheit in dem Ausſagen allein ſchon 
geeignet, Zweifel an der Nichtigkeit devfelben auftommen zu 
laffen, jo giebt es, abgefehen von bereits Gefagtem, noch 
mandyen rund, der die Glaubwlirdigleit, welche der Liebaut'⸗ 
fchen Darftellung im neuefter Zeit mehr als früher beige: 
meſſen wird, in Frage Stellen muß. Diefe find: 

1. Piebaut ſcheint die Nicotiane gar nicht zu lennen. 
Daflir fpricht a. der Umftand, daß er jagt, dad Petum ber 
Brafifier fei diefelbe Pflanze, während diefelbe nad) Lery's 
Zeugniß davon verfchieden ift; b. daß er 1570 feine Abbil« 
dung liefert, und, die der zweiten Auflage nicht naturgetreu 
und obendrein dem Werke eines Andern entnommen ift; 
c. daß er, im Gegenſatz zu den hierin fachverftändigeren Bo— 
tanifern, in letzterer Auflage dev Nicotiane dunflere Blumen 
giebt, al& dem Petum femelle (Nic. petiolata). 

2. Liebaut widerſpricht fich felbft, inden er einmal die 
Pflanze ans Florida gebracht fein läßt und dann fagt, daß 
in dem Lande, woher fie fam, ihr wahrer Name „Petum“ 
ſei. Diefen Namen trug oder trägt aber keine Tabadsart, 


2. Deder: Wie verhält es fich mit der Einführung des erften Tabads durd) Nicot und Hernandez de Toledo? 253 


fei e8 in Nord: und Mittelamerifa, noch aud) in Weftindien, 
fondern nur in Südamerika, befonders Brafilien. 

3. Wenn Liebaut den Nicot „autenr* und „inventeur“ 
ber Nicotiane nennt, jo ſcheint er nicht zu wiffen, was er 
damit fagen will; denn wie konnte Nicot ber auteur einer 
Pflanze fein? Er war aud nicht der Entdeder, weder ber 
Pflanze noch auch deren Wirkungen oder Anwendungen, denn 
wie weiterhin gezeigt werben wird, warb der Tabad — ben 
Nicot ja von einem Holländer, der alfo eher als Erfinder gelten 
müßte, erhielt — vor 1559 in Europa und Aſien gebaut; 

fagt Liebaut jelbft, daß ein Page die Nicotiane zuerft 
als Heilmittel gebrauchte. Es wäre in der That fehr felts 
fam, wenn ein franzöfifcher Gefandter im Auslande zuerft 
den Einfall gehabt hätte, eine angeblich in Europa volllom⸗ 
men unbefannte Pflanze im der Heilkunde anzınvenden. Es 
ift einmal nicht leicht, die Wirkungen einer unbefannten 
Plane feftzuftellen, und fir einen Nichtargt noch fchwieriger, 
die Leiden ausfindig zu machen, gegen die fie ſich —* 
erweiſt, oder ſollen wir glauben, daß Nicot, daß ein frans 
zöſiſcher Geſandter Medicinalpfuſcherei trieb? Dies anzu- 
nehmen iſt aber fein Grund vorhanden, denn lange vor Ni: 
cot's Auftreten in Liſſabon Hatten heimfehrende Europäer 
mündlich und ſchriftlich Mittheilungen über die arzneiliche 
Anwendung des Tabads in Amerifa gemadjt. Schon 1535 
berichtete Oviedo, daß derfelbe in diefer Hinficht auf Haiti 
fehr gefhägt fei. Peon. Fioraventus, welden Everart 
einen berühmten Arzt und Philofophen feiner (d. h. Fiora⸗ 
bentus”) Zeit nennt, und ber (in „Physicis observationi- 
bus“) über den Arzmeigebraud, des Tabads ſchrieb, fcheint 
bies vor 1560 gethan zu haben; auch war Stephanus 
— Veibarzt Karl's V., welcher ſchon 1519 Tabad aus Yuca- 
tan von Cortez erhalten haben foll — ein Lobreduer defjel- 
ben. Bor allen aber wurden feine Heilfräfte von Hernans 
bez de Toledo, der 1559 aus Amerika zurlidgefchrt fein 
fol, gepriefen, und deſſen Mitteilungen oder Werke fcheint 
Nicot feine Kenntniß der argneilichen Anwendung bes Tabads 
zum Theil verdankt zu haben. Hätte Nicot irgend weldyes 
Berbienft um die Entdefung des legtern, fo wiirde Monar- 
des, ber nicht einmal den Namen Nicotiana erwähnt, 1565 
feiner wohl in diefem Punkte gedenken und nicht den Amerir 
fanern biefelbe zufchreiben. Wenn ein franzöfischer Gefand- 
ter von einem Aufſeher eine Pflanze annimmt uub diefelbe 
forgfältig in feinem eigenen Garten ziehen läßt, fo hat dies 
ſicher feinen Grund, Derfelbe konnte aber nur derjenige 
fein, daß bie Pflanze bereits als werthvoll galt, und nicht 
bloß als ſchon Häufige Zierpflange beliebt war; denn mie 
wir von Monardes erfahren, ward der Tabad in Spaniens 
Gärten ald Zierpflange gezogen, che fein Arzneiruf ſich ver: 
breitete. Man wird daher nicht irren, wenn man annimmt, 
daß der Holländer dem Geſandten bie Pflanze anbot, weil 
man ihr befondere Arzneilräfte zuſchrieb. 

4. UÜbgefehen von der großen Unwahrfcheinlichteit, daß 
Spanier und Portugiefen die lange Zeit (67 Yahre) bie 
1560 hätten verftreichen laſſen, ohne an die Berpflanzung 
des Tabads zu denlen, der gleidy bei ihren erften Beſuchen 
in Amerika ihre Aufmerkfamfeit fo ſehr feflelte — und daf 
es ein Ausländer gewejen fei, der ihm, und ziwar aus einer 
fpanifchen Colonie, zuerft in Europa einführte —, erfahren 
wir, wie erwähnt, von Monarbes *), daß ber Tabad längere 
Zeit vor Verbreitung feines Arzneirufes in Spanien als 
Zierpflange gezogen ward. Außerdem wiflen wir von an» 
deren Schriftftellern, daß Tabadsarten vor Nicot's Ankunft 


*) Dos Libros de las cosas que si traen de Ins Imdias oceiten- 
tales, que virven al use de Medieins, Sevilla 1565; überfegt und 
mit Zufägen verfehen von Gluflus (ml Monanlem). 


in Liſſabon im Portugal (1558), Deutfcland, Kreta und 
Syrien gebaut wurden, wovon weiterhin eingehender gehandelt 
werden foll. 

5. Wäre der Tabad erft durch Nicot befannt geworden, 
fo würden, ehe der Name Nicotiane auftauchte, micht ſchon 
andere, wie Pontiana, Potium cheveti, Tabaco, Herha 
sacra, Herba sancta, Sana sancta und Petum verbreitet 
gewefen fein; und „Nicotiane* würde aller Wahrjcheinlichteit 
nach gleich von Anfang an, uud zwar in ganz Europa, der 
Algemeinname geworben, nicht aber von den älteften Bota- 
nitern (Lobel, Dodonaeus u. ſ. w.) als eine nur auf Franf- 
reich befchränfte Benennung angeführt worden fein. 

6. Die Weglaffung des fervilen Schluffes in der zweiten 
Auflage, welche aud) das Zeugniß enthält, daß die Dar« 
ſtellung nicht die wahrhaftige, fondern nur die wahrjchein: 
lichfte fei. 

7. Auch in Betreff deflen, wer die Pflanze in Frank⸗ 
reich zuerft verbreitete, herrfcht keine Nebereinftimmung. Bald 
fchreibt man es der Katharina, bald einem Großprior zu. 

Sollte Nicot auch Samen nad) Frankreich gefandt oder 
gebracht und der Anbau dort ftattgefunden haben, fo ift es 
doch ſehr fraglich, ob derfelbe, wie man behauptet, fchnell um 
fid) geariffen habe. Denn 1, hatte Gesner trog aller Mühe 
und Berbindungen am 25, November 1565 (Brief an Funt) 
Samen der Nicotiane noch nicht erlangen fönnen; 2. aus 
Liebaut's Bemerkung, daß er die Geſchichte der Nicotiane 
denen erzählen wolle, die davon gehört hätten, abe weber 
das Kraut noch defien Wirkung fennten, geht hervor, daß 
felbft unter den gebildeten — den büdjerlefenden — Stän— 
den die Nicotiane um das Jahr 1570 keineswegs allgemein 
befannt war; 3. Liebaut, welcher 1570 feine Abbildung ders 
felben giebt, ſieht ſich, felbft 32 Jahre fpäter, genöthigt, für 
die zweite Auflage, 1602, diefelbe dem Werke eines Andern 
zu entnehmen, die dazu nicht naturgetreu ift, während es 
ihm doch, wenn er die Pflanze in natura gefehen hätte, ein 
Leichtes fein mußte, eine naturgetreue zu liefern. Wäre bie 
Nicotiane eine” der von Thevet oder Yery erwähnten brafi- 
lichen Arten, fo war fie felbft 1586 in Frankreich noch nicht 
vorhanden, denn Letzterer erflärt in feiner im genannten 
Jahre erfcjienenen Reife nad) Brafilien, er habe das brafis 
liſche Petum in Frankreich nirgends angetroffen und glaube 
auch nicht, daß eine Pflanze aus fo heigem Klima in dem 
rauhen franzöfifchen gedeihen witrbe. Wenn baher, wie man 
von Pena und Yobel (N. st. adv.) erfährt, die „Nicotiana 
Gallorum* (Sana sancta Indorum To. et P.) einige Zeit 
vor 1570 (abgefehen von Portugal und Frankreich) in Bel— 
gien und England gebaut ward, fo ift es nicht denkbar, daß 
die holländifchen und englifchen Pflanzen von dem Samen 
ſtammten, welchen Nicot nach Frankreich jandte; ja die Ihate 
fache, daß Pena und Pobel der Art, welche in England fllr 
die Nicotiane gehalten wird, andere Blumen geben als die 
Holländer, Deutfchen, Fragofus und Andere ihrer Nicotiana 
ober dem Tabad, befeitigt im diefer Hinficht allen Zweifel, 
Wenn, woran ic) nicht zweifle, das Blatt, welches Gesner 
durch Oeco's Vermittelung aus Frankreich erhielt — weldjes 
er Vertiginosa nannte und das er in feinem Briefe an 
Funk vom 25. November 1565 als verschieden von dem ber 
Nieotiana s. Pontiana (von der er bis dahin weder Blatt 
noch Samen erlangt hatte) betradjtet —, von einer in Frank— 
reich gebauten Art ftammte, fo wäre damit gleicyfalls der 
Beweis geliefert, daß eine andere Tabadsart dafelbft leichter 
zu erlangen, alfo weiter verbreitet war als die Nicotiane. 

Man darf nicht vergefien, daß die Berfafler von Maison 
rustique in einer Zeit lebten, wo die Schulbildung eine 
höchſt mangelhafte war, wo geographiſche, ethnographiſche 
und andere hierin zu einem Urtheit befähigende Kenntniſſe, 


254 


zumal die der ulturpflanzen der gefammten Welt, Jeder— 
mann abgingen. Wenn die Verfaſſer fagen, Niemand von 
denen, bie in alter ober neuer Zeit von der Natur der Pflan- 
zen gefchrieben, gedenfe ber Nicotiane, fo ift dies eine offens 
bave Anmaßung, denn welcher denfende Menſch witrbe glau— 
ben, daß fie die geſammte hier einschlägige Yiteratur aller 
Völler der alten Welt feit den äfteften Zeiten gefannt hüt- 
ten! Wer würde ferner glauben, daß fie (die jo wenig 
Pflangentenntnig befaßen, daß fie aus botanifchen Werken 
ichöpfen mußten, die in einer Seit lebten, wo fein Werf 
vorhanden war, aus dem fie über die Gulturpflanzen Eu— 
ropas u. f. w. hätten genligeude Belehrung ſchöpfen können) 
eine Kenntniß befeffen hätten, die uns mod) heute abgeht: ich 
meine die aller Culturpflanzen Afiens und Afrifas. Kennt 


N. Latkin: Der Obi und fein Flußgebiet. 


man doch heute noch nicht einmal alle Tabadöforten, die in 
Europa (3. B. in ber Tlirkei) gebaut werden, gejchweige die 
bes fernen Afiens, Afrikas u. ſ. w., wo, wie man weiß, im 
Sudan, in Senegambien und anderwärts Tabadsarten ge- 
baut werden, die noch fein Botaniler befchrieben hat, was 
felbft von dem „arabiſchen“ Taback des Fabius Columna 
(Plantae minus cognitae p. 142) gilt, trogbem derfelbe vor 
250 Jahren davon ſchrieb. Auch in anderer Hinficht erhes 
ben ſich die Berfaffer nicht fiber die Bildungsftufe ihrer Zeit, 
wo der Ärgfte Aberglaube in Religion und Wiſſenſchaft 
herrfchte, wo man, was gedrudt ftand — felbft offenbare 
Widerfprliche — gebantenlos abjchrieb, ohne zu fragen, ob 
ed Wahrheit oder Dichtung fei, und ohne bie Fähigkeit zu 
haben, dies zu entjcheiden. 


Der Obi und fein Flußgebiet. 
Von N. Latkin in St. Petersburg. 


Wie befannt bildet fid) der größte Fluß Weftfibiriens and 
den beiden Flüſſen Katunj und Ba im biiskiſchen Bezirk 
des Gouvernements Tonst, von wo er unter dem Nanten 
Obi feine Richtung weftwärts bis zur Mündung des Fluſſes 
Tſcharyſch, von da gegen Norden bis zur Stadt Barnaul 


nimmt und fid) dann gegen W. M. W. bis zum Dorfe Kru⸗ 
ticha und von dort fogar nach N.-D. bit zur Mündung des | 


Tomi wendet. Im tobolätifchen Gouvernement fließt er 
wieder nach W.-N.-W,, von der Irtyich- Mündung gen R.-W. 
und nimmt allmälig eine nördliche Richtung bis zur Min: 
dung des Fluſſes Polui an, von wo er fid) gegen Often 
wendet und fid) darauf im viele Arme theilend zwiſchen einer 
Menge Infeln in den weiten Obiſchen Meerbufen ergieht. 
Zwei diefer Arme zeichnen fid) durch ihre Breite und ver- 
hältnigmäßige Tiefe aus, befannt unter dem Namen Cha— 
maneldig oder Kleiner Obi, weitlih, und Narymoth oder 
Großer Obi, öftlih. Sie münden bei den Caps Chamal: 
bala und Orgel, deren eined am weftlichen, deren anderes 
am öftlicden Ufer des Meerbuſens liegt; den äußerften Punkt 
des Fluſſes Obi, bei deffen Mündung in den Obifchen Meer: 
bufen, bildet das Cap He auf der Juſel gleichen Namens, 
die beide Arme von einander trennt, 

Die Länge des Obi von der Bereinigung der Flüſſe 
Bja und Katunj an beträgt bis zur Mündung deſſelben an 
3200 Werft oder 457'/, deutfche Meilen; die Breite bes 
trägt von 350 Faden, wie bei Barnaul, bit 850 Faden, 
wie bei Kolywan, flellenweife erreicht aber das Flußbett eine 
Breite von drei und mehr Werft. Im tobolstifchen Gouver—⸗ 
nentent nimmt die Breite zu und erreicht beim Zufluß des 
Irtyſch 1300 Faden. 

Die Tiefe des Fahrwaſſers iſt ſehr verſchieden, von 2 bis 
10 und ſtellenweiſe auch mehr Faden. An feiner Mündung 
ift der Fluß noch — erforſcht worden; es giebt, wie man 
ſagt, dort ſehr flache Stellen, die nur 1 Faden Tiefe errei— 
chen; doch ift auch hier der Fluß größtenteils mehr als 
2 Faden tief. — Am Urfprung it der Fluß fteinig, hier 
und da giebt es Klippen und Stromfdjnellen, die legte an 
der Mündung des Tomi, Die Strömung des Obi ift im 
tomsliſchen Gouvernement ziemlich ſchnell, aber im tobols- 
fifchen ſehr langſam, da Barnaul Überhaupt nur noch 383 
Fuß Über der Meeresoberfläche liegt, folglich das Fallen 
nad) dem Meere zu nur fehr gering ift. Von der Mundung 


des Tſcharyſch an fließt der Obi zwifchen fteilen Ufern und 
im einem recht ſchmalen Thale; unterhalb von Barnaul jchläns 
gelt er ſich durch ein breites Thal mit reichen Wiefen; hier, 
zwifchen der Mündung der Flüſſe Berdi und Tſchumyſch, 
umfaßt ber Obi mit einem großen Bogen das äufßerfte Ende 
der Salairifhen Bergfette und fließt daher wieder zwijchen 
fteilen, mit Wald bewachſenen Ufern. Das hohe rechte Ufer 
dauert bis zur Mündung des Tſchumyſch fort; weiterhin 
wird der Obi viel breiter umd flieht zwifchen niedrigen, 
fumpfigen und waldigen Ufern bis zur Mündung des Ir: 
tyſch, feinem Bauptufluffe. Dann theilt er ſich in mehrere 
Arme, mit denen er IT bewaldete Infeln umfaßt. An 
diefer Stelle feines Yaufes bewäffert der Obi ein an großen 
Wiefen und an Fichten- und Yärdenbaummäldern reiches 
Yand, das der Zeit entgegenficht, wo es der Menjchheit 
Nuten bringen wird, flatt wie jest von Waldbränden und 
Stürmen verwüſtet zu werben. Der Obi bebedt ſich mit 
Eis bei Barnaul meiftentheils zum 31, October und wird 
gewöhnlich zum 15. April vom Eife frei Zweimal im 
Jahre ſchwillt er an, wobei im Frühjahr feine Oberfläche 
um 11 Fuß und im Sommer durch das Schmelzen bes 
Schnees auf dem Altai um ungefähr 10 Fuß ſteigt. Je 
niedriger das Land, defto größer ift das Austreten des Waf- 
ſers im Frühjahr, es erreicht bisweilen eine Höhe von 2 
Faden und ergießt fid) 40 Werft weit über die Ufer. Der 
Obi ift ungeheuer reich an Fiſchen; Anfangs Mai ſetzen ſich 
die Hauptarten derjelben, wie der Stör, der Sterlet, die 
Ouappe, die Nelma, der Mokfun, die Zürte, ber Häring u. [.w., 
ber Strömung entgegen in Bewegung und zwar in großen 
Maffen. Mit Fiſchfang beſchäftigen Nic außer den Samos 
jeden und Oftjälen alle ruſſiſchen Uferbewohner, hauptſächlich 
in der Niederung des Fluſſes unweit der Mündung, wo eine 
ungeheure Menge Fiſche gefangen werden; wie viel, läßt 
fic) genau nicht beftimmen: Einige rechnen bis zu einer 
Million Pud im Jahr, Andere bis zu 500,000, Die lette 
Zahl ift wohl die richtigere, da aus dem obdorstifchen Yande 
jährlich) 150,000 Pud Fiſche verführt werben. Nicht zu 
überfehen ift das 50 Werft von Berefowo auf dem hohen 
Ufer des Obi gelegene Kirchſpiel Kunowatzky, wo häufig 
Mammuthlnocden vorlommen und den gegenüber auf dem 
Fluſſe ſich große Sandbänke befinden, wo ein ungemein ergie⸗ 
biger Fiſchfang betrieben wird, Der Fiſchfang beginnt An- 


Aus allen Erdtheilen. 


fangs Juli und dauert bis zum October. Die Samojeden 
und Oftjäfen trocknen größtentheils die Fiſche, während die 
ruſſiſchen Fiſcher diefelben einfalgen; dod) lüßt das Einfalzen 
viel zu wünfcen übrig, und da fie es nicht beffer zu machen 
verſtehen, jo lönnen die Fiſche nicht weit transportirt wers 
den, ohue dabei zu verderben. Außerdem trifft man hier 
große Scharen Delphine, doch giebt man fid) wenig mit 
dem ange berfelben ab, 

Die Schifffahrt hat ſich in legter Zeit auf dem Obi und 
feinen Zuflüflen ſehr entwidelt; man zählt jegt dort an 32 
Dampfboote, wovon 4 Pafjagierdampfer, die regelmäßige 
Fahrten von Tjumen nad) Tomst und zurück unternehmen, 
weldye nidyt länger als je 10 Tage dauern, obgleich die 
Entfernung nicht weniger als 3000 Werft beirägt. Die 
Dauer der Navigation läßt ſich auf 120 bis 150 Tage be- 
ftimmen ; bei der Mundung des Obi dauert fie kürzere Zeit, 
am oberm und mittlern Yaufe aber länger, z. B. in Barnaul 
im Durchſchnitt 180 Tage, Obgleich die Statiftif der 
Fadungstransporte ſehr mangelhaft ift, fo läßt ſich doch ziem- 
lid, beftimmt annehmen, dag auf dem Obi nebjt Zuflüffen 
bin und zurlid von 22 bis 25 Millionen Pud verſchiedener 
Waaren verführt werben. 

Den Hauptpumft der Navigation auf dem Obi bildet bie 
Stadt Tomst, der eine glänzende Zukunft bevorfteht, da 
fie an beiden Handelswegen liegt, dem zu Waſſer und dem 
zu Lande; die zweite Stadt an Bedeutung im Hinficht des 
Handels ift Tjumen, doch leidet leßtere durch den Uniſtand, 
daß fie an dem waflerarmen Fluſſe Tura liegt, auf dem die 
Schiffe ſchon im Juli die Stadt nicht mehr erreichen können, 
Sie mitffen vielmehr 140 Werft von berfelben beim Dorfe 
Artomonomwst am Fluſſe Tobol Liegen bleiben. Es unter: 
liegt feinem Zweifel, daß die projectirte Eifenbahnlinie von 
Niſchny⸗Nowgorod bis Artomonowsk den ganzen Handel von 
Tjumen dahin verfegen wird, Die Endpunfte der Navi« 
u auf dem Dbi nebft Zuflüffen find folgende: Die 

tadt Atſchinst am Tſchulym im jeniffeisfifchen Gouver— 
nement, wohin auf dem im Sommer ziemlich ſeichten Tſchu⸗ 
lym im Frühjahre 2 bis 3 Dampfſchiffe mit Salz und an— 
deren Waaren gehen; ferner die Stadt Semipalatinst 
am Irtyſch und das Dorf Obdorsk mit einem großen 
Sampojeden- Jahrmarkt am untern Obi, dad 450 Werft vom 
Obiſchen Meerbufen liegt. Tiefer hinunter fommen bie 
Dampfboote zuweilen an 200 Werft weit nach Fiſchen. 

Das Flußgebiet des Obi, deſſen Flächenraum mehr als 
58,000 Quabratmeilen einnimmt, ift rei an Korn, an 
nüglichen Nohprobucten, an Metallen, Dlineralien, an Bieh- 
zucht und deſſen Producten, befigt 2,500,000 Eimwohner und 
könnte einen ungeheuern Handel entwideln, wenn ſich eine 


Aus allen 


Wiffenfchaftlihe Erpeditionen der Vereinigten Staaten. 


F. B, Seine Regierung, die ruffilche vielleicht audgenom:- 
men, tbut jo viel für wiſſenſchaftliche Expeditionen und Ver: 
mejjungen, ald die der Vereinigten Staaten. Um nur von 
den wichtigften Unternehmungen der jüngften Zeit zu ſpre— 
chen, muß vor Allem die Regierungsvermeflung der Terrir 
torien weftlih vom 100. Meridiane erwähnt werden, die 


jest bereits im achten Fahre ihrer Thätigkeit unter der Lei: " 


tung des Lientenant® Geo. Wheeler die topographiiche 
Aufnabme der ungeheuren Landftreden in Arizona, Neu: 
merico und Colorado zum Ziele bat. Im Staate Teras 


255 


Seeftraße aus dem Obiſchen Meerbufen ind Karifche Meer 
finden ließe, wie jegt eine ſolche aus dem Yeniffei infolge 
der Expedition Nordenjtjöld’s entdett worden if. An Korn 
verschiedener Art allein Fönnten an 60 Millionen Pud ver- 
führt werden, deſſen Preis Hier ftellenweife auf 15 Kopelen 
das Pub, der Weizen auf 30 Kopefen das Bud fällt. Außer 
Getreide befigt Weftfibirien eine Maffe billigen Salzes, mit 
dem es das ganze nordeuropäifche Küftenland verjehen fönnte. 
Diefe beiden Producte allein bilden eine Yadung, durch deren 
Transport Hunderte von Schiffen beſchäftigt werden könnten. 
Fugen wir aber noch das ausgezeichnete und meift faft umſonſt 
zu habende Fichten und Färchenbaumbauholz Hinzu, fo bildet 
dies einen nicht weniger wichtigen Handelsartikel Weftjibiriens, 
Nun folgt aber noch die große Biehzucht, die folgende Pror 
ducte ind Ausland erportiren fann: an 600,000 Stüd rohe 
Felle, 1!/, Millionen Pub Talg, an 150,000 Pub Butter, 
1,200,000 Bub Fleiſch, 50,000 Pud Rof: und Kuhhaare, 
25,000 Bud Borften und 50,000 Bud Schafwolle ; im Ganzen 
belaufen ſich dieſe Producte der Viehzucht auf 5,000,000 Pub. 

Außerdem lann Weftfibivien folgende Producte feiner 
Yandesfabrifen verfenden: Juchten, verarbeitete Häute und 
Spiritus. Den Metallveichthun des Altai berühre ich gar 
nicht, da dieſer Gegenftand ſchon hinlänglich befannt ift; 
eben jo wenig twie die zahlreichen und foftbaren Mammuth- 
Inodyen, Bärenpelze und Renthierfelle. 

Unumgänglich nothwendig ift es num zur Entwidelung 
diefes Handels und diefer Induftrie, den Obifchen Meerbufen 
— zu erforſchen, wie auch die Mündung und die 

arre bed Obi, um eine Handelsftraße hier zu ermöglichen. 
Weil aber die Schifffahrt im Obifchen Meerbufen nur von 
kurzer Dauer fein kann umd die ſich ind nördliche Eismeer 
erftredende Halbinfel Jalmal nebft der daran liegenden Bjely- 
Oſtrow oder Weißen Infel die Schiffe zu einem großen Um+ 
weg nach Norden zwingt, fo milßte auch die 180 bis 200 
Werft breite Yandenge zwifchen der Baidaratzky-Bucht 
und ber Mundung des Fluſſes Schtſchutſchja (der auf 100 
Werft von feiner Mündung an ſchiffbar ift und ſich unter 
halb Obdorsf in den Obi ergießt) befonders berlidfichtigt 
und unterfucht werden. Die genaue Erforfchung biefer Land ⸗ 
enge wird es zeigen, ob hier eine bequeme Landſtraße möglic) 
ift, wodurch die Entfernung beim Tansport der Ladungen 
um 1000 Werft verfürzt würde; außerdem beginnt die Nas 
vigation in der Baidaragfy-Bucht einen Monat früher als 
in dem Obiſchen Bufen, was ohne Zweifel von großer Widj- 
tigeit ift. Die Herftellung eines Weges über diefe Yandenge 
ift auch wichtig in der Hinficht, daß die Baidarayfy-Bucht 
einen bequemen Hafen zum Aufenthalt der Schiffe wie zur 
Ladung und Ausladung derfelben befigt. 





Erdtheilen. 


wird der Ingenieur Owen zum Zwecke einer transcontinen: 
talen Eifenbahn eine Vermeſſung von der Stadt Nuftin aus 
nach dem Hafen von Topolovampo am Galiforniichen Meer: 
bujen unternehmen, und hat aud die mericanifche Regierung 
für die zu berübrenden Theile ihres Gebietes Erlaubnif 
und Unterftügung zugeſagt. Profeſſor Orton erhält von 
der Marineabtheilung Inſtrumente und Zransportgelegen- 
heiten auf der pacifiichen Kifte von Panama bis zum ſüd— 
lichen Peru, um eine geograpbifche und wiſſenſchaftliche Auf— 
nahme des Thales des Obern Madeira, und des Nio Beni 
im Beſondern, zu machen, indem die Eröffnung diefer Re— 
gion von großer Wichtigkeit für den amerifanichen Handel 


256 Aus allen 
wäre. Much die im vergangenen Sommer begonnene Auf: 
nahme der Black Hills Gegend wird diefeg Fahr unter Prof. 
Yanney fortgejett werden, während Elarence King, ber 
Leiter der 40. Parallelevermeſſung, bereits eine andgezeich- 
mete geologiiche Karte des Green » River : Baflind und des 
Uintab-Ghebirges, einer dem Geologen höchſt intereffauten 
Region, heranögegeben hat. Auch die wiſſenſchaftlichen Er— 
gebniffe der befannten Hayden'ſchen Erpebition im Dellow- 
ftone-Sebiet werden raſch von der Regierungsdruckerei in 
Waſhington publieirt, und ftebt demnächſt das Ericheinen 
des ethnographiſchen Theiles über die indianischen Stämme 
des Woeftens bevor. Mittlerweile bereift der Major Powell, 
der Leiter der „U. S. Beological and Geographical Survey 
of Territories*, die Staaten Arizona und Neumerico, um 
Gypsabdrücke der hauptſächlichſten dortigen Indianerphy— 
fiognomien für die Philadelphier Ausſtellung zu ſammeln. 
Die Erpedition zur Wermeffung des interoceanifchen Schiff: 
canals hat fich trot der größern Länge gegen die Panama: 
Route und, auf Grund der geringeren Koften und des gef: 
dern Klimas, zu Gunſten derjenigen durch den Nicara- 
gua⸗See ansgefprochen. Auch dic Marine erweift ſich im 
Intereſſe der Wiſſenſchaft thätig, indem das Kriegsſchiff 
„Tuscarora“ bereits zum dritten Male Tiefſeemeſſungen 
im Stillen Meere auftellt, und zwar dieſes Mal zum Zwecke 
der Legung eines Oceankabels von San Francisco über 
Honolulu und Fidſchi mach Brisbane in Auftrafien, während 
der Dampfer „Gettysburg“, mit der Aufnahme weit: 
indiſcher Juſeln beſchäftigt, zuletzt nach vollendeter Vermeſ— 
fung von San Thomas ſich zu gleichem Zwecke nach Antigua 
gewandt hat, 





Die deutihe Handeldflagge in Dftafien. 

Es ift ſehr erfreulich, aus allen Berichten vom fernen Often 
zu erfchen, daß, wenn auch der Erporthandel nach Oſtaſien 
augenblidlich abgenommen bat, die deutſche Handelsflagge in 
den oitafiatiichen Meeren auf friedlichen Weg einer Suprematie 
entgcgengeht , welche zwar einerjeits die Eiferfucht der Eng: 
länder erregt, andererjeits aber doch ihre Anerkennung und 
Achtung erringt. Diefe Suprematie verdankt diefelbe nicht 
einer befondern Machtentfaltung der deutſchen Kriegsflagge; 
denn es iſt bekannt, dab fich in ben Gewäſſern des fernen 
Dftend, wo die großen Seemächte bedeutende Geſchwader 
unterhalten, nur zwei Heine deutsche ſtriegsſchiffe befinden, 
fondern nur der Tüchtigleit, Solidität und Gewiſſenhaftig— 
feit der deutichen Seeleute. Diefes Zeugniß giebt ihnen der 
Generalinſpector der chinefischen Zollämter felbft, der ein 
Engländer ift, in feinem ung vorliegenden Bericht über den 
Seehandel China, in welchem er folgende Bemerkungen über 
die engliſchen und dentichen Sciffsmannihaften macht: 
‚Ich muß anf eine gebieterifche Nothwendigleit hinweifen, 
welche dem friebliebenden chinefifchen Charterer dringend er: 
ſcheint, nämlich auf die: von den engliichen Schiffsdecken bie 
Zänfer und Krakehler zu entfernen, welche die Stelle der 
foliden Seeleute ufurpirt haben, die das Lehrlingsſſtem 
geichaffen hatte. Im gegenwärtigen Angenblide laffen viele 
Schiffe der neuen Heinen Claffe, die aus den Häfen der bri- 
tiſchen Juſeln fommen, in Bezug auf die Tüchtigfeit der 
Fahrzeuge ſelbſt nichts zu wünſchen übrig; die Mafterd find 
in jeder Hinficht ihren Vorgängern überlegen, es ift fogar 
eine ſehr nothwendig geweſene Werbefferung in der Unter: 
kunft für die Matrofen auf den Schiffen wahrnehmbar ; es 
bedarf nichts weiter als einer Erhöhung des Werthes ber 


Inbalt: Telemffen in Afrika, I. (Mit drei Abbildungen) — 


Erbiheilen. 


Matrofen ſelbſt. Ich muß dagegen meine tiefgefühlte Be- 
wundernng für die ſchön achaltenen, ftattlihen Schiffe aus- 
Iprechen, welche heute die Ericolore tragen, bie den geadhteten 
Emblemen und* ber alten maritimen Energie der Hanfeftädte 
nachaefolgt ift. Micht minder bemerkenswerth ald die Schiffe 
felbjt ift das Ausfchen und die Haltung der Mannjhaften. 
Was der englisch ſprechende Seemann in feinen beiten Tagen 
war, und was er — ich glaube es feft — unter anderen Be— 
dingungen wieder werden könnte, ift heute fein teutonifcher 
Verbränger {supplanter).” Auf diefes Zeugnif einer eng- 
lifchen Autorität — denn der englifhe General:Zollinfpector 
in chineſiſchen Dienften, Capitän Man, ift felbft ein See 
mann — können die deutſchen Seeleute ſtolz fein. Auch 
darf man fich daher nicht wundern, daß zum Beifpiel, wie 
aus bemfelben Berichte hervorgeht, unter den 256 Schiffen, 
welche im vorigen Jahre in Yingtsze, dem Hafen von Nin: 
iſchwang, verkehrten, die deutiche Flagge am zahlreichſten ver- 
treten war — und nach ihr erft die engliſche und dann bie 
nordamerifanifche folgte. Am Schluſſe des Jahres 1875 be— 
fanden fi) in Hongkong unter 68 Segelfchiffen 26 englifche, 
14 deutſche, 12 amerilaniſche, 2 framzöfifche, 2 bänilde, 1 
norwegifches u. ſ. f.; in Schanghai unter 25 Segelſchiffen 
9 englifche, 4 amerilaniſche, 2 deutſche, 1 franzöfilches, 1 dä— 
niſches; im Singapur unter 36 Schiffen 18 engliſche, 8 dent: 
ſche, O amerifanifche, 5 franzöſiſche, 5 bolländifche, 1 norwegi⸗ 
ſches ꝛc. (Mg. Ba.) 
** %* 

— Die lebten Nachrichten von Gordon's Erpedition am 
obern Nil reichen bis zum 29. December 1875. Seit dem 
legten Briefe war der Murgi-Stamm, welcher die Linantſche 
Erpebition erfchlagen hatte‘, gezlichtigt und unterworfen wor: 
den. Der 50 Fuß lange Dampfer und zwei Stahlboote wa; 
ren nach Duffla zu Sande transportirt worden, da die Strom: 
ichnellen im Nil unpaffirbar waren. Während der Dampfer 
zufanmengefetst wurde, wollte Gordon über Fort Fatiko 
nach Aufina am linken Ufer des Bictoria-Ril marfchiren, um 
dann über Mruli, Haba Rega's Hauptftadt, nach dem Albert- 
Nyanza zu gelangen, von wo er den Nil hinunter nach Duffle 
zurüdfehren wollte. Nach Beendigung diefer Nil-Erpedition, 
welche, wenn fie programmmäßig ausgeführt wird, vom größ- 
ten geographifchen Intereffe wäre (im Juli ober Auguft die 
fes Jahres), will er mit feinen Journalen, Skizzen und 
Karten nach England zuridtchren. Bis zum Abgang des 
Briefes Hatte Gordon feine Nachricht über Stanley er: 
halten. 


— Durch Lönigliches Deeret vom 17. Februar ift im 
Portugal ein „Ständiger Centralausſchuß für 
Seograpbie* geichaffen worden, deffen Bräfident der Mar 
rine⸗ und Eolonienminifter Senhor de Andrade Carvo ift. 
Seine Sache foll es fein, alles was auf Geographie, Ethno— 
logie, Archäologie, Anthropologie, Naturmwiffenfchaften u. f. w. 
Bezug bat, zu pflegen, zu befördern und zu regiftriren. Das 
that wahrlich dringend noth; denn mas bis heutigen Tages 
Seitens der Bortugiefen auch nur für die Kenntniß ihrer 
eigenen Colonien und bes angrenzenden Gebietes z. B. in 
Südafrika geſchehen ift, ift verfchwindend wenig gegen das, 
was namentlich die Engländer und einige Deutiche leifteten. 
Auch in Madrid hat fich am 2, Februar diefes Jahres unter 
dem Borfig bes Herrn de Formento, Minifter des öffentlichen 
Unterrichts, eine geograpbiiche Geſellſchaft gebildet, deren 
erfte Situng ſchon von 200 Mitgliebern befucht war. 


Zur Imdianerfrage. Bon F. Birgham. (Mit 


vier Abbildungen.) — Die englifhen Himalaya-Befigungen. Von Emil Schlagintweit, II. — Wie verhält es fih mit 
der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hermandez de Toledo? Bon Lothar Beder. I. — Der Obi und fein 
Flußgebiet. Bon N. Latkin in St. Petersburg. — Aus allen Ertbeilen: Wiſſenſchaftliche Expeditionen der Vereinigten 
Staaten. — Die deutſche Handelöflagge in Oftafien. — Berfchiedenes. — (Schluß der Nedaction 2. April 1876.) 


MRedacteur: Dr, R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenſtraße 13, II Tr. 
Drud und Verlag von Friedrich Wieweg unt Sohn in Braunſchweig. 


Mit befonderer Berüchfichtigun 





9 der Anthropologie und Ethnologie. 


Begründet von Karl Andree. 


In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 
Dr. Rihard Kiepert. 





Braunſchweig 


Jährlich 2 Bände a 21 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Poftanftalten 
jum Breife von 12 Mark pro Band zu beziehen. 





1876. 








Telemffen in Algerien. 


Einige Tage nach feiner Ankunft in Telemffen wurde 
der Franzoſe, dem wir in der Schilderung dieſer interefjanten 
weſtalgeriſchen Stadt folgen (DI. E. deYorral), von einem 
reichen Juden zum Mittageffen eingeladen. Sein Wirth, 
von feinen ſechs Kindern umgeben — für einen Franzoſen 
ſchon eine ſtaunenswerthe Anzahl —, empfing ihn an ber 
Thür; drinnen harrte feiner die frau vom Haufe, die trog 
ihrer fünfundvierzig Jahre noch friſch ausſah. Auf ben 
erften Blid unterſcheidet fid) das Haus nicht jehr von einem 
mohanmedanischen „Dar“. Bon wuchtigen Säulen getra- 
gene und mit glafirten Kacheln gepflafterte Kreuggänge ums 
geben den Hof, in deſſen Mitte ein Epringbrunnen plätjchert. 
Die Zimmer find lang und ſchmal und haben eim jedes auf 
einer Seite einen etwas höher gelegenen Aitoven, auf weldem 
öfters ein Divan fteht. So weit ift alles orientalifch. Aber 
im obern Stockwerke liegt ein Staatszimmer, eim echter, 
nach franzöfifcher Weile ausgeftatteter Salon mit einen 
PBianoforte, einem Notenfpinde, das die modernften Tonftikde 
birgt, und einem Bucherbrett, auf welchem ſich Ponſon du 
Terrail breit macht. Nicht als ob diejes Zimmer im gans 
zen Jahre je beugt würde! Gott bewahre! Aber trogdem 
ift ed der Stolz feines Eigenthlimers. 

Die Hausfrau dagegen hat ihre intereffante National: 
tracht ruhig beibehalten, die Formla oder Sammetweite, den 
goldgeſticten Kaftan, den Beben (Bloufe) von durchwirkter 
Seide und die Ghelila (Aermel), deren durchſcheinende Gaze 
die etwas allzu ftarfen Arme nur halb verhüllt. Das Haar 
wird von dem M’harma, einem goldgeftihten Tuche, bededt, 


Blobus XXIX. Ar. 17. 


II. 


und den Hals umfchlingt eine Perlenfchnur. An einer gols 
denen Kette hängt ein veiches Riechfläſchchen bis auf dem 
buntfarbigen Gürtel herab und die Füße ſtecken in reich ges 
ftidten Schuhen. Die jungen Mädchen dagegen huldigen 
mehr oder weniger der Parifer Mode, während die jungen 
Männer die Trachten zweier Erdtheile vereinigen: Punp« 
hoſen und litzenbeſetzte Tuchweſte gehören dem Orient an, 
Oberhemd, Sammetmiüge oder betreftes Käppi dagegen dem 
modernen Europa. Nur felten begegnet man jetzt nod) einem 
Israeliten auf der Straße, ber feine Nationaltracht offen und 
ohne fremde Zuthaten trägt. 

Auch die Tafel ift nad) europäifcher Weife gebedt. Kein 
niedriger Tisch, feine Wafchjchliffel, welche vor der Mahlzeit 
die Hunde macht, fein Gebet, kein Brechen und Vertheilen 
des Brotes mehr! Statt dag eine einzige Schüffel aufge- 
tragen wurde, aus welcher eim Jeder mit feinem Holzlöffel 
zulangte, gab es neuſilberne Beftede und porcellanene Teller, 
und auch das Eſſen fanın trog der Unzahl von Gerichten 
einen europälfchen Gaumen ſchwer befriedigen. Das Er— 
fcheinen dev Mufifer unterbricht die culinarifchen Genüſſe. 
Sie laſſen fi) im Halbfreife auf Kiffen nieder und fangen 
fofort an zu fpielen, ftets alle zufammen, ohne es je bis zu 
einem zufammenhängenden Thema zu bringen. Stundenlang 
wiederholen fie dieſe abgeriffenen, ewig wiederfehrenden muſi⸗ 
falifchen Phrafen, zu denen der Trommler den Rhythmus ans 
giebt. Solche Orchefter beftchen unabänderlid; aus flnf 
Inftrumenten, Da ift zuerft die Rbab mit zwei im der 
Quinte geftimmten Saiten, aus indiſchem Nußbaumholze 

33 


Telemijen in Algericır. 


258 


(ungdvadogogik pozg) mlumpz ur ammog zapnauðe 


enwWuBıdT — — — — — * 4 —— — fi — — 

——— —— 7 — — — — — ——— — * ser — —— — — — 

— — — — — — — ER — 
— = f 





— 


— — 


— — — 3 


— 
— 


— rue 





Telemſſen im Algerien, 


Be und mit Perlmutter eingelegt. Der Refonanzboden 
eht in feinem obern Theile aus einer dien, von brei Ro: 
fetten durchbohrten Kupferplatte und unten aus einer auss 
gefpannten Haut; den Steg bildet bie Hälfte eines Stüd- 
chens Rohr, das fehräg unter die Saiten geflemmt wird, 
Leptere werden mittelft zweier Wirbel gejpannt. Der Bogen 
ift nur 20 Gentimeter lang, ſehr krumm und am Griffe mit 
Silber und Edelfteinen ausgelegt. 

Das zweite Inftrinment, der Kuiftra, ift eine Art Man- 
doline, der alten Laute ähnlich, mit acht paarweiſe angeord+ 
nelen Darınfaiten, welche demnach vier beliebig geſtimmte 
Töne angeben, Dieſelben werden mit einer Feder, die mit 
Daumen und Zeigefinger der linfen Hand gehalten wird, 
angefchlagen und erzeugen fehr fanfte Töne, 

Nummer Drei, der Kamendſcha, ift unfere Violine, 
welche jedoch anders als bei 
uns gehalten wird, wie das 
Bild es zeigt; nämlich anfe 
recht vor dem Spieler. 

Der Sfentihr iſt das 
einzige unter allen fünf Ins 
ftrumenten, welches die ganze 
Tonleiter umfaßt, eine Art 
Dadebrett, das auf einem 
bemalten und  vergoldeten 
Refonanzboden 112 zu je 4 
angeordneten Saiten trägt. 
Man ichlägt diefelben mit 
einem Hänmerdyen an. Als 
flinftes fommt ein Tambus 
rin, Derbufda genannt, 
hinzu. Was mittelt dieſer 
fünf Tonwerlzeuge hervorge⸗ 
bracht wird, kann nicht gut 
Mufit, ſondern höchſtens 
chuthmiſches Geräufc ge: 
nannt werden, am welchen 
ſich zwar fein europäiſches 
Ohr erfreut, das aber den 
zuhörenden Juden ſowohl 
wie den ausübenden Muſi— 
fern das größte Vergnitgen 
zu bereiten ſchien. 


* 
* * 


Unweit von Teleniſſen in 
ſudöſtlicher Richtung liegt 
BusMedin, von erfterer 
Stadt durch die Schlucht 
eines Gießbaches getrennt, die 
heute eine fteinerne Brücke 
tiberfpannt. An diele ſlößt 
ein altes Gebäude aus geftampfter Erde an, das den fons 
derbaren Namen Bit⸗er⸗Riſch, d. h. Federhaus, führt. 
Bor der franzöſiſchen Beſitzuahme gab es hier nämlich nur 
einen einfachen Steg liber den Bach, welchen Niemand 
zur Nachtzeit zu paſſiren gewagt haben würde, weil ſich 
dann dort Dſchinns aufhalten follten, eine Art fiber: 
natürlicher Weſen, die theils wohlthätiger Natur find, theils 
ben Menfchen quälen, wie denn jeder von Krämpfen Ges 
plagter als von ihmen bejejjen gift. Nur die Tolbas oder 
Zauberer verftchen ihr Uebelwollen zu befänftigen und ver- 
taufen zu diefem Zwede Fr möglichft theures Gelb Talis: 
mane und verordnen Opfer und Beſchwörungen, die an dem 
heimgefuchten Orte ftattfinden yılifien. Meiſt wird ein 
ſchwarzes oder weißes Huhn oder ein eben folder Hahn, von 














359 


Pegüterten felbjt mitunter ein Bod, dazu genommen, Das 
Huhn wird geſchlachtet, fein Blut auf die Erde geiprigt und 
feine Federn an Ort und Stelle gelaffen, während das Fleiſch 
ohne Zuthat von Salz gekocht und in ber Dunkelheit verzehrt 
werden muß. Tauſende von Hithnern find fo in jenem Ges 
bäude geichlachtet und gerupft worden und haben demſelben 
feinen Namen gegeben, aus welchem die Frauzoſen „Bitterich“ 
gemacht haben, 

Weiterhin führt der Weg am arabifhen Begräbnißplage 
entlang, auf dem ſich hier und da cin Meines Heiligengrab 
erhebt, oft halb zerfallen, zum Theil aber ſehr niedlich, wie 
das des Sidi · Bu⸗ Isral, welches faft einer chriſtlichen Capelle 
ähnlich iſt und an deſſen Fuß eine Mare Quelle empor» 
ſprudelt. 

Bu-Medin, bei den Arabern auch Chöbbed genanut, liegt 
auf halber Höhe der Berg⸗ 
lette, welche Telemſſen tm 
Süden überragt. In dieſem 
heiligen Orte, wo noch der 
mohammedaniſche Fangtis- 
mus in feiner ganzen Streuge 
maltet, darf fein Europäer 
ſich niederlaffen. Doch ift 
das Neft nicht fo befchaffen, 
daß es einen folchen anloden 
lönute: veizend gelegen und 
bon fern hubſch anzufchauen, 
hat es, in der Nähe befehen, 
enge, halebrechtriſche entſetz⸗ 
lich gepflaſterte Straßen, und 
was von ſeinen Häuſern 
nicht in Trlimmern liegt, iſt 
erbärmlich und ſchmutzig. 
Aber eine Sehenswilrdig- 
teit beſitzt es, welche zwanzig 
Stunden weit in der Runde 
berühmt iſt und dieſen Ruhni 
wirklich verdient, ſeine Mo⸗ 
ſchee. An ihr iſt aber auch 
alles ſehenswerth von dem 
ſchweren Thlirtlopfer dran- 
gen an der äußern Pforte 
bie zur Kanzel drinnen, bie 
mit Supferplatten belegte 
Doppelthir, ein Gegeuftand 
des Stolzes flir die Mo« 
hammebaner, der große Hof, 
die inneren Kreuzgänge, die 
Marmorfäulen, die Anläufe 
der mit phantafliidhen Ara« 
besten geichmüdten Bogen, 
bie burdhbrochene Ruppel bes 
Mirab, der bumtbemalte Stuhl des Inranı, alles muß man 
ichen und alles bewundern. 

Ein Yanled (Meiner Knabe), Ali mit Namen und von 
Bu⸗Medin gebürtig, war flir M. de Yorral bie erfte Beran- 
laſſung gewefen, Telemſſen zu bejuchen, Als er in Algier 
umherfchlenderte, hatte ihm derfelbe feine Dienfte angeboten, 
In Dienit eines Beamten war er — Landeshauptſtadi 
gefommen und ſtand num nach deſſen allein, verlaſſen 
und hülfſos da, nur bemilht, fo viel Geld zu erwerben, als 
für die Heimkehr nöthig war. In 18 Monaten hatte er 
glücklich die Hälfte der Summe, 15 Franken, geipart; ber 
Mühe, auch den Keft zu erwerben, überhob ihn Yorral, inden 
er ihn feinen Eltern zuführte. So gewann er an dem Meinen, 
aufgewedten Burſchen einen Flihrer, wie er ihm ſich fir 

33% 






















































































R 5! 
PA Th 


Thürllopfer der Moſchee von Bu⸗Medin. (Mach einer Photographie.) 








Telemſſen in Algerien. 








FMERULLE in 





Thor der Moſchee von Bu⸗Medin. Mach einer Photographie.) 


Telemſſen in Algerien. 


Telemffen und feine Imgebung nicht befier hätte wünſchen 
fönnen, 

Der Wächter des Grabes in der Mofchee von Bu⸗Medin, 
der ehrwürdige M' Kadem Huffin, den feine Mitblirger ſchon 
jegt fllr einen Heiligen anfchen, war des Knaben Oheim. 
Reſpectvoll küßte Ali feinem Berwandten die Hand und 
ftellte ihm feinen Befchliger als Fremden von Auszeichnung 
vor, weldyer auf ſolche Empfehlung hin ohne weitere Schwie⸗ 





261 


rigfeiten Zutritt zu dem Heiligengrabe erhielt. Es ift das 
ein Meiner dunfeler Keller, der durch ein geſchnitztes Täfel: 
werk im zwei gleich große Räume getheilt wird. Die Wände 
find bis zur halben Höhe mit glafirten Ziegeln bededt; der 
Reſt ift mit Simfen von Gype verziert und grün und gelb 
getlincht. Ein dicker maroffanischer Teppich bedeckt den Fuß- 
boben des Raumes, der durch eine Heine, von der Dede herab« 
bängende Yampe fpärlidy beleuchtet wird. Grline Fahnen, 





Inneres der Moſchee von Bu⸗Medin. (Mad einer Photographie.) 


Stranfeneier, Spiegel und Wachslerzen von allen möglichen 
Farben vollenden die Ausftattung der Capelle. Im hintern 
Raume erhebt ſich das mit vothem Damaftftoffe bededte Grab⸗ 
mal des Sidi-Bu-Mebin. 

Diefer Derwiſch, weldyer eine Zeitlang in Mefta gelebt 
und fid) dann in Budſchaja (Bougie) in Algerien nieder- 
gelaflen hatte, wurde von dort auf Befehl des maroffanischen 
Sultans Yakıb-Almanfor, defien Macht fein Einfluß in 
den Schatten ftellte, weggefchleppt. Als er aber mit feiner 


Escorte an den Wed Iſſer kam, der öftlicd von Telemfien 
fließt und fid) in den Wed Tafna ergießt, wurde er franf 
und ftarb, Das gefhah 1198. Sein Leichnam wurde nad) 
Chöbbed gebracht, dort mit großem Pompe bejtattet und wirft 
ſeitdem unzählige Wunder, 

Der alte M' Kaddem kauert gewöhnlich in einem Hofe, 
der vor dem Grabe liegt; unbeweglich verbringt er dort die 
fangen Tage, nur daß er die Perlen feines Rofenfranzes 
durch die Finger gleiten läßt. Doch dem Beſuche zu Ehren 


262 


fäßt er von feinen Gewohnheiten; ex ſetzt ihm Kuchen und | 
Honig vor und Wafler aus dem heiligen Brunnen. in 
Duro (Piafter) belohmte ihm dafür und mit feinem „Salem 
alichum* (Friede fei mit dir) begleitete er den Freiiden bis 
auf die Straße. 

Die Außenthür ift der Beachtung werth. Zwei ausgefchlte 
Säulen mit forinthifchen Capitälen ſtützen Pilafter; unter dem 
Schutzdache ſieht man Getafel und Cartouchen von Holz, weldye 
die geicjiefte Hand eines Bildhauers tief ausgearbeitet hat. 
Diefe wennſchon etwas ſchwere Verzierung ift doch von glüds 
licher Wirkung. — Die einft blühende und zahlreich beſuchte 
Religionsfchule (Medrefia) dagegen liegt jetzt in Trümmern 
da; die Dächer find eingeftirgt und ein einfamer Roſenſtrauch 
beichattet das flagnirende Gewäſſer in dem öden Hofraume. 

Hundertjührige Delbäume wachſen oberhalb des Dorfes 
und fchäumende Bäche ſtürzen dort Über bie jähen Abhänge 
herab. Folgt man einer Yeitung, welche das Waller des 
Wed Mefruſch den Mühlen von El-Kalah zuführt, 3 oder 4 
Kilometer bergauf, jo lernt man dort ein herrliches Fleckchen 
Erde kennen, von den jelbft viele Einwohner Telemfiens 
feine Ahnung haben. Das vielfach) gewundene Thal zeigt 
dem Wanderer bald einen kleinen Marabut im Schatten 
einiger Baume, bald eine luſtig klappernde Miihle, Aber 
plötzlich ändert ſich die ganze Scenerie, wenn man im den 


Profeſſor Aicherion wieder in der Libyſchen Wüſte. 


Theil des Thales, wo der Meſruſch den Namen Saf-faf 
führt, eintritt, und nimmt einen großartigen Anſtrich an. 
Gerade vor dem Beſchauer zeigt fd auf einer Felſenterraſſe 
das fleine arabifche Dorf Mulalu, wo einft Abd-el-Sader, 
der jegt im jernen Damaskus dem Ende feiner Tage entge- 
genfebt, Gärten befaß. Dahinter erhebt ich, die Landſchaft 
beherrjchend, der Dichebel Hanif zu 1298 Meter Höhe, 
und unten raufcht der Fluß durch einen wahren Wald wilder 
Kirſch und Feigenbäume. Bon der Straße aus, welche das 
Sewähler und den Abgrund, in dem es ſich ſtürzt, auf einer 
Brucke überfchreitet, fieht man nur die unterften Fälle, bie 
fo ſehr hinter dem obern zurückſtehen. Aber am Fuße diefes 
legtern, des ſchönſten von allen, genießt man eine herrliche 
Ausficht: der Fluß gleitet Über eine ſchiefe Ebene und zer- 
theilt fic im fünf Arme, deren zwei gegenüber dem Befchauer 
herunterraufchen, während die drei anderen erft rechts fliehen 
und dann die anderen im Fallen kreuzen, daß der Waſſerſtaub 
hoch aufwirbelt. 

Noch eine legte Anſtrengung, und man fteht auf dem 
Gipfel des Berges und fieht, wie der Fluß vor feinem Sturze 
eine grünende Inſel umschließt, auf welcher alle Früchte des 
Yandes gedeihen, eine wahre Dafe. Denn ringsum dehnt 
fid) dort oben eine weite Einöde aus, die nicht einen einzigen 
Baum beſitzt, auf dem der Bid ruhen könnte, 


Profeſſor Aſcherſon wieder in der Libyfchen Wüſte. 


Prof. Aſcherfon fchreibt und aus Medinet-el-Fa— 
jum in Aegypten über feine neue Reife, deren wir ſchon 
auf S. 152 diefes Bandes furz Erwähnung thaten, folgen« 
dermaßen : 

Iren Wunfche gemäß bin ich fo frei, Ihnen kurz fiber 
den Beginn der von Schweinfurth und Gußfeldt refp. mir 
angetretenen Wiftenausfllige zu berichten. Um 2. März 
beraten ſowohl Dr. Gußfeldt als id) den Boden Aegyptens, 
und am Abend beflelben Tages traf Schweinfurth aus Cairo 
ein, um in den nächften Tagen mit und in Wlerandrien die 
nöthigen Vorbereitungen zu treffen. Dr. Güßfeldt, der ſich 
Schweinfurth auf deſſen Ausfluge in die arabifdye Witjte 
angeſchloſſen hat, fand zur Aufitellung und Vergleichung 
feiner Inftrumente einen jehr geeigneten Plag in der Privat: 
ftermwarte eines dortigen Saufmannes, des Herrn Alerans 
der Pirona, eines geborenen Trieftiners, welcher ebenſo 
kenntnißreiche als beſcheidene Mann ſich das größte Ver— 
guligen daraus machte, unſerm Freunde behlllflich zu fein, 
und deſſen Berdienſte um die Kenntniß der meteorologiſchen 
Berhältniſſe feines Wohnortes (ſeine Beobachtungen find in 
den Berichten der k. k. Centralanſtalt für Meteorologie mit— 
getheilt) allgemeine Anerkennung verdienen. Au 9. März 
begaben wir uns nach Beni Suef (13 deutſche Meilen 
ſüdlich von Cairo am Nil), wohin Schweinfurth das ſchwere 
Gepächk (ſowohl für feine Partie als für die meinige je ſechs 
große Kameellaſten) per Nilbarke expedirt hatte, Berhand- 
lungen mit den Kameeltreibern zc. nahmen faft eine Woche 
in Anſpruch, obwohl Schweinfurt, der fi) die beften 
Empfehlungen an die Geiftlichfeit deu berühmten koptiſchen 
Wiftenklöfter verfchafft hatte, in dem loptiſchen Clerus, deir 
fen Einfluß nicht unterjchägt werden darf, allen Rüdhalt 
fand. Ein von uns gemeinschaftlic, abgeftatteter Beſuch in 
dem 1'/, Stunden nördlich von Beni Suef gelegenen Klo— 
fter Buſch, wo Abuma Juſſuf, der mächfte Vorgejegte der 


Klöfter St. Paul und St. Antonius, refidirt, gab uns einen 
guten Begriff von dem Anfchen und dem fiets zunehmenden 
Wohlftande diefer veligiöfen Körperſchaften. Es ift nid 
zu verkennen, daß die jegige Epoche völliger Toleranz und 
das Aufhören der früheren Bedrlidungen dem Gedeihen der 
foptifchen Bevölferung allen Borſchub leiftet. Ueberall wer: 
den verfallene Kirchen neu hergejtellt und zwar nicht auf 
die bisherige dirftige Art, fondern im demonftrativer Weife 
durch für hiefige Verhältniſſe luyuriös zu nennende Bauten. 

Yeider war es nicht möglich, wie anfangs unfere Abficht 
war, in Beni Suef auch flie mic, Kameele zum directen 
Marſch nach der Kleinen Dafe (wie ihn befanntlic, Belzoni 
1516 anögeführt hat) zu befommen, Ich mußte deshalb 
hierher (nad) Medinet-el-Kajum) mid) wenden und habe diefe 
Neife am 16,, des vielen Gepäcks halber zu Kameel, aus 
geführt *). Der directe Weg fiber El-Yahın und längs des 
Bahr Yuſſuf, jenes weitlic vom Nil gelegenen Canals, der 
dem Fajum das Wafler zuführt, nad) Medinet-el-Fajum, 
bequem in acht Stunden mit beladenen Rameelen zuridzus 
legen, bietet jedenfalls noch mehr Intereſſe ald die langwei- 
tige Eifenbahnfahrt über Uaſta. Bon El-Yahun bis hierher 
fügrt die Straße größtentheils über folide conftruirte, meift 
mit Futtermauern und zahlreichen Brückendurchläſſen ver- 
fehene Dämme, die aus guter Zeit, wohl zu nicht geringem 
Theile aus dem Altertfum ftammen. Die Byramiden von 
El⸗Lahun und Hanarah bleiben lange ſichtbar. 

Hier in Medinet habe ich, leider wieder eine Woche ge: 
braucht, bis nad) langwierigen Verhandlungen vor dem Mu- 
dirat meine Karawane reifefertig wurde. Wine folde Ber: 
zögerung, bei der mir jo bejchränft zugemeflenen Zeit um fo 
fühlbaver, wirkt ftets deprimirend, felbft wenn bie nothgebrun- 


gen improvifirten Ausfluge nicht ohne Ergebniß bleiben. 


*) Berl. die Rartenfligge auf S. 152 dieſes Bandes. 


Richard Andree: Robert Hartmann’s „Nigritier”. 


Fir den Archäologen und Jugenieur ift die Gegend um 
Mebinetselsfajum, welche Stadt fid) unmittelbar an ber 
Kon Faris genannten Trlmmerftätte des alten Arſinos 
(Krotodilopolis) erhebt und zahllofe architektonische Nefte der 
alten Stadt in ihren Moſcheen und auch in Privatgebäuden 
verwendet zeigt, von hohem Intereſſe; leßteren dürfte nantents 
lich das complicirte Canaljyftem und die eigenthümlich cons 
ſtruirten, durch das Waſſer felbft bewegten, unterſchlächtigen 
Scöpfräder intereffiren. Auch flir den Botaniker iſt dieſe 
Gegend nicht unergiebig. Die Flora weicht fehr erheblich 
von ber des oberägyptifchen Nilthals ab und erinnert in 
mehrfachen Charakterzügen theils an das Delta, theils ent: 
ſchieden auch an die von uns im ben Dafen angetroffene 
Mittelmeerjlora. Sehr wahrſcheiulich werden die von uns 
1874 erhaltenen pflanzengeographiſchen Ergebniſſe mad) 
Unterſuchung der Daſe Veharieh, auf welche ich daher jegt 


263 


noch mehr gefpannt bin, als vor Antritt der Neife, manche 
Modification erfahren. Auf Wunſch meines Freundes Zit: 
tel fee ic die von diefem 1874 durdjgeführten Ogonbeob- 
adıtungen fort und habe bis jegt in Beni Suef und befon- 
ders hier jehr niedrige Zahlen erhalten, was mit deflen 
Ergebniffen ſtimmit. 

Da mit der Kleinen Dafe von hier aus eine regelmäßige, 
zweimal im Monat verkehrende Courierverbindung beftcht, 
fo darf ich Ihnen wohl von dort in einigen Wochen einen 
zweiten Bericht in Ausficht ftellen, Scyweinfurth und Süß: 
felbt beabfichtigten aud am Tage meiner Abreife von Beni 
Suef nad) dem rechten Nilufer zu überfiedeln, wo ihr Ger 
päck ſchon feit nichreren Tagen in der ebenjalls in Neubau 
begriffenen Stiche von Bayad deponirt war; inzwiſchen wer 
den fie wohl die Wüjtenflöfter unter etwa 29° uördl. Br. 
zwiſchen il und Rothem Meere bereits erreicht haben. 


Robert Hartmann’3 „Nigritier“ *). 
Von Richard Andree, 


Unfere neneren deutjchen Afrikareifenden haben es treff- 
lid, verftanden, das gefanmelte Material audzunugen. 
Fritſch befchenfte und mit dem fchönen Werfe über die Ein- 
geborenen Südafrilas ſechs Jahre nachdem feine Reiſebe— 
ſchreibung erſchienen war, Schweinfurth ließ die Artes 
Africanae feinem Hauptwerle folgen und Prof. Hartmann, 
defien Keife mit dem Freiherrn von Barnim nun ſchon 
vor einem halben Menſchenalter jtattfand, lieferte ſeitdem 
zahlreiche Schriften und Abhandlungen, welche alle vom 
ſchwarzen Erdtheil und deſſen Bewohnern handeln. Auf 
feine „Mebieinifchenaturgefchichtliche Skizze der Nilländer“ 
(Berlin 1865) folgen jegt die „Nigritter“, ein Werk, von 
ben dad nonumque prematur in annum wörtlich gilt, 
über das jedoch erft ein endgültiges Urteil fic abgeben läßt, 
wenn der zweite Theil erfchienen ift, auf den zur Begrlin- 
dung mancher Anſichten im erſten wiederhoft verwiefen wird. 

Es handelt fic hier um eine kritiſche Durdjarbeitung der 
gefammten afrilaniſchen Ethnologie, und Hartmanı fommt 
dabei zu Ergebniſſen, weldye in vieler Beziehung von den 
bisher geltenden Anſichten abweichen. Bon den Nordoft: 
Afrikanern, die er aus eigener Anſchauung fo gründlich 
feunt, ausgehend, verbreitet er ſich allmälig über die Wölker 
des ganzen Gontinentes bis zur Südſpitze hinab, überall 
die Refultate der neueften Forſchung einarbeitend, Die an« 
thropologifdye Grundlage wird ftets feſt gehalten und mit 
deu Sprachforſchern manche Yanze gebrochen. wobei es denn 
manchmal nicht ganz glimpflid, heracht. Die Autopfie, die 
Veherrichung eines rieſigen Quelleumaterials und ein eiſer— 
mer, aus dem ganzen Werke hervorfchauender Fleiß, eine 
liebevolle Hingabe zur Arbeit zeichen das Buch aus, dem 
wir nur etwas mehr Öbruppirung und Abſchnitte gewänjcht 
hätten, namentlid) im 9. Gapitel, weldjes faft 400 Seiten 
umfaßt. 

Ein Hauptbeftreben Hartmann's ift, die Afrikaner als 
ein großes Ganzes darzuftellen , das allerdings in drei Ab» 
theilungen zerfällt, welche aber unter ſich durch zahlreiche 

*) Die Nigritier. ine antbropologifchserhnologiihe Monogta- 
vhie von Dr. Hob, Hartmann, Erſter Theil, Mit 52 litbograpbis 
fhen Tafeln und 3 Holiſchnitten. Berlin, Wiegandt, Hempel und 
Parcp 1876. 





Uebergangsbildungen verknüpft find. Seine erfte Abtheis 
lung find die Berbern, die heller gefärbten Bewohner im 
Norden, von ben Hüften des Atlantifchen Oceans bis zum 
RU, mit Einjchluß der monumentalen Aegypter, der Retu, 
deren afrifanifces Aboriginerihum gegenüber manden Sprad): 
forfchern in Hartmann den ftandfefteften Vertreter findet. 

Wir waren bisher gewohnt, mit diefen hellfarbigen Nord— 
afrifanern auch noch eimige weiter nach Oſten wohnende 
Völlerſchaften, die Bedſchahh, Danafil, Somal und Galla, 
vielleicht die Wafuafi, zu vereinigen und für die ganze 
Gruppe vom Atlautiſchen Ocean bis zum Gap Guardafui 
den Namen der „Hamiten* zu acceptiven. Hartmann aber 
fucht hier zu fcheiden uud, was den Namen Hamiten betrifft, 
fo ift er darauf bitterböfe. Wir find auch der Anſicht, daß 
Noah's Sohn eine ſchlechte Bezeichnung für eine ganze 
Völfergruppe abgiebt, haben den Namen aber nur angenoms 
men, weil ein befjerer bisher mangelt. Wenn wir jegt 
von ber Silurformation in Deutjchland ſprechen, jo fällt es 
und nicht ein, an die alten Silurier in Britannien zu denfen, 
denen fie ihren Namen verdanft, und jo nahm man auch die 
„Hamiten“ bin. 

Auf ſemitiſche Einwirkungen, die Übrigens nicht ganz 
geleugnet werden, ift Hartmann ſchlecht zu ſprechen, foweit 
es ſich um die Anthropologie Afrikas handelt. Namentlich 
jenen tritt ev ſcharf gegenüber, welche in Bezug auf die 
femitiiche Berwandtichaft der alten Acaypter des Guten zu 
viel thun wollen. Es unterliegt feinem Zweifel, daß die 
Sprache für den Anthropologen nur fecundäre Bedeutung 
hat, und daß die alten Aegypter entichieden den hellen Norb« 
afrifanern zuzuzählen find. Judeſſen darf wicht überjchen 
werden, daß gerade im der allerneucften Zeit die Beläge ſich 
mehren, weldye eine nahe Verwandtſchaft des Altägyptifchen 
mit den ſemitiſchen Sprachen ſehr wahrſcheinlich machen. 
Mit Recht aber geißelt Hartmann jene, welche jr Kaffern 
und Hottentoten, wegen ethnologiſcher Jufälligfeiten, Bettern⸗ 
ſchaft mit den Semiten annehmen, Warum nicht mit dem 
Chineſen? Der verdienftvolle John Barrom hat feiner 
„Reife durch China“ (deutſch, Weimar 1804) eine famoje 
Kupfertafel beigegeben, auf weldyer ein Hottentot und ein Chi: 
neſe vergleichend dargeftellt find. Der eine wendet den Kopf 


264 


rechts, der andere linfs, fonft find fie ſich ähnlich wie ein 
Ei dem andern — ergo! Diefe Abbildungen fielen uns 
immer ein, wenn wir Dofaphat Hahn's oder Merensty's 
Auslaffungen Uber Semiten und Südafrifaner lafen. 

Hartmann’ zweite Abtheilung find bie Bedſcha— 
Voller, welche das abeſſiniſche Hochland, die angrenzenden 
Küften und die Ebenen im Ciüden und Weften davon bewoh— 
nen. Zu ihnen rechnet er, abweichend von allen bisherigen 
Erhuographen, die Abeffinier; ferner die Schoho, Danatil, 
Bedſcha, Biſcharin und jene bisher oft als „Araber“ ber 
zeichneten Nomaden in Nubien und Gentralafrifa , wie die 
Balara, Scua u. ſ. w. In lepter Beziehung hat Hart: 
mann, und uuſerer Anficht nad) mit volljtem Rechte, grlind- 
lich, aufgeräumt und die Träumereien von Vollblutarabern 
in Afrifa befeitigt. Im vorliegenden Bande finden wir nod) 
nicht den vollftäudigen Beweis beigebracht, daß die Abeljis 
nier Bedſcha feien; es wird auf den linguiftifchen Theil ver» 
wiejen; außerdem werden zahlreiche phnfiognomifche Aehns 
lichleiten mit den umwohnenden Völlern herangezogen. Agau, 
Falafcha, Kamanten, fie alle werden mit den Abeffiniern 
zufanmengeftellt, Folgende ſprachliche Beobachtung ift Hier 
bemerfenswerth: „Eine Hauptfpradye der öftlichen Abeſſi— 
nier ift das Tigris ober Hafeh, weldjes als „echte Tochter 
des Geez“ vom Mothen Meere bis zum Atbara reicht. 
Dean fpricht daffelbe auf den Dahlak-Infeln, in der Sams 
hara nörblic, von Zula, in Algeden, Bidamah, Saabderat. 
Es wird geredet von den Habab, Menſa, Bedſchut und 
Maria, der Ad Ali Bachide, Beni Amer, Halenga und 
Vienna. Man fieht alfo, dag Abelfinier und Bedſcha dieje 
Sprache durdjeinander reden. Urſprüngliche Agau, die Bos 
908, nehmen diefelbe jegt mehr und mehr an. Die Menfa, 
welche in phyſiſcher Hinficht ſich ſo wenig von den Bogos 
unterfcheiden, fprechen ausſchließlich Tigris. Es lehrt ung 
dieſes Beifpiel gleich vielen anderen, daß man im gewifjen 
Fällen fehr wenig auf die Spradye geben darf, welde ein 
Stamm gebraucht; daß es wenigftens dringend gerathen er 
ſcheint, ſich darüber Gewißheit zu verfchaffen, ob ein Stamm 
die von ihm geredete Sprache auch von Haufe aus beſeſſen 
hat, ober ob dieſelbe von ihm erjt angenommen iſt.“ Mit 
einem Worte, hier liegt vor, was man im glüdlichen Ber 
gleiche eine linguiſtiſche Pſeudomorphoſe nennt, eine Erfdjeis 
nung, die bei uns am fchlagendften durch die Juden illuftrirt 
wird. Hartmann, welder eine Abkunft der heutigen Abeſ— 
finier etwa aus Arabien beharrlic, zurückweiſt, ift dagegen 
geneigt, den Spieß umzufehren und die dunflen Slidaraber 
(Himjariten ıc.) aus Afrifa abzuleiten (S 394). 

Die dritte Abtheilung Hartmann's nun find feine 
Nigritier, die wollhaarigen Schwarzen des Sudan, jüdlid) 
begrenzt von den Abantı. Den Ausdrud Neger, als zu 
Irrungen Anlaß gebend, verwirft Hartmann. Seine Nigris 
tier flimmen überein mit jener Abtheilung, die Peſchel „Eur 
danneger“ nennt, und es fragt ſich nun, welche von beiden 
Bezeichnungen in der Ethnographie durchdringen wird. 

Alle drei Abtheilungen find untereinander verbunden 
durch Uebergangsglieder; als ſolche bezeichnet Hartınann die 
Tibbu, Momburte (mie Hartmann regelmäßig gegenüber 
Schweinfurth's Monbuttu fchreibt), Fan, Fulbe, Somal 
und Gala. 

Hartmann ift im der glüdlichen Lage, daß bei ihm der 
Raturforfcher und der Künftler in einer Perſon vereinigt 
find, Er fieht alfo ganz anders als der gewöhnliche Maler 
und giebt bei feinen Portraits dasjenige wieder, worauf es 
dem Anthropologen anfommt. Die 52 Tafeln, lithogra» 
phiſch ausgeführt, find von außerordentlichem Werthe, na— 


mentlich jene, denen Hartmann'ſche Aquarelle oder gute | 
Photographien zu Grunde liegen. Es ift eine Anbahnung | 


Richard Andrre: Robert Hartmann's „Rigritier”, 


zu einer afrifanifchen Bölfergallerie, darum fo werthvoll, 
weil fie fchnell und leicht den Vergleich zuläßt und fat durch⸗ 
weg echtes, zweifelloſes Material zur Grundlage hat. 
Manche der Figurenbilder find leider undeutlich geworden, 
was wohl im Drude zu fuchen ift. 

Ganz vortrefflic, ift, was der Berfafler über Culturs 
pflanzen, Aderbau und Gulturthiere der Afrilaner jagt, In 
diefer Ausdehnung ift das Gapitel völlig neu zu nennen, 
und Hartmann zu deſſen Abjaffung in hervorragender Weife 
bejähigt gewejen, da er feit langer Zeit fid) ſchon der arg 
vernadjläjfigten Hausthierfunde annahm. Gier wird in ge: 
wiſſer Art daſſelbe für Afrika geleiftet, was Victor Hehn 
auf dem gleichen Gebiete fir Europa that, Wo biefer aus 
dem reichem Schage feiner Kenntuiß der Claſſiler jchöpft, 
greift Hartmann zu den Monumenten der alten Aegypter, 
wie er und denm für einen Yaien auf dem Gebiete der 
Aegyptologie ungewöhnlidy bewandert erfcheint. (An den 
Aegyptologen wird er jedoch feine ſchärfſten Kritiker finden.) 
Der bisher herrſchenden (von Ritter und B. Hehn vertretes 
nen) Anficht gegeniber, die Dattelpalme gehöre wohl ur 
ſprünglich Meſopotamien an, befehrt uns Hartmann, da 
die Dattelpalme feit den älteften Zeiten im Nilthal heimiſch 
war, wie die Denkmäler von Theben beweifen. Als ungwei- 
felhafte Gegenftände „urthümlich nigritiicen Ackerbaues“ 
werben aufgeführt: die Delpalme, Dolichos, die Erdnuß, 
Durrah (Sorghum), die vorzüglichfte afrifanifche Brotpflanze, 
und viele andere minder hervorragende. Auf die heifle 
Trage, ob der Bauerntabad (Nieotiana rustica), für welchen 
die Niam-Niam ein eigenes Wort haben, in Afrika heimiſch 
fei, geht Hartmann nidjt ein. Schweinfurt (Im Herzen 
von Afrita I, 279) hält es für eine offene ifrage, ob der 
Bauerntaback amerikanischen Urfprungs fei, und neuerdings 
hat bekanntlich Lothar Beder eine eigene Abhandlung 
darüber gejchrieben, um die N. rustica der Alten Welt zu 
vindiciven. Unter den von Hartmann aufgeführten, im 
Afrika cultivirten Planzen vermiljen wir den Wein, von 
dem die Woina Dela in Abeſſinien (Heuglin S. 221) deu 
Namen führt. Wenn aber Heuglin bei Woina fagt „offen 
bar vom griechiſchen ofvos“, fo dürfte er auf Widerftand 
ſtoßen, da Hehu (Gufturpflanzen, 2. Aufl, ©. 67) und 
Fr. Muller auf dem Umgefehrten beftehen und nachweiſen, 
„daß der Wein den Griechen aus ſemitiſchem Culturkreiſe 
zugefommen*. (Schon wieder diefe Semiten — wird Prof. 
Hartmann audrufen; fie find aud) in der Wiffenfchaft fo 
zuduinglich wie an der Börfe.) Die altäggptifchen Denkmäler 
(ef. Willinfon) zeigen ung Übrigens ganz vortreffliche Dars 
ftellungen des Weinbaues der Netu, die Art des Kelterns ıc. 

Kurz beipricht Hartmann die afrifanischen Hausthiere 
und deren Wichtigfeit für die Ethnologie. Die Anjichten 
des Berfaffers im biefer Beziehung find uns ſchon aus der 
Zeitichrift file Ethnologie befannt. Während er willig die 
Abftammung des Dromedars aus Aſien zugefteht, ift er nicht 
abgeneigt,, die nubiſchen, abeffinifchen und Gallapferde eins 
heimifc in Afrika anzunehmen (S. 136); er verweift auch, 
was ung neu war, auf das Vorlommen wilder Ponies in 
Südmaroffo, FutasToro und den Landſchaften nordweſtlich 
vom untern Dſcholibalaufe (Fitzinger wird als Quelle bes 
zeichnet; wie hätten bier germ primäre Quellen als Belag 
gehabt). Auffallend erſcheint, wie Hartmann hervorhebt, 
daß nur zwei Vögel, die Haustaube und das Perlhuhu, von 
den Afritanern domefticirt werden. 

Wie durch den ganzen erften- Band ein culturgefchicht: 
licher Faden hindurchgeht, jo beiradjtet Hartmann auch im 
Zufammenhange die älteren und neueren Induftrien und den 
Handel der afrifanifchen Völler. Afrita hat auch feine Stein» 
zeit gehabt. Es liegt gar fein Grund vor, warum dies 


Alexander Eder: Zur urgefchichtlichen und culturgejchichtlichen Terminologie. 


nicht der Fall geweſen fein fol, im Gegentheil, die Beweife 
dafür mehren fi, wenn auch Hamy's und Lenormant's 
ägpptifche Weuerfteingeräthe ſich als Naturfpiel erweifen. 
Zu den immer noch fpärlihen Funden nigritifcher Stein 
waffen fligen wir Hinzu bie gut polirten Streitärte aus 
Serpentin von Accra, die als Fetiſchſteine gelten *). 
Brongearbeiten find unter den Nigritiern noch nicht ges 
funden worden ; bag Bronze bei den monumentalen Aeghp- 
term ſchon fehr früh in Gebrauch lam, darf als bekannt 
- vorausgefegt werben. „Nichts rechtfertigt die Bermuthung 
Eingelner,* ſchreibt Hartmann, „die Berarbeitung des Eifens ſei 
eine ajiatifche Erfindung und den anderen Nationen, vornehm« 
lid) den Afrilanern, etwa wie ein Handelsartifel überliefert 
worden. Alles deutet vielmehr darauf hin, daß die Nigritier 
Eifen felbftändig darzuftellen gelernt und dies Product ben 
anfänglich nur Bronze führenden Aeghptern übermittelten.“ 
Wir glauben, daß diefe Frage noch nicht ſpruchreif iſt. 
Abgefehen davon, daß im befannter Weife die Eifeninduftrie 
in Afrika auf einer hohen Stufe fteht, fiihrt Hartmann, einige 
Tormähnlickeiten von nigritifchen und ägyptifchen Waffen 
abgerechnet, nichts zur Unterftügung feines Sates auf. 
Mag auch der Einfluß der gejegneten Culturlandſchaften 
Mefopotamiens auf Aegypten noch fo fehr befchräntt werden, 
fo erfcheint e8 ung, ſchon wegen der Nähe, weit einfacher 
und natirlicher, daß von dort die Kenntniß des Eifens an 


*) H. 6. Monrab, Gkmälde der Küſte von Guinea x. Aus 
dem Dänifchen. Weimar 1824, ©. 118, 


265 


den Nil gefangte, ald von den Nigritiern. Ueberfehen wir 
dabei auch Analogien nicht und beachten wir, wie fonft über 
all auf der Erde die Kenntnig des Eifens von Afien aus 
fid) comcentrifch verbreitete. Die Neue Welt fannte es bis 
zur Conquiſta nicht; nach dem öftlichen Aften kam es erft 
mit den erobernden Rufen am Ende des 17. Jahrhunderts, 
nad) Nordweftamerifa gar noch viel ſpüter. Daß es nicht 
immer leicht befannt wurde, erlennen wir am Beifpiel der 
Kamtfchadalen (nad) Steller), die es erft durch die Ruſſen 
fennen lernten, nicht aber von ihren eifenfundigen Nadjbarn, 
ben Japaneſen. Melanefien und Polyneſien, Auftralien, 
find erft durch die Europäer mit bem Eifen vertraut gewor« 
ben. Ein afrifanifches Volk, das Hartmann aber nod) nicht 
in den Kreis feiner Betrachtungen z0g, die Howas auf Ma» 
dagasfar, unzweifelhaft malayiſchen Stammes, brachte jedoch 
die Eifeninbuftrie aus Afien mit und erlernte fie nicht erft 
auf Madagasfar oder von den Abantu. Es läßt ſich diefes 
bis zur Evidenz durch die Form feiner ans Bambusrohren 
conftruirten Blafebälge beweifen, welche ganz verfchieden von 
jenen der Afrifaner find und genau mit den Blafebälgen 
auf den malayifchen Inſeln übereinftinmmen *). 

Hartmann's Werk, wenn es vollftändig vorliegt und 
mit einem guten Negifter verfehen ijt, wird ftets als eine 
ber vorzügliditen Quellen über, afrifanifche Völler gelten. 
Wir ftatten dem Verfaſſer unfern geziemenden Danf ab. 


*) Tylor, Researches into the early history of Mankind. Lon- 
don 1865. p. 187. 168. 


Zur urgeſchichtlichen und eulturgefhihtlihen Terminologie. 
Von Alerander Eder *). 


Es ift unverlennbar, daß ſich in neuerer Zeit in Betreff 
der Auffaffung der Reihenfolge und ber Begrenzung ber 
von den ſtandinaviſchen Forſchern aufgeftellten und bie da— 
hin ziemlic allgemein anerfannten Gulturperioden Europas, 
der Steins, Bronzes und Eifenzeit, eine langſame aber inten: 
five Umwandlung vollzieht, die, von ben bedeutendſten deut⸗ 
ſchen Archäologen, vor allem unſerm Lindenſchmit, längſt 
angebahnt und erfolgreichſt verfochten, allmälig beginnt ſieg⸗ 
reich durchzubrechen und wohl ohne Zweifel damit enben 
wird, daß diefes zu voreilig und zu leicht aufgeführte Ger 
bäube der fogenannten „Dreitheilung“ zertrilmmert, was 
aber an guten Baufteinen von demfelben übrig bleibt, in ben 
foliden Bau der Wiſſenſchaft bleibend eingefügt wird. 

Und es gefchieht hiermit num ganz daffelbe, was mit fehr 
vielen neuen wiſſenſchaftlichen Lehren auf ben verſchiedenſten 
Gebieten ſich ſchon ereignet hat und auch noch ferner ereig— 
nen wird. ine jede ſolche pflegt, um ſich Play und Aner- 
fennung zu verfchaffen, ihre Säge als „Sefege* mit ſchnei⸗ 
diger Schärfe hinzuftellen. Die ſcharfe Formulirung ruft 
aber naturgemäß als Neaction eine ebenfo ſcharfe kritiſche 
Prüfung hervor, durch die bald zahlreiche Ausnahmen von 
den „Geſetzen“ entdedt, wo unausfülbare Klüfte zu beftchen 
fchienen , Ucbergänge nachgewiefen und Wahrheit und rt: 
thum gefchieden werben. - 

Und fo hat die beſtimmte Formulirung einer ſolchen 


*) Mit gütiger Bewilligung des Verfaſſers, wie der Nedaction 
abgebrudt aus ber Beilage zur Allgemeinen Zeitung Nr. 68 vom 
8. Mär; 1878, 


Globus XXIX. Nr. 17. 


Lehre auch wieder ihre großen Bortheile; denn wie Bacon 
mit Recht fagt: Citius emergit veritas ex errore quam 
ex confusione. Iſt dann des Tages Kampflärm verftummt 
und find die Gefechtstritmmer abgeräumt, fo bemerkt man, 
daß durch diefen Kampf die Wiſſenſchaft im Ganzen doc) 
einen Fortſchritt gemacht, wenn auch die men gewonnenen 
Süße ganz anders lauten ald wie fie anfangs aufgeftellt 
waren. Daß diefe in Betreff der fogenannten Dreitheilungs- 
lehre vor ſich gehende Ummandlung aber auch einen äußern 
Ausbrud finde, ift ſchon im Intereffe des Publicums, das 
ſolche Schemata, beſonders wenn fie auch noch bildlich vor« 
geführt werden, gar zu germ aufnimmt, geboten. Und wicht 
nur diefes; auch die Anthropologen, inäbefondere die Naturs 
forfcher unter denfelben, müffen wünſchen, unzweideutige yıb 
feiner weitern Erläuterung mehr bedürftige Bezeichnungen 
zu haben, 

Diefe Ueberzeugung wird ſich wohl jedem aufdrängen, 
der in dem neueſten def des Archivs für Anthropologie 
(Band VII, Heft 3, ©. 278) die Kritit von Hoftmann 
Über das Bud) von Hans Hildebrand (Das heibmifche 
Zeitalter in Schweden) lieft. 

Es geht aus diefer lehrreichen Abhandlung aufs Klarfte 
hervor, daß, wenn mit der Bezeichnung „Steinzeit“ eine 
Periode gemeint fein ſoll, in welcher dem Menſchen der Ges 
braud; der Metalle noch unbelannt war — und das ift doch 
bie einzige erlaubte Bedeutung des Wortes „Steinzeit“ — 
daß dann diefer Begriff eine * bedeutende Einſchräünlung 
erfahren muß. Die hier gegebene Sammlung von Nach- 
weifen, daß in Gräbern der fogenannten Steinzeit nicht nur 

34 


266 2. Beder: Wie verhält es fid) mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo? 


Bronze, ſondern fogar Eifen ſich findet, nöthigt den Rahmen 
für diefe Periode viel enger zu fteden, und auf jene aller: 
früefte Culturftufe (etwa der Zeit der ſchwäbiſchen Höh— 
fen ıc, entfprechend) zu befchränfen, auf welcher in der That 
ber Gebrauch jedweden Metalls volllommen unbefannt war, 
und anftatt defjen Holz, Knochen und Stein zu Waffen und 
Geräthichaften verwendet wurden. Nicht das Poſitive ber 
Berwendung von Stein ift aber das Charakteriftifche diefer 
Periode, fondern das Negative der Abweſenheit jeglichen Die» 
talls, und nad) dem Grundſatz: Denominatio fit a potiori 
wird es fic daher empfehlen, von legterm Charakter auch 
die Bezeichnung der Periode zu entnehmen, und anftatt 
„Steinzeit“ klinftig zu fagen „vormetallifche Zeit“. Der 
Name Steinzeit wiirde offenbar am beften ganz fallen ge 
laſſen, da er nur geeignet ift Verwirrungen zu veranlaffen. 
Was num fernerhin die Eulturperioden betrifft, die mit 
ber Einführung der Metalle begonnen haben, jo ift far, daß 
man fir Europa wenigftens firderhin auch nicht mehr wohl 
von einer Bronzezeit fprechen fann, wenn man darunter eine 
Periode verftanden haben will, im welcher das Eiſen noch 
gänzlich unbelaunt und Bronze das einzige fowohl zu Wafr 
fen als Werkzeugen verwendete Metall war. Die zahlrei» 
chen bei Hoftmann zufammengeftellten Nachweiſe ergeben 
auf das Ummwiderleglichite, daß die Verwendung des Eifens 
fi) bis zurüd in bie früheften Perioden der Geichiche ver⸗ 
folgen fäßt, und daß eine beſondere Bronzezeit für Europa 
wenigftens nicht eriftirt. Hofmann fagt (a. a. D. S. 294) 
ausdrüdlich: es fei eben fo wenig erfichtlich, daß jemals 
eine Bronzezeit, ald daf überhaupt eine Borftelung von 
einer ſolchen im Alterthum geherricht habe; es laſſe ſich 
immer nur eine vereinzelte oder für beftimmte Zwecke allge: 
meiner Übliche Verwendung der Bronze neben dem Eifen, 
nirgends aber das frühere Belanntfein derfelben nachweiſen. 
Ueberdies fei das Eifen weit leichter herzuftellen als Bronze, 
und deswegen auch gewiß viel früher hergeftellt. Hoftmann 
citirt hierbei den Ausspruch eines „der erften Metallurgen 
ber Gegenwart“, der ſich vom rein technifchen Standpunkt 
aus hierliber äußerte wie folgt: „Nichts ift leichter als bie 
Gewinnung hämmerbaren Eijens aus dazu geeignetem Erz, 
und von allen metallurgifchen Procefien muß dieſer als der 
einfachfte betrachtet werden, * — „Wenn man ein Stiid Rothe 
oder Brauneifenftein nur wenige Stunden in einem Holi- 
fohlenfener erhigt, fo wird es, mehr oder weniger vollftändig 
vebucirt, jic mit Leichtigleit zu Stabeifen —— laſ⸗ 
ſen. Die primitive Methode, ein gutes hämmerbares Eiſen 
unmittelbar aus dem Erz zu gewinnen, erfordert einen weit 
geringern Grad von Geſchickllichteit, als die Fabrilation der 


Bronze. Die Herftelung diefer Yegirung bedingt die Kennt: 
niß des Kupferausbringens, des Zinnichmelzens und ber 
Kunft zu formen umd zu gießen. Vom metallurgifchen 
Standpunkt aus muß man daher vernünftigerweife aunch 
men, daß das fogenannte Eifenalter dem Bronzealter vor« 
anging. Wenn die Archäologen das Gegentheil behaupten, 
dann follten fie bedenken, daß Eiſen ſich feiner Natur nach 
nicht jo lange wie Kupfer in der Erde zu erhalten vermag“ 
(a. a. D. ©. 297). Auch die Beobachtungen über die Na— 
turvölfer des heutigen Tages zeigen, daß die Metallurgie 
mit dem Schmieden der rothglühenden Eifenluppe beginnt, 
da dieſes ſich auch bei foldyen findet, die noch mie mit ande 
ren Gulturvölfern in Berlirung gekommen waren, während 
die Ausbringung des Kupferd und die Darftellung der 
Bronze allen dieſen Völkern fo gut wie gänzlich unbefannt 
geblieben ift (a. a. DO. S. 299). Und weiter fährt Hoft- 
mann fort (a. a. D. ©. 300): „Da die Thatſache beficht, 
daf wir gegenwärtig nicht im Stande find, mit irgend einem 
andern Stoff ald Stahl Bronze zu bereiten, fo darf man 
verlangen, daß für die Behauptung: das fünne in früheren 
Zeiten ſich ander verhalten haben, Hare und überzeugende 
Beweife vorgelegt werden.“ 

Aus dem Vorfichenden ergiebt fich als unabweisbarer 
Schluß: daß man fürderhin auch nicht mehr von einer 
Bronzezeit wird fprechen fünnen, wenn man darunter eine 
Periode verfteht, in welcher das Eiſen noch nicht befannt 
war und daher zu Waffen und Werkzeugen ausſchließlich 
Bronze verwendet wurde, Bronze: und Eifenzeit laffen ſich 
hiernad; fortan nicht trennen, und man wird beide im eine 
und biefelbe Culturperiode zufammenfaffen und diefe der 
„vormetallifchen Zeit“ gegenüberftellen, anftatt ber Drei: 
teilung daher eine Zweitheilung annehmen miffen. Schon 
Gieſebrecht (Baltifche Studien X. 2,108, citirt bei Hoft- 
mann ©. 306) hat diefe Periode gelegentlich die „Metall: 
zeit“ genannt, und es wird fich empfehlen, dieſen Namen 
anzunchmen. Ob und welde Unterabtheilungen innerhalb 
biefer etwa zu machen feien, das fann jpäteren Abmachungen 
vorbehalten bleiben. Borläufig ng, be genügen, die Benen: 
nungen bes unhaltbar gewordenen Dreitheilungsiyjtems aufe 
zugeben und benjelben die zwei vorgenannten, „vormetals 

‚ Life“ und „Metallzeit“, zu fubflituiren. Die Haupt- 

ſache ift und bleibt immer, daß 

| 1. zwei — nidjt drei — Hauptperioden unterfchieden 
werben, und 

2. baß die erfte derfelben von dem wichtigern negativen 
Charakter, dem Fehlen ber Metalle, die zweite von dem po« 
fitiven, der Anwefenheit diefer, ihre Bezeichnung erhalten. 





Wie verhält e8 fi mit der Einführung des erften Tabads durch 
Nicot und Hernandez de Toledo? 


Ton Lothar Beder. 


Im mehr als einer Hinſicht erfcheint demnach die Lie— 
baut'ſche Darſtellung als eine Erdichtung — ähnlich wie 
ſich die vielgerühmte Wirkung der in Rede ftchenden Pflanze, 
die, wenn man Piebaut glauben wollte, bamals den erſten 
Rang unter den Arzneilräutern behauptet hätte, die man 


mit dem Namen „Heil aller Welt“ beehrte, in fo vielen 
Leiden als ein Schwindel heransgeftellt hat —, oder follen 
wir glauben, daß die neuere Heilfunft, taub gegen die Lobes⸗ 
erhebungen jener Zeit, mit fräflicher Gleichgültigleit eine 
Arznei ignorirt, welche im der That die gerühmte Wirkung 


2. Beder: Wie verhält es ſich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo? 267 


befigt und die überall und billig zu befchaffen iſt? Heute 
wird der Tabad von enropäifchen Aerzten mur noch felten 
angewandt, und ſchon die zweite Auflage der Brandenburger 
Pharmacopda (1744) enthält von Tabadepräparaten nur 
ein Niefepulver aus „virginifcher Nicotiana*, und das Ex- 
tractum Nicotianae, welches aus den Blättern von „Nico- 
tiana s. Tabacum“ derartig hergeftellt wird, daß ſich faum 
irgend welche Wirkung davon erwarten läßt. 

Wenn num auch — wovon der Pefer nach Durchlefung 
der Abhandlung überzeugt fein wird — der größte Theil der 
—— erfunden iſt, ſo mag man doch immerhin zugeben, 

Öefanbter Namens Nicot eriftirte und daß derjelbe 
den Huf einer gewiſſen als Arznei hochgepriefenen Tabacks- 
art zuerft in Frankreich verbreitete *). Auch das mag man 
zugeben, daß er zuerft Samen berjelben mad) Frankreich 
jandte, aber darin beftcht auch, wie man bald fehen wird, 
fein ganzes Verdienſt. Es ift mithin eime Ungerechtigfeit, 
die man dem Nationalftolze ber Franzoſen und deren litera- 
riſchem Einfluffe auf das übrige Europa im 17. Jahrhuns 
derte verbanft, daß man eine Öruppe von Gewächfen, welche 
bereits Namen führten und zum Theil längft befannt waren, 
nad; einen Manne „Ricotiana® benannte, dem weder das 
Berdienft der Einführung irgend einer Tabadsart nad) 
Europa, noch die Entdedung der Heilfräfte der Nicotiane 
ulommt. Sollte er wirklich eine bis dahin unbefannte 

rt in Frankreich eingeführt haben, dann hätte man höch- 
ſtens diefe Art „Petum Nieotianum*® nennen follen. Dod) 
wie viel Ungehöriges hat ſich nicht aus früherer Zeit in ber 
Botanik erhalten! Ich erinnere nur an „Coffea arabica“, 
den fnftematifchen Namen des Kaffee, der feine Heimath 
nicht in Arabien, fondern in Afrifa hat; ſowie an bie vielen 
Namen der Alten (Myrrha, Cinnamomum, Laserpitium, 
Nardus, Lotus u. ſ. w.), welchen die Botaniter jest Pflan- 
zen geben, bie fehr verſchieden ſind von denen, welche die 
Alten jo nannten. Hätte en Mann niedern Standes daſ · 
felbe gethan, was man dem Geſandten zuſchreibt, fo wlrde 
" Niemand daran gedacht Haben, wegen einer Pflanze fo viel 
Aufjehens zu machen, und noch Aa würde die Gefchichte 
Gläubige gefunden haben. inf Jahre vor Nicot's Cr 
ſcheinen in Liſſabon hatte Thevet Samen einer braſiliſchen 
Tabadsart nad) Frankreich gebracht ; aber ba diefer ein ars 
mer Mönch war, fo fiel es Niemandem ein, jene Art fitr 
eine neue, in ber Alten Welt unbefannte Plane auszugeben, 
diejelbe „Thevetia“ zu nennen, und den Mönch als den 
Erfinder ihrer — beiläufig gejagt bereits befannten — arz⸗ 
neilichen Anwendung binzuftellen. Sehr kurze Zeit nadı 
Nicot's Einführung wurden, wie man von Cluſius, 1574, 
und Yobel erfährt, aufer ber Nicotiane und der hier aus 
fpäter zu nennenden Gründen nicht in Betracht kommenden 
N. rustica, zwei andere Tabadsarten in Europa gebaut, 
aber Niemand hält e8 der Mühe werth, deren Einführer zu 
nennen; und verfolgt man die Sefchichte der Nicotiane, wie 
fie dargeftellt wird, jo findet man, daß es nur hochgeftellte 
Perfonen (Cardinal, Großprior, Nuntius, Königin u. ſ. w.) 
find, welche darein verflochten werden: offenbar damit bie 
Erzählung mehr Eindrud made und Glauben finde; ber 
ſchlichte Holländer dagegen, dem ber Geſandte die Pflanze 
und wohl auch die Kenntniß ihrer Anwendung und in Folge 


*) Wenn e8 Thatſache fein follte, daß, wie Fairholt („Zobaceo* 
©. 45) bemerkt, im Schloſſe zu Belem nech jegt ein Brief aufbes 
wahrt werde, worin Nicot von feiner erften Bekanntschaft mit biefem 
„Herb of a peeuliarly pleasant (mohl im Vergleich zu anderen 
ihm belannten Tabadsarten) taste, good medicinally in fevers 
and other diseases“ fpreche, fo würde dies meht als alles Anbere, 
das man vorgebracht hat, vum ju beweiſen, daß Nieot den Heilträften 
des Fabads feine Aufmerffamfeit zuwandte, übergengenber Art fein. 


deſſen feine Unfterblichkeit verdanfte, wird gänzlich in ben 
Hintergrumb gedrängt — nicht einmal fein Name wird der 
Nachwelt genannt. 

Hervorragende holländifche, englifche, fpanifche und an: 
bere Botaniker — Zeitgenoffen von Nicot und Liebaut — 
ſchweigen davon, daß Nicot die erfte Tabadsart oder aud) 
nur zuerft N. Tabacum L. eingeführt habe: Lobel und Pena, 
Dobonaeus, der Schleſier Sebizius (ed. Tragı) und Andere 
beichränfen fich darauf, ben Namen „Nicotiana Gallorum“ 
als Synonym zu N. Tabacum anzuführen. Fragofus und 
Monardes erwähnten nicht einmal biefen Namen; und ic) 
fenne feinen ältern englifchen Botaniler, der bie Befdjichte 
von Nicot’s Einführung wittheilte, Magnenus (Exercit. 
1658, p. 14) und Andere bezweifeln, daß Nicot die ger 
nannte Pflanze zuerft nach Frankreich eingeführt habe; Ca+ 
merarius (ed. Matthioli) jagt nur, daß N. Tabacum „erfts 
lid) aus Frankreich zu uns fommen fei*, und Caebalpini, 
da diefelbe aus Spanien (nicht Portugal) über Frankreich 
nad) Italien gebradjt worden fei: ob mit Recht, das wirb 
ſich bald herausftellen. Die Oenannten benfen übrigens fo 
wenig wie irgend ein anderer fachlundiger Botaniker des 
16. Yahrhunderts daran, die Heimath der N. rustica in 
Anterifa zu fuchen ober deren Borhandenfein in der Alten 
Welt vor 1492 zu leugnen *). Nicht allein, daß hervorra- 

ende Botaniker jener Zeit die Gefchichte von Nicot's Eins 
führung mit Stillſchweigen übergehen, finden fich in älteren 
Werken Angaben, aus denen hervorgeht, daß weder Nicot 
ben erften Tabad nad) Frankreich, noch Hernandez de Toledo 
nad; Europa bradjte ; denn man erfährt von Thevet, daß 
er ſchon vor Rucktehr des Letztern brafilifchen Taback nad 
Franlkreich verpflangte; von Dodonaeus, daß N. rustica 
ſchon 1552 in Europa gebaut warb, und von Gehner, 
daß N. Tabacum, und zwar, wie C. Bauhin meint, bie 
Nicotiane, vor 1560 zu Padua und vor 1559 auf Kreta 
gezogen warb. 

As das and, woher die Einführung der Nicotiane 
(d. h. N. Tabacum L. var.) — worunter man bald irr⸗ 
thumlich auch den „Tabaco* und andere Tabadsarten ber 

xiff — erfolgte, wird bald Brafilien, bald Weftindien, 
Derio, Peru und Florida angegeben; und als der Zeit 
punkt des erften Anbaues amer taniſchen Tabacks in Vor⸗ 
tugal, Frankreich, Holland, England „einige Jahre vor 1570*, 
von Monardes in Spanien „einige Zeit vor 1565*; es ift 
indeſſen, wie erwähnt, nicht wahrfcheinlich, daß Spanier und 
Portugiefen, welche fo früh Pflanzen der Alten Welt nad 
Amerika verpflanzt haben jollen, und deren Aufmerkfamteit 
der Tabad gleich bei ihrer Anfunft dafelbft erregte, ſo viele 
Jahre hätten verſtreichen laſſen, ehe fie deſſen Anbau in Eu⸗ 
ropa verſuchten. 

Die vorherrſchende Meinung unter den Schriftſtellern 
ſcheint um 1570, und in Schottland noch um 1614, bie 
jenige geweſen zu "fein, welche den erften amerifanifchen Tas 
bad (d. h. N. Tabacam L.) aus Brafilien tommen läßt. 
Der Schotte Dr. Barclay fingt im feiner „Nepenthes“ 
(Edinb. 1614): 

The statelie, rich, late conquer'd Indian plaines 
Foster a plant, the princess of all plants, 

Which Portugall, a * perill and paines, 

To Europe brought, as it most justly vaunts etc, 

Eftienne und Liebaut felbft bezeichnen Brafilien als 
bas Fand, woher die Nicotiane gelommen fei, indem fie fagen, 
daß Vetum der wahre Name derfelben in dem Yande fei, 


) S. meine Abhandlung „Der Bauerntabad, eine Pilange der 
Alten Welt", Selbftverlag, Bredlauı, Neueweltg. 2, Breis 11, Mart, 
worin gegeigt wird, daß biefe Anficht des 16. Jahrhunderts durch Bes 
trachtungen manchtt Art ihre Belätigung erbält. 


34 * 


268 8, Beder: Wie verhält es fich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo? 


woher fie lam, wodurch fie, wie gefagt, in Widerfpruch mit. 
dem gerathen, was fie anderwärtd behaupten; während ans 
dererfeits Yery erklärt, daß das in der Umgebung von Rio ges 
baute Petum die Nicotiane gar nicht fei. In Dalechamp's 
Hist. plant. 18, c. 128 heißt es, die Pflanze werde von 
Einigen „Buglossum antareticam* genannt, woraus her 
vorgeht, daß diefelben deren Herkunft aus Südamerifa ab⸗ 
leiteten; der Zuſatz aus Bena und Yobel leitet fie dagegen 
aus Weftindien her. Cluſius ſchreibt in feinen Anmer- 
fungen zu den Werke des Monardes, doch ohne irgemdiwie 
dies näher zu begrlinden, daß ber erfte Name von N, Ta- 
bacum aus Brajilien, wo die Pflanze Petum heiße, nach 
Portugal gelangt ei; und daffelbe wiederholt Neander in 
feiner Tabacologie. Clufius, der als Franzoſe doch wohl 
die Yiebaut’iche Erzählung kannte, fcheint ihr feinen vollen 
Glauben beizumelien, da er N. Tabacum nicht aus Florida 
ableitet. Vermuthlich entjchied er ſich fir die brafilifche Hers 
kunft, weil Petum — daher „petuneur“ — der Allgemein- 
name des Tabads in Frankreich war ; darauf weift auch ber 
Umftand, dag Elufins, Dalchamp, Gohorry und An- 
bere dieſes Wort zum attungsnamen aller Tabadsarten 
wählten; und dies ıjt ein Grund mehr, zu glauben, daß ber 
erſte amerifanifche Tabad nicht iiber Portugal und aus Flo— 
ride, fondern cher direct aus Brafilien nad) Frankreich kant. 
Die Thatſache, dag die Portugiefen N. Tabacum (nad) Pifo 
und Anderen) nicht Petum nannten, fpricht übrigens dagegen, 
daß fie die erfte Bekanntſchaft dejielben erft in Brafilien 
machten. Beiläufig fei bemerkt, daß weder Engländer, 
Spanier noch Portugiefen die Yehrmeifter der Franzoſen im 
Rauchen waren, weil dieſe fic des Wortes Petum nicht be» 
dienten, die Bezeichnung „petuneur* für den Raudyer in 
Frankreich aber eine ſehr alte iſt. 

Der Pater Andr& Thevet, welcher vor Yery in Bra- 
filien war, erwähnte in feiner „Gallia antarctica“ das Pe— 
tum der Brafilier , und wenn Magnenus(Exerc. p. 379) 
bemerkt, daß Thevet zuerft Samen der Nicotiane nad) Fraul⸗ 
reich gebracht habe, jo wird dies Mancher, der Lery's Er- 
tlärung in Betreff der Verſchiedenheit der Nicotiane von dem 
Petum nicht lennt, glauphaft finden, da Petum früger in 
Frankreich der verbreitetfte Name des Tabads war. Very, 
welcher 1556 in Braſilien landete, erflärt in feinem 1586 
erjchienenen Werte, daß die Abbildung der um Rio gebauten 
„Angonlmoisine* bes Thevet in beffen Kosmographie nicht 
das wahre Vetum darſtelle; auch bemerkt er, daß die Nico— 
tiane in frankreich zwar Petum genannt werde, aber das 
wahre Petum der Brafilier durchaus nicht ſei. Diefes habe 
er in Frankreich nicht angetroffen; auch bezweifle er, daß 
daſſelbe in Frankreichs rauhem Klima gedeihen wiirde, Ich 
habe Thevet's Werk nicht gefehen, und laſſe dahingeftellt , ob 
Very die wahre Nicotiane fannte; indeflen betrachtet Dodo—⸗ 
naeus (Stirp. Hist.) N. Tabacum L. und C. Bauhin 
N. macrophylla als Synonym zu Petum Thevet's. Die 
Richtigkeit diefer Anfichten vorausgefegt, würden daher beide 
— die Nicotiane und Thevet's PBetrum — Barietäten von 
N. Tabacum L, fein. Die Beichreibung des brafilifchen 
Petum ift bei Very fehr oberflächlich; fie genligt jedoch, um 
zu zeigen, daß fein um Rio gebautes Petum zu N, Taba- 
cum L. gehört; denn er beſchreibt fein Blatt als ähnlich) 
bem des Symphytum offieinale L. Ferner verftehen außer 
ben Genannten die Portugiefen des 16. Jahrhunderts, Clu— 
fius, C. Barclay, fowie alle älteren botanischen Werte 
unter dem brafilifchen Petum N. Tabacum , und zwar 
C. Bauhin und Andere die N. major latifolia C. B,, 
d. h. die Nicotiane, Letzterer rechnet auch das „Petum“ 
(ber Kario), welches Stade erwähnt, dahin; beiläufig be— 
merkt, fteht im der deutjchen Ausgabe bei Stade „Bittin“. 


Da nun auch meines Wiffens N. Langsdorfii nicht die ges 
rühmten Eigenfchaften der Nicotiane und jenes Petums bes 
figt, defien Rauch, wie man von Lery erfährt, mild war, fo 
verrät) Martius Untenntnig der botanischen Literatur und 
ift in zwiefachen Irrthume befangen, wenn er, der doch Lery 
citirt, in feinen Beiträgen zur Ethnographie behauptet: 1.das 
Petum der Brafilianer reſp. des Lery fei nicht N. Taba- 
cum L., fondern N. Langsdorfii, welches heute ftatt jener 
von den Tupi im füblichften Brafilien gebaut werbe; 2. N. 
Tabacum (wie aud) N. rustien) fei vor Anfunft der Colo: 
niften im Brafilien unbekannt gewejen. Brasilianis, a 
quibus semen primum in Lusitaniam delatum ... jagt 
ſchon Cluſius in feiner Ueberfegung des Monardes, 1574, 
Die Mittheilungen des Pifo (1658), der zwifchen der Nico— 
tiane, dem Petum der Brafilier und bem Tabaco der Spa: 
nier feinen Unterſchied macht, find nicht geeignet einiges 
Ficht auf den Gegenftand zu werfen. Er giebt dem brafi« 
lichen Petum Blätter wie Lapathum (Ampher), wie foldye 
N. Tabaeum hat; auch; feine Angabe begünftigt daher 
Martins’ Anſicht nicht. Uebrigens muß man einigen weis 
fel in die Angaben eines Mannes fegen, weldyer die Kolos- 
palme ein ameritanifches Gewächs nennt. Seine Abr 
bildung des Petum ift nicht mad) der Natur gezeichnet, da es 
meines Wiffens feine Tabadsart mit derartig an der Bafis 
geftalteten Blättern giebt. Es ift daher nicht anzunehmen, 
dag ihr eine brafilifche Art als Vorwurf diente. Die Frage, 
welche von den vielen in Brafilien gebauten Formen ber 
N. Tabacum L. das Thevet’fche und Lery'ſche Petum iſt, 
läßt ſich nicht beantworten, da einerfeitd die Befchreibung 
bei Lery u. f. w. zu unvollfommen ift, und anbererfeits bie 
Botanifer nur wenige der in Brafilien gezogenen Formen 
von N. Tabacum anführen, 

Eine andere Anficht läßt ben Tabad reſp. die Ricotiane 
aus Peru fommen. Dobdonaens, mit Elufins und 
Anderen, die den Namen Nicotiane von einem gewillen Ger 
fandten ableiten, wohl befannt, Mbergeht die Geſchichte von 
Nicot's Einführung in feiner Stirp. Historia 1583 — alfo 
13 Yahre nad; dem Erfcheinen ber Maison rustique — 
dennoch mit Schweigen, und giebt dadurch, daß er N. Taba- 
eum L. (er liefert Abbildungen nur von N. macrophylia 
und petiolata, d. h. dem „ojtindifchen“ Taback, nicht von 
N. Tabacum Schr.) aus Peru fommen läßt, zu erfennen, 
daß er von der Nichtigkeit der Liebaut'ſchen —— nicht 
Uberzeugt war, Er ſchreibt in dem genannten Werke: „Aus 
den ‘Provinzen Amerikas, die man Betindien nennt, worin 
die Gegend Peru liegt, famı Hyoscyamus tertins (N. Taba- 
cum 1.) zuerft nad) Europa.“ Ihm, dem angefehenen Ne» 
ftor der damaligen Botanifer, folgen der Schlefier Sebizius 
(ed. Tragi) und Everart (Panacea), welder auf dem 
Titelblatt die Nicotiane „Divina Peruana stirps* nennt, 
und (5. 12) im Widerfprud; damit diefelbe aus Florida 
gebracht fein läßt. Im dem Werfe, das ben Titel „The 
perfuming of tabacco and the great abuse committed 
init“ führt (1611), heißt es: „The smoke of tobacco — 
the which Dodoneus called rightly Henbane of 
Peru...“ Auch Gerard citirt H. Peruvianus Dod., ohne 
ihn wegen der Wahl diefes Namens zu radeln. 

Andere halten, nicht minder irrig, Mejico für das Land, 
woher der erfte Tabad, refp. N. Tabacum L., nad) Europa 
gelommen fei. U. v. Humboldt (Reife in d. äquat. 
Amer. 8, Cap. 14) fagt: „Nicht aus Virginien, noch aus 
Slidamerita, wie man fäljchlich in den meijten Werfen über 
Aderbau und Botanik findet, fondern aus der mejicanifchen 
Provinz Yucatan erhielt Europa, 1559, ben erflen Tabads- 
famen. Als Naleigh den Tabad 1586 aus PVirginien 
nach England brachte, gab es davon ſchon ganze Felder in 


2. Beder: Wie verhält es ſich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo? 269 


Portugal. Wäre U. v. Humboldt nicht gang unbelaunt 
mit der botanischen Literatur deö 16, Jahrhunderts gewefen, 
fo wiirde er gewußt haben, daß N. rustica ſchon vor 1553 
in Europa gebaut und vor 1560 als fyrifche Pflanze ber 
tradjtet ward; und daß in der Türkei der Anbau von N. 
Tabacum vor 1559 betrieben ward; denn Dodonaeus 
erwähnt in feinem „Uruydt boek* (1553; latein. unter dem 
Titel Hist. stirp. 12. 1553), franzöfifch von Cluſius 
(Fol. 1557, unter dem Xitel: Histoire des plantes com- 

söe en flamand par R. Dodonaeus), bereit$ N. rustica; 
und Elufins jchreibt, daß fie um 1550 in Europa befannt 
geweien fei. Im Deutſchland baute man fie zur Zeit Ges— 
ner’8, d.h. vor 1559; in Italien zur Zeit Matthioli’8,d.h. 
vor 1563 ; md Caefalpini nennt fie ausdrücklich eine Pflanze 
der Alten Welt. Gesner erwähnt in feinen, Hort.German.“ 
(1561, Vorrede von 1560), daß er neulich aus Padua Sa: 
men von N. Tabacum erhalten habe, weldye dajelbft in 
Gärten gezogen *) und bahin aus Kreta gefommmen fei. Der 
Anbau diefer Art mußte daher auf Kreta mindeftens ſchon 
1559, wenn nicht viel früher, betrieben werben. Bermuth: 
lich fam der Same aus jener Infel durch jene fadwerftäns 
digen Leute, welche die venetianifche Regierung in den grie- 
chiſchen Archipel, nad) Aegypten, Indien u. ſ. w. ausſandte, 
um Pflanzen fir den botaniſchen Garten (gegründet 1545) 
zu fammeln. Directoren defjelben waren unter Anderen 
der Römer Yonis Anguillara, Daniel Berbero von 
Aquileja; und es fteht vielleicht noch manche Aufklärung 
fite die Gejchichte des Tabads aus den Manufcripten der 
Paduaner zu erwarten, welche meines Wiſſens ber Beröffent- 
lichung entgegengehen. 

u. v. Humboldt unterläßt es, den Beweis für die Rich— 
tigkeit feiner Angaben beizubringen: 1. daß Naleigh den 
erjten Tabadsſamen, und zwar 1586 aus Birginien, nad) 
England gebradjt habe; 2. daß Hernandez de Toledo den erften 
nach Europa, und zwar aus Yucatan, 1559, gebracht habe ; 
ferner and) das Irrige der im 16. Jahrhunderte vorzugs— 
weife verbreiteten Anficht, der Tabad ſei zuerft aus Bra: 
filien oder Weftindien gebracht worden, zu widerlegen. Was 
das Erſte betrifft, jo habe id) mirgends eine zuverläffige 
Nachricht gefunden, welche befagte, daß Naleigh das Verdienſt 
gebühre. Es war allerdings Vollsgerede in fpäterer Zeit, 
das indeß ſchon der Leberfeßer von Everart's Panacea 
1659 mit den Worten abfertigt: Captain ‚Rich, Gren- 
field and Sir Francis Drake were the first planters 
of it here, and not Sir W.Raleigh, which is the coom- 
mon error ; sodifficult is it to fixpopular discoveries ; 
was allerdings nicht ausfchlieft, daf Einer von den Dreien 
ben erften Samen eingeführt haben fünne, Diefe durch 
nichts unterſtützte Berichtigung des Ueberſetzers erweiſt ſich 
übrigens gleichfalls als irrig; denn Pena und Lobel (N. 
stirp. ad. v.) ſchreiben: ſeit einigen Jahren ift Sana saneta 
Indorum (N. Tab. L. var.) ein Bürger Englands, Hol 
lands, Franlreichs und Portugals geworden, Das Werf 
erſchien 1576; die Vorrede ift aber von 1570; mithin ift 
es eine unleugbare Thatjache, daß — foweit die Kenntniß 
der Berfajfer reichte — bereits einige Zeit vor 1570 
(alfo 16 Jahre vor Rücktehr des erften Briten aus Bir- 
ginien) im — — u, ſ. w. jene Form von N. Tabhacum 
gebaut ward. Was num Hernandez betrifft, jo finde ich in kei⸗ 
nem Citat aus dem faft ein Dahrhundert nach feinem Tode 
mit vielen Zufägen von anderer Hand erſchienenen Auszuge 


*) Hyosc. tertin species Patavii in hortis seritur, femine, quod 
nuper misit amicus ad me, exili, subruffo e fusco, allato e Creta. 
Die Farbe und Kleinheit res Samens lehrt, daß tiefes H. tertins 
eine Tabadsart in; nah G. Bauhin, der hierüber nähere Mit: 
sheilung haben mochte, wäre ch die Nicorlane, 


aus feinen Werte gefagt, daß Hernandez das Verdienft, den 
Samen der erften Tabadsart nad; Europa gebradjt zu haben, 
beanfpruche. Ehe ihm dafielbe zuerlannt wird, mußte Diaz 
berüctjichtigt werben, welcher Samen einer mejicanifchen Art 
heimgebracht haben fol. Dazu fommt, daß weder Frago— 
fus noch Monardes und Andere, die von dem löniglichen 
Veibarzte, feinen Neifen und feinem Werte, das einen Auf 
wand von 60,000 Diraten erforderte, ohne alle Frage ges 
hört hatten, ihm (mod) fonjt wen) als erſten Einführer nen: 
nen, auch Liebaut, reſp. Nicot, feiner nicht gedenkt. 

Ich habe den Auszug aus Hernandez's Schriften — welche 
17 Bände, mit zahlreichen colorivien Abbildungen, darunter 
1200 Pflanzen, umfaßten —, den auf füniglichen Befehl 
ein föniglicyer Peibarzt, der Neapolitaner Dr. Mardo s An— 
tonios Recchi, anfertigte, und der 1651 zu Nom in 10 
Bänden Folio mit vielen Zufägen erſchien, nicht gejehen, 
und kann daher micht entjcheiden, was darin von Hernaudez 
ſelbſt herrührt. 

Neander (Tabacologie, 1622) geräth dadurch, daß er 
den Namen Taback von einer Gegend gleichen Namens in 
Neufpanien, faft 44 Milliaria oberhalb „Mexicum lispa- 
niolae *) metropolin* ableitet und ertlärt, man wife, daß 
in diefer zu Yucatan gehörigen Provinz die edle Panacea 
(d. h. N. Tabacum L. var.) zuerſt gefunden und danadı 
benannt worden ſei, gewillermaßen in Widerfprud) mit feis 
ner Anficht, jene Panacea fei zuerſt aus Florida gefommen. 
Die Breslauer „Sammlungen von Natur: ꝛc. Geſchichten“, 
1717, nennen dieſe Gegend cine Anfel, und Hoffmann vers 
legt die Infel, von der ev den Namen Tabad herleitet, in 
den Bufen von Florida. Er verjicht daher wuuter biefer 
Infel entweder Tabasco in Yucatan, welches von den Ein— 
geborenen „Infel“ genannt wird, ober verwechfelt fie mit 
Tobago. Es ſcheint, daß man früher den Buſen von Me— 
jico unter dem Namen „Bufen von Florida“ inbegriff. 
Carver nennt den Ort „in der Provinz Yucatan“, von wo 
Hernandez zuerft den Tabad nad, Spanien gebradjt habe, 
Tabaco ; und daffelbe geicicht fogar noch 1780 Seitens der 
Oelon. Nachrichten der patriotiſchen ſchleſiſchen Geſellſchaft. 
Eine Provinz dieſes Namens ift in Yucatan nicht vorhanden, 
und daher offenbar Tabasco gemeint. Was diefe gewiegten 
Geographen hier erzählen, erweiſt ich als eine mäßige Er— 
findung, die auf Grund der Namensähnlichkeit entjtand; 
denn, abgejchen von anderen Gründen, welche in einer Ab— 
handlung über die Herkunft des Wortes Tabad in der „Deut: 
ſchen Tabadszeitung*, 1874, angejlihrt wurden, ift 1. nicht 
anzımehmen, daß Tabaco aus Tabasco entjtanden jei; 
2. lernten die Spanier das Wort auf Haiti — wo es, wie 
wir von Oviedo erfahren, die Cigarre bedentete — viele 
Jahre vorher kennen, che fie in Mejico befannter wurden, 
Dort fahen fie N. Tabacum 26 Jahre vor der Zeit, als 
fie Mejico eroberten, und 67 Jahre vor Hernandez' Rild 
fehr. Sollte A. v. Humboldt, als er behauptete, Hernans 
bez habe 1559 den erſien Tabadsfamen nach Europa ge» 
bradjt, vergeiien haben, daß — wie er Nouv. Esp. 4, 10 
ſchrieb — die Spanier den Taback auf den Antillen fennen 
lernten ; oder follte ex, was noch weniger wahrſcheinlich, ha— 
ben glauben fünnen, daß jie 67 Yahre hätten verftreichen 
laſſen, ohme die Pflanzen, die gleich anfangs, wie wir von 
R. Pano, Oviedo und Anderen erfahren, auf Haiti ihre Auf: 
merkſamteit in hohen Grade erregte, nad) Europa zu vers 
pflanzen — fie, die, wie er felbft fchreibt, fo frlih die ver» 
fchiedenartigften Gewächſe der Alten Welt mad) Amerifa 
eingeführt haben follen?! Wenn Magnen (Exere. 1658, 
p- 3) bemerkt, den Samen brachte nad) Portugal und Spas 


*) Soll beifien Novae Hispaniae. 


270 2. Beder: Wie verhält es fich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo? 


nien zuerſt Dr. Fr. Hernandez de Toledo, fo ift dies, 
was erſteres Yand betrifft, unmöglich, wenn, wie es heißt, 
ſchon 1558 Tabad in königlichen Gärten Portugals gebaut 
ward. Möglich, wenn ich es auch bezweifle, dag Hernandez 
Samen der Tabascoforte — die heute noch in Europa kaum 
befannt fein dürfte — zuerft nad) Spanien brachte. Die 
Ehre aber, den erften Tabad nach Europa eingeführt zu 
haben, kommt ihm nicht zu, da 7 Jahre vor feiner Rüdclehr 
N. rustica dafelbft gebaut ward, Im Yahre 1552 war 
fie in den Niederlanden, 1559 im Deutfcland und Syrien 
— fowie N. Tabacum auf Kreta — vorhanden. Wie 
Campbell (Commentary on tobaceo p. 18) meint, 
wäre es ficher, daß Cortez 1519 Tabad an Carl V. fandte; 
doch ift darunter wohl nicht Samen, fondern die Waare zu 
verſtehen. 

Eine vierte Ableitung, die fir diejenigen, welche das 
Wort Tabad für ein weftindifches halten, größern Schein 
der Wahrheit hat, um fo mehr als die Spanier ſchon 67 
Jahre vor Hernandez' Ruckkehr den Tabad hier fahen, ift 
die von Weftindien; ich habe indeffen in der „Deutjchen 
Tabadszeitung* 1874 gezeigt, daß dad Wort Tabad vor 
1492 in der Alten Welt vorhanden war. Monardes ver— 
fpricht im dem Titel, von den aus Weftindien gebrachten 
Arzneiwaaren zu handeln; er dehnt aber den Begriff 
„Weſtindien“ Über dem heute gebräuchlichen aus. Eines 
feiner Werke erjchien 1578 zu Gemua unter dem Titel 
„Zabaco d’India*, welcher Zuſatz überflüffig wäre, wenn 
er nicht eben den inbifchen Tabad von anderen unterſcheiden 
wollte. Aehnlic nennen Pena und Pobel die Nicotiane 
„Sana sancta Indorum* zum Unterſchied von anderen, 
nicht indifchen, Arten. Sie leiten ihn, gleichwie Caefal— 
pini, der fi auf Monardes jtügt, aus Weftindien ab; 
und die betreffende Stelle: Non multis ab hine annis ex 
Hesperie Indie novo orbe Portugalie, Gallie, Belgie 
et Anglia facta inquilina findet ſich wörtlich in der 
Hist. pl. des Daledhamp, welche von Novillius mit 
Zufägen herausgegeben warb. Ben Jonſon, Shake— 
ſpeare's Zeitgenoffe, leitet den Tabaco ebenfalls von Welt: 
indien ab, unterfcheibet ihn aber vom Trinidado und der 
Nicotian; ähnlich wie Minſhew die Nicotiane vom 
Tabaco unterfcheidet, von welchem letztern ex bemerkt, daß 
er ganz gewiß aus Weftindien gefommen fei: eine Bemer— 
fung, welche vorausfegt, daß ſolches noch um 1617 bezweis 
felt ward. Es zeugt daher von Unfenutniß, wenn H. Baus 
hin in feiner Ausgabe von Tabernämontan’s Kräuterbuch 
„Tabacco of Trinidada* ald Synonym zu Nicotiane der 
Franzoſen giebt. 

Wie dievorher beſprochene Ableitung von Tabasco grins 
bet fid) die auf Weftindien bezügliche nur auf die frühe Vers 
breitung des Namens Tabaco, und die Achnlichkeit dieſes 
Namens mit dem der Inſel Tobago, von welcher, wie 
Mandje vorgeben, der erfte Tabad nad England gelommen ſei. 

Die älteren Engländer wiſſen nichts von der erften Ein: 
führung der N. Tabacum nach Europa durch Nicot, denn 
fie leiten ihn aus Brafilien oder Weftindien ab, Hinfichtlich 
der erften Einführung der amerikanischen Pflanze nad) 
England begegnen wir mander Abweichung in den Angas 
ben, von welden feine Anfpruch machen kann, glaubs 
würdiger al® die andere zu fein; Uberdies verwirren bie 
meiften die erfte Einfuhr amerikaniſchen Tabacksfabrikats 
mit der de8 Samens oder des Aubaues. Zahlloje Seeleute 


und zumal Soldaten brachten zweifelsohne auch nad) Eng- 
land bei ihrer Rüclehr Rauchtabac u. ſ. w. mit; große 
Mengen von Cigarren u, ſ. w. — die Beute englischer 
Kriegsflotten — wurden auf den britifchen Marlt gewor⸗ 
fen. Hamfins (dem Taylor, der „Waterpoet“, die erfte 
Einführung zuſchreibt) und Drafe machten in Weftindien 
große Beute; Letzterer plünderte 1578 Callao; noch reidjere 
aber madjte Raleigh, der unter Drake in Weftindien ge: 
dient hatte. Die Thatfache, daß durch diefe Seehelden jo 
viel Tabad — fo nannte man damals ausfcjließlicd) die 
amerifanifche Waare im Gegenfag zur europätfchen ꝛc. — 
ins Yand fam, hat fpäter die irrige Anficht hervorgerufen, 
daß fie den erften Tabad überhaupt eingeführt hätten. Daß 
ſolches von irgendeinem derſelben gejchehen fei, baflir fin 
det ſich feine Angabe, welche die Glaubwürdigleit befigt, die 
der gewiflenhafte Gefchichtsforfcher verlangen muß — daflir 
fpricht fein auf eigene Erfahrung gegrlindeter Bericht. 

Wenn Fondon im feiner Encyclop. 1020 es, ohne 
ſich berichtigend auszulafien, der Erwähnung werth hält, 
daß nad) Hume der Tabad erft durch Yane, und zwar von 
der Infel Tobago, nach England gefommen fei, fo verräth 
ex dadurch jeine Unbelanntſchaft mit der botanischen Yitera: 
tur feines Landes; denn Pena und Lobel ſchreiben bereits 
1570, daß ber weftindifche Tabad (N. Tabacum) fowie 
N. rustica vor jener Zeit in England gebaut wurden, und 
Lobelerwähnt 1576 (in „Obfervationes“) fogar vier Tabacks- 
arten in dieſem Yande, Uebrigens ift es mehr als unwahr- 
ſcheinlich, daß R. Yane, wie es heit, 1586 Tabacksſamen 
aus Tobago brachte, da er 1585 Governor in Birginien 
war und 1586 von da — ſicher wicht Über Tobago — 
zurlicklehrte. 

Drale's Rückkehr aus Amerika fand meines Wiſſens erſt 
im Auguſt 1573 — nicht 1564, wie die „Oekon. Nachrid): 
ten der patr, ſchleſ. Geſellſchaft“ 1780 meinen; im jenem 
Jahre erfolgte die Hawlins' — ftatt, alfo als der Aubau 
von N. Tabacnm und rustica in England u. f. w. ſchou 
betrieben warb. 

Derjenige Mann, welcher es vor allen Anderen erwähnt 
haben wirde, wenn man 1585 oder 1586 Tabadsfamen 
ans Virginien nad England mitgenommen hätte, ſchweigt 
gänzlid) davon, obwohl er von vielen weit weniger wichtigen 
Dingen fpricht: ich meine Hariot, welcher die Expedition 
des Jahres 1585 begleitete und beauftragt war, den Bericht 
tiber die Gulturpflanzen Birginiend zu erftatten. Drale 
landete 1586, bei feiner Heimkehr von der Reife um die 
Welt, in Virginien nur vorübergehend, und Raleig h ſcheint 
ſich perſönlich gar nicht an der Erpedition zur Colonifation 
diefes Landes betheiligt zu haben, um, wie Magnen (Exere. 
p- 4) jagt, den erften Samen aus Birginien nad) England 
gebracht haben zu lönnen; er trieb indeſſen eimen großen 
Handel mit Tabad, wie man von Henry Buttes (Dyets 
dry dinner, 1599) erfährt, weldyer ſchreibt: Ho hath 
both farre fetcht it and denre bought it; the estimate 
of the treasure I leave to other. Ferner iſt micht zu 
tiberfehen, daf diejenige Sorte, die heute den Namen „virgt- 
nifcher* Taback (N.Tabacum Schr.) trägt, von Yobel in 
feinen „Icones“ nicht abgebildet ift; während man doch 
gerade die Abbildung derjelben erwarten follte, wenn die er- 
ſien Tabadspflanzungen in England virginifchem Samen 
entftammten ! 


’ 


Aus allen Erdtheilen. 


271 


Aus allen Erdtheilen. 


Nachtrag zu dem Nekrolog 1875 *). 


J. Roß Browne, amerikaniſcher Reiſeſchriftſteller; ge⸗ 
boren 1817 in Irland, fam er als Knabe nach den Vereinig: 
ten Staaten, bie er vielfach bereifte. So fuhr er auf einem 
Flachboote den Obio und Miſſiſſippi hinab, machte dann eine 
Fahrt auf einem Walfifchfänger mit, durchtreifte Ealifor- 
nien, Arizona, Dentichland, Rußland, Schweden‘, Jslaud ꝛc. 
und fchrieb dariiber unterhaltende Bücher, von denen die 
‚Neifen und Abentener im Apachenlande“ 1871 in beuticher 
Ueberſetzung erichienen. Unter Johnſon's Präfidentichaft war 
er einige Zeit amerikanischer Gefandter in China. Er ftarb 
Mitte December 1875 in Daflaud in Californien. 

S. G. Drake, amerifanifcher Schriftiteller, geboren 1798 
in Pittsfield Mewbampibire), geftorben Juni 1875 in Bo: 
fton, wo er Buchhandel trieb. Sein Lieblingsthema waren 
die Eingeborenen Nordamerikas, über welche er eine Reihe 
von Werfen verfaßte, wie: „The Book of the Indians“, „In- 
dian captivities“, „Indian biography“, „The Old Indian 
Chroniele“, „History of the five years french and indian 
war“, Mich ſchrieb er eine in Amerika ſehr geichätte Ge— 
Ichichte der Stadt Bofton. 

F. I. Gray, engliicher Commodore, ftarb am 12, De: 
cember 1875 auf der Höhe von Natal an Bord Ihrer Briti- 
ſchen Majeftät Schiff „Naflan* an einem Trieber, welches er 
fib bei Vermeſſungen nördlih von Mosambik zugezogen 
hatte. Die Erdkunde verdankt ihm eine Karte eined an 25 
dentiche Meilen langen Kitftenftriches nördlich von Zanzibar, 
welchen er jeit 1873 mit der ‚Naſſau“ aufgenommen bat. 

Raplace, Cyrille Pierre Theodore, franzöſiſcher Vice 
abmiral, geboren den 7. Movember 1793, trat ſchon 1809 in 
die Marine, machte 1830 bis 1832 mit der Corvette Fabo— 
rite* eine Reife um die Welt und ebenfo 1837 bis 1840 mit 
der Fregatte „Artemife*. Auf der erſten befuchte er das Cap, 
Indien, Annam, Theile des dhinefiichen Meeres, Java, Au— 
ftralien, Yan Diemensland und Valparaiſo und gab darüber 
beraus: „Voyage autour du monde par les mers de !’Inde 
et de Chine, exöcutö sur la corvette de l'ötat „La Farvo- 
rite® pendant 1830 & 1882", 4 Bünde. (Paris 1838 bie 
1335.) Anf der zweiten Reife ſah er den Perfiichen Golf, 
das Motbe Meer, das Indiſche und Chineſiſche Meer, Neu: 
holland, Tahiti, Hawati und die pacifiſche Küſte von Amerika 
und bejchrich diejelbe in „Campagme de eircumnavigation 
de la frögate „WArtömise“ pendant les anndes 1837 ä 
1840.% (6 Bände. Paris 1810 bie 1854.) Er war zuletzt 
(1858) Marincpräfeet in Breſt und ftarb dort am 24. Fe— 
bruar 1875. 

Minisealdi: Erizzo (Graf Francesco), italieniſcher Se 
nator, ein Freund und eifriger Pfleger der orientaliſchen 
Spradien und der Geographie und Ueberſetzer geichägter Ar- 
beiten in dieſen Wiffensgebieten. Geboren 1810, reifte er 
viel im Oriente und hatte ſtets arabifche und ſyriſche Diener 
um fich, wie er auch zuletst die von Miani nach Jtalien ge 
ſandten beiden Allas in feinem Haufe erzog, um ihre Sprache 
zu ſtudiren. Er war Mitbegründer und Bicepräftdent der 
Stalienifchen Geographiſchen Geſellſchaft. Er veröffentlichte 
1854 ein Buch über Nordpoferpeditionen und binterläßt un: 
publicirte Werke iiber das orientalifche Ehriftentbum und bie 
Geſchichte der ſyriſchen Mönde, ſowie ein lateiniich-Äyrifches 
Lericon. Er ftarb zu Padıra am 27. December 1875. 

Mohammed Abd:ed:Sfamat, der nubilche Elfenbein: 
händler, welcher fich durch Schweinfurth's grofmüthige Un- 





*) 5, laufenten Band dee „Hobus” ©. 77 fl. 


terſtützung, deren ſich unſere Leſer aus den betreffenden Schil⸗ 
derungen des vorigen Bandes entſinnen, um die Erforſchung 
Innerafrikas fo wohl verdient gemacht hat, wurde am 23. 

November 1874 in feiner Seriba Naanje nahe beim Mon- 
buttulande mit allen feinen Gefährten von den Niamsmiam 
erschlagen. Im jelben Jabre wurde der Monbuttu⸗König 
Munja, ebenfalld durch Schweinfurth's Reifen bekaunt ge: 
worden, durch Leute des Elfenbeinhändlers Ghattas im Kriege 
getödtet. 

Michail Petrowitſch Pogodin, ruſſiſcher Gelehrter, ge: 
boren um 1800, hielt ſeit 1821 Vorträge iiber Geographie an 
der Moskauer Univerſität, feit 1326 über "allgemeine und 
ruſſiſche Geſchichte, um deren Quellenforſchung er fich ver- 
dient gemacht bat. So bradte er eine große Sammlung 
alter Handfchriften und anderer Denkmäler, die auf Ruf: 
lands früheſte Gefchichte Bezug haben, zuſammen, welche jetzt 
die Peteräburger Bibliothek ziert. Vor Allen aber erfand 
und betrieb er den Panſlaviemus; er ward der Begründer 
des Stavencomites in Moskau, er fette die Errichtung jlavi: 
cher Profefluren an den Umiverjitäten durch; er brachte den 
Moskauer Slavencongrek von 1867 zu Stande. Geftorben 
den 20, December 1875 zu Mostlan. 

Friedrich Julius Seiff, geboren den 0, October 1321 
in Leipzig, zuerft Jahre lang Ingenienr, lebte Später in Dres- 
den und unternahm feit 1867 Reifen nach Algerien, Tene- 
riffa, Spanien und 1871 bi& 1872 nach Syrien und Klein: 
afi ien. Sein Buch „Reifen in der Aſiatiſchen Türkei” (Leip- 
sig 1875) ift eines der beiten, welche feit langer Zeit über 
dieſe Gegenden erſchienen ſind. Zu Anfang 1875 unternahm 
er eine neue Orientreife, erlag aber jhon am 25. Mai zu 
Adapa-dem Fieber. 

Iobann Friedrih Marimilien von Walded, vielge— 
reifter Maler, geboren 16, März 1766 zu Brag, ftarb am 30. 
April 1875 in Paris. Er begleitete Levaillant 1783 nach 
Südafrika, die franzöfiiche Armee 1794 nad Megypten, be: 
furhte dann Mauritins, 1819 Chile, fpäter Guatemala. In 
ben dreißiger Jahren bielt er ſich act Jahre in Amerika 
auf und ftmdirte drei Jahre die Ruinen von Balenque, ber 
welche er fein Wert: „Voyage pittoresque et arch@ologique 
de la province d’Jucatan pendant les anndes 1834 à 1836% 
(Paris 1858) jchrieb. Seitdem lebte er in Paris. 


Die Gefell Berbreitu innügi z 
e Geſellſchaft zur 4 er ze up geme nnügiger Kennt 


Im Jahre 1871 wurden die erften Schritte gethan, um 
eine Geſellſchaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntniffe 
in China zu bilden. Im Jahre 1872 trat die Sache wirklich 
ins Leben. Der Zweck diefer Geſellſchaft ift ein doppelter: 
einmal will fie verfuchen, durch Einführung europäiicher 
Wiſſenſchaften und liberaler Ideen den alten Wberglauben 
ausjutreiben, der das. Hanptbindernig des materiellen und 
gejellfchaftlichen Fortſchritts in China bildet, dann aber den 
Weg zu den umnvermeiblichen Neuerungen im Reiche der 
Mitte dadurch anbabnen, daß fie die Gedanken des dhinefi- 
ſchen Bublicums mit diefen Veränderungen allmälig vertraut 
macht, bis diefes diefelben endlich felbft berbeimünfcht. 

Diefer Zwed follte durd Bücher und Zeitungen ange 
ftrebt werben. Da ſich gute Bücher nicht berbeicommandiren 
laffen und auch felten prodmeirt werden, fo wurde mit den 
Zeitungen begonnen, und zwar wurden zunächſt mehrere 
Tage: und Wochenblätter in den Sechäfen in Gang gebracht, 
namentlich aber feit Auguſt 1872 zu Peking eine ilfuftrirte 
Monatszeitung (Peking Gazette) herausgegeben. Die Haupt: 
artifel diefer Zeitung verbreiteten ſich über folgende Gegen: 


272 


ftünde : 
graphen, Ganäle und Pferdebahnen, Kratzgarumaſchinen und 
macadamifirte Strafen, Mathematik, Phyſik, Phyſiologie, 
Anatomie, Bergbau, Metallurgie; außerdem Reiſebeſchrei— 
bungen, Erzählungen, Fabeln, Aneldoten und allgemeine 
Neuigkeiten, mit Iluſtrationen Um fie den Chineſen au: 
gänglicher zu machen, wurde ein Theil gratis vertbeilt, cin 
Theil zu dem Selbjtkoftenpreis verkauft. 

Das Erſcheinen der „Gazette“ ift neuerdings aber ein: 
geftellt worden , weil es eimerfeits an Geld und an litera- 
riſchem Stoffe fehlt und weil andererieits Peking nicht als 
der geeignete Play für ein ſolches Unternehmen ericheint. 
Man will nun ein ähnliches Blatt, welches mit dem Chine— 
ſiſchen Volytechniſchen Inſtitut in Schangbat in Verbindung 
gebracht werden joll, unterjtüten. 


Kulieinfubr am Cap. 


Während die auftraliichen Golonien und Canada große 
Opfer brachten und noch bringen, um durch Einwanderung 
die jo nötbigen Arbeitskräfte zum Gebeihen des Landes zu 
erlangen, ift dielem wichtigen Capitel in der Coloniſations⸗ 
geſchichte am Cap nod wenig Aufmerkſamleit geichenft worden. 
Erſt in menejter Zeit haben fich wiederholt Stimmen erho- 
ben, welche ein energiſches Vorgehen der Negierung in diefer 
Richtung verlangen, und ſie find auch nicht ungehört verhallt. 
Unter allen den verichiedenen Provinzen ift es allein Natal, 
welches unter dem energiſchen Major Butler Landgeſchenke 
vertbeilte, um Landwirthe, alſo Broducenten von Lebensmit⸗ 
teln, zu gewinnen, welche jo ſehr feblen. Un Kaufleuten, 
großen und Heinen, an Gold» und Diamantengräbern iſt 
fein Mangel, hiervon find mehr als genug vorhanden; aber 
Landwirtbe, welche die Hilfsquellen des fruchtbaren Bodens 
erichliefien, bat die Capcolonie viel zu wenige, fo daß fie Ge— 
treide aus Auftralien importiren muß, während fie felbft 
davon große Mengen ausfübren Könnte und follte, Die dor: 
tige Sandwirtbichaft, die hauptſächlich in Schafzucht, aljo 
Wollproduction, beſteht, liegt in den Händen der faulen Hol- 
länder, von demem nicht viel zu erwarten ift, was fie zur 
Genüge bewieſen haben. Die Colonie baut Eiſenbahnen, 
welche die importirten Waaren im Lande vertbeilen; aber 
fie hat feine Landesproducte anfer Wolle, um fie auf glei- 
chem Wege an den Küftenplägen und größeren Orten zu 
concentriren, wo jie ihren Markt finden würden. 

Dir. Roß-Johuſon, Advocat, hat ſich im ber legten 
Zeit im diefer Angelegenheit bervorgetban. Auf fein Un: 
ſuchen genehmigte die Colonialregierung 7009 Pf. St, um 
bierfür tauſend Kulis einzuführen, und ift Der. Roß-John— 
fon bereits nach Hongkong abgereift, um die Eimvanderer 
zu gewinnen. Jeder derfelben muß bei feiner Einſchiffung 
Ss Pf. St. bezahlen, wofür er dann mit Verwendung ber 
Regierungsunterftüsung vollfommen freie Fahrt erbält. 
Man glaubt, daß dieſes Taufend fofort ald Dienftboten En: 
aagement finden wird, und ift entichloffen, wenn das Erpe 
riment gelingt, es fo ojt als mötbig zu wicberbolen, um 
genügend Arbeiter für Eifenbahbn: und Feldbau zu gewinnen, 
Nichts macht einen Kuli glücklicher, als wenn er fein kleines 
Stüd Land bat, auf dem er ſich eine Hütte bauen und einen 
Gemitiegarten einrichten faun. Wenn auch die Ehrlichkeit 
ber er Chineſen nicht fletenlos ift, To find fie doch ungemein 


Dampf und Dampfmaſchinen, Gteltricität und Tele: | 


Aus allen Erdtheilen. 


arbeitfam und frugal. Es ericheint eigentlich lächerlich, Chi: 
neſen dreitanfend englifche Meilen weit heranzuziehen, wo bas 
Land ſelbſt eine große Menge eingeborener Völlerſchaften 
befist, die mehr fanllenzen als arbeiten. Es iſt aber ſehr 
fraglich, ob es gelänge, diejelben zu obigen Zwecken zu ver: 
wenden, es fcheint fi Niemand an diefe Aufgabe wagen zu 
wollen. Kann fie num nicht gelöft werden, fo bleibt der Co: 
lonie nichts Anderes übrig, als fo viele der „Himmlifchen 
Staatsbürger" einzuführen, als mötbig find, um die drin: 
gende Noth an Arbeitskraft zu deden. Uebrigens iſt auch 
alle Ausficht vorhanden, daß demnüchſt die Capcolonien auf 
dem Auswanderermarkte Europas ericheinen und mit den 
übrigen Ländern in Concurrenz treten werden, welche ſich 
in vortbeilbaften Offerten für Heimathmüde fberbieten. 


Verbreitung von Waffen unter den Kaffern, ’ 

Die Bewaffnung der Kaffern mit Feuergewehren nimmt 
troß der geſetzlichen Verbote ſtark iiberhand, jo daf die euro: 
väriche Bevölkerung darüber beunruhigt ift. Diefe Stim:- 
mung äußert fih in den Journalen, welche auf die Gefah— 
ren aufmerffam machen, die den Coloniften durch biefen 
Umftand erwachſen, und fie haben nicht Unrecht, denn das 
kriegsluſtige Kaffernvolk ſieht mit fcheelem Blicke den Fort: 
Ächritten der Culture zu. Die oben erwähnten ſchlimmen 
Nachrichten brachten verſchiedene Jäger und Händler, welche 
die Wilden in ihren Kraalen aufluchten. Während früher 
wohl bier und da in einem Kraal ein ober zwei Gewehre 
zweifelhaften Wertbes vorhanden waren, find jest am gleis 
chen Orte oft hundert zu fehen und die Kaffern wiffen recht 
wobl damit umzugeben. Die Zahl der jest unter ben 
Schwarzen verbreiteten Schufwaffen wird allein nördlich 
vom Orangefluß und Baalfluß auf mehrere taufend Stid 
geſchätzt, und fehlt ed auch nicht an Munition. Die Eentren, 
von welchen aus ſtets neue Waffen an die Kaffern gelangen, 
find zumeift die Gold- und Diamantenfelder, wo der Tauſch— 
handel ein lebhafter ift, und die wieder abreilenden Gräber oder 
entlaffenen Arbeiter fich oft ihrer Hableligkeiten und darım- 
ter auch der unvermeidlichen Büchſe entledigen. Geht bie 
Bewaffnung der Kaffern in gegenwärtigem Maßftabe weiter, 
fo liegt die Gefahr einer Empörung derſelben nahe, melde 
nicht ohne große Verlufte wieder unterdrüdt werben fünnte 
und ſchon deswegen womöglich im Keime erftidt werben 
follte, da die Entwicdelung der Eolonie durch einen Krieg für 
Jahre unterbrochen würde. Bei ben Bevölkerungsziffern 
der Schwarzen im Verhältniß zu denen ber Weißen würden 
die leßteren, uur eine annähernd gleiche Bewaffnung beider 
vorausgeſetzt, einen harten Stand haben, um die hundertfach 
überlegenen Schwarzen erfolgreich zu befümpfen. Es iſt des: 
balb ein baldiges energiiches Einfchreiten der Behörden jehr 
nothwendig, um diefen Waftenlieferungen die Lebensaber zn 
unterbinden. 

* * 4 

— Seit Gründung ber Colonie Südauftralien im Jahre 
1536 ift das Jahr 1375 das naffefte geweien: in 142 Tagen 
fielen 31,445 Zoll Regen. Das bisher regenreichſte war 
1851 mit 50,633 Zoll in 123 Tagen. Das Jahr 1875 war 
ein ungewöhnlich faltes, fo daß fich die Reife der Feld- und 
Gartenfrüchte außerordentlich verzögerte. 





Inbalt: Telemffen in Algerien. II. (Dit vier Abbildungen.) — 
Bon Richard Andree. — Zur urgeſchichtlichen und culturgeichichtlichen Terminologie. 


— Robert Hartmann’s „Nigritier*. 


Brofeffor Aſcherſon wieder in der Libyſchen Wüſte 


Von Alerander Eder. — Wie verhält es ſich mit der Einführung des eriten Tabacks durch Nicot und Hernandez de Toledo? 


Bon Lothar Beder. I. — Mus allen Erdtbeilen: 


Nadıtrag zu dem Mekrolog 1875. — Die Gefellichaft zur Verbreitung 


gemeinnügiger Stenntniffe in Ehina. — Kulieinfuhr am Cap. — Verbreitung von Waffen unter den Kaffern. — Verſchie— 


denes. — (Schluß der Redaction 9. April 1876.) 


Redakteur: 


Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftrafe 13, III Tr. 


Drud und Verlag von Briedrih Vieweg und Sohn in Braunfchweig. 


Hierzu eine Beilage: 


Literarifcher Anzeiger Mr. 3, 


Band XXIX. 


2* J 


Mit beſonderer Berüchfichtigung der 





Anthropologie und Ethnologie. 


Begründet von Karl Andree. 


In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 
Dr. Rihard Kiepert. 


Braunſchweig 





Jahrlich 2 Bände a 24 Nummern, Durch alle Buchhandlungen und Poſtanſtalten 
zum Preife von 12 Mark pro Band zu bezichen. 


1876. 


Telemffen in Algerien. 


Ill. 


Nachdem Lorral Bu-Medin und feine Umgebung durch— 
wandert hatte, mußte er dem danfbaren Ali in defien väter 
liches Haus folgen. Auf der Schwelle der ärmlichen Hütte 
faß der Alte; beim Heranlommen feines Gaſtes erhob er fich 
und neigte fich, die rechte Hand nad) orientalifcher Sitte auf 
die Bru 
zerjchliffenen Vorhang, der das Innere feiner Wohnung den 
neugierigen Bliden der Voribergehenden verbirgt, und ladet 
zum Cintreten ein. Einige Stufen führen zu einem Hofe 
hinunter, den ein prächtiger Apriloſenbaum beſchattet. Alles 
ift ärmlich, aber nad) Kräften für den Empfang des Frem— 
ben hergerichtet: das Meine Zimmer ift von den Frauen 
frifch getüncht worden, eine Matte bededt den Fußboden und 
darauf liegen Deden und Kiffen. Zu Ehren des Wohl 
thäters der Familie werden felbft die mohammedaniſchen Ge: 
fegesvorfchriften übertreten: die Mutter und eine der Schwes 
ftern Ali's erjcheinen vor dem Franken und ftatten ihm ihren 
Danf ab. Die erftere zeigt Spuren einftiger Schönheit, hat 
aber einen herben, jaft traurigen Ausdrud in ihrem Antlig. 
Ein einfaches Kattunfleid bededt ihre Glieder, der Abruf den 
geſammten Haarwuchs und gelblederne, marotkaniſche Sbath 
(Pantoffeln) ihre füge. Weit mehr aber noch lenkte ihre 
Tochter die Blicke bes Gaftes auf ſich, ein Heiner Wildling von 
11 bis 12 Jahren mit fraufem, hennagefürbtem Haare, der mit 
trogiger Unmuth feine Schafchia trägt. Es ift das eine Meine 
fegelförmige Kappe von Sammet, reich mit Gold geftidt und 
unter dem Sinne mittelft eines ebenfalls geftidten Bandes 
feftgehalten. Barkahum ift der Name des Kindes; er ber 


Globus XXIX. Nr. 18. 


gelegt. Mit zuvorlommender Geſte hebt er den | 





deutet „Genug davon“ oder „Genug mit ihnen“ und wird 
von den Arabern, die Reichthum an Mädchen flir feinen 
großen Segen anfehen, derjenigen Tochter beigelegt, bei deren 


‚ Ankunft fie von diefer unerwünſchten Nachtommenfchaft genug 
zu haben meinen. Es fol das gleichjam eine Benadhrichtis 


ung für den Himmel fein, oder im Telemſſen fpeciell fir 
Sidi-Mafub, dem ja dort die Bertheilung ber Yeibeserben 


obliegt. 

Dit großen Augen flarrt die Kleine den Fremden an, 
wohl den erjten „Rumi“ (Franken, eigentlich Römer), den 
fie im väterlichen Haufe fieht, aber auf ein gegebenes 
Zeichen trägt fie alsbald die Mahlzeit auf. Yaut fchlagen 
dabei die filbernen Ringe (Cholchal), welche fie um die 
Kubchel trägt, gegen einander und die mächtigen Korſſa oder 
Ohrringe ſchaukeln hin und her. Die Tracht der arabifchen 
Frauen giebt derjenigen der Judinnen, wie wir fie oben ge- 
ſchildert, nichts nach; aber fie wird nur bei Hochzeiten und 
feierlichen Beſuchen getragen. Immerhin ift die Putzſucht 
bei ihnen fo entwidelt, daß ſich die ärmeren Frauen bei feier 
lichen Gelegenheiten abgelegte Gewänder beſſer ausftaffirter 
Freundinnen leihen. Da ift zuerft die Kamiß, ein Hemd 
aus feiner Yeinwand mit feidenen, golddurchwirkten Aermeln, 
dann die Abaja, ein ärmellofer Ueberwurf, gleichfalls von 
Seide oder Tuch, und endlich der geftidte Kaftan von Sam: 
met oder Tuch. in vergoldeter Gürtel ift zwei-⸗ ober brei- 
mal um die Taille gewunden, über welche die Futha, ein 
Stlid Seidenftoffes, bis auf die Waden herabfällt. Alle dieie 
Herrlicjkeiten verbirgt jedoch auf der Strafe der Hail von 


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weißer Leinwand, ber vom Scheitel bis zur Zehe bie ganze | 


Geftalt einhüllt und nur dem einen —* den Ausblid ges 
ftattet. Sehr groß ift die Anzahl der Schmuckſachen, mit 
denen ſich die arabifchen Schönen behängen, jo groß, daß 
es bem Europäer unmöglich ift, mit den wenigen Worten, 
über die er für die verfchiedenen Arten des Geſchmeides ver: 
fügt, die Dinge in ihrer Manmnigfaltigfeit zu bezeichnen: 
Ohrgehänge (Unaiß), mit Verlen oder Edelſteinen befegte 
Ohrringe (Chorfja); eine Art derfelben, welche mit Juwelen 
verziert find und von zwei Gholdfettchen (Selfela) anı Kopfe 
feftgehalten werben, heißen Nab Tunes (Ohrringe von Tur 





Telemſſen in Algerien, 


nee); Schearra, ein Gliederhalsband von Gold und mit far- 
bigen Steinen befegt; Scherfa, ein mit Goldmlinzen (Sul- 
tanis im Werthe von 16 Franken) verziertes Halsband; 
Affaba, ein Diadem von benfelben Münzen; Menafeche, 
Armbänder von cijelirtem Golde; Kuathem oder Fingerringe; 


Dab, mit Steinen beſetzte Armbänder, größer als die Mena 


feche ; Meflais, einfadye goldene Spangen; Choldal, filberne 
oder goldene Ringe um die nöcel, und Redif, die etwas 
Heiner find als die Cholchal. 

Die Mahlzeit beftand aus dem lanbesiiblicen Kußluß, 


deſſen Mitte ein Stüd Hammelfleiſch einnahın, umgeben von 


N 4 
Mutter und Tochter aus Bu:-Medin. 


harten Eiern, Datteln und Korinthen. Auch der Franle | 
mußte ſich nach orientalifcher Weife an dem runden niedrigen 
Tiſche niederlaffen und mit feinem Holzlöffel aus der gemein» | 
famen Schüffel zulangen. Als Trank wurde Leben, d. i. Mole 
fen, gereicht, Honig» und Dattelgebäd folgte als Nachtiſch 
und eine Taffe Kaffee beſchloß das Game. 

Denn aud) das Innere der Häuſer in Telemflen und 
Umgegend erbärmlich ift, jo muß man bedenken, daß die Eins 
geborenen nur wenig Zeit darin verbringen. Vornehmlich 
leben fie auf der Straße: dort lauern fie auf den Thür 
ſchwellen oder längs einer Mauer und verhandeln ihre Anz | 
gelegenheiten in voller Deffentlichfeit. Die Vorlibergehenden 


ſcheuen ſich darum auch feinen Augenblich, ſich dazwifchen zu 
mengen und unaufgefordert ihren quten Kath zu ertheilen. 
Die franzöfifchen Gebäude der Stadt, wie die Unters 
präfectur, das Gericht, die proteftantifcye und latholiſche 
Kirche, welche beide auf dem Gavaignacs Plage ſich erheben, 
find eben jo nüchtern wie überall anderswo. Selbft der ſchon 
erwähnte Mefchuar, in weldem 1518 die Spanier von Oran 
den BabasArudfd) (Barbarofia) belagerten, bietet außer dem 
alten Uhrthurme nichts Intereffantes. Diefe alte Befte 
umfchließt heutigen Tages fait alle Militäranftalten des 
Ortes, die Gafernen, ben Artilleriepark, das Gefängniß, das 
Magazin, die Intendantur und ein Spital von 300 Betten. 


Telemfjen in Algerien. 275 





7: 


N 


I 'ni min — —— 





276 


Aber all diefen fauber getünchten nüchternen Gebäuden ver- 
mag das Auge des Keifenden doch weniger Intereſſe abzu- 
gewinnnen, als beifpielsweife der ärmlichen und doch jo ma— 
lerifchen Straße der Goldſchmiede, deren Abbildung wir geben, 
mit ihren madelnden Buden und ihrer niedlichen, feinen 
Moſchee Sidirl-Haffein, welche nur leider auf franzöfifche 
Weife mit gewaltig viel glafirten Ziegeln und mit viel 
Mörtelbewurf ausgebeffert worden iſt. Degt dient fie als 


———— — = 


aller Schwarzen in der Stadt, denen er bei feierlichen Ge« 
legenheiten die Fahne vorträgt. Aber alle feine Heiligfeit und 
feine Würde ſcheinen ihn fchlecht zu ernähren, denn in feinen 
freien Stunden betreibt der angelehene Bu-Salem das Ge: 
ichäft eines Anſtreichers. Sein blüthenweißer Turban fticht 
greil von dem runzeligen, ſchwarzen Geſicht ab; ein bemals 
ter, hölzerner Rofenkranz hängt auf die Bruft des Greiſes 
herab, der mit niedergeichlagenen Augen unbeweglich dafigt 
und in fromme Gedanten verfunfen zu fein ſcheint. Dabei 





Die Medreſſa (Schule) in Telemffen. 


Telemſſen in Algerien, 


Schule (Medrefla), in der die 5 Mohammedaner den 
Koran leſen lernen. Die große Moſchee der Stadt iſt ein 
ausgedehntes, aber geſchmadloſes Gebäude, welches den Be— 
ſchauer volllommen falt läßt. Ein mächtiger hölzerner Kron- 
ieuchter hängt im Innern, auf deſſen Armen gefüllte Oel— 
näpfe ftchen, die mur geringe Helle verbreiten. In einem 
Winfel am Cingange des Gotteshaufes hodt ein alter Neger, 
natitrlich wieder eine heilige Perfönlichkeit und Oberhaupt 


BREI TTRHIL LT 








— 


Mad einer Photographie.) 


ift er aber fein Bettler, wie deren zahllofe von Beruf die 
Vorübergehenden mit ihren näfelnden Zurufen beläftigen. 
Den ganzen lieben langen Tag wiederholen fie unaufhörlich 
diefelbe Phrafe: „Ani faddat* (Gieb mir ein Almofen) im 
Namen des Sidi Abd-el-Fader, Ben-Dfchilali oder fonft 
eines angejchenen Marabut. Dabei fieht man unter ihnen 
fräftige, gefunde Leute, die wohl arbeiten fönnten. ragt 
man fie aber nad) ihrer Beichäftigung, fo antworten fie ruhig: 
„Schemeß“ (von ſchems — Sonne), d. h. Ich ſonne mich ; oder 


Telemffen in Algerien, 


etwa „Mein Bruder ifl Feldwächter“, was fo viel jagen will 
als „Mein Bruder arbeitet und verdient fid) Lohn; id; aber 
bin davon biäpenfirt.* 

In der Masfara-Straße wohnen ausſchließlich die Händ- 
ler mit Baumwollenftoffen, Teppichen, Deden und getricbenen 
Kupferichlifieln. Darum find dort die Yadenmuethen viel 
höher; denn diefe Händler müffen dort wohnen, weil fie an 
anderen Stellen nichts abfegen würden. Nur dorthin wen» 


den ſich die Yandlente aus der Umgegend; dort kann man fie 
in hellen Haufen jehen, wie fie zehn Yäden beſuchen, ehe fie 
im elften eine Gandura (langes Hemd) im Werte von 
1 Reichsmark erftchen, ohne daß es ihnen gelänge, die Ge- 
duld der Händler dadurd) zu ermüden. Am Ende diefer ftets 
von Menſchen vollgeftopften Straße liegen die Buden ber 








Fonduf, arabifche Herberge. 


die weißen Afazien, die Rofen und der japanifche Firmiße ı 
baum. — Hier figen zwei Männer und find mit einer Par | 
tie Dame emfig beſchäftigt; dort trägt ein wandernder Sän- 
ger feiner aufmerffamen Zuhörerſchaft lange Kriegs und 
Yiebeslieder vor und untermifcht feinen Bortrag mit Nitore 
nells, die er auf dem Gombri, einer Art einfaitiger Violine, 
fragt oder auf einer Flöte bläſt. Wenn er athemlos paus 
firt, fo treten Hoboenbläfer an feine Stelle. Dort fit wie— 
der cin Opiumrauder und ſaugt aus feiner Heinen Pfeife 
langjam das Gift ein, welches ihn zu Grunde richtet. Dann 
tritt plöglid) ein Menſch auf, der Teppiche und Burnuffe 
auf der Schulter trägt, unter der Menge herumwandert, 
in die Päden ein- und austritt und dabei umverftändliche 
Worte murmelt. 
einen Gegenftand, 3. B. cin Paar Hofen, verkaufen, jo über 


1 


277 


einheimischen Schuſter, die mit ihren maffenhaft angefertig- 
ten, plumpen Pantoffeln vortrefjliche Geſchäfte machen. 
Daran ftößt ein manriiches Kaffeehaus, ein großer Saal 
mit Bänfen und Scemeln, auf denen bie Gäfte fiten, wenn 
fie es wicht vorziehen, fich auf der Strafe auf Matten nieder: 
zulaſſen. SKäfige voller Singvögel hängen an der Thlir und 
in Zroifchenräumen find Lilienſträuße aufgeftelt. Denn die 
Einheimischen find große Blumenfreunde und von ber Natur 
mit den Kindern Flora's reichlic, ausgeftattet. Im Decem- 
ber 3. B. erfüllen die Narzifien die Luft mit ihrem durch ⸗ 
dringenden Geruche; ihnen folgt das Immergrlin mit feinen 
blauen Kelchen und den faftiggrlinen Blättern; drei Monate 
lang blühen dann die Veilden und werden von Flieder, 
Levloien und Schwertblumen abgelöft und zulegt erfcheinen 





— - = 





= 








(Nach einer Photographie. 


giebt man fie diefem Individuum, weldies damit die arabi- 
ſchen Uuartiere durdjziceht und wohl zwanzigmal in der Mi— 
nute ein Gebot darauf ausruft: „Chamfa u nuß, chamſa 
u muß!“ d. h. 51/, (mämlic Franken). Das treibt er fo 
lange, bis irgend ein Liebhaber eine Kleinigkeit mehr bietet 
Dann fegt der Dellal ruhig feine Wanderung fort, nur daß 
er den zulegt gebotenen Preis ausruft. Hat man dann viel- 
leicht 6 Franlen geboten, fo fann es vorfommen, daß nad) 
einigen Stunden, wenn man die ganze Geſchichte Längft ver- 
gefien hat, der Ausruſer fich wieder einftellt, einem die Hofen 
überliefert umd fagt: „Sie find Dein; gieb mir die ſechs 
Franken!“ 

Weiterhin fommt man bei einem arabischen Bade vorbei, 


Es ift ein „Dellal“:; will man irgend | weldyes fid) von dem oftmals befchriebenen in Nichts unter⸗ 


fcheidet, nur daß es mit getrodnetem Mifte geheizt wird, der 





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eine außerordentliche Hitze entwidelt, Seine Afche wird mit 
Mörtel vermifcht umd giebt einen vortrefflichen Cement für 
Bewälerungscanäle und Waflerrefervoirs ab, 

Die Stelle unferer Herbergen und Gafthäufer vertreten 
in Algerien die Fonduks; in ihnen findet der Reiſende und 
feine Thiere zwar Unterfommen, aber nur die legteren aud) 
Futter, Es find meist ſchmutzige von Zellen umgebene Höfe, 
an beren Seiten Pferde und Maulthiere ftehen. Inter den 
großen Bäumen des Platzes des Beylik haben die Brot 
verfänfer ihr Hauptquartier aufgefchlagen, meift junge Mäd— 
chen, die kaum dem Kindesalter entwachlen find. Auf dem 
Ende eines Brettes zufammengelfauert, haben fie vor ſich die 
Laibe hoch aufgethürmt. Tagelang harren die armen Weſen 
ſelbſt bei ſchlechtem Wetter unbeweglich und geduldig der 
Käufer, und wenn das Geſchäft gut gegangen iſt, fo beträgt 
am Abend der ganze Berdienſt 20 bis 25 Pfennige. Doch 

"find fie immer luftig und gefhwägig; ſchon auf zehn Schritt 
Entfernung betäubt ihr Plaudern das Ohr des Fremden, ber 
mit ironischem Yachen und farkaftifchen Bemerkungen empfan« 
gen wird, und befjer noch als unfere Fiſchweiber und die 
wohlbelannten Barifer Dames de la halle verftehen es dieſe 
lebhaften Kinder des Südens, den Ton, die Worte und den 
Gang eines unzufriedenen, mäfelnden Käufers nachzuäffen 
und ihm mit hellem Spott und Gelächter in die Flucht zu 
treiben, 

Bielfach ficht man in Telemffen maroftanifce Schlangen: 
beſchwörer, nur mit einem Hemde bekleidet, das ein lederner 
Gürtel um den Yeib zufammenhält. Der eine von ihnen 
trägt ein Tharar (Meine, mit Scellen befegte Trommel), 
geht im Kreife, den die Zufchauer bilden, herum und fingt 
dabei, aber nicht auf Arabiſch, jondern Schelha-Worte, aus 
der dialeltreichen Spradje, weldje die Berbern in den mar 
rottaniſchen Gebirgen reden. Hat er eine Strophe beendigt, 
jo wird dieſelbe von feinem Genoſſen, der einen einfaitigen 
Sombri (Bioline) fpielt, wiederholt und dann flihren beide 
ein Duett auf. Aber das Schaufpiel der ſich wiegenden 
Schlangen verliert bedeutend an Interefie, wenn man weiß, 
daß unter zchn Malen neun Mal einfadye Nattern dazu ver 
wendet werden. Nur wenn die Ernte an Kupfermünzen 
ungerwöhnlic, veich ausfällt, wird eine wirkliche Klapper— 
ſchlange hervorgeholt, der aber wohlweistid, die Siftzähne 
ausgebrochen find. 

Weit intereffanter ift es, der Herftellung einheimifcher 
Thonwaaren oder glafirter Ziegel beizumohnen, weldje mit 
den einfachiten Werkzeugen und auf die primitivfte Art und 
Weiſe geichicht. Trotzdem erzielen die Töpfer Überrafchende 
Nefultate und ihre Krüge, Lampen, Schalen u. f. w. find 
von verhältnigmäßig fehr eleganten formen und Narben. 

"Die Weber, deren es in der Stadt ungefähr 3000 giebt, 
bewohnen ein Wirrwarr enger Gaffen, in deren niedrige 


M'Farlane's neuefle Fahrt auf dem Fly-Fluſſe in Neuguinea. 


Gewölbe felbft am hohen Mittag kaum ein Sonnenftrahl 
eindringt, jo dag man ſchwer begreift, wie fie in diefen dum- 
felen Löchern ihr fubtiles Handwerk ausüben fünnen. 

Das Erfreulichjte in DTelemffen ift aber unjtreitig das 
treffliche Gedeihen des jungen Nachwuchſes, der wie Unkraut 
aufſchießt. Die dortigen Aerzte fagen auch deswegen: „Iu 
Telemffen lommt Alles darauf an, 18 Monate alt zu wer 
ben; ift biefer Zeitpunkt überfchritten, fo ftirbt man nicht mehr.“ 
1266 Finder bejuchen die verfchiedenen Schulen der Stadt, 
das Collöge einbegriffen, und fie alle genießen freien Unters 
richt und haben jelbft Schulblicher frei. Das toftet ihr jühr⸗ 
lich! 65,645 Franfen oder pro Kind fait 52 Franken, ein 
Aufwand für Bildungszwede, deſſen ſich gewiß micht viele 
andere Städte auf dem afritanifchen Kontinente rühmen fönnen. 

Telemffen ift, wenn auch nicht ganz mahe der Örenze ger 
—* doch einer der Hauptplätze für den Handelsverlehr mit 

aroffo, welchen die Karawanen von Gurara und Tafilelet 
häufig beſuchen. Was Marolto dem Nachbarlande Liefert, 
befteht hauptſächlich in Ochfen, Pferden, Gerfte, Wolle, Ham- 
meln, Fellen, Maroquinleder, Henna, Tachaut (Gerbeftoff), 
Datteln, Burnuſſen und anderen Geweben, Geſchirren u. ſ. w. 
Der fehr bedeutende Schlachtviehhandel hat außer in Tanger 
und Oran feinen Sig namentlid in Marnia (Falla-Maghr- 
nie), wo oft au einem einzigen Tage für mehr als 100,000 
Franken Umfag darin ftattfindet; in Gerfle nehmen bie Häfen 
Nemours und Mdfcherud die erite Stelle ein, während alle 
anderen Waaren nad) Telemffen und dem ſüdlich davon ger 
legenen Sebdu gehen. Umgefehrt werden nach Marolfo 
erportirt Baumwollſtoffe, Waffen, Kurzwaaren, Wachslichter 
und Tuche; und gerade im Süden des Landes finden dieſe 
und andere Dinge von Tag zu Tag größere Verbreitung. 
"Dat dod) einer der einflußreichjten Männer jenes Gebietes, 
Si-Mohammedsben-Abdallah, das Oberhaupt der religiöfen 
Secte der Kenadfa, unlängst in Algerien fich eine Kutſche 
erftanden, in welcher er unter ben Palmen feiner Dafe jpa: 
zieven fährt! Im verfloffenen Jahre (1875) find aus dem 
Süden Maroltos etwa zehn Karawanen nad; Telemffen und 
Schdu gefommen, welde einen Werth von 850,000 Franfen 
(davon mehr ald die Hälfte in Hammeln: 455,345 Franfen, 
etwas fiber ein Siebentel in Stoffen: 126,000 Franfen, 
und nicht ganz ein Siebentel in Peinwand: 117,370 fran« 
fen) repräfentirten. Fur ungefähr die gleiche Summe haben 
fie an Yichtern, Zucker, Kaffee, Belgra (den oben erwähnten 
Schuhen aus gelbem Leder, welche in Telemffen fabricirt 
werden), europätfchen Geweben, Waffen u. f. w. wieder mit 
ſich genommen, Was außerdem in Geldgeſchäften auf jenen 
Märkten gemacht wird, entzieht ſich zwar jeder GStatiftif; 
aber wenn man deren Werth fir Telemfien allein mit 3 
Millionen Franken anfdlägt, jo dürfte dies noch hinter der 
wahren Ziffer zurlidbleiben. 


M’ Farlane’3 neuefte Fahrt auf dem Fly: Flufje in Neuguinea. 


Auf Seite 56 fi. berichteten wir über eine Forſchungs ⸗ 
reife auf dem in Neuguinea neuentdedten Fluſſe Barter ober, 
wie die Eingeborenen ihn heißen, Mai-Kaſſa, welde der 
Keverend S. M' Farlane von der Mifjionsanftalt in So— 
merjet am Cape Yort, Colonie Queensland, unternommen 
hatte. Diefer Miffionär hat num wieder eine Reife auf dem 
an der Epite des Papua⸗Golfes ausmlindenden Fly-Fluſſe, 
defjen unterer Lauf und erft durch Jukes befannt geworden, 


ausgeführt. Die wefentlichften Momente daraus concentri- 
ten ſich in folgendem Auszuge *). 

M' Farlane verließ Somerjet am 29. November vorigen 
Jahres auf dem Mifjionsdampfer Ellangowan. Es beglei- 
teten ihn der Pieutenant Chefter, Polizeirichter in Somerfet, 
und Signor 9. M. D’Albertis, der befannte italienifche 


) ©. oben Eeite 240. 


M'Farlane's nenefte Fahrt auf dem Flh-Fluſſe in Neuguinea, 


Naturforfcher, welcher zur Zeit zum zweiten Dale auf Neur 
guinea, und zwar auf der ganz nahe an der Kuſte liegenden 
YulesInfel, verweilte, um naturwiffenichaftliche Sammlungen 
zu veranftalten. Nachdem man einige Miffionsftationen, 
deren es jeßt zehm im der Torresftraße und an ber Hüfte ber 
Infel giebt, beſucht, dampfte man am 3. December auf die 
Mündung des Fly Fluſſes zu. M' Farlane hatte die beiden 
Häuptlinge Mainou und Ante aus den Dörfern Katau und 
Turituri am Feſtlande bei fid) an Bord. Sie ftanden mit 
den Eingeborenen an ber Fly» Mündung auf freundicaft 
lichem Fuße und follten die Fremden bei legteren einführen 
und ihnen als Dolmetſcher dienen. 

Dean hatte große Noth, ſich durd; die Klippen durchzu⸗ 
winben und fand an manchen Stellen kaum 8 Fuß Wafler, 
um den Dampfer flott zu halten. Dies änderte ſich aber, 
je näher man der Mündung fam, und ald man darin war, 
hatte man eine Tiefe von 5 Faden, Dlan erreichte den Fly 
am 6. December. Er maß an feinem Ausfluffe 5 Miles 
in der Breite und erweiterte fid) 10 Miles weiter hinauf 
noch mehr. Bei einer Entfernung von 80 Miles zeigte ſich 
nad der Dftfeite hin eine Oeffnung von gewaltiger Aus: 
dehnung, welche möglicherweife eine zweite Mündung des Fly 
bildet oder auch, mit zahlreichen Ausflüffen in die See, fid) 
in der Richtung des Aird⸗Fluſſes, der im nördlichſten Wintel 
des Papua-Goljes mündet, hinfchlängeln mag. 

Dan anlerte die erfte Nacht bei einem 16 Miles von ber 
Mündung entfernten Eilande, gerieth jedod) bei dem feichten 
Waflerftande auf der Fahrt dahin einmal auf den Grund, 
Es dauerte nicht lange, fo näherten fich zwei Canoes unter 
Segel, welde von dem Dorfe Katau in der Abficht gelom- 
men waren, um die Bewohner am Fly über den Zweck, 
welchen die Reifenden, ihre freunde, verfolgten, zu umtere 
richten. Bald liefen ſich noch fünf andere Canoes bliden, 
die ſtarle Fluth aber verhinderte fie, ans Schiff zu kommen. 
Es befanden ſich in jedem Boote fünf bis ſechs Eingeborene, 
weldye grüne Zweige ald Zeichen der Freundſchaft ſchwenlten. 

Am näcten Morgen bejuchten den Dampfer wieder fünf 
Canoes aus einem Dorfe 3 Miles weiter hinauf, jedes mit 
ſeche Dann befegt. Sie waren unbewaffnet, zeigten grüne 
Zweige und brachten Yams als Gefchente. Der Fiuß wurde 
auf der Weiterfahrt flacher und fiel bis auf 61/, Fuß. 

Al man am folgenden Tage, 8. December, 6 Miles 
zurüdgelegt hatte, bemerfte man, daß flinf große Canoes 
mit bewaffneten Eingeborenen von einer wenige Miles vor» 
liegenden Infel abgingen. Sie fuhren quer über den Fluß 
und bogen in einen eimmündenden Creek ein, weldjen der 
Dampfer paffiren mußte. Gleich darauf erfchienen noch 
vier Kähne von derfelben Richtung her und ruderten auf bie 
Reifenden los. Im jedem der neum fahrzeuge mochten ſich 
25 bis 30 Mann befinden, von denen zwei Drittel ruderten 
und die übrigen, mit Helm, Schild und Armſchienen ange- 
than und Bogen, Pfeil und Speer zum Angriffe bereit hal 
tend, aufrecht ftanden. Als fie unter Geſchrei und Geheul 
mäher kamen, wurben einige Schüſſe Über fie weggefeuert, 
aber das ſchien fie wenig zu fümmern. Da fchlugen zwei 
Kugeln in den Bug eines der Canoes, was fie fo erichredte, 
daß fie ſich eiligft davonmadıten, Sie befchränften fid) num 
darauf, am Ufer entlang zu folgen. 

Auf der Strede, welche man den folgenden Tag befuhr, 
änderte fich die Vegetation ein wenig zum Beflern, und hier 
und dort traten aus der Sumpfgegend begrafte Stellen her 
vor. Palmen verichiedener Arten wurden zahlreicher umd die 
wilde Mustatennuß, Mango und Brotfrucht zeigten ſich. 

Als man fid) 24 Miles von der Stelle, wo man ans 
gegriffen wurde, entfernt hatte, gelangte man an ein Eiland, 
weldyes auf der einen Seite gut beholzt und auf der andern 


279 


mit Sagopalmen reichlich beftanden war. Hier machte man 
Halt, um Brennholz zu ſchlagen. Der Capitän Nancie 
und der Signor D’Albertis begaben ſich mit einigen Ma— 
trojen ans Yand, aber faum waren fie eine Stunde fort, als 
drei Canoes mit bewaffneter Mannſchaft in Sicht kamen. 
Ein Signal vom Dampfer rief die Tomriften ſchleunigſt an 
Bord. Die Canoes zogen fih auf ein nahe gelegenes Dorf 
zurllch, um von dort Berftärfung zu holen, und nad) Verlauf 
von zwei Stunden erfchienen ſechs große Fahrzeuge mit un— 
gefähr 150 Mann in voller Kriegsräftung. Einige Schüffe 
über ihre Köpfe hinweg jagten fie bald im bie Flucht umd 
Mr. Ehefter und etliche Matrofen verfolgten fie dann im 
einem Boote, um fie ans Land zu treiben, damit fie nicht 
auf der andern Seite der Inſel landeten und ſich im Ges 
ftrlippe verbergen möchten. Bei diefer Gelegenheit eroberte 
man einen Kahn, der zu Brennholz verwendet wurde. Die 
Canoes, aus weichen Holze, einer Art Fichte, mit Geſchick 
gebaut, waren lang und ſchlank und fehr wei. Die Ein- 
geborenen erwieſen ſich als tlichtige Ruderer, und es würde 
ſchwer halten, fie mit einem Dampfer einzuholen, 

Aud) am näcjten Tage, 10. December, zeigten ſich zahl: 
reiche, - Theil bewaffnete Boote, allein immer in vejpect- 
voller Entfernung, und Berfuche zum Angriffe wurden nicht 
weiter gemacht. Sie verfolgten den Dampfer auf 12 Miles 
und zogen ſich dann zurlid, wahrfcheinlic, weil dort die Öhrenze 
ihres itoriumd war, 

Als man biefen fehr bevöfferten Theil des Fly hinter ſich 
hatte, verengerte fic) der Fluß und die Ufer, zum Theil aus 
tother Thonerde beftchend, wurden 20 bis 30 Fuß hoc). 
Man war am 11. December während der Fluthzeit ungefähr 
23 Miles Hinaufgefahren und wollte gerade an einem hohen 
Ufer, wo ſich gutes Brennholz für den Dampfer ſchlagen 
ließ, vor Anker gehen, als man plöglid, wilden Lärm der 
Eingeborenen vernahm, obgleich weder Dörfer noch Anpflan- 
zungen zu jehen waren. Das Geſchrei wiederholte ſich wie 
ein Echo und man zog es darum vor, lieber auf der entgegen: 
gefegten Seite des Fluſſes zu anfeın. Um die Wilden in 
Reſpeet zu halten, brannte man während der Nacht ein blaucd 
Licht umd warf Raketen auf. Man wurde denn aud) in 
feiner Weife beläftigt. 

Am nächſten Morgen wiederholte ſich das Geſchrei und 
bald verjannmelten ſich am ſchönen grünen Ufer des Fluſſes 
an hundert Wann, bewaffnet und mit Federn von Paradies- 
vögeln als Kopfpug. Sie befaßen nicht viel Canoes, zeig: 
ten weniger friegerifchen Sinn und dienen überhaupt ſich 
mehr vertheidigen als angreifen zu wollen. Man wurde 
daher beim Holzhauen auch nicht geftört. Nachdem man ſich 
hinreichend Brennholz verjchafft hatte, fette man die Fahrt 
fort und langte bei einem Archipel von vielen Heinen ſchönen 
Inſeln an, welche mit Palmen und Schlingpflanzen der ver= 
ſchiedenſten Schattirung und Form bededt waren, Da das 
Waſſer hier feichter wurde, fo hatte man große Noth, fich 
zwifchen den Inſelchen durchzufinden. Als man fie jedod 
pafjirt hatte, ward der Fluß wieder enger und vertiefte ſich, 
und auch die Strömung wurde ſtärler. Am Sonnabend 
den 11. December konnte man in 7 Faden Wafler vor Anfer 
gehen und blieb bis Montag Morgen an diefer Stelle liegen, 

Dan jegte am 13. December bei Eintritt der Fluth die 
Fahrt fort, Die Umgegend blieb wie zuvor niedrig und 
fumpfig, wenngleich offene Stellen etwas häufiger auftraten 
und die Ufer ſich auc mit langem und groben Graſe bes 
deckten. Aber Gebirge wollten fid) noch immer nicht aus 
der Ferne bliden laſſen. Am 14. December ging's wieder 
mit der Fluth, die hier noch auf 3 Fuß anftieg, weiter, Bei 
Sonnenuntergang befand man fi, 150 Miles von der 
Mündung, an einer ſcharfen Viegung, wo der Fluß eine 


280 


fübmeftliche Richtung annimmt, und anferte bort bei 4 Fa— 
ben *) Tiefe. 

Während die Matrofen am folgenden Morgen mit Holz: 
hauen beſchäftigt waren, fuhren Capitän Raucie, Mr. Chefter 
und Mr. M' Farlane in einem Heinen Boote den Fluß 5 
bis 6 Miles hinauf bis zu einem Juſelchen, welches man 
umfuhr und Ellangowan Island benannte. Es war der 
entjerntefte Bunft, den man auf der Reife erreichte. Der 
weitere Yauf des Fluſſes, von hier ans hinaufgefchen , zeigte 
* nordweſtliche Richtung und behauptete die bisherige 

icfe. 

„Es wäre ſchon möglich,“ fährt M' Farlane in feinem 
Berichte fort, „daß der Fly fich noch auf weitere Hundert 
Miles befahren läßt, che die Gebirgsgegend auftritt. Bon 
letterer war noch immer nichts fichtbar, obwohl wir an 60 
bis 70 Miles in die Ferne fehen konnten,“ 

Allein die Febensmittel gingen auf die Neige, ein Theil 
der Mannfchaft lag am Fieber darnieder und der Regen 
wurde häufiger und ftärfer. Nahm die Erkrankung noch 
weitere Dimenfionen an, fo war die Rucklehr, auf weldıer 
man täglich Brennholz fchlagen mußte, in Frage geftellt. 

Dazu kan, daß fait alle Europäer an Bord gefchwollene 
Beine befamen: „Unfere Beine,“ erzählt M' Farlane, „glänz« 
ten wie Glaſur und jeder Eindrud darauf verblieb. Die 
Moslitos und andere Infecten waren eine entſetzliche Plage 
und verzehrten und faft, obſchon wir unfere Körper von Kopf 
bis zu Fuß mit Kerofine beſtrichen Hatten, Im Uebrigen 
wußte ich auch nicht, ob die Yondon Miffionary Society ger 
, meigt fei, jo weit ins Innere hinein Miffionen anzulegen, 

gejegt auch, wir träfen höher gelegenes Yand und bevölferte 
Dörfer an.“ Im den legten vier oder fünf Tagen hatte mar 
feine Eingeborenen mehr gefehen, nur ihre Spuren fanden 
ſich gelegentlid). 

Unter foldyen Umftänden trat man am 15. December 
bie Ruckreiſe an. Nichts von Bedeutung fiel vor, bis man 
wieder das Gebiet der früher gefehenen Eingeborenen er: 
reichte. Die Schreier verfammelten ſich am Ufer und ſchich⸗ 
ten zwei Canoes ab, die aber eine halbe Mile entfernt blie- 
ben und zulegt wieder abzogen. Dann fam ein anderer 
Kahn mit muthigeren Kriegern gefahren und ſchoß einen 
Peil ab, der indeß zu lurz fiel, Ein Schuß, deſſen Kugel, 
wie beabfichtigt war, ins Waſſer ſchlug, verjagte die Ans 
greifer. 

Am folgenden Tage gelangte man in bie Nähe ber gro« 
ben Dörfer, wo man auf der Hinveife zum zweiten Male 
attaquirt wurde. Es waren die größten, welche man übers 
haupt antraf, und eines der Häuſer mochte wohl 500 Fuß 
lang fein. Der Fluß wird aber in diefer Gegend ſehr ſeicht 
und enthält zahlreiche Sandbänfe, 

Als man die Dörfer erreichte, fan eine flotte von Ca— 
noedangerudert. Man bereitete fid auf dem „Ellangowan“ 
eiligft auf einen ernftlichen Kampf vor, denn es lieh fich 
vermuthen, daß die Eingeborenen, nachdem fie die Macht der 
Waffen, welde die Fremden bei fid) führten, kennen gelernt, 
den Verſuch wagen wärden, den Dampfer zu erfteigen und 
ſich deffen zu bemächtigen. Allein fie hielten fich auf einige 
hundert Yards entfernt und wollten fid) auf Zeichen der 
Freundſchaft, die man ihmen machte, nicht einlajien. Sie 
verfolgten den Dampfer 3 big 4 Miles bis an die Untiefen, 
welche auf der erſten Fahrt fo viel Schwierigkeiten bereitet 
hatten. Ein Unfall bier wäre mit dem Uutergange der 


*) Im Driginal ftebt allerkinge 17 futboms, was entſchieden zu 
viel iſt. Wahrſcheinlich ſchrieb Di’ Marlane „17 f.* und meinte 
damit feet (Auf), woraus dann der Seper fathoms machte. 


M'Farlane's neuefte Fahrt auf dem Fly-Fluſſe in Neuguinea, 


Geſellſchaft identiſch geweſen. Um alfo die unwilllommenen 
Begleiter loszuwerden, warf man eine Dynamitmaſſe ins 
Wafler und zwar in unmittelbarer Nähe der Canoes, Gie 
ſchienen die Wirkung der Erplofion zu fühlen und die, weldhe 
in den Kähnen ftanden, fielen um, al® wären fie getroffen, 
Das Waffer wogte und fhäumte um fie herum. Natürlich 
ergriffen fie alsbald die Flucht. 

Schon nad) Verlauf einer halben Stunde ſaß der Dampfer 
auf einer Bank jet, was um jo ſchlimmer war, ald gerade 
Ebbe eintrat, Das Umfallen mußte durch Stügen, womit 
man jich im Voraus verfehen hatte, verhütet werden. Bei 
biefer Gelegenheit brad; der Schaft der Schraube und man 
war damit nun auch der Dampffraft für die Weiterreife be 
raubt. Die Yage war eine ſehr kritiſche. Man befand fid) 
75 Miles von der Mündung und 200 Miles von Cape 
York; gegenüber lag ein großes Dorf, von defien Bewohnern 
man beobadjtet wurde; der Wegen floß in Strömen; ein 
Theil der Maunfchaft lag, am Fieber darnieder und alle 
Europäer an Bord litten an gefchwollenen Füßen. Man 
wunſchte ſehnlichſt die Fluthzeit herbei. 

Inzwiſchen näherten ſich die Eingeborenen, ohne Kriegs 
coftilm und unbewaffnet, in Meinen Canoes. Eines kam 
ſogar an den Dampfer, und als man Geſchenle ausgetheilt 
und verſichert hatte, daß man nur Freundſchaft und Frieden 
wolle, ruderten auch die übrigen heran. Man zeigte ihnen 
Meſſer und Beile und gab zu verſtehen, daß ein Boot ihnen 
ans Ufer folgen ſolle, um Tauſchhandel gegen Schweine und 
Dams zu betreiben. Dies geſchah und das von Yientenant 
Cheſter geführte Boot kehrte mit zwei Schweinen und etlichen 
Bananen zurlid, 

Gegen Abend, als Hochwaſſer eintrat, gelang es, das 
Schiff wieder flott zu machen und in 3 Fuß tiefes Waſſer 
überzuführen. Am mäcjften Morgen bradı man mit ber 
Fluth auf. Man war von jest ab mur auf die Strömung 
des Fluſſes und auf Segel angewiefen, jo daß die Fahrt 
äußerft langjam von Statten ging. Zwei Canoes bradıten 
bie Häuptlinge von zwei Dörfern ans Schiff, weldye jogleich 
den Dampfer mit dem Rufe: „Mero! Mero!“ b.ı. Friede! 
Friebe! hinauffletterten. Sie verftanden die Kiwai-Sprache, 
weldje die Bewohner am der Mündung des Fly reden, mit 
denen der die Reiſenden begleitende Häuptling Mainou be: 
fannt war, jo daß man ſich durch Letztern mit ihnen ganz 
gut verftändigen fonnte. Sie erklärten, daß fie nicht mehr 
fümpfen wollten und haften zum Zeichen der Freundſchaft 
ihren Zeigefinger in den der Reiſenden. Nachdem Jedem 
ein Beil, ein Meffer und andere Gegenſtünde zum Geſchenke 
gemacht waren, trennte man ſich in beften Vernehmen. 

Nach fünf Tagen der befchwerlichften Reife — von dem 
Tage an geredjuet, wo man von dem Unfalle betroffen wurde — 
erreichte man endlich die Mündung des Fluſſes und traf am 
27. December wieder in Somerfet, Cape York, ein. 

Die Reiſe hat alfo ergeben, daß der Fly ein jchiffbarer 
Fluß ift, der ſich weit ins Innere hineinerftredt, Das Yand 
erwies ſich in feinem Charakter bis zu dem Punkte, welchen 
man erreichte, als niedrig und jumpfig und entzieht fich damit 
der Gultur. Hochland trat bis zu einer Entfernung von 
200 Miles von der Kuſte mod) nicht auf. Die erſten hun— 
dert Miles waren von der gemiſchten Race der Papuas und 
Malayen, die eine verfcjiedene Sprache reden und auf Sriegs- 
fuß mit einander ſtehen, dicht bevölfer. Die Eingeborenen 
waren intelligent ausfehende und energiſche Menfchen. Cine 
beträchtliche Anzahl von Vögeln, Käfern u. ſ. w. wurde von 
Signor D’Albertis angefammelt. 

M Farlane beabfichtigt, ſpäter zu einer gnftigern Jahres: 
zeit eine zweite Reife auf dem Fly-Fluſſe zu unternehmen. 


Emil Schlagintweit: Die engliſchen Himalaya-Befikungen. 


281 


Die engliſchen Himalaya-Beſitzungen. 
Von Emil Schlagintweit. 


IV. 


KRamaon und Garwhal. . 


Das Yand zwifchen dem Oberlauf der Sarda und bes 
Ganges, das Quellgebiet diefes mächtigſten Stromes Hin- 
doftans, bildet das Gebirgägebiet (Hill-tracts) ober den 
„Kamaon-Himalaya“ der Nordweftprovinzen, Diefer Bezirt 
ift von Dften her der erfte, welder bis zur Kammhöhe der 
Hauptfette bes Himalaya hinaufreicht und an das chineſiſche 
Reichsgebiet von Tibet grenzt; er wurde 1816 von Nepal 
abgetreten, dad damals das Uebergewicht ber englischen Waf- 
fen hatte fühlen müſſen, und wurde als der ältefte und Jahr: 
zehnte lang nördlichſte englifche Beſitz der Ausgangspunkt 
zahlreicher wiſſenſchaftlicher Erforſchungsreiſen. 

Im Aufbau des Gebirges tritt hier deutlicher als im ben 
öftlichen Theilen des Himalaya die Bildung einzelner Er 
hebungsmittelpunfte oder Maſſivs auf; an foldyen Punkten 
jieht man in geringer Entfernung von einander Gruppen 
hoher Kämme und Gipfel ſich zufammendrängen, die an dem 
Seiten durch breite, aber doc; nicht fehr tiefe Paßeinſenkungen 
von anderen ſolchen Gruppen getrennt find. In der ſüd— 
lichen Hauptfette des Himalaya erhebt fid) zwifchen ben Flüſ— 
jen Alalnanda und Gori die Nanda-Dewi-Öruppe zu 7845 
Meter. Mächtige Gletſcher ziehen von ihr herab und weitere 
hin in die Ebene erftveden ſich die legten Ausläufer diefer 
in der Kammlinie nad) Südweſten gerichteten Gebirgs— 
gruppe. Bon geringerer Yänge find die Berge, welche ſich 
nad; Süden von den Gipfeln um Badrinath (7072 Meter 
hoch) herabfenten; an diefe fließen ſich die Sangotri-Berge 
an, deren höchſter, Sarga Ruer, 6979 Meter erreicht. Von 
diefen fentt ſich der Gebirgäzug Herab, welcher das Land 
zwifchen Bhagirathi und Alaknanda ausfüllt. An der Grenze 
gegen den Bafallenftaat Garwhal zu liegen die Berge von 
Kidarnath (6944 Meter body). Ihre nördlichen Gipfel 
ftreben dem Dſchamnotri-Berge (6321 Meter) zu, welcher 
usit feinen füblichen Berzweigungen die Waflerfcheide zwifchen 
den Onellflüffen des Ganges und der Dſchamna bildet. Die 
Verbindung mit der nördlichen Hanptfette des Himalaya 
ftellen Berge in der Höhe von 6000 Meter her; fie treffen 
hier mit noch höheren Ausläufern von Norden zufammen; 
die Halden find fteil, die Thäler zwiſchen ihnen ſchmal. 

Das Klima ift vauher als im Gebirge weſtlich davon. 
Am Sidabhang nimmt die Teniperatur im Durchſchnitt um 
0,5’ C. auf 100 Meter Höhe ab; es beträgt die mittlere 
Jahrestemperatur in Hawalbagh (1253 Meter) 18,60 C.; 
Almora (1689 Meter) 17,0; Lohughat (1720 Meter) 15,2; 
Ranilhet (1823 Dieter) 15,5; Nainital (2021 Meter) 14,5; 
Mafjuri (2046 Meter) 14,7; Tſchakrat (civca 2132 Me- 
ter) 13,9; Yandaur (2238 Meter) 12,5° C. Almora ift 
noch zu hei für Patienten, die von der Hite der Ebene in: 
valide wurden; Nainital giebt dagegen dem angegriffenen 
Köorper feine Kraft wieder, und einjähriger Aufenthalt curirt 
von den hartnädigiten Yeberleiden wie Dysenterien. Bor 
Cholera und typhöfen Fieberepidemien ift der Europäer aber 
auch hier noch micht ficher; erft in Höhen über 2500 Meter 
treten ſolche Krankheiten nicht mehr auf, Ueber die Sterb- 
lichkeit unter den dortigen Soldatendepöts werden feit vielen 
Jahren genaue Auffcreibungen geführt. Es erliegen in 


®lobus XXIX. Nr, 18. 


Landaur im Durchſchnitt 5'/, Procent der europäifchen Trup- 
ven Krankheiten, eine viel höhere Ziffer als die fiir Dard- 
ſchiling in Siffim. Aber nach Kamaon werden Schwer 
franle in viel größerer Zahl hinaufgebracht als nach Dard— 
ſchiling, da für Bengal die Hochplateaus von Tſchota Nagpur 
und Gentealindien glinftigere Garnifons- und Spitalorte 
bieten. Unwirthlich wird das Klima unter dom Hauptlamme 
und in den verhältnigmäßig fanft geneigten Thälern zwiſchen 
der flidlichen und nördlichen Hauptkette des Himalaya. Die 
Sommer find mod) heiß und Getreide reift, aber Winter 
börfer fehlen; von October bis Mai wohnt die Bevöllerung 
weiter thalabwärts. Die Frühlingspaffate werden von feiner 
Querkette aufgehalten ; ihre warmen Luftſchichten begänftigen 
das Schmelzen bes Schnees und bringen aud) den hödjiten 
Räumen noch ſtarle Regen; es beträgt die Negenmenge in 
Nainital 125 Millimeter, nimmt aber gegen Weiten zu raſch 
ab. Yandaur hat 89, Tſchalrat 74 Millimeter wäfferiger 
Niederichläge. 

Unter den Broducten werfen dem Staate eine jährlich, 
fteigende Nente die Waldungen ab. Liter ber Benugung 
durch Cingeborene waren die ſchönſten Schläge an Sal 
(Skorea robusta), an Cedrus deodara und Pinus excelsa 
und longifolia jdonungslos niedergehauen worben; bie 
englifche Negierung dagegen zog englifche wie deutſche Forit- 
beamte ins Yand, vermarkte ihre Waldbeftände und ſchuf 
große, ordentlichen Umtrieb geftattende Flächen durch Pach 
tung angrenzender Wälder von den Radſchas, was indbejon- 
dere in Garwhal in ausgedehnten Maße geſchah. Die Hoch— 
waldungen wurden von Unterholz gereinigt, Lücken mit fräfr 
tigen Setzlingen ausgefüllt, Holzabfuhrwege gebaut umd 
zwedmäßige Holztriften nad) europäischen Vorbildern einge: 
richtet. Die Großartigkeit der dortigen Berhältniffe wie die 
Bedeutung diefer Arbeiten für das Yand wird die Notiz ver« 
anſchaulichen, daß der Forſtweg im Thale der Tonfe, eines 
Quellfluſſes der Dſchamna, 88 Kilometer lang ift und daß 
die fchiefen Ebenen aus Holzftämmen, auf welden die auf 
den höchſten Abhängen gefällten Bäume zum Thale Hinabs 
gleiten, 6 und 8 Silometer lang find. Die Forftverwaltung 
liefert jährlich fteigende Erträgniffe; der Bedarf an Bauholz 
zu Gifenbahnen, Brüden und größeren Hochbauten fteigt von 
Jahr zu Jahr. Der einheimiſche wie der aus Auftralien 
eingeführte Gummibaum ſchlägt ſehr gut an; von Jahr zu 
Jahr werden davon größere Quantitäten von Stodlad abs 
genommen, und biefem Harze würde noch eifriger nachgegan - 
gen, wenn es im nördlichen Indien nicht nod; an Fabriken 
zur Berarbeitung des Nohftoffes fehlte. — Große Berdienfte 
erwarb ſich die Forftverwaltung durch Einführung europäi- 
fcher Obftforten; in Ranikhet ift eine große Central-Bauns 
ſchule angelegt, und mit Ausnahme von Johannisbeeren und 
einigen Öicnenatten gedeihen alle übrigen aus England bes 
zogenen Fruchtſorten. — Bon der Geſammtfläche der zwei 
Bezirle Kamaon und Garwhal find 6 Procent zu Aderland 
angelegt und 1,4 Procent der Gultur noch fähig. Den Bor 
dem zeichnet üppiges Wachstum aus; erft unter ber Haupt: 


fette des Gebirges wird die Aderkrume fo dlinn, daß bei der 


36 


282 


überaus unvolltonumenen Aderbeftellung jedem Anbaujahr 
die Brache folgen muß. Viel genannt wurde Kamaon, als 
1862 in Indien das Theeficher ausbrad, Man glaubte 
in Kamaon umd im anftogenden Kangra Schätze durch den 
Theeanbau heben zu fönnen, bie Übertriebenften Gutachten und 
Berechnungen fanden vollen Glauben, ja felbft Eingang in 
amtliche Berichte. Bon jeher wurde es von Beamten und 
BVenfioniften ſchwer empfunden, in Indien feine zufagenden 
Pläge zu haben, an welche man ſich unter Beibehaltung 
heimathlicher Lebensweife zurlidziehen lönne; jetst fchien ber 
Himalaya fiir englifches Capital lohnende Anlage und Mil 
lionen von Erfparniffen wurden von Beamten im Theeanbau 
angelegt. Unkenntniß im Behandlung der Staude und bes 
Blattes, Mangel an Arbeitskräften und zu hohe Löhne ber 
wirkten die Yiquidation der meisten Actiengefelfchaften; eine 
Zeitlang fette nahezu nur die Negierung in ihren Staats- 
plantagen zu Hawalbagh und Ayartoli die Verſuche fort, 
Privatpflanzungen erhielten ſich nur bei Almora und Nai- 
nital. Allmälig gewann bie Eultur wieder an Ausdehnung, 
jegt find rund 1000 Hectaren in Cultur, deren jedes eine 
Ernte von ducchfchnittlich 4 Centnern Thee abwirft. Der 
Ertrag ift aber einer Steigerung fähig und foll 1875 auf 
4", Gontner gebracht worden fein. Die Befiger hatten 
ſich anfangs auf Überfeeifchen Export geroorfen und grünen 
Thee dargeftellt; jegt wird ſchwarzer Thee gemacht, da diefer 
allein in Gentralafien geht und dahin feit dem Bertrage mit 
Kaſchgar (1874) leichter abgeſetzt werben fann als früher, 

Die höchſten Thäler Garwhals bergen ein feltenes Jagd⸗ 
thier, eine durch Größe und Gewicht feiner Hörner aus: 
gezeichnete Schafart, Ovis Ammon. Die Höhe diefes Thieres 
iſt durchſchnittlich 1 Meter, feine Hörner meffen der Kriim« 
mung mad) etwas über 1 Meter, der Umfang an der Bafis 
beträgt 42 Centimeter. Seine Heimath ift Tibet, wo dieſes 
Schaf im Sommer in Höhen über 4500 Meter fich aufhält; 
in Kamaon ift es in den Umgebungen des 5125 Meter 
hohen Nitipafles anzutreffen. Sie leben in Herden von wer 
nigen Stiiden und find eines der ſcheueſten, vorfichtigften 


Emil Schlagintweit: Die engliſchen Himalaya-Befigungen. 


Jagdthiere; fie werden auf dem Anftande gefchoflen; Treib: 
jagden machten die großartigen Gebirgsverhältnifie unmög: 
lich. Jährlich können nur etliche Stüde erlegt werden. 

Die Bevölkerung zählte 1872 im Bajallenftaate Gar: 
whal 200,000, im englifchen Garwhal 310,282, in Kamaon 
432,576, im Diſtriet Dehra Dun (das Ohabar-Gebiet ab: 
gezogen) 75,665 Eeelen. Sie wohnen (ohne Einrechnung 
des Vaſallenſtaates, für welchen ſolche Erhebungen fehlen) 
in 9022 Dörfern und Städten, von denen nur Almora mehr 
als 5000 Einwohner zählt, während über neun Zehntheile 
aller Ortfchaften unter 200 Einwohner haben. Die Zahl 
der Gehöfte beträgt 96,550, jene der Häuſer 147,000, 
Mit Einfluß des Vafallenftaates beträgt die Oberfläche 
39,032 Oxnabratfilometer (708 Quadratmeilen), die Dichtig— 
feit 26 Menfchen auf den Quadratkilometer, 1786 auf die 
Quadratmeile, Bevölterungszahlen, wie fie nur im Hody 
gebirgäthälern mit einem milden Klima vorfommen. Ihrer 
Abftammung nad herrſcht in der Bevölferung im Süden 
Blut der drapibifchen, im Norden der tibetifchen Bölfer vor; 
fpäter kamen Hindus vom Wrierftamme und mifchten ſich 
bejonders ftarf mit den evjteren. en eine ariſche Ab- 
ſtammung Sprechen fchon bie indiichen Namen Tangana und 
Thatura (Tanganoi und Takoraioi bei Btolomäus) für die 
Bewohner diefes Gebirgsabfchnittes. Laſſen bemerkt hierüber ; 
„Der Name Thakura, wovon Taforaioi abgeleitet ift, bedeu⸗ 
tet einen verehrungsmwürbdigen Mann oder —J— laun 
aber aus dem Sanskrit nicht erllärt werden; er gehörte daher 
entweder einer Sprache der in uralter Zeit über das ganze 
Indien verbreiteten Urbewohner am oder der eines tibetiſchen 
Bolkes.“ Für das Vorwiegen dravidiſchen Blutes und die ſtarle 
Miſchung mit tibetiſchen Stern fpricht die äußere Erſchei ⸗ 
nung; zum Beweiſe faffe ich folgende Tabelle von (nody un— 
gebructen) Meffungen meiner Brüder folgen. Die Zahlen 
find Mittelwerthe aus Meſſungen von 7 Thafur, 2 Cudras, 
12 Gorkhas (Bewohnern Nepale), 8 Radſchputs und 21 
Tibetern. 











Bhot⸗ 
Radſchput 
aus dem 
Himalaya 
Größe fabjolute Höhe) -» » - » +22. = 1632 
Spannweite der Arme » 2 2 22220 1038 
Kopfumfang... 317 
Scheitelhöhe bis unter die Nafe . - - . » 119 
Schläfendurchmeſſer .... 8 
Kopfdurchmeſſer antero-postero .» 2 4.» 110 
Aeußere Augenwinkelentfernung . » : » . 54 
Innere Augemwinfelentfemung . . .. - 19 
Länge der Badenfnohen - -.. 2...» 68 
= DEE DEBEE 30 
des MDunded 222.2. — 
2’ BEE: — 32 
u DB Ummed 20er. 444 
„ vom Nollbitgel am Schenkelknochen 
zur übe». 2 202020. D88 


Geringe Körpergröße, kurzer Arm, Heiner Kopfumfang, 
lurze Sceitelhöhe, großer Durchmeſſer am Schläfenbeine, 
kurze Backenknochen wie Naſe find charakteriftifche Zeichen 
der tibetiichen Race umd dem Indier nicht eigen. Höchſt 
auffallend ift und fiir dravidifche Grundlage fpricht die Lünge 
bes Schenlelknochens; fo hoch gefpaltene Körper finden ſich 
nur bei Stämmen Gentralindiens. So beträgt das Mittel 


Subdras | Gorkhas 





Reine 
aus dem Tibeter aus dem indiſche 
Himalaya Nadichput 

1613 1623 1697 
1083 1082 1068 
3365 5 327 
135 131 126 

so 83 71 
19 114 102 
b3 Lin} 58 
18 22 _ 
68 7 71 
21 23 20 
30 53 30 
35 40 32 
47 451 460 
531 529 618 537 


bei 7 Gonds 627, bei 4 Bhils 578, bei 3 Kols 580, die 
Minima find 581 bezw. 561, 533, die Marima 656, 593 
und 605 bei einer durchſchnittlichen abfoluten Größe von 
1,516 Meter bei Gonds, 1,565 bei Bhils, 1,520 bet Kols. 
Anklänge am diefe Urracen find ſchon bei der erſten Erfor- 
ſchung Kamaons aufgefallen; das vermittelnde Bindeglied 
wurde in den Dom gefunden, einem hinduiſirten Aboriginers 


Emil Schlagintweit: Die englijchen Himalaya-Befigungen. 


ftamme, der vom Rande des mittlern und öſtlichen Himalaya 
bis nad) Gentralindien him zerſtreut wohnt und im Kamaon- 
Gebirge 12,666 Vlitglieder hat (oder 8 Procent aller Dom). 
Laſſen führt den Namen auf Sanskrit Dama, eine veradjtete 
Miſchrace, zuriid; Prof. Brodhaus erklärt aus Dom den 
Namen Rom, den ſich die Zigeuner geben, beren Heimath 
und Auszugeland nad) ihren phyſiſchen Verhältniſſen ver- 
glichen mit Hindufcädeln, nad) Sprache, Sitten und Ge: 
bräuchen im indifchen Bendichab zu fuchen ift. Die indifchen 
Ethnographen reiten barliber, oo die Dom einft allein oder 
mit anderen jet noch dort ſich findenden Völlerreſten die 
Ebenen vor dem Gebirge bewohnten ; jedenfalls weifen Orts; 
namen an dev mittlern Kapti, dem nördlichften Hauptfluffe 
der Provinz Audh, auf diefen Yandftrich als ihren Urfig Hin, 
und nad; Cunningham's ſcharfſinnigen Unterfuchungen waren 
es ariſche Böller vom Stamme der Panravas, die vom Lande 
zwiſchen Ganges und Dſchamna nad) dem großen im Ma— 
habharata befungenen Kriege feit dem 15. Yahrh. v. Chr. 
nördlich und öftlich ſich vorjchoben und die dortigen Bölker 
zur Wanderung nöthigten. Die Pauravas machten noch im 
der Ebene Halt und drangen in Kamaon nur als Pilger zu 
den Quellen des ihnen heiligen Ganges oder als fühne Kauf- 
lepte ein, um zu den nördlich davon liegenden Goldfeldern 
Tibets zu gelangen. Die Einwanderung größerer Mengen 
Arier in diefen Gebirgsabſchnitt war dagegen Folge bes 
Eindringens der Indo⸗Scythen, turliſch-tatariſcher Stämme 
and dem innern Ufien, welche feit dem 2. Jahrh. v. Chr. 
die Völler des Pendſchab nad) Oſten drängten und hierdurch 
zu weit fich fortpflangenden Wanderungen ariſcher Stämme 
Anlaß gaben. Die Nadjlommen diefer Einwanderer zählen 
fehr viele Brahmanen (in Garwhal 81,038, in Kamaon 
108,283) und Radſchputs (115,684 bezw. 181,633), die 
es lieben, ihre Herkunft von fehr angefehenen Hauptzweigen 
diefer Kaſten herzuleiten; ihr Aeußeres zeigt jedoch, daß diefe 
Stanımbäune erfunden find und daß fie ſich reinen Stäm- 
men nicht beizählen dürfen. Sehr viele, welche ſich den Na: 
men Radſchput Thakur beilegen, find der Race nad) Tibeter 
vom Stamme der Khas oder Gorkha, dem tonangebenden 
Bolle in Nepal; nur wenige bezeichnen ſich als Bhot- 
Radſchput, was für die meiften ihre Abſtammung richtig 
angeben würde. 

Die Brahmanen und beſſeren Radſchputelaſſen find ein 
ſchwüchlicher Menſchenſchlag; fie find empfindlich für große 
Feuchtigleit wie ftarte Temperaturſchwanlkungen. Kälte macht 
fie leicht unterleibsleidend. Sie verweilen am lichften im 
Sommer in Höhen zwifchen 2700 bis 3600 Meter, im 
Winter zwiſchen 1500 bis 2100 Meter, wobei das Mittel 
der betreffenden Jahreszeit nicht liber 16° G, fteigt und nicht 
unter 4° C. fält. Die Beſchäftigung der Brahmanen ift 
nicht ſehr ehrenvoll; fie find der Mehrzahl nach religiöfe 
Bettler und Viüßiggänger, die an den Tempeln bei den zahl- 
reichen Pilgerorten ſich hinkauern und den Tempeldienſt vers 
jehen, wobei jie den Wallfahrern das legte GSeldftitd abpreſ⸗ 
jen. Die Hauspriefter oder Purohitas unter ihnen, weld)e 
bei Geburten, Heivathen und Todesfällen unentbehrlicd, wer- 
den, find nicht jo wähleriſch als ihre Amtsbrüder in der 
Ebene: fie treten aud) file zweifellofe Khas (Gorkhas) in 
Thätigteit und pflegen unter der Bevölterung den Glauben 
an den Werth blutiger Opfer als Belänftigungsmittel ber 
geflirchteten Berggeifter. Cie find Verehrer des Gottes 
Siwa; in Garwhal rechnen fie fich den Sanjafis, fonft den 
Dumfogis zu; fie huldigen und üben den neubrahmanifchen 
Eiwaismus, der in äußerlichem Mechanismus auf das Zus 
riidhalten des Athens, das Beharren in angenommenen 
Stellungen als Vorſtuſe zu übernatlirlichen Fähigkeiten Ge— 
wicht legt; die chrwiirdigen indifchen BYüßer der alten Zeit 


283 


find dadurch im der Gegenwart zu Gaullern, Wahrjagern 
und Zauberern dev ſchlinnuſten Art geworden. Das hod) 
verehrte Bild der Göttin Badrinath zu Badrinath ift aus 
einem fchönen, ſchwarzen Marmor gemeißelt; alle Opfertifche 
find von gediegenem Silber, die Kuppel des Tempels ver— 
oldet. Die Auffiht hat ein Dravida-Brahmane hoher 

afte. Die Opfer find jährlid) durchichnittlich 60,000 Mark 
werth; dazu befigt der Tempel große Pachtgüter, ift aber 
dennoch ſtark verfchuldet, da ihm die früheren Radſchas um: 
erſchwingliche Abgaben auferlegten. Unter der alten Regie: 
rung gingen jährlich Hunderte von Pilgern an den Krank- 
heiten zu Grunde, die fie fich auf dem langen Wege dahin 
durch ichledyte Nahrung und ungenligendes Obdach zugezogen 
hatten; jest ift an allen Pilgerwegen flir Speifeanftalten und 
ärztliche Hülfe geforgt. 

Die Kadichputs find fleißige Aderbauer ; auch die Wohl: 
habenden find genügjam in Speife und Trank und enthalten 
ſich — verfchieden von anderen Bergvölfern — des Genuſ— 
jes von Spirituofen, Dagegen lieben fie Pruuk in Kleidern 
und Schmuck wie wirbevolles Auftreten. Viele verdanken 
ihren Wohlftand dem Handel; fie unternehmen weite Neifen 
nad dem chineſiſchen Tibet und in die nördlichen Provinzen 
Kaſchmirs. Unter den miederen Kaften find viele, die fid) 
nur mehr im Gebirge erhalten haben oder in der Ebene nur 
in einzelnen familien vertreten find, wie die Agarei, Balahar, 
Bhul, Nait, Ogha, Or, Raria, Samali und Taltſchana. 
Diefe wie die Übrigen Kaften ber in niedrigen Dienften be» 
jchäftigten Arbeiter gelten den Hindu der Ebene als unrein, 
während ihre bort wohnenden Berufsgenoffen 8 nicht find, 
was an ſich ſchon immer ein Anzeichen nichtarifcher Herkunft 
ift; die Hütten einzelner Kaften, wie der Dom, ftehen in 
jedem Dorfe abfeits von den Uuartieren der Brahmanen 
und Radſchput; fie waren vor der Erwerbung des Yandes 
Seitens der oftindifchen Compagnie durch wieberholte Leber: 
fluthung des Lündchens von Hindu-Eindringlingen zur Skla- 
verei und Kucchtſchaft herabgedrückt worden. Seither hat 
fich aber ihre Tage gebefiert. Im nördlichen Garwhal nennt 
ſich die Bevölferung größtentheils noch Khas oder Martſcha, 
beides tibetifche Völfernamen; legtere find jeher wohlgabend 
und im Beige beträchtlicher Herden von Schafen und Zie- 
gen, die ihnen im Sommer als Laſtthiere dienen für das 
Getreide, das fie aus dem fühlichen Kamaon gegen Salz 
und Borar eintauſchen. Ihre Nahrung befteht aus einem 
Mehibrei als dem Hauptgericht, den fie unter reichlichem Ge · 
nuſſe eines ſchlecht ſchmedenden, branntweinartigen Abſudes 
aus Reis oder Gerſte ungekocht genießen; fie find Hindus, 
wlirden aber durch ihr Betreten den heiligen Tempel zu Ba— 
drinath verumveinigen und werden deshalb davon ängftlich 
fern gehalten. — Mohammedaner find nur in den Borber- 
gen in geringer Anzahl anzutreffen. 

Der Aderboden befindet fidy wie im ber Ebene in ben 
Händen einzelner Großgrumdbefiger, der Zemiudare, bie ihren 
Defig durch Verpachtung ventirend machen. Diefe Zemin- 
dare find, wie ſonſt in Indien, habgierig und mittelft ihrer 
Beamten arge Bedrüder der Bauern. Bon ber alten Gier 
meindeverfaflung hat fich feine Spur erhalten, die Befugniffe 
der Gemeinde haben die Zemindare an ſich gerifien und beu- 
ten fie duch ihre Beamten aus, Bon der Befugniß des 
Geſetzes von 1869, fällige Padhtgelder bei der Behörde zu 
hinterlegen, wenn der Berechtigte Mehrforderungen ftellt, die 
der Pflichtige nicht anerkennen will, wird hier mod) wenig 
Gebrauch gemacht. Die ftaatliche Grundabgabe war bis im 
die legten Jahre zu hoch gegriffen; jetzt gewährt jedoch eine 
genaue PVermeffung und Einſchätzung die Möglichkeit, an 
Stelle von Durchſchnitts Ertragsmengen die Ertragsfähigteit 
eines jeden Örundftlictes zu erheben und hiernach feine Steuer 


30* 


284 L. Becker: Wie verhält es ſich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo? 


zu beftimmen. Sämmtliche Steuern betrugen 18°1/,, 
603,521 Mark; die indirecten Steuern brachten 20 Procent 
ein, das Uebrige die Grundſieuer. Es zeigt von zunehmen 


dem Wohlftand, daß faum Procent, in Garwhal nur 


Y,, Procent der Steuerzahler mit ihrer Schuldigleit in 
Nüdftand blieb, 

Der Sinn für Gefegmäßigfeit ift groß. Gefängniffe 
flie ſchwere Berbredyer erwieſen fich wicht als mothwendig, die 
Polizeigefängniffe zu Almora und Dehra Dun waren 1871 
von 155 bezw. 380 Männern und 4 bezw. 23 Frauen be— 
ſetzt. Die Unjitte des Mädchenmordes kennt man hier nicht; 
Vrädchen find im Gegentheile ſogar geſucht und werden bei 
der Verheirathung dem Vater mit Zummen bie zu 2000 
Mark abgelauft. Schuldner verfpredien gern Zahlung, 
wenn ihre Tochter heirathet. Die Dleiften haben mehrere 
Frauen, deren Loos nicht beueidendwerth ift, da fie alle 
ſchwere Arbeit verrichten. Als Polizisten und Soldaten 
zeichnen fich die Bewohner durch größte Pünktlichteit und 
Anhänglichteit aus; fie laffen ſich auch gern hierzu anwer— 
ben, jo daß 13 Procent aller Polizisten dev Nordweftpro« 
vinzen den niederen Kaſten der Gchirgäbewohner entnommen 
find, 
Infanteriereginent von 640 Mann. 

In politischer Beziehung find die beiden Diftricte Kamaon 
und Garwhal zu einer eigenen Diviſion (Bezirk) vereinigt. 


Hauptort ijt Almora, ein ungewöhnlich freundliches undreinliches | 


Städtdyen von 6260 Einwohnern; Station fir Garwhal 
Srinager, ein Heines Dorf von 700 Einwohnern mit eimen 
ziemlic, reichhaltigen Bazar am untern Alaknanda-Fluſſe. 
Hauptort des Bajallenftaates Garwhal ift Tehri am Zur 


Almora ift Garnifon für das irrequläre Kamaon- 


\ fammenfluffe der Bhagirati mit dem Fluſſe Bhilaug. Die 
| englifche Verwaltung hat mehr als fonft den Charakter einer 
liebevollen Bevormumdung bewahrt; die firengen formen, 
in welche Rechtſprechung und Berwaltungsjufliz im übrigen 
Indien eingegwängt find, werden hier weniger beobadıtet. 
Im oberften Beamten vereinigen fich weitgehende Befuguiſſe 
des Nichterd wie des Berwaltungdbeamten; er wie feine 
Untergebenen find den größten Theil des Sommers auf Ju— 
fpectionen und greifen Überall lebendig und raſch ein, ine 
befondere Aufmerktfamfeit wendete die Negierung der Ber: 
bejferung der Gebirgäwege zu. Das Forſt- wie Wege: 
bauanıt arbeiten fid) in die Hände; in den Vorbergen führte 
das 32. Pionierregiment größere Chauffeebauten aus. Das 
bedeutendfte Werk ift der Saumweg von Srinager au Alat: 
nanda aufwärts zum wichtigen Niti-Paſſe. Noch 1868 eri- 
ftirte auf diefer 197 Kilometer langen Strecke nur ein eins 
facher Fußpfad, den man an vielen Stellen mühjam pafjiren 
mußte; jegt find alle Fluiſſe Uberbrückt und der Weg durch- 
aus für beladene Thiere ohne Abladen gangbar; deu Handel 
‚mit Tibet leiftet diefer Weg großen Vorſchub. Beabſichtigt 
war eine Gebirgsbahn von Ramnagar an der Kofi (367 
Meter Höhe) nach Budſchan in 812 Meter Höhe nahe bei 
Almora, wodurch die dortigen Kifenlager aufgejchlofjen, die 
Sefundheitsftationen Ranilhet und Nainital leicht zugänglid) 
‚ amd ber Handel vom Satledſch-Thale hierher gezogen würbe. 
Die Ausführung hat keine Schwierigkeit, ſteht aber noch in 
weiter Ferne, da die Audh-Rohilfand-Eifenbahngefelichaft 
den Bau einer 75 Kilometer langen Zweigbahn von Mora- 
bad bis Ramnagar erſt vor Kurzem bis auf befiere VBerzin- 
fung ihrer übrigen Yinien vertagt hat. " 


Wie verhält es fi) mit der Einführung des erften Tabads durch 
Nicot und Hernandez de Toledo? 


Bon Lothar Beder. 


1 


Wenn wir min fehen, welche Berſchiedeuheit in den 
Behauptungen, von welchem Yande die erfte Einflihrung des 
Tabacks erfolgt fei, herrſcht, und keine Veranlaſſung vorliegt, 
der einen vor der andern dem Vorzug zu geben, jo find wir 
icon deshalb berechtigt, die Richtigkeit aller in Frage zu 
ziehen. Daß diefe Einführungen, wenn fie Thatſachen fein 
follten, nicht auf die Einführung der erften Tabadsart in 
die Alte Welt, d.h. auf die erjte Bekanntſchaft derjelben mit 
denn Tabad, ſondern nur auf eine ober gewifle im der 
Meinung der Scriftfteller bie dahin in Europa oder 
gewiffen Gegenden dafelbit unbekannte amerikanische 
Formen von N. Tubacum ſich beziehen lönnen, geht flar 
aus den Werken des Dodonaeus, Geöner und Anderen her: 
vor, wonad), wie erwähnt, N. rustica ſchon vor 1553 in 
Holland, vor 1560 in Deutfchland und Syrien gebaut waıd, 
fowie N. Tabacum vor 1560 zu Padua, wohin deſſen 
Same, vielleicht bald nad) Gründung des botaniſchen Gar: 
tens (1545), aus Kreta gebradjt worden war, 

Es ift ein Mißverſtändniß der meueren Botaniker, die 
oft unklar geftellten orte der Botanifer im 16. Dahrhun- 
derte „die Nicotiane, Petum oder Tabaco jei nadı Europa 
zuerſt aus Amerika gelommen“ dahin zu deuten, als wenn 
darin ansgefprodjen fei, mit diefer erften Einführung ameri— 


taniſchen Tabads nad) Europa ſei auch die Einführung 
des erjten Tabads in die Alte Welt überhaupt, nicht bloß 
nadı Europa, erfolgt, oder daß vor Einführung amerika: 
nifcher Tabadsarten nach Europa im legten Erdtheile Fein 
Tabad gebaut worden fei. Dies finde ich von feinem Sach— 
fundigen jenes Jahrhunderts auegefprodyen , und wenn c# 
in der That behauptet worden wäre, fo wiirde man vernfnfe 
tigerweife ſchon deshalb die Richtigkeit der Behauptung be: 
zweifeln müfjen, weil man damals in Europa die Cultur— 
pflanze des fernen Aſiens und Afrilas nod) weniger launte 
als heute, wo unfere Kenntniß der in Ajien, Afrika und der 
Slidjee gebauten Tabadsarten und Varietäten jehr mangel: 
haft ift. In meiner Abhandlung „Der Bauerntabad, 
eine Pflanze der Alten Welt“ habe ich nadıgewicjen, 
dag alle jadjtundigen Wotanifer des 16. Jahrhunderts N. 
rustica für eine Pflanze der Alten Welt halten. Aber auch 
was N. Tahncum L, betrifft, fo finde id; bei feinem der 
älteften Botaniker die Behauptung, diefe Art fei in Afien 
und Ajrila vor 1492 unbelannt geweien: Viele find 
allerdings der Dieinung, daß fie nah Europa nicht aus 
Aſien und Afrifa — obwohl hier längft gebaut —, fondern 
aus Amerifa zuerſt gekommen fei. Selbft viel fpäter weiß 
Erasmus Francigens (If und Weſtindiſcher Luſt 


I. 
| 


8. Beder: Wie verhält es ſich mit der Einführung des erſten Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo? 


garten, 1668) nichts von der frühern Unbefanntfchaft ber 
Afiaten und Afrikaner mit dem Tabad; und Zorn (Bota- 
nologia) erflärt 1714 geradezu, N, Tabacum fei anfänglid) 
aus Oft: und Weftindien, fowie aus anderen wärmeren 
Orten gefommen. C. Bauhin, welder den in verſchiedenen 
Gegenden von der „India orientalis“ (V, VI, VII) er: 
wähnten Zubaca für N, Tabacum hält, bezweifelt das Vor- 
fommen von Tabadsarten, verfcieden von den ihm befann- 
ten amerikanischen in Aſien, durchaus nicht, da er es für 
möglic, hält, daß das Kraut, welches die Seeräuber auf 
der Inſel Mombanit fauten, eine nod) unbefannte Tabads: 
art fei. Das Sansfrit befigt für N. Tabacum die Namen 
Thamrapatra und Thamrakuta; ber heilige Lotus ber 
indifchen Mythologie wird als Blatt dargeftellt, welches 
unverfenubar derjenigen Sorte (N. petiolata—=N. Tab. L. 
var.) angehört, die heute noch den Namen „oſtindiſcher“ 
Tabad trägt, und was, da biefe Art meines Willens in 
Amerifa faſt gar nicht gebaut wird, fehr auffallen muß; 
diefelbe wird ſchon 1574 von Clufius und bald darauf 
von Lobel, Dodonaeus und Anderen abgebildet oder bejchries 
ben. Es giebt ferner eine Thatſache, welche aud) das Bor: 
handenfein einer andern form von N. Tabacum — id) 
meine N. fruticosa — in Mfien und Afrifa außer 
Zweifel fegt: dies ift der Umftand, daß letztere Form 
von Niemand in Amerika, ſei es gebaut oder wild, erwähnt 
wird, außer von Miller, ber ein Exemplar von Tobago 
erhalten haben will. Beruht dies nicht auf einem Irrthum, 
fo dürfte fie dahin aus der Alten Welt gelommen fein, wie 
ja befanntlih, Yardly gute Tabadsforten nad) Virginien 
durch „Europäer“ — alfo wohl aus Europa — einführen ließ. 
Linné und felbft Perfoon (Synopfis, 1805) fannten 
noch) fein anderes Vorkommen der N. fruticosa, ald das 
Capland und Chin. Sie wird im Indifchen Archipel, 
Hinterindien und in Südafrila vielfach, gebaut und durfte 
der nach Ausfage der Hottentoten am Daniceflufle wilde 
wachfende Tabad jein. Betrachtet man N. chinensis F. 
als eine Form von N, Tabacum L,, fo muß man N, frati- 
cosa um jo eher flir eine folche halten; und da die Erfah: 
tung lehrt, ba Sommergewäce in heiße Yänder verpflangt 
nicht —— werden, umgefehrt aber mehrjährige Pflan- 
zen in falten Gegenden einjährig — wie Reſeda, Levkoje, Rici- 
nus communis, Satureja hortensis —, fo folgt, daß feine 
der amerifanifchen Formen von N. Tabacum die Stamm» 
pflanze der N. fruticosa ift, wohl aber biefe die Stamm 
pflanze jener jein fann und wohl auch ift. 

Biele, deren Namen verfchwiegen werden, erflärten im 
16, und 17. Dahrhundert, daß N. Tabacum auch in Eu: 
ropa läugft vorhanden gewejen ſei, wie z. B. Diejenigen, 
welche Minſhew zu dev Aeußerung veranlaßten, daß der 
Tabaco ganz gewiß aus Weftindien ſtamme, fowie bie, 
weldye ihn für Pekton des Diosforides und Petum femelle 
für die Priapeja der Alten hielten. Ban der Meer, Arzt 
zu Delft, fagt in einem Briefe an Neander (Tabacologie, 
1622), daß in feiner Heimat das Kraut längft befannt 
gewejen, der Gebrauch der Cigarren jedod vor 1590 
von ihm nicht geſehen worden ſei *). 9. van Navelin- 
gen (bei Neander), Guilandinus und Andere theilen 
die Anficht der Gcnannten; und während die Vertheidiger 
der amerifanifchen Herkunft im neuerer Zeit nicht im Stande 
gewefen find, außer den läugſt angeführten einen neuen 
(ftihhaktigen) Grund für ihre Ansicht aufzuftellen, mehrt 
fich die Zahl der Gründe und Thatſachen, die gegen ihre 


*) Apud nostrates herba diu engnita fuit, madum tamen hau- 
riendi fumum per infundibula vel (nicht aut) contorta folin nun» 
quam viderem ante 150, 


255 


Anfiht von Jahr zu Yahr vorgebradyt werden, ſowie die 
Zahl derer, weldye die Angaben in Betreff der erften Einfüh- 
rung des Tabads nad) 1492 zu den Erbichtungen ftellen, an 
denen die vergangenen Jahrhunderte jo reich find. In 
meiner Abhandlung „Der Bauerntabad* find einige 
Gegner der amerifanijchen Herkunft des Tabads namhaft 
gemacht; und zu ihnen gefellt fic im meucfter Zeit auch 
Schweinfurt, der Reifende in Afrika, 

James 1. jagt in feinem Counterblaste oder Miso- 
capnos: „Zabad (N. Tabacum) wächſt überall, führt 
aber verſchiedene Namen;“ und mandje formen von N. 
Tabacım L. tragen dergleichen, welche deutlich den Weg 
bezeichnen, den fie gelommen find, wie „Duttentabad*“ in 
der Rheinpfalz (länglich blättrige N. macrophylia; vom 
polnifdyen Tuttun, d. i. dem türkifchen Tüttün), „griechiſcher“ 
und „ungarischer Tabak“ um Heidelberg (Furzblätterige N. 
macrophylla), von denen eine Gesner's Kretatabad und 
die Nicotiane fein dürfte. Cine andere Form von N. Ta- 
bacum L. nennen die Tabackebauer in der Mark Brauden- 
burg „ruffiichen Tabad* ; wiederum andere heißen „alba: 
niſche* während die unter dem Namen N. chinensis Fisch, 
von Vielen als jelbftändige Art betradjtete in Deutſchlaud 
„podolifcher*, „tärkifcher* und „tjineſiſcher Tabad“ heiße. 
Nähme man die erfte Einführung von N. Tabaeum erjt 
um 1560 an, dann bliebe die frühe und ungeheure Ber 
breitung derjelben im ber Alten Welt fowie das Vorhanden; 
fein mandyer, in Amerifa unbefannter, ſchwerlich erſt feit 
jenem Zeitpunfte entftandener Formen derfelben ein Räthfel. 
Schließlich ſei bemerkt, daß ich 1853 an der Dede eines ber 
Felfentempel zu Ajenta (Ferdapur) die farbige Abbildung 
einer Pflanze bemerkte, die damals meine Aufmerkfamteit 
weniger feflelte, von der ich aber bald nachher verniuthete, 
es möchte die ber N. Tabacum fein. 

Geht nun aus dem Gefagten hervor, daß, wenn Sach— 
verftändige von der Einführung der Nicotiane als einer bis 
dahin in Europa unbefannten Pflanze ſprechen, urſprünglich 
nur eine gewiffe als Arznei gepriefene Art des Tabads, 
feineswegs aber die Einführung des erjten Tabads gemeint 
ift, fo bleibt die Frage noch zu erledigen, welche Axt jene 
Nicotiane war. 

Dürfte man den Ungaben der älteften Schriſtſteller (Yic- 
baut, Pena, Lobel, Cluſius, Dodonaeus x.) Glauben beimeſ⸗ 
fen, jo würde die Nicotiane zu N. Tabacum L.., d. h. zu 
den äußerft zahlreichen Formen gehören, die man unter diefem 
Namen zufammenfaßt. 

Welche Form derjelben aber, vor Uebertragung des Na: 
mens Nicottana auf die ganze Gattung Tabad, urfprünglid) 
allein Nicotiana genannt ward, das dürfte ſich jet daum 
noch feftftellen laſſen, da diejenigen, von denen man hierin 
allein Auskunft erwarten könnte, ſehr leichtfertig ſchreiben, 
es bei ber Benugung ihrer Gewährsleute an dem nöthigen 
Urtheil fehlen lafen, die Nicotiana zu unvollſtändig beſchrei— 
ben, die formen von N. Tabacum nidjt unterfcheiden und 
felbft nicht zu willen ſcheinen, welches die von Nicot nadı 
Frankreich gefandte Sorte ift. Und id) halte es für fraglich, 
ob diefelbe, die vielleicht nie anders als zu Arzneizwecken ges 
baut wurde, heute noch in Fraukreich oder in Europa zu 
finden ift. Sollte dies der Fall fein, dann würde fie das 
Scidfal der meiften aus Amerika eingeführten Sorten ge— 
theilt haben, d. h. fie wiirde, was Qualität u. ſ. w. betrifit, 
entartet fein, 

Man darf — ganz abgefehen von den Blättern u. ſ. w. — 
nur die Beichreibung der Blumen der Nicotiana bei den 
älteren Schreibern vergleichen, um zu wiſſen, daß damals 
mehrere Sorten in Europa gebaut wurden, welche man 
fämmtlich für die Nicotiana hielt, und dag within die We— 


286 2. Beder: Wie verhält es ſich mit der Einführung des erften Tabads durch Nicot und Hernandez de Toledo? 


nigflen — wenn Überhaupt Demand — wußten, welches die 
wahre fei. Denn da die Erfahrung Ichrt, daß die Farbe 
der Blumen bei N. macrophylla und N. Tabacum Schr., 
felbft bei verfcjiedenen Sorten berfelben, ſehr conftant bleibt, 
und nicht in fo Furzer Zeit, als die hier in Betracht kommende 
ift, ſich ändert, fo ijt es nicht denkbar, daß alle diefe Sorten 
von dem Samen ftanımten, den Nicot nad) frankreich jandte 
oder bradite. Pena uud Lobel nennen 1570 die Blumen 
blaßgrünpurpurn, Cluſius 1574 blaßpurpurn, Everart 
und Yiebaut (erft 1602) weißlic und incarnat, Dale: 
champ weißlic, purpurn, Caefalpini purpurn, Camera— 
rius „Neilchfarben, zuweilen ſchön roth“, Sebizius bleich, 
Renealmus weniger gefättigt als die von N. major an- 
gustifolia C. B., Lonicer gar bleichbraun u. ſ. w. Die 
Blumen des „Tabaco* nennt Fragofus „eandidi“, Mo— 
nardes „candidi medio purpurascentes“, Pifo „can- 
didi purpurascentes“. Die „Pontiana* des Aretiu®, von 
welcher Gesner um 1565 eine Abbildung erhielt (f. den 
Brief an Zwinger), hatte fchöne purpurne Blumen. Pier 
baut fagt 1570 nichts von der Blume; erft im der zweiten 
Auflage ſchreibt er, im Gegenfag zu den Botanifern, 
daß die Nicotiane dunklere Blumen habe als Petum femelle 
(N. major angustifolia C. B., N. petiolata). 

Wie N, rustica von der Mehrzahl der Botaniker des 16. 
Jahrhunderts nicht fr eine Art Taback gehalten wird, fo 
ward die Nicotiana urſprünglich von anderen Tabadsarten 
und ſelbſt anderen Formen der N. Tabacum L. unterjcies 
ben. Ben Jonſon unterfcheidet, wie erwähnt, zwiſchen dem 
hodhgepriefenen „Tabaco“, dem fdhlechtern „Trinibado* 
und der „Nicotian*. Minſhew fpridit gleichfalls von 
der Negotiane und dem Tabaco als von verſchiedenen Plans 
zen. Yange Zeit gab man in Europa aud) den Namen Ta— 
bad nur einer gewiflen amerifanifchen Form von N, Taba- 
cum, umd zwar derjenigen, die aus dem Lande, wo fie ben 
Namen Tabaco führte, gelommen war. So unterfcheidet 
Barclay in feiner „Nepenthes* den righteons and legi- 
timate tobaeco aus Florida von dem enropäifchen Erzeug« 
niffe, das man betrügeriſcher Weife fiir „Tabaco* ausgab. 
So heißt bei Schwendfeld (Catal, pl. siles. 1601) die 
„Nizotiana Gallorum“ : „rechter Tabaco* ; während noch 
jegt in Wörterblichern N. Tabacum (havannensis) „Tabac 
vrai, True tobacco, Vero Tabacca“ genammt wird, Jooſt 
van Kavelingen nennt in dem Gedicht „Tabacks Lof en 
Lastering“, im Neander's Tabacologie 1622, neben dem 
Taback, der nad) feiner Anficht früher Dyvingend kruyt, 
Dvving kruyt und Catanance genannt worden zu fein 
ſcheine, andere Tabadsarten, wie Tant kruyt, Worm, 
Luyspoer und Triakel kruyt. Miller (Dietion.) unters 
Icheidet „Tabac* von N. latissima und angustifolia, ähn- 
lid) wie SchrantN. Tabacum von feiner N. macrophylila, 
weldye Yinnd beide unter dem Namen N. Tabacum zufan« 
menfaßte, 

Was die botaniſche Literatur des 16., 17. und 18. Jahr⸗ 
hunderts bietet, um in Betreff der Frage, welches die Nicot'ſche 
Pflanze war, ins Klare zu fommen, das habe ic, forgfältig 
zufammengeftellt und verglichen: die Angaben und Wbbil: 
dungen von Eftienne und Liebaut, Pena, Lobel, Cluſius, Do: 
donaeus, Lonicer, Comerarius, Dalechamp, Everart, E. und 
H. Bauhin, Tabernaemontan, Sebizius, Schwendfeld, 
Napenberger (Herbar), Renealmus, Caeſalpini, Neander, 
Nieremberg, Besler, Magnen, Ray, Tournefort, Zorn und 
Anderen. Es würde indefjen hier einen zu großen Raum 
beanspruchen, wollte ich alles hierher Gehörige anführen. 

Aus den Werfen und Abbildungen der Genaunten ergiebt 
ſich, daß die Nicotiana zu N. Tabacum L. gehörte; es läßt 
ſich jedoch mit Sicherheit nicht erfehen, ob fie eine Form von 


N. macropliylia oder N. Tabacum Schr. war; inbefjen 
dlirfte wohl erfteres der Fall fein, da heute N. Tabacum 8. 
als Arznei weniger Verwendung findet als Formen der N. 
macrophylla. Die Bewohner Chinas und des Indifchen 
Archipels bedienen fic; zu dem Zweclke nur der N. chinensis 
F., welche der N. macrophylia näher fteht als der N. Taba- 
cum 8. In Slidamerifa baut man in gleicher Abſicht N. 
pulmonarioides; doc; fann dies nicht die Nicotiana fein, 
für welche Liebaut's und Lobel's Befchreibungen der Nicotiana 
maßgebend find. 

Da fic die neueren Botaniker nur ausnahmsweiſe mit 
den Formen der Arten befallen, fo ift es vergeblich, bei ihmen 
Aufklärung zu fuchen, welche Sorte der Petum des Thevet 
und Lery, der Tabaco der Spanier, Floridas Nicotiana, ber 
mejifanifche Picietl m. -f. w. war. Ohne Zweifel baut mar 
in jenen Yändern heute noch diefelben Sorten als einft vor 
300 Jahren; und da jowohl in Brafilien als in Weftindien 
bei Weitene vorherrfchend Formen der N. macrophylla ge- 
zogen werben, fo wird man nicht irren, wenn man auch des— 
halb das Petum des Lery und Thevet, den Tabaco der Spar 
nier unter ihnen fucht. 

Die Nicotiana war entweder eine fdmalblätterige Form 
von N. macrophylia oder eine breitblätterige von N. Ta- 
bacam 8. Nach der Abbildung bei Yobel und Liebaut zu 
ichließen war fie vermuthlic; die Tangblätterige N. macro- 
phylla, welche nach Metzger derjenigen Sorte, welche die 
aus Maryland, Brafilien, Porto Rico, Varinas und Havanna 
eingeführte Waare liefert, ſehr nahe fteht. Diele Sorte kam 
übrigens nad) Deutfchland nicht zuerft aus Wefteuropa, fons 
dern aus dem Dften, da fie, wie erwähnt, in der Rheinpfalz 
den Namen „Duttentabad“ trägt, welder vom polnijchen 
„Tuttun“ ftammt: ein Wort, das der türfifchen Sprache 
— in welder Tüttün Tabad und Rauch bedeutet — ans 
gehört. Wäre die Nicotiana die kurzblätterige N. macro- 
phylia, die in der Havanna und anderwärts in Anterifa 
gebaut wird, fo wurde deren amerikanische Herkunft gleich— 
falls zweifelhaft erſcheinen, da fie um Heidelberg den Namen 
„griechifcher" und „ungarischer“ Tabad fiihrt; wie denn 
Tabadsjorten aus Griechenland und der Türfei als zu diefer 
Sorte gehörig erfannt worden find. Cine der beiden zulett 

enannten Sorten, wenn nicht gav N. chinensis F., dürfte 
Heoner's Kretatabad fein, der, ſchon 1559 zu Padua und 
vorher auf Kreta gebaut, von C. Bauhin für die Nicotiana 
gehalten wird. 

* * 

Als Ergebniß der Unterſuchung ſtellt ſich mithin heraus, 
daß weder Nicot noch Hernandez als die Einflihrer der erſten 
Tabacksart gelten fünnen, ſondern daß ihnen höchſtens das 
Berdienft, eine bis dahin unbefannte Sorte eingeführt zu 
haben, zufonumt, Aber obgleich, ihnen dies unter Berlidfid): 
tigung der Thatſache, daß viele unbefanute Sorten aus Am: 
tifa — bdarumter gewiß auch mande lange vor 1559 — 
eingeführt worden find und noch werden, gern zugejtchen 
wollte, jo muß ic doch aus manchen Grunden bezweifeln, 
daß jeme Sorten, von denen Nicot's und Hernandez' Pflan: 
zen nur Varietäten waren, vor ihmen im der Alten Welt 
— einschließlich, Europa — unbelannt waren. 

Als man Gelegenheit hatte, das brafilifche Petum, den 
weftindifchen Tabaco, die Nicotiana von lorida u, ſ. w. zu 
vergleichen, ftellte es fic, heraus, daß fie alle nur formen 
einer und berfelben Pflanzenart feien. Infolge deſſen ge- 
braschten Spätere (James I, Sambden: „Tabacum s. Nico- 
tia“, und viele Andere) die Namen Nicotiana, Tabacum, Pe: 
tum u. f. w. als gleichbedeutend; und als die Botaniker nod) 
dazu den Namen Nicotiana zum Sattungsnanten für alle Ta: 


Aus allen Erbtheilen. 


badsarteı erhoben, da ſchlich ſich unter ihnen der Jrrihum ein 
zu glauben, unter der Nicotiana der älteften Botaniker fei 
nicht bloß eine gewiſſe Tabadsart, viel weniger eine gewiſſe 
Form einer folden, fondern der Tabak im Allgemeinen zu 
verjtehen; während das nicht botanifche Publicum (Aerzie, 
Apotheker ıc.) noch 1739 die echte Nicotiana von anderen 
Tabadsarten unterschied *). Leicht erflärlich ift es daher 
and, dag man in ber erften Einführung der Nicotiana fpä- 
ter die der erften Tabadsart, nicht bloß nad, Europa, ſon— 
bern im die Alte Welt überhaupt erblidte. 

Nicht allein, dag Spätere in der Einführung des Nicot 
die der erften Tabadsart erblicten, haben fie auch Schlüffe 
aus jener Erzählung gezogen, die ſich eben fo wenig daraus 


*) So erfbien 4. ®, 1738 Loehfloer’s Wert: „Do Nicotiana 
vera* in Kopenhagen. 


287 


folgern laſſen. So jagen Eſtienne und Piebaut, welde 
die Abweſenheit anderer Tabadsarten in Europa vor 1492 
feineswegs behanpten, nirgends, daß das Tabackrauchen vor- 
dem hier umbefannt gewejen fei, oder daß Nicot daffelbe ein- 
geführt habe, wie man in einer andern Flora von Branden- 
burg lieft. Behauptete er dies, fo würden andere Schrift- 
fteller und viele Thatſachen ihn Lügen ftrafen. 

Schließlich fei bemerkt, daß in vorliegender Abhandlung 
nur folche Beweife für das Alter des Tabads auf der öft- 
lichen Halbkugel Aufnahme gefunden haben, welche in nahe: 
fter Beziehung zu dem befprochenen Gegenſtande ftehen. Eine 
gebe Zahl anderer enthält eine der Vollendung ſich nahende 
Schrift, welche die Frage, ob der Tabad und fein mannig- 
facher Gebrauch in der Alten Welt vor 1492 befannt war, 
von verfcjiedenen Sefichtspunften aus eingehend behandelt. 


Aus allen Erdtheilen. 


Modernes Schulweien in Japan. 


Als die Negierung det Mifado die Territorien der alten 
fendalen Fürſtengeſchlechter übernahm und Mebbo des Kai— 
ſers Nefidenz wurde, gab es in dieſer Stabt nur wenige 
anftändige Schulen. Im den Provinzen war daran fein 
Mangel, denn die Daimios hatten jchon feit einiger Zeit 
gewetteifert, chemiſche, mediciniſche und andere Lehranſtalten 
zu errichten und am dieſelben deutſche, franzöſiſche und eng: 
liſche Lehrer zu berufen. Eine der erſten Thaten der neuen 
Regierung war es, eine Mittelſchule zu gründen, worin gute 
Zöglinge der Vorbereitungsſchulen ihre Ausbildung verfolgen 
konnten und die wegen ihrer quten Lehrer bald einen ſolchen 
Ruf gewann, daß in der Provinz fait nur Normalſchulen 
blieben, da alle Wiffensdurftigen nach der Hauptſtadt gingen. 
Scharenweiſe famen die Studenten ans allen Theilen des 
Reiches; die Staatsſchule wurde zu eng und c# bildeten fich 
Actiengefellichaften zur Betreibung von Schulen. Auf diele 
Art entitand eine Menge englischer, deuticher und franzöſi- 
ſcher Inftitute. Den Gefellichaften war es aber nur um 
Speculation zu thun; raſch erlannten fie, dab das Halten von 
Schulen in einem joarmen Lande wie Japan nicht jehr ren— 
tabel ſei, und nach Ablauf der Pehrercontracte wurde der 
größte Theil diefer Neufhöpfungen wieder geichloflen. Dar 
für errichtete die Regierung eine weitere größere Anzahl von 
Schulen. 

Die bervorragenditen der beftebenden Privatichulen hei—⸗ 
ben Faluzawa und Nakamura. Die erftere zählt 200, die 
fegtere 150 Beſucher. Jede von ihnen befigt einen auslän- 
difchen Lehrer. Unterrichtögegenitand ift vornehmlich das 
Englische. Wenige Schiller abfolviren mehr al& zwei Claſſen. 
Bezahlt wird nur 2 Schilling per Monat und Kopf. Die 
Penſionäre entrichten außerdem 6 Schilling monatlich ; natür: 
lich lönnen für dieſes Geld weder Wohnung noch Verpfle: 
gung übermäßig luxuriös fein. Die Unterrichtöjtunden find 
im Winter von 9 bis 12 und von 1 bis 2, im Sommer 
von 8 bis 12 Uhr. Weniger fregnentirt, aber weit anſpruchs 
voller ift die Diafa Gakko („Gakto“ — Schule) , die erft drei 
Jahre eriftir. Die Zahl ihrer Zöglinge variirt zwiſchen 
dreifiig und vierzig; ſämmtliche gehören dem bohen Adel an, 
Mitglieder des kailerlihen Hanfes nicht ausgelchloffen. Diele 
Anftalt ift die theuerſte in Meddo; für Unterricht, Koft und 
Quartier ift je 3 bis 4 Pf. St. monatlih zu bezahlen, 
im Verbältnii zu Europa immerhin eine lächerliche Kleinig— 


feit. Auch bier ift mur ein europäiicher Lehrer angeſtellt. 
Engliih und Chineſiſch gehören zu den obligaten Fächern. 
Endlich ift noch erwähnenswerth die Tofa, ſogenaunt weil 
fie nur Kinder aus der Provinz Toſa aufnimmt und von 
ben Erfürften diefer Broviny erhalten wird. Hier findet man 
bereits einen engliichen und einen franzöſiſchen Lehrer, Ju 
den übrigen Privatichulen werden die europäiſchen Sprachen 
von Japaneſen vorgetragen. Faft liberall wird 2 Sch. mo: 
matlich gezahlt ; nur jene 200 Zöglinge, die in den franzöſi— 
ihen und englischen Miffionsichulen unterrichtet werden, 
haben 3 Sch. zu entrichten. 

Was die Regierungsichulen betrifft, fo iſt die Eigo Gaklo 
eine bedeutende Sprachſchule. Zwar wird auch Arithmetit, 
Sefchichte und Geographie gelehrt, der Hauptzweck iſt aber 
der Unterricht im Englifchen. Jedes halbe Jahr werden 
Prüfungen abgehalten und die guten Zöglinge werden in die 
große kaiferliche Mittelfchule zugelaffen. Cine größere An: 
zahl europäiſcher Lehrer ift angeftellt. Die Gumwai Kokn 
Go Gaklo („ausländiihe Sprachenſchule“) ift in vier Abthei— 
lungen getheilt: in die deutſche mit 200 Schülern und 5 
Lehrern; in die franzöfifche mit 150 Schülern und 4 Lehrern; 
in die ruffiiche mit 70 Schülern und 2 Lehrern, und in die 
chineſiſche mit 40 Schülern und 1 Lehrer. Stubirende der 
deutſchen Claſſe werden in die medicinifche, foldhe der fran— 
zöſiſchen im die militärifche Hochſchule zugelaffen. Die Riyo 
Gaffo war bis vor einem Jahre eine fünfte (englifche) Ab— 
theilung der forben genannten Gumwai Sakko ; die Zunahme 
in ber Luft, Die verbreitetite Sprache der Erde zu lernen, 
hat jedoch eine Erweiterung und Trennung nötbig gemacht. 
Die Zahl der Schüler beträgt weit über 300. Es giebt da 
unter dem Lehrperjonale zehn Engländer und drei Japaueſen. 
Beim Eintritt haben die Zöglinge eine Aufnahmsprüfung 
zu beftehen ; danıı haben fie entweder 2 oder 3 Jahre zu biei- 
ben. Je nach ihrer Bezahlung zerfallen fie in drei Claſſen 
bie erfte zahlt 8, die zweite 4, die dritte 2 Sch. monatlich, 
Alle Schulbücher werben von der Regierung gratis geftellt, 
und die Yöglinge haben bloß Schreibmaterialien zu kaufen. 
Die meiften Schiller lommen aus den Provinzen, aber den: 
noch wohnen nur fiebzig in den mit diefer Schule verbum: 
denen Penfionen, da für viele der Preis von 1 Pf. St. 
monatlich zu hoch ift. Der größte Theil der Zöglinge ge: 
bört der dritten Claſſe an, jedoch wird mach außen bin zwi— 
ſchen den Angebörigen der drei Claſſen kein Unterjchied ger 
macht, und auch nach innen werden die ‚beffergeftellten micht 


288 


bevorzugt. Die Beſucher diefes Juftitutes rübmen die Kna— 
ben als außerordentlich höflich, fleißig und aufgewedt. Viele 
von ihnen ziehen ſich durch Ueberſtudinm Angenleiden zu 
und müſſen ſchon als Kinder Brillen tragen. Es heift fo: 
gar, daß es an Wahnſinnsfällen unter diefen jungen Stu: 
direnden nicht feblen fol. Jedenfalls gleichen fie den euro: 
paiſchen Schulfnaben nur wenig. Dieſe Lobeserhebungen 
ftimmen volltommen überein mit dem, was man allentbalben 
auch von dem in Europa ftudirenden japanischen Jünglingen 
rühmt Nach dem Muſter (der Eigo Gallo find eingerichtet 
die Ko Gakko Niyo und die Seevorbereitungsichule, beide 
engliichen Gepräges. Letztere zählt 90 Schüler und 2 Lehrer 
und bat den Zwed, die jungen Leute zum Cintritte in das 
höhere Marinecollegium vorzubereiten, während die Ko Riyo 
von vier Lehreren überwacht und von 150 Zöglingen frequen: 
tirt wird und ald Etappe für das kaiſerliche technilche Eolle: 
gium dient, 

Die vorftebenden Daten find mager genug, Man möge 
uns das zugute halten, denn es ift und faner genug gewor: 
den, ſelbſt diefe aus zerſtreulen Zeitungsnotigen zufammen: 
zuftellen. Es mangelt eben noch ſehr an verläßlichen Infor: 
mationsanellen. Speciell über die Beichaffenheit aller der 
erwähnten höheren Schulen ftehen uns momentan feinerlei 
Anhaltspunkte zu Verfügung Was die Erziehung des weib— 
fichen Geſchlechtes betrifft, fo war unferes Wiffens biäher 
nichts dafür geſchehen; doch lefen wir, daß am 29. Novem: 
ber 1875 die Kaiferin von Japan in PWebdo eine große 
Mädchenfchule in Perſon eröffnet bat, die dem Unterrichts: 
miniſter unterfteben wird. Zweifellos wird bei der immen: 
ſen Energie der Regierung aud anf bdiefem Gebiete bald 
Großes geleiftet werden. Unfere Mittbeilungen, denfen wir, 
find trotz ihrer Unvollftändigfeit geeignet, eine Idee von bem 
Eifer zu neben, den jenes intelligente Voll im äußerſten 
Dften Mfiens entfaltet, um jih im die Reihe der modern 
civiliſirten Nationen zu ftellen. 

Wir wollen noch erwähnen, daß in den ſämmtlichen 
Schulen Medbos m Schiller die englifche, 2000 die deutſche 
und 200 die franzöſiſche Sprache lernen. Allen Reſpect! 

Leop. Raticher. 


Die Poftverbindungen Englands mit der Eapeolonie. 

Rom Cap erhalten wir bie Nachricht, daß vom 1. Juli 
an Briefe von dort nach England vice versa 6 P. (50 Rpf.) 
koften follen, wovon die Eigentbilmer der Poftdampfer 4 B. 
erhalten werben. Die beiden concurrireuden Geſellſchaften, 
Donald Currie u. Comp. und Union Company, wurden 
beim Abſchluſſe der Verträge ftark in ibren Anforderungen 
herabgedrüdt. Die erftere erbielt bis jest 12,000 Pf. St. 
für 12 Fahrten im Jahre; nun fol fie bloß noch 10,000 
BE. St. erhalten, aber 36 Fahrten machen. Die lebtere Ge: 
ſellſchaft ſoll einen Dampfer per Monat weniger abfenden, 
aber dafitr and bloß 10,000 Pf. St. ftatt der bisherigen 
26,000 Pf. St. Subfidien erhalten; die Verbindung Eng- 
lands mit dem Gap wird dann eine wöchentliche fein, was 
fiher ein großer Vortheil ift. Dagegen wird gefürchtet, daß 
die Befellichaften die Herabfegung der Subfidien durch eine 
Erhöhung der Paſſagier⸗ und Frachtenpreife ausgleichen wer: 
den. Die Baffage von Southampton nad Capſtadt muß 
contractlich in 25 Tagen vollendet fein; für jeden Tag mehr 
zahlen die Gefellichaften 100 Pf, St. Strafe, während fie 


Aus allen Erdtheilen. 


für jeden Zag, den die Dampfer früher anfangen, 100 Pf. St. 
Gratification erhalten. Je ſechs Stunden mach Ankunft der 
Dampfer in Table Bay (Gapftadt) werden ſchuellfahrende 
Küftendampfer mit der Poſt nach Mojiel Bay, Algoa Ban, 
Eaft London und Natal abgeben. Die Verbindung Europas 
mit dem Süden Afrifas wird fonacd vom 1. Juli ab meient- 
lich verbeffert. 


BDfeffereultur in Borneo. 


Bon Singapore aus, wo ſich die Chinefen in großer 
Zahl feftgefett haben, verbreiten fie fi nach allen Richtun— 
pen weiter. Die Regierung von Sarawak (Borneo) hat ſich 
an ben erftern Ort gewendet, um chineſiſche Gapitaliften zu 
gewinnen, welche Pflanzungen von Pfeffer anlegen follen. 
Wie die „Sarawak Gazette* nun mittheilt, baben bereits 
drei Chineſen, welche ebenfoviele einflußreiche Geſchäfte in 
Singapore repräfentiren, das Land befuct und große Ge: 
biete an den Ufern der Flüſſe gefunden, welche fich zur 
Pfeffercultur im fo vorzüglicher Weife eignen, daß fogleich 
mit der Arbeit begommen werben joll. 

Hoffentlich werden auch wir die zu erboffende jtärfere 
Pfefferzufuhr nach Europa verfpüren; denn die Fälſchung dieſes 
wichtigen Gewürze wird ganz allgemein betrieben. Eine 
Beimischung von 50 Procent Bohnenmehl, Kleie u. ſ. w. ift 
beim Pfeffer, wie er im Handel vorfommt, gar nichts Seltenes. 

. *: . 

— Hauptmann Roubdaire, welcher zuerft das Project 
eined Binnenmeeres im Süden von Algerien und Tuneſien 
anregte und im Jahre 1875 in Geſellſchaft von Henri Du: 
venrier auf algieriichem Boden die etwaige Ausdehnung diefes 
Meeres (beim Scott Melrir) durch Nivellirung feitftellte, 
bat fich im Januar nach Tunis begeben, um dort feine Ar- 
beiten fortzufeten. So genane Refultate wie im Algerien, 
wo bie Erpebition eine militäriiche war, find freilich anf 
tuneſiſchem Boben nicht zu erwarten; doc wird bie Frage 
wegen ber Möglichkeit eines Unterwaflerfegensd gewiß ge: 
löft werden. Der Civilingenienr Baronnet und der Maler 
Cormon begleiten den Capitän Roudaire. 

— Die ‚Chineſiſche Staatsgeitung” veröffentlicht ein Edict 
der Kaiferinnen-Regentinnen, in welchen befohlen wird, daß 
ber junge Kaijer im vierten Monat des laufenden Jahres 
feine Studien unter dem Vicekanzler des Groß-Secretariats 
Wengstung:bo und dem Bicepräfidenten Hiastung-Ichan und 
der Oberaufficht feines Vaters, des Bringen Tichun, begin: 
nen fol. Im Erziehungsprogramm ift and ein fogenannter 
Prügeltnabe angeführt, der alle Strafen und Füchtigungen 
für den Kaifer erleiden muß. 

— Die Anzahl der Indianer in Canada beläuft 
fih nach einem vom Minifter des Innern dem canadiichen 
Parlamente vorgelegten Berichte auf 91,910; davon 29,8% in 
den fünf älteren Provinzen (Canada, Neubraunichweig, Neu: 
fchottland, Prinz⸗Edwards-Juſel und Neufundland), 31,520 
in Britifch Columbia, 13,944 in Manitoba und circa 10,000 
zwiſchen dem Peace River und der Grenze der Vereinigten, 
Staaten. Die der fünf älteren Provinzen haben an perfönli: 
chem Eigenthume 489,234 Dollars an Werth, an Immobilien 
für 7,633,708 Dollars. Unter ihnen find 7099 Kinder, von 
denen 2105 die Schule befuchen. 


Inhalt: Telemfien in Algerien. IIT. (Mit vier Abbildungen.) (Schluß) — M Farlane’s nenefte Fahrt auf dem 
Fly Fluſſe in Neuguinen. — Die engliichenHimalaya:Befigungen. Bon Emil Schlagintweit. IV. Kamaon und Garwhal 


— Wie verhätt es fih mit der Einführung des erften Tabacks durch Nicot und Hernandez de Toledo? 


Von Yotbar 


Beder II. (Schluß) — Aus allen Erbtheilen: Modernes Schulmelen in Japan. — Die Voftverbindungen Englands 
mit der Gapeofonie. — Pfeffereultur in Borneo. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 16. April 1876.) 


Redacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lintenftraße 13, II Zr. 
Drud und Berlag von Friedrich Bieweg und Sohn in Braunfchweig. 








Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 


Begründet von Karl Andree, 
In Verbindung mit Fachmännern und Nünftlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 


Braunſchweig 


Jährlich 2 Bände a 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und PBoflanftalten 
zum Preife von 12 Mark pro Band zu beziehen. 


Bon Telemfjen nad Nemours. 


Um von Telemſſen zunächſt nach Marnia (Palla-Marnia, 
Maghrnia) zu gelangen, hat man zwei Wege zur Verfli: 
gung, einen ſüdlichen, directern, Über das uns fchon befannte 
Meanfurah und das Gebiet der Beni-Mefter, und einen zwei- 
ten, nörblidern, Über Hennaya und Hammam-Bughara, 
welcher einen weiten Bogen gegen Norden macht. Letztern 
wählte Yorral. Zunädhit paflirte er Brea, fobann den Hits 
gel, hinter welchen ſich Hennaya inmitten eines grlinen Yaub- 
meeres ausdehnt, Hennaya, das ſchönſte und reichite Dorf 
bes ganzen Bezirks, mit nahe 500 Einwohnern, breiten, fchat: 
tigen Straßen und luſtig plätfchernden, Haren Waſſern. Die 
hubſch gelegenen, foliden und gut im Stande gehaltenen Häu— 
fer, der wachjende Wohlſtand des Oertchens beweifen, daf 
ſich der Fleiß und die Energie hier unter afrilaniſchem Him— 
mel reichlich belohnen. Bald hinter dent Orte befindet man 
ſich urplöglic, auf einer öden Hodjebene, deren Tufidede nur 
wenige ſpärliche Culturſtreiſen unterbrechen. Ordentlich 
erleichtert fühlt man ſich, wenn man dieſelbe hinter ſich hat 
und die weniger traurige Gegend der „Web“ (Flüſſe) erreicht, 
deren erjter der unbebentende Wed-Situn ift, An jeinem 
Ufer hat ein Kawadſchi, ein Staffeefieder, ſich miedergelai 
fen, welcher in den arabiſchen und tlirfifchen Yändern mit 
feinem raſch zubereiteten köſtlich buftenden Getränke die Stelle 
der compactere Genüffe darbietenden Wirthehäufer in Europa 
vertritt. Kaum aber begrüßt der durftende Fußwanderer 
am Rhein oder in Thüringen das viel verheigende Wirthe: 
hausjchild mit eben fo großem Vergnügen, als im Morgens 
lande der des Reitens, der Sonne und des ftaubigen Weges 
müde Reifende die dürftig ausgeftattete Stätte eines Ka— 


Blobus XXL. Nr. 19. 





| 


woadſchi, der ſich mit feinem ſchmutzigen Teppiche, feinen mie- 


drigen Holzſchemeln, feinem Kohlenfeuer und feinen Täßchen 
meist unter einem großen, fchattigen Baume ober neben einer 
fprudelnden Quelle nicderläßt. Raſch fact er mit einigen 
Schlägen des Federwiſches die unter der Ajche ſortglimmende 
Kohlengluth an, füllt fo viele Kännchen, als Reiſende bei 
ihm eingefehrt find, aus einem größern ftetd bei dem euer 
ftehenden Gefäße zu drei Biertheilen mit warmen Wafler 
und thut geftoßenen Kaffee und Farinzuder — legten meift 
nur auf Beitellung — hinzu, Zweimal läßt er darauf den 
Inhalt am Feuer auflochen und gießt ihn dann in Taſſen, 
die er den Reiſenden jervirt. Für wenige Pfennige erhält 
man jo einen aromatifchen Trunk; flr die gleiche Summe 
oft auch einen geflillten Tſchibul oder eine MWajlerpfeife. 
Nichts Umterhaltenderes, ald bei ihrem Nauche dem Verlehre 
auf der Straße und dem Leben und Treiben beim ſtawadſchi 
behaglich zuzuſchauen! 

Hinter dem Wed-Zitun folgen wieder ausgedehnte Hod): 
ebenen, nur von Schluchten und hier und da von Gruppen 
wilder Del» und Deaftirbäume unterbrochen. Endlich erreicht 
man das tief eingeichnittene Thal des Web Tafna, ber in 
der Geichichte der frangöſiſchen Eroberung eine wichtige Rolle 
geipielt hat, Im Sommer beträgt feine mittlere Tiefe nur 
60 Gentimeter; aber die Regenzeit oder ein Heftiges Uns 
gewitter vermögen feine Fluthen im Handumdrehen um nich« 
rere Meter anfchwellen zu laſſen. So plötzlich erfolgt mit 
unter dies Anwachſen, daß Schäfer mit ihren Herden ereilt 
und meerwärt® fortgeichmenmt werden. Und da in Algerien 
Brüden noch zu den Seltenheiten gehören, jo kann durch ein 


37 


Bon Telemſſen nad Nemours. 


\ 
I 
| 
7 


ar — 22* — — — — 





Markt im weſtlichen Algerien. Mach einer Photographie.) 








LERNT | 


Von Telemſſen nad Nemours. 


ſolches Ereigniß die Berbindung zwiſchen beiden Ufern tager, 
ja wochenlang unterbrodyen werben, im welchem falle der 
Keifende wohl oder Übel warten muß, bis die empörten Flu— 
then wieder zu ihrem gewöhnlichen Stande zurlidgefehrt find. 

An Fiſchen enthält die Tafna nur Barben und Yale; 
ob auch, wie verfichert wird, die Alfen von Meere aus im 
Fluſſe weite Streden hinaufgehen, bedarf noch der Beftäti- 
gung. Hat man diefen Wed durchritten, jo fteigt man fanft 
nad) Hammam=Bughara hinauf. Herrliche Palmen er» 
heben ſich dort hoch über den Del« und Lentiskusbäumen in 
den Aether, rieſige Schlingpflangen Mettern an ihnen empor 
und ftreben in zauberifchen Gehängen wieder zur Erde, und 
das Rohr wiegt feine goldigen Büſchel im Winde, daß man 
ſich jaft in eine der glüdlichen Dafen weiter im Süden ver- 
fett glaubt. Zehn Hectaren nimmt der fchöne Wald ein 
und in feiner Mitte umſchließt ev in zwei Beden warme, 
ſchwach ſchwefelhaltige Quellen, in denen die arabifchen und 
jüdifchen trauen Heilung von allen Leiden und Gebreften 
ſuchen. Sonft hauft in der reigenden Einfanfeit nur ein 
ehemaliger Spaht, der dajelbft einen Ktaffeeſchank hält. 

Wieder tritt man in die Wüfte, wo nur die Smala 
von Blad-Schaba mit ihren Eichen, Weißpappeln und 
ihrem Nafenteppich einen erfreulichen Nuhepuntt bildet. Eine 
Smala ift ein vierediges, niedriges Gebäude, welches einen 
mächtigen Hof umſchließt und den franzöfiihen Offizieren 
und Soldaten Unterlommen gewährt; rings herum haben bie 
eingeborenen Spahis flir fid) und ihre Familien in males 
riſcher Unordnung ihre Zelte aufgeichlagen. Die Difeiplin 
ift diefelbe wie überall in der Armee: daffelbe Striegeln der 
Pferde, diefelben Erereirlibungen, diefelben Mufterungen. 
It aber der Dienft vorüber, fo geht der Spahi in fein Zelt 
und lebt inmitten jeiner Familie nach altgewohnter arabifcher 
Weiſe und kann den angeftanımten Borurtheilen feines Bol 
kes vollen Spielraum gewähren. 

Eine Einöde trennt wiederum Blad-Schaba von Yallas 
Marnia, in deſſen Vegetation (Meſembryanthemum, Sale 
folaceen, Ajphodelus) man ſchon die größere Mühe des Meeres 
ertennt. Yalla» Marnia liegt 45 Kilometer von Telemffen 
in einer großen Ebene, die im Norden von einer mit weißen 
Grabluppeln befegten Hligelfette begrenzt ift. Ueber diefelbe 
führt die Strafe nad) Nemiours. Der Ort ift traurig; feine 
hundert Häuſer entbehren jeder Individualität. Aber der 
Varktplag ift groß; denn dort ift einer der Hauptlibergangs · 
punfte flir die Wolle, das Korn und Vieh von Marofto 
nad; Algerien. Mehr als 50,000 Hammel werden bort 
alljährlich verfauft. An Markttagen ift bort ein Gewimmel 
von Europäern, Juden, Arabern, Berbern, von welchem keine 
Beicreibung aud nur eine ammähernde Idee geben fann. 
Das it ein nicht enden wollendes Geftampfe und Getrampel 
von Pierden, Maulthieren, Eſeln, Ochſen und den widerlich 
ſchreienden Kameelen; eine erftaunliche Anhäufung aller mög: 
lichen Waaren, von Datteln, gepreßten Feigen, Salz, Henna 
und allerlei einheimischen Geräth und Gewändern; ein wire 
res Durcheinander aller möglichen Spradyen, als da find: 
Franzöſiſch, Arabiſch, Kabyliſch, Hebräifch, Spanisch, Deutich, 
Dtalienifch und vornehmlich Sabir, d.h. Lingun franca, die 
aus Beftandtheilen aller genannten Idiome gemischte Verlehrs · 
fprache des Dlittelmeers; ein Gewühl der verfchiedenften 
Trachten, die blaue oder graue Blouſe des enropäijchen VBich- 
händlers, der ſchneeweiße Burnus des reichen Arabers, der 
aus rothen Yederriemen (filali) beftehende und bis zum Knie 
reichende Gürtel (zama) ded maroffanifchen Jägers und die 
alte durchlöcherte Manta des Spanier, Bundſchuhe aus 
Ziegenfel und Sandalen aus Halfagras, deffen Export aus 
Algerien fchon jo bedeutende Dimenfionen angenommen hat, 
neben rothledernen Stiefeln und Halbftiefeln mit Gummis 


291 


zug, Turbane von allen Farben neben Käppis und breit: 
främpigen Hliten. Handel, Gefchäjt, das ift ber große 
riedensftifter, im deſſen Namen die Träger und Verkäufer 
aller diefer Gegenftände hier zufammenftrömen, weldye fonft 
fich vielleicht mur begegneten, um ſich den Garaus zu machen. 
Spahis find mit der Marktpoligei betraut und wandeln gra= 
vitätifchen Schrittes durch die ehrerbietig zurückweichende 
Menge, geflicchtet wohl, aber zugleich verachtet, weil fie dem 
Franfen dienen. Dort fitt auf feinem Teppich der Haid 
(Gouverneur) mit feinem Chodſcha oder Secretär, feinem 
Schauſch (Unteroffizier) und feinen Berittenen und bietet 
zerftreut die Schulter feinen Untergebenen zum bdemüthigen 
Kuffe dar; weiterhin ſpricht der Kadi, umgeben von feinen 
„Adul“ (Afjefforen), Recht und feine Elienten ſchreien und 
gefticuliren um fo lauter und lebhaſter, je ſchlechter ihre 
Sache ſteht. Er aber giebt ruhig „im Namen bed fran- 
zöfischen Volkes“ fein Urteil ab. So wie das geſchehen, 
treibt der Wun (Gerichtsdiener) die Parteien, die fich ſchim⸗ 
pfend und fluchend entfernen, aus dem FKreife der Zuſchauer 
hinaus, 

Un einer andern Stelle figen wieber „Tolba* (Gelehrte, 
Schriftlundige), welche fr eine Handvoll eigen oder ein 
paar Feine Münzen Bittfchriften ftilifiren, die oft folgender- 
maßen anheben: 

„Gelobt fei der allmächtige Gott! Den mächtigen, dem 
eblen, dem eg dem hochherzigen, dem glänzenden 
Ritter, dem Herrn Civilcommifiar von N. N., ben Gott bes 
ſchutze und deſſen Tage und Nächte er mit Glück erfülle u, ſ. w.“ 
und an deren Schluſſe fich der Supplicant etwa über ben 
Bericht eines Feldwächters beflagt! 

Dort hodt ein Theerverkäufer, der feine aus den Stümpfen 
von Febensbäumen und Gedern gewonnene Waare in einem 
Bodsfelle zu Markte bringt und ſtarken Abſatz findet; denn 
die Einheimiſchen verpichen damit Bodsfelle und falben räus 
dige Kameele ein, Cine Stelle des Marktplages ift für den 
Viehhandel beftimmt, ein anderer dient ald Pferdeftall, frei- 
lid, ohne Dad, Dort fteigt der Reiter ab und lbergiebt 
fein Thier entweder einem Buben oder ftreift ihm die Zügel 
über den Kopf und legt einen Stein auf diefelben: das Thier 
glaubt feft angebunden zu fein, und macht nicht einmal einen 
Verſuch, ſich zu befreien. 

Daneben find bie Stände der Juden, die faft ausjchliehlic 
mit Belleidungsgegenftänden handeln und bei allem geſchäftli— 
den Verkehre ftets ein wachlames Auge auf bie Umgebung 
haben, obnicht eine „Nefra“ im Anzuge ift. Ein paar Ungläus 
bige gerathen nämlich jcheinbar in Streit, zanfen fid), ftoßen 
ſich; Alles drängt ſich herzu, das Gewühl wird immer dich: 
ter; plötzlich fält wie aus Zufall das Zelt des unglückſeligen 
Hebräers um und die Berſchwörer erhafchen dabei von feinen 
Waaren fo viel, als eben im ber Eile angeht. Das ift die 
Theorie der Nefra, — Dort zeigt ein Bergbewohner mit 
Bronzeteint und ſchwarzem Barte feinen Kindern zum erjten 
Male einen Franken, den er fie haffen gelehrt; hier übt ein 
Barbier mit etwas kaltem Wafjer und einem fchartigen 
Meſſer feine Kunft, und ein ganzer Berg von ausgezogenen 
Zähnen, zu dem aud) Ochſen uud Efel ihren Beitrag gelie» 
fert haben, zeugt von ben Erfolgen feiner vielfeitigen Hau— 
tirung, 

Aber es wird allınälig Mittag. Die Menge lichtet ſich; 
die Juden paden ihre Waaren in Ballen; die Vichhänbler 
treiben ihre Herden fort; die Tolba wifchen ihre Rohrfedern 
aus; die Araber bredjem mit ihrem ſchwerbeladenen Zuge 
von Ejeln und Maulthieren nad) ihren Stammeswohnfigen 
auf. Es wird immer leerer und ftiller: der Markt ift zu 
Ende, 

Marnia, nur 12 Kilometer von der maroffanijchen 


37 * 


292 Von Telemſſen 
Grenze gelegen, iſt ſchon Heute für den Handel von aus 
nehmender Wichtigkeit *)., So unruhige Zeiten augenblid- 
lich auch drliben in Maroffo, fpeciell im Bezirke von Udſchda, 
herrſcheu, jo wenig auch noch in Algerien felbft für Straßen: 
und Bahnbauten geſchehen ift, fo iſt doch alle Hoffnung vor« 
handen, daß beides ſich bald zum Beffern wenden wird. Iſt 
in Marolko wieder Ruhe, geſchieht auf franzöſiſchem Gebiet 
etwas für den Eiſenbahn⸗ und Hafenbau, fo ift auch der 
Tag nicht fern, wo Marnia zu größerer Blüthe und grös 
Berer Wichtigkeit berufen if. Haben ſich doch die Marof- 
faner ſchon heute daran gewöhnt, in Meinen Saramanen 
— denn der Weg ift nicht ſicher — Hunderte von Silo: 
metern weit her nach Marnia zu lommen, und fei es aud) 


Nemonrs, Küftenftadt im weſilichen Algerien. 


die gleichnamige Quelle, in deren Nähe jet aufgelaflene 
Galmeigruben liegen, und erreicht bei 1139 Meter Höhe 
den Paß, wo ein eisfalter Wind den verwöhnten Neifenden 
raſch zu feinem Mantel greifen läßt. Dort oben wachſen 
nur Zwergpalmen, Yentisfus und Aſphodelus; aber hertlich 
ift die Ausficht auf die Gebirgswelt ringsum, unten gegen 
Norden auf Nebroma in feinem Gebirgsteffel und darliber 
hin auf ein Stüd des blauen Meeres. In zahllofen Wins 
dungen fentt jich der Weg nach Nedroma, einer Heinen 
von 2000 Arabern und 500 Yuden bewohnten Stadt, die 
ehemals weit bedeutender geweſen als jetzt, wie die zahlreichen 
Ruinen und Erdimauern beweifen. Seine Umgebung ift wohl 
bebaut, befigt aber an Baumen nur ein paar Delbaums 


*) Vergl. darüber L’Explorateur, 2. annte, 3. volume, Nr, 58, 
p- 248 seq. 


nach Nemours. 


nur, um einen Blechnapf zu kaufen oder ihr Pferd beichla- 
gen zu laflen. 

In Marnia blieb Yorral über Nadıt. Am folgenden 
Morgen ging es nörblic den Abhang des Berges Fil— 
ha'ufſen hinauf, weldyer die bei Nemours und Honein müns 
denden Küſtenflüſſe vom Gebiete der Tafna trennt, Der 
Aufftieg ift wegen der tiefen Schluchten mühfam genug und 
das Pand ringsum fahl und öde, abgefehen von einer Mühle 
in dem tief eingefchnittenen und mit Ahododendron bewad)- 
jenen Thale der Muilah, eimes weitlichen Zuſluſſes der 
Tafna, und einem Duar auf einem Hugel. Weiterhin paf» 
firt man das Karawanferai von Ain-Tolba, die einzige 
europäifche Yehaufung zwiſchen Marnia und Nemours, und 





Mad einer Photograpbie.) 


gruppen. In der Nähe findet ſich Töpferthon, der ftarf 
ausgebeutet wird. Medroma, der Mittelpunft des legten 
Miderftands unter Abdsel» Kader, war einft von den Türken 
ftart beſetzt geweſen; noch jet lebt die Erinnerung an ihr 
ſchweres Joh. Wis die Mauren aus Spanien vertrieben 
wurden, flüchteten fich viele nadı Nedroma: bis auf den heu: 
tigen Tag follen ihre Nachlommen die Schlüſſel ihrer Häus 
fer in Granada und Cordoba aufbewahren, 

Die Strafe nad) Nemours ift ein wahres Kunftwert; 
tiefe Einfchnitte wechſeln mit Brliden und Gallerien. Hin 
ter Nedroma geht fie zuerſt durch die fruchtbare Ebene von 
Meffa'uru; eine Stunde weiter teitt fie in eine enge Schlucht, 
die der Wed Theta durdjjtrömt, der mehrmals feinen Na: 
men wechjelt, um endlid) ald Wed Ghafawanah in das 
Meer zu mlnden. Oben auf den Höhen ficht man in ums 

\ zugänglidyer Lage Verberndörfer; unten pafjirt man Gärten 


Paul Schumacher: Die Anfertigung der Angelhaten aus Muſchelſchalen zc. 293 


und eine Staatebaumſchule jowie zahlreiche Grotten im qua- | Abdrel-Kader's Willen die legten Gefangenen von Gidir 
ternären Tuff oder Kallſtein, die von Hirten bewohnt find. | Brahim himgefchlachtet wurden. Die 1500 Einwohner der 
Ie mehr man ſich dem Meere nähert, um fo zahlreicher | Stadt find meift Spanier, Juden, Maroftaner und nur we— 
werden die Heinen Genritfegärten, mit denen jede Ausbuch- nige Franzofen, während die, eingeborenen Moslims aus: 
tung der beiden Thalwände und jede Anipiilung des Fluſſes ſchließlich in den benachbarten Dörfern wohnen. Dahin ge: 
bededt ift. Zwiſchen dem beiden VBorgebirgen Nos und Mir | hören bie Bewohner der Dörfer Sjuhalia, Sawet-el-⸗Mra, 
lonia ftürzt die Küfte Afrikas teil und tief zum Meere ab; | Nedroma, die Beui-Meſſer, Beni-Mifhel, Dichebila und 
mr wenige Spalten mit Meinen Wafferläufen, deren fpär- | Mfirda. Mur der einzige Stamm der Aſchaſch lebt nach 
liches Naß fchattige Bäume vor dem Berfiegen bewahren, | Bebuinenweife unter Zelten, was die Berbern fiir unter 
durchbrechen dieſe Felswand. Im einer folden Spalte liegt | ihrer Würde halten. Dazu fommen nod die Beni-Men- 
Nemours, halb auf einem der See abgewonnenen Streifen | guſch und die Athia, maroffanifche Stämme, welche ohne 
Landes, halb im den mit Johannisbrotbäumen liberfäeten | Steuern zu zahlen auf franzöfifchem Gebiete leben und dafür 
Gärten des arabischen Dſchemaah-Ghazawat; darüber erhebt | beftändig die Grenze bewachen, eine Einrichtung, wie man 
ſich ein Berg zu 120 Meter Höhe und trägt auf feinem | fie vielfach, in Römerzeiten und im Mittelalter findet und 
Gipfel einige unbedeutende Reſte der alten Stadt. Das | wie fie z. B. noch heute die Chinefen an der Grenze gegen 
pittorest gebaute Nemours felbft datirt erft aus dem Jahre | Birma und Britifch- Indien mit Erfolg aufrecht erhalten. 
1344. Aber ſchon am 23, December 1847 hatte e8 im | Vene gefanımten 10 Tribus zählen 17,500 Seelen. 

feinen Annalen einen ruhmreichen Tag zu verzeichnen, als Die Bewohner von Nemours treiben meift Fischfang oder 
Abdsel- Kader mit dem Anerbieten feiner Unterwerfung von beſchäftigen fid, mit dem Heranſchaffen von Erzen von Ghar— 
Lamoricisre und Coufin de Montanban vor den damaligen | Ruban (füdlich von Marnia in Gebirge) oder mit dem der 
Generalgouvernene von Algerien, den Herzog von Aumale, | Wolle und des Getreides von Marnia her. etreidehandel 
geführt wurde und nur dem Mund öffnete, um feinen Sieger | ift Überhaupt ber vornehmfte Erwerbszweig des Städtchens; 
zu bitten, daß man ihm micht mach Algier führe, wo er die | es giebt dort Yeute, welde zehn Mal des Jahres mit ihren 
Schande einer öffentlichen Ausftellung fürdtete. Die Stadt | Heinen Barlen voll Korn nad) Gibraltar fahren. Bon dort 
zerfällt in zwei Theile; der eine, aus zwei dem Strande pas | aus wird daffelbe dann im die englifchen Brauereien verſchifft. 
rallelen Straßen beftehend, heißt Bugeauville, der andere ift | Aber die Bevölferung von Nemours nimmt ununterbrochen 
nur ein Haufen Bretterhlitten, in denen Spanier und Juden | ab und wird mod mehr abnehmen, wenn erſt, wie geplant 
haufen. Die erft aus franzöſiſcher Zeit datirende Ums | wird, Raſchgun bei der Mündung ber Tafna zu einem 
faffungsmaner hat drei Thore; draußen dehnen ſich Villen | europüiſchen Centrum geworden und mit Telemfien und 
und Gärten ans und zwifchen denfelben erhebt fic, eruft und | Sebdu im Innern des Landes durch eine Eiſenbahn ver: 
traurig ein gemauertes Dental auf der Stelle, wo gegen | bunden iſt. 


Die Anfertigung der Angelhaten aus Muſchelſchalen bei den früheren 
Bewohnern der Infeln im Santa-Barbara:Eanal. 


Von Paul Schumader in San Francisco. 


Während meiner legten Reife *) — in der erften Hälfte | gel, annahmen, Fig. 1. (Die Gegenftände in der Zeichnung 
dieſes Jahres —, welche ich im Interefje des Smithjonian | find im nmatitrlicher Größe wiedergegeben, doch ift biefelbe 
Inſtitutes auf Beranlaffung des Prof. Spencer %. | bei den Angelhaten fowohl wie aud) bei den Werkzeugen ver 
Baird, der Serle der Anſtalt, unternahm, um bie Gruppe | änderlich.) Hierauf wurde die Mufchelfcheibe mit der Spite 
der Inſeln zu erforſchen, weldye im Santa » Barbara» Canal | eines Feuerſteins, Fig. 2 mit Querſchnitt, in der Mitte 
liegen (zwifchen 33% bis 34% nördl. Br. und 118% bis 120% | durchbrochen, wie es die fig. 3 veranfchaulicht. Das nädıfte 
weſtl. %.), fand ic unter der großen Maſſe von Gegenftäns | Inftrument, weldyes in Anwendung gebracht wurde, ift ein 
den (aus der Steinzeit) allerlei Geräthe, welche zum Fiſch- fpindelförmiger Bohrer aus hartem und rauhem Sandftein, 
fang Verwendung fanden, und barumter namentlich jchön | ig. 4, mit welchen das unregelmäßig gebrochene Loch cir- 
gearbeitete Angelhafen. Es war offenbar das Grab eines | culär ausgearbeitet wurde, wie in fig. 5. Zum Abfchleifen 
Angelmachers, in welchem ic; fowohl die Werkzeuge fand, | der Kanten und Seiten der Scherbe in die Form der Fig 6 
mittelft welcher die Infulaner jene viel benugten Geräthe | wird eim gewöhnlicyer flacher Sandftein verwendet, der fei- 
anfertigten, als auch das Rohmaterial in allen Stufen der | ner Abbildung bedarf. Iſt die Erzeugung foweit vorge» 
Verarbeitung bis zur fertigen Angel. Es war daher nicht ſchritten, dann wird mit einem Steine aus Sandftein von 
ſchwierig, aus denfelben die Fabrilation ber Fiſchangeln, der Form einer doppelfchneidigen Meflerklinge, Fig. 7 mit 
weldye aus Knochen oder der Schale der Muſchel Haliotis | Querſchnitt, der Theil, welcher in Fig. 8 ſchraffirt ift, ger 
beftehen, zu errathen. wiſſermaßen ausgefägt, wodurch mit einigen Heinen Nach— 

Die Mufcel wurde mit einem Steine in Stüde gebro- | hllfen die Fiſchaugel entfteht, wie ſie im Figur 9 dargeftellt 
chen und diefe mit weiteren Schlägen zugerundet, fo daß fie | ift und Benutzung fand. Bon den Angeln aus Bein, welche 
etwa 1 Zoll im Durchmeſſer, die beiläufige Größe der Ans ſich durch einen Widerhafen auszeichnen, der, im Gegenſatze 
— — zu den modernen, einem Inter ähnlich, an der Außeuſeite 

*) 5. „Globus“ XXVIII, ©. 304 und 359, angebradjt ift, fand ich mur 14, und zwar alle auf der Infel 


294 Hibe. Zehme: Aus und über Arabien, 


Santa Cruz bei der Ausgrabung von wenigſtens 1500 | Inſeln San Miguel, Santa Cruz, San Nicolas und Santa 
Steleten, während die Angeln aus der Muſchelſchale auf den | Catalina häufiger, obzwar meiftens zerfallen, vorgefunden 


Fig. 1. Fig. 2, Fig. 3. 


* ⸗ X 


Querschnitt N, — f "@ Y 
... fi * 


— —— RA — 
BTW TEE) NEE Ku — 






Angelhaken und Werkzeuge zu ihrer Herſtellung aus einem californiſchen Grabe. 


wurden. Manche zeigten noch die Angelfchnur, wie fie im | feftigt wurde, der noch mit Asphalt dicht Üüberflebt war, wo- 
der Kerbe durch Querwindungen eines dünnern Fadens be | durch die Baftjchnur gleichzeitig prefervirt wurde (Fig. 10). 


Aus und über Mrabien. 


Von Dr. Albr, Zehme in Franlfurt a. O. 


Seit 1870 hat, foviel mir befannt, die Erforichung | des unbelannten Südens der großen Halbinfel im ſehr ge: 
Arabiens, natürlich abgejchen von oft befuchten SKüftenland» | jchiefter Weile thätig, indem er, wie in einen Nadjrichtens 
ſchaften und Küftenpunften, geruht. In jenes Jahr fällt | bliven, die Mitteilungen von etiva 100 Arabern jener Län— 
die große und tapfere Wanderung des franzöfifchen Gelehr-⸗ | der, dieihr Weg mach Aden geführt, fanmtelte, ein erwilnfchtes 
ten Joſeph Halevy, deflen Berdienjt auf diefem Gebiete Licht iiber etwa 1200 Quadratmeilen verbreitend mit ihren 
umangefochtener als auf anderen bleiben wird, nad) dem vor | faft 500 Drtichaften und an 400 Stämmen und Uuters 
faft 2000 Jahren hodhgefeierten, dann wie verlorenen Often | ftämmen, ihren Gebirgen, Hochebenen und Tiefländern auf 
de8 fogenannten glüdlihen Arabiene, nad) den | einem nicht viel befier als unbekannten Areal. 

Stätten der Sablier: und fpäter Himjariten-derrfchaft, von In das vorhergehende Decennium hatte, wie ja 
wo Halevy eine ganze Infchriftenliteratur zurüdgebracht hat, | wohl als befannt voranszufegen ift, die, wenn ganz zweifel 
reiches und nicht fprödes Material für den Scharffinn uns | los, dann rühmliche Forſcherthat Palgrave’s gehört, der 
ferer Entzifferer. Ebenſo gehört in das Jahre 1870 der | Aug durch Centralarabien 1862, ferner des franzöfiichen 
Ausflug des britiſchen Capitän Miles (fpäter Friedens» | Boftagenten in Jeruſalent, jpäter Confuld in Aden Guars 
richter in Aden, jegt, ſoviel ic weiß, Nefident in Mastat) | mant Eindringen im den nordweſtlichen Theil von Nediched 
in Begleitung des der Civilifirung Oftafrifad zu früh ents | 1864, endlich der officielle Beſuch der Wahabi-Hauptftadt 
riffenen Munzinger von der Slidflifte nach Hadramant Riñd durch den englifchen Oberften Pelly, Nefidenten im 
und zwar bis Habban, etwa 32 (deutfche) Meilen landein- Golf, 1865. 

wärts, Eudlich war 1870 und 1871 umfer gleichfalls ver- Aehulich wie von Malgan 1870 und 1871 im Gilden, 
hängnißvoll friih aus dem Yeben geichiedener Yandsmann | hatte im Norden Wegjtein 1561 von Damaskus aus 
Heinrid von Malgan von Aden aus für die Erforichung | ſich Nachrichten centralarabiicer Yandeseingeborener Über 


Albr. Zehme: Aus 


ihre Heimath verichafft, die er ſodann, unterſtützt von einer 
umjallenden Gelehrſamleit, mit den Nachrichten der alten 
arabiſchen Geographen combinirte. 

Gering an Zahl, wie diefe directen oder indirecten Er— 
forichungen Arabiens feit anderthalb Decennien, find auch 
die Forſchungen über die Halbinfel aus dem gleichen Zeit 
raume. Doch hat das legtvergangene Jahr 1875 ein mei— 
fterliches Werk gebracht, deſſen Titel, zunächſt auffällig, beim 
Leſen des Buches begreiflic, wird; id; meine Sprenger’& 
„Alte Geographie Arabiens als Grundlage der 
Entwidelungsgeihihte des Semitismus*, reich 
an fritifcher Combination, freilich nicht zur Belehrung über 
das heutige Arabien verfaßt, aber doc; ein Bud), an welchem 
Niemand vorbeigehen kann, der des Yandes fundig werben 
will. So finden der bibliſche Piſchon, Ophir, die Yoltanis 
den durch Sprenger ihre arabische Heimath an den Weihraud)- 
Handelöftraßen und der ganz einzig forgfältige Ptolemäus 
einen feiner witrdigen Interpreten. Aber, wie gejagt, es 
ift alte Geographie Arabiens, erklärt durch einen der gelehr- 
teſten unter den Neuen. 

Den Berfucd) eines Gefammtbildes des heutigen 
Landes und Bolfes von Arabien hat während ber 
jchon genannten amberthalb Jahrzehnte Baron d’April 
und zwar 1868 in L’Arabie contemporaine gemadıt, 
einen nicht eben geglückten Verſuch. Vielleicht lag es in des 
Verfaſſers Abficht, nicht tiefer einzugehen, jedenfalls aber ift 
das Buch, abgefehen von einigen hiſtoriſchen Partien, nicht 
im Stande, liber ganz Arabien und zwar ordentlich zu be 
Ihren. Dabei ergreife ich die Gelegenheit, die Intereſſenten 
zu beruhigen, wenn fie ſich die Bibliographie des 
onvrages relatifs ä l’Afrique et a V’Arabie 
von Jean Gay, 1875, nicht verichafft haben: fie ift für 
Arabien fehr lüdenhaft. Der Vollftändigkeit wegen muß 
id; erwähnen, daß ich felber im vorigen Jahre eine geo- 
graphifche und gefchichtliche Skirze über „Arabien und die 
Araber ſeit hundert Yahren“ veröffentlicht habe (Halle, 
Verlag der Buchhandlung des Watjenhaufes). 

Bielleicht interefjirt es nun, wenn ich einige durch die 
jüngste Forſchung Über das, was in Arabien ift und geſchieht, 
gewonnene Nefultate und damit zufammenhängend die wahr- 
ſcheinliche Beziehung Arabiens zu fogenannten orientalifchen 
Tragen in kurzen Zügen evörtere. Denn in mannigfal- 
tigen Formen vollziehen ſich naturnothwendig als ein 
Kampf ums Dafein aud) die afiatifchen Geſchicke, jo daß es 
eine nicht geringe Unkenntniß der Thatſachen verräth, wenn 
alles, was von politifchen Bewegungen in Afien vom Sir 
Derja bis Aden und von Herat bit Stambul vor ſich geht, 
inter eine Schablone geſteckt wird, z. B. die der ruſſiſch⸗ 
englifchen Rivalität. Freilich giebt es eine formel, unter 
welche auch alle aſiatiſchen politifchen und focialen Bildun- 
gen und Zerfegungen fallen: was werth iſt zu fterben, ftirbt 
und macht dem Yebensfräftigen Platz. „Nur der verdient 
ſich Freiheit wie das Leben, der täglich fie erobern muß.“ 

So wird auch Weſtaſien, jagen wir licher dad osma- 
niſche Reich, das faum jemals, ſelbſt zur Zeit feiner 
Mactblüthe nicht, ein wohlorganifirtes Ganze war, feinen 
nur noch jcheinbaren innern Zufammenhang bald völlig ver: 
tieren, weil e8 die Werlihrung mit der im Durchjchnitt 
energifchen und ihres Lebenszweckes ſich bewußten europäiſchen 
Menfchheit nicht ohme Einbuße vertragen lann. Defpotie 
und Faulheit hier, Entwidelung zur Gleichheit und Arbeit 
dort — diefe Ghegenfäge führen, wern fie einander benadh 
bart find, heutzutage ſchneller als fonft zum Untergange des 
erften ber beiden Nachbaren. 

Daß nun der Islam, die Religion Mohammed's oder 
was im Laufe der Jahrhunderte aus ihm geworden ift, an 


und über Arabien. 295 


dem Berfall der geiftigen. Arbeitsfähigfeit allein oder auch 
nur hauptſüchlich ſchuldig fei, Hören wir zwar alle Tage be 
hanpten, aber, wie ich fürchte, ohme daß der Verweis daflir 
erbracht werden lann. Wenigftens hat dev Islam in Spa- 
nien beffer zu arbeiten verftanden, als der chriftliche Katho— 
licismus und, worauf es hier anlommt, die jegigen Araber, 
fänmtlich Moslims, wenn aud) in Omär umd anderswo 
ſehr problematifcdye, haben nadı Ausweis ihrer bejcheidenen 
Sefchichte feit hundert Jahren Kräfte entfaltet, die, in rech— 
tes Gleis gebracht, werthvolle politifdy-praftijche Leiftungen 
verſprechen. Dafür habe ich in diefer Zeitſchrift vor weni: 
gen Jahren eine Anzahl von Beiträgen zufammengeftellt *). 


* 
— * 


Hier einige weitere. Der Weſtrand Arabiens, alſo 
Hedſchas, die Küſtenebene (Tehama), Aſir, Jemen, ift auf 
unſeren neueſten Karten, z. B. auf der Petermann'ſchen in 
Stieler's Handatlas Nr. TO (vom Jahre 1875), als zur 
Türfei gehörig colorirt, und ohne Zweifel haben die Haupt- 
ftationen der Hadſch- (Pilger) Route Heine türfifche Garni⸗ 
fonen, haben Mella und Medina desgleichen, hat Mekla 
einen türkischen Paſcha-Gouverneur. Aber felbft hier in der 
heiligen Stadt ſcheint der eingeborene Großſcherif (ob noch 
Abdallah ebn Aun?) die wichtigere Autorität zu fein. So 
fan es wenigitene v. Malkan 1870 vor, und als im Som: 
mer 1875 Bewohner von Redſched, d. h. keineswegs aus 
dem centralen Hochlande, ſondern aus dem niemals ala Ned» 
ſched geltenden untern Schatt-Gebiete, ſich Uber den wahr: 
ſcheinlich ſehr türlenfreundlichen Scheich der Monteſil be 
ſchweren wollten, ſendeten ſie ihre Deputationen außer nach 
Konſtantinopel auch zum Großſcherif in Mettka. Frei— 
lich wird der Vadiſchah in Stambul alles thun müſſen, um 
durch die Herrſchaft über die Stadt der Geburt und die des 
Todes Mohammed's feiner Kalifenwiirde das entjcheidende 
Charakteriftifum zu erhalten. Aber fchon einmal in dieſem 
Jahrhunderte wurde der Name des Osmanen-Sultans beim 
Sanzelgebet in Mekla jahrelang nicht genannt, und das 
taun ſich leicht wiederholen. Denn wenn die Herrſchaft der 
Osmanen, aus Konftantinopel und Europa verdrängt, etwa 
nach Klein-Aſien überſiedeln jollte, jo werden dadurd) feines- 
weges, meine ich, ihre Chancen auf Arabien vermehrt; im 
Gegentheil, an Machtmitteln ſchwächer geworden, Fönnte fie 
vorausfichtlid, in den Arabern, deren Unterftigung durd) die 
Engländer ich fiir die Zukunft vorausfege, fiegreichere Feinde, 
als während der legten ſechs Fahre finden, 

Mekka aber bewahrt feine nun faft 13 Jahrhunderte 
alte Zugfraft für die Moslims von Wadai bis Java, von 
Kaſchgar bis Zanzibar: die Wallfahrt des Jahres 1875, die 
1282,, zählte an 150,000 Pilger, und die islamitifche 
Menschheit bringt mod; immer alljährlidy wohl an 50 Mit- 
lionen Mark in die Stadt der Kaaba. 

Auch das Bergland Afir wollen die Türken 1871 in 
Beſitz genommen haben; fie nennen es eines der vier Pivas 
des Vilajets Jemen. Das Zündwadelgewehr und die gezo— 
gene Kanone find freilich leicht im Stande, die arabiſche 
Reiterfühnheit und den perfönlichen Muth, der auch die Aſi— 
tinen auszeichnet, zu überholen. Indeß darf, wer die Ge— 
birgsnatur diefer arabiſchen Schweiz fi) vergegenmärtigt, 
den Bericht bes türkischen Oberſten Hadſchi Reſchid Ben, 
wie er ihn im zweiten Theile feiner „Geſchichte Jemens und 
Sanaas“, Konftantinopel 1292 (— 1875), giebt, wohl mit 
einigen Fragezeichen verfehen. 





* ©, „Der Wababismus in Arabien feit 1819 und bie Staar 
tenbildungen auf der arabiſchen Halbinfel im 19. Jahrhundert.“ 
„Bleobus“ XXIII (1873), ©, 344. 360 u. 379, 


296 


Jemen felber hat nun in der That feit dem 14dmonats 
lichen Feldzuge von 1872 türfifche Garnifonen , befonders 
in den uralten Sanaa, der natürlich gegebenen Hauptftadt 
des neuen Bilajets, weldye die Tiirfen im Mai 1872 ohne 
befondern Kampf befegten. Daß der ganze Often des Yans 
des — das Hauptgebiet der Halevy'ſchen Entdedungen — 
von einer turtiſchen Armee nidyt oecupirt worden ift, vers 
fteht fich für den Kundigen von jelbft. Auch der Berſuch 
der Türken auf Lahedſch (micht weit von Aden) 1873 
mißgliidte in Folge der drohenden Haltung der Engländer 
gänzlic), jo dag es eine offenfundige türkijche Auffchneiderei 
ift, wenn ımter den eroberten Gebieten and) Lahedſch von 
Seiten ber türfifchen Gewährsmänner dem öfterreichifchen 
Militärattahhe in Konftantinopel, Major zur Selle, ger 
nannt wurde. Noch dreifter ift die Unmmahrheit in Bezug 
auf Nedſchran. 

Der türfifche Bejig von Sangaa verspricht von kurzer 
Dauer zu werden. Schon Ende 1874 find ernfte Unruhen 
ausgebrochen, bei denen die türkiſche Garnifon namhafte 
Berlufte erlitt. Im October 1875 wurde freilid, die Ab- 
ficht des in Iemen „commandirenden Generals“ pomphaft 
nad) Konftantinopel gemeldet, Sade, Jam, Marib (alfo 
den Oſten) aud) noch zu erobern, wobei denn der übrigens 
maßvolle Pera-Correjpondent der Augsburger Allgemeinen 
Zeitung nicht umhin kann, die Berfehrtheit diefer ſinnloſen 
Eroberungsgellifte zu Tennzeichnen, während die Zuſtände 
nad) dem Einbruch der Türken in Jemen troftlofer ſeien, 
als vorher, was viel jagen will, Daß diefes Volk keine 
Gultur bringt, verfteht fich von ſelbſt. Im Februar 1876 
fam ferner die Nachricht nach Konftantinopel und zwar 
durch Telegramm, daß die „laiſerliche Erpeditionsarmee“ 
den Stamm der Benu Haſchid befiegt und vollftändig untere 
worfen habe. Der Hauptort, Sava, fei bejegt und probi« 
ſoriſch befeftigt worden; auch noch weiter in das Innere 
biefer ausgedehnten Provinz ſeien die Truppen vorgegangen. 
Mir jcheint diefe Nachricht echt türkiſch; weder Niebuhr 
noch Halevy, die beften Kenner Jemens, geben einen An- 
halt für die genannte Dertlichfeit; die Haſchid aber find 
nach v. Maltzan vorziiglic die Dſu-Mohammed und die 
Dfu-Hofein, und daß diefe erobernden Zeiditen (Name einer 
in Jemen ſeit Jahrhunderten heimifchen religiöfen Partei) 
von den Türken fo leicht durch Befegung irgend eines Pros 
blematifchen Dorfes follten befiegt worden fein, ift ſchwer zu 
glauben. Jedenfalls ift die große Kriegsthat in einer für 
die europätjche Wiſſenſchaft merlwürdig unbekannten Gegend 
vor fidh gegangen. 

Wenn ic nun weiter zur Sudkuüſte übergehe, fo habe 
ich vorhin ſchon angedeutet, daß die Nähe der Engländer 
in Aden dem feinen Sultanat der Abädel, Lahedſch, 
eine werthvolle Sicherheit gegen die oomaniſchen Großmachts⸗ 
gelüfte verſchafft. Darltber habe ich in dem oben genannten 
Buche genauer berichtet. Die Wichtigkeit Udens für den 
zufinftig entſcheidenden Einfluß Englands an der Weit: 
und Stdfüfte Hrabiend, wie die von Maskat an der Oſt— 
füfte, braucht nicht weiter erörtert zu werden. Perim in 
der Bab-el-Mandeb:Enge und die feit Kurzem fo nut wie an 
England abgetretene Infel Sofotora ſiud die lügel dies 
fer feften Pofition, Das weit blidende Verfahren der Engs 
länder ift, daß fie den Heinen Sultanen gegen eine Jahres: 
vente ihre Sonveränetät in answärtiger Politif abnehmen, 
übrigens alle einheimischen Gewohnheiten, ſociale und poli- 
tijche, unaugetaſtet laſſen. General Schneider, der mehr- 
jährige Gouverneur in Aden, fcheint hierfür die rechte Per: 
ſönlichteit geweſen zu fein, feft und menſchenfreundlich, 
immer fchlagfertig gegen die türfifchen Anmaßungen und 
ein weifer Freund der Araber. Im October vorigen Jahres 


Albr. Zehme: Aus und über Arabien. - 


zeichnete übrigens der Prinz von Wales bei feinem eintägi- 
gen Aufenthalte in Aden, gelegentlich der Reife nad) Indien, 
den Abadel-Sultan — es wird nod) Fadl fein, Regent feit 
1866 — durd; eine Ehrenmebaille aus. 

In wieweit die ägyptifhen Eroberungsverfucde 
an der afrifanifchen Küfte in ben Eomali-Yändern Ein: 
fluß auf Südarabien haben werden, läßt fich mod) nicht fber- 
fehen. Die finanzielle Bedräugniß des Chedive Jémail 
wird vor der Hand wohl die großen Pläne etwas zu vers 
tagen zwingen. 

Weiter gehend nad) dem eigentligien Hadramant 
brauche ich über die jungen etwa feit 1869 bdatirenden 
Stantenbildungen von Malalla (49° 13° öftl. v. Gr.) 
und Schehr (49° 40° öftl. v. Gr.) hier nicht zu fprechen; 
ich habe c8 im oben genannten Buche gethan. Ob die Sache 
glüdt, weiß man freilich nicht, da dauernde politiſche 
Schöpfungen hier im Süden noch micht möglich zu fein 
ſcheinen. 

So lommen wir denn nach Omän, deſſen nahe Bezies 
hungen zum engliſchen Gouvernement in Indien belannt 
find. Im Jahre 1873 ſchloß Namens der engliſchen Res 
gierung der verdiente Staatsmann Sir Bartle Frere 
gemeinjchaftlich mit Oberſt Pelly den Bertrag vom 14. 
April mit dem Sultan von Masfat, Turki, dahin, daß 
fein Sklave in Maskat gelandet werden dlirfe, ſowie am 
5. Juni deflelben Jahres der Bruder Turli’s, Burgaſch 
ebn Said, Sultan von Zanzibar, devfelbe, welcher voriges 
Jahr Yondon befuchte (nicht Medſchid, wie ich in meinem 
Bude angenommen habe, da diefer bereits 1870 geftorben 
war), ſich dem englifchen Unterhändler gegenüber verpflichtete, 
den Sflavenhandel in feinem Gebiete aufzuheben. Nach 
den mir belannt geworbenen neueften Nachrichten ift Turki, 
wie es ſcheint, vor einen Krieg mit feinem Halbbruder Ab- 
dulogig geftellt, der fi, während Turki feit 1870 jenfeits 
des Golfs in Gwadar (im füdlichen Belutfchiftan) fich auf 
gehalten hat, eines feften Platzes im Innern Omäns feit 
Kurzem bemäctigt haben fol. Zugleich läuft jegt der 
20jährige Vertrag zwifhen Omän und Perjien 
ab, welcher dem Sultan von Masfat den Küftenftreifen um 
Bender Abbas fir jährlich 150,000 Marf zur jonveränen 
Benutzung verpachtete. Lebrigens find die Engländer offen- 
bar Willens, den osmanischen Sultan, der nad) Anficht der 
engliſchen Offiziere ein tapferer und ſchlauer Herrfcher ift, 
fräftig gegen inländiſche Unruhen zu unterftügen. Mass 
fat iſt eben jr Großbritanniens orientalische Politik ebenfo 
wie Aden unentbehrlich und wird feine Nolle zu fpielen ha— 
ben, wenn etwa die Yiquibation der Türkenherrſchaft am 
Ausflug des Schatt vor ſich gehen follte, Und Perfien? 
Auch dieſes unglüdfeligen Staates Zukunft hat begreiflicher 
Weife für alle Küftenländer des Goljs Wichtigfeit. 

Hier am Perfifchen Golf ift auf der oben angeführe 
ten Stieler'ſchen Karte ein bedeutendes Stüd Arabiens als 
türfifches Beſitzthum colorirt. Es ift das, was bie Türfen, 
wie ſchon angedeutet, mit gänzlicher Verlennung Nedſched 
nennen. Diejer Hüftenftreif, ala el-Haſa befannt, ift no- 
minell durch die Titrfen 1871 von Bagdad aus erobert 
worden, eine im ihrer Bedeutung recht problematische Erpe- 
dition , Über welche ich in meinem Buche bas Nähere beige- 
bracht habe. Jedenfalls hat die mit Stambuler Trompeten: 
ftößen angeflindigte Großthat „der Eroberung des Waha- 
bitenlandes“ nicht weit ins Innere gereicht und von einer 
Unterwerfung des eigentlichen Nedſched ift niemals auch nur 
ein Buchſtabe wahr geworden. Im Gegentheil dürfte bier 
die Stelle fein, wo die geringfligigen türkiſchen Streitkräfte 
am eheften von dem etwa gewonnenen Boden Arabiens wer- 
den weichen müſſen, wofern in Riad, d. h. im Wahabis 


3. Mestorf: Ein Grabmal eines altnorwegiſchen Seefönige. 


ftaate, auch weiterhin Regenten, mit der traditionellen Ener- 
gie ausgeſtattet, am Nuder bleiben. 

So hat es auch fiir die Selbftändigkeit des eigentlichen 
Arabiens feine Bedeutung, daß im Sommer 1975 bie 
„Provinzen“ Basra, Nedſched, Montefif (ein halb 
turfifirter Araberftamm mit dem Hauptort Subk-e⸗Schiuch 
an einem Euphrat:Urme), Hille und Amara vom Generals 
ouvernement Bagdad abgetrennt und zu einem bejondern 
Silaiet „erhoben“ wurden, deſſen Statthalter der Scheich 
der Montefit, Naffir Paſcha, geworben fein fol, Daß liber 
diefen Naffir die arabifchen Stänme im nmordöftlichen Hafa 
(die Turlen fagen alfo, des Nebfcheb) beſchwerdeführend fich 
aud an den Großſcherif nach Mekta gewendet, habe ich 


297 


oben erzählt. Ich denke mir als möglich, daß der osmani— 
ſirte Montefik ſich, ähnlich vielen Apoſtaten, in Feindſelig— 
keiten gegen ſeine eigentlichen Stammesgenoſſen hervorgethan 
haben mag. Intereſſant iſt dabei, daß der Großſcherif in 
Mekka den Arabern, felbft fo fernwohnenden, als ein wid) 
tiger Vertreter ihrer Wunſche und Bedurfniſſe erfcheint. 

Dies hatte ich über die neueften Entwidelungen in Ara— 
bien vorzutragen ; auf Vrophetien fir den Wall, daf bie 
Engländer im Rothen Meere, an der Südfüfte und im Pers 
ſergolf in erhöhte Action treten, verzichte ih. Nur das 
weiß ic, daß eim fo hochbegabtes Volk, wie die Araber, 
noch nicht ihr letztes Wort in der Geſchichte des fildweft- 
lichen Ajiens gefprodjen haben können. 


Ein Grabdenkmal eines altnorwegifhen Seekönigs. 
Bon I. Mestorf. 


Durch die Unterfuchung zahlreicher Grabdenkmäler aus 


vorhiftorifcher Zeit iſt erwieſen, daß in Norddeutjchland und | 
Standinavien (der fogenannten nordifchen Culturgruppe) | 


die Sitte der Leichenverbrennung erft auftrat, als die Bee 
wohner diefer Pändergebiete bereits mit metallenen (bronze⸗ 
nen) Waffen und Geräthen verforgt waren. Später, und 
zwar von der frühen Eiſenzeit bis in die chriftliche Zeit Hin- 
ein, finden wir Peichenverbrennung und Leichenbeerdigung 
neben einander. 
herrſchten beide Begräbnißweiſen gleichzeitig, ja bei den itali— 
ſchen Bölfern in vorrömifcher Zeit. Ein dänischer Archäologe 
(Dr. Sophus Müller) ſuchte lürzlich aus den Grabalters 
thlimern ber oben bezeichneten Culturgruppe zu beweifen, daß 
im Beginn der Eifenzeit die Peichenverbrennung noch allger 
mein Üblich geweſen, die Sitte die Tobten zu beerdigen dahin: 
gegen erft mit einem aud) nach anderen Richtungen ſich 
fühlbar machenden römischen Einfluß auftauche, wohingegen 
Profeffor Engelhardt (Kopenhagen) die Verſchiedenheit 
der Begräbnißceremonien auf localen Brauch zurlidführt. 
Die Frage fteht bis auf weiteres offen; Thatſache ift, daß 
auc) in Norwegen bis im die chriftliche Zeit hinein beide 
Gebräuche nebeneinander ſich behaupteten, Am Drontheimer 
Ford z. B. findet man auf dem Borlande der Küſte die 
unverbrannten Gebeine der auf ihren Schiffen im Hligel 
beftatteten Seehelden, während am innern Ufer der Leichnam 
ſammt dem Fahrzeuge verbrannt worden und ein Hligel 
über den verfohlten Weberreften aufgeworfen ift. 

Aus den Sagas lafien ſich Belege für beide Bräuche 
herbeibringen. ver Mythos von Baldr giebt uns eine 
ſchöne —E der Ceremonie des Leichenbrandes. Eine 
gleiche Leichenfeier ordnete der auf dem Fyriswall (bei Upp— 

ſala) töbtlich verwundete Hale von Hördaland an. Er befahl, 

ihn auf ein mit gefallenen Männern und Waffen angefülltes 
Schiff zu tragen, die Segel zu hiſſen, das Steuer jeewärts 
zu richten und dann das Schiff in Brand zu fteden. Ein 
frifcher Wind führte das in Flammen auflodernde Drad)- 
Schiff hinaus aufs Meer, wo es ſammt dem tapferen Helden 
in die Fluthen verfanf. 

Die eddiſche Brunhild giebt ausführliche Befehle, wie 
man für fie und Sigurd den Holzftoß herrichten foll. Auch 
BDeowulf wurde von dem trauernden Freunden auf den Holz- 
ſtoß getragen und feine Ueberrefte, wie er gewlinfcht, im 
einem Hligel an ber See beftattet. 

Globus XXIX. Nr. 19. 


Schon bei den Griechen und Mömern | 





Andere Sagen ſchildern den Ritus der Yeichenbeftattung. 
In dem Eddaliede von Helge ift freilich nicht ausdrücklich ge» 
fagt, daß er unverbrannt in den Hligel einging, allein die 
Beichreibung wie er bei Nacht aus Walhall daher reitet und 
in den Hügel einfehrt, und die Klage der treuen Sigrum: 
das Haar ift Dir, Helge, in Angſtſchweiß gehüllt, ganz mit 
Grabesthau Übergoffen der König, die Hände find urfalt, 
deuten micht anf Leichenbrand. — Als der Iländer 
Grette an der norwegischen Kite Schiffbruch gelitten hatte 


und bei Thorfinn auf Windheim den Winter über gajtete, 


ſah er Licht auf dem Hügel, in welchem Kar, der Bater fei- 
nes Gaftfreundes, beftattet war, „Da liegen Schätze,“ 
ſprach er und erbot fich diefelben zu heben, Erft ſtieß man 
auf eine aus Holz gezimmerte Kammer, und naddem man 
einige Balken ausgehoben, erblickte man den todten Kar auf 
einem Stuhle figend, die Füße auf einer Kifte ruhend, in 
welcher feine Schäge bewahrt lagen. Neben ihm lag fein 
Roß und fein kurzes ſcharfes Schwert. Hroar, der Sohn 
bes Harald Jarl von Gotland, hatte fich am Julabend beim 
Ehergelübde vermeſſen, den Hügel des Cote zu plünbern. 
Die kühnen Hligelbrecher fanden den berlichtigten Wifing in 
feinem Schiffe figen. Den Foftbaren, berlihmten Goldring 
trug er am Arm. Hörber, der treue Waffenbruber Hroar’s, 
ftieg zuerſt hinab. Einen furchtbaren Ringkampf hatte er 
zu beſtehen, bevor es ihm gelang dem Todſen das Kleinod 
vom Arm zu reißen. 

Nach einer alten Aeberlieferung führte Odin dem Peichen- 
brand ein, und erft nachdem Frey zu Uppfala unverbrannt 
im Hügel beftattet worden *), fand auch diefe Sitte Eingang. 
Ob bem verjchiedenen Ritus ein verfchiedener religiöfer Euf« 
tus zu Grunde lag? Ob etwa bie Odinsverehrer ihre Tod: 
ten verbrannten, die Diener des Frey unverbrannt beerdigt 
wurden? Daß hier diefer, dort jener Aſe Landaſe war, daß 
gewifle Berfonen einem Afen vorzugsweiſe dienten, ift aus 
den Sagas befannt genug. 

Das reichſte Material zu umfaſſenden Studien der Grab— 
gebräuche im der Iegten heidniſchen Zeit befigt Norwegen, 


*) Wei der Aufgrabung ber Rönigsbügel zu Alt⸗Uppfala ftellte es 
ſich inteffen heraus, daß diefe Tradition nicht bis auf die Errichtung 
ber Hügel zurüdreicht, indem Spuren und Müdftänte eines gewals 
tigen Brandes (des Leihenbrandes) in denfelben gefunden wurden. 
(8.3. Mestorf, Der archäologiſche Gongref in Stodholm. Hame 
burg 1374.) 


38 


298 


wo man bei der Aufdedung der unzähligen Grabhügel bald 
diefe, bald jene alte Sage gleichſam im Bilde veranschaulicht 
findet. Bor Jahren fand man in einer Steinfammer zwei 
Yeichen in vollem Kleiderſchmuck auf hölzernen Stühlen figen. 
Die Skelete und die Stühle zerfielen in Staub; die Schmuck⸗ 
ſachen, welche mod) in den Kleidern hafteten, werden im alt 
nordifhen Muſeum in Kopenhagen bewahrt. Ueberreſte 
folcher in Gräbern gefundenen gedrechſelten Holzftühle ficht 
man im den norwegiſchen Sammlungen. Bieweilen findet 
man die Leichen im den gezimmerten Holzfammern, in fofts 
baren, golddurdwirkten Gewändern auf ſchwellenden Polſtern 
ruhend, umgeben von Waffen und Hausgeräth; felbft die 
Wachskerze, weldye während der Beflattung gebrannt zu 
haben fcheint, wurde mehrfach, gefunden. Die interefiante: 
ften Beſchreibungen folcher Gräber mit ſchönen Abbildungen 
gaben Worfaae im feinem Berichte über ein Grab zu 
Mammen in Püitland (Aarböger 1869) und Kornerup 
in feinem Vrachtwerle über die Königsgräber zu Yellinge in 
Irland (Kopenhagen 1875). In Norwegen und Schwe— 
den find dahingegen die Beifpiele der Scifföbeftattungen 
häufiger, indem man bald die Ueberrefte des von einem Hl: 
gel bederften, bald die Spuren eines verbrannten Schiffes 
findet, 

Ein höchſt interefjantes Bild von einem ſolchen Begräb- 
niffe gewährt ein von bem norwegiſchen Archäologen !orange 
1874 geöffneter Grabhligel auf Möfflebuft im Bergenhuus 
Amt, weiches wir in Kürze befchreiben wollen *). 

Diefer Hligel liegt auf einer vom Meeresftrande ſanft 
anfteigenden Ebene, welche freie Ausſicht auf die See ge 
währt, vom Yande aber durd) eine terraffenförmige Boben- 
formation abgejdjloffen ift. Die Höhe des Hügels betrug 12 
Fuß, der Durchmeſſer 92 Fuß. Rings um denſelben zieht 
ein nod) jegt 12 Fuß breiter und 3 Fuß tiefer Graben, 
über den an der Süd- und Woeftfeite brüdenartige Erbflil- 
lungen zı dem Hligel führten, Im Innern beflelben war 
über den gewachſenen Boden eine mit Knochenſplittern und 
Erde vermifchte Kohlenſchicht audgebreitet, die, Über die Ber 
vipherie des Hligels hinweg reichend, in der Mitte am ftärt- 
ften war, Ueber diefer unterften Kohlenſchicht lag weißer 
Sand umd über diefem zog bogenartig eine zweite Kohlen- 
und Snochensplitterichicht, welche, in der Mitte 8 Zoll hoch, 
nad) dem Rande des Hligels abflachte und ſich dort in die 
untere Schicht verlor. Auf diefem Oval von 28 Fuß Länge 
und 14 Fuß Breite lagen eine Menge der verſchiedenſten 
Gegenftände umhergeſtreut, welche deutlich erkennen ließen, 
daß hier einft die Leiche eines hochangefehenen Wilings auf 
einem Schiffe verbrannt worden war. 


Das Schiff war zu dem Zwecke and Land geholt und | 


wie zu einer fröhlichen Fahrt gefhmlidt worden: der Maft 
gerichtet, die Segel aufgezogen, die Schilde ringsum an den 
Reling gehängt. Waffen, Kleider und Geräth waren zu 
Haufen getragen, das prächtig gezgäumte Roß aufs De ger 
führt, Nur die hohe Geſtalt des weit im Norden befann+ 
ten Führers vermißte man am Steven, von wo er fonft die 
Rüftungen zu neuer Heerfahrt geleitet hatte. Bleich und 
regungolos, in fofibare Gewänder gefleivet, ward er von 
treuen Waffenbrüdern herbeigetragen, dann wurben Feuer— 
brände in die unter dem Fahrzeuge aufgejchichteten Holz: 
ſcheite gejchleudert und das Ganze den Flammen preis 
gegeben. 

Nachdem die Gluth gelöfht, war man zu dem ziveiten 
Act der Todtenfeier geſchritten. Die verbrannten Gebeine 


*) Verl. U. orange, Samlingen af Norste Ofdfager i Ber: 
gens Mufeum. Bergen 1876. &. 153 bis 161 und Norsfe Nars- 
beretming f. 1874. Xaf. VII, ©. ©. 





I. Mestorf: Ein Grabmal eines altnorwegiichen Seetönigs. 


waren gefammelt und, nicht gefäubert, wie in früheren Zei- 
ten üblich, fondern mit Kohlen und Afche in eim flaches 
Bronzegefäß gethan, danebft 2 Kämme, 3 Würfel und 
6 Beettfpielfteine von Bein, geſchmolzener Bronzefhmud, 
eine fcheibenförmige Verle von dunklem Glaſe mit weißen 
Wellenlinien, verfchiedene zerftörte eiferne Geräthe, ein eifer- 
ner Scylüffel und eine eiferne Pfeilfpige. Darauf war das 
Gefäß mit 12 Schildbuckeln zugededt worden, welche jegt 
bei der Aufgrabung fo feft an einander und an den Rand 
des Sefäßes geroftet waren, daß man, um den feltfamen 
Dedel nicht zu zerftören, behutſam den Boden Löfte, um den 
Inhalt zu unterfucen. Diefe als Offuarium benutzte 
Bronzeſchale war in eine im den Boden gegrabene Grube 
gefegt. Ueber derfelben lag cin Pferdegebik und barliber 
ein Klumpen zufammengerofteter Waffen: Schwerter, Speere, 
Schildbuckeln; ferner eine Art, acht Pfeilfpigen und andere 
Eiſenſachen, die wahrfceinlic in einer Schiffsfifte gelegen 
hatten, deren Beſchläge daneben gefunden wurden, und zu 
weldjer auch der Schlüffel gehört haben dürfte, welcher mit 
den Gebeinen des verftorbenen Eigenthitmers in das Grab» 
gefäß gelegt war. Neben diefem fand man ferner in ein 
ungegerbtes Ziegenfell gehitllte unverbrannte Thierfnochen, 
vielleicht der Antheil des Todten an dem Veichenmahle oder 
die Wegeloft auf der legten Fahrt. Endlich waren fiber 
den Boden bes Hügels eine Menge Gegenftände auögeitreut: 
Hunderte von Schiffenägeln und Bolzen, Beſchläge, Maft- 
ring, Anferhafen, 42 Schildbudeln und fonftiges Geräth. 

Deutet ſchon die Herrichtung einer fo lururiöfen Leichen: 
feier darauf bin, daß hier einem angefchenen Manne die 
legte Ehre erwiefen worden, wohl einem jener fampfluftigen 
Seelönige, welde nie unter rußigem Dache ſchliefen und 
mit ihren Drachſchiffen die See beherrſchten, fo wird dies 
durch die Koſtbarkeit des Gefüßes, in welches man feine 
Gebeine gefammelt, beſtätigt. Es iſt ein Modes emaillir- 
tes Bronzegefäß, eine frembartige Erjcheinung im Nor- 
den. Inwendig am Boden und unter dem Boden ift ein 
mit Schmelz geichmlicdter Ring eingelegt und mittelft dreier 
Nieten befeftigt. Inwendig ziert den Boden nod) ein email- 
lirter dreiblättriger Stern und ſeitlich am Rande find zwei 
viereclige Schilder angebradjt. Hinfichtlich der Technit und 
der Farben (blau, weiß, gelb und roth) gleicht dieſes Email 
demjenigen, welches vw, Cohaufen im feiner hübjchen Ab- 
handlung in den Annalen des naſſauiſchen Vereins Bd. XII. 
römifhen Schmelzſchmuck nennt, und von Bucher (Ge: 
ſchichte der techniſchen Kunſte Bd. 1.) als barbarijcher 
Grubenſchmelz bezeichnet ift. Herr Lorange ficht im 
dieſem Vrunfgefäß ein Beuteſillck nordfranzöfiichen oder bei 
gichen Urfprunges. Daß es von dort als gute Beute nad) 
dem Norden geflihrt worden, ift immerhin möglich; da in- 
defjen von Sadjtundigen bewiefen wurde, daß die Emaillir- 
funft erft im 12. Jahrhundert nach Frankreich verpflanzt 
worden, jo dürfte e8 eher als ein Product cheinifchen, nad)- 
römischen Kunftgewerbes zu betrachten fein; es fei dem, 
daß in Belgien bie Emaillirkunft ebenfo frühzeitig florirte, ale 
auf deutichem Boden. 

Auf den einander gegenüberftchenden, unterhalb des wulſt⸗ 
artig umgebogenen Randes angebraditen Schmelzſchildchen 
ruht ein bärtiger Männerkopf, unter demfelben ragen zwei 
Beinen hervor, fo daß die ganze Figur eine unförmliche 
Menfchengeftalt bildet von 68 Millimeter Höhe, wovon 34 
Millimeter auf den Kopf, 21 auf das vieredige Schmelz« 
ſchildchen, 13 auf die Beine fommen. 

Diefe unproportionirte Fleine Figur wird niemand einem 
römifchen Künftler zujchreiben wollen. Das Emailſchild iſt 
in neun Felder abgetheilt, welche nicht durch Metallſtege, 
fondern durch gelbe Schmelzbänber gefondert find. Im den 


Ueber das Ihierleben des untern Obi und einige meteorologiſche Erfcheinungen im Kariſchen Meere. 


Feldern der Bodenringe bemerkt man feine Mittelftege *). 
Die Füllung derfelben dürfte zum Theil durch die Anwen« 
dung eines Kunftgrifjes bewertitelligt fein, welchen v. Cohau: 
fen a. a. O. ausführlich befchreibt. Die Reinheit der Zeich— 
nung und die Gleichmäßigkeit der feinen Schachbrettmufter, 
Blättchen und Tupfen wurde nämlich dadurch hergeftellt, 
daß man Meine mofaifartig gemuſterte Glasfritten im den 
noch feuchten Schmelzichlamm drüdte und nad dem Ein« 
ihmelzen die Platte abſchliff. Die gemufterten biinnen 
Blättcyen aber wurden dadurch gebildet, dag man bünne 
Glasſtäbchen verſchiedener Farben an einander legte, zuſam⸗ 
menſchmolz und zu belichiger Feinheit auszog und danadı in 
dünne Querſchnitte zerlegte, welche das durch beliebige An⸗ 
ordnung ber farbigen Stäbchen gebildete Mufter in voller Rein⸗ 
heit zeigten. So ward es möglich, die zarten hübſchen Muſter 
zu bilden, welche dem rheiniſchen Grubenſchmelz eigen find. 
Iſt es geftattet Über einen Gegenftand, den man nicht 
jelbft gefehen, nur nad, Abbildung und Beſchreibung zu urs 
theilen, jo möchte ich das Möfllebufter Bronzegefäß fir viel 
älter erllären, als die Übrigen Gegenftände, mit melden es 
aus dem Grabe gehoben ward, Herr Lorange fegt letzleres 
in die jüngere Cifenzeit, und zwar, im Hinblid auf die 
Formen dev Waffen und Geräthe, mit vollem Recht. Das 
mit Schmelz verzierte Gefäß ift, wie Stil und Technil bes 


*) Hinter den feitlih am Rande angebradten Schmeliſchildern 
befinten ſich Deffnungen yum Durchgieben eines Riemens, an bem 
bas Gefäß getragen ever aufgehängt fein mag, da bas unten am Bo— 
ten angebrachte Email durch das Mieterfegen mebr oder minder Scha— 
den nehmen mußte. Diefe unzwedmäßige, auf echt barbarifche Prunt» 
ſucht hindeutende Ausichmüdfung dese Vorens, ſewie ter Umſtand, 
daß die Guuben zur Aufnahme des Schmelzes nicht in die Wanbuns 
gen des Gefäßes gegraben waren, fondern bie emaillirten Ringe auf 
das Gefaäß aufgenieret find, laffen Zweifel auffommen, ob dieſelben 
urfprünglich für dieſe Brongeihale beſtimmt geweſen. 


299 


zeugen, fein einheimifches Fabrikat. Daß es nicht byzantinis 
ſchen Urſprunges ift, beweift der Umftand, daß die emaillirs 
ten Ornamente nicht in Zellenſchmelz, jondern Gruben: 
ſchmelz beftchen. Mit größerm echte darf man bie 
Werfftatt, aus der es hervorgegangen, am Rhein fuchen, von 
wo manches ber berühmten Erbfleinode herftammen mag, 
welches nach dem Norden geführt dort von Geſchlecht auf 
Geſchlecht forterbte, als „der Enzen Altwerk“ bewundert 
und in Sage und Lieb hoch gepriefen wurde; denn, wiewohl 
mir feine Sage befaunt, im weldyer von einem ähnlichen 
Prunfgefäße die Rede ift, fo nehme ich doch nicht Anftand, 
es jenen Kleinoden gleichzuſtellen, die, wie die Goldringe 
Sote's, Fridthiof's und Beowulf's, ja wie das Brifingamen 
und anderes Awerggefchmeide durd die Sagen der Alten 
auch uns befannt geworden, und denen noch immer ein ge 
wiffer märchenhafter Zauber anhaftet, 

Mit Schmelz verzierter Schmud ift ſpärlich mach dem 
Norden gefonimen. Das Kieler Mufeum vaterländifcher 
Alterthlimer befigt eine einzige Bronzefibula, deren mit 
Schmelz verzierte Dedplatte zerftört oder verloren gegangen 
if. Im altwordifchen Muſeum in Kopenhagen findet man 
eine ſchöne emaillirte Bronzefchale, die in Jütland 6 Fuß 
tief im Moor gefunden wurde (befchrieben von Engelhardt 
in den Aarböger f. nord. Oldfyndighed 1868), und vier email- 
lirte Spangen aus dem großen Moorfunde in Vimofe auf 
Fünen. In Norwegen wurde ein Gewicht mit einer email- 
lirten Dedplatte im Stavanger Amt gefunden; aus Schwe⸗ 
ben find nur einige mit einfarbigem Glasſluß verzierte 
Scmudgegenftände befannt. Als fremdartige Kunftproducte 
fallen diefe Gegenſtände im dem norbijchen Sammlungen 
fofort ins Ange, und gewinnen Intereſſe als Zeugniſſe 
eines mehr oder minder vegen Verfehres mit fern gelegenen 
Ländern und Bölfern, 





Ueber das Thierleben des untern Obi und einige meteorologifche 
Grideinungen im Karifhen Meere. 


In der auferordentlichen Sitzung der Gefellichaft zur 
Förberung ruſſiſchen Handels und Anduftrie, welche zu Ehren 
der Bremer Forichungsreiienden (f. oben S. 123) am 14. März 
d. J. im Petersburg abgebalten wurde, ſprach aufier Heren 
N. Latkin, welder uns feinen Vortrag über den Obt und 
fein Flußgebiet ſchon gütigft zur Verfügung geftellt bat (ſ. oben 
Nr. 16, 5. 354 f), Herr M. Sidoroff über die oben be; 
zeichneten Themata. Da derjelbe den Latkin'ſchen Aufſatz in 
mancherlei Hinficht ergänzt, jo machen wir gern von ber 
freundlichen Erlaubniß des Vorftandet des „Vereins für 
die dentiche Norbpolarfahrt in Bremen“ Gebrauch und legen 
biermit aus deſſen „Protokoll der 39, Verfammlung, am 4. 
März 1876*, unferen Leſern den Sidoroff'ſchen Vortrag vor. 
Jener Verein bat fich die große Aufgabe geitellt, geograpbi: 
ſche Eutdetungs: und Forichungsreilen nach dem Norden 
unferer Erde zu veranftalten und deren Nefultate herauszu— 
geben. So bat er die zweite deutiche Nordfahrt ausgerüſtet 
und deren Ergebniffe in zwei Ausgaben, einer großen willen: 
ſchaftlichen und einer kürzern populären, veröffentlicht; fo 
bat er jegt, durch Nordenſtiöld's glüdliche Fahrt nach dem 
Jeniſſei (j. oben S. 121) veranfaft, die drei Reifenden Dr. 
Brehm, Dr. Finish und Graf Waldburg-Zeil nah Weft: 
fibirien entfandt, wo ihre Hauptaufgabe in der Erforſchung 
der Natur: und Handeläverhältnifie des Obi-Gebietes be- 


ftchen fol. Dabei ift der Verein lediglich auf private Unter: 
ftüßungen angewielen und befindet fich nicht in fo alüdlicher 
Lage wie die Afrikanische Gefellichaft, welche Jahr für Jahr 
die namhbafteften Beiträge vom Dentichen Neiche beziebt. Much 
die Koften der) jetzigen fibiriichen Neife lagen nicht baar in 
feiner Caſſe, wenn fie auch durch Garantien von Bremer 
Mitgliedern gefihert waren, al& das Unternehmen beſchloſſen 
wurde Wöllig unerwartet traf dann ſechs Tage vor der 
Abreife der Herren Finſch und Brebm die reiche Gabe des 
Herrn Sibiriafoff (irren wir wicht, im Betrage von 25,000 
Rubel) ein. Die bisherigen Leitungen des Vereins berech— 
tigen benjelben unbeitritten zu dem Anſpruch auf Unter: 
ſtützung, namentlich durch Beitritt und Beiträge, 

Nachdem Sidoroff kurz das mächfte Ziel der Bremer 
Reifenden, Barnaul, gejchildert, wendet er fich zu dem untern 
Obi:Laufe und der Mündung, wo die Erpebition ihre Reiſe 
beichließen wird, 


* 
= E 


An der Soswa, unweit ihres Zuſammenfluſſes mit dem 
Obi⸗Strom, unter 64° nörbl. Br, befindet ſich das Heine 
aber in der ruffischen Geſchichte wohlbefannte Städtchen 
Bereſow. Diefe Stadt zählt gegen 1700 Einwohner, 


39* 


300 


deren Vorfahren größtentheil® aus ben Gouvernements Kar 
jan, Wjätfa und Perm hierher Überfiedelten. Sie hat weder 
ein naturwiſſenſchaftliches Mufeum, noch eine Bibliothek, 
noch Lchranftalten. Doc; auch hier bietet die Natur viele 
Erzeugnifle, welche einer naturwiſſenſchaftlichen Unterfuchung 
werth find; jo 3. B. enthält der Fluß Sodwa eine beträcht⸗ 
liche Menge foldyer Fiſche, wie fie in den fibrigen Flüffen 
Sibiriens, fo viel belannt, nicht vorfommen. Diefe Fische 
werben dort Häringe genannt, aber fie unterfcheiden ſich von 
den Häringen fowohl durch ihre Geſtalt als auch durch 
ihren Gefchmad. Weiter nad, Norden an den Miündungen 
des Obi⸗Stroms werden viele Störe gefangen. Peter der 
Große verfandte aus Archangel den aus Stören gewonnenen 
Leim. Im Jahre 1703 wurde ein Schiff aus Archangel 
nad) Holland abgefandt mit einer Ladung von 9307 Pub 
dieſes Yeims. Um denfelben zu erzielen, bedurfte man nicht 
weniger denn 300,000 Störe, Im Jahre 1869 ſah ich, 
wie die dortigen Eingeborenen auf zwei Renthieren aus Ob: 
dorot nach, Oranez an der Petſchora einen Stör von unge 
wöhnlider Größe brachten, derjelbe follte nad) ihrer Ungabe 

egen 14 Pub Gewicht haben. Dort fommt eine Menge 
Diodfuns vor, ein Fisch von der Art des Schnäpels, welcher 
in den übrigen Flüſſen Rußlands und überhaupt Europas 
ſich nicht findet. Man fängt hier Tſchieren, Störland, 
Quappen, Hechte von 2 Pud Gewicht, ſibiriſche Lachſe, 
Barſche, Braflen, Häringe und andere Fiſche. 

Ich Schließe einige Bemerkungen über den Fiſchfang nad) 
ben Mitteilungen von Reijenden an. Der Obi und fein 
Stromfyftem bieten allenthalben geeignete Stellen für den 
Fiſchfang, und je näher man zu der Obi-Mitndung kommt, 
defto größere Mengen von Fiſchen trifft man an. Die Obi- 
und Taas · Muündungen haben jo zu jagen Sammelpläge von 
Fiſchen. Von der Mündung bis zum Meere ift der Fiſch— 
reichthum noch größer. — Der Obi-Strom fol, wie man 
fagt, gegen Winter „erfterben“, das Waſſer geht unter dem 
Eife dermaßen in Fäulniß fiber, dag die Fiſche darin nicht 
mehr leben fünnen, fie gehen zum Meerbufen oder im die 
benachbarten Gebirgaflüifle, wolelbft fie überwintern. Ob 
diefe Erſcheinung des fogenannten Erſterbens bes Obi⸗Stroms 
von der höchſt geringen Senkung des Flußbettes herrührt, 
welche auf je 10 Werft bloß einen Fuß beträgt, und dieſe 
ſchwache Strömung die Zerfegung von ſchwefelſauren Sal- 
zen begünftigt, mit denen bie Erde der Salzſteppen gefättigt 
ift, oder ob fie im dem völligen Einfrieren des fehr flachen 
Waſſers des ObisBufens (6 Fuß tief laut Karten) ihren 
Grund hat, lann nur durch wiſſenſchaftliche Beobachtungen 
entſchieden werden. Während der Ueberwinterung der die 
in den Gebirgafläfien, im friſchen Waffer, braucht man bloß 
eine Oeffnung in das Eis zu hauen, um alle in der Nach— 
barjchaft befindlichen Fiſche an die Oberfläche zu locden, wo 
fie Yuft ſchöpfen. Dean kann fie dann in beliebigen Mens 
gen herausfiſchen. — Aber kaum haben die Frühlings 
gewäfler auf den Obi-Strom eingewirft und die Eisdecke 
geiprengt, welche hier eine Stärfe von 7 Fuß erreicht, jo 
beginnt auch das Volt der Fifche feine Wanderung den Obi- 
Strom hinauf. Solange noch das Wafler nicht von ben 
Strahlen der Sonne erwärmt ift, wählen bie Fiſche die ties 
feren Stellen zu ihrer Wanderung und ziehen ohne Aufent- 
halt immer weiter; fobald aber das Wafler wärmer wird, 
gehen alle, mit Ausnahme des Störs, Sterletts und des 
fibieifchen Faches, um dafelbft Nahrung zu ſuchen, in das 
„Didicht“ ; fo nennt man flache Einfenkungen des Uferlan: 
des (Wiefen ober Waldland), welche im Frühjahr durch das 
Austreten der Flüſſe unter Waſſer gejegt werden. In die 
fem „Didict*, wo die Fiſche hinreichend Nahrung finden, 
bleiben fie fo lange, bis das Wafler abzunehmen beginnt. 


Ueber das Thierleben des untern Obi und einige meteorologische Erfheinungen im Kariſchen Meere. 


Sobald die Fiſcher diefes bemerken, ſperren fie die Mun— 
dungen ber Dicichte ab und zwar auf eine Art, welche hier 
„Schluß“ genannt wird. An diefem „Sclufie* werden 
jodann bie Fiſche in Meinen Negen gefangen. Iſt die Ab: 
fperrung rechtzeitig erfolgt, fo wird dadurd) cine ſolche Dienge 
von Fiſchen in den Dieichten feitgehalten, daß bisweilen der 
Schluß dem Anprall derfelben nicht Stand hält und umge: 
worfen wird. Modjuns und fibirifche Lachſe werden felten 
in dieſen Didichten angetroffen; fie werden bei hoben 
Waſſerſtande mittelft großer Nege gefangen. Die Samo— 
jeden behaupten, daß die Modjuns und die fibirifchen Lachſe 
fid) wicht lange in den Didichten aufhalten, und nur um 
Nahrung zu ſuchen auf ihrer Wanderung hineinfommen, 

Wenn bei hohem Wafferftande des Obi plötzlich ſtarker 
Froſt eintritt, friert das Waſſer längs ber Ufer bis auf dem 
Grund und zwar auf einem ziemlich, breiten Streifen. Die 
Fruhjahrsgewäſſer rollen über dieſes Eis hinweg, und indem 
fie die Ufer überfchwenmen, bewirfen fie, daß bie auf einer 
Strede von 5 bis 8 Werft an die Erde feftgefrorenen Eis: 
ſtlicke ſich losldſen und plöglid, an die Oberfläde des Waſ⸗ 
fer fommen, Dann hat der Beobachter folgendes Bild: 
das Waſſer läuft raſch von der Fläche des Eiſes ab, indem 
es auf derfelben eine Unmaſſe von Fiſchen zurückläßt, welche 
von Niemandem ausgebentet wird; die im geringer Anzahl 
an ben Ufern des Übi-Bufens nomabdifirenden Samojeden 
haben weber Mittel noch Kräfte genug, um bie Fiſche zu 
fammeln und einzufalzen, und fo werden bdiefelben denn in 
das Meer hinausgetricben, wo fie den Seevögeln und ander 
ven Thieren zur Beute fallen. 

Eine feine Art von Häringen, ähnlid) den Norbfechärin- 
en, zeigt fich im Obi: und Taas:-Bufen während der erften 
age des Yuli umd zieht in außerordentlichen Mengen den 

Obi-Strom hinauf bis an den Hecht Fluß (Schtichutichja) ; fie 
find fehr fett, werden aber nicht gefangen, höchſtens benugt 
man fie zur Fütterung der Hunde. Während des ganzen 
Sommers zieht Schwarm auf Schwarm diefer Häringe den 
Hecht⸗Fluß hinauf bis an die Quellen defjelben im Gebirge, 
Im“ Herbft lehren fie ins Meer zuriid, daun find fie aber 
mager. 

Den Obi-Bufen bevölfert and) eine Menge von Waltofien, 
Seehunden und Delphinen. 

Ungefähr 50 Werft weiter unterhalb von Bereſow liegt 
bie reiche Nieberlaffung Kufchewatstoje mit Kirche und 
Anfiedlerhäufern. Die Wohlhabenheit der Einwohner be- 
ruht auf Ausbeutung der fogenannten Kufchewatsiy Pesti 
(von pesok, d. h. Sand), Es ift dies wegen der ruhigen 
Strömung für den Fiſchfang der befte Plag im ganzen be- 
reſowſchen Bezirk; hier werden die wohlſchmeckendſten Fiſche 
gefangen. Diefe Anfieblung it nod) dadurch bemerlenswerth, 
daß die Anhöhe, auf welcher fie gebaut wurde, mit Maut: 
muthtnochen angefüllt iſt. Nach Pallas ſoll der fteile Ufer: 
abfall dicht an der Niederlaſſung beſonders reich au Mam— 
muthüberreften fein, Beilänfig will ich bier bemerken, 
daß ber berefowiche Kaufmanı Trofimoff im Jahre 1846 
aus dem Bereiche des Baffind des Taas⸗Buſens ein Mam— 
muthgerippe nad) Mostau ſchidte, umd daß im Laufe der 
legten zwei Jahrhunderte unſerer genauern Kenutniß des 
nördlichen Sibiriens, nach Middendorff, nicht weniger ale 
20,000 Mammuthe aufgefunden fein follen, welche das 
Elfenbein auf unfere Märkte lieferten. 

Weiter nad) Norden, 350 Werft von Berefow, den Obir 
Strom hinunter, unter 66° 34° nördl, Br., innerhalb des 
Polarkreifes, am hohen Ufer des Polui-Fluffes, 8 Werft von 
deſſen Mündung, liegt die Niederlafiung Obdorst. 
zählt 42 Hänfer und gegen 150 Einwohner, welche größten 


Sie 


Ueber das Thierleben des untern Obi und einige meteorologifche Erfcheinungen im Kariſchen Meere. 


theils aus Tobolot und Bereſow hierher Überfiebelten. Wäh— 
rend des Sommers find die Häuſer diefer Nieberlaffung 
größtentheils feft verſchloſſen, und der Keifende hat bei feis 
nem Eintritt den Eindrud, als lägen alle Bewohner im 
feften Schlaf; fait alle Einwohner verlaflen nämlich zur 
Sommerzeit den Ort und gehen zum Fiſchfang aus, Ob— 
dorsf ift die nördlichſte Unfiedelung des Gouvernements Tos 
bolat, mit Häufern, die aus den diden Rippen der Barken 
gut gezimmmert find, und einer hübfchen hölzernen Kirche. 
Außer der Ortsgeiftlichkeit halten ſich hier ruſſtſche Miffio: 
näre auf, behufs Belehrung der Oſtjäken und Samojeden 
zum Chriſtenthum. Gegen Weihnachten findet in Obdorst 
ein Jahrmarkt ftatt, zu welchem gegen 10,000 Menſchen 
zufammenlommen. Die Handelöproducte diefes Jahrmartts 
beftehen theils aus Thierfellen (Fellen von Füchſen, Luchſen, 
Eichhörnchen, Mardern, Ottern, Bären, Wölfen, Hermelinen, 
bisweilen aud) von Zobeln, Kenthieren), theils aus Dante 
muthtnochen, fertig genäheten Winterkleidern, wie fie hier 
getragen werden u. f. w. Auf dem Obi-Strom verfehren 32 
Dampfboote, von denen 6 bis 8 bis Obdoref, einige fogar 
bis gegen 250 Werft weiter ftromabwärts *) fahren. 

Ungefähr 40 Werft von Obdorol, nach Norden hin, liegt 
der Sommeraufenthalt des Fürften Taiſchin, deffen Jurten 
die „Flrftlichen“ genannt werden. Im Jahre 1854 war 
diefer Flirt in St. Peteröburg, wurde dort dem Kaiſer Nie 
eolai I. Paulowitſch vorgeftelt und erhielt vom Kaifer eine 
goldene Medaille, am Bande bes Annenorbens um den Hals 
zu tragen, ſowie veiche Sleidungsftüce und einen filbernen 
vergoldeten Becher als Geſchent. Taiſchin regiert über die 
DOftjäten der obdoräfifchen Gemeinde. 

Ic erwähne noch der großen Menge von Renthieren, 
weldye man hier antrifft und deren Hauptfammelplag hier 
iſt. Unſere Regierung wurde auf bie Seuchen aufmerffan, 
denen diefe Thiere zum Opfer fallen. So_find 1865 zwi: 
ſcheu Petſchora, Ob und Jeniſſei gegen 150,000 Renthiere 
gefallen. Im Laufe eines Tages fielen die Hufe des Thies 
ves ab; es finft ſodann zu Boden und bei einigen von ihnen 
fällt fogar die Zunge ab, während fie ihre Wunden leden, 
Auch find Fälle vorgefommen, daß Menſchen angeſteckt wur« 
den und im bemfelben Moment ftarben, wo fie das Fell des 
gefallenen Thieres abzogen. 

Sodann mag nod) der Bogelwelt gedacht werden. Haupt- 
ſächlich treffen wir Möven, verfcjiedene Entenarten, Gänfe, 
Schwäne und überhaupt alle befannten Polarvögel, wie denn 
fiets an filhreichen Orten viele Vögel und andere Thiere 
vortommen, welche von Fiſchen ſich nähren. 

In Berefow werben Ammoniten von bedeutender Größe 
vorgejunden, So wurden 1864 dem Oberhaupte von Bes 
reſow, General Zinz, gegen 25 Pub Ummtoniten von bemers 
fenswerther Größe zugeftellt, von denen ich ein Eremplar 
zum Geſchenk erhielt, welches ich fodann dem Alademiler 
Herrn E, 3. Eichwald übergab. Die Übrigen Ammoniten 
wurden von den Oftjäfen aus ben liäninſchen Jurten an zus 
gereifte Händler verfauft. 

Weiter nad; Norden Öffmet ſich der zweite Buſen des 
Nordifchen Oceans, die Mlindung des Obi-Stroms; hier ift 
feine Schifffahrt mehr, wir finden eine völlige Einöde! Nur 
während des Sommers nomabifiren am weftlichen Ufer Sas 
mojeben mit ihren Menthierherben; zum Winter ziehen dies 


*) Obdorst hat noch eine befontere Gigenthümlichkeit: in jedem 
Haufe werben gegen zehn Hunde gehalten, welche zu verſchledenen 
Dienftleiftungen an Etelle der Pferke verwendet werten. Um Mitter« 
nacht laufen alle Hunde ter Anfledelung, auf ein von eimem Leite 
bunte gegebenes Zeichen, auf dem Plage zufammen, und es beginnt 
num ein allgemeines Geheul, welches ungefähr eine halte Stunde 
dauert, worauf bie Hunte friedlich auseinandergeben. 


301 


felben nad) dem Süden, Nun beginnt bie fange Polarnadıt! 
Den Menſchen ift es ſchwerer, die anhaltende Dunkelheit, 
als den firengen Froſt auszuhalten, wie dieſes aus ben 
Ueberwinterungen auf Nowaja Semlja und Spitzbergen be 
fannt, und fie freuen ſich, ſobald das Nordlicht *) erfcheint. 
Man hat vielfach; verfucht, für dieſe Erſcheinung eine genüis 
gende Erllärung zu finden, aber bis heute ift dieſes micht 
gelungen. Id) erlaube mir daher, hierauf die Aufmerkfam: 
eit ber Herren Gelehrten zu lenlen. Ihre Reife führt fie 
an ſolche Orte, wo diefe Erſcheinung häufiger und intenfiver 
vorfommmt, als an anderen Punkten des Nordens, Vielleicht 
gelingt es ihnen, eingehendere Forſchungen auf diefem Ge» 
biete anzuftellen; das Norblicht beginnt zu Ende Yuguft oder 
im September. 

Nach den Mittheilungen von Neifenden foll das Nords 
Licht auf Spigbergen häufig von ſchwachem Gepraffel beglei- 
tet fein; an den Mundungen des Yeniffei, unweit des Caps 
Tolftor Noß, foll jedoch, nad) den Ausfagen dev Eingebore- 
nen, diefes Gepraſſel jo ftark fein, daß es den Thieren Furcht 
einjagt und die Renthiere vor Schred zufammenfinfen. In 
Zurucanst wird diefes Geprafiel nicht mehr gehört. Die 
öſterreichiſch · ungariſche Expedition erwähnt diefes Gepraſſel 
während des Nordlichtes auf Franz ⸗ Joſephs⸗Land, jedoch nur 
in den Fällen, wo das Nordlicht nach Süden hin oder nach 
ber Seite des Obi-Bufens bemerkt wurde; zeigte es ſich in- 
bef gun Norden, fo wurde fein Geräufc wahrgenommen. 

bgleich nad) den Ausfagen der Bewohner dev nördlichen 
Gegenden, wie z. B. der Shetland-Iufeln und des nörd— 
lichen Sibiriens, das Norblicht jedesmal von einem Geräufc) 
begleitet fein foll, jo widerfprechen dem doch die gelehrten 
Neifenden. Franklin, welcher anfangs an ein von dem 
Nordlicht herruhrendes Geräuſch glaubte, ftellte jpäter die 
Behauptung auf, man müßte die Urfachen diefes Geränfces 
auf der Erde ſuchen. Wrangel, welcher höchſt felten Ger 
fegenheit hatte, Norblicht zu fegen, und obenein ftets ſolches, 
das feine große Höhe erreichte, erflärt, es hätte ihm bloß 
geldienn, als ob das Norblicht ein Gepraffel hervorbrädhte. 
omonofjow erwähnt, die ruſſiſchen Seefahrer, welche Spig- 
bergen befuchten, behaupteten, das Nordlicht fei von einem 
Geräufdz begleitet. Am 10. December 1869, als wir, eine 
Geſellſchaft von acht Perfonen bildend, auf Nenthieren das 
Uralgebirge bereiften, unter 66% nördl. Breite, zwiſchen ber 
Petſchora umd dem Dbi, Hörten wir eim Gepraſſel, dem 
ähnlich, welches von dev Glektricität erzeugt wird, und zwar 
in dem Momente, wo das Norblicht in feiner ganzen Juten— 
fität erſchien. Dieſes Geräuſch erſtarb zugleich mit dem 
Norblicht und begann von Neuen mit deffen Wiedererfcheinen. 
Diefes das Nordlicht begleitende Geräufd; gleicht, wie ges 
fagt, genau demjenigen, welches bei der Erzeugung von Fun⸗ 
fen mittelft einer Eleftrifirmafchine hervorgerufen wird. Der 
frühere Givilgouverneur von Tobolst, Geheimvath Aleran- 
der JRwanowitſch Despot - Zenomwitich, fagte mir, er hätte 
während eines Nordlichts das obenerwähnte Geprafiel gehört, 
als er vor nem Jahren im Auguſt fich auf einem Fahr— 
zeug im ObirBufen befand. Diejes Geräuſch wurde deut— 
lich von allen auf dem Fahrzeug befindlichen Perfonen ge 
hört, und die anweſenden Eingeborenen beugten das Kunie, 
in der Meinung eine göttliche Stimme zu vernehmen. Gin 
anderes Mal war A. J. Despot Zenorwitic abermals Zeuge 
einer ſolchen Erfceinung und zwar in Obboret, Jedoch 
nicht immer ift das Nordlicht von dem befagten Geräufd) 
begleitet, Der rufjische Schiffer Schwanenberg hörte dieſes Ge⸗ 
räuſch zulegt im September 1875, als er fic auf feinem Schife 
unweit des Norbcaps unter 75° nördl. Br, befand. Auch 





*) Dort „wspoloch® (d. h. Sturmlänten) genannt, 


302 


Here Maffimoff befchreibt in feinem Werke „Ein Jahr im 
Norden“ fehr anſchaulich das Nordlicht und verfichert, daß 
laut den Erzählungen von Leuten, welche auf Nowaja Semlja 
überwinterten, dort das Nordlicht ſtets von einem Geprafjel 
und Snattern, wie von Gewehrfalven, begleitet fei, umd 
flößte diefe Erfcheinung ihnen großen Schred ein. 

Könnte man aus diefen Beobachtungen nicht fliglich den 
Schluß ziehen, daß der Mittelpunkt ber ftärkiten elektrifchen 
und magnetifhen Strömungen im Kariſchen Baſſin oder 
im Obi-Bufen zu fuchen fei? 

Geftligt auf die Beobachtungen, ünnen wir fagen: je 
weiter öftlich vom Jeniſſei⸗Buſen und weftlid; von Nowaja 
Semlja, defto ſchwächer ift das obenerwähnte Geräufdh. 
Eine Ausnahme bilden jedoch die Shetland-Infeln; nad) 
den Verſicherungen der Einwohner ift bort jedes Norblicht 
von fehr vernehmbarem Geräuſch begleitet. Hierliber wirb 
auch in dem naturhiftorifchen Lericon von Orbigny gejpro- 
den. Herr Komalsky indeflen, welder das Norblicht in 
Berefow und Obdorsl beobachtete und ausführlich befchrieb, 
erwähnt nichts von einem Gepraſſel oder Geräufh. 1847 


Aus allen 


Mongolifche Karten. 


R.K. Der Kartograph hat mit den Erzeuguiſſen der vers 
Ichiedenartigften Völker zu thun und fie bei feinen zufammens 
faſſenden Arbeiten zu verwertben. Oft find es nur einzelne 
Routen, wie befonders in Afrika, oft aber auch vollftändige 
Darftellungen größerer Gebiete, welche, von Eingeborenen 
ded Landes entworfen, dazu dienen müſſen, die factiichen 
Aufnahmen europäiicher oder amerilanifcher Eulturvölter zu 
ergänzen und in Zuſammenhang zu bringen. So gab ſchon 
179 Dr. Fr. Hamilton eine Öeneralfarte des Reiches von 
Ava heraus, welche ein Sklave von des Königs älteftem 
Sohne in Amarapııra gezeichnet hatte. So befist Japan 
verhäftwißmäßig gute und zuverläffige Karten feiner fänmt: 
lichen Infeln, einzelner Provinzen, Stäbtepläne u. dergl., die 
freilich noch ihrer Verwerthbung und Ausbeutung harren. 
So bat es auch China nicht unterlaffen, auf der Grund— 
lage, welche die Jehniten des Kaiſers Kang-hi zu Anfang 
des vorigen Jahrhunderts durch zahlreiche aftronomifche Orts: 
beftimmungen und Combination und Aneinanderpaffen der 
vorhandenen Sperialfarten geſchaffen hatten, weiter zu bauen, 
freilich nicht nach einem durchgreifenden Syſteme. Je nach 
der Neigung und dem Intereſſe, welches der Mandarin einer 
Provinz oder eines Diftrictes an der bildfichen Darftellung 
feines Gebieted nahm und nimmt, läßt er einzelne ungurei« 
chend befannte Gegenden erforfchen und die Karten danach 
verbeffern oder unterläßt er auch dieſe müslichen Arbeiten. 
Mitunter haben auch Kriegszüge gegen bie noch unabhängi: 
gen Bergvöller befonderd des füböftlichen China eine Er: 
weiterung der geograpbijchen Keuntniſſe zur Folge. Alle 
die fo eutftandenen Berbefferungen wurden in den vierziger 
Jahren diejes Säculums zu einem großen Atlas ber ger 
fammten Monarchie vereinigt, der im Heften erichienen ift. 
Jedes ſolche Heft, von verfchiedener Die, umfaßt zwei Brei: 
tengrade in der Höhe, 3. B. das unterfte oder ſüdlichſte den 
Streifen zwilchen 18% und 20% nördl. Br. (die Infel Hainan 
und bie Halbinfel Liautung), das nächitfolgende alles Land 
swilchen 20° und 220 nörbl. Br. u. ſ. w. Das (nach unſe— 
rer Anjchauung) binterfte Blatt jedes Heftes beginnt im 
äußerften Oſten des Neiches, aljo mit Korea, reip. dem 
Dean, der Inſel Formofa u. ſ. w. Seite mach Seite um- 


Aus allen Erdtheilen. 


und 1848 ftellte berfelbe genaue magnetifche Beobachtungen 
an, und arbeitete magnetifche Tabellen aus, welche ergeben, 
daß in Bereſow bie öftliche Abweichung 13% 55, die Neis 
gung 74°, in Obdorst die Abweichung 16%, die Neigung 
76° beträgt. Zu bedauern ift nur, daß unfere wiſſenſchaft⸗ 
lichen Keifenden in ihren Beſchreibungen von Weitjibirien 
der Erfcheinung des Norblichtes fo wenig Aufmertjamfeit 
ſchenken! 

Obſchon viele Gelehrte, darunter auch Deutſche, den Nor— 
den Sibiriens beſuchten, haben dieſelben manche der Erfor— 
ſchung bedürftige Punkte nicht hinlänglich berüdfichtigt. 
Die ſchwediſche Expedition hat auf ihrer vorjährigen Reiſe 
den Jeniſſei aufwärts viel naturwiſſenſchaftliches Material 
gefammelt. Die geehrten Mitglieder derſelben find jetzt mit 
der Ausarbeitung deſſelben beſchäftigt. Die von ihnen ge— 
wählte Route zur Erforſchung des Ob-Syftems wird ihnen 
noch veichern Stoff liefern. Wir hoffen daher von ihren 
Mühen höchſt wichtige Refultate, ſowohl für die Wiſſenſchaft 
als aud) für Handel und Induftrie ! 


Erdtheilen. 


fchlagend, wie in einer hebräiſchen Bibel, dringt man weiter 
und weiter nach Weften vor, immer fich zwilchen den be— 
treffenden Barallelen baltend. Im feinen ſüdlichen Bartien 
fchmeidet dieſer eigenthiimliche Atlas, der durchaus feinen 
Gelammtüberblid geftattet, an den Grenzen von Cochinchina 
und Birma ab, reicht dagegen weiter nördlid bis über die 
Quellen des Indus, ja bis über das Kaspiſche Meer bin- 
aus und feht fich big weit nad Sibirien hinein fort. Eine 
reiche Nomenclatur und eine ziemlich genaue Feitlegung der 
bedeutenderen Städte zeichnen ihn ans; vobe Zeichnung 
der Küftenlinien, der Flußdetails, der Gebirge find feine 
ſchwachen Seiten. Immerhin bezeichnet er gegen die bisher 
maßgebenden Karten Chinas von d’Anville und Klaproth 
einen ziemlichen Fortichritt; in dem umfangreichen Atlas zu 
v. Richthofen's Reiſewerke über China wird er deshalb 
vollftändig ausgenutt werden. Die Holzftöde dieſes Karten: 
werkes find inzwifchen verbrannt, Abdrücke davon ſchwer zu 
erhalten. 

Fest erfahren wir durch den befannten Oberften Wen: 
iukow, daß Angehörige eines Volkes unter die Kartenzeich— 
ner gegangen find, von welchem man es ſchwerlich vermuthet 
hätte, nämlich Mongofen. 

Karmaſow, der Dolmeticher des ruſſiſchen Conſulats 
in Urga, bat eine Anzahl von Mongolen berrührender Kar: 
ten copirt, die mongoliiche Schrift ins Ruſſiſche überjegt und 
diefe werthvollen Documente dem ruſſiſchen Generalftabe 
übergeben. Es würde zu weit führen, die Beichreibung aller 
diefer Karten zu geben; Einiges davon aber hervorzubeben, 
fünnen wir und nicht verfagen. 

Die erite und größte Karte ift eine Darftellung des 
Aimak des Tuſchetu⸗Chau (im Gebiete der Flüſſe Orchon 
und Tola, um Urge) im ungeführen Mabftabe von 11 Werft 
auf den Zoll; das Driginal wurde 1868 auf Befchl der 
hinefifchen Regierung von den mongolijchen Behörden in 
Urga nezeichnet und dann an das Auswärtige Miniſterium 
in Beling gefendet. Es find dort die Namen auch der Hein: 
ften Ortichaften eingetragen, die Gebirge (nach chineſiſcher 
Gewohnheit in der Berfpective), alle Städte, Dörfer, einzel- 
nen Gebäude, Klöſter u. ſ. w. Meridiane und Barallelfreiie 
find von Viertel: zu Viertelgrad ausgezogen, und nicht nur 
bie Örenzen des ganzen Aimal fondern auch die feiner 


Aus allen Erdtheilen. 


Unterabtbeilungen, der Choſchun, über die man bisher völlig 
im Unklaren war, ausfübrlih angegeben. Alſo eine Karte 
mit vollftändiger Nominiftrativ-Eintbeilung. Eine Gegend, 
welche bisher nur von wenigen dürftigen Reiſewegen ruffi: 
ſcher Forscher durchzogen war, iſt num bis in bie MNeinften 
Einzelbeiten binein bekannt geworben; eine Neprobuction 
oder beffer Verfeinerung diefer 1 Faden langen und 2 Ellen 
breiten Karte würde die Geographie des Orchon-Baſſins und 
bes Gobi füdlich davon bebentend bereichern. 

Eine zweite Karte ftellt die ganze Mongolei vom Sun- 
gari und ber Nama bis zum Dfungariichen Mlatan und von 
der Großen Maner bis an die fibirifche Grenze dar, eine 
dritte und vierte Theile der ruffifch-chinefifchen Grenze mit 
allen Gbrenzpoften und Uebergangsftellen. Andere entbalten 
nur Schematische Skizzen der Straßenzüge in der Gobi, wäh— 
rend die letzte eine Art officiellen Documentes ift. Dieſelbe 
ſtellt den Theil der Mongolei füdöftlich von den Seen Dalai: 
nor (circa 50 deutſche Meilen nördlich von Beling) und 
Bujir bis zum Chingan- Gebirge, welches Mongolei und 
Mandihurei trennt, dar; ihr Original gehört dem mongo- 
lichen Fürften Tſchun-⸗wan, welcher an jenen Seen lebt und 
es auf Erſuchen nach Urga mitbrachte, wo eine Grenzftreitig: 

„ feit zwilchen ihm und den Bargu:Solonen geichlichtet wer: 
den jollte, 

Es ift intereffant zu ſehen, wie verhältnißmäßig leicht 
fih bei ſolchen nomadiſchen Wölfern die genaue Keuntniß, 
welche fie von den weiten Räumen des von ihnen durchwan— 
berten Landes haben, in eine graphiiche Darftellung derfel: 
ben umſetzt; während fait jeder Werfuch 3 B. dem in der 
Cultur viel höher ftchenden deutichen Bauer einen Begriff 
von einer Landkarte beizubringen, auf unüberwindliche Schwie- 
rigfeiten ſtößt. 


Der Bericht des deutſchen Comitis für die internationale 
Ausftellung wiffenfhaftlicher Apparate in London. 


Unlängft bat das deutiche Comits für die internatio- 
nale Ausjtellung wiffenfhaftliher Apparate, welche 
am 1, Mai diefes Jahres im South Kenſington-⸗Muſeum zu 
London eröffnet werden foll, an den Kronprinzen und bie 
Kronprinzeliin des Deutſchen Reiches einen Bericht über feine 
Thätigkeit und feine Erfolge erftattet, der in mehrfacher Hin- 
fiht intereffante Angaben enthält. Das Comite unter Vorſitz 
des berühmten Chemiker A. W. Hofmann verftärkte fich 
zunächſt zu einer alle Zweige der eracten Wiffenfchaften ver: 
tretenden Körperichaft und Fnitpfte fobann mit ſämmtlichen 
wiffenfchaftlichen Corporationen, den Univerfitäten und poly: 
techniſchen Schulen, aus deren Sammlungen Ansftellungs: 
gegenftände im reicher Anzahl zu erwarten jtanden, ſowie 
mit vielen ansgejeichneten Werkftätten der Präcifionsmechanif 
Verbindungen at, die von dem größten Erfolge begleitet wa— 
ren. Kaum jemals that das Comits eine Fehlbitte; das 
ganze Reich überzog fich mit einem Netze von Zweigcomitss, 
beren der Bericht nicht weniger als 40 aufzählt. Schon hier- 
durch wurde diefen Beftrebungen die Ausficht garantirt, daß 
Dentichland in würbiger Weife vertreten fein würde, 

In zweiter Neibe galt es, eine Betheifigung derjenigen 
wiſſenſchaftlichen Inſtitute zu veranlaffen, deren Sammlungen 
Staatseigenthbum find. In allen Fällen wurde dem Erfuchen 
von den betreffenden Minifterien bereitwillig entfprochen ; 
der Natur ihrer Reſſorts nach find es vornehmlich die fünig- 
lihen Minifter des Unterrichts, des Handels, des Krieges, 
fowie der faiferliche Minifter der Marine, welche bier in 
Betracht famen, und allen ſpricht ber Bericht in gleicher 
Weiſe feinen Dank für die gewährte Unterftütung aus. Einer 
gleichen Berückſichtigung hatten ſich die Zweigcomitss in ben 
übrigen Staaten das Reiches an maßgebender Stelle zu 
erfreuen. 

Der Chef des großen Generalftabes entfendet eine Reihe 
feiner werthvollſten Inſtrumente; der Generalpoftmeifter bat 


303 


dem Comitö freie Auswahl and der umfaſſenden, die Ent: 
widelung der Telegrapbie veranfchaulienden Sammlung ge: 
ftattet; ebenſo wurden ihm die auf der Berliner königlichen 
Bibliothet anfbewahrten intereffanten phyſilaliſchen Reliquien 
(darımter die erſte Luftpumpe Otto von Guerile's) von dem 
oberften Leiter diefes Inſtituts ohne Nüdhalt anvertraut. 
Die fönigliche Akademie der Wiſſenſchaften ftellte durch einen 
befondern Beichluf Alles, was aus ihrem Cabinette den 
Zwecken der Ausftellung dienen Könnte, zu uneingefchräntter 
Benutzung; die deutſche chemiſche Geſellſchaft betheiligte ſich 
als Corporation und brachte eine reiche Sammlung höchft inter: 
effanter chemifcher Präparate (an 800 Nummern) zu Stande, 
die fich auf andere Weife kaum zufammengefunden hätten, 

Die Befürchtungen, daf die Betbeiligung deuticherjeits 
nur eine geringe fein werbe, waren nicht jo grumdlos, wenn 
man erwägt, daß dem Gomitö für feine Thätigfeit nur zwei 
Monate Zeit blieb, wie auch, daf die Mürglich erit beendete 
Wiener und die nahe bevorftchende Philadelphier Weltaus- 
ftellung eine Ermübung der betreffenden privaten Ausfteller: 
feeife erjeugt hatten. Trotzdem war der Erfolg ein beden- 
tender. Die Zahl der Ansfteller betrug gegen Ende März 
ſchon 311, bie der audgeftellten Gegenftände 2492, Bablen, 
die ſich noch weientlic erhöhen lönnen. Die Objecte zerfal⸗ 
len in 19 Gruppen (Arithmetikz; Geometrie; Maße; Kine- 
matif, Statif und Dynamit; Molecularphyſii; Schall; Licht; 
Wärme; Magnetismus; Elektricität; Aftronomie; Unger 
wandte Mechanik; Chemie; Meteorologie; Geographie (29 
Ansfteller mit 110 Gegenftänden); Geologie und Bergbau 
(22 Uusjteller mit 118 Gegenftänden); Mineralogie und fry- 
ftallograpbie; Phyſiologie; Unterrichtsfammlungen) und bean- 
fpruchen 109 Duabratmeter Bodenflähe, 442 Quadratmeter 
Repofitorien auf Tiſchen und in Schränken und 29 Quadrat: 
meter Wandflähe. Zur befiern Würdigung diefer Ziffern 
diene die Angabe, daß auf der Wiener Weltausftellung , für 
welche die Vorbereitungen, von einer wohlorganifirten, mit 
reichen Mitteln ansgejtatteten Reichscommiſſion geleitet, eben 
fo viele Jahre in Anfpruch nahmen, als diesmal Monate, 
das Dentiche Reich nur durch 127 Ausfteller wiffenichaftlicher 
Apparate vertreten war. 

Und was von Deutichland gefendet wird, ift, abgeſehen 
von den zahlreichen hiſtoriſch merkwürdigen Iuftrumenten, 
weldje ſich aus ben verichiedenften Gegenden zufammengefun: 
ben haben, eine Answahl der beften wiſſenſchaftlichen Appa— 
rate, welche im unferm Vaterlande bergeftellt werben. Denn 
abweichend von den Maßnahmen bei Beichidung früherer _ 
Ausftellungen haben diesmal Delegirte des Berliner Comitög 
oder ber Hiveigcomitös fämmtliche eingefandte Objecte vor 
ihrer Annahme einer Prüfung unterworfen. 

Zum Schluſſe erbittet das Comitt die Mitwirkung bes 
Deutſchen Reiches zu einem Unternehmen, welches die viele 
anf diefe Ansftellung verwendete Zeit und Mühe erft wahr: 
haft mugbringend und fruchtbar machen würde: es wäre, 
heißt es, jedenfalls im deutſchen Intereſſe gelegen, wenn eine 
Anzahl berufener Männer die Ausftellung in London, fobald 
fie vollftändig geworben fein wird, ftudiren und die Ergeb: 
niffe diefer Studien in einem eingehenden Berichte nieder: 
fegen wilrden. Nur durch einen folchen Bericht, welcher for 
wohl für die Techniler als auch für die Jünger der Wiffen- 
ſchaft eine reiche Quelle der Belehrung zu werden verfpräce, 
würden die großen Opfer, welche bie Ansfteller der Sache 
gebracht haben, im Jutereſſe Dentfchlands ihre volle Ver: 
werthung finden; in der Ernennung einer Berichterftattungs - 
commiffton Seitens des Reiches würde auch das Comité den 
Ichönften Lohn für feine Anftrengungen erbliden, 





Die italienifhe Erpebition nah Innerafrifa. 
W.K. Ueber das Ziel und die Ausriftung der unter 
ben Aufpicien der geographifchen Gejellichaft zu Rom nad) 


304 


dem ännatorialen Afrifa enutſandten Expedition entnehmen 
wir einem Berichte des Jugenieur Maraini an die Geſell— 
ſchaft folgendes Näbere: 

Den eriten Anlaß zu dem Unternehmen gab eine im 
Jahre 1872 in Ftalien eingetroffene Geſandtſchaft des Königs 
Menelek von Scoa, deren Führer, Abba Milaecl, anfer 
den Gheichenten fir den König von Italien auch einen Brief 
des Biſchof Maſſaja überbrachte, eines italienischen Geiſt— 
lichen, der ſeit 30 Jahren den Miſſionsſtationen in Schoa 
vorſteht. Derſelbe verband mit vielen nenen und wertbvollen 
Mittbeilungen über die geograpbiiche und fociale Keuntniß 
des Landes die Aufforderung, italienische Forſchungsreiſende 
nach Schoa zu fenden, wo ihmen eine zuvorkommende Auf: 
nabme ficher fei. Man erachtete nun zwar diejes Land für 
genügend erforscht und nicht geeignet, dem italienischen Namen 
auf dem Gebiete der Entdedungsreilen großen Glanz zu ver: 
leihen; aber die Möglichkeit, eine Expedition daſelbſt ficher 
und reichlich zu equipiren, lieh es als einen günftigen Aus: 
gangspunkt erfcheinen, um von da and nad) dem Seengebiete 
vorzudringen und fo eine Gegend aufzuflären, die noch bie 
wichtigſten Beiträge zur Löjung des Nilguellenproblems zu 
geben verspricht. Auf Grund dieſes Gedankens wurde eine 
Subfeription eröffnet, um im Verein mit den Unterftügungen 
der Regierung und der geographifchen Gefellfchaft zu Rom 
die nöthigen Mittel zu gewinnen, und nachdem dieſe von 
alinftigem Erfolge begleitet war, wurde demnächſt das nähere 
Programm für die einzuſchlagende Noute feitgeftellt, 

68 wurde beitimmt, daß die Erpedition, von einem ber 
drei Häfen Tadſchura, Zeila oder Berbera ausgehend, nach 
Schoa vorrüden follte, um fich von dort ſüdweſtlich durch bie 
Gebiete von Juarea und Kaffa nah dem Victoria-See Uke— 
rewe Nianza) au wenden. Sind diefe Regionen durchreift, 
fo wird man enticheiden Fönnen, ob ber Godſcheb wirklich 
der obere Lauf des Dichuba ift, wie man nach dem biäherigen 
Kenntniffen jchließen konnte, oder ob er ſich, wie bie italie- 
niihe Commilfion meint, im einen ber großen äquatorialen 
Seen ergieft. 

Diele wichtige Frage hofft die nunmehr aufgebrochene 
Erpedition endgültig zu entſcheiden. Der Führer der Erpe- 
dition iſt der in Italien durch feine Neifen im Nilbeden, 
Tunis, im Lande der Bogos und an den Küften bes Rothen 
Meeres rühmlichit bekannte Marcheſe Orazio Antinori, 
der außerdem ald ausgezeichneter Ornithologe Ruf befikt. 
Zu feinen Begleitern find aus der großen Zahl folder, bie 
ſich dazu meldeten, nur zwei gewählt, da cine größere Zahl 
nur die Schwierigkeit des Fortfommensd im ägnatorialen 
Afrika erhöht. Es find dies der Hauptmann Sebaftian 
Martini und ber Ingenieur Chiarini. Erſterer ift be 
reits im Januar vorausgereift und bat von Beila aus im 
Februar einen kurzen Ausflug nach Harrar gemadt; er ift 
von dort nach Aden zurückgekehrt, wo inzwiſchen auch bie 
beiden anderen Theilmebmer Antinori und Cbiarini einge: 
troffen waren. Nach den letzten Nachrichten von Anfang 
April wollte man nur nod einigen Mängeln in der Aus- 
rüftung abhelfen, um dann fofort die Ueberfahrt nach Zeila 
und den Aufbruch nad) Schoa zu bewerfitelligen. 


* Ze" 
— Profeſſor Nordenitiöld will in diefem Sommer 
durd; die That beweilen, daß feine vorjährige Fahrt nad) der 





Aus allen Erbtheilen. 


Jeniſſei Mündung (f. den laufenden Band des „Globus“, 
S, 121 ff.) wirklich einen nenen Seeweg zwiſchen Norwegen 
und der nördlichen Kitfte von Sibirien eröffnet hat. Er ge 
denft zu Anfang Juli mit einem Dampfer, welder 10,000 
Pud laden fan, von Gothenburg direct nach dem Jeniſſei 
und denfelben hinauf bis nach Dudinfo, der legten Dampf- 
bootjtation an jenem Strome, zu fahren, dort Fracht einzu: 
nehmen und damit nach Norwegen auridzufehren. Anderer 
feits wird von den Ruſſen beabfichtigt, mit einem eigens zu 
diefem Zwecle gebauten Dampfer in diefem Sommer von 
Ieniffeist den Strom binab durch das Karifche Meer, die 
Nord: und Oſtſee nad St. Petersburg zu fahren. 


— Der St. Peteröburger „Bolos* fchreibt: Zur Er- 
forichung des Obi-Meerbufens und der Obi-Mündung 
(vergl. oben S. 254 f.) wird die Gefellichaft zur Beförderung 
ber ruffifchen Handelsſchifffahrt zwei erfahrene Seeleute, die 
Lehrer der Schifffahrtsichule zu Hainaſch in Lievland, die 
Herren Dabl und Raudfen, welche bereits an der Petſchora— 
Mündung geweien find, abjenden. Für biefe Expedition, 
welche zunächſt ben rein praftiichen Zwed bat, das Fahr: 
waſſer beſonders an der Mündung durch gebildete und erfah: 
rene Schiffer unterfuchen zu laſſen, wird auf dem Obi ein 
eigenes Meines Schiff erbant. 


— Hanbelöbeziehungen wilden England und 
AUmerifa. Das Darniederliegen des Handels in allen 
Welttheilen tritt uns vor Mugen, fobald wir nur irgend eine 
Zeitung jur Hand nehmen. Wie weit es aber bereitä damit 
gefommen ift, wird in wahrbaft erichredender Weife durch 
ein Ablommen illuftrirt, das die White Star Company und 
Inman Company getroffen haben. Beide Gefellichaften ſand— 
ten wöchentlich je einen Dampfer nach Amerika; von nun 
an werden fie jedoch nur jede zweite Woche einen auslaufen 
laſſen. Nur alle fünf Wochen fenden beide Gejellichaften je 
einen ab. Dieſes Arrangement reducirt ihre Verbindungen 
mit einem Schlage beinahe auf die Hälfte; es werben alſo 
auch eine entiprechende Anzahl von Schiffen, Mannichaften, 
Arbeitern und Beamten beichäftigungelos., Das Schlimmfte 
it, dab auch andere Gefellihaften übliche Mafregeln beab- 
fichtigen. Diefe Zuftände, welche noch gar nicht dageweſen 
find, müſſen dem Handelsſtande ſchwere Sorgen bereiten. 

— Die Revenune der Golonie Victoria belich fih im 
Fahre 1875 auf 4,215,524 Pf. St. gegen 4,053,864 Pf. St. 
im Vorjahre, d. i, ein Mehr von 161,660 Pf. St. Aus den 
Eingangszöllen floſſen 1,599,588 Pf, St, gegen 1,726,716 
Pf. St, aus Acciſe oder Inlandzöllen 93,491 Pf. St. gegen 
110,462 Pf. St., aus Eifenbabren 1,047,978 Pf. St. gegen 
986,438 Pf. St, and dem Poſt- und Telegraphenweſen 
203,076 Bf. St. gegen 191,978 Pf. St. Die Territoriaf- 
einnahme belief fih auf 203,076 Pf. St. gegen 191,973 
BE. St. u. ſ. m. 

Die SGoldfelder der Colonie Victoria ergaben im 
Jahre 1975 einen Ertag von 1,059,323 Unzen gegen 1,102,614 
und 1,249,407 in den beiden Vorjahren. Die Zahl der Gold: 
gräber war auf 42,000 geſunken, gegen 46,800 und 52,544. 
Sehen wir ben, Werth der Unze Gold auf 4 Pf. St., fo 
wilrde damit auf den einzelnen Digger burchichnittlich ein 
wöchentlicher Gewinn von 1 Bf. St. 18 Sc. 10 BP. entfallen, 
gegen 1 Pf. St. 16 Sch. und 1 Pf. St. 16 Sch. 6 P. in 
den Jahren 1873 und 1874. 


Inpalt: Bon Telemffen nad Nemours. (Mit zwei Abbildungen.) — Die Anfertigung der Angelhalen aus Mufcel: 


ſchalen bei den ‚früheren Bewohnern der Inſeln im Santa-Barbara-Canal, Bon Vaul Schumader in San Francisco. 
(Mit sehn Abbildungen.) — Ans und über Arabien. Bon Dr. Albr. Zehme in Frankfurt a. O. — Ein Grabmal eines 
altnorbiichen Seefünigs, Bon F. Mestorf. — Ueber das Thierleben des untern Obi und einige meteorologiſche Erſchei— 
mungen im Kariichen Meere, — Uns allen Erdtheilen: Mongolifche Karten. — Der Bericht des deutichen Comités für die 
internationale Ansitellung wiflenichaftlicher Apparate in London. — Die italienifche Erpedition nah Innerafrifa, — Ber: 


ſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 28, April 1876.) 





Rebacteur : Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenftraße 18, II Tr, 
Drud und Verlag von Friedrich Vleweg und Sohn in Braunfchweig. 





— 
Nit befonderer Berückſichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 


Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit Fachmännern und Künſtlern herausgegeben von 


Dr. Rihard Kiepert. 





Braunſchweig 





Jährlich 2 Bände a 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Poftanftalten 
zum Preife von 12 Marl pro Band zu beziehen. 


1876. 


Thomfon’3 Reife auf Formofa. 


I"). 


Der filbweftlichen Küfte Chinas ift die Inſel Formoſa 
borgelagert, nächſt Hainan die größte der chineſiſchen Inſeln 
und ebenjo unbefannt in ihrem Innern wie jene. Cine 
verhältuigmäßig feidhte Meeresſtraße trennt fie vom Feſt⸗ 
lande. Als ihre Entdeder gelten Chinefen, die erft- im Jahre 
1430 durch einen Schiffbrud) fie näher kennen lernten. Um 
1600 famen zuerſt Dapaner dorthin, ein brittel Jahrhundert 
fpäter Portugiefen, Spanier, denen die Infel ihrem bei den 
Europiern gebräuchlichen Nanıen der „ Schönen“ (Formoſa) 
verdankt, und Holländer, Die Infel, welche etwa halb fo 
groß ift wie Irland und etwas größer als Sicilien, zerfällt 
in zwei völlig von einander verfchiedene Hälften, verſchieden 
nach ihrer natürlichen Beichaffenheit, verfchieden nach ihrer 
Bevölferung. Ebenfo find die beiden Hälften in fehr uns 
Er Weife ber Außenwelt bekannt. Schon ein fllichtiger 

fit auf eine genauere Karte des Eilandes geniigt, um 


+, Mewerkings find einige imbaltreiche Muffäge über Jormoſa et⸗ 
ſchienen, zu denen die meuliche chineſiſch- japaniſche Berwidelung An« 
laß gab; fo befonbers eine ſreffliche Zufammenftellung alles Be— 
fannten von & ©, Ravenflein (The Geogrnphienl Magazine 1, 
1874, p. 292 seg. mit Karte). Weber bas Innere giebt Thomfon 
im Journal der Kopal Geogtaphical Serietp von 1873 Nachricht; 
ſodann F. Knoblauch im arten Hefte ber „Mitebeilungen ker 
deutſchen Seftllſchaft für Nature und Völferfunde Ditafiens” (Woflo« 
hama 1875), währen für bie Küſten zu benugen id „Aus den 
Neifeberichten Sr. Majeſtat Shift „Ariadne”, Gorvetten-Gapitin 
Kühne” in ten Annalen der Hydregtaphie und maritimen Meteo» 
rologie IIE, 1875, Mr.13 u. 14, fowie „Capt. B. W, Bax, The 
Eustern Sens, being a narratire of the voyage of H. M. 5, 
nDwari“ (London, Murray 1875).“ 


@lobus XXIX. Nr. 20. 


diefen Unterfchied fofort zu bemerken. Die trefflichen See 
farten der englifcen Admiralität z. B. zeigen im Weiten 
reiches Detail der Küftenformen wie der Tiefenverhältnifie 
des Meeres, im Often nur eine rohe Küftenlinie und ab und 
zu eine unguverläffige Yothung. Und ebenfo enthält die 
große dyinefifche Starte der Inſel im Weiten eine Menge 
von Fluſſen, Orticaften und Namen und im Oſten nichts 
ald einen großen weißen Fleck. Die reichen, fruchtbaren 
Ebenen des Weſtens ftehen in eben fo ſcharfem Gegenfage 
zu bem gebirgigen Oſten, wie bie eingewanberten Chinefen 
und halbeiviliſirten Cingeborenen auf der dem dhinefifchen 
Feſtlande zugelehrten Seite zu ben Aboriginern des andern 
Abfalles der Gebirge, melde wie ein Rüdgrat die Inſel 
burdjziehen und bis nahe 13,000 englische Fuß anfteigen, 
Schon vor 1430 haben die Chinefen dies Yand, das fie 
Zairwan nennen, gefannt, da die hohen Berge befjelben von 
der gegenüber liegenden Küfte aus fichtbar find; aber fie 
ſcheuten ſich wahrſcheinlich aus Furcht vor den wilden Ein- 
geborenen, es zu betreten. Als aber erft einmal der Anfang 
gemacht war, ſchwoll der Strom ber chineſiſchen Einmwan- 
derer, welche vornehmlich aus ber Provinz Fu-fiang famen, 
raſch an und wußte mehr durch Liſt und diplomatische Ränke 
als mit Gewalt die gutmüthigen und vertrauensfeligen Ein» 
geborenen von ihren fchönen Ländereien zu verbrängen und 
ſich in deren Bejig zu fegen. Städte wurden gegründet (fo 
bald nad) 1682, nachdem die anfangs felbftändigen Chinefen 
ſich der Pelinger Regierung unterworfen hatten, die Haupt« 
ftadt Zai-wan-fu) und mit hohen Mauern umgeben, immer 
39 


306 


mehr und mehr dehnten ſich die chineſiſchen Pflanzungen und 
Gehöfte aus, und ſchließlich blieb den urſprünglichen Herren 
der großen Ebene, welche den ganzen Weften der Infel in 
ihrer gefammten Erftredung von Norden nah) Süden, ja 
noch einen Theil des Nordens umfaßt, nichts übrig, al® in 
den Felſen und Urwäldern des Innern eine Zuflucht zu 
fuchen. Das Grenzgebiet zwifchen den Ureinwohnern und 
den Chinefen haben die Hakeska in Befig, die zwar ebenfalls 





| 
| 


Thomſon's Reife auf Formoſa. 


aus Furfang ftammen, aber ihre eigene Spradje reden und 
mit den Chineſen nidyt verwandt find. Sie find gewifler- 
maßen die Vorpoften der Chinejen und liegen mit den Berg: 
bewohnern im fieter Fehde; ihre Dörfer haben fie deahalb 
befeftigt und mur in voller Bewaffnung wagen fie es, ihre 
Felder zu beftellen. Biele der Mugen und keineswegs fehr 
fampfluftigen Chinefen dagegen ftellen ſich mit den Ein» 
geborenen auf einen guten Fuß, indem fie ihnen Feuerwaffen, 


Bepohoane. 


Bulver, Opium u. ſ. w. liefen und baflie von denfelben 
aufer Kampher, Hörnern, Fellen und anderen Naturproducs 
ten junge Mädchen zur Ehe erhalten (ihre erften Frauen 
haben fie gewöhnlich drüben auf dem Feſtlande gelafien). 
Eine zweite Bevölferungsclafle find die tributpflichtigen 
und halbeivilifirten Eingeborenen in den Thälern und auf 
den Dergabhängen zunächft dem Gebiete der noch gänzlich 
unabhängigen Wilden, Es find die Schehhoand im Nor: 
ben, die, jo weit fie Mderbau treiben, dem im füdlichen Fu— 


| 


fang herefchenden Dialelt angenonmen haben. Die Uebri- 
gen leben von Jagd und Fiſchfang und haben ihre eigen: 
thlimliche Sprache bewahrt, welche, wie die gefammten Dialelie 
ber Eingeborenen Formoſas, mit dem Malayiſchen Aehnlich- 
feit hat und wahrfcheinlich von demſelben abftamınt. Im 
Süden leben unter gleichen Berhältnifien die Bepohoans, 
db. h. fremde der Ebene, meiſt friedliche Aderbauer, welche 
zwar den Dialelt von Amoy fprechen, fonft aber alle Mert- 
male ihrer Abftammung bewahrt haben. Diejenigen unter 


Thomſon's Reife auf Formoſa. 


Jäger aus dem gebirgigen Juneru Formolas, 


307 





308 


ihnen, welche in Nachahmung der Chinefen fid) dem Handel, 
dem Spiele und dem Opiumrauchen hingeben, gehen einem 
rafchen Berberben entgegen, und zu deren Schaden begreifen 
die ſchlauen Einwanderer aus dem Himmliſchen Reiche ſehr 
wohl, welche werthvollen Bundesgenoffen fie in jenen Yeidens 
fchaften haben. Der Bepohoan, welcher einmal eime Pfeife 
Opium geraucht hat, verfauft bald fein letztes Stlid Eigen- 
thum, um nur bem Yafter weiter fröhnen zu können. Biele 
aber, und namentlich die ganz Unabhängigen, hegen einen 
inftinctiven Haß gegen die Eindringlinge und ihre Danaer- 
geichente, und es ift ein wahres Feſt flr fie, wenn eim ums 
glüdlicher Zopfträger ihnen in die Hände fällt und jänmer- 
lic; zu Tode gemartert wird. Und muß fich nicht ein bitteres 
Geflihl des Haffes ihrer bemächtigen, wenn fie von ihren 
Bergeshöhen in die lachende, dörferreiche, von Canälen und 
Straßen durchzogene Ebene hinabbliden, weldye einft ihren 
Vorfahren eiguete, welche ihre Fruchtbarkeit den Waſſern 
ihrer Berge verdankt und von weldyer fie die feiten Städte 
der Fremden fir immer fernhalten ? 

Diefe Ureinwohner *), welche die Chinefen unter dem 
Geſammtnamen ber Tſchiu⸗hoan (d. i. rohe Wilde) oder Sang⸗ 
fan (d. i. Kannibalen, ein Beinante, den fie nicht verdienen) 
begreifen, zerfallen in eine Menge von Stämmen, die in 
beftändigem Kampfe mit einander und mit den Chineſen 
leben und durch ihre Zeriplitterung den legteren das Vor—⸗ 
ruden erleichtern, Nur im äufßerjien Süden der Infel ber 
fteht ein Bund von 18 verfchiedenen Stämmen, Kali ge 
nannt, welche unter einem einzigen Oberhaupte, dem Zofetof, 
ftehen, aber alle zujammen nur 10,000, nad) Anderen fogar 
nur 2500 Seelen zählen. Nördlich von diefen, aber noch 
auf ber ſchmalen Halbinfel, in welche Formoſa nadı Süden 
ausläuft, figen die Butang; weiter hinauf, genau öfllid) von 
ZTairwan-fu, die Bantanlang, dann die Pafchien, Sibifun, 
Samobii, Pſchui-hoan, Pſchai⸗hoan u. ſ. w. So feindjelig 
ſich dieſe Stämme gegen die Chineſen verhalten, eben fo 
freundlich find fie den Europäern, die fie mit den Hollän- 
dern, denen fie ein gutes Andenken bewahrt haben, zufammens 
werfen. 


* 
* * 

Die Producte der Inſel find zahlreich, aber der Handel 
liegt unter dem Drude der verſchiedenſten directen und ins 
divecten Steuern, welche die chineſiſchen Behörden erheben, 
danieder, und die wenigen Häfen an der Nord» und Weit: 
füfte, welche dem Verlehre dev fremden Bölker geöffnet find 
(Kelung und Tamſui im Norden, Taiswansfu und Tasfau 
im Weiten), verfanden zunehmend und bieten der Schifffahrt 
täglich größere Schwierigkeiten dar. Haft die ganze Weit: 
füjte von Formoſa wird nämlich durch fehr niedriges ebenes 
Borland gebildet, welches befonders bei Tai-wansfu und nord» 
wärtd davon weit vorliegende Sandbänfe und Untiefen hat, 
welche, wie nachweislich die gefammte Weftküfte, in beftäns 
digem Anwachſen begriffen find. Kelung ift wenigftens ftets 
zugänglich, während Ta-fau infolge der Strömung während 
des Norboftmonfung (die Strömungen in der Straße zwijchen 
Formoſa und dem Feſtlande find überhaupt ſehr ftart, un: 
regelmäßig und meiſtens von den herrichenden Winden beein- 
flußt) und wegen ber heftigen Brandung fajt die Hälfte des 
Jahres hindurch den Schiffen fo gut wie verſchloſſen iſt. 
Bon großer Wichtigkeit find die neuerlich aufgefdjloffenen 
Kohlenminen im Norben der Anfel, deren Product, be: 
ſonders mit englifchen Kohlen gemifcht, ein ganz vorzügliches 
Heizmaterial abgiebt, jo daß die fremden Handelsdampfer ſich 

*) Bergl. über biefelben und ihre Sitten und Lebentweiſt, was 


wir in Od. XXVI (1874), ©. 253 ff. nah @. 6, Taintor in 
Schanghai mitgeibeilt haben, 


Thomſon's Reife auf Formoja. 


ſchon ganz daran gewöhnt haben, Kelung anzulaufen, um 
Kohlen einzunehmen. Trotzdem biefelben auf die primitivfte 
Weiſe durd; horigontale Günge anftatt durch Tiefbau gemon- 
nen werden, umd bie Behörden ſich alle Mühe geben, ihre 
Production durch ſchwere Steuern herabzumindern *), fo ftieg 
dennoch die Ausfuhr bderfelben aus den beiden nörblicen 
Häfen Tamfui und Kelung in dem Zeitraume von 1869 bie 
1873 von 247,476 Pituls (Handelegewicht in ganz Dft- 
alien, das nad) den Verträgen der Engländer gleich 60,478 
Kilogramm ift) auf 758,974 Pituls und läßt alle anderen 
Erportwaaren, als da find Kampher, Neis, brauner Zuder, 
Thee, Holz und Hanf, an Menge und Werth weit hinter ſich 
zurlick. Sobald nur diefe reichen Lager erſt rationell betvie- 
ben und die hohen Zölle ermäßigt werben, wird bie Kohlen: 
ausfuhr Formoſas auch ſich mächtig heben und die ihr ges 
bühvende Wichtigkeit für den Handel der oftafiatifchen Gewäſ⸗ 
fer erlangen. 

Wichtig ift ferner dev Kampherbaum (Laurus Cam- 
phora), welcher die unterfien Abhänge der Gentralfette, na: 
mentlic, im ihrem nördlichen Theile, im großen Wäldern 
bededt und trog der enormen jährlichen Abholzung jo bald 
noch nicht aufhören wird, Planten und das zur Gewinnung 
des Kamphers nöthige Holz zu liefern. Diefes legtere wird 
von den Eingeborenen gefammelt und an die Hak-fa verfauft, 
welche es im Kleine Stüde baden und durch ein einfaches 
Berfahren auf einander folgender Sättigung, Verdaupfung 
und Condenfirung ben Kampher gewinnen und dann das 
Holz zur Feuerung verbrauchen, Bis 1868 war der Han- 
del mit diefem Product Monopol und an einen chinefischen 
Generalpächter verpachtet, der vortreffliche Geſchäfte gemacht 
haben muß, da 1 Pikul, der am Herftellungsorte 6 Dollars 
foftete, in Honglong 28 werth war, Als dann 1868 das 
Monopol aufgehoben wurde, ftieg die Ausfuhr diefes Artikels 
fofort nahe auf das Doppelte; allein jetzt follen den chine ⸗ 
ſiſchen Agenten der fremden Kaufherren fo viele Hinderniffe 
in den Weg gelegt werden, daß diefelben faft wieder einer 
Monopolifirung gleichtommen. Immerhin aber erportirten 
Tamfui und Kelung in den fünf Jahren von 1869 bie 1873 
tefp. 13,797, 14,481, 9691, 10,281 und 10,755 Pituls 
diefer werthvollen Drogue. 

Der von China aus eingeführte Theebau bot anfangs 
mancherlei Schwierigfeiten dar, hebt fich aber reißend raſch, 
da ber Pilanzer ohne viel Rifico von jedem Acre an 10 Pf. St. 
(200 Reicdysmarf) jährlich einnehmen kann. Den größten 
Theil der Ernte nimmt Newport; feinere Sorten gehen nad) 
England. Bon 1869 bis 1873 hob ſich der Export, der 
meift über Tamfui geht, von 5469 auf 15,609 Piluls. 
Der auf den Bergen unweit Taiswan-fu wildwachſende Thee 
wird bis jegt nur im Inlande verbraudt; Chinefen ver» 
fuchen, ihm zu veredeln. 

Während fo der Norden Kohlen, Thee und Kamıpher lie: 
fert, hewefcht im Süden der chineſiſchen Hälfte Formoſas bie 
Production von Reis und Zuder vor, während die Mitte 
Indigo hervorbringt. Der Reis ift wegen feiner Güte in 
China fehr gefudyt und Taiswan-fu fol davon jährlid, über 
eine halbe Million Piluls, befonders nad Fusfiang, ver 
frachten. Zuckerrohr gedeiht im Süden trefflic und brauner 
Zuder wird in Menge von Ta-fau und Taiswan-fu verſchifft, 
befonders nad) Japan, China und Auſtralien, Das Ber 
fahren bei feiner Gewinnung ift jo vob, daß gegen 10 Procent 
Auder verloren gehen, und die Einführung von Mafchinen 
ift am der Paſſivität der Chinefen gefcheitert. Was jonft 
noch an Hanf, Bambus, Sefam, Grundnußöl u. j. w. aus: 

*) Ganz neuerbings machte der Mandarin von Kelung befannf, daß 


die Diinen nunmehr mit englifchen Maſchinen bearbeitet und einige 
Bergleute ala Lehter ker chineſiſchen Arbeiter angeftellt werden fellten, 








Thomſon's Reife auf Formoſa. 309 


Ta⸗tau auf Formofa. 


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310 


Die californiſchen Indianer. 


geführt wird, ift gering im Vergleiche mit den fünf ebem| des Meeres, welches Sand anfpülte, und des Stromes, der 


näher befprodyenen Artifeln. An Mineralien find bis jegt 
außer den Kohlen noch trefflicher Schwefel und Petroleum, 
beides in der Nähe von Tamſui, befannt; aber ihre Gewin⸗ 
mung ift von ber Regierung verboten worden und fann nur 
heimlich betrieben werben, fo daß felbft die Behörden auf 
Formoſa den zur Pulverbereitung nöthigen Schwefel von 
Amoy fommen laflen müflen. Sollten ſich aber bei näherer 
Erforfchung der noch faſt unzugänglichen Ofthälfte der Iufel 
aud) weiter feine nugbaren Mineralien finden, fo hat fie doch 
auf alle Fälle an ihren noch unberührten, tiberreichen und 
fippigen Wäldern auf lange Zeit hinaus den Foftbarften 
Schatz, der einft zum Baue von Schiffen und für die Edywels 
len der Eifenbahnen, welche das Himmliſche Reich durchgie— 
hen follen, ausgebeutet werden wird. 


* 
* u 


Mr. J. Thomfon, deſſen Erzählung wir weiterhin 
folgen und nad) deſſen Photographien und Skizzen die bei» 
gegebenen Holzftiche hergeftellt find, bereifte in den Jahren 
1870 bis 1572 China als Photograph. Die Frlichte feiner 
Reiſen und Aufnahmen bilden eine große Anzahl trefflicher 
Photographien, von denen 200 mit erläuterndem Texte zu 
vier Pradıtbänden vereinigt als „Ilustrations of China 
and its people* feit 1873 in Yondon erfchienen find. Im 
Berlaufe feiner Reifen beſuchte er auch im Begleitung des 
Dr. Marwell Kormofa und mäherte ſich der Inſel zuerft 
bei Ta-au. Die Rhede von Ta-lau ift gegen Nordwinde 
wenig gefchlügt, dagegen fehr gut gegen die öftlidyen durch 
den ungefähre 366 Meter hohen Ape Hill (Affenberg, jo 
genannt nad) dem zahlreich dort haufenden Bierhändern), 
welcher eine vorzligliche Landmarle zum Anfegeln abgiebt, 
fowie durch Saracen Head, einem füdlicd davon liegenden 
langgeftredten felfigen Hügel, auf welchem jest ein Wort 
errichtet wird. Zwiſchen diefen beiden fteil abfallenden Ber: 
gen ift die ungefähr 30 Meter breite Einfahrt zu dem Hafen, 
vor welcher jedoch eine Barre liegt, welche Schiffe mit etwa 
3%, Meter Tiefgang bei ruhigem Wetter paffiren fünnen, 
auf der aber ſelbſt bei mäßigem nördlichen Winde eine fo 
bedeutende Brandung fteht, daß das Paffiren derjelben für 
Boote gefährlich wird. Hinter der Einfahrt erweitert ſich 
der Hafen zu einem geräumigen Bafjin, das im einer 10 
Scemeilen langen Yagune ausläuft, aber durd; Saudbbünfe 
und Untiefen fo verengt wird, daß nur wenige Schiffe darin 
Plag finden. Thomſon ift der Ueberzeugung, daß eine euro» 
päifche Macht Leicht im Stande fein wiirde, dem Anwachſen 
der Sandbänfe im Hafen von Tarfau Einhalt zu thum und 
felbft die Barre zu befeitigen. Noch zur Zeit der Holländer 
mündete im das flidliche Ende der oben erwähnten Lagune, 
die damals noch nicht eriftirte, ein großer Fluß, deſſen heute 
faft trodenliegendes Bett als Angemangsfang, d. h. Watt 
bes rothhaarigen Volkes, befannt it. Die vereinten Kräfte 


Maſſen von Geröll von den Bergen herabführte, erzeugten 
einen langen und breiten, heute mit Üppiger tropifcher Be 
getation bededten Streifen Yandes, der jene Lagune von der 
See ſcheidet. 

Ein chineſiſcher Yootfe mit dem Spignamen Opium, wel: 
hen er feiner Beſchäftigung, diefen Artikel einzufchmuggeln, 
verdaulte, führte Thomſon's Schiff in den Hafen. Noch 
aber befand fid) diefer 1 bis 2 Kilometer vom feften Lande 
entfernt und da er bei der hochgehenden See nicht Yuft hatte, 
fid) den erften beften Boote anzuvertrauen, fo entſchloſſen 
er und Dr. Marwell ſich, mit „Opium“ an bas Laud zu 
fahren. Der war wegen feines unerſchütterlichen Kaltblutes 
und feiner Unerſchrodenheit felbft bei dem ſchlimmſten Wetter 
berühmt, und im Opiumfcmuggel fuchte er feines Gleichen, 
wie Überhaupt die Chinefen, z. B. in Californien, gerade für 
diefen Erwerbözweig fpecielle Vorliebe befigen. Nur haben 
fie in den Sans sranciscaner Zollbeamten ihre Meifter ges 
funden, welche das vielbegehrte Gift ſelbſt in dem Doppelboden 
eines Neijeloffers, in den Sohlen feidener Schuhe oder im Futter 
eines wattirten und gefteppten Rockes zu entdedten verflchen. 

Mit fiherer Hand führte Opium den Kahn durd) die 
wilde Brandung in eine Heine von vulcanijchen Felſen um« 
gebene Bucht. Die Stlippen fehen aus wie gefcdmolzenes 
und plötzlich erftarrtes Erz und find voller Höhlen und Yöcher, 
deren Ränder hart wie Ktieſel und ſchneidig wie Glas find. 
Meift enthalten biefelben etwas fandige Erde, im welcher 
Sträuder und Zwergpalmen wachen. Beim Landen iſt 
man Üüberrafcht, zu beiden Seiten hübſche europäifd, gebaute 
Häufer zu finden jowie einen Quai, am dem die Schiffe an« 
legen fünnen. Der chineſiſche Theil von Ta-fau erinnert 
durch fein tropiſches Ausſehen und feine Schattigen Palmen ſeht 
an die Ortſchaften des Malayiſchen Archipels. Nur bezeug: 
ten die Schaaren großer Schweine, welche überall herumliefen, 
fofort, daß dort weder Mohammiebaner noch Dlalayen wohnen. 

Der Handel der Stadt ift Ichhaft: Taufende von cine; 
fifchen Fahrzeugen importiren Artikel von ganz China und 
erportiven Yandesproducte (1872 im Werthe von über 7 Mil- 
lionen Mark), namentlid) Zuder von Januar bis März und 
Reis im Juni und Juli. Der Fiſchfaug, bei weldyen Ka— 
tamorans, aus Bambus verfertigte Boote, verwendet wer: 
den, iſt ziemlich bedeutend, das Yand im Innern reich au 
Früchten mancherlei Art. Mit Tai-wan-fn beſteht eine regel: 
mäßige Verbindung zu Waſſer und zu Yande, weld) legtere 
durd; Yäufer unterhalten wird. Dielelben befommten von 
den Europäern eine monatliche Beiftener und befördern baflir 
täglich die Briefe. In Bezug auf den auswärtigen Handel 
find indeſſen beide nur etwa 20 Seemeilen von einander ent» 
fernten Orte fast als ein Plag zu betrachten; wenigftens find 
die Vertreter der fremden Sandelshäufer Agenten fiir beide 
Pläge: fie wohnen in Ta-kau und machen nur häufige Rei— 
fen nadı Tai-wansfır, 


Die californifhen Indianer. 


Mit dem Worte „Indianer“ pflegen wir unwillkürlich 
mancherlei Begriffe und Cigenfchaften zu verbinden, die in 
Wirklichteit nur für die atlantifhen Stämme der amerilas 
nifchen Ureinwohner zutreffen, und von denen man vollfom« 
men abjehen muß, wenn man fi) von dem californifchen 


Zweige derfelben ein richtiges Bild machen will. Dahin 


gehört der Begriff des ‚Großen Geiftes“, dem dies realiftifche, 
alles Ideelle perfonificirende Bolf nicht fennt; ferner die 
„himmlischen Dagdgründe*; denn ihr Himmel ift ein Scjla« 
raffenland, in das eine Anftrengung wie die Jagd nicht 


Die californiſchen Indianer. 


paffen würde. Unzutreffend it ferner fiir fie die „Kupfer« 
farbe“, „die fühnen Geſichter mit der Adlernaſe“ und der 
„barbarifch prächtige Hörperfhmud“. Unerfclitterliche Feſtig 
feit zeigt zwar der zum Tod verdammte Krieger glei) dem 
Irotefen oder Vawnee, aber feine Augen können den Groll 
über fein Mißgeſchick nicht verleugnen. Unzutreffend ist ſchließ 
lich die „blutige Scalplode*, der „Marterpfahl des Gefange- 
nen®, die „rohe Kriegsfarbe“ (die Galifornier verwenden 
dazu Schwarz), das Tomahawl, das Totem und das Kalumet. 


311 


Mir haben es mit einer niedrigen Race zu thun, diel« 
leicht einer der niedrigften auf der Erde liberhaupt, und doc) 
weiß uns die Geſchichte ihres Dafeins belehrend genug von 
barbarijcher Fülle und Reichthum und von ber Fähigkeit in 
der Eivilifation nicht fortfchreitender Wilden, große und dichte 
Bevölterungen herporzubringen zu erzählen, mehr vielleicht 


‚ ale die wenn auch romantijchere Geſchichte der Algonquine. 


Mancher unferer Leſer wird faum glauben, daß Californien 
Gegenden befigt, die einft mehr Indianer ernährten, als je 





Indianer von der caliſorutſchen Wiijpom in Weonteren. 


Weihe auf ihnen Play finden werden ; aber davon wird fich 
jedenfalls mandyer durch die Yectlire bes Folgenden über— 
zeugen, daß die Urface des Verſchwindens der Indianer 
nicht in der Wildheit an und für fich Liegt und daß der 
weiße Dann richt, wie die Phrafe lautet, „gelommen ift 
um den Platz einzunehmen, den der Eingeborene leer zurlick⸗ 
gelafien hat“, indermord mag bei ihnen häufiger al& bei 
uns vorgefommen und bei Zwillingen infofern weniger hart 
zu beurtheilen fein, als fie fünftliche Nahrungsmittel nicht 
lannten; gelegentlicher Eiternmord, wenn auc häufig auf 


(ad) cur Photographie.) 


Anſuchen ber entfräfteten Alten felbft, mag bei uns feine 
Parallele finden; was aber Rache. Verrätherei, Grauſamleit, 
Mord — die ſchwarze Seite ihres Lebens — betrifft, jo ift 
in diefer Hinficht von ihnen nie etwas verlibt worden , was 
nicht durch Thaten einzelner Grenzmänner minbeflens auf: 
gewogen wäre, und wenn Wood im feinem großen Werke 
Über unciviliſirte VBölferracen behauptet, daß die wilde Welt 
ſich felbft aufrieb, während der weiße Dann noch weit weg 
war, fo hat died wenigftend für die californijhen In— 
bianer feine Geltung. 


312 


Man findet bei den californiſchen Stämmen fieben be» 
ftimmt verfchiedene Arten von Wigwams. Ie nachdem dieſe 
oder jene Art von Material in einer Gegend vorherrichend 


ift, beftehen fie aus Holz, Erde oder verfchiedenen Sorten | 
Stroh. Im waldigen Gegenden dienen große Stüden Rinde 


beftimmter Baume zur —— des legelförmigen Stan» 
gengerüftes; in den baumlofen Ebenen dagegen wird aus 
Erde und Yehm ein fuppelförmiger Ban errichtet, dem nur 
wenige Balfen zur Stüge dienen. Die Strohhlitten pflegen 
jährlich verbrannt zu werden, um das Ungeziefer zu tödten, 





Indianer von der caltforniſchen Miljion. 


Auf der Spige des Hügels, inmitten des Dorfes, erhebt 
fid) das fuppelförmige Tanzhaus meiſt unmittelbar unter 
dem Schatten einer allein ftehenden breiten Eiche, deren 
Zweige das Dad) des Haufes vor der Einwirkung der 
Sonnenſtrahlen fchligen und daſſelbe, zumal es ftarf mit 
Erde beworfen ift, zu einem angenehmen, fühlen Aufenthalt 
während des Tages machen. Drinnen liegen die Männer 
ausgeſtreckt auf dem fühlen Eſtrich, und von Zeit zu Zeit 
fann man einen derfelben durch dem niedrigen runden Ein— 
gang auf allen Bieren hinein oder heraus kriechen jehen. 


Die californifchen Indianer. 


und im ber warmen Sahreözeit, im der ja in Californien 
vom Regen nichts zu fürchten ift, verlaffen alle ihre wärmer 
ren Quartiere und leben in „wickiups“, Buben aus Reifig- 
holz, die oft nur aus einem flachen Dach ohne Seitenwände 
beftehen und am Ufer der wenigen Wafjer führenden Ströme 
auf Heinen Hligeln erbaut find. Hier verbringen ihre Ins 


‘ faflen dem langen woltenlofen Sommer in leichtlebigem, 
fröhlichen Nichtsthun, Beeren und Wurzeln fammelnd, Yachie 
ſchießend oder last not least im Schatten irgend einer gro- 
gen Eiche hingeftredt ausruhend, 





— |, tND 


Mac einer Vhotographie. ) 


Die Weiber, welche das Tanzhaus nur an feftlihen Tagen 
betreten dürfen, und bie Kinder fuchen ſich außerhalb befjel- 
ben einen möglichſt fühlen Plag aus, 

Rund um das Tanzhaus find etwa ein halbes Dußend 
oben coniſch zugehende, rauchgefhwärzte Hlltten über den 
Hügel verteilt, jede mit einer Deffnung auf der Nordfeite, 
um ihre Bewohner vor der Sonne zu fchligen, und rohe 
Widiups erftreden fid) von einer zur andern oder find wie 
Flügel zu beiden Seiten angebradjt. Ein ober mehrere 
Kornfpeicher von noch ſchlechterer Beſchaffenheit, einem 


Die californischen Indianer. 


Orboftfaß in Form und Größe ähnlich, voll von Edern 
und mit Neifig bebedit, befinden fidh in unmittelbarer Nähe. 
Träumen, Schlafen und nochmals Schlafen ift die Tages- 
ordnung; fein Laut unterbricht die Stille der heißen Tage 
außer etwa das einförmige Getöne des Mörfers, in bem 
irgend eine Squaw Edern ftößt. Kommt die kühlere Nacht, 
fo ergiebt ſich das ganze Lager, in Lebhaftigkeit mit dem tol= 
len Jubel der Neger wetteifernd, dem Bergnligen des Tanzes. 
In körperlicher Hinficht unterſcheiden fie ſich weſentlich 
von dem traditionellen Algonquin-Typus. Ihre Figur ift 
etwas fürzer und namentlich in ber Jugend breiter; ihre 
Farbe ift nicht kupfern, fondern ſchwankt vom Gelb und Nuß- 
braun bis zum Dunlelbraun und fogar Pechſchwarz. Die Nafe 
hat nicht die kühne Adlercurve, fondern ift platt, und bie 
Nafemvurzel erhebt fich nicht Über die Berbindungslinie der 
Augenpupillen, fo daß eine fir einen californifchen Indianer 
beredynete Brille keinen gekrümmten, fondern einen geraden 
Berbindungsbalken der beiden Gläfer haben mitte. 

Ihre phyfifchen Kräfte Überfteigen die der Chineſen, wo⸗ 
für der Lohn, dem fie ald Arbeiter empfangen, der ficherfte 
Mafftab if. Ein Chinefe erhält bei Eifenbahnbauten 
1 Schilling pro Tag und beföftigt ſich felbft; Indianer, die 
truppweife an Chaufleebauten arbeiten, erhalten 75 Cents 
bis 1 Schilling umd Belöftigung, was im Ganzen einem 
Lohn von 1,25 bis 1,50 Sch. entipricht. Dabei vertrauen 
ihnen Farmer werthvolle Gejpanne und complicirte lands 
wirthichaftliche Maſchinen weit cher an, als einem Chinefen; 
ja fie laſſen fie fogar mit am ihrem Tiſche eflen, was fie 
einem Ehinefen nie geftatten wiirben. Die heiße und ſchwere 
Arbeit in den Plantagen hält der Indianer befjer aus, als 
ber ebenfalld aus heißem Klima kommende -Chinefe, und 
auch im ehrlichen Kampje Mann gegen Dann wirb letzterer 
ftets den Kürzern ziehen ; furz der Indianer übertrifft ihn in 
förperlicher Beziehung in jeder Hinficht. Freilich find bie 
Berg⸗ Indianer, welche mehr Gelegenheit zur Jagd haben, 
nicht fo willig zur Arbeit, wie die ThalsIndianer. Die Ber 
hauptung, daß die Indianer ungeheuer ftarfe Eſſer feien und 
dieſem Umftande ihre Ueberlegenheit über die Chinefen als 
Arbeiter zu danfen haben, verdankt übrigens einem Vorur ⸗ 
theil ihre Eutſtehung; allerdings effen die neu in eine Plan- 
tage lommenden filr einen oder zwei Tage fehr gefräßig, um 
ihren von ber wenig nahrhaften Koft wilder Früchte ausge 
vweiteten Magen zu fitllen, dann aber werben fie von ber 
beffern Belöftigung eher gefättigt und brauchen nicht mehr 
als ein Weißer, ber biefelbe Arbeit thut. Der Irrthum, 
daß ihre phyſiſche Beſchaffenheit nicht der obigen Schilderung 
entjpreche,, geht von denen aus, die mur bie berfommenen 
Ueberrefte der Race im Flachlande kennen gelernt haben, 
als die fräftigeren Bergbewohner bereits aufgerieben waren. 
Alte Pionniere, namentlich; am obern Yaufe bes Trinity und 
am Fuße bes Felſengebirges, ſprechen dagegen mit Begeifte- 
rung von wahren Riefen, die fie in früheren Tagen gefehen 
haben, prächtigen nicht diden, aber fehnigen Burſchen von 
minbeftend 180, ja 200 bis 250 Pfund. Andererfeits fals 
len fie allerdings, namentlich, die Weiber, im höherm Alter 
außerordentlich ab, was ihnen dann ein verfchrumpftes, runz« 
liges Ausjehen giebt, und es kommen einzelne Fülle vor, 
daß alte Yeute nicht viel über 50 Pfund wiegen. 

Wirllichen Schaden für ihre körperliche Beſchaffenheit 
hat dagegen die Berührung mit ber Civilifation fur jte im 
Gefolge gehabt. Obwohl fie im ihrem Aeußern ſchmutzig 
find, giebt es doch unter allen denen, bie bei ihrer urjprling- 
lichen Yebensweife geblieben find und ihre Nahrung kalt zu 
ſich nehmen, nicht einen, ber nicht wunderfchöne weiße Zähne 
hätte Mit dem Genuß von heißem Kaffee und heiker 
Speife fangen fie an, an Zahnſchmerzen und übelriechendem 

Globus XXIX. Nr, 20. 


313 


Athem zu leiden. Frllher, da ihnen das Entlleiden feine 
Umftände machte, wetteiferten fie mit ben Enten im Aufent⸗ 
halte in dem nafjen Elemente und in ber Fähigkeit, Tange 
darin unterzutauchen und befanden ſich wohl dabei. Seit 
fie Kleider ober befier gejagt Lumpen anlegten, fingen fie 
an biefer guten Gewohnheit zu entjagen, während jie mur 
an befonders heißen Tagen ſich ihrer armſeligen Fetzen ent» 
ledigen, durch bie fie immerhin fo verwöhnt find, daß fie 
fid) nunmehr Erkältung, Huften, Bräune und Schwindſucht 
zuziehen, Ktrankheiten, durch die fie zu Tauſenden weggerafft 
wurden. Im ber That, feit Adam und Eva das verhäng- 
nißvolle Feigenblatt anlegten, ift Kleidung flr fein Volt 
ein Symbol von ſchlimmerer Bedeutung gewefen. 

Wenn es richtig ift, daß die beiden vorzliglichſten Zei 
hen nationaler Größe Tapferkeit im * und vorgeſchrit⸗ 
tene ſociale Stellung des Weibes ſind, ſo ſcheinen unſere 
californiſchen Indianer allerdings eine niedrige Stufe ein« 
unehmen. in friegerifches Volt waren fie wenigftens 
nicht; das beweift ber vollfommene Mangel des Schildes 
und die geringe Anzahl von Kriegswaffen, die nur in Bogen 
und Pfeil, ſehr rohen Speeren und gelegentlichen Stein» 
ſchleudern beftanden. Freilich würde es ungerecht fein, ihre 
Kriegäthaten mit benen der Ulgonquin-Stämme vergleichen 
zu wollen; denn während legtere während zweier langer, bluti« 
ger Jahrhunderte, in benen fie ihren Ruhm erwarben, beinahe 
immer in Üüberlegener Stärle gegen jpärliche Niederlaffungen 
fämpften, deren Snfaffen nur zum geringern Theil waffenfähig 
und außerdem durch Malariafieber, wie fie in neu gerodeten 
Wäldern entftehen, geſchwächt waren, ergoß fid) Über jene 
ein Strom von Hunderttaufenden auserlefener junger Män« 
ner der Nation, bie, unbehindert von Weib und Kind, mit 
ben verheerendften Waffen meuefter Eonftruction ausgerüſtet, 
bon der ungeftämen Energie befeelt waren, die der grenzen⸗ 
loſe Golddurſt in dem richtigen Amerikaner erzeugt. Wehe 
bem Dorfe, das nur im Verdacht ftand, den Dieb eines Pad- 
eſels zu feinen Einwohnern zu zählen, oder das ſich nur 
vernehmlich darüber beflagte, daß die Goldgräber das Wafs 
fer der Ströme trübten, fo daß das Padys-Schiefen unmög- 
lid ſei — in weniger als einem Monat war feine Seele 
mehr da, ſich zu beflagen. Nie vorher in der Geſchichte 
ift es vorgelommen, daß ein Bolt mit jo entfeglicher Schuel⸗ 
ligkeit vom Erdboden verſchwunden, fo plöglic in lautlofe 
Bergefienheit verſunken if. Nur wenige flohen vor ber 
erbrüdenden Uebermacht in unzugängliche Felſen, wohin es 
die Golbgräber nicht gelüftete ihnen zu folgen, oder vers 
frochen ſich unter die Wälle ber Forts und unter den Schutz 
der alten Pionniere, bie unter ihnen lebten und fie nun, jo 
gut fie konnten, vor den Goldgräbern fchligten. 

Aber bliden wir in die Zeit der erften ſpaniſchen Er— 
oberung zurlich, fo erfcheinen fie und doch nicht jo ganz ver- 
ächtlich; die fpanifchen Chronifen wiflen oft genug wider 
ihren Willen von empfindlichen Schlappen zu erzählen, die 
ihnen „los bravos Indios* beibradjten, und es genügt, die 
hartnädigen Kämpfe auf den Big Plains, bein Blue Rod, 
beim Bloody Rod, am Eel River und am mittlern Trinity 
zu erwähnen, um ſich fo mandje Scene von Heroismus ind 
Gedächtniß zuridzurufen. Auch das läßt fie in unferer 
Achtung fteigen, daß fie fid) nie zu dem graufamen und fei⸗ 
gen Martern, denen die Algonquins ihre Gefangenen unter 
werfen, erniedrigten. Immerhin fünnen fie in Tapferkeit 
mit den Algonquins nicht wetteifern, während fie ſich dage- 
gen vor biefen wie vor ben Dregon-Inbianern vortheilhaft 
durch die Behandlung ihrer Weiber auszeichnen. ° Sie find 
weit weniger der Polygamie zugethan — die Klamaths find 
jogar Monogamiften — und machen ihre Weiber nicht zu 
niedrigen Sflaven', fondern theilen ſich wit ihnen in die 

40 


314 


Urbeit. Der Hausherr baut immer die Wohnung, fängt 
Fische und Wildpret, hilft beim Sammeln von Edern und 
Beeren umd bringt den größten Theil der Feuerung heim. 
Gutmüthig wartet er zuweilen bie Heinen und hilft wirklich 
im Haufe, gerade fo viel als im Durchſchnitt der Hinter: 
wälber Farmer. Wäre nicht die Handmühle die unerjchöpfs 
liche Duelle von Thätigfeit für die Squaws, man könnte 
nicht fagen, worin ihr Loos härter wäre, ald das des Weir 
beö eines amerifanifchen Grenzmannes. Im Zorme fchlägt 
er zwar ohme viel Gewiljensbiffe fein Weib oder feine 
Schwiegermutter, namentlich die letztere, aber charakteriftiich 
fie das ftete Streben der Weiber, ſich womöglich auf ganz 
gleiche Stufe mit den Männern zu ftellen, ift das beinahe 
allgemeine Vorlommen von einer Art geheimer Verbindung 
unter den Männern, bie im diabolifchen Orgien ihren Aus— 
drud findet, um durch Schreden die Weiber in der ſchuldigen 
Unteroürfigkeit zu erhalten. Dieſe Geſellſchaften haben 
Übrigens nichts gemein mit den geheimen Verbindungen ber 
Krieger öftlicher Stämme, und es fehlen ihnen voliſtändig 
bie fcheußlichen, blutigen Einweihungen der jungen Leute 
in biefelben. Sie waren eben fein friegerifches Volt, eben 
fo wenig wie große Jäger. Jagdwaffen findet man außer⸗ 
ordentlich wenig bei ihnen, während fie dagegen einen großen 
Scharfſinn in der Anfertigung von allerlei Schlingen, Fal⸗ 
fen u. ſ. w. entwideln. Cehlehlid befteht Nberhaupt vier 
Funftel ihrer Nahrung aus Begetabilien. 

Einer ihrer größten Fehler befteht in ihrem Mangd an 
Charafterfeftigfeit, der fie unfähig macht, mächtige weit reis 
ende Regierungen zu organifiren. Sie find unendlich ver- 
ſchmitzt, üſtig und intrigant, aber ohne alle Energie und 
Kuhnheit. Seit fie mit Anerifanern zu thun haben, haben 
fie eine der chineſtſchen ähnliche Rachahmungẽfähigkeit ent · 
widelt, aber feine Spur von Erfindungstraft. Die Kinder 


Emil Schlagintweit: Die engliſchen Himalaya-Befigungen. 


fernen auf den Refervationen fo fchmell geiftliche Gefänge 
fingen und Buchſtaben ſchreiben, daß man ſich wundert, daß 
fie fein Syſtem von Hieroglyphen ausgebildet haben; und 
in kürzerer Zeit als irgend einem andern Inbianerftamme 
gelingt es Einzelnen, in Sprade, Kleidung und Manieren 
in die Fußtapfen der Weißen zu treten. Im der Tule-River- 
Refervation lernten die Squaws jo geſchickt Pofamentier: 
waaren und Stidereien anzufertigen, daß fie höchſt verächt ⸗ 
Lich auf die Wollenſachen blickten, die die Regierung unter 
anderen Waaren jährlich an bie Refervationen zu vertheilen 
pflegt. Am allerfchnellften und feinften lernen fie aber die 
verschiedenen Kartenfpiele und verftchen es trog einem Chir 
nejen ganz beſonders gefchict neue Antömmlinge durch fal- 
ſches Spiel zu betrligen, 

Bemerfenswerth und echt inbianifch ift ihre auferorbent- 
liche Ruhe beim Spiel und zwar nicht nur bei den Ermwad- 
jenen. Ein amerifanifcher Knabe fann um eines Fingers 
Breite in der Stellung eines nichtigen Steindhens mit feinem 
Partner in heftigen und thätlichen Zwift gerathen , während 
ein indianiſcher Knabe ebenfo vergnügt ift und ebenfo herz. 
lich) lacht, ob er gefchlagen oder Sieger iſt. Prahlerei ober 
Jubel über den Sieg ift ihnen ebenfo unbefannt wie Nieder» 
geichlagenheit über den Berluft. Ein Indianer kann zwan⸗ 
zig Stunden hintereinander fpielen und Stüd auf Städ 
von feinem Eigenthum verlieren, ohne aud) nur eine Muss 
tel zu bewegen, und wenn er das legte Hemd vom Leibe 
verſpielt, jo zieht er es ohne Bitterleit und mit bemfelben 
fröhlichen Lachen wie beim Beginne des Spieles aus; er 
borgt ſich eben ein anderes, legt ſich aufs Ohr und ſchläft 
binnen fünf Minuten den ungetrübten, traumlofen Schlaf 
eines Kindes. Fur einen Weißen ift es ſchwer zu begreifen, 
wie man fo in Anſpruch genommen von dem Berlaufe und 
fo gleichgikltig gegen das Reſultat fein kann. 


Die englifden Himalaya-Befigungen. 
Don Emil Schlagintweit, 


Ve, 
Der BPendfjhab- Himalaya. 


Derſelbe umfaßt das Gebirgsland zwifchen den Fluſſen 
Dichamna im Often und Indus im Welten, 28 Tagereijen 
find ohne Benugung der in der Ebene vorbeiziehenden Eifen- 
bahmen nöthig fir Waarentransporte zwifchen beiden Über 
300 Kilometer von einander entfernten Örenzen ; ſchwanlen⸗ 
der ift dagegen die Breite des englifchen Gebietes. Kaſch— 
mir gegenüber umfaßt e8 nur die diefem Staate vorgelager- 
ten Vorberge, dagegen greift es öſtlich deffelben in Lahol 
und Spiti bis über den Hauptlamm im rein tibetifche Land⸗ 
ſchaften hinaus, und ſchließt weftlich in einer ſchmalen, bis 
u bem Kamm der Schneeberge reichenben Zunge mit dem 

hale des Kanhar, eines Aufluffes des Dſchilam, ab. Die 
Sefammtoberfläche dieſer Gebirgslandfchaften beträgt 
47,842 Quadratfilometer (869 Quadratmeilen), zu Bere 
waltungszweden find bie größeren Maſſen zu eigenen Ges 
birgsbiftricten vereinigt (öftlich Stadtkreis Simla, im Gen- 
trum Yandfreis Kangra mit den Bezirken Kangra, Kulu, 
Spiti und Lahol, weſtlich Hazara), während die ſchmaleren 
Striche zu den im der Ebene liegenden Kreiſen Hufciarpur, 


Gurbaspur, Sialfot und Rawalpindi gezogen find. Dieſes 
Gebirgsland zeigt in der Anordnung feiner Gebirgsfänme 
und ihrer ftarfen Bewaldung, in Klima, Bodenproducten 
und ftarten Viehftande, wie im Hanbelögeifte der Bevölle⸗ 
rung viel größere Anklänge an alpine Zuftände in Europa, 
als wir fie im öftlihen Himalaya fennen lernten ; die Täu- 
[hung wird um fo größer und der Vergleich mit den Alpen 
liegt um fo näher, als die Zahl der Europäer an ben Haupts 
orten merklich größer ift als fonft, und diefer Gebirgsabfchnitt 
ber Sit eines hochausgebildeten, europätichen Badeortfebens, ja 
Simla für einen großen Theil des Jahres derjenige ber Central: 
regierung des englifchen Meiches in Oftindien geworden iſt. 

Die Richtung des Gebirges von Norbweiten geaen Süd» 
often teitt hier weniger deutlich hervor als im Oſten; hier 
fommen viele Thäler vor, rechtwinklig auf die Hauptrichtung 
geftellt mit breiter culturfähiger Thalfohle; felbft jene, die 
direct in die Ebene ausmünden, find’ häufig weniger fteil 
und enge. Im dieſem Gebirgsabſchnitte entfpringen vier ber 
fünf Ströme, die dem vorgelagerten Tieflande und der gan- 


Emil Schlagintweit: Die englifhen Himalaya-Befigungen. 


zen Provinz den Namen Finfftromland (Pendſchab) gegeben 
haben, nämlich Bias, Rawi, Tichenab und Dſchilam, zu 
welchen fic als funfier der Satledſch gefellt. Der Yauf des 
Satledid) fällt ziemlich genau mit einer wichtigen geologiſchen, 
Mlimatifchen und ethnographifchen Grenze zufammen. Auf feiner 
finten öftlichen Seite zeigen ſich metamorphiſche, aber ur · 
fprünglich jebimentäre Gefteine; auf ber rechten weftlichen 
- Seite dagegen treten wirklich kryſtalliniſche Gefteinsarten : 
Gneiß, wahrer Glimmerſchiefer und Chloritfchiefer, auf, 
die ganz neue Gebirgägruppen und formen bilden. Bon 
dem am der Grenze Tibets entjpringenden und im Oberlaufe 
nad) Nordweften gerichteten Tſchenab ſcheidet das Strom« 
gebiet des Satledſch der zwiſchen Spiti und Lahol durdiie- 
hende Gebirgszug, über weldien in 3294 Meter Höhe der 
Kunzum, d. i. „ber völlig gelchlofiene* Paß, führt ; zwifchen 
Bias und Rawi, deren Quelle nicht mehr in der nördlichen, 
fondern unterhalb des Tſchenab in ber füblichen Hauptkette 
des Himalaya liegt, ziehen fich die Dhaola-dhar-Berge herab, 
befannt durch ihre Gefundheitsftationen, worunter Dharms 
fala und Kangra, die auf ihrem nad) Süden gerichteten 
Abhange erbaut wurden. Die Landſchaften zwiſchen Rawi 
und dem mittlern Tſchenab füllt ein viel verzweigter Ge— 
birgaftod ; jenfeits beffelben erfolgt der Anftieg zu den Derg- 
fetten, die vom Hauptlamm herabziehend einer Schlinge 
gleich, Kaſchmir, das Duellgebiet des Dſchilaut, von den 
Alpenländern Kiſchtwar im Often, Radſchauri und Pus 
natjc im Süden, Hazara int Weften abfchließen. Die 
Pafübergänge Über diefe Querletten liegen im obern Theile, 
fallen unter 3000 Meter und erniebrigen ſich fpäter ent 
fprechend der Höhenabnahme; der Uebergang im die Ebene 
erfolgt allmälig durd) ein an landſchaftlichen Reigen veiches 
Hügelland. Zwiſchen Dſchilam und Indus ift dem Gebirge 
im Sind Sagar Duab (dem Lande zwifden Indus und 
Dſchilam) ein gebivgiges Tafelland vorgelagert mit Höhen 
von 600 bis 1500 Metern, arın an Begetation und Wohn- 
ftätten, deſſen Sübrand bie Salzberge bilden. Diefe neh—⸗ 
men ihren Urfprung in drei Stetten, deren eine auf dem 
linfen Dſchilam⸗ Ufer ihren Anfang hat, während die anderen 
auf dem rechten Ufer fich bilden, fid) dann bei Raſul ver- 
einigen und nun in einer einzigen, an Gteinfalglagern über- 
aus reichen Fette in der Richtung von Dften nad) Welten 
bis Kalabagh am Indus fortziehen, um ſich ſchließlich mit 
Ausläufern der Suleiman-Sette Afghaniftans zu verſchmelzen. 

Im Klima zeigt der weftliche Himalaya um fo größere 
Verſchiedenheiten von ben Landſchaften öſtlich des Satlebjd, 
je weiter man gegen Often vorrüdt ; biefer Wechſel entfpricht 
volllommen dem Unterfchiede, der im Tieflande zwiſchen 
Hindoftan und Pendſchab obwaltet. Die Temperaturſchwan⸗ 
fingen werben größer, bie Regen nehmen am Heftigkeit und 
Dauer ab; nur in den Vorbergen ift in den an Kamaon 
und Garwhal grenzenden Thälern ber Niederfcjlag noch bes 
deutend. Im ber Regenzeit herrſchen dichte Nebel vor. 
Simla ift im Frühjahr wegen der Häufigkeit der Regen uns 
gefund: erft 1875 wurden die Fruhjahregüſte wieder burch 
eine heftig auftretende Gholeraepidemie erſchreckt. Ende 
März tritt ſchönes trodenes Wetter ein; ber ganze April ift 
mild, die Schauer fallen vereinzelt. Mitte Yuni wird bie 
Hige driüdend, Gewitter find häufig und lange andauernd; 
fehr erfrifchend und ftärfend ift der Herbft, ftreng dagegen 
der Winter in den inneren Thälern ; im äußern Himalaya 
fällt Schnee jedoch felten und bleibt immer nur während 
weniger Tage liegen. Ueberaus troden find die gegen ben 
Indus zu ſich öffnenden Thäler; Rawalpindi und Abbotabab 
gehören zu dem vegenärmften Bezirken des ganzen Pendſchab. 
Ueber Regenmenge und Jahrestemperatur liegen von folgen: 
den Orten langjährige Beobachtungen vor: 


315 
abrediempe» 
Höhe in Meter. Er in "er a: 
eius. 

Dagihahi ..... 1836 _ 15,9 
Rafauli....... 2036 1,778 13,8 
Simla ....... 2150 1,6% 19,3 
Kangra .. 22... 778 1,918 19,8 
Dharmfala ..... 1550 4,902 — 
Dalbonfie .... . 2087 2,822 15,2 
Abbetabad ..... 1235 0,685 Fer 
Marri........ 2122 1,582 23,6 


An Mineralien ift das Gebirge reich, viele Lager 
werben ausgebeutet. Silber fol fi in den Hochthälern von 
Kulu finden, wird aber nicht bergmännifd) bearbeitet. Gold 
führen alle Flüffe, und mit dem Auswaſchen des Sandes 
befaſſen ſich viele Eingeborene. Nach Verſuchen auftralifcher 
Goldwäſcher würde ſich die Aufſtellung von Wiegen und 
Maſchinen, wenigſtens am Dſchilam, lohnen, während die 
Handarbeit der Eingeborenen nur einen Tagesertrag von 
36 bis 50 Pfennigen liefert. Das ergiebigſte Eiſenlager 
ift in Tſchota Bangal füdlid) von Kangra ; das Erz fommt 
hier vor in einem ſchwarzen Sand, der zu einem Zehntheil 
untermifcht ift mit magnetifchem Eifenoryd von ungewöhns 
licher Reinheit; man wäfcht den Sand in hölgermen Trögen, 
wo er vom Waffer weggejchwenmt wird, während der reine 
Eifenftaub fi) auf dem Boden ſammelt. Die Eingebore- 
nen ftellen daraus in unvolllommenen Hochsfen ausgezeich- 
netes Qußeifen her. Der Zugang zu Tſchota Bangal ift 
aber ſchwierig, der Mangel an Ürbeitsfräften groß und auf 
nachhaltige Lieferung von Holz und Kohle nicht zu rechnen; 
europäifches Eifen fommt deswegen in Kangra billiger zu 
ftehen als das einheimifche Product, und die Minen werben 
zur Zeit wenig ausgebeutet. Daffelbe gilt von den Eifen-, 
Kupfer» und Silberlagern in der Dhaola-dhar-Bergkette 
nördlich von Kangra, wie in den Hochthälern des Diftrictes 
Kulu. Blei kommt vielfach vor als Schwefelmetall oder 
Bleiglanz ; die ergiebige Mine bei Sabathu, ſuüdweſtlich von 
Simla, wird von ber Patialia and Sabathu Mining Com- 
pany ausgebeutet, die im Monat an 812 Gentner Erz 
herausfördert und daraus bis zu 72 Procent reines Blei 
gewinnt. Fundſtätten bauwlirdiger Steintohle haben ſich 
nirgends gezeigt ; dagegen ift eine Befonderheit dieſes Ge— 
birgsabfehnittes die große Zahl ausgedehnter Schieferbrliche, 
and denen Dacplatten und {Fußböden hergeftellt werden; 
bei Kangra wie Dalhoufie befaßt ſich damit eine Actiens 
gefellfchaft, die 1874 gute Dividenden erzielte. 

Den Antimonlagern wird von CEingeborenen nadjges 
gangen, denen es pulverifirt als ein Mittel zur Stärkung 
der Sehkraft gilt. Steinfalz wird im Staate Mandi, norde 
weſtlich von Simla, bergmännifcd) gewonnen und erfreut ſich 
troß des unreinen Zuftandes, in welchem es in den Handel 
fommt, wegen feiner großen Billigfeit ſtarlen Abſatzes. 

Wie ftets in Gebirgslagen, fo liefert der Aderbau aud) 
hier nicht den Bedarf am Speifegetreide. Verglichen mit 
der Geſammifläche ift dev Aderboden von geringer Ausbehs 
nung ; doch find bier die Verhältniſſe ungewöhnlid, günftig. 
Im Stadifreife Simla, der durchgehende in Höhen von 
2000 bis 2500 Meter liegt, ift fein Stüdchen Yand mehr 
unangebaut; fonft find im äußern Himalaya über 50 Pro: 
cent der Bodenfläche durch Aderbau oder Forſtwirthſchaft 
ertragsfähig. Im Hochgebirge erſtreckt fi gutes Weibeland 
über große Flächen; Aderbau und Wiefencultur findet ſich 
aber nur im ber Thalfohle und den ihr zunächſt liegenden 
Abhängen; Hier find mitunter Quellen zur Beriefelung der 
Felder „viele Silometer weit horizontal fortgeleite. Die 
Waldungen in Privathänden am Rande des Gebir- 


40* 


316 


ges lichten fid) reißend; die neue Eiſenbahn nad, Veſchawar 
und die zahlreichen großartigen Bruckenbauten auf dieſer 
Linie beziehen ihre Schwellen und ihr Gerüſtholz ausſchließ · 
lich aus dem Gebirge. Die Regierung ift deswegen darauf 
bedacht, die im ihrem Befige befindlichen Waldflächen von 
ſchädlichen Nutzungsrechten, wie Streugerechtigleiten, zu ents 
laſten, und zu forftmännifchem Betrieb einen geſchloſſenen 
Beftand herbeizuführen. Die Waldungen werben deshalb 
ſehr geichont, vielfach; fällt man nur rüdgängige Bäume; 
Waldblößen werden aufgeforftet, Rodungen unterfagt. Der 
Reinertrag fteigt von Jahr zu Yahr, und bezifferte 1874 
1/, Million Mark gegen 80,000 Mark im Jahre 1871. 
Borherrichend find die Deodora-Ceder, Pinus excelsa und 
longifolia, Abies Smithiana ; aus Bambus mit mächtigen 
Einzelnftänmen befteht das Unterholz im äußern und mitt 
lern Himalaya. Die natürliche Fruchtbarkeit des Aderbobens 
wird durch künſtliche Mittel und den Fleiß der Bewohner 
wenig gefördert ; an Verbeflerungsarbeiten kennt man nahezu 
nur die Bewäſſerung, felbft Düngung unterbfeibt ; der Er 
trag ift deshalb fehr mäßig und das Product geringwerthig. 
Hauptfrucht ift Weizen ; Über ein Biertheil der ganzen Ader: 
fläche wird damit beftellt; dann folgen Halmfrüchte gerin- 
gern Nahrungswerthes und Reid, deſſen Anbau wieder faft 
ein Viertel des Aderbodens beanſprucht. Der Ertrag über: 
fteigt vom Weizen felten 9 Centner, vom Reis 15 Centner 
vom Hectar, was hinter dem Durchſchnitt in der Ebene um 
mehr als ein Viertel zurücbleibt. Der Entwickelung ber 
Yandwirthichaft ſteht Mangel an Arbeitsfräften hindernd 
entgegen ; der Arbeitslohn iſt hoch und Peute find ſchwer zu 
haben; dabei macht die Arbeiterfrage von Jahr zu Yahr 
mehr Schwierigkeit unter der ftarfen Zunahme des Anbaues 
von Thee, der viele Handarbeit erfordert. 1850 wurbe 
bie erſte Theefiaude gepflanzt. Der erfte Berfuch bei Bha- 
warna in 975 Meter über dem Meere gelang; bei Holta 
in 1279 Meter Höhe wurde dann ein größeres Verfuchsfeld 
angepflanzt, Chinejen als Vehrmeifter angeworben und hier« 
durch, der Grund zur Einbürgerung diefer Cultur gelegt. 
Anfangs war man hier beftrebt, den Meinen Mann für bie 
Sache zu intereffiren. Uber der Betrieb nach Art des Ins 
digobaues, wobei die junge Pflanzung hergeftellt und einem 
Eingeborenen in Pacht gegeben wurde unter fteter Leber- 
wahung und Beftimmung — Arbeit, bewährte ſich nicht. 
Die Cultur eignet ſich vielmehr am beſten fiir größere Un— 
ternehmer mit Unteraccordanten, oder mittlere Wirthe. Bis 
zum Abſchluß des England gunſtigen Handelsvertrages 
mit Kaſchgar fuchten die Pflanzer ihren Abſatz in Indien 
wie Europa und lieferten grlinen Thee; feither wurde der 
Berfehr in ganz neue Bahnen gelenkt. Hauptabnehmer wurde 
Gentralafien, unter deſſen Importartifeln Thee bereits bie zweite 
Stelle einnimmt. Jetzt ftellt man meift ſchwarzen Thee dar. 
Ende 1874 gab es 28 Pflanzungen, meift im Thale öſtlich 
von Kangra, die auf 2240 Hectaren Theeftauden ausge 
pflanzt hatten und 428 Gentmer Thee erzielten; im Bor: 
jahre joll die Ernte bedeutend größer ausgefallen fein. Bei 
Diarmfala unterhält die thätige Gartenbaugefellichaft zu 
Lahor eine Theepflanzung, von welcher aus neue Pflanzun: 
gen mit guten Setzlingen verfehen werden. Die Chinchona- 
Pflanzungen bei Bhamwarna, welde dort 1868 ſchon 13 
Hectaren bededten, werben in den neuejten amtlichen Berich— 
ten nicht mehr erwähnt und feinen den gehofiten Erfolg 
richt gehabt zu haben. 

Der Peftand an Nutzvieh und landwirthſchaftli— 
hen Seräthen wurde 1868 wie 1873 aufgenommen. 
Das lebende Inventar hätte hiernad) abgenommen, das todte 
dagegen zugenommen; aber die Zählftelle weift bie Umguver- 
läſſigleit der älteren Erhebungen nad) und macht an eimel- 


Emil Schlagintweit: Die englischen Himalaya »Befigungen, 


nen Beifpielen eine allgemeine Zunahme wahrſcheinlich. 
Es gab in Kangra 1874: 716,603 Stüd Nutzvieh; hier: 
von waren 344,948 Rinder, 365,356 Schafe; Pferde zählte 
man 1815, Gebirgäpferde (Klein, aber ſehr ausdauernd) 
2681, Efel 700, Kameele 103. Pflüge gab es 75,687. 
Unter den Gewerben ift bedeutend und im Aufſchwunge 
begriffen die Emailfabrifation, die in der Stadt Kangra 
ihren Mittelpunft hat und durch Arbeiter aus Kafchmir 
eingeblirgert wurde. Die Herftellung geſchieht ämlich wie 
in China und Japan mittelft Aufkleben des Email auf glat ⸗ 
ten Grund; das Verfahren des fogenannten Grubenemail 
fennt man nicht. Biele Edelfteinfafjungen, befonders Ringe 
und Armbänder, werben damit verziert, das fchönfte find 
aber große Eilbervafen: eine Muſterſorm wird auf die Bafe 
in hohem Relief aufgetragen und die tieferen Stellen mit ge: 
färbtem Email ausgefüllt; das Ganze bildet dann einen 
bemalten Untergrund mit audgelparten, eingravirten Silber 
blättern und Blumen. Neuerdings ahmen die Geſchmeide- 
macher enropäifche Muſter nad) und verarbeiten ſchon Edel 
feine, die in Europa gefchnitten wurden; vorherrſcheud bleibt 
aber auch Hier die Anbringung von Gold auf Email *). 
Shawlweber, die aus Kaſchmir auswandern, laſſen ſich noch 
außerhalb des Gebirges nahe den Bahnen nieder. Der 
neueften Zeit gehört die Errichtung von Pierbrauereien in 
Kafanli (bei Simla) und in Marı! an; beibe verbrauchten 
anfangs englicen Hopfen; die Berfuchspflangungen gebiehen 
aber vorzüglid,, und jegt find diefe YUnftalten bereits im 
Stande, große Pieferungen für das engliſche Militär zu 
libernehmen. 

Handelsverhältniffe. Durch den Peudſchab findet der 
nächlte und bequemfte Aufftieg mad) Kafchmir, dem dahinter 
gelagerten Tibet und durch diefes über den Karakorum 
(Thangla) **) und den Klinlün nad) Centralafien flat; die 
engliſche Regierung ift feit Jahrzehnten bemüht, diefe günftige 
Lage durch Hanbdelöverträge im Innern und Anlage von We- 
gn und Märkten auszubeuten und hat hierfür Großes geleiftet. 

ämmtliche auffirte Straßen wie planirte und überbrüdte 
Karrenwege hatten 1874 eine Fänge von rund 1800 Silo: 
metern; hiervon entfallen auf Kangra 1150 und 450 auf die 
Striche weitlid von Kaſchmir (Marri und Hazara), Die 
wichtigften Straßenzige find der Hindoftan- Tibet= und der 
Ladak⸗, bis vor Kurzem Kulu-Weg genannte, Der Hindoftan- 
Tibet«Weg berührt Simla, Die Eifenbahnftation Ambala 
in 312 Meter Höhe mit einer mittlern Jahrestemperatur 
von mod) 21,5% C. bildet den Ausgangspunkt. Schaaren 
von Padträgern (Kulis) wie Agenten der Inhaber von Fohn: 
fuhrwerfen, Tragfefieln u. ſ. w. umſchwärmen mit orienta- 
liſcher Yebhaftigfeit dem Neifenden, der fich ihrem Wortſchwalle 
durch Miethen eines der von ber Regierung bereitgehaltenen 
Mietwagen am beften entzieht; gegen 36 Mark wird darin 
in wenigen Stunden die 61 Silometer lange Strede bie 
Kalta zurlidgelegt, die Sewalit-Hügel überftiegen und der 
Fuß des Gebirges erreicht. Der Weg dahin führt durch 
das Gebiet des Maharadſcha von Patiala, eines der reichſten 
indiſchen Furſten im Beſitze feltener Schäge an Diamanten; 
aud) jene aus dem Schmude der Kaiferin Eugenie wurden 
von ihm jüngft erworben. Im Ganzen ift der Weg gut; 


*) Vergl. ©. Powell, Hand-book of the Manufactüres and 
Arts of the Panjeb (Lahor 1872). 

**) Karalorum, türfifch „Ichwarges Gebirge”, heißt bei den 
Tibetern Nyenstihen: Thangla, „Steppenpaß der großen -Wilbniß“, 
abgefürzt Tbangla (Tantla), Steppenpaß; ber fibetifhe Name if 
für das Gebirge Fehr treffene gewählt, weil es feine zufammenbäne 
ente Öbebirgaferte bilvet, ſondern an ben Gtellen ter hödften An» 
chwellung aus benen von Wüftencharalter mit aufgefegten Berg» 
reihen und Gipfeln beftebt. Die näheren Machweife für viefen Na 
men muß ich einem andern Orte vorbebalten, 


Emil Shlagintweit: Die englijchen Himalaya» Befigungen. 


aber Ochſen ftatt Pferde werben vorgefpannt, wenn die im 
Sommer trodenen breiten Rinnfale von Gebirgsbächen über- 
fchritten werden. Kalla, einft ein ärmliches Dorf, ift durd) 
Sina zu einem BVerlehrsmittelpunfte geworden im Stile 
ber ſchweizeriſchen Boftorte am Fuße der frequenteften Alpen- 
Übergänge. Ein Europäer unterhält hier ein gutes Hötel 
und die Negierung hat große Poftftälle gebaut, Krante 
und Schwäclidye benugen von hier zum Aufftieg nadı Simla 
am beten Zragjeflel (Didampans) oder Saumpferbe. 
Seit 1874 hat die Reichspoſt wohl einen Eilwagenverfehr 
eingerichtet mittelft vierfigiger auf Federn ruhender Wagen 
(Tonga), defien Pferde bis Simla 15 mal wechſeln follen; 
aber die neue 93 Kilometer fange Chauffse wird durch. Berg: 
rutſche und Siekbäce fortwährend jo ruimirt, dag Achſen⸗ 
brüche und andere Hinderniffe häufig find, Diefer neue 
Weg ift gegen den alten Saumpfad über Kafanli, Sabahu, 
Koferhatti, wo bie neue Straße einmünbet, und Gairi 
um 26 Silometer länger, führt aber an den Abhängen in 
fanfter Steigung empor mit ſchönem Blide auf die in ber 
Tiefe . ut augebauten Thäler. Die Fahrzeit ift 
für den Tonga-Wagen 9 Stunden, der Sitz darin wird mit 
18 Mark bezahlt; die Pofiftationshäufer an der Straße 
werben als ſchmutzig, die Preife für Pebensmittel als jehr 
hoch bezeichttet. Hinter Simla ſenkt fi der Weg zum Sat- 
ledſch herab, der in 1954 Meter Höhe erreicht wird, Man 
folgt diefem 240 Kilometer weit bi8 Pangi in 2802 Meter 
Höhe; bis hierher ift ein regelrecht planixter Saumweg anger 
legt, und die füdlich einmlndenden Flüffe find Aberbrlicdt. Im 
Thale eines rechtfeitigen Zufluffes emporfteigend verläßt man 
den Staat Biffer (Biffahir), in welchem dieſer Weg feit 
Simla fortzog, überfteigt dann die fübliche Hauptlette im 
5484 Meter hohen Mamerang -Paſſe und hält auf Danfar 
zu, den Hauptort von Spiti in 3892 Meter Höhe. Nun 
zeichnet der Yauf des Spiti-Flufies bie weitere Richtung vor; 
auf dem 5576 Meter hohen Parang-Pafle ober dem beque- 
mern Baralatſcha⸗Paſſe wird die Landesgrenze überſchritten, 
und man tritt in den ummwirthlichen Theil des kaſchmiriſchen 
Tibet ein. Händler nad; Ye und Kaſchgar ſchlagen diefe 
Route nicht eim, lenken vielmehr von Simla weſtlich ab nad) 
dem Yadal-Weg, gehen nad) Bilaspur, treten hinter biefer 
Stadt in das Flußgebiet des Bias ein und erreichen den 
Ladal:Weg längs beffelben über Mandi (916 Meter) kurz 
vor Sultanpur in 1202 Meter Höhe. Dagegen wird der 
Hindoftan-Tibet-Weg ftart benutzt fiir den Verkehr nad) den 
Grenzprovinzen des chineſiſchen Tibet, wohin man von Pangi 
aus dem Satledic) folgend gelangt. Zouriften und Yagd« 
freunde ſuchen gern die einmlndenden Seitenthäler auf zur 
Jagd auf Hochwild feltener Art (Adler, Mojchusthiere, 
Antilopen x). Im untern Theile hinter Simla haben ſich 
an diefem Wege aud) Penfioniften häuslich niedergelafien ; 
bis Über Rampur hinaus ftchen Billas einzelner Europäer. 
Die Üremdenbücher in den Nachtlagern, fir welche die Re— 
gierung Rafthäufer (Dharmfalas) erbaute, enthalten deshalb 
manchen ee run: Touriſten, der bei Anfertigung 
eines Tünftigen Reiſehandbuches werthooll werden wird. 
Der Yadat-Weg ſchließt fih am bie Chauffse mit Grund: 
bau von der Eifenbahnftation Dſchalandhar über Huſchiar⸗ 
pur und Kangra bis zur Stadt Dharmfala. Planirt mit 
Ueberbrüdung aller Fluüſſe ift die Zufuhrftvede Amritſar⸗ 
Pathankhot-Fangra, welde für alle von und nach Bombay 
beftimmten Waaren des centralafiatifchen Handelsverlehrs 
eine Zukunft gehabt hätte, wenn nicht die im Bau begriffene 
Bahn nad) Peſchawar größere Vortheile bieten wiirde, Bon 
Kangra gegen Often ift 1874 bis zum Marktorte Balam- 
pur ein Sala hergeftellt ; von hier beginnt ein Saum 
pfab, der eigentliche Yadal-Weg, der aber wenigftens bis zum 


* 


317 


Rotang-Paffe zum Karrenwege werden ſoll. Er zieht an« 
fangs hoch über dem Bias: Thale in der Richtung von Bawarna 
und Beſchnath, ſenlt fid) nach Mandi am Bias-FFluffe, fchmei- 
bet deſſen Nordbiegung in einem Zickzackwege ab, und folgt 
dann dem Fluſſe. Noch einige Tagereifen weit hinter Suls 
tanpır können Kameele benugt werben; dann wirb der An+ 
ftieg zu dem 3979 Meter hohen Rotang-Baffe fteiler, auf 
welchem die fübliche Hauptfette des Himalaya überfliegen 
wird. Die dahinter liegende Landſchaft Yahol, das Quell» 
gebiet des Tſchenab, wird gekreuzt und fchließlic auf dem 
Baralatjcha » Paſſe (4912 Meter Hoch) die zugleich die Yan- 
beögrenze bildende nördliche Hauptlelte des Himalaya übers 
ſchritten. Diefe Wege folgen mit Borliebe den Flußthälern; 
die Hauptpäffe werden Ende Mai paffirbar, fpäter wird 
ber Berfehr durch die Wildwafler der Gebirgaflüffe behindert. 
Es erfordert jährlid) große Unftvengungen ded Wegbauamtes, 
alle Linien ducchgehends frei zu halten. Erbrutiche unter- 
bredyen jährlich mehrmals die Verbindung, die Bruftwehren 
müflen von Jahr zu Jahr verlängert werden; Brüden über 
einzelne Gießbache find ftattliche Bauwerke. So hat bie 
1871 vollendete Brlice Über den Niggal, aus einem eifer- 
nen Hängwerf beftehend, eine Spannweite von 42,5 Meter. 

Weſtlich von Kaſchmir ift Nawalpindi mit der Ges 
fundheitäftation Marri mittelft einer 63 Kilometer langen 
Chaufiee verbunden; der Zuftand der Straße und der an 
ihr liegenden Pofthäufer wird fehr gelobt, und Marri hat 
jedenſalls eine große Zukunft vor fi), wenn ‚bie Eifenbahn 
einmal-bis Nawalpindi in Betrieb ſteht. Bon Hafan Abdal 
(Mitte Weges zwiſchen Rawalpindi und Atof, jenem ftra- 
tegifch wichtigen Punkte, an weldem eine von Weften eins 
fallende Arınee beim Austritte aus dem Haro-Thale wirffam 
aufgehalten werden fan, weshalb 1872 hier ein großes 
Uebungslager abgehalten wurde) wurde 1872 von der 23. 
Pionniercompagnie eine vorzüglice Chaufjee bis Abbotabad 
gebaut. Bon bort flihrt ein guter Karrenweg weſtlich nad) 
Ogi, öftlid, zur Yandesgrenze von Kaſchmir; den Abſchluß 
bildet hier bei Kohala eine großartige, 1872 vollendete Hänges 
brüde über den Dſchilam⸗Fluß. 

Dem Handel haben dieſe Berfehrserleichterungen großen 
Borjchub geleiftet und in Verbindung mit den Schienenzligen 
in der Ebene neue Handelömittelpunfte geichaffen. Neben 
dem Handel in Landesproducten hat ſich ein Tranfitohandel 
nad; Centralafien entwidelt von jährlich ſteigender Bedeu— 
tung. Die erfle directe Ausfuhr von Yandesproducten nad) 
England erfolgte 1856 ; eine größere Sendung erfolgte 1858 
im Gewichte von 77 Gentnern; fie beftand größtentheils aus 
Hanf, der hier faft wild wächſt, und war auf dem Wafler- 
wege in Indusicifjen nad) Karatſchi verfradhtet worden. 
Die an dieſe Sendung und die Erfolge auf der Londoner 
Ausftellung von 1861 gefnüpften Erwartungen erfüllten ſich 
nicht, und Kangra hätte im Welthandel wegen feines Hanfes 
feinen Namen erhalten. Da eröffneten Sir D. Forſyth's 
unermübliche Verſuche eudlich Kaſchgar dem indifchen Han: 
del und uun wurde Kangra Durczugsland für die Waaren 
dahin, wie durd) den Frachttrausport Sig eines ganz neuen 
Grwerböjweiged. Hauptwaaren:Depöt ift Amritfar an ber 
Delhi⸗ Lahor⸗Eiſenbahn; es ift das Ziel aller Händler aus 
Gentvalafien; Hier werden die Waaren fortirt. Bon hier 
werben einige Waaren direct nach Kangra dirigirt, das Gros 

eht per Bahn nach Dſchalandhar. Ihre Bedeutung als 

andelsplatz hat diefe Stadt verloren, der Umfag wich hier 
von 5,4 Mill. Mark im Jahre 1870 auf 3,2 Mill. Mark 
zurlick. Dagegen werden hier bie Karawanen zum Gebirge 
transport formirt, Hierin bezeichnet das Jahr 1872 einen 
bemerfenswerthen Fortſchritt; früher liegen die Befiger von 
Eſeln und Pferden ihre Thiere nicht weiter ald Sultanpur 


318 


gehen; damals wurden verfuchsweife Contracte bis Le, ber 
Hauptftabt von Ladak, angenommen und bie Peute fanden 
Rudfracht zu hohen Breifen, fo daß 1873 ſchon 375 Maul- 
thiere die Moute paffirten. Kangra ift Hauptfig bes 
Handels in Thee, der Hier eingeladen wird; aus dem öſtlich 
davon liegenden Palampur hatte die Regierung gehofft einen 
Haupttaufchmarkt zwifchen indifchen und centralafiatifchen 
Händlern mit großartigem Berfehr zu machen; aber der 
Berfuch fchlug gänzlich fehl. Palampur wird nur von Pro: 
ducenten und Händlern der nächſten Umgegend befahren, 
Speculationsfäufe indiſcher und centralafiatifcher Waaren 
werben oft in Amritfar abgefchloffen. Der gefammte Trans 
fitoverfehr werthete 1873 auf dem Hindoftans Tibet» Wege 
16,460 Mark; auf dem Labal-Wege 932,600 Mark; der 


Die Eingeborenen 


H. G. Die London Miffionary Society, melde in 
neuefter Zeit der Inſel Neu-Guinea und den in ber Torred- 
ftraße liegenden Heinen Cilanden *) ihre beſondere Aufmerk- 
famfeit zuwendet (vergl. oben S. 56), benußt dort meift befehrte 
GStidfee-Infulaner in ihrem Dienfte und nur in Port Moresby, 
jenem nach feinem Entdeder benannten Hafen im öſtlichen 
Neu-Guinea (9Y/,0 füdl. Br. und 147° 12’ öftl. L. Gr.), 
einen weißen Miffionär, den Reverend N. G. Lawes, wel⸗ 
cher feit dem 1. December 1874 mit Weib und Kind dort 
wohnt. Aus einem Briefe, welchen evam 18. März 1875 
an feine Geſellſchaft richtete, heben wir nachfolgend das 
Wefentlichfte hervor. 

„Es leben hier außer uns feine Weißen weiter, und wir 
find von aller Civilifation abgefchloffen. Captain Mores- 
by'8 prächtige Schilderung haben wir gerade nicht beftätigt 
gefunden. Es ift ein durrer, unfruchtbarer Ort, und alles 
ſcheint von der Sonne verbrannt zu fein. Auch die Fauna 
ift eine armfelige. Parabieönögel giebt es in dieſem Theile 
von Neu · Guinea gar nicht **), und andere Vögel lommen 
nur felten vor, Die einzigen Bierfüßler find Känguruhe, 
Hunde und Schweine. Die erfigenannten find biefelben, 
wie im Auftralien, nur eriftiren Teine Baum-Sänguruhe. 
Die Hunde follen einheimifche fein, was ich auch glaube; 
fie find gezähmt und Hausthiere geworden, und die Einge⸗ 
borenen verwenden fie auf ihren ar er Sie bel · 
len nicht, ſondern heulen in choro ganz abſcheulich. Die 
Schweine gleichen den engliſchen Racen und treiben ſich 
theils wild im Buſch umher, theils ſind ſie domeſticirt. Es 
findet ſich auch noch eine einheimiſche Ratte, die aber kleiner 
iſt, als die europäifche. An verſchiedenen Arten von Schlan« 
gen, unter denen jedoch nur eine, bie ſchwarze, tödtlich gif 
tig ift, ſowie an Eibechfen fehlt e8 nicht. Ein Iguana kam 
mir ebenfalls vor. 

Die Bewohner diefes Theiles von Neu-Guinea find von 
Heiner Körperbildung, in jeder Beziehung Meiner, als bie 
Sipfee-Infulaner. Mit Ausnahme eines Bandes, womit 
die Gejchlechtötheile umbunden find, gehen die Männer 
nadt, während die Frauen mit Guürteln, welche bis an 
die Knie reichen, verjehen find. Beide Geſchlechter, insbe 


*) Sie bat unter anderen auf nicht weniger ale zehn Inſeln im 
tem nordweſtlichen Theile tes BapuasWolfer Fuß arfaht. 

**) D’Albertis fand bagegen newerbings in ber Umgegenb ber nur 
65 englifhe Meilen nervöflih von Port Moresby gelegenen Jules 
Infel verſchiedene Varietäten diefer Wogelart, x 


Die Eingeborenen bei Port Moresby. 


Localverlehr in Kangra erreichte bie ftattliche Höhe von 
3,8 Mil. Mark. on Intereffe für Deutichland ift der 
Gang des Handels im Jahre 1871. Paris ift Haupt: 
confument von Kaſchmirſhawls; mit der Belagerung von 
Paris flellten große Häufer für diefen Artikel in Amritjar 
ihre Zahlungen ein. Dies zog andere Fallimente nach fich, 
Geld wurde Inapp, und die Händler aus Kaſchgar fonnten 
zu ihren GEinfäufen die früheren Vorſchüſſe nicht erhalten, 
nod) ihre Waaren vortheilhaft abjegen. Sie erlitten dadurch 
große Berlufte und ber Handel nahm vorlibergehend ftarfen 

üdgang *). So machte ſich der frangöfifch-dentfche Krieg 
bis in bas Herz von Innerafien fühlbar ! 


*) Ladak Trade Report 1871, by R. B. Shaw. (Labor 1872.) $.11. 


bei Port Moresby. 


fonbere bie Frauen, tättowiren fi. Die Männer und Kna- 
ben kr = einen polirten Stein durch das Septum der 
Nafe. i den Frauen ift die Nafe zwar auch durchbohrt, 
allein man fieht felten etwas darin. Alle haben die Ohren 
an zwei — mitunter aud) an drei — Stellen ducchfchnitten, 
und zwar einmal oben und einmal unten. Die Männer 
laffen ihr Haar lang wachen, die Frauen, wenn verheivathet, 
halten es kurz. Mit Ausnahme ſehr weniger Fälle, wo ein 
Mann zwei Frauen hat, ift weder Polyganıie noch Polyan- 
drie unter ihnen verbreitet. In der Farbe find fie eine 
Kleinigkeit dunkler als die Polynefier, was wohl bavon hers 
rühren mag, baß fie nadt gehen und der Sonne mehr 
aufgefegt find. Ihrer äußern Erſcheinung ſowie ihren Sit 
ten und Gebräuchen nad) zu urtheilen müffen fie malayifchen 
Urfprungs fein. 

Es bewohnen bdiefen Theil von Neu-Guinca mehrere, 
beftimmt von einander unterſchiedene Stänme, Derjenige, 
zu welchem bie Bort-Mloresby-Eingeborenen gehören, nennt 
fi) Motu. in anderer Stamm von etwas dunklerer 
Farbe, welcher eine andere Sprache fpricht und anderen Ges 
bräudhen folgt, führt den Namen Koitapı. Er foll, was 
ich aud; fir glaubhaft halte, in früheren Zeiten von den 
Motu aus ben Küftenbörfern vertrieben worden fein. :Un- 
gefähr 40 engl. Meilen nad) dem Innern zu, im Rüden 
ber Gebirge, wohnt der Stamm ber Kocali, weldyer ziem- 
lid) genau die Sprache ber Koitapu ſpricht. Dies bürften 
wohl die Urbewohner biefes Teiles von Neu⸗Guinea fein. 

Die Motu fertigen Töpferwaaren an und find gefchidte 
Fiſcher. Die Koitapu find Jäger, aber fie haben feine Ca— 
noed und wagen fich nie auf bie See. Beide tragen Nafen- 
fteine. Die Koitapu bereiten ſich ihre Speifen, nad) Art 
ber Sübfeebewohner, mit heißen Steinen, während bie 
Motu die ihrigen lochen und ſich niemals der heißen Steine 
bedienen. Gegen 30 engl. Meilen weſtlich davon ift der 
Stamm ber Maiva zu Haufe, welcher wieber eine andere 
Sprache ſpricht. Hinter diefen wohnen bie Elma, im der 
Farbe dunkler und im der Sprache fich ebenfalls ſchon mehr 
an die Papuas anlehnend. Auch nad; Often zu find ver- 
fchiedene Stämme mit verfchiedenen Sprachen anfällig, über 
bie ich aber bisjegt wenig in Erfahrung bringen fonnte, 

Ale Häufer der Eingeborenen in Port Moresby find 
am Strande, über der höchſten Waflermarte, gebaut und 
ruhen auf neun bis zwölf Fuß hohen Pfählen. Ihre Waf- 
fen find Bogen und Pfeile — letztere nicht vergiftet —, 


Aus allen 


Speere aus einem Stüde und mit kunftlofem Schnigwert 
verfehen, und Keulen, theils aus ſchwerem Holze flachgeformt, 
theils aus Steinen mit einer vier Fuß langen Handhabe. 
Ihre Beile find ebenfalls aus Stein und gleichen ganz den 
auf Savage Island gebräuchlichen. Die Männer verfer- 
tigen vorzüglicdhe Nee von bedeutendem Umfange, um das 
mit ſowohl Fiſche als Känguruhe zu fangen. Ihre Canoes 
find ſehr groß, aber nichts weiter als ein rohes Machwerk, 
ohne irgend welche Schnitzereien daran. Der Gebrauch von 
Angelhaken iſt ihnen unbekannt. Die Töpferwaaren, welche 
in Schalen, Urnen u, ſ. w. beſtehen, fabriciren die Frauen. 
Auf dieſe Geſchicklichteit ſcheinen ſich nur die Motu zu ver⸗ 
ſtehen, und die anderen Stämme erhandeln dieſe Gegen» 
fände von ihnen gegen Yams, Kolosnüffe u. ſ. w. Die 
Frauen find die d eiter und haben alle Taten herbeizu- 
ſchleppen. Sie verrichten dies, wie die auftralifchen Einge- 
borenen am Cape York, auf dem Rüden vermittelit eines 
Strides, welcher über den Kopf läuft. Ich habe au gar 
manchen Frauen bemerft, daß ihr Schädel au der Stelle, 
wo biefer Strid zu liegen pflegt, eingebrlict war. 

Unfere Kenntni ihrer Sprache ift bis jegt, wie es nicht 
anders fein fann, mod; fehr unvollfommen. Viele Worte 
haben fie mit den öftlichen Polynefiern gemein, aber bie 
GEonftruction ift eine andere. 

Das Klima hier ift fehr Heiß, und allerlei Fieber, treten 
häufig genug auf, dennoch find wir bisher davon verſchont 
geblieben. eine- rau ift das erfte weibliche Weſen der 
weißen Race, welches je am diefer Küfte von Neu⸗Guinea 
landete, und fie wie unfer Heiner Knabe wurden im der 
erften Zeit mit gar großem Staunen von den Eingeborenen 
betrachtet.“ 

* 
* * 

Bon Port Moresby aus hat Mirzlih Mr. Detavius 
D. Stone, ein Naturforfcher aus London und Mitglied ber 
dortigen geographifchen Geſellſchaft, welder fi an M' Far · 
lane’8 Befahrung des Barter ⸗Fluſſes (f. oben ©. 57) be- 
theiligte, in Gejellfchaft von drei Begleitern mehrere kurze 
Ausfillge in das Innere, darunter einen nach dem Hohen 
Dmwen-Stanfer,Berge (13,205 Fuß engl, Birifa ber Ein- 
geborenen) hin, unternommen, Zunächſt paffirte er Niede- 
rungen, welche gegen alle Erwartung fo gut wie vegetationd- 
los und verödet waren. Dann aber ald das Land anftieg, 
wurde e8 beffer; zahlreiche Parabiesvögel und tropiſche Bes 
getation ftellte ſich ein, die bald zur ge ward. Der 
Doden am Fuße der Berge ſoll [fi für Cultivirung tropi- 
ſcher Erzeugniffe vorziigfic eignen. Die Eingeborenen, mit 
telchen man zufammen fan, bewiefen fich ſehr freundlich, 
und man hatte nirgends Gollifionen mit ihnen zu beftehen. 
Auch Stone nennt die drei Stämme der Motu, welche an 


Aus allen 


Die Bergwerke Eanabas. 


Die unermeßlichen Reichthümer, welche dieſes Land an 
Erzen und Koblen befigt, fichern ihm einen hohen Rang in 
der Montaninduftrie der Erbe zu. Bis jetzt wirb allerdings 
nur ein verfchtwindend einer Theil andgebeutet; aber es 
wird wohl nicht mehr lange dauern, bis feine Hülfsquellen 
erichloffen werben. Im vorigen Jahre wurden Metalle im 
Werthe von 83,878,060 Dollard erportirt. Die Kohle Bri- 


Erbtheilen, 319 
der flachen Küſte wohnen, der Koitapu auf den Höhen am 
Meere und ber Koiari (Koeali) im Innern, auf den 
Bergesfpigen und an den Abhängen hauſend. Alle drei 
weichen in ihrer Sprache von einander ab; aber die Idiome 
ber beiden legteren find nur Dialefte einer und bevfelben 
Sprade. In der Körperfarbe, dunfelbraum mit eimem 
fupferfarbenen Tone, ftimmen fie alle mit einander überein. 
Die Koiari im Innern find ein ftarfes, gefundes und intel- 
ligentes Bol, von rafcher Faſſungsgabe, athletiſch, thätig, 
febhaft, ausbrudsvoll im Sprechen, heitern Temperaments 
und zum Lachen und Scherzen aufgelegt, kurz jenen beiden 
Stämmen an ber Kuſte körperlich und geiftig weit überlegen. 
In gleicher Weife übertreffen aucd ihre Waffen, namentlid) 
die gefchnigten Speere, die der Küſtenbewohner. 

Ueber den Plan einer Londoner Geſellſchaft, wenn nöthig 
mit Auwendung von Gewalt jenen Theil der großen und 
ſchönen Infel zu colonifiren, äußert ſich Stone, d. d. Somer- 
jet, Cape York 7. Februar 1876, folgendermaßen, 

„Ic habe den prahlerifcyen Profpeet der London Colo- 
nifation Affociation ſowie ben fehr richtigen Proteft des Lord 
Carnarvon gelefen. Ich glaube, kein Proſpect ober fein 
Papier hat jemals zuvor ſolche Ummahrheiten zu Tage ger 
fördert oder dergleichen Ignoranz über Klima, Probucte 
und Bevölferung eines Landes verllindet. Womit die Aſſo · 
ciation auf Neu⸗Guinea Handel treiben will, ift mir ein 
Räthfel. Dit größter Umwiffenheit wird die fehr wahre 
Augabe des Keverend A. W. Murray über die Bertheilung 
des Landes unter die Eingeborenen beftritten. Aber es ijt 
unzweifelhafte Thatſache, dag auf der ganzen öftlichen Halb- 
infel und, wenn id) recht unterrichtet bin, wohl überhaupt 
auf Neu · Guinea der Grund und Boden im beftinmte, jcharf 
begrenzte Parcellen (allotments) abgetheilt ift, welche das 
Privateigenthum ber Individuen beiberlei Geſchlechts bilden 
und von denen eine jede ihren befondern Namen führt. Der 
Rechtstitel darauf wird fo gewiflenhaft refpectirt, daß felbft 
ein wg den Landbeſitz feiner Frau nicht ohne deren 
ausbrüdliche Einwilligung veräußern darf. Sollte der Pro- 
fpect der Affociation in London wirklich ins Leben treten, fo 
wage id) es, mit Sicherheit als erfte Folge Blutvergiehen, 
dann Hungersnoth und unfägliche Leiden und endlich ſchimpf- 
lichen Rliczug zu prophezeien. Soll aus der Annerion 
Neu-Guinead etwas werben, fo muß bie engliſche Regierung 
die Sache in bie Hand nehmen und dabel den Plan bes 
holländifchen Coloniſirens adoptiren, d. h. fie darf die Ein- 
= nicht depoffediren und am deren Stelle die weißen 

oloniften fegen, fondern fie muß die Eingeborenen zu nüß- 
lichen Eoloniften heramziehen und dann Handelsverbindungen 
mit ihnen unterhalten.“ 

Nach den legten Nachrichten aus Auftralien dürfte Dir. 
Stone ſich jegt wieber auf der Ruckreiſe nad) London befinden, 


Erdtheilen. 


tifch-Columbias wird ſchon ſtark nach den verfchiedenen Küften- 
plägen des Stillen Meered verfrachtet; jo 3. B. bat die 
Vancouver Eoal Company im vorigen Jahre 113,000 Ton- 
nen, gegen 81,866 im Jahre 1874, verfhiffl. Der Silber: 
minen giebt e8 beſonders viele; unter ihnen ift die reichite bie 
Silver Islet Mine, welche einzig in ihrer Art dafteht. Die 
äußerft reiche Ader ftand an einer Stelle des Lake Superior 
zu Tage, die bei fehr ſeichtem Stande beffelben troden liegt. 
Es mußte nun erft auf diefem Plage eine Fünftliche Juſel 


320 


gebaut werben, wo man bie Mafchinen aufjtellte und einen 
Schacht einſenken fonnte. Dan bat jegt eine Tiefe von 560 
Fuß erreicht und fchiebt zwei Stollen unter dem Seeboben 
nad Süden bin. Troß der jehr großen Betrieböfoften liefert 
diefe Grube doch fehr reiche Erträge. — Bis jetst vertheilt 
fh die Montaninduftrie anf die verichiebenen Provinzen 
wie folgt: 

Quebeck und Ontario liefern Gold, Silber, Kupfer, 
Eiſen, Petroleum, Phospbate (Apatit) und Blei; Nova 
Scotia: Gold, Koble, Eifen, Baryte. Manganerze, Gyps 
und fenerfeften Thon; New Brunswid: Kohle; Britiſch 
Eolumbia: Bold, Silber und Kohle; Newfonndland: 
Kupfer, Blei. 


Auswanderertrandport aus britiſchen Hafen im 
Jahre 1875. 





Das ftatiftische und Handelädepartement de3 Board of 
Trade veröffentlicht folgende Zahlen, welche für die Auswan— 
derung und Reifen nach aufereuropäiichen Pläten gelten: 





















Abfabrıobäfen 


Bririidı 
Rordamerita 






Mad ven Ber | 
inigten Etnaten 
Auftrattide 
Aolonien 
Andere Orte 





= 











2.8 
4, 
1,706 


Englands 
Schottlands 
Irlanıs . 


14,202 
1,864 
1,312 


16,669 | 136,306 
191 16,109 
— 28,804 










Bulammen in Grehbritammien 
„ tu Borjabre (1A74) 


105,048 
143,181 


17,378 
25,150 


35,525 
53,068 


15,560 
13.49 


Die Geſammtſumme vertbeilte ſich auf die verfchiedenen 
Nationalitäten und Reiſeziele wie folgt: 


173,809 
241,014 























= 
Zz= 
g 2 lä2lz 
Biel = s|=2z| 3 
5 :|sz|5 
5 =|.:| ® 
[27 
e 
Vereinigte Etaaten 2. 0. | an,0on 6.898 ai,aaa 28,098 835 |105,046 
Britiih Rordamerila . . - | 9006| 1,872] 1,392) 5,018) 50 | 17,378 
Auſtraliſche Golonien . . . - | 20,749, 8,760 Ba 707 Bl 35,59 
Andere OCrle . 2 2 0 00. | 10.00 1,172 sr 2,596) #08 | 11,000 
Eumma . . | 84,50014,088l11,449/81.847| 1,787 |1r3,a00 
Summa im Borjabre (1874) . |116,400)20,286 











— 5,277 201,014 
| 


Diefe Tabellen bedürfen allerdings einiger Corrective. 
Es darf wicht überfehen werben, daß mehrere Tauſend Rei- 
fender eingerechnet find, welche ihre Heimath bloß zeitweilig 
verlafien baben. Die Verminderung, welche die Aus: 
mwanberungszahlen gegen das vorhergehende Jahr zeigen, ift 
keineswegs als Anzeichen aufzufaſſen, daß die Luft zur Aus— 
wanberung in der Abnahme begriffen ift, ſondern einzig und 
allein die Folge der allgemeinen Kriſis, welche die ungünſti— 
gen Chancen und zu überwindenden Schwierigkeiten um das 
Vielfache erhöht. 

u 8 

— Der Pibliothet des Britiihen Muſenms ift kürzlich 
eine achtbündige hinelifhe Geſchichte des Testen 
deutich-franzöfifhen Krieges, verfaht von Wang-Tau 


Aus allen Erötheilen. 


und Tſchang⸗tſung-liang, neichenkt worden. Die Verfaſſer 
baben ihr Material and fremden Zeitungen gefammelt und 
follen es im geſchickter Weife kritiſch gefichtet und vebigirt 
haben. Die gegenwärtige Lage Europas ericheint ihnen wie 
die Chinas 500 Jahre vor Chrijti Geburt, als dies Land 
faft die unrubigften Zeitläufte feiner Gefchichte durchzumachen 
hatte, und die einzige Ausficht auf Erhaltung des Friedens 
ſehen fie in einer fejten Verbindung zwiichen England, Frank: 
reich, Rußland und Deutichland! Das Opus beginnt mit 
einer allgemeinen Heberficht von Europa und wendet ſich dann 
zu den unmittelbaren Urſachen des Krieges. Die berühmte 
Begegnung Benedetti's, befien Name als „Pinsni-teb:ti“ er: 
fcheint, mit König Wilhelm in ‚Im⸗ſze“ (Ems), die verſchie⸗ 
benen Schlachten, barumter die von „Syetan" (Sedan), und 
bie Belagerung von Paris find ausführlich befchrieben, und 
das Werk ſchließt mit der Erwählung von „Makma-ban* 
zum Präfidenten der franzöſiſchen Republik. ; 

— Der erfte Schritt, den allen Neuerungen jo abbolben 
Ehinelen die erſte Eifenbabn vor Augen zu führen und 
dadurch ihren Widerftand gegen biefelbe allmälig zu über: 
winden‘, ift geicheben. An aller Stille wurde das nöthine 
Land zwiſchen Schanghai und Wufung ſneun engliiche 
Meilen von erfterm an der Mündung bes Fluſſes Hmwang- 
pu, am welchem Schanghai liegt, in den Vangstjefiang) ge: 
kauft und nivellirt, das nötbige Geld in England und in 
Schanghai zufammengebradht und ein Ingenieur verſchrieben. 
Was bisher geicheben ift, wurde von den einheimiſchen Be— 
hörden gebilligt; aber man bat fi, um nicht ihre Oppofition 
herauszufordern, gehütet, ihnen auch nur ein Wort von Loco: 
motiven zu ſagen. Sind in einigen Monaten die Schienen 
nelegt und rollt dan der Dampfivagen darüber bin, jo hofft 
man, dab fih die Chinefen in bie vollendete Thatſache zu 
fchiden wiflen werben. 

— Schifffahrt und Handel find für ein Küftenland corre- 
lative Begriffe. Die Bedeutung des einen erlaubt einen 
Schluf auf die des andern. Jır der auftraliichen Colonie 
Neu-Süd-Wales hat die Schifffahrt im verfloffenen 
Jahre wieder einen erheblichen Aufſchwung genommen. Die 
Zahl der eingelaufenen Schiffe belief fih auf 1179 gegen 
10388, mit einem Tonmengebalte von 608,878 gegen 515,886 
und einer Beſatzung von 31,155 gegen 27,942 im Jahre 1874. 
An Paflagieren trafen 30,223 ein gegen 27,315. Dagegen 
verliehen die Colonie 1054 Schiffe gegen M6, mit einem 
Tonnengehalte von 562,562 gegen 503,076, einer Belagung 
von 20,032 gegen 27,404 und mit 20,582 Paſſagieren negen 
19,191 im Borjahre. 

— Ueber die vierte Reife des Mr. Erneft Giles durch 
die weſtlichen Wiften Australiens baben wir in Nr. 12, 
Seite 168 ff. berichtet. Mit der Einwilligung des Mer. Tho— 
mas Elder in Adelaide, welcher die ganze Erpebition aus— 
geriiftet hatte, wird nun Giles fich zunächſt zur Verfügung 
der weftauftralifchen Regierung ftellen, um die Nebenflüſſe 
des Murdifon River und andere wenig befannte Flüſſe an 
der Nordküfte von Weſtauſtralien näher zu erforfchen. Giles 
wollte diefe Neife zu Anfang März diefes Jahres von Cham- 
pion Bat aus antreten. Nachdem dies geicheben, wird er 
wieder über Land, nur in einer nördlichern Richtung als 
bisher, nad Südauftralien zurücklehren. 

— Garcin de Taffy ift zum Vorfigenden einer Com- 
miffion ermwäblt worben, welche die Arbeiten des verftorbenen 
Fregattencapitäng Doudart de Lagrée über das centrale 
Indo⸗China herausgeben foll. 


Inhalt: Thomfon’s Reife auf Formofa. I. (Mit drei Abbildungen.) — Die californifchen Indianer. I. (Mit 
zwei Abbildungen) — Die engliihen Himalaya-Befiguugen. Von Emil Schlagintweit. Va, Der Pendihab-Himalaya. 
— Die Eingeborenen bei Port Moresby. — Aus allen Erdtheilen: Die Bergwerke Canadas. — Auswanderertransport 
aus britijchen Häfen im Jahre 1875. — Verſchiedenes. — (Schluß der Nedaction 6. Mai 1876.) 


Redarkeur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenſtraße 13, I Ir. 


Drud und Verlag von Briedrih Biemeg und Sohn in Braunfchweig. 


Hierzu eine Beilage: Literarifher Anzeiger Nr. 4. 


Mit befonderer Berüchfichtigung der 





= ur 2. 
—— 
De BL 


Anthropologie und Ethnologie. 


Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 


Dr. Richard Kiepert. 





Braunfhweig 


Jahrlich 2 Bände am Rummemm. Durch alle Buchhandlungen und Poftanftalten 


1876. 





Thomſon's Reife auf Formoſa. 


Die gerade unter den Eingebovenen herrſchenden Unruhen 
fiegen «8 für Ihomfon rathfam erfcheinen, den ihnen zuges 
dachten Beſuch einftweilen aufzugeben und ftatt deifen zu 
Waſſer nad) der nahen Hauptftadt der Juſel Tai-wansfu 
zu gehen. in eigentlicher Hafen fehlt diefer Stadt; ihre 
Rhede bietet zwar während des Nordoft-Mlonjuns, von Der 
cember bid Ende März, einen jehr guten Anferplag, doch ift 
bei der circa zwei Seemeilen betragenden Entfernung der Ver⸗ 
fehr mit dem Lande ein fehr bejchwerlicher. Wie jchon oben 
erwähnt wurde, wächſt diefe iberaus fladye Hüfte zufehends 
an: wo noch im Jahre 1661 die chinefische Flotte, welche 
die formoſaniſchen Befigungen den Holländern entriß, Anker 
warf, dehnt fid) heute eine öde Ebene aus, von einem Canale 
durchichnitten, der Taiswansfu mit der See in Verbindung 
bringt, aber nicht von größeren Schiffen befahren werden 
fan. Es ift das beim heutigen Fiſcherdorfe Anping, wo 
fid) außer dem von englifchen Beamten verwalteten Zollamte 
die Ruinen des um 1630 errichteten holländischen Forto 
Zelandia gegen 18 Meter body erheben. Als einzige Er: 
höhung an diefer Hüfte giebt es eine treffliche Landmarke zum 
Anfegeln der Rhede von Taiswansfu ab, welche durch einen 
hohen und breitfronigen Baum ſchon auf weite Entfernungen 
hin ſichtbar ift. Diefelbe ift aber möglicher Weife heute jchon 
verſchwunden; Gorvetten-Gapitän Hühne, welcher im Früh: 
jahr 1875 mit der „Ariadne* die Rhede befuchte, meldet, 
daß die Chinefen mit dem Abbrechen des Forts beichäftigt 
feien, um das dadurch gewonnene aus vorzüglid, harten Bad- 
ſteinen beftehende Material zum Bau einer etwa 11/, Ser 

Globus XXIX. Nr. 21. 


u. 


meilen fiblich von Zelanbia gelegenen neuen Befeftigung zu 
verwenden. Wahrfceinlic auf Anrathen der den Bau leis 
teuden franzöfifchen Ingenieure fol auch der ganze Hligel 
von Zelandia abgetragen und dabei natlirlic, aud) jener große 
Baum gefällt werden, weil das neue Fort von dort aus dos 
minivt werden lönnte. Bei der Froßen Wichtigfeit aber, 
welche derfelbe für die Schifffahrt, die auf diefem Plage beis 
nahe zur Hälfte vom deutjchen Scyifien betrieben wird, be» 
fit, wurde ber die deutfchen (und außerdem bie franzöſiſchen 
und dänifchen) Intereffen vertretende engliiche Conful, Vier. 
Gregory, erfucht, feinen Einfluß dagegen geltend zu machen, 
eventuell für die Errichtung einer andern weithin ſichtbaren 
Marke forgen zu wollen, 

Die Stadt Taiswan-fur felbft liegt mod, etwa vier See— 
meilen von dem Ankerplatze der größeren Schiffe entfernt 
und der dorthin führende Flußarm ijt meiftentheils durch eine 
Barre gefperrt, weldje mitunter burchbrochen wird, aber ſtets 
bald wieder verfande. Man bedient fic deshalb, um and 
Yand zu lommen, der „Katamarand“, aus Bambusffämmen 
der dickſten Gattung beftehender Flöße. Die Stämme wer: 
den mit Hulfe von Feuer gebogen, um dem fahrzeuge eine 
hohle Fahnförmige Geſtalt zu geben, und dann mit ſpaniſchem 
Rohre mit einander verbunden; in der Mitte des Ganzen 
ift ein ftarfer Holzllotz befeftigt, welcher ben Maſt mit feinem 
großen Mattenfegel trägt. Sein einziger Nagel ift an dem 
ganzen Gefährt vorhanden; das Merkwürdigſte daran ift 
aber die Einrichtung zur Aufnahme von Paflagieren, welche 
in einer großen wannenartigen Vertiefung befteht, Der Ka: 


al 


322 


tamaran, in welchem Thomfon ſich au das Land begab, faßte 
in feiner Wanne vier Perſonen; aber biefelbe war fo tief, 
daß ihre Infaffen faum über den Rand hinweg fehen konns 
ten. Sie festen ſich alfo auf die Bambusftäbe felbft; da 
aber zwangen fie von Zeit zu Zeit die hochbrandenden Wo- 
gen, ji mit Händen und Füßen feftzullammern, um nicht 
hinweggeführt zu werben. 

Taiwan-fu, weldes etwa 70,000 Einwohner zählen 
mag, ift, wie alle größeren dhinefifchen Städte, mit einer 
20 bi8 30 Fuß hohen und 12 Fuß diden Mauer umgeben, 
welche ihr eim ftattliches Ausfehen verleiht, wie fid) dem 
auc) das Innere vor den Städten bed chineſiſchen Feſtlandes 
durch eine gewiſſe Reinlichteit auszeichnet. Die Straßen 
find meift mit Steinplatten aufgelegt und theilweile von 
GCanälen durchzogen, welche mit dem Meere in Verbindung 
ftehen und für den Waarentransport eifrig bemugt werben, 
Die Mauern, welche nadı jeder der vier Himmelorichtungen ein 
Thor haben, haben einen Umfang von eiwa 8 Kilometer , aber 
der ſo umfchloffene Raum wird zum großen Theile von Fel— 
dern und Gärten bededit. Spuren des einftigen holändifchen 


— —— 


gräßlihe Schlachten fein Ende erreicht hatte, verwandelte ſich 
das Yubelgefchrei in Jammer und Wehklagen: der Himmel 
verfinfterte ſich und cin flrchterlicher Sturm brad) los. Die 
Flüffe und Bäche ſchwollen reigend an, traten aus und liber« 
ſchwemmten bie Ebene; Bäume, Häufer und Felbfrlichte wurs 
ben fortgeriffen und gegen 2000 Menſchen fanden in den 
empörten Wogen ihren Tod. Gott hatte im feinem Zorne 
dad vergoflene Blut der Fremden gerächt, fagten die aber: 
gläubifchen Eingeborenen. 

Heute wird diefer traurige Ort Übrigens auch ald Exercir⸗ 
plag benutzt. 

Vor dem Sitbthore Liegt dev Begräbnißplag, eine groß: 
artige Todtenftabt mit unzähligen Monumenten und einem 
eigenthlimlichen, leider dem Zerfalle entgegengehenden Tents 
pel, der dem Gotte der Gnade geweiht iſt. Im Innern der 
Stabt ift noch die Umiverfität zu erwähnen, die fid) eines 
guten Rufes erfreut und ftart befucht wird, Importirt 
werben nadı Taismwansfu außer vielen djinefifhen Waaren 
beſonders allerlei engliiche, Eifen, Blei, Baummolle und 
Opium, von welchem legtern trog der hohen darauf liegen: 
den Zölle in der Stadt jährlich an 1500 Kiſten verbraucht 





Thomſon's Reife auf Formofa. 


Regimentes find wicht felten: nmamentlid) die Ruinen des 
Forts Provincia, chineſiſch Sal⸗kan geheiken, und die großen 
Parks mit ihren fchönen Bäumen erinnern an daſſelbe. Ju 
der Hauptftraße, welche von Weften nach Dften geht, fieht 
man Magazine und Läden aller Art und hat einem rechten 
Einblid im das rege chineſiſche Geſchäftoleben. Tauſende 
von Menjchen bewegen ſich dort und feinem fieht man Yanges 
weile an; alles arbeitet wie ein Bienenf—hwarm. Beim Sübd- 
thore liegen mehrere Tempel, namentlich ein im fechszehuten 
Jahrhundert erbauter, welcher dem Gedächtniffe an den Man 
darinen Tſchin-hok, den Eroberer der Infel, gewidmet iſt, 
und ber Tempel Wang-fun, der nur vom Tao⸗tai (Bicefönig) 
und feinen Beamten benutt wird. 

Auf der Norbfeite der Stadt befindet ſich der Richtplatz, 
wo ſchon Taufende von Opfern dem Fanatismus ber Man- 
darinen erlegen find. Es ift ein weiter, völlig ebener Platz, 
deſſen Einförmigteit faum ein Bächlein unterbriht. Den 
ſchrecklichſten Tag fah diefes Blachfeld im Auguſt 1942, ala 
160 Europäer unter dem wilden Triumphgefchrei des Pöbels 
zue Hinrichtung hinausgeführt wurden. he aber noch das 


— — — * 


werden. Der Export befleht in Reis, Juder, Bohnen, Del, 
Danf u. f. w.; wir haben über die meiften diefer Producte 
ſchon im vorigen Artikel geſprochen. 

* * 

In Begleitung des Dr. Marmell, der ber ärztlichen 
Miſſion in Tai-wan⸗fu vorfteht und dort unter den zahl: 
reichen Kranken, den Opfern der Armuth, der Vernachläſſi⸗ 
gung und der ſchlechten und unzulänglicen Ernährung un: 
jäglich viel Gutes ftiftet, machte ſich Thomfon am 11. April 
1871 auf den Weg, um die auf den entfernteften Stationen 
zerftreuten Miſſionäre im Innern der Juſel zu befuchen. 
In Tragſillhlen figend durchzogen fie zunächſt die 15 bis 16 
Kilometer breite Ebene, welche durchweg mit Reis, ſüßen 
Pataten, Erdnitjfen und Zuckerrohr beftellt und mit cine: 
fifchen Sehöften und von Bambusdidichten ungebenen Weis 
lern wie befäct iſt. Mehrere Kulis trugen den Apparat 
und die Chemikalien Thomfon’s, welcher möglichſt viel Inter: 
effantes, das ihm auf feiner Reife aufftogen würde, zu pho- 
tographiren gedachte, — Auf den Feldern waren in großer 


| Anzahl Frauen befchäftigt, mit jo ftark verjillmmelten Füßen, 


Thomſon's Meiſe auf Formofa. 


daß fie in den Furchen mehr zu hinfen als zu laufen ſchienen. 
Zierlich waren dagegen ihre Gewänder von weißen Galicot 
mit hellblauen Säumen. Dhre fetten, gelben Männer fahen 
wie Tölpel und Faulpelze aus; bie ſchwere Feldarbeit über 
ließen fie gern ihren Ehehälften. Auch Kinder fehlten in 
der Landſchaft nicht, derem einzige Befleidvung in einem am 
Halfe hängenden Amulete beſtand. Entzlidend find die Wege 
in dieſer fruchtbaren Ebene, beſchattet von Palmen und 
Bambus und Dörfer verbindendb, welche von Weilem geſe— 
hen einen geradezu bezaubernden Eindrud machen, Im der 
Nähe nehmen fie ſich freilich anders and und lafjen einen 
ſtarken Knoblauchs und Miftbuft ausftrönen. Dazu lom⸗ 
men ftarte Blumengerüiche, zwiſchen denen der milde Duft 
ber zahlreichen gelben Roſen fich verliert, Bielfach erfcheinen 
unſere heimischen Blumen 

unter der tropifchen Vegeta⸗ m 
tion, und hoch in den Yüften re n 
wiegt fich die Feldlerche, die 
auch in dem feſtländiſchen 
China und in einigen Thei⸗ 
len Siams vorfommt. 

Bei der erften Hilgel- 
reihe machten die Reiſenden 
Halt, fandten die Träger 
zurlick und ermarteten die 
zurlictgebliebenen Kulis und 
Thomſon's Diener Schong, 
dem die Fußwanderung we- 
nig Bergnügen und viel 
Qualen bereitete, Die Hibe 
war drildend, der Weg wurde 
zu einem fchmalen Pfade, ber 
ſich über Fable Hügel Hinzog 
und alle Augenblicke von 7 
bis 8 Fuß tiefen Schluchten 
und Erdriſſen unterbrochen 
war. Langſam ging es vor« 
wärts, bald an tiefen Ab» 
gründen entlang, bald durch 
Schluchten, deren von der 
Sonne erhitte Sandftein- 
wände bie Hände der unvor⸗ 
fichtig fie Berlihrenden ver- 
brannten. Immer böfer 
wurde der Pfad, immter tie» 
fer umb breiter die Schluch— 
ten, bie oft wahre Thäler 
bilden, deren Sohle bebaut 
ift. In der Regenzeit haben 
ſich die Gießbäche durch die 
Thonſchichten des Gebir- 
ged unterirdiſche Wege gebahnt und fo gewillermaßen ein 
natürliches Abzugsfoftem fir die Gewäſſer der Centralfette 
geſchaffen; allein diefe Canäle find auch die Urfache plög- 
ficher Erdrutſche, unter denen ber Landmann Haus und 
Ader verfchwinden fieht. Die Hak⸗ka, melde biefen ge— 
fährlicen Boden bebauen, find aber auf ihrer Hut und 
daran gewöhnt, ihren Stab weiter zu fegen und von Neuen 
unverzagt an bie Beitellung des Yandes zur gehen, ein Wechſel 
ihres Wohnortes, der nicht felten zu ihrem Glude ausichlägt, 
wenn der neue Play gefunder oder ficherer ift und filr bie 
Wintermonate mehr trodenes Schwemmholz in den Fluß: 
betten barbietet. 

Um 4 Uhr Nachmittags erreichten die Reiſenden Poah-bi, 
das erfte Dorf der Pepo-hoane, welche fie freundlich aufnah» 
men und namentlid) den Arzt Herzlich bewilltommmeten. Es 





Pepo⸗hoaus, Frau und Kind, 


323 


ift ein einfaches, freimlthiges Volt, deffen offenes Benehmen 
denjenigen, ber lange Zeit mit den verfchmigten Chineſen 
verfehrt hat, überaus angenehm berührt. Obwohl fie den 
Aderbau und die Baukunft erft von den Ghinefen erlernt 
haben, fo find ihre Käufer doch befier als die der chineſiſchen 
Bauern, wie fie auch beſſer gekleidet find. Im Aeußern 
wie in der Tradjt erinnern fie ſtarkl an die Laos in Siam, 
während andererfeits ihre Sprache entſchieden malayifche Ab: 
ftammung verräth. 

In PRoahsbi ficht eine Heine hriftliche Capelle, welche 
von den Cingeborenen felbft erbaut worden ift und erhalten 
wird, fo dag die Miffion nur einen eingeborenen Diaconus 
zu befolden hat. Die Häufer find alle reinkich, gut im 
Stande und bequem und meift fo gebaut, daß fie brei Sei— 
ten eines Vierecks einnehmen, 
Sie werben derartig herge- 
ftellt, dag man zuerft ein 
Gebält aus Bambus errid)- 
tet, dann daſſelbe mit klei⸗ 
neren Bambuslatten belegt 
und das Ganze mit einer 
biefen Thonſchicht bedeckt, die 
nach dem Trockenwerden ge- 
weißt wird. Kalt und 
Thonerde finden ſich reichlich 
in der Nachbarſchaft. — Un 
Dingen, die etwas medani- 
ſche Erfindungsgabe verra: 
then, ſah Thomfon nur 
zwei bei ben Pepo-hoans: 
ihre Flintenfolben und eine 
fehr merkwürdige Ratten⸗ 
falle, deren Herſtellung ein 
wichtiges Ereigniß in ihrer 
Geſchichte geweſen ſein muß, 
da jene Bergbewohner das 
Rattenfleiſch Über Alles 
ihägen. 

Nach Er Tagen bra- 
= en unfere Reifenden zu Fuß 
nach dem 20 Kilometer dft- 
licher gelegenen Dorfe Bat-ja 
auf, In Menge liefen die 
Leute bei ihrem Nahen herzu; 

Fr Schaaren nieblicher Kinder 

‚sr riefen: „Peng-gan! Peng- 
\ gan !* (Friede fer mit Euch!) 
und bie Väter liefen ihre 
Arbeit im Stich, um dem 
Arzte die Hand zu ſchutteln. 
Mit großer Begleitung hiel- 
ten fie fo ihren Einzug in das von Br Balmen 
und Bambus befchattete Dorf. Letztere Pflanze ift vielleicht 
das Demerkenswerthefte in der ganzen Yandfchaft; fie er 
reicht hier riefige "Dimenfionen und man findet foldye von 
mehr ald 100 Fuß Höhe und von 2 Fuß Umfang. Sie 
und der Reis Spielen im Leben der Chinejen die größte Rolle 
und wurden, wenn alle anderen Nutzpflanzen fortfielen, hin- 
reichen, das ganze Bolt zu nähren, zu Meiben unb zu be» 
hauſen Zunächſt ift der Bambus nicht wähleriſch im 
Standorte und verlangt feine Pflege Seitens des Menſchen; 
fat eben fo üppig gedeiht er auf mageren, fteinigen Berg: 


*) Berg. bietzu F. Jagot jiber bie mannigfahe Verwendung 
des Bambus auf den Philippinen, „Globus” XXIII, S. 198 (mit 
Abbiltungen). 


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Die californischen Indianer. 325 


abhängen wie in dem reichen Thälern Formoſas. Um dat 
Haus, das faft ganz aus Bambus befteht, bildet er ein fat 
undurchdringliches, dorniges Gehege und gewährt ihm mit 
feinen blaßgelinen Fiederkronen erfrifchenden Schatten. Im 
Innern der Häufer findet man Stühle und Betten, die ganz, 
und Tifche, die bis auf die Platte von Baubus verjertigt 
find; ferner Eimer, Krüge, Trinfgefäße, Gießlannen, Maße 





(2 
! 





für Reis aus bemfelben Material. Bon ber Dede herab 
hängt geräudyertes Schweinefleiſch an Bambuszweigen, deren 
Dornen unwilfommene Beſuche der Ratten abhalten. Hut 
und Mantel des Hausherrn beftehen aus Bambusblättern, 
die dachziegelartig Über einander liegen, wie Fiſchſchuppen 
oder die zyedern der Vögel. Die meiften Werkzeuge zum 
Aderbau jind ans Bambus verfertigt, ebenfo Körbe allerlei 


— ENT N 








Art, die Fiſchfangsgeräthe, Papier und Schreibfedern, die 
in feinem, felbft dem elendeften, chineſiſchen Haufe fehlen, 
Becher, Epftäbchen und Tabadöpfeifen. Die erften grünen 
Sproffen der Pflanze dienen dem Chinefen zur Nahrung; 
feine erften Träume träumt er in einer Bambuswiege und 
den ewigen Schlaf jchläft er im Schatten der Pflanze, die 
ihn fein Leben lang nicht verläßt, Im den Tempeln findet 
man die Werke der buböhiftifchen Claffiter auf Banıbusrinde 





geichrieben ; and Bambus beftehen die Wahrfageftäbchen und 
ihr Behälter und mit Bambuswedeln werden die Borhöfe 


der Tenipel gefegt. Bei den Goldfchlägern von Fu: fiang 
vertritt eine der vielen Arten von Bambuspapier die Stelle 
unſeres Vergamentes; Flöten und Fücher und felbft die Web- 
ftühle für Seidenftoffe macht man in China aus diefer nüt- 
lichſten aller Pflanzen. 


Die californifhen Indianer. 


Ein anderer Fehler ihres Charakters ift ihre Unzuver⸗ 
läffigfeit. Sie find große Diebe, wenn fie es nur irgend 
ungeftraft fein können. Wie zuweilen ſchlecht gefittete Weiße 
pflegen fie mit Vorliebe kleine Gegenſtände, wie Meſſer, 
Pfeifen, Bleiftifte u. ſ. w., zu borgen, welche fie dann fofort 


in die Tafche ſtecen in der Hoffnung, daß der Eigenthlimer 
vergeflen wird diefelben wiederzufordern. Alte Pionniere 
geben Neifenden, denen fie ihre Protection angebeihen laſſen, 
den Rath, immer ‚die Namen von hervorragenden Perfonen 
and der jeweiligen Nachbarſchaft im Munde zu flihren, um 


326 


Die californiihen Indianer. 


die Wilden glauben zu machen, daß fie dort wohl befannt | wie derzFuchs, der nie in der Nähe feines Baues auf Raub 


wären und mächtige Freunde hätten, die alles Schlechte, 
was die Indianer ihnen thun witrden, ficher rächen witrden. 
Da Iegtere nämlich ſehr anhänglic am ihr Heim und ihre 
Wohnungen find und aus herber Erfahrung recht wohl willen, 
daf jeder Diebftahl, dem fie in der Nachbarſchaft begehen, 
mit Niederbrennen des Dorfes und Eintreibung von mindes 
ften® doppeltem Schadenerjag geahndet wird, machen fie es 





andgeht. Einen Fremden aber, der ohme freunde zu fein 
ſcheint, jehen fie als willtonnmene Beute an, und ein folder 
ift nicht ficher, daß ihm nicht in der Nacht das Pafen unter 
dem Veibe weggeftohlen wird. Namentlich die nördlicheren 
Stämme haben eine am Geiz grengende Liebe zum Beſitz 
und zum Aufhäufen von Scägen, und thun fr einen Ame- 
tifaner nicht den geringften Dienft ohne Bezahlung; ja das 











- : Reujpar= 


Californiſche Indianer, (Mad) einer Photographie.) 


geht jo weit, daß fie nicht einmal Wörter ihrer Sprache 
einem Wißbegierigen mittheilen wollen, ohne dafür Geld er— 
halten zu haben. 

Die Regierungdform, die urfprünglid, bei ihnen vor: 
herrjchte, könnte man die Herrichaft von Geſchenlgebern nen= 
nen. Mit Ausnahme der Stämme nördlich vom Mount 
Shaſta gilt Tapferkeit bei ihnen wenig, während Reichthum 
md amilienverbindungen Hauptſtützen der Macht find, 
Der Anfang einer Hertſchaft ift ungefähr folgendermaßen. 
Wir wollen annehmen, daf eine Spaltung eingetreten war 


und ein Dorf dadurd) unabhängig geworden iſt. Alsbald 
wird eim großes, rundes Tanzhaus gebaut und die hervor- 
ragenden Männer halten darin ihre freunde in einer Reihe 
von Gaftmählern frei, die allerdings, foweit wenigftens 
Fleiſch in Frage kommt, ziemlich, lärglich ausfallen, und be- 
fchenten fie nad) ihren Mitteln mit Muſchelmünze, Bogen 
und Pfeilen u. f. w. Immer giebt es hierbei viel Mein- 
lichen Streit und Hader, und num beobachten bie älteften 
und wlrdigften Männer des Dorfes, weldyer der Afpiranten 
am meiften Einfluß entwidelt, die jungen Leute in Orbnung 


Die californifhen Indianer. 


zu Halten. Diefen ruft man ſchließlich zum Führer aus 
und an einem bejtimmten Tage hält er eine Auſprache, wo⸗ 
bei er all’ feinen Perlenſchmuck zur Schau trägt, der indejlen 
häufig theilweife erborgt ift und fpäter wieder zurlicgegeben 
werden muß. Die Macht dieſes Anflihrers ift ſehr gering, 
denn dieſe Indianer find vollfommene Demokraten, Wie 
der römische Prätor kann er wohl do, dieo jagen, aber fein 
addieo hinzufügen; er kann die Gewohnheit oder das Ge: 
ſetz anführen und danach feine Meinung abgeben, aber kein 
Urtheil fällen, gefhweige denn ausführen. fi 

Obwohl durchaus fein friegerifches Volt, haben fie doch 
die gewöhnliche VBerrätherei, Rachſucht und Hinneigung zu 
erbittertem Haß wie alle Wilden. Daß Jemand Eltern, 
Geſchwiſter und Verwandte durch die Hand der eigenen 
Stanmesgenoffen verliert, fommt nicht als vereinzeltes Bei» 
fpiel vor. Einzelne Indianer find im ihrer Wiedervergel- 
tung fo raffinirt, daß fie nicht dem Gegenftand ihres Haſſes 
feib, fondern deſſen nächſten Verwandten ober Freund er 
ſchlagen. Doch liegt eine Milderung diefer wilden Greuel 
in der Thatſache, daf fie eine Art Berjährungsgeieh haben, 
welches die Blutrache nach Ablauf eines Jahres verbietet. 

Trog Allem, was von falſchen Freunden und fafelnden 
Philanthropen Entgegengefegtes gejagt worden ift, find bie 
californifchen Indianer eine grob ausſchweifende Race, viel« 
"leicht mehr als jede andere. In allen Dialeften giebt es 
fein Wort, das eine für Geld feile Dirne bezeichnete, weil 
ihnen ein derartiges Gejchöpf unbefannt ift; aber bei den 
Unverheiratheten beiderlei Geſchlechts herricht wenig oder 
gar feine Enthaltfamteit, und dieje Freiheit gilt volllommen 
als jelbftverftändlih. Wenn aber ein Ehemann fein Weib 
nur mit einem andern zujammen in den Wald gehen ficht, 
fo züchtigt er fie hart, und ein Wiederholungsfall pflegt mit 
fofortigem Tode beftraft zu werden. Bruder und Schweiter 
vermeiden es forgfältig allein zufanımen zu leben, ebenfo die 
Schwiegermutter mit dem Schwiegerſohn, und bei einzelnen 
Stämmen find Heirathen zwifchen Coufin und Coufine nicht 
gebuldet; fie jagen, das ſei „Gift“. Während fie aber ſo 
den Schein von Unrecht ängftlich zu vermeiden fuchen, iſt 
die tägliche Unterhaltung der meiften von ihnen, fogar in 
Gegenwart ihrer Weiber und Kinder, jo fehmugig wie nur 
irgend die der gemeinften Weißen, wenn fie ſich allein bei 
einander befinden. Nichtsdeſtoweniger leiden fie weniger 
oft an Körper und Seele Schiffbruch, als die Kinder civis 
Lifirter Voller; denn wenn ihmen das große Geheimniß ber 
Reife entgegentritt, wifjen fie, was es bedeutet und wie fie 
ſich dazu zu verhalten haben. Die Ehe findet bei ihnen 
häufig im Alter von 12 oder 14 Jahren ftatt. Die Eltern 
wänfdgen nämlich ihre Kinder jung zu verheirathen, um 
ihnen die Verſuchung zu erfparen, und fie verfehen fie gern 
für ein oder zwei Jahre, zuweilen noch länger, mit Yebens- 
unterhalt, fo daß fie recllere Flitterwochen haben, als die 
meiften civilifirten Eheleute. Seit der Ankunft der Amteri- 
faner kommt es leider öfter vor, daß der Ehemann mit der 
Ehre feines Weibes aud) wider deren Willen einen jchänd- 
lichen Handel treibt. 

Eine Behauptung, jo fehr fie auch bezweifelt werben 
mag, wird von Kundigen mit voller Beftimmtheit gemad)t, 
nämlich, daß die große Mehrheit der californifchen Indianer 
abfolut feine Vorftellung von einen höchſten Wefen befigt. 
Jetzt jprechen fie zwar von „dem großen Mann“, dem „alten 
Mann oben“, dem „Öroßen oben“ und dem Aehnliches, 
aber fie haben nur das Wort und nicht mehr. Es ift offenbar 
nur ein modernes Pfropfreis auf ihre Anſchauungen; denn 
niemals fpielt dies Weſen in ihren Angelegenheiten eine 
Role, kommt nie in ihrer wirklichen Volksmythologie vor, 
es ſchafft nichts und erhält nichts. Sie glauben alle an 


327 


ein Leben nad; dem Tode, aber in ihrer Borftellung von 
„dem glitdlichen Yande im Weiten“ findet ſich feine Bor- 
ftellung von einem Gott. ragt man fie aber nach Er— 
ſchaffung der Welt, des Menſchen, des Feuers, der Thiere, 
fo erjcheint fofort der Coyote; der hat Alles gemacht; fo 
hat es ihmen Vater und Vaters Vater erzählt. Daß eins» 
elne Stämme echt indianifche Namen für den Gott der 
Beiken haben, wie Botöh, Looſh, Sha, Comöofe, Kemmy- 
falto u. ſ. w., ift fein Beweis dafür, daß fich auch in ihren 
religiöfen Anfchanungen ein Hequivalent dafür finde, denn 
fie find ſehr erfinderifch in neuen Wörtern für neue Dinge 
und haben auch für andere Begriffe, die ihnen vorher fremd 
waren, wie Weizen, Eifen, Kanone, Ochſe, Pferd u. ſ. w., 
ſchnell neue, vein indianifche Wörter gebildet. Sie fennen 
zahlreiche Geifter, namentlich, böfe, in menfchlicher und Thier« 
gejtalt, die hauptfäcjlich Berge und Wälder bewohnen; es 
find dies theils Seelen verftorbener Böfewichter, bie wieder 
auf die Erde zurlickgelehrt find, theils felbftändig eriftirende 
Geiſter. Sie haben ferner große, mächtige Geifter, die über 
andere ihrer Art befehlen, jo einen großen Geift (haylin 
kakeeny in der Neeshenam»Sprache), der jedoch nur ein 
König Über untergeordnete Teufel, und nicht mit dem „Öhro« 
Gen Geiſt* der Algonquins zu verwecjeln ift. Alle dieſe 
Geifter müſſen günftig geftummt und ihr Zorn abgewendet 
werben; ber Indianer erwartet von ihnen feine Hülfe, ſon— 
dern ift froh und zufrieden, wenn fie ſich nur von feinen 
Angelegenheiten fernhalten. Nur fie ftören ihm die Wohl« 
thaten, die ihm die große Mutter Natur ſpendet. Die Nas 
tur iſt des califormijchen Indianers Gott, und der einzige 
Sott, dem er fenut, und der Coyote ift ihr Diener. Dies 
liſtige Thier hat die Welt gemacht und Alles was darin iſt. 
Die meijten Stämme, obwohl nicht alle, pflegen ihre 
Tobten zu verbrennen und glauben, daß die befreite Seele 
in dem Rauche des Scheiterhaufens zu dem glüdlichen Lande 
im Weften emporfteige. Sie haben eine eingewurzelte Ab- 
neigung gegen die Beerdigung, weil fie meinen, daß bie 
Seele ohne Feuer nicht aus ihrer ivdifchen Behaufung befreit 
werben könne, und es gilt daher für den größten Schimpf, 
den man einem Todten oder feinen Freunden authun kann, 
wenn man ihm eingräbt. Häufig kommen freilich höchſt 
wiberliche und abfdyredende Ecenen bei diefen Berbrennuns 
gen vor, fo z. B. wenn fie, mit teuflifchem Geheul um das 
Teuer tanzend, den fchmorenden Körper mit fpigen Stöden 
anfpießen, um der Seele den Austritt zu erleichtern. Viele 
Stämme haben ein jährliches Trauerfeft zu Ehren der Tod« 
ten, wobei fie Kleider, Yebensmittel u. ſ. w. verbrennen, 
welche, wie fie glauben, in dem auffteigenden Rauche zu 
ihren abgefchiedenen Freunden emporfteigen, 
n am Anfang nahmen wir auf 9. ©. Wood’s 
Werk: „Uncivilifirte Völferracen* Bezug; die angezogene 
Stelle lautet wörtlich: „Ic habe ſchon gezeigt, dag wir 
fein Yafter anflihren können, in dem der Wilde nicht voll: 
fommen zu Hauſe ift, und daß unfere Ansicht richtig ift, 
daß ber nd feines Unterganges im Wilden felbft Liegt 
und nicht dem Weißen in die Scuhe gefhoben werden follte, 
der thatſächlich nur den Play einnimmt, ben der Wilde frei 
gemacht hat.* Fur die Californier paßt diefer Ausjprud) 
nicht. Sie rauchten nur im jehr geringem Grade Tabak, 
das Tabadlauen kannten fie gar nicht; fie waren nie be> 
teunfen, da fie fein künſtliches Getränt außer dem Obftwein, 
dem Manzanita, und diefen nur in Heinen Quantitäten hat 
ten. Das Laſter des Spiels, das fie in höherm Grade als 
wir befagen, ſchadete wenigftens, wie wir oben zeigten, duch. 
aus nicht ihrer Geſundheit, da ihnen liberhanpt große Auf: 
regungen, wie namentlid, Jornanfälle, fait unbefannt waren. 
Sie afen feine heißen, ſchwer verdaulichen und ſtark gewilrz: 


328 


ten Gerichte; nicht einmal Gefräßigfeit war ihnen eigen, 
angenommen nach langem, gezwungenem Faften, Auss 
fchweifung war allgemein; aber Proftitution im unſerm 
Sinne vollftändig unbekannt und mit ihr alle die fchredlichen 
Krankheiten, die jo viele Tauſende bei ihrer erften Belannts 
ſchaft mit den Amerikanern hinmwegrafiten. 

Was ferner den zweiten Theil von Wood's Bemerkung 
anlangt, fo liefert auch hier eine hiftorifcheftatiftiiche Unter: 
ſuchung nicht das Refultat, daß der Indianer den Play frei 
gemacht hat. Statiftifche Nachweiſe der Regierung zeigen, 
daß im Jahre 1870 längs des untern Klamath 67, Ins 
dianer auf die Quadratmeile famen. Ohne Zweifel über: 
flieg diefe Zahl vor Ankunft der Weißen 100; aber aud) 
fo würden die 6000 Quadratmeilen, die im Staate an Lachs 
liefernden Strömen liegen, eine Vevöllerung von 405,000 
Menſchen ergeben. Da nun in allen Eichenwäldern min 
beften® #/, ihrer Nahrung aus Edern beftand, mithin aud) 
bie weit ausgedehnten Eichenwälder auf der Sierra und am 
Küftengebivge eine zahlreiche Bevölferung bergen mußten 
und außerdem auch alle im Innern befindlichen Flüffe eher 
mals ebenſo reichlich Lachſe führten wie der Klamath, fo 
tann man gut weitere 300,000 der obigen Zahl zufligen, 
was dann eine Gefammtbevölferung von 705,000 Indias 
nern ergeben wlirde. 

Aud) die Betrachtung Hleinerer ſcharf begrenzter Gebiete 
zeigt die Thatfache früherer großer indianifcher Bevölferuns 
gen, die bis jet bei weiten nicht durch Weiße im derfelben 
Zahl erſetzt worden fihb. 

Die Pionniere ſchätzten die eingeborene Bevölferung bes 
Round Ballen, als fie es zuerft befuchten, nicht unter 5000 
bis zu 20,000 Seelen. Ein Taufend Weiße würden darin 


Yulius Payer: Das innere Polarmeer. 


fir eine angemeflene, wenn nicht gar dichte Bevölferung 
gelten, und augenblidlich befinden fidy nicht über 450 darin, 
Im Coyote-Thal, bei Ukiah, ſchätzte Mr. Chrifty 300 bis 
500 Indianer und jept befinden fid) dort acht weiße Fami— 
lien, denen es durchaus nicht fcheint, als ob liberjlüffiger 
Raum vorhanden ſei. Dörfer von 1000 Seelen waren 
1850 noch feine Seltenheit, und man fann ſicher fein, daß 
viele Thäler mehr Indianer enthielten, als fie das nädhfte 
Jahrhundert hindurch Weiße enthalten werden. Auch das 
häufige Vorkommen des Kindermordes ift ein Zeichen von 
übermäßiger Fruchtbarkeit und Uebervöllerung. 

In Energie und Thätigfeit für dem Yebensunterhalt 
können fie den Vergleich mit Europäern nicht aushalten, 
aber fie waren eine geſunde, körperlich fräftige und langlebige 
Race. US durch die fchredlichen Seuchen im Jahre 1833 
der größte Theil der Anwohner des Sacramento dahin« 
gerafit war, haben die Ueberlebenden in furger Zeit das ver« 
ödete Yand wieder bevölfert, und General Freinont und Tas 
pitän Sutter hatten fie 20 Jahre fpäter an derjelben Stelle 
zu Behntaufenden zu bekämpfen. 

Bon felbft hat alfo der Indianer den Plag nicht frei 
gemacht, fondern der beffere Arbeiter hat, wenn auch nicht 
auf dem Wege frieblicher Concurrenz, den ſchlechten ver: 
drängt. Man mag die Grauſamkeit, mit der diefer Pro- 
ceß vor fich ging und noch geht, verdammen, aber im In⸗ 
terefje der Kultur wird Niemand ben Untergang einer Nation 
bedauern fönnen, deren Mitglieder 14 bis 16 Stunden 
von den 24 des Tages zu ſchlafen pflegen und die übrige 
Zeit nichts thun als etwa die Nahrung ſammeln, die ihnen 
die Natur darbietet. 


Das innere Polarmeer. 


Bon Julius Paper, 


Das Eismeer ein Gletſcher im Großen. — Das offene Polarmeer. — Die Bedeutung günftiger Eisjahre für die Schiff: 
fahrt. — Das innerfte Polargebiet und die Schifffahrtsgrenzen unferer Heit. 


Der Totaleindrud des Eismeers erinnert im einigen 
Zügen lebhaft an den unferer Gletſcher. Im beiden Fäl— 
len drängt das Eis von einer klimatiſch am wenigften be— 
günftigten Bone nad) einer wärmern Region. In dem 
einen falle gefchieht dies von der Höhe nad) der Tiefe, in 
dem andern im der Ebene nad; abnehmender geographifcher 
Breite; in beiden Fällen erreichen die durch Terrainverhält- 
niffe oder durch Meeresftrömungen gebildeten Zungen und 
Ausläufer der Eismaſſen ihr Ende, fobald fie in eine ifother- 
mifche Höhen» oder Breitencurve gelangen, deren mittlere 
Dahrestemperatur hinreicht, fie aufzulöfen oder ihre Bildung 
überhaupt zu verhindern. Auch die Erſcheinung der Mo: 
ränen wiederholt ſich im Eismeer; denn es ift eine befannte 
Thatſache, daß fowohl Eisberge als Flächeneis, mit Schutt 
arftifcher Lünder befrachtet, ihre Gefteinsladungen rings an 
der Peripherie des Eismeeres abjegen, und daß man bad 
Entftehen der Bänfe Neufundlands zum Theil diefem Pros 
ceſſe zuſchreibt. 

Iſt dieſer Vergleich zwiſchen den Erſcheinungen des hohen 
Nordens und der Höhe an ſich richtig, jo verhält ſich auch 
das fogenannte offene Polarmeer, welches durch den Reiz 
des Unerwarteten einft die fanguinifceften Hoffnungen er- 


wedte, ungefähr jo, als wollte man im unferen Gletſcher— 
gebirgen oberhalb einer beftinimten Höhenlinie das Aufhören 
von Eis und Schnee behaupten. 

Der Glaube vergangener Tage an eim offenes Por 
larmeer *) erinnert mächtig daran, wie ungeniigfam der 
Menfcenfinn dem Einfachen begegnet, wie uralt feine Nei— 
gung it, das Ungewöhnliche und Entlegene mit dem Seide 
des Wunderbaren zu fcmiücden **) Was war das offene 
Polarmeer anders, als das Harzınceer des Nordens, der 
Fabellreis entſchwundener Jahrtaufende vom ewig fonnigen 
Eben der Hyperboräer, weit jenfeit des Yandes der Ans 
thropophagen, über welches eine undurchſichtig ſchneeberhüllte 
Luft ſich ausbreite! Wer hat das offene Polarıncer je ge: 
fehen? Erwiefen es die Berichte der Seefahrer? Nein! 


*) Diefen ſchuf der bolländifche Geograpyb Plancius für dem 
Norden, ver portugiefifhe Hiftoriegraph Icio te Barros vor drei 
JZahrhunderten für den Güten. 

—Gs iſt bemerfenswertb, daß Liejenigen Gsfimes, welde I. 
Rob 1818 im Grönland traf, bie em offenen Polarmerr entgegens 
gefepte Hupotbefe auf unfere Breiten anwandten. Sie glaubten 
nimlib, man fönne von ihren Wobnfigen aus micht nach Süden 
vortringen, „meil das Eis bortbin immer unburdtringlicher werde” 
und bielten ſich deshalb für tie einzigen Menfchen auf der Welt. 


Julius Paper: Das innere Polarmeer. 


Diefe Berichte waren vielmehr eine conflante Reihe von 
Gegenbeweifen. Hudfon, Baffın, Phipps, Tſchitſchagoff, 
Buchan, Franklin, Barry, Eollinfon, Scoresby, Mac Elin- 
tod, Koldewwey, Torell und Nordenftjöld Hatten ſich alle das 
gegen ausgefprochen, und wenn es beffenungeachtet dann und 
wann Männer gab, die es erblidt haben wollten, jo war es 
um fo befremblicher, daß fie es micht aud) befuhren, Im 
unferer Zeit hat man den großen Borfämpfer der Polar: 
frage, Dr. Petermann, jehr mit Unrecht zum Berfechter dej- 
jelben machen wollen; im feinen Mittheilungen finden ſich 
viele Stellen eutſchiedenen Proteftes gegen diefes Anfinnen. 
Seine Annahme reicht nur bis zu einem umter gewiſſen 
Borausjegungen ſchiffbaren inmern Polarmeer ; jeder Ken— 
ner defjelben darf ſich diefem Standpumft anſchließen, befon- 
ders wenn er mit der Begrenzung jener Vorausſetzungen 
vorfichtig verführt. 

Im Yahrhunderten aber, ba die Naturwiſſenſchaften fich 
noch geringer Pflege erfreuten, bie Theorie der Pafjatwinde 
(bis Mitte des 17. Jahrhunderts), ber äquatorialen und polaren 
Meeresfträömungen noch unbefannt war, die Vorgänge im 
Eismeere noch feiner wiffenfchaftlichen Prüfung unterworfen 
wurden, kann auch die Befangenheit nicht auffallen, womit 
man bie Erſcheinungen beffelben beurtheilte, Im jener Zeit 
war Alles über Norwegen hinaus ein Chaos eiserflillter 
Finſterniß; ein wifjenfchaftliches Bedürfnig, jene Wuſten zu 
erforfchen, war nod) nicht vorhanden, und durch Sahrhuns 
derte, bis auf I. Roß herab, brachten die heimfehrenden 
Polarfahrer keinerlei wiſſenſchaftliche Kunde von der arl- 
tifchen Natur, weil fie nur die Erreihung Indiens im Auge 
hatten. Die Inſtruction, welche Willoughby, der erſte Polar- 
fahrer, erhielt, gewährt uns einen Einblick in die Irrthlimer 
jener Zeit; fie warnt die Seefahrer vor ſchwimmenden nad: 
ten Menſchenfreſſern, auf welche man im Meere wie in ben 
Flüffen gefaßt fein miffe. Es war alfo die Zeit längft ver- 
gejlener Fabeln. Maldonado, de Fuca, Bernarda, HYelmer, 
Andrejew, Martinisre und einige Walfiichfahrer überbradj- 
ten die Märchen von gefundenen Durchfahrten, neuen Cons 
tinenten, bem erwiefenen Zufammenhange Nowaja-Semljas 
mit Sibiriens Nordfpige (Felmerland) ober gar mit Grönland. 

Bor zwei Jahrhunderten gab man auch Rußlands Han- 
delapolitit die Schuld, daß alle Verſuche einer Nordoſtdurch- 
fahrt mißlängen, da c8 doch erwiefen fei, daß es im Norden 
immer wärmer werde, das Meer aufhöre zu gefrieren, und 
das Yand fic wieder mit lippigem Ghrlin bedede, 

Eine gewiffe logische Conſequenz lag in dem Glauben 
an ein offenes Polarmeer nur, jo lange man noch nicht 
wußte, dag Eis im offenen Meere wie an den Küſten ſich 
bilden könne; es gab auch eine Combination, welche feine 
Eriftenz nicht jo unwahrſcheinlich madjte. Man tonnte näm- 
lid, vorausfegen, daß die alljährlich erneute Eisbildung in 
den arktifhen Regionen ewige Bollwerfe der Erftarrung 
und die Vernichtung des organischen Lebens nach ſich ziehen 
müßte, wenn nicht bie Meeresftrömungen ben bie klimatiſchen 
Ertreme mildernden Ausgleich, herbeiführen wirden, Alles 
Eis rings des Poles bildet ſich in einer beftimmten, nicht 
aber unbegrenzten Menge. Da diefe gegebene Quantität 
Eis nun durch die Meeresftrömungen ungefähr geihmäßig 
vom innerften Polargebiet aus * niedrigeren Breiten ges 
führt werden dürfte, jo muß, wenigftens ein bis zwei 
Sommermonate hindurch, in der Periode des Eisminimums, 
während welcher feine Neubildung bdeffelben ftattfindet, an 
die Stelle bes eisbededten ein relativ eisfreies Meer treten, 
Diefes Meer muß um fo offener und ſchiffbarer fein, je ge- 
ringer das Yandvorfommen am Pole ift, weil diefes bie 
Bildung und AUnhäufung des Eifes begitnftigt. 

Allein ein folches ſchiffbares Eentralpolarmeer wäre nur 

Globut XXIX. Nr. 21. 


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benfbar bei einem völlig regelmäßig und radial gerichteten 
Abftrömen des Eifes von einem beftimmten Punkt aus, ohne 
jede Störung durch Wind, Gegenftrömung und Yand, aljo 
bei einer Harmlofigkeit und Einfachheit der arktifchen Hy 
drographie, für welche die Natur in feiner Sphäre Bor: 
liebe zeigt. 

Dove hat die mittlere Jahrestemperatur des Nordpols mit 
— 13,20 R. *) angenommen; wahrſcheinlich ift fie aber 
noch weit geringer. Welche Wahrjceinlichteit hat daher ein 
offenes Polarmeer fchon in Anbetracht diefes Nahresmittels? 
Auch alle Nachrichten über ein nach Norden hin zunehmen: 
des Thierleben, woraus man auf eine Himatifche Begünftis 
gung ber innerften Polarregion und auf ein offenes Polar: 
meer gejchloffen hat, müſſen nach wie vor mit Vorſicht 
aufgenommen werben; namentlich beweift das Auftreten zahl- 
reicher Vögelfchaaren nicht mehr, als daß fie ſich eben dort 
aufzuhalten pflegen, wo momentan offenes Wafler zu finden 
ift, und daß fie ihren Aufenthalt mit deſſen Berjchiebung 
verändern, 

Weit jedoch war die Tragweite, welche man in 
fpäterer Zeit dem Golfftrom, als einer die arktifhe Oceanis 
tät bedingenden Urfache, beigemeffen hat, wenngleich 
Dr. Petermann erft in neueſter Zeit durch eine höchft ver— 
dienftvolle Arbeit Har gemacht hat, daß fein Einfluß nur in 
ben Meerestheilen um Spigbergen und Nowaja-Semlja ſich 
erfennen laſſe. Im Norden Spigbergens inäbefondere 
wurde fein Dafein von den Schweden durch Auffindung tro- 
pifcher Gewäcfe (Entada Gigalobium) fichergeftellt. An 
der Norbfüfte Nowaja » Semljas fteht diefes Eindringen 
„warmen Golfſtromwaſſers“ noch keinesfalls außer Zweifel, 
obſchon die Eriftenz einer zeitweifen Norbftrömung unleug- 
bar ift. Lutke glaubte zu beobachten, daß dieſe Strömung 
fchon in etwa 76°5 erliſcht, und er filgt hinzu: „Länge 
der nörblichen Küfte von Nowajas-Semlja folgt das Meer 
ber allgemeinen Bewegung von Oft nad) Welt. Wir cr- 
kannten diefe Strömung an einer Menge von Treibholg, 
der wir wie im borigen Jahre unter 75% 5 Br. begegneten, 
und welche nur aus ben fibirifchen Flüſſen dahin gelangt 
fein konnte.“ Etwas zu ficher fährt er fort: „Diefe zwei 
Strömungen begegnen einander am Nafjauer Vorgebirge 
und miüfjen eine Furche von Sitdoft gegen Nordweſt erzeu⸗ 
gen, deren Richtung auch die aus dem Sibiriſchen Ocean und 
aus dem Kariſchen Meeve gelommenen Cismaflen folgen.“ 
Auch unfere Borerpebition von 1871 bemerkte die von Lutle 
erwähnte Weftftrömung und ihre fibirifche Treibholztrift, 
deren Ablagerungen die Hüften Nowaja-Semljas einfajien. 
Fir das Eindringen des Golfftromes aber konnte die Erpes 
bition von 1872 bis 1874 feine Belege bringen; weder eine 
conftante Strömung nod) eine den Goifftrom harafterifirende 
höhere Waffertemperatur ließen ſich nachweiſen, wenngleid) 
die Beobachtungen ein Fahr vorher darauf hingedeutet hatten. 

Nicht minder hat man eine Zeitlang auch die innerarts 
tiſchen Waden, welche Wrangel und Morton fahen, als An- 
zeichen eines eisfreien Polarmeeres betrachtet. Gegen jene 
Morton’s in 81% 22° warf Richardſon fehr triftig ein: 
„Das offene Waſſer des Kennedy-Canals im Monat Juni ift 
nicht von größerer Ausdehnung, als die offenen Stellen, welche 
gelegentlic, durch Walfischfänger im Norden Spigbergens 
im Sommer gejehen wurden.“ Und im Hinficht jenes 
Streifens offenen Waſſers, welcher im Often der neufibiri- 
fchen Infeln befonders durch Wrangel beobadjtet wurde, 
fagt diefer jelbft: „Meiner Meinung mac ift die ſowohl 
von uns als aud) von Herrn Hedenftröm beobachtete füd- 
öftliche Strömung des Meeres in den Polynjii (offenen 


*) Und bie mittlere Temperatur des Sommers zu — 1,5" 3. 
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DMeeresftellen) den Frifchen nordiweftlichen Winden ur 
ben, durch welche dieſe Polynjüi entſtanden find.“ angel 
ſelbſt, nachdem er vorher die geringe Ausdehnung jener Po- 
iynja ffigziet und ihr weentliches Einſchrumpfen in fehr fals 
ten Wintern hervorgehoben , brachte es endlich zu feiner an: 
dein Erflärung, als zu der eines localen Küftenwindes, er, 
der dem offenen PBolarmeer am ceheften das Wort zu reden 
veranlaßt geweien wäre, weil er mod; gegen Scoresby ber 
Meinung war, daß es im offenen Meere wegen des Mans 
else an Stügpunften niemals gefrieren könne. Auch die 

rift des Treibholzes, die Windrichtungen, die Bewegung der 
Fluthwelle, die Wanderungen der Thiere erfuhren in frühe— 
ven Jahrhunderten Deutungen, welche ohne Rückſicht auf 
die Schwierigleiten, jedes einzelne diefer Facta auch nur 
ficherzuftellen, ihren wahren Werth; weit überſchätzten, deren 
Ziel immer der verfuchte Nachweis irgend einer Durchfahrt 
im hohen Norden war. Gemeinpläte dagegen, wie jenes: 
„eisfrei, jomweit das Ange reichte*, — das Auge, das von 
dem beichränften Horizont eines Schiffes aus eben niemals 
weit reicht — waren zu allen Zeiten nur für Laien beſtehend. 
Der Beobachter ſieht vom Schiffe aus je nad) feinem Stand- 
punkte etwa fünf bis funfchn Meilen. Er kann alfo ein 
„offenes Meer“ vor ſich wähnen, während ein Anderer nahe 
von ihm, auf einem mer wenige hundert Fuß hohen Berg, 
„nichts als Eis“ jenfeits eines ſchmalen Waflerftreifens zu 
jehen glaubt. Demungeachtet war die geringe Höhe des 
Standortes den Beobadjtern „offener Polarmeere“ ober 
„eisbebecter Seen“ felten ein Hinderniß, ihre VBermuthuns 
gen als Thatfachen zu betrachten. 

Die praftifce Anwendung, welche das offene Polarmeer 
haben follte, war diefem ſchon durch Plancius zugedadht 
worden, — ein im möglichſt hohen Breiten aufzufuchender 
Weg nad) Chin. Somit entſtammen alle eigentlidyen 
Nordpolerpeditionen diefer Hypotheſe, die jedoch heute nur 
mehr wenige Anhänger zählt, wenn fie auch einft mit großer 
Hartnädigfeit verteidigt wurde. 

Der Gegenbeweis von hundert. gefcheiterten Unterneh: 
mungen wurde immer wieder durch ein gunſtiges Jahr im 
Eife *) aufgewogen, bleiben auch die Erfolge in dieſen Fül— 
len weit unter den Erwartungen. 

So ſchritt Bareng im dem überaus günftigen Sommer 
1594 ohne Mühe einen Breitegrad über das Nordende 
Nowaja-Scmljas hinaus, während feine Nachfolger häufig 
ſchon am Gap Naffau unbefiegbaren Schranken begegueten, 
ja er felbft die Eisverhältniſſe im folgenden Yahre auf das 
Ungunſtigſte verändert fand, Die Jahre 1664, 1871, 
1874 öffneten für Vlaming, Mad, Carlſen und die beiden 
öfterreichtjch-ungariichen Expeditionen dort ein offenes Meer, 
wo fid) 1665, 1872 und 1873 entweder gar feine ober 
nur vereinzelte Waflerftraken zeigten. 

Im Sommer 1816 bis 1817 hatte fogar ber mächtige 
Eisftrom an Oftgrönlands Kuſte dermaßen abgenommen, 
daß Scoresby zwifchen 74 und 80% nördl. Br. nur noch 
wenig Eis fand; feither haben die Schiffer ftets und wohl 
kaum irgendwo ſchwereres Eis gefehen, als gerade dort. 
Erft 1875 wurde an der oftgrönländiichen Küſte abermals 
ausgebehntes Küſtenwaſſer beobachtet, und zwar durch den 
Watfischfänger David Gray. 1753 und 1754 war das 
Sarifche Meer cisfrei, was Murawjew's Fahrt ſehr zu ftat- 
ten fam. 1754 waren jowohl das Kariſche als das Nord- 
ipigbergifche Meer eisfrei; 1768 ſah Roßmyßlow das letztere 
von einem hohen Berge der Matotichtin Schar aus (Anfang 


+) Sole günftige Jahre waren imsbefentere die beiten Sommer 
von 1817 und 1818, im melden nach Ecoresbn felbit die Grönläu— 
diſche See zwiſchen 74 bis KO" n. Br. auf einer Aläde von etwa 
2000 gergrapbiiden Ouatratmeilen eiefri mar. 


Julius Bayer: Das innere Polarmeer. 


September) berart offen, daß er glaubte, ohne Hinderniß in 
bafielbe eindringen zu können. Aber ſchon in den folgenden 
Jahren pochten die Fiſcher wieder vergeblich an feine eisver- 
iperrten Eingänge. 1823 fah Pte von einem Punft an 
ber Weftlüfte des Karifchen Meeres tein Eis; Mitte Auguft 
1333 fand Pachtußow die Weftfeite des Kariſchen Meeres 
offen, während er ein Jahr vorher die Karifche Pforte nicht 
zu paffirem vermochte.- 1834 mißlang fein Berjud), die 
eisgeſperrte Matotfchlin Schar zu durchdringen (Mitte Aus 
guft), und 1835 war er, jelbft Ende Auguft, mit großen 
Scwierigleiten fämpfenb, nur im Stande, von dem Oſtende 
diefer Straße aus etwa 18 deutſche Meilen weit der Oft- 
füfte der Nordinfel entlang zu folgen. Dagegen befuhr 
Nordenſtjöld 1875 das Kariſche Meer bis zur Mündung 
bes Jeniſei. 

1743 und 1773 bot das Norbfpigbergifche Meer aber: 
mals verlodende Berheigungen, welche demjenigen, ber 
ihnen gefolgt wäre, möglicherweife geftattet hätten, eine noch 
etwas höhere Breite zu erreichen als die, welche Norbenjtjöld 
und Soldewey 1868 gewannen, 

Die norwegiichen Fischer haben das Kariſche Meer in 
den legten Jahren oft befahren; allein häufiger find ihre 
glüdlichen Schifffahrtezuge zur öffentlichen Kenntniß gelangt, 
als ihr Mißgeichid. Im Jahre 1872, zu derſelben Zeit, 
da ber ‚Tegelthoff“ im öftlichen Nowaja-Semlja-Meer nicht 
vorzubringen vermochte, erreichten norwegische Fiſcher im 
weftlichen Theile dieſes Meeres das noch nie betvetene König. 
Karl-Land ohne nennenswerthe Hemmniffe des Eiſes. Die 
Schweden dagegen fonnten nicht einmal die ſchon oft beſuch 
ten und zur Ueberwinterung auserfehenen ParıyInfeln er» 
reihen. So wecjelvoll find die Berhältniffe an der Eis: 
grenze. J. Roß traf im erſten Jahre feiner zweiten Reife 
die günftigiten Scifffahrtöverhältniffe, in den folgenden 
Jahren aber die troftlofeften; Aehnliches widerfuhr I. C. Roß 
1840 bis 1843 im Süüdpolarmeer. Penny fand 1850 
den Wellington-Canal frei vom Eis, 1854 (26. Juni) er: 
reichte Morton am Cap Gonftitution eine Wade im Norden 
des Kennedy⸗Canales, welche er für den Anfang eines offe- 
nen Oceans anfah; allein 1852 ftand Belcher, obgleich 
weiter vordringend, ald Penny dort und Hayes 18361 hier, 
vor Pad: und Treibeis, und Hayes felbft bezieht feine Vor⸗ 
ausfegung offenen Waſſers nur auf einen „Wafferhimmel 
oberhalb geloderten Eiſes“. 

Scoresby der Jungere, „der wiſſenſchaftliche Walfiſch⸗ 
fänger“*, deſſen tiefer Beobachtungsgabe wir die bedentſamſten 
Winle über die Natur der Polarmeere verdanfen, vermochte 
trotz zwanzigiährigen Befahrens des grönländiſchen Cismee 
res nur einmal an deſſen Küſte zu landen. Während die 
ſchwediſche Expedition fi Nordoft-Spigbergen 1861 nur in 
Vooten zu nähern vermochte, befuhr Smith dafjelbe 1871 
bis zum Gap Smith. Der Walroßjäger Matilas hingegen 
umfchifite 1864 die Nordoftinjel völlig ; der ebenfo glückliche 
als erfahrene Eisſchiffer Carlſen vollführte 1863 fogar die 
Umfchiffung ganz Spigbergens, 1871 jene Nowaja-Semljas 
und fand dafelbft die Reliquien des Bareng'schen Winterquar: 
tierd. Im Jahre 1872 wurde König-Karl⸗Land umfcifit, 
nachdem jowohl Koldewey und Nordenjtjöld (1868), als aud) 
die öfterreichijche Borerpedition (1871) vergeblich verſucht hat: 
ten, ſich demfelben zu nähern. Ebenjo unberechenbar find die 
Schifffahrtschancen von einem Jahre zum andern im Süd» 
polarmeer. Goof erreichte im diefem 78° 10° ſudl. Br., ohme 
Padeis zu ſehen. 1842 mußte I. C. Roß 800 Meilen 
Eis durchbrechen, um einen halben Grad weiter zu fommen, 
als Coot 1774; Wedel erreichte 1823 74% 15° fühl. Br. 
ohne erhebliche Schwierigfeiten, während I. C. Roß 1843 
in demfelben Meridian ſchon in 65" 13° füdl. Br. durch 


Oscar Gannftatt: Geologische Beſchaffenheit des Golonialgebietee um S. Cruz. 


eine „undurchdringliche Eismafle“ aufgehalten wurde. Ad- 
miral d’Urville vermochte ſelbſt nicht bis zu 64° ſudl. Br. 
zu gelangen. 

Wie fehr außerdem die günftigen oder ungünftigen Eis— 
verhältmiife eines Jahres an einzelne Gebiete gebunden find, 
wie ſehr fie zu gleicher Zeit an verfchiedenen Orten einander 
widerſprechend aufzutreten pflegen; beweiſt die Thatfache, daß 
Franklin von Walfifchfängern Ende Juli 1819 in der Das 
vis-Straße erfuhr, fie hätten das Eis noch nie fo dicht und 
mächtig gefehen, als eben damals, wo Barry) einige Breiten: 
grade nördlicher , durch die glänzendften Verhältniſſe begüin- 
ftigt, feinen weiten Entdeckungsweg bis zur Melville-Anfel 
und im folgenden Jahre ungehindert nad, England zurid 
vollführte, 

Diefe Beifpiele, denen ſich nod viele aureihen ließen, 
mögen zeigen, wie wanbelbar die Chancen der Eisſchifffahrt 
von einem Jahr zum andern find, wie mächtig die Hinder- 
niffe ſich felbft unter den vortheifhafteften Umftänden erwies 
fen haben, da man noch nie im Stande war, in das innerfte 
Polargebiet einzubringen, bis dorthin nämlich, wo das 
offene Polarmeer nad) den Anſchauungen einer 
frühern Zeit liegen follte. 

dene günftigen Eisjahre find daher nichts anderes, 
als ein vermehrtes, doc im großen Ganzen geringfügiges 
Zurlickweichen der äußern Eisgrenze, eine vermehrte Fahr: 
barkeit einzelner Kiüftenwaffer, oder eine locale Aufloderung 
des innen Polar-Cisneges. Ein ſolches Jahr ift ohne Ziweis 
fel ein wefentlicher Factor, wenn es fich um die fühlicheren 
Gebiete des Cismeeres, oder um die amerifanifchen Sunde 
handelt; bei der Frage der Schiffbarkeit des innerften Polar: 
meered dagegen fällt es nicht mit demfelben Gewicht in die 
Wagſchale. 

In Wirklichkeit iſt das geſammte Gebiet des Eismeers *) 
mit feinen unzähligen Feldern und Schollen und dem Ge— 
webe jchmaler, ſich kreuzender Waſſerſtraßen nichts anderes, 
als ein in feinen Mafchen durch locale, terreftrifche Urfachen 
beftändig beivegtes Netz, deſſen Veränderung demnach ent: 
weder ſyſtematiſch oder zufällig auftritt, und deſſen Erſchei⸗ 
nungen, wenngleich einen ändigen Wechſel unterworfen, 
doch nad) dem innerften Polargebiete hin eine mehr oder 


+) Dbne austrüdlichen Hinweis if bier immer nur vom nötd⸗ 
lichen @ismerre die Rede. 


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minder unſchiffbare Dichtigkeit vermuthen laffen. Und nad 
meinen eigenen auf drei Reifen erworbenen Erfahrungen 
halte ich daflte, dag die Eiszuſtände zwiſchen 82 bis 
90° im Allgemeinen fih nicht wefentlih von 
jenen unterſcheiden, welde, den äußerſten Eisſaum 
audgenonmen, jüdlic des 82. Örades beobachtet wurr 
ben; eher wäre ich geneigt, an eine Berfchlimmerung, 
denn am eine Verbeſſerung derfelben zu glauben. 

Ift aber auch; diefe Anfchauung richtig, keineswegs folgt 
daraus, daß wir den Pol mitteljt des Schiffes zu erreichen 
im Stande find; denn fon das Vorbringen bis zum 
82. oder 83. Grad erfchöpft erfahrungägemäß völlig die 
verfügbare Schifffahrtszeit und fegt für ſich allein die gün— 
ftigften Bedingungen voraus. Gin Schiff, das im Anfang 
des Herbftes den 82. Grad erreicht, darf nichts mehr ris— 
firen; nur wirklich offenes Waller darf es noch befahren, 
die Sorge für den Winterhafen überwiegt nothwendigerweiſe 
jebes andere Beftreben. 

Wer aber mit einem Schiffe heutiger Conftruction er 
wartet den Pol in eimem einzigen Sommer zu erreichen, dev 
glaubt nothwendigerweiſe an die polare Dceanität, Selbft 
das Bordringen im Smith-Sund bis zum 84. Breitengrad, 
oder das Erreichen des Cap Tjcheljustin auf dem norböftr 
lichen Wege wäre noch fein Beweis für fie, fondern nur da= 
für, daß die inneren Theile des Polarmeeres zeitweife und 
örtlich, Waflerftragen öffnen, welche einzelnen Schiffen einen 
fonft unerhörten Erfolg ermöglichen. Dieſe Thatſache ficht 
außer Zweifel ; ihr Eintritt aber ift völlig von den glüclich- 
ften Zuftänden eines Jahres abhängig, und es ıft nicht 
wahrjcheinlich, daß fie ſich ſchon im folgenden Jahre wieder 
holen und dem eingedrungenen Fahrzeuge geftatten, feinen 
Weg fortzufegen oder zurlidzufehren. Gehört aber aud) das 
Wagen ohne Bedenken zur Ausführung einer ſolchen Erpes 
dition, ber Plan muß mit aller Vorſicht entworfen werben. 

Die legte amerikanische Erpedition ift mit widerſprechen⸗ 
den Ausjagen hinfichtlic der Schiffbarfeit der Yincoln-See 
zurüdgelehrt, und weil jie nicht durch die That erwiefen ift, 
fo haben wir feine überzeugende Urſache, daran feftzuhalten. 
Der engliſchen Expedition, welche gegenwärtig dieje Route 
zue Erreichung des Poles verfolgt, ift daher das verdienft- 
volle Werk vorbehalten, neues Licht Über die Schifffahrts- 
verhältnifje im oben Smith: Sund zu verbreiten, und mit 
Freuden werden ſämmtliche Nationen ihre vorausfichtlic, bes 
deutenden Erfolge begrüßen. 


Geologische Beſchaffenheit des Kolonialgebiet? um S. Cruz *). 


Von Döcar 


Die Municipien von Rio Pardo und Taquary mit den 
Goloniebiftricten von S. Cruz und Montalverne gehören in 
ihrer größern Flächenausdehnung dem Tiefland und jener 
Region an, wo das Tiefland allmälig zum Hochland über: 
seht. Diefe Gegend ihrer mineralogifchen und geologifchen 
Beichaffenheit mad) genauer zu unterfuchen haben wir und 
zur Aufgabe geftellt. 

In einer Entfernung von etwa 60 bis 80 Legoas (1 Ye: 

oa — 2805,33 Braças refp. 3 Milhas; 1 Braga — 22 
imeter) von der Kuſte des Atlantiſchen Oceans finden 
wir eine weite und wenig coupirte Ebene, in welcher hier und 


*), ©, den erfien Artifel oben ©. 205. 


Gannftatt, 


da nur am vereingelten niedrigen Berglegeln und Hügeln eine 
beftimmte Gebirgsformation ſich erkennen läßt, die etwa 6 bis 
10 Legoas weiter norbiweftlich zum eigentlidyen Gebirgäzug 
emporfteigt und einen mächtigen Gebirgswall, die befannte 
„Serra“, mit al’ ihren Hauptzügen und Abzweigungen bildet. 

Der Hauptzug diefes Gebirges wird durch die fogenannte 
„Serra Geral* oder „Serra do Mar“ gebildet, welche in 
einer Yängenausdehnung von nahezu 6000 Meilen von Nor: 
den nad) Süden in allmäliger Abdachung verläuft und nad) 
dem Innern des Landes Hin jich fächerartig ausbreitet. Der 
Charakter des Landes ift ein ausgeſprochen gebirgiger. Selbft 
auf den Hochplateaus oder in dem wirklichen Tieflande fin 
den fich Meine und größere plötzliche Terrainerhebungen. 

42* 


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Die Serra-Uusläufer, welden die Colonieregionen von 
©. Cruz und Montalverne und aud) die weftlicher gelegene 
Colonie 5. Angelo angehören, find Abzweigungen der Corilha 
da Eoledade, einer befondern Berglette, welche ſich zwiſchen 
den Flüffen Taquary, Jacuhy, Cahy, Rio Pardo und deren 
fleineren Nebenfläffen ausbehnt. Die Höhe diefer legtauf: 
geführten Gebirgsmaſſe differirt zwifchen 2000 und 4000 
Fuß reſp. 700 bis 1200 Meter. Im der Gliederung bes 
Gebirgsftodes find oft ſcharfe Unterbrechungen bemerfbar, 
zwiſchen denen ſich wilde Bäche und Flüſſe ihr Bett gewählt 
haben, um jchlangenartig mit den hochrandigen Ufern meift 
nad, Südoft ihren Yauf zu nehmen. 

Die Hauptmaffe des Gebirges jener Berggruppen in den 
Coloniediftricten von S. Cruz und Montalverne befteht aus 
einem fich durch die verfchiedenartigften Härtegrade auszeichnen« 
den rothen Sandftein, Oft liegt dad Sandfteingebirge fchon 
am Fuß der Berge zu Tage, häufiger aber tritt es erft als 
ſchroffe Felswand am Gipfel ber Höhenzitge hervor, umrahınt 
von der lippigften Vegetation. Dieſe ftarren weithin ficht- 
baren Felſen verleihen der Gegend einen Außerft wilden und 
groteslen Charakter. Auffallend war es uns, in diefer Ger 
gend die Bemerkung zu machen, daß die Gebirge meift an 
ihrer Sitd» oder Dftfeite fleil find, auf der Anhöhe ſich in 
ausgedehnte oft meilenweite Hochebenen ausbreiten, hinter 
denen fich nördlich ab und zu wieder neue Höhenzlige aufs 
thurmen, „und dieſer Art ein terraffenförmiger Aufbau der 
Berge überall wahrnehmbar ift, 

Nach Sellow fol jener Sandftein ber Tertiärformation 
angehören; andere Naturforſcher ftimmen fiir ein jecun: 
däres Gebilde, wofür auch die vielen fich vorfindenden Stücke 
verkiefelten Holzes in dem feldipathreichen Sandftein zu ſpre— 
chen ſcheinen. So wenig wir und für die eine oder andere 
Anficht anfangs zu entfcheiden wagten, fo beftimmt drängte 
fid) uns bei geologiſcher Forſchung die Ueberzeugung auf, 
daß das ganze beſprochene Gebiet auf lange Dauer dem 
Diluviakterritorium angehört haben muß. Mit unverfenns 
barer Deutlichkeit ift befonders in und um ©. Cruz das 
ehemalige Beden der Diluvialfluth zu erkennen, die jene 
Negionen mit einer Menge von Gerölle und Gefchiebe ſowie 
Blöden ganz anderer Gebirgsmaſſen verfah, denen wir na- 
türlic feine weitere Berlidjidhtigung bei einer geologifchen 
Gliederung des GColoniegebietes zollen können. 

Beſonders erfennbar ift die zerftörende Einwirlung der 
Fluth an einer Sandfteinhöhle, die im ber Nähe des Farinals 
(Stadtplag) von S. Cruz etwas feitab von dem Wege nach 
ber alten Pilade (Durchhau) liegt. Die Höhle, welche, 200 
Meter über dev Meeresfläche liegend, fic weit verzweigend 
etwa 30 Mieter tief in dem Berg hinein erftreden mag, ift 
Übrigens aud) noch in anderer Hinficht intereffant. Taufende 
von Fledermäuſen und zwar von einer Phylloftoma- ober 
Stoffophaga» Art haben ſich dafelbft angefiedelt und unter 
nehmen von ſolch ſicherm Berftede aus des Nadjts ihre 
Raubzüge. Aehnlich wie jene Vögel, welde durch Anhäu— 
fung ihres Unraths auf einer und derſelben Stelle die Guano— 
lager hervorgerufen haben, fcheinen auch die Flebermäufe 
hier inftinetmäßig nur die große faalartige Erweiterung in 
der Mitte der Höhle zur Ablagerung ihrer Ereremente für 
geeignet zu halten. Die Höhle ift durchweg zu begehen; 
nur an der genannten Stelle thürmt ſich eine viele Dieter 
umfaſſende Anhöhe von peftilenzialifc, ſtinkendem Unrath als 
Hinderniß vor dem Paſſanten auf. 

Bon Wichtigkeit find die Trappgänge, welche hier und 
da im erftaunlicher Menge auftreten und deren mandelſtein⸗ 
artige Melaphyre fid) in großen Maſſen in unmittelbarer 
Nähe des ©. Eruzer Stadtplages vorfinden. Der Trapp 


Oscar Gannjtatt: Geologische Beſchaffenheit des Golonialgebiets um ©. Eruj. 


ift ſtarl magneteifenhaltig und giebt oft den Bächen ein trüben, 
gelbliches Anfchen, das noch vermehrt wird durch die große 
Menge von Fehmbeftandtheilen im Sande der Thäler. Die 
Trappmaffen und Gänge find oft zu ganzen Bergkuppen ans 
gehäuft und machen in der Bermengung mit eifenfhlffigem 
Yehm, Duarggerölle und dergleichen mehr die Hypothefe der 
längern Dauer und Einwirkung einer Diluvialflutg nur 
wahrjceinlicher. Daß die aufgelöften Trappmafien in Ber 
bindung mit dem lehmigen Sand und der Jahrhunderte lang 
angehäuften Humusjchicht einen der fruchtbariten Boden lie- 
fern mußten, ift leicht erflärlich, und fo ſehen wir denn auf 
ben Bergzügen der Colonien von ©. Cruz und Montalverne 
einen bis zur vollftändigen Undurchdringlichkeit verwachſenen 
Urwaldbeftand, der die Pflanzen des weniger reichen Bodens 
mit denen der lippigen Vegetation der Araucarienzone auf 
kurze Streden vereint. 

Ungemein häufig, wie wir ſchon anbeuteten, ift nament⸗ 
lich in den tiefer hegenden Theilen des Terrains das Bor: 
tommen von Quarz in dem verfchiebenften Abftufungen und 
Abarten. Der Quarz ift von der dichten compacten Maſſe 
bis zu den feinften Kryſtallgruppen in Drufen und Brud)- 
ſtücken vertreten. Neben dem Duarz finden wir Kallſteine 
in einer großen Zahl von Varietäten und mit inniger Bei- 
mengung der mannigfachften Stoffe, wahrfcheinlich als Abfat 
ber jalzigen Waffer, denen er feine Bildung verdankt. Wer 
niger häufig fommt in dem Picaden der Colonie Fafergyps 
vor, bon dem und nur einmal ein großes Stitd zu Händen 
gefommen ift, während wir von dem oben genannten Geftei- 
nen mancherlei fchöne und verfchiedenartige Eremplare befa- 
ſaßen. Techniſch wichtig fcheint uns nur der außer 
ordentlich verbreitete Sandſtein zu fein, ber ſich in den 
einzelnen Brüchen vom grobförnigen, weichen Sandſtein bis 
zum feinförnigften, dichten Material abſtuft. So verfdjier 
den wie Farbe und Härte diefes Sandfteins find, fo mannig- 
fach, ift auch feine Verwendbarkeit als Baumaterial, ale 
welches er übrigens ziemlich gejucht iſt. Leider nur find 
einzelne Qualitäten ungemein hygroſtopiſch und deshalb ge- 
ade zum Häuferban nicht jo brauchbar als die gewöhnlichen 
Badfteine, wenn man nid)t mit großer Vorſicht jene wafler- 
ziehenden Stüde entfernt hält. Sehr gut verwendbar ift 
der S. Eruzer Sandftein zu Platten und zur Stuccatur⸗ 
arbeit. 

Die Jaspis-, Achat- und Opalgefteine, die in den präch— 
tigften Varianten, befonders gerade in den Municipien von 
Rio Pardo und Taquary, gefunden werden und einem micht 
unbebentenden wertvollen Erportartifel der Provinz bilden, 
find befannt genug, um eine genauere Beſchreibung derjelben 
entbehrlic, erjcheinen zu laſſen. Wer kennt nicht die in Idar 
und Oberflein zu den veizendften Dingen verarbeiteten Adyate. 
Wie man uns verfichert, find die brafilianischen Achate f 
ner und geſuchter als die indischen. De nachdem ſich eine 
größere Adjatdrufe als befonders ſchön erweift, kann ein ein 
ziger ſolcher Stein ein Capital von mehreren tauſend Tha— 
lern vepräfentiren, Ein derartiger Preis gehört aber keines- 
wegs zu den Seltenheiten. Diefe Achate kommen theils 
freiliegend in dem Gerölle, theils ald Ausfüllungsmaterial 
von Spalten und Hohlräumen in Trappgefteinen oder in 
ben rothen Lehm des Hoc): und Tieflandes im Colonial- 
gebiet von S. Cruz und Montalverne vor. Auch wertfvolle 
Stücke von Maren Amethyſten und Bergkryftallen find nicht 
felten, während Diamanten, nad) denen füglich unfere Leſer 
bei mineralogiſcher Beſchreibung einer brafilianifchen Gegend 
zuerft fragen werben, nur äußerft vereinzelt und weitab von 
den Colonien, einmal auf dem fern gelegenen Hodjland von 
Gorityba, das andere Mal im einem Bache bei Palmeira, 
gefunden wurden. Gold ift nur im minutidfen Beſtand⸗ 


Hermann Meier: Das Kind und die Vollsreime der Ofifriefen. 


teilen hier und da im den Kleinen Gewäſſern nachgewieſen 
worden, doch ift eben die Quantität ohne jeben reellen Werth. 
Es dunkt uns, daß cin Coloniſt durch feiner Hände Arbeit 
beim Aderbau mehr Gold verdienen wird als durch jahre: 
langes Suchen nad) den edlen Metalle in Bächen, Fluſſen 
und auf dem freien Boden. Wie wir oben bereits bemerf- 
ten, ift die Gegend ungemein reichhaltig am Eiſen, defien 
Vorkommen in gediegenem Zuftand und großen Maffen zwar 
bis heute moch nicht conftatirt wurde; doc) ift es micht 
unwahrſcheinlich, daß fiber kurz oder lang größere Lager 
hiervon gefunden werden oder die bedeutende Eifenhaltigfeit 
des Bodens auf irgend melde Weife ausgebeutet wird. Mit 
größerer Sicherheit faſt noch als gediegene Eifenerzlager 
laſſen die verfchiedenften und untrligerifchiten Anzeichen das 
Borhandenfein ausgedehnter Kohlenflöge vermuthen, bie im 
einer tiefern Ader wahrſcheinlich eine Fortſetzung der vor 
Jahren bereits entdedten Kohlenlager von S. Jeronimo und 
Triumpho zwifchen der Mumicipalhauptfiabt Rio Parbo und 
der Provinzialhauptftadt Porto Alegre bilden könnten. Uns 
feren Bemihungen ift es zwar nicht gelungen, zum Beweis 
diefer Behauptung oder Bermuthung beweisführende Vers 
fteinerungen aufzufinden; dagegen fanden wir bitumindfen 
Sandftein, der in der nächften Umgebung des Stadtplages 
von S. Cruz vorfommt und in noch beijeren Eremplaren 
und maflenhafter in der Gegend des weithin fichtbaren Sand- 
fteinfegelö Butucarahy weftlih vom Faxinal zu finden fein 
fol. Wie wichtig für die Colonien und die ganze Provinz 
es wäre, wenn Kohlenlager von bedeutenderen Dimenfionen 
und Flöge guter Brenntohlen gefunden würden, liegt klar 
vor Augen (befonbers bei dem mehr und mehr an YAus« 


333 


behnung gewinnenden Eifenbahnbetriebe in der Provinz Rio 
Grande do Sul). 

Zu den gebiegenen Metallen, welche in den beiden Mu— 
nicipien noch gefunden werden, gehört auch das Antimonerz, 
welches als Grauantimonerz —— auf dem Berge 
Dacolumy, 5 bis 6 Legoas von Rio Pardo, zu Tage liegt. 

Kommen wir nun zu dem Emdrejultat unferer mineras 
logiſchen und geologiſchen Betrachtung der und intereffirenden 
Gegend zurüd, fo finden wir die Colonien von S. Cruz und 
Montalverne nebft den anliegenden Diftricten im einem gros 
fen Sandfteingebiete, durch ogen von Trappgelteinserhebuns 
gen und ausgezeichnet durch ie pittoresfen formen fonder: 
bar auf einander gethlirmter Felfenmauern und Wände, 

Nicht felten fommen auch Porphyrerfcheinungen hierzu, 
die, ähnlic, den Trappgefteinen, durch Eruptionen dorthin 
gefommen fein mögen. 

Die Oberfläche ift im der Regel mit einem fetten Boden 
überdedt, der ſich im einzelnen Picaden ber Colonien fowie 
in der weitern Umgegend zu fürmlichen Lehmlagern geftaltet. 
Diefer Umftand ift befonders glinftig fiir die Coloniften, da 
gerabe jener Lehm ein treffliches Baumaterial abgiebt und 
an den Plägen, wo es noch an Kalk und Steinen fehlt, ein 
vorzügliches Erfagmittel fir beides bildet. Der Lehm das 
felbft eignet ſich fehr gut zur Fabrikation von Ziegeln und 
Backſteinen jeder Art, in deren Anfertigung ſich unfere Lands— 
leute, nadjdem fie erft das Klima und deilen Einwirkungen 
gehörig findirt Haben, immer mehr vervollfommmen, fo daf 
man die gebrannten Steine bald auch dort der Billigfeit 
halber den gebrochenen Sandfteinen vorziehen wird und bie 
Häufer heute ſchon faft allgemein mit Ziegelm gededt werden. 


Das Kind und die Volfsreime der Oftfriefen. 


Bon Hermann Meier in Emden. 


IV. *) 


In einigen früheren Nummern diefes Blattes **) haben 
wir das anfängliche Leben unferer kleinen Gottesgaben an ber 
Hand ber oftfriefischen Vollspoeſie zu fchildern verfucht. Wir 
begleiteten fie von der Geburt bis in die Schule hinein. Suchen 
wir jetzt das Kind im Freien, in Sturm und Regen, bei Bögeln 
und Blumen, bei feinen Spielen und Streichen auf, jo wird 
es und am Stoff zu intereffanter Fortſetzung nicht fehlen. 

Der Stord) ift auch hier der willlommene Bote bes 
Frühlings, und man fommt ihm gern entgegen, indem man 
auf abgelöpfte Bäume ihm ein Rad hinlegt, daß er ſich dar⸗ 
auf fein Neft baue, Sehnſlichtig haut unfere Dorfjugend 
nad) ihm aus und wenn er endlich eintrifft, dann wird er 
freudigft begrüßt, und die Wünfche nach einem Bruderchen 
oder Schweiterdyen tönen ihm von allen Seiten entgegen: 

Störk, Störk, bist d’r? 
Breng mi ’n lütje Süster! 
Ik wil hör neet bedreegen, 
Ik wil hör leeverst wegen. 


*) Ju diefem und dem folgenten Artikel if nur Oftfriefifches 
aufgenommen, und nur foldhes, mas in gebrudten Sammlungen, wie 
bei Engeler, Friſchbier u. ſ. w., fehlt. Daß die echten Kinderlieher 
und Kinderipiele wiſſenſchaftlich füt den Mytholegen wie für den 
Gulturhifterifer ven großem Intereſſe find, inſoſern als fie eine 
Menge Ucberlieferungen aus älterer und ältefter Zeit unferes Volkes 
bewahrt haben, hat namentlih @. 2. Rochholz („Alemannifches Kin⸗ 
derlied und Kinderfpiel*. Leipzig 1857, J. Weber) nachgewieſen. 

*n) Bol. .Globus“ XXVI, ©. 266, 284 und 311. 


Dem jungen Storch, deſſen Wiege im vorigen Jahre im 

—* ſtand und der jetzt elternlos heimlehrt, wird die Frage 
eftellt: 
oe Störk, Störk, Langebeen, 

Hest dien Vader un Moder neet seen? 

Einem andern, der gar zu hochmüthig auf feinem Nefte 
fteht und ſchlechte Nachbarſchaft unterhält, gilt der Zuruf: 

Störk, Störk, Langebeen, 
Steist dar up dien eene Been, 
Hest ok rode Strümpen an, 
Geist je as 'n Edelmann. 

Mandyem jungen Storch ift etwas Störchliches paffirt, 
und er zögert gar zu lange, bevor er fein Bündel zur Ab: 
reife ſchurt. Seine Verwandten und freunde find längft 
alle marjchbereit, er aber fcheint im Norden den Winter ver: 
bringen zu wollen. Da heit e8: 

Störk, Störk, Langebeen! 

Wenner wult du de Welt beseen? 
Wen de Rogge riep is, 

Wen de Vögel piep (flügge) is. 
Wen de Störk neet fleegen kan, 
Dan is he 'n arme Man. 


Dder aud) : 


Störk, Störk, Langebeen, 
Wenner wult du de Sömmer seen? 


334 Hermann Meier: Das Kind 
Garste fangt an to riepen, 
Vögelkes in de Bomen piepen. 


Der Kudud ift bei unferer Jugend ein Vogel populär: 
fter Art, weil ein Prophet beften Schlages. Weiß er's doch, 
wie lange Jemand leben wird, und auf die Frage: Kuckuck, 
wo lang sal 'k leven? bezeichnet jeder Nuf ein volles Jahr. 
Aber der fleine Exrdenbürger ahnt es bereits, daß es mit dies 
fer Glaubwürdigleit nicht gar ſonderlich beitellt fei, und 
darum darf er fich Schon einen Spottreim erlauben : 

Kuckuck, Breehük, 
Röpt sien eegen Nüm ut. 


Der von der Scaumeicade erzeugte Schaum wird 
Kuckucksspöe (Kuckucksſpeichel) genannt. 

Dem Kudud verwandt it der Kiebig: ift doch auch 
er ein folder Narr, ftets feinen eigenen Namen rufen zu 
mitifen: 

In Mei 
Legt elke Vögel 'n Ei. 
Bloot de Kiewiet un de Greet (Greta, Pfublichnepfe) 
Dee loegen in de Meimaand neet. 
Ober: 
Eersten Mei 
Legt elke Vögel n’ Ei. 
De Kiewiet un de Swaan, 
Hebben 't Leggen dan al (aan, 


Die muntere, fo behende Bachſtel ze ift von der Jugend 
gern gelitten, aber diefe kann deren Pebendigfeit laum begrei- 
fen, weshalb fie fragt: 

Akkermantje, Wipupsteert 
Wel het di dat Wippen lehrt? 


Sans und Ente rufen den Spott auch durd) ihre oft 
räuberifche Natur hervor, Da heift es von der Gans: 


Tot, tot, sä de Goos. 

Kum, kum sä de Gant (Bänferich), 

Wi wiln na Fockohms Schür hengän! 
Dar sünt so moje Bontjes. 

Un Fockohm nam 'n dikke Stock 

Un sloog de Gant wal np sien Kop, 
Doo sa de Gant wal Ba—n—a! 


Aelterm Munde entftammt jedenfallt das Räthjel: 
Wat ie 'n Wunder? 
Wen de Goos sit up de Gunder (Gänſerich). 
Mehr Erbarmen hat man mit der armen Ente, die meis 
ftens elternlos daſteht 
Pielaant, Pielaant, Plattefont 
Vader is dod! 
Moder is död! 
Geit nu in de Slöt (Graben) 
Un sögt sien Bröd. 
Nicht fo gnädig geht es mit dem Huhn: 
lee is so krank as 'n Hoon (Huhn), 
Mag geern eten un nix doon. 


Die Fieblingsneigungen verſchiedener Vierfüßler und die 
der Ente befingt das Kind in folgendem Reim: 
Dat Peerd geit in de Hafer, 
Dat Schäp geit in de Klafer (file), 
De Buhkoo (Hub) geit in 't lange Gras, 
Pielaanten (Enten) ligt up ’t Waterplas. 


Das Schäflein ift ein inniger Freund der Jugend, und 
alles, was ihm widerfährt, fühlt fie ihm nad). 
Schaapke, Schaapke, wul, wul, wul 
Ett sien Bukje «0 vul, vul, vul, 


und die Bollsreime der Oftfriejen, 


Stöt sik an 'n Strukje, 

Un reep: O weh mien Bakje! 
Stöt sük an 'n Steentje 

Hee reep: O weh mien Beentje! 


Bei Vebzeiten fann man dem Schweine doch feine Mei 

gung zutragen; daß es aber nach feinem Tode unjerm ma- 

‚ terialiftifchen Ledtermäulchen manchen guten Biſſen darbietet, 
ift ihm hinlänglich befannt. Darum: 


Swientje, Swientje keelutsteken, 
Mörgen warme Wurstjes eten, 
Overmörgen Schinken, 

Anders fangt 't Swientje an 't stinken. 


Der Reim vom Stier hat im Munde unferer Kinder 
etwas Anftößiges, weshalb wir ihm germ übergehen; aber 
unfere Kühe fcheinen feine übergroße Eile zu haben das 
Heim anfzufuchen, da die fetten Weiden hinreichende Nahrung 
bieten: 

Unse Köster sien Kon 

Dee gung dat so: 

Dee gunge na Häs 

Dree Dage vör de Regen 

Un het doch noch de Steert nat kregen. 

Ob durd den Regen oder auf fonftige Weife, befagen 
unſere Quellen nicht 

Bon der Fledermaus heift «8: 


Fleddermüs ! 

Kum in mien Hüs. 

’k wil di 'n Bedje maken 
Dar salt du dan in slapen. 


Das klingt gar freundlich, aber der Spott folgt nad): 
Fleddermüs 
Sat hoven in ’t Hüs 
Wul Pannekook bakken 
Sch...t bi de Hakken. 


Das Marientäferhen (Coccinella) lieben unfere 
Kleinen gar fehr. Geftalt und Farbe machen es angenehm, 
und außerdem foll es Cd und gute Witterung bringen. 
Wenn unfere Kinder ein ſolches Tierchen fangen, fo freuen 
fie ſich diefes Befiges umd tödten es gewiß nicht. Sie laffen 
es vielmehr am bloßen Arm an ſich hinan- und hinablaufen 
und fingen dabei: 


Leefmansvögelke! 

Fleeg mi weg, 

Köm mi wör, 

Breng mi mörgen moj Wir. 

Und wenn dann das Thierlein davonfliegt, dann bringt 
gewiß der folgende Tag befleres Wetter, wenn's — unter: 
wege it, 

Snigge, Pupigge! 

Steek dien lange Horens ut 

Anders trap 'k di ’t Hus ut. 
Dber aud) : 

Snigge, Pupigge! 

Steek dien dree veer Horens ut. 

Krup to dien Hus ut. 

Wilt du se neet utsteken 

Wil ik dien Huske terbreken 


Ipricht das Kind zur Schnee und diefe thut aus Gefällig- 

feit ober aus dem Triebe der Selbfterhaltung den Willen 
des Kindes, 

Die Beziehungen zur Pflanzenwelt find äußerſt geringe, 

ein Beweis, daß unfere Schulen im Allgemeinen nur nach 

‚ der Schablone arbeiteten. Cs ift Vieles beffer geworben ; 


Aus allen Erdtheilen. 


aber das Pflangenreich ift für die Meiften — Lehrer und | 


Schüler — nod) immer ein Bud) mit fieben Siegeln. 

Ein Kind Hält dem andern ein Hirtentäſchellraut 
(Capsella bursa pastoris) hin und fordert es auf, cine 
Schote davon abzureifen. Wird dem Folge geleiftet, fo 
höhnt es: 

Lepelkedeef het Lepelkes stolen. 


Auf neu angeſchwemmtem Boden fuchen die Kinder Eim- 
dens Hanebolten (Scirpus maritimus) und bieten foldye 
dann feil. Der Preis befteht nur in Stednadeln: 


Moje Meisjes, wul ji ok Hanebolten kopen? 
t is to wied, um weg to lopen, 

Tiene vör 'n Spelde (Stednadel). 

Noch eene d’r bi 

Noch twee d’r bi 

De darde sal ok noch gelden. 


Der Verkäufer verfpricht einft ein wirdiger Bürger keir 


Aus allen 


Das Mineralreih Japans. 


Bekanntlich vereinigen die Fapanefen mit ihrer großen 
Klugheit, Emfigfeit und Zäbigfeit einen regen Sinn für das, 
was es im AUnslande Nachabmenswertbes giebt. Dies zei: 
gen Schule und Militär, Finanz: und Poſtweſen und viele 
andere modern eingerichtete Dinge in jenem äufßerjten oft: 
afiatifchen Lande. Daher intereffirt uns Europäer Alles, 
was diesbezüglich von dorther zu uns dringt, anferordentlic. 
Leider hat jede Regel ihre Ausnahmen und mit einer folchen 
bedauerlichen Ausnahme haben wir es heute zu thun. 

Man kennt gegenwärtig das Japan auf der Erbe be: 
reit& in vielen Stüden, aber noch Niemand bat es bisher 
unternommen, das Japan unter der Erde zu erforichen. 
Selbitverftändlich iſt aus dieſem Grunde der focben erichie- 
nene ausführliche Bericht über das japancfiiche Bergwerks— 
weſen — aus ber Feder des britifchen Coninls zu Tokio— 
VYeddo — doppelt intereffant und wertbvoll. Derfelbe ift 
zugleich eine der vollftändiaften Bereicherungen der wirthſchaft⸗ 
lichen Statiftif dieſes Reiches. Das Wühlen unter der Erde 
ift ja ein Hauptbehelf der ganzen modernen Civilifation, und 
es kann nicht fehlen, daß auch Japan zum großen Theil, will 
es ein Handels: und Induſtrieſtaat werden, auf feine unter: 
irdifchen Güter angewieſen it. Es fei ums geftattet, an ber 
Hand des Plumkett' ſchen Documentes einige Mittheilungen 
über den Gegenftand zu machen. 

Wir erfahren, daß dort Petroleum, Kobalt, Salz, Alaun, 
Marmor, Achat, Amethyſt, BVergkryſtall, Bleierz und Anti: 
mon zu finden find. Aber alle diefe Producte ſpielen nur 
eine ganz nebenſächliche Rolle; die wahren Quellen etwaigen 
zukünftigen Meichthbums des Landes find in den Kohlen-, 
Eifen: und KRupferlagern zu fuchen, am deren es grofien 
Ueberfliuß bat. Die Kupfergruben find, obwohl jeit vielen 
Fabrhunderten betrieben, factiich unerichöpflich. Es giebt noch 
eine Anzahl ganz unberührter Kupferlager, denen, wenn fie 
gehörig betrieben würden, ein großer Abjag zur Verfiigung 
ftände, da die andgezeichnete Qualität des Erzes daſſelbe zu 
unterfeeiichen Telegraphenzwecken befonders geeignet erjcheinen 
läßt. Eiſen tft ebenfalls in großen Mengen vorhanden, aber 
die Ansbente liegt noch im der Kindheit und die von den 
GEingeborenen beobachteten Verfahren find ungenügend und 
unbefriedigend. Gold bleibt aufer Betracht; es giebt zwar 
welches, aber der Betrieb dedft die Koſten nicht. In einem 
der fetten Jahre gewann man für 215,000 Darf Goldförner 


 Höbe und 30 Fuß Yänge. 


‚ denn es wird nicht geftütt. 


nt — 





335 


ner Vaterſtadt Emden zu werden, Er flihlt fid) zwar ſchon 
jegt am Anfange feiner Yaufbahn, aber fefte Preife find 
ihm ein Greuel. 

Der vierblättrigen Klee findet, ſteckt ſolchen in den 
Aermel und wenn er ihn verloren, findet er bald etwas. 
Ebenfo ift es mit einer Exrbfenfchote, die neun Erbſen und 
noch mehr enthält. Diele heißt: Glükspule. 

Wenn’s bei Sonnenfcein vegnet, wird gefungen: 

't Süntje schient un 't regent 
De Hexen bakken Pannckooke, 


Beim warmen Sonnenjcein: 


Schuur Regenblad, 
Maak mi neet nat, 
Maak al de lütje Kinderkes mat. 


Und vom Mairegen werden die finder groß, weshalb fie 


ſich alsdann mit bloßem Kopfe gern recht naß regnen laſſen. 
Und wer wäre nicht germ groß, recht groß!! 


Erdtheilen. 


bei einer Auslage von 306,200 Marl. Die betreffende Com— 
pagnie hat ihre Tätigkeit demzufolge eingeſtellt. Der Bericht 
weist auf die verhältnißmäßig beträchtliche Armut Japans 
an Epvortartifeln bin und bemerkt, dieſem Mangel könne 
durch einen vationellern und ausgebebntern Betrieb der 
Minen großentheild abgebolfen werden. 

Vornehmlich bezieht fich dies aber auf die Kohlen 


graben. Bisher beträgt die Ausdehnung der in Ausbeutung 


befindlichen oblenfelder Japans 252 Quadratmeilen (engliich); 
der Ertrag beläuft fih auf 390,000 Tonnen per Jahr. Be: 
ſonders groß ift die Production in dem Bezirk von Nagafali; 
vor zehn Jahren exrportirte Nagafali bloß 10,185 Tonnen, 
vor vier Jahren ſchon 137,509 Tonnen Koble. Dies ift ein 
rajcher Fortichritt; aber jelbft wenn man annimmt, daß der 
Kohlenhandel fih im ganzen Lande ip gleichem Verhältniß 
entwidelt hat, jo würde diefe Ausdehnung noch lange wicht 
die Leiftungsfäbigfeit Japans erichöpfen. Nicht nur find, bei 
angentejlener Yeitung, die vorhandenen Gruben einer weit 
größern Abgabe fähig, jondern man weiß auch, daß noch viele 
Gruben mit mehr oder weniger reichem Gebalte erijtiren, 
an die fich der Unternehmungsgeiſt noch nicht heraugewagt 
bat. Leider wird die Kohle in den japanefiichen Meinen auf 
böchft primitive und unpraltiiche Weile behandelt. Vor einem 
Schacht ift feine Rede: man bat nur einen Stollen von 4 Fuß 
Breite und 3, Fuß Höhe mit Seitengallerien von 3 Fuß 
Gegen Ungtüdsfälle find feine 
Vorrichtungen angebracht. Die Beleuchtung geichieht durch 
offene Oellampen. Das Dad kann jeden Moment einftürzen, 
Nicht beffer ſieht es mit dem 
Gewinnungsproceſſe ſelbſt aus. Die Arbeiter bedienen ſich 
zur Auszichung der Kohle Heiner Brechſtangen und Spitz— 
banen; die Kohle wird in Bambuskörbe geworfen, welche mit 
Schiebern verjeben find, die auf eine Art leiterartigen Holz— 
werls paſſen. — eine Einrichtung, die unſeren Schienen ent: 
ipricht. Vor die Körbe werden 12: bis I4jährige Knaben 
geſpannt, deren Aufgabe es iſt, dieſelben an die Oeffnung der 
Grube zu ſchleppen. Die Ventilation iſt abſchenlich; nicht 
minder primitiv iſt die Bemäflerungsmetbode. Auf der Erde 
werden die Koblen nicht beſſer bebandelt als unter derſelben. 
Die Körbe werden an der Mündung geleert, worauf ihr In— 
halt Stüd für Stüd anf antedilnvianiiche Karren geladen 
wird, die durch Arbeiter an den Fluß gefahren werden. Dort 
erfolgt abermals cine Ausleerung und ſodann cine Füllung 
in Meine Körbe, in denen fie aufs Schiff fommen. Infolge 


336 


diefer rohen Procedur vertheuert fich der billige Preis der 
japanefiiben Kohlen von faum 7 Marf anf über 8 Marf 
per Tonne durchſchnittlich. Trotzdem jedoch find die Pro: 
fpecte derartige, daß man ſchon jest vorausfagen kaun, Japan 
werde früher oder ipäter ganz Oſtaſien, vielleicht au An: 
dien, mit Schwarzen Diamanten verfchen. 

Man glaube aber ja nicht, daß die Megierumg berlei 
Mißftände ans Nachläſſigkeit dulde; im Gegentheil, ein 
Minendepartement ficht ſcharf auf die Befolgung der Geſetze. 
Aber diefe Geſetze find eben fchlecht, und ihre Hauptichrwäche 
ift, daß fie ausländifches Capital vom japanefiichen Bergwerk: 
weſen ausicließen. Nach denfelben Geſetzen gebören unter: 
irdiiche Mineralien nicht dem Beſitzer des Bodens, fondern 
der Regierung, welche alfo alleinige unterirdiiche Großgrund— 
bejigerin des Reiches iſt. Daher liegt es im Intereſſe der 
Negierung, Minenoperationen fo fchr als möglich zu begün— 
ftigen. Soweit dies Inländer betrifft, geht fie auch in der 
That ganz liberal vor. Jeder belichbige Japanefe kann von 
der Regierung ohne Umftände die Erlaubniß erhalten, Bobr- 
verfuche anzuftellen; find diefelben von Aussicht auf Erfolg 
begleitet, fo erhält der Betreffende eine Conceſſion auf 15 
Jahre und der Pachtſchilling beträgt nur 10 Pf, St, filr 
2000 Quadratmeter. Gegen Musländer jeboch ift das Berg: 
werfögefeg noch heute fo ftreng wie vor Aubruch der neuen 
Aera alle japanefichen Gelee waren. Kein Ausländer darf 
am Beſitz einer Mine betbeiligt fein; ebenfowenig darf er 
Geld anf der bupothefariichen Grundlage von Minen ver: 
teiben und wenn er ald Ingenieur oder Director bei einem 
Bergwerk amgeftellt ift — das darf ja fein —, fo darf er, 
falls ihm etwa fein Gehalt vorenthalten wird, ſich micht an 
dem Bergwerk oder deflen Erzeugniſſen ſchadlos halten. Der: 
lei abjurde Ueberbleibiel des japanefiichen Conſervatismus 
dürfen nicht lange aufrecht bleiben, ſollen fie der Entwidelung 
des Landes nicht binderlih in den Weg treten. Es ift in 
der That merlwürdig, daß fich die Negierung die Lection 
von Talaſchima nicht ſchon längſt zu Herzen genommen. 
Diele bejte aller Minen des ganzen Neiches wurde bis 1868 
auf primitivem Fuße betrieben und prodncirte Sehr wenig. 
In jenem Jahre führte eine engliſche Fırma das europäilce 
Arbeitsſyſtem ein und fiche da, jeither ergiebt Takaſchima 
täglich nicht weniger ala 500 Tonnen Kohle! Es ftcht zu 
erwarten, daß eine Verwaltung, die fich ſonſt ftets jo auf: 
geflürt benimmt, auch mit dielem Tächerlichen Vorurtbeil 
brechen und im ihrem eigenen Jutereſſe dem ausländiſchen 
Capital und der ansländiichen Wiſſenſchaft nicht die Thür 
verjchlichen werde. 

London. 8. Raticher. 


Amerifanifches Petroleum in Dftafien. 


L.K. Daß nichts die Verbreitung eines nütlichen Artilels 
fo ſehr begünftigt als niedrige Preiſe, zeigt ſich am deutlich— 
ften am Petroleum. Bor 4 bis 5 Jahren ging äußerft we: 
nig von dieſem unſchätzbaren Beleuchtungsmittel mach den 
Ländern im Often und Südoſten Aſiens; heute ift der Con: 
ſum daſelbſt dagegen Sehr ſtark und fcheint noch rapid zuneh— 
men zu wollen. Sollten die Preiſe innerhalb vernünftiger 
Grenzen bleiben und die Production eine aenügende fein, 
fo ift für den Petroleumverbrauch in jenen dichtbevöfferten 
Staaten gar fein Ende abzufchen. Japan importirte vor 
1872 feinen Tropfen Petroleum, gegenwärtig aber nicht we- 
iger als 2,550,000 Gallonen ſetwa 212,500 Eimer). Was 


Aus allen Erdiheilen. 


Oftindien, das britiſche und bolländiiche, und China au: 
fammengenommen beteifft, fo fandte Amerifa dahin: 1870 
nur 550,000, 1875 ſchon 6,600,000 Gallonen. Es ſteht aber 
zu befürchten, daß durch das Steigen der Nachfrage eine 
Hauffe der Preife bervorgerufen werden kann, es fei denn, 
daß die Production mit dem Abſatze gleichen Schritt halten 
würde, — eine Eventnalität, zu deren Realifirnng leider 
feine Ausſicht ift. 
**** 


— Lieutenant Cameron beabſichtigt, wie verlautet, in 
nicht ferner Zeit eine zweite Reiſe nach Innerafrika zu uns 
ternehmen und zwar von der Weftfüfte aus den Kongo auf; 
wärts. hm jollen Leute von Janzibar begleiten, welche fich 
fo mit jedem Schritte ihrer Heimatb mehr und mehr nähern ; 
vielleicht auch Conſul Hopkins, der als guter Zeichner be: 
fannt ift. 

— Die Verhandlungen mit einer engliichen Compagnie 
wegen Pegung eines Kabels von Cape Moreton, Colonie 
Ducensland, nach Nen-Galedonien gehen ihrem Abſchluſſe 
entgegen. Die Compagnie ift bereit, dies Kabel bis zu den 
Fidſchi⸗Inſeln zu verlängern, ſofern die englifche Negierung 
eine entiprehende Subfidie gewährt. 

— Eine ruffiiche Handelsfarawane, welche von einer Ab— 
theilung Kofaden und einer wiſſenſchaftlichen Expedition be: 
gleitet wird, fteht im Begriffe, die fibiriiche Provinz Semi: 
palatinst zu verlaffen, um auf der jüngft von Sosnowski 
eröffneten Straße zwiichen dem Saiſſan⸗Poſten und Lan-tichau: 
fu am Gelben Fluſſe nach Weftchina zu geben. Dieſer neue 
Weg ift um 2000 Werft kürzer als der alte über Kiachta, ift 
durchweg fahrbar und führt durch weitverbreitete Kohlenfelder. 

— Wie fhon früher erwähnt, beichloß das nun aufge: 
löfte Parlament von Neuſeeland in feiner legten Sitzung 
die Beſeitigung ber Provinzinleintheilung und ſetzte an deren 
Stelle die einheitliche Colonie, doch mit der Beftimmung, daf 
diefe conftitutionelle Menderung erft nach Beendigung der 
eriten Seffton des nen zu wählenden Parlaments ins Leben 
treten ſolle. Die Oppofition, unter Führung des frühern 
Gonvernenrs Sir George Grey, hoffte jich bei den Neu: 
wahlen jo weit zu veritärfen, um in der eriten Seffion dielen 
Beſchluß dahin abändern zu können, daß eine Trennung bei: 
der Inſeln ftattfinde, Sie verlangte, mit Aufhebung der Bro: 
vinzen, auf jeder Inſel eine einheitliche Colonie nach dem 
Mufter Nordamerikas, der in allen inneren Angelegenheiten 
volle Selbitändigfeit zufomme. Beide Colonien follten aber 
unter einem Gouverneur ſtehen, und über alle nicht inneren 
Fragen von einem gemeinschaftlihen Parlamente, welches in 
Wellington zu tagen hätte, berathen und beichloffen werden, 
Die Neuwchlen zu der aus 76 Mitgliedern beftchenden 
Aſſemblij find jetzt vorüber — es war ein harter Kampf ber 
Parteien — und haben für die Regierung eine Majorität 
von ungefähr funfzehn Stimmen ergeben. Damit ift die 
beabfichtigte Gonföderation befeitigt und die einheitliche Co: 
lonie von Neuſeeland gefichert. 

— Burgers, der Prüfident der Transvaal-Republif, 
hat in Holland cine Anleihe von 300,000 Pf. St. aufge: 
nommen, um fein Land durch eine Eijenbahn mit der De 
lagoa:Bai, dem nächften Seehafen, in Verbindung zu fegen. 
Bortugal, der Eigenthümer der Bat, bat ſich bereit erflärt, 
die Bahn, fomweit fie auf feinem Gebiete liegt, berzuftellen. 


Inhalt: Thomſon's Reife auf Formofa. IT, (Mit vier Abbildungen.) — Die californiichen Indianer, II. (Mit 
einer Abbildung.) (Schluß.) — Das innere Polarmeerr. Bon Julius Bayer. — Geofogiiche Beichaffenbeit det Coloniaf- 
gebiets um S. Cruz. Bon Oscar Cannftatt. — Das Kind und die Vollsreime der Oſtfrieſen. Bon Hermann Meier 
in Emden, IV. — Aus allen Erdtheilen: Das Mineralreich Japans, — Amerikaniſches Vetroleum in Oſtaſien. — er: 


jhiedenes, — (Schluß der Nedaction 14. Mai 1876.) 





Redacttur: Dr, R. Kiepert in Berlin, S. W. Lindenſttaße 13, IN Tr. 


Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Vraunſchweig. 





Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 
Begründet von Karl Andree. 
In Verbindung mit Fahmännern und Künftlern herausgegeben von 


Dr. Rihard Kiepert. 





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Thomſon's Neife auf Yormofa. 


Il. 
Der folgende Tagemarſch nad; dem 26 englifche Meilen | ſich völlig ermattet unter dem Schatten einiger Sträucher 


entfernten S$asjanzpo, dem äufßerften Punfte der Reife, 
war ein überaus befchwerlicer. Es waren mehrere Berg: 
zlige zu Überfchreiten, und jeder folgende übertraf den vor- 
hergehenden an Höhe, Steilheit und Abweſenheit jeglichen 
Schattens. Dabei brannte eine glühende Sonne vom Hims 
mel herab, die fein Luftzug erträglicher machte, und die 
Bäche waren im Folge deflen jeden Waflers bar. Ab und 
u nur gewährte ihnen ein Eingeborener einen Trunt Waf: 
ns, das er in feiner Hütte in einem Bambusrohre ver 
wahrte. Zum Tragen des Gepäds und der Inſtrumente 
hatte Thonfon von Balſa ſechs Pepohoans mitgenommen, 
deren Kräfte nach feiner Anficht durch diefe Wanderung auf 
bie härtefte Probe geftellt wurden. Allein am Abend nah: 
men fie aufs Luftigfte an den Berguügungen der Bewohner 
von Ka-fan:po Theil, was chineſiſchen Kulis unmöglich ge» 
wejen wäre. Ueberhaupt offenbarten jene Träger viel Froh- 
ſinn, Gutmüthigfeit und Anftand, Eigenſchaften, welche ihr 
ganzes Boll auszuzeichnen fcheinen. So fahen die Reifen 
den nirgends Vorjichtsmaßregein gegen Diebjtahl getroffen, 
und nur, wo Pepohoans mit Chinefen gemifcht wohnen, 
fieht man Schlöſſer an den Hansthliren. Ebenſo ließ Thom: 
fon während des ganzen Ausfluges Tag und Nacht feine 
Kiften und Koffer offen ſtehen, ohne daß ihm eines Pfennigs 
Werth entwendet worden wäre, 

Fur unfere Neifenden war jedoch die Wanderung jenes 
Tages eine der beſchwerlichſten, die fie je unternommen, und 
als fie die zweite Bergfette erllommen hatten, warfen fie 


Glohus XXIX. Nr. 2%. 


nieder, unbefümmert darum, daß unter den nächſten Steinen 
eine ganze Scaar fingerlanger brauner Taufendfüiße, deren 
Biß äußerft jchmerzhaft ift, hervorftürgte und die Flucht er: 
griff. Auch daß einer der Träger beim folgenden Abftieg 
— von dem Stinkſtrauch einen friſchen Zweig ab- 
bad, und nun demfelben ein fchredlicher fauliger Geruch 
entftrömte, vermehrte die Annehmlichkeiten ber Dame 
nicht. 

Von der nächſten Höhe erblidten fie endlich das halb 
angebaute, halb wilde, waldbededte Thal des La⸗lo⸗li⸗Fluſſes 
und dahinter die mächtig anfteigende Gentralfette der Injel, 
Über welche ſich gegen Norden die blaue Spike des Mount 
Moriſſon erhebt. he fie aber das nächſte Dorf Pa-ah— 
liau erreichten, mußten fie jenen tiefen Fluß auf zwei 
Bambusftänmen, die 12 Fuß über dem Waſſer von Ufer 
zu Ufer gelegt waren, überſchreiten. Leichten Schrittes gin- 
gen die Eingeborenen mit ihren ſchweren Yaften hinüber, 
während unfere Reifenden erft ihre Strohfandalen befeud)te: 
ten, um fie mehr biegfam und haftend zu machen, und dann 
klopfenden Herzens die fchlimme Paſſage glücklich zurlidlege 
ten. Wenig weiterhin lamen fie bei einer Baumart vorbei, 
Pnug · ſchiang bei den Eingeborenen geheigen, deren Wurzeln 
zum Theil Über dem Boden liegen und dort die wunderlich— 
ften Drehungen und Verſchlingungen machen, fo daß fie 
Stühle, Sophas, Nifchen und dergleichen bilden. Letztere 
werden häufig zur Aufnahme eines Altars für den Dorf- 
fetisch benugt: flinf Steinplatten bilden den Boden, die 


4 


338 


Wände und das Dad) eined nad vorn offenen Kaftens, in 
deſſen Mitte ein Meiner Steinaltar zur Aufnahme ber 
Opfergaben ſich erhebt. 

Eine Menge Männer, Frauen und nadter Kinder 
empfing die Reifenden und begleitete fie mad; dem Haufe 
eines alten Blinden, das zu ihrem Quartier gewählt wors 
den war. Aufmerffam wurden alle Gegenftände, die den 
fremden gehörten, gemuftert und ſchließlich Thomſon's 


Thomſon's Reife auf Formoſa. 


carrirted Flanellhemd fiir das ſchönſte Stüd erllärt. Dabei 
tauchte Jedermann bie zu den Kindern herab aus Bambus« 
pfeifen, die mit Meffingringen verziert find. Bald trat eine 
alte frau an Thomfon heran und reichte ihm ihre Pfeife. 
Kaum hatte er fie angenommen, fo bat fie ihn audı um 
feine Gigarre, aus welcher fie mit freubeftrahlenden Mienen 
einige Züge that. Dann machte die Cigarre die Hunde 
von Mund zu Mund durch die ganze Gefellfchaft und ge: 





Bergbewohner auf Formoſa. 


langte erft an ihren Cigenthlimer zurüch, nachdem jeder 
einen Zug daraus gethan hatte. 

Die Bewohner dieſes Dorfes haben ein viel wilderes 
Ausfehen, als die Vepohoans näher der Hüfte, find groß, 
wohlgeftaltet und kräftig, dabei von hellerer Hautfarbe und 
mit ſchönen ſchwarzen Augen ausgeftattet. Kine gewiſſe 
Grofthuerei, die ihmen eigen, emtbehrt weder der Wurde 
nod) der Anunith, und trotz Wildheit und Prahlerei ift 
Jedermann von ihrer Herzlichteit, Gaſtfreundſchaft und ihren 


milden Wefen eingenommen, Die Frauen kämmen ihre 
vollen braunen Haare nach hinten und flechten fie in lange 
dide Zöpfe, die fie mit rothem Bande umwickeln, wie ein 
Diadem Über die Stirn legen und am Hinterfopfe mit 
einem Knoten bejeftigen. Das Braun der Haare ift zu— 
ſammen mit dem rothen Bande und dem olivenfarbigen 
Teint von Überrafchender Wirlung. Die Chinefen aller: 
dings halten diefe rauen für Barbarinnen, weil fie c$ ver- 
ſchuähen fic zu ſchminken. Die harte Arbeit und die Un- 


Thomſon's Neife auf Formoja. 


bilden der Witterung, weldyer fie ausgefegt find, nehmen 
ihnen freilich bald jeden Schmelz der Jugend;“ aber ſelbſt 
die runzlige, graubaarige Sreifin widmet ihrer Haartracht 
noch diefelbe Sorgfalt, wie das jüngfte Mädchen. Ihre Ge— 
wandung befteht im einer kurzen, enganliegenden Jade von 
blauem Calico und einem Hemde vom ſelben Stoffe, das 
einen breiten roth und gelben Saum hat und bis auf die 
Knie herabreicht, eine Tradıt, welche an die der LaosFrauen 
in Siam und an die chineſiſchen Darftellungen der wilden 
Miau-tfe im gebirgigen Süden Chinas erinnert. Die 
Männer rafiren den Kopf, wie die Chinefen, und tragen 
eine furze Iade und kurze Hofen von Calico. 

Nachdem unfere Keifenden in Pa⸗ah⸗liau ihren photo: 
graphiſchen reſp. mediciniſchen Pflichten nadhgelonmen 
wareu, legten ſie am Nachmittage die letzten 6 engl. 
Meilen bis Kasfan-po zurüd. Auf den Wege, der anı 
La⸗lo· li⸗Fluſſe hinauf nordwärts führte, hatte Thomfon 
zum erften Dale im fernen Dften das Bergnligen, fic an 
großen ſchönen Himbeeren zu delectiven. Im Dorfe kehrten fie 
bei einem alten Bekannten bes Arztes ein und benugten fofort 





339 


die praftifche Einrichtung der Verandah, wo ein zum Baden 
beftimmter Raum mit VBorhängen verhült if, Natlirlic) 
ftrönste auch hier viel Volks zufammen ; aber diesinal ver» 
mißte Thomfon fofort die diefen Yeuten fonft eigene Wurde 
und Anftand. Der Grund ihres ewigen Yachens und Yärs 
mens war bald gefunden: die Dörfler hatten einem Nadj« 
bar geholfen, fein Haus unter Dad; zu bringen, und dieſer 
hatte fie mit Branntewein tractirt. Derfelbe ift ſehr ftart 
und wirb aus der füßen Patate, neben dem Reis einem 
ihrer Hauptmahrungdmittel,, gewonnen, Gegen neun Uhr 
Abends verfammelten ſich die Eingeborenen in Menge um 
ein u © Heuer, das vor dem Haufe ber Fremden 
brannte. ie alten Männer und frauen, die Sinder, na— 
türlich Alles rauchend', und eine Anzahl fpigohriger Hunde 
fegten fidy nieder auf den Boden, während die Flammen 
bald auflodernd die zierlichen zitternden Bambuszweige und 
die ftattlichen Palmen in der Höhe mit rothem Fichte übers 
goſſen, bald niederbrennend die herumhodenden Menſchen 
wie wejenlofe Schatten erfcheinen ließen. Holz und Rohr 
ward num in Maſſen aufgefchichtet, und höher und höher 


Hütte ber Bergbewohner auf Formoſa. 


ftiegen die Flammen und mit ihnen die Luft der Berfanmel« 
ten. Inzwiſchen hatten die jungen Leute beiberlei Geſchlechts 
einen Play zum Tanzen geebnet, faßten ſich dann mit ger 
freuzten Armen bei der Hand und begannen, im Halbtreife 
aufgeftellt, einen langfamen, anmuthigen Tanz, den fie mit 
einem Hagenden Geſange begleiteten. Solo und Chor wech 
felten mit einander ab; allmälig wurde der Tempo fchneller 
und jcneller und immer hurtiger bewegten ſich die Füße im 
Tact, bis der Tanz fchlieglich eine raſende Schnelligkeit an- 
nahm, wie fie felbjt nicht bei den ſchottiſchen Hochlandstän⸗ 
zen vorkommen fol, und wildes Gefchrei die Luft erfüllte, 
So dauerte das Vergnügen jtundenlang, und ein Glücd mur, 
daß der Wirth wohl mit Nücdjicht auf die Fremden feinen 
Gäſten nur Thee und nicht etwa dem ftarfen Patatenſchnaps 
erebenzte. 

Der nächſte Tagemarjc führte 11 engl. Meilen den 
Strom wieder hinab nadı La-lung durch eine der herr» 
lichften Gegenden auf Erden, welche die wechlelvollften Wald», 
Berg:, Felſen und Flußpartien darbot. Da aber dad Ges 
biet von wilden Bergſtämmen bejagt wurde, fo erhielten bie 
Reifenden zwei bewaffnete Führer mit, welche, fobald fie ihr 


Dorf aus dem Geficht verloren, fofort ihre volle 24 Stun« 
den brennenden Yunten anftekten und den Wanderern Still» 
ſchweigen anempfahlen. Dieje aber gönnten ſich trogben 
Zeit genug, um von der reizenden Landſchaft ein photos 
graphiſches Abbild zu nehmen und ſich im einem ber natüir- 
lichen Beden bes Fluſſes zu baden. Während deſſen erſchien 
eine Schaar bewaffneter ‘Bepohoans, um zu ſiſchen. Der 
eine ſchoß feine Beute geſchickt mit dem Pfeile ; andere fuc)« 
tem ſich in den Felslöchern Krabben, riffen ihnen die Schee⸗ 
ren aus und bverzehrten fie lebendig mit ber — Schale, 
während die jngften durch Peitſchen des Waſſers mittelft 
Bambuszweigen die Fiſche betäubten und griffen. Pracht- 
voll war die Vegetation in jener Einfamfeit: riefige Bäume, 
Schlinge und Schmarogerpflanzgen aller Art, ſpaniſches 
Rohr, Kampherbäume, mächtige bis 8 Fuß hohe Yilien, 
Orchideen u. ſ. w. Weiterhin trafen fie einen Bepohoan, 
welder von der günzlich unbefannten Ofttüfte ber Infel 
fam: den wilden Stänmen hatte er für das Recht, ihr 
Gebiet betreten und durchkreuzen zu dürfen, drei ftattliche 
Ochſen als Tribut entrichten muſſen. 

Ein breites, im Sommer faft troden liegendes Flußbett 


43* 


340 In Türkijch Armenien. 


trennt Paslung von dem Gebiete der Wilden, mit denen | nächften Felſen eine Welt von mikroſtopiſcher Schönheit 
die Dörfler wenigſtens theilweife in ganz gutem Einverneh⸗ birgt. Es ward dunkel, che die Reifenden Ya-forli erreich- 
nen ftehen und deren Töchter fie zu Frauen nehmen. Die | ten und dort in der Hütte eines dem Arzte befannten alten 
Heirathsgebräuche find einfac genug: der Brautvater er- | Mannes Unterkunft ſuchten. Reihen von Eber- und Hirfd)- 
greift feine Tochter bei der Hand und übergiebt fie ihrem ſchädeln zierten die Wohnung, vor der der Sohn ded Be— 
neuen Deren; eim Gelage bejchließt die Geremonie. Die | figerd, ein wilder, ungaftlicher Burfche von über 6 Fuß 
alten Holländer erzählen aud), daß ein Mädchen durch die | Höhe, ftand. Er wies die fremden am feinen Vater, und 
Annahme eines Geſchenkes, das ihr ein Bewerber anbietet, | diefer, an Rheumatisnmius leidend und von Opium beraufdıt, 
diefem die ehelichen Rechte einräumt. Die Ehefcheidungen | willigte endlich mürriſch darein, daß fie unter einem Schup- 
find von der gleichen Einfachheit. pen die Nacht verbrächten. Bis tief im die Nacht hinein 
Am näditen Tage wanderten Thomfon und Marwell | mußte noch Thomſon arbeiten, um feine Chemifalien für 
nad} Yasfosli, 12 engl. Meilen füdlich von Yaslung, und | den Reſt der Reife in Stand zu fegen. Das Waſſer bi 
hatten unterwegs Gelegenheit, einige fchüöne Typen von Ein» | Yasfo-ti ift fehr altalifch, und die Ufer mehrerer Bäche 
geborenen und Landſchaften aufzunehmen Wieder war es | waren anfdeinend mit Sodakryſtallen bedect. Das war 
ein Marjch durch eine reizvolle Gegend, welche namentlich | beim Photographiren fehr flörend, bis Thomfon den Grund 
in der Regenzeit durch) die Menge und die Berfchiedenheit der | bemerkte und im Geſtalt vom chineſiſchem Eſſig eine Säure 
Wafferfälle Bewunderung erregen muß. Die Berge find | hinzuthat, die dem Uebel abhalf. 
von überwältigender Großartigfeit ; aber ihre gigantifchen Bald hinter La-ko⸗li Ienlten die Reiſenden wieber in 
Formen werden durch das Uppige Laub der immergrlinen | ihren frühern Weg ein, welcher fie über Bakſa und Poah-bi 
Wälder gemildert und verſchönert, während jede Spalte der | raſch nad) Tairwan-fu zurichführte, 


In Türfifhe- Armenien. 


1*). 


Am 13. April 1870 verlieh Deyrolle von Neuem Tra» | daß Padthier und Laſt mit einander über Felſen und Koth 
pezunt, um eine wiſſenſchaftliche Miſſion auszuführen, welche | in das Waſſer rollen. Und zudem findet das täglich zwei ⸗ 
ihm Seitens des franzöfifchen Unterrichtsminifteriums zu bis dreimal vorfommende Abladen auf die einfachfte iſe 
Theil geworden war. Es handelte ſich darum, möglichſt fo jtatt, daß der Treiber einen Knoten löft, weldyer die zu 

I 





viel naturhiftorifche und archäologiſche Nachrichten einzuziehen | beiden Seiten des Thieres hängenden Kollis hält, worauf 
md die afiyrifchen und georgiichen Infchriften am See von | letere fofort mit einem Krach zu Boden ftürzgen. Außer 
Ban umd im Thale von Thortum (vedytes Nebenthal des | dem begleitete den Reifenden ein Saptieh ober Polizeifoldat, 
ins Schwarze Dieer mündenden Tfcharuch) abzufchreiben und | welcher in den Nachtquartieren Herberge und Nahrung zu 
abzuklatſchen. in Dolmetſcher fowie drei ihm gehörige | befchaffen hatte. 

Pferde begleiteten ihn; außerdem hatte er mit Hrumli-Maul« Das find etwa die Borfichtsmaßregeln, welche ein in 
thiertreibern (Krumli find heimliche Chriften, welche in allen | Kleinaſien Neifender zu treffen hat. Im Uebrigen lann er 
Aenferlichkeiten, wie Sprache und Kleidung, die Mohammer | fid) dort fo ungehindert und ſicher bewegen, wie in Mittel- 
daner nachahmen) einen Vertrag gefchloffen, wonad; fie ihm | europa, und felbft im dem wegen der Wildheit feiner Be— 
die zum Abklatichen der Infchriften nöthigen Ballen Papiers | wohner verfchrieenen Kurdenlande wird bem Fremden nichts 
bis Erzerum fchaffen ſollten. Diefe, wie überhaupt das ge | Schlimmes zuftoßen. Dod) ift es rathſam, einige Schrot⸗ 
jammte Material eimes Neifenden dort zu Lande, mußten körner in feine Flinte oder feinen Nevolver zu laden, um 
auf das Sorgfältigfte verpadt fein; denn es fommt auf den | beim Eintreten im die Städte und Dörfer ſich die oft ger 
ichlechten Wegen und Saumpfaden dort häufig genug vor, | fährlichen Hunde vom Leibe zu halten. 

— — Baiburt am Tſcharuch (Dſchoruk Su), bis wohin wir 
den Keifenden ſchon früher (Bd. XXVII, ©. 232) beglei» 
teten, erceichte er diefes Dial auf einer öftlichern Straße, 
welche hoch iiber die Berge beim hohen Kittowa-Dagh vor« 
beiführt und bis Baiburt nur vier Tagemärjche in Anſpruch 
nimmt. Es iſt dies claffifcher Boden; denn wenn Xenophon's 
griechiſche Krieger auch nicht genau denjelben Pfad, nur in 
umgefehrter Richtung, einft vor faft 2300 Jahren entlang 
zogen, jo lag ihr Weg doc) nad) der Annahme der Meiften 
nur wenige Stunden weftlic; davon. Ya, es ift nicht uns 
möglid), daß Deyrolle auf jenem Gebirgswege den Berg 
Theches betrat oder doch fah, von welchem die Zehntauſend 
zuerft das heißerſehnte Meer exblidten, wo fie aus Steinen, 
Knütteln und den Feinden abgenommenen Schilden ein 
Denkmal errichteten und den Barbaren, der fie dort hinauf 


*) Emwa vor Dabresfrift brachte der „Blobus“ (Br, XXVII, ©. 
209 bis 215 und 224 bie 232) den Anfang dieſer Auffäge, welde 
bie Reiſen des frangöfiiben Naturforſcheres Thsophile Deprolle 
im Nortoften des türliſchen Kleinaſien filtern. Es find das Ge— 
genden, welche feit Jahten menig wiffenfchaftlihe Reiſenden ange= 
zogen haben, welche aber fomehl in hiſtoriſch-archäologiſchet (id er 
innere mur an den Zug der Zehntaufend unter Tenephon) mie im 
natuerwifenichaftlicher Hinficht noch viel des Neuen bieten, auch geb⸗ 
arapbifh noch leineswegs gründlich durchforſcht find und vielleicht 
bald berufen werden, in ber Weltgefchichte minbeftens paffio eine Rolle 
su fpielen. Das Beſte, was im ber legten Zeit über jene Kante 
fchaften veröffentlicht worden ift, find die „Beiträge zut Geogtaphie 
ven Hohe Armenien“ (mit drei Karten) des in turkifden Dieniten 
febenten Generals Wilhelm Strecker (Zeitichrift der Geſellſchaft 
für Erdtunde zu Berlin Br, IV, 1869). Neuerdings (feit 1871) 
baben auch bie beiten wohlbefannten deutſchen, in ruffifchen Dienften 
———— Dr. &. Radde und Dr. ©. Sievers mehr— 
ade Reifen zu natutwiſſenſchaftlichen Iwecen in die in Here jichen- geführt toniglich beſchenkten. 
ben Gebiete unternommen und vorläufige Werichte darüber in den ur x . 

„Mittheilungen’ aus Fuftus Perther’ pr Ankalt (1872, Fichtenwälder frönten die Höhen, während auf den Ab- 
1873, 1875 und 1876)" veröffentlicht. hängen hier und da ſich die gelben Bluthen pontifcher Aza- 





In Türkisch» Armenien. 


feen zeigten, deren Staubfäden dem Honig der Bienen jene 
giftige Eigenfchaft mittheilen, welche den Kriegern Xenophon’s 
fo übel mitjpielte. Die weniger ſtranken glichen Betrun— 
tenen, während andere ſich wie Raſende geberdeten oder wie 
Sterbende ausfahen. Erſt am folgenden Tage verſchwanden 
diefe Erfcheinungen. Die Bauern jener Gebirge fennen 
diefe Eigenfchaft des Honigs ſehr gut und hüten ſich, dem 
im Frühling gefammelten zu genichen; von dieſem nehmen 
fie nur das Wachs *). 

Der Uebergang über das Gebirge wurde durch Unwetter, 
Sturm und Schneefall (Mitte April) zu einem üüberaus bes 
fchwerlichen. Der Schnee erreichte eine Dide von zwei Fuß; 
unaufhörlich braufte der Sturm und bei jedem Schritte faft 
ſtrauchelte oder ftüirzte eines der Thiere, Dazu waren bie 
Herbergen längs jene® Weges in fo elendem Zuftande, daß 
Deyrolle, als er hörte, daß der Schneefturm tagelang an= 
bauern fünnte, umfehrte und die praftifablere Winterftraße 
nad; Erzerum einſchlug. Seit Jahr und Tag wurde an 
derjelben gearbeitet, um fie in eime ordentliche fahrbare 
Chauſſee, die für den Verkehr zwiſchen Trapezunt und Erzer 





341 
ram und weiterhin nach Perfien von fo — Nutzen 
wäre, zu verwandeln — und die turliſche Regierung ver« 


järmte nicht, von dem dort erzielten ortichritten von Zeit 
zu Zeit pomphafte Berichte in die Welt zu ſchicken. Aber, 
wie überall, verftehen die Türken wohl etwas zu erbauen, 
nicht aber es zu erhalten. Die Frühlingsregen und bie 
Schneefchmelze hatten beträchtliche Maffen von Fels, Erbe 
und Schlamm ins Rutſchen gebracht und damit die Strafe 
ftellenmeife gänzlich gefperrt, Während Deyrolle noch dahin- 
z0g, vernahm er plöglich vor ſich ein furchtbares Geräuſch 
und fah mit eigenen Augen, wie ſich ein mächtiges Stüd 
bed Berges mit allen darauf befindlichen Felfen und Bäusr 
men in Bewegung fegte und einen perſiſchen Maulthiertrei- 
ber nebft feinem Thiere mit ſich zu Thale riß. Diefe Erd» 
rutſche (Muhren heißen fie im dem deutſchen Alpen) find die 
natlirliche Folge der unfinnigen Abholzungen, welche bei ben 
Wegebauten hier ftattgefunden haben. Wenn ſchon die 
meiften cioilifirten Volker mit dem unerſetzlichen Walde in 
ſchonungsloſer Weife umgehen und ſchon jetzt die Folgen ihrer 
Sünden zu fühlen beginnen, fo verfteht doc; eben Niemand 


Be 


Eingang von Baiburt. 


fo vortrefflich, dem ſchönſten Wald im der Flirzeften Zeit zu 
vermwillten, ala der Tuͤrke. 

Den weitern Weg über den Zigana-Dagh, Ardafa, SU: 
muiſch· chane mit feinen heruntergefommenen Silbergruben bis 
Baiburt haben wir ſchon früher (Bd. XXVII, ©. 229 und 
232) geſchildert. Der Marſch war infolge des ftarfen 
Schneefalles, der argen Auflöfung, in welcher ſich die Straße 
befand, und der zahlreichen Karamanen , welche, mit Baum« 


*, Ein wenig anders, wenn aud im manden Punkten mit 
Deprolle übereinftimmend, ſpricht fib darüber Streder (a. a. O 
©. 537) aus; „Roc irrt in feiner Behauptung, daß es feinen ters 
artigen Honig gebe une daß der von den Grlechen genoſſene dic ber 
täubenden Eigenſchaften erſt durch fchlechte Mufbewabrung erhalten 
haben müſſe. Das maenamenon mel des Blinius rue durchaub 
nicht im das Reich ber Fabel. Et wird ſolcher Honig von wäſſeri⸗ 
ger Veſchaffenheit, dunkler Farbe und eigenthüömllch bitterlichem Ge— 
ſchmack noch heute im den Hafenſtäditen des Schwarzen Meeres zwi⸗— 
ſchen Ordu und Batum auf den Märkten verfauft, Roh genoffen 
etzeugt er dieſelben Kranfbeitsfompteme, welche Kenopbon erwähnt. 
Doch wird er des billigen Preifea wegen haupiſächlich von der Arınz« 
ven Glaffe der Herölferung bemupt, aber aucgelocht und mit anderen 
uderbaltigen Stoffen vermifcht und auch das nur noch in geringem 


wolle beladen, den Reifenden entgegentamen, und wegen ber 
Ueberfiillung ber fänmtlichen obendrein unbeſchreiblich diirf- 
tigen Einfchrhäufer ein fo beichwerlicher und anftrengenber, 
daß am 20. April die Häufer von Batburt mit Freude bes 
grüßt wurden, weil Deyrolle von feinem vorjährigen Befuche 
her mit Vergnügen der zahlreich in den dortigen Lüden hän— 
genden gejchlachteten Hammel gedachte. Aber er follte bitter 
enttäufcht werden! Faſt alle Buben waren gefchloffen; denn 


Grade, feit der Zucder in Folge der außerordentlich vermehrten Gin: 
fuhr fehr niedrig im Preife ſteht. Ich fonnte micht erfahren, aus 
melden Blumen die Bienen den Stoff faugen, der tem Honig jene 
Gipenfhaften mittheilt, Verwundett, auf den be bes pon⸗ 
difchen Gebirges game Felder von Azaleen eingefriebigt zu feben, 
fragte ich nach der Urſacht dieſer Umzäunung der ſchönen, aber wild: 
wachſenden und feinen Nugen bringenten Blumen, und erbielt zur 
Antwort, daß die Schafe, welche davon genöffen, krank würden, we#r 
balb man fie — hauptſächlich ter fremden, burdgiehenden Herden 
wegen, de die einbeimifchen Thiere fie fait nie übrten — abe 
ſperre. Der Theatinermöndh Lambert fönnte olfo dor Hecht haben, 
menn er in feiner „Relation d'un voynge dans le Lerant" erzählt, 
daß bie Bienen ten @iftftof aus einer gelben Dlcanderart, wofür 
er wohl die Malern bielt, faugten.“ 


In Firtifch- Armenien. 


342 


=> 
— 


wathjan uaago mv nNaogaobvpↄ laoq sv 


8* 


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TERN 


= u u F — — 
— — —— —— —— —— — — — 





— 


In Zürkifch- Armenien, 


343 


die Ehriften, Griechen und Armenier, welche die Uberwiegende heiterte. Nun wurde nad) der Paßhöhe abmarſchirt und den 


Mehrzahl der 4000 (mad) Anderen 6000) Eimwohner bes 
Städtdyens ausmachen, feierten gerade einen der 220 Fall: 
tage, welche das Jahr bei ihnen zählt und die fie mit der 
größten Strenge einhalten. Nach wenigen Stunden Ruhe 
brad) er alfo wieder auf und zog den Tſcharuch, deſſen Ge— 
wäfler von wilden Enten wimmelten, hinauf bis Maden- 
Chan und verließ ihn dort, um beim Kop⸗Dagh vorbei in 
das Thal des obern Euphrat hinüberzufteigen. Am jelben 
Tage noch erreichte cr den nad) bem Kop-Dagh benannten 
Chan in 2300 Meter Höhe, wo die Negierung ausgedehnte 
Karawanferaien hat errichten laffen. Allein diefelben waren 
ſchon wieder in fo baufälligem und verwahrloftem Zuftande, 
daß der Naturforfcher 8 vorzog, im Dorfe Kop ein befchei- 
denes aber warmes Unterfonimen filr die Nacht zu ſuchen. 
Denn hier herrſcht die fitr fo hochgelegene Gegenden praf 
tifche Sitte, die Viehſtälle rings um das Wohnzimmer und 
den Herd herum anzulegen, Die ganze Nadıt hindurch fiel 
Scynee, fo daß die Maulthiertveiber mit dem Aufbruche zö— 
gerten, bis es gegen 10 Uhr Bormittags fic etwas auf 


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Biffeln beipannte Arba, 


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legen fie mittelft Nelaispferben, welche die perfifche und türs 
tiſche Regierung Stellen, die über 1250 Kilometer betragende 
Strede zurlid ; von Trapezunt aus benugen fie bis Konſtan— 
tinopel matlirlich die Dampfboote. Zu Beginn ihres Rittes 
figen dieſe Leute Tag und Nacht zu Pferde und gönnen fich 
nur während des Wechlelns der Keitthiere einige Minuten 
Zeit zum Eſſen und Ruben. Ihre Begleitung befteht ge: 
wöhnlich aus 2 bis 3 mit Mantelfäten beladenen Pferden 
und eben fo viel Polizeifoldaten; überall muß man ihnen 
Play machen und fie frei paffiren lafien, und nöthigenfalls 
verftehen fie es auch, ſich mit ber Peitſche oder fladyen Klinge 
Durchlaß zu verichaffen. Un diefer Stelle freilich, wo ihm 
Deyrolle begegnete, und wo ber ſchmale Pfad zwiſchen zwei 
Schneewällen fich dahin zog, mußte der Tſchapar nach einie 
gen fruchtlofen Verſuchen, vorwärts zu kommen, warten, bis 
die ganze Karawane vorbeigezogen war. 

Während diefes ganzen Tages war die Kälte jo groß, 
daß fie auf der Haut eim brennendes Gefühl erregte und das 
Geſicht des Neifenden zur Unfenntlichkeit auftrieb und röthete. 

Am Fuße des Gebirgoliberganges liegt auf dem rechten 


den jenfeitigen Abhang hinunterſchreiten zw ſehen. 


alsbald durch erneutes Schneegeſtöber faſt verwiſchten Spu— 
ren einer zahlreichen Karawane von Perſern gefolgt. Auf 
dem höchſten Punkte (2500 Meter) holte Deyrolle fie ein. 
Es war ein ſonderbares Schaufpiel, die vielen Hunderte von 
Faftthieren, welche der Gegenfag zum Schnee volllommen 
ſchwarz erſcheinen ließ, in lang gewundenem —— 
Nicht 


ſelten kam es vor, daß eines derſelben nur wenig vom Pfade 





abwich und ſofort in eine Schlucht oder Spalte rutſchte; aber 
die dide Schneelage ſchützte es jedesmal vor Berlegungen 
durch die Felskauten, und lurze Zeit darauf war es durd) 
die Treiber entladen, aufgerichtet umd wicder bepadt und 
fonnte feine Stelle in der mehrere Kilometer langen Schlau— 
genlinie wieder einnehmen, 

Auf halbem Abftiege Fam dem Reiſenden der Zug des 
englifchen „Tſchapar“ entgegen. So heißen die Gouriere, 
welche monatlich zweimal die Depefchen der europäischen Br: 
vollmädjtigten in Teheran fowie die ber Confuln in Tebris 
und Erzerum nad) Trapezunt überbringen. In 12 Tagen 





Euphratufer bei einer neuerbauten Brlide das Dorf Schaor: 
dorif, wo Deyrolle eine Stunde raſtete. Dort engen zwei 
rieſige Muſchellallfelſen das Euphratthal mit der Straße 
ein. Am Fuße des einen liegen die Hütten des Dorfes, 
wahre Erohöhlen, beren weiße Mauern fic kaum von bem 
umgebenden Fels und Erdboden abheben. Die Bewohner 
bejchäftigen ſich mit Kalfbrennen. Deyrolle fanmelte dort 
zahlreiche Foſſilien, die einzigen, welche ihm während feiner 
ganzen Reiſen aufftießen, riefige Auftern, Miesmuſcheln, 
viele andere eins und zweiflappige Schalthiere ſowie Strahlen« 
thiecchen und Madreporen. Er will — ob mit Recht, fteht 
uns nicht an zu entſcheiden — daraus ſchließen, daß der 
Gürtel erloſchener Vulcane, welcher die Ebene von Erzerum 
umgiebt, einftmals einen großen See einſchloß, deſſen Ges 
wäller bei einer partiellen Hebung fich in Geftalt des heu⸗ 
tigen Euphratthales einen Weg durch die Berge brachen und 
babei jene Mufchelanhäufungen bei Schaordorik hinterließen. 

Bon da am war es unmöglich, mehr als 21, Kilometer 
in der Stunde zurüdzulegen; denn die Stuaße führt nun 
Über lauter augeſchwemuten Boden, in welchem man feinen 


344 


einzigen Stein erblidt (er fei denn von Menſchenhand dahin 
gebracht), und der infolge des Schueefalles in einen uner- 
grundlichen, Elebrigen, zähen Schmutz verwandelt war, der 
den Pferden buchjtäblic die Eifen von den Hufen riß. Es 
war unmöglich, mit den gänzlid, ermibeten Thieren noch am 
felben Tage Erzerum zu erreichen ; eben fo wenig waren in 





Die wiſſenſchaftliche Expedition Sr. Majeftät Schiff „Gazelle*. 


Hidfche, das noch 15 Kilometer von Erzerum entfernt Liegt, 
frifche Pferde zu erhalten. Mit Mühe erreichte Deyrolle 
das große armenifche Dorf Gees und erft am folgenden 
Tage, dem 24. April, Erzerum, nachdem er für die 350 
Kilometer Weges, welche man in der guten Jahreszeit bequem 
in einer Woche zurlidlegen kann, 12 Tage gebraucht hatte. 


Die wifjenfhaftlihe Erpedition Sr. Majeftät Schiff „Gaäzelle“. 


IL Bis zur Capſtadt. 


G. Schon früher wurde in diefen Blättern („Mobus“, 

Bd. XXVI, ©. 43) der Reife Sr. Majeftät Schiff „Gazelle* 
Erwähnung gethan, indeffen zu einer Zeit, als diejelbe vor- 
erſt noch ein Project war. Da die „Öazelle* nunmehr 
28. Upril 1876) wieder in der Heimath eingetroffen ift, 
fo wollen wir unferen Leſern in den nachfolgenden Zeilen 
einen Ueberblid über ihre Erlebniſſe und ihre Yeiftungen vor⸗ 
legen im der Hoffnung, daß bie Reife des deutichen Schiffes 
nicht geringeres Intereſſe erregen wird als die des ungleich 
begüinftigtern englifchen „Challenger“. Wir folgen dabei 
ben officiellen Berichten, wie fie im den „Annalen der Hy— 
drographie und Maritimen Meteorologie“ erſchienen find, 
einer Zeitichrift, welche bei ihrem reichen Inhalte, ihrem 
beifpiellos billigen Preife (12 Hefte jährlicd) fr 3 Mark) 
und ihrer trefflichen Ausftattung mit Karten, Anfichten und 
Tabellen Allen, welche ſich fir die Entwidelung jener Wiflen: 
fchaften und die Thätigfeit unferer Marine intereffiren, nicht 
warm genug empfohlen werden fanıt. 

Am 21. Duni 1874 verließ die „Gazelle“ ben Hafen von 
Kiel. Wie befannt ſollte das Schiff, welches der bewährten 
Führung des Gapitän zur See Freiherrn von Schleinig 
anvertraut ift, vorzugsweife zu wiſſenſchaftlichen Zweden eine 
Weltumfegelung unternehmen. Der Zwed aber, in welchem 
diefe Unterfuchungen zunächſt gipfeln follten, war die Beob- 
achtung des Borüberganges der Benus vor der Sonnenfcheibe 
am 9. December 1874 und zwar auf der Kerguelen: In: 
fel im Indiſchen Ocean. 

Zu diefem Behufe waren Männer von Fach an Bord 
der „Gazelle“ eingefchifft, welche mit den erforderlichen In- 
firumenten Seitens der Reichsregierung auf das Vortrefflichfte 
audgeräftet waren. Auch die zu dieſer Erpedition ausge- 
wählten Offiziere waren vor Beginn der Reife auf aus: 
drucklichen Befehl des Chefs der Admiralität noch befonders 
mit allen zweddienlicen Inftrumenten vertraut gemacht wor · 
den, jo daß auch fie den Gelehrten fpäter auf das Befte und 
Thatträftigſte zur Hand gehen fonnten. — Nach furzem 
Aufenthalt in Plymouth ward biefer Hafen in der Nacht 
vom 3. zum 4. Juli 1874 verlaffen und bie eigentliche Er- 
pedition nahm ihren Anfang. j 

Während der Fahrt von Plymouth bis Madeira lag 
dem Commandanten die Pflicht ob, das ihm unterftellte Ber 
fonal vorerſt mit der Handhabung der Tieffeelothe vertraut 
zu machen. Dan glaube ja nicht, daß diefe Handhabung 
eine leichte jei. Bei großen Tiefen ift ganz befondere Bor: 
ficht erforderlich, um ein „Vreden“ der Peine zu verhüten. 
Das Schiff muß hierbei möglichft ſenkrecht über ber Stelle 
des verjenkten Lothes erhalten bleiben. Die Maſchine in: 
deſſen, unter Zuhülfenahme zweier Segel, des Klliver und 
Befahn *), erleichtert das Yothen in großen Tiefen wefent- 

*} Der Klüver ift ein dreiefiges Segel vor dem vorderſten Maſie, 


ber Beſahn cin wierecfiges, trapesformiges hinter bem hinterſten Mafte 
tes Schiffer. 


ih. An Tieffeelothen waren an Bord der „Gazelle“ vor» 
handen: das verbefferte Tiefbleiloth von 100 Pfund Gewicht, 
an deſſen unterm Ende eine cylinderfürmige Kammer wit 
fogenanntem „Scmetterlingsventil“ , zur Aufnahme der 
Meeresbodenprobe, angefcraubt ift; ferner das „Baillie' ſche 
Loth“ im Gewicht von 2/, Centner, mit dem Apparat for 
gar 3 Gentner, bei weldem die Gewichte am Meeresboden 
verbleiben ; endlich das „Hydra-⸗Loth“, ebenfalls im Gewicht 
von 21/, Gentner, welches gleich dem vorigen, jedoch in au— 
derer Weife, die Gewichte abftreift. 

Auf der Reife von Plymouth nad) Madeira lothete die 
„Gazelle im Ganzen ſechs Mal. Die bedeutendite diefer 
Yothungen war die am 9. Juli 1874 in 420 9,3 nördl. Br. 
und 14% 38,2’ weftl. L. v. Gr., etwa 300 Seemeilen weft 
lid) von Cap Finifterre. Das Yoth erreichte bei 5254 Meter 
den Meeresboden unter gleichzeitiger Temperatur des Waſ- 
fers in diefer Tiefe von 2,5° C. Auch dem Meeres: 
leuchten, welches anfang® nur ſchwach ſich zeigte, wandte man 
ganz befondere Aufmerkjamkeit zu Am 11. Yuli Abends 
wurde mit dem Scjlepptau aus einer Tiefe von ungefähr 
3 bis 41/, Meter ein etwa 13 Gentimeter langes und 
2 Gentimeter breites Thier (Pyrosoma Atlantica) herauf: 
geholt. Anfangs leuchtete daffelbe mit großer Intenfität. 
Diefelbe nahm aber, obwohl das Thier alsbald in Waſſer 
gejegt wurde, fofort ab, jo daß eine milroſlopiſche Unter⸗ 
juchung der Vhosphorefcenz natürlid) muylos bleiben mußte, 

An Madeira, welches am 15. Juli erreicht war, hielt 
ſich das Schiff nur fehr kurze Zeit zum Zwecke des Ein: 
nehmens don Wafler und Proviant auf; es fegte mach zwei 
Tagen ſchon die Reife nad, den Cap-Verdiſchen Infeln 
fort. Auf diefem Theile der Reife freuzte die Gazelle“ 
unter etwa 111/,% nördl. Br. und 24% weſil. L. v. Gr. 
den Cours des „Challenger“, von deffen Reife wir von 
Bd. XXI. an mehrfady berichteten und ber faft genau ein 
Jahr vor der „Sazelle* im diefem Theile des Atlantiſchen 
Deeans feine Beobachtungen angeftellt hatte (vergl. ‚Globus“ 
XXIV, ©, 143), Am 24. Juli famen die Gap-Berbifchen 
Eilande in Sicht, in deren Nähe vielface Yorhungen und 
Berfuche mit dem Schleppnetz angeftellt wurden. Erſtere 
ergaben ein in phufifc-geographiicer Hinficht im der That 
intereffantes Rejultat, namlich da der Ring der zu den 
Gentral-Bulcan-Öruppen zählenden Infeln der Cap-Berden 
hiernach fid) auch unter dem Waſſer ftark ausprägt, indem 
in der Peripherie zwifchen den einzelnen Infeln überall ge: 
ringere Tiefen als in der Mitte gefunden worden find. 

Am 27. Juli ging die „Gazelle“ im Hafen von Porto 
Praya auf San Jago zu Anker, verlich indeflen auch die: 
fen Ort bereits am 29. des Vormittags wieder, um jich dem 
afrifanifchen Feſtlande zu nähern. Sie erreichte Monro: 
via am 4, Auguft, wo fie von dem Präfidenten der Neger: 
republit Liberia, Mr. Roberts, auf das Gaſtfreundlichſie 
aufgenommen wurde. Ein gleiches lebhaftes Intereſſe be— 


Die wiſſenſchaftliche Erpedition Sr. Majeftät Schiff „Gazelle“. 


zeigte aud) der dortige deutſche Conful, Herr Brohn. Dod) 
aud dort war ber Gorvette die Zeit nur äußert furz bes 
meſſen, und ſchon nach eintägigem Aufenthalt richtete fie ihren 
Cours nad) Ascension, woſelbſt fie am 18. Auguft ein: 
traf, um ihre bereits ſtarl veducirten Kohlenvorräthe von 
Neuem aufzufüllen. Während diefer Fahrt von Monrovia 
nad) Ascenfion wurden am 10. Auguft in etwa 3° nörbl. Br. 
und 11° weftl.$. v. Gr, alfo ziemlich nahe dem afrilaniſchen 
Feſtlande, einige Notizen Über bie Auguftperiode der Stern: 
ichuuppen (Perjeiden) gemacht. Bier Beobachter zählten bes 
Morgens von 2 bis 3 Uhr 114 Sternfhnuppen, von benen 
58 ihren Radiationspunlt im Perjens hatten, während bie 
übrigen fporadifcher Natur waren. 

Die kurze Zeit des Aufenthalts in Ascenfion wurde von 
den Offizieren und Gelehrten der Erpedition benugt, um 
unter Führung des Gouverneurs der Infel, des Lapitän 
Eaft, einen Ausflug zu dem im Innern derfelben befindlichen 
„Green Mountains“ zu unternefmen. Trotzdem der— 
felbe nur von kurzer Dauer fein lonnte, bot ſich doc, Gele- 
genheit, einige Bemerkungen Über die Yauna der Inſel, weld) 
legtere übrigens gleichfalls vulcanifchen Urfprungs ift, zu 
machen. Vorzugsweife finden ſich wilde Kaninchen vor, von 
denen an 10,000 Stück jährlich erlegt werben; aud) wilde 
Kagen und Ratten von befonderer Größe wurden angetroffen. 
Schildfröten, die als Nahrungmittel dienen, bewahrt man in 

vogen Behältern. Seeſchwalben find an der nordweſtlichen 

Spige der Juſel im zahllofer Menge vorhanden. Obwohl 
beim Brutgejchäft thätig, ließen fie ih), unmittelbar neben 
einander figend, durch die Anweſenheit von Menſchen leines— 
wegs flören. In kurzer Zeit konnten fogar an 1000 ihrer 
äußerjt wohlicmedenden Eier gefammelt werden. Bezie— 
hentlich der Bodenerhebungen von Ascenfion fand man als 
größte Höhe 3880 Meter. 

Während die meiften Schiffe, um von Ascenſion ſegelnd 
nady dem Kongo zu gelangen, wegen der herrſchenden ſüd— 
öftlichen Winde zunäcit einen Cours gegen Et. Helena ein« 
ſchlagen müſſen, um dann, Über Stag gehend *), mit Bad- 
bordbug **) bei gleicher Windrichtung die Konge-Mündung 
zu erreichen, wählte Herr von Scleinig im Gegentheil 
fogleich einen nörblichern Weg, um Zeit zu erjparen. Im 
ſchlimunſten Falle hatte er ja die Mafchine noch zur Die: 
pofition. Die Zeiterſparniß zwiſchen beiden Seewegen ift, 
wenu man es fo glüdlic, wie die „Gazelle“ trifft, Übrigens 
eine ganz bedeutende: für dem jüblichern erfordert die Reiſe 
24 Tage, während umfere Corvette nur 13'/, Tag gebrauchte. 
Am 2. September traf fie vor der Konge-Mündung in 
Banana ein. Auf diefer letztern Fahrt mum zeigten ſich 
gauz auffallende Erſcheinungen in der Färbung bes Meered« 
—— Bisher war man ſehr verſchiedener Anſicht über 
die Urſachen, denen jene verſchiedenen Färbungen entjprins 
gen: theils glaubte man fie in der Bodenbeſchaffenheit und 
dem damit zufammenhängenden Bodenrefler fuchen zu milffen, 
anderntheil® aber auch jollten fie aus den verjcdiebenen Tier 
fen reſultiren. Alle diefe Annahmen beanſpruchen mit Recht 
Gründe, die für fie fprechen. Indeſſen dürften diefelben wohl 
nur bei geringeren Tiefen ftichhaltig fein. Wenn aber bei 
Tiefen von 2730 Meter und 4378 Meter ſich ebenfalls 
ſtark ins Auge fpringende Wafferfärbungen zeigten, fo mußte 
doch wohl nad) anderer Urfache geforjct werben. Infolge 
defien wurden am ben Tagen, an denen die Wafferfärbung 
ſich jo auffallend änderte, aus einer Anzahl Beobachtungen 
des jpecififchen Gewichtes des Seewaſſers an der Oberfläche 


*) Dur ben Wind wenbenb, 
+) „Mit Badbertbug fegeln" heiit beim Winde jo fegeln, 
daß ver Win von Steuerborb einfommt. 


Globus XXIX. Nr, 22. 


bie Mittel genommen, und e# ergaben biefe Beobachtungen 
wirklid) überrafchende Refultate. 

Am 23. Auguft nämlich veränderte das Waſſer feine 
Farbe von Dunkelblau in Blaugritn; zwei Tage fpäter war 
es bläulich; am 26. Auguft dagegen dunkelgrün, dann end» 
Lich Shmugig grün und mac dem Kongo zu braun. Es 
ergab ſich, daß die blaue Meeresfarbe im enger Zufanmen- 
hange mit dem größern Salzgehalte ſteht. Bei Abnahme 
des letztern geht die Farbe von Blau Über Blaugriin in 
Dunfelgrün Über. Es ift dieſe Beobachtung von hoher 
Wichtigkeit für hydrographiſche Forſchungen, da man aus 
ber Farbe auf das ungefähre fpecifiiche Gewicht des Meer 
waflers und damit aufden Ort, wo dafjelbe herkommt (Rich⸗ 
tung bes Stromes), begründete Schlüffe ziehen kann. 

Auch auf die Dirchfichtigleit des Meerwaſſers ſcheint 
der verſchiedene Salzgehalt im Allgemeinen eine Wirkung 
zu Üben: in blauem, alfo falgreicherm Wafler fand ein 
Marimum, in grünem, falzärmerem dagegen ein Minimum 
von Durchfichtigkeit ftatt. Die oben erwähnte Meeresfarbe 
von Schmugiggriin und Braun verdankt ihren Urſprung ledig- 
lich dem Sriefenflrome Aritas — dem Kongo. ine fehr 
merlbare Abnahme des fpecifiichen Gewichtes des Meeres: 
waflers fand bereits 360 Seemeilen von feiner Mündung 
ftatt, Die Farbe wurde, wie bemerkt, ſchmutzig grün. In 
240 Scemeilen Entfernung wurde fie braun wie der Fluß 
felbft, und damit ſchwamm die „Sazelle*, obwohl noch ein 
gutes Stüd Weges von ber Küfte entfernt, bereit in Kongo— 
Waſſer. 200 Seemeilen vom Yanbe paffirte fie große ſee— 
wärts treibende verfchlungene Baumpartien, Rohr: und 
Schilfftide, welche ſchwimmende Infelchen öfters fogar meh« 
rere hundert Fuß im Durchmeſſer haben follen. Dod) nicht 
bloß die Farbe des Waflers allein ſprach dafür, da man 
fid) dem Kongo nähere, nein, auch das Thierleben im Meere 
ward ein reicheres. Je näher ber Stifte, deſto zahlreicher 
wurden die niederen Thierorganismen, Die Zahl der Fiſche 
nahm zu und trogdem der Salzgehalt abgenommen hatte, 
fonnte man bed Nachts das Meeresleuchten in herrlichiter 
Weiſe beobachten: die großen Fiſche zogen Tometenähnlid) 
gerade oder gefrlimmte leuchtende Schweife hinter fi, wäh. 
rend die feinen ihren Weg durch zierlich gejchlängelte Feuer- 
linien bezeichneten. Anfangs September erreichte die „Ga— 
zelle“ Banana an der Mundung des Kongo, Derfelbe 
hat hier die ungeheuere Breite von Über 6 Seemeilen. Seine 
Fluthen wälzen fid) mit der enormen Geſchwindigleit von 
4 bis 3 Snoten ins Meer. Je nad) der Jahreszeit ändert 
ſich diefelbe natürlich. Der Hafen von Banana ift ein mad) 
dem Fluſſe durch einige Flußinſeln, nad) der See zu durch 
eine fandige Yandzunge, auf der einige Factoreien errichtet 
find, begrenztes Baffin mit enger Einfahrt. Zwar ift daſſelbe 
nicht von befonderer Geräumigleit, indeflen ift feine Tiefe 
für die größten Seeſchiffe hinreichend. 

Auch an der Konge-Mündung hielt fid) die „Gazelle“ 
nur Furze Zeit auf. Während derjelben dampfte fie als 
erftes größeres Kriegsichiff den Kongo bis Puerta da Leuha 
hinauf zum Zwede der Auslothung des Fahrwaſſers und um 
den Fluß in hydrographiſcher und naturwiſſenſchaftlicher Ber 
zichung näher kennen zu lernen. Da aber das Schiff eilen 
mußte, um vechtzeitig fein fernes Hauptziel zu erreichen, fo 
ward alsbald die Weiterreife nad) der Capftabt angetreten. 

Die intereffanten Unterfudungen nahmen ihren Wort 
gang. Am 8. September fand man wieder grlines, am 
9. blaugrlines und am 10. bläuliches Waffer, Am folgen« 
den Tage wurde etwa 180 Seemeilen weftlich der Kifte von 
Benguela wieberum ein herrliches Meeresleuchten beobad): 
tet. Bon 7'/, Uhr des Abends bis 4 Uhr Morgens er- 
glänzte das Meer aufs Herrlichfte, theils in grünem, teils 

4 


345. 


. 346 


in gelbem Lichte. Das grime Licht zeigte nach dem ſpectro⸗ 
ſtopiſchen Unterfuchungen des Dr. Boergen eine Verkürzung 
des Spectrums in Roth und Violett. Zwiſchen jenen leuch— 
tenden farben nahm man zahllofe aufbligende Funten wahr, 
welche meift von Copepoden (frebsartigen Thieren) herrühts 
ten. Am 12. September zeigten ſich die erften Sturm: 
vögel in einer Breite von 14°9° Ed, wenige Tage darauf 
erblidte man die erften Captauben. 

Als eine wichtige Folge der Beobachtungen der „Gazelle“ 
bürfte noch das folgende zu betrachten fein. Bon 38° 47‘ 
nördt. Br. bis 15° 19,5° fühl. Br. zeigte nämlich die Meered« 
fauna eime auffallende Uebereinftimmung durch ihre Zus 
fammenfegung. Die meiften Arten kamen in diefer ganzen 
Zone durchgehend vor, nur daß bald die eine, bald die andere 
Form überwiegend war. Das Seewaffer hat in biefer Zone 
eine mittlere Temperatur von 20° C. Nördlich und füdlic) 
jener Grenzen wird die yauma einfacher und befteht aus we- 
nigen Arten, ein Beweis, wie innig die Öeftaltung des Thier- 
lebens mit der Temperatur des Meereswaſſers zufanımens 


P. Aſcherſon's Reife nach der Kleinen Dafe. 


hängt. Eines fonberbaren Phänomens, welches Dr. Studer 
an Bord der „Gazelle“* zuerft wahrgenommen, fei hier noch 
erwähnt. Dei ben großen Tiefſeelothungen wurbe, am ber 
Lothleine anhaftend, im eimer durcchjchnittlichen Tiefe von 
565 Meter bis 1833 Meter eine gallertartige Maſſe vor 
gefunden, Außerdem fchlangen ſich noch heftig neſſelnde, 
fabenartige Gebilde um die Yeine. Man fonnte an denfel» 
ben einen fühlfabemartigen, ungefähr 1 Gentimeter dien 
fleifchrothen bis gelbrothen Faden unterfcheiben, ber im Ins 
nern eine Höhlung beſaß. Die äußere Zellſchicht enthielt 
eine große Anzahl ovaler Neffellapfeln, welche einen langen, 
an der Bafis mit Borften beſetzten Faden ausftlilpten. Das 
ganze Gebilde erinnert am die Fangfäden von Phyſophoren 
mit Nefleltöpfen, 

Am 26. September traf die Corvette in der Tafelbay 
ein, um fi) daſelbſt endgültig fir ihre bevorftchende lange 
Abgefchiedenheit von der civilifirten Welt aufs Vorſorglichſie 
anszuräften. 


P. Aſcherſon's Reife nad der Kleinen Dafe *). 


Nach achttägigem Aufenthalte in Mebinet - el+ Fayum 
(j. oben ©. 262), wo ich ziemlich lange auf die Empfehlun: 
gen aus Cairo, ohne die mir der Mudir feine Kameele ber 
forgen wollte, zu warten hatte, brach ich am 24. März nad) 
Darag auf, jenem fiblichiten Orte des Fayum, ber aber 
mit feiner eulturfähigen Umgebung eigentlich, einen Meinen 
Dofencompler für fi) bildet und von den Bewohnern nicht 


zum Fayum gerechnet wird, Ein See von Daragq, wie er auf | 


allen Karten zu finden ift, eriftirt nicht, und konnte ich auch 
von ber fruhern Exiſtenz eines derartigen großen Gewäſſers 
nichts in Erfahrung bringen. Ich wurde in Xlaraq, wels 
ches aus einer Stadt mit zahlreichen Zelt und Strohhlitten- 
dörfern der dortigen Beduinen befteht (melde letzteren nur, 
falls fie ſich an irgend eine namhafte religiöfe Erinnerungs- 
ftätte, ein Schechgrab u. ſ. w., lehnen, benannt find), im 
einer diefer „Neslahs“ (Golonien) 17/5 Tage feftgehalten, 
da die dort wohnhaften, dem berlihmten Stamme der Uelab 
Ali angehörigen Kameeltreiber unter allerhand Borwänden 
die Weiterreife verzögerten. Flr mich war diefer Aufent- 
halt inſofern nicht ganz nutzlos, da id) die Flora dieſes nicht 
unwichtigen Mittelgliedes unterfuchen konnte. Endlich am 
26. Nachmittags 3 Uhr gelang e8 meinen Bemühungen und 
denen meines vortrefflichen Alt, die Karawane flott zu mas 
hen; wir gelangten aber an diefem Tage bei Sonnenunter- 
gang nicht ganz an die Örengen der eulturfähigen, vom Nil 
aus bewählerten Landſchaft. Der Uebergang ift hier, wie 


faft überall in Aegypten, ganz plötzlich. Streifen der herr‘ 


lichſten Fruchtfelder fchieben fid) noch in die nadte, fteinige 
MWiüfte vor; hat man das legte Fruchtfeld verlaſſen, jo iſt 
alle Begetation verfchwunden, und man zieht nun iiber Fable, 
fteinige Hügel, über mädjtige Sandblinen in füdweſtlicher 
Richtung mach der ausgedehnten Hattich Rajan, weldye 
wir am Nadjmittage zwiſchen 5 und 6 Uhr erreichten. (Ich 
verstehe hier unter Hattich eine mit reichem Kraut⸗ oder aud) 
niedrigem Baumwuchs bedeckte Strede inmitten der Witte, 

*) Mus einem ums ärigR mitgerbeilten Briefe Prof. Aſcher— 
fon’s, d. d. Bauiti (Kleine Dafe), 2. April 1876, an Hrn. Dr. 


©. Nachtigal. Zur Drientirung vergleiche bie Stiye auf ©. 152 
biefes Bandes. 


die als Kameelweide dienen kann; in diefem Sinne wird das 
Wort, fo viel ich weiß, in der großen Wiifte von Feſan gebraucht, 
während man hier auch die Dafen darumter verfteht.) Die 
Hattich von Rajan bededt den Boden eines prachtvollen 
halbkreisförmig in den nördlichen Felsrand des Wiftenplas 
teaus eingebuchteten Thales. Zwei Pflanzen fpielen in ihrer 
Vegetation die Hauptrolle; der Riſſo (Calligonum como- 
sum), in ber Tracht unſerm Befenginfter vergleichbar; feine 
frifchgrünen blattlofen Zweige find jegt mit den ſchneeweißen 
Blüthen bebedt, denen fpäter bie mit einem dichten Borftens 
pelz bededten iFrlichte nachfolgen *); ferner der Rhardak 
(Nitraria tridentata), ein graugrliner 5 Meter Höhe er» 
teichender Strauch, deſſen grlnlichweige Blumen gerade jet 
beginnen ihren Honigduft zu verbreiten. Die Rhardak- 
bitfche pflegen, wie die dort ebenfalls vorfommenden, ſtamm⸗ 
lofen Balmen, etwas eingefenft zu fein, während der Riſſo, 
wie die Tamariste, felbfterbaute Hügel frönt. 

Am 28. Vormittags erreichten wir die mit einem grüs 
nen Pflanzenteppich umgebene, reiche Quelle Ain Rajan, 
beren etwas falziged Waſſer zwar träbe und ſchwefelwaſſer 
ftoffhaltig, aber doch genießbar ift. Erſt um 2 Uhr verlieh 
die Karawane die Quelle, und zwei Stunden fpäter erftiegen 
wir an der Stüdweftfeite des Halbfreifes den Felsraud, bes 
fanden uns aber noch nicht auf dem freien Plateau, ſondern 
hatten noch bis zum 29, Vormittags ein anfangs von fleis 
len umd hohen Felſen umgebenes Thal zu durchziehen, bie 
ſich fpäter abflachen und in zahllofe Zeugen oder Infelberge 
zeriplittern, wobei der Thalgrund immer breiter wird und 
zulegt nicht mehr deutlich begrenzt erſcheint. Diefe aus: 

ebehnte durch Auswaſchung entftandene Felſenlandſchaft, 
Negbah genannt, entſpricht vollfommen der Bildung, bie 
wir nördlich der Daſe Dachel als Charafchaf kennen lern« 
ten; nur find Höhen wie Tiefen breiter und flader aus— 
gebildet. Das Ende diefes Labyrinths bezeichnet eine jener 
jonderbaren Felsbildungen, die, von Weitem einer menſchlichen 


*) Vetgl. die Abbiltung tes Niffe auf Tafel IV (Seite 54) des 
von uns ſchon Früher beſprochtnen trefflichen Werkes „Drei Monate 
in der Libofchen Wuͤſte. Bon G. MRohlis.” (Kaſſel. Theotot Bifcher 
1875, 


Die Beduan des „Söhel*. 


Büfte mit breitem Kopfſchmuck nicht unähnlicd,, den in der 
Libyſchen Wilfte öfter wiederkehrenden Namen Ammet⸗el⸗ 
Gadi (Turban des Kabi) erhalten haben. Der Weg zieht 
ſich von hier (zum erften Male feit Rajan) wieder über 
einige Meine Hattieh, auf denen ſich jelbft zwerghaftes Ger 
ſtrüpp der Talch-Akazie findet. Diefe Stelle führt ben Na— 
men Habahit; es finden fich Hier jene grabähnlichen 
Hügel, die Belzoni’s lebhafte Phantafie mit jenem auf dem 
Zuge nad) der AUmmons-Dafe umgelommenen Heere bed 
Kambyfes in Verbindung en 

Bon num am führt der Weg über eine Tagereife weit 
über die fahlfte und ödefte Wüftenfläche, die mir bisher vor- 
gelommen. Schwärzlicher Sſerir (grober Kies) verleiht 
diefer grengenlofen, kaum durch ganz leichte Hügelwellen hier 
und da umterbrochenen Fläche eine düftere Färbung, bie nur 
felten durch den hellen Ton aufgewehten Sandes unterbros 
chen wird. 

Am 30. Nachmittags 3 Uhr gelangten wir zur Hattich> 
el-Talhah, durch welche diefe pflanzenloje Dede angenehm 
unterbrochen wird. Ein großer, ftundenweit fichtbarer 
Baum der Taldy-Afazie trug Früchte, die ihn als A, torti- 
lis erwiefen, (Unter dem Namen Talch wird ſonſt in Nord⸗ 
afrifa allgemein A. Seyal verftanden.) Cine Stunde fpäter 
ftanben wir umvorbereitet am Nande des berufenen Badır» 
belasma(ober, wie mein Führer ausfpricht, Behar- beläme), 
Die Bahr-bela-masfrage ift während und nad; der Rohlfs'- 
ſchen Expedition von dem Führer derfelben im jo erjchöpfen- 
der Weife Hiftorifch-fritifch beleuchtet worden, daß dieſes 
geographifche Problem wohl als erledigt gelten kann. Selbft- 
Derfländlid fonnte ich trog Belzoni's Beſchreibung, die 
hauptfächlichh Anlaß zu der Ausdehnung des Badır-bela-ma 
der Karten bis Dachel gegeben haben bitvfte, nicht erwarten, 
ein wirkliches Flußbett zu finden, war aber doch überrafcht, 
daß ber wirkliche Befund feiner Schilderung auch, nicht im 
Entfernteften entfpra Statt, wie id) erwartete, im ein 
langgeftredtes Uadi, ftieg ich mit geringem Niveanunterfchieb 
(etwa 20 bis 30 Meter) in ein neues Charaſchaf hinab, 
deſſen Grenzen, da die ringsum zerftreuten Sandberge nir- 
gends eime Ueberſicht geftatteten, mir unflar blieben, das ſich 
aber jedenfall® zu beiden Seiten des im Ganzen nad) 
B.S.:B. gerichteten Weges weithin erftredt. Wir lager 
ten im Bacr-bela-ma, in welchem wir im Ganzen faft vier 
Stunden fortzogen und verliefen denfelben am folgenden 
Vormittage, um über eine große, ſchwierig zu pafjirende 
Düne, Abu-Moharrib, Hinweg von Neuem eim 
Plateau zu erreichen, welches indeß weder fo audgebehnt 
— fo einförmig iſt, als das öſtlich am Bachr-bela⸗ma ges 

gene. 

Um 4 Uhr Nachmittags, unmittelbar nachdem wir eine 


347 


Einſenkung ber Heinen Dafe, deren weftliches Felsufer deut» 
lich ſich zeigte. Ein fteiler, etwa 30 Meter tiefer Abftieg 
leitete in ein * Felſenthal, das ſich nach einer Stunde 
in bie weite Daſen-Ebene öffnete, deren von zahlreichen 
Thälern und Schluchten durchfurchte Ränder und maleri- 
fchen Infelberge in der fhönften Abendbeleuchtung prangten. 
Nach Sonnenuntergang erreichten wir die erfte Quelle, Yin 
me’allaga (fons suspensus, weil fie auf einer kreisför— 
migen Aufbämmung hervortritt. Belzoni hat jedenfalls die- 
jelbe Quelle, „a spring on the top of a hill*, berührt), 
von ber wir am folgenden Tage noch 12 Stunden bie Yin 
Durüa, dem erften Culturcomplex, und von dort nod) 
ebenfoweit bis hierher zu marfchiren hatten. Der größte 
Theil diefer Strede ift fandig und mit reicher Kameelweide 
bedeckt [Ugol (Alhagi mannıferum, Taf. VI. des Rohlfs'- 
fchen Werfes) und Halfah (Leptochloa bipinnata) ]; in 
den übrigen Dafen habe ich fo ausgedehnte Vegetation außer: 
halb des Eulturterrains nirgends angetroffen. Charalteri⸗ 
ſtiſch ift fir Beharieh die Concentration der Aeder und 
Gärten im zwei ausgedehnte, mehr als eine Stunde von ein- 
ander entfernte Öruppen, deren eine das Doppelborf Gafjr- 
Bauiti und deren andere die Orte Mendifhah und 
Sabu enthält. Ein Blid von dem römischen „Triumphr 
bogen“, deſſen nicht fehr impofante Hefte ich heute befuchte, 
über die ausgedehnte Palmenwaldung und die grünen Saa- 
ten dahinter, begrenzt von gelben Ditnen, bot nad) ber faſt 
ganz im ber Wuſte durchlebten Woche einen um jo erfreus 
lichern Eindrud. 

Was ic; bis jegt von der Vegetation gejehen habe, ftimmt 
allerdings weſentlich mit der der übrigen Dafen ilberein, 
bietet indeß doch einige Eigenthimlichleiten, zu denen vor 
Allem das Häufige Vorkommen zweier Gefäßfryptogamen 
gerechnet werben muß, einer Gruppe, bie in den fibrigen 
Daſen gar nicht beobachtet wurde, Das Frauenhaar 
(Aeliantum Capillus Veneris) wächſt reichlich an allen 
Bewäfferungsgräben ; die malerische Felsſchlucht, in der die 
Hauptquelle von Bauiti entfpringt (von Eailliand recht charal⸗ 
teriftifch abgebildet), erhält durch das häufige Vorlommen 
diefer Kanye ganz füdenropäisches Anfehen. werner findet 
fich die im Unterägypten und Tunis einheimifche Art ber 
—— Waſſerfarrngattung Marſilia, zu der die ber 
rühınten Narboos Früchte PHeu-Golanbe gehören, 

Ueber die Bevölferung gedenfe ic; jpäter zu berichten; 
hier nur bie Notiz, daß Belzoni's Angabe, die Eingeborenen 
hätten ſich im feiner Gegenwart der Sprade von Siuah 
bebient, infofern ſich beftätigt, als nicht nur zahlreiche Siuaf- 
ner ſich in Beharich niedergelaffen haben, fondern aud) durch 
die Handelsverbindungen mit der AnımonssDafe die Kennt: 


\ miß dieſes Berber-Dialetts ſich bei vielen Bewohnern ber 


Dune paffirt, eröffnete ſich plöglic ein Fernblick in die | Meinen Dafe verbreitet hat, 


Die Beduan des „Söhel". 


M. J. Das fid) von Maſſawa nad) Norden erftredfende 
Tiefland zwifchen dem Rothen Meere und dem Gebirge, das 
„Söhel* der Eingeborenen, ift wegen feiner Natur ſowohl 
wie feiner Bewohner eines ber eigenartigften afrifanifchen 
Länder: feine Wüfte und doc; auch feine Steppe, nicht Flach⸗ 
land und noch fein Gebirge, in ber Regenzone gelegen und 


mit ber Grundbedingung alles Lebens, dem befruchtenden Ker 


gen, nur fpärlich bedacht, ohne einen einzigen beftändigen 

Fluß, ift das Fand ein Mittelding zwiſchen Gebirge und 

Steppe, das im dem übrigen Afrika nichts Aehnliches hat. 

Da der Charakter ded Bodens nothiwendigerweife die Yebend- 

weiſe der Bewohner beftimmt, fo find auch die dortigen Eins 
44* 


348 


geborenen eim Mittelding zwiſchen Seßhaften und Nomaden, 
doc; mehr zu dem legteren hinneigend. Die Bewohner des 
Söhel, die von den umliegenden Bölfern unter dem Collectiv- 
namen der „Beduan“ begriffen werben, theilen ſich in eine 
Reihe von Stämmen, die zwar politifd; und religid® nicht 
geeinigt find, aber duch gleiche Sprache (dad „Tigre“), 
phyſiſche Beſchaffenheit, gleiche Neigungen und benfelben 
Charakter entjchiedene VBerwandtfchaft befunden. Die Haupt- 
ſtämme derfelben find die Schoho, die Menſa, die Adoma— 
riam (Uzstemariam) und die Habab, die alle wieder in un- 
zählige, Heine Stämme gefpalten find. Die Grenze bes 
von benjelben bewohnten Yandes ift nicht genau beftimmt, 
doc) gehört ihnen das ganze Söhel ausjchließlih und der 
Theil des Gebirges, der ſich im Oſten des Anjeba, von Ha— 
mafin an nach Norden erftredt. Die Stämme der Bogos, 
Bedſchul, Marea und Beni-Amer forwie die abefjinifchen 
Bewohner von Hamafin und Dembela haben in dem Ge— 
birgslande ebenfalls noch Weiderechte. Das ganze Land ift 
vollftändig Aegypten unterworfen, gehört zum Generalgon- 
vernement von Kaſſala, fpeciell der weſtliche Theil zum 
Gouvernement (Mudirih) von Keren, das öſtliche Tiefland 
zum Bezirk von Maſſawa. 

Das Söhel iſt etwa 40 deutſche Meilen lang, ſelten 
über 5 Meilen breit; weſtlich bildet das Gebirge von Nord— 
Tigre, Menfa und Habab die Grenze, füblich ein Hligelland, 
das fid) von dem Debra Bizen mad) dem Gedem-Gebirge 
ausbehnt, während es fich nad) Norden ohne fefte Abgren- 
zung in das zu Tolar gehörige Tiefland verliert. Der ſud— 
liche, von der Natur duch ftärkern Regenſall am meiften 
begünftigte Theil ift im Welten bis etwa 8 Meilen von der 
Küfte von den bis 5000 Fuß hohen Ausläufern des Ges 
birges durchſetzt, die ſich etwa 5 Meilen nördlich von Maſ— 
fawa allmälig verlieren. Dieſe gebirgige Ede ift die Do- 
maine, wohin fi die Stämme, bie im Hochland fein 
Weiderecht befigen, namentlich bie Schoho, zurlidziehen, wenn 
die von Februar bis Detober dauernde heiße Zeit eintritt 
und jeden Grashalm im übrigen Söhel verdorri. In der 
That ift diefer Theil ein höchſt annuthiges Yand, namentlich 
in ber Regenzeit von November bis Februar. Sobald im 
Hochland die von Mitte Juni bis October dauernden Regen 
aufhören, beginnt fich im Söhel der Himmel zu bewöffen; 
e8 fallen einige Regenſchauer, doch nicht mit der im den 
Tropen jonft gewöhnlichen Heftigkeit, mehr unferen Gewitters 
regen zu vergleichen, Die Berge überziehen fich mit matten 
Grin, die vorher in den Bachbetten, den „Chor“, tief unter 
der fandigen Oberfläche fidernden Wafler beginnen nach 
oben zu treten und die glühende, erftidende Hige macht einer 
fehr angenehmen, mäßig warmen Temperatur Platz. Nun 
tritt ein etwa acht Tage dauernder Stillftand ein; faft fort: 
während ift der Himmel bewölkt, das Grün an allen Büfchen 
ſchlägt zufehends aus; dann fängt es an zu regnen, nicht 
ſtürmiſch, nein, ganz jachte, aber dafür defto burchdringender, 
oft vierzehn Tage lang ohne Unterbrechung und fegt dann 
wieder einige Tage aus. Die Sonne ift wieder ſichtbar, 
und mit Erftaunen betrachtet man bie jonft fo dürre ab- 
ftogende Landſchaft. Die vorher grauen, nur mit vertrod- 
neten Alazien befegten Berge ſiehen im fchönften Grün, die 
ausgedehnten Ebenen find mit nieberm, faftigem Graſe be- 
bet, prächtige Pilien und andere Blumen in feurigen Far— 
ben ftehen auf dem grünen Teppich vertheilt, die alles über⸗ 
wuchernden Schlingpflanzen hängen in glänzenden Blüthen 
und auf dem vorher vor Hite geborftenen Boden find Kleine 
—— —— ia Entſprechend dieſer 
reiz mwandelung im nzenleben hat ſich auch das 
thieriſche Leben geändert, das ſich vorher nur um bie weni- 
gen fpärlichen Quellen concentrirt. Mit dem fiberall 


Die Beduan des „Söhel”. 


Ipriegenden Grün find von dem jetzt wieber trodenen Hoc). 
gebirge die prächtigen, großen Antilopen, der Agajeen ber 
Abeffinier, die Klippfpringer und zahlreiche Herden von Pa- 
vianen herbeigezogen. Die aud) in der trodenen Zeit in 
der Samhara anfäljigen Zwergantilopen, die Gazellen, die 
Sömmeringantilopen ſcheinen fic; verdreifacht zu haben; 
grungend breden überall die Herden der Warzenfdweine 
durch das Didicht, jedes Gebiifc, ift belebt von ſchreienden 
Perl- und Franfolinhühnern und in ber Puft fingt und flingt 
und flinmert e8 von den Meinen, farbenprächtigen Tropen: 
vögeln. Mit diefen friedlichen Thieren find aud) ihre 
Feinde eingezogen ; häufig zeigen fich auf dem nafjen Boden 
die Fährten der Hyänen, Leoparden und Yöwen; in Schaa— 
ten bett ber Jagdleopard (Tokola der Abeſſinier) am hellen 
Tage feine Beute, und ift dabei fo fühn, daß er fich felbft 
durch den Menjchen darin nicht ftören läßt. Die vorher 
wochenlang in der einfamen Wildniß nicht gehörte Stimme 
bes Löwen erſchallt nun jede Nacht, und an trüben Tagen 
tann man leicht das unerwartete Bergnügen haben, der 
Majeftät, die durch den beiwölften Himmel in der Zeitrech ⸗ 
nung irre wurde und zu früh das Yager verließ, im Freien 
zu begegnen, ein Zufammentreffen, das meiftens gefahrlos 
abläuft. Auch der riefige Elephant fommt in Herden von 
dem Gebirge, doc; meiftens nur bei Nacht wandernd und 
am Tage in irgend einem Didicht ruhend. Wo ein gemifler 
grüner faftiger Dorn in Blüte fteht, ift der Elephant, der 
dieſes Gemwächs leidenſchaftlich liebt, faft immer zu finden, 
und wer Süd bat, kann bereit# acht Stunden von Mafr 
ſawa die Elephantenjagd betreiben. 

In diefer Schönen Zeit ift die beſte Gelegenheit, den 
Charakter und die Eigenthümlichteiten der Beduan zu ſtudi⸗ 
ren. Ihr Bieh, Ochfen, Ziegen, Schafe und Kameele, 
ſchwelgt nach langer Entbehrung in dem reichlichen Grin 
futter, die Milchquelle fließt nicht mehr ſpärlich, die Butter⸗ 
ſchlauche füllen und runden ich; fie haben Ausſicht, die 
Butter bald an den Händler verfaufen zu können und daflir 
die blanfen „Realen“ (Maria-Therefia-Thaler) einzuftrei- 
chen, kurz fie haben alle Urfache, mit ſich und der Welt zur 
frieden zu fein, und die jegt von ihnen aufgenommene Schil« 
derung wird ihre beften Seiten ziemlich getreu wiedergeben. 

Wie bereit® bemerkt, ift ber „Beduine“ theils ſeßhaft, 
theils nomadiſirend, doch überwiegend das letztere. Im 
Sbhel befinden ſich bloß drei größere feſte Dörfer, Eilet, 
Afus und Gumhod, am Meere noch Hotumlu und M’Kull, 
dann Arkifo und Dodond; die letzteren lönnen eigentlich 
nicht mitzählen, da ihre Bewohner fait nur von dem Verkehr 
mit MDaflawa leben und mit dem Innern mur wenig Ber 
bindung haben, und die Orte hauptfächlich nur als Wohn- 
pläge der beiden Oberſchechs oder „Naib* der Beduan für 
biefelben von Bedeutung find. Im Gebirge find noch einige 
fefte Bläge, die alle unbedeutend und oft mamenlos find. 
Die Hauptmaffe der Vevölferung wohnt in den beweglichen 
fogenannten „Kuhbörfern“, und nur die im denſelben woh- 
nenden Beduan, abjeitd von den Hauptfarawanenftraßen, 
find die richtigen, umverfälfchten. Die Seßhaften, die fid) 
meift an den von Abefjinien und Tafa führenden Strafen 
nieberliegen, haben ſchon viel Fremdartiges angenommen 
und ähneln immer mehr ihren Nachbaren, theild den Abel 
finiern, theils der gemifchten Bevölferung der wenigen Hüften 
pläge. 

Das bewegliche Dorf des Nomaden ift meift in ber Nähe 
eined Brummen, doch nie dicht bei bemfelben errichtet. Auch 
bie fejten Dörfer find immer im größerer Entfernung von 
dem Waſſer, oft eine Stunde weit, manchmal noch weiter. 
Fir die Weiber und Kinder ift dies namentlich in der heigen 
Zeit eine furdjtbare Laſt, da diefelben jeden Tag mehrmals 


Die Beduan des „Söhel". 


einen ſchweren Schlauch mit Waffer Kr nad) der Hütte 
trandportiven mitffen. Die entfernte Yage von der Quelle 
hat einen guten Grund; biefe Wafjerlöcher find oft auf 
Stunden im Umfreife die einzigen Tränfpfäge, die natürlic) 
auch von dem wilden Thieren beugt werben. Wäre das 
Lager num zu nahe am Waſſer, fo wiirde die Aufmerffamteit 


der großen Naubthiere zu leicht auf die zugehörigen Herden 


gezogen; ba außerdem oft mehrere Dörfer aus einer Quelle 
ichöpfen, fo fünnte es, falls biefelben zu nahe am Waſſer 
lägen, bei der Benutzung leicht zu Mißhelligfeiten und Streit 
tommen, was durch die entfernte Lage vermieden wird. Je 
nad) der Stärke des Stammes beſteht das Lager aus einer 
Anzahl Mattenhlitten von 5 bis 70 Stüd, jede Hlitte ift 
für eine Familie beftimmt. Die Hütten find einfad) und 
praltiſch hergerichtet; eine Anzahl elaftiicher Stäbe wird im 
Kreiſe in die Erde geftet, die Spigen werden dann nieder: 
gebogen und an einander gebunden, fo daß das Geftell etwa 
wie eine Halbkugel ausficht, Auf diefe Stäbe werden nun 
die aus Stroh geflochtenen Matten feſtgeſchnürt, ein Loch 
wird flir die Thlie gelaffen, Fenſter find unnöthig, die Be— 
haufung ift fertig und der Einzug kann beginnen. Das Auf 
richten der Hiitten ift Sache der Frauen, auf benen, wie bei 
allen afrifanischen Nomaden , die Hauptarbeit ruht, während 
die Männer fich lediglich um das Bich bekümmern. Dieſe 
Mattenhütten werden nun im Sreife aufgeftellt; der davon 
umfchloffene Raum ift zum nächtlichen Aufenthalte für das 
Vich beftimmt, als Thür wird nad) einer Seite eine Oeff⸗ 
nung freigelafien. Iſt die Gegend als beliebter Wedhfel der 
Raubthiere bekannt, fo wird fofort nad) Errichtung der Hilt- 
ten ein Dornenzaun, eine Seriba, errichtet; andernfalls wird 
damit im echt afrifanifcher Faulheit noch einige Tage gewar- 
tet, bis irgend ein durch einen Flihnen nächtlichen Ueberfall 
ber Yöwen oder Leoparden veranlaßter Verluft daran mahnt, 
das BVerfäumte nachzuholen. Die Weiber und Kinder ſchaf⸗ 
fen dazu aus dem umliegenden Afazienwald bie nöthigen 
Dornen herbei, die von den Männern zufammengefligt were 
den, wobei die Stiele nad) innen, die Kronen nad) aufen 
fonımen. im ſolches Dorf ift matlirlich erftannlich ſchnell 
fertig. Man hat amı Morgen vielleicht ein einfames Thal 
paffirt, wo nur Wild zu fehen war und feine Spur von Ber 
völferung, und findet am Abend ein Dorf von 40 bis 50 
Hlitten, Hunderte von Menfchen und Tauſende von Klühen 
und Schafen, ein betäubendes Durcheinander, und Alles ficht 
aus, als ob es feit Yahren fo gewejen wäre und nicht eben 
fo gut den andern Tag ſpurlos verſchwinden lönnte. 

Das Leben der Bewohner diefer Dörfer verläuft ein- 
förmig, im geregeltem, gleichem Lauf. Mit Tagesanbrud, 
ift ber Familienvater wach und erhebt ſich von feiner Alga, 
dem mit Veberriemen überzogenen Bettgeftell, auf dem er 
nad) des Tages Lat die Ruhe genoß; in fein Umſchlagtuch 
gehullt tritt er vor die Hlitte umd ſchaut zuerft nach feinen 
Kühen und dann nach dem Himmel, um das Wetter zu prile 
fen. Die übrigen Familienglieder, die auf dem ſchmutzigen 
Boden auf Lederdecken ruhten, find gleichfalls ermuntert und 
vor bie, Hütte getreten; bie Tagesarbeit beginnt, während ber 
fi) die günftigfte Gelegenheit zur ungeftörten Beobachtung 
bietet. Die Männer und die jingeren Leute find von Figur 
nicht Übel, fchlant und mager, aber gut gewachſen, die Hauts 
farbe ift ſchwarzbraun, vielleicht durch den immerfort ſich 
anfegenden Schmug noch dunkler gemacht. Das Geficht 
wlirde bei den meiſten einen angenehmen Eindrud machen, 
wenn nicht im den Augen ein Zug von Tüde läge, ber es 
unmöglic macht, Vertrauen zu ihrem Beftger zu faflen. 
Die Rafe ift auffallend wohlgebaut, fein geſpitzt, die Baden- 
lnochen etwas vorftehend, die Lippen etwas aufgeworfen, bei 
mandyen ein ſchwacher gefräufelter Bart vorhanden; bie 


349 


Haare in viele Löckchen geflochten, die bis auf die Schultern 
fallen. Der Befiger ftodhert und bohrt mit einer langen 
Holznabel in dieſer Perrlide, um die durch das Auffichen 
aufgeſcheuchten Inſaſſen der Frifur wieder zu Ruhe zu brine 
gen. Iſt dies gefchehen, fo wird die Nadel wieder in den 
Haaren befeftigt und die Hauptarbeit der Toilette ift beendigt, 
da Waſchen nicht jeden Tag üblich ift. Mittlerweile hat 
eines der Weiber dem Herrn die Wafferpfeife gebracht mit 
einer glühenden Kohle darauf; er fauert fi amı Voden nie- 
der und zieht behaglic einige Züge ein, dann bie Pfeife dem 
Nachbar veichend, der auch einige Züge thut und fie weiter 
giebt, bis fie ganz ausgeraucht ift und das Weib fie wieder 
in Empfang nimmt. Diefe Frau ift vielleicht mod) eine der 
jüngeren, und trotzdem ift die Erfcheinung nichts weniger 
benm anmuthig; die Figur entbehrt meiftens ber Fülle, das 
Geſicht ift geiftlos, die harte Arbeit und die niedrige Stellung 
haben einen Eindrud von Scheu und Stumpfheit hervors 
gebracht, der manchmal noch unangenehmer wirft, als die 
tücifchen und ſchlauen Gefichter der Männer. Die Tradıt, 
die bloß aus einem eng um den Peib gefchlagenen blauen 
oder weißen Baumwolltuch mit rothem Randſtreifen beficht, 
trägt nicht dazu bei, ihre Förperlichen Reize zu erhöhen, nod) 
weniger der in dem rechten Naſenloche befindliche filberne 
Knopf, der die feinfte Mode darftellt. Auch Silberringe 
um Kubchel und Handgelenk find ſehr beliebt, ebenfo cine 
Schnur gelber Glasperlen um den Hals. Nur felten findet 
man unter ben jlingeren frauen eim hübſches Geſicht und 
feine Figur, und die alten Weiber find fo abfchredend häf- 
lich, verrungelt und verdorrt, daß fie fat alle das ſchönfte 
Modell zu einer Here liefern fönnten. Einen angenchmen 
Eindrud machen die Kinder, die völlig nadt aus den Hlitten 
friechen und ſich, da der Morgen fühl ift, um das lobernde 
feuer fauern. Alle fehen gut genährt aus; die unruhigen 
ſchwarzen Augen laufen von Punkt zu Punkt und bleiben 
ſchließlich auf der Herde haften, jest ſchon mit einer Art 
Kennermiene die Thiere betrachtend. Da die Herde ben 
Reichthum des Nomaden bildet und von ihrem Wohlergehen 
auch das feine abhängt, fo wirb das Interefle dafliv bei den 
Kindern ſchon mit der Muttermilch, eingefogen und der Junge 
weiß eher den Namen ber beften Kuh als den feines Waters, 
Im Ganzen find die Eltern giltig gegen ihre Kinder, ober 
vielmehr gleichgliltig und unbefünmert; die junge Seneration 
ift ſich felbft überlaſſen, ift den ganzen Tag, wird did und 
fett dabei und wüchſt jo im Schmuhze fräftig heran, durch 
ben fortwährenden Umgang mit dem Vieh ſich ſpielend in 
ihren künftigen Hirtenberuf einlebend. 

Die Herde, die die ganze Nacht ruhig daftand, da fie 
weiß, daß ihre zur Unzeit ertönende Stimme den Löwen und 
Leoparden herbeilockt, wird jegt beim Tageslicht lebendig, 
beginnt zu brlillen und drängt fic um ins Freie zu fommen, 
woran fie aber mod) durch die Jungen gehindert wird, ba 
das Gras noch zu naß ift und dem Bieh ſchaden fünnte. 
In einem langen Gänfemarfc ziehen jegt 20 Weiber und 
Kinder hinaus, die leere Girba, den Waſſerſchlauch, tiber der 
Schulter, und begeben ſich ſchnatternd nad) der Quelle, um 
das nöthige Waller herbeizuhofen. Die zurldbleibenden 
Weiber a inter weithin hörbarem Knarren die Durrha 
auf dem Keibftein zu zermahlen; das Mehl wird in einer 
aus Stroh geflochtenen Schale angerilhrt und dann über dem 
Kohlenfeuer , auf einer flachen Pfanne, ein Kuchen, die be 
kannte Kisra, gebaden. Wenn keine Eifenpfanne zur Hand 
ift, fo wird auf andere Art geholfen; eine Anzahl runder 
Steine von der Größe einer Fauft wird im dem Feuer glü« 
hend gemacht, dann ber zähe Mehlteig etwa '/, Zoll did 
darum & lagen und bie el auf einem flachen Stein 
in die Gluth gelegt. Durch die vereinigte Hige von innen 


350 


und außen wird das Brot, bie „Burkuba*, in einigen Mis 
nuten durchgebaden und ein recht Tbares Gebäd erzeugt, 
das ein nicht fehr verwöhnter europäifcher Gaumen dem 
trodenen Sciffszwiebat vorzieht. Dieſes Brot umd eine 
Scyale voll Buttermildy oder auch Milch, wenn Ueberfluß 
vorhanden ift, bildet das Fruhſtuck und jede andere Tages- 
mahlzeit. Die Männer effen zuerft, die Weiber und Kinder 
teilen ſich in die Reſte. Fleiſch fommt nur im feltenen 
Fällen auf die Tafel, da der Bebuine fein Vieh viel zu hoch 
ſchätzt, um es zu jchlachten; höchftens wenn eine Kuh krauf 
ift und nad) aller Berechnung bald crepiven wird, wird ihr 
„im Namen Gottes* der Hals abgejchnitten und eine Mahl⸗ 
zeit bereitet, am ber ſich die ganze Sippſchaft betheiligt. 
Dann werden riefige Maffen Fleiſch verfchlungen und eine 
Meute ausgehungerter Hyänen lann nicht ſtärker fchluden 
als diefe Menſchen. Alles wird benugt, fein Knochen wird 
weggeworfen, ohne daß er vorher gefpalten und das Mark 
ausgefogen worden ift. Kann der Schwelger bei biefem 
Mahle gar noch den Genuß haben, eine Scale fluffiger 
Butter hinunterzugießen, fo ift fein Glüd volltommen; und 
wer fehr reich ift, gönnt fich die Wohltgat, die Butter mit 
Honig vermifcht zu genießen, ein Yurus, nad) dem bie ger 
wöhnlichen Sterblichen vergebens feufzen. Ländlich, fittlich! 
Was von dem Fleiſch nicht friſch verzehrt wird, wird im 
zwei finger breite, etwa 1 Fuß lange Stüde gejchnitten und 
in ber Sonne getrodnet, mandmal auch, wenn man das 
Fleiſch im Freien nicht vor den aus weiter ferne herbei- 
ziehenden Raubvögeln zu fchligen vermag, in den Hütten 
ſelbſt. Dann entwidelt fich in dem engen Raume ein Ges 
ruch, verbunden mit menſchlicher Ausdünftung, der einem 
nicht Aeclimatifirten unfehlbar eine Ohnmacht zuzieht. Die 
ſes getrodnete Fleiſch, der ‚Hando“, ift ein fehr empfehlens- 
werther Vorrath für eine Reiſe, der, zerrieben und mit ges 
röfteten Zwiebeln, Salz und fpanifchen Pfeffer (Berberi) 
vermifcht, unter dem Namen „Melle“ ein Lieblingsgericht 
aller fubanefifchen und abeffinifchen Völker bilde, Ein 
Schlauch Melle, ein Schlauch Mehl und eine Heine Girba 
mit Butter bilden einen Proviant, der dem Genügſamen alle 
foftjpieligen Conferven u. f. w. erſetzt, fi) monatelang ohne 
zu verderben aufbewahren, fich liberall anfdaffen lägt und 
eine fräftige und wohlfchmedende Speife bildet, die ſehr 
ſchnell an jedem beliebigen Pla bereitet werben fann. Den 
Fleiſchgenuß hat jedoch der Bebuine mur felten, ba er im 
Allgemeinen fein Jäger ift und ſich das zahlreich vorfom- 
mende Wild nicht zu verfchaffen vermag. Nur menige 
ſchlechte Flinten finden ſich bei ihnen, und ber Glüdliche, 
der es vermag dann und wann eine Antilope zu ſchießen, 
ift ein hochangefehener Mann. Iſt gar einmal ein Elephant 
geſchoſſen worden, fo beginnt von allen Seiten ein Rennen 
mac) Fleiſch und Haut, namentlich nad) ber legtern, um 
damit feinen Holzpflug zu ummideln und fefter zu machen. 
Bon den meiften Stämmen wird das Clephantenfleifch ge- 
geſſen, feltener das des Warzenſchweins, das von vielen ver⸗ 
fhmäht wird. Das Fleiſch des Hafen wird weder von 
Ehriften noch Mohammebanern angerlhrt. 

Hat der Mann fein Fruühſtück beendet, fo wird wieber 
im Kreiſe eine Pfeife geraucht. Mittlerweile ift die Sonne 
hoch; genug geftiegen und die Herde wird ausgetrieben, ber 
gleitet von den Männern und Jungen, während bie Frauen 
und älteren Männer im Yager zurlidbleiben. ine jebe 
Familie führt ihre Thiere nad) einem beftimmten Theil des 
umliegenden Weideplatzes und achtet nur auf dieſe. Die 
Männer führen dabei eine 6 Fuß lange, ſchön gearbeitete 
Yanze und einen kreisrunden, Fleinen — 


rſchild, zuweilen 


Die Beduan des „Söhel“. 


auch das gerade arabiſche Schwert mit Kreuzgriff; die Jum« 
gen haben bloß 2 Fuß lange, dide, am Ende etwas ge: 
frümmte Stöde. Langſam vertheilen ſich die Herden au 
den umliegenden Bergen, verſchwinden in den Thälern und 
ruhen bald wicderfäuend in dem friſchen Graſe, während die 
Männer wachjanı umberftehen. Die Herden werben wieder 
nad) den verſchiedenen Gattungen getrennt. Die Hauptmaffe 
bilden Kühe und Ochſen, die zu der Budelrace gehören, ein 
ſchöner Schlag, fanfte und Muge Thiere, etwas Meiner als 
unfer Rindvieh, äußerſt genügſam und dadurch flr das 
trodene Land fehr geeignet. Die Klihe geben wenig Milch, und 
ihe Nutzwerth ift daher gering, der Preis niebrig, von 2 bis 
6 Maria: Therefia-Thaler per Stüd. Kameele werden nicht 
von allen Stämmen gezogen, namentlid) nicht von den im 
Gebirge mwohnenden ; im Tiefland felbft ift die Zucht fehr 
verbreitet und ber Preis verhältnigmäßig hoch, von 10 bis 
30 Maria-Therefia-Thaler für das Stüd. Die Race ift 
gut und jchön, doc) nicht jo ausdauernd wie das Kameel der 
Biſcharin und Hadendoa. Fettſchwanzſchafe und Ziegen bil 
den ben übrigen Theil der Herden, mamentlid) ben Beftand der 
Hleineren Leute, die zahlreiche Scharen davon befigen. Der 
Preis ift gering, 1 Mariar-Therefia-Thaler etwa für 3 Schafe 
oder 2 Ziegen. Als Hausthiere werden zuweilen noch einige Eſel 
gehalten, die zum Herbeifchaffen von Holz und Waſſer ver- 
wandt werben, fic aber feiner fonderlicyen Pflege oder Beach⸗ 
tung erfreuen. Diefelben find deshalb von Anfchen fehr 
verwahrloft; aber der Bebuine nennt ihn aufs Zärtlichſte 
„mein Freund, mein Bruder“ und flir die Finder ift er ein 
ewig geduldiger, lieber Spielcamerad. Pferde und Maul- 
thiere habe ich nur felten bei den Beduan gejehen; diefelben 
werben von Tigre eingeführt und nur der mit Reichthum 
befonbers Gefegnete, meiftens ber Schech, vermag es, ſich ein 
ſolches Thier zu verichaffen. 

Während die Herde wiederfäuend im Schatten liegt, ſtehen 
bie Hirten im ber Nähe auf die Lanze gelehnt, den einen Fuß 
auf das Knie des andern Beines geftellt, und ſchauen ſchläfrig 
vor ſich hin. Doch ift dies nur ſcheinbar; nichts entgeht 
ihrer Aufmerffamteit; das Thier, welches fich zu weit ent 
fernte, wirb bemerkt und zurüdgeholt, und ber Leopard, ber 
lauernd durch das Dicicht fchleicht, mit gellendem Geſchrei 
und Gteinwlrfen verjagt. Am Tage iſt fehr felten eine 
Vertheidigung ber Herbe gegen reißende Thiere nöthig, da 
biefelben faft nur des Nachts herumftreifen ; doch entfaltet 
der Nomabe in foldyen Kämpfen vielen Muth, tritt fühn mit 
Schwert und Lanze dem Löwen entgegen, verjagt ihn und 
geht aus dem Kampfe meiftens ald Sieger hervor. Bei 
diefem MWächteramt wird er nur felten durch Hunbe unter- 
ftügt, da bei den meiften Stämmen dieſes nügliche Thier 
nicht zu finden if. Wenn die Sonne im Ginten ift, wer- 
den die Thiere zufammmengetrieben und im Borbeigehen nad}: 
geähtt ‚ und langfam geht es heimmärts, zuerft nach dem 

afler, wo bie Herde getränft wird. Die Brunnen find 
Löcher, die in dem fandigen Flußbette oft fehr tief gegraben 
werben, neben denen aus Lehm runde, vertiefte Tränkpläge 
für das Bieh hergerichtet find, Ein Mann fteigt in bie 
Grube hinab mit einem Schlauch, der gefüllt von den übri- 
en an einem Strid wieder im bie Höhe gezogen und im bie 
ränfe entleert wird, Wenn Alles befriedigt ift, wird ber 
Heimweg angetreten. Mittlerweile find von dem Dorfe zum 
zweiten Dale die frauen und Kinder mit den Schläuchen 
angefommen und haben mit Wafler beladen ſich auf den 
Ruckweg gemacht nach dem Lager, wo von allen Seiten jegt 
die Herden anfoınmen und mit bem finfenden Tage ſich bas 
regſte Leben entwidelt. 


Aus allen Exbtheilen. 


Aus allen Erdtheilen. 


Statiftifhes aus Südauftralien. 


H.G. Die Bevölkerung der Eolonie Südanftralien 
belief fih amt 31. December 1875 auf 210,699 Seelen, wovon 
108,066 dem männlichen und 102,638 dem weiblichen Ge— 
fchlechte angehörten. In den eriten Tagen des Monat April 
diefes Jahres follte eine Volkszählung ftattfinden. — Die 
Einwanderung ftellte fich auf 5443 Köpfe und die Auswan— 
derung auf 3312. Das Mehr von 2131 zu Gunſten der er: 
fteren refultirt zum größten Theile aus der auf Koften der 
Golonie wieder aufgenommenen freien Einwanderung and 
Europa. Für legtern Zwed waren für das laufende Finanz— 
jahr, welches mit dem 30. Juni 1876 ſchließt, 118,000 Bf. St. 
vom Barlamente bewilligt worden. Aber es hielt ſehr jchwer, 
in Enropa Auswanderungsluftige nah Südauftralien zu ge: 
winnen, obgleich bezahlte Agenten in Großbritannien umber: 
zogen und ben Leuten die Colonie als glüdliches Land an: 
priefen. Der bisherige Minifter fir öffentliche Bauten in 
Sübdanftralien, Mr. Weft:Erstine, hat zu Anfang diefes Jah: 
red feine Stellung aufgegeben, um fich nad dem Norden von 
Irland zu begeben und dort öffentliche Vorträge über die 
Vortbeile zu halten, welche eine Auswanderung nad) feiner 
Golonie darbiete, Für denfelben Zwech wurde auch um bie: 
felbe Zeit ein berebter Beiftlicher im Adelaide von der Regie— 
rung engagirt, welcher im Januar biefes Jahres nach Eng: 
land geben und dort für Auswanderung nah Sübanftralien 
prebigen follte. — Am Schluffe des Jahres 1875 waren im 
Ganzen 4,634,711 Aeres Land in Privatbefit übergegan: 
gen. Es verbleiben damit, mit Ausihluß des Northern Ter- 
ritoru, noch 239,845,290 Aeres ober 874,758 englifche Quadrat⸗ 
meilen unverfauften Kronlandes, von denen aber ein jchr 
beträchtlicher Theil uncultivirbar ift. Unter Cultur befanden 
fich erft 17, Mill, Acres. — Die öffentlihe Revenue 
des Jahres 1875 besifferte 1,143,265 Bf. St. oder 140,250 
Pf. St. mehr als im Vorjahre, blicb aber dennoch hinter den 
Ausgaben zurüd, welche ſich auf 1,176,412 Pf, St. beliefen, 
gegen 1,051,621 Pf. St. im Jahre 1876, — Der Erport 
hatte in runder Zabl den Werth von 4,700,000 Pf. St. und 
entfielen davon 4,142,10 Pf. St. auf Stapelproducte, 
d. i. 1,698,035 Pf. St. auf Agriculturerzeugniſſe (fait aus— 
ichließlich Weizen), 758,684 Pf. St. auf Mineralien (meiften- 
theild Kupfer), 1,778,207 Pf. St. auf Wolle und 217,104 
Pf. St. auf verichiedene Artifel Der Import repräfentirte 
den Werth von ungefähr 4,200,000 Pf. St. 





Zabiti. 


Die Inſeln des fühlichen Stillen Oceaus entwideln fich 
in befriedigender Weiſe. Conful Miller giebt in feinem 
Berichte von Papiti (Tahiti) ans hierüber einige Daten, 
welchen wir (Folgendes entnehmen. In der legten Generation 
betrug der Werth der tahitiichen Exporte jährlich noch feine 
10,000 Bf, St., während er 1574 110,000 Pf, St. erreichte. 
Das Hauptproduct des Landes ift Baumwolle, von welder 
887,400 Bfund zum Wertbe von 36,302 Bf. St. in dem chen 
erwähnten Jahre verfchifft wurden. Weiterhin werden von 
den Niedrigen Inſeln, auf denen nun ein Hafen (Ana) eröff- 
net ift, Kokosnüſſe (20,191 Pf. St.), Perlmutter (20,530 
Pf. St.) und Kokosnußöl (11,10 Pf. St.) ausgeführt. Die 
Markeſas Sowie die übrigen Gefellichaftsinfeln jenden ihre 
Producte nach Tahiti, welches Ichtere 1874 4,909,000,000 
Drangen und 152 Tonnen eßbare Schwämme nad China 
fandte, Der Handel zwiichen Tahiti und feinen abhängigen 
Nachbarinſeln geht unter der frauzöſiſchen Protectoratsflagge 
und unterliegen die Einfuhren einem Zolle von 12 Procent, 


von welchem jedoch einige Waaren, 3. B. landwirtbichaftliche 
Mafhinen, ausgenommen find. Tahiti verbraucht viele 
Lebensmittel, 3. B. Fleiſch, von den umliegenden Anfeln, 
welche folhe Waaren im Werthe von etwa 125,000 Pf. St, 


jährlich einführen. 


Die Eanadian-Barific-Eifenbabn. 


Wie befannt war e8 eine ber Bedingungen, die Britiſch 
Columbia bei der Vereinigung mit den übrigen canadilchen 
Provinzen verlangte und erhielt, daß binnen zehn Jahren 
eine Eifenbalm über den ganzen Continent geführt wiirde. 
Die Unmöglichkeit, die gegebene Friſt einzuhalten einerfeits 
und andererfeits die Einficht, daß die aufzuwendenden Mit: 
tel zu denjenigen der Colonie in keinem Verhältniſſe fteben, 
haben den lebhaften Wunſch der öftlihen Staaten erwedt, 
dieſes Project wieder aufzugeben. Vorläufig bat man Bri- 
tiſch Columbia 750,000 Dollars als Entichädigung für Ver: 
ſpätung des Ansbanes der Hauptlinie und fiir Nichtausfüh— 
rung der Esquimault und Nanaimo-Linie (über die Van— 
couversinfel führend) geboten ; allein die neweften Telegramme 
bringen die Nachrichten, daß das Gouvernement von Van: 
comversinfel diefen Vorſchlag zurüdgewielen bat und ihm von 
Britifch Columbia daſſelbe Schickſal bevorſteht. Trotzdem 
glauben wir, daß Mittel und Wege gefunden werden, um 
den Ban der Canadian-Pacific-Bahn hiuauszuſchieben und 
ſchließlich das Project ganz fallen zu laſſen. Daß die Ans: 
führung binnen zehn Jahren unmöglich iſt, wird allgemein 
anerkannt; es find z. B. jetzt die Vermeſſungsarbeiten laum 
zur Hälfte vollendet. 


Der Verſand von Lachseiern nah Auſtralien. 


Vor einiger Zeit wurde, um den relativen Werth der 
verschiedenen Verpackungsmethoden zum Seetransport zu er: 
gründen, von zwei Fachmännern auf den Wunſch eines Co— 
loniſten eine Sendung von 175,000 Eiern nach Melbourne 
beforgt. Eine früher verfuchte Verpadung in Einfüten batte 
fehr ſchlechte Erfolge gehabt, und jo wurde diefe Sendung in 
durclöcerten hölzernen Kiftchen ausgeführt, Der beſte Pla 
für diefelben ift der Lattenboden des Eisfellers, der auf den 
Dampfern eingerichtet if. Mr. Mont bejchreibt feine Me 
thode und die feines Conucurrenten in folgender Weiſe. „Auf 
den Boden des auf allen Seiten durchbohrten Holzkiſtchens 
firene ich zwei Hände voll Holztohlenftüdchen und Eisſtaub. 
Auf dieſem mache ich ein Neft vom weichſten und elaſtiſchſten 
Moofe, das ich bekommen kann, mit vielen Wurzeln daran, 
damit e& fortwächft und nicht verfault, che es an feinen Be— 
ftimmungsorte anlangt; denn man hat beobachtet, daß, wenn 
das Moos in Fäulniß übergegangen, auch die Eier abgeftor: 
ben waren. Auf dieſes Moos ſchütte ich jo gleichförmig als 
möglich aus einer weithalfigen Flaſche die Eier, welche wieder 
mit einer Mooslage ganz leicht zugededft werden. Auf eine 
weitere Schicht Eier lege ich abermals Moos und ſchütte 
darauf vier Hände voll geftoßenes Eis, worauf die Kiſtchen 
fofort in den Eiskeller getragen und anfgeftellt werben. Mr. 
Budland dagegen wendet feine Holzkohle und gepulvertes 
Eis an, fondern verpadt feine Eier in zwei oder brei Moos: 
ichichten, während die Kiftchen im Waller ſtehen. Seine Ktift- 
chen find zweimal jo groß wie die meinigen, aber von gleicher 
Höhe und enthalten etwa 2000 Eier; meine nur 600 bis 70m. 
Wenn die Padlung fertig it, fo find feine Kiſtchen nur balb 
voll, meine dagegen ganz voll; ich alaube jedoch, daß beide 
Methoden Erfolge haben werden.“ 


— — 


Guano auf den Babama-Infeln. 


L. K. Ein Bericht des Gonverneurs ber Bahama-In— 
feln enthält ausführliche Mittbeilungen über den Guano— 
reichthum diefer Gruppe; die Onantität ſchätzt er auf 400,000 
Tonnen. Gegenwärtig gebt die ganze Ausbeute nach Ame— 
rifa, wo die Marktpreife zwilchen 35 und 60 Dollars varii- 
ren; der legtere Preis lommt dem bes allerbeften peruaniſchen 
Guano — der bisher ald unübertrefflich galt — aleih. Da 
die Amerikaner beide Sorten aus Erfahrung kennen, ſprechen 
die hohen Preiſe, die fie dem Babana-Material bewilligen, 
ſehr zu Gunften des Werthes deifelben. Bevor man diefen 
Werth Mar erkannt hatte, verpachtete man das Monopol an 
eine amerifanifche Firma gegen den Spottichilling von 500, 
Sage fünfhundert Dollars per Jahr und einen halben Dollar 
Steuer per Tonne Die Pächter erportiren jährlih etwa 
30,000 Tonnen zum Durchſchnittspreiſe von 45 Dollars: da 
fie der Regierung bloß 15,500 Dollars bezahlen und die fon: 
ftigen Spefen fich auf kaum mehr als 84,500 Dollar belau— 
fen, bleibt ihnen ein Nutzen von jährlichen 1, Mill. Dollars. 
Der Gouverneur bedauert, daß der Contract mit den Yankees 
auf fieben Jahre abgeichloffen wurde, hofft jedoch, daß die 
Pächter während diefer Zeit nicht mehr als die Hälfte des 
vorhandenen Ouantums werden ausbeuten können. Läuft 
der Vertrag mit ihnen ab, jo wird man natürlich klüger fein 
und den Fiscus beffer bedenfen, zu welchem Zwede der Son: 
verneur ſchon jetzt praktiſche Borfchläge macht. Da auch an: 
dere Inſelgruppen in jenen Regionen noch viele ähnliche 
Schätze bergen, die nur ihrer Hebung harren, dürfte dieſe 
Bahama-Monopolgefchichte weiteren Kreifen von Nuten jein, 


Begräbnipftätten der Pfahlbauer. 


Bis jetzt war man noch Über die Beſtattungsweiſe der 
Pfablbautenbewohner im Unklaren. Ein Gräberfund, den 
man vor Kurzem an den Ufern des Menfchateler Sees in 
der Schweiz zwiſchen Auvernier und Colombier machte, wird 
diefem räthſelhaflen Volke zugeichrieben. Es befinden fich 
nämlich in der Nähe zwei Pfahlbananfichelungen, wovon eine 
der vormetalliihen und die zweite der Metallzeit angehört. 
Bei der Fundirung eines Hauſes ftich man auf eine Kam: 
mer, welche durch aufrecht ftebende Steine geſtützt war und 
etwa zwölf Skelete enthielt, deren Schädel in einer Ede des 
Ranınes lagen, während die übrigen Gebeine in der Mitte 
aufgebäuft waren. Dabei befanden fich noch ein Bärenzahn, 
ein Wolfszabn, ein Stüd eines Eberzahng, eine Heine, glatte, 
fuöcherne Scheibe, zwei Beile aus Serpentin, eine Bronze: 
nadel, ein Meiner kupferner Ring und vier Armringe für 
Kinder aus Bronze. Dan hält diefes Grab für ein Familien: 
grab and der Uebergangszeit zwiſchen der vormetalliichen und 
der Metallperiode ; allein die Anmahme, daß die Beſtatteten 
Pfahlbauer waren, muß unferer Unficht nach doch noch etwas 
genauer begründet werden. Die Nähe von Pfahlbaureſten 
ift noch fein ficheres Kriterium hierfür. 

* * x 

F.B. Ueber die Gruppe ber Crozet-Iuſeln im Süd— 
indiſchen Ocean, auf denen 44 Sciffbrüdige des Schiffes 
„Strathmore* fteben Monate lang (vom 1. Juli 1875 bis 
22, Januar 1876) faſt ausichlichlich von Seevögeln und deren 
Eiern gelebt haben, bringt die Londoner „Times“ folgende 
intereffante Angaben. Die Gruppe wurde ſchon im Jauuar 





Dit drei Abbildungen.) — 


Aus allen Erdtheilen. 


des Jahres 1772 von dem Befehlshaber einer franzöfiichen 
Erpebition, Marion du Fresne, entdedt; da derielbe aber 
kurze Zeit darauf in Neufeeland ermorbet wurde, blich die 
Eutdedung unbekannt, bis drei Jahre fpäter du Fresne's 
Nachfolger im Beichl, Erozet, Gapitän Morl die Erifteny 
der Inſeln mittheilte. Seitdem wurden fie im Jahre 1840 
von Sir James Rof und von der franzöfiichen Fregatte 
„W’Heroine* befucht. — Die Gruppe beitcht aus fünf In— 
fein vulcaniſchen Urſprungs. Die Apoftel-Infel, an welder 
die „Strathmore“ fcheiterte, beſteht eigentlich aus zwei faft 
wizugänglichen Eilanden, die durch einen ſchmalen Canal 
voller Felfen von einander getrennt werben. Voſſeſſions 
Juſel, die größte der Gruppe, bat gegen 12 engliſche Meilen 
im Umkreis und beftcht aus vulcaniſchen, von ſpärlichem 
Pllanzenwuchs bededten Felſen. Die Penguin: oder Jnac- 
ceſſible⸗ Inſel ift die zweitgrößte und führt ihren Namen von 
der ungeheuern Anzahl Seevögel, welche fie bewohnen ;- fie ift 
kahl und abſchüſſig und ſieht aus der Ferne wie eine Gruppe 
jeltfam geformtter Felſeuſpihen aus. — Die Crozet-Gruppe 
liegt unter 46027 ſüdl Br, und 52014 öftl. L. und zwar 
gerade auf dem großen öftlihen Sciffconrfe nach Auftralien 
und Indien. So nefährlich die Gruppe ift, nähern fich den: 
noch oft die paſſirenden Schiffe derielben, da fie anf dieſe 
Weile Gelegenheit finden, die Genauigkeit ihrer Chronometer 
zu prüfen. Zu gewiflen Jahreszeiten wird auch Nebel nnd 
(Eis in ihrer Nähe angetroffen, was natürlich die Gefahren 
einer auftralifchen Reiſe vermehrt. Walfiſchfänger laufen oft 
an der Gruppe au, um Sechunde und Vögel zu jagen, deren 
Zahl aber auch in dem leuten Jahren ſtark abgenommen bat. 
— Die „Strathmore* ift übrigens nicht das erſte Schiff, 
welches an den Crozet⸗ Inſeln verloren gegangen ift. Am Jahre 
1821 fcheiterte der Segelkutter „Priuzelfin von Wales’ an 
der Poſſeſſions Juſel, und wurde die Mannicaft erft nach 
einem Anfentbalt von einem Jahre nnd zchn Monaten in 
verhältnißmäßig guter Geſundheit gerettet. Einer der Ma: 
trojen, Namens Goodridge, ſchrieb Ipäter cine Schilderung 
im Robinſon Kruſoe⸗Stil über fein Verweilen auf der Intel 
und lebte noch viele Fahre von dem Ertrage des Buches in 
Devonihire und Cornwallis. 

— Die von und auf ©. 114 erwähnte Forderung der 
dänischen Regierung für wiſſenſchaftliche Unterfuchun- 
gen auf Grönland it Seitens des Landtages bewilligt 
worden, und die betreffende Erpedition Mitte April munter 
Leitung des Naturforſchers Stenſtrup nad Yulianchaab 
abgegangen. Außer geologischen Unterfuchungen wird man 
vorbereitende Berfuche machen, um nach dem Binnencife vor- 
judringen. Die Rückehr ift auf September feitgelegt. Ein 
Marineoffizier Namens Holm begleitet die Erpebition, um 
die nöthigen geograpbilchen Aufnahmen der zu bereifenden 
Gegenden auszuführen. BEE 

— Der peruaniſche Minifter des Junern hat mit dem 
franzöfichen Haufe Babier und Teneftre einen Contract ab: 
geſchloſſen, wonach letzteres binnen vier Jahren läugs der 
peruaniſchen Hüfte dreizehn Lenchttbürme, zehn Hafenfener 
und zwei Signale für den Preis von circa 2%/, Millionen 
Fraucs errichten muß. Ein bedeutender Fortfchritt in der 
Entwidelung jenes Landes, deffen Küſte jo häufig von Ne: 
bein beimgefucht wird ! 

— Nach den neneften Nachrichten aus der Capftadt trifft 
die dortige Regierung Anſtalten, die engliſche Herrſchaft nörd⸗ 
lich über bie Walfiſch Bay und das Damara-Land auszudebucn. 


Inbalt: Thomſon'é Reife auf Formofa. II. (Mit zwei Abbildungen.) (Schluß) — In Türkiſch Armenien. 1. 
Die wiſſenſchaftliche Erpebition Sr. Majeftät Schiff ‚Gazelle“. I. — 


P. Aſcherſon's Reife 


nach der Kleinen Daſe. — Die Beduan des „Söhel“. J. — Aus allen Erdtheilen: Statiſtiſches aus Südauſtralien. — Taähiti. 
— Die Canadian-Pacific-Eiſenbahu. — Der Verſand von Lachseiern nach Auſtralien. — Guano auf den Bahama Inſeln. — 


Begräbnißftätten der Pfahlbauer. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 20. Mai 1376.) 





Retacteur: Dr. R. Riepert in Berlin, S. W. Lintenftraße 13, II Tr. 


Drud und BVerlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Btaunſchweig. 


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N 


Band XXIX. 


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Dr. Richard Kiepert. 








Braunſchweig 


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16. 


18 





In Türfifhe-Armenien. 


Erzerum, die feite Hanptftadt des gleichnamigen Paſcha⸗ 
tits, das von den Türlen auch Ermeniftan (Armenier-Yand) 
genannt wird, liegt am Südrande einer großen, unregelmäßig 
geftalteten und von den Quellflüſſen des Euphrat durch— 
ftrömten Ebene, zwiſchen den nördlichſten Ausläufern der 
PBalandöten-Sette. Diefen Gefammtnamen (er bedeutet „der 
Sattelabfchlittelnde* und wird dem Berge, an deſſen Abhän: 
gen vorbei der Weg nach Chinis führt, wegen der dort oben 
herrſchenden heftigen Winde gegeben, denen die Saumthiere 
nur mit Mühe Widerftand leiſten können) Überträgt Streder 
von einem ihrer hödjften und befannteften Berge unweit der 
Stadt auf den ganzen die Ebene im Sliden umſchließenden 
Gebirgszug: die Eingeborenen felbft benennen, wie faft überall 
auf Erden, nur einzelne Verge, nie Gebirgsſyſteme, und 
überlafjen legtered dem generalifirenden Geographen. Im 
Großen und Ganzen hat die Ebene, ein ehemaliges Seebeden 
und noch jegt im ihren tieferen Theilen längs des „rat“ 
mit weiten Sitmpfen erfüllt, eine Richtung von Oftnordoft 
nad) Wefiftidweit. In adminiftrativer Hinſicht dehmt ſich 
der Bezirk von Erzerum, der furzweg „Oma“, d. h. Ebene, 
heißt, ungefähr eben fo weit aus als das ehemalige Seebeden 
und zählt außer den 60,000 Bewohnern der Hauptitadt in 
160 Dörfern eine Bevölferung von nahe 42,900 Seelen, 
wovon 29,400 Mohammtedaner und 13,475 Chriften, gre—⸗ 
gorianiſche Armenier, mit Ausnahme weniger Hundert armes 
nifcher Katholifen, die in einigen Dörfern eigene Kirchſpiele 
bilden, 

Dies find die Zahlen, welche Streder, wohl der zuver— 

Globus XXIX. Nr. 25, 


| 


läfjigfte Gewährsmann, der Yahre lang in officieller Stel- 
lung im Erzerum zugebracht hat, angiebt, Wie ſehr aber 
nod) die Statiftif der Türfei im Argen liegt und wie ſchwer 
es ift, bei der mohammedanifchen Geheimhaltung alles 
Familienlebens und ales deſſen, was die frauen angeht, 
auch nur zu annäbernden Bevölferungsziffern zu gelangen, 
erhellt daraus, daß die Türken felbit (Salaheddin Bey, La 
Turquie ä Vexposition universelle de 1867) für Erzerum 
100,000 Seelen annehmen, während Deyrolle diejelbe auf 
90,000 ſchätzt und fie folgendermaßen unter die Nationalie 
täten vejp. Slaubensbefenntniffe vertheilt: 20,000 Perſer, 
15,000 — Armenier, 8000 Katholiken, 5000 
bis 6000 Griechen, wenige Juden und Proteſtanten, der 
Neft Mohammedaner. — Noch jchwieriger ift es natürlich, 
die Gejammtbevölferung der ganzen Provinz (Pafchalit oder 
Bilayet) anzugeben, welche Deyrolle auf 1%/, Millionen ſchätzt, 
während Andere ihr nur 800,000 Einwohuer zugeftehen 
wollen. Wie buntjchedig diefe für den ausgedehnten Yänder- 
compler immerhin geringe Vollsmaſſe ift, erficht man aus 
Deprolle's Angabe, daß fie beitcht aus 272,000 Türken, 
357,000 Kurden, 411,000 Chriſten, 1200 Juden, 2000 
Peffiden, 158,000 Perſern und 29,000 Terefimanen, Zahs 
len, die wohl feine abſolute Nichtigleit beanjpruchen, deren 
Verhältniſſe zu einander jedod; Glaubwilrdigfeit verdienen 
mögen. Die Chriften wiederum zerfallen in mehrere Secten, 
nämlidy 287,000 Armenier, 110,000 Weftorianer, 8000 
Katholifen, 4000 Griechen und 1300 Proteftanten. 

Die Vevölferung fpeciell der Ebene von Erzerum war 


45 


In Türkifh- Armenien. 





In Türfiih Armenien. 


vor dem Einfalle der Ruſſen im Jahre 1829 viel bedeuten+ 
ber, nahm aber damals ſiark ab, weil zahlreiche chriftliche 
Familien ſich durch wuffische Drohungen und Verſprechungen 
zur Auswanderung nad) ruſſiſchem Gebiete verloden ließen, 
fo daß manche Dörfer völlig verödeten, Nur wenigen von 
den damals Ausgewanderten ift es nachträglich mit Mühe 
gelungen, in ihre Heimath zurliczukehren. Gegen Ende der 


355 


wahrſcheinlich in den legten Jahren infolge des Mißwachſes, 
der Hungersnoth und der politifchen Verhältuiſſe wieder zu 
finfen. In der Ebene felbft wohnen Chriften und Mohams 
mebaner friedlich und einträchtig neben einander, erftere häufig 
in der Mehrzahl, während in den Bergthälern die Moslin 
bedeutend überwiegen. 

Der aus der Berwitterung vulcanifcher Gefteine entftan- 


fiebziger Jahre nahm die Bevölferung wicber etwas zu, um | dene Humusboden der Ebene ift faft durchgehende fruchtbar, 


vun 


4 

















Tſchifte, Minaret in Erzerum. 


abgejehen natürlich von den ſchon erwähnten Sumpfwieſen 
und jenen höherliegenden Streden, weldye durd) die Berg: 
gewäſſer im Frühjahre mit Gerbll Überjchlittet werden. Daß 
ter Anbau nicht in höherm Maße, ald es wirklich geſchieht, 
zunimmt, liegt eben am mangelnden Abfage, an den fchlen« 
den Berbindungswegen, namentlich nad) Trapezunt hin. 
Wie die türkische Negierung einen Anlauf genommen hat, 
dieſem Uebelftande abzuhelfen und einen jahrbaren Weg nad) 
jenem pontiſchen Emporium herzuftellen, aber wie wenig 


dieſer Verſuch bis jegt geglüdt ift, haben wir im vorigen 
Abſchnitte gezeigt. Zudem hat fie durch ihr unverſtändiges 
Vorgehen den früher jo lebhaften Tranfithandel aus und 
nad) Perſien fo ziemlich von diefer Straße verſcheucht. Wäh- 
rend die ruffifche Regierung bemüht war, den einen in ihrem 
Beſitze befindlichen der beiden Handelöwege zwifchen Europa 
und Perfien, die Straße Poti-Tiflie-Eriwan, durch Eiſen— 
bahnbau, Verbefierung der Straßen uud erleichterte Zoll 
behandlung der durchgehenden Waaren nad) Kräften zu heben 


45* 


356 In Türkiſch-Armenien. 


— — 





Kaufmann und perſiſcher Maulthiertreiber. 


In Türkiſch-Armenien. 


und den Händlern zu empfehlen, ging die Türfei darauf aus, 
durch Beibehaltung des Tranfitzolles an der Grenze und 
vielerlei Pladereien diefelben fern zu halten, Erzerums 
Wohlſtand hängt lediglich davon ab, ob die türfifchen Wilrben- 
träger — was leider zu bezweifeln fteht — diefe einfache 
Sadjlage zu begreifen vermögen; fürs Erfte wird ihnen wohl 
nicht die Muße gelafjen werben, darüber naczubenten. Dept 
ernährt die Ebene wenigftend ihre mehr ald 100,000 Ber 
wohner und verforgt außerdem die durdhziehenden Karawanen. 
Sie erzeugt namentlich trefflichen Weizen und Gerfte, Klee, 
Gurten, Bohnen, Ritben, gelbe Rüben und Runkeln, in ges 
ringerer Menge Hirſe, Yeinfaat, Erbſen, Finfen, Kohl, Meine 
Baffermelonen und neuerdings auch Kartoffeln. Die Zeit 
zur Reife ift diefen Früchten in der an 6000 Fuß hoch ge- 
legenen Ebene nur kurz bemeffen: im April oder Mai wird 
üet, im Auguft ſchon geerntet. Die Erde wird durd) einen 
flug mit er Spike von einfachfter" Eonftruction auf⸗ 
gebrochen, der Samen eingeftreut und ftatt der Egge ein 
beicjwerter Baumftanım über das Feld geſchleift. Im Früh: 
jahre ift der Boden feucht, um bald durch die Sommerhige 
(gewöhnlid; 23 bis 26° R., oft aber weit höher, während im 
Winter das Thermometer unter 20° R. fällt) völlig aus« 
getrodnet zu werden, was eimerfeits zum ſchnellen Reifen 
des Kornes wejentlich beiträgt, andererjeitö aber eine kUnſiliche 
Bewäſſerung nöthig macht. Gedllugt werden nur die Fel— 
der unterhalb Erjerumd, und aud) u 
nicht durch Menſchenhand, ſondern == 2.0: 
weil ihnen die die Stadt durchfließen =: 
den Bäche von jelbft reichliche Aus: 
wurfftoffe zuführen. Infolge der vers 
fchieden günftigen Yage geben denn 
auch die Felder ſehr verſchiedenen Ers 
trag, umd zwar bon dritten und vier— 
tem bis zum zehnten, ja ausgmahme: 
weije zwölften Korne. Wie fajt überall 
in der Türkei und anderwärts im 
Orient wird das Getreide nicht aus: 
gedrofchen, fondern die Körner durch 
Dreſchſchlitten, wie ihn ſchon die alten 
Hebräer und Römer beſaßen, ausge 
preßt, indem eine aus ftarfen Brettern 
beftchende, einige Fuß lange und länglich vieredige, vorn etwas 
ſchmalere Holzplatte, in derem untere Fläche ſpitze Steine ein- 
geſchlagen find und die oben befchwert wird, über die ausgebreis 
teten Halme durch vorgefpannte Ochſen hinweggeſchleift wird. 
Zu dieſem Behufe werden in den Ortſchaften oder nahe bei den 
Feldern Freisrunde Pläge geebnet, um als Tennen zu dienen. 
Damit der Bauer fein Getreide heil in die Scheuer befonme, 
bedarf er jehr guter Witterung, da dajjelbe nadı dem Schueiden 
meift noch eine Weile auf dem Felde ftehen bleibt, das Aus- 
fürnen gleichfalls unter freiem Himmel gefcieht und fchlich- 
Lich, der Ernteertrag nicht cher eingefadt und von der Tenne 
weggeſchafft werden darf, als bis der Pächter des Zehnten 
feinen Antheil erhoben hat. Alle diefe Umftände tragen viel 
dazu bei, daß ſich das Ausdrefchen oft ſehr verzögert und daß 
infolge von jdjledjtem Wetter viel Korn verdirbt. Iſt dafs 
felbe endlich glüdlic eingebracht, jo wird es durch Worfeln 
von Schung und Spreu getrennt und noch einmal durch» 
iebt. 

Das Nindvieh in der Ebene, Ochſen und Büffel, ift von 
mittlerin, gutem Schlage und gut genäht; die Schafe find, 
wie überall in Sleinajien, von der Fettſchwanzrace. Häufig 
fieht man —* Reihen von rieſigen Büffeln, welche ſchwere 
zweiräderige Karren ziehen, deren nie oder nur ſelten ger 
ſchmierte Holzachſen ein unbejchreiblidyes Getöfe hervorbringen, 
das jedoch nöthig zu fein ſcheiut, um die Thiere in Gang zu 






Dreſchſchlitten in Ruffifd- Armenien. 


357 


erhalten. Die nur zum Reiten und Sänmen, nicht zum 
Fahren benugten Pierde gehören zu der in ganz Kleinafien 
bis am die ruffifche Grenze und mach Perfien verbreiteten 
Race, welche Reiſende fälſchlich die turfmanische zu Uennen 
pflegen. Die turtmaniſchen Pferde find jedod in Bau und 
Eigenfchaften von jenen bedeutend verſchieden und finden ſich 
hier gar nicht; man könnte deshalb wohl füglich die in Hoch—- 
armenien verbreitete Art als kurdiſche bezeichnen, da bie Sure 
den hauptjächlich es find, weldye die Pferdezucht mit Vorliebe 
betreiben. 

Erzerum bietet, von einiger Entfernung aus gefehen, einen 
angenehmen Anblid dar: weil alle Gebäude faft genau dies 
felbe dunkle Farbe haben, fo fieht man feine Einzelheiten, 
fondern nur eine fehr fremdartige, charalteriſtiſche Silhouette, 
welche ſich von den helleren, dahinter liegenden Bergen fcharf 
abhebt und in dem Fremdling eine hohe Idee von biefer 
Stabt erwedt, die freilich bei näherer Belanntſchaft alsbald 
ſchwindet. Viel mögen dazu auch die neuen und anfceinend 
ftarfen Befeftigungen der Stadt beitragen, an weldyen man 
Winter und Sommer raſtlos gearbeitet hat, und die es ge: 
gebenen Falles Feinden wohl etwas ſchwerer machen wlr- 
den, ben Play fortzunehmen, als es durd) die Ruſſen im 
Jahre 1829 geſchah *). Außer dem ſchon beiprodenen 
Tranfithandel nähren ſich die Bewohner der armeniſchen 
Hauprftadt noch durch einige Fabrifationszweige, namentlich) 

Verarbeitung von Metallen, worin 
die Erzerumer früher großen Ruf be- 
faßen, und Teppidyweberei. So wer« 
den mod) eiferne und fupferne Haus: 
geräthe flie die umwohnenden Yands 
leute verfertigt; ferner Hufeifen, die 
viel nad) Berjien verführt werben, 
und mit denen hier zu Yande audı 
Ochſen beſchlagen werden; endlich 
Waffen für die Kurden, die deu per— 
füichen an Schönheit, aber auch im 
Preiſe nachftehen, mamentlid) ganz 
Heine Schilde von kaum 30 Gentis 
meter Durchmeſſer aus Büffelyaut oder 
mit Binfen durchflochtenen Striden, 
worauf Meine eigenthümlic, gearbeis 
tete Eiſenſtückchen angebracht find. Zur Verzierung werden 
dann Heine Kupfermlnzen, unter denen man noch franzöfis 
ſche Pfennige von Ludwig dem Vierzehnten und Öfterreichifche 
Kreuzer von Maria Thereſia findet, aufgenäht oder felt- 
genietet. Die Industrie dev Filzteppiche, wie fie in Täbriz 
verfertigt werben, ift durch Perjer nach Erzerum gebradjt 
worden. 

Die Stadt liegt auf mehreren Hligeln, den nörblichiten 
Ausläufern des Palandöten-Berges, und wird von mehreren 
Bächen nad) den verfciedenften Richtungen hin durdjichnit- 
ten. Die zahlreichen Heinen Brliden, welche dadurch nöthig 
gemacht werden, verleihen mehreren Straßen ein ganz eigen- 


er a. 


*) Vergl. Radde und Siewers in Petermann’s Geograpbifchen 
Mitteilungen 1875, ©. 304: „Schon in Arkaban (am obern Kur) 
und in noch meit vn Maße bei unferer Weiterreife gegen Wer 
Ren übergeugten wir uns davon, wie die Türkei mit aller Energie 
bie Öftlichen Ohrenzgebiere gegen Rußland bewaffnet, dert in große 
artigem Maßſtabe Armaturen erneuert, Kara aufs Neue unzugänge 
lich macht und aus Erjerum eine von 200 Kanonen befegte Jeſtung 
mit weitläufigem Vaftionsbau erſchaffen bat. Daher mögen denn 
auch bie Krupp'ſchen Seichüge, von deren Lieferungen bie Zeitungen 
ſprechen, zum Theil für die entlegenen Gegenden HodsArmeniens 
beitimmt fein. — — (6 belebrien uns bie währenn der Weiter- 
reife erworbenen Anfchauungen darüber, daß die Türken im Nord» 
often ihrer aſiatiſchen Befigungen mit großer Rübrigfeit umfaffende 
Vorbereitungen treffen, um einem in Liefer Nichtung etwa bereins 
brechenden Kriege gewachfen zu fein.“ 


358 Bancroft's Eingeborene der Pacific Staaten. 


thimliches Ausfehen, wie denn Erzerum unter allen im | hoher Schnee im Winter und unergründficher Koth im Früh: 
jener Gegend von Deyrolle befuchten Städten am meiften | linge, das find die hervorragenden Attribute der Verlehrs- 
orientalifches Gepräge trägt. Die Straßen der mohanıme- | wege in Armeniens Hauptſtadt. Zahlreich find, wie jelbft« 
danifchen Viertel zeigen, abgefchen vom Bazar, nur graue, | verftändlid), die Chans oder Sarawanferaien ſowie die 
einförmige Mauern, die nur ab und zu eine Heine als Thlr | Bazare, welche aber nicht wie in anderen orientalifchen 
oder Fenſter dienende Oeffnung haben. Im Chriftenguars | Städten ſich alle neben einander befinden, fondern im dem 
tier befigen viele Häufer noch einen ausladenden Dberftod, | ganzen Orte zerſtreut find. Der interefiantefte und anzie⸗ 
der von mitunter geſchuitzten Balfen getragen wird. Das hendſte iſt, wenigſtens während der guten Jahreszeit, derjenige, 
noch weiter vorfpringende Dad) jdhligt den ganzen Bau ges | wo die in Menge von Erzingjan und Thortum fommtenden 
gen Regen und Sonne. Die meiften Gebäude und nament> | srüchte verfauft werben. Unter den mehr als 40 vorhan« 
lich die einftödigen empfangen ihr Licht nur durch eim Loch | denen Mofcheen find nur zwei bemerkenswerth, die Ulud 
in der horizontalen Dede, welches mit einer Düte von geöl- | Dicami und der Thurm von Murgo Serai. Erſtere zeigt 
tem Papier, das wohl Helligkeit, aber feinen Regen hindurch | arabifchen Stil, ift aber wahrfceinlicd von perſiſchen Bau— 
läßt, bededt wird. Die flachen und mit einer diden, feftge- | leuten errichtet worden, da fid) neben rein geometrifchen 
ftampften Yage Erde bedeften Dächer verwandeln fid) im | Ornamenten auch die von redjigläubigen Moslims ftreng 
Frilhling in förmliche Wieſen, wo Ziegen und Schafe weis verpönten Darftellungen lebender Wefen finden, Schlangen» 
den, während im Sommer dort der Tezek getrodnet wird. | föpfe, Theile von Bierfüßlern und ein zweilöpfiger Adler in 
Es ift diefer getrodnete und mit Hädfel ober Koth vermifchte | Nelief bei dem prächtig gearbeiteten Thore, zu deſſen beiden 
Vichdünger das einzige Brennntaterial auf den weiten holz; | Seiten die ſchönen, aus glafirten Ziegeln erbauten Thürm-— 
armen Hocebenen Armeniens und Kurdiftans, und man | chen, Si Tfchifte oder Tſchifte Minare genannt, emporfteigen. 
ſieht ſelbſt die Vorderfeiten vieler Häuſer mit diefen anfangs | Ihre Bafis it mit einem Moſaik aus blauer, grüner und 
fehr böfe duftenden, badfteinförnigen Klößen bededt, welche | rother Fayence gefchmäcdt. Heute dient die Ulud Dſchami, 
aud) beim Verbrennen einen ſcharfen, efelhaften Geruch ver- die auf einem dominivenden Punkte dev Stadt fteht, als Ar: 
breiten, aber gut heizen und laugfam, wie Torf, ausglühen. | fenal und Pulvermagazin. Im felben Stile ift der zur 
Eine Pferdeladung diefes Stoffes im Gewichte von etwa | Hälfte eingeftürgte Thurm von Murgo Serai gehalten. 
150 Kilogramm foftet nad) unferm Gelde 3 bis 4 Darf. Einen traurigen und einförmigen Anblick bieten die vor 
Nur die Bäder und die europäiſchen Bewohner der Stadt | den Thoren liegenden Kirchhöfe dar, wo man vergebens, wie 
ziehen es vor, anftatt diefes Tezef Holz zu brennen, das mit | in Stambul, die herrlichen Reihen büfterer Cypreſſen oder 
großen Koften funfzehu Stunden weit von Ertef und von | vergoldete und bemalte Grabſteine ſucht. Hier find die 
arman bei Olti herbeigefchafft wird. Gräber nur mit grauen Steinen bededt, die fid) wenig vom 

Die Strafen der Stadt find eng und krumm, nur zum | umgebenden Erdboden abheben. Mur längs der großen 
tleinſten Theile gepflaftert und werden nie gereinigt; das | Straßen fieht man einige Türbes oder (Srabfuppeln von 
Aas bleibt liegen und wird von den zahllofen Hunden und | vornehmen Yenten oder heiligen Derwiſchen, pyramiden» oder 
Geiern verzehrt. Unerträglicer Staub im Sommer, uns | zuderhutjörmige Bauten auf quadratichem oder polygonem 
durchdringlicher, gewöhnlicd; 3 bis 4 und noch mehr Fuß | Unterbau. 


Baneroft's Gingeborene der Pacific-Staaten *). 


Das flinfbändige Rieſenwerk, auf welches früher ſchon | Längft verſchwundenen Racen herrihren oder gar Werke von 
wiederholt im „Globus“ hingewiefen wide, liegt nun voll» | Erbauern aus der Alten Welt fein follen. Die in Nica— 
endet vor und unfaßt zufammen etwa 4000 Seiten. Trotz ragua (S. 67) und in Guatemala (5. 108) emdbeckten 
einiger abfälliger Kritiken, die von Seiten deutſcher Ethno- Ruinen und Geräthſchaften deuten beveits einen Verfall, 
graphen laut wurden, halten wir unſer günſtiges Urtheil über | eine Stagnation an, und die dortigen Bewohner wurden 
das Ganze aufrecht. Wir bewundern diefe colofjale Stoff | ſchon von den Europäern in einem wiedrigern Givilifations: 
ſammlung und freuen uns des vortrefflichen 150 enggedrudte | ſtadium gefunden als ihre Vorfahren, die Erbauer der Alter: 
Seiten umfaffenden Regiſters, weldyes bie Vrauchbarteit des | thümer, inne hatten. Was die berühmten Ruinen am Go» 
Werkes in hohem Grade erhöht. Sein weſentlicher Man- | pan betrifft, jo ift der eigentliche Name des Ortes gar nicht 
gel, auf den bereits früher („Ölobus* XXIX, ©. 60) hin- befannt. Die Sage, daß die Stadt noch zur Zeit der ſpa⸗ 
gewieſen wurde, befteht darin, dag Baucroft willfürlid) die | niſchen Eroberung bewohnt gewejen jei, wird von Bancroft 
öftlichen Bölfer von den weſtlichen trennt und fich auf die | als unbegrlindet zurlidgemwiefen, Cortes, der 1524 ganz in 
Staaten am Stillen Weltmeer befcräntt. ber Nähe Copaus vorüiberlam, hörte nidyts von einer ſolchen 
Der vierte Band umfaßt die Alterthümer der Einge- | Stadt, die ihn ficher zur Eroberung angelodt haben würde, 
borenen und beginnt mit Coftarica und Nicaragua im Sid- | wäre fie damals noch bewohnt gewejen. Nachdem die wohl» 
often, um allmälig nach Norden fortfchreitend uns bis Arizona | befannten Nuinen ausführlich gefchildert und abgebildet find 
und Nen-Merico zu führen. Wir freuen uns, wie der Ber- | — der Band enthält Hunderte von Holzſchuitten —, wendet 
faſſer ſehr ſcharf den vielen Phantaftereien entgegentritt, | ſich Baneroft den Meineren Gegenftänden, den Meißelarbeiten 
welche ſich au die amerifanischen Alterthümer Heften, die von | Gentralamerifas, zu, die allerdings eine bewundernswerthe 
— Technit zeigen, wenn man — nicht den —— 
F an * Ton von Stephens zu verfallen braucht, ber einige centrals 

*) The Natir acon 6 cifie States of No ci a. i ge " * 
Br 1 —— Ban a er De ee Kr Y. amerifanijche Figuren den altgriechiſchen Statuen an die Seite 
Primitive History, Leipzig. Brockhaus 1875. ſtellt. Gewiß find einzelne Figuren in Palenque vortrefflich 


Bancroft's Eingeborene der Pacific-Etaaten, 


gearbeitet, aber es ift doch fein Funlchen althellenifchen Gei- 
ftes darin. 

Durch Merico hindurd), wo und nad) theuren, oft ſchwer 
zugänglichen Quellenwerlen die wichtigften erhaltenen Alter ⸗ 
- thümer im guten Abbildungen vorgeführt werden, geleitet 
-und Bancroft in das Tiuellgebiet des Rio Grande del Norte, 

wo noch heute Indianer figen, die zur Zeit, als die Spanier 
hierher vorbrangen, bereits Aderbau trieben. Während bie 
Indianer des Oſtens, die eigentlichen Rothhäute, in Bezug 
auf den Ban ihrer Wohnungen auf einer ber niedrigiten 
Stufen fiehen — der Wigwam ift das einfache Thierfelzelt, 
welches von Lappland durch Nordafien bis am dem Lorenz: 
ftrom reiht — , ftanden und ftehen die Völker im Norden 
Mericos weit höher, mamentlid) die von den Spaniern for 
genannten Pureblos, ein Name, der fowohl zur Bezeichnung 
des Bolls jelbft wie feiner Behaufungen gebraucht wird. Die 








359 


Pueblos in Neun Merico wohnen in Häufern von 3 bis 4 
Stodwerfen, in denen das Erdgeſchoß als Magazin benugt 
und mit einem befondern Eingang verfehen ift. In Taos 
giebt es fogar Häufer von fieben Stockwerlen. Bald find 
die Häufer nur Mein und ſchließen einen vieredigen Hof ein, 
bald ftoßen zwei oder drei große Gebäude an einander, welche, 
einer Feſtung ähnlich, die Seiten eines freien Plages einneh> 
men und für 1000 bis 1500 Menfchen Raum haben. In— 
mitten des Gebäudes liegt die lreisförmige Eftufa, das Rathe- 
und Berfammlungshaus, dort werden aud) bie religiöſen 
Tänze aufgeführt, 

hne Verwandtſchaft mit den alten Mericanern und in 
Bezug auf Feiftungen mit dieſen nicht vergleichbar, hatten 
die alten fehhaften Bölfer Nord-Mericos immer ſchon eine 
hohe Culturſtufe erreicht, als die Spanter zur ihnen gelang- 
ten, und es liegt durchaus fein zwingenber Grund vor, ben 


Ruinen ded Pueblo Pintado im Thale des Nio Chaco. 


fegteren bie alten Ruinen im Lande zuzufchreiben oder die 
alten Banrefte Nen:Meyicos von den gen Cüben ziehenden 
Azteken herrüihren zu laffen. Die heutigen Pucblos: Indianer 
find die Nachkommen ber Erbauer jener oft riefigen Cajer- 
nen, deren Ruinen im Gebiete des Rio Grande dei Norte 
die Aufmerlkſamleit zahlveicher Reifenden erwedten und die 
auch Bancroft (IV, 650 fi.) wieder bejdjreibt und abbildet. 
Dies gilt vor Allem vom Pueblo Pintado, der weſtlich 
von Santa Fe am Rio Chaco liegt, Die Reſte beftehen 
aus einer größern Anzahl von Gebäuden, die in geringer 
Entfernung von einander aus grauem Sandſtein erbaut find, 
obwohl diefer neuerdings in Neu-Merico nicht mehr als Bau- 
material verwendet wird. Auch ſolche Fichten und Cedern⸗ 
ftämme giebt es weit und breit nicht mehr wie jene, aus 
denen die Fußböden der Zimmer beftehen. Die Mauern, 
welche von Stodwerk zu Stodwerk nad) oben hin an Dide 
abnehmen, find außen mofaifartig mit glatten Sandftein 


| 120 bis 140) find meift Hein. 


tafeln ausgelegt und überhaupt fehr forgfältig gearbeitet. 
Die Anlage des ganzen Baues, ber menigftens drei Stod: 
werte hatte, ift von derſelben Terrafienform mie bei den 
Pueblos; auch die unterirdiſchen freisförmigen Eſtufas feh- 
len nicht, manche derſelben haben gleichſalls mehrere Etagen, 
und die Sage nennt Montezuma als Erbauer, der auch als 
Gründer der Pueblos gilt. Die Fenſter und einzelnen Ge— 
mäder (der Grundplan eines dieſer Gebäude zeigt deren 
Die Gewölbe, welche ſich 
finden, find oben nicht abgerumdet, fondern die Wölbung, 
wern der Ausdrud erlaubt, wird durch fhufenförmig von 
beiden Seiten über einander hervorſpringende Winkel gebils 
det. Noch mehr Gemächer enthielt der Pueblo Bonito, 641 
nad; Bancroft (IV, ©. 659), deſſen Ruinen noch neuerbings 
das Staunen Vieutenants Wheeler erregten (Petermann's 
Mittheilungen 1875, ©. 452). Wie ein Pueblo reſtau⸗ 
rirt gedad)t wird, erfehen wir aus der zweiten don uns mit 


360 


getheilten Abbildung, welche dem Report of the Secretary 
of war, Wafhington, 20, Juli 1850, Taf. 31, entlehnt ift. 

Bancroft behandelt, Aber die jelbftgefterften Grenzen hin 
audgreifend, im vierten Bande nody die Moundbnilders im 
Oſten der Felſengebirge, ſowie furz und ungenügend auch die 
pernanifchen Alterthlimer, 





Die Beduan des „Söhel”. 


Der Schlußband bringt eine Geſchichte der amerifanifchen 
Eulturoölter vor der Ankunft der Europäer. Wie von Ban 
eroft nad) allem Borausgegangenen nicht anders zu erwarten 
mar, verwirft er jene unbegründeten und auf falſchen Voraus: 
fegungen beruhenden Darftellungen von dyinefiicher, phönis 
liſcher, jüdifcher Einwirkung und Befiebelung, die von fritif- 





Der Pueblo Hungo Pavie ſd. i. Krumme Nafe), nach feinen Ruinen reitaurirt. 


fofen Schriftſtellern bis im die neueſte Zeit noch immer 
toiedergefäut werden. Er erörtert bie viel mißbrauchte 
Arlantisfage und geht dann auf die älteſten hiftorifchen Quel⸗ 
fen über, nachdem er dem Werth der vorhandenen Traditio« 
nen geprüft hat. Wir vermögen dem Berfafler bei feiner 
fernern Darftellung auf dem weiten Gebiet der borcolumts 
biſchen Geſchichte der amerifanifdyen Bölfer hier nicht zu fol- 


Die Beduan 


gen und theilen nur die Capitelüberfchriften noch mit, aus 
denen der Anhalt des fünften Bandes erhellt: Vortoltekiſche 
Periode, Die toltetiiche Periode. Die chichinenliſche Periode. 
Die aztekiſche Periode, Gefchichte der öftlichen Hochlande, 
Miconcan und Oajaca. Des Quiche. Calchiquel Reich im 
Guatemala. Geſchichte verfchiedener Stämme in Central« 
amerifa. Geſchichte der Mayas in Yucatan. 


des „Söhel“. 


11. 


M. J. Der Tag felbft verlief in dem Pager fehr ruhig. 
Die älteren Männer jaßen zufammten, meist in der Nähe 
unter einem fchattigen Baum, die umvermeidliche ‘Pfeife 
machte die Runde, und das liebe Vieh, oft audy der harte, 
der Regierung zu zahlende Tribut, die „Tulpa“, bildet den 
fteten Gegenſtand der Unterhaltung. Der Schech des Dor- 
fes, der ala reicher Mann ſich diefen Luxus erlauben fann, 
hat dazwifchen ein Täfchen ſchwarzen Kaffees getrunken, den 
ihm einer feiner Sklaven credenzte, hat vielleicht auch Einen, 
den er befonders beglinftigte, von dem geliebten Tranfe etwas 
iberlaffen, und andachtsvoll lauſcht Alles den Worten ber 


Weisheit, die feinem Munde entquellen. Vielleicht find auch 
unter dem bewußten Baume einige hänsliche Arbeiten vorge- 
nommen worden; neue Stieke wurden indie feinen Herte ger 
paßt, und mit Hinblict auf die bemnächftige Ausſaat war der pri- 
mitive, aus zwei fpigen Hölzern beftehende Pflug reparirt und 
miteinem Silke Haut ummidelt, auch, das Doch der Ochſen 
nachgeſehen und geordnet worden. Die Friſur der Kinder 
erforderte eine gründliche Reviſion; dann werden die Kna— 
bem zwiſchen die Beine gellemmt, der Kopf mit Waſſer ein 
gerieben und mit dem gefchieft gehandhabten Scheermeiler 
die feinmenden Haare wegrafirt, bit auf einen Neinen Bliſchel 


Die Beduan des „Söhel“. 


in der Mitte der Stirn, der fichen bleibt. Ber den Mäd— 
hen wird das Haar in zahlreiche Löckchen geflochten, bie 
mit Butter gefalbt werden, eine Haartracht, die auch bei den 
Erwachſenen die gebräuchlichfte iſt. Die Weiber verlaſſen 
ne felten die Ölitten, in denen fie fich mit dem Flechten 
der Strohmatten umd dem Anfertigen zierlicher Körbchen 
aus Halmen befchäftigen. Diefe Arbeiten werden fehr nett 
ausgeflihrt und find fo dicht, daß fie feinen Tropfen Waſſer 
hindurchlaſſen und dadurch das beim Umzuge unpraftifche, 
zerbrechliche Thongeſchirr vollftändig erfegen. Mit der, Rüd- 
fehr der Herden werden die Feuer wieder hoch angefacht ; 
zum zweiten Male werden von den Weibern bie Kisras ges 
baden, während die Männer die Kühe melfen und die Milch 
in Lederſchläuchen oder in Schalen aufbewahren, nachdem 
fie vorher geräiuchert ift, um zu ſchnelles Gerinnen zu vers 
hüten. Das Geſchäft der Butterbereitung wird von den 
Weibern auf fehr einfache Art beforgt: der Rahm wird 
in einen Peberfchlaud; gefüllt, derſelbe mit zwei Striden an 
die Dede der Hlitte gehängt und fo lange hin und her ges 
worjen, bis ſich die Butter ausſcheidet, die, in gut zugebun- 
dere Schläuche gefüllt, fo lange aufbewahrt wird, bis eine 
genligende Maſſe beifammen ift, die dann in Maffawa oder 
Suafim verfauft wird. Won ben legteren Plägen gehen 
ganze Schiffslabungen von Butter nad, Arabien und Yegyp: 
ten, deren Bedarf faft ganz von den Beduan gedeckt wird. 
Die Butter ift halbflüſſig, gelblich, unferm Schmalze ähn- 
lich, ſchmeckt immer ranzig und eignet ſich bloß zum Küchen: 
gebraud). Die zurlicbleibende Buttermilch ift die Haupte 
nahrung des Nomaden, 

Wenn das Melten der Klihe beforgt ift, fo ift die Tages- 
arbeit zu Ende und das Bergnligen und die Erholung 
fünnen beginnen. Die Männer figen vauchend und plans 
dernd aum lodernden Feuer umd die Kinder tanzen umd fingen 
zum Klang ber Trommel, Wenn ber Mond fcheint, find 
die Kaubthiere micht zu fürchten, und Alles ift forglos; die 
ganze Nacht wird durchjubelt. Iſt die Nacht jedoch dunlel, 
dann ift das Yager fehr ruhig, und die Männer find aufs 
merffam, um das Vieh gegen die nächtlichen Schleicher, 
Löwen und Feoparden, zu jchiigen. Obwohl der Löwe mit 
Leichtigkeit dem niedern Dormenzaun überfpringen könnte, 
fo geſchieht dies doch fehr jelten, da das mißtrauiſche Raub— 
thier in dem Zaun eine Falle wittert. Meiſt kommt er 
mit dem Winde und fett durch feine Witterung und fein 
Brüllen die Thiere fo in Schreden, daß biefelben verfuchen 
autzubrehen und ſich ins Freie zu zerſtreuen. Mandymal 
gelingt ihnen dies trog aller Bernlihungen der Wächter, und 
dann fallen immer mehrere Stitde, die von dem Yöwen auf 
der Flucht niedergeriffen werden. Der Leopard ift kühner, 
jedod; mehr den Ziegen und Schafen gefährlich; gewandt 
überipringt er den Zaun und dringt felbft bis in die Hüt— 
ten“ ein, um die dort verwahrten Lämmer zu rauben. Men- 
jchen werden felten von den Raubthieren ergriffen, am häu— 
figften Kinder und Frauen. Der Berluft durch diefe Thiere 
ift jährlich eim ziemlich bedeutender, wird aber von dem 
Nomaden, ala unvermeidlich, mit ruhiger Ergebung getragen. 

Die beginmende Regenzeit fordert nach anderer Richtung 
noch die Thätigfeit des Beduinen heraus, ba er neben feiner 
Bichwirthichaft auch etwas Ackerbau betreibt. Die Heinen, 
überall zerftveuten Ebenen find ſehr fruchtbar und bringen 
bei gehöriger Bewäfferung alles Getreide hervor. Der Bes 
figtitel auf die verfchiebenen Culturflächen iſt ſtreng geregelt, 
und jeder Staum hat feine Weder, die der Sched wieder in 
Heineren Parzellen am die verfchiedenen Mitglieder vertheilt, 
worauf die Bearbeitung beginnt. Cine Reinigung des be 
ftimmten Platzes von Ünfrant wird nicht fir nöthig gehal- 
ten. Mit dem einfachen mit zwei Ochſen befpannten Pflug 


Blobua XXIX. Nr. 23. 


361 


wird der Boden einmal oberflächlich umgeackert, das Ge— 


treide, meiſtens Durrha oder Korn, ausgeſtreut und alles 
andere der Vorſehung überlaſſen. Mit dem aufſprießenden 
Getreide erfcheinen auch feine Feinde, deren ſchlimmſte die 
Heufchreden find. Mit eigenthümlichem Saufen kommen 
die ſchrecklichen Thiere wie eine dichte Wolfe angezogen, mei- 
ftend den Windungen ber Thäler folgend und alles lahl 
freffend. Der Boden ift gelb oder braumroth von diefen 
gefräßigen Thieren ; oft ftundenlang zieht der Schwarm am 
Himmel dahin, gefolgt von Schafalen, Öyänen und Hunders 
ten von Vögeln, die nun ein großes Mahl halten. Mit 
langen Geſichte ſchaut der aufgefchredte Bewohner die Plage 
an; er weiß, daß feine Ernte vernichtet und flir das nächſie 
Jahr auf Brot bei den meiften Aermeren nicht zu vechnen 
ift, Nur ein plöglich fallender Regen vermag die Schwärme 
noch zit vernichten, die Thiere erftarren, können nicht weiter 
und fterben in furzer Zeit. Manchmal kommt diefe Geißel 
jebes Jahr, bleibt aber auch zuweilen jahrelang aus. ft 
der Ader von Heuſchrecken verfchont geblieben, fo find dod) 
noch andere Feinde defjelben im Binterhalt. Antilopen und 
wilde Schweine kommen in Scharen, um die jaftigen Halıne 
zu freffen ; "des Nachts erfcjeint der Elephant in Herden, 
mehr zertretend als er ſelbſt frißt. Doch gegen dieſe Feinde 
find einige Peute genügend, die zur Bewachung ber Meder 
zuriifbleiben, während die Uebrigen nad) dem Meere zu 
weiterziehen, um bas überall mit dem Regen fprießende Gras 
zu benugen. Die frauen brechen die Hlitten ab, die Mats 
ten, Stäbe und das wenige Hausgeräth wirb auf die gebul: 
digen Ochſen geladen, und dann wird nad) bem vorher bes 
ftimmten Plage gewandert, mo das Lager wieder einige 
Zeit bleibt. Das erfte Geſchäft in dem neuen Lager ift, 
bas Feuer anzuzünden, Der Beduine verfteht es ganz gut, 
mit zwei Hölgern Feuer zu reiben; doch iſt diefe Arbeit fo 
anftrengend, daß er es vorzieht, ſich auf andere Art zu helfen. 
Bom legten Feuer werden einige glimmende Kohlen mitge: 
nommen, die in etwas Mift, meiftens Clephantens ober 
Kuhmiſt, gepadt ich heif genug erhalten, um nach Stunden 
wieder angefacht werben zu fünnen. Doch fängt das Streid)« 
feuergeng an, immer mehr diefe urfpränglicen Methoden 
zu verdrängen und ift ein GSegenftand Hohen Verlangens; 
ber Beduine wird felten verfäumen, ben Fremden um Feuer— 
zeug, Zuder und Seife anzufprechen. Nach diefen drei 
Dingen und vielleicht noch nad) etwas Tabad fteht allein 
fein Sinn. Mit Ende Januar hören die Negen auf, bie 
Sonne befommst wieder die Macht, und fängt an das hohe 
Grad zu verborren; der Nomabe zieht wieder mit feiner 
Herde nad) dem Gebirge zurück, um feine Ernte einzuthun 
und die Hörner durd) das Bieh ausdrefchen zu laſſen. Das 
trodene Gras hat nicht viel Nährſtoff mehr, die Kühe ma— 
gern ab, die Milchquelle verfiegt und jeden Tag muß er 
mit feiner Herde weiter ziehen, immer mühſamer wird fein 
Leben, bis die neue Regenzeit ihn wieder frei macht. 

Die Einförnigfeit des Yebens wird felten durch die 
Fejtlichfeit einer Hochzeit unterbrochen, Dann betheiligt ſich 
das ganze Dorf am dem frohen Ereigniffe, ein Ochſe wird 
geſchlachtet und verzehrt und die Krone des Mahles bildet 
eine Art Gritge, die mit heißer Butter oder Milch gemofien 
wird. Geheirathet wird nur, wenn Nang und Vermögen 
der beiden Brautleute gleich find; bie Frau wird gegen eine 
gewiffe Anzahl von Klihen gefauft und hat natlirlic, ſelbſt 
bei der ganzen Angelegenheit nicht mitzufprechen. Die Mäd- 
chen heirathen jehr früh und verwellen bald; eine Frau von 
25 Jahren fieht aus, als ob fie 50 zählte, Das genaue 
Alter irgend einer Perfon zu beftimmen, ift übrigens nicht 
möglich), da Niemand Tag und Jahr der Geburt ſicher weiß; 
gewöhnlic wird nad) irgend einem wichtigen Ereigniß, das 

46 


362 


mit der Zeit der Geburt zufammenfiel, das Alter ungefähr 
beſtimmt, 3. B.: „Ich wurde geboren, als ber und ber Statt: 
halter in Hamafin war, ald der und der Kebell in Seraui 
aufftand, als die große Seuche unter dem Vieh war ıc.“ 
Wenig Aufhebens wird bei Sterbefällen gemacht, noch weni⸗ 
ger bei Geburten. Bei einem Todesfalle ſtimmen zwar bie 
alten Weiber ein Klagegeheul an und zerfragen ſich die 
Bruft, doch ift dies rein äußerlic); der Verftorbene wird 
ohne Geremonie beigefegt, fein Grab gut gegen etwaige Ge— 
füfte wilder Thiere gefdhligt und bald ift er vergefjen. 

So lange fein Bieh ſich in normalen Verhältniffen vere 
mehrt, bleiben Wohlftand und Yeben des Nomaden fic) gleid). 
Doch zuweilen wird fein Biehftand von einer Seuche erfaßt, 
die bei dem immerwährenden Jufammenfein der Herden und 
dem Mangel und der Unfenntnig von Gegenmitteln meiſt 
fehr verheerend wirft. Neun Zehntel der Herde erliegen 
dann der Krankheit, und der Befiger erholt fich nur ſehr 
langfam von dem Schlage. Gewöhnlich treten die Seuchen 
in der Negengeit ein, faf immer begleitet von Krankheiten 
unter den Menſchen, was dann die Noth verdoppelt, Ob— 
wohl das Söhel die größte Zeit im Jahre furditbar heiß ift, 
fo ift es doc; dann immer geſund; auch im der Negenzeit 
treten gewöhnlich feine Kranlheiten auf. Wenn fid) jedod) 
bie Regen fpäter als gewöhnlich einftellen und durch größere 
Waſſermaſſen das Verfäumte nachzuholen feinen, ift das 
ganze Tiefland ein Fieberneft; der Eingeborene ſowohl wie 
der Europäer wird vom Fieber ergriffen, das den intermit- 
tirenden Charakter hat, einige Wochen häufig kommt, dann in 
längeren Paufen, und ſchließlich ganz aufhört. Wird jedoch in 
biefer Periode eine Ortsveränderung vorgenommen und zieht 
die Bevölterung nad) den fieberfreien Höhen ab, fo tritt faſt 
immer das hitzige Fieber ein und ?/, aller fo Erfranften 
fterben. Gegen joldye Krankheiten wird nur felten ein Heil- 
mittel angewandt, meiſtens erwarten die Patienten von dem 
Befprechen der Krankheit Rettung. Der Glaube an die 
Macht von Zauberern ift weit verbreitet, jowohl bei Mo— 
hanımedanern wie bei Chriften. Die leßteren find bei den 
Beduan nur ſchwach vertreten und gehören nur dem Mienfa 
ſtamme an. Das Chriftentfum ift natlrlich furchtbar roh, 
noch} weit unter demjenigen Abeffiniens ftehend, und der Is- 
lam madjt reißende Fortſchritte. In 20 bis 30 Jahren 
werden bie Menſa ſammt umd fonders Mohammebaner fein, 
und die Bemühungen europäiſcher Mifftonäre werden daran 
nicht viel ändern. Die chriftliche Lehre ift eben micht filr 
den Geift des Nomaden geichaffen ; die von dem driftli 
Prediger ins Feuer geführten Gründe find ihm unfaßlich 
und vermögen nichts über bie fräftigen Reben, mit bemen 
die ummwohnenden Mohammtedaner Profelyten machen. So 
oft der „Koftan“ (Chrift) in den Hafenplag kommt, wird 
ihm von dem dortigen Mohammebaner vorgehalten, „daß 
er ein verfluchter Chriftenhund fei, der gewiß im der Hölle 
braten müffe, während der Gläubige in das Paradies ein« 
gehe und dort fieben fchöne Weiber bekomme“ und dergleidyen 
mehr. Warum fol er in der Hölle röſten? Die fieben Weiber 
fan er auch gebrauchen! Die blaue Schnur, das Zeichen 
des Chriſtenthums, wird aljo abgelegt, Matt bie Dreifaltig« 
feit anzurufen, ſchwört er bei Allah und dem Propheten und 
ift ein Mufelmann ; im Grunde ift er natürlic, derſelbe 
geblieben, der er vordem war, religiös inbifferent und glüd- 
licherweife deshalb nicht fanatifch. Nur die Vevölterung der 
wenigen Küftenpläge ift durch den Verlehr mit den gegen: 
überliegenden Häfen in Arabien, namentlich Dſchedda, jehr 
bigott und wiirde, wäre die Negierung nicht jo ftramm, mit 
Vergnügen den Chriften den Hals abfchneiden und ſich da— 
durch einen Play im PBaradiefe erwerben. Davon ift jedoch 
bei den Nomaden wenig zu finden. Es giebt einige Ereu- 


Die Beduan des „Söhel”. 


plare, bei denen ber Islam im Herz und Nieren liberging 
und die eifrig die religiöfen (Formen, Gebete, Waſchungen ꝛc. 
beobachten, doch find dies nur Ausnahmen, die von dem Ger 
fährten mit Achtung behandelt werden, deren Beifpiel aber 
wenig Nachahmung findet. Im Folge deffen fehlen auch die 
wiberlichen Unswlichje des Mohammebanisnus, wie Der- 
wiſche, Priefter u. ſ. w, die anderwärts die fejteften Stügen 
defielben bilden, und der Aberglaube der Beduan ift mehr 
ein praftifcher, infofern der Zauberer, der fein Anfchen ges 
nießt, dafür verpflichtet ift fein Vieh und ihn vor Krankheit 
zu bewahren, feinen Ader vor Henfchreden zu ſchlitzen und 
namentlid) aud) etwas den Schleier der Zukunft zu lüften, 
Als großer Mann in diefem Fache ift der Schech von 
M’Beremi (ein Heiner Play nördlich von Maſſawa) be- 
rithmt, der bereits für einen halben Heiligen gilt und fwrchts 
baren Zulauf in allen Yeibes- und Geiftesnöthen von weit 
her hat. Der Glaube an bie Macht diefes pfiffigen Gau— 
ners ift ungemein feftgewurzelt, und bie zahlreiche Berwandt« 
ſchaft dejfelben, die natürlich die verlodenden Ergebniſſe bes 
Schwindels theilt, trägt eifrig dazu bei, durch Erzählungen 
von den wunderbaren Kuren beifelben feinen Ruf immer 
weiter zu verbreiten. Faſt fein Schiff fticht mehr in See, 
feine Landreife wird angetreten , Fein wichtiges Geſchäft bes 
gonnen, ohne den Segen des Schech von Dr Beremt anzıt- 
rufen, an defien Macht Chriften und Mohammedaner mit 
gleicher Innigkeit glauben. Noch jehr im Schwunge geht 
bie Furcht in eim neues Haus zu ziehen, einen neuen Yager« 
plag einzumehmen oder in der Nähe von Gräbern zu lagern, 
da alle diefe Pläge nicht gehener und von böfen Geiftern 
bewohnt find, was namentlich von den Begräbnißplägen 
gilt Die Gräber find über das ganze Yand zerftreut, und 
wenn auch feine Erinnerung an bie Inſaſſen mehr lebt, jo 
ift Furcht und Pietät vor ihnen doch ganz allgemein. Im 
verichiedenen Formen find die Gräber gebaut, bald freisrund, 
bald vieredig, ftets fo daß feine frevelnde Hand die Gebeine be⸗ 
rühren fan, und das Ganze ift oft durch eine trodene Mauer 
gefjchigt, deren Kamm mit blendend weißen Quarzftüden be 
legt ift. Zuweilen auch wird ein flacher Segel aufgethlivmt 
und mit Quarzftiden belegt; diefe Hligel, die gern auf vor⸗ 
fpringenden Bergfpigen angelegt werden, umgeben von fri« 
fchem Grün, gegen welches das Weiß hell abſticht, bilden oft 
ſchöne Bilder und vortreffliche Landmarken. Selbſt nur einen 
Stein von einem Grabe zu nehmen gilt als eine Entweihung, 
die für den Thäter — unangenehme Folgen haben lann. 

Etwas verſchieden von den nomadiſchen Eingeborenen 
ſind die ſeßhaften Beduan, die in wenigen feſten Dörfern 
zerſtreut ſind. Schon in der Bauart unterſcheiden ſich die 
Wohnungen von den Hütten der Nomaden, Das Matten: 
zelt iſt verſchwunden und ftatt deſſen ein Holzhaus, mit 
Stroh gebedt, entftanden. Cine ſolche Behaufung ift in 
einigen Tagen gebaut. Während ein Theil der Eigenthümer 
im Walde krumme und gerade, ungefähr 10 Fuß hohe Piähle 
haut und herbeifchafft, werben die ‘Pfoften von den Baumei- 
ftern in Form eines Rechtecks im die Erde geftedt und 
durch längs gelegte Stäbe mit Baftftreifen an einander be 
feftigt. Einige flärfere und längere Pfoten im der Mitte 
dienen zur Stüge des Daches, das aus den biegfamen Sten- 
gel des „Aſchur“ beftcht, welche an die Yagen von Stroh felt- 
gebunden werben. Das Dad) ift im ziemlich fteilem Wintel 
angelegt, um den fchnellern Abfluß des Regens zu ermög- 
lichen. Die Wände werden gleichfalls mit Stroh ausger 
flodhten, und um im der innern Einrichtung den denkbar 
höchſten Comfort zu entwideln, wirb längs der Wände ein 
Divan hergerichtet. Derfelbe befteht aus einer Banf, deren 
Füße in den Boden feftgerammt find, während der Sig aus 
quergelegten, norrigen Hölgern gebildet ift, ein Lotterbett, 


Die Beduan des „Söhel”. 


deſſen Weicheit nur der zu würdigen verfteht, ber nad} des | 
Tages Paft und Mühe den Schlaf darauf genießen wollte, 
aber aud) nur „wollte“, Ein Sad Kartoffeln hat ungefähr 
als Matratze diefelben Cigenfchaften ‚und Annehmlichkeiten. 
Da der Beduine auf förperlice Reinlichleit nichts hält, fo 
ift fein Haus und er felbft vol Ungeziefer, was nicht dazu 
beiträgt, den Umgang mit ihm angenehm zu machen. 

Umgeben ift jedes Haus von der gewöhnlicen Seriba 
ans Dornbüfchen. ine ſolche Behaufung Hält immer bloß 
3 bis 4 Jahre; die Ameifen zerftören allmälig das Holz 
wert umd am Ende von längitens vier Jahren ftürzt das 
Haus zufanımen. Der Beginn ber abeffinifchen Regenzeit 
Mitte Juni fündigt ſich durch fiarte Winde an, die ſauſend 
durch die Schluchten toben, den Sand in Sandhofen herum: 
wirbeln und den Himmel gelbroth, färben, Der Sturm wirft 
fid) mit voller Macht auf die freiftehende Hütte, genöhulich 
wird das Strohdach zuerſt abgehoben und die morſchen Pfoften 
fallen dann von felbft übereinander. Zuweilen tritt auch 
ſchon früher Bernichtung ein. Durch Unvorfichtigfeit oder 
auch mit Abficht der Nomaden geräth das dürre Gras in 
Brand, der Wind treibt die Flammen vorwärts, die aud« 
getrodneten Hütten brennen wie Stroh und in wenigen 
Minuten ift das ganze Dorf zerftört. Doch ift das Unheil 
nicht jo groß und im fünf Tagen eine andere Hlitte fertig. 

Als Vermittler des Handels zwiſchen Abeffinien und der 
Küfte Haben die reichen Befiger von Kameelen ein ſchönes 
Einfommen ohme große Mühe; die ärmeren Leute treiben 
allen möglichen Heinen Handel, mit Salz von Zaltal, mit 
Mehl, Pfeffer ꝛc. ans Abeffinien oder verdingen fi) aud) 
bei Banarbeiten x. in Mafjama. Als Bermittler bes 
Sklavenhandels find fie berlichtigt und die jüngeren Leute 
vereinigen fic zuweilen zu Banden, die unter dem Schein 
von Handelsgeſchäften auf Plünderung und Menſchenraub 
nad) Barfa und Kunama gehen. Im Allgemeinen arbeitet 
der Nomade nur fo lange als er muß, um nicht gerade zu 
verhungern, und erlauben es feine Mittel, fo hält ex ſich 
zahlreiche Sklaven, bie ihn bedienen mliffen. 

Die ſämmtlichen Beduan find der ägpptifchen Herrſchaft 
unterworfen und die Regierung Munzinger's hat Alles ges 
than, um bas Yand zu heben. Im höchſten Grabe aner: 
lennenswerth ift die Energie, mit der Munzinger die perfüns 
liche Sicherheit in dem wilden Lande herſtellte. Vorher 
unter tirfifcher Herrſchaft war jeder Stamm mit dem ans 
dern im Kampfe, fein Dann konnte ſich unbewaffnet fehen 
laffen und zwiſchen den abeffinifchen Stämmen und denen 
des Tieflandes herrichte fortwährende Fehde um Weide und 
Aderpläge. Dazwifchen dehnten die Danalil von Süden 
ihre Einfälle bis in die Nähe von Maffawa aus und bie 
durchgichenden Karamanen waren allen mögliden Pladereien 
ausgeſetzt, jeder Verkehr erfchwert. Seit einigen Jahren ift 
das Yand in tieffter Ruhe, ein Eingelner fann unbewaffnet 
tagelang in größter Sicherheit reifen, fein Stamm kann ſich 
eigenmächtig Recht verichaffen, der Gouverneur entjcheibet 
für alle gleichmäßig. Mit gemifchten Gefühlen fchauen die 
Beduan diefe Neuerungen an; die mächtigen Stämme find 
erboft darliber, dem mancher Bortheil aus Tribut und Plüns 
derungen entgeht ihnen und dazu müſſen fie noch ſchwere 
Steuern zahlen; die ſchwächeren Stämme beginnen ſich zu 
fühlen, preifen den Paſcha, der ihnen Schu und Sicherheit 
gewährte, und zahlen die Steuern zwar nicht mit Bergnügen, 
aber doch ohne fonderliches Widerftreben. Die Steuern 
werben gewöhnlich im Mai von Soldaten eingezogen, ba 
dann die Nomaden ficher in der Nähe der Brunnen zu fin 
den find, wo ihnen der Tribut entweder in Geld oder in 
Vieh abgenommen wird. Einzelne Bedrlidungen feitens der 
rohen Soldaten fommen natürlich dabei vor, doch verhält: 


363 


nigmäßig wenige, da jeder weiß, daß er bei dem Paſcha Ge- 
techtigkeit findet. Ob diefe friedlichen, geordneten Juftände 
fid) nad) dem Tode Munzinger's fo halten werben, ift uns 
gewiß. Es hängt dies lediglid von dem Charakter des 
Gouverneurs ab; ift diefer ein Tüirfe von der alten Schule, 
ber Yand und Volt als eine zum Ausquetſchen beflimmte 
Citrone betrachtet, jo werben die Mißbräudje, unter denen 
der ägyptifche Unterthan anderwärts leidet, auch im Söhel 
wieber ihren Einzug halten. Unngefehrt ift es unter einem 
verfländigen, gerechten und energifchen Gouverneur nicht 
ſchwer, die Bewohner auf dem von Munzinger jo erfolgreich 
betretenten Pfade zu halten. 

Der Charakter der Beduan bietet viel Schatten und we— 
nig Licht. Seine beiten Eigenſchaften find Muth, einige 
Liebe zu feiner Familie, natlirlicher, ſcharfer Berſtand und 
Gaftfreundlichfeit. Seine ſchlimmſten Seiten find Heimtücke, 
Granfamkeit, Hang zum Betrug, Yügenhaftigkeit und große 
Habgier. Die Blutrache war früher allgemein und konnte 
bis jegt noch nicht unterbrüdt werden, Durch eine Geld: 
fumme, devem Höhe ſich nad dem Nange des Ermordeten 
richtete und an die Berwandten zur zahlen war, konnte die 
Schuld zuweilen gefühnt werden. Durch das ftrenge Regis 
ment ber Regierung fommt biefer Brauch allmälig in Ab— 
nahme. Die Habgter beherrſcht den Beduinen vollftändig 
und beeinträchtigt ſehr oft die patriarchaliſche Sitte der 
Gaftfreundfchaft; am den befuchten Handelsftragen muß bie 
geringſte Kg mit Thaler aufgewogen werden, und oft 
muß man den Sclud Waffer bezahlen, Europäifche Reis 
fende haben viel beigetragen, diefe ſchlinme Cigenfchaft noch 
mehr zu entwideln, meift gaben fie Geld mit vollen Händen, 
und die Beduan waren gewöhnt, jeden Franken ald Millio- 
när zu betrachten, eine Meinung, unter der weniger Bemit⸗ 
telte natürlich am meiften leiden. Geld allein wird bei den 
Eingeborenen in Kiften, alle anderen Sachen werden in Leder⸗ 
ſchlauchen verpadt, und da das Gepäd des Europäers meiftens 
aus Kiften befteht, fo ift es fonnenflar, daß diefelben mit 
Thalern gefüllt find. Nun fängt er an zu grübeln: er ift 
ein armer Mann; warum foll er dem reichen „Frenghi“ 
feine Waare zu dem gewöhnlichen Preife geben? Ex ver 
langt das Vierfache des Werthes, das Handeln und Feilſchen 
nimmt bie befte Zeit weg, und ſchließlich ift man doc noch 
betrogen. Als Begleiter ift der Beduine faul und unguvers 
läfjig und ftets bereit einen Streich gegen die Abfichten ſei— 
nes Heren zu führen und mit feinen Landsleuten Ränke zu 
ſchmieden, um den Fremden zu betrügen. Er ftcht noch 
unter dem Ubeſſinier, trotzdem derſelbe doch auch faft alle 
erbenklichen Fehler hat, und weit unter dem aus Jemen eine 
ewanbderten Araber, Diefe Araber haben fid) im einigen 
Stämmen im Söhel ald Nomaden niebergelaflen und fort 
während trifft Nachſchub ein, da das Fand ihnen fehr zufagt. 
An Thätigfeit, Regjanteit und Eifer übertreffen fie die Eins 
geborenen bedeutend und im größerer Anzahl dikrften fie eine 
ernfte Gefahr für die Beduan bilden. Die legteren jehen 
natürlich die Einwanderer mit fcheelen Uugen an, wagen 
aber nichts gegen fie zu unternehmen, da diefelben von ber 
Regierung geſchützt werden und felbft friegerifch genug find, 
um ſich mit Erfolg zu wehren. Durch ihre Unbändigfeit 
machen fie ibrigens der Negierung Ungelegenheiten genug. 
Da fie ebenfalls Nomaden find, jo ift weder von ihnen noch 
von den Beduan fllr eine vernünftige Bewirthſchaftung und 
Ausnugung des vielen culturfähigen Landes das Geringfte 
zu hoffen, Die Verhältniffe find doch noch zu unficher und 
zu wenig verlodend, um den Europäer Geld, Zeit und Ger 
fundheit wagen zu laflen, und deshalb wird das Söhel wohl 
immer bleiben, was es jet ift: ein Tummilplatz wilber 
Beftien und culturumfähiger Nomaden. 

46 * 


364 


Die wiſſenſchaftliche Erpedition Sr. Majeftät Schiff „Gazelle“, 


Die wiffenfhaftlihe Erpedition Sr. Majeftät Schiff „Gazelle*. 


I. Reije von Gapftadt bis Mauritius, 


Nachdem die „Sazelle* im der Capſtadt die legten Bor: 
bereitungen fir ihre lange Reife beendet und mit allem Er: 
forderlichen verfehen war, verließ fie am 3. October 1874 
die Tafelbay: die Reife mad) Kerguelen follte ihr ins 
deſſen ſchwer genug werden, Mit leichter weſtlicher Brife 
lenfte die Corvette ein in ihre weite einfame Bahn. Bald 
genug aber fegte ihr ein heftiger Sturm aus Sliden tüdhtig 
zu, und faum war diefer überwunden, fo zerzaufte ihr vom 
12.68 13. October ein ſchwerer Oſiſturm die Tafelage. Erſt 
am 18. October inder Nähe der Crozetd: Infeln (vergl. 
oben S. 352) fam man in die längſt erhoffte Negion der weit: 
lichen Winde. Bon diefer Inſelgruppe ftellte Herr v. Schlei- 
nis, da das Wetter flar war, die weftlichite, nämlich Hog 
Island, nach Fänge und Breite aſtronomiſch jeft und richtete 
dann feinen Curs auf die in ber Nähe liegenden Pinguin 
Infeln. Obwohl der „Challenger“ noch in feiner neueſten 
Karte deren zwei angiebt, fand die „Gazelle“ nur eine, 
weldye gleichfalls nach Yänge und Breite beſtimmt wurde. 
Wie fait alle jene Heinen Infelgruppen des Indiſchen 
Dceans, fo find aud) diefe Gruppen fait permanent von 
einem Dunftkreife umgeben, welcher kaum geftattet, das Yand 
auch nur auf 1 bis 2 Seemeilen genauer zu erkennen, ges 
ſchweige denn gar definitive Aufnahmen vorzunehmen. 

Die fernere Reife bis Kerguelen war eine fchnelle, 
Unter weftliden und nördlichem Sturm langte die Corvette 
bereits am 22. October 1874 in der Nähe der Infel an, 
vermochte aber, da wieder Nordweit-Sturn einfegte, erſt am 
26. October in Betfy Eove auf der Norboft-Seite Ker— 
guelens, ihrer nunmehrigen vorläufigen Heimath, zu Anter 
zu fommen, 

Auf Seite 26 und 39, Band XXVI, 1874, brachten 
wir ſchon einmal eine Kurze Schilderung der Infel Kergue— 
fen, nad} den Berichten des „Challenger“. Heute ergänzen 
wie jene durch die Mittheilungen des Herrn von Schleinitz. 

Obwohl das genannte Schiff und die „Arcona“ ein 
Jahr zuvor bei Kerguelen ſich aufhielten und erſteres auch 
die Oſt- und Norbfüfte aufgenommen hat, jo drangen dod) 
die Befagungen beider Schiffe bei ihrem verhältnißmäßig 
kurzen Aufenthalt nicht ins Innere der Inſel ein und konn— 
ten daher ihre Aufnahmen nicht fo eingehender Natur als 
die der „Sazelle* fein. In den beiden erwähnten Abhand— 
lungen über Slerguelen wurde die Größe der Hanptinfel 
auf 126 beutiche Quadratmeilen angegeben; nad) Herrn 
von Scleinig umfaßt die Kerguelen-Gruppe mit Einfluß 
der Buchten einen Raum von 180 geographiſchen Quadrat⸗ 
meilen, von denen 129 auf die Hauptinfel entfallen. Die 
Gruppe beſteht aus 130 größeren und Heineren Infeln und 
ungefähr 160 über dem Meeresipiegel ſichtbaren Felſen und 
Kiffen. Während die Hauptinfel etwa 60 Seemeilen lang 
und breit ift (nicht, wie früher angegeben, 90 lang und 60 
breit), beträgt die Geſammtlänge ihrer Hüften die verhält: 
wigmäßig enorme Zahl von 700 Meilen. Diefe feltene 
Küftenentwidelung wird durd; 15 Halbinfeln, 6 größere 
Bayen und etwa 70 Buchten oder Häfen erzeugt, deren 
Längsachfe der Richtung der — herrſchenden ftütr- 
mifchen Weſtwinde entſpricht. E 
fo merfwürdiger, als Kerguelen ja vulcaniſchen Urjprungs 
ift, und Infeln diefer Entftehungsart felten oder nie irgend 
welche Küiftenentwidelung zeigen. Herr von Schleinig glaubt 


8 ift diefe Erſcheinung um 


ben Grund fiir diefe ausnahmsweife Küftenentwidelung in 
Zufammenhang wit jenen, man möchte jagen ewigen 
weſtlichen Winden bringen zu ſollen. Er meint, man lönnte 
anzunehmen geneigt jein, daß das auf den Bafaltdeden au— 
gefammelte Regenwaſſer, von den ſillrmiſchen Winden un« 
unterbrocdyen in einer Richtung fortgepeitſcht, fich zunächſt 
Heine Rinnen in das harte Geſtein gefreſſen Hat, die ſich 
allmälig zu den langen und tiefen Buchten nad; Often hin 
erweitert haben. 

Der ganze Infelcompfler wird gleichſam von ben liber 
den Meereöipiegel hervorragenden Gipfeln einer unters 
feeifchen Bodenerhebung gebildet. Bis 200 Scemeilen von 
der Infelgruppe entfernt beträgt die Meerestiefe in dieſer 
Gegend des Indiſchen Oceans durchſchnittlich 3000 bis 
3400 Meter. Dann aber mindert fie fich, bis 100 Seemeilen 
von Kerguelen, auf 380 Meter und weniger ; plöglich wächſt 
fie wiederum zu 500 Meter an. Dies gilt vornehmlich für 
die Nord» und Oftfeite. Aber auch im Südoſt, zwiſchen 
Kerguelen und ben 240 Seemeilen entfernten Mac- Dos 
nalds-Inſeln, beobachtete Herr von Schleinig Achnliches: 
auf halbem Wege zwiſchen beiden Gruppen mindert ſich eben— 
falls die Waffertiefe bis 188 und 232 Meter; in furzer 
Entfernung davon aber gaben 750 Meter ausgelaufener 
Leine jchon feinen Grund mehr. 

Kerguelen ſelbſt ift faſt im allen Theilen hoc) und ber: 
gig *). Die höchſte Erhebung erreicht das Yand im 
Mount Roß im Süben der Infel. Plateauſörmige Bas 
faltberggüge mit teil terraffenförmigen Abhängen verleihen 
der Inſel von der See her einen bejondern Charakter. Dies 
fer Mannigfaltigkeit in den Gebirgsformen ift es zuzuſchrei⸗— 
ben, daß die Infel, an einen Haren Tage gefehen, weldjer 
gleichzeitig einen Einblid in das geheimnigvolle Innere ge: 
ftattet, durchaus nicht einen fo einförmigen und troftlofen 
Anblif gewährt, als man bei dem volljtändigen Mangel 
an Baum: und Strauchpartien wohl anzunehmen geneigt iſt. 

Wie ſchon bemerlt, langte die „Sazelle“ am 26. Octo— 
ber in Betſy Cove an. Es ift dies ein winziger Bufen am 
Norboftende der Inſel: fo Hein, daß die „Gazelle“* fait nicht 
Raum genug für ſich darin fand. Die Mitglieder der Be« 
und-Erpedition gingen alsbald an Yand und errichteten fid) 
mit Hülfe der Manuſchaft ihr Wohnhaus. Am 12. Novems 
ber war Alles in Ordnung, und fonnte man nunmehr dem 
großen Tage des 9. December mit Ruhe entgegenfehen, ob» 
wohl die Witterungsverhältniffe kaum ein Gelingen ber 
Beobachtung des feltenen Phänomens erhoffen ließen. 

Die "Öayelle‘ unternahm während biefer Wartezeit 
wiederholt Streifzlige die Küſte entlang. Am 16. Noven- ° 
ber verließ fie Betſy Cove zur Erplorirung der Injel. Zus 
nächft dampfte fie nad, einem in der neueften britischen Ad: 
mivalitätäfarte vom Jahre 1874 zwar amgedeuteten, aber 
noch nicht benannten Hafen, am Sübdende der Foundery 
Brand. Der Eingang zu diefem Hafen liegt derartig 
verſteckt, daß Herr von Schleinitz ſchon am feiner Eriftenz 
zu zweifeln begann, weil fogar ein vorausgefandted Boot 
die Einfahrt zw dieſem vortrefflichen Anlerplatz auf 1 bie 2 


*) @ine ſeht bübfche Karte der Infel nach den Mufnahmen tes 
Ghalleuget“ und namentlich ter „Öhagelle” brachte fürzlich die „Zrite 
ſchrift ber Geſellſchaft für Etdkunde zu Berlin XI (1876), Heft I,” 


Die wiſſenſchaftliche Expedition 


Kabellängen Entfernung nicht zu entbeden vermochte, Diefe 
Einfahrt ift thorartig von hohen Felswänden begrenzt, von 
laum einer Kabellänge Breite. Gegen die ſchweren Weit: 
winde ijt diefe Bucht, die Herr von Schleinitz „Schön 
Wetter Hafen“ nannte, volllommen geſchützt, wie aud) 
die hierfelbft üppigere Vegetation zu beweifen ſcheint. Die 
Ufer zeigen gleichfalls erhöhtes Yeben: Wajlervögel aller 
Art tummeln ſich dajelbft. Unerſchöpfliche Bänte von eßba⸗ 
ven Mufcheln finden fid an verfchiedenen Stellen der Bay. 

Nach Verlauf vom zwei Tagen ſchon kehrte die „Sazelle* 
nach Betſy Cove zurüd, um am 28. November abermals 
auszulaufen zum Zwede der Aufſuchung von Kohlen im 
Weihnachtshafen an der Nordfeite Serguelens; gleichzeitig 
follten aber aud) neue Vermeſſungen am der Dftfeite vorges 
nommen werden. Zunüchſt wurde des ſchlechten Wetters 
wegen auf der Pallifer Rhede geankert, demfelben Orte, 
wo auch Cook zum erften Male feinen Aufenhalt nahın. 
Die große Halbinfel weſtlich diefes Unferplages wurde „Bis- 
mard-Halbinfel* getauft. Etwas weiter nördlich wurde eine 
ebenfalls bis dahin wenig befannte Bucht, der „Erfolg“: 
Hafen, genauer vermeflen, zu welchem Zwede der durd) 
Sturin hervorgerufene, unfreiwillige Aufenthalt fleißig auds 
genugt wurde. Am 5. December verfuchte Herr von Schlei- 
nig, nachdem wiederum drei Tage lang ein fehr ſchwerer Nord- 
weſt ⸗· Sturm geweht, zum Weihnachtshafen zu gelangen, 
Der Verſuch mißlang indefien abermals, da der Sturm 
nicht allein nicht nachließ, ſondern an Heftigkeit den beinahe 
denkbar möglichilen Höhegrad erreichte. Am nächſten Tage 
nahm der Wind bei fallendem Barometer ab. Die 
„Gazelle“ dampfte nad Süden in die Tuder-Straße hins 
ein, vermaß den Öelenens, Credner und Mariensdafen und 
traf endlich Abends im Weihnachtshafen ein. 

Am 7. December ging die Corvette, ohne brauchbare 
Kohlen gefunden zu haben, Anker auf und fegelte nad) 
Betſy Cove zurlick, wofelbft fie am 8. wieder eintraf, Am 
folgenden Tage wohnte fie der Beobachtung des Venusdurd) 
ganges bei, woran fich natürlic, auch ſämmtliche Difiziere 
bes Schiffes betheiligten. Wie befannt, gelangen alle 
Beobachtungen wider Erwarten auf das Borzüglichfte in 
aſtronoiniſcher wie auch photographifcher Hinſicht, da ein 
glinftiges Geſchick den Aftronomen einen hellen und Haren 
Himmel beſcheert hatte. 

Um das Reſultat dieſer Beobachtungen nun möglichſt 
ſchnell an feinen Beſtimmungsort Berlin gelangen zu laſſen, 
begab ſich die „Sazelle* nach Norden, um die gute Nach: 
richt einem der vielen Huftralienfahrer zur Beförderung zu 
übergeben. In der That traf man auf ein Bremer Boll: 
ſchiff Gabain“*, welches den Auftrag aufs Befte ausjlihrte, 
Schon am 15. Februar 1875 traf die Depefche vom glüd: 
lichen Gelingen aus Akyab (britifche Provinz Arakan, Meer: 
bufen von Bengalen) in Berlin ein, 

Bald nad) der Ankunft in Betfy Cove waren von dies 
fem Orte aus Ercurfionen von größerer oder geringerer 
Dauer ind Iunere der Juſel ausgeführt worden. Die nie- 
drige Temperatur, die jelbft mitten im Sommer oft auf 2° 
bis 30 E,, in den Bergen fogar unter 0° finft, in Berbin« 
dung mit dem jelten länger als einen Tag ausbleibenden 
Regen oder Schnee, fchließt ein Uebernachten im freien auf 
dem feuchten Boden aus, vorausgejegt, daß man nicht etwa 
befondere kraft⸗ und zeitraubende Vorbereitungen dafür ge 
teoffen. Will man indeffen längere Ausflüge machen, fo 
werben diefe durch die Mitnahme vieler nothwendiger Dinge 
fehr erſchwert. Abgefehen von Proviant, Zelten u. ſ. w. ift 
vor Allem Brennmaterial mitzunehmen erforderlich, da auf 
der ganzen Inſel fein Holy zu finden ift und man daſſelbe 
bei dem rauhen Klima abfolut nicht entbehren fan. Die 


Sr. Majeftät Schiff „Bazelle*. 


anfänglichen Excurſionen richteten ſich natürlich auf die 
Umgebungen von Betiy Cove: die Obfervations-Halbinfel. 
Gelegentlich, jener wurden von Gapitän-Lientenant Straud) 
verſchiedene Berghöhen barometriſch gemeffen. Als höchſten 
Punft der Halbinfel fand derfelbe den Moſeley-Berg, 
5,3 Seemeilen in Weft 7’, Nord von Belfy Cove entfernt, 
zu 757,98 Meter — 2487 engl. Fuß. Auch Herr von Schlei— 
nitz jelbft unternahm am 18. December mit drei Offizieren 
und adıt Matrofen einen mehrtägigen Ausflug in die der 
Obfervations-Halbinfel augehörenden Bergzlige. Die ganze 
Gegend ift bededt mit feljigem Steingeröll, das im feinen 
Vertiefungen ein Syſtem von unzählbaren, mitunter großen 
Seen und Slmpfen umfaßt, eine wafjerreihe Steinwüſte 
von troftlofer Einförmigkeit und kaum von einigen Enten 
und den hier niftenden Naubmöven belebt. Das Geſtein 
befteht aus dem gewöhnlichen, feinförnigen ſchwarzen Bafalt, 
Zwei Flüffe durchftrömen die Objervation®-Halbinfel. Der 
diefelbe weſtlich begrenzende „fteinige Fluß“ hat ein breites, 
jedod) ganz fteinerfülltes Bett; der andere, deſſen Yauf nicht 
—* feftgeftellt werden lonnte, iſt unbedeutender und wenig 
einig, 

Daß Kohlen auf Kerguelen gefunden wurden, ift früher 
ſchon angedeutet worden. Indeſſen waren diefelben zum Hei⸗ 
zen flir die Maſchine unbrauchbar. Neben ihnen fand man 
aud) (in ber Nähe des Ard-Rod, im Norden beim Weib: 
nachtshafen) einiges verfteinerte Holz. Beides deutet un 
weifelhaft darauf hin, daß in früheren Zeiten hier ein befs 
—— Klima geherrſcht hat und die Iufeln bewaldet geweſen 
find. Da fogar bei den Kohlenſchichten auch etwas Bern: 
ftein gefunden worden ift, fo dirfte fic hieraus und auch 
aus den bereitd erwähnten werfteinerten Holzproben bie 
Holzart ermitteln laſſen, welde die Inſel einft erzeugte. 
Außer diefen beiden verwandelten Ueberreften kann man viel- 
leicht aud) den auf der Inſel vorfommenden Kitffeltäfer, 
deſſen Verwandte auf Holz wohnen, als lebendigen Zeugen 
einer einftigen Baumwegetation anfehen. 

Im Norden der Infel find einige zum Theil bedeutende 
Berge zu verzeichnen, Nördlic vom Weihnachtshafen: ein 
fegelförmiger Berg von 370 Meter Höhe, der einzige von 
den erforfchten, welder Spuren von Vulcanismus zeigt. 
Weiter jüdlich, und N yon ſudweſtlich von der Prinz. Adalbertö« 
Inſel, fteigt der Mount Richards mit doppelter abge 
ftumpft legelförmiger fchneebebedter Spige zu größerer Höhe, 
nämlid; 1220 Meter, empor. Die Erhebungen der Injel 
gehen hier in ein andgebehntes Schneeplateau über, das in 
feiner Höhe.von 450 bis 910 Meter varüirt. Einige felfige 
Gipfel und Vergrüden, zum Theil von fegelfürmiger Ge— 
ftalt, ragen aus demſelben hervor. 

Nach beiden Seiten der Infel, nadı Oſt und Weit, fleis 
gem vom jenem verfchiedene Gletſcher in die Thäler hinab: 
an der Weftfeite bis in das Meer, wo fie oft Eisberge bil- 
den; während au der Oftfeite von ihnen Seen und Flüſſe 
erzeugt werben. 

a8 endlich die erforfchten großen Infeln und Halb» 
infeln der Oftjeite (Bismards, Stofdy., Roon- und Jachmann⸗ 
Halbinfel, die ſchon erwähnte Prinz-Adalbert⸗Inſel und die 
Hafen-Dnfel) betrifft, fo find diefelben durch terraflenförmige 
BVergzüge von ducchfchnittlic 150 bis 300 Meter Höhe ge: 
bildet, welche nur vereinzelte Erhebungen bis 520 und 580 
Meter aufweiſen. 

Nicht mindern Eifer als auf die Erforfchung der Infel 
im geologijcher Hinficht verwandte die „Öazelle“ auf die 
weitere Erforfchung der Flora Kerguelens, Abgefehen von 
den Waflerpflanzen befteht die Vegetation der Gruppe vor— 
zugsweife aus Moofen, Gräfern und ſehr Meinen Farrn, 
von denen die meiflen antarktijchen Regionen, einzelne aber 


365 


366 


feltfamerweife nur diefen Infeln eigenthümlich find. An 
Nugpflanzen bietet Kerguelen wenig; außer einigen, gutes 
Viehfutter bildenden Gräfern fommt nur der früher ſchon 
einmal erwähnte Kerguelen-Kobl („Slobus*, Bd. XXVI, 
©. 40), ein fehr werthvolles, aromatiſches uud antifforbu- 
tiſch wirlendes Gemliſe, im Betracht. Holz oder Bäume 
giebt es, wie ſchon bemerft, nirgends, ebenfowenig Strauch-⸗ 
wert, das als Brennmaterial verwandt werden könnte. 

In gleicher Weife fpärlich wie die Flora zeigt ſich auch 
die Fauna vertreten. Bei alledem wurde von der „Gazelle“ 
unter anderen conftatirt eine neue Art von Geebüren ober 
Ohrenrobben (Otaria), einer für den —— und die In⸗ 
duſtrie ſehr werthvollen Pelzrobbe, die allerdings ſeit Jah⸗ 
ren wegen ihres loſtbaren Pelzes zu Tauſenden erlegt wird, 
bisher aber noch nicht wiſſenſchaftlich unterſchieden war. 
Prof. Dr. Peters, welchem von der königlichen Alademie 
der Wiſſenſchaften zu Berlin zwei von der „Gazelle“ ein 
gejandte Eremplare diefer Pelzrobbe zu näherer Unterfuchjung 
libergeben worden find, hat diefe für die Wiffenfchaft neue 
Thierart zur Erinnerung „Arctophoca Gazella“ genannt, 
Außer diefen beiden Tieren find dem zoologifchen Muſeum 
zu Berlin noch zwei See-Efephanten (Cystophora leonina L. 
— Morungia elephantina Gray) und ein SeesFeoparb 
(Ogmorhinus leptonyx Blainville Stenorhynchus 
leptonyx) eingejandt worden, welche Seehundsarten biäher 
ben Mufeum ſämmtlich fehlten umd die mach Ausſpruch 
bes berühmten englifchen Zoologen John Willis Clark bis 
jegt Überhaupt noch von feinem europäifchen Mufeum auf: 
bewahrt wurden. ” 

Außer diefen Geſchöpfen eben auf Kerguelen noch Mö- 
ven, wilde Enten, Albatrofie, Pinguine und bie faft mit 
Händen zu greifende Chionis (ein weißer taubenartig aus: 
fehender Bogel, welcher ſich im ber Regel paarweife auf den 
Klippen in Gefellichaft der Pinguine aufhält). Alle biefe 
Thiere und die Robben, aud) bie Eier der erſteren, dienen 
ben Robbenfchlögern, wenn auch nur in einzelnen Theilen, 
zur Speife. 

Zum Schluffe diefer Betrachtung Kerguelens fei noch 
eine Furze meteorologifche Bemerlung geftattet. „Will man,“ 


Aus allen 


Die japanifhe Induftrie von Einft und Heute. 


Die glänzenden und gefhmadvollen Begenftände, womit 
die japanische Regierung die Bictoria-Angftellung in Mel: 
bourne (1875) beſchickt bat, Fonnten wicht umbin, die all- 
gemeine Anfmerkjamkeit und Bewunderung auf ſich zu 
sieben. Es war wohl die vollftändigfte Sammlung der ſchön— 
ften Mufter rein japanifcher Kunſt, die vielleicht jemals dem 
Auge eines Fremden geboten wurde, ebenjo reich durch das 
Material als trefflih in der Ausführung und geſchmackvoll 
in der Zeichnung. Es waren Töpferwaaren, ladirte Ge: 
genſtände, Stahliwaaren, Waffen, Manufacturen und gemifchte 
Artikel in erſtaunlicher Menge und jede Aubrif im ſich höchſt 
wertbvoll. Beim erften Anblit konnte man meinen, diefe 
Urnen, diefe Schalen und Vaſen feien nach den reinften alt 
äguptifchen, etruskiſchen und griechiichen Zeichnungen gefertigt. 
In der ganzen Geſchichte der Feramifchen Kunft von den 
ülteften Zeiten bis heute haben wir nichts, was dieſe Waare 
an Kinftlerifcher Eleganz der Form überträfe. Sir Auther: 
ford Alcod hat die Anficht ausgefprochen, daß die Japanefen 
ibre gegenwärtige Vollendung in diefenm Kunftzweige bereits 


Aus allen Erbtheilen. 


fo bemerft Herr von Schleinig, „die Witterung bei Kerguelen 
kurz dyarakterifiren, fo fan man fagen: Es weht betän- 
dig Sturm zwifcen Nord und Welt mißweifend (ober 
Norbweit zu Nord und Sidweft zu Wet vechtweifend) mit 
Scuee:, Hagel» und Regenböen, die ſigem *) Horizont, aber 
oftmals klarem Himmel und kühlem Wetter. Ab und zu 
wird biefer Nord: bis Welt-Sturm durch leichtere Winde 
aus denfelben Richtungen oder noch feltener durd; ftürmifchen 
NordoftsWind unterbrochen; letzterer bringt dichten Regen 
und Nebel und wärmeres Wetter, Andere Winde treten 
nur ganz vorübergehend auf.“ Als intereffanter Belag fil 
die ftitensifche Witterung Serguelens wird aud) bie Beob» 
achtung des Dr. Studer, Naturforfchers auf ber „Ga- 
zelle*, augeflihrt, daß bie hier vorkommenden Infecten, ind: 
befondere die Fliegen, flügellos find. Ex fchließt daraus, daß 
biefelben mit der Zeit die Flugel abgelegt haben, als nuglofe 
Anhängfel, weil die Stürme ihnen das Fliegen nicht geftatten. 

ALS die „Gazelle“ von dem oben erwähnten, gegen Ende 
December und Anfang Januar zur Meldung des Ergeb 
niffes der Benus-Beobachtungen unternommenen Vorſtoßes 
gegen Norden am 22, Januar 1875 mac, Betiy Cove zu: 
rücdgefehrt war, beſchloß Herr von Schleinig, da die aftro- 
nomiſchen Beobachtungen der Erpebdition noch nicht ganz 
vollendet waren, abermals in See zu gehen und aud) noch 
einen Borftoß gegen Sübflidweft zu unternehmen. Gin 
nordweftlicher Sturm verhinderte indeſſen das Auslaufen 
bis zum 25. Januar, Nach GConftatirung der füdlicen 
Ausdehnung der Bank, auf der Kerguelen liegt, und einigen 
hydrographiſchen Unterfuchungen fehrte die „Öazelle“ bereits 
am 29, Januar nad; Betfy Cove zuriüd. Das Obfers 
vationshans wurbe darauf abgebrochen, und fo verlieh die 
Corvette dem ihr heimifch gewordenen Ort am 3. Februar, 
um fid) über die Infeln St. Paul **) und Amfterdam, 
welche fie nad Yänge und Breite noch genauer feftlegte, 
nad) Mauritius zu begeben, Sie traf daſelbſt am 26. Fe— 
bruar im Hafen von Port Louis glüdlic ein und jegte die 
Mitglieder der Benus-Erpedition an Land. 


*) Soviel ale bedeckt, verfchleiert*.  **) Wergl. oben ©. 2. u. 26. 


Erdtheilen. 


zu einer Zeit erreicht hatten, als die Vorfahren der meiften 
civilifirten Nationen Europas noc als wilde Jäger in ben 
Urwäldern bauften, was allerdings zugleich das den Völkern 
des Drients eigentbimliche lange Stillitchen auf einer Eultur- 
ftufe im ſchlagender Weife darthut. Sei dem aber wie dem 
wolle, in Allem, was Eleganz und Reinheit der Zeichnung 
anbelangt, befinden fich jene ganz auf der Höhe der europät: 
ſchen Künftler, die fie fogar an zarter Ornamentirung nicht 
felten übertreffen. In fenriger Farbengebung, feiner Emailli- 
rung, Bartheit der Malerei, jet der Gegenftand nun eine 
Landſchaft oder ein lebeudes Welen, in Wirkung des Gold, 
auftrages und Naturwahrbeit der Darjtellung tragen die 
Künftler des Oſtens, tro& der der japanefichen Kunft ſonſt 
anhängenden Gebrechen, die Palme über ihre Brüder im 
Weſten davon. Auch von der anmuthigen Kunſt des Ladirens 
finden fich bier Muſter, welche den hoben Ruf, den die Ja- 
panefen hierin haben, rechtfertigen. Der beifelfte Geſchmad 
würde nicht im Stande fein, auch mur im einem einzigen 
Punkte des Details einen Mangel zu entdeden. Wie graziös 
und wie forgfältig ausgeführt find ibre eingelegten Arbeiten, 
ob nun in Gold oder Silber oder eingelegten Holzarten aus: 


Aus allen 


geführt! Die Finger, welche fo elegante Sächelchen Schaffen 
konnten, mußten fo dünn, To gefchmeidig fein wie die einer 
bochgeborenen europäifchen Dame. In einer der Abtheilun⸗ 
gen finden wir eine Sammlung Vaſen äghptiſchen Charal- 
lers und von ausnehmender Schönheit. Man hält ſie auf 
den erſten Aublick für Porcellauvaſen, fie ſind jedoch von 
Kupfer und nach einer ſinnreichen Methode, die wegen ihrer 
Schwierigkeit und Zartheit jeder Beſchreibung ſpottet und 
die fein enropäifcher Arbeiter zu Stande brüchte, prachtvoll 
fadirt. Indem wir an den Sammet: und Seidenzengen, an 
ben türkifchrotben Tüchern , an den Goldbrocaten, bie ihren 
befondern Reiz fiir die Schönen Aſiens haben mögen, vor: 
tibergeben, nelangen wir zu den geichmadvollften und foft: 
barften Artileln, welche das Land des Taikun zu der Aus: 
ftellung geſchidt haben dürfte. Wir fagen "abfichtlich : das 
Land des Taifun, denn die Gegenſtünde, von denen wir jebt 
fprechen wollen, find charafteriftiicher als alle übrigen jener 
friegerifchen, rubmreichen Zeit des alten Japan, da der Mi: 
fabo noch wie ein geheimnißvoller Schatten in der Zurück⸗ 
gesogenbeit von Kioto vegetirte, und der Tailun der Teben- 
dige Repräfentant einer glanzvollen, mittelalterlichen Bar: 
barei war, Es find dies die japanefifchen Waffen, die von 
jeher eine wichtige Rolle in Gefchichte und Tradition 
geipielt haben. Hier baben wir bie berrlichfte Auswahl da⸗ 
von, die man nur wünſchen kann. Die Härtung der Klingen 
fol eine volllommene fein; Griffe und Scheiben find pracht⸗ 
voll mit Gold eingelegt, mit den Helmbüſchen ber Daimios 
bemalt und mit feidenen und filbernen Schnüren befeftigt. 
Einige haben mit Gold eingelegte Griffe von Haifiihhant. 
Die Klingen find vom feinften Stahl der Eisbachhärtung, 
ſcharf wie Raſirmeſſer und jpisig wie Nadeln. Tdodtlichere 
und koſtbarere Waffen hat nie cin Krieger an feiner Seite 
getragen. In ihrem Anblid liegt eine Gedichte der japas 
neſiſchen Feudalzeit. Die Dolce find ebenfo paffende Sinn; 
bilder einer barbariichen Zeit. Mit auferordentlicher Sorg- 
falt angefertigt, fo handlich und mörderiſch als kurze Waffen 
nur immer hergeftellt werden lönnen, machen fie beim An— 
faffen doch daſſelbe widrige Gefühl, wie wenn man ein 
Waidmeſſer in die Hand nimmt: das Schwert bleibt immer 
eine friegeriiche Waffe, aber der kurze Dolch erinnert mehr 
an den Mörder als an den Krieger. Wahrlich bier ift das 
alte Japan, das Japan bes Taitun, das Japan ber Daimios, 
Wir fehen ung umgeben von den Emblemen jener barbaris 
ſchen, wenn auch prächtigen Vergangenheit, wo der Einge— 
borene des binmenreichen Nippon einen graufamen Tod er- 
leiden mußte, wenn er den entfernten Verſuch machte, feine 
Geftade zu verlaflen, und wo das Mobleſſe oblige" nur 
durch Vornahme des ſchrecklichen Haraliri Bauchaufichligens) 
durchgeführt werden konnte 

Aber es find nur Ueberreſte einer vergangenen Zeit, die 
zu Melbourne ausgeftellt wurden, Japan ift feitdem civilifirt, 
empfänglich‘, praltiſch — freilich auch weniger intereffant ge 
worden. Barbariſches Gold und Perlen find dort jegt min: 
der wichtig als die Schwankungen der Börfe in London und 
Neuyork. Das zierliche, reiche Coſtüm von brammer oder 
Purpurfeibe ift jetzt verdrängt durch papierene Hemdfragen, 
abgejhmadte Hofen und jede Narrbeit, die nur der Fabrit; 
Schneider des berabgefommenen 19. Jahrhunderts erſinnen 
kaun. Eine Nation, die im ihrer Selbftgenüglamkeit und 
ftolzen Ausfchließlichkeit fo erhaben war, entwidelt plötzlich 
den Nachahmungstrieb unferer vierbändigen Vorfahren und 
bat mit einem Sprunge bie Lächerlichkeit erreicht, Doch 
folche Betrachtungen müſſen hinter ben gewaltigen Refultaten, 
welche diefe nationale Wiedergeburt au Tage gefördert hat, 
zurücktreten. Die enropäifche Induſtrie, der curopäiiche Han: 
dei hat vom diefer nenen Concurrenz nicht wenig zu fürchten. 
Eine einfache Aufzählung der verfchiebenen Induſtriezweige, 
welche fich in dem letzten Jahren bei diefem unternehbmenden 
Volke entwidelt haben, mag dies näher beleuchten. Die 
Japanefen haben fich nicht nur rafch im den Bau von Eifen- 


Erbtheilen. 367 


bahnen, die Anlegung von Telegrapben, die Bearbeitung von 
Minen, die Herftellung von Münzen, die Prodbucirung und 
Anwendung von Gas Himeingearbeitet; fie machen auch) 
merkwilrdige Fortichritte in der eigentlichen Induſtrie: be: 
reits haben fie eine Papierfabrit errichtet, die im Stande ift 
täglidy eine Tonne Papier zu liefern; fie haben eine Zuder: 
raffinerie mit einer täglichen Leiſtungsfähigkeit von 4 bis 5 
Tonnen japanefiihen Zuders, eine Dampfbaummwollipinnerei, 
die allerdings erſt grobe Garne von Nro. 18 bis 24 produ- 
eirt, eine Bleihe von Garn, Tüchern und Baumwollzengen 
auf europäiſche Art, Türkifchrotbfärbereien von Garn und 
Rohtuch. Sie kaufen Webmaſchinen und verwenden fie mit 
großem Geſchick zu Herftellung von Unterfleidern, Shawls, 

pen, wollenen und baummollenen Strümpfen von jeder 
Farbe. Beſonders werben zwei neu patentirte amerikaniſche 
Maſchinen hierfür verwendet. Die noch vor wenigen Fahren 
in Japan gänzlich unbefannte Teppichweberei ift jet dort 
ebenfalls eingeführt worden, und bereit werben fehr fchöne 
Teppiche in Baumwolle und Mifchweberei, von Stroh: und 
Baft: (coiron) Faſern, nad) europäiſchen Muftern ſehr folid 
und zugleich wohlfeil gefertigt. Fabrilen von Filz: und 
Strohhüten, von Tud:, Sammt- und Seibenmühen jeder 
Art und nad europäiſcher Façon haben ſich in Ofafa auf: 
getban und machen gute Geſchäfte. AUnzikge jeder Art nach 
enropäifchen Muftern fowie Schuhe werden in grofiem Maß: 
ftab, von hober Vollendung und zu fo mäßigen Preifen 
fabricirt,, daß europäiſche Waaren diefer Art faum noch Ab: 
nehmer finden, während dad Tragen europäifcher Kleider bei 
den Tapanefen immer mehr zumimmt. Nähmaſchinen find 
überall im Gebrauch und die japanefiihen Schneider wiſſen 
ſehr gut mit ihnen umzugehen. Die enropäiichen Nähmae: 
ſchinen find bereits fehr ſchwer zu verkaufen, da die Japa— 
nefen ſelbſt Nähmaſchinen fertigen, vielleicht nicht ganz fo 
vollfommen wie bie fremden, aber um fo wohlfeiler, fo daß 
die meiften Gingeborenen lieber diefe nachgeahmten ais die 
folideren eingeführten laufen. Sie haben auch Glasmann— 
facturen und fabriciren jehr ſchöne Glaswaaren jeder Art, 
und zwar — das Fenfterglad ausgenommen — weit billiger, 
ald die Europäer fie geben fünmen. Endlich macht man in 
Dfafa Weißbrod, Bier (ein leichtes deutſches Bier), Liquenre, 
Eingemachtes, Sodawafler, Limonade und andere Fünftliche 
Waſſer. Auch Chemilalien werden nach den eingeführten 
Droguen fabrieirt. Sogar an die Gigarrenfabrifation haben 
fie ſich ſchon gewagt, doch ift ihren diefe noch nicht fo aut 
gelungen wie faft alle anderen Artikel, Kurz Japan Tarın 
demnächft alle feine Bedürfniſſe felbft befriedigen und zwar 
auf eine wohlfeilere Art als durch Einfuhr, und wird dann, 
— europäische Güngelband abftreifend, auf eigenen Füßen 

chen. 


Zur Statiftit der Epinefen in Morbamerifa, 

Bei der in jüngfter Zeit in Californien wieber fo ftarf 
aufgenommenen Bervegung gegen bie chineſiſche Einwande— 
rung, welche fogar ſchon zur Einäfcherung des Chinefenvier- 
tels in dem 40 engl, Meilen von San Francisco entfernten 
Städtchen Antioch geführt hat, dürften folgende aus ver- 
fchiedenen zuverläſſigen Quellen geichöpfte Angaben iiber 
die Statiftif der Chinefen in Amerika von Werth fein. Da 
feit dem Jahre 1870 feine Zählung in der Union ftattgefun: 
den bat, ift die heutige Anzahl der dort lebenden Langzöpfe 
unbetannt, läßt fich aber ficher henug berechnen, um die ger 
wöhnliche Angabe von j200,000 zu widerlegen. Bor dem 
Jahre 1852 waren im Ganzen nur 3000 bis 4000 im Hafen 
von San Francisco angelangt; doch ſchon in diefem Jahre 
paffirten 18,000 Söhne des Neiches der Mitte durch das 
goldene Thor. Die emergiichen zur Verhinderung der Ein- 
wanderung ergriffenen Mafregeln Tiefien im Jahre 1853 
die Zahl auf 4000 finken; doch ſchon im folgenden Fahre 
ftiegen wieber 13,100 in Ealifornien ans Land. Nach dem 
Jahre 1854 blieb die Einwanderung dagegen 14 Jahre lang 





368 Aus allen Erdtheilen. 


verhältnißmäßig gering und betrug im Durchſchnitt weniger 
als 5000 per Fahr. Seit 1868 hat fie aber wieder einen 
bedeutenden Aufihwung genommen, jo daß die Zahl der 
Einwanderer ſich jährlich auf 10,000 bis 15,000 Mann ftellte; 
im Jabre 1873 landeten fogar 17,978, im folgenden 17,002 
und während des Jahres 1875 nicht weniger als 18,144! 
Wir finden demnach, dab im den 24 Jahren zwiſchen 1852 
und 1875 im Ganzen über 180,000 Chineſen in Californien 
eingewandert find. Während deifelben Zeitraums find 77,000 
nad; China zurüdgekehrt, fo daf mach Abzug der Mortalität 
(welde von den Gefumdheitäbehörden in San Francisco 
vielleicht etwas zu hoch auf 33,7 per Taufend während der 
Jahre 1872 und 1878 und auf 82,1 für 1878 umd 1874 ger 


angelfangten Dampfer brachten jeder amilchen R00 und 1000 
neuer Chinefen au. Das Baffagegeld für Zwiſchendeck, mit 
Beköſtigung, beträgt 50%, Dollars per Kopf, Da nicht 
allein die californifchen Bebörben, fondern ſoeben auch der 
Senat der Union und fogar die Legislatur von Britiih-Colnm- 
bien die chineſiſche Einwanderung als unertränliches Uebel 
bezeichnet haben und Maßregeln zur Verhinderung oder Be: 
ſchränkung derfelben als dringend nothwendig erachten, dürfte 
die Chinefenfrage jetzt in ein Stadium getreten fein, welches 
bie baldige Löſung derielben nach fich zichen muß; aber auf 
welche Weile diefe zn Stande gebracht werben foll, „That is 
indeed the question !* 





Franz Birgbam. 


ſchützt wird) fich etwa %,000 ala die Zahl der augenblicklich | * * x 

auf der PacificKüfte Nordamerilas anſäſſigen Chinefen an: , . 

geben läßt, von welchen 60,000 bis 70,000 allein auf Cali- | — Die legten Nachrichten von Oberft Gordon (d. d. 10, 
fornien fommen bürften. Februar 1876) melden, daß derſelbe nach Urondogani (0°507 


Aber auch auf andere Weife läßt fich diefes Refultat | mördl. Br. am Weißen Nil gelegen) und nach Magungo (am 
erlangen. Nach dem legten Cenſus vom Jahre 1870 belief Einfluß des Weißen Nil in den Albert Nyanza) Garnifonen 
fich die Zahl der Chineſen in den Vereinigten Staaten auf | gelept bat, welche Baker's alten Feind Kaba Rega, König 
60,254, in Californien allein auf 49,810 (im Jahre 1860 | von Unyoro, im Zaume haften ſollen. Bon den beiden Scen 
auf reſp. 35,565 und 34,935). Seit 1870 iſt ein jährlicher | Mwutan (Mlbert Nyanza) und Ukerewe (Victoria Nyanma) 
Zuwachs von durchſchnittlich 13,000 dazugekommen, von dem | bat Gordon im Namen des Vicefönigs förmlich Beſitz er: 
5000 für jährliche Rüdwanderung abzuziehen find, fo daß währ | griffen. Er hofft noch immer, bald einen Dampfer und zwei 
vend der ſechs Jahre bis heute eine Zunahme von 48,000 | Segelfchiffe auf dem erftern ſchwimmen zu haben. Doch fann 
angenonmen werben fann. Von den fomit erlangten 108,000 | er nicht ſelbſt die Beſchiffung des Sces ausführen, da er im 
muß noch eine jährliche Sterblichkeit von etwa 3 Vrocent Herbſt nad) Kairo zurüdtehren will, Au feine Stelle foll 
abgezogen werben, wodurch fich wieder eine Geſammtzahl von | ein Mr. Geſſi treten. . , 
etwa 0,000 für die heutige chineſiſche Bevölferung der Union — Dr. Schliemann, welcher auf Hiſſarlyk im der 
ergiebt. Daß die Zumahme durd Geburten gleich Null ift, troiſchen Ebene jo glüdliche Ausgrabungen unternahm, hat 
ergiebt fich fchon aus dem Umftande,»dafi von den Eimwan- | von ber Pforte Eriaubniß erhalten, biefelben weitere zwei 
derern nur der fünfundzwanzigſte Theil dem weib: Jahre lang fortzufegen. Er gebenkt biefelben ſchon Ende 
lichen Geſchlechte angehört ; feit dem Jahre 1862 landeten im | Mai zu beginnen — wenn ihm nicht etwa die politiſchen Er⸗ 
Ganzen nur 4406 Weiber und diefe zum allergrößten Theile | eigniffe daran hindern, j 
zum Zweckee der Proftitution. — Die engliſche Vermefjungsabtbeilung, welche bie Ge: 

Die Anzahl der in der Stadt San Francisco felbft | birge des Naga:-Stammes (zwiſchen Aſſam und Birma) 
lebenden Chinefen wird augenblicklich auf 25,000 bis 30,000 | in einer Ausdehnung von 1200 ‚engliichen Quadratmeilen 
(über 10 Procent der Gefammteinwohnerzahl) geſchätzt. Nach aufzunehmen hatte, hat ibr ſchwieriges und achahrvolles Wert 
Langley’s Adreßbuch befigen fie bort 75 Gigarrenfabrifen, | glüdlich vollendet und ift Anfang Mai auf britifches Gebiet 
11 Hemdenfabrifen, 120 Handelshäuſer, 3 Fabriken für Gold- | zurüdgefehrt. Im Laufe der Arbeiten hat fie zwei tüchtige 
lachen, 5 lempnereien, 85 Schub: und Stiefelfabrifen, vers | Offisiere, den Lientenant Holcombe (vergl. S. 78 dieſes 
ſchiedene Schlachthäuſer, Gärtnereien, Fiſchereien, Hunderte | Bandes) und den Hauptmann Butler, verloren, welche beide 
von Waſchhäuſern und zabllofe Barbierläden (im einer Straße | bei mörberifchen Ueberfällen Seitens der Eingeborenen im 
allein 50). Auch find unter ihnen acht Nerzte. Sie haben | vorigen Jahre ihren Tod fanden. j 
ein Theater fir 1000 Zuſchauer und ein halbes Dutend — Um Mount Rangitoto in der Nähe von Hofitifa im 
Tempel; die Opium-, Spiel: und fonftigen Höllen Können | County of Weitland, Neufecland, ift zu Anfang März dieſes 
unmöglich gezählt werben. Die Nung:Wo-Compagnie, eine | Jahres reiches Silbererz emtdedt worden, und haben bie 
der ſechs großen chineſiſchen Geſellſchaften, unter deren Auf: | Anafyfen von zwei Proben reip. 735 bis 302 Unzen Silber 
ficht die ganze Einwanderung jowie alle Eingewanderten | auf die Tonne ergeben. Dies hat große Aufregung in dor 
fteben, hat allein 12,000 Mann unter ſich, von denen 5000 | tiger Gegend hervorgerufen, und das Kronland, anf welchem 
fih mit Cigarrenmachen beihäftigen, 3000 an Schuhwerk, | der Fund gemacht wurde, ift fofort von Diggern occupirt 
2000 atı Hemden und Kleidern arbeiten und die Uebrigen worden, 
als Wäſcher, Fiſcher, Haufirer, Köche und Hausbediente bei — Es find nicht bloß europäische Staaten, welche Schul; 
Weißen verwendet werben. benlaften brüden, auch im den auſtraliſchen Colonien fteigert 

Dafür, daf die Einwanderung im laufenden Jahre bes ſich die Öffentliche Schuld in rafchem Tempo. Während ſich 
deutend zunehmen, alle früheren übertreffen und vielleicht | diefe z. B. in der Golonie Südauftralien am 31. December 
fetbft dic Zahl vom 30,000 erreichen dilrfte, ſpricht ber Ums | 1865, bei einer Bevölferung von 156,605, auf 796,200 Bf. St. 
ftand, daf nicht allein der ganze Zwiſchendeäraum ber bei- | ober 5 Bi. St. 1 Sch. 8 P. pro Kopf belief, erreichte dieſelbe 
den Dampferlinien von Hongkong nach San Francisco auf | am 31. December 1875, bei einer Bevölkerung von 210,69, 
zwölf Monate im Voraus von den ſechs Compagnien belegt | ſchon die Höhe von 3,320,600, d. i. 15 Pf. St. 15 Sc. 21, P. 
ift, jondern daß aud vier Segelſchiffe voller Chinefen fih | pro Kopf. Die Zunahme ber Seelenzahl ftcht in feinem Ber: 
auf dem Wege nach Californien befinden; die fetten fünf | hältniffe zur fteigenden Schuld. 


Inbalt: In Türkiſch-Armenien. II. (Mit vier Abbildungen.) — Bancroft’s Eiugeborene der Bacific Staaten. 
(Mit zwei Abbildungen) — Die Beduan des „Söhel“. I. (Schluß) — Die wiſſeuſchaftliche Expedition Sr. Majeftät 





Schiff „Bagelle*. I. — Aus allen Erdtheilen: Die japaniſche Imduftrie von Einft und Heute. — Zur Statiftif der 
Ehinefen in Nordamerika. — Verſchiedenes. — (Schluß der Redaction 23, Mai 1876,) 





Rebacteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, S. W. Yintenftraße 13, IN Tr. 
Drud und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunſchweig. 


Dierzu eine Literarifche Beilage: Aus der Bibliothek des Unterrichtd von Ferdinand Hirt in Breslau, 


Band XXIX. 








Mit befonderer Berüchfichtigung der Anthropologie und Ethnologie. 


Begründet von Karl Andree. 


In Verbindung mit Fahmännern und Künſtlern herausgegeben von 
Dr. Rihard Kiepert. 








Braunſchweig 


J Jährlich 2 Bände a2 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Poftanftalten 
jum Preife von 12 Marl pro Band zu beziehen. 


1876. 








In Türkiſch-Armenien. 


III. 


Als Deyrolle durch das perſiſche Thor Erzerum verlich, 
um den See von Wan zu erreichen, bildete feine Heine Sa: 
rawane einen faft impofanten Zug; denn die Kanzler des 
englijchen und des ruſſiſchen Conſulats begleiteten ihm mit 
ihren Kawaſſen (Amtedienern). Born weg führt der dem 
Reiſenden zur Vegleitung mitgegebene kurdiſche Saptieh 
(Bolizeifoldat) feine Reiterfunftftide aus, fchwingt die lange 
Yanze mit vajender Schnelligleit um fein Haupt, wirft fie 
hoc) in die Luft und fängt fie gefchieft wieder auf. Zu beis 
den Seiten der oftwärts führenden Straße erheben ſich auf 
den Hügeln Berfchanzungen und Erdwerte, auf einen eins 
zelnen hohen Berge ein ſtarles Fort am derjenigen Stelle, 
wo ein Ausläufer des Bodjhün-Dagh die Steomgebiete des 
Euphrat und des Arares von einander fcheidet. Im tiefer 
Schlucht fließt ein Gießbach dahin, der aus einem Meinen 
See, einer der Araresquellen, feinen Urfprung nimmt. Zwei 
Stunden von Erzerum betritt man eine weite Ebene, wo 
jener Fluß, der Kalch-Su, ſich in zwei Arme theilt, und wo 
man ſchon das noch vier Stunden entfernte Hafjan-Saleh 
erblidt. Die aus der Zeit der mohammebanifchen Eroberung 
bativenden Mauern diefer Feftung find ungefähr 3000 Meter 
lang und mit einer doppelten Reihe zinnengefrönter Thürme 
verſehen. Mehrmals mug man noch den Strom durchreiten, 
che man die Stadt erreicht, die, auf einem füdlichen Aus: 
läufer des Karatichli-Dagh gelegen, in der Abendbämmerung 
einen frembartigen Anblid gewährt. 

Der erfte Gang des Keifenden war zum Mutefcharif, 
der bei äußert fchlechter Yaune war und ben fremden, beren 


Globus XXIX. Nr. 24. 


Rang er nicht fannte, einen fühlen Empfang bereitete. Der 
Unglückliche, dem man es zum Vorwurfe gemacht, daß er 
feine eigenen Intereffen über die des Staates geftelt — was 
man übrigens getroft von der Mehrzahl der türkischen Beam 
ten behaupten lann — hatte eben feine Abſetzung erfahren — 
daher feine Mipftimmung. Als er nun zu wiflen befam, 
daß feine Vefucher zum Confulatscorps gehörten und gar 
bei Iamail-Pafcha einigen Einfluß befaßen, da machte ex 
ſchleunigſt fein Unrecht wieder gut, quartierte fie ein und ſandte 
ihnen fein eigenes Abendeflen, wohl in der Hoffnung, da 
fie bei feinem Borgefegten ein Wort zu feinen Gunften eins 
fegen wilrden, 

Am nüchſten Morgen muß nad) dem Berlaflen der Stadt 
ber Kaleh⸗Su auf einer Briide wieder Überfchritten werden. 
Vorher kommt man bei ſchwefel- und eifenhaltigen warmen 
Quellen vorbei, die ringsum in großem Rufe ftehen. Der 
Weg flihrt nach Sliden Über die weite, fruchtbare, meiden: 
reiche und wohlbebaute Ebene Bafin, im Alterthume die 
Yandichaft der Phafianen, durch deren Gebiet ſich Kenophon 
den Weg mit Waffengewalt bahnen mußte. Es ift ein völ- 
liges Plateau von 5000 bis 6000 Fuß Höhe, das bis in 
das zweite machdriftliche Jahrhundert von dem zum foges 
nannten meſchiſchen Vollsſtamme gehörigen Phafianen 
(PHafis hie einft, wie der heutige Nion, fo aud) der Arares; 
Bafean nannten die Georgier das Yand) bewohnt wurde, von 
den Verwandten der Tibarener, Mofynöten, Chalyber, Kol 
der, Safpeiren, Taocher, Lazen, Iberier und wie fie alle 
heißen mögen, die zahlreichen Tribus im Oſten des Pontus, 

47 


370 


Erft im zweiten Jahrhundert mad, Ehrifti Geburt drangen 
hier die ariſchen Armenier ein. 

In Ertef, einem großen armenifchen Dorfe zwei Stum- 
den von Haſſan⸗Kaleh, verabſchiedeten ſich die beiden Kanz— 
fer von Deyrolle und fprengten Über die Ebene zuriid, wäh. 
rend Yepterer anfangs ſcharf bergauf und daun deu ganzen 
Tag jübwärts über öde, faft baumlofe Hoc)ebenen zu reiten 
hatte, Erft gegen Abend ftieg er wieder in das Thal des 
Araxes, hier Palin-Su geheißen, hinab, deſſen tief einge- 
fchnittenes Felsthal ihm während des Tages ftets zur Linlen 
(öftlich) geblieben war. Im Dorfe Medſchili blieb er 
über Nacht und erhielt von feinem Wirthe ein paar pracht- 
volle Hörner der wilden Ziege, die in den Felſen ringsum 
zahlreich haufen. Am folgenden Tage folgte er noch dem 
engen Thale des Pafin-Su, bis es ſich erweiterte, überſchritt 
dann den Strom auf einer Brüde, liber welche die Fluthen 
hinweg gingen, und betrat nun füdwärts reifend ein ebenes, 
wiefenreiches Gebiet, wo er eine reiche Ernte an Imfecten 
hielt. Nachmittags wurde der Tſchelma-Dagh erftiegen 
und dort auf halber Höhe eim furdifches Yager erreicht, das 





Se —— 


In Türkisch Armenien, 


zwar bes Intereffanten genug bot, deſſen Bewohner jedoch 
die Fremden ungafilid, genug aufnahmen, fo daß dieſe nur 
mit Muhe Obdach unter einem Zelte und das nöthige Abend» 
effen erlangen konnten, Erſt allmälig wurden einige der 
Kurden vertranter und festen fich zu Deyrolle, ber feinerfeits 
nun wieder Acht zu geben hatte, da fie ihm nichts von feis 
nen Sachen entwendeten. Es waren große ftarke Leute mit 
ftart gefrünmmer Nafe (ein Glied, das für ein Kurdengeſicht 
fehr charafteriftiich ift, aber aud) etwas fehr fchwer zu Bes 
ichreibendes hat) und mit großen, tiefliegenden Augen, total 
von den Türken verſchieden, aber mandyen Armeniern ähns 
lich, wenn aud) von edigeren Zügen. In der äußern Er» 
ſcheinung haben fie ſehr viele Aehnlichteit mit den Afghanen, 
und fchöne Köpfe, wahre Patriarchengeſichter, find nicht fel- 
ten unter biefem wegen Mord und Diebftahl verrufenen 
Bolke. Meiftens fcheeren fie fich den Kopf und tragen nur 
einen Schnurrbart, nur Greife den Vollbart. Ihre Klei⸗— 
dung ift gefchmadvoll und amnfcheinend bequem und befteht 
aus weiten Hofen von Ziegenhaar, die bis zum Knöchel rei: 
dien, und einem vorn und an ben Seiten offenen Gewande. 


m. 


—— 


— 


Haſſan⸗Kaleh. 


Die Aermel des letztern find vom Ellenbogen ab aufgeſchlitzt 
und geftatten den oft bis auf den Erdboden reichenden Aer— 
meln des Hemdes herauszufallen. Ueber diefem Gewande tras 
gen fie eine Kleine geftidte Jade von ſchwarzer Wolle, deren 
Aermel hinten auf dem Rüden hängen. Cine wollene Binde 
dient als Gürtel und hält die Piftolen und Doldye. Neiter 
tragen rothlederne Stiefel, deren Schaft in Falten gelegt ift, 
Fußgänger ſpitz zulaufende Scnürfchuhe Zu den mars 
tialiſchen Gefichtern paßt ihre Kopfbedeckung trefilic: eine 
hohe, zuderhutförmige Filzlappe, um welche man einen oder 
mehrere buntfarbige Shawls von Baumwolle, Wolle oder 
Seide widelt. De höher der Rang, defto größer die Kopf⸗ 
bededung, und die viefigiten diefer Wülfte tragen die Häupt- 
linge oder Begs, deren Kleidung oft von großem Neichthume 
iſt. Im Winter werfen diefe Kurden einen weiten und dien 
Mantel aus ſchwarzem Ziegenhaar un, im Sommer einen 
leichten Mantel aus Wollenmouffelin, der mit einem fehr 
eigenthlimlichen, aufgenäheten Muſter aus weißem Baum: 
wollenftoff verziert iſt. 

Die alten Frauen zeigten ihre immerhin regelmäßigen 


Gefichter unferen Reifenden, während die jungen Frauen und 
Mädchen offenbar von ihren Gatten und Vätern verftedt 
gehalten wurden, ande trugen auf der Bruft eine Reihe 
von Ketten aus Gold: oder Silbermünzen, die mit bunten 
Hasperlen oder Metallgliedern zufammengehalten werben. 
Viele hatten im linken Nafenflügel einen Kleinen mit Türfijen 
befegten filbernen Knopf, wie er in Kurdiſtan allgemein getragen 
wird. Dem Kopf bededen fie mit einem weißen Schleier; 
über den bis zum Knöchel veichenden Beintleidern tragen fie 
das landesübliche Gewand, das fie beim Gehen bis zu dem 
Waden aufheben. Kleid und Hofen find meift aus bidem 
rothen Baummollftoffe, der in Bitlis fabricirt wird, gemacht. 

Das Yager Körfi, wo Deyrolle übernadhtete, befand aus 
etwa 20 Zelten und ein paar elenden Häufern aus Erde 
und Stein. Erſtere waren domförmig, geräumig und zer 
fielen in 2 bis 3 Abtheilungen; dev untere Theil befteht aus 
einer Hürde von Rohr oder Yattenwerk, das Zelttuch aus 
einem ftarten braunen Wollengewebe. Gin Loch in ber 
Mitte jedes Zeltes dient als Herd, jo daß meift die ganze 
Behaufung voller Rauch ift. 


In Türliſch-Armenien. 








rt 


— 


Kurdiſcher Häuptling. 





372 


Im Winter wohnen biefe Kurden unten in der Ebene; 
jeit Kurzem jedoch hatten fie ſich oben auf den Bergen in 
einer Höhe von über 2000 Meter inmitten reicher Weider 
pläge niebergelaffen. Ziehen fie jo von einem Ort zum anr 
dern, fo beladen fie ihre Pferde und Ochſen mit den Zelten 
und Hlirden. Das Hausgeräth und die Heinen Finder wer: 
den von den frauen getragen, während die Männer beim 
Wandern nur bie Yanze ober die Tabadapfeife in der Hand 
halten. 

Am 12, Mai verlieh Deyrolle vor Sonnenaufgang das 
Pager mitten zwifchen Herden von Ziegen, Schafen, Eſeln 
und Ochfen, welche auf demjelben Wege ihren Weideplägen 
zuwanberten. Hin umd wieder zeigten ſich zur Seite ber 
Strafe Grabfleine von Kurden, auf welchen nur friegerifche 
Attribute, wie Piftolen, Lanzen, Dolce, Streitärte u. |. w., 
eingemeißelt waren, ein rechtes Wahrzeichen für die wilden 
Sitten diefer Wanderſtämme, die noch bis vor kurzer Zeit 
von lauter Plünderung und Mord lebten. Nach zweiftlin 
digem Ritte war die 3000 Meter hohe Spite des Berges 
Techtap, eines Pils in der Kette des Tſchelma-Dagh, erreicht; 
bort oben waren nod) die nach Norden zu belegenen Klippen 
und die Schluchten mit didem Schnee erfüllt, der die zur 
Rechten auffteigende dominirende Kuppe des majeftätiichen 


In Zürkifch- Armenien. 


Bingöl-Dagh *) nie verläßt. Raſch geht es nun hinab 
durch mehrere fruchtbare Thäler, die zu dem Armenierborfe 
Alweran gehören, hindurch nad) der Telegraphenftation 
BDarmalfis, wo die Beamten ihr Frähftlid mit dem Rei 
fenden theilten; dann bei einer Furth durch den Fluß Kale 
Su, der vom Bingöl-Dagh (db. i. Taufendfeen » Gebirge, 
auf welches die armeniſche Vollsſage die Stätte des Para- 
dieſes verlegt) herabkonmt und dem öftlichen Euphrat ober 
Murad tributär ift, und liber eine große Ebene bis Chynye 
(Chnus). Doch leicht ift die legte Strede keineswegs ; denn 
die Ebene wird von tiefen, feilmandigen Schluchten zer: 
riſſen, fo daß der auſcheinend leichte Weg durch das fort 
währende Hinab: und Hinaufflettern Uberaus mlhfelig wurde, 

Der Kaimafam der Stadt, von der Ankunft Deyrolle's 
unterrichtet, fandte bemfelben einen feiner Offiziere entgegen, 
weldyer den Reiſenden in das Negierungsgebäude führte. 
Dort ſprach der von einigen Kadis umgebene Beamte gerade 
in lurzer, patriarcafifcher Weife Recht, lub dem Fremden 
ein, neben ihm Plag zu nehmen und bot ihm Pfeife und 
Kaffee an. Der Mittelpunkt der alten Stadt Chynys liegt 
"malerifch auf einer Bafaltinfel, um weldye mit ungeſtümem 
Toſen in tiefer Schlucht der Strom feine ſchäumenden Ge 
wäſſer wälzt. Diefer Felſen trägt die Feſtung, das Regie⸗ 


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Armeniſches Dorf. 


rungsgebãude, eine Moſchee und wenige Häuſer, alles in 
armſeligem und verfallenen Zuftande befindlich, während 
ſich in den Schluchten ringsumher die Häufer bes Ortes 
emporziehen und die Gärten, wie Epheu an einem Baunt: 
ftamme, hinaufflettern. Unten am Fluſſe wachen Pappeln 
und Fruchtbäume. Dort erhielt Deyrolle einen meuen Po- 
lizeifolbaten zum Begfeiter, einen Meinen, alten Mann, der 
aber auch feine Reiterſtückchen zum Beften gab, unterwegs 
in einem fort ſchwatzte und von Zeit zu Zeit aus voller Kehle 
ein Lied anftimmte. Er galt Übrigens, weil er fo gewaltig 
Schreien konnte, dort zu Yande, wo bie Stärke ber Stinme 
höher als ihr Schmelz angefchlagen wird, fiir einen guten 
Sänger. Sonft find die furdifchen Lieder weit ausbrude: 
voller und fumftgemäßer, als die der Türken und Armenier; 
fie gefallen dem Europäer mehr, weil ihr Rhythmus lebhaf- 
ter ift und ihre Vortragsweife nicht jo näfelnd. 

Am felben Abend wurde das große Urmenierborf Tfche: 
werme (Tſchewermeli) erreicht, wo die Aufnahme eine gläns 
zende war, weil der vorangeeilte Saptieh von den anfommen« 
den Fremden große Dinge berichtet hatte. Das befte Haus 
mit einem domförmigen Ballendache, im deſſen Spige ſich eine 
Deffnung befand, wurde ihm eingeräumt. Dagegen nahmen 
ſich die anderen Häufer wie wahre Maulwurfshanfen and; 


denn nod) heute gräbt fid) der Bewohner jener kalten Hoch⸗ 
ebenen, wie zu Kenophon’s Zeiten, in die Erbe ein, um gegen 
die geimmigen Winterftlivme gefchligt zu fein. Die Dächer, 
fagt der griechiiche Feldherr, erheben ſich nur wenig über 
ben Erdboden, fo daß die Dörfer, befonders im Winter, nur 
ſchwer zu finden find. Der Eingang in diefe halb umter- 
irdiſchen Häufer ift oben eng wie ein Brunnenloch; erſt nach 
unten werden die Wohnungen geräumiger. Flr das Bieh, 
dad man ebenfalls unten, bei Mermeren faft in denfelben 
Räumen wie die Menſchen, zu halten pflegt, find bequemere 
Zugänge gegraben ; die Menſchen dagegen fteigen auf Leitern 
hinab. Genau chenfo fehen noch heutzutage die Dörfer na= 
mentlih in den Bergen aus. In den Ebenen, wo das 
Herbeifchaffen von Steinen zu foftfpielig fein würde, wird 
die Erde auf und um den Bauplag herum ausgegraben, an- 
gefeuchtet, mit Hädſel vermiſcht, in große Ziegelformen ger 
preßt umd einige Tage an ber Luft getrocknet. Aus diefem 
wenig dauerhaften Material werben die Mauern hergeftellt 
und über diefe kommt eine Yage flarfer Querballen oder 
dlinnerer, mit einer Schicht Neifig überdedter Bäume, welche 


”") Nach Tſchichatſchew 12,300 Fuß, nach Sireder nur 10,233 
Fuß bock, neuertings von Radde beftiegen, deſſen Bericht noch ausfeht. 


In Türkiſch⸗ Armenien. 


dann 2 Fuß did und mehr mit feſtgetretener und durch eine 
Walze zufammengepreßter Erde bebedt werben. Namentlich 
die Reifigdächer lafjen Regen und ſchmelzenden Schnee durch, 
und häufig jällt die loder gewordene Erde den Bewohnern 
auf den Kopf, ohme daß diefe ſich dadurch im ihrem Phlegma 
fiören Ließen. Fur Ficht und Luft bleiben Deffnungen in 
den Mauern, die im Winter mit geöltem Papier verflebt 
werden. Bei Meberfluß an Steinen werden diefe als Baus 
material für die Mauern, als Mörtel wird angefeuchtete 
Erbe, die ſehr pafjend Tſchamur, d. i. „Schmug“, heit, ver: 
wendet. Diefe Dörfer, welche weder Gärten noch Bäume 
befigen, gleichen von Weitem und namentlich von oben ges 
ſehen völlig großen Schmutzhaufen. An Bergabhängen 
wlhlt man einfach ein Loch in ben Boben hinein und ſchützt 
es vorn mit vorgelegten Steinen oder Ballen, fo daß man 
ſolche Wohnungen, wie Xenophon jagt, namentlic, im Win- 
ter, nicht eher bemerkt, als bis man in fie himeintritt, 
Deyrolle's Nachtquartier in Tſchewerme, einem Dorfe 
von 40 Häufern, mar jedoch eines der beten, das er auf 
feiner ganzen Reife antraf: ber für ihm beftimmte Kaum 
war von der Übrigen Wohnung durch ein funftreich und ge ⸗ 
ſchmackvoll gejcmigtes Geländer gejchieden, der Boden mit 
einem Filzteppich bebedft und die rauen mit Binfenmatten 
fiberfpannt. Gleich bei 
feiner Ankunft bot man 
ihm ein treffliches Gericht 
Kaimat und herrlichen 
weißen Honig. Kaimal 
bildet neben dem Ya'urt 
ober ber ſauren Milch 
das Hauptnahrungsmits 
tel der Leute in diefen 
viehreichen Gebirgen; es 
iſt dide, fette Sahne, 
weldye übrigbleibt, wenn 
man eine tlchtige Por 
tion Milch in einem 


J ill En th m 


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tupfernen Gefäße einige = = 
Stunden . lau ers — —— 
hält. Im Iſchewerme Altaſſyriſches Relief aus Kojundjut 
und Umgegend wird auch auf dem Tigris auf einem Ä 
viel Gefligel- und Bie ⸗ a 


nenzucht getrieben und 

der dort gewonnene Honig fteht im beften Rufe und er- 
zielt hohe Preife: das Kilo Honigwaben foftet 4 Marl, 
ausgelafjener Seim über 5 Marl. Trog feiner ziemlich, 
hohen Yage (an 2000 Meter) ift diefe Gegend im wahren 
Sinne des Wortes ein Land, wo Milch und Honig fließt. 
Das wurde unferm Reifenden Mar, als er den Einwohnern 
Abends den Puls befühlt, die Zunge befehen und ihmen zu 
ihrer großen Befriedigung Chinin und Aloe eingegeben hatte, 
und feine dankbaren Patienten ihm bei feiner Abreiſe folche 
Mengen von Sahne, Eiern, Honig u. f. w. herzufcjleppten, 
daß er die Hälfte zuriidlaffen mußte, um feine Thiere nicht 
zu überbürben. 

Bon Tſchewerme ging die Reife anfangs nad, Oſten 
am Kaleh⸗Su hinab und dann nadı Siben Über den mit zahl- 
reichen Dörfern und Zeltlagern der Kurden befegten und 
herbenreichen Chamur-Dagh hinliber nach dem großen dft- 
lichen Quellfluſſe des Euphrat, dem Murad, deflen ange 
ſchwollene Fluthen von zahllofen, wenig ſcheuen Belifanen, 
Kranichen, Föffelreihern und anderen Waſſervögeln bedeckt 
waren. Im Winter und Sommer fann man ben Murad 
an den Furthſtellen durchreiten, aber nach den Regen und 
der Schneefchmelze des Frühlings und Herbftes bedient man 
fi) eines Floſſes, deſſen Gebrauch in diefen Ländern uralt 







373 


ift, deſſen Xenophon erwähnt und von dem wir eine Abbils 
dung geben, deren in den Txlimmern Ninives von Yayard ges 
fundenes Original vor mehr als zwei und einem halben 
Jahrtauſend von affgrifchen Künftlern ausgemeigelt worden 
ift. Es iſt der Kellet oder das Schlauchfloß, deſſen Haupt 
beftand eine beliebige Anzahl aufgeblafener Hammel: oder 
Ziegenfelle bilden, die reihenmweife mit Weidenruthen zufam- 
mengebunben werden; darauf fommt dann ein Flechtwert 
von Reiſig, Schilf und dlinnen Stangen und bei ganz gro- 
Ben Flößen, die lange Reifen zurüdlegen ſollen, noch eine 
Page Bretter, während Heine Flöße Über den Schläuchen 
nur eine Lage Stroh oder Rohr tragen. Natürlich ſchwimmt 
ſolch ein anfcheinend gebrechlicyes umd durch Ruder nur ges 
fenftes, nicht vorwärts getriebenes Fahrzeug allein mit dem 
Strome, dann aber auch lange Streden, wie z. B. Freiherr 
von Thielmann —— im Kaulaſus, in Perſien und 
in der aſiatiſchen Turkei, Leipzig 1875 — nebenbei be— 
merkt ein ſehr unterhaltendes und belehrendes Reiſewerk —) 
auf einem ſolchen Kellel die mehr als 70 deutſche Meilen 
lange Fahrt von Moſſul nach Baghdad zurlidiegte. Die 
anfangs ftrafjen Schläuche, deren jeder etwa einen Gentner 
Tragkraft hat, geben natürlich im Yaufe der Reiſe und durch 
das häufige Aufftoßen an Steine und Sandbänfe nad und 
mlffen je nach Bedilrf: 
— niß wieder aufgeblafen 
werben. Herrn v. Thiel- 
mann foftete ſolch ein 
Floß von 250 Schläu- 
hen 18 türfifche Pfund 
(zu etwa 181/, Marf, 
der Schlauch etwa 5 
Piaſter = 1!/, Marf), 
ein brillantes Geſchäft 
für den Unternehmer, 
der alles Holzwert in 
Baghdab weit theurer 
verlaufte, als es im 
Mofful zu ftehen lommt, 
wo das nahe Kurbiftan 
Holz in Menge liefert, 
und der die geſammten 
teodenen Schläuche auf 
zwei Maufthiere paden 
und heimbeförbern konnte. — Auf einem folchen Floſſe von 
nur 20 Scläudyen wurde der Murad von Deyrolle ge— 
kreuzt, während bie Pferde nebenbei ſchwammen; dann 
ging ed quer fiber die Ebene Bulanyt nad) dem Städt: 
hen Gop, dem Sige eines Kaimafam, mit 300 fat aus— 
ſchließlich armeniſchen Häufern. Hier hatte der Reiſende 
Gelegenheit zu beobachten, bis zu welchem Grade die 
dortigen Chriften die Gewohnheiten und felbft manche 
religiöfen Vorfchriften der Mohammedaner angenommen 
haben. Als Deyrolle in Anweſenheit eines chriitlichen Ar— 
meniers eine Sarbine in Del ſich fchmeden ließ, bat derjelbe 
—— um eine ſolche und verzehrte ſie mit vielem 
en; als aber der Dolmetſcher des Reiſenden ſcherzend 
das Del für Schweinefett erklärte, entfernte ſich der Chriſt 
nit allen Zeichen des Abfcheues und Elels. Ebenfo verab- 
fcheuen die Chriften dort ben Hafen und das Fleiſch jeden 
Thieres, dem man nicht bei (ebendigem Leibe den Kopf ab» 
geſchnitten. Ebenſo verhlillen ihre (rauen in Amwefenheit 
von Fremden das Geſicht. 

Kurz Hinter Gop erhebt ſich rechts vom Wege nad) 
Achlat und dem Wan-See auf einem fchroffen Hügel das 
alte Klofter Ranaswant, deſſen hohen Mauern, Sinnen 
und Schießſcharten man bie geiftliche Beſtimmung nicht ans 


374 


In Türliſch-Armenien. 


ſehen könnte, wenn fie nicht durch die Kirchenkuppel mit dem | Bertreter den Titel Schach-Arman, d. i. König von Arme— 


Kreuge verrathen würde. Yange mußte der Neifende an der 
einzigen Thlir Hopfen, che ihm einalter Priefter öffnete und die 
dem heiligen Daniel 
qeweihte Kirche zeigte. 
Der Kirchenſchatz iſt 
ſchon zu verſchiedenen 
Malen ſehr reich ge 
weſen, aber trotz aller 
Befeſtigungen wieder: 
holt von den Kurden 
geplündert worden, 
Merkwitrdig find ei; 
nige armeniſche In⸗ 
ſchriften und ein Mo» 
fait aus foffilen Mu— 
ſcheln, die von einem 
Berge am Kuphrat 
am Eude der Ebene 
Bulanyt ſtammen und 
wohl mit denen von 
Schaordoril (S. 343) 
gleichen Urfprung has 
ben. — 

Zehn Kilometer 
von Cop entfernt 
wurde der feine Se 
Kazan-Göl paſſirt, 
an welchem mehrere 
von Kurden und Ar— 
meniern gemeinſam 
bewohnte Dörfer lie: 
gen, dann am näch— 
ſten Morgen ein zjere 
ſtörtes Armenierdorf, 
wo ſich zahlreiche vol: 
fommen kugelrunde 
Locher mit enger 
Mundöffnung in dem 
Felsboden finden, die 
einft zum Aufbewahs 
ren von Wein oder 
einer andern Fluſſig⸗ 
feit gedient haben. An 
dem etwas größern 
Nazyt-Gol eritand 
Deyrolle von einer 
Schaar junger Yeute, 
die einer Bärin ihre 
zwei tungen geraubt 
hatten, den einen derfelben fr 5 Piafter. Dann führte 
der Weg Über eine trefflich bebaute, fruchtbare Hodjebene 
und fenfte fid) nach Achlat an den budjtenreichen gro— 
fen See von Warn, Die Gipfel der den See umſchlie- 
enden Berge find an jener Stelle völlig fahl, aber ihre 
Abhänge find mit Eichen und Wachholderſträuchen bededt, 
beionders längs der Bachrinnen, deren eine, tief in das fel- 
fige Seftein eingefchnitten, nach Achlat hinabführt, Die 
beiden teilen Thalwände zeigen eine Menge künſtlich aus« 
gehöhlter Löcher, welche äußerſt ſchwer zugänglich find und 
für altajiyrijche Gräber gelten. Auch die Wohnungen des 
Ortes, jo weit fie in diefem Thale liegen, find wenig an: 
deres, als ſolche Yöcer, die nad) außen durch eine Erd— 
master geichlojien find. So elend ift heutigen Tages der 
Ort, der über ein Yahrhundert hindurd) (1099 bis 1207) 
Reſidenz einer feldfchufifchen Dymaftie geweſen ift, deren 


Armeniſcher Grabſtein 





Haus Ruſſiſch Armenien. 


nien, führten. Cine alte armeniſche Stadt, wurde Khelat 
(oder nad) arabifcher und Urliſcher Ausſprache Achlat) im 
9. Jahrhundert von 
den Arabern, 993 von 
den Byantinern, dann 
von Kurdenhänptlin« 
gen erobert, denen fie 
1099 der Turle Sof: 
man-el⸗Kothbi ent- 
riß, der Grunder je- 
ner oben erwähnten 
Dymaftie von neun 
Negenten. 1207 fiel 
fie wieber einer Kur« 
denfamilie, der bes 
berühmten Saladin, 
zu, und wurde dann 
1229 nad) zweima- 
liger vergeblicyer Be: 
fagerung vom Khan 
Dichelallebdbin von 
Sharesmien erobert 
und zerftört. Diefer 
Fürſt mußte damals 
einen ganzen Winter 
vor der Vefte liegen 
und zwanzig Belage- 
rungsmafdinen von 
der Serfeite auf fie 
fpielen laflen, che es 
ihm gelang, nachdem 
drinnen die Hum- 
geränoth, auf das 
Höchfte gefliegen, zum 
Schlachten der Hunde 
genöthigt hatte, ja 
das Pfund Brot mit 
Ducaten bezahlt ward, 
fie mit dem Schwert 
in ber Kauft zu er 
ftürmen *). Noch 
fonnte der franzbſi⸗ 
ſche Naturforſcher auf 
einem ſchroffen Fel⸗ 
fen inmitten des 
Trümmerfeldes die 
Spuren von Thür- 
men und Mauern bes 
alten Königsfiges er- 
fenmen; ebenſo ftehen noch einige ziemlich wohlerhaltene 
Grabmäler, die angeblicd, aus dem funfzehnten Yahrhundert 
ftanımen, Das it aber auch Alles, was er über den 
merkwürdigen Ort zu berichten weiß, fo daß es noch im- 
mer eimem fpätern Befuche eines geichichtäfundigen Orien- 
taliften vorbehalten bleibt, mehr Yicht in die Topographie 
und Geſchichte von Achlat zu bringen. 





* Vergl. Karl Ritter'a Erdtunde von Aiten VII, Abb. 3, S. 
324. — Es ift zu bedauern, daß Deprolle feine Aufmerkſamkeit 
nicht in böherm Maße den baulichen Heften und etwaigen Intchrife 
ten biefer alten Statt zuwandte; denn feit ten von Mitter mitger 
tbeilten Berichten von Jaubert und 3. Brant (1636) bat unſeres 
Wiſſens fein eurobaiſcher Neifenter über Achlat geſchrieben. Selbit 
tie neueren armeniiben Autoren ſcheinen ſich nur über die Geſchichte 
der Stadt, micht über ihren heutigen zZuſtand und ihre Ruinen aus« 
sulaffen. 





Alte Denkmäler an der märoftanifchen Weſtküſte. 


Alte Dentmäler’an der 


Schon früher (Bd. XXIV, S. 175) haben wir über 
Steindenfmäler in Marofto berichtet und General Faib: 
herbe's Forſchungen und Anfichten liber diefelben mitge— 
teilt. Heute find wir in der Yage, unferen Leſern die Abs 
en eines ſolchen vorlegen zu fönnen, deſſen Original 
Herr Vieutenant v. Löwenſtern an Ort und Stelle auf 
genommen hat. Derfelbe befand fich auf Sr. Maj. Kanonens 
boot „Nautilus“, Corvettencapitin Zembſch, weldes im 
Sommer 1875 mehrere Häfen und Füſtenorte an der mar 
rotlaniſcheu Weftküfte zwiſchen Tanger und Mogador be: 
ſuchte. Die interejfanten Berichte über diefe Reife, mit 
Hafenanfnahmen und Städteanfichten veich illuftrirt , finden 





— — 








hundert, aus der Zeit, ald die Portugieſen Mazagan inne 
hatten. Sie ift ganz aus Steinen gebaut, weldye zu Schiff 
von Portugal hingebracht wurden. Der Bau foll gegen 
90 Yahre gedauert haben Die Dede wird von Säulen 
mit dazwiſchenliegenden flachen Spigbogen getragen, Die 
Süulenreihen bilden die vier Seiten eines Omabrats; in der 
Mitte befindet ſich eine kreisrunde Oeffnung, wm Yuft und 
etwas Licht hineinzulaffen. Der Grundriß der Ciſterne iſt 
ebenfalld quadratiſch und ift jede Seite etwa 50 Schritt 
lang. Der Eingang zur Cifterne ift in der Dlitte der einen 
Ceite, eine Treppe führt hinunter und vor die Thllr. Es 
find jegt mod) etwa 8 Fuß füßes Wafler darin enthalten. 
Die Höhe vom Boden bis zur Dede wird ehva 20 Fuß 
betragen. Das Wafler, für welches die Cifterne beftimmt 
war, ſollte nicht Regenwaſſer, fondern mit einer Waller 
leitung dorthin geleitet fein. ine Mbflufröhre, welche mit 
den Stadtgräben der Feftung communiecirt, leitete etwaigen 


Ueberfluß an Waſſer fort.“ 


a — 





Megalithiſches Denkmal bei Arſeila. 


maroffanifhen Weſtküſte. 


fi in „Annalen der Hydrographie und maritimen Meteo- 
rologie* 1875, Heft 23 und 24, und 1876, Heft 4. Au 
drei verfchiebenen Punkten der Küfte, in Mazagan, El Araiſch 
und bei Arfeila, fand Pieutenant von — alte Bau: 
werke, die aus drei jehr weit von einander liegenden Perioden 
ftammen, näulich aus portugiefifcher, römifcer und vor: 
hiſtoriſcher Zeit. Ueber die Reſte der erfteren ſchreibt er: 
„Ein intereffantes, nicht fehr altes, aber fehr gut erhal 
tenes Bauwerk ift eine prachtvoll Uberwölbte Ciſterne im 
Mazagan. Sie ſtammt nad) Ausſage des englifchen Con— 
ſuls, auf deflen Terrain fie liegt, und der die Nachrichten 
aus Archiven in Fiffabon haben will, aus dem 17. Jahr 




















RE Wk " 
— —— 





Romiſcher, vielleicht theilweiſe phöniciſcher, Cultur ge» 
hören die bei El Araiſch (ſpaniſch Larache el a'reisch bes 
deutet „das MWeinfpalier*) liegenden Kuinen an, die Reſte 
der altphönikiichen, ſpäter römischen Colonie Yels oder 
Lixus, die vor nunmehr 30 Jahren der berühmte Afrifas 
reifende Dr, Heinrich Barth genauer unterſuchte. Das 
Detail ihres damaligen Zuftandes und ihrer Geſchichte findet 
man in jeinen „Wanderungen durch die Küftenländer des 
Mittelmeeres, ausgeführt in den Jahren 19345, 1846 und 
1847* (Berlin 1849), ©. 23 u. ff. Ueber diefe Refte 
berichtet der deutſche Marineoffizier: 

„Etwas weiter oberhalb an dem bei EI Araifch munden- 
den Wad Lukos, und zwar auf feinen rechten Ufer, liegt ein 
Hligel, von dem aus man das Flußthaf bis zur Mündung 
und auch die Stadt EI Araiſch fowie d Flußthal hinauf 
in das Innere hinein gut überficht —er dv dominirender 
Punlt. Auf diefem Hügel, der jegt ganz “ufchwerk und 
Geſtrupp bewachſen ift, jo dag man fi mit Milhe 


376 


einen Weg bahnen kann, befinden ſich einige Ruiuen, die 
wegen ihres Baumaterials auffallend find und gewiß ein hohes 
Alter haben, 

Der befterhaltene Theil der Ruinen ift die Ede eines 
einftinaligen Gebäudes, deſſen Mauern aus einem harten 
Stein umd zwar aus mächtigen Wilrfeln oder länglichen 
Quadern aufgeführt find. Viele diefer Quadern hatten Dis 
menfionen von 2x 3 = 4 Fuß. Somohl bie fonft erhal- 
tenen Bauten der Mauren als die der Portugiefen, welche 
an vielen SKüftenplägen von Marofto Forts und Nieder 
faffungen hatten, find aus ganz anders geformten Steinen 
von viel geringeren Dimenfionen ausgeführt. Die alten 
mauriſchen Gebäude find hier meift aus gebrannten Steinen 
gebaut. Es ſcheinen aber auch ſchon zur Zeit der Portus 
giefen vielfach, Steine aus den alten Ruinen zu ben Neu: 
bauten verwendet zu fein, denn man zeigt in EI Araifd) an 
mehreren Stellen eingebaute alte Steine mit römiſchen Ins 
ſchriften, fo einen foldyen Stein in bem Bodenbelag einer 
Straße in der Nähe eines Thors bei der Citadelle, und einen 
zweiten hoch in der Mauer neben dem nördlichen Stabtthor. 
Die fraglichen Ruinenreſte laſſen leider nicht mehr den 
Grundriß des einftigen Gebäudes erfennen, Nach bem Ma: 
terial zu ſchließen muß es aber ein bedeutendes Gebäude 
gewefen fein. Viel mag von dort weggeholt fein, ein großer 
Theil iſt aber fo überwachlen mit Bufchwerf und uachgewach—⸗ 
jenen Boden, daß wir die Umriſſe nicht verfolgen konnten.“ 

Barth fand 1845 noch ein gewölbtes Gemach von 8,30 
Meter Yänge und 21%, Meter Breite, ein unterirdifches und 
ein oberirdifches Gewölbe von je 70 Meter Yänge und eine 
mächtige Erhedra aus Gementwert. Mit vieler Mühe durch— 
brad) er das Geſtrüpp von wilden Himbeeren und anderen 
Sträuchern und fand die Kefte der alten Ningmauern, die 
aus regelmäßigen, mächtigen Quadern von Über 2 Meter 
Yänge und 1 Meter Höhe beiteht, und welche er für das 
Werk der älteften puniſchen Anfiedler hält. Ausgrabungen, 
welche er flüchtig veranftaltete, wo Marmorbruchſtlicke das 
einftige Vorhandenfein eines pradytvollen Gebäudes bezeug⸗ 
ſen, hatten zwar fein Refultat, allein Barth ift überzeugt, 


Emil Schlagintweit: Die engliſchen Himalaya -Beligungen. 


daß auf dem noch unangetafteten Boden dieſer einft fo bes 
beutenden Stadt planmäßig vorgenommene Ausgrabungen, 
zu benen bie Bewilligung ber maroffanif—hen Regierung da» 
mals wohl ſchwer, jegt aber leicht zu erhalten fein wiirde, 
gewiß ergiebig fein und uns auch vielleicht bie eine oder an» 
dere Belchrung Über diefe von gefchichtlichen Ueberlieferungen 
fo vernadjläffigte Gegend gewähren würden. 

In eine vorhiſtoriſche Zeit führt uns endlich das bei 
Arfeila, der Colonie „Yulia Conftantia Zilis* des Kaiſers 
Auguftus, gefundene megalithifche Dentmal, welches Herr 
von Yöwenftern folgendermaßen bejchreibt: 

„Etwa 6 bis 7 Seemeilen (circa 11 Kilometer) öft« 
lic) landeinwärts von Arfeila find im ber Nähe eines er» 
bärmlichen mauriſchen Hirtendorfes eine Anzahl Steine 
vorhanden, die von ben Mohammedanern und Juden als 
eine Art Heiligtum mit einer gewiffen abergläubiſcheu 
Scheu betrachtet werden. Die Juden fagen, die Steine wä- 
ren aus Moſes' Zeiten her, womit wohl angedeutet werden 
ſoll, daß fie ein hohes Alter haben. Es find roh geformte 
Säulen, die, in die Erde eingegraben, urfprlinglic einen 
Kreis, ſcheinbar mit einer Lücke, einer Art Eingang, von 
Werten her gebildet haben, Nur ein Stein ift noch ganz 
erhalten und in eine rohe Spike auslaufend. Ex hat eine 
Höhe von etwa 6 Metern und befteht aus einem nicht jehr 
harten Sandftein. Die äußere Oberfläche ift ſchlecht erhal; 
ten, fo daß nicht conftatirt werden laun, ob irgendwelche 
Zeichen eingehauen waren. Der Durdjmefjer des ganzen 
Kreiſes beträgt etwa 60 Meter und der Kreis umfaßt einen 
mäßig hohen, fanft anfteigenden Hügel, defjen Kuppe gerade 
im Centrum des Kreifes liegt. in alter Iude, jedenfalls 
der gebildetfte Maun der ganzen Umgegend, fagte mir, die 
Leute fünden dort zeitweilig alte Bronzemüngen. Ich founte 
leider keine auftreiben. Die Bewohner des Dorfes fahen 
auch nicht gern, wenn man dort Nachſorſchungen anitellte. 
Sie find fehr abergläubifch und vermuthen verborgene Schüge 
dort, aber „was Allah verbirgt fol der Menſch nicht auf⸗ 
deden.“ Bon den Steinen glauben die Leute dort außer- 
dem, daß fie wie Spargel aus der Erde gewachſen freien.“ 


Die engliſchen Himalaya-Befigungen. 
Vor Emil Schlagintweit. 


Yu Der 


Die Bevölferung wurde bei der legten Vollszählung 
vom 10. Januar 1868 zu 1,3 Millionen erhoben. Sieht 
man von Simla ab, welches als Sig einer zahlreichen Be: 
völferung von Europäern, die von ihren Renten und Ges 
haltern leben, außergewöhnliche Verhältniſſe aufweift, fo find 
dic Yandidyaften von Gurdaspur und Huſchiarpur die dichteft 
bevölferten nicht bloß im diefen Sebirgsabicdnitte, ſondern 
im ganzen Dimalaya Überhaupt; hier folgen ſich die Dörfer 
in lurzen Entfernungen, felbft vollreiche Orte von mehreren 
Tauſend Eimwohngg find nicht felten. Die Yage nahe ben 
natürlichen Zug ssftrahen nach Indien von Afghaniftan 
ber, jeine Mims 


SR \ 


4 dicfes Artilele auf ©. 314. 


PandſchabHima 


en Borzlige vor der Hige der Ebenen und | 


ayar). 


die Einfamfeit feiner Thäler mußten das Gebirge ſchon in 
alter Zeit zum Rückzugslande für die früheren Bewohner der 
Ebene wie zum Colonifationsgebiete der Arier und fpäteren 
Nomadenvölfer machen, die im Innern Afiens ihre Völker— 
wanderung begannen und im Pandſchab beeudigten, Die 
Bevölferung ift deshalb aus den verjchicdenartigiten Elemen 
ten gemifcht. Die vorarifchen Tallas, die einft das Sind: 
Sagar-Duab zwiſchen den Flüffen Indus und Dſchilam 
bewohnten, findet Cunningham **) „in den Vorbergen des 


**) Ethnology ol Panjub Proper; zuerft verfaßt 1864 und wie: 
ker abyebrudt mit Aufägen in Archaeological Survey of India by 
Major-General A. Cunpingham, Vol. Il. (Simla 1871), m 1— 
| a Häufig ehtirt int eim mir unbelanms umfangreides Werl von 
WMajot ©. 6, Smith: Keigning Family of Lahur. 


Emil Schlagintweit: Die engliihen Himalaya Befigungen. 


Gebirges Dſchamu zu beiden Seiten des Tſchenab“, wohin 
fie um 510 v. Chr. durch die Galars gedrängt wurden; fie 
wohnten noch im neunten Jahrhundert weiter in der Ebene 
herab und bilden in Dſchamu mit anderen Reften ber Ir: 
bewohner,, wie Meg, bie früher am Satlebfc faßen, dann 
Dund, Sati und Sadan, deren Zahl Smith zu 110,000 
erhob, ben Grundſtock der Bevölferung in Dſchamu, Rabd- 
ſchauri und Punatſch zwiſchen Tſcheuab und Dſchilam. An 
fie ſchließen ſich öſtlich um Marri die Galars an, ein erſt 
um bie Zeit der Herrſchaft des Perferkönigs Darius und 
durch feinen imdifchen Heerzug im Pandſchab angefiebelter 
Stamm, nad; Cunningham turkiſcher Abftammung; weſtlich 
reichen biß zu den Quellen der Rawi die Gudſchars hinauf, 
ein im weltlichen Indien weit verbreiteter indoſeythiſcher 
(tiirfiicher) Volloſtamm, melde Cunningham als bie leiten 
indoſcythiſchen Eindringlinge betrachtet. Nach bemfelben For⸗ 
ſcher beftehen 70 Prozent der gefammten Bevölferung bes 
Pandſchab aus Nachkommen der Indoſchthen; im Himalaya 


Meflungen, 
(Die unter dem Stammnamen 





Größe (abfolute Höhe) . .. . - 
Spannung der Arme. ..... E 
Kopfumfang .. . » - EEE 331 
Scheitelhöhe bis umter die Nafe . 136 
Scläfendurhmeflerr ..... . 72 
Kopfdurchmefler (antero postero) . 113 
Heufere Entfernung der Augen: 

wind en 67 
Innere Entfernung ber Augen: 

1 2: Be 25 
Länge der Badenfuohen . - - - 70 

R BR \7 EEE 22 

vo bei Munde . 22... 34 

- +»: Ri ...:0.4 4 

er Im .. 2er 0. 450 

„ vom Rollhügel am Schenkel: 

kuochen zur Erde». 2... 566 


Bon den Pandſchabi der Ebene und ihren Nachbaren in 
Afghaniftan wie im Nepal werben biefe Bergbewohner an 
Größe Ülbertroffen, dagegen eriweifen fie ſich von ftärferm 
Kuocenban. Zahlreiche Meſſungen in Poligeicorps, in 
Gefängniffen u. ſ. w. ergaben für Afghanen und Pandſchabi 
eine durchfchnittliche Größe. von 1,675 Meter, für die Der 
wohner diefes Gebirgsabchnittes 1,624, fir die Gorthas 
1,620, flie Brahmanen in Nepal 1,670; das durchſchnittliche 
Gewicht eines erwaclenen Mannes ift bei Afghanen 52,7 
Kilo, bei den Nepal-Brahmanen 59,9, bei Gorlhas 52,4, 
bei den Pandſchabi der Ebene 55,4 und des Gebirges 48,15 
Kilo. Aus dem Detail der Kaften ift hervorzuheben, daß 
die in der Ebene fo weit verbreiteten Dſchat im Gebirge feh— 
fen; Kaften der Kanet zählen 186,269, Berg: Radſchput 
(vergl. Kamaon, Bd. XXIX, ©. 282) 213,163 Seelen, 
aus Kaſchmir find an 80,000 herübergewandert. Die 
Sprade ift im Himalaya ein Dialelt im Often bes Hinbi, 
im Weften des Pendfhabi, ja in Hazara des Pufchtu, der 
Sprache ber Aighanen. Jedes Thal ſpricht aber feine eigene 

Blebus XXIX. Nr. 24. 


377 


wiegen fie wefifich des Satledſch vor, erreichen aber fein lin- 
fes Ufer nicht mehr. Jahrhunderte lang hatten fie die Herr 
ſchaft in Kafchmir inne. Arifche Eoloniften lamen ſchon 
früh in das Gebirge, das eigentliche Thal von Kaſchmir wurde 
fogar ſehr bald ein Hauptfig ihrer Eultur, und bie ſchöne 
Geftalt wie die große Mustelftärfe der dortigen Bewohner 
fiel den bubdhiftifchen Pilgern ans Gentralafien wie ben 
Europäern auf. Auf ſolche Schönheit oder Gleichftellung 
mit dem Höheren Hindulaſten aber die Bewohner in 
Rangra und in ben Thälern unterhalb des Thalbedens von 
Kafchmir feinen Anſpruch; mit Blut der Urbewohner und 
fremder Eindringlinge ftarf verfegte niebere Kaften, die in 
Heineren Abtheilungen noch nad) Kaſchmir gelangten, bildeten 
bier die Mehrzahl der indifchen Anfiedler, wie ſich in ber 
unten folgenden Lifte von Menfchenmeflungen beutlic aus 
fpricht. Tibeter lönnen nur fehr vereinzelt hierher gelangt 
fein, erft unter den Kanet am Satledſch finden ſich häufiger 
Anflänge daran. 


ausgeführt von H., A., R. v. Schlagintweit. 
ftehende Zahl giebt die Summe der gemefjenen Individuen an.) 


Mundart und bie zahlreichen fremden Zufäge wie Rebe: 
wendungen warten nod) eines Erllärers. Im den am Norb« 
abhang des Himalaya liegenden tibetifchen Landſchaften wer 
ben tibetifche Dialekte geſprochen; einige derfelben find höchſt 


eigenthitmfich und räthfelhaft, fo das Bıman, die Tibarsfad 
genannte Sprache in Kanaur: „ein großer Theil des Wort: 
ſchatzes ift fibetifch, ein anderer ift einer Sprache entlehnt, 
die feine Tochterſprache des Sanstrit ift, fondern einen ur— 
fprüinglichen Charakter hat, ohne daß ſich noch jagen Liehe, 
woher fie genommen find *).* Der Religion nad) find 
93 Procent der Bevölferung von Kangra Hindus ; der Islam 
hat nur in den gegen Aighaniftan ſich abdachenden Diftricten 
Erfolg gehabt und bie Mehrzahl der Bewohner zu Moham- 
medanern gemacht. 

Die Verwaltung ift nad) dem Non-Regulation-Syftem 
geregelt unter Uebertragung der Berwaltungsgeſchäfte an die 


*) 5. A. Jaäſchte im den Berbantlungen der Aflatifchen Geſell- 
ſchaft zu Galcutta 1865. 


48 


378 


Auftigbehörden erfter Inftanz; ein Ausnahmezuftand mußte 
wegen ber Himatifchen Berhältniffe fir die Hochthäfer von 
Spiti und Lahol geichaffen werden, da ihre Bewohner wäh. 
rend des größern Theiles des Jahres von der Verbindung 
mit dem Süden abgeſchnitten find. Hier wurde auf Grund 
einer Parlamentsacte aus dem breiunddreißigiten Regierumgs« 
jahre der Königin Victoria der örtliche Bezirkepolizeibeamte 
mit der vollen Yurisdiction ausgeftattet, wie fie fonft dem 
Chef des Diftrictes zuftcht; diefer Beamte ift ein Eingebor 
rener mit dem Titel Nono (tibetifch), d. i. „Junter“. Für 
biejelben Thäler macht ein weiteres Ausnahmsgefeg von 1872 
dem ſchwierigen Berfuch, durch ftrenge Strafen gegen Ub- 
holzung einer Waldverwüftung entgegenzuarbeiten, welche 
hier jo rückſichtslos gelikt wurde, wie in Europa im Engadin. 
Weitaus ben größten Theil der Einnahmen liefert die Grund« 
abgabe; fie ift jet in einer alle billigen Anforderungen be> 
friedigenden Höhe feftgeftellt. Weideland ift durchweg unbes 
fteuert; Aderland zahlt pro Hectar 6,15 bie 7 Mark, was 
einen Biertheile des Nohertrages gleichfommen follte, aber 
unter der Preiäfteigerung und gefteigertem Exporte „nirgends 
einem Sechotheil gleichfommt, meift laum ein Achtel erreicht; 
wo die wäfjerigen Niederſchläge gering find und das Aders 
land als unbewäflerted veranlagt wurbe, beträgt die Abgabe 
nicht einmal den fünfzehnten Theil des Nohertvages, wenn 
derjelbe aus dem Durchſchnitte der Preife der legten 30 
Jahre beredjnet wird *)“ Der Grund und Boden ift, wie 
überall im Indien, Eigenthum der Krone; mehr wie die 
Hälfte aller Bauern hat aber vererbliche Nutzrechte am 
Boden. ine fehr wertvolle Neuerung der engliſchen Ber: 
waltung ift die Ausftattung der Dorſſchaften als juriftifche 
Perfonen mit einem Verfügungsrechte Über die in ihrer Flur 
liegenden unbebauten Grasflächen, wodurd die Aufteilung 
eulturfähiger Dedungen angebahnt wurde. Unter der alten 
Verfaſſung ftand eim Recht auf diefe Dedungen den Großen 
des Landes zu. Die Gilten und Abgaben am diefe chemalir 
gen Oberherren find jegt im Verhältniß gu der ftaatlicyen 
me abgeftuft und in biefer Weife firirt; ift wie 
hier die Steuer niedrig, fo find es aud) diefe Abgaben, die 
fid) mit unferen Boden» und Grundzinfen vergleichen laſſen. 
Es mußte jedoch ein großer Theil des Landes fiir ſolche 
Iberherren und diejenigen, die von ihren Verleihungen ein 
Recht auf Grundrente ableiten, als zin&bar anerfannt wer⸗ 
ben, wodurch ſich die Einnahmen der Abkömmlinge der alten 
Feudalherren mitunter ziemlich Hoch ſtellen. So ertragen 
die Grundabgaben an den Nadia Dſchai Tſchand zu Lam— 
bagraon in Stangra —— Mark, jene des einftigen 
Gebieterd von Kulu, Rai Dalip Singh, 17,000 Darf, wie 
ſich gelegentlich der Verwaltung ihres Vermögens während 
ihrer Minderjährigteit herausftellte. 

Für die Anftrengungen der englifchen Regierung, die 
Boltsbildung zu heben und ärztliche Unftalten bereitzuftellen, 
zeigt die Bevöllerung nod) wenig Sinn. Der Impfung 
wird, befonders im Hochgebirge, noch Widerftand entgegen« 
gefeßt; von den Hospitälern und Apothefen wird nod) wenig 
Gebrauch gemacht: nad) ben Verhältnißzahlen des Pandſchab 
müßten mindeftens 0,083 Procent der Bevölferung ärztliche 
Behandlung und Medicamente gereicht worden fein; es mel- 
deten ſich aber in diefen Anftalten nur 0,023 Procent. Flir 
Ausfägige befteht ein Specialhospital in Dharmſala. Die 
Boltesfchulen gelten als Yaft, feit das Beftreben, fie zu meh» 
ren, Anlaß zur Diftrietsftener wurde. Diefe Difteictsftener 
wird mit 371/, Biennig vom Kopfe der anfäfjigen Bauer: 
bevölferung erhoben und liefert die Mittel zu mannigfachen 


) inleitende Worte des Lieutenant Gevernot kes Pantſchab 
(Honorable R. H. Davies) zum Berwaltungsbericht für 1872/1873. 


Emil Schlagintweit: Die engliſchen Himalaya=Befigungen. 


Berbeflerungen im Gebiete des Straßenbaues, der Schule 
und der Öefundheitöpflege; die Art der Verwendung des 
Geldes beforgt feit 1872 eim durch Ernennung Seitens der 
Regierung beftellter Diſtrictsausſchuß einflußreicher Eins 
or ig den Ernannten wird plinktliche Anweſenheit und 
Eingreifen in bie ihrer Berathung unterftelten Vorlagen 
a 

as Chriftenthum Hat jehr wenige Fortſchritte ge: 
macht ; drei Miffionsgefelfchaften (die American Presbyterian 
in Simla, die Church of England Miffion und die deutfchen 
Herrenhuter im Hochgebirge) hatten bis 1868 erſt 108 
Eingeborene zu Chriften befehrt. Die deutfchen Herrenhuter 
haben ſich den tibetiihen Theil von Kangra als Feld ihrer 
Ihätigfeit ausgewählt und feit 1854 fid) in Kyelang in 
Lahol niebergelajlen. Die Eingeborenen danfen ihnen mıch» 
rere Schulen (die fid) ftarker Regierungszuſchüſſe erfreuen, 
weil fid) die Miſſionäre von ftörender Profelytenmacherei 
fernhalten) und zahlreiche Tractate und Sculbiiher in tibe- 
tijcher Sprache, wir aber ein umfangreiches tibetifcd- 
beutfches Stellenwörterbud *). Bei der Rundreiſe 
des Vorjahres machte Miffionär Redſlab die wenig erfreus 
liche Wahrnehmung, daß die Bücher des Miffionshaufes als 
Zalismane gegen Krankheiten blattweife verſchluckt werben, 
weil die darin enthaltenen Heilswahrheiten zu gleicher Zeit 
als Heilmittel gegen Krankheiten gedadjt wurden! 

Am Südrande des Himalaya ift die Zahl der engliſchen 
Vaſallen nicht unbedeutend, insbefondere zwiſchen den Flüſſen 
Dſchamna und Bias breiten fid) weite Streden reichsmitiel ⸗ 
baren Gebicte® aus, das unter ber Verwaltung zahlreicher 
indifcher Fürften fteht. Diefe Staaten machen der Negie- 
zung weniger zu ſchaffen als anderwärts; bie Beilegung der 
Grenzftreitigfeiten, die Abjtellung fchreiender Mßbräuche 
wird ohne Schwierigkeit erreicht. Während des Aufftandes 
von 1857 zeichneten ſich die meiften dieſer Fürſten durch treues 
Ausharren bei der Negierung aus; verfprengte Rebellen fan- 
den fein Berftel und die bewaffneten Truppen unterftügten 
überall die engliſchen Polizeicorps, Zur Belohnung zeigte 
ſich die Regierung freigebig mit Verleihung von Titeln und 
Abtretung unbequemer Örenzparcelen. Räumlic, der größte 
biefer Staaten ift Bajjahir (Biffer) zu beiden Seiten des 
Satledſch, mit Rampur als Hauptftadt, welche Sig einer 
bedeutenden Wolleninduftrie ift; die Shawlweber ſchätzen die 
Wolle der hier gezogenen Schafe hoch und ftellen fie den 
beften perſiſchen Sorten gleich. Der Fürft, mit dem Titel 
Radſcha, ift 39 Jahre alt umd hat ſich eine feltene Fertig ⸗ 
feit des Engliſchen angeeignet; er ahmt auch englifche Sitten 
nad), macht ſich dabei aber oft recht lächerlich und ift ein 
fehr oberflächlicher Mann, der es mit feinen Regierungs- 
pflichten ſehr leicht nimmt; im Vorjahre lauerte er jedem 
Zouriften auf, um feine Tafchenuhr mit jener des Fremden 
zu vergleichen. Scjlimme Zuftände herrſchten bis im die 
legten Jahre in Tihamba, nördlich von Kangra; jett 
haben englifche Beamte die Verwaltung in die Hand ge 
nonmen. . 

Eine Befonderheit diefes Gebirgsabſchnittes find die zahl« 
reichen Sejundheitsftationen (Sanitarien) oder diejenigen 


*) Bergl. „Slobus" Br. XIX (1871), ©. 331 ff. Diefe liter 
tarifche Keiftung ift um fo böber angufhlagen, ala das feit länger 
als einem balben Jahrhundert an allen Hochſchalen @uropas und 
Amerilas gepflegte Sanskrit zu einem foldhen Stellenwörterbuh trog 
des Vienenfleibes zahlreicher Prutfcher Gelehrter vollſtandig erft 1875 
gelangte. Verfaſſet des tiberifhen Wörterbuchen it Miffionir H. 4. 
Jäfchte, welchet im Vorwort zum erſten Theile (Magtebutg 1871) 
dem Herrn Verfaſſer biefer Nuffäge „Für vielfade Berathung und 
namentlich für bie Freundlichkeit, mit welder er mir in der uneigene 
nügiaften else feine lericalifhen Sammlungen überlie#“, feinen 
befontern Daut ausfprict, Anm. ter Net. » 


Emil Schlagintweit: Die englijchen Himalaya -Bejigungen. 


Orte, in welchen zum Sommeranfenthalte von europäifchen 
Beamten, Militärperfonen und ihrer familien Borkehrungen 
getvoffen find, Es find dies Eimla und im feiner Nähe 
Dagſchahi, Sabathu, Kafauli, Dharmfala und Kangra, 
Dalhouſie und Marri. Bor Cholera find auch die Höhen, 
in benen diefe Orte liegen, noch nicht ficher, erſt im Borjahre 
drohte Simla wegen einer ziemlich heſtigen Choleraepidemie 
in der Höhe der Saiſon zu veröden. Die Hauptorte Sina 
und Marri haben feit 1850 eine Stäbteverfafjung, andere 
feit 1867, oder wenigftens find ihnen zu ftäbtifchen Zwedfen 
Umlagen zugeftanden. Städte mit einem Stadtrathe als 
Verwaltungdorgan giebt e8 1 im Kreife Simla, 9 in Kan— 
gra, 2 in Huſchiarpur, 3 in Gurbaspur, 1 in Nawalpindi, 
2 in Hazara. DieStadt Simla zählte 1868 14,348 Ein- 
wohner; in aufjallender Minderzahl ift das meibliche Ges 
ſchlecht vertreten mit nur 3227 BVerfonen. Am mächten 
fommt Nurpur in Kangra mit 9928 Seelen. Simla, wo 
ein Europäer 1822 das erfte Haus bauen ließ, wurde im 
Sommer Amtsfig der Gentralftellen ber Neichöregierung, 
flie welche in den nächften Jahren mit einen Auſwande von 
20 Millionen Mark entfprecdyende Bureanr erbaut werben 
follen, wie ftändiger Wohnort zahlreicher Benfioniften, Sitz 
vieler Erziehungsanftalten; im Sommer entfaltet fich bier 
ein reiches Badeleben. Die Häufer find meift leicht gebaut 
mit Berwendung vieler Holztheile; Brände verurfachen bes: 
wegen leicht großen Schaden. Der Ort ift weitläufig ge— 
baut, der Höhenunterjchied zwifchen dent mieberften öffentlidyen 
Gebäude (Biſchof Cotton's Schulftiftung in 2016 Meter 
Höhe) und dem höchſten (Dfdyafo in 2545 Meter hart uns 
term Gipfel des Berges gleichen Namens) ift bedeutend; das 
befuchtefte der öffentlichen Gebäude ift das Clubhaus des 
Bereins von Givilbenmten und Militärs im Mittelpuntte 
der Stadt in 2209 Meter Höhe. An guten Hötels, Pens 
onen und reich ansgeftatteten Waarenlagern, worunter feit 
dem Borjahr eine „Berliner Waarenniederlage*“, ift fein 
Mangel; den Intereſſen der Fremden dienen vier engliſch 
erfcheinende Zeitungen : ein täglich, ausgegebened Annoncens 
blatt mit Preisverzeichniffen, Witterungbeobachtungen u. ſ. w., 
und drei Wochenblätter; dem Handel und Verkehr Leiftet die 
SimlasBant Borfhub, Die englifche Kirche fat die Be: 
ſucher nicht mehr. 

Die Saifon fir Sommerfriſchler beginnt am 15. April 
und ſchließt am 15. October; fie zerfällt in drei Ab« 
fchnitte; der mittlere umfaßt die Zeit von 15. Yuni bie 
15. Auguft und bildet gewöhnlich den Glanzpuukt bes 
Jahres. Die Preife find felbft für indiſche Verhältniffe fehr 
hoch. Fur die Dauer der ganzen Saifon koftet ein Haus 
nicht unter 1600, meift 3000 und felbft 4000 Mar, die 
Penfionspreife find 20 Mark pro Tag fir befcheidene An- 
ſprüche; das Necht zum Beſuche des Clubs ift mit einem 
Eintrittögelde von 320 Mark zu erwerben, Die Sefjel- 
träger einer Dame foften 60 bis 90, cin Neitpferd 100 bis 
200 Mark pro Monat; alle Einkäufe erfordern durchſchnitt⸗ 
fidy eine Ausgabe vom 25 Procent mehr als in der Ebene. 
Dabei veranftalten die Sommergäfte noch koſtſpielige Feſtlich- 
keiten; während der Anwefenheit des Vicegouverneurs, der 
Gouverneure des Pandichab, des Höchfteommandirenden und 
anderer hoher Wirdenträger drängen fid) Bälle, Diners mit 
reichen Champagnergenuſſe, Geſellſchafteſpiele und Ausflüge. 
Beamte und fonftige Europäer mittlern Einfommens meis 
den deshalb Simla — wie wir die Schweizer Böder erften 
Nanges — und laffen ſich in den Stationen vor Simla oder 
in den Eanitarien Kamaons nieder. — An Annehmlichkeiten 
nicht viel weniger als Simla bietet Marri bei ungleich bil» 
ligeren Preifen ; es wird deshalb ſchon jet aus weiter Ferne 
aufgefucht und nimmt feinerzeit nach Vollendung der Bahn 


379 


vorausfichtlich eine Stellung ein d den mit Recht berlihni⸗ 
ten Oertlichteiten des Thales von Kaſchmir, wie Kafauli und 
Sabathu zu Simla, 

Diefe Hauptmittelpunfte europäischen Lebens in Indien 
find ungewöhnlid reich an Schulftiftungen für Kinder von 
Europäern. Die erfte Schenfung zur Errichtung von Afylen 
für Soldaten und Offigiersfinder im Himalaya, damit ihr 
Geift und Körper in der großartigen Alpennatur diefes Ge— 
birges geftärkt werben könne, machte Sir John Lawreuce in 
der Zeit feiner Verwaltung des Pandſchab (1857); andere 
hochherzige Perfonen folgten, die Privatinduftrie wandte ſich 
gleichfalls der Errichtung von Penfionen zu, und fo finden 
wir im gebirgigen Norbweften Indiens, nahe feinen Green 
zen, folgende Erziehungsanftalten zur Benugung geftellt. In 
Simla beftchen ein Waifeninftitut, 1874 mit 127 #ög« 
Lingen, urſprünglich für fatholifche Mädchen geftiftet, ſeither 
durch ftaatliche Zuſchuſſe zu einer Anftalt fr Töchter von 
Militärperfonen erweitert; die Mayo Induſtrial School, 
deren Gebäude 1873 für 140 Zöglinge vollendet wurden 
und 1874 38 finder von Gubalternbeamten des Civil- 
bienftes aufgenommen hatte; die Bifcdof-Cotton-Schule mit 
133 Knaben, eine Art Nealgyinnafium mit Penſion, deſſen 
Scliler zum Eintritt im die Ingenieurſchule zu Rurfi oder 
zum Uebertritte in eine ber Yandesuniverfitäten vorbereitet 
werben; die Pandſchab-Mädchenſchule mit 43 Penfionären; 
ferner vier Privatinftitute englifcher Lehrerinnen, die feine 
ftaatliche Unterftigung beziehen. In Sanawa unmittelbar 
bei Kafauli bot 1874 das Lawrence-Militär-Aſyl 250 Kna— 
ben und 185 Töchtern von Soldaten und Unteroffizieren 
Unterricht und forgt beim Austritt für ihr weiteres Fort— 
kommen. Unter dem Namen „Aiyl zum Undenten an 
Lawrence“ befteht eime gleiche Anftalt in Marri flir 70 Kna— 
ben und 50 Mädchen; ihren Bedarf bringt diefe Stiftung 
unter Underm auch durd) Leine Abzlige auf, welche allen 
Unteroffizieren der Pandfchab-Territorialarmee gemacht wer: 
den, die mehr als 120 Mart Sold im Monat beziehen. 
Eine eigene Erfcheinung find Wanderſchulen; fie find Schöpfuns 
gen der Offiziere in den Garnifonen am Fuße des Gebirges. 
Die ältefte diefer Schulen ift die Mari-cum-Pindi-Schule; 
ige Sig ift abwechjelnd Rawalpindi und Marri, von diefen 
beiden Städten ift der Name gegeben *). 

Die Regierung geht jegt damit um, fo nahe den Ebenen 
als es aus Gefundheitsräidjichten möglich ift, Heine Depots 
zu errichten, wo immer der Bezug von Yebensmitteln feine 
Schwierigleiten macht, und dort Civiliſten dauernd als Co— 
foniften fowie Soldaten und ihre Familien während des 
Sommerd anzufiedeln. Der erſte Verſuch fol in den 
Duars **) gemacht werden; hier wurde im Sommer 1875 
in der Höhe von 1520 Meter Land zu einer Anſiedelung 
abgeſteckt und zur Errichtung der Colonie und Ueberführung 
der Coloniften Gheldbeiträge, zu ihrem Fortkommen niedrige 


+) Die Wobltbat und Nethwendigleit diefer Schulen beweiſen am 
beiten Schulberichte über den durchſchnitlichen Bildungsgrad bon Hinz 
tern aus engliſchen Familien mittlerer Lebeneſtellung beim Eintritte 
in biefe Schulen: „Der Grad der, Ummwirfenheit iſt dielfach geraregu 
unglaublid. Knaben von mebr als zwölf Jahren wiſſen vielfach 
nächte als ihren Namen Icferli zu ſchteiben; bie Bibel if ihnen 
ein unbelanntes Buch, tie Unterſcheidung eines alten und neuen Teftas 
ments war noch im Alter von 13 Jahren meift neu; auf Aragen 
über Geſchlchte, Beograpbie oter Erempel zum Kopfrechnen geben fie 
die wiberfinnigten Antworten, Unter funfgchn Mädchen konnte nur 
eines von 14 Jahren Hichend leſen; treifilbige Wörter waren das 
hochſte bei den übrigen, die Mehtzahl kam fehen über pweiſilbige 
nicht hinaus, von den jüngeren fonnte feines leſen. Und tabei hat 
ten die Eltern fidb bemüht, ihre Kinder vor Berwahrlofung zu fhüken; 
alle bedauerten, daß ihre Kinter fo weit zurüdgeblichen feien und 
beklagten ten Mangel an Schulen.“ 


*) S. „Wlobus” Br. XXVIN, ©. 234. 
48*+ 


380 


Grundabgaben bewilligt. Diefer Verſuch ift von größter 
Bedeutung für die Zukunft Indiens umd für die Befeftigung 
der englifchen Macht in Indien. Durd) die Erbauung von 
Eifenbahnen und Fabriken ift eine große Zahl von Euro: 
päcen gewöhnlichen Schlages nad; Indien gefommen als 
Borarbeiter und Maſchiniſten; gleichwie die Europäer aus 
den Schreibftuben immer mehr verdrängt werben, ſeitdem 
durch die Bemühungen der englifchen Regierung immer weis 
tere Kreife umter den Eingeborenen gute Schulbildung ſich 
aneignen, jo werben die Europäer aud) aus diefen Erwerbs- 
zweigen getrieben, ſobald paflende Arbeiter aus den Streifen 
der Eingeborenen nachgezogen find. Biele diefer Europäer, 
die ihre Hoffnungen auf dauernd guten oder leichten Erwerb 
nicht erfüllt jahen, find bereits der Gefahr erlegen und von 
dem orientalifchen Schmutze berligrt worden, unter welchen 
fie arbeiten und deſſen Befeitigung die weiße Nace anftreben 
muß. Unter ben vielen Vorſchlägen, die wirthfcaftliche 
Lage und Zukunft diefer „weißen Armen* glinftiger zu ger 

ten, nimmst bie Befiedelung des Himalaya den erften Rang 
ein: der Fleiß ariſcher Einwanderer wird diefen Theil Ins 
diens eben fo ſehr der Eultur gewinnen wie vor Jahrtaufen: 
ben die Tiefebenen Hindoftans; die Neichöregiering aber ges 
winnt an diefen Coloniften das ihr mod) fehlende Material 
an jederzeit verläffigen Yandesvertheibigern. Bon Jahr zu 
Jahr macht es dem Mutterlande größere Schwierigkeiten, 
bie zur Ergänzung der Armee möthige junge Mannſchaft 
anzuwerben; nach eben fo vielen Taufenden zählt in Indien 


Zur Ethnographie der Bulgaren. 


bie Bevölkerung an Weißen, als ihr Millionen von Ein- 
geborenen gegenüber ftehen. Fur Seiten ber Gefahr war 
bie indifche Regierung beftrebt, die Europäer in Eivilftelluns 
gen zu Freiwilligencorps zu vereinigen. Noch find aber diefe 
Corps, zu denen auch das Fyreiwilligenbataillon in Simla 
zählt, eine Spielerei und nur der Clubvergullgungen wegen 
gejucht ; vom ernften Kriegerhandwerk eignen fie ſich faft nichts 
an als Kenntniß im Handhabung eines Gewehres. Eine 
ſtarle europäifche Bevölkerung im Himalaya würde ſich lörper⸗ 
lic, glnftig entwideln und Indien dauernd Ruhe im Innern 
wie Sicjerheit vor dem Schredfgefpenft eines ruſſiſchen Ein⸗ 
falles von Nord wie Weft her ſchaffen. In der Mög: 
lichkeit, vom nörblichen Grenzwalle Oftindien® gegen Juner« 
aften europäifche Sitten über die Tiefländer Indiens aus« 
ftraßlen zu Laffen, liegt die große Bedeutung und die Zukunft 
des englifchen Befiges im Himalaya *). 


+) Schon vor zwanzig Iabren verlangte im einem amtlihen Ver 
richte (Bengal Recorde dr. 27) 8. B. Hotyfon, ter grüntliche 
Kenner der Gebirge am der Nordgrenze Indiens, VBefiekelung biefer 
Gegentvn mit Europäern: „Würde cin Zehuntheil, mein, nur ein 
Bunfzigtbeil des Geldes, das eben jeht (1856) gegen Berfien sufgr- 
wendet wirb, um 8 an der @innahme Herats zu binbern, für @rs 
munterung der Ausmanterung von @uropiern in die Gebitgeland ⸗ 
ſchaften tes mittlern Himalaya beſtimmt, fo würden wir einen viel 
tauerbaftern, ficherern und billigern Grenzwall gegen ruſſiſche Ans 
griffe uns fchaften und würden ihren Landhandel mit Gentralafien im 
fürzefter Zeit auf nichts herabtrüden.“ 


"Zur Ethnographie der Bulgaren. 


M. P. Im welchem verworrenen Zuftande ſich bie Eihno- 
graphie der fübflavifchen Stämme nod) heutigen Tages bes 
findet, wird man gleich bei dem erften Verſuche, fid in der 
felben zurechtzufinden, gewahr. Namentlich aber find es die 
ethnographiſchen Verhältnifie der Bulgaren, die noch vielfach 
in Duntel gehüllt find, Und betrachtet man die Vorgänge, 
die fic in neuerer Zeit und beſonders laut in ber Öegenwart 
auf der Balfanhalbinfel abwideln, fo wird man doppelt freu= 
dig eine wiffenfchaftliche Arbeit begrüßen, welche es ſich zum 
Zwede ftellt, die Wirren in der Ethnographie der Ballau— 
bevölferung nach Möglichkeit zu löfen. Im diefer Beziehung 
nehmen unftreitig die Betrachtungen des Herm Nowako— 
witich über die Bulgaren und ihre Literatur, die er in einem 
Artikelchelus in einer ferbifchen Monatsichrift unlängft ver- 
öffentlicht, eine hervorragende Stelle ein. Nowalomwitſch ift 
unter den Slaven als Philolog rühmlich befannt; er war 
fchon zweimal Cultusminiſter in Serbien, was freilid) feinen 
Namen in weiteren wijfenfchaftlichen Kreifen weniger befannt 
machte, als feine vege Betheiligung an den Arbeiten des 
archäologijchen Congreſſes in Kiew im Jahre 1874. 

Man nimmt gewöhnlich an, daß die Befiedelung der 
Ballanhalbinfel durch die Slaven im 5. bis 7. Jahıh. ge: 
ſchah; Nowafowitich in ebereinftimmung mit dem Bulgaren 
Drinow (Saselenic balkanskago poluostrva Slavjanami) 
und dem czechifchen Gelehrten Direset (Djejini nüroda 
bulbarsk&ho) dehnt diefen Zeitraum weiter aus; er jet 
ihn ins 3. bis 7. Jahrh. Ins 7. Jahrh. fällt nur die 
Beendigung der Wanderung, die im 3. Jahrh. ihren Anfang 
nahm umd im 6. ihren Höhepunkt erreichte. Länger als 
fieben Jahrhunderte hindurd von den Zügen der Vöoller⸗ 
wanberung ethnographiſch umgeftaltet, finden wir zu Begiun 


bes 8. Jahrh. auf der Balfanhalbinfel die Maffe der Ber 
völferung flavifh. Neben ihr konnte man damals nod) 
unterfcheiben die Leberrefte des alten thraco-illyrifchen Stams» 
mes, vor ber Bölferwanderung die Hauptmaffe der Bevöl- 
ferung, und zwar in zwei verfchiedenen Formen. Die erfte 
bildeten die kriegeriſchen albanefiichen Stämme: die Gogas 
(von dem illyrifchen) und Toskas (von dem macedo⸗epiro ⸗ 
tiſchen Zweige), weldye im dem gebirgigen weftlichen Theile 
der Halbinfel noch bis zum heutigen Tage die Merkmale der 
alten thraco-illgrifchen Gruppe bewahrt haben. Im ber zweir 
ten Form treffen wir bie romanifirten thraco-illgrifchen 
Stämme, zumeift im nörbliden Theile der Halbinfel, wo fie 
ſich mit den römischen Anfiedlern vermifcht hatten, Zu dies 
jen gehören die heutigen Rumänen und Zingaren. Das 
zwifchen fand man noch Ueberbleibfel der germanifchen und 
finnischen Züge und namentlich griechiſche Kolonien, bie 
fortwährend beftrebt waren, die Uebermacht in ihren Händen 
zu behalten, welche die Römer in biefen Gegenden begründet 
hatten. Das oftrömifche Reich übernahm die Rolle, die Kom 
nad) der Eroberung der thraco:illyrifchen Länder noch vor 
der Bölferwanderung in Händen gehabt hatte, 

So gejtaltet waren bie ethnographiſchen Berhältniffe in 
jener Zeit, als ſich der bulgarifche und ſerbiſche Staat zu 
bilden begannen. Die flavischen Stämme, welche die Balkan: 
halbinfel beſetzt hatten, gruppirten ſich um dieje zwei Centren. 
Die geſchichtlichen Fragmente, die wir über die nächſten fieben 
Jahrhunderte befigen, berichten uns liber neue ethnographiſche 
Ungeftaltungen, und es ift von großem Intereffe, das ethno⸗ 
graphifche Bild der Halbinfel zu Anfang des 15. Jahrh, 
wo jene beiden ſlaviſchen Staaten ſich auflöften, zu befigen. 
Daffelbe gab fürzlid) der oben erwähnte czechiſche Gelehrte 


Zur Ethnographie der Bulgaren. 


Jireoel *). Im jene Zeit, d. h. ins 15. Yahrh., fällt bie 
türliſche Invafion, fie reihte am die bisherigen eihnogra- 
phifchen Beftandtheile noch einen neuen, ganz und gar frent- 
den, und rührte mit ihrer Fremdherrſchaft die Elemente 
wiederum auf, die ſich faum zu confolidiven begonnen hatten. 

Nach diefer hiſtoriſchen Perfpective, die wir hier kurz 
wiedergegeben haben, gelangt Nowalowitſch zur kritifchen 
Sichtung des Materials, das Über die Zahl und die Site 
ber Bulgaren in der Gegenwart vorliegt. Hier begegnen 
wir der troftlofeften Meinungsverfchiedenheit, die igren Grund 
im dem gänzlicen Mangel an ſyſtematiſch gefammelten Da- 
ten hat. Selbft die neueften Schriftfteller ſchwanken bei der 
Angabe der Zahl der Bulgaren zwiſ 2 und 6 Mill, 
eine Unficherheit, die man faum in und bei dem 
jegigen Standpunkte ſelbſt der außereuropäijchen Geographie 
erwarten wlirde, Die erftere Zahl finden wir in E. Brehm’e 
und 9. Wagner’s „Bevölferung der Erbe“ 1874, ©. 31, 
wie fie der jerbifche Statiftiter Jakſchit ſch aufgeftellt hat, 
die zweite von 6 MIN. bei dem Bulgaven Drinow (Pogled 
vrh proishoschdanje-to na blgarskij narod 1860, p. 88). 
Einft wußte man jo wenig Über ihre Anzahl, daß fie Scha— 
farit im feiner „Geſchichte der flavifchen Literatur 1826* 
nur auf 600,000 jchägte. Später in feinen Werte „Slo- 
vansky närodopis, Prag 1842* erhebt er ihre Zahl ſchon 
auf 3,500,000, indem er U. Bous’s kung herab» 
mindert, der 1836 bid 1838 im ber Türfer reifte und die 
Zahl der Bulgaren mit 4,500,000 angab, Cine turkiſche 
soi-disant amtliche Volkszählung vom Jahre 1844 fand in 
ber Türfei 4 Mill. Bulgaren. Ein Mitarbeiter des Wiener 
„Wanderer“ 1864, Nro. 63 fett die Zahl der Bulgaren in 
der Türkei auf 6,030,000 und zufammen mit jenen außer: 
halb der Türkei auf 6,620,000 au. In den „Mittheiluns 
gen ber k. k. Geographiſchen Gefellichaft in Wien“, 1874, 
XVII, ©. 287 wird ihre Zahl im Donau-Bilajet und 
außerhalb deffelben mit 31/, Mill. angegeben. Ubicini 
und Lejean nehmen 3, Dumont 4 und ber franzöfiiche 
Conſul Engelhardt 4!,, Mill. an. Kanitz, der nad) 
umfafjenden Studien vor einigen Monaten den euften Theil 
feines voluminöfen Werkes über die Bulgaren publicirt hat, 
beziffert fie auf mahe 5 Mill, (DonausBulgarien und ber 
Balfan. Leipzig 1875, ©. 88). Die Zahlen, die in ber 
neueften Statiftit Brehm’s und Wagner’s („Bevölferung 
der Erde“ 1874, S. 31) gebradjt werden, wollen flir amt« 
lich gelten, denn diefelben wurden vom Major zur Helle, 
bem öfterreichtichen Geſandtſchaftsattachs in Konftantinopel, 
dem öfterreichijchen Minifterium des Aeußern im amtlichen 
Wege übermittelt, Nach denfelben wiirde bas Adrianopeler 
Bilajet 2,471,906, das Donau-Bilajet 1,617,418, das von 
Salonili 1,237,338 Einwohner zählen. Angenommen, daß 
im Donau-Bilajet (denn die Dobrudſcha ift turkiſch) drei 
Biertel Bulgaren find, im Worianopeler zwei Drittel und 
eben jo viel in dem von Saloniti, daun belommen wir eine 
Zahl, die 31/, Dill, Üüberfteigt. Wie wenig verläßlich jedoch 
auch diefe Zahlen find, erfieht man am beften daraus, da 
U. Synvet, Lehrer der Geographie am kaiſerlichen Yyceum 
in Galata»Serai (Traitö de geograpbie generale de 
l’empire ottoman. Uonstantinople 1872, p. 61), der 
ſich überall, wo nur möglich, auf amtlidye Quellen ftügt, die 
Bevölferung des Donan-Bilajet mit 3 Mill. angiebt, wäh: 
rend fie nad) Major zur Helle nur 1,617,418 betragen 
fol, Um das Ganze noch mehr zu verwirren, fommt enblic) 
noch die Volkszählung von 20. September 1874 hinzu, bie 
für Bulgarien (Donau-Vilajet) 1,141,051 männliche Eiu» 


*) Geſchichte der Dulgaren. Bon Conſtantin Hof. Ji— 
redet. Prag 1876. erlag ven F. Tempetv. 


381 


wohner ergab, alfo im Ganzen (wenn man den weiblichen 
Einwohnern diefelbe Zahl einräumt) 2,282,102. Die Ber 
völferungsdichtigkeit beträgt auf die Duadratmeile nadı Major 
zur Helle (amtliche Quellen von 1871) für das Adrianopeler 
Vilajet 2169, für das von Janina 2151, für das von Scus 
tari 1013 und für das Donau-Bilajet 960, was auch ſchwer⸗ 
lic) dem wahren Sadjverhalte entipreden wird. Wan fieht 
daraus, wie wenig verläßliche Stügen man für die Auf: 
ftellung der bulgarifchen Bevölferungszagl hat; die angege- 
benen Zahlen reduciren fich auf den Werih perjönlicher Ein: 
drüde, und nur eine regelrechte ftatiftiiche Zählung wirde 
ber jet herrſchenden Unklarheit ein Ende machen können. 
Nach allen diefen Betrachtungen eutſcheidet ſich Nowalowitſch 
für die Zahl von 42 Mil. (H. Kiepert fr 5, Jiredel a. a. O. 
©. 578 für 51/, Mill.). 

Nicht viel beſſer ſteht es mit der zweiten Frage, bie mit 
der Bevölferungsfrage in Verbindung fteht, wir meinen die 
nad) den eihnographiſchen Grenzen der Bulgaren. Der ruf 
ſiſche Neifende Hilferding fegt als füdlidye Grenze zwifchen 
ben Serben und Bulgaren den Kamm des Schar-Gchirges, 
das die Wafferfcheide zwifchen der Diorama und dem Bardar 
bildet. Bis zur öftlichen Grenze reichten feine Reifen nicht. 
Prof. Franz Bradaſchka, ein fehr verläßlicher Schrifte 
fteller, ſetzt als weſtliche Grenze der Bulgaren den Fluß 
Timof und die Grenze des ferbifchen Fürſtenthums, dann 
bie bulgarifche Morawa, das Schar-Gebirge, den obern 
Wardar und den Ochrida:-Ser. Mit ihm ftimmt der Haupts 
ſache nad) Lejean überein. Bon Kanitz befigen wir noch 
feine Bemerlungen über dieſen Gegenjtand. Die weftliche 
Grenze feiner bulgarifchen Marſchroute ift übrigens das 
Gebiet zwifchen der Niſchawa und der Morawa. n diefe 
Linie nimmt ſchon Schafarif in feinem „Narodopis“ als 
weſtliche Grenze der Bulgaren an, und indem er hierauf zum 
obern Wardar übergeht, zieht er fie weiter nad, Weiten bis 
Ochrida und einen Theil der Dibbra-Yandichaft, wo er ihr 
die Richtung auf Koftur (Kaftoria?), Katraniga und Wars 
bar-Jenidiche gen Saloniki hin giebt. Bon Saloniti aus 
geht diefe Linie nördlich gegen Kutuſch (Kelkitich), von wo 
fie ſich der Hauptſache nach öftlidy nach Seres hinzieht. 
Sid, immer am das Gebirge anlehnend und das Küſtenland 
bei Seite laſſend, geht fie von Seres beinahe im gerader 
Linie auf Feri (Burugiul). Bon hier fegt fie fich dem Ge 
birgsfamm entlang nad) Nordoften fort und den Fluß Arda 
abwärts in die Umgegend von Adrianopel, von welcher aus 
die Maffe der bulgarischen Bevölferung beftändig die Aus— 
läufer des Ballan inne hält und zwar biß zum Ufer ber 
Maritza; diefe Linie fegt fich beinahe ganz öftlich, mit einer 
Heinen Abweichung gen Norden, auf Waſilislo am Scwar- 
zen Meere fort. Im Dften werden bie Bulgaren wieder 
vom Meere durch griechiſche und türkische Colonien getrennt, 
deren es im Domauthal und im der Dobrubjcha eine beträcht- 
liche Unzahl giebt. Dies find die Grenzen des bulgarifchen 
Stammes nad) dem Standpunkte der heutigen geographijcyen 
Literatur Über die Bulgaren *). Rolirte Gruppen wurden 


) @inen ungleich tetaillirtern Ucberblid als biefe Müchtige Um: 
grengung der von Bulgaren bewohnten Gebiete, fowie der von ihnen 
umfchleffenen Endlaven türfifcher, arlecbifcher, rumänifcher und albas 
neſiſcher Zunge gewährt die focben im Berlage von Dietrib Neimer 
im Berlin erſchienene Ethnographiſche Ueberiicht des eurer 
pälfhen Orients von Heinrih Kiepert” im Maßſtabe von 
1: 300,000, (Nebft Y/, Bogen Tert. Preis 1 Markt 60 Pf.) Auf 
Grund aller publicirten sowie richtiger noch unpublicitter Quellen, 
unter denen die Journale von Heinrich Barth voranfteben, brarbeis 
tet, führt diefelbe im acht verjhbietenen Farbenudnen vie Verbreitung 
folgenter Völlerſtämme ver: Griechen; Illyrier (Scbtjepetaren); Nor 
manen (taliener und Numänen oter laden); tie beiten Zweige 
der turanifhen Bölterfamilie, Mayvaren (Ungarn) und Türten (Ob— 
manen) und entlic die flaviihen Stämme ter Scrben (mit Greas 


382 


hier nicht in Betracht gezogen; fo giebt es eine große Anzahl 
Bulgaren, gegen 70,000, um Bolgrad und Kagul im der 
Moldau und in Befarabien, wo fie compact wohnen, aufer- 
dem finden fie fich zerſtreut in der ganzen Wallachei. Dieje 
Anfiedelungen find neuern Datums, und die unmittelbare 
Beranlaffung zu ihrer Begründung waren die Unterdritduns 
gen der türfifchen Machthaber ; fie nahmen nad) dem Jahre 
1750 ihren Anfang und dauern bi in unfere Tage fort, 
worliber feiner Zeit auch der „Globus“ (Bd. XXVI, 
S. 159) berichtete. Ebenſo findet ſich im „Globus“ 
(Bd. XXVIII, ©. 207) wohl die aufführlichite Notiz über 
die bulgarischen Anfiedelungen im füdlichen Ungarn (Banat), 
in welchen bei 20,000 Bulgaven wohnen. Intereſſant ift es 
auch zu hören, daß (Brehm und Wagner ©. 32) nach dem 
amtlichen Bericht des preußischen Conſuls vom 6, Septem- 
ber 1870 im Sandſchak Gallipolis unter 155,000 Ein« 
wohnern 20,000 Bulgaren find, 

Das Gros des bulgariſchen Etammes Hält alfo den 
Dalfan und feine füblichen und nördlichen Abzweigungen 
inne; längs bes Kammes des Rilo⸗ und Khodope-Sebirges 
breitet es fich hinunter nach Macedonien aus und veicht bie 
zum Süftenlande des ägäifchen Meeres. Seine Ränder 
find durch und durch vermischt mit Türten, Griechen, Zin- 
garen, Albaniern und im Often mit den Serben, und dies 
ift die Urſache der unausweicjlichen Berwirrungen in ben 
ethnographiſchen Berichten, befonders wenn man fie umter 
fi) vergleicht. Diefen mißlichen Zuftand vergrößern noch 
abſichtlich die Tlirfen, indem fie die Tartaren und die Tſcher—⸗ 
teflen an der Grenze Serbiens und in Bulgarien anfiedeln, 
natürlich im Intereſſe ihrer Unterdräcdungspolitit, die gleich 
der Peft im jeder Beziehung die Bölker dev herrlichen Balfaus 
Länder darniederhält. 

Daß noch viele Yücen im der Ethnographie der Balfan- 
halbinfel auszufüllen bleiben, das bezeugen wohl alle Reifen: 


ten, Slebenen und Elovafen), Vulgeren und Muffen (mebit Ruthe - 
ven). Da dieſe Karte das gefammte Gebiet von Wien und Ggere 
uowicc bis Kreta und von Laibach und Meifina bis Trefja, Jemid 
und Nbetus umfaht umd zugleich die neueſten geegtaphiſchen Aurs 
ſchungen auf der Daltanbalbinfel zur Anfenung bringt, fo iſt die⸗ 
felbe auch zur Verfolgung ter dortigen pelitifchen und militariſchen 


Votgange trefflicd zu werwenten. Net. 


Neue Erjcheinungen auf dem Felde der Kartographie des orientaliichen Kriegsſchauplatzes. 


ben aus neuerer Zeit. Umfaſſende fuftematifche Unterfuchun« 
en über biefen Gegenſtand fehlen gänzlich; Mangel an guten 
rten (vergl. übrigens dem mächften Artifel) herrſcht im dem 
Maße, daß in letzter Zeit durch Eifenbahnftubien karto— 
graphifche Neuigkeiten von größten Werthe entdedt wurden, 
wie die Richtungen ber Gebirgszlige und die Quellen der 
Fluſſe find. 

Zum Schluſſe fei noch erwähnt, daß die Beſtimmung der 
etfjnographifchen Grenzen flavifher Stämme überhaupt ein 
bedeutendes Moment erſchwert, es ift dies das allmälige 
Ueberfließen ber jlaviichen Dialekte in einander. Dies iſt 
in ber geographifcen Nachbarſchaft begründet. Trotzdem 
jede flavifche Sprache eine Fülle dialeftifcher Eigenthümlich- 
feiten befigt, fo bemerft man doc; bei allen eine gewiſſe Ab« 
ftufung ber Berwandtſchafts- und Unterfcheidingsmertmale 
und in merfwürbiger Weife geht eine in die audere Über ohne 
ſcharf ausgeſprochene Grenzen. So ftchen die weftlichen 
croatifchen Dialekte näher den Stovenifchen als das Ser: 
bifche, und näher dem Serbifchen als das Stovenifche; bie 
bulgarischen flidweftlichen Dialekte ſtehen näher ben Serbifdyen 
als die öftlichen und näher dem öftlichen bulgarischen als das 
Serbifche; das Slovakiſche ift mit den fübjlavifchen und ruf 
ſiſchen Dialelten mehr verwandt als das Ezechifche und wies 
der mehr den Czechiſchen verwandt als diefe; das Klein— 
ruſſiſche fteht näher dem Polnischen ala das Ruſſiſche uud 
näher dem Ruffiichen als das Polniſche. Durch ſolche Bande 
ift die ſlaviſche Welt mit einander verfnipft, und deshalb ift 
es fein Wunder, daß die flavifchen Stämme fo viel tiber ihre 
Grenzen hadern, namentlich, wenn man noch bedenft, daß die 
Stammes« und individuelle Eigenthlimlichkeit wohl nirgends 
mit einem folden Streben nad) ihrer Erhaltung ausgeftattet 
ift wie bei den Elaven. Die Serben und Bulgaren ftehen 
zu einander nicht nur in enger nationaler Verwandticaft, 
jondern fie befennen ſich aud) zu einer Religion und des+ 
halb iſt in der ferbifchen und bulgarischen Ethnographie die 
delicatefte Frage die Beſtimmung der öftlichen vefp. weſtlichen 
Greuzen diefer beiden Stämme. Nowalowitſch meint, daß 
ſich diefe Frage nur am der Hand der überlieferten Bolte+ 
literatur löſen laffe, wo er namentlich jene in Broja fire wich⸗ 
tig hält, da in derſelben die linguiſtiſchen Eigenthümlichteiten 
ſchürſer ausgeprägt find als in der Poeſie. 


Neue Erſcheinungen auf dem Felde der Kartographie des orientalifchen 
Kriegsſchauplatzes. 


Derjenige Theil des osmaniſchen Reiches in Europa, 
welcher nun ſeit faft einem Jahre durch den im dev Herzes 
gowina begommenen mererdings auf Vosnien ausgedehnten 
Aufftand die Augen der europäifchen Welt auf ſich zieht, 
hat durch die Fürſorge des Ef, militärsgeographifchen 
Inftituts in Wien eine neue Kartendarftellung in 12 
Blatt erfahren, welche alle frliheren Peiftungen auf demfel- 
ben Gebiete weit in den Schatten ftellt, ſowohl durch die 
Schönheit und Klarheit der Ausführung, als durd) die Fülle 
des darin zum erftenmale ansgebeuteten neuen topographis 
ſchen Materials, welches vielfacye in den legten Jahren ver— 
anftaltete Recognofeirungen öſterreichiſcher Offiziere umd 
Gifenbahn- Ingenienre in Bosnien, Serbien und dem nörd- 
lichen Albanien, geftligt auf viele aſtronomiſch nen beftinmte 
Punkte, geliefert haben. Die 1865 von derſelben Anftalt 


bie mehrfachen Verſuche ferbifcher Ingenieur-Offiziere in 
tartographiſcher Darftellung ihres Yandes find durd) bies 
neue Werk antiquirt. Gleichwohl läßt daffelbe in manden 
Partien noch einpfindliche Yen der Beobachtung und Ber: 
zeichnung erkennen und bezeichnet fich deswegen befcheidener 
Weife ſelbſt nur als „proviforifche Ausgabe” ; e8 iſt be> 
ftimmt, fpäter in derfelben Weife, wie die heliographiſche 
Vergrößerung der befannten Sceda’fdien Karte von Een: 
tral-Europa auf "yonono, deren Anordnung und Numeris 
rung die 12 Blatt (Reihen I, K, L, M, \ 10, 11, 12) 
ſich vollſtändig anfchliegen, durch elegantern Stich erſetzt zu 
werden. ber fait möchte man das bedauern, da der Druck 
der heliographifcen Karte an Klarheit und Schönheit er 
heblich durd; den lithographiſchen mehrfarbigen Drud der 


' neuen proviforifchen Sarte übertroffen wird, deren Preis 
herausgegebene Roskiewiez'ſche Karte von Bosnien ſowie dazu ein höchſt mäßiger ift (18 Mark für die 12 großen 


Neue Erjheinungen auf dem Felde der Kartographie des orientalijhen Kriegsihauplages. 


Blätter). Einen befondern Vorzug berfelben bilden bie fehr 
ablreichen offenbar nen beftimmiten (weil in den und bes 
annten älteren hypſometriſchen Quellen nicht enthaltenen) 
Höhenmefjungen — beiläufig zwedmäßigerweife bereits in 
metrischem Maß ausgebrüdt. Diefelben und fomit aud) 
bie neuen Necognofeirungen reichen auf türkiſchem Gebiete 
bis an den füböftlichen Rand der Karte, folglid, thatſächlich 
noch weiter und durfen auf die öftliche Fortſetzung, bie Karte 
von Bulgarien, deren Bearbeitung im militärsgeographis 
ſchen Inftitut dem Bernehmen nad) ebenfalls * weit 
vorgeriidt und deren Erſcheinen noch im Laufe dieſes Som- 
mers zu erwarten iſt, in hohem Grade begierig machen. 
Eine andere große Karte der Türkei (nebſt dem nörd- 
lichen Theile des gricchiichen Königreichs) in 20 Blatt, ger 
zeichnet von #. Handtfe (Verlag von E. Flemming in 
Slogan), die bereits vor länger als einem Jahrzehnt begon« 
nen, niemal® ganz und in vielen ber fertigen Blätter 
nur fehr Übereilt zu Ende geführt worden iſt, wirb jeßt, 
wo ſich eine unerwartete Gelegenheit zu erneuter (wiewohl 
für ein fo umfangreiches Opus immer nur mäßiger) Ber 
breitung zeigt, für herabgefegten Preis angeboten und Seitens 
der Berlagshanblung mit einer Empfehlung begleitet, deren 
etwas euphemiſtiſche Ausdrlide einer erheblichen Berichtigung 
bebürfen. Das in erfter Reihe ald werthooflftes Lob ange, 
führte Urtheil des Feldmarſchalls Grafen v. Moltke über die 
„fleigige Arbeit“ bezieht fic unferes Wiffens nur auf den» 
jenigen Theil des Terrains, welches ber große Stratege aus 
eigener Anfcanung im Jahre 1837 fennt, nämlich die 
Kliftenlandfhaft des Schwarzen Meeres und den öftlichen 
Balfan, Partien, die auch in der That in der Handtke'fdjen 
Karte darum detaillirter ausgeflihrt find, weil dafür ſchon 
zur Zeit, wo bie Zeichnung entworfen wurde, das gute ruſ⸗ 
ſiſche Material vorhanden war. Daß bie Karte „wegen 
der Größe ihres Maßftabes vollftändiger* als alle an« 
deren erütirenden Geſammtlarten diejes Länderabſchnittes fei, 
ift durchaus nicht wahr, ba große Partien, wie Bosnien, 
Albanien, Macedonien, äußerft flüchtig ausgeführt find und 
nicht mehr Detail und Namen, wohl aber fehr viel mehr Feh 
ler enthalten als 3. B. die Scheda' ſche Karte im Ygssono 
und die Kiepert'ſche in "/yoonooo. Der Umftand endlich, da 
auf den mittleren Sectionen ein großer Naum zwifchen der 
ferbifchen Sudgrenge und Adrianopel nur in ben erften Um: 
riffen, mit vereingelten Namen und großen weißen Lücken, 
gänzlich ohne Terrain gelaffen ift, erflärt ſich zwar dadurch, 
daß vor neun Jahren (mo die Karte ſchon in derfelben Geftalt 
auf ber Parifer Induftrieausftellung zu fehen war) der Zeich- 
ner noch beſſeres Material erwartete, fpäter aber die Arbeit 
liegen gelaflen worden iſt. Jetzt aber, wo immer noch 
nichts weiter zur Vollendung und Berichtigung der Karte 
geichehen, vielmehr alles feit 1869 publicirte Material 
(namentlid) auch die vortrefflicen und umfaſſenden Necog« 
nofeirungen im centralen Balfan von Prof, F. v. Hochſtet⸗ 
ter umd Ingenieur Preffel, die felbft das größere geo- 
graphifche Publicum aus Petermann’s Mittheilungen 
von 1872 kennen muß) unbenutzt gelafjen ift, möchte man 
das mit der leeren Ausflucht rechtfertigen, „daß fiber jene Ges 
genden überhaupt fein Material vorhanden und bas in an« 
deren Karten an diefen Stellen gezeichnete Terrain leere 
Phantafie ſeis! Die Kiepertiche Karte (Ausgabe von 1871, 
noch vor dem Erſcheinen von Hochſtetter's Arbeit) enthält 
dagegen im centralen Balfan das Reſultat einer forgfältigen 
Eombination vieler zum Theil fonft nirgend benugter Ori- 
ginalquellen, über welche der beigegebene Tert Rechenſchaft 
iebt, und lann demzufolge als zuverläffiger Yeitfaden im ber 
Berfotgung des gegenwärtigen bulgarifchen Aufſtandes dienen, 
während man die darin erfcheinenden Namen felbft der größ- 


383 


| ten Ortfchaften auf der Handtle'ſchen Karte vergeblich fuchen 


wirb! Und wenn abfolut fein Material vorhanden war, 
woher hat denn der Zeichner der Karte die Eifenbahnlinie 
Adrianopel:Philippopel, die er doch wohl nur auf die Zei— 
tungsnadjricht vor ihrem Ausbau hin mitten durd) völlig 
leere Räume hindurchzicht? Die thatſächlich dort liegenden 
Bahnftationen, Dörfer und Städte hätte er allerdings aus 
gutem öſterreichiſchen Material ſchöpfen können, wenn er 
fi) die Mühe hätte geben wollen, daſſelbe aufzuſuchen. 
Hatten wir ed zuerft mit einer vortreffliden, ſodann 
mit, einer weniger gut gevathenen Arbeit zu thun, fo muß 
das Wert eines Anfängerd in orientaliſcher Geographie 
(wir find wenigftens in den vierzig Jahren, feit denen wir 
deren Entwidelung verfolgen, demſelben noch nicht auf die: 
fen Gebiete begegnet) ſowohl das Interefje als das Bere 
nügen ber Fachmänner erregen, denen es übrigens der Ber 
eger Albert Abelsdorff in Berlin ſpeciell ans Herz legt. 
Wir meinen die „Karte der Turkei in Europa und Aſien. 
Nah dem neueſten und beflen Quellen bearbeitet von 
M. Schaefer 1876. Maßſtab 1:3,000,000,* Es ift 
wirklich intereffant zu ſehen, wie Herr M, Schaefer durch 
fleigige Pectüre der gefammten umfangreichen Reiſelileratur 
über die in Rede ſtehenden Yänder, fo weit diefelbe bis 1866 
erjchienen ift, durch ein gründliches Studium der orientalis 
hen Sprachen, vielleicht fogar durch eigenes Bereiſen des 
andes genau bis auf ein Jota im „Jahre 1876 zu denſel⸗ 
ben topographifchen und philologifchen Refultaten gelangt ift, 
wie Heinrich Kiepert, dieſer allerdings ſchon vor einem 
Jahrzehnt. Diefe Uebereinftimmung der Nefultate erftredt 
ſich Inge merkwürdiger Weife bis auf den Maßſtab 
der Karten und bie angewendete Orthographie. Denn 
1:3,000,000 ift genau das Neductionsverhältnig der großen 
Kiepert'chen Karie des türkifchen Reiche in 4 Blatt (mo+ 
von eine beutfche und zulegt 1866 eine franzöfiiche Yusgabe 
erſchienen iſt). Wie umfaffend Schaefer's philologifche 
Studien waren, erhellt zur Genilge daraus, daß er zwei vers 
fchiedene Tranfcriptionsarten aufgeftellt Hat, und zwar beide 
auf derfelben Sarte, nämlich fir die meiften Namen bie 
franzöfishe (3. B. Kioutahia, Alachehr, Trebifonde, Erzin- 
guian), wie fie Kiepert in der vierblätterigen Karte des tür 
kifchen Reiches anwandte, und für bie europäiſche Reichs⸗ 
hälfte vereinzelt die deutſche (Sonftantinopel, Ruſtſchut, 
Schumla u. ſ. w.). Ale Adıtung! Man kann ben wifjens 
ſchaftlichen Fleiß nicht verfennen, wenn aud) die Einheit etwas 
barumter leidet, daß linls der u⸗Laut mit u, rechts mit on, 
linf® das sch mit sch, rechts mit ch u. ſ. w. gejchrieben ift. 
So fehr wir alfo den Fleiß des Autors anerkennen, mit 
welchen alles Material bis auf das Jahr 1866 herab be- 
nutzt und verwerthet worben ift, jo möchten wir doch auf 
einen finnentftelenden Drudfehler im Titel „Nad} den neue> 
ften und beften Quellen bearbeitet“ aufmerffau machen. Denn 
alles feit einem Jahrzehnt and Picht getretene Material, wir 
nennen nur die Arbeiten Strecker's in Armenien, Barth's, 
von Hochſtelter's, von Hahn's u. f. w. in Numelien wurde 
leider nicht berüdfichtigt. Hoffen wir, daß Schaefer jeine 
intereffanten Studien fortfegt und vielleicht in weiteren zehn 
Yahren bis zu dem Standpunfte, den unfere Kenutniß der 
Türfei anno domini 1876 befaß, durchgedrungen fein wird, 
Vielleicht wird er dann auch zu der Ueberzeugung foms 
men, daß es nicht hübſch ift, die Albanefen (mie er es jetzt 
thut) in einem Lande wohnen zu laſſen, das fo platt und 
eben ift, wie bie Mark Brandenburg; daß auch das Yand 
Macedonien recht ordentliche Berge und Felsſchluchten bes 
figt, daf nur die eine Stadt Banjalıla am Wrbas eriftirt, 
nicht aber noch eine zweite an ber Bosna, daß andy die 
Eiſenbahn von Stoplja quer durch die ganze Yänge von 


384 


Bosnien bis Banjalufa im Jahre 1876 vorerft nur ein 
frommer Wunſch gewefen ift, u. f. w. Wir wünſchen ihm 
Gluck zu feinen Studien, welche dieſe und fo viele andere 
Wahrheiten dereinft ans Licht bringen werben. 

Noch etwas weiter zurlick in der Sartographie, als 
Schaefer, ift das einft berühmte Weimarifche raphiſche 


Aus allen Erdtheilen. 


Inſtitut, welches Karten der Türfei, die in ben vierziger 
Jahren von Heinrich Siepert bearbeitet, feitbem aber nie 
wieder von beinfelben verbefjert wurden, alfo längft veraltet 
find, mit der meueften Jahreszahl veröffentlicht. Daß an 
denfelben nichts als Papier und Jahreszahl meu ift, bedarf 
feiner weitern Ausführung. 


Aus allen Erdtheilen. 


Czekanowski's fibirifche Neife von 1875. 


Ueber Ezefanowsti's Reife zum Olenel im Jahre 1874 
berichteten wir Ichon in Bd. XXVIII, ©. 236 ff. in ausführlicher 
Weiſe. Der unermidliche Geologe, dem Sibirien ſchon jo 
viel verdankt, hatte damals in den Gebirgen von Werchojausk, 
welche das untere Gebiet der Lena öftlich begrenzen und von 
bem der Jana fcheiden, Triasformationen gefunden, die 
mefozoifchen Gefteine am untern Dlenef und an der untern 
Lena ftubirt und war zu der Vermuthung gekommen, daß 
ſich diejelben weiter an der Lena hinab bis im Gegenden 
ansdehuten, wo man bisher die Eriftenz von Koblenlagern 
annahm. In Begleitung des Herrn Wenglowski machte ſich 
nun Czekanowsti an die geologiice Erforichung des Gebie— 
tes am Unterlaufe des Olenel und ber Vena, verlieh am 
15. Mai 1875 Irkutsk und vollendete vom 1. bis 7, Juni 
in Jalutsk feine Vorbereitungen zur Stromfahrt. Auf der 
Lena hatte er jedoch mit widrigen Winden zu känıpfen, welche 
ihm viel Aufenthalt verurfadhten, jo daß er erft am 1. Juli 
Schigansk (wenig nördlich vom Polarkreis) und am 26. Bu: 
lun unter 70%/,9 nördl. Br. erreichte. Da der Gegenwind 
ſich micht legte und Czekanowski die Tundra erforjchen wollte, 
fo gab er die weitere Fahrt auf umd ging von Ajakil 
(5 Werft unterhalb Bulun) nad dem Olenek hinüber und 
benfelben bis zu feiner Mindung ind nördliche Eismeer 
hinab, wo er am 26. Auguſt eintraf, und von dort öſtlich 
zum Kreuz-Cap, feinem äufßerften Punkte (1. Scptember). 
Bon da nach Bulun zurlickgekehrt, mußten die Reiſenden 
vom 12. September bis zum 18. October warten, bis bie 
Ströme zugefroren und die Eingeborenen in ihre Winter: 
quartiere zurücgefehrt waren, um dann über Werchojanst 
und Jakutsk mach Irkutsk zu aelangen. Dort trafen fie erft 
gegen Ende des Jahres ein. Die Tundra von Ajakik an 
unterſcheidet ſich weſentlich von den ſumpfigen Tundren Weſt⸗ 
fibiriens ; fie wurde behufs beffern Studiums langſam durch: 
reift. Das Wetter begünftigte fie: am 22, Nuguft hatten 
fie unter 72%, nörbl. Br. noch ſommerliche Temperatur und 
Gewitter, und die Vegetation bewahrte ihre Friſche bis zum 
26, Auguft. Die dann folgenden Fröfte waren nur von kur— 
zer Dauer, und noch am 11, September fahen fie unter 
71340 nördl. Br. Netflügler herumfliegen. 

Ezefanowsti’d Reſultate beftchen im 1. einer Ronten: 
aufnahme, einer geologifhen Karte und einem Neiletagebuch 
über die Strede von Jakutsk bis zur Mündung des Dlenel; 
2, einer pnläontologiichen Sammlung von über 1000 Stüd, 
alle aus dem mieſozoiſchen Zeitalter; 3. einem Herbarium 
von 3000 Nummern und 4. einer entomofogifchen Samım: 
lung von mehr ale 700 Inſecten. 





— Am 24. Mai ift das von und vielfach erwähnte engli- 
Ihe Schiff „Challenger von feiner willenschaftlichen Reife 
um die Welt nach England zurückgekehrt. In den 1251 
Tagen feiner Abweſenheit (die ‚Gazelle“ hat es nur bis 688 
gebracht) hat daffelbe 68,500 Seemeilen durchmeſſen und 4700 
Tonnen Koblen verbraucht, 374 Tiefleemeffungen vorgenom- 
men, 255 Temperatnrreiben gemeſſen, 111 Male erfolgreich 
und 19 Male ohne Erfolg mit dem Schleppnete gearbeitet. 
Bon den 243 Dann Belatung, welche am 21. December 
1872 England verließen, find 144 am 4. Mai 1876 bort- 
hin zuridgefehrt, während 10 ftarben (darumter unfer Lands: 
mann Dr. von Willemoes:Subm), nicht weniger als 61 deſer⸗ 
tirten und 5 (darumter der Capitän Nares) in Honglong zur 
Norbpolerpedition abberufen wurden. Letztere verlieh am 
29, Mai 1975 unter Nares’ Befehl auf den Schiffen „Alert” 
und „Discovery" Portsmouth. Jetzt eben bat faft genau 
ein Jahr fpäter (27. Mai 1876) die „Bandora* unter Capi— 
tün Allen Doung (vergl, „Globus“ XXVIII, ©. 351, 
welche ſchon 1875 Nachrichten von ber Nares'ſchen Nordpol: 
erpedition von den Carey-Inſeln heimbradhte, England ver: 
laſſen, um derfelben wo möglich Briefe von daheim zu über: 
mitteln und Nachrichten von ihr mit nach Haufe zu nehmen. 

— Bom britifchen Colonialminiſter Lord Carnarvon tras 
fen im Februar diefes Jahres wichtige Depeichen an den 
Gouverueur ber Colonie Neuſildiwales, Sir Hercules Ro- 
binſon, in Sydney ein, in welchen er ſich über die Mitwir- 
fung der auftraliichen Golonien bei weiterer Aunectirung 
polgnefiicher Inſeln anspricht. Die auftraliichen Colonien 
hätten, nachdem England ihrem fortwährenden Drängen, die 
Fidſchi⸗Inſeln unter britiiche Hoheit zu ftellen, Folge ge 
geben, dann jpäter von einer ftnbitantiellen Hülfeleiſtung 
nichts willen wollen. Diefe Art gemeinfchaftliher Action, 
bei welcher bie Eolonien nur Rathichläge offerirten, während 
auf England die Ausführung und die Koften fielen, müſſe 
er in Zukunft zurückweiſen. Was die Annectirung von Neu— 
guinea anlange, welche jetzt von vielen Seiten angeftrebt 
werbe, fo könne diejelbe erft dann in ernfte Erwägung ges 
sogen werben, wenn bie Colonien fich au einer finanziellen 
Verantwortlichkeit bereit erflärt hätten. Der Hauptgrund, 
welcher zu Gunſten rafcher Annectirung angeführt werde, 
liene in der Befürdtung, daft eine fremde Seemadt in der 
Nähe von Anftralien den Jutereſſen der Kolonie nachtbeilig 
fein wiirde Dieſer Grund ſei aber hinfällig, da feine fremde 
Macht und namentlich auch nicht Deutichland an eine Beſitz- 
ergreifung von Neuguinea denke. 


Berichtigung. Auf 5.348, Sp. 2, 3. 14 von oben ift 
ftatt „Jagbleopard (Tokola der Abeffinier)” zu jegen „Onänen- 
hund“ (gemalter Hund, Lyeaon pictus). 


Inbalt: In Türkiſch⸗ Armenien, II. Mit fünf Abbildungen.) (Schluß) — Alte Denkmäler an der maroffanifchen 


Weſtküſte. (Mit einer Abbildung.) — Die engliihen Himalaya-Befizungen. Bon Emil Schlagintweit. 5b, Der Band- 


ſchab Himalaya. — Zur Ethnograpbie der Bulgaren. — Nene 


Erſcheinungen auf dem Felde der Kartographie des orien- 


taliſchen Kriegsichauplages. — Aus allen Erdtheilen: Czekanowsti's fibiriſche Neife von 1875. — Verfhiedenes. — (Schluß 


der Redaction 10, Juni 1876.) 





Medaeteur: Dr. R. Kiepert in Berlin, ©. W. Lintenftrafe 13, IN Tr. 
Drud und Verlag von Friedrich Bieweg und Sohn in Braunfchweig. 


eine Beilage: Literarifcher Anzeiger Mr. 5. 


BOUND 
End 1939 


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